Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/3/1952

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 240. Sitzung des Deutschen Bundestags und bitte zunächst um ihre Aufmerksamkeit für die Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.

Heinz Matthes (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001437

Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach: für weitere drei Monate Abgeordneter Tichi wegen Krankheit, für zwei Wochen Abgeordneter Dr. Preusker wegen dienstlicher Inanspruchnahme, für zwei Wochen Abgeordneter Clausen wegen Krankheit, für eine Woche Abgeordneter Fassbender wegen Krankheit, für eine Woche Abgeordneter Freitag wegen dienstlicher Inanspruchnahme.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Ich darf unterstellen, daß das Haus mit der Erteilung des Urlaubs, der über eine Woche hinausgeht, einverstanden ist. - Das ) ist der Fall.

Heinz Matthes (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001437

Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Hilbert, Jacobs, Dr. Semler, Dr. Friedensburg, Dr. Becker ({0}), Dr. Königswarter, Ritzel.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Danke schön! Meine Damen und Herren, wir haben die Praxis, daß wir von Geburtstagen der Mitglieder des Hauses nur dann Notiz nehmen, wenn ein 60. Geburstag oder ein noch darüber hinausgehender gefeiert wird. Herr Vizepräsident Schmid hat diese Übung einmal durchbrochen und muß es sich daher gefallen lassen, daß auch heute das gleiche geschieht. Ich darf ihm zu seinem 56. Geburtstag - die Zahl stimmt ({0}) die herzlichsten Wünsche aussprechen und der Hoffnung Ausdruck geben, daß er in alter Frische seines Amtes und seiner politischen Verantwortung walten kann. ({1}) Ich habe folgendes bekanntzugeben. Der Herr Abgeordnete Dr. Etzel hat unter dem 3. Dezember 1952 mitgeteilt, daß er aus der Bayernpartei und aus der Fraktion der Föderalistischen Union ({2}) im Bundestag ausgeschieden ist. ({3}) Nach dem Ausscheiden des Herrn Abgeordneten Dr. Zawadil aus der FDP-Fraktion schlägt diese Fraktion zur Neuwahl eines Schriftführers den Herrn Abgeordneten Revenstorff vor. Ich darf annehmen, daß das Haus mit dieser' Wahl einverstanden ist. - Das ist der Fall. Damit ist Herr Abgeordneter Revenstorff an Stelle von Herrn Abgeordneten Dr. Zawadil zum Schriftführer gewählt. Ich weise darauf hin, daß die nächste Fragestunde für Mittwoch, den 10. Dezember, 13 Uhr 30 vorgesehen ist. Sperrfrist für eingehende Fragen ist Freitag, der 5. Dezember, 12 Uhr. Im Ältestenrat ist eine Vereinbarung dahin erzielt worden, daß diese Fragestunde diesmal ausnahmsweise auf 90 Minuten erweitert werden soll. Ich bitte, daraus nicht die Folgerung zu ziehen, daß nun um so mehr Fragen eingereicht werden könnten. Dann darf ich in Ergänzung der Tagesordnung entsprechend dem Beschluß der letzten Sitzung vorschlagen, daß wir die Abstimmung über den Bericht des Wahlprüfungsausschusses ({4}) betreffend Feststellung des Erlöschens des Bundestagsmandats des Abgeordneten Dr. Doris ({5}) heute vornehmen. Im Umdruck Nr. 707 Abs. 2 befindet sich der Antrag des Wahlprüfungsausschusses, zu beschließen, daß der Abgeordnete Dr. Dorls an den Arbeiten des Deutschen Bundestages so lange nicht teilnehmen kann, bis die Entscheidung Rechtskraft erhält. Ich weise darauf hin, daß der Beschluß, soweit er sich auf die sofortige Maßnahme wegen der Teilnahme an den Sitzungen bezieht, einer Zweidrittelmehrheit der Mitglieder des Bundestages bedarf. Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Wahlprüfungsausschusses. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrage des Wahlprüfungsausschusses in dieser Form zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? ({6}) Ich stelle fest, daß der Antrag des Wahlprüfungsausschusses, wenn ich recht sehe, gegen ({7}) vierzehn Stimmen bei einer Enthaltung angenommen worden ist. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit ist erreicht. Ich weise weiter darauf hin, daß aus technischen Gründen zu der Beratung der Verträge die folgenden Drucksachen nicht nochmals in die Mappen der Mitglieder des Hauses gelegt worden sind: Drucksache Nr. -3500, zu 3500, Nachgang zu 3500 und Nr. 3501. Die Damen und Herren Abgeordneten haben diese Drucksachen bereits erhalten. Im übrigen werden die amtlichen Mitteilungen wie üblich ohne Verlesung in das Protokoll aufgenommen. Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 27. November 1952 über die Schritte der Regierung zu dem Beschluß des Deutschen Bundestages in seiner 236. Sitzung betreffend Weihnachtsbeihilfen berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3920 vervielfältigt. Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 25. November 1952 zu dem Beschluß des Deutschen Bundestages in seiner 155. Sitzung betreffend Beschäftigung Schwerbeschädigter bei den Bundesdienststellen eine ({8}) dritte Übersicht übersandt, die als Drucksache Nr. 3921 vervielfältigt wird. Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amtes hat unter dem 2. Dezember 1952 die Kleine Anfrage Nr. 303 der Fraktion der CDU/CSU betreffend den Zwischenfall an der deutsch-französischen Grenze bei Schweigen ({9}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3924 vervielfältigt. Ich rufe auf: 1. Zweite und dritte Beratung der Entwürfe eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 26. Mai 1952 über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten mit Zusatzverträgen, eines Gesetzes betreffend das Abkommen vom 26. Mai 1952 über die steuerliche Behandlung der Streitkräfte und ihrer Mitglieder ({10}). ({11}), eines Gesetzes betreffend das Protokoll vom 26. Juli 1952 über die Erstreckung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts auf Streitigkeiten aus dem am 26. Mai 1952 in Bonn unterzeichneten Abkommen über die steuerliche Behandlung der Streitkräfte und ihrer Mitglieder ({12}) ({13}), eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 27. Mai 1952 über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und be- treffend den Vertrag vom 27. Mai 1952 zwischen dem Vereinigten Königreich und den Mitgliedstaaten der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, eines Gesetzes betreffend das Abkommen vom 27. Mai 1952 über die Rechtsstellung der Europäischen Verteidigungsstreitkräfte und über das Zoll- und Steuerwesen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ({14}) ({15}); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten ({16}) ({17}); 2. Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten ({18}) über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Generalvertrag und Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ({19}); 3. Beratung des Antrages der Fraktion der SPD betreffend Generalvertrag und Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ({20}). Bevor wir in die Beratung eintreten, wünscht Herr Abgeordneter Renner das Wort zur Geschäftsordnung.

Heinz Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001823, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestützt auf § 26 Abs. 4 der Geschäftsordnung beantragen wir, den Punkt 1 der heutigen Tagesordnung, „Zweite und dritte Beratung der Entwürfe eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 26. Mai 1952 über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten mit Zusatzverträgen", von der Tagesordnung abzusetzen. Wir beantragen ferner, daß dem Bundestag sofort die bisher vor ihm geheimgehaltenen Geheimverträge ({0}) und geheimen schriftlichen Abmachungen bekanntgegeben werden. Lassen Sie mich in letzter Minute zu diesem von uns gestellten Antrag ein Wort sagen. Vor einigen wenigen Tagen hat der französische Außenminister, Monsieur S c h u m a n, in Paris in einer öffentlichen Kundgebung erklärt: Es liegen keine Anzeichen, es liegt kein Beweis für die Absicht einer Aggression seitens der Sowjetunion vor. Der Senatspräsident des belgischen Senates Monsieur Paul S t r u y e hat vor einigen Tagen erklärt: In der derzeitigen Fassung gibt es kaum eine Aussicht auf Ratifizierung des Vertragswerkes durch das belgische Parlament. Warum nun für uns dieses Eilbedürfnis? Ohne Kenntnis der Geheimverträge, die existieren und die durch Ihr Lachen nicht aus der Welt geschafft werden können, ({1}) ohne Klärung, ob Zusatzverträge, ob Änderungsanträge gestellt werden, die sowohl das französische wie das belgische und das holländische Parlament zur Wahrung der eigenen nationalen Interessen für dringend notwendig erachten, sollen wir, soll das Volk Westdeutschlands diesen Schandvertrag mit Haut und Haaren schlucken. Unsere deutsche Jugend, die Menschen Westdeutschlands, ({2}) das Material unseres Landes sollen dem Moloch Krieg geopfert werden.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Herr Abgeordneter Renner, Sie haben das Wort zur Geschäftsordnung, nicht zur Sache. Ich bitte Sie, zur Geschäftsordnung zu sprechen.

Heinz Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001823, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Ich habe nur noch einen Satz zu sagen; dann bin ich fertig. Warum dieses Eilbedürfnis? Weil unser Volk dem Moloch Krieg geopfert werden soll. Unser Volk will aber Frieden, unser Volk will die Einheit, ({0}) und unser Volk will eine andere Politik als die Adenauer-Politik und die, die Sie zu betreiben beabsichtigen.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Zur Geschäftsordnung hat das Wort Herr Abgeordneter Loritz. ({0}) Loritz ({1}): Meine Damen und Herren! Der außerordentlich wichtige Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten liegt den allermeisten von Ihnen erst seit Montagmittag bzw. Montagnachmittag vor. Er wurde - ich habe mich genau darüber informiert - im Laufe des Sonntags hier von der Amtsstelle des Deutschen Bundestages zur Post gegeben und konnte schon aus diesen Gründen gar nicht vor Montagmittag bzw. Montagnachmittag in den Händen der zahlreichen Abgeordneten sein, die ({2}) 1 weit entfernt von Bonn im Norden und Süden unseres Landes wohnen. Meine Damen und Herren, der Schriftliche Bericht umfaßt rund 140 Seiten, zweispaltig eng gedruckt, wie Sie alle wissen. Rechnen Sie sich bitte aus, wie lange Sie brauchen, wenn Sie für eine Seite Durchlesen - nur sorgfältig Durchlesen! - des Berichts nur 15 Minuten notwendig haben. ({3}) --- Wenn Sie ihn herunterleiern, meine Herren, ({4}) brauchen Sie bereits fünf Minuten pro Seite! Sie können dieses Beispiel jederzeit an sich selbst durchexerzieren. ({5}) Wenn Sie ihn einigermaßen durcharbeiten wollen, brauchen Sie 15 Minuten für die Seite; in Wirklichkeit zerfällt sie in zwei Halbseiten. Das macht bei rund 140 Seiten des Berichts bei 15 Minuten Dauer für eine ganze Seite ({6}) - nebenbei bemerkt: im großen DIN-Format die Seite! - allein schon 35 Stunden aus! ({7}) Sie haben diese Zeit schon rein technisch nicht zur Verfügung gehabt; denn länger als 10 Stunden pro Tag hält's wohl keiner beim Durchlesen dieses Schandvertrags aus. ({8}) Meine Damen und Herren, schon aus diesen Gründen kann, wenn Sie gut gesinnt sind zu unserem Volk, die heutige Beratung nicht stattfinden. Die Bestimmung in der Geschäftsordnung, daß solche Berichte mindestens am zweiten Tag vor der Beratung den Abgeordneten vorliegen müssen, ist eine Mindest-Vorschrift und bezieht sich offenbar nicht auf so lange und so schwierige Berichte, wie ihn der Bericht über den Generalvertrag und den EVG-Vertrag darstellt. Jeder von Ihnen will doch hoffentlich an Hand des Textes des EVG-Vertrags und des Generalvertrags, an Hand der juristischen Gutachten, die wir von namhaften Professoren Deutschlands bekommen haben, an Hand aller möglichen sonstigen Quellen diesen Bericht durcharbeiten. Meine Damen und Herren, das können Sie nicht und das konnten Sie bis jetzt nicht, rein technisch nicht; 35 Stunden haben Sie ja bis jetzt noch gar nicht tatsächilch zur Verfügung gehabt! ({9}) Der größte Teil der Abgeordneten dieses Hauses ({10}) hat diesen Bericht vorher nicht gekannt! In dem Ausschuß für Außenpolitik sitzt nur ein verschwindend geringer Bruchteil der Mitglieder diese Hauses. Rund neun Zehntel der Mitglieder dieses Hauses sind nicht in diesem Ausschuß. Schon aus diesen Gründen muß es heute zu einer Vertagung kommen. Wollen Sie vor dem deutschen Volk vielleicht den Vorwurf auf sich nehmen, ({11}) daß Sie über diese entscheidend wichtige Angelegenheit heute beraten und entscheiden wollen, ohne daß Sie auch nur den Bericht haben richtig durcharbeiten können? Ich bitte die Mitglieder des Hauses, von jeder Seite des Hauses, mich zu unterstützen, wenn ich hiermit den Antrag auf eine Vertagung, wenigstens noch eine kurzfristige Vertagung, stelle, damit jeder von Ihnen den unendlich wichtigen Bericht auch durcharbeiten kann, diesen Bericht, dessen Schwierigkeit jedem Gutgesinnten allein beim Lesen bereits auffällt, ({12}) einen Bericht, der juristisch und tatsächlich und wirtschaftlich und politisch gesehen die höchsten Anforderungen an jeden stellt, der ihn durcharbeiten muß. Einen solchen Bericht dürfen Sie in seiner Bearbeitung und Auswertung nicht überstürzen! Wenn Sie es gut meinen, wenn Sie hier die Entscheidung wohl überlegt treffen wollen, müssen Sie eine Vertagung bewilligen. Ich stelle deswegen den Antrag - ich weiß, daß dazu noch mehr Stimmen notwendig sind, und bitte deshalb um Unterstützung -, die zweite Lesung wenigstens auf die nächste Woche verschieben zu wollen, unbeschadet meiner nach wie vor bestehenden Auffassung, daß eine Beratung dieser Verträge zur Zeit überhaupt unterbleiben sollte!

