Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 252. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte um Ihre Aufmerksamkeit für die Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach Abgeordneter Sander für drei Wochen wegen Krankheit und Abgeordneter Feldmann für vier Wochen wegen Krankheit.
Der Präsident hat für zwei Tage Urlaub erteilt den Abgeordneten Dr. Henle, Dr. Becker ({0}), Lemmer, Dr. Semler, Fassbender, Dr. Freiherr von Fürstenberg, Dr. Laforet, Pannenbecker, Dr. Frey, Hilbert, Dr. Baur ({1}), Dr. Solleder, Dr. Luchtenberg, Dirscherl und Reimann.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Dr. Miessner, Junglas, Fuchs, Dr. Orth, Siebel, Mißmahl, Kahn, Dr. Horlacher und Dr. Fricke.
Meine Damen und Herren, ich unterstelle, daß Sie mit der Erteilung des Urlaubs über eine Woche hinaus an die Abgeordneten Sander und Feldmann einverstanden sind. - Das ist der Fall.
Herr Abgeordneter Dirscherl feiert heute seinen 64. Geburtstag. Ich spreche ihm herzliche Glückwünsche aus;
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ebenso dem - heute leider nicht anwesenden - Herrn Abgeordneten Pannenbecker, der heute seinen 74. Geburtstag feiert.
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Gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat wird die heutige Tagesordnung erweitert um die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Leistungen zur Unterbringung von Deutschen aus der sowjetischen Besatzungszone oder dem sowjetisch besetzten Sektor von Berlin ({2}) Drucksache Nr. 4095, Mündlicher Bericht des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen ({3}) Drucksache Nr. 4151, als Punkt 1; weiterhin um die erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen vom 10. September 1952 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staate Israel, Drucksachen Nr. 4141, zu Nr. 4141 und Nachgang zu Nr. 4141, als Punkt 2; drittens um die erste Beratung des von den Abgeordneten Sabel, Richter, Determann und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abänderung und Ergänzung des Gesetzes über die Verlängerung der Wahlperiode der Betriebsräte vom 8. Januar 1953 ({4}), Drucksache Nr. 4135, als Punkt 3. Ich bitte, das freundlichst zur Kenntnis zu nehmen.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 17. Februar 1953 die Kleine Anfrage Nr. 309 der Fraktion der SPD betreffend Aufwendungen für Forschungszwecke - Drucksache Nr. 3899 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 4148 vervielfältigt.
Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amtes hat unter dem 26. Februar 1953 unter Bezugnahme auf den Beschluß des Deutschen Bundestages in seiner 246. Sitzung einen Bericht vorgelegt über die durchgeführten Maßnahmen disziplinarischer oder dienstlicher Art gegen die betroffenen Beamten des Auswärtigen Dienstes, der als Drucksache Nr. 4154 vervielfältigt wird.
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- Herr Abgeordneter Reitzner, wozu wünschen Sie zu sprechen?
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- Zur Tagesordnung zunächst Herr Abgeordneter Reitzner!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion ersuche ich um die Ergänzung der heutigen Tagesordnung. Wir beantragen, als Punkt 2 der Tagesordnung die dritte Beratung des Bundesvertriebenengesetzes anzusetzen.
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Ich erlaube mir, diesen Antrag der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion kurz zu begründen. Das Bundesvertriebenengesetz ist die Folge eines zeitgebundenen Unheils, und dieses Gesetz ist wie selten ein Gesetz zeitbedingt. Es ist sicher nicht das einzige Gesetz von großer Wichtigkeit, und es handelt sich dabei auch nicht um eine neue Aufgabe, die vor uns steht. Aber die letzten Ereignisse, der Zustrom aus der Sowjetzone, machen dieses Problem zu einem brennenderen als je. Heute, morgen und übermorgen werden aus der halben Welt Berichterstatter, Beobachter und Journalisten nach Berlin fliegen und wahrscheinlich darüber nachdenken, was getan werden könnte, um der Lage Herr zu werden. Wir alle wissen doch, daß das
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Wasser schon über die bisherige hohe Marke gestiegen ist, und wir alle, glaube ich, empfinden, daß sofort etwas getan werden muß.
Hier liegt eine Gemeinsamkeit in der Problematik vor: auf der einen Seite das Problem der Altflüchtlinge, wenn ich es so nennen darf, und auf der anderen Seite die neuen Aufgaben, die aus dem Zustrom der Sowjetzonenflüchtlinge erwachsen.
Schon die Tatsache, daß die zweite Lesung dieses Gesetzes auf der Tagesordnung der 250. Sitzung des Bundestages gestanden hat, ist eine bedauerliche und betrübliche Erscheinung.
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Sieben Jahre nach der Vertreibung der Vertriebenen behandeln die Regierung und der Bundestag das Bundesvertriebenengesetz, und wir stehen heute vor der Frage, ob wir die dritte Lesung noch einmal verschieben sollen. Was hinter uns liegt, das ist doch eine Tatsache, sind versäumte Gelegenheiten, eine Folge von Unterlassungssünden. Daß der Herr Bundesvertriebenenminister auf der Regierungsbank an letzter Stelle sitzt, ist vielleicht keine Zufälligkeit.
({3})
Es ist symptomatisch und nicht zufällig. Ich möchte wissen, wo der Herr Bundesvertriebenenminister erst sitzen wird, wenn sich der Herr Blank in diese Reihe hineinschieben wird.
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Klipp und klar gesagt: Der Mehrheit dieses Hauses, die die dritte Lesung verschieben will, und auch der Regierung erscheint das Vertriebenenproblem als etwas Zweit- und Drittrangiges. Sonst würde man es heute behandeln.
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Ich wollte gerade noch zu den Äußerungen der DP sprechen. Glauben Sie ja nicht, daß sich die Vertriebenen durch Anträge wie den auf Voranstellung einer Präambel täuschen lassen!
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Herr Abgeordneter Reitzner, darf ich Sie bitten, zu dem geschäftsordnungsmäßigen Antrag zu sprechen.
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Nein, das ist eine Tatsache, die Tatsache nämlich, daß die Präambel hier eingebracht wurde, die eine wirksame Hilfe, ein wirksames Gesetz verlangt, und ich glaube, die wirksamste Hilfe ist die sofortige Verabschiedung des Bundesvertriebenengesetzes.
Ich frage Sie, meine Damen und Herren, wann wollen Sie die dritte Beratung vornehmen? Sie werden mir sagen: am 18. März dieses Jahres. Wer weiß denn, welche anderen Probleme, deren Lösung Sie als notwendig und vordringlich betrachten, bis zum 18. März dieses Jahres erwachsen? Wir hatten die dritte Lesung ja schon auf den 20. Dezember angesetzt. Meiner Überzeugung nach, Herr Struve - weil Sie mich anschauen -, haben in Ihren Reihen
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- jawohl! - die egoistischen Widerständler unter der Führung des Partisanen Struve gesiegt! Das ist die Tatsache.
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Das ist die Situation. Sie wollen Ihre Schwierigkeiten dadurch überwinden, daß Sie versuchen, Zeit zu gewinnen. Wir wollen aber eine sofortige wirksame Hilfe, und daher beantragen wir, als Punkt 2 der Tagesordnung die dritte Beratung des Bundesvertriebenengesetzes vorzunehmen.
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Ich beende meine Begründung und sage: In diesem Gesetz - über diese Tatsache werden Sie nicht hinwegkommen können - waltet, wenn auch ungeschrieben, die Frage der Verantwortung und der Aufgabe für die Mehrheit dieses Bundestags und für die Regierung. Da waltet die Frage der Forderung der Heimatvertriebenen und der Erfüllung dieser Forderungen, und da waltet das Gesetz der Pflicht und des Versagens.
({3})
Das ist das Problem, mit dem wir uns zu beschäftigen haben.
Ich schließe ab. Ich weiß, daß man mit Bibelsprüchen nicht die Probleme heilen kann; aber ich möchte die Bibel zitieren, und zwar den Apostel Paulus,
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der gesagt hat: Benütze die Zeit, denn die Tage sind böse!
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Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag des Herrn Abgeordneten Reitzner gehört. Wer wünscht das Wort? - Herr Abgeordneter Schröder!
Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht dem folgen, was Herr Kollege Reitzner als Auftakt der heutigen Sitzung soeben ausgeführt hat. Ich glaube, wir haben einige wichtige Dinge, für die in unseren Augen eine große Gemeinsamkeit wünschenswert ist, heute zu verabschieden, und ich möchte von uns aus diese Atmosphäre unter gar keinen Umständen trüben.
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Den Kollegen Reitzner möchte ich nur bitten, einen Blick auf die Tagesordnung zu werfen, wo er das Flüchtlingsnotleistungsgesetz finden wird. Wenn er dann noch einmal darüber nachdenkt, wird er wohl zu dem Ergebnis kommen, daß er in dem, was er als negative Haltung auf der andern Seite des Hauses glaubte vermuten zu können, recht weit gegangen ist.
Wir haben den Wunsch, die Schwierigkeiten, die anläßlich der zweiten Beratung des Bundesvertriebenengesetzes aufgekommen sind, in gründlicher und sorgfältiger Weise mit dem Ziel der Erreichung einer möglichsten Harmonie zu beheben. Dieses Gesetz ist für uns gerade im Interesse der
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Erhaltung des inneren Friedens in der Bundesrepublik zu wichtig,
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als daß wir es irgendwelchen Kampfabstimmungen ausgesetzt sehen möchten. Wir werden uns darum bemühen - und wir haben die Zuversicht, daß Sie uns darin einigermaßen angemessen unterstützen -, daß wir am 18. März die dritte Beratung dieses Gesetzes in einer guten Atmosphäre durchführen können.
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Es wird an Ihnen liegen, mit dafür zu sorgen, daß das möglich ist. Jedenfalls sind wir nicht in der Lage, der Durchführung der dritten Beratung heute oder morgen zuzustimmen.
Das heißt also, Herr Abgeordneter Dr. Schröder, daß Sie der dritten Beratung widersprechen. Sie kann darum heute nicht auf die Tagesordnung gesetzt werden.
Meine Damen und Herren, damit kommen wir zur Erledigung der heutigen Tagesordnung. Ich rufe auf die
zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Leistungen zur Unterbringung von Deutschen aus der sowjetischen Besatzungszone und dem sowjetisch besetzten Sektor von Berlin ({0}) ({1}); Mündlicher Bericht des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen ({2}) ({3}).
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Flüchtlingsstrom aus der deutschen Sowjetzone nach Berlin, der eine ständig steigende Tendenz zeigt, ist eine Angelegenheit, der wir ebenso wie Sie und wie das gesamte deutsche Volk unsere ernste Aufmerksamkeit widmen. In der gestrigen Kabinettssitzung haben wir eine Reihe von Maßnahmen beschlossen; insbesondere soll dafür gesorgt werden, daß der Abflug von Berlin beschleunigt wird. Er hat in den letzten Tagen zum Teil unter dem Nebel gelitten. Es ist an die Hohe Kommission der Antrag gestellt worden, daß uns mehr Flugzeuge, und zwar Militärflugzeuge, zur Verfügung gestellt werden.
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Ich habe ferner für morgen abend die Ministerpräsidenten der Länder eingeladen, gemeinsam mit dem Kabinett zu überlegen, wie wir dafür sorgen können, daß dieser Strom richtig geleitet und auf die verschiedenen Länder verteilt wird.
Ich glaube, eine Panikstimmung sollten wir nicht aufkommen lassen.
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Wir sollten auch an unsere deutschen Landsleute in der Sowjetzone die Bitte richten, abgesehen von besonderen Fällen, ruhig zu sein und sich nicht in eine Panikstimmung hineintreiben zu lassen.
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Sehr erfreulich ist, daß jetzt auch außer Deutschland andere Länder die Bedeutung dieses Problems erkannt haben und uns helfen wollen.
Heute morgen hat zwischen Herrn Vizekanzler Blücher und dem Vertreter des Hohen Kommissars der UNO für Vertriebene eine Besprechung stattgefunden. Ich möchte bitten, daß Herr Blücher Ihnen über das Ergebnis dieser Besprechung berichtet.
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Das Wort hat der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers.
Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzlers: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem vom Herrn Bundeskanzler erwähnten Besuch ging es im grundsätzlichen darum, daß deutlich wurde, wie sehr die seit dem Bestehen der Bundesrepublik von den Abgeordneten aller Seiten, von dem Herrn Bundeskanzler, von den Kollegen im Kabinett unternommenen Versuche, das Problem der Vertriebenen und der politischen Flüchtlinge endlich in das allgemeine europäische Bewußtsein zu bringen, von Erfolg gewesen sind.
Nachdem schon vor einigen Wochen die Ihnen bekannte erste Hilfe durch den Herrn Kommissar für das Flüchtlingswesen zur Verfügung gestellt worden war, wurde mir heute morgen die Mitteilung gemacht, daß verschiedene europäische Nationen von ihren Parlamenten wesentliche Beiträge erbitten werden, um dem Problem der deutschen Flüchtlinge und ihrer Not zu steuern.
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Es ist daran gedacht, in ständig steigendem Umfange jenen Plan durchzuführen, der darauf abzielt, allen denen beschleunigt Wohnung für sich und ihre Familie zu geben, die als Flüchtende zu uns gekommen sind und die Möglichkeit haben, in den normalen Arbeitsprozeß eingegliedert zu werden, sofern sie nur Unterkunft finden.
Ich wiederhole das eine: Inhalt der Unterredung war, daß das Schwergewicht zunächst nicht bei der ersten bedeutenden materiellen Hilfe, sondern bei der Erkenntnis liegt, daß man nunmehr dort, wo man sich bei der UNO um das Flüchtlingsproblem bekümmert, dieses nicht mehr im seitherigen Sinne begreift, sondern das Problem des deutschen Vertriebenen und Flüchtlings nunmehr in die Behandlung, in die Betrachtung und in die Hilfe der internationalen Organisation einbezieht. Das ist das Ergebnis von Bemühungen, für die wir uns alle schon sehr viel früher einen Erfolg gewünscht hätten.
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Meine Damen und Herren, wir kommen zur Beratung des Gesetzentwurfs. Berichterstatterin ist Frau Abgeordnete Dr. Brökelschen. Ich darf sie bitten, das Wort zu nehmen.
Frau Dr. Brökelschen ({0}), Berichterstatterin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Entwurf eines Gesetzes zur Unterbringung von Deutschen aus der sowjetischen Besatzungszone oder dem sowjetisch besetzten Sektor von Berlin ({1}), Nr. 4095 der Drucksachen, wurde dem Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen federführend und -dem Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung in der 251. Sitzung des Deutschen Bundestages am 26. Februar überwiesen. Der Bundesrat hatte auf eine Vorberatung des Gesetzes durch seine Ausschüsse verzichtet und in seiner Plenarsitzung vom 20. Februar den Entwurf gebilligt und fünf Ausschüsse
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beauftragt, nach der Plenarsitzung die Vorlage zu beraten. Er hatte weiter den Innenausschuß beauftragt, die Beschlüsse der einzelnen Ausschüsse zu koordinieren und bei den Beratungen der Bundestagsausschüsse von seinem Vertreter vortragen zu lassen. Das ist geschehen.
Es mag vorweg bemerkt werden, daß entscheidende Bedenken gegen den Gesetzentwurf im ganzen oder gegen einzelne Paragraphen von keiner Seite erhoben worden sind. So konnte ihn der Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen unter Verzicht auf eine Grundsatzdebatte in einer einzigen Sitzung zu Ende beraten. Geringfügige materielle oder redaktionelle Änderungen, cue der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung wünschte, wurden hineingearbeitet und den Wünschen des Bundesrats zu einigen Punkten wurde entsprochen.
Das Gesetz ist der Niederschlag einer außergewöhnlichen Situation. Es zerstört die Illusion, daß das Schwerste nach Krieg und Zusammenbruch überstanden sei, und soll die Handhabe schaffen, den immer noch ansteigenden Strom von Flüchtlingen im Bundesgebiet vorübergehend, d. h. bis zu dem Augenblick unterzubringen, in dem wohnraumahnliche Unterkünfte im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus in ausreichendem Maße erstellt sind.
Der Gesetzentwurf geht auf einen einhelligen Wunsch der Ministerpräsidenten der Länder zurück, die bereit sind, der immer schwieriger werdenden Lage Berlins mit einschneidenden Maßnahmen Rechnung zu tragen, aber fürchten, daß sich die notwendigen provisorischen Unterkünfte nicht allein auf dem Wege freier Vereinbarungen beschaffen lassen. So haben sie die Bundesregierung gebeten, sofort ein Gesetz vorzulegen, das die Handgabe gibt, auch zwangsweise Räume vorübergehend in Anspruch zu nehmen.
Angesichts der Belastung Berlins ist es wesentlich, daß das Gesetz sofort in Kraft treten kann, da gerade die jüngsten Entwicklungen in Berlin ohne die Erhöhung der Zahl der täglich abzufliegenden Flüchtlinge nicht gemeistert werden können. Auch befürchten einige Länder, daß sie ohne gesetzliche Handhabe nicht in der Lage sein werden, ihren Verpflichtungen zur Aufnahme der Flüchtlinge nachzukommen. So ist es Aufgabe und Ziel dieses Gesetzes, die möglichst schnelle Unterbringung der Flüchtlinge im Bundesgebiet zu ermöglichen.
Das Gesetz zerfällt in vier Teile. Für die Teile II, III und IV, die das Verfahren bei der Leistungsanforderung und die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten behandeln, sowie die Übergangs- und Schlußvorschriften enthalten, kann mein Bericht auf die dem Hohen Hause vorliegende synoptische Darstellung in Drucksache Nr. 4151 ohne Einzelausführungen verweisen. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß der Ausschuß in § 41 das Datum für das Außerkrafttreten des Gesetzes vom 31. Dezember 1954 auf den 31. März 1955 vorverlegt hat, um mit dem Etatsjahr gleichzuziehen und um auf keinen Fall die Geltungsdauer des Gesetzes zu kurz zu befristen.
Der Ausschuß hat weiter den § 40 b eingefügt: Soweit durch die Vorschriften dieses Gesetzes das Grundrecht nach Art. 13 des Grundgesetzes
- d. h. die Unverletzlichkeit der Wohnung - berührt wird, wird dieses Grundrecht eingeschränkt.
Nicht für erforderlich hielt der Ausschuß eine Einschränkung des in Art. 14 garantierten Grundrechts auf Gewährleistung des Eigentums, da Art. 14 den sozialgebundenen Charakter des Eigentums klar zum Ausdruck bringt und im vorliegenden Gesetz gerade Enteignungsmaßnahmen nach Art. 14 des Grundgesetzes vorgesehen sind.
Die eigentliche Problematik des Gesetzes liegt im I. Teil, der die Vorschriften zur Leistungsverpflichtung sowie deren Umfang, die Pflichten der Beteiligten und die Abgeltung konkretisiert. Es unterliegt keinem Zweifel, daß das Gesetz sehr weit gefaßt ist. Aber es bestand bei den Beratungen Einstimmigkeit darüber, man müsse das hinnehmen, wenn man für jede Lage gewappnet sein wolle. Jedoch vertraut der Ausschuß auf die dort abgegebene Erklärung des Herrn Bundesbevollmächtigten für die Notaufnahme der Flüchtlinge, daß Bundesregierung und Länder das Gesetz nur insofern durchführen und nur so scharf und dringend handhaben werden, wie der Druck, der durch die Ereignisse selbst ausgeübt wird, es erfordert.
§ 1 charakterisiert das Gesetz als Notleistungsgesetz, da Leistungen aus diesem Gesetz nur angefordert werden dürfen für Flüchtlinge aus der sowjetisch besetzten Zone oder aus dem Ostsektor von Berlin, soweit sie nach dem 1. Juli 1951 in das Bundesgebiet oder nach Westberlin gekommen sind. Der ursprüngliche Entwurf zog dien Kreis noch enger, indem er als terminus a quo den 1. Januar 1952 enthielt. Die Zurückverlegung dieses Datums entspricht einem Wunsche des Berliner Senats und trägt dessen Befürchtung Rechnung, daß eventuell verwaltungsmäßige Schwierigkeiten bei der Umsetzung solcher Personengruppen eintreten könnten, die schon vor dem 1. Januar 1952 ihren Aufenthalt in Berlin genommen hatten, aber erst nach der Einführung des Notaufnahmegesetzes in Berlin, also nach dem 4. Februar 1952, ihre Notaufnahme erhalten haben.
§ 2 stellt eindeutig den subsidiären Charakter des Gesetzes heraus:
Leistungen nach diesem Gesetz können nur angefordert werden, wenn der Bedarf auf andere Weise nicht oder nicht rechtzeitig oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln gedeckt werden kann.
Es war die einmütige Auffassung des Ausschusses und der Vertreter des Bundesrats, daß damit die größtmögliche Schonung von Einzelbetroffenen und Gruppenbetroffenen möglich und gewährleistet sei. Um aber in einigen bestimmten Fällen den Willen des Gesetzgebers eindeutig festzulegen, fügte der Ausschuß dem § 5, der die Befreiungen von der Leistungspflicht enthält, einen Abs. 7 an, nach dem auch befreit sein sollen:
die Fürsorgeverbände, die Verbände der freien Wohlfahrtspflege, die Verbände der Kriegsopfer und Blinden, soweit die Erfüllung ihrer Aufgaben durch 'die Leistung wesentlich beeinträchtigt würde.
Man war im Ausschuß der Auffassung, daß eine solche ausdrückliche Herausnahme nur der Wirklichkeit Rechnung trage insofern, als es sich hier um Institutionen handle, die ohnehin mit der Erfüllung von Aufgaben im Sinne dieses Gesetzes oder von ähnlichen Aufgaben mehr als ausgefüllt seien.
Eine längere Debatte löste die Frage aus, ob man ähnlich wie die vorhin genannten Verbände
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auch das Beherbergungsgewerbe in den Erholungsgebieten generell aus der Leistungsverpflichtung herausnehmen solle. Der Ausschuß verschloß sich nicht den bedenklichen Folgen, die sich daraus ergeben haben, daß man 1945 bis 1947 den Flüchtlingsstrom weitgehend in die Erholungsgebiete gelenkt hat. Es wurde aber auf der anderen Seite geltend gemacht, daß gerade auf Grund dieser bösen Erfahrungen aus der jüngsten Vergangenheit und mit Rücksicht auf ihre Steuerkraft die Gemeinden nicht den Ast absägen würden, auf dem sie - vielleicht eben erst wieder - sitzen. Zudem befürchtete man, daß die Herausnahme eines Gewerbezweiges zu Berufungen anderer führen könnte und daß so die rasche und reibungslose Durchführung des Gesetzes erschwert würde. Der Ausschuß hält es aber für erforderlich, daß durch die Verwaltungsvorschriften die Möglichkeit gegeben wird, in den Gebieten, die als besondere Erholungsgebiete anerkannt worden sind, von der Anwendung des Gesetzes abzusehen.
.Ebensowenig konnte sich der Ausschuß entschließen, die öffentlich geförderten Vereine der Jugendwohlfahrt von der Leistungsverpflichtung generell auszunehmen, da für den Notfall z. B. auf Raumreserven des Jugendherbergsverbandes nicht verzichtet werden kann. Aber der Ausschuß möchte klar seinen Willen betonen, daß die besonders besuchten Jugendherbergen im Interesse der wandernden deutschen Jugend und internationaler Jugendtreffen freigehalten werden.
Nach § 8 des Gesetzes sind unbebaute Grundstücke für die Herrichtung von behelfsmäßigen Unterkünften zur Verfügung zu stellen. Der Ausschuß hat diese Vorschrift ergänzt durch den Zu-Satz: „und freie Flächen von bebauten Grundstükken". Es soll damit die Möglichkeit gegeben werden, in den zweifellos seltenen Fällen, wo Ödland zwar vorhanden, aber zur Errichtung von Notunterkünften ungeeignet ist, weil die für die Unterkünfte notwendigen sanitären Einrichtungen nur schwer und mit unverhältnismäßigen Kosten geschaffen werden können, auf andere Flächen zurückzugreifen. Dabei ist nicht daran gedacht, landwirtschaftliche oder forstwirtschaftliche Nutzungsflächen in ihrer Zweckbestimmung oder Nutzung zu beeinträchtigen. Der Ausschuß beschloß einstimmig, in diesem Bericht zum Ausdruck zu bringen, daß in den Verwaltungsvorschriften festgelegt werden soll, daß, wo unbebautes gemeindeeigenes Land vorhanden ist, dieses in erster Linie heranzuziehen ist.
Die Leistungspflicht nach diesem Gesetz wird auf Räume, die zur vorübergehenden Unterbringung von Flüchtlingen geeignet sind, und auf die oben erwähnten Grundstücke und Flächen beschränkt. § 7 Abs. 3 nimmt Wohnräume ausdrücklich aus. „Wohnräume dürfen nach diesem Gesetz nicht beschlagnahmt werden."
Meine Herren und Damen! Das Gesetz soll Berlin helfen. Aber wegen der Unübersehbarkeit der Entwicklung in Berlin braucht man auch dort die darin gegebenen Handhaben. So enthält das Gesetz in § 40 a die Berlin-Klausel.
Wer noch in der vergangenen Woche Zweifel an der Eilbedürftigkeit und der unausweichlichen Notwendigkeit dieses Gesetzes gehegt haben sollte, wird durch die Entwicklung der letzten Tage belehrt worden sein, daß wir nach Möglichkeit und mit äußerster Entschlossenheit für jede Größenordnung des Flüchtlingsstroms gewappnet sein müssen. ,
Ich darf darum im Namen des Ausschusses das Hohe Haus bitten, dem Entwurf des FlüchtlingsNotleistungsgesetzes - Drucksache Nr. 4151 - in der vom Ausschuß einstimmig beschlossenen Fassung zuzustimmen.
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Ich danke der Frau Berichterstatterin. Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe zunächst Teil I, Abschnitt 1, § 1 auf. Dazu liegt der Antrag der Abgeordneten Müller ({0}), Renner und Gruppe vor, § 1 zu streichen. Herr Abgeordneter Müller zur Begründung dieses Antrags.
Meine Damen und Herren! Zur Begründung unseres Antrags auf Streichung des § 1, der damit unsere grundsätzlich ablehnende Haltung zu diesem Gesetz zum Ausdruck bringt, möchte ich kurz auf einige Punkte eingehen. Es ist kein Zufall, daß die Bundesregierung und die Parteien, die hinter diesem Gesetz stehen, mit einer solchen Eile die zweite und dritte Lesung dieses Gesetzes durchbringen wollen. Wenn man auf die Hintergründe ein klein wenig eingeht, dann dürfte wohl zunächst einmal die Feststellung zu treffen sein, daß im Hinblick auf die kommenden Wahlen mit diesem Gesetz eine Voraussetzung, eine Basis für eine Propaganda geschaffen werden soll, die sich in einer verschärften Stimmung und Haßstimmung gegen die Deutsche Demokratische Republik, gegen den Osten ausdrücken soll.
({0})
Eine zweite Tatsache - und ich denke, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Erklärung vorhin etwas offener gesprochen hat - liegt wohl darin, daß, nachdem heute im Ältestenrat festgelegt worden ist, daß die dritte Lesung der Kriegspaktverträge am 19. März stattfinden soll, man dieses Gesetz und die damit zusammenhängenden Probleme benutzen will, um in Verfolg der Absichten dieser Verträge die psychologischen Voraussetzungen für die Vorbereitung des Krieges gegen den Osten und gegen die Deutsche Demokratische Republik zu schaffen.
Der Herr Bundeskanzler sprach von der Erzeugung einer Panikstimmung; ich komme darauf noch zu sprechen. Aber zweifellos steht wohl fest: mit diesem Gesetz, mit der Art und Weise, wie man das sogenannte Ostzonenflüchtlingsproblem aufwirft, mit der Propaganda, die man organisiert, will man unmißverständlich zum Ausdruck bringen, daß die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands ein für allemal von der Tagesordnung abgesetzt sein soll, und man will gewissen Schichten und Kreisen der Deutschen Demokratischen Republik zurufen: Setzt euch rechtzeitig ab; der Vorhang wird von hier endgültig geschlossen, kommt herüber, damit ihr dann für das eingesetzt werden könnt, was die Bundesregierung mit euch in Wirklichkeit beabsichtigt!
({1})
Der Herr Bundeskanzler sprach von der Panikstimmung. Ich glaube, Sie werden, Herr Bundeskanzler, ebensowenig wie Herr Minister Kaiser bestreiten können, daß von hier aus eine solche Stimmung organisiert wird. Vor wenigen Tagen sprach im Nordwestdeutschen Rundfunk der Staatssekretär
({2})
des Herrn Bundeskanzlers, und er brachte es fertig, zu behaupten, daß die Flüchtlingsbewegung seitens der Deutschen Demokratischen Republik und ihrer Regierung organisiert sei,
({3})
um Westdeutschland politisch zu unterlaufen. Ich glaube, allein die Tatsachen, die die Bundesregierung selbst in Westdeutschland geschaffen hat und schafft, genügen für die Bevölkerung in Westdeutschland, um gegen diese Bundesregierung und die sie stützenden Parteien Stellung zu nehmen. Herr Bundeskanzler, warum haben Sie denn z. B. nicht eine Volksbefragung oder eine Volksentscheidung über den Generalvertrag und den EVG-Vertrag durchgeführt?
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Herr Abgeordneter Müller, ich rufe Sie zur Sache. Sie sprechen zu § 1 des Flüchtlings-Notleistungsgesetzes!
Hätten Sie es getan, Herr Dr. Adenauer, dann hätten Sie feststellen können und müssen, daß Sie ein Kanzler ohne Volk sind und daß das Volk gegen Sie als Kanzler steht.
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Sie haben es nicht getan. Deswegen besteht gar keine Veranlassung, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen, um die Stimmung der Bevölkerung Westdeutschlands gegen diese Bundesregierung noch besonders in Bewegung zu bringen; Ihre eigene Politik sorgt schon dafür.
({1})
Wenn also der Staatssekretär im Rundfunk eine solche Erklärung abgegeben hat, dann ist das doch nur ein Beweis dafür, wie verkrampft man danach sucht, von der eigenen Schuld und der eigenen Verantwortung abzulenken.
Ich glaube, es kann nicht bestritten werden, daß das Gesetz, das hier vorliegt, und auch die Ursachen, die zu diesem Gesetz geführt haben, eine einzige Anklage gegen die amerikanischen Hetzzentralen und gegen die Bundesregierung selbst sind.
({2})
Wenn ein Mann wie der Rundfunkkommentator im Bayerischen Rundfunk, Herr von Cube, Vorschläge dafür macht, wie das Flüchtlingsproblem gelöst werden kann, dann möchte Herr Dr. Lehr am liebsten sofort seinen Revolver zücken, um den Mann mundtot zu machen.
({3})
Der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer versucht, in der Frage der erzeugten Panikstimmung abzuschwächen und zu beruhigen. Er kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieses sogenannte Ostzonenflüchtlingsproblem von hier aus, von Westdeutschland aus organisiert worden ist und organisiert wird.
({4})
Die Tatsachen sprechen ihre eigene Sprache.
({5})
Ich darf darauf hinweisen, wie man gegen die Deutsche Demokratische Republik solche Panikstimmungen organisiert,
({6})
wie man durch Abruf Menschen aus der Deutschen Demokratischen Republik nach dem Westen lockt. Geschäftsleute, Ärzte, Anwälte und Handwerker erhalten geheimnisvolle Telefonanrufe, in denen behauptet wird, sie seien in Gefahr, verhaftet zu werden, und man fordert sie auf, das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik schleunigst zu verlassen.
({7})
In Geschäfte, zu verschiedenen Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik gehen solche Agenten und sagen ihnen: Setzen Sie sich ab! Sie sind in Gefahr, verhaftet zu werden! Verlassen Sie schleunigst Ihre Wohnung und verlassen Sie das Gebiet - wie sie dann sagen - der Ostzone!
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Ich erinnere an die Diskussion in der vergangenen Woche. Es ist erwiesen, daß Bauern telefonisch nach Westdeutschland abgerufen worden sind.
({9})
- Ich würde an Ihrer Stelle nicht zu früh lachen,
({10})
denn einige von diesen Agenten sind bereits dingfest gemacht worden, Agenten, die diese Abwanderung nach dem Westen organisieren und veranlassen.
({11})
In Halle an der Saale entstand unter dem jüdischen Teil der Bevölkerung eine Unruhe, weil diesen Menschen gleichfalls Nachrichten zugeflüstert wurden, sie seien in Gefahr.
({12})
Daraufhin fand eine Versammlung statt, an der alle teilgenommen haben und in der festgestellt wurde, daß sie das Opfer solcher Hetze und Panikmache geworden sind. Das Resultat war, daß an all dem,, was ihnen mitgeteilt worden ist, auch nicht ein Fünkchen Wahrheit ist.
({13})
Ich hatte in der vergangenen Woche Gelegenheit, auf die Resultate der Hetzarbeit des Kaiser-Ministeriums, der Bundesregierung, von RIAS-Berlin und der Ostbüros der von mir damals genannten Parteien hinzuweisen. In Hechingen fand am vergangenen Samstag eine Versammlung der sogenannten Ostzonenflüchtlinge statt. In dieser Versammlung erklärte ein Redner: „Wir sind das Opfer der Versprechungen von RIAS-Berlin geworden; nachdem wir nun hier sind, hat man uns der Not und dem Elend überlassen!"
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Drei Viertel der Teilnehmer dieser Versammlung
in Hechingen haben den Saal verlassen. Die Em({15}))
pörung darüber, wie mit diesen Menschen Schindluder getrieben worden ist,
({16})
wird - daran wird ebenfalls kein Zweifel bestehen - eines Tages gegen Sie selber umschlagen, weil Sie für diesen Zustand, für diesen sogenannten Flüchtlingsstrom die Verantwortung tragen.
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In der Entschließung, die die Fraktionen der Regierungskoalition und auch die sozialdemokratische Fraktion eingebracht haben, wird von einer Massenvertreibung der Deutschen aus ihrer Heimat gesprochen. Das ist eine bewußte Entstellung der Tatsachen. Es ist selbstverständlich, daß Sie nicht wahrhaben wollen und nicht zugeben können und dürfen, daß das Resultat auf Ihre eigenen Maßnahmen, auf Ihre eigene Hetze, auf Ihre eigene Propaganda zurückzuführen ist.
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Ich möchte noch einmal auf das Zahlenspiel zu sprechen kommen, das ich bereits in der vergangenen Woche angeführt habe und das im Bulletin der Bundesregierung in Form einer Jahresübersicht über die sogenannten Sowjetzonenflüchtlinge vom Jahre 1952 veröffentlicht worden ist. In diesen Zahlen - und ich möchte noch einmal unterstreichen: wir bezweifeln diese Zahlen und stützen uns dabei insbesondere auch auf die Erklärung des Staatssekretärs Dr. Schreiber vom Flüchtlingsministerium ({19})
wird unter anderem angegeben, daß von 182 000 Menschen im Jahre 1952 die Zahl derjenigen, die, wie es heißt, wegen Lebens- oder Freiheitsgefährdung herübergekommen sind, d. h. diejenigen also, die Sie als politische Flüchtlinge ansprechen, 7537 Personen ausmacht. Das ist also nur ein ganz geringfügiger Prozentsatz.
Demgegenüber ist festzustellen, aus welchen Gründen die anderen das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik verlassen haben. Das sind - das möchte ich noch einmal zusammenfassend sagen - einmal die Gruppe jener, die das Opfer der Hetze, der Propaganda, das Opfer jener Panikstimmung sind, die organisiert wurde, damit diese Menschen das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik verlassen, und jene anderen, die aus kriminellen Gründen herüberkamen, und die dritte Gruppe bilden die, die als Agenten die Hauptverantwortung für das tragen, was hier vor sich geht.
({20})
Meine Damen und Herren, dieses Gesetz - ich sagte es schon - ist eine einzige Anklage gegen Sie selbst, gegen die Bundesregierung und gegen die amerikanischen Dienststellen der Propaganda und der Hetze. Wir lehnen dieses Gesetz ab. Wir sind der Meinung, daß die Frage so gelöst werden muß, daß diesen Zentralen der Hetzpropaganda das Handwerk gelegt wird,
({21})
daß ihnen ein für allemal die Möglichkeit genommen wird, deutsche Menschen gegeneinander zu hetzen,
({22})
daß zum anderen die Frage der deutschen Einheit
endgültig geregelt wird. Dann wird nicht nur den
Hetzzentralen das Handwerk gelegt werden, sondern dann wird auch dieses Problem gelöst sein.
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Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion legt nach diesem grotesken Versuch, die Tatsachen ins Gegenteil zu verkehren, Wert darauf, zu erklären, daß sie sich gegen den Antrag auf Streichung des § 1 dieses Gesetzes wendet. Wenn die sogenannte Kommunistische Partei die Regierung oder den Apparat der sowjetischen Besatzungszone in einem anderen Licht erscheinen lassen möchte, dann hätte sie es in der Hand, mit dafür zu sorgen, daß der Terror, der in dieser Zone herrscht, ein Ende findet.
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Wer hat denn im Sommer vergangenen Jahres die Zonengrenze in ihrer ganzen Ausdehnung, mit Ausnahme des Loches, das für Berlin gelassen worden ist, gesperrt? Die Zonengrenze ist doch von der sowjetischen Besatzungszone gesperrt worden. Es sind dort drei verschiedene Gürtel aufgerichtet worden. Deutsche können nicht mehr zu Deutschen. Es ist ein Niemandsland geschaffen worden. Es wird scharf geschossen. Wer hat denn diese Zonengrenze - gesperrt, wenn nicht diejenigen, die in der sowjetischen Besatzungszone von Gnaden der dortigen Besatzungsmacht die Macht ausüben?
Wer hat denn die Richtlinien zur Strangulierung Berlins, die vor einigen Tagen in der Sowjet-Berliner-Presse veröffenticht worden sind, beschlossen? Es sind doch Richtlinien von Ganoven, die eine Stadt kaputtmachen wollen.
({1})
Uns klingt noch in den Ohren, was der stellvertretende Ministerpräsident und Generalsekretär der sogenannten Sozialistischen Einheitspartei vor ein paar Tagen in Leipzig auf einem angeblichen Bauernkongreß höhnisch gesagt hat: die dortige Regierung habe einer Anzahl Bauern zur Unterkunft im Zuchthaus Waldheim verholfen; dort könnten sie einige Jahrzehnte nachdenken. Zweifeln irgendwelche Menschen in Deutschland, daß ein Regime, dessen Vertreter in solcher Frivolität über das Schicksal von Menschen und ihre Freiheit spricht, bei denjenigen, die ihm unterworfen sind, Angst, Entsetzen, Schrecken, ja Panik - für die die Menschen nichts können - auslösen muß?
({2})
Dann kommt die schleichende Angst, dann kommen Dinge, die sich aus den wohlberechneten kalten „Lehren" ergeben, wie sie kürzlich aus dem sogenannten Slansky-Prozeß gezogen worden sind. Hier wird davon geredet, es seien jüdische Mitbürger sozusagen aus Versehen in Unruhe versetzt worden. Es ist doch ein furchtbarer Hohn, wenn man dem gegenüberstellt, was vor wenigen Wochen über den Zionismus, über die Juden, über den Kosmopolitismus und generell über Menschen gesagt worden ist, die einfach nicht Stalinisten sind
({3})
({4})
und die Sie ({5}) zu Verbrechern gestempelt haben.
({6}) Das Gesetz, um das es hier geht,
Herr Abgeordneter Rische, haben Sie soeben „Lügner" gerufen? - Herr Abgeordneter Rische, ich rufe Sie zur Ordnung.
({0})
- Herr Abgeordneter Rische, da Sie auf meinen Ordnungsruf erklären, daß Sie dazu stehen, also weiterhin die Ordnung des Hauses stören, weise ich Sie aus dem Saal.
({1})
Das vorliegende Gesetz ist leider nur allzu notwendig. Es gibt den Behörden die Handhabe zur vorläufigen Unterbringung dieses gewaltigen und unberechenbaren Flüchtlingsstroms. Wir wollen bei dieser Gelegenheit, bei dieser bitteren Gelegenheit, da wir noch nicht wissen, wie die Dinge weitergehen werden, in aller Ruhe sagen, daß es notwendig ist, den Tatsachen, die diese Massenflucht mit sich bringt, ins Auge zu sehen und dafür zu sorgen, daß die dadurch entstehenden neuen Lasten, die unter Umständen für alle sehr schwer sein werden, gerecht verteilt werden. Damit leisten wir das Unsrige nicht nur für das Schicksal dieser Geflüchteten und Vertriebenen, sondern für den Zusammenhalt unserer Nation, die einer neuen Prüfung unterworfen wird. Davon wird auch abhängig sein, in welchem Maße wir effektive Auslandshilfe in Anspruch nehmen und bekommen können. Aber wir sollten klar sagen - und ich möchte Gelegenheit nehmen, das wegen der Worte des Herrn Bundeskanzlers hier zum Ausdruck zu bringen -, daß eine neue Not über unser Volk hereinbricht und daß alle das Ihre dazu beitragen müssen, diese neue Not zu bannen, und zwar durch Taten.
Jetzt liegt uns daran, Flugmaschinen in ausreichender Zahl für Berlin zu bekommen. Ich denke da an einen Appell an die Alliierten,
({0})
damit dies auch wirklich ohne Rücksicht auf gewisse Privateigentumsverhaltnisse in den Gesellschaften möglich gemacht und wieder großzügig geholfen wird, was ja schon einmal bewiesen worden ist, als Berlin in Not war.
Die Aufnahmeformalitäten sollte man soweit wie möglich außerhalb Berlins erledigen, damit Berlin maximal entlastet wird.
Hier knüpfe ich schließlich auch an das an, was Herr Bundesminister Kaiser in der vorigen Woche bei der Beantwortung einer Interpellation der Christlich-Demokratischen Union gesagt hat. Er hat darauf hingewiesen, daß mit den drei westlichen Besatzungsmächten darüber gesprochen worden sei, daß man mit der sowjetischen Besatzungsmacht zu Verhandlungen kommen müßte, um, wenn möglich, den Notzustand zu beenden, unter dem die Menschen in der sowjetischen Besatzungszone leiden und zu Boden gedrückt werden.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung zu § 1.
