Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 242. Sitzung des Deutschen Bundestages. Vor Eintritt in die Tagesordnung bitte ich den Herrn Schriftführer, die Namen der fehlenden und beurlaubten Abgeordneten bekanntzugeben.
Entschuldigt fehlt der Abgeordnete Wittmann.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen.
Der Herr Bundesminister für Wohnungsbau hat unter dem 29. November 1952 mitgeteilt, daß das Plenum des Bundesverfassungsgerichts in der Sitzung vom 29. Oktober 1952 beschlossen habe, dem Antrag auf Erstattung eines Rechtsgutachtens über die Zuständigkeit des Bundes zum Erlaß eines Baugesetzes stattzugeben, es sei allerdings in diesem Jahr nicht mehr damit zu rechnen.
Meine Damen und Herren, ich rufe auf die Punkte 1 bis 3 der heutigen Tagesordnung:
1. Fortsetzung der zweiten und dritte Beratung der Entwürfe eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 26. Mai 1952 über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten mit Zusatzverträgen,
eines Gesetzes betreffend das Abkommen vom
26. Mai 1952 über die steuerliche Behandlung der
Streitkräfte und ihrer Mitglieder ({0})
({1}),
eines Gesetzes betreffend das Protokoll vom 26. Juli 1952 über die Erstreckung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts auf Streitigkeiten aus dem am 26. Mai 1952 in Bonn unterzeichneten Abkommen über die steuerliche Behandlung der Streitkräfte und ihrer Mitglieder ({2})
({3}),
eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 27. Mai 1952 über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und betreffend den Vertrag vom 27. Mai 1952 zwischen dem Vereinigten Königreich und den Mitgliedstaaten der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft,
eines Gesetzes betreffend das Abkommen vom 27. Mai 1952 über die Rechtsstellung der Europäischen Verteidigungsstreitkräfte und über das Zoll- und Steuerwesen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ({4})
({5});
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten ({6}) ({7});
2. Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten ({8}) über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Generalvertrag und Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ({9});
3. Fortsetzung der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Generalvertrag und Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ({10}).
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kopf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Soll das deutsche Volk das ihm lange vorenthaltene Gut der Freiheit wieder zurückerhalten, oder soll es dieses Gut der Freiheit deshalb zurückweisen, weil es nur mit Opfern gewonnen werden kann und weil diese Freiheit noch nicht die letzte, die totale Freiheit bedeutet?
({0})
Sind diese Opfer, wenn sie notwendig sind, angemessen, oder übersteigen sie das Maß? Das scheint mir eines der Themen der Auseinandersetzung von gestern abend gewesen zu sein, deren Schwingungen noch jetzt in diesem Saale nachhallen. Mein Freund Kiesinger hat auf die Ausführungen von Herrn Kollegen Arndt politisch geantwortet. Ich will versuchen, es juristisch zu tun, sine ira et studio, in demselben Geist, der die Erwägungen des Rechtsausschusses bewegt hat, den Herr Dr. Arndt gelobt hat und dem er gestern morgen, aber nicht gestern abend nachgefolgt ist.
Was ist der Sinn dieses Generalvertrags und 'der Zusatzverträge? Deutschland hört auf, Besatzungsgebiet zu sein.
({1})
({2})
Es ist nicht richtig, daß wir ein besetztes Land bleiben.
({3})
Es ist richtig, daß Truppen bleiben, aber nicht als Besatzungstruppen, sondern als Truppen, die um unserer Sicherheit willen zu unserem Schutz bestimmt sind, auf welchen wir nicht verzichten können. Es ist wahr, daß diese Wiedergewinnung der Freiheit mit Hypotheken belastet ist, mit den drei Vorbehalten und mit den Verfestigungen bestimmter Bestimmungen des Besatzungsstatuts, wie sie in den Überleitungsgesetzen enthalten sind.
Der Herr Kollege Arndt hat aus dieser Gruppe der Vorbehaltsrechte, die auf die Vier-Mächte-Abmachungen des Jahres 1945 zurückgehen und die auf die Bindung der vier alliierten Mächte Bezug haben, eine allerdings sehr wichtige Klausel herausgezogen, nämlich die Frage des Notstands. Der Notstand hat mit dem Ausnahmerecht zu tun. Die Auswahl, die Herr Dr. Arndt getroffen hat, indem er aus den ungezählten Problemen dieser Verträge gerade diese Einzelfrage herausgegriffen hat, scheint mir nicht unzweckmäßig zu sein; denn in der Tat hat uns in Deutschland neben dem Grundgesetz durch die letzten Jahre das weite Feld des Besatzungsrechts begleitet, und dieses Besatzungsrecht ist ein Ausnahmerecht. Dieses Ausnahmerecht - ein bisher weitabgestecktes Feld - konzentriert sich nun und schrumpft zu den Vorbehalten zusammen, insbesondere zu dem Vorbehalt des Notstands nach Art. 5. Die Ausübung dieser Notstandsbefugnisse ist an das Vorliegen objektiver Voraussetzungen geknüpft. Insoweit eine Mitwirkung deutscher Regierungsstellen Platz zu greifen hat, hat sie sich im Rahmen der deutschen Gesetze und des Grundgesetzes zu halten.
Es ist richtig, daß die ersten sieben Bestimmungen dieses Artikels im allgemeinen nicht der Zuständigkeit des Schiedsgerichts unterliegen. Aber sie unterliegen ihr zweifellos in den Grenzfällen, in denen es sich darum handelt, festzustellen, ob die objektiven Voraussetzungen des Notstandes wirklich gegeben waren oder ob ein Ermessensmißbrauch, ein détournement du pouvoir, vorgelegen hat. In jeder anderen Hinsicht, wie Art. 5 Abs. 8 sagt, unterliegt auch dieses Recht des Notstandes der Nachprüfung des Schiedsgerichts. Dieses Schiedsgericht hat sehr weitgehende Befugnisse. Aber sind sie weitgehender als die Befugnisse, die in anderen Gesetzen anderer Länder und unseres Landes anderen Gerichten eingeräumt sind? Auch das Verwaltungsgericht kann Verwaltungsakte aufheben. Auch das Verfassungsgericht kann Gesetze als unzulässig erklären, und zwar mit Gesetzeskraft. Seine Entscheidungen bleiben Rechtsprechung, und auch dem Bundesverfassungsgericht kann die Vollstreckung seiner Urteile übertragen werden, genau wie diesem Schiedsgericht. Man kann darum nicht sagen, so weitgehend die Befugnisse dieses Gerichts sind, daß sie sich aus dem Rahmen der Rechtsprechung entfernen und daß sie Vorbilder außer acht lassen, die in den nationalen Gesetzgebungen geschaffen worden sind und in denen die richterliche Gewalt in einem sehr weitgehenden Umfang den Gerichten und den Richtern anvertraut warden ist.
Bevor ich weitergehe und zu dem Hauptteil meiner Erörterungen komme, möchte ich mir eine Vorbemerkung zu der Methode von Herrn Dr. Arndt von gestern abend gestatten, nicht zur politischen, sondern zur juristischen Methode. Ich bedaure, daß Herr Dr. Arndt nicht da ist; aber ich glaube, diese Bemerkung nicht unausgesprochen lassen zu können. Die politische Wirklichkeit ist kein geschlossenes System rechtlicher und logischer Beziehungen. Ganz im Gegenteil, sie ist weit davon entfernt. Die Überdehnung der juristischen Maßstäbe, die Überspannung und Überspitzung rechtlicher und rechtspolitischer Forderungen, der untaugliche Versuch, die politische Wirklichkeit mit einem Maschenwerk rechtlicher Bestimmungen total zu erfassen und sie einem System rechtlicher Normen ganz zu unterstellen, wird nicht in das verheißene Land führen können, -- weder des Rechts, noch der Erkenntnis.
({4})
Das sind die Zweifel, die ich dieser juristischen Methode entgegenhalten muß.
Aber es kommt ein anderer Zweifel hinzu, ein Zweifel, der über die Ausführungen von gestern abend hinaus allgemeinere Bedeutung besitzt. Sollten wir Juristen nicht genötigt sein, die Grenzen unserer Wissenschaft und unserer Kunst zu erkennen, wenn es sich um die Tatbestände des politischen Lebens handelt?
({5})
Sollten wir nicht erkennen, daß ein Teil der politischen Wirklichkeit nicht mehr judiziabel ist und nicht mehr judiziabel gemacht werden kann? Wäre es vielleicht nicht besser gewesen, wenn die Schöpfer des Grundgesetzes sich bereits dieser Grenzziehung in stärkerem Maße bewußt gewesen wären? Steht es fest, daß sie dann dem Bundesverfassungsgericht eine Bürde übertragen hätten, die sich für ein Kollegium von 24 noch so hervorragenden Richtern dann als zu schwer erweisen könnte, wenn dieses Gremium nicht die Unterscheidung zwischen dem judiziablen und nicht mehr judiziablen Tatbestand zu treffen in der Lage wäre?
Der amerikanische höchste Gerichtshof hat in seiner, ich glaube, 150-jährigen Praxis sich in seiner Selbstbescheidung, in der Weisheit der Unterscheidung noch judiziabler und nicht mehr judiziabler politischer Tatbestände bewährt. Ich glaube. daß wir allen Anlaß nehmen sollten, auf die Rechtsprechung dieses höchsten amerikanischen Verfassungsgerichts zu blicken, wenn es sich darum handelt, neue Richtlinien und Maßstäbe zu gewinnen für die Ziehung der Grenzen zwischen dem politischen Feld, das der richterlichen Nachprüfung noch unterliegt, und dem anderen, das ihr nicht mehr zugänglich gemacht werden kann.
({6})
Die beiden Verträge sind gekoppelt, Herr Dr. Arndt hat es beanstandet, daß diese Koppelung im Gegensatz zu dem zeitlichen Sukzessivsystem der mit Japan abgeschlossenen Verträge erfolgt ist. Ich vermöchte diese Bedenken dann zu teilen, wenn der EVG-Vertrag in irgendeiner Weise eine Diskriminierung des deutschen Partners enthielte. Aber gerade dieser Vertrag ist aufgebaut auf der guten Partnerschaft, auf der Gleichheit und auf der Gleichberechtigung.
({7})
Weil Deutschland keine anderen und keine größeren Pflichten in diesem Vertrag übernimmt als die
({8})
anderen fünf Nationen, scheinen mir die Bedenken die aus der Koppelung dieser Verträge sonst hergeleitet werden könnten, nicht Bestand zu haben
Ist dieser Bundestag nun zuständig, über eine sc wichtige und elementare Frage, wie es die Verfügung über die Wehrgewalt des deutschen Volkes ist, zu entscheiden, und mit welcher Mehrheit vermag er es? Herr Dr. Arndt hat gestern erneut die sogenannte Mandatstheorie entwickelt. Er hat gesagt, daß grundlegende politische Entscheidungen nicht von der jeweiligen parteipolitischen Mehrheit des im Amt befindlichen Parlaments getroffen werden können. Es gibt keine bessere und einleuchtendere Widerlegung dieser Mandatstheorie als die Ausführungen des Herrn Professor Dr. Loewenstein, Professor am Amherst College, Massachusetts, die von Herrn Dr. Arndt dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt worden sind. Herr Dr. Loewenstein hat darauf hingewiesen, daß auch in England sich diese angebliche Praxis der Mandatstheorie nicht zur Verfassungskonvention entwickelt hat. Herr Dr. Loewenstein hat ausgeführt, daß in Deutschland diese Mandatstheorie nicht anwendbar ist, da das Grundgesetz frei ist von allen plebiszitären Einschlägen und da Art. 79 des Grundgesetzes eine Verfassungsänderung mit den entsprechenden Mehrheiten jeweils gestattet. Es ist nicht notwendig, diesen Ausführungen von Herrn Professor Loewenstein ein Wort hinzuzufügen.
Aber welche Mehrheit dürfte notwendig sein, um diese Wehrhoheit in unser deutsches Staatsleben einzuführen? Ich gehe aus von zwei Thesen, die uns und Herrn Dr. Arndt zunächst gemeinsam sind. Herr Dr. Arndt hat gestern gesagt, daß er das Recht der Selbstverteidigung als ein völkerrechtliches Hoheitsrecht anerkenne, daß aber die Ausübung dieses Rechtes im Innern des Staates verfassungsrechtlichen Schranken unterliege. Der Staat reicht als Subjekt und Objekt in beide Rechtssphären des Völkerrechts und des Staatsrechts hinein, und zahlreiche Institutionen und Attribute des Staates, die Souveränität, das Staatsoberhaupt, tun dies desgleichen. Auch das Recht auf Selbstverteidigung, das ein Ausfluß des Rechtes auf Selbstbehauptung des Staates ist, eines Rechtes, das sogar ein Bundesland, das sogar mein Land Baden zu behaupten versucht hat, gehört in gleicher Weise dem Völkerrecht und dem Staatsrecht an. Es bedürfte nicht einmal der Transformierung des Art. 25 des Grundgesetzes; sie findet jedoch statt. Denn das Recht der Selbstverteidigung ist anerkannt vom Völkerrecht als ein Recht und als eine allgemeine Regel des Völkerrechts, und sie findet daher Anwendung auch im Bundesstaatsrecht als eine verbindliche Regel für jedermann und mit Vorrang vor den Gesetzen. Aber es bedarf nicht der Transformierung, weil dieses Recht im Staatsrecht wie auch im Völkerrecht als eine Grundfunktion der Staatsgewalt und als ein echtes Recht, ein Hoheitsrecht, fundiert ist.
({9})
Der zweite Ausgangspunkt, den ich zunächst mit Herrn Dr. Arndt gemeinsam habe, ist die Vorstellung von der Natur der deutschen Bundesrepublik. Der Rechtsausschuß war und ist sich mit der Bundesregierung darüber einig, daß die deutsche Bundesrepublik das Gebiet des Deutschen Reiches des Jahres 1937 in sich schließt, daß sie mit diesem Deutschen Reich identisch ist und daß sie dieses Deutsche Reich in ihrem Wesen, in ihrem Bestand, in ihrer Identität fortführt. Aus dieser These, die uns alle gemeinsam verbindet und die in zahlreichen Gesetzen der letzten Jahre ihren Niederschlag gefunden hat, ergeben sich Folgerungen, in denen wir uns trennen.
Wir sind nicht der Auffassung, daß die Einheit Deutschlands, wie sie in der Identität der Bundesrepublik zum Ausdruck kommt, eine besondere Wehrverfassung für das Teilgebiet im Geltungsbereich des Grundgesetzes ausschließt. Auch die Ausübung der übrigen Hoheitsrechte, der Steuerhoheit, der Justizhoheit, ist auf den Geltungsbereich des Grundgesetzes beschränkt. Daß eine Koppelung von Staatsangehörigkeit und Wehrpflicht nicht stattfindet, ist vom Herrn Kollegen Schneider gestern einleuchtend dargestellt worden.
Aber vor allem schließen wir aus der Tatsache der Kontinuität der Bundesrepublik eines: aus der Kontinuität unseres Staatswesens folgt die Kontinuität seiner Hoheitsrechte. Es unterliegt keinem Zweifel, daß sowohl die Weimarer Republik als auch der nationalsozialistische Staat die Wehrhoheit besessen oder für sich in Anspruch genommen haben. Wenn der deutsche Staat nicht untergegangen ist - und er ist nicht untergegangen -, dann müssen auch in den bitteren Jahren des Zwischenstadiums von 1945 bis zur Neuorganisation des deutschen Staatswesens diese Hoheitsrechte mindestens latent bestanden haben.
({10})
Das ist nicht nur eine konstruktive Theorie, sondern man kann diese Auffassung sehr einfach auch empirisch beweisen. Wenige Wochen, wenige Monate nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht haben in den deutschen Ländern die Gerichte nach einem vorübergehenden Stillstand der Rechtspflege ihre Tätigkeit wieder aufgenommen, ebenso wieder die Verwaltungsbehörden; sie haben das nicht aus Besatzungsrecht getan, sondern aus eigenem Recht. Sie haben Hoheitsrechte ausgeübt, bevor die deutschen Länder oder bevor gar das deutsche Staatswesen sich wieder neuorganisiert haben. Als dann die Verfassungen der Länder und das Grundgesetz der Bundesrepublik geschaffen wurden, haben maßgebende Staatsrechtslehrer uns nahegebracht, daß es sich hierbei nicht um eine Neukonstitution, sondern um eine Neuorganisation der Staatlichkeit handele. Das ist zweifellos richtig. Es erhebt sich aber die Frage: Wenn in diesem Zwischenstadium von 1945 bis zur Neuorganisation der deutschen Länder das deutsche Staatswesen weiter bestanden hat, und zwar als ein Staat - das ist ja die Essenz der Theorie von der Kontinuität -, und wenn Hoheitsrechte wie die Justizhoheit weiterbestanden haben und weiter ausgeübt worden sind, warum soll dann ausgerechnet auf diesem Wege durch die zwei oder drei Jahre das Hoheitsrecht der Wehrgewalt, das vorhanden war, verlorengegangen sein? Es gab Hoheitsrechte, die latent waren. Sie sind erst wieder in Wirksamkeit versetzt worden. Sie können wieder in Wirksamkeit versetzt werden. Aber hierzu bedarf es nicht eines konstituierenden Aktes der Verfassung. Die Wehrgewalt ist ein Teil der Staatsgewalt.
({11})
Die Staatsgewalt erstreckt sich nach vielem Richtungen. Sie ist als eine einheitliche, universal gerichtete Staatshoheit Träger der Hoheitsrechte. Der lebendige Organismus des Volkes, in seinen Generationen gegliedert und verbunden, erzeugt diese
({12})
Staatsgewalt immer wieder aufs neue. Die Hoheitsrechte sind die Emanation der Staatsgewalt und sind immer unid überall da vorhanden, wo der Staat als solcher vorhanden ist.
Nun sagt Herr Dr. Arndt: Das gilt nicht für den Verfassungsstaat; der Verfassungsstaat bedingt, daß Hoheitsrechte, die ausgeübt werden sollen, zunächst ihrer Konstituierung im Rahmen der Verfassung bedürfen, nicht nur Hoheitsrechte, sondern auch - wie es in den Denkschriften heißt - Kompetenzen und Organe. Ist das richtig? Der Verf assungsstaat steht im Gegensatz zum Obrigkeitsstaat. Seine Staatsgewalt geht nicht vom Souverän, sondern vom Volk aus. Das Volk ist gerade der Träger dieser Staatsgewalt. Der Verfassungsstaat steht im Gegensatz zum Polizeistaat. Seine Verfassung bestimmt - um die Worte Humboldts zu gebrauchen
- die Grenzen der Wirksamkeit des Staates. Die Verfassung sagt nicht, was der Staat tun darf, sondern sie sagt, was er nicht tun darf. Die Verfassung stellt der Omnipotenz des Staates die Schranken der Grundrechte gegenüber. Daraus folgt, daß die Hoheitsrechte mit dem Staat gegeben und vorhanden sind und daß sie nur da ihre Grenze finden, wo die Verfassung diese Schranken ihnen gegenüber aufgerichtet hat.
({13}) Diese Hoheitsrechte sind vorhanden und stehen daher, weil sie mit dem Staat gegeben sind, zur Disposition des Gesetzgebers, d. h. des einfachen Gesetzgebers. Sie brauchen nicht im Verfassungsstaat erst konstituiert zu werden, denn sie sind existent. Sie bedürfen auch nicht der Anführung in der Verfassung. Weder die Lufthoheit noch die Funkhoheit sind in der Verfassung erwähnt, aber sie werden vom Staat in Anspruch genommen.
Eine andere Frage ist nun die: Wenn diese Hoheitsrechte gegeben sind und wenn mit ihnen auch die Wehrhoheit gegeben ist, ist es dann notwendig
- wie es in den Denkschriften und Eingaben der Sozialdemokratischen Partei an das Gericht heißt
-, daß mindestens die Zuständigkeiten und auch die Zuweisung der Zuständigkeiten an die Organe konstitutiert, d. h. verfassungsurkundlich festgelegt werden müssen? Auch das ist nicht richtig. Unsere verfassungsmäßige Ordnung stützt sich mir zum Teil auf die Urkunde des Grundgesetzes. Es gibt, wie überall, auch das ungeschriebene Verfassungsrecht. Auch hier kann man sich auf Herrn Professor Loewenstein als Kronzeugen berufen. Er schreibt:
Offenbar sind die Praktiken, welche verfassungsurkundlich nicht festgelegte Kompetenzen aus dem Wesen der Tätigkeit eines Staatsorgans ableiten, in jeder Verfassung unvermeidlich, die längere Zeit in Betrieb ist.
Das heißt, die sogenannten abgeleiteten Befugnisse, die implizierten Befugnisse sind in der Verfassung der USA und auch in der deutschen vorhanden. Wenn Herr Professor Loewenstein darauf hinweist, daß diese abgeleiteten Befugnisse nur 'da in Anspruch genommen werden können, wo in der Verfassung selbst Anknüpfungspunkte, Anknüpfungsnormen vorhanden sind, so ist darauf zu sagen, daß gerade unsere deutsche Verfassung diese Anknüpfungspunkte enthält, nämlich in den Artikeln 4 unid 26 unseres Grundgesetzes.
Aber die Kompetenz des Bundes zur Regelung der Wehrgewalt ergibt sich auch aus dem Vertrags-schließungsrecht des Bundes. Dieses Recht steht dem Bund nach Art. 57 und sogar insoweit, als Angelegenheiten 'der Länder berührt werden, nach
Art. 32 zu. Auch hier können Wir uns wiederum ' auf Herrn Professor Loewenstein als auf unsern Kronzeugen berufen. Er schreibt:
Die Erfüllung _ der internationalen Verpflichtung durch den Bund ersetzte den Mangel an innerstaatlicher Kompetenz des Bundes.
Weiter schreibt er:
Die im Falle Missouri gegen Holland entwickelte Doktrin wäre, auf die deutsche Bundesrepublik angewandt, zweifellos der Stellungnahme der Bundesregierung günstig, da sie zu gestatten scheint, daß die Regierung des Oberstaates sich zum Zwecke der Erfüllung ordnungsgemäß übernommener völkerrechtlicher Verpflichtungen über die normale Kompetenzzuweisung im Bundesstaat auf Kosten der Einzelstaaten hinwegsetzen kann.
Damit ist zugleich die Frage angesprochen, ob dem Bund oder den Ländern das Hoheitsrecht der Wehrgewalt zusteht. Gehen wir von den Ausführungen von Herrn Loewenstein aus, so kann es nur der Bund sein, und die Gesetzesvorbehalte der Art. 4 und 26 des Grundgesetzes bestätigen diese unsere Vermutung.
Schließlich ist als Drittes zu sagen, daß auch, genau wie es in den USA bezüglich der sogenannten resulting powers der Fall ist, aus der Verfassungsimmanenz, dem Wesen der Verfassung Zuständigkeiten hergeleitet werden können. Loewenstein schreibt:
Auf dieser Grundlage wurde das Bundesstrafgesetzbuch aufgebaut, obwohl in der Verfassung der Jurisdiktion der Union nur fünf einzeln aufgeführte strafbare Tatbestände unterstellt sind.
Es ist gerade darauf hinzuweisen, daß die Anknüpfungspunkte und Anknüpfungsnormen, die im Recht der Vereinigten Staaten zur Entwicklung der sogenannten implizierten Zuständigkeit Anlaß gegeben haben, außerordentlich bescheidene und unscheinbare gewesen sind und daß es wiederum die Praxis des obersten Gerichtshofes war, die Verfassung so dynamisch und so labil zu gestalten, wie dies gestern abend von meinem Kollegen Kiesinger in so überzeugender Weise dargetan worden ist.
Es gibt nun aber keinerlei Bestimmungen, wonach die Verfassung irgendeines Landes einen Minimalinhalt, ein rechtliches Existenzminimum haben muß. Es gibt Verfassungen mit 15 Artikeln und solche mit 300. Es gibt Verfassungen, die Fragen sekundärer und 'tertiärer Bedeutung regeln und die Fragen primärer Bedeutung außer acht lassen. Es ist von Land zu Land, von Staat zu Staat völlig verschieden,. welche Teilgebiete der Struktur und der Funktion des Staates verfassungsurkundlich geregelt werden. Dies bedeutet, daß der Grundgesetzgeber, wenn auch das Grundgesetz nicht nur ein Fragment, sondern eine Vollverfassung, allerdings für einen beschränkten Geltungsbereich und für eine Übergangszeit sein sollte, sehr wohl darauf verzichten konnte, gewisse durchaus wichtige Fragen der Institutionen, der Zuständigkeiten und der Organe zu regeln, deren Regelung zur Disposition des einfachen Gesetzgebers gestellt wurde.
Was sagt uns das Grundgesetz zu diesen Fragen? Ich möchte nicht mehr auf die Frage der Behandlung im Parlamentarischen Rat eingehen. Ich möchte mir zwar nicht die Formel von Radbruch zu eigen machen, der Mitglied des Reichstags und Reichsminister der Justiz war und geschrieben hat, das
({14})
Gesetz sei klüger als die Gesetzgeber. Aber der Kern dieser Formel scheint doch der zu sein, daß jede Verfassungs- und Gesetzesinterpretation zunächst vom Gesetzestext und nicht von den Motiven auszugehen hat. Wenn wir diese Gesetzestexte beachten, dann können wir drei Dinge daraus entnehmen: erstens, daß das Grundgesetz die Wehrpflicht nicht ausschließt; zweitens, daß das Grundgesetz die Regelung der Ausübung der Wehrpflicht durch ein einfaches Gesetz durchaus offenläßt, weil die Hoheitsrechte in ihrer Anwendung zur Disposition des Gesetzgebers gestellt sind; drittens, daß das Grundgesetz die Wehrhoheit nicht nur streift, sondern in verschiedenen Bestimmungen als gegeben, vorhanden, zumindest als möglich voraussetzt.
Es ist wahr, daß sich Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes an die Gewissen wendet; aber er wendet sich an das Gewissen gerade für den Fall der Ausübung der Wehrgewalt. Es wäre sinnlos gewesen, diese Bestimmung einzufügen, wenn nicht ihre Realisierung zugleich ins Auge gefaßt worden wäre, und es wäre sinnlos gewesen, sie als einen Satz der Verfassung zu fundieren, wenn man die allgemeine Regelung der Wehrgewalt und damit auch die endgültige Regelung der Gewissensrechte des einzelnen Staatsbürgers ad calendas graecas, d. h. bis zu einer endgültigen Regelung durch die Verfassungsänderung selbst, hätte verschieben wollen. Gerade der Umstand, daß man diese Freiheit der Gewissen in der Verfassung verankert hat, scheint dafür zu sprechen, daß man im übrigen die Regelung dieses Eventualfalles der einfachen Gesetzgebung überlassen wollte.
Ebenso kann aus Art.26 Abs.1 des Grundgesetzes darauf geschlossen werden, daß, wenn nur der Angriffskrieg und - entgegen einem gestellten Antrag - nicht der Verteidigungskrieg verboten wird, die Möglichkeit der Ausübung und die Inanspruchnahme der Wehrgewalt des Staates vorausgesetzt wird.
({15})
Diese Bestimmungen sind Anknüpfungspunkte für die abgeleiteten Zuständigkeiten, die der Bund mit Recht in Anspruch nehmen kann. Der Vorbehalt des Bundesgesetzes in beiden Bestimmungen weist darauf hin, daß die endgültige Regelung dieser Zuständigkeiten nicht durch ein Landesgesetz, sondern durch ein Bundesgesetz erfolgen soll.
Es ist auch nicht richtig, daß die Einführung der Wehrgewalt deshalb ausgeschlossen sei, weil ein besonderes Gewaltverhältnis, in dem der Soldat zum Staat stehe, durch das Grundgesetz ausgeschlossen sei. Solche Gewaltverhältnisse gibt es mehr. Es gibt das des Beamten, es gibt das des Anstaltsinsassen. Sogar der Rechtsanwalt unterliegt der Residenzpflicht. Niemandem ist es bisher eingefallen, zu fordern, daß die Beschränkungen, die aus der allgemeinen oder besonderen Natur dieser Verhältnisse folgen, als Einschränkungen der Grundrechte verfassungsurkundlich verankert sein müßten.
({16})
Nur der Wesensgehalt der Grundrechte darf nicht angetastet werden. Ihre Ausgestaltung unterliegt den Forderungen des besonderen Verhältnisses.
Es ist aber auch nicht richtig, daß Strukturänderungen, die durch die Einführung der Wehrpflicht bedingt sein können, eine Verfassungsänderung notwendig machen. Der Verfassungsgesetzgeber hat das Grundgesetz geschaffen, dann hat er sich zurückgezogen; mehr als das, er hat als Verfassungsgesetzgeber aufgehört zu sein. Er hat dann die Funktionen des Staatsablaufs den Apparaturen der drei Gewalten überlassen, die er selber ins Leben gesetzt hat. In welcher Weise die Trennung und das Zusammenspiel dieser drei Gewalten erfolgen wird, das eben macht die deutsche Geschichte aus. Es können Verlagerungen des Schwergewichts erfolgen, und sie sind erfolgt. Sowohl der Finanzausgleich als auch die wachsende Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts sind Änderungen oder können Änderungen in den Strukturverhältnissen des deutschen Staatswesens begründen, die vom Verfassungsgesetzgeber in diesem Ausmaß nicht vorausgesetz worden sind.
({17})
Aber der Verfassungsgesetzgeber hat gewollt, daß die Geschöpfe, die er geschaffen hat, nämlich die Gewalten, ihre Tätigkeit antreten und vollenden nach den Gesetzen, denen sie unterworfen sind. Keine nachträgliche Änderung, die auf die Tätigkeit und die Funktion dieser Staatsgewalten zurückzuführen ist, kann die Notwendigkeit einer verfassungsurkundlichen Änderung des Grundgesetzes begründen. Die Strukturänderungen, die eintreten, sind die Folgen der vom Grundgesetzgeber ins Leben gerufenen Staatsfunktionen.
Ich komme nun zu der Bestimmung des Grundgesetzes, die von Herrn Dr. Arndt gestern als eine angebliche oder vorgebliche juristische Atombombe, die von anderer Seite als eine Verfassung innerhalb der Verfassung bezeichnet worden ist. Der Art. 24 des Grundgesetzes ist in der Tat eine Bestimmung, die durch ihre Kühnheit und durch ihre Neuartigkeit verblüfft, eine Bestimmung, der allerdings eine entsprechende Bestimmung der französischen Verfassung vorausgegangen und eine ähnliche Bestimmung der italienischen Verfassung nachgefolgt sind. Wenn wir uns die Absichten der Gesetzgeber von damals noch einmal vor Augen führen wollen, so können wir Herrn Carlo Schmid zitieren, der damals gesagt hat, es habe zum Ausdruck gebracht werden sollen,
daß wir für diesen Fall gerade kein verfassungsänderndes Gesetz verlangen, sondern ein
einfaches Gesetz als genügend ansehen wollen.
({18})
Die Entscheidung vom Range einer Verfassungsbestimmung soll nicht bei den einzelnen Akten, sondern schon in dem Augenblick, in dem wir das Grundgesetz beschließen, als eine Entscheidung allgemeiner und fundamentaler Art getroffen werden.
In den Protokollen des Konvents von Herrenchiemsee lesen wir, daß ein anderer Abgeordneter das Recht auf Selbstverteidigung als ein unverzichtbares nationales Grundrecht bezeichnet hat; es könne also nur preisgegeben werden, wenn als reziproke Gegenleistung dafür die Eingliederung Deutschlands in ein System effektiver Kollektivsicherheit erfolge. Dieser Diskussionsbeitrag ist damals geleistet worden von dem Herrn Abgeordneten Dr. Baade!
({19})
Wir können uns auch hier auf eine Beurteilung eines wirklich unparteiischen und sachverständigen Gutachters, des Herrn Professor Dr. Loewenstein beziehen, der auf Seite 34 seines Gutachtens schreibt - ich bitte, das verlesen zu dürfen -:
({20})
Die Bemühungen einzelner Abgeordneter, die
Übertragung von Hoheitsrechten an ein verfassungsänderndes Gesetz zu binden, waren nicht erfolgreich. Es blieb beim einfachen Gesetz. Man wollte eben in der Betonung der europäischen Gesinnung europäischer als alle anderen Europäer sein. Die Tür zur internationalen Zusammenarbeit sollte so weit wie möglich aufgemacht werden.
Wenn darin gesagt worden ist, daß die Urheber dieser Gesetzesbestimmung zu gute Europäer gewesen seien, so kann ich darin nicht einen Tadel erblicken.
({21})
Ganz im Gegenteil glaube ich, daß dieser edle Optimismus eine Auszeichnung verdient und als ein Ruhmesblatt angesehen werden muß.
({22})
Was kann und was darf nun das deutsche Staatswesen auf Grund des Art. 24 tun? Es ist keineswegs so, wie Herr Dr. Arndt sagt, daß auf Grund des ersten Absatzes dieser Bestimmung lediglich das Organ ausgewechselt werden soll. Wenn Hoheitsrechte übertragen werden sollen, so kann der Sinn dieser Bestimmung nur der sein, daß nationale Hoheitsrechte zu bestehen aufhören und supranationale Hoheitsrechte einer zwischenstaatlichen Einrichtung zu funktionieren beginnen.
Der zweite Absatz dieses Artikels ist nach meiner Auffassung auch von der Gegenseite nicht zutreffend gewürdigt worden; denn diese Bestimmung spricht von zwei Dingen. Die Hoheitsrechte können beschränkt werden, aber zugleich soll und kann die Einordnung der Bundesrepublik in ein System der ) gegenseitigen kollektiven Sicherheit erfolgen. Im Wege dieser Einordnung kann der Bund alles vereinbaren, was dem Zweck der Einordnung zu dienen bestimmt ist. Richtig ist, daß sich dieses System der kollektiven Sicherheit von einem Bündnis oder einer Allianz alter Prägung unterscheidet. Nicht richtig ist - und wir haben darüber im Rechtsausschuß sehr eingehend gesprochen -, daß dieses System mondial oder universal angelegt sein müßte. Bereits gestern ist von Herrn Kollegen Kiesinger darauf hingewiesen worden, daß dieses konkrete System, in das sich die Bundesrepublik einordnen möchte, gerade diejenigen Staaten umfaßt, die sich noch vor wenigen Jahren im zweiten Weltkrieg als Gegner gegenübergestanden haben.
Dieses System soll dem inneren Frieden und der Bewährung des äußeren Friedens dienen. Es Ist aber nicht ersichtlich, wie dieser äußere Frieden gewahrt werden kann, wenn diesem System der kollektiven Sicherheit nicht auch die Mittel und die Kräfte zur Verfügung gestellt werden, deren es zur Verteidigung seiner Unabhängigkeit bedarf. Darum ist auch diese Bestimmung wiederum eine Anknüpfungsnorm für die Einräumung der Zuständigkeit des Bundes für die Regelung der Wehrgewalt.
Es ist eingewendet worden, daß diese Einordnung nur unter Wahrung der Grundrechte und der Gewaltenteilung erfolgen dürfe. Die Grundrechte sollen nach einem Artikel des EVG-Vertrags nicht angetastet werden. Inwieweit die Ausbildung eines besonderen Gewaltverhältnisses des Soldaten die Grundrechte tangiert und tangieren darf, ohne daß der Wesensbestand der Grundrechte verändert oder erschüttert wird, ist bereits vorhin von mir gezeigt worden.
Aber auch das Prinzip der Gewaltenteilung soll in der Zukunft gewahrt werden. Wir können nicht erwarten - das hat Herr Wahl gestern ausgeführt
daß bereits im Zeitpunkt der Einordnung eines Landes in eine derartige internationale Ordnung all die strengen Anforderungen, die bezüglich der Gewaltenteilung im inneren Aufbau des Staates gewahrt sind, bereits vollkommen und in letzter Konsequenz gewahrt sein können;
({23})
denn die Gemeinsamkeit der Verbindung setzt ja voraus, daß sich Staaten verschiedenen Aufbaus und verschiedenen Rechts zusammenschließen. Aber die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ist darauf angelegt und dazu bestimmt, in ihrer Fortbildung und Entwicklung, wie sie uns unmittelbar vor Augen steht, dieses Prinzip der Gewaltenteilung durchzuführen.
In Art. 38 des EVG-Vertrags ist die Forderung zum Ausdruck gebracht, daß sich dieses System der kollektiven Sicherheit nicht auf eine nur militärische Verteidigungsgemeinschaft beschränkt. Vielmehr soll dieses System seinen Sinn, seine Ordnung und seine Zweckbezogenheit erst durch die Schaffung einer echten politischen Autoritàt erlangen. Die Konferenz der Außenminister in Luxemburg hat erneut diesen Wunsch ausgesprochen, und der Verfassungsausschuß der ad-hoc-Versammlung hat es sich zur Aufgabe gemacht, die. Vorbereitungen zu treffen, um für die Zukunft die Durchführung dieser Gedanken, vor allem auch die Durchführung der Gewaltenteilung und einer echten parlamentarischen Vertretung in einem Zweikammersystem, bei der Schaffung einer europäischen politischen Gemeinschaft in Angriff zu nehmen. Wenn diese Gewaltenteilung heute noch nicht in totalem Umfang verwirklicht sein sollte, so kann ihre Verwirklichung in Bälde und in Gänze in Aussicht genommen werden.
Herr Dr. Arndt hat gestern gerade an diesem System der kollektiven Sicherheit Kritik geübt. Er hat gesagt, daß die Rechte Deutschlands zu gering seien, daß ein einziger deutscher Mann bei Entschließungen von größter politischer Tragweite mitzuwirken bestimmt sei. Es ist dabei an die Entschließungen des Art. 123, die den Notstand, und des Art. 125, die die Anpassung der Vertragsvorschriften betreffen, gedacht. Aber es bedarf in beiden Fällen, bei der Erklärung des Notstandes und bei der Anpassung, der Einstimmigkeit des Ministerrats, dem ein deutscher Vertreter angehört. Dieser deutsche Vertreter ist parlamentarisch verantwortlich und wird sich nach den inneren Gesetzen unseres Landes vorher der Zustimmung der gesetz- gebenden Organe zu versichern wissen.
Es darf auch nicht erstaunen und es darf auch nicht kritisiert werden, wenn die Trennung der sogenannten legislativen und exekutiven Befugnisse beim Kommissariat und beim Ministerrat nicht mit aller begrifflichen Schärfe durchgeführt ist. In keiner Verfassung ist sie durchgeführt. Sie war in der Weimarer Verfassung mit ihrem weitgehenden Notverordnungsrecht sehr wenig durchgeführt; sie ist auch im Grundgesetz nicht vollkommen durchgeführt. Dia Grenze zwischen Rechts- und Verwaltungsverordnung bleibt eine flüssige. Aber auch hier bleibt es das Ziel der beteiligten Staaten und ihrer Vertreter, diesem Gebilde der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft einen echten parlamentarischen Unterbau zu schaffen. Ich glaube, daß es erwünscht wäre, 'die Anstrengungen zu verdoppeln,
11386 Beutscher Bundestag ({24})
damit die Ansatzpunkte der Kritik, die gestern von Herrn Dr. Arndt geführt worden ist, dadurch hinfällig werden, daß diese Europäische Verteidigungsgemeinschaft in eine echte europäische Gemeinschaft mit einem echten europäischen Parlament umgewandelt wird.
Diese Zielsetzung ist keineswegs neu. Wenn wir uns in diesem Hohen Hause bezüglich der Frage des einzuschlagenden Weges und der anzuwendenden Mittel unterscheiden und in zwei Lager spalten, so sollten wir doch nicht vergessen, daß der Deutsche Bundestag am 26. Juli 1950 fast mit Einmütigkeit eine Entschließung angenommen hat, deren ersten Absatz ich verlesen zu dürfen bitte:
In der Überzeugung,
-- hat damals der Deutsche Bundestag beschlossen - daß die gegenwärtige Zersplitterung Europas in souveräne Einzelstaaten die europäischen Völker von Tag zu Tag mehr in Elend und Unfreiheit führen muß, tritt der in freien Wahlen berufene Bundestag der Bundesrepublik Deutschland für einen Europäischen Bundespakt ein, wie ihn die Präambel und der Art. 24 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vorsehen.
Es ist nützlich, aber auch tröstlich, zu wissen, daß der damalige Beschluß des Deutschen Bundestags den Wunsch bekräftigt und wiederholt, den das deutsche Volk, vertreten durch die Mitglieder des Parlamentarischen Rates, in der Präambel seines Grundgesetzes zum Ausdruck gebracht hat, den Wunsch, als gleichberechtigtes Glied im geeinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen.
({25})
Sollte das deutsche Volk, das durch so viele Jahre der Bitternis geschritten ist, ein erstrebtes und ersehntes Ziel in dem Augenblick nicht wieder erkeimen, in dem es nahe dabei ist, dieses Ziel zu erreichen?
({26})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Arndt hat vorgestern nach dem amtlichen Stenogramm hier folgendes erklärt:
... hat sich damals der Abgeordnete des Parlamentarischen Rats, Herr Professor Heuss, gegen diese Vorschrift
- es handelt sich um Art. 4 mit der Begründung gewandt, daß sie einer allgemeinen Wehrpflicht entgegenstehen würde, und hat beantragt, diese Bestimmung aus dem Grundgesetz wieder zu streichen.
Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus der Materialiensammlung über den Parlamentarischen Rat die Ausführungen des damaligen Mitglieds des Parlamentarischen Rats Professor Heuss verlesen, weil er infolge seiner jetzigen Eigenschaft als Bundespräsident nicht in der Lage ist, zu dieser Behauptung des Herrn Abgeordneten Arndt Stellung zu nehmen. Es heißt hier auf Seite 77:
In der zweiten Lesung des Hauptausschusses wurden die Absätze 1 bis 4 ohne Erörterung angenommen. Für Abs. 5 beantragte der Abgeordnete Dr. Heuss Streichung und gab dafür
unter anderem folgende Begründung unter ausdrücklicher Verwahrung dagegen, daß er von militärischen oder antipazifistischen Gesichtspunkten ausgehe: Ich glaube, für meine Meinung, daß dieser Absatz gestrichen werden muß, spricht so etwas wie ein historisches Stilgefühl. Wir sind nämlich jetzt dabei, ein Werk der Demokratie zu schaffen. Die allgemeine Wehrpflicht ist das legitime Kind der Demokratie. Seine Wiege stand in Frankreich. Mir scheint es unmöglich zu sein, daß wir in diesem Augenblick, in welchem wir eine neue Fundamentierung der Staaten vornehmen wollen
- auch wenn ich mir durchaus darüber klar bin, daß wir kein Militär mehr im alten Sinne bekommen werden; ich will das auch nicht -, daß wir in dieser Situation nun mit einer solchen Deklaration kommen. Sie ist dann eine berechtigte Angelegenheit, wenn man sich entschließt, das in irgendeinem Gesetz zu machen, wie es für die Quäker, die Mennoniten usw. in der angelsächsischen Welt vorliegt. Aber wenn wir jetzt hier einfach das Gewissen einsetzen, werden wir im Ernstfall einen Massenverschleiß des Gewissens verfassungsmäßig festlegen; denn mit diesem Wort allein ist das Problem nicht gedeckt. Was mir in der jetzigen Situation noch besonders ungeschickt erscheint, ist, daß der Kriegsdienst mit der Waffe von dem anderen abgetrennt wird. Mir scheint: wenn jemand mit einer Knarre irgendwo zur Bewachung von irgendeinem Gegenstand steht oder zu Verteidigungszwecken herangeholt wird, ist das lange nicht so militärisch, als wenn jemand mit hohem Akkordlohn eine Bombe nach der anderen fabriziert, also keine Waffe trägt, aber kriegspolitisch viel schlimmere Dinge tut.
Ich stelle fest, meine Damen und Herren, daß die Angaben des Herrn Abgeordneten Arndt nicht der Wahrheit entsprochen haben.
({0})
Ich muß dann noch eine andere Feststellung machen. Ich will mich aber wegen der großen Anzahl von Rednern und der Kürze der Zeit sehr kurz fassen. Zur Zeit der Beratung dieser Bestimmungen im Parlamentarischen Rat hat am 11. und 12. Dezember des Jahres 1948 eine Parteivorstandssitzung der Sozialdemokratischen Partei in Bad Godesberg stattgefunden. Auf dieser Sitzung ist die Frage einer etwaigen Remilitarisierung oder Militärpflicht ausführlich behandelt worden. Über diese Parteivorstandssitzung der Sozialdemokratischen Partei sind dann Kommuniqués herausgegeben worden. Es haben sich dazu auch mündlich geäußert die Herren Kollegen Schmid und Ollenhauer. Ich verzichte darauf, obgleich ich sie hier habe, die Äußerungen 'der Herren zu verlesen. Ich stelle aber fest, daß sich weder in den Entschließungen des Vorstands der Sozialdemokratischen Partei noch in den Erklärungen, die die Kollegen Schmid und Ollenhauer abgegeben haben, auch nur ein Wort von dem heute vertretenen Standpunkt findet.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Bausch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Welche finanziellen Lasten wird der Haushalt der Bundesrepublik nach der Ratifikation der Verträge zu tragen haben? Wie wird sich die finanzpolitische Situation des Bundes nach -dem Inkrafttreten der Verträge gestalten, oder, um noch gemeinverständlicher zu sprechen, was soll das alles, was in den Verträgen niedergelegt ist, kosten?
Mit vollem Recht begegnet diese Frage einem allseitigen Interesse nicht nur in diesem Hohen Hause, sondern im ganzen Volk, bei allen Staatsbürgern, die sich um das Wohl des Volkes bekümmern und mühen.
Ich will deshalb versuchen, auf diese Frage eine klare Antwort zu geben. Diese Antwort ist, wie ich ausdrücklich sagen möchte, eine Antwort, die der persönlichen Überzeugung eines Abgeordneten entspricht, der nach Art. 38 des Grundgesetzes an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur seinem Gewissen verantwortlich ist. Ich sage das letztere gerade deshalb, weil neuerdings in der deutschen Öffentlichkeit, vor allem in evangelischen Kreisen unseres Volkes, durch Herrn Gustav Heinemann , der jetzt, wie ich vermute, die dreizehnte Partei in der Bundesrepublik gegründet hat,
({0})
systematisch die Behauptung verbreitet wird, die
Abgeordneten der Christlich-Demokratischen Union
seien durch Weisungen und durch Fraktionszwang
gebunden und deshalb überhaupt nicht in der Lage,
eine eigene und selbständige Meinung vorzutragen.
({1})
Diese Behauptung entspricht nicht der Wahrheit.
In meiner Fraktion gibt es keinen Fraktionszwang,
({2})
es hat noch niemals einen Fraktionszwang gegeben, und es wird in Zukunft keinen Fraktionszwang geben.
({3})
- Meine Herren, Sie machen sich ja geradezu lächerlich, wenn Sie das Gegenteil behaupten.
({4})
Sehen Sie bitte einmal in die Protokolle des Deutschen Bundestags hinein, vor allem in die Protokolle, in denen Ausweise über namentliche Abstimmungen enthalten sind. Sie können bei jeder namentlichen Abstimmung aus den Protokollen ersehen, daß es in dieser Partei keinen Fraktionszwang gibt!
({5})
Wenn Herr Heinemann solche Nachrichten verbreitet, dann verbreitet er Märchen, die nichts, aber auch gar nichts mit der Wirklichkeit unseres politischen Lebens zu tun haben.
({6})
Gerade der Präsident der Generalsynode der Evangelischen Kirche Deutschlands sollte sich daran erinnern, daß es ein auch für ihn verbindliches göttliches Gebot gibt, das heißt: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten."
({7})
- Meine Damen und Herren, wir wollen hier nicht - ich benütze jetzt ein Wort, das von Ihrer Seite benützt worden ist - Lautstärke hören. Wir wollen Argumente hören. Sie haben kein Argument angeführt, das meine Feststellungen entkräftet.
({8})
Wenn man eine saubere, redliche und anständige Klärung der Frage der finanziellen Konsequenzen der Verträge will, muß zunächst eine Vorfrage geklärt werden, nämlich diese:
Wie wäre die finanzielle Situation der Bundesrepublik, wenn diese Verträge nicht abgeschlossen würden?
({9})
Vor einiger Zeit machte ein Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion dieses Hohen Hauses vor einer großen Versammlung von jungen Männern in meiner Anwesenheit etwa folgende Ausführungen: Wenn ich Bundeskanzler wäre,
({10})
dann würde ich das gesamte Geld, das in Zukunft für den Aufbau eines deutschen Verteidigungsbeitrags und für die Durchführung der Bonner Verträge ausgegeben werden soll, dafür verwenden, Wohnungen zu bauen,
({11})
die Kriegsopferversorgung zu verbessern, die Sozialrentner besser zu versorgen
({12})
und alle sozialen Nöte zu beseitigen.
({13})
- Es ist mir sehr wertvoll, daß Sie meinem Bericht zustimmen. Ich ersehe daraus, daß Sie offenbar der gleichen Gesinnung sind wie jener sozialdemokratische Kollege, von dem ich spreche. Wenn ich dies Jahre hindurch getan hätte - so fuhr jener Kollege fort -, dann würde ich vor das Volk treten und das Volk, und vor allem die jungen Männer, darüber entscheiden lassen, ob sie wieder Soldat werden wollen und ob überhaupt Geld für die Verteidigung ausgegeben werden soll.
({14})
In dieser Tonart wird heute in der Bundesrepublik landauf, landab von Rednern der Sozialdemokratischen Partei gesprochen. In unzähligen Versammlungen von Kriegsopfern wird erklärt, die Bundesrepublik täte besser daran, das Geld, das sie für Verteidigungszwecke ausgeben wolle, für Kriegsopfer zu verwenden, dafür habe sie aber nichts übrig.
({15})
Auch Herr Bodensteiner,
({16})
der neuernannte Generalsekretär der Gustav-Heinemann-Partei, hat seine Violine auf diesen Ton gestimmt. Er gab vor einigen Tagen Solidaritätserklärungen mit allen in Not befindlichen Menschen ab und stellte ihnen eine Soforthilfe in Aussicht, zu deren Bezahlung die Besatzungskosten verwendet werden sollen.
({17})
({18})
Nun weiß ja jedermann in Deutschland heute,
({19})
daß die sozialdemokratischen Führer wie Dr. Kurt Schumacher, 011enhauer, Carlo Schmid und andere längst ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Leistung eines deutschen Beitrags zur Verteidigung erklärt haben. Jeder denkende Mensch weiß aber auch, daß auch die Sozialdemokratische Partei dann für ihren Verteidigungsbeitrag viel Geld ausgeben müßte. Denn auch sie könnte ihre Soldaten dann nicht mit jener einfachen und billigen Waffe ausstatten, mit der der Hirtenknabe David seinen Kampf gegen den Riesen Goliath geführt hat, nämlich mit Kieselsteinen.
({20})
Aber ganz abgesehen davon. Wir haben doch mit der ganz einfachen, aber harten Tatsache zu rechnen, daß bei Nichtabschluß dieser Verträge das Besatzungsstatut in Kraft ,bleibt,({21})
das nach Ziffer 2 den Besatzungsmächten das uneingeschränkte Recht gibt, der Bundesrepublik jede von ihnen für notwendig gehaltene Summe für die Besatzungskosten durch einseitige Anordnung zur Bezahlung aufzuerlegen.
({22})
Wenn also diese Verträge nicht abgeschlossen werden, dann haben wir in jedem Fall Besatzungskosten zu bezahlen, die auch in Zukunft mindestens rund 40 °/o der gesamten verfügbaren Mittel der Bundesrepublik in Anspruch nehmen werden,
({23})
die aber nach Belieben der Besatzungsmächte auch noch höher bemessen werden könnten. Wer sich gegen diese Verträge entscheidet, der entscheidet sich hiernach für das Besatzungsstatut
({24}) und der trifft gleichzeitig eine Entscheidung dafür, daß die Besatzungsmächte auch in Zukunft durch einseitige Anordnung der Bundesrepublik Besatzungskosten in beliebiger Höhe auferlegen können.
({25}) Meine Damen und Herren, wer dies verschweigt, der verfälscht die Wahrheit; der vergiftet die politische Atmosphäre unseres Volkes in unheilvollster Weise.
({26})
Wer so tut, als ob bei Ablehnung dieser Verträge die in diesen Verträgen vorgesehenen finanziellen Aufwendungen wegfallen würden und beliebig für soziale 'Zwecke verwendet werden könnten, der macht sich einer verantwortungslosen Irreführung dieses Volkes schuldig.
({27})
Nicht die Spur eines 'Beweises können Sie, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, dafür erbringen, daß die finanzielle Belastung der Bundesrepublik im Falle des Nichtabschlusses der Verträge geringer sein würde als beim Abschluß.
({28})
Meine Damen und Herren! Wir sollten uns doch gemeinsam bemühen, uns das Leben nicht unnötig schwerzumachen, und wir sollten doch gemeinsam darum kämpfen, daß eine Vergiftung der Atmosphäre, wie sie durch solche zwar phantasiereichen, aber völlig irrealen Vorschläge entsteht, vermieden wird.
({29})
Wir sollten endlich einmal auch damit aufhören, so zu tun, als ob Bundesregierung und Bundeskanzler daran schuld seien, daß die ganze freie Welt heute angesichts der Bedrohung durch die aggressive totalitäre Macht des Ostens genötigt ist, hohe Ausgaben für Rüstungen auf sich zu nehmen. Es gibt bekanntlich in den freien Ländern Europas, ob es sich nun um England, um Frankreich, um Belgien oder um die sämtlichen skandinavischen Länder handelt, keine einzige sozialistische Regierung, die sich nicht genötigt gesehen hätte, einen beträchtlichen Teil des Finanzvolumens ihres Landes für Verteidigungszwecke zu verwenden.
({30})
Und nun gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, mich der Hauptfrage zuzuwenden, um die es jetzt geht.
Der Berichterstatter für die Minderheit des Haushaltsausschusses, Herr Abgeordneter Schoettle, kommt in seinem Bericht, der in der Drucksache Nr. 3900 abgedruckt ist, etwa zu folgendem Ergebnis:
Die der Bundesrepublik zugemutete Verteidigungslast kann vom Bundeshaushalt nur getragen werden, wenn andere wichtige Aufgaben vernachlässigt und entweder Ausgaben gedrosselt oder die Einnahmen erhöht werden.
({31})
Sie kennen alle, meine Damen und Herren, die Schaubilder über den Bundeshaushalt, die das Bundesfinanzministerium in sehr dankenswerter Weise nun schon seit zwei Jahren hat herstellen lassen. Sie haben daraus ersehen können, daß ausgegeben worden sind in diesem Jahr und auch im letzten für Besatzungs- und Stationierungskosten rund 40 % der Gesamteinanhmen, für Sozialleistungen der verschiedensten Art rund 40 % und für alle übrigen Ausgaben rund 20 % der Gesamteinnahmen der Bundesrepublik.
Wenn ich die Feststellung des Herrn Kollegen Schoettle richtig verstanden habe - ich bitte, mich gegebenenfalls zu korrigieren -, so ist er also der Auffassung, daß die Bundesrepublik durch den Abschluß der Verträge gezwungen sein werde, Kosten für Verteidigungszwecke oder Stationierungskosten auf sich zu nehmen, die über 40 % des Gesamtvolumens des Haushalts noch hinausgingen, daß sie also etwa gegen ihren Willen gezwungen sein könnte, gewissermaßen vom Schwergewicht der Verhältnisse getrieben, die Ausgaben für soziale Zwecke zu drosseln oder ihre Bürger mit noch höheren Steuern zu belasten oder Ausgaben zu machen, die etwa die Währung in Mißkredit bringen könnten.
({32})
Wir sind sicher ohne Unterschied der Partei der gemeinsamen Auffassung, daß eine solche Entwicklung unter keinen Umständen eintreten darf.
({33})
Aber, meine Damen und Herren, ich glaube, daß Herr Schoettle mit seinen Befürchtungen nicht recht hat.
({34})
Ich werde versuchen, Ihnen das nachzuweisen.
Bei den Vorberatungen über den finanzpolitischen Teil der Verträge hat man festgestellt, daß es sich bei den Lasten, die vielleicht auf den Haushalt zukommen können, vor allem um folgende fünf Gruppen von Ausgaben wird handeln können:
1. um die bisherigen Besatzungs- und Stationierungskosten,
2. um die Kosten für die Liquidierung von Krieg und Gewaltherrschaft,
3. um etwaige mittelbare Belastungen, z. B. für Post und Eisenbahn oder für das Einräumen von Sondervorteilen an fremde Mächte,
4. um die sogenannten Besatzungsfolgekosten und
5. um die Aufwendungen Deutschlands für den Globalbeitrag an die Europäische Verteidigungsgemeinschaft.
({35})
Lassen Sie mich zunächst einige Worte zu den ersten vier Gruppen von Ausgaben sagen.
Besatzungslasten: - Meine Damen und Herren, die sogenannten Besatzungs- oder Stationierungskosten, also der weit überwiegende Teil dessen, was den Haushalt bisher mit rund 40 % seines Gesamtvolumens belastete, wird aller Voraussicht nach spätestens mit Wirkung vom 1. Juli 1953 an wegfallen. Es besteht die wohlbegründete Aussicht, daß Deutschland nach diesem Termin für anerkannte Besatzungs- oder Stationierungskosten keine Zahlungen mehr zu leisten hat. Da solche Kosten aber, falls sie je entstehen würden, in jedem Fall auf den deutschen Globalbeitrag zur EVG voll anzurechnen sind, wird künftighin der deutsche Haushalt mit Besatzungskosten dieser Art mit keiner einzigen Mark mehr belastet sein. Dies ist vielleicht die wichtigste Feststellung, die bei der Beratung über die finanziellen Auswirkungen der Verträge zu treffen ist.
({36})
- Darüber werde ich sprechen. Aber vor allem bitte ich Sie dann darum, daß Sie in Ihren Versammlungen auch darüber sprechen werden, daß wir künftig keine Besatzungslasten im Haushalt mehr haben werden.
({37})
Das wird nämlich von Ihnen landauf, landab verschwiegen.
({38})
Nun die Frage der Kosten für die Liquidation des Krieges. Für die Liquidierung des Krieges und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft werden künftig nicht unerhebliche Kosten entstehen. Dabei handelt es sich vor allem um die innere Rückerstattung, um die Entschädigung für die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung und um die deutschen Auslandsschulden, Fragen, die in dem sogenannten Überleitungsvertrag behandelt werden. Die Entscheidung über die Höhe der erwachsenden Lasten und vor allem über die Verteilung der Lasten auf die künftige Zeit wird aber von dem Inhalt der noch zu erlassenden Bundesgesetze abhängig sein. Auch die Opposition war mit den Vertretern der Regierungskoalition der einmütigen Überzeugung, daß es sich bei dem weitaus größeren Teil dieser Lasten um solche handelt, die aus der Liquidation des Krieges und aus der der Bundesregierung auferlegten moralischen Verpflichtung der Bundesrepublik gegenüber den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und des Krieges entstanden sind, und daß diese Lasten insoweit nicht als Folgen der von der Bundesregierung abgeschlossenen Verträge angesehen werden können.
({39})
Diese Lasten können hiernach in einer Untersuchung über die finanziellen Konsequenzen der Verträge außer Betracht bleiben.
Die mittelbaren Lasten: Es ist untersucht worden, ob und inwieweit eine mittelbare Belastung des Haushalts dadurch entstehen könnte, daß die Bundesregierung Verpflichtungen dafür übernommen hat, Eigentum der Bundesrepublik den Schutzmächten unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, ferner dadurch, daß den westlichen Streitkräften gewisse Steuer- und Zollvorteile eingeräumt werden und daß schließlich die Bundespost und die Bundesbahn noch bis zum 30. Juni 1953 an die bisher schon mit den Besatzungsmächten ausgehandelten Tarife gebunden sind. Ich bestreite durchaus nicht - ich habe das keinen Augenblick bestritten -, daß man eine solche Rechnung an sich aufmachen könnte. Ich zweifle aber daran, daß es praktisch möglich und politisch sehr sinnvoll wäre, dies zu tun.
Den steuerlichen und finanziellen Nachteilen, die uns erwachsen, müssen auch die unzweifelhaft vorhandenen finanziellen Vorteile gegenübergestellt werden. Denn es kann ja nicht übersehen werden, daß durch die fremden Truppen auch sehr viel Geld in unser Land kommt und daß sich das auf den Umsatz der Wirtschaft und damit auf die Steuereingänge und auch auf den Umsatz der Post und der Eisenbahn in positivem Sinne auswirkt.
Wir müssen also in die Rechnung, wenn sie ehrlich sein soll - wir wollen doch nur ehrliche Rechnungen aufmachen - auch die Vorteile einstellen, die uns erwachsen. Außerdem täten wir gut daran, mitunter manchmal auch noch daran zu denken, daß wir Deutsche durch den Marshall-Plan und andere Hilfen der Vereinigten Staaten in unserer schlimmsten Zeit sehr großzügige finanzielle Unterstützung erfahren haben, die uns nicht in Rechnung gestellt worden ist.
({40})
Wir sollten deshalb schon in unserem Interesse auf eine allzu detaillierte Rechnung in diesem Zusammenhang verzichten.
Nun ein Wort zu den sogenannten Besatzungsfolgekosten. Bei dieser vierten Gruppe von Lasten handelt es sich um die sogenannten nicht anerkannten Besatzungskosten oder Besatzungsfolgekosten, die sich nach einer überschlägigen Rechnung insgesamt auf rund 840 Millionen DM jährlich belaufen. Diese Kosten können aber nach Auffassung der Bundesregierung bei der Festsetzung des Globalbeitrags zur Europäischen Verteidi({41})
gungsgemeinschaft zum Abzug angemeldet werden. Insoweit, als man dabei durchdringen würde, würden Belastungen für den Haushalt per saldo nicht entstehen.
Damit komme ich zu denjenigen Lasten, die künftig wohl den Hauptteil der Belastung des Haushalts ausmachen werden, zu dem Globalbeitrag der Bundesrepublik für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft.
Wie Sie wissen, ist in Art. 4 des Finanzvertrages festgelegt, daß Deutschland vom Inkrafttreten dieses Vertrages bis zum 30. Juni 1953 einen monatlichen Verteidigungsbeitrag von 850 Millionen DM zu leisten hat, der als deutscher Beitrag zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft bestimmt ist. Der nach dem 1. Juli 1953 zu leistende Beitrag wird voraussichtlich unter Zugrundelegung der Wirtschaftskraft unseres Volkes nach dem sogenannten NATO-Verfahren bestimmt. Nach allen Feststellungen, die über das sogenannte NATO-Verfahren getroffen sind, ist es völlig klar, daß es sich niemals darum handeln kann, daß Deutschland durch einseitige Anordnung zur Leistung eines bestimmten Beitrags verpflichtet werde. Deutschland ist vielmehr von den ersten . Anfängen an an diesem NATO-Verfahren beteiligt. Das Exekutivkomitee der NATO-Organisation gibt nach Verhandlungen mit Deutschland, die zu einem Einvernehmen mit Deutschland geführt haben müssen, eine Empfehlung an die zuständigen Instanzen der EVG, nämlich an den Ministerrat, ab. Der Ministerrat muß einstimmig über die Höhe der den einzelnen Staaten zufallenden Globalbeiträge entscheiden, und diese Entscheidung kann wiederum nicht ohne die Zustimmung Deutschlands getroffen werden. Die Zeit also, meine Damen und Herren, in der Deutschland durch einseitige Anordnungen einer fremden Macht zur Leistung von Zahlungen verpflichtet werden konnte, ist nach Annahme dieser Verträge endgültig und unwiderruflich vorbei.
({42})
Nun die zweite wichtige Feststellung: Deutschland ist gegenüber den anderen Staaten der EVG völlig und absolut gleichberechtigt. Der Finanzvertrag bestimmt ausdrücklich, daß dieses Verfahren zu keiner irgendwie gearteten Schlechterstellung der Bundesrepublik gegenüber anderen großen westlichen Staaten führen darf. Schon bei der Festsetzung des Bruttobeitrags hat Deutschland einen Anspruch darauf, daß auf die Tatsache Rücksicht genommen wird, daß die deutsche Wirtschaftskraft durch den Kriegsausgang und seine Folgen mit einer Reihe von schweren Hypotheken vorweg belastet ist, die andere Partner der EVG nicht zu tragen haben. Ich nenne dabei nur das Flüchtlingsproblem, die Zerstörung des deutschen Wohnraums, die größer ist als in allen anderen Staaten, und die Kriegsopferversorgung, durch die Deutschland stärker als jedes andere Land im vorhinein belastet ist. Ferner müssen auch berücksichtigt werden die besonderen Belastungen, die Deutschland durch die Liquidierung des Krieges und der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus erwachsen.
Vor allem aber hat Deutschland einen verbrieften Rechtsanspruch darauf, daß die von ihm bisher schon für die innere und äußere Verteidigung geleisteten und im Haushalt ausgewiesenen Ausgaben von dem Bruttobeitrag abgezogen werden. Daß Deutschland solche Ausgaben in außerordentlicher Höhe leistet, kann ernsthaft nicht bestritten werden. Daß der größte Teil des Aufwands der Bundesrepublik für Berlin, der sich zur Zeit auf mehr als 2 Milliarden beläuft, ein echter Aufwand für Verteidigung und innere Sicherheit ist, steht absolut fest. Die Bundesrepublik muß unabdingbar darauf bestehen, daß der gesamte direkte Aufwand für Berlin als abzugsfähig anerkannt wird. Das gleiche gilt für einen großen Teil der Ausgaben für den Bundesgrenzschutz, für den Zollgrenzschutz und für die innere Sicherheit, Ausgaben, die sich auf zirka '750 Millionen belaufen. Hierher gehören auch die schon genannten Ausgaben für die Besatzungsfolgekosten. Die Bundesregierung wird sicher den Anspruch Deutschlands auf den Abzug dieser haushaltsmäßig auszuweisenden Sonderleistungen für die äußere und innere Sicherheit vom globalen Beitrag mit allem Nachdruck und auch mit Erfolg verfechten.
Gerade bei der Betrachtung dieses Sektors des Problems ist es sehr, sehr wichtig, daß das deutsche Volk eine klare Vorstellung von der Wirklichkeit bekommt. Ich habe hier den Bericht des' Berichterstatters des Finanz- und Steuerausschusses, des verehrten Herrn Kollegen Professor Gülich von der SPD-Fraktion. Er hat auf Seite 82 des Berichts, Drucksache Nr. 3900 - wenn ich ihn recht verstanden habe; auch hier bitte ich mich zu korrigieren, wenn ich etwas Falsches sage -, eine Rechnung aufgemacht über die Gesamtkosten,' die durch den Abschluß der Verträge entstehen, und er kommt dabei auf 13,5 Milliarden Mark. Aber wenn ich die Rechnung überblicke, finde ich darin 1 060 Millionen für die Berlin-Hilfe und 1 070 Millionen für die innere Sicherheit. Diese beiden Posten mit rund 2 Milliarden hat Herr Professor Gülich d a z u gezählt. Meine Damen und Herren, man darf aber, wenn man eine echte und wahrheitsgetreue Rechnung aufmachen will, diese Beträge nicht dazuzählen, sondern muß sie abziehen. Zählt man sie nämlich dazu, statt sie abzuziehen, dann kommt ein Unterschied von 2 mal 2, also 4 Milliarden heraus!
({43})
Ich weiß, daß Herr Professor Gülich das nicht so gemeint hat; er hat von diesem Podium aus selbst gesagt, er sei der Meinung, daß wir darum kämpfen könnten, die Kosten für Berlin abzuziehen. Aber wenn Leute, die nicht unterrichtet sind, diese Ihre Rechnung, Herr Professor Gülich, lesen, dann müssen sie ja zu der Meinung kommen, diese 13,5 Milliarden seien die Kosten, die nach Ihrer Auffassung entstehen würden, wenn man diese Verträge unterschreibt. Dies aber ist eindeutig falsch. Ich habe mich als Berichterstatter des Haushaltsausschusses doch für verpflichtet gehalten, das hier klarzustellen. Wir wollen eine wahrheitsgetreue Unterrichtung unseres Volkes über die finanziellen Konsequenzen der Verträge.
({44})
Nun ist von der Opposition eingewendet worden, daß die Abzüge, von denen hier gesprochen wird, schon bei der erstmaligen Festsetzung d Verteidigungsbeitrags auf vorläufig 850 Millionen DM voll berücksichtigt worden seien. Ich bin der Auffasung, daß das nicht den Tatsachen entspricht. Erstens sind die Beträge nicht voll berücksichtigt worden. Zweitens sind bei dem Abschluß dieser Vereinbarungen neue Beträge hinzugekommen. Vor allem aber muß gesagt werden, daß die Verhandlungsposition Deutschlands nach dem Abschluß der Verträge eine unverhältnismäßig viel
({45})
bessere sein wird, als sie es bei den früheren Verhandlungen war. Unter diesen Umständen ist die Hoffnung der Bundesregierung, daß es gelingen wird, den Globalbeitrag zur EVG mit Wirkung vorn 1. Juli 1953 an auf einen Betrag festzusetzen, der hinter der Summe von 8.0 Millionen DM monatlich erheblich zurückbleibt, sehr wohl begründet. Wie sicher die Bundesregierung darin ist, daß sich diese Hoffnung verwirklicht, ersehen Sie daraus, daß die Bundesregierung, wie wir vor einigen Tagen aus dem Munde des Bundesfinanzministers gehört haben, in den Bundeshaushalt für 1953 mit Wirkung vom 1. Juli 1953 an als Globalbeitrag nicht die Summe von 850 Millionen DM monatlich, sondern nur die Summe von '716 Millionen DM monatlich eingestellt hat.
({46})
Das bedeutet eine Verminderung um monatlich 134 Millionen DM oder um jährlich 1600 Millionen DM.
({47})
- Ich würde Sie doch sehr darum bitten, Herr Kollege Schoettle, das nicht so anzusehen. Denn wenn die Bundesregierung mit einer solchen Feststellung vor die Öffentlichkeit tritt, so tritt sie damit zugleich auch vor die Öffentlichkeit der Welt. Es ist ja völlig undenkbar, daß der Bundesfinanzminister eine solche Erklärung vor der Weltöffentlichkeit abgeben könnte, wenn er nicht wirklich gute und fundierte Gründe dafür hätte, daß wir Deutschen einen Rechtsanspruch darauf haben, daß dieser ursprünglich festgesetzte Globalbeitrag keinesfalls herauf-, sondern eher, und zwar beträchtlich, herabgesetzt wird.
({48})
In jedem Fall steht für mich fest, daß wir eine gute Chance haben, daß ein sehr beträchtlicher Teil aller übrigen in den genannten vier Kostengruppen figurierenden Belastungen für den Haushalt durch diese Herabsetzung ausgeglichen werden kann. Es ist völlig klar, daß wir heute noch keine endgültige Aussage über den Ausgang der Verhandlungen machen können. Das tue ich ja auch nicht. Aber wir müssen sehen: Hier wird verhandelt! Es wird verhandelt! Und es wird gekämpft! Es ist völlig klar, daß die deutschen Ansprüche auf Berücksichtigung unserer besonderen Lage rechtlich und sachlich voll begründet sind. Klar ist aber auch - und das möchte ich Ihnen von der Opposition sagen -, daß Sie von der Opposition ein Intéresse daran haben müssen, die Bundesregierung bei ihren Bemühungen voll zu unterstützen.
Ihre Befürchtungen, Herr Schoettle, sind nach den von mir hier angeführten Tatsachen unbegründet. Wenn die deutsche Wirtschaft, was wir hoffen, weiterhin im Aufstieg bleibt, so wird der Hundertsatz, mit dem das Haushaltsvolumen insgesamt durch Verteidigungskosten in Anspruch genommen werden wird, nach dem Inkrafttreten dieses Vertrags nicht höher, sondern eher niedriger als der Hundertsatz der verfügbaren Bundesmittel sein, der bisher für Stationierungs- und Besatzungskosten in Anspruch genommen wurde.
Nun lassen Sie mich noch ein kurzes Wort zu einer Frage sagen, die hier mehrfach erörtert worden ist, zu der Frage der Außenhilfe. Hier von dieser Stelle aus, also in öfentlicher Bundestagssitzung, hat der Herr Bundesfinanzminister am 9. Juli 1952 die folgende Erklärung abgegeben; ich will sie hier wiederholen:
Die Vereinigten Staaten haben die Verpflichtung übernommen, das gesamte schwere Material für die Ausrüstung der deutschen Kontingente in derselben Art, in derselben Güte, in derselben Menge, wie es nach den sogenannten NATO-Verträgen für irgendein Kontingent zu liefern ist, auch dem deutschen Kontingent unentgeltlich zu liefern. Sie haben sich daneben verpflichtet. auch leichtes Material in einem bestimmten Wert und zahlenmäßig genanntem Umfange zu liefern.
Daß diese Erklärung von dem Herrn Bundesfinanzminister hier nicht gewissermaßen so aus dem hohlen Bauch heraus abgegeben ist, das weiß ja jeder vernünftige Mann.
({49})
Es sind sehr eindeutige, absolut eindeutige Erklärungen von sehr hoher amerikanischer Stelle gegenüber dem Regierungschef der Bundesrepublik abgegeben worden.
Vertreter der sozialdemokratischen Opposition haben nun bei den Beratungen auf das schärfste bemängelt, daß diese Zusage der Vereinigten Staaten nicht dokumentarisch verbrieft sei. Es müsse deshalb an dem Wert dieser Zusage gezweifelt werden. Bei Nichteinhaltung der Zusage werde das Tempo der Ausrüstung der deutschen Kontingente erheblich verlangsamt, was in jedem Falle unerwünscht und gefährlich sei.
Wir von der Regierungskoalition haben keinen Zweifel daran, daß die Vereinigten Staaten bereit sein werden, uns beim Aufbau unseres Verteidigungsbeitrags wirksam zu helfen. Ich bin aber der Meinung, daß wir mit innerem und sittlichem Recht eine solche Waffenhilfe der Vereinigten Staaten nur erwarten können, wenn wir selbst bereit sind, auch unseren Beitrag dazu zu geben, daß die freie Welt verteidigt werden kann, und wenn wir uns mit der freien Welt in der Bereitschaft zu ihrer Verteidigung gewissermaßen solidarisch verbunden wissen.
({50})
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß es an dieser Bereitschaft bei der Opposition leider fehlt, nicht allgemein, aber vielfach. Vor einiger Zeit habe ich in einer sozialdemokratischen Zeitung ein Lied gefunden, das diese bedauerliche Tatsache auf das trefflichste illustriert. Das Lied trägt die Überschrift „Das alte Lied und das neue Lied". Es fängt an „Wer will unter die Soldaten . . ." und es schließt mit folgenden zwei Versen:
Doch der Wähler riecht den Braten,
sehnt nach Frieden sich und Ruh',
wählt nicht mehr die CDU
und auch nicht die FDP
War genug bei den Soldaten,
will nicht noch einmal dazu,
und kommt so auf die Idee:
Ich probier's mit SPD.
({51}) „Ich probier's mit SPD"!
({52}) Diese Propaganda geht landauf, landab durch unser Volk, und gleichzeitig verlangen Sie von den Vereinigten Staaten Brief und Siegel für ihre Waffenhilfe!
({53})
({54})
Ich frage: Mit welchem inneren Recht können diejenigen, die eine solche Ohne-mich-Propaganda
treiben, von den amerikanischen Müttern verlangen, daß sie ihre Söhne zur Verteidigung Deutschlands und Europas über das große Wasser schicken?
({55})
Und mit welchem inneren und sittlichen Recht können Sie von den amerikanischen Steuerzahlern fordern, daß sie ihre guten Dollars für die Ausstattung deutscher Kontingente hergeben? Ich glaube, diese Frage bedarf doch auch von Ihrer Seite einer sehr ernsthaften Überlegung!
({56})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß folgendes sagen: Mit diesen Verträgen nimmt Deutschland die Bereinigung einer politischen Vergangenheit vor, die ihren deutlichsten Ausdruck in der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 gefunden hat, und zugleich steckt es seinen Weg in die Zukunft ab. Deutschland hat am 8. Mai 1945 einen vollkommenen Bankrott erlebt. Wenn ein Kaufmann bankrott macht und nach diesem Bankrott wieder einen Weg in die Zukunft sucht, kann er das nur, wenn er einen ganz ehrlichen Versuch macht, seine Vergangenheit zu bereinigen, sich mit seinen Gläubigern zu verständigen, soweit als möglich seine Schulden zu bezahlen und durch unzweideutiges und redliches Verhalten das Vertrauen seiner Geschäftspartner wiederzugewinnen.
({57})
Meine Damen und Herren! Dem deutschen Volk bleibt kein anderer Weg! Noch nie in der Weltgeschichte hat ein Volk aus einer Niederlage und einer Katastrophe den Weg in eine bessere Zukunft gefunden, ohne diesen Weg zu gehen und ohne schwere und harte Opfer zu bringen. Wer unserem Volke vortäuscht, für uns Deutsche sei es möglich, einen Weg in eine bessere Zukunft zu finden, ohne eine saubere und redliche Bereinigung unserer Vergangenheit vorzunehmen
({58})
und ohne Opfer zu bringen, der führt unser Volk auf einen falschen Weg. Welche verhängnisvollen Folgen es hat, wenn ein Volk solche falschen Wege geht, das haben wir doch wahrhaftig alle miteinander erlebt.
({59})
Wir sollten dieses Erlebnis und seine für uns alle so bitteren Lehren nie mehr vergessen. Wir sollten uns deshalb alle in dem Willen vereinigen, solche Fehlentwicklungen zu vermeiden und miteinander - ich sage: miteinander - einen ehrlichen und redlichen Weg in die Zukunft zu suchen.
({60})
Das Wort hat der Abgeordnete Gülich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Berichterstatter des Finanzausschusses habe ich gestern einen Überblick über den Finanzvertrag und die finanziellen Bestimmungen des EVG-Vertrages gegeben. Heute möchte ich einige, wie mir scheint, unausweichlich notwendige politische Anmerkungen machen. Der gestrige Bericht hat deutlich gezeigt, daß alle wichtigen finanziellen Bestimmungen unausgehandelt sind. Wenn aber allein in den Finanzproblemen zwei Dutzend offener Fragen sind, so zeigt das, daß in dem Finanzvertrag und in den finanziellen Bestimmungen des EVG-Vertrages die in den Finanzen nun einmal notwendige Konkretisierung nicht erfolgt ist.
Der Herr Bundeskanzler forderte vorgestern von uns, wir sollten uns nicht mit den Einzelheiten beschäftigen, sondern den Blick auf das Ganze, auf den Geist richten. Und Herr Bausch, ein Mitglied des Haushaltsausschusses, der ja auch eigentlich in Zahlen denken müßte, hat uns vorhin ebenfalls aufgefordert, das zu tun. Nun, ich bin der Meinung, wenn es sich um Zahlungen, Leistungen, Haftungen, Vergütungen handelt, dann muß man die Zahlen kennen; denn Finanzen drücken sich nun mal in Zahlen aus, die man im einzelnen kennen und betrachten muß, um zu den Summen zu kommen.
Herr Bundeskanzler, Sie kennen doch sicher auch das Wort des gescheuten Finanzmannes Max Warburg, der zugleich ein Philosoph war, und der sagte
- das interessiert auch Herrn Minister Schäffer -:
({0})
„Gott ist in den Details."
(Abg. Schoettle: Den interessiert das sowieso nicht! -
Der Philosoph gehört nicht zu den Bankiers!)
- Der war Bankier. Natürlich ist auch der Teufel in den Details.
({0})
Die Teufeleien dieses Vertragswerks lassen sich in den finanziellen Bestimmungen nicht verhüllen. Betrachten wir zunächst einmal das Kardinalthema: die Beitragsbemessung.
Die Beitragsbemessung geschieht auf Grund des NATO-Fragebogens, der in den zuständigen Bonner Ministerien vorliegt, dem Parlament, ja sogar den Fachausschüssen aber vorenthalten wird.
({1})
Der Nordatlantikpakt ist zwar von den beteiligten Mächten unterzeichnet, jedoch nicht ratifiziert. Warum nicht, interessiert hier nicht. Die NATO-Grundsätze sind nicht ratifikabel, weil sie gar nicht festgelegt sind, sondern, wie uns vom Vertreter des Herrn Bundesfinanzministers gesagt wurde, aus einem „System von Übungen" bestehen.
({2})
Dennoch werden diese Grundsätze, die wir nicht kennen, für die Feststellung der Höhe des deutschen Verteidigungsbeitrages angewendet. Ich glaube, das ist ein ungesundes Verfahren.
Wie undurchsichtig diese NATO-Grundsätze sind, geht aus der Äußerung des deutschen Finanzdelegierten auf der Pariser Konferenz, des Ministerialrats D r. Via 1 o n hervor, nachzulesen im Bulletin der Bundesregierung vom 29. August „Erst aus den Ergebnissen wird sich auf die Methode der Festsetzung des deutschen Beitrags schließen lassen."
({3})
Hat man schon mal so was gehört? In Art. 3 des
Finanzvertrages steht, die Bundesrepublik und die
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Mächte werden eine Methode entwickeln, und nun hören wir, daß sich erst aus den Ergebnissen auf die Methode schließen lasse! Das scheint mir sehr bemerkenswert. Herr Kollege Henle sagte vorgestern sehr stolz: Wir sitzen gleichberechtigt an den Ratstischen Europas.
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Mir scheint, dies ist ein etwas mageres Produkt der Gleichberechtigung.
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Warum aber, möchte ich nun fragen, ist der NATO-Fragebogen geheim? Denn der NATO-Fragebogen enthält doch keine militärischen Dinge, sondern er soll die deutsche Wirtschaftskraft messen, und er soll das, wie ich als Berichterstatter des Finanzausschusses ausgeführt habe, rein auf Grund von produktionsstatistischen Daten tun. Der NATO-Fragebogen nimmt also keine Rücksicht auf die soziale Tragfähigkeit; die Geheimhaltung ist somit unverständlich. Nun bedenken Sie doch einmal, verehrte Kollegen und Kolleginnen aus dem Bundestag: Ein Oberregierungsrat im Finanzministerium, der keine Verantwortung für die Verträge hat, hat Einblick in den NATO-Fragebogen, während den Abgeordneten des Deutschen Bundestags, die die Verantwortung tragen und die ihr Ja oder Nein zu den Finanzfragen nicht zuletzt von der Methode der Feststellung des deutschen Verteidigungsbeitrages abhängig machen müssen, von der Regierung dieser Einblick versagt wird.
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Ich glaube, Herr Bundeskanzler, das ist eine Methode, die man als nicht zulässig bezeichnen muß.
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Nun ist wiederholt in den Finanzausschußsitzungen - und eben hat es Herr Kollege Bausch wieder sehr ausführlich getan - auf das Prinzip der Einstimmigkeit hingewiesen worden. Die Bundesregierung - und Herr Bausch tat es auch - erblickt in der Tatsache, daß der EVG-Haushalt nur einstimmig, also nicht gegen die Stimme Deutschlands beschlossen werden kann, geradezu eine Schlüsselposition für die Bundesrepublik. Sie glaubt, daß die Möglichkeit eines deutschen Vetos zur Festsetzung des deutschen Verteidigungsbeitrags ihr ein weitgehendes Mitbestimmungsrecht überhaupt einräume.
Die Bedeutung dieses Einstimmigkeitsprinzips wird aber von der Bundesregierung nicht nur überschätzt, sondern - und das scheint mir das Entscheidende zu sein - der Situation nach falsch eingeschätzt. Die Bundesregierung freut sich darüber, daß es ihr gelungen ist, die Höhe des Verteidigungsbeitrags nicht von der Ausgabenseite her zu bestimmen, sondern von der Einnahmenseite. Es wurde uns vom Regierungsvertreter ganz harmlos erklärt: Wenn die Einnahmen nicht ausreichen, werden wir also dem nicht zustimmen, was uns die anderen an finanziellen Lasten aufbürden wollen, dann muß eben das Rüstungsprogramm herabgesetzt werden. Gerade, als ob es sich um einen Geschäftsmann handelte, der sich überlegt, ob er in diesem oder im nächsten oder im übernächsten Jahr irgendwelche Investitionen machen oder nicht machen will!
Abgesehen davon, daß die NATO-Mächte auf der Lissaboner Konferenz faktisch ihre Rüstungen schon stark eingeschränkt haben, bedeutet eine Minderung des Rüstungsprogramms gerade für die Bundesrepublik, die an der exponiertesten Stelle der Front gegen den mutmaßlichen Gegner steht, entweder den Zwang zu verstärkter eigener Rüstung, um der Gefährdung ihrer Sicherheit zu begegnen, oder das Risiko, schwächer dazustehen, als es nach der politischen Konzeption des Vertragswerks tragbar ist. Eine Herabsetzung der Rüstungsprogramme wegen der Kostenfrage gefährdet also gerade die militärische Sicherheit, die uns die Verträge gewährleisten soll. Der Zwang zur Aufrüstungssteigerung über das bisher vorgesehene Maß hinaus gefährdet aber unsere soziale Sicherheit, wie schon das vorgesehene Maß unsere soziale Sicherheit -- wie ich nachher ausführen werde - aufs äußerste gefährdet.
Die außenpolitische Konzeption des Bundeskanzlers adoptiert die Politik der Stärke, zu der die Westmächte sich bekannt haben. Die Ja-Sager zu diesem Vertragswerk bekennen sich ebenfalls zur Politik der Stärke, ohne zu wissen, ob sie die Kraft, die finanzielle Kraft zur Stärke haben. Wer in der Politik der Stärke A sagt, der muß auch B sagen,
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und ich fürchte, er wird noch viele weitere Buchstaben des Alphabets bemühen müssen.
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Meine Damen und Herren, wir sind doch alle, die wir hier im Saale sitzen, eine Versammlung von Überlebenden einer Weltkatastrophe. Wir haben doch die Politik der Stärke in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts bei wirtschaftlicher Schwäche und exponierter geographischer Lage schon zweimal erlebt.
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Wir haben die Politik der Stärke von A bis Z - von Adolf bis Zusammenbruch - noch vor wenigen Jahren erlebt.
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- Ja, „A" ist wieder da. - Gedenken Sie für die zweite Hälfte des Jahrhunderts, für das Sie sich nun vertraglich binden wollen, bei noch größerer Wirtschaftsschwäche das noch ein drittes Mal zu erleben?