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Meine Damen und Herren, ich weise darauf hin, daß die in § 80 Abs. 1 der Geschäftsordnung vorgeschriebene Frist gewahrt ist. Der Antrag auf Vertagung der vorliegenden Tagesordnung müßte von mindestens 30 anwesenden Abgeordneten gestellt werden. Er ist von Herrn Abgeordneten Loritz allein gestellt worden. ({0}) - Das sind zusammen 15. ({1}) - Meine Damen und Herren, ich habe keine Veranlassung, die Stimmen von mir aus zusammenzubringen, indem ich frage, sondern Anträge sind zu stellen von d e r Zahl der Abgeordneten, die nach der Geschäftsordnung dafür vorgesehen ist. ({2}) Ich habe zunächst abzustimmen über den Antrag, den Herr Abgeordneter Renner gemäß § 26 Abs. 4 der Geschäftsordnung gestellt hat, diesen Punkt von der Tagesordnung abzusetzen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das zweite ist die Mehrheit. Der Antrag des Herrn Abgeordneten Renner ist abgelehnt. Der Antrag des Herrn Abgeordneten Loritz ist nicht hinreichend unterstützt. ({3}) Meine Damen und Herren, wir treten in die Behandlung des Punktes 1 der Tagesordnung ein. ({4}) Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Pünder. ({5}) ({6}) - Meine Damen und Herren, durch Lautstärke werden die geschäftsordnungsmäßigen Fragen nicht entschieden. ({7}) Meine Damen und Herren, ich weise Sie darauf hin, daß der Ältestenrat sich dahingehend verständigt hat, Ihnen vorzuschlagen, die allgemeine Aussprache über die vorliegenden Gesetzentwürfe bei der zweiten Beratung vorzunehmen und sich nach Ende der zweiten Beratung darüber zu verständigen, wie bei der dritten Beratung verfahren werden soll. ({8}) - Das Wort zur Geschäftsordnung erteile ich nach meinem Ermessen. Ich erteile es Ihnen, nachdem ich es Ihnen einmal erteilt habe, nun nicht mehr. ({9}) Ich habe Ihnen vorzuschlagen, daß die Dauer dieser allgemeinen Besprechung in der zweiten Beratung 16 Stunden betragen soll. Darf ich mich vergewissern, daß das Haus damit einverstanden ist? ({10}) - Das ist der Fall. ({11}) - Herr Abgeordneter Renner, wenn Sie dauernd unterbrechen, werde ich mich zu anderen geschäftsornungsmäßigen Maßnahmen veranlaßt sehen. ({12}) Ich trete ein in die Erledigung der Punkte 1, 2 und 3 der Tagesordnung. Berichterstatter des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten ist Herr Abgeordneter Dr. Pünder. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen. Dr. Pünder ({13}), Generalberichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Vorspiel, das wir soeben erlebt haben, darf ich als Generalberichterstatter über den Deutschland-Vertrag mir vielleicht eine Eingangsbemerkung erlauben. Vor 14 Tagen hat in diesem Hohen Hause, als wir zum erstenmal über den Termin der heute beginnenden Beratungen sprachen, Herr Abgeordneter S c h o et t l e mit vollem Recht darauf hingewiesen, daß dies hier die wichtigste Entscheidung sei, die dieses Hohe Haus in seiner ganzen Legislaturperiode zu treffen habe. Der Herr Abgeordnete Dr. Reismann hat in dem gleichen Sinne gesagt, daß dies überhaupt d i e Entscheidung des Bundestages sei. Es ist wohl derselbe Gedanke, den die Bundesregierung dahin ausgedrückt hat, daß dieser Deutschland-Vertrag mit seinen Zusatzverträgen - ({14}) Ich weiß nicht, Herr Präsident, ob der Herr Abgeordnete Dr. Baade zu dieser Bemerkung, die mehr als ein Zwischenruf ist, die Berechtigung hat. Ich werde mir erlauben, in meinem Bericht, den ich mit höchster Objektivität abgeben werde, ({15}) gerade auf diesen Punkt, verehrter Herr Kollege Baade, zurückzukommen. Ich wäre Ihnen deshalb sehr dankbar, wenn Sie mich in Ruhe anhören wollten. ({16}) Ich darf fortfahren und feststellen: ganz im Sinne dessen, was mit Recht Herr Schoettle und Herr Reismann gesagt haben, hat auch die Bundesregierung diesen gesamten großen politischen Komplex dahin zusammengefaßt - ob wir nun negativ oder positiv zu ihm stehen -, daß es ein Stück Weltgeschichte ist, das hier augenblicklich beginnt. ({17}) - Ob Sie negativ oder positiv stehen, die Tatsachen stehen fest. Es sind also Entscheidungen von ungeheurer Wichtigkeit und auch Verantwortung, vor denen wir alle stehen. Von dieser Erkenntnis waren auch die Beratungen in unserem Auswärtigen Ausschuß von Anfang bis zu Ende getragen, von Sachlichkeit, von Achtung vor der Auffassung des anderen und von gewissenhafter Arbeit. Insbesondere war auch die Leitung des Auswärtigen Ausschusses sowohl im Vorsitz als auch im stellvertretenden Vorsitz von vorn bis Ende fair, umsichtig und loyal. So darf ich, wie gesagt, als Generalberichterstatter über den Deutschland-Vertrag ({18}) den warmen Appell an uns alle richten, in gleicher Gesinnung zu verfahren. Mögen wir alle in jedem Augenblick, ob wir negativ oder positiv stehen, in unseren mehrtägigen Beratungen dessen eingedenk sein, daß in diesen Tagen mehr denn je das ganze deutsche Volk und nicht zuletzt auch die deutsche Jugend und weit darüber hinaus die gesamte Weltöffentlichkeit hier auf unseren Bundestag schaut ({19}) - nein, wir schicken sie gar nicht fort -, auf unseren Bundestag schaut und hört. Möge deshalb in jedem Augenblick erkennbar sein, daß wir in Wahrheit Vertreter eines neuen, demokratisch ausgerichteten Deutschland sind. ({20}) Vor Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, liegt die umfangreiche Drucksache Nr. 3900 mit 138 eng gedruckten Seiten, denen wir der besseren Übersicht halber noch ein Inhaltsverzeichnis und eine knappe Erläuterung der Berichterstattung, eine Art Rahmenbericht, vorangestellt haben. Der anschließende, von mir im Auftrag des Auswärtigen Ausschusses vorgelegte Generalbericht *) bezieht sich nur auf den vorhin erwähnten Deutschland-Vertrag ({21}) der Drucksache Nr. 3500. Das kleine Wörtchen „nur" soll keineswegs eine sachliche Verkleinerung bedeuten. Ganz im Gegenteil, selbst für den wärmsten Befürworter des EVG-Vertrages dürfte dieser *) Siehe Anlage Seite 11167. ({22}) Deutschland-Vertrag im Vordergrund stehen und der Ausgangspunkt von allem sein. ({23}) Generalbericht ist ein etwas volltönendes und anspruchsvolles Wort. Aber der mir vom Auswärtigen Ausschuß gegebene Auftrag besteht im wesentlichen nur darin, in ganz großen Umrissen den allgemeinen Rahmen abzustecken, in den die anschließenden Einzelberichte einzufügen sind. Nach mir wird ja wohl noch eine große Anzahl von Einzelberichterstattern das Wort nehmen, so daß wir Berichterstatter alle zusammen schon beinahe, wie man anderswo zu sagen pflegt, ein „abendfüllendes Programm" darstellen. ({24}) Deshalb gilt mehr denn je: In der Kürze liegt die Würze! ({25}) - Nein! Die Dinge sind mir dazu viel zu ernst. Deshalb habe ich auch versucht; in knapp 7 Druckseiten das Wichtigste festzuhalten. In der Kürze liegt die Würze! ({26}) - Das ist keine Karnevalsrede, lieber Kölner Kollege da hinten; wir kennen uns doch noch ganz gut von früher. Ich beabsichtige nun nicht, Ihnen lange Passagen aus diesem meinem knappen Generalbericht vorzulesen. Ich gebe mich nämlich der angenehmen Hoffnung hin, daß doch die meisten von Ihnen in Ihrem großen Pflichtempfinden und trotz der großen Überlastung von uns allen mehr als einen Blick hineingeworfen haben und recht genau Bescheid wissen, was in dieser Drucksache alles enthalten ist. Ich hoffe, daß sich auch die folgenden Berichterstatter entsprechend verhalten werden. Wie schon die umfangreiche Drucksache Nr. 3900 ein Stück echter deutscher Gründlichkeit ist, so war es auch mit dem Beschluß, den wir hier im Hohen Hause seinerzeit faßten, als wir dieses Vertragswerk nicht nur dem federführenden Auswärtigen Ausschuß, sondern noch sechs weiteren Ausschüssen überwiesen haben. Diese an sich sachlich verständliche gleichzeitige Überweisung an so viele andere Ausschüsse erwies sich im Laufe der Beratungen oft als recht mißlich; zeitliche Überschneidungen von Sitzungen und gleichzeitige Inanspruchnahme von vielen Abgeordneten durch verschiedene Ausschüsse waren die Folge. ({27}) - Verzeihen Sie, Herr Mellies, ich glaube, was ich feststelle, ({28}) war die Auffassung des Auswärtigen Ausschusses und auch die des gerade die Treppe hinaufsteigenden Herrn Vizepräsidenten Professor Schmid; ich habe also hier nur eine ganz objektive Feststellung getroffen. Allgemein bekannt ist, daß der materielle Inhalt des gesamten Vertragswerkes nicht in den Gesetzentwürfen selber enthalten ist, sondern in ihren Anlagen. Die Gesetzentwürfe selber kann ich in aller Kürze abmachen. ({29}) - Jawohl, das tue ich auch, und ich sage Ihnen auch sofort, weswegen: Die Gesetzentwürfe in den Anlagen 1 und 5 enthalten nämlich, wie bei solchen internationalen Verträgen üblich, nur in drei kurzen Artikeln die formell notwendigen Dinge: Art. 1 erklärt die Zustimmung, Art. 2 regelt die Veröffentlichung, und Art. 3 legt den Tag der Inkraftsetzung fest. Also das sind tatsächlich formelle Dinge, über die sich niemand aufzuregen braucht. Wir haben an diesem formellen Gesetzentwurf, wie Sie auf der letzten Seite nachlesen können, eine kleine Änderung formeller Art in den Artikeln 2 und 3 vornehmen müssen, und zwar der besseren Präzisierung wegen, damit klar ist, was durch dieses formelle Gesetz insgesamt gedeckt werden soll. Als zuverlässiger Chronist mußte ich schriftlich und muß ich heute auch mündlich die vorläufige Stellungnahme des Bundesrates vor Ihnen erwähnen. Die Stellungnahme des Bundesrates finden Sie gleichfalls in der Drucksache, und zwar als Anlage 8. In dieser Stellungnahme führt der Bundesrat aus, die ihm zur Verfügung stehende Frist sei bei dem Umfang und der Bedeutung der Materie zu kurz gewesen, um eine abschließende Stellungnahme auszuarbeiten. Zum Sachlichen stellt er fest, nach dem Ergebnis seiner Prüfung bedürfe das gesamte Vertragswerk noch der Zustimmung des Bundesrates. Außerdem befaßt sich der Bundesrat in seiner vorläufigen Stellungnahme noch mit dem bekannten Problem des Bundesverfassungsgerichts und erklärt es für nötig, seinerseits dessen Stellungnahme abzuwarten. Abschließend hat deshalb der Bundesrat am 20. Juni seine endgültigen Beschlüsse bis zum sogenannten zweiten Durchgang zurückgestellt. Meine Damen und Herren, über die Bedeutung der allgemein bekannten Klausel „ne varietur" brauche ich im Hohen Hause keine langen Ausführungen zu machen. Es ist allgemein bekannt, was das bedeutet. ({30}) Der Bundestag kann nur eine einzige Entscheidung zu dem gesamten Vertragswerk treffen, nämlich es anzunehmen oder abzulehnen; die Möglichkeit von Änderungsvorschlägen ist ihm nicht gegeben. Der Auswärtige Ausschuß hat aber in voller Einmütigkeit eine sachliche Überprüfung des gesamten Vertragswerkes für angezeigt gehalten. Nach seiner einmütigen Auffassung wäre es vor dem ganzen deutschen Volk nicht zu verantworten gewesen, wenn sich der Bundestag als seine berufene Vertretung trotz des anerkannten Grundsatzes „ne varietur" nicht eine sorgfältige Grundlage für seine letzte politische Willensbildung geschaffen hätte. Bei dem in die vielen Hunderte von Paragraphen, Artikeln, Anlagen usw. gehenden Vertragswerk hätte diese sachliche Überprüfung natürlich noch über einen weit größeren Zeitraum erstreckt werden können. Es ist deshalb verständlich, daß über diese Frage keine einmütige Auffassung im Auswärtigen Ausschuß erzielt werden konnte. Vielmehr hat der Ausschuß schließlich mit Mehrheit den zeitlichen Umfang dieser sachlichen Überprüfung festgelegt, bei der Festlegung dieser Beschränkung aber zugleich betont, daß darunter die Sachlichkeit der Überprüfung keineswegs gelitten habe. ({31}) ({32}) Ich kann nun etwas Erfreuliches, allseits Erfreuliches feststellen ({33}) - jawohl! -, daß nämlich erstmalig wieder bei diesem Vertragswerk die deutsche Sprache als gleichberechtigte Amtssprache anerkannt worden ist. ({34}) - Sie mögen darüber lachen; Sie kennen die Dinge vielleicht nicht so genau. Immerhin, es ist ein bemerkenswerter Vorgang. Ich habe mich jedenfalls für verpflichtet gehalten, darauf hinzuweisen. Es heißt ausdrücklich an einer Stelle, daß alle drei Fassungen, also die deutsche, englische und französische, „gleichermaßen authentisch sind". ({35}) So erfreulich diese Feststellung ist, so darf ich als Chronist doch nicht verschweigen, daß nach unser aller Auffassung im Ausschuß die deutschen Vertragstexte vielfach die nötige Klarheit und Reinheit der Sprache vermissen lassen. . ({36}) Mit Einzelheiten hierzu will ich Sie in der Debatte nicht aufhalten, könnte aber auf Wunsch mit einigen Stilblüten aufwarten. Dieses große Vertragswerk enthält, wie das bei solchen internationalen und supranationalen Verträgen die Regel ist, eine Präambel. Diese Präambel haben wir im Auswärtigen Ausschuß wegen ihrer nach unser aller Meinung großen Bedeutung recht genau überprüft, da in ihr zweifellos die Grundsätze des ganzen Vertragswerks in klarer Weise umrissen sind. An sich wäre der Einwand zutreffend, und es ist auch anerkanntes Recht, daß eine Präambel nicht zum Gesetzesinhalt, im vorliegenden Falle zum Vertragsinhalt, gehört. Trotzdem kommt einer solchen Präambel eine hohe poist Bedeutung zu, denn sic t den Motiven zu Gesetzentwürfen vergleichbar und damit eine wertvolle Fundgrube für alle späteren Auslegungen. ({37}) In sieben Punkten haben nun die vier vertragschließenden Mächte die Ziele und Zwecke des Vertragswerks in der Präambel zusammengefaßt. Diese sieben Punkte habe ich, ihrer Bedeutung entsprechend, in meinem schriftlichen Generalbericht - auf der vierten Seite, wenn Sie es nachlesen wollen - verhältnismäßig eingehend behandelt, so daß ich mich im Augenblick auf wenige zusammenfassende Stichworte beschränken darf: ({38}) Die Schaffung einer blühenden europäischen Völkergemeinschaft, und zwar auf friedlichem Wege, die Notwendigkeit der Integrierung der Bundesrepublik auf der Grundlage der Gleichberechtigung, die Wiederherstellung eines völlig freien und vereinten Deutschland, und zwar auch auf friedlichem Wege, die Herbeiführung eines frei vereinbarten Friedens und die Unvereinbarkeit des bisherigen Besatzungsstatuts mit diesen Zielen. Ferner bekräftigen in dieser Präambel die drei Westmächte ihren Entschluß, sich in der Bundesrepublik nur noch diejenigen Rechte vorzubehalten, deren Beibehaltung im Hinblick auf die Besonderheiten der Lage Deutschlands im gemeinsamen Interesse aller vier Unterzeichnerstaaten erforderlich sei. Schließlich erkennen sie an, daß sich die Bundesrepublik auf Freiheit und Verantwortlichkeit gerundete politische Einrichtungen geschaffen habe und entschlossen sei, die im Grundgesetz verankerte freiheitlich-demokratische und bundesstaatliche Verfassung, welche die Menschenrechte gewährleistet, aufrechtzuerhalten. ({39}) - Sie müssen gut hinhören; dann würden Sie gehört haben, daß ich genau das Gegenteil gesagt habe! ({40}) Die Generaldebatte, die sich nun an die Erörterung der Präambel anknüpfte, habe ich auch im Schriftlichen Bericht erläutert. In dieser Debatte hat der Herr Bundeskanzler mehrfach in ähnlicher Weise das Wort ergriffen wie bei der ersten Lesung und bei anderen öffentlichen Gelegenheiten, ebenso Herr Staatssekretär Dr. Hallstein, dem ich übrigens von mir aus gute Besserung wünschen möchte. ({41}) Auch andere maßgebliche deutsche Unterhändler am Vertragswerk haben die Zielsetzungen des Deutschland-Vertrags noch eingehend erläutert. Der Herr Bundeskanzler und seine Mitarbeiter haben hierbei betont, daß solche Lösungen sieben Jahre nach dem Zusammenbruch ohne die Gefahren der weltpolitischen Lage unmöglich gegewesen wären. Wenn die Bundesregierung sich zu diesen Vereinbarungen mit der westlichen Welt bereitgefunden habe, habe sie dabei treuhänderisch auch für die Deutschen in der Sowjetzone gehandelt. Dies solle gerade ({42}) - verehrter Herr Kollege Baade - durch die Bezeichnung Deutschland-Vertrag deutlich werden, ({43}) da es sich eben um das Wohl von ganz Deutschland handle. Diese Bemerkung steht in meinem Bericht, denn wir haben im Auswärtigen Ausschuß gerade auch darüber gesprochen. Ich bin daher als ob-j ektiver Berichterstatter durchaus berechtigt gewesen, diese Formulierung hier zu gebrauchen. ({44}) Die bisherigen Besatzungsmächte der Bundesrepublik wurden, wie der Herr Bundeskanzler und seine Vertreter im Ausschuß ausführten, durch den Vertrag zu Mitverteidigern und ihre Besatzungstruppen zu Verteidigungstruppen. Der Deutschland-Vertrag liquidiere in seinem Gebiet zwischen der Bundesrepublik und den drei Besatzungsmächten den Krieg und das Besatzungsregime und sei völkerrechtlich ein vorläufiger Ersatz für den künftigen Friedensvertrag. Nur aus der Zwangslage heraus seien gewisse Souveränitätsvorbehalte der Westmächte im Deutschland-Vertrag zu verstehen. Besonders wies die Bundesregierung auf den Absatz 3 der Präambel hin, durch den die Wiederherstellung eines völlig freien und vereinten Deutschland auf friedlichem Wege das grundlegende und gemeinsame Ziel auch der drei Westmächte sei. Zwar hätten diese, so führte die Bundesregierung aus, in den letzten Jahren mehrfach die Wiedervereinigung Deutschlands als Ziel auch ihrer Politik hingestellt. Aber im Deutschland-Vertrag erscheine jetzt dieses Ziel nicht mehr nur als eine einseitige politische Erklärung, die jederzeit ({45}) abgeändert werden könne, sondern sie sei nunmehr zum Gegenstand einer vertraglichen Vereinbarung geworden. In diesem Zusammenhang hat der Herr Bundeskanzler in der Ausschußberatung noch auf einen weiteren Punkt, den er als bedeutsam bezeichnete, hingewiesen: Ohne dieses Vertragswerk könne auch in Zukunft, ohne Befragung der Bundesrepublik, eine Einigung der vier Besatzungsmächte auf Kosten Deutschlands erfolgen, und der Rückgriff auf Potsdam und Jalta wäre möglich, welch große Gefahr nunmehr aber nach Zustandekommen des Vertragswerks beseitigt werde. Die Schilderung des weiteren Verlaufs der Aussprache im Auswärtigen Ausschuß steht in meinem Schriftlichen Bericht, auf den ich auch hier verweisen darf. Unsere Auffassung war einmütig - das erkläre ich mit aller Deutlichkeit -, daß die Vertragstexte dem Verständnis mancherlei Schwierigkeiten bereiten. ({46}) - Gewiß, „Hört! Hört!"! Sie sehen daraus, daß ich hier in voller Objektivität berichte. ({47}) Diese Schwierigkeiten beruhen nicht nur darauf, daß die vielfach erst im Krompromißwege gefundenen Formulierungen in ihren ersten Ansätzen auf ganz verschiedenen Rechtssystemen beruhen. Hinzu kommen begreiflicherweise auch Schwierigkeiten sachlicher Art. Denn es handelt sich in dem Vertragswerk ja im großen gesehen nicht darum, daß von heute auf morgen sofort in vollem Umfang ) neue Rechtsverhältnisse geschaffen werden. Zwar löst das Vertragswerk das Besatzungsstatut ab; aber gewisse, nicht unwichtige Vorbehaltsrechte bleiben aufrechterhalten. ({48}) Schon dieser Tatbestand allein - das haben wir allgemein anerkannt, auch die Bundesregierung - läßt für die Übergangszeit, wo infolgedessen immer wieder neue Fragen auftauchen werden, die nicht sofort und erst recht nicht heute beantwortet werden können, noch manches offen und ungeklärt erscheinen. Dieser Tatbestand, der ganz elementar vor uns liegt, wird dadurch nicht einfacher, daß die Gegenseite viele ihrer unter dem Besatzungsregime getroffenen Maßnahmen auch für die nächste Folgezeit noch gesichert zu sehen wünschte. Solche Überlegungen führten im Auswärtigen Ausschuß zu der Erkenntnis, daß noch viele Einzelheiten des Vertragswerks im künftigen praktischen Vollzug für die Auslegung offenbleiben werden. An vielen Einzelbestimmungen des Vertrags, auch des Deutschland-Vertrags, wurde deshalb in den Ausschußberatungen nicht nur von seiten der Opposition Kritik geübt. Ich habe das auch in dem Schriftlichen Bericht betont. Bei den Vertretern der Regierungskoalition - das ist nun allerdings der große Unterschied - herrschte aber durchaus die Meinung vor, daß Ziel und Möglichkeiten des Vertragswerkes, nämlich die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit in einem vereinten Europa, weit bedeutsamer als die Feststellung noch so vieler Unschönheiten und Unklarheiten im einzelnen seien und daß deshalb das vorliegende Vertragswerk im großen gesehen doch wohl das Höchstmaß dessen darstelle, was im Augenblick zu erreichen gewesen sei. ({49}) Die Auffassung der Vertreter der Opposition in unserem Ausschuß war dem entgegengesetzt. Auch von ihnen wurde - und zwar, das erkläre ich mit aller Deutlichkeit, mit gleichem Nachdruck - die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit in einem vereinten Europa als oberstes Ziel der deutschen Außenpolitik anerkannt. Jedoch bezeichneten sie das vorliegende Vertragswerk als zur Erreichung dieses Zieles wenig geeignet. Die Opposition glaubte insbesondere auch darauf hinweisen zu müssen, daß die Erklärungen, die das deutsche Volk bisher mit Vorleistungen der Bundesregierung gemacht habe, für die Zukunft nach Verabschiedung des Deutschland-Vertrags wenig ermutigend seien. Im gesamten Vertragswerk seien die echten Leistungen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, zu unseren L a s t en gegangen, und die deutsche Wiedervereinigung sei zwar das allseitig erstrebte Ziel, aber durch das Vertragswerk laufe Deutschland Gefahr, der Ausweglosigkeit zuzutreiben. In meinem schriftlichen Generalbericht habe ich darauf hingewiesen, daß dieser fundamentale Gegensatz in den Auffassungen der Koalitionsvertreter und der Oppositionsvertreter sich nicht hat überbrücken lassen, daß im 'Gegenteil 'bei den anschließenden Wochen- und monatelangen Einzelberatungen der Verträge und ihrer Anhänge im Auswärtigen Ausschuß diese Gegensätze immer deutlicher zutage getreten sind, wie das ja auch die folgenden Einzelberichte noch erweisen werden. Auch über zwei andere Fragen haben wir im Auswärtigen Ausschuß keine Einigkeit erzielen können. Das eine ist die bereits vorhin kurz gestreifte Frage, das Problem des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Während die Koalitionsvertreter bei aller Achtung vor diesem obersten deutschen Gerichtshof es keineswegs für geboten erachteten, die dem Bundestag 'zustehende politische Entscheidung 'zeitlich hinter die juristische Stellungnahme dieses Gerichtshofes zu verlegen, war die Opposition gerade umgekehrter Auffassung. Auch in bezug auf das Saarproblem - das ist das zweite Problem - haben wir keine einheitliche Auffassung erzielen 'können. Wir haben auch dieses Problem im Ausschuß erörtert; aber die Frage, ob die Saarverhandlungen es notwendig erscheinen lassen, das Vertragswerk zurückzustellen, wurde von der Mehrheit verneint. Damit, meine verehrten Damen und Herren, bin ich am Schluß meines einleitenden Generalberichts angelangt. Am 27. November dieses Jahres hat der Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten, der nun wohl bald diese seine ebenso langatmige wie unwürdige Bezeichnung ablegen kann und sich ganz simpel „Auswärtiger Ausschuß" nennen wird, mit Mehrheit den Beschluß gefaßt, mit den von mir eingangs erwähnten formellen kleinen Ergänzungen dem Deutschland-Vertrag zuzustimmen. Sie finden diesen Antrag auf Seite 134 der Ihnen vorliegenden Drucksache. Schließlich darf ich das Hohe Haus auch noch auf die fünf Gruppen von Entschließungen auf den Seiten 136 bis 138 aufmerksam machen, die der Ausschuß gleichfalls Ihrer Annahme empfiehlt. ({50})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Zweiter Generalberichterstatter ist Herr Abgeordneter Professor Dr. Wahl. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen. Dr. Wahl ({0}), Generalberichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir fällt die Aufgabe zu, über die Ergebnisse der Arbeiten des Auswärtigen Ausschusses bei der Auslegung der einzelnen Bestimmungen des Vertrages zu berichten, nachdem Herr Dr. Pünder bereits die Präambel kurz erläutert hat. Wie Herr Dr. Pünder mit Recht hervorgehoben hat, bereitet der Text idem Verständnis besondere Schwierigkeiten, nicht nur deshalb, weil Juristen, die in verschiedenen Rechtssystemen wurzeln, sich auf eine gemeinsame Fassung festlegen mußten, wobei die Gleichberechtigung der beteiligten Sprachen diese Schwierigkeiten nicht vermindert hat, sondern auch deswegen, weil die grundsätzliche Ablösung des Besatzungsstatuts unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung gewisser Vorbehaltsrechte schon in sich außerordentlich vielfältigen Erwägungen Raum gibt. Unter diesen Umständen fiel bei den Ausschußberatungen natürlich der Bundesregierung und ihren Verhandlungsführern eine außerordentlich wichtige Rolle bei der Interpretation der Vertragsbestimmungen zu. Nur sie konnten über die Entstehungsgeschichte der einzelnen Klauseln, über die Ausgangsposition der Gegenseite und das Verhandlungsziel der Bundesregierung berichten, wobei häufig der Text zwischen den entgegengesetzten Standpunkten der Vertragspartner eine mittlere Linie findet. Auch zeigte sich, worauf Herr Kollege Pünder schon hingewiesen hat, daß bei den Vertragsverhandlungen mit den Alliierten nicht alle Fragen schon eindeutig geklärt werden konnten. Es bleibt also noch manches als Auslegungsproblem offen, eine in der Staatenpraxis unvermeidliche Erscheinung, die andererseits für künftige Entwicklungen Raum läßt. Ich erläutere nun die einzelnen Vorschriften. Artikel 1 und 2. Die Bundesrepublik hat volle Macht über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten mit den im Vertrag festgesetzten Ausnahmen. Mit dem Inkrafttreten der Verträge werden die Drei Mächte das Besatzungsstatut aufheben und die Alliierte Hohe Kommission sowie die Dienststellen der Landeskommissariate auflösen. Ihre Beziehungen mit der Bundesrepublik werden sie künftig durch Botschafter unterhalten, die in solchen Angelegenheiten gemeinsam tätig werden, welche die 'Drei Mächte nach diesem Vertrag und den Zusätzen als sie gemeinsam betreffend ansehen werden. Nach der einmütigen Auffassung des Ausschusses bekommt die Bundesrepublik die volle Macht über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten nicht durch Übertragung der bisher in den Händen der Alliierten befindlichen Souveränität, sondern sie wächst ihr dadurch zu, daß die Belastungen wegfallen, die auf der Souveränität Deutschlands und als deren Trägerin auf der Bundesrepublik gelegen haben. Die Souveränität ist ihr kraft ihrer inneren Struktur eigen und hat in der Zwischenzeit geruht, formulierte Staatssekretär Hallstein. Die Folgerungen daraus werden in den Absätzen 2 und 3 gezogen: Aufhebung des Besatzungsstatuts und diplomatischer Verkehr durch Botschafter. 'Die Alliierten hatten zunächst die Einsetzung einer Botschafterkonferenz oder eines Botschafterrates als einer besonderen Institution in Aussicht genommen. Jetzt heißt es nur noch, daß sie in Angelegenheiten, die sie gemeinsam angehen, gemeinsam auftreten. Gemeinsames Auftreten kann ihnen nach diplomatischer Gepflogenheit überhaupt kaum verwehrt werden, wenn es sich um die Verfechtung gemeinsamer Interessen handelt. Darauf haben die Engländer besonders hingewiesen, die in wirtschaftlichen Fragen mit den Benelux-Ländern nur gemeinsame Verhandlungen führen. Trotzdem hat die Klausel ihre besondere Bedeutung, zumal im Hinblick auf die Vorbehaltsrechte des Art. 2, die zunächst erläutert werden sollen. Im Ausschuß wurde klargestellt, daß diese Vorbehaltsrechte durch einseitige Erklärungen der Alliierten aufrechterhalten werden. Sie bestehen nicht auf Grund des Vertrags, sondern sie werden, wie es im englischen Text heißt, "retained", d. h. insoweit bleibt von der Besatzungsgewalt der Alliierten noch etwas übrig. Diese Vorbehaltsrechte sind aber ihrem Wortlaut nach umfassender als nach dem Sinn, der sich aus den Vertragsbestimmungen, den Verhandlungen und dem geschichtlichen Ablauf der Ereignisse seit 1945 ergibt. Die Bundesrepublik erkennt diese Vorbehaltsrechte nicht in dem 'Sinne an, daß sie den Alliierten von der Bundesrepublik erst übertragen würden, sondern sie nimmt sie zur Kenntnis und nimmt sie de facto hin. Eine rechtliche Anerkennung dieser Vorbehaltsrechte ist mit Absicht vermieden. Gerade die gewählte Formulierung, daß es sich um die von den Alliierten ausgeübten und innegehabten Rechte handelt, sollte nach der Mitteilung des Herrn Staatssekretärs Hallstein zum Ausdruck bringen, daß diese Rechte nicht als den Alliierten von Rechts wegen zustehend anerkannt werden sollten, sondern nur als von ihnen tatsächlich besessen, wie sich aus ihrer ungestörten Ausübung ergab. Über die allgemeine Bedeutung dieser de-factoHinnahme ist in dem Mehrheitsbericht ides Rechtsausschusses das Nötige gesagt. Es handelt sich hier um eine für das Verständnis der Verträge grundlegende Figur. Die Aufgabe der Bundesregierung ,war es, das Besatzungsstatus absulöses Fällen konnte dies nur in der Weise geschehen, daß die Alliierten an den durch ihre Politik in den letzten Jahren geschaffenen Tatbeständen festhielten und die Bundesregierung auf die Aufgabe beschränkt blieb, wenigstens eine Milderung ihres bisherigen Standpunktes zu vereinbaren. Daß damit die hingenommenen Tatbestände nicht als rechtmäßig im vollen Sinne anerkannt werden, liegt auf der Hand. Es mußte aber die Spannung zwischen Recht und Wirklichkeit wenigstens abgeschwächt werden. Im internationalen Recht ist das Rechtsschutzsystem, wie Sie wissen, sehr wenig ausgebaut. Völkerrechtswidrige Zustände werden deshalb häufig als Fakten hingenommen, weil es an der Instanz fehlt, die das verbotene Faktum annullieren könnte. Dies ist der Kern der de-facto-Doktrin, die sich auch hier auswirkt. Wenn die Bundesregierung sich verpflichtet, sich jeder Maßnahme zu enthalten, durch die diese Vorbehaltsrechte beeinträchtigt werden können, so ist diese Unterlassungspflicht gerade das Wesentliche der de-facto-Hinnahme. Auch das zugesagte Zusammenwirken mit den Alliierten, um ihnen das Ausüben ihrer Vorbehaltsrechte zu erleichtern, ist mit der bloßen de-facto-Hinnahme dieser Vorbehaltsrechte vereinbar. Im einzelnen ist zu den drei Vorbehaltsrechten folgendes zu sagen. ({1}) Erstens: Das Recht der Truppenstationierung einschließlich des Schutzes von deren Sicherheit. Man darf den Russen nicht in dem Sinne volle Gleichgültigkeit gegenüber den Rechtsfragen zutrauen, daß sie nicht den genauen Rechtstitel der Anwesenheit alliierter Truppen in Deutschland in Erwägung zögen. Gewiß ist das Potsdamer Abkommen durch die Entwicklung ausgehöhlt. Aber wenn die Anwesenheit alliierter Truppen in Deutschland nicht auf dem Kriegsausgang, sondern auf einer Gestattung durch die Bundesregierung beruhen würde, könnten sie etwa zu den Alliierten sagen: Dann laßt euch auch die Anwesenheit in Berlin durch die Bundesregierung gestatten! Zudem behält die Sowjetunion durch die Aufrechterhaltung der bisherigen Rechtsgrundlagen gewisse rechtliche Möglichkeiten gegenüber den Westalliierten. Zweitens: Berlin-Vorbehalt. Die Ansicht, daß alle Berlin betreffenden Angelegenheiten in diesem Sinne zu den Vorbehaltsrechten gehören und gehören müssen, ist im Ausschuß auf keinen Widerstand gestoßen, abgesehen davon, daß das neue Besatzungsstatut nach Ansicht einiger Ausschußmitglieder für Berlin noch entgegenkommender hätte ausfallen können, und liegt nach dem Vorangegangenen auf der Hand. Der Berliner Senat hat sich ausdrücklich mit dieser Klausel einverstanden erklärt. Die Frage, ob die Alliierten, weil die auf Berlin bezüglichen Fragen zum Vorbehaltsgebiet gehören, auch in der Lage wären, nach ihrem Ermessen Berlin jederzeit von Truppen zu entblößen, beantwortete die Regierung mit dem Hinweis auf die Drei-Mächte-Erklärung vom 27. Mai 1952, in deren vorletztem Absatz es heißt: Die Drei Mächte sehen die Sicherheit und das Wohlergehen Berlins und die Aufrechterhaltung der Position der Drei Mächte in dieser Stadt als wesentliches Element des Friedens der freien Welt in der gegenwärtigen internationalen Situation an. Demgemäß werden sie auch weiterhin so lange Streitkräfte auf Berliner Boden stationiert halten, wie ihre Verantwortlichkeiten dies erfordern. Sie versichern deshalb erneut, daß sie jeden Angriff auf Berlin, gleich von welcher Seite, als einen Angriff auf sich und ihre Streitkräfte betrachten werden. Zu besonders eingehenden Erörterungen hat der dritte Vorbehalt geführt, der sich auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung bezieht. Zunächst wurde klargestellt, daß der in der Formulierung des Vorbehalts verwendete Begriff „Deutschland als Ganzes" eine territoriale Seite hat, aber auch sachliche Elemente enthält. Er stammt aus dem Jahre 1945, besonders aus dem Potsdamer Abkommen. Damals war Deutschland im Sinne der Vereinbarungen zwischen den Besatzungsmächten unzweifelhaft das Deutschland der Grenzen von 1937. Die territorialen Veränderungen, die inzwischen eingetreten sind, sind nicht von der Art, daß sie die deutschen Grenzen endgültig verschoben haben. Deshalb gehört das Saarproblem sicher zu den territorialen Vorbehaltsmaterien des Art. 2. Aber das bedeutet nicht, daß die Bundesregierung in dieser Frage keine politische Initiative entfalten dürfe. Die von der Bundesregierung gegebene Auslegung hat klargestellt, daß der Charakter einer Frage als Vorbehaltsmaterie nur dazu führen könne, daß gegen deutscherseits begonnene Verhandlungen von alliierter Seite interveniert werde, während die vorherige Erlaubnis nicht eingeholt zu werden brauche. Weil es sich dabei um die Ausübung eines gemeinsamen Vorbehaltsrechtes handelt, war man geneigt, eine gemeinsame Intervention aller drei Mächte zu verlangen. Andererseits ist es der Bundesregierung bei der Aushandlung des Art. 7 nicht gelungen, die Alliierten zur Anerkennung des gemeinsamen politischen Zieles zu bewegen, bei der Wiedervereinigung Deutschlands die Grenzen von 1937 herzustellen. ({2}) Die Grenzfragen sind nach Art. 7 der friedensvertraglichen Regelung vorbehalten. Im Wege des Kompromisses ist nur ausgesprochen worden, daß diese friedensvertragliche Regelung die Grundlage für einen dauerhaften Frieden abgeben solle, was vor allem dahin auszulegen ist, daß nicht bloß an eine Wiedervereinigung der Sowjetzone mit der Bundesrepublik zu denken ist. ({3}) Im Jahre 1945 wußte man nicht, wieweit die Zonenbefehlshaber die Zuständigkeit des Kontrollrats, der für die Deutschland als Ganzes betreffenden Angelegenheiten zuständig war, aushöhlen würden. Die Entwicklung ist so gelaufen, daß beinahe alles, was Deutschland als Ganzes betrifft, in die Zonen verlagert wurde, so daß schließlich der Westen und der Osten eine völlig verschiedene politische Gestalt bekommen haben. Die Deutschland als Ganzes interessierenden sachlichen Fragen umfassen heute im wesentlichen noch die Verkehrsfragen: Autobahn nach Berlin, den Interzonenverkehr und den Luftkorridor. Die Klarstellung dieser Zusammenhänge ist auch der Zweck des alliierten Schreibens vom 26. Mai 1952, in dem die Alliierten versichern, daß dieser Vorbehalt nicht dafür ausgelegt werden kann, daß ihnen hierdurch gestattet wird, die zwischen ihnen und der Bundesrepublik durch die Verträge hergestellten Beziehungen nachteilig zu beeinflussen. Dabei spitzte sich die Debatte auf die Frage zu, ob bei der Auslegung der Vorbehaltsrechte auf den Zustand von 1945 zurückzugreifen sei oder auf den heutigen, wie er sich durch das Besatzungsstatut und die weitere Praxis im Verhältnis zwischen der Bundesregierung und den Alliierten herausgebildet hat. Die Frage wurde im Sinne der Heranziehung des späteren Zeitpunktes beantwortet. In Art. 2 ist von der Aufrechterhaltung der bisher innegehabten und ausgeübten Rechte die Rede, womit nach der Erklärung der Bundesregierung ein Zurückgehen auf 1945 verhindert werde. Die Bundesregierung hat bei ihren Verhandlungen Wert darauf gelegt, daß jede Anspielung auf die frühere höchste Gewalt und die Urkunden, in denen diese niedergelegt war, in dem endgültigen Vertragswerk vermieden wurde. Die Auseinandersetzung über die Bedeutung des Ausdrucks „Drei Mächte" belebte sich immer wieder von neuem, so oft im Vertragstext dieser Ausdruck begegnete. Die Regierung ließ schließlich durch den Leiter der Delegation für die Ablösung des Besatzungsstatuts, Herrn Professor Grewe, eine Ausarbeitung überreichen, aus der sich ergibt, daß die Verwendung des Ausdrucks Drei Mächte in den Vertragsbestimmungen offenbar nicht immer den gleichen Sinn hat. Es gibt Fälle, in denen unzweifelhaft die Drei Mächte geschlossen ({4}) auftreten können und müssen - und dazu gehören in erster Linie die Maßnahmen auf Grund der Vorbehaltsrechte des Art. 2 -, es gibt aber auch Fälle, in denen der Ausdruck „Drei Mächte" nicht auf ein gemeinsames Handeln schließen läßt. Die Frage ist also der Auslegung der einzelnen Vorschriften vorzubehalten. Meinem Schriftlichen Bericht ist die Erklärung des Herrn Professors Grewe eingefügt. Ich bitte, sie dort nachzulesen.*) Zu Art. 3 ist zunächst zu sagen, daß er eine Ausfüllung des Blanketts bringt, daß sich die Bundesrepublik zu den westlichen Völkern rechnet. Deshalb bekennt sie sich zu den materiellen und organisatorischen Leistungen des Westens, besonders zu den Prinzipien der Satzungen der Vereinten Nationen. Konkreteren Gehalt haben die Absätze 3 und 4 des Art. 3. Durch Abs. 3 wird verhindert, daß die Drei Mächte mit dem Ostblock in Verhandlungen treten, von denen wir nichts wissen. ({5}) Sie müssen uns dabei konsultieren, wenn die Verhandlungen unsere politischen Interessen unmittelbar berühren. Das Wort „unmittelbar" ist auf alliierten Wunsch eingefügt worden. Abs. 4 enthält eine einseitige Verpflichtung der Alliierten, uns diplomatische Hilfe zu leisten in unseren Beziehungen zu Staaten, zu denen wir keine Verbindung und bei denen wir keine Vertretungen haben. Die Bestimmung ist nicht so zu lesen, daß wir nicht die Möglichkeit hätten, uns solchen Mächten gegenüber selbst zu vertreten. Wir sind nicht verpflichtet, wenn wir diese Möglichkeit bisher nicht haben, diesen Zustand aufrechtzuerhalten. Im Laufe der Unterhaltungen mit den Alliierten ist ausdrücklich klargestellt worden, daß wir nach diesen Bestimmungen nicht gehindert sind, in Moskau eine Botschaft zu errichten, sofern wir etwa dazu in der Lage wären, und zwar auch ohne Friedensvertrag. Bezüglich der Organisationen, in die wir nach dieser Vorschrift eintreten dürfen, beschäftigte den Ausschuß besonders die Frage, ob dazu auch der Atlantikpakt gehöre. Schließlich gab die Regierung die Erklärung ab, zu gegebener Zeit könnten wir auch den Antrag auf Aufnahme in den Atlantikpakt stellen. Durch Art, 4 wird das Vorbehaltsrecht der Alliierten zur Truppenstationierung in einem Sinne erläutert, der die Streitkräfte nicht mehr als Besatzungstruppen erscheinen läßt. Diesen Truppen wird als einzige Aufgabe gestellt, die freie Welt zu verteidigen, zu der die Bundesrepublik und Berlin gehören. In bezug auf die Stationierung wird die Bundesrepublik konsultiert werden. Besonders wichtig erscheint es, daß die Rechtsbeziehungen, die aus der Truppenstationierung in Deutschland entstehen, im sogenannten Truppenvertrag niedergelegt sind und daß alle Streitigkeiten hieraus dem Schiedsgericht des Art. 9 unterworfen sind. Dies zeigt, daß das Vorbehaltsrecht der Truppenstationierung - wenn dieser Ausdruck erlaubt ist - sozusagen nur dem Grunde, dem Rechtstitel nach den strengen Vorbehaltscharakter aufrechterhaltenen Besatzungsrechtes hat, der die Anerkennung einer Schiedsgerichtsbarkeit ausschließt, daß dagegen seine Ausübung auf den ver- *) Siehe Anlage Seite 11185 D. traglichen Abmachungen mit der Bundesrepublik beruht, die dem Schiedsgericht unterstellt werden können. Art. 5, der die Notstandsbefugnisse der Alliierten behandelt, bereitet für die Auslegung besondere Schwierigkeiten. Auch hier handelt es sich um ein von den Alliierten vorbehaltenes Recht, das die Bundesregierung zur Kenntnis nimmt und für das es ihr gelungen ist, gewisse vertragliche Abmilderungen durchzusetzen. Diese Abmilderungen bestehen einmal darin, daß die Befugnisse, die die Alliierten beanspruchen, lediglich subsidiären Charakter haben, also erst dann praktisch werden, wenn es der Bundesregierung und Europäischen Verteidigungsgemeinschaft nicht gelingt, der Lage aus eigener Kraft Herr zu werden, ferner darin, daß sie die Bundesregierung bei Ausübung der Notstandsbefugnisse dauernd konsultieren werden. An sich sind die Notstandsbefugnisse mit Rücksicht auf ihre innerpolitischen Auswirkungen bedauert worden. Es mußte aber zugegeben werden, daß den Alliierten auf Grund des Besatzungsrechtes zur Zeit sogar weitergehende Notstandsbefugnisse zustehen und daß im allgemeinen Völkerrecht unter dem Stichwort „Selbstschutz" das Recht der Staaten anerkannt ist, in fremden Ländern befindliche Personen und Sachen durch eigenes Vorgehen zu schützen, wenn der Aufenthaltsstaat nicht in der Lage ist, den Schutz dieser fremden Interessen zu gewährleisten. Daß insbesondere Abs. 7 mit dem Notwehrrecht der alliierten Truppen anerkanntes Völkerrecht ist, fand allgemeine Zustimmung. Es spielte auch die Frage eine Rolle, ob die deutsche Bundesregierung eine Möglichkeit habe, zur Bewältigung der Notstandslage die EVG-Truppen heranzuziehen. Diese Frage wurde unter Bezugnahme auf Art. 12 Abs. 2 des EVG-Vertrages dahin beantwortet, daß nach dieser Vorschrift das Recht der Mitgliedstaaten, ihre Kontingente zur Bekämpfung innerer Unruhen heranzuziehen, ausdrücklich vom Inhalt des nationalen Verfasslingsrechts ts abhängig gemacht ist. ({6}) Die Artikel 6 und 7, die die Einzelregelung des Vorbehaltsrechtes für Berlin und den gesamtdeutschen Vorbehalt betreffen, sind vor allem im Gesamtdeutschen Ausschuß untersucht und erläutert worden. Der Auswärtige Ausschuß hat sich aber ebenfalls mit ihnen sehr eingehend befaßt. Trotzdem will ich mich darüber kurz fassen, da ja morgen der Bericht des Gesamtdeutschen Ausschusses hier vorgetragen werden wird. ({7}) - Heute, Verzeihung! Im Auswärtigen Ausschuß wurde besonders die Frage behandelt, wie es sich erkläre, daß die neuen Rechtsgrundlagen für Berlin nur teilweise in dem Vertrag enthalten seien und teilweise in dem Schreiben der drei Hohen Kommissare an den Bundeskanzler vom 26. Mai 1952 betreffend die Ausübung des von den Drei Mächten vorbehaltenen Rechtes in bezug auf Berlin. Zur Begründung wurde im Ausschuß darauf hingewiesen, daß der Vorbehaltscharakter der Rechte der Alliierten in bezug auf Berlin diese Auseinanderreißung nahegelegt habe, um im Vertragstext ganz eindeutig die Grundlagen des gegenwärtigen Rechtszustandes -aufrechtzuerhalten, da Berlin nun einmal der neuralgische Punkt in den Beziehungen zwischen den Westallierten und der Sowjetunion sei. ({8}) Sie wissen, daß der Art. 7, der das Wiedervereinigungsproblem behandelt, von Anfang an die am meisten kritisierte Bestimmung des Vertragswerkes war. Darüber ist man sien einig: Art. 7 Abs. 3 verhindert, daß bei einer Wiedervereinigung Deutschlands die früheren Befugnisse des Kontrollrats wiederaufleben können, und nach der jetzigen Fassung kommt keine antizipierte automatische Erstreckung der Verträge auf ein wiedervereinigtes Deutschland mehr in Frage. Dies ist gerade der Sinn der Textänderung, die noch am Tage der Unterzeichnung zwischen den Vertragspartnern ausgehandelt worden ist. Dagegen tauchte die sehr bedeutsame Auslegungsfrage auf, ob der Bedingungssatz, von dem die Erstreckung der Vertragswirkungen auf ein wiedervereinigtes Deutschland abhängig gemacht ist, nämlich daß das wiedervereinigte Deutschland die Verpflichtungen aus den europäischen Integrationsverträgen übernimmt, sich nicht nur auf die Gewährung der aus den europäischen Integrationsverträgen abzuleitenden Fechte bezieht, sondern auch auf die Rechte, die die Bundesrepublik auf Grund des Deutschland-Vertrages und der Zusatzverträge bekommt. Professor Grewe hat die engere Bedeutung des Bedingungssatzes vertreten. Herr Staatssekretär Hallstein hat diese Auslegungsthese für vertretbar erklärt. Art. 8 nennt die Zusatzverträge zu dem Deutschland-Vertrag und erklärt einen weiteren Vorbehalt bezüglich der Strafvollstreckung aus Verurteilungen der sogenannten Kriegsverbrecher, die ja, weil wir uns zur Übernahme der Vollstreckung außerstande erklärt haben, weiter in alliierter Hand bleiben soll. Der Artikel erklärt für diese weitere Beeinträchtigung der deutschen Souveränität einen ausdrücklichen Vorbehalt. Art. 9 behandelt das Schiedsgericht. Auf die Rechtsprobleme, die mit dem Schiedsgericht verknüpft sind, geht insbesondere der Bericht des Rechtsausschusses näher ein. Im Auswärtigen Ausschuß wurde von dem Sachverständigen der Bundesregierung, Professor Kaufmann, noch besonders darauf hingewiesen, daß es im Völkerrecht schon immer Schiedsinstanzen gegeben hat, die nicht wie ein gewöhnliches Schiedsgericht auf Grund völkerrechtlicher Rechtsgrundsätze einen Streit entscheiden, sondern die Kompetenz zu einem Schiedsausgleich haben, bei denen also die Schiedsinstanz ähnlich wie bei dem sogenannten Schiedsgutachtervertrag nach § 315 BGB bestimmen kann, was ex aequo et bono im Geiste des Schiedsabkommens zwischen den streitenden Teilen Rechtens sein soll. Ferner sei darauf hingewiesen, daß nach der Schiedsklausel Streitigkeiten, welche auf den in Art. 2 angeführten Rechten der Drei Mächte oder auf Maßnahmen auf Grund dieser Rechte beruhen, nicht der Gerichtsbarkeit des Schiedsgerichts oder eines anderen Gerichts unterliegen. Das gleiche gilt für die Notstandsbefugnisse des Art. 5, dessen Abs. 6 der Bundesregierung gestattet, in einem bestimmten Fall den Rat der NATO als Beschwerdeinstanz anzurufen. Wohl aber unterliegen die vertraglich geregelten Maßnahmen auf Grund der Vorbehaltsrechte der Schiedsgerichtsbarkeit, ebenso aber auch die Frage, ob eine unter Berufung auf einen Vorbehalt getroffene Maßnahme zu Recht aus dem Vorbehalt hergeleitet wird. Es wird Sache des Schiedsgerichts sein, hier genauere Grenzen zu ziehen. Die Revisionsklausel des Art. 10 ist von höchster Bedeutung, vor allem mit Rücksicht darauf, daß die Vorbehaltsrechte nach Art. 2 mit Rücksicht auf die internationale Lage aufrechterhalten werden. Wenn sich diese internationale Lage nach Ansicht aller Unterzeichner des Vertrags grundsätzlich ändert, haben sie im beiderseitigen Einvernehmen diesen Vertrag und die Zusatzverträge in dem Umfang abzuändern, in dem durch die grundlegende Änderung der Lage die Änderung ertorderlich oder ratsam geworden ist. Als Beispiele solcher grundsätzlichen Veränderungen der Lage werden der Fall der Wiedervereinigung Deutschlands und der Fall, daß eine europäische Föderation zustande kommt, besonders hervorgehoben. Der Art. 11 regelt den Zeitpunkt des Inkrafttretens und die Förmlichkeiten der Ratifikation. Überblickt man die Bestimmungen des Vertrages im ganzen, so stellen sie trotz der Zumutungen, die der Vertrag unserem nationalen Selbstbewußtsein stellt, nach der Auffassung der Mehrheit im Ausschuß einen erheblichen Fortschritt dar, und zwar nicht nur hinsichtlich der Wiedererlangung unserer politischen Selbständigkeit und Freiheit, sondern auch bezüglich der Sicherung unseres freiheitlichen Staatswesens gegenüber einer etwaigen Bedrohung aus dem Osten. Es ist nicht so, wie es nach dem Versailler Vertrag gewesen ist. Damals machten sich die Vertragspartner keine Sorgen darüber, wie wir mit den uns auferlegten Verpflichtungen fertig werden könnten. Hier wird uns vielmehr zugleich mit dem Kriegsabschlußvertrag die Hand gereicht, um uns zum Verbündeten der Sieger von gestern zu machen. Dadurch werden die Anforderungen des Vertrages in eine andere Atmosphäre getaucht, die sie uns erträglich erscheinen läßt. Auch die Wiedervereinigung Deutschlands wird nach der Ansicht der Mehrheit des Ausschusses durch den Abschluß des Vertrages mehr gefördert als erschwert. Vor dem Ausschuß wurden erhebliche Bedenken gegen die Ratifikation auf Grund der Tatsache zum Ausdruck gebracht, daß die deutsche Politik im Verhältnis zu Rußland zuwenig Bewegungsfreiheit gewinne. Dabei wurde als die einzige erträgliche Lösung die Anerkennung eines Sonderstatuts für Deutschland im Verhältnis zu Rußland bezeichnet. Durch diese müsse die Möglichkeit eröffnet werden, für die Wiedervereinigung Deutschlands einen Preis zu zahlen, der dem Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion entgegenkomme. Staatssekretär Hallstein hat zu diesen Vorschlägen im Gesamtdeutschen Ausschuß bemerkenswerte Ausführungen gemacht, die die Mehrheit des Ausschusses dazu bestimmt haben, die vorerwähnten Bedenken als nicht stichhaltig anzusehen. Die Frage nach dem Preis, den der Westen an Rußland zu zahlen hätte, verbaue die richtige Einsicht in die durch das Unrecht der Sowjetunion entstehende Lage; und die Wiederherstellung der Freiheit in der Bundesrepublik sei der erste Schritt zu der für unser Land allein in Frage kommenden Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit. Dazu kommt ein Weiteres: die heutige Lage schließt jede Parallele mit der Weimarer Zeit aus. Die Spannung zwischen West und Ost stand damals nicht im Vordergrund der Weltpolitik. Die politische Bewegungsfreiheit war Deutschland niemals verlorengegangen, während sie jetzt auf einer freiwilligen Aufgabe alliierter Befugnisse beruht. Heute tragen wir noch an den Nachwirkungen der unseligen Politik des nationalsozialistischen Regimes, das unserer Vertrauenswürdigkeit einen Stoß ({9}) versetzt hat, von dem wir uns nur schwer erholen können. ({10})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Der dritte Generalberichterstatter ist Herr Abgeordneter Brandt. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen. Brandt ({0}), Generalberichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vertrag über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ist zusammen mit dem Vertrag von Bonn dem Auswärtigen Ausschuß überwiesen worden. Der Auswärtige Ausschuß hat sich nicht mit allen Einzelheiten des EVG-Vertrages und der damit zusammenhängenden Verträge befaßt. Die Prüfung des militärpolitischen Gesamtkomplexes ist durch den besonders gebildeten Ausschuß zur Mitberatung des EVG-Vertrages erfolgt. Die Berichterstatter des EVG-Ausschusses, die Herren Kollegen Strauß, Erler und Dr. Jaeger, werden zugleich als Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses ihre Berichte morgen vormittag hier vortragen. Der Auswärtige Ausschuß hat sich daher, was den EVG- Vertrag angeht, auf die politische Bedeutung dies s Vertrages beschränkt und zu einigen Fragen Stellung genommen, die sich aus dem Beratungsergebnis . der mitbeteiligten Ausschüsse ergeben haben.*) Meine Damen und Herren, die Frage der Wiederbewaffnung, die Frage des Ob einer Wiederbewaffnung und auch die Frage des Wie einer Wiederbewaffnung haben die deutsche Öffentlichkeit wie kaum ein anderes Problem seit dem Zusammen- ) bruch des Jahres 1945 beschäftigt. Die Erörterung dieser Fragen hat zu heftigen Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit geführt. Sie hat auch zu einem verfassungsrechtlichen Streit Anlaß gegeben, der noch nicht entschieden ist. Der Kollege Dr Pünder hat schon auf die beiden Standpunkte hingewiesen, die sich auch morgen aus den Berichten des Rechtsausschusses ergeben werden. In Übereinstimmung mit den beiden Hauptgutachten des Rechtsausschusses hat sich auch im Auswärtigen Ausschuß ergeben, daß die Mehrheit die Frage verneinte, ob eine Zustimmung des Bundestages zum EVG-Vertrag eine Verfassungsänderung oder Verfassungsergänzung erfordere, während die Minderheit auf dem Standpunkt stand, das Grundgesetz erlaube ohne Verfassungsergänzung weder die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht noch die Ausübung der Wehrgewalt Die Minderheit hat im Zusammenhang damit erklärt, daß ihre Stellungnahmen zu Einzelheiten des Vertrages generell unter dem Vorbehalt vorgebracht würden, daß eine rechtsverbindliche Entscheidung über die umstrittenen Fragen erst noch zu erfolgen habe. Befürworter und Kritiker des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft stimmen weitgehend darin überein, daß sich aus diesem Vertrag weitreichende Konsequenzen auf einer Reihe von Gebieten ergeben könnten, für unsere Außenpolitik, unsere Wirtschaftspolitik, unsere Finanz-und Steuerpolitik, für unser gesamtdeutsches Schicksal; und nicht zuletzt sind sich alle darüber im klaren, daß eine wiedereinzuführende allgemeine Wehrpflicht einen ernsten Einschnitt in das Leben unserer jungen Männer bedeuten würde. *) Schriftlicher Bericht: Anlage Seite 11176 B. Das Ergebnis des zweiten Weltkrieges, der durch die skrupellose Politik der damaligen Machthaber in Deutschland ausgelöst worden war, hatte zum Zusammenbruch der deutschen Landesverteidigung geführt. Die Siegermächte, die Westalliierten und die Sowjetunion, verständigten sich damals auf ein Programm, zu dem auch der Programmpunkt der völligen Entmilitarisierung Deutschlands gehörte. So hart und enttäuschend manche Entscheidungen der Siegermächte für unser Volk damals gewesen sein mögen, glaube ich doch sagen zu können, daß die Waffenlosigkeit von breiten Schichten unseres Volkes innerlich bejaht worden ist. Die Folgen einer maßlos übersteigerten Machtpolitik hatten Deutschland bis hart an den Rand des Abgrunds geführt. Die überwiegende Mehrheit unseres Volkes setzte ihre ganze Hoffnung auf eine friedliche Entwicklung. Sie wünschte, daß uns angesichts der Aufgaben des Wiederaufbaus militärische und rüstungsmäßige Belastungen künftig erspart blieben. Auch auf seiten der Siegermächte, in unserem Fall hier im westlichen Teil Deutschlands der westlichen Kontrollmächte, war noch im Jahre 1949, als sich die staatliche Neuordnung im Geltungsbereich des Grundgesetzes vollzog, und auch zu Beginn des Jahres 1950 die Auffassung maßgebend, daß Deutschland nicht wieder bewaffnet werden sollte. Der gleichen Auffassung gaben maßgebende Vertreter der Bundesrepublik Ausdruck, nachdem die Organe des Bundes Ende 1949 geschaffen worden waren. Damals wurde es auf deutscher und auf alliierter Seite so betrachtet, daß der Schutz jener deutschen Gebiete, in denen das Grundgesetz Geltung erlangt hatte, durch die Anwesenheit der westlichen Besatzungsstreitkräfte gegeben sei. Dieser Gesichtspunkt wurde besonders stark unterstrichen nach der Schaffung des Nordatlantikpaktes im Jahre 1949, und es wurde im Zusammenhang mit der Schaffung des Nordatlantikpaktes darauf hingewiesen, daß ein Angriff auf die westlichen Besatzungsstreitkräfte in Deutschland für den etwaigen Angreifer mit dem Risiko der Auslösung eines weltumfassenden Konflikts verbunden wäre. Die Beurteilung dieser Fragen wandelte sich weitgehend nach dem Ausbruch des Koreakonfliktes im Jahre 1950. Vor allem erhoben trotz des Gesichtspunktes, den ich eben in bezug auf die NATO vortrug, maßgebende Kreise in den Vereinigten Staaten die Forderung, die Bundesrepublik solle zur Leistung eines Verteidigungsbeitrages herangezogen werden. Diese Auffassung setzte sich relativ rasch gegenüber manchen Einwänden westeuropäischer Regierungen durch. In der weiteren Entwicklung gingen die Planungen der Nordatlantikpakt-Organisation, der NATO, weitgehend von der Voraussetzung aus, daß deutsche Truppen auf die eine oder andere Weise in das westliche Verteidigungssystem eingegliedert werden würden. Noch bevor die Frage eines deutschen Beitrags zur westlichen Verteidigung zur Entscheidung stand, hatte die Remilitarisierung in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands eingesetzt. Durch die Bereitschaften der sogenannten Volkspolizei wurde eine militärische Kaderorganisation geschaffen und in das Rüstungsprogramm des Sowjetblocks eingegliedert. Der Bundeskanzler hatte im Spätsommer 1950 aus der Verschärfung des Ost-West-Konflikts, die vor allen Dingen durch die militärischen Auseinandersetzungen in Korea zutage trat, die Folgerung gezogen, daß es geboten sei, mit den Westmächten die Frage der deutschen Sicherheit zu erörtern, ({1}) Eine Sicherheitsgarantie für Deutschland und ein etwaiger deutscher Verteidigungsbeitrag waren Gegenstand eines Memorandums, das den Außenministern der Westmächte Ende August 1950 überreicht wurde. Eine prinzipielle Entscheidung fällten die Außenminister im September 1950 auf ihrer Konferenz in New York. Die Einzelheiten eines deutschen Engagements blieben freilich noch offen. Bei dieser Gelegenheit erklärten die Westmächte noch einmal, sie würden einen Angriff auf ihre Besatzungszonen in Deutschland oder auf die Westsektoren von Berlin so betrachten, als ob dieser Angriff gegen ihr eigenes Staatsgebiet gerichtet wäre. Seitdem wurde bis zum Mai dieses Jahres über die Form eines etwaigen deutschen Verteidigungsbeitrages auf verschiedenen Ebenen verhandelt. Als Ergebnis dieser Verhandlungen kam jener Vertrag zustande, der am 27. Mai dieses Jahres in Paris von den Vertretern Frankreichs, Italiens, der Beneluxländer und der Bundesrepublik unterzeichnet wurde. Die Bundesregierung gab im Zusammenhang mit der Unterzeichnung dieses Vertrages der Überzeugung Ausdruck, daß die Realisierung des Vertrages und die damit vorgesehene verschmolzene westeuropäische Wehrorganisation die Sicherheit der deutschen Menschen wesentlich erhöhen würde. Die Bundesregierung hat gemeint, auf diese Weise zugleich einen entscheidenden Beitrag zur Vereinigung Europas zu leisten. Der Bundeskanzler hat vor dem Auswärtigen Ausschuß während der Beratungen über die Verträge erklärt, eine der größten Sorgen in den vergangenen Jahren sei gewesen, wie verhindert werden könne, daß sich die Sowjetunion einerseits und die Westmächte andererseits auf dem Rücken Deutschlands einigten. Diese Gefahr - so wurde vor dem Ausschuß erklärt - sei durch die aggressive Politik der Sowjets abgewehrt worden und habe zum Stellungswechsel der Westmächte gegenüber Deutschland geführt. Für die Bundesrepublik bleibe im Zeichen des andauernden Ost-West-Konflikts keine Möglichkeit, die Dinge treiben zu lassen; vielmehr gebe es die Notwendigkeit einer Wahl des Anschlusses nach Westen oder nach Osten. Außerdem - so meinte die Bundesregierung - vollziehe die Bundesrepublik mit der Ratifizierung des vorliegenden Vertragswerkes, vor allem aber des Vertrages über die Schaffung der EVG, den Anschluß an den Westen. Schon in der Begründung zum Vertragswerk, die uns im Sommer vorlag, hatte die Bundesregierung erwähnt, die dem Vertrag zugrunde liegenden Verhandlungen hätten basiert einmal auf der militärpolitischen Erwägung, die deutsche Verteidigungskraft in das westliche Sicherheitssystem einzubeziehen, und zum andern auf einer allgemeinpolitischen Erwägung, nämlich dem Bemühen um eine Integration Europas. Es wurde ausgeführt, der erste Anstoß dazu sei aus militärischen Überlegungen gekommen. Die Teilnahme an der Verteidigung der freien Welt sei jedoch weit mehr eine Forderung - so wurde betont - des eigenen Gewissens als ein Verlangen anderer Staaten. In diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung unter Berufung auf Präambel und Text des EVG-Vertrages darauf hingewiesen, daß der EVG, wenn sie geschaffen werde, lediglich Verteidigungsaufgaben zufielen. Unabhängig von der unterschiedlichen Beurteilung des vorliegenden Vertragswerks bestand im Auswärtigen Ausschuß des Deutschen Bundestages Einigkeit darüber, daß die deutsche Politik von einem besonderen Interesse an der Erhaltung des Friedens getragen sein muß. Ein dritter Weltkrieg könnte unsere Vernichtung als Volk bedeuten. Es besteht im Auswärtigen Ausschuß keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß auch die Wiedervereinigung Deutschlands und die Regelung unserer Grenzfragen nur mit friedlichen Mitteln erstrebt werden dürfen. Im Auswärtigen Ausschuß wurde weiter einhellig der Auffassung Ausdruck gegeben, daß sich die Bundesrepublik um normale Beziehungen zu allen Staaten bemühen müsse, daß es andererseits aber für die deutsche Politik nur eine klare Entscheidung gegen die sowjetische Expansionspolitik und gegen jeden Versuch einer Sowjetisierung unseres Volkes geben könne. Es ist im Auswärtigen Ausschuß nicht die Auffassung vertreten worden, Deutschland dürfe niemals und unter keinerlei Umständen bewaffnete Streitkräfte aufstellen oder sich an einer umfassenderen Verteidigungsorganisation beteiligen. Die Meinungen gingen allerdings erheblich auseinander bei der Beantwortung der Frage, ob eine Wiederbewaffnung in der gegenwärtigen Lage und in der vorgeschlagenen Form befürwortet und verantwortet werden könne. Die Bundesregierung hatte in ihrer Begründung zum Vertragswerk darauf hingewiesen, daß Bonner Vertrag und EVG-Vertrag als ein einheitliches Ganzes betrachtet werden müßten. Diese Auffassung hatte sich der Bundesrat zu eigen gemacht, und von ihr mußte auch der Auswärtige Ausschuß des Bundestages ausgehen, wobei die Minderheit freilich auch im Auswärtigen Ausschuß zu erkennen gab, daß sie ein solches Junktim zwischen Bonner Vertrag und EVG-Vertrag für nicht richtig hielte, sondern daß ihrer Meinung nach zunächst das Besatzungsstatut durch eine vertragliche Regelung hätte abgelöst werden sollen und daß im Anschluß daran auf der Basis der Gleichberechtigung gegebenenfalls Verhandlungen über das Sicherheitsproblem Deutschlands hätten eingeleitet werden können. Die Mehrheit des Ausschusses teilte demgegenüber die Auffassung der Bundesregierung, daß eine Trennung der beiden Fragenkomplexe nicht möglich sei. Im übrigen hat sich die Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses der Meinung der Bundesregierung angeschlossen, daß der Abschluß des EVG-Vertrages für Deutschland lebensnotwendig sei, um sich die Hilfe der freien Welt gegen die sowjetische Expansions- und Aggressionspolitik zu sichern, um die Neutralisierung Deutschlands als eine Vorstufe, wie die Mehrheit meinte, der Einbeziehung Deutschlands in den sowjetischen Machtbereich unmöglich zu machen, um einen Krieg zwischen den europäischen Völkern in Zukunft unmöglich zu machen, um die Integration Europas herbeizuführen und weiter um zur Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit zu gelangen. Die Bundesregierung hat insbesondere darauf hingewiesen, daß gerade durch diesen Vertrag die Bundesrepublik die Hilfe der Vereinigten Staaten erlangen werde und daß auch Großbritannien durch seine Bündnisbeziehungen zu den Mitgliedern der EVG seine Bande zum kontinentalen Europa enger knüpfen werde denn je zuvor. Bundesregierung und Mehrheit des Ausschusses gingen davon aus, daß die sowjetische Politik über eine Neutralisierung Deutschlands die Einbeziehung Deutschlands in den sowjetischen Machtbe- Brandt) eich erstrebe. Dadurch würde, so meinten Mehrheit des Ausschusses und Bundesregierung, die europäische Föderation unmöglich gemacht werden; denn es unterliege keinem Zweifel, daß ein neutralisiertes Deutschland dem sowjetischen Zugriff verfallen würde. Der Bundeskanzler erklärte vor dem Ausschuß, im Spannungsfeld zwischen Ost und West sei die etwaige Neutralisierung eine entsetzliche Gefahr. Wenn es zum heißen Krieg zwischen den beiden großen Machtkomplexen kommen sollte, dann würde Deutschland mit Naturnotwendigkeit Schauplatz dieses Krieges werden. Von Regierungsseite ist außerdem ins Feld geführt worden, daß die Wiedervereinigung Deutschlands auf dem Boden der Freiheit nur möglich sein werde, wenn der Westen über die nötige Stärke verfüge. Die Geschichte der Nachkriegszeit zeige, daß die Sowjetunion zu friedlichen Lösungen bereit sei, wenn sie sich überzeugender Stärke gegenübersehe. Die Vertreter der Ausschußmehrheit haben weiter betont, daß der Weg zur deutschen Einheit nur über die Westintegration erfolgen könne. Allenfalls wäre, so wurde betont, noch die Bündnisfreiheit als alternativer Weg denkbar. Bei dieser etwaigen Alternative würde jedoch die Bundesrepublik in Gefahr geraten, die Freundschaft und Unterstützung der Westmächte zu verlieren. Der Herr Bundeskanzler hat in diesem Zusammenhang auf die seiner Meinung nach sehr ernste Lage hingewiesen, die dann entstehen würde, wenn die Vereinigten Staaten ihre gegenwärtigen Verpflichtungen gegenüber Westeuropa wesentlich reduzierten. Die Minderheit des Auswärtigen Ausschusses machte geltend, es sei nicht erwiesen, daß die Bundesrepublik eine zusätzliche Unterstützung der demokratischen Staaten nur unter den Bedingungen des vorliegenden Vertragswerks erhalten könnte. Es handle sich nicht nur um ein Problem der deutschen Sicherheit, sondern auch um ein solches der Staaten, und es Selbstverteidigung der westlichen sei nach Meinung der Minderheit nicht richtig, die Verteidigung der westlichen Welt ausschließlich als ein militärisches Problem zu betrachten. Die Minderheit wandte sich gegen die Meinung der Regierung, daß auf dem durch die Verträge gekennzeichneten Weg und auf ihm allein durch die sogenannte Politik der Stärke die Wiedervereinigung Deutschlands erreicht werden könne. Es sei, so meinte die Minderheit, im Gegenteil zu befürchten, daß auf diese Weise der Weg zur Wiedervereinigung blockiert würde. Das Interesse der Vertragspartner an der deutschen Einheit sei nicht über jeden Zweifel erhaben. Durch den Vertrag verpflichte sich die Bundesrepublik, keinerlei Bindungen einzugehen, die mit dem auf 50 Jahre befristeten EVG-Vertrag in Widerspruch stünden. Es sei wenig wahrscheinlich, daß die Sowjetunion in absehbarer Zeit zu einer Verständigung auf der Basis bereit sein könnte, die sowjetische Besatzungszone Deutschlands dem westlichen Vertragssystem anzugliedern. Die Mehrheit des Ausschusses und die Vertreter der Bundesregierung waren der Meinung, daß es möglichst bald, wie auch die Minderheit gefordert hatte, zu Verhandlungen mit der Sowjetunion über die deutsche Einheit kommen müsse. Dabei wurde es von seiten der Mehrheit für wahrscheinlich gehalten, daß eine isolierte Lösung des deutschen Problems kaum zu erreichen sein würde, daß man eher mit einer globalen Erörterung der Ost-WestGegensätze rechnen müsse. Der Herr Bundeskanzler hat in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hingewiesen, daß seiner Meinung nach die Möglichkeit, zu einer Verständigung mit der Sow-j etunion zu kommen, durch die Ratifizierung des EVG-Vertrages nicht geschwächt, sondern eher gestärkt würde. Die Minderheit hat sich im Ausschuß nicht die Zielsetzung einer Neutralisierung Deutschlands zu eigen gemacht. Sie hielt es jedoch für bedenklich - gegenüber den von der Mehrheit ins Feld geführten Gesichtspunkten -, wenn formuliert werde, eine bündnisfreie Stellung müsse auf alle Fälle unmöglich gemacht werden. Dem Argument, daß einem nicht mit dem atlantischen System verbundenen Deutschland unweigerlich das Schicksal blühen würde, Schauplatz eines neuen Krieges zu sein, wurde entgegengehalten, im Falle eines offenen Ost-West-Konflikts würde Deutschland auch dann Kriegsschauplatz, wenn es sich an der vorgesehenen Heeresorganisation beteilige. Es sind im Auswärtigen Ausschuß im Zusammenhang mit dem EVG-Vertrag auch jene Gesichtspunkte geltend gemacht worden, die schon in den Berichten der Herren Kollegen Dr. Pünder und Dr. Wahl anklangen, nämlich die Befürchtung, daß eine deutsche Ostpolitik durch das Vertragswerk erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht würde. Es ist in diesem Zusammenhang ausgeführt worden, daß es nicht richtig sei, die diplomatische Auseinandersetzung mit der Sowjetunion aufschieben zu wollen, bis Westeuropa aufgerüstet habe. Von der Regierung wurde hierauf nochmals erwidert, zunächst müßte eine Ausgangsposition für Verhandlungen herbeigeführt werden. Die deutschen Entscheidungen müßten so fallen, daß durch die Stärkung der Kraft. des Westens ein annäherndes Gleichgewicht zwischen Ost und West erreicht werde. Die Verhandlungen in Paris und auf anderer Ebene waren nun in Ausführung der Beschlüsse der Außenministerkonferenz immer unter der Voraussetzung geführt worden, daß keine nationale deutsche Wehrorganisation aufgestellt werden sollte. Die Bundesregierung hatte auch in ihrer Begründung zum Vertragswerk darauf hingewiesen, daß ihrer Meinung nach eine nationale deutsche Armee weder politisch sinnvoll, noch psychologisch tragbar sein würde. Der Bundeskanzler hat vor dem Ausschuß dargelegt, Deutschland habe, auch wenn es wieder vereinigt sei, gar nicht die wirtschaftliche Kraft, eine nationale Armee mit ausreichender, moderner Bewaffnung auf die Beine zu stellen, selbst wenn es die anderen Mächte gestatteten. Außerdem sei es das erklärte Ziel der Bundesregierung, dazu beizutragen, daß die nationalen Armeen in Europa verschwänden. Die Minderheit bezeichnete es ebenfalls als ein erstrebenswertes Ziel. wenn, allerdings nicht nur in bezug auf Deutschland, der Zustand der Nationalarmeen überwunden würde. Das setze jedoch ein beträchtliches Maß an wirtschaftlicher und politischer Gemeinsamkeit voraus. Die im EVG-Vertrag vorgesehene Organisation sei außerdem nach Meinung der Minderheit nicht die einzig mögliche Alternative zu den traditionellen Formen einer Nationalarmee. In der NATO sei beispielsweise auf der höheren Ebene ein beträchtlicher Grad der Integrierung erreicht. Der Ausschuß stimmte darin überein, daß ernste Anstrengungen gemacht werden müßten, um den traditionellen und durch den zweiten Weltkrieg erneut verschärften Gegensatz zwischen Frank({2}) reich und Deutschland überwinden zu helfen. Der Minderheit erschien es jedoch nicht akzeptabel, eine Bündnis- oder Integrierungspolitik von der Vorstellung aus einzuleiten, daß überhaupt noch kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den westlichen Demokratien möglich seien. Herr Kollege Dr. Pünder hat schon im Zusammenhang mit der Präambel zum Bonner Vertrag darauf hingewiesen, daß solche Präambeln in internationalen Verträgen nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt gehören. Sie sollen über die politischen Motive der vertragschließenden Regierungen Aufschluß geben. Ich darf in diesem Zusammenhang darum auch noch einmal auf die Summierung dessen hinweisen, was in meinem Schriftlichen Bericht zur Präambel auf Seite 16, rechte Spalte, zusammengestellt ist, wo es u. a. heißt, daß diese Zusammenarbeit im Geiste der Satzung der Vereinten Nationen durchgeführt werden soll, daß die Menschen und die materiellen Hilfsquellen der beteiligten Staaten zusammengefaßt werden sollen, um gemeinsame Verteidigungsstreitkräfte im Rahmen einer überstaatlichen europäischen Organisation aufzustellen, daß gemeinsam die Wehrkraft entwickelt, aber der soziale Fortschritt nicht beeinträchtigt werden soll, daß die geistigen und sittlichen Werte der beteiligten Staaten gewahrt bleiben sollen, daß es keine unterschiedliche Behandlung der Staaten geben soll, und schließlich, daß die beteiligten sechs Regierungen diesen Schritt in dem Bewußtsein tun, hiermit einen weiteren und bedeutsamen Abschnitt auf dem Wege zur Schaffung eines geeinten Europa zurückzulegen. Die Bundesregierung hat gerade ,dem letzten Punkt besondere Bedeutung beigemessen und im Ausschuß darauf hingewiesen, daß Montan-Union und EVG ihrer Meinung nach Bausteine zu den Vereinigten Staaten von Europa seien. Die so eingeleitete Zusammenarbeit würde zu einer engen Verbindung auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens führen. Schon sei der Grundstein zu einer allgemeinen europäischen Gerichtsorganisation gelegt. Es werde Auswirkungen auf die Finanz- und Wirtschaftspolitik geben, und es werde Aufgabe der EVG-Versammlung sein, die Vollendung der politischen Föderation in die Wege zu leiten. Von seiten der Minderheit ist im Auswärtigen Ausschuß hierzu bemerkt worden, es sei nicht ohne weiteres zu erkennen, was mit den in der Präambel zitierten Organisationen gleichen Zieles gemeint sei. Falls damit der Atlantikpakt gemeint sei, wäre es besser gewesen, ihn ausdrücklich zu erwähnen. Auch der Hinweis auf die übrigen freien Völker könne' unterschiedlich ausgelegt werden. Es sei nicht aus dem Text der Präambel ersichtlich, ob damit frei im Sinne einer demokratischen Grundordnung gemeint sei oder ob es sich nur darum handle, daß die betreffenden Völker nicht der sowjetischen Herrschaft unterliegen. Es wurde weiter die Frage aufgeworfen, welches Europa gebietlich und inhaltlich durch die von der Bundesregierung betriebene Politik angestrebt werde. Der EVG-Vertrag spreche von der westlichen Verteidigung; im Protokoll der NATO-Staaten sei vom Zusammenschluß der westeuropäischen Länder die Rede; im Bonner Vertrag sei von der zu schaffenden europäischen Gemeinschaft gesprochen worden. In diesem Zusammenhang wandte sich die Minderheit gegen das, was sie eine nochmalige Spaltung Europas westlich des Eisernen Vorhangs nannte, und gab der Auffassung Ausdruck, daß alles versucht werden müßte oder hätte versucht werden müssen, um solche Formen der Zusammenärbeit zu entwickeln, an denen sich auch Großbritannien und die skandinavischen Länder beteiligen könnten. Bundesregierung und Mehrheit des Ausschusses waren diesen Einwänden gegenüber der Meinung, daß eine Einbeziehung Großbritanniens und der skandinavischen Länder in übernationale Formen der europäischen Zusammenarbeit gegenwärtig nicht hätte erreicht werden können und daß darum nichts anderes übrig geblieben sei, als mit den sechs Ländern der Montan-Union bzw. der EVG den Anfang zu machen. Die Minderheit betonte ihrerseits, daß auch sie sich für das Ziel der europäischen Einigung einsetze. Sie hielt jedoch den von der Bundesregierung beschrittenen Weg für unzweckmäßig. Sie bezweifelte auch, ob die vorgeschlagene Form der EVG dem Gesichtspunkt der Effektivität gerecht werde. Die Wirksamkeit werde von vornherein dadurch beeinträchtigt, daß die Sicherung gegen Expansionsgefahren aus dem Osten gekoppelt werden sollte mit dem Bestreben, Deutschland unter Kontrolle zu halten. Es hat in diesem Zusammenhang und gerade auch in Verbindung mit dem Problem der Gleichberechtigung im einzelnen Erörterungen gegeben, auf die sicher morgen bei der Erstattung der Einzelberichte noch zurückzukommen sein wird, über das Verhältnis zwischen der EVG und der Nordatlantikpakt-Organisation. Frankreich hatte sich bekanntlich entschieden gegen eine Mitgliedschaft Deutschlands im Nordatlantikpakt gewandt. Die Bundesregierung erklärte, daß sie nicht das Recht aufgebe, zu gegebener Zeit die Frage einer Mitgliedschaft erneut aufzurollen. Zunächst aber werde es sich nach der Konstruktion der EVG nur um eine mittelbare Beteiligung Deutschlands, der Bundesrepublik, an der Atlantikpakt-Organisation, der NATO, handeln können. Deutschland komme dadurch, daß die EVG insgesamt mit der NATO verbunden sei, in den Genuß der damit verknüpften Vorteile. Bei militärischen Kommandostellen der NATO werde die EVG vertreten sein, und damit, da der Grundsatz der Nichtdiskriminierung in personellen Angelegenheiten gelte, würde auch 'Deutschland vertreten sein. Die Bundesregierung werde auf dem Wege über die vorgesehenen gemeinsamen Ministerratssitzungen der EVG und der NATO deutsche Anliegen vorbringen können. Die Gemeinschaft werde außerdem durch das Gefüge der internationalen Beistandsverpflichtungen gesichert; damit würde auch die Bundesrepublik bei einem Angriff gesichert. Die Bundesregierung war in Anbetracht dieser Tatbestände der Meinung, daß unbeschadet dessen, daß eine Mitgliedschaft in der NATO gegenwärtig nicht möglich sei, im Rahmen der EVG eine Gleichstellung aller Mitgliedstaaten erreicht worden sei. Dieser Auffassung haben sich die Mehrheiten des EVG-Ausschusses und des Auswärtigen Ausschusses angeschlossen. Die Minderheit hat geltend gemacht, die Gleichberechtigung Deutschlands sei durch die EVG nicht gegeben, da die EVG mit der NATO einerseits und mit dem Bonner Vertrag andererseits gekoppelt sei. Weder der Nordatlantikpakt noch der Bonner Vertrag gewähren nach Meinung der Minderheit eine Gleichberechtigung der Bundesrepublik innerhalb der EVG. Die Minderheit befürchtet eine Benachteiligung der 'Bundesrepublik auch deswegen, weil nicht im einzelnen bekannt ist, welche Verpflichtungen einzelne Vertragspartner untereinander und gegenüber anderen 'Mächten eingegangen sind. Als Beispiele wurden die vertraglichen Bindungen Frankreichs gegenüber der Sowjetunion und die im ({3}) einzelnen nicht bekannte Stellungnahme Frankreichs zum Potsdamer Abkommen vom August 1945 erwähnt. Im Ausschuß wurde im Zusammenhang mit dem Verhältnis zur NATO die Frage aufgeworfen, ob die Bundesrepublik unter Umständen in die Gefahr gerate, als Ergebnis der Wiederbewaffnung in militärische Auseinandersetzungen hineingezogen zu werden, die sich, von der östlichen Expansionsgefahr abgesehen, aus einer zur militärischen Entscheidung drängenden westlichen Politik ergeben könnten. Der Bundeskanzler vertrat dazu die Auffassung, gerade die EVG biete die Möglichkeit, einer etwa irgendwann einmal im westlichen Lager aufkommenden Neigung zum Präventivkrieg Einhalt zu gebieten. Wenn die Bundesrepublik über eine gewisse Zahl von Divisionen verfüge,werde es kaum möglich sein, in Europa eine Politik zu betreiben, an deren Gestaltung die Vertreter der Bundesrepublik nicht beteiligt seien. Ohne die Verträge sei das aber jederzeit möglich. ({4}) In diesem Zusammenhang ist auch im Auswärtigen Ausschuß, veranlaßt durch Material, das der EVG-Ausschuß ihm überwies, über die völkerrechtliche Stellung der EVG-Angehärigen gesprochen worden. Es sind dazu - Sie können das auf Seite 19 meines Schriftlichen Berichts finden - zwei Feststellungen gemacht worden. Einmal hat der Auswärtige Ausschuß es für wünschenswert erklärt, daß die weitere internationale Erörterung zur Klärung jener Fragen, die sich aus den Viermächtevereinbarungen von 1945 ergeben, laufend beobachtet werde. Andererseits ist dem Ausschuß zum eigentlichen völkerrechtlichen Komplex als Meinung der Bundesregierung vorgetragen worden, die europäischen Kontingente deutscher Nationalität würden den vollen Schutz des Völkerrechts genießen. Von dieser Auffassung hat der Auswärtige Ausschuß zustimmend Kenntnis genommen. Schließlich haben auch noch Fragen des Aufbaus der EVG und Fragen der strategischen Planung eine Rolle gespielt. Zur Frage des Aufbaus der EVG hat die Minderheit betont, ihrer Meinung nach sei in der vorgeschlagenen Organisationsform das Prinzip der Gewaltenteilung nicht durchgeführt. Sie übte insbesondere Kritik an der ihrer Meinung nach allzu bescheidenen Rolle, die der Versammlung im Aufbau der EVG zugedacht sei. Auch die Bundesregierung hatte schon in ihrer Begründung betont, auf die Dauer werde es notwendig sein. ein echtes. direkt gewähltes europäisches Parlament zu schaffen. Die Mehrheit betonte jedoch gegenüber dem Standpunkt der Minderheit, die die Auffassung vertrat, daß schon gegenwärtig eine stärkere parlamentarische Kontrolle erforderlich sei, alle Einwände würden hinfällig, wenn es gelänge. binnen kurzem zu einer echten politischen Gemeinschaft zu kommen. Der Bundeskanzler bezeichnete den Art. 38 des EVG-Vertrags in diesem Zusammenhang als „Quelle der dynamischen Entwicklung". Der Bundeskanzler erklärte dem Auswärtigen Ausschuß, er neige in Übereinstimmung mit zahlreichen Vertretern der westlichen Staaten zu der Auffassung, daß keine akute Kriegsgefahr bestehe. Die Gefahr eines Krieges sei geringer als vor ein paar Jahren. Dies sei darauf zurückzuführen, daß der Westen die sowjetische Gefahr erkannt und die nötigen Gegenmaßnahmen getroffen habe. Die Minderheit hat die Frage nach der strategischen Planung der NATO für Deutschland und Westeuropa aufgeworfen und betont, es sei ihrer Meinung nach unbefriedigend, wenn von westlicher Seite erklärt werde, die Verteidigung würde „so weit östlich wie möglich" etabliert werden, und zwar abhängig davon, ob deutsche Divisionen zur Verfügung stünden oder nicht. Äußerungen alliierter Staatsmänner und Militärs über eine Hauptverteidigungslinie am Rhein oder weiter im Westen hätten, so betonte die Minderheit, im deutschen Volk Beunruhigung ausgelöst. Die Bedenken seien dadurch noch verstärkt worden, daß maßgebende westalliierte Sprecher in letzter Zeit erklärt hätten, deutsche Truppen seien vor allem im Falle eines hinhaltenden Rückzugs erforderlich. ({5}) Der Bundeskanzler hat demgegenüber darauf hingewiesen, die Berücksichtigung der deutschen Belange in der strategischen Planung der NATO hänge maßgeblich vom deutschen Verteidigungsbeitrag ab. Daher sei eine rasche Ratifizierung des EVG-Vertrags durch den Bundestag von ausschlaggebender Bedeutung. Von der Minderheit ist vorgetragen worden, verschiedene NATO-Staaten hätten zu erkennen gegeben, sie seien nicht in der Lage, das im Februar dieses Jahre in Lissabon vereinbarte Rüstungsprogramm durchzuführen, und selbst bei Einbeziehung deutscher Divisionen würde die gegenüber Lissabon entstehende Planungslücke nicht ausgefüllt werden können. Der Bundeskanzler verwies demgegenüber auf eine Äußerung des Oberbefehlshabers der NATO, des Generals Ridgway. Dieser hatte gesagt, es stehe fest, daß die Lissabonner Abmachungen im ganzen fristgemäß eingehalten würden, Die Minderheit hat noch darauf hingewiesen, in ernsthaften ausländischen Zeitungen würden immer wieder Erörterungen über die Möglichkeit einer wesentlich veränderten strategischen Planung der Vereinigten Staaten angestellt. Auch wegen dieses Umstandes und anderer Unsicherheitsfaktoren der internationalen Politik hielt es die Minderheit für nicht angebracht, den EVG-Vertrag zur Ratifizierung zu bringen. Meine Damen und Herren! Die Mehrheit des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten. bestehend aus den Abgeordneten der CDU/CSU, FDP und DP. kam am Schluß dieser Beratungen zu dem Ergebnis, dem Bundestag die Annahme des Zustimmungsgesetzes zum EVG-Vertrag und zu den damit zusammenhängenden Verträgen anzuempfehlen. Die Mehrheit berief sich auf die von ihr im Ausschuß zur Geltung gebrachte Argumentation. daß auf diese Weise die Sicherheit Deutschlands gewährleistet. die Wiedervereinigung Deutschlands gefördert und die Vereinigung Europas in die Wege geleitet würde. Ein Vertreter der Föderalistischen Union hat an der Abstimmung des Auswärtigen Ausschusses nicht teilgenommen. Die Minderheit des Ausschusses, bestehend aus den Abgeordneten der Sozialdemokratischen Partei, kam zu der Empfehlung der Ablehnung. Diese Minderheit erklärte, unter Beachtung der Bestimmungen des Grundgesetzes müßten gegebenenfalls in neuen Verhandlungen die Voraussetzungen geklärt werden. unter denen die Bundesrepublik auf dem Boden der Gleichberechtigung und ohne Gefährdung der Wiedervereinigung ihren Platz in einem wirksamen System kollektiver Sicherheit finden könnte. ({6}) Meine Damen und Herren! Ich habe pflichtgemäß als Antrag des Ausschusses zu unterbreiten: Der Bundestag wolle beschließen, den Gesetzentwürfen gemäß Anlage 1 und Anlage 3 zur Drucksache Nr. 3501 unverändert nach der Vorlage zuzustimmen. ({7})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seinen Bericht. Im Ältestenrat ist eine Verständigung darüber erzielt worden, daß heute noch der Bericht über den Punkt 2 des Berichts des Auswärtigen Ausschusses „Die Vertragswerke im Hinblick auf die Einheit Deutschlands" entgegengenommen werden solle und daß die übrigen Berichte zu Beginn der morgigen Sitzung erstattet werden sollen, damit heute auch noch mit der Aussprache über die Generalberichte und den Bericht, der jetzt noch erstattet wird, begonnen werden kann. Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Wehner. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen. Wehner ({0}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Aufgabe ist es, Ihnen den Bericht über die Ergebnisse der Ausschußberatungen zu erstatten, die den Auswirkungen der Verträge auf die Einheit Deutschlands und auf die Bemühungen um die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit galten. Sie finden den Schriftlichen Bericht, der vom Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen verfaßt wurde, im Gesamtbericht.*) Ich kann mich auf die Bemerkungen zur Erläuterung der Ergebnisse beschränken. Die Beratungen fanden im Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen und im Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten statt. Dabei handelte es sich sowohl um die Prüfung und die Erörterung der Gesamttendenz der Vertragswerke in Beziehung zur deutschen Einheit als auch um die Prüfung einzelner Bestimmungen im Vertragswerk. Die Beratungen fanden ihren Schwerpunkt bei den Bestimmungen des Vertrags über die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den Drei Mächten, nämlich bei den Bestimmungen, die Deutschland als Ganzes betreffen. Das sind a) die im Art. 2 enthaltenen Vorbehaltsrechte bezüglich Berlins und der Wiedervereinigung Deutschlands, b) die in den Bestimmungen und Vereinbarungen in Art. 6 enthaltenen Festlegungen über Berlin und der dazugehörige Brief, c) der. Art. 7 und d) der Art 9 über die Zuständigkeit des Schiedsgerichts für die in den genannten Artikeln getroffenen Vereinbarungen. Zunächst die Feststellungen bezüglich Art. 2 im Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den Drei Mächten. Dieser Artikel sagt im ersten Absatz: Die Drei Mächte behalten im Hinblick auf die internationale Lage die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte in bezug auf ({1}) die Stationierung von Streitkräften in Deutschland und den Schutz von deren Sicherheit, ({2}) Berlin und ({3}) Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung. *) vergl. Anlage Seiten 11184 A, 11186 C. In der Begründung, die die Bundesregierung zu 1 diesem Artikel schriftlich gegeben hat, heißt es: Die Bundesrepublik nimmt diese Vorbehalte als eine gegebene Tatsache zur Kenntnis, ohne zu ihren rechtlichen Grundlagen Stellung zu nehmen. Eine Anerkennung der bisherigen Besatzungsgewalt, ihrer Grundlagen und ihrer Tragweite wird nicht ausgesprochen. Die Bundesrepublik verpflichtet sich lediglich, sich jeder Maßnahme zu enthalten, welche diese Rechte beeinträchtigen würde. In der Begründung heißt es weiter: Die Konstruktion der Vorbehaltsrechte rührt an die politische Grundkonzeption des ganzen Vertragswerkes. Es beruht auf dem Gedanken, daß im Hinblick auf die drei Fragenkomplexe Truppenstationierung - Berlin - gesamtdeutsche Frage die Vier-Mächte-Vereinbarungen von 1945 nicht zerstört werden sollen. Darin liegt nicht nur ein Grundgedanke der gegenwärtigen Politik der drei Westmächte, sondern zugleich auch ein lebenswichtiges Interesse der deutschen Politik. Soweit das für das Verständnis des Ergebnisses dieser Beratungen Notwendige aus der Begründung, die die Bundesregierung diesem Artikel über die Vorbehaltsrechte gegeben hat. Die Mehrheit des Ausschusses ist der Auffassung, daß die Vorbehaltsrechte lediglich im Hinblick auf die internationale Lage in Anspruch genommen werden und in diesen Vorbehaltsrechten ein Schutz gegenüber der sowjetischen Besatzungsmacht liege, weil mit ihnen die Klammer für den Zusammenhang für Deutschland als Ganzes und für Vier-Mächte-Verhandlungen beibehalten werde. So die Meinung der Mehrheit des Ausschusses. Im Sinne der schriftlichen Begründung der Bundesregierung zu Art. 2, die ich hier zitiert habe, ist während der Beratungen von der Mehrheit betont worden, daß die Vorbehaltsrechte von der Bundesrepublik lediglich hingenommen und nicht etwa im Sinne einer nachträglichen Anerkennung von Bestimmungen des Potsdamer Abkommens anerkannt würden. Von der Opposition ist zu diesem Art. 2 mit den beiden Vorbehaltsrechten, die die Einheit Deutschlands, Berlin und die Wiedervereinigung betreffen, die Frage gestellt worden, a) um welche Vier-Mächte-Vereinbarungen von 1945 es sich denn handle, die gemäß der Begründung durch die Bundesregierung nicht zerstört werden sollen, und b) welchem dieser Abkommen Frankreich ausdrücklich beigetreten sei und mit welchen Begründungen oder Vorbehalten es beigetreten sei. Bezüglich des Vorbehaltsrechtes, das Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung und eine friedensvertragliche Regelung betrifft, erklärte sich die Opposition von den Interpretationen der Regierungsvertreter hinsichtlich der Fixierung des Begriffs „Deutschland als Ganzes" unbefriedigt. Es wurde die Frage gestellt, was alles unter den Begriff „friedensvertragliche Regelung" fällt. Nach Auffassung der Opposition gehen die Vorbehaltsrechte über eine bloße Bezugnahme auf die internationale Lage hinaus und sind geeignet, die Initiative der Bundesrepublik in der Richtung der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands zu hemmen oder zu unterbinden. Dagegen hat die ({4}) Mehrheit des Ausschusses betont, daß die Vertragsbestimmungen keine Verschlimmerungen des bisherigen tatsächlichen Zustandes bedeuteten; denn das Vetorecht der bisherigen Besatzungsmächte sei zwar nicht aufgehoben, aber durch die Einschaltung der Bundesrepublik in die Erörterungen über die Fragen, die auf die Wiedervereinigung Deutschlands Bezug nehmen, gemildert. Der nächste Artikel ist der Berlin betreffende Art. 6 des Vertrages über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten. In diesem Art. 6, der also eine Art Ausführung zu Art. 2 in bezug auf Berlin ist, wird von den Drei Mächten erklärt, daß sie die Bundes republik hinsichtlich der Ausübung ihrer Rechte in bezug auf Berlin konsultieren werden. In Abs. 2 heißt es, daß die Bundesrepublik ihrerseits mit den Drei Mächten zusammenwirken wird, um es ihnen zu erleichtern, ihren Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin zu genügen. Die Bundesrepublik - so heißt es weiter in diesem Art. 6 wird ihre Hilfeleistung für den politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und finanziellen Wiederaufbau von Berlin fortsetzen; sie wird Berlin insbesondere die Unterstützung gewähren, die in der anliegenden Erklärung der Bundesrepublik - es handelt sich hier um einen ausführlichen Brief, den Sie in den Anlagen gesehen haben -... umschrieben ist. Die Mehrheit des Ausschusses hält die Bestimmungen dieses Berlin betreffenden Art. 6 auf Grund der besonderen Lage der Viersektorenstadt für unvermeidlich. Sie ist auch der Auffassung, daß der zu diesem Artikel gehörige Brief die Gewähr für eine loyale Handhabung des aus der internationalen Situation Berlins heraus gebotenen Vorbehalts Alts bietet. Außerdem weist die Mehrheit darauf hin, daß durch Art. 6 Abs. 1 dieses Vertrages die Möglichkeit eröffnet wird, im Streitfall das Schiedsgericht anzurufen, falls von den Drei Mächten die Konsultationspflicht nicht erfüllt würde. Dagegen verweist die Opposition auf den Art. 9 Abs. 3 des Vertrages über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten, durch den alle in Art. 2 angeführten Vorbehaltsrechte der Drei Mächte ausdrücklich als nicht der Schiedsgerichtsbarkeit unterliegend bezeichnet werden. Nach Auffassung der Opposition wäre es, selbst wenn man sich unter Berufung auf Art. 6 Abs. 1 an das Schiedsgericht wenden würde, zwar möglich, die Vernachlässigung der Konsultationspflicht geltend zu machen, aber es wäre unmöglich, eventuelle Streitigkeiten Berlin betreffend vom Schiedsgericht materiell entscheiden zu lassen, weil auf Grund des Art. 9 Abs. 3 Berlin-Fragen nicht schiedsgerichtsfähig sind. Von der Opposition ist im Zusammenhang mit der Erörterung dieses Berlin-Artikels weiter geltend gemacht worden, daß die Drei Mächte nicht von der Möglichkeit einer Lockerung der Besatzungsbestimmungen z. B. hinsichtlich der Verfügung über die Polizei und ihre einzelnen Beamten in Berlin Gebrauch gemacht haben, die nicht zu Kollisionen mit der vierten Besatzungsmacht führen müßte, weil es sich ja um innere Angelegenheiten im Bereich der Drei Mächte handeln würde. Gegen diese Einwände der Opposition, überhaupt gegen ihre Einwände zum neuen Berliner Besatzungsstatut ist von den Sprechern der Regierung geltend f gemacht worden, der Berliner Senat sei mit dieser Regelung einverstanden. Von der Mehrheit ist weiter gesagt worden, daß sich aus dem herrschenden Verhältnis der Alliierten in Berlin zur dortigen Bevölkerung und zu den verfassungsmäßigen Organen Berlins keine Besorgnis hinsichtlich eines Mißbrauchs des Vorbehaltsrechts ergeben. ({5}) Ich habe mich nun dem Art. 7 des Vertrages über die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den Drei Mächten zuzuwenden. Das ist der Artikel, der die Frage der Wiedervereinigung behandelt. In Abs. 1 dieses Artikels heißt es, daß die Bundesrepublik und die Drei Mächte sich darüber einig sind, daß ein wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen. Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland ist, welche die Grundlage für einen dauerhaften Frieden bilden soll. Die Bundesrepublik und die Drei Mächte sind weiter darüber einig, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu dieser Regelung aufgeschoben werden muß. Im zweiten Absatz dieses wesentlichen Artikels heißt es, daß bis zum Abschluß der friedensvertraglichen Regelung die Bundesrepublik und die Drei Mächte zusammenwirken werden, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen, nämlich ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung ähnlich wie die Bundesrepublik besitzt und das in die europäische Gemeinschaft integriert ist. Der Abs. 3 des Art. 7 hat, wie Sie in dem Schriftlichen Bericht gesehen haben, zu besonders langwierigen Erörterungen geführt. In diesem Abs. 3 wird erklärt, daß im Falle der Wiedervereinigung Deutschlands - vorbehaltlich einer zu vereinbarenden Anpassung - die Drei Ivlächte die Rechte, welche der Bundesrepublik auf Grund dieses Vertrages und der Zusatzverträge zustehen, auf ein wiedervereinigtes Deutschland erstrecken werden und ihrerseits darin einwilligen werden, daß die Rechte auf Grund der Verträge über die Bildung einer integrierten europäischen Gemeinschaft in gleicher Weise erstreckt werden, wenn ein wiedervereinigtes Deutschland die Verpflichtungen der Bundesrepublik gegenüber den Drei Mächten oder einer von ihnen auf Grund der genannten Verträge übernimmt. „Soweit nicht alle Unterzeichnerstaaten ihre gemeinsame Zustimmung erteilen, wird die Bundesrepublik kein Abkommen abschließen noch einer Abmachung beitreten, welche die Rechte der Drei Mächte auf Grund der genannten Verträge beeinträhtigen oder die Verpflichtungen der Bundesrepublik auf Grund dieser Verträge mindern würde." Die Ansichten von Mehrheit und Minderheit des Ausschusses bezüglich des Art. 7 sind im wesentlichen in den in dem Schriftlichen Bericht enthaltenen Berichten der Abgeordneten Dr. von Merkatz - für die Mehrheit - und Dr. Bärsch - für die Opposition - zusammengefaßt worden. Ich verweise auf diese Ausführungen. Von der Mehrheit wird der Art. '7 Abs. 1 als ein wesentlicher Erfolg gegenüber dem bisherigen Zustand bezeichnet, weil, so erklärt die Mehrheit, die Drei Mächte ihre Einigkeit mit der Bundesrepublik darüber erklären, daß ein wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik ({6}) eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland ist, welche die Grundlage für einen dauerhaften Frieden bilden soll. Die Mehrheit des Ausschusses ist der Auffassung, durch diese Erklärung der Drei Mächte werde die Position Deutschlands gegenüber der sowjetischen Besatzungsmacht verbessert. Durch Art. 7 Abs. 4 werde außerdem die Möglichkeit von Verhandlungen zwischen den vier Mächten über den Kopf der Bundesrepublik hinweg ausdrücklich ausgeschlossen. Von der Opposition ist mit dem Hinweis auf die Vorbehaltsrechte in Art. 2, die ich vorhin behandelt habe, die Gültigkeit dieses Arguments der Mehrheit angezweifelt worden. Die Opposition vermißt ferner eine alle Seiten verpflichtende Interpretation bezüglich der Grenzen Deutschlands, die in diesem Artikel nur erwähnt werden, ohne daß es eine Interpretation gibt. Während die Mehrheit des Ausschusses in Art. 7 Abs. 2 eine Bekräftigung und Unterstreichung der verstärkten Position der Bundesrepublik in den Bemühungen um die Wiedervereinigung Deutschlands sieht, erachtet die Opposition die in diesem Teil des Art. '7 enthaltenen Hinweise auf das gemeinsame Ziel der Drei Mächte und der Bundesrepublik, nämlich ein wiedervereinigtes Deutschland, das in die europäische Gemeinschaft integriert ist, unter Hinweis auf die in der Präambel des Vertrages gegebene Begriffsbestimmung der europäischen Gemeinschaft als eine Einengung der Möglichkeiten, die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und mit friedlichen Mitteln zu erreichen. Demgegenüber hat die Mehrheit geltend gemacht, der Begriff europäische Gemeinschaft sei in diesem Zusammenhang nicht begrenzt auf die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl und auf die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, die in der Präambel lediglich als wesentliche Schritte bezeichnet würden. Ich habe nun noch abschließend auf die im Zusammenhang mit dem Abs. 3 des Art. 7 entstandenen Erörterungen über die Frage, ob der erste Teil des Satzes für sich stehen kann oder verbunden mit dem zweiten Teil eine Bedingung ist, festzustellen, welche Erklärungen hier die Regierungssprecher abgegeben haben. Herr Professor Grewe hat erklärt: Die deutsche Verhandlungsdelegation hat eine Formel vorgeschlagen, nach der ein künftiges Gesamtdeutschland zumindest dieselben Rechte wie die Bundesrepublik nach Abschluß des Generalvertrages besitzen muß. Die Alliierten haben diese Formulierung akzeptiert, jedoch mit dem Gegenvorschlag verknüpft, daß Gesamtdeutschland auch die gleichen Verpflichtungen übernehmen soll. die die Bundesrepublik durch die Verträge übernommen hat. insbesondere hinsichtlich der EVG und der Montan-Union. Ergebnis der Verhandlungen ist die erste Formulierung des Abschnitts 3 des Artikels 7 gewesen mit der darin enthaltenen Bindungsklausel. die Anlaß zu so weitgehenden Diskussionen in der öffentlichkeit war. In letzter Stunde vor Unterzeichnung der Verträge ist dann am 26. Mai 1952 auf amerikanische Initative die vollkommen neue Fassung des Artikels 7 erfolgt, die zu dem Ergebnis geführt hat. daß eine automatische Bindung einer künftigen gesamtdeutschen Regierung vermieden wird. daß andererseits aber auch eine Sicherungsklausel gegen das Wiederaufleben eines Kontrollratsmechanismus erreicht worden ist. Der Anfangssatz des Abschnitts 3 erstreckt im Falle der Wiedervereinigung die Rechte aus dem Generalvertrag ohne Bindung auf Gesamtdeutschland. Eine Bindung an die Verträge erfolgt erst dann, wenn Gesamtdeutschland die Rechte aus den europäischen Integrationsverträgen erwerben will und sich verpflichtet, auch die in diesen Verträgen von der Bundesrepublik übernommenen Verpflichtungen zu übernehmen. Es muß ausdrücklich betont werden, daß sich der erste Satz dieses Abschnitts nur auf den Generalvertrag und seine Zusatzverträge bezieht. Zu den wiederholt gegen den Schluß des Absatzes 3 des Artikels 7 geäußerten Bedenken ist - so schließt Professor Grewe festzustellen, daß diese Klausel lediglich wiederholend feststellt, daß die Bundesrepublik die in den Vertragswerken übernommenen Verpflichtungen respektieren werde. Eine solche Formel entspricht den völkerrechtlichen Gepflogenheiten und findet in vielen internationalen Verträgen Anwendung. Zu verweisen ist zum Beispiel auf den 1923 in Washington geschlossenen Neun-Mächte-Vertrag betreffend Vorderasien. Herr Staatssekretär Hallstein hat auf Aufforderung zu diesen Interpretationen des Abs. 3 des Art. 7 eine Erklärung abgegeben, in der es heißt: Zu Artikel 7 Absatz 3 möchte ich folgendes sagen. Die Interpretation, die Herr Professor Grewe dem Artikel '7 Absatz 3 gegeben hat, ist mir mitgeteilt worden. Ich beurteile die Sache folgendermaßen: Professor Grewe hat an den Verhandlungen, die zu dieser letzten Formulierung des Absatzes 3 geführt haben, nicht teilgenommen. ({7}) Er hat den Artikel Artikel 7 Absatz 3 beurteilt als ein Experte, freilich als ein Experte, der eine genaue Kenntnis von der Problematik und dem bisherigen Gang der Verhandlungen hatte. Er hat in dieser Sachverständigenbeurteilung des Artikels 7 Absatz 3 eine These entwickelt, die für den Rechtsstandpunkt der Bundesrepublik vielleicht eine Chance enthält. Ich weiß nicht, wie groß die Chance ist. Ich weiß überhaupt nicht, wieviel in dieser Kontroverse steckt. ({8}) Ich habe mich das natürlich auch gefragt, ob nun der Punkt dasteht oder nicht. wieweit das trägt, praktisch, aber es wird ja offenbar angenommen, daß etwas darin stecke. ({9}) Ich muß also annehmen, daß sich ein gewisses Interesse hinter dem Unterschied verbirgt. Wenn das so ist. so würde ich doch sagen, ich möchte jetzt nicht mich und die Bundesregierung auf eine andere Auslegung als eine günstige Auslegung, die ein sachverständiger Betrachter diesem Artikel hat zuteil werden lassen, festlegen. Zuständig für die verbindliche Auslegung dieses Artikels wird das Schiedsgericht sein. Dieses wird an die Beurteilung mit einer noch grö({10}) ßeren Unbefangenheit herantreten als ein deutscher sachverständiger Begutachter, der an diesen Verhandlungen beteiligt gewesen ist. Damit, meine Damen und Herren, habe ich die Aufgabe, Ihnen Aufklärung über diesen Teil des Berichts zu geben, erfüllt. ({11})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ich danke den Herren Berichterstattern. Ich eröffne die Aussprache über die bisher erstatteten Berichte. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Henle.

Dr. Günther Henle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000867, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! In verdienstvoller Arbeit haben sich die Ausschüsse in die uns vorliegenden umfangreichen Texte vertieft. Über die Einzelheiten ihrer Ergebnisse werden wir uns hier morgen und übermorgen noch ausführlich auseinandersetzen. Aber wir wissen ja alle, daß die große Frage, vor die sich dieses Haus gestellt sieht, doch die politische Entscheidung über das Ganze bleibt, die Zustimmung oder Ablehnung zu der politischen Gesamtkonzeption, die in diesem Vertragswerk ihren Niederschlag gefunden hat. Auf die einfachste Formel gebracht, bedeutet diese Gesamtkonzeption die Eingliederung unserer Bundesrepublik in das größere Gefüge eines europäischen Zusammenschlusses. Diesen Zusammenschluß zu verwirklichen, sehen wir als eine heute nicht nur uns, sondern ganz Europa gestellte Aufgabe an. Daß wir Deutsche darüber nicht unser wichtigstes Anliegen, die Wiederherstellung der Einheit unseres eigenen Landes, vergessen dürfen, ist selbstverständlich; denn ohne diese Einigung müßte jeder europäische Zusammenschluß nur Stückwerk bleiben. So ist es das Problem dieses Zusammenschlusses, um das es geht und demgegenüber wir uns nun zu klarer Stellungnahme bekennen müssen. Seit wir uns im Sommer erstmalig in diesem Hause mit dem Vertragswerk beschäftigt haben, hat natürlich die Uhr nicht stillgestanden. Neue Gesichtspunkte haben sich in der Zwischenzeit in den Vordergrund geschoben. Nicht zuletzt hat das Widerstreben wichtiger Faktoren der französischen Öffentlichkeit gegen das Vertragswerk größere Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Aber lassen wir uns dadurch nicht täuschen. Die Grundfragen deutscher Außenpolitik ändern sich nicht so rasch; und deshalb sollten wir uns von der Haltung mancher französischer Politiker, wie sie neuerdings. in die Erscheinung getreten ist, auch in unseren Erwägungen nicht allzusehr beeinflussen oder gar ablenken lassen. Denn jene Haltung erscheint mir doch sehr vom Augenblick und auch von Gefühlsmomenten bedingt zu sein, und mit diesen läßt sich schwer rechten. Und schließlich ist es die eigene Angelegenheit der Franzosen, sich mit dem Vertragswerk auseinanderzusetzen und das Für und Wider vom französischen Standpunkte aus zu erwägen, ohne daß wir Anlaß dazu hätten, uns da einzumischen. ({0}) Wir bedauern es natürlich sehr, daß die deutschfranzösischen Beziehungen, die sich so erfolgreich zu entwickeln versprachen und hoffentlich trotz allem auch erfolgreich entwickeln werden, so leicht gewissen Rückschlägen unterliegen, wie sie namentlich in der Saarfrage letzthin eingetreten sind. ({1}) Es ist hier nicht der Ort, darauf nochmals näher einzugehen, und zudem ist unsere Haltung ja bekannt. Wir versagen uns keiner Lösung der Saarfrage, die den demokratischen Grunderfordernissen gerecht wird; auch sind wir durchaus bereit, den französischen wirtschaftlichen Interessen im Rahmen einer Neuregelung Rechnung zu tragen, sofern dies nicht in so einseitiger Weise geschieht, wie das bisher der Fall war. ({2}) Aber wir lehnen es ab, das uns hier vorliegende Vertragswerk mit dem Westen von dem vorherigen Zustandekommen einer solchen Neu-. regelung abhängig zu machen. ({3}) Legt die französische Regierung ihrerseit Wert darauf, vor der Ratifizierung der Verträge durch Frankreich möglichst noch eine solche Bereinigung eintreten zu lassen, so ist es ihre Sache, dafür die Voraussetzungen zu schaffen. ({4}) Das heißt, sie muß bereit sein, auch unserem Standpunkt genügend Rechnung zu tragen, um eine beiden Seiten billig erscheinende Lösung zu ermöglichen. Im übrigen aber birgt die Saarfrage die Gefahr in sich, daß wir über ihr hüben und drüben unser großes, gemeinsames Ziel aus dem Auge verlieren. Was an uns liegt, soll geschehen, damit dieser Fehler vermieden wird. ({5}) Von Europa reden heißt natürlich auch nach Osten blicken. Von diesem Blick nach Osten leiteten sich bisher ja auch die Haupteinwände der Opposition gegen das Vertragswerk her. Rußland wird, so hieß es, der Einbeziehung seiner Zone in den Rahmen, den das Vertragswerk schafft, nicht zustimmen, und deshalb dürften auch wir diese Verträge nicht ratifizieren. Das haben wir in mancherlei Variationen gehört; es klang immer wieder durch wie das Leitmotiv in einer Wagnerschen Oper. Aber es war doch nicht überzeugend; denn es vertrug keine Abwandlung wie etwa die, daß bei einer Ablehnung der Verträge durch uns die Zustimmung Moskaus zu einer Regelung der deutschen Fragen, der auch wir zustimmen können, dann wenigstens in halbwegs sicherer Aussicht stehe. So lief denn die Sache der Opposition darauf hinaus: Dem Westen wollen wir uns nicht verschreiben, vom Osten ist wenig zu erhoffen, optieren ist überhaupt vom Übel; also sagen wir nein und drängen wir darauf, daß sich die Siegermächte von 1945 erst einmal unter sich über die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands einigen. Wir alle hier und die breite Öffentlichkeit haben daraus schließlich nur entnehmen können, daß bei diesem Rezept das folgende Bild herauskommen müsse: Wir verlieren die Unterstützung des Westens, dem wir dann ja eine formelle Absage erteilen; wir gewinnen für uns nicht den Osten, es sei denn, daß wir uns ihm verkaufen, was wir weder wollen noch können; wir bleiben also stehen, wo wir bisher standen; und aller bisheriger Anlauf zur Wiedereingliederung Deutschlands in die Reihe der freien Völker dieser Welt, zu seiner Befreiung von fremder Bevormundung, endet vorerst einmal in einer absoluten Sackgasse oder, wie die Juristen es ausdrücken, in einem Konkurse mit der Verteilungsquote von Null. ({6}) ({7}) Wahrlich, das ist kein trostreiches Bild, was uns damit geboten wird! Im Gegenteil, man ist dabei eher versucht, an Dantes Inschrift über der Eingangspforte zur Hölle zu denken: „Laßt, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren!" Doch derart im rein Negativen steckenzubleiben, können wir uns als Regierungsparteien nicht leisten. ({8}) Damit wäre unserem Volke schlecht gedient. Wir sind uns mit der Opposition völlig einig, daß Viermächteverhandlungen mit Moskau in hohem Maße wünschbar sind und daß nichts unterlassen werden soll., um dahin zu gelangen. Wir denken auch gar nicht daran, solche Verhandlungen etwa dadurch erschweren zu wollen, daß wir sie an Voraussetzungen binden, die dem einen oder anderen Verhandlungspartner wirklich nicht zumutbar sind. Ich verstehe aber nicht ganz, wie man immer noch so tun kann, als ob man erst einmal mit den Russen an einem Tisch gesessen haben müsse, um dann endlich zu wissen, zu welchen Bedingungen Moskau zu einer Vereinbarung über die Regelung der deutschen Fragen bereit sei. Ich verstehe das deshalb nicht, weil die Russen das in ihrer ersten Note vom 10. März dieses Jahres bereits ganz klar gesagt haben. Diese Note enthält wahrlich mehr als genug des u n s Unzumutbaren, von dem geforderten Verzicht auf die Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie angefangen bis zu den Punkten 4 und 5 jener Note, die weiter nichts bezweckten als die 'Sicherstellung der Möglichkeit einer künftigen kommunistischen Unterspülung Deutschlands. ({9}) Außerdem bedeutete diese Note vom 10. März doch die ganz klare Forderung, daß bestimmte, sehr wesentliche Punkte eines kommenden Friedensvertrages den Russen vorab zugestanden werden müssen; in diesen Punkten sollten also vom Osten her der noch gar nicht wieder vorhandenen gesamtdeutschen Regierung vorweg die Hände gebunden werden. Dazu gehörte vor allem - neben der schon erwähnten Anerkennung der Oder-Neiße-Linie - die praktische Neutralisierung Deutschlands. Von dieser Neutralisierung, meine Damen und Herren, hat es sich aber doch nachgerade in der Welt herumgesprochen, daß sie so ungefähr den verkehrtesten Weg darstellen würde, den wir in unserer Außenpolitik einschlagen könnten. ({10}) Alle weiteren russischen Noten bis zu der letzten vom vergangenen August haben dann dieses Programm nur bestätigt. Trotzdem wollten viele bei uns diesen Sachverhalt als solchen einfach nicht zur Kenntnis nehmen. Solche Ersetzung kühler Abwägung der Verhandlungsmöglichkeiten durch das, was die Briten und Amerikaner wishful thinking - das ist ein Denken in Wunschträumen - nennen, hat es dem Kreml ermöglicht, sein die ganze Welt faszinierendes Gaukelspiel zu inszenieren, das recht eigentlich dazu bestimmt war, den anderen Völkern, aber vor allem dem deutschen Volk, den Kopf zu verdrehen. ({11}) Und schon hieß es bei uns plötzlich in merkwürdiger Umdrehung der Wirklichkeiten, w i r dürften den Russen nicht Dinge vorsetzen, die ihnen nicht zumutbar wären; wir müßten ihnen doch eine Chance lassen, oder auch, wir müßten uns klarwerden, daß wir einen sehr hohen Preis zu entrichten haben würden. Dazu rückschauend nur einige kurze Bemerkungen. Was die Chancen anlangt, so hat Moskau sie doch wirklich seit einem Jahrzehnt in reichster Fülle gehabt und, wo immer es nur konnte, auch schonungslos genutzt. Und den Preis? Darüber ist viel bei uns geredet und geschrieben worden. Aber ich meine, das vorzeitige Gerede darüber ist doch der Sache wenig dienlich. Erst im Laufe von Verhandlungen zeigt es sich, was jede Seite zum Zustandekommen eines Ergebnisses beitragen muß. Unter normalen Verhältnissen jedenfalls kommt doch niemand so leicht auf den Gedanken, als Schwacher, ja nahezu Ohnmächtiger davon zu reden, e r müsse dem Mächtigen und Hochgerüsteten Chancen lassen und einen Preis bieten, der diesem auch annehmbar erscheine. Damit stellt man ja geradezu alles auf den Kopf und läuft Gefahr, ganz unversehens und ungewollt zum Anwalt der Gegenseite zu werden. ({12}) Wenn ich als Geschäftsmann dazu eine Bemerkung machen darf, so möchte ich sagen, daß, wenn ein anderer Geschäftsmann vor wichtigen Verhandlungen so operieren wollte, ich mir ihn zum Konkurrenten wünschte. ({13}) Da ist die nüchternste Erwägung am Platze; und die ergibt folgendes. Moskau hat seit der Besetzung der ost- und mitteldeutschen Gebiete durch die Rote Armee eindeutig erkennen lassen, daß es dieses große Teilgebiet Deutschlands seinem System anzugleichen und aus ihm eine Hochburg des Kommunismus zu machen trachtet. 1948 streckte es mit der Blockade West-Berlins seine Hände auch nach dieser letzten Insel der Freiheit im deutschen Ostraum aus und ließ von diesem Versuch erst ab, als es auf eindeutigen Widerstandswillen stieß. Das alles paßt aber in ein noch weit größeres Gesamtbild. Moskau könne, so hat man uns inzwischen belehrt, in Verhandlungen sehr rasch zu Entschlüssen kommen und auch das Steuer herumwerfen. Gewiß, im Zupacken, wo sich Gelegenheit zur Ausbreitung der Macht des Kreml und des Weltkommunismus bot, war Moskau immer rasch bei der Hand. So schloß es 1939 gleichsam von heute auf morgen mit Hitler ab, als sich ihm der Zugriff auf Estland, Lettland, Litauen und die polnischen Ostgebiete bot. Rasch ließ es sich Bessarabien und die Nordbukowina abtreten, als Rumänien 1940 in Bedrängnis geriet. In Jalta war es 1945 sehr zu haben für Abmachungen mit dem Westen, als diese ihm ungeahnte Möglichkeiten eröffneten. Davon hat es dann ja auch rasch genug wahrlich vollsten Gebrauch gemacht bis hin zum denkwürdigen und für die ganze Welt so lehrreichen Prager Putsch von 1948. ({14}) Als die USA Ende 1948 Südkorea von ihren Truppen hatten räumen lassen, sah Moskau auch hier bald eine Chance zum Zupacken des Kommunismus. Das ist die eine Seite der Rechnung. Die andere aber lautet: Finnland, Griechenland und die Türkei. Hier zeigte es sich, daß Rußland überall dort, wo es ernsten Selbstbehauptungswillen und Selbstverteidigungswillen erkannte, davon abgesehen hat, weiterzugehen. Das gleiche erwies sich dann auch bei der Berliner Blockade. ({15}) Das alles, meine Damen und Herren, sind Erfahrungstatsachen, und die darauf aufbauenden Erkenntnisse lassen sich aus dem bloßen Ablauf der Ereignisse gewinnen. Schlägt die außenpolitische Berechnung aber solche Erfahrungen in den Wind, so kann sie nicht mehr Anspruch darauf erheben, ernst genommen zu werden. ({16}) Und darum habe ich Ihnen ja diese kurze Erfahrungsbilanz unterbreitet. Gewiß, es kann bei jeder Macht auch Umschwünge, ja einen entscheidenden Kurswechsel geben; doch dafür bedarf es dann schon sehr greifbarer Beweise, bevor die Welt daran glauben kann. Wir selbst wissen j a, wie schwer es für uns ist, das Mißtrauen zu überwinden, das viele Völker nach den Erfahrungen, die sie mit Hitler-Deutschland gemacht haben, uns auch heute noch entgegenbringen. Und doch ist bei uns das Regime, das der Urheber dieser üblen Erfahrungen war, im schlimmsten Bankrott zusammengebrochen und hinweggefegt worden. In Moskau aber ist kein Regimewechsel eingetreten, und von wirklichen Beweisen für einen Kurswechsel uns gegenüber kann bisher doch ernstlich nicht die Rede sein. ({17}) Wir wollen uns gern eines Besseren belehren lassen, und wir sind - ich sage es nochmals - sehr für Verhandlungen, die uns weiterbringen können. ({18}) Aber wir halten dafür, daß bei dem bisherigen russischen Verhalten die Schaffung einer Verteidigungsmöglichkeit für uns aus reinem Selbsterhaltungstriebe heraus ein geradezu elementares Erfordernis ist. ({19}) Erst wenn die Russen sehen, daß uns nichts davon abbringt, diese Verteidigungsmöglichkeit im Rahmen des uns Möglichen auch zu schaffen, werden sie unter Bedingungen mit sich reden lassen, die für u n s zumutbar sind. ({20}) Das scheint mir die Lehre der Vergangenheit zu sein, das Fazit, das aus diesen Erfahrungen gezogen werden muß. ({21}) Für uns kommt es dabei darauf an, daß die Frage der deutschen Wiedervereinigung einer der Hauptpunkte jedweder Ausgleichsmöglichkeit zwischen Ost und West bleibt, - unsere Verträge mit dem Westen dienen mit diesem Zweck. Wenn es dann über kurz oder lang einmal zu der erhofften Aussprache kommt, so wird für jedes Moskauer politische Kalkül die Frage von entscheidender Bedeutung sein, wie die allgemeinen Machtverhältnisse gelagert sind. Treffend drückte die „Neue Zürcher Zeitung" in einem Bericht aus Bonn diesen Sachverhalt unlängst mit den Worten aus: In Tat und Wahrheit ist die Frage der Wiedervereinigung eine solche des weltpolitischen Kräfteverhältnisses. ({22}) Aus der Gewißheit, daß dem so ist, ergibt sich die Folgerung, daß unsere Aussichten, zum Ziele einer Wiederherstellung der deutschen Einheit zu gelangen, um so größer sein werden, ein je stärkeres Gewicht der Westen in die Waagschale zu werfen vermag und je mehr die Westmächte sich K uns gegenüber verpflichtet fühlen, die Wiedervereinigungsforderung sich zu eigen zu machen. Wenn wir dem Westen jetzt die große Absage zukommen lassen, wie die Opposition das fordert, so wird ein solches Gefühl des Verpflichtetseins sich rasch verflüchtigen, während bei einem Inkrafttreten der Verträge diese Verpflichtung verbrieft und versiegelt vorliegt. ({23}) Herr Kollege Erler hat demgemäß bei der ersten Lesung hier gesagt, man könne nicht mit einem Eisenbahnzug gleichzeitig auf verschiedenen Gleisen in verschiedene Richtungen fahren, und das sei genau das, was wir hier zu unternehmen versuchten. Nun, mir will scheinen, daß sich der Herr Kollege Erler, als er die Vision dieses Bildes hatte, in ein sogenanntes Lachkabinett verirrt haben muß, wo man bekanntlich alles in verzerrter Form sieht. ({24}) Was die Opposition vorschlägt, läuft in Wirklichkeit darauf hinaus, den Zug einfach stehen zu lassen; aber damit kommt man bekanntlich nicht weiter, sondern verpaßt einfach jeden Anschluß. ({25}) Das alles sind die Erwägungen, die es uns schon im Sommer unmöglich machten, die Darlegungen der Opposition als durchschlagend gelten zu lassen. Wir glauben Ihnen von der SPD gern, daß Sie die deutsche Wiedervereinigung ebenso eifrig erstreben wie wir. ({26}) - Meine Herren, darin können Sie es uns allenfalls gleichtun; übertreffen können Sie uns darin nicht! ({27}) Aber wir vermissen in all den Darlegungen, die sie bisher zu diesen ganzen Fragen gemacht hat, die realpolitische Einsicht. Es ist leider so, daß die Lösung dieser Fragen nicht mit bloßem Pochen auf unser Recht erzwungen werden kann, sondern größte staatsmännische Einsicht und staatsmännisches Können erfordert. ({28}) Davon, daß diese Fähigkeiten in den Reihen der Opposition anzutreffen wären, haben Sie ({29}) uns bisher nicht überzeugen können. ({30}) Darüber aber, daß der verantwortliche Leiter der Bundesregierung über diese Eigenschaften verfügt, ist sich heute bereits die gesamte Weltmeinung einig ({31}) - natürlich abzüglich der rund 130 oder 140 Damen und Herren auf der linken Seite dieses Hauses. ({32}) Doch, wenden wir nun den Blick zurück zu den gesamtdeutschen Fragen! Ich sprach schon davon, daß wir im europäischen Zusammenschluß eine uns und den anderen. europäischen Völkern gestellte Aufgabe sehen. Die Lösung dieser Aufgabe ist so notwendig wie dringlich, und darüber war sich bei ({33}) 1 uns hier in Deutschland eigentlich alle Welt auch schon einig. Deshalb hat sich gerade hiergegen auch die östliche Propaganda mit der ihr eigenen Vernebelungskunst gerichtet. Diese Propaganda verfälscht die ganze Frage geflissentlich mit der Behauptung, die Integrationspolitik solle nur der Vorbereitung eines Angriffs gegen den Osten dienen. Das freilich ist eine eklatante Unwahrheit, und nicht zuletzt ist sie es deshalb, weil w i r uns zu etwas Derartigem niemals hergeben würden. ({34}) Wenn der Moskauer Politik aber wirklich an der Aufrechterhaltung der Zersplitterung der Mitte und des Westens unseres Kontinents gelegen ist und sie darin ein wichtiges Ziel ihrer Politik sieht, so macht gerade das den Zusammenschluß nur um so dringender notwendig. Nehmen wir aber das Problem aus seiner politisch-propagandistischen Umnebelung heraus, so ergibt sich die Notwendigkeit der europäischen Einigung als eine Angelegenheit, die vom Verhalten des Ostens ganz unabhängig ist. Sie ist einfach ein überaus dringendes Zeiterfordernis, das sich zwangsläufig aus der Umgestaltung der gesamten Weltlage durch die zwei Weltkriege ergibt. Westeuropa ist nicht mehr wie ehedem der Herr dieser Erdkugel. Die Schwergewichte haben sich von unserem Kontinent fort in die Weite der großen Räume verlagert. Bleibt Europa ungeachtet dieser Tatsache in sich aufgespalten in zahlreiche, an den heutigen Maßstäben gemessen kleine Nationalstaaten mit ihren nationalen Eigenwirtschaften und aller sonstigen Eigenbrötelei, so kommt es einfach nicht mehr mit bei den Erfordernissen der modernen Entwicklung; es bleibt hoffnungslos zurück auch im friedlichen Wettstreit der Völker und verliert schließlich seine Eigenständigkeit, d. h. die Bestimmung über sein eigenes künftiges Schicksal. Wir haben uns deshalb der Arbeit an dem Gedanken der europäischen Einigung in der Überzeugung, ja in der Gewißheit verschrieben, damit auf dem richtigen Wege zu sein. Daran ändert sich auch nichts, wenn wir zunächst nur jenes „Kleinsteuropa" als Ansatz zu weiterem Ausbau zustande bringen, von dem die Opposition so wegwerfend spricht. Dieses Kleinsteuropa reicht immerhin von der Ostsee bis nach Sizilien und an die Pyrenäen, und es umfaßt damit schon 155 Millionen Menschen. ({35}) Auch kleiner Anfang trägt den Keim zum Wachsturn in sich. Wie falsch dabei der so häufige Hinweis auf das Abseitsstehen Englands ist, beweist die Haltung der britischen Regierung selbst, die in der Form der Assoziation an der Arbeit der Montan-Union praktisch bereits teilnimmt. Auch ihre positive Haltung zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft hat sie mehr einmal deutlich bekundet. Montan-Union und Verteidigungsgemeinschaft bleiben jedem Beitritt offen, und Sie dürfen sich darauf verlassen, daß dieser Anfang zu einem geeinten Europa unaufhaltsam wachsen und sich ausbreiten wird - allen Einwänden und allen ängstlichen Zweiflern zum Trotz -, ({36}) schon deshalb, weil die Völker des ewigen Zwiespalts und der europäischen Zerrissenheiten müde geworden sind. ({37}) In diesem Sinne haben wir den Schumanplan immer nur als einen Anfang gesehen und schrecken nicht vor weiteren folgenschweren Schritten . auf dem gleichen Wege zurück, auch wenn das manch einem geradezu revolutionär erscheinen mag. ({38}) - Ja, meine Herren, hören Sie einmal zu! Der Herr Kollege Veit beispielsweise von der Sozialdemokratie hat mir schon bei der Schumanplandebatte das Tragen der Jakobinermütze gewissermaßen zum Vorwurf gemacht ({39}) fast wollte es scheinen, als ob es aus etwas neiderftilltein Herzen kam -; ({40}) aber jedenfalls hat er den Sachverhalt verzeichnet, wenn er meinte, ich trüge nur die Maske des Revolutionärs, die mir gar nicht zu Gesichte stehe. Nein, meine Herren von der Opposition: täuschen Sie sich nicht! In dieser Hinsicht sind heute unsere Rollen - nicht eingebildetermaßen, sondern tatsächlich - vertauscht! ({41}) S i e sind es, die sich heute außenpolitisch als das retardierende Element erweisen, ({42}) als die Gralshüter der nationalen Eigenständigkeit und Souveränität, die Sie in den uns vorliegenden Verträgen nicht genügend gewahrt glauben. ({43}) Sie behaupten dabei, das seien Werte, deren Preisgabe man einseitig nur u n s aufnötigen wolle, was aber gar nicht richtig ist. Wenn man Sie in diesem Punkte beim Wort nimmt, so sagen Sie, Sie teilten die Meinung, daß Souveränität „eine alte, eine abgestandene Sache" sei, - ich zitiere hier wörtlich einen Kollegen, den ich leider in der ersten Reihe der Opposition heute vermisse. Nun gut, dann darf man sich aber nicht hinstellen und gleichzeitig als Parole ins Volk hinaus gegen die Verträge ins Feld führen, wir erhielten mit ihnen weder Souveränität noch Gleichberechtigung. Solche Behauptung soll dann belegt werden mit dem Hinweis auf die Übernahme von vertraglichen Lasten und Bindungen, die auch wir im einzelnen nicht erfreulich finden; ({44}) aber darum schließen sie noch lange nicht einen Souveränitätsverzicht in sich. Selbst beim Versailler Vertrag, der doch von einem ganz anderen Geiste beseelt war wie diese Verträge, ist es doch niemandem in den Sinn gekommen, zu behaupten, daß die vielen, weit schwereren Lasten und die einschneidenden Kontrollen, die er uns auferlegte, einen Verlust der deutschen Souveränität bedeuteten. ({45}) Gewiß finden sich im Deutschland-Vertrag die Vorbehaltsrechte und die Notstandsklausel. Diese Fragen werden hier ja noch ausführlich behandelt werden, welcher Erörterung ich nicht vorgreifen will. Aber so viel möchte ich doch vom politischen Gesichtspunkte aus dazu sagen, daß unser eigenes wohlverstandenes deutsches Interesse, das für diese Vertragsklauseln spricht, meiner Ansicht nach leicht dargetan werden kann. ({46}) Etwas anderes, meine Damen und Herren, sind die Souveränitätsverzichte, die den Aufbau übernationaler Organe des europäischen Zusammenschlusses ermöglichen sollen. Auf die Schaffung solcher Organe legen wir allerdings größtes und entscheidendes Gewicht. Wir haben es deshalb auch lebhaft begrüßt, daß der Ministerrat der Montan-Union den Vorschlag gemacht hat, auf dem mit der Montan-Union und der Verteidigungsgemeinschaft eingeschlagenen Wege nicht stehen zu bleiben, sondern diese wirtschaftlichen und militärischen Zusammenschlüsse nun auch tunlichst rasch politisch zu untermauern. Argumente dagegen lassen sich natürlich jederzeit in beliebig großer Zahl ins Treffen führen. Hüben und drüben wird vor Übereilung gewarnt. Aber es ist sehr gefährlich, Fortschritte, wie sie die Entwicklung erheischt, auf die lange Bank zu schieben; man könnte dabei allzuleicht den geschichtlichen Augenblick, der die große Gelegenheit bot, verpassen. ({47}) Von Bismarck stammen die Worte: Wenn der Staatsmann den Mantel Gottes durch die Ereignisse rauschen hört, so ist alles, was er tun kann, vorzuspringen und den Zipfel seines Gewandes zu erfassen. ({48}) Ich gebe zu, daß sowohl das Hören des Rauschens wie auch das Erfassen des Zipfels, um in Bismarcks Bilde zu bleiben, eine hohe politische Kunst erheischen. Aber auch die Opposition sollte es doch nicht ganz vernachlässigen, sich in dieser Kunst ein wenig zu üben, ({49}) statt deren Ausübung so ausschließlich dem Herrn Bundeskanzler zu überlassen. ({50}) Sie läuft dabei wirklich Gefahr, Herr Kollege Schoettle, daß es dann eines Tages von ihr heißt wie bei Schiller im Don Carlos: 23 Jahre! Und nichts für die Unsterblichkeit getan. ({51}) Das Bahnbrechen für ein besseres Morgen ist immer auch mit der Beseitigung mancherlei Gestrüpps von gestern verbunden. Es ist hier schon bei der ersten Lesung darauf hingewiesen worden, daß der Deutschland-Vertrag zum großen Teil der Liquidation der alten Politik diene, während der EVG-Vertrag ein Bestandteil der neuen Politik sei. Beides aber läuft darauf hinaus, daß wir - das vor nur wenigen Jahren geschlagene und in seinem gesamten Gebiet besetzte Land - jetzt wieder gleichberechtigt neben den anderen Völkern stehen. Darüber hinaus trägt es uns in unserer so gefährdeten Lage ein Verteidigungsbündnis mit nicht weniger als vierzehn Ländern, darunter die Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien, ein. Das ist doch immerhin keine Alltäglichkeit, und es sollte nicht nötig sein, näher auszumalen, was dieser schicksalhafte Wandel im Leben des deutschen Volkes bedeutet. Natürlich ist die Liquidation der Besatzungspolitik für uns in mancher Hinsicht mit Unerfreulichem verknüpft. Das Wesentliche aber ist doch schließlich, daß dieses Regime jetzt seine Beendigung finden soll! Daß die Besatzungsmächte sich dabei die Abwicklung einer Reihe von Dingen noch vorbehalten haben und daß sie gewisse Sicherheiten forderten, das war zu erwarten und kann schwerlich überrascht haben. Wer vermöchte da mit Berechtigung zu bestreiten, daß die Bundesregierung diesen Verlangen in vielfacher Hinsicht Rechnung tragen mußte und sich nicht auf eine Linie kategorischer Ablehnung jedweder Verpflichtungen begeben konnte? Auch ich bin durchaus nicht mit allem und jedem einverstanden, was die Bundesregierung da zugestehen zu müssen geglaubt hat. Aber es gibt kein Vertragswerk, bei dem man nicht dieses und jenes mit in Kauf nehmen muß. Oder glauben Sie etwa, meine Damen und Herren von der Opposition, daß, wenn Sie als Regierung diese Verhandlungen zu führen gehabt hätten, es einfach nach dem Märchen vom Tischlein-deck-dich zugegangen wäre, ({52}) wo man nichts als Leckerbissen aufgetischt bekommt, die man einfach nur zu verlangen braucht? ({53}) Auf Einzelheiten hier einzugehen, betrachte ich nicht als meine Aufgabe; denn ich wollte Ihnen ja nur das politische Gesamtbild zeichnen, das wir uns bei unserer Debatte vor Augen halten müssen. Worauf es ankommt, ist, daß wir dem Vertragswerk jetzt unser Ja-Wort geben. Denn darüber sind wir uns ja wohl alle klar: dieses Werk zum Scheitern zu bringen, bedeutet, schwerste Verantwortung auf sich zu nehmen, besonders auch gegenüber unseren Landsleuten in der Ostzone. ({54}) Und jeder von uns prüfe nur recht genau die Frage, ob er es vor seinem Gewissen rechtfertigen kann, eine solche Verantwortung vor der Geschichte und vor dem eigenen Volke auf sieh zu laden. ({55}) Die Opposition könnte nur dann mit gutem Grunde alles unternehmen, um die Verträge zum Scheitern zu bringen, wenn sie eine bessere Fahrtrichtung wüßte, wenn sie eine Ersatzlösung, die erfolgversprechend ist, in Vorschlag bringen könnte. Alles, was wir bisher von ihr zu hören bekamen, hat aber gezeigt, daß das nicht der Fall ist. ({56}) Ihre Politik erschöpft sich im Sturmlauf gegen diese Verträge. Aber nehmen wir auch nur einen Augenblick einmal an, der SPD gelange ihr Vorhaben schließlich doch und das Vertragswerk bliebe auf der Strecke! Unter welcher Parole wollen Sie dann vor das Volk treten? Sagen Sie uns nicht, wir sollten das nur Ihre Sorge sein lassen! Hier handelt es sich nicht um Parteianliegen, sondern um das Schicksal unseres Gesamtvolkes in West und Ost! ({57}) Das Bündnis mit der freien Welt des Westens zur Sicherung unseres Bestandes und unserer Zukunftsaussichten hätten Sie dann zerschlagen, ({58}) ({59}) lie Türe dem Westen gegenüber vorerst einmal knallend ins Schloß geworfen. ({60}) Auf der Haben-Seite könnten Sie dann erfolgreich verbuchen, daß wir glücklich wieder dahin zurückgekehrt sind, wo wir vor vier Jahren angefangen haben, nämlich zum Besatzungsregime und damit zu den olympischen Thronen des Petersberges! ({61}) Daß dem deutschen Volke damit gedient wäre, wird wohl niemand ernstlich behaupten können. ({62}) Schließlich ist dieses deutsche Volk ja Zeuge gewesen des langen Weges von der Austilgung des Morgenthau-Acker-Planes über die Beendigung der Demontagen und die Aufhebung der Industrieverbote zu dem Wiederaufleben unserer Wirtschaft und unserer gleichberechtigten Teilnahme an den Ratstischen Europas. Gewiß handelt es sich auch bei diesen bereits erreichten Etappen noch keineswegs um ein Vollenden. Aber ist das alles denn ein Nichts? Oder wäre man nicht vielmehr berechtigt, mit Heinreich Heine zu fragen: „Liebchen, was willst Du mehr?" ({63}) Natürlich sind auch wir mit dem Bilde, das der Westen uns heute bietet, noch keineswegs zufrieden; dazu gibt es noch zu viele ungelöste Probleme. Aber über allen diesen Fragen waltet der Zwang zu friedlicher Verständigung und zum Zusammenschluß Europas, wenn wir nicht Stalins neueste Prophezeiung wahrmachen wollen, daß die Welt des Westens sich durch ihre Gegensätze im eigenen Lager zugrunde richten werde. ({64}) Gerade wo Klippen und Gefahren heute vielerorts auftauchen, an denen das große Werk der Einigung des Westens scheitern könnte, gilt für uns doppelt dringend die Mahnung, die der amerikanische Staatsmann Benjamin Franklin schon im Jahre 1787 in die Worte kleidete: „Es gibt für Europa nur eine Lösung: Sofort eine verfassunggebende Versammlung einzuberufen, die alle die verschiedenen Staaten und Monarchien in einer föderalen Union zusammenschließt." Damals verhallte diese Mahnung ungehört; statt dessen zogen anderthalb Jahrhunderte eines sich ständig steigernden Nationalismus und Imperialismus herauf, ({65}) der, meine Damen und Herren von der äußersten Linken, im Totalitarismus seinen logischen Schlußstein fand. Das Ende dieses Weges bildete die Katastrophe des zweiten Weltkrieges. ({66}) - Meine Herren von den Kommunisten, ob es nochmals zu einer Katastrophe kommt, hängt ausschließlich von Ihren östlichen Vorgesetzten ab. ({67}) Die Zeugen der Katastrophe des zweiten Weltkrieges sehen wir noch tagaus, tagein in den Ruinen unserer Städte vor uns. ({68}) Da ist es denn heute wahrlich an der Zeit, sich der seherischen Mahnung Franklins zu erinnern. Seine Mahnung ein zweites Mal in den Wind zu schlagen, heißt Europa dem Untergang überantworten. ({69}) Das ruft man von Amerika aus uns auch heute noch eindringlich zu. ({70}) Der Weg zur Einigung Europas wird aber so gut wie verbaut, wenn wir dem uns vorliegenden Vertragswerk unsere Zustimmung versagen. Dann ist ein Rückschlag in der großen Politik unausbleiblich, der uns nicht nur um Jahre zurückwirft, ({71}) sondern vom richtigen Weg ab und in das Wirrsal der Irrungen geraten läßt. Das kann nicht unser Ziel sein. Wir müßten am Sinn allen historischen Geschehens verzweifeln, wenn die Völker Europas aus dem furchtbaren Weltbrande, der hinter uns liegt, ({72}) wirklich gar nichts gelernt haben sollten, ({73}) wenn sie nicht gemeinsam den Weg fänden ({74}) zu neuem und gedeihlichem Zusammenwirken an Stelle des alten Haders und der alten Gegensätze. Zur Grundsteinlegung bei diesem Neubau Europas sind wir alle mit aufgerufen! Wie vollziehen sie, indem wir diesen Verträgen zustimmen. ({75})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Warum eigentlich preist man uns als Deutschland-Vertrag an, was die ausländischen Partner so zu nennen abgelehnt haben? ({0}) Dieser Bonner Vertrag, mit dem ich mich jetzt zu befassen habe, betrifft und verpflichtet das halbe Deutschland. Die sozialdemokratische Fraktion ist nicht davon überzeugt, daß dieser Vertrag auch nur dem halben Deutschland zum Wohle gereicht. ({1}) - Herr von Rechenberg, eines sage ich Ihnen zu Beginn meiner Rede: Noch so viele Zwischenrufe in dieser Debatte werden höchstens das Niveau Ihrer Reden, aber nicht das unserer senken können. ({2}) Wir befürchten verhängnisvolle Auswirkungen für unser gesamtdeutsches Schicksal. ({3}) Viele von Ihnen glaub e n, daß das anders sei; aber in der Politik - und das möchte ich gerade dem Herrn Kollegen Henle nach seiner lyrischen ({4}) Rede sagen - es ist besser, zu wissen, als zu glauben. ({5}) Schon aus diesem Grunde sind wir dagegen, daß man uns das Buch dieses Vertragswerkes in einem falschem Umschlag verkauft. ({6}) Niemand von uns, meine Damen und Herren, verkennt die Schwierigkeiten, vor denen jeder gestanden hätte, dem es in diesen Jahren aufgetragen gewesen wäre, eine neue deutsche Außenpolitik zu entwickeln. ({7}) Wir werfen Dr. Adenauer selbstverständlich nicht vor, daß er nicht noch nachträglich den Krieg gewonnen hat. Wir wissen ganz genau, daß der deutschen Politik nach außen ein sehr enger Rahmen gesetzt ist. Aber das ist keine Entschuldigung dafür, einen falschen Standort zu wählen. ({8}) Es ist nicht leicht, vorn falschen Start zum rechten Ziel zu kommen. Unser erster Einwand gegen den Generalvertrag lautet: der Ausgangspunkt war falsch gewählt, Prämissen und Einzelbestimmungen sind voller gefährlicher Unklarheiten. ({9}) Wir Sozialdemokraten sind seit langem für den Abbau des Besatzungsregimes eingetreten. Wir haben nicht, Herr Kollege Henle, den Zug stehenlassen wollen; wir haben die Ablösung des Besatzungsstatuts durch eine vertragliche Regelung gefordert. Wir haben eine solche Umgestaltung sieben Jahre nach dem Kriege aus sich selbst heraus für gerechtfertigt gehalten. Beim Generalvertrag handelt es sich aber darum, daß man der deutschen Divisionen wegen nach einem Ersatz für eine friedensvertragliche Regelung gesucht hat. Daraus ergab sich jenes unheilvolle Junktim, jene Koppelung, die die Gleichheit der Verhandlungschancen von Anfang an illusorisch gemacht hat. ({10}) Das westliche Deutschland soll in die europäische Gemeinschaft eingeschmolzen und dadurch mit der sich entwickelnden Atlantischen Gemeinschaft verbunden werden. Was heißt das konkret? Zunächst einmal geht es In diesem Vertrag um das Europa der Sechs und um die Divisionen, die wir beisteuern sollen. Zum anderen sollen wir unsere Außenpolitik offensichtlich an die Vorstellûng binden, daß frei und bündnisfähig alles das sei, was sich außerhalb des sowjetischen Machtbereichs bewegt. Wir würden ein eindeutiges Bekenntnis zur Demokratie und zur Rechtsstaatlichkeit vorgezogen haben, wo jetzt einigermaßen deklamatorisch von der „freien Welt" die Rede ist. Wir Sozialdemokraten bejahen die Gemeinsamkeit der demokratischen Staaten in der Auseinandersetzung mit den außergewöhnlichen Gefahren, die vom sowjetischen System ausgehen. Wir brauchen nicht für den Westen zu optieren; denn wir gehören dazu. Aber der Begriff des Westens darf sich nicht in einem Anti oder in einer Bindung an den Status quo erschöpfen. Für uns gehören zum Wesen im geistig-politischen Sinn die Werte der Antike und des Christentums ebenso wie die von 1789 und 1848, wie der demokratische Sozialismus und alles das, was sich, wo immer in der Welt, an vorwärtsstrebenden Menschheitskräften regt. ({11}) Die Gemeinsamkeit kann aber nur Bestand haben, wenn lebenswichtige Interessen der Bündnispartner nicht unberücksichtigt bleiben; Wer sich die Lage unseres Volkes im Zustand widernatürlicher Zerklüftung vor Augen hält, darf nicht verächtlich jeden Versuch ablehnen, die Besonderheiten der deutschen Politik im Verhältnis zum internationalen System der Mächte zu durchdenken. ({12}) Es mutet beinahe halsbrecherisch an, wenn die Regierung es als ein Hauptziel unserer Politik deklariert sehen will, auf jeden Fall eine bündnisfreie Stellung unmöglich zu machen. Es mag sein, daß uns die Alternative der Bündnisfreiheit ernsthaft nicht geboten ist. ({13}) Aber es ist jedenfalls nicht wahr, Herr Kollege von Brentano, wenn man unserem Volk einreden will, es gebe nur eine einzig mögliche Art unseres Verhaltens im Bereich dessen, was man die freie Welt nennt. ({14}) Auch im Speziellen sind wir während der Ausschußberatungen auf eine Serie von Unklarheiten gestoßen. Gegensätzliche Auffassungen zu wesentlichen Einzelfragen sind durch Kautschukformulierungen künstlich überbrückt worden. Das ist völlig unbefriedigend. Was haben wir jetzt schon vor der Ratifizierung alles an Auslegungskünsten erlebt! ({15}) Und was alles mag an Gezänk und an ersthaftem Streit erst noch in der Folge auf uns zukommen! ({16}) Mindestens hätten wir jedoch erwarten können, daß man uns klar gesagt hätte, woran wir bei unseren Vertragspartnern sind. Man hat es uns nicht gesagt, man hat uns nicht im einzelnen aufklären wollen oder aufklären können über die Verpflichtungen, die die Drei Mächte untereinander und mit der Sowjetunion eingegangen sind, ({17}) Verpflichtungen, die uns ja schließlich nicht nur interessieren, sondern die uns unmittelbar angehen. ({18}) Das Vertragswerk kann doch in seinem weltpolitischen Zusammenhang nur richtig beurteilt werden, wenn man es mißt an den Bindungen, die die Partner auch noch an anderer Stelle eingegangen sind. ({19}) Oder, wenn Sie, Herr Kollege Dr. Henle, die Sprache des Geschäftsmanes vorziehen: Wenn Sie sich mit einem Kompagnon zusammentun, werden Sie wahrscheinlich wissen wollen, welche Verpflichtungen dieser noch an anderer Stelle übernommen hat. ({20}) Unser zweiter Haupteinwand: Durch diesen Vertrag fällt das Besatzungsstatut, aber es bleiben wesentliche Bestandteile des Besatzungsregimes. ({21}) Die volle Macht über unsere inneren und äußeren Angelegenheiten, von der es heißt, daß wir sie in ({22}) Zukunft wieder ausüben können, fließt uns laut Art. 1 ausdrücklich vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Vertrags zu. Dabei handelt es sich keineswegs nur um die berühmten drei Vorbehaltsgebiete des Art. 2, sondern es handelt sich z. B. auch um den beträchtlichen Restbestand an Besatzungsrecht, der durch die Zusatzverträge in deutsches Recht umgewandelt werden soll. ({23}) Mit Spitzfindigkeiten kommen wir über die Realitäten nicht hinweg. ({24}) Man sagt uns einerseits, die besonderen Rechte der Drei Mächte würden von uns gar nicht anerkannt, sondern nur zur Kenntnis genommen. Andererseits sollen wir uns laut Art. 2 Abs. 2 ausdrücklich jeder Maßnahme enthalten, welche die besonderen Rechte der Drei Mächte beeinträchtigen könnte. Wir haben mitzuwirken, ihnen die Ausübung dieser Rechte zu erleichtern. ({25}) Wir wollen jetzt gar nicht darüber rechten, meine Damen und Herren, ob das nicht auch hätte ganz anders geregelt werden können. ({26}) Uns kommt es jetzt nur darauf an, festzustellen, daß mit diesen Auflagen ein wesentlicher Teil des Besatzungsregimes erhalten bleibt. ({27}) Tatsache ist weiter, daß die alliierten Streitkräfte in Zukunft ein vertraglich verbrieftes Recht haben würden, hier zu sein und hier zu bleiben. Die Möglichkeit der Konsultation nach Art. 4 Abs. 2, „soweit es die militärische Lage erlaubt", ist außerordentlich mager. Die Hohe Kommission wird aufgelöst, die Hohen Kommissare bleiben als, sagen wir, Botschafter besonderen Typs. Es geht hier nicht um Personen. Es geht um eine Institution, die zwar nicht Botschafterkonferenz heißen soll, die sich aber dazu mit Hilfe einer gemeinsamen Bürokratie ohne weiteres entwickeln kann. ({28}) Die drei Botschafter besonderen Typs bestimmen, welches jene Angelegenheiten sind, in denen sie über die besonderen Rechte hinaus gemeinsam tätig sein werden wollen. Bei den Vertretern der Westmächte liegen auch die ungeheuerlichen Kompetenzen des Art. 5, der Notstandsklausel, mit der wir uns in anderem Zusammenhang noch befassen werden. Nun unsere dritte These: Man mag noch soviel von der westlichen Gemeinschaft reden, dieser Vertrag bringt uns die Gleichberechtigung nicht. Er gibt sie uns nicht im Ausgangspunkt, er bringt sie nicht in seiner Gesamtkonstruktion. ({29}) Herr Kollege Henle, Ihre Äußerungen standen heute schon in einem bemerkenswerten Widerspruch zu dem, was uns im Sommer erzählt wurde. Damals berauschte man sich in den Reihen Ihrer Freunde noch im Begriff der Souveränität. ({30}) Heute haben Sie etwas resignierend festgestellt, daß ein „Souveränitätsverzicht" nicht ausgesprochen werde. ({31}) Wir werden über die EVG morgen in einem anderen Zusammenhang noch zu reden haben. Aber die Verträge sind - darüber sind wir alle einer Meinung - ein einheitliches Ganzes. Tatsache ist doch nun, daß wir mit unseren Menschen dem Oberbefehlshaber NATO unterstehen sollen; aber an den Entscheidungen der Körperschaften des Atlantikpakts sollen wir nur um 'die Ecke herum, wenn überhaupt, beteiligt sein. ({32}) Von allem einer unserer präsumtiven Partner in der EVG hat sich mit aller Kraft dagegen gewehrt, daß die Bundesrepublik in die NATO einbezogen würde. Das hat mit Partnerschaft, das hat mit Gleichberechtigung nichts zu tun. ({33}) Gegen den Grundsatz gleicher Rechte verstößt im entscheidenden Teil noch jenes Verfahren, das nach Art. 9 für das Schiedsgericht vorgesehen ist. Unsere vierte These zum Generalvertrag: Es stimmt nicht, wenn man uns einreden will, durch diesen Vertrag werde die deutsche Handlungsfreiheit wiedergewonnen. Die Bewegungsfreiheit der deutschen Politik wird im Gegenteil auf wesentlichen Gebieten empfindlich eingeengt. ({34}) Gewiß, nach Art. 3 Abs. 3 will man uns bei Verhandlungen mit Staaten, mit denen wir keine Beziehungen unterhalten, über Dinge unterrichten, die unser Interesse unmittelbar berühren. Das wird ganz groß herausgestellt als angebliche Sicherung gegen die Gefahr, daß sich die Westalliierten mit der Sowjetunion auf dem Buckel Deutschlands verständigen könnten. Gibt es nicht, meine Damen und Herren, noch zwei andere Gefahren, und warum redet man nicht von ihnen in diesem Zusammenhang? Die eine würde darin bestehen, daß es zu einer Bereinigung der Streitfragen bis auf weiteres überhaupt nicht kommt, und die andere, daß der Kalte Krieg abgelöst wird durch einen Kalten Frieden um den Preis, daß die Spaltung des Kontinents und unseres Landes aufrechterhalten bleibt. ({35}) Der Vertrag enthält nicht die Andeutung einer Garantie gegen solche Gefahren. Er verbietet uns in Art. 7 Abs. 3, irgendwelche Abkommen oder Abmachungen zu treffen, von denen die Drei Mächte meinen, daß dadurch ihre Rechte oder unsere Verpflichtungen beeinträchtigt würden. Nach der Revisionsklausel - Art. 10 - kann ein einziger Vertragspartner eine Verständigung über wesentliche neue Tatbestände der Weltpolitik unmöglich machen. ({36}) Die andere Seite verpflichtet sich zu nichts anderem, als sich mit uns an einen Tisch zu setzen. Die Handlungsfreiheit wird vor allem eingeengt, wo es um das A und O aller deutschen Politik geht. Darum sagen wir fünftens, dieser Vertrag ist nicht geeignet den Weg zur Wiedervereinigung zu ebnen. Wir befürchten eher, er könnte diesen Weg blockieren. ({37}) Ausländische Kommentare sprechen im Zusammenhang mit dem Vertragswerk offen davon, daß die Spaltung Deutschlands versteinert werde. ({38}) Tatsächlich verpflichten sich die Westmächte in der Frage der Wiedervereinigung zu nichts, wozu sie ({39}) nicht auch schon in der Vergangenheit mehr oder weniger bindende Erklärungen abgegeben hätten. ({40}) Wir sollen uns zu nicht weniger und zu nicht mehr als dazu verpflichten, keine selbständige Politik in Fragen der Wiedervereinigung zu betreiben. Mein Freund Wehner wird auf diese Fragen in einzelnen eingehen. Ich kann mich darum mit wenigen Sätzen begnügen. Die Westmächte haben sich nicht bereit gefunden, sich zum deutschen Rechtsstandpunkt in den Fragen unserer Grenzen von 1937 zu erklären. Sie haben sich nicht bereit gefunden, an der Saar einen naheliegenden Anfang auf dem Wege zur deutschen Wiedervereinigung zu machen. ({41}) Berlin wird durch diesen Vertrag nicht näher an den Bund herangebracht, sondern eher von ihm entfernt. Das ist ein gefährlicher Weg, der uns alle in gefährliche Situationen hineinführen kann. Es ist unserer Meinung nach Spiegelfechterei, wenn erklärt wird, der Status eines wiedervereinigten Deutschlands könne nach diesem Vertrag von ihm selbst bestimmt werden. Denn die entscheidende Frage ist doch: wie kommt es zur Wiedervereinigung? ({42}) Wir kommen dahin auf friedlichem Wege nur, wenn ein Ausgleich der Interessen zwischen den beteiligten Mächten gefunden wird. Zu einem solchen Ausgleich beizutragen, müssen wir auf dem Wege einer initiativ ausgerichteten Politik zumindest bemüht sein. Es kann nicht die Aufgabe deutscher Politik sein, solche Versuche zu torpedieren. ({43}) Englische Pressestimmen werden nun als Beleg dafür zitiert, daß man die Bundesrepublik gegebenenfalls aus der EVG entlassen könne. Aber seien wir uns darüber im klaren: das könnte selbst durch Luxemburg - ohne daß ich damit den Luxemburgern zu nahe treten will - vereitelt werden! Dieser Vertrag ist aber sechstens und für mein Teil letztens auch kein geeigneter Beitrag zu einer positiven Europapolitik. ({44}) Die Vertreter der Regierungen haben in den Ausschüssen eine Theorie der Gleichzeitigkeit aufgestellt. Sie haben gesagt, es dürfe weder einen zeitlichen noch einen sachlichen Vorrang geben zwischen dem Ringen um die Wiedervereinigung Deutschlands und der Arbeit für ein vereinigtes Europa. Übersetzt in die Sprache der praktischen Politik heißt das doch nichts anderes als: erst Westintegration, und dann werden wir mal weitersehen! Diese Politik wollen wir nicht. ({45}) In ihr sind übrigens zwei Kunstgriffe enthalten, die wir nicht durchgehen lassen können. Einmal macht man aus der Arbeit für die Wiedervereinigung Deutschlands und für Europa plötzlich eine Arbeit in Europa; das heißt Wiedervereinigung in einer auf ganz besondere Art konstruierten europäischen Organisation. ({46}) Zum andern verengt man den Europa-Begriff zur Kombination der sechs Schumanplan-Länder. ({47}) Noch soviel Lyrik kann über die offenkundigen( Bruchstellen dieser Kombination nicht hinwegtäuschen. ({48}) Die Basis der Gleichberechtigung ist in ihr noch nicht gegeben. Die Sicherung der parlamentarischen Demokratie ist in ihr nicht gegeben. ({49}) Die Rechte der EVG-Versammlung verdienen höchstens die Kennzeichnung „Demokratur". ({50}) Die für die Entwicklung einer ökonomischen Zusammenarbeit erforderliche Basis ist nicht gegeben. Auch die politische Verständigung ist leider noch nicht in ausreichendem Maße gegeben. Dadurch, daß man Europa noch einmal trennt, wird die Weltlage nicht verbessert. ({51}) - Argumentieren Sie bitte nicht so, wie wir es gelegentlich hören, als handle es sich nur um irgendeinen Verein, dem sich zunächst leider nur sechs angeschlossen hätten, in den später aber gern noch weitere Mitglieder aufgenommen würden! Denn es handelt sich unserer Meinung nach gar nicht so sehr um ein quantitatives als vielmehr um ein qualitatives Problem. ({52}) - Die Dinge liegen doch einmal so, Herr Kollege Strauß, daß bei uns in Deutschland trotz all Ihrer schönen Reden angesichts dieser Kombination niemand so recht froh wird, wieviel man auch von der „blühenden Völkergemeinschaft" reden mag. Andererseits wird aber draußen, außerhalb unserer Grenzen, in weiten Kreisen befürchtet, daß die kleineuropäische Lösung von den Deutschen beherrscht und mißbraucht werden könne. Eine weitere, wenn auch vielleicht weniger perfektionistische Lösung würde manche Bedenken hüben wie drüben zurücktreten lassen. Sie würde weniger stark mit der Neigung verbunden sein,uns unter Sonderkontrolle zu stellen. Sie würde nicht so leicht in Konflikt geraten mit den vitalen gesamtdeutschen Interessen. Nun bleibt das Argument, meine Damen und Herren, daß, verglichen mit der Lage des Jahres 1945, doch schon allerlei erreicht sei. Wenn man uns das darlegt, entsteht manchmal der Eindruck, als sei das eine Wirkung der schönen Augen des Herrn Bundeskanzlers oder seiner Argumente. ({53}) Wir haben in den letzten Wochen und Monaten eine Flut von Plakaten, Flugblättern und Flugschriften über uns ergehen lassen, von denen übrigens manche nicht einmal die pressegesetzlichen Vorschriften erfüllten. ({54}) Es ist uns an den Litfaßsäulen überall der kleine Vogel begegnet, von dem es hieß, daß er wieder auf einen grünen Zweig gekommen sei, oder jener Michel, dem man weismachen wollte, durch den sogenannten Deutschland-Vertrag werde er endlich wieder weich gebettet sein. Das ist - lassen Sie mich das mit aller Deutlichkeit sagen - keine Aufklärung unserer Menschen. ({55}) Das ist Verschwendung öffentlicher Mittel für eine Politik ({56}) ({57}) der Selbstbeweihräucherung, der Einschläferung und des falschen Konjunkturoptimismus. ({58}) Wir wenden uns vor allem gegen eine Propaganda, die unsere Landsleute stillschweigend ausklammert und die sich im Grunde auch großzügig hinwegsetzt über die Millionen unserer bitter Not leidenden Mitbürger im deutschen Westen. ({59}) Gewisse Preisfechter der Regierungspolitik sind noch ein Stück weitergegangen. Da haben wir ein Flugblatt der CDU, in dem das Nein als Schwachsinn erklärt wird. Da haben wir ferner die Frage in der Zeitung von Herrn Reger, ob nicht diejenigen, die gegen die Verträge seien, wegen Feindbegünstigung zur Verantwortung gezogen werden müßten. ({60}) Und da habe ich eine Broschüre des Herrn Lüth vom BDJ - in Klammern: Wer die wohl bezahlt hat? -, ({61}) in der es heißt: „Ein Nein zum Deutschland-Vertrag bedeutet ein Ja zum Bolschewismus!" Ich hätte das hier nicht vorgebracht, wenn ich nicht aus einer Press release den Text dessen in Händen hätte, was der Herr Bundeskanzler uns hier nachher vortragen will. Die Presse ist gewiß daran gehalten, solche Dinge nicht vorzeitig zu veröffentlichen. Aber Abgeordnete haben ja auch in diesem Lande noch gewisse Vorrechte. Ich sehe, daß der Herr Bundeskanzler in Gefahr ist, im Laufe dieser Sitzung auf den Lüth zu kommen, und ich halte das für ein - ({62}) Denn nach Seite 2 seines Manuskripts gedenkt auch er, sich die These zu eigen zu machen, daß diejenigen, die zu diesem Vertrag nein sagten, damit ja sagten zu Stalin und zu seiner Politik der Unterwerfung. ({63}) Dazu sagen wir nur ein einziges Wort oder zwei: Niedriger hängen! ({64}) Wir denken nicht daran, mit gleicher Münze heimzuzahlen. Aber wir fürchten: Wenn die Geschichte der deutschen Außenpolitik von 1949 bis 1952 geschrieben wird, dann wird die Kapitelüberschrift lauten: „Periode der Unzulänglichkeiten". Aus der Mischung versteinerter Besatzungsvorstellungen auf der alliierten Seite und einer sinnlosen Torschlußpanik auf deutscher Seite ist ein Vertragswerk entstanden, an dessen unbefriedigendem Ergebnis die bedauernswerten Schriftgelehrten der Bundesregierung nun unausgesetzt herumdoktern müssen. In der auswärtigen Politik ist mit Torschlußpanik nichts gewonnen. Es kommt auf Zielstrebigkeit an. Es kommt aber auch darauf an, warten zu können. Man spricht von „Schönheitsfehlern". Man vertraut darauf, daß sich schon alles „einspielen" werde. Man sagt uns, wir sollten „auf die Dynamik der Dinge vertrauen". Worauf läuft denn das im Grunde hinaus? Doch auf nichts anderes als auf eine wenn auch noch so schwache Neigung zum Revisionismus, noch bevor die Verträge in Kraft getreten sind. ({65}) Eine solche Methode wollen wir nicht. ({66}) Einen solchen Weg wollen wir nicht. ({67}) Und ,Herr Kollege Dr. Henle, es ist einfach nicht wahr, wenn Sie die Stellungnahme zu diesen sehr konkreten Verträgen gleichstellen mit der Frage der Einigung der westlichen Welt. Es ist schon darum nicht wahr, weil Sie genau so gut wissen wie ich, daß die Verträge mindestens in einem unserer Nachbarländer, wenn auch aus anderen Gründen, ebenso umstritten sind wie bei uns. Sie wissen zweitens ebensogut wie ich, daß die ganze ernstzunehmende amerikanische Presse nach den Präsidentenwahlen die Frage einer Überprüfung der amerikanischen Politik aufwirft. ({68}) Sie wissen ebensogut wie ich, daß in England eine Partei, die bei den letzten Wahlen die Mehrheit der Stimmen bekommen hat und vielleicht auch einmal wieder regiert, ({69}) nicht gerade mit Begeisterung diesem Vertrag zugestimmt hat. Und so könnte ich die Reihe der Länder herumgehen, um an Hand der Lage in den einzelnen Ländern zu sagen und nachzuweisen, daß es eine Irreführung der Öffentlichkeit ist, durch diese Suggestivfragen die Haltung zu diesen Verträgen identifizieren zu wollen mit der Frage des Zusammenschlusses und der Einigung der demokratischen Staaten. ({70}) Wir wissen gut genug, daß es Ewigkeitslösungen nicht gibt. Aber auch das zeitlich Gebundene wird für den jeweiligen Zeitabschnitt nur dann Bestand haben, wenn es abgestimmt ist auf die vitalen Interessen der beteiligten Völker. Vor unserem Volk wird nur Bestand haben, was in erster Linie der Wiedervereinigung in Freiheit dient und uns einen angemessenen Platz in der internationalen Zusammenarbeit sichert. ({71}) Nennen Sie uns, meine Damen und Herren von der Rechten, Neinsager - wir unterwerfen uns guten Gewissens dem Urteil des Volkes und der Geschichte. ({72})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat Herr Abgeordneter Freiherr von Rechenberg. ({0})