Die kommunistische Gruppe hat Streichung des § 1 beantragt. Wer ist für den Antrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist gegen 6 Stimmen der Antragsteller abgelehnt. Ich darf unterstellen, daß der § 1 damit gleichzeitig angenommen ist.
Ich rufe auf§ 2,-§3,-§4,-§ 5,-§ 6. -Ich bitte die Damen und Herren, die den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Das ist die gleiche Mehrheit; angenommen.
Zu § 7 liegt ein Änderungsantrag Dr. Decker und Fraktion vor. Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir möchten in § 7 Abs. 1 eine Ergänzung vornehmen, wonach der Satz 1 lauten soll:
Als Unterkünfte sind Räume zur Verfügung zu stellen, die zur vorübergehenden Unterbringung geeignet sind und nicht einer gewerblichen Nutzung entzogen werden.
§ 7 darf keinesfalls zu einer Beeinträchtigung der Gewerbebetriebe führen. Es liegt im Interesse der Zusammenführung von Einheimischen und Flüchtlingen wie auch im Interesse der Flüchtlinge selbst, insbesondere hinsichtlich der notwendigen Arbeitsbeschaffung, daß die Gewerbebetriebe keinerlei Störung erfahren. Die Frau Berichterstatterin hat bereits auf die schwerwiegenden Folgen hingewiesen, die durch Nichtbeachtung dieser Forderung seinerzeit entstanden sind. Hierauf möchte ich besonders hinweisen und Sie deshalb um Zustimmung zu unserem Ergänzungsantrag bitten.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Brökelschen. Bitte!
Meine Herren und Damen! Die Frage, die hier angeschnitten wurde, ist im Ausschuß des längeren behandelt worden. Wir sind nicht der Meinung, daß wir die gewerblichen Räume herausnehmen können. Da, wo Unzuträglichkeiten eintreten könnten, sind in § 2 Abs. 1 Sicherungen vorhanden. Ich bitte, den Antrag abzulehnen.
Keine weiteren Wortmeldungen.
Ich kommen zur Abstimmung über den Antrag, dem Satz 1 des § 7 Abs. 1 hinzuzufügen „und nicht einer gewerblichen Nutzung entzogen werden". Ich bitte die .Damen und Herren, die für den Antrag sind, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über § 7 in der Ausschußfassung. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen.
- Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf §§ 8, - 9, - 10, - 11, - 12, - 13, - 14, - 15, - 16, - 17, - 18, - 19, - 20; - Zweiter Teil §§ 21, - 22, - 23, - 24, - 24 a, - 25,
- 26, - 27, - 28, - 29, - 30, - 31, - 32, -33, - 34, - 35; - Dritter Teil § 36; - Vierter Teil §§ 37, - 39, - 40, - 40 a, - 40 b, - 41, - Einleitung und Überschrift. - Ich bitte die Damen und Herren, die diesen Paragraphen, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; angenommen.
({0})
Ich komme zur
dritten Beratung.
Allgemeine Aussprache soll nach Vereinbarung im
Ältestenrat entfallen. - Das Haus ist damit einverstanden. Änderungsanträge sind nicht gestellt.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz über Leistungen zur Unterbringung von Deutschen aus der sowjetischen Besatzungszone oder dem sowjetisch besetzten Sektor von Berlin - Flüchtlings-Notleistungsgesetz - in der Gesamtheit zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. - Ich darf annehmen, daß die Damen und Herren, die sitzengeblieben sind, dagegen sind;
({1})
d. h. das Gesetz ist gegen acht Stimmen vom ganzen übrigen Hause angenommen worden.
Meine Damen und Herren, es liegt eine Entschließung der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP und FU folgenden Wortlauts vor:
Der Flüchtlingsstrom aus der sowjetischen Besatzungszone hat in den letzten Tagen erschütternde Zahlen erreicht. Aus diesem Anlaß bekräftigt der Deutsche Bundestag seinen oft bekundeten Willen, sich mit allen Kräften für die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands einzusetzen, damit alle Deutschen ein gemeinsames Leben frei von Angst in einer demokratischen Rechtsordnung führen können.
Gegen den kommunistischen Terror, der wieder eine Massenvertreibung von Deutschen aus ihrer Heimat unternimmt, legen wir vor aller Welt Verwahrung ein. In tiefer Verbundenheit stehen wir zu den Millionen Deutscher, die trotz aller- Bedrückung in ihrer Heimat bleiben und damit eine hohe nationale Aufgabe erfüllen.
Denen aber, die jetzt im freien Teil Deutschlands vor Bedrohung und Zwang Zuflucht suchen, wollen und müssen wir Schutz und Hilfe gewähren. Wir appellieren daher in dieser ernsten Stunde an alle Deutschen, sich in dieser Verpflichtung zusammenzuschließen. Wir fordern, daß alle Dienststellen des Bundes, der Länder und der Gemeinden alle erforderlichen Maßnahmen schnell und wirksam durchführen. Durch die Solidarität der Tat müssen wir zeigen, daß der soziale Rechtsstaat dem kommunistischen Zwangsstaat überlegen ist. Wenn wir das tun, wird uns und den Opfern des Terrors auch die Hilfe anderer Völker zuteil werden.
Die Ereignisse in der Sowjetzone sind ein Stück des kalten Krieges gegen die Freiheit. Sie gehen daher nicht nur uns Deutsche an. Ihnen zu begegnen ist eine gemeinsame Aufgabe aller freien Völker Europas und der Welt.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, die Sie dieser Entschließung zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. - Ich stelle fest, daß mit Ausnahme der kommunistischen Gruppe der ganze Deutsche Bundestag dieser Entschließung zugestimmt hat.
({2})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Punkt 2 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
über das Abkommen vom 10. September
1952 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staate Israel ({3}).
Ich weise darauf hin, daß Ihnen noch ein Nachgang zur Drucksache Nr. 4141 verteilt worden ist, in dem ein Briefwechsel zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Vorsitzenden der Mission des Staates Israel enthalten ist, der zum Gegenstand der Beratungen gemacht werden soll. Sie haben diesen Nachgang zur Drucksache Nr. 4141 vorliegen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Abkommen mit dem Staate Israel, das der Bundestag heute behandelt, hat seit dem Beginn der Haager Verhandlungen im März vorigen Jahres, besonders aber seit seiner Unterzeichnung am 10. September 1952 in Luxemburg durch mich und den israelischen Außenminister, Herrn Scharett, in ungewöhnlich starkem Maße die deutsche und die Weltöffentlichkeit beschäftigt. Durchaus mit Recht; denn mit diesem Vertrage, zusammen mit dem in Kürze dem Bundestag zugehenden Entschädigungsgesetz, bestätigt die Bundesregierung nunmehr durch die Tat den feierlich versprochenen Abschluß eines für jeden Deutschen traurigsten Kapitels unserer Geschichte. Eine solche Tat ist schon aus moralischen Gründen eine Notwendigkeit. Sicher: bei weitem nicht alle Deutschen waren Nationalsozialisten, und es hat auch manche Nationalsozialisten gegeben, die mit den begangenen Greueln nicht einverstanden waren. Trotzdem ist dieser Akt der Wiedergutmachung durch das deutsche Volk, notwendig. Denn unter Mißbrauch des Namens des deutschen Volkes sind die Untaten begangen worden.
Soweit überhaupt durch unsere Kraft etwas für die Beseitigung der Folgen geschehen kann - ich denke hier an die entstandenen materiellen Schäden, die der Nationalsozialismus den von ihm Verfolgten zugefügt hat -, hat das deutsche Volk die ernste und heilige Pflicht zu helfen, auch wenn dabei von uns, die wir uns persönlich nicht schuldig fühlen, Opfer verlangt werden, vielleicht schwere Opfer. Die Bundesregierung hat seit ihrem Bestehen diese Pflicht immer anerkannt. Durch ihre Erfüllung wollen wir die Schäden wiedergutmachen, soweit das möglich ist, soweit das in unserer Kraft steht. Der Name unseres Vaterlandes muß wieder die Geltung bekommen, die der geschichtlichen Leistung des deutschen Volkes in Kultur und Wirtschaft entspricht.
Wir haben es bei dem Ihnen heute vorliegenden Vertragswerk, das die Wiedergutmachung zugunsten der Juden behandelt, mit einem Teilabschnitt des Gebietes der Wiedergutmachung zu tun, allerdings vielleicht mit dem wichtigsten. Die Juden, nicht nur in Deutschland, sondern überall, wohin der Arm des Nationalsozialismus reichte - und das war lange Zeit während des Krieges der größte Teil von Europa -, haben die grausamste Verfolgung über sich ergehen lassen müssen. Das Ausmaß dieser Verfolgung, die Opfer an Menschen und materiellen Werten, die sie zur Folge hatte, rechtfertigt nicht nur, sondern verlangt eine Sonderbehandlung der Wiedergutmachung an den jüdischen Verfolgten.
Ich habe namens der Bundesregierung vor diesem Hohen Hause am 27. September 1951 Aus({0})
führungen zur Frage der jüdischen Wiedergutmachung gemacht, von denen ich einige Sätze heute hier wiederholen möchte:
Im Namen des deutschen Volkes sind . . . unsagbare Verbrechen begangen worden, die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten, sowohl hinsichtlich der individuellen Schäden, die Juden erlitten haben, als auch des jüdischen Eigentums, für das heute individuell Berechtigte nicht mehr vorhanden sind. Auf diesem Gebiet sind erste Schritte getan. Sehr vieles bleibt aber noch zu tun ....
Hinsichtlich des Umfangs der Wiedergutmachung - in Anbetracht der ungeheuren Zerstörung jüdischer Werte durch den Nationalsozialismus ein sehr bedeutsames Problem - müssen die Grenzen berücksichtigt werden, die der deutschen Leistungsfähigkeit durch die bittere Notwendigkeit der Versorgung der zahllosen Kriegsopfer und der Fürsorge für die Flüchtlinge und Vertriebenen gezogen sind. Die Bundesregierung ist bereit, gemeinsam mit Vertretern des Judentums und des Staates Israel, der so viele heimatlose jüdische Flüchtlinge aufgenommen hat, eine Lösung des materiellen Wiedergutmachungsproblems herbeizuführen, um damit den Weg zur seelischen Bereinigung unendlichen Leides zu erleichtern.
Das Hohe Haus hat diese Ausführungen damals einmütig gebilligt. Somit hat die Bundesregierung von Ihnen, meine Damen und Herren, das Mandat zur Aufnahme der Verhandlungen mit dem Staate Israel und den jüdischen Weltverbänden erhalten, deren Ergebnis das Ihnen vorliegende Abkommen ist.
Lassen Sie mich auf seine Grundlagen und wichtigsten Bestimmungen kurz eingehen. Bei den Leistungen der Bundesrepublik an den Staat Israel handelt es sich nicht um Reparationen. Das Deutsche Reich hat gegen diesen Staat, der bekanntlich erst im Jahre 1948 entstanden ist, keine Kriegshandlungen begangen, die die Bundesrepublik zu Reparationen verpflichten könnten. Die in dem Abkommen zugesagten Zahlungen sollen vielmehr den Staat Israel im Rahmen unserer Leistungsfähigkeit für die Lasten entschädigen, die ihm durch die Eingliederung von Hunderttausenden von jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland und den ehemals unter deutscher Herrschaft stehenden Gebieten erwachsen sind oder noch erwachsen werden.
Diese Lasten sind eine unmittelbare oder mittelbare Folge der von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft durchgeführten Ausrottungsmaßnahmen gegen das Judentum. Die Verfolgung der Juden begann in Deutschland mit der nationalsozialistischen Machtergreifung im Jahre 1933. Sie steigerte sich ständig und erreichte während des Krieges, ohne daß sie dadurch zu einer Kriegshandlung im völkerrechtlichen Sinne wurde, jenes grauenerregende Ausmaß, das uns allen in seinem vollen Umfang erst nachträglich bekanntgeworden ist.
Während sich die Verfolgungsmaßnahmen bis 1939 grundsätzlich nur gegen Juden deutscher Staatsangehörigkeit richten konnten, erfaßten sie - was mitunter bei uns vergessen wird - während des Krieges auch fast alle Juden fremder Staatsangehörigkeit, die in den Machtbereich Hitlers gelangten. Ihre Folgen führten für die Überlebenden zu einer Entwurzelung, die auch durch das Kriegsende nicht beseitigt wurde. Vielmehr zwang diese Entwurzelung insbesondere die aus osteuropäischen Gebieten stammenden Juden zur Auswanderung. Hunderttausende von ihnen sind, wie ich schon sagte, in Israel aufgenommen worden. Damit gliedert sich das Israel-Abkommen in das große Gebiet der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts ein. Es ergänzt in einem wesentlichen Punkte die bereits erlassenen oder geplanten gesetzlichen Wiedergutmachungsmaßnahmen zugunsten derjenigen, die durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft wegen ihrer politischen Überzeugung, aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung verfolgt worden sind.
Wie Sie wissen, gibt es auf diesem Gebiete der individuellen Wiedergutmachung bereits jetzt eine große Anzahl von Gesetzen und Verordnungen. Um nur die wichtigsten herauszugreifen: Schon vor Entstehen der Bundesrepublik haben die drei westlichen Besatzungsmächte jeweils für ihre Zone das Gebiet der Rückerstattung feststellbaren Vermögens geregelt. Dieses Gebiet der individuellen Wiedergutmachung ist das Kernstück der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts überhaupt. Die Leistungen der individuellen Wiedergutmachung, die nicht etwa nur Juden, sondern allen vom Nationalsozialismus Verfolgten zugute kommen, werden - was häufig übersehen wird - auch wertmäßig die Globalleistungen an Israel und die jüdischen Verbände erheblich übersteigen.
Der Ausbau der individuellen Wiedergutmachungsgesetzgebung ist im Haag sehr eingehend mit den in der Claims Conference zusammengeschlossenen jüdischen Weltverbänden besprochen worden. Das Ergebnis dieser Verhandlungen ist im Protokoll Nr. 1 niedergelegt; Sie haben es in der Drucksache vor sich, da es zu Verweisungszwecken dem Israelabkommen beigelegt werden mußte. Das in diesem Protokoll vorgesehene Gesetzgebungsprogramm kommt aber nicht etwa nur jüdischen Verfolgten, sondern allen Verfolgten in gleicher Weise zugute. Wie ich schon eingangs erwähnte, ist ein Gesetzentwurf der Bundesregierung, der sowohl den Verpflichtungen aus Teil 4 des Überleitungsvertrages wie den Vereinbarungen des Protokolls Nr. 1 Rechnung trägt, in Vorbereitung und wird noch in dieser Sitzungsperiode dem Hohen Haus vorgelegt werden.
Als ich in Verfolg meiner bereits angeführten Erklärung vor diesem Hohen Hause vom Dezember 1951 mit dem Vertrauensmann des Staates Israel und dem Führer der jüdischen Weltverbände Dr. Nahum Goldmann in London zusammentraf, habe ich ihm namens der Bundesregierung erklärt, daß nunmehr der Zeitpunkt gekommen sei, Verhandlungen mit Vertretern des jüdischen Volkes und Israels über die Wiedergutmachung der durch die nationalsozialistische Verfolgung zugefügten Schäden aufzunehmen. Bei den Verhandlungen mit Dr. Goldmann habe ich damals schon auf die wichtigsten Gesichtspunkte hingewiesen, die auch das Ihnen vorliegende Abkommen beherrschen.
Die Bundesregierung hat das Abkommen abgeschlossen, um einer zwingenden moralischen Verpflichtung des von der Bundesrepublik vertretenen deutschen Volkes nachzukommen, nicht jedoch zur Befriedigung eines völkerrechtlichen Anspruchs des Staates Israel. Dies ist durch den Wortlaut
({1})
von Präambel und Art. 1 des Abkommens sichergestellt. Der Staatsvertrag macht die moralische Verpflichtung zu einer Rechtsverpflichtung. Auf dem Gebiete der individuellen Wiedergutmachung entstehen Rechtsansprüche erst durch die innerdeutschen Gesetze.
Die Berechnung der Leistungen an Israel hat die israelische Note vom 12. März 1951 an die vier Besatzungsmächte zur Grundlage Die israelische Delegation hat bei den Verhandlungen im Haag dargelegt, daß Palästina und später der Staat Israel über 500 000 meist mittellose jüdische Flüchtlinge aufgenommen hat, die ihre alte Heimat durch nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen verloren haben. Unter Berücksichtigung des von Sachverständigen der Bundesregierung für angemessen gehaltenen Betrages der Eingliederungskosten von Flüchtlingen in Israel sowie unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik ist eine Leistung an Israel in Höhe von insgesamt drei Milliarden DM vereinbart worden. Die Höhe der Jahresraten ist in Würdigung des Interesses Israels an einer möglichst kurzen Laufzeit des Abkommens der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik bei Berücksichtigung ihrer übrigen Verpflichtungen angepaßt. Nach der Auffassung der Bundesregierung erscheinen für die beiden ersten Haushaltsjahre je 200 Millionen DM und - eine normale Wirtschaftsentwicklung vorausgesetzt - für die späteren Haushaltsjahre je 250 Millionen DM tragbar. Die auf Wunsch Israels ab 1. April 1954 als Jahresleistung vorläufig vorgesehenen 310 Millionen DM werden allerdings nur bei einer unerwartet günstigen wirtschaftlichen Entwicklung aufgebracht werden können. Andererseits kann einer Verminderung der Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik infolge einer unvorhergesehenen ungünstigen wirtschaftlichen oder finanziellen Entwicklung durch Anrufung des Art. 10 Rechnung getragen werden.
Ein Transfer der Leistungen an Israel durch Devisenzahlungen ist aus wirtschaftlichen Gründen nicht durchführbar. Schon bei meinen Verhandlungen mit Dr. Goldmann in London wurden daher Warenlieferungen vorgesehen. Gemäß dem Abkommen ist der Staat Israel berechtigt, aus den ihm im Inland zur Verfügung gestellten DM-Beträgen Waren zu kaufen und nach Israel auszuführen. Es würde zu weit gehen, hier die Einzelheiten dieser Regelung zu schildern. Sie sind aus dem Ihnen vorliegenden Text des Abkommens zu entnehmen und in der Begründung ausführlich erläutert.
Nur eins möchte ich hervorheben: Auf zweierlei Weise ist Vorsorge getroffen gegen einen Mißbrauch des Abkommens etwa zur Lieferung von Waffen, Munition oder sonstigem Kriegsgerät. Israel ist beim Einkauf der Waren nicht frei in der Wahl; es ist vielmehr an die Kategorien der vertraglich vereinbarten Warenliste gebunden. Aber auch im Rahmen der Warenliste dürfen gemäß Art. 2 des Abkommens nur solche Waren gekauft werden, die der Erweiterung der Ansiedlungs- und Wiedereingliederungsmöglichkeiten für jüdische Flüchtlinge in Israel dienen. Die Einhaltung dieser Bestimmungen, die wegen des Konflikts Israels mit den Staaten der Arabischen Liga eine besondere Bedeutung haben, wird von einer Bundesstelle überwacht.
Außer mit dem Staat Israel sind, wie ich schon anläßlich meines Zusammentreffens mit Dr. Goldmann in London vorgesehen hatte, auch Verhandlungen mit Vertretern der jüdischen Weltverbände geführt worden; denn diese haben die Sorge für diejenigen jüdischen Flüchtlinge übernommen, die auf Grund der nationalsozialistischen Verfolgungen nicht nach Israel, sondern in andere Teile der Welt ausgewandert sind. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß sich ein wesentlicher Teil dieser Verhandlungen mit den Vertretern des Judentums auf die individuelle Wiedergutmachung bezog und daß das Verhandlungsergebnis im Protokoll Nr. 1 niedergelegt ist. Die jüdischen Weltverbände forderten außerdem eine Globalsumme für erbenlose Rückerstattungs- und Entschädigungsansprüche, soweit sie nicht von den sogenannten Nachfolgeorganisationen geltend gemacht werden. Sie wiesen darauf hin, daß sie jahrzehntelang die jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung unterstützen mußten. Die Bundesregierung hat sich entschlossen, zur Linderung der unbestreitbar heute noch bestehenden Not vom Nationalsozialismus verfolgter jüdischer Flüchtlinge in aller Welt außerhalb Israels 500 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, wobei ich, um Wiederholungen zu vermeiden, bezüglich der im einzelnen bestimmenden Erwägungen auf die Ihnen vorliegende Begründung zum Israel-Abkommen verweisen darf.
Da die Claims-Konferenz nur die Interessen von Glaubensjuden vertritt, die nationalsozialistischen Verfolgungen sich aber gleichermaßen gegen die im Sinne der Nürnberger Gesetze als Volljuden geltenden Nichtglaubensjuden richteten, wird die Bundesregierung aus diesem Betrag von 500 Millionen DM einen Teil von 50 Millionen DM als einen von ihr selbst zu verwaltenden Fonds zur Unterstützung von Nichtglaubensjuden bereitstellen.
Wie Sie in der Drucksache lesen können, werden die zugunsten der Claims-Konferenz zu zahlenden 450 Millionen DM aus Transfergründen ebenfalls Israel zu Warenkäufen in der Bundesrepublik zur Verfügung gestellt. Israel wird dafür entsprechende Beträge an die Claims-Konferenz abführen. In eingehenden Bestimmungen ist sichergestellt, daß die von Israel an die Claims-Konferenz weiterzuleitenden Beträge von dieser dann auch unparteiisch für die Unterstützung, Eingliederung und Ansiedlung jüdischer Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung verwandt werden.
Gegen die Leistungen an den Staat Israel haben, wie Sie wissen, die Arabische Liga und deren Mitgliedstaaten Protest erhoben. Sogar Boykottdrohungen sind ausgesprochen worden. Die Einwendungen der arabischen Staaten kann man in zwei Hauptgruppen zusammenfassen.
Einmal: die Araber weisen auf die arabischen Palästina-Flüchtlinge hin; der Staat Israel sei nicht berechtigt, für von ihm aufgenommene jüdische Flüchtlinge eine Entschädigung zu fordern, solange er nicht seinerseits seinen Verpflichtungen bezüglich dieser arabischen Palästina-Flüchtlinge nachgekommen sei. Dazu ist folgendes zu sagen. Es handelt sich um zwei verschiedene und getrennt zu haltende Probleme. Die Frage der Entschädigung der jüdischen Flüchtlinge, die der nationalsozialistischen Verfolgung entronnen sind, ist zwischen der Bundesrepublik und dem jüdischen Volk zu lösen. Zu der Frage der arabischen Palästina-Flüchtlinge im einzelnen Stellung zu nehmen, hat die Bundesregierung weder ein Recht noch eine Möglichkeit. Ich möchte hierzu nur eines sagen: Wir haben genug Erfahrungen mit den Nöten und Sorgen von Flüchtlingen, um nicht von ganzem Herzen eine
({2})
schnelle und alle Betroffenen zufriedenstellende Regelung auch dieses Flüchtlingsproblems zu wünschen.
({3})
Die zweite Gruppe der Einwendungen der arabischen Staaten läßt sich im wesentlichen wie folgt zusammenfassen: sie haben darauf hingewiesen, daß sie sich noch im Kriegszustand mit Israel befänden und daß daher eine Leistung der Bundesrepublik an einen der Kriegführenden eine Verletzung der Neutralität darstellen würde. Die Frage, ob man wirklich von einem noch bestehenden Kriegszustand sprechen kann, will ich hier nicht erörtern. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat in einer Entscheidung die entgegengesetzte Ansicht vertreten. Aber wie dem auch sei, - eine Verletzung der Neutralitätspflicht liegt unter keinen Umständen vor. Außerdem ist, wie ich schon ausgeführt habe, Vorsorge dafür getroffen, daß das Abkommen nicht zur Lieferung von Waffen, Munition oder sonstigem Kriegsgerät an Israel benutzt werden kann.
Die Bundesregierung hat sich im übrigen bemüht, die arabischen Länder über Gründe und Grenzen des Israel-Vertrages aufzuklären und dadurch die entstandenen Besorgnisse zu zerstreuen. Sie hat überdies ihren Willen bekundet, die traditionellen freundschaftlichen Beziehungen Deutschlands zu der arabischen Welt zu pflegen und weiter auszubauen. Sie hat ihre Bereitschaft erklärt, im Rahmen des Möglichen zum Aufbau der Wirtschaft der arabischen Staaten beizutragen. Wie Ihnen bekannt ist, hat hierüber eine repräsentative deutsche Wirtschaftsdelegation unter Führung von Staatssekretär Westrick in Kairo Verhandlungen geführt. Die Delegation ist nach Bonn zurückgekehrt, um zunächst der Bundesregierung Gelegenheit zu geben, die ägyptischen Wünsche im einzelnen zu prüfen. Wir sind darüber hinaus bereit, auch in die anderen arabischen Hauptstädte Handelsdelegationen zu entsenden, um, wenn der Wunsch bestehen sollte, über die wirtschaftlichen Bedürfnisse jedes einzelnen Landes und die Möglichkeiten einer Verstärkung der Beziehungen mit der deutschen Wirtschaft zu beraten. Ich brauche kaum hinzuzufügen, daß solche Verhandlungen nur dann zu einem günstigen Abschluß gebracht werden können, wenn sie beiderseits in freundschaftlichem Geiste geführt und nicht von vornherein mit Drohungen belastet werden.
Die Weltöffentlichkeit hat die Unterzeichnung der Luxemburger Abkommen zwischen der Bundesrepublik und Israel mit lebhafter Zustimmung begrüßt. Das jüdische Volk innerhalb und außerhalb Israels hat diese Verträge als erschöpfende Regelung der Wiedergutmachungsfrage unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik anerkannt, soweit es sich um die Wiedergutmachung der materiellen Schäden handelt, zu deren Wiedergutmachung die Bundesrepublik sich aus den genannten Gründen für moralisch verpflichtet hält. Wir haben daher die berechtigte Hoffnung, daß der Abschluß dieser Verträge schließlich auch zu einem ganz neuen Verhältnis zwischen dem deutschen und dem jüdischen Volke wie auch zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Staate Israel führen wird. Wir werden hierbei nach allem, was vorgefallen ist, Geduld zeigen und auf die Auswirkung unserer Wiedergutmachungsbereitschaft und schließlich auf die heilende Kraft der Zeit vertrauen müssen.
Dabei ist nicht zu übersehen, daß sich schon jetzt infolge des Abschlusses des Abkommens eine deutliche Entspannung des Verhältnisses der Bundesrepublik zum Staate Israel bemerkbar macht. Wie Sie wissen, befinden sich im Gebiet des Staates Israel nicht unerhebliche Vermögenswerte deutscher Staatsangehöriger. Ich darf hier besonders auf die Gruppe von rund 2000 deutschen Staatsangehörigen hinweisen, die der Tempel-Gesellschaft angehören und in Israel wertvolle Gebäude und Ländereien besitzen. Durch ein Gesetz aus dem Jahre 1950 hatte der Staat Israel das gesamte deutsche Vermögen zur Sicherung von Ansprüchen israelischer Staatsbürger gegen das Deutsche Reich und seine Nachfolgestaaten sowie gegen deutsche Staatsangehörige beschlagnahmt. Es ist der deutschen Delegation im Haag möglich gewesen, ein Abkommen mit der israelischen Delegation vorzubereiten, das gleichzeitig mit den anderen Vereinbarungen als Regierungsabkommen am 10. September 1952 in Luxemburg unterzeichnet wurde. Dieses Abkommen sieht vor, daß in bestimmten Fristen nach Inkrafttreten des Israelabkommens Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik und dem Staate Israel über die Feststellung dieses deutschen Vermögens geführt werden sollen. Israel hat sich in dem Regierungsabkommen - und das halte ich für außerordentlich bedeutsam - bindend verpflichtet, Entschädigung für das beschlagnahmte Vermögen zu zahlen. Für den Fall, daß in den Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik und Israel keine Einigung über den Wert dieses zu entschädigenden Vermögens zu erzielen sein sollte, haben sich die beiden Vertragspartner schon jetzt verpflichtet, den Spruch eines neutralen Vermittlers als bindend anzunehmen. Ich glaube, daß mit dieser Behandlung dies deutschen Eigentums in Israel das Beste erreicht worden ist, was überhaupt zu erreichen war.
Auch in der Frage des Zeigens der deutschen Flagge ist eine merkliche Entspannung eingetreten. Schon der im Haag vereinbarte Vertragstext ging davon aus, daß das bisher noch in Israel bestehende Verbot, die deutsche Flagge zu zeigen, nicht für unabsehbare Zeit aufrechterhalten wird, ohne daß allerdings damals, vor Unterzeichnung des Abkommens, eine verbindliche Zusage Israels für Aufhebung des Verbots in einer bestimmten Frist zu erreichen war. Inzwischen hat sich die israelische Regierung auf Grund neuerlicher Vorstellungen der Bundesregierung zur Aufhebung dieses Verbots mit Wirkung zum Zeitpunkt der Ratifizierung des Abkommens verpflichtet. Das Eintreffen der ersten Warenlieferungen in Israel wird diese sich bereits jetzt anbahnende Entwicklung zu einer grundlegenden Änderung des deutsch-israelischen Verhältnisses erheblich beschleunigen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal auf die Bedeutung ,des Abkommens in den allgemeineren Zusammenhängen der Entwicklung des menschlichen Zusammenlebens der Völker hinweisen. In den letzten Wochen sind im Machtbereich der kommunistischen Gewaltherrschaft Rassenhaß und Rassenverfolgung erneut zu politischen Kampfmitteln gemacht worden.
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Ihnen allen sind die Vorgänge im Prager SlanskyProzeß bekannt. Im Anschluß an diesen Prozeß hat
({5})
auch in anderen Satellitenstaaten eine Bedrohung und Verfolgung der Juden eingesetzt.
({6})
Eine weltbekannte jüdische Wohlfahrtsorganisation, deren große Verdienste um die Behebung menschlicher Not unbestreitbar sind, ist als Sabotage- und Spionagezentrum angeprangert worden.
({7})
Auch deutsche Staatsangehörige jüdischen Glaubens haben aus der sowjetischen Besatzungszone und aus Ost-Berlin die Flucht über die Sektorengrenze antreten müssen. Die freie Welt hat von diesen Vorgängen mit Abscheu und Schrecken Kenntnis genommen.
In diesem Zeitpunkt wollen wir mit der Verabschiedung des Ihnen vorliegenden Abkommens einen klaren und ganz unmißverständlichen Standpunkt beziehen. Gewiß haben wir selbst schwere Lasten zur Linderung der Not unserer eigenen Flüchtlinge zu tragen. Trotzdem wollen wir zu unserer moralischen Verpflichtung stehen, in den Grenzen unserer Leistungsfähigkeit dem Elend und der Not von Flüchtlingen zu steuern, die durch die Schuld einer früheren Regierung verursacht worden sind. Die Bundesregierung hofft, daß die Annahme dieses Abkommens gerade in diesem Zeitpunkt als ein deutscher Beitrag zur Stärkung des Geistes menschlicher und religiöser Toleranz in der Welt wirken wird.
({8})
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf eine allgemeine Besprechung in der ersten Beratung zu verzichten. - Das Haus ist damit einverstanden. Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten zu überweisen.
(Abg. Dr. Schröder ({0})
- Es wird vorgeschlagen, den Ausschuß für Außenhandel und den Haushaltsausschuß auch damit zu
befassen. Meine Herren, besteht nicht die Möglichkeit, daß der Auswärtige Ausschuß diese beiden
Ausschüsse von sich aus zur Beratung hinzuzieht?
({1})
- Also, der Antrag ist gestellt. Darf ich fragen: wer ist für Überweisung auch an den Ausschuß für Außenhandel? - Wer ist ,dagegen? Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wer ist für Überweisung an den Haushaltsausschuß?
({2})
- Herr Kollege Schoettle, wir kommen durch die Abstimmung am schnellsten zu einem Ergebnis. - Wer ist dagegen? - Das letztere ist zweifellos die Mehrheit; die Überweisung ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich komme zum dritten Punkt:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Sabel, Richter, Determann und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abänderung und Ergänzung des Gesetzes über die Verlängerung der Wahlperiode der Betriebsräte vom 8. Januar 1953 ({3}) ({4}).
Soll der Entwurf begründet werden? - Das ist nicht der Fall. Der Ältestenrat schlägt Ihnen Verzicht auf die Aussprache in der ersten Beratung vor. - Das Haus ist damit einverstanden.
Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Arbeit zu überweisen. - Das Haus ist mit der Überweisung einverstanden.
Nunmehr, meine Damen und Herren, komme ich
zum ersten Punkt der gedruckten Tagesordnung: Einspruch des Abgeordneten Loritz gegen den ihm in der 251. Sitzung erteilten Ordnungsruf ({5}).
Der Abgeordnete Loritz hat gegen den ihm in der 251. Sitzung erteilten Ordnungsruf Einspruch erhoben. Die Begründung des Einspruchs liegt Ihnen vor auf Umdruck Nr. 777, der in Ihrer Hand ist. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Einspruch stattzugeben wünschen, eine Hand zu erheben: - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Einspruch ist abgelehnt.
Ich komme zu Punkt 2 der Tagesordnung:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Mißbilligung von Äußerungen des Bundesministers der Justiz ({6});
b) Beratung des Antrags der Fraktion der
SPD betreffend Mißbilligung von Äußerungen des Bundesministers der Justiz
Dr. Dehler über das Bundesverfassungsgericht ({7}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 15 Minuten und eine Aussprachezeit von 60 Minuten für diese beiden Anträge vor. - Das, Haus ist mit dieser Begrenzung einverstanden.
Zur Begründung der Anträge Herr Abgeordneter Professor Gülich.
Dr. Gülich ({8}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei den beiden Ihnen vorliegenden Anträgen geht es nicht um eine Stellungnahme zu den rechtlichen Problemen des Bundesverfassungsgerichts und nicht um eine politische Auseinandersetzung über die Funktionen des Bundesverfassungsgerichts, sondern lediglich darum, daß die Äußerungen des Bundesjustizministers über das Bundesverfassungsgericht zu der Frage zwingen, ob die Haltung dieses Bundesjustizministers noch mit der Verantwortung seiner hohen Stellung vereinbar ist.
({9})
Bei den Ihnen bekannten Äußerungen handelt es sich leider nicht um eine einmalige Entgleisung, wie sie einem temperamentvollen Redner zwar auch nicht unterlaufen soll, von der man aber allenfalls sagen könnte, sie entspräche doch nicht der Grundhaltung des Redners. Es handelt sich hier vielmehr um aufeinanderfolgende, von Verdächtigung zur Feststellung sich konkretisierende Äußerungen.
({10})
In diesem Zusammenhang ist ein Blick auf die
Vorgeschichte dieser Äußerungen notwendig. Am
21. November 1952, auf dem Parteitag der FDP in
Bad Ems, sprach der Bundesjustizminister bei der
Erörterung über den EVG-Vertrag die öffentliche
und deutliche Verdächtigung aus - ich zitiere -:
Sie wissen, die Barriere des Bundesverfassungsgerichts besteht für unsere Verträge. Ich
({11})
möchte hoffen, daß in dem höchsten deutschen Gericht keine politischen Willensentscheidungen, sondern Rechtsentscheidungen fallen.
Er präzisierte diese Äußerung dann durch die
folgende:
Ich möchte hoffen, daß sich beim Bundesverfassungsgericht der Geist des Sozialismus nicht auswirkt.
({12})
Das Bundesverfassungsgericht beantwortete diesen Angriff dadurch, daß es den Bundesjustizminister aufforderte, seine Rede bei ihm einzureichen.
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Formulierung der am 9. Dezember 1952 vom Plenum des Bundesverfassungsgerichts abgegebenen Erklärung insbesondere auf die Äußerungen des Bundesjustizministers abzielten. In diesen Äußerungen hat der Bundesjustizminister sich nicht nur zu einem vor dem höchsten Bundesgericht schwebenden Verfahren abfällig geäußert, er hat diesem Gericht geradezu Rechtsbruch und politische Parteilichkeit vorgeworfen oder zumindest unterstellt.
({13})
Es heißt in der Erklärung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Dezember wörtlich:
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Besorgnis von den herabsetzenden Äußerungen Kenntnis genommen, die in den letzten Wochen in zunehmendem Maße im Zusammenhang mit den anhängigen Verfahren über die Vertragswerke in der Presse und in politischen Kreisen über das Gericht und seine Mitglieder gefallen sind. Diese Äußerungen haben sich in einzelnen Fällen zu Warnungen gesteigert. Man hat dem Gericht sogar unterstellt, daß politische und damit nicht rechtliche Erwägungen seine Entscheidungen bestimmen könnten.
Die Erklärung des Bundesverfassungsgerichts vom
9. Dezember 1952 schließt mit den Worten: Das Bundesverfassungsgericht hat gestern beschlossen, daß dieses Gutachten und alle anderen Gutachten des Plenums beide Senate binden. Dies ergibt sich vor allem aus der durch § 16 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht begründeten Funktion des Plenums, bei einer Meinungsverschiedenheit über eine Rechtsfrage zwischen den Senaten die letzte Entscheidung zu treffen. So wird zugleich verhindert, daß die Zuständigkeit eines bestimmten Senates aus sachfremden Erwägungen in Anspruch genommen wird.
War der Angriff auf das Bundesverfassungsgericht erfolgt, weil der Bundesjustizminister Anlaß zu haben glaubte, eine Rechtsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts erwarten zu müssen, die der politischen Willensentscheidung seiner politischen Freunde nicht entgegenkam, so bestritt er in der Folge die Zulässigkeit einer Verfahrensweise, die den politischen Erwartungen seiner politischen Freunde nicht entsprach. Der Herr Bundesjustizminister hat bei dem bekannten „Kanzlertee" am
10. Dezember 1952 diese Verfahrungsregelung wörtlich als „völlig rechtlos, als gegen das Grundgesetz und gegen das Bundesverfassungsgerichtsgesetz verstoßend" gebrandmarkt,
({14})
ja, er hat dem Verfassungsgericht, jedes Maß überschreitend, den Vorwurf der Rechtsanmaßung entgegengeschleudert, indem er ihm vorwarf, es habe
durch diese Verfahrungsregelung „Recht zu setzen versucht, nicht im Sinne eines richterlichen Spruches, sondern um neues Gesetzesrecht zu schaffen".
({15})
Dies ist aber derselbe Bundesjustizminister, der noch vor neun Monaten in einem Schriftsatz erklärt hatte - ich zitiere wörtlich -:
Es ist sicherlich eine ebenso hohe wie verantwortungsvolle Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, bestehendes Recht, unter Umständen auch bestehendes Verfahrensrecht fortzubilden.
Aber am 10. Dezember, als ihm der Verfahrensbeschluß des Bundesverfassungsgerichts für seine politischen Pläne gefährlich zu werden schien, sprach er in lapidaren Worten den Bundesverfassungsrichtern jedes Recht auf einen Verfahrensbeschluß ab, indem er wörtlich sagte: „sie können überhaupt keinen Beschluß fassen", und er lehnte für sich und die Bundesregierung die Anerkennung dieses Beschlusses des höchsten Verfassungsgerichts kategorisch mit den Worten ab:
Wir werden diesen Beschluß niemals anerkennen. Dieser Beschluß ist ein Nullum.
({16})
Nachdem er nun auf wahrhaft demagogische Weise die völlige Nichtigkeit dieses Beschlusses des höchsten Bundesgerichts und dessen angebliche politische Befangenheit und Rechtsbeugung proklamiert hatte, suchte er diese Diskriminierung des Gerichts noch dadurch zu überbieten, daß er erklärte, der größte Mangel dieses Gerichts sei nicht seine parteipolitische Zusammensetzung, sondern seine fehlende richterliche Qualität.
({17})
Ich erinnere nochmals daran, daß es bei dem Gutachtenverfahren in Karlsruhe keineswegs um eine politische Entscheidung ging, sondern ausschließlich um die verfassungsrechtliche Frage, ob die Vertragstexte mit dem Grundgesetz vereinbar sind oder nicht. Bei dem Beschluß des Gerichts vom 9. Dezember handelte es sich ausschließlich um eine Verfahrensregelung, nicht aber um eine Gesetzgebungsfrage.
Bei den Äußerungen des Bundesjustizministers handelt es sich allerdings um ein höchstes Politikum, nämlich um die Haltung des höchsten Vertreters des Rechts in der Bundesregierung zum höchsten Gericht des Bundes, zur höchsten Instanz unseres Rechts. Jede Staatsform, vor allem jede Demokratie, kann sich auf längere Sicht nur erfolgreich behaupten und als fruchtbare Ordnung erweisen, wenn sie sich echte Autorität erhält oder echte Autorität erwirbt. Dies gilt ganz besonders für die junge deutsche Demokratie, die durch ihre Entwicklungs- und Daseinsbedingungen, die Ihnen ja allen bekannt sind, besonders empfindlich und besonders gefährdet ist. Zu dieser Autorität und zu diesen Wachstumsbedingungen aber gehört vor allem, daß diese Demokratie die Gesetze und die Verfassungseinrichtung, die sie geschaffen hat, selber achtet und schützt, auch wenn ein Staatsgesetz oder eine staatliche Institution einmal gegen die Gruppe auszuschlagen scheint, die diese mit geschaffen hat. „Wehe dem Volke, dessen Menschen der Sinn fehlt für die Verbindlichkeit des Rechts ihres Staates!"
({18})
- Sie haben soeben damit dem Herrn Bundesjustizminister Beifall gezollt; denn kein anderer als
({19})
er hat am 10. Juni 1952 in der „Schwäbischen Landeszeitung" diesen Satz veröffentlicht, mit dem er sich allerdings auch selber gerichtet hat.