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- Doch, Herr Tillmanns, das habe ich schon sehr gut bemerkt.
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- Sie werden es auch aus meinen Ausführungen erkennen, daß ich es gemerkt habe.
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- Ich habe auch das gemerkt.
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- Herr Wuermeling, ich lasse schon merken, was ich sagen will, und bitte, hören Sie mich zu Ende an. Ich sage noch einiges mehr dazu; aber da die Redezeit beschränkt ist,
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über die Politik der Stärke jetzt nicht mehr.
Der Herr Bundeskanzler sagte vorgestern, daß die Bundesregierung mit der Einführung der Schiedsgerichtsklausel etwaigen Mißbräuchen des
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Notstandsrechts vorgebeugt hätte. Nun, dazu ist schon Stellung genommen worden, das ist auch nicht meine Aufgabe. Ich muß aber die Bedeutung der Schiedsgerichtsklausel für die Finanzfragen beleuchten: Als einziger vertragsrechtlicher Ausweg für den Fall eines deutschen Nein auf die Festsetzung der Höhe des Verteidigungsbeitrags besteht für uns der Appell an ein Schiedsgericht, wie es der Generalvertrag in Art. 9 vorsieht. Nach Art. 19 des Finanzvertrags wird aber die von Art. 9 des Generalvertrags vorgesehene Schiedsgerichtsbarkeit für Streitigkeiten über die Festsetzung des Verteidigungsbeitrags, für die Verteilung der Stationierungskosten und für die Vergütungs- und Entschädigungsfragen als nicht zuständig erklärt.
({19})
Für die Determinierungsmethode des ganzen Vertragswerks ist kennzeichnend, daß in Art. 9 des Generalvertrags, der die Ausnahmen von der Schiedsgerichtsbarkeit definiert, jede Verweisung auf Art. 19 des Finanzvertrags mit seinen außerordentlich einschneidenden Ausnahmebestimmungen fehlt.
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Sehen Sie, Herr Bausch, das sind Einzelheiten; die muß man wissen und auch vortragen.
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- Der Teufel steckt in den Details, da haben Sie ganz recht, Herr Strauß.
({22}) - Darum rede ich darüber.
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Das bedeutet also, daß fast alle wesentlichen noch zu vereinbarenden und fast alle noch in der Natur der Sache liegenden Differenzpunkte der Zuständigkeit des Schiedsgerichts und somit einer höheren Instanz entzogen sind.
Über die Leistungen für die auf deutschem Boden stationierten Truppen habe ich das finanziell Wesentliche als Berichterstatter des Finanzausschusses sagen können. Auf zwei finanzpolitisch wichtige Gesichtspunkte möchte ich aber noch hinweisen. Der Herr Kollege Kneipp führte in seinem Bericht zu den devisen-, zoll- und steuerrechtlichen Vergünstigungen für die Streitkräfte und ihr Gefolge an, daß diese nach Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers internationalen Gepflogenheiten entsprächen. Vergleichen Sie nun aber mit dieser Behauptung die Feststellung des Art. 12 des Abkommens zwischen den Parteien des Nordatlantikpakts über die Rechtsstellung ihrer Truppen, das uns gestern oder vorgestern als Drucksache zur Drucksache Nr. 3900 endlich vorgelegt worden ist, so werden Sie sehen, daß jede Zoll- oder Steuererleichterung nach diesem Vertrag davon abhängt, daß die Bestimmungen beachtet werden, die die Zoll- oder Steuerbehörden des Aufenthaltsstaates zur Verhinderung von Mißbräuchen für erforderlich halten.
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Ich kann das im einzelnen nicht ausführen. Sie haben in der Behandlung der Zoll- und Steuerfragen die Freiheit, die wir nicht haben, da wir vertraglich gebunden sind. Die internationalen Gepflogenheiten des NATO-Abkommens entsprechen den Gepflogenheiten unter gleichberechtigten Staaten. Die vom Herrn Bundesfinanzminister euphemistisch als international bezeichneten Gepflogenheiten sind
die Gepflogenheiten des Besatzungsstatuts, nein, anders, sie sind die Geflogenheiten der Sieger, nur mit dem Unterschied, daß nunmehr die Besatzungstruppen, pardon, die Truppen der Verbündeten auch von der Zahlung der kleinen Verbrauchsteuern befreit sind, also der Leuchtmittelsteuer, der Zündwarensteuer, der Spielkartensteuer. Das Spiel, meine Herren, kann beginnen; nur liegen die Trümpfe alle in der Hand der Partner.
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Die steuer- und zollrechtlichen Bestimmungen werden den Besatzungsschmuggel - ich möchte einmal wissen, wie hoch ihn der Herr Bundesfinanzminister schätzt, auf wieviele hundert oder tausend Millionen; vielleicht gibt er uns darüber eine Auskunft - legalisieren. Die Zoll- und Steuervergünstigungen der Besatzungsmächte, die uns einseitig auferlegt waren, werden umgewandelt in zweiseitige Vertragsbindungen. Man könnte also sagen: die Unsitten der Besatzungszeit werden zu den Sitten der neuen europäischen Gemeinschaft, j eden-falls soweit es uns betrifft.
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Die zweite Bemerkung. Die Regierungsvertreter erklärten uns das Nachgeben der Bundesregierung bei Verhandlungen über diese umfangreichen deutschen Leistungen damit, daß andere große westeuropäische Staaten sich in freiwilligen Leistungen an amerikanische Truppen - gemeint sind also amerikanische Truppen in England und in Frankreich - geradezu überboten hätten. Ich habe mich bei dieser Gelegenheit - wie oft in den Ausschußverhandlungen - über die Harmlosigkeit der sonst gescheuten Regierungsvertreter in diesen politischen Dingen wirklich gewundert. Wenn ich nämlich Engländer oder Franzose wäre, dann würde ich das auch machen. Denn die amerikanischen Truppen, die dort stationiert sind, sollen ja England und Frankreich verteidigen, aber nicht auf englischem oder französischem, sondern auf deutschem Boden; das ist der Unterschied!
({27})
- Ja, wie diese Verteidigung aussieht, darüber können wir uns j a nochmal unterhalten.
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- Ja, das ist richtig. Nur ist es nicht der Kernpunkt meiner Ausführungen, weil ich zu den Finanzfragen zu sprechen habe, von deren Behandlung ich mich auch nicht abdrängen lassen möchte.
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- Diese Bemerkung haben Sie falsch verstanden. Nicht daß ich mich aus politischen Gründen nicht abdrängen lassen möchte, sondern ganz einfach deswegen, weil ich die mir zugesagte Redezeit nicht vergeuden und nicht darauf verzichten will, das finanzpolitisch Notwendige noch zu sagen.
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Ich will noch ein Wort zu den Besatzungskosten sagen. Das heißt, heute darf man den Ausdruck ja gar nicht mehr gebrauchen; wir sprechen jetzt von Verteidigungskosten. Das klingt nun so, als ob alle diese Ausgaben, die den Sozialstandard unseres Volkes ungeheuer belasten, tatsächlich für die Verteidigung aufgewendet würden. Ich möchte fragen: Sollen denn, wenn diese Verträge angenommen werden, die deutschen Truppen in der EVG schlechter behandelt werden als die auf deutschem
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Boden stationierten fremden Truppen? Soll der amerikanische Soldat, der in Bordeaux stationiert ist, unter wesentlich ungünstigeren Bedingungen leben als der amerikanische Soldat, der in Deutschland stationiert ist? Ich hätte das umgekehrt sagen sollen. Ja, das ist nämlich eine ganz entscheidende Frage, und die amerikanische Armee läßt es sich einfach nicht gefallen, und es würde eine Revolution bei ihr ausbrechen, wenn sie die Gepflogenheiten, die sie als Sieger hier eingeführt hat, nicht beibehalten könnten.
({32})
- Das ist eine Tatsache, das ist keine Aufforderung. Wen fordere ich denn auf und zu was? Das ist eine Tatsache, daß die amerikanischen Soldaten auf unserem Boden weit besser gestellt sind durch alle die Vergünstigungen, die ihnen eingeräumt werden.
Ich spreche von den Besatzungskosten, und ich möchte doch einmal fragen, ob das in Zukunft so bleiben soll, ob der englische Korporal, der auf deutschem Boden ist, der ein eigenes Haus mit Zentralheizung - für die ein deutscher Heizer kommt - für sich hat, der eine Hausgehilfin hat usw. - die Dinge könnte ich ja im einzelnen sagen -, soll - frage ich - dieser Luxus weiter so bleiben? Denn daß es sich dabei um einen Besatzungsluxus handelt, der in einer Verteidigungsgemeinschaft keinen Platz mehr hätte, das war es, was ich hier ausdrücken wollte.
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- Wenn Sie wollen, will ich Ihnen einmal ein Beispiel sagen, das die Sache auch ganz hübsch erläutert.
({34})
- In den Stationierungskosten, Herr Bausch, sind eben Aufwendungen für das, was ich als Besatzungsluxus bezeichnet habe.
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- Entschuldigen Sie einmal, sie bezahlen es eben nicht selbst, jedenfalls bisher noch nicht.
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- Herr Wuermeling, das ist nicht lächerlich.
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- Schön, dann will ich einmal eine Frage an den Herrn Bundesfinanzminister richten.
Das Statistische Bundesamt gibt „Vorläufige Ergebnisse der Güterstatistik der Besatzungskosten"
- VII/11 - heraus, aber es darf sie nur abgeben an vom Herrn Bundesfinanzminister namentlich bezeichnete Empfänger.
({38})
Es darf sie nicht abgeben an ein wissenschaftliches Institut, welches die gesamte amtliche Statistik der ganzen Welt sammelt,
({39})
und warum? Mutmaßlich wird Herr Minister Schäffer nicht sehr gern sagen, warum sie nicht abgegeben wird. Ich will deshalb die begründete Vermutung aussprechen,
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daß sie nicht ausgegeben werden darf an Empfänger, die vom Herrn Bundesfinanzminister nicht namentlich genannt sind, weil der Schleier des Geheimnisses über dem Luxus, der durch diese Statistik offenbar wird, nicht gelüftet werden soll.
({41})
Ich möchte nun etwas zur Belastung der öffentlichen Finanzen sagen; denn wenn wir Verpflichtungen eingehen, müssen wir ja wissen, ob wir die Kraft haben, die Verpflichtungen zu tragen. Ich habe in meinem Bericht die Belastungen für die Verteidigungsausgaben mit rund 131/2 Milliarden DM bezeichnet. Herr Bausch hat dazu aufgefordert, bei der Wahrheit zu bleiben. Ich darf zunächst feststellen: Herr Bausch, haben Sie gemeint, daß ich subjektiv unwahr sein wollte?
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- Ich darf also feststellen, daß Sie das nicht gemeint haben,
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sondern Sie haben gemeint und wohl auch gesagt, daß es sich hier um eine objektive Unrichtigkeit handele.
({44})
Nun ist dazu zu sagen: 850 Millionen mal 12 gibt 10 200 Millionen, und die 1060 Millionen, die bisher noch nicht angerechnet sind, deren Anrechnung die Bundesregierung aber wünscht, und die 1070 Millionen für allerhand Kriegsfolgelasten, Besatzungsverdrängte usf. wurden eben bisher noch nicht angerechnet; infolgedessen muß ich sie zu diesen Ausgaben zuziehen, aber ich kann sie nicht abziehen. Ihre Rechnung kann also insoweit nur besagen: „Hundert Mark haben und nicht haben, macht zweihundert Mark"!
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Ja, so weit gehen wir im kleinen Einmaleins einig, daß wir uns darüber klar sind, daß zwei mal zwei vier ist!
Zu diesen Belastungen wissen wir ferner, daß wir aus dem Überleitungsvertrag - das hat das Bundesfinanzministerium uns ja schriftlich gegeben
- mit einer Belastung von 20'/2 Milliarden Mark zu rechnen haben. Wir wissen ferner, daß wir die deutschen Auslandsvermögen, die privaten Auslandsvermögen, die mit 15 bis 20 Milliarden Mark beziffert werden müssen, preisgegeben haben, daß wir aber die fast ebenso - (Abg. Dr. Gerstenmaier: Preisgegeben, Herr Professor? Die haben wir nicht preisgegeben! Die hat Adolf Hitler verspielt, nicht w i r sind es, die sie preisgegeben
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wir stehen auch nicht dafür! ({47})
- Nein, so ist es j a nicht! Die deutschen Auslandsvermögen - ({48})
- Nein, ich halte Ihnen das nicht vor!
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- Nein! Dann müssen Sie besser zuhören! Ich habe mich klar ausgedrückt.
({50})
Die von den Alliierten und auch von den neutralen Staaten nach dem Kriege erfolgten Beschlagnahmungen des privaten deutschen Auslandsvermögens - damit haben Sie nichts zu tun; selbstverständlich nicht!, das habe ich auch nicht behauptet! - werden nunmehr in diesem Überleitungsvertrag anerkannt. Das können Sie nicht bestreiten, und das habe ich eben mit „preisgegeben" ausgedrückt.
({51})
Und die privaten Auslandsschulden, die wir haben
({52})
- Also, Sie erkennen es nicht an, sondern Sie nehmen es hin.
({53})
Es ist uns auch so gesagt worden, daß die Regierung dieses leider hingenommen habe. Aber glauben Sie denn, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ich wäre so töricht und so taktlos und so unwahr, Ihnen zu unterstellen, als ob Sie deutsche Auslandsvermögen freiwillig preisgegeben hätten? Das tut doch keiner von uns. Darüber wollen wir uns doch einig sein.
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- Nein, darüber gibt es keine Mißverständnisse. Wir sind uns doch auch darüber klar.
Also wir wissen, daß wir weiterhin sehr große Belastungen haben, die alle nicht Ihnen zur Last zu legen sind, sondern die nur objektiv auf uns zukommen. Das ist es.
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Die Belastungen aus den Wiedergutmachungsverträgen, die privaten Restitutionen und alle diese Dinge - ich will den Katalog im einzelnen gar nicht aufzählen. Es kommt mir nur darauf an, Ihnen darzulegen, daß außer den sogenannten Verteidigungsausgaben noch ungeheuere aus der Liquidation des Dritten Reiches herrührende finanzielle Belastungen da sind, daß weitere auf uns zukommen und uns damit in unserer Wirtschaftskraft entscheidend schwächen.
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Wir wissen nicht, was die Zoll- und die steuerlichen und devisenrechtlichen Vergünstigungen sowie die Sach- und Werkleistungen an die Besatzungsmächte uns kosten werden. Wir haben Berechnungen und Schätzungen darüber gewünscht, aber wir haben keine erhalten. Diese Vergünstigungen hat die Bundesregierung eingeräumt; ja, sie hat es hinnehmen müssen, weil sie den Vertrag geschlossen hat, ohne sich über das zahlenmäßige Ergebnis auch nur ein ungefähres Bild zu verschaffen.
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Und da meine ich, der schon mehrfach hier zitierte Geschäftsmann muß, wenn er sich in einer prekären Situation befindet, ja doch erst einmal Bilanz machen, er muß einmal aufschreiben, was er hat und was er nicht hat; und das, meine ich, hätte die Bundesregierung tun müssen.
Wir wissen ferner, daß die Opfer zweier Weltkriege noch nicht genügend versorgt sind. Wir wissen, daß die Notstandsgebiete gekräftigt werden müssen, daß die Heimatvertriebenen weiter seßhaft gemacht werden müssen. Wir wissen, daß die Besatzungsverdrängten endlich entschädigt werden müssen. Das alles, meine Damen und Herren, sind vordringliche Aufgaben, deren nicht rechtzeitige Lösung das gesamte Sozialgefüge der Bundesrepublik erschüttern wird.
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Da möchte ich fragen: Wie ist es überhaupt möglich, daß die Regierung eines halben Deutschland, eines provisorischen Staates, dessen soziale Spannungen immer stärker werden,
({59})
eben weil diese Fragen nicht gelöst sind, solche Belastungen, von denen wir wissen müssen, daß sie nicht getragen werden können, auf sich nehmen will. Daß das Dritte Reich durch seine „Politik der Stärke" die Leistungsfähigkeit von Generationen vorweggenommen hat, das wissen wir. Aber wir dürfen nicht dasselbe tun.
({60})
Der Herr Bundesfinanzminister hat oft genug versichert, daß er Finanzierung durch Geldschöpfung nicht will, auch nicht braucht. Er behauptet sogar, daß er keine neuen Steuerquellen erschließen will, und er behauptet sogar, daß er im nächsten Jahre die Besatzungskosten noch senken wolle. Auch Herr Bausch hat vorhin versichert, daß sie um monatlich 134 Millionen DM gesenkt würden. Dazu kann ich Ihnen nur sagen, lieber Herr Bausch: Ihr Wort in NATOs Ohr!
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Ich fürchte, daß die Folge eine Schwächung der Finanzkraft der Länder sein wird. Denn der Herr Bundesfinanzminister will ja den Anteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer wieder erhöhen, obwohl dieser Anteil honorigerweise schon gar nicht mehr als Anteil bezeichnet werden kann.
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Und was wird die Folge sein? Die Gemeinden werden es auszubaden haben!
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Die Gemeinden, die wichtigen Zellen des Staates, werden weiterhin in ihren wirtschaftlichen und kulturellen Aufgaben so geschwächt werden, daß dies in der Folge auch eine Schwächung der Bundesrepublik bedeuten wird.
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Mir ist die Auffassung von Herrn Minister Schäffer über den neuen Bundesetat bekannt. Aber ich teile diese Auffassung nicht und bitte, den MSA-Bericht für 1953/54 zu vergleichen. Die Auffassung der Bundesregierung über die Zuwachsrate unseres
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Sozialprodukts ist auch eine Illusion. Wenn die Bundesregierung unterstellt, daß diese Zuwachsrate größer sein wird als die zusätzlichen Belastungen der öffentlichen Finanzen für den sogenannten Verteidigungsbeitrag, nun, so wird sie bald, davon bin ich überzeugt, alle die enttäuschen müssen, die ihr heute vertrauensvoll folgen.
Ich will noch etwas sagen, was ich als Fortsetzung der Ausführungen über wichtige Einzelheiten, glaube ich, nicht unterdrücken kann. Die Verträge sind - und das zeigt jedem, daß der Geist der Verträge nicht in Ordnung ist - unklar, unkonkret, verklausuliert, schwammartig abgefaßt.
({66})
Sie sind überhaupt nur durch Interpretation erschließbar. Und das weist auf die Geschichte der Entstehung der Verträge hin, über die auch Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer vorgestern etwas gesagt hat. Man merkt dem Finanzvertrag ganz deutlich an, daß er der Bundesregierung zunächst oktroyiert werden sollte, beiläufig mit einer Summe von 13 Milliarden DM. Die Tatsache, daß die Bundesregierung erst durch einen diplomatischen Notenwechsel erreichte, daß die Festsetzung des deutschen Verteidigungsbeitrages wenigstens grundsätzlich nach dem NATO-Verfahren erfolgt, das monatelange Ringen in den Verhandlungen mit den Besatzungsmächten mag die Form des Vertragswerkes erklären; die Unklarheiten sind aber nur ein Symptom der übereilten Fixierung und vorschnellen Terminierung eines Vertrages, der gleichsam im Stadium der Vorverhandlungen stekkengeblieben ist.
({67})
Man hat den Eindruck, als ob der Zeitdruck so stark gewesen wäre - man muß ja bedenken: Es wurde über die Einzelbestimmungen noch verhandelt, als die Verträge schon paraphiert waren -,
({68})
daß eines Tages gesagt wurde: So, nun ist Schluß!, und daher sind diese vielen Klauseln hineingekommen, diese Dutzende von Bestimmungen: das und das und das soll in späteren Vereinbarungen geregelt werden.
Die Freude, daß bei diesem Vertragswerk zum erstenmal unsere deutsche Sprache als gleichberechtigte Vertragssprache anerkannt wurde, wird leider dadurch getrübt, daß die Formulierungen nicht so ausgehandelt warden sind, daß in jeder Textfassung das gleiche verstanden wird, daß sich also die Bestimmungen in den verschiedenen Sprachtexten decken. Die Verträge werden von der angloamerikanischen Amtssprache beherrscht. Der französische Text ist eine nachträgliche und, wie zugegeben, sehr übereilte Übersetzung. Da die alliierten Mächte aber bei allen künftigen Verhandlungen - und diese Verhandlungen müssen sehr zahlreich sein - von den Formulierungen ihr es Vertragstextes ausgehen werden, wird sich bald als Verhängnis erweisen, daß die Verträge nicht zu Ende verhandelt worden sind. Wie einschneidend solche sprachlichen Differenzen sein können, brauche ich Ihnen gar nicht darzulegen; ich habe es gestern an einem Beispiel bewiesen.
Dr. Pünder sagte in seinem Bericht, es seien viele Unschönheiten und Unklarheiten da, aber das Vertragswerk sei, im großen gesehen, doch wohl das Höchstmaß dessen, was im Augenblick zu erreichen gewesen sei. Ich meine, das Besatzungsregime ist bereits unter dem Besatzungsstatut gemildert worden, und zwar so, wie es in der Natur der Entwicklung lag. Diese Tendenz zur Abschwächung der Härten des Besatzungsdruckes ist jedoch durch das Vertragswerk abgestoppt worden, das den momentanen Stand des deutsch-alliierten Verhältnisses vom Frühjahr 1952 für den Rest dieses Jahrhunderts fixiert hat. Im übrigen glaube ich, wenn der Herr Bundeskanzler nicht nach jeder, fast jeder Konferenz und jeder Besprechung zur Presse gesagt hätte: Ich bin sehr zufrieden, es war ein großer Erfolg, dann hätten seine Unterhändler wahrscheinlich mehr heraushandeln können,
({69})
als es bei seinem System der Fall gewesen ist.
({70})
In den Verträgen - das möchte ich zum Schluß nochmals ausdrücklich feststellen - handeln die Mächte faktisch noch als Besatzungsmächte unter nur scheinbarer Parität. Es ist also nicht in echter Partnerschaft verhandelt worden, sondern von uns aus nach dem Prinzip des Abhandelns, des Herunterhandelns schlechter Bedingungen zu etwas milderen Bedingungen, und zwar unter diskriminierenden Umständen. Aus Besatzungsfesseln sind, wie es ein amerikanischer Schriftsteller in der „Saturday Evening Post" ausgeführt hat, Bündnisfesseln geworden.
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Nun soll die EVG eine neue, auf Nichtdiskriminierung aufgebaute Gemeinschaft sein, in der es keine Sieger und keine Besatzungsmächte mehr geben könne. Tatsächlich ist jedoch die Bundesrepublik infolge ihrer vertraglichen Bindung durch den Generalvertrag und ihre Nichtzugehörigkeit zur NATO faktisch in der Lage eines diskriminierten Staates der EVG, und das ist eine Tatsache, die man nicht übersehen kann.
Ich sagte vorhin schon, die Verträge waren paraphiert, als über wesentliche Dinge noch gehandelt wurde, und infolgedessen merkt man insbesondere in den Finanzparagraphen die mangelnde Konkretisierung. Das Signum dieser Verträge ist der Zwang zur Revision. Der Zwang zur Revision, der Zwang zu neuen Verhandlungen ist ein essentielles Vertragselement, nicht ein akzidenelles, wie in anderen Verträgen, und das, scheint mir, ist ein Novum.
Der Herr Bundeskanzler sagte vorgestern, wir sollten doch nicht von ,;Revision", sondern von „dynamischer Entwicklung" sprechen. Nun, das ist ja gerade das Bedauerliche, daß die dynamische Entwicklung, die in vollem Fluß war, durch die Vertragschließung in einem heute schon antiquierten Stadium für dieses Jahrhundert vertraglich künstlich festgelegt worden ist.
({72})
Warum, frage ich, schließt man Verträge für Jahrzehnte, wenn man weiß, daß sie in dieser Form nicht einmal Jahre halten können?
({73})
Der Herr Bundeskanzler beschwor den Bundestag vorgestern, jeder Neinsager der ersten Lesung sei verpflichtet, sein Nein zu überprüfen. Ich stimme dem zu. Ich entgegne jedoch, daß auch jeder Jasager der ersten Lesung, nachdem er das Vertragswerk im einzelnen kennengelernt hat, dieselbe Pflicht hat, nämlich sein Ja zu überprüfen.
({74})
Auch wer die außenpolitische Konzeption des Kanzlers bejaht - ich kann sie nicht bejahen; ich habe
({75})
mich, um diese Frage zu prüfen, sehr genau mit
den Verträgen befaßt -, muß vor den Finanzproblemen, die drohend auf uns zukommen, in Schreck
erstarren. Die Verträge gewähren uns nur ganz
unkonkrete Rechte und ganz vage Aussichten, sie
legen uns untragbare und sehr konkrete Verpflichtungen auf. Wer kann angesichts solcher Tatsachen
ein fundamentales Ja zu diesen Verträgen sagen?!
({76})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Freudenberg.
Frdudenberg ({0}): Meine Damen und Herren! In dem Augenblick, in dem wir uns durch die Annahme oder Ablehnung der Bonner und Pariser Verträge, die ein Ganzes bilden, für lange Zeit politisch festlegen, steht der Bundestag vor einer unendlich schweren Entscheidung. Sie, Herr Bundeskanzler, führen nach dem Grundgesetz die Politik Westdeutschlands. Neben Ihnen steht das Parlament in voller Selbständigkeit. Heute hat das Parlament zu sprechen. Jeder von uns muß seinen Teil der Verantwortung übernehmen. Irgendwelche Bindungen und Rücksichten gibt es nach dem Grundgesetz nicht. Ich glaube, es tut keiner Fraktion Abbruch - im Gegenteil! -, wenn einzelne Fraktionsmitglieder von der Fraktionslinie abweichen. Die Unabhängigkeit stärkt nur den demokratischen Gedanken.
({1})
Ich wußte um die Verantwortung, als ich im Wahlkreis Mannheim-Land als Unabhängiger gewählt wurde. Heute erst weiß ich, wie schwer diese Verantwortung ist. Ich kann mich dem Wunsche, den Herr Kollege Lemmer bei der ersten Lesung ausgesprochen hat, nur anschließen: daß wir es halten, wie es schon seinerzeit gehalten wurde, als es in Weimar um die Annahme oder Ablehnung des Versailler Vertrags ging, nämlich daß Ja- und Neinsager sich gegenseitig zugestehen, daß jeder seine Verantwortung in gleicher Verantwortung als Deutscher trägt.
({2})
Heute füge ich hinzu: in gleicher Verantwortung als Europäer. Für Parteiagitation, Propaganda und falsche Lautstärken hat die Bevölkerung bei dieser ernsten Frage kein Verständnis.
Wie Sie wissen, hatte ich es für richtiger gehalten, daß die Rechtslage, die sich nach dem Grundgesetz ergibt, geklärt worden wäre, ehe wir die politische Entscheidung treffen. Ich bin heute mehr denn je davon überzeugt, daß diese Klärung notwendig gewesen wäre. Mir werden wohl keine parteitaktischen Gründe unterstellt. Die politische Verantwortung liegt selbstverständlich beim Bundestag; davon kann ihn kein Bundesverfassungsgericht entbinden. Ich darf auch ausdrücklich feststellen, daß ich der Meinung bin, daß das Parlament alle politischen Fragen, die während der Legislaturperiode an uns herantreten, zu entscheiden hat, also auch über diese Verträge und damit über die Frage der Wiederaufrüstung.
Daß Sie, Herr Bundeskanzler, nachdem Sie es im Interesse des ganzen deutschen Volkes für richtig erachtet haben, den Weg der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu beschreiten, nicht verstanden haben, sich hierfür eine breite Mehrheit zu sichern, ist in meinen Augen eine mehr als bedauerliche Entwicklung.
({3})
Wieviel stärker wäre unsere Stellung bei den Verhandlungen gewesen, wenn es von Ihnen erreicht worden wäre, diesen außenpolitischen Weg mit seinen Rückwirkungen auf unsere weitere innenpolitische Entwicklung in breiter Front zu gehen! Ich weiß allerdings, daß die größte Oppositionspartei Ihnen den Weg nicht leicht gemacht hat.
({4})
Wäre aber nicht der richtige Weg gerade dann gefunden worden, wenn man von der Notwendigkeit einer verfassungändernden Mehrheit ausgegangen wäre? Die Verhandlungen wären gewiß schwieriger geworden, aber wahrscheinlich doch in manchen Punkten ausgereifter, d. h. besser. Schon die Verschlechterungen, von denen Sie vorgestern gesprochen haben, die unsere Vertragspartner wegen der Furcht hinsichtlich der Vertragskontinuität eingebaut haben, hätten vermieden werden können.
Herr Bundeskanzler, rächt es sich nicht bitter, daß Sie als Ressortminister des Auswärtigen allzu präokkupiert waren und daß Sie nunmehr das Vertragswerk einem besorgten Parlament und einem in weiten Kreisen widerstrebenden Volk mit taktischer Meisterschaft abringen müssen?
({5})
Ich bewundere Ihren Mut; ich muß aber verlangen, daß Sie auch die Bedenken derer würdigen, die Ihrer Politik, insbesondere dem Zeitablauf Ihrer Außenpolitik vom deutschen und europäischen Standpunkt mit großer Sorge gegenüberstehen.
({6})
Ich stelle die besorgte Frage: Haben wir in dem Streben nach unserem Schutz in den aufgeregten Wochen nach Ausbruch des Korea-Konflikts die 18 Millionen Deutschen, die im sowjetischen Bereich ihr Leben in Unfreiheit fristen, genügend beachtet?
({7})
Wäre es nicht innerlich wahrer gewesen, ihr Schicksal bei den Vertragsverhandlungen in den Vordergrund zu rücken
({8})
und den Einsatz von deutschen Soldaten zur Verteidigung so lange nicht zu diskutieren, bis wir mit den 18 Millionen gemeinsam unsere politische Zukunft bestimmen können?
({9})
- Meine Damen und Herren, ich bin nicht für Beifallskundgebungen. Wir sprechen im Parlament, und es war eine gute Sitte im alten Reichstag, daß man von Beifallskundgebungen Abstand genommen hat.
({10})
Nein, ich scheue nicht den Beifall von der einen oder andern Seite,
({11})
sondern ich glaube, wir sprechen in einem deutschen Parlament, wo wir alle Deutsche sind.
({12})
Die Welt muß es verstehen - selbst die amerikanischen Frauen, Herr Kollege Bausch; ich leide auch unter diesem sittlichen Recht -, daß wir als ein in zwei Lager zerrissenes Volk nicht Gefahr laufen können, daß Deutsche gegen Deutsche kämp({13})
fen müssen. Weil die Sowjets Deutsche bewaffnen, haben wir noch keine Rechtfertigung, dasselbe zu tun.
({14})
Ich fürchte, daß wir uns, die wir im wahrsten Sinne eben noch kein Staat sind, zu weit vorgewagt haben. Erwecken wir bei den 18 Millionen nicht falsche Hoffnungen, wenn wir sagen, daß durch die Annahme der Verträge ihre Befreiung und die Wiedervereinigung in Freiheit mit uns beschleunigt herbeigeführt werden würde?
({15})
Ich fürchte, viele geben sich falschen Hoffnungen hin, die nur zu bitteren Enttäuschungen führen. Sie sagen: Gerade durch die Verträge haben wir ja erreicht, daß sich die Westmächte Bereiterklären, sich für die Wiedervereinigung einzusetzen. Das stimmt nach den Buchstaben; aber sticht diese Erklärung? Es mag durchaus sein, daß wir, wenn wir mit den Westmächten durch Verteidigungsverträge verbunden sind und in ihren Gremien mitarbeiten, die Einlösung dieser Forderungen nachhaltiger betreiben können. Aber ist nicht zu fürchten, daß gerade das Betreiben dieser Forderung, von der wir nicht ablassen können, uns in die Rolle des dauernden Petenten stellt? Ein Versprechen ist uns auf dem Papier zugesagt. Ein Motiv, dieses Ziel zu erreichen, erblicken die Franzosen auch durch die Verträge nicht. Ihr Mißtrauen ist nicht überwunden.
Es mag sein, daß, wenn wir keine Soldaten stellten, der westdeutschen Republik zunächst ein noch geringerer Grad von Eigenstaatlichkeit eingeräumt werden würde; ein wahrlich kleines Opfer, wenn wir dadurch die Tür zu den 18 Millionen leidenden Deutschen nicht ganz zuschlagen.
({16})
Auch wirtschaftliche Konsequenzen, wenn sie die Folge wären, müßten wir um dieser Möglichkeit willen hinnehmen, wenn sie kommen sollten.
({17})
Ja, ich gehe so weit: Selbstbeschränkungen unserer Souveränität, wenn sie sie uns auferlegen sollten, könnten uns nicht erdrücken.
({18})
- Ich komme auf die Freiheit.
Und dann: Ist der Zeitpunkt schon gekommen, in dem eine gemeinsame westeuropäische Verteidigung im europäischen Geist überhaupt möglich ist? Sie sagen, daß wir durch die Errichtung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ja gerade Europa erreichen, durch unsere Mitarbeit würde Europa herbeigeführt; sind wir erst dabei, dann läge es an uns, den europäischen Geist zu fördern und aus den nationalen Eierschalen herauszukommen.
Man spricht von einer weiteren Stufe in der Erlangung unserer Gleichberechtigung in einem geeinten Europa. Ich bestreite nicht, daß der Deutschland-Vertrag ohne das Junktim manche Besserung bringt, aber das Junktim nur mit dem Opfer des Einsatzes deutscher Menschen und mit der Gefahr, daß Deutsche gegen Deutsche stehen. In wirtschaftspolitischen, in staatsvertraglichen Bindungen gibt es das „Stufe um Stufe", das hat Ihre Politik gezeigt.
Herr Abgeordneter, ich mache Sie darauf aufmerksam, Sie reden außerhalb der Redezeit einer Fraktion. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
({0})
Freudenberg ({1}): Ich weiß nicht, -
Ich bitte Sie, zum
Schluß zu kommen. Ich habe hier die Pflicht, - ({0})
Freudenberg ({1}): Ich bin bisher alle Stufen bewußt mitgegangen. Ich schäme mich dessen nicht. - Jetzt aber geht es um den Einsatz von Menschen. Da handelt es sich nicht um Stufen, sondern um sehr viel mehr. Ich bestreite nicht, daß, wenn wir dabei sind, wir in manchen Einzelheiten wahrscheinlich besser vorwärtskommen, so sehr allerdings Einzelheiten wie die Saar, die Behandlung der Kriegs- und Zivilinternierten, manche Vorbehaltsrechte das Bild europäischer Vorstellungen beeinträchtigen.
Ehe wir aber den Schritt der Wiederbewaffnung tun, muß vorher unser Verhältnis zu den Franzosen ganz geklärt sein. Was hilft uns eine Europaarmee, wenn das französische Mißtrauen nicht vorher überwunden ist?
({2})
Daß wir Europa wollen, das weiß die Welt; daß Frankreich Europa in voller Gleichberechtigung mit uns will, muß eine freie Willensentscheidung von Frankreich sein und darf nicht dadurch erreicht werden, daß Frankreich glaubt, unter einem Druck eines zu nahen Einverständnisses zwischen uns und den Vereinigten Staaten handeln zu müssen. Dieser Druck wäre eine Hypothek, an der Europa, ehe es sich zusammenfindet, dahinsiechen müßte.
Schon aus diesem Grunde kann ich Ihr zeitliches Drängen, Herr Bundeskanzler, nicht verstehen. Mir scheint, wir müssen uns in unserem Handeln mehr bescheiden und nie vergessen - diese Mahnung richte ich nicht nur an Sie, sondern an uns alle -, daß wir im Weltgeschehen räumlich und tatsächlich einen sehr bescheidenen Platz einnehmen. Eine allzu laute Erstleistung von uns kann die Erreichung des Ziels der Vereinigung von Europa nur stören.
({3})
Es ist die Tragik der Stunde, daß wir nur im Ziel einig sind, im Weg und im Tempo aber auseinandergehen. Wäre es nicht richtiger, den Ausgang der Verhandlungen über die Gestaltung der europäischen Verfassung abzuwarten? Mir scheint, daß wir zunächst einen politischen Grund gewinnen und den wirtschaftlichen Unterbau festigen müssen, ehe wir mit der Verteidigungsgemeinschaft beginnen.
({4})
Dabei weiß ich selbstverständlich, daß wir materielle Lasten, Herr Bausch, ob sie nun Verteidigungs- oder Besatzungskosten heißen, auf uns zu nehmen haben. Ich gehe so weit zu sagen, daß wir
({5})
um der wirtschaftlichen Vereinigung willen, wenn sie wirklich von allen, auch von Frankreich, gewollt ist, selber Opfer bringen müssen.
({6})
Im übrigen scheint mir das Vertragswerk zu künstlich. Ich halte es für gewagt, anzunehmen, daß, weil durch den Beitrag für die Verteidigungsausgaben die öffentlichen Haushalte weitgehend in Anspruch genommen sind, dem Oberbau einer gemeinsamen europäischen Armee der gemeinsame Unterbau in Politik und Wirtschaft folgen müsse. Ich fürchte, daß wir, wenn wir das Pferd so aufschirren, womöglich ein blinkendes Geschirr, aber kein Pferd haben werden, solange der gemeinsame politische und wirtschaftliche Unterbau fehlt. Die egozentrischen nationalen Kräfte werden Triumphe feiern, und je enger das Feld ihrer Betätigung wird, um so stärker werden sie in Erscheinung treten.
({7})
Meine Damen und Herren, ich fürchte, wir müssen uns ganz klar darüber sein, daß ohne den Entschluß, das nachzuholen, was nach Kriegsende von den Siegern versäumt worden ist, nämlich Europa politisch und wirtschaftlich zusammenzufügen, eine gemeinsame Verteidigung eine Utopie ist. Sie sagten vorgestern: „Wer nein sagt, leistet den Kommunisten den denkbar größten Dienst."
({8})
Ich fürchte : wer ja sagt, der tut das! Ich sage das aber nicht, selbstverständlich auch nicht „gewollt oder ungewollt". Ich bin kein Freund von Superlativen. Spielen die Kommunisten mit uns nicht ihr altes Spiel, entweder durch Kriegsunterstützung uns aufeinander zu hetzen, wie sie es im August 1939 getan haben, oder durch Agitation, in der sie Meister sind, uns zu Aufrüstungen zu zwingen, die über unsere Kräfte gehen? Wenn ich von „uns" spreche, meine ich die freiheitlichen Völker des Westens.
Der Glaube, daß man eine einmal angelaufene Aufrüstung abstoppen könne, wenn die Mittel, die wir glauben bereitstellen zu können, erschöpft sind, ist unreal. Das mag noch so sehr in den Verträgen stehen, - dem A muß das B und das C folgen, zumal wenn das A schon viel zu klein gesteckt ist. Spielen im Zeitalter des Atoms Divisionen überhaupt noch die Rolle? Halbe Maßnahmen können gefährlicher sein als keine, würde es in Kürze mit Recht heißen, und „gewollt, aber nicht erkannt", müssen wir unsere kulturellen und sozialen Notwendigkeiten dann noch opfern.
({9})
Dann aber haben die Kommunisten das erreicht,
was sie wollen, nämlich daß sich die freiheitlichen
Länder in sozialen Spannungen innerlich zersetzen.
({10}) Wehrwirtschaft bedeutet nur Scheinkonjunktur und Besitzverlagerung
({11})
und im letzten Ende Verarmung weiter Schichten. Nichts erscheint mir gewagter, als unsere Kräfte und die der anderen europäischen Länder zu überschätzen und uns in Zweckoptimismus einzulullen. Wirtschaftlich und sozialpolitisch sind wir in dem zerklüfteten Europa den Anstrengungen einfach nicht gewachsen.
Herr Abgeordneter Freudenberg, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen. Auch Ihre verlängerte Redezeit ist ganz abgelaufen.
({0})
Freudenberg ({1}): Das ist eine Unverschämtheit!
({2})
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zu schließen; denn die Redezeit ist abgelaufen, und meine Pflicht ist es, dafür zu sorgen, daß hier die Regeln eingehalten werden.
Freudenberg ({0}): Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. - Der Herr Bundeskanzler hat gesagt: Wehrlos sein, bedeutet Kriegsgefahr.
({1})
Ich sage Ihnen: sich überschätzen kann leicht zur Anarchie führen. Ich warne davor, daß wir unsere Entscheidungen aus Furcht treffen, aus Furcht, daß sich Amerika von uns lossagen könnte, wenn wir jetzt noch nicht zur Aufrüstung ja sagen. Furchtentscheidungen haben keine aufbauende Kraft. Furchtentscheidungen - ({2})
Herr Abgeordneter Freudenberg, ich muß Sie bitten, nach den Ordnungsgrundsätzen zu verfahren, die für alle gelten. Ich kann keine Vorrechte einräumen.
Freudenberg ({0}): Herr Präsident, noch eine Minute.
Nein, Sie haben die Redezeit schon überschritten. Ich war schon beim ersten Male mit meinem Hinweis großzügig. Nun geht es nicht mehr. Ich bitte Sie, zu schließen.
({0})
Freudenberg ({1}): Sie waren gestern, Herr Bundeskanzler, sehr positiv und sehr davon überzeugt,
({2})
daß Ihr Weg der einzig realistische ist. Ich halte den Weg der Geduld für realistischer. Sie fangen mit dem Dach an, statt mit dem Keller.
({3})
Herr Abgeordneter Freudenberg, ich muß Sie bitten, aufzuhören. Ich muß Ihnen sonst das Wort entziehen.
({0})
Freudenberg ({1}): - - zwingen Sie mich zum Nein.
({2})
Mitten in der Debatte?
({0})
- Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Stegner.
' Stegner ({1}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube mich zu erinnern, daß der Herr Präsident bei Einleitung der Beratung gesagt hat, der Ältestenrat habe sich über die Einteilung der Diskussion auf gewisse Abschnitte geeinigt. Das ist auch notwendig, um den zwar komplexen, aber doch sehr vielschichtigen Stoff erfolgreich behandeln zu können. Ich glaube im Sinne der meisten Mitglieder des Hohen Hauses zu sprechen, wenn ich den Herrn Präsidenten bitte, in der bisher befolgten Art der Aussprache, nämlich gewisse Gebiete geschlossen zu behandeln, fortzufahren. Sonst kommt keine echte Diskussion zustande.
({2})
Daher ist meine Bitte an den Herrn Präsidenten und auch an Sie, daß wir nach dem Verfahren, das der Ältestenrat - in dem Fall, glaube ich, zweckmäßigerweise - vorbereitend beschlossen hat, weitermachen und jetzt das Gebiet Haushaltswesen und Finanzen und dann das Gebiet Wirtschaft vornehmen, damit wir in einer echten Diskussion das Thema abschließend behandeln. Dinge, die ins Allgemeine gehören, können vielleicht zum Schluß noch gebracht werden.
({3})
Aber es hat doch keinen Sinn, hier eine Debatte zu führen, die ständig durch andere Beiträge zerrissen wird. Das kann doch nicht der Sinn einer parlamentarischen Diskussion sein.
({4})
Meine Damen und Herren, es ist richtig, daß im Ältestenrat vereinbart war, nach bestimmten Abschnitten, die hier in unserer Vorlage vorgesehen sind, zu gehen.
({0}) Augenblicklich erstreckt sich die Diskussion auf die wirtschaftliche, finanz- und steuertechnische Bedeutung der Vertragswerke. Nur ist es für den amtierenden Präsidenten der Versammlung ungeheuer schwer, vorher zu wissen, was der einzelne Kollege vortragen wird.
({1})
Wir sind uns auch im Ältestenrat darüber klargewesen, daß bei der Komplexität der Dinge eine scharfe Trennung nicht möglich ist.
({2})
Ich greife aber die Anregung auf und gebe sie weiter, daß wir uns darauf besinnen, bestimmte Stoffgebiete zu behandeln. Im Augenblick ist Ziffer 4 des Schriftlichen Berichts, also die wirtschaftliche, finanz- und steuertechnische Bedeutung der Vertragswerke zu behandeln. Diejenigen Kollegen, die auf der Rednerliste stehen und die nicht zu diesem Stoff sprechen wollen, sollten darum, glaube ich, zurückstehen und warten, bis das sie betreffende Gebiet angesprochen wird. Ich glaube, auf diese Weise können wir dann ohne eine lange Geschäftsordnungsdebatte fortfahren.
Das Wort hat der Abgeordnete Jaffé.
({3})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus der Fülle der wirtschaftlichen Probleme des Vertragswerks lassen Sie mich einiges aus dem Fragenkomplex herausgreifen, der für uns alle von unmittelbarster Bedeutung ist: die finanziellen Lasten der Verträge. Dazu im Rahmen meiner kurzen Redezeit einige Bemerkungen, zu denen mich auch teilweise die Ausführungen meiner Vorredner bewegen.
Meine Damen und Herren! Uns sind Lasten auferlegt, die nur ein Volk zu tragen hat, dem nun zum zweitenmal in seiner Geschichte die Tragik einer Niederlage zuteil wurde. Aber wenn wir da nicht ermattet in die Knie gesunken sind, wenn wir im Gegenteil jetzt schon das vollbracht haben, was das Ausland bewundernd als das „deutsche Wunder" bezeichnet, dann kann ich nicht einsehen, warum wir den Weg, den uns die Verträge öffnen, nicht festen Schrittes beschreiten sollten, im Hinblick und in Hoffnung auf eine bessere Zukunft für uns und unsere Nachfahren. Bitte, meine Damen und Herren, betrachten Sie diese Probleme einmal aus dieser Schau! Es ist nicht meine Aufgabe, Ihnen die gesamtpolitische Situation und die besondere Lage unseres Landes darzulegen, die es uns unmöglich macht, zwischen zwei ungeheuren Mächtegruppen ohne eigene Verteidigungsmöglichkeit zu bestehen. Über die Notwendigkeit der Verteidigung gibt es für meine Freunde und mich keine Zweifel.
Zu der Frage des Verteidigungsbeitrags: Wenn uns der Deutschland-Vertrag die Befreiung von der Herrschaft der Siegermächte bedeutet, die im Besatzungsstatut ihren Ausdruck findet, dann ist es für uns natürlich und selbstverständlich, daß wir nach Inkrafttreten der Verträge keine Besatzungskosten mehr zu zahlen haben. Diese von Jahr zu Jahr gestiegenen und von uns deshalb als besonders schwer und drückend empfundenen Lasten, weil uns jede Einwirkung auf ihre Höhe und Verwendung versagt war, werden durch den Verteidigungsbeitrag bekanntlich abgelöst. Sie haben dessen voraussichtliche Höhe schon fast erreicht, und es wäre bei Weiterbestehen des Besatzungsstatuts keine Gewähr gegeben, daß sie diese Höhe nicht noch überschreiten. Es ist also keineswegs, wie es von manchen Vorrednern der Opposition betont worden ist, erwiesen, daß die Ablösung der Besatzungskosten durch den Verteidigungsbeitrag diese Ausgaben erhöht. Aber es ist erwiesen, daß wir bei Festsetzung dieser Ausgaben in Zukunft maßgebend mitwirken werden. Denn die EVG - das ist schon von Herrn Kollegen Bausch gesagt worden - beschließt, und zwar einstimmig, nach einem Verfahren, bei dem die Wirtschaftskraft der einzelnen Teilnehmerländer den Maßstab bildet, wobei - ich möchte das besonders hervorheben - der fundamentale Grundsatz herrschen soll, daß keine Diskriminierung stattfinden darf und - nach der Präambel des EVG-Vertrages - der soziale Fortschritt nicht beeinträchtigt werden soll. Ich darf in diesem Zusammenhang auch noch darauf hinweisen, daß den Parlamenten der Länder, also auch dem Deutschen Bundestag, das Zustimmungsrecht zum Verteidigungsbeitrag vorbehalten bleibt.
Über die absolute Höhe des Beitrags werden wir mit Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, wohl kaum einig werden. Sie läßt sich eben - auf weite Sicht jedenfalls - nicht voraussagen und hängt ebensosehr vom 'I empo der Aufstellung der Verbände wie letzten Endes von der großen politischen Weltlage ab. Die Größenordnung von zehn Milliarden dürfte aber auch für die Zukunft in Frage kommen. Nicht nur auf dieabsolute Hohe des Betrages, sondern auch auf dessen Verhältnis zu den übrigen Aufgaben kommt es maßgebend an. Dabei sollte man die Dinge nicht mit unbegründetem Optimismus
({0})
beschönigen; aber die bewußte Schwarzmalerei Ihrerseits, meine Damen und Herren von der Linken dieses Hauses, das unverhüllte Mißtrauen, das z. B. aus der Betrachtungsweise des Kollegen Dr. Kreyssig bei der Frage der Erstausstattung klang, scheint uns durchaus fehl am Platze. Daß wir die Erstausrüstung - denken Sie z. B. an die schweren Waffen, denken Sie an die Flugzeuge und ähnliche Ausrüstungsnotwendigkeiten - nicht aus eigener Kraft bewältigen können, wissen wir genau so gut wie Sie. Es wäre aber eine Sünde wider den Geist der getroffenen Vereinbarungen, wenn wir von vornherein an ihrer Aufrichtigkeit zweifeln würden. Wir können auch vieles von dem, was wir von der linken Seite des Hauses gehört haben, als eine Sünde wider den Geist der Verträge bezeichnen. Die Erstausstattung wird zur Verfügung stehen, und zwar ohne zusätzliche Belastung des Haushalts.
Ausschlaggebend erscheint mir neben der Aufbringung die Verwendung des Beitrags. Da nach dem Vertrag mindestens 85 % des Beitrags in den Aufbringungsländern zu verbleiben haben, fließt der weitaus größte Teil durch Vergabe von Rüstungsaufträgen, Bauaufträgen, Dienstleistungen und ähnliche wirtschaftliche Vorgänge direkt sowie durch die Entlohnung und Versorgung der deutschen Soldaten über den Konsum indirekt der deutschen Wirtschaft wieder zu. Eine weitgehende Belebung unserer Wirtschaft wird die Folge sein. Es wird aber des Zusammenspiels von Politikern und Fachleuten sowie des von aller Welt anerkannten deutschen Organisationstalents bedürfen, um die an uns herantretenden Aufgaben ohne Störungen des Wirtschafts- und Sozialgefüges zu meistern. Ich darf hier als vordringlichste Aufgabe die sinnvolle Lenkung der Aufträge nennen, die strukturelle Verteilung unter besonderer Berücksichtigung der mittelständischen Wirtschaft und unter besonderer Bevorzugung der Notstands- und der dem Ost-West-Gefälle unterliegenden Gebiete an der Zonengrenze. Dabei werden wir auch ohne Zweifel große sozialpolitische Aufgaben zu bewältigen haben. Ich bringe in diesem Zusammenhang die Auffassung meiner Fraktion besonders zum Ausdruck, daß wir die zweifellos notwendige weitere Eingliederung der Frauen in den Arbeitsprozeß lieber sehen als die Heranziehung von Frauen zu Hilfs- und Sonderdiensten für unsere Verteidigungsstreitkräfte.
Die Befürchtung, die der Kollege Schoettle auch in seinem Bericht zum Ausdruck gebracht hat, daß durch den Verteidigungsbeitrag die sozialen Aufgaben vernachlässigt werden müßten, können wir nicht teilen; denn bei einer derartigen Beschäftigung der Wirtschaft, wie sie uns der Beitritt zur EVG bringen wird, liegen diese Lasten auf weit breiteren Schultern als bisher und sind relativ wie absolut dadurch, daß viel mehr Menschen in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden, niedriger.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch noch ein kurzes Wort über die 20V2 Milliarden sagen, die schon von verschiedenen Rednern genannt worden sind. Die 201/2 Milliarden sind der Gesamtbetrag aus dem überleitungsvertrag, der als Belastung vor uns steht. Ich darf dabei darauf hinweisen, daß von den 20 Milliarden etwa 15 Milliarden, nämlich die deutschen Au3landsschulden, über deren endgültige Höhe, Verzinsung und Tilgung bekanntlich auf der Londoner Konferenz das letzte Wort gesprochen wird, nicht mit ihrem Kapitalwert von 15 Milliarden, sondern naturgemäß nur mit ihrem Zinsen- und Tilgungsdienst unseren Haushalt belasten werden. Es ist also ein falscher Blickpunkt, wenn man 20'/2 Milliarden als unmittelbare Belastung unseres Haushalts für die nächsten Jahre ansieht.
({1})
Es ist auch schon betont worden - und ich muß das an dieser Stelle noch einmal wiederholen -, daß diese Belastungen mit Ausnahme einiger kleinerer Posten zweiten Ranges ihre Grundlage nicht in den Verträgen haben. Sie sind wirklich Folgen des verlorenen Krieges, deren Liquidation hiermit durchgeführt werden soll, und die Erfüllung einer moralischen Verpflichtung der Bundesrepublik gegenüber all denen, an welchen die nationalsozialistische. Gewaltherrschaft so schwer gesündigt hat.
Bedenken Sie auch eines: Wir sind, was die Lasten angeht, die wir insgesamt zu tragen haben, nur so weit überhaupt Herren unserer Entschlüsse - ich bitte, das ausdrücklich bemerken zu dürfen -, als es sich um die Frage handelt, ob wir die Lasten, die uns das Besatzungsstatut auferlegt hat, durch den Verteidigungsbeitrag ablösen wollen oder nicht. Die sonstigen finanziellen Probleme stellen sich auch bei der Fortdauer des jetzigen Zustandes, ja, sie haben sich schon fast alle gesteilt.
Sehen wir nicht nur immer die eine Seite, nämlich der Belastungen, denken wir doch daran, in welchem Umfang bei einer Eingliederung in die europäische Gemeinschaft gerade die Beträge, die wir für unsere EVG-Beteiligung ausgeben, unserer Volkswirtschaft wieder zugute kommen! Es muß dabei der entscheidende Gesichtspunkt sein, daß wir unsere wirtschaftliche Freiheit wiedererhal ten, daß wir nach dem Aufstieg der letzten Jahre, der uns trotz der bisherigen Beschränkungen wirklich geglückt ist, nicht auf diesem Stand verbleiben, daß wir unsere Wirtschaft gerade durch unseren Beitritt ausweiten und ausgestalten können, das Sozialprodukt weiter erhöhen und für a 11e Arbeitsmöglichkeiten sicherstellen. Dann werden die Lasten auch leichter zu tragen sein, und wir &M en die Zuversicht haben, daß unsere dann endgültig. stabilisierte Volkswirtschaft bestehen kann und damit unser Staatshaushalt seine bisherige solide Basis behält.
Es geht, um die Dinge auf ihren Kern zurückzuführen, auch hier darum, mit der politischen auch die wirtschaftliche Freiheit wiederzuerringen und den Frieden, der uns allein die gedeihliche Fortentwicklung unserer Wirtschaft gewährleisten kann, zu erhalten. Es darf nicht sein, meine Damen und Herren, daß alles,was wir in diesen Jahren des Wiederaufbaus geschaffen haben, aufs Spiel gesetzt wird, nur weil wir uns nicht entschließen können, zu seiner Verteidigung das Nötige beizutragen.
({2})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Naegel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Zeichen der Debatte über die Auswirkung der Verträge haben in den letzten Stunden die finanziellen und wirtschaftlichen Probleme in den Vordergrund rücken müssen. Es ist selbstverständlich, daß man gerade diesen Auswirkungen der Verträge besondere Aufmerksamkeit widmet. Ich halte es aber für notwendig, daß man über diese rein fachlichen Dinge auch die grundsätzliche Frage nicht vergißt, und ich meine, wir dürfen uns auch daran erinnern,
({0})
daß die Verteidigung Europas eine Aufgabe ist, die nicht allein von Wirtschaft und Finanz abhängig ist, sondern daß sie eine allgemeine politische Aufgabe ist. Ich möchte den Primat der Politik in diesem Fall ohne weiteres in den Vordergrund rücken und anerkennen, aber ich weiß, daß die materielle Durchführung der Verteidigung ganz wesentlich von den wirtschaftlichen und finanziellen Voraussetzungen abhängig ist.
Vor hundert Jahren, im Jahre 1850, hat der große spanische Politiker Donoso Cortes bei seiner Auseinandersetzung mit dem Sozialismus vor dem spanischen Parlament in banger Erkenntnis der möglichen Konsequenzen davor gewarnt, daß eine Zeit kommen könne, in der durch die Auflösung der bestehenden Gesellschaftsordnung - d. h. der persönlichen Freiheit - und durch die Beseitigung des Privateigentums und die Vernichtung des persönlichen Besitzes in den europäischen Menschen jeder Wille zur Verteidigung gebrochen würde. Dann, so sagt er, schlägt die Stunde Rußlands. Es wird sich bis zu dieser Zeit zu einem asiatischen Staat entwickelt haben und wird sich aus der pan-slawistischen Idee heraus mit einem Gürtel von Satellitenstaaten umgeben haben. Dann, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sein würden, würde Rußland mit dem Gewehr unter dem Arm in Westeuropa einmarschieren, ohne Widerstand zu finden.
({1})
Eine düstere Vorausschau, aber eine Konsequenz aus den Entwicklungen, die sich vor hundert Jahren angelassen haben, vor denen wir heute stehen und die zu überwinden unsere wichtigste Aufgabe zu sein scheint. Es erübrigt sich, im einzelnen zu untersuchen, ob alle die Voraussetzungen heute erfüllt sind. Die Besitz- und Eigentumsverluste der Flüchtlinge und Vertriebenen aber erscheinen unter diesem Aspekt in einem ganz besonderen Licht.
Um den genannten gefährlichen Auflösungstendenzen entgegenzutreten und entgegenzuwirken, ist es unsere Aufgabe gewesen, mit allen Mitteln der Politik und der Wirtschaft eine neue Ordnung aufzubauen, die persönliche Freitheit zu sichern und zu erhalten und der Schaffung persönlichen Besitzes und Eigentums zu dienen, um zu einer neuen Gesellschaftsordnung zu gelangen, die den Verteidigungswillen stärkt, um den Frieden zu sichern. Diesen Zielen dienen nach unserer Auffassung die Möglichkeiten der sozialen Marktwirtschaft, und diesen Zielen sollen auch die Verträge dienen, die wir heute zu beraten haben. Es ist deshalb notwendig zu prüfen, ob trotz der abgeschlossenen Verträge und ob mit ihrer Hilfe die Entwicklung der Wirtschaft so beeinflußt und gestaltet werden kann, daß die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft gewahrt bleiben und wirksam bleiben.
Ich darf auf einige wirtschaftspolitische Probleme der Verträge hinweisen. Ich beschränke mich bei dieser Darstellung auf die wesentlichen Fragen, die mit der Versorgung und Beschaffung sowie mit der Organisation und Durchführung dieser Aufgaben zusammenhängen. Andere Fragen werden von meinen Kollegen ergänzend behandelt werden.
Gestatten Sie mir aber bitte noch einige grundsätzliche Bemerkungen zur Frage der. Entwicklung und Gestaltung der deutschen Wirtschaft nach dem Krieg. Die Hypothek des Krieges und der Kriegsfolgen, Bombenschäden und Raubbau sowie Demontagen und Produktionsverbote hatten die deutsche Wirtschaft fast völlig vernichtet. Die Wirtschaftshoheit war ausschließlich in der Hand der Alliierten. Für jeden einzelnen Wirtschaftsvorgang brauchten wir ein besonderes Permit. Dazu kam Mangel an Rohstoffen und Mangel an Energie. Die Produktion reichte bei weitem nicht aus, um auch nur den Bedarf der eigenen Bevölkerung im bescheidensten Umfang zu decken. Dann haben wir seit 1947 eine systematische Entwicklung der Grundstoffindustrien eingeleitet, um damit die Voraussetzung für eine weitere Förderung der Konsumgüterindustrie und vor allen Dingen des Exports zu schaffen.
Aber diese Entwicklungen vollzogen sich unendlich langsam. Noch bei der Währungsreform Mitte 1948 betrug der Produktionsindex rund 50 °/o von 1936. Dann begann unter den Bedingungen der sozialen Marktwirtschaft, die die deutschen wirtschaftenden Menschen wieder zur Entfaltung und Steigerung ihrer Leistung kommen ließ, ein stürmischer Auftrieb, so daß wir im Oktober 1952 einen Produktionsindex von 158 °/o verzeichnen konnten. Das heißt, das Produktionsergebnis, das Sozialprodukt, konnte in dieser Zeit mehr als verdreifacht werden.
Wir wollen nicht vergessen, daß dabei auch Hilfe aus der Hand unserer ehemaligen Gegner ganz wesentlich mitgeholfen hat, den Erfolg zu erringen. Ich denke an Marshallplan, an GARIOA-Mittel und andere Maßnahmen.
So gelang es, die Versorgung der eigenen Bevölkerung voll ausreichend zu decken und darüber hinaus den Export, der im Jahre 1948 rund 21/2 Milliarden DM betrug, über die für die Beendigung des Marshallplans vorgesehenen und errechneten 8 Milliarden DM hinaus im Jahre 1952 auf 16 Milliarden DM zu steigern.
Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Beschäftigten von rund 12 Millionen auf über 15 Millionen Arbeitnehmer. Im August 1952 betrug der Lohnindex in der Bundesrepublik 191,9 % von 1938, und zur gleichen Zeit war der Lebenshaltungsindex auf 168 °/o von 1938 berechnet worden.
Diese wenigen Angaben, die beliebig vermehrt werden könnten, beleuchten den heutigen Stand der deutschen Wirtschaftslage. Diese Wirtschaft steht nicht mehr isoliert da, wie es bis 1947 der Fall war, sondern sie ist eingegliedert in das Gesamtgeschehen der westlichen Welt, ja der Weltwirtschaft. Allerdings muß sie dazu auch ihren Beitrag leisten.
Diese Wirtschaft hat neben der hohen Sozialleistung und neben den Gemeinde- und Landessteuern noch einen Bundeshaushalt von rund 20 bis 22 Milliarden DM zu finanzieren. Den größten Posten in diesem Etat stellen die Besatzungskosten dar, die mit 6,4 Milliarden DM, nach anderen Quellen mit 8,8 Milliarden DM angegeben werden.
Die Aufbringung dieser Beträge ist der Wirtschaft und den in ihr tätigen Menschen nicht leicht gefallen. Aber andererseits konnten diese Beträge doch aufgebracht werden, ohne daß dadurch eine Katastrophe eingetreten wäre.
Nach Inkrafttreten der Verträge wird sich die deutsche Wirtschaft vor die Notwendigkeit gestellt sehen, an Stelle der Besatzungskosten in der eben genannten Höhe einen Verteidigungsbeitrag aufzubringen, der im Etat 1953 mit 9 Milliarden DM vorgesehen ist und der nach Addition der Kosten in den Verträgen 10,2 Milliarden DM pro Jahr betragen wird. Ich verweise in diesem Zusammen({2})
hang auf die detaillierten Ausführungen des Kollegen Bausch, der hier jede Einzelheit gebracht hat.
Die zusätzliche Belastung, die ja ohne neue Steuern, wie der Herr Finanzminister versichert, aufgebracht werden soll, kann getragen werden, wenn die sicher erwartete Steigerung des Sozialprodukts um weitere 4 % und mehr eintritt. Die gegenwärtigen Entwicklungstendenzen lassen eine weitere Steigerung der wirtschaftlichen Leistung durchaus gerechtfertigt erscheinen.
Gestatten Sie mir auch einige Bemerkungen zu den gestrigen Ausführungen des Kollegen Kreyssig. Zunächst muß ich feststellen, daß diese Ausführungen über den Rahmen des Berichts, den er für die Minderheit des Wirtschaftspolitischen Ausschusses zu erstatten hatte, weit hinausgingen.
({3})
Das war keine Berichterstattung mehr, es war schon eine Debatte. Ich bedaure dieses Vorgehen um so mehr, weil damit der Versuch der loyalen Zulassung von Minderheitsgutachten als gescheitert angesehen werden muß.
({4})
Außerdem sind von dem Vertreter der Opposition Zahlenangaben gemacht worden, die zu hoch sind. Es ist bereits durch die Diskussion über den finanziellen Beitrag Klarheit geschaffen worden, so daß ich mir weitere Ausführungen dazu ersparen kann. Ich darf aber feststellen, daß die Zahl von 141/2 Milliarden DM als Verteidigungsbeitrag zu hoch ist, daß die Unterlagen aus den Verträgen höchstens 10,2 Milliarden DM ergeben und daß, 1 wie wir aus den Ausführungen anderer Referenten gehört haben, durch weitere Reduzierungen sogar mit einer Verringerung auch dieses Betrages gerechnet werden kann. Die Zahl von 141/2 Milliarden DM Verteidigungskosten ist im Wirtschaftspolitischen Ausschuß auch niemals genannt worden.
Für die Beurteilung der deutschen Wirtschaft und ihrer Belastung durch die Verträge ist auch noch von Bedeutung, darauf hinzuweisen, daß es sich nicht um die Unterhaltung einer nationalen Armee handelt, wie das früher in Deutschland der Fall war,
({5})
wobei übrigens die deutsche Wirtschaft durchaus nicht zusammengebrochen ist, ebensowenig wie in den anderen Staaten, die heute noch die Last ihrer nationalen Armee allein zu tragen haben. Im vorliegenden Falle handelt es sich um eine Staatengemeinschaft von sechs Ländern, die sowohl in der Aufbringung der Mittel und ihrer Verwendung als auch der Unterhaltung der Truppen sich zusammengefunden haben.
Hinzu kommt darüber hinaus noch die Außenhilfe der USA, die sich, wie wir ja in den Beratungen der Ausschüsse gehört haben, nicht nur für die Erstausstattung in ganz wesentlichem Maße auswirken, sondern auch bei der weiteren Entwicklung Berücksichtigung finden wird. Eine Gefährdung der Deckung des deutschen Inlandsbedarfs und der Entwicklung des deutschen Exports scheint mir nach Prüfung der Verträge weder durch den finanziellen noch durch den güterwirtschaftlichen Beitrag zur Verteidigung gegeben zu sein.
Ich darf auch noch darauf hinweisen - was bereits betont wurde -, daß von dem Aufkommen, das Deutschland zu erbringen hat, zumindest 85 % in Deutschland verbleiben und somit als ein gewisser Impuls für die deutsche Wirtschaft angesehen werden dürfen, während wir bisher bei den Besatzungskosten, die nicht wesentlich geringer sind als der Verteidigungsbeitrag, auf die Art der Verwendung der von uns zu erbringenden Mittel gar keinen Einfluß hatten. Es ist aber sogar wahrscheinlich, daß wir mit einer weiteren Entwicklung rechnen können, nämlich damit, daß mehr als 85 %, daß 100 % des eigenen deutschen Verteidigungsbeitrags in Deutschland verbleiben und daß auch noch durch zusätzliche Aufträge von anderen EVG-Ländern weitere zusätzliche Impulse auf die deutsche Wirtschaft zukommen.
Ich möchte annehmen, allein diese kurze Betrachtung der Verhältnisse gestattet uns, mit gutem Gewissen zu sagen: Es bedarf der Leistungssteigerung, es bedarf weiterer hoher Anstrengungen; aber es ist möglich, diesen Beitrag zur Verteidigung der westlichen Welt, zur Verteidigung des Friedens zu erbringen, ohne daß eine Gefährdung und ohne daß eine katastrophale Entwicklung der deutschen Wirtschaft befürchtet werden muß.
Wenn wir uns die güterwirtschaftliche Beitragsseite einmal betrachten, dann sehen wir in erster Linie wohl die Frage der Unterbringung der Stationierungstruppen und der EVG-Truppen. Die bisher durchgeführten Überlegungen - wobei es sich noch nicht um konkrete Planungen handelt - sehen vor, daß man insgesamt mit einem Bauvolumen von 12 Milliarden DM rechnen muß. Das wird sich aber für die einzelnen Jahre sehr unterschiedlich gestalten. Man rechnet für das erste Jahr mit Größenordnungen zwischen 2,5 und 3,3 Milliarden DM auf diesem Sektor.
Dabei muß ich die Befürchtung des Herrn Kreyssig, diese unterschiedliche Beurteilung sei j a doch wohl ein Beweis für die Unklarheit, zurückweisen. Denn es handelt sich weder um eine konkrete Planung, noch ist das Kommissariat oder der Gemeinschaftsausschuß schon gebildet worden, um eine ins einzelne gehende Berechnung durchzuführen. Es sind also nur rohe Schätzungen.
Ich halte es für notwendig, darauf hinzuweisen, daß auch das Problem der Wohnungsbauten für die Zukunft dadurch nicht wesentlich beeinflußt werden kann. Es ist j a nicht der Mangel an Rohstoffen und Baumaterial gewesen, der bisher den Wohnungsbau im wesentlichen beeinträchtigt hat, sondern es waren andere Faktoren. Ich darf an den Kapitalmarkt, die Bereitstellung' der notwendigen Mittel usw. erinnern. Was aber die Bereitstellung von Bundesmitteln anlangt, so sieht der Haushaltsplan 1953/54 genau wie der vorjährige wiederum 500 Millionen DM für den sozialen Wohnungsbau vor. Also auch hier tritt keine Verschlechterung ein.
Die Versorgung der Stationierungstruppen oder der EVG-Truppen ist vielfach in die Diskussion geworfen worden. Man meinte, es würden dadurch Mangellagen eintreten und Schwierigkeiten auftreten. Was die Versorgung der Truppen mit Gütern der Konsumwirtschaft anlangt, so möchte man im Gegenteil bei der Betrachtung der noch nicht ausgenutzten freien Kapazitäten in Deutschland und des geringen Anteils dieser Truppen an den Produktionsergebnissen der Güterwirtschaft an({6})
nehmen, daß eher ein Impuls, eher eine günstigere Entwicklung als die geringste Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Einige Zahlen: Wir hatten im letzten Jahr eine Schuhproduktion von 84 Millionen Paar Stiefeln. Wenn wir für die Truppenversorgung 1,5 bis 2 Millionen rechnen, dann sieht man wohl ein, daß dadurch keine Verschlechterung der Versorgung des deutschen Binnenmarktes eintritt.
({7})
Ähnlich liegen die Dinge auf dem Gebiet der Textilwirtschaft, wobei wir höchstwahrscheinlich mit dem Produktionsergebnis eines Monats alles das decken können, was für die Installation und Einrichtung der Truppen notwendig sein wird. Wenn wir weiter berücksichtigen, daß durch Rationalisierungsmaßnahmen, durch weitere Leistungssteigerung auch noch eine Entwicklung von der Gütererzeugungsseite her möglich ist, dann, glaube ich, brauchen wir auch auf diesem Gebiet keine Besorgnis zu haben. Außerdem müssen die Beschlüsse der die Auftragsverteilung regelnden Kommission bzw. des Gemeinsamen Ausschusses entweder einstimmig oder mit Zweidrittelmehrheit gefaßt werden, und die deutschen Vertreter sind dort gleichberechtigt vertreten, so daß also auch hier eine weitere Berücksichtigung der deutschen wirtschaftlichen Verhältnisse und der sozialen Entwicklung durchaus gesichert erscheint.
Ein Wort gestatten Sie mir noch zu der Frage, wieweit die Versorgung mit Eisen und Stahl zu Schwierigkeiten führen könnte. Ich möchte sagen: Selbst wenn wir annehmen, es könnte durch Aufträge in einem Umfang, den wir heute noch nicht übersehen können, einmal eine besondere Belastung eintreten, dann darf ich vielleicht daran erinnern, daß es gerade bei der Debatte um den Schumanplan immer wieder ausgesprochen wurde: Nicht die Mangellage, sondern die Überproduktion der europäischen Eisen- und Stahlwirtschaft ist die große Gefahr für die Zukunft. Ich darf Herrn Professor Nölting zitieren, der in der Debatte bei der zweiten Lesung des Schumanplans sagte:
Überproduktion ist in absehbarer Zeit nicht bei Kohle, wohl aber bei Stahl zu befürchten, entsteht dort, und wenn der außenpolitische Wind umschlägt, haben wir alsbald eine ganz andere Situation, eine Absatzkrise. Dann werden wir alle jene Einschränkungen hinnehmen müssen, die sich aus der übertriebenen und ungesunden Kapazitätsausdehnung ergeben.
Wenn wir also hier eine weitere Steigerung des Verbrauchs durch die Industrie erzielen könnten, so würde wohl diese von Herrn Professor Nölting geäußerte Befürchtung in Zukunft nicht mehr so tragisch zu nehmen sein.
Die Wirtschaftssouveränität wird sich durch den Vertrag im wesentlichen günstig gestalten, zumal wir ja davon ausgehen müssen, daß Produktionsverbote und Einschränkungen aufgehoben werden und daß vor allen Dingen auch das Alliierte Sicherheitsamt verschwindet. Wir nehmen an, daß damit weitere Impulse für die Steigerung der deutschen Wirtschaftsleistung geschaffen werden können.
Ein Wort müssen Sie mir noch zu der Frage der arbeitsrechtlichen Entwicklung gestatten. Herr Dr. Kreyssig hat gestern das böse Wort von der Dienstverpflichtung gebraucht. Demgegenüber muß festgestellt werden, daß weder die Verträge dafür eine Handhabe geben noch eine gesetzliche Regelung nach dieser Richtung vorliegt oder geplant ist.
({8})
Es würde, selbst wenn man eine Verpflichtung der Bundesregierung zur Erfüllung bestimmter Anforderungen der alliierten Stationierungstruppen anerkennte, immer erst zu einer gesetzlichen Regelung kommen müssen, über die das Parlament, hier dieses Haus, zu entscheiden hätte.
({9})
Diese Regelung müßte dann im Einklang mit dem
Grundgesetz stehen. An verschiedenen Stellen des
Vertragswerks ist festgelegt worden, daß die Durchführung der Bestimmungen nur im Rahmen der
Verfassungen der einzelnen Mitgliedstaaten möglich sein werde. Aber auch anzunehmen, aus der
augenblicklichen Methode der Arbeitsvermittlung
könne etwas Ähnliches wie dine Dienstverpflichtung entstehen, ist eine böswillige Unterstellung.
({10})
Auch die bisherige Praxis der Arbeitsvermittlung sieht vor, daß mehrere Angebote gemacht werden, und die bisherige Auslegung der Verträge zeigt, daß die Vermittlung von Kräften für zivile Dienstleistungen bei den Stationierungstruppen über das normale deutsche Arbeitsvermittlungsverfahren gehen wird. Wir haben also gar keinen Anlaß, zu befürchten, daß Maßnahmen ergriffen werden, die etwas Ähnliches wie eine Dienstverpflichtung darstellen.
In diesem Zusammenhang darf ich aber darauf hinweisen, daß in der letzten Zeit eine ganze Reihe von Vertretern der jetzigen Dienstgruppen bei den Alliierten bei mir waren und ihre Besorgnisse darüber äußerten, sie 'könnten nach Annahme der Verträge arbeitslos werden.
({11})
Also genau das Gegenteil von dem, was die Opposition 'behauptet hat, wird in den Kreisen vertreten, die heute schon einen ähnlichen Dienst ausüben.
({12})
Wir 'können also diese Frage im Hinblick auf die
zukünftige Entwicklung mit aller Ruhe betrachten.
Leider ist meine Redezeit schon abgelaufen, so daß ich es mir versagen muß, auf die Frage der Währungsstabilität und ähnliche Dinge einzugehen, die wir für dringend notwendig halten. Aber ich nehme an, 'einer meiner Kollegen wird auch hier 'das rechte Wort finden, um der Öffentlichkeit gegenüber festzustellen und klarzustellen, wie ernst es uns bei der Prüfung dieser Frage gewesen ist und wie sehr wir davon überzeugt sind, daß keine Gefahr in dieser Richtung besteht, jedenfalls nicht durch die Verträge kausal bedingt.
({13})
Unter Abwägung all dieser Überlegungen kann mit nüchternem Verstand festgestellt werden, daß sich aus den Bestimmungen der Verträge eine Gefährdung der 'deutschen Wirtschaft automatisch nicht ergeben wird. Im Gegenteil, es werden Impulse ausgelöst, die
({14})
auf vielen Gebieten und in einer ganzen Reihe von Branchen, insbesondere auf dem Konsumgütersektor als Anreiz zu einer nachhaltigen Aufwärtsentwicklung angesehen werden können.
({15})
({16})
- Ich weiß ja, der liebe Gott weiß alles, und die Opposition weiß alles besser!
({17})
Aber wir können uns deshalb im Augenblick nicht damit beschäftigen.
({18})
Die von uns vertretene soziale Marktwirtschaft wird in vollem Umfang aufrechterhalten werden. Ihre drei Grundprinzipien, die Freiheit der Berufswahl, die Freiheit der Wahl des Arbeitsplatzes und die Freiheit des Konsums, erscheinen uns durch die Annahme der Verträge gesicherter als zuvor,
({19})
da die Verträge allein im Interesse der Sicherheit und der Gewährleistung des Friedens abgeschlossen werden. Sicherheit und Frieden aber sied die notwendigen Voraussetzungen einer kontinuierlichen Aufwärtsentwicklung der Volkswirtschaften aller Vertragspartner, also auch der deutschen Bundesrepublik. Das deutsche Volk sollte sich deshalb nicht von den Kassandrarufen der Opposition irreführen lassen.
({20})
Wir haben derartige Töne ja zu oft gehört. Ich darf nur Herrn Dr. Kreyssig an das erinnern, was er anläßlich der Beratung des Leitsätze-Gesetzes im Wirtschaftsrat seinerzeit gesagt hat:
Dieses Stahlbad, durch das die Arbeiterschaft gehen wird, das Stahlbad der freien Preise, findet sein Gegenstück - und das ist es, was uns mit Besorgnis und Skepsis diesen Richtlinien und Leitsätzen gegenüber so außerordentlich erfüllt - in den Maßnahmen, die
wir bisher auf dem andern Sektor der Löhne erlebt haben.
Und dann sagt er:
Das alles hat keinen Sinn. Es wird zu einer Katastrophe führen. Wir stehen nach wie vor auf dem 'Standpunkt, daß die Wirtschaft nur in Gang gesetzt werden könnte durch eine systematische Planung und eine ebenso systematische Lenkung aller notwendigen Bedarfsgüter in Deutschland.
Ich darf Lhnen dazu einige Zahlen nennen. Der Lohnindex betrug 1948 100,7 % von 1938, im August 1952 191,9% Die Lebenshaltungskosten betrugen im Juli 1949 159 % und im August 1952 168 %.
({21})
Wir wollen die Impulse, die durch die Verträge auf die deutsche Wirtschaft ausgelöst werden, keinesfalls überschätzen. Wir wollen sie auch nicht verallgemeinern. Wir wissen andererseits auch, daß es erheblicher Anstrengungen und einer intensiven Leistungssteigerung 'bedarf, um all den neu hinzukommenden Aufgaben gerecht werden zu können. Aber wir sind davon überzeugt, daß die deutsche Wirtschaft alle noch vorhandenen Möglichkeiten und Reserven einsetzen wird, um die notwendigen Leistungen zu erbringen. Dann ist nach unserer ehrlichen Meinung eine Gefahr für die Fortführung der sozialen Marktwirtschaft und die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung und des Exports der Bundesrepublik nicht gegeben. Das 'deutsche Volk aber muß wissen, daß die Auswirkung der Verträge und die Gestaltung der Durchführung immer von den Menschen abhängig sein wird, die dieses Instrument handhaben. Im Bewußtsein unserer wirtschaftspolitischen Verantwortung werden wir für die Annahme der Verträge stimmen.
({22})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schöne.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Befürworter von General- und EVG-Vertrag verbinden mit mehr Gefühl als Logik die These des abendländischen Motivs mit einer Tendenz der europäischen Wirtschaftsintegration. Mit entsprechend weniger Gefühl und entsprechend mehr Logik ist jedoch der Frage nachzugehen: Stellt die wirtschaftliche Konzeption der Verträge ein tragfähiges Fundament für das angesteuerte politische Ziel dar? Gestatten Sie mir, daß ich eine kurze Prüfung an Hand von zwei Fragen vornehme. Die erste Frage lautet: Wird auf dem wirtschaftlichen Gebiet das geschaffen und das erreicht, was politisch erstrebt wird? Und die zweite Frage: Wie steht es mit dem speziell ökonomischen Vergleich zwischen Aufwand und Nutzen? Wie steht es mit der Tragfähigkeit der deutschen Wirtschaft und des deutschen Sozialgefüges? Zu wessen Lasten? Zu gleichen Lasten? Ich bitte um Entschuldigung daß ich mich damit weit von der Fragestellung des Kollegen Naegel abhebe. Ich beschäftige mich nicht mit Reminiszenzen, sondern mit einem Vertragswerk.
({0})
- Herr Schröder, Ihnen möchte ich nur sagen: Ich habe außerordentlich bedauert, Ihre wertvolle Mitarbeit im Ausschuß nicht gehabt zu haben.
({1})
Ich habe Sie zwar zweimal gesehen, aber nur ganz kurz, und es tut mir leid, daß ich Ihre Argumente nicht verwenden kann.
Im Mittelpunkt der gesamten Verträge steht zweifellos der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Die EVG soll eine auf dem Grundsatz der Gleichheit integrierte Gemeinschaft sein. Entsprechend proklamiert Art. 3 des Vertrages die gleichmäßige Belastung aller Mitgliedstaaten und die optimale Verteilung der wirtschaftlichen Leistungen. In der Tat aber sind in dem ganzen Vertrag zwei Fragen ungeklärt, nämlich erstens die Frage: Woran soll man die gleichmäßige Belastung aller Mitgliedstaaten erkennen? und zweitens: Wie will man eine optimale Verteilung der wirtschaftlichen Leistungen vornehmen? Wie will man rechnen, wenn man keine gemeinsame Rechenbasis hat, die die einzelnen Volkswirtschaften und ihre Währungssysteme laufend und mit gleichen Maßstäben mißt? Man hat keine einheitliche Währung. Man hat keine ehrlichen Wechselkurse. Man nahm die Volkswirtschaften so, wie sie waren, mit ihren staatlichen Währungsmonopolen und mit ihrem unterschiedlichen Marktgebaren, mit Preisabreden, mit Marktvereinbarungen und mit ihren unterschiedlichen Wirtschafts- und Exportförderungsmaßnahmen.
Die ersten kritischen Bemerkungen können mit der einfachen Feststellung abgeschlossen werden, daß die so stark in den Vordergrund gestellten Gleichheitsgrundsätze in der Tat nur leere Formeln sein können, weil eine noch so gute und noch so objektiv arbeitende Exekutivstelle der Gemeinschaft einfach nicht in der Lage ist, nach dem Grundsatz der Gleichheit zu messen.
({2})
Um so bedeutungsvoller wird naturgemäß die Exekutivstelle selbst, die Exekutivstelle mit ihrem gütermäßigen Verplanen des Gesamthaushalts und mit ihrer Auftragsvergabe. Diese Exekutivstelle ist das Kommissariat. Aus der Tatsache, daß die Verträge auf eine erschöpfende Aufzählung der Produktionen und Dienstleistungen, die vom Kommissariat manipuliert werden können, verzichten, leitet man nun sehr oft her, daß es sich lediglich um eine geringfügige Wirtschaftstätigkeit des Kommissariats handle. Aber man darf in Erinnerung zurückrufen: es handelt sich um eine Verteidigungsgemeinschaft, die, wenn sie ernst genommen werden will, einfach nicht in knappster wirtschaftlicher Abgrenzung gesehen werden darf. Wir Deutschen und gerade wir Deutschen haben ja unsere Erfahrungen und wissen, daß die Rüstung weitere Rüstungen auslöst, und wir wissen, daß die ganze Wirtschaft eine Umstellung erfährt. Zweitens: die Formulierungen des Vertrags - ich zitiere - „gemeinsame Programme für Bewaffnung, Ausrüstung, laufende Versorgung und Wehrbauten" lassen jede beliebige Erweiterung auf dem Wirtschaftsgebiet zu. Drittens: der Art. 111 spricht von einer Planvorbereitung für die wirtschaftliche Mobilmachung der Mitgliedstaaten. Uns kommt dabei die Erinnerung an die Schein- und Schattenfabriken, an das Stellen von Reservekapazitäten an das Reservieren von Produktions- und Arbeitsstätten. Man wird also sagen müssen: Dem Umfang nach ist die Wirtschaftsarbeit des Kommissariats bedeutungsvoll; aber auch zeitlich, denn zeitlich gesehen handelt es sich um durchgreifende Eingriffe. Einmal ist das Vertragswerk zunächst auf zwei Generationen abgestellt, und zum andern soll diese Verteidigungsgemeinschaft mit modernem Rüstungsmaterial versehen werden, und die Erneuerung des modernen Rüstungsmaterials ist regelmäßig, wie Fachleute sagten, innerhalb von zwei bis drei Jahren notwendig. Sie dürfen also mit einer 33prozentigen Abschreibungsquote rechnen. Zusammenfassend darf ich sagen, daß es sich der Zeit und dem Umfang nach um wirtschaftliche Planungen handelt, die tief und wirkungsvoll in das Werden und Geschehen der einzelnen Volkswirtschaften eingreifen.
Dem Kommissariat wird nun durch den Vertrag zur Pflicht gemacht, die technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten aller Mitgliedstaaten aufs beste nutzbar zu machen. Die Wirtschaftskräfte des gesamten Raumes sollen optimal nutzbar gemacht werden. Dieser Grundsatz des Optimalen darf jedoch nicht wirtschaftlich verstanden werden, denn der Vertrag wird um einer gemeinsamen Verteidigung willen geschlossen, und die Verteidigungsgemeinschaft soll, wenn man sie richtig versteht, auf schnellstem Wege realisiert erscheinen. Das wirtschaftliche Optimum steht also ganz klar und deutlich im strategischen Dienst. Die regierungsseitige Auslegung ist auch entsprechend. Sie sagt, es handle sich darum, güterwirtschaftliche Möglichkeiten und finanzielle Beiträge der -Mitgliedstaaten mit dem militärischen Bedarf in Übereinstimmung zu bringen. Nun, die Feststellung der güterwirtschaftlichen Möglichkeiten, d. h. die Aufnahme des Bestandes an Produktionsmöglichkeiten, bedeutet für Deutschland von vornherein ein Handicap ernsten Maßes. Ich möchte nicht von den Behinderungen durch Demontage und Restitution sprechen, die die deutsche Wirtschaft ja nicht allein auf dem Rüstungsgebiet geschwächt haben - ich erinnere an die Kammfabrik -, und ich möchte nicht davon sprechen, daß sinngemäß die Reparationen und die Restitutionen eine Verjüngungskur in der französischen Wirtschaft herbeiführen, z. B. eine Verjüngung der Werkzeugmaschinen um fünf Jahre. Ich möchte nur abstellen auf die Bemerkungen des Vertrags selbst, und der Vertrag bestimmt hinsichtlich der Pulverlinie, daß bestimmte Investitionen in bestimmten Teilen Westdeutschlands verboten sind. Der Vertrag legt weiter für bestimmte Produktionen die Linie der „strategisch gefährdeten Gebiete" fest.
Der Herr Bundeskanzler hat am 7. Mai einen Brief geschrieben, in dem er Deutschland als strategisch exponiert liegendes Gebiet bezeichnet. Die Konsequenzen eines wirtschaftlichen Planens im strategischen Rahmen sind daraus leicht zu ersehen. In der Bestandsaufnahme und in der Einreihung in künftige güterwirtschaftliche Möglichkeiten schneidet also Deutschland verflucht schlecht ab. Die Übereinstimmung mit dem militärischen Bedarf wird nun so verstanden werden müssen, daß militärische Überlegungen die Ökonomie lenken. Ein Vertreter der Regierung sagte daher auch wörtlich im Ausschuß: „Bei der Aufstellung der Programme sind natürlich entscheidend die Forderungen der Militärs, die sich aus den taktischen und verteidigungsmäßigen Gesichtspunkten ergeben."
({3})
Mit dürren Worten: der militärische Bedarf in Verbindung mit den verteidigungsmäßigen Gegebenheiten und den strategischen Notwendigkeiten wird bestimmte und sicher sehr umfangreiche Rüstungen und versorgungswirtschaftliche Produktionen für das Gebiet der deutschen Volkswirtschaft nicht gestatten.
An dieser Tatsache ändert auch nichts der Hinweis darauf, daß die Programme im Benehmen mit den Regierungen aufgestellt werden sollen. Vielleicht haben wir es hier einmal mit der von Herrn Professor Hallstein so freudig hervorgehobenen „bewußt unklaren Fassung" zu tun. Im Vertrag steht nämlich „im Benehmen". Die Regierung sagt: „in ständiger Fühlungnahme". Wer hindert eigentlich das Kommissariat daran, zu sagen: „einfache Orientierung"? Daran hindert auch nicht der Hinweis darauf, daß grundsätzlich 100 %, mindestens jedoch 85 % der Beiträge in der betreffenden Volkswirtschaft verbleiben sollen. Strategisch gemessen, würde eine 100 %ige Auslastung der deutschen Volkswirtschaft die Belastung mit reichlich einseitigen Randproduktionen bedeuten. Eine 85 %-
ige Auslastung bedeutet eine 115 %ige an anderer, strategisch nicht exponierter Stelle.
Zusammenfassend darf ich sagen: Erstens: Das Überwiegen taktischer und verteidigungsmäßiger Gesichtspunkte bedeutet ein Verlagern industrieller Kraft von Ost nach West. Zweitens: In Verbindung mit der tiefgreifenden und lang anhaltenden Wirkung auf das Wirtschaftsleben bedeutet das Planen des Kommissariats eine allmähliche, aber sichere Schwerpunktverlagerung industrieller Kraft nach dem strategisch ungefährdeten Westen Europas.
({4}) Folgen diese für die deutsche Volkswirtschaft sehr bedeutsamen Wirkungen bereits aus der einfachen Tatsache, daß das Kommissariat nicht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten planen kann, so findet die angedeutete Tendenz erst ihr richtiges Gewicht durch die aus den Verträgen ebenfalls deutlich herauskommende Tatsache, daß das Kommissariat dies gar nicht soll.
({5})
Zum Beweis dieser These möchte ich den Überleitungsvertrag heranziehen und nur zwei Beispiele anführen. Zunächst das Kartellgesetz. Es ist eine Tatsache, daß das besatzungsrechtliche Kartellverbot so lange in Kraft bleibt, bis das deutsche Parlament ein Gesetz erlassen hat, dessen entscheidende Bestimmungen genau skizziert sind. Die Skizzierung der „entscheidenden Bestimmungen" wird von der Regierungsseite gern bestritten; aber bedeutet denn nicht die Auflage eines Kartellamtes von vornherein ein Verbotsgesetz? Macht man es sich denn nicht zu leicht, wenn man meint, mit der Institution eines Kartellamtes falle das Besatzungsrecht, und dann werde die Bahn für ein deutsches Gesetz frei, das man dann so setzen könne, wie man wolle? Warum glaubt man denn hier nicht an das sonst so gepriesene Schiedsgericht? Ist es nicht so, daß mit den „entscheidenden Bestimmungen" die deutche Wirtschaft bewußt in Fesseln gehalten werden soll?
({6})
Meine Damen und Herren, bei der Produktion der Bestimmungen des Überleitungsvertrags, so sagt man, haben sicher amerikanische Gedanken Pate gestanden. Ich bin der Meinung, es haben mehr europäische Konkurrenzsorgen Pate gestanden.
({7})
Es war den Vertretern der Regierung im Ausschuß nicht möglich, Beispiele der Kartellgesetzgebung aus anderen europäischen Ländern aufzuweisen.
({8})
Ich darf einiges aus eigenem Studium dazu sagen. In den Niederlanden kann das Ministerium Kartellabkommen ergänzen, abändern, aufheben oder für verbindlich erklären. Der belgische Entwurf
I) sieht lediglich eine Überwachung vor, um gegen Mißbräuche wirtschaftlicher Macht vorzugehen. Der französische Entwurf statuiert die allgemeine Zulässigkeit von Marktvereinbarungen und sieht im Falle von Verstößen gegen das öffentliche Interesse ein Einschreiten des Kartellrates vor.
Mit dem Deutschland aufgezwungenen Kartellgesetz will man doch nichts anderes als die Verhältnisse der deutschen Märkte möglichst unübersichtlich gestalten; man will die objektiven Plandaten verwischen.
Als zweites Beispiel aus dem Überleitungsvertrag einige Bemerkungen zu den dort vorhandenen Bestimmungen über das Gesetz Nr. 27. Wie im Schumanplan, wird das Dekartellisierungsgesetz der deutschen Schwerindustrie durch den Überleitungsvertrag noch einmal zementiert. Zunächst verdient die Tatsache Aufmerksamkeit, daß das Gesetz Nr 27 überhaupt noch einmal vertraglich behandelt wird.
Zum Inhalt selbst darf ich sagen, daß genau das, was die Opposition anläßlich der Schumanplan-Beratung dazu sagte, in vollem Umfang unwiderlegbar und bis zur Stunde unwiderlegt bleibt. Nur sagte damals McCloy in der Zusammenkunft mit Gewerkschaftlern in Frankfurt:
Mit dem Odium der Durchführung des Gesetzes Nr. 27 wollen wir nicht die Hohe Behörde belasten. Das mag die Hohe Kommission tun.
Heute muß man sagen: Mit dem Überleitungsvertrag verpflichtet sich die deutsche Bundesregierung zur weiteren Duldung und Mitwirkung bis zur Durchführung des Gesetzes Nr. 27. Mit dürren
Worten: Die Bundesregierung nimmt freiwillig dieses Odium auf sich.
({9})
Sollte dies etwa dadurch schmackhafter gemacht worden sein, daß mit dem Überleitungsvertrag der Aktientausch legalisiert wird? Ist man sich nicht der Tatsache bewußt, daß die Zwangssatzungen für die deutschen Eisen- und Kohlengesellschaften bestehen bleiben und daß die Beschränkungen des Aktienbesitzes in Verbindung mit einem „günstigen" Sperrmarkkurs zu einer Entnationalisierung der deutschen Grundindustrie zwingen? Wäre es nicht viel europäischer und im Dienste aufrichtiger Integration besser gewesen, wenn man die europäische Eisenwirtschaft nicht mit zweierlei Maß gemessen hätte, wenn man nicht auf der einen Seite eine zerissene Verbundwirtschaft zementiert und es auf der anderen Seite nicht begrüßt hätte, daß sich fast zur selben Stunde zwei französische Stahlfirmen zum Zwecke der Steigerung der Konkurrenzfähigkeit auf dem Edelstahlgebiet zusammenschließen?
({10})
Welche Kluft zwischen Nationalwirtschaften wird
hier aufgerissen und soll hier zementiert werden!
Meine Damen und Herren! Die deutsche Wirtschaft soll gebunden, soll zurückgehalten werden. Das Kommissariat kann nicht ökonomisch planen und soll nicht so planen können; es muß strategisch planen. Hierzu sagt die Bundesregierung in ihrer Begründung: „Zur echten Partnerschaft gehören wechselseitiges Vertrauen und allseitige Freiheit der Entscheidung und des Handelns."
({11})
Man sagt, glaube ich, kürzer und besser: Die Bundesrepublik soll in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung gehemmt und gefesselt werden. Sie soll auf das langsame Marschtempo der schwachen Partner herabgedrückt werden.
({12})
Das Kommissariat soll jedoch nicht nur planen und Programme gestalten; es soll auch die Vergabe und Kontrolle der Aufträge vornehmen. Das Kommissariat ist ein Auftraggeber von erheblichem Gewicht und von besonderer Art. Daher verpflichten sich die Mitgliedstaaten und somit auch Deutschland durch Vertrag, alle allgemeinen und besonderen Maßnahmen zu treffen, die Entscheidungen und auch die Empfehlungen des Kommissariats durchzuführen.
Zu diesen Maßnahmen gehört - nun bitte ich Herrn Naegel als Propheten der sozialen Marktwirtschaft besonders aufmerksam zu sein -: erstens: Der Erlaß eines Bundesleistungsgesetzes ist nach dem Überleitungsvertrag, nach dem EVG-Vertrag zwingend. Der Tatbestand ist ganz einfach. Wir haben im Ausschuß festgestellt: 16 Monate hat die Abstimmung zwischen zwei Referenten zweier Bundesministerien über die Grundsätze dieses Entwurfs gedauert.
({13})
Bis zur Stunde steht nicht einmal ein abgestimmter Referentenentwurf zur Verfügung. Wir haben uns im Ausschuß darüber also gar nicht unterhalten können. Dabei weiß jede Gemeinde, jeder Handwerker, jeder Landwirt, jeder Gewerbetreibende, was ein Leistungsgesetz bedeutet.
({14})
Als zweites: Das Wirtschaftssicherungsgesetz soll und muß nach den bestehenden Vertragsbestim({15})
inungen erweitert werden. Nun, Herr Naegel, eine kleine Panne. Das Wirtschaftssicherungsgesetz wurde vor anderthalb Jahren erstmalig beraten.
Da war es gerade Herr Naegel, der im Ausschuß sagte; Negativlisten, d. h. also Verwendungsverbote von Roh- und Hilfsstoffen, sind noch Mittel der Sozialen Marktwirtschaft. Herr Professor Erhard konnte nicht eingreifen, weil er damals auch nicht da war.
({16})
Positivlisten dagegen, so wurde von Herrn Naegel interpretiert, d. h. Verwendungsgebote von Roh-und Hilfsstoffen, stehen außerhalb des Katalogs der Sozialen Marktwirtschaft. Nun, meine Damen und Herren, Verwendungsgebote bedeuten Produktionsauflagen. Der Vertrag verlangt ganz klar und eindeutig die Erweiterung des bestehenden Wirtschaftssicherungsgesetzes um Verwendungsgebote. Das bedeutet den Anfang eines Güterbewirtschaftungsgesetzes, bedeutet den Anfang der Zuteilung von Roh- und Hilfsstoffen an bestimmte Produktionen. _So steht es mit der Sozialen Marktwirtschaft, auf die hoffentlich die Soldaten der EVG nicht vereidigt werden sollen, Herr Naegel!
({17})
Im Zuge der Auflagen aus dem EVG-Vertrag feiern demnach zwangswirtschaftliche Bestimmungen fröhliche Urständ, ohne daß der Herr Bundeswirtschaftsminister, der eigentlich für diese Tatsache seine Leiche versprochen hatte, dadurch Schaden an seiner Seele nähme.
({18})
Nun, meine Damen und Herren, ich muß ein drittes Beispiel dieses Zwanges noch hinzufügen. Herr Naegel hat sich mit sehr lauter Stimme dagegen gewehrt, daß Lenkungsmaßnahmen für die Arbeitskräfte durchgeführt würden. Er hat festgestellt, daß Dienstverpflichtungen weit von uns gewiesen werden müßten und daß davon nichts im Vertrage stünde. Ich darf auf die Bestimmungen des Truppenvertrags Art. 44 und Art. 37 hinweisen. Ich möchte nichts weiter dazu anführen als das, was ein Regierungsvertreter im Ausschuß für Wirtschaftspolitik dazu selbst ausführte: Regierungsvertreter gaben zu, daß das Vorhandensein von Gesetzen über eine Dienstpflicht - das war ja das „böse Wort" von Herrn Naegel -({19})
in den alliierten Ländern dazu führen könne, daß die Partner des Generalvertrags eine entsprechende Gesetzgebung von Deutschland verlangen könnten. Sehen Sie, meine Damen und Herren, nichts hilft es hier, zu beschönigen. Das ist die einfache Tatsache. Herr Naegel, wenn Sie Zeit haben, lesen Sie bitte noch einmal die Verträge genau! Das erstreckt sich nicht nur auf die Arbeitskräfte, die bei den Besatzungsmächten als Hilfspersonal tätig sind, sondern auf die gesamten Arbeitskräfte der gesamten deutschen Wirtschaft.
({20})
Nun, Programme der Auftragsvergabe des Kommissariats stehen, wie ich darlegte, im Dienste militärisch-strategischer Notwendigkeiten. Diese militärisch-strategischen Notwendigkeiten bedeuten ein Weniger für Deutschland und innerhalb Deutschlands, ganz klar und deutlich eine Verlagerung der industriellen Kraft von Ost nach West. Damit wird eine Tendenz verstärkt, die Ihnen allen bekannt ist und die so gern verschwiegen wird.
({21})
Ich darf Ihnen für Niedersachsen die Zahlen nennen. Die Abwanderung der gewerblichen und industriellen Betriebe aus Niedersachsen betrug 1949 nahezu 300, 1950 600, 1951 517 und im Zuge des Ausweichens des britischen Hauptquartiers von Oeynhausen nach Mönchen-Gladbach werden es 1952 wahrscheinlich noch mehr sein.
({22})
Diese Tendenz der Verödung und Entleerung der Gebiete der deutschen Mitte findet selbstverständlich ihr Gegenstück in der Zentralisierung der Produktion im strategisch nicht gefährdeten, nicht einmal exponierten Westen Europas.
({23})
Die zweite Frage war die nach der Tragfähigkeit 'der deutschen Wirtschaft, die ökonomische Frage: Aufwand und Nutzen, welche Lasten für uns, wie ist die Verteilung 'der Lasten bei uns und bei den anderen. Sicher, man wird nicht genau in D-Mark rechnen können, und man soll es auch nicht tun. Aber man soll auch nicht lässig bequem von einer Versicherungspolice reden. Man soll die Frage nach der Tragfähigkeit der deutschen Wirtschaft und des deutschen Sozialgefüges stellen. Die Regierung ging erstens von der Annahme aus, die Zuwachsrate des Sozialprodukts um 4% pro Jahr würde eine solche Belastung tragen können; zweitens war die im EVG-Vertrag erwartete konjunkturelle Befruchtung in diesen 4 % enthalten. Der schöne Ausdruck „Befruchtung" stammt aus dem OEEC-Bericht und nicht von mir.
({24})
- Damit kann ich Ihnen auch aufwarten, Herr Stücklen. - Auf diesen Größen aufbauend, war die Regierung der Meinung, daß die Kosten für diese „Versicherungspolice "aus dem laufenden Zuwachs, also ohne eine 'Beeinträchtigung der Konsumrate getragen werden könnten. Nun, meine Damen und Herren, es ist ganz interessant: Herr Professor Erhard hat in Ulm erklärt, daß der Verteidigungsbeitrag aus dem Steigen des Sozialprodukts spielend bestritten werden könne.
({25})
Aber zur gleichen Zeit veröffentlichte der Deutsche
Gewerkschaftsbund eine 'eingehende Untersuchung
über die Tragfähigkeit und schrieb darin:
Selbst wenn das Sozialprodukt in diesem und im nächsten Jahr noch einmal um je 5 v. H. steigen sollte, können bei einer notwendigen und wahrscheinlichen Ausweitung der Investitionen um 10 v. H. die privaten Verbrauchsausgaben und sozialen und sonstigen Leistungen der öffentlichen Hand nicht mehr steigen.
Die Gewissenhaftigkeit der Untersuchung auf der einen und der anderen Seite ist beachtenswert; das steht in vollstem Zusammenhang mit dem Artikel in der heutigen „Welt" über die Vertragsunkenntnis des Herrn Bundeswirtschaftsministers anläßlich der Sitzung des Ministerrats in Luxemburg.
({26})
Nun, in der Zwischenzeit haben sich jedoch einige Kalkulationsfehler herausgestellt. Es hat sich nämlich erstens die Erkenntnis Bahn gebrochen, daß die Rüstung 'keine Eintagsfliege ist und daß man, wirtschaftlich gesehen, auf lange Zeit investitionsmäßig festgelegt ist und daß die Kosten der Rüstung, wenn sie einmal angelaufen ist, die Tendenz zur Ausweitung in sich haben. Zweitens hat sich bei der Regierung die Erkenntnis Bahn gebrochen, daß
({27})
die Fortschrittsrate von 4 % sicher einer zu optimistischen Betrachtung entsprungen ist. Im Gegensatz zu den mit großer Lautstärke von Herrn Naegel vorgetragenen Argumenten darf ich hier ganz bescheiden zitieren, was das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung am 5. 9. 1952 schreibt - das wissen Sie übrigens alle, meine Damen und Herren, weil Sie diese Berichte regelmäßig bekommen und lesen -:
Die Verflachung des wirtschaftlichen Aufstiegs ... sollte von den für die Wirtschaftspolitik verantwortlichen Stellen als ernstes Warnsignal gewertet werden . . . Es droht die Gefahr, daß der nach der Produktionskapazität an sich mögliche Umfang des Sozialprodukts wesentlich unterschritten wird. Dies würde volkswirtschaftliche Verluste von jährlich einigen Milliarden DM bedeuten, insbesondere würde die Aufbringung des in Aussicht genommenen „Verteidigungsbeitrages" auf Schwierigkeiten stoßen.
({28})
Nun, die Zusammenfassung dieser Erkenntnisse
bedeutet einfach, daß -die EVG-Leistungen zu
Lasten der Konsumrate gehen werden. Die nähere
Betrachtung zeigt erstens, daß für die deutsche
Volkswirtschaft die natürliche Fortschrittsrate entfällt, daß die Wirtschaft an sich schon zurückbleibt.
({29})
- Ihre volkswirtschaftlichen Kenntnisse in allen Ehren; aber Sie dürfen sich niemals auf die Zahlen der letzten vierzehn Tage stützen. Das zweite: das Anzapfen der Konsumrate bedeutet eine Preiserhöhung für die Konsumgüter und damit die Not-wendigkeit der Abwälzung der Lasten auf die sozial schwachen Schichten. Man nennt diese ja gern die „breiten Schultern". Da darf ich aus dem Bulletin Nr. 74/52 - vielleicht ist das auch schon überholt? zitieren:
Es besteht Übereinstimmung, daß ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung des Bundesgebietes ({30}) nicht in der Lage ist, sich so zu ernähren, wie es zur Erhaltung seiner Gesundheit und Leistungsfähigkeit erforderlich wäre.
({31})
Weiter ist leider zu erwarten, daß die soziale Lage dieser Bevölkerungskreise ({32}) sich in naher Zukunft nicht entscheidend bessern wird.
({33})
Vielleicht gehört das allerdings auch zu den „relativen Kleinigkeiten" des Vertrags, wie der Herr
Bundeskanzler meinte.
({34})
Meine Damen und Herren, neben wirtschaftliche Entleerung der Gebiete der deutschen Mitte tritt eine soziale Verelendung. Diese wird sich in allererster Linie in Notstandsgebieten der deutschen Wirtschaft zeigen.
({35})
Wie es mit dem Elend der Notstandsgebiete steht, darf ich Ihnen nach den Angaben des Bundesarbeitsministeriums schildern - ich glaube, daß die Zahlen nicht überholt sind, sondern noch bestehen
-, wonach in den östlichen Zonengrenzgebieten sich 80% der gesamten Arbeitslosen, 80 % der gesamten Notstandsarbeiter, 50 % der gesamten Kurzarbeiter und 75 % der gesamten Fürsorgeempfänger befinden.
({36})
Aber vielleicht wird für sie die Erträglichkeit der Belastung hinsichtlich des sozialen Gefüges etwas leichter, wenn sie daran denken, daß es ja bestimmt eine Gruppe von Menschen in Deutschland gibt, die durchaus bereit ist, diese Versicherungspolice zu zahlen, weil Rüstungswirtschaft immer schon ein einigermaßen einträgliches Geschäft war.
({37})
Zwei Fragen wurden als Grundsätze der Kritik herausgestellt. Erstens: Führt das Vertragswerk zu einer wirklichen europäischen Integration?
({38})
- Ich komme darauf zurück! - Die Erkenntnis lautet: Tiefer und stärker werdendes Gefälle der Wirtschaft von West nach Ost.
({39})
Zweitens: Bringt das Vertragswerk eine gleichmäßige Belastung oder unterschiedlichen Aufwand und Ertrag?
({40})
Meine Damen und Herren, ich fand es bisher so angenehm, daß wir hier unsere Sitzung in einem verhältnismäßigen Gleichmaß ablaufen ließen. Sollten wir das nicht bis zu der demnächst bevorstehenden Mittagspause noch fertigbekommen?
Meine Damen und Herren, darf ich zusammenfassen. Zwei Fragen wurden als Grundsätze der Kritik herausgestellt: 1. Führt das Vertragswerk zu einer wirklichen europäischen Integration? Die Erkenntnis lautet: Tiefer und stärker werdendes Gefälle der Wirtschaft von West nach Ost. 2. Bringt das Vertragswerk eine gleichmäßige Belastung oder unterschiedlichen Aufwand und Ertrag? Das Ergebnis lautet: Eine stärkere Konsumkürzung in den deutschen Gebieten ist sicher.
({0})
Wie die wirtschaftliche Produktion sich ihren Weg von Osten nach Westen sucht, schieben sich Verarmung und Verelendung von Westen nach Osten vor. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Verträge sind: Integration der Mitte des europäischen Westens auf Kosten einer Desintegration Deutschlands. Politisch bedeutet das, daß Deutschland, das für uns die Mitte Europas ist, zu einem Grenzgebiet im neu-europäischen Osten wird! '
({1})
Damit, meine Damen und Herren, ist der Zeitpunkt erreicht, den der Altestenrat für den Beginn einer Mittagspause vorgesehen hatte. Es ist der Wunsch geäußert worden, mit Rücksicht auf die Notwendigkeit einzelner Fraktionssitzungen erst um 15 Uhr wieder mit der Beratung zu beginnen, also Pause von 13 bis 15 Uhr.
Die FDP-Fraktion hat mich gebeten, mitzuteilen, daß jetzt unmittelbar nach der Sitzung eine Fraktionssitzung stattfindet.
({0})
Die Sitzung wird um 15 Uhr 6 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren! Wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort.
({0})
Das Wort hat zunächst Herr Abgeordneter Stegner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
({0})
- Ich bitte um gütige Nachsicht, Herr Präsident, da ich für die technischen Verschulden des Hauses natürlich nicht aufkommen kann!
Ehe ich auf die Ausführungen der Herren Kollegen Dr. Gülich und Dr. Schöne kurz eingehe, gestatten Sie mir eine allgemeine Bemerkung zu den Verträgen, die im Bereich der wirtschaftlichen Diskussion besonders geeignet erscheint. Es wird doch niemand abstreiten, daß wir von der Kapitulation Deutschlands bis zum heutigen Tage einen ganz klar sichtbaren Entwicklungsgang Deutschlands im Verhältnis zu den Besatzungsmächten durchlebt haben. Jeder, der sich diese Zeit noch einmal vergegenwärtigt, ist sich darüber klar, daß die Entwicklung zweifellos in günstiger Weise auf uns Deutsche zugelaufen ist. Nun ist es zwangsläufig die Tragik eines solchen Vertragswerks in seiner Beurteilung von außen her, daß es gewissermaßen eine Momentaufnahme dieser Entwicklung ist und der Glaube entsteht, diese Momentaufnahme sei nun das Fundament, auf dem sich die nächsten fünzig Jahre entwickeln.
({1})
Das ist eine total falsche Betrachtungsweise. Diese Vertragswerke - ich spreche hier sowohl von dem Bonner wie von dem Pariser Vertrag - bilden zwar ein Fundament für die nächsten fünfzig Jahre. Aber, lieber Herr Kollege Dr. Schöne, nehmen Sie mir eines nicht übel: wenn ich Ihre Ausführungen gehört habe, so hat mich doch ein leichtes Grauen gepackt über das, was uns bevorsteht! So liegen doch die Dinge in der Tat nicht!
Wir schaffen hier ein Fundament. Aber wir schaffen in dieser Verfassung, die die Verträge ja für die europäische Entwicklung darstellen, auch eine Menge Institutionen und Behörden. Sie haben von dem Kommissariat gesprochen. Ja, dann hätten Sie auch sagen müssen, daß dieses Kommissariat sich nach dem klaren Wortlaut der Verträge ein eigenes Leben mit gestaltender Kraft gibt. Es kann sich gerade auf wirtschaftspolitischem Gebiet mit den entsprechenden Mehrheiten und mit Unterstützung der Organe der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft die Richtlinien für gewisse wirtschaftspolitische Maßnahmen geben. Bei Betrachtung der Verträge darf also nicht der Eindruck entstehen, daß hier eine Zäsur entstanden sei, die nun fünzig Jahre erhalten bleibe. Nein, meine
Damen und Herren! Hier ist einer Entwicklung Rechnung getragen, und eine Stabilisierung für die Zukunft aus den Willkürerscheinungen der Vergangenheit heraus in ein gewisses europäisches rechtsstaatliches Denken hat stattgefunden. Das muß man doch bei der Betrachtung der Verträge zunächst einmal unterstellen.
Und nun zu den Einzelheiten. Herr Kollege Gülich, Sie haben hier von einer Politik der Stärke gesprochen, die sich die Bundesrepublik Deutschland zutraue, und Sie haben mit einem netten Bonmot von A bis Z hier die Parallele zum Dritten Reich gebracht. Herr Gülich, Sie wissen genau so gut wie ich, daß der Sinn dieses Vertragswerkes, wenigstens soweit er von uns in Deutschland beeinflußt worden ist, doch nicht die Politik einer Stärke ist, sondern, ich möchte sagen, die Politik der Selbstbehauptung, eine Politik des Erhaltungswillens. Das ist doch etwas anderes als eine. Politik der Stärke.
({2})
Sie erinnern sich deutlich der Ausführungen; ich brauche sie also hier nicht genau zu zitieren. Der Selbsterhaltungstrieb ist doch das Elementarste im Menschen- und auch im Völkerleben, und davon hat man bei diesen Behauptungen auszugehen. Kein Mensch, der diese Verträge studiert hat, kann doch sagen, daß das, was wir an Wehrbeitrag für eine europäische Verteidigung zu leisten haben, etwa der Ausdruck einer politischen Stärke oder der Wille zu einer Machtpolitik sei. Das hieße doch, in den Augen der Öffentlichkeit die Verträge in ein vollkommen falsches Licht hineinzurücken.
Dann haben Sie eins gesagt: wir hätten nicht unter gleichberechtigten Voraussetzungen verhandelt. Ja, verehrter Herr Gülich, das ist ja der Sinn' der Verträge: Bisher haben wir ja nicht die Gleichberechtigung. Ich glaube, der Herr Bundeskanzler hat das in seinen Ausführungen auch deutlich gesagt. Hier hat ein besiegtes Volk mit den Siegermächten verhandelt; hier hat ein machtloses Volk mit mächtigen Völkern verhandelt.
Um aber Deutschland die Stellung in Europa zu geben, die seinen kommenden Verpflichtungen, seinem Wehrbeitrag und seiner historischen Bedeutung entspricht, soll ja die Grundlage für eine künftige Gleichberechtigung nun geschaffen werden, und zwar de facto, nicht nur durch die Verträge, sondern durch das durch die Verträge bedingte Zusammenleben der Völker untereinander. Natürlich haben wir nicht gleichberechtigt verhandelt, ich meine: im Sinne einer echten Gleichberechtigung. Aber in Zukunft ist die Möglichkeit des gleichberechtigten Zusammenlebens doch zweifellos gegeben.
({3})
Man darf die Dinge in dieser Richtung nicht durcheinanderwerfen.
Nun, verehrter Herr Kollege Schöne, darf ich nur wenige Worte zu Ihren Ausführungen sagen. Sie glaubten in Ihrer Generalübersicht eine Verödung des Ostens und einen Zug der östlichen Wirtschaft nach dem Westen feststellen zu können. Unter „Osten" muß man ja heute praktisch Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Bayern verstehen. Die Feststellungen stimmen. Ich weiß das als niedersächsischer Abgeordneter genau. Aber Sie begingen einen Fehler, den Sie dem Kollegen Naegel vorwarfen, indem Sie sagten: Naegel bezog sich auf die Vergangenheit; er gab eine historische Darstellung. In demselben Atemzug gaben Sie eine
({4})
historische Darstellung, indem Sie sagten, soundso viel Betriebe sind seit 1948 bis 1952 nach dem Westen gewandert. Herr Kollege Schöne, wir sind uns doch darüber einig, daß diese Wanderung von Osten nach Westen vor sich gegangen ist, ehe man überhaupt von den Verträgen gesprochen hat.
({5}) Sie liegt also im Zuge einer Entwicklung.
Sie erinnern sich der langen Beratung im Wirtschaftsausschuß über diese Frage, und ich glaube, ich war derjenige Abgeordnete im Wirtschaftsausschuß, der wegen der Bedeutung dieser Frage den Herrn Minister Erhard gebeten hatte, persönlich zu erscheinen. Wir waren uns aber im Ausschuß darüber klar, daß die Verhinderung eines weiteren' Ost-West-Gefälles zuungunsten des Ostens doch eine kardinale nationale Aufgabe des deutschen Bundeswirtschaftsministers ist.
({6})
Das hat mit den Verträgen nichts zu tun, genau so wenig, wie es bisher mit den Verträgen etwas zu tun hatte. Wir werden uns alle, unabhängig von den Vertragswerken, immer wieder darüber klarwerden müssen, welche Maßnahmen getroffen werden müssen, damit wir dieses Ost-West-Gefälle aufhalten. Auch wenn wir hier nicht über die Vertragswerke zu reden hätten, die Problematik wäre kaum geändert.
Ich darf hier vielleicht noch einmal auf die Struktur des Vertrages hinsichtlich der wirtschaftlichen Situation hinweisen. Wir waren uns doch über eine Erkenntnis klar: Der EVG-Vertrag schafft so etwas wie eine europäische Wirtschaftsebene.
Es bleiben aber für lange Zeit die nationalen Volkswirtschaften noch bestehen, und es wird die Kunst derer sein, die die kommende Entwicklung bestimmen, die nationalen Volkswirtschaften auf diese europäische Wirtschaft auszurichten und dafür zu sorgen, daß sie intakt bleiben. Im Rahmen dieser Vorsorge werden sich die deutschen wirtschaftspolitischen Erwägungen zur Verhinderung des von Ihnen zitierten Zustandes bewegen' müssen. Ich glaube, darüber waren wir uns im Wirtschaftspolitischen Ausschuß doch alle einig.
Nun ein Weiteres! Es wurde hier gesagt, in Zukunft werde allein der militärische Bedarf die wirtschaftliche Entwicklung bestimmen. Das ist keineswegs richtig. Ich erinnere mich sehr wohl der Ausführungen der Herren Regierungsvertreter im EVG-Ausschuß und im Wirtschaftspolitischen Ausschuß, die immer wieder erklärten: Wir werden mit allen Mitteln bestrebt sein, dafür zu sorgen, daß nicht eine Rüstungspolitik betrieben wird, wie sie im Dritten Reich betrieben wurde, über Rüstungsinspektionen usw. Die militärischen Anforderungen müssen vorgelegt werden, die Entscheidung aber im volkswirtschaftlichen Sinne hat der zuständige Ressortminister zu treffen, weil ja die Aufrechterhaltung der nationalen Volkswirtschaft die vornehmste Aufgabe im Hinblick auf die Erfüllung der Verträge ist.
Meine Damen und Herren, Sie dürfen doch nicht nur die Steigerung des Sozialprodukts zur Erfüllung der geldlichen Verpflichtungen ins Auge fassen, sondern Sie müssen auch den primären Sinn dieses Vertragswerkes ins Auge fassen, und dieser primäre Sinn ist . die europäische Verteidigung. Wir sind uns doch alle in diesem Hause, ich glaube, links wie rechts, darüber klar: wenn man sich im Grundsatz zu einer europäischen Verteidigung bekennt, muß man auch erkennen, daß die militärische Verteidigung doch nicht auf die Gestellung von Divisionen beschränkt ist, sondern daß sie bestimmt wird von der Wehrkraft des Volkes. Die Grundlage für die Wehrkraft ist aber eine günstige wirtschaftspolitische und- sozialpolitische Situation des gesamten deutschen Volkes.
({7})
Davon müssen wir doch in erster Linie ausgehen.
Wenn es freilich so wäre, wie manche glauben, nämlich die Vertragswerke seien in dem Sinne abgeschlossen, daß Deutschland von seinen Vertragspartnern geknebelt werde, bis es zusammenbreche, dann allerdings wäre das der schwerste Schlag, der einer europäischen Verteidigung versetzt werden könnte. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß sich die Vertreter von sechs europäischen Mächten angesichts der östlichen Gefahr monatelang zusammensetzen und Kraft und Geld in dieses Werk stecken, um es dann eines Tages dadurch zu zerstören, daß man ihm die primitivsten Grundlagen entzieht, indem man die soziale und wirtschaftliche Grundlage in Deutschland vernichtet.
({8})
Wenn - und wir alle haben einmal den Aufbau einer Rüstungsindustrie miterlebt -- Schwierigkeiten kommen sollten, dann ist es die Pflicht aller Vertragspartner, uns zu helfen, diese Situation so zu meistern, daß unsere Wehrkraft und damit unser Wehrbeitrag nicht gestört werden. Ich halte diese Feststellung für wichtiger als die Sicherung des finanziellen Wehrbeitrags. Denn der finanzielle Wehrbeitrag hängt von der Leistungsfähigkeit des Landes ab; das ist ja vertraglich festgelegt. Es wird also unsere Aufgabe und die unserer Vertragspartner sein, diese Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten.
Nun noch ein Weiteres zur allgemeinen wirtschaftlichen Situation. Ich habe mich bei der Durcharbeitung des wirtschaftspolitischen Teils sehr gefreut, feststellen zu können, daß nicht - und das 'muß als ein Erfolg der Delegationsberatungen bezeichnet werden - expressis verbis wirtschaftspolitische 'Festlegungen für die nächsten 50 Jahre getroffen worden sind, sondern daß man der Interessenlage der beteiligten sechs Länder genügend Spielraum gegeben hat, um die europäische Wirtschaftssituation von Fall zu Fall nach der Verteidigungslinie hin überprüfen und in Rechnung stellen zu können. Wir wollen nicht immer nur das Negative in den Vordergrund rücken, sondern wir wollen doch einmal klar sehen, welche Möglichkeiten für Europa, nicht nur für Deutschland, in diesen Verträgen liegen. Ich lehne es auch ab - das sage ich Ihnen ganz offen -, immer nur zu erklären, daß von einer gemeinschaftlichen europäischen Verteidigung Deutschland allein die Vorteile haben müsse. Entweder verteidigen wir alle Europa, dann haben wir auch alle dazu beizutragen, oder aber wir verhindern die europäische Entwicklung.
({9})
- Ja, meine Damen und Herren, dann sagen Sie mir den Weg, den Sie gehen wollen, um die abendländische Kultur und die historischen Errungenschaften unseres Volkes noch zu retten.
({10})
({11})
- Meine Freunde von ganz links, über abendländische Kultur wollen wir uns jetzt nicht unterhalten, vor allen Dingen nicht angesichts - ({12})
- Herr Renner, meine bestimmt nicht!
({13})
Es ist aber auch sinnlos, auf diese Zwischenrufe im Augenblick einzugehen;
({14})
es hat gar keinen Zweck.
Herr Kollege Schöne hat nun weiterhin Befürchtungen wegen der ungleichmäßigen finanziellen Belastung in Deutschland. Ja, verehrter Herr Kollege 'Schöne, da liegt es doch nahe, an den verschieden hohen wirtschaftlichen Trend in den deutschen Ländern zu denken. Sie haben ja selbst Arbeitslosenziffern aus verschiedenen deutschen Ländern unter besonderer Berücksichtigung der Zonengrenzgebiete gebracht. Auch das ist doch keine primäre Frage der Verträge, sondern eine primäre Frage der richtigen deutschen Sozial- und Wirtschaftspolitik,
({15})
und wenn wir die nicht hätten, würden wir mit und ohne Verträge einem traurigen Schicksal entgegengehen. Ich möchte also diese Dinge nicht unbedingt an die Verträge gekoppelt wissen.
Nun habe ich persönlich bedauert, daß Sie gelegentlich eine Bemerkung einfließen ließen, als ob bei der Abfassung der Verträge oder bei dem Wunsch nach den Verträgen ausgerechnet diejenigen Pate gestanden hätten, die glaubten, durch Rustungs- oder Kriegswirtschaft besondere Gewinne herausarbeiten zu müssen. Ich hätte es sehr begrüßt, wenn Sie diese Bemerkung etwas substantiiert hätten und sickt vielleicht etwas deutlicher ausgedrückt hätten; denn daß wir ein Rüstungsoder Kriegsgewinnlerwesen erzeugen wollen, das werden Sie wohl weder sich noch uns unterstellen. Es wird ja unsere gemeinsame Aufgabe sein, das in der Zukunft zu verhindern. Es ist aber immer schlecht, Herr Kollege Dr. Schöne, solche Bemerkungen zu machen. Sehen Sie, wenn ich gehässig wäre, könnte ich ja auch sagen: es gibt sicherlich Institutionen, die Sie aus sozialen oder wirtschaftspolitischen Gründen °fordern, und Sie würden es als sehr häßlich empfinden, wenn wir sagen, daß dadurch Stellen geschaffen würden, an denen sich Leute die Hände wärmen.
({16})
Ich tue das aber nicht; denn man soll, wenn man sich schon ernsthaft mit einer Sache auseinandersetzt, nicht eine Institution benutzen, um diffamierend zu wirken. Wenn Sie also im Grundsatz Befürchtungen haben, dann besteht ja in der sehr breiten Debatte die Möglichkeit, daß wir uns darüber hier aussprechen, aber nicht in der Form einer gelegentlichen Bemerkung; das halte ich nicht für sehr glücklich.
Nun noch ein Wort zum Überleitungsvertrag. Auch hier, Herr Schöne, haben wir doch im Wirtschaftsausschuß die Dinge sehr klar durchgearbeitet, und wir haben festgestellt, daß es in diesem Überleitungsvertrag eine Unzahl Dinge gibt - Sie haben sie andeutungsweise erwähnt -, die uns nicht passen und die Ihnen nicht passen. Aber jetzt darf ich einmal die Frage an Sie richten. Sie sind ja genau so gut wie wir für den wirtschafts- und sozialpolitischen Fortschritt in Deutschland. Angenommen, wir würden den Generalvertrag mit dem Überleitungsvertrag nicht annehmen, was würde sich dann gegenüber dem derzeit geforderten Vertragszustand eigentlich geändert haben? Es würde sich gar nichts ändern. Während jetzt nur ein Prozentsatz der alliierten Gesetzgebung zementiert oder versteinert wird - mit der Revisionsmöglichkeit versteinert wird -, würde doch durch ein Nein zu den Verträgen das gesamte Besatzungsstatut versteinert werden.
({17})
Das Sicherheitsamt würde versteinert werden, und die ganzen Industriebeschränkungen würden weiterbestehen.
({18})
- Natürlich würden sie das!
({19})
- Einen Augenblick! - Es würde 'Gegenstand neuer Verhandlungen sein
({20})
- warten Sie mal ab! -, diese Institution zu beseitigen. Glauben Sie denn, daß der Vertragspartner, nachdem man ihm die bisherigen Möglichkeiten abgelehnt hat, bereit ist, in der Zukunft mehr zu konzedieren, als hier in den Verträgen schon konzediert ist und durch die Ratifizierung in absehbarer Zeit an Möglichkeiten der Weiterentwicklung im deutschen Sinne eingeräumt wird? Man muß doch diese Dinge einmal ganz real sehen.
Meine Damen und Herren, gerade weil wir glauben, diese Verträge sind nur eine Momentaufnahme aus der derzeitigen Entwicklung, weil wir glauben, daß sie eine Basis bilden zu einer europäischen Entwicklung hin, bejahen wir die Verträge. Und glauben Sie mir, ich gehöre sicher zu den Abgeordneten - das wird dem Hause bekannt sein -, die sich sehr um dieses Ja gequält haben, die sehr geprüft haben, ob dieses Ja in eine lichtere deutsche und eine lichtere europäische Zukunft hineinführe.
(Beifall rechtsa
Ich muß Ihnen sagen, wenn ich die Wahl habe
zwischen einer nationalen unsicheren Entwicklung
- die darüber hinaus noch heute im Zeichen des Besatzungsstatuts steht - und einer Entwicklung, die in eine größere, leistungsfähigere und wirkungsvollere europäische Gemeinschaft hineinführt, dann muß ich mich zu dem letzteren bekennen.
({21})
Das um so mehr, als ich persönlich aus den Verträgen die Sicherheit gewonnen habe, daß jede künftige deutsche Regierung, wenn sie nur stark genug ist, in den Einrichtungen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft eine so weitgehende Auswirkungsmöglichkeit hat, daß die künftige Entwicklung in Europa nicht ohne, sondern mit und durch Deutschland erfolgen wird.
({22})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Schöne hat mich heute persönlich apostrophiert, und er hat im übrigen an die Logik appelliert. Ich bin bereit, ihm zu folgen. Er hat
({0})
gesagt: Wie soll die gleichmäßige Belastung bei der Aufbringung der Mittel zum Verteidigungsbeitrag hergestellt werden, und wie glaubt man, daß angesichts der bestehenden Währungsverhältnisse eine optimale Verteidigungsleistung bzw. ihre gerechte Umlage möglich erscheint? Nun kann ich bestimmt nicht in den Geruch kommen, als ob ich die derzeitigen Währungsverhältnisse guthieße. Im Gegenteil, ich habe meine Meinung deutlich genüg dahin zum Ausdruck gebracht, daß unbedingt in der Richtung einer freien Konvertierbarkeit der Währungen vorgestoßen werden muß, um zu einer echten europäischen Integration vordringen zu können. Aber was hat das damit zu tun? Die logische Konsequenz hieße, daß wir in den letzten vier Jahren keinen Außenhandel hätten treiben können, daß wir praktisch hätten stillstehen müssen, weil die währungspolitischen Verhältnisse, die Aus- und Umtauschrelationen von Land zu Land nicht In voller Ordnung waren. Wir sind ùns darüber klar, daß im Europäischen Verteidigungsvertrag so weit Gerechtigkeit vorherrscht, als die Lasten nach gleichen Prozentsätzen, gemessen am Sozialprodukt, für alle beteiligten Länder gelten. Hier ist also eine Differenzierung und Diskriminierung ausgeschlossen. Wenn also der Herr Abgeordnete Schöne befürchtet, daß wir dabei zu kurz kommen könnten, dann kann er logischerweise nur im Auge haben, daß unsere deutschen Preise vergleichsweise niedriger sind als die in den anderen europäischen Ländern. Dann soll er sich aber mit seinem Kollegen Dr. Kreyssig auseinandersetzen, der ja unsere Wirtschaftspolitik als ein soziales Ärgernis bezeichnet hat.
({1})
Es kann einerseits nicht gesagt werden, daß wir die niedrigsten Preise in Europa haben, durch die wir beim Europäischen Verteidigungsbeitrag geschädigt werden, und gleichzeitig behauptet werden, daß diese niedrigen Preise ein soziales Ärgernis seien.
({2})
Es scheint mir also hier an der nötigen Koordinierung zu fehlen.
Dann ist die Rede von dem Gefälle von Ost nach West gewesen. Nun, ein Gefälle von Ost nach West hat es in Deutschland immer gegeben. Damit sei aber nicht gesagt, daß die Verhältnisse nicht reformbedürftig seien. Die Bundesregierung hat immer wieder eingegriffen, um dieses Gefälle mehr und mehr aufzulösen. Ich darf z. B. daran erinnern, daß mir der Ministerpräsident und-Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein erst vor einigen Wochen gesagt haben, daß in Schleswig-Holstein die industriellen Kapazitäten seit dem Jahre 1948 verdoppelt worden sind. Daraus geht hervor, daß wir immerhin bestrebt sind, das Gefälle von Ost nach West aufzuheben.
Es ist auch nicht richtig, wenn gesagt wurde, daß die Bundesregierung im Rahmen des Truppenvertrags oder des EVG-Vertrags keine Einwirkungsmöglichkeiten habe, um die Wirtschaft der deutschen Randgebiete nach dem Osten hin zu befruchten. Im EVG-Vertrag ist ausdrücklich festgelegt, daß das Kommissariat mit den Wirtschaftsministern der einzelnen Staaten in enger Verbindung und Abstimmung bei der Vergebung dieser Aufträge bleiben muß. Im Rahmen des Truppenvertrags haben wir, soweit wir die Aufträge unmittelbar vergeben - und das ist immerhin in größerem Umfang der Fall -, auch unmittelbar die Möglichkeit, die Ostgebiete mit wirtschaftlichen Aufträgen zu bedenken, und wir haben die Absicht, das auch zu tun. Aber das Ost-West-Gefälle bzw. die prekäre Situation in den östlichen Randgebieten - in Schleswig-Holstein und in Niedersachsen -, ist ja nicht allein wirtschaftlich zu erklären; hier liegt nicht nur ein soziales und soziologisches, sondern auch ein politisches Problem vor. Ich bin der Meinung, daß, wenn einmal diese Verträge geschlossen sind und ein höheres Maß an Sicherheit auch in Deutschland einkehren wird, diese Beruhigung und Befriedung, die soziale, politische und wirtschaftliche Sicherheit vor allem auch dem Aufschwung der Wirtschaft in den deutschen Randgebieten im Osten zugute kommen wird.
({3})
Dann hat Herr Abgeordneter Schöne auf die Kartellgesetzgebung hingewiesen und es bemängelt, daß wir nach dieser Richtung nicht frei sind, d. h. daß die Alliierten von uns ein Kartellverbot fordern. Mir ist es völlig gleichgültig, was die Alliierten fordern. Ich habe hier schon wiederholt zum Ausdruck gebracht, sie können fordern, was sie wollen; ich bin der Meinung, wir sollten eine Gesetzgebung auf Grund des Verbots durchführen. Ich habe bisher aus privaten Gesprächen mit dem Herrn Abgeordneten Schöne nicht den Eindruck gewonnen, daß er anderer Meinung ist. Aber wenn er anderer Meinung sein sollte, dann 'würde ich auch hier empfehlen, daß er sich mit seinem Parteigenossen Herrn Professor Schiller abstimmt, der ein Anhänger dieser Kartellgesetzgebung ist.
({4})
Im übrigen ist auch ein Irrtum insofern zu registrieren, als eindeutig feststeht, daß nach Annahme eines deutschen Kartellgesetzes und nach der Errichtung des deutschen Kartellamtes jede alliierte Einflußnahme in diesem Bereich entfällt.
({5})
Dann hat- Herr Abgeordneter Schöne auf die Entflechtung hingewiesen und durchklingen lassen, daß die deutsche Wirtschaft durch die alliierten Entflechtungsmaßnahmen diskriminiert werde. Ich kann dazu nur sagen: auch das stimmt nicht; denn in Art. 4 Abs. 5 des Zweiten Teiles des Überleitungsvertrages heißt es:
Die Bestimmungen dieses Artikels stehen den auf Grund des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zulässigen Erweiterungen oder Zusammenschlüssen von Unternehmen des deutschen Kohlenbergbaus und der deutschen Eisen- und Stahlindustrie nicht entgegen.
In den derzeitigen Gesprächen mit der Hohen Behörde in Luxemburg wurde deutlich, daß wir sogar rasch zu Festlegungen über die Größenordnungen bzw. zu gemeinverbindlichen Vereinbarungen über die Entflechtung innerhalb aller an der MontanUnion beteiligten Staaten kommen werden. Wir haben auf Grund der Montan-Union das Recht - und die Hohe Behörde muß Anträgen dieser Art entsprechen -, zu den gleichen Größenordnungen in den Unternehmungen von Kohle, Eisen und Stahl zu gelangen, wie das in den übrigen europäischen Ländern, soweit sie der Montan-Union angehören, der Fall ist.
Herr Abgeordneter Schöne hat sodann in bezug auf die Wirtschaftsordnung, - die soziale Marktwirtschaft -, gesagt, es würde eigentlich meine
({6})
Leiche fällig sein, weil in den Bestimmungen Verwendungsverbote oder Verwendungsgebote enthalten sind. Das ist nicht der Fall.
({7})
- Ich wollte sagen: Sie müssen auf meine Leiche noch etwas warten!
({8})
Im Truppenvertrag heißt es nämlich:
Die Bundesrepublik erklärt sich bereit, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um zu gewährleisten, daß dem Bedarf der Streitkräfte derjenige Vorrang vor dem nicht der Verteidigung dienenden innerdeutschen und Ausfuhrbedarf gewährt wird, der notwendig und geeignet ist, um die rechtzeitige Belieferung der Streitkräfte sicherzustellen.
Es heißt: „die notwendig und geeignet sind". Ich
kann Ihnen jedoch versichern, daß wir noch keine
Maßnahme durchgeführt haben, die sich in der
Richtung von Auflagen nach der Rohstoffseite hin
bewegt. Im EVG-Vertrag besteht überhaupt keine
Bindung, sondern wir haben nur sicherzustellen,
daß die gemeinsam beschlossenen Maßnahmen auch
praktisch durchgeführt werden können. Diese Maßnahmen müssen einstimmig beschlossen sein, Wir
können bei diesem Verfahren nicht überstimmt
werden. Also auch in dieser Beziehung trifft die
Anschuldigung des Abgeordneten Schöne nicht zu.
({9})
- Die Ausweitung des Wirtschaftssicherungsgesetzes betrifft ausschließlich Bauleistungen und hat gar keine Beziehungen auf Verwendungsgebote und Verwendungsverbote.
({10})
- Ich sage Ihnen, Herr Abgeordneter Schöne, das Wirtschaftssicherungsgesetz bleibt unverändert so, wie es gewesen ist, und es bekommt nur eine Ergänzung in bezug auf Bauleistungen.
({11})
- Jawohl, der Entwurf ist zurückgezogen,
({12})
weil ich in dem Augenblick, da ich davon Kenntnis erhielt, daß beabsichtigt war,
({13})
ein Bundesleistungsgesetz vorzulegen, vom Standpunkt der Wirtschaft und aus der Verantwortung meines Ressorts heraus die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes verneint und lediglich eine Ergänzung des Wirtschaftssicherungsgesetzes in bezug auf Bauleistungen für notwendig erachtet habe.
({14})
Dann hat sich - und das ist das Interessanteste
- Herr Abgeordneter Schöne auf den Bericht der Bundesrepublik Deutschland über die wirtschaftliche Lage und die Entwicklungsmöglichkeiten bis zum Jahre 1953/54 bezogen. Er hat daraus abgeleitet, daß ein deutscher Verteidigungsbeitrag notwendigerweise zu einer Senkung der sozialen Leistungen, d. h. zu einer Verkürzung des Lebensstandards der Bevölkerung führen müsse. Zunächst einmal halte ich es nicht für besonders fair, einen Bericht anzuziehen, der natürlich auch anderen Zwecken zu dienen bestimmt war und der uns helfen sollte, daß Deutschland bei der Vergebung von MSA-Mitteln nicht hinter anderen Ländern zurückbleibt.
({15})
Aber abgesehen davon: Herr Henry Spaak, auch ein Sozialist, hat auf dem Europa-Tag in Trier verkündet, es gelte, dafür zu sorgen, daß es trotz der europäischen Verteidigung erreicht werde, sowohl Kanonen als auch Butter bereitzustellen. Er hat sich durchaus zu diesem Prinzip und zu dessen Erfüllung bekannt. Die gleiche Auffassung hegt die Bundesregierung. Wenn dieser Bericht schon zitiert wurde, möchte ich ihn wie folgt ergänzen. In ihm wird der private Verbrauch für das Jahr 1951 mit 66 Milliarden angegeben, während er für 1953/54 mit 72 Milliarden beziffert wird. Das heißt, es besteht durchaus die Absicht und selbst bei einer angenommenen geringen Steigerung des Sozialprodukts auch die Möglichkeit, das deutsche Sozialprodukt und den privaten Verbrauch trotz der Verteidigungsleistungen weiter ansteigen zu lassen.
({16})
Hier ergibt sich allerdings eine grundsätzliche Verschiedenheit der Auffassungen, die schon im Februar dieses Jahres in Paris zum Ausdruck gekommen ist, zwischen einer sozialistischen Wirtschaftspolitik und einer marktwirtschaftlichen Politik. Als wir uns nämlich seinerzeit über den Verteidigungsbeitrag auf internationaler Ebene unterhielten, haben die sozialistischen Länder erklärt, das bedeute Entbehrungen, Verzichte, Einschränkungen, Gürtel-enger-schnallen und was ähnliche Redensarten mehr sind. Die marktwirtschaftlichen Länder, und vor allen Dingen Deutschland, haben erklärt: Nein, wir werden den Verteidigungsbeitrag nicht dadurch leisten, daß wir das Volk zu Opfern und zu Verzichten aufrufen, sondern wir werden und wollen durch eine Steigerung unserer Erzeugung, durch eine höhere Rationalität, durch die bessere Effizienz der menschlichen Arbeitsleistung zusätzlich das erstellen, was für Zwecke der Verteidigung notwendig ist.
({17})
Der Bericht, der hier angezogen wurde, besagt das auch. In diesem Bericht ist davon die Rede, daß nach der notwendigen Konsolidierung der Koreakrise die Bundesregierung damit rechnet, daß ein weiterer entschiedener Fortschritt der deutschen Wirtschaft Platz greifen kann. Diese Voraussage war richtig. Im Juli dieses Jahres stand der Produktionsindex auf 135, im August auf 141, im September auf 151 und im Oktober auf 158.
({18}) Meine Herren von der Sozialdemokratie, an Ihrer Stelle würde ich in bezug auf wirtschaftliche Prognosen wesentlich vorsichtiger sein.
({19})
Sie haben sich seit vier Jahren mit jeder Voraussage unsterblich blamiert, und Sie werden es wieder tun.
({20})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sogenannte Redeschlacht um diese Verträge geht ihrem Ende entgegen und es ist für feuilletonistisches Beiwerk wohl keine Zeit mehr. Darum lassen Sie mich ohne Umschweife zu zwei Dingen ganz kurz Stellung nehmen.
Erstens zur Gewerbefreiheit. Von der Opposition wird uns vorgeworfen, daß wir in der Rolle des Petenten nur einen mangelhaften Erfolg errungen hätten. Darf ich in Entgegnung auf diese Behauptung an das zähe Ringen der deutschen Vertreter um die deutsche Gewerbeordnung erinnern und hier im Bundestag - und ich meine, es ist der Ort dazu - in aller Öffentlichkeit diesen Herren den Dank dafür aussprechen, daß sie sich so zähe für dieses Anliegen des deutschen Mittelstandes eingesetzt haben.
({0})
Worum ging es denn? Die Amerikaner glaubten, in der deutschen Gewerbeordnung einen Grund dafür gefunden zu haben, daß das deutsche Volk einmal von üblen Ideologien überwältigt worden ist. Nun, Irren ist menschlich, und Irrtümer kann man keinem Menschen zum Vorwurf machen. Es kam darauf an, diesen Irrtum aufzuklären und nachzuweisen, daß die deutsche gewerbliche Ordnung mit ihrer Selbstverwaltung nicht nur eine gute volkswirtschaftliche, sondern auch eine beste demokratische Sache ist. Das ist gelungen. Nicht, daß einer über den anderen gesiegt hätte! Nein, weil beide Partner offen miteinander sprachen. Deshalb fand man sich schließlich und einigte sich. Wir aus der früheren britischen Zone und die Kollegen aus der früheren französischen Zone wissen vielleicht nicht, was die Heimkehr zur deutschen Gewerbetradition bedeutet. Aber in der früheren amerikanischen Zone weiß man es. Man wartet mit Ungeduld auf den Tag, an dem der vom Unterausschuß des Kollegen Stücklen fertiggestellte Entwurf der deutschen Handwerksordnung über den Wirtschaftsausschuß dem Plenum vorgelegt wird. Ich meine, wenn man soviel wie in dieser Debatte im Wenn und im Aber herumstiefelt, dann sollte man auch den Erfolg der deutschen Gewerbeordnung erwähnen.
Zweitens: Der Zusammenschluß der Nationen scheint der Großwirtschaft eine übermächtige Machtfülle zu geben. Wenn dann noch Generäle und Zeugämter hinzukämen, meint mancher, sei es endgültig mit den kleinen bürgerlichen Existenzen vorbei. Ich will die Gefahren nicht bagatellisieren. Doch, man sollte sich von diesen Gefahren auch nicht hypnotisieren lassen. Wir er- warten, daß die in der europäischen Spitze tätig werdenden Politiker und Soldaten und auch die Mitglieder des Ausschusses für die Auftragsvergebung bei ihren vielstelligen Rechenaufgaben nie vergessen, daß sie es unten letzten Endes mit Menschen zu tun haben. Die vielen schwer ringenden mittelständischen Existenzen, die nur deswegen durch diese Notzeit hindurchkommen, weil sie ihren Startnachteil durch entsagungsvolle Mehrarbeit aufholen, erwarten von der durch den Schuman-Plan eingeleiteten und nun weiterzuführenden Entwicklung eine fühlbare Entwirrung der viel zu komplizierten Staats- und Wirtschaftsapparatur unserer Zeit. Sie werden aufmerksam darauf achten, daß die durch die Konsolidierung Europas freiwerdenden Kräfte dieser Vereinfachung zugewandt werden. Um es anders auszudrücken: man muß Europa spüren, wenn es kommt; und wenn es da ist, müssen alle es behalten wollen.
({1})
Darin liegt in Wahrheit unsere Aufgabe: Europa als unser christliches Abendland, aber auch als die handfeste politische Realität, als der bessere Lebensraum für alle Menschen.
Zum Schluß möchte ich noch ein paar andere Worte sagen. Ich bin einer der jüngsten Abgeordneten dieses Hohen Hauses und gehöre zu denjenigen, die als Schuljunge das Jahr 1933 erlebten und schließlich im rauhen Kriegshandwerk doch noch die Welt -- dann allerdings völlig anders - kennenlernten. Wohl niemals wurde eine Generation in ihrem Idealismus und ihrer Opferbereitschaft so mißbraucht wie die unsere.
({2})
Nur mit den Resten ihres Bestandes konnte sie aus der Katastrophe heimkehren, und es gibt viele, denen die Erinnerung an die Läger nach 1945 so schlimm und schmerzlich ist wie die Erinnerung an die Nöte des Krieges. Diese Generation wird die Hauptlast der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu tragen haben. Es ist nicht leicht, das Schicksal dieser Generation nachzuempfinden. Ich will auch nicht näher darauf eingehen. An dieser Stelle und zu dieser Stunde wollte ich nur einmal an all das erinnert haben. Ich glaube, wir dürfen darauf vertrauen, daß besonders diese Generation es nie und nimmer dulden wird, daß guter Wille und Opferbereitschaft je wieder mißbraucht werden.
({3})
Die einfache Schlußfolgerung aber bleibt: Die Verträge geben uns die politische Mitbestimmung zurück. Erst wenn wir diese besitzen, können wir
mit Aussicht auf Erfolg unseren Friedenswillen
einsetzen. Draußen stehen zu bleiben und nach dem
Frieden zu rufen, hat wenig Sinn. Man muß in die
Gemeinschaft hineingehen und für den Frieden
arbeiten. Das wollen wir. Deshalb sagen wir ja.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Fricke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es liegt mir daran, daß ich, nachdem ich gestern als Berichterstatter des Wirtschaftspolitischen Ausschusses einen objektiven Überblick über die Arbeiten gegeben habe, nun in der Debatte noch zu einigen Bedenken Stellung nehme, die gerade aus dem Kreis der Wirtschaftsprobleme herausgegriffen worden sind.
Ich gehe zunächst auf die Zweifel ein, die die Opposition bezüglich des Ausmaßes der Sach- und Werkleistungen nach dem Truppenvertrag geäußert hat. Es ist die Frage gestellt worden: Ist eine gebührende Rücksichtnahme der Streitkräfte auf den wesentlichen innerdeutschen und Exportbedarf, wie es in Artikel 3 zugesagt ist, wirklich zu erwarten? Wir haben in den Beratungen des zuständigen Ausschusses klären können, daß der Einb au eines deutsch-alliierten Versorgungsausschusses, in dem die Deutschen nicht überstimmt werden können, wenn sie den wesentlichen deutschen Bedarf bei Sach- und Werkleistungen als gefährdet ansehen, die Frage befriedigend beant({0})
wortet. Manche Mißstände der Besatzungsepoche gehören mit dem Wirksamwerden der Verträge der Vergangenheit an. Jetzt müssen die Programme klar ausgehandelt werden.
In diesen Zusammenhang gehört eine weitere von der Opposition geltend gemachte Einwendung: Wie verträgt sich denn der von der Bundesregierung zu gewährleistende Vorrang der Sach- und Werkleistungen an die Streitkräfte mit dem Schutzbedürfnis lebenswichtigen deutschen Bedarfes? Hier ist klargestellt, daß nur ein Vorrang vor dem allgemeinen deutschen Bedarf unbeschadet der Schutzklausel des Artikels 3 für den wesentlichen deutschen Eigenbedarf einzuräumen ist. Im übrigen kann der bisherige Umfang des Besatzungsbedarfs an Sach- und Werkleistungen insofern als Maßstab dienen, als schwere güterwirtschaftliche Störungen nicht zu befürchten sind, auch nicht auf Engpaßgebieten; denn gerade für sie sind besondere organisatorische Vorkehrungen getroffen.
Auf den weiteren Zweifel, inwieweit die Pflicht, die nötigen Arbeitskräfte zu besorgen, etwa zu einer Dienstpflicht führen könne, sind bereits andere Redner eingegangen. Ich darf hier vielleicht noch das eine herausgreifen: „Die Bundesregierung übernimmt Garantie für Sach- und Werkleistungen und eine Sorgepflicht für den Personaleinsatz." Ich darf Herrn Kollegen Dr. Schöne darauf hinweisen, daß sich hierfür die Belegstellen in dem umfangreichen Stenogramm über die Arbeiten unseres Ausschusses ohne weiteres nachweisen lassen, daß auch sein besonders sachverständiger Kollege Herr Odenthal sich mit diesem Hinweis, daß eine solche Dienstpflicht dem Grundgesetz widersprechen würde, zufrieden gegeben hat und ) seine sachkundigen Fragen dann besonders auf den Fragenkreis konzentriert hat, wieweit etwa nun durch irgendwie manipulierte Lenkung an diesen Dingen gedeutelt oder ein sanfter Druck ausgeübt werden könnte. Auch das ist im Ausschuß eingehend geklärt worden.
Ich komme weiter auf die Frage der arbeitsrechtlichen Sicherung deutscher Arbeitskräfte. Wenn sie bei den Streitkräften arbeiten, ist sie nicht im gleichen Maße gegeben, wie wenn sie in deutschen Betrieben tätig sind. Dies gilt im wesentlichen aber nur bei Kündigungen und was die Funktion der Betriebsräte anbelangt. Indessen sind hier gemischte Kommissionen eingeschaltet. Sie können Feststellungen über eine etwaige Unvereinbarkeit von arbeitsrechtlichen Vorschriften mit den militärischen Erfordernissen im Einzelfall treffen oder den Kündigungsschutz aus militärischen Sicherheitsgründen einengen. Diese Feststellungen haben die deutschen Behörden dann angemessen zu berücksichtigen. Wir glauben, daß hier zunächst eine Regelung gefunden ist, mit der man sich abfinden kann. Im übrigen wird die viel zitierte Dynamik, man wird vielleicht sagen dürfen, das den Partner eines gegenseitigen Vertrages zustehende Recht zu weiterer Ausgestaltung auch hier Ansätze finden, um eine endgültige Rechtsangleichung zu erreichen, schon im Interesse der Attraktivität solcher Arbeitsverhältnisse, für die ja kein Zwang ausgeübt werden darf; sie müssen irgendwie attraktiv sein. Schon die Verhandlungen zur praktischen Durchführung der in Rede stehenden Bestimmungen werden hoffentlich einem einmütigen Wunsch des Wirtschaftsausschusses Rechnung tragen, daß in diese gemischte Kommissionen deutsche Arbeitnehmervertreter hineingehören.
Ein weiterer Punkt betrifft die Frage etwaiger güterwirtschaftlicher Störungen. Hier komme ich zu den von meinem Mitberichterstatter Herrn Dr. Kreyssig ausgesprochenen Sorgen gegenüber dem EVG-V ertrag. Die Norm des Artikels 102 des EVG-Vertrages macht es dem Kommissariat zur Pflicht, bei seinen Programmen für die Bewaffnung, Ausrüstung, laufende Versorgung und die Wehrbauten schwere Störungen der Wirtschaft der Mitgliedstaaten zu vermeiden. Die Opposition fragt, was denn eine schwere Störung ist, und weist auf die Möglichkeiten güterwirtschaftlicher Einbrüche hin. Gewiß muß man hier die Konsequenzen, die Möglichkeit der Schrumpfung der Konsumrate des Sozialprodukts zunächst abtasten. Mit Recht ist in unseren eingehenden Diskussionen darauf hingewiesen worden, daß Konsumrate hier sehr weit gefaßt werden muß, einschließlich der Investitionsmöglichkeiten auf dem zivilen Sektor. Da ist weiter die Gefahr eines Überhangs der Kaufkraft, damit verbunden Preissteigerungen, ebenfalls das Gespenst der Inflation. Nun, alle Planungen des Kommissariats sind, wie im Ausschuß klargestellt ist, durch drei Größen bestimmt, einmal - das liegt auf der Hand - durch den militärischen Bedarf, zum anderen - das ist in den -letzten Stunden hier eingehend durchgehandelt worden - durch den Haushaltsrahmen. Die dritte Größe, die bestimmend ist, sind die güterwirtschaftlichen Möglichkeiten, die bei den Mitgliedstaaten geboten sind. Hier setzt nun die Richtlinie des Artikels 102 ein: Schwere Störungen sind zu vermeiden. Was sind schwere Störungen? Meines Erachtens solche Gleichgewichtsverschiebungen, die nicht vom eigenen Ausgleichsvermögen des betroffenen' Organismus aufgefangen werden können, oder, um es in einem anderen Bilde zu sagen, solche Ablaufstockungen, die ein Wiederingangkommen aus eigener Kraft nicht mehr ermöglichen. Ich glaube, daß dies eine Auslegung des Begriffs „schwere Störungen" ist, die doch befriedigen könnte.
Lassen Sie mich noch kurz auf die Frage der konjunkturellen Auswirkungen des Vertragswerkes eingehen. Zweifellos sind diese - darauf hat Herr Naegel vorhin schon hingewiesen - arbeitsmarktpolitisch auf jeden Fall gegeben. Es gibt einen Streitkräftebedarf, und es gibt einen zivilen Bedarf der Versorgungskräfte. Ob auch güterwirtschaftlich eine konjunkturelle Belebung zu erwarten ist? Man kann natürlich nicht auf der einen Seite die Besorgnisse der Opposition, es könnten güterwirtschaftliche Störungen auftreten, mit der Geringfügigkeit des zukünftigen Bedarfs entkräften und auf der anderen Seite konjunkturell belebende Folgen in Aussicht stellen wollen. Der Wirtschaftsausschuß war hier seiner Zusammensetzung - im wesentlichen aus praktischen Wirtschaftlern, Betriebswirten und 'Volkswirten - entsprechend in den Erwartungen sehr nüchtern. Er hat aber auch in seiner Mehrheit jene Resolution angenommen, die Sie auf Seite 138 des Berichts finden. Was etwa an zusätzlicher Auftragsvergebung, an etwaigen Neuinvestierungen anfällt, soll bevorzugt den bekannten Sanierungs- und Notstandsgebieten zugewendet werden, den zonengrenznahen Bezirken und denen mit großer Arbeitslosigkeit. Ich glaube, daß das in diesem Fall sachdienlich gewesen ist, und habe es nur persönlich sehr bedauert, daß auch meine persönlichen Versuche, die Opposition im Ausschuß an diese Resolution mit heranzubekommen, gescheitert sind.
({1})
Ich persönlich erwarte aber die viel stärkere Beeinflussung des wirtschaftlichen Lebens von der politischen Seite der Verträge her. Was der Herr Bundeskanzler vorgestern abschließend gesagt hat: „Wir wählen die Freiheit", stellt einen psychologischen Stabilisierungsfaktor für wirtschaftliches Planen dar, und das Ende der Unsicherheit, was mit den Verträgen wird, ist von großem Wert, und schließlich auch ein Schritt näher zum europäischen Großmarkt. Das halte ich für die eigentlichen wirtschaftlichen Stabilisierungsfaktoren.
Unerfreulich bleibt sicherlich - und damit darf ich zum Schluß kommen - der Überleitungsvertrag. Ich schließe mich da völlig den kritischen Bemerkungen von Herrn von Rechenberg in den einleitenden Ausführungen der großen Debatte an. Der Überleitungsvertrag ist kein echter Abschluß der Besatzungszeit, sondern hier wuchert reedukatorisches Unkraut weiter. Hier werden Präjudizierungen versucht, hier gilt für die Deutsche Partei besonders das, was unser Freund von Merkatz in seiner Einleitungsrede zum Ausdruck gebracht hat: Wir habeñ uns trotz schwerer Bedenken zu einem Ja durchgekämpft.
Eine besondere Gefahr ist die der Überfremdung bei entflochtenen Betrieben. Herr Dr. Schöne ist auf diese Dinge eingehend zu sprechen gekommen.
Ich selbst darf darauf hinweisen, daß wir im Ausschuß auch über dieses Problem eingehend gesprochen haben. Bekanntlich dürfen die Großaktionäre nur jeweils an einer Nachfolgegesellschaft in unbeschränkter Höhe beteiligt sein. Bei den übrigen Nachfolgegesellschaften müssen sie ihren Aktienbesitz - mindestens soweit er 5 °/o übersteigt - veräußern. Dieser Verkaufszwang kann die Überfremdung durch ausländische Interessen erleichtern. Für einen Großaktionär, der eine Veräußerung an Ausländer vermeiden will, kann nach Artikel 5 Fristverlängerung beantragt werden. Darin sehe ich vorläufig den einzigen kleinen Ausweg in dieser schwierigen Frage.
Nun noch ein letztes Wort zu dem Problem des Auslandsvermögens. Der innerdeutsche Entschädigungsanspruch der durch die Enteignung im Ausland Geschädigten ist im Artikel 5 des Sechsten Teils des Überleitungsvertrages etwas schwach und hinhaltend niedergelegt. „Die Bundesregierung trifft Vorsorge", heißt es dort. Indessen möchte ich dem Bericht des Rechtsausschusses insoweit beitreten - und glaube das auch im Namen meiner Freunde tun zu dürfen -, daß ein Zwischenzeitraum bis zum Erlaß entsprechender deutscher Gesetze auch deshalb vertretbar sei, weil ein hinreichender Überblick über das Ausmaß der Verluste noch fehle. Nach einer Information in der Zeitschrift „Betriebsberater" soll bisher ein Drittel verwertet und der Erlös verteilt sein, ein weiteres Drittel sei zwar versilbert, aber noch nicht ausgeschüttet, das dritte Drittel sei erfaßt, aber noch nicht liquidiert. Die Bundesregierung muß nun versuchen, mit jedem in Rede stehenden Land über sämtliche dort entnommenen ausländischen Werte Abmachungen zu treffen. Sie kann das nach Teil 6 Art. 4, wenn der andere Vertragspartner - das sind die Drei Mächte - nicht widerspricht. Daß es sich bei dem Überleitungsvertrag nicht um eine deutsche Anerkennung der Enteignungen im Ausland handelt, sondern um ein Beugen vor den Tatsachen, kann die schweren Anstände, die man an diesem Teil des Vertrags nehmen muß, kaum beheben. Um so dringender erscheint mir deshalb der Hinweis auf das meines Erachtens Mindeste an Vorbehalt, was hier die deutsche Volksvertretung äußern sollte, nämlich die Entschließung des federführenden Ausschusses unter IV auf Seite 136 des vorliegenden Berichts, die die volle Zustimmung auch meiner Freunde findet.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Gröwel.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Fast mag es scheinen, daß nach dem Verlauf der Auseinandersetzungen und nach dem streitbaren Männergespräch Ton und Sprache einer Frau sich nicht recht einzufügen vermögen in diese Debatte. Aber es muß für uns Frauen in diesem Hause eigentlich tröstlich sein, daß wir gestern und auch heute in den Diskussionen immer wieder das Durchringen zu diesem Ja zu den Verträgen spüren durften. Aber ich meine, daß wir neben den Gründen des Dafür in den Gesamtrahmen auch einspannen möchten all die besorgten Auseinandersetzungen derjenigen, die ihr Nein in den Berichten formuliert und begründet haben. Ich bin nicht der Meinung wie Herr Freudenberg; im Gegenteil, ich glaube, wir sollten dankbar sein, daß diese Stimmen laut geworden sind. Denn, meine Herren und Damen, Gott bewahre uns vor den gefährlichen Einstimmigkeiten!
({0})
Man muß dem deutschen Volke die leidenschaftliche Auseinandersetzung dieser Tage als ein Plus anrechnen bei der Ratifizierung! Es ist doch so, meine Herren und Damen, daß sich in diesem Hause alle Kräfte gestellt haben, die um Deutschland und um Europa ringen.
Wenn wir von den Regierungsparteien unser Ja begründet haben, dann glauben Sie uns, daß wir es nicht aus dem Herzen gesagt haben, sondern aus dem kühl wägenden Verstand; und wir Frauen möchten hinzufügen: gegen unser Herz.
Ich halte es auch nicht für ein Unglück, daß sich gerade die Bundesrepublik bei der Ratifizierung der Verträge nicht unziemlich beeile. Wir fühlen uns weit entfernt von jenem einst zum geflügelten Wort gewordenen „lauten und freudigen Ja" des Locarnovertrages.
Wenn ich als Frau in der Debatte das Wort nehme, so möchte ich mich in dieser Stunde in diesem Hause neben den Wagenden zum Sprecher all der Zagenden hier und da draußen machen. Denn auch sie müssen in dieser Debatte heute gehört werden.
Der Herr Präsident hat in diesem Hohen Hause bei der ersten Aussprache zur Frage eines deutschen Verteidigungsbeitrages gesagt, daß wir uns selbst keinen guten Dienst tun, wenn wir zu leicht über den Begriff des Gefühls hinweggehen.
Wir müssen wissen, daß es im menschlichen Bereich nicht möglich ist, bestimmte Dinge so auseinanderzuteilen, daß man sagen kann: hier ist das Gefühl, ûnd hier ist die ratio ...
Diese gefühlsmäßigen Erwägungen - so sagt er weiter verbinden sich bei vielen Menschen im deutschen Volke mit sehr erwägenswerten sachlichen Argumenten Ich glaube, daß die Argumente und die Gefühle, die bei einer UnDeutscher Bundestag - 242. Sitznng. Bonn, Freitng den 5. Dezember 1952 11,41Q
({1})
zahl von Frauen in unserem Volke wirksam sind, hierbei ein entscheidendes Gewicht haben. ({2})
Dafür möchten wir Frauen dem Herrn Präsidenten danken, und deshalb, meine Herren und Damen, möchten wir wissen, welche Besorgnisse die Frauen zu Zagenden machen.
Es handelt sich hier gar nicht um die Herausstellung bestimmter Artikel zu den Verträgen, sondern es handelt sich hier um die Beweggründe, die den Frauen vorgetragen werden in den kommunistisch getarnten Organisationen und von den grundsätzlichen Nein-Sagern zu diesen Verträgen. Es ist doch so menschlich verständlich, und es ist ganz einfach nichts anderes als der Wunsch des Friedlichen, wenn wir Frauen immer wieder den Gedanken der Neutralität vortragen. Gewisse Vorteile und gewisse scheinbare Erfolge des Neutralitätsgedankens verleiteten die Menschen immer, zu glauben, sie seien am Ziel; und die Enttäuschung war nachher um so bitterer.
({3})
In diesen Tagen ist noch eine neue Partei gegründet worden, die als wesentlichen Programmpunkt
({4}) diesen Gedanken gewählt hat.
Wenn wir die erste Diskussion des Hohen Hauses zu diesem Thema mit den Feststellungen des Berichtes vergleichen, dann haben wir auch für unser Haus einen Beweis der echten Diskussionsentwicklung, weil der Wandel in den Auffassungen deutlich wird, wenn der Berichterstatter Brandt von der SPD formuliert, die Minderheit mache sich nicht die Zielsetzung einer Neutralisierung Deutschlands zu eigen.
Aus der Tatsache, daß ein kleines Land wie die Schweiz zu den Beispielen erfolgreicher Neutralität gehört, ziehen wir Frauen leicht den verhängnisvollen Schluß, daß die Neutralität für uns Frauen, für die Mütter, für unsere Söhne so sehnlich zu wünschen wäre. Aber es wird so leicht vergessen, daß die Neutralität der Schweiz gar nicht durch Verträge garantiert wird, sondern daß der Träger des schweizerischen Neutralitätsgedankens der vollverantwortliche freie Bürger in Uniform ist, daß das „Sichwehren" als eine selbstverständliche Haltung zum freien Bürger und zum freien Volk gehört.
({5})
Er braucht keine großen, pathetischen Worte dafür, sondern betrachtet es als eine Selbstverständlichkeit.
Wenn wir die Einstellung der Schweiz und des Schweizers kennen, dann wissen wir, daß das Soldatsein nicht das Ziel seines Lebens ist, sondern nur die „Notform" seiner bürgerlichen Existenz. Es mag die Frauen und die Mütter ansprechen, wenn wir hören, daß der schweizerische Soldat seine Uniform, seine Waffe samt seiner Munition zu Hause aufbewahrt. Ich meine, das ist ein ungeheurer Vertrauensbeweis; er ist möglich, weil eben jeder Soldat eine politische Verantwortung trägt. Diese Verantwortung ist die Krönung des schweizerischen Wehrgedankens!
Es ist interessant, in diesem Zusammenhang auf ein Wort Liebknechts hinzuweisen, das er 1891 prägte:
({6})
„In der Schweiz ist jeder Schullehrer in jedem Dorfe mit den militärischen Übungen vertraut. Er lehrt seine Schüler exerzieren und turnen. Ein solches System wollen wir haben,"
({7})
sagt Liebknecht. „Ein Volk, das für seine Rechte
bereit ist sich einzusetzen, ist unüberwindlich." ({8})
- Ach, meine Herren und Damen, lassen Sie mich den Gedanken zu Ende sagen:
({9})
Wir spüren es doch, wie sinnlos ein waffenloses Deutschland ist! Mit seinen ungeschützten Grenzen kann es doch nicht existieren in einer Welt, in der Gewalt vor Recht geht.
({10})
- Warten Sie bitte; ich bin ja erst am Anfang meiner Ausführungen! - Wir können doch nicht einfach die Hände in den Schoß legen und abwarten, ob die anderen das Wagnis unserer Verteidigung übernehmen! Wir müssen an diesem Wagnis selber teilnehmen, ob Deutschland es will oder nicht, ob wir es glauben oder bezweifeln. Wir müssen danach streben, wie es heute in diesem Hause schon gesagt worden ist, ganz einfach um unserer Selbsterhaltung willen.
({11})
Meine Herren und Damen, Geographie zwingt dem Geschehen ihr eigenes Gesetz auf, es ist doch geradezu absurd, was gestern Frau Wessel gesagt hat: „Nur ein aus dem militärischen Aufmarsch der USA und Rußlands herausbleibendes Deutschland dient dem Weltfrieden"; und deshalb müßte eine Außenpolitik geführt werden, die Deutschland aus dem Objektverhältnis der beiden Weltmächte herausholt. - Ach, Frau Wessel, es ist leider keine „gefährliche Illusion", sondern es ist für uns alle eine schmerzliche Tatsache, daß das im Potsdamer Abkommen an Rußland übergebene Faustpfand: Mitteldeutschland mit seinen 20 Millionen Deutschen - und wir glauben doch, daß Faustpfand im völkerrechtlichen Sinne ein sehr klarer Begriff ist - von Rußland in verbrecherischer Weise zu einem Satellitenstaat gemacht worden ist.
({12})
Aber wir sind ja gar nicht vor die Alternative gestellt: neutral oder nicht neutral.
Ich komme jetzt erst zu Ihnen, meine Damen und Herren von der kommunistischen Gruppe. Also jetzt machen Sie Ihre Zwischenrufe deutlicher, damit ich sie verstehe. Ich kann sie nicht verstehen.
({13})
- Es geht gar nicht darum, ob neutral oder nicht neutral, sondern es geht in diesem Augenblick ausschließlich um die Entscheidung: Ost oder West.
({14})
- Meine liebe Frau Kollegin, wenn Sie schreien wollen, gehen Sie zu den Frauen da daußen. Wir sprechen miteinander.
({15})
- Sie haben ja nachher das Wort und auch das Mikrophon!
({16})
Carlo Schmid schreibt in den Heften der Außenpolitik: Wir haben uns entschieden für die humanitären Werte, die heute leider nur im Westen eine Heimat haben.
({17})
- Ich finde es gut, daß die Hörer draußen wissen, wie unruhig die kommunistische Gruppe bei diesen Ausführungen wird. Das ist bezeichnend!
({18})
Geistig haben wir uns ja lange schon dem Westen integriert. Ich glaube, verehrte Kollegin zur Linken, eher wird Rußland einen Antichrist gebären als humanitäre Werte, und wenn man sich noch so sehr mit abendländischen Wortmasken verkleidet.
({19})
Sehen Sie, meine Herren und Damen, das verzweifelte Bemühen Sowjetrußlands und der Mitglieder der KPD dieses Hauses, die Annahme der Verträge zu verhindern, ist eigentlich der beste Beweis für ihren Wert.
({20})
Jahrelang hat Sowjetrußland immer das Heft des Handelns in der Hand gehabt. Die Sowjetunion inszenierte die Aufstände in Griechenland; s i e sperrte die Berliner Zufahrtswege, und die anderen mußten ein Luftbrücke bauen; s i e startete den Krieg in Korea, und die Vereinten Nationen mußten auf die Schlachtfelder.
({21})
wahrheit! - Das ist ja eine Lüge!)
Immer taten die Sowjets den ersten Schritt, und das erstemal fühlen sie sich jetzt in die Defensive gedrängt.
({22})
Wir haben den Beweis dafür in der Änderung der Außenpolitik Stalins und in der ungeheuren Propaganda, die der Osten unternimmt. Wer ist immun gegen diese raffinierte Propaganda aus dem Osten? Wir sehen ja, wohin diese Propaganda führt. Die verhetzten Frauen, die draußen gewartet haben, mußten „Frieden" schreien und die „Einheit Deutschlands" ausrufen.
({23})
Mit dem verführerischen Ruf „Nie wieder Krieg!"
({24})
und „Einheit Deutschlands" werden ja leider - und das ist die Gefahr - die Ahnungslosen, die Gutgläubigen, die da draußen angesprochen. Wenn diese Leute rufen „Kämpft für eine glückliche Zukunft unserer Kinder", das ist genau so gefährlich und so aufreizend verführerisch, wie die Parole „Nie wieder Krieg!"
({25})
Tausende von Briefen haben wir in diesen Tagen bekommen mit Unterschriften, die vom Osten aktiviert wurden, und ich muß Ihnen sagen, als Frauen müssen wir uns schämen,
({26})
zu welch schäbigen Tricks die agitatorischen Blender des Ostens greifen, um die Unterschriften zu Friedensproklamationen von unseren gutgläubigen Frauen zu bekommen. Wer unterschreibt nicht eine Liste, auf der steht: „Wir sind für den Frieden"? Jede harmlose Frau tut es! Jede Mutter ist für den Frieden! Wenn die Frauen und Mütter in der Ostzone dann diese langen Listen und Unterschriften lesen, dann verzagen und verzweifeln sie, weil sie annehmen müssen, daß man auch bei uns dieser östlichen Zauberformel verfallen ist. Wie sehr muß es diese Frauen dort im Osten beängstigen, wenn sie hören, daß wir uns damit begnügen, in den kommunistisch getarnten Friedenskundgebungen das beruhigende Gefühl zu haben „Wir sind uns einig in dem Wunsch nach dies e m Frieden!"
({27})
Ich will in diesem Zusammenhang über die „Notgemeinschaft für den Frieden" nicht sprechen; wegen ihrer Bedeutungslosigkeit brauche ich das nicht mehr zu tun. Das Geschäft wird heute von den zahlreichen „demokratischen" Frauenverbänden aus dem Osten besorgt, die diese Friedensschlacht für jene Leute schlagen und ihnen tonnenweise diesen Frieden östlicher Prägung ans Herz legen. In diesem Zusammenhang stelle ich nur eine Frage, und es ist eigentlich schon die Antwort auf die vielen Mahnungen an unser -Gewissen, die Antwort auf all die Bitten, noch einmal unser Ja zu den Verträgen zu prüfen. Es soll die Antwort sein an alle die Ängstlichen, an alle die Besorgten, an die Irregeleiteten und an die friedlich Denkenden,
({28})
({29})
an die Frauen und Mütter. Was veranlaßt uns dazu, ein Ja zu sagen, uns Frauen, die wir doch gefühlsmäßig für den Frieden und gegen eine Wiederbewaffnung sein müßten? Ich will Ihnen die Antwort ganz schlicht und ganz einfach sagen: eben, weil wir für den Frieden sind.
({30})
Wir benutzen nicht das große Pathos wilder Proteste. Aber eins, meine Herren und Damen, haben wir uns bewahrt, das klare Unterscheidungsvermögen! Wir haben registriert! Wir haben registriert, daß die kommunistische Sowjetunion in 16 Jahren 11 Nichtangriffspakte und Neutralitätsabkommen gebrochen hat, daß sie von 1935 bis 1950 15 Bündnisverträge verletzt hat, Bündnisse und Pakte, die ausschließlich dem Frieden dienen sollten.
({31})
- Das rote Licht leuchtet auf.
({32})
- Ich stelle Ihnen das Material zur Verfügung!
({33})
Wir haben auch all die Noten und Antworten registriert, die der Osten uns geschickt hat. Aber warum sagen denn die Warner in den Briefen, die uns von den Gutgläubigen draußen geschrieben werden und in denen sie uns in letzter Minute mit ihren Argumenten bestechen wollen, nicht auch, daß die Volkspolizisten der Sowjetzone, über 400 000 Mann stark, von russischen Offizieren kontrolliert und mit russischen Waffen ausgestattet sind?
({34}) Mütterliche Frauen muß es bis ans Herz packen, daß Walter Ulbricht gesagt hat - und da können Sie nicht widersprechen -: Friedenskämpfer müssen Scharfschützen sein!
({35})
Und begreifen Sie, was es heißt, wenn in den Zeitungen der Ostzone steht: „Nieder mit den pfäffisch-sentimentalen Träumereien von einem Frieden um jeden Preis! Wir erheben das Banner des Bürgerkriegs!"?
({36})
- Die Zeitungen sind in unserer Bundestagsbibliothek nachzulesen.
({37})
Meine Herren und Damen! Lassen Sie mich noch einen Satz sagen. Herr Fisch, passen Sie auf! Eine einzige furchtbare Anklage gegen das, was man Verpflichtung zur Menschlichkeit nennt, ist die Tatsache, die von dieser Tribüne schon einmal in die Welt geklagt wurde: 1950 wurden 4300 Jugendliche von Gerichten der sowjetischen Besatzungszone aus politischen Gründen verurteilt,
({38})
von den Zahlen der Jugendlichen ganz zu schweigen, die durch russische Militärtribunale zu durchschnittlich 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurden. Und was ist geschehen, als wir hier für diese Jugendlichen eine Amnestie verlangten? Was hat der Abgeordnete Fisch in diesem Hause gesagt? Meine Damen und Herren, das kann man j a nicht ableugnen; wir alle haben es gehört: das seien Märchen, von Spionen und Agenten organisiert. Und was ist auf die Forderung dieses Hauses hin geschehen? Mütter und Frauen, gebt acht: Nichts! Gar nichts!
({39})
Das ist das erschütternde Zeichen - - ({40})
Das ist ein erschütterndes Zeichen der Diabolik, mit der das kommunistische Regime Gläubigkeit und Freiheit mißbraucht. Hier hätten sie Gelegenheit gehabt, einen Beweis für ihre vielfachen deklamatorischen Friedensangebote zu erbringen.
({41})
Aber es ist schon so, meine Herren und Damen: sie nennen deutsche Jungen und Mädel „Freie Deutsche Jugend" und wissen, daß das Blauhemd die bolschewistische Zwangsjacke ist.
({42})
Sie verkünden Freiheit und meinen Versklavung. Sie malen Friedenstauben und meinen für das ganze deutsche Volk Hammer und Sichel. Sie reden von der Einheit des deutschen Vaterlandes und meinen bolschewistische Gleichschaltung! Spüren wir nicht, meine sehr verehrten Herren und Damen - auch aus den Anrufen heute -, daß in diesem Bolschewismus etwas Endgültiges, etwas unheimlich Letztgründiges liegt? Niemals werden wir Frauen und Mütter Deutschlands zu einem solchen System ja sagen.
({43})
Es genügt nicht, in der Welt „Frieden" zu schreien, sondern zum Frieden
({44}) gehören immer zwei,
({45}) und das Böse ist eine Realität in der Welt.
({46})
Lassen Sie mich noch einen Satz sagen.
({47})
Wir haben an den Zwischenrufen gespürt, daß es hohe Zeit ist,
({48})
zu den Verträgen ja zu sagen und unseren Beitrag zum Frieden zu leisten. Aber wir müssen bereit sein, auch für diese Arbeit am Frieden Opfer zu bringen. Schamlos aber war es, daß man in diesem Hause sagen konnte, das russische Volk wolle unter Senkung seiner ohnehin schon niedrigen Lebenshaltung seine vollen Kräfte in den Dienst der Aufrüstung stellen!
({49})
Ich möchte ein Wort für alle deutschen Frauen und Mütter sagen, die in der Vergangenheit tausendmal ihr Höchstmaß an Opferbereitschaft und Leidensfähigkeit unter Beweis gestellt haben und es in dieser Stunde im Osten noch tuen: Frieden ist mühselige Arbeit, ist Kompromiß zwischen tausend Unzulänglichkeiten. Unzulänglichkeiten haben diese Verträge, und doch werden wir ja sagen. Frauen und Mütter: wir sagen kein freudiges Ja zu den Verträgen;
({50})
es ist das stille, nicht das schreiende Ja, es ist das zögernde, das schwer abgerungene J a, ganz einfach, damit endlich Friede werde für Deutschland und für Europa. Das ist der Sinn der Verträge und das ist der Sinn unseres Ja.
({51})
Das Wort hat der Abgeordnete Fröhlich.
({0})
- Sie bekommen nachher das Wort, Herr Rische, dann haben Sie alle Chancen, die Fröhlichkeit zu erhöhen.
({1})
- Sie verzichten auf die vier Minuten?
({2})
- „Zugeschoben"? Ich weise das ausdrucklich zurück, Herr Abgeordneter Renner. Las ist die restliche Redezeit, die Herr Abgeordneter Heimann übriggelassen hat, offenbar versehentlich.
Bitte, Herr Abgeordneter Fröhlich!
Fröhlich ({3}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! per Standpunkt des Gesamtdeutschen Blocks zu den V ertragen ist der gleiche wie anlaßlich der ersten Lesung der außenpolitischen Vertrage im Juli dieses Jahres, und ich kann im allgemeinen auf die Stellungnahme verweisen, die ich damals namens meiner Partei abgegeben habe.
Im besonderen möchte ich mich heute ergänzend äußern zur Notstandsklausel in Artikel 5 des Generalvertrags, zur Bindungsklausel in Artikel 7, zur Kriegsverbrecherfrage und zur finanziellen Belastung der Bundesrepublik durch den Verteidigungsbeitrag.
Wir hätten nichts dagegen einzuwenden, wenn sich die Notstandsklausel auf alle Vertragspartner, nicht aber nur auf Deutschland allein bezöge. Denn wir glauben, daß die Gefahr innerer Unruhen bei unseren Partnern auch und viel mehr besteht als in Deutschland. Denn im Rücken der Verteidigungskräfte, die hier auf Vorposten stehen, befinden sich in Frankreich Millionen von Kommunisten.
({4})
Diese Gefahr besteht nicht nur in unserem Rücken, sondern auch in unserer tiefen südlichen Flanke, in Italien, wo ebenfalls ein Heer von Kommunisten jederzeit im Fall einer kriegerischen Verwicklung die Versorgung dieser auf Vorposten stehenden Truppen hemmen oder sogar unterbinden könnte.
({5}) Deshalb also sollte sich die Notstandsklausel auf alle Vertragspartner beziehen.
Unsere künftigen Partner haben sich vertraglich verpflichtet, für eine Wiedervereinigung Deuischlands einzutreten und alles zu tun, um diese Wiedervereinigung mit friedlichen Mitteln so schnell als möglich herbeizuführen. Kein Land der freien Welt und keiner unserer zukünftigen Partner hat die Grundprinzipien der Demokratie in dieser Frage so verletzt und das Vertrauen zur Demokratie und ihrer Anwendung in einem zukünftigen Europa so erschüttert wie Frankreich durch sein Verhalten an der Saar. Danach scheint es so, als ob es in dem aufstrebenden Deutschland einen Rivalen sieht, der gefährlicher als der Bolschewismus ist. Wo bleibt denn hier die vielgepriesene dynamische Entwicklung? Muß nicht zwangsläufig bei jedem denkenden Menschen der Eindruck entstehen, als ob Frankreich an einer Wiedervereinigung Deutschlands nichts gelegen ist? Es geht doch nicht nur um eine Wiedervereinigung Deutschlands im Osten, sondern es geht auch um eine Wiedervereinigung Deutschlands im Westen, und hierzu wird, weiß Gott, Herr Stalin nicht benötigt. Wenn wir Deutschen in der Lösung der Saarfrage ein selbstverständliches Recht fordern, ein Recht, wozu uns unsere politische Ehre und Würde verpflichtet, sind wir in den Augen französischer Politiker üble Nationalisten, dann ist es für die Franzosen nicht zumutbar, und man bezichtigt uns eines Heimwehs nach dem Hitlerismus. Man kann Frankreich nur zurufen: „Was du nicht wünschst, das man dir tu', das füg auch keinem andern zu", besonders dann nicht, wenn dieser andere mit dazu beitragen soll, Frankreich mitzuverteidigen.
Zur Kriegsverbrecherfrage. Die überwiegende Zahl unserer sogenannten Kriegsverbrecher hat nicht mehr und nicht weniger getan als das, wozu die UNO-Generale und -Soldaten in Korea und die Soldaten unserer künftigen Partner auf anderen Kriegsschauplätzen auf Grund der unerbittlich harten Kriegführung auf beiden Seiten gezwungen worden sind. Es kann einem Deutschen einfach nicht zugemutet werden, Soldat zu werden, solange Deutsche von unseren zukünftigen Partnern hinter Schloß und Riegel gehalten werden wegen sogenannter Kriegsverbrechen, die zu begehen sie aus Selbsterhaltungstrieb gezwungen waren. Es sei betont, daß wir nicht diejenigen freigelassen sehen wollen, die tatsächlich Verbrecher sind.
In diesem Zusammenhang möchte ich dem Herrn Bundeskanzler fur die personlichen und anerkennenden Worte Dank sagen, die er den Soldaten des zweiten Weltkrieges gewidmet hat. Wir Soldaten hätten allerdings diese Worte viel wohltuender und stärkender empfunden, wenn sie in einer Zeit ausgesprochen worden wären, in der es Mut kostete, sie zu sagen, in der Zeit von 1946, 1947 und 1948, als man in jedem deutschen Soldaten einen Kriegsverbrecher sah.
({6})
Heute gehört kein Mut mehr dazu, denn die deutschen Soldaten stehen heute wieder hoch im Kurs.
Was die finanzielle Belastung der Bundesrepublik anlangt, so haben wir die große Besorgnis, daß der von uns geforderte, unangemessen hohe Verteidigungsbeitrag die so dringende soziale Neuordnung hemmt, wenn nicht sogar verhindert, um so mehr, als wir heute wissen, daß der anläßlich der dritten Lesung des Lastenausgleichsgesetzes feier- leich zugesagte Betrag von 850 Millionen für die
({7})
Eingliederung der Kriegsgeschädigten nicht zur Verfügung stehen wird.
({8})
- Ja, Herr Kollege Kunze, das stimmt nicht? Dann wenden Sie sich an die Kollegen Ihrer Partei, denn sie waren die ersten, die Kritik daran geübt haben, aber nicht wir!
({9})
Es ist eine neue bittere Enttäuschung für die Kriegsgeschädigten, die sich nunmehr geradezu betrogen fühlen müssen. Man kann den Bolschewismus nicht allein mit Atombomben, Flugzeugen und Panzern in Schach halten, sondern in erster Linie durch eine gerechte soziale Neuordnung,
({10})
die aus den Millionen Habenichtsen möglichst viele Besitzende macht.
({11})
Sie können von den Millionen Flüchtlingen und Ausgebombten, von denen heute noch mehr als 400 000 unnötigerweise in Baracken und Elendsquartieren hausen, von den Empfängern von Mindestrenten und Fürsorgeunterstützung nicht verlangen, daß sie für diesen Elendszustand auch nur das Messer aus der Tasche zu ziehen bereit sind, um diesen Zustand zu verteidigen!
({12})
Wenn der Herr Bundeskanzler diejenigen, die bewußt oder unbewußt den Verträgen die Zustimmung versagen, den schweren Vorwurf macht, sie würden damit Herrn Stalin unterstützen, dann gilt, Herr Bundeskanzler, das gleiche für diejenigen, die als Apostel durch die Lande gezogen sind und erklärt haben, daß die deutsche Wirtschaft für den Lastenausgleich nicht mehr als 2 Milliarden jährlich aufbringen könne, während Sie wenig später bedenkenlos 850 Millionen monatlich als Verteidigungsbeitrag angeboten haben.
({13})
Wir haben auch die Hoffnung aufgegeben, daß unsere Schicksalsgenossen im Bundeskabinett in Zukunft die viel gerühmte Dynamik in der Ausweitung der Mittel für den Lastenausgleich entwickeln werden.
Der Gesamtdeutsche Block vertritt nach wie vor die Meinung,
({14})
daß eine freiheitliche, demokratische Ordnung gegenüber den totalitären Machtbestrebungen der Sowjetunion, die Freiheit der Persönlichkeit, die Freiheit des Geistes und die Erhaltung des Eigentums in der freien europäischen Welt nur stabilisiert werden können durch eine Eingliederung der Bundesrepublik in den Kreis der freien Nationen des Westens. Wir bekennen uns zu einem freien Europa und haben den Vertrag über die Montan-Union als den ersten Schritt zu diesem Ziel trotz schwerster. Bedenken gebilligt, aber in der Erwartung, daß der Zustimmung der Mehrheit des Bundestages zu diesem ersten Vertragswerk eine Entwicklung folgen würde, die der Bundesrepublik in den außenpolitischen Verträgen einen Platz als gleichberechtigter Partner sichern würde.
({15})
In dieser Erwartung fühlen wir uns bitter enttäuscht und sehen uns nach sorgfältiger Prüfung des Für und Wider in den Verträgen nicht in der Lage, ihnen zuzustimmen. Ich erkläre aber in aller Aufrichtigkeit für meine Partei, daß sie bereit wäre, ihren derzeitigen ablehnenden Standpunkt zu überprüfen, wenn in der Zukunft eine Entwicklung eintreten sollte, wie sie der Herr Bundeskanzler in sehr optimistischen Betrachtungen vorausgesagt hat. Heute aber fehlt uns hierzu der Glaube.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kather.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit denselben Worten beginnen, mit denen ich meine Ausführungen schloß, als ich zum letzten Male von der gleichen Stelle zu dem gleichen Thema sprach: .,Die Beteiligung an dem Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung Europas ist für uns alle nur unter dem Gesichtspunkt tragbar und annehmbar, daß wir auf diese Weise - und nur auf diese Weise - den Frieden erhalten können."
Es geht in der Tat um den Frieden, und es geht um Europa, das uns den Frieden bringen und erhalten soll. Dabei haben die 10 Millionen Vertriebenen und Flüchtlinge, die in der Bundesrepublik Aufnahme gefunden haben, ein gewichtiges Wort mitzureden. Sie sind die geborenen Europäer kraft ihrer Herkunft und auf Grund ihres Schicksals. Sie und ihre Vorfahren haben seit Jahrhunderten an Grenzen gelebt und Grenzen verteidigt. Deshalb und auf Grund ihres Vertreibungsschicksals sind sie in erster Reihe dafür aufgeschlossen, eine neue Völkergemeinschaft, ein neues Europa aufzubauen, in dem Grenzfragen nicht mehr die gleiche verhängnisvolle Rolle spielen wie in der Vergangenheit.
Die Vertriebenen bringen Kenntnisse und Erfahrungen mit, die für unsere Diskussion wertvoll sind. Sie kennen den Osten, sie kennen die Russen und die bolschewistische Ideologie.
({0})
Sie haben diese Kenntnis mit dem Tod von Millionen ihrer Schwestern und Brüder bezahlt.
({1})
Sie sind insoweit frei von Illusionen. Sie werden bei allen Erwägungen, die Sie anzustellen haben, nie, auch nicht einen Augenblick lang, vergessen können, wem sie die Austreibung und damit ihr hartes Los zu verdanken haben.
({2})
Sie haben nie daran gedacht, ihre Heimat mit Waffengewalt wiedergewinnen zu wollen. In der Charta der deutschen Heimatvertriebenen, deren Verkündung jetzt schon zweieinhalb Jahre zurückliegt, heißt es:
Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung. Dieser Entschluß ist uns ernst und heilig im Gedenken an das unendliche Leid, welches insbesondere das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat. Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können.
({3})
Ich muß es deshalb als eine Verleumdung kennzeichnen, wenn im Ausland immer wieder die Be({4})
hauptung verbreitet wird, die Vertriebenen und ihre Organisationen erstrebten einen Krieg zur Wiedergewinnung ihrer Heimat.
({5})
Diese Darstellung steht nicht im Widerspruch zu der Tatsache, daß das Recht auf die Heimat, das in unserer Charta als ein von Gott geschenktes Grundrecht der Menschheit besonders herausgestellt ist, und zwar mit dem Vorrang vor allen anderen Ansprüchen, für uns ein unverzichtbares Recht ist und immer bleiben wird.
Ich muß in diesem Zusammenhang schärfsten Protest gegen den Leitartikel in der „Welt" vom heutigen Tage einlegen. Wenn sich dort Formulierungen finden wie „Wiedereroberungspsychose", „emotionale Politik mit Heimat", „Rauschzustände" usw., so muß ich feststellen, daß die Haltung der Vertriebenen in ihrer Gesamtheit zu solchen Unterstellungen keinen Anlaß gegeben hat.
({6})
Wenn die Vertriebenen sich mit den Verträgen beschäftigen, so gilt ihre erste und ihre Hauptsorge diesem Recht auf die Heimat. Sie hätten ihrer Meinung nach erwarten dürfen, daß ihre Bereitschaft zur Schaffung und Verteidigung eines freien Europas in Gemeinschaft mit dem Westen unsere Vertragspartner dazu veranlassen würde, ein Bekenntnis zu unserm Anspruch auf die Heimat abzulegen. Das war doch, weiß Gott, nicht zuviel verlangt. Die angelsächsischen Mächte haben auf den Konferenzen in London und Moskau selbst die Rückgliederung der landwirtschaftlich genutzten Teile des deutschen Ostens gefordert. Die Westmächte werden um diese Anerkennung unseres Anspruchs nicht herumkommen, wenn sie sich nicht mit den Grundsätzen ihrer eigenen Atlantikcharta in Widerspruch setzen wollen.
({7})
Dort haben sie territoriale Veränderungen gegen den Willen der Betroffenen abgelehnt und das freie Selbstbestimmungsrecht der Völker ausdrücklich anerkannt.
Durch diese bedauerliche Unterlassung im gegenwärtigen Zeitpunkt ist die Bereitschaft der Vertriebenen zur Integration ganz bestimmt nicht gestärkt worden.
Ich vermag nicht zu beurteilen, ob von unserer Seite bei den Verhandlungen unser Standpunkt gerade in dieser Frage mit dem erforderlichen Nachdruck vertreten worden ist. Ich hätte sehr gewünscht, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Erklärung vorgestern deutlichere Formulierungen gefunden hätte, als es der Fall war. Ich darf ihn daran erinnern, daß er als Parteichef in seiner Neujahrsbotschaft zur Jahreswende 1946/47 erklärt hat: kein christlich-demokratischer Staatsmann wird jemals die Oder-Neiße-Linie durch seine Unterschrift als deutsche Ostgrenze anerkennen. Ein solch klares Wort wäre auch heute wohl angebracht.
Wenn wir uns darüber klargeworden sind, was der Vertrag nicht bringt, nämlich keine Anerkennung unseres Heimatrechtes durch die Vertragspartner, dann müssen wir auch die Frage untersuchen, was er positiv bringt. Diese Frage ist in der gemeinsamen Entschließung der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP und FU Umdruck Nr. 727 beantwortet, deren Begründung ich jetzt gleichzeitig vornehmen darf. Dort heißt es:
Die dem Friedensvertrag vorgreifenden Veränderungen des deutschen Staatsgebiets werden
nicht anerkannt; sie haben keine Rechtsgültigkeit.
Dieser Satz deckt sich mit der Bestimmung des Vertrags, wonach die Festlegung der Grenzen bis zum Friedensvertrag aufgeschoben wird. Die Entschließung sagt weiter:
Die Wiedervereinigung Deutschlands darf sich nicht auf die Wiedervereinigung der deutschen Gebiete diesseits der Oder-Neiße-Linie mit der Bundesrepublik beschränken. In einem frei zu vereinbarenden Friedensvertrag sind die deutschen Grenzen so festzulegen, daß sie die Grundlage für einen dauerhaften Frieden bilden.
Auch diese beiden Sätze stimmen mit Art. 7 des Vertrages überein. Ihre Feststellungen sind meiner Ansicht nach unangreifbar.
Nun kommt das, was im Vertrag nicht enthalten ist, eine Interpretation des Begriffes „Grundlage für einen dauerhaften Frieden". Die Entschließung sagt darüber:
Ein dauerhafter Frieden kann nur gegründet werden auf die Anerkennung der allgemeinen Menschenrechte, insbesondere des Rechts der persönlichen Freiheit, von dem auch das Recht umfaßt wird, in der angestammten Heimat zu leben und über Staatsform und Staatsangehörigkeit selbst zu bestimmen.
Diese ergänzende Vertragsauslegung wird von unseren Vertragspartnern mit Erfolg nicht angegriffen werden können. Will man die allgemeinen Menschenrechte, insbesondere das Recht auf Freiheit und den Anspruch darauf, in der angestammten Heimat zu leben, oder das Selbstbestimmungsrecht der Völker anzweifeln? Das wäre wohl weder bei den Franzosen noch bei den Unterzeichnern der Atlantikcharta gut vorstellbar. Erkennt man aber unsere Auslegung an und beachtet man sie, dann kann unser Heimatrecht bei den künftigen Friedensverhandlungen nicht zu kurz kommen.
Abschließend ist festzustellen, daß wir die optimale Lösung - Anerkennung unseres Rechts seitens der Vertragspartner - nicht erreicht haben, daß der Vertrag aber unser Recht nicht nur unberührt läßt, sondern uns die richtige und vom Bundestag festzulegende Auslegung der vertraglichen Bestimmungen darüber hinaus in die Lage versetzt, den Kampf um unser Recht in einer günstigeren und aussichtsvollen Position fortzusetzen.
({8})
Die klare Stellungnahme des Bundestags in der von uns gemeinsam erarbeiteten Entschließung ist für die Vertriebenen allerdings eine conditio sine qua non.
Wenn ich mir nun aber überlege, ob ich als Vertriebener nein zu dem ganzen Vertragswerk sagen muß, weil die Partner keine klare Stellung bezogen haben, so muß ich mir die weitere Frage vorlegen: Was erreiche ich mit dem Nein? Damit erhebt sich die Frage nach der Alternative. Und da lande ich unweigerlich bei der in Warschau und Prag feierlich beschworenen Friedensgrenze.
({9}) und bin mit meinem Latein zu Ende.
({10})
Wenn die Russen uns die Heimat nicht nehmen
wollten, hätten sie uns nicht zu verjagen brauchen
({11})
({12})
oder hätten zumindest sieben Jahre Zeit gehabt, sie uns wiederzugeben. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern; das hat der Notenwechsel der jüngsten Zeit zur Genüge sichtbar gemacht.
({13})
In diesem Zusammenhang muß ich aber noch etwas vorbringen. Das ist die Frage, ob wir alles getan haben, um unser Heimatrecht in der Welt zur Geltung zu bringen. Ich hatte gestern den Besuch eines Vertriebenen, der gerade von einer Reise zurückkam, die ihn nach Australien und Südamerika geführt hatte. Er sagte mir, daß die Polen und Tschechoslowaken überall in der Welt sehr rührig sind, daß sie allenthalben für ihre Sache werben und Einfluß gewinnen, daß aber von einer Tätigkeit unsererseits in gleicher Richtung nichts zu spüren ist. Das gleiche negative Bild zeichnete mir ein befreundeter Geistlicher, der vor einigen Wochen aus Nordamerika kam. Wenn unser Recht von unseren Vertragspartnern nicht anerkannt worden ist, dann sollten wir wohl nicht außer acht lassen, daß auch von unserer Seite viel versäumt worden ist.
Lassen Sie mich noch auf die beiden anderen Punkte der Entschließung eingehen, die sich mit den weiteren Bedenken befassen, die in dem Schreiben des Zentralverbandes der vertriebenen Deutschen an den Herrn Bundeskanzler angesprochen worden sind. Dabei geht es zunächst um den Art. 3 im Sechsten Teil des Überleitungsvertrags. In der Entschließung ist zum Ausdruck gebracht, daß die „Vermögenswerte, die im Saargebiet, in der sowjetisch besetzten Zone, in den deutschen Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie und im Bereich der Ostblockstaaten belegen sind, von Art. 2 bis 5 dieses Teils des Überleitungsvertrages nicht betroffen" werden. Diese Auslegung ist uns nicht nur von den Sachverständigen der Bundesregierung vor einigen Tagen in einem Gespräch bestätigt worden, sie stimmt auch mit dem Bericht des Ausschusses auf Seite 83 der Drucksache Nr. 3900 überein, in dem ausgeführt ist, daß Art. 2 bis 5 nur für das Gebiet der Bundesrepublik Geltung haben. Ich glaube, daß diese Auffassung auch hier im Bundestag nicht auf Widerspruch stößt, und möchte daher annehmen, daß dieses Bedenken ausgeräumt ist.
Letztens muß ich mich mit Art. 1 des Neunten Teils des gleichen Vertrages beschäftigen. Darin ist bestimmt, daß aus Maßnahmen, die in der Zeit vom 1. September 1939 bis zum 5. Juni 1945 wegen des Kriegszustandes getroffen worden sind, Ansprüche gegen bestimmte Staaten - praktisch sind es alle, die in Betracht kommen - und ihre Staatsangehörigen nicht erhoben werden können, auch nicht vor einem Gericht der Bundesrepublik. Diese Bestimmungen gelten vorbehaltlich der endgültigen Regelung im Friedensvertrag. Die Entschließung hebt noch einmal hervor, daß es sich nur um eine vorläufige Regelung handelt, und stellt fest, daß diese Bestimmungen keinen Verzicht auf die gerechtfertigten Ansprüche der Vertriebenen enthalten. Beides ist richtig. Aber beide Feststellungen ändern nichts an der Tatsache, daß diese Rechtsbeschränkungen bei den Vertriebenen einen sehr ungünstigen Widerhall hervorrufen müssen, auch wenn es sich nur um Beschränkungen auf Zeit handelt und auch wenn, was zugegeben werden muß, an dem augenblicklichen, durch die Tatsachen und die Machtverhältnisse begründeten Zustand praktisch nichts geändert wird.
Ich möchte nun, nicht mehr zur Begründung der Entschließung, sondern zur Kritik des Vertrages sagen, daß diese Vereinbarung der Bundesrepublik und ihrer Vertragspartner eine besondere Verpflichtung gegenüber den Vertriebenen und Flüchtlingen begründet. Wenn man sich dazu entschlossen hat, einen Rechtsstopp einzuführen, der Ansprüche aus allen Kriegsmaßnahmen einschließlich des Vertreibungstatbestandes umfaßt, dann erwächst daraus zweifellos gegenüber den vorübergehend rechtlos Gestellten die Verpflichtung, sich in der Zwischenzeit ihrer ganz besonders anzunehmen, für sie zu sorgen und sie vor weiterem Schaden zu bewahren.
({14})
Damit ist erneut die enge Verbindung zwischen dem Verteidigungsbeitrag und der sozialen Leistung offenbar geworden.
({15})
Ich habe schon wiederholt Gelegenheit gehabt, auf diesen Zusammenhang, auf die Rivalität zwischen Lastenausgleich sowie Eingliederung der Geschädigten einerseits und Wehrbeitrag sowie Aufrüstung andererseits hinzuweisen. Dieser Zusammenhang und diese Rivalität können nicht bestritten werden. Ich muß mich auch heute wieder darauf berufen, daß in dem Regierungsentwurf zum Lastenausgleich ausgeführt ist, daß jede Leistung für den Lastenausgleich auch als echter Verteidigungsbeitrag zu bewerten ist. Ich kann ja einen in dieser Hinsicht unverdächtigeren Zeugen als Herrn Schäffer nicht finden.
({16})
Ich muß bei dieser Gelegenheit feststellen, daß die Bundesregierung mit ihren Leistungen zum Lastenausgleich stark im Verzug ist. Insofern hat Herr Fröhlich völlig recht, wenn er vielleicht auch in der Zahl um 200 Millionen DM zu hoch gegriffen hat. Ich kann die Besorgnis nicht unterdrücken, daß es mit unserer Verteidigung nicht zum Besten aussehen wird, wenn das Kabinett dort mit gleicher Schnelligkeit und Tatkraft arbeitet wie bei der Durchführung des Lastenausgleichs.
({17})
Es fehlen an den für den Lastenausgleich vorgesehenen Leistungen für 1952 650 Millionen DM.
({18})
- Ich bin kein Prophet, lieber Kinat!
({19})
- Auch dann hätte ich ja gesagt. - Die von der Regierung gemachte Zusage, dem Fonds über die Anlaufsschwierigkeiten - es handelt sich um 300 Millionen DM - durch Kredite hinwegzuhelfen, ist bisher nicht eingehalten worden. Die Vorfinanzierung in Höhe von 350 Millionen DM, die zum Teil, und zwar in Höhe von 200 Millionen DM, durch eine Anleihe über die Lastenausgleichsbank vorgenommen werden sollte, ist ebenfalls noch nicht erfolgt. Diese Anleihe ist bereits am 21. Oktober vom Kontrollausschuß beim Lastenausgleichsamt verplant worden. Das Geld soll also bis Ende März nächsten Jahres ausgegeben sein, und noch hat das Kabinett die Voraussetzungen für diese Anleihe nicht geschaffen. Dagegen ist für andere Zwecke eine Bundesanleihe von 500 Millionen DM aufgelegt worden, an die noch kein Mensch gedacht hat, als der Bundestag am 16. Mai 1952 unserer Anleihe seine Zustimmung gab. Ich muß zu meinem Bedauern feststellen, daß die Auflegung der 500-Millionen-Anleihe mit den Vereinbarungen
({20})
vom Mai, die in Gegenwart und mit Zustimmung des Bundesfinanzministers getroffen worden sind, schlechterdings unvereinbar ist.
({21})
- Ja, das ist ein sehr schwacher Trost, Herr Mellies.
({22})
Hier kann der Bundesfinanzminister auch nicht sagen, daß sein Etat in Unordnung gebracht wird. Es geht nur um Vorfinanzierungen.
({23})
Das Bundeskabinett kommt um die Erfüllung seiner Zusage nicht herum. Die Geschädigten werden sich auch nicht eine Mark abhandeln lassen, und das, lieber Kinat, ist der Wert der Unterschrift, die ich damals bekommen habe.
({24})
Es ist das Kennzeichen einer klugen Politik, das Notwendige und Unvermeidliche schnell und entschlossen zu tun.
({25})
Das Kabinett hat wenigstens den Vertriebenen gegenüber eine entgegengesetzte Politik verfolgt. Es entwertet die Politik seiner eigenen Parteien dadurch, daß es die von ihnen beschlossenen notwendigen Maßnahmen immer zu spät und erst unter Druck durchführt und sie damit ihres politischen Nutzeffekts entkleidet.
({26})
So schafft man nicht die Voraussetzungen - ({27})
- Meine Damen und Herren, zeigen Sie mir erst einmal ein Mitglied Ihrer Partei, das im umgekehrten Fall so zu sprechen wagen würde!
({28})
So schafft man nicht die psychologischen Voraussetzungen für einen gemeinsamen Aufbau Europas.
({29})
Wenn ich mich trotzdem heute nicht zu einem Nein entschließen kann, so deshalb, weil seine Folgen mich schrecken. Ein Nein könnte zu einer Entwicklung führen, bei der von einem Lastenausgleich bald keine Rede mehr sein würde.
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Wir brauchen ja nur nach der sowjetisch besetzten Zone zu blicken.
({31})
Der dort exerzierten Lösung des Vertriebenenproblems möchte ich die unsere bei aller Kritik doch vorziehen.
({32})
Ich zitiere aus einem Leserbrief, der in der gestrigen Nummer der „Stimme" veröffentlicht worden ist. Ein Schlesier, der jetzt in Weimar wohnt, schreibt folgendes:
Der Sinn meines Schreibens ist, die Heimatvertriebenen in Westdeutschland zu warnen. Es geht ihnen in Westdeutschland schlecht. Die Rente ist auch nicht sehr hoch; aber sie bekommen wenigstens etwas für dieses Geld zu kaufen. Die Heimatvertriebenen werden doch nicht ihre Metzger selber wählen. Sie dürfen niemals vergessen, daß die Pieck und Grotewohl zusammen mit Stalin unsere Heimat verraten haben.
({33})
Diese Zustände in der Sowjetzone, für die alle Alliierten eine Mitverantwortung tragen, geben mir doch Veranlassung, unseren Vertragspartnern kurz zu sagen, daß sie sich doch wohl darüber im klaren sein müssen, daß hier dem deutschen Volk durch die ständige Verschärfung des Problems mehr auferlegt wird, als es tragen kann, und daß sie doch wohl etwas mehr als bisher zur Linderung und Beseitigung dieser Not beitragen müssen, bei aller Anerkennung dessen, was insbesondere das amerikanische Volk schon für uns getan hat.
({34})
Bei der Entscheidung, die wir heute und bei der dritten Lesung dann endgültig zu treffen haben, geht es um eine persönliche Gewissensentscheidung, und wir stehen unter einer Verantwortung, die uns niemand abnehmen kann.
Selbstverständlich würde eine einmütige Stellungnahme der Vertriebenen-Organisationen, insbesondere für die heimatvertriebenen Abgeordneten, nicht ohne erhebliche Bedeutung sein. Aber eine solche einmütige Stellungnahme liegt nicht vor.
({35})
Bei den Gesprächen, die wir vor einigen Tagen mit den Sachverständigen der Bundesregierung hatten und die zu der oben erwähnten Entschließung den Anstoß gegeben haben, war die Mehrzahl der Teilnehmer, darunter auch die Vertreter der beiden größten Landsmannschaften, positiv zum Vertragswerk eingestellt. Aber auch diese Persönlichkeiten haben nur für sich selbst sprechen können.
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Umgekehrt habe ich gestern - und nun kommt etwas für Sie! - ein Telegramm vom Landesverband des Bundes der vertriebenen Deutschen in Baden-Württemberg erhalten, durch das mir eine einstimmige Entschließung des dortigen Vorstandes gegen die Verträge übermittelt worden ist mit der Bitte, diese Entschließung den heimatvertriebenen Abgeordneten des Bundestags bekanntzugeben. Dieses Auftrags entledige ich mich hiermit.
({37})
So gehen die Meinungen auseinander.
({38})
Es ist auch aus diesem Grunde zu begrüßen, daß die endgültige Entscheidung noch um einige Zeit hinausgeschoben wird.
({39})
Ob es in der Zwischenzeit gelingt, bei den Vertriebenen zu einer einheitlichen Willensbildung zu kommen, bleibt abzuwarten.
Der Aufschub ist auch deshalb zu begrüßen, weil die Bundesregierung dadurch noch einmal Gelegenheit erhält, zu zeigen, ob sie nunmehr die gegebe({40})
nen Versprechungen beschleunigt erfüllen und endlich eine aktive und konstruktive VertriebenenPolitik treiben wird.
({41})
Wenn sie das tut, aber auch nur dann, könnte ich mir vorstellen, daß die Mehrheit der Vertriebenen eher für ein Ja als für ein Nein zu haben sein würde, das doch stets in einem gewissen Widerspruch zu ihrem eigenen Schicksal stünde.
({42})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Meyer-Laule.
Meine Herren und Damen! Es wurde in der Debatte so viel über die Gleichberechtigung gesprochen, daß ich die Frage an die Befürworter der Verträge richten möchte: Haben Sie vergessen, daß Hunderttausende von Familien, nämlich die Besatzungsverdrängten, von dieser versprochenen Gleichberechtigung ausgeschlossen sind?
({0})
Ein Vertragssystem, das auf der Basis der Gleichberechtigung beruht, müßte den bis heute bestehenden Zustand der Verdrängten nicht nur auflockern, sondern völlig beseitigen. Haben Sie, Herr Bundeskanzler, bei Ihren Verhandlungen diese Frage mit dem Ernst und dem Nachdruck behandelt, den sie verdient? Jeder Bürger hat Anspruch darauf, daß der Staat, vor allem der demokratische Staat, sein privates Eigenturn schützt. Wenn er es nicht tut, entzieht er den Betroffenen den Schutz der Grundrechte und stellt sie außerhalb des Grundgesetzes. Wir sind der Meinung, daß das Grundgesetz und die Konvention der Menschenrechte auch für die Besatzungsverdrängten gelten müßten. Die Unantastbarkeit des höchstpersönlichen Eigentums gehört zu den Rechten die das Fundament aller westlichen, christlichen und demokratischen Verfassungen, auch unseres Grundgesetzes, bilden. Die Achtung und Verteidigung dieser Rechte sind es, die die Westmächte von den östlichen Staaten unterscheiden.
Leider läßt sich feststellen, daß ein großer Teil des deutschen Volkes achtlos, oft mitleidlos den von den Besatzungsmächten geschaffenen Zustand als ein Fatum hinnimmt. Aus dem mir zur Verfügung gestellten Material geht klar hervor, daß keine Aussicht besteht, daß die amerikanische Wehrmacht die beschlagnahmten Objekte in nächster Zukunft freigibt. Die Verträge bringen nur eine Versteinerung des bestehenden Zustandes. Es ist billig zu sagen, andere hätten durch den Krieg viel mehr verloren. Hier steht die Anerkennung des Völkerrechts und die Anerkennung der Haager Landkriegsordnung zur Debatte. Es ist doch ein Unterschied, ob beschlagnahmt wird auf Grund des Sieges ohne Fraternisation oder ob eine echte Kameradschaft verpflichtet, kriegsbedingte Verfügungen auch unter Aufgabe persönlicher Bequemlichkeiten für die Gasttruppen rückgängig zu machen.
({1})
Ist es von den Alliierten zu verantworten - in
einer Zeit ungeheurer Wohnungsnot -, daß die
beschlagnahmten Wohnungen, Häuser, Hotels und Pensionen unterbelegt sind und es trotzdem nicht erlaubt wird, daß Deutsche die überflüssigen Wohnräume beziehen, weil die anderen behaupten, man könne mit uns nicht gemeinsam unter einem Dache wohnen?
({2})
Soll diese Maßnahme den Geist der Kameradschaft stärken, der die Soldaten in der EVG verbinden soll?
({3})
Auf was sich die hartnäckige Weigerung der Amerikaner stützt, wissen wir nicht. Wir wissen nur, daß diese Weigerung nichts mit der neuen Partnerschaft - oder mit der versprochenen Partnerschaft - zu tun hat. Wir haben an den Herrn General Handy unter dem 30. Oktober einen sehr höflichen Brief geschrieben, in dem wir ihn gebeten haben, einen Sachbearbeiter der Fraktion zu empfangen, um vor dieser Debatte doch einige uns wesentlich erscheinende Punkte über die Beschlagnahmen zu klären. Dieser Brief wurde bis heute nicht beantwortet.
({4})
Der Respekt vor dem deutschen Parlament muß auch von den uniformierten Vertretern der Alliierten erwartet werden, selbst wenn es gilt, unangenehmen Fragen ausgesetzt zu sein.
({5})
({6})
Das Problem der Besatzungsgeschädigten und das Problem Besatzungsmächte droht viele deutsche Menschen dem demokratischen Staatsgedanken und dem Rechtsglauben zu entfremden. Wenn wir vor den vielen Betroffenen - und wir kennen sie alle, wenn wir uns an die Versammlungen zurückerinnern - von einer echten Partnerschaft reden, meine Damen und Herren, dann werden wir einfach ausgelacht.
({7})
Die offene Hand, die der Herr Finanzminister in den letzten Monaten gehabt hat, hilft nicht darüber hinweg. Ich meine die bewilligten Gelder für Wohnungsbauten. Wir haben den Eindruck, daß nicht die Not der Besatzungsverdrängten den Herrn Finanzminister hierzu veranlaßt hat, sondern daß ihm daran lag, diesen psychologischen Feldzug zu führen, um damit ein Widerstandszentrum gegen die Verträge zu beseitigen.
({8})
Für den Bau von Wohnungen für Besatzungsgeschädigte hat der Herr Bundesfinanzminister, soviel wir wissen und unterrichtet sind, 75 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Angesichts der großen . Zahl beschlagnahmter Wohnungen im ganzen Bundesgebiet reicht diese Summe keineswegs aus, den Betroffenen eine fühlbare Erleichterung zu bringen. Man kann ihnen aber auch nicht länger zumuten, auf ihre Grundrechte zu verzichten, nur weil der Herr Finanzminister erklärt hat, er könne keine weiteren Mittel zur Lösung dieser Frage zur Verfügung stellen.
({9})
Es wäre schon viel geholfen, wenn die Besatzungsangehörigen durch eine gewisse Sparsamkeit Verständnis für die Nöte ihrer neuen Verbündeten zeigten.
({10})
({11})
Die hohen Ansprüche, die an Wohnungen und Einrichtungen gestellt werden, entsprechen nicht den Notwendigkeiten einer Verteidigungstruppe. Wer hohe Anforderungen stellt, soll sie eben finanzieren.
Es kommt noch eine menschlich bedeutsame Frage hinzu, die primäre Frage der Besatzungsverdrängten. Die Verdrängten wollen nämlich für sich keinen Wohnungsbau. Sie wollen, daß das Finanzministerium Geld zur Verfügung stellt, damit für die Besatzungsangehörigen gebaut wird. Sie wünschen ja nichts weiter, als in ihre Wohnungen und ihre Heime zurückkehren zu dürfen.
({12})
Wir kennen noch nicht einmal, Herr Finanzminister, die genauen Zahlen der Verdrängten. Wir kennen auch nicht die Zahlen der Objekte, aus denen sie vertrieben sind,
({13})
und ich möchte Sie nun einmal fragen: Beugen Sie sich immer noch dem Diktat der Alliierten, die ja verboten haben, dieses Zahlenmaterial bekanntzugeben?
({14})
- Ich glaube, daß die Verträge gerade keine Besserung für die Besatzungsverdrängten bringen.
({15})
Erschütternd ist doch jene Gegenüberstellung, welche Privilegien und welchen Luxus die Besatzungsangehörigen beanspruchen im Vergleich zu dem Elend der Besatzungsverdrängten. Erst kürzlich hat sich ein französischer General in der französisch besetzten Zone einen Wohnwagen bauen und einrichten lassen für sage und schreibe 190 000 Mark!
({16})
Aber ich möchte darüber hinaus an den Herrn Finanzminister auch die dringende und herzliche Bitte richten, die Besatzungspersonengeschädigten nicht ganz zu vergessen. Nach unserer Auffassung müssen zwei Grundforderungen gestellt werden. Erstens muß der Bund unverzüglich den Bau der erforderlichen Gebäude für die Mitglieder der Streitkräfte durchführen, so daß den Besatzungsverdrängten für einen bestimmten und absehbaren Zeitpunkt die Rückgabe ihrer Heime und ihrer Habe zugesichert werden kann. Zweitens muß die Entschädigung zum vollen Wert, bei Sachen zum Wiederbeschaffungswert geleistet werden.
Die Behandlung des Problems der Besatzungsverdrängten ist ein Beispiel für die schlechte Verhandlungsarbeit der Bundesregierung im einzelnen. Nicht nur materielle Interessen, auch Grundrechte wurden mit Füßen getreten. Auf der anderen Seite ist diese Behandlung eine Illustration von vielen für den wirklichen Gehalt der behaupteten gleichberechtigten Partnerschaft bei diesen Verträgen.
Meine Redezeit ist leider schon abgelaufen, aber das möchte ich Ihnen doch noch sagen. Herr Kollege Strauß, Sie haben einmal so warmherzige Worte für die Besatzungsverdrängten gefunden. Deshalb möchte ich Sie ganz besonders bitten, unserm Antrag zuzustimmen. Sie haben an einen verdrängten Petenten einen Brief geschrieben, der mich mehr als erstaunt hat
({17})
und in dem ein Satz steht, den ich dem Hohen
Hause mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten vorlesen möchte:
Unter diesen Umständen sind Ihre fortlaufenden Schreiben nicht nur höchst überflüssig, sondern in ihrem Inhalt beleidigend für mich. Wenn Sie glauben, daß die CDU/CSU und die von ihr getragene Bundesregierung am Lose der Besatzungsverdrängten schuld ist, dann kann ich Ihnen nur raten, daß Sie sich an die SPD oder meinetwegen an die OstzonenRegierung wenden.
({18})
Nach den Reden des Herrn Bundeskanzlers und nach der Rede von Herrn Tillmanns wundert es mich allerdings nicht, daß der Impfstoff bei Ihnen angegangen ist.
({19})
Auf jeden Fall freue ich mich, feststellen zu können, Herr Kollege Strauß, - ({20})
- Nein!
({21})
- Auf jeden Fall, Herr Kollege Strauß - ich mache Ihnen jetzt ein Kompliment -, freut mich Ihre Feststellung, daß die Verdrängten sich an die SPD zu wenden haben,
({22})
weil Sie damit dokumentieren, daß w i r es sind, die sich gerade dieser Menschen und der Ärmsten der Armen annehmen.
({23})
Das Wort hat der Abgeordnete Bazille.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil die deutsche Sozialdemokratie wohl über jeden Vorwurf erhaben sein dürfte,
({0})
sich zum Sprecher von Untaten zu machen, die von Angehörigen des deutschen Volkes während der Herrschaft des Naziregimes begangen worden sind, darf ich, zur Begründung unseres Antrags, ein paar ernste Worte zur Frage der Verurteilten und Gefangenen an das Hohe Haus richten.
Als dieses Problem im Zusammenhang mit dem Vertragswerk auftauchte, wurde argumentiert, daß es mit der Ehre des deutschen Volkes im allgemeinen und mit der Ehre des deutschen Soldaten im besonderen nicht zu vereinbaren sei, den Verträgen zuzustimmen, ehe nicht der letzte Inhaftierte aus westlichem Gewahrsam in die Freiheit zurückgekehrt sei. Wir haben uns gegenüber dieser These von Anfang an sehr zurückgehalten, angesichts der Tatsache, daß unter dem unseligen Begriff „Kriegsverbrecher" Schuldige und Unschuldige gleichermaßen zusammengefaßt sind. Aus diesem Grunde halten wir auch diese Definition für unzulässig, weil sie unvereinbar sowohl mit der Rechtslage als auch mit den Sachverhalten im einzelnen ist. Wir verwahren uns auch gegen alle Versuche, eine Kollektivschuld oder, was von nicht geringerer Bedeutung ist, eine Kollektivunschuld zu konstruieren.
Die hier geschaffene Atmosphäre war es wohl, die den ehemaligen Fallschirmgeneral Ramcke zu
({1})
seinen verstiegenen und unverantwortlichen Redereien ermuntert
({2})
und die Voraussetzungen geschaffen hat für das Abgleiten der Diskussion in jene gefährlichen Grenzbereiche, in denen versucht wurde, die Schuldfrage in ihr Gegenteil zu verkehren. Ich kann es mir nicht versagen, hier festzustellen, daß diese Entwicklung dem Anliegen, das wir als Deutsche haben, unendlich geschadet und nicht zu einer Entspannung, sondern eher zu einer Verhärtung der Situation geführt hat.
({3})
In der Zwischenzeit ist es allerdings bei den Regierungsparteien bemerkenswert still geworden um jene Argumente, die damals die Gemüter so sehr erhitzt haben. An ihre Stelle ist die deutlich spürbare Tendenz getreten, denjenigen in den Reihen der Koalition, die sich zu weit ins Reich nationalistischer Ressentiments und des moralischen Zwielichts vorgewagt haben, einen ehrenvollen Rückzug zu ermöglichen. Zu diesem Zweck wird versucht, die jetzt noch Inhaftierten schlechthin als gemeine Verbrecher zu klassifizieren.
({4})
Diese Tatsache ergibt sich doch ganz deutlich aus dem Versuch einer Unterteilung zwischen Wehrmachtangehörigen und anderen Personen.
Wir sind nicht bereit, der Bundesregierung auf diesem Wege zu folgen. Denn selbst dort, wo Verurteilte schuldig geworden sind, müssen Strafmaß und Sühne in ein rechtes Verhältnis zueinander gebracht werden, wenn man sich schon angesichts der Umstände und im Hinblick auf die Verflochtenheit von Schicksal und Schuld nicht zu großzügigen Gnadenerweisen aufraffen kann. Wir müssen es ablehnen, die Untaten des Naziregimes in einer kollektiven Beurteilung nachträglich einigen wenigen zur Last zu legen und diese Unglücklichen stellvertretend für ihr Volk weit über das Maß ihrer individuellen Schuld hinaus zur Sühne heranzuziehen. Hier klafft zwischen den vertraglichen Vereinbarungen und den volltönenden Worten des Kanzlers, die eine späte Glorifizierung des deutschen Soldaten bewirken wollen, eine sichtbare Lücke. Man sollte doch auf die Versuche verzichten, solche Fragen, in denen sich die ganze furchtbare Tragik im Bereich des rein Menschlichen, die das Kriegsgeschehen mit sich gebracht hat, widerspiegelt, in die politische Agitation um das Für und Wider zum Generalvertrag einzubeziehen. Lassen wir, Herr Bundeskanzler, Begriffe, die tausendfach mißbraucht und ihres Inhalts beraubt sind, im Schoße der Vergangenheit ruhen.
Es müssen die Worte versagen, und wir können uns nur in stummer Ehrfurcht vor dem Opfergang der deutschen Jugend und des deutschen Volkes neigen, der sich aus der Erfüllung soldatischer Pflichten ergab und der von einem Meer von Blut und Tränen begleitet war. Wenn auch das Schicksal unserer Gefangenen nur einen kleinen Ausschnitt dieses Geschehens darstellt und wenn es auch nur wenige noch sein sollten, die unschuldige Opfer der Politik Adolf Hitlers sind, so müßten wir Deutschen uns doch zumindest im Bewußtsein des Rechts und der Menschlichkeit und der Gemeinsamkeit unseres Schicksals einig sein in dem Bestreben, uns für die Freiheit dieser Menschen einzusetzen. Aus diesem Grunde bitte ich das
Hohe Haus, sich dem von uns gestellten Antrag nicht zu versagen,
({5})
Das Wort hat der Staatssekretär Dr. Hallstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei hat zu den zur Erörterung stehenden Zustimmungsgesetzen eine Anzahl Änderungsanträge gestellt. Diese Änderungsanträge sind auch begründet worden. Ich habe dazu namens der Bundesregierung Stellung zu nehmen. Ich folge der Ordnung dieser Anträge in den Umdrucken Nrn. 713, 714 und 715.
Der Umdruck Nr. 713 formuliert Änderungsanträge zu dem Zustimmungsgesetz zum Deutschland-Vertrag. Unter Ziffer 1 wird beantragt, die Einleitung dieses Zustimmungsgesetzes durch die Worte „mit Zustimmung des Bundesrates" zu ergänzen. Dieser Antrag ist identisch mit einem zu dem späteren Zustimmungsgesetz gestellten Antrag in dem Umdruck Nr. 714 Ziffer 1. Was ich zu sagen habe, bezieht sich daher auch auf diesen zweiten Antrag.
Ich bemerke folgendes. Die Verkündungsformel ist nicht Gegenstand des Gesetzesbeschlusses des Bundestags. Der Bundestag kann also nicht mit Gesetzeskraft beschließen, daß ein Gesetz zustimmungsbedürftig ist. Es ist Sache des Bundesrats, über seine Kompetenz selbst zu wachen. Infolgedessen besteht für die Regierung kein Anlaß, die in den Verhandlungen der Ausschüsse des Bundesrats diskutierte Frage, ob die Zustimmung des Bundesrats erforderlich ist, hier erneut zu erörtern. Die Fassung der Verkündungsformel wird bei Ausfertigung und Verkündung des Gesetzes durch den Bundespräsidenten festgestellt, je nachdem, ob der Bundesrat zugestimmt hat oder nicht.
Unter Nr. 2 des Umdrucks Nr. 713 wird zu demselben Gesetz beantragt, hinter dem Art. II des Zustimmungsgesetzes einen neuen Art. II a folgenden Wortlauts einzufügen:
Vorbehaltlich der Regelung für die Vergangenheit wird vom Inkrafttreten des Vertrages an für Schäden, die sich aus Maßnahmen im Sinne des Artikels 37 des Truppenvertrages und des Artikels 12 des Finanzvertrages ({0}) ergeben, volle Entschädigung in Geld nach dem gemeinen Wert, bei einem nach diesem Zeitpunkt eintretenden Verlust von Sachen nach dem Wiederbeschaffungswert geleistet.
Dazu ist zu sagen: Der Antrag bezweckt eine gesetzliche Festlegung der Grundsätze für die Bemessung von Vergütungen für Leistungen zugunsten der Streitkräfte und von Entschädigungen für Schäden. Die Festlegung solcher Bemessungsgrundsätze kann nicht Gegenstand des Ratifizierungsgesetzes sein. Sie gehört vielmehr in die Gesetze, die von der Bundesrepublik zum Vollzug des Deutschland-Vertrags und des EVG-Vertrags erlassen werden müssen. Die hier in Betracht kommenden Gesetze-Bundesleistungsgesetz, Landbeschaffungsgesetz, Schutzbereichgesetz, Gesetz über die Abwicklung von Besatzungsschäden - werden dem Bundestag demnächst zugeleitet werden. Der Bundestag wird über den Inhalt dieser Gesetze frei beschließen können. Bei der Kompliziertheit der durch sie zu regelnden Fragen und im Hinblick darauf, daß die drei erstgenannten Gesetze auch für die Anforderungen der EVG-Behörden nach
({1})
dem EVG-Vertrag gelten werden, ist es unmöglich, eine einzelne Frage wie die der Bemessung der Vergütungen und Entschädigungen ohne Rücksicht auf andere damit in unlösbarem Zusammenhang stehende Fragen durch eine Vorwegnahme in dem Ratifizierungsgesetz gesondert zu regeln.
Unter Ziffer 3 a des Umdrucks Nr. 713 wird der Antrag gestellt, nach dem beantragten Art. II a einen neuen Art. II b folgenden Wortlauts einzufügen:
Die Hinterlegung der Ratifikationsurkunde ist erst zulässig,
a) wenn die Bundesregierung eine verbindliche Erklärung über den Inhalt der von den Alliierten im Jahre 1945 getroffenen Abkommen, insbesondere der französischen Erklärung zum Potsdamer Abkommen, und deren Beziehung zu den Artikeln 2 und 7 Abs. 2 des Vertrages über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten vorgelegt hat und diese Erklärung durch Beschluß des Bundestages gebilligt ist, ...
Ich bemerke dazu: Die alliierten Vier-Mächte-Vereinbarungen von 1945, die als Grundlage der drei Vorbehaltsrechte des Art. 2 von Bedeutung sind, sind die allgemein bekannten und veröffentlichten Berliner Erklärungen vom 5. Juni 1945. Der Deutschland-Vertrag nimmt auf das Potsdamer Abkommen in keiner Weise Bezug. Es ist auch nicht zutreffend, daß etwa der Art. 7 mit seinen Bestimmungen über den Friedensvertrag und die Wiedervereinigung Deutschlands nur durch ein Zurückgehen auf das Potsdamer Abkommen ausgelegt werden könnte. Das Potsdamer Abkommen enthält lediglich einige völlig unzureichende Grundsätze über die Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands und die Einrichtung gewisser zentraler Verwaltungsstellen. Im übrigen besagt es ausdrücklich, daß „einstweilen" keine deutsche Zentralregierung gebildet werden soll und daß eine „Dezentralisation der politischen Struktur" erstrebt werde. Die Ziele der Wiedervereinigung können daher keinesfalls dem Potsdamer Abkommen entnommen werden. Aus diesem Grunde ist es auch nicht von entscheidender Bedeutung, in welchem Umfange Frankreich die Verpflichtungen aus dem Potsdamer Abkommen übernommen hat. Jedenfalls ist festzustellen, daß die französische Regierung am 7. August den Grundsätzen des Potsdamer Abkommens prinzipiell zugestimmt hat.
Es ist auch nicht zutreffend, daß die Verträge irgendwelche Bezugnahmen auf andere unbekannte Viermächtevereinbarungen enthielten. Lediglich einige technische Vereinbarungen über Berlin sind nicht bekannt.
({2})
Die in dem Schreiben der drei Außenminister an den Herrn Bundeskanzler vom 26. Mai 1952 - betreffend die Aufrechterhaltung gewisser Kontrollratsvorschriften - aufgezählten Proklamationen und Direktiven enthalten keinerlei Verweisung auf unbekannte Abkommen.
Unter 3 b des Umdrucks Nr. 713 wird beantragt, innerhalb des Art. II b hinzuzufügen:
Die Hinterlegung der Ratifikationsurkunde ist erst zulässig,
b) wenn ein von der Bundesrepublik Deutschland mit Frankreich abzuschließendes Abkommen über die Behandlung der verurteilten und strafrechtlich verfolgten Kriegsge-
fangenen in französischem Gewahrsam in Kraft getreten ist.
Ich sage dazu: Die Bundesregierung steht mit der französischen Regierung in Verbindung, um ein befriedigendes Einvernehmen in der Frage der deutschen Kriegsverurteilten in Frankreich zu erzielen. Der Erfolg dieser Bemühungen würde ernstlich gefährdet werden, wenn die Frage im gegenwärtigen Zeitpunkt zum Gegenstand einer öffentlichen Diskussion oder einer förmlichen Bedingung für die Ratifikation der Verträge gemacht würde.
Unter 3 c des Umdrucks Nr. 713 wird beantragt, in demselben Art. II b unter c hinzuzufügen:
Die Hinterlegung der Ratifikationsurkunde ist erst zulässig,
c) wenn Art und Ausmaß der Entschädigung wegen einer Maßnahme, gegen die nach Artikel 3 im VI. Teil des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen die Bundesrepublik Deutschland keine Einwendungen erhebt, unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten gesetzlich bestimmt sind.
Ich bemerke dazu: Der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verträge kann nicht verknüpft werden mit dem Inkrafttreten einer gesetzlichen Regelung von Art und Umfang der Entschädigung, die gemäß Art. 5 des Sechsten Teils des überleitungsvertrags an frühere Inhaber von Auslandsvermögen zu gewähren ist. Es ist so lange nicht möglich, eine gesetzliche Entschädigungsregelung zu treffen, als der Schadensumfang noch nicht zu überblicken ist. Insbesondere werden für die Feststellung des Schadensumfangs die Verhandlungen von Bedeutung sein, die Art. 4 des Sechsten Teiles vorsieht. Hinsichtlich des Zeitpunktes für den Erlaß der Entschädigungsregelung wird die Regierung darauf bedacht sein, diejenige Beschleunigung eintreten zu lassen, die geboten ist, um eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichheit gegenüber der Behandlung anderer durch den Krieg geschädigten Personenkreise zu vermeiden. Die Bemessung der Entschädigung wird die Regelung des Lastenausgleichs und die Reichsverbindlichkeiten nicht außer acht lassen können. Auch die Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland muß ihre angemessene Berücksichtigung finden. Die Entschädigungsregelung zugunsten der früheren Inhaber von Auslandsvermögen wird daher eine sorgfältige gesetzgeberische Bearbeitung erfordern. Es kann somit nicht verantwortet werden, die Ratifizierung des Vertragswerkes bis zu dem Zeitpunkt zu verschieben, in dem die gesetzliche Regelung der Entschädigung vorliegt.
Der Umdruck Nr. 713 enthält sodann unter Ziffer 4 den Änderungsantrag, nach dem beantragten Art. II b einen neuen Art. II c mit folgendem Wortlaut einzufügen. Der Wortlaut dieses Antrags ist identisch mit dem des Antrags, der in Umdruck Nr. 714 Ziffer 3 zu dem nächsten Zustimmungsgesetz gestellt ist. Das von mir Auszuführende gilt daher auch dafür. Wortlaut:
Die Hinterlegung der Ratifikationsurkunde ist erst zulässig, wenn das Bundesverfassungsgericht die förmliche und sachliche Vereinbarkeit dieses Gesetzes mit dem Grundgesetz mit Gesetzeskraft festgestellt hat.
({3})
Dazu ist zu sagen: Die rechtliche Zulässigkeit eines solchen Zusatzes ist zu verneinen. Der Bundestag kann nur die Zustimmung erteilen oder sie verweigern. Das Zustimmungsgesetz ist die Voraussetzung dafür, daß der Bundespräsident die Ratifikation vornehmen kann. Diese Voraussetzung kann nach dem Grundgesetz nur vom Bundestag selbst, nicht aber von einem anderen Bundesorgan herbeigeführt werden. Die im vorliegenden Fall geforderte Bedingung kann schließlich um so weniger beigefügt werden, als die Erfüllung der Bedingung im Willen der Minderheit steht; denn die zur Bedingung erhobene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann nur ergehen, wenn die Minderheit den Antrag auf Normenkontrolle stellt.
({4})
- Ich komme darauf. - Durch Unterlassung dieses Antrags könnte die Minderheit den Eintritt der Bedingung vereiteln. Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß auch die Bundesregierung den Antrag auf Normenkontrolle stellen könnte. Die Bundesregierung hat keinen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zustimmungsgesetze. Sie kann daher durch Beifügung der von der SPD-Fraktion geforderten Bedingung nicht genötigt werden, den Antrag auf Normenkontrolle zu stellen.
Ich komme zum Umdruck Nr. 714. Ich brauche
nicht mehr zu den Punkten 1 und 3 zu sprechen,
die mit den Punkten 1 und 2 des Umdrucks Nr. 713
identisch sind. - Zu Ziffer 2 des Umdrucks Nr. 714
beantragt die Fraktion der Sozialdemokratischen
Partei, nach Art. III des Zustimmungsgesetzes zum
EVG-Vertrag folgenden Art. III a einzufügen:
Die Hinterlegung der Ratifikationsurkunde ist erst zulässig, wenn die Bundesregierung den Bundestag von einer verbindlichen Erklärung der Regierung der Republik Frankreich über die Auswirkungen des im Jahre 1944 geschlossenen französisch-sowjetischen Paktes auf die deutsch-französischen Beziehungen im Rahmen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft unterrichtet und der Bundestag beschlossen hat, die Frage als erledigt anzusehen.
Ich bemerke dazu: Der französisch-sowjetische Pakt steht der Beteiligung Frankreichs an der Verteidigungsgemeinschaft nicht entgegen und beeinträchtigt nicht die durch diesen Vertrag festgelegten deutsch-französischen Beziehungen.
({5}) Art. 3 des Paktes verpflichtet die Vertragschließenden zu gemeinsamen Maßnahmen, um jede neue deutsche Aggression unmöglich zu machen. Der Verteidigungsvertrag entspricht dem Sinn dieser Bestimmung und macht sie gegenstandslos; denn er bezieht das deutsche Wehrpotential derartig in die Gesamtlösung der Verteidigungsgemeinschaft ein, daß weder innerhalb der Gemeinschaft noch nach außen eine von Deutschland ausgehende Aggression überhaupt noch möglich ist.
Art. 4 stipuliert eine wechselseitige Beistandspflicht für den Fall eines deutschen Angriffs. Auch der Zweck dieses Artikels wird erfüllt und sein Inhalt dadurch gegenstandslos, daß Deutschland durch die Einbeziehung in die Verteidigungsgemeinschaft die Möglichkeit jeder Aggression verliert.
Art. 5 verbietet den Vertragschließenden eine gegen den einen oder andern von ihnen gerichtete Allianz oder Koalition. Auch diese Bestimmung steht dem Verteidigungsvertrag nicht entgegen. Die
Verteidigungsgemeinschaft ist keine Allianz oder Koalition, sondern ein auf dem Wege zur Einigung Europas liegendes föderatives Teilgebilde. Die Verteidigungsgemeinschaft ist auch nicht gegen jemanden gerichtet, insbesondere nicht gegen die SowjetUnion, sondern dient lediglich der Verteidigung.
({6})
Wenn sich die Sowjet-Union in die Lage des Angreifers bringt, so gibt sie der Verteidigungsgemeinschaft die Richtung gegen sich; nicht aber tut das die Verteidigungsgemeinschaft.
Diese Auffassung ist nach den Texten unbezweifelbar.
({7})
Auch Frankreich hat zu erkennen gegeben„ daß es diese Auffassung teilt; denn die Sowjet-Union hat bereits unter dem 11. September 1951 gegen den Abschluß des Verteidigungsvertrags bei Frankreich protestiert. Frankreich hat jedoch seine Europapolitik weiterverfolgt und den Verteidigungsvertrag abgeschlossen. Man muß demgemäß davon ausgehen, daß es sich durch diesen Pakt nicht gehindert fühlt, die im Vertrag vorgesehenen eindeutigen und klaren Verpflichtungen zu übernehmen. Weitere Klärungen von seiten der französischen Regierung, wie sie im Antrag verlangt werden, sind daher nicht geboten. Es ist auch nicht abzusehen, worin diese im einzelnen bestehen sollten.
Ich komme zu Umdruck Nr. 715. Zu dem Entwurf eines Gesetzes betreffend das Abkommen vom 27. Mai 1952 über die Rechtsstellung der Europäischen Verteidigungsstreitkräfte und über das Zoll- und Steuerwesen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft wird der Änderungsantrag gestellt, nach Art. II einen neuen Art. II a folgenden Wortlauts einzufügen:
Die Hinterlegung der Ratifikationsurkunde ist erst zulässig, wenn die französische Regierung ihre Besatzungsgewalt im Saargebiet mit den Artikeln 10, 12 und 120 des Vertrages über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in Einklang gebracht hat. Dieser Zeitpunkt ist durch Beschluß des Bundestages festzustellen.
Ich sage dazu: Dieser Änderungsantrag ist widerspruchsvoll, indem er als Bedingung der Ratifikation vor ihrer Vollziehung eine Mitwirkung herbeiführen will, die erst die Folge des ratifizierten Vertrags selber ist. Nach dem EVG-Vertrag können im Saargebiet französische Nationaltruppen überhaupt nicht und EVG-Kontingente, insbesondere solche französischer Herkunft, nur mit Zustimmung der Bundesrepublik unterhalten werden. Für die französischen Nationaltruppen ergibt sich das aus den Bestimmungen des Art. 10, wonach nationale Truppen außer im Heimatland nur in außereuropäischen Gebieten oder in Berlin und Österreich unterhalten werden dürfen. Für die EVG-Kontingente folgt es daraus, daß der EVG-Vertrag sich nur auf das europäische Gebiet der Mitgliedstaaten bezieht, wozu das Saargebiet - auch nach französischer Auffassung - zweifellos nicht gehört ({8}). Auch Art. 12 - Anforderung von EVG-Kontingenten für nationale Zwecke - findet danach bezüglich des Saargebiets keine Anwendung. Eine andere Regelung, wonach europäische Streitkräfte französischer Herkunft im Saargebiet stationiert werden, könnte nur auf Grund des Art. 120 § 2 Buchstabe a mit einstim({9})
miger Zustimmung des Rates, d. h. mit Zustimmung insbesondere Deutschlands, getroffen werden.
Hiernach ist Frankreich mit Inkrafttreten des. Vertrags verpflichtet, seine nationalen Truppen aus dem Saargebiet abzuziehen. Es ist ihm nicht erlaubt, nationale Truppen oder EVG-Kontingente dort zu stationieren. Das ist offenbar dasjenige, was der SPD-Antrag mit der Formulierung meint, die französische Regierung müsse „ihre Besatzungsgewalt im Saargebiet mit den Artikeln 10, 12 und 120 des Vertrags über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in Einklang" bringen. Die bezeichneten Rechtsfolgen treten aber erst auf Grund des EVG-Vertrags, d. h. mit der Ratifizierung des Vertrags ein. Frankreich ist verpflichtet, diese Rechtsfolgen unverzüglich nach der Ratifikation herbeizuführen. Gegebenenfalls kann es darauf vor dem Gerichtshof verklagt und zur Befolgung gezwungen werden. Es ist aber nicht möglich, von Frankreich zu verlangen, daß es als Vorleistung, bevor die Ratifikation erfolgt ist, bereits das tut, wozu es erst durch den ratifizierten Vertrag verpflichtet wird.
Aus allen diesen Gründen bitte ich namens der Bundesregierung, die gestellten Änderungsanträge abzulehnen.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst einige Bemerkungen zu den Ausführungen der Frau Kollegin Meyer-Laule machen. Sie hat sich mit dem Problem der Besatzungsverdrängten beschäftigt, ein Problem, mit dem wir zweifellos alle, die wir hier in diesem Hause sind, schon sehr viel zu tun hatten. Ich halte es für falsch, es hier so hinzustellen, als hätten sich nicht alle bereits sehr viel Sorge um diese Dinge gemacht.
({0})
Ich darf doch daran erinnern, daß wir in diesem Hause dieses Problem wiederholt behandelt und dazu auch mehrfach Anträge gestellt haben. Ich glaube, es sitzt niemand hier, der nicht in seinem Wahlkreis mit diesen Problemen beschäftigt worden ist und nicht erfolgreich versucht hat, zu helfen, wo zu helfen ist, und niemand, dem es in vielen Fällen jedoch leider nicht gelungen ist, zu erreichen, was er wollte. So ist doch die Situation.
Wir wollen klar und deutlich sehen, daß wir zur Zeit ohne die Verträge einen völlig rechtlosen Zustand haben, daß wir aber mit den Verträgen immerhin zu größeren Einwirkungsmöglichkeiten kommen. Wir können die Hoffnung haben, daß wir damit dem Problem näherkommen.
({1})
Ich möchte noch eines sagen. Niemand von uns denkt daran, daß wir uns nicht ernstlich bemühen müßten, durch Steigerung der eigenen Leistung innerhalb unseres Haushalts dieser Not, dieser Sorge besonders zu begegnen. Ich halte es also für notwendig, hier einmal klar und deutlich aufzuzeigen, daß es sich um ein Anliegen handelt, das uns alle angeht und um das wir uns alle bekümmern müssen.
({2})
Nun zu einigen anderen Fragen. In der Präambel zum Vertrag über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft heißt es an einer Stelle:
Sie
- die Vertragschließenden sind entschlossen, ... die Entwicklung ihrer Wehrkraft zu sichern, ohne den sozialen Fortschritt zu beeinträchtigen.
Es ist verständlich, daß bei der Prüfung des Vertrags auch Erörterungen darüber angestellt wurden, inwieweit die in der Präambel zum Vertrag
festgelegte Absicht durchsetzbar ist. Ohne die
materiellen Auswirkungen des Verteidigungsbeitrags bagatellisieren zu wollen, glaube ich, daß
wir nach eingehender Überprüfung feststellen können: das Versprechen in der Präambel ist kein
leeres Versprechen, sondern hat eine reale Fundierung. Der Lebensstandard der westdeutschen Bevölkerung wird auf Grund der Beteiligung Deutschlands an der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft nicht sinken. Es ist anzunehmen, daß für
eine weitere Verbesserung der Lebensverhältnisse
in der Zukunft noch genügend Spielraum verbleibt.
({3})
Der Herr Professor Gülich hat heute morgen angezweifelt, daß es möglich sei, zu der angenommenen Ausweitung des Sozialprodukts zu kommen, die es dann ermögliche, für die bessere Gestaltung der Lebensverhältnisse mehr zu tun. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat mit Recht darauf hingewiesen, daß sich die Opposition bisher in all ihren Prognosen zur Wirtschaftspolitik geirrt hat. Die Tatsache, daß wir hier recht behalten haben, darf uns die Hoffnung geben, daß wir auch in Zukunft zu einer stärkeren Ausweitung des Sozialprodukts kommen und damit die Moglichkeit gegeben ist, neben der Erfüllung der Aufgaben in der Verteidigungsgemeinschaft_ der anderen Aufgabe, den Lebensstandard weiter zu erhöhen, nachzukommen.
({4})
Herr Dr. Schöne hat in seinen Ausführungen gesagt, die Notsituation großer Kreise unseres Volkes verbiete es, die materiellen Mittel für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft aufzuwenden, die nötig sind. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob es klug ist, in dieser Lage die Fragen in dieser Form aufzureißen. Unser Bemühen war bisher immer darauf abgestellt, im Rahmen des Möglichen für die Fortentwicklung der Sozialpolitik zu arbeiten und uns um die Sorgen derjenigen zu kümmern, die auf der Schattenseite des Lebens stehen. Ich möchte sagen: trotz der Verträge werden wir unser Bemühen fortsetzen, und wir werden hier Erfolg haben. Ich möchte weiterhin sagen: aber durch die Verträge verhindern wir es, daß unser ganzes deutsches Volk in eine unerträgliche Notsituation kommt.
({5})
Es ist zu den Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt etwas gesagt worden. Ich glaube, es ist doch unverkennbar, daß der Arbeitsmarkt durch den Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft nicht ungünstig, sondern günstig beeinflußt wird. Ich darf daran erinnern, daß Garantien dahingehend gegeben sind, daß die deutschen materiellen Aufwendungen für diese Verteidigungsgemeinschaft innerhalb der Bundesrepublik verbraucht werden. Somit wird dieser Verteidigungs({6})
Beitrag eben der westdeutschen Wirtschaft mit zugute kommen. Er wird zusätzliche Aufträge bringen. Es ist heute hier mit Recht gesagt worden: wir müssen uns dann in diesem Rahmen auch darum kümmern, daß eine rechte Streuung der Arbeitsmöglichkeiten erfolgt.
Es ist auf die Situation in den Grenzbezirken hingewiesen worden. Selbstverständlich muß man sich um diese Dinge kümmern. Ich stimme Herrn Dr. Kreyssig zu, wenn er sagt, daß man hier eine besondere Aufgabe hat und daß hier dafür Sorge getragen werden muß, daß zusätzliche Aufträge gerade in diesen Gebieten untergebracht werden.
Ich glaube, wir können sagen: Die Beteiligung der Bundesrepublik an der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft bringt für die beschäftigten Arbeitnehmer eine Minderung des Risikos, arbeitslos zu werden, und für die arbeitslosen Arbeitnehmer eine bessere Chance, wieder in Arbeit zu kommen.
({7})
Wir müssen uns die Frage vorlegen: Sind die Opfer, die im Zusammenhang mit der Schaffung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ganz allgemein vom deutschen Volk und damit auch vom deutschen Arbeitnehmer verlangt werden, tragbar? Ich glaube, es wäre abwegig, die Notwendigkeit eines Opfers zu verneinen. Dieses Opfer, das gebracht werden muß, ist dem einzelnen zumutbar, insbesondere dann, wenn man sich über die Folgerungen einer Nichtbeteiligung Deutschlands an der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft klar ist. Diese Nichtbeteiligung würde praktisch einer Absonderung von der westlichen Welt gleichkommen. Wir wissen aber, daß wir zur westlichen Welt stehen müssen. Zur westlichen Welt gehören die Länder, in denen auch der Arbeitnehmer an der Gestaltung seines Geschickes beteiligt ist.
({8})
Auf der andern Seite sind die totalitären Kräfte, welche dem Arbeitnehmer nur eine moderne Sklaverei bringen können.
({9})
Nur im Zusammenspiel mit der westlichen Welt können wir unsere wirtschaftlichen Kräfte auswerten und damit unseren Menschen eine Erwerbs-und Existenzmöglichkeit bieten.
Fragen wir: Hat der deutsche Arbeitnehmer etwas zu verteidigen? Die Frage wird oft gestellt, und sie muß beantwortet werden. Um diese Frage beantworten zu können, muß man, glaube ich, die Situation des Arbeitnehmers im Westen der Situation des Arbeitnehmers in der Sowjetunion und in den Satellitenstaaten der Sowjetunion gegenüberstellen. Die deutsche Arbeitnehmerschaft und darüber hinaus auch die Arbeitnehmer in der westlichen Welt konnten ihre Situation in den letzten Jahren wesentlich verbessern. Das gilt für die Lohnentwicklung, es gilt für die arbeitsrechtliche Situation, es gilt für die gesamten Schutzbestimmungen einschließlich der Sozialversicherung. Demgegenüber ist die Situation im Osten für die Arbeitnehmer wesentlich ungünstiger. Die Ansprüche an die physische Arbeitskraft des Menschen sind wesentlich höher. Die arbeitsrechtliche Situation ist mit der Situation bei uns nicht zu vergleichen. Wir haben uns hier auch manchmal über das Ausmaß der Rechte gestritten. Wir sollten uns aber darüber im klaren sein, daß man drüben die Rechte, die uns selbstverständlich scheinen, eben leider nicht hat. Ich denke beispielsweise an das Mitbestimmungsrecht. Dasselbe gilt für die gesamte arbeitsrechtliche Situation und auch für die Situation in der Sozialversicherung.
Ich glaube, in der Beurteilung der Situation sind wir uns in Deutschland weithin einig, auch mit der Opposition einig. Es ist nicht so, als könnte diese Situation geleugnet werden. Es scheint aber notwendig, daß auch in der Opposition die Bedenken überwunden werden - jawohl, die Bedenken sind auch an anderen Stellen -, weil die Erhaltung der Freiheit unseres Erachtens ein Opfer erfordert. Glaubt denn irgend jemand, daß es möglich sei, eine Politik ohne Risiko zu betreiben? Politik ohne Risiko hat es nie gegeben und wird es nie geben.
({10})
Es ist auch nicht so, als ständen wir allein mit unserer Auffassung. Darf ich daran erinnern, daß maßgebliche Gewerkschaftsführer und maßgebliche Gewerkschaftsorganisationen in Deutschland und in der übrigen westlichen Welt, daß maßgebliche Sozialisten in anderen Ländern ihre positive Einstellung zu der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft oft bekundet haben. Ich darf an den britischen Gewerkschaftskongreß in diesem Jahr erinnern, wo man zum Ausdruck gebracht hat, daß man bereit ist, im Interesse der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft berechtigte Forderungen und Wünsche sozialpolitischer Art zurückzustellen. Ich darf an Erklärungen erinnern, die von maßgeblichen Leuten des Internationalen Gewerkschaftsbundes zur gleichen Frage abgegeben wurden. Ich glaube, die deutsche Arbeitnehmerschaft hat Anlaß, in gleicher Weise positiv zu der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu stehen.
Lassen Sie mich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur auf einige solcher Äußerungen eingehen, die uns zeigen, daß weithin Verständnis für das Problem vorhanden ist, daß dieses Verständnis nicht geleugnet werden kann. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes im Landesbezirk Berlin, Herr Scharnowski, hat in einem Interview, das er der „Welt der Arbeit" gegeben hat, einmal gesagt, es gehe beim deutschen Verteidigungsbeitrag eigentlich nur darum, daß der einzelne auszuwählen hätte, welche Uniform er anzuziehen habe, die autoritäre oder die demokratische. Er sagte dabei weiterhin:
Unser Herz sagt j a zum Verteidigungsbeitrag; aber es muß sichergestellt werden, daß die soziale Gerechtigkeit keine Phrase bleibt.
Und Georg Reuter, einer der Vorsitzenden des
Deutschen Gewerkschaftsbundes, sagte in einem
Artikel um Neujahr des vergangenen Jahres:
Wir, die wir die Leidenszeiten einer Diktatur hinter uns haben, sind für jede Hilfe demokratischer Kräfte dankbar, weil wir keine Lust verspüren, einen Rückfall in die Unfreiheit hinzunehmen. Wem die Freiheit lieb ist, der wird zu Opfern bereit sein. Wir werden unseren Beitrag zur Verteidigung der Völker leisten. Die freie und demokratische Welt soll wissen, daß wir zugleich verständigungs-, aber auch verteidigungsbereit sind.
({11})
Wir haben dieser Erklärung nichts hinzuzufügen.
Und Hans vom Hoff sagte auf einer Kundgebung
({12})
im Januar in Oberhausen: „Trotzdem könne man die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, daß im Osten in stärkerem Maße aufgerüstet werde und daß der Westen zu Abwehrmaßnahmen greifen müsse. Man könne es dem deutschen Volk nicht zumuten, seinerseits mit Abwehrmaßnahmen zu warten, bis etwa durch eine Aggression vollendete Tatsachen geschaffen seien".
Ich darf daran erinnern, daß noch Mitte November die französische sozialistische Gewerkschaftsorganisation „Force Ouvrière" auf ihrem Bundeskongreß ebenfalls zu diesem Problem Stellung genommen hat. Ich entnehme diese Stellungnahme der „Welt der Arbeit" vom 28. November dieses Jahres. Dort heißt es:
Die Gewerkschaften dürfen sich ihrer Aufgabe im Kampf um die Erhaltung der von fremden Machteinflüssen bedrohten Freiheit nicht entziehen und müssen der Verteidigungsbereitschaft der freien Völker zustimmen.
Und weiterhin wurde auf diesem Kongreß betont: Die europäische Vereinigung wird in wirtschaftlicher und politischer Beziehung als notwendig bezeichnet, da sie allein imstande ist, dem arbeitenden Menschen eine Grundlage zur Besserung seiner Lebensverhältnisse zu schaffen und den Frieden zu erhalten.
Ich darf daran erinnern, daß auch die beiden großen amerikanischen Gewerkschaftsorganisationen, sowohl die CIO als auch die AFL, deutlich ihre Meinung zum Ausdruck gebracht haben, daß eben diese Europäische Verteidigungsgemeinschaft notwendig ist.
Im vergangenen Mai hat man in Frankfurt auf einem Kongreß des Internationalen Komitees der Sozialistischen Bewegung für ein vereintes Europa zur gleichen Frage Stellung genommen. Ich darf daran erinnern, daß der franzosische sozialistische Abgeordnete Jaquet dort gesagt hat:
Alle Demokratien sind heute in gleichem Maße und auf die gleiche Art von der imperialistischen Politik Sowjetrußlands bedroht. Sie müssen also in ihrer Gesamtheit durch eine immer enger werdende Einigung trachten, ihre Existenz und ihre Unabhangigkeit zu verteidigen.
Und derselbe Abgeordnete sagte:
Die Demokratien haben die Pflicht, die Aufrüstung, welche durch die aggressive Politik der totalitären Macht unvermeidlich geworden ist, zu akzeptieren.
Meine Damen und Herren, ich glaube, diese Urteile dürfen und können von uns nicht übersehen werden, und ich meine, wir haben Schlußfolgerungen aus diesen Urteilen zu ziehen.
({13})
Lassen Sie mich noch weniges sagen zu einigen Bemerkungen des Herrn Abgeordneten Dr. Schone zum Art. 44 des Truppenvertrages bezüglich der Einstellung von Arbeitskräften. Herr Kollege Schöne, es ist in diesem Vertrag keine Bestimmung enthalten, aus der die Schlußfolgerung gezogen werden kann, daß die Möglichkeit besteht, deutsche Arbeitskräfte
({14})
dienstzuverpflichten. Ziffer 1 des angezogenen Artikels besagt lediglich, daß die deutschen Verwaltungsstellen, d. h. die deutschen Arbeitsämter, für
die Beschaffung notwendiger Arbeitskräfte in Anspruch genommen werden. Meine Damen und
Herren, daran sind wir ja interessiert, daß diese Beschaffung über die zuständigen Verwaltungen erfolgt. In Ziffer 2 ist gesagt, daß diese Arbeitnehmer nur zu Diensten nichtsoldatischer Art herangezogen werden können, und in anderen Bestimmungen ist auf die Geltung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen hingewiesen worden. Von den Ausnahmen ist schon gesprochen worden, und ich kann es mir versagen, darauf noch hinzuweisen.
Nun noch als letztes eine kurze Bemerkung zu dem Problem der bei den alliierten Streitkräften beschäftigten Arbeitnehmer. Ich glaube, hierzu muß folgendes klar und deutlich aufgezeigt werden. Die arbeitsrechtliche Lage der deutschen Arbeitskräfte bei den alliierten Streitkräften wird wesentlich gebessert. Bisher lag die Gestaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer bei der Besatzung im wesentlichen in der Hand der Besatzungsdienststellen. Nach der Ratifizierung der Verträge ist sichergestellt, daß für alle bei den alliierten Dienststellen beschäftigten deutschen Arbeitnehmer grundsätzlich das deutsche Arbeitsrecht gilt. In Art. 44 des Truppenvertrages sind wenige Ausnahmen enthalten, die daraus resultieren, daß nun eben Besatzungstruppen bzw. überhaupt Truppen zum Teil eine andere Regelung notwendig machen, als sie im übrigen in arbeitsrechtlicher Hinsicht gegeben ist. Im übrigen muß ich sagen: zum Teil beruhen auch diese Ausnahmen darauf, daß es den verhandelnden Vertretern der Bundesregierung nicht möglich war, eben den deutschen Standpunkt vollständig durchzusetzen. Es ist sichergestellt, daß die Festlegung der Lohn- und Arbeitsbedingungen in deutschen Händen liegt. Es ist sichergestellt, daß die deutschen Arbeitnehmer gegen mißbräuchlichen Einsatz geschützt sind.
Damit komme ich zum Schluß. Ich glaube, vom
Standpunkt des Arbeitnehmers aus betrachtet kann
man sagen: Die deutsche Arbeitnehmerschaft hat
aus all dem Vorgetragenen Anlaß, positiv zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu stehen. Niemand von uns allen wird das ganze Problem leichthin behandeln. Auch wir tun das nicht. Aber ich
sagte schon einmal: es geht nicht alles nach
unserem Kopf, und eine Politik ohne Risiko gibt
es nicht. Letztlich wird sich aber aus dem Grad der
Opferbereitschaft des einzelnen erkennen und ermessen lassen, wie hoch er seine Freiheit schätzt.
({15})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Strohbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau D r. Gröwel hat hier den Versuch gemacht, die Frauen und Mütter zu überreden, von ihrem klaren Nein zu diesen Verträgen abzugehen. Frau Dr. Gröwel hat dabei gleichzeitig den Versuch gemacht, ihnen zu beweisen, daß es ihr außerordentlich schwer falle, diesen Verträgen zuzustimmen, und daß ihr Ja zu diesen Verträgen gegen ihr eigenes Herz ausgesprochen werde. Ein Ja gegen das eigene Herz - das ist ein Ja gegen das eigene Gewissen.
({0})
Eine Sache aber, die man gegen das eigene Gewissen tun muß, ist eine sehr, sehr schlechte Sache.
({1})
({2})
Dazu paßt sehr gut die Feststellung, daß die meisten Sprecher der Regierungsparteien mit einer erstaunlichen Fertigkeit uni die Verträge herumgeredet haben.
({3})
Die Bevölkerung will aber wissen, was in den Verträgen drinsteht. Es ist deshalb vielleicht nicht uninteressant, wenn ich hier die Feststellung einfüge, daß ausgerechnet bei der Rede des Sprechers der kommunistischen Fraktion, des Abgeordneten Max Reimann, die meisten Rundfunkstationen ihre Übertragung eingestellt haben.
({4})
Die Bevölkerung soll wissen, was in den Verträgen steht;
({5})
und gerade die Frauen und Mütter sollen das wissen. Sie sollen wissen, daß nach diesen Verträgen Ridgway ihre Söhne unter Zustimmung Adenauers nach Vietnam und nach Korea und überallhin in der Welt schicken kann
({6})
und daß sie dort sterben sollen zum höheren Ruhm der amerikanischen Rüstungsmillionäre.
({7})
- Schreien Sie doch nicht so, Herr Wuermeling! ({8})
- Herr Kollege Gerstenmaier soll Ihnen erzählen, was ihm die Frauen der Stuttgarter Frauenverbände erklärt haben!
({9}) Die Frauen sollen wissen, daß diese Verträge neue Milliardenbelastungen bringen, die ihre Lebenshaltung senken werden.
Die im Volk nein sagen, das sind keine Ahnungslosen, wie Frau Dr. Gröwel das darzustellen beliebt hat,
({10})
sondern die im Volk nein sagen, das sind die Betroffenen. Ich bin vor wenigen Tagen in Stuttgart in einer großen Versammlung der Rentner gewesen.
({11})
Diese Rentner, die da zusammengekommen waren, waren keine Kommunisten,
({12})
aber das waren durch diese Verträge Betroffene, und sie haben mich ausdrücklich beauftragt,
({13})
auch in ihrem Namen zu sagen, daß wir gegen diese Verträge stimmen sollen,
({14})
was ich hiermit ausdrücklich erklärt haben möchte.
({15})
In den letzten Tagen waren zahlreiche Delegationen in Bonn.
({16})
Diese Delegationen bestanden aus vielen parteilosen Menschen,
({17}) aus Arbeitern, aus Betriebsräten;
({18}) darunter befanden sich Meister des deutschen Sports, darunter waren Krankenschwestern und viele andere Menschen aller Schichten unserer Bevölkerung. Diese Menschen sind gekommen, nicht weil sie ahnungslos sind, sondern weil sie wissen, worum es geht.
({19})
Gerade die Frauen wissen das, und sie haben hier in Bonn erfahren, was die Abgeordneten des Bundestages vom Volke halten, die sich geweigert haben, diese Abordnungen zu empfangen.
({20})
Die Frauen wollen ihre Söhne nicht an Ridgway
und die wiedererstandenen Hitler-Generale ausliefern; sie haben aus der Vergangenheit gelernt,
mehr gelernt, als viele Angehörige dieses Hauses.
({21})
Die Frauen wollen nicht den Generalvertrag, sie wollen einen Friedensvertrag, und sie wollen - das haben sie uns deutlich gesagt -, daß diese Regierung Adenauer geht und einer Regierung Platz macht, die bereit ist, eine Politik der Verständigung und des Friedens durchzuführen.
({22})
Sie wollen, daß Deutsche aus Ost und West der Verständigung den Weg bereiten zu einer friedlichen Lösung der deutschen Frage.
({23})
Dafür werden die Frauen und Mütter kämpfen, nicht gegen ihr Herz, sondern mit heißem Herzen für unsere Heimat und für unsere Kinder.
({24})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Keller.
Dr. Keiler ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann in wenigen Minuten, die uns die Geschäftsordnung in diesem Bundestag gönnt,
({1})
nicht mehr tun, als sich in wenigen Stichworten zu
den Grundsätzen seiner Auffassung zu bekennen.
Ich muß daher auch zu den allgemeinen Betrachtungen zurückfinden, die am Anfang der Debatte
gestanden haben. Gerade die Heimatvertriebenen
und die Entrechteten, denen wir uns besonders ver({2})
Bunden fühlen, sind diejenigen, die die Opfer der letzten geschichtlichen Fehlentwicklung gewesen sind, die der Zusammenbruch gezeitigt hat, und Sie werden verstehen, daß gerade diese Menschen ein besonderes Interesse daran haben, daß die Gestaltung der deutschen Zukunft besonders sorgfältig überlegt und geregelt wird. Wer von uns wollte nicht, daß das Vaterland einen geordneten Weg der Fortentwicklung nimmt? Aber auf die Gestaltung dieses Weges kommt es entscheidend an! Wir sind der Auffassung, daß die Bundesregierung von dem ernsten Willen zur Verhandlungen in Richtung auf die Wiedererrichtung einer deutschen Einheit in Freiheit wenig zu überzeugen vermocht hat. Eines muß ich doch sagen: Solche Verhandlungen würden wenigstens eines zeitigen; sie würden beweisen, wer den Willen zur Einheit in Freiheit besitzt und wer nicht.
({3})
Leider führen die Verträge dazu, daß diese Lösungsmöglichkeit bedeutend erschwert wird.
Nun hat sich der Herr Bundeskanzler vorgestern eingehend mit den Gründen der Situation befaßt, aus der heraus diese Verträge und keine andere Auswegmöglichkeit in die Zukunft führen sollen, und dazu möchte ich eines sagen: Der Herr Bundeskanzler hat erklärt, daß wir den Krieg verloren haben und uns in Not befinden. Das ist leider richtig. Aber ich möchte dem entgegenhalten: Welches Volk, abgesehen von den Machtblöcken Amerikas und Sowjetrußlands, hat letzten Endes diesen Krieg nicht verloren, und sind wir allein in Not, oder sind es die andern nicht minder? Sind die gepriesenen Verbesserungen durch die Verträge nicht letzten Endes das Produkt einer zwangsläufigen Entwicklung, und gibt es ein Besatzungsregime, das nicht im Laufe der Zeit vom Zahn der Zeit doch sehr erheblich benagt worden wäre?
Der Herr Bundeskanzler hat weiter mit vollem Recht gesagt, daß diese Verträge von den Mächten nicht seinen schönen Augen zuliebe und nicht um der schönen Augen des deutschen Volkes willen geschlossen würden. Aber er zieht leider nicht die Konsequenzen daraus! Er hat dann von den grandiosen Mitteln des Westens gesprochen, die uns zur Verfügung fließen sollen. Aber selbst dieser Westen kann offenbar bei all diesen Mitteln auf eines nicht verzichten: auf die Kraft des deutschen Soldaten! Und nach all dem, was aus den Tatsachen und aus den Plänen spricht, die hier diskutiert worden sind, geht es doch wohl weniger um eine europäische Verteidigung für den deutschen Vorposten, als um eine deutsche Verteidigung für Europa; für ein Europa, das leider zu einem großen Teil nicht die Bereitschaft zeigt, uns dafür echte Gleichberechtigung zuzugestehen. Und ich fürchte, daß das Wort „Die Deutschen an die Front!" in diesen Verträgen eine bedenkliche Neuauflage erleben wird!
({4})
Es ist aber geradezu unmoralisch, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn der Westen, der die Freiheit zu seinen erklärten Idealen zählt, die Gewährung dieser Freiheit an ein geschlagenes Volk, das sich von seinen Wunden noch keineswegs erholt hat,
({5})
davon abhängig machen will, daß dieses Volk unverhältnismäßig große Opfer auf sich nimmt. Selbst diejenigen, die diesen Weg im Grundsatz für richtig halten
({6})
- das war ein sehr taktloser Zuruf, Herr Kollege! -, sollten bedenken, daß hier große Opfer für ein Butterbrot auf die Schultern des deutschen Volkes geladen werden.
({7})
Die Heimatvertriebenen und Entrechteten aber, die leider heute noch die Masse der deutschen Notleidenden repräsentieren, hören mit Staunen, wie viele Milliarden über Milliarden zur Verfügung stehen sollen, die man für einen schnellen und tragbaren Lastenausgleich viel besser verwendet hätte. Denn wir stehen auf dem Standpunkt, daß eine soziale Aufrüstung bedeutend bessere Vorteile zeitigen würde als noch so viele Divisionen.
({8})
Die Heimatvertriebenen und Entrechteten fragen
sich, warum sie zum Teil heute noch in Luftschutzbunkern leben müssen, soweit nicht eine „weise"
Voraussicht der kommenden Gefahren diese Verteidigungsanlagen nicht schon vor Jahren zertrümmert und jedem Gebrauch überhaupt entzogen hat.
({9})
Die Heimatvertriebenen und die Auslandsdeutschen sind es auch, die fassungslos der Tatsache gegenüberstehen - und jetzt werde ich Ihnen, Herr Kollege, die Antwort auf den „Osten" geben -, daß der Westen mit derselben völkerrechtswidrigen Beschlagnahme des deutschen Auslandsvermögens gezeigt hat, daß er sich offenbar - und wir müssen sagen: leider - vom Osten nur wenig zu unterscheiden gewillt ist.
({10})
Im übrigen sehen wir an unseren Besatzungsgeschädigten, was hier auf unserem eigenen deutschen Boden geschehen konnte.
Meine Herren, aus Ihren eigenen Reihen hat vorhin ein Redner, Herr Dr. Kather , Ihnen gesagt, was er über solche Dinge denkt. Ich kann seine Argumente zum großen Teil unterstreichen.
({11})
Er zieht nun leider aus seinen Worten wieder nicht die Konsequenz, die man vernünftigerweise hätte erwarten müssen. Er hat gesagt, daß die Vertriebenen gute Europäer seien. Das möchte ich unterschreiben; das stimmt. Aber diese Vertriebenen, die in ihrem eigenen Land oft noch auf der letzten Bank sitzen,
({12})
wollen nicht, daß auch Deutschland in diesen Verträgen und in diesen Plänen so auf der letzten Bank sitzt, wie es eine eingehende Zergliederung dieser Verträge in den ausführlichen Debatten dieser Tage gezeigt hat. Deswegen sagen wir „Nein!" zu diesen Verträgen.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Strauß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mir nicht gut vorstellen, daß die Wähler des Blocks der Heimatvertriebenen und Entrechteten
({0})
- Gesamtdeutschen Blocks, wie er sich jetzt nennt
- mit den Ausführungen ihres Bundestagsabgeordneten Herrn K e 11 e r einverstanden sind.
({1})
Ich kann mir nicht gut vorstellen, daß sie darüber begeistert sind, wenn hier ausgerechnet dieselben Hände Beifall klatschen, die ihre Brüder vertrieben, verfolgt und zum Teil ermordet haben.
({2})
Es ist aber sinnlos, auf solche Expektorationen einzugehen, wie sie die beiden Vertreter des BHE
heute losgelassen haben. Wir haben andere Sorgen.
Es ist meine Aufgabe, für die beiden großen Vertragswerke, die heute in zweiter Lesung zur Entscheidung vor uns liegen, den Standpunkt meiner Fraktion in zusammenfassender Darstellung der wesentlichen Gesichtspunkte noch einmal zu erläutern. Diese beiden großen Vertragswerke werden von uns, eindeutig und klar gesagt, unter ganz bestimmten politischen Gesichtspunkten gesehen. Diese politischen Gesichtspunkte entsprechen dem Standpunkt des gesunden Menschenverstandes, ) nämlich jetzt das zu tun, was notwendig ist, und das zu tun, was möglich ist.
({3})
Wir kümmern uns dabei weder um unsere privaten Wünsche noch richten wir uns, wie es leider gegenüber diesen Verträgen gerade in diesem Hause geschehen ist, nach parteipolitischen Agitationsbedürfnissen.
({4})
Diese Verträge
({5})
ergeben sich aus der gegenwärtigen deutschen Lage und ihren Möglichkeiten.
({6})
Ob die Sozialdemokratische Partei das sieht oder sehen will, ändert nichts an den gegebenen Tatsachen.
({7})
Der Deutschland-Vertrag ist für uns der Schlußstrich unter Kriegs- und Besatzungsverhältnisse. Der Deutschland-Vertrag bedeutet für uns trotz der Vorbehaltsrechte und Einschränkungen - und das ist der wesentliche Unterschied zum gegenwärtig noch gültigen Zustand - die Rückkehr der obersten deutschen Staatsgewalt in deutsche Hände.
({8})
Das ist nur zu erreichen durch die Hinnahme der I drei Vorbehaltsrechte und der Vereinbarungen in den Zusatzverträgen.
({9})
Die SPD hat sich in ihren Reden, angefangen vom Kollegen Brandt bis zu den heutigen Reden, in den Details bewegt, in denen nach den Aussagen des Kollegen Gülich oder seinem Zitat der Teufel steckt. Sie hat sich ausgiebig mit diesen Details befaßt.
({10})
Die SPD greift diese Einzelheiten an. Die SPD hat aber verschwiegen, daß der Abschluß dieser Verträge notwendig ist, um die deutsche Bewegungs-
und Handlungsfreiheit im Interesse der gemeinsamen Ziele, die auch Sie ({11}) haben, überhaupt erreichen zu können.
({12})
In den Ausführungen des Kollegen Dr. Arndt ist gesagt worden, daß wir verpflichtet werden, die Ausübung des Notstandsrechts der Alliierten z. B. zu erleichtern.
({13})
Diese Bestimmung hat doch ausschließlich den Sinn, daß bei der Ausübung des Notstandsrechts die deutsche Regierung und die deutschen Behörden in alle eventuellen Maßnahmen im deutschen Interesse mit eingeschaltet sind.
({14})
Sie haben nicht davon gesprochen, Herr Kollege Dr.
Arndt, unter welchen eingeschränkten Voraussetzungen überhaupt z. B. das Notstandsrecht anwendbar ist: wenn deutsche Polizeikräfte nicht ausreichen, wenn das deutsche EVG-Kontingent und die
ganze EVG nicht mehr ausreichen. Sie haben es so
dargestellt, als ob die Alliierten das Notstandsrecht in beliebigem Umfang auslösen könnten.
({15})
Gleichzeitig haben Sie aber - und das ist für Ihre Dialektik bezeichnend - dagegen gewettert, daß das deutsche EVG-Kontingent dem Bundeskanzler für diesen Fall zur Verfügung gestellt wird. Sie müssen doch wählen. Entweder sind es deutsche Mittel; dann kommen die ausländischen Mittel überhaupt nicht zum Zuge. Sie können aber nicht gleichzeitig das Notstandsrecht der Alliierten angreifen und den Bundeskanzler tadeln, wenn er versucht, es zu verhindern.
({16})
Diese Ihre Darstellung ist ein typisches Beispiel für die kasuistische Logik, die Sie gestern in Ihren Ausführungen mit Ihrer rabulistischen Darstellung angewendet haben.
({17})
Sie haben so schön von den amerikanischen Truppen in England gesprochen. Sie wissen ganz genau, daß der Einsatz der amerikanischen Truppen seinerzeit in England unter grundlegend anderen Voraussetzungen stattfand als das Eingreifen der Besatzungsmächte hier bei uns.
({18})
({19})
Sie haben weiter davon gesprochen - ({20})
- Ja, daß S i e ihren Abzug wünschen, kann ich mir gut vorstellen. Aber da wird Ihnen, auf gut Bayrisch gesagt, das Maul sauber bleiben.
({21})
Herr Kollege Dr. Arndt hat davon gesprochen, die Westalliierten hätten sich ihre Befugnisse einseitig vorbehalten, und hat dann gefragt: Ja, woraus denn vorbehalten? - Herr Kollege Dr. Arndt, leben Sie denn auf dem Mond?
({22})
Sie haben sich das vorbehalten aus der niedlichen Tatsache, daß sie heute noch die oberste Staatsgewalt ausüben und daß das Besatzungsstatut immer noch gilt, das Besatzungsstatut, das Sie durch Ihr Nein in der Politik der SPD jedenfalls zunächst einmal fortsetzen und möglicherweise verewigen würden.
({23})
Sie haben in Ihren Ausführungen, Herr Kollege Dr. Arndt, gestern in einer für Sie typischen Weise dem deutschen Volk Illusionen und Seifenblasen vorgezaubert, weil Sie keine Realitäten zu bieten haben.
({24})
Sie haben gestern in Ihrer Darstellung die Dinge letzten Endes auf den Kopf gestellt. Sie haben gesprochen von dem hohen Preis an die Westmächte, den wir zu zahlen hätten. Es ist hier schon einmal gesprochen worden von dem Preis, der an die Sowjetunion zu zahlen wäre. Ich glaube, wir übertreiben nicht, wenn wir sagen, daß mit der Politik der SPD der ganze Preis sowohl an die Westmächte wie an die Sowjetunion zugleich gezahlt wird. Deutschland würde nach dieser Politik die ganze Zeche nach Osten und Westen zugleich zahlen. Das ist die praktische Auswirkung der SPD-Politik.
Sie haben in sehr eingehender Darstellung von dem Vorbehalt des Notstandsrechts gesprochen und haben den Herrn Bundeskanzler eines falschen Zitats bezichtigt, als er vorgestern aus dem „Neuen Vorwärts" in der Nummer vom 15. Mai 1951, doch einem maßgebenden Organ Ihrer Partei, zitierte: Sie haben einen anderen Satz als den wirklichen Ausspruch Dr. Schumachers nach dem „Neuen Vorwärts" zitiert!
({25})
Ich darf hier feststellen: ich habe den „Neuen Vorwärts" vom 13. April 1951, die Nummer, die gemeint ist, vor mir liegen, und in dieser Nummer heißt der Satz - es ist ein Satz Schumachers - genau so, wie der Kanzler gesagt hat und kein Haar anders!
({26})
Es heißt hier wörtlich in den Schumacherschen Erklärungen: „Jede Unterschrift des Kanzlers ist daher für uns null und nichtig und kann das deutsche Volk nicht binden."
({27})
Das ist der genaue Wortlaut dieses Satzes. Sie haben aber gestern einen anderen Satz verlesen und den Herrn Bundeskanzler der Fälschung bezichtigt. Es sind aus Ihrem Munde Worte gefallen
wie „Verleumder", „Fälscher" und ähnliche. Das ist der Satz, den der Kanzler aus dem maßgebenden Organ Ihrer Partei zitiert hat!
({28})
Im übrigen brauchen Sie sich gar nicht darüber aufzuregen. Im November 1951 hat die „Südpost", das südliche Gegenstück in Deutschland zu Ihrem nördlichen Parteiorgan, aus einer Rede Ihres ehemaligen Parteivorsitzenden über das gleiche Thema folgenden Satz gebracht: „Für den Teil des deutschen Volkes, der meiner Partei nahesteht, ist Adenauer nicht in Paris gewesen." Die Alliierten müßten doch von allen guten Geistern verlassen, mit unfehlbarer Dummheit geschlagen sein, wenn sie daraus nicht schließen würden, daß eine spätere SPD-Politik gegen diese Verträge es jedenfalls ratsam erscheinen lassen wird, noch mehr Rechte zurückzubehalten.
({29})
Der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ist für uns mehr als ein übliches Bündnis oder eine Militärallianz. Ich möchte mich hier auch gegen die Auffassung meines Kollegen Rechenberg, wie ich sie vorgestern verstanden habe, wenden, der, wenn ich es noch richtig in Erinnerung habe, sagte, daß das deutsche EVG-Kontingent gewissermaßen eine Gegenleistung für die Vorteile des Deutschland-Vertrages sei. Der EVG-Vertrag, dieser Verteidigungsvertrag, ist für uns eine politische Notwendigkeit, um unserem Volke in einer gefährdeten Lage eine feste Position für die zukünftigen politischen Ziele zu geben.
({30})
- Ich nehme das gern zur Kenntnis. ({31})
Der Verteidigungsvertrag ist mindestens ebensosehr eine Leistung der anderen uns gegenüber als
ein deutsches Entgegenkommen ihnen gegenüber.
({32})
Denn letzten Endes wird ja von den Müttern und Vätern der anderen Völker, letzten Endes wird ja von den Parlamenten der anderen fünf beteiligten Länder verlangt, daß sie für den einzig denkbaren Fall eines Angriffs die Söhne ihres Landes zuerst zum Schutz unserer Heimat bereitstellen, bis wir für sie in Betracht kommen.
({33})
Außerdem ist der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft für uns ein entscheidender Schritt weiter zu dem, was wir als politisches Ziel in dem Begriff der Vereinigten Staaten von Europa anstreben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Kollege Dr. Arndt hat die Politik der Bundesregierung und der Koalitionsparteien gestern beschuldigt, mutwillig einen parteipolitischen Weg gegangen zu sein. Herr Kollege Arndt, das ist ein ungeheuerlicher Vorwurf,
({34})
ein ungeheuerlicher Vorwurf angesichts der Tatsache, daß Sie um der Herrschaft Ihrer Partei wil({35})
len Existenz und Zukunft unseres Volkes mit Ihrer ständigen Opposition aufs Spiel setzen.
({36})
Seit Ihrem Einzug in den Deutschen Bundestag - lesen Sie Ihre Antwort auf die damalige Regierungserklärung Adenauers nach - ist es das oberste Ziel der Opposition, den Sturz der Bundesregierung herbeizuführen.
({37})
Und diesem Ziel wird die sachliche Politik geopfert!
({38})
- Sie sprechen von „demokratischem Recht", - die Grenzen dieses „demokratischen Rechtes" liegen in den Existenzfragen unseres Volkes!
({39})
Sie dürfen nicht in einer seltsamen Verwechslung der Begriffe demokratisches Recht mit parteipolitischen Interessen in einen Topf werfen!
({40})
Herr Kollege Arndt hat gestern ausgeführt, daß jeder Ansatz eines demokratischen Bewußtseins durch diese Politik im Volke von Grund auf zerstört würde. Wenn ein Ansatz demokratischen Bewußtseins in unserem Volk zerstört wird, dann geschieht es durch die negative Opposition, die Sie dem deutschen Volk seit Jahr und Tag vorexerzieren, und nicht durch unsere positive Politik!
({41})
Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß sich Kollege Dr. Arndt auch zum Anwalt dieser Politik gemacht hat.
({42})
Heute lesen wir in dem sozialdemokratischen Pressedienst, die Verschiebung der dritten Lesung sei eine schwere politische Niederlage.
({43})
Ja, machen Sie es uns doch nicht so leicht, darauf
zu antworten, wenn wir Ihnen eines ihrer politischen Mittel aus der Hand geschlagen haben, mit
denen Sie unsere Politik zu torpedieren versuchten!
({44})
Wir betrachten jede Verzögerung des Inkrafttretens dieser Verträge als einen sachlichen Nachteil. Wir müssen aber diesen sachlichen Nachteil in Kauf nehmen, um diese Verträge durchzubringen; und wir sind leider gezwungen, Sie mit Ihren eigenen Mitteln dabei zu schlagen.
({45})
Herr Kollege Dr. Arndt, wer zum Schluß der Witzbold sein wird - wenn Sie neulich so anspruchsvoll von der Geschichtsschreibung dieser Jahre gesprochen haben -, das überlassen wir ruhig dem Urteil derer, die dann eine gesunde Vernunft haben werden.
({46})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kollege Dr. Arndt hat gestern weiterhin davon gesprochen, natürlich werde die SPD sich zu einer ühernarteilichen Außenpolitik entschließen bei Verständigung über die Vorschläge Schumachers. Sie binden also die gemeinsame Außenpolitik letzten Endes an eine mehr oder minder bedingungslose Annahme der Richtlinien Ihrer Partei. Und das stellen Sie sich unter gemeinsamer Außenpolitik vor.
({47})
Sie machen aus der gemeinsamen Außenpolitik ein innenpolitisches Geschäft und nichts anderes.
({48})
Herr Dr. Arndt hat in diesem Zusammenhang die schönen Worte von ,.nationalpolitisch erforderlich" und ..verfassungsrechtlich geboten" gebraucht. Er hat dazu die Richtlinien Dr. Schumachers zitiert. Gestern hat er sie im wesentlichen wiederholt. Er hat gestern von der notwendigen Zweidrittelmehrheit gesprochen. hat aber einfließen lassen, daß zu der Zweidrittelmehrheit selbstverständlich auch die Neuwahl des Bundestags hinzukomme.
({49})
Nur ein neuer Bundestag könne legitimiert sein, diese Entscheidung zu treffen. Da liegt der Hase im Pfeffer! Sie wollen Neuwahlen haben; darauf kommt es Ihnen an.
({50})
Nach dem, was an Stimmen aus Ihren Reihen zu uns dringt. sind wir uns sehr wohl klar darüber, daß große Teile Ihrer Partei aus dem Gleis, in das sie gezwängt worden sind, gern wieder rauskommen möchten, wenn sie noch könnten.
({51})
Das können Sie nicht mit ein paar billigen Zwischenrufen oder ähnlichen Bemerkungen abtun. Wir wissen genau, daß Sie aus dem Gleis nicht mehr heraus können. Sie können nicht vor Ihre Wähler hintreten und sagen: Wir haben euch drei Jahre auf dem Holzweg geführt. Aber jetzt wählt uns wieder. Wir haben schon einmal versagt.
({52})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Schluß dieser Replik - damit Sie sich nicht zu früh der Hoffnung hingeben, ich hörte auf - möchte ich noch an das zwielichtige Gruseln erinnern, das Herr Kollege Dr. Arndt immer wieder beschwört, wenn er vor dem Bundestag steht. Neulich sagte er, bei uns hieße es: Kanzler befiehl, wir folgen dir! Dieses Wort kann ich Ihnen gern zurückgeben. Für Sie heißt es heute: Ollenhauer befiehl, Deutschland trägt die Folgen davon!
({53}) - Ja, seien Sie doch nicht so empfindlich.
Herr Kollege Dr. Arndt hat ebenso wie Kollege Ollenhauer öfter ein sachliches Ja zu dem Verteidigungsgedanken ausgesprochen. Aber gestern haben wir die interessante Unterscheidung kennengelernt zwischen der sachlichen Verteidigungslast, die wir tragen sollen, und den anderen Verteidigungsnotwendigkeiten, die wir selbstverständlich nicht tragen sollen. Was heißt denn sachliche Ver({54})
teidigungslast? Sachliche Verteidigungslast heißt, daß wir mehr oder minder - jedenfalls zu mehr als 50 % - nutzlos Besatzungskosten weiterzahlen mit einem Minimum an Sicherheitseffekten. Das ist Ihre sachliche Verteidigungslast.
({55})
Sie müssen zu diesem Gedanken entweder ganz ja oder ganz nein sagen. Wenn Sie ja sagen - wir sind bereit, es zu tun -, müssen Sie auch bereit sein, die Konsequenzen zu tragen. Wenn Sie nein sagen, müssen Sie ebenfalls die Konsequenzen zu übernehmen bereit sein; nicht nur jetzt, sondern auch in der Zukunft. Wir werden jedenfalls die Entscheidung für uns jetzt treffen, auch wenn Sie nicht oder noch nicht auf der Regierungsbank sitzen.
Die Sozialdemokraten sagen: Ein starker deutscher Wehrbeitrag in einer großen europäischen Armee ist eine Provokation für die Sowjet-Union und gefährdet den Frieden. So haben wir es vor wenigen Tagen aus verschiedenen Federn Ihrer Partei in den Zeitungen gelesen. Gleichzeitig jammern Sie, daß der EVG-Vertrag militärisch nicht wirksam genug sei und die Gefahr einer schwachen Europa-Armee mit sich bringe. Kollege Ollenhauer bedauerte am letzten Sonntag, daß der militärische Teil der Verträge erst ab 1955 wirksam werde. Ja warum denn die ganze Aufregung? Bis dahin haben wir doch Neuwahlen gehabt, Kollege Ollenhauer.
({56})
Wenn Sie nächstes Jahr ins Geschäft kommen, sind Sie 1955 mit dabei. Wenn nicht, ist es wiederum umsonst gewesen.
({57})
Sie werden doch nicht sagen, daß Sie vor 1955 einen Krieg führen wollen. Wir auch nicht und natürlich auch nachher nicht.
({58})
Die Sozialdemokraten sagen, durch die Verteidigung werden zu große wirtschaftliche und finanzielle Lasten den Völkern auferlegt, deren weltanschauliche und soziale Widerstandskraft gegenüber dem Bolschewismus darunter leide. Gleichzeitig stellten sie fest, daß eine noch viel größere Armee in noch kürzerer Zeit aufgebaut werden müßte, um einen wirksamen Schutz zu garantieren. Das ist ins Politische übersetzt dieselbe Logik, als wenn ich sage: wenn ein Bein zu kurz ist, muß das andere zwangsläufig zu lang sein.
({59})
Kollege Gülich hat heute morgen Zweifel an Amerikas Hilfsbereitschaft für die nächsten Jahre ausgesprochen. Nun, ich glaube, wir können hier ruhig nach dem gesunden Menschenverstand in dieser Frage urteilen. Haben sie uns in den Jahren, in denen sie innerlich unsere Gegner waren und wir ihnen nichts bedeutet haben, mit Rohstoffen und Lebensmitteln im Werte von mehr als 10 Milliarden DM geholfen, dann werden wir in Zukunft noch mehr auf ihre Hilfe rechnen können. Dann reden wir heute nicht um 100 Millionen herum, wie es heute morgen geschehen ist.
({60})
Im übrigen sind alle sozialen Leistungen umsonst, wenn wir durch eine wankelmütige Politik unsere Freiheit verspielt haben.
({61})
Die Sozialdemokraten sagen, im französischen und italienischen Teil der Europa-Armee gebe es zuviele Kommunisten; man wüßte nicht, wohin ihre Panzer schießen werden, wie Kollege Erler neulich in der „Süddeutschen Zeitung" meinte. Als ob es für uns besser wäre, wenn eine französische und italienische Nationalarmee ohne europäische Zusammenfassung und damit ohne deutschen Einfluß weiterhin bestehen bliebe.
({62})
Kurzum: die Politik der Sozialdemokratie hat in
ihrer Überspitzung einen Stand erreicht, bei dem
der innere Widerspruch zum Prinzip erhoben wird.
({63})
Für sie ist Politik heute weitgehend Sinngebung des Sinnlosen geworden.
({64})
- Wenn Sie wieder zur Ruhe gekommen sind, dann darf ich an Sie eine Frage richten. ({65})
Wie stellen Sie sich denn eine europäische Verteidigung vor, die auch Deutschland Sicherheit und Frieden gibt? Sie nörgeln in zersetzender Weise an einzelnen Bestimmungen herum.
({66})
Ich habe hier einige Auszüge aus der sowjetzonalen Presse vom 3. Dezember. Ich darf vielleicht mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nach der beliebten Formel fünf Zeilen ungefähr zitieren. Dort heißt es:
Die Notstandsklausel ist ein Freibrief, durch fremdländische Militärdiktatur das deutsche Volk zu knechten.
Die Kommunisten werden schreien: Sehr richtig! Sie haben bis jetzt nur gelacht.
({67})
- Sie müssen schneller reagieren mit Ihren Zwischenrufen.
({68})
Der Generalvertrag
- heißt es weiter soll die Souveränität und Unabhängigkeit an die Westmächte verschachern.
({69})
Mit Hilfe des Generalvertrages sollen die letzten Rechte des deutschen Volkes zerschlagen werden.
({70})
Der Generalvertrag bedeutet den Verzicht auf nationale Unabhängigkeit, Freiheit und Souveränität.
({71})
Herr Kollege Arndt, glauben Sie, daß die sowjetzonale Presse die deutsche Verfassung richtiger oder besser auslegt als Bundesregierung und Regierungsmehrheit? Ein Teil ihrer Argumente entspricht in verzweifelter Ähnlichkeit diesen Zeilen hier.
({72})
({73})
Wir geben uns keiner Täuschung darüber hin, daß viele psychologische, technische, materielle Schwierigkeiten überwunden werden müssen, um zu einem europäischen Verteidigungsinstrument zu gelangen. Es besteht kein Zweifel, daß es in der Großdeutschen Wehrmacht besser klappte und daß bei der Roten Armee die Dinge einfacher liegen, als es zunächst bei der Europa-Armee der Fall sein wird.
Die Sorge der SPD um die militärische Wirksamkeit des Vertrags wird auch von uns ernst genommen. Aber wir benutzen diese Sorge nicht, um damit gegen diesen Vertrag Propaganda zu machen, mit der Absicht, ihn zu torpedieren, sondern wir suchen nach dem besten Wege, um politische Zwecke und militärische Notwendigkeiten zu vereinigen. Der stärkste Ausdruck der nationalstaatlichen Tradition sind die Nationalarmeen. Darum war nach unseren Grundsätzen auch dort der Hebel anzusetzen und nicht bei der europäischen Einigung über Briefmarken oder Fahrpläne. Es handelt sich aber - und das sei noch einmal festgestellt - nicht so sehr um die zweckmäßigste Form einer raschen militärischen Aufrüstung als darum, mit dem Abschluß dieses Vertrags dem militärischen Objekt und politischen Vakuum Deutschland einen festen politischen Standort zu geben,
({74})
um es damit der Unklarheit und Unsicherheit zu entreißen, in der es sich bisher befindet und in der es von seinen ausländischen Gegnern gerne weiter erhalten würde.
Bei dem Abschluß dieses Vertrages hatten wir drei Ziele: erstens Menschenkraft und Hilfsquellen der freien und mächtigen Völker der Welt auch für die deutsche Sicherheit und Wiedervereinigung zu mobilisieren, zweitens einen weiteren planmäßigen Schritt für die Einigung Europas zu vollziehen, drittens Angst und Unsicherheit in unserem Volk und bei den anderen freien Völkern Europas zu beheben und die Grundlagen für einen echten Frieden zu schaffen. Die Feststellung ist nicht übertieben, daß die militärische Bedeutung dieses Vertrages nur eine Funktion seiner politischen Konzeption und seiner politischen Konsequenz ist.
Es ist vielleicht ein erfreuliches Zeichen, daß trotz des andauernden Koreakrieges die Diskussion um die akute Bedrohung der Sicherheit unserer Völker wieder in den Hintergrund getreten ist. Das beweist zwar Licht, daß eine Gefahr nicht mehr la ist, wenn von ihr nicht mehr gesprochen wird; aber das beweist die wachsende Zuversicht und innere Sicherheit der freien Völker, und das beweist ferner, daß trotz aller Rückschläge und Verögerungsmanöver die Zeit genutzt worden ist, um lie Aussichten für einen Angreifer weiter zu verschlechtern. Dieser Eindruck wird durch die beonte sowjetische diplomatische Aktivität und politische Untergrundtätigkeit verstärkt. Zweck dieser ganzen Manöver ist doch heute nur der, die freien Völker der Erde wieder einzuschläfern, sie zum Erlahmen in ihren Bemühungen zu bringen, damit lie andere Seite, nämlich Terror und Zersetzung als Vorbereitung des militärischen Überfalls, wieder angewendet werden kann.
Nach den vielen an die Sowjetunion verlorenen tunden im Kalten Krieg ist damit, daß sich die Nestmächte nun zu einer konstruktiven Politik egenüber den besiegten Völkern entschlossen haben, zum ersten Mal eine große Runde für die freien Völker auf der Welt gewonnen worden.
({75})
Teheran, Jalta und Potsdam waren nicht die Konferenzen der Sieger des zweiten Weltkriegs, sondern die ersten Niederlagen der Westmächte gegenüber der Sowjetunion.
({76})
Der Abschluß dieser Verträge ist nach unserem Erfolg im Kampf um Berlin die zweite große ent- scheidende Niederlage der sowjetischen Politik gegenüber Deutschland und Europa.
({77})
Es ist nicht unsere Schuld, daß bei dieser zweiten Runde die SPD bis jetzt eine unrühmliche Rolle gespielt hat.
.({78})
Die Opposition wirft uns vor, daß mit diesem Vertrag der Versuch gemacht wird, eine Politik der Stärke zu betreiben.
({79})
Kollege Erler von der SPD hat vor kurzem diese Politik der Stärke als ein Spiel mit dem Kriege bezeichnet. Herr Ollenhauer und seine politischen Freunde wollen nicht sehen, daß man nur durch eine Politik der klaren Lösungen und der Entschlossenheit den Krieg vermeiden kann, wollen nicht sehen, daß das Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel, das die SPD um diese Verträge herum betreibt, Unsicherheit und Verworrenheit der deutschen Lage erzeugen.
({80})
Auch hier ist die Beweisführung der SPD schwach und zwiespältig. Einmal greift sie in tiefer Besorgnis um die militärische Stärke der Europa-Armee den Vertrag an, weil er eine schwache Armee schaffe, dann behauptet sie, daß diese Europa-Armee die Kriegsgefahr erhöhe. Eines dürfen wir klar und eindeutig feststellen. Kein vernünftiger Mensch denkt daran, mit einem deutschen Verteidigungsbeitrag ultimativ militärischen Druck zu erzeugen, um die deutsche Einheit wiederherzustellen oder andere Fragen zu lösen.
({81})
Hier werden unserer Politik - zum Teil bewußt und mit Absicht und mit schädlichen Folgen - falsche Motive unterstellt. Wir sind ferne von jeder Kraftmeierei.
({82})
Säbelrasseln gehört nicht in die Sammlung unserer politischen Mittel. Die Kraftmeierei wird von der SPD verbrochen mit ihrer Politik der falschen Einschätzung der deutschen Position und mit ihrer verhängnisvollen Propaganda, daß die anderen auf uns angewiesen seien und die Bundesregierung sich zu billig verkauft habe.
({83})
Leider haben damit die Sozialdemokraten den Boden der Tatsachen verlassen
({84})
und sich in den Bereich der politischen Astrologie begeben.
({85})
Wir brauchen aber keine Politik nach Horoskop in unserer schwierigen deutschen Lage. Wir brauchen eine Politik der Klarheit.
({86})
Herr Kollege Erler, wegen Ihres Vorwurfs, das
sei Spiel mit dem Kriege, würde ich Ihnen, wenn
ich Sie nicht jetzt bei den Ausschußverhandlungen
so gut kennengelernt hätte, den Vorwurf machen,
daß Sie daherreden wie ein bußetuender Militarist.
`({87})
- Ich sage ja: wenn ich Sie nicht kennte! ({88})
- Geben Sie doch diese Lehren, Herr Kollege Schoettle, von der Demagogie Ihrer eigenen Fraktion! Spielen Sie doch nicht immer den politischen Lehrer!
({89})
Meine Damen und Herren von der SPD, warum machen Sie sich den Ausspruch Ihres Berliner SPD-Oberbürgermeisters in einer Kundgebung vom 7. September 1952 nicht zu eigen? Herr Reuter hat wörtlich erklärt:
Es gibt keinen wichtigeren Satz für eine weit-schauende Politik als den: Macht die Bundesrepublik so stark wie möglich!
({90})
Hören Sie folgende Ausführungen des SPD-Oberbürgermeisters Reuter. Er sagt wörtlich: - ({91})
- Im Ministerpräsidentenrang Regierender Bürgermeister! Danke, nehme es zur Kenntnis, die Achse München-Berlin wird darunter keinen Schaden leiden!
({92})
Hören Sie folgende Ausführungen des SPD-Mannes Reuter.
({93})
- Nein, nicht bis nach Rom, so weit sind wir noch nicht!
({94})
Je schneller die neue Entwicklung zur westlichen Völkerfamilie vorangetrieben werden kann, d. h. je mehr die westlichen Völker sich ihrer überlegenen Kraft bewußt werden, dm so eher wird der Block der östlichen Diktatoren gezwungen sein, die Konsequenzen aus seiner Schwäche zu ziehen.
({95})
Dann wird der Weg frei sein zu einem in Frieden geeinten Europa.
({96})
Das ist nicht die Sprache der SPD im deutschen Bundestag. Das ist die Sprache des Berliner SPD-Bürgermeisters aus der Gefahr seiner Stadt und aus der Praxis der Verantwortung heraus.
({97})
Das klingt anders, als wenn die Parteimänner Brandt und Wehner hier über die gleiche Frage sprechen.
({98})
Bisher, meine Damen und Herren von der SPD, sind Sie uns auf die Frage, welchen Weg denn Sie gehen würden, die Antwort schuldig geblieben. Sie sind diese Antwort auch dem deutschen Volk schuldig geblieben. Sie haben statt dessen manchmal in der Vergangenheit den Ohne-mich-Standpunkt für Wahlzwecke in zum Teil übertriebener Weise ausgenutzt.
({99})
Herr Kollege Gülich, Sie haben heute morgen davon gesprochen, daß die Politik der Stärke - ich erinnere an Reuter - schon einmal von A bis Z, d. h. von Adolf bis Zusammenbruch geführt habe.
({100})
Lassen Sie sich sagen, daß Ihre Politik der Schwäche, der politischen und logischen Schwäche, von Arndt - ich meine nicht Ernst Moritz Arndt, sondern Adolf Arndt, Ihren Fraktionskollegen - zu Z, zur Zwangsarbeit in Sibirien, in konsequenter Folge führen wird!
({101})
Meine Damen und Herren von der SPD, haben Sie denn nichts aus den zwölf Jahren des Dritten Reichs gelernt?
({102})
Haben Sie vergessen, daß die Politik der Schwäche der Westmächte letzten Endes Hitler zum Krieg verführt hat?
({103})
Wissen Sie denn nicht, daß deutsche Generale in der Not ihres Gewissens und im Konflikt mit ihrem Eid das Ausland darauf aufmerksam gemacht haben, daß nur eine Politik der Stärke den Diktator vom Kriege abhalten kann?
({104})
Sie haben in die politische Debatte das Zauberwort der Viererkonferenz geworfen und in manchen Spiegelfechtereien den Eindruck erwecken wollen, als ob mit einer Viererkonferenz unter den gegenwärtigen Umständen die unbequemen Entscheidungen - das gebe ich gern zu -, die jetzt zu treffen sind, vermieden oder umgangen werden können.
({105})
Sie können höchstens verzögert werden, unter Umständen so lange, bis es zu spät ist.
({106})
Sie wissen ganz genau, daß Sie mit diesem schönen Appell nur eine politische Deklamation erhoben haben.
({107})
Es handelt sich gar nicht darum, in erster Linie den guten Willen der Westmächte für die Wiedervereinigung Deutschlands jetzt zu prüfen; es handelt sich darum, daß die Sowjets auf die einstimmigen Noten der Westmächte endlich eine befriedigende Antwort geben, die einen Ansatz zu Verhandlungsmöglichkeiten bedeutet. Das ist bisher nicht geschehen.
Ich beziehe mich hier auf den Bericht Ihres
eigenen Kollegen Dr. Bärsch - den Minderheitsbericht des Ausschusses -, in dem es heißt:
Der Appell an das Recht wird die Sowjets nicht berühren. Der Versuch, mit einem Appell an das Recht die Sowjets zur Zustimmung zur Wiedervereinigung zu veranlassen, wäre von vornherein als von einer Illusion ausgehend zu betrachten.
({108})
Wir schließen uns diesem Wort an und danken für diese Ehrlichkeit.
({109})
({110})
Der Abgeordnete Wehner hat in der 222. Sitzung am 10. Juli ausgeführt:
Die Bundesrepublik kann Viermächteverhandlungen nicht erzwingen. Sie hat auch nicht die
Möglichkeit, Inhalt und Verlauf von Viermächteverhandlungen eindeutig zu bestimmen. Kollege Brandt hat gestern oder vorgestern den schönen Satz aufgestellt, in der Politik sei es besser zu wissen als zu glauben.
({111})
Nun, meine Damen und Herren von der SPD, können Sie wohl nicht bestreiten, daß Ihre Forderung nach einer Viermächtekonferenz unter den gegenwärtigen Umständen nichts anderes ist als ein politisches Glaubensbekenntnis einer in Verlegenheit befindlichen Partei.
({112})
Sind Sie sich denn darüber im klaren, daß Sie mit Ihrer Forderung nach einer erfolgreichen Viermächtekonferenz und mit Ihrem Vorschlag -- das zweite gehört unabdingbar dazu -, so lange eine konkrete politische Bindung mit dem Westen abzulehnen, das Gesetz des Handelns wieder in die Hände der Sowjets zurückgeben, denen es mühsam genug entrissen worden ist?
({113})
Ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht, mit diesem Zeitplan arbeiten Sie den Plänen des Politbüros in die Hand, auch wenn Sie es nicht wollen.
({114})
Kollege Carlo Schmid hat am 9. Juli 1952 gesagt:
Sollten die Russen durch ihr Verhalten unmißverständlich zeigen, daß sie die Einheit Deutschlands nicht wollen - es sei denn in der Form einer russischen Provinz -, dann wird eine neue Lage geschaffen sein. Dann wird man
- er sagte nicht: „jetzt konkrete Verträge schließen" sich überlegen müssen, was auf Grund der
neuen Lage zu geschehen haben wird.
Herr Ollenhauer hat sich dem am 7. Mai 1952 angeschlossen, als er sagte:
Der gegenwärtige Entwurf des Generalvertrags
-- es war vor der Vorlage in der ersten Lesung, vor der ersten Ausschußberatung! wird von der SPD auch dann abgelehnt, wenn Viermächtebesprechungen über Deutschland mit einem Fiasko enden sollten.
({115})
Nun haben wir seit dem 27. Mai diesen Vertrag in der Hand und haben ihn beraten. Am 7. Mai haben Sie erklärt, Sie lehnen ihn ab. Im Dezember haben Sie erklärt, Sie haben zu wenig Zeit gehabt, ihn kennenzulernen, um über ihn zu entscheiden. Herr Kollege Ollenhauer hat nach Zeitungsmeldungen außerhalb des Sitzungssaals beim Mailänder Sozialistenkongreß erklärt:
Für die SPD entsteht eine neue Situation, wenn sich die Verhandlungen mit Moskau zugunsten eines in Freiheit vereinigten Deutschlands als ergebnislos herausstellen sollten.
Dann also, Kollege Ollenhauer, wollen Sie zu
überlegen beginnen! Sie dürfen einer Regierungspartei nicht übelnehmen, daß sie in ihrer Verantwortung die Mühe der Überlegung etwas früher auf sich nehmen muß.
({116})
Ihre Politik dreht sich mit diesem Zeitpunkt rundherum wie ein Karussell. Viele Runden im Leerlauf sind aber noch lange kein Fortschritt.
({117})
Wir wollen Ihnen gar nicht bestreiten, daß die Sowjets jetzt gern nach ihrer eigenen - ich meine der sowjetischen - Tagesordnung mit Deutschland verhandeln würden. Wer gibt Ihnen aber den leisesten Anhaltspunkt dafür, daß diese Gespräche jetzt anders verlaufen würden als die 260 Verhandlungstage über den österreichischen Staatsvertrag, die 350 ergebnislosen Sitzungen beim Waffenstillstand in Korea? Der einzige Anhaltspunkt für Sie ist doch nur Ihre eigene Illusion und Ihre starrköpfige Weigerung, eine gemeinsame Außenpolitik mit der Bundesregierung und uns zu machen.
({118})
Bei jeder Gelegenheit, meine Herren von der SPD, betonen Sie die Schwäche und Unzuverlässigkeit Frankreichs, ganz besonders hinsichtlich seiner Einstellung zur deutschen Einheit. Wer gibt Ihnen denn die Garantie, daß eine ViermächteKonferenz hinter verschlossenen Türen über das Schicksal einer wehrlosen Bundesrepublik und eines gespaltenen Volkes, an der Frankreich teilnimmt und Deutschland nicht teilnimmt, für uns besser ist als eine vertragliche Verpflichtung aller Westmächte zur Wiedervereinigung Deutschlands in einem Bündnissystem, in dem man über diese Frage ohne Deutschland nicht mehr diskutieren kann?
({119})
- Sie hätten doch Opernsängerin werden sollen, und die Moskauer Oper hätte mit Ihnen pleite gemacht.
({120})
Wir haben doch wahrlich genug Erfahrungen mit Konferenzen dieser Art gemacht. Die Sowjets wollen verhandeln, verhandeln und wieder verhandeln; aber sie wollen keine Entscheidungen.
({121})
Der Westen hat bei solchen Konferenzen immer noch den Kürzeren gezogen, während die Gegenseite den Rahmen dieser Konferenzen nur für politische Deklamationen benutzt hat. Die erste Unterbrechung in dieser Kette von Mißerfolgen für den Westen war der Friedensvertrag mit Japan, 1 und der mußte ohne die Sowjetunion gemacht werden.
Es ist ein absoluter Aberglaube, es ist ein gefährliches Argument in Ihren Händen, zu erklären und zu glauben, die Sowjets würden nach der Ratifizierung nicht mehr zu Verhandlungen bereit sein. Die- Verhandlungsmöglichkeiten mit der Sowjetunion werden kommen. Welche Vorschläge dann zu machen und welche Änderungen an dem geplanten System dann zu treffen sind, das werden wir uns überlegen, wenn wir die Plattform dafür haben werden.
({122})
({123})
Der EVG-Vertrag ist - das ist der einstimmige Wille all derer, die zu ihm ja sagen - ein reiner Verteidigungsvertrag. Ein Friede in Freiheit ist das oberste Ziel einer jeden Politik. Wir sagen auch hier - und wir werden es auch in der Verwirklichung des Vertrags sagen - ein Nein zu jedem Präventivkrieg.
Aber gegenüber anderen Stimmen darf ich hier, wieder auch in genauer Interpretation des Vertragstextes, sagen, daß auch ein Verteidigungskrieg nur mit deutscher Zustimmung ausgelöst werden könnte. „So ist es mit dem Geld", sagte gestern Kollege Arndt, und dann sagte er weiter: „So ist es mit dem Blut! Über die Kriegserklärung soll deutscherseits ein einziger Mann", sagte er wörtlich, „insgeheim mitbestimmen können: der deutsche Minister im Europäischen Ministerrat."
Meine Damen und Herren! Sie werden jetzt schreien, wenn ich Ihnen sage, daß das schlechthin Blödsinn ist!
({124})
In erster Linie entscheidet über die Frage, Krieg oder nicht, Stalin oder sein Nachfolger. Im Ernstfall wird vielleicht nicht viel Zeit zum Überlegen sein. Aber glauben Sie denn, daß bei diesem System oder bei dieser Lage überhaupt jemand anders als wir zuerst angegriffen werden kann? Und glauben Sie, daß ein Deutscher, sei es Außenminister, sei es Verteidigungsminister, ohne einen Beschluß seines Kabinetts, ohne Zustimmung seines Parlaments in dieser Lage seine Stimme abgeben kann?
({125})
Das ist doch Spitzfindigkeit, um politische Argumente zu kriegen und das Volk in der übertriebensten Weise irrezuführen.
({126})
Wenn uns dann gestern noch ein Unterschied zwischen NATO und EVG durch Herrn Kollegen Arndt aufgezeigt wurde, als ob die Beteiligung bei NATO allein das Vorteilhaftere wäre, dann ist das eine genaue Verkehrung der wirklichen Tatsachen. Der Atlantik-Vertrag zwingt auch im Angriffsfall keinen anderen Staat zu militärischen Maßnahmen. Er zwingt ihn nur zur Beratung. Das Ausmaß der Maßnahmen bleibt dem betreffenden Staat überlassen. Im EVG-Vertrag wird der Sicherheits-Automatismus von selbst für sämtliche Streitkräfte ausgelöst, und hier stehen zuerst Divisionen anderer Nationen für Deutschland ein, bevor wir für sie einzustehen hätten.
({127})
Ob Deutschland als Nichtmitglied des Atlantikpakts benachteiligt ist oder nicht, ob größere Gefahren oder ein größeres Risiko sich ergeben, welche Vorteile sich aus einem Beitritt zum Atlantikpakt ergeben sollten, das bedarf noch einer genauen politischen Überlegung, einer genauen Klärung. Aber so gering würde ich den deutschen Einfluß nicht einschätzen, daß ich sagen würde: „Island, das Mitglied im Atlantikpakt ist, hat einen entscheidenden Einfluß; Deutschland hat keinen Einfluß, weil es die formelle Mitgliedschaft nicht besitzt." Ob und wann wir Mitglied werden, ist noch nicht entschieden. Aber eines ist klar: daß in sämtlichen Hauptquartieren, in sämtlichen Stäben der AtlantikpaktOrganisation Deutschland mit sämtlichen europäischen Atlantikpakt-Ländern gleichberechtigt, d. h. paritätisch nach seinem Beitrag, vertreten ist.
Ebenfalls hat Herr Kollege Arndt eine falsche Tatsache vorgetragen, wenn er sagte, Deutschland könne nicht mitbestimmen, nach welchen Grundsätzen der Atlantikpakt-Oberbefehlshaber den Oberbefehl ausübe. Das ist sachlich falsch. Im Ar-. tikel 123 des EVG-Vertrags ist klar und eindeutig festgelegt, daß ein einstimmiger Beschluß des Ministerrats dafür erforderlich ist.
({128})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn dann Herr Kollege Brandt noch erklärt hat, in Frankreich, in Belgien, in England, in Amerika sei Widerstand gegen diese Verträge vorhanden - ja, fragen Sie doch, welche Kreise diesen Widerstand ausüben. Das ist ein Herr de Gaulle, der erklärt hat: „Bonn hat zu viel erreicht, hat Gleichberechtigung ohne Gegenleistung erreicht! Bonn hat große Vorteile hereingeholt." Bonn habe in diesen Verträgen in sieben Jahren eine unglaubliche Wandlung der Dinge hervorgerufen; Frankreich habe seine Selbstaufgabe damit unterschrieben. - Das sind die Kräfte gegen die Verträge. Ich beneide Sie nicht, wenn Sie eines Tages als Regierungspartei mit diesen Kräften einen Deutschland-Vertrag schließen wollen!
({129})
- Meine Damen und Herren, Sie sind auch sonst in der Anwendung der Redezeit bei großen Fraktionen nicht so kleinlich!
({130})
Meine Damen und Herren, wir haben uns gestern die Ausführungen des Kollegen Dr. Arndt über die verfassungsrechtliche Situation und die anderen damit zusammenhängenden Fragen angehört. Einen Teil der notwendigen Antworten können wir aus Zeitgründen nicht mehr geben. Ich glaube aber, wir dürfen ohne Übertreibung feststellen, daß das Recht der Notwehr einem Volke durch keine Auslegung der Verfassung genommen werden kann. Zeitweise mag uns die Ausübung der Notwehr durch die Alliierten untersagt worden sein. Sie stellen Ihren SPD-Verfassungsgesetzgebern im Parlamentarischen Rat ein schlechtes Zeugnis aus, wenn Sie heute behaupten, daß damals diese Frage bewußt und freiwillig weggelassen worden sei. Es gibt keinen Staat, der die Pflicht verleugnen könnte, für seinen Bestand, für die Freiheit und das Leben seiner Bürger die Vorsorge zu treffen.
({131})
Diese Pflicht nimmt ihm kein Verfassungsgericht
heute ab. Auch die Verteidigung ist ein Instrument
der Demokratie. Das Vertragswerk versagt uns
({132})
nicht die Wehrhoheit, wie gestern behauptet worden ist. Es gibt hier keinen Unterschied zwischen sachlicher Verteidigungslast und den persönlichen Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind. Nehmen Sie doch alles in allem zusammen! Der EVG-Vertrag war ohne Zweifel für Sie im Ausschuß - das möchte ich den sozialdemokratischen Kollegen gern ausstellen - ein Gegenstand ernster Prüfung, um die Entscheidungen für Sie vorbereiten zu können; es wäre unehrlich und unfair, das hier nicht zu sagen. Im politischen Kampfe in Deutschland ist der EVG-Vertrag für Sie nur ein Mittel in ihrem Instrumentarium zum Sturz der Regierung. Der Zweck für Sie ist in diesem Falle nicht, die bessere Lösung zu finden; der Zweck ist für Sie, ihre politischen Wünsche durchzusetzen.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Mit der Politik, die Sie wollen, kommen wir auf keinen grünen Zweig, aber vielleicht - zu einer roten Regierung.
({133})
Das Wort hat der Abnete Ollenhauer.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese zweite Lesung der Verträge ist so ziemlich das Merkwürdigste, was wir bisher in
I) diesem Hause erlebt haben.
({0})
Die zweite Lesung soll den ausgesprochenen Zweck der Einzelberatung haben, aber der Herr Bundeskanzler hat gestern und vorgestern praktisch eine Rede gehalten, die die dritte Lesung vorwegzunehmen versuchte, und eben haben wir erlebt, daß der Herr Kollege Strauß, mindestens was die Länge seiner Rede angeht,
({1}) den Versuch gemacht hat, dem Beispiel des Herrn Bundeskanzlers zu folgen.
({2})
- Davon bin ich überzeugt, Herr Schröder, das merken wir auch. Nur müssen Sie sich darüber klar sein, daß die Länge der Rede j a noch nichts beweist für die Qualität ihrer Argumente.
({3})
- Herr Schröder, ich möchte Sie bitten, daß wir versuchen, miteinander so auszukommen, daß Sie verstehen, was ich hier sage. Sie haben ja die Möglichkeit, hinterher vor dem Hause Ihre Ansichten zu entwickeln. Sie werden aber verstehen, daß es ein berechtigtes Anliegen der Opposition ist, nach all dem, was wir hier an Angriffen erlebt haben, auch mit aller Eindeutigkeit unsere Meinung zu sagen.
({4})
Für uns ist der Ablauf dieser Tagung, dieser zweiten Lesung nicht nur wegen der Art, wie der
Herr Bundeskanzler sie eingeleitet hat, von besonderem Interesse, sondern auch wegen der Dinge, die sich gestern und heute im Zusammenhang mit der geplanten Verabschiedung der Verträge ereignet haben. Offensichtlich hat der Herr Bundeskanzler wieder einmal einen seiner einsamen Entschlüsse gefaßt.
({5})
Derselbe Herr Bundeskanzler, der seit dem Sommer dieses Jahres um Tage und Stunden für einen früheren Termin der Ratifizierung gekämpft hat, der noch in der vorigen Woche die Abstimmung über den Beratungstermin zu einer hochpolitischen Angelegenheit gemacht hat und der nach der Abstimmung stolz erklärte: Die Verträge werden noch im Dezember ratifiziert, hat gestern seine eigene Fraktion mit dem Vorschlag überfahren, die dritte Lesung auszusetzen.
({6})
- Nun, das spricht sich rum, Herr Wuermeling.
({7})
Bisher hieß es, wer die Ratifizierung der Verträge auch nur um einen Tag verzögert, gefährdet die Sicherheit der Bundesrepublik und Europas.
({8})
Heute ist die Hinausschiebung der Entscheidung der Weisheit letzter Schluß.
Die sozialdemokratische Fraktion ist für die Vertagung der dritten Lesung, weil diese Vertagung unserer Politik entspricht, und wir stehen hier vor dem seltenen Fall, daß wir uns in der Lage sehen, einem Wunsch des Herrn Bundeskanzlers zur Annahme zu verhelfen,
({9})
auch wenn es Ihnen nicht gelingen sollte, Ihre eigene Koalition völlig wieder auf Vordermann zu bringen.
({10})
Aber unser aufrichtiges Beileid gilt den Regierungsparteien, die so schnell und so heftig umschalten mußten;
({11})
für Sie ist die Lage wirklich nicht einfach, meine Damen und Herren, denn jedermann wird sich doch jetzt fragen: was sind Ihre Argumente gegen die Opposition wert, wenn man sie buchstäblich über Nacht durch eine neue Entscheidung über Bord wirft, nachdem man sie Monate hindurch mit aller Lautstärke und mit dem. Brustton tiefster Überzeugung verkündet hat?
({12})
Die Behauptung, die wir heute in der Presse lesen, man könne mit der dritten Lesung warten, weil die politische Entscheidung praktisch am Ende der zweiten Lesung falle, ist doch so kindlich bzw. setzt doch eine solche Mißachtung des gesunden Menschenverstandes im Volk voraus, daß man sich mit ihr nicht ernsthaft auseinandersetzen kann.
({13})
Erst die Abstimmung in der dritten Lesung bringt die verbindliche politische Entscheidung des Parlaments und nichts anderes.
({14})
Noch erstaunlicher ist die Begründung, die wir (ebenfalls heute in der Presse gelesen haben, die
({15})
Bundesregierung wolle jetzt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, und zwar - so schreiben die Zeitungen - eines bestimmten Senats,
({16})
über die Frage, ob die Verträge mit einfacher Mehrheit angenommen werden können. Gestern und auch noch heute morgen haben uns die Vertreter der Regierungsparteien auseinandegesetzt, daß die Verfassungsmäßigkeit der Verträge keine Frage sei.
({17})
Gestern wurden unsere Argumente noch als juristische Spitzfindigkeiten und als zersetzendes Jakobinertum bezeichnet.
({18})
Heute ruft dieselbe Koalition das Bundesverfassungsgericht an, um gerade die Frage zu klären, die wir seit Jahr und Tag aufgeworfen haben!
({19})
Meine Damen und Herren, wenn es sich hier wirklich nur um die Herbeiführung einer objektiven Entscheidung handelte, hätten Sie diese Entscheidung mit uns gemeinsam schon vor einem Jahr herbeiführen können.
({20})
Aber die Art und Weise, wie nach den Presseberichten Ihr Antrag an das Bundesverfassungsgericht formuliert werden soll oder formuliert worden ist, läßt darauf schließen, daß Sie den Versuch machen wollen, mit Sicherheit eine Ihnen genehme Entscheidung herbeizuführen.
({21})
Dazu, meine Damen und Herren, lassen Sie mich Ihnen in allem Ernst ein offenes Wort sagen: das ist geradezu ein frevelhaftes Spiel mit dem Ansehen und der Autorität des obersten Gerichts der Bundesrepublik.
({22})
Im Interesse der Demokratie können wir nur die Hoffnung haben, daß das Bundesverfassungsgericht sich weigert, sich zu einem solchen Versuch herzugeben.
({23})
Aber was immer geschieht, meine Damen und Herren, Sie sind sich hoffentlich darüber klar, daß Sie mit diesen Manipulationen die moralische und politische Kraft der Verträge im Volke schon zerstört haben, ehe noch über ihre Annahme in diesem Hause entschieden worden ist.
({24})
Die Verträge sind auch sonst in einer den nationalen Interessen direkt widersprechenden Weise zum Gegenstand einer machtpolitischen Auseinandersetzung zwischen Koalition und Opposition gemacht worden.
({25})
- Ich will es Ihnen sagen, warten Sie ab! Ich
werde heute keiner Frage ausweichen, die Sie uns 1 gestellt haben.
({26})
Die Rede des Herrn Bundeskanzlers von vorgestern war dafür das erschreckendste Beispiel. Er hat hier nicht als Repräsentant des ganzen Volkes gesprochen, er sprach als Parteimann.
({27})
- Ich hoffe, Sie verpfichten mich nicht, auf jeden Zwischenruf aus Ihrer Fraktion zu antworten.
({28})
Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß die Opposition der Sozialdemokratie gegen die Verträge von breiten Schichten des deutschen Volkes weit über unsere Wählerschaft hinaus mitgetragen wird.
({29})
Gerade die Anhänger eines deutschen Verteidigungsbeitrags in der jetzt vorliegenden Form müssen doch wissen, daß es eine effektive Verteidigung eines Volkes in einer Zeit, in der die Verteidigung mindestens im gleichen Maße eine militärische und politisch-psychologische Frage ist, nur gibt, wenn sie von der inneren Zustimmung der breitesten Schichten des Volkes, insbesondere der Jugend eines Volkes, getragen wird.
({30})
Meine Damen und Herren. Ihr Versuch. die Verträge mit einer knappen Mehrheit durchzusetzen,
({31})
bedeutet von vornherein die Zerstörung des notwendigen Vertrauensverhältnisses der breitesten Schichten des Volkes zu der geplanten militärischen Verteidigung.
({32})
Es gehört schon ein erstaunliches Maß von politischer Kurzsichtigkeit dazu, den Versuch auch nur zu machen, eine deutsche Verteidigungsorganisation gegen den Willen der großen Mehrheit der arbeitenden Menschen und der Jugend in Deutschland durchzusetzen.
({33})
Meine Damen und Herren, Sie haben durch Ihre Taktik eine Lage geschaffen, in der Sie eine Entscheidung für die Verträge mit einer schweren und weittragenden Vertrauenskrise der Demokratie erkaufen.
({34})
Und für welche positiven Möglichkeiten sind Sie dieses große Risiko eingegangen? Stehen hier die möglichen Vorteile in irgendeinem vertretbaren Verhältnis zu diesem von Ihnen zum Teil sachlich völlig unnötig provozierten Nachteil? Die Einzeldebatte der zweiten Lesung hat bisher schon nach meiner Auffassung ein klares Minus ergeben. Die These der Regierung ist: Der Generalvertrag be({35})
deutet die Rückgewinnung der deutschen Souveränität und den Beginn einer echten Partnerschaft der Bundesrepublik mit anderen westlichen Völkern. Nun, das ist nicht der Fall. Es ist z. B. mit dem Geist der Partnerschaft unvereinbar, daß der Generalvertrag erst wirksam wird, wenn wir den EVG-Vertrag angenommen haben. In einer freien Welt kann und darf man die demokratischen Grundrechte des einzelnen und der Völker nicht zum Handelsobjekt machen;
({36})
man hebt sonst selbst das Prinzip auf, für das man zu kämpfen vorgibt.
({37})
Das aber ist hier geschehen; denn wichtige souveräne Rechte behalten sich die drei Westmächte weiterhin vor. Das gilt vor allem - ich will nicht in die Einzelheiten gehen - für die Notstandsklausel und für den Art. 7 betreffend die Einheit Deutschlands.
Die Notstandsklausel ist, wie immer man sie ansieht und wie immer man sie zu entschärfen versucht, der Art. 48 der Weimarer Verfassung
({38})
mit dem verschärfenden Unterschied, daß er jetzt von den drei anderen Vertragspartnern gegenüber der Republik in Funktion gesetzt werden kann. Denn die Entscheidung darüber, ob der Notstand gegeben ist, liegt eben bei den drei anderen Verhandlungspartnern.
({39})
In bezug auf die Einheit Deutschlands legen wir - ich glaube, unbestrittenermaßen -- mit diesem Vertrag die Entscheidung über Initiativen und Aktionen zur Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit in die Hände der drei Westmächte. Der stärkste und sinnfälligste Ausdruck einer zurückgewonnenen oder zurückgegebenen Souveränität der Bundesrepublik müßte doch die Freiheit der Bundesrepublik sein, in Fragen der deutschen Einheit selber aktiv zu werden.
({40}) Das Gegenteil ist hier der Fall.
Man sagt: Wir standen nur vor der Wahl, diesen Generalvertrag anzunehmen oder den alten Zustand unter dem Besatzungsstatut -beizubehalten.-Die Zeit des Besatzungsregimes ist vorbei. Das ist nicht unser Verdienst als Deutsche, es ist die unausweichliche Konsequenz der internationalen Entwicklung nach 1947.
({41})
Die Ablehnung des Generalvertrags bedeutet nicht
Rückkehr zum Besatzungsstatut oder zu etwas noch
Schlechterem, wie der Herr Bundeskanzler meint.
({42}) Das Besatzungsstatut ist tot.
({43})
Das tatsächliche Verhältnis zwischen den drei westlichen Besatzungsmächten und uns beruht zur Zeit auf dem guten Willen der Beteiligten, miteinander auszukommen.
({44})
Man kann in der gegenwärtigen internationalen
Lage der Bundesrepublik Deutschland nicht die
Rechte verweigern, die man seit langem dem italienischen Volk gewährt hat, das schließlich auch unter Mussolini gezwungen wurde, den Krieg mitzumachen.
({45})
In Wirklichkeit ist die Lage so, daß wir mit der Annahme des Generalvertrags einen Status akzeptieren und durch Vertrag konservieren, der durch die Entwicklung bereits überholt ist.
({46})
Man sagt, wir könnten nicht hinter Großbritannien und den uSA zurückstehen, die den Generalvertrag längst ratifiziert haben. Nun, meine Damen und Herren, dieses Argument sollten Sie sich schenken. Beide Vertragsmächte wissen, daß die Zeit des Besatzungsregimes überholt ist. Mr. Eden hat das in der Debatte im Unterhaus über den Generalvertrag am 31. Juli 1952 ausdrücklich festgestellt. Es konnte daher für die anderen Vertragspartner keine günstigere Lösung geben als eine vertragliche Vereinbarung, in der sich die Bundesrepublik durch ihre Unterschrift verpflichtet, den drei Westmächten auch für die Zukunft weitgehende Eingriffsmöglichkeiten in die innen- und außenpolitischen Angelegenheiten Deutschlands zuzugestehen. Gewiß, wir brauchen eine Regelung unserer Beziehungen zu den drei Westmächten, solange ein Friedensvertrag mit Deutschland infolge der Differenzen zwischen den vier Besatzungsmächten nicht möglich ist. Aber diese Regelung muß eine friedensvertragsähnliche Regelung in der Richtung des Friedensvertrags mit Italien oder Japan sein, nicht aber eine vertragsmäßige Versteinerung von Vorrechten einer reinen Besatzungspolitik.
({47})
Wir schreiben jetzt Dezember 1952. Die Grundzüge des Generalvertrags haben die drei Westmachte vor zwei Jahren in Washington festgelegt. Damals schon waren die Beschlüsse ein mühsames Kompromiß zwischen der Notwendigkeit, einem zur Mitverteidigung aufgerufenen Volk größere Rechte zu geben und trotzdem wichtige Besatzungsvorrechte weiter beizubehalten. Dieses Kompromiß war in sich unmöglich, aber heute ist es außerdem durch die Entwicklung überholt. Seine Annahme durch den Deutschen Bundestag in diesem Zeitpunkt würde nichts anderes sein als ein Hemmnis in der unvermeidlichen Entwicklung der Beziehungen zwischen dem Westen und der Bundesrepublik zu einer echten Partnerschaft.
({48})
Es ist leichter, meine Damen und Herren, nach der Ablehnung eines Vertrages neu zu verhandeln, als einen angenommenen Vertrag zu revidieren.
({49})
Hier liegt der entscheidende Punkt! Auch Sie, meine Damen und Herren von der Mehrheit, können den Vertrag heute nur noch unter der Voraussetzung einer baldigen und durchgreifenden Revision annehmen.
({50})
Der Herr Bundeskanzler will lieber die Dynamik der Entwicklung an die Stelle der Revision setzen. Nun, ich glaube, das ist eine außerordentlich gefährliche Formulierung.
({51})
({52})
Bis jetzt war die These von der Dynamik der Entwicklung die Rechtfertigung von Diktaturen für ihre Politik der Gewalt und der Zerreißung von Verträgen.
({53})
Vor dem Hintergrund dieser historischen Erfahrungen ist ein Hinweis auf die Dynamik der Entwicklung ein geradezu tödlicher Stoß gegen denGlauben an die Vertragstreue!
({54})
Nach dieser öffentlichen Erklärung des Bundeskanzlers von gestern ist ein klares offenes Nein die einzige Möglichkeit, um zu verhindern, daß kommende Verhandlungen zwischen uns und den Westmächten mit einem alles zerstörenden Mißtrauen belastet werden.
({55})
Meine Damen und Herren, ich komme nun zu dem Kernstück, zum EVG-Vertrag. Gestatten Sie mir aber noch vorweg eine allgemeine Feststellung. Der Herr Bundeskanzler hat vorgestern auch die von ihm nicht bestrittenen Unzulänglichkeiten der Verträge damit zu erklären versucht, daß wir doch die Schuld Deutschlands am Hitlerkrieg nicht vergessen dürften und daß wir nicht vergessen dürften, daß uns in den Verhandlungen die Regierungen dreier Siegermächte gegenübergestanden hätten, während wir machtlose Besiegte seien. Pardon, Herr Bundeskanzler, wovon reden wir hier eigentlich?
({56})
Ist der EVG-Vertrag ein Vertrag zur Liquidierung des Hitlerkrieges, oder soll er nicht vielmehr - nach Ihren eigenen Worten - das Kernstück eines neuen, freien Europas sein, in dem wir als Partner unsere Rolle spielen sollen?
({57})
Wenn wir über den kommenden Friedensvertrag verhandeln werden, dann werden wir die Tatsachen des verlorenen Krieges und der deutschen Kriegsschuld, die uns das Hitlerregime auferlegt hat, in Rechnung zu stellen haben. Wir können und wir wollen unsere Verantwortung für diesen Teil der Geschichte unseres Volkes nicht 'verleugnen.
({58})
Hier aber und heute sprechen wir über die neue Phase der europäischen und internationalen Entwicklung, die uns vor die Frage stellt, ob und welchen Beitrag wir im Interesse unseres deutschen Volkes und im Interesse der freien Welt im Kampf gegen die Bedrohung durch den Totalitarismus leisten wollen.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort im Hinblick auf die vorgestrige Rede des Herrn Bundeskanzlers. Geradezu gemeinschaftszerstörend
({59})
war im Zusammenhang mit der Diskussion über die Verträge die Formulierung des Herrn Bundeskanzlers, mit der Annahme oder Ablehnung der Verträge entscheide man sich für Freiheit oder Sklaverei.
({60})
Meine Damen und Herren und Herr Bundeskanzler! Damit unterstellen Sie den deutschen Sozialdemokraten und 'darüber hinaus dem Millionenheer von Gegnern der Verträge im 'deutschen Volk, sie wählten mit ihrem Nein statt der Freiheit die Sklaverei.
({61})
Diese Unterstellung zeugt von einer solchen Arroganz gegenüber der Haltung einer anderen großen politischen Kraft im deutschen Volke, daß sie nur noch durch die Arroganz und Ignoranz eines Kaiser Wilhelm II. übertroffen worden ist, der davon gesprochen hat: Die 'Sozialdemokraten sind vaterlandslose Gesellen.
({62})
Herr Bundeskanzler, mit solchen Bemerkungen in einer solch lebenswichtigen Entscheidung reißen Sie eine Kluft in unserem Volke auf, die tödlich für die Demokratie und für die Freiheit werden kann.
({63})
Sie haben das Recht, Herr Bundskanzler, Ihre Politik mit allem Nachdruck zu vertreten, aber Sie haben nicht das Recht, die Gefühle und Überzeugungen eines großen Teils unseres Volkes in dieser Weise zu beleidigen und zu verdächtigen.
({64})
- Sie müssen nicht von sich auf andere schließen.
({65})
- Herr Rechenberg, ich wünschte, Sie wüßten, welche innere Überwindung es mich kostet, in einer solchen Lage in dieser Weise sprechen zu müssen. Aber da ist die Provokation!
({66})
- Das ist nun wieder eine alberne Bemerkung, Herr Strauß.
({67})
- Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir bitte, daß ich auf die Rede des Herrn Bundeskanzlers anworten kann, ohne dauernd in diesen Ausführungen unterbrochen zu werden.
({68})
- Wir haben den Herrn Bundeskanzler mit Ausnahme dieser Bemerkungen völlig ruhig angehört, und wir wünschen, daß wir wenigstens im Parlament dasselbe Recht haben wie Sie als Koalition.
({69})
Ich habe gestern nach der ein en Seite die Bitte gehabt, nicht zu unterbrechen. Ich muß sie jetzt nach der andern Seite aussprechen. Ich glaube nicht, daß es den Verhandlungen dient, wenn dauernd durch Zwischenrufe unterbrochen wird. Eine Parlamentsdebatte ist nun mal kein Zwiegespräch zwischen einzelnen oder zwischen einem einzelnen und sechs, die ihm etwas zurufen. S o können wir nient verhandeln.
Nun zum EVG-Vertrag. Wir diskutieren ja hier nicht über die grundsätzliche Frage der Verteidigung von Demokratie und Freiheit. Ich wiederhole es: die Verteidigung der Freiheit und der Demokratie ist für uns Sozialdemokraten unbestritten. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang wieder ein - ich muß sagen, bedauerlicherweise - kritisches Wort zu der Behauptung des Herrn Bundeskanzlers von heute morgen sagen, die SPD habe in einer Vorstandssitzung am 10. und 11. Dezember 1948 in der Frage des Wehrbeitrages und der Wehrverfassung eine andere Auffassung vertreten als heute. Herr Bundeskanzler, Sie waren in dieser Behauptung sehr allgemein. Aber ich habe mir inzwischen den Wortlaut dieses Beschlusses herausgesucht, den Sie aus Zeitmangel nicht verlesen haben. Was steht in diesem Beschluß nun tatsächlich drin? Ich erinnere Sie: eine Sitzung des Parteivorstandes im Dezember 1948, d. h. vor der Verabschiedung des Grundgesetzes durch den Parlamentarischen Rat, vor der Konstituierung der Bundesrepublik. Damals war eine öffentliche Diskussion von außen her über die Frage eines deutschen Beitrages im Gange. Damals hat die Sozialdemokratie erklärt:
1. Die Frage einer deutschen Wehrverfassung liegt nicht im Bereich der deutschen Zuständigkeit.
2. Die allein dafür zuständigen alliierten Militärgouverneure haben Behauptungen über eine deutsche Wiederaufrüstung dementiert.
3. Soweit eine Bedrohung Westdeutschlands durch den östlichen Totalitarismus besteht, ist der wirksamste politische Schutz dagegen eine konsequente demokratische und soziale Politik in Westdeutschland selbst.
Genau das ist auch heute noch die Position der Sozialdemokratie, und ich bitte den Herrn Bundeskanzler doch, uns einmal darüber aufzuklären, wo er den Unterschied in unserer Haltung von damals und heute sieht.
({0})
Wir diskutieren hier, wie gesagt, nicht die grundsätzliche Frage der Verteidigung von Demokratie und Freiheit. Wir haben hier nur die Frage zu untersuchen, ob unter den gegebenen Umständen und unter den gegebenen Bedingungen die uns durch den Vertrag zugemutete Leistung vom Standpunkt der Lebensinteressen des deutschen Volkes und der Sicherheit des deutschen Volkes sinnvoll und vertretbar ist. Für uns Deutsche in der Bundesrepublik liegt als einzigem Verhandlungspartner der EVG-Gemeinschaft aber noch ein lebenswichtiges Problem sozusagen im Vorfeld der Entscheidung über Annahme oder Ablehnung: das Problem der deutschen Einheit. Unser Land ist gespalten. Die Vereinigung Deutschlands in Freiheit und damit die Befreiung der 18 Millionen unserer Landsleute muß angesichts dieser nationalen Not das erste und vordringlichste Ziel unserer Politik sein. Es gibt kein vordringlicheres, weil wir und weil auch Europa nicht zum Frieden kommen wird ohne die Lösung der Frage der deutschen Einheit.
({1})
Gewiß, wir haben die Spaltung Deutschlands nicht verschuldet. Sie ist die Folge der Spannungen zwischen den Westmächten und der Sowjetunion. Wir Deutsche können auf friedlichem Wege die Spaltung ohne eine Verständigung der vier Besatzungsmächte über das deutsche Problem auch
nicht überwinden. Aber es gibt trotzdem eine deutsche Verantwortung. Diese beginnt immer da, wo wir internationale Verpflichtungen eingehen, die nicht nur uns, sondern auch die Menschen in der Sowjetzone und in Berlin angehen.
Wir haben schon ein Beispiel, das ist der Schumanplan. Meine Damen und Herren, Sie von der Mehrheit des Bundestags haben damals eine schwere Verantwortung auf sich genommen, als Sie den Plan in voller Kenntnis der Tatsache angenommen haben, daß die Sowjetzone im Falle der Wiedervereinigung Deutschlands nicht automatisch ein Teil des Wirtschaftsgebiets der Montanunion wird. Wenn es zu einer Vereinigung Deutschlands kommt, werden Sie es zu verantworten haben, wenn sich aus dem Schumanplan-Vertrag ernste Schwierigkeiten für die wirtschaftliche Wiedervereinigung Deutschlands ergeben. Daß das keine theoretischen Befürchtungen sind, haben wir inzwischen an dem Beispiel der Saar erlebt. Die Aufrechterhaltung der Wirtschaftsunion zwischen Frankreich und der Saar ist für das erstere eine Voraussetzung für das Funktionieren der Montanunion, weil bei einer Rückkehr der Saar an Deutschland das wirtschaftliche Kräfteverhältnis in einer für Frankreich unerträglichen Weise zugunsten Deutschlands verschoben würde. Wahren Sie doch, meine Damen und Herren, in Ihrer Europa-Begeisterung angesichts dieser Erfahrungen etwas mehr gesunden Skeptizismus!
Nun aber zurück zu dem Verhältnis zwischen EVG-Vertrag und unserem Einheitsproblem. Die EVG ist eine militärische Verteidigungsgemeinschaft, die gegen eventuelle Angriffe Dritter gerichtet ist. Wenn wir ihr beitreten, gehen wir zum erstenmal aus freiem Entschluß in eine Militärunion, die von einer der Besatzungsmächte als gegen sich gerichtet betrachtet wird. Das ist die Tatsache, der wir klar ins Auge sehen müssen.
Meine Damen und Herren, da die Sowjetunion die volle Macht über die Sowjetzone Deutschlands ausübt, kann die Wirkung dieses Schrittes keine andere sein als die Verschärfung des volksdemokratischen Kurses einschließlich der Aufrüstung in der Sowjetzone. Die zweite unvermeidliche Folge ist eine Vertiefung der Spaltung Deutschlands. Beide Konsequenzen sind dann das Resultat auch einer deutschen Entscheidung, die allein bei uns liegt. Unsere Unterschrift unter den EVG-Vertrag ist die erste selbständige außenpolitische Handlung der Bundesrepublik, bei der die nachteiligen Folgen für die Sowjetzone Deutschlands mit Sicherheit vorauszusehen sind. Man muß schon mit dem Rücken gegen die Elbe und Berlin stehen, um solche Konsequenzen leichten Herzens auf sich nehmen zu können.
({2})
Sie sagen, es bleibe uns keine Wahl, es gebe keine Verständigung mit der Sowjetzone über eine freie und friedliche Vereinigung Deutschlands - Herr Strauß hat sich gerade über dieses Thema lange verbreitet -; aber ist denn diese Feststellung wirklich über jeden Zweifel erhaben? Haben Sie wirklich die hundertprozentige Sicherheit, daß Sie damit recht haben? Gewiß, der Notenwechsel zwischen den vier Besatzungsmächten ist noch nicht zu Ende, die Antwort der Sowjetunion auf die letzte Note steht noch aus, und die Chancen für einen Erfolg der Konferenz mögen gering sein; aber wenn wir uns vor der Klärung dieser Frage
({3})
jetzt endgültig für fünfzig Jahre binden, werden wir uns alle bei einem völligen Abbruch des Gesprächs immer wieder die Frage vorlegen müssen, ob nicht auch unsere Entscheidung zu diesem Abbruch beigetragen hat.
({4})
Und, meine Damen und Herren, diese Gewissensnot zu vermeiden, haben Sie nur so lange Zeit, wie Sie hier nicht fertige Tatsachen schaffen. Sie erweisen der Sache der deutschen Einheit deshalb nach unserer Überzeugung einen großen Dienst, wenn Sie nicht ratifizieren, bevor die Frage einer Viermächtekonferenz über Deutschland endgültig geklärt ist.
({5})
- Herr von Brentano, Sie antworten, die Sowjets werden verschleppen und inzwischen militärisch immer stärker und stärker werden. Meine Damen und Herren, die Balance der Rüstungen wird entscheidend allein bestimmt durch das Rüstungsverhältnis zwischen den USA und der Sowjetunion.
({6})
Jeder mögliche deutsche militärische Beitrag hier im Westen wird von den Sowjets durch gesteigerte Anstrengungen in ihrer Besatzungszone und in den Satellitenstaaten kompensiert werden.
({7})
Das ist doch die reale Situation.
({8})
Vergessen Sie doch in diesem Zusammenhang noch zwei andere Tatsachen nicht! Ich bitte Sie darum. Nicht alle Vertragspartner sind unbedingte Anhänger einer Politik der Wiederherstellung der deutschen Einheit.
({9})
Es gibt unter ihnen - Sie wissen es genau - auch die Auffassung, daß die_ Eingliederung eines Teils Deutschlands, nämlich der Bundesrepublik, in die westliche Verteidigung nicht nur einen militärischen Wert hat, sondern daß es auch das beste Mittel zur Aufrechterhaltung der Teilung Deutschlands wäre.
({10})
Das kann und darf nicht die Politik einer deutschen Regierung und des deutschen Parlaments sein!
({11})
Und die zweite Tatsache, meine Damen und Herren: die amerikanische Politik, die so stark auf das Zustandekommen der EVG drängt und die so laut den Notenwechsel über die deutsche Frage mit der Sowjetunion betreibt, hàt ein unendliches Maß von Geduld in den Waffenstillstandsverhandlungen von Korea bewiesen. Ich glaube, mit gutem Recht und mit guten Gründen. Die Ausweitung des Konflikts im Fernen Osten müßte unabsehbare Folgen haben. Schließlich kämpfen junge Menschen vieler Nationen der Vereinten Nationen jetzt schon in Korea einen opferreichen Kampf.
Aber gibt es da nicht auch eine Frage für uns? Haben wir angesichts dieser Lage nicht auch als Deutsche in der tragischen Situation der Spaltung unseres Landes die Pflicht, mindestens die gleiche Geduld aufzubringen und jede mögliche Anstrengung zu machen, um eine friedliche Regelung der Einheitsprobleme zu ermöglichen?
({12})
Hier ist ein Punkt, wo wir der Auffassung sind - und nichts kann uns in dieser Auffassung erschüttern -, es wäre im Zusammenhang mit der Diskussion über die Ratifizierung der Verträge die Pflicht der Bundesregierung gewesen, den Beschluß vom 10. Juli, den wir einstimmig gefaßt haben, zum Gegenstand einer aktiven Intervention bei den drei Westmächten in der Frage der deutschen Einheit zu machen.