Dr. Hans Albrecht Rechenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001788, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Wort des Herrn Abgeordneten Brandt hat mich sehr berührt: „Man muß in der Außenpolitik wissen, was man will." ({0}) Weiß das deutsche Volk das? O ja! Die Antwort kennen wir ja alle schon: Die deutsche Wiedervereinigung! Das ist das erste Ziel jeder deutschen ({1}) Außenpolitik. - Wunderschön, und jeder deutsche Patriot unterschreibt das. Aber dann überlegt er es sich, reserviert sich und sagt: Es kommt natürlich darauf an, wie diese Wiedervereinigung denn aussieht. Dann kommt der zweite Gedanke: Wiedervereinigung in Freiheit! Und das unterschreiben wir alle, nicht wahr, und beschreiten damit unfehlbar den schiefen Weg, der in die östliche Falle führt. ({2}) Warum? Weil diese Propagandaparole „Wiedervereinigung in Freiheit" das Symptom im Auge hat, aber nicht die Ursache. Was ist denn die Ursache der Trennung? Daß wir durch diesen Krieg, durch diese entsetzliche Niederlage unsere Freiheit verloren haben. Die wahre Aufgabe jeder bewußt deutschen verantwortlichen Außenpolitik ist daher: Wiederherstellung der Freiheit aller deutschen Menschen in allen deutschen Gauen. Und ist das Ziel erreicht, ({3}) dann ist doch z. B. die Frage der Wiedervereinigung lediglich eine Frage der Organisation. Wenn es nur vom Willen der Deutschen, der freien deutschen Männer abhängt, dann ist doch diese Frage sofort gelöst. Darum sage ich Ihnen, wir müssen uns für alle Entscheidungen, die wir jetzt zu treffen haben und die auf uns allen sehr schwer ruhen - ob wir ja sagen wollen, ob wir nein sagen werden -, darüber klarwerden: Ist das, was wir jetzt hier tun, vereinbar mit den Hauptgedanken, den wichtigsten Gedanken jeder deutschen Außenpolitik, der Wiederherstellung der Freiheit des Volkes? Die Frage ist lediglich die: Sind diese Verträge mit diesem Gedanken vereinbar? Die Entscheidung ist sehr schwer. Sie wird um so schwerer gemacht. als es sich ja um ein Konglomerat von Verträgen handelt, in denen ganz verschiedene Gedanken: Vorfriedensvertrag, Allianzvertrag, Festhaltung von alten Siegerrechten, durcheinandergehen. Die Entscheidung ist sehr viel leichter. wenn man zunächst lediglich die Verträge einzeln betrachtet. Der Deutschland-Vertrag oder meinetwegen der Generalvertrag oder der Bonner Vertrag - ich will um Worte nicht streiten; ({4}) es kommt darauf an, daß wir wissen, worum es geht -, ({5}) der Generalvertrag, um Ihnen entgegenzukommen ({6}) - Ja, wenn ich hier stände, um einem Kriegsvertrag das Wort zu reden, würde ich mich schämen müssen. ({7}) Der Generalvertrag als solcher ist eine sehr leicht zu durchschauende und auch sehr leicht zu bejahende Sache. Es ist ja nicht unser erster Schritt, es handelt sich um den zweiten Schritt. Herr Abgeordneter Brandt hat gesagt, der Ausgangspunkt, der Start sei falsch, und es räche sich immer, wenn der Start falsch sei. Jawohl! Aber ich blieb ziemlich allein, als ich damals vor Jahren davor warnte, das Grundgesetz neben einem Besatzungsstatut anzunehmen. Wir haben es anerkannt, wir sind nach Bonn gekommen und haben damit eine staatliche Form geschaffen, die in Wirklichkeit von dem Willen der Besatzungsmächte absolut abhängig ist. Es ist richtig, daß dieser Wille der Besatzungsmächte in den vergangenen Jahren sehr wenig zum Ausdruck gekommen ist; aber von Fall zu Fall hat das deutsche Volk doch durch recht schmerzhafte Ereignisse, durch recht aufklärende Dinge merken müssen, wer heute noch in Wirklichkeit der Herr in deutschen Landen, in westdeutschen Landen ist. Jetzt wird uns angeboten, den zweiten Schritt zu tun, der darin bestehen soll, ({8}) daß uns nicht die Souveränität in voller Form wiedergegeben wird, sondern daß die bisherigen Beschränkungen des Besatzungsstatuts zu einem großen Teil verschwinden sollen, daß wir zwar nicht der absolute Herr im eigenen Hause werden, aber daß uns immerhin ein ganz großer Teil eigener Rechte, eigener Rechtspersönlichkeit gegeben wird. ({9}) Einschränkungen sind allerdings vorhanden. Alle diese Einschränkungen des Generalvertrags - und das scheint mir eine besonders wichtige Bestimmung dieses Vertrages zu sein, und ich wundere mich, daß unsere Gelehrten so gar nicht auf diese Bestimmung eingehen - sind ausdrücklich auf die derzeitige politische Lage bezogen. Wenn sich die politische Lage ändert - ich hoffe und wir alle hoffen doch, daß sie sich in einem für Deutschland, für das deutsche Volk günstigen Sinne ändern wird -, dann bestehen für uns Möglichkeiten, auch mit diesen Vorbehalten fertig zu werden, Vorbehalten, von denen ich zu einem Teil allerdings sagen muß, daß ich sie begrüße. Der Truppenvertrag z. B. enthält das Recht der Alliierten, hier nicht mehr Besatzungstruppen, aber Schutztruppen zu unterhalten. ({10}) Du lieber Gott, ich glaube nicht, daß ein anständiger deutscher Mann oder eine deutsche Frau nicht den Tag herbeisehnt, an dem wir hier keine fremde Uniform mehr zu sehen brauchen. Aber gibt es einen verantwortungsbewußten deutschen Mann, der meint, daß wir jetzt diesen Leuten drüben und ihren subversiven Tendenzen hier machtlos ausgeliefert sein könnten? ({11}) Man beschränkt uns in bezug auf unsere Verhandlungen über die Wiedervereinigung, die gesamtdeutschen Fragen. Auch das bedrückt mich nicht; denn es wird durch zwei Überlegungen kompensiert. Einmal dadurch: wo bliebe die arme westdeutsche Republik, wenn sie den Russen gegenüber allein verhandeln müßte? ({12}) Zum andern eine noch wichtigere Kompensation dieser Verpflichtung: im Vertrag steht wiederum ausdrücklich, daß die gemeinsame Politik der Drei Mächte und der Bundesrepublik dahin gehen soll, die gesamtdeutsche Vereinigung herbeizuführen. Man sagt, damit werde den Franzosen - eben kam sogar Luxemburg auf das Tapet - die Möglichkeit gegeben, womöglich durch ein Veto diese gemeinsame Vereinigung zu verhindern. Meine Damen und Herren, dann würden die Franzosen einen ganz klaren Bruch ihrer Verpflichtungen, 40r. Freiherr von Rechenberg) wie sie hier in diesem Vertrag festgelegt sind, vornehmen. Ich weigere mich, zu glauben, daß Frankreich, das immer sehr vertragstreu gewesen ist, ({13}) eine solche Politik betreiben kann, selbst wenn es sie betreiben wollte. Ein weiterer Vorbehalt ist schon bedenklicher, die Möglichkeit, die oberste Gewalt in bestimmten Fällen wieder zu übernehmen. Sie haben vollkommen recht, meine Herren von der SPD, darin steckt die Möglichkeit eines Mißbrauchs. Aber ich muß Ihnen auf der anderen Seite doch wieder zu überlegen geben: Ist das nicht eine sehr theoretische Möglichkeit? Kann man denn im Ernst erwarten, daß eine solche Möglichkeit unter Betrug am deutschen Volk wirksam werden könnte? Es ist doch nur im ausgesprochenen Konfliktsfall möglich, anders geht es doch gar nicht, durch Mißbrauch einer solchen Bestimmung ein Volk betrügen zu wollen, auf dessen Mitarbeit man angewiesen ist und dessen Mitarbeit man doch durch diese Verträge haben will. Im Überleitungsvertrag allerdings - nun wird die Sache sehr bedenklich - stehen ganz klar Dinge drin, die ich in keiner Weise billige, die ganz klar zeigen, daß es den Alliierten darauf ankam, gewisse ihrer Kriegsziele auch noch für die Zukunft bei uns Recht und wirksam sein zu lassen. ({14}) - Ich werde daraus allerdings zunächst noch kein Nein herleiten. Denn ich kann ja nicht übersehen, daß damit nichts Neues geschaffen ist. Es bleibt uns nur manches von dem, was wir nicht wollen, was wir nicht akzeptieren können, das aber jetzt schon da ist, auch noch für die Zukunft auferlegt. Kann ich es durch ein Nein beseitigen? O nein, es bleibt auch dann. Aber - und nun kommen die Einwände -, wird mir entgegengehalten, bisher ist das das Recht des Siegers, und jetzt anerkennst du es durch deine Unterschrift. - Meine Damen und Herren, politisches Recht und ziviles Recht: Was ich im zivilen Leben anerkenne, bindet mich, und das Landgericht Köln wird mich restlos verurteilen. Im Völkerrecht, ob die Klausel „rebus sic stantibus" gesagt ist oder nicht, liegen die Dinge doch immer so, daß jedes Volk es als sein unabänderliches Recht in Anspruch nimmt, Bestimmungen aus Verträgen möglichst in Gemeinschaft mit den anderen abzuändern und sich nicht daran festhalten zu lassen, niemals etwa darauf zu verzichten, wenn sich herausstellt, daß gewisse Vertragsbestimmungen mit seinem Lebensrecht nicht vereinbar sind, diese Vorschriften dann abzuändern. ({15}) - Und wenn Sie es nicht glauben, daß das Völkerrecht so ist, ich kann Ihnen Beispiele über Beispiele bringen, etwa die Empörung der Franzosen darüber, daß die UNO die Marokko- und die Tunisfrage auf das Tapet gebracht hat, obwohl sie doch ihre Verträge haben, in denen feierlich anerkannt ist, daß die außenpolitische Vertretung von Tunis und Marokko bei der französischen Regierung liegen soll. Alle diese Verträge gelten, solange die Machtverhältnisse, solange die Interessenverhältnisse entsprechend liegen. ({16}) - Durch Ihr empörtes „Oho" werden Sie die Dinge nicht ändern, und Sie selber werden die Letzten sein, die von dem Standpunkt abgehen können, daß das Lebensrecht einer jeden Nation tatsächlich über Vertragsbestimmungen dann hinwegkommen muß, wenn diese sich dem Leben entgegenstellen. ({17}) Selbstverständlich predige ich damit nicht die Gewalt. Aber wir können uns darauf verlassen, daß Lebensrechte eines Volkes, die verletzt werden, bei den Partnern ihre Berücksichtigung finden werden. Man muß nicht die Gewaltmethode anwenden; im Gegenteil, durch Verhandlungen, durch Erkenntnisse und Tatsachen kann man in der Beziehung weiter kommen. Das ist auch unser Ziel in bezug auf die Verträge. Ein weiterer Einwand wird gemacht, ein Einwand, den ich durchaus anerkenne: Diese Verträge haben kein Optimum gebracht, es steht in diesen Verträgen vieles darin, was besser nicht darin gestanden hätte, ({18}) und es wäre nicht nötig gewesen, das hineinzuschreiben. - Jawohl, ich bin der Meinung, daß dieser Einwand berechtigt ist; aber, meine Herren von der SPD, Ihnen nehme ich diesen Einwand nicht ab. ({19}) Keiner mehr als ich hat in diesem Hause das Recht, so etwas zu sagen; ({20}) denn ich war es, der mit Ihnen im Auswärtigen Ausschuß gerungen hat, um wenigstens in dieser Frage eine gemeinsame außenpolitische Linie herbeizuführen. Ich habe damals bei dem Herrn Bundeskanzler die Einsetzung des Unterausschusses des Auswärtigen Ausschusses angeregt, weil ich hoffte, wir würden wenigstens in dieser Frage eine Einheitsfront aller Parteien mit der Regierung, ja, eventuell gegen die Regierung herbeiführen können, um unseren Unterhändlern den Rücken zu stärken und um unseren Unterhändlern eine Linie zu bringen, wie wir sie wollten. Das ist gescheitert, und ich bin gescheitert. Warum? Ich mußte erkennen, daß es vergeblich war, als damals von Ihrer Seite das Wort fiel, „westdeutsche Souveränität sei zur Zeit nicht wünschbar". ({21}) - Jawohl, meine Herren, Sie sind davon abgerückt; aber den Mann, der es sprach, den kennen wir alle als einen besonders klugen, nüchternen Mann, der seine Worte wägt. Darum war Ihre wirkliche Stellung zu dieser außenpolitischen Frage klar; da konnte gemacht werden, was man wollte. Sie waren gegen das Verhandeln, Sie waren gegen den Inhalt der Verträge, bevor Sie sie kannten. ({22}) Sie sind jetzt erst recht gegen die Verträge. Nur weil die Regierung Adenauer verhandelt hat, waren Sie dagegen. Das ist die Situation. ({23}) Trotz dieser Einwände, die gemacht werden, bin ich aber der Meinung, daß der Generalvertrag gegenüber dem heutigen Zustand tatsächlich einen erheblichen, man kann schon sagen, einen Riesenschritt vorwärts darstellt. Überlegen wir es uns doch einmal: wenn etwa dieser Vertrag nicht ver({24}) handelt worden wäre, wenn dieser Vertrag - die Hohen Kommissare hätten das gekonnt - verkündet worden wäre: Ab morgen oder ab übermorgen ist das in Deutschland geltendes Recht, was jetzt im Deutschland-Vertrag steht! hätte dann einer von uns gesagt: Nein, das wollen wir nicht, wir bleiben lieber bei dem alten Zustand? Wir hätten dann gesagt: Es ist zwar noch nicht alles, aber es ist Gott sei Dank ein Fortschritt, und wir wollen hoffen, daß es ein erster Schritt auf dem weiteren Wege ist. ({25}) Leider hat man nicht so verfahren. Man hat ganz andere Ziele damit verfolgt. Nun kommt das, was die Sache so kompliziert, nun kommt die Verbindung mit dem EVG-Vertrag, mit der Beteiligung an der europäischen Verteidigung. Man hat uns diese relative Freiheit nicht freiwillig gegeben, sondern man hat mit uns gleichzeitig über den EVG-Vertrag verhandelt. Allerdings verstehe ich Herrn Kollegen Brandt in keiner Weise, wenn er sagt, so sei es verkehrt gewesen. Was hätten wir denn verhandeln sollen - wenn man mit uns verhandeln wollte -, wenn wir überhaupt keine Gegenleistung gebracht hätten? Also diese Argumentation ist etwas falsch gewesen. Der EVG-Vertrag setzt nun fest, daß das deutsche Volk sich in Zukunft an der gemeinsamen Verteidigungsaufgabe zu beteiligen hat. Die Frage ist wiederum: Erfolgt diese Beteiligung unter Bedingungen, die mit dem ersten Ziel jedes Deutschen, der Erringung der deutschen Freiheit, vereinbar sind, oder sind die Bedingungen nicht so? Ich muß sagen, jawohl, der EVG-Vertrag ist so. Er hat nichts mehr mit dem ursprünglichen Pleven-Plan zu tun, ;) sondern er deckt sich mit dem, was wir Straßburger Abgeordneten damals in Straßburg - unter Stimmenthaltung der SPD, nicht unter Widerspruch der SPD! -({26}) gebilligt haben: mit dem Grundgedanken einer europäischen Armee unter parlamentarischer Kontrolle. Ich billige diesen Vertrag, weil er tatsächlich die Gleichrangigkeit des deutschen Menschen richtig sichert. Ich billige diesen Vertrag, weil er außerdem einen ganz entscheidenden Schritt nach Europa hin führt. ({27}) Meine Damen und Herren! Der Weg nach Europa erscheint zunächst dem Nationalgefühl nicht ganz selbstverständlich. Der natürliche Weg wäre doch, einen neuen deutschen Nationalstaat aufzubauen; aber die Zeit der Nationalstaaten ist vorbei, und diese Erkenntnis gilt ganz besonders für unser deutsches Volk in seiner Lage. ({28}) Die einzige Möglichkeit, einen deutschen Nationalstaat aufzubauen, wäre doch die Idee, die uns nicht neu ist, ({29}) hier einen neutralisierten deutschen Staat zu bauen. Es gibt ja neuerdings eine Partei, die sich zur Aufgabe gestellt hat, das deutsche Volk für diese Idee zu gewinnen. Sie nennt sich Gesamtdeutsche Volkspartei. Wäre es nicht richtiger und klarer und ehrlicher, zu sagen: Wir sind die gesamtdeutschen Morgenthauer? ({30}) Denn das war die Konzeption von Morgenthau, das und nichts anderes, das neutralisierte Deutschland, entmilitarisiert, das von den anderen unter der Fuchtel gehalten wird. ({31}) Nein, meine Damen und Herren, wir müssen uns anlehnen, wir können nicht allein gehen; und an wen können wir uns anlehnen? - Es ist selbstverständlich, daß wir uns an den Russen nicht anlehnen können, ({32}) und zwar aus dem einfachen Grunde: Wer sich an den Russen anlehnt, an diesen Riesennachbarn, der ist in einem so hoffnungslosen Schwächeverhältnis, daß er praktisch Satellit sein muß. ({33}) Auf der anderen Seite, Amerika, ist es schon eher denkbar. Aber auch dort besteht das Bedenken, daß ein enormes Mißverhältnis zwischen Macht und Schwäche vorhanden ist. Die richtige Lösung ergibt sich daher sehr einfach. Wir müssen uns anlehnen, wir müssen aufgehen in einer neu zu schaffenden Kraft, wir müssen uns verbinden mit den übrigen europäischen Staaten. ({34}) - Ob wir die Führung darin übernehmen? - Ich bin der Meinung, man sollte bei solcher Gelegenheit nicht davon reden, die Führung zu übernehmen; denn dann zeigt man von vornherein, daß man mit machtpolitischen Tendenzen, mit egoistischen Tendenzen an die Sache herangeht, daß man aber den großen Gedanken Europa überhaupt nicht verstanden hat. ({35}) Aber das wäre ja wohl von Ihnen auch etwas zuviel verlangt! ({36}) Sicher, es ist leider zur Zeit nur für uns Westdeutsche möglich, diesen Weg zu gehen. Nun wird wieder eingewandt: Dann dürfen wir diesen Weg nicht gehen; denn damit würde der Weg zu einer Gesamtvereinigung Deutschlands - nun, es hat heute aus dem Munde von Herrn Brandt nicht mehr so scharf geklungen; bisher hieß es: verhindert, heute hieß es nur - erschwert. Nein, meine Damen und Herren, ich muß eine Sie überraschende Äußerung tun. In Wirklichkeit hat die Frage, ob wir unterschreiben oder nicht, mit der Frage der Wiedervereinigung nicht das geringste zu tun. ({37}) - Sehen Sie, Sie lachen. Ich wußte das. Es ist mir natürlich klar, daß der Russe gar nicht daran denkt, zuzulassen, daß die westdeutsche Republik auf die Dauer unter amerikanischen Einfluß gerät. - Richtig. Aber, meine lachenden Herren von der SPD, überlegen Sie sich doch bitte einmal das gegenteilige Argument: Glaubt denn einer von Ihnen, die Amerikaner würden es zulassen, daß wir ein russisches Einflußgebiet werden? Da hebt sich das Argument vollkommen auf, und es ist noch zusätzlich falsch. ({38}) - Falsch ist daran, daß in der Tat über diesen Weg - Europa - die einzige Chance denkbar ist, ({39}) Ostdeutschland wirklich auf friedlichem Wege zu befreien. Die heutige Weltsituation ist nicht so, daß wir irgend etwas von der Einigung zwischen Rußland und Amerika erwarten können. Wir könnten höchstens erwarten, daß eine solche Einigung auf unsere Kosten erfolgt und daß Potsdam wieder neu aufersteht. Ich glaube nicht daran. Ich hoffe es nicht, und ich glaube nicht daran. Wenn aber die heutige Weltsituation so ist, dann stehen wir vor der Notwendigkeit, die Weltsituation entsprechend zu ändern. Die Weltsituation kann man ändern, ({40}) wenn an Stelle des jetzigen Vakuums tatsächlich eine neue dritte Kraft tritt, ein drittes Gebilde, das in der Politik einer guten Nachbarschaft ({41}) sowohl mit Rußland wie mit Amerika sein zukünftiges Leben führen kann. Dann hat der Russe gar keinen Grund mehr - wozu er sich heute von seinem Standpunkt aus durchaus berechtigt glaubt -, an der Elbe zu bleiben, dann ist der Moment gekommen, mit dem Russen zu sprechen. Darum haben gerade wir Deutsche ein so absolutes Interesse daran, den Weg nach Europa zu gehen und möglichst schnell zu gehen. Darum begrüße ich diese Verträge, weil sie tatsächlich den Weg zu Europa eröffnen. ({42}) - Ja, meine Damen und Herren, ich sage ja, obwohl ich weiß, daß es Stückwerk ist, obwohl ich weiß, daß eine Revision notwendig ist. Ich muß ja sagen, weil ich keine andere Alternative habe. Herr Brandt hat zwar auch, wie üblich, gesagt: Es gibt noch andere Wege. Auf den Zwischenruf von Herrn Dr. Schröder ist er die Antwort wieder - wie schon immer die SPD - schuldig geblieben. ({43}) Außerdem, meine Damen und Herren, die Folgen eines Neins! Ich bedaure zutiefst, daß die Kronjuristen der Bundesregierung dafür erkannt haben, daß keine Zweidrittelmehrheit notwendig ist. Es ist sehr billig für Sie, meine Herren von der SPD, zu sagen: Nein, wir lehnen ab. Ich möchte einmal wissen, ob Sie die Verantwortung zu einem Nein übernehmen würden, wenn es an Ihrer Stimme wirklich hinge. ({44}) Denn was bringt das Nein? Meinen Sie denn, es bleibt alles beim alten, ({45}) es ändert sich nichts? - Ja, meine Damen und Herren, glauben Sie wirklich, daß die Reaktion der anderen Mächte dann so günstig sein würde? ({46}) Sind Sie sich vollkommen darüber im klaren, daß unser Nein das Ende der europäischen Pläne bedeuten müßte, und sind Sie sich im klaren darüber, wie Sie mit Ihrem Nein in einem solchen Falle das Spiel gewisser Kreise, die Europa und Deutschland feindlich gegenüberstehen und die Gott sei Dank meiner Meinung nach eine Minderheit in ihrem Lande sind, treiben würden? ({47}) Die Außenpolitik eines kleinen Landes - und wir sind sogar noch in einer schlechteren Situation als ein kleines Land ({48}) besteht nicht darin, daß man auf den Tisch hauen kann und sagt: So und nicht anders! Nein, wir sind gezwungen, eine vorsichtige, eine kluge Politik zu treiben, stückweise das Beste aus den Dingen zu machen, um zu erreichen, daß das Mißtrauen, das jetzt noch den Weg in die völlige Freiheit versperrt, durch eine ehrliche Art der Partnerschaft, durch ein ehrliches Mitwirken für Europa überwunden wird. ({49}) Wenn wir diese kluge Politik machen, ({50}) dann, aber nur dann, wird der Weg frei, und dann wird das Ziel zu erreichen sein, das - ich wiederhole es - das Ziel des deutschen Volkes sein muß: der Weg in die deutsche Freiheit! ({51})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Dr. Konrad Adenauer (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000009

Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich habe den Ausführungen des Herrn Kollegen Brandt mit großer Spannung entgegengesehen, nicht etwa, weil es Herr Brandt war, den ich schätze, sondern weil er der erste Vertreter der sozialdemokratischen Opposition war, der sprach. Ich bin - Herr Brandt möge mir das nicht übelnehmen ({0}) enttäuscht. ({1}) Ich möchte auf einiges, das er angeführt hat, eingehen. Er hat zuerst - das gleiche hat man auf der linken Seite des Hauses zur Eröffnung der Sitzung getan - sich daran gestoßen, daß man diesen Vertrag, der in Bonn geschlossen worden ist, Deutschland-Vertrag nenne. Nun, meine Damen und Herren, mit dem Namen Deutschland-Vertrag waren die zwei anderen Vertragspartner einverstanden; nur einer nicht, die französische Regierung. Sie wollte es nicht. ({2}) Dann, meine Damen und Herren, hat Herr Brandt - und das war, wenn ich so sagen soll, das eigentlich Wichtige, was er gesagt hat - erklärt, die Bundesregierung sei an diese ganzen Fragen von einem falschen Standort aus herangegangen, das Besatzungsstatut habe sich aus sich selbst auflösen müssen, und man habe diesem verhängnisvollen Junktim nicht zustimmen dürfen; dann würde man etwas ganz anderes erreicht haben. Ja, verehrter Herr Kollege Brandt, wie stellen Sie sich eigentlich außenpolitische Verhandlungen vor, wie stellen Sie sich außenpolitische Verhandlungen mit siegreichen früheren Kriegsgegnern vor, ({3}) und endlich, wie stellen Sie sich solche Verhandlungen seitens des Vertreters eines Landes vor, das überhaupt keine Macht mehr hat? ({4}) ({5}) Glauben Sie denn, ein Besatzungsregime würde sich von selbst auflösen? Erfreuten sieh die andern nicht der Macht, die sie durch das Besatzungsregime hier hatten? Und vor allem, meine Damen und Herren einschließlich der Damen und Herren von der Opposition, glauben Sie denn, daß bei außenpolitischen Verhandlungen einer der Verhandelnden nicht in erster Linie sein eigenes Interesse im Auge hat? ({6}) Und nicht das Interesse des andern! ({7}) Glauben Sie denn, daß bei solchen Verhandlungen einer der Vertragsgegner aus Nächstenliebe handelt? ({8}) Ach, meine verehrten Damen und Herren, daran ist ja gar nicht zu denken! Es ist ganz klar, man hat mit uns nicht unserer schönen Augen zuliebe, auch nicht der schönen Augen des Bundeskanzlers zuliebe verhandelt. ({9}) Man hat mit uns auch nicht im Hinblick auf das verhandelt, was in den letzten zwanzig Jahren in Deutschland passiert ist, sondern man hat mit uns verhandelt, ({10}) weil man eingesehen hat, daß sich Europa einschließlich Deutschlands gegenüber den sowjetrussischen Drohungen zu einer Einheit zusammenfinden muß. ({11}) Wenn die drei Westmächte, die Siegermächte, die sich doch auch selbst von Sowjetrußland bedroht fühlen, die Machtposition, die sie auf Grund des Besatzungsstatuts nun einmal in Deutschland haben, aufgeben würden, ehe wir uns entschieden haben, mit ihnen zusammenzugehen, wären es komplette Narren. ({12}) Meine Damen und Herren, Sie denken genau so realistisch, wie auch ich denke, ({13}) und im Innern wissen Sie ganz genau, daß ich recht habe. ({14}) Und nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich einzelne Punkte der Ausführungen des Herrn Kollegen Brandt aufgreifen, ehe ich zu meinen eigentlichen Darlegungen komme, in deren Besitz Herr Brandt ja schon ist. ({15}) Herr Kollege Brandt hat gesagt, es werde uns keine Bündnisfreiheit geboten. Selbstverständlich haben wir Bündnisfreiheit, im Rahmen der gemeinsamen Politik natürlich! ({16}) Ja, meine Damen und Herren, die gemeinsame Politik geht doch auf die Wiedervereinigung Deutschlands hin. ({17}) Wenn es nötig und geboten wäre, könnten wir auch einen Botschafter nach Moskau schicken. Von Ihnen ({18}) würde ich allerdings keinen dahin schicken. ({19}) Herr Brandt wirft uns die Unklarheiten der Verträge vor. Es sind über tausend Paragraphen. Es war ein unendlich schwieriges Werk. Glaubt man denn, daß bei einem solchen Werk alles völlig klar ist und daß alle diese Paragraphen sich all dem, was sich im Laufe der Zeit noch ereignen wird, von vornherein gewachsen zeigen werden? ({20}) Das ist doch völlig unmöglich. Deswegen ist doch gerade ein Schiedsgericht vorgesehen, wie es in allen Verträgen von Bedeutung der Fall ist. Herr Brandt hat gesagt, wir kennten nicht die Verpflichtungen der drei anderen gegenüber Sowjetrußland. Ich weiß von keinen solchen Verpflichtungen; ({21}) ich weiß nichts davon. In der Vergangenheit sind eine Reihe von Abkommen mit Sowjetrußland geschlossen worden. Die kennen Sie, die kenne ich. Aber geheime Verpflichtungen - und darum müßte es sich doch handeln - kenne ich nicht. ({22}) Wenn es sich nicht um geheime v erpflichtungen handelt - und der Herr Kollege Ollenhauer sagt: Darum nicht! -, ja, dann kennen Sie sie doch. Also, was soll denn diese Anführung des Herrn Kollegen Brandt? Herr Brandt hat etwas Weiteres gesagt, was ganz offensichtlich unrichtig ist. Er hat davon gesprochen, daß in diesem Vertrag den Drei Mächten ein vertragliches Recht, Truppen zu unterhalten, eingeräumt sei. Das ist leider nicht der Fall. Darauf komme ich in meinen Ausführungen noch zurück. Es ist auch nicht richtig, wenn er sagt, die Bundesrepublik sei an den Entscheidungen von NATO nicht beteiligt. Selbstverständlich ist sie daran beteiligt. ({23}) Er sagt weiter, wir hätten keine Garantie gegen einen kalten Frieden. Ja, verehrter Herr Brandt, kalter Frieden heißt: ein Frieden zwischen den drei Westmächten und Sowjetrußland auf unserem Rücken. Deswegen haben wir doch gerade im Deutschland-Vertrag den Artikel 7. Die Verhütung eines kalten Friedens, wie Sie es nennen, ist ja das Ziel des Artikels 7. ({24}) Es war seit Jahr und Tag meine größte Sorge, daß, wenn wir nicht handelten, wenn wir nicht versuchten, mit den drei Westmächten zu einer Übereinkunft zu kommen, dann auf unserem Rücken ein Abkommen zwischen den drei Westmächten und Sowjetrußland geschlossen werden würde. ({25}) ({26}) Herr Kollege Brandt hat uns vorgeworfen, daß Berlin durch den Deutschland-Vertrag vom Bund mehr entfernt als zum Bund hingezogen worden sei. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir bekommen dadurch auch auf die Politik der drei Alliierten in Berlin Einfluß, den wir vorher nicht hatten. ({27}) Ein Wort des Herrn Kollegen Brandt habe ich absolut nicht verstanden. Er vermißt in diesem Vertrag eine Sicherung der parlamentarischen Demokratie. Ich weiß gar nicht, was das heißen soll. ({28}) Würden Sie denn einen Artikel billigen, in dem steht: Frankreich, Großbritannien und Nordamerika garantieren für das Weiterbestehen einer Demokratie in Deutschland? Würden Sie dann nicht gesagt haben: Es ist schmachvoll, so etwas zu vereinbaren; wir sind Manns genug, um hier die Demokratie zu garantieren? ({29}) Herr Kollege Brandt hat ausgeführt, daß in England die Partei, die die Mehrheit der Stimmen bekommen habe, die Ihnen nahestehende Partei, nicht für diese Verträge sei. Demgegenüber möchte ich Ihnen doch folgendes sagen: Ich weiß im Augenblick nicht, ob die Labour Party die Mehrheit der Stimmen bekommen hat, aber Sie haben sie ja gemeint. ({30}) - Ich weiß viel, aber ich kann nicht alles wissen. Dieser Behauptung gegenüber möchte ich feststellen, daß der verstorbene Außenminister Bevin sich im Gespräch mit mir für diese Entwicklung ausgesprochen hat. ({31}) Demgegenüber möchte ich feststellen, daß Herr Attlee sich dafür ausgesprochen hat. ({32}) Und demgegenüber möchte ich feststellen, daß sich Herr Morrison mit aller Kraft dafür eingesetzt hat. ({33}) Ich kann also nur annehmen - ich möchte es an sich nicht -, daß Herr Brandt sich zu den Bevanisten rechnet. ({34}) Herr Kollege Brandt hat auch davon gesprochen, daß man einen Vertrag oder Verträge nicht schließen könne, in denen der Revisionismus von vornherein stecke, oder so etwas Ähnliches. Zunächst möchte ich an die Stelle des Wortes „Revisionismus" das Wort „dynamische Entwicklung" setzen. ({35}) Denn, meine Damen und Herren, glaubt denn einer von Ihnen, daß das Leben bei der dritten Lesung dieses Vertrags stehenbleibt? ({36}) Haben Sie denn nicht selbst gelesen, daß eine Revision, eine Überprüfung des Vertrags für den Fall des Zustandekommens einer europäischen Föderation vorgesehen ist? ({37}) Wir haben alle Aussicht, daß diese europäische Föderation im Jahre 1953 da sein wird. ({38}) - Ach, jeder macht die Zwischenrufe, die er machen kann! ({39}) Es kann nicht meine Aufgabe sein, bei der zweiten Lesung dieser Verträge mehr oder weniger ausführlich im Plenum alles das zu wiederholen, was in den Ausschüssen seitens der Regierungsvertreter schon gesagt worden ist. Dieser Bundestag hat eine politische Entscheidung von größter Tragweite zu fällen. ({40}) Er hat nicht - das würde der Größe der Aufgabe keineswegs entsprechen - mit einer Lupe in der Hand wie ein Lehrer, der eine Schülerarbeit nachsieht, nachzusehen, ob im Art. 653 oder 793 doch dies oder jenes hätte besser gemacht werden können. Das ist nicht die Aufgabe, sondern die Aufgabe ist die, - ({41}) - Nein, - meinetwegen, Sie können tun, was Sie wollen; die Geschichte wird über Sie urteilen! ({42}) Wenn die Antwort in diesem Saal bejahend lautet, so wird dem deutschen Volke und Europa Frieden und Freiheit, ({43}) stetige und konsequente Fortentwicklung in politischer, in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht gegeben werden. ({44}) Sollte aber diese Entscheidung ablehnend ausfallen - und, meine Damen und Herren, auch eine an nicht erfüllbare Bedingungen oder Voraussetzungen geknüpfte Zustimmung ist in Wahrheit eine Ablehnung -, dann wird die sich langsam erhellende Zukunft des deutschen Volkes und Europas von neuem in Dunkel getaucht, ({45}) die Zusammenfassung Europas zu einer föderativen Einheit wird im Keime getötet werden. Und - das möchte ich mit größtem Nachdruck sagen - Sowjetrußland wird durch ein Nein zu diesen Verträgen der denkbar größte Dienst geleistet. ({46}) Sie kennen den Aufsatz im Auszug, den Stalin vor dem Moskauer Parteitag hat erscheinen lassen. Sie kennen die Verhandlungen dieses Parteitags, und aus dem Aufsatz und aus den Verhandlungen auf diesem Parteitag ({47}) tritt klar zutage, daß die russische Taktik jetzt dahin geht, die drei Westalliierten auseinanderzubringen, ({48}) es nicht zu der Föderation Europas, es nicht zum Abschluß dieser Verträge kommen zu lassen. ({49}) ({50}) Deshalb richtet man gegen die Vereinigten Staaten die massivsten Angriffe, ({51}) bezeichnet ihren Botschafter in Moskau als persona ingrata. ({52}) Nun hören Sie, ({53}) was Malenkow über Frankreich und England in seinem Bericht auf diesem Parteitag gesagt hat. ({54}) Er hat gesagt: Wenn wir uns unseren Beziehungen zu England und Frankreich zuwenden, wäre zu sagen, daß sich diese Beziehungen im Geiste jener Verträge gestalten sollten, die wir während des zweiten Weltkrieges mit diesen Staaten abgeschlossen haben ({55}) und in denen die Zusammenarbeit mit diesen Ländern nach dem Kriege vorgesehen wird. ({56}) Also, meine Damen und Herren, da hat Malenkow - ({57}) - die Worte Malenkows müssen Sie ertragen, das geht nicht anders. ({58}) Deshalb richtet man dort jetzt schon seit vielen, vielen Monate ein wahres Prnpagandatrnmmelfeuer gegen die Bundesrepublik, um so den Abschluß dieser Verträge zu verhindern. ({59}) Nun komme ich zu dem Satz, den Herr Kollege Brandt eben zitierte. ({60}) Da möchte ich doch eine Frage aufwerfen. Einmal: ist es - nun sagen wir mal - so parlamenta rischer Brauch, daß man sich von einem Journalisten den Text einer Rede geben läßt, um den vorher zu verwerten? Meinetwegen mag das geschehen, aber, meine Damen und Herren, wenn man zitiert, dann soll man auch richtig zitieren. ({61}) Hören Sie: Ich wiederhole das, was in dem Text des Journalisten steht. Ich habe gesagt, wollte sagen und sage es jetzt: Daher ist jedes Nein zu den Verträgen, wenn auch bei manchen, die es aussprechen, ungewollt, ja unbewußt, - diese Worte hat Herr Brandt ausgelassen ({62}) ein Ja für Stalin und seine Politik der Unterwerfung Europas unter das bolschewistische Joch. ({63}) Meine Damen und Herren, über diesen Bundestag, diese Bundesregierung, über diese Sitzung, diese Verträge und die Abstimmungen wird einmal die Geschichte urteilen. ({64}) Ich weiß nicht, ob die Schreiber der Geschichte dieser Jahre dann eine besondere Reife der Parlamentarier finden werden, die sich, wie ich eben schon sagte, in Spitzfindigkeiten in einigen der über tausend Paragraphen vergraben haben. ({65}) Wenn in einem so ungeheuren Werk wie diesem - schon dem Umfang nach - die oft recht verschiedenen Auffassungen und Meinungen von insgesamt acht Ländern auf einen Nenner gebracht werden mußten, ({66}) dann ist es doch kein Wunder, daß jedes der acht Länder und auch wir diese oder jene Bestimmung lieber anders gesehen hätten. Aber in solchen Fällen muß dann eben eine Lösung gesucht und gefunden werden, die schließlich für alle noch tragbar ist. ({67}) Nur bei lebenswichtigen Bestimmungen muß man in solchen Verhandlungen hart und unnachgiebig sein. ({68}) Ich versichere Ihnen, meine Damen und Herren: das sind die deutschen Vertreter in einer ganzen Reihe von Fällen gewesen, und zwar mit Erfolg. ({69}) Lassen Sie mich - man muß das in so wichtigen Reden auch gelegentlich tun - einmal einen kleinen Vorfall erzählen, damit Sie aus solchen Kleinigkeiten ersehen, wie es bei den Verhandlungen zuging. Die erste Besprechung über diese ganzen Verträge war in dem Hause des französischen Hohen Kommissars. Wir fingen an etwa um 10 Uhr morgens; ({70}) man glaubte damals auf seiten der anderen Herren, daß wir bis mittags fertig sein würden. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: die Gegensätze zwischen den Auffassungen der drei Herren und meiner Auffassung platzten so aufeinander, daß ich entschlossen war, vor dem Mittagessen wegzugehen. ({71}) - Meine Herren, nehmen Sie doch bitte mal ernste Sachen ernst! ({72}) Ich finde, meine Damen und Herren - ({73})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Meine Damen und Herren, so geht es nicht weiter. Es ist nicht möglich, den Redner dauernd zu unterbrechen. Es kann gelegentlich ein Zwischenruf gemacht werden, aber fortgesetzte Lärmszenen lassen sich mit der Geschäftsordnung nicht vereinbaren. Ich möchte Sie davor warnen, die Möglichkeiten, die eingeräumt sind, zu mißbrauchen. ({0}) Ich bitte Sie, fortzufahren, Herr Bundeskanzler.