({20})
Doch damit nicht genug. Jetzt kommt das Schlimmste. Als am 10. Dezember 1952 nach der bekannten Rücksprache mit dem Herrn Bundeskanzler der Herr Bundespräsident sein Ersuchen um ein Gutachten beim Bundesverfassungsgericht zurückzog, richteten sechs angesehene Rechtsanwälte folgendes Telegramm an den Bundesjustizminister und seinen Staatssekretär - ich zitiere wörtlich -:
Durch letzte Vorgänge tief bestürzt, bitten
dringend: verhindert weitere für das Ansehen
von Justiz und Staat unerträgliche Schritte
gegenüber höchstem deutschem Gericht. Unterschriften: Zutt, Schüle, Kleine, Duden, Schilling und Rowedder.
Auf dieses Telegramm erhielten die Appellanten folgendes Antworttelegramm:
Sie verkennen die Lage vollständig Stop Das Bundesverfassungsgericht ist in einer erschütternden Weise von dem Wege des Rechtes abgewichen und hat dadurch eine ernste Krise geschaffen.
({21})
Unterschriften: Bundesjustizminister Dr. Dehler, Staatssekretär Dr. Strauß.
({22})
Ich glaube, wenn ein Staatssekretär ein solches Telegramm über das höchste Gericht in die Welt
schickte, wäre sein Minister verpflichtet, ein Dienststrafverfahren mit dem Ziele der Dienstentlassung gegen ihn einzuleiten.
({23})
Aber der 'Herr Bundesjustizminister hat das Telegramm ja auch unterschrieben, und der Herr Bundeskanzler hat gegen den Herrn Bundesjustizminister nichts unternommen. Der Herr Bundesjustizminister ist nunmehr Gegenstand der politischen Kontrolle durch das Parlament.
Mit diesem Telegramm hat der Mann, der in seinem Amt der höchste Wahrer des Rechts Deutschlands sein sollte, das oberste Gericht, das über die Integrität des Verfassungslebens wachen soll, des Rechtsbruchs bezichtigt. Der Justizminister eines demokratischen Staates hat kraft seines Amtes über den Parteien zu stehen, auch über der Partei, der er selbst angehört. Ich darf ein Wort von meinem alten Lehrer und Meister Ferdinand Tönnies zitieren: „Der Parteiführer, der in eine gesetzgebende Körperschaft eintritt, wird sich als weise bewähren, wenn er seine Parteihaut abstreifen und die Haut der Souveränität anziehen kann, der Souveränität, die nunmehr tätig mit auszuüben er das Recht erworben und folglich die Pflicht auf sich genommen hat."
Auch das Bundesverfassungsgericht steht kraft seines Amtes über den Parteien; sein überparteiliches Wirken, der Schutz der Verfassung vor Sonderinteressen politischer Gruppen und territorialer Bundesglieder ist ja seine eigentliche Funktion. Untragbar ist ein Bundesminister des Rechts, der die gerade ihm gebotene Zurückhaltung vermissen läßt, immer wieder aus seiner überparteilichen Stellung in die Arena des Parteikampfes heruntersteigt und seine Qualität als Bundesjustizminister mit der Funktion seiner Parteiführerschaft verwechselt oder vermischt. Ganz unerträglich aber wird ein 1 solcher Bundesjustizminister, wenn er dem höchsten überparteilichen Bundesgericht gegenüber sein Gesicht verliert und es nicht nur herabsetzt, sondern beschimpft und vernichtigt.
Der Bundesrat hat deswegen am 18. Dezember 1952 beschlossen, den Herrn Bundeskanzler um Aufklärung über die Haltung des Bundesjustizministers in diesem Verfassungsstreit mit dem Bundesverfassungsgericht zu bitten. Er hat am gleichen Tage einen Antrag angenommen, nach dem das Bundesverfassungsgericht in Zukunft seinen eigenen Etat erhalten soll, der es vom Bundesjustizminister unabhängig machen soll, und zwar mit der Begründung, daß dieses Gericht auch in haushaltsrechtlicher Hinsicht nicht Männern unterstellt sein dürfte, die ihm in der Öffentlichkeit die Achtung versagten und dadurch die Grundlage des Rechtsstaates erschütterten.
({24})
Ich glaube, meine Damen und Herren, ich komme weder bei Herrn Dr. Dehler selbst noch bei seinen Freunden in den Verdacht, daß bei mir irgendeine persönliche Antipathie mitsprechen könnte. Wir wissen alle, daß Dr. Dehler eine saubere politische Vergangenheit hat und vor und nach 1933 ein aufrechter Demokrat gewesen ist. Aber wir dürfen nicht übersehen, daß sein demokratischer Sündenfall zeitlich ziemlich genau mit der Übernahme des Amtes des Bundesjustizministers zusammenfällt,
({25})
einem Amte, dem er, wie wir gesehen haben, ganz einfach nicht gewachsen ist.
({26})
Auch der ihm nahestehenden Presse, die von der Integrität seiner Persönlichkeit überzeugt ist, graut vor dem Furor seiner Sonntagsreden. Vor einiger Zeit erinnerte ihn die Wochenzeitung „Christ und Welt" daran, er möge doch Jacobus Kap. 3 nachlesen. In Jacobus 3, 8 steht: „Aber die Zunge kann kein Mensch zähmen, das unruhige Übel voll tödlichen Gifts."
({27})
Allerdings habe ich den Eindruck, daß diese
Dehler-Zunge in der Tat kein Mensch zähmen
kann, dieses unruhige Übel voll tödlichen Gifts.
({28})
Wenn nun der Herr Bundesjustizminister auf seine Behauptungen festgenagelt wird, dann erklärt er, er habe es „anders gemeint als gesagt". Auch nach der Bad Emser Rede hat er erklärt, er habe das Bundesverfassungsgericht zwar gemahnt, aber er habe es nicht mahnen wollen. Er hat ja auch einmal in diesem Hause „Sie Schuft" gesagt und hinterher erklärt, er habe das nicht gemeint, er habe persönlich nicht beleidigen wollen.
({29})
- Da bin ich leider nicht gewesen. - Was einer meint, das muß er auch sagen können,
({30})
und wenn er nicht in der Lage ist, das zu sagen, was er meint, dann genügt er eben nicht für ein öffentliches Amt.
({31})
({32})
Wer nicht sagen kann, was er meint, der gilt schon im zivilen Leben als nicht vollwertig. Im öffentlichen Leben aber ist er schlechthin untragbar.
({33})
Eine im privaten Gespräch gemachte Äußerung kann zurückgenommen oder interpretiert werden; öffentlich abgegebene Äußerungen eines Ministers sind nicht wiedergutzumachen und durch keine Interpretation aus der Welt zu schaffen. Handelt es sich dabei um den Bundesjustizminister, so wird die Lage noch dadurch verschärft, daß dieser durch sein Amt, wie ich schon angedeutet habe, zu besonders verantwortungsvollen und zurückhaltenden Äußerungen verpflichtet ist. Dieser Justizminister aber scheint geradezu prädisponiert dazu, unverantwortliche Erklärungen über innen- und außenpolitische Fragen abzugeben - auch über solche, die ihn ressortmäßig überhaupt nichts angehen - und diese Aussagen alsdann zu dementieren oder zu interpretieren.
Ich brauche Ihnen die lange Reihe dieser Äußerungen, die meist eine traurige Berühmtheit erlangt haben, nicht in Erinnerung zu rufen. Auf dem Gebiet der Innenpolitik läuft eine Reihe mehr oder weniger großer Skandale, die durch Äußerungen des Herrn Dr. Dehler hervorgerufen worden sind, von Äußerungen über den Rentenschwindel bis zu solchen über das bösartige Geschwür der deutschen Gewerkschaften. Herr Dr. Dehler hat solche Äußerungen hinterher stets dementiert oder interpretiert und dadurch seine angeschlagene Stellung zu behaupten versucht.
({34})
- Das steht nicht zur Diskussion, Herr Kunze.
({35})
Da aber Herr Dr. Dehler für die sofortige Verbreitung aller seiner Äußerungen sorgt, sind solche Richtigstellungen hinterher ohne Wirkung.
Auf außenpolitischem Gebiet aber wird seine Äußerungs- und Dementierungstaktik zur Katastrophe. Wieviel Porzellan ist durch solche Äußerungen von ihm zerschlagen worden, von den Aussagen über das deutsch-französische Verhältnis bis zu den letzten Coburger Äußerungen über das Abkommen mit Israel, die selbst der Herr Bundeskanzler verurteilte! Wenn Äußerungen des Bundesjustizministers in der deutschen und ausländischen Presse erscheinen, das Abkommen mit Israel sei auf Wunsch der Amerikaner zustande gekommen und werde von diesen hoch honoriert werden,
({36})
so helfen spätere Dementierungen gar nichts,
({37})
die heute auch von den Naiven nur als eine andere Form der Bestätigung betrachtet werden.
Im höchsten Maße gilt dies von den Äußerungen über das Bundesverfassungsgericht, die unser Antrag zum Gegenstand hat.
Herr Dr. Dehler hätte längst von seinem' Amt zurücktreten müssen.
({38})
Er hat es nicht getan. Seine Freunde hätten ihn längst davon überzeugen müssen, daß er zurücktreten müsse. Dies ist offensichtlich nicht, jedenfalls nicht mit Erfolg geschehen. Darum muß der Bundestag als das zur Kontrolle berufene Organ
des Staates klar aussprechen, daß er solche Angriffe auf das höchste deutsche Gericht mißbilligt.
({39})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Meine Damen und Herren! Ich habe zunächst Anlaß, noch um Ihre Nachsicht zu bitten, daß ich Ihnen am vergangenen Donnerstag nicht zur Verfügung stand. Nach dem Gang der Verhandlungen der Plenarsitzung war anzunehmen, daß die Mißbilligungsanträge der SPD nicht mehr zur Verhandlung kommen würden.
({0})
Nur deswegen war ich nach 7 Uhr nicht mehr im Saal.
Herr Professor Gülich hat den Mißbilligungsantrag weit über den Anlaß hinaus begründet. Er hat es für richtig gehalten, mich sehr pauschaliter politisch abzuwerten, zu erklären, meine an sich nicht zu beanstandende politische Laufbahn sei plötzlich kupiert worden, als ich das Amt des Justizministers des Bundes übernommen hätte; gewissermaßen sei mir dieses Amt vielleicht zu Kopf gestiegen, ich sei auf jeden Fall nicht tauglich für dieses Amt. Er hat mich hingestellt als einen Mann, der fortgesetzt unbedachte Äußerungen gebraucht, die er hinterher dementiert, als einen Mann, der Gewicht darauf legt, daß seine Äußerungen möglichst rasch verbreitet werden, der also nach publicity giert.
Es ist ja schwer, wenn man sich selbst verteidigen muß. Er hat vor allem - ({1})
- Bitte, für mich zeugt meine Haltung nicht nur bis zum 12. September 1949, sondern bis zum heutigen Tage.
({2})
Gott sei Dank! Ich glaube einen klaren Weg gegangen zu sein. Ich überschätze mich nicht. Ich überschätze auch nicht meine politischen Möglichkeiten. Aber das nehme ich für mich in Anspruch: daß ich in ehrlicher, anständiger, gerader Weise meine Sache vertreten habe.
({3})
Ich habe viele heiße Eisen angerührt. Andere scheuen sich, das zu tun.
({4})
Das, was ich gesagt habe, hat in der Presse nicht immer die richtige Resonanz gefunden. Herr. Professor Gülich, wenn Sie meinen, das, was irgendein Reporter - was weiß ich, in Uslar oder Göttingen oder sonstwo - aus einer 1 1/2 stündigen Rede herausnimmt und in die Welt schickt, sei der Niederschlag meiner politischen Überzeugung, und man könne mich nach einer solchen beinahe zwangsläufig eben verkürzten, oft entstellten Äußerung beurteilen, dann haben Sie, Herr Professor Gülich, von dem Glück und dem Unglück eines Redners keine Ahnung.
Ich bin gern bereit, mich über alles auseinanderzusetzen. Aber zunächst einmal zu dem Vorwurf, dieser Bundesjustizminister sei ein Minister ganz besonderer Art, der Bundesjustizminister sei ungefähr das Symbol der Gerechtigkeit des Staates und ihm zieme es nicht, sich politisch zu äußern. Diese
({5})
Anschauung findet glaube ich, weder im Grundgesetz noch in der Praxis des Parlaments von eh und je irgendeine Grundlage.
Wenn die Verfassungspläne des Herrn Dr. Eschenburg verwirklicht würden, daß der Bundesjustizminister aus der parlamentarischen Verantwortung herausgenommen und gar nicht vom Parlament gewählt wird, sondern von irgendeinem objektiven Richtergremium nominiert wird, dann können Sie, Herr Professor Gülich, erwarten, daß ' ein Bundesjustizminister über den Wolken, zumindest über den Niederungen des politischen Kampfes steht. Ich bin Vorsitzender einer Landespartei. Ich_ will nicht das große Wort gebrauchen, ich sei ein Politiker. Wer ist das? Vielleicht ein Mann in diesem Saale: der Bundeskanzler, sonst keiner.
({6})
Aber ich bin ein Mann, der sich politisch bemüht, und ich nehme für mich selbstverständlich das Recht in Anspruch, zu den politischen Dingen Stellung zu nehmen. Ich werde ja von dem Vertrauen meiner Freunde getragen. Ich weiß nicht, Herr Professor Gülich, ob Sie seit 1946 in jedem Jahr wieder fast einstimmig von Ihren Freunden zum Vorsitzenden eines Landesverbandes gewählt worden sind,
({7})
nicht etwa von Leuten, die parteihörig sind, sondern von Leuten mit sehr kritischer Haltung.
Der Satz, daß einem Bundesjustizminister das Recht genommen sei, sich politisch zu äußern, ist also nicht richtig, und ich sage mit aller Deutlichkeit: Bevor ich Bundesjustizminister bin, bin ich ein Mann, der sich politisch bemüht und der sich das Recht, das, was er für richtig hält, zu sagen, keinen Augenblick nehmen oder auch nur verkürzen läßt.
({8})
Ich habe mich dessen, was ich als Bundesjustizminister gemacht habe, nicht zu schämen, das nehme ich für mich in Anspruch.
({9})
Ich habe aus dem Nichts heraus ein Amt aufgebaut, das sich sehen lassen kann,
({10})
ein Amt, das die Forderungen, die Sie, Herr Professor Gülich, erheben, erfüllt und das wirklich über den Parteien und über jeder Politik steht,
({11})
ein Amt, das aus hochwertigen Künstlern und 'Kunsthandwerkern des Rechts besteht. So sind die Dinge.
({12})
Meine Damen und Herren, ich will auch nicht die Gesetzgebungsarbeit meines Ministeriums unter den Scheffel stellen, an der ich wesentlich teilgenommen habe.
({13})
- Ja, ja, Herr Mellies, warum hat Ihr Fraktionsredner es für richtig gehalten, den Mißbilligungsantrag auf Grund meiner Äußerungen über das
Bundesverfassungsgericht zum Anlaß zu nehmen, den Versuch zu machen, mich hier als Mensch, als Bundesjustizminister und auch als Politiker zu diffamieren? Wie kommt er dazu? Woher nimmt er das Recht dazu?
({14})
Aber zur Sache. Es wird mir um Vorwurf gemacht, ich hätte mich zu einem vor dem Bundesverfassungsgericht schwebenden Verfahren geäußert. Ich hätte schuld daran, daß Zweifel an der Rechtlichkeit und Unparteilichkeit des Bundesverfassungsgerichts erregt worden seien. Es wird mir vorgeworfen, daß ich den Plenarbeschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8. November - verkündet am 9. November 1952 - als „Nullum" bezeichnet hätte.
({15})
Es wird mir vorgeworfen, ich hätte das Bundesverfassungsgericht des Rechtsbruchs verdächtigt.
({16})
Es wird dann auch behauptet, ich hätte - ich will das vorwegnehmen - den Herrn Bundespräsidenten an seinen Eid erinnert, als am 9. Dezember darüber gesprochen wurde, ob er seinen Gutachtensauftrag an das Bundesverfassungsgericht weiterlaufen lassen oder ob er ihn zurücknehmen solle.
({17})
- Das ist ja Gegenstand des morgigen Antrags gegen den Herrn Bundeskanzler, der noch besonders behandelt wird und der sich mittelbar auch gegen mich richtet. Es ist wohl zweckmäßig, die Dinge im Zusammenhang damit zu behandeln.
Herr Professor Gülich sagte eingangs seiner Ausführungen, es gehe nicht um die Richtigkeit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
- so habe ich ihn verstanden -, es gehe auch nicht etwa um die Struktur oder um die Situation des Bundesverfassungsgerichtes, sondern es gehe nur um meine Äußerungen. Ja, meine Äußerungen beziehen sich auf bestimmte Vorgänge des Bundesverfassungsgerichts. Meine Qualifizierung des Beschlusses vom 8. Dezember vorigen Jahres als Nullum ist eine rechtliche Wertung.
({18})
Wenn Sie mich deswegen mißbilligen wollen, dann muß ich Ihnen meinen Standpunkt zu diesem Beschluß sagen. Darum kommen wir nicht herum. Es ist nur die Frage, ob es zweckmäßig ist, diese Dinge hier im Plenum zu erörtern.
({19})
Aber am Ende muß das Hohe Haus ja wissen, worum es geht. Vielleicht hat der Mißbilligungsantrag der SPD irgendwie ein Gutes.
({20}) Er verweist
({21})
auf einen Zustand, der immerhin mit Krise bezeichnet werden kann.
({22})
({23})
Herr Professor Gülich, Sie fragen, ob gerade der Bundesjustizminister der Mann ist, der dann, wenn er glaubt, daß die Entwicklung des Bundesverfassungsgerichts nicht glücklich ist, nicht richtig verläuft, die Stimme warnend erhebt. Ich frage, wer soll es denn tun?
({24})
Wer im Staate hat noch die Möglichkeit, wenn er Sorge hat, die Dinge könnten nicht gut gehen, wer hat noch die Qualität,
({25})
zu warnen?
({26})
- Ich spreche doch nicht von mir, ich spreche von dem Amt,
({27})
das ich bekleide. Wer sonst, als der Bundesminister der Justiz hat Recht und Pflicht, das, was nötig ist, zu sagen?
({28})
Da kommen - ({29})
- Na, mit dem Herrn Bundeskanzler verbindet mich eine gute Beziehung, das darf ich sagen.
({30})
Er hat manchmal väterliche Sorgen um mich.
({31})
- Na gut! Am Ende ist er sehr wohlwollend, möchte ich feststellen.
({32})
Erwarten Sie also nicht zu viel. Ich habe gesagt vielleicht ist diese Aussprache nicht ohne Berechtigung.
({33})
Denn das empfindet ja jeder in Deutschland, das hat seinen Niederschlag bis in die letzte deutsche Zeitung und bis in die Zeitungen des Auslandes gefunden,
({34})
daß unsere Verfassungsgerichtsbarkeit - sagen wir ({35})
sich noch nicht zur Klarheit durchgerungen hat,
({36})
daß unsere Bundesverfassungsgerichtsbarkeit mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Wenn darüber einer am Ende sprechen kann, dann bin ich es;
({37})
denn keiner hat sich so leidenschaftlich für diese Form der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und der Verfassungsgerichtsbarkeit überhaupt eingesetzt wie ich, und zwar schon in Bayern. Auf mich geht zurück, daß in der bayerischen Verfassung
({38})
der Verfassungsgerichtshof auch mit einer sehr weitreichenden Zuständigkeit versehen worden ist. So wie das Bundesverfassungsgericht jetzt in seinen Zuständigkeiten ausgestattet ist, geht es zurück auf die Arbeit im Redaktionsausschuß des Parlamentarischen Rats. Ihres Parteifreundes Zinn, des jetzigen hessischen Ministerpräsidenten, des Herrn Dr. von Brentano und von mir selbst. Daß die Dinge schwierig, vielleicht sogar in der Krise sind, kann ich gerade mit einer Äußerung meines Freundes Zinn, darf ich vielleicht immer noch sagen,
({39})
belegen. Er hat kürzlich gesagt, der Rechtsstaat kann seine eigentliche Funktion nur erfüllen, wenn der Gerichtsbarkeit in Fragen, die in das politische Grenzland hinübergreifen, eine weise Beschränkung gesetzt wird.
({40})
Er begrüße es daher, daß man dieses Problem erkannt habe und der Lehre von den justizfreien Hoheitsakten größere Beachtung schenke. Diese Äußerungen sind eine Kritik an unserem Grundgesetz, an der darin getroffenen Regelung der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und vielleicht, so möchte ich meinen, auch eine Kritik an der Praxis des Bundesverfassungsgerichts. Es wirft sich eben die Frage auf, ob wir im Parlamentarischen Rat nicht einen Fehler gemacht, ob wir nicht die Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts zu weit gesteckt, ob wir uns nicht übernommen, ob wir nicht die justizstaatlichen Elemente im Verfassungsgefüge übersteigert haben.
({41})
Uns stand damals schon vor Augen, was der große deutsche Staatsrechtler Triepel jetzt gerade vor 25 Jahren gesagt hat: daß das Wesen der Verfassung bis zu einem gewissen Grade mit dem Wesen der Verfassungsgerichtsbarkeit in Widerspruch steht; denn er hat gesagt: in der Welt des Politischen geht das Streben auf Durchsetzung mit Macht und Kampf, nicht aber auf Lösung durch Richterspruch. Wir haben diese Warnung damals beiseite geschoben. Vielleicht haben wir jetzt schon einen Punkt erreicht - es ist auch ein bekanntes warnendes Wort -, an dem die Politik durch die Verfassungsgerichtsbarkeit alles zu verlieren droht, während die Justiz dabei nichts zu gewinnen hat.
Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht stand bei dem Beginn seiner Arbeit ja vor ganz gewaltigen Aufgaben. Ein Gericht bildet sich nicht nur dadurch, daß man 24 Damen und Herren die Ernennungsurkunde als Bundesverfassungsrichter übergibt. Ein Gericht setzt ja so viel voraus.
({42})
- Das ist das Thema. Sie können ja das, was ich gesagt habe, nur verstehen, wenn Sie wissen, auf welcher Grundlage ich mich geäußert habe.
({43})
({44})
Meine Damen und Herren, Sie kennen die Schwierigkeiten in der Struktur unseres Bundesverfassungsgerichts, die politische Auswahl, oder richtig gesagt: die Auswahl der Richter durch den Bundestag und Bundesrat. Ich habe das Recht, darauf hinzuweisen; denn ich habe damals im Parlamentarischen Rat davor gewarnt, das zu tun. Sie kennen die Schwierigkeit, die sich aus der Struktur des Gerichts ergibt. Sie wissen, daß entgegen meinem Vorschlag ein Zwillingsgericht gebildet wurde, ein Gericht, das aus zwei Senaten besteht. Sie wissen hoffentlich von den Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, daß die Zuständigkeiten auf diese beiden Senate aufgeteilt werden mußten, auch die Schwierigkeiten, die sich aus der Art, wie die Senate besetzt worden sind, ergeben. Sie wissen ja von dem törichten Gerede, das fast überall herumgeht. Sie kennen das Gerede von dem roten und von dem schwarzen Senat.
({45})
- Wer hat sich in dieser Frage vor das Bundesverfassungsgericht gestellt, wenn nicht ich! Ja, bitte, Herr Mellies, wenn Sie wissen wollen, wie dieses Gerede in die Welt kam, will ich es Ihnen sagen.
({46})
Ich habe erst gestern einen Journalisten gesprochen, der es mir berichtet hat. Damals, als der erste Streit über das Neugliederungsgesetz durchgeführt wurde, da habe er, sagte er mir, einen Ihrer Partei, Herr Mellies, angehörenden Richter gesprochen, und der habe ihm gesagt, er komme gerade aus einer Fraktionssitzung.
({47})
So ist dieses Gerede entstanden und von außen hineingetragen worden.
({48})
- Ich will mich nicht gegen die Vorwürfe eines Marines verwahren, der mich nicht kränken kann.
({49})
Ich sage es noch einmal: Wer hat sich vor das Gericht gestellt und hat vor einer solchen Qualifizierung der einzelnen Senate gewarnt?! Ich habe es getan entsprechend meiner Pflicht!
({50})
Was steht denn im Augenblick als Konfliktstoff über diesem Gericht? In Wirklichkeit zwei Meinungen, um deren Klärung .es geht - zwei Meinungen über das Wesen der Verfassungsgerichtsbarkeit. Es ist die eine - nach meiner Meinung sehr gefährliche - Auffassung, daß das Bundesverfassungsgericht seinem Wesen nach eine politische Funktion besitze, daß es gewissermaßen der Schiedsrichter im Streit sei, daß es der oberste verfassungsmäßige Träger des Staatsgewalt sei. Es ist die Meinung, das Bundesverfassungsgericht stehe über der Verfassung, mit der Folge, daß am Ende die politische Willensentscheidung der Mehrheit der Richter die wirkliche Verfassung gestalten würde, unter der wir zu leben hätten. Diese Meinung bedeutet, daß das Bundesverfassungsgericht eine Überregierung und ein Überparlament
sei.
Dagegen steht die richtige Meinung, daß das Bundesverfassungsgericht ein Gericht ist, ein echtes Gericht und nur ein Gericht, daß seine Entscheidungen ausschließlich Rechtsentscheidungen sind, daß es nicht Herr der Verfassung, sondern Hüter der Verfassung ist
({51})
und daß es das Recht und nur das Recht anzuwenden hat.
Meine Damen., und Herren! Wenn ich über diesen Konflikt spreche, dann nicht ohne konkreten Anhaltspunkt. Maßgebende Richter des Bundesverfassungsgerichts haben sich, zum Teil bei der Beratung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes und auch in der Folgezeit, in einer Art geäußert, die zu Zweifeln über die richtige Erkenntnis von dem Wesen des Bundesverfassungsgerichts Anlaß gab. Wenn ein Richter erklärt hat, es handle sich bei den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gerade in den wichtigen Fällen um politische Entscheidungen in juristischem Gewande, so ist das der Niederschlag dieses verhängnisvollen Irrtums. Nicht anders ist es, wenn andere Richter gesagt haben:
Die Verfassungsgerichte haben eine aktive politische Funktion; sie haben geradezu die Aufgabe, den pouvoir constituant auszuüben, wobei schließlich nicht einmal der Inhalt des ursprünglichen Verfassungsrechts selbst unberührt bleiben würde.
Oder wenn gesagt wird, die Verfassungsgerichte seien eher mit Unabhängigkeit ausgestattete Regierungsorgane besonderer Art als normengebundene, den anderen Gerichten vergleichbare Gerichte. Oder wenn ein anderer wieder sagt, das Bundesverfassungsgericht müsse sich bei seinen Entscheidungen der politischen Folgen seiner Entscheidungen bewußt bleiben, und sei es auch nur, um seine Rechtsentscheidungen um so sorgfältiger abzuwägen, und dürfe auch der Frage nicht ausweichen, ob nicht durch seine Entscheidungen ein gesetzlicher Zustand herbeigeführt werden könne, der eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung des Staates bedeute.
Meine Damen und Herren! Hier ist das gesagt, was ich nicht will. Hier ist das gesagt, vor dem ich gewarnt habe, wenn ich sagte: Ich möchte hoffen, daß die Richter des höchsten deutschen Gerichts keine politischen Willensentscheidungen, sondern Rechtsentscheidungen treffen! Und hier ist die Grundlage dafür, warum diese Mahnung berechtigt ist.
Ich sage mit allem Nachdruck: Niemand - weder ich noch irgend jemand in der Bundesregierung
- hat jemals daran gedacht, dem Bundesverfassungsgericht Rechtsbruch oder Rechtsbeugung vorzuwerfen.
({52})
- Ich werde auf die Äußerungen eingehen. - Ich wiederhole mit allem Nachdruck: Niemand von uns denkt daran! Ich bin der Überzeugung, daß eine Anzahl von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts anfechtbar ist. Aber es sind Richtersprüche, die den Anspruch erheben können, rechtlich begründet zu sein. Das ist ja eigentlich gar nicht das Problem; worauf es ankommt und worauf es besonders mir ankommt, ist, daß die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Gefahr begründet, daß dieses Gericht die Grenzen seiner Kompetenzen nicht
({53})
richtig zieht. D a s ist das Problem. Ich weiß nicht, Herr Professor Gülich, ob Sie sich die Mühe gemacht haben, unter diesem Gesichtspunkt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu überprüfen, ob Sie überhaupt nur verstanden haben, was ich sagen wollte.
({54})
Wenn Sie das verstanden hätten, dann hätten Sie sich gehütet, die Vorwürfe zu erheben, wie Sie es für richtig gehalten haben.
({55})
- Das ist das Letzte, was Sie mir vorwerfen können: daß ich überheblich sei.
({56})
Daß ich es als eine Pflicht meines Amtes empfinde, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sorgfältig zu überwachen, d. h. zu beobachten und die Folgerungen daraus zu ziehen,
({57})
das werden Sie mir nicht verdenken können.
Meine Herren, wir wollen die Aussprache konkret führen, nicht mit allgemeinen Redensarten, wie Herr Professor Gülich beliebte; ganz konkret.
({58})
Ich werde Ihnen darlegen, aus welchen Tatsachen meine Sorge gewachsen ist, daß das Bundesverfassungsgericht sich nicht auf dem richtigen Wege befindet.
({59})
Greifen Wir einmal zurück auf einige Urteile.
Im Südweststaat -Urteil - Sie haben es vielleicht noch vor Augen - ist der Satz aufgestellt worden, daß der objektive Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz zur Feststellung der Nichtigkeit eines Gesetzes nicht genüge, sondern daß der Nachweis dazukommen müsse, daß die Beteiligten sich der Verletzung des Gleichheitssatzes bewußt waren. Meine Damen und Herren, ein Satz, der im Widerspruch zur Rechtsprechung und zur Rechtslehre steht! Überall ist anerkannt, daß jeder objektive Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz zur Nichtigkeit eines Gesetzes führt.
Ein anderes Urteil, das über die Geschäftsordnung Ihres Hohen Hauses, gibt zu einer Fülle von Beanstandungen Anlaß. Es hält vor allem den Gleichheitsgrundsatz - damals handelte es sich um die Frage der Deckungsvorschläge - für verletzt, weil die Geschäftsordnung des Bundestages lediglich von den Mitgliedern des Bundestages, nicht aber von sonstigen Initianten, Bundesrat und Bundesregierung, den Deckungsvorschlag verlange. Es hat dabei vollkommen übersehen, daß sich die Geschäftsordnung des Bundestages nur auf die eigenen Angelegenheiten des Bundestages beziehen kann. Ich habe damals über dieses Urteil, das wirklich nach meiner Meinung schwere Fehler enthält, dem Herrn Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts in einem Brief vom . April vorigen Jahres meine Meinung geschrieben und habe am Schluß dieses
Briefes an den Herrn Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Dr. Höpker-Aschoff, bemerkt: ,,Ich schreibe Ihnen meine Meinung, weil mir der Geist, der aus dem Urteil vom 6. März spricht, Sorge macht." Ich will die Antwort des Herrn Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts nicht im Wortlaut wiedergeben; der Brief beginnt mit den Worten: „Sie urteilen sehr milde über das Urteil."
({60})
Meine Damen und Herren, das habe ich auch getan aus der Sorge um den rechten Weg des Bundesverfassungsgerichts, wirklich nicht - wie mir Herr Professor Gülich unterstellt - aus dem Willen, diesem Gericht Schaden zuzufügen. Welche Verkennung meiner Absichten und meiner Aufgaben!
({61})
Ein anderes Urteil. Im Urteil bezüglich des schleswig-holsteinischen Wahlgesetzes ist die Partei des Südschleswigschen Wählerverbandes als Antragstellerin zugelassen worden, obwohl politische Parteien weder nach dem Grundgesetz noch nach dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz ein Antragsrecht besitzen, dieses vielmehr nur Verfassungsorganen und Teilen von solchen, also nur Trägern von Staatshoheit, von Hoheitsmacht zukommt. Ich berichte Ihnen diese Urteile, weil sich aus ihnen die Tendenz ergibt, die Sie, meine Herren, als Gesetzgeber keinesfalls billigen können, daß das Bundesverfassungsgericht die Aufgabe des Gesetzgebers in Anspruch nimmt.
Eine sehr interessante Entscheidung: Normenkontrolle. Das Bundesverfassungsgericht hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß sich hinsichtlich der Normenkontrolle auf Vorlage durch die Gerichte die Überprüfung nur auf formelle Gesetze erstrecke, nicht dagegen auf Verordnungen. Im Gegensatz dazu hat es bei der Normenkontrolle auf Antrag von Verfassungsorganen die Überprüfungspflicht und das Überprüfungsrecht nicht nur auf formelle Gesetze, sondern auch auf Verordnungen erstreckt. Die Normenkontrolle ist doch ein einheitliches Rechtsinstitut. Ich finde nicht den Grund für diese Unterscheidung.
In der ersten Wehrbeitragssache wird von dem richtigen Grundsatz ausgegangen, daß es keine vorbeugende Normenkontrolle gibt. Aber unter Bruch der Gedankenführung wird dann eine Ausnahme für die sogenannten Vertragsgesetze zugelassen, und das wird mit reinen Zweckmäßigkeitserwägungen begründet. Es ist kein Grund für die Zulassung dieser Ausnahme erfindlich, weil die Antragsteller ihre Sache in dem gesetzlich gegebenen Verfahren des Organstreits nach § 13 Ziffer 5 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes verfolgen können.
Das Urteil, das 'am meisten zu Bedenken Anlaß gibt, auch wegen der gefährlichen Tendenz der Ausweitung der Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts, ist das Urteil gegen die Sozialistische Reichspartei, nach meiner Meinung belastet mit einer Fülle von Mängeln. Zunächst ist eine einstweilige Verfügung - Sie wissen es vielleicht noch - ergangen.
({62})
- Sie wollen meine Kritik zum Gegenstand einer Mißbilligung machen und wollen die Gründe meiner
({63})
Haltung nicht erkennen, wollen nicht zulassen, daß ich Ihnen sage, daß ich aus ernstester Sorge um unsere Verfassungsgerichtsbarkeit die Stimme erhoben habe. So sind doch die Dinge.
({64})
- Ach, Herr Mellies, ich glaube, Sie sollten besser schweigen. Wenn ich Sie so ansehe, Herr Mellies, wissen Sie, was ich da tun möchte? Da möchte ich auf den Knien nach Hannover rutschen und einen Kurt Schumacher wieder ausgraben.
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Na, politischer Irrtum und Leidenschaftlichkeit sind zu ertragen. Politischer Irrtum und Mittelmaß, die gehen einem auf die Nerven.
({66})
Ich bitte doch, auch in der persönlichen Kritik die üblichen Formen zu wahren und persönliche Angriffe zu unterlassen.
({0})
Das Urteil gegen die Sozialistische Reichspartei, das in der einstweiligen Verfügung erlassene Versammlungs-
und Redeverbot beschränkte praktisch für eine unbestimmte Zahl von Personen die Grundrechte der Versammlungs- und Redefreiheit, die in Wirklichkeit nach dem dafür vorgesehenen Verwirkungsverfahren hätten beschränkt werden können und sollen. Das Entscheidende bei diesem Urteil - ich will auf Einzelheiten gar nicht eingehen - ist doch wohl, daß das Verfahren sich nur gegen die Partei als solche richtete und daß das Urteil Mandate ab) erkannte - meine Damen und Herren, Mandate, die ja nicht durch die Partei, sondern durch die Wähler gegeben worden sind, mit der Folge,
({0})
daß diese Wähler in den Parlamenten nicht mehr vertreten sind. Ich sage, daß für diese Aberkennung keine rechtliche Möglichkeit,
({1})
aber auch kein Bedürfnis bestand, weil die Möglichkeit der Aberkennung der Mandate im Wege des Verwirkungsantrags bestanden hätte.
Nur soviel, meine Damen und Herren, damit Sie erkennen, welche Sorge aus der praktischen Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei mir entstanden ist.
Der Beschluß vom 8. Dezember ist ja nur eine Fortsetzung dieser Haltung. Es ist richtig, daß ich diesen Beschluß als Nullum bezeichnet habe. Nullum - ein terminus technicus ({2})
ist die Kennzeichnung, daß eine gerichtliche Entscheidung ultra vires erlassen worden ist, über die Zuständigkeit eines Gerichtes hinaus, und deshalb keine Bindung haben kann.
Es tut mir leid, ich muß Ihnen, wenn Sie die Dinge verstehen wollen, noch die Entwicklung des Streites in der Wehrbeitragsfrage kurz darlegen. Sie wissen: Am 31. Januar vorigen Jahres Klage einer Minderheit dieses Hauses - der Opposition, darf ich einmal sagen - auf Feststellung, daß der Wehrbeitrag ohne vorangegangene Ergänzung und
Änderung des Grundgesetzes weder förmlich noch sachlich mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Am 10. Juni Auftrag des Herrn Bundespräsidenten, ein Gutachten zu erstatten. Am 26. Juni, meine Damen und Herren - das ist nun bedeutsam -, eine Mitteilung des Herrn Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts an das Bundespräsidialamt, daß nach einem Beschluß des Plenums vom gleichen Tage mit Rücksicht auf die beim Ersten Senat anhängende Klage das Gutachten zunächst nicht, sondern erst nach der ordnungsgemäßen Verbescheidung dieser Klage behandelt werden könne; also Feststellung des Vorrangs eines strittigen Verfahrens vor der Erstattung eines Gutachtens. Am 30. Juli vorigen Jahres Abweisung der Klage der Opposition als unzulässig, daraufhin Bearbeitung des Gutachtens.
Im Gegensatz nun zu anderen Gutachtenerstattungen - ich erinnere an das Gutachten über die Auslegung des Art. 108 Abs. 2 des Grundgesetzes, nämlich über die Frage, ob ein Gesetz, durch das die Einkommen- und Körperschaftsteuer der Länder zum Teil in Anspruch genomeh wird, ein Zustimmungsgesetz ist oder nicht, oder an das Gutachten über die Frage, ob der Bund ein Baugesetz erlassen kann - hat das Bundesverfassungsgericht es in diesem Falle für notwendig gehalten, ein großes förmliches Verfahren, ähnlich einem streitigen, kontroversen Verfahren, über das Gutachten durchzuführen; ein Vorgehen, das an sich im Gesetz keinerlei Grundlage findet und das in der Folge auch zu den aufgetretenen Schwierigkeiten geführt hat. Am 6. Dezember vorigen Jahres, nach der zweiten Lesung, hat die Mehrheit dieses Hauses ihre Klage eingereicht. Am 8. Dezember hat dann das Plenum den Beschluß gefaßt, der am 9. Dezember verkündet wurde, den Herr Professor Gülich vorhin verlesen hat. Die Bundesregierung hat dann noch am gleichen Tage ihre Vertreter aus diesem sogenannten Gutachtenverfahren zurückgezogen. Am 10. Dezember hat dann der Herr Bundespräsident an das Bundesverfassungsgericht die Mitteilung gerichtet, daß er seinen Auftrag zur Erstattung eines Gutachtens zurückziehe, weil durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts nach seiner Meinung das Wesen dieses Gutachtens erheblich verändert worden sei. Am 14. oder 15. Dezember hat das Bundesverfassungsgericht eine Begründung dieses Beschlusses gegeben, obwohl vorher von einer solchen Begründung keine Rede war, hat dabei das Stimmenverhältnis wiedergegeben und darüber hinaus festgelegt, daß das Gutachtenverfahren weitergeht und daß alle Gutachten des Plenums nicht nur im vorliegenden Fall, sondern auch in der Folge die Senate, den Ersten und den Zweiten Senat, bei ihren Entscheidungen binden.
Ich habe diesen Beschluß als rechtlich nicht zutreffend bezeichnet. Diese Kritik müssen Sie, glaube ich, einem Bundesjustizminister zugestehen, wenn er aus ehrlicher, ehrlichster Überzeugung der Meinung ist, daß für diesen Beschluß weder im Grundgesetz noch im Bundesverfassungsgerichtsgesetz eine rechtliche Grundlage geschaffen ist, so daß dieser Beschluß auch gar keine bindende Kraft haben kann. Es ist völlig irrig, wenn in der Bezeichnung „Nullum" irgendeine Diskriminierung erblickt wird. Sie drückt nur die Feststellung aus, daß dieser Beschluß keine rechtliche Bindung haben kann. Das Bundesverfassungsgericht hat sich dabei mit seiner eigenen früheren Stellungnahme in Widerspruch gestellt. Ich habe Ihnen vorgetragen, daß das Bundesverfassungsgericht im Juni vorigen Jahres die Meinung vertreten hat, daß ein streitiges
({3})
Verfahren den Vorrang vor der Erstattung eines Gutachtens habe. Jetzt hat es sich auf den Standpunkt gestellt, daß ein anhängiges sogenanntes Gutachtenverfahren trotz Anhängigwerdens eines echten Streites fortzusetzen sei.
Ja, meine Damen und Herren, wenn ein Bundesjustizminister seine Meinung nicht mehr sagen dürfte, dann käme die große Frage, die ja bei jeder Verfassungsgerichtsbarkeit auftaucht: Wenn man Wächter der Verfassung einsetzt - quis custodiet custodes ipsos, wer bewacht am Ende die Wächter des Staates?
({4})
Ich sage es drum noch einmal: ich nehme gern den Anlaß auf, um mit Ihnen - es handelt sich ja um Ihre Rechte, um die Rechte des Parlaments als Gesetzgebungsorgan - über diese Situation zu sprechen, weil Sie, weil der Bundestag es ja auch nicht hinnehmen kann, daß durch das oberste deutsche Verfassungsgericht die Rechte des Parlaments geschmälert werden. Das ist ein echter Konfliktsfall, der klargestellt werden muß und der am besten klargestellt wird durch eine Aussprache.
({5})
Sie wissen, daß einer der Richter des Bundesverfassungsgerichts eine abweichende Meinung zu der Begründung des Beschlusses abgegeben hat, die ich für gut halte. Ich möchte aus den vielen Stellungnahmen, die ich mir auch beschafft habe, nur die eines ordentlichen Professors des Staatsrechts wiedergeben:
Ich halte den Weg, den das Bundesverfassungsgericht schon früher eingeschlagen hat und in seinem Beschluß vom 8. Dezember nur entschlossen weitergeschritten ist, für ungeheuer gefährlich; denn dieser Weg, an dessen Ende eine Art Diktatur des Bundesverfassungsgerichts steht, das Funktionen der Rechtsprechung, der Gesetzgebung und der Regierung damit in sich vereinigt, hat heute schon, da er erst beschritten ist, eine Verschiebung der vom Grundgesetz gewollten und normierten Machtverteilung in der Bundesrepublik zur Folge. Das 'Bundesverfassungsgericht hat sich, indem es diesen Weg eingeschlagen, meines Erachtens gegen den Geist der Verfassung versündigt, zu deren Hüter es berufen ist.
Ich zitiere dies nicht, damit Sie diese Äußerung akzeptieren, sondern nur, damit Sie erkennen, um welch schwierige Frage es sich hier handelt, damit Sie erkennen, aus welcher Haltung heraus ich gesagt habe, daß in erschütternder Weise eine Krisis herbeigeführt worden ist. Das ist doch der Fall.
Es würde wohl zu weit führen, auf alle Einzelheiten dieses Beschlusses einzugehen. Es scheint mir viel überzeugender für die Herren Antragsteller zu sein, wenn ich ihnen ihre eigene Meinung entgegenhalte. Als nämlich Während des Schwebens der Klage der Opposition beim Ersten Senat der Gutachtensauftrag des Herrn Bundespräsidenten kam, hat das Bundesverfassungsgericht, und zwar der Erste Senat, angeregt, es solle ein Gutachten des Plenums eingeholt werden und die beiden Parteien sollten sich diesem Gutachten als einer Art Schiedsgericht unterwerfen. Die Regierung hat diese Anregung damals angenommen. Die Vertreter der Opposition haben sich in einer Reihe von
Schriftsätzen mit Nachdruck dagegen gewandt und dabei in überaus zutreffender Weise das Wesen des Gutachtens des Bundesverfassungsgerichts darge1egt. Sie haben auf das hingewiesen, was bei der Beratung des Gesetzes gesagt worden ist. Dort hat der Abgeordnete Dr. Arndt erklärt, ein Gutachten habe höchstens eine moralische Bedeutung, aber niemals die Bedeutung einer Entscheidung. Herr Geheimrat Laforet hat dem leidenschaftlich zugestimmt und hat gesagt, daß durch ein Gutachten keinerlei Bindung des Bundesverfassungsgerichts eintreten könne und solle. Ich erwähne ferner Äußerungen der Minderheit. Bei der Beratung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht hat man gesagt, es sei immerhin der Fall denkbar, daß die gesetzgebenden Körperschaften oder der Bundespräsident ihre Beratung durch das Bundesverfassungsgericht wünschen usw. Man hat dafür das Gutachten vorgesehen, aber absichtlich nicht als verbindlich, absichtlich nicht als Entscheidung und absichtlich nicht in der Weise, daß ein Organ hier das Bundesverfassungsgericht gegen ein anderes Organ soll anrufen können. Das ist Ihre Meinung. Wenn ich diese Meinung vertrete, Herr Professor Gülich, dann wollen Sie mich mißbilligen! Ich kann Ihnen eine Fülle von Erklärungen vortragen. Es wäre gut, wenn Sie sie nachgelesen hätten.
({6})
- Ja, wenn es Sie interessiert, sehr gern! Herr Dr. Arndt hat erklärt:
Wir haben uns mit Fleiß und Mühe bestrebt, das Plenum des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Instanz zu machen, weil wir damit die Senate zerstört hätten.
Verstehen Sie, warum ich gesagt habe „eine Krisis in erschütternder Weise"?
Das ist ein Bedenken, das sich durch das ganze Gesetz hindurchzieht und überall deutlich hervortritt. Gerade darum wurde auch die Gutachtenerstattung dem Plenum übertragen, weil keine Entscheidungsfunktion der Gutachten gegeben sein soll. Man hat das Gutachten nicht dem Plenum gegeben, weil das Plenum die höhere Autorität hatte, sondern
- eigene Erklärung des Herrn Dr. Arndt weil man nicht in Konflikt kommen wollte mit der rechtsprechenden Aufgabe der einzelnen Senate. Man wollte nicht, daß die Senate, die möglicherweise später als Gericht in Funktion treten mußten, mit der Aufgabe des Gutachtens belastet werden sollten.
Das ist der Zusammenhang. Das darf ich nicht sagen? Ich darf nicht sagen, daß das, was Sie und was wir für richtig halten, durch das Bundesverfassungsgericht außer acht gelassen, weggeschoben worden ist?
Weiter heißt es in einem Schriftsatz der Minderheit:
Ein Ersatzverfahren,
- nämlich Gutachtenverfahren das nur die Gefahr heraufbeschwört, der richterlichen Entscheidung vorzugreifen, hat im Gesetz keine Grundlage und muß deshalb als unstatthaft erkannt werden.
Oder eine Stelle in dem Schriftsatz der Bundestagsfraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 12. November 1952, die das, was ich gesagt habe, in viel deutlicherer Weise umschreibt:
({7})
Das Plenarkollegium ist außer im Falle des
§ 16 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes
- das spielt hier keine Rolle kein Bundesverfassungsgericht. Es ist unstreitig, daß die beratenden Empfehlungen aus dem Plenarkollegium keine Entscheidungen sind.
({8})
Also das Gutachten ist erstens eine Nichtentscheidung, es ist zweitens eine Nichtentscheidung von einem Nichtgericht. Da wollen Sie mir einen Vorwurf machen, wenn ich prägnant lateinisch ,.nullum" sage, - nach Meinung des Herrn Bundeskanzlers „nihil"; das ist aber das gleiche.
Ich will Sie jedoch nicht zu sehr belasten, ich will Sie nicht mit Material erschlagen.
({9})
--- Ach, Herr Heiland, wir haben. uns doch immer geliebt; warum sind Sie denn so häßlich zu mir?
Vielleicht noch ein Satz aus dem Schriftsatz der Bundestagsfraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 7. Oktober 1952:
Hätte dieses Bestreben
- nämlich Entscheidungsfunktion des Gutachtens Erfolg und würde zugelassen, daß einer der beiden Senate des Bundesverfassungsgerichts in seinem Rang gemindert und ein einziges Mal die Legitimation verlieren würde, als das Bundesverfassungsgericht Recht zu sprechen, so ist die Autorität beider Senate für alle Zukunft erschüttert.
Und Sie wollen mir einen Vorwurf daraus machen,
daß ich erschüttert bin, wenn die Autorität der
Senate erschüttert ist, wie Sie selber gesagt haben?
({10})
Allerdings, meine Damen und Herren - ich habe Ihnen das vorhin schon gesagt -, bin ich als Vorsitzender der bayerischen Landespartei in Bad Ems gewesen.
({11})
Es gibt kaum einen höheren Rang, meine ich, als Vorsitzender einer bayerischen Landespartei zu sein.
({12})
Ich habe dort auch - ({13})
- Nein, nein! Wenn einer eine geschichtliche Funktion hat, dann ich! - Nun gut, ich habe mich dort
so geäußert. Ich habe, meine Damen und Herren,
({14})
- Ich will jetzt doch - ({15})
Ich glaube, Herr Gülich hat den Satz nicht mit vorgelesen. Ich habe zunächst gesagt:
Ich sage es aus bitterster Sorge, meine Damen und Herren. Ich sage es Ihnen wohlüberlegt, ein Wort aus der Qual der Verpflichtung heraus, die ich habe.
Und dann habe ich gesagt:
Ich hoffe, daß das Bundesverfassungsgericht,
daß das höchste deutsche Gericht keine politischen Willensentscheidungen, sondern Rechtsentscheidungen fällt.
Ich bin der Meinung: nach dem, was vorausgegangen war,
({16})
nach dem, was von verantwortlichen Richtern des Bundesverfassungsgerichts gesagt worden war, die wichtigsten Entscheidungen seien politische Entscheidungen in juristischem Gewande, und noch vieles andere, war dieses Wort eine berechtigte Mahnung. Dieses Wort hat keine zersetzende Wirkung, hat nichts Herabsetzendes gehabt, sondern es war ernst, ganz ernst gesprochen, in voller Verantwortung und wahrlich nicht unbedacht. Aber wenn ich mahne: Verkennt die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts nicht, seid ein echtes Gericht, seht eure Aufgabe nicht darin, politische Willensentscheidungen zu fällen, sondern trefft Rechtsentscheidungen!,
({17})
dann bin ich der Meinung, daß ich das Recht dazu habe, und wenn Sie mich deswegen mißbilligen, dann mißbilligen Sie sich selber, meine Damen und Herren.
({18})
Dann der Telegrammwechsel. Wir wollen nicht vergessen, daß am 10. Dezember auch ein Telegramm an mich und Herrn Staatssekretär Dr. Strauß gekommen ist. Herr Professor Gülich hat es vorgelesen. Es lautet:
Durch letzte Vorgänge tief bestürzt. Bitten dringend: verhindert weitere für Ansehen von Justiz und Staat unerträgliche Schritte gegenüber höchstem deutschem Gericht.
Gott, daß dieser Telegrammwechsel die Öffentlichkeit beschäftigen könnte, stand mir nicht vor Augen. Einige Anwälte telegraphierten mir. Ich hätte auch schreiben können. Ich habe - Temperament ist mir zu eigen - aus dem Temperament heraus geantwortet. Halten Sie, meine Damen und Herren, es für diskret, daß dieser Telegrammwechsel in einer wenig schönen Weise und an einem dafür kaum geeigneten Orte der Öffentlichkeit übergeben wurde? Ich habe nicht damit gerechnet.
({19})
Erwägen Sie einmal den Wortlaut dieses Telegramms und ermessen Sie, welche scharfen Angriffe seitens der Mannheimer und Heidelberger Anwälte es enthält: „Tief bestürzt durch letzte Vorgänge". Was waren die Vorgänge? Die Bundesregierung hatte am Tage vorher ihre Vertreter aus dem sogenannten Gutachtenverfahren nach der Verkündung des Beschlusses vom 8. Dezember zurückgezogen. Der weitere Vorgang war, daß sich der Herr Bundespräsident für verpflichtet, für veranlaßt gehalten hat, seinen Gutachtensauftrag zurückzunehmen.
({20})
Und hier wagt man es, - ({21})
Und hier wagt man es, zu erklären, daß diese Schritte unerträglich seien und Anlaß zu tiefer Bestürzung gäben.
({22})
Das war das Telegramm.
({23})
Ich habe geantwortet, nicht der Herr Kollege Strauß. Ich habe nur, weil das Telegramm auch an ihn gerichtet war, ihm das Telegramm, nachdem ich es ausgefertigt hatte, zur Kenntnisnahme zugeleitet.
({24})
- Zur Kenntnisnahme zugeleitet!
({25})
Ich habe gesagt, daß das Bundesverfassungsgericht in einer erschütternden Weise von dem Weg des Rechts abgewichen ist und eine ernste Krise geschaffen hat. Noch einmal, meine Damen und Herren: wenn Sie ermessen und erwägen, was ich Ihnen gesagt habe, als ich meinen Standpunkt zu den Ereignissen vertrat, dann können Sie nicht zu dem Ergebnis kommen, ich hätte mit diesem Telegramm dem Bundesverfassungsgericht den Vorwurf des Rechtsbruchs oder der Rechtsbeugung machen wollen. Es ist doch eine objektive Feststellung, daß der Beschluß vom 8. Dezember mit dem Grundgesetz und mit dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz nicht vereinbar ist
({26})
und daß hier ein Weg eingeschlagen ist, der von dem Weg des Rechts abführt. Daß die Formulierung überwältigend glücklich ist, will ich nicht behaupten.
({27})
Aber ich erkläre mit allem Nachdruck - und darauf kommt es Ihnen wohl auch an -, daß ich nicht daran gedacht habe, dem Bundesverfassungsgericht den Vorwurf zu machen, es habe bewußt, es habe absichtlich das Recht gebeugt oder gebrochen. Dazu bestand auch kein Anlaß. Viele von uns wissen ja, aus welcher sonderbaren Lage des Bundesverfassungsgerichts der Beschluß vom 8. Dezember entstanden ist: aus einer gewissen Ausweglosigkeit, durch das Lavieren vom einen zum anderen Senat, durch die Schwierigkeiten, die in dem sogenannten Gutachtenverfahren eingetreten waren, und vieles andere. Noch einmal: ich habe die -sen Vorwurf nicht erhoben und will ihn nicht erheben, und man kann ihn aus dem Wortlaut des Telegramms auch nicht feststellen.
Ich will heute gleich das vorwegnehmen, was man dem Herrn Bundeskanzler vorwirft: er habe nicht gerügt, daß der Herr Bundespräsident bei einer Aussprache zwischen ihm, dem Herrn Bundeskanzler und einem Teil des Bundeskabinetts,
({28})
bei der ich als letzter anwesend war, an seinen Eid erinnert worden sei, um zu erreichen, daß er seinen Gutachtensauftrag zurückziehe. Diese Darstellung ist nicht richtig, wenn auch in dem Protokoll über die Pressekonferenz vom 10. Dezember Stellen enthalten sind, die darauf hindeuten.
({29})
Ich will auch nicht den Wortlaut dementieren. Es geht eben auch viel Konfuses in die Welt,
({30})
was man berichtigen muß. Es gibt ja Gott sei Dank dieses Schicksal nicht nur bei mir, sondern auch bei anderen.
({31})
Ich habe mich besonders gefreut, als sich der Herr
Freitag kürzlich dagegen verwahren mußte, daß
man ihm vorwarf, er habe erklärt: „Wir, die Gewerkschaften, sind der Staat." Ich weiß genau, daß
er das nicht gesagt hat, sondern er hat, als er in
München vom Staat sprach - Wönner ist wohl
Zeuge - und ihm entgegengerufen wurde „Wer ist
schon dieser Staat?", in - das müssen wir doch anerkennen - sehr verantwortungsbewußter, demokratischer Weise erklärt: „Der Staat sind wir; wir
alle müssen den Staat tragen." Er mußte sich dann
zur Wehr setzen, weil man ihm unterstellte, er
habe den Staat für sich, für die Gewerkschaften,
in Anspruch genommen. Sie sehen, nicht nur ich
habe Künstlerpech, sondern auch manche andere.
({32})
Ich muß Ihnen den Vorgang bei der Besprechung am 9. Dezember bei dem Herrn Bundespräsidenten darstellen, um einen solchen Irrtum auszuräumen. Das Gespräch fand so statt, daß der Herr Bundeskanzler die Meinung des Kabinetts vortrug; ich hatte mit dem Herrn Bundeskanzler ausdrücklich vereinbart - Gründe spielen hier keine Rolle -, daß ich mich der Äußerung enthalte.
({33})
Ich war an der Unterredung zunächst nicht beteiligt. Der Herr Bundespräsident hat seine Entscheidung kundgetan - aus Gründen, die auch besonders bei ihm lagen, die_ übereinstimmten mit der Haltung des Kabinetts -, seinen Gutachtensauftrag zurückzuziehen. Erst als er das erklärt hatte, habe ich die Meinung vertreten, daß diese Haltung rechtsstaatlich richtig sei und daß sie auch den Kompetenzen und Pflichten des Herrn Bundespräsidenten, wie sie in seinem Eid niedergelegt seien, entsprachen.
({34})
Es ist nämlich so, daß die Rechte des Bundespräsidenten im Grundgesetz sehr dürftig erwähnt worden sind. Nur im Eid, an dessen Formulierung ich mich beteiligt habe, ist festgelegt, daß der Herr Bundespräsident vor allem verpflichtet ist, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes zu wahren und zu verteidigen. Mein Kollege Strauß hat schon im Jahre 1949 die Rechtsauffassung, die ich bei diesem Gespräch vertreten habe, gehabt, daß nämlich der Herr Bundespräsident wirklich ein ruhender Pol in der Verfassung ist, so, wie schon Hugo Preuß 1919 den Reichspräsidenten gesehen hat, und daß er der institutionelle Hüter der Verfassung ist. Diese Rechtsauffassung habe ich lediglich zur Deckung der Entscheidung dies Herrn Bundespräsidenten wiedergegeben.
({35})
Also, meine Damen und Herren, ich habe keinen Grund, meine Entscheidungen sachlich zu korrigieren.
({36})
Es ist nicht wahr, was mir Herr Professor Gülich unterstellt hat, daß es mir darum gegangen sei, das Bundesverfassungsgericht, dessen Schutz mir besonders anliegt, herabzusetzen. Wer nicht erkennt, daß es hier um eine echte Auseinandersetzung geht, daß es darum geht, wirklich den rechten Weg zu finden, und daß wir alle die Verpflichtung haben, dem Bundesverfassungsgericht dabei zu helfen, der versteht nicht, was mich bestimmt hat, was mich bewegt hat.
({37})
({38})
- Ach, der rechte Weg ist ,der Weg des Rechtes, und was ich daran getan habe, daraus kann mir niemand einen Vorwurf machen.
Meine Damen und Herren, wir wissen doch alle, wie bedeutsam diese Dinge geworden sind. Ich möchte hoffen, daß wir nicht genötigt sind, das, was ein anderer Präsident vor fast hundert Jahren gesagt hat, eines Tages auch wehklagend zu äußern. Es war Lincoln,
({39})
der amerikanische Präsident. Der hat damals gegenüber einer Entscheidung des Supreme Court erklärt - und das gilt, glaube ich, auch für die augenblickliche Lage -: Wenn die Politik der Regierung - man kann sagen: wenn die Politik des Parlaments - über Lebensfragen des ganzen Volkes unwiderruflich durch Entscheidungen des obersten Gerichts festgelegt wird, so hat das Volk aufgehört, sein eigener Herr zu sein.
({40})
Meine Damen und Herren, bevor ich in die Aussprache eintrete, bin ich genötigt, einen Vorfall zu klären. Nach dem Protokoll, Herr Abgeordneter Dr. Arndt, haben Sie dem Herrn Bundesjustizminister zugerufen: „Sie sind ein Verleumder!"
({0}) Stimmt das? Ich habe es überhört.
({1})
- Das widerspricht der parlamentarischen Ordnung. Ich rufe Sie zur Ordnung.
Wird das Wort gewünscht? ({2})
Ich stelle fest, daß das Wort nicht gewünscht wird.
({3})
- Herr Abgeordneter Dr. Gülich, im Rahmen der vereinbarten Redezeit von 60 Minuten!
({4})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Männer haben mir eben wirklich leid getan: der Herr Bundesjustizminister und der arme Herr Bundeskanzler,
({0})
der einzige Politiker in diesem Saale.
({1})
Ich stelle anheim, ob der Herr Bundeskanzler die Rede des Herrn Bundesjustizministers als „Nullum" oder als „Nihil" bezeichnen will.
({2})
Gewiß, ich habe den Herrn Bundesjustizminister angeklagt; aber ich habe nur auf Mißbilligung und auf freiwilligen Rücktritt plädiert. Ich hatte nicht erwartet, daß er sich mit seiner Rede nun selber hinrichten würde.
({3})
Es scheint mir eine vorzügliche parlamentarische Einrichtung zu sein, daß solche Reden gedruckt werden und daß man sie nachlesen kann.
({4})
Der Herr Bundesjustizminister bezweifelt, daß ich mir die Mühe gemacht habe, die Rechtsprechung von Karlsruhe zu verfolgen. Ich will Ihnen sagen, daß ich mich, nachdem mich meine Fraktion im Dezember zu den Gutachtenverhandlungen als Bevollmächtigten nach Karlsruhe geschickt hat, die Wochen vorher mich intensiv bemüht hatte, die bisherige Literatur über das Bundesverfassungsgericht und die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zu studieren.
({5})
- Im übrigen will ich weiterhin sagen, daß ich mir die Mühe gemacht habe, diese sorgfältig ausgesuchten - nicht von mir ausgesuchten - Zeitungsausschnitte mit Aufsätzen von Herrn Dr. Dehler und über Herrn Dr. Dehler zu studieren, um diesen Mißbilligungsantrag hier zu begründen.
({6})
Ich könnte Sie im Rahmen einer längeren Redezeit sehr gut bedienen. Auch die Aufsätze v o n Herrn Dr. Dehler sprechen g e g en ihn.
({7})
Herr Dr. Dehler meint, ich hätte vom Unglück des Redners keine Ahnung, und er meint, daß die Reporter immer wieder die Dinge falsch darstellten. Ja, warum hat denn nun ausgerechnet der Herr Bundesjustizminister immer das Pech, daß seine Dinge anders dargestellt werden?
({8})
- Das passiert auch anderen, während wir aber doch andere Minister haben, die sich über die Presse in dieser Richtung nicht zu beklagen brauchen.
Herr Dr. Dehler sagte, er sei Landesparteivorsitzender und habe das Recht, sich politisch zu äußern. Nun, ich hatte dazu ja den Altmeister Ferdinand Tönnies zitiert, der den Parteiführer als weise bezeichnet, der in seinem Amt über die Parteileidenschaft hinauswächst. Aber ich will ein Weiteres tun; ich will den Herrn Bundesjustizminister an § 12 der Geschäftsordnung der Bundesregierung erinnern. Da heißt es:
Äußerungen eines Bundesministers, die in der Öffentlichkeit erfolgen oder für die Offentlichkeit bestimmt sind, müssen mit den vom Bundeskanzler gegebenen Richtlinien der Politik in Einklang stehen.
Der vor wenigen Wochen erschienene Kommentar von Lechner/ Hülshoff - beide Herren aus dem Bundesinnenministerium - schreibt dazu folgendes:
({9})
Diese Bestimmung verpflichtet die Bundesminister in ihrer gesamten politischen Tätigkeit, also auch als Bundestagsabgeordnete, auf die Richtlinien der Politik. Die Geschäftsordnung der Reichsregierung kannte eine derartige Vorschrift nicht.
Man sieht also, wenn die Geschäftsordnung der Bundesregierung über die Geschäftsordnung der Reichsregierung hinausgeht, daß das also einen Sinn haben muß, und zwar den, daß die Geschäftsordnung die einzelnen Minister in ihren Reden besonders verpflichtet.
Ich will nur noch zu einem Punkt der Rede, die der Herr Dr. Dehler gehalten hat, etwas sagen. Was Herr Dr. Arndt im Sommer als seine Rechtsauffassung über das Gutachten gesagt hat, ist heute in diesem Zusammenhang nicht mehr erheblich. Es handelt sich da um verschiedene Rechtsauffassungen.
({10})
Nachdem das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluß vom 9. Dezember verkündet hatte, haben wir alle selbstverständlich diesen Beschluß respektiert. Während der Korrespondent der ,.Tat" nach Zürich kabelte: „Es gibt noch Richter in Karlsruhe", brach in Bonn eine Panik aus.
Der Herr Bundesjustizminister hat - ich will Ihnen noch ein einziges Beispiel dazu sagen - nach den Erörterungen im Bundestag über die Partisanenvorgänge in Hessen am 23. Dezember - also nach seinen Auslassungen in Karlsruhe - folgendes an den Bund Deutscher Jugend in Frankfurt übermittelt:
Das Bekenntnis zum Recht und zum Rechtsstaat, das Sie ablegen trotz mancher bitterer Erfahrungen des letzten Jahres, ist für mich eine große Genugtuung.
({11})
Was unser höchstes Ziel sein muß, die Freiheit unseres Volkes und die Freiheit des einzelnen im Staate, läßt sich nur schaffen durch die Verbindlichkeit des Rechts zwischen den Völkern und in unserem Staate.
Ich werde mich immer freuen, Ihnen auf diesem Boden zu begegnen. Ihrer Arbeit im nächsten Jahre wünsche ich guten Erfolg.
Ihr sehr ergebener Dehler.
({12})
Dr. Dehler, dessen Ministerium das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht seinerzeit unter stärkster Beteiligung von Dr. Dehler entworfen hat, der seinen Aufbau und seinen Wahlmodus selbst gebilligt hat, hat sich durch die Art seiner Kritik und gerade auch durch das, was er heute wieder gesagt hat, an seiner eigenen Schöpfung doch recht unglaubwürdig gemacht.
Ich habe keinen Versuch gemacht - auf diese Feststellung lege ich Wert -, Herrn Dr. Dehler zu diffamieren, ihm menschlich irgendwie zu nahe zu treten. Es kann keiner von Ihnen behaupten, daß ich das getan hätte. Erstens tue ich das wirklich nie, weil es ganz einfach meiner christlichen und ethischen Haltung widerspricht, und zweitens bin ich auch nicht beschränkt genug, das zu tun. Ich I sage lieber ein bißchen weniger, damit die anderen Herren, die da sitzen - und es sitzen ja einige hier, denen in ihrer Haut gar nicht sehr wohl ist -,
({13})
sagen können: Er sagt ja noch nicht mal alles, was er weiß; wir jedenfalls wissen noch mehr. Das ist eine bessere Situation, als wenn ich Sie durch das, was ich sage, herausforderte, mir nachzuweisen, daß ich irgendwo übertrieben hätte. Ich habe nichts falsch dargestellt; ich habe nichts übertrieben.
Ich bin der Meinung, daß es in dem bevorstehenden Wahlkampf gut wäre, wenn über die Institution des Bundesjustizministeriums überhaupt nicht gesprochen zu werden brauchte. Ich bin der Meinung
({14})
- i c h bin der Meinung -, daß wir uns auseinandersetzen müssen mit der Außen- und Innenpolitik des Herrn Bundeskanzlers, mit der Finanzpolitik des Herrn Schäffer, mit der Wirtschaftspolitik des Herrn Erhard usw. Aber ich bin wirklich davon überzeugt, daß wir im Gedanken an die Empfindlichkeit unserer ganzen Situation und die Empfindlichkeit des neuen Rechtsgefühls nach einer so langen Zeit der Rechtsunsicherheit alles tun sollten, um nicht Institutionen des Rechts in den Wahlkampf zu ziehen.
({15})
Deswegen bin ich der Meinung, daß das Problem des Bundesjustizministers vorher gelöst sein muß. Wenn Sie es nicht vorher lösen, werden Sie es, meine Damen und Herren von der Koalition, hinterher, glaube ich, bereuen.
({16})
Herr Dr. Dehler - er hat das ja auch heute wieder bewiesen - hat so wenig Takt und so wenig Sinn für Maß und Wert bewiesen, daß ich, obgleich ich ihm menschlich nichts nachsage, der Überzeugung bin, daß er für ein solches Amt nicht qualifiziert ist.
({17})
Ich bin der Meinung, daß man über diese Situation gar nicht diskutieren kann, weil sie indiskutabel ist.
({18})
Herr Dr. Dehler hat zum Schluß ein Zitat von Abraham Lincoln gebracht. Ich will ihm gerne mit einem Zitat von Abraham Lincoln antworten:
You can fool all of people some of the time and some of the people all of the time but not all of the people all of the time
- zu deutsch Sie können zum Narren halten das ganze Volk
für einige Zeit, einen Teil des Volkes für alle
Zeit, aber nicht das ganze Volk für alle Zeit.
({19})
Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen meiner politischen Freunde möchte ich ein paar kurze Bemerkungen machen,
({0})
die unsere Haltung zu ,den beiden vorliegenden Anträgen motivieren sollen. Ich möchte nicht in die Einzelheiten einsteigen.
({1})
Die beiden Anträge haben den Herrn Justizminister gezwungen, seine Auffassung zu dem Problem der Verfassungsgerichtsbarkeit in voller Breite darzulegen. Gerade die heutige Verhandlung hat gezeigt, daß diejenigen recht gehabt haben, die damals im Rechtsausschuß Mißbilligungsanträgen gegenüber grundsätzlich skeptisch waren. Es kann im Laufe einer solchen Debatte das Riesenproblem gar nicht ausgehandelt werden. So einfach, wie es sich manche denken, liegt es ja denn doch nicht.
Das Problem der Verfassungsgerichtsbarkeit in einem werdenden Rechtsstaat, wie wir es sind, ist außerordentlich schwierig. Insbesondere wird uns alle - Sie wie uns - die Frage der Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit noch auf lange Zeit hinaus sehr beschäftigen. Ich stimme Ihnen, Herr Professor Gülich, darin vollkommen zu, daß wir uns alle gemeinsam bemühen müßten, diesen Rechtsstaat zu schützen und sein Werden und Wachsen in unserem Vaterlande zu hegen und zu pflegen. Böse oder ungeschickte Zungen gibt es in allen Lagern, und wir können nur bescheiden und demütig sagen: „Wir sind allzumal Sünder in diesen Dingen."
Kritische Stellungnahmen gegenüber Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind nicht nur erlaubt, sondern im Werden und Wachsen dieses Rechtsstaates notwendig. Sie sagten vorhin, Herr Professor Gülich, daß Ihre Fraktion den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, den sie vorher bekämpft hat, nachher respektiert habe. Gewiß, aber Sie haben ihn auch kritisch bewertet, und das war Ihr gutes Recht.
({2})
- Auch den Beschluß selbst und seine Begründung.
({3})
- Doch! Ich glaube, die juristischen Experten Ihrer Fraktion werden mir darin zustimmen. Wir kommen gar nicht darum herum, zu solchen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Stellung zu nehmen, wenn wir nicht die ganze Entwicklung einfach kritiklos den Richtern in Karlsruhe überlassen wollen. Etwas ganz anderes ist es natürlich, daß wir einen ergangenen Beschluß trotz unserer Kritik respektieren und sagen: Es ist ein Faktum geschaffen, „Roma locuta". Auch wenn wir die Entscheidung für falsch halten und für die Zukunft fordern, daß das Bundesverfassungsgericht seine Stellungnahme noch einmal überprüft.
Es wäre also in diesem Zusammenhang, da nun einmal das ganze Problem angesprochen worden ist, außerordentlich viel zu sagen. Ich bedauere, daß das nicht möglich ist. Man kann es dem Hause einfach nicht zumuten. Es ist hier nicht der Ort, um alle diese Probleme aufzureißen, und wir müßten tagelang darüber diskutieren.
({4})
- Gut, ich werde dazu etwas sagen, Herr Professor Gülich! - Der Herr Justizminister hat seine kritisierten Äußerungen heute erklärt. Man mag nun zu der Form dieser Ausführungen stehen, wie
man will. Ich will mich dazu auch weder negativ noch positiv äußern.
({5})
- Ich sage, ich will mich dazu nicht negativ und nicht positiv äußern. Der Herr Bundesjustizminister hat ja eben in eigener Sache gesprochen und das Nötige dazu gesagt.
({6})
Ich finde, eines wäre viel wichtiger - und das ist mir nun wirklich ein ernstes Anliegen, und diejenigen aus dem Rechtsausschuß, .die mit mir damals gemeinsam in gutem und einträchtigem Willen an dem Gesetz gearbeitet haben, sollten mir in diesem Bemühen zustimmen -: Bei aller Problematik, die vor uns steht, bei aller Schwierigkeit dieses Problems der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit, der Kunst und der Methode der Verfassungsauslegung, sollten wir uns in dem Bemühen einig sein - in welchem Lager wir auch immer stehen und wie wir zu den erwarteten oder zu den gefällten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts stehen mögen -, zwar uns unsere kritische Stellungnahme dazu nicht unterbinden zu lassen, aber auf der andern Seite alles zu tun, um sowohl der Autorität dieses höchsten Gerichts zu dienen als auch durch unsere kritische Stellungnahme ihm bei seiner zukünftigen Rechtsfindung zu helfen und, was außerordentlich wichtig ist, dem Wunsche, den eine deutsche Zeitung im Zuzammenhang mit dieser Debatte ausgesprochen hat, nachzukommen: die Atmosphäre rund um Karlsruhe, die durch vielerlei Vorgänge und vielerlei Äußerungen aus mehreren Lagern nicht gerade sehr gesund geworden ist, zu entgiften. Wenn wir den Anlaß dieser Debatte dazu benutzen, gemeinsam in der Zukunft - alle zusammen ({7})
- ich blicke nach allen Richtungen, Herr Kollege Greve! ({8})
diese Atmosphäre zu bessern, dann werden wir der Sache des Rechtsstaates einen guten Dienst geleistet haben.
({9})
Nun etwas zum Verfahren! Wir haben damals im Rechtsausschuß ja lange darüber diskutiert, ob solche Mißbilligungsanträge zulässig und ob sie zweckmäßig seien. Gerade der Verlauf der heutigen Debatte hat, glaube ich, gezeigt, daß die Skeptiker von damals recht bekommen haben.
({10})
- Ich habe die ganze Debatte heute nachmittag, Herr Arndt, für sehr unzweckmäßig gehalten, auch im Interesse des Ansehens des Bundesverfassungsgerichts! ({11})
Ich habe im Rechtsausschuß darauf aufmerksam gemacht, es werde sehr schwierig sein, die Grenzen zu ziehen zwischen einem Mißbilligungsantrag und einem nach unserer Verfassung nicht vorge({12})
sehenen und daher auch unzulässigen Mißtrauensantrag gegen einen Minister.
({13})
Was Herr Kollege Gülich heute vorgetragen hat, war nichts anderes als ein Mißtrauensantrag, denn er hat immer wieder wiederholt: dieser Minister sei untragbar, er sei seinem Amte nicht gewachsen, und er hat den Rücktritt des Ministers gefordert. Gerade das haben wir damals nicht für zulässig gehalten, nachdem wir uns dazu entschlossen hatten zu sagen: es mag zwar ein Mißbilligungsantrag zu einer ganz konkreten Maßnahme allenfalls zulässig sein, keinesfalls aber ein Mißtrauensvotum, das in die Form eines solchen Antrags gekleidet ist.
({14})
Nun, Sie haben ja Gelegenheit gehabt, Ihre Kritik hier vorzubringen. Wir sind nach wie vor der Meinung, daß ein Mißtrauensantrag, der in die Form eines konkreten Mißbilligungsantrags gekleidet ist, verfassungsrechtlich nicht zulässig ist.
({15})
- Herr Kollege Greve, Sie haben ein starkes divinatorisches Vermögen. Ich glaube aber, daß es Sie in diesem Fall etwas zu weit getragen hat! - Ich wollte sehr einfach sagen: Wir halten es nicht für zulässig, einen solchen Antrag zu stellen, und werden ihm daher nicht zustimmen.
({16})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Fisch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe leider nur ein paar Minuten Zeit,
({0})
auf die eigenartige Rede des Herrn Bundesjustizministers einzugehen. Wir werden den vorliegenden Anträgen unsere Zustimmung geben. Es ist natürlich eine Ungeheuerlichkeit, wenn ein amtierender Minister den Beschluß des höchsten Gerichts der Bundesrepublik einfach als Luft bezeichnet, als nicht existierend bezeichnet, es ist ein starkes Stück, wenn der gleiche Minister dieses höchste Gericht des Rechtsbruchs bezichtigt für ein Verhalten, das sein eigener Staatssekretär noch ein paar Monate zuvor als die rechtlich einzig denkbare Lösung bezeichnet hat, und es ist auch ein starkes Stück, heute so zu tun, als ob gar nichts geschehen wäre.
Aber ich glaube, meine Damen und Herren, es geht gar nicht um Worte, die da gesprochen oder telegrafiert oder geschrieben worden sind; es geht nicht um Worte, und es geht auch nicht um eine theoretische Debatte über die Möglichkeiten oder die Notwendigkeiten der Funktionen des Bundesverfassungsgerichts ganz allgemeiner Art, sondern es geht hier um bestimmte Fakten, die sich zugetragen haben im Zusammenhang mit dem Spiel um die beabsichtigte Ratifizierung der Kriegsverträge.
({1})
Der Herr Justizminister hat nun einmal das Pech,
daß er der undiplomatischste unter den Ministern
des Bundeskanzlers ist. Dabei passiert es ihm sehr oft, daß er allzu hemmungslos herausredet, was die anderen und was insbesondere sein Chef nur im engsten Kreis debattiert haben möchten. Das ist vielleicht sein Künstlerpech, von dem er gesprochen hat. Darum also sollte man sich nicht weiter bei seinen künstlerischen Entgleisungen aufhalten, sondern die zentrale Figur des Spiels herausstellen; und die sitzt hier am ersten Platz in dieser Reihe.
({2})
Der Herr Bundeskanzler ist es, der das Bundesverfassungsgericht in seine politische Strategie eingeplant hat
({3})
wie eine Befehlsempfängerstelle, wie ein Büro irgendeines Oberregierungsrats. Er, der Herr Bundeskanzler, ist es, der das höchste gerichtliche Organ der Bundesrepublik zu gebrauchen oder zu mißbrauchen gedenkt je nach den jeweiligen Zweckmäßigkeiten seiner Politik, die er für geeignet hält, dem amerikanischen Diktat zum Durchbruch zu verhelfen, das da verlangt, daß die Verträge gegen das Volk durchgesetzt werden. Seine, des Herrn Bundeskanzlers Initiative ist es, das Bundesverfassungsgericht den parteilichen Zielsetzungen, die er hegt, zu unterstellen.
Meine Damen und Herren, je nachdem, was gerade der Bundesregierung zu nützen scheint, erklärt man die Stellung des Bundesverfassungsgerichts als unerheblich oder als erheblich, ruft man dieses Gericht an oder schaltet es aus. Je nachdem, was dem Herrn Bundeskanzler als politisch zweckmäßig erscheint, engagiert man je nach der politischen Zusammensetzung des jeweiligen Senats des Bundesverfassungsgerichts mal den ersten, mal den zweiten, mal das Plenum. Einmal bezeichnet man das Bundesverfassungsgericht als eine unanfechtbare und über den Parteien schwebende höchste Instanz der Bundesrepublik, dann wieder macht man es so wie der Herr Bundesjustizminister und bezeichnet es, wenn es so herum besser paßt, als einen bösartigen Verein zänkischer Juristen, der heute dem sozialistischen Gift verfällt und morgen zu jedem Rechtsbruch bereit ist. Sehen Sie, meine Damen und Herren, dieses Adenauersche Spiel der Kniffe und der taktischen Drehs, in das das Bundesverfassungsgericht einbezogen ist, das gehört hier auf die Anklagebank und nicht die mehr oder weniger tölpelhaften Entgleisungen eines Ministers.
({4})
Herr Abgeordneter, ich rufe Sie wegen dieser Kennzeichnung, die unparlamentarisch ist, zur Ordnung.
An diesem unwürdigen Spiel offenbart sich doch die Krise des ganzen Staates, offenbart sich die krisenhafte Situation des ganzen Bonner Regimes, in die es geraten ist angesichts des Druckes fremder Mächte, die die vom Volke gehaßten Verträge um jeden Preis durchzusetzen bestrebt sind.
Wir mißbilligen gleichfalls das Verhalten des Herrn Ministers. Wir erklären aber, daß es bei einer solchen Mißbilligung nicht bleiben kann. Wir sagen, daß das ganze Regime, das solche Minister braucht, vor aller Öffentlichkeit seine Unwürdigkeit erwiesen hat. Es hat erwiesen, wie wahr der
({0})
alte Satz ist, den die deutsche Arbeiterbewegung vor hundert Jahren schon verkündet hat, daß in diesem Staate Machtfragen vor Rechtsfragen gehen und daß Verfassungsfragen Machtfragen sind.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir und meinen politischen Freunden ist es ein Bedürfnis, zum Ausdruck zu bringen, daß wir die Sachlichkeit der Darlegungen von Herrn Professor Gülich zu würdigen wissen. Allerdings meinen wir, gerade die Sachlichkeit dieser Ausführungen hat auch klar werden lassen, daß nicht nur das Rücktrittsverlangen, sondern auch das Mißbilligungsverlangen, das die SPD erhoben hat, nicht fundiert ist. Der Herr Bundesjustizminister hat, wie ich glaube sagen zu dürfen. auf eine doch für das ganze Haus überzeugende Weise dargetan, wie sehr er erfüllt ist von dem Ringen um eine richtige Entwicklung des Rechtsstaates in diesen schweren Jahren des ersten Beginns.
Es kann wohl von keiner Seite bestritten werden, daß durch die außerordentliche Initiativfreudigkeit des Bundesverfassungsgerichts, durch seine außerordentliche Bereitschaft, neues Recht zu setzen. Lücken der Gesetze auszufüllen, gerade das große Problem in Sicht gekommen ist, das uns alle bewegen muß: aus dem Willen zur ergänzenden Setzung neuen Rechts tritt nämlich die Gefahr hervor, das Bundesverfassungsgericht möge sich in einem mit seiner Funktion nicht zu vereinbarenden Maße gesetzgeberische Funktionen aneignen, die ihm einfach nicht zustehen. Aus einer solchen Entwicklung entsteht dann die außerordentliche Gefahr, die man objektiv sehen muß. daß sich die Verteilung zwischen den drei Gewalten - der gesetzgeberischen, der exekutiven und der richterlichen - auf eine Weise verschiebt. daß das vom Verfassungsgeber angestrebte Gleichgewicht gestört wird. Auch eine Omnipotenz der richterlichen Gewalt des Bundesverfassungsgerichts kann in einem Rechtsstaate nicht zweckdienlich sein. Die Omnipotenz des Bundesverfassungsgerichts über die bejden anderen Gewalten kann nicht im Sinne des Rechtsstaates liegen. Die richterliche Gewalt ist eine der drei Gewalten, steht neben den beiden anderen, nicht aber über ihnen.
Dem Herrn Bundesjustizminister ging es darum, an Hand der letzten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts klarzumachen. daß wir über eine allzu unbedenkliche Bereitschaft des Bundesverfassungsgerichts zum Rechtsetzen in eine für den Rechtsstaat sehr bedenkliche Entwicklung hineinkommen können. Und ich glaube, daß dieser Gesichtspunkt die von dem Herrn Bundesjustizminister geübte Kritik verständlich macht.
({0})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der sogenannte Mißbilligungsantrag hat sich - nach den Darlegungen auch meines Kollegen Kiesinger - im Laufe der Begründung zu einem Mißtrauensantrag entwickelt, der nach der Verfassung unzulässig ist.
({0})
Um dieser Praxis zu steuern, beantrage ich, das Haus möge beschließen, diesen Antrag als unzulässig abzulehnen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich muß erklären, daß ich in Verlegenheit bin: die Geschäftsordnung sieht so etwas wie „Ablehnung wegen Unzulässigkeit" nicht vor. Es wird über die Anträge, so wie sie sind, mit Ja oder Nein abgestimmt. Man kann sie ablehnen; Motive für die Ablehnung zu geben, ist in der Geschäftsordnung nicht vorgesehen.
Ich lasse abstimmen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, der Auffassung, die der Herr Präsident geäußert hat, widersprechen zu müssen. Sicher zulässig ist ein Antrag, in dem verlangt wird, der Bundestag möge beschließen, daß die soundso Anträge unzulässig sind. Einen solchen Antrag halte ich für zulässig und bitte, ihn in der Form, wie er von Herrn von Merkatz gestellt worden ist, anzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Mellies.
Meine Damen und Herren! Selbstverständlich besteht kein Zweifel darüber, daß ein solcher Antrag hier im Bundestag eingebracht werden kann. Aber dann darf das Haus den Antrag schon nicht auf die Tagesordnung setzen, dann müssen Sie mit einem solchen Antrage früher kommen. Wenn der Antrag auf der Tagesordnung gestanden hat und wenn über ihn verhandelt worden ist, dann ist es ganz selbstverständlich, daß er auch zur Abstimmung kommen muß; sonst hätten Sie Ihre Bedenken vorher bringen müssen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Ewers.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag, wie er formal eingebracht war, ist nach dem immerhin dubiosen Beschluß des Rechtsausschusses als zulässig anzusehen gewesen. Er wird erst durch die Begründung des Professors Gülich unzulässig. Nun gebe ich zu, Unzulässigkeit ist ein Rechtsausspruch. Die Geschäftsordnung sieht im Falle eines unzulässigen Themas Übergang zur Tagesordnung vor. Ich empfehle, das Haus möge zunächst über den Antrag abstimmen, über die Anträge zur Tagesordnung überzugehen.
({0})
Zur Geschäftsordnung der Herr Abgeordnete Gülich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß den Herren, die gesprochen haben, nicht sehr wohl in ihrer Haut ist.
({0})
Aber es handelte sich bei unserem Vorbringen um
einen formellen, offiziellen Mißbilligungsantrag.
({1})
Das Wort „Mißtrauensantrag" ist nicht gefallen. Die Anträge, die zur Abstimmung stehen, liegen Ihnen in den beiden Drucksachen vor. Über diese Anträge muß abgestimmt werden, nicht über die Begründung. Selbst wenn Sie der Meinung wären, ich sei in der Begründung etwas zu weit gegangen
- ich bin es nicht, Sie können es nachher ja nachlesen -, kommen Sie nicht darum herum, über die gedruckt vorliegenden Anträge abzustimmen. Mit der Interpretation, daß es nur formell ein Mißbilligungsantrag, faktisch aber ein Mißtrauensantrag sei, der in der Geschäftsordnung nicht vorgesehen sei, können Sie nicht über die wirkliche Lage hinwegtäuschen. Es muß also über diese beiden vorliegenden Anträge abgestimmt werden.
Es ist der Antrag auf Übergang zur Tagesordnung gestellt. Nach § 29 der Geschäftsordnung kann dieser Antrag jederzeit bis zur Abstimmung gestellt werden. Wir waren schon in der Abstimmung.
Ich lasse abstimmen, zunächst über den Antrag
({0})
- Ich hatte gesagt: „Wir stimmen ab"; darauf wurde das Wort zur Geschäftsordnung erbeten. Dazu habe ich das Wort gegeben.
({1})
Wir stimmen ab über den Antrag Drucksache Nr. 3897. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. ({2})
- Ich hatte schon gesagt: „Wir stimmen ab". Darauf wurde das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht und von mir erteilt.
({3})
- Meine Herren, Sie können doch nicht mit dem amtierenden Präsidenten diskutieren!
({4})
Wer für die Annahme des Antrags Drucksache Nr. 3897 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Letzteres ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wer für die Annahme des Antrags Drucksache Nr. 3974 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben.
- Gegenprobe! - Dieselbe Mehrheit; abgelehnt!
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 3 a, b und c der gedruckten Tagesordnung auf:
'a) Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften und zur Sicherung der Haushaltsführung ({5});
b) Erste Beratung der Ergänzungsvorlage der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1953 ({6});
c) Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Finanzausgleich unter den Ländern in den Rechnungsjahren 1953 und 1954 ({7}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, eine Gesamtaussprachezeit von 180 Minuten zu vereinbaren.
Zur Begründung hat der Herr Bundesminister der Finanzen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns nunmehr mit einem Thema zu beschäftigen, das außerhalb der politischen Diskussion, aber sicher im Mittelpunkt des Arbeitsgebietes des Deutschen Bundestags liegt, nämlich mit dem Gesetzentwurf zur Änderung von Steuergesetzen und zur Sicherung der Haushaltsführung.
Ich darf zunächst darauf verweisen, daß ich bereits in meiner Rede aus Anlaß der Vorlage des neuen Haushaltsplans 1953/54 die wesentlichen Grundzüge des Gesetzentwurfs und die Bedenken, die gegen, sowie die Gründe, die für den Gesetzentwurf sprechen, vorgetragen habe. Ich kann mich infolgedessen unter Bezugnahme auf die seinerzeitigen Ausführungen heute kurz fassen.
Ich darf den Gedankengang in aller Kürze wiederholen. Ich habe darauf hingewiesen, daß hinsichtlich des Zeitmoments ein Bedenken erhoben werden könne, weil dieses Steuergesetz wenige Monate vor den Wahlen vorgelegt werden muß, also in einer Zeit, in der die sachliche Beratung unter der psychologischen Wahlstimmung vielleicht leiden kann. Ob diese Befürchtung eintritt, wird sich im Laufe der nächsten Wochen zeigen. Wir haben gewisse Erscheinungen in der Presse. Aber ich glaube, daß das Hohe Haus seinen Ruf bewähren und eine sachliche Arbeit leisten wird.
.Ich habe zweitens darauf hingewiesen, daß man vom Standpunkt der Außenpolitik Bedenken erheben könne. Daß diese Befürchtung nicht ganz unbegründet war, haben mir die in der Zwischenzeit eingetretenen Geschehnisse bewiesen. Ich möchte aber hier feststellen, daß es sich nie um irgendeinen Einspruch oder eine Beschwerde oder Erinnerung, oder wie man das heißen will, gegen den Gesetzentwurf als solchen gehandelt hat. Es wurde vielmehr dem Wunsche Ausdruck gegeben, daß die Bundesrepublik in der Lage ist, ihre finanziellen Verpflichtungen aus dem Besatzungsstatut - heute: Besatzungskosten - und nach etwaigem Zustandekommen des EVG -Vertrags ihre sich daraus ergebenden Verpflichtungen erfüllen zu können. Ich habe in meiner Rede schon darauf hingewiesen - das dürfte wohl das Argument sein, das überzeugen muß -, daß die deutsche Bundesregierung ihre Verpflichtungserklärung zahlenmäßig im Haushaltsplan 1953/54 schon in einer Zeit ausgesprochen hat, in der von der Einkommensteuerreform noch nicht gesprochen wurde, auf Grund der Gesetzgebung, die bis heute noch besteht.
Meine stärksten Bedenken sind haushaltswirtschaftlicher Art. In dem Gesetzentwurf und seiner Begründung liegen Ihnen die Zahlen vor, von denen das Bundesfinanzministerium und die Bundesregierung ausgehen. Wir schätzen den Steuerausfall an Einkommensteuer und an Körperschaftsteuer auf 950 Millionen DM. Auf der anderen Seite müssen wir berücksichtigen, daß gewisse Haushaltsverbesserungen eintreten, einmal auf dem Gebiete der Umsatzsteuer und auf dem Gebiete der Verbrauchssteuern. Dann ergeben sich gewisse Verbesserungen automatisch dadurch, daß sich die Verwaltungsentschädigung an die Länder nach der Höhe des Aufkommens der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer richtet. Es bleibt
({0})
' ein Gesamtrisiko von rund 750 Millionen DM, von denen etwa 718 Millionen DM auf den Bund entfallen.
Infolgedessen war es notwendig, ein Ergänzungsgesetz für den Haushalt vorzulegen. Aus diesem Ergänzungsgesetz ersehen Sie entsprechend dem Grundgedanken des ganzen Gesetzentwurfs, daß es notwendig sein wird, in diesem Jahr eine Kreditoperation im Betrage von etwa 750 Millionen DM vorzunehmen. Andererseits sehen Sie aus dem Gesetzentwurf, wie die Abdeckung dieses Kredits gedacht ist. Die Abdeckung dieses Kredits ist in erster Linie dadurch gedacht, daß aus dem mit Bestimmtheit zu erwartenden Mehraufkommen der nächsten Jahre ein bestimmter Anteil durch die Erhöhung des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer dem Bund wieder zugeführt werden soll. Wir haben uns in der Zwischenzeit mit dem offiziellen Organ der Bank deutscher Länder, dem Zentralbankrat, ins Benehmen gesetzt. Zuerst haben wir daran gedacht, diese Kreditoperation äußerlich in die Form zu kleiden, daß der Kreditplafond, der dem Bundesfinanzminister und der Bundesregierung in dem Gesetz gesichert ist, erhöht wird. Aus allgemeinen Gründen, die in der Psychologie des deutschen Sparers liegen, haben wir uns im Benehmen mit der Bank deutscher Länder entschlossen, einen andern Weg zu gehen. Die Bank deutscher Länder hat erklärt, daß neben dem jetzt geltenden Kreditplafond, neben den jetzt bereits in Umlauf befindlichen Schatzwechseln und Schatzscheinen des Bundes der notwendige Betrag in Höhe von etwa 800 Millionen DM mit Sicherheit im nächsten Jahr auf dem Geld- und Kapitalmarkt untergebracht werden kann. Ich muß aber das Hohe Haus darauf aufmerksam machen, daß, wenn deshalb die Erhöhung des Kreditplafonds unnötig geworden ist, in der Erklärung der Bank deutscher Länder auch der Hinweis liegt, daß die deutsche Bundesregierung und der Deutsche Bundestag im nächsten Jahr mit einer Erweiterung des Kredites, also mit einer Unterbringung von Schatzscheinen im Betrage von mehr als 800 Millionen DM nicht rechnen können. Damit ist die Grenze der Möglichkeiten gezogen. Wir müssen bei der Betrachtung der weiteren Maßnahmen von dieser Größenordnung und dieser Grenzziehung ausgehen.
Ich darf nun nach diesen Bemerkungen noch ein Wort über Gründe und Ziel des Gesetzentwurfs sagen. Ich habe seinerzeit ausgeführt, daß die deutsche Steuerlast, verglichen mit den Jahren 1914 und 1928, eine enorme Höhe erreicht hat und daß die Grenze des Möglichen und Erträglichen bereits erreicht ist. Ich möchte dabei immer auf das hinweisen, was bei der Betrachtung der Steuergesetze, aber auch bei den Klagen über die Steuergesetze sehr häufig übersehen wird: Die Schwierigkeiten, die sich in der Steuererhebung zeigen, in der Frage, ob die Steuerzahler auch liquide und leistungsfähig genug sind, die Steuerbeträge zu leisten, liegen nicht nur in den Steuern, sondern sie liegen in erster Linie in der Kumulierung von Steuern und Lasten. Wenn ich in den einzelnen Unternehmen die Frage der Lastenausgleichsabgabe, der Vermögensabgabe aufwerfe und sie mit den Steuern in Verbindung setze, ergibt sich meistens, daß die Härten im einzelnen Falle in erster Linie durch die Kumulierung von Steuerlast und Lastenausgleich auftreten.
Wir haben uns zum Ziel gesetzt, mit diesem Gesetzentwurf grundsätzlich den Weg des Abbaus der infolge der hohen Steuerlast notwendig gewordenen Steuervergünstigungen zu beschreiten. Ich habe ja schon darauf hingewiesen, daß dieses Gestrüpp von Steuervergünstigungen, das sowohl aus sozialpolitischen wie wirtschaftspolitischen Gründen erwachsen ist, unsere Steuergesetzgebung unübersichtlich und umständlich und damit auch die Verwaltung und die Erhebung der Steuern sehr umständlich und wenig wirksam macht und daß auf der andern Seite dadurch, daß wir verschiedene Kategorien von Steuerpflichtigen erhalten und die Ausnützung der Steuervergünstigungen von Fall zu Fall sehr verschieden sein kann, die Wirkung sehr verschieden ist, so daß unser Steuersystem mit dem Fortschreiten dieser Entwicklung mehr und mehr ungerecht und ungleichmäßig wird.
Um dieser Entwicklung nun entgegenzutreten und damit unser Steuersystem auf einen Weg der Gesundung zu führen, hat sich die Bundesregierung in erster Linie mit entschlossen, diesen Gesetzentwurf vorzulegen. Selbstverständlich kann das Ziel: Bereinigung des Steuersystems und Rodung des Gestrüpps der Steuervergünstigungen, wenn ich diesen Ausdruck gebrauchen darf, nur verfolgt werden, wenn ich die Ursachen der Steuervergünstigung, also die übertriebene Höhe der Steuerbelastung, im Rahmen des Möglichen gleichzeitig zu beseitigen suche. Deswegen ist die Tarifsenkung mit diesem Ziel unbedingt zu verbinden gewesen. Diese Tarifsenkung soll - und Sie werden sich inzwischen aus dem Gesetzentwurf überzeugt haben, daß das Möglichste geschehen ist - gleichmäßig geschehen, und sie soll außerdem dem Gedanken der Familie Rechnung tragen. Deswegen die Freigrenze, insbesondere die Erhöhung für die Familien, also hier die Frau, und Erhöhung der Kinderfreigrenze. Der Satz selbst beträgt durchschnittlich etwa 15 % Steuerermäßigung gegenüber früher.
Wir erhoffen uns daraus auch eine Steigerung der deutschen Wirtschaftskraft, wenn ich das als meine Überzeugung aussprechen darf. Wenn die Steuerleistungen bisher eingegangen sind, so vielleicht nur deshalb, weil wir bisher von Jahr zu Jahr eine Ausweitung der deutschen Wirtschaft, der deutschen Wirtschaftskraft gehabt haben. Nicht nur ein Sinken, eine Depression, sondern schon ein Stagnieren der deutschen Wirtschaftskraft würde wahrscheinlich zeigen, daß die Steuerschraube vielleicht schon überdreht ist. Um nun rechtzeitig einer solchen Gefahr und Entwicklung vorzubeugen, rechtzeitig nachzugeben und der Wirtschaft damit einen neuen Impuls zu geben, ist Ihnen der Gesetzentwurf vorgelegt worden.
Wir hoffen, daß dieser Gesetzentwurf auch die Steuermoral - nicht aus moralischen Gründen, sondern aus rein kaufmännischen Überlegungen, wenn ich so sagen darf - bessern wird. Denn die psychologische Grenze von 50 % Steuer und 50 % verbleibendem Gewinn, also die Grenze, wo der einzelne sagt: „Künstlich konstruierte Betriebsunkosten, die ich sonst als Kaufmann vermeiden würde, mache ich um gewisser Annehmlichkeiten willen, weil ja das Finanzamt den größeren Teil davon trägt", diese 50 %-Grenze wird jetzt nur bei verhältnismäßig sehr hohen Einkommen erreicht. Wenn ich die Gesamteinkommensgrenze nehme, dann erreiche ich die 50 %-Grenze bei einem Einkommen von jährlich über 100 000 DM, wenn ich die Spitzenbeträge nehme, bei 57 000 DM. Infolgedessen wird dieses psychologische Moment, der Ge({1})
danke, daß von den Unkosten künftig der größere Anteil vom Steuerzahler und der kleinere vom Finanzamt, vom Steuerfiskus, getragen wird, viel wirksamer sein und in einer größeren Zahl von Fällen gegeben sein als bisher.
({2})
Infolgedessen ist die Wirksamkeit hier eine hoffentlich bessere und der verbleibende Rest besser überwachbar.
Auf den Zwischenruf wegen der Körperschaften wollte ich später, wenn wir über den § 19 reden, zurückkommen. Die Dinge liegen praktisch so. Wir haben den Vorschlag, den ausgeschütteten Gewinn nicht mit 60 %, sondern nur mit 40 % Körperschaftsteuer zu belegen, in erster Linie aus volkswirtschaftlichen Gründen gemacht. Für den Aktienmarkt soll dadurch eine Belebung erreicht werden, daß der Aktionär auch mit einem Ertrag rechnen kann. Ich darf das Motiv gleich vorausnehmen. Im Jahre 1951 - wenn ich den Dezember 1951 als Termin für die Berechnung der Steuerkurse nehme - waren die Aktienkurse höher, als sie heute sind. Ich darf aber auch feststellen, daß dies das Jahr der Korea-Krise gewesen ist, das Jahr, in dem die Sparguthaben stark zurückgegangen sind, als die Abhebungen bei den Sparkassen in vielen Monaten größer gewesen sind als die Einzahlungen. Nachträglich, nachdem wir über den Bodensee geritten sind, können wir es ja sagen: Es war damals die Erscheinung einer Sachwertpsychose, und wenn es der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik gelungen ist, diese Sachwertpsychose zu überwinden, so können wir Gott dafür dankbar sein. Ich darf aber bei der Betrachtung der heutigen Lage des
Aktienmarktes nicht Vergleichsmonate aus der Zeit dieser Psychose heranziehen. Nachdem heute die Sachwertpsychose überwunden ist, legt sich der Aktionär und derjenige, der Aktionär werden soll, die Frage vor, ob er bei einer Anlage des Geldes in Dividendenpapieren mit demselben Ertrag rechnen kann wie bei einer Anlage in festverzinslichen Wertpapieren.
Die Frage des Ertrages spielt in Zeiten, in denen die Sachwertpsychose nicht besteht, auch beim Dividendenpapier wieder eine ausschlaggebende Rolle. Deshalb ist der Vorschlag gemacht worden, durch die Begünstigung des ausgeschütteten Gewinns für die Körperschaften einen Anreiz zu geben, auch wirklich Erträge auszuschütten, und damit das Interesse am Aktienmarkt wieder zu wecken. Würde nun ein Unternehmen etwa 50 % seines Gewinns ausschütten und hätte es damit die Begünstigung von 40 0/0, dann würde sich ja rechnerisch ergeben, daß die Gesamtkörperschaftsteuer - 60 von der einen Hälfte des Gewinns, 40 von der anderen Hälfte des Gewinns -- etwa auf 50 % käme. Der Sachkundige wird mir sagen: Die Ausschüttung von 50 % ist in den meisten Fällen schon unmöglich. Da zeigt sich dann das Moment Kumulierung, Steuersätze und Lastenausgleich. Das ist hier der entscheidende Gesichtspunkt. Aber ich glaube, daß niemand heute das Thema Lastenausgleich - Vermögensabgabe ernsthaft wird anschneiden wollen.
Ich darf nun zu der Frage Stellung nehmen, welche Aufnahme der Gesetzentwurf bisher in der Öffentlichkeit, insbesondere auch beim Bundesrat gefunden hat. Der Bundesrat hat dem Gesetzentwurf grundsätzlich zugestimmt. Er hat allerdings in seiner Erklärung, die einstimmig beschlossen worden ist, darauf verwiesen, daß er deshalb Bedenken erheben müsse, weil die obere Grenze des Finanzbedarfs der öffentlichen Hand - Bund und Länder zusammen - in Deutschland noch nicht erreicht sei. Er hat dabei auf die Frage der Erhöhung der Beamtenbesoldung und auf das finanziell sehr ernste Problem der Ostzonenflüchtlinge und der finanziellen Aufwendungen verwiesen, die zur Bewältigung dieses Problems notwendig sein werden.
Ich darf zum letzteren Thema bemerken: ich bin der Überzeugung, daß diese Frage der Ostzonenflüchtlinge und die Frage der finanziellen Aufwendungen zur Bewältigung dieses Problems aus deutscher Kraft allein vielleicht nicht gelöst werden kann. Seiner ganzen Natur nach ist dies ein Problem, das die gesamten freien Völker der Welt anruft und anspricht und bei dem die gesamten freien Völker der Welt eine moralische Verbindlichkeit hätten, hier zu helfen; denn es handelt sich um eine Erscheinung, die eine Art, sagen wir mal, Kriegserscheinung im Sinne des Nervenkrieges ist.
Was die Frage der Beamtenbesoldung betrifft, so habe ich ja schon erklärt, daß der Bundeshaushalt in sich eine gewisse Vorsorge getroffen hat, daß allerdings dieses Problem bei Bahn und Post, Ländern und Gemeinden sehr ernst auftritt. Aber letzten Endes ist die Entscheidung j a von den einzelnen selbst zu treffen. Es wird kein Zwang ausgeübt; es ist mehr ein Muster, dem sie folgen können oder nicht.
Was die zweite Frage betrifft, so hat der Bundesrat warnend darauf hingewiesen, daß mit dieser Steuerreform wohl für dieses Jahr geschehen ist, was geschehen kann, und daß weitere Steuersenkungen, insbesondere auf dem Gebiete der Verbrauchsteuern, daneben unmöglich erscheinen. Ich muß dem Bundesrat zustimmen. Ob der Satz, den er ausgesprochen hat, daß die Belastung der Verbraucher von Genußmitteln in der gegenwärtigen Lage durchaus gerechtfertigt und unvermeidbar ist, voll zu übernehmen ist, oder ob wir uns nicht auf das Wort „unvermeidbar" beschränken sollten, ist eine andere Frage, über die ich hier nicht debattieren will. Denn was unvermeidbar ist, muß jedenfalls getragen werden.
Der Bundesrat hat dann den Gedanken der Aufhebung und Einschränkung des Systems der Steuervergünstigungen begrüßt. Es ist selbstverständlich, daß die Länderfinanzminister, in deren Händen die Finanzverwaltung nun einmal liegt und die die ganzen Schmerzen der Finanzverwaltung, die sich aus diesem komplizierten System ergeben, und die die Überlastung der Finanzverwaltung nicht nur durch die Steuergesetzgebung, sondern - jetzt sehr stark fühlbar - auch durch die Gesetzgebung des Lastenausgleichs zu spüren bekommen, den dringenden Wunsch mit mir teilen, daß unsere Steuergesetzgebung wieder einfacher und gesünder wird. Sie haben dann einhellig, ohne Unterschied der Parteirichtung der einzelnen Landesregierungen, einen Wunsch wegen des Notenbankgesetzes ausgesprochen. Darüber werden wir uns an anderer Stelle und bei anderer Gelegenheit wohl einmal unterhalten.
An Einzelheiten ist zunächst festzustellen, daß auch der Bundesrat den Tarif als solchen nicht beanstandet hat, sondern in der Form, wie er vorgelegt worden ist, gebilligt und übernommen hat. Er hat nun zu den einzelnen Steuervergünstigungen Stellung genommen. Ich darf ganz kurz feststellen: eine Streitfrage entsteht bei der Bestimmung, die eingesetzt werden muß, um den Wegfall des § 9 a
({3})
und den Wegfall der Spesenverordnung nicht mißverstehen zu lassen. Es darf nicht so verstanden werden, als ob der § 9 a und die Spesenverordnung deswegen wegfallen sollen, weil man auf diesem Gebiet mehr Freiheit geben wolle als bisher und weil man den bisherigen Zustand etwa als gesund empfunden hätte. Es war nur die Frage, ob der mit der Spesenverordnung eingeschlagene Weg sich als wirksam erwiesen hat, und darüber kann man allerdings zweifelhaft sein.
Wir haben deswegen in den Gesetzentwurf die Bestimmung des § 4 Abs. 4 eingefügt, wonach die Möglichkeit gegeben sein soll, richterlich - darauf kommt es an - nachzuprüfen, ob die Betriebsunkosten auch im Sinne des Steuergesetzgebers wirklich Betriebsunkosten sind oder ob ihr Ansatz nicht als unangemessen und als offenbarer Mißbrauch zu betrachten ist. Ich möchte ausdrücklich feststellen, kein Mensch denkt daran, daß sich etwa der Steuerbetriebsprüfer anmaßen sollte, in die Betriebsführung des einzelnen Betriebes hineinzureden. Das ist eine Sache des Unternehmerrisikos und Unternehmerwagnisses. Aber wir wissen, wie fließend die Grenzen zwischen Betriebsunkosten und zwischen Ausgaben sind, die sich dem Begriff der Lebenshaltung des einzelnen Unternehmers, seiner Familienangehörigen, seiner Freunde und seiner leitenden Angestellten nähern.
Die Bestimmung des § 4 Abs. 4 soll also dazu dienen, den Mißbrauch, der bisher vielleicht gerade durch die Rechtsauffassung in bezug auf den Begriff „Betriebsausgaben" auf diesem Gebiet bestanden hat, zu bekämpfen. Eine ähnliche Bestimmung findet sich auch in industriell sehr entwickelten Ländern, in Ländern des vollständig freien Unternehmertums wie den Vereinigten Staaten, und sie hat sich dort bewährt, aber nicht deswegen, weil sie viel angewendet werden mußte, sondern weil sie in den einzelnen Fällen offenbaren Mißbrauchs, in denen sie angewandt wurde, der Rechtsprechung die Möglichkeit gegeben hat, gegen den Mißbrauch auch wirklich vorzugehen. Ich bemerke ausdrücklich, daß das Bundesfinanzministerium die Verwaltungsanweisung, die heute schon für die Grenze der Lebenshaltung und Betriebsunkosten besteht, für ausreichend hält und nicht ändern will. Sie will nur da Vorsorge treffen, wo in der Praxis bei Anwendung dieser Verwaltungsrichtlinien aus allzu ängstlichen juristischen Bedenken heraus Hemmungen bestehen. Dem soll die Bestimmung dienen.
Was nun die Änderungen der §§ 7 c und 7 d anlangt, so hat der Bundesrat im wesentlichen - mit Änderungsvorschlägen, über die wir uns am besten im Ausschuß unterhalten, weil ihre Bedeutung nicht allzu groß ist - zugestimmt. Er hat einen Vorschlag auf Einfügung eines § 7 g gemacht; er wünscht, daß alle diese Steuerbegünstigungen in 7 c, 7 d, 7 f usw. zusammen die Grenze von 50 % des Gewinns nicht übersteigen dürfen. Dem hat die Bundesregierung mit dem Vorbehalt zugestimmt, daß in den Einzelfällen, soweit es vorgesehen ist - die Grenze von 15 % trotzdem noch bleibt.
Auch der Bestimmung in § 10 über die Kapitalansammlungsverträge hat der Bundesrat mit kleinen Änderungen zugestimmt, die die Bundesregieim wesentlichen glaubt annehmen zu können.
Der Streichung des § 32 b stimmt der Bundesrat ebenso zu wie dem Wegfall des § 33 a und b betreffend Vergünstigungen für Kriegsversehrte und
Heimatvertriebene vom Jahre 1955 ab. Ich möchte hier ausdrücklich erklären: auch nach dem Wegfall dieser gesetzlichen Sonderbestimmung besteht da, wo sich zehn Jahre nach Kriegsende solche wirtschaftlichen Schädigungen behaupten lassen, noch die Möglichkeit, auf Grund des § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes auch weiterhin steuerlich entgegenzukommen.
Der Bundesrat hat zugestimmt, daß die Bestimmung in § 41, nach der Aufwendungen für Kapitalansammlungsverträge bei Lohnsteuerpflichtigen außerhalb des Pauschbetrages für Sonderausgaben abzusetzen sind, ab 1. Januar 1954 wegfällt. Der Grund ist nicht nur der, daß diese Bestimmung durch die Tarifsenkung als überholt angesehen wird, sondern auch der, daß die Gleichstellung unter den verschiedenen Kapitalansammlungsverträgen erreicht werden muß. Diese verschiedenartige Behandlung hat bisher nicht nur in der Verwaltung eine Erschwerung bewirkt, sondern sie ist auch innerlich nicht gerechtfertigt gewesen.
Eine umstrittene Bestimmung ist bekanntlich die über den Wegfall des § 43 der Einkommensteuerdurchführungsverordnung, also die Frage der getrennten oder gemeinsamen Veranlagung von Ehegatten. Hier stimmt der Bundesrat dem Gedanken, daß das bisherige System nicht beibehalten werden kann, grundsätzlich zu. Er macht nur einen Änderungsvorschlag, nämlich, für den zweiten Ehegatten die Steuerklasse I zuzugestehen.
Ich möchte zu diesem Thema einmal folgendes feststellen. Auch ich habe selbstverständlich in meinem Haus über diese Frage Zuschriften mit Pro und Zuschriften mit Kontra erhalten. Am Anfang waren es fast ausschließlich Kontrastimmen, weil sich ja bei einem Gesetzentwurf im allgemeinen derjenige rührt, der einen Nachteil befürchtet, während der andere, der einen Vorteil erhält, das als eine Selbstverständlichkeit hinnimmt und sich infolgedessen nicht äußert.
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Aber gerade diese Kontrastimmen haben nun auch die Gegenseite etwas in Rage gebracht, und heute kann man feststellen, daß die überwiegende Zahl dieser Zuschriften Pro-Stimmen sind.
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- Nein, nein!
Ich möchte dazu folgende Rechnung aufmachen. Ich habe in dem Bulletin der heutigen Nummer vom 4. März, das ich Ihnen zur Lektüre empfehle, lange Zahlenreihen gegeben, die ich hier nicht bringen will. Ich stelle als Ergebnis des jetzigen Zustandes folgendes fest: er begünstigt nicht etwa die mitverdienende Ehefrau schlechthin;
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denn er begünstigt die mitarbeitende Ehefrau im eigenen Betrieb nicht, er begünstigt die selbständig arbeitende Ehefrau nicht. Um ein Beispiel zu nehmen: die Schneiderin ist nicht begünstigt.
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Die Angestellte im Schneideratelier ist begünstigt.
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Die Frau, die als Ehefrau eines Arztes mit ihrem Mann arbeitet, ist nicht begünstigt. Die Bauernfrau ist nicht begünstigt. Die Frau eines Einzelhändlers ist nicht begünstigt. Begünstigt sind nur die Ehefrauen, die in nicht selbständiger Arbeit in einem fremden Betrieb tätig sind.
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Wenn ich nun solche Ehepaare miteinander vergleiche, ergibt sich heute folgendes Bild. Ich bitte Sie, das im Bulletin nachzulesen. Ich gebrauche den Begriff nur der Kürze halber: kinderlose Doppelverdiener, d. h. daß das Ehegatten sind, die der getrennten Veranlagung unterliegen und keine Kinder haben. Ein solches Ehepaar zahlt bei einem Einkommen von 11 000 DM weniger Steuern als eine Familie mit fünf Kindern und einem Verdienenden.
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Bei einem Einkommen von 8000 bis 9000 DM zahlt ein solches Ehepaar weniger Steuern als eine Familie mit vier Kindern und einem Verdienenden.
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Bei einem Einkommen von 5000 DM zahlt ein solches Ehepaar weniger Steuern als eine Familie mit drei Kindern und einem Verdienenden. Ich bin der Überzeugung, meine Damen und Herren, daß dieses System nicht gehalten werden kann.
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Jetzt kommt der Vorschlag des Bundesrats. Dieser geht dahin, die Steuerklasse I einzuführen. Nun wissen Sie, daß der Vorschlag der Bundesregierung darauf hinausgeht, eine Veranlagungsgrenze von 7200 DM - mit Sonderausgaben und Werbungskosten sind es 7512 DM - wirkliches Arbeitseinkommen vorzusehen und bis zu einem Einkommen von 9000 DM stufenweise den Übergang zu mildern. Ein Einkommen von 9000 DM liegt bereits weit über dem Durchschnittseinkommen der deutschen Familie. Wenn ich nun den Grundsatz dies Bundesrats annähme, ergäbe sich, daß unterhalb der Veranlagungsgrenze gerade bei Kinderreichen eine Verschlechterung gegenüber der Regierungsvorlage einträte,
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die sich um so stärker auswirkte, je größer die Kinderzahl ist,
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und selbst bei Einkommen über 9000 DM würde das kinderlose getrennt veranlagte Ehepaar immer noch weniger Steuern zahlen als eine Familie mit zwei Kindern und einem Verdiener. Ich halte infolgedessen diese Lösung auch nicht für gerecht.
Nun zum Grundgedanken. Ich habe ausgeführt, daß uns durch die Wirklichkeit, durch die Kreditmöglichkeit, durch die Kassenmöglichkeiten die Grenzen, innerhalb deren wir uns bewegen können, nun einmal vorgezeichnet sind und daß dieser Steuerausfall von 950 Millionen DM in diesem Jahr und von 750 Millionen DM an reinem Nettoausfall im Bundeshaushalt das noch, aber auch das äußerst Tragbare ist. Wenn man eine Bestimmung, die eine Bedeutung von 100 bis 150 Millionen DM hat, streichen wollte, müßte man bei dieser Sachlage einen Ausgleich schaffen. Es käme dann die Frage, ob ich die für alle Ehefrauen vorgesehene Erhöhung der Freigrenze von 600 DM auf 800 DM noch halten könnte, wenn diese Bestimmung des § 43 der Einkommensteuerdurchführungsverordnung nicht gestrichen wird. Und da überlasse ich nun das Urteil nicht nur Ihnen und Ihrer Überzeugung, sondern auch der ganzen Öffentlichkeit. Wenn wir vor der deutschen Öffentlichkeit sagen - und wir müssen das sagen -, daß uns nun einmal Grenzen gezogen sind und daß wir innerhalb der Vorlage nur die Wahl haben, diesen Weg oder jenen Weg zu gehen, bin ich der Überzeugung, daß die breiten Massen bestimmt die Erklärung abgeben werden: Die allgemeine Erhöhung der Freigrenze für die Ehefrauen, die allen Familien und gerade der kinderreichen Mutter, die wegen der Kinder an die Familie gebunden ist, mit zugute kommt, ist vorzuziehen gegenüber einem Vorteil, der - bei über 9000 DM Einkommen nimmt die Zahl der in nicht selbständiger Arbeit stehenden Ehefrauen sehr beträchtlich ab - nur einer kleinen Zahl gegeben wird und der aus sozialen Gründen der Gleichberechtigung und Gleichmäßigkeit überhaupt nicht auf die Dauer verantwortet werden kann.
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Wenn man in der Öffentlichkeit etwa den Schluß zieht „Dann führt das amerikanische System ein, daß alle Ehegatten getrennt veranlagt werden!", muß ich zur Antwort geben: Dann gebt mir zuerst den amerikanischen Reichtum, denn ich kann unmöglich auf eine Einkommensquelle in der heutigen Höhe von Milliarden DM verzichten.
Eine Anregung, die Freigrenze z. B. auf 1500 DM festzusetzen, würde nach den jetzigen Steuersätzen 1500 Millionen DM Mehrausfall bedeuten, nach den neuen Steuersätzen 1250 Millionen DM. Unmöglich wenn ich an die Wirklichkeit, 'unmöglich, wenn ich an unsere Kredit- unid Steuermöglichkeiten in Deutschland denke! Wir müssen uns im Rahmen dessen halten, was möglich ist, 'und in diesem Rahmen unseren 'ehrlichen Willen beweisen und den neuen Weg zur Gesundung der Steuergesetze gehen.
Hier muß ich auch dem Bundesrat sagen, daß er es sich leicht gemacht hat. Der Bundesrat hat zwar dem Einkommensteuergesetzentwurf zugestimmt, aber er will nur den guten Tropfen. Er ist einverstanden, wenn der Bund das Risiko übernimmt. Aber daß er einen Teil dieses Risikos, einen Teil der Lasten mit auf sich übernimmt, das hat er bereits abgelehnt. Allerdings, man weiß ja: es kämpft jeder um seine Verhandlungsposition, und man rechnet: Wenn ich im ersten Durchgang bereits eine Konzession gemacht hätte, dann wäre ja meine Verhandlungsposition vollkommen aussichtslos.
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Wir wollen es unter dem Gesichtspunkt betrachten'. Denn wenn ich es unter einem anderen Gesichtspunkt betrachten müßte, müßte ich mich sehr stark gegen diese Unlogik wenden. Wer die Einkommensteuerreform bejaht, muß die Folgen aus der Einkommensteuerreform auch ziehen. Es kommt gar nicht in Frage, daß die Möglichkeit bestünde, diese Einkommensteuerreform durchzuführen und dann mit dem alten Bundesanteil von 37 % die Lasten hieraus abzulehnen. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Und zweitens: Wenn die deutschen Länder dem Gesetzentwurf zustimmen und zustimmen, daß der Bund eine solche Verpflichtung von 750 Millionen DM in diesem Jahr übernimmt, dann müssen sie auch dem Gedanken zustimmen, daß aus dem Erfolg dieser Reform, aus der Frucht, aus dem Mehraufkommen, das wir vom nächsten Jahre ab erhoffen, die Tilgung dieser Schulden durch entsprechende Erhöhung des Bundesanteils erfolgt. Das ist billig, und das ist gerecht, und hierauf wird man auch unmöglich verzichten können.
Nun darf ich noch zu zwei Fragen kurz Stellung nehmen, die außerhalb des Gesetzentwurfs liegen. Wir haben die Absicht, die Steuerverwaltung, so({17})
weit wir verfassungsmäßig können, zu erleichtern und zu vereinfachen. Wir haben deshalb die Absicht, auf die Steuererklärung für Einkommen unter 3600 DM für das nächste Jahr grundsätzlich zu verzichten, grundsätzlich nach dem Vorjahrseinkommen zu veranlagen; nur in den Fällen, in denen das Finanzamt nach seiner Kenntnis der Dinge damit rechnen muß, daß es sich um stark schwankende Einkommen handelt und daß im vergangenen Jahr eine solche Mehrung oder Minderung des Einkommens eingetreten sein kann, soll es zu einer Aufforderung, eine Steuererklärung abzugeben, ermächtigt sein. Wir dürfen die Bedeutung nicht unterschätzen. 40 % der Steuererklärungen sind Steuererklärungen von Menschen mit einem Einkommen unter 3600 DM. Wenn das auch kleine Fälle sind, die im Einzelfall leicht bearbeitet werden können, so daß der Prozentsatz der Zahl nicht ein Prozentsatz der Arbeitsbelastung ist, so wird doch ein wesentlicher Prozensatz der Arbeitsbelastung erspart werden können in einer Zeit, in der die Finanzverwaltung durch die Gesetzgebung über den Lastenausgleich ohnehin mit Arbeit überbürdet ist.
Das zweite, was ich erwähnen muß, ist, daß beabsichtigt und mit den Ländern auch bereits vereinbart ist, daß das heute ja schon bestehende System der degressiven Abschreibung freier gestaltet werden soll. Das System der degressiven Abschreibung besteht im wesentlichen darin, daß insbesondere bei beweglichen Wirtschaftsgütern mit einer Nutzungsdauer von mehr als 10 Jahren die Abschreibungen in den ersten Jahren nicht gleichmäßig - also z. B. bei einem Wert von 10 000 DM nicht mit jährlich 1000 DM -, sondern im ersten Jahr mit wesentlich höheren Werten beginnen, daß also etw a bei 25 % abgeschrieben werden kann. Das gibt den einzelnen Betrieben die Möglichkeit, mehr Mittel für die Rationalisierung innerhalb des Betriebs flüssig zu machen. Es bringt vorübergehend wohl einen Steuerausfall, insgesamt aber keinen, weil es sich j a nach Ablauf der zehn Jahre völlig ausgeglichen haben muß. Zur Zeit schwebt ein Musterprozeß beim Bundesfinanzhof, von dem wir hoffen, daß er bald entschieden sein wird. Wir werden den Bundesfinanzhof bitten, ihn schleunigst zu entscheiden. Wenn dieser Musterprozeß, der uns Richtlinien geben soll, entschieden ist, dann können die neuen Verwaltungsrichtlinien auch in dieser Frage ergehen. Haushaltsmäßig hat das zunächst keine Auswirkungen, denn es ist, wenn ich so sagen darf, nur ein Nachfolger der Auswirkungen des alten § 7 a, der jetzt seine Wirksamkeit verliert. Die degressive Abschreibung, die im wesentlichen zunächst an dessen Stelle tritt, wird sich entsprechend dem Bestreben, die Rationalisierung der Betriebe zu erleichtern, wie ich hoffe, günstig und wirtschaftsbelebend auswirken.
Meine Damen und Herren, ich habe einleitend darauf hingewiesen, daß mein Bedenken gegen den Gesetzentwurf unter einem Gesichtspunkt aufstand: Zeitpunkt. Ich darf schließen mit dem Wort: Zeitpunkt. Wenn der Gesetzentwurf seine 'Wirksamkeit erreichen soll, wenn der Termin des Inkrafttretens am 1. Mai eingehalten werden soll, dann muß der Gesetzentwurf möglichst noch im Monat März in diesem Hause in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden; denn die Verwaltung braucht zwischen Verkündung und Durchführung des Gesetzes wenigstens eine Frist von einem halben Monat. Ich möchte daher dringend bitten, erstens den Gesetzentwurf, der aus sachlichen
Motiven und sachlichen Überzeugungen geboren ist, ebenfalls rein sachlich - auch in diesen Monaten vor der Wahl - zu betrachten. Zweitens möchte ich das Hohe Haus bitten, dem Gesetzentwurf die freistehende Arbeitskraft in erster Linie zuzuwenden, damit er auch rechtzeitig in Wirksamkeit treten kann.
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Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Menzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Präsident hat beim Aufruf des jetzigen Tagesordnungspunktes festgestellt, daß vom Ältestenrat nur eine Debattezeit von 180 Minuten festgelegt worden sei. Hier muß - begreiflicherweise - im Büro des Herrn Präsidenten ein Irrtum unterlaufen sein. Wir haben im Ältestenrat eine Aussprachezeit von insgesamt 240 Minuten vereinbart, und wir bitten, es angesichts des sehr umfangreichen und vielseitigen Stoffes, mit dem dieser Tagesordnungspunkt belastet ist, bei dieser Verabredung zu belassen.
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Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Wellhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist richtig, daß der Ältestenrat heute morgen eine solche Vereinbarung getroffen hat. Aber wenn Sie die Güte haben wollen, auf die Uhr zu schauen und sich zu überlegen, was wir morgen noch vorhaben,
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- morgen auch noch, denn wir müssen einen Rest von heute auf morgen vortragen -, gebe ich Ihnen doch sehr zu überlegen, ob der Gedanke der Generaldebatte, der eine erste Lesung beherrschen soll, nicht in einer kürzeren Frist ausgetragen werden kann.
Der Herr Finanzminister hat nämlich - das hätte ich in meiner nachherigen Rede gesagt und darf es jetzt schon sagen - zwei Blitzableiter in diesem Gesetz aufgestellt, auf die sich die Geister der Männer und Frauen konzentrieren. Der eine Blitzableiter sind die Betriebsausgaben. Über Spesenverordnungen kann man, wie wir wissen, stundenlang reden und das womöglich abends noch im Kabarett fortsetzen. Über die Haushaltbesteuerung kann man so lange reden, wie die Frauen wollen. Ich möchte also den Antrag stellen, bei 180 Minuten zu bleiben.
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Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Renner.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Menzel hat wahrheitsgemäß gesagt, daß im Ältestenrat die Redezeit folgendermaßen festgelegt war: 120 Minuten für damals 1 a - heute hat es ja eine andere Nummer - und 120 Minuten für b und c. Darum geht
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es doch. Dem Herrn Präsidenten liegt nun, wenn ich so sagen darf, ein Fahrplan vor, in dem 180 Minuten insgesamt eingetragen sind. Ich kann mir vorstellen, daß diese 180 Minuten an einer anderen Stelle abgesprochen worden sind. Aber im Ältestenrat hatte man sich so festgelegt.
({1})
- So hatte man es festgelegt, und darum muß es doch schließlich gehen. Man kann doch nicht jedesmal und bei jeder Gelegenheit, wenn die Zeit mal drängt, in Konventikelchen andere Festlegungen treffen. Das geht doch nun wirklich nicht, Herr Kollege Wellhausen. Darum bitten wir, es bei dem Beschluß des Ältestenrates zu belassen, zumal da der Herr Minister eine Grundsatzrede gehalten hat, nicht nur was den Inhalt angeht, sondern auch was die Zeit angeht. Man muß uns doch Gelegenheit geben, uns wenigstens oberflächlich mit den Dingen zu beschäftigen. Mehr kann man sowieso in der Redezeit, die den kleinen Fraktionen und Gruppen zusteht, nicht tun.
Herr Abgeordneter Wellhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Konventikeln gehöre ich weder innerhalb noch außerhalb des Hauses an. Der Ältestenrat hat nur Empfehlungen auszusprechen, und das Plenum entscheidet darüber, ob den Vorschlägen des Ältestenrates gefolgt werden soll. Der Herr Minister hat nicht nur einmal eine lange Rede zu der Angelegenheit gehalten, sondern zweimal. Dafür ist nun schließlich die Ausschußberatung da, wenn wir auch nur von weitem dem entsprechen wollen, was der Minister wünscht, daß wir uns nämlich eilen. Ich beantrage deswegen erneut die Entscheidung dieses Hauses und darf daran erinnern, daß ein genereller Beschluß des Ältestenrates, wofür er auch zuständig ist, vorliegt, nämlich über die Dauer der Sitzungen. Danach sollen Sitzungen um 21 Uhr geschlossen werden.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der. Abgeordnete Dr. Menzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst scheint es unter den Fraktionen dieses Hauses völlig unstreitig zu sein, daß der Ältestenrat eine Aussprachezeit von vier Stunden festgesetzt hat. Es ist nicht üblich, von einer vom Ältestenrat festgesetzten Redezeit abzugehen, wenn dafür nicht ganz entscheidende Gesichtspunkte sprechen. Der Herr Bundesfinanzminister hat, wenn ich mich nicht irre, zu diesem Problem, das wir hier zu debattieren haben, sicher eine Stunde gesprochen. Er hat neulich in der Debatte über den Haushaltsplan das gleiche Problem bereits sehr eingehend erörtert. Sie müssen daher den Fraktionen und damit auch der Opposition die gleiche Chance geben, ihre Meinung in der Offentlichkeit zu sagen und nicht nur im Ausschuß, auf den Sie die Sache jetzt abschieben wollen. In diesem Gesetzentwurf ist eine solche Fülle wichtiger, alle Schichten der Bevölkerung interessierender Probleme enthalten - wir werden uns auch mit der sehr weitgehenden Auswirkung des Entwurfs auf die Länderfinanzen zu beschäftigen haben -, daß es nicht richtig wäre und auch nicht der Praxis dieses Hauses entspräche, von einem einstimmig gefaßten Beschluß des Ältestenrates jetzt, nachdem der Herr Bundesfinanzminister gesprochen hat, abzugehen.
({0})
Wir müssen abstimmen. Am weitesten geht der Antrag, zuerst über die Empfehlung des Ältestenrates abzustimmen, also 120 Minuten für den Punkt 3 a und 120 Minuten für die Punkte 3 b und c festzusetzen. Ist das so heute morgen im Ältestenrat vereinbart worden?
({0})
- 240 insgesamt? ({1})
Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben.
- Gegenprobe! ({2})
Wir wollen es mit einer anderen Methode versuchen, durch Erheben von den Sitzen. Wer dafür ist, den bitte ich, sich von seinem Sitz zu erheben. - Gegenprobe! - Es ist streitig, wir müssen durch Hammelsprung entscheiden.
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Meine Damen und Herren, ich bitte, sich zu beeilen. - Ich bitte, die Türen zu schließen. - Ich bitte, die Türen zu öffnen und mit der Auszählung zu beginnen.
({4})
Ich bitte, die Türen zu schließen. Die Auszählung ist beendet.
Meine Damen und Herren, dies ist das Ergebnis der Abstimmung: mit Ja haben gestimmt 146, mit Nein 149, keine Enthaltungen. Es ist das erste Mal, daß es keine Enthaltungen gegeben hat.
({5})
- Nein, hier war jeder beteiligt! - Damit ist der Antrag, die Redezeit auf 240 Minuten festzusetzen, abgelehnt. Ich kann wohl, ohne erneut abstimmen zu lassen, annehmen, daß das Haus mit 180 Minuten einverstanden ist. Dann hat das Haus beschlossen, eine Redezeit von 180 Minuten für den Punkt 3 festzusetzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß ausdrücklich bedauern, daß diese Debatte durch die Geschäftsordnungs-Auseinandersetzung, die soeben stattgefunden hat, einen außerordentlich unglücklichen Eingang genommen hat. Der Versuch, nach zwei ausführlichen Reden des Herrn Bundesfinanzministers, jetzt und neulich in einer in der Zeit schon sehr beschnittenen Hauhaltsdebatte, der Opposition auch noch auf diese Weise die Redezeit zu beschränken, und zwar entgegen einer Übereinkunft im Ältestenrat, hinterläßt einen außerordentlich üblen Nachgeschmack.
({0})
Ich gedenke auch durchaus nicht, mich auf die Blitzableiter zu beschränken, die uns Herr Dr. Wellhausen freundlicherweise angeboten hat. Ich glaube vielmehr, daß einige sehr grundsätzliche Fragen zu diesem wichtigen Gesetz zu behandeln sind.
({1})
Lassen Sie mit den Gang der Steuerpolitik seit der Währungsreform ganz kurz rekapitulieren. Mit der Währungsreform im Jahre 1948 wurden durch einen einstimmigen Beschluß des Frankfurter Wirtschaftsrats die Grundlagen zu einer Neuordnung des Steuerwesens und der Steuertarife gelegt, die dann in der Form eines Militärregierungsgesetzes durchgeführt wurde. Der Tarif, den man damals vorgeschlagen hat, ist nicht ganz so zur Anwendung gekommen. Aber die Grundlagen blieben bestehen.
Im Jahre 1949 sind dann, auch noch im Frankfurter Wirtschaftsrat, zwei wichtige Dinge geschehen. Zunächst ist, ebenfalls einstimmig und mit Zustimmung der Opposition, das D-Markbilanzgesetz verabschiedet worden, welches eine außerordentlich großzügige Grundlage für die Steuer- und Wirtschaftspolitik der Unternehmungen geboten hat. Außerdem ist im Jahre 1949 an Stelle einer damals bereits angestrebten Tarifsenkung eine Änderung des Steuergesetzes verabschiedet worden, welche die 7er -Gruppe, den § 32 a und anderes mehr eingeführt hat, damals unter Widerspruch der sozialdemokratischen Opposition, welche sich insbesondere gegen die allzu große Begünstigung der Selbstfinanzierung in diesem Gesetz gewandt hat. Die Einsicht in die Gefahren der Selbstfinanzierung ist auf der anderen Seite des Hauses erst zwei Jahre später gekommen.
Anfang 1950 hat die Bundesregierung in Erfüllung der Zusagen, die sie in ihrer Wahlpropaganda gemacht hat und die zu entsprechenden Leistungen an die Wahlfonds der Regierungsparteien geführt haben, eine Tarifsenkung durchgeführt. Im Jahre 1951 hat sich die Bundesregierung angesichts der bedrohlichen Haushaltslage und angesichts der mittlerweile offenkundig gewordenen Gefahren des bisherigen Vergünstigungssystems genötigt gesehen, die Vergünstigungen der 7er-Gruppe einzuschränken sowie die Begünstigung des nichtentnommenen Gewinns zu streichen. Man hat dafür die Körperschaftsteuer erhöhen müssen. Man hat insbesondere - eine die breiten Massen stark treffende Maßnahme - die Umsatzsteuer empfindlich erhöht. Das waren Maßnahmen, die der Regierung selber sicherlich unbequem waren, und unbequem wurden sie natürlich auch den betroffenen Steuerpflichtigen, zumal sie nunmehr die Folgen der vielleicht etwas zu sorglos vorgezogenen Abschreibungen und anderer Ausnützungen von Steuerbegünstigungen zu tragen hatten.
Sie erinnern sich, daß im Herbst vorigen Jahres von den Zentralverbänden der Wirtschaft der sogenannte Gesetzesvorschlag zur Erhöhung der Produktivität vorgeschlagen wurde. Dieses hätte kurz gesagt bedeutet, daß für arbeitsloses Zinseinkommen eine Höchststeuer vorgesehen worden wäre, die für Arbeitseinkommen keineswegs vorgesehen wurde, und letzten Endes fast eine Strafsteuer dafür bedeutet, daß man sein Einkommen durch seiner Hände Arbeit verdient, statt es aus Kapital oder ähnlichem zu ziehen. Von diesem Gesetzesvorschlag spricht man heute nicht sehr gern. Er hat eine eingeschränkte Form in dem Antrag der Koalitionsparteien gefunden, der später auf Drucksache Nr. 3838 eingebracht wurde und die Erweiterung des § 32 a und die Wiederherstellung des § 10 a für den nichtentnommenen Gewinn und andere Dinge mehr vorschlägt, ein Antrag, der bisher im Hause nicht weiter behandelt worden ist, weil er ganz offenbar den Widerspruch des Herrn Bundesfinanzministers gefunden hat. Immerhin war bei dieser Sachlage ja wohl klar, daß etwas geschehen mußte, und es scheint ja auch, daß die Aussichten für die kommende Wahl als so unsicher beurteilt werden, daß man offenbar vorzieht, in diesem Fall die Schäfchen lieber ins Trockene zu bringen, bevor die Wahlfonds ausgeschüttet werden. Nun, die Meinung des Herrn Bundesfinanzministers war, daß etwas geschehen müsse, und gegenüber allen diesen Anträgen hat er uns nun seine Tarifsenkung, seine sogenannte gleichmäßige 'Steuersenkung als das der Steuergerechtigkeit und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung entsprechende Allheilmittel angeboten. Was heißt denn diese sogenannte Gerechtigkeit der linearen Tarifsenkung, die hier vorgenommen werden soll? Es ist das alte Prinzip, daß, wenn man hei einem Einkommen von 2000 oder 3000 DM jährlich 20, 50 oder 80 DM Steuer schenken will, man dann gleichzeitig bei einem Einkommen von 100 000 DM 10 000 DM Steuersenkung aus Gründen der sogenannten linearen Gerechtigkeit gewähren muß. Man kann doch die Frage einer Steuersenkung nicht schematisch nach solchen linearen Prinzipien lösen, sondern man muß sich fragen, welche Einkommen einer Entlastung bedürfen und einer Entlastung würdig sind. Man muß doch endlich einmal aufhören, in irreführender Art von Prozenten der Steuer zu reden, und muß fragen, wie sich das in Zahlen und in Prozenten des Einkommens ausdrückt.
Ich möchte hier den Nachweis zu führen versuchen, daß diese sogenannte gleichmäßige Steuersenkung in Wirklichkeit das Ungleichmäßigste und Ungerechteste ist, was man sich denken kann. Nehmen Sie einmal die Zahlen, die das Finanzministerium selbst in der Begründung zu dem Gesetzentwurf vorgelegt hat. Sie ersehen daraus, daß z. B. für ein Jahreseinkommen von 3000 DM eine Steuersenkung von 1,5 % des Einkommens oder 45 DM im Jahre vorgesehen ist. Wenn Sie davon ausgehen, dann ist es an sich schon ein sehr kühner Gedanke, daß, wenn man für die ersten 3000 DM eine Steuersenkung von 45 DM vorsieht, man für die nächsten, die zweiten, die dritten, die sechsten und zehnten und hundertsten 3000 DM des Einkommens eben -falls 45 DM vorsehen müßte. Jedermann, der von den Prinzipien der Einkommensteuer etwas weiß würde erwarten, daß in höheren Einkommenstufen wenigstens nicht jedesmal der gleiche Betrag vorgesehen wird. Die Bundesregierung geht mit ihrer gleichmäßigen Tarifsenkung weit darüber hinaus. Wenn sie für 3000 DM 45 DM Steuer nachläßt, so will sie für zehnmal 3000 DM, für 30 000 DM nicht 450 DM - zehnmal 45 DM -, sondern 1584 DM Steuern nachlassen.
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Für 50 000 DM Einkommen will sie jetzt 7,1 % des Einkommens nachlassen, und statt 750 DM, die sich nach dem andern Schlüssel hätten ergeben können, 3550 DM. Für einhundertmal 3000 DM Einkommen, für 300 000 DM Einkommen, hält sie es für nötig, 12 % des Einkommens oder 36 000 DM an Steuer nachzulassen. Selbst wenn man - als das Wenigste - alles ebenso behandeln würde wie die ersten 3000 DM, kämen nur 4500 DM statt 36 000 in Frage. Bei 600 000 DM wieder ist dieses Einkommen so entlastungsbedürftig, daß zehn weitere Prozent des Einkommens oder 60 000 DM an Steuer nachgelassen werden müssen!!
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Ich möchte Ihnen einmal darstellen, wie sich diese Maßnahmen nun kumuliert seit der Währungsreform ausgewirkt haben. Ein Einkommen von 200 000 DM jährlich hat im Jahre 1948 168 246 Mark Steuer gezahlt. Es zahlt nach dem neuesten Vorschlag, der uns heute vorliegt, 118 653 DM, d. h. rund 50 000 Mark weniger. Dem Steuerpflichtigen mit einem Jahreseinkommen von 200 000 Mark ist also seit dem Jahre 1948 ein Viertel seines Jahreseinkommens, ein ganzes Vierteljahr seiner Erwerbstätigkeit, von der Steuer geschenkt und freigestellt worden. Wenn Sie sich das bei einem Einkommen von 50 000 Mark ansehen, so sind daraus 1948 32 346 Mark gezahlt worden, 1953 sollen daraus gezahlt werden 20 103 DM; es ist also um 12 218 Mark Steuer entlastet worden, d. h. auch hier sind rund drei Monate des Jahreseinkommens zusätzlich von der Steuer freigestellt worden. Sehen Sie sich dagegen ein Einkommen von 6000 Mark an! Daraus wurden im Jahre 1948 1350 Mark Steuer gezahlt, im Jahre 1953 sollen daraus 975 DM Steuer gezahlt werden; das ist eine Steuersenkung um 375 Mark, d. h. dieses Einkommen, ein mittleres oder gutes Angestellteneinkommen, hat nicht drei Monate, sondern knapp zwei Drittel Monate seiner Erwerbstätigkeit von der Steuer freigestellt und geschenkt bekommen. Ein Einkommen gar von 2400 Mark im Jahre hat 1948 270 Mark gezahlt und soll jetzt 188 DM zahlen; das sind 82 Mark Steuerermäßigung, mit anderen Worten noch nicht einmal ein halber Monat. Zwei Fünftel Monate sind diesem Steuerpflichtigen von seinem Erwerb von der Steuer geschenkt worden, wobei Sie noch berücksichtigen müssen, daß diese 84 DM vielleicht so ungefähr das Doppelte von dem sind, was man ihm durch die Erhöhung der Umsatzsteuer inzwischen weggenommen hat, - was Sie nachrechnen können, meine Damen und Herren. Daß bei einem derartigen Einkommen und dem entsprechenden Verbrauch, allein die Erhöhung der Umsatzsteuer um 1 °/o 3 bis 4 DM im Monat ausmacht, kann nicht bestritten werden.
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- Es ist sehr wohl auf die Preise geschlagen worden. Die Umsatzsteuer schlägt sich dreimal um, und auf die Umsatzsteuer werden wieder Umsatzsteuer und Handelsspannen berechnet. Das sind ja doch Rechnungen, Herr Kollege Neuburger, die allseitig bekannt sind.
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So sieht die sogenannte gleichmäßige Steuersenkung in praxi aus!
Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit weiter darauf lenken, daß nunmehr zum ersten Male und endlich das Bundesfinanzministerium seiner Begründung auch eine Tabelle beigegeben hat, die mit Einkommen in vergleichbarer Kaufkraft rechnet. Wie oft haben wir in diesem Hause und in den Ausschüssen darauf hingewiesen, daß die Berechnungen, die vom Nominaleinkommen ausgehen und Vergleiche zwischen den Steuerbelastungen in den verschiedenen Jahren anstellen, nicht angängig und unrichtig sind! Endlich hat man dem wenigstens so weit Rechnung getragen, daß man hier eine Tabelle vorgelegt hat, deren Grundlage uns nicht verraten wird, die ich aber im Augenblick akzeptieren will. Zunächst stellt diese Tabelle etwas sehr Interessantes fest. Sie stellt nämlich fest, daß die Einkommen in der niedersten Stufe bis 15Q0 DM jährlich noch heute gegenüber dem vergleichbaren Einkommen - vergleichbare Kaufkraft - früherer Jahre höher besteuert sind, als sie zu Zeiten der Kontrollratsgesetzgebung - und das war die schärfste Besteuerung, die wir in dieser Bundesrepublik jemals gehabt haben - besteuert waren, eine Behauptung, die wir immer wieder aufgestellt haben, die uns immer wieder bestritten worden und die nun hier in den Regierungsunterlagen bewiesen ist. Und zwar ist ausgerechnet diese niederste Einkommenstufe die einzige, die nach dem heute geltenden Tarif, in vergleichbarer Kaufkraft gerechnet, noch höher besteuert ist als nach der Kontrollratsgesetzgebung.
Wenn Sie nun in dieser Tabelle nach vergleichbarer Kaufkraft die prozentuale Belastung von Einkommen etwa 1939 und 1953 vergleichen, so sehen Sie z. B., daß ein Einkommen von 9000 Mark im Jahre 1939 mit 7,8 % und heute nach dem neuen Vorschlag mit 16,2 % besteuert ist, d. h. es trägt heute noch über das Zweifache seiner prozentualen Belastung von 1939. Ein Einkommen von 12 000 Mark wurde 1939 mit 9 % und wird heute mit 21,2 % besteuert und trägt damit heute das 2,77 fache seiner prozentualen Belastung von 1939. Bei 24 000 Mark sehen Sie, daß heute das 2,6f ache der prozentualen Belastung von 1939 erreicht ist. Bei 50 000 Mark finden Sie 1939 20,7 %, 1953 38,8 °/o, also nur das 1,95 fache, weniger als das Zweifache, bei einer Million Einkommen das 1 3/4 fache. Würde ich die Zahlen von 1926 herbeiziehen, die ebenfalls in der Tabelle enthalten sind, wäre der Unterschied noch krasser. Niemand kann wohl sagen, daß 1939 vor Einführung der Kriegssteuern ein Tarif galt, der die hohen Einkommen besonders stark heranzog.
Was sehen Sie aus einer derartigen Tabelle? Im Vergleich der prozentualen Belastung vor dem Kriege und heute schneiden die Einkommen von 50 000 Mark und aufwärts weitaus am besten ab. Welcher Grund ist denn dafür vorhanden, daß derartige Einkommen im Verhältnis zu 1939 nicht wenigstens dieselbe prozentuale Belastung tragen können, die man z. B. Einkommen von 9000 bis 24 000 Mark zumutet? Welcher Grund ist denn vorhanden, gerade diese Einkommen stärker zu entlasten als die eben genannten mittleren Einkommen? Man sollte doch meinen, daß sie wenigstens dasselbe tragen können wie diese.
Es wird soviel von der außerordentlichen Oberbelastung der hohen Einkommen gesprochen. Lassen Sie mich auch dazu noch einige Zahlen nennen. Wir haben heute ja sehr wenig Steuerstatistik im Bundesgebiet; aber einige Statistiken sind doch greifbar. Im Jahre 1949 gab es in Bayern 231 Leute mit Einkommen über 100 000 DM. Diese hatten zusammen 54 Millionen DM Einkünfte, d. h. natürlich die von der Steuer erfaßten Einkünfte, was nebenbei gesagt immerhin ein Durchschnittseinkommen von 230 000 DM jährlich für diese 231 Leute ergibt. Auf diese 54 Millionen DM Einkünfte zahlten sie 29 Millionen DM Steuern, das sind 53 bis 54 % Das zahlten sie im Schnitt, und das ist nun die berühmte angebliche Überbelastung der hohen Einkommen! Oder eine andere Ziffer aus derselben Statistik: Es gab 568 Leute mit Einkommen zwischen 50- und 100 000 DM. Sie hatten zusammen 43,2 Millionen DM Einkünfte und zahlten 23,9 Millionen DM Steuer, das sind auch wieder 53 bis 54%, wobei wohlbemerkt die übermäßigen Betriebsausgaben und alle sonstigen Unkosten und
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steuerfreien Einkünfte und was da gemacht worden ist, vorher abgezogen sind. Diese 53 bis 54 % sind also die übermäßige Belastung der hohen Einkommen, diese 53 bis 54 %, die ja in Wirklichkeit an das berühmte Optimum von 50% der Besteuerung schon so gut wie herankommen. Diesen 231 Leuten mit einem Durchschnittseinkommen von 230 000 DM jährlich sind bei dieser Besteuerung mindestens 100 000 DM - ich sage: mindestens 100 000 DM - nach Bezahlung der Steuer zur freien persönlichen Verfügung geblieben.
In der Bundesrepublik gab es im Jahre 1949 2696 derartige Leute mit Einkommen über 100 000 DM. Natürlich gibt es jetzt mehr; denn die Einkommen sind gestiegen und auch die Steuererfassung ist besser gewesen. Nach diesem neuen Vorschlag verbleiben ja jedem, der 100 000 DM Einkommen hat, bereits 50 000 - 50% - dieses Einkommens zur freien Verfügung nach Bezahlung seiner Steuer. Lassen Sie doch das Märchen von der übermäßigen Belastung der großen Einkommen, meine Damen und Herren! Was hier vorgegangen ist, ist in Wirklichkeit eine übermäßige Steuerentlastung dieser großen Einkommen. Wenn ich eben gesagt habe, daß so viele Leute in der Bundesrepublik verbleiben - denn es dürfte heute schätzungsweise an Einkommen von 100 000 DM in der Gegend von 10 000 geben -, denen mindestens 50 000 DM nach Bezahlung der Steuer als freies persönliches Einkommen zur Verfügung stehen, so möchte ich Sie einmal fragen, wieviel Leute es z. B. in England gibt, denen nach Bezahlung der Steuer 4000 Pfund - das sind ungefähr 50 000 DM - im Jahr von ihrem Einkommen übrigbleiben. Ich will es Ihnen sagen: im Jahre 1938/39 gab es etwa 19 000 derartige Leute in England, im Jahre 1945/46 gab es 885, im Jahre 1948/49 86, im Jahre 1949/50 60 - und bei uns 5- bis 10 000.
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Dafür allerdings ist in England - ich zitiere auch wieder die Zahlen, die der Herr Bundesfinanzminister in seiner Etatrede gebracht hat - ein Einkommen von 5000 DM jährlich bei einem Verheirateten mit einem Kind mit 1,26 % versteuert, in der Bundesrepublik dagegen mit 10,86 %.
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Das ist natürlich die andere Seite der Medaille.
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--- Das macht sich dann allerdings dadurch wett, Herr Dr. Dresbach, daß ein Einkommensbezieher mit 100 000,- DM in der Bundesrepublik weniger Steuer zahlt als in den Niederlanden oder in England. Dabei hat der Herr Bundesfinanzminister - auch hier zitiere ich wieder seine Haushaltsrede - noch die 61 % Steuern eingesetzt, die bisher galten, und nicht die 50%, die er jetzt für diese Einkommen vorschlagen will. Auf diesen Höhen des Lebens allerdings scheint es sich eher zu lohnen, in einem Staate zu leben, der den Krieg verloren hat.
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- Ich habe die Zahlen zitiert, die uns der Herr Bundesfinanzminister als Material zur Beurteilung derartiger Vergleiche vorgelegt hat.
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Sie sehen daraus, was für ein Unterschied zwischen verschiedenen Steuerpolitiken bestehen kann. Ich glaube, daß die Auswirkungen in England und die Auswirkungen hier den Unterschied deutlich machen. Es ist tatsächlich so, daß eine zahlenmäßig - soweit die Steuerstatistiken herauskommen - bereits greifbare Gruppe von etwa 10 000 Leuten mit Einkommen über 50 000,- DM - im Jahre 1949 waren es rund 9000, und es sind inzwischen bestimmt mehr geworden - ganz ausgesprochen das Lieblingskind der Steuerpolitik und das Lieblingskind der Bundesregierung ist.
Eine weitere Frage: Der Herr Bundesfinanzminister rechnet mit einem Steuerausfall von 950 Millionen - netto, denn, wie aus seinen weiteren Verlautbarungen zu entnehmen ist, hat er verschiedene Posten bereits abgezogen. Wie verteilt sich dieser Ausfall von 950 Millionen? Wir können keine genauen Zahlen sagen, weil sie uns der Herr Bundesfinanzminister noch nicht gegeben hat; vielleicht bekommen wir sie noch. Wir können aber immerhin folgendes schätzen: für die Erhöhung der Freibeträge von 750,- auf 800,- DM um 50,- DM im Jahre dürften ungefähr 50- bis 60 Millionen erforderlich sein. Es ist leicht auszurechnen, daß für die erwähnten Lieblinge der Steuerpolitik, für die Einkommen über 50 000 DM, das Zwei- bis Dreifache dieses Steuerausfalls ausgegeben wird, wobei noch nicht einmal der Schatten einer Begründung versucht worden ist, warum denn gerade diese Einkommen besonders hohe Steuererleichterungen brauchen und warum sie überhaupt Steuererleichterungen brauchen. In Wirklichkeit sind diese 950 Millionen ein Saldo. An diesem Saldo ist auch das mitgerechnet, was der Herr Bundesfinanzminister durch die Verschärfung der Haushaltsbesteuerung bei den mitverdienenden Ehefrauen in die Kasse bringen will. Wenn Sie nochmals seine Verlautbarungen durchsehen, werden Sie sehen, daß er sich in den kommenden Jahren, in denen diese Maßnahmen zur Auswirkung kommen sollen, einen sehr wesentlichen Gegenposten für seine sonstigen Steuerausfälle berechnet. Herr Bundesfinanzminister, erzählen Sie uns doch nicht, daß Sie diese Bestimmung gebraucht hätten, um den Familiensinn zu fördern oder um der Gerechtigkeit willen usw. Es kommt Ihnen doch ganz einfach auf die mehreren hundert Millionen an, die Sie ausgerechnet an dieser Stelle wieder in den Steuersäckel hin-einholen wollen. Sie haben uns bisher noch nicht gesagt, wie Ihrer Ansicht nach die genauen Zahlen liegen. Ich will nicht auf die Zahlen aus der Debatte von 1951 zurückgreifen; sie könnten überholt sein. Da Sie aber in Ihrer Stellungnahme zu den Bundesratsvorschlägen so beiläufig geäußert haben, daß allein die Differenz zwischen dem Kompromißvorschlag des Bundesrats und Ihren Absichten immerhin 100 Millionen jährlich ausmacht, rechne ich damit, daß Sie auf diese Weise mehrere hundert Millionen DM hereinbringen wollen. Das wären dann wahrscheinlich gerade die mehreren hundert Millionen, die Sie höchst unnötiger- und unbegründeterweise den Einkommen über 50 000 DM zusätzlich schenken wollten. Wirklich, Herr Bundesfinanzminister, es bedarf weder eines Gottes noch eines Halbgottes, um sich etwas Besseres an Steuerreform auszudenken, auch vor den Wahlen.
Ich habe dabei bisher immer nur von der Gestaltung des Tarifs gesprochen. Es kommt ja noch , das ganze Vergünstigungssystem mit der Art und Weise, wie es sich in den vergangenen Jahren ausgewirkt hat, hinzu. Es hat sich sehr einseitig ausge({12})
wirkt. Es kann gar nicht bestritten werden, daß alle diese Vergünstigungen der 7er -Gruppe, die Vergünstigungen für Kapitalansammlungen und all das mehr, sich ganz einseitig für die großen Einkommen ausgewirkt haben.
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- Die 7c -Mittel sind von den großen Einkommen geleistet worden, das wissen Sie, Herr Dr. Wellhausen. Was die begünstigten Sparkonten anlangt, so wissen wir z. B. aus den Zahlen, die uns Herr Dr. Strathus in seiner Schrift im Institut „Finanzen und Steuern" gegeben hat, daß rund 50 % dieser Kapitalansammlungen direkt aus Steuermitteln weggenommen worden sind. Schon diese Zahlen allein zeigen, daß die Kapitalansammlungen nur von Leuten mit hohen Steuersätzen gemacht worden sind. Eine Untersuchung der steuerbegünstigten Spareinlagen bei den Sparkassen einerseits und bei den Großbanken andererseits zeigt genau dasselbe Bild, wobei ich auf all die Dinge wie beliehene Versicherungen, rückgezahlte Kredite usw., die ohne jeden Effekt für den Kapitalmarkt nur eine Steuerersparnis gebracht haben, gar nicht im einzelnen eingehe.
Ich möchte Ihnen noch einige interessante Zahlen zum Beweis dafür nennen, wie einseitig sich diese Dinge ausgewirkt haben. In Schleswig-Holstein haben im Jahre 1949 44 Pflichtige von den Begünstigungen des § 32 a Gebrauch gemacht, der ja überhaupt nur für Bezieher recht großer Einkommen - wenn ich mich recht erinnere, in seiner damaligen Fassung für Einkommen von etwas über 32 000 DM - in Frage kam. Diese 44 Pflichtigen haben damit 9,4 Millionen DM an Steuern erspart.
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Das sind von dem damaligen Gesamtaufkommen von 103 Millionen DM des Landes Schleswig-Holstein an veranlagter Einkommensteuer rund 9 %. Das haben die 44 Pflichtigen mit einem einzigen, für sie geschaffenen Paragraphen gespart.
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- Der § 32 a für die Wirtschaftsbelebung? - Ich werde auf die Fragen der Wirtschaftsbelebung noch zurückkommen, Herr Neuburger. Im Jahre 1949 haben von den Begünstigungen der 7er -Gruppe im Lande Schleswig-Holstein 4781 Steuerpflichtige Gebrauch gemacht und damit 17,6 Millionen DM Steuern gespart. Davon hatten 768 ein Einkommen über 20 000 DM, und diese 768 - von den 4781 - mit den höchsten Einkommen haben allein 10,36 Millionen DM an Steuern gespart,
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d. h. weitaus mehr als die Hälfte aller Vergünstigungen der 7er -Gruppe.
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Und das gilt nur für die Einkommensteuer; darin sind noch nicht die Beträge, die bei Körperschaften auf die gleiche Art und Weise gespart worden sind und die natürlich im großen und ganzen demselben Kreis zugute kommen.
Dazu kommt, daß die ganze 7er -Gruppe, also 7 a, 7 c, 7 e usw., nur bei Buchführung, nur von Unternehmen in Anspruch genommen werden kann, d. h., daß die Lohnsteuerpflichtigen von all diesen Vergünstigungen praktisch von vornherein ausgeschlossen worden sind, mit Ausnahme der Spareinlagen, die aber, wie wir tatsächlich an den Zahlen sehen, auch nur für die Bezieher recht hoher Einkommen lohnend waren. Diese Auswirkung der Vergünstigungen kommt also zu der ganzen Tarifentwicklung, wie ich sie vorhin gezeigt und analysiert habe, noch hinzu.
Nun ist in diesem Zusammenhang immerhin noch eines zu erwähnen. Der Herr Bundesfinanzminister hat für die von ihm beabsichtigte Steuersenkung eine ganze Reihe von Deckungsvorschlägen erwähnt, die alle sehr fragwürdiger Natur sind. Er stützt sich darauf, daß er den Ländern mehl Steuern abnehmen will, und er weiß noch nicht, wie er das machen soll. Er will den Steuerausfall durch eine Zwangsanleihe bei der Sozialversicherung decken, von der ich nicht hoffe, daß er sie verwirklichen kann. Aber er hat einen sehr naheliegenden Deckungsvorschlag überhaupt nicht erwähnt. Die Begünstigungsvorschriften des § 7 a mit den vorgezogenen Abschreibungen, auch die Begünstigungsvorschriften des § 7 c mit den Wohnungsbaudarlehen, die ja einmal zurückgezahlt werden müssen, und alle anderen Begünstigungen, Schiffsbaugelder usw., wirken sich ja praktisch wie Steuerstundungen aus. Wenn die Abschreibungen fehlen, was jetzt der Fall ist, wenn gleichbleibende Gewinne aus den inzwischen gebauten Anlagen gezogen werden und wenn die 7 c- Gelder zurückfließen, dann muß diese Steuer zurückgezahlt werden. Insofern - und das hat erstaunlicherweise der Herr Bundesfinanzminister bisher nie erwähnt - liegen in der Tat eine ganze Menge von Reserven sowohl in der Einkommensteuer wie in der Körperschaftsteuer, und es wäre ein außerordentlich naheliegender Gedanke, daß insbesondere den Lohnsteuerpflichtigen und den kleinen und mittleren Einkommen nun diese Reserven zugute kommen, die aus Vergünstigungen entstanden sind, von denen sie keinen Gebrauch machen konnten.
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Wenn man aber den Tarif senkt, Herr Bundesfinanzminister - das haben Sie bisher nicht erwähnt -, dann verzichtet man insoweit auf Rückzahlung dieser Steuerstundungen; dann verzichtet man auf diese Reserven zu Lasten derer, die an den Vergünstigungen nicht teilnehmen konnten und denen diese Reserven nun zustehen würden.
Bei dieser Betrachtung der Steuervorlagen glauben wir als sozialdemokratische Opposition nichts anderes tun zu können, als dieser außerordentlich einseitigen Steuerpolitik ebenso deutlich und brutal, wie diese Politik verfolgt wird, die Forderungen der kleinen und mittleren Einkommen und die Forderungen der Lohnsteuerpflichtigen entgegenzustellen, die jetzt auch einmal zum Zuge kommen müssen. Das Mittel dazu kennen Sie sehr wohl; es ist die Erhöhung der Freibeträge. Denn die Erhöhung der Freibeträge ist ein steuersystematisches Mittel, das bekanntlich in erster Linie Steuererleichterungen für kleine und mittlere Einkommen bringt im Gegensatz zu den linearen Tarifsenkungen, die in erster Linie Steuerentlastungen für große und sehr große Einkommen bringen. Gerade diese Eigenschaft macht uns das Verfahren mit den Freibeträgen so sympathisch und vielleicht Ihnen so unsympathisch.
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Ganz abgesehen davon sind wir allerdings der
Auffassung, daß ein gesundes Steuersystem auf
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einem gesunden Existenzminimum beruhen muß. Nach unserer Überzeugung ist es geradezu die erste Forderung der Steuermoral, daß die Steuer dem Einkommenbezieher wenigstens dasjenige Existenzminimum frei läßt, das man auch einem Schuldner als pfändungsfreien Betrag beläßt.
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- Sehr wohl, und es wäre, weiß Gott, zu wünschen, daß wir endlich zu einer solchen kämen, Herr Neuburger! ({22})
Sagen Sie mir nicht, meine Damen und Herren, der Ausfall würde zu groß! Sie wissen genau wie ich und wie wir alle, Herr Bundesfinanzminister, daß durch eine entsprechende Tarifgestaltung der Ausfall genau so hoch gehalten werden kann, wie man ihn braucht und wie man ihn vertragen kann. Ich verbitte mir, Herr Bundesfinanzminister, daß Sie hier Zahlen in die Welt setzen, wonach bei einem bestimmten Freibetrag der Ausfall soundso hoch sei!
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Das hängt vom Tarif ab; das wissen Sie ganz genau!
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Wir werden auf dieser Forderung nach wie vor bestehen.
Wir fänden es auch sehr angemessen, wenn Sie wenigstens für das Arbeitseinkommen einen zusätzlichen Freibetrag geben würden, wie er sogar in der Kontrollratsgesetzgebung gegeben worden ist und wie er in den vorbildlichen Steuersystemen der angelsächsischen Länder ebenfalls selbstverständlich ist. Wir glauben, daß diese Anliegen weitaus wichtiger sind, als nun eine Regulierung auf dem Aktienmarkt auf Steuerkosten vorzunehmen und anderes mehr.
Da wir gerade von Wichtigkeit reden: Hat eigentlich die Bundesregierung es ganz übersehen, zu der sehr begrüßenswerten Anregung des Bundesrats, Steuerfreiheit für Wiedergutmachungsleistungen zu gewähren, Stellung zu nehmen, oder will sie sich dieser Anregung widersetzen?
Ich möchte in der Tat, Herr Kollege Neuburger, noch etwas zur wirtschaftlichen Seite der Angelegenheit sagen, weil ja von Ihrer Seite immer gesagt wird, ausschließlich die von Ihnen vorgeschlagenen Steuersenkungen trügen zur Belebung der Wirtschaft bei,
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während das dem, was wir schon sehr lange hier vorgetragen haben, immer abgesprochen wird. Was will man denn eigentlich mit dieser Steuersenkung erreichen? Will man noch mehr Investitionen machen? Glaubt man denn nicht, daß im Augenblick vielleicht von der Absatzseite her die Spritze für die Wirtschaft notwendig wäre? Es sind vom Wirtschaftsministerium und von ihm nahestehender Seite in den letzten Tagen großzügige Pläne zur Konsumförderung und ähnliches verkündet worden. Ja, wer soll denn mehr konsumieren? Wem wollen Sie denn die Möglichkeit geben, mehr zu konsumieren?
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Wollen Sie wirklich behaupten, daß es darauf ankommt, daß die Einkommen von 50 000 DM und darüber für 5000 oder 10 000 DM im Jahr mehr konsumieren können?
Ich glaube, die Stellungnahme der Sozialdemokratie war in diesem Punkt immer vollkommen eindeutig. Wir haben immer betont, daß eine gesunde Kapitalbildung -- und das ist allerdings im Augenblick das Hauptproblem, mit dem wir zu ringen haben - eine gesunde, ausreichende Massenkaufkraft und eine entsprechende Sparfähigkeit der Masse voraussetzt. Meine Damen und Herren, ich darf Sie an ein altes Wort erinnern. Man hat früher immer gesagt: Hat der Bauer Geld, hat es die ganze Welt. Das war ein sehr richtiges Wort zu einer Zeit, als 75 % der Bevölkerung auf dem Lande lebten und in der Tat die ländliche Bevölkerung die unterste breite verdienende Schicht war. Heute muß dieses Wort heißen: Hat der Arbeiter Geld, hat's die ganze Welt;
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wobei ich natürlich von „Arbeitern" im Sinne von Arbeitnehmern spreche und die Angestellten und Beamten nicht vergesse. Ich möchte dieses Wort nicht im Sinne einer einseitigen Arbeitnehmerpolitik gesagt haben, sondern einfach als Feststellung eines wirtschaftlichen Faktums, einer Erinnerung an gesunde, unleugbare wirtschaftliche Grundsätze und einer Erinnerung allerdings in erster Linie auch an den wertvollsten Faktor unserer Produktivität überhaupt: an die Arbeitskraft. Wir glauben, daß diese Leute nun endlich Anspruch auf Verwirklichung ihrer Wünsche haben; wir glauben, diese Leute haben nun endlich einen Anspruch darauf, daß die Reserven, die in der Tat in der Steuer liegen, nun für sie ausgeschöpft werden.
Meine Damen und Herren, vor einigen Monaten hat das Münchener Ifo -Institut für Wirtschaftsforschung eine Berechnung über den Anteil des Arbeitseinkommens und des Einkommens der Selbständigen am Volkseinkommen veröffentlicht. In dieser Berechnung ist allerdings meiner Ansicht nach das Netto-Einkommen der Selbständigen weitaus zu gering angesetzt; aber immerhin ergibt sich selbst nach dieser Berechnung, daß von Anfang 1951 bis Ende 1952 der Anteil des Arbeitseinkommens am Netto-Volkseinkommen von 62 auf 56 % gefallen und der Anteil des selbständigen Einkommens von 38 auf 44 % gestiegen ist.
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Das ist der Hintergrund der sozialen Entwicklung, die bei dieser Steuerpolitik vor sich geht.
Auch wir Sozialdemokraten machen uns keine Illusion darüber, hier etwa ein amerikanisches Lohnniveau hinter hohen Schutzzollmauern aufbauen zu können. Wir wissen, daß wir exportfähig bleiben müssen.
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Aber ich glaube, unser Volk und unsere arbeitenden Menschen haben Anspruch auf d e n europäischen Standard, der in Europa zu erlangen ist, und sie haben Anspruch darauf, daß sich der notwendigen Selbstbescheidung niemand in diesem Volke entzieht und daß man nicht versucht, durch Abspaltung einer begünstigten Gruppe der hohen und höchsten Einkommen eine Fellachendemokratie aufzurichten.
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Und ein letztes Wort: Man spricht so viel gerade von Ihrer Seite, wenn Sie von Steuerpolitik reden, von der notwendigen Erhaltung der Substanz, von der notwendigen Pflege der Abschreibungen usw. und der wirtschaftlichen Bedeutung aller dieser Dinge. Haben Sie sich denn einmal Gedanken darüber gemacht, ob nicht der wichtigste Faktor der Wirtschaft, ob nicht die menschliche Arbeitskraft auch Anspruch auf Erhaltung ihrer Substanz hat?
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- Ja, wir müssen aber jetzt von den kleinen und mittleren Einkommen sprechen,
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denn Sie wissen ja, daß 75 % der Erwerbspersonen dieser Bundesrepublik zu den unselbständigen Arbeitnehmern gehören, und Sie wissen genau, welchen Einkommensgruppen diese ganz überwiegend angehören. Sehen Sie, wenn jemand von seiner Jugend an bis in sein Alter gearbeitet hat und wenn er gerade immer nur das Leben hat fristen können, wenn ihm nicht etwas übriggeblieben ist, um sein Alter zu sichern, um für seine Bildung etwas zu tun, um für seine Kinder etwas zu tun, um etwas Eigentum zu bilden und etwas zu sparen, wenn er dann aus diesem Leben geht, vielleicht in seinen letzten Jahren noch kümmerlich an eine Rente geklammert, die man alle halben Jahre durch heftige Parlamentskämpfe wieder etwas höher schrauben muß, wenn er dann geht und bei seinen Kindern fängt genau dasselbe von vorn an - er konnte ihnen nichts hinterlassen -, und von all dieser Arbeit ist, wenn er aus dem Arbeitsprozeß ausgeschieden ist, nichts an Alterssicherung übriggeblieben, dann ist eben die Substanz dieser Arbeitskraft restlos verbraucht worden, und sie ist nicht erhalten worden.
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Das wollen wir verhindern. Hier wollen wir das Schicksal dieser Menschen verbessern. Und, meine Damen und Herren, das haben Sie bisher nie berücksichtigt, und das, was Sie mit dieser Steuervorlage und mit dieser Steuersenkung verfolgen wollen, läuft dem stracks zuwider. Wir lehnen deswegen diese Vorlage in ihren entscheidenden Punkten ab.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Renner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat die Ziele, die ihm bei dieser sogenannten Steuerreform vorschweben, in zwei sehr faßliche Bilder gebracht. Er hat gesagt, es gelte, einer Psychose entgegenzuwirken, die sich im Jahre 1951 im Zusammenhang mit Korea erstmalig heftig gezeigt habe, der Sachwertpsychose. Als zweiten Zweck seiner „Reform" hat er die Notwendigkeit herausgestellt, die großen Aktiengesellschaften anzuregen, höhere Dividenden auszuschütten, und zu diesem Behuf die Dividendensteuer noch begünstigter zu gestalten, als das bisher der Fall war.
Ich will einmal an das Problem herangehen, solange das die mir zur Verfügung stehende Zeit erlaubt, vom Standpunkt der Leute, die an der Höhe der auszuschüttenden Dividende gar nicht interessiert sind, weil sie keine Aktien haben. Ich will an das Problem vom Standpunkt der Leute herangehen, die auch nicht in die Sachwerte flüchten können, auf Grund der einfachen Tatsache, daß das bißchen, was ihnen zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes zur Verfügung steht, ihnen gar nicht erlaubt, sich im Falle einer Krise der Währung oder aus anderen Anlässen in die Sachwerte zu retten. Vom Standpunkt dieser kleinen Menschen aus gesehen, die ja prozentual die Masse unseres Volkes darstellen, muß man über den wahren Charakter dieses Gesetzentwurfs unserer Überzeugung nach zu einem anderen Urteil kommen. Diesen Charakter, den unserer Überzeugung nach der Gesetzentwurf hat, haben wir bereits bei der Behandlung des Nachtragshaushalts herausgestellt. Damals haben wir vollkommen zu Recht ausgesprochen, daß der Entwurf nichts anderes ist als ein Wahlmanöver, zur rechten Zeit ausgelöst mit der Zielsetzung, die Menschen durch Vorspiegelung einer Steuersenkung über den realen Tatbestand hinwegzutäuschen.
Lassen Sie mich noch etwas vorausnehmen. Herr Schäffer hat heute mehrfach davon gesprochen, daß ihm gar keine andere Möglichkeit bleibe, daß, wenn er irgendwo etwas zugestehen solle, er auf der anderen Seite neue Lasten aufbauen müsse; und er hat die finanzielle Lage des Bundes so dargestellt, als habe er gar keine Bewegungsmöglichkeiten. Wenn dem so ist, dann wundere ich mich, warum er sich nicht zu der Meldung geäußert hat, die am Samstag in der „Frankfurter Allgemeinen" stand, wonach ein hoher amerikanischer Regierungsmann erklärt hat, Herr Schäffer habe sich bereit erklärt, im nächsten Haushaltsjahr 13,9 Milliarden DM „Verteidigungsbeitrag" zu leisten.
Weiterhin erscheint es mir sehr bemerkenswert, daß Herr Schäffer mehrfach mit direktem Stolz erklärt hat, dieses Kind da - ich möchte mir ein entsprechendes Adjektiv ersparen - habe die Zustimmung des Bundesrats gefunden. Das ist uns bekannt, verdient aber trotzdem, unterstrichen zu werden, weil ja doch der Bundesrat so zusammengesetzt ist, daß, wenn die SPD von ihrer Machtmöglichkeit Gebrauch machte, solche Beschlüsse im Bundesrat konterkariert werden könnten, - falls es bei der SPD wirklich so steht, daß man diesen Plänen tatsächlich Widerstand entgegensetzen will. Das aber ist unserer Überzeugung nach nicht der Fall.
Heute haben wir eine groß angelegte Rede mit sehr vielen Zahlen gehört, auf die man schon aus Zeitmangel nicht eingehen kann. Aber das Entscheidende ist auch heute wieder das gewesen, was uns nicht gesagt worden ist. Soweit der Entwurf eine Änderung steuerlicher Vorschriften bringt, ist unserer Überzeugung nach dazu generell zu sagen: Die Steuertarife werden wohl vorher etwas gesenkt, aber die gesamte steuerliche Belastung des einzelnen wird durch einen Abbau der bisherigen Steuervergünstigungen wieder erhöht, da praktisch die bisherigen Steuervergünstigungen beseitigt werden. Gleichzeitig wird die Umsatzsteuer in der derzeitigen Höhe beibehalten, so daß die so dringend notwendige steuerliche Entlastung des Kleinverdieners in Wirklichkeit nicht eintritt. Alle diese Massensteuern belasten doch den Haushalt des kleinen Mannes unstreitig viel schwerer als die direkten Steuern; diese bleiben aber mit Zustimmung des Bundesrates, mit Zustimmung also auch der sozialdemokratischen Minister in diesem Bundesrat, in Kraft.
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Ich komme nun zu den Steuervergünstigungen, die wegfallen sollen. Dabei greife ich nur den Wegfall der Steuervergünstigung bei Zuschüssen oder Darlehen für den Wohnungsbau heraus. Bisher konnte ein seine Beiträge zu einer
Wohnungsbaugenssenschaft und die Wohnungsbauzuschüsse, die er aufbrachte, von der Steuer absetzen. Das wird in Zukunft abgebaut. Der Abbau der Steuervergünstigung macht nicht einmal vor den Flüchtlingen und Ausgebombten halt. Das bisher diesem Personenkreis zustehende Recht, die Auslagen für die Neuanschaffung von Möbeln und Kleidungsstücken von der Steuer abzusetzen oder zur Finanzierung dieser Ausgaben Freibeträge zu beantragen, kommt in Wegfall. Sogar der Freibetrag für die Landarbeiter, die zu den am niedrigsten bezahlten Arbeitern gehören, fällt weg.
Dafür bringt die Vorlage die Einführung der Ehesteuer, deren Ertrag in Höhe von ungefähr 100 Millionen DM dazu benutzt werden soll, den von Herrn Schäffer auf der anderen Seite erwarteten Steuerausfall wieder hereinzuholen. Was Herr Schäffer heute über den Umschwung in der Beurteilung dieser Steuer gesagt hat, hält meiner festen Überzeugung nach einer ernsten Überprüfung nicht stand. Herr Minister, wir bekommen ja auch Zuschriften. Von Ihnen werden sie gelegentlich nicht beachtet und gehen gewöhnlich in den Papierkorb, vor allen Dingen, wenn es sich um Zuschriften in puncto Generalkriegsvertrag handelt. Die gehen bei Ihnen automatisch in den Papierkorb; aber wir lesen sie. Und was uns da zugeht, ist ein Beweis dafür, daß die Masse des Volkes diese Ehesteuer - und das mit Recht -ablehnt.
Nun zu den Vergünstigungen für die Reichen, die beibehalten werden, die zum Teil sogar noch erweitert werden. Da bleibt z. B. die kurzfristige Abschreibung von sogenannten geringwertigen Anlagebeständen bestehen; es erfolgt sogar eine Erhöhung von 200 auf 500 DM. Die großen Kapitalgesellschaften werden durch eine Senkung des Steuersatzes für den entnommenen Gewinn von 60 auf 40 % erheblich begünstigt. Es bleibt das Notopfer Berlin bestehen.
Wir sind der Auffassung, daß angesichts der Lage der breitesten Massen unseres Volkes eine echte Steuersenkung durchgeführt werden müßte. Wir fordern vor allem die Beseitigung aller indirekten Steuern, die auf den Lebensmitteln und den Gebrauchsgütern liegen.
Ich komme zu der wichtigsten Sache. Die Vorlage enthält außerdem die Erhöhung des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer auf 40 % für das Rechnungsjahr 1953/54, wie wir heute erfahren, zur Tilgung der „Kreditoperation", die der Herr Minister vornehmen will, um eine kleine Lücke aus seinem Defizit in Höhe von 800 Millionen DM auszugleichen. Diese Erhöhung des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer hat nach unten unheimliche Auswirkungen. In Essen z. B., wo wir gestern den Nachtragshaushalt für das laufende Rechnungsjahr besprochen haben, hat sich herausgestellt, daß die Stadtgemeinde bereits im laufenden Rechnungsjahr auf Grund der früheren Erhöhungen des Bundesanteils über 1 Million DM an finanziellen Zuweisungen des Landes verloren hat. Was nun eintritt, wird den Ausblutungsprozeß der Gemeinden noch steigern.
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- Sie lesen doch hoffentlich das Organ des Deutschen Städtetages. Dieses Organ des Deutschen Städtetages hat das Wort von dem „Ausblutungsprozeß der Gemeinden" geprägt. Etwas anderes ist die Auswirkung dieser Erhöhung auch nicht. Wir haben vor einiger Zeit eine Broschüre des Herrn Kollegen Erler in die Hand gedrückt bekommen, worin steht, daß die Länder den Ausfall, den der Herr Bumdesfinanzminister ihnen aufoktroyiert, durch einen Abbau ihrer Zuwendungen an die Gemeinden ausgleichen werden. Die Gemeinden müßten ihrerseits, so steht in der Broschüre drin, dazu übergehen, diesen Ausfall durch Erhöhung der Gebühren für Gas, Wasser, Strom und der Tarife für die Verkehrsmittel auszugleichen. Das ist doch praktisch der Fall. Praktisch ist es so, daß seit zwei Jahren bereits die Auswirkungen der Schäfferschen Kriegsvorbereitungspolitik auf die Gemeinden abgewälzt werden. Die Bürger in den Gemeinden bezahlen also seit zwei Jahren in Form ständiger Erhöhung der Gebühren diese Kriegsvorbereitungspolitik, ohne es' direkt zu merken. Das steht 'sogar in der Broschüre von Herrn Erler. Machen Sie also nicht mich dafür verantwortlich, wenn ich eine uns seit zwei Jahren auffallende Entwicklung in den Gemeinden herausstelle.
Was haben wir also vor uns liegen? Wir haben hier ein sehr klug aufgebautes Gesetzchen, dessen praktische Auswirkung keine echte Steuersenkung ist, dessen wahres Ziel es ist, die Kriegsvorbereitungspolitik des Herrn Adenauer finanziell zu untermauern. Das ist der Inhalt dieses Gesetzes. Darüber gibt es gar keine Möglichkeit eines Zweifels. Darum lehnen wir diese Vorlage ab.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zeitungen haben gestern große Ausführungen über eine Tagung gebracht, die die SPD abgehalten hat. Nach dem, was darin stand, konnte man eine solche Rede, wie Herr Seuffert sie inzwischen gehalten hat - die sich in der Tonart immer sehr von dem unterscheidet, was er im Ausschuß sagt - schon erwarten. Ganz besonders ist mir bei der Tagung aufgefallen, daß in den Kommentaren gesagt worden ist: „Was die Sozialdemokratie über die Wirtschaftspolitik und ihre Kritik daran gesagt hat, das war man dünn!" Dünn, - das ist, glaube ich, ein journalistischer Ausdruck. Und das war auch in der Tat dünn! Das kann man aber verstehen. Wenn man mit dem Jubilar Erhard absolut zufrieden sein muß, weil man doch täglich und stündlich erlebt, was dadurch geschaffen worden ist, dann sucht man sich ein anderes Kapitel, und das scheint im Augenblick die Finanzpolitik zu sein.
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- Nein, nein; Sie haben ja auch einige wirtschaftspolitische Bemerkungen gemacht, die wir auch zur Kenntnis genommen haben.
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Zu dem, was man im übrigen gehört hat, muß ich Ihnen, Herr Seuffert, schon sagen: wir arbeiten ja schon fünf oder wieviel Jahre zusammen und haben auch schon oft manches gemeinsam beschlossen - ich erinnere mich jedenfalls gern daran
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-, sogar in steuerpolitischen Dingen, mindestens im Wirtschaftsrat. Sie müssen auch ein wenig an den Ausgangspunkt denken! Das waren nämlich die Kontrollratsgesetze mit einer unvorstellbaren Steuerhöhe, die in den höheren Einkommen, wenn man es richtig ausrechnete, über 100 % ging.
Im übrigen: Ich will nur wenige Sätze zu Ihren Ausführungen sagen; sonst verbrauche ich meine Redezeit. Die Entgegnung selbst überlasse ich in erster Linie dem Herrn Finanzminister. Sie haben von den englischen Steuersätzen gesprochen. Da müßten Sie dann natürlich ein paar Worte über das englische Steuerrecht und über den geradezu fabelhaften Unterschied verlieren, der übrigens im ganzen angelsächsischen Steuerrecht zwischen dem Netto- und Bruttobetrag besteht, der der Steuer zugrunde zu legen ist.
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Da kommt man zu ganz anderen Ergebnissen.
Sie haben auch nicht vom Lastenausgleich gesprochen. Das hat zu unserer Freude erstmalig der Herr Bundesfinanzminister getan, - erstmalig Herr Schäffer! Sie haben gesagt, man müsse doch berücksichtigen, daß zu den hohen Steuern auch noch der Lastenausgleich komme. Sie haben, Herr Seuffert, hinsichtlich der 7er- Gruppen, die dem Bundesrat und der SPD immer ganz besonders ein Dorn im Auge gewesen sind, selber gesagt, daß es sich um eine Vorwegnahme von Abschreibungen handele. Sie haben daraus Folgerungen gezogen, die mir nicht ohne weiteres zwingend erscheinen.
Für meine politischen Freunde - das wird Sie natürlich nicht überraschen - habe ich zu erklären, daß wir den Grundgedanken der Steuernovelle positiv gegenüberstehen. Wir stehen auch dem zweiten Teil, wie es, glaube ich, heißt, nämlich der Heraufsetzung des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer von 37 auf 40 %, positiv gegenüber. Wir sind ferner der Meinung, daß wir zu einer Steuernovelle nicht kommen können, ohne gleichzeitig im Kapitalmarktförderungsgesetz etwas zu tun - darüber werde ich noch ein paar Worte sagen - und ebenfalls im Export, der sich langsam leider doch als sehr förderungsbedürftig herausstellt.
Die ganze Novelle war eine Überraschung auch für die Koalition, ich glaube, für die ganze Koalition; denn die Zeitungen waren ja seit Monaten mit Nachrichten darüber angefüllt, daß dieser Bundestag nicht mehr in der Lage sei, eine Steuerreform zu beschließen, weder eine große noch eine kleine. Die Initiative der Wirtschaft mit dem Produktivitätsgesetz, die auch innerhalb der Wirtschaft nicht allseits geteilt wurde, ist ganz bestimmt nicht von mir gekommen, Herr Seuffert. Das war eine Angelegenheit, die wenigstens zeitlich und auch in manchem anderen unglücklich war.
Dann ist der Antrag - Sie haben das schon geschildert, wenn auch immer mit gewissen Nebenbemerkungen über gezahlte und nicht gezahlte Wahlgelder; die unterlasse ich; die haben nämlich nichts damit zu tun -, die Koalitionsfraktionsnovelle Drucksache Nr. 3838 gekommen, und die hat nun - ich glaube, Herr Schäffer nimmt es mir nicht übel, wenn ich das sage - ihren Zweck erfüllt; denn sie hat die Novelle der Regierung herbeigeführt, mindestens ganz erheblich beschleunigt, und das freut uns. Wir betonen noch einmal, daß diese kleine Steuernovelle eine Tat ist und daß wir - das ist jetzt eine humoristische Bemerkung - besondere Freude an der beigegebenen Begründung gehabt haben; denn eine solche Einheitlichkeit zwischen dem Bundesfinanzminister und dem Bundeswirtschaftsminister, wie sie in der Begründung zutage tritt, habe ich sonst noch nie erlebt. Aber man soll sich darüber natürlich von Herzen freuen.
Nun hat Herr Seuffert eine Bemerkung gemacht, die ich aufgreifen möchte. Er wollte wissen, wie eigentlich der Waschzettel, sagen wir einmal, die Kladde des Herrn Schäffer ist, die er ja anfertigen mußte, ehe er das Gesetz herausbrachte, wie nämlich die 950 Millionen DM wieder hereinkommen, zum Teil durch Ehebesteuerung - aber das ist nur ein kleiner Teil - und durch Fortfall von Vergünstigungen usw. Ich könnte mir denken, daß der Ausschuß in dieser Beziehung etwas neugierig sein und vielleicht über die Motive oder die Vorarbeiten des Ministers nähere Aufklärung wünschen wird. Vielleicht kommen wir uns auf diesem Wege dann ein wenig näher, vielleicht allerdings auch nicht. Ich betone das deshalb, weil wir natürlich hinsichtlich der Tarife auch Wünsche haben. Und da möchte ich noch eine Bemerkung des Herrn Seuffert mit einem Satz in das richtige Licht rücken. Er hat immer von Einkommen über 100 000 DM usw. gesprochen, aber eigentlich nie erwähnt, daß es sich hierbei ja sehr häufig um Personalgesellschaften und nicht um den Kommerzienrat X handelt, der ihm vielleicht in erster Linie vorgeschwebt hat.
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Was die Tarife der Einkommensteuer angeht, so glauben wir, daß in einer Reihe von Gruppen ein Auseinanderziehen der Tarife nötig ist, und zwar, wenn ich Ihnen, Herr Seuffert, das verraten darf, unserer Ansicht nach auch ein Auseinanderziehen bei Einkommen über 100 000 DM sowie bei den Tarifen in der Spanne zwischen 8000 und 20 000 DM Einkommen.
Darf ich nun noch, ehe ich zu Weiterem komme, insbesondere zum Kapitalmarktförderungsgesetz, auf die Leute eingehen, die von diesem Gesetz überhaupt nicht begünstigt werden. Solche gibt es nämlich komischerweise. Das sind in erster Linie die Körperschaften. Für die Körperschaften bleibt der Steuersatz von 60 % völlig unverändert. Es gibt nun, wie Sie wissen, nicht bloß Körperschaften, die Gewinne ausschütten, sondern auch solche, die entweder ihre Gewinne nicht ausschütten oder aber in ihrer Steuerpolitik zu erheblichen Steuerbeträgen herangezogen werden, ohne Gewinne in der Handelsbilanz auszuweisen. Diese haben überhaupt nichts von dem Gesetz, sie haben im Gegenteil Verschlechterungen dadurch, denn der Wegfall der Vergünstigungen trifft sie in vollem Umfang. Der trifft auch, wie Sie sich sicher inzwischen ebenfalls überlegt haben, die Personalgesellschaften. Der eigentliche Gedanke der Steuersenkung kommt in Reinkultur nur den Einzelpersonen zugute - und das begrüßen wir -, die von diesen Vergünstigungen keinen Gebrauch machen.
In diesem Zusammenhang möchte ich zurückkommen auf Ihren Satz „Hat der Arbeiter Geld, so hat's die ganze Welt". Das ist eine völlig richtige Umdeutung des früher aufgestellten Satzes. Wenn Sie die Frage stellen „Hat der Arbeiter Geld?", so bin ich allerdings in der sehr angenehmen
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Lage, zu sagen: ja, er hat Geld. Denn welcher Berufsstand in Deutschland hat es fertig bekommen - auf Wegen, die ich gar nicht erörtern will; ich freue mich über das Ergebnis -, seine Bezüge nicht bloß parallel mit der Entwicklung des Lebenshaltungskostenindex zu erhöhen, sondern diese Entwicklung nicht selten sogar zu übertreffen?
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Darüber wollen wir froh sein, und wir wollen uns nicht zu sehr aus taktischen Gründen - entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen das unterstelle - davon leiten lassen, daß hier Geschenke verteilt werden sollen. Das ist ja vor ungefähr zwei Jahren schon einmal behauptet und meines Erachtens bereits damals mit sehr guten Gründen zurückgewiesen worden. Die zweite Lesung wird uns vielleicht in diesem Punkte etwas aufgeklärter finden, als wir es heute sind, denn heute könnte es den Anschein haben, als ob nur die SPD aufgeklärt sei.
Ich habe Ihnen gesagt, ich wollte einen Ausflug zum Kapitalmarktförderungsgesetz machen; denn es ist ja in Wirklichkeit ein Steuergesetz. Wie hat sich nun dieses Erste Kapitalmarktförderungsgesetz - nach meiner Ansicht ist das Wort „Erstes" das beste an dem ganzen Gesetz - inzwischen ausgewirkt? Kaum war die Tinte der Unterschrift des Bundespräsidenten trocken, da hat sich der verehrte Bundesfinanzminister, na, ich will mal sagen, auf einen Ackerschlepper gesetzt - er braucht nicht von der MAN zu sein - und hat sich bemüht, nun einmal die Ackerkrume ein wenig aufzuritzen. Wofür? Für den allgemeinen Kapitalmarkt? - Nein, keineswegs, sondern für die Bundesanleihe. Ich glaube, manchen Urhebern des Kapitalmarktförderungsgesetzes ist dabei ein wenig bedenklich geworden, und das ist auch richtig. Das Gesetz ist ein Torso; das Gesetz ist um so mehr ein Torso, als durch einzelne Mitglieder dieses Hauses auch noch bewirkt worden ist, daß die steuerliche Begünstigung des ausgeschütteten Gewinns bei Aktiengesellschaften im letzten Augenblick wieder herausgekommen ist, ein Gedanke, dem Sie, wenn ich mich recht entsinne, gar nicht völlig ablehnend gegenüberstanden, Herr Seuffert, und vielleicht auch heute nicht gegenüberstehen. Ich bin aber der Meinung, daß es sich bei dieser Begünstigung der Ausschüttung der Dividende nicht um den Nettobetrag, sondern um den Bruttobetrag, also um den zur Ausschüttung benötigten Betrag handeln muß.
Es sind uns viele Eingaben zugegangen, in welcher Beziehung sonst für den Aktienmarkt etwas getan werden könnte, und ich bin schon der Meinung eines Gutachtens der amerikanischen Industrie, das ich vor kurzem gelesen habe, in dem klar und deutlich drinsteht: Die deutsche Industrie ist vertrauenswürdig für Anlagen auch seitens Amerikas, aber die Doppelbesteuerung, die das Kernstück der deutschen Steuergesetzgebung auf diesem Gebiete ist, verhindert jede Möglichkeit der Anlage. Soviel hierzu!
Ich habe vorhin schon in der Geschäftsordnungsdebatte die beiden Blitzableiter, die ich Ihnen, Herr Seuffert, nicht zur Beachtung, sondern die ich als Warnung aufstellen wollte, erwähnt, und ich will jetzt noch etwas darüber sagen. Was zunächst den § 4 Abs. 4 angeht, der sich also mit überzogenen Betriebsausgaben beschäftigt, so ist er nach unserer Auffassung weder in der Fassung der Novelle noch in der Fassung des Bundesrats brauchbar. Die Erfahrungen, die wir mit der Spesenverordnung gemacht haben, sollten uns eigentlich davor bewahren, auf diesem Gebiete und nunmehr sogar auf einem breiteren Gebiete neue Husarenritte zu unternehmen.
Was die Haushaltsbesteuerung angeht, so schwebt allerdings meinen Freunden als Endziel das amerikanische Splitting-System vor. Der Herr Bundesfinanzminister hat es, glaube ich, allgemein abgelehnt. Wir sehen ein, daß es im Augenblick nicht durchführbar ist. Wir streben ihm aber zu. Warum soll nicht auch aus Amerika einmal etwas Gutes kommen?
Wir möchten doch daran erinnern - was die Regelung heute und morgen angeht -, daß der § 41 in der Durchführungsverordnung nicht etwa 1941 von den bösen Nazis eingeführt worden ist, sondern daß er schon von 1925 bis 1934 gegolten hat. Dann haben ihn die Nazis, weil damals ihre Taktik eine andere war - Vollbeschäftigung usw. -, abgeschafft, und 1941 haben sie ihn wieder eingeführt. Wir glauben nach dem Eindruck, den wir von den Eingaben haben: bis jetzt hat offenbar von den Rednern mit Einschluß des Herrn Bundesfinanzministers von den Eingaben der Frauen und der ihnen nahestehenden Kreise - das sind auch die Männer, wie man sich erzählt - jeder einen anderen Eindruck. Ich glaube, wir kommen im Rahmen dieser Steuerreform und im Hinblick darauf, daß wir eben keinen Blitzableiter aufstellen wollen, in dieser Angelegenheit nur weiter, wenn wir uns dazu entschließen, die derzeitige Regelung weitergelten zu lassen.
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Dafür könnte ich auch noch manche taktischen Gründe anführen. Aber so offenherzig will ich im Augenblick gar nicht sein.
Ich komme zum Schluß noch zu den Vergünstigungen. Das Prinzip der Vereinfachung, das ja insbesondere beim Bundesrat, der sich heute schon verflüchtigt hat, der Hauptgrund für die Gesetzesänderung ist, darf nun nicht zu Oberflächlichkeiten führen; und in dieser Gefahr sind wir. Ich bin der Meinung - und meine Freunde mit mir -, daß wir Vergünstigungen für den Wohnungsbau, für den Schiffbau, für Kapitalansammlungsverträge und für Sparkonten nicht einfach, wie das Gesetz es im wesentlichen oder fast ausschließlich tut, über einen Leisten schlagen können, sondern da vertraue ich auf Herrn Neumayer und auf Herrn Seebohm und auf wen sonst noch alles, daß sie vielleicht doch die Interessen, deren Vertretung ihnen anvertraut ist, noch im Ausschuß geltend machen werden. Wir müssen uns meines Erachtens auch sehr intensiv mit der Frage beschäftigen, ob wir gut daran tun, im März 1953 ein Gesetz zu machen, das diktatorisch und endgültig erklärt, daß am 31. Dezember 1954 alle diese Vergünstigungen ohne jeden Unterschied aufhören. Das wird nicht gehen. Wir wollen - und darin werden wir den Minister absolut unterstützen - die Bekämpfung der Mißbräuche, die auf einigen Gebieten, die Sie alle kennen, besondere Formen angenommen haben. Was die Begrenzung angeht, hinsichtlich derer der Minister, wenn ich ihn recht verstanden habe, bereit wäre, gewisse Konzessionen gegenüber seiner Novelle zu machen, möchten wir glauben, daß es richtig und ausreichend wäre, darüber im Ausschuß für Finanzen und Steuern einiges zu sagen.
Im ganzen gesprochen ist also die Einstellung der Freien Demokratischen Fraktion zu dem Gesetzent({8})
Wurf des Herrn Schäffer eine durchaus positive,
und wir haben die Hoffnung, über eine große
Reihe von Einzelfragen mit ihm zurechtzukommen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Bertram.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Nachricht von einer Einkommensteuersenkung, von einer Steuersenkung überhaupt wird immer gern entgegengenommen. Wer sollte sich bei einer solchen Steuersenkung, wenn sie auch mäßig und klein ist, nicht freuen, und das um so mehr, als der Bundesfinanzminister noch- bis vor kurzer Zeit 'den gegenteiligen Standpunkt hinsichtlich des bei dem Stand der Bundesfinanzen Möglichen vertreten hat? Insofern könnte man also dem Vorschlag des Bundesfinanzministers sehr wohl beitreten. Aber wenn man sich einmal die Einzelheiten ansieht, so wird man unschwer feststellen, daß gewisse grundlegende Voraussetzungen für eine Einkommensteuersenkung vom Bundesfinanzministerium nicht ausreichend berücksichtigt worden sind.
Da ist zunächst die Tatsache, daß die indirekten Steuern im Laufe der letzten Jahre laufend höher geworden sind und daß diese indirekte Steuerlast, die jeden Verbraucher belastet, eine solche Höhe erreicht hat, daß man die effektive Steuerlast je Kopf der Bevölkerung nur dann richtig feststellen kann, wenn man außer den Einkommensteuern oder Lohnsteuern auch noch die indirekte Steuerlast pro Kopf berücksichtigt. Das bedeutet, daß je Arbeiterhaushalt ein Jahressoll an indirekten Steuerlasten von rund 480 DM hinzugerechnet werden muß. Wenn wir aber einmal die Steuertarife berücksichtigen, die wir hier vor uns sehen, und dann zu diesen Sätzen die indirekten Steuerlasten hinzurechnen, dann ergibt sich eindeutig, daß gerade die kleineren Stufen wesentlich höher belastet sind, auch prozentual, als die mittleren und höheren Stufen. Hier liegt ein Fehler unseres gesamten Steuersystems vor, der unter allen Umständen berücksichtigt werden muß.
Es kommt hinzu, daß der Bundesfinanzminister sein Versprechen 'der Steuersenkung in einem Zeitpunkt vorlegt, in dem - gegenüber 1948 - die Einkommen im Durchschnitt um 50 % gestiegen sind. Diese Einkommenssteigerung korrespondiert mit entsprechenden Preissteigerungen. Das bedeutet, daß die einzelnen Einkommensbezieher in eine höhere Steuerstufe geraten sind. Sie haben jetzt infolge der Steuerprogression nicht nur den Prozentsatz mehr an Steuern zu zahlen, um den das Preisniveau sich erhöht hat, sondern sind auch in eine wesentlich höhere Steuerstufe gekommen. Beispielsweise muß ein Pflichtiger der Steuerklasse I mit einem Einkommen von 5000 DM 723 DM bezahlen, mit einem Einkommen von 7500 DM, also bei einer Steigerung von 50 %, eine Steuer von 1430 DM, was eine Steuersteigerung von 100 % bedeutet.
Die außerordentliche Steigerung des Aufkommens infolge 'der Steuerprogression hat im Laufe der letzten Jahre eine tatsächliche Steuererhöhung mit sich gebracht, die zwar schleichend' vor sich gegangen und nicht infolge einer offiziellen Erhöhung der Tarife eingetreten ist, die aber doch nichts anderes bedeutet, als daß mit der Preisentwicklung von Jahr zu Jahr auch die Steuern erhöht worden sind. Wir haben also in dieser sogenannten
Steuersenkung nichts anderes als eine teilweise Rückgängigmachung 'der Steuererhöhung vor uns, die sich aus der Preisentwicklung 'ergeben hat.
Die vom Bundesfinanzministerium deshalb gerade bei den kleineren und mittleren Einkommen vorgesehene Tarifsenkung entspricht bei weitem nicht dem, was sich einerseits aus der Preisentwicklung und andererseits aus der Belastung des einzelnen Verbauchers mit indirekten Steuern ergeben würde; sie entspricht bei weitem nicht dem, was sich insbesondere bei kinderreichen Familien aus der Belastung mit indirekten Steuern an sonstigen Steuerlasten ergeben würde. Hier muß in der Ausschußarbeit eine entsprechende Korrektur vorgenommen werden.
Der Herr Bundesfinanzminister hat darauf hingewiesen, daß das Äußerste, was er an Konzessionen machen könne, der Gesamtbetrag von - wie er sagte - 950 Millionen sei. Dazu ist zunächst zu sagen, 'daß dieser Ausfall von 950 Millionen, der in der Begründung des Gesetzes vom Ministerium zunächst angegeben wird, auf der folgenden Seite ganz richtig wieder dahin korrigiert wird, daß durch den Verbrauch der Einkommensteile, die nicht zur Einkommensteuer herangezogen werden, zusätzliche Umsatz- und Verbrauchssteuern entstehen und zusätzliche Einkommensteile, auf die auch wieder Steuern zu zahlen sind. Dieses Mehraufkommen wird vom Bundesfinanzministerium mit einem Betrag von 390 Millionen angegeben, so daß der Minderertrag nicht, wie immer gesagt wird, 950, sondern nur 560 Millionen ausmacht.
Aber auch diese Rechnung ist unzutreffend. Man geht davon aus, daß im Durchschnitt natürliche Personen und Körperschaften mit etwa nur - man höre und staune - 25 % besteuert würden. Wenn I wir auf der anderen Seite hören, daß der Körperschaftsteuersatz 60 % beträgt, die Höchstgrenze der Einkommensteuer nach den neuen Vorschriften 70 % beträgt, so ist ausgeschlossen, daß die Besteuerung im Durchschnitt bei 25 % liegt. Es liegt also auch hier noch eine Reserve; ds. h. der Steuerausfall, den das Bundesfinanzministerium berechnet, ist nicht richtig berechnet.
Ferner: Die Senkung der Körperschaftsteuer auf ausgeschüttete Gewinne kommt ja den Körperschaften in keiner Weise zugute. Im Gegenteil, nach wie vor stehen sich die Körperschaften am besten, die nichts ausschütten und den nicht ausgeschütteten Gewinn voll zur Körperschaftsteuer heranziehen lassen; diese Körperschaften stehen sich immer noch besser, als wenn sie einen Teil der Gewinne ausschütten, auch wenn sie diesen Teil nur mit 40 % zu versteuern haben. Die Senkung der Körperschaftsteuer auf 40 % ist eine Maßnahme, die ausschließlich den Aktionären zugute kommt und die Körperschaften belastet, was sich auch jetzt schon daraus ergibt, daß die Körperschaften insgesamt nur verschwindend geringe Beträge auszahlen im Vergleich zu denen, die sie versteuert haben. Bei einem Körperschaftsteueraufkommen von über 5 Milliarden DM sind tatsächlich nur rund 600 Millionen DM als Gewinne ausgeschüttet worden. Diese Maßnahme. der Senkung der Körperschaftsteuer bewirkt eine Steigerung des Einkommens der Aktionäre und damit auch eine Steigerung der Einkommensteuer. Auch dieser Faktor ist bei den Berechnungen des Bundesfinanzministeriums nicht berücksichtigt.
Endlich ist folgendes zu sagen. Bei all diesen Berechnungen kommt es nicht nur darauf an, daß der
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Saldo des Haushalts rein rechnerisch in Ordnung ist, sondern es kommt auch auf den Zeitpunkt der entstehenden Einnahmen und Ausgaben an. Wenn wir diese Frage untersuchen, so stellt sich eindeutig heraus, daß die öffentlichen Kassen zur Zeit außerordentlich stark angefüllt sind. Das beweist aber, daß die Haushaltsvoranschläge irgendwie nicht richtig, daß sie zumindest zeitlich nicht richtig angeordnet sind. Der Gesamtkassenbestand der öffentlichen Kassen betrug im Dezember 1951 5,2 Milliarden DM, im Januar 1953 7,2 Milliarden DM. Diese Steigerung um 2 Milliarden DM im Verlaufe von 13 Monaten zeigt doch, daß die Entwicklung der Ausgaben überschätzt und der Einnahmen unterschätzt worden ist.
Größenordnungen von 2 Milliarden DM im Verlaufe eines guten Jahres bergen bereits außerordentlich gefährliche volkswirtschaftliche Nachteile in sich. Wir haben es ja zum erstenmal im Januar dieses Jahres erlebt, daß der Produktionsindex unter dem des vergleichbaren Monats des Vorjahres lag. Wir waren im Januar dieses Jahres auf einem Produktionsindex von nur 157, während wir im Januar vorigen Jahres auf einem Produktionsindex von 159 waren. Das liegt meines Erachtens zum großen Teil daran, daß die öffentliche Hand in starkem Maße Geld thesauriert hat. Die öffentlichen Geldfässer fließen einfach über. Unter diesen Umständen ist die allzu vorsichtige und ängstliche Betrachtungsweise des Bundesfinanzministeriums hinsichtlich der zu erwartenden Ausgaben, beispielsweise der zu erwartenden Besatzungslasten, oder hinsichtlich der zu erwartenden Einnahmen unbegründet. Ich sage, daß sie auch hinsichtlich der Einnahmen nicht gerechtfertigt ist; denn es ist uns allen bekannt, daß die Steuerrückstände wesentlich höher sind als in den Zeiten vor dem Krieg. Die jetzt laufenden Prüfungen der Finanzämter haben einen starken Auftrieb der Steuereingänge zur Folge gehabt; sie nehmen laufend zu. Dieser Punkt ist bei den Voranschlägen des Finanzministeriums nicht genügend berücksichtigt worden.
Angesichts der Möglichkeiten, die in den öffentlich verfügbaren Mitteln liegen und sich aus dem künftigen Aufkommen der Steuern ergeben und mit Rücksicht auf die bei weitem noch nicht ausgeschöpften Kreditmöglichkeiten des Bundes empfiehlt sich eine wesentlich großzügigere Handhabung, als sie bisher geübt worden ist. Die jetzige Finanzpolitik, vor allen Dingen die des letzten halben Jahres, verdient die Bezeichnung einer deflatorischen Finanzpolitik. Der Bundesfinanzminister hat erklärt, daß er als Gratwanderer zwischen Inflation und Deflation wandere und den Abgründen zu beiden Seiten auszuweichen habe. Man sollte aber nicht vergessen, daß' Deflation und Inflation nicht von blinden Naturgewalten geschaffene gefährliche Abgründe sind, sondern daß w i r die Deflation und die Inflation schaffen. Wenn der Bundesfinanzminister, durch die Erfahrungen der letzten Jahre gewitzigt, in erster Linie auf 'die Gefahren einer inflationistischen Entwicklung schaut, so kann man das verstehen. Die größeren und uns zur Zeit stärker bedrohenden Gefahren kommen aber von einer deflatorischen Finanzpolitik. Deshalb ist es gerechtfertigt, alsbald eine größere Steuersenkung durchzuführen, als sie uns das Finanzministerium vorgeschlagen hat.
Wenn diese Steuersenkung insbesondere den Pflichtigen zugute kommt, 'die ihr geringes Einkommen im wesentlichen zum Konsum verbrauchen, so geht von diesen Pflichtigen als erstes und stärkstes ein Anreiz zur Steigerung der Produktion der Verbrauchsgüterindustrie aus. Gerade von dieser Seite her ist wesentlich schneller ein Erfolg zu erwarten als von jeder anderen steuerlichen Maßnahme. Man darf doch nicht verkennen, daß gerade die Steuerpflichtigen mit größerem Einkommen ihre Dispositionen entscheidend davon abhängig machen, wie sie die zukünftige Wirtschaftsentwicklung und die zukünftige Rendite beurteilen. Diese zukünftige Wirtschaftsentwicklung wird aber allgemein mit Sorge und teilweise mit Ängstlichkeit beurteilt, und das nicht zu Unrecht, wie die Produktionsindices beweisen. Hier also 'eine Steuerpolitik anzusetzen, die eine unmittelbare Anregung gerade des Konsumgütersektors bedeutet, würde alsbald jene wirtschaftspolitischen Ziele erreichen helfen, welche die Bundesregierung uns in ihrer Begründung so beredt vorgetragen hat.
Meine Damen und Herren! Die Frage der gemeinsamen Veranlagung wird vom Bundesfinanzministerium unter verschiedenen Gesichtspunkten vorgetragen, insbesondere im Vergleich zu der Steuerlast eines Verheirateten. Ich glaube, dieser Vergleich ist ganz abwegig. Gegen eine gemeinsame Veranlagung würde sich ja niemand wehren, wenn es sich nicht darum handelte, daß hier zwei Menschen deshalb, weil sie eine Ehe miteinander eingegangen sind, in eine höhere Progressionsstufe geraten sollen durch das 'dem Steuerrecht an sich wesensfremde Element der Gründung einer Lebensgemeinschaft. Diese höhere Progressionsstufe, in die zwei Steuerpflichtige nur deshalb kommen, weil sie verheiratet sind, ist es, gegen die sie sich mit Recht wehren und wehren müssen.
Es ist auch nicht richtig, aus der Tatsache, daß die jetzt geltende Rechtslage beispielsweise zwei im freien Beruf tätige Eheleute nicht begünstigt, nunmehr rückzuschließen, daß die Begünstigung auch für die Arbeitnehmer beseitigt werden müsse. Eine Ungerechtigkeit, wie sie zur Zeit bei vielen Handwerkern und freien Berufen vorliegt, wird doch nicht dadurch beseitigt, daß man sie- auch auf einen Kreis von Pflichtigen ausdehnt, denen zur Zeit entsprechend den Grundsätzen wahrer Gerechtigkeit diese Vergünstigungen zustehen.
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Wenn der Bundesfinanzminister darauf hingewiesen hat, daß ein Junktim zwischen der ganz bescheidenen Erhöhung der Steuerfreibeträge einerseits und 'dieser Vorschrift andererseits bestehe, so ist das Junktim ja völlig willkürlich, und niemand zwingt uns, das Junktim als solches anzunehmen. Wir haben es in der Hand, darüber frei zu entscheiden.
Der Herr Bundesfinanzminister hat dann auf den amerikanischen Reichtum hingewiesen. Meine Damen und Herren, stimmt es nicht außerordentlich nachdenklich, daß in Amerika die Zahl der Erwerbstätigen einen wesentlich höheren Prozentsatz als in Deutschland erreicht, daß, soweit ich weiß, zur Zeit 63 Millionen Erwerbstätige vorhanden sind, die eine Fülle von Arbeit leisten, die wir in dem ärmeren Deutschland nicht leisten können, weil uns die nötigen Arbeitsplätze fehlen, daß also gerade die Tatsache, daß in Amerika in größerem Umfang als in Deutschland Mann und Frau arbeiten, neben dem natürlichen Reichtum eine der Quellen des amerikanischen Reichtums gewesen ist? Wir verschütten wahrscheinlich in 'Deutschland
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eine potentielle Quelle des Reichtumszuwachses, wenn wir den Weg gehen, den der Bundesfinanzminister hier mit so heftigen Worten verteidigt, indem er die anderen, die nicht so denken wie er, als unsozial und als die Ungerechten bezeichnet, wodurch er von vornherein eine Animosität zu schaffen sucht, in der die Sachlichkeit der Debatte unterzugehen droht.
Meine Damen und Herren, ich bin am Ende meiner Ausführungen; ich darf nur noch auf einen Gesichtspunkt hinweisen: auf die Notwendigkeit, den Sparer auch weiterhin steuerlich zu begünstigen. Der kleine Sparer, der unter Konsumverzicht - das ist doch das Entscheidende -, indem er sich etwas vom Munde abspart, ein paar Mark zur Sparkasse trägt, verdient eine steuerliche Belohnung unter allen Umständen, und es ist gar nicht zu verstehen, wie die Bundesregierung ihre bisherige, das Sparen fördernde Linie plötzlich deswegen abbrechen will, weil sie in anderen Größenordnungen, nämlich in Größenordnungen der Kapitalanlage, die Begünstigung abschafft, während die besondere Begründung des steuerbegünstigten Sparens, nämlich der Konsumverzicht, von ihr plötzlich nicht mehr beachtet wird.
Ich hoffe, daß in den Ausschußberatungen auch die Damen und Herren der Regierungskoalition sich unseren Argumenten gegenüber aufgeschlossen zeigen werden, so daß wir aus diesem Gesetz etwas Ganzes machen können.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Lockmann.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Herr Bundesfinanzminister gibt vor, mit der Zusammenveranlagung einen Kreuzzug für die „steuerliche Gerechtigkeit" zu führen. Wie sieht nun dieser Kreuzzug aus? Die Spesenverordnung wird aufgehoben, was in erster Linie den großen Einkommensbeziehern ein angenehmes Wahlgeschenk sein dürfte, und auf der gleichen Linie liegt der Reformvorschlag bei der körperschaftsteuerlichen Begünstigung der Dividendenausschüttung und gleichzeitig die Herabsetzung der Einkommenshöchstbelastung von 80 auf 70 %. Das kostet natürlich Geld. Aber die Gebefreudigkeit des Herrn Bundesfinanzministers vor den Wahlen findet ihre Grenze in der Notwendigkeit, den -Etat auszugleichen.
Die Rechnung hierfür will der Herr Finänzminister den mitverdienenden Ehefrauen präsentieren. Praktisch soll also wieder ein Teil der Bevölkerung den Haushalt stützen, der zahlenmäßig stark ist und daher fiskalisch ins Gewicht fällt, aber sozial am ungünstigsten steht. Denn regelmäßig werden nur diejenigen Ehefrauen mitverdienen, deren Familie vom Ehemann allein nicht unterhalten werden kann oder die durch ihre Mitarbeit die finanziellen Voraussetzungen für den Erwerb einer Wohnung und ihrer Einrichtung schaffen wollen. Dieser mitverdienenden Ehefrau will also der Bundesfinanzminister durch Streichung des § 43 der Einkommensteuerverordnung die Steuer aufbürden, von der man die großen Einkommensbezieher, um sie bei der kommenden Wahl bei der Stange zu halten, entlasten will. Und das alles unter dem Motto der steuerlichen Gerechtigkeit.
Meine Herren und Damen, wie kurzlebig und wandelbar sind doch die Anschauungen der Koalitionsparteien! Am 2. November 1952 nämlich haben die Koalitionsparteien in der Drucksache Nr. 3838 unter Art. 1 Ziffer 3 beantragt, dem § 26 des Einkommensteuergesetzes folgenden Absatz hinzuzufügen:
Eine Zusammenveranlagung findet nicht statt, soweit ein Ehegatte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in einem dem anderen Ehegatten fremden Betrieb erzielt.
Dieser Antrag geht über die bisherige Regelung sogar hinaus dadurch, daß man nun auch den mitverdienenden Ehemann miteinbeziehen wollte und dadurch eigentlich eine steuerliche Ungleichheit ausgleichen konnte.
Hingegen hat der Herr Bundesfinanzminister in der Haushaltsrede am 28. Januar 1953, also erst zwei Monate später, die Aufhebung des § 43 und die Zusammenveranlagung verlangt.
Man kann sich des Zweifels nicht erwehren und muß fragen, ob der Antrag der Koalitionsparteien im November auch wirklich ernst gemeint war. Es kann nicht angenommen werden, daß der Herr Bundesfinanzminister keine Kenntnis von diesem Antrag gehabt hat.
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Man überlege nun, daß bei Streichung des § 43 geschiedene Eheleute mit gleicher Kinderzahl und gleichem Einkommen steuerlich erheblich besser abschneiden würden, als wenn sie noch verheiratet wären. Es werden also im Falle einer Streichung des § 43 bald „Steuerehen" aus steuerlichen Interessen grassieren. Die Diskussion, die insbesondere nach der Haushaltsrede des Herrn Bundesfinanzministers erneut aufgeflammt ist, stand unter dem Tenor: Wer heiratet, zahlt Strafe, doppelt Verdienen - vierfach Versteuern, Strafgesetz für mitverdienende Ehefrauen, Finanzminister begünstigt wilde Ehen.
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Ich kann nichts dafür, daß sich alle diese schönen Begriffe inzwischen so geformt haben und der Diskussion zugrunde liegen.
Es gibt auch keine innere Rechtfertigung für die Zusammenveranlagung. Zu Unrecht wird immer erklärt, die Ehebesteuerung sei ideell durch das Wesen der Familiengemeinschaft, wirtschaftlich durch die höhere Leistungsfähigkeit der Gemeinschaft gerechtfertigt. Wirtschaftlich trifft der Vergleich der Leistungsfähigkeit überhaupt nicht zu. Gemeint ist offenbar die Möglichkeit des sparsameren Wirtschaftens durch die Wohngemeinschaft. Dies veranlaßt aber den Fiskus sonst niemals, höhere Steuern zu erheben. Man denke nur an das Zusammenleben von Geschwistern, Freunden gleichen und verschiedenen Geschlechtes sowie ganzer Berufsgruppen in den Kasernen!
Wenn der Bundesfinanzminister weiter ausführt, der § 43 EStDV sei ein „Nazigesetz", so ist diese Begründung offenbar unrichtig. Es darf daran erinnert werden, daß die Einkommensbesteuerung 1925 kurz nach der Einführung eines stark progressiven Steuersystems für die arbeitende Frau aufgehoben und erst 1934 von den Nazis wieder eingeführt wurde. Der Herr Bundesfinanzminister irrt also, wenn er meint, er distanziere sich vom Nazismus, wenn er die Ehebesteuerung wieder einführe. Das Gegenteil ist doch der Fall. Richtig ist allerdings, daß die Nazis 1941, als die Frauen für Kriegszwecke arbeiten sollten, sich auf die Wiederabschaffung der Ehebesteuerung besannen
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Besonders möchte ich nochmals darauf hinweisen, daß die Zusammenveranlagung aus sozialen Gründen in keiner Weise gerechtfertigt ist. Denn es werden fast ausschließlich diejenigen betroffen, die der mittleren Schicht angehören und entweder gezwungenermaßen mitarbeiten müssen oder die zur geistigen Mittelschicht zu rechnen sind, bei denen man durch die Zusammenveranlagung eine negative Auslese als notwendige Folge erreichen würde.
Weiterhin muß die soziale Not der Vertriebenen und neuerdings die der Sowjetzonenflüchtlinge hervorgehoben werden, die in weitestem Maße gezwungen sein werden, sich durch gemeinsame Arbeit von Mann und Frau eine neue Lebensgrundlage zu schaffen. Wer würde dafür Verständnis aufbringen, daß man diesen Personenkreis steuerlich durch die Zusammenveranlagung belastet?
Wir halten also die Lösung dieses Problems aus sozialen wirtschaftlichen und politischen Gründen im jetzigen Augenblick für höchst unzweckmäßig, abgesehen davon, daß das Gesetz über die Gleichberechtigung der Frau bis zum 31. März 1953 verabschiedet werden muß, das ja, wie ich eingangs erwähnte, auch für die steuerliche Gleichberechtigung der Frau von besonderer Wichtigkeit sein wird. Der Zeitpunkt der Lösung dieses Problems sollte daher bis zur großen Steuerreform hinausgeschoben .werden, die j a für 1955 angekündigt worden ist. Meine Fraktion lehnt mit aller Entschiedenheit eine Zusammenveranlagung ab.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Eickhoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie wissen alle, daß seit Jahr und Tag immer wieder aus allen Bevölkerungsschichten die Forderung an uns gestellt wird, uns endlich für eine Steuersenkung einzusetzen. Diese Forderung ist nicht nur von der Wirtschaft, nicht nur vom Handel und Handwerk erhoben worden, sondern sie ist genau so gut von allen Beamten, Angestellten und Arbeitern erhoben worden. Wir wissen, daß durch die überhöhten Steuersätze leider Gottes die Privatinitiative, der wir so viel und so gern das Wort reden, gehemmt worden ist. Wir wissen, daß durch diese überhöhten Steuersätze unseren Leuten draußen oft die Lust am Arbeiten genommen ist, und wir wissen auch, daß die Steuerzahlungen, insbesondere die Nachzahlungen, oft nicht aufgebracht werden können, weil gerade Nachzahlungen auf Grund von Zahlungsverpflichtungen aus den zurückliegenden, vielleicht guten Wirtschaftsjahren in den leider schlechter gewordenen laufenden Wirtschaftsjahren geleistet werden müssen.
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Von diesem Standpunkt aus betrachtet müssen wir das Gesetz wohl alle begrüßen.
Nachdem seit Jahren schon die Tarifsenkung gefordert worden ist, kann man die im Durchschnitt 15% ige Senkung als immerhin recht beachtlich bezeichnen. Ich weiß, daß sie für viele Zweige unserer Wirtschaft, jedenfalls für die Kapitalbildung - ich denke hier an unsere kleinen Gewerbetreibenden -, nicht ausreicht. Das, was vorhin von Herrn Seuffert in bezug auf die Tarifsenkung gesagt worden ist, mag zahlenmäßig stimmen; im Sinne dieser Steuerreform ist es aber unbedingt eine Milchmädchenrechnung.
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Wir sehen jedenfalls in dieser Vorlage eine Umkehr auf dem bisherigen Wege, auf dem das Ziel durch ständige Steuererhöhungen erreicht werden sollte. Wir wissen, daß, hätten wir diesen Weg weiterverfolgt, unsere Wirtschaft sehr bald schon lahmgelegt worden wäre. Nur eine gut florierende Wirtschaft kann die Deckung schaffen, die wir für unseren angeschwollenen Staatshaushalt nun einmal nötig haben. Daß die eingesparten Steuern wieder dem Konsum zugeführt werden, ist selbstverständlich. Wir glauben auch, daß sie dazu beitragen werden, die Wirtschaft in etwa anzukurbeln, eben weil sie dem Räderwerk der Gesamtwirtschaft zugute kommen.
Herr Kollege Wellhausen hat vorhin bereits angedeutet, wie es zu dieser Steuervorlage überhaupt gekommen ist. Ich möchte dem etwas hinzufügen. Sie erinnern sich, daß wir vor einigen Monaten das Kapitalmarktförderungsgesetz verabschiedet haben. Nach seiner Verabschiedung haben wir dann festgestellt, daß dieses Gesetz nur einem gewissen Kreis, nämlich der Großwirtschaft, zugute kam.
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Wir von der Koalition haben daraufhin den Antrag Drucksache Nr. 3838 eingebracht, um auch für die mittelständische Wirtschaft, wenn auch über Abschreibungen und Steuervergünstigungen, eine gewisse Kapitalbildung zu ermöglichen.
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- Herr Seuffert, das war ein Grund mit für die Einbringung dieses Antrages.
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Wir wissen, daß unser verehrter Minister Schäffer diesen Antrag nicht gern gesehen hat; aber wir freuen uns, daß durch unseren Antrag eben die jetzige Vorlage aus dem Schubkasten hervorgelockt worden ist. Zu dieser Vorlage stehen wir grundsätzlich positiv. Wir begrüßen sie, weil wir in ihr einen ersten Schritt zu einer grundlegenden Reform sehen und weil wir wissen, daß von diesen Steuervergünstigungen alle Steuerpflichtigen profitieren - ein sozialer Gesichtspunkt, der nicht unterschätzt werden darf. Diese Vergünstigungen kommen nicht nur den buchführenden Betrieben zugute, die mit Vergünstigungen entsprechend der Drucksache Nr. 3838 bedacht worden wären, sondern diese Steuervergünstigungen kommen insbesondere unseren Beamten, unseren Angestellten und unseren Arbeitern zugute.
Wir sehen ferner in dieser Vorlage einen großen Vorteil, den ich auch erwähnen möchte. Die Steuervorlage läßt zwar Vergünstigungen wegfallen; durch sie kommen wir aber zu einer immerhin wichtigen Verwaltungsvereinfachung. Wir alle haben schon jahrelang von Verwaltungsvereinfachung geredet, hier können wir den ersten Schritt tun.
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Aber wir müssen auch eine andere Feststellung treffen. Wir haben einen großen Kreis Steuerpflichtiger - ich habe den Kreis eben aufgezählt -, die nur den guten Tropfen genießen. Wir wissen aber, daß es auch eine große Anzahl Steuerpflichtiger gibt - das sind eben diejenigen, die bisher von den Vergünstigungen Gebrauch gemacht haben -, die nun einen beträchtlichen Wermutstropfen mit eingeschenkt bekommen.
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Vorhin ist auf die Vergünstigungen, die bisher gewährt worden sind, viel geschimpft worden. Ich muß aber hier einmal ,feststellen, daß diese Vergünstigungen bisher unbedingt erforderlich waren,
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weil unsere Industrie durch diese Abschreibung überhaupt die Möglichkeit hatte, von sich aus ihre Werke wiederaufzubauen. Ich darf darüber hinaus betonen: Nicht nur unsere Industrie, sondern auch viele mittelständische Betriebe, auch kleinere mittelständische Betriebe, haben von diesen Vergünstigungen Gebrauch gemacht. Ich denke z. B. an Bauhandwerker mit vielleicht 20 oder 30 Arbeitnehmern, die von § 7 c immerhin ziemlich weitgehenden Gebrauch gemacht haben.
Ich möchte nun im einzelnen zu den Vorschlägen der Regierung kurz Stellung nehmen. Der vorgeschlagene Zusatz zu § 4 Abs. 4 soll nach der Begründung dazu dienen, offensichtlichen Auswüchse bei der Betriebsausgabengestaltung zu bekämpfen. Dagegen haben wir selbstverständlich nichts einzuwenden. Ich glaube aber, daß die vorgesehene Fassung der Finanzverwaltung Eingriffsmöglichkeiten gibt, die vielleicht bedenklich sind. Es muß sichergestellt sein - das hat Herr Minister Schäffer vorhin auch schon zugesagt -, daß Aufwendungen, die ernsthaften Zwecken des Betriebes dienen, auf keinen Fall davon betroffen werden. In diesem Zusammenhang sollten wir uns alle freuen, daß der § 9 a, dieser unglückliche Spesenparagraph, in Wegfall kommen soll. Ich glaube nicht, daß dieser Wegfall irgend etwas mit Wahlgeldern zu tun hat, wie Frau Lockmann vorhin meinte.
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Zu § 7 c möchte ich sagen, daß wir sehr wohl wissen, daß auf diesem Gebiete sogar unerhörte Mißbräuche vorgekommen sind. Die Begrenzung der vorgesehenen abzugsfähigen Zuschüsse und Darlehen auf 15 0/o des Gewinns birgt aber vielleicht die Gefahr in sich, daß erhebliche Mittel für den Wohnungsbau verlorengehen. Ich glaube, wir müssen uns im Auschuß darüber unterhalten, ob wir diese Grenze nicht etwas heraufsetzen sollten, weil der Wohnungsbau nach wie vor eine Hauptaufgabe für uns bleiben wird.
Die Bestimmung, daß Zuschüsse und Darlehen weder unmittelbar noch mittelbar im wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Aufnahme eines Kredits stehen dürfen, erweckt insofern einige Bedenken, als ein mittelbarer Zusammenhang von dem Betriebsprüfer leicht konstruiert werden kann.
Mit der Regelung des § 7 d erklären wir uns einverstanden. Sie werden verstehen, daß wir als Norddeutsche besonders am Schiffbau sehr interessiert sind. Wir wissen aber, daß mit der festgesetzten Grenze von 150 Millionen DM unsere Werften ausgelastet sein werden, so daß unsere Forderung hiermit erfüllt ist.
Der § 10 Abs. 2 Ziffer 3 betrifft das sogenannte 50 -Jahre-Privileg, die Verdoppelung bestimmter Höchstbeträge bei Sonderausgaben. Wenn es dabei bleibt, muß meines Erachtens die Ausdehnung dieser Vorschrift auf Steuerpflichtige mit überwiegenden Einkünften aus Gewerbebetrieb oder aus Landwirtschaft erwogen werden. Denn für diese Betriebe fallen die bisher bestehenden Steuervergünstigungen auch weg.
Ich komme zu der Haushaltsbesteuerung. Hier- 1 über ist genug gesprochen worden. Die vielen Eingaben, die wir bekommen haben, sagen uns, welche Wünsche insbesondere unsere Frauenverbände haben. Wenn wir eine Änderung vornehmen, dürfen wir das Gesetz der Steuergleichheit nicht außer acht lassen. Wenn es schon bei der getrennten Veranlagung verbleibt, müssen wir überlegen, ob wir nicht in der Besteuerung der Ehegatten zu einer Regelung kommen können, welche die Mitarbeit des einen Ehegatten im Gewerbebetrieb oder im landwirtschaftlichen Betrieb des anderen Ehegatten steuerlich berücksichtigt.
Wir stimmen der in § 51 Abs. 1 Ziffer 2 vorgesehenen Ermächtigung zu. Wir hoffen sogar, daß von dieser Ermächtigung viel Gebrauch gemacht wird. Wir messen der Erhöhung der Abschreibungsgrenze für abnutzbare bewegliche Anlagegüter von 200 auf 500 DM eine besondere Bedeutung bei, weil wir uns davon erhoffen, daß durch Anschaffung wenn auch nur kleinerer Maschinen unsere kleinen Betriebe etwas modernisiert werden. Dadurch würde unsere Wirtschaft wieder einen Vorteil haben.
Hinsichtlich der in Art. 10 behandelten Gewerbesteuer ist zu überlegen, ob nicht im Sinne des Grundsatzes der Steuergleichheit die alte Forderung wieder aufgenommen werden sollte, für Einzelunternehmen einen Pauschbetrag von 6000 DM festzusetzen, um diese grundsätzlich mit den Kapitalgesellschaften gleichzustellen. Sie wissen, daß die Kapitalgesellschaften die Gehälter für die leitenden Angestellten absetzen können. Diese Möglichkeit müßte auch den Einzelunternehmen eingeräumt werden. Jedenfalls ist das eine Frage, die bei der großen Steuerreform unbedingt berücksichtigt werden muß.
Ich komme zum Schluß. Ich habe vorhin schon erwähnt, daß meine Fraktion dieser Vorlage positiv gegenübersteht. Ich möchte sogar sagen: wir begrüßen diese Vorlage. Ich darf namens meiner Freunde der Hoffnung Ausdruck geben, daß die Vorlage spätestens zum 1. Mai Gesetz wird, daß sie also sehr schnell den Ausschuß, das Plenum des Bundestages und den Bundesrat passiert. Das wäre der erste und entscheidende Schritt auf dem Wege zu einer vernünftigen Steuerreform.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Niebes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich vorzugsweise der Ergänzungsvorlage zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans für das Rechnungsjahr 1953 zuwenden. Wenn wir uns die Rechnung ansehen, dann finden wir, daß da ein Fehlbetrag in Höhe von 751 Millionen DM ausgeglichen werden soll, und wenn wir untersuchen, wo dieser Betrag herkommen soll, dann sehen wir, daß im außerordentlichen Haushalt die gleiche Summe als Einnahme aus Anleihen eingesetzt ist. Man will also mit einer Anleihe den Haushaltsplan ausgleichen. Keineswegs ist die Sache so, daß mit dieser eigenen Anleihe der Haushaltsplan ausgeglichen würde; denn in der ersten Vorlage zum Haushaltsplan 1953 steht bereits eine Anleihe von 1210 Millionen DM. Außerdem beabsichtigt die Bundesregierung, um den Haushalt auszugleichen, im Jahre 1953 weitere Gelder in Form von An({0})
leihen flüssig zu machen, und zwar will sie die Schuldverschreibungen an die Sozialversicherung geben und dafür 740 Millionen DM einziehen, die ihren Kassenstand flüssig machen soll. Nun ist aber bekanntlich -- um das Bild abzurunden - aus dem Haushaltsplan 1951 noch ein ungedecktes Defizit von 1,3 Milliarden offen. Wenn wir uns die Ausgaben ansehen, die für den EVG-Vertrag. eingesetzt sind, und wissen, wie nach diesem Vertrag die Ausgaben tatsächlich sind, dann müssen wir feststellen, daß hierbei ein Betrag von 1,2 Milliarden weniger eingesetzt wird, bloß um den Haushalt einigermaßen ins Gleichgewicht zu bringen. Insgesamt dreht es sich hier um rund 5,2 Milliarden DM.
Wenn wir nun Herrn Finanzminister Schäffer fragen, was er dazu sagt, daß der Haushalt mit einer Belastung von 5,2 Milliarden DM versehen ist, die in den nächsten Jahren abgedeckt werden müssen, und wenn Sie mit einer nur geringen Verzinsung und Amortisationsquote rechnen, dann müssen Sie immerhin in den nächstjährigen Haushalt eine Summe einsetzen, die, ganz bescheiden gerechnet, zwischen 500 und 600 Millionen DM liegt. Wenn wir Herrn Schäffer fragen, was er dazu zu sagen hat, dann brauchen wir nur in seiner Rede nachzublättern, die er hier am 28. Januar dieses Jahres gehalten hat. Es heißt da:
Es ist finanzpolitisch nicht zu verantworten, Ausgaben, die sich Jahr für Jahr ständig wiederholen, in den außerordentlichen Haushalt zu übernehmen. Das widerspricht nicht nur dem Sinn und Geist der finanzpolitischen Grundsätze, wie sie im Grundgesetz niedergelegt sind; das widerspricht auch allen Grundsätzen einer gesunden Finanzpolitik.
Ich habe nicht die Absicht, mit Herrn Schäffer - meine Zeit ist sowieso schon stark in Anspruch genommen - über die Gesundheit oder Krankheit seiner Finanzpolitik zu sprechen, wenn er über diese Beträge, die ich hier angeführt habe, selber dieses Urteil abgibt. Aber soviel steht jedenfalls fest: Wenn derartige Summen in jedem Haushaltsplan laufend wiederkehren, dann betreiben wir eine ungesunde Finanzpolitik. Sie haben hier eine plastische Illustration zu dem von Herrn Schäffer angewandten Bild seiner Gratwanderung. Er neigt sich ganz bedenklich der Seite zu, wo es in Richtung auf eine Inflation abschüssig wird. Daß wir natürlich mit einer solchen Finanzpolitik, die die Steuerzahler immer mehr belastet, statt sie zu entlasten, in keiner Form einverstanden sind, ist selbstverständlich. Denn wenn der Finanzminister gezwungen ist, Beträge einzusetzen, um seine Schulden zu tilgen, dann kann natürlich auf die Dauer keine Rede davon sein, daß die Steuerzahler entlastet werden.
Es ist heute wiederholt gesagt worden, man macht das, was hier vorgetragen wird und was von der Regierung beabsichtigt ist, lediglich aus wahltaktischen Gründen. Das finden wir in diesem Beispiel nur noch bestätigt. Wir wandern also auf den Weg der Inflation zu, und wenn das nicht helfen sollte, dann bleibt ja noch ein Weg übrig, um aus den Schwierigkeiten herauszukommen. Dann werden wir auch erleben müssen, daß die Regierung den Weg der gewaltsamen Auseinandersetzung einschlägt, daß sie sich dem Kriege zuwendet.
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Das Wort hat Herr ( Abgeordneter Neuburger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was an Grundsätzlichem zu unserer steuerpolitischen Situation von heute vom Standpunkt meiner Partei zu sagen ist, habe ich bereits in meiner Rede zum Haushalt ausgeführt. Ich will mich zu dieser vorgerückten Stunde auf diese Darlegungen beziehen, ohne sie im einzelnen nochmals wiederzugeben.
Wenn ich mich nunmehr der Vorlage selbst zuwende, so möchte ich folgende Überlegung an die Spitze stellen. Die Steuersenkung erfolgt nicht um ihrer selbst willen. Sie erfolgt auch nicht, wie wir es vorhin von der Opposition hörten, um angeblich einigen tausend Beziehern hoher Einkommen nun nochmals ein besonderes Steuergeschenk zu machen.
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Bei der Vorlage des Haushalts, in dem zum Ausdruck kam, daß über 24 Milliarden aufgebracht werden müssen, wurde sowohl von der Bundesregierung wie vom Bundesrat bestätigt, daß der Steuerdruck zu hoch sei und zwangsläufig wirtschaftsschädliche Auswirkungen zur Folge haben müsse. Um diese wirtschaftsschädlichen Auswirkungen zu vermeiden und die Aufbringung dieser 24 Milliarden und auch die der kommenden Jahre dennoch sicherzustellen, wurde diese Steuerreformvorlage eingebracht.
Es ist nicht das erste Mal, daß die Bundesregierung und das Hohe Haus den Weg der Steuersenkung beschreiten, um damit wirtschaftspolitisch eine Ausweitung des Sozialprodukts zu erreichen und auf verbreiterter Grundlage unseres Wirtschaftsapparats die steigenden Ausgaben hereinzubekommen. Herr Kollege Seuffert hat auf diese steuerpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung verwiesen. Er hat aber die Sache so dargestellt, als ob diese Maßnahmen sozusagen - ich muß nochmals den Ausdruck gebrauchen - um ihrer selbst willen ergriffen würden bzw. sich in luftleerem Raum abspielten. Er hat völlig vergessen, auf die unzweifelhaft positiven Auswirkungen dieser steuerpolitischen Maßnahmen von damals hinzuweisen.
Nun ein Wort zum Tarif. Der Tarif, mit dem wir es jetzt zu tun haben, stammt noch aus der Besatzungszeit und wurde von den Kontrollratsmächten diktiert. Wir haben also keinen organisch gewachsenen Tarif vor uns, der sich etwa aus den Jahren 192G, 1930 usw. fortentwickelt hätte. Vielmehr wurde durch das Kontrollratsgesetz Nr. 12 seinerzeit ein völlig unabhängiger neuer Steuertarif geschaffen.
Herr Kollege Seuffert hat vorhin mit Prozentsätzen in bezug auf die Steuersenkung gearbeitet. Ja, Herr Kollege, wenn der Steuersatz schon 70 bis 80 % beträgt, kann man ihn nicht mehr verdoppeln. Denn dann käme man auf 140 %.
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Ich habe keine Einwendungen gehört, als man die Steuersätze nach oben progressiv staffelte. Wenn man sie jetzt - ebenfalls gerechterweise - wieder von oben gestaffelt herabsetzt und die Summen sich entsprechend auswirken, dann soll das ein Akt der Steuerungerechtigkeit sein und ist es auch. Wir
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haben ja früher die Steuersätze nicht linear - nach
dem Beispiel von 45 Mark, das Sie brachten erhöht, sondern wir haben sie progressiv erhöht.
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Deshalb ist es nicht mehr als recht und billig, wenn die Steuersenkung jetzt wieder den gleichen Weg zurück einschlägt. Denn die Steuern sind zu hoch - das wird von jedermann erkannt und kann von niemandem bestritten werden -, und sie sind in dieser Höhe wirtschaftsschädlich. Wenn wir die Steuersätze von heute beibehalten, dann werden wir erleben, daß unser gesamtes wirtschaftliches Leben zurückgeht, und dann wird am Ende eben ein niedrigeres Aufkommen stehen, während die Ausgaben hoch bleiben. Das Ergebnis wird sein - Währungsverfall und Wirtschaftsverfall.
Es ist behauptet worden, man habe seinerzeit die Vergünstigungen durch den § 7 c des Einkommensteuergesetzes und die Selbstfinanzierung um ihrer selbst willen gegeben. Auch das ist ein offensichtlicher Trugschluß. Zwar haben wir 1951 die Vergünstigungen zum Teil wegfallen lassen. Vergünstigungen sind aber nicht Selbstzweck. Wenn sie ihren Zweck erreichen, dann müssen sie wegfallen. Aus diesem Grunde haben wir 1951 die Einschränkungen verfügt, und aus den gleichen Gründen glauben wir - allerdings mit entsprechender Fristsetzung - die jetzigen Einschränkungen ausfallen lassen zu können.
Hinzu kommt, daß die Stervergünstigungen eben immer nur einem Teil von Einkommensbeziehern zugute kommen. Das widerspricht an sich dem Grundsatz der Steuergleichheit. Andererseits haben aber die Steuervergünstigungen wirtschaftspolitisch eine unmittelbarere Wirkung als die Tarifsenkung als solche, die sich zunächst nur mittelbar auswirkt. Meine Damen und Herren! Im Jahre 1950 und im Jahre 1951 haben wir mit den steuerpolitischen Maßnahmen echte wirtschaftliche Erfolge erzielt. Wir können - davon sind wir überzeugt - erwarten, daß wir auch mit dieser Vorlage unserer Wirtschaft einen echten Dienst erweisen.
Wenn Sie, Herr Kollege Seuffert, zum Ausdruck gebracht haben, die Steuertarife würden sich nach wie vor zuungunsten des kleinen Mannes auswirken, so muß ich hier betonen, daß die steuerliche Belastung aller Einkommen unter 4000 Mark heute niedriger ist, als sie jemals seit 1924 war.
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- Ja, auch diese.
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Wenn jetzt die Tarifsenkung kommt, dann werden die Einkommen bis zu 6000 Mark - und das sind die Einkommen von über 70 % aller Schaffenden, aller Lohn- und Gehaltsempfänger - steuerlich geringer belastet sein als jemals vor dieser Katastrophe.
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Man kann also hier doch auf keinen Fall wieder mit dem Märchen kommen, man nehme zugunsten der Großen steuerliche Tarifsenkungen vor und entlaste die Kleinen nicht. Ja, wenn einer schon nur einige Mark bezahlt, kann ich ihn nicht um hundert und mehr Mark entlasten. Das geht nicht. Entscheidend ist, daß das Prinzip gewahrt ist. Hierzu muß ich noch einmal sagen, was ich schon vor zwei Jahren von dieser Stelle aus ausführte: der
Tarif von heute ist im Verhältnis gesehen gestaffelt, indem die Einkommen von 4000 DM im Schnitt unter der niedrigsten steuerlichen Belastung liegen, die jemals bestanden hat. Die Einkommen bis zu 6000 DM liegen etwa 1 zu 1, und dann kommt die Steigerung ins Anderthalbfache, Zweifache und Zweieinhalbfache.
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Und wenn der Satz früher schon 40 % war, kann ich ihn nicht mehr um das Zweieinhalbfache steigern; denn dann bin ich bei 100 %. Aber auf Grund Ihrer Ausführungen, Herr Kollege Seuffert, kann man allmählich zu dem Eindruck kommen, daß der Staatsbürger überhaupt nur noch zum Steuerzahlen da sei und daß es die Aufgabe des Finanzministers sei, festzustellen, was er dem einzelnen noch jeweils für seinen Lebensunterhalt zu belassen beliebt.
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Eine solche Steuerpolitik kann man auf keinen Fall betreiben, und so kann man auch nicht zu einer Vorlage Stellung nehmen.
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Auch der Einwand, man hätte diese Steuervorlage aus Wahlgründen gemacht, ist völlig irrig.
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Wenn die Ausgaben des Bundes vielleicht nur 20 Milliarden DM oder noch geringer gewesen wären, dann wäre diese Vorlage anders ausgefallen. So aber steht man vor der Tatsache, daß wir eben steigenden Ausgaben gegenüberstehen, deren wir nur durch eine Steigerung unseres Sozialprodukts Herr werden. Das können wir nur, wenn wir neu investieren. Ich muß Ihnen gerade auch hier widersprechen. Wir können unser Sozialprodukt nicht erweitern, wenn wir nicht neu investieren, und neu investieren können wir nur mit Kapital.
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Ich bin nicht der Auffassung, daß man zuerst bei der Wirtschaft das Geld holen, es über die öffentliche Hand pumpen und dann in Form von öffentlichen Investierungen wieder an die Wirtschaft zurückgeben soll. Der bessere Grundsatz ist der: Man beläßt der Wirtschaft das, was sie braucht, um sich zu erhalten und um sich selbst fortzuentwickeln, und man nimmt nur das, was der Staat gerade notwendig braucht. Soviel zum Generellen.
Zu den einzelnen Punkten dieser Steuervorlage wird im Ausschuß sehr viel zu sagen sein. Zu der Formulierung der Betriebsausgaben bzw. zur Überwachung dieser Betriebsausgaben will ich keine weiteren Ausführungen machen. Ich möchte hier nur folgendes sagen. Wenn in dieser Formulierung von dem Begriff „Verkehrsauffassung" oder „verkehrsüblich" die Rede ist, so ist hierzu zu sagen, daß der technische Fortschritt in einem ständigen Kampf mit dem liegt, was an dem betreffenden Tag gerade verkehrsüblich ist bzw. der Verkehrsauffassung entspricht. Mit anderen Worten: Man kann die Frage, ob eine Betriebsausgabe notwendig ist oder nicht, niemals daran messen, ob die betreffende Ausgabe verkehrsüblich ist oder der Verkehrsauffassung entspricht.
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Dann zu den Bestimmungen des § 7. Zweifellos sind hier Mißbräuche vorgekommen; aber die Vergünstigungen sind ja auch nicht um ihrer selbst willen gegeben worden, sondern die Vergünstigungen wurden gegeben, um eine Kapitalquelle für den Wohnungsmarkt zu erschließen, weil keine andere vorhanden war. Wenn ich nun dieser Quelle sämtliche Vergünstigungen nehme oder ihr die Vergünstigungen zu stark beschneide, dann wird sie eben zum Versiegen kommen, und wir erreichen dann nicht mehr den wirtschaftspolitischen Zweck. Vorläufig habe ich aber kein Kapital, das ich dem Wohnungsbau in ausreichender Weise zur Verfügung stellen könnte. Deswegen werden wir nolens volens auch die neuen Bestimmungen so fassen müssen, daß wir weiterhin mit einem echten Zufluß aus §-7c-Geldern für unsern Wohnungsbau rechnen können. Dasselbe gilt für den Schiffbau. Dasselbe gilt für die Kapitalansammlungsbeträge. Auch hier können wir die Einschränkungen nicht so weit vornehmen, daß wir, wie gesagt, keinen Erfolg mehr erzielen.
Dann die viel umstrittene Frage der Haushaltsbesteuerung. Meine Parteifreunde stehen auf dem Standpunkt, daß die Einheit der Familie auch die einheitliche Besteuerung verlangt und daß die Familie Anspruch auf eine zumindest steuergleiche Behandlung hat. Der heutige Zustand ist der, daß die Steuerungleichheit auf dem Gebiet der Familienbesteuerung nicht mehr übertroffen werden kann. Ich hätte gerne in den einzelnen Ausführungen, die bisher zu diesem Thema gemacht wurden, auch gehört, was man nun für Vorschläge zur Abhilfe dieser Steuerungleichheit machen will. Denn, wie bekannt, kommen in den Genuß dieser bevorzugten steuerlichen Behandlung nur Ehefrauen, die in einem unselbständigen Arbeitsverhältnis stehen. Ich glaube, daß ich nicht zuviel sage, wenn ich behaupte, daß mindestens genau so viele Ehefrauen aktiv, entweder in einem selbständigen Berufe oder in einem handwerklichen Betriebe oder in Betrieben des Einzelhandels und auf dem Gebiete der gesamten Landwirtschaft arbeiten. Damit also, daß ich die Getrenntversteuerung verteidige, wie es hier geschieht, komme ich der Lösung des Problems auf keinen Fall näher. Damit beseitige ich auch nicht die Steuerungleichheit. Ich meine, es sollte doch das Anliegen des ganzen Hauses sein, auf diesem Gebiete eine Steuergleichheit herbeizuführen. Ich weiß nicht, ob es möglich ist, bereits im Rahmen dieser Vorlage zu dieser Steuergleichheit zu kommen. Auf alle Fälle ist der Vorschlag, der hier von seiten des Ministers gemacht wird, wenn ich ihn nur unter dem Gesichtspunkt der Herbeiführung der Steuergleichheit sehe, ein echter Schritt in Richtung auf dieses Ziel. Andererseits sollten wir, da wir die Familie bejahen, zu einem Steuertarif kommen, der ausschließt, daß die Familiengründung als solche eine zusätzliche steuerliche Belastung mit sich bringt. Wir werden sicherlich im Ausschuß Gelegenheit haben, diese Fragen noch näher zu erortern.
Dann zur Frage der Körperschaftsteuer. In der Begründung, die die Bundesregierung diesem Gesetzentwurf mitgegeben hat, hat sie in aller Breite ausgeführt, nach welchen Richtungen hin sich der derzeitige hohe Steuerdruck wirtschaftsschädlich auswirkt. Wir können nicht nur von einer Lohn-Preis-Spirale sprechen, wir müssen heute auch von einer echten Steuer-Preis-Spirale sprechen. Andererseits hemmt die Steuerprogression die Unternehmerinitiative und verhindert eine kostensparende Wirtschaft. Diese Erkenntnisse sind absolut richtig. Meine Parteifreunde hätten nur begrüßt, wenn man auch auf dem Gebiete der Körperschaftsteuer dar aus die notwendigen Folgerungen gezogen hätte. Zweifellos ist die Vorlage, die eine 40°/oige Körperschaftsteuer auf die Dividende vorsieht, eine Erleichterung. Sie trägt dazu bei, Kapital zu bilden, und trägt andererseits dazu bei, Mittel für die Finanzierung innerhalb der Betriebe freizumachen. Diese Maßnahme bedeutet aber meines Erachtens nur einen Tropfen auf einen heißen Stein. Auch hier wird man sehen müssen, ob nicht zusätzlich in echter Weise geholfen werden kann.
Lassen Sie mich abschließend folgendes sagen. Meine Parteifreunde bejahen diese Vorlage. Wir werden im Ausschuß prüfen, was noch an Verbesserungen eingeführt werden kann, ohne daß das Risiko, das der Bundesfinanzminister übernommen hat, erhöht wird. Auf alle Fälle aber müssen wir wissen, daß die hohen steuerlichen Lasten nur von einer gesunden Wirtschaft getragen werden können und daß die beste Sicherung des Arbeiters, die beste Sicherung des kleinen Mannes in einer gesunden Wirtschaft und in einer gesunden Währung besteht.
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Meine Damen und Herren, wir sind an dem Zeitpunkt angekommen, für den vom Ältestenrat die U n t e r b r e c h u n g der Sitzung vorgesehen war. Wir werden also morgen mit diesem Punkt der Tagesordnung fortfahren. Es haben sich noch einige Redner gemeldet. Auch der Herr Bundesfinanzminister hat sich noch zum Wort gemeldet.
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung für heute erledigt.
Das Wort zu einer persönlichen Bemerkung hat Herr Abgeordneter Mellies.
Meine Damen und Herren! Zu den Ausführungen des Bundesjustizministers über meine politische Qualifikation nur zwei Bemerkungen.
Erstens. Über den Geschmack läßt sich bekanntlich streiten. Deshalb kann man sich nicht darüber auseinandersetzen. Das Urteil über die Form seiner Bemerkungen wird aber in der Öffentlichkeit sicher sehr eindeutig sein.
Zweitens. Nach der heutigen Rede des Bundesjustizministers dürfte in diesem Hause kein Zweifel darüber bestehen, daß ihm jede Berechtigung fehlt, über die politische Qualifikation irgendeines Mitgliedes dieses Hauses ein Urteil abzugeben.
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Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen noch bekanntzugeben, daß der Herr Präsident Ehlers den Herrn Abgeordneten Rische für drei Tage von den Sitzungen ausgeschlossen hat.
Damit, meine Damen und Herren, darf ich die nächste Sitzung des Bundestages, die 253., auf Donnerstag, den 5. März 1953, 13 Uhr 30, berufen. Die 252. Sitzung ist geschlossen.