({13})
Eines der abwegigsten Argumente ist das Argument der Stärke. Man sagt, mit den Sowjets könne man nur reden, wenn man stark sei. Ich habe diese Bemerkung sogar aus dem Munde des Bundeskanzlers in öffentlichen Kundgebungen gehört. Die Politik der Sowjetunion wird doch aber bestimmt nicht entscheidend beeinflußt etwa durch die Überlegung, man müsse mit der Bundesregierung verhandeln, weil wir zwölf Divisionen hinter uns haben.
({14})
Die Politik der Sowjetunion wird in erster Linie von dem Kräfteverhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion bestimmt. Und ich meine, wir sollten uns gerade in dieser Beziehung nicht wieder eine zu große Schuhnummer anziehen.
({15})
Fußkranke sind eine große Belastung für eine effektive Verteidigung.
({16})
Ich weiß, es gibt viele unserer Landsleute in der Sowjetzone, die geneigt sind, dem Argument der Stärke zu folgen, und der Herr Bundeskanzler ist sehr stolz auf solche Meinungsäußerungen. Aber wir können und wir dürfen die These „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende" nicht zum Grundsatz einer verantwortlichen Regierungs- und Staatspolitik erheben.
({17})
Meine Überzeugung ist: die wirkliche Gefahr, in die wir bei der Anwendung des Arguments der Stärke kommen
({18})
- dessen Anwendung Sie ja wohl nicht bestreiten, Herr von Brentano -, ist, daß wir in die Richtung einer Politik gedrängt werden,
({19})
die vor der Ausschöpfung aller Möglichkeiten für eine friedliche Lösung den Krieg für unvermeidlich hält.
({20})
Ich möchte nicht, daß die deutsche Politik in eine solche Position gerät, weil der Krieg das Ende wäre.
({21})
- Ich habe überhaupt nichts unterstellt, meine Damen und Herren.
({22})
Ich habe hier zum Ausdruck gebracht, daß wir nicht möchten, daß die Politik der Bundesrepublik in eine solche Gefahr gerät,
({23})
({24})
und ich glaube, wenn man solche Sorgen hat, hat man auch die Pflicht, sie hier auszusprechen.
({25})
Ich möchte noch etwas sagen über die Position der Bundesrepublik im Rahmen des EVG-Vertrags selbst. Der EVG-Vertrag ist natürlich nicht, entgegen aller Deklaration, der Beginn einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft aus der Idee der Schaffung einer von allen nationalen Vorurteilen freien übernationalen europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Der Vertrag ist entstanden, um das Verlangen nach deutschen Soldaten mit einem sehr starken französischen Sicherheitsbedürfnis gegenüber Deutschland in Übereinstimmung zu bringen.
({26})
Der französische Verteidigungsminster René Pleven
hat in einem Interview, das am 28. November in
der Zeitschrift „U.S. News and World Report" veröffentlicht wurde, auf die Frage, welche Ziele er
im Jahre 1950 als französischer Ministerpräsident
mit der Vorlage des sogenannten Pleven-Plans für
eine europäische Armee verfolgte, geantwortet: Die französische Regierung wünschte eine Lösung zu finden, die einen deutschen Beitrag für eine europäische Verteidigung möglich machte, aber unter gewissen wirksamen Sicherungen. Diese Sicherungen oder Garantien sind erforderlich für alle Nachbarn Deutschlands, die in der Vergangenheit unter dem deutschen Militarismus gelitten haben. Als wir die Bildung einer europäischen Armee vorschlugen, dachten wir nicht nur an Frankreich, sondern auch an Belgien, Holland, Österreich, Dänemark, Tschechoslowakei und Polen. Auch die Sowjetunion ist in der Vergangenheit ein Opfer deutscher Aggression geworden. Wir alle haben gelitten. Ich möchte hinzufügen, daß wir auch an das deutsche Volk gedacht haben. Alle Europäer brauchen Garantien gegen das Wiedererstehen des deutschen Militarismus und des deutschen Angriffsgeistes.
Und auf die Frage an Herrn Pleven, wie er den jetzt vorliegenden Vertrag beurteile, erklärt er kurz und knapp:
Der Vertrag ist trotz seiner Unzulänglichkeiten unvergleichlich besser als irgendeine Kontrolle, die in der Vergangenheit versucht wurde, um die deutschen Streitkräfte zu 'beschränken und in einem Rahmen zu halten, daß sie nicht wieder den Frieden gefährden können.
({27})
Das ist also die Partnerschaft in der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft.
({28})
- Das ist eben nicht der Sinn der kollektiven Sicherheit!
Meine Damen und Herren! Ich will dieses Sicherheitsbedürfnis Frankreichs gar nicht untersuchen. Es hat sich aus sehr verständlichen Motiven entwickelt, und uns Deutschen steht es nicht an, darüber zu rechten. Aber hier werden wir ja nicht über unsere Meinung über die französische Politik gefragt. Wir werden aufgefordert zu sehr konkreten Leistungen für eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft, und mit dieser Aufforderung gewinnen wir das Recht zu einer freien Meinungsäußerung.
({29}) Es ist das Recht Frankreichs, eine solche Politik zu betreiben. Aber es ist unser Recht, im Rahmen einer solchen Politik unsere Position kritisch zu untersuchen. Es kann in einer solchen Konstellation Bedingungen geben, die uns bei aller Anerkennung der französischen Sorgen die Zustimmung einfach unmöglich machen, und der Fall liegt hier zweifellos vor.
({30})
Die deutsche Beteiligung an der EVG beruht nicht auf dem Prinzip der Gleichberechtigung. Der EVG-Vertrag bringt nicht die gleichmäßige und volle Ablösung der nationalen Streitkräfte durch die europäische Armee.
({31})
Andere Vertragspartner, vor allem Frankreich, behalten in Europa wesentliche Teile ihrer Streitkräfte zu ihrer nationalen Verfügung.
({32})
- Entschuldigen Sie! Es handelt sich um die Streitkräfte in Europa.
({33})
Die einzigen, die ihre Kontingente sozusagen mit Mann und Maus einzubringen haben, sind wir Deutsche. Die letzte Verfügungsgewalt über die Europa-Armee liegt nicht bei den Institutionen der EVG; sie liegt bei NATO, und wir sind nicht Mitglied von NATO. Die indirekte Vertretung ist kein Ausgleich für das vitale Interesse jeder Nation, an den strategischen Entscheidungen, die ja unter Umständen Entscheidungen über Leben und Tod unserer Soldaten sind, mitzuwirken.
({34})
Meine Damen und Herren! Wenn Sie jetzt den Verträgen zustimmen, dann stimmen Sie zu, daß die deutschen Kontingente und deutsche Menschen unter fremde Verfügungsgewalt ohne gleichberechtigte deutsche Mitwirkung gestellt werden.
({35})
Unter solchen Bedingungen kann man den Widerstand und die Skepsis der großen Mehrheit der deutschen Jugend gegen neue militärische Verpflichtungen einfach verstehen, und man muß sie in vollem Umfang teilen. Die Verteidigung eines freien Europas ist nur möglich auf der Basis der uneingeschränkten Gleichberechtigung aller Partner. Die Frage der Verteidigung und des deutschen Beitrags ist nicht von den Deutschen aufgeworfen worden. Diejenigen, die ihn für notwendig gehalten haben, müssen jetzt auch bereit sein, alle sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Anerkennung des deutschen Volkes in einer Gemeinschaft von Gleichen unter Gleichen zu akzeptieren.
Meine Damen und Herren! Es gibt noch andere Elemente, die uns daran hindern sollten, die Verträge zu ratifizieren. Es fehlt in dieser Gemeinschaft die erste Voraussetzung für eine effektive Verteidigung, nämlich das Vertrauen.
({36})
In Frankreich ist zur Zeit die Ratifizierung davon abhängig, daß Frankreich weitere Garantien bekommt, Garantien, die sich gegen Deutschland richten. Warum um alles in der Welt, meine Damen und Herren, warten wir nicht, bis wir wissen, unter welchen Bedingungen Frankreich, das mit so vielen Vorbehalten an die Ratifizierung geht, unter({37})
zeichnet? Warum wollen Sie nicht warten, bis- Sie die neuen Einschränkungen kennen, die die französische Regierung aushandeln muß, wenn sie eine Mehrheit in ihrem Parlament haben will?
Meine Damen und Herren, dann gibt es die sogenannte Ausbruchsklausel. Was halten Sie von einem Vertrag, den Frankreich nur annehmen will, wenn es gleichzeitig von den Vereinigten Staaten und von Großbritannien eine neue Garantie gegen Deutschland erlangt? Was ist das für eine Europa-Armee, in der sozusagen die Feldpolizei des einen Partners die Soldaten des anderen Partners zu überwachen hat!
({38})
Und das alles angesichts der Tatsache, daß Sie bis jetzt keine befriedigende und verbindliche Aufklärung darüber haben, in welchem Verhältnis Frankreich seine Verpflichtungen aus dem EVG-Vertrag in bezug auf den Bündnisvertrag mit der Sowjetunion sieht! Wenn in der Frage der Verteidigung schon von vornherein die Basis des gegenseitigen Vertrauens nicht gegeben ist, dann wird das Experiment in der Stunde der Gefahr mit Sicherheit scheitern müssen, und das Risiko des Versagens werden unsere Menschen zuerst und am schwersten zu tragen haben.
({39})
Es gibt noch ein anderes Problem. Der Herr Bundeskanzler hat kürzlich geradezu geschwärmt, als er von den Beratungen der sogenannten ad-hocVersammung für die Ausarbeitung einer europäischen Verfassung gesprochen hat. Er hat darin das eigentliche Kernstück seiner Europa-Politik gesehen, und vorgestern hat er hier erklärt, daß wir im Jahre 1953 die europäische Föderation haben werden. Diese Prophezeiung erinnerte mich an sein Wort in der Debatte über den Schumanplan, daß sich im Rahmen des Schumanplans die Saarfrage von selbst lösen werde.
({40}) Wir wissen, was daraus geworden ist.
({41})
Die Sache der europäischen Verfassung ist viel weniger romantisch und für uns viel weniger erfreulich. Die ad-hoc-Versammlung arbeitet ein Statut für eine dritte Hohe Behörde, nämlich für die politische Hohe Behörde, aus. Neben der Wirtschaft und neben der Verteidigung soll jetzt die Außenpolitik der sechs Länder koordiniert werden; und das geschieht wiederum auf Wunsch und auf Drängen des französischen Außenministers,
({42})
der diese politische Hohe Behörde vor der Entscheidung der französischen Nationalversammlung über die Verträge als zusätzliche Sicherung braucht, diesmal gegenüber der Gefahr einer selbständigen Außenpolitik der deutschen Bundesrepublik.
({43})
Meine Damen und Herren, das sind doch die Umstände und die Fakten, in die hinein diese ganze Organisation gelegt ist, und ich meine, es wäre besser, wir entschieden uns erst, wenn wir wüßten,
({44})
wie sich die Dinge in Frankreich entwickeln, und
wenn wir wüßten, wie das Statut der ad-hoc-Versammlung aussieht. Wir können doch nicht immer die Katze im Sack kaufen,
({45})
vor allem, nachdem wir doch schon früher erlebt haben, daß man uns statt der versprochenen Edelrasse eine ziemlich miese Promenadenmischung verkauft hat.
Man sagt: „Wir brauchen Sicherheit, wir haben keine Zeit, und wir können nicht länger schutzlos der Bedrohung aus dem Osten ausgesetzt sein." Keines der Argumente sticht. Die Frage unserer Sicherheit ist heute und für absehbare Zeit abhängig von der amerikanischen und britischen Politik in Europa. Beide wünschen ihre Truppen in Deutschland ablösen zu können durch deutsche Truppen, und wenn die Teilnahme der Bundesrepublik an der Verteidigung der europäischen Länder nach einem Scheitern einer Viermächtelösung die einzige Alternative bleibt, dann sind wir durchaus bereit, im Rahmen eines kollektiven Sicherheitssystems unseren Anteil zu leisten.
({46})
Aber diese Frage hat nichts zu tun mit der Sicherheit unseres Landes im gegenwärtigen Stadium der internationalen Entwicklung. Für absehbare Zeit nämlich, auch wenn die Verträge hier angenommen werden, ist unsere Sicherheit von der Stärke der amerikanischen und britischen Truppen auf deutschem Boden abhängig. In der Verteidigung des Status quo in Deutschland gegenüber der Sowjetunion gibt es außerdem eine sehr reale Interessengemeinschaft von Deutschland, Amerika und Großbritannien. Es sind sehr elementare britische und amerikanische Interessen,
({47})
die die beiden Völker hier auf deutschem Boden zu verteidigen haben.
({48})
- Selbstverständlich! - Außerdem sind andere Atlantikstaaten im Norden und Westen Europas vital an der Anwesenheit von amerikanischen und britischen Truppen in Deutschland interessiert; für sie steht und fällt mit dieser Anwesenheit der Sinn des Atlantikpaktes.
Außerdem: mit der Annahme des Vertrages im Bundestag ist ja über die Ratifizierung überhaupt nichts ausgesagt. Das ist nur die erste Phase. Selbst wenn er hier in Deutschland ratifiziert wird
- ob und unter welchen Bedingungen er in Frankreich ratifiziert wird, weiß niemand.
({49})
Und die überstürzte Annahme der Verträge im Bundestag
({50})
kann für Frankreich eher eine hemmende als eine fördernde Wirkung haben.
({51})
Auch der Termin der Ratifizierung in Italien ist ungewiß. Vor den Wahlen in Italien im April nächsten Jahres dürfte sie kaum erfolgen. In Belgien ist die Frage völlig offen. Aber wenn tatsächlich alle sechs Länder ratifizieren, was noch nicht sicher ist, dann wird der Vertrag Mitte nächsten Jahres in Kraft treten, und dann erst können Sie im Bundestag die Gesetze einbringen, die Sie
({52})
zur Durchführung des Vertrages in Deutschland brauchen.
({53})
Was bedeutet das alles in allem? Wenn es im besten Sinn nach Ihren Wünschen geht, können Sie im Herbst 1953 mit den eigentlichen Vorbereitungen für die Aufstellung des deutschen Kontingents beginnen. Das heißt aber, daß ein deutscher Verteidigungsbeitrag von irgendeiner Bedeutung nicht vor 1955 effektiv wird.
({54})
In dieser Lage - und das ist es, weshalb wir Ihnen das hier noch einmal sagen - kämpfen Sie um Termine, als ginge es um Stunden. Das ist nicht die Frage. Wir sollten und wir müßten angesichts der realen Möglichkeiten bereit sein, das zu tun, ehe wir uns entscheiden, von dem ich gesprochen habe, als ich über die Einheit sprach.
Es kommt noch etwas anderes hinzu. Wer sagt Ihnen denn, daß wir zu diesen 12 Divisionen in absehbarer Zeit kommen? Frankreich wird darauf bestehen, daß die Zahl der deutschen Divisionen stets geringer bleibt als die Zahl der Divisionen, die Frankreich aufzustellen bereit oder in der Lage ist, und das kann angesichts der schwierigen Lage, in der sich Frankreich befindet, für eine lange Zeit der Fall sein.
({55})
Es geht auch nicht einmal um die Zahl der Divisionen allein. Entscheidend ist doch Art und Umfang der Ausrüstung. Sie sind sicher mit uns der Meinung, daß in unserer Lage nur die modernste Ausrüstung akzeptabel ist. Sie hängt in erster Linie von amerikanischen oder von Lieferungen von Ländern der EVG ab. Der Lissaboner Plan der NATO vom Januar dieses Jahres wird nicht erfüllt werden. Die Leistungen bleiben weit hinter dem Plan zurück. Darüber hinaus gibt es noch eine Vereinbarung unter den Alliierten, daß die Ausrüstung der deutschen Divisionen erst erfolgen wird, wenn die Streitkräfte der anderen Nationen voll ausgerüstet sind. Außenminister Eden hat dazu im britischen Unterhaus aus Anlaß der Debatte über den Generalvertrag am 31. Juli 1952 erklärt:
Ich sehe nicht ein, weshalb eine Diskussion über die sogenannten Attlee-Bedingungen nötig sein soll. Wir haben sie schon früher diskutiert. Es besteht kein Widerspruch. Erstens muß die Aufrüstung der Atlantikpaktländer derjenigen Deutschlands vorausgehen-natürlich muß sie das -, und ebenso muß der Aufbau der Streitkräfte der demokratischen .Staaten dem der Streitkräfte Deutschlands vorausgehen.
({56})
Diese beiden Bedingungen stehen völlig im Einklang mit dem Geist der NATO-Beschlüsse, ,die im Jahre 1950 gefaßt wurden, als der Führer der Opposition dort war.
Das sind doch Tatsachen, die wir in dieser Diskussion aussprechen, kennen und in Rechnung stellen müssen, wenn wir übersehen wollen, was wir wirklich beschließen. Unsere Meinung ist: unter diesen Bedingungen den Vertrag annehmen und deutsche Kontingente aufstellen heißt, sie der Gefahr ausliefern, im Ernstfall die schlecht ausgerüstete Nachhut der anderen Partner der westlichen Verteidigung zu werden.
({57})
- Das ist die Konsequenz aus den Fakten, die ich Ihnen hier vorgetragen habe.
({58})
- Ich habe Ihnen die offizielle Mitteilung des britischen Außenministers verlesen und nichts anderes.
({59})
Jeder deutsche Verteidigungsbeitrag hat auch nur dann einen Sinn, wenn er eingebaut ist in einen strategischen Plan, der uns die Gewißheit gibt, daß im Ernstfall die Verteidigung mit dem vollen Gewicht der militärischen Stärke an der deutschen Grenze erfolgt. Bisher weiß niemand von dem Plan. Selbstverständlich kann er nicht auf offenem Markt diskutiert werden. Aber er muß der Regierung und den verantwortlichen Repräsentanten des Parlaments bekannt sein, wie es in jedem demokratischen Land üblich ist. Solange wir nicht wissen, ob im Ernstfall eine vernünftige Chance fur eine erfolgreiche Verteidigung unseres Landes und unserer Menschen gegeben ist, kann niemand mit gutem Gewissen ein Ja von uns verlangen.
({60})
Das ist die reale Situation, der Sie gegenüberstehen, wenn Sie den Vertrag in dieser Form und in diesem Zeitpunkt annehmen.
({61})
Dazu kommt noch etwas anderes. Dieses Experiment wird die einschneidendsten Folgen für das wirtschaftliche und soziale Gefüge unseres Landes haben. Wenn wir die deutsche Wirtschaft mit der Wirtschaft der anderen EVG-Länder koppeln, können wir den Trend der Industrieverlagerung nach dem Westen nicht aufhalten. Das heißt, daß wir aus militärischen und Sicherheitsgründen uns in den Notstandsgebieten an der Zonengrenze
({62})
und in den Hauptflüchtlingsländern eine offene Flanke im Kampf gegen die innere Zersetzung schaffen, daß Links- und Rechtsradikalismus frontal angreifen. Zweitens: Die Aufrüstung ist für jedes demokratische Land verbunden mit einem ständigen Kampf zwischen militärischen Ausgaben und sozialen Leistungen.
({63})
Bei uns aber ist diese Frage ein Kardinalproblem. Wir sind auf der sozialen Seite besonders anfällig. Die Ungleichheit der Lebensbedingungen als Folge der Wirtschaftspolitik der Regierung ({64})
ist eine Schwächung des Verteidigungswillens, und
jede derartige Wirtschaftspolitik zugunsten des
({65})
Egoismus bestimmter Gesellschaftsschichten geht immer auf Kosten der Verteidigungskraft eines Volkes.
({66})
Darüber hinaus haben wir hier die besondere und unter den EVG-Staaten einmalige Lage der großen Verpflichtungen gegenüber der großen Zahl von Heimatvertriebenen und Kriegsopfern aller Art. Sie haben nach unserer Auffassung in der Diskussion über die Verteidigung der Freiheit und der Demokratie die Priorität Nr. 1.
({67})
Unsere erste Aufgabe im gegenwärtigen Stadium der internationalen Auseinandersetzungen zwischen Ost und West im sogenannten kalten Krieg ist die Steigerung der sozialen Leistungen und die Politik der sozialen Sicherheit für alle. Versagen wir hier, verlieren wir in der Bundesrepublik den kalten Krieg, dann helfen uns die bestausgerüsteten Divisionen nichts mehr.
({68})
Die Bedeutung der inneren Zersetzung eines Volkes als kriegsentscheidenden Faktor haben wir im letzten Kriege wirklich zur Genüge kennengelernt.
({69})
Die uns zugemutete finanzielle Leistung, noch dazu unter den gegebenen Bedingungen, ist unerfüllbar ohne eine fühlbare Senkung des Lebensstandards und ohne eine einschneidende Einschränkung der sozialen Leistungen.
({70})
Sie können nicht den unausweichlichen Aufwand von 40 Milliarden DM für die Erstausrüstung der 12 deutschen Divisionen in den nächsten drei Jahren einfach wegdiskutieren.
({71})
Die Annahme des Vertrages und seiner damit verbundenen finanziellen Verpflichtungen bedeutet nach unserer Auffassung die Preisgabe der Politik der Immunisierung des deutschen Volkes durch eine Politik der sozialen Sicherheit zugunsten eines rein militärischen, in seiner Bedeutung für die Sicherheit des deutschen Volkes zweifelhaften Beitrags. Das Resultat könnte der Verlust der Freiheit und der Demokratie sein. Dann haben wir vielleicht die Divisionen, aber wir haben das verloren, was allein verteidigungswert ist: Freiheit und Menschenwürde.
({72})
Meine Damen und Herren, wie immer man die Dinge betrachtet - ich komme zum Schluß - -.
(Abg. Dr. Schröder ({73}): Ich dachte, Sie kämen zu den Vorschlägen! - Abg. Strauß: Sie erhalten noch mehr Redezeit! - Abg. Dr. Schröder ({74}): Ihre Politik endet im Konzentrationslager für alle! Da endet Ihre Politik! - Weitere Zurufe.)
Wie immer man die Dinge betrachtet, die Annahme der Verträge liegt weder im deutschen noch im europäischen noch im allgemeinen Interesse der Freiheit und der Demokratie. Sie bringen uns nicht weiter. Sie vollenden das Dilemma, in dem sich die Politik der freien Völker durch diesen unglücklichen Start befindet. Wir müssen aus innerer
Überzeugung als Deutsche, als Europäer und als Sozialisten nein sagen,
({75})
und wir bitten Sie, meine Damen und Herren,
({76})
uns dabei zu folgen,
({77})
nicht um eines parteipolitischen Erfolges willen!
({78})
- Wenn Sie erwarten, daß wir akzeptieren, daß Sie bei Ihrer Argumentation höhere Gesichtspunkte haben, seien Sie doch wenigstens bereit, für 10 Minuten das auch bei uns zu unterstellen!
({79})
Wir stehen hier, jeder von uns wie Sie mit der ungeteilten Verantwortung gegenüber allen unseren Menschen und gegenüber dem ganzen deutsch Volke, und ich hoffe, daß jeder von uns es sagen kann, daß wir die vor uns liegende Entscheidung nicht leicht nehmen.
Wir sind in einem Dilemma,
({80})
wir als deutsches Volk in der Bundesrepublik und die freien Völker in der Welt, mit denen wir uns verbunden fühlen und deren Sache auch unsere ist. Wir sehen uns, so wenige Jahre nach dem Zusammenbruch der Hitlerdiktatur, wieder einer neuen Bedrohung der Freiheit und der Demokratie gegenüber.
({81})
Wir denken wie Sie an die Bedrohung aus dem Osten,
({82})
und wir alle leben zu nahe an Prag und Warschau und Budapest,
({83})
um nicht zu wissen, welch tödliche Bedrohung der Freiheit und der Menschenwürde dort wirksam ist. Wir kämpfen und wir bangen um den Frieden. Die friedliche Lösung der Frage der deutschen Einheit wäre nicht nur die Befreiung der 18 Millionen Deutsche in der Sowjetzone, nicht nur eine Erfüllung der großen nationalen Aufgabe, die Einheit unseres Volkes wiederherzustellen; sie wäre auch ein großer Dienst für den Frieden und die Freiheit aller Völker.
({84})
So wie die Dinge liegen, bedeutet ein Verzicht auf die Ausschöpfung der letzten Möglichkeiten für eine solche Vier-Mächte-Konferenz
({85})
vor der endgültigen Eingliederung der Bundesrepublik in die westliche Verteidigung vielleicht einen Beitrag zur Verschüttung der letzten Möglichkeiten für die Aufrechterhaltung des Friedens. Es ist ein Vielleicht, aber es sollte uns gerade in dieser Stunde - ich sage es mit vollem Bewußtsein mit diesem Nachdruck - genügen, uns daran zu hindern, heute das zu tun, was wir morgen nicht mehr rückgängig machen können. Es geht nicht um
({86})
ein appeasement, es geht nicht um ein neues München, es geht darum, daß wir zum ersten Mal seit 1945 zu einer selbständigen außenpolitischen Entscheidung von diesem Ausmaß aufgerufen werden.
({87})
Morgen, wenn wir loyal gegenüber unseren Partnern sind - und wir wollen es sein -, sind wir in der Vertretung unseres besonderen Anliegens der Wiederherstellung der deutschen Einheit nicht mehr frei. Deshalb dieser Appell an die letzte Chance. Ich erwarte und ich verlange nicht, daß Sie diese Perspektive sofort und voll annehmen. Aber ich bitte Sie, lassen Sie uns aus diesem Grunde warten! Meine Freunde, die in der zweiten Lesung gesprochen haben, und ich selbst haben dargelegt, aus welchen konkreten Gründen wir nicht bereit sind, dem EVG-Vertrag unsere Zustimmung zu geben. Sie können nach Lage der Sache das Gewicht der Argumente nicht bestreiten, auch wenn Sie sie nicht teilen.
Aber Sie werden mich fragen: Welchen anderen Weg gibt es denn;
({88})
wir haben doch keine Wahl! Nun, meine Damen und Herren, da möchte ich Ihnen eines sagen: Befreien Sie sich doch endlich von der Vorstellung, daß es nur diesen einen Weg der Organisation von Europa und der Sicherheit für Deutschland gibt!
({89})
Es gibt mehrere Wege -
({90})
Es gibt mehrere Wege,
({91}) um zu dem gleichen Ziel und vielleicht effektiver zu kommen.
({92})
- Meine Damen und Herren, es ist sehr schwer, einen sachlichen Gedanken zu entwickeln, weil Sie es vor Ungeduld anscheinend gar nicht abwarten können. - Sie wissen, daß die Organisation von Europa auf dem Wege über die supranationalen Autoritäten zwangsläufig zum Abschluß von Großbritannien und Skandinavien geführt hat.
({93})
Die Bereitschaft Großbritanniens zur Zusammenarbeit mit der Monan-Union und der EVG löst das Problem nicht. Großbritannien übernimmt keine Verbindlichkeiten gegenüber irgendeiner supranationalen Einrichtung. So bleiben wir immer in der Gefahr einer neuen Spaltung des freien Europas, die wir alle nicht wünschen können.
({94})
Dieser Weg kann deshalb nicht zu einer umfassenden effektiven Organisierung der Einheit Europas führen.
Wir sollten einen neuen Start versuchen.
({95}) Vielleicht leben wir hier in Europa zu eng beieinander, und vielleicht sind wir zu sehr in unsere
Traditionen und in unsere Vorstellungen verstrickt.
({96})
Wir sollten, das ist unsere Auffassung, den Versuch einer echten Kooperation aller Völker auf einer höheren Ebene, auf einer wahrhaft internationalen Basis, über Europa hinaus, machen.
({97})
- Meinetwegen morgen, Herr Schröder! - Dabei ist nicht die Form entscheidend, aber hier gibt es eine Organisationsform und eine Organisationsmöglichkeit, die alle freien europäischen und amerikanischen Völker einschließen kann. Wir -sollten einen solchen Start versuchen, weil dann die Möglichkeit gegeben ist, diese notwendige breitere Basis zu finden und Deutschland einen Platz zu schaffen, an dem wir auf der Basis von Gleichen unter Gleichen wirken können.
({98})
Wir denken an neue Verhandlungen auf internationaler Basis
({99}) über die Schaffung eines kollektiven Weltsicherheitssystems
({100})
zur Aufrechterhaltung des Weltfriedens unter gleichberechtigter Mitwirkung aller.
({101})
Wir sind bereit, in einem solchen umfassenden internationalen Sicherheitssystem mitzuarbeiten, und wir werden diese Politik auch verfolgen, wenn Sie gegen unsere Stimmen die Verträge annehmen. Wir werden für die Ablösung der Verträge durch eine neue internationale Vertragsordnung für die Sicherheit und den Frieden kämpfen, durch die das deutsche Volk in einer Gemeinschaft von Freien und Gleichen seinen Platz einnehmen kann und einnehmen wird.
({102})
Der Schritt in diese Richtung ist nicht leicht. Er bedeutet die ernsthafte und vollständige Liquidierung des zweiten Weltkriegs.
({103})
Aber die internationale Entwicklung ist an einem Punkt angelangt, an dem dieser Schritt getan werden sollte, statt daß wir uns hier mit den unglücklichen Kompromißformen zwischen Vergangenheit und Zukunft herumschlagen. Die einzigen, die unter den gegebenen Bedingungen diesen Schritt auslösen können, sind wir,
({104})
indem wir aus diesem Grunde, nicht aus Feigheit,
({105})
nicht aus Nationalismus, sondern aus europäischer
Verantwortung diese Verträge zurückweisen. Der
({106})
eine und der andere Schritt, die Ablehnung oder die Annahme, enthalten ein Risiko. In der Annahme liegt das Risiko der vertraglich verankerten halben und zwielichtigen Souveränität, der Vertiefung der Spaltung Deutschlands und der vollen Belastung des deutschen Volkes mit einer Politik und Strategie, auf die wir nur sehr beschränkten Einfluß haben. In der Ablehnung liegt das Risiko eines kurzen Vakuums
({107})
mit der großen Chance des Vorstoßes nach vorn in die internationale Gemeinschaft der Völker
von Freien und Gleichen.
({108})
Die Sozialdemokratie wählt den zweiten Weg: sie lehnt die Verträge ab.
({109})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Dr. Adenauer, Bundeskanzler, ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und meine .Herren!
({1})
- Ach, tun Sie das lieber nicht. Ich war nämlich sehr still eben. Ich habe kein Wort gesagt,
({2}) sondern ich habe ständig das mitgeschrieben, was Herr Kollege Ollenhauer gesagt hat.
({3})
Herr Kollege Ollenhauer hat auf die Zurufe, er solle nunmehr sein Ziel nennen, damit geschlossen, er wolle eine Aufnahme in ein kollektives Weltsicherheitssystem. Das ist nichts Neues. Dieses kollektive Weltsicherheitssystem besteht. Es ist die Gesellschaft der Nationen, die UNO. In Artikel 3 des Deutschland-Vertrags steht, daß wir die Hilfe der anderen haben, um in dieses Weltsicherheitssystem aufgenommen zu werden.
({4})
Wir brauchen die Hilfe der anderen, weil das Veto eines einzigen genügt, und das Veto Sowjetrußlands ist uns todsicher. Also wenn Herr Kollege Ollenhauer nichts weiter wünscht, ja, meine Damen und Herren, dann kann er zustimmen.
({5})
Ich sehe dann kein Hindernis mehr, warum er ablehnen sollte.
Aber ich gebe ja den Herren, und insbesondere Herrn Ollenhauer, eines zu: Es ist sehr schwer, eine schwache Sache gut zu verteidigen.
({6})
Er hat aber, nach meiner Meinung etwas unnötigerweise, zunächst sehr scharfe Angriffe gegen mich gerichtet, und auf diese Angriffe, die in ähnlicher Weise gestern und vorgestern die Herren Wehner und Dr. Arndt gegen mich erhoben haben, muß ich doch antworten.
Herr Wehner hat es mir sehr übelgenommen, daß ich vorgestern sagte, man solle in Berlin die Flüchtlinge aus der Ostzone über die dortigen Verhältnisse befragen. Er war sehr böse darüber, und er hat damit geschlossen --- seine Freunde haben ihm da sehr gern zugestimmt -, ich solle lieber etwas für die Flüchtlinge tun. Nun, verehrter Herr Wehner, als ich zuletzt in Berlin war und in einem Lager die Not und das Elend der Flüchtlinge gesehen habe, da habe ich sofort angeordnet, daß alles geschieht, was möglich ist.
({7})
Ich möchte dem Herrn Kollegen Wehner, der ja des öfteren nach Berlin kommt, noch einen anderen Rat geben. Ich rate ihm, unerkannt dort hinzugehen und die Ostflüchtlinge zu fragen, was sie über die Politik der Sozialdemokratischen Partei denken.
({8})
Dann wird er nämlich ein vernichtendes Urteil hören, auch von den Leuten, die noch in der Ostzone sind. Ich habe Leute gesprochen, die mir gesagt haben: „Mein Vater war Sozialdemokrat, mein Großvater war Sozialdemokrat, aber ich verstehe die Sozialdemokratie nicht mehr und will nichts mehr mit ihr zu tun haben.
({9})
Nun komme ich zu Herrn Dr. Arndt. Seine gestrigen Ausführungen, die ich leider nicht gehört habe, weil ich in einer dringenden Verhandlung war, müssen doch sehr böse - so will ich mich einmal ausdrücken - gewesen sein, böse im strengen Sinne des Wortes. Er hat, wie mir gesagt worden ist, behauptet daß die Ausführungen, die ich vorgestern gemacht habe, von Haß gegen Herrn Dr. Schumacher erfüllt gewesen seien. Es hat mich sehr berührt, als mir das gesagt worden ist. Ich möchte Ihnen, meine verehrten Herren, sehr nachdrücklich sagen, ich habe schon bei Lebzeiten des Herrn Dr. Schumacher niemals Haß gegen ihn gefühlt, geschweige denn jetzt nach seinem Tode. Aber man wird doch von einem Mann, der von der Sozialdemokratie auch jetzt noch so geschätzt wird - vergleichen Sie das Buch, das neulich die Sozialdemokratische Partei herausgegeben hat - etwas zitieren können. Oder zeugt das von Haß, wenn ich etwas zitiere, was Herr Dr. Schumacher gesagt hat?
({10})
Ich möchte feststellen, daß mein Zitat bis zum letzten Buchstaben absolut richtig war.
Ich komme nun zu Herrn Kollegen Ollenhauer. Herr Kollege Ollenhauer hat mir den Vorwurf gemacht, daß ich nicht richtig über die Vorstandssitzung der SPD in Godesberg im Dezember 1948 zitiert hätte. Was habe ich heute morgen gesagt? Lesen Sie bitte im Stenogramm nach! Ich habe gesagt, damals habe die Sozialdemokratie eine andere Haltung eingenommen als jetzt. Ich wiederhole das; das hat sie auch getan. Welches ist heute die Haltung der Sozialdemokratie zum Wehrbeitrag? Sie sagt: Diese Bundesrepublik ist kein echter Staat, infolgedessen ist das Grundgesetz keine echte Verfassung, infolgedessen hat die Bundesrepublik Deutschland insbesondere nicht das Recht, sich zu verteidigen, sie hat nicht das Recht der Wehrhoheit, das sonst jeder Staat besitzt. Ich stelle fest, daß auf der Vorstandssitzung in Godesberg dieser Standpunkt nicht vertreten wurde.
({11})
({12})
Da wir nun einmal beim Zitieren sind, möchte ich aus einer Zeitung von damals etwas zitieren, was der Herr Kollege Schmid und der Herr Kollege Ollenhauer gesagt haben. Es heißt in dieser Zeitung: - ({13})
-Das ist die „Frankfurter Allgemeine" Nr. 236 vom Montag, dem 13. Dezember des Jahres 1948.
({14})
Die vom Parteivorstand dazu getroffenen Feststellungen hat Professor Carlo Schmid in dem Satz zusammengefaßt: Alle Gespräche über Remilitarisierung haben keinen Zweck, wenn sie den nationalstaatlichen Armeegedanken zum Ziele haben, sondern nur dann, wenn sie einer bewaffneten Exekutive eines internationalen Systems kollektiver Sicherheit gelten.
({15})
- Ja, aber dann stimmen Sie gleich richtig!
({16})
Der damalige stellvertretende Vorsitzende Herr Erich Ollenhauer hat erklärt:
Wenn irgend jemand darangeht, Deutschland mit militärischen Aufgaben zu beschäftigen, so stellen wir fest: der Aufbau irgendeiner militärischen Organisation wird von der Sozialdemokratie nicht geduldet werden, wenn sie sich auf die alten militaristischen Kreise stützt.
({17}) Nun gut, sie wird sich nicht darauf stützen. Also stimmen Sie zu!
({18})
Nun komme ich zu einer Äußerung des Herrn Kollegen Ollenhauer, die mich - das bestreite ich nicht - außerordentlich verletzt hat, sehr verletzt hat. Auf der andern Seite hat es mich aber gefreut, daß er den Bundeskanzler einmal als Repräsentanten des ganzen Volkes angesprochen hat.
({19})
Solche Worte habe ich von ihm bisher nicht gehört.
Der Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt, ich hätte durch meine vorgestrige Rede einen sehr tiefen Graben durch das deutsche Volk gezogen und die Demokratie gefährdet. Nun möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren, zunächst - verzeihen Sie, ich darf es wohl mit Genehmigung des Herrn Präsidenten tun - vorlesen, was ich vorgestern gesagt habe. Ich habe zum Schluß meiner Ausführungen erklärt: „Wir alle" - Sie ({20}) eingeschlossen! - „erstreben die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit. Wir wissen, daß wir allein auf uns gestellt dies Ziel nicht erreichen. Wir sehen ja doch, daß Sowjetrußland nicht will. Es hat doch die UNO-Kommission nicht mal einer Antwort gewürdigt, ...." - dann kommen die betreffenden Noten, und danach habe ich folgendermaßen fortgefahren: „schon das allein" - die Übernahme einer solchen vertraglichen Verpflichtung durch die Drei Mächte - „verpflichtet uns gegenüber den Deutschen hinter dem Eisernen Vorhang, den Verträgen zuzustimmen". Welch ungeheurer Fortschritt ist das gegenüber der politischen Lage etwa im Jahre 1947! „Man kann es überhaupt nicht verantworten, eine solche vertraglich festgelegte Bereitschaft der Drei Mächte auszuschlagen. Wir müssen nun endlich einmal aus der Vergangenheit lernen. Seit 1870 hat sich Deutschland immer wieder bemüht, Freunde und Bundesgenossen zu finden, weil erkannt wurde, daß Deutschland trotz seiner damaligen Stärke ohne starke Freunde nicht bestehen könne. Es hat sie ... nicht gefunden, fast immer ... durch eigene Schuld, durch Blindheit gegenüber dem, was ihm von anderen angeboten wurde ... durch ein zu großes Vertrauen auf sich selbst. Heute ist die Lage Deutschlands gefährdeter als je in seiner langen Geschichte. Es ist geteilt, zerrissen, es ist entwaffnet und wehrlos, benachbart einem Koloß, der es versklaven und verschlingen möchte.
({21})
Diese Gefahr besteht, und sie wird immer größer, wenn der Zustand bleibt, wie er jetzt ist. Vor der Geschichte und vor dem deutschen Volke frage ich: Kann in dieser Lage ein Deutscher es verantworten, die hilfreiche und rettende Hand, die der Westen uns entgegenstreckt, zurückzustoßen?"
({22})
Das ganze deutsche Volk diesseits und jenseits
des Eisernen Vorhangs muß wissen, worum es
sich handelt. Es handelt sich ... um seine Freiheit, sein Leben, die Zukunft seiner Kinder und
Kindeskinder. Das ganze deutsche Volk rufe
ich auf, sich der Bedeutung dieser Entscheidung bewußt zu sein und bewußt zu bleiben.
({23})
Es ist die Schicksalsfrage ganz Deutschlands. Wir stehen vor der Wahl zwischen Sklaverei und Freiheit. Wir wählen die Freiheit!
({24})
Meine Damen und Herren, wenn darin von Ihrer Seite ({25}) eine Beleidigung empfunden wird, wenn darin ein tiefer Graben gefunden wird, den ich durch Deutschland ziehe, dann muß mir verboten werden, meine Ansicht mit den Worten zu äußern, zu denen ich mich verpflichtet glaube.
({26})
Aber nun zwingen mich zu meinem großen Bedauern diese Angriffe, die Herr Ollenhauer gegen mich gerichtet hat, doch noch einmal, etwas zu zitieren, was Herr Kollege Dr. Schumacher gesagt hat.
({27})
Das ist veröffentlicht in dem Wochenblatt „Time" vom 9. Juni 1952.
Der Deutsche, der diesen Vertrag annimmt, hört auf, ein Deutscher zu sein.
({28})
Er hat fortgefahren, einem Engländer gegenüber erklärt:
({29})
Ich werde die Unterzeichnung der Europäischen
Verteidigungsgemeinschaft bekämpfen. Wenn
sie unterzeichnet ist, werde ich die Ratifikation
bekämpfen. Wenn sie ratifiziert ist, werde ich
gegen sie angehen, noch während die Soldaten
mobilisiert werden. Wenn ich dann zum Bundeskanzler gewählt würde, würde ich mich von
dem Vertrage so bald wie möglich lossagen.
({30})
Meine Damen und Herren, diese Worte sind von der Sozialdemokratischen Partei niemals in irgendeiner Weise bedauert oder abgeschwächt worden.
({31}) Wenn hier jetzt noch die Zwischenrufe kommen „Sehr richtig!", „Ausgezeichnet!", „Man könnte es gar nicht besser sagen!", dann sage ich Ihnen: Wer so denkt und wer das sagt, der gräbt nicht nur einen Graben in das deutsche Volk, weil er einem, und zwar dem größeren Teil aberkennt noch ein Deutscher zu sein; der tut noch etwas ganz anderes: er gibt dem Mißtrauen gegen die Deutschen in der ganzen Welt immer wieder neue Nahrung zum Schaden des deutschen Volkes.
({32})
Ist es etwa nicht beleidigend für viele von uns, mich eingeschlossen, wenn Herr Ollenhauer eben erklärt hat, wir ständen mit dem Rücken gegen Elbe und Berlin?
({33})
Das ist eine Beleidigung, meine Damen und Herren. Ich kann hier sagen: Ich glaube, wir, die Regierungskoalition und die Bundesregierung, haben für Berlin mehr getan als die Sozialdemokraten mit all ihrem Gerede!
({34}) Sehen Sie, gerade in diesem Vertrage
({35})
- ich habe es Ihnen ja eben vorgelesen - verpflichten sich doch die drei Großmächte - indem sie sich von Sowjetrußland lossagen - dazu, mit uns zusammen die Vereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit herbeizuführen. Ich sage Ihnen, das allein - ich habe das auch vorgestern gesagt - ist ein solcher Erfolg unserer Politik, daß schon dieser Erfolg allein unsere ganze Arbeit und Mühe rechtfertigt.
({36})
Ich wiederhole auch nochmals und sage das mit allem Nachdruck, meine Damen und Herren: Wer die rettende und hilfreiche Hand all dieser Mächte, die uns helfen wollen, die Wiedervereinigung herbeizuführen, zurückstößt, der verfehlt sich in erster Linie gegen den deutschen Osten und gegen Berlin.
({37})
Nun komme ich zu einem sehr ernsten
({38})
und sehr folgenschweren Kapitel. Herr Kollege
011enhauer hat in seiner Rede, die - Sie alle haben
gesehen, er hatte ein sehr ausführliches Manuskript - doch überlegt war, eine ganze Reihe von
Behauptungen über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft aufgestellt, die in vertraulichen Besprechungen
({39})
in Gegenwart des Herrn Ollenhauer klargestellt waren.
({40})
Der Kollege Ollenhauer weiß ganz genau, daß wir einfach nicht in der Lage sind, hier in der Öffentlichkeit diese Dinge zu wiederholen.
({41})
Ich betone nochmals: ich bedaure sehr, daß Herr Kollege Ollenhauer sich dazu hat hinreißen lassen; aber solche Erfahrungen verhüten eine gemeinsame Außenpolitik zwischen Opposition und Regierung.
({42})
Aber eines, meine Damen und Herren, - - ({43})
- Nun, Herr Schoettle, ich weiß nicht, ob Sie dabei gewesen sind, ich habe eben das wiederholt ({44})
Meine Damen und Herren, - ({45})
Nun, Meine Damen und Herren, Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt,
({46})
daß das deutsche Truppenkontingent
({47})
als schlecht bewaffnete Nachhut
({48}) dastehen werde, und er hat dann hinzugesetzt: Jeder weiß, daß wir doch gar nicht dazu in der Lage sind, die 40 Milliarden, die zur Ausrüstung notwendig sind, aufzubringen.
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Blank hat mir eben erklärt, Herr Kollege Ollenhauer wisse durch die Unterrichtung, die er erhalten hat, genau, daß die Vereinigten Staaten sich verpflichtet haben, uns die neuesten und besten Waffen in diesem Heere zu stellen.
({49})
- Meine Damen und Herren ({50}): Regen Sie sich nicht so auf! Ihr Dienst weiß das ja alles schon lange!
Ich greife nun eine Anzahl der wichtigsten Punkte aus der Rede des Herrn Kollegen Ollenhauer heraus. Er hat gesagt, das Besatzungsstatut werde sich von selbst auflösen. Er hat weiter gesagt, man könne Deutschland nicht verweigern, was man Italien gebe. Er hat ferner gesagt, Außenminister Eden habe bei der Beratung über den Deutschland-Vertrag in London erklärt, die Zeit des Besatzungsstatuts sei vorbei. Zunächst möchte ich doch darauf hinweisen, daß Italien lange nicht in dem Rufe stand und steht, in dem leider Gottes Deutschland gestanden hat.
({51})
Meine Damen und Herren! Am letzten Sonntag ist in Belsen das Monument durch den Bundespräsidenten eingeweiht worden
({52})
zur Erinnerung an die dort gestorbenen Opfer.
({53})
Ich will Ihnen sagen, so schmerzlich es mir ist, das sagen zu müssen: Dort in Belsen sind verhungert und an Seuchen gestorben 250 000 Juden und 50 000 Russen.
({54})
Und glauben Sie, meine Damen und Herren, das ist in der Welt nicht vergessen.
({55})
Meine Damen und Herren, es ist doch unmöglich, auf diese Weise weiter fortzufahren!
({0})
Ich habe Ihnen doch nicht den geringsten Vorwurf gemacht, daß das geschehen ist, sondern ich habe gesagt: das ist in der Welt nicht vergessen. Das habe ich doch gesagt!
({0})
Meine Damen und Herren, die Verhandlungen werden unendlich erschwert, wenn nicht wenigstens Sätze zu Ende gesprochen werden. Bitte, es ist doch nur im Sinne unserer Verhandlungen, wenn zugehört wird; und mit Unterbrechungen wird doch nichts erreicht. Vor allen Dingen ist es so, daß man gar nichts verstehen kann, wenn so viele Äußerungen gleichzeitig kommen.
Glauben Sie mir: Reden wie die des Herrn Ramcke, die in der ganzen Welt einen Widerhall gefunden haben,
({0})
haben unserem Ruf in der Welt von neuem geschadet.
({1})
- Ach, Herr Greve! Ich bin doch genau so dagegen wie Sie! Regen Sie sich doch nicht so auf!
({2})
Meine Damen und Herren! Die Verhandlung ist doch nur möglich, wenn einer redet. Bei dem dauernden Geschrei ist doch keine ordentliche Verhandlung durchzuführen. Soviel müssen Sie doch alle davon wissen! Hier hat jeder das Recht, etwas auszusprechen. Sie dürfen sicher sein: wenn gegen die Ordnung des Hauses verstoßen wird, werde ich schon eingreifen. Aber schließlich ist es doch nicht jedermanns Sache, hier dauernd Lärm zu verursachen.
Nun kommt, um ein richtiges Verständnis und den richtigen Ausgangspunkt zur Würdigung des ganzen Vertragswerks - z. B. gegenüber Italiens Behandlung, auch gegenüber Japans Behandlung - zu finden, noch folgendes hinzu, und ich bitte Sie, sich das doch in Ruhe anzuhören und sich zu überlegen.
Die geographische Lage Deutschlands ist nun einmal eine andere als die Italiens, ist eine andere als die Japans. Wir liegen hier mit der Bundesrepublik dicht an dicht gegenüber der sowjetrussischen Macht. Von dieser sowjetrussischen Macht fühlen sich auch die Vereinigten Staaten, fühlt sich Frankreich, fühlt sich Großbritannien bedroht. Wenn sie nun hier auf Grund der bedingungslosen Kapitulation Rechte haben, die sie in den Stand setzen, gegenüber einem etwaigen Angriff von Sowjetrußland sich zu schützen, dann kann doch kein Mensch erwarten, daß sich das Besatzungsstatut von selbst auflösen werde. Ich habe schon vorgestern gesagt, die Leute müßten ja hirnverbrannt sein, die diese Rechte aufgeben, wenn sie nicht auf irgendeine andere Weise von uns eine Sicherheit bekommen.
Ich verstehe infolgedessen nicht, wie Herr Ollenhauer vom Katze-im-Sack-kaufen sprechen konnte. Nein, meine Herren, es handelt sich nicht um Katze-im-Sack-kaufen, es handelt sich bei dieser ganzen Frage um sehr ernste, um sehr realistische Verhandlungen, bei denen wir auf unsere Kosten kommen müssen, bei denen die anderen aber auch auf ihre Kosten kommen wollen; und man muß verstehen, daß sie es wollen. Bei der Einschätzung, die leider Gottes der Deutsche noch vielfach in der Welt genießt, und bei der geographischen Lage Deutschlands gegenüber Sowjetrußland würde niemals eine Macht bereit gewesen sein, auf die Rechte aus dem Besatzungsstatut zu verzichten, ohne daß gleichzeitig die Bundesrepublik mit ihr zusammengeht. Das ist doch so einfach wie nur etwas; und wenn man sich die Dinge ruhig überlegt, kann man doch gar nicht zu einem anderen Schluß kommen. Das hat mit Partnerschaft usw. gar nichts zu tun - es handelt sich um ein Lebensinteresse für die anderen und um ein Lebensinteresse für uns.
({0})
Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt, ablehnen und neu verhandeln sei besser als zustimmen und revidieren. Da bin ich, Herr Kollege Ollenhauer, fundamental anderer Ansicht. Ich bin der Auffassung, wenn man erst einmal so weit ist, sollte man abschließen, wenn sich dann später geeignete Ansätze zu neuen Verhandlungen ergeben - diese Ansätze sind ja doch im Generalvertrag niedergelegt -, dann komme ich schon zu neuen Verhandlungen. Wenn ich aber jetzt abbreche, meine Damen und Herren, wenn ich nicht weiter verhandle, dann kann ja kein Mensch aber auch nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sagen, die anderen lassen sich jetzt nach anderthalb Jahren Verhandlungen auf neue ein;' das glaube ich nicht, meine Damen und Herren. Das ist meine tiefste Überzeugung und ist namentlich meine Überzeugung, wenn solche Zwischenrufe kommen, wie sie eben leider Gottes gekommen sind.
({1})
Ich habe das Wort „dynamische Entwicklung" gebraucht; das hat mir Herr Ollenhauer ganz übel genommen, er hat da von Hitler-Diktatur gesprochen. Ich glaube, er hat auch von Wilhelm II. gesprochen - in einem anderen Zusammenhang.
({2})
Er hat auch in diesem Zusammenhang davon gesprochen, ich hätte - ich bin da nicht mitgekommen - ich weiß nicht wem, damit einen tödlichen Stoß versetzt. Ich stehe effektiv vor einem Rätsel. In der ganzen Welt gibt es eine dynamische Entwicklung. Wir sind ja mitten drin. Ist die Entwicklung seit 1945, in der wir stehen, nicht eine dynamische Entwicklung?
({3})
Also was habe ich denn nun für ein Unrecht getan, wenn ich davon gesprochen habe?
({4})
- Ich weiß, daß ich ein armer Sünder bin, aber ein bißchen - ({5})
Der Herr Kollege 011enhauer hat uns zum Vorwurf gemacht, wir hätten im Schumanplan-Vertrag nicht stipuliert, daß die Ostzone im Falle der Wiedervereinigung ohne weiteres zum Schumanplan gehöre. Ich bin überzeugt, daß, wenn wir's getan hätten, wir auch einen Rüffel bekommen hätten.
({6})
Aber das nehmen wir ruhig hin. Ich möchte nur folgendes fragen: Wenn das schon ein Fehler war, wenn das schon gegen die Interessen der Ostzone verstieß, daß sie nicht ohne weiteres dazukommt, welchen Verstoß haben Sie begangen, daß Sie den Schumanplan abgelehnt haben?
({7})
Ich nehme einen weiteren Punkt. Herr Kollege Ollenhauer hat mich sehr getadelt, weil ich immer von Stärke gesprochen hätte. Stärke-ich bin allerdings, und ich glaube, Herr Ollenhauer ist es auch -- der Auffassung, daß Moskau mit einem kleinen Schwächling überhaupt nicht verhandelt; den frißt es einfach.
({8})
Unsere Stärke würde doch nicht allein in den
L2 deutschen Divisionen beruhen, sondern sie
würde doch in dem Zusammenschluß mit den
andern beruhen. Selbstverständlich - Sie haben vollkommen recht darin, Herr Kollege Ollenhauer -, entscheidend ist das Kräfteverhältnis zwischen Sowjetrußland und den Vereinigten Staaten. Aber wir wollen doch dafür sorgen, daß die Kräfte der Vereinigten Staaten vermehrt werden,
({9})
weil das eben entscheidend ist. Das können Sie uns doch nicht übelnehmen.
({10})
Ich möchte noch ein Wort sagen zu diesem Punkt: Wenn es zu Zeiten, als Hitler in Polen einbrach, einen Atlantikpakt gegeben hätte - Hitler würde niemals seine Geschichten gemacht haben.
({11})
Es wurde bezweifelt, daß diese 12 Divisionen überhaupt etwas zu bedeuten hätten. Meine verehrten Damen und Herren, auch das kann ich Ihnen und der Öffentlichkeit, wie ich glaube, in wenigen Sätzen klarmachen, was das zu bedeuten hat. Wenn wir deutsche Divisionen haben, dann haben wir bei der Ausarbeitung der strategischen Verteidigungspläne mitzusprechen. Es gab zwei Vorstellungen solcher Pläne.
({12})
Die eine Vorstellung war die: Verteidigung westlich des Rheins, gestützt auf die Ardennen. Das würde allerdings für uns der Untergang gewesen sein, falls ein Krieg kommen sollte.
({13})
Die zweite Vorstellung war die, die auch Herr Kollege Dr. Schumacher immer vertreten hat; er hat die These vertreten: möglichst am Eisernen Vorhang verteidigen, und wenn möglich offensiv gegen Osten.
({14})
Dieser These, die auch Herr Kollege Schumacher vertreten hat, verhelfen wir zum Erfolg.
({15})
- Meine Damen und Herren, meine Freunde dort drüben sind heute solche Engel, wie ich sie noch nie gesehen habe.
({16})
Nun zu der Industrieverlagerung, über die zunächst Herr Schöne heute gesprochen und die dann Herr Kollege Ollenhauer so ausgemalt hat. Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt, am Eisernen Vorhang werde ein Elendsgebiet entstehen und wir rissen dort geradezu ein soziales Loch auf. Haben Sie denn die Verträge, obwohl Sie sie ein halbes Jahr in Händen haben, nicht gelesen? Worum handelt es sich denn bei der Industrieverlagerung? Das Wort „Industrieverlagerung" steht überhaupt nicht da drin,
({17})
sondern es handelt sich darum, daß gewisse Industrien nur westlich einer gewissen Linie etabliert werden können. Diese Industrien sind in dem Vertrag auch aufgeführt, und ich darf mir
({18})
gestatten, sie auch Ihnen hier aufzuführen. Das sind Atomwaffen, chemische Waffen, biologische Waffen,
({19})
das sind V-Waffen, Kriegsschiffe und Militärflugzeuge. Wenn wir die nicht weiter nach Osten legen
dürfen, damit sie nicht eines Tages von sowjetrussischen Flugzeugen blitzartig zerstört werden,
({20})
wird deswegen dann die deutsche Volkswirtschaft dort notleidend werden? Das ist doch alles unrichtig!
({21})
- Ja, Sie müssen es noch etwas ertragen! ({22})
Seien Sie ruhig, dann komme ich vielleicht noch mit mehr heraus; nur, Sie müssen ruhig sein!
({23})
Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt, im Vorfeld
- d. h. im Vorfeld vor jedem Abschluß von Verträgen mit dem Westen - liege die Wiedervereinigung. Nun frage ich: glaubt denn nach allem, was wir erfahren haben, irgendeiner, daß Sowjetruß-land eines Tages an uns oder an die drei Westalliierten eine Note richten und sagen wird: Liebe Freunde, ich sehe ein, ich habe Unrecht getan, hier habt ihr eure Ostzone gratis und franko wieder!? Nein, meine Damen und Herren, das glaube ich nie
und nimmer! ({24})
Deswegen liegt die Wiedervereinigung Deutschlands nicht im Vorfeld dieser Verträge, sondern mitten in diesen Verträgen drin.
({25}) Ist denn eigentlich noch keinem der Herren von der sozialdemokratischen Opposition jemals der Gedanke gekommen, daß eine Einigung zwischen den Vieren auf Kosten Deutschlands doch sehr, sehr leicht möglich war? Hat nicht Herr Kollege Ollenhauer eben selbst noch davon gesprochen, daß es wenigstens bei einem der Alliierten Kreise gebe, die eine solche Wiedervereinigung nicht wollten, die diese Teilung aufrechterhalten wollten? Durch den Abschluß eines solchen Vertrages aber verhindern wir das doch. - Herr Kollege Schmid, Sie winken mit der Hand ab. Ja, dann dürfen Sie überhaupt keinen Vertrag mehr abschließen.
({26})
Dann müssen Sie sich auf Ihr Stühlchen setzen und sagen: Ich lasse Gottes Wasser über Gottes Land laufen!
({27})
Herr Kollege Ollenhauer hat das Beispiel Koreas gebraucht, um damit seine Mahnung zur Geduld zu begründen. Ich weiß nicht, ob die armen Koreaner, wenn sie das hören sollten, diesem Beispiel irgendwie Beifall zollen würden. Gerade Korea, das Land, das mitten dazwischen lag und das wehrlos und ungeschützt war,
({28})
muß für uns Deutsche ein warnendes Beispiel dafür sein, dafür zu sorgen, daß unsere Heimat nicht das Schicksal Koreas teilt.
({29})
Wir wollen keinen Krieg; wir wollen auch nicht Schauplatz eines Krieges werden, den andere führen.
({30})
Warten -worauf sollen wir denn warten? ({31})
Haben sich die Verhältnisse in der Welt nicht in
den letzten 12, 18 Monaten verschlimmert, und
sieht es nicht so aus, als wenn sie sich weiter
verschlimmerten? Ich bin fest davon überzeugt ich wiederhole, ich bin fest davon überzeugt -,
({32})
daß, wenn nicht die Vereinigten Staaten und andere Glieder der UNO auf Korea so reagiert hätten, wie sie reagiert haben, wir dann schon lange von Sowjetrußland geschluckt wären.
({33})
Herr Kollege Ollenhauer hat auseinandergesetzt: Es wird so lange dauern, es wird 1954 werden, es wird 1955 werden. Nach meinem simplen Menschenverstand ist das ein Grund, möglichst schnell zu machen.
({34})
- Das werden Sie noch merken, Herr Mellies! -Sicher, wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir im Juli in allen drei Lesungen die Sache erledigt,
({35})
und ich versichere Ihnen, die politische Entwicklung in der Welt wäre höchstwahrscheinlich viel angenehmer verlaufen, als sie verlaufen ist, solange die Ungewißheit besteht: Wird Deutschland es tun, wird es es nicht tun; was macht die Opposition, was sagt die Opposition dazu, wird die Opposition den Verfassungsgerichtshof anrufen, wird sie ihn nicht anrufen, wird sie anrufen und ersuchen, eine einstweilige Verfügung gegen den Bundespräsidenten zu erlassen, was wird sie tun? Nein, wir wollen so schnell wie möglich alles tun, damit die Welt sieht, was ist. Ich bin überzeugt, wenn die Welt das sieht, dann wird auch in Frankreich und in den anderen Ländern eine große Beruhigung eintreten, und wir dienen der Sache des Friedens,
({36})
während uns die Unruhe nur dem Krieg näherbringt.
({37})
Ich bin ja schließlich nicht dazu angestellt, mir
den Kopf der Sozialdemokraten zu zerbrechen. ({38})
- Herr Mellies, ich könnte Ihnen doch manchen guten Rat geben!
({39})
Aber - und was ich jetzt sage, ist mir sehr ernst gemeint -, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist eine große Partei. Sie ist eine Partei mit großer Vergangenheit,
({40}) , und sie muß bleiben.
({41})
({42})
Sie muß ein bestimmender Faktor des politischen Lebens in Deutschland bleiben.
({43})
- Nein, meine Damen und Herren, machen Sie sich keine falschen Hoffnungen!
({44})
Aber jetzt kommt, was ich sagen wollte: Wenn ich höre von Sozialisten anderer europäischer Länder, und zwar von namhaften, führenden Sozialisten, wie sie über die Rolle, die die deutsche Sozialdemokratie in Mailand gespielt hat, urteilen, dann muß ich Ihnen sagen: Als Deutscher bedauere ich, daß die deutsche Sozialdemokratie sich bei ihren eigenen Gesinnungsgenossen in Europa soviel verscherzt hat, wie sie es leider getan hat.
({45})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Ehlers:
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, als voraussichtlich letzter Redner meiner Fraktion in dieser Debatte eine Art Zusammenfassung vorzunehmen. Gerade mit Rücksicht darauf, daß wir nicht nur unter uns debattieren, sondern daß eine nicht geringe Zahl von Menschen an den Radioapparaten zuhört, möchte ich sagen, daß wir uns vielleicht gelegentlich in der Form unserer Auseinandersetzung daran hätten erinnern sollen. Wenn der Eindruck entsteht, als ob in einem Parlament die eine Seite meinte, daß die andere Seite - und nun lassen Sie es mich einmal ganz deutlich aussprechen - im wesentlichen aus Dummköpfen oder Verrätern bestehe, dann scheint mir das keine sehr gute Fundierung einer gemeinsamen parlamentarischen Arbeit zu sein.
({0})
Von dem Herrn Bundeskanzler ist ein Wort zitiert worden. Ich wiederhole das nicht. Aber wir haben ja alle von einem „Hauptausschuß gegen die Remilitarisierung, für den Abschluß eines Friedensvertrages" ein Schreiben zugesandt bekommen, in dem auch der Satz steht: „Mit Ihrem Ja zum Generalvertrag würden Sie aufhören, ein Deutscher zu sein." Ich -glaube jedenfalls für meine politischen Freunde erklären zu können, daß wir nicht gewillt sind, solche Erklärungen überhaupt nur entgegenzunehmen.
({1})
Um auf die Debatte zurückzukommen: Herr Kollege Dr. Arndt hat in seiner positiven Schilderung der Arbeit des Rechtsausschusses gesagt, ihn habe der Eindruck tief bewegt, daß mancher Andersdenkende im Ausschuß mit seinem Rechtsgewissen notvoll gerungen habe. Ich darf mich hoffentlich dessen vergewissern, daß Herr Kollege Arndt unter „Andersdenkenden" nicht nur die verstanden hat, die eine andere Meinung als er haben. Ich hoffe sehr, daß alle, die mit diesen Fragen zu tun haben, mit ihrem Rechts- und mit ihrem politischen Gewissen notvoll gerungen haben.
({2})
Mir scheint es wichtig zu sein, daß wir am Schluß dieser Debatte, gerade weil es gelegentlich nicht immer berücksichtigt worden ist, eins tun, nämlich uns für heute und für die Zukunft vornehmen, in derartig gewichtigen politischen Debatten eine wirkliche Abkehr von den großen Worten zu vollziehen.
({3})
- Na, Herr Kollege Fisch oder wer es gerade war,
({4})
ich habe nicht das Gefühl, daß, wenn wir beide in eine Konkurrenz der großen Worte einträten, ich erster Sieger bleiben würde.
({5})
Ich erinnere mich daran und möchte darauf hinweisen, daß wir schon einmal in einer außerordentlich prekären Frage unserer nationalen Politik, nämlich in der Frage der Annahme oder der Ablehnung des Friedensvertrags 1919, vor ähnlichen gewichtigen Problemen gestanden haben. Damals ist von dem Herrn Reichskanzler Scheidemann
- ich will die Sache mit der verdorrten Hand gar nicht zitieren - gesagt worden, die Zustimmung zur erbarmungslosen Zerstückelung, das Einverständnis mit Versklavung und Helotentum solle erpreßt werden und dieses Buch dürfe nicht zum Gesetzbuch der Zukunft werden und der Vertrag sei unannehmbar. Aber es hat nur der Spanne von der 39. zur 40. Sitzung der Nationalversammlung bedurft, bis alle diese großen Worte Schall und Rauch waren.
({6})
- Ich sage ja weder etwas gegen Scheidemann noch gegen Bauer, sondern ich stelle nur fest, daß der Reichskanzler Bauer damals erklären mußte, daß die Reichsregierung in Würdigung aller Umstände die Ratifikation und die Unterzeichnung des Friedensvertrags vorschlagen müsse. Meine Damen und Herren, das sollte uns davor behüten, auch bei den heute uns vorgelegten Fragen zu bedeutsame Worte und Formulierungen zu gebrauchen.
({7})
Es könnte sein, daß das, was wir heute mit großen Worten als unannehmbar bezeichnen, uns morgen als unausweichlich erscheint.
({8})
Lassen Sie mich noch ein Wort hinzufügen. Damals hat der verehrte Kollege Löbe als Abgeordneter gesagt: „Wenn einst unsere Kinder Rechenschaft verlangen werden für die Verpflichtungen, die ihnen und noch ihren Nachkommen auferlegt worden sind, so sagen wir ihnen schon heute, daß für all dieses Unglück nicht die verantwortlich sind, die jetzt dem fürchterlichsten aller Kriege ein Ende machen, sondern daß jene die Verantwortung trifft, die ihn herbeigeführt haben!"
({9})
Ich hätte gewünscht, daß die Kritik, die in mannigfacher Form in diesen drei Tagen an den Vertragswerken ausgesprochen worden ist, nicht immer nur den Eindruck erweckt hätte, daß alles, was schwer zu ertragen und schwer anzunehmen ist, nur dar({10})
auf zurückzuführen sei, daß die Bundesregierung schlecht verhandelt habe.
({11})
Es hätte uns wohl angestanden, uns daran zu erinnern, daß wir hier einen Trümmerhaufen auszuräumen haben, für den wir nicht verantwortlich sind.
({12})
Und ein Zweites, was ich sagen möchte. Es täte uns gut, wenn wir etwas mehr Nüchternheit und Realismus in die Auseinandersetzung hineingetragen hätten. Wir wollen es ruhig sagen, daß man das auf beiden Seiten berücksichtigen sollte. Wir wissen alle, daß es nicht wohlgetan ist, den Eindruck zu erwecken, daß diese Verträge nun das Herrlichste und Beste seien, was wir uns überhaupt vorstellen könnten.
({13})
Aber es sollte dann auch nicht möglich sein, daß die Kritik sich darin erschöpft, so zu tun, als ob es nur Negatives in diesen Verträgen gäbe.
({14})
In diesem Zusammenhang ist auch die nüchterne und realistische Erkenntnis der eigenen Lage von Bedeutung. Herr Kollege Ollenhauer hat vom Realismus gesprochen. Ich tue das auch. Aber wenn ich höre, daß der Kollege Arndt die Position der amerikanischen Truppen in England mit der der alliierten Truppen in Deutschland vergleicht, dann scheint mir das sowohl dem Ausgangspunkt wie auch den gegenwärtigen Verhältnissen nach ein solcher Mangel an Realismus zu sein,
({15})
daß ich meine, so sollte man hier nicht prozedieren
({16})
Wenn man erreichen will, daß die alliierten Truppen in Deutschland jemals den Status der amerikanischen Truppen in England erreichen, ist es der ungeeignetste Weg, heute die Forderung zu stellen, wir sollten so tun, als ob die Voraussetzungen dafür heute schon vorhanden wären. Sie müssen erst geschaffen werden.
({17})
Es gibt eben politische Zwangslagen, die sich einzugestehen keine Schande, sondern nur nationales und politisches Verantwortungsgefühl ist.
({18})
Dazu gehört als drittes die Frage des Preises, die hier immer wieder erörtert worden ist. Herr Kollege Arndt hat gesagt: „Wir haben immer die sogenannte Preisdiskussion für einen Unsinn erklärt." Diese Preisdiskussion ist ja auch gelegentlich von anderer Seite abgelehnt worden. Ich persönlich bin, selbst wenn ich mich von der Meinung meiner Freunde zum Teil unterscheiden sollte, so nüchtern zu sagen: die Preise und die Gegenleistungen in politischen Geschäften und Verhandlungen richten sich nicht nach theoretischen Rechtspositionen, sondern nach tatsächlichen Machtverhältnissen.
({19})
Das würde ich insbesondere im Blick etwa auf die Frage der Kriegsgefangenen sagen. Meine Damen und Herren, ihnen und uns hilft keinerlei Feststellung, daß sie nach dem Rechte Gottes und der Menschen längst zurückrein müßten. Ich glaube, unser Volk würde bereit sein, einen sehr beachtlichen Preis zu zahlen, wenn dafür auch nur wenige von ihnen früher zurückkämen.
({20})
Man sollte das auch im Blick auf die Situation zum Westen hin ernst nehmen. Herr Arndt hat gefragt, warum wir einen so hohen Preis bieten, sogar, ohne dafür die volle Freiheit dem Westen gegenüber zu bekommen. Ich fürchte, daß auch das verzeichnet ist. Wir hatten in diesem Vertragswerk außerordentlich wenig an Preisen zu zahlen. Wir hatten nur den peinlichen Verhandlungszustand, daß wir in mühsamen Verhandlungen die anderen veranlassen mußten, Positionen aufzugeben, und daß wir ihnen 'deutlich machen mußten, es würde auch in ihrem Interesse, nicht nur in unserem, sein, wenn sie diese aufgäben. Man sollte dann nicht zu leicht vom Preis reden.
({21})
Das nächste, was zu diesem Realismus zu sagen ist, bezieht sich auf die Bemerkung von Herrn Arndt, 'es sei doch ein untragbarer Zustand, wenn ein einziger deutscher Minister insgeheim mitbeschließen könne, ob ein Verteidigungskrieg erklärt werde. Ich glaube allerdings, wir müssen uns darüber klarsein, daß ein Krieg, wenn er dann käme
- wir hoffen doch, daß er nicht kommt; darum treiben wir hier Politik! -,
({22})
sicher nicht in der Form erklärt würde, die es noch
1914 einem Geheimrat im Auswärtigen Amt erlaubte, festzustellen, man könne den Krieg nicht
erklären, da es 'kein Formular dafür gebe. Wahrscheinlich wird ganz etwas anderes über uns kommen: das Schwergewicht der Tatsachen. Wenn ich
mir vorstelle, daß wir uns bis heute in einer Situation befinden, die keinem Deutschen einen legitimen Einfluß auf einé solche Entscheidung gibt, dann ist mir der Zustand, der mit diesem Vertrag herbeigeführt wird, immer noch lieber als der bisherige.
({23})
Nun lassen Sie mich zu der Front 'kommen, die die Ablehnung dieser Verträge hier vertreten hat und draußen vertritt. Meine Damen und Herren, Sie werden uns nicht verübeln - obwohl das manche im Lande tun -, daß wir eine gewisse Differenzierung der Meinungen vornehmen und uns die Typen der Ablehnenden doch etwas genauer ansehen.
({24})
Wenn ich mir so vorstelle, daß neben unseren Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei, den Kollegen von der kommunistischen Fraktion
({25})
- Gruppe, ich bitte um Entschuldigung; sehen Sie, es passiert einem immer wieder - und neben den Herren des Gesamtdeutschen Blocks einige andere Menschen stehen, eine ja auch hier vertretene Gesamtdeutsche Volkspartei, kirchliche Kreise, der Alt-Reichskanzler Wirth und der Herr Noack, dann muß ich sagen, es ist ein etwas sehr vielfarbiger Verein, der diesen Widerstand trägt.
({26})
- Ob es das Volk ist, ist mir zweifelhaft, wenn Sie es aussprechen.
({27})
Ich sage sehr deutlich, wir differenzieren, und ich
({28})
nehme die Argumente der einen Gruppe wesentlich ernster als die der anderen.
({29})
Aber es ist mir doch etwas auffällig, daß in der öffentlichen Diskussion im allgemeinen keine dieser Gruppen mit der anderen etwas zu tun haben will, so daß man, da nun einmal Heinrich Heine schon zitiert worden ist, doch so etwas den Eindruck hat, daß es danach ginge: „Blamier' mich nicht, mein schönes Kind, und grüß' mich nicht unter den Linden!"
({30})
erhört!)
Es geht uns bei dieser Differenzierung um die einzelnen Argumente. Lassen Sie mich dazu einiges sagen. Ich wende mich zunächst an die Kollegen von der Sozialdemokratie. Herr Kollege Arndt hat gesagt, sie bejahe die sachliche Verteidigungslast, darüber bestehe unter den Demokraten dieses Hauses im Grundsatz Einigkeit. Ich vermag nicht ganz zu erkennen, was denn nun eigentlich im 'Sinne dieser Ausführungen sachlicher Verteidigungsbeitrag ist, besonders nachdem ich nun durch die Wirtschaftler gehört habe, daß gegen den sachlichen Verteidigungsbeitrag im finanziellen und wirtschaftlichen Bereich doch alle nur denkbaren Einwendungen erhoben werden. Aber, meine Damen und Herren, sollten wir wirklich unterstellen, ,daß wir in den Fragen, die durch die gesamtpolitische Konstellation auf uns zukommen, mit einem 50 %igen Beitrag - der nur sachlich ist - davonkommen könnten? Es wäre sehr schön, und wir wären sehr glücklich darüber. Aber ich fürchte, daß wir dann das, was erforderlich ist, übersehen. Gestern hat mir jemand geschrieben, wir sollten 12 Sanitätsdivisionen aufstellen. Er hat mir gleich die Standorte dieser Divisionen übermittelt. Wir sollten unserem Volke sagen, daß das Phantasiegebilde sind. Das ist keine Möglichkeit, von den Verpflichtungen loszukommen, die nicht von irgendwelchen Westmächten, sondern von der Gewalt der Tatsachen her auf uns zukommen.
({31})
Ich sage das besonders, weil ich fürchte, daß diese Formulierung, dieses ständige Aufrichten von Wahnbildern in unserem Volke die Meinung hervorrufen könnte, daß es anders gehe und daß nur ein verbrecherischer 'Leichtsinn oder eine Kriegsbereitschaft einer Mehrheit des Bundestages ihm diese Dinge aufzwinge.
({32})
Das zweite, was uns von den Herren von der Sozialdemokratie entgegengehalten wird, ist die Frage der Wiedervereinigung. Herr Ollenhauer hat uns gefragt, ob wir die hundertprozentige Sicherheit hätten, daß es keine Einigung mit der Sowjetunion gebe, und hat uns gesagt, unsere Entscheidung würde zu dem Fiasko beitragen, wenn wir sie zu früh träfen. Herr Brandt hat uns erklärt, daß die Spaltung Deutschlands versteinert werde. Der Herr Bundeskanzler hat mit Recht darauf hingewiesen, daß jetzt zum erstenmal in einer vertraglichen Verpflichtung die Beteiligung der Westmächte an den Bemühungen zur Wiedervereinigung Deutschlands festgelegt worden ist. Ich bin nicht ganz glücklich 'darüber, daß die Formulierungen und die Paragraphen solcher Verträge immer verschieden ausgedeutet werden. Wenn diese Verträge etwa im Blick auf die kommende Politik Gesamtdeutschlands Bestimmungen in sich schließen oder hinsichtlich der Reparationsfrage etwas ausgesagt wird, so hat uns Herr Kollege Pfleiderer gesagt - und ich nehme seine Einwendungen sehr ernst -, hier seien vertragliche Verpflichtungen übernommen, von denen wir nicht wieder loskämen. Wenn aber die Sicherstellung der Mitarbeit der anderen Mächte an der Wiedervereinigung Deutschlands festgelegt wird, wird diese Bestimmung bagatellisiert, als ob sie nicht vorhanden wäre. So kann man nicht verfahren.
({33})
- Ja, das habe ich sogar mit gesagt, Herr Mellies. Bloß ich fürchte, daß es mit Ihren Intentionen nicht völlig übereingestimmt hat.
({34})
Ich komme gleich darauf.
Herr Freudenberg hat uns erklärt, daß angesichts dieses Vertrages doch zu befürchten sei, unser Betreiben der Forderung der Wiedervereinigung Deutschlands stelle uns in die Rolle des dauernden Petenten. Ich weiß nicht, worin da ein Nachteil zu sehen ist. Petenten in dieser Frage - und, wie sich. gezeigt hat, selbst als Bundestag mit einmütigen Beschlüssen - sind wir schon seit sehr langer Zeit.
({35})
Ich halte es für einen sehr guten Fortschritt, wenn wir endlich einmal eine vertragliche Rechtsbasis haben, auf die sich diese ständigen, bisher wirkungslosen Petitionen stützen können.
({36})
Was mir aber in dieser Frage am schwerwiegendsten und wichtigsten ist, ist die Gefahr, die im. Volke immer wieder auftritt, daß die Auseinandersetzung Ost-West, die ja mit dieser Frage der Wiedervereinigung unlösbar verbunden ist, bagatellisiert wird. Herr Brandt hat gesagt,offensichtlich wollten wir unsere Außenpolitik an die Vorstellung binden, daß frei und bündnisfähig alles das sei, was sich außerhalb des sowjetischen Machtbereichs bewege. Jawohl, das ist leider nach dem tatsächlichen Zustand meine Vorstellung von den Dingen.
({37})
Ich sehe nicht, daß es im sowjetischen Machtbereich irgend etwas Freies und Bündnisfähiges gibt. Es wäre gut, wenn es anders wäre. Aber uns hat das Prager Urteil ja wohl darüber belehrt, daß es nicht so ist.
({38})
Es ist uns dann immer gesagt worden, die Gegensätze zwischen Ihnen ({39}) und uns bestünden darüber, was im Ringen um die deutsche Einheit geschehen müsse. Herr Wehner hat weiter gesagt, der sowjetischen Besatzungsmacht müsse deutlich gemacht werden, daß sie nicht ganz Deutschland einstecken könne. Ich habe die Frage an den Kollegen Wehner, in welcher Weise man das der sowjetischen Besatzungsmacht deutlich macht.
({40})
Ich fürchte, daß die Methode der Deklamationen
und Entschließungen im Bundestag sich als ein
({41})
höchst mangelhaftes Mittel erwiesen hat, das der
sowjetischen Besatzungsmacht deutlich zu machen.
({42})
Ich habe die ganzen Tage gespannt darauf gewartet, daß uns endlich - und ich habe es wirklich als Frage empfunden; nehmen Sie mir es bitte ab! - einmal deutlich gemacht werden würde, wo denn nun der andere Weg ist, oder daß man uns, wenn man den zunächst vertraulich behandeln wollte, wenigstens sagte: Ihr hättet jedenfalls auch noch das und das tun müssen.
({43})
Ich habe nichts, nichts darüber gehört, außer dem Vorwurf, daß wir zu wenig getan hätten,
({44})
und außer dem Vorwurf, wir hätten nichts dazu getan, daß die Vier-Mächte-Verhandlungen zu einem Erfolg gekommen wären. Ich erinnere mich, daß die letzte Note in dieser Frage von den Westmächten am 23. September abgesandt worden ist und in zweieinhalb Monaten keine Antwort gefunden hat.
({45})
Dann sagt man uns, mit Notenwechsel kann man das nicht erledigen, sondern da muß man andere Wege finden. Welche, hat man uns leider noch nicht gesagt.
Ich möchte aber hier eins erklären. Ich bin persönlich der Meinung, daß wir, wenn wir überhaupt erst einmal den Status einer eigenen außenpolitischen Verantwortung auf einer Rechtsgrundlage wiederbekommen haben, jede Gelegenheit benutzen sollten, der Sowjetunion auch unmittelbar das deutlich zu machen, was wir für erforderlich halten.
({46}) Zur Zeit befinden wir uns - ohne unsere Schuld, aber tatsächlich - in der Rolle, daß wir - nun, es soll keine Diffamierung der anderen sein - sie als Briefträger benutzen müssen. - Aber gerade wenn man das will, scheint es mir nötig zu sein, daß wir diesen untragbaren Zustand der mangelnden außenpolitischen Handlungsfähigkeit endlich auch rechtlich überwinden.
({47})
Dann werden wir etwas von dem zum Ausdruck zu bringen haben, woran mir jedenfalls sehr viel liegen würde: daß der Gedanke, der hier immer wieder vorgetragen worden ist, daß dieses Europa eine eigene politische Verantwortung wahrzunehmen habe, auch in diesen Verhandlungen sichtbar wird.
Wir haben um unseres eigenen Lebensinteresses willen allen Anlaß, deutlich zu machen, daß wir nicht daran denken, die Sowjetunion in irgendeiner Weise anzugreifen. Aber das können wir ja schließlich nur, wenn wir auch über etwas verfügen, was diese Erklärung respektabel macht; das ist erstens die außenpolitische Entscheidungsmacht und zweitens etwas, was man immerhin als ein Instrument eines solchen Angriffs respektieren würde. Denn sonst würde man über solche Erklärungen wohl nur mit Lächeln zur Tagesordnung übergehen oder uns auffressen, um mit den Worten des Herrn Bundeskanzlers zu sprechen.
({48})
Das meinen wir, wenn wir von einem eigenen politischen Beitrag sprechen. Dann sprechen wir allerdings nicht, wie es nun auch von der Frau Kollegin Wessel immer wieder geschehen ist, davon,
daß wir doch ein Deutschland zwischen den Machtblöcken konstruieren müßten, das unabhängig nach Osten und Westen ist oder, wie es gelegentlich ausgesprochen wird, sogar von allen Vieren gemeinsam garantiert wird. Selbst wenn es praktikabel wäre, fürchte ich, daß es unserem Volke, und zwar insgesamt, sehr schlecht bekommen würde,, wenn wir auf diese Weise die dadurch ja nicht zu beseitigenden Gegensetzlichkeiten der Weltmächte noch mehr in unseren unmittelbaren engen Volksbereich hineinzögen.
({49})
Ich möchte mich mit der Flut der Eingaben, die uns direkt und indirekt die Herren von der kommunistischen Gruppe beschafft haben, nicht weiter befassen. Bis hin zu dem Obmann der südbadischen Schwerathleten bin ich mit diesen Dingen befaßt worden. Delegationen und Briefe haben wir genug bekommen, meine Damen und Herren! Wir haben alle - ich hoffe, Sie haben es gelesen - das Programm der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands der Kommunistischen Partei vom 2. November 1952 erhalten.
({50})
- Ich lese es vor. Das eben ist ja mein Wunsch, Herr Rische. Ich komme Ihnen völlig entgegen. Da steht, wie man die demokratischen Freiheitsrechte des deutschen Volkes sichern kann.
Alle Gesetze und Verordnungen,
({51})
- haben Sie wenigstens meine Rede mal gelesen? Das ist sehr dankenswert! die der Beschränkung der demokratischen Freiheiten des deutschen Volkes dienen, werden aufgehoben. Alle demokratischen Rechte und Freiheiten, wie die Pressefreiheit, die Versammlungsfreiheit, das Koalitions- und Streikrecht, das Recht der freien Meinungsäußerung und der Religionsausübung, der Unverletzlichkeit der Person und der Wohnung, werden durch Gesetze garantiert.
({52})
Ich habe das Gefühl, daß die Herren, die diese Delegation inszeniert und diese Briefe zu Hunderten und Tausenden veranlaßt haben,
({53})
etwas Positives tun könnten, wenn sie auch nur 5 %von dem, was sie hier für ganz Deutschland, fordern, in ihrem Machtbereich verwirklichten.
({54}),
Sie wissen ja, daß ich auch schon einmal den Versuch gemacht habe, auf meine Weise der deutschen Einheit zu dienen. Auch damals gab es ja schont eine gewisse Einmütigkeit der Ablehnung.
({55})
Ich habe damals die Vorstellung gehabt, daß die Herren im Osten vielleicht einmal die Gelegenheit benutzen könnten, uns deutlich zu machen, daß sie mit dem; was sie uns ständig mit den Mitteln der Presse und des Funks und der immer wieder neu gegründeten verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften übermitteln, "auch nur in den Anfängen ernst machen würden. Heute nachmittag ist von jener Seite ({56}) der Zwischenruf gekommen, 1500 - oder wieviel es sind - seien aus Waldheim entlassen worden. Daneben steht eine Verschärfung
({57})
des Kurses, eine Versteifung der Unterdrückung der Freiheit des Volkes.
({58})
- Ja, dafür gibt es leider zu viel Beweise, annähernd tausend jeden Tag in Berlin. Das sollten Sie nicht so laut sagen.
({59})
Dafür gibt es Beweise, und wir haben daraus leider, sage ich - die Erkenntnis gewinnen müssen,
daß alles das, was dort geschieht, die konsequente
Verfolgung eines vorgefaßten Planes ist und daß
es mit den aktuellen politischen Ereignissen - auch
mit idem Generalvertrag, wie man uns immer wieder einreden will, nicht das geringste zu tun hat!
({60})
Lassen Sie mich in diesem 'Zusammenhang eine Frage in aller Kürze anschneiden. Der Herr Kollege Arndt hat gesagt:
Wer aber da sagt, die Wehrfrage eigne sich nicht für eine Selbstbestimmung der Wähler, der verachtet das Volk und der verachtet die Demokratie.
Ich will nicht daran erinnern, was damals -1919 - auch ein Herr, der der gleichen Partei wie Herr Kollege Arndt vor 33 Jahren angehörte, erklärt hat: über den Friedensvertrag könne nur das Volk entscheiden. Es ist dann doch nicht geschehen.
Ich möchte aber etwas anderes vorlesen. Es ist einmal gesagt worden:
Wir sind der Ansicht, daß es nicht zweckmäßig ist, einer Minderheit von einem Viertel das Recht zu geben, in diesem Fall
- nämlich bei einer Verfassungsänderung ein Referendum zu beantragen, sondern wir sind der Ansicht, daß, wenn zwei Drittel der Mitglieder des Bundestags und zwei Drittel der Mitglieder des Bundesrats einer Verfassungsänderung zugestimmt haben, der überwiegende Wille der Volksvertretung bereits hinreichend zum Ausdruck gekommen ist und diese Manipulation im Abs. 3 vollkommen überflüssig ist. Sie führt nichts anderes als eine Verzögerung oder eine Verschleppung herbei. Sie gibt die Möglichkeit zu etwaigen demagogischen Experimenten.
Der das gesagt hat, war in der 12. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates der Herr Abgeordnete Dr. Katz.
({61})
Meine Damen und Herren, wir sollten uns doch vielleicht nicht so ganz leicht dem Vorwurf beugen, den Herr Arndt gemacht hat, daß man über den Art. 63 ja an das Volk hätte appellieren können. Ich möchte mir einen Augenblick nur die Frage gestatten, was Herr Dr. Arndt 'als Vertreter einer Regierungspartei etwa gesagt hätte, wenn wir als Vertreter der Opposition ihm nahegelegt hätten, in einem ähnlichen Fall auf diesem Umweg einen Volksentscheid einzuführen, den der Verfassungsgeber nicht gewollt hat.
({62})
In Kürze noch einige Hinweise. Ich habe von den Meinungen gesprochen, die hier durch Frau Kollegin Wessel vertreten worden sind, die uns gesagt hat, das sowjetische Sicherheitsbedürfnis sei der Angelpunkt für die Wiedervereinigung. Es werde entscheidend sein, ob wir bereit seien, dem russischen Sicherheitsbedürfnis dadurch entgegenzukommen, daß wir darauf verzichten, uns militärisch in den Westen einzugliedern. -Meine Damen und Herren, ich habe alles Verständnis für ein russisches Sicherheitsbedürfnis; aber ich bitte doch, in den Kundgebungen der „Gesamtdeutschen Volkspartei", die an viele Menschen appellieren, die sich ein vollständiges konkretes Bild der politischen Dinge nicht machen können, nicht den Eindruck zu erwecken, als ob die Weltlage und die europäische Lage nur durch ein russisches Sicherheitsbedürfnis bestimmt würden. Ich würde zunächst einmal die Frage stellen: Was ist denn das Sicherheitsbedürfnis unseres eigenen Volkes?
({63}) Ich glaube nicht, daß der Weg, den Frau Kollegin Wessel uns gewiesen hat, daß wir eine Außenpolitik treiben müßten, die uns aus dem Objektverhältnis der beiden Weltmächte heraushole, der geeignete Weg ist. Auch hier wird diese merkwürdige und, wie ich glaube, von der ganz überwiegenden Mehrheit dieses Hauses nicht vertretene fiktive Gleichstellung der Verhältnisse in Ost und West sichtbar. Es ist leider nicht die gleiche Situation. Es ist nicht die gleiche Politik. Es sind nicht die gleichen Mittel, und es sind nicht die gleichen Zielsetzungen. Es leistet niemand dem deutschen Volk und seinen Menschen, die den Frieden wollen, einen Dienst, wenn man so tut, als ob man auf diesem Wege ohne große Schwierigkeiten, wenn man nur wollte, die Probleme lösen könnte.
({64})
„Die diplomatische Auseinandersetzung mit der Sowjetunion dürfte nicht aufgeschoben werden", sagt man uns. Ich habe davon gesprochen, meine Damen und Herren: gern eine diplomatische Auseinandersetzung auch mit der Sowjetunion; aber dann, bitte, schaffen Sie zunächst einmal die Verhältnisse und die Voraussetzungen dafür!
({65})
Im Zusammenhang damit steht die Frage, die viele Menschen, insbesondere auch im Raum der Kirche bewegt, nach dem Recht der Kriegsdienstverweigerung. Ich möchte nicht, um nun nicht noch einmal Herrn Dr. Schumacher zu zitieren, das wiederhole-n, was er am 11. November 1950 in Hersfeld gesagt hat. Das würde darauf auch ein Licht werfen; aber es kommt darauf nicht an.
Herr Arndt hat uns vorgeworfen, daß wir Gewissenszwang üben wollten und daß wir den Art. 4 Abs. 3, der eine Art Ölzweig hätte sein sollen, vertauschten und ein dahinter verborgenes Bajonett herausholten.
({66})
Ich habe schon einmal an dieser Stelle gesagt, die Bestimmung des Art. 4 Abs. 3 ist uns bedeutsam, und wir gedenken sie ebensowenig wie im Parlamentarischen Rat in irgendeiner Weise zu erweichen oder zu beseitigen.
({67})
Aber wir werden doch wohl die Frage aufstellen dürfen: Was ist denn die Möglichkeit und der Sinn einer solchen Bestimmung? Wenn man uns sagt, in dieser Bestimmung werde deutlich, daß wir überhaupt nicht mit einer Wehrmacht, nicht mit einer Wehrpflicht, mit einem Wehrdienst mit der Waffe gerechnet hätten, dann muß ich - und entschuldigen Sie, Herr Präsident, daß ich es gerade
({68})
jetzt tue - Herrn Professor Schmid zitieren, der im Hauptausschuß des Parlamentarischen Rats gesagt hat:
Wenn Sie glauben, daß im Falle eines Krieges wegen dieses Artikels ein wilder Verschleiß
- das ist zu dem Abgeordneten Herrn Professor Heuss gesagt von Gewissen stattfinden würde, so bezweifle ich, ob das richtig ist. Ich glaube, es wird im Kriegsfall mehr Zivilcourage dazu gehören, zu sagen: „Ich berufe mich auf diesen Artikel und nehme kein Gewehr auf die Schulter", als Courage dazu gehören wird, einem Gestellungsbefehl Folge zu leisten.
Ich vermag nicht ganz zu erkennen, warum Herr Professor Schmid das gesagt hat, wenn nach der Gesamtlage des Grundgesetzes überhaupt nicht damit zu rechnen war, daß jemand einen -Gestellungsbefehl bekommt.
({69})
Denn nur theoretisch hat man diese Dinge doch offenbar im Saal dort drüben nicht erörtert.
({70})
Es ist uns in zahlreichen Veröffentlichungen von Männern der Kirche und Pastoren gesagt worden, daß man diese Anliegen unterstützen müsse. Auch in Elbingerode hat man darüber gesprochen. Es ist gerade ein Aufruf herausgekommen, den etwa 60 rheinische 'Pastoren unterschrieben haben, in dem steht:
Heute aber haben wir in der Kirche erkannt, daß auch die Wehrdienstverweigerung eine im Gehorsam gegen Gott vollzogene Entscheidung sein kann. Darum muß sich jeder Christ prüfen, ob er sich an Rüstung und Waffendienst beteiligen darf; denn diese Entscheidung kann uns von keiner politischen Instanz abgenommen werden.
Nein, meine Damen und Herren! Ich möchte für mich jedenfalls nicht behaupten, daß ich irgend jemand diese Entscheidung abnehmen könnte. Aber ich würde wünschen, daß die Herren, die diesen Aufruf ins Land hinausgeben, nicht nur von dem Gewissen des einzelnen, sondern auch von der Gesamtverantwortung eines Volkes und Staates einmal sprechen!
({71})
Wir können doch nun einmal nicht den Eindruck erwecken, daß es den isolierten Einzelmenschen in der Welt gebe, der tun und lassen könne, was ihm und seinem Gewissen gefalle. Der Mensch hat eine Verantwortung zu tragen auch für die anderen, auch für den 'Staat, auch für den Nächsten. Und ich möchte für mich - ich habe das auf dem Kirchentag in Stuttgart schon einmal gesagt - die Möglichkeit in Anspruch nehmen, meine Verantwortung für den Nächsten zunächst und erst einmal bei den 48 und darüber hinaus den 18 Millionen Menschen, die unserer 'besonderen Verantwortung befohlen sind, in ihrer Gesamtheit beginnen zu lassen.
({72})
Man kann nicht, indem man von diesen Dingen
redet, den Eindruck erwecken wollen, daß es in
Ost und West die gleichen Probleme gebe, den
Eindruck, daß man im Augenblick nichts anderes
zu tun habe, als den unterdrückten Menschen im
Westen davor zu schützen, daß dieser Staat und
dieses Parlament sein Gewissen knebelt und ihn zum Wehrdienst preßt. Wer das tut, gibt den Menschen, die in einer ernsten inneren Not sind, eine unzureichende Weisung und einen falschen Ratschlag.
({73})
Und zum Schluß. Herr Kollege Brandt hat uns gesagt, er warne davor, daß wir unsere Entscheidung auf die Furcht bauten; er halte den Weg der Geduld für realistischer. Herr Kollege Brandt, ich bin der Meinung, daß Furcht und Geduld keine echten Gegensätze sind!
({74})
Ich bin sogar der Meinung, daß das, was von der Furcht so oft gesagt wird und was Herr Dr. Heinemann uns immer wieder sagt, Furcht sei Unglaube, ein gefährliches Wort ist. Es mag sein, daß im Leben des einzelnen Furcht Unglaube ist. Ich halte die Sorge und die Furcht vor kommenden Ereignissen und Bedrohungen im politischen Leben für ein legitime Sache, der sich niemand, der Verantwortung trägt, entziehen darf.
({75})
Die Sorge um Leben und Freiheit eines Volkes ist legitim. Ich habe den Eindruck, daß das Wissen darum in unserem Volke wächst, insbesondere in unserer Jugend,
({76})
und nicht in irgendeinem Fanatismus, sondern in der Einsicht in eine bittere, unausweichliche Notwendigkeit; und ich halte das für eine gute Sache daß wir nicht mit falscher Begeisterung noch einmal an das Soldatentum herangehen.
({77})
Aber wenn das so ist, meine Damen und Herren, dann sollten wir uns auch dagegen wehren, daß man das Sprechen von der notwendigen Macht des Staates 'dadurch verfälscht, daß man an die Stelle des Wortes „Macht" das Wort „Gewalt" setzt und daß man so tut, als ob die Wahrnehmung der Macht eines Volkes - und das ist in dieser Debatte oft genug geschehen - den Krieg und den Willen zum Kriege in sich schlösse.
({78})
Es gibt in der Geschichte unseres Volkes Beispiele genug, an denen sich zeigt, daß die verantwortungsbewußte Wahrnehmung der Macht nicht den Krieg, sondern den Frieden gebiert.
({79})
Was von uns gefordert ist, ist nicht, zu sagen: „Die Macht ist böse" oder „Soldaten und Generäle sind schlecht". Wer das einmal gesagt hat und uns einmal hat aufzwingen wollen, ist ein höchst unrealistischer Schwärmer gewesen. Was uns geboten ist, ist die Errichtung einer politischen Ordnung, die sicherstellt, daß diese Macht des Staates niemals wieder zu einem falschen und verbrecherischen Zwecke mißbraucht wird. An dieser Arbeit sind wir.
({80})
Wenn sich nach der Ratifizierung der Verträge bei den Verhandlungen, die sich daran knüpfen werden, und bei den weiteren Entwicklungen, die daraus herauswachsen werden, ergibt, daß wir alliierte Truppen im Lande haben, sollten wir in jedem unserer Schritte sichtbar machen, daß es für uns ein nicht mehr vollziehbarer Gedanke ist, etwa mit Heinrich von Kleist zu sprechen:
({81})
Solang' ein Feind noch in Germanien trotzt,
Ist Haß mein Amt und meine Tugend Rache. Dem sagen wir ab und haben wir als Volk abgesagt.
({82})
Wir wollen auch nicht, um nun einmal Bismarck zu zitieren - man darf das ja wohl schon wieder, besonders nachdem durch die Freundlichkeit und Vermittlung des Herrn Kollegen Ritzel uns das Lenbachsche Bismarck-Bild geschenkt worden ist - bombastisch, und ich meine, für uns unecht, sagen: „Wir Deutsche fürchten Gott, sonst nichts in der Welt!" Aber lassen Sie mich unseren Weg beschreiben mit einem anderen, sehr bescheidenen Bismarckwort: Es bliebe uns auch in dieser Frage nichts übrig, als zu warten, bis der Mantel Gottes durch die Geschichte rauscht, und dann zuzuspringen und den Saum seines Mantels zu fassen. In dieser Bescheidung und in dieser Bereitschaft werden wir unsere Entscheidung fällen.
({83})
Das Wort hat der Abgeordnete Farke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verträge, die uns zur Ratifizierung vorliegen, sollen uns an Europa und eine Welt binden, die im Gegensatz zu der anderen im Osten gewordenen Welt steht, in der Freiheit und Menschenwürde mißachtet, in der Mord, Lüge und Ausrottang, Vertreibung aus Heimat und Eigentum zum Prinzip erhoben, in der alle sittlichen und moralischen Grundbegriffe, durch Jahrhunderte und Jahrtausende entwickelte Rechtsnormen einer bisher gültigen Menschheits- und Weltkultur, insbesondere der christlich-abendländischen Europakultur, zerstört werden sollen. Die Verträge sollen uns aber nicht nur an die Welt binden, die entschlossen ist, diesem Inferno geistigen Widerstand im Kalten Kriege entgegenzusetzen; sie sollen darüber hinaus unsere Wiederbewaffnung herbeiführen, um im Verteidigungsfalle mit der Waffe in der Hand Widerstand leisten zu können.
Gegen die Notwendigkeit eines Widerstandes und besonders eines bewaffneten Widerstandes, gegen die Notwendigkeit einer Wiederbewaffnung überhaupt werden nun aber zahlreiche Einwendungen erhoben. Soweit diese Einwendungen aus dem bolschewistischen Osten selbst kommen oder von dort durch bezahlte Kreaturen vermittels einer Flut von Briefen, Telegrammen und Broschüren zu uns gelangen oder aus dem sozialistischen Solidaritätsgefühl oder von Rückversicherern oder vielleicht den Fußkranken des Herrn Ollenhauer erhoben werden, irritieren sie uns nicht.
Soweit diese Einwendungen aber von uns selbst erhoben werden müssen, sind sieernster Natur; denn wir erheben sie nur da, wo wir feststellen müssen, daß Bestimmungen vorhanden sind, die noch Rudimente aus dem Geist von 1945 her, des bolschewistischen Denkens darstellen. Und das ist für die Fraktion der Deutschen Partei bei der Regelung der Kriegsverurteiltenfrage in den Artikeln 5, 6 und 7 des Überleitungsvertrages der Fall. Die Anerkennung von Urteilen, die aus dem kollektivbolschewistischen und Morgenthaugeist gefällt wurden, die den überkommenen Rechtsnormen und Methoden einer sittlich-moralischen Welt widersprechen, soll erhalten bleiben. Ein unterschiedliches Verfahren gegenüber den deutschen Gelangenen im In- und Ausland wird festgelegt. Für mich und meine Freunde sind diese Regelungen schwer tragbar. Wir hatten darum die Absicht, in dem Antrag zu Abteilung I des Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten den Artikel 6 von der Zustimmung auszunehmen. Wir haben aber nach reiflicher Überlegung von dieser Ausklammerung Abstand genommen, da wir einsehen mußten, daß wir uns jeder Möglichkeit begeben würden, auf vertragsmäßiger Grundlage für die Befreiung unserer noch kriegsverurteilten Kameraden etwas zu erreichen.
({0})
Eine Verantwortung, gar nichts mehr tun zu können, konnten wir nicht übernehmen. Aber wir halten es für notwendig, daß, nachdem auf Grund vertraglicher Bestimmungen gemischte Kommissionen vorgesehen sind, diese Verträge so schnell wie möglich ratifiziert werden, damit diese Kommissionen mit ihrer Arbeit beginnen können.
Meine Fraktion ist der Meinung, daß es besser gewesen wäre - und sie hat es damals verlangt -, die Ratifizierung schon vor den Parlamentsferien durchzuführen. Dann wären diese Kommissionen wahrscheinlich schon bei der Arbeit, und wir würden uns über die Frage der Kriegsverurteilten vielleicht überhaupt nicht mehr zu unterhalten brauchen.
Wir appellieren aber darüber hinaus an unsere Vertragspartner, mit denen wir eine Abwehrfront gegen die bolschewistische Welt bilden wollen, sich selbst auch von allen kollektivistisch-bolschewistischen Denkresten freizumachen - wie wir es wollen, indem wir trotz schwerwiegender Bedenken die Verträge ratifizieren -, sofort die gemischten Kommissionen gemäß Art. 6 zusammentreten zu lassen und im Wege laufender Gnadenerweise weitere Entlassungen vorzunehmen. Wir erwarten von unseren Vertragspartnern ebenso, daß sie unverantwortliche Äußerungen einzelner in Deutschland nicht, wie bisher, kollektivistisch verallgemeinern und nicht allen Deutschen oder allen deutschen Soldaten zur Last legen. Das deutsche Volk steht in seiner absoluten Mehrheit nicht hinter diesen Einzelerscheinungen, vor allem nicht die Mehrheit, die die vorliegenden Verträge trotz Bedenken bejaht und damit am ehrlichsten totalitäre Gewaltherrschaften und besonders die grausamste, die bolschewistisch-sozialistische Gewaltherrschaft des Ostens ablehnt.
({1})
Das Wort -hat der Abgeordnete Dr. Becker.
Meine Damen und Herren! Ich möchte meine Rede beginnen auch auf die Gefahr hin, die verschiedenen Gruppen, die hier miteinander sprechen, in ihrer Unterhaltung zu stören.
({0})
Ein Artikel des EVG-Vertrages ist an diesen zwei Tagen überhaupt noch nicht besprochen worden. Das ist der Art. 38, derjenige Artikel, der bestimmt, daß nunmehr und in welcher Form ein Europa aufgebaut werden kann, und zwar auf der Grundlage der Verteidigungsunion und der Montan-Union. Wenn Herr Kollege Ollenhauer vorhin erklärt hat, es werde jetzt in Paris versucht, neben der supranationalen Behörde der MontanUnion und neben der anderen supranationalen Be({1})
hörde der Verteidigungsgemeinschaft noch eine dritte aufzubauen, dann irrt er. Der Irrtum ist allerdings verzeihlich; denn es ist allein die deutsche Sozialdemokratie, die es im Gegensatz zu den Parteien aller anderen Länder versäumt hat, absichtlich versäumt hat, ihrerseits Vertreter in diese ad-hocVersammlung und ihre Kommissionen zu schicken. So kann natürlich Herr Ollenhauer nicht richtig unterrichtet sein.
Wenn weiter Herr Kollege Schoettle zu Beginn der gestrigen Sitzung davon gesprochen hat, daß es sich hier um eine private Veranstaltung handle, so darf ich ihn darauf hinweisen, daß es sich bei dieser angeblich privaten Veranstaltung um eine Veranstaltung handelt, der von allen Seiten die größte Aufmerksamkeit geschenkt wird, nämlich dadurch, daß alle Länder und alle Parteien der betreffenden Länder doch immerhin nicht gerade die unbekanntesten Personen dorthin schicken, selbst England. England ist sogar in jeder der Unterkommissionen durch je drei Delegierte - und nicht die schlechtesten ihrer jeweiligen Parteien - vertreten, woraus sich ergibt, welches Interesse auch England diesem kommenden Europa entgegenbringt.
Aber in einem hat Herr Kollege Schoettle recht. Es gab auch eine private Veranstaltung, die im vergangenen Jahre diesen Verhandlungen voranging, ausgegangen von dem Mouvement Européen, der seinerseits nach sehr eingehenden Verhandlungen schon den Entwurf einer solchen Verfassung gefertigt hat, ähnlich wie auch in Herrenchiemsee schon vor Beginn des Parlamentarischen Rates ein Entwurf ausgearbeitet worden war, der als Grundlage dienen konnte. Aus diesen privaten Verhandlungen möchte ich Ihnen zu Beginn folgendes erzählen. Wir verhandelten damals darüber, ob ein künftiges Europa, ob die künftigen Vereinigten Staaten von Europa einen Verfassungsgerichtshof haben sollten und welche Rechte er haben sollte. Da wurden nun die Erfahrungen ausgetauscht, die die verschiedenen Länder mit solchen Gerichtshöfen gemacht hatten. Man spielte auch auf das deutsche Bundesverfassungsgericht an. Ein Amerikaner, Professor der Harvard-Universität, sagte, man solle doch auch einmal beachten, daß es in Amerika bereits seit mehr als 170 Jahren einen höchsten Gerichtshof zur Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten gebe und daß dieser es verstanden habe, im Wege seiner eigenen Rechtsprechung sich selbst die Grenzen zu ziehen, wo die Justiz aufhöre und wo die Politik beginne, und daß er sich streng auf die Justiz und die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten beschränkt habe. Diese Bemerkung erscheint mir so wissenswert, daß ich sie hier mitteilen wollte.
Tritt man nun an die Frage heran, unter welchen Voraussetzungen die einzelnen europäischen Staaten in diese europäische Gemeinschaft hineingehen sollen, so ist die Grundlage die, daß sie im Anschluß an den Aufruf, den Churchill im Sommer 1950 an die europäischen Völker erlassen hat, zunächst als Verteidigungsgemeinschaft aufgebaut wird. Dieser Aufruf hat damals weite Kreise gezogen. Wir haben uns nun die Frage zu stellen: Sind alle Völker, die in Frage kommen, ist auch unser deutsches Volk bereit und entschlossen, alles zur Verteidigung seiner Freiheit, seines Bestandes und zur Verteidigung seiner Frauen und Kinder zu tun? Jetzt treten in unserm Volk die Neutralisten auf. Wir haben Frau Wessel gehört; wir haben von der neuen Partei gehört, die die Neutralität auf ihre Fahne geschrieben hat, ein Unterfangen, das so weltfremd ist, wie man es sich nur vorstellen kann. Wir liegen in Deutschland vermöge unserer geographischen Lage an der gefährlichsten, aber auch an der politisch entscheidendsten Stelle von Europa.
({2})
Es ist unmöglich, aus der großen Ebene, die sich von Asien über Rußland, über Polen und Norddeutschland, über Benelux nach Nordfrankreich erstreckt und über die Jahrhunderte hindurch alle Völker Asiens gezogen sind, die gekommen waren, um Europa zu überwältigen, aus dieser Ebene da, wo Deutschland liegt, mit dem Lineal einen gedachten Abschnitt herauszuschneiden und nun zu sagen: Dieser Abschnitt ist neutral. Wer eine derartige unbewaffnete Neutralität haben will, muß sein Volk ins Wolkenkuckucksheim führen. Da geht das vielleicht; aber hier auf der Erde kann man Panzerangriffe nicht mit Papiersalven abwehren.
({3})
Wenn die Herrschaften das nicht glauben, will ich ihnen ein praktisches Beispiel aus unserer jüngeren deutschen Geschichte erzählen. Es war im Jahre 1806. Der Krieg zwischen Preußen und Frankreich drohte. Damals lag mitten zwischen diesen beiden Staaten das kleine Kurhessen, meine Heimat. Frankreich, unter Napoleon I. damals die große Macht des Westens, und Preußen, das damals bis Warschau reichte und dessen Militär noch von der Gloriole Friedrichs des Großen umstrahlt war, die große Macht des Ostens, dazwischen eingekeilt das kleine Kurhessen. Seine Kurfürstlichen Gnaden beschlossen, neutral zu bleiben. Um die Neutralität recht sinnfällig darzulegen, wurde an der Südgrenze des Landes Hessen ein Schild aufgestellt. Auf diesem Schild stand: „Neutrales Land". Damit der französische General Mortier, der diese Straße kam, es auch richtig begriff, wurde auf französisch noch hinzugefügt: „Pays neutre". Was geschah? Ich brauche es nicht lange zu erzählen. Das Schild blieb stehen, aber Kurhessen nicht.
({4})
Also Schluß mit den Neutralisten.
Nun zur SPD. Die Frage ist zu stellen: Sind die Herren entschlossen - das ist die Grundlage -, alles zu tun, war zur Verteidigung unseres Vaterlandes, zur Verteidigung seines Bestandes, seiner Freiheit, zur Verteidigung unserer Frauen und Kinder erforderlich ist? Ja oder nein? Ich möchte es als sicher ohne weiteres unterstellen; denn ich fühle mich mit den Herren, mit denen ich insbesondere im Parlamentarischen Rat zusammen war, gewissermaßen noch kameradschaftlich verbunden, auch in dem Sinne, daß wir gewillt sind, den Staat, den wir geschaffen haben, dessen Mängel wir alle kennen, der uns aber ans Herz gewachsen ist, zu schützen.
({5})
Aber wie lauten denn nun die Äußerungen der SPD in der deutschen Öffentlichkeit dazu? Die deutsche und auch die europäische Öffentlichkeit hat ein Interesse daran, zu wissen, woran sie bei der zweitgrößten deutschen Partei ist. Schauen wir zurück in das Jahr 1950! Damals tauchte erstmals die Frage eines Verteidigungsbeitrags auf. Da wurde als Devise der SPD ausgegeben: Erst müssen angelsächsische Divisionen in genügender Zahl in Deutschland stehen, dann muß die Gleichberechtigung gegeben werden, und drittens darf die erste Schlacht nur zwischen Weichsel und Njemen stattfinden. Die Regierungsparteien sagten: Gleich({6})
berechtigung - einverstanden, einverstanden damit, daß die angelsächsischen Divisionen nach Deutschland kommen. Aber von der Schlacht zwischen Weichsel und Njemen sprachen wir nicht; denn wir wollten ja keinen Angriff haben, wir wollten nur den Frieden sichern und die Verteidigung aufbauen.
({7})
Es hörte sich also so an, als wenn man ungefähr einig wäre bis auf diese Schlacht zwischen Weichsel und Njemen, daß die SPD vielleicht sagte: Wenn - wenn - dann j a, und daß wir sagten: Ja - wenn - wenn. Man hätte also eine gemeinschaftliche Politik darauf aufbauen können. Es geschah aber nicht; denn nun ging die Affäre weiter. Jetzt nahten die Landtagswahlen im November 1950 in Hessen, Bayern und Württemberg-Baden. Darauf fand eine Konferenz in Darmstadt im Hause des Herrn Niemöller statt. Es war Herr Schumacher da, Herr Ollenhauer war da, Herr Arndt war da. Die Tatsache dieser großen Konferenz wurde in der Presse weidlich diskutiert; dann wurde eine Type gemacht, und auch diese Photographie aller Beteiligten wurde in der Presse veröffentlicht, so daß also alle Welt glauben mußte: Jetzt ist die SPD auf dem Ohne-mich-Standpunkt des Herrn Niemöller angekommen. Wenige Tage darauf hielt ein prominenter sozialdemokratischer Führer in Süddeutschland eine Rede, in der es hieß: Wir werden ein Wehrgesetz machen, dem gegenüber es keine Dienstverweigerung mehr gibt. Das war etwa um den 20./ 22. November 1950 herum.
Dann haben wir am 25. oder 26. November 1950 in Straßburg im Europarat eine Debatte gehabt, die ich nicht vergessen werde. Sie war packend und aufschlußreich. Es handelte sich um die Frage der Verteidigung Europas durch alle europäischen Völker. Die Frage war damals von Churchill angeschnitten, vertieft von dem französischen Außenminister Schuman, der am gleichen Morgen in Straßburg erklärt hatte: Auch ich bin bereit, die französische Armee auf die wir so stolz sind, in der europäischen Armee aufgehen zu lassen; auch wir sind der Meinung, daß künftig in dieser europäischen Armee keine Diskrimination stattfinden soll. - Wer sagte nein? Die deutsche SPD, sonst niemand. Da trat der türkische Vertreter Kapani auf und sagte: Wir Türken haben mit Rußland eine längere Grenze als ihr Deutschen, aber wir machen unsere Mitwirkung an der Verteidigung Europas nicht davon abhängig, daß erst soundso viele angelsächsische Divisionen bei uns stehen. Dann kam der griechische Vertreter und sagte: Wir haben im Jahre 1947 den sogenannten Bürgerkrieg, von Bulgarien ausgelöst, gehabt, in Wirklichkeit ein sowjetischer Angriff; wir sind dankbar für die Hilfe der Weststaaten, die sie uns gewährt haben; wir haben den Bürgerkrieg niedergeschlagen; wenn aber Europa uns ruft, wir sind bereit. Darauf kam ein dänischer Vertreter, meine Herren von der SPD, Herr Jacobsen, Sozialist, und beschwor Sie, bei der Verteidigung mitzumachen. Er wies darauf hin, daß die Verteidigung Dänemarks ja in der Luft hängen würde, wenn nicht im Süden Dänemarks die Deutschen bei der Verteidigung Europas mitwirkten. Dann kam Herr Rollin, Völkerrechtslehrer und Senator des Königreichs Belgien, Sozialist. Wir hatten in dieser Debatte auch von der Ohne-michParole in Deutschland gesprochen, hatten gesprochen von den Landtagswahlen in den süddeutschen Ländern. Da sagte dann Herr Rollin zu den Deutschen gewandt - er sprach seine eigenen Parteigenossen nicht unmittelbar an, sondern die Deut- sehen allgemein -: Bitte, meine verehrten deutschen Kollegen, gehen Sie erst wieder nach Hause, bringen Sie ihre Landtagswahlgeschichte in Ordnung, dann kommen Sie her und überlegen Sie sich die Geschichte nochmal; vielleicht nehmen Sie dann Vernunft an! Gerichtet an die Adresse der deutschen SPD! Dann hat ein Engländer - zwar nicht in einer offiziellen Rede, sondern privat, aber allen Leuten vernehmlich - erklärt: Ja, meine Herren von der deutschen SPD, verlangen Sie vielleicht auch noch die Garantie, daß der künftige Oberbefehlshaber der europäischen Armee keine Schlacht verliert?
Sehen Sie, das alles haben wir uns sagen lassen müssen, und ich habe mich als deutscher Landsmann für meine deutschen Landsleute von der SPD ein bißchen geschämt. Sie standen da wie die begossenen Pudel.
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Ich glaube, sie wären gewillt gewesen, auch ja zu sagen; aber alle Telefongespräche brachten keine Änderung herbei. Nur die englische Labour-Partei war so klug, kein Wort zu reden und sich nur der Abstimmung zu enthalten; sie ging unter im andern. Der Erfolg war: Die SPD allein gegen Europa!
Nun frage ich: was ist die wahre und echte Meinung der SPD? Will sie die Verteidigung grundsätzlich bejahen oder verneinen? Auch heute habe ich wieder genau aufgepaßt, als Herr 011enhauer grundsätzlich sprach. Da habe ich mir folgende Sätze darüber notiert. Zunächst erklärte er: „Eine solche Verteidigung gibt's nicht gegen den Willen der großen Mehrheit des Volkes!" Das klingt nach Nein. Dann wurde der SPD-Beschluß vom Dezember 1948 zitiert mit dem Satz: „Die Wehrhoheit steht dem Bund nicht zu." Das klingt nach Nein. Auf der anderen Seite wurde gesagt: „Die Verteidigung der Freiheit und Demokratie ist unbestritten." Aber wie, das wurde nicht gesagt. Dann kam wieder die Bemerkung: „Wir verstehen vollkommen die Bedrohung aus dem Osten und die Bedrückung der Satellitenstaaten." Aber die Konsequenz: Wollen wir uns verteidigen? - nicht gesagt! Dann war davon die Rede, daß er uns warnen müsse, uns eine zu große Schuhnummer anzuschaffen. Das klang nun wieder nach Nein! Wird ein Mensch daraus klug?
Ich habe eine Bitte an die SPD. Sollten Sie mal wieder nach Darmstadt zu Herrn Niemöller kommen, dann bitte ich, Herrn Niemöller - nicht in seiner Eigenschaft als Politiker, da können Sie nichts Gescheites lernen;
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aber in seiner Eigenschaft als Geistlichen - zu fragen, und dann lassen Sie sich von ihm mal einen Vortrag halten über das Bibelwort: „Eure Rede aber sei: wenn Ja, dann Ja, und wenn Nein, dann Nein! Und alles, was darum herum ist, das ist vom Übel!"
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Um wieder zu Europa zurückzukommen: Die Versammlung, die die europäische Verfassung ausarbeiten sollte, mußte einen Präsidenten haben. Zur Wahl standen unser Kollege Brentano und Herr Spaak. Ich möchte bei dieser Gelegenheit nicht versäumen, auch Herrn Spaak gegenüber meine dankbare und ausgezeichnete Hochachtung
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für alles, was er in den europäischen Angelegenheiten zuwege gebracht hat, hier auszusprechen.
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Ich mache auf folgendes aufmerksam. Ich bin überzeugt, daß die Herren der SPD damals, als sie Herrn Spaak den Vorzug vor Herrn Brentano gaben, nicht etwa irgendeinen Unterschied in den menschlichen oder auch in den präsidentiellen Qualitäten der beiden Herren haben machen wollen. Vorhin hat sich Herr Ollenhauer dringend verbeten, ihm immer parteitaktische Motive zu unterschieben.
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Das tue ich auch nicht. Ich stelle also fest, daß die SPD Herrn Spaak nicht deshalb gewählt hat, weil er Sozialist ist. Dann ergibt sich nur die eine Konsequenz daraus, daß sie ihn deshalb gewählt hat, weil er der Prototyp und Vorkämpfer des Europagedankens ist.
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Im gleichen Augenblick lehnt es die SPD aber ab, auch nur einen einzigen Abgeordneten in diese Versammlung zu senden, welche die europäische Verfassung unter dem Vorsitz des Herrn Spaak beschließen soll. „Erkläret mir, Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der Natur!"
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Wir háben hier lang und breit schon über die Frage debattiert: Wie kommt es eigentlich, daß die SPD die Wehrhoheit der deutschen Bundesrepublik verneint? Ich will nicht darauf eingehen, was an Auslegungsmöglichkeiten aus den Paragraphen des Grundgesetzes oder aus den Archiven des I Parlamentarischen Rates herauszuholen ist. Ich bin selbst Mitglied des Parlamentarischen Rates gewesen und brauche deshalb weder von Herrn Arndt noch von anderen, die nicht drin waren, zu erfahren, was wir gedacht haben;
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das weiß ich ganz genau. Aber auf der anderen Seite wird hier der Generalvertrag, der Bonner Vertrag mit der Begründung abgelehnt, die Bundesregierung habe es versäumt, genügend Souveränitätsrechte herauszuholen; wir hätten noch nicht genug Souveränität. Im gleichen Augenblick läuft dann dieselbe SPD zum Bundesverfassungsgericht und will sich bescheinigen lassen, daß wir keine Wehrhoheit hätten. „Erkläret mir, Graf Oerindur, auch diesen Zwiespalt der Natur"!
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Nun eine andere Frage. Es sind Zweifel geäußert worden, ob, wenn wir den Verteidigungsvertrag annähmen, auch die anderen Länder ihn annehmen würden, ob überhaupt die anderen Länder bereit wären, mit uns eine europäische Gemeinschaft im weitesten Sinne zu schaffen. Ich komme aus Paris und stehe mit einigen unserer Kollegen in den Verhandlungen. An Hand gerade dieser Erfahrungen möchte ich zwei Länder ansprechen: England und Frankreich. England hat im Conseil de l'Europe bei der Septembertagung durch Herrn Eden Erklärungen abgeben lassen, die sehr verheißungsvoll klangen. Es hat aber auch einen Mißklang gegeben. Ein Labour-Abgeordneter, Herr
Healey, hat erklärt, von jeher sei es die Politik Englands gewesen, sich den Kontinent nicht einigen zu lassen, damit das Gleichgewicht der Kräfte bestehen bleibe. Ich möchte annehmen, daß dieser Herr nicht das Examen für den künftigen englischen Außenminister hat ablegen wollen. Was ich aber feststellen kann, ist, daß jetzt in Paris, wie ich vorhin schon sagte, in den Verhandlungen auch der kleinsten Unterkommissionen alle drei englischen Parteien nicht durch die schlechtesten Leute vertreten sind und sie sich sehr intensiv um das bemühen, was vor sich geht. Ich bin überzeugt, wenn die sechs Staaten dieses Europa geschaffen haben werden, dann ist England der erste, der kommt, wenn es gesehen hat, daß es geht.
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Und Frankreich! Sie kennen alle die Bedenken, Besorgnisse und Widerstände, die sich in Frankreich zeigen. Neulich hieß es in einer französischen Zeitung, wir hätten in Deutschland vielleicht nicht die richtige Vorstellung von den Schwierigkeiten, Sorgen und Bedenken, die man in Frankreich habe. Wir haben sie durchaus. Wir verstehen, daß in Indochina enorme Schwierigkeiten bestehen, daß jedes Jahr Krieg in Indochina etwa 6 Milliarden DM Kosten verursacht, daß eine Jahresklasse an Offizieren, umgerechnet auf sämtliche Wehrmachtangehörigen der französischen Armee, jährlich dort fällt. Wir verstehen es deshalb, daß sich Frankreich die Frage vorlegt: Kann ich neben diesen Lasten auch noch das leisten, was der Verteidigungsbeitrag von uns Franzosen für das Mutterland fordert? Es steht uns nicht an, in dieser Frage irgendwie Stellung zu nehmen. Aber wir wollen nur zu verstehen geben, daß wir diese Schwierigkeiten sehen. Schließlich steht das Mutterland Europa und Mutterland Frankreich wahrscheinlich näher als eine ferner gelegene Kolonie, wie denn überhaupt die Frage der Lösung des Verhältnisses zwischen Europa und Asien derartig in Gang gekommen ist, daß hier noch Entwicklungen bevorstehen, die vielleicht auch andere Lösungen nahelegen.
Das zweite Bedenken ist die Frage, daß sie sich etwas scheuen, die Traditionen ihrer Armee abzulegen, in einer neuen Armee gewissermaßen aufzugehen. Ich habe dafür menschliches Verständnis. Aber gegenüber diesen Ressentiments stehen die Notwendigkeiten. Schließlich ist noch die ewige Frage der Sicherheit Frankreichs zu erörtern. Ich habe schon einmal in Straßburg gesagt, daß die Montan-Union auch für Frankreich, von Frankreich aus gesehen, eine Sicherheit dafür bietet, daß irgendeine Rüstung, die von Frankreich unbemerkt vor sich gehen könnte, infolge der MontanUnion unmöglich ist; umgekehrt natürlich auch.
Auf der anderen Seite, hinsichtlich der Frage der Wehrmacht, kann man sagen, daß, wenn die europäische Macht als Ganzes besteht, die deutsche und die französische dann in einer einheitlichen Armee und unter einem einheitlichen Ober- befehl vereinigt sind, es völlig unmöglich ist, daß der eine Teil über den anderen herfällt, auch wenn Frankreich heute glaubt, noch besondere Garantien dafür fordern zu müssen. Die Dinge lassen sich also dadurch einfach regeln. Ja, sie werden ihren Schrecken in dem Augenblick besonders verlieren, in dem ein einheitliches Europa als feste staatliche Organisation dasteht. Diese festgefügte Organisation wird dann mit einer einheitlichen
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Außenpolitik und einer einheitlichen Finanzpolitik dastehen; denn schließlich muß ein bewaffneter Arm Europas auch von einem Kopf Europa dirigiert -werden. Ein bewaffneter Arm muß auch irgendwie gerüstet und das Ganze muß bezahlt werden. Daraus folgt also logisch eine gewisse Gemeinsamkeit der Außenpolitik und eine Gemeinsamkeit der Finanzen. Aus dieser absoluten Verflechtung ergibt sich dann, daß künftig auch durch eine solche Organisation Frieden zwischen den beiden Nationen herrscht, die sich Jahrhunderte hindurch immer nur und immer wieder bekriegt haben, mit dem einzigen Ziel, daß Hekatomben von Opfern auf Opfern gehäuft wurden und immer nur die Grenze mal 60 oder 80 km weiter östlich oder westlich verlegt wurde. Das wollen wir durch diesen Vertrag verhindern.
({20})
Aber dann tritt wieder der Versucher an unsere beiden Völker heran, an uns Deutsche und an die Franzosen, und zwar in zweifacher Gestalt. Die sowjetische Agitation sucht zu erreichen, daß wir nicht zum Entschluß kommen und Frankreich auch nicht; denn Rußland braucht Zeit. Rußland hat vor den Westmächten den Vorsprung, daß es auf dem Wege der alten Waffengattungen nicht abgerüstet hat. Es ist im Rückstand mit der Atomwaffe. Umgekehrt ist es im Westen. Der Westen hat abgerüstet, verschrottet. Er muß diese alten klassischen Waffen, Luftwaffe, Seemacht, Wehr- und Landmacht, wieder aufbauen, hat aber dafür in der Atombombe einen Vorsprung. Rußland braucht deshalb zweierlei. Es muß Zeit finden, in der es seine Atombombenfabrikation vervollständigt und ergänzt. Auf der anderen Seite muß es die Westmächte hindern, in derselben Zeit hinsichtlich der
I) anderen Waffen, Landmacht, Luftmacht und Seemacht, vorwärtszukommen. Zu dem Zweck werden hier die Parolen von gesamtdeutschen Wahlen, wird das ganze Drum und Dran, was dazugehört, uns gewissermaßen als Köder hingeworfen, damit wir eine Weile dran anbeißen und damit wir uns davon ablocken lassen, uns zur gemeinsamen Verteidigung zusammenzuschließen.
({21})
Wir haben heute gehört, daß Vierer-Konferenzen vorgeschlagen worden sind. Es ist eine Gefahr, wenn wir uns ohne genügende materielle Grundlage darauf einlassen. Die Gefahr besteht aber auch darin, daß dann das eintritt, was der verstorbene Kollege Schumacher einmal so schön mit dem Gleichnis von den deutschen Hirtenknaben, die ausziehen, das sowjetische Lämmlein zu hüten, bezeichnet hat. Es besteht die Gefahr, daß mit diesen Ideen - es gibt solche Propheten in Deutschland - die Zeit vertrödelt wird.
Umgekehrt geht man in Frankreich hin und sagt: Um Gottes willen, geht mit den Deutschen nicht zusammen, die haben inzwischen schon solchen Zuwachs an wirtschaftlicher Macht bekommen, daß die euch erdrücken werden. Warum? Damit auch in Frankreich die gemeinsame europäische Verteidigung nicht vorwärtsgeht.
Das sind -die Gedankengänge des Versuchers. Dadurch müssen wir einen Strich machen. Deshalb ist es notwendig, heute hier unser Ja auszusprechen.
({22})
Wo liegt jetzt eigentlich nur die Antithese in Ihrer Politik, meine Herren von der SPD? Sie haben gegenüber einer klaren und präzisen Konzeption nicht den geringsten klaren Gegenvorschlag, sondern haben nur oppositionelle Ressentiments.
({23})
Wenn ich die französische Situation betrachte, muß ich sagen, ich verstehe durchaus die Ressentiments der Franzosen, sehe aber auch dort gegenüber einer klaren Konzeption, wie sie dem Haupt des Herrn Schuman entsprungen ist, keine Antithese, keine andere Alternative, sondern auch da nur Ressentiments. Ich respektiere sie; aber nach beiden Seiten gilt der Satz, den einmal Goethe in Hermann und Dorothea gesagt hat: „Wehe dem Manne, der in schwankenden Zeiten schwankend gesinnt ist. Er mehrt nur das Übel und breitet es weiter und weiter. Doch wer fest auf dem Sinne beharrt, der bildet die Welt sich."
({24})
Das Wort hat der Abgeordnete Loritz.
({0})
Loritz ({1}): Meine Damen und Herren! Ich möchte hier nicht wie die meisten Vorredner in diesem Hause eine Rede vom Blatt ablesen. In der kurzen Redezeit von nur wenigen Minuten, die mir vom Herrn Präsidenten zur Verfügung gestellt worden ist,
({2})
möchte ich einiges zu dem sagen, was uns Herr Dr. Adenauer und seine Herren von der Regierungskoalition die ganzen drei Tage hindurch weiszumachen versucht haben.
Einer Frage ist Herr Dr. Adenauer bewußt ausgewichen, und gerade die und sonst gar keine ist die entscheidende Frage. Diese Frage lautet: Werden wir durch die Aufstellung von 12 oder meinetwegen 15 deutschen Divisionen stärker gegenüber Rußland, sicherer gegenüber einer Bedrohung von seiten Rußlands sein, oder werden wir das nicht sein, oder werden wir vielleicht sogar dadurch schwächer werden?
({3})
Herr Adenauer sagte heute noch: Ja, wir sind es dann nicht etwa allein, die gegenüber Rußland mit den Divisionen dastehen, wir haben an unsere Seite auch die französischen Divisionen und die italienischen Divisionen und 6 amerikanische Devisionen und ein paar englische auf dem Festland herüben. Herr Dr. Adenauer, erkundigen Sie sich doch bitte bei Frontoffizieren, ob auch die Unterstützung durch diese paar amerikanischen und durch die italienischen und französischen Divisionen genügen würde,
({4})
um stark genug zu sein gegenüber dem Osten, wenn heute Stalin nach Westeuropa einmaschieren will! Ich will Ihnen eines sagen: weder die 12 deutschen Divisionen allein noch bei Unterstützung mit 6 amerikanischen und 4 britischen und den 12 oder 15 französischen Divisionen werden ausreichen! Die werden alle zusammen nicht stark genug sein, um einen Vormasch Stalins nach Westeuropa abstoppen oder gar die Russen schlagen zu können.
({5})
Meine Damen und Herren, es ist nicht unsere Schuld, daß es so gekommen ist. Nicht wir sind
({6})
daran schuld, daß der deutsche Schutzwall gegen
den Osten zerbrochen und zertrümmert wurde. Die
Herren von Jalta und Potsdam waren das. Aber
nachdem die Lage heute so ist, gilt es, den Tatsachen, den nackten Tatsachen ins Auge zu sehen.
({7})
Und die Tatsachen lauten: durch Aufstellung von zwölf deutschen Divisionen wenden wir die Gefahr nicht ab, wir werden praktisch dadurch nicht stärker, sondern wir werden gegenüber Rußland schwächer. Herr Dr. Adenauer hat das ja auch schon implicite zugegeben. Nur haben manche von Ihnen nicht deutlich mit zugehört, als Adenauer sprach.
({8})
Nein, Sie und Ihre Leute haben heute immer wieder geschrieen!
Adenauer sagte, gewisse Industrien in Westdeutschland müssen verlagert werden hinter eine Linie, die ungefähr den Rhein entlangläuft, Flugzeugindustrie, chemische Industrien gewisser Art usw., damit nicht die russische Luftwaffe, wenn es zu einem Krieg kommt, zuschlagen und alles das vernichten kann. Sehen Sie, es wird also von seiten der Weststrategen mit der Möglichkeit gerechnet, daß bei einem Zuschlagen von Rußland ganz Westdeutschland verloren ist. Und so ist auch die Lage tatsächlich.
({9})
Nichts nutzt uns eine Aufrüstung um zwölf Divisionen, gar nichts! Im Gegenteil, es schwächt unsere außenpolitische Lage nur.
({10})
- Bitte, unterbrechen Sie mich doch nicht immer! Haben Sie doch wenigstens soviel Höflichkeit, ruhig zuzuhorchen, damit nicht das Volk draußen sich ein merkwürdiges Bild über die sogenannten Parlamentarier macht!
({11})
Ich bitte übrigens, daß diese Zeit, die ich durch Unterbrechungen immer wieder gestört werde, nicht etwa von meiner Redezeit abgezogen wird.
({12})
- Sie benehmen sich in einer Art und Weise, daß es ein Skandal ist! Das kann ich Ihnen sagen, meine Herrn Zwischenrufer!
({13})
Etwas ganz anderes wird unsere Situation gegenüber einer östlichen Gefahr stärken. Denn der Kommunismus ist nur dort eine Gefahr, wo durch eine falsche Verwaltung im Innern der Boden für ihn vorbereitet wird. Wären die Milliarden, die uns die deutsche Wiederaufrüstung kostet, verwendet worden und würden sie in Zukunft verwendet werden für die Heimatvertriebenen, für den Wohnungsbau, für die Kriegsversehrten, für all diese friedlichen Zwecke, dann würde damit eine wahrhafte Stärkung unserer deutschen Position entstehen!
({14})
Es wurde geflissentlich verschwiegen, daß ganz andere Länder als lediglich Deutschland sich ausklammern lassen und nicht mitmachen bei diesen einseitigen Militärbündnissen mit Amerika. Warum hat der Herr Bundeskanzler Ihnen denn verschwiegen, daß Schweden, das mindestens ebenso bedroht ist wie Deutschland, sich beharrlich weigert, dem Atlantikpakt oder irgendeinem Bündnis beizutreten, das gegen Rußland gerichtet ist? Deutschland aber soll das tun?! Und noch viel mehr soll es tun: Vor ein paar hundert Jahren, da gab es schlechte Landesfürsten, die Deutsche als Söldner für fremde Interessen verkauft haben. Damals sind wenigstens große Summet Geldes für den Kauf dieser Söldner nach Deutschland eingeströmt.
({15})
Diese Gelder haben den Aufbau von Industrien da und dort sogar erst ermöglicht. Heute ist es aber noch viel schlimmer und schändlicher: Heute will die Regierung Adenauer nicht etwa bloß Soldaten und Blut ausländischen Mächten zur Verfügung stellen, sondern 10 Milliarden DM pro Jahr will sie dazu noch zahlen, daß wir unsere guten Soldaten an andere Staaten hergeben. Denn eines steht fest: Wenn es heute zu einer Auseinandersetzung mit dem Osten kommt, wenn heute Rußland nach Westeuropa vormarschieren wird, dann wird die Aufgabe der deutschen Armee keine andere sein, als Nachhutgefechte zu leisten, und die deutschen Soldaten werden mitgenommen bis hinter die Pyrenäenlinie, oder noch weiter fortgeführt werden sie, und werden zur Verteidigung unseres Landes, das zum Schlachtfeld wird, gar nichts ausrichten können.
({16})
- I h r Herr Dr. Adenauer ist in die Schweiz gegangen die ganzen Jahre, nicht ich, Herr Zwischenrufer!
({17})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Loritz und nicht die übrigen bayerischen Abgeordneten des Hauses.
({0})
Loritz ({1}): Meine Damen und Herren, die Lage ist so, daß wir nichts machen können, wenn heute -Stalin nach Westeuropa marschiert. Aber wer sagt Ihnen denn überhaupt, daß er das will? Sieben Jahre lang hat man uns von Ihrer Seite damit gedroht und geblufft: Im nächsten Monat oder im nächsten Jahr wird Stalin marschieren. Er ist nicht marschiert, nicht um der schönen Augen der Deutschen willen, wie uns gewisse Leute weiszumachen suchen; nein, weil es im eigenen Interesse des russischen Generalstabs liegt, wann der Krieg zwischen dem Kommunismus auf der einen Seite und gewissen anderen Kräften Amerikas usw. in Ostasien sich abspielt, in Ostasien, wohin die Amerikaner dreimal so lange Nachschublinien haben als nach Westeuropa, in Ostasien, wo ein wohlausgebautes Straßennetz motorisierten Armeen, wie die Amerikaner sie haben, nicht zur Verfügung steht,
({2})
in Ostasien, wo die gesamte einheimische Bevölkerung - durch die Erfahrung der letzten Jahrhunderte ist das so gekommen - von Haß gegenüber allen Weißen erfüllt ist, - hier ist das Schlachtfeld,
({3})
({4})
das bereits von den gegnerischen Kräften der einen wie der anderen Seite betreten worden ist. Wir sollten uns hüten, diesen bereits in Asien entfachten Krieg nach Westeuropa künstlich hineinzuzerren, indem man an der Elbe deutsche Divisionen aufmarschieren läßt, die der Russe fürchtet und zu fürchten gelernt hat in zwei Weltkriegen, deutsche Divisionen, die das Schicksal Deutschlands - Westdeutschlands - nicht mehr ändern können,
Kommen Sie bitte zum Schluß, Herr Abgeordneter Loritz! Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Loritz ({0}): - weil in Jalta und Potsdam das Unglück geschehen ist und Deutschland restlos geschwächt ist und fast zerstört wurde.
Kommen Sie bitte zum Schluß, Herr Abgeordneter Loritz, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
({0})
Loritz ({1}): Dieser Vertrag bringt uns keine Besserung gegenüber dem bisherigen Zustand.
({2})
- Was ist denn aufgehoben worden, meine Herren Zwischenrufer? Von der Militärpolizei bis zum Chlorwasser in den amerikanischen Garnisonstädten bleibt alles genau so, wie es bisher war. Die Militärpolizei darf weiterhin deutsche Zivilisten verhaften, sie müssen nur dann nachher vor ein deutsches Gericht gestellt werden.
Kommen Sie bitte zum Schluß, Herr Abgeordneter Loritz, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Loritz ({0}): Weiterhin sind Angestellte der Militärregierung ausgenommen von der deutschen Gesetzgebung usw. usw. Wir verzichten auf 20 Milliarden deutsches Auslandsvermögen. Ich sehe sehr wenig Änderung gegenüber idem bisherigen Zustand, und worin besteht diese wenige Änderung?
({1})
Daß Sie die Diplomaten schicken dürfen in verschiedene Länder, ja, und die haben dann doch
nichts zu sagen, sondern müssen so tun, wie es
ihnen von Washington aus befohlen. wird letzten
Endes; denn wir dürfen ja nur einseitig Politik
treiben. Das steht ja ausdrücklich im Vertrag drin.
({2})
Für diese kleinen Verbesserungen zahlen wir einen unerhörten Preis: nämlich - -
Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluß, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Loritz ({0}): nämlich freiwillig geben wir unser junges Blut her, was wir haben, und freiwillig geben wir noch jährlich 10 Milliarden DM dafür.
({1}) D a s ist die wahre Lage,
({2})
und deswegen muß jeder Deutsche, der sich noch kühlen Verstand bewahrt hat,
({3})
gegen diese Verträge stimmen und muß es verhindern, daß unser Volk hineingerissen wird in eine neue Katastrophe, bei der es, meine sehr verehrten Herren von den Regierungsparteien, keine Persilscheine mehr geben wird, die für die JaSager zum Ermächtigungsgesetz diesmal noch zur Verfügung standen!
Herr Abgeordneter Loritz, ich entziehe Ihnen das Wort! Ich habe Sie dreimal ermahnt. Ihre Zeit ist abgelaufen.
({0}) Das Wort hat Herr Abgeordneter Erler.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Lauf der heutigen Debatte ist zu verschiedenen Zeiten der Gesichtspunktaufgetaucht, daß der Verfassungsstreit doch eigentlich zu einem früheren Zeitpunkt hätte entschieden werden können. Ich möchte Ihnen sagen, daß das weiß Gott nicht an uns gelegen hat. Wenn Sie sich, seitdem diese Frage offen in der politischen Auseinandersetzung in Deutschland steht, dazu bereitgefunden hätten, sie gemeinsam mit uns von den dazu befugten Organen entscheiden zu lassen, dann brauchten Sie das jetzt nicht als einen Vorwand für die Verzögerung der immerhin auch politischen Entscheidung zu nehmen. Das wäre möglich gewesen.
Herr Dr. Ehlers hat eine erfreuliche Mahnung an alle Seiten des Hauses gerichtet, bei der Diskussion über dieses Vertragswerk mit großen Worten vorsichtig zu sein. Ich möchte unterstellen, daß diese Mahnung auch an die Adresse des Herrn Bundeskanzlers gerichtet gewesen ist,
({0})
der immerhin zweimal nicht nur bei seiner ersten Rede, sondern auch bei der Wiederholung, die wir heute bekommen haben, an den Schluß seiner wirkungsvollen Ausführungen eine Reihe von sehr großen Worten gesetzt hat.
Aber ich möchte Herrn Dr. Ehlers selbst daran erinnern, daß sein schönes Zitat Bismarcks vom Zipfel ides Mantels Gottes in der Weltgeschichte sich wahrscheinlich für beide Standpunkte verwenden läßt und sicher nicht nur für den einen.
({1})
Er kann davon überzeugt sein, daß uns die Sorge um das eigene Volk und um seine Sicherheit genau so bewegt wie ihn.
({2})
Das möchte ich hier an dieser Stelle aussprechen.
Aber nun etwas anderes, was auch aus seinen Ausführungen durchklang und womit man sich befassen muß: Wir befinden uns nicht in einer KoreaSituation.
({3})
Ich finde, daß es den politischen Realitäten nicht gerecht wird, wenn wir mit diesem, angesichts der Anwesenheit amerikanischer und britischer Besatzungstruppen in Deutschland durch nichts gerechtfertigten Vergleich die Angstpsychose in unserem Volk verbreiten, die nie ein guter Ratgeber gewesen ist.
({4})
Der Bundeskanzler hat früher selbst einmal ausgesprochen - und für diesen Ausspruch sollten
({5})
wir ihm dankbar sein -, daß eine unmittelbar drohende russische Aggression nicht vor der Tür steht.
({6})
Die Angst ist eine der Waffen der Kommunisten im Kalten Krieg,
({7})
und wir sollten endlich an die Stelle der Angst die ruhige Diskussion und das Gefühl der Zuversicht und der Sicherheit auch in unserem Teil der freien Welt verbreiten, weil wir damit am wirksamsten den Kommunisten diese Waffe aus der Hand schlagen.
Nun zu einigen Aussprüchen des Herrn Bundeskanzlers in seiner Erwiderung auf die Ausführungen des Abgeordneten Ollenhauer. Der Abgeordnete Ollenhauer hat ein Zitat aus 'der Ratifizierungsdebatte des englischen Unterhauses hier dem Hohen Hause vorgetragen. Ich meine, das ist sein gutes Recht. Er hat keine einzige Behauptung aufgestellt, die in irgendeiner vertraulichen Besprechung widerlegt warden ist. Ich habe vor mir die Drucksache Nr. 3900 mit den Berichten der Ausschüsse. Das, worauf sich der Kollege Ollenhauer gestützt hat, findet sich in den Feststellungen des EVG-Ausschusses,
({8})
die offenbar dem Herrn Bundeskanzler nicht bekannt sind.
({9})
Ich will den Teil über die Außenhilfe in Ihre Erinnerung bringen. Der EVG-Ausschuß hat festgestellt, daß sich aus den ihm gegebenen Erklärungen nicht ergeben hat, wie hoch ziffernmäßig die Verpflichtung der USA gegenüber den NATO-Ländern ist. Welchen bestimmten Wert und zahlenmäßigen Umfang das zu liefernde leichte und schwere Material hat, konnte nicht festgestellt werden. Der EVG-Ausschuß hat darüber hinaus in seinen Bericht aufnehmen müssen, daß die Verpflichtung der USA nicht die Form eines im Besitz der Bundesrepublik befindlichen unterzeichneten Dokuments zu haben scheint, sondern nur auf protokollarisch festgehaltene mündliche Erklärungen der amerikanischen Beobachter bei den Pariser Verhandlungen zurückzuführen ist.
({10})
Hier wird jetzt dem Abgeordneten Ollenhauer der Vorwurf, der im Munde des Bundeskanzlers gar nicht so ungewöhnlich ist,
({11})
gemacht, er habe wieder einmal eine Art Vertrauensbruch begangen.
({12})
Herr Bundeskanzler, das ist nicht wahr.
({13})
Der Bundeskanzler hat hier an dieser Stelle erklärt, der Abgeordnete Blank habe ihm mitgeteilt, daß dem Abgeordneten Ollenhauer die Unterlagen zur Verfügung gestellt worden seien - so ähnlich hat er sich ausgedrückt -, daß seine Befürchtungen wegen des Materials unbegründet sind. Herr Abgeordneter Blank hat keinerlei ausreichende, verbriefte Erklärungen beibringen können, zu keiner Stunde, weder dem Abgeordneten Ollenhauer noch dem EVG-Ausschuß noch sonst jemandem in der Welt,
({14})
aus denen sich klar ergibt, wie hoch die amerikanische Verpflichtung ist und in welchem Umfange wirklich und wahrhaftig mit dem schweren oder auch leichten Material für die Aufstellung von deutschen Divisionen ernsthaft zu rechnen ist.
({15})
Es ist gut, daß unser Volk diese Zusammenhänge kennt. Denn ein großer Teil dieses Vertrages ist ja gerade auf Sand gebaut. Sie erwecken die Illusion der Sicherheit, und Sie schaffen keine Sicherheit. Sie verlassen sich darauf, daß nach den Abmachungen dieses EVG-Vertrages - die finanziellen Konsequenzen sind Ihnen auch durch den Bericht in diesen Tagen vorgetragen worden - Ihnen durch die amerikanische Außenhilfe all das zufließt, was zur Aufstellung der vorgesehenen zwälf deutschen und einer Reihe von anderen Divisionen erforderlich ist; und diese Hoffnung ist trügerisch, nachdem wir wissen, daß der neue amerikanische Präsident die Außenhilfe auch an die europäischen Staaten nicht erhöhen, nicht einmal im vollen bisherigen Umfange weiter zu leisten entschlossen ist. Das hat er nämlich seinem Volke versichert.
Ich meine also, daß wir in diesem Punkte nicht mit Vorwürfen arbeiten sollen, die hart ans Ehrenrührige grenzen.
({16})
Der Bundeskanzler täte besser, sich mit den sachlichen Argumenten auseinanderzusetzen,
({17})
statt diese Argumentation zu wählen.
Hier hinein gehört das Zitat des Kollegen Schmid, der sich einmal für ein internationales System der kollektiven Sicherheit ausgesprochen habe. Das halten wir in vollem Umfange aufrecht, weil das uns in diesen Verträgen angebotene System unserem Volke weder Sicherheit bringt noch im echten Sinne kollektiv ist.
({18})
Denn zur kollektiven Sicherheit gehört unverzichtbar hinzu die Gleichberechtigung. Ich darf hier aus einer Publikation, die Ihnen auch zugänglich ist, aus dem Bericht des Exikutivkomitees der American Federation of Labor, einer amerikanischen Millionenorganisation, vorlesen, was sie vom Zusammenhang dieser Verträge mit der kollektiven Sicherheit hält. Sie sagt in diesem Bericht wörtlich:
Eine formelle Ratifizierung unvernünftiger
und ungerechter vertraglicher Abmachungen
trägt nicht zur .Einheit und kollektiven Sicherheit des demokratischen Europa bei.
({19})
Ich meine, der Satz ist sehr deutlich und dürfte Ihnen zu denken geben und mindestens einmal klarmachen, daß es kein Bruch in der sozialdemokratischen Haltung ist, wenn wir nach wie vor für ein internationales System kollektiver Sicherheit eintreten, aber dieses System aus den Gründen, die ich Ihnen darlegte, ablehnen.
({20})
Der Bundeskanzler hat das übrigens selbst bestätigt mit seinem Eingeständnis am heutigen Tage. daß das jetzige Vertragssystem mit Partnerschaft ja nichts zu tun hat. Gleichberechtigung muß die
({21})
Ausgangsbasis für ein Bündnis sein. Denn was uns hier vorliegt, ist doch mehr als die Liquidierung des vergangenen Krieges. Das ist gleichzeitig ein echtes militärisches Bündnis. Das ist etwas, was mit den Friedensschlüssen der vergangenen Jahrzehnte nicht verglichen werden kann. Und in ein solches Bündnis können sich die Partner nur hineinbegeben auf der Basis der Gleichberechtigung. Solange die Vorbehaltsrechte, solange eine Reihe anderer Bestimmungen des Generalvertrags auf der Bundesrepublik lasten, solange ist die Bundesrepublik der einzige nicht souveräne Partner in dieser Organisation.
({22})
Solange handelt es sich also nicht um ein echtes System kollektiver Sicherheit.
Ich darf einen Mann hier zitieren, der sicher etwas davon versteht. Es ist der frühere britische Deutschlandminister Hynd. Er hat in derselben Unterhausdebatte, von der schon die Rede war, gesagt:
Es ist keine Grundlage der Gleichberechtigung, wenn ein Vertragsteilnehmer eine Armee hat, deren Kommando in den Händen einer Organisation liegt, der er nicht als Mitglied angehören darf.
Das französische Parlament hat in einer Resolution beschlossen, daß es den Deutschen nicht gestattet werden wird, Mitglied der NATO zu werden.
({23})
Es ist keine Grundlage der Gleichberechtigung, wenn es eine besondere Vorschrift für den Notstand gibt, unter dem die deutsche Regierungsgewalt suspendiert werden kann.
Nun noch einige Worte zu dieser berühmten Notstandsklausel, über die hier schon viel gesprochen worden ist. Mir geht es hier um den erhobenen Vorwurf, ein Zitat des verstorbenen Dr. Kurt Schumacher sei die Veranlassung dafür gewesen, daß die Notstandsklausel und das Statioringsrecht der Besatzungstruppen als Vorbehaltsrecht, aus dem sich auch die Notstandsklausel ergebe, den Weg in diesen Vertrag gefunden habe. Bei Kurt Schumacher und der deutschen Sozialdemokratie hat es nie Zweifel an der Verbundenheit eines freien Deutschlands mit der Welt der demokratischen Freiheiten gegeben. Es gibt aber einen anderen Mann, der einmal Zweifel in einen möglichen politischen Kurs Deutschlands gesetzt hat, als er ausgesprochen hat: „Mit wem das wiedererstarkte Deutschland zusammengehen wird, hängt ganz davon ab, wie das übrige Westeuropa Deutschland behandelt".
({24})
Der Redner hieß Konrad Adenauer und ist heute deutscher Bundeskanzler.
({25})
Ein solcher Satz kann mehr zur Notstandsklausel beigetragen haben, um sich gegen alle Eventualitäten zu sichern, als Sie vielleicht heute wahrhaben wollen.
({26})
Hierzu passen die anderen Sätze von der dynamischen Entwicklung mit dem stillen Hintergedanken, der ja auch manchmal hier bei anderen Leuten zum Vorschein kam, daß mit 12 Divisionen die Weltgeschichte doch schon ein bißchen anders aussehe, und weiter der sehr interessante Satz, daß die Westmächte doch Narren wären, wenn sie Besatzungsrechte aufgäben, bevor sie sicher seien, daß wir mit ihnen zusammengingen. Das rundet das Bild und gibt ungefähr den Wind an, durch den die Notstandsklausel in die Verträge hineingeweht worden ist.
({27})
Zur Notstandsklausel gehört aber noch etwas. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Rede ausgeführt: „Ich glaube, daß wir durch Einfügung der Schiedsgerichtsklausel etwaigen Mißbräuchen des Notstandsrechts vorgebeugt haben". Art. 9 Abs. 3 des Vertrages sagt:
Streitigkeiten, welche die Bestimmungen der Absätze 1 bis 7 des_Artikels 5 berühren, unterliegen nicht der Gerichtsbarkeit des Schiedsgerichts oder eines anderen Gerichts.
({28})
Das ist gerade die Notstandsklausel. Wir können nicht einmal den Haager Gerichtshof anrufen.
({29})
- Natürlich, von diesem Schiedsvertrag ist die Notstandsklausel, Herr von Brentano, ausgeschlossen.
({30})
- Nein, nein, darüber gibt es keinerlei vertragliche Abmachungen. Darüber gibt es einige sehr abenteuerliche Auslegungskunststücke des Herrn Kollegen von Merkatz; das ist alles. Aber es gibt keine Vertragsbestimmung. Der Vertrag enthält klar und eindeutig den Satz, daß die Bestimmun- gen der Notstandsklausel von der Gerichtsbarkeit des Schiedsgerichts ausgeschlossen sind.
({31})
- Das ist das berühmte Kunststück des Herrn von Merkatz, das ich eben bereits vorgeführt habe. Darüber entscheidet letzten Endes doch diejenige Macht, die die Auslegung der Notstandsklausel in der Hand hat. Der Vertragstext ist so eindeutig, daß wir hier nicht auf weitere Auslegungskunststücke einzugehen brauchen.
({32})
- Nein! Nicht, weil es mir nicht paßt, sondern weil das auch von der Auffassung der anderen Vertragspartner abhängig ist und weil die ganz klar hineingeschrieben haben, daß sie das Schiedsgericht mit der Notstandsklausel in keinerlei Zusammenhang bringen wollen. Das ist die Sache.
({33})
- Nun, ich verstehe, meine Damen und Herren, die Diskussion der Einzelheiten der Verträge war und ist Ihnen einigermaßen peinlich.
({34})
- Ich kann es Ihnen trotz der vorgerückten Stunde nicht ersparen, - ({35})
({36})
- Aber selbstverständlich!
({37})
- Lesen Sie es doch bitte durch! Natürlich habe ich Art. 5 gelesen. - Ah, jetzt weiß ich, was Sie meinen, Kollege von Brentano! Sie meinen die Anrufung des Atlantikrates?
({38})
- Das ist eine großartige Sache! Es ist gut, daß Sie mich darauf gebracht haben. - Wenn die Drei Mächte in Deutschland den Notstand erklärt und auf Grund des Notstands irgendwelche Maßnahmen verhängt haben, dann kann die Bundesregierung sich nach Ablauf gewisser Fristen beschweren,
({39})
und zwar bei wem? Sie kann sich beschweren beim Atlantikrat, und das ist nun besonders interessant. Stellen Sie sich bitte vor, vor dem Gericht des Atlantikrats geht der Vorhang auf, und am Richtertisch sitzen die drei Beklagten, die in Deutschland den Notstand erklärt haben!
({40}) Das sind die Rechtsmittel!
({41})
- Das steht leider im Vertrag drin, Kollege Pelster!
({42})
- Ja, aber Beschlüsse des Atlantikrats müssen nach der Satzung einstimmig gefaßt werden.
({43})
- Aber nicht mit uns! Der Beschwerde der Deutschen kann nicht gegen die Stimmen derer entsprochen werden, die in Deutschland den Notstand erklärt haben. Das ist der Sachverhalt.
({44})
Aber wir wollen einige andere Punkte, die Ihnen sicherlich nicht weniger unangenehm sind, erörtern. ({45})
Die Bundesrepublik hat sich selbst als strategisch gefährdetes Gebiet erklärt und hat als einziger Staat auf die Anrufung des Gerichtshofes wegen bestimmter Dinge der Rüstungsproduktion verzichtet. Die Pulverlinie bedeutet in gewissem Umfange eine einseitige Diskriminierung der Bundesrepublik. Die Bundesrepublik ist mehr als die übrigen EVG-Partner von fremder Rüstungsproduktion abhängig. Das Verbot der Produktion von Militärflugzeugen bedeutet praktisch, weil es ökonomisch nicht anders geht, auch den Verzicht auf die Produktion von Zivilflugzeugen. Viele Verpflichtungen zum Beitritt zu sogar noch nicht ratifizierten Abkommen und zum Erlaß von Gesetzen sind einseitig der Bundesrepublik auferlegt worden. Das ist ein klarer Ausfluß des Besatzungsdenkens. Oder rufen wir uns heute Herrn Professor Erhard in Erinnerung! Vielleicht war es ihm sogar sehr recht, daß man auf dem Wege über die Verträge bestimmte Regierungsvorlagen heilig spricht und sie auf diese Weise einer späteren parlamentarischen Diskussion entzieht.
({46})
Der Truppenvertrag gewährt nicht den NATO- Status und ist geboren aus dem Mißtrauen der Besatzungsmächte, nicht aus dem Geist der Partnerschaft. Sie alle haben jene Drucksache in Händen, an Hand- der Sie vergleichen können, wie verschieden die Atlantikpaktmächte unter sich ihren Truppenvertrag abgeschlossen haben im Vergleich zu dem Truppenvertrag, der uns auferlegt wird. Es gibt Vorrechte für die Versorgung der Besatzungstruppen, die sie woanders nicht haben. Die Zollkontrollen werden an den entscheidenden Grenzübergangspunkten durch ihre eigenen Bediensteten und lediglich unter Mitwirkung der Deutschen durchgeführt. Es gibt kein Ausweisungs-, Haussuchungs- und Festnahmerecht, wie es sonst den nationalen Behörden in anderen Ländern des NATO-Systems zusteht. In Strafsachen liegt die Gerichtsbarkeit im Truppenvertrag bei den Streitkräften, in der NATO beim Empfangsstaat. Das ganze Strafgesetzbuch des Anhangs A ist überall sonst mit seinen Sicherheitsvorschriften den nationalen Parlamenten überlassen; nur diesem Bundestag ist das Recht zum selbständigen Erlassen derartiger Gesetze entzogen. Er muß dieses Gesetzbuch schlucken und darf es später im Schutz nicht vermindern.
({47})
Die Regulierung von Besatzungsschäden sieht ganz anders aus. Nach dem NATO-Abkommen gibt es einen Schiedsrichter aus den Staatsangehörigen des Aufenthaltslandes. Der Entsendestaat zahlt drei Viertel und in gewissen Fällen alles der Schäden. Ich will nur am Rande bemerken, daß die Unsicherheit auf dem Gebiet der Dienstgruppen nicht beseitigt ist. Mit der Auflösung allein ist es nicht getan. Die Männer der Dienstgruppen warten bis zum heutigen Tage darauf, daß die Autorität der Bundesregierung ihnen endlich einen anständigen Tarifvertrag verschafft.
Nun komme ich zu dem Kernstück des ganzen Vertragswerkes, und zwar zu den Beziehungen zur Nordatlantik-Organisation. Auch auf die Gefahr, wiederum Ihren stürmischen Widerspruch hervorzurufen, muß ich einmal den Vertrag zitieren, Art. 18 § 1 Abs. 2:
Sobald die Europäischen Verteidigungsstreitkräfte verwendungsbereit sind, stehen sie . . . dem Oberbefehlshaber der NordatlantikpaktOrganisation zur Verfügung.
§ 2:
Im Krieg hat der zuständige Oberbefehlshaber der Nordatlantikpakt-Organisation gegenüber den bezeichneten Streitkräften die volle Gewalt und Verantwortung, die sich aus seiner Stellung als Oberbefehlshaber ergibt.
Auch diese beiden Bestimmungen sind so klar, daß hieran nicht gedeutelt werden kann.
({48})
Das Aufsichtsrecht des Oberbefehlshabers der NATO geht auch in Friedenszeiten sehr weit. Er gibt die Empfehlungen über die Dislozierung, d. h. über die Truppenverteilung in den Ländern der Organisation. Von diesen Empfehlungen kann die Europäische Verteidigungsgemeinschaft nur mit einstimmiger Zustimmung des Ministerrats abweichen, praktisch überhaupt nicht. Das bedeutet, daß sich die gesamte Organisation im wesentlichen nach dem Oberbefehlshaber der Atlantikorganisation in Krieg und Frieden zu richten hat. Es besteht - aus den Zwischenrufen des Kollegen Bausch darf ich das schließen - offenbar mehr
({49})
Vertrauen zur Atlantikorganisation als zu den anderen Vertragspartnern. Da frage ich mich, warum Sie dann mit denen den Vertrag abgeschlossen haben.
({50})
Verträge, die auf Mißtrauen der Partner gegeneinander aufgebaut sind, sind nicht die geeignete Verteidigungsgrundlage.
({51})
Der NATO-Rat kann wichtige Entscheidungen auch ohne gemeinsame Sitzungen, auf die Sie so stolz sind, fassen, d. h. auch ohne die Bundesrepublik, z. B. die Bestellung des Oberbefehlshabers, Weisungen an den Oberbefehlshaber, den Schlüssel für die Verteilung der Finanzlast.
Das Mitwirken in den Stäben der Atlantikorganisation, das hier so gepriesen wurde, hat einen großen Haken. Bei den Vorschlägen, die die EVG macht, dürfen die Deutschen nicht diskriminiert werden. Aber wie unser Regierungsvertreter selbst gesagt hat, müssen alle, auch die deutschen Vertreter, erst das Agrément, die Erlaubnis zur Ausübung der Tätigkeit von der Atlantikorganisation erhalten, und dafür gibt es keine vertragliche Sicherung.
({52})
Zur Außenhilfe ist vielleicht noch zu erwähnen, daß sie allein vom Kommissariat verwaltet und verteilt wird, daß der Geber bestimmte Auflagen und Bedingungen machen kann und daß der englische Außenminister Eden die Verträge bestimmt so gut kennt wie wir, daß er aber darüber hinaus die internen Absprachen der Vertragspartner untereinander kennt. Daraus erklärt sich sein Ausspruch im britischen Parlament, der einen merkwürdigen Beigeschmack hat, indem er nämlich meinte, die demokratischen Staaten müßten vor den Deutschen ausgerüstet und bewaffnet werden, womit er zu erkennen gab, daß der englische Außenminister Eden jedenfalls bis zum heutigen Tage die Bundesrepublik noch nicht für einen demokratischen Staat hält.
({53})
Nun einige Worte zur strategischen Konzeption. Die Grundfrage, die unser Volk bewegt, ist: Schaffen ihm diese Verträge echte Sicherheit, oder wird die Bundesrepublik zum Schlachtfeld? Die Angelsachsen können es sich leisten, die ersten Schlachten zu verlieren, wenn sie zum Schluß den Krieg doch gewinnen. Deutschlands Schicksal in der Gegenwart hängt für den Fall eines Konflikts davon ab, daß es nicht das Schicksal der verbrannten Erde und noch dazu zweimal erleidet.
({54})
Das deutsche Volk ist nicht daran interessiert, Opfer allein für die Sicherheit anderer zu bringen, sondern nur dann, wenn es weiß, daß effektiv Deutschland damit das Höchstmaß an erreichbarer Sicherheit gewinnt.
({55})
Wir können nicht davon ausgehen, daß wir den anderen Partnern gegenüber eine Art moralische Verpflichtung haben, Soldaten gewissermaßen als eine Art Wiedergutmachung für die Sünden des Dritten Reichs zu stellen.
({56})
Die Mitwirkung deutscher Verbände an der gemeinsamen Verteidigungsmacht ist militärisch sinnlos, solange die Deutschen nicht genau wie die anderen an der politischen und strategischen Konzeption der gesamten Organisation mitwirken können und solange nicht Taten beweisen, daß Deutschland das Schicksal der verbrannten Erde erspart werden soll. Lesen Sie bitte ein ganz neues Dokument, lesen Sie einmal die militärpolitische Betrachtung der „Saturday Evening Post" vom 29. November; das ist erst ein paar Tage her. Darin heißt es, daß wahrscheinlich nicht einmal der Rhein als Linie zu halten sei, daß man für Europa eine Flankenstrategie ins Auge fassen müsse, daß es in Deutschland darauf ankomme, den eventuellen russischen Vormasch möglichst zu verlangsamen, und zwar mit einem Höchstmaß an sehr detailliert angebenenen Zerstörungen, Einsatz von Untergrundpartisanen und all den Dingen, mit denen wir uns in diesem Hause schon einmal befaßt haben.
({57})
Dann heißt es sehr gemütvoll darin, daß man den Russen ja auch erklären könnte: Wenn ihr, die Russen, die Grenze überschreitet, dann wird eure Armee eben durch die Wasserstoffbombe zerstört, auch wenn die Zivilbevölkerung dieses Gebiets dabei leider mit stirbt. Das sieht etwas anders aus als die uns heute hier angekündigte Offensive nach Osten.
Eine echte Mitwirkung an der Erarbeitung der
strategischen Konzeption hat die Bundesrepublik
nicht. Deutschland ist nicht NATO-Mitglied. Das
Verlangen auf gemeinsame Sitzungen, das sich in
dem Protokoll über die Beziehungen zwischen EVG
und NATO findet, bindet die Atlantikorganisation
überhaupt nicht, weil die NATO-Staaten dieses
Protokoll nicht unterzeichnet haben. Das ist lediglich ein Vertrag unter den EVG-Staaten und bindet
nur diese. Feste Zusagen der Atlantikorganisation,
daß auch sie mit solchen gemeinsamen Sitzungen
einverstanden ist, liegen uns jedenfalls nicht vor.
({58})
- Nein, das sind nicht dieselben. Die Atlantikorganisation, das wissen Sie doch, ist wesentlich umfangreicher als die EVG.
({59})
- Unsere drei Partner, die den Notstand erklären können, die sind auch in der NATO und hinreichend stark genug, um dort nicht überstimmt zu werden, denn es geht dort einstimmig zu, wenn sie den Notstand aufheben wollen.
({60})
- Im Atlantikpakt steht es,
({61}) daß es nur einstimmige Beschlüsse gibt.
({62})
Vor allem ist erforderlich, daß der deutsche Partner vor dem Eingehen derartiger Verpflichtungen die zugrunde liegende Konzeption für den Fall der Verwirklichung der EVG tatsächlich kennt. Die Vertragsbestimmung, mit der wir getröstet werden, daß die Verteidigung eben das gesamte Gebiet der EVG gegen jeden Angriff zu decken habe, reicht nicht aus. Die Verantwortlichen und nur diese - ich gebe zu, daß man militärische Dinge
({63})
nicht auf dem Markt erörtern kann -, aber die Verantwortlichen müssen konkret wissen, wozu im einzelnen auch die deutschen Truppen verwendet würden. Die Bundesregierung hat uns gesagt: Das geht nicht, solange wir nicht der Organisation angehören. Diese Vorstellung ist falsch. Bevor man einem Verein beitritt, will man Gewißheit über die Ziele und die dem Verein zur Verfügung stehenden Mittel haben, um zu wissen, ob sich das Opfer auch lohnt.
({64})
Die bisherigen Maßnahmen sind keineswegs beruhigend: Die Sprengkammern, die Verlegung des britischen Hauptquartiers ins linksrheinische Gebiet, die Äußerungen eines der künftigen Befehlshaber auch über unsere Soldaten, nämlich des Marschalls Juin, die Erklärungen, die uns im Zusammenhang mit dem NATO-Fragebogen gegeben wurden, daß die Dislozierung der Streitkräfte noch völlig ungeklärt sei, und die Erwähnung in der Erklärung der Bundesregierung, daß Deutschland strategisch gefährdetes Gebiet sei, all das gibt uns nicht das Zutrauen, daß Deutschland mit dieser Organisation auch effektiv geschützt werden kann und geschützt werden wird.
({65})
Nun komme ich, da Sie gerade von den Flinten sprechen, einmal zur Heimatverteidigung. Zu den Zahlen der Divisionen und der Kosten, über die wir uns unterhalten haben, kommt noch eine Reihe wollig unbekannter Größen hinzu. Das ist das große Loch im Vertrag. Es handelt sich um wichtige Dinge, z. B. um den Schutz des deutschen Lutiraums, eventuell durch Jäger, Flak und dergleichen.
Es ist nicht bekannt, was die anderen in dieser Organisation haben. Es ist nicht bekannt, was gemeinsam verabredet werden soll. Und es ist weiter nicht bekannt, was Deutschland auf diesem Gebiet selber aufstellen kann oder soll.
({66})
Die Wehrpflicht ist im Vertragstext festgelegt. Es ist müßig, sich in Entschließungen darüber zu ergehen und auch Konferenzen abzuhalten, ob vielleicht eine andere Heeresorganisation zweckmäßiger wäre. Wer diesen Vertrag akzeptiert, sagt damit Ja zur allgemeinen Wehrpflicht.
In diesem Zúsammenhang sei noch darauf hingewiesen, daß dieses Prinzip einen weiteren Beitrag zur Spaltung Deutschlands leistet, indem es praktisch keine einheitliche deutsche Staatsbürgerschaft mehr geben wird, weil die Bundesrepublik natürlich nur die Einwohner ihres Gebietes zur Heerespflicht einziehen könnte, und daß die Schwierigkeiten aus der Wehrüberwachung im Verkehr mit Berlin eine große Anzahl unserer jungen Männer künftig daran hindern werden, mit der alten Reichshauptstadt im bisherigen Umfang zu verkehren. Aber - und das ist nun ein sehr aktuelles Thema, das sehr gern ausgesponnen wird; es klang heute nur in einem einzigen Satz an, als die Rede von der Zuverlässigkeit der künftigen Kader dieser Organisation war - die Personalauswahl hat heute Anfänge genommen, die uns beunruhigen. Ich will das offen sagen. Der Kollege Blank hat einige Erklärungen abgegeben, in denen er von einem Auswahlausschuß gesprochen hat, der sich zusammensetzen soll u. a. aus Vertretern der Kirchen, der Gewerkschaften und der Jugendorganisationen.
Was ich vermisse - und darüber hat er keine Erklärung abgeben können -,
({67})
ist, welche Rolle die Bundesregierung in diesen für den Geist ihrer eigenen Organisation, so sie zustande kommt, entscheidenden Fragen eigentlich diesem Hause, nämlich dem deutschen Parlament, einzuräumen gedenkt.
({68})
Wird nun die Organisation überhaupt ein taugliches Instrument sein? Die Frage, ob die Integration im Armeekorps überhaupt funktionieren kann, ist vielen Sachverständigen mindestens zweifelhaft. Ich will mich über das Thema der Schwerfälligkeit der sehr unglücklichen, aber vielleicht nicht anders denkbaren Regelung der Sprachenfrage und des sehr komplizierten Apparats der Hilfstruppen beim Armeekorps hier nicht weiter verbreiten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß das Ganze dann kein taugliches Instrument ist, wenn, wie ich Ihnen vorhin darlegte, wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit damit rechnen müssen, daß die erforderlichen Mittel für eine schlagkräftige Ausstattung dieser Organisation, wie Sie sie vorgesehen haben, weder von der Bundesrepublik noch von den übrigen Vertragspartnern noch auch in ausreichendem Umfang von den Vereinigten Staaten von Amerika aufgebracht werden.
({69})
Die Ausstattung der Reserven ist ein offenes Problem. Wer mit der Wehrpflicht rechnet, muß davon
ausgehen, daß wir künftig denselben Zahlenaufwand für die Erstausstattung an Material in den
weiteren acht Jahren aufzubringen haben. Das
macht in dieser Zeit für die EVG eine Last von
144 Milliarden allein für das deutsche Kontingent.
({70})
Ich erwähne das nur - nicht, weil wir sagen: man muß allein über Kosten reden, das ist nicht allein die entscheidende Frage -, aber damit Sie wenigstens einmal wissen, um welche Größenordnungen es geht.
Nun kommt eines der entscheidenden Themen, nämlich die Moral der künftigen Truppen. Meinen Sie allen Ernstes, ein Truppenkontingent hat eine große Kampfkraft und ist von Wert für sich und alle anderen Partner, wenn der Wehrbeitrag ohne eine echte breite Zustimmung des deutschen Volkes zustande kommt?
({71})
Das ist der Sinn der breiten Mehrheit, und nicht allein der Wortlaut der Verfassung.
({72})
Meinen Sie, die Moral der Truppe ist gut, wenn sie weiß, daß sie einem Oberbefehlshaber unterstellt ist, auf dessen Auswahl der eigene Staat gar keinen Einfluß hat? Meinen Sie, die Moral ist gut, wenn die Truppe nicht die Gewißheit hat, daß sie in erster Linie nicht für die Sicherheit der eigenen Heimat kämpft? Wenn die Truppe sich vor die Vorstellung gestellt sieht, daß sie möglicherweise ein sinnloses Opfer mit der Substanz des eigenen Volkes bringt, ohne daß damit unserem Volk das
({73})
Schicksal der verbrannten Erde erspart bleibt? Meinen Sie, die Moral ist gut, wenn wir schwere Risse in unserem Sozialgefüge durch diese Organisation zwangsläufig verursachen?
Nur ein kleines Beispiel: Die Pensionen der Berufssoldaten sind von den Drei Weisen als Verteidigungsbeitrag anerkannt, aber die Versorgungslasten der anderen Kriegsopfer nicht. Das ist nicht gerade ein beruhigendes Zeichen für den, der später zu den Fahnen gezogen würde.
({74})
Und dann das merkwürdige Zwielicht, das immer
noch über den verurteilten Kriegsgefangenen liegt.
Kollege Strauß hat uns vorgeworfen, wir prüften die Verträge nur zu einem politischen Machtkampf. Ich kann Sie beruhigen, Kollege Strauß. Die Sorge unserer Prüfung
({75})
war die um die Lage und Sicherheit unseres Volkes und keine andere.
({76})
- Herr von Brentano,
({77})
ich glaube, über diesen Punkt wird sich das
deutsche Volk sein eigenes Urteil bilden. ({78})
Ich darf noch einiges
({79})
zu den Ausführungen von Herrn Professor Hallstein sagen. - Das Wort Agent fehlte gerade noch von einem Mann, der bis 1949 in der Sowjetzone zu den Brückenbauern gehört hat, Kollege Tillmanns.
({80})
- Das Wort fehlte aus Ihrem Munde, nachdem die Sozialdemokraten bereits zu einigen Tausenden in den Konzentrationslagern und Zuchthäusern saßen, als andere Leute noch in Berlin Block-Politik machten.
({81})
Da Sie gerade dieses Thema vorhaben, möchte ich einiges zu den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers über die Haltung der Sozialdemokratie zu Berlin sagen. Der Herr Bundeskanzler hat hier erklärt, er habe durch seine Tat für Berlin allein mehr getan, als die Sozialdemokratische Partei in all ihren Reden.
({82})
Wissen Sie nicht, welcher geschichtlichen Entscheidung in den schweren Januartagen 1946 Berlin die Erhaltung seiner Freiheit verdankt?
({83}) Wissen Sie nicht, wie die Regierung Berlins in den schweren Zeiten der Luftbrücke beschaffen gewesen ist? Wissen Sie das alles nicht?
({84})
Wissen Sie nicht, wie wir Ihnen hier jede Bundesbehörde haben abtrotzen müssen, die nach Berlin verlegt werden sollte?
({85})
Meine Herren, ich bitte Sie, sich auf Ihre Plätze zu begeben.
Diesen Akt der Notwehr haben alle diejenigen heraufbeschworen - ({0})
Meine Damen und Herren, ich bitte doch jetzt - ({0})
- Herr Abgeordneter Strauß, ich bitte doch Ruhe zu bewahren!
({1})
Und wieviel von der alten CDU befinden sich heute noch in der Leitung der CDU in der Sowjetzone? Herr Strauß, wir wollen das nicht weiter vertiefen.
({0})
Herr Abgeordneter Strauß, ich bitte Sie, Ruhe zu bewahren.
({0})
- Ich bitte die Damen und Herren, sich auf Ihre Plätze zu begeben.
({1})
Diese Auseinandersetzungen zu dieser späten Stunde
({0})
haben ihre Ursache in dem roten Faden,
({1})
der sich durch die Reden des Herrn Bundeskanzlers zog und durch die Reden jedes Ihrer Sprecher bis zu den Zwischenrufen,
({2})
({3})
in denen Sie den Versuch unternommen haben, die vollkommen berechtigten Abwehrkräfte des deutschen Volkes und die Ablehnung der kommunistischen Zwangsherrschaft in den Gefühlen unseres Volkes
({4}) umzumünzen in einen Maßkomplex gegen die freiheitliche Sozialdemokratie.
({5})
Das fängt damit an, daß die Sozialdemokraten aus einem sehr hochgestellten Munde auf eine Linie mit den Totengräbern unseres Volkes gestellt werden,
({6})
und findet seine Fortsetzung in dem berühmten Wahlplakat der CDU, das in allen Gemeinden dieses Landes und des Landes Rheinland-Pfalz angeschlagen war,
({7})
auf dem auf der rechten Seite der rote Rathausschlüssel zerbrochen wurde und auf der linken Seite - in Gemeinden, in denen es überhaupt keine Kommunisten gab - die rote Kralle, die nach Frauen und Kindern greift, dargestellt wurde.
({8})
Das ist die Methode, gegen die wir uns mit Nachdruck einmal zur Wehr setzen müssen, weil wir uns das nicht gefallen lassen.
({9})
Doch nun noch einige Worte zur Frage der deutschen Einheit. Es hat uns niemand von der Regierungskoalition gesagt, wie eigentlich über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft der Weg zur deutschen Wiedervereinigung führen soll.
({10})
Herr Dr. Ehlers
({11})
hat an anderer Stelle einmal ausgeführt, niemand ist so dumm, zu glauben, daß man Sowjetrußland durch Bedrohung gefügig machen könnte.
({12})
Er will also nicht mit Stärke drohen. Das ist ein vernünftiges Prinzip.
({13})
Ganz anders äußert sich etwa der „Rheinische MerMerkur",
({14})
den Sie, Kollege Kiesinger, so sehr lieben:
({15})
„Die Aufgabe heißt nicht Wiedervereinigung, sondern Befreiung des Verlorenen. Die unerlösten Provinzen können nur mit Hilfe der Westmächte zurückgewonnen werden. Befreiung der unerlösten Reichsteile, das sei die Parole." Und weiter heißt es, daß man es infolgedessen mit der Aufrüstung eilig habe, weil eine der beiden obersten Voraussetzungen die Befreiung der verlorenen Provinzen sei!
({16})
Solange Sie sich nicht sehr eindeutig von dieser Sprache distanzieren,
({17})
müssen Sie wissen, daß diese Theorie hart am Rande des Spielens mit künftigen kriegerischen Konflikten steht.
({18})
Da ich unterstelle, daß Sie genau so wenig wie wir an einem solchen Konflikt interessiert sind, weil Sie genau so wie wir wissen, daß das die Freiheit in Trümmern wäre, bleibt doch nur jener andere Weg, den auch Sie letzten Endes ins Auge fassen: der der Verhandlungen. Da tun Sie nun so, als müßte die arme Bundesrepublik ganz allein mit der Sowjetunion verhandeln, als ob es nicht wirklich heute, eingeschlossen in den weltpolitischen Gegensatz von Ost und West, den Sie uns oft genug vorführen, um das gesamte westliche Potential geht, das auch in dieser Frage heute schon gleichberechtigt mit der Sowjetunion am Verhandlungstisch sein könnte, wenn wir ernsthafte Anstrengungen unternähmen,
({19})
um dies auch dem Westen nachdrücklich genug zu Gemüte zu führen.
({20})
Das Verhältnis zwischen West und Ost wird durch das Hinzutreten der Bundesrepublik nicht so entscheidend verändert, wenn Sie berücksichtigen, welche Rückwirkungen das auf die andere Seite, auch auf die vor der deutschen Angst gesteigerte Moral der Satellitenstaaten hat, die Sie ja geradezu an die Seite der Sowjetunion treiben.
({21})
Die schlimmste Neutralisierung - da nehme ich ein Wort Ihres ehemaligen Parteifreundes Heinemann auf - ist, daß die deutschen Waffen hüben und drüben einander neutralisieren.
({22}) Wir müssen eine Wahrheit aussprechen: Sicherheit - vermeintliche Sicherheit - für die Bundesrepublik mögen Sie mit diesen Verträgen vielleicht schaffen; aber um der Sicherheit des Westens einschließlich der Bundesrepublik willen wird die deutsche Einheit geopfert.
({23})
Wir treten als Bundesrepublik für fünfzig Jahre in den EVG-Vertrag ein, und noch nie hat uns jemand etwas darüber gesagt, daß es im EVG-Vertrag für den Fall der Wiederherstellung der deutschen Einheit keine Klausel der Anpassung gibt, wohl aber für den Fall, daß sich bei der Atlantikpakt-Organisation irgend etwas ändert.
({24})
Der Bundeskanzler hat hier ausgeführt, wenn sich die internationalen Spannungen verschärften und die Bundesrepublik schutzlos bliebe, dann würde sie Kriegsschauplatz. Herr Bundeskanzler, wenn je einmal der dritte Weltkrieg ausbrechen sollte, dann findet die Auseinandersetzung auf
({25})
jeden Fall hier statt. Unser Ziel muß deshalb sein, überhaupt eine der Voraussetzungen für einen solchen Konflikt, nämlich die Verschärfung der internationalen Spannungen, zu vermeiden und statt dessen einen Beitrag zur Entspannung der Lage zu leisten.
({26})
Die Verträge verschärfen sie, weil sie die Tendenz des Wettrüstens verschärfen. Es ist bisher kein ernsthafter Versuch unternommen worden, in der Deutschlandfrage eine Lösung außerhalb der Eingliederung Westdeutschlands in das NATO-System zu erreichen.
Hier einige Worte zu Mailand. Der Herr Bundeskanzler hat uns vorgerechnet, welch ein heftiges Angriffsziel wir in Mailand gewesen wären. Zunächst eines vorweg. In einem Punkt waren sich alle Sozialisten einig: sie haben sich die Forderung des deutschen Bundestags und die Forderung der Sozialdemokratie, die Sie ({27}) ja selbst mit beschlossen haben, nach der Vierer-Konferenz zu eigen gemacht. Das ist der eine Punkt.
({28})
Und der zweite Punkt,
({29})
in dem wir heftigen Angriffen ausgesetzt waren, ist der Punkt, auf den wir eigentlich ein bißchen stolz sind. Dabei ging es nämlich um die Saar. Und in dieser Frage weichen wir von unserem Standpunkt auch trotz des Zuredens mancher internationaler Sozialisten nicht ab, genau so wie Sie bisher erfreulicherweise keine Bereitschaft dazu haben erkennen lassen.
({30})
Die Sowjetunion hat
({31})
- das haben Sie selbst genau so erklärt wie wir - das politische Ziel - das sei offen ausgesprochen; unsere Kommunisten machen gar kein Hehl daraus -, ganz Deutschland zu beherrschen.
({32})
Aber auch der Westen hat das politische Ziel, ganz Deutschland als militärischen Bundesgenossen zu haben. So steht es im Vertrag. Die Präambel und der Art. 7 machen das im Zusammenhang zu einem erklärten Vertragsziel. Nun, das ist dann gar kein Weg, der zur Wiederherstellung der deutschen Einheit führt. Da ist es müßig, daß Sie nach dem anderen Weg fragen, wenn Ihr Weg überhaupt kein Weg ist. Meinen Sie denn etwa, die Sowjetunion würde gratis und franko ihre Zone an die Atlantik-Organisation zur Verfügung stellen?
({33})
Da keiner sein ganzes Ziel erreichen kann, richtet sich heute jeder in seinem Teil militärisch ein. Der Satz des Bundeskanzlers, wenn die Westmächte Besatzungsrechte aufgeben, bevor sie wissen, daß wir mit ihnen zusammengehen, dann wären sie komplette Narren, dieser selbe Satz gilt, ob uns das paßt oder nicht, auch für den Osten. Deshalb muß der Versuch unternommen werden: Wenn
eben jeder nicht das Ganze haben kann, weil der andere das nicht gestattet, dann ist es für alle auch erträglich, wenn keiner von beiden sich Deutschland militärisch einverleibt.
({34})
Dennoch wird dieses Deutschland wirtschaftlich, sozial und politisch ein Teil der freien Welt, vor allem des freien Europa sein. Europa heißt doch nicht einfach deutsches Potential zur Verfügung anderer stellen, und Europa ist nicht identisch mit diesen Verträgen. Sie wissen genau, daß - das haben wir eingehend nicht nur hier, sondern auch in Straßburg dargelegt - es sehr wohl auch andere Formen, lockerere allerdings,
({35})
für jenen großen Zusammenhang gibt, der aus ganz Europa ein einheitliches Wirtschaftsgebiet zu schaffen imstande ist, bei dem mehr für den Staatsbürger herausschaut als lediglich etwa Briefmarken oder Pässe.
({36})
Daß dieser Weg nicht zustande gekommen ist, der Weg über den Ausbau der OEEC, der Zahlungsunion zur europäischen Währungs- und Zollunion mit einer gemeinsamen Politik der Vollbeschäftigung und der Schaffung echter Freizügigkeit, daß dieser Weg nicht mehr zustande gekommen ist, das liegt unter anderem an dem mangelnden Eifer derjenigen sechs Regierungen, die sich auf den Weg dieser Verträge kapriziert haben.
({37})
Das wären bessere europäische Ereignisse.
({38})
Erst ein gesundes wirtschaftliches Fundament und dann ein Dach darüber! Auch Deutschland hat angefangen mit dem Zollverein und nicht mit supranationalen Behörden und der Armee.
Meine Damen und Herren, das ist eine Konzeption. Sie mögen sie für falsch halten, aber Sie sollten nicht immer so tun, als könnten Sie ihr Bestehen leugnen. Und im übrigen steht hier auf der Tagesordnung die Behandlung der Verträge und nicht das Aktionsprogramm der deutschen Sozialdemokratie!
({39})
- Da lachen Sie auch noch drüber! Nehmen Sie die Drucksache in die Hand!
({40})
- Nein, aber eine gesunde Grundlage dafür, daß aus einer gesunden Wirtschaft stärkere Immunisierung und auch künftig Verteidigungskraft erwächst!
({41})
Mit dem Nein zu diesen Verträgen tritt keine Katastrophe ein, wie Sie uns glauben machen wollen.
({42})
Der Westen will Freundschaft und Bündnis mit dem deutschen Volk und nicht mit einer Regierung, von der es zweifelhaft ist, wieweit sie heute noch die Mehrheit des Volkes hinter sich hat.
({43})
({44})
Wenn ein bestimmter Weg nicht die Zustimmung
unseres Volkes findet, wird der Westen im eigenen
Interesse an der Verwirklichung der anderen Konzeption mitarbeiten. Er will ja gar nicht, daß
Deutschland von den Sowjets beherrscht wird. Darin
liegt der Zwang zu neuen Verhandlungen am Tage
nach der Abstimmung, die ein Nein bringen würde.
({45})
Wir respektieren Ihren Gewissenskonflikt. Sie mögen aber auch den unseren respektieren.
({46})
Woher nehmen Sie den Mut, den Gegnern der Verträge Schützenhilfe für Stalin und Gegnerschaft gegen Europa vorzuwerfen? Woher nehmen Sie den Mut, daß Sie sie in die Nachbarschaft zu Totengräbern des deutschen Volkes bringen?
({47})
- Herr Strauß, daher nehmen Sie den Mut! Meine Ausführungen sind eine Antwort auf das, was Sie uns hier in dieser Debatte vorgesetzt haben. Lassen Sie sich doch nicht von den Kommunisten das Gesetz des Handelns vorschreiben,
({48})
indem Sie automatisch glauben, alle Politik bestehe nur darin, jeweils das Gegenteil dessen zu sagen, was die armen Leute da drüben von sich geben. Wir gehen doch alle unseren eigenen Weg und werden nicht zu einem negativen Abziehbild der Stalinschen Politik. Dann lohnt sich der Kampf um die Freiheit nicht!
({49})
Unsere Gegnerschaft ist geboren aus der Sorge 1 um die Erhaltung der Freiheit gegen die kommunistische Gefahr und um den Aufbau eines gesunden Europa. Auch Herr Ehlers erklärt, das Sowjetrußland im Wege des kalten Krieges seine politische Macht vorschieben wolle. Verträge mit derart unabsehbaren wirtschaftlichen und finanziellen Konsequenzen führen zu einer politischen Radikalisierung in diesem Land, deren Ergebnis - auch wenn es eine Radikalisierung nach rechts ist - im Zweifel antidemokratisch und im Zweifel prosowjetisch ist.
({50})
Sie lassen 18 Millionen Deutsche dort praktisch ohne Hoffnung, daß sie in absehbarer Zeit 'aus der Sowjetherrschaft befreit werden.
({51})
Wer für die Verträge stimmt, sei auf die Konsequenzen hingewiesen,
({52})
auf die zunächst von Ihnen doch nicht zu beseitigende Fortdauer der Sklaverei in Mitteldeutschland, auf die Verwandlung einseitig auferlegten Besatzungsrechts in Vertragsrecht mit deutscher Unterschrift, auf die Auslieferung deutscher Soldaten unter fremden Oberbefehl. Er mag Gründe für sein Verhalten haben, ehrliche und ordentliche Gründe, aber er soll dann nicht das nationale Pathos dabei bemühen.
({53})
Diese Verträge überfordern die deutsche Leistungskraft, ohne Sicherheit zu geben. Sie lösen eine
schwere Finanz- und Sozialkrise aus und schaffen nur ein unzureichendes Sicherheitsinstrument. Sie riskieren, daß die Deutschen Schlachtopfer werden in Deutschland für die Sicherheit anderer.
({54})
Sie haben die schwersten Gefahren für die Demokratie und sind keine Wege zu Europa.
Deshalb sagen wir nein zu diesem Vertrag, um die Bahn für eine Politik freizumachen, die nicht Öl ins Feuer gießt, sondern einen Beitrag zur Entspannung der internationalen Lage, zur Wiedervereinigung Deutschlands und damit für die echte Sicherheit Deutschlands und Europas leistet.
({55})
Das Wort hat der Abgeordnete Blank.
({0})
Rische, aber wahrscheinlich nicht Galgenkandidat in spe!
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, - ({1})
- Herr Renner, Sie werden Ihr Soll heute noch erfüllen; bemühen Sie sich bitte weiter. ({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe bisher mit voller Absicht in die Diskussion um die Verträge nie eingegriffen. Ich habe es deshalb nicht getan, weil ich glaubte, hier die Zurückhaltung üben zu müssen, die mir zukäme, da ja über das, was ich zum Teil ausgehandelt habe, hier diskutiert wird.
({3})
Wenn ich das dennoch - ({4})
- Ach, meine Herren, Ihr Geschrei irritiert mich gar nicht. Je mehr Sie schreien, um so klarer wird mir meine Aufgabe, Deutschland vor Ihrem Zugriff zu retten.
({5})
Ich habe daher auch nicht wie meine Kollegen Ollenhauer und Erler in irgendeiner Form eine Vorbereitung für diese kurzen Ausführungen, die ich jetzt machen will, treffen können. Ich bin hier an das Rednerpodium gegangen, um einige offenbare Unrichtigkeiten richtigzustellen, und zwar deshalb, weil sie wider besseres Wissen aufgestellt sind.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses Hohe Haus hat - ({7})
- Was war das?
({8})
({9})
- Was hat er gerufen?
({10})
Herr Abgeordneter Seuffert, haben Sie gerufen, der Abgeordnete Blank sei besoffen?
({0})
- Herr Abgeordneter Seuffert, ich habe gefragt, ob Sie gerufen haben, der Abgeordnete Blank sei besoffen!
({1})
- Ich rufe Sie zur Ordnung!
({2})
Dieses Hohe Haus hat zur Mitberatung des EVG-Vertrags einen besonderen vertraulichen Ausschuß bestellt, in dem Herr Abgeordneter Strauß Vorsitzender und Herr Abgeordneter Erler stellvertretender Vorsitzender waren. Alles, was er heute hier in bezug auf den EVG-Vertrag gesagt hat, ist ihm in diesem Ausschuß in Rede und Gegenrede - ich habe die Antworten schriftlich hier - zu seiner vollsten Zufriedenheit beantwortet worden,
({0})
und in seinem Bericht selber hat er keinen dieser Vorwürfe erhoben.
({1})
Ich will einmal versuchen, einige wenige dieser Dinge klarzustellen.
({2})
Herr Abgeordneter Ollenhauer hat gesagt, dieser Vertrag beinhalte nicht die Gleichberechtigung Deutschlands; denn die anderen Staaten behielten eine beträchtliche Nationalarmee. Herr Ollenhauer, ich habe Ihnen doch schon während der Verhandlungen in Besprechungen auseinandergelegt, daß wir diese Art der Gleichberechtigung sehr leicht hätten haben können. Frankreich war bereit, auf jeden nationalen Soldaten zu verzichten, wenn die Europäische Verteidigungsgemeinschaft dann die kolonialen Aufgaben Frankreichs übernommen hätte. Ich frage Sie, ob Sie diese Form der Gleichberechtigung wollten, daß also dann deutsche Soldaten französischen Kolonialbesitz zu verteidigen hätten.
({3})
Das ist der Grund, weshalb man diesen Staaten,
die überseeische Aufgaben haben, auch die Truppen lassen muß, die zur Erfüllung dieser Aufgaben
erforderlich sind, und natürlich auch die Truppen,
die erforderlich sind, um die Ausbildung zu vollziehen. Aber warum verheimlichen Sie dem Hause,
daß im Vertrag steht, daß dadurch die zahlenmäßige Verpflichtung zum EVG-Kontingent in
keiner Weise unterschritten werden darf? Dann
sagen Sie dem Hause, daß nach diesem Vertrag
Frankreich, dessen Bevölkerung im Mutterland
etwa gleich ist der in der Bundesrepublik, vierzehn
Divisionen zu stellen hat, und rechnen aus, daß für eine „bedeutende Nationalarmee", worin Sie eine Ungleichheit sehen, gar kein Raum mehr ist.
Ein Zweites hat hier eine Rolle gespielt. Man operiert so gern mit 40 Milliarden DM und sagt, die Aufstellung der ersten deutschen Kontingente koste 40 Milliarden DM.
({4})
- Ach, Herr Reimann! Ihr Schicksal ist bedauernswerter, als Sie selbst glauben! ({5})
Unterstellen wir einmal diese 40 Milliarden DM, die voraussichtlich das Aufstellen der ersten Kontingente kosten würde - eine Zahl, die natürlich auf einer Schätzung beruht - als richtig.
({6})
- Ja, Sie, Herr Loritz, können es wahrscheinlich mit dem Federhalter bis zum letzten Kreuzer ausrechnen! Dazu sind aber die anderen Leute in Deutschland noch nicht in der Lage. - Dieses Geld ist aufzubringen. Darum eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft mit einem gemeinsamen Budget! Es sind nicht etwa aus dem Beitrag eines Landes die Kontingente eines Landes zu bezahlen, sondern aus dem Gemeinschaftsbudget sind die Kosten zu erstatten und die Kontingente zu entwickeln. Das ist Ihnen in den Ausschüssen sehr genau auseinandergesetzt worden.
({7})
Herr Erler, Sie haben mir vorgeworfen - es wurde mir berichtet, ich war nicht im Saal -, ich hätte niemals Angaben gemacht. Ich habe Ihnen im EVG-Ausschuß ganz klar gesagt, wie die amerikanischen Zusagen für die Ausstattung der deutschen Kontingente sind.
({8})
Sie können mich allerdings nicht dazu verleiten, daß ich etwa in den Fehler verfalle, das, was in diesem vertraulichen Ausschuß gesagt worden ist, nur zu meiner Rechtfertigung jetzt einmal hier vor dem Plenum vorzutragen. Ich hätte von Ihnen nicht erwartet, daß Sie eine derartige Handlungsweise für in Ordnung befunden hätten.
({9})
Herr Erler hat gesagt, wir hätten nicht einmal die volle Gewalt, wir unterstellten deutsche Soldaten einem fremden Oberbefehl.
({10})
Darf ich Sie, Herr Erler, daran erinnern, was ich Ihnen mündlich und schriftlich in dem Ausschuß auf Ihre diesbezügliche Frage gesagt habe. Ich darf zitieren:
Der Art. 18 § 2 stellt zwar fest, daß im Krieg der zuständige Oberbefehlshaber der NATO gegenüber den Streitkräften der EVG die volle Gewalt und Verantwortung hat, die sich aus seiner Stellung als Oberbefehlshaber ergibt.
- Bitte achten Sie auf! Der Zeitpunkt der Übernahme dieser Verantwortung sowie der Umfang der Befugnisse wird gemäß Art. 123 § 1 durch einstimmigen Beschluß des Rates festgelegt.
({11})
({12})
Man sollte mit solchen Methoden nicht versuchen,
mit halben Zitaten falsche Eindrücke zu erwecken.
({13})
Sie haben des weiteren gesagt, daß die Integration auf der von uns gefundenen Ebene höchstwahrscheinlich unzweckmäßig sei und daß man wohl die Integrationsebene hätte vielleicht mehr nach oben heben müssen. Darf ich Ihnen wieder ins Gedächtnis zurückrufen, welche Auskunft ich Ihnen damals - und nicht nur ich, sondern auch die militärischen Berater - auf Ihre diesbezüglichen Fragen im EVG-Ausschuß gegeben habe:
Die Integration bei der Armee setzt national
homogene Korps voraus. Das Korps aber
- und das weiß jeder Soldat kann im Kriege seiner Natur nach keine feste und gleichbleibende Zusammensetzung haben. Die operative Einheit in der Hand der oberen Führung ist die Division, das Korps nur ein aus praktischen Gründen zwischengeschalteter Führungsstab. In der Praxis des Krieges
({14})
würde ein zunächst national homogenes Korps bald keines mehr sein, da man entweder Divisionen herausziehen oder aus anderen Frontababschnitten zuführen müßte. Die Division als der Kampfverband zur Lösung operativer Aufgaben - diese Division ist national homogen.
Das ist deutsches Verhandlungsergebnis.
({15})
Ich glaube, wir brauchen uns dieser Dinge nicht zu schämen.
Herr Erler, Sie haben von der Frage der Dislozierung gesprochen. In diesem Punkt, das wissen Sie ganz genau, bin ich Ihnen gegenüber unterlegen, weil meine Verpflichtung mich zwingt, hier sehr sparsam mit meinen Auskünften zu sein. Ich kann Ihnen ja nicht die Kosten für Ihren Geheimdienst ersparen. Das können Sie von mir doch nicht verlangen.
({16})
Die Frage der Dislozierung der Truppenverbände ist eng verbunden mit der Frage der strategischen Planung. Sie werden daher verstehen, wenn ich sage, so etwas gibt es in keinem Parlament der Welt,
({17})
es sei denn bei Ihnen im Obersten Sowjet, wo man solche Pläne vor das Publikum trägt.
Ich kann Ihnen aber versichern, - und das kann ich dem ganzen deutschen Volke sagen, weil ich dafür geradestehen kann -, daß diese Fragen schon jetzt eine Lösung gefunden haben, mit der wir Deutsche zufrieden sein können.
({18})
Ich kann Ihnen schon jetzt sagen, daß wir auch bei der Beratung dieser Dinge, nicht nur unserer Größenordnung - der erst geplanten - nach, sondern schon jetzt auch gemäß unseren Vorstellungen dabei die Rolle spielen, die das deutsche Volk von uns erwarten darf.
„Sicherheit mögen Sie schaffen", sagt der Kollege Erler. Er nimmt also an, daß uns das doch gelingen könne. Man soll hier nicht immer nur von 12 Divisionen reden,
({19})
man soll von dem gesamten System reden. Man soll reden von der Größe und Stärke dieser Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in der geplanten Größe. Man soll sprechen von dem Sicherheitspakt, den England den Staaten der EVG gegeben hat. Wann ist es jemals in der Weltgeschichte geschehen, daß England leichtfertig mit seinen Bündnissen umgegangen wäre?!
({20})
England hat offenbar mehr Vertrauen zu dieser Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, mit der es ein Bündnis schloß, als Sie selber als Deutsche und Europäer haben. Das ist tief bedauerlich.
({21})
Im Vertrag sei keine Klausel enthalten für eine Änderung des Vertrages im Falle der deutschen Einheit? Ich darf darauf hinweisen, daß dieser Vertrag eine Bestimmung enthält, wonach es möglich ist, wenn eine Regierung es wünscht, daß in Verhandlung über Änderung des Vertrages eingetreten wird. Sie wissen dann ganz genau, daß auch die verschiedensten Institutionen des Vertrages, z. B. der Ministerrat, die Möglichkeit der Fortentwicklung dieses Vertrages haben
({22})
- Illusion? Sie sollten den Vertrag erst einmal lesen. Ich wette, Sie haben ihn nicht einmal ganz gelesen. Das habe ich mehr als einmal festgestellt, wenn ich auf die Fragen antworten mußte: Lesen Sie doch mal Seite soundso.
({23})
Ich will Ihnen dazu nur folgendes sagen - und hoffe, daß das ganze deutsche Volk dieser Debatte gefolgt ist -:
({24})
es geht um die Grundsatzfrage eines Volkes, darum, ob ein Volk
({25})
das sittliche, das moralische, das ethische Recht hat, sich zu verteidigen.
({26})
Niemals in der Geschichte eines Volkes
({27})
hat es einen Prozeß um die Frage gegeben, ob ein Volk sich verteidigen dürfe.
({28}) Wir erst, wir erleben das!
({29})
Ich weiß nicht, wie hoch Sie Ihre Verpflichtung anerkennen. Ich weiß nur, daß das deutsche Volk auf diesen Bundestag schaut und von diesem Bundestag eine klare Entscheidung nach dieser oder jener Seite erwartet.
Herr Abgeordneter Erler, Sie haben ein gefährliches Wort gesagt,
({30})
({31})
das ich doch kurz einer Untersuchung unterziehen will.
({32})
Sie haben gesagt, wie könne man erwarten, daß die Kampfmoral groß genug sei, wenn nicht das ganze Volk bei dieser Abstimmung, bei der Entscheidung dahinterstünde! Wir leben in einer repräsentativen Demokratie.
({33})
Wie diese Entscheidung auch ausfallen mag, ich hoffe, dieser Satz ist nicht so zu verstehen, daß Ihre Wähler nicht den gleichen Willen, den gleichen Mut haben und die gleiche sittliche Verpflichtung anerkennen, wenn die Nation in die Verlegenheit käme, um ihre Selbstbehauptung zu kämpfen. Ich glaube sogar, daß Ihre Wähler Sie an Einsicht übertreffen werden,
({34})
und daß, wenn Sie auch hier zum Vertrag nein sagen, dennoch das ganze deutsche Volk genügend sittliche Kraft, genügend Verpflichtung in sich fühlt, den deutschen Soldaten, der nicht angreifen, sondern verteidigen soll, wieder zu dem zu machen, was er zu allen Zeiten gewesen ist, nämlich ein Mann, verpflichtet den Frauen, den unmündigen Kindern, der Heimat, Deutschland, Europa!
({35})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Dr. Schröder.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Fraktionen der CDU/CSU, der FDP, der DP und der FU beantrage ich Schluß der Debatte.
({0})
Meine Damen und Herren, der Antrag auf Schluß der Debatte ist zulassig. Er ist hinreichend unterstützt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag auf Schluß der Debatte. Ich biete die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag ist gegen wenige Stimmen angenommen. Damit ist die Debatte geschlossen.
Ich habe die Frage an die Fraktionen, ob sie wünschen, daß die früher getroffene Vereinbarung, nach der eine kurze Unterbrechung der Sitzung stattfinden soll, um den Fraktionen eine Stellungnahme zu den vorliegenden Anträgen zu ermöglichen, eingehalten wird?
({0})
- Meine Damen und Herren, bevor wir dann - die Fraktion der SPD wünscht eine Unterbrechung auf eine halbe Stunde; ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist - die Sitzung unterbrechen, wünscht Herr Abgeordneter Dr. Tillmanns das Wort zu einer persönlichen Bemerkung gemäß § 35 der Geschäftsordnung.
Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Erler hat erklärt, ich sei bis 1949 Brückenbauer in der sowjetischen Zone gewesen.
({0})
Da ich annehmen muß, daß diese Bemerkung in einem abträglichen Sinne gemacht worden ist,
({1})
sehe ich mich gezwungen, dazu folgendes zu erklären.
({2})
Ich bin 1945 nach der Besetzung Berlins durch die Sowjets in Berlin geblieben.
({3})
Ich habe in Berlin und für die Sowjetzone politische Verantwortung in der Christlich-Demokratischen Union übernommen und mich um der Not unseres Volkes willen darum bemüht, mit der sowjetischen Besatzungsmacht in ein Verhältnis der Zusammenarbeit zu kommen.
({4})
Ich stehe dazu.
({5})
Ich habe diese Aufgabe verlassen müssen, als klarwurde, daß der Bolschewismus nur ein Verhältnis der Zusammenarbeit kennt, nämlich das Verhältnis der Unterwerfung.
({6})
Ich habe nicht zu denjenigen gehört, - - ({7})
ich habe nicht zu denjenigen gehört, die diese Unterwerfung in der Vereinigung von SPD und KPD zur SED vollzogen haben.
({8})
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist unterbrochen. Die Sitzung beginnt wieder um 0 Uhr 50.
({0})
Meine Damen und Herren, ich weise darauf hin, daß die Fraktionen der FDP und DP Fraktionssitzungen abhalten.
({1})
- Herr Abgeordneter Neumann, Sie erklären den Abgeordneten Tillmanns für einen Lumpen. Mir scheint ein Ordnungsruf dafür nicht ausreichend; ich weise Sie aus dem Saal.
({2})
({3})
- Herr Abgeordneter Neumann, ich habe Sie aufgefordert, den Saal zu verlassen.
({4})
Die Sitzung ist unterbrochen. Die Beratungen beginnen wieder um 0 Uhr 50.
({5})
Die Sitzung wird um 0 Uhr 56 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren! Wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Ich darf, damit kein Zweifel darüber besteht, worüber abzustimmen ist, darauf hinweisen, daß wir zunächst die Anträge des Ausschusses für Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten in der Drucksache Nr. 3900 auf Seite 134 ff. haben. Zu diesen Anträgen sind Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 713, Nr. 714 und Nr. 715 gestellt worden; diese sind vor einiger Zeit in einer Mappe-ich glaube, in einer Mappe mit grauem Rücken - verteilt worden. Dann liegen vor ein Entschließungsantrag der Fraktion der Föderalistischen Union auf Umdruck Nr. 716, ein weiterer Entschließungsantrag der FU auf Umdruck Nr. 717, ein dritter Entschließungsantrag der FU auf Umdruck Nr. 718, ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU, FDP, DP/DPB, FU auf Umdruck Nr. 720 ein weiterer Entschließungsantrag der Föderalistischen Union auf Umdruck Nr. 722 und drei Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP/DPB, FU auf Umdrucken Nrn. 723, 727 und 728. Ich habe damit, glaube ich, sämtliche vorliegenden Anträge aufgerufen.
({0})
- Herr Abgeordneter Mellies, bitte!
Meine Damen und Herren! Namens der sozialdemokratischen Fraktion beantrage ich eine Reihe von namentlichen Abstimmungen. Zur Vereinfachung des Verfahrens darf ich Ihnen gleich unseren gesamten Antrag unterbreiten. Wir beantragen namentliche Abstimmung jeweils über den Art. I des betreffenden Gesetzes, ebenso namentliche Abstimmung über unsere Anträge, die in den drei Umdrucken vorliegen. Dabei sind wir damit einverstanden, daß bei den Umdrucken jeweils sofort über den gesamten Umdruck die namentliche Abstimmung stattfindet.
({0})
- Aber nicht zur Kenntnis des Hauses gekommen.
Auch zu meiner Kenntnis nicht.
Meine Damen und Herren, ich darf unterstellen, der Antrag ist hinreichend unterstützt. Es findet also zunächst namentliche Abstimmung über die drei Änderungsanträge der SPD-Fraktion Umdrucke Nrn. 713, 714 und 715 statt.
({0})
- Zur Abstimmung Herr Abgeordneter Dr. Schröder!
Herr Präsident! C Meine Damen und Herren! Ich möchte ganz klarstellen, daß wir zu allen Paragraphen der Gesetze namentliche Abstimmung verlangen, also nicht nur zu dem ersten Paragraphen.
({0})
Nun, meine Damen und Herren, ich hoffe, daß die Karten, die Sie in Ihren Umschlägen haben, dazu ausreichen.
({0})
- Herr Abgeordneter von Thadden - ich kann Sie in der Perspektive gar nicht erkennen, Herr Abgeordneter - zur Abstimmung?
von Thadden ({1}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, die Frage zu prüfen, ob nicht eine Auseinanderziehung der SPD-Anträge möglich ist. Ich bin überzeugt, daß auch über die Reihen der antragstellenden Fraktion hinaus Abgeordnete da sind, die einem Teil der von der Sozialdemokratie eingebrachten Änderungsanträge zustimmen möchten,
({2})
was bei anderen Änderungsanträgen nicht der Fall ist. Deswegen bitte ich doch, die Abstimmung zu den einzelnen Punkten getrennt vorzunehmen.
Herr Abgeordneter Mellies dazu!
Meine Damen und Herren, wir haben unseren Antrag nur zur Vereinfachung des Verfahrens gestellt. Aber wenn die CDU-Fraktion Wert darauf legt,
({0})
daß über jeden einzelnen Artikel des Gesetzes namentlich abgestimmt wird, legen wir ebenso Wert darauf, daß über jede Ziffer jedes einzelnen Antrags namentlich abgestimmt wird.
({1})
Meine Damen und Herren, es steht jetzt jedenfalls fest, daß es eine weitere Vermehrung der namentlichen Abstimmungen nicht gibt.
({0})
Es ist immerhin ganz trostreich, daß wir das jetzt wissen.
Ich komme also zunächst, damit wir über die Präliminarien hinauskommen, in der Reihenfolge unseres üblichen Verfahrens zur Abstimmung.
({1}) - Herr Abgeordneter von Merkatz!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe namens meiner Fraktion zu erklären, daß wir uns angesichts der von der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei gezeigten Grundhaltung genötigt sehen, diese Anträge abzulehnen. Wir haben nicht den Eindruck gewonnen, daß mit diesen Anträgen der in ihnen bezeichnete sachliche Inhalt als ein echtes Anliegen erstrebt wird.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Erklärungen zur Abstimmung, die im übrigen geschäftsordnungsmäßig nicht zulässig sind, werden nicht abgegeben.
({0})
({1})
Ich komme zur Abstimmung. Im Rahmen der Reihenfolge darf ich zunächst den Art. I des Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 26. Mai 1952 über die Beziehungen zwischen dei Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten mit Zusatzverträgen aufrufen. Ich darf unterstellen, daß Ihnen klar ist, worum es geht: Seite 134 unten rechts Art. I. Ein Änderungsantrag liegt dazu nichi vor. Ich darf Sie freundlichst an unsere übliche Praxis erinnern, daß wir über Einleitung und Überschrift zum Schluß abstimmen. Wir wollen das auch heute nicht durchbrechen. - Also, damit kein Zweifel besteht: Wir stimmen ab über Art. I des Gesetzes, das ich eben aufgerufen habe, Text Seite 134 unten rechts. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmzettel einzusammeln. Ich wäre dankbar, wenn die Damen und Herren sitzenblieben und sich die Herren Schriftführer mit möglichster Beschleunigung und in möglichst großer Zahl am Einsammeln beteiligten.
({2})
Ich bitte noch einmal, auf den Plätzen zu verharren, auch die Herren, die in Berlin die Presse vertreten, wie Herr Abgeordneter Lemmer.
({3})
- Ach so, zu der Berliner Urne! Konzediert! ({4})
Meine Damen und Herren, ich darf diesen Augenblick benutzen, um Ihnen folgendes zu sagen: Ich habe veranlaßt, daß die Drucksachen für die Plenarsitzungen der nächsten Woche nicht heute durch
3) die Post abgesandt wurden, um den Dienststellen, die heute sowieso überlastet waren, das zu ersparen. Ich darf Sie bitten, sich beim Verlassen des Hauses im Tagungsbüro Ihre Drucksachen abzuholen. Sie erleichtern damit uns und dem Personal die Arbeit wesentlich.
Sind noch Abgeordnete vorhanden, die Ihre Stimme abzugeben wünschen? Ich werde nach einiger Zeit die Abstimmung schließen lassen. Zunächst bitte ich, mit der Auszählung zu beginnen und die Urnen für die nächste namentliche Abstimmung zu leeren.
Nachdem diese namentliche Abstimmung erledigt ist, kommen wir zur Abstimmung über den Art. II dieses Gesetzes. Da auch hier namentliche Abstimmung beantragt ist, bitte ich die Herren Schriftführer, die Stimmzettel zur Abstimmung über Art. II des gleichen Gesetzes einzusammeln.
({5})
- Falls es jemand noch nicht verstanden haben sollte, wiederhole ich: Es geht um die Abstimmung zu Art. II des Gesetzes,
({6})
noch nicht über die Anträge Umdruck -Nr. 713; also Seite 135 der Drucksache Nr. 3900 rechts oben.
({7})
Ich unterstelle, daß der Bundesrat, an dessen Tisch nur Herr Ministerpräsident Kopf sitzt, ausnahmsweise damit einverstanden ist, daß am Bundesratstisch ausgezählt wird. - Herr Ministerpräsident Kopf ist in bekannter Großzügigkeit damit einverstanden.
({8})
Ich bitte alle Herren Schriftführer, sich am Auszählen zu beteiligen und das Verfahren zu beschleunigen.
Meine Damen und Herren, da der Bestand an Schriftführern noch nicht erschöpft ist
({9})
- die Herren Schriftführer sind erschöpft, aber noch nicht der Bestand -, kommen wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 713 Ziffer 2 auf Einfügung eines neuen Art. II a. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmzettel zu dieser namentlichen Abstimmung einzusammeln.
({10})
Meine Damen und Herren, insbesondere meine Damen, die Sie Schriftführer sind, darf ich freundlichst bitten, sich an dem Zählgeschäft zu beteiligen.
Meine Damen und Herren, ich frage: Sind noch Abgeordnete vorhanden, die zur namentlichen Abstimmung über Art. I des Gesetzes ihre Stimme abzugeben wünschen? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die namentliche Abstimmung zu Art. I.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 713 Ziffer 3 auf Einfügung eines Art. II b. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmzettel einzusammeln.
({11})
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis *) der Abstimmung über den Art. I bekannt. Mit Ja haben gestimmt 218, mit Nein 164, bei 4 Enthaltungen. Von den Berliner Abgeordneten haben 18 ihre Stimme abgegeben, davon 10 mit Ja, 8 mit Nein. Insgesamt sind 386 gültige Stimmen und 18 Berliner Stimmen abgegeben worden. Art. I ist angenommen.
Meine Damen und Herren, ich frage, ob noch Abgeordnete vorhanden sind, die zur namentlichen Abstimmung zu Art. II ihre Stimme abzugeben wünschen. - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die namentliche Abstimmung zu Art. II.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 713 Ziffer 4 auf Einfügung eines Art. II c. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmzettel einzusammeln.
({12})
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis *) der Abstimmung über Art. II bekannt. An der Abstimmung haben sich beteiligt 392 stimmberechtigte Abgeordnete. Davon haben mit Ja gestimmt 219, mit Nein 170, bei 3 Enthaltungen. Von den 18 Berliner Abgeordneten, die ihre Stimme abgegeben haben, haben mit Ja gestimmt 10, mit Nein 8, enthalten niemand. Damit ist Art. II angenommen.
Meine Damen und Herren, ich frage zunächst, ob noch Abgeordnete vorhanden sind, die zur Abstimmung über Art. II a nach dem Antrag Umdruck Nr. 713 Ziffer 2 ihre Stimme abzugeben wünschen. - Das ist nicht der Fall. Damit schließe ich diese Abstimmung.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 713 Ziffer 1, die Einleitung durch die Worte „mit Zustimmung
Vergl. das endgültige Ergebnis Seiten 11528, 11532
({13})
des Bundesrates" zu ergänzen. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmzettel einzusammeln.
({14}) über den Antrag der Fraktion der SPD zu Ziffer 2 des Umdrucks Nr. 713 bekannt. Es haben abgestimmt 385 Abgeordnete. Mit Ja haben gestimmt 159, mit Nein 218, 8 Enthaltungen. Von den 18 Berliner Abgeordneten haben mit Ja 8, mit Nein 10 gestimmt. Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich frage: Sind noch Abgeordnete vorhanden, die zur namentlichen Abstimmung über den Antrag Umdruck Nr. 713 Ziffer 3 zu Art. II b ihre Stimme abzugeben wünschen? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung zu Umdruck Nr. 713 Ziffer 3.
Meine Damen und Herren, ich komme zur Abstimmung über Art. III des Gesetzes auf Seite 135 oben rechts. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmzettel einzusammeln.
({15})
Meine Damen und Herren, ich frage: Sind noch Abgeordnete vorhanden, die zur Abstimmung über Umdruck Nr. 713 Ziffer 4 ihre Stimme abzugeben wünschen? - Das ist nicht der Fall; dann schließe ich diese Abstimmung.
Ich gebe das vorläufige Ergebnis *) der Abstimmung über den Antrag Umdruck Nr. 713 Ziffer 3 bekannt. Insgesamt sind 384 Stimmen abgegeben worden. Mit Ja haben gestimmt 144 Abgeordnete, mit Nein 217 Abgeordnete, bei 23 Enthaltungen. Von den Berliner Abgeordneten haben mit Ja gestimmt 8, mit Nein 10. Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich frage, ob noch Abgeordnete vorhanden sind, die zur Abstimmung über Umdruck Nr. 713 Ziffer 1 ihre Stimme abzugeben wünschen. - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und frage gleichzeitig, ob noch Abgeordnete vorhanden sind, die zu Art. III ihre Stimme abzugeben wünschen. - Auch das ist nicht der Fall. Ich schließe auch diese Abstimmung.
Ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der Abstimmung über Umdruck Nr. '713 Ziffer 4 bekannt. Von 386 stimmberechtigten Abgeordneten haben mit Ja gestimmt 146, mit Nein 218, bei 22 Enthaltungen, von den Berliner Abgeordneten mit Ja 8, mit Nein 10. Der Antrag ist abgelehnt.
({16})
Meine Damen und Herren, im Interesse der Beschleunigung stelle ich zunächst die Abstimmung über Einleitung und Überschrift des Gesetzes zurück, bis das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu Umdruck Nr. 713 Ziffer 1 vorliegt.
Ich komme zur Abstimmung über Art. I des Entwurfs eines Gesetzes betreffend das Abkommen vom 26. Mai 1952 über die steuerliche Behandlung der Streitkräfte und ihrer Mitglieder und betreffend das Protokoll vom 26. Juli 1952, durch das die Zuständigkeit des Schiedsgerichts auf Streitigkeiten
1 Vergl. das endgültige Ergebnis Seiten 11528, 11532 aus dem vorbezeichneten Abkommen erstreckt wird, Seite 135 unten. Art. I!
({17})
- Zur Abstimmung Herr Abgeordneter Ritzel.
Ich möchte das Hohe Haus darauf aufmerksam machen, daß die ganze bisherige Abstimmung geschäftsordnungswidrig gewesen ist.
({0})
Der Antrag auf namentliche Abstimmung zu jedem Paragraphen, der von der Regierungskoalition gestellt wurde, widerspricht dem letzten Satz des § 83 der gültigen Geschäftsordnung. Der ganze § 83 heißt:
Über mehrere oder alle Teile eines Gesetzentwurfs kann gemeinsam abgestimmt werden.
({1})
Über Verträge mit auswärtigen Staaten und ähnliche Verträge gemäß Artikel 59 des Grundgesetzes wird im ganzen abgestimmt.
Ich bitte das Hohe Haus, sich nach der Geschäftsordnung zu richten.
({2})
Meine Damen und Herren! Gemäß § 128 der Geschäftsordnung entscheidet während einer Sitzung auftauchende Zweifel über die Auslegung der Geschäftsordnung der Präsident.
({0})
Der zweite Satz von § 83 der Geschäftsordnung besagt, daß über Verträge mit auswärtigen Staaten und ähnliche Verträge gemäß Art. 59 des Grundgesetzes im ganzen abgestimmt wird. Es handelt sich hier nicht um eine Abstimmung über Verträge mit auswärtigen Staaten, sondern um Gesetze betreffend
({1})
- im Augenblick spreche ich noch, Herr Abgeordneter Ritzel - Verträge über die Beziehungen zu auswärtigen Staaten. Falls die Meinung des Herrn Abgeordneten Ritzel richtig wäre, könnte es auch keine Änderungsanträge zu dem Gesetz geben.
({2})
Ich glaube nicht, daß Herr Abgeordneter Ritzel diese Meinung zu vertreten wünscht. Ich muß mich dahin entscheiden, daß über dieses Gesetz artikelweise abgestimmt wird. Das entspricht nach meiner Überzeugung auch der bisherigen Praxis bei den Gesetzen betreffend die Verträge mit auswärtigen Staaten. Es wäre anders, wenn der Vertrag als solcher zur Abstimmung stände. Der Sinn der Bestimmung des § 83 Satz 2 der Geschäftsordnung ist, daß - darüber ist sich das Haus einig - Änderungsanträge zu einzelnen Teilen des Vertrags nicht möglich sind, da selbstverständlich über Verträge mit auswärtigen Staaten, d. h. über die Verträge selbst, nur einheitlich abgestimmt werden kann.
({3})
Herr Abgeordneter Ritzel zur Geschäftsordnung!
Ich bedauere, feststellen zu müssen, daß der Herr Präsident irrt. Dem Herrn Präsidenten muß bekannt sein, daß es keine Abstimmung über den Inhalt der einzelnen Verträge,
({0})
({1})
nur über ein Gesetz zur Verabschiedung der vorliegenden Vertragsentwürfe gibt.
({2}) Dem entspricht die Bestimmung der Geschäftsordnung.
({3})
Über Änderungsanträge zu einem vorliegenden Gesetzentwurf ist selbstverständlich vorweg abzustimmen und dann über den Gesetzentwurf im ganzen.
({4})
- Nein, das ist es nicht!
Herr Abgeordneter Hasemann, es bedarf keiner Erörterung.
Meine Damen und Herren, ich bitte, davon Kenntnis zu nehmen: Herr Abgeordneter Ritzel hat sich auf § 83 der Geschäftsordnung berufen. Ich muß es dem Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität anheimstellen, diese Frage einmal aufzuklären. Für heute entscheide ich, daß die Abstimmung in der bisherigen Form erfolgt.
({0})
- Meine Damen und Herren, es handelt sich hier um keine Frage, die man durch Beifallskundgebungen erledigen kann. Herr Abgeordneter Ritzel vertritt eine Meinung, über die man durchaus diskutieren kann. Aber ich muß ja im Augenblick zu einer Entscheidung kommen.
Die Einsammlung der Stimmzettel ist durch die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Ritzel unterbrochen worden. Also damit kein Zweifel besteht: es wird abgestimmt über Art. I des Gesetzes, Seite 135 unten. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmzettel einzusammeln.
({1})
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der Abstimmung über den Antrag Umdruck Nr. 713 Ziffer 1 bekannt. Von 387 stimmberechtigten Abgeordneten haben mit Ja gestimmt 183, mit Nein 203 bei einer Enthaltung; von den Berliner Abgeordneten, wiederum 18, mit Ja 8, mit Nein 10. Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, es ist namentliche Abstimmung beantragt für alle Artikel und die Änderungsanträge. Es ist keine namentliche Abstimmung beantragt für Einleitung und Überschrift.
({2})
Ich komme dann nach Ablehnung dieser Änderungsanträge zur Abstimmung über Einleitung und Überschrift des ersten Gesetzes, Anlage 1 zu Drucksache Nr. 3500. Ich bitte die Damen und Herren, die der Einleitung und Überschrift dieses Gesetzes in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe.
- Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; Einleitung und Überschrift sind bei 3 Enthaltungen, wenn ich recht sehe, angenommen.
Damit ist die Abstimmung über das erste Gesetz erledigt. Eine Schlußabstimmung findet in der zweiten Beratung nicht statt.
Ich frage, ob noch Abgeordnete vorhanden sind, die zu Art. I des zweiten Gesetzes - um es so zu nennen - ihre Stimme abzugeben wünschen. - Das ist nicht der Fall; ich schließe diese Abstimmung.
*) Vergl. das endgültige Ergebnis Seiten 11528, 11532
Ich komme zur Abstimmung über Art. II ({3}) der Abstimmung über Art. III des ersten Gesetzes bekannt. Von 383 Abgeordneten haben mit Ja gestimmt 219, mit Nein 164, ohne Enthaltungen; von den 18 Berliner Abgeordneten mit Ja 10, mit Nein 8. Art. III ist angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über Art. III. Bevor ich die Stimmzettel einsammeln lasse, frage ich: Sind noch Abgeordnete vorhanden, die zu Art. II ihre Stimme abzugeben wünschen? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung.
Ich bitte nun die Schriftführer, die Stimmzettel zur Abstimmung über Art. III einzusammeln.
({4})
Meine Damen und Herren, ich muß das Ergebnis der Abstimmung zu Art. III des ersten Gesetzes insofern korrigieren, als doch 3 Enthaltungen da waren und die Zahl der abgegebenen Stimmen 386 beträgt. Das Ergebnis der Abstimmung ändert sich dadurch nicht.
Meine Damen und Herren, ich frage: sind noch Abgeordnete vorhanden, die zur Abstimmung über Art. III des zweiten Gesetzes ihre Stimme abzugeben wünschen? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung.
Wir kommen zur Abstimmung über das dritte Gesetz, Bericht Seite 136: Entwurf eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 27. Mai 1952 über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und betreffend den Vertrag vom 27. Mai 1952 zwischen dem Vereinigten Königreich und den Mitgliedstaaten der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, Anlage 1 zur Drucksache Nr. 3501, und zum vierten Gesetz Anlage 3 zur Drucksache Nr. 3501.
Zunächst kommen wir zur Abstimmung über Art. I des Gesetzes auf Anlage 1 zur Drucksache Nr. 3501. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmzettel einzusammeln.
({5})
Ich frage: sind noch Abgeordnete vorhanden, die über den Art. I des Gesetzes über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft abzustimmen wünschen? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über Art. II des gleichen Gesetzes. Ich bitte die Herren Schriftführer um Einsammlung der Stimmzettel.
({6})
Ich frage: sind noch Abgeordnete vorhanden, die zu Art. II des Gesetzes in der Anlage 1 zu Drucksache Nr. 3501 ihre Stimme abzugeben wünschen? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung.
Ich komme zur Abstimmung über Art. III. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmzettel einzusammeln. Ich bitte die Herren Abgeordneten, auf ihren Plätzen zu bleiben, um das Einsammeln zu erleichtern.
({7})
') Vergl. das endgültige Ergebnis Seiten 11529, 11533
({8})
Ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der Abstimmung über die drei Artikel des zweiten Gesetzes, des Gesetzes betreffend das Abkommen vom 26. Mai 1952 über die steuerliche Behandlung der Streitkräfte und ihrer Mitglieder, bekannt. Bei der Abstimmung über Art. I sind 387 Stimmen abgegeben worden, davon: Ja 219, Nein 165, 3 Enthaltungen; Berlin: Ja 10, Nein 8. Art. I ist angenommen.
Bei Art. II: 384 Stimmen, 218 Ja, 164 Nein, 2 Enthaltungen; Berlin: das gleiche Verhältnis wie eben.
Zu Art. III: 390 abgegebene Stimmen; 222 Ja-, 166 Nein-Stimmen, bei 2 Enthaltungen. Berlin: Das gleiche Verhältnis. - Damit sind alle drei Artikel angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über Einleitung und Überschrift, da keine namentliche Abstimmung beantragt ist, in der üblichen Art, durch Handerheben. Ich bitte die Damen und Herren, die der Einleitung und Überschrift zu diesem Gesetz zuzustimmen wünschen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Einleitung und Überschrift sind angenommen. - Damit sind sämtliche Teile des Gesetzes angenommen.
Ich gebe das vorläufige*) Ergebnis der Abstimmung über Art. I des Gesetzes, Anlage 1 zu Drucksache Nr. 3501, bekannt. Abgegeben: 385 Stimmen; mit Ja 216 Stimmen, mit Nein 165 Stimmen, bei 4 Enthaltungen. Berlin wiederum 10 Ja-, 8 NeinStimmen. - Damit ist Art. I angenommen.
Ich frage, ob noch Abgeordnete im Hause sind, die zu Art. III des Gesetzes ihre Stimme abzugeben wünschen. - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 714 Ziffer 2 auf Einfügung eines neuen Artikels III a. Ich bitte die Herren Schriftführer, mit dem Einsammeln der Stimmzettel zu beginnen.
({9})
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung über Art. II bekannt. Abgegebene Stimmen 385, 215 Ja, 167 Nein, bei 3 Enthaltungen; Berlin wiederum 10 Ja, 8 Nein. Art. II ist angenommen.
Ich frage, ob noch Abgeordnete da sind, die zum Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 714 Ziffer 2 ihre Stimme abzugeben wünschen. - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 714 Ziffer 3 betreffend Einfügung eines Art. III b. Ich bitte die Herren Schriftführer, mit dem Einsammeln der Stimmzettel zu beginnen.
({10})
Meine Damen und Herren, ich frage: sind noch Abgeordnete vorhanden, die zu Umdruck Nr. 714 Ziffer 3 ihre Stimme abzugeben wünschen? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung.
Ich komme zur Abstimmung über Art. IV des Gesetzes. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmzettel einzusammeln.
({11}) Meine Damen und Herren, es sind offenbar Zweifel aufgetaucht, worüber im Augenblick ab-
*) Vergl. das endgültige Ergebnis Seiten 11529, 11533 gestimmt wird. Es handelt sich um Art. IV des Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 27. Mai 1952 über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und betreffend den Vertrag vom 27. Mai 1952 zwischen dem Vereinigten Königreich und den Mitgliedstaaten der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, Anlage 1 zur Drucksache Nr. 3501. Die Karten werden eingesammelt. Ich hoffe, daß die Abstimmung klar ist.
({12})
- Immer noch nicht? - Herr Abgeordneter Loritz auch?
({13})
- Ich hörte Ihre Stimme, Herr Abgeordneter, und fragte deshalb.
({14})
- Ich habe mich getäuscht? - Ja, das ist nachts um drei nicht verwunderlich.
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis *) der namentlichen Abstimmung über Art. III bekannt. Abgegegebene Stimmen 388, davon 217 Ja, 168 Nein, bei 3 Enthaltungen; bei den Berliner Abgeordneten das übliche Stimmenverhältnis 10 zu 8. Art. III ist angenommen.
Meine Damen und Herren, ich frage: sind Abgeordnete vorhanden, die noch zu Art. IV ihre Stimme abzugeben wünschen? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung.
Ich komme zur Abstimmung über - ({15})
- Es ist kein Platz mehr zum Zählen da. ({16})
Die technischen Einrichtungen des Abstimmungsapparats sind unvollkommen.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 714 Ziffer 1 betreffend die Einleitung des dritten Gesetzes. Ich bitte die Herren Schriftführer, mit der Einsammlung der Stimmzettel zu beginnen.
({17})
Ich gebe das vorläufige Ergebenes*) der Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 714 Ziffer 2 auf Einfügung eines Art. III a bekannt. Bei 385 abgegebenen Stimmen haben mit Ja gestimmt 147, mit Nein 237, bei einer Enthaltung. Von den Berlinern haben mit Ja 8 und mit Nein 10 Abgeordnete abgestimmt. Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich gebe bereits das vorläufige Ergebnis *) der Abstimmung über Art. IV bekannt. - Es fehlt noch das Ergebnis der Abstimmung über Ziffer 3 des Umdrucks Nr. 714. - Art. IV: 389 abgegebene Stimmen, davon Ja 218, Nein 168, 3 Enthaltungen. Berliner Abgeordnete: 10 Ja, 8 Nein. Art. IV ist angenommen.
Ich komme dann zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes betreffend das Abkommen über die Rechtsstellung der Europäischen Verteidigungsstreitkräfte und über das Loll- und Steuerwesen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, Anlage 3 zu Drucksache Nr. 3501. Zunächst Art. I. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmzettel einzusammeln.
({18})
s) Vergl. das endgültige Ergebnis Seiten 11530, 11534
({19})
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 714 Ziffer 3 bekannt: Abgegebene Stimmen 384, Ja 147, Nein 216, Enthaltungen 21. Die Berliner Abgeordneten haben 8 Ja-Stimmen und 8 Nein-Stimmen abgegeben. Der Antrag ist abgelehnt. Meine Damen und Herren, ich frage: sind noch Abgeordnete vorhanden, die ihre Stimme zur Abstimmung über den. Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 714 Ziffer 1 und über Art. I des Gesetzes in Anlage 3 zu Drucksache Nr. 3501 abgeben wollen? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe beide Abstimmungen. Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über Art. II des Gesetzes in Anlage 3 der Drucksache Nr. 3501. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmzettel einzusammeln.
({20})
Meine Damen und Herren, um Irrtümer zu vermeiden, bitte ich Sie, freundlichst darauf zu achten, ob auch auf den Stimmzetteln, die auf Ihrem Platz liegen, wirklich Ihr Name steht. Es scheinen einige Irrtümer vorgekommen zu sein. Falls das der Fall ist, bitte ich, es zur Berichtigung zu Protokoll zu geben.
Ich frage: sind noch Abgeordnete vorhanden, die zu Art. II ihre Stimme abzugeben wünschen? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 715 auf Einfügung eines Art. II a in das Gesetz der Anlage 3. Ich bitte die Herren Schriftführer, mit der Einsammlung der Stimmzettel zu beginnen.
({21})
Meine Damen und Herren, ich darf bitten, Platz zu nehmen. Ich gebe das vorläufige Ergebnis *) der Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 714 Ziffer 1 betreffend Einleitung des dritten Gesetzes bekannt: abgegebene Stimmen 387; mit Ja haben gestimmt 183, mit Nein 203, eine Enthaltung; von den Berliner Abgeordneten mit Ja 8, mit Nein 10. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über Einleitung und Überschrift des Gesetzes betreffend den Vertrag über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und betreffend 'den Vertrag vom 27. Mai 1952 zwischen dem Vereinigten Königreich und den Mitgliedstaaten der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, Anlage 1 zu Drucksache Nr. 3501. Ich bitte die Damen und Herren, die Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? Einleitung und Überschrift sind angenommen. Damit sind alle Teile des Gesetzes angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über Art. III des Gesetzes betreffend das Abkommen über die Rechtsstellung der Europäischen Verteidigungsstreitkräfte und über das Zoll- und Steuerwesen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, Anlage 3 zu Nr. 3501 der Drucksachen. Ich bitte die Herren Schriftführer, mit der Einsammlung zu beginnen.
({22})
*) Vergl. das endgültige Ergebnis Seiten 11530, 11534
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis *) der Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 383, mit Ja 214, mit Nein 166, bei 3 Enthaltungen; Berliner Stimmen: 10 mit Ja, 8 mit Nein. Art. I ist angenommen.
Ich gebe das vorläufige Ergebnis **) der Abstimmung über Art. II bekannt: abgegebene Stimmen 386, mit Ja 313, mit Nein 170, bei 3 Enthaltungen; Berlin: 10 mit Ja, 8 mit Nein. Art. II ist angenommen.
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis **) der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 715 bekannt: Abgegebene Stimmen 390, mit Ja 153, mit Nein 235 bei 2 Enthaltungen. Berlin: mit Ja 8, Nein 10. Der Antrag ist abgelehnt.
({23})
- Meine Damen und Herren, Ihre Beifallskundgebungen für die Herren Schriftführer sind sehr sympathisch, aber die Herren haben jetzt 21 Abstimmungen ausgezählt. Ich warte noch auf eine Abstimmung.
({24})
Meine Damen und Herren, darf ich zur Vereinfachung des Verfahrens folgendes vorschlagen. Die Fraktionen der Föderalistischen Union und der - CDU/CSU haben für die Entschließung auf Umdruck Nr. 717 namentliche Abstimmung beantragt.
({25})
- Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Mellies!
Meine Damen und Herren! Das Ungewöhnliche soll in dieser zweiten Lesung offenbar bis zum Schluß anhalten, wenn jetzt noch über die Entschließungen labgestimmt werden soll. In § 89 der Geschäftsordnung heißt es:
Über Entschließungen zu Gesetzentwürfen und Verträgen mit auswärtigen Staaten und ähnlichen Verträgen wird in der Regel nach der dritten Beratung abgestimmt.
Wir haben uns bisher in diesem Hohen Hause immer an diese Regel gehalten. Es liegt unseres Erachtens weder ein sachlicher noch ein geschäftsordnungsmäßiger Grund vor, jetzt davon abzuweichen; kein geschäftsordnungsmäßiger Grund, weil der Inhalt der Entschließungen erst wirksam werden kann, wenn die dritte Abstimmung, die endgültige Abstimmung, die Schlußabstimmung vorgenommen ist. Es würde bei einigen Entschließungen geradezu widersinnig sein, wenn wir sie in diesem Augenblick 'zur Abstimmung stellen würden. Der Inhalt einiger Entschließungen ist auch bereits in den vorhin von uns gestellten Anträgen angesprochen worden. Diese Anträge sind abgelehnt worden. Meine Damen und Herren, wem wirklich daran lag, den Inhalt dieser Entschließungen zu verwirklichen, der hätte unseren Anträgen zustimmen müssen; denn was mit den Entschließungen wird, das haben wir doch bei den Entschließungen zum Schumanplan ausgiebig gemerkt. Wir glauben aber, wie gesagt, daß weder aus geschäftsordnungsmäßigen noch aus sachlichen Gründen von der bisherigen Übung abgewichen werden sollte. Ich beantrage deshalb namens der sozialdemokratischen Fraktion, daß über die Entschließungen erst nach der dritten Lesung abgestimmt wird.
*) Vergl. das endgültige Ergebnis Seiten 11530, 11534
*) Vergl. das endgültige Ergebnis Seiten 11531, 11535
Herr Abgeordneter Dr. Schröder!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedeuere, daß wir uns der Auffassung des Herrn Kollegen Mellies nicht anschließen können. Wir meinen, daß mit dieser zweiten Beratung die Verträge in politischer Hinsicht ihren Abschluß finden sollen,
({0})
und halten es deswegen für richtig und zweckmäßig, daß von der Regel abweichend jetzt auch über die Entschließungen abgestimmt wird.
({1})
Herr Abgeordneter von Thadden.
von Thadden ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier geht es nicht um politische Abschlüsse und sonstige sachliche Abschlüsse, sondern hier geht es um die Vorschriften der Geschäftsordnung, und zwar, daß Entschließungsanträge erst in der dritten Lesung zulässig sind.
({1})
Es wäre außerdem abwegig, hier den Versuch unternehmen zu wollen, mit diesen Entschließungsanträgen ausgerechnet jetzt bei der zweiten Beratung vor dem Vertagungsantrag, den wir ja noch zu erwarten haben, die inzwischen erfolgte Ablehnung anderer Anträge und den sonstigen brutalen Inhalt der Verträge überkleistern zu wollen.
Ich darf, da ich inzwischen das Ergebnis der letzten Abstimmung bekommen habe, dieses vorläufige Ergebnis *) bekanntgeben. In der namentlichen Abstimmung über den Art. III des vierten Gesetzes sind 387 Stimmen abgegeben worden, 215 Ja, 169 Nein bei 3 Enthaltungen; Berlin: 10 Ja, 8 Nein. Art. III ist angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über Einleitung und Überschrift dieses Gesetzes. Ich bitte die Damen und Herren, die Einleitung und Überschrift dieses Gesetzes zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit: Einleitung und Überschrift sind angenommen. Damit sind auch alle Teile dieses Gesetzes angenommen.
Die Antragsteller der Entschließungen haben sämtlich in allen diesen Entschließungen die Beschlußfassung in der zweiten Beratung beantragt. Herr Abgeordneter Mellies hat beantragt, die Abstimmung darüber in der dritten Beratung vorzunehmen. In der Geschäftsordnung ist vorgesehen, daß die Abstimmung in der Regel in der dritten Beratung stattfindet. Es gibt also, wenn es die Mehrheit des Bundestages beschließt, eine andere Regelung. Ich muß also darüber abstimmen lassen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Abgeordneten Mellies, über die für die zweite Beratung gestellten Entschließungsanträge erst in der dritten Beratung abzustimmen, zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit; der
*) Vergl. das endgültige Ergebnis Seite 11531, 11535 Antrag des Herrn Abgeordneten Mellies ist abgelehnt.
({0})
- Herr Abgeordneter Mellies!
Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Fraktion wird sich an der kommenden Abstimmung nicht beteiligen. Das bedeutet also, daß wir auch keine Stimmenthaltung üben werden. Da wir bei der namentlichen Abstimmung eine andere Möglichkeit nicht haben, müssen wir schon eine Enthaltungskarte abgeben. Ich gebe aber ausdrücklich zu Protokoll, daß das nicht bedeutet, daß wir uns an der Abstimmung beteiligen.
({0})
- Ja, es ist Ihnen offenbar sehr vieles ungewöhnlich und unbegreiflich heute nacht!
({1})
Meine Damen und Herren, wir sind zu dieser Haltung gezwungen, - ({2})
- Ja, es wäre für Sie viel besser, wenn Sie sich inzwischen schlafen gelegt hätten, Frau Kalinke!
({3})
Herr Abgeordneter Mellies, ich möchte vorschlagen, im Rahmen der üblichen parlamentarischen Ordnung zu bleiben.
Meine Damen und Herren, wir sind zu dieser Haltung gezwungen, weil wir selbstverständlich einem wesentlichen Teil des Inhalts der vorgelegten Entschließungen zustimmen können. Weil wir aber, wie ich soeben schon ausgeführt habe, aus sachlichen und geschäftsordnungsmäßigen Gründen eine Abstimmung im gegenwärtigen Augenblick nicht für möglich halten, bleibt uns keine andere Wahl, als uns an der Abstimmung nicht zu beteiligen.
Meine Damen und Herren, namentliche Abstimmung ist beantragt für die Entschließung Umdruck Nr. 717. Der Antrag auf namentliche Abstimmung ist von den Fraktionen der FU und der CDU/CSU gestellt worden. Ich bitte die Herren Schriftführer, mit der Einsammlung der Stimmzettel zu beginnen.
({0})
- Meine Damen und Herren, ich lasse in namentlicher Abstimmung über die Entschließung Umdruck Nr. 717 abstimmen. Ich hoffe, daß es klar ist.
({1})
Haben alle Abgeordneten, die ihre Stimme abzugeben wünschen, das getan?
({2})
- Dann bitte ich freundlichst, es zu tun.
Für die Entschließung Umdruck Nr. 718 ist von den gleichen Fraktionen namentliche Abstimmung beantragt worden.
({3})
- Die Föderalistische Union hat namentliche Abstimmung beantragt. Ich darf die Frage stellen, ob die hinreichende Unterstützung erfolgt.
({4})
({5})
- Also offenbar nicht.
({6})
- Also der Antrag auf namentliche Abstimmung ist hinreichend unterstützt.
({7})
Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmzettel zur Abstimmung über die Entschließung Umdruck Nr. 718 einzusammeln.
({8}) Haben alle Abgeordneten ihre Stimme abgegeben, die es zu tun wünschen?
({9})
- Noch nicht. Ich darf bitten, das Einsammeln etwas zu beschleunigen, wenn es möglich ist.
Ich bitte Sie freundlichst, Ihre Plätze einzunehmen, damit wir zur Abstimmung über die noch ausstehenden Entschließungen schreiten können.
({10})
Ich bitte noch einmal, die Plätze einzunehmen. - Herr Abgeordneter Eckstein, Sie haben Ihren Platz doch nicht hier vorne!
Ich komme zur Abstimmung über die Entschließung der Fraktion der Föderalistischen Union Umdruck Nr. 716. Die Fraktion wünscht, sie dahin zu ändern, daß an die Stelle der Worte „der Ratifizierung" die Worte treten „vor dem Austausch der Ratifizierungsurkunden".
({11})
Ich bitte die Damen und Herren, die dieser Entschließung zuzustimmen wünschen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Entschließung gegen wenige Stimmen - bei Nichtbeteiligung der Fraktion der SPD an der Abstimmung - angenommen worden ist.
Ich komme zur Abstimmung über die Entschließung Umdruck Nr. 720. Ich bitte die Damen und Herren, die dieser Entschließung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit dem gleichen Ergebnis angenommen.
Umdruck Nr. 722: Entschließung der Fraktion der Föderalistischen Union. Ich bitte die Damen und Herren, die dieser Entschließung zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit der gleichen Mehrheit angenommen.
Entschließung Umdruck Nr. 723. Ich bitte die Damen und Herren, die dieser Entschließung zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit der gleichen Mehrheit angenommen.
Entschließung Umdruck Nr. 727. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ebenfalls mit der gleichen Mehrheit angenommen.
({12})
Enthaltungen? - Bei Enthaltungen angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu den Entschließungen, die der Auswärtige Ausschuß
in Drucksache Nr. 3900 auf Seite 136 unter Ziffer IV vorgelegt hat. Zu Ziffer 1 Buchstaben c und d ist im Umdruck Nr. 728 eine andere Fassung dieser Entschließung beantragt. Ich komme zunächst zur Abstimmung über diesen Änderungsantrag.
({13})
Herr Abgeordneter Pfleiderer!
Herr Präsident, ich bitte die Begründung zu Protokoll geben zu dürfen.
({0})
Meine Damen und Herren, Sie scheinen offenbar nicht ganz verstanden zu haben. Herr Abgeordneter Pfleiderer hat entgegenkommenderweise gebeten, die Begründung nicht vortragen zu müssen, sondern lediglich zu Protokoll geben zu können. Ich nehme an, daß das Haus dankbar und einverstanden ist.
({0})
Ich stelle fest, daß die Begründung, ohne vorgetragen zu werden, ins Protokoll aufgenommen wird.*)
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag Umdruck Nr. 728 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Darf ich fragen: Sie haben zugestimmt?
({1})
- Dann stelle ich fest: ohne Gegenstimmen - bei Nichtbeteiligung der Fraktion der SPD - angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die der Entschließung des Auswärtigen Ausschusses Drucksache Nr. 3900 Seite 136 Ziffer IV, 1 unter Berücksichtigung der eben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünschen, um ein ,Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das ist die gleiche Mehrheit, mit der eben die Änderungsanträge angenommen worden sind.
Weiterhin ist Beschluß zu fassen über die Ziffer 2 auf Seite 137 der Drucksache Nr. 3900, eine Entschließung, die der Ausschuß für Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten vorgelegt hat. Ich bitte die Damen und Herren, die dieser Entschließung zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das ist mit der gleichen Mehrheit angenommen worden.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Ausschusses zu Ziffer 3 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit der gleichen Mehrheit angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag zu 4 auf Seite 138 der Drucksache Nr. 3900 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen und unter Nichtbeteiligung der Fraktion der SPD angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die der Ziffer 5 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. -
Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen unter Nichtbeteiligung der Fraktion der SPD angenommen.
*) Siehe Anlage 1, Seite 11498
**) Schriftliche Begründung, siehe Anlage 2, Seite 11500
({2})
Meine Damen und Herren, ich muß noch das Ergebnis der namentlichen Abstimmung abwarten.
Die namentliche Abstimmung über die Entschließung Umdruck Nr. 717 hat folgendes vorläufige Ergebnis *) gehabt. Abgegebene Stimmen 385, mit Ja 38, mit Nein 200, Enthaltungen 147; von den Berliner Abgeordneten mit Ja 2, mit Nein 8, Enthaltungen 8. Die Entschließung ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis *) über die Entschließung Umdruck Nr. 718 bekannt. Abgegeben sind 384 Stimmen, mit Ja 201, mit Nein 36, Enthaltungen 147; von den Berliner Abgeordneten mit Ja 9, mit Nein 9. Die Entschließung ist angenommen.
Zu einer tatsächlichen und persönlichen Erklärung wünscht Herr Abgeordneter Erler das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Erlaubnis des Herrn Prasidenten gebe ich folgende Erklärung ab.
Herr Abgeordneter Blank hat behauptet, ich hätte a) wider besseres Wissen unrichtige Darstellungen über die Außenhilfe an die EVG gegeben und b) vertrauliche Beratungen des Ausschusses preisgegeben.
Ich erkläre zu a): Meine Darstellung der Außenhilfe stützt sich auf den im Beisein des Abgeordneten Blank formulierten Bericht des EVG-Ausschusses Drucksache Nr. 3900 Seite 108 ff. Zu b): Im Ausschuß ist ausdrücklich verabredet worden, daß die politische Wertung der Arbeitsergebnisse Sache der Plenardebatte sei. Ich habe darüber hinaus nichts bekanntgegeben, was als vertraulich zu behandeln vereinbart war.
Eine weitere, persönliche Erklärung: Meine Ausführungen über den Abgeordneten D r. Tillmanns waren die Antwort auf den Zwischenruf „Ein feiner Agent" laut Protokoll.**)
({0})
Meine Damen und Herren, ich bin leider noch nicht in der Lage, ganz zu schließen. Wir haben auf der Tagesordnung als Punkt 2 stehen:
Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten ({0}) über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Generalvertrag und Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ({1}).
Verzichtet das Haus auf eine Berichterstattung?
({2})
- Ja. Der Antrag des Ausschusses lautet, den Antrag der Fraktion der SPD Drucksache Nr. 3363 als erledigt zu betrachten. Darf ich zur Abstimmung über diesen Antrag kommen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Das ist die überwiegende Mehrheit. Dieser Antrag ist angenommen.
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 11531, 11535 **) Vergl. Seite 11480 B
Wir hatten nach der Tagesordnung als Punkt 3:
Fortsetzung der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Generalvertrag und Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ({3}).
Im einzelnen ist darüber nicht verhandelt worden. Darf ich vorschlagen, in Aussicht zu nehmen, diesen Punkt mit der dritten Beratung der Verträge zu verbinden.
({4})
Die Frage der dritten Beratung
({5})
ist noch nicht geklärt. Darf ich unterstellen, daß die Fraktionen des Hauses mit der Aussetzung der dritten Beratung einverstanden sind und es dem Ältestenrat überlassen, den Termin der dritten Beratung festzusetzen?
({6})
- Herr Abgeordneter Dr. Mühlenfeld!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion sieht sich nicht in der Lage, dem hier vorgeschlagenen Wunsch auf Vertagung der dritten Lesung zuzustimmen. Wir wünschen, daß das Haus einer Entscheidung, zu der es sich bereits vor Wochen und Monaten entschlossen hat - noch gestern -, nicht ausweicht, sondern eine politische Entscheidung trifft, was die Pflicht dieses Hauses ist.
({0})
Mit dieser jetzt beantragten neuen Vertagung der dritten Lesung werden die Schäden, die bereits dadurch entstanden sind, daß wir überaus lange mit der Verabschiedung dieser Verträge gezögert haben - bekanntlich hat meine Fraktion schon im Sommer dieses Jahres die restlose und zügige Verabschiedung der Verträge gefordert -, noch vergrößert. Wir haben schon so viel innen- und außenpolitische Schaden angerichtet, daß wir eine weitere Unsicherheit im deutschen Volk und im Ausland nicht verantworten können. Der Bundestag hat die Pflicht - ich wiederhole das noch einmal -, Entscheidungen zu treffen, aber nicht ihnen auszuweichen. Meine Fraktion lehnt es deshalb ab, dazu beizutragen, daß das Parlament sich gewissermaßen selbst entmannt,
({1})
auch nicht bei aller Anerkennung einer gewissen Notlage, in die die Regierung durch die Advokatenkniffe der Opposition gebracht worden ist. Denn die Opposition hat als erste den politischen Weg verlassen, um mit Hilfe von Paragraphen eine politische Entscheidung zu verhindern oder unwirksam zu machen.
Ich habe weiter im Auftrage meiner Fraktion zu erklären, daß die Fraktion der Deutschen Partei die Entscheidung über die Vertragswerke als eine Angelegenheit von welthistorischer Bedeutung ansieht,
({2})
die insbesondere für die Zukunft des deutschen Volkes und Europas maßgebend sein wird. Die Entscheidung darüber, was in solchem Fall für das deutsche Volk notwendig ist, ist ihrem Wesen nach
({3})
rein politischer Natur. In rechtlicher Beziehung ist dabei für den Bundestag nur das Grundgesetz zu beachten. Daß keine einzelne wesentliche Vereinbarung in den Verträgen gegen eine ausdrückliche Bestimmung des Grundgesetzes verstößt, wissen wir und liegt auf der Hand.
Die Deutsche Partei ist darüber hinaus aber der Überzeugung, daß die Vereinbarung als Ganzes nicht nur mit dem Wortlaut, sondern insbesondere auch mit dem Geist des Grundgesetzes übereinstimmt.
({4})
Das Vertragswerk liegt im Rahmen der im Grundgesetz angebahnten rechtlichen und politischen Entwicklung. Es dient dem Grundziel, die volle Staatlichkeit Deutschlands zurückzugewinnen als gleichberechtigtes Mitglied einer europäischen Gemeinschaft. Deshalb ist die Deutsche Partei nicht bereit, die zum Wohl des deutschen Volkes unerläßliche politische Entscheidung, nämlich hier diese Verträge zu verabschieden, durch spitzfindige Anwendung des Rechts der Paragraphen verwässern und verzögern zu lassen. Sie hält die endgültige sofortige Beschlußfassung des Bundestages für eine zwingende Notwendigkeit. Sie vertraut auch darauf, daß jeder einzelne der höchsten Bundesrichter sich der hohen Verpflichtung, die sein Amt und der mit ihm geleistete Eid ihm auferlegen, stets bewußt sein wird.
Deswegen beantragt meine Fraktion, daß die dritte Lesung dieses Vertragswerkes spätestens in der kommenden Sitzung am 10. Dezember vorgenommen wird.
({5})
Meine Damen und Herren, es liegt der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vor, die dritte Beratung der Vertragswerke auszusetzen. Das ist der weitestgehende Antrag.
({0})
Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Aussetzungsantrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Dieser Antrag ist gegen die Stimmen der Deutschen Partei angenommen worden.
Herr Abgeordneter Dr. Menzel wünscht das Wort zu einer Erklärung gemäß § 36 der Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gemäß § 36 der Geschäftsordnung habe ich folgende Erklärung abzugeben:
Die sozialdemokratische Fraktion des Bundestages hat sich heute mittag mit dem Brief des Herrn Bundesjustizministers Dr. Dehler über den Herrn Bundestagsabgeordneten Dr. Arndt befaßt. Sie hat sich dabei einmütig gegen den Versuch gewandt, politische Gegner durch eine leichtfertige Ehrabschneiderei unschädlich machen zu wollen.
({0})
Einstimmig wurde festgestellt, daß Herr Dr. Arndt nach wie vor das volle Vertrauen der Fraktion besitzt
({1})
und daß die Fraktion sich weitere Schritte gegen jeden Verleumder vorbehalte.
Dies ist der Öffentlichkeit durch eine Pressenotiz mitgeteilt worden.
Als ich heute nachmittag gegen 18 Uhr den vom Herrn Präsidenten aus gesehen rechten Teil des Raumes vor dem Rednerpult betrat, kam der Herr Bundesjustizminister Dr. Dehler auf mich zu und fragte, wie ich dazu käme, ihn der Ehrabschneiderei zu bezichtigen. Ich erwiderte dem Herrn Justizminister, daß ich mich nicht verpflichtet fühlte, hier Rechenschaft zu geben. Daraufhin beschimpfte mich der Herr Justizminister des Bundes mit den Worten: „Sie Schuft!"
({2})
Ohne ein Wort der Erwiderung
({3})
ging ich an Herrn Dehler vorbei, worauf er mir noch einmal die Worte „Sie Schuft" nachrief. Der amtierende Herr Präsident, dem ich den Vorfall mitteilte, glaubte, nichts veranlassen zu können,
({4})
da er von dem Vorfall nichts bemerkt habe. Wenn das richtig ist, könnte das dazu zwingen, auf solche Verunglimpfungen mit handgreiflichen Argumenten zu antworten.
({5})
Ich habe übrigens einen' Augenblick an eine solche handgreifliche Reaktion gedacht,
({6})
habe jedoch dann davon abgesehen, weil ich den Eindruck hatte, daß der Mann, der heute immer noch der oberste Chef der deutschen Justiz ist, sich in einer Verfassung befand, die seine freie Willensbestimmung weitgehend auszuschließen schien.
({7})
Meine Damen und Herren, ich darf einen Satz dazu sagen. In der Erklärung des Herrn Abgeordneten Menzel heißt es: „Wenn das richtig ist". Das bezieht sich offenbar auf die Erklärung des Herrn amtierenden Präsidenten. Ich muß es dem amtierenden Präsidenten, Herrn Professor Schmid, überlassen, dazu Stellung zu nehmen, möchte aber von vornherein doch sagen, daß die Erklärung richtig ist und diese Anzweiflung mir etwas fragwürdig erscheint.
({0})
Der Herr Bundesminister der Justiz wünscht das Wort.
({1})
Meine Damen und Herren! Die Form der persönlichen Erklärung ist kaum geeignet, diesen Tatbestand zu klären. Es geht nicht um persönliche Dinge, es geht nicht um den Herrn Menzel, es geht nicht um den Herrn Arndt, es geht nicht um mich. Es ging in einer sehr ernsten Stunde darum, dem bösen Versuch, das Recht und die Gerichtsbarkeit zu mißbrauchen, entgegenzutreten. Deswegen traf ich den Herrn Arndt! Darum ging es.
({0})
({1})
Was der Herr Menzel hier vorträgt, ist ein Ge-, misch von Dichtung und Wahrheit.
({2})
Meine Damen und Herren, Tatsache ist: Die Sozialdemokratie kann das, was ich festgestellt habe, mit keinem Wort widerlegen. Mit keinem Wort! Sie geht dazu über, in unflätiger Weise zu schimpfen.
({3})
Sie ging dazu über, mir vorzuwerfen, ich hätte jemandem in leichtfertiger Weise die Ehre abzuschneiden versucht.
({4})
Meine Herren, Sie sehen, die Sozialdemokratie legt Gewicht darauf, heute nicht nur politisch geschlagen, sondern auch moralisch geschlagen aus diesem Hause zu gehen.
({5})
Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste, die 243. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 10. Dezember 1952, 13 Uhr 30, und schließe die 242. Sitzung.