Dr. Konrad Adenauer (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000009

Meine Damen und Herren, in einem kurzen Bericht über diese erste Verhandlung hat in der Presse gestanden: Beim Auseinandergehen war die Atmosphäre eisig! Dann kam die zweite Sitzung bei dem englischen Hohen Kommissar. ({0}) Als wir da auseinandergingen, ({1}) sagte der französische Hohe Kommissar: Die Atmosphäre ist eisigst! ({2}) - Ich führe das nur an, damit Sie sehen, daß die Sache nicht so abgelaufen ist, als wären wir uns brüderlich um den Hals gefallen. ({3}) Nein, meine Damen und Herren, es hat hart auf hart gegangen! Ich möchte auf ein Wort zurückkommen, das der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion bei der ersten Lesung, Herr Abgeordneter Schmid, gesprochen hat. Er hat gesagt, gegenüber diesem Vertragswerk gebe es nur ein fundamentales Ja oder ein fundamentales Nein. Auf dem gleichen Standpunkt steht auch der Bericht, den die SPD-Fraktion des Bundestags ihrem Parteitag in Dortmund erstattet hat. Das ist auch richtig, meine Damen und Herren, ({4}) und ich lobe mir diese Offenheit und Ehrlichkeit. Was hilft das Herumreden über dieses und jenes, was wir soeben von Herrn Brandt gehört haben! Ich sage, das Wort des Herrn Schmid war richtig: ein fundamentales Ja oder ein fundamentales Nein. ({5}) Will man den Anschluß an den Westen, will man das unter den gegenwärtigen Umständen größtmögliche Maß von Freiheit, ({6}) will man die Einbeziehung in das grandiose Sicherheitssystem des Westens, ({7}) will man auf die Dauer die Schaffung der Einheit Europas, ({8}) will man die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit, dann sage man j a. ({9}) Aber, meine Damen und Herren, will man das nicht, will man Deutschland wehrlos und schutzlos im Gefahrenfeld liegen lassen, ({10}) der Gefahr ausgesetzt, Schlachtfeld oder aber ein neuer Satellitenstaat Sowjetrußlands zu werden, nun, in Gottes Namen, dann sage man nein! ({11}) - Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich doch erst einmal weitersprechen! ({12})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Meine Damen und Herren, es ist doch unmöglich, jeden Satz eines Redners mit einer Serie von unartikulierten Zwischenrufen zu belegen. ({0}) - Dazu besteht keinerlei Veranlassung. Es hat hier jeder seine politischen Wertvorstellungen frei auszusprechen. ({1}) Es sind keinerlei beleidigende Worte gefallen. Ich- bestreite doch keinem Menschen das Recht, - ({2}) - Meine Damen und Herren, schließlich besteht die Kunst des parlamentarischen Lebens auch im Zuhören! ({3})

Dr. Konrad Adenauer (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000009

Meine Damen und Herren! Für diejenigen Mitglieder dieses Hauses, die das nicht wollen, besteht die ernste Verpflichtung, sich daraufhin zu prüfen, ob nicht, wenn auch, wie ich eben schon gesagt habe, nicht gewollt -- vielleicht nicht einmal erkannt -, doch dasselbe durch ihr Nein herbeigeführt wird. ({0}) Diese zweite Lesung liegt fünf Monate hinter der ersten, die im Juli dieses Jahres stattfand. Fünf Monate sind in unserer bewegten Epoche eine Zeit, in der sich vieles ereignet. Im Hinblick auf diejenigen, die bei der ersten Lesung dem Vertragswerk zögernd oder gar ablehnend gegenübergestanden haben, habe ich sehr sorgsam und gewissenhaft die Ereignisse dieser Monate daraufhin geprüft, ob sie Veranlassung geben könnten, die Ansichten, die die Bundesregierung und die Mehrheit des Hohen Hauses damals durch Wort und Abstimmung bekundet haben, zu revidieren. Ich habe untersucht, ob die politischen Spannungen in der Welt im allgemeinen nachgelassen haben, ob das Spannungsfeld in Europa zwischen Ost und West, in dem unser Land zur Zeit wehrlos liegt, weniger gefahrdrohend geworden ist, ob sich irgendwo am Horizont der Schimmer einer kommenden Verständigung zeigt, ({1}) ob die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit inzwischen irgendwie der Verwirklichung nähergekommen ist. ({2}) Man kommt bei einer solchen Untersuchung zu ({3}) dem Frgebnis, daß sich nichts, aber auch gar nichts in dieser Zeit ereignet hat, ({4}) was den Abschluß dieser Verträge nicht mehr als notwendig erscheinen ließe. ({5}) Im Gegenteil, die Entwicklung seit der ersten Lesung ist derartig, daß sie diejenigen, die damals die Verträge bejaht haben, in ihrer Stellungnahme bestärken muß, ({6}) daß sie aber auch diejenigen Fraktionen, die sich damals auf einen ablehnenden Standpunkt stellten, zwingt, ihre damalige Entscheidung einer Nachprüfung zu unterziehen. ({7}) In den verschiedensten Gebieten auf der Welt wütet der Krieg weiter oder haben neue Kämpfe begonnen. Die Waffenstillstandsverhandlungen in Korea, wo der Ost-West-Konflikt ohne formelle Kriegserklärung bereits seit zwei Jahren in einen heißen Krieg übergegangen ist, ({8}) verlaufen seit 14 Monaten ergebnislos. Rot-China hat in langwierigen Verhandlungen eine gemeinsame Strategie mit der Sowjetunion abgestimmt. In Indochina tobt der Krieg mit sowjetrussischer Unterstützung mit gesteigerter Heftigkeit weiter. Auf den Philippinen, in Indonesien, in Siam, in Burma ({9}) versuchen wohlausgerüstete kommunistische Fünfte Kolonnen einen Umsturz herbeizuführen. ({10}) In Malaya hält der Dschungelkrieg an. In Persien hat der Kommunismus einen neuen Auftrieb bekommen durch sowjetische Propaganda. ({11}) In den osteuropäischen Satellitenstaaten ist die Unterwerfung unter die sowjetrussische Herrschaft vollständig geworden. Alle gegen die absolute Abhängigkeit von Moskau sich richtenden Tendenzen werden durch „Reinigungsprozesse" unterdrückt. Ich verweise Sie auf den Schauprozeß und die elf Todesurteile, ({12}) die vor wenigen Tagen in Prag ausgesprochen wurden. ({13}) Die Sowjetzone endlich, dieser Teil unseres Deutschland, wird konsequent zu einem rücksichtslos beherrschten sowjetrussischen Satellitenstaat nach dem Muster der schon bestehenden gemacht. ({14}) Die Länder sind aufgehoben, das Gebiet wird streng zentralistisch verwaltet; und wenn Sie einmal hören wollen, wie es dort aussieht, wie die Bevölkerung behandelt wird - nun, meine Damen und Herren, dann gehen Sie doch einmal nach Berlin und sprechen die Flüchtlinge, die dort her- 1 überkommen! ({15}) Von Juli bis einschließlich Oktober dieses Jahres sind es rund 78 000 Personen, in der Zwischenzeit werden es hunderttausend geworden sein. ({16}) Was in der Ostzone geschieht, das sieht, Sie werden mir das zugeben, wahrhaftig nicht danach aus, als ob es Rußlands Ziel sei, eine Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit herbeizuführen. ({17}) Man hat tatsächlich inzwischen der Sowjetzone die Form einer russischen Provinz gegeben, wie sie Herr Abgeordneter Schmid wohl im Auge hatte, als er in der ersten Lesung davon sprach, wenn es das Ziel der Sowjetunion sei, dem wiedervereinigten Deutschland die Form einer russischen Provinz zu geben, dann würde auch für die Sozialdemokratie eine neue Lage hinsichtlich der Einstellung zu dem Vertragswerk gegeben sein. ({18}) Gestern, meine Damen und Herren, am 2. Dezember, ist von der Regierung Großbritanniens der englischen Presse ein ausführlicher Bericht über die fortschreitende Remilitarisierung der Sowjetzone gegeben worden. ({19}) Ich empfehle Ihnen allen, diese amtliche Mitteilung genau zu studieren. Danach wurden die ersten Kader schon im Jahre 1948 aus Rekruten gebildet, ({20}) die aus den Reihen deutscher Kriegsgefangener in russischer Hand eingezogen wurden. ({21}) In dem gleichen Jahr begann man in den Gefangenenlagern Sowjetrußlands mit einem ausgedehnten Werbefeldzug, ({22}) und diejenigen Kriegsgefangenen, die als politisch zuverlässig und technisch geeignet galten, wurden im August und September 1948 nach Deutschland entlassen, wo sie in die Bereitschaften - das ist der militärische Zweig der Volkspolizei - eingegliedert wurden. ({23}) Bis Mai 1949 waren es schon 35 Bereitschaften, die man auf diese Weise - meine Damen und Herren, ich habe keinen anderen Ausdruck dafür - zu diesem Dienst gepreßt hatte. ({24}) Jetzt, in der letzten Zeit, ist das erste Korps dort aufgestellt ({25}) unter dem Kommando des Ihnen bekannten Hermann Rensch, der, wie 450 andere Offiziere dieser ({26}) Truppe, einen Ausbildungslehrgang in der Sowjetunion mitgemacht hat. ({27}) Es wurde eine Grenzpolizei aufgestellt, die 25 000 Mann umfaßt und mit leichten Waffen einschließlich sowjetischer automatischer Waffen ausgerüstet ist. ({28}) Immer weitere Kreise der ostdeutschen Jugend werden von einer militärischen Ausbildung ergriffen. Außer der Freien Deutschen Jugend wurden zwei neue Jugendorganisationen mit militärischer Ausbildung und kommunistischer Schulung gebildet, nämlich die Organisation „Dienst für Deutschland", die am 24. Juni dieses Jahres ins Leben gerufen wurde, und die Organisation „Sport und Technik", die am 7. August ins Leben trat. ({29}) - Ich wünsche, Sie würden mal zur Volkspolizei eingezogen; dann wären wir Sie los, ({30}) aber anscheinend sind Sie technisch nicht geeignet. ({31}) Meine Damen und Herren! Die vierte Note Sowjetrußlands - ({32}) Die vierte Note Sowjetrußlands vom August dieses Jahres enthält in schärferer Form als die drei vorhergehenden die Forderung, Deutschland einen Frieden zu diktieren, der auf dem Potsdamer Abkommen beruhe, d. h. der die volle Entmachtung Deutschlands in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht vorsieht. ({33})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Herr Abgeordneter Fisch, Sie haben eben einen ehrenrührigen Zuruf gemacht. Ich rufe Sie zur Ordnung. ({0}) - Meine Damen und Herren, wenn ich hier Ordnungsmaßnahmen treffe, so tue ich das aus der Pflicht heraus, die mit meinem Amt verbunden ist. Ich weiß nicht, ob es dazu notwendig ist, nach der einen oder anderen Richtung hin dann immer Kundgebungen zu veranstalten. Ich handle doch hier schließlich nicht im Sinne irgendeiner parteipolitischen Funktion. ({1})

Dr. Konrad Adenauer (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000009

Alle diese Vorgänge, meine Damen und Herren, zeigen, daß sich die Situation sowohl in der gesamten Welt wie auch in Europa seit der ersten Lesung weiter verschlechtert hat, sie zeigen besonders, daß die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit durch die Anbiederung an die Sowjetzonenregierung oder Sowjetrußland, wie wir sie durch eine Reihe von Einzelverhandlungen Deutscher leider erlebt haben, nur ungünstig beeinflußt worden ist. ({0}) Was sagen nun die Kritiker der Bundesregierung und der Mehrheit dieses Hauses zu dem Vertragswerk? ({1}) Ich habe mich eben schon zu den Ausführungen des Kollegen B r an d t geäußert. Ich habe aber mit noch größerem Interesse und noch größerer Aufmerksamkeit die Reden verfolgt, die auf dem sozialdemokratischen Parteitag in Dortmund gehalten worden sind. Dort wurde erklärt, man werde, wenn man selbst die Macht habe, einen andern Weg und eine andere Methode wählen. Ich darf bitten, zu sagen, welchen Weg und welche Methode man wählen will, ({2}) und vor allem darf ich bitten, doch zu sagen, welches Ziel man dann erstrebt, welches Ziel man erreichen will; denn letzten Endes ist nicht der Weg und nicht die Methode die Hauptsache, sondern das Ziel. ({3}) Aber die Sozialdemokratische Partei hat uns bis jetzt ihre Geheimnisse nicht mitgeteilt. ({4}) Sie kennzeichnet weder ihren Weg noch ihre Methode noch ihr Ziel in faßbaren Worten. ({5}) Es wird hier und da von Mitgliedern der Opposition gesagt: Wir wollen neue Verhandlungen. - Nun, was sollen neue Verhandlungen? Entweder es mißfallen einem mehr oder weniger unbedeutende Bestimmungen dieses Vertragswerks; dann - das wird mir jeder zugeben - haben neue Verhandlungen keine innere Berechtigung; man kann nicht sieben andere Länder ersuchen, wegen relativer Kleinigkeiten neu zu verhandeln. ({6}) Oder aber es handelt sich um fundamentale Bestimmungen; dann hat das Verlangen nach neuen Verhandlungen noch weniger Aussicht auf Erfolg, nachdem über diese schwierigen fundamentalen Bestimmungen unter acht Ländern nach langen, mühsamen Verhandlungen eine Einigung erzielt worden ist. An diesem Vertragswerk ist über eineinhalb Jahre gearbeitet ({7}) und eine unendliche Mühe ist darauf verwandt worden. Man glaubte auf der andern Seite, dadurch den Westen so stark zu machen, wie es zur Verteidigung gegenüber einem etwaigen Angriff vom Osten notwendig ist. ({8}) Man glaubte, die Grundlage für eine Einigung Europas zu schaffen, eine Einigung, die für den Frieden der ganzen Welt notwendig ist. Wenn ausgerechnet Deutschland dasjenige Land sein sollte, ({9}) das durch seine Ablehnung der Verträge seine eigene Verteidigung gegenüber einem etwaigen Angriff aus dem Osten unmöglich macht, ({10}) wenn ausgerechnet Deutschland die begonnene Einigung Europas wieder zerschlagen würde, ({11}) dann - davon bin ich zutiefst überzeugt - wird es nicht mehr zu neuen Verhandlungen kommen. Hinzu kommt noch, daß die Vereinigten Staaten und England ja schon ratifiziert haben. ({12}) Da lobe ich mir nochmals die Offenheit, mit der erklärt worden ist, es gebe nur ein fundamentales Ja oder ein fundamentales Nein. ({13}) Aber man sollte ein Nein nicht zu tarnen versuchen durch den Ruf nach neuen Verhandlungen. ({14}) Ich kann auch nicht einsehen, welche wesentlichen Bestimmungen im Interesse Deutschlands durch neue Verhandlungen jetzt schon abgeändert werden müßten oder könnten. Zwei Gruppen von Bestimmungen des Deutschland - Vetrages sind in diesem Zusammenhang genannt worden, die Vorbehaltsrechte und das Notstandsrecht. Die Vorbehaltsrechte, soweit sie Berlin und die Wiedervereinigung Deutschlands betreffen, müssen im Interesse Deutschlands bleiben. ({15}) Wenn die Westalliierten ihr Vorbehaltsrecht bezüglich Berlins aufgeben, werden ihnen die Russen das Recht, in Berlin zu sein, bestreiten. ({16}) Mir scheint, daß der Begriff des Vorbehaltsrechts manchem hier im Hause nicht völlig klar ist. Vorbehaltsrecht heißt doch nichts anderes, als daß aus dem Besatzungsrecht, das im übrigen aufgehoben wird, ({17}) diese bestimmten Rechte vorbehalten, d. h. nicht aufgehoben werden. ({18}) Ich kann nicht glauben, daß die Opposition - die Kommunisten rechne ich nicht zur Opposition, das tue ich keinem Menschen in diesem Hause an ({19}) wirklich das Vorbehaltsrecht in bezug auf Berlin verneint; denn - das kann ich nur nochmals wiederholen - das bedeutet die Preisgabe Berlins. ({20}) Das Vorbehaltsrecht bezüglich Deutschlands als Ganzes und der Wiedervereinigung Deutschlands kann man nur im Zusammenhang mit Art. 7 des Deutschland-Vertrages würdigen. In diesem Artikel wird ja zwischen den drei Westmächten und uns vereinbart, daß der Friede zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbart werden muß, ({21}) daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zum Friedensvertrag aufgeschoben wird, daß bis zum Abschluß der friedensvertraglichen Regelung die Bundesrepublik und die drei Westmächte zusammenwirken werden, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung ähnlich wie die Bundesrepublik besitzt und das in die europäische Gemeinschaft integriert ist. ({22}) Sie sehen aber, meine Damen und Herren - und deswegen habe ich Ihnen das jetzt ausführlich verlesen -: trotz des Vorbehaltsrechts hinsichtlich des Friedensvertrags und der Wiedervereinigung Deutschlands sind die Drei Mächte gegenüber der Bundesrepublik mit Bezug auf den Inhalt dieses Vorbehaltsrechts durch den Art. 7 vertraglich gebunden. Da zur Erreichung dieser Ziele des Art. 7 die Mitwirkung Sowjetrußlands nötig ist, da ferner eine vertragliche Abmachung der Drei Mächte mit Sowjetrußland über den gemeinsamen Abschluß eines Friedensvertrags, in dem die Grenzen Deutschlands festgestellt werden sollen, besteht, liegt es in unserem Interesse, daß die Drei Mächte durch den Vorbehalt dieses Rechts Sowjetrußland nicht das Recht geben, diese Fragen für die Gebiete hinter dem Eisernen Vorhang selbständig zu entscheiden. ({23}) Durch dieses Vorbehaltsrecht behält zwar Sowjetrußland das Recht gegenüber den Westmächten, bei der Friedensregelung mitzusprechen, aber umgekehrt behalten die drei Westalliierten auch das Recht, bei der Friedensregelung hinsichtlich der Gebiete hinter dem Eisernen Vorhang mitzusprechen. Ein Verzicht auf das von diesem Vorbehalt umfaßte Recht der drei Westalliierten hätte die Preisgabe der Gebiete hinter dem Eisernen Vorhang bedeutet. ({24}) Nun das dritte Vorbehaltsrecht, das das Notstandsrecht von selbst nach sich zieht: das Recht der Stationierung von Streitkräften in Westdeutschland und deren Sicherung. Nun, wem verdanken die Westalliierten dieses von mir gemachte Zugeständnis des Vorbehaltsrechts? Niemandem anders als der Opposition! ({25}) Auf dieses Recht werden sie infolge des Verhaltens der Opposition nicht mehr verzichten. Darin, meine Damen und Herren, daß Streitkräfte der Westalliierten bis auf weiteres auf deutschem Boden stationiert werden müssen, waren wir wohl alle einig, mit Ausnahme der KP. Ich darf daran erinnern, daß der verstorbene Führer der Sozialdemokratischen Partei, Herr Dr. Schumacher, wiederholt verlangt hat, es müßten so starke amerikanische Truppen auf deutschem Boden gehalten werden, daß sie in der Lage seien, einen Angriff der Russen offensiv zurückzuschlagen. ({26}) Bei den Verhandlungen über den Deutschland-Vertrag ist sehr eingehend über die rechtliche Struktur des Aufenthalts dieser Streitkräfte auf deutschem Boden verhandelt worden. Ich schlug vor, die Bundesrepublik solle im Wege des Vertrags den Westalliierten das Recht einräumen, Truppen auf deutschem Boden zu unterhalten. Ich habe den Weg des Vertrags vorgeschlagen, weil man dann natürlich mehr Einfluß hat, als wenn die Truppen aus dem Besatzungsrecht stationiert werden könnten. Aber dieser mein Vorschlag wurde ({27}) abgelehnt unter Hinweis auf eine Erklärung Herrn Dr. Schumachers im „Neuen Vorwärts" vom 15. April 1951, ({28}) in der es wörtlich hieß: „Jede Unterschrift des Kanzlers ist daher für uns null und nichtig und kann das deutsche Volk nicht binden." ({29}) Mir wurde damals insbesondere von amerikanischer Seite unter Hinweis auf diese Erklärung gesagt: „Wenn jemals eine deutsche Bundesregierung erklären sollte, sie betrachte sich als nicht an diesen Vertrag gebunden, ({30}) so würden die Vereinigten Staaten durch die öffentliche Meinung ihres eigenen Landes gezwungen sein, ihre Truppen zurückzuziehen, ({31}) falls diese nur auf Grund eines Vertrages in Deutschland stationiert wären." ({32}) - Ach, Herr Renner, Sie sind ein ausgezeichneter Schauspieler, aber nicht stundenlang! ({33}) Meine Damen und Herren, gegenüber dieser Erklärung des Herrn McCloy mußte ich mein Verlangen auf vertragliche Regelung aufgeben. ({34}) Die Notstandsbestimmungen sind eine notwendige Folgerung des Vorbehaltsrechts auf Sicherung dieser Truppen. ({35}) Ich glaube, daß wir durch Einfügung der Schiedsgerichtsklausel etwaigen Mißbräuchen des Notstandsrechts vorgebeugt haben. ({36}) Ich komme nun zu einem sehr wichtigen Punkt. Bei der ersten Lesung im Bundestag hat der Redner der sozialdemokratischen Fraktion ausgeführt, daß die Organisation des Europäischen Verteidigungskommissariats ohne jede parlamentarische Kontrolle tief in die Wirtschaft unseres Landes eingreifen könne. Gegenüber diesem Einwand darf ich darauf hinweisen, daß von Anfang an die Schaffung einer diesem Verteidigungskommissariat übergeordneten europäischen parlamentarischen Einrichtung vorgesehen war. ({37}) Der Vertrag hat in der Tat nur dann einen Sinn und ist nur dann von Wert, wenn er von einer obersten politischen Autorität in Europa gekrönt wird. ({38}) Diese Autorität besteht noch nicht. Aber die Arbeiten der ad-hoc-Kommission berechtigen uns, zu sagen, daß die politische europäische Autorität in naher Zukunft Wirklichkeit werden kann. ({39}) Daß diese oberste politische Autorität gegenwärtig noch nicht besteht, darf weder hier noch anderswo als Vorwand dazu dienen, den EVG-Vertrag zu verwerfen. Außenminister Schuman hat in der letzten Zeit einmal gesagt: Bei normalen Verhältnissen hätte der Vertrag der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft der Schlußstein der Integration Europas sein müssen; aber die Verhältnisse zwängen dazu, den Abschluß der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft vorwegzunehmen. Das ist richtig. ({40}) Aber mir scheint, diese Vorwegnahme wird das Zustandekommen der politischen Autorität wesentlich beschleunigen. ({41}) Die erfolgte Ratifizierung des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft macht es geradezu dringend erforderlich, eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik zu entwerfen. Die Ratifizierung des EVG-Vertrages wird also das Zustandekommen der politischen Autorität beschleunigen. ({42}) Falls das politische Statut - so wie es im EVG-Vertrag vorgesehen ist - aus formalen oder anderen Gründen auf sich warten lassen sollte, wäre es dann nicht denkbar, daß die Ministerpräsidenten der vertragschließenden Mächte schon jetzt regelmäßig zusammenkämen, um gemeinsam eine Politik der europäischen Sicherheit zu entwerfen und der Verteidigungsgemeinschaft dadurch frühzeitig eine hohe Wirksamkeit und Festigkeit zu geben? ({43}) Dieser Rat der Regierungschefs steht zu der zukünftigen politischen Autorität weder im Gegensatz noch soll er an ihre Stelle treten, er könnte ihr vielmehr den Boden bereiten. ({44}) Meine Damen und Herren, wie die Dinge sich entwickelt haben, verneint derjenige, der die Europäische Verteidigungsgemeinschaft verneint, damit auch Europa. Wer Europa verneint, liefert die Völker Westeuropas, insbesondere unser deutsches Volk, der Knechtschaft durch den Bolschewismus aus. ({45}) Wer Europa verneint, gibt die christlich humanistische Lebensform Westeuropas preis. ({46}) Wer Europa verneint, ist der Totengräber des deutschen Volkes, weil er dem deutschen Volke die einzige Möglichkeit nimmt, sein Leben, so wie es ihm wertvoll und teuer ist, sein freies, auf christlichen Grundsätzen aufgebautes Leben f ortzuführen. ({47}) Ich nehme' nicht an, daß die sozialdemokratische Opposition das will. Dann soll sie aber doch, wenn es um das deutsche Volk als Ganzes geht, dieses eine Mal parteitaktische Erwägungen zurückstellen. ({48}) Nach dem Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft werden ihr auch deutsch€ Truppen angehören. ({49}) ({50}) Ich möchte heute vor diesem Hohen Hause im Namen der Bundesregierung erklären, daß wir alle Waffenträger unseres Volkes, ({51}) die im Namen der hohen soldatischen Überlieferung ehrenhaft zu Lande, auf dem Wasser und in der Luft gekämpft haben, anerkennen. ({52}) Wir sind überzeugt, daß der gute Ruf und die große Leistung des deutschen Soldaten trotz aller Schmähungen während der vergangenen Jahre in unserem Volke noch lebendig sind und auch bleiben werden. ({53}) Es muß unsere gemeinsame Aufgabe sein - und ich bin sicher, wir werden sie lösen -, die sittlichen Werte des deutschen Soldatentums mit der Demokratie zu verschmelzen. ({54}) Der kommende deutsche Soldat wird nur dann seiner deutschen und europäischen Aufgabe gerecht werden, wenn er von den Grundprinzipien erfüllt ist, auf denen die Ordnung unseres Staates ruht. ({55}) Diese Ordnung sichert zugleich die ethischen Werte des Soldaten vor erneutem Mißbrauch. ({56}) Die Frage der sich noch im fremden Gewahrsam befindlichen Deutschen ist besonders ernst und auch schwierig. Die Bundesregierung hat sich von Anbeginn an bemüht, allen bereehtigten Verlangen auf Freilassung Erfüllung zu verschaffen. eichen Erfolg sie dabei gehabt hat, mögen Ihnen folgende Zahlen zeigen. ({57}) Am 1. April 1950 waren - abgesehen von den Kriegsgefangenen in den Ostblockstaaten und in Sowjetrußland - 3649 Deutsche im fremden Gewahrsam,; heute sind es noch 953. Von diesen 953 haben 250 der Wehrmacht einschließlich der Waffen-SS angehört. Bei unseren Bemühungen haben wir in immer steigendem Maße - ich muß das hier erklären - Verständnis bei den drei Westmächten gefunden. Auch vor Beginn der Arbeit der in dem Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen vorgesehenen Gemischten Kommission werden wir unsere Bemühungen fortsetzen. Ich bin überzeugt, daß wir mit ihnen weitere Erfolge haben werden. Ausdrücklich möchte ich hier noch betonen, daß auch die Vertreter der früheren Soldaten eine Amnestie asozialer und verbrecherischer Elemente selbstverständlich nicht befürworten. Das Eingehen auf die Rechtsfragen, die ja morgen zunächst in einem Bericht angeschnitten werden, überlasse ich Herrn Staatssekretär Hallstein. ({58}) - Er wird kommen, beruhigen Sie sich. ({59}) Nur eines möchte ich hier zu diesem Komplex der Rechtsfragen sagen. Die staatliche Gewalt hat ihre Grenzen nur an den sittlichen Geboten; sie umfaßt alles, was nicht durch diese verboten ist. Die Aufzählung einzelner Machtgebiete wirkt nicht exklusiv, ({60}) wenn das nicht ausdrücklich gesagt ist. Verteidigung, Wehrhoheit ist ein Recht, das jedem Staat zusteht, wenn seine Verfassung dieses Recht nicht ausdrücklich preisgibt. ({61}) Auf diesem Standpunkt stand man schon bei Schaffung des Grundgesetzes. ({62}) Als das Grundgesetz geschaffen wurde, konnte das nicht ausdrücklich ausgesprochen werden; es erschien auch rechtlich nicht nötig. ({63}) Aber da man annahm, daß -die Begrenzung der Wehrhoheit aus dem Besatzungsrecht eines Tages fortfallen würde, wollte man für diese Zeit im Grundgesetz - also verfassungsrechtlich - gewisse Beschränkungen der Wehrhoheit festlegen. ({64}) Aus diesen Erwägungen schuf man den Art. 4, ({65}) der das Recht zur Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe unter bestimmten Voraussetzungen statuiert. ({66}) Aus diesen Erwägungen schuf man den Art. 26, ({67}) der den Angriffskrieg verbietet, nicht den Krieg schlechthin, wie es im Parlamentarischen Rat zunächst vorgeschlagen war. ({68}) Wenn die Schöpfer des Grundgesetzes angenommen hätten, daß die Wehrhoheit der Bundesrepublik Deutschland nur durch einen neuen Verfassungsakt geschaffen werden könnte, hätten sie die beiden Artikel, über die, wie ich schon sagte, lange debattiert worden ist, nicht aufgenommen. ({69}) Was den Artikel über die Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe aus Gewissensgründen angeht, so wollte eine Minderheit des Parlamentarischen Rats dieses Recht nicht zugestehen. Es mußte über diesen Artikel abgestimmt werden, und er ist dann mit Stimmenmehrheit angenommen worden. Aus der Geschichte der Beratungen des Parlamentarischen Rats folgt eindeutig, daß seine Mitglieder eine Einschränkung der Wehrhoheit über den Art. 4 hinaus nicht wollten. ({70})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Meine Damen und Herren, darf ich Sie nochmals bitten, - ({0}) Also, - -({1}) Lärm fördert doch die Dinge nicht! ({2}) Es muß ja doch jeder seine Meinung zum Ausdruck bringen, ({3}) auch Vertreter der Regierung. ({4}) Meine Damen und Herren, - ({5}) - Also, Herr Abgeordneter Reimann, Sie machen fortgesetzt Störung. Ich mache Sie nochmals darauf aufmerksam, ({6}) daß die Geschäftsordnung ({7}) mir die Möglichkeit gibt, - ({8}) - Was Unrecht oder Recht ist, läßt sich doch nicht mit Zwischenrufen klarstellen, sondern nur in einer echten Diskussion. Bitte, machen Sie doch die Dinge nicht schwer und denken Sie nicht immer so schrecklich laut! ({9})

Dr. Konrad Adenauer (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000009

Was werden die Folgen sein, wenn diese Verträge durch Deutschland nicht ratifiziert werden? ({0}) Wir vergessen nur zu gern, daß wir noch ein besetztes Gebiet sind, daß wir unter Besatzungsrecht stehen, daß wir eine Hohe Kommission haben und daß die Westalliierten auf Grund der bedingungslosen Kapitulation die oberste Gewalt für sich in Anspruch nehmen. In Hinsicht auf die erfolgreichen Verhandlungen der Regierung haben die Westalliierten die Ausübung ihrer Rechte in weitgehendem Maße zurückgestellt. Aber seien wir uns .doch darüber klar, daß, wenn dieses Vertragswerk scheitert, die Dinge nicht so bleiben werden, wie sie jetzt sind, ({1}) daß zum mindesten ein sehr starker Rückschritt eintreten wird. ({2}) - Dann würden Sie wahrscheinlich in den Augen der Besatzung keine Immunität mehr besitzen. ({3}) Aber noch viel katastrophalere Folgen werden eintreten. ({4}) Die Bemühungen der sechs Länder der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten, Westeuropa zu vereinigen, es so stark und so kräftig zu machen, daß es dem Druck aus dem Osten auf die Dauer widerstehen kann, sind dann gescheitert, gescheitert durch die Schuld Deutschlands, dessen Nationalsozialisten so unendliches, noch keineswegs vergessenes Leid über die Welt gebracht haben. ({5}) Gescheitert sind dann die Bemühungen der europäisch Denkenden in den europäischen Ländérn, in Frankreich, Italien, Belgien, Holland, Luxemburg, Großbritannien und in den nordischen Staaten. Wenn Deutschland, vorbelastet durch die Vergangenheit, nun wiederum die Zwietracht der Einheit in Europa vorzieht, wird dann dieser unter starkem Widerstand in den eigenen Reihen unternommene Versuch, Deutschland in die Gemeinschaft der freien Nationen zurückzuführen, noch einmal gemacht werden? Eine solche Haltung Deutschlands heißt die anderen geradezu dazu zwingen, den Versuch zu machen, sich auf Kosten Deutschlands mit Sowjetrußland zu verständigen. ({6}) Was das bedeutet, habe ich Ihnen schon gesagt; ich brauche darauf nicht mehr einzugehen. Opferung Deutschlands an Sowjetrußland würde die eine Alternative sein, die sich aus der Ablehnung dieser Verträge ergeben könnte. Aber es gibt noch eine zweite Alternative. ({7}) Diese zweite Alternative würde noch furchtbarer sein als die erste. ({8}) Wenn eine Verständigung zwischen dem Westen und dem Osten, bei der Deutschland die Kosten tragen würde, nicht möglich ist, wenn die Spannungen zwischen Ost und West bleiben, sich verschärfen, sich entladen, dann wird Deutschland, das ungeschützt zwischen den Mächten liegt, Schauplatz eines Krieges werden, der den völligen Untergang Deutschlands und des deutschen Volkes bringt. Die Schaffung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft bedeutet nicht Heraufbeschwörung des Krieges. Sie ist eine Gemeinschaft zur Verteidigung, nicht zum Angriff. ({9}) Nach ihrem ganzen Aufbau, nach ihrer ganzen inneren Konstruktion kann sie ebensowenig wie die Atlantikpakt-Gemeinschaft Mittel einer Agression sein. ({10}) ({11}) Ihre Schaffung ist gleichbedeutend mit der Sicherung des Friedens. Ein schutz- und wehrloses Deutschland ist die größte Kriegsgefahr, ({12}) weil es eine ständige Versuchung für Sowjetrußland ist, sich dieses für die Vermehrung seines Kriegspotentials so wertvollen Gebietes zu bemächtigen. Das würde den Krieg zwischen Ost und West auslösen. ({13}) Die Schaffung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft wird Sowjetrußland von einem solchen Beginnen abhalten und damit den Frieden sichern. ({14}) Und was werden die Folgen der Ablehnung der Verträge für das werdende Europa sein? Was soll aus dem europäischen Gedanken, was soll aus der europäischen Einigung werden? Es gibt keine europäische Gemeinschaft ohne gemeinsame europäische Verteidigung. Wagt man es wirklich, die europäische Gemeinschaft durch die Ablehnung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft nicht zustande kommen zu lassen? Die einzigen guten Ereignisse, die seit der ersten Lesung eingetreten sind, sind europäische Ereignisse: das Inkrafttreten der Montan-Union, die Erteilung des Auftrags an die Versammlung der Montan-Union, bis zum März dem Ministerrat den Entwurf einer Europa-Verfassung vorzulegen, und die ausgezeichnet verlaufende Arbeit der von der Versammlung eingesetzten adhoc-Kommission. ({15}) Meine Damen und Herren, jeder von uns weiß doch, wie es um Europa steht. Jeder von uns weiß, daß ganz Europa von der maßgebenden Stellung, die es noch vor wenigen Jahrzehnten auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet einnahm, herabgestürzt ist. ({16}) Jeder von uns weiß, daß die europäischen Länder durch die beiden Kriege auf das empfindlichste geschwächt sind, daß andererseits infolge dieser Kriege so starke übermächte entstanden sind, daß kein Land in Europa daran denken kann, jemals wieder für sich allein eine Rolle in der Weltpolitik und der Weltwirtschaft zu spielen. ({17}) Jeder von uns weiß, daß nur der Zusammenschluß Europas zu einer Einheit der Wirtschaft, der Politik und der Kultur Europa wieder maßgeblichen Einfluß in der Welt verschaffen kann. ({18}) Jeder von uns weiß, daß darum auch - ganz abgesehen von dem Druck aus dem Osten - auf die Dauer Europas Geist nur dann wieder in der Welt wirksam werden kann, wenn sich die europäischen Länder zusammenschließen. Nun spricht man in geringschätzender, fast verletzender Weise von Kleineuropa. Es ist kein kluges, es ist ein unkluges Wort, ({19}) und es ist ein falsches Wort. Es ist nicht klug, meine Damen und Herren; denn lieber fange ich klein an und vergrößere mich, ({20}) als daß ich nichts tue und die Hände in den Schoß lege ({21}) und Gottes Wasser über Gottes Erde laufen lasse. ({22}) Es ist ein falsches Wort - das hat Herr Henle ja schon ausgeführt -; denn dieses „Kleineuropa" umfaßt 160 Millionen Europäer. Das sind so viele Menschen, wie -in den Vereinigten Staaten leben, ({23}) und annähernd so viele wie in Sowjetrußland! ({24}) Sie ({25}) dürfen doch Ihr Land nicht auf diese Weise beschimpfen, daß Sie von Kleineuropa sprechen, wenn Sowjetrußland nicht viel mehr Einwohner hat. ({26}) Und dieses Kleineuropa ist ein Wirtschaftsgebiet von größter Bedeutung. ({27}) Die sozialdemokratische Opposition spricht davon, daß Großbritannien und die nordischen Länder fehlen. Sicher fehlen sie, leider! Aber wer kann sie zwingen, beizutreten? Ich bin aber überzeugt davon, verehrter Herr Ollenhauer, und ich habe Gründe für diese Überzeugung, daß, wenn wir dieses Europa erst einmal geschaffen haben, Großbritannien den Weg zum Zusammengehen mit Europa weiter beschreiten wird, den es durch Abschluß des Militärbündnisses mit der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft schon beschritten hat. Ich betone, ich habe Gründe für diese meine Überzeugung; ich bin überzeugt davon, daß Großbritannien ebenso die für alle notwendige Verbindung mit Europa herstellen wird, wie es jetzt die Verbindung mit der Montan-Union in Luxemburg hergestellt hat. ({28}) Noch eins möchte ich Ihnen sagen: ({29}) Ich werde alles tun, was in meiner Kraft steht, damit diese Verbindung zwischen Großbritannien und Europa hergestellt wird. ({30}) Wir wissen auch, ({31}) daß die nordischen Länder mit der größten Sympathie der Schaffung dieses Europas gegenüberstehen. ({32}) Ich wiederhole es: Mit der Entscheidung über diese Verträge fällt die Entscheidung über die Schaffung eines Vereinigten Europas, eines Europas, das die weit überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes von ganzem Herzen bejaht. ({33}) ({34}) Wer es durch die Ablehnung dieser Verträge unmöglich macht, daß Europa wird, setzt sich dadurch in eklatanten Widerspruch mit den Interessen und dem Willen der großen Mehrheit des deutschen Volkes. ({35}) Wir alle erstreben die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit. Wir wissen, daß wir allein auf uns gestellt dies Ziel nicht erreichen. Wir sehen ja doch, daß Sowjetrußland nicht will. ({36}) Es hat doch die UNO-Kommission nicht mal einer Antwort gewürdigt, ({37}) und seine Noten, die man sich direkt aus der russischen Sprache übersetzen lassen muß, reden eine nur zu deutliche Sprache. ({38}) Im Deutschland-Vertrag übernehmen nun diese Drei Mächte vertraglich - das ist der Unterschied, Herr Kollege Brandt, gegen früher, wo sie nur einseitige Erklärungen abgegeben haben, die sie einseitig zurücknehmen konnten -, aber jetzt übernehmen sie vertraglich die Verpflichtung, mit uns zusammen die Wiedervereinigung Deutschlands herbeizuführen. ({39}) Meine Damen und Herren, schon das allein, diese vertragliche Verpflichtung der Drei, müßte uns gegenüber den Deutschen hinter dem Eisernen Vorhang verpflichten, den Verträgen zuzustimmen. ({40}) Wer könnte es verantworten, eine solche vertraglich festgelegte Bereitschaft der Drei Mächte auszuschlagen? Wir müssen endlich einmal aus der Vergangenheit lernen. Seit 1870 hat sich Deutschland immer wieder bemüht, Freunde und Bundesgenossen zu finden, weil erkannt wurde, daß Deutschland trotz seiner damaligen Stärke ohne starke Freunde nicht bestehen könne. ({41}) Es hat sie in all den Jahrzehnten nicht gefunden, fast immer, meine Damen und Herren, durch eigene Schuld, durch Blindheit gegenüber dem, was ihm von der anderen Seite angeboten wurde -({42}) ich erinnere an die Verhandlungen des Deutschen Reiches mit Großbritannien ({43}) und durch ein zu großes Vertrauen auf sich selbst. (Erneute Zustimmung bei den Regierungsparteien. Heute ist die Lage Deutschlands gefährdeter als je in seiner langen Geschichte. Es ist geteilt, es ist zerrissen, es ist entwaffnet und wehrlos, benachbart einem Koloß, der es versklaven und verschlingen möchte. ({44}) Diese Gefahr besteht, und sie wird immer größer, wenn der Zustand bleibt, wie er jetzt ist. Vor der Geschichte und vor dem deutschen Volke frage ich: Kann in dieser Lage ein Deutscher es verantworten, die hilfreiche und rettende Hand, die der Westen uns entgegenstreckt, zurückzustoßen? ({45}) Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, ich bitte Sie herzlichst und dringend: Prüfen Sie - prüfen Sie meinetwegen mit aller Schärfe -, ({46}) aber ich bitte Sie: Denken Sie daran, worum es geht. Das ganze deutsche Volk diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs muß wissen, worum es sich handelt. Es handelt sich bei diesen Verträgen um seine Freiheit, sein Leben, die Zukunft seiner Kinder und Kindeskinder. ({47}) Das ganze deutsche Volk rufe ich auf, sich der Bedeutung dieser Entscheidung bewußt zu sein und bewußt zu bleiben. ({48}) Es ist die Schicksalsfrage Deutschlands. Wir stehen vor der Wahl zwischen Sklaverei und Freiheit. ({49}) Wir wählen die Freiheit! ({50})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz.

Dr. Hans Joachim Merkatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001477, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist keine leichte Aufgabe, nach dem Kanzler das Wort zu ergreifen. Ich möchte die kurze Redezeit meiner Fraktion dazu benutzen, die wesentlichen Motive unserer Entscheidung darzulegen. Es sind in diesem Hause um di ese Vertragswerke sehr viele Selbstverständlichkeiten bereits zerredet worden. Ich habe nicht die Absicht, meine Rede im Klang der Flöten zu halten, auch nicht, sie als Brandrede zu halten. Die zweite Lesung dient der Würdigung von Einzelh eiten eines Gesetzeswerkes. Man sollte meinen, daß bei einem internationalen Vertrag, dessen einzelne Bestimmungen nicht abänderbar sind, eine zweite Lesung sich eigentlich erübrigt. Dennoch handelt es sich nicht allein um den Vertragsinhalt, sondern es handelt sich um die konkreten Bestimmungen des Zustimmungsgesetzes. Ich habe namens meiner Fraktion mitzuteilen, daß wir die Resolutionen des federführenden Ausschusses bejahen und daß wir selber zu dem Zustimmungsgesetz hinsichtlich der Motivierung unserer Entscheidung noch einen eigenen Antrag einbringen werden. Die Einzelheiten des Vertragswerkes sind einer Abänderung nicht zugänglich. Dies würde bedeuten, daß das Vertragswerk in seiner Gesamtheit hinfällig werden müßte. Wir haben festzustellen, daß dieses Vertragswerk mit allen Zusatzverträgen einer sehr sorgfältigen Prüfung in den Ausschüssen unterzogen worden ist und daß auch die öffentliche Diskussion die Grundfragen hinreichend geklärt hat. Man hat mit minutiöser Genauigkeit geprüft und darauf außerordentlich viel Zeit verwendet. In der Öffentlichkeit sind immer wieder die entstellendsten Behauptungen vertreten wor({0}) den. Immer wieder ist der Versuch gemacht worden, die Vertragswerke einerseits als Versklavungsverträge, andererseits als Kriegsinstrumente zu verleumden. Das Hin und Herr der Diskussion hat mehr beunruhigt als genützt und den deutschen Interessen in keiner Weise gedient. Ich glaube, daß hier die Opposition, die es für erforderlich hält, durch Abwesenheit zu glänzen, ein nicht geringes Verschulden gegenüber den deutschen Interessen auf sich geladen hat. ({1}) Man hat oft den Eindruck, daß viele, die im deutschen Volk die öffentliche Meinung machen und deren Aussagen dann als Meinung dieses Volkes ausgegeben werden, überhaupt keine Ahnung zu haben scheinen von dem historisch-politischen Standort Deutschlands in seiner Gesamtheit und in seinen Teilen. ({2}) Man hat Verwirrung und Vernebelung, zum Teil Lüge betrieben und damit die Ansichten von dem Wesentlichen abgelenkt, nämlich daß wir von der Tatsache Notiz zu nehmen haben, daß wir diesen letzten Krieg verloren haben in einer Form, wie es in unserer ganzen Geschichte nicht, vielleicht in der Geschichte kaum eines Volkes der Fall gewesen ist. Es geht gebieterisch um die Forderung, durch Schaffung der Voraussetzungen für eine neue Staatenordnung einen Ausweg in die Zukunft zu gewinnen, die den Bestand und die Wiederherstellung der gesamten deutschen Nation im Rahmen einer europäischen Gemeinschaft ermöglicht. Es kommt darauf an, einzusehen, welche Wandlung in der Welt seit der Entstehung des Bolschewismus und seiner nationalistischen Abwandlungen, seit dem Untergang der alten europäischen Staatenordnung, seit 1918, seit 1933 und seit 1939 geschehen ist. Mit den Vorstellungen und Ambitionen dieser alten europäischen Welt und der Politik der Nationalstaaten, die ganz besonders stark von der Sozialdemokratie vertreten wird, dürfte es nicht möglich sein, die politischen Aufgaben zu bewältigen, die vor uns liegen. Möglicherweise sind die Argumente der Opposition auch bloß vorgegebene Dinge, und wenn sie selber die Verantwortung trüge, würde sie jene nationalstaatliche Begründung ihres Weges weit von sich weisen. ({3}) Bei der Diskussion über die Vertragswerke ist die europäische Zielsetzung viel zu wenig in die Erscheinung getreten. Die negativen Momente als Konsequenz der Niederlage und des Besatzungsregimes sind viel zu sehr in den Vordergrund gerückt worden, während die Tragweite der konstruktiven Möglichkeiten und die rechte Bewußtheit der Tatsache, daß keine Alternative vorgeschlagen werden konnte, bei der Diskussion nicht genügend in Erscheinung getreten sind. In der breiten Öffentlichkeit wurden diese Gesichtspunkte bei der Argumentation fast gar nicht berücksichtigt. Auch eine europäische Zukunft entbindet das deutsche Volk nicht von der Notwendigkeit, die Last seiner Niederlage zu tragen und sie mühevoll zu liquidieren. Konstruktiv aber ist heute nur eine Politik, wenn sie sich nicht erschöpft in den Vorstellungen und Zielen einer nationalstaatlichen Politik, sondern wenn sie in den Gegebenheiten der Außenwelt die Ansatzpunkte zu entdecken weiß, das nationale Interesse in rechter Weise mit den übernationalen Möglichkeiten zu verbinden. ({4}) Die europäische Gemeinschaft auf der Basis einer engen Zusammenarbeit geschichtlich geprägter, gleichberechtigter Nationen zu gegenseitigem Nutzen - das ist die Integration -, die Zusammenfügung der wichtigsten Staatszwecke durch das Zusammenwirken in einer festgefügten, den Interessenausgleich im Inneren des politischen Zusammenschlusses gewährleistenden Form scheint mir die einzige Möglichkeit zu sein, den Frieden und damit das Fortleben der deutschen Nation zu gewinnen. Destruktiv wirken sich alle Vorstellungen aus, die heute noch aus einer Zeit gekommen sind, die ihren geistigen Standort in einer Welt haben, die bereits 1918 untergegangen ist, obwohl die Friedensmacher von Versailles und den anderen Vorortverträgen nicht gewußt zu haben scheinen, daß sie bereits damals diesen Untergang namentlich mit der Auflösung Österreich-Ungarns vollstreckt haben. Destruktiv wirkt sich aber auch eine politische Verhaltensweise aus, die allzu deutlich nur Züge der Entschlußlosigkeit trägt. Die vor uns liegenden Verträge sind in zäher und mühseliger Verhandlungsführung durch viele Monate hindurch gestaltet worden. Ihre Grundgedanken und politischen Voraussetzungen wurden während dieses Zeitraumes eingehend diskutiert. Die scharfe Gegenpropaganda des Ostblocks ließ nicht locker und hat dazu beigetragen, daß die Diskussion stets jene Schärfe erhalten hat, in der wir gelebt haben. Gerade an dieser Gegnerschaft des Kreml aber sollten wir die politische Tragweite der Verträge erkennen. Ich würde es als einen Beweis politischer Kraft bezeichnet haben, wenn wir die Verträge nach einer auf das Wesentliche konzentrierten Diskussion in diesem Hause bereits in diesem Sommer angenommen hätten. ({5}) Gegen den Widerspruch der Fraktion der Deutschen Partei hat man sich damals nicht dazu entschließen können. Ich bedaure, daß auch aus den Reihen der Koalition sich Stimmen geltend gemacht haben, die zu dieser Verzögerung des politischen Abschlusses beigetragen haben. Von einer „Überhastung" hätte man bereits im Sommer nicht sprechen können. Es ist klar, daß es zu den demokratischen Spielregeln gehört, sich die notwendige Zeit gegenseitig zu gewähren und Bedenken untereinander auszudiskutieren, damit ein gereifter Entschluß zustande kommt. Das sollte aber nicht dazu führen, wie das hier geschehen ist, die Erfüllung der Verantwortung, die mit einer solchen Entscheidung verbunden ist, so unverhältnismäßig lange von sich wegzuschieben. Damit kommt man in die Gefahr, als politisch schwach und deshalb als labil und unzuverlässig gewertet zu werden. Man verliert den Vorteil, den ein entschlossenes Handeln bei einer von Risiken geradezu durchtränkten Entscheidung immer noch zu bieten vermag. Es kann sonst geschehen, daß wir zwar die Last der Verantwortung ungeschmälert tragen müssen und dazu ein gesteigertes Risiko, ohne daß uns der Vorteil zukommt, ein Faktor zu sein, dessen entschlossene politische Qualität uns ein Gewicht gibt, das wir nötig haben, um unsere gefährdeten nationalen 'Belange geltend zu machen. Wenn wir die Einheit der Nation wiederherstellen wollen, dann haben wir einigende Überzeugungen bitter nötig. Solche eini({6}) genden Überzeugungen gewinnen wir aber nicht damit, daß wir einen gewiß schweren Entschluß immer wieder vertagen und die gewiß belastenden Einzelheiten in einer unbegrenzten Diskussion zerfasern. Es gibt auch destruktive Analysen, die bei einem so umfangreichen Vertragskomplex eine besonders große Gefahr sind. Besonders bedenklich für die Wertung des politischen Vermögens muß es erscheinen, wenn man politische Entscheidungen nicht aus den politischen Gesetzen der Gestaltung zu erklären sucht, sondern sie nach der juristischen Methode aus Rechtsnormen abzulesen trachtet. Meine Damen und Herren, das ist ein Zeichen der politischen Schwäche. Diese Methode tut sowohl der Politik als auch der Jurisprudenz Gewalt an. Denn es gibt keine Rechtsnorm, aus der Sie das, was Sie für das politische Schicksal zu entscheiden haben, ablesen können. ({7}) Die Richtigkeit und Notwendigkeit einer politischen Entscheidung können Sie nicht in den Methoden, aus denen ein richterliches Urteil entsteht, ermitteln. Eine Regierung durch Richter ist das schlechteste aller Regierungssysteme. Es ist ein System der politischen u n d der rechtlichen Dekadenz; denn es schwächt die Gestaltungskraft der politischen Entscheidung, und es erweicht das Recht, indem es in seine Anwendung Elemente des politischen Ermessens und der Willkür hineinträgt. Rechtssprüche lassen sich immer nur aus einer gestalteten, mit Rechtsüberzeugung angefüllten Norm gewinnen. Bei der vor uns liegenden Aufgabe aber handelt es sich darum, im Zusammenhang mit der Bildung der Voraussetzung eines neuen Staatensystems Grundnormen des internationalen und nationalen Rechts überhaupt erst zu schaffen, ({8}) nachdem das alte europäische Staatensystem zusammengebrochen ist. Hier gilt es, etwas zu werten, das in der Geschichte keinerlei Vorgang hat. Deshalb ist es ein juristisch völlig verfehltes Unterfangen, diesen Vorgang an Hand vergangener Präzedenzien und von Rechtsnormen beurteilen zu wollen, die für diesen Vorgang nicht geschaffen sind. ({9}) Die Eingliederung der 'Bundesrepublik in dieses neue System ist ein verfassunggebender Akt im Bereich des internationalen Rechts schlechthin. Verfassungsakte zur Gestaltung der internationalen Verfassung, zur Bildung eines Staatensystems sind aber nur auf dem Wege internationaler Verträge möglich. Es gibt keine andere internationale Konstituante als die Vertragsgewalt des einzelnen Staates, die ihre Grenzen allein in den Freiheitsrechten der nationalen Verfassung findet. Das zu entscheiden ist aber eine politische und nur zum geringsten Teil eine juristische Entscheidung. Für die politischen Entscheidungen jedoch sind die politischen Organe des Staates da. ({10}) Das Grundgesetz hat sich mit Art. 24 ausdrücklich auf diese Fortbildung seiner Verfassungswirklichkeit eingestellt. Bevor ich auf die juristischen Einzelheiten der Kontroverse zwischen uns und der Opposition eingehe, sei mir gestattet, zum Verständnis der politischen Bedeutung der Verträge folgendes zur Geschichte des Vertragswerks ganz kurz zu bemerken. In den Vereinbarungen von Jalta und Potsdam war vorgesehen, daß Deutschland zur gesamten Hand unter der obersten Gewalt der vier Siegermächte verwaltet werden sollte. Dieses Konzept von Jalta und Potsdam scheiterte an dem expansiven Streben der Sowjetunion. Dieses expansive Streben und das Scheitern des Konzepts von Jalta und Potsdam kamen in der Frühjahrskonferenz von Moskau vom März 1947 und in der Konferenz von London im Dezember 1947 zum Ausdruck. Damals kam es dann zu den Londoner Dokumenten und zur Bildung eines deutschen Staatsrudiments. Die Ministerpräsidenten haben zunächst auf dem Niederwald nein gesagt - mit Einschränkungen - und sind dann auf dem Rittersturz zu einem Ja übergegangen. Damals ist das Steuer unserer Politik gestellt worden, und zwar, wie wir glauben, in einem richtigen und realistischen Sinn. Wir haben uns von Anfang an zur Konzeption des Kernstaates bekannt. Das heißt, wenn überhaupt ein deutscher Staat gebildet werden sollte, dann sollte es ein Staat sein, der die Aufgabe hatte, die Einung der Nation und gleichzeitig die Schaffung der Bedingungen, unter denen diese Nation leben konnte, anzustreben. Eine dieser Bedingungen, unter denen die vereinte Nation überhaupt leben kann, ist die Vereinigung Europas; denn dem Bestreben nachzuhängen, daß ein so geschwächtes Land noch wie damals nach 1918 aus eigener Kraft für unsere äußere und innere Sicherheit einzustehen vermag, ist, glaube ich, eine Illusion. Das war der Weg, den wir für richtig gehalten haben, und unter diesen Bedingungen sind wir 'in den Parlamentarischen Rat eingetreten. Dann kam die Berliner Blockade. Im April 1949 war die Außenministerkonferenz in Washington, bei der zum allerersten Male als der Sinn dieser Politik die Integration der Bundesrepublik 'in eine europäische Gemeinschaft zu gegenseitigem Nutzen formuliert worden ist. Zwischen den Londoner Dokumenten von 1948 und der Washingtoner Außenministerkonferenz von 1949 liegt eine erhebliche Wendung. Das Grundgesetz wurde damals in dem 'Bewußtsein angenommen, daß es ein Instrument sei, geeignet dafür, den Integrationsprozeß des Landes und die Integration in eine westliche europäische Gemeinschaft zu vollenden. Das war der politische Hintergrund, vor dem damals auch die Opposition ihren Weg angetreten hat, ({11}) und sie kann diesen Weg nicht verleugnen. Noch ein Wort zu der Frage des Besatzungsstatuts. Wenn man die Londoner Dokumente des Besatzungsstatuts vergleicht mit dem, was als Kommuniqué auf der Washingtoner Außenministerkonferenz von 1949 bekanntgegeben wurde, dann tritt ein völlig neues Moment in Erscheinung. Damals nach der Berliner Blockade, nachdem die aggressiven Ziele der Sowjetunion klar geworden waren, wurde das Besatzungsstatut mit einer Auflösungsklausel versehen mit dem Ziele, daß diese Fremdherrschaft Schritt für Schritt abgebaut werden sollte. Unter diesem Konzept ist die Verfassungswirklichkeit nach Inkrafttreten des Grundgesetzes gestaltet worden. Der Sicherheitsgedanke wurde brennend nach dem Korea-Überfall. Ich möchte hier namens meiner politischen Freunde bemerken, daß in keinem Zeitpunkt - und so legen wir auch die Erklärung der Regierung nicht aus - das Konzept der Entmilitarisierung, die uns auferlegt worden war, in dem Sinne zu verstehen war, daß wir jemals in die Utopie und Unmöglichkeit der vollkommenen Schutzlosigkeit unseres Landes eingewilligt hätten. ({12}) ({13}) Eine Einwilligung in dieses Konzept der Entmilitarisierung im Sinne der vollkommenen Schutzlosigkeit wäre soviel wie ein absolutes Nein zu einer staatlichen selbständigen Existenz überhaupt gewesen. ({14}) Wir haben zu wählen zwischen dem Fortbestehen einer vollkommenen Schutzlosigkeit und einem wirksamen Schutz, der aber nur mit unserer Beteiligung möglich ist. Wer Schutz und Sicherheit will, kann an der Erfüllung der Beitragspflicht einfach nicht vorbeigehen; denn es hat sich praktisch und technisch gezeigt, -daß ohne einen deutschen Beitrag Schutz und 'Sicherheit dieses Landes nicht garantiert werden kann. ({15}) Der Deutschland-Vertrag ist ein Instrument, das die Fremdherrschaft beseitigen, sie auflösen soll, damit die völkerrechtliche Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik wieder hergestellt wird, die eine Voraussetzung für die Eingliederung der Bundesrepublik in die europäische Gemeinschaft ist. Der EVG-Vertrag ist dagegen ein Instrument, das die Integration in eine europäische Gemeinschaft einleitet, und zwar dergestalt, daß sein Vertragszweck, d. h. die Bildung einer auch politischen Gemeinschaft, zu einem zwingenden Erfordernis wird; denn die Organisation einer gemeinsamen Wehrkraft ist ohne die Organisation einer gemeinsamen Politik nicht möglich. ({16}) Der Deutschland-Vertrag liquidiert eine Vergangenheit, der EVG-Vertrag leitet eine Zukunft ein. Bei der Liquidation der Vergangenheit sind wir allerdings einer Hynothek gegenübergestellt, die wir hinnehmen mussen in der Abwägung der Vor-und Nachteile. Es wäre besser gewesen, man hätte sich bei diesem Vertrag auf die tatsächlich notwendigen Zwecke beschränkt, d. h. die Ablösung des Besatzungsregimes und die Festlegung der Bündnispflicht, und man hätte jenen Teil, der als vorfriedensvertraglicheRegelung eineVorwegnahme bedeutet, weggelassen. Der Herr Bundeskanzler hat die Bedingungen, unter denen verhandelt worden ist, dargelegt. Ich glaube, daß es nicht dem nationalen Ansehen und auch nicht der künftigen Entwicklungsmöglichkeit eines nationalen Gewichts dient, wenn wir unsere Schwäche, indem wir auf jene Bedenken allzuviel hinweisen, die uns als Politikern und Juristen nur zu bewußt sind, dramatisieren und aufblasen und damit einen Jämmerlichkeitsstandpunkt vor der Welt einnehmen, der uns nicht ansteht nach dem, was wir als eigentliche Grundpflicht dieser Verträge zu übernehmen haben. ({17}) Ich bitte daher, meine Bemerkungen, die ich zu machen habe, unter dem Gesichtspunkt zu verstehen, daß es sich hier nicht um eine Selbstbejammerung der vollkommenen Machtlosigkeit unseres Landes handelt, sondern daß gewisse Positionen für alle Fälle - man weiß nicht, was kommen kann - juristisch festgehalten werden und gewisse Verwahrungen auf diesem Gebiet eingelegt sind. Aber wie stark auch die Bedenken sein mögen, der Charakter einer Übergangsregelung, der diesen Vertragswerken mit dem Deutschland-Vertrag anhaftet, darf nicht übersehen werden. Ich rede hier keinem Revisionismus das Wort. Von Revisionismus könnte man ja nur dann sprechen, wenn dieser Vertrag, der sogenannte Deutschland-Vertrag, einen endgültigen Zustand regeln, fixieren, zementieren und vermauern sollte. Die Opposition geht allerdings von diesem Standpunkt aus und bietet mit ihrer Argumentation eventuell einem Schiedsgericht in einer kritischen Frage - und man muß die Verträge ja bekanntlich an der Krise messen - wunderbare Argumente dafür, ({18}) wenn man sich gegen uns entscheiden will. Das nur am Rande. Wir leben in einer Zeit der Provisorien; aber wir sollten uns über eines klar sein: nur wir in unseren Herzen dürfen keine provisorischen Politiker sein. ({19}) Das ist die Notwendigkeit: unsere Entschlüsse, das Ziel, das wir mit unseren Entschlüssen anstreben, müssen wir mit ganzem Herzen, mit der ganzen Verantwortlichkeit, mit der ganzen Entschlossenheit wollen. Wir wissen, was es heißt, ein Land, das so geschlagen ist, aus dem Dreck herauszuziehen. Auf die juristischen Fragen möchte ich noch kurz eingehen. Ich kann nur die Grundzüge darlegen Wir sind nicht gewillt, die Schicksalsfrage unseres Volkes in ein juristisches Exerzitium umzufälschen ({20}) Wir können uns nicht ängstlich aus der Verantwortung und aus dem Entschluß damit herausdrükken, daß wir einen unvergleichbaren Vorgang in der Geschichte im Wege der juristischen Analyse zu einem berechenbaren Ding zu machen versuchen. Ich habe den höchsten Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht. Es ist unser oberstes richterliches Organ. Ich hoffe, daß dieses Gericht, das nicht unser oberstes politisches Organ ist, sondern die Krönung unserer Rechtsprechung. jene für das Leben des Rechts, für das Leben der Nation und für die Sauberlalt der Politik haarscharfe Grenze Unterschieds der politischen Entscheidung und der rechtlichen Würdigung zu wahren weiß. ({21}) Ebensowenig wie ich die Entscheidungen des Lebens auf eine Berechenbarkeit bringen kann, kann ich die Entscheidungen der Politik auf eine Skala der Berechenbarkeit an rechtlichen Normen bringen, sondern da steht der Entschluß und die innere Moralität, das Verantwortungsgefühl derer, die sich zu dieser Last entschließen. Wir tun und haben uns keinen guten Dienst daran getan, indem wir alle Möglichkeiten, die die Phantasie bietet, in denen ein solches Vertragswerk in die Krise geraten kann, sozusagen vor die Welt hingestellt haben. Ich habe manchmal das Gefühl gehabt, wie damals, als man noch klein war, auf einem Jahrmarkt zu sein, zu der Zeit, als es noch keine Kinos gab, als Tafeln aufgehängt wurden, ein Moritatensänger kam, mit einem Stock auf die Bilder wies und die einzelnen Moritaten der Politik aufzählte. Sämtliche Moritaten, Möglichkeiten, die in der Büchse der Pandora dieses Vertragswerkes noch sein könnten, sind so auf den Jahrmarkt gebracht worden, - ein makabres Geschäft, um unser deutsches Vaterland zu beerdigen, ein makabres Geschäft! Ich fürchte, daß die Gespenster unserer Phantasie eines Tages auch vor uns stehen werden und daß wir sehr viel Mühe haben werden, manche Argumentation vom Tisch der Richter des Schiedsgerichts fortzubringen. ({22}) ({23}) Ich bin fest davon überzeugt, daß diese Verträge das einzige Instrument sind, in dem eine konstruktive Entwicklung der Zukunft möglich wird, die nur im Rahmen der europäischen politischen Gemeinschaft denkbar ist. Wir sind hierbei als ein besiegtes Volk bestimmt nicht auf die Orchesterlogensessel in der Gemeinschaft der Nationen eingeladen; aber wir erhalten, ganz simpel gesagt, die Instrumente, mit denen wir für die Interessen unserer Nation eintreten können. Der Kern des Deutschland-Vertrages ist die Bündnisverpflichtung, die hier eingegangen wird. Ich glaube, angesichts der - ungeheuren Gefahr, in der unser Land lebt, ist diese Bündnisverpflichtung, der Beistandspakt, der darin steckt, ein Erfordernis allerersten Ranges, ein Vorteil, eine Notwendigkeit, an der man einfach nicht vorbeigehen kann. So war es damals schon, als im Jahre 1924 Spengler an die deutsche Jugend die Mahnung richtete und ihr bewußt machen wollte, in welcher Gefahr dieses Land steht. Und heute? - Wir haben nicht die Absicht, eine Politik der Ängstlichkeit zu treiben, aber eine solche der realistischen Erkenntnis dessen, daß wir ohne den Beistand der uns kulturell wesensverwandten Länder angesichts der Bedrohung durch den Ostblock nicht auskommen können. ({24}) Ich möchte hier nur im Vorbeigehen - aber es erscheint mir wichtig, es festzuhalten - einer Auslegung entgegentreten, die man dem Überleitungsvertrage in seinem Teil V und in seinem Teil VI hinsichtlich der Position gegenüber der Tschechoslowakei, gegenüber Österreich und gegenüber der Slowakei gegeben hat. Ich merke dies eigentlich mehr aus Protokollinteressen an. Darüber sind wir uns doch wohl alle in diesem Hause einig und klar: Preisgabe von Ansprüchen etwa der Sudetendeutschen, der anderen Heimatvertriebenen, Präjudizierung von Grenzfragen und die Gleichstellung Österreichs mit den früher besetzten `Ländern, solche Präjudizierungen sollten nicht aus den Teilen des Vertrages, die ich eben hier genannt habe, abgelesen werden. Wir werden uns jedenfalls in aller Zukunft gegen jede Vorwegnahme von fundamentalen Bestimmungen, die in den Friedensvertrag hineingehören, gegen jede mißbräuchliche Ausweitung des Überleitungsvertrages wenden, dessen Zweck es ist, einen vergangenen Besatzungsregime-Zustand zu beenden und zu liquidieren. Meine Damen und Herren! Viel ist kritisiert worden, daß der EVG-Vertrag uns nicht die Möglichkeit bietet, dem Atlantikrat als ein vollberechtigtes Mitglied anzugehören. Es ist richtig, daß keine juristische Möglichkeit eingeräumt ist, etwa eine deutsche Regierung mit Entschlüssen des Atlantikrates zu überfahren. Auch die technische Verzahnung zwischen der EVG und den Atlantikpakt-Organisationen ist in eine Form gebracht, die es uns ermöglicht, den deutschen Einfluß in unseren Angelegenheiten hinreichend geltend zu machen. Inmerhin bedeutet aber die rein juristische Form, daß die anderen Partner des EVG-Vertrages Mitglieder dieser Atlantikpakt-Organisationen sind und wir nicht, eine Anomalie, eine Minderbewertung der Bundesrepublik, die in der Zukunft beseitigt werden muß, sei es durch eine Mitgliedschaft, sei es durch einen Zusatzvertrag, der uns eine Stellung einräumt, in der wir qualitativ und praktisch die gleichen Einfluß- und Entscheidungsmöglichkeiten besitzen wie die anderen Partner des EVG-Vertrages auch. ({25}) Der EVG-Vertrag wird erst funktionieren können, wenn die politische europäische Gemeinschaft die volle Integration vollendet hat. Ich bewerte diesen Vertrag mehr als ein politisches denn als ein aktuelles militärisches Instrument. lind nun noch kurz zu den Argumenten der Opposition hinsichtlich ihrer Rechtsposition vor dem Bundesverfassungsgericht. Es ist, um es ganz simpel zusammenzufassen, behauptet worden, das gegenwärtige Grundgesetz erlaube es nicht, ein Zustimmungsgesetz zu den Vertragswerken zu beschließen. Man kann über solche Auffassungen nur sehr erstaunt sein. Die Auffassung der Opposition läuft darauf hinaus, daß ein Wiederergreifen von Hoheitsrechten, die mit dem Zurückweichen der Fremdherrschaft der Substanz nach wieder bei der Bundesrepublik als Repräsentantin ganz Deutschlands vorhanden sind, nur möglich sei, wenn ihre Ausübung in der Verfassung vorweg organisiert sei. Damit geht die Opposition von einem Begriff des Staates und der Staatsgewalt aus, bei dem sie die Staatsgewalt nur als ein Bündel von Befugnissen sieht, über die zwischen dem, einzelnen und dem Staat gewissermaßen ein begrenzender Vertrag über die Ausübung geschlossen sei. Meine Damen und Herren, damit sind wir bei Thomas von Aquin im tiefsten Mittelalter, vor Jean Bodin, vor dem Begriff der Souveränität angelangt. Unser Staat hätte sich dann bereits, wenn die Auffassung der Opposition richtig wäre, in den pluralistischen Gewal tenstaat des Mittelalters zurückverwandelt. ({26}) Ich muß gestehen, daß diese juristische Verwesung Deutschlands, die sozusagen der Zerstörung noch hinzugefügt wird, ein erhebliches Verdrehungskunststück bedeutet, dessen Erscheinungsform in der Jurisprudenz so grotesk ist, daß später die Leute, die einmal diese Begründung lesen, in ein großes Gelächter ausbrechen werden. ({27}) Ich hoffe sehr dringend, daß das Bundesverfassungsgericht nicht dieser Konstruktion der mittelalterlichen Staatsgewalt beipflichtet. Es sind sehr beachtliche Gelehrte dieser Auffassung beigetreten, wie überhaupt der Aufmarsch der Gutachter etwas bedrückend wirkt. Man braucht nur die letzte Seite aufzuschlagen, dann hat man den Auftraggeber gleich heraus. Ich muß als Jurist sagen, daß das keinen guten Eindruck für die deutsche Rechtswissenschaft macht. ({28}) Es gab einmal früher einen Rechtsstreit im Hause Lippe, einen Streit über die Ebenbürtigkeit einer Linie dieses Hauses. Damals ist ungefähr eine gleiche Fülle von Gutachten der besten juristischen Köpfe geliefert worden. Die Angelegenheit war eine Art Sportplatz für juristische Feinheiten. Ich glaube doch, daß dieser Sport nicht damit enden darf, damit die deutsche Nation in Scherben gehen zu lassen. ({29}) Ich habe noch etwas anderes zu erwähnen. Was heißt denn Wehrverfassung? Wehrverfassung sind ganz einfache Dinge. Es muß dort der Oberbefehl geregelt sein, die Ernennung der Offiziere, die ({30}) Frage der Kriegserklärung und des Einsatzes der Truppen eventuell bei inneren Unruhen. Nun, es handelt sich hier um den Vertrag der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Der Oberbefehl liegt nicht bei einem Verfassungsorgan der Bundesrepublik; die Ernennung der Offiziere wird auch nicht übermäßig schwer fallen. Die Offiziere kann man genau so vom Bundespräsidenten ernennen lassen wie andere Träger der öffentlichen Gewalt auch. Die Frage der Kriegserklärung liegt auch nicht bei der Bundesrepublik. Der Einsatz der Truppen bei Unruhen wird sich in den Grenzen und im Rahmen unserer Verfassung zu halten haben. Über die implied powers gibt es in der amerikanischen Rechtsprechung eine umfangreiche Jurisprudenz. Ist denn etwa der Einfluß der Memoranden der Militärgouverneure so stark gewesen, daß wir heute behaupten könnten, der Typus unseres Grundgesetzes sei dergestalt, daß man amerikanische Rechtsprechung zu seinem Verständnis heranziehen müsse? Solche Darlegungen finden sich in der systematischen Darstellung der Opposition. Das wird einfach hingenommen, ohne zu bemerken, daß in einer solchen Schlußfolgerung eine Abwertung unseres Grundgesetzes und seiner Entstehungsgeschichte unternommen wird, die jedenfalls nicht den Tatsachen entspricht. Zu Art. 4 Abs. 3 und Art. 26 ist schon genügend ausgeführt worden. Ich möchte aber noch ein paar Worte zu Art. 24 sagen. Dieser Art. 24 ist in der Erkenntnis geschaffen worden, daß die nationalstaatliche Ordnung nicht genügt und daß man eben darüber hinaus eine erleichterte Möglichkeit haben muß, eine größerräumige politische Gemeinschaft entstehen zu lassen. ({31}) Jetzt heißt es auf einmal, der Art. 24 bedeute nichts anderes, als daß gewisse Verfassungsorgane in ihrer Kompetenz zugunsten einer internationalen Einrichtung beschränkt werden dürften. Die Beschränkung der Kompetenz eines politischen Organs ergibt sich doch schon immer dann, wenn ein völkerrechtlicher Vertrag geschlossen wird. Da hätten wir uns mit Art. 59 begnügen können. Ich bin mir bewußt, daß ich nur im D-Zugtempo diese Fragen streifen kann, weil die Redezeit nicht sehr reichlich bemessen ist. Jedenfalls werden wir uns über diesen Punkt noch auseinanderzusetzen haben. Sollte aber die Opposition tatsächlich festhalten an diesem Konzept eines Grundgesetzes, das sich nicht eignet als Instrument, um die Hoheitsrechte, die durch Zurückweichen der Fremdherrschaft wieder in unsere Hand geraten, zu ergreifen, sollte die Opposition an jener mittelalterlichen Staatslehre, die sie hier praktiziert hat, festhalten, dann, so möchte ich allerdings sagen, ist sie die Erfinderin einer Rechtstheorie des Nihilismus geworden, der wir uns hier nicht zu beugen haben. ({32}) - Ich weiß, daß Sie mit meinen Ausführungen nicht einverstanden sein können; aber wenn Sie schon den juristischen Tennisplatz angelegt haben, um sich über diese theoretischen Fragen auseinanderzusetzen, dann gestatten Sie auch mir, daß ich meine Meinung mit derselben Deutlichkeit sage, wie Sie es reichlichst getan haben. ({33}) Auch die berühmte Behauptung, den Zusammenschluß von 6 Staaten als ein Kleinsteuropa zu bezeichnen, ist hier angesprochen worden. Nun, heute wurde gesagt, es seien 160 Millionen. Offenbar ist es aber der Aufmerksamkeit der Herren vollkommen entgangen, daß wir den Europarat haben, in dem 14 Staaten sind. Es ist eines der wichtigsten Probleme bei der Schaffung der politischen Gemeinschaft, zwischen dieser engeren Gemeinschaft und dem Europarat jene Verbindung herzustellen, die eine wirksame Zusammenfassung ganz Europas bedeutet. ({34}) Das wird immer wieder übersehen. Man spricht da von Kleinsteuropa, um irgendwelche Ressentiments hochzubringen, die in unserer Vergangenheit begründet liegen. Nun zur Frage der deutschen Einheit. Auch darüber ist viel gesprochen worden. Mit der Unterstellung, die Verträge erschwerten die Wiederherstellung der deutschen Einheit, wird auf den Herzen unserer Leute drüben herumgetrampelt. Als ob wir in Deutschland etwas preisgeben wollten! Was bedeutet denn dieses Vertragswerk, was bedeutet die Vereinigung Europas? Beides schafft die Voraussetzungen, auf Grund deren es sinnvoll sein wird, mit dem Ostblock zu einer vertraglichen Vereinbarung zu kommen, die von realen machtpolitischen Grundlagen ausgeht und von Dauer ist. Das ist die ganz einfache Frage. Wer angesichts der Tatsache, daß die Regierungsgewalten drüben jetzt zu Weihnachten unseren Leuten sogar die Pakete begrenzen, und angesichts der Vorgänge, die sich an der Zonengrenze ahspielen. die Möglichkeit einer aktiven Politik der Freiheit beschneiden und zerreden will, verkennt doch vollständig die Lage. ({35}) - Ich werfe Ihnen vor, ({36}) daß Sie das Negative, was drüben geschieht, nicht in das richtige Verhältnis zu der Aufgabe setzen, die wir jetzt zu lösen haben. ({37}) Im Hintergrund steht sodann immer der Wink mit der Kriegsgefahr. ({38}) Die Frauen, die nun so viel an Kraft darangesetzt haben, um die schwere Zeit zu bestehen, sollen gewissermaßen in Angst versetzt werden, daß diese Dinge in einem Krieg enden könnten. Meine Damen und Herren, wer den Krieg fürchtet, zieht ihn herbei. ({39}) Es ist eine große Gefahr, wenn diese Verträge allein unter dem Aspekt der Angst und der Militärpolitik gesehen werden. Wir haben schon lange daran gelitten, daß die politische Konzeption in Deutsch({40}) land immer wieder von militärpolitischen Aspekten ausgegangen ist. ({41}) Es handelt sich um politische Fragen. Das Problem der technischen Wehrorganisation ist durchaus zweitrangig; über ihre Gestaltung läßt sich miteinander reden. ({42}) Es genügt ein einfaches Gesetz, und es genügen die einfachen Budgetgesetze, um das zu organisieren, was für ein deutsches Kontingent notwendig ist. Angesichts der Tragweite der unverzichtbaren Lebensnotwendigkeiten des deutschen Volkes stellen meine politischen Freunde ihre großen Bedenken hinsichtlich der Einzelheiten der Vertragswerke zurück. ({43}) In der Erkenntnis der Rangfolge unserer Interessen, die grundlegend für unsere Fortexistenz in der Freiheit sind, zahlen wir einen hohen Preis, ohne damit - -({44}) - Ach, wer das gesagt hat, der bezeichnet bei sich eine Gesinnung. Aber lassen wir das! ({45}) Wir sind bereit, in der realistischen Erkenntnis unserer Stellung in der Welt einen großen Preis zu zahlen, um damit eine Basis zu gewinnen für eine Zukunft, in der die Freiheit gewahrt ist, in der es möglich sein wird, die sozialen Anliegen unseres Jahrhunderts wirklich zu lösen. Dafür zahlen wir diesen Preis. ({46})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir waren zu verhältnismäßig früher Zeit, im Rahmen dieser zweiten Lesung der Vertragswerke betrachtet, Zeugen einer verhältnismäßig umfangreichen Intervention des Herrn Bundeskanzlers. Ich muß gestehen, es war eine etwas eigentümliche Intervention. In einem Hause, das härter, als wir es gewohnt sind, auf seine parlamentarischen Rechte und seine Selbständigkeit zu pochen pflegt, würde man eine solche Intervention in die Erörterung der Berichte der Ausschüsse als ungewöhnlich bezeichnen. Man kann bei der Anlage dieser Rede des Herrn Bundeskanzlers nicht umhin, zu sagen, daß es hier wohl darauf ankommt, von den Berichten und der Erörterung der konkreten Tatsachen der Vertragswerke weg zu allgemeinen politischen Deklamationen zu kommen. ({0}) Herr Bundeskanzler, ich und meine Freunde können verstehen, daß es Ihnen unangenehm ist, die Verträge erörtert zu hören. Ihnen kommt es darauf an, daß man im Stile der Bekenntnisse über diese Verträge redet, nicht aber darauf, daß man über ihren tatsächlichen Inhalt und ihre Konsequenzen spricht. Sie kommen ,aber, solange Sie nun dieses Parlament haben, nicht umhin, dem Parlament das Recht zuzugestehen, sich mit dem Inhalt der von Ihnen ausgehandelten Verträge auseinanderzusetzen. ({1}) Sie sagen, Herr Bundeskanzler, es sei nicht Aufgabe des Parlaments, die einzelnen Artikel und Paragraphen hier zu behandeln und abzuwägen. ({2}) Sollte denn das nicht nur die Aufgabe, sondern die Pflicht des Parlaments sein, unbeschadet dessen, daß am Schluß ein Ja oder Nein steht? Muß man denn nicht, um das eine oder andere zu erarbeiten und zu gewinnen, um einen Standpunkt, einen Standort zu gewinnen, tatsächlich den Inhalt nicht nur kennen, sondern von allen Seiten untersucht haben? Oder meinen Sie, das sollte noch irgendeiner anderen Instanz vorbehalten bleiben? Ich sagte, ich kann es mir vorstellen, daß Sie die Erörterung der Verträge nicht sehr gern hören wollen. Wenn Sie sich die Berichte einmal von Ihren Leuten auseinandersetzen lassen, stoßen Sie vielleicht auf jene Seite 123, wo im Zusammenhang mit der Erörterung von Art. 5 des Überleitungsvertrags verzeichnet steht, daß die Regierungssachverständigen, die die Verhandlungen geführt haben, über die Materie, über die sie zu verhandeln hatten, nichts gewußt ({3}) und daß sie das im Ausschuß auch gesagt haben. Hier geht es aber um Menschenleben, hier ging es um die Frage der Austauschmöglichkeit von Kindern, die der Krieg nach hier verschlagen hat, gegen Kinder, unsere Kinder, die der Krieg nach Polen und der Tschechoslowakei verschlagen hat. Sie werden, wenn Sie einmal Ihre Leute - falls Sie das für der Sache wert halten - sich mit den Berichten befassen lassen, manche solcher peinlichen Stellen darin finden. Da ist es mir klar, daß Sie mit einem solchen massiven Ruck den Versuch machen wollen, aus der Erörterung dieser Verträge herauszukommen, daß Sie sogar aus der im großen und ganzen sachlichen Arbeit und Auseinandersetzung in den Ausschüssen wegkommen möchten, die bei allen Meinungsverschiedenheiten einen gewissen Niederschlag in den Berichten gefunden haben. Sie müssen sogar davon weg und Sie müssen dann diese ganze Klaviatur spielen lassen, die Sie für solche Stunden und für solche Gelegenheiten brauchen, ohne die es bei Ihnen nicht geht. ({4}) Sie brauchen dann solche Mittel angefangen von der Beschwörung: „Was sollen eigentlich diese Paragraphen, diese ganze Reihenfolge?" bis hin zu dem so oft berufenen Flüchtling aus der sowjetischen Besatzungszone? Herr Bundeskanzler! Sie sind Bundeskanzler, Sie sollten für die Flüchtlinge was tun, statt sie hier agitatorisch auszunutzen! ({5}) - Das nennen Sie Demagogie? Das ist nichts anderes als ({6}) die Antwort eines Vertreters der Opposition, wenn Sie so wollen, auf die Insinuationen Ihres Bundeskanzlers! ({7}) ({8}) ({9}) Vielleicht gelingt es Ihnen auch bei dieser Debatte diese Art von Niveau durchzusetzen. ({10}) Denn es wird ja für solche Debatten offenbar in jedem Fall - gleichgültig, wie schlecht das der Demokratie bekommt - der, nun, sagen wir mal, grundsätzlich schlechte Mensch, der einwandfrei als schurkisch durchschaubare Schurke des schlechten Kriminalromans gebraucht. Und dazu ist die Sozialdemokratie in dieser Aufrechnung gut genug, die uns hier gemacht worden ist. Denn was soll man denn sachlich zu solchen wohlüberlegten Behauptungen sagen, die doch hier nicht im Affekt gesprochen worden sind, sondern die man doch niedergeschrieben und gefeilt hat und die man der Presse vorher mitgeteilt hat? Was soll man denn sagen zu solchen Behauptungen, daß wir, die wir aus wohlerwogenen Gründen nein zu diesen Verträgen sagen und das hier begründen wollen, Deutschland wehrlos und schutzlos im Gefahrenfeld liegenlassen wollten ({11}) und daß wir es der Gefahr aussetzten, Satellitenstaat Sowietrußlands zu werden? Was 5011 man denn zu dem, was der Herr Bundeskanzler, selbst nachdem mein Kollege Brandt ihn schon vorweg zitiert hatte, hier verlesen hat, sagen, daß, wer nein sagt, Stalins Freund ist? Wenn wir in dieser Weise die Verträge in den Ausschüssen durchgeackert hätten - vielleicht wäre das die Methode gewesen, die man nun allmählich durchsetzen will -, dann wäre allerdings weder ein solcher Bericht, noch ein wirklich abgewogenes Urteil möglich gewesen. Aber das ist wahrscheinlich sogar überflüssig, nach der Gebrauchsanweisung, die wir hier bekommen haben. ({12}) Das geht dann so weit, bis der Herr Bundeskanzler in dieser seiner Litanei auf der Seite 15 erklärt, daß derjenige - ({13}) - Kippen Sie doch nicht aus den Pantinen, Herr Tillmanns! Sie können ja dann über die Dinge sprechen. ({14}) - Ich antworte hier auf eine Erklärung des Herrn Bundeskanzlers. ({15}) - Ich überlasse es Ihnen, in dieser Weise zu diskutieren. ({16}) Mich wundert nicht, wenn Sie nach dieser Diskussionseinlage des Herrn Bundeskanzlers zeigen zu müssen glauben, daß Sie das auch können, ({17}) daß Sie das von Ihrem Platz aus können ({18}) und daß Sie nicht schlechtere Leute sind in diesen Dingen. ({19}) - Ich habe ja nur versucht und bin durch Ihren Lärm daran gehindert worden, hier die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers auf Seite 15 zu zitieren, in denen er uns wegen unserer Stellung vorwirft, Totengräber Europas mit all den Konsequenzen zu sein. ({20}) Der Herr Bundeskanzler, der so gut über die Sozialdemokratische Partei Bescheid weiß, daß er solche Urteile fällt, stellt sich andererseits hin und sagt: Was ist denn nun eigentlich mit der Politik der SPD? Sie hat uns bisher ihr Geheimnis nicht verraten. Der Herr Bundeskanzler hat ja selbst gesagt, was die Politik der SPD nach seiner Auff as-sung zum Inhalt und zur Folge hat. Was soll denn dann diese eigentümliche Frage? ({21}) - Sie haben es nötig, eine solche Auffrischung zu bekommen. ({22}) Natürlich haben Sie es nötig. Ich bedauere, daß Sie in diese Position gekommen sind, eine für Sie nicht gemütliche Lage, ({23}) diese Verträge verteidigen und rechtfertigen zu müssen. ({24}) Man kann sich auch so darüber hinwegretten; aber das ist jedermanns Geschmack überlassen. ({25}) Der Herr Bundeskanzler fragt, was wir denn wollten, wenn wir nach neuen Verhandlungen riefen, neue Verhandlungen vorschlügen? Um relative Kleinigkeiten könne man doch nicht neue Verhandlungen führen Wer hat denn von relativen nigkeiten" gesprochen? Mit wem polemisierte denn der Herr Bundeskanzler in diesem Fall? Es geht doch bei diesen relativen Kleinigkeiten, wie er es zu nennen beliebte, um die große Frage der Sicherheit Deutschlands: ob die Verträge, so wie sie nun einmal sind, in ihrer Kombination Deutschland Sicherheit geben, was Sie behaupten. In den Ausschüssen gaben Sie immerhin zu, daß es sehr viele Wenn dabei gibt. Hier darf das nicht so zum Ausdruck gebracht werden. - Wir reden hier, Herr Lücke, über die Verträge, an, weil sie Deutschland unserer Meinung nach keine Sicherheit geben. ({26}) - Wir reden hier, Herr Lücke, über die Verträge, und Sie haben nicht zu kommandieren, was wir zu sagen haben. ({27}) Wenn hier Geschichten erzählt werden sollen, so wie es der Herr Bundeskanzler in seiner ausgearbeiteten Rede schließlich im Zusammenhang mit dem Truppenvertrag, mit dem Recht, Truppen auf deutschem Boden zu stationieren, und mit den Notstandsbestimmungen getan hat - Herr Bundeskanzler, wir wollen mit Ihnen nicht in dieser Weise ({28}) in Konkurrenz treten, Geschichten über Tote zu erzählen. ({29}) Auch das darf man in diesem Hause nicht sagen, daß über einen Mann, der nicht dazu reden kann, aus dem Mundes eines Mannes, den man hier nicht fragen kann, weil er inzwischen in New York oder Washington ist, Geschichten erzählt werden, und daß, selbst wenn - ({30}) - Ja natürlich, das verstehen Sie; das gehört bei Ihnen zum Handwerk. ({31}) Wir sind der Meinung, man sollte darüber auch sprechen können. ({32}) Wenn wir uns die vom Herrn Bundeskanzler zitierte Äußerung des verstorbenen Herrn Dr. Kurt Schumacher vom 15. April 1951 ansehen, bei der es um die Unterschrift unter den Schumanplan ging, so hat das mit dem, was hier über Truppen und über Notstand gesagt wird, nichts zu tun. ({33}) So ging es um den Schumanplan und so ging es - darauf werden Sie die Antwort noch bekommen, ich kann nicht meine ganze Redezeit dafür ausgeben - um die Polemik gegen den Ablauf und den Vollzug politischer Absichten, die der Herr Bundeskanzler zu verwirklichen suchte. Das ist doch wohl das Recht der Opposition in der Demokratie. Übrigens, wenn Sie Geschichten erzählen wollten, wie paßt dann die eine Geschichte zu der anderen? Und dann kann man noch eine dritte dazu erzählen: Derselbe Herr McCloy, auf den der Herr Bundeskanzler sich heute berufen hat, hat ja, als er schon weg war, erklärt, die Sozialdemokratie sei eine zuverlässige Kraft in der Demokratie, und man brauche nicht daran zu zweifeln, daß sie rechtmäßig zustandegekommene Verträge halten werde. Also, einmal wird's s o gebraucht und einmal s o. Es handelt sich bei Ihnen immer nur um Dinge zu polemischen Zwecken, aber nicht um die Feststellung und Erörterung von Tatsachen. Wenn im übrigen jetzt plötzlich die Notstandsbestimmungen in ursächliche Verbindung gebracht werden mit etwas, was Herr D r. Schumacher zur Last gelegt werden soll, - nun, wir haben im Ausschuß gehört, als wir nach der Herkunft und der Art des Zustandekommens der Notstandsklauseln fragten, sie seien zustandegekommen in der Zeit und aus der Atmosphäre der Wahlerfolge der SRP in Niedersachsen. ({34}) Sehen Sie, wie es gerade gebraucht wird, einmal so und einmal so! Ich meine, auf diese Weise sollte man die Diskussion, die ja doch erst beginnt, nicht weiterführen. Wenn es darauf ankommt und wenn es ein gemeinsames Anliegen sein sollte, hier Argument gegen Argument, Auffassung gegen Auffassung zu stellen, und wenn es doch notwendig ist, miteinander zu leben, auch wenn wir politische Gegner sind, so sollten wir doch den Boden der Demokratie nicht mutwillig zerstören oder auf eine Weise auflockern, daß nach solchen parteitaktischen Freudenfesten nichts mehr übrig bleibt. ({35}) Weder die Befürchtungen noch die Einwände der sozialdemokratischen Fraktion hinsichtlich der Auswirkungen der Verträge auf die deutsche Politik zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands sind durch die Ausschußberatungen entkräftet worden. Das gilt sowohl im Hinblick auf die Vertragstexte und ihre Auslegung durch die Sachverständigen der Bundesregierung als auch im Hinblick auf die politische Praxis der Bundesregierung seit der ersten Lesung der Vertragswerke im Bundestag im Juli dieses Jahres. Wenn man die Frage stellte, welche Auswirkungen die Verträge in ihrer Gesamtheit auf die Bemühungen um die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit und mit friedlichen Mitteln haben werden, dann hat man von den Sprechern der Bundesregierung die Antwort erhalten, die Einheit Deutschlands sei nur durch diese Verträge wiederzugewinnen. Aber auch die Bundesregierung kann nicht bestreiten, daß der Pariser Vertrag über die Bildung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, der mit dem Bonner Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten ein Ganzes bildet und dessen Geltungsdauer auf mehrere Jahrzehnte berechnet ist, keine wirksame Revisionsbestimmung für den Fall der Wiedervereinigung Deutschlands enthält. Die Bundesregierung argumentiert mit der Annahme, durch die Verträge werde die Bundesrepublik zum Bestandteil einer Gemeinschaft, die zu gegebener Zeit eine Verhandlungsbereitschaft der Sowjetunion über die Freigabe der sowjetisch besetzten Zone und die Wiedervereinigung Deutschlands erzwingen werde. Die Bundesregierung bestreitet, daß die der Bundesrepublik durch die Verträge zugemuteten Bindungen eine deutsche Politik zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit außerordentlich erschweren und sogar blockieren können. Die Gegensätze in der Einschätzung der Auswirkungen und der Tragweite der Vertrage und ihrer Einzelbestimmungen im Hinblick auf die Einheit Deutschlands sind nicht mit dein Hinweis zu erklären, den Herrn Dr. Pünders Bericht enthält. Dr. Pünder bescheinigt beiden Seiten, den die Mehrheit bildenden Koalitionsparteien und der sozialdemokratischen Opposition, mit gleichem Nachdruck die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit als oberstes Ziel der deutschen Außenpolitik anzuerkennen. Nebenbei gesagt, ist Herr Dr. Pünder in dieser Beziehung freundlicher als der Herr Bundeskanzler gewesen, der in Berlin behauptete, die Opposition schiebe mit ihrer negativen Kritik den Zeitpunkt der Wiedervereinigung Deutschlands hinaus. Und jetzt hat ja der Herr Bundeskanzler im Stil von Wahlkampfreden erklärt, daß das Nein zu diesen Verträgen Stalin diene, die sowjetische Besatzungszone und Berlin aufgebe. Das ist, nebenbei gesagt, immerhin ein ziemlicher Gradunterschied zu der Auffassung, die im Bericht durch den Berichterstatter Herrn Dr. Pünder niedergelegt ist. Aber Herr Dr. Pünder überschätzt die Rolle, die gute Absichten bei der Lösung so schwerer Probleme haben können, und er unterschätzt unserer Auffassung nach die hemmende Wirkung, die durch das in den Verträgen enthaltene Vetorecht jeder einzelnen der Drei Mächte auf künftige deutsche Bemühungen um die Viererherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit ausgeübt werden kann. Wir Sozialdemokraten vermögen uns der Stellungnahme der Ausschußmehrheit nicht anzuschließen, weil gewichtige Tatsachen, die bei den Aus({36}) schußberatungen durch die Erklärungen der I Sprecher der Regierung nicht ausgeräumt werden konnten, unvereinbar mit einer sowohl im deutsehen als auch im wohlverstandenen europäischen Interesse liegenden zielstrebigen Politik zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit sind. Zur ersten Tatsache: Die drei Westmächte behalten sich im Art. 2 des Generalvertrages ausdrücklich die bisher von ihnen ausgeübten oder von ihnen innegehabten Rechte in bezug auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung vor. Zu 2): Die drei Westmächte und die Bundesrepublik erklären im Art. 7 des Vertrages, sie seien sich darüber einig, daß ein wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland sei, welche die Grundlage für einen dauerhaften Frieden bieten soll. Bis zum Abschluß dieser friedensvertraglichen Regelung, bei der auch die endgültige Festlegung der Grenzen erfolgen soll, werden - so heißt es im zweiten Absatz dieses Artikels des Generalvertrages - die Bundesrepublik und die Drei Mächte zusammenwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung ähnlich wie die Bundesrepublik besitzt und das in die Europäische Gemeinschaft integriert ist. Die Bundesregierung hat in ihrer Begründung zu Art. 2 dieses Generalvertrag erklärt, daß die Vorbehaltsrechte der drei Westmächte als Folge aus dem Viermächteverhältnis, da: 1945 zwischen den Westmächten und der Sowjetunion gegründet worden ist, von den drei Westmächten zurückbehalten werden. Die Konstruktion der Vorbehaltsrechte rühre an die politische Grundkonzeption des Vertragswerks. Es beruhe, so lesen wir in der Begründung der Bundesregierung, auf dem Gedanken, daß im Hinblick auf die drei Fragenkomplexe Truppenstationierung, Berlin, gesamtdeutsche Fragen die Viermächtevereinbarungen von 1945 nicht zerstört werden sollen. Wenn die Vorbehaltsrechte in Viermächtevereinbarungen von 1945 wurzeln und von ihnen abgeleitet werden, dann muß unserer Auffassung nach die Bundesregierung dem Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit die Fragen beantworten: a) Welche Abkommen von 1945 sind damit gemeint? ({37}) Und b) Was bleibt von diesen Abkommen des Jahres 1945, die doch weitgehend ein Niederschlag der Abmachungen der kriegführenden Mächte von Teheran und Jalta gewesen sind, weiter gültig? Das ist einfach eine Frage der korrekten Behandlung solcher Dinge. Die Sprecher der Bundesregierung haben in den Ausschußberatungen diese Fragen keineswegs zufriedenstellend beantworten können. Sie haben es nicht einmal vermocht, den authentischen Wortlaut des Schreibens der französischen Regierung vom 4. August 1945 zum Potsdamer Abkommen vorzulegen, ({38}) so daß die Ausschußberatungen keine Klarheit über diese für die Beurteilung des Vertragswerks und im besonderen die Einschätzung der Tragweite der Vorbehaltsrechte wichtigen Tatsachen bringen konnten. ({39}) Die Tragweite solcher Versäumnisse wird klar, wenn man bedenkt, daß in den Anlagen zum Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten sich ein Schreiben der drei Außenminister an den Bundeskanzler vom 26. Mai 1952 betreffend die Aufrechterhaltung gewisser Kontrollratsvorschr iften befindet, in dem es heißt: Die Drei Mächte teilen Ihnen mit, daß sie in Ausübung ihrer in Artikel 2 - das sind die Vorbehaltsrechte des Vertrages über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten genannten Rechte in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung darum ersuchen, daß die folgenden Rechtsvorschriften des Kontrollrates durch die Bundesrepublik im Bundesgebiet nicht außer Kraft gesetzt werden: Proklamation Nr. 1 - des Kontrollrats und Direktiven Nr. 1, 2, 4 bis 7, 11 bis 13, 17, 20, 21, 34, 36, 42, 43, 49, 51 und 53. ({40}) In der Proklamation Nr. 1 vom 30. August 1945 heißt es: I. Laut Bekanntmachung vom 5. Juni 1945 ist die oberste Regierungsgewalt in bezug auf Deutschland von den Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken, des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Nordirland und der Provisorischen Regierung der Französischen Republik übernommen worden. II. Kraft der obersten Regierungsgewalt und der Machtbefugnisse, die damit von ,den vier Regierungen übernommen wurden, ist der Kontrollrat eingesetzt und die oberste Machtgewalt in Angelegenheiten, die Deutschland als Ganzes angehen, dem Kontrollrat übertragen worden. Es folgen die Bestimmungen unter III über Militärgesetze, Proklamationen, Befehle, Verordnungen und Bekanntmachung der Vorschriften und Anweisungen, die von den betreffenden Oberbefehlshabern oder in ihrem Namen für ihre Besatzungszone herausgegeben worden sind. Die verbleiben auch weiterhin in diesen ihren Besatzungszonen in Kraft. Wenn die Bundesregierung der Meinung ist, die Aufrechterhaltung von Viermächtevereinbarungen von 1945 entspreche einem lebenswichtigen Interesse der deutschen Politik, so muß sie Punkt für Punkt nachweisen, um welche Viermächtevereinbarungen es sich handelt. ({41}) Sie muß dann auch nachweisen, welche Folgerungen die an diesen Viermächtevereinbarungen beteiligten Mächte einzeln aus den Vereinbarungen gezogen haben. ({42}) Nach einer offiziösen französischen Darstellung von Ende Mai dieses Jahres gehören z. B. die sogenann({43}) ten Ordonnanzen Koenig über die Saar zu Rechtsvorschriften, die ohne die Zustimmung der Drei Mächte weder abgeändert noch abgeschafft werden können. ({44}) In diesem Zusammenhang ist es unvermeidbar - ich knüpfe hier an das an, was mein Kollege Brandt schon gefragt hat -, zu fragen, welche verbindlichen Erklärungen die Bundesregierung von den Vertragspartnern über die Auswirkung der von den. einzelnen Vertragspartnern mit anderen Mächten geschlossenen Verträge auf die Politik der Vertragspartner gegenüber Deutschland heute noch haben oder haben können. Es handelt sich um einige bisher weder aufgekündigte noch abgelaufene Verträge, unter anderem den französischsowjetischen Vertrag vom Jahre 1944 und den britisch-sowjetischen Vertrag vom Jahre 1942. Die Sprecher der Bundesregierung haben im Ausschuß dazu keine verbindlichen Erklärungen abzugeben vermocht. ({45}) Wenn die Bundesregierung der Auffassung sein sollte, solche Verträge seien sozusagen durch die Ereignisse überholt, so wäre sie doch verpflichtet, dem Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit Aufklärung darüber zu geben, welche Bedeutung z. B. die Auseinandersetzungen über französische Kontrollfunktionen gegenüber Deutschland in Frankreich auf die französische Deutschlandpolitik haben oder haben können. Dort sind doch zur Zeit Politiker verschiedener Richtungen, Mitglieder der Regierungen und Publizisten damit beschäftigt, Sonderabmachungen mit den übrigen Vertragspartnern vorzubereiten und zu bewirken, durch die in Wirklichkeit Deutschlands Streben nach der Wiederherstellung seiner Einheit einer besonders erschwerenden Kontrolle unterworfen werden soll. Der Herr Bundeskanzler hat es sich etwas sehr leicht gemacht, als er auf dem Parteitag der Christlich-Demokratischen Union in Berlin sagte, wenn sozialdemokratische Politiker glaubten, der französischen Politik nicht trauen zu dürfen, und auf die Gefahr hinwiesen, daß eventuell eine Verständigung zwischen Frankreich und Sowjetrußland auf unsere Kosten kommen könnte, dann würde er die Konsequenz daraus gezogen und gesagt haben: Bundesregierung und Bundestag, macht um Gottes willen voran, daß diese Gefahr vorübergeht! Der Bundeskanzler kann doch nicht uninformiert sein über französische Versuche, das Verhältnis zu den Kernfragen der deutschen Politik gewissen Vereinbarungen von 1945 und sogar dem Vertrag von 1944 unterzuordnen. Es ist doch wohl nicht angängig, daß wir uns hier so verhalten sollten, wie es der Igel in der bekannten Fabel gemacht hat, der beim Wettlauf mit dem Hasen immer gerufen hat: Ich bin schon da! ({46}) Heute hat es sich der Herr Bundeskanzler - ich glaube, das muß man sagen - noch leichter gemacht, indem er gesagt hat, ihm seien solche vertraglichen Verpflichtungen der Partner gegenüber der Sowjetunion unbekannt. Nun, das muß man ihm abnehmen. Die andere Frage ist aber, wenn im Parlament, wenn in der gesetzgebenden Versammlung Befürchtungen solcher Art ausgesprochen werden, daß dann der Herr Bundeskanzler, der ja gleichzeitig Außenminister ist, doch zumindest diesen Dingen nachgehen und dem Parlament eine es befriedigende Erklärung geben muß, nicht von heute auf morgen, aber nachdem er eben konkrete Feststellungen getroffen haben wird. ({47}) Die Zwiespältigkeit unserer Lage kommt doch nicht zuletzt auch in dem passiven Verhältnis Großbritanniens und der Vereinigten Staaten gegenüber der französischen und der separatistischen Praxis im Saargebiet zum Ausdruck. Ich meine die Zwiespältigkeit unserer Lage hinsichtlich des Begriffs „Deutschland als Ganzes" und hinsichtlich der Erwartungen, die wir an eine endgültige Friedensregelung stellen müssen. Im Saargebiet gab es doch keine freien Wahlen. Um die Verwirrung nun vollständig zu machen: die Kommunistische Partei Frankreichs, die hartnäckig wie alle kommunistischen Parteien für die endgültige Lostrennung der deutschen Ostgebiete von Deutschland eintritt, tritt dort heuchlerisch für die sogenannte Rückgliederung des Saargebiets an Deutschland ein. Aus dieser ganzen Zwielichtigkeit herauszukommen, müßte doch auch ein wohlverstandenes Interesse des demokratischen Westens sein. Wenn von der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit die Rede ist, dann kann es sich nicht einfach um eine Art Rechenexempel handeln, bei dem - auch darüber mußte in den Ausschüssen gesprochen werden, weil solche Auffassungen auftauchten - das Gebiet, in dem jetzt das Grundgesetz der Bundesrepublik gilt, und das Gebiet der sogenannten DDR zusammengelegt werden. Uns sind in den Ausschußberatungen keine verbindlichen Erklärungen darüber gegeben worden, welches Gebiet gemeint ist, wenn in den Vertragstexten einmal von „Deutschland als Ganzem", ein anderes Mal von „ganz Deutschland" und schließlich von einem „wiedervereinigten Deutschland" die Rede ist. Wenn die Westmächte aus Gründen, die uns nicht bekanntgegeben und erklärt worden sind, sich nicht verbindlich über ihre Auffassung zur künftigen Behandlung der deutschen Ostgebiete geäußert haben, so hätte doch unbeschadet ihrer Rücksichtnahme auf Vereinbarungen von 1945 und früher nichts sie daran hindern können, sich posi tiv über ihre Auffassungen zu den deutschen Grenzen im Westen vorbehaltlich einer endgültigen Friedensregelung zu äußern. ({48}) Eine solche Erklärung hat doch für das moralische Gewicht des Westens im Ringen um die Grundlagen für einen dauerhaften Frieden erstrangige Bedeutung, ({49}) und sie wäre - so meine ich - um so notwendiger, als der von einer privaten Gesellschaft betriebene Sender „Freies Europa" den deutschen Anliegen in keiner Weise entspricht, über die von den kommunistischen Machthabern gezogenen Stacheldrahtverhaue hinweg den ihrer Freiheit beraubten Völkern der Ostblockstaaten Klarheit über das Streben des deutschen Volkes nach gutnachbarlichen, friedlichen Beziehungen zu vermitteln. Warum ist denn nicht wenigstens versucht worden, eine Erklärung nach dem Muster der Drei-Mächte-Erklärung über die Reparationsfrage für die Grenzen und Gebietsfragen zu erwirken? Die Regierungen der USA und Großbritanniens haben hinsichtlich der Reparationsansprüche aus der laufenden Produktion erklärt, sie hätten sie weder geltend gemacht, noch beabsichtigten sie, irgendwelche Reparations({50}) anspräche aus der laufenden Produktion geltend zu machen. Sie haben sich - so heißt es in der Erklärung, die Sie kennen, weiter der Forderung solcher Reparationen durch irgendeine andere Macht beharrlich widersetzt und beabsichtigen dieses auch in Zukunft zu tun. Die französische Regierung hat von dieser „tatsächlichen Lage" Kenntnis genommen. ({51}) Wäre es zuviel verlangt, wenigstens eine entsprechende Erklärung über die Grenzen und gegen Gebietsabtrennungsforderungen zumindest im Westen als dringend erwünscht anzusehen? Der Bundeskanzler sollte nach der zweiten Lesung der Vertragswerke ernsthafte Anstrengungen machen, um von den Vertragspartnern bindende Zusicherungen über den Inhalt des Zusammenwirkens der Bundesrepublik und der Drei Mächte zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands zu erhalten. Angesichts der Bemühungen der französischen Politik, Sonderabmachungen mit den Vereinigten Staaten und Großbritannien zu erwirken, die auf ein verschärftes Kontroll- und Einspruchsrecht über alle Bemühungen um die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands hinauslaufen, ist ein solches Verlangen nur recht und billig. Der Abs. 2 des Art. 7 des Generalvertrags enthält Bindungen, die mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik nicht vereinbar sind. Er bestimmt, daß bis zum Abschluß der friedensvertraglichen Regelung die Bundesrepublik und die Drei Mächte zusammenwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu erwirken: ein wiedervereinigtes Deutschland, das in die europäische Gemeinschaft integriert ist. Nach der Auffassung des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht enthält diese Vorschrift mehr als ein politisches Programm. Sie begründet eine völkerrechtliche Verpflichtung zu einem solchen Zusammenwirken, nämlich die Verpflichtung, ein wiedervereinigtes Deutschland zu verwirklichen, das in die europäische Gemeinschaft integriert ist. In der Präambel des Generalvertrags wird diese europäische Gemeinschaft genau umrissen als die spezielle europäische Gemeinschaft, für die der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl - Schumanplan - und der Vertrag über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft - EVG - als wesentliche Schritte anerkannt werden. Nach dem Grundgesetz haben wir aber die Pflicht, die nationale und staatliche Einheit zu wahren und in freier Selbstbestimmung die Einheit Deutschlands in Freiheit zu vollenden. Diese mit dem Grundgesetz übernommene Verpflichtung würde unserer Auffassung nach gröblich verletzt durch die vertragliche Bindung, die Wiedervereinigung Deutschlands nur unter der Voraussetzung und der besonderen Bedingung zu verwirklichen, daß dieses Deutschland in die europäische Gemeinschaft integriert sein muß, für die die MontanUnion und die Verteidigungsgemeinschaft statusbestimmend sind. ({52}) Unseres Erachtens ist diese Vertragsverpflichtung auch unvereinbar mit der im Grundgesetz niedergelegten Erklärung, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinigten Europa dem Frieden der Welt zu dienen. Denn die miteinander verkoppelten Bonner und Pariser Verträge gewährleisten der Bundesrepublik nicht die Gleichberechtigung. ({53}) Sogar in einer offiziellen Verlautbarung des Außenministeriums der Vereinigten Staaten von Amerika heißt es, daß die Beziehungen zwischen den Drei Mächten und der Bundesrepublik lediglich auf die Basis „substanzieller Gleichheit" gestellt werden, wobei die drei Westmächte gewisse Sonderrechte beibehalten werden, durch die, so heißt es in dieser Verlautbarung des amerikanischen Außenministeriums, die „innere Autonomie der Bundesrepublik" nicht berührt würde. ({54}) Das Wort „Gleichberechtigung" kommt in dieser Verlautbarung des Außenministeriums der USA nur in Anführungsstrichen vor. ({55}) Herr Professor W a h 1 hat in seinem Bericht zu den Bindungen, die der Abs. 2 des Art. 7 enthält, erklärt: Daß damit Bindungen begründet werden, die ein Zurück von dem eingeschlagenen Wege ausschließen, begründet nach der Ansicht der Mehrheit kein verfassungsrechtliches Problem. Daß damit Bindungen begründet werden, die ein Zurück von dem eingeschlagenen Wege ausschließen, ist dennoch „kein verfassungsrechtliches Problem". Wie kann man beide Teile dieses Satzes miteinander in Einklang bringen, ohne das Grundgesetz zu entwerten? Ist es nicht möglich, in diesem Rahmen ernsthaft über solche Bedenken zu sprechen, oder sollen sie einfach mit einer Handbewegung als juristische Spekulationen abgetan werden? Es ist nicht möglich, in diesem Zusammenhang ausführlicher auf die Berlin betreffenden Vertragsbestimmungen einzugehen. Der vorliegende Bericht zeigt: zwar gibt es keine Meinungsverschiedenheiten über die Unvermeidlichkeit besonderer Bestimmungen zum Schutze der demokratischen Freiheiten und der Lebensgrundlagen der durch die Willkür der Machthaber der sowjetischen Zone eingekreisten Stadt Berlin, aber es gibt erhebliche Meinungsverschiedenheiten darüber, daß die Westmächte unter Berufung auf die besondere Lage der Viersektorenstadt die bisherigen Besatzungsbestimmungen sozusagen versteinern. Was hätte sie eigentlich hindern können, weitergehende Lockerungen der Besatzungsbestimmungen in ihrem eigenen Bereich vorzunehmen, durch die das Verhältnis zur vierten Besatzungsmacht nicht berührt oder nicht gestört zu werden brauchte? Ich beschränke mich auf diese Feststellungen. Dem Herrn Bundeskanzler, der in seinen Fragen auch die gestellt hat, die uns unterschiebt, wir würden Berlin preisgeben, wenn wir beim Nein blieben, möchte ich sagen: Berlin braucht doch Sachlichkeit und brüderliche Hilfe ({56}) und braucht nicht Spitzfindigkeiten und Auseinandersetzungen parteitaktischer Art, ({57}) womit der Herr Bundeskanzler die Sozialdemokratie in eine Ecke zu drängen versucht, in der er sie anklagen möchte, sie stehe gegen Berlin. Geht es denn hier nicht um gemeinsame nationale Ziele? ({58}) ({59}) Von der Mehrheit sind die schwerwiegenden Einwände der sozialdemokratischen Opposition gegen die Vertragsbestimmungen. die Deutschland als Ganzes und die Wiedervereinigung betreffen, mit der Erklärung zurückgewiesen worden, es fehle eine positive Alternative. Mit andern Worten: weil die sowjetische Besatzungsmacht bisher keinen Beweis ihrer Bereitschaft gegeben hat, die Umklammerung der in ihrem Besitz befindlichen Zone zu lösen, bleibe nur der durch die Verträge vorgezeichnete Weg. Ist das, meine Damen und Herren, nicht sehr gering gedacht von der Fähigkeit der Regierungen der Westmächte, die Notwendigkeit fortgesetzter demokratischer Initiativen zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands zu begreifen? Sollte die starre Haltung der sowjetischen Besatzungsmacht sozusagen automatisch ein Verharren der Westmächte auf längst überholten Positionen rechtfertigen? Darum geht es doch. Wenn es aber so wäre, daß beide Seiten der vier Mächte ihre Deutschlandpolitik hauptsächlich oder sogar ausschließlich unter dem Gesichtspunkt betrieben, ihre Einflußbereiche zu sichern und den auf der Teilung Deutschlands beruhenden Status quo als sozusagen kleineres Übel beizubehalten, so müßte die deutsche Politik daraus doch andere Konsequenzen ziehen, als sie die hinter der Regierung stehende Mehrheit bei dem Versuch der Rechtfertigung dieser Verträge erkennen ließ. Die Londoner „Times" schrieb kürzlich, erst jetzt gegen Mitte November 1952, keine der beiden Mächtegruppen - das ist klar - könne es sich leisten, zu gestatten, daß Deutschland vereinigt würde unter Bedingungen, die ihren Interessen abträglich wären. Es muß ein dringendes Anliegen der deutschen Politik sein, die deutschen Interessen bei diesem Abwägen der Interessen so nachdrücklich wie möglich zur Geltung zu bringen. Der Bundestag hat am Schluß der ersten Lesung der Verträge am 10. Juli einstimmig einen Antrag der sozialdemokratischen Fraktion zum Beschluß erhoben. Der Antrag lautete: Die Bundesregierung wird ersucht, den Besatzungsmächten förmlich mitzuteilen: Bundestag und Bundesregierung erwarten, daß die Regierungen der vier Mächte so bald wie möglich in Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen eintreten. Am 1. Oktober mußte der Bundestag auf diesen einstimmigen Beschluß vom 10. Juli zurückzukommen. Damals wurde ein Antrag der sozialdemokratischen Fraktion angenommen: Die 'Bundesregierung wird ersucht, den Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten und den Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen durch einen Bericht des Herrn Bundeskanzlers im einzelnen darüber zu unterrichten, a) wie die Bundesregierung den Besatzungsmächten den einstimmigen Beschluß des Bundestages vom 10. Juli 1952 förmlich unterbreitet hat; b) welche Stellung die Bundesregierung eingenommen hat und einnimmt bei der Konsultation zur Vorbereitung einer Antwortnote der Westmächte an die Sowjetregierung. Aber der Herr Bundeskanzler hat bis heute keine Gelegenheit gefunden, den beiden Ausschüssen des Bundestages diesen Bericht zu geben. ({60}) Ich meine, wenn der Herr Bundeskanzler die Tribüne betritt und in dieser Weise die Erörterung der Verträge in der zweiten Lesung an sich zu reißen sucht, so sollte er auch nicht vergessen haben, bei dieser Gelegenheit darüber Rechenschaft abzulegen, was denn geschehen ist, statt sich damit zu begnügen, zu fragen, was eigentlich die SPD wolle oder getan habe. Das muß im Zusammenhang mit der Erörterung der Verträge und angesichts der Behauptung, es seien keine Bemühungen um Alternativlösungen zu verzeichnen, gesagt werden. Aber der Herr Bundeskanzler hat nicht nur seine eigenen Auffassungen über seine Verpflichtungen gegenüber Bundestagsbeschlüssen; er hat auch seinen eigenen Zeitplan hinsichtlich der Rangordnung der Bemühungen um die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands. Er hat es als „zwecklos", „sinnlos" und „sogar schädlich" bezeichnet - das ist seine eigene Steigerung -, den Westen zu Verhandlungen mit Sowjetrußland über die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit zu bringen, bevor nicht ganz bestimmte Voraussetzungen erfüllt seien. ({61}) Diese Voraussetzungen sind, wenn man sie sich in derselben Rede des Herrn Bundeskanzlers ansieht, sehr umständliche Voraussetzungen. Es gehört dazu unter anderem, daß die CDU in Bonn noch einmal vier Jahre regiert und daß die Konstruktion einer sogenannten europäischen Gemeinschaft - das wird auch ausdrücklich betont - von Regierungsmehrheiten nach dem Bonner Muster gelenkt wird. ({62}) In diesem Hause bestehen keine Meinungsverschiedenheiten über die Verwerflichkeit der in der sowjetischen Besatzungszone praktizierten Politik. Es bestehen auch keine Gegensätze darüber, daß Deutschland nicht dem sowjetischen Machtbereich anheimfallen darf. Aber erhebliche Gegensätze, meine Damen und Herren, bestehen darüber, was im Ringen um die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit getan und was vermieden werden muß. Alle demokratischen Kräfte sollten sich gemeinsam anstrengen, der sowjetischen Besatzungsmacht immer wieder vor Augen zu führen, daß sie nicht ganz Deutschland einstecken kann. Der Wille zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit muß in diesem Teile Deutschlands täglich erneut bekundet werden und seinen Niederschlag in allen politischen Handlungen finden. ({63}) Der Kanzler leistet nach unserer Auffassung der deutschen Position gegenüber den Mächten einen schlechten Dienst mit seinem Versuch, die Nation in solche und solche zu spalten, ({64}) wobei die Sozialdemokraten zu, wie er es sagt, Wegbereitern des Bolschewismus gemacht werden, obwohl der Kanzler weiß, welchen integren Gegner des Bolschewismus die Sozialdemokratie darstellt. ({65}) ({66}) ) Hier hätte doch der Kanzler über alle Gegensätze hinweg die Aufgabe, zu sammeln, statt zu trennen. ({67}) Es ist von entscheidender Bedeutung, ob die Politik der Bundesregierung darauf ausgerichtet oder konzentriert ist, eine sogenannte totale Neuordnung abzuwarten, oder ob sie ihren Einfluß geltend zu machen versucht, damit der demokratische Westen es als ein Interesse der ganzen freien Welt ansieht, die sowjetische Besatzungsmacht zu einer positiven Lösung der deutschen Frage zu veranlassen. Wir können von hier aus nicht die politischen Verhältnisse der ganzen Welt verändern. Aber wir müssen das deutsche Interesse an der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit so zur Geltung bringen, daß es nicht von den Interessen anderer erdrückt werden kann, weil wir selbst den Interessen anderer einen Vorrang zuerkennen, wie es in den Verträgen unserer Auffassung nach geschieht. Der Westen würde nichts gewinnen, aber er würde viel verlieren, wenn wir uns mit Bedingungen abfänden, wie sie die Verträge in Hinsicht auf die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands leider enthalten. Sorgen dieser Art bewegen nicht nur die Sozialdemokratie. Die „Ketteler-Wacht", eine katholische Halbmonatsschrift, hielt es im Oktober für ange- bracht, unter dem Titel „Richelieus deutsche Erben" einen Alarmruf zu veröffentlichen. Ich kann nur eine Stelle daraus verlesen. Dort wird berichtet, daß kürzlich der Redakteur einer bekannten rheinischen Zeitung zum Thema „Deutschland in Europa" gesprochen habe. In der Diskussion enthüllte dann dieser verspätete Erbe Richelieus, wenn auch mit einigem Zittern und Zagen seine geheimsten Gedanken: Deutschland solle aus drei Staaten, und zwar Österreich, der Bundesrepublik und einem deutschen Staat, der alle Gebiete jenseits der Elbe - Ostelbien - umfaßt, bestehen. ({68}) Diese drei deutschen Staaten sollen in der europäischen Gemeinschaft durch drei Außenminister vertreten werden. Das gilt nur für Deutschland. Die anderen Staaten, wie Italien, Frankreich usw. sollten als nationale Einheiten Mitglieder des vereinigten Europas werden. Dieser rheinische Unschuldsengel ({69}) - ja, das ist nicht meine Erzählung, das ist der Bericht der „Ketteler-Wacht" - verweist für die von ihm propagierte Sonderstellung Deutschlands auf das Beispiel Rußlands in der UNO und den Vorteil der mehrfachen deutschen Staaten. Es wird dann in heftiger Empörung dieser Zeitschrift gegen solche Spekulationen und Ansinnen Stellung genommen, die sich hier an die Öffentlichkeit wagen. Sicher sind die in diesem Artikel der „Ketteler-Wacht" bezeichneten Kräfte nicht repräsentativ für die im deutschen Volk herrschende Auffassung über die Einheit Deutschlands und über das Verhältnis Deutschlands zur übrigen Welt. Sie sind es sicher ebensowenig wie auf der anderen Seite die Kommunisten mit ihrer Absicht, Deutschland zu einem Bestandteil des sowjetischen Machtbereiches zu machen. Doch hat die „Ketteler Wacht" es - aus wahrscheinlich wohlerwogenen Gründen - für richtig gehalten, einen solchen Alarmruf zu veröffentlichen. In der zweiten Lesung der Verträge ist es unmöglich, in der durch die Bedeutung der Sache gebotenen Ausführlichkeit über die Richtlinien der deutschen Politik im mühevollen Ringen um die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands zu sprechen. Sie, meine Damen und Herren, würden gut beraten sein, wenn Sie sich dazu entschließen könnten, nach der zweiten Lesung der Verträge die in den Berichten dargelegten Ansichten, Bedenken und Einwände der Sozialdemokratie reiflich zu durchdenken, und wenn Sie der Regierung den Auftrag gäben, nach der zweiten Lesung im Sinne dieser in den Berichten und von mir dargelegten Einwände aktiv zu werden. Ich habe Sie auf die Ziffer 3 des Ihnen vorgelegten Änderungsantrags der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zum Entwurf eines Gesetzes betreffend den Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten mit Zusatzverträgen - Anlage Nr. 1 zu Drucksache Nr. 3500 - aufmerksam zu machen. In Ziffer 3 unseres Änderungsantrages heißt -es: Nach Art. II a wird ein neuer Artikel II b eingefügt: Artikel II b Die Hinterlegung der Ratifikationsurkunde ist erst zulässig, wenn die Bundesregierung eine verbindliche Erklärung über den Inhalt der von den Alliierten im Jahre 1945 getroffenen Abkommen, insbesondere der französischen Erklärung zum Potsdamer Abkommen, und deren Beziehung zu den Artikeln 2 und 7 Abs. 2 des Vertrages über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten vorgelegt hat und diese Erklärung durch Beschluß des Bundestages gebilligt ist. Ich bitte Sie, diesem Änderungsantrag zuzustimmen. ({70})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat als voraussichtlich letzter Redner des heutigen Tages Herr Abgeordneter Dr. Decker.

Dr. - Ing. Hugo Decker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000362, Fraktion: Föderalistische Union (FU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der 191. Sitzung am 8. Februar 1952 habe ich gelegentlich der von uns veranlaßten Debatte im Auftrag der Bayernpartei erklärt, daß wir uns bezüglich des zu erwartenden Vertragswerks die Entscheidung vorbehalten müssen. Ebenso haben wir in der 222. Sitzung der Überweisung an die Ausschüsse unter dem Vorbehalt der völlig freien Entscheidung zugestimmt. Die Bayernpartei hat die Entscheidung bis zum letztmöglichen Termin hinausgeschoben, ({0}) und zwar, weil sie aus tiefstem Verantwortungsbewußtsein heraus noch alle Momente, die für und wider die Verträge sprechen, in Betracht ziehen wollte. In den letzten Monaten und Wochen ist nun gerade über die Abgeordneten eine NeinPropagandawelle hinweggegangen, die einen Millionenaufwand verursacht haben mag und die gerade deswegen mich und meine Freunde besonders verstimmt hat, weil wir uns ja fragen mußten, woher diese Millionen kommen. ({1}) Unter all den Briefen und Delegationen, die an mich wie an Sie gekommen sind, habe ich die Briefe und die persönliche Vorsprache einer Gruppe ({2}) vermißt, die mit einer Fürsprache für das Nein wirklich Gewicht gehabt hätte. Ich habe es nicht erlebt, daß mir aus dem Mund verhärmter Rußlandheimkehrer gesagt worden wäre, sie kämen im Auftrage ihrer Leidensgenossen und sprächen für ein Nein. ({3}) Dieses Nein hätte unendlich mehr Gewicht gehabt als die auf Luxuspapier faksimilierte Unterschrift von Nein-Sagern unter den Generalmusikdirektoren und Luftschiffkonstrukteuren. ({4}) - Darf ich Ihnen eines sagen, Herr Kollege. Es ist sehr langweilig, immer das gleiche vorgesetzt zu bekommen, selbst wenn es Rotkohl auf russische Art ist. ({5}) Ich habe hier die Aufgabe, die Auffassung der Bayernpartei darzulegen. Diese stimmt den Verträgen zu. Diese Auffassung deckt sich mit der der überwiegenden Mehrheit der Bayernpartei-Abgeordneten des Bundestags. Ich möchte nochmals unterstreichen, was wir hier schon oft betont haben, nämlich daß wir das Wort Fraktionszwang nur als ein Fremdwort kennen und daß kein Kollege von uns irgendeinem Druck ausgesetzt ist, auch wenn er mit Nein stimmt. Die Bayernpartei hat am 12. Oktober 1952 acht Punkte aufgestellt, die sie vor ihrer endgültigen Stellungnahme zu den Westverträgen befriedigend beantwortet haben wollte. Die Regierung hat uns ihre Stellungnahme dazu mitgeteilt. Diese ist in langen Stunden gewissenhaft und ernst geprüft worden. Das Ergebnis war, daß die acht Punkte zwar nicht bis zu den letzten Konsequenzen beantwortet, aber im Hinblick auf das gesamtpolitische Ziel der Verträge einer genügenden Klärung zugeführt worden sind. Wenn auch zu den Gesamtverträgen noch Bedenken offengeblieben sind, so sind diese bei der säkularen Bedeutung der politischen Entscheidung nicht von solchem Gewicht, daß sie diese im negativen Sinne beeinflussen könnten. Bei den Verträgen ist viel zu viel von der Wiederaufrüstung gesprochen worden, so daß der Sinn der Verträge in der Öffentlichkeit gar nicht klar herausmodelliert worden ist. ({6}) Es handelt sich doch letzten Endes um eine Ablösung des Besatzungsstatuts durch den Deutschland-Vertrag und seine Anhängsel und um einen Sicherungsbündnisvertrag. Da es bei dem heutigen Zustand nun einmal nicht möglich ist, einen Friedensvertrag abzuschließen, treten wir mit der Stellungnahme zum Deutschland-Vertrag der Frage näher, uns mit einem Quasi-Friedensvertrag zu begnügen. Es sind Utopisten, die glauben, daß wir nach einem total verlorenen Krieg eine Ablösung des Besatzungsstatuts erwarten dürfen, in der das „vae victis!" überhaupt nicht zu spüren ist. Seltbsverständlich ist es Aufgabe der Regierung und des Bundestags, dem deutschen Volk jedmögliche Erleichterung zu schaffen. Wir glauben aber nicht, daß die Ablehnung der Verträge der geeignete Weg ist. ({7}) Wir sehen diesen Weg vielmehr in einer stetigen und zielbewußten Fortenwicklung der Verträge und der Politik um die Verträge in einem für Deutschland, Europa und die Erhaltung des Friedens fördernden Sinne. ({8}) Ganz besonders liegt uns daran, daß die Bundesregierung, wie sie uns zugesagt hat, vor und nach der Ratifizierung das Ziel verfolgt, in Vierergesprächen eine friedliche Lösung des Problems der deutschen Wiedervereinigung anzustreben. Was den Deutschland-Vertrag betrifft - zum EVG-Vertrag wird mein Kollege Besold noch sprechen -, möchten wir nochmals darauf hinweisen, daß wir uns mit allen Mitteln dafür einsetzen, daß die bisherigen deutschen Vorleistungen, insbesondere die Opfer in Anrechnung kommen, die dem deutschen Volk durch die Flüchtlingsfrage, durch die Berlinhilfe und die Arbeitsleistung der Kriegsgefangenen auferlegt worden sind. Entscheidend für unsere Stellungnahme ist es, daß das Vertragswerk darauf angelegt ist, daß Deutschland nunmehr an einer Integration Europas teilnehmen kann, ein Ziel, das sich die Bayernpartei seit ihrem Anfang gesetzt hat. Die Verträge bedeuten noch nicht die völlige Gleichberechtigung Deutschlands, aber sie geben den Weg zur Gleichberechtigung frei und sie beenden den Besatzungszustand. Sie sind eine Etappe auf dem Wege, aus der Hoffnungslosigkeit des Jahres 1945 wieder herauszukommen, und wir möchten mit einem Nein nicht die Verantwortung dafür übernehmen, dem deutschen Volk den mit Hilfe der Westmächte errungenen Lebensstandard und das Vertrauen der nicht-sowjetischen Welt in die Bundesrepublik zu gefährden und zu zerstören. ({9}) Wir sind außerdem der Ansicht, daß sich bei der gegebenen geographischen und politischen Lage des deutschen Volkes die Aufstellung deutscher Schutzverbände nicht vermeiden läßt. Der Gedanke der garantierten Neutralität ist absurd. Eine garantierte Neutralität wäre gewissermaßen ebensoviel wert wie Hitlers Garantie der Existenz der Parteien. ({10}) Aber nehmen wir an, es käme wirklich zu einem ernstgemeinten Garantieversprechen der deutschen Neutralität. Dann ist damit noch nicht gesichert, daß eine Verletzung der Neutralität nicht erfolgt. Und wenn dann der Garantiefall eintritt, dann wird es so lange dauern, bis die Befreiung Deutschlands kommt, daß nichts mehr zu befreien ist. ({11}) Ohne militärischen Schutz ist Deutschland schutzlos, und wenn einmal Schutzverbände aufgestellt werden müssen, so ziehen wir die westeuropäische Lösung der Aufstellung nationaler Kontingente vor. Und in Parallele dazu: ohne Vertragspartner wäre die Bundesrepublik hilfloses Objekt nichtdeutscher Politik, und von den möglichen Vertragspartnern ziehen wir die westlichen den östlichen vor. ({12}) Wie ich eingangs sagte, sind wir uns sehr klar darüber, daß der Deutschland-Vertrag das Schwert des Siegers sehr wohl als Gewicht in der Waagschale spüren läßt; aber wir hoffen, wenn auch der ({13}) Pfad steinig und dornig ist, aus dem der Deutschland-Vertrag unser Land aus dem nahezu rechtlosen Zustand des Besatzungsrechts herausführen soll, daß dieser Weg einmal in ein endlich vereinigtes Europa führt. Das ist doch der sehnlichste politische Wunsch des ganzen deutschen Volkes. ({14}) Die überwiegende Mehrheit der Bayernpartei-Abgeordneten nimmt daher eine bejahende Haltung zum Deutschland-Vertrag ein. ({15})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Meine Damen und Herren, wir hatten vereinbart, daß heute um 21 Uhr die Beratungen abgebrochen werden sollten. Ich schlage Ihnen vor, daß wir, wie vorgesehen, morgen um 9 Uhr mit der restlichen Berichterstattung beginnen und daß wir dann in der Aussprache fortfahren. Es ist weiter nach der Vereinbarung im Ältestenrat vorgesehen, daß wir morgen eine Mittagspause von 13 bis 14.30 Uhr machen. Auch morgen ist die Unterbrechung der Beratungen etwa um 21 Uhr beabsichtigt. Ich darf bitten, sich darauf einzurichten. Ich berufe also die 241. Sitzung auf den 4. Dezember 1952, 9 Uhr, und schließe die 240. Sitzung.