Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 232. Sitzung des Deutschen Bundestags und bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Dr. Henle, Frau Dr. Probst, Leibfried, Müller-Hermann, Bazille, Merten, Dr. von Golitschek, Pohle, Ruhnke, Müller ({0}), Dr. Preller, Reitzner, Dr. Dr. Müller ({1}), Frommhold, Jaffé, Strauß, Hoppe, Schill, Dr. Edert, Lemmer, Frau Jaeger ({2}), Frau Dr. Weber ({3}), Gockeln, Mißmahl, Clausen und Mayer ({4}).
Ich danke schön.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden wie üblich ohne Verlesung in das Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Herr Bundesminister der Justiz hat unter dem 30. September 1952 die Kleine Anfrage Nr. 293 der Fraktion der SPD betreffend Bezüge von Aufsichtsräten ({0}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3720 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 23. September 1952 auf Grund des Beschlusses des Deutschen Bundestages in seiner 155. Sitzung über die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes seinen achten Bericht vorgelegt, der als Drucksache Nr. 3721 vervielfältigt wird.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen vorzuschlagen, die Tagesordnung um die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes über den Kapitalverkehr zu erweitern. Der Bericht des Ausschusses wird geschrieben. Ich schlage Ihnen vor, ihn zu beraten, sobald die Verteilung erfolgt ist. - Sie sind damit einverstanden.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der Deutschen Partei eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Art. 102 des Grundgesetzes ({1});
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Etzel ({2}), Dr. Horlacher und Genossen eingebrachten Entwurfs
({3})
eines Gesetzes zur Ergänzung des Art. 102 des Grundgestzes ({4}).
Der Alstestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von insgesamt 20 Minuten und eine Aussprachezeit von 90 Minuten vor. - Das Haus ist damit einverstanden.
Zur Begründung Herr Abgeordneter Ewers!
Ewers ({5}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fast genau auf den Tag vor zweieinhalb Jahren, am 27. März 1950, hatten wir hier im Hause eine sehr langwierige, teilweise sehr leidenschaftliche, meist aber doch sehr in die Materie eindringende Debatte über den Wert oder den Unwert der Todesstrafe. Ich will dringend hoffen und wünschen, daß wir all die Grundsätze, die uns Unterrichteten einigermaßen geläufig sind, heute nicht zu wiederholen brauchen.
Die Frage der Todesstrafe ist seit rund 200 Jahren umstritten. Es gibt ein Für und Dagegen - die Gegner beißen bekanntlich Abolitionisten
es gibt festgefahrene Ansichten, die durch keine
Debatte irgendwie umzustoßen sind,und für „für”
und für „gegen" gibt es theoretisch und rechtspraktisch gute und schlechte Gründe. Wir von der Deutschen Partei haben ,uns geradezu für verpflichtet gehalten, diesen Antrag einzubringen - übrigens in derselben Form wie die Bayernpartei vor 21/2 Jahren -, aus Gründen, auf die ich im Laufe meiner Ausführungen noch eingehen werde und die Ihnen zeigen sollen, warum gerade wir uns dazu besonders legitimiert vorkommen. Wir wollen nicht, daß die Leidenschaft darüber aufgepeitscht wird.
Ich möchte zum Ethos dieses Antrags nur ganz kurz, insbesondere unter Bezugnahme auf einen Aufsatz in der Zeitschrift „Christ und Welt", folgendes sagen. Zweifellos muß die Todesstrafe schon deshalb die Gemüter aufrühren und aufregen, weil sie eben dem Menschenleben ein Ziel auf Erden setzt und weil man zögert, einer irdischen Gewalt das Recht hierzu einzuräumen. Das ist weniger durch geschriebenes Gesetz als durch die Grundeinstellung zum Leben überhaupt begründet, letzten Endes also nur noch religiös zu klären. Der Art. 2 des Grundgesetzes, der den Schutz des Lebens garantiert, kann schon deshalb nicht herangezogen werden, weil das Grundgesetz ja ebenso die Freiheit und das Eigentum gewährleistet und niemand in Zweifel zieht, daß diese beiden Güter, ebenso wie andere allgemeine Menschenrechte, in Form des Strafvollzugs und des Strafrechts angetastet werden können, was ja auch aus der Erklärung der Menschenrechte des Europarats mit aller Deutlichkeit hervorgeht. Wir sind uns klar darüber, daß, wenn wir nach unserem Ethos für die Todesstrafe eintreten, wir auf bestes europäisch-abendländisches Gedankengut zurückgreifen, das selbstverständlich von der Religion her mitbetont ist, nämlich von der Frage, ob dieser Blutzoll, den der Staat verlangt, nicht eine Sühnemaßnahme darstellt, deren ein Staat, wenn er sich nur selbst an der Kandare hält, gar nicht entraten kann. Mehr möchte ich darüber nicht sagen.
Vor 21/2 Jahren hat eine, wenn ich nicht irre, sehr große Mehrheit dieses Hauses beschlossen, über den damaligen Antrag der Bayernpartei zur Tagesordnung überzugehen. Damals, ziemlich genau ein halbes Jahr nachdem wir uns zum erstenmal nach dem
Grundgesetz hier im Hause zusammengefunden hatten, war das der erste Antrag, der am Grundgesetz rütteln sollte, und die Frage der Aktualität gegenüber dem damals vor etwa zehn Monaten beschlossenen Grundgesetz konnte in Zweifel gezogen werden. Damals also war sozusagen die Weihe des Grundgesetzes noch gegeben, die man nicht unnötig ohne aktuellen Anlaß glaubte antasten zu sollen. Heute haben wir seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes den Ablauf von demnächst vier vollen Jahren zu verzeichnen. Wir haben seit der ersten Behandlung dieses Themas zweieinhalb Jahre weiter gelebt und inzwischen nicht nur im Plenum, sondern auch im Rechtsausschuß - leider nur sehr schleppend, aber sehr eingehend - uns mit einer Fülle strafrechtlicher Probleme befaßt und werden uns weiter damit befassen. Der .Tustizminister hat bei der damaligen Debatte erklärt, daß man die Frage nach zweieinhalb Jahren wiederaufgreifen solle. Diese Frist ist jetzt verstrichen. Daher ist es nun erforderlich, zu der Frage erneut irgendeine Stellung zu beziehen.
Der aktuelle Anlaß für meine Partei - ich spreche es unumwunden aus - ist der Fall Halacz aus Verden, von wo aus dieser Verbrecher bekanntlich Dynamitpakete ohne Sinn und Verstand verschickt hat, um von sich reden zu machen, und damit den Tod mehrerer ihm völlig unbekannter und völlig aus dem politischen Leben und seinem Scheinwerferlicht herausgerückter unschuldger Personen und Staatsbürger verschuldet hat. Das hat in den Kreisen dieses Gebietes von Niedersachsen, in dem zufällig Abgeordnete meiner Partei in direktem Wahlgang gewählt worden sind,
({6})
eine unerhörte Erregung hervorgerufen, weil dieser Mensch nicht, wie es sich gehört hätte, für diese Schandtat zum Tode verurteilt worden ist.
({7})
Das ist der erste aktuelle Anlaß. In Verfolg dieser damit begründeten weitgehenden und tiefen, insbesondere von strenggläubigen evangelischen Christen getragenen Erregung hat der Landesverband Niedersachsen ein Bekenntnis zur Todesstrafe in toto abgelegt. Im weiteren Verfolg dieser Erregung erklärt sich der hier heute im Bundestag zur Behandlung stehende Antrag.
Sie sehen schon aus diesem äußeren Anlaß, daß wir als politische Partei in der Tat den Vergeltungsgesichtspunkt, der die Todesstrafe zuletzt allein nur rechtfertigen kann, hier ganz stark hervorheben und damit in Verbindung stellen - allerdings in zweiter Linie; aber auch nicht ohne entscheidende Bedeutung - den Abschreckungscharakter, weniger dagegen den Charakter des Schutzes der Gesellschaft, der auch durch eine hinreichend sichere lebenslängliche Verwahrung erfüllt werden könnte. Für uns scheidet dagegen der sehr oberflächliche und meines Erachtens nicht zu erörternde Gesichtspunkt, daß die lebenslängliche Verwahrung den Staat Geld kostet, vollständig aus. Wenn wir die Todesstrafe nicht aus dem Ethos begründen können, - mit rein materiellen Erwägungen der Staatsfinanzen läßt sie sich unter gar keinen Umständen halten. Wir müssen uns dagegen verwahren, daß derartiges in diese sehr ernste Debatte hineingebracht wird.
Nun lehrt die Wissenschaft - und zwar seitdem mein verehrter Lehrer Professor Liepmann, bei dem ich in Kiel Strafrecht hörte, von Hamburg
({8})
aus als Gegner der Todesstrafe auftrat und seine Meinung wissenschaftlich untermauerte -, daß der abschreckende Charakter der Todesstrafe höchst zweifelhaft sei. Die Statistik, in diesem Falle die Strafrechtsstatistik, will den Nachweis führen, daß nicht erkennbar sei, daß in Ländern mit oder ohne Todesstrafe - ohne Todesstrafe hat bekanntlich Italien jahrzehntelang Justiz getrieben - irgendwie auf die Häufigkeit der Morde ein Einfluß ausgeübt werde. Ich habe gegen diese Statistiken, wenn sie sich nicht auf naturwissenschaftliche Dinge beziehen, von vornherein eine gewisse Skepsis. Ich bekenne das offen und bin der Meinung, daß man auf diese Weise wissenschaftliche Erkenntnisse nicht begründen kann. Es unterliegt keinem Zweifel, daß bei diesen Bestien in Menschengestalt, jenen Massenmördern, die in allen Ländern hier und da auftauchen und ihr fürchterliches Handwerk meistens jahrzehntelang unentdeckt durchführen - Frauen meistens mit Gift, Männer auf andere, meistens noch bestialischere Art - der Abschreckungscharakter überhaupt nicht irgendwie zum Zuge kommt. Man muß also den Verbrechertyp erfassen oder erkennen, muß den einzelnen Fall typisieren, um zu sehen, welche Rolle der Abschreckungscharakter spielt.
Was die Angelegenheit Halacz oder den Fall des bisher nicht gefaßten Täters der Münchener Dynamitverschickung anlangt
({9})
- ich bitte, mich nicht zu unterbrechen -,
({10})
so ist erkennbar, daß hier irgendwie ein unerhörter und sinnloser Leichtsinn eine Rolle spielt. Eine Tat wird in die Wege geleitet, deren Erfolg außer einer ungeheuren öffentlichen Beunruhigung ohne jeden Nutzen für den Täter zu sein scheint. Es sind also Handlungen von Abenteurern meist im jugendlichen Alter von unter 30 Jahren vermutlich, die mit solchen Beunruhigungen eines im Werden begriffenen Staates irgendwelche dunklen Zwecke glauben verbinden zu können. Wie auf einen solchen Typ von Menschen der Umstand wirkt, daß sie, wenn sie ertappt werden, Gefahr laufen, aus dem Leben befördert zu werden, ist unerforscht, auch von der Wissenschaft. Erforscht ist aber, daß die übrigen Morde, die wir heute, ich hätte beinahe gesagt, an der Tagesordnung sehen, wiederum meistens von Jugendlichen unter 30 Jahren, vielleicht von älteren Herrschaften angeleitet, begangen werden, die den Typ der amerikanischen Gangster verwirklichen wollen, die amerikanisches Gangstertum in mitteleuropäisches Gelände einführen, um in Bankfilialen, in alleinstehenden Häusern oder bei sonstigen Gelegenheiten kümmerlichste Raubmorde zu begehen, „kümmerlich" deshalb, weil der Ertrag an Bargeld meistens in einem erschreckenden Mißverhältnis zu der Schwere des begangenen Verbrechens steht.
Über die Kriminalität dieser Jugendlichen hat Herr Justizrat Wagner bei jener Debatte vor zweieinhalb Jahren Ausführungen gemacht, die vom ganzen Haus mit Beifall aufgenommen worden sind. Er hat auf die entsetzliche Sittenverderbnis, die die Presse anrichtet, Bezug genommen. Diese Ausführungen möchte ich in seinem Sinne durch den Hinweis auf das verfluchte Kino ergänzen; denn Gangsterfilme sind ja für solche Aktionen leichtsinniger, verbrecherischer Indianerhaftigkeit geradezu Lehrfilme. Diese jugendlichen Typen - das ist aus einer Fülle von Fällen erwiesen, seien es die Mörder bei dem Bankraub in Frankfurt, die jetzt in Frankreich eine Vorstrafe verbüßen, seien es die Mörder aus Ahrensburg, die in der vorigen ' Woche in Lübeck zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt worden sind - sind durch eine Strafabschreckung sehr wohl zu packen. Wir brauchen also, um zu sehen, ob im Interesse des Schutzes der Gesellschaft nicht nach einem begangenen Mord, sondern vor der Ausführung eines geplanten Mordes die Todesstrafe nötig ist, eine genaue Darstellung des Ministeriums über alle seit etwa zwei bis zweieinhalb Jahren zu sehr schweren Freiheitsstrafen verurteilten Mörder. Dann erst können wir erkennen, ob und inwieweit durch die Einführung der Todesstrafe an den gegenwärtig beängstigenden Zuständen irgend etwas geändert werden kann. Dabei ist interessant, wenn es vielleicht auch nur ein kleines Schlaglicht auf die Sache wirft, daß von diesen beiden Jungens aus Ahrensburg einer bei der Vernehmung vor dem Schwurgericht in Lübeck um die Todesstrafe direkt gebeten hat, daß er jedenfalls die Todesstrafe dem lebenslänglichen Zuchthaus mit seinen, ich glaube, 24 Jahren bei weitem vorzog, ein typisches Zeichen dafür, - ({11})
- Das ist durchaus ein Beweis für die abschreckende Wirkung! Hätte er vorher gewußt, daß die Tat seinen Kopf kosten kann, hätte er sich wohl gar nicht in die Lage versetzt, seinen Tod zu ersehnen; das kann ich Ihnen versichern. Diese Dinge hängen psychologisch - nicht für den Materialisten, aber für denjenigen, der Tiefenpsychologie kennt - sehr eng zusammen, und ich sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren: diese Frage bedarf angesichts der Beunruhigung weitester Kreise der Öffentlichkeit einer nicht statistisch-wissenschaftlichen, sondern einer die einzelnen Fälle betrachtenden genauesten Nachprüfung. Wir jedenfalls erklären: die Volksstimmung verlangt aus dem christlich betonten Grundsatz der Vergeltung, daß der Staat von seinen Machtmitteln letzten Endes in bestimmten Fällen Gebrauch macht. Und im Hintergrunde steht die Erwägung: vielleicht werden wir dadurch vor Wiederholung solcher Verbrechen geschützt. Ob dieses „vielleicht" zutrifft, bedarf der Prüfung.
Und nun zu unserm Antrag und dem Antrag, den die Herren aus Bayern gestellt haben. Wir wollen mit unserm Antrag heute und hier nicht die Todesstrafe wieder einführen; wir wollen nur das Hemmnis des Grundgesetzes beseitigen. Die Frage muß aufgeworfen werden - und sie ist im Parlamentarischen Rat aufgeworfen worden -, ob ein provisorisches Verfassungsrecht richtig daran tat, diese Spezialfrage aus dem Strafrecht im Rahmen der Rechtsbestimmungen zu einem Verfassungsgrundsatz zu erheben. Dergleichen ist, soweit ich sehe, allen Kulturstaaten fremd. Die Todesstrafe wird dort gesetzlich ausgesprochen, wohin sie gehört, im Strafrecht oder seinen Nebengesetzen; sie wird nicht als verboten oder erlaubt in einem Staatsgrundgesetz - wohin sie nicht gehört - festgelegt. Wir sind der Meinung, daß, gerade wenn das Grundgesetz nur ein Provisorium sein will - und das betont das Grundgesetz -, es nicht der Weisheit letzter Schluß war, in diesem Provisorium diese Spezialfrage zu verankern. Wir haben Verständnis dafür, daß es geschah; denn es ist geschehen in Reaktion auf das entsetzliche Hinrichtungsmorden des „Dritten Reiches". Wir verstehen durchaus, daß nach dieser Zeit eine andere kommen sollte. Aber wir fragen Sie und uns: ist damit nicht der alte deutsche Fehler wiederholt,
({12})
daß man immer von einem Extrem ins andere fällt, wo doch die Wahrheit und Weisheit, wie wir alle wissen sollten, immer der mittlere Weg ist, wo doch weder rechts tiefe Nacht noch links große Helligkeit herrscht, sondern wo eben jenes dem menschlichen Verstehen, seinem Gemüt und seiner Kultur allein entsprechende angenehme Dämmerlicht waltet. Dieses Umfallen von ganz tot bis ganz lebendig scheint uns ein nur durch die revolutionären Zustände bedingtes Überschreiten der Abwehr zu sein. Es ist deswegen typisch, daß der erste deutsche Verfassungsentwurf von 1849 ebenfalls als einzige Verfassung ihrer Art schon den gleichen Grundsatz hatte. Das ist aus den vormärzlichen Ideengängen nach der Reaktionszeit zu verstehen; man wollte von der Willkür monarchischer Diktate absehen und war - leider vergeblich - bestrebt, eine neue, bessere Epoche herbeizuführen. Immer nur dann, wenn in diesem Sinne politische Leidenschaften und Abwehrkräfte groß geworden sind, schießt man so über das Ziel hinaus.
Ich möchte betonen: wir haben politisch nichts gegen die Gegner der Todesstrafe. Wir glauben sogar, daß der eine oder andere nachdenkliche Herr in unseren eigenen Reihen, der Deutschen Partei nämlich, wohl auch heute noch für die Abschaffung der Todesstrafe eintreten würde. Aber wir meinen, daß wir die Gefahr der Stunde verkennen und mißachten würden, wenn wir uns auf den Standpunkt stellten: es muß alles so bleiben.
Gegen den Gesetzentwurf der Herren aus Bayern habe ich einzuwenden, daß hier versucht wird, die Todesstrafe für zwei Dinge einzuführen, während die Frage offenbleibt, ob sie nicht bei einer gewissen Art von Landesverrat ebenfalls am Platze ist
({13})
- denn der Landesverrat gefährdet ja Hunderttausende -, ob sie nicht z. B. bei den Sprengstoffdelikten, bei denen kein Mord beabsichtigt war, aber in Kauf genommen wurde, mindestens berechtigt ist. Das Umgehen mit Sprengstoffen ist eine Gefährdungshandlung, deren Gefahr auch der dümmste Junge kennt.
({14})
- Lassen Sie mich mit dem Generalvertrag hier ungeschoren! - Ich sage Ihnen: mir ist das zu eng. - Die Frage, wieweit die Todesstrafe eingeführt werden soll, mögen wir der Spezialgesetzgebung überlassen. Darüber wird immer nur die Mehrheit dieses Hauses entscheiden können.
Weiterhin ist es meines Erachtens, wenn wir die Todesstrafe ermöglichen, nötig, daß wir uns überlegen, ob wir nicht die Bestimmung aufnehmen sollten, daß auf die Todesstrafe nur erkannt werden kann, wenn das Gericht einstimmig die Todesstrafe für die allein mögliche Sühne der Straftat hält. Diese Frage bedarf auch der gesetzgeberischen Erwägung. Ich möchte dazu heute kein weiteres Wort sagen. Ich möchte nur nicht, daß wir im Rahmen des Grundgesetzes, wohin so etwas nicht gehört, Bestimmungen darüber treffen, wie der Gesetzgeber in Zukunft mit dem sehr delikaten und schwierigen Mittel der Todesstrafe, wenn er will, verfahren soll. Daß er sie überhaupt wieder einführen wird, ist bei Annahme unseres Antrages noch keineswegs gesagt.
Ich habe zu beantragen, daß die beiden vorliegenden Anträge dem Rechtsausschuß überwiesen werden. Ich wäre dankbar, wenn wir, wie gesagt,
heute nicht die gesamte Debatte des 27. März 1950
zu wiederholen brauchten. Der Antrag ist nur aus einer Notlage zu verstehen, über die die jüngere Vergangenheit alle Deutschen belehrt haben sollte.
({15})
Zur Begründung des Antrages der Herren Abgeordneten Dr. Etzel und Genossen hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Etzel.
Dr. Etzel ({0}) ({1}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre ein billiger Triumph, ironische Genugtuung darüber zu empfinden, daß der Antrag der Bayernpartei aus dem Jahre 1950, über den das Hohe Haus zur Tagesordnung übergegangen ist, nun von einer Fraktion der Regierungsparteien wiederholt worden ist. Dazu ist das an die Grundlagen des menschlichen Seins und der im Staat organisierten Gesellschaft rührende Problem zu ernst und zu düster. Ich habe auch nicht die Absicht, die rechtsphilosophischen und rechtspolitischen, die soziologischen und die theologischen Darbietungen zur Frage der Wiedereinführung der Todesstrafe, die schon in der Debatte des 27. März 1950 bis zum Rande gemacht worden sind, noch um einige weitere zu vermehren. Ich will weder auf die Sicherungs- noch auf die Abschreckungs-, die Sühne- und die Besserungstheorie noch auf den Einwand des möglichen Justizirrtums und das Gebot „Du sollst nicht töten!" noch auf die listige Vexierfrage: „Wo ist der Henker, wer macht den Henker?" eingehen. Ich will auch nicht Untersuchungen anstellen über die soziale Situation eines Mörders, seine seelische - materialistisch ausgedrückt -, seine endokrine, innersekretorische Pathologie und das Verhältnis zu seinem Opfer: „Der Ermordete, nicht der Mörder ist schuld!" Ich darf nur feststellen, daß zwei Jahre genügt haben, um einen bemerkenswerten Wandel in den Anschauungen herbeizuführen. Viele sind nachdenklich geworden und fragen sich, ob nicht die völlige Abschaffung der Todesstrafe durch den Parlamentarischen Rat, die unter dem noch frischen Eindruck der furchtbaren Herrschaft und Arbeit des nationalsozialistischen Fallbeils erfolgt ist, übereilt war. Ich möchte mir nicht die Ansicht zu eigen machen, daß parlamentarische und sonstige parteipolitische Kreise erst durch tatsächlich oder vermeintlich politische Attentate, als es nicht mehr nur um Opfer aus der anonymen Masse, sondern um Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ging, geneigt wurden, ihren bisher ablehnenden Standpunkt zu überprüfen und zu ändern. Diese Wandlung in den Anschauungen einer erschreckten Öffentlichkeit ist doch wohl schon durch die sich massenhaft häufenden Morde und die besondere Bestialität, die besondere Intensität und Schauerlichkeit des verbrecherischen Willens, womit sie ausgeführt wurden, durch die Fälle Pleil, Liebenow und viele andere herbeigeführt worden. Ich bin gewiß, daß gar manche Ausführungen in der Debatte des März 1950 anders ausgefallen oder unterblieben wären, auch sehr verletzende Äußerungen des Herrn Sprechers der Regierungsbank, wenn damals schon mehr Abstand zu dem tatsächlichen Geschehen während der vorausgegangenen Ära gewonnen gewesen wäre und die Erfahrungen der letzten Jahre vorgelegen hätten.
Unser Gesetzesvorschlag will die Bahn für die Möglichkeit öffnen, die Todesstrafe bei den schwersten Gewaltverbrechen, denen des Mordes und des
({2})
Menschenraubs, anzudrohen und auszusprechen. Im Zuge einer großen Strafrechtsreform wird zu prüfen und zu entscheiden sein, ob die auf das Gesetz vom 4. September 1941 zurückgehende gegenwärtige Fassung des Straftatbestandes des § 211, welche die frühere Fassung wesentlich geändert hat, beibehalten werden kann. Das verdammungswürdige Verbrechen des Menschenraubs ist zwar in § 234 nur mit Zuchthausstrafe bedroht. Gleichwohl könnte es angebracht erscheinen, auch für diese Handlung die Androhung der Todesstrafe zuzulassen. Dadurch, daß unser Antrag die Abschaffung der Todesstrafe bestehen läßt und Ausnahmen nur für zwei normierte verbrecherische Tatbestände zuläßt, beugt er einem Abgleiten in eine Strafgesetzgebung nach Art der Republikschutzgesetze oder der nationalsozialistischen Gesetzgebung vor, also der Androhung und Verhängung der Todesstrafe für politische Tatbestände, wie dies vor einigen Monaten auch in der Türkei geschehen ist. Nur der Mord im juristischen Sinne, nur der Gewaltverbrecher gegen die höchste göttliche und menschliche Satzung, nicht die Tat gegen eine staatliche Grundordnung, gegen ein politisches System und Regime, soll mit dem Tode bestraft werden können.
Gewiß bleibt bei der Stellungnahme zu einem so ernsten, vielschichtigen und verwickelten, ja geradezu metaphysischen Problem immer ein ungelöster Rest. Aber ich darf wohl der Meinung Ausdruck geben, daß schwerwiegende Gründe für eine Regelung im Sinne unseres Gesetzesvorschlags sprechen.
Namens der Antragsteller bitte ich das Hohe Haus, unseren Gesetzesvorschlag auf Drucksache Nr. 3702 zusammen mit jenem auf Drucksache Nr. 3679 an den 23. Ausschuß - für Rechtswesen und Verfassungsrecht - überweisen zu wollen.
({3})
Ich eröffne die Aussprache über beide Anträge im Rahmen der allgemeinen Redezeit von 90 Minuten. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weber ({0}).
({1})
- Ich bitte um Entschuldigung. Zunächst der Herr Bundesminister der Justiz!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann die bedeutsame Frage der Todesstrafe nicht obenhin, bestimmt auch nicht aus irgendeinem dumpfen Gefühl heraus entscheiden. Gestatten Sie mir daher, daß ich Ihnen für ihre Aussprache einige Gesichtspunkte aufzeige, die ich für bedeutsam halte, und Ihnen einschlägige Unterlagen gebe.
Man sieht das Problem der Todesstrafe nur richtig, wenn man es in seinem geschichtlichen Ablauf, in seiner Entwicklung betrachtet. Die Todesstrafe beruhte ursprünglich auf Blutrache, auf heidnischem Kultopfer, ist nach der Christianisierung des Abendlandes zurückgedrängt worden und hat dann im Mittelalter einen Höhepunkt erreicht. Zahlreiche Taten, die uns heute als Lappalien erscheinen, sind in diesen Zeiten mit dem Tode gesühnt worden. Diebstahl ganz geringfügiger Art, Fälschung von Münzen, Gewichten, Maßen, Gotteslästerung, - alle diese Taten führten zum Galgen.
In England - es ist ganz interessant, sich das zu vergegenwärtigen - sind noch 1810 Ladendiebstähle bei einem Objekt über 5 Schillinge mit dem (c Tode bestraft worden, und noch 1835 wurden Entwendungen von Briefen bei der Post mit dem Tode bestraft.
Zahllose Todesurteile sind vollstreckt worden. Die Zahlen der Menschen, die dem Henker verfielen, sind wissenswert. Unter Heinrich VIII. sind 72 000, unter Elisabeth 89 000 Todesurteile gefällt worden.
In Deutschland soll der Inhaber des Leipziger Schöffenstuhls, Benedikt Carpzow, allein von .1652 bis 1660 rund 20 000 Todesurteile gesprochen haben. Ein Nürnberger Scharfrichter am Anfang des 16. Jahrhunderts hat in zwanzig Jahren 1159 Todesurteile vollzogen. Ich brauche Sie nicht daran zu erinnern, was für Strafen damals noch hinzukamen: die Folter, das Rädern und vieles andere.
Ich erinnere - das ist wichtig, wenn man ein klares Bild gewinnen will - daran, daß die Todesstrafe ursprünglich der Abschreckung wegen öffentlich vollzogen wurde, auf Marktplätzen, auf Straßen, gewöhnlich in der Form eines Volksfestes. Auch das liegt nicht allzuweit zurück. In Preußen war noch 1805 nach der preußischen Kriminalordnung der Lehrer verpflichtet, seine Kinder zu den Hinrichtungen zu führen.
Erst in der Zeit der vielgescholtenen Aufklärung hat sich ein Wandel vollzogen; es waren ja nicht die schlechtesten Geister, die hier nach einer Änderung gerufen haben, besonders Thomas Morus in seiner „Utopia". Die Söhne der Maria Theresia - man muß diesen Namen nennen -, Josef II. in Österreich und Leopold I. in Toscana, haben schon 1786/87 die Todesstrafe in ihren Ländern abgeschafft. Dann kamen wieder Rückschläge; aber seit dieser Zeit - mit Recht sagte Herr Kollege Ewers: seit 200 Jahren - ist dieses Problem strittig. Ich
möchte aber darüber hinaus sagen, daß sich seit dieser Zeit eine Entwicklung vollzogen hat, die zu einer ständig zunehmenden Einengung der Todesstrafe führte. Die grausamen Vollzugsformen sind vollkommen verschwunden; der Vollzug in der Öffentlichkeit hat aufgehört.
Eine ganze Reihe europäischer und außereuropäischer Staaten hat die Todesstrafe abgeschafft: Rumänien 1865, Portugal 1867, Holland 1870, Schweiz 1874, Italien 1890, Norwegen 1905, Osterreich 1920, Schweden 1921, Dänemark 1930, Spanien 1932, in Amerika zwischen 1847 und 1915 acht Staaten und dann in Mittel- und Südamerika zwischen 1873 und 1929 eine Reihe von Staaten: Mexiko, Guatemala, Costarica, Honduras, Columbien, Nicaragua, Brasilien, Argentinien, Ekuador, Venezuela, Peru und Uruguay. Andere haben von dem Vollzug der Todesstrafe restlos abgesehen, vor allem Finnland schon seit Anfang und Belgien seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Ich glaube also nicht, daß es ganz richtig ist, wenn Herr Kollege Ewers den Vorwurf erhebt, man sei von einem Extrem ins andere gefallen. Vielmehr ist das eine Frage - mit Recht haben das die beiden Herren betont -, die die Menschen zutiefst berührt und auf alle Gebiete unseres Lebens greift.
Wo die Todesstrafe nicht abgeschafft worden ist, ist sie auf ganz wenige Verbrechenstatbestände beschränkt worden; auch bei uns in Deutschland wurde sie in dem Strafgesetzbuch von 1871 nur auf Mord, Hochverrat und einen bestimmten Tatbestand der Sprengstoffdelikte beschränkt. Aber auch bei uns hat sich darüber hinaus eine ganz intensive Auseinandersetzung mit dem Problem
({0})
der Todesstrafe vollzogen, nicht nur literarisch, sondern auch politisch. Hier darf ich Herrn Kollegen Ewers ergänzen: nicht nur das PaulskirchenParlament hat sich 1848 zu der Abschaffung der Todesstrafe bekannt, sondern auch die Preußische Nationalversammlung, beide übrigens ungefähr mit der gleichen Stimmenzahl von 60 °/o. Ausgenommen wurden damals nur bestimmte Fälle des Kriegsrechts. Tatsächlich - das wollen wir auch nicht vergessen - ist nach den Frankfurter Beschlüssen in Sachsen, in Württemberg, in Baden, in Hessen, in Oldenburg, in Braunschweig, in Hamburg, in Bremen und in einigen anderen kleineren deutschen Staaten die Todesstrafe abgeschafft worden. Nur Österreich, Bayern und Preußen haben davon abgesehen; es ist Ihnen überlassen, daraus Schlüsse zu ziehen.
Schon 1863 hat ein Deutscher Juristentag - damals in Mainz -, an dem bedeutendste Rechtslehrer teilgenommen haben, ich muß schon sagen: - die Fixsterne unseres Juristenhimmels -, Ihering, Planck, Gneist, von Wächter und Merkel, mit überwiegender Mehrheit die Abschaffung der Todesstrafe verlangt. Es ist interessant, daß sich auch noch bei den Verhandlungen zur Zeit des Norddeutschen Bundes der Reichstag in den ersten beiden Lesungen für die Abschaffung der Todesstrafe entschieden hat. Dann hat sich in einer geschichtlich gewordenen Rede am 1. März 1870 Bismarck mit seinem ganzen Gewicht in diese Debatte geworfen, und daraufhin hat sich eine relativ kleine Mehrheit - 127 zu 119 Stimmen - für die Beibehaltung der Todesstrafe entschieden. Aber auch damals ist von Bismarck selbst gesagt worden, daß diese Entscheidung keine endgültige sein solle, sondern daß man die Entwicklung abwarten wolle.
In Deutschland ist danach in dieser Frage eine gewisse rückläufige Entwicklung eingetreten. Der Juristentag 1910 in Danzig und der Juristentag 1912 in Wien haben sich für die Beibehaltung der Todesstrafe eingesetzt. Es ist aber sehr interessant, daß auch die strafrechtliche Abteilung des Juristentages in Wien sich in der Abstimmung nur mit 159 zu 158 Stimmen für die Beibehaltung entschied.
Die Entwürfe eines neuen Strafgesetzbuches in der Folgezeit haben keine eindeutigen Ergebnisse gezeitigt. In der Weimarer Nationalversammlung wurde die Beibehaltung der Todesstrafe mit 153 zu 128 Stimmen beschlossen. Sehr interessant ist, daß damals ein Mann eine ganz entscheidende Rolle gespielt hat, dem begegnet zu sein, ich mir immer noch als großen Gewinn anrechne: Geheimrat Kahl, der große Strafrechtler und Vorsitzende des Rechtsausschusses im Reichtstag. Er war der Mann, der auf dem Juristentag in Wien 1912 die entscheidende Rede für die Beibehaltung der Todesstrafe gehalten hat und dann im Laufe der Jahre doch zum Gegner der Todesstrafe geworden ist. Es trifft nicht zu, was Herr Abgeordneter Ewers sagt, daß es hier nur festgefahrene Meinungen gäbe. Es wäre trübe, wenn es in diesem Punkt nicht den Willen gäbe, den Dingen nachzugehen und diese schwierigen Fragen, die ja wirklich religiöse, weltanschauliche, kriminalpolitische sind, ernstlich zu erwägen. Ich meine, es gilt, besonders die Stimme derer zu hören, die sich mit diesem Problemen intensiv abgegeben haben. Wenn ein Mann wie Kahl, ein Mann mit der höchsten Einsicht in die Rechtswissenschaft, in die Rechtspolitik und in die allgemeine Politik im Lauf seines Lebens seine Anschauung wandelt, so ist das, glaube ich, für uns eine ernste Mahnung.
Die Dinge sind dann in der Weimarer Verfassung
so weitergegangen, daß sich der Reichsjustizminister Koch-Weser im Jahre 1928 auf Grund einer allgemeinen Enquête bei im Geistesleben hervorragenden Deutschen veranlaßt gesehen hat, die Landesregierungen zu ersuchen, von der Vollstreckung der Todesstrafe bis zu einer einheitlichen reichsrechtlichen Regelung abzusehen. Danach hat sich der zuständige Rechtsausschuß im Oktober 1928 für die Abschaffung der Todesstrafe entschieden. Aber man hat sich nicht endgültig einigen können, und die Dinge sind am Ende liegengeblieben.
Die Entwicklung nach 1933 ist Ihnen bekannt. Italien hat im Jahre 1931 unter dem Eindruck der faschistischen Lehre die Todesstrafe wieder eingeführt, ist aber in der Anwendung sehr zurückhaltend geblieben. In Deutschland sind schon im Jahre 1934 mehr Menschen hingerichtet worden als in der gesamten Zeit von 1924 bis 1933. Und wie dann die Guillotinen und Galgen ihre Tätigkeit gesteigert haben, - Sie wissen es ja alle. In den Jahren 1933 bis 1945 sind in Deutschland rund 16 500 Todesurteile gefällt worden,
({1})
davon in den Kriegsjahren rund 15 900, die überwiegend vollstreckt worden sind. Ein einziger Scharfrichter in München, Reichhart, hat in den Jahren von 1933 bis 1945 2948 Hinrichtungen vorgenommen.
({2})
Der Parlamentarische Rat hat sich dazu entschlossen, die Todesstrafe in dem Grundgesetz abzuschaffen. Der Herr Kollege Ewers sagt, das sei nicht der Weisheit letzter Schluß gewesen. Ich will zugestehen, daß die Dinge dort nicht in allen Einzelheiten durchdacht worden sind und daß wir zweifellos im Parlamentarischen Rat unter dem Reflex der Ereignisse der Jahre vorher gestanden sind. Ich vergesse nicht, daß die leidenschaftlich bewegte Rede unseres Herrn Kollegen Wagner damals viele in ihren Bann schlug und daß ein Teil des Parlamentarischen Rates die zweifellos auch damals vorhandenen Hemmungen zurückstellte und sich für den Antrag des Herrn Justizrats Wagner entschied.
Es ist irrig, wenn Herr Kollege Ewers sagt, daß in keinem anderen Staat die Abschaffung der Todesstrafe in die Verfassung aufgenommen worden sei. Über die Zweckmäßigkeit kann man durchaus streiten. Ich hatte damals meinerseits auch Bedenken, diese Frage im Grundgesetz zu klären; aber diesen Weg ist eine ganze Reihe von Staaten gegangen: Italien, Österreich, Portugal, Schweiz, Nicaragua, Kolumbien, Ekuador und Uruguay haben alle in ihrer Verfassung die Todesstrafe abgeschafft. Bei der Bedeutung der Frage hat das vielleicht einen gewissen Sinn.
Die Herren Ewers und Dr. Etzel haben vollkommen recht, daß zunächst die Beurteilung des Problems der Todesstrafe eine Frage der Weltanschauung wie auch der Religion ist. Deshalb werden Grundfragen beantwortet werden müssen und verschieden beantwortet werden können, so die Fragen: Hat der Staat das Recht, das Leben eines Menschen zu vernichten, hat der Staat das Recht, einem Menschen zuzumuten, andere Menschen berufsmäßig zu töten? Je nach der Weltanschauung des einzelnen wird die Antwort verschieden aus({3})
fallen. Dabei spielt eine wesentliche Rolle, wie man sich zum Tode stellt, ob man ihn, wie damals Bismarck in seiner Rede am 1. März 1870, als „Janua vitae", als Tor des Lebens sieht oder ob man in dem Tod ein absolutes Auslöschen oder ein ungeklärtes Mysterium sieht.
Noch bedeutsamer ist vielleicht die Frage, welche Rolle man dem Staate zubilligt, vor allem ob man den Satz, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, dahin auslegt, daß hinter dem Staat Gott steht. In der bayerischen Verfassung ist der klassische Satz: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" aus dieser Erwägung vermieden worden. Man hat erklärt, das Volk sei nur der Träger der Staatsgewalt, aber alle Gewalt sei bei Gott. Es handelt sich also um die Frage, ob man annimmt, daß das Volk seine Staatsgewalt von Gott habe, daß in dem Staate und hinter dem Volke Gott stehe, oder ob man in dem Volk und damit hinter dem Staat nur eine irdische Staatsgewalt und im Staate lediglich Menschenwerk sieht.
Kollege Ewers hat den Artikel in „Christ und Welt" zitiert, in dem man so weit geht, daß man sagt, nur ein theokratischer Staat dürfe die Todesstrafe verhängen, nur d e r Staat dürfe dem Menschen das Leben nehmen, der „deum imitatur", der Gott nachfolgt, der Gott in seinem Werke nachahmt. Es würde zu weit führen, diese Dinge hier vertiefen zu wollen. Auch Bismarck war dieser Anschauung. Seine Argumentation in seiner damaligen Rede war: eine menschliche Kraft, die keine Rechtfertigung von oben in sich spürt, ist zur Führung des Richtschwertes nicht stark genug.
Der dritte entscheidende Punkt in der weltanschaulichen Bewertung ist wohl, wie man die Würde, das Gewicht des einzelnen Menschen im Verhältnis zu Staat und Volk bewertet. Hitler hat den einzelnen verachtet, er hat nur der Masse einen Wert gegeben und ist deswegen über die Leichen von vielen Tausenden geschritten.
Alle diese Grundfragen lassen aber - das müssen wir zugestehen - verschiedene Antworten zu, so daß das Ja oder das Nein zur Frage der Todesstrafe nicht nur von der Weltanschaung her gefunden werden kann. Tatsächlich ist es ja so, daß sich Befürworter und Gegner der Todesstrafe von jeher in allen geistigen und politischen Lagern finden.
Ich darf vielleicht auch in diesem Zusammenhang sagen, daß die Haltung des Christentums zu diesem Problem in keiner Weise einheitlich ist. Zitate aus dem Alten Testament lassen sich ohne weiteres f ü r die Todesstrafe verwerten, Zitate aus dem Neuen Testament, ich meine vor allem die geistige Grundhaltung des Neuen Testaments, g e g en die Todesstrafe. Es kommt darauf an, wie man die Akzente setzt; danach wird die Antwort verschieden ausfallen. Ich darf nur erwähnen, daß z. B. die Waldenser die Todesstrafe als unsittlich verworfen haben, daß aber Papst Innozenz III. dagegen Verwahrung eingelegt hat.
Es gibt noch einige Tatsachen, die nicht uninteressant sind. In der Paulskirche haben von 14 protestantischen und katholischen Geistlichen 9, darunter immerhin der spätere Bischof von Ketteler, für die Abschaffung der Todesstrafe gestimmt. In der Preußischen Nationalversammlung stimmten von 38 Geistlichen 31 für die Abschaffung der Todesstrafe.
Darf ich ein Wort von Ernst Moritz Arndt in der Paulskirche zitieren. Er sagte: „Der Verbrecher, der morgen hingerichtet wird oder nach 30 Jahren ( stirbt, mag vielleicht besser sein als sein Beichtvater oder als der Oberrichter, der ihn verurteilt hat. Das ist auch der christliche Glaube."
Bei Erörterung des Problems wird viel mit der Volksüberzeugung gearbeitet. Auch ein Mann wie Kahl hat bei seinem Referat in Wien die Volksüberzeugung in den Vordergrund gestellt. Die verehrten Herren Kollegen haben ebenfalls darauf verwiesen. Darf ich ein ketzerisches Wort sagen: Ich glaube, man verkennt das Wesen der Demokratie, wenn man glaubt, das Parlament sei der Exekutor der Volksüberzeugung. Ich meine, das Wesen der repräsentativen Demokratie ist ein anderes, es ist das der parlamentarischen Aristokratie. Die Parlamentarier haben die Pflicht und die Möglichkeit, aus einer größeren Einsicht, aus einem besseren Wissen zu handeln, als es der einzelne kann.
({4})
Ich möchte auch meinen: wer das hohe Mandat der Volksvertretung hat, wird am Ende eine größere Charakterstärke haben, die notwendig ist, um eine wichtige Frage unseres Volkes richtig zu entscheiden.
Es kann keine Rede davon sein, daß die Volksüberzeugung einheitlich sei. Es gibt j a diese Volksbefragungen. Das Gallup-Institut hat 1936 in Amerika eine Mehrheit von 61 °/o für die Todesstrafe errechnet, das demoskopische Institut in Allensbach im März 1949 eine Mehrheit von 74 %. Auf der andern Seite haben Volksabstimmungen in der Schweiz und in einzelnen Staaten Nordamerikas Mehrheiten für die Abschaffung der Todesstrafe ergeben. Die Volksmeinung schwankt, sie ist von Stimmungen und von bestimmten Reizen abhängig. Unter dem frischen Eindruck von Gewaltverbrechen und Mordtaten fordert sie die Todesstrafe. Es scheint, daß Kollege Ewers stark unter dem Eindruck der Untat des Attentäters Halacz steht. Aber es gibt auch andere Stimmungen. Als Sacco und Vanzetti
({5})
vor dem elektrischen Stuhl standen, da hat sich eine ganze Welt gegen die Vollstreckung der Todesstrafe aufgebäumt.
({6})
Ich könnte viele Fälle zitieren, z. B. zu Zeiten Voltaires die Justizmordaffäre Calas, die die Gemüter damals erregt hat.
Ich muß auf jeden Fall für mich sagen: als ich um das Leben der durch die Militärgerichte Verurteilten rang, da habe ich mich auf das Grundgesetz bezogen und habe gesagt: ihr - die Amerikaner - dürft nicht mehr vollstrecken, weil es hier auf deutschem Boden keine Todesstrafe mehr gibt, und ich würde mich mit meiner eigenen Haltung in Widerspruch setzen, wenn ich jetzt einen anderen Standpunkt einnähme.
({7}) Wenn wir heute in der Zeitung gelesen haben, daß die niederländische Königin den letzten zum Tode verurteilten Deutschen Willy Lages begnadigt hat, - haben wir das gebilligt oder verurteilt?
({8})
Auch hier, meine ich, wirken Stimmungen in ganz wesentlicher Weise mit.
Wir haben einige Jahrzehnte Psychoanalyse hinter uns. Ich meine, manches hat sie immerhin
({9})
aufgeklärt. Sieht man von den aktuellen Reizen ab, so bleiben für die sogenannte Volksüberzeugung irgendwelche Residuen, die im Blute liegen, noch wirksam, Reste der früheren Entwicklungsstufen. Das sind Stimmungen, die sich einer rationalen Kontrolle entziehen, bei dem einfachen Menschen noch mehr als bei dem geistig differenzierten Menschen. Der Psychoanalytiker sagt uns, daß in jedem Menschen der Drang zur Vernichtung, zur Zerstörung liegt und daß man diesen Drang noch auf den anderen, vielleicht sogar auf den Staat zu übertragen versucht. In einem sehr interessanten Gutachten des Juristen Liepmann, das er für den Wiener Juristentag erstattet hat, wird gesagt, daß der Anhänger der Todesstrafe überall unter dem Einfluß ererbter Gefühle kämpft. Vielleicht wollen wir uns diesen Satz hei der Behandlung des Problems vor Augen stellen.
Man operiert manchmal mit der Erwägung, die Abschaffung der Todesstrafe würde zu Verdrängungen führen und am Ende in der Lynchjustiz endigen. Tatsache ist, daß dort, wo gelyncht wird, am meisten gehängt oder hingerichtet wird.
({10})
Das ist - so viele Bedenken man auch mit dem Herrn Kollegen Ewers gegen Statistiken haben muß - eine unbestreitbare Tatsache.
Schmerzlich hat es mich berührt, daß Herr Kollege Ewers, der mit Recht seine ethische Haltung in den Vordergrund gestellt hat, das Vergeltungsprinzip, die Talionstheorie aufstellt, daß man Gleiches mit Gleichem vergelten müsse.
({11})
Ist das möglich? - Es ist praktisch und ethisch un- möglich, Herr Kollege Ewers. Wir wissen, wir können bei keinem Sittlichkeitsdelikt Gleiches mit Gleichem vergelten. Auch in diesem Zusammenhang ein Zitat des Juristen Merkel, das ich für sehr richtig halte. Er sagt: „Die Strafe soll nicht den Geist der Elemente sniegeln, die sie bekämpft, sondern derer, die berufen sind, jene emporzuziehen."
({12})
Man hat weiter die Todesstrafe als Notwehr- recht des Staates zu rechtfertigen versucht. Davon kann keine Rede sein, soweit es sich um einen einzelnen Mordfall handelt. Die Konstruktion, daß der Ermordete sein im Augenblick des Angriffs gegebenes Notwehrrecht dem Staate abtrete, der es dann in der Hinrichtung anwende, ist meiner Meinung nach nicht haltbar. In Betracht käme eine derartige Rechtfertigung nur bei einer großen Anzahl von Anschlägen, die letztlich gegen die Gemeinschaft gerichtet sind. Deswegen hat auch in bestimmten Einzelfällen das Frankfurter Parlament, wie auch die Schweiz, die Todesstrafe in Sonderfällen, z. B. im Kriege, für zulässig gehalten. Den Verfechtern des Republikschutzgesetzes in der Weimarer Zeit hat man auch zum Vorwurf gemacht, daß die Todesstrafe in Abweichung von vorher begründeten Grundsätzen im Republikschutzgesetz für zulässig erklärt worden war.
Folgender Gesichtspunkt scheint mir von besonderem Gewicht: Die Todesstrafe kann, wenn man sie nicht als bloße Sicherungsmaßnahme ansieht, nur als Strafe für volle Schuld angesehen werden; weil sie die physische Existenz des Schuldigen vernichtet. Die moderne Soziologie und die moderne Psychologie haben aber erwiesen, daß es auch unter der Voraussetzung der Anerkennung
des Postulats sittlicher Verantwortlichkeit kein Verbrechen gibt, an dem nicht andere Momente mit Schuld tragen, daß es kein Verbrechen gibt, an dem der Täter allein sittlich schuldig ist. Am Zustandekommen jedes Verbrechens sind viele andere Faktoren beteiligt, die dem Täter nicht zur Last gelegt werden können: seine Anlage, für die er nichts kann, seine Umwelt, in die er hineingeboren worden ist und für die er nicht verantwortlich gemacht werden kann. Bloße Teilschuld verlangt nach meiner Meinung aber auch eine teilbare Strafe, wie sie die Todesstrafe niemals sein kann.
Ein Gesichtspunkt, der erst durch die Erfahrungen nach 1933 wieder besondere Anschaulichkeit erlangt hat und den ich besonders Herrn Kollegen Dr. Etzel entgegenhalten möchte: Das Bestehenbleiben der Todesstrafe für wenige Delikte, auch nur für ein einziges, birgt die Gefahr der Ausweitung in sich. Hat man sich grundsätzlich für die Todesstrafe entschlossen, dann ist die entscheidende Schwelle überschritten;
({13})
dann ist die Ausdehnung der Todesstrafe eben keine Grundsatzentscheidung mehr. Wer, meine Damen und Herren, wie ich erlebt hat, wie im letzten Weltkrieg Menschen wegen eines Wortes, man kann sagen, wegen einer Geste, wegen einer Haltung, die sich kaum geäußert hat, oder wegen wirtschaftlichen Verhaltens aufs Schafott gekommen sind, der weiß, welche Gefahr in der Möglichkeit der Ausdehnung der Todesstrafe liegt.
({14})
Aber mir erscheint eine Feststellung für unsere Aussprache bedeutsam, und darüber müssen wir Klarheit haben. Soweit die weltanschauliche Haltung, auf die es in erster Linie ankommt, die (I Todesstrafe nicht ausschließt, sollte das Recht des Staates, Menschenleben zu vernichten, nur dann ausgeübt werden, wenn es notwendig, wenn es zum wenigsten, nützlich ist. Ich glaube, darauf müßte sich unsere Diskussion besonders erstrecken, weil wir auf der weltanschaulichen Ebene zu keiner Verständigung oder gemeinschaftlichen Entscheidung kommen können. Ich möchte sagen, daß in den letzten Jahren deswegen zu Recht über die Beschränkung der Diskussion auf die Frage: „Ist die Todesstrafe notwendig, oder ist sie nützlich?", Einverständnis bestanden hat. Die Frage, die uns beschäftigt, verlagert sich damit in das Gebiet kriminalpolitischer Überlegungen, und diese haben den Vorzug, überprüfbar zu sein und rational entschieden werden zu können.
Die Todesstrafe stammt - das habe ich schon gesagt - aus einem ganz anders gearteten System der Lebens- und Leibesstrafen des Mittelalters und läßt sich in ein modernes Strafensystem nur schwer einpassen. Die Strafe, wie wir sie sehen, die Strafe nach modernen Vorstellungen will nicht die T a t treffen, sondern den Täte r. Wir müssen an eine moderne Strafe die Anforderung stellen, daß sie jedem einzelnen Fall gerecht werden kann. Den verschiedenen Graden des Verschuldens muß eine Art gleitende Skala der Strafen entsprechen. Absolute Strafen stehen im inneren Widerspruch zu dieser Anforderung an das Strafensystem. Selbst wenn die Todesstrafe nicht in absoluter Form angedroht wird - das schwebt offensichtlich auch den Antragstellern vor -, sondern nur neben der Möglichkeit, lebenslängliches oder zeitliches Zuchthaus zu verhängen, so würde dieser Widerspruch nicht ausgeräumt werden; denn die Schuld stuft sich graduell ab, und der Übergang von der Frei({15})
heitsstrafe zur Todesstrafe ist ein qualitativer Sprung. Todesstrafe und zeitliche Strafen, überhaupt Freiheitsstrafen, sind inkommensurabel. Die Möglichkeit, Freiheitsstrafe statt Todesstrafe zu verhängen, würde nach meiner Meinung übrigens auch den Richter vor eine kaum lösbare Verantwortung stellen. Sie würde praktisch zur Abschaffung der Todesstrafe auf dem Wege der Rechtsprechung führen können.
Ich würde die Todesstrafe in unserem Strafen-system auch deswegen als einen Fremdkörper empfinden, weil es nach den Vorstellungen unserer Zeit die entscheidende, mindestens doch die wesentliche Aufgabe der Strafe ist, zu resozialisieren, den Menschen zu bessern. Die Todesstrafe ermöglicht es lediglich, den Täter vor der Hinrichtung zu einer inneren Umkehr zu bringen. Es gibt Darlegungen, besonders von Gefängnisgeistlichen, die das behaupten und die glauben, daß sie in ihrer Praxis echte innere Umkehr der zum Tode Verurteilten vor deren Hinrichtung erlebt haben. Wir werden sehr skeptisch bleiben, ob solche inneren Wandlungen sich nicht aus Todesangst oder aus der Hoffnung auf Gnade vollzogen haben. Wir wissen es nicht. Die Verurteilung zu lebenslänglichem Zuchthaus ermöglicht dem Täter jedenfalls eine echte innere Umkehr. Wir haben hinreichendes Material, daß in Wirklichkeit wegen Mordes Verurteilte zu einer echten Besserung gekommen sind und in den Strafanstalten ein beispielhaftes Leben geführt haben.
Die Frage der Abschreckung ist ein wichtiger, sehr umstrittener Punkt bei dieser Auseinandersetzung. Es ist sicher eine sehr fragwürdige Angelegenheit, ob es möglich ist, einem Menschen ein derart einschneidendes Übel zuzufügen, nur um das Verhalten anderer dadurch zu beeinflussen. Aber - und hier ist es besonders schwer, mit Laien zu diskutieren - es scheint mir überhaupt überaus zweifelhaft zu sein, ob der Todesstrafe eine abschreckende Wirkung zukommt. Von vielen, die Einblick haben, ist immer wieder festgestellt worden, daß gerade die Länder und die Zeitalter der härtesten Strafen auch die blutigsten und unmenschlichsten Verbrechen sahen.
({16})
Ich glaube, wir haben eine Periode hinter uns,
die uns die Richtigkeit dieser Tatsache nahebringt.
({17})
Es wird immer wieder auf diese abschreckende Wirkung der Todesstrafe hingewiesen, und es ist nicht leicht, diese Frage zu entscheiden. Sie entzieht sich der verstandesgemäßen Feststellung.
Immerhin bleiben in diesem Zusammenhang einige interessante Tatsachen. Ein englischer Gefängnisgeistlicher, der 167 Hingerichteten beigestanden und sie zur Richtstätte geführt hat, hat festgestellt - es war in der Zeit des öffentlichen Vollzugs der Strafe -, daß von den 167 Hingerichteten 6 noch keine Hinrichtung miterlebt hatten. Die anderen 161 sind durch das Ansehen der Hinrichtung nicht nur nicht beeinflußt, sondern möglicherweise sogar zu ihren Untaten ge reizt worden. Herr Kollege Ewers hat darauf hingewiesen, daß kürzlich ein Täter im Gerichtssaal die Todesstrafe gefordert habe, eine oft festgestellte Tatsache, die aber gerade beweist, daß den Mörder der Tod nicht schreckt,
({18})
daß also eine abschreckende Wirkung auf denjenigen, der zu seiner Tat entschlossen ist, nicht
feststellbar ist.
({19})
In diesem Zusamenhang eine ganz bedeutsame Tatsache über die Beziehung des Mörders zu seinem Leben. In Berlin hat eine Tötungsstatistik ergeben, daß in den Jahren 1926 bis 1932 von 287 Mördern 153 Selbstmord begangen haben. Die Mörder scheuen also gar nicht den Tod; im Gegenteil, sie suchen ihn,
({20})
weil letztlich ihre Taten und die Selbstvernichtung aus der gleichen seelischen Wurzel herausfließen. Von 32 Totschlägern dagegen hat nur einer Selbstmord begangen. Diese aufschlußreichen Zahlen sprechen auf jeden Fall sehr gegen die Annahme, daß sich der Mörder von der Todesstrafe abschrecken lasse. Aber wir müssen uns, um zu einem Bild zu kommen, auch wenn der Herr Kollege Ewers die Kriminalstatistik nicht für sehr überzeugend hält, auf die Zahlen verlassen. Wie waren die Verhältnisse in den Ländern, die die Todesstrafe abgeschafft oder sie zeitweise beseitigt haben? Wie waren die Verhältnisse in den Ländern, in denen für bestimmte Gebiete die Todesstrafe galt und für andere nicht? Da gibt es ein ganz umfassendes Material, mit dem sich auch der Rechtsausschuß, wenn die Anträge an ihn überwiesen werden, befassen wird. Alle diese ganz eingehenden Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, daß eine Beeinflussung der Mordziffer durch das Vorhandensein oder Fehlen der Todesstrafe nicht feststellbar ist. Natürlich sagt man: da wirken wieder andere Faktoren mit, die man nicht kennt und die sich dauernd ändern, niemand könne daher sagen, inwieweit die relative Konstanz der Mordziffer vor oder nach der Aufhebung der Todesstrafe als Folge dieser Maßnahme gewertet werden könne. Das ist an sich richtig; aber man müßte doch zumindest zu dem Schluß kommen können, daß, wenn die Todesstrafe beseitigt worden ist, eine Verschlechterung eingetreten wäre, es sei denn, daß sich damals die übrigen Faktoren nur günstig entwickelt haben, was aber doch nicht anzunehmen ist.
Gerade in Ländern, bei denen die Einzelstaaten nur teilweise die Todesstrafe kennen, müßte die Abschreckung besonders wirksam werden, z. B. in der Schweiz. Die Schweiz hat Zeiten mit und ohne Todesstrafe gehabt. Vielleicht darf ich mich auf eine Erklärung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements von 1949 berufen, in der ausdrücklich festgestellt wird: „eine Zunahme der Morde seit dem Inktrafttreten des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom Jahre 1942, durch das die Todesstrafe abgeschafft wurde, ist nicht feststellbar". Die einzelnen Kantone in der Schweiz haben die gleiche Feststellung getroffen.
In Queensland - Australien - hat man beispielsweise eine leichte Abnahme der Morde und Gewaltverbrechen festgestellt. Das gleiche könnte ich Ihnen aus Einzelstaaten von Nordamerika berichten.
Vielleicht darf ich auf eine interessante Untersuchung für die USA aus dem Jahre 1946 hinweisen. Als Maßstab für die Kriminalitätsstatistiken nimmt man eine Zahl, die von 100 000 Strafmündigen ausgeht. Danach hat sich für die Staaten der USA mit Todesstrafe im Jahre 1946 eine Mordkriminalitätsziffer von 1,49 ergeben, für die
({21})
Staaten ohne Todesstrafe eine solche von nur 0,51, also von einem Drittel.
({22})
-- Nun, man darf das nicht verallgemeinern;
({23})
aber es sind doch immerhin wichtige Indizien.
Ich will aus dem reichen Material die Entwicklung in Deutschland kurz darstellen. Die Kriminalitätsziffer im Jahre 1883 war 0,48; das ist der Höchststand zwischen 1882 und 1914. Sie betrug 1908 nur 0,18 - der tiefste Stand zwischen 1882 und 1914; ich brauche Ihnen nicht zu sagen, warum -, 1921 0,50 - der höchste Stand zwischen 1918 und 1933 -, dann 1929 0,14, der tiefste Stand zwischen 1918 und 1933; Sie wissen, daß da wirklich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse ausschlaggebend waren.
Nun einige Zahlen aus der letzten Zeit. Es ist ein bißchen schwierig, richtige Zahlen zu geben, weil wir besonders für die Jahre vor 1947 keine umfassenden Feststellungen treffen konnten. An Fällen von Mord und Totschlag einschließlich des Versuchs sind bekanntgeworden: im Jahre 1947: 1252, 1948: 985, 1949: 855, 1950: 847, 1951 805; also eine dauernd fallende Tendenz. Es ist vielleicht interessant, wieviele von diesen Fällen aufgeklärt werden konnten: von den 1252 im Jahre 1947 861, von den 985 im Jahre 1948 743, von den 855 im Jahre 1949 689, von den 847 im Jahre 1950 751 und von den 805 im Jahre 1951 732, also auf jeden Fall nach diesen Feststellungen eine fallende Tendenz seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes.
({24})
- Ja, sehr richtig, Herr Kollege Ewers, auch das spielt natürlich bei den Statistiken mit; aber das war 1948 längst erledigt; auch 1947 hat es kaum noch - ({25})
- Na, bitte; die Hauptkriminalität durch Ausländer, die sich in Deutschland vollzogen hat - ich glaube, ich habe hier sehr guten Einblick -, hat sich im Jahre 1945 vollzogen und ist schon Ende 1945 ganz gewaltig gesunken, in der Folgezeit gab es nur Einzelfälle.
Vielleicht noch eine statistische Zusammenstellung über die rechtskräftigen Verurteilungen in einigen Ländern. In Bayern sind wegen Mordes verurteilt worden im Jahre 1948 32; im Jahre 1949 45; 1950 32; 1951 22; und im ersten Halbjahr 1952 16. Nun führen diese Zahlen teilweise deswegen irre, weil in ihnen Fälle von Mordtaten besonders aus der Kriegszeit, teilweise auch aus der Vorkriegszeit enthalten sind, die erst jetzt zur Sühne bei den Gerichten gekommen sind. Für Nordrhein-Westfalen lauten die Zahlen: 1948 30; 1949 37; 1950 36; 1951 28; erstes Halbjahr 1952 8; für Rheinland-Pfalz: 1948 6; 1949 12; 1950 14; 1951 9; erstes Halbjahr 1952 5. Das sind für das letzte halbe Jahr als 29, verdoppelt 58. 1948 waren es 68. Auch hier eine fallende Tendenz.
Nun, ich gestehe zu, daß die Zahlen kein vollständiges und kein endgültiges Bild zulassen, da viele Faktoren hier zusammenwirken. Aber insgesamt kann man feststellen, daß eine sinkende Tendenz vorliegt. Keinesfalls kann man behaupten, daß seit der Abschaffung der Todesstrafe im Jahre 1949 eine ungünstige Wirkung eingetreten wäre. Bei der ersten Debatte in diesem Hause habe ich erklärt: „Sprechen wir in zwei oder zweinhalb Jahren wieder". Es ist richtig, daß wir das tun; aber wir werden zu dem Ergebnis kommen, daß c sich unsere Erkenntnis seit dieser Zeit nicht zum Negativen entwickelt hat.
Interessant sind nun diese Zahlen vor allem, wenn man sie mit der anderen Kriminalität vergleicht. Während die Mordziffer und überhaupt die Tötungsziffer ständig im Fallen sind, sind andere Delikte gegen die Person - die Körperverletzungen und vor allem die Sittlichkeitsdelikte - im Steigen. Ein doppelter Beweis dafür, daß die Abschaffung der Todesstrafe in Wirklichkeit nicht geschadet hat. Seit 1947 sind die Tötungsdelikte die einzigen unter den Delikten gegen die Person, die eine fallende Tendenz haben, während im übrigen die Tendenz steigend ist, wenn es auch teilweise mit der besseren kriminalistischen Erfassung zusammenhängt. Ich glaube, man kann über dieses Tatsachenmaterial der Statistik nicht hinwegkommen.
Es gibt noch viele andere Faktoren, die mitspielen. Man muß natürlich die Tötungsdelikte nach ihrem Hintergrund unterscheiden, Dinge, die man statistisch nicht erfassen kann. Wir wissen doch - so weit ist unsere Psychologie fortgeschritten -, daß Menschen, die einen Mordentschluß fassen, sich in einer besonderen psychischen Verfassung befinden. Es ist ganz charakteristisch, wenn Herr Kollege Ewers sagt, daß die meisten Mörder jünger sind als 30 Jahre, daß sie also zum größten Teil keine gefestigten Menschen sind, sondern daß sie aus irgendeinem Affekt heraus, unter einem übermenschlichen seelischen Druck handeln, z. B. der verschmähte Liebhaber. In England ist in den letzten Tagen jemand hingerichtet worden, der die Frau, die ihn verschmäht hat, niedergestochen hat. Es ist nicht vorstellbar, daß bei Berücksichtigung unserer immerhin verfeinerten Betrachtungsweise ein deutsches Gericht zu diesem Ergebnis gekommen wäre; oder ich will vorsichtig sagen: es ist sehr zweifelhaft, ob es zu diesem Ergebnis gekommen wäre. Aber daß die Mörder im allgemeinen unter einem besonderen seelischen Druck stehen, das ist doch zweifelsfrei. Wenn in einer bestimmten Zeit der größere Teil der Mörder, wie ich Ihnen vorhin dargelegt habe, Selbstmord begangen hat, dann wissen Sie, in welcher abnormen Verfassung diese Menschen standen. In einer solchen Verfassung kalkuliert man nicht, was einem droht, was man zu erwarten hat. Natürlich gibt es eiskalte Rechner, Raubmörder. Es gibt Berufsverbrecher, die die Todesstrafe gewissermaßen als Berufsgefahr einkalkulieren. Das sind exzeptionelle Fälle, die man hei einer Erörterung auch berücksichtigen muß. Aber im allgemeinen wird man nicht feststellen können, daß die Todesstrafe auf den Mörder abschreckend wirkt. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß es im Gegenteil durchaus möglich ist und von vielen Psychologen unterstellt wird, daß gerade durch die Todesstrafe die Bestie im Menschen geweckt und zu ihrer Tat geführt wird. Der Umstand, daß die Todesstrafe nicht mehr öffentlich vollstreckt wird, ändert an dieser Erkenntnis gar nichts; denn die Vorstellung von der Hinrichtung ist genau so lebendig wie der physische Aspekt dieses Vorganges.
Ein anderes Argument für die Todesstrafe will ich nicht außer acht lassen: daß nur diese Strafe die Sicherheit vor neuen Verbrechen dieses Täters biete. Mit dieser Erwägung kann man beinahe für alle schweren Verbrechen die Todesstrafe fordern, und wir würden am Ende wieder zu gewissen
({26})
politischen Erwägungen der nationalsozialistischen Zeit kommen, die in der Ausdehnung der Todesstrafe immer weiter ging und schließlich verlangte, daß jede Handlung, die die Sicherheit des Volkes gefährde, mit dem Tode gesühnt werde. Diese Erwägungen wären ja auch nur richtig, wenn man sagen könnte, daß bei ,den Mördern wirklich eine ernste Wiederholungsgefahr gegeben ist. Ich will das nicht vertiefen. Auch hier sprechen die Statistiken eine deutliche Sprache. Sie zeigen, daß die Mehrheit der Mörder überhaupt noch nicht vorbestraft war, sondern erstmalig straffällig wurde, bei Frauen sogar 80 bis 85 % noch nicht mit dem Strafgesetzbuch in Kollision gekommen waren.
Es wird weiter geltend gemacht, wer zum Tode verurteilt worden sei, habe keine Hemmung mehr, eine ähnliche Handlung zu begehen. Die Erfahrungen unseres Strafvollzuges sprechen dagegen. Ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, daß die Erfahrung mit lebenslänglich Verurteilten im allgemeinen gut ist. Ich will dabei nicht verhehlen, daß die Meinung mancher Beamter, die im Strafvollzug stehen, anders ist und daß auch von dieser Seite der Ruf nach Wiedereinführung der Todesstrafe kommt.
Wenn man sich schon auf das Gebiet der Argumentation begibt, muß man auch auf die Gefahr hinweisen, die in der Todesstrafe liegt. Der Schuldiggewordene wird, wenn ihm der Tod droht, vor seiner Verhaftung alles aufwenden, um sein Leben zu retten. Er wird also die Polizei und alle diejenigen, die ihn verfolgen, viel mehr gefährden, als wenn nur die Drohung mit lebenslänglichem Zuchthaus vor ihm steht.
Ich begrüße, daß die beiden Herren Antragsteller die Erwägung, daß die Kosten des Strafvollzuges hier eine Rolle spielen könnten, von sich weisen. Das muß man, glaube ich, auch in aller Öffentlichkeit sagen, weil gerade die Volksmeinung von diesen Gedanken sehr bewegt wird. Man kommt mit einer derartigen Betrachtung doch sehr in die Nähe der Vernichtung des lebensunwerten Lebens, der Vergasung von Geisteskranken und zu ähnlichem.
Der andere Gesichtspunkt: Todesstrafe ist irreparabel, ist nicht leicht zu nehmen, meine Damen und Herren. Der Gesetzgeber schuf das Wiederaufnahmeverfahren, weil er weiß, daß keine Justiz vollkommen ist, weil er weiß, daß in jedem Verfahren Mängel liegen können, da das Einsichtsvermögen des Gerichts menschlich beschränkt ist. Soll ausgerechnet bei der Strafe, die nicht rückgängig gemacht werden kann, diese Möglichkeit, im Wiederaufnahmeverfahren ein Urteil zu kassieren, ausgeschlossen werden?
Man weist teilweise darauf hin, daß man Härten j a im Gnadenverfahren beseitigen könnte. Das ist sehr schwer möglich, meine Damen und Herren. Der für den Gnadenentscheid Zuständige ist auf die Akten mit ihren beschränkten Möglichkeiten angewiesen.
Damit kommen wir noch auf andere Zusammenhänge, die auch beim Gnadenerweis eine Rolle spielen können. Man sagt, man solle nur hinrichten, wenn der Verurteilte geständig sei. Das ist ein sehr schwerwiegendes Problem, meine Damen und Herren. Wer lange Zeit in der Rechtspflege gestanden hat, ist voller Skepsis gegenüber dem Geständnis. Wir wissen, daß es Geständnisse von pathologischen Persönlichkeiten aus einer Sucht zur Selbstbezichtigung gibt, und wir wissen, wie Geständnisse oft zustande kommen. Bedenken bestehen hier immer. Es ist ein Grundprinzip der deutschen Strafrechtspflege, daß niemals ein Geständnis allein zur Verurteilung führen kann, sondern daß der Richter verpflichtet ist, sich unabhängig davon seine Überzeugung zu bilden. Wenn man diesen Gesichtspunkt anerkennen wollte, würde das außerdem dazu führen, daß der reumütig Geständige mit dem Tode rechnen muß, während der, der hartnäckig leugnet, seinen Kopf retten würde.
Herr Kollege Ewers meint, man sollte Kautelen einführen, so daß nur bei Einstimmigkeit des Gerichts verurteilt werden soll. Meine Damen und Herren, wer Strafverfahren aus der Nähe kennt und weiß, welche Irrtumsmöglichkeiten vorhanden sind, wird darin kein Sicherheitsventil erkennen, das die Möglichkeit der Wiedereinführung der Todesstrafe rechtfertigen würde.
Eine Differenzierung nach Indizienbeweis und nach Zeugenbeweis scheint mir ebenfalls nicht möglich. Die Praxis weiß, daß der Zeugenbeweis wohl das schlechteste Beweismittel ist. Ich will das nur andeuten und mir Einzelheiten ersparen. Es wäre dazu vieles zu sagen. Ich hoffe, daß gegebenenfalls im Rechtsausschuß die Möglichkeit bestehen wird, diese Materie mit der Eindringlichkeit und mit der Gewissenhaftigkeit zu behandeln, die notwendig ist.
Nur vielleicht ein Gesichtspunkt noch, der kürzlich bei einer Diskussion im Hessischen Rundfunk von dem Gerichtsmediziner Professor Witthold erwähnt wurde. Es gibt eine Reihe von Fällen, in denen festgestellt worden ist, daß hingerichtete Mörder in Wirklichkeit unzurechnungsfähig waren. Die Psychiater werden Ihnen sagen, daß sie sich hüten werden, mit apodiktischer Sicherheit die Zurechnungsfähigkeit, d. h. die Schuld eines Mörders festzustellen.
Wenn ich für die Diskussion drei Thesen aufstellen darf:
Die Abschreckungswirkung der Todesstrafe ist überaus zweifelhaft.
Der Sicherheitsgedanke kann nach meiner Meinung die Todesstrafe nicht rechtfertigen.
Die Gefahr von Justizirrtümern ist nicht auszuschließen.
Ich habe versucht, die Dinge möglichst objektiv darzustellen. Natürlich ist meine Meinung dabei durchgeschlagen. Es wäre ja auch merkwürdig, wenn man in einer so wichtigen Frage nicht zu seiner Ansicht stünde.
({27})
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Aussprache. Ich glaube allerdings, an Sie appellieren zu sollen, daß nach dieser außerordentlich umfangreichen Darstellung die Aussprache vielleicht etwas abgekürzt werden kann und nicht volle 90 Minuten in Anspruch nimmt.
Ich bitte, noch bekanntgeben zu dürfen, daß die für 15 Uhr anberaumte Sitzung des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen ausfällt.
Das Wort hat der Abgeordnete Weber ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, nach dem bisherigen Verlauf der Debatte zunächst feststellen zu können, daß das Problem der Todesstrafe von so hoher Warte, unter gespannter Anteilnahme des gesamten Hauses und mit dem sittlichen Ernst geführt wird, der diesem Gegenstand zukommt.
({0})
Wer geglaubt hätte, daß das Problem nach der stundenlangen Debatte, die wir vor 21/2 Jahren um den gleichen Sachgegenstand geführt hatten, nicht noch weiter vertieft werden könne, der ist durch die Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers eines anderen belehrt worden. Ich bin zwar der Meinung, daß dieses Plädoyer für die Beibehaltung des Art. 102 advokatorisch gesehen wirkungsvoller gewesen wäre, wenn es nach der ersten halben Stunde abgeschlossen worden wäre.
({1})
Die anderen Ausführungen hätten dann sehr wohl im Ausschuß gemacht werden können, weil sie mehr Einzelheiten betrafen und im übrigen auch sehr stark von emotionalen Gesichtspunkten getragen waren.
({2})
Meine Damen und Herren! In Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes heißt es:
Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person
ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf
Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. Damit ist noch nichts Entscheidendes zu dem heute zur Debatte stehenden Thema und Problem gesagt. Immerhin erscheint es mir angebracht, darauf hinzuweisen, welche hohe Wertung das Grundgesetz dem Recht auf Leben zugemessen hat, daß es einmal dieses als Grundrecht schützte und Eingriffe nur auf Grund eines Gesetzes gestattete. „Das Leben ist heilig." Zum andern können wir daraus die Einsicht gewinnen, welch schweres Verbrechen derjenige begeht, der dieses zu Eingang des Grundgesetzes geschützte Recht auf Leben frivol verletzt, also tötet, mordet.
Daraus ergibt sich die Konsequenz, daß diese Rechtsbrecher auch schwerste Strafe treffen muß. Das fünfte Gebot im Dekalog, im Grundgesetz der Christen, heißt: „Du sollst nicht töten". Es richtet sich sowohl an den einzelnen als auch an die Allgemeinheit, den Staat. Im kirchlichen und im staatlichen Recht ist es aber anerkannt, daß davon Ausnahmen gemacht werden müssen, wie z. B. im Falle der Notwehr des einzelnen sowohl als auch der Allgemeinheit. Ebenso ist in der christlichen Moraltheologie anerkannt, daß der Staat das Recht hat, durch seine Gerichte denjenigen, der das Leben anderer nicht geachtet, sondern vorsätzlich und überlegt vernichtet hat, selbst des Lebens für verlustig zu erklären. Dieses Recht des Staates wird auch von meinen Freunden grundsätzlich anerkannt.
Um die Frage aber, ob der Staat von diesem Recht Gebrauch machen soll, welche Sühne, welche Strafe den Mörder und Totschläger treffen muß, ist, wie bereits mehrfach hervorgehoben worden ist, seit Jahrhunderten ein lebhafter Streit entbrannt. Das Grundgesetz hat ihn im Art. 102 lapidar dahin entschieden: „Die Todesstrafe ist abgeschafft". Es hat damit auch dem Gesetzgeber die ihm in Art. 2 an sich gegebene Befugnis, durch ein einfaches Bundesgesetz den Eingriff in das Grundrecht des Lebens zu gestatten, entzogen. Wir hatten damals, als das Grundgesetz beschlossen wurde -das hat auch der Herr Bundesjustizminister bereits in der Erklärung der Genesis dieses Artikels hervorgehoben -, die schlimmen Erfahrungen der Nazizeit bis 1945 und - auch das muß in diesem Zusammenhang gesagt werden - die schlimmen Erfahrungen nach 1945 vor Augen. Der im Jahre 1928 vor dem Reichsgericht in Leipzig verkündete Programmsatz: „Wenn ich einmal
zur Herrschaft komme, werden die Köpfe rollen",
war besonders in den letzten Kriegsjahren zu einer grausigen Wirklichkeit geworden. Die Achtung und die Ehrfurcht vor dem Leben waren weithin geschwunden, und es erschien deshalb angebracht, diesen Werten dadurch wieder Geltung zu verschaffen, daß man jeden gewaltsamen Eingriff in das Leben schlechthin verbot und damit die Todesstrafe abschaffte. Auch viele meiner politischen Freunde haben damals trotz mancher Bedenken, wie sie eben auch der Herr Bundesjustizminister erörtert hat, dieser Regelung zugestimmt. Einige haben sie auch abgelehnt, weil sie der Ansicht waren, daß gerade angesichts der durch die Kriegszeit eingerissenen Verwilderung und Verrohung der Sitten die Todesstrafe als Mittel der Abschreckung und damit der Sicherung der menschlichen Gesellschaft sowie als gerechte Sühne nicht zu entbehren sei.
Der Streit um die Todesstrafe ist aber auch mit dieser Entscheidung des Parlamentarischen Rates nicht zur Ruhe gekommen. Schon nach mehreren Monaten hatte sich ja das Hohe Haus mit der Frage zu beschäftigen, ob die Todesstrafe wieder eingeführt werden solle. Am 27. März 1950 in der 52. Sitzung fand eine mehrstündige, man darf sagen: erregte, aber auch erregende Debatte statt. Ich habe schon zu Beginn meiner Ausführungen betont, daß man nach deren Verlauf eigentlich hätte erwarten und sagen können, daß Wesentliches zu der Frage, ob die Todesstrafe wieder eingeführt werden oder ob sie abgeschafft bleiben solle, nicht mehr zu sagen sei.
Meine Fraktion hat sich mit der Frage eingehend befaßt. Sie vertrat in der Debatte am 27. März 1950 - unbeschadet der sachlichen Stellungnahme - ganz überwiegend den Standpunkt, daß es nicht angängig sei, die erst vor wenigen Monaten mit großer Mehrheit vom Parlamentarischen Rat getroffene Entscheidung nun schon wieder zu ändern, und stimmte deshalb dem Antrag auf Übergang zur Tagesordnung zu. Des weiteren wurde auch damals schon in der Debatte vom Herrn Bundesjustizminister im gleichen Sinne betont, daß man doch mindestens einige Jahre zuwarten und Erfahrungen sammeln müsse, um die Auswirkung der Bestimmung auf die Entwicklung der schweren Kriminalität überprüfen zu können. Dazu sei dann voraussichtlich im Rahmen der Erörterung der Strafrechtsreform Gelegenheit geboten, auf die wir ja nun noch bis heute warten. Bei dieser müsse dann sowieso das geltende Strafensystem erneut überprüft, unter die Lupe genommen und geordnet werden.
Obwohl das Hohe Haus mit so großer Mehrheit damals beschloß, zur Tagesordnung überzugehen, dauerte aber die Erörterung über die Frage der Todesstrafe in der Öffentlichkeit an. Es ist nicht zu verkennen, daß einzelne besonders greuliche, scheußliche und empörende Mordfälle die Zahl derer, die die Todesstrafe für notwendig halten, in der breiten Masse des Volkes erheblich wachsen ließ. Es ist ja schon betont worden, daß die statistischen Erhebungen durch Institute zur Erforschung der öffentlichen Meinung ergeben haben, daß die Befragten bis zu einem Prozentsatz von 75% sich für die Wiedereinführung und für die Notwendigkeit der Todesstrafe ausgesprochen haben.
({3})
- Gerade im Zusammenhang mit einem Mord, ich komme auf das Argument, Herr Kollege Greve, noch zu sprechen. Ich halte es durchaus nicht für durchschlagend, sondern betone das, was Herr Kollege Schmid bereits in der Debatte am 27. März 1950 ausgeführt hat und was eben auch in ausgezeichneter Weise Herr Bundesjustizminister ausgesprochen hat, daß wir uns durch die öffentliche Meinung nicht entscheidend beeinflussen lassen dürfen.
({4})
Das Problem wurde gerade in den letzten Monaten in öffentlichen Diskussionen und in Zeitungsartikeln eingehend behandelt. Diese Erörterungen sind ja wohl auch maßgebend gewesen ebenso wie die Vorkommnisse, wie sie im einzelnen von Herrn Kollegen Ewers angeführt worden sind, daß wir uns heute mit diesen beiden Anträgen zu befassen haben. Die gestellten Anträge bezwecken entweder, den Art. 102 ganz zu beseitigen oder ihn dahingehend zu ergänzen, daß er keine Geltung für bestimmte Taten haben soll.
Wir haben uns nun zu prüfen: Haben sich die Verhältnisse gegenüber der Zeit vor zweieinhalb Jahren so geändert, oder haben wir inzwischen so entscheidende neue Erkenntnisse und Einsichten gewonnen, daß wir jetzt schon eine Änderung in der im Frühjahr 1950 eingenommenen Haltung vornehmen müssen? Meine Fraktion sieht sich nicht in der Lage, auf diese Frage jetzt schon eine einhellige und eindeutige Antwort zu geben. Auch in ihr ist die Zahl derer, die die Todesstrafe für notwendig halten, erheblich gewachsen, während ein anderer Teil ebenso eindeutig bei der Ablehnung der Todesstrafe bleibt.
Einigkeit besteht allerdings bei uns darin, daß es nicht in Frage kommen kann, den Art. 102 schlechthin aufzuheben und damit den Weg dafür freizumachen, daß durch einfaches Bundesgesetz jedes für todeswürdig erachtete Verbrechen nun auch mit der Todesstrafe bedroht werden kann. Die Erlebnisse der 12 Jahre Naziherrschaft und ihre Auswirkungen stehen ja noch so lebhaft und allzu lebhaft vor unseren Augen, als daß wir in Erwägung ziehen könnten, dem Gesetzgeber sozusagen wieder freie Hände zu geben. Wir können deshalb dem Antrag der DP auf Aufhebung des Art. 102 schlechthin nicht zustimmen.
Eine andere Frage ist aber die, ob nicht für gewisse rohe und abscheuliche Straftaten - so insbesondere den Raubmord und den Lustmord - die Todesstrafe angedroht werden sollte. Diese Frage wird von einer großen Zahl meiner politischen Freunde bejaht, aber nur dann, wenn die Feststellung des Täters und der Tatumstände durch einen klaren und direkten Beweis und nicht im Wege des Indizienbeweises möglich ist.
({5})
Die Frage bedarf aber noch einer eingehenden Erörterung und Überprüfung. Es wird notwendig sein, dazu statistisches Material heranzuziehen, wie es uns der Herr Bundesjustizminister ja zum Teil schon vorgetragen hat, und zwar in einer solchen Fülle, daß es bei der Kürze der Zeit gar nicht möglich war, dem allem zu folgen und das alles zu verarbeiten. Es wird nötig sein, daß Sachverständige gehört werden. Wir denken dabei an Theologen, Ärzte, Richter und Staatsanwälte, damit ein wohlfundiertes Urteil ermöglicht wird. Ich stimme deshalb den gestellten Anträgen auf Verweisung beider Anträge an den Rechtsausschuß namens meiner Fraktion zu.
Ich meine abschließend, man sollte die Stellungnahme zu dieser Frage und in diesem Hause nicht zum Gegenstand ethisch abschätzender oder anerkennender Beurteilung machen. Die Entscheidung Für oder Wider wird jeder von uns selber vor seinem Gewissen zu treffen und zu verantworten haben.
({6})
Es lassen sich viele gewichtige Gründe für das Für, aber auch für das Dagegen anführen. Wir werden alle diese Gründe mit dem dem Sachgegenstand zukommenden sittlichen Ernst und mit Gründlichkeit prüfen und erörtern und sollten dann die Entscheidung, die jeder einzelne trifft, als das Ergebnis ehrlichen Ringens und Mühens um ein schwieriges Problem anerkennen und würdigen.
({7})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Meyer-Laule.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte dem Herrn Justizminister von ganzem Herzen für seine Ausführungen danken. Ich bin überzeugt, felsenfest überzeugt davon: wenn diese Ausführungen vor der Einbringung dieser Anträge gemacht worden wären, hätten wir, glaube ich, heute diese Debatte nicht zu führen.
({0})
Den vorliegenden Antrag wird man nur gerecht würdigen können, wenn man die gegenwärtigen politischen Gegebenheiten klar sieht. Auch die Antragsteller werden sich doch 'darüber einig sein, daß dieser Bundestag in seinen letzten Arbeitswochen und -monaten keine Zeit mehr finden wird, um eine so wichtige und umstrittene Änderung des Grundgesetzes vorzunehmen. Wir Sozialdemokraten fragen uns deshalb, was der tiefere Grund für dieses Verhalten ist. Denn wer sich damals bei der ersten Debatte zu einem Nein in dieser zutiefst menschlichen Frage durchgerungen hatte, der sollte für immer seinen Standpunkt bezogen haben, auch wenn er durch die Häufung der Verbrechen, die nach der Begründung der Antragsteller zu diesem Antrag geführt haben, sein Gewissen noch einmal überprüfen mußte.
Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen versichere, daß wir genau so erschüttert vor den Opfern stehen, wir, die wir den Mord in jeder Form als eine Ausgeburt des Bösen empfinden. Wir alle, die wir gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe sind, wissen um die Unpopularität unserer Einstellung. Wir wissen aber auch um den 'uralten, in jedem Menschen latenten Trieb nach Vergeltung, wir wissen um den Racheinstinkt, der eine Ansteckungsgefahr bedeuten kann, und wir wissen auch um die daraus hervorgehende gefährliche Gefühlsreaktion. Wir werden noch viele Jahre brauchen, um diese Reaktionen zu überwinden; denn der nationalsozialistische Staat hat ja bewußt die vox populi in diese gefährliche Richtung gelenkt, weil er nur damit seinen Verbrechen den Anschein der Legalität geben konnte. Aus diesem Grunde darf dieser unser Staat nicht Mörder und nicht Henker wer({1})
den. Er muß die Wunden heilen, die die Vergangenheit geschlagen hat, und das entstandene seelische Vakuum mit Menschlichkeit, Liebe und Güte ausfüllen. Unsere junge Demokratie als Erbfolger dieses mörderischen Systems darf nicht heute und nicht morgen und nicht in aller Zukunft auch nur das geringste aus jener Zeit übernehmen, wenn diese Demokratie die Vermenschlichung der Zustände anstrebt.
Sind es die Verbrechen der letzten Zeit, die zu diesem Antrag geführt haben - und Herr Kollege Dr. Weber hat uns ja dasselbe versichert -, so möchte ich einmal sagen: denken Sie doch darüber nach, daß der Gekreuzigte noch im Tode seinen Mördern verzieh und wie 'diese verzeihende Liebe wie eine Gloriole seit 2000 Jahren über der Christenheit steht.
({2})
Ich weiß nicht, ob in einer so ernsten Debatte und bei einem so ernstgemeinten Wort ein Zwischenruf überhaupt sein dürfte.
({3})
Sollte aber der Entschluß von der Idee der Staatsräson beeinflußt sein, müßten wir ihn geradezu als verhängnisvoll bezeichnen. Damit würde dem Staat, gleich, wer ihn repräsentiert, mit der Wiedereinführung der Todesstrafe ein Mittel in die Hand gegeben werden, das weit über das hinausgeht, was jeder einzelne von uns verantworten kann. Alle Menschen in der Bundesrepublik, die für die Wiedereinführung der Todesstrafe sind, mögen bedenken, daß -- auch wenn die Todesstrafe an bestimmte Voraussetzungen gebunden würde - die Möglichkeit der Ausweitung auf andere Fälle - ich will nur Kriegsdienst- oder Befehlsverweigerung nennen - jederzeit in dem Bereich der Möglichkeit läge.
Oder sollte die Sinnesänderung in dem Verlangen nach Schutz der menschlichen Gesellschaft begründet liegen? Auch der Tod des Mörders macht den Gemordeten nicht mehr lebendig, und die Gesellschaft wird geschützt und gesühnt durch das Wort „lebenslänglich". Es ist nicht so, als bedeute die lebenslängliche Strafe keine Sühne oder eine milde Sühne. Wer einmal selbst das Schicksal eines Verurteilten erlebt hat - und das war manch einem in diesem Hohen Hause während des „Dritten Reiches" bestimmt -, der weiß, wie schwer es ist, zu warten, ob die Zeit vergeht, wie lange er noch warten muß, bis er die Freiheit bekommt. Ich möchte zu bedenken geben, daß lebenslänglich doch mindestens sein muß wie lebendig begraben.
Das weite Feld der Kriminalität ist aber auch auf der sozialen Ebene zu suchen oder im Milieu, das nur zu oft ein entscheidender Faktor werden kann. Vergessen wir nicht die Kriminalität durch Kriege bedingt und daß Veranlagung und Umwelt wichtige Faktoren sein können. In einer Zeit, in der schen der ehrliche Finder bestaunt wird, wo Mensch und Menschlichkeit nur durch das Wort verwandt sind, wo die guten Taten seltener sind als die bösen, da muß es doch ein anderes Mittel eben als die Todesstrafe, um eine neue moralische Kraft bei uns lebendig zu machen.
Goethe, der wie selten einer um die menschliche Not, um das menschliche Leid und um die menschliche Unzulänglichkeit wußte und der in jungen Jahren seine Zustimmung zur Todesstrafe nur bedingt gegeben hat, sagte in einem Gespräch im hohen Mannesalter zu Eckermann, er habe von
keinem Verbrechen gehört, das er nicht auch selbst hätte begehen können. Können auch wir bestreiten, daß wir alle in Gedanken gesündigt, oder bestreiten, daß auch in unserem Unterbewußtsein schlechte, niedrige, ja kriminelle Gedanken und Wünsche verborgen sind? Wer gibt uns die Kraft, sie nicht auszuführen, und wer nimmt dem Mörder die Kraft, zu widerstehen? Hier steht der Mensch vor unlösbaren Rätseln, und das Wissen um sie muß uns nachdenklich machen.
Lassen Sie mich an die Herren, die bereit sind, für die Wiedereinführung der Todesstrafe zu stimmen, die Frage richten: Sind Sie auch bereit, das Todesurteil zu vollstrecken, oder sind es die Richter und Staatsanwälte, die sich hinter Ihre Forderung stellen? Wenn sie, die Richter, nicht mit den ihnen gegebenen strafrechtlichen Möglichkeiten fertig werden und nur Kritik am Grundgesetz üben, dann, glaube ich, sind diese Richter fehl am Platze.
Ich habe hier die neueste Nummer der „KettelerWacht", die Zeitschrift für das katholische Volk, und in einem Artikel wird sehr ausführlich über die Todesstrafe geschrieben. Unter Punkt 3 der Begründung lesen wir:
Die Erfahrung zeigt, daß sich fast alle zum Tode Verurteilten vor der Hinrichtung mit Gott versöhnten, während das bei der Verurteilung zur Zuchthausstrafe nicht der Fall ist.
Meine Damen und Herren, so geht es nicht!
({4})
In mir empört sich die Christin und der Mensch, wenn auf so primitive Weise zu den menschlichsten Fragen argumentiert, ich möchte fast sagen: unchristlich argumentiert wird.
({5})
Sollten die vorgebrachten Argumente Sie aber nicht von unserem Standpunkt überzeugen können, so möchte ich noch ein furchtbares Wort erwähnen: Fehlurteil - Justizmord! Alle Justizirrtümer sind reparabel, nur der Justizmord ist es nicht. Und immer wieder möchte ich Ihnen zurufen: Vergessen Sie nie das Erlebte oder die Schrecken des Erlebten, wo der Justizmord zur Strafjustiz der sogenannten Rechtsprechung gehörte! Zurufen möchte ich Ihnen: Stoßen Sie das Tor nicht auf; der Weg führt rückwärts, und keiner von Ihnen weiß, welches Ende er nimmt.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Wagner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesjustizminister Dr. Dehler hat heute eine ganz große Rede gehalten. Er hat heute eine Rede gehalten, von der ich wünschen möchte, daß sie gedruckt an das ganze deutsche Volk hinausginge.
({0})
Er hat eine Rede gehalten, von der ich wünschen möchte, daß sie, etwas ergänzt, als Flugschrift zur Aufklärung der Nichtaufgeklärten verwendet werden möge, und sofern in diesem Hause noch Nichtaufgeklärte sitzen, möchte ich wünschen, daß auch diese Nichtaufgeklärten, soweit sie willig sind, Tatsachen und der Wahrheit ihre Ohren zu öffnen, aufgeklärt worden sind.
({1})
({2})
Herr Dr. Dehler hat mir meine Aufgabe für heute außerordentlich erleichtert, und ich danke ihm. Der Amerikaner würde sagen: he stole the show - er stahl die Schau. Das war die Rede, die niemand in der heutigen Debatte erreichen und übertreffen kann.
Ich bedaure, daß diese beiden Anträge nun schon wiedergekommen sind und an einem Grundsatz der Verfassung, an einem Grundsatz des Grundgesetzes rütteln. Ich halte es auch für durchaus unerfreulich, daß der gleiche Antrag in einem Zeitablauf von zwei Jahren zum zweitenmal kommt, obwohl sich am Tatbestand nichts geändert hat und obwohl nicht damit zu rechnen ist, daß dieser Grundsatz des Grundgesetzes geändert wird. Ich bedaure das, weil wir uns nicht dauernd mit dem gleichen Thema befassen können, das jenesmal ausführlich und gründlich erörtert worden ist. Der einzige Gewinn dieser Anträge ist die Rede, die wir heute aus dem Munde des Herrn Bundesjustizministers gehört haben.
({3})
Aber das haben Sie j a nicht erwartet, und das haben Sie auch nicht gewollt. Wenn diese Rede trotzdem kam, so sind Sie, glaube ich, darüber sehr wenig erfreut; denn ich habe den Eindruck, Sie wollen nun einmal diesen Grundsatz des Grundgesetzes, daß die Todesstrafe abgeschafft sein soll, wieder beseitigen, koste es, was es wolle, und seien die Argumente, wie sie auch immer sein mögen.
Meine Herren und Damen, in der 50. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates vom 10. Februar 1949 hat nach meinem Antrag, der nun Art. 102 des Grundgesetzes geworden ist, ein Abgeordneter das Wort ergriffen und das ausgeführt, was ich Ihnen - es ist sehr kurz - mit gütiger Genehmigung des Herrn Präsidenten vorlesen darf. Er sagte:
Ich bin dem Herrn Kollegen Wagner sehr dankbar, daß er den Antrag jetzt hier gestellt hat. Ich darf daran erinnern, daß ich in der zweiten Lesung den Antrag gleichfalls gestellt hatte, und darf mich auf meine damalige Begründung ausdrücklich beziehen. Ich brauche die Ausführungen von Herrn Wagner nicht noch weiter zu unterstützen; denn sie sprechen für sich selbst. Vom weltanschaulichen Gesichtspunkt aus ist es insbesondere nach den Erlebnissen der letzten Jahre, nicht nur der Zeit bis 1945, sondern auch der Zeit seit 1945, eine unbedingte Notwendigkeit, daß wir uns gegen die Todesstrafe aussprechen. Ich bin auch der Auffassung, daß wir diese Frage in dem Grundgesetz zu regeln haben. Es ist eine Frage, die nicht dem normalen Gesetzgeber überlassen werden sollte. Die Frage ist so wichtig, daß sie in einem Grundgesetz Verankerung finden muß. Deswegen unterstütze ich den Antrag und werde dafür stimmen.
Und wer war das? Dieser Mann, der so sprach, war das Mitglied des Parlamentarischen Rats Dr. Seebohm,
({4})
der Vertreter der Deutschen Partei.
({5})
Und jene Deutsche Partei ist heute die Antragstellerin, die diese Debatte zusammen mit der Bayernpartei ausgelöst hat.
Meine Damen und Herren, da muß man sich nun fragen: Warum haben dann die Herren nach 1945 einen weltanschaulichen Standpunkt - wie sie ihn nennen - eingenommen, von dem sie heute, in ihrer Mehrheit zum mindesten, nichts mehr wissen wollen? War es denn vielleicht j enes-mal die Sorge um die Köpfe gewisser Männer, um die sie bangten,
({6})
und ist für sie in ihrer Vorstellung vielleicht diese Gefahr überwunden
({7})
und ihre Weltanschauung plötzlich geändert?
({8})
Oder ist es vielleicht - manche munkeln und vermuten so etwas ({9})
der Hinblick auf ein neu zu schaffendes Militärstrafgesetzbuch der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, in dem die Todesstrafe enthalten sein soll?
({10})
Ist nicht der Hinweis des Herrn Kollegen Ewers auf den Landesverrat, den man noch in die Todesstrafe einbeziehen müsse, schon wieder die Erinnerung an die Erschießungskommandos, die man schon wieder in der Zukunft sieht?
({11})
Hier eröffnen sich gewisse Perspektiven. Wenn Sie die vor das deutsche Volk stellen, werden Sie eine Antwort erhalten, die Sie enttäuscht.
Lassen Sie mich ganz kurz, da meine Zeit es mir nicht erlaubt, es näher zu tun, und da Herr Dr. Dehler im großen und ganzen das viel besser getan hat, fragen, wie aus der ehrlichen Empörung heraus, die die Menschen draußen und wir alle empfinden, wenn Morde begangen sind, die Reaktion des einfachen Menschen ist. Er hört von einer scheußlichen Tat, und diese Tat wird in der Zeitung ganz groß aufgemacht, und dann sagt er: „Das ist doch eine Schweinerei; der Kerl gehört aufgehängt." Das ist eine ganz natürliche Reaktion, geboren aus der ganzen Vergangenheit, mit der wir belastet sind. Das ist natürlich. Dann kommen die Befürworter der Todesstrafe und schreien: „Seht ihr hier diesen Mord, - und die Todesstrafe ist abgeschafft!" Als ob zwischen der Abschaffung der Todesstrafe und dem Mord ein Kausalzusammenhang bestünde,
({12})
als ob die Abschaffung der Todesstrafe diese Morde geradezu erzeugt habe. Ich habe es erlebt, daß ich nachts in meiner Wohnung, nachdem eine solche Tat passiert ist, angerufen worden bin. Mich, den man für den Art. 102 für verantwortlich hält, hat man dann auch für diesen Mord moralisch verantwortlich gemacht. Eine solche Sinnesverwirrung ist schrecklich. Ein Abgeordneter, der die Dinge mit klarem Kopf betrachten muß, sollte zu einer solchen Schlußfolgerung keinen Beitrag leisten. Aber auch eine saubere und anständige Presse sollte sich etwas beherrschen, ehe sie derartige Dinge so aufmacht. Insbesondere aber sollten sich die Richter enthalten, Propaganda gegen das Grundgesetz zu machen,
({13})
({14})
indem sie dem Angeklagten geradezu die Frage vorlegen: „Hätten Sie die Tat auch begangen, wenn die Todesstrafe nicht abgeschafft wäre?" Solche Richter gehören hinausgeworfen, weil sie von Jurisprudenz nichts verstehen.
({15})
Solche Richter können keine Strafrichter sein, weil
sie auch von Kriminalpsychologie keine Ahnung
haben, und solche Richter gehören nicht vom Staat
bezahlt, weil sie gegen das Grundgesetz arbeiten.
({16})
Ich frage die Anhänger der Todesstrafe eines: hat es denn zu der Zeit, als die von Ihnen so geliebte Todesstrafe noch Gesetz war, etwa in Deutschland keine Morde gegeben?
({17})
Da haben Sie nichts davon gehört. Ist nicht unter dem Regime der Todesstrafe in einer Weise gemordet worden, daß es, als es während der Nazizeit zur Spitze kam, geradezu schrecklich war? Da haben Sie kein Propagandamaterial gegen die Todesstrafe gefunden.
({18})
Jetzt wollen Sie, wenn wiederum Morde vorkommen, dafür verantwortlich machen, daß die abschreckende Wirkung der Todesstrafe nicht mehr gegeben sei und daß durch den Wegfall dieser abschreckenden Wirkung die Tat geboren und ermöglicht wird.
Der Herr Justizminister hat diese Dinge widerlegt. Der Herr Kollege Ewers hat mir geradezu ein Argument dagegen gegeben: jener angeklagte Mörder bittet seinen Richter um die Todesstrafe. Für ihn ist das ja eine Erlösung, für ihn ist das ) keine Abschreckung, sondern etwas, das er dem lebenslänglichen Zuchthaus vorzieht. Wenn schon die Behauptung, daß der Wegfall der Todesstrafe die Mordfälle vermehrt habe, nachgewiesenermaßen falsch ist, dann ist auch die Berechtigung der Antragsteller, jetzt nach zweieinhalb Jahren das Thema wieder auf die Tagesordnung zu setzen, nicht mehr gegeben. Sie hätten sich nicht durch große Zeitungsüberschriften beeinflussen lassen dürfen, sondern sie hätten es in der gleichen gewissenhaften Weise wie unser Bundesjustizminister machen müssen, der die Dinge nachgeprüft hat und ihnen den Beweis geliefert hat, daß ihre Behauptung unrichtig ist und daß sie sich benehmen wie die draußen, die keine Aufklärung besitzen.
Schließlich noch ein Gedanke, der Gedanke der Vergeltung. Wenn Sie diesem Gedanken Rechnung tragen wollen, dürfen Sie es nicht nur auf dem Gebiet des Mordes und des Menschenraubs tun, wie es nunmehr ein Teil der Antragsteller wünscht. Warum die Vergeltung in dieser Weise nur in dem einen Fall? Wenn Sie schon ein System, das unserem Strafrechtssystem fremd ist, wieder einführen wollen, warum dann nicht die Körperstrafe? Warum wollen Sie denn nicht die Prügelstrafe überhaupt einführen? Ist nicht in weiten Kreisen unseres Volkes auch Stimmung dafür zu machen, daß es sagen würde: dieser miserable Kerl hat jenes Sexualverbrechen an diesem kleinen Mädchen begangen, zur Vergeltung: jeden Tag über den Bock und zwanzig Peitschenhiebe! Das ist die gleiche Empörung, die gleiche Reaktion, der gleiche Vergeltungsgedanke, wie er die Anhänger der Todesstrafe beherrscht. Trotzdem machen Sie diesen Schritt nicht! Vor dem schrecken Sie zurück, weil er doch einer zu weiten Vergangenheit angehört.
Sie wollen nur den Schritt in den Zustand zurück machen, den wir hatten, ehe die Todesstrafe abgeschafft war. Wenn Sie die Dinge systematisch durchdenken, müssen sie erkennen - ich will da nicht wiederholen, was der Justizminister über das Wesensfremde der Todesstrafe in unserem ganzen Strafrechtssystem gesagt hat -, daß Sie zu einem Strafrecht kämen, das sich vom mittelalterlichen gar nicht unterscheiden würde. Sie kämen mit diesem brutalen Strafrecht der Todesstrafe und der Körperstrafe in eine Verbrechensepoche hinein, wie sie nur die Vergangenheit gekannt hat.
({19})
Der Staat hat mit gutem Beispiel und erzieherisch voranzugehen, wenn ihm das Volk in seiner Masse folgen soll, nicht umgekehrt. Der Staat ist auch ein Erzieher, wenn er sich selbst der Gewaltmittel entäußert, die ihm für meine Begriffe gar nicht zustehen.
Ich will die rechtsphilosophischen und weltanschaulichen Gedankengänge gar nicht vertiefen, will auch nicht wiederholen, was ich schon gesagt habe, sondern möchte nur noch auf einen Gesichtspunkt hinweisen. Täuschen Sie sich nicht! Sie streichen mit dem Art. 102, der besagt: die Todesstrafe ist abgeschafft, nicht nur einen Satz, Sie streichen einen Grundsatz, und zwar einen Grundsatz, der geradezu einen Baustein in unserem Grundgesetz bildet, denn angefangen vom Art. 1. der erklärt, daß die Würde des Menschen unantastbar ist, über Art. 2 Abs. 2, daß jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat, bis zum Art. 102, der die notwendige Ergänzung ist, zieht sich dieser Grundsatz, der dem Sinne nach heißt: das Leben ist heilig. Vergessen Sie nicht, daß Sie diesen Grundsatz der Heiligkeit des Lebens verletzen und damit das Tor für alle Möglichkeiten öffnen.
Die Antragsteller des zweiten Antrags wollen, daß der Satz 1 dahin modifiziert wird, daß die Todesstrafe für Mord und Menschenraub gelte. Diese Antragsteller sind durch den Herrn Ewers bereits überboten, und sie sehen, wohin das führt. Er sagt: das genügt mir nicht, Todesstrafe allein für Mord und Menschenraub; es gibt noch ganz andere Delikte. Wenn Sie einmal das Tor zu den barbarischen Strafen aufgestoßen haben, gibt es keine Grenze mehr, dann hängt das von momentanen Stimmungen gesetzgebender Körperschaften ab, dann werden Sie im Prinzip' zu dem gleichen System kommen, das im Nazireich herrschte, und werden alle Dinge, die empörend sind, mit der Todesstrafe bedrohen, werden auch die Todesstrafe verhängen und damit einen Weg begehen, der verhängnisvoll ist.
Meine Damen und Herren, und wenn wir das einzige Volk in Europa oder selbst in der Welt wären, das die Todesstrafe abgeschafft hat, würden wir sagen: wir bleiben bei diesem Grundsatz und kämpfen weiter für ihn. Warum sollte nicht einmal das deutsche Volk auf diesem humanitären Gebiet der Schrittmacher sein und alle Völker führen, warum sollten wir nicht die sein, die den ersten großen, bedeutenden Schritt täten, der von der Barbarei zur Humanität führt?! Deshalb, meine Damen und Herren, beantragen wir nicht etwa eine Überweisung an den Ausschuß, sondern wir beantragen, daß über beide Anträge zur Tagesordnung übergegangen wird, um zu zeigen, daß dieser Grundsatz des Grundgesetzes, daß die Bestimmung der Heiligkeit des Lebens keine Sache ist, die ,man heute so und morgen so regelt, son({20})
dern daß das deutsche Volk und das deutsche Parlament sich bewußt sind, daß eine Verfassung nicht geschaffen wird, um jeden Tag umgemodelt zu werden, wenn nicht das Parlament selbst das Ansehen beim Volke verlieren will.
({21})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schneider.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe heute hier eine Aufgabe, die wirklich nicht leicht zu bewältigen ist. Denn ich muß hier etwas tun, was man in einer so entscheidenden Frage, wie sie heute hier zur Debatte steht, schlechterdings sehr schwierig tun kann. Ich muß nämlich das Pro und Contra der Meinungen hier vortragen, die sich in meiner Fraktion bezüglich dieser Frage ergeben haben.
({0})
Der Herr Justizminister hat in seinen Ausführungen schon dargelegt, daß die Frage, ob man die Todesstrafe wieder einführen will oder ob man den Art. 102 des Grundgesetzes beibehalten will, nicht eigentlich eine echte politische Frage ist, sondern eine Frage, die in der Weltanschauung des einzelnen und, wenn Sie wollen, auch in seiner religiösen Verantwortlichkeit und Anschauung begründet liegt und eine Frage ist, die jeder einzelne von uns schließlich vor seinem eigenen Gewissen verantworten muß.
({1})
Aus diesen Besonderheiten des Problems heraus sind meine Freunde nicht einhellig. Die einen meinen, man solle den Art. 102 beibehalten - ein Standpunkt, den ja mein Herr Vorredner eben geradezu mit ungeheurer Leidenschaftlichkeit verteidigt hat -, und die anderen meinen: nein, man muß diesen Art. 102 streichen, weil gerade aus unserem Volke heraus von draußen das gefordert wird und weil die Ereignisse der letzten Zeit auch gebieterisch zeigen, daß hier etwas geschehen müsse.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich selbst bin ein Anhänger der Wiedereinführung der Todesstrafe; aber ich möchte am Schluß dessen, was ich zu sagen habe - ich muß ja sehr kürzen, ich habe nur 12 Minuten Zeit -, einiges zur möglichen Modifizierung der Vollstreckung sagen. Es wird hier gesagt: das Grundgesetz hat in seinem Art. 2 die Heiligkeit des Lebens ausdrücklich festgestellt. Kein Zweifel! Und es wird daraus nur mit Bezug auf den Mörder gefolgert: weil das Grundgesetz die Heiligkeit des Lebens festgestellt hat, deshalb hat weder ein Mensch noch der Staat als Ordnungsfunktion oder als Inhaber der höchsten Gewalt das Recht, ein Leben zerstören zu lassen, auch nicht durch Richterspruch. - Ja, sehen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren - Herr Kollege Dr. Weber ließ es schon anklingen -: ein Teil meiner politischen Freunde stellt die andere Frage: ist es denn nicht notwendig zu fragen und fordert denn unser Volk nicht geradezu gebieterisch, auch zu fragen: „Was waren denn die Leben wert, die der andere ruchlos vernichtet hat?"
({2})
Denn das ist doch die gleiche Frage, die hier aufzuwerfen ist. Und wenn der Herr Justizminister vorhin gesagt hat - ich kann mich ja leider Gottes, weil ich hier zwei Standpunkte zu vertreten
habe und das objektiv tun muß, nicht so mit ihm auseinandersetzen, wie ich das möchte -: „Jeder Täter, der den Entschluß zum Morde faßt, ist schon nicht mehr zurechnungsfähig",
({3})
so lehne ich das in dieser generellen Formulierung grundsätzlich ab.
({4})
- So ähnlich hat er es formuliert.
({5})
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will nicht zu leidenschaftlich werden. Also ein Teil meiner Freunde meint: Weil auch das andere Leben heilig war, das dort vernichtet wurde, und weil auch dort ungeheures Leid über Familien kam durch ruchlose Taten - neulich in Frankfurt wurden wieder um einiger schnöder Hundertmarkscheine willen zwei unschuldige Menschenleben einfach ausgelöscht und vernichtet! -, deshalb muß der Mörder die Sühne auf sich nehmen, die das erfordert, nämlich die letzte Sühne. Er muß, weil er selbst Blut vergossen hat, mit seinem eigenen Blut bezahlen. Das ist ein Standpunkt, der auch in der Bibel steht, allerdings im Alten Testament.
Ich bin noch nicht einmal so sehr der Meinung, daß die Abschreckungstheorie als wesentlich ins Feld geführt werden könnte, obwohl ich mit dem Herrn Kollegen Ewers sagen möchte: die ganzen Statistiken lassen sich, wenn man will, auch irgendwie anders deuten. Mit Statistiken kann ich alles machen, je nach der Zielrichtung, in der ich sie einsetzen will.
Für den Teil meiner Freunde, die die Wiedereinführung der Todesstrafe bejahen, möchte ich abschließend folgendes sagen. Sie glauben einfach, daß die Wiedereinführung der Todesstrafe aus dem Volk heraus gefordert wird. Damit komme ich an einen heiklen Punkt. Ich habe in den letzten Wochen draußen in meinem Wahlkreis - ich bin direkt gewählter Abgeordneter - samstags und sonntags gesprochen, nicht über die vorliegenden Anträge, sondern über andere Dinge. Bezeichnenderweise - was mir noch nie begegnet ist, auch damals vor zweieinhalb Jahren nicht, als wir über dieses Problem hier diskutierten - kam jedesmal in der Diskussion die Frage auf mich zu: Wie stehen Sie zur Wiedereinführung der Todesstrafe? Ich habe mich bemüht, den Leuten klarzumachen, welch schwieriges, welch verantwortungsvolles Problem hier zur Debatte steht, wie eingehend man es prüfen und beraten muß, ehe man sich entscheidet. Ich wurde zum Schluß beinahe nicht mehr angehört. Vielmehr machte sich eine Ungeduld bemerkbar, und mindestens 80 bis 90 % der dort Anwesenden forderten kategorisch von mir als dem dort gewählten Abgeordneten, daß ich mich für die Wiedereinführung der Todesstrafe einsetze.
({6})
- Ich berichte ja nur, Frau Kollegin. - Die Frage, die wir hier zu entscheiden haben, ist die, ob ich als Abgeordneter den Standpunkt vertrete, den der Herr Justizminister hier als selbstverständlich hingestellt hat, daß ich, wenn einmal der Wahlakt vollzogen ist, wenn einmal das Vertrauen der Wählermassen mich hierhergebracht hat, an gar nichts mehr gebunden bin, sondern nur noch meinem eigenen Gewissen verantwortlich bin. Diesen Standpunkt kann ich in dieser generellen Weise
({7})
nicht teilen. Was sind wir denn eigentlich hier in Bonn, wir Abgeordneten alle miteinander?
({8})
Wir sind doch wohl dazu da, das Wohl unserer Menschen, derer, die uns hierhergeschickt haben, zu gestalten. Ich betrachte das als einen Auftrag und halte mich in gewisser Beziehung an diesen Auftrag gebunden.
({9})
Ich habe den Wählern ja seinerzeit, als ich zum Wahlkampf antrat, erzählt: ich habe die und die Weltanschauung, ich vertrete die und die Auffassung. Weil ich den Wählern das erzählt habe, haben Sie mich gewählt. Das ist für mich eine Bindung, wenn sie wollen: eine sittliche Bindung.
Nun möchte ich den Standpunkt meiner anderen Freunde aus der Fraktion ebenso ernst darlegen. Sie lehnen es ab, den Art. 102 des Grundgesetzes zu streichen, weil sie das im wesentlichen aus ihrem Gewissen, aus ihrer christlichen Verantwortung nicht glauben verantworten zu können, weil sie sich an den Satz halten: ,,Du sollst nicht töten", und weil sie den für so verpflichtend erachten, daß auch der Staat nicht das Recht habe, wie das ja schon vorher hier ausgeführt worden ist, in ein Leben vernichtend einzugreifen.
Sie sagen auch weiter - und dieser Gesichtspunkt muß bei der Debatte, die wir demnächst im Rechtsausschuß haben werden, ganz besonders beachtet werden -: ein Todesurteil ist seiner Natur nach irreparabel. Das ist ja nicht zu bestreiten; das ist ja ganz selbstverständlich. Wenn das Leben einmal vernichtet ist, dann ist es nicht mehr da,
({10})
und die Sicherungen des Wiederaufnahmeverfahrens, das wir sonst immer haben, haben keine Wirkung mehr. Deshalb sagen sie auch: Wir können die Verantwortung dafür nicht übernehmen. Sie sagen auch mit dem Herrn Justizminister: es hat ja gar keinen Zweck; was nützt die Wiedereinführung der Todesstrafe. wenn. wie sie mit dem Herrn Justizminister glauben und wie auch viele Kolleginnen und Kollegen hier glauben, die Statistik exakt und nicht widerlegbar nachweise, daß die Wiedereinführung der Todesstrafe an der Zahl der Fälle absolut nichts zu ändern vermöge. Mit anderen Worten: sie verneinen die Wirkung der Abschreckung.
({11})
Das sind die Gründe, die meine anderen Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion bewegen, diesen Anträgen nicht zuzustimmen.
Ich selbst möchte noch eins dazu sagen. Gerade diese Erörterungen, die man manchmal hört, daß man vielleicht einen Unterschied in der Art der Beweisführung in einem Mordprozeß machen und darauf abstellen müßte, ob ein direkter Beweis oder nur ein Indizienbeweis vorläge und. je nachdem, wie es sei. man niemals bei Vorliegen nur eines Indizienbeweises zu einem Todesurteil kommen könnte. diese Theorien lehne ich ah, weil sie nicht rechtssystematisch sind. weil sie auch nicht eigentlich passen. Wir würden dann in einem wesentlichen Punkt. Herr Kollege Wagner, nämlich in einer wesentlichen Art der Beweisführung. dem Indizienbeweis eine ganz besondere Ausnahmestellung gehen. Man könnte darüber im Rechtsausschuß ernsthaft debattieren. Es gibt Für und Wider. Aber ich persönlich habe mir mit einigen
Freunden zusammen Gedanken darüber gemacht. Ich persönlich würde vielmehr, wenn wir, was ja lange noch nicht sicher steht, da hier noch eine verfassungändernde Mehrheit vorhanden sein muß, überhaupt auf derartige Einzelheiten eingehen wollen, die Lösung vorziehen, den § 13 des Strafgesetzbuches zu ändern und vielleicht einen Abs. 2 anzufügen - das ist meine These -, wonach die Todesstrafe immer nur dann vollzogen werden darf, wenn der Inhaber der Gnadengewalt das Urteil bestätigt hat; und wenn er es nicht bestätigen sollte,
({12})
dann könnte sie in lebenslanges Zuchthaus umgewandelt werden. Das wäre eine gewisse Sicherung für die Fälle, in denen sich hinsichtlich der Art der Beweisführung, die zu diesem Urteil geführt hat, vielleicht Zweifel ergeben, ob sich nicht doch, da alles menschliche Erkenntnisvermögen nun einmal unvollständig und unvollkommen ist, vielleicht eine Lücke eingeschlichen haben könnte, was dann auf diesem Umweg später repariert werden könnte.
Das ist das, was ich im Namen meiner Fraktion zu dem heute anstehenden Problem sagen wollte. Wir werden also für die Überweisung an den Rechtsausschuß stimmen, d. h. diejenigen, die den Anträgen zustimmen. Wie sich die anderen Damen und Herren entscheiden werden, weiß ich nicht; das werden wir dann sehen.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Fisch.
Meine Damen und Herren! Zunächst ein Wort an den Herrn Bundesjustizminister. Ich kann mir den Respekt vor der Äußerung des persönlichen Bekennermutes des Herrn Ministers nicht versagen. Ich möchte dem aber eins hinzufügen, Herr Minister. Es genügt in der Politik nicht, abstrakte Ideale zu verkünden. Wenn Sie Ihre politische Praxis wirklich mit den Idealen Ihrer Jugend, die Sie heute hier vorgetragen haben, in Einklang bringen wollen, dann gibt es daraus nur eine Konsequenz, nämlich daß Sie heute noch diesem Hause Ihren Rücktritt aus der Regierung Adenauer mitteilen.
({0})
Meine Damen und Herren! In Art. 102 des Grundgesetzes ist die Abschaffung der Todesstrafe festgelegt. Der Beschluß ist seinerzeit mit einer großen Mehrheit gefaßt worden. Man muß also heute fragen, was die Urheber dieses neuen Vorstoßes für die Aufhebung des Art. 102 zu ihrem Schritt veranlaßt haben mag. Sie wissen doch genau, daß die Wiedereinführung der Todesstrafe verfassungsändernden Charakter hätte und daß Sie dazu eine Zweidrittelmehrheit dieses Hauses benötigen, von der Sie wissen, daß Sie sie nicht erhalten werden. Weshalb also diese Vorlage, und woher dieser plötzliche Gesinnungswandel?
Die Antwort darauf ergibt sich wohl aus der Feststellung, wer diesen Antrag gestellt hat und zu welchem Zeitpunkt er hier unterbreitet wird. Der Antrag wird von einer Partei gestellt, die sich nicht scheut, ehemalige prominente Nazis an die Spitze ihrer Organisation zu stellen, die in Versammlungen den alten Nazistil wieder aufleben läßt und die Redner präsentiert, die sich mit Stolz
({1})
auf ihre Vergangenheit in der glorreichen NSDAP berufen. Die Vorlage wird von der Partei des Bundeskanzlers unterstützt, deren Fraktionsvorstand am 4. September 1952 den Beschluß gefaßt hat, gleichfalls für die Wiedereinführung der Todesstrafe zu plädieren; damit hat sie im Zeitraume der vergangenen drei Jahre wohl den erstaunlichsten Wechsel ihrer Gesinnung vollzogen.
Noch wesentlicher aber für die Erklärung der Vorlage ist der Zeitpunkt, zu dem sie unterbreitet wird. Es ist der Zeitpunkt, zu dem die Regierung auf die Ratifizierung der Kriegsverträge drängt, der Zeitpunkt, zu dem sie die Stimmungsmache für die Annahme dieser Verträge zu ihrem dringlichsten Geschäft erhoben hat, der Zeitpunkt, zu dem die fremde Militärgerichtsbarkeit auf deutschem Boden zum Normalzustand erklärt werden soll. Es ist der Zeitpunkt, zu dem der Aufmarsch zu einem neuen Massenmorden eingeleitet wird.
({2})
In dieses Konzept hinein gehört die Propaganda für die Todesstrafe; sie ist ein Teil des Konzeptes der Organisatoren des Massenmordes.
({3})
Man braucht nicht lange bei den Vorwänden zu verweilen, die hier zur Begründung für die Wiedereinführung der Todesstrafe angeführt werden. Im März 1950 beriefen sich die Befürworter der Vorlage auf Moral und Recht, auf Gerechtigkeit und Sicherheit der menschlichen Gesellschaft. Nun, die christliche Moral war niemals ein fester Begriff; es gab eine Zeit, in der die Christen als Hochverräter gehängt, enthauptet und wilden Tieren zum Fraße vorgeworfen wurden. Damals trat die Kirche und die christliche Moral gegen die Todesstrafe auf. Als dann aber später die Kirche zu einer festen, auch weltlichen Macht wurde, als es ihr darum ging, den kirchlichen Dogmen den Schein ewiger, allgemeingültiger Wahrheiten zu sichern, da wurde die Häresie zum Kapitalverbrechen erklärt,
({4})
da wurde das Töten, ja die scheußlichste Art des Tötens, zu einem Ausdruck christlicher Moral, als eine gottgewollte Tat im Dienste der christlichen Moral hingestellt.
({5})
Seit damals ist die Todesstrafe wieder zu einem politischen Instrument geworden.
({6})
Ich kann es mir ersparen, auf die Prinzipien der Abschreckung, der Vergeltung usw. einzugehen, die hier zur Verteidigung der Wiedereinführung der Todesstrafe erwähnt wurden. Diese Arbeit hat der Herr Justizminister selber schon auf sich genommen. Fs gibt einen wahren Grund für die Wiedereinführung der Todesstrafe: Man will eine Anpassung, ja die Unterwerfung des Grundgesetzes unter die Wünsche fremder Militärs. Man will mit der Drohung der Todesstrafe alle jene Menschen einschüchtern, die gedenken, sich auf den Art. 4 des Grundgesetzes, auf das Recht der Kriegsdienstverweigerung zu berufen, ja man will, wie es ein Sprecher der Regierungskoalition. Herr Ewers, heute offen ausgesprochen hat, mit dem Mittel der Todesstrafe jede politische Opposition gegen den Kriegskurs der Adenauer-Regierung niederzwingen. Sonst würde man nicht heute schon die Begriffe des Hochverrats und des Landesverrats in die Liste der Begründungen künftiger Todesurteile einzuschmuggeln versuchen. Hier habe ich einen Artikel des Ministerialrats im Bundesfinanzministerium, des Herrn Dr. Vialon, vor mir liegen, in dem er zu dieser Frage erklärt:
Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft hat die meisten Elemente eines echten Staatswesens, insbesondere eigene Souveränität und Rechtsetzungsbefugnis. Der Fahnenflüchtige wird durch ihre eigenen Gerichte zum Tode verurteilt.
Das ist der Sinn dieser neuen Initiative für die Todesstrafe.
({7})
Die Gerichte Ridgways sollen künftighin Todesurteile vollstrecken dürfen, die Gerichte des Massenmörders wehrloser Gefangener. Darum geht es. Dieses Recht will man auch gewissen deutschen Richtern einräumen. Dabei möchte ich sagen, daß sich in den letzten Wochen die Beispiele häufen, daß gewisse sich demokratisch nennende Richter
Herr Abgeordneter, kommen Sie zum Schluß!
- die alte Praxis Freislerscher Sondergerichte nachzuahmen beginnen.
({0})
Wir werden es unter allen Umständen zurückweisen, daß man solchen Richtern die Befugnis in die Hände gibt, Todesurteile aus politischen Gründen zu verhängen,
Herr Abgeordneter, kommen Sie zum Schluß! Sonst entziehe ich Ihnen das Wort.
- Todesurteile, die sich ergeben aus der Fortentwicklung des Blitzgesetzes, dessen entscheidender Miturheber ja der Herr Minister der Justiz selbst ist.
Herr Abgeordneter, kommen Sie zum Schluß!
Wir sind gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe und schließen uns dem Antrag der SPD-Fraktion an, über die beiden Anträge zur Tagesordnung überzugehen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Meitinger:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mr. Clark, der Präsident des amerikanischen Berufungsgerichts, hat in seinem 70. Berufungsurteil dazu Stellung genommen, ob die Abschaffung der Todesstrafe durch Art. 102 des Grundgesetzes richtig war oder nicht. Er führte dabei aus: „Allgemein sind besondere Punkte des Strafrechts nicht Gegenstand von Verfassungsgesetzen. Weder die Verfassung des deutschen Kaiserreichs noch die Weimarer Verfassung enthalten solche Bestimmungen." Dies ist eigentlich für uns eine Begründung, warum wir eine Ausnahme vom Art. 102 des Grundgesetzes wollen, warum wir für die Verbrechen des Mordes und des Menschenraubes eine Ausnahme wünschen, d. h. die Wiedereinführung der Todesstrafe im Wege eines ein({0})
fachen Bundesgesetzes im Rahmen der kommenden Strafrechtsreform erreichen wollen.
Wenn wir dies wollen, dann ist sofort die Frage aufgeworfen: Hat der moderne Staat überhaupt das Recht, die Todesstrafe wieder einzuführen? Diese Frage könnten wir glattweg verneinen, wenn der moderne Fortschritt es mit seiner Bildung und Erfindung erreicht hätte, daß sich kein Mensch mehr am Leben seiner Mitmenschen vergreift, kurz gesagt, wenn die Herren Mörder mit der Abschaffung der Todesstrafe anfingen.
Diesen Standpunkt können wir auch heute noch aufrechterhalten. Der Staat braucht die Todesstrafe, und zwar für solche Kapitalverbrechen wie Mord und Menschenraub. Dies ist allgemein zur Todesstrafe zu sagen.
Speziell möchte ich hier folgendes ausführen. Vom Standpunkt der Sühne aus gesehen: das Volk betrachtet die Zuchthausstrafe, auch die lebenslängliche, nicht als eine entsprechende Strafe für den Mörder und den Menschenräuber. Wenn wir vom Volk reden, so meinen wir nur das rechtlich empfindende Volk, das an die ernsten Sachen mit dem rechten sittlichen Empfinden herantritt. Wer viel mit dem Volk verkehrt, weiß, daß es eine viel zu beharrliche Auffassung von Recht und Gesetz hat, als daß es heute etwas als Unrecht ansehen könnte, was gestern als Recht und Pflicht der Obrigkeit betrachtet wurde. Das rechtlich gesinnte Volk ist so konsequent, daß es sich für die Todesstrafe nicht nur dann ausspricht, wenn entsetzliche Verbrechen öfters alle Gemüter erschüttern, sondern auch, wenn längere Zeit hindurch keine die Todesstrafe heischenden Verbrechen mehr begangen werden. Ich will damit sagen, da 13 hier nicht aus Zeitumständen, unter denen plötzlich viele solcher Verbrechen auftreten - wie nach dem Weltkrieg im Jahre 1945 -, entschieden werden darf, sondern grundsätzlich vom rechtlich empfindenden Volke her die Entscheidung getroffen werden muß.
Der Staat braucht die Todesstrafe als Abschrekkungsmittel. Eine noch so lange Zuchthausstrafe schreckt von neuen Verbrechen nicht ab, wohl aber die Todesstrafe. Wer als Verteidiger wiederholt Menschen verteidigen mußte, die Delikte begangen hatten, für die die Todesstrafe angedroht war, der weiß, daß auf jeden Fall die Todesstrafe abschrekkender als eine Zuchthausstrafe wirkt. Wenn sich der Herr Justizminister die große Mühe gemacht hat, .an Hand des statistischen Materials darzulegen, daß aus den geschehenen Morden nicht genau zu erweisen ist, ob bei Abschaffung der Todesstrafe oder bei ihrem Bestehen die Morde weniger oder mehr waren, so ist das eine bedeutsame Arbeit; aber es ist nicht das richtige Kriterium für die Wiedereinführung der Todesstrafe. Man muß hier den Blick aus dem Bereich des Geschehenen wegwenden und sich vor Augen halten, daß keineswegs alle verbrecherischen Pläne, die erwogen worden sind, auch zur Ausführung kommen. Dieses Kriterium ist entscheidend; es ist heute überhaupt noch nicht erwähnt worden. Man kann zwar die Mörder, die erwischt worden sind. erfassen; aber man kann nie feststellen, wieviel verbrecherischer Wille da war, der vor der Tat verhindert wurde, weil der Betreffende durch die Androhung der Todesstrafe abgeschreckt wurde.
Die Frage der Sicherung der Gesellschaft ist ebenfalls vom rechtlich empfindenden Volksteil her zu verstehen. Gewiß werden heute manche sagen, man muß von oben her, von der Demokratie (C her entscheiden. Ja, das rechtlich empfindende Volk ist doch der Faktor, der für uns, die wir gewählte Abgeordnete sind und in der Gesetzgebung mit zu entscheiden haben, das Bestimmende ist.
In Verbindung damit ist die Frage gestellt worden, ob es sich mit dem Christentum vereinbaren läßt, daß die Todesstrafe für Kapitalverbrechen wie für Mord und Menschenraub angedroht wird. Trotz verschiedener entgegengesetzter Ansichten ist es mit dem Christentum zu vereinbaren, daß die Todesstrafe wieder eingeführt wird. Im Alten Testament ist die Todesstrafe statuiert. Ich könnte Ihnen eine ganze Reihe von Beispielen zitieren; mit Rücksicht auf die kurze Zeit kann ich nur folgendes anführen.
({1})
Bezüglich des Rechtes des Staates auf die Erkennung der Todesstrafe möchte ich nur auf einen Brief des Heiligen Paulus an die Römer Kap. 13 Vers 4 hinweisen:
Die Obrigkeit ist Gottes Dienerin, Dir zum Guten, denn sie trägt das Schwert nicht umsonst: sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe über den, der Böses tut.
Der Hinweis auf das fünfte Gebot Gottes „Du sollst nicht töten!" ist kein Gegenargument, denn es handelt sich hier ja nur um nicht erlaubte Tötungsakte. Ich habe gerade diese Stelle zitiert, da der Tötungsakt des Staates auf Grund eines Urteils berechtigt ist. Der Hinweis auf die Menschenwürde des Verbrechers ist ebenfalls nicht überzeugend. „Schlimmer als eine Bestie ist ein böser Mensch, und er schadet mehr", so spricht Thomas von Aauino in der Quaestio 64 Artikel II. Alle diese Momente müssen betrachtet werden. Sie sind bisher nicht alle aufgeführt, sondern nur kurz erwähnt worden.
Aus diesem Grunde bitte ich, dem Antrag zuzustimmen, die beiden Anträge dem Ausschuß für Rechtwesen und Verfassungsrecht zu überweisen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Wagner.
Meine Damen und Herren! Ich habe eine rein geschäftsordnungsmäßige Erklärung abzugeben. Ich habe beantragt, daß über die beiden Anträge zur Tagesordnung übergegangen werde. Es ist fraglich, ob dieser Antrag im Hinblick auf § 79 Abs. 2 der Geschäftsordnung zulässig ist.
({0})
Ich möchte, um alle Zweifel auszuschalten und keine geschäftsordnungsmäßigen Schwierigkeiten entstehen zu lassen, meinen Antrag so stellen, daß ich beantrage, den Antrag auf Überweisung dieser beiden Anträge an den Ausschuß abzulehnen, und zwar mit der Maßgabe, daß ich um getrennte Abstimmung über beide Anträge bitte. Ich beantrage weiter, in die zweite Lesung einzutreten.
Das Wort hat der Abgeordnete Ewers.
Ewers ({0}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In meinem Schlußwort habe ich mich fast ausschließlich mit dem langen Vor({1})
trag des Herrn Bundesjustizministers auseinanderzusetzen. Wegen der Zeit und weil ich bei weitem nicht etwa die Länge seiner Rede wiederholen möchte, darf ich auf die übrigen Reden mit einer ganz kurzen Bemerkung zurückkommen.
Ich habe den Herren Kollegen Dr. Weber und Dr. Schneider für ihre Ausführungen zu danken, die der heutigen Sachlage im Bundestag in jeder Weise gerecht geworden sind.
Was Frau M e y e r- L a u l e anlangt, so ist mir ihr Mitleids- und Versöhnungsglaube menschlich außerordentlich sympathisch; ich wollte aber, daß ihre Partei, wenn es sich um die Beurteilung von Verdiensten oder Nichtverdiensten solcher Personen, die früher der NSDAP angehörten und längst entlastet sind, handelt, diesem Versöhnungs- und Mitleidsgedanken ebenfalls ein wenig Rechnung trüge.
({2})
Jedenfalls scheint mir dies eine durchaus einschlägige Bemerkung zu dem Mitleidsethos,
({3}) das sie hier verbreitet hat, zu sein.
Was die Berufung des Bundestags anlangt, so bin ich mit ihr darüber einig, daß dieser nicht mehr über die Wiedereinführung der Todesstrafe beschließen kann und beschließen wird, daß wohl aber die Möglichkeit bestünde und es durchaus denkbar wäre, wenn die Grundsatzmeinung durch alle Fraktionen, auch durch die SPD-Fraktion hindurch verschieden lauten sollte, daß man sich auf Grund einer sachlichen Vorarbeit aus praktischen Gründen für die Aufhebung des Art. 102 entschlösse, um dem Gesetzgeber den Weg freizugeben.
({4})
Was die Ausführungen des Herrn Kollegen Wagner anlangt, so weiß ich nicht, ob er dem Herrn Justizminister Dr. Dehler damit einen großen Dienst erwiesen hat, daß er gefordert hat, daß seine Rede zur höheren Ehre der SPD in 100 000 Exemplaren verbreitet würde. Ich erinnere mich des sehr unerfreulichen Ausspruchs seines Fraktionskollegen Dr. Arndt, daß es jedesmal eine Katastrophe sei, wenn Herr Dr. Dehler hier auftrete.
({5})
Ich halte diesen Ausdruck für vollkommen falsch. Aber es ist sonderbar, daß diese „Katastrophe" heute in 100 000 Exemplaren verbreitet werden soll.
({6})
Eine von beiden Ansichten muß ja wohl berichtigt werden!
Nun aber zu Herrn Dr. Dehlers Ausführungen! Sie hatten zwei Teile. Im ersten Teil sprach er als Bundesjustizminister zu dem Problem, das uns heute beschäftigt, und brachte eine Fülle von Material, zum Teil sehr hörenswertem, zum Teil - da es in Zahlen bestand - gar nicht auffaßbaren Charakters bei. Der zweite Teil aber war eine Rede, die der Politiker und Evolutionist Dehler hielt in dem Bestreben, hier mit weiß Gott welchen Argumenten alles und jedes ins Feld zu führen,
({7})
das nach seiner Meinung gegen die Todesstrafe spricht.
({8})
-- Das ist mir gar nicht unangenehm, sondern ich bin überzeugt, daß im Hause viele schwankende Gemüter durch diese kasuistischen und von des Gedankens Blässe angekränkelten Ausführungen in ihrer Entscheidung gegen die Todesstrafe wankend geworden sind.
({9})
- Ich bin durchaus nicht unbelehrbar, beruhigen Sie sich.
Nun noch ein Wort zu der Rede von Herrn Wagner ehe ich auf die sachlichen Ausführungen von Dr. Dehler selber eingehe. Er hat hier erklärt, daß Herr Dr. Seebohm, als er im Parlamentarischen Rat für die Abschaffung der Todesstrafe eingetreten sei, dies für irgendwelche politischen Zwecke getan habe und daß er seinen Sinn gewandelt habe. Ich möchte betonen: Herr Dr. Seebohm hat seinen Sinn ebensowenig gewandelt wie mein Parteifreund Dr. von Merkatz, der am 27. März 1950 hier im Hause sehr starke Argumente gegen die Todesstrafe angeführt hat und heute genau so wie damals zu diesen Argumenten steht. Denn wir haben keinen Fraktionszwang, meine Herren von der SPD!
({10})
Es ist vielmehr so, daß unsere Partei in ihren politischen Programmsätzen
({11})
- ich bitte, mich ausreden zu lassen - zur Todesstrafe keine Stellung bezogen hat, daß aber aus unseren Mitgliederkreisen im Laufe der letzten zwei Jahre der empörte Laut wach geworden ist: wie ist es möglich, daß solche Dinge in Deutschland geschehen können, ohne dem Gesichtspunkt unseres nun einmal seit 1870 überkommenen Strafrechts Rechnung zu tragen?
Nun zu Herrn Dr. Dehler in seinen Einzeldarlegungen! Er hat erklärt, daß ich mich im Rechtshistorischen insofern geirrt habe, als einige Parlamente - u. a. habe ich Uruguay verstanden
- in ihrer Verfassung die Todesstrafe abgeschafft hätten. Ich habe demgegenüber ausgeführt, daß das fast ausnahmslos in allen abendländischen Kulturstaaten der Fall sei. Ich weiß, daß es in Österreich in der Verfassung steht. Was die Schweiz anlangt, so hat sie die Todesstrafe nur abgeschafft für die Urteile, die der höchste Gerichtshof in allgemeinen Schweizer Sachen spricht, also Landesverrat, Hochverrat. Dagegen haben die Kantone durchaus verschiedenes Recht., die einen so, die andern so, wie Herr Dr. Dehler selber hier ausgeführt hat.
Dann kommt das zweite. Ihm ist ein wahrhaft entzückender Lapsus passiert, um den ich ihn geradezu lieben könnte; ich hoffe, er hat ihn im Stenogramm nicht verbessert. Er hat von der „parlamentarischen Aristokratie" gesprochen, ein Wort, das mir sehr sympathisch in den Ohren klingt. Er meinte allerdings „parlamentarische Demokratie". Er hat von der Vertreterschaft gesprochen und hat erklärt, daß er es verächtlich fände, wenn sich hier Abgeordnete auf das Niveau ihrer Wähler herabbegäben.
({12})
({13})
- Das hat er hier wörtlich erklärt.
({14})
- Jawohl, er hat wörtlich gesagt, das Niveau des Abgeordneten habe höher zu sein als das seiner Wähler. Er hat uns zum Vorwurf gemacht, daß wir die Höhe des Niveaus nicht hielten. Ich muß diesen Vorwurf zunächst für meine Person mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Wenn ich hier für die Todesstrafe mit sehr nachdenklichen und sehr skeptischen Worten, wie Sie gehört haben werden, eintrete, so muß ich mir auf das entschiedenste persönlich verbitten, daß ich damit der Straße das Wort rede.
({15})
Aber noch eins. Wenn Sie der Meinung sind, daß wir Abgeordneten hier auf Grund eigener Kenntnisse und eigener Verständnisse unsere Entscheidungen treffen sollen, so bitte ich Sie doch, bei Ihren sozialpolitischen Versorgungsstaatanträgen auch einmal daran zu denken und nicht immer j a zu sagen, wenn die Straße das fordert. Ich glaube, das gilt wohl für alle Dinge, nicht nur für die Todesstrafe.
({16})
Dann hat er die Talion, das Vergeltungsrecht, behandelt. - Das mögen Sie nicht sehr gerne hören, das weiß ich.
({17})
- Dann bitte ich Sie, mich anzuhören. Hören Sie gut zu, wenn Sie es gerne hören wollen.
({18})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Talion ist die Theorie der Vergeltung des Gleichen mit Gleichem! Es ist richtig, wir haben Strafen, die sind nicht in dem Sinne Talion, sondern sie fügen ein anderes Übel zu, weil wir in der Regel mit gleichen Übeln gar nicht strafen können. Für jeden, der überhaupt nachdenkt, kommt doch die Todesstrafe nur noch gegen den in Betracht, der Menschenleben vernichtet oder mit Menschenleben gespielt hat. Ich gebe zu, daß dieser Punkt Bezirke berührt, die über dem Verstande liegen, Bezirke der Metaphysik und Religion, in denen aber nach meiner Meinung die Talion vollständige Gewalt haben könnte.
({19})
- Machen Sie doch meine Sprache nicht nach! Ich finde das etwas kindisch. Die Dinge sind ernst genug. Ich meine, eine solche flache Bemerkung, daß man den Mörder deshalb nicht hinrichten dürfe, weil man ja auch nicht den Dieb dadurch bestraft, daß man ihn wiederbestiehlt, ist überhaupt kein Argument, das unter ernsten Menschen in Betracht zu ziehen ist. Es handelt sich doch bei der Todesstrafe um Verbrecher, die man im juristischen Sprachgebrauch .,Kapitalverbrecher"
nennt, um Hauptvergehen also, wie es sich in diesem Wort ausdrückt.
Dann hat er zu meinem Schrecken und Entsetzen die „Umwelt" angeführt, die berühmte defaitistische Strafrechtstheorie, nach der, weiß Gott, der Ermordete schuld sein soll, weil der Mörder als Kind seiner Umwelt gar nichts dafür könne. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir uns hier im ganzen Hause nicht auf den Standpunkt der Willensfreiheit im Strafrecht, auf
den Standpunkt des Indeterminismus stellen, wenn wir nicht unabhängig von irgendwelchen philosophischen Erkenntnistheorien sind, dann dürfen wir niemand bestrafen. Ein solches Argument gegen die Todesstrafe ist ein Argument gegen jedes Strafrecht.
({20})
Wer sich nicht auf die Kantsche praktische Vernunft beschränkt, sondern in den Höhen der Metaphysik nach der Willensfreiheit forscht, der muß es aufgeben, Justizminister zu sein und überhaupt von Strafe zu reden.
({21})
Nun zur Notwendigkeit oder Nützlichkeit der Todesstrafe; das wäre also die Praxis des Justizrechts.
({22})
- Ich habe Sie nicht verstanden, und so 'brauche ich Gott sei Dank auf Ihre Torheit nicht einzugehen.
({23})
- Ach, das ist ja wieder Herr Dr. Greve. Natürlich, vielen Dank, Herr Dr. Greve; ich kenne es ja nicht anders von Ihnen.
Zur Notwendigkeit und Nützlichkeit der Todesstrafe: Herr Dr. Dehler hat uns hier mit einer Fülle von statistischen Zahlen überfallen, die jeder in der einschlägigen Literatur nachlesen kann. Ich habe sie nachgelesen und bin durch sie nicht zu überzeugen. Auch dazu noch einmal ein Wort. Die Statistik kann immer nur feststellen, was unter bestimmten gegebenen Umständen geschehen ist. Was geschehen wäre, wenn andere Umstände vorgelegen hätten, darüber schweigt die Statistik sich völlig aus.
({24})
Der Vergleich mit den Kantonen aus der Schweiz oder einsamen Berggegenden gewisser Staaten Amerikas mit anderen Staatsgebilden, wie z. B. New York, wo sicher die Todesstrafe noch gilt, hat so viele Hinkefüße, daß es so viele Prothesen gar nicht gibt, diesen Vergleich zum Stehen zu bringen. Alle diese Vergleiche sind nur Sand in den Augen der klaren Einsicht. Diese Dinge überzeugen niemanden. Was in Betracht kommt, ist allein, daß man die praktischen Fälle der Morde, seien es Massenmorde, Einzelmorde, Lustmorde oder Raubmorde, untersucht. Und da sage ich Ihnen: Ich kann die Staatsanwälte nicht zählen, die mitteilen, daß ihnen die Täter selbst gestanden haben, sie hätten ihre Tat nicht begangen, wenn die Todesstrafe bestanden hätte.
({25})
Ich kann Ihnen weiter sagen: Der Ausspruch des Mörders in Lübeck, der selbst die Todesstrafe forderte, sei kein Beweis für die Wirksamkeit der Abschreckung gewesen - ist natürlich vollkommen sinnlos. Wenn er n a c h der Tat als Mörder seinen Tod fordert, dann ist das ein Zeichen dafür, daß er noch einen guten Kern in sich hat und von der Vergeltungstheorie, die er nicht kennt, offenbar ergriffen ist. Was er aber als Nichtmörder vor der Tat getan hätte, wenn er selbst nach der Tat die Vergeltung fordert, das ist zwar düster, das wissen wir nicht. Ich behaupte aber, diese Forderung nach der Tat ist ein Zeichen dafür, daß er sich niemals in die Lage hätte hineinziehen lassen,
({26})
zu morden, um dann seinen eigenen Tod zu fordern. Dann konnte er sich bequemer vorher selbst entleiben und brauchte nicht erst zu morden.
Also, meine sehr verehrten Damen und Herren, all die Argumente, die Herr Dr. Dehler angeführt hat, können nichts Überzeugendes haben. Nur das, was die juristische Praxis benötigt, das kann er beisteuern, und darüber sollte im Ausschuß gesprochen werden.
Nun ein kurzes Wort zum Schluß. Wir haben vom fünften Gebot, wir haben von der Würde des Menschenlebens und von Art. 2 des Grundgesetzes gesprochen, der mit einigen gesetzgeberischen Worten das Leben gewährleistet. Wenn der Gesetzgeber nach dieser Bestimmung unser Leben, die wir keine Mörder sind, gewährleisten will, so hat er das Recht und die Pflicht, es so einzurichten, daß wir den denkbar größten Schutz vor der Zerstörung unseres Lebens erhalten. Wie nun einmal die Dinge auf der peinlich nüchternen Erde liegen, muß das Gesetz also den Mörder als Täter so stellen, daß alle denkbaren Hemmungen in ihm hervorgerufen werden. Ich fordere daher im Sinne des Art. 2 des Grundgesetzes die Abschaffung des Art. 102 des Grundgesetzes und meine, daß man darüber, ob das geschehen soll und kann, zwar sehr wohl verschiedener Ansicht sein kann, es aber, weiß Gott, jetzt, im Herbst 1952, an der Zeit ist, diese Dinge mit kaltem, nüchternem Verstand, wenn auch mit warmen Herzen zu prüfen.
({27})
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache in der ersten Beratung. Der Antrag auf Übergang zur Tagesordnung ist zurückgezogen. Nach der Geschäftsordnung war er in der Tat nicht zulässig.
Es ist der Antrag gestellt, die beiden Vorlagen an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen. Weiter ist der Antrag gestellt, über die einzelnen Vorlagen getrennt abzustimmen.
Am weitesten geht der Antrag Drucksache Nr. 3679. Ich lasse zunächst über ihn abstimmen. Wer für die Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Letzteres ist ohne Frage die Mehrheit.
({0})
- Wollen Sie unbedingt einen Hammelsprung haben?
({1})
- Das Präsidium ist einstimmig der Meinung, daß die Mehrheit gegen die Überweisung war.
({2}) Der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse über den Antrag Drucksache Nr. 3702 abstimmen. Wer für seine Überweisung an den genannten Ausschuß ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Es bestehen Bedenken. Wir müssen durch Hammelsprung entscheiden.
({3})
Ich bitte, die Türen zu schließen. - Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen. ({4})
Ich bitte, die Türen zu schließen. - Die Zählung 1 ist beendet. Meine Damen und Herren, das Ergebnis der Abstimmung ist: mit Ja - für die Überweisung - haben gestimmt 146 Abgeordnete, mit Nein 151 Abgeordnete, 2 Mitglieder des Hauses haben sich der Stimme enthalten. Damit ist der Antrag auf Überweisung abgelehnt.
Es ist der Antrag gestellt, unmittelbar in die zweite Beratung einzutreten. Ich glaube nicht, daß dies nach der Geschäftsordnung möglich ist. In § 93 der Geschäftsordnung wird bestimmt, daß die Fristen zwischen erster und zweiter Beratung bei Feststellung der Tagesordnung verkürzt oder aufgehoben werden können. Das ist heute bei Feststellung der Tagesordnung nicht geschehen. Wir können also jetzt nicht in die zweite Beratung eintreten. Ich brauche über den Antrag des Kollegen Wagner wohl nicht abstimmen zu lassen, da er geschäftsordnungsmäßig nicht zulässig ist. - Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich schlage Ihnen vor, daß wir in Abänderung der Tagesordnung zunächst folgenden Punkt behandeln:
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Geld und Kredit ({5}) über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP/DPB, FU ({6}) betreffend den Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung des Gesetzes über den Kapitalverkehr ({7}).
Ist das Haus einverstanden? - Dann erteile ich das Wort dem Abgeordneten Scharnberg als Berichterstatter.
Scharnberg ({8}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz über den Kapitalverkehr, das seinerzeit vom Wirtschaftsrat erlassen wurde, lief ursprünglich am 30. Juni 1952 ab. Wir haben es vor kurzem, im Juni dieses Jahres, bis Ende Oktober verlängert, weil ein neues Gesetz, das an die Stelle des alten treten soll, in der Drucksache Nr. 3439 dem Hohen Hause vorliegt und von den Ausschüssen bearbeitet wird. Dieses Gesetz steht im Zusammenhang mit dem Kapitalmarktförderungsgesetz, das ebenfalls in den Ausschüssen beraten wird und noch nicht fertiggestellt ist. Da die Fertigstellung nicht so rechtzeitig erfolgen kann, daß der Termin für den Ablauf des bisherigen Gesetzes, jetzt der 31. Oktober dieses Jahres, eingehalten werden kann, bitten wir, daß dem Initiativgesetzesantrag stattgegeben wird, nach dem eine nochmalige Verlängerung des alten Gesetzes bis zum 31. Dezember dieses Jahres vorgenommen wird.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die
zweite Beratung
ein. Ich rufe auf § 1. - Keine Wortmeldungen. § 2, - Einleitung und Überschrift. - Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich schließe die zweite Beratung und rufe zur
dritten Beratung
auf. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Keine Wortmeldungen. Ich schließe die allgemeine
({0})
1 Aussprache. Ich rufe auf zur Einzelbesprechung § 1, - § 2, - Einleitung und Überschrift. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Einzelbesprechung. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben.
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wer für die Annahme des Gesetzes im ganzen ist, den bitte ich, dies durch Erheben zu bezeugen.
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist dieses Gesetz beschlossen.
Ich habe noch bekanntzugeben, daß in der heutigen Sitzung des Ältestenrates vereinbart worden ist, die nächste Fragestunde nicht am 8. Oktober, sondern am 22. Oktober durchzuführen. Die Fragen sind bis zum 17. Oktober, 12 Uhr, einzureichen.
Ich rufe Punkt 2 a und b der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des Entwurfs einer Bundesrechtsanwaltsordnung ({1});
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Hessischen Gesetzes zur Einführung der Rechtsanwaltsordnung ({2}).
Das Wort zur Begründung zu Punkt 2 a hat der Bundesjustizminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Entwurf einer Bundesrechtsanwaltsordnung wird eine umfassende Neuordnung des anwaltschaftlichen Berufsrechts versucht. Die Bundesrechtsanwalts) ordnung wird die erste Kodifikation für einen freischaffenden Beruf sein, die der Bundesgesetzgeber schafft. Sie wird deshalb über die unmittelbare Bedeutung hinaus, die ihr für mehr als 14 000 deutsche Anwälte zukommt, von Einfluß auf die Gestaltung der Ordnungen sein, die in absehbarer Zeit für andere freie Berufe geschaffen werden müssen.
Es war für die deutsche Anwaltschaft immer ein Stolz, daß sie seit dem 1. Oktober 1879, dem Tage des Inkrafttretens der Rechtsanwaltsordnung von 1878, eine einheitliche Verfassung hatte. Nach dieser Rechtsanwaltsordnung hat die Anwaltschaft 50 Jahre gelebt und ist in ihrer Geltung zu einem einheitlichen, freien - ich glaube, man kann auch sagen - hochwertigen Berufsstand geworden, der im Dienste des Rechts und der Rechtspflege Großes geleistet hat.
Dieser Freiheit des Anwaltstandes hat der Nationalsozialismus ein Ende gesetzt. Er hat die Zulassung zur Anwaltschaft in das freie Ermessen der Bürokratie gestellt und so die Handhabe geschaffen, politisch nicht genehme Bewerber vom Anwaltsberuf auszuschließen. Die innere Organisation der Anwaltschaft ist autoritär gestaltet worden.
Nach 1945 gab es eine sehr mannigfache Rechtsentwicklung in den einzelnen Ländern. Es ist immerhin eine erhebliche Zersplitterung, besonders in der Regelung des Zulassungsverfahrens, auch in der Organisation der Anwaltschaft, eingetreten. Es ist ein dringendes Gebot, die Rechtsungleichheit, die ja nicht nur zur Rechtsunsicherheit geführt hat, sondern nach meiner Meinung auch das einheitliche Standesbewußtsein beeinträchtigt und die Einheit der Anwaltschaft verletzt, zu beseitigen und die
Rechtsgleichheit wiederherzustellen. Dabei ist es nach meiner Meinung nicht möglich, ohne weiteres an die Rechtsgrundsätze der Rechtsanwaltsordnung von 1878 wieder anzuknüpfen. Man kann die wesentlichen Grundsätze dieser Rechtsanwaltsordnung wohl übernehmen, man muß aber die inzwischen eingetretenen verfassungsrechtlichen, politischen und auch wirtschaftlichen Entwicklungstendenzen berücksichtigen und viele Mängel und Lücken, die sich herausgestellt haben, beseitigen.
Ich will mich darauf beschränken, die Grundsätze des Entwurfs der Bundesrechtsanwaltsordnung herauszustellen. Der Entwurf beruht vor allem erstens auf dem Grundsatz der freien Advokatur. Das heißt, die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft hängt nicht von irgendeiner Ermessensentscheidung, sei es einer amtlichen Stelle, sei es der Rechtsanwaltskammer, ab. Das Prinzip der freien Advokatur entspricht der Anwendung des Grundrechtes der freien Berufswahl auf dem Gebiete des Anwaltsrechts, das keine andere Schranke kennt als die, daß jemand eine Gefährdung der Rechtspflege und der Rechtsuchenden bedeuten würde und deswegen nicht als Anwalt zugelassen werden kann. Der Grundsatz der freien Advokatur erfordert die Abkehr von irgendeinem Ausleseprinzip, wie es in der Zeit von 1933 bis 1945 geherrscht hat, bedeutet aber auch die Aufgabe jedes numerus clausus und jeder Beschränkung in der Zulassung zur Anwaltschaft aus Gründen der Zweckmäßigkeit. Das ist ein heikles Problem. Wegen der Überfüllung und der Schwierigkeiten des Anwaltstandes ist immer wieder die Forderung erhoben worden, dem freien Zutritt zur Anwaltschaft zu beseitigen. Mein Entwurf hat sich zur freien Advokatur bekannt, nicht nur wegen der verfassungsrechtlichen Bedenken, die gegen den numerus clausus bestehen würden, nicht nur wegen der großen Härten, die mit einer Drosselung des Zugangs zum Anwaltstand verbunden wären, sondern auch deswegen, weil ich eine zunftmäßige Abschließung des Anwaltstandes für diesen Stand für nachteilig und mit dem Wesen des freien Anwalts für unvereinbar halten würde. Der Anwalt soll der Hüter der rechtlichen Freiheit sein und muß bezüglich der Voraussetzungen für die Ausübung des Anwaltsberufs das Prinzip der Freiheit anerkennen.
Mit dem Grundsatz der freien Advokatur hängt zweitens der Grundsatz der Freizügigkeit der Rechtsanwaltschaft eng zusammen. Sie war in dem alten Entwurf von 1878 noch nicht vorgesehen. Es bestanden erhebliche Schwierigkeiten, vor allem Unterschiede im Ausbildungs- und Prüfungswesen der Länder. Nunmehr soll es nicht mehr möglich sein, daß ein deutsches Land einem Bewerber um die Anwaltschaft die Zulassung deswegen versagt, weil dieser Bewerber in einem anderen Lande geboren ist und in einem anderen Lande seine Prüfung abgelegt hat.
Dritter Grundsatz: Der Entwurf hält an dem Prinzip der Lokalisierung der Rechtsanwaltschaft fest, wonach jeder Rechtsanwalt bei einem bestimmten Gericht zugelassen sein und am Sitze dieses Gerichts seinen Wohnsitz und seine Kanzlei haben muß. Diese Frage ist umstritten. Ich meine aber, daß das Erfordernis der Lokalisierung eng mit dem Prinzip des Kollegialgerichts zusammenhängt und daß eine erhebliche Gefährdung des Standes eintreten würde, wenn man darauf verzichtete, besonders die Gefahr, daß die Anwaltschaft sich in den Großstädten zusammenballt, daß
({0})
sich große Anwaltsbüros bilden, die die Mehrzahl der Prozesse an sich ziehen.
Der Entwurf hat, um jede Starrheit zu vermeiden und um Härten, die sich bei der heutigen Wohnungsnot immer noch ergeben können, die Möglichkeit von Ausnahmen von der Residenzpflicht vorgesehen. Auch der Wechsel der Zulassung bei einem Gericht, insbesondere über die Ländergrenzen hinaus, wird erleichtert. Wir haben insbesondere eine Bestallung des Anwalts eingeführt; das ist die Zulassung zur Anwaltschaft an sich, zu der noch die Zulassung bei einem bestimmten Gericht treten muß.
Mit der Frage der Zulassung hängt das Problem des Anwärterdienstes zusammen. Der Entwurf schlägt einen Anwärterdienst von einem Jahre vor, und zwar nicht aus dem Grunde, um den Bewerber von dem Stand abzuschrecken, sondern um ihm die spezifische Vorbereitung für den Anwaltsberuf zu geben, der einer der gefährlichsten Berufe ist. Aber auch hier soll, um Härten beseitigen zu können, die Möglichkeit der Abkürzung des Anwärterdienstes oder sogar eines Erlasses gegeben werden.
Nun komme ich zu dem heiklen Punkt des Entwurfs, der mir - das weiß ich - die Kritik mancher Herren des Hauses eintragen wird; das ist die Frage der Selbstverwaltung der Anwaltschaft. Die Rechtsanwälte sind wie früher in Rechtsanwaltskammern zusammengeschlossen, die in den Ländern gebildet werden. Diese Rechtsanwaltskammern sind Körperschaften des öffentlichen Rechts und unterstehen als solche einer Staatsaufsicht durch die Landesjustizverwaltungen, aber mit starker Einschränkung. Der Entwurf gibt diese Aufsicht den Landesjustizverwaltungen nur insoweit, als die Organe der Kammern Gesetz und Satzung beachten müssen, also insbesondere dahin, daß die Rechtsanwaltskammern die ihnen durch das Gesetz übertragenen Aufgaben erfüllen. Darüber hinaus verwalten sich weit über die Rechtsanwaltsordnung von 1878 hinaus die Rechtsanwaltskammern selbst. Sie nehmen die ihnen als Organen der Rechtspflege eingeräumten Rechte selbständig wahr. Ich nehme für mich in Anspruch, daß mein Entwurf die Selbständigkeit der Anwaltskammern und damit das Selbstverwaltungsrecht der Anwaltschaft verstärkt hat. Zu den wichtigsten Aufgaben der Rechtsanwaltschaft gehört die Handhabung der Aufsicht in der Ehrengerichtsbarkeit, welcher die einzelnen Rechtsanwälte unterliegen.
Nun kommen die neuralgischen Punkte. Ich möchte ein Wort vorausschicken, um den rechten Ton zu finden. Ich habe hier eine etwas bange Vorstellung, daß sich im Rechtsausschuß eine Gemeinschaft der Rechtsanwälte bildet, die dann in mir den Feind, den Vertreter der staatlichen Interessen sieht, der sich anmaßt, in Rechte der Anwaltschaft einzugreifen. Deshalb möchte ich ein Bekenntnis ablegen. Ich war fast 25 Jahre Anwalt, und ich glaube, es gibt viele Augenblicke in der politischen Tätigkeit, in der ich heiße Sehnsucht danach habe, bald wieder einmal Anwalt des Rechts sein zu können. Ich habe gar keinen Anlaß, irgendwelche Rechte der Anwaltschaft zu kürzen. Die neuralgischen Punkte sind die Fragen, wie die Zulassung des Anwalts und seine Bestallung als Anwalt geordnet wird, welche Rechte der Staat hat und welche Rechte insoweit die Rechtsanwaltskammer hat und wie der Ausschluß des Anwalts aus der Anwaltschaft geordnet wird, wem das Recht auf Ausschließung des Anwalts zusteht. Die
Rechtsanwaltskammer wird nach meinem Entwurf bei der Zulassung von Bewerbern zur Rechtsanwaltschaft gutachtlich gehört; aber die Entscheidung liegt beim Staat. Ich bin der Meinung, daß Sie an dieser Konsequenz nicht vorbeikommen können. Die Frage, ob jemand einem Stand angehört, ob er zugelassen wird oder ob er aus diesem Stand, dem Anwaltstand, der ja besonders qualifiziert ist, ausgeschlossen wird, ist nicht eine Sache der Selbstverwaltung und kann es nicht sein, sondern ist eine Sache des Staates. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zieht ja nach unserer Ordnung erst die Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer nach sich. Die Mitgliedschaft bei der Rechtsanwaltskammer ist eine Folge der nach meinem Willen vom Staate erklärten Zulassung; umgekehrt das französische Prinzip, nach dem die Aufnahme in die Gemeinschaft der Anwälte, in das „barreau", erst die Möglichkeit des Auftretens vor Gericht,, also der anwaltschaftlichen Berufstätigkeit, bietet. Ich bin also der Meinung, der Staat muß sich diese entscheidende Funktion auf dem Gebiete des Anwaltsrechts vorbehalten; andernfalls würden die Organisationen des Anwaltstandes den Charakter einer selbständigen Verwaltung außerhalb des Staatsgefüges erhalten, sie wären keine Selbstverwaltungskörper mehr. Alles, was die Anwaltschaft und was die Anwälte berührt - ihr inneres Leben -, ist Sache der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltskammern. Aber die Voraussetzungen der Zulassung und die Voraussetzungen der Ausschließung müssen vom Staate entschieden werden. Die einzelnen Gründe habe ich in meiner schriftlichen Begründung dargelegt. Gestatten Sie mir, daß ich darauf verweise. Die Folge davon ist also, daß die Landesjustizverwaltung über die Bestallung des Anwalts entscheidet und daß die Rechtsanwaltskammer lediglich gutachtlich gehört wird.
Zu einer anderen Frage: Wer kann ausschließen? Das kann nicht im Rahmen der Ehrengerichtsbarkeit der Rechtsanwaltskammer geschehen, sondern muß durch ein ordentliches Gericht erfolgen. Wir haben dafür Senate der Oberlandesgerichte und im Beschwerdeverfahren Senate des Bundesgerichtshofs vorgesehen, zu denen jeweils zwei Anwälte als gleichberechtigte Richter beigezogen werden.
Ich will mich auf diese wesentlichen Punkte beschränken; wir werden im Ausschuß die Fragen intensiv behandeln müssen.
Mein Wunsch ist es, dieses bedeutsame Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zu Ende zu bringen. Ich glaube, für meinen Entwurf mit Recht in Anspruch nehmen zu können, daß er die äußeren Voraussetzungen dafür schafft, daß die Rechtsanwälte die große Aufgabe erfüllen können, die unabhängigen Berater und Vertreter des Volkes in allen Rechtsangelegenheiten zu sein, dem einzelnen, dem Staatsbürger zu seinem Recht zu verhelfen und darüber hinaus dem Recht zu dienen.
Von wem wird der vom Bundesrat eingebrachte Gesetzentwurf begründet? - Offenbar von niemandem.
({0})
Ich erteile Ihnen das Wort, Herr Minister.
Der Entwurf, der von Hessen ausgeht, bezweckt die Ver({0})
längerung der Frist zur Befreiung von der Residenzpflicht, über die ich gesprochen habe, bis zum Jahre 1954. Sie ist jetzt nur bis Ende 1952 vorgesehen; die Verlangerung ist also notwendig.
Das Wort hat der Abgeordnete Wagner.
Meine Damen und Herren! Nach dieser Kampfgemeinschaft mit dem Herrn Bundesjustizminister in der Frage, die wir zuvor behandelt haben, fällt es mir außerordentlich schwer, zu diesem Thema, das wir nun zu beraten haben, zu sprechen. sen habe nämlich gegenüber diesem Entwurf des Herrn Ministers derart bittere Gefühle und Empfindungen, daß ich sie gar nicht richtig auszudrücken vermag in der Stimmung, die ich in der Nachwirkung seiner Rede immer noch mit mir herumtrage. So mag das, was ich bei dieser ersten Beratung vortragen werde, an Stelle einer schärferen Formulierung, die mir durchaus gelegen hätte, vorläufig genügen.
Herr Minister, darf ich meine persönlichen Gedanken - denn es sind ja nicht sehr viele, die sich mit dieser Frage beschäftigen werden - auf eine einfache Formel bringen, von der ich aber bitte, sich in keiner Weise beleidigt zu fühlen. Ich finde, daß Ihr Entwurf getragen ist von dem ausgesprochenen Obrigkeitsstaatsgedanken.
({0})
Und dieser obrigkeitsstaatliche Gedanke scheint mir nicht Ihrer eigentlichen Art zu entsprechen. Ich habe den Eindruck, daß die an und für sich sicher sehr wertvolle Bürokratie Ihres Ministeriums hier eine Redaktion vorgenommen hat, die mit den demokratischen Prinzipien, die heute gelten sollen,
nicht sehr viel gemeinsam hat.
Der Herr Minister hat bereits vorgetragen, daß die deutschen Anwälte auf Grund des alten Anwaltsgesetzes vom Jahre 1878 in jedem Oberlandesgerichtsbezirk in Anwaltskammern zusammengefaßt sind. Diese Kammern werden geleitet von Vorständen, und diese Vorstände sind im ganzen Bundesgebiet in einer Arbeitsgemeinschaft der Anwaltskammervorstände des Bundesgebiets zusammengefaßt. Diese Anwaltskammervorstände bemühen sich seit Jahren um einen guten, den modernen Verhältnissen angepaßten Entwurf für die Neuregelung der Rechtsverhältnisse der Anwälte. Sie haben bereits vor etwa zwei Jahren nach langen intensiven und gewissenhaften Beratungen einen eigenen Entwurf verfaßt, der in zahllosen Diskussionen besprochen worden ist. Sie wissen, wie das bei Anwälten ist. Wenn die beginnen zu diskutieren - das wissen Sie aus Ihrer eigenen Vergangenheit -, dann diskutieren sie gründlich und lange, und jeder hat eine andere Meinung. Wenn es dann aber trotzdem gelungen ist, in diesen Fragen eine fast völlige Einigkeit herbeizuführen und Ihnen einen ausgezeichneten Entwurf vorzulegen, dann, das muß ich sagen, muß man darüber enttäuscht sein, daß Ihre Herren vom Ministerium sich so wenig von den Leuten haben beraten lassen, die von der Materie nun wirklich das meiste verstehen.
Man merkt, daß an diesem Entwurf der Anwaltsordnung im großen und ganzen nur von Beamten gearbeitet worden ist. Respekt vor den Beamten, - das ist eine Frage für sich. Ich wende mich nicht gegen die Beamten. Aber sie können das Verständnis für die Dinge nicht im gleichen Maße
besitzen wie der Anwalt, der in der täglichen Praxis steht. Das muß man erleben, das muß man jeden Tag erleben, um beurteilen zu können, was zweckmäßig ist, um eine Rechtsanwaltschaft zu schaffen, die gerade im Rechtsstaat unentbehrlich für die Wahrung der Freiheit und der Rechte des einzelnen Staatsbürgers ist. Ich sage, eine solche Anwaltschaft kann nur geschaffen werden in enger Zusammenarbeit mit denen, denen die so hohe und schwierige Aufgabe obliegt. Ich habe den lebhaften Eindruck, daß es auf seiten Ihres Ministeriums, Herr Minister, völlig an der Zusammenarbeit mit den wirklich Sachverständigen gefehlt hat.
Ich habe nicht die Absicht, in die Erörterung von Details einzutreten. Wir werden die Details im Rechtsausschuß sehr genau erörtern. Ich habe auch nicht die Absicht, meinen sehr geschätzten Kollegen Dr. Weber, mit dem ich sehr lange auf diesem Gebiet zusammengearbeitet habe, Dinge vorwegzunehmen. Aber wenn Sie in Ihrem Entwurf diese neue Institution der Bestallung bringen und damit in das Rechtsanwaltsverhältnis etwas Beamtenähnliches einführen wollen,
({1})
dann muß ich Ihnen sagen, daß das mit freier Advokatur, mit dem Begriff eines selbständigen Anwalts ganz bestimmt nicht zu vereinbaren ist. Die Anwälte wollen nicht beamtenähnlich sein, sie wollen unabhängig sein, sie wollen nicht vom Staat bestallt sein, ganz abgesehen davon, daß dieses Wort „Bestallung" auch im Beamtenrecht ein Wort ist, bei dem sich die Haare geradezu zu Berge richten.
({2})
- Wenn man solche noch hat! ({3})
- Ich sage, wenn man noch welche hat; ich bin vorsichtig, Herr Kollege! Es kann bei Ihnen auch noch kommen, Herr Kollege, getrost; da geht keiner dran vorbei!
({4})
Es sind noch andere Bestimmungen: außer der Bestallung, Herr Minister, die Frage der Art der Zulassung. Eine andere Frage ist die Frage der Ausschließung. Da geben Sie uns zum Teil rechtsphilosophische Erklärungen, die unverständlich sind. Seit 1878 hat das anwaltschaftliche Ehrengericht die Möglichkeit, jeden Anwalt, der die Standespflichten schwer verletzt, auszuschließen. Und nun kommen Sie im Jahre 1952 und sagen: Ja, das geht nicht, was bisher seit 1878 gegangen ist. - Das, was unter der Monarchie gegangen ist, was gegangen ist in Zuständen, die wirklich nicht demokratisch waren, das demokratische Element, sage ich, in der Verwaltung der Anwaltschaft, aus dem nie irgendwie Nachteiliges oder Ungünstiges gehört oder gemeldet worden ist, das wollen Sie ausschalten!
Ich will nicht auf die Systematik eingehen; ich will auch nicht auf die Zweiteilung des Ehrengerichtsverfahrens eingehen. Das sind alles Dinge, für die ich das Haus gar nicht im Augenblick interessieren kann, und es sind alles Dinge, die eine genaue Besprechung erfordern. Aber ich will darauf hinweisen, daß uns diese beiden Dinge - die Bestallung, die nur geschaffen wird, um uns irgendwie ans Leitseil zu bekommen, und auf der anderen Seite der Ausschluß durch den Staat und
({5})
die Wegnahme dieser Ausschlußmöglichkeit, die das bisherige Ehrengericht hatte - zu der Feststellung berechtigen: Mag der Entwurf in einzelnen Punkten - z. B. in der Frage des Anwärterdienstes - akzeptabel sein, mag der Entwurf in dem und jenem untergeordneten Punkt durchaus auf Zustimmung stoßen können, in seinem Wesen und in seinem geistigen Gehalt geht er hinter den Entwurf von 1878 zurück. Und dazu, meine Herren und meine Damen, sind wir, glaube ich, nicht da. Wenn wir schon ein einheitliches Anwaltsrecht schaffen wollen, müssen wir ein Recht schaffen - dieses zersplitterte Recht, das wir jetzt haben, ist auf die Dauer unerträglich -, das aus demokratischem Geiste heraus geboren wird.
Wenn von seiten des Bundesjustizministeriums erklärt wird, daß gerade das Grundgesetz und die in ihm enthaltenen Vorschriften ja verbieten würden, ein solches demokratisches Rechtsanwaltsrecht zu schaffen, dann muß ich sagen, dafür fehlt uns und dafür fehlt mir jedwedes Verständnis. Wir werden im Rechtsausschuß diese Dinge mit Genauigkeit, Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit zusammen mit Ihnen beraten, und wir werden in allen Details unsere eigenen Auffassungen den Ihren entgegenstellen und versuchen, Sie davon zu überzeugen, daß das, was Sie hier machen wollen, keinen Fortschritt bedeutet und kein gutes Werk ist, sondern daß es einen Rückschritt bedeutet und daß es ein schlechtes Werk ist.
Ich möchte deshalb heute nicht in die Besprechung von Einzelheiten eintreten, sondern möchte nur sagen, daß ich diesen schwierigen Arbeiten mit einiger Sorge entgegensehe, da auf seiten des Justizministeriums eine Haltung zutage getreten ist - ich beziehe mich jetzt nicht gerade ) auf den Herrn Minister - ({6})
- Sie sind ein Kavalier, ich weiß das, und Sie sagen: Ich bin verantwortlich! - Ich will das gar nicht reizen bei Ihnen, Herr Minister;
({7})
wir wissen schon, wer verantwortlich ist und wer die juristische und wer die tatsächliche Verantwortung trägt. Aber das ist eine Frage, die vielleicht jetzt auch nicht sehr interessant ist.
Auf jeden Fall darf ich Ihnen sagen, daß wir, insoweit wir Anwälte sind und insoweit die Arbeitsgemeinschaft der Kammervorstände der Rechtsanwälte des Bundesgebiets in Frage kommt, nur von dem Bestreben geleitet sind, eine Rechtsanwaltschaft zu haben, die unabhängig ist, die im Rechtsstaat dem Rechte dient und auf die das rechtsuchende Publikum sich verlassen kann.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schneider.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mich, weil es die erste Lesung ist, die wir heute vorzunehmen haben, und weil die Zeit auch schon sehr fortgeschritten ist, wie mein Herr Vorredner auf einige grundsätzliche Bemerkungen beschränken. Zusammenfassend könnte ich eigentlich schon sagen: ich muß leider an dem Herrn Bundesjustizminister auch Kritik üben. Ich habe nur noch einmal das zu
unterstreichen, was mein Herr Vorredner gesagt
hat; denn es sind die gleichen Grundfragen, in denen wir - ich glaube, alle Vertreter in diesem Hause - grundsätzlich übereinstimmen. Insofern hat der Herr Bundesjustizminister recht gehabt, als er vorhin meinte, wir stünden ihm als eine grundsätzlich geschlossene Phalanx gegenüber, die die gleiche Auffassung habe. Das ist kein Zufall, denn wir entstammen ja alle diesem Beruf. Wir üben ihn alle schon lange aus, der eine weniger lange, der andere länger. Wir haben doch alle das gleiche erlebt. Wir kennen doch selber am besten die Bedürfnisse und die Notwendigkeiten, die erfüllt sein müssen, wenn man wirklich eine Selbstverwaltung der Anwaltschaft - so, wie wir sie uns vorstellen - wieder schaffen will.
Das Prinzip der freien Advokatur bejahen wir mit dem Herrn Minister. Ich will mich auf diese Bemerkung beschränken. Den Grundsatz der Freizügigkeit bejahen wir auch, und das Prinzip der Lokalisierung wird man ebenfalls noch bejahen können, wenn man auch dazu demnächst noch einiges bei den Beratungen sagen muß. Aber das Prinzip der Bestallung lehnen wir ebenso ab, weil es in diesem ganzen Aufbau wesensfremd ist,
({0})
denn es bringt in diese Materie Ideen hinein, die von den Bearbeitern anscheinend deshalb hineingebracht worden sind, weil sie nur unter beamtenrechtlichen Gesichtspunkten an diese Fragen herangegangen sind. Wenn ich auf der einen Seite das Prinzip der freien Advokatur bejahe, dann ist eine derartige Institution, wie sie eine Bestallung, also ein staatlicher Hoheitsakt, der mich da irgendwie binden soll, darstellt - und wenn ich daran denke, wie der Ausschluß ebenfalls geregelt ist, nämlich auch nur durch das Gericht und nicht durch die Selbstverwaltung der Anwaltschaft -, dann ist das etwas, was ich mit meinem Kollegen Wagner als wesensfremd bezeichnen muß. Das gleiche gilt hinsichtlich der Zulassung und hinsichtlich des Ausschlusses. Insoweit geht der Entwurf hinter die Prinzipien zurück, die sich seit 1878 bewährt haben.
Wir werden im Rechtsausschuß darüber im eineinzelnen zu debattieren haben, wir werden auszuhandeln und zu prüfen haben, ob es wirklich nicht möglich ist, nach den Bestimmungen des Grundgesetzes eine Rechtsprechung der Selbstverwaltungskörperschaft der Anwaltschaft auch in diesem Falle durchzuführen. Ich vermag mich heute nicht überzeugt zu erklären, daß die Ausführungen, die in der Begründung gemacht worden sind, stichhaltig sein sollen.
Und noch ein Letztes möchte ich hier ansprechen. Mir sind sehr eingehende Schriftsätze von einem Stand zugegangen, dessen Schicksal ebenfalls demnächst hier mit geregelt werden soll, nämlich von dem Stand der Verwaltungsrechtsräte. Wir können über diese Probleme ja auch nicht einfach hinwegspringen, sondern werden uns auch mit dieser Frage zu beschäftigen haben.
({1})
Zum Abschluß möchte ich noch eine kritische Bemerkung machen, Herr Minister. Wenn Ihr Hauptsachbearbeiter, wie mir zugetragen wurde, in der Vergangenheit schon geäußert hat: „Nun ja, sie scheinen meinen Entwurf ja zu schlucken, sie melden sich ja gar nicht, sie haben sich bisher noch nicht gemuckst!" - so möchte ich sagen, daß er
({2})
sich da getäuscht hat! Heute mucksen wir uns zum ersten Mal, und im Rechtsausschuß werden wir uns noch viel eingehender mucksen!
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weber.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es, daß die erste Lesung dieses Gesetzentwurfs der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Magna Charta für die Anwaltschaft nicht so sang- und klanglos erfolgt, daß sie dadurch abgeschlossen wird, daß sie unter Bezugnahme auf die schriftliche Begründung einfach an den Ausschuß überwiesen wird. Dafür scheint mir die Sache an sich zu bedeutungsvoll.
Herr Kollege Schneider hat zum Schluß bereits hervorgehoben, es könnte sonst auch den Anschein gewinnen, als ob man mit all dem, was in dem Entwurf enthalten ist, grundsätzlich einverstanden wäre. Dieser Eindruck würde durchaus falsch sein. Es kann natürlich nicht meine Aufgabe als Volksvertreter sein, hier die Interessen eines einzelnen Standes nur unter dem Blickwinkel dieses Standes zu würdigen und zu betrachten, sondern ich habe neben den Interessen des Standes auch die Interessen der Allgemeinheit zu berücksichtigen. Wenn ich mir aber diesen Entwurf betrachte, dann muß ich schon sagen, daß er in den Kreisen der Beteiligten tiefe Enttäuschung, wie sie auch Herr Kollege Wagner bereits zum Ausdruck gebracht hat, ja man darf sagen, zum Teil Empörung hervorgerufen hat. Herr Minister, ich frage Sie, wo ist der Fortschritt gegenüber 1878 zu finden, in welchem Punkt, in welcher einzigen Bestimmung? Vielleicht, daß wir die Bundesrechtsanwaltskammer bekommen sollen, aber nicht etwa mit erweiterten Rechten. Das haben wir auch schon bisher im Wege des freiwilligen Zusammenschlusses ohne gesetzliche Regelung im großen und ganzen erreichen können in der Arbeitsgemeinschaft der Anwaltskammervorstände im Bundesgebiet. Aber ich suche sonst vergeblich nach Fortschritten. Wo ich hinsehe, sind nur Rückschritte, Verschmälerungen von Rechten, Beschneidung von Rechten der Selbstverwaltung zu bemerken.
({0})
Deshalb wird eingehend zu prüfen sein, wie dieser Entwurf Gesetz werden soll. Das wird nur mit erheblichen Änderungen möglich sein.
Ihr Ministerium scheint mir selbst nicht allzuviel Vertrauen zu haben, daß dieses Gesetz bald über die Bühne gehen wird. Ich möchte das Hohe Haus auf die Begründung der Drucksache Nr. 3667, die ja ebenfalls zur Verhandlung steht, hinweisen, wo am Schluß gesagt wird:
Eine Fristverlängerung
- für eine Bestimmung der hessischen Rechtsanwaltsordnung vor drei Jahren, das heißt bis zum 31. Dezember 1255, dürfte ausreichend sein. Die Verlängerung um ein oder zwei Jahre erscheint zu knapp, weil nicht zu übersehen ist, ob bis dahin die Bundesrechtsanwaltsordnung in Kraft getreten ist.
Also man nimmt schon an, daß möglicherweise
dieser Bundestag das Gesetz nicht mehr verabschieden wird. Ich muß auch sagen, wenn es so bliebe, wie es jetzt ist, dann wäre es sogar gut, daß die bisherigen Ordnungen, die weitere Rechte geben, in Kraft blieben,
({1})
trotz der von mir sehr bedauerten Zersplitterung, die auf diesem wichtigen Rechtsgebiet bestehen bleiben würde.
Nun zum Entwurf im einzelnen. Ich vermisse darin zunächst eine Stellungnahme zu einem mir wichtig erscheinenden Problem, nämlich ob zur Zulassung als Anwalt die deutsche Staatsangehörigkeit erforderlich ist. Ich bejahe diese Notwendigkeit. Es wird darauf hingewiesen, daß infolge der Vertreibung in der Nazizeit noch eine ganze Reihe von Anwälten im Ausland lebe. Ich bin der Meinung, es muß im Gesetz selber festgelegt werden, daß der zuzulassende Anwalt die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen muß. Man wird dann in den Übergangsvorschriften für die-j enigen, die, durch die Verhältnisse gezwungen, seinerzeit in das Ausland flüchten mußten und bis heute noch nicht zurückkehren konnten - nach sieben Jahren hätte sich das bei denen, die es wirklich wollten, in aller Regel verwirklichen lassen -, für eine gewisse Zeit Erleichterungen schaffen müssen.
Ich lehne es mit meinen Vorrednern ab, die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zunächst in Form einer allgemeinen Bestallung vorzunehmen. Ich möchte mich insoweit, um Sie nicht länger aufzuhalten, auf die Ausführungen meiner Vorredner beziehen.
Die schwierigste Frage, mit der wir uns zu befassen haben werden, ist die Frage, die Sie, Herr Minister, selbst ja als den neuralgischen Punkt bezeichnet haben: Wie weit kann, soll und muß die Selbstverwaltung der Anwaltschaft gehen? Ich finde es nicht sehr schön, daß man in der Begründung des Entwurfs, um die Regelung, die jetzt in der französischen Zone besteht, sozusagen zu diffamieren, darauf hinweist, das sei eine landes-fremde Regelung. Man sollte auch prüfen, ob nicht aus dem Ausland etwas Gutes übernommen werden kann und etwas Gutes übernommen worden ist. Die Auffassung derjenigen, die mit diesen Dingen unmittelbar zu tun haben, geht dahin, daß damit etwas Gutes geschaffen worden ist.
Dabei geht es, wie ich betonen möchte, nicht darum, daß die Anwaltschaft Machtgelüste hat, daß sie selbst die Dinge alle in eigener Zuständigkeit regeln will, daß sie sich etwa - das wäre eine vollkommen falsche Auffassung und das ist besonders an die Adresse der Länderregierungen gerichtet - von der Justiz trennen wollte. Die Anwaltschaft war stets an die Justiz angelehnt und will auch mit der Justiz zusammenbleiben. Sie weiß, daß ihre Hauptaufgabe darin besteht, zusammen mit den Gerichten in der Rechtsprechung zu arbeiten und Recht und Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen. Aber es kann hier eine Regelung gefunden werden, die auch den Interessen des Staates durchaus Rechnung trägt. Die Landesjustizverwaltung kann in entscheidender Weise, wie das auch in der französischen Zone bis jetzt der Fall ist, an der Zulassung mitwirken. Die Zulassung selbst unterliegt ja - einerlei ob sie von der Landesjustizverwaltung ausgesprochen wird oder von der Anwaltskammer - einer richterlichen Nachprüfung, die ich auch begrüße, und zwar in der Form, wie sie im Ent({2})
wurf niedergelegt ist, daß in dem entsprechenden Senat, dem sogenannten Anwaltssenat am Oberlandesgericht, nunmehr auch Rechtsanwälte hinzutreten; in welcher Zahl, darüber wird man noch sprechen müssen. Aber nach meiner Meinung ist es rechtlich durchaus möglich, daß der Staat ein ihm zustehendes Recht, nämlich das Recht der Zulassung, das er primär hat, an eine Körperschaft öffentlichen Rechts delegiert. Wenn das geschieht, werden wir, glaube ich, wirklich einen Fortschritt machen, indem wir einer Selbstverwaltungskörperschaft dann auch wirkliche Rechte geben. Jedenfalls wird diese Frage im Ausschuß sehr eingehend zu prüfen sein.
Es ist nicht das Bestreben der Anwaltschaft, Herr Minister, sich etwa'. zunftmäßig abzuschließen. In diesem Zusammenhang ein Wort zur freien Advokatur. Ich glaube, das Wesen der freien Advokatur liegt weniger darin, wie Sie es aufgeführt haben, daß keine Zulassungsbeschränkungen mehr statthaben sollen; ob die nicht zweckmäßig wären, darüber ließe sich sehr streiten. Uns muß vor allen Dingen daran gelegen sein, daß ein gesunder und intakter Anwaltstand erhalten wird. Sie haben selbst betont, daß aus einer Überfüllung Gefahren drohen können. In der vorletzen Woche ist vom Bundestag auch ein Gesetz verabschiedet worden, in dem die Bedürfnisklausel sogar ausdrücklich festgelegt ist. Ich persönlich bin kein Anhänger davon; ich bin glücklich, wenn sie beseitigt wird. Dann wird sich die Frage der Zulassung erheblich einfacher regeln lassen. Aber das Wesen der freien Advokatur erblicke ich nicht etwa in den Zulassungsbeschränkungen bzw. deren Wegfall, sondern darin, daß der Anwalt frei und unabhängig ist, auch gegenüber staatlichen Einflüssen.
Ich glaube, es ist ein Ehrenblatt für die Anwaltschaft, daß sie auch in einer Zeit, als der Staat alles zu reglementieren versuchte, als einer der wenigen Stände - zwar nicht ihrer Verwaltung in den Anwaltskammern, aber in ihren einzelnen Mitgliedern - in der Lage war, sich diese innere freie Unabhängigkeit zu erhalten. Diese weiterhin zu erhalten und vor staatlichen und politischen Einflüssen zu sichern, darum geht es bei der freien Advokatur. Deshalb werden wir gerade dieser Frage unsere ganz besondere Aufmerksamkeit widmen müssen.
Meines Erachtens besteht auch keine Veranlassung, das Ehrengericht in der Weise zu behandeln, wie es im Entwurf geschieht, insbesondere dem Ehrengericht das Recht des Ausschlusses aus der Anwaltschaft zu nehmen. Wir werden im Ausschuß prüfen müssen - ich persönlich habe in dieser Hinsicht keine verfassungsrechtlichen Bedenken -, ob die Einwendungen, die dagegen erhoben werden, berechtigt sind oder nicht. Es würde einen erheblichen Rückschritt bedeuten. Die gesamte Anwaltschaft hat in dieser Hinsicht über die Tätigkeit der Ehrengerichte noch nie Klage geführt. Der Deutsche Anwaltsverein, dem sich die Anwälte freiwillig angeschlossen haben, ist einhellig für die Beibehaltung der bisherigen Gestaltung . der Ehrengerichte eingetreten. Nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes genügt es durchaus - das ergibt auch ein Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs -, wenn eine unabhängige richterliche Nachprüfung des Spruches des Ehrengerichts der Anwaltskammer erfolgen wird. Man wird darüber reden können oder reden müssen, ob es zweckmäßig ist, daß sämtliche Mitglieder des
Ehrengerichts auch Vorstandsmitglieder sind, die sonst die disziplinäre Aufsicht als solche ausüben. Mir scheint es jedenfalls erforderlich, daß zum mindesten der Vorsitzer des Vorstandes im Ehrengericht mit sitzt und dadurch für die Tradition, die Wahrung der Grundsätze, auf denen nun einmal die Ausübung des Anwaltsberufes aufgebaut ist, mit sorgt. Das wird nicht möglich sein, wenn nur solche Mitglieder im Ehrengericht säßen, die Nichtmitglieder des Vorstandes sind.
Noch ein Schlußwort zur Staatsaufsicht. Ich war einigermaßen erschrocken, muß ich sagen, als ich in der Begründung las - das ist auch wieder einer der Rückschritte gegenüber 1878 -, daß die Anwaltskammern heute noch dem berüchtigten, muß ich schon sagen, Beiträgegesetz von 1934 unterliegen sollen. Es wäre allerhöchste Zeit. Meines Erachtens ist das Gesetz typisch nazistisch. Sie werden sich entsinnen, das ist doch im Interesse der NSV und der Aufrüstung erlassen worden, vor allem gegen kirchliche Organisationen, Sammlungen usw. Es war also eines der Kampfgesetze des Nationalsozialismus, ist meines Erachtens ein typisch nationalsozialistisches Gesetz und hat als solches keine Gültigkeit mehr. Wenn aber in dieser Richtung Zweifel bestehen sollten, dann ist es höchste Zeit, daß der Bundestag dieses Gesetz aufhebt.
Meine Damen und Herren, es wird eine schwierige Arbeit sein, die der Ausschuß zu leisten hat. Wir, seine Mitglieder, werden uns bemühen müssen, im Interesse der Allgemeinheit und im Interesse einer guten Rechtspflege unsere Arbeitskraft und unsere Kenntnisse zur Verfügung zu stellen. Ich betone nochmals die Forderung, der Anwaltschaft das Recht auf Zulassung und Übernahme der Zulassung zu geben, also letztlich auch unter Beteiligung des Staates, der gehört werden soll, der Einspruchsrecht haben soll, mit darüber zu entscheiden, wer in die Rechtsanwaltschaft hineinkommt oder wer aus ihr, auf Grund eines gesetzlich genau normierten und umschriebenen Tatbestandes, ausgeschlossen werden muß. Die Forderung der Anwaltschaft, daß ihr diese Entscheidung, die auch noch der richterlichen Nachprüfung unterliegt, übertragen wird, ist nicht aus Machtgelüsten geboren, nicht aus dem Bedürfnis, sich als Zunft abzuschließen. Es soll auch kein Schritt zur Trennung der Anwaltschaft von der allgemeinen Justiz sein, sondern diese Forderung beinhaltet letzten Endes, eine freie und unabhängige Anwaltschaft zu schaffen und zu erhalten.
({3})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. - Herr Minister, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe gemeint, daß mein Entwurf eine bessere Kritik verdiente. Selten ist ein Gesetz so reiflich erwogen, so durchgearbeitet, mit allen Beteiligten besprochen worden. Selten sind alle Anregungen - ({0})
- Ja, liegt das an mir, Herr Kollege Weber, wenn wir sie nicht übernommen haben? Dafür habe ich einen anderen Blickwinkel. Ich bin vorhin von Herrn Ewers nicht mißverstanden worden, als ich von der parlamentarischen Aristokratie sprach, nämlich von der Verpflichtung, die Dinge in der
({1})
Gesamtheit zu sehen. Ich nehme für mich in Anspruch, nach bestem Willen auch diesen Entwurf ausgearbeitet zu haben. Der Vorwurf, obrigkeitliches Denken habe sich bei mir durchgesetzt und es sei ein Entwurf des Rückschritts, ist ungerecht. Es tut mir leid, daß hier am Ende nur Beteiligte gegen mich auftreten, wenngleich ich doch selbst ein Interessent bin - denn ich werde eines Tages wieder die Robe tragen -, und daß sonst niemand im Hause sich mit dem Problem abgibt, das doch immerhin eines der wichtigsten Probleme bei der Gestaltung unserer Rechtspflege ist.
Man fragt mich: Wo sind die Vorzüge des Entwurfes? Die Begründung ist ein dickes Buch, das Sie durcharbeiten können. Auf jeder Seite können Sie einen Vorzug in der Entwicklung gegenüber 1878 feststellen. Wir bekennen uns grundsätzlich zu der Selbstverwaltung. Selbstverständlich soll die Anwaltschaft ihre Rechte, die Rechte ihrer Mitglieder wahren. Aber Sie sind ja auf meine Fragestellung gar nicht eingegangen und bemühen sich gar nicht darum,
({2})
daß die Zulassung nichts mit der Selbstverwaltung zu tun hat, sondern daß die Zulassung die Voraussetzung der Mitgliedschaft ist und daß jemand erst dann, wenn er Anwalt ist, den Rechten und Pflichten der Selbstverwaltung unterstellt werden kann. Herr Kollege Weber hat bei der anderen bedeutsamen Frage, wer den Anwalt ausschließen kann, den Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes, die königliche Regel der Rechtspflege zitiert, daß jemandem, dessen Rechte durch die öffentliche Gewalt verletzt werden, der Rechtsweg offensteht und, soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, der ordentliche Rechtsweg gegeben ist. Ich bin stolz darauf, daß ich mit Zinn zusammen diese Bestimmung formuliert habe, nach der höchster Rechtsschutz für jeden gegeben ist. Das Ehrengericht des Selbstverwaltungskörpers erfüllt diese Voraussetzung des Art. 19 Abs. 4 nicht. Sie können doch nicht von mir erwarten, daß ich der Anwaltschaft zuliebe das Grundgesetz breche. Es genügt nicht, daß die Möglichkeit der Nachprüfung einer Entscheidung eines Ehrengerichts der Rechtsanwaltskammer besteht. Das war doch die Aufgabe, vor der wir standen, diese haben wir in meinem Gesetz erfüllt. Ausschluß aus der Anwaltschaft bedeutet die Vernichtung der bürgerlichen Existenz eines Menschen. Hier muß der Anwalt den höchsten Rechtsschutz haben, und den gewährt nur das staatliche Gericht. Mir da Rückschrittlichkeit vorzuwerfen, welche Verkennung der Dinge! Ich kann Ihnen ein Album von Fortschritten vorlesen. Wenn Sie sich die Mühe machen, die einzelnen Bestimmungen des Entwurfs durchzugehen, so erkennen Sie das.
Die Staatsaufsicht ist ein selbstverständliches Erfordernis, aber wir haben den Staat so weit zurückgedrängt wie nur irgend möglich.
({3})
Die Landesjustizverwaltung kann überhaupt nur eingreifen, wenn ein Gesetz durch die Rechtsanwaltskammer verletzt wird. Von 1878 an war der Zustand gegeben, daß die Landesjustizverwaltung oder der Staat die Zulassung in der Hand hatte. Wenn in den Zwischenlösungen andere Wege gegangen worden sind, so entsprach das nicht deutschem Recht und entspricht jetzt nicht den Grundsätzen, die in unserem Grundgesetz niedergelegt sind. Ich habe z. B. das Klageerzwingungsverfahren eingefügt, das es in der Rechtsanwaltsordnung von 1878 nicht gab,
({4})
das jetzt der Anwaltskammer zusteht. Ich habe eingefügt, daß nicht wie bisher ein Richter, sondern ein Rechtsanwalt die ehrengerichtliche Untersuchung führt. Ich habe der Rechtsanwaltschaft das ausschließliche Vorschlagsrecht für die Zulassung beim Bundesgerichtshof gegeben, während früher diese Zulassung beim Präsidium des Reichsgerichtes lag usw. usw. Sie können mir in keinem Punkte vorwerfen - das möchte ich mit aller Entschiedenheit gegenüber der Kritik sagen, die Sie für richtig halten-, daß ich irgendwie rückschrittlich sei. Herr Kollege Weber, wenn man Anwalt ist und sich auf die freie Advokatur bezieht, dann muß man auch die Geschichte der freien Advokatur kennen. Das Wort von der freien Advokatur ist von Rudolf Gneist in seiner gleichnamigen Schrift 1867 geprägt worden und hat nichts anderes zum Inhalt, als die Tatsache, die ich vorhin herausgestellt habe, daß die Zulassung zur Anwaltschaft von keiner Ermessensentscheidung irgendeiner Stelle abhängig sein darf, nicht von der Ermessensentscheidung einer Behörde oder auch einer Rechtsanwaltskammer. eines Selbstverwaltungskörpers, sondern daß der Bewerber einen Rechtsanspruch auf die Zulassung hat. Das ist der Inbegriff der freien Advokatur.
({5})
Das ist der Ausgangspunkt dieses Begriffs, und das ist das Entscheidende. Die freie Advokatur garantiert die Freiheit des Anwaltstandes.
Wenn ich auf Einzelfragen eingehe, z. B. die Voraussetzung der deutschen Staatsangehörigkeit, so muß ich sagen: es ist ja nicht eine einseitige Sache, sondern eine zweiseitige. Wir dachten nicht nur an emigrierte Rechtsanwälte, sondern wir dachten auch daran, daß ausländische Juristen, die deutsche Prüfungen ablegen, die Möglichkeit haben sollen, an deutschen Gerichten zu praktizieren, wobei wir die Gegenseitigkeit des Auslandes erwarten. Das ist eine bedeutende, im Interesse der Anwaltschaft liegende große Möglichkeit.
({6})
- Einmal!
Die Stellung der Verwaltungsrechtsräte, nach der Herr Kollege Dr. Schneider fragt, hat § 253 meines Entwurfs in allen Einzelheiten geklärt.
Man nimmt Anstoß an dem Wort „Bestallung". Der Kollege Wagner hat gesagt, das sei eine beamtenähnliche, dem Beruf des Anwalts wesensfremde Art der Zulassung. Es ist doch nur ein Fortschritt, wenn ich sage: ein Anwalt wird als solcher grundsätzlich zugelassen, weil er alle Voraussetzungen des Anwalts erfüllt. Damit ist er bestallt als Anwalt und wird dann bei einem Gericht zugelassen. Wenn er das Gericht wechselt, brauchen die Voraussetzungen der Bestallung nicht mehr geprüft zu werden, er ist Anwalt, es muß nur noch die Zulassung an einem bestimmten Gericht erfolgen. Das fördert also entgegen Ihrer Meinung, Kollege Wagner, gerade die Freizügigkeit des Anwalts, die Möglichkeit des Wechsels, ohne daß immer wieder das komplizierte Zu({7})
'lassungsverfahren in Gang gesetzt werden muß, das dem Betroffenen Schwierigkeiten macht.
Ich muß sagen, ich sehe für die Behandlung meines Entwurfs schwarz,
({8})
aber nicht, wenn Sie mir schon das freimütige Wort gestatten, weil ich nicht der Einsicht begegnet bin, mit der ich auf Grund unseres Entwurfes rechnen konnte, - -({9})
- Bitte, Herr Kollege Wagner, glauben Sie mir, daß ich als Anwalt diesen Entwurf restlos mit durchdacht und mit entschieden habe. Glauben Sie wirklich, daß ich eine solche Sache meinem Referenten überlasse? Was da drinsteht, ist nach der jetzigen Verfassungs- und Rechtslage notwendig und bedeutet nach meiner Überzeugung einen Fortschritt für den deutschen Rechtsanwaltsstand.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache der ersten Beratung ist abgeschlossen.
Es ist der Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht gestellt. - Das Haus ist mit der Überweisung einverstanden; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betreffend Verkauf des ehemaligen Wehrmacht-Pferdelazaretts in Nürnberg, Wallensteinstr. 117, an den Bayerischen Rundfunk, München ({0}).
Ich nehme an, daß das Haus auf eine mündliche Begründung des Antrags verzichtet und sich mit der schriftlichen Begründung in der Drucksache Nr. 3690 begnügt. - Eine Überweisung an einen Ausschuß scheint mir auch nicht erforderlich zu sein.
({1})
- Es ist Überweisung an den Haushaltsausschuß beantragt. Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Das ist so beschlossen.
Dann rufe ich Punkt 4 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Winterbeihilfe ({2}).
Das Wort hat Frau Abgeordnete Korspeter.
Frau Korspeter ({3}), Antragstellerin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Genau wie in den vergangenen Jahren steht auch in diesem Jahr durch 'den vorliegenden Antrag der SPD, Drucksache Nr. 3672, die Frage 'der Winterbeihilfe auf der Tagesordnung.
({4})
Ich nehme nicht an, daß es notwendig ist, im einzelnen zu begründen, daß die Zahlung einer Winterbeihilfe an die in unserem Antrag aufgeführten Personengruppen erforderlich ist. Jeder von uns weiß, daß es die Preisentwicklung den Renten- und all den anderen Unterstützungsempfängern unmöglich macht, mit den Renten und Unterstützungssätzen die Sonderbedürfnisse, die der Winter mit sich bringt, auch nur im entferntesten
zu 'befriedigen. Die Winterbeihilfe diente schon immer dazu, der besonderen Not im Winter zu steuern und allen wenigstens ein Mindestmaß an Möglichkeit zu geben, sich für den Winter einigermaßen mit Kartoffeln und Kohlen einzudecken.
Wir fordern in unserem Antrag, dem Hauptunterstützungsempfänger 50 DM und jedem zuschlagsberechtigten Angehörigen 10 DM zu geben. Wir sind der Ansicht, daß diese Summe den Preisverhältnissen in diesem Jahr einigermaßen gerecht werden kann. Wir wissen schließlich alle aus eigener Erfahrung, wie sehr die Preise, ganz besonders die Preise für die Lebensmittel, im letzten Jahr in die Höhe gegangen sind.
Nach den Angaben des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts von Köln sind bei den kleinen Einkommen - und um die handelt es sich in unserem Antrag - die Ausgaben für den starren Bedarf, also die Ausgaben, die man unbedingt zum Leben nötig hat, um 14 % gestiegen. Wie sehr - wir sollten uns das einmal vor Augen halten - muß diese Personengruppe die Entwicklung getroffen haben, da sie mit ihren niedrigen Renten und niedrigen Unterstützungssätzen schon seit langem kaum in der Lage war, ihren starren Bedarf zu decken! Ich glaube, wir alle werden uns darüber klar sein, daß die Preisentwicklung es diesen Personen völlig unmöglich gemacht hat, sich etwa für die Bedürfnisse des Winters, und zwar insbesondere für die Bevorratung mit Kartoffeln und Hausbrand, eine Rücklage zu machen. Darüber wird Einmütigkeit bei uns herrschen und auch darüber, daß sie eine Bevorratung für den Winter aus ihren laufenden Einnahmen niemals durchführen können. Bei der Winterbeihilfe hat es sich von jeher um eine Beihilfe für die Einkellerung von Kartoffeln und von Hausbrand gehandelt. Gerade die Preisentwicklung hier beweist die Berechtigung der von uns geforderten Beträge. Wir haben vor einigen Wochen eine Debatte über die Kartoffelpreise gehabt. Frau Kollegin Niggemeyer hat damals gesagt, auch sie sei der Ansicht, daß es sich hinsichtlich der Kartoffelpreise um eine soziale Frage handle. Ich unterstreiche diese Äußerung völlig, und ich glaube, wir sind uns darüber klar, daß die Entwicklung für diesen Personenkreis ganz besonders verhängnisvoll ist. Im Jahre 1950 kostete ein Zentner Kartoffeln 5 bis 6 DM. Es ist damit zu rechnen, daß in diesem Jahr die Kartoffeln, und zwar nicht nur in den Dürregebieten, erheblich teurer sein werden als in den vergangenen Jahren.
({5})
Bei den Preisen für Hausbrand ist eine ähnliche Entwicklung nach oben festzustellen. Ich habe hier Zahlen vom Verband der Kohlenhändler Ostwestfalens. Danach hat beispielsweise Anthrazit im Dezember 1951 3,84 DM gekostet, im August 1952 6,04 DM. Eierkohle hat im Dezember 1951 3,59 DM gekostet, im August 1952 5,64 DM. Briketts haben im Dezember 1951 2,68 DM gekostet, im August 1952 3,84 DM.
({6})
Das Ministerium des Innern hat erfreulicherweise bereits am 5. Juli 1952 ein Rundschreiben an die Länder über Beihilfen für Brennstoffbevorratung herausgegeben. Naturgemäß konnten durch diesen Runderlaß nur die Empfänger von Fürsorgeunterstützungen im Sinne der Verordnung über die Fürsorgepflicht in Betracht gezogen werden. Aber das Bedürfnis nach einer Winterbeihilfe besteht nicht nur bei den von der Fürsorge betreuten Menschen,
({7})
sondern in gleichem Maße für den in unserem Antrag aufgeführten Personenkreis. Im Hinblick auf die besonderen Preissteigerungen gerade für Kohlen und für Kartoffeln ist es notwendig, über den nach fürsorgerechtlichen Grundsätzen erfaßten Personenkreis hinauszugehen und die Winterbeihilfe auch denen zu gewähren, die in unserem Antrag angesprochen sind. Es handelt sich dabei um die Empfänger von Arbeitslosen- und Arbeitslosenfürsorgeunterstützung, von Renten aus der Sozialversicherupg, der Kriegsopferversorgung und dem Lastenausgleich und um sonstige Unterstützungsempfänger. Wir würden es insbesondere auch begrüßen - und wir halten es für notwendig -, wenn den Ländern die Empfehlung gegeben würde, den ihrer Betreuung unterliegenden Kreis der Fürsorgeunterstützten in gleicher Weise zu betreuen.
Ich bitte Sie sehr herzlich, lassen Sie uns nicht an der Not dieser Menschen, die auf uns warten, vorübergehen. Denken wir bitte daran, daß das Brot der Armen immer noch die Kartoffeln sind. Denken wir daran, daß die Kartoffeln eine Preissteigerung erfahren haben, die es den Armen unmöglich macht, sich für den Winter mit Kartoffeln zu versorgen. Deshalb bitten wir Sie dringend, unserem Antrag zuzustimmen.
({8})
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage der Beihilfen für die Hilfsbedürftigen, die uns in den letzten Jahren im Herbst hier beschäftigt hat, ist zweierlei Art. Einmal handelt es sich um Winterbeihilfen, zum anderen handelt es sich um Weihnachtsbeihilfen. Bei beiden Beihilfen ist der Bund nur Verrechnungsstelle gegenüber den Ländern. Das entspricht dem Überleitungsgesetz. Die Winterbeihilfen sind Pflichtleistungen der öffentlichen Fürsorge, also der Fürsorgeverbände, die regelmäßig der Winterbevorratung an Kartoffeln und Kohlen durch die Hilfsbedürftigen dienen sollen. Die verausgabten Beträge werden bezüglich der Personen, die zum Kreis der Kriegsfolgenhilfeempfänger gehören, vom Bund erstattet, und zwar in Höhe von 85 °/o; aber die Höhe der Beihilfen bestimmt nicht der Bund, sondern der Fürsorgeverband, gegebenenfalls im Rahmen von Richtlinien, die vom Land erlassen werden. Ich möchte das mit Rücksicht auf die Ausführungen meiner Frau Vorrednerin klarstellen.
Damit die Länder den gesamten Bedarf der Hilfsbedürftigen wegen der Notwendigkeit der Einkellerung rechtzeitig bereitstellen, habe ich, wie auch von der Frau Vorrednerin erwähnt wurde, rechtzeitig, am 16. August, die Länder in einem Schreiben in Kenntnis gesetzt, daß der Bund die Winterbeihilfen wie im Vorjahr anteilig, also zu 85 °/o, übernehmen wird. Dabei ist erneut die Regelung aufgenommen worden, daß der Bund die Verrechnungsfähigkeit der Beihilfen nicht nur bei denjenigen anerkennt, die kein höheres Einkommen als den Fürsorgerichtsatz einschließlich der Teuerungszuschläge und der Mietbeihilfen haben, sondern als Richtsatz kann vielmehr der maßgebliche Richtsatz zuzüglich einer Erhöhung von 10 % zugrunde gelegt werden. Das bedeutet praktisch eine wesentliche Ausweitung des Personenkreises, dem verrechnungsfähige Winterbeihilfen gegeben werden können. Dieser Kreis umfaßt nicht nur die Empfänger von laufenden Fürsorgeunterstützungen, er umfaßt auch die Rentenempfänger, die Empfänger von Unterhaltsbeihilfen, die Empfänger von Arbeitslosenunterstützung und Arbeitslosenfürsorgeunterstützung und endlich alle Personen mit geringem eigenem Einkommen, sofern eben die Einnahmen die angegebene Höhe nicht überschreiten. Gerade die gleichmäßige Behandlung aller Bedürftigen, die allein dem Gesetz, der Fürsorgepflichtverordnung und den Reichsgrundsätzen der öffentlichen Fürsorge entspricht, schließt die berechtigte Berufung einzelner Personenkreise aus. Soviel zu dem ersten Kreis, der Pflichtleistung der Winterbeihilfe.
Bei den Weihnachtsbeihilfen liegt der Fall anders. Die Weihnachtsbeihilfe ist eine zusätzliche und freiwillige Leistung zur Pflichtleistung der Unterstützung, also auch eine zusätzliche Leistung zur Winterbeihilfe. Im Vorjahr wurde als Regelbetrag eine Beihilfe von 20 DM für den Alleinstehenden und 5 DM für den Angehörigen als verrechnungsfähiger Beitrag gegenüber dem Bund von uns anerkannt. Für die Gewährung der Beihilfe ist entscheidend, daß die Einnahmen des Bedürftigen, gleichgültig, woraus sie immer fließen mögen, den um rund 10 v. H. erhöhten maßgeblichen Fürsorgerichtsatz zusätzlich Teuerungszuschlag und zusätzlich Mietbeihilfe nicht übersteigen. Nur für die Empfänger von Arbeitslosenfürsorgeunterstützung war eine Sonderregelung getroffen. Bei ihnen haben wir einen Satz von 25 DM für den Alleinstehenden und von 10 DM zusätzlich für den zuschlagsberechtigten Angehörigen beschlossen. Sofern er Kriegsfolgenhilfeempfänger war, ist dieser Betrag vom Bund anerkannt, wobei allerdings der Mehrbetrag gegenüber dem Regelsatz der Beihilfe, also hier von 5 DM, im Falle der Gewährung einer Winterbeihilfe auf diese Winterbeihilfe angerechnet werden muß.
Meine Damen und Herren, über diese Regelung können wir vom Bunde aus auch im Jahre 1952 nicht hinausgehen. Einmal hat uns die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung im Benehmen mit dem Bundesarbeitsministerium wissen lassen, daß eine Gewährung von Weihnachtsbeihilfen aus ihren Mitteln an Empfänger der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung allein nicht in Betracht kommt. Auf Mittel der Bundesanstalt kann also nicht zurückgegriffen werden. Sodann hat sich die Zugrundelegung eines um 10 v. H. erhöhten Richtsatzes bei der Feststellung, ob die Voraussetzung für die Gewährung einer verrechnungsfähigen Weihnachtsbeihilfe gegeben ist - und diese Regelung wird auch 1952 gelten -, schon im Vorjahr dahin ausgewirkt, daß sich im Bereich der öffentlichen Fürsorge der Kreis der Empfänger von Weihnachtsbeihilfe über die Zahl der Empfänger von Fürsorgeunterstützung um rund 60 v. H. geweitet hat. Schließlich läßt auch die finanzielle Lage des Bundes höhere Aufwendungen nicht zu.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß es sich bei dem ganzen Problem nicht nur um eine Frage der Bundesfinanzen handelt - der Bund ist ja, wie ich schon betont habe, nur bei Kriegsfolgenhilfeempfängern mit 85 v. H. beteiligt -; es ist sehr stark eine Frage der Länder- und Gemeindefinanzen. Die Entscheidung über das, was an Weihnachtsbeihilfen zu zahlen ist, liegt primär nicht beim Bund, sondern bei den Ländern und Gemeinden. Der Bund legt nur fest, in welcher Höhe er zur Verrechnung bereit ist - das sind die
({0})
85 %-, und die Länder haben nicht nur ihre 15 v. H. aufzubringen, sondern bei dem Teil der Bevölkerung, der nicht zu den Kriegsfolgenhilfeempfängern gehört, müßten die Länder und Gemeinden alles aus eigenen Mitteln zahlen.
Wir müssen uns deshalb seitens der Bundesregierung gegen die Berechtigung eines Vorwurfs der Länder dahingehend schützen, daß der Bund, wenn er bei den Kriegsfolgenhilfeempfängern die Bereitwilligkeit zur Verrechnung gegenüber dem Vorjahr erhöhter Sätze erklären würde, damit die Länder und Gemeinden in eine Zwangslage versetzt, nicht nur höhere Interessenquoten zu zahlen, sondern auch höhere Summen für die Nichtkriegsfolgenhilfeempfänger, für die die Länder und Gemeinden die Beihilfebeträge in vollem Umfange aus eigenen Mitteln zu zahlen verpflichtet sind. Man könnte also sagen, daß wir von der Bundesseite her den Ländern und Gemeinden Lasten auferlegen, die zu tragen sie vielleicht gar nicht in der Lage sind.
Die Auszahlung der Weihnachtsbeihilfen an die Empfänger von Arbeitslosenfürsorgeunterstützung wird zur Verfahrensvereinfachung in diesem Jahre durch die Arbeitsämter vorgenommen; die Bundesanstalt hat sich ausdrücklich dazu bereit erklärt. Dabei wird auch - wie im Vorjahr - keine ins einzelne gehende Nachprüfung der Hilfsbedürftigkeit vorgenommen, sondern bei dem einzelnen Empfänger wird lediglich festgestellt, ob der für ihn geltende, um 10 v. H. erhöhte Fürsorgerichtsatz einschließlich Teuerungszuschlag und Mietbeihilfe nicht überschrittten wird, und auf Grund dieser Bestimmung kann die Weihnachtsbeihilfe an den Empfängerkreis der Arbeitslosenfürsorge ausgezahlt werden. Schon im Vorjahre konnte sie ohne nennenswerte Schwierigkeiten von den Arbeitsämtern ausgezahlt werden.
Meine Damen und Herren! Diese ganze komplizierte Materie ist mit dem beteiligten Personenkreis in den einzelnen Ressorts - von meinem Ministerium, vom Finanzministerium, vom Arbeitsministerium - in den letzten Monaten eingehend geprüft und beraten worden. Alle beteiligten Stellen waren rechtzeitig unterrichtet, und nach dem vor kurzem erfolgten Abschluß der Verhandlungen sind auch die Länder sofort unterrichtet worden, so daß die von mir hier ausführlich dargelegten Regeln für diese beiden Unterstützungsarten auch für dieses Jahr wirksam bleiben werden.
Ich bitte das Hohe Haus, sich dieser Regelung anzuschließen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Willenberg.
Meine Damen und Herren! Ich halte es nicht für notwendig, diesen Antrag noch einmal begründend zu unterstützen; das ist meines Erachtens genügend geschehen. Ich halte es aber für notwendig, daß schnell gehandelt wird. Ich möchte deswegen das Hohe Haus bitten, meinem Antrage zuzustimmen, den zur Beratung stehenden Antrag zunächst dem Fürsorgeausschuß und dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen, wobei der Ausschuß für Sozialpolitik federführend sein soll.
Ich darf dann - auch im Interesse der Notleidenden - dem Wunsch Ausdruck geben, daß diese beiden Ausschüsse möglichst schnell zur Beratung
zusammentreten, damit ein Ergebnis erzielt wird, das es ermöglicht, die Empfänger noch vor dem Einbruch der kalten Wintermonate in den Besitz dieser Unterstützungen zu bringen.
Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In diesem Hause ist es schon zu einer guten Tradition, zu einer Tradition geworden, die schon vorher in den' Landtagen geübt wurde, sich in der Zeit, in der die Härten der jahreszeitlichen Entwicklung auf uns zukommen, mit der Versorgung der Menschen zu beschäftigen, die auf der Schattenseite des Lebens stehen. Die CDU-Fraktion hat ihre Bemühungen für diese Menschen nicht erst jetzt in Angriff genommen, sondern sie hat schon im Sommer dieses Jahres einen Briefwechsel mit dem Herrn Finanzminister geführt, in dem diese Dinge angesprochen waren. Die Bundesregierung hat sich in diesem Briefwechsel auf den Standpunkt gestellt, daß man in diesem Jahre die gleichen Winterbeihilfen wie im vergangenen Jahr zur Verfügung stellen müsse.
Nun sind auch wir der Meinung, daß überlegt werden muß, ob die Winterbeihilfen, die im vergangenen Jahr gewährt wurden, ausreichen, um diesen Personenkreis über die Härten des kommenden Winters hinwegzubringen. Dabei muß nicht nur geprüft werden, ob die hier Angesprochenen infolge ihrer Notlage dieser Winterbeihilfen in der bisherigen oder in einer höheren Form bedürfen, sondern es muß auch geprüft werden, ob die Finanzen des Bundes ausreichen, das Notwendige zu tun.
({0})
Ich bin der Meinung, daß in diesem Hause Einmütigkeit darüber besteht, daß etwas getan werden muß. Nach meinem Dafürhalten muß nur geprüft werden, inwieweit der Bund in der Lage ist, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen.
Ich möchte daher entgegen dem Antrag des Kollegen Willenberg den Antrag stellen, die Drucksache Nr. 3672 nicht einem der sozialpolitischen Ausschüsse, sondern dem Haushaltsausschuß zu überweisen,
({1})
damit er in der nächsten Woche die Dinge überprüfen und dann festlegen kann, in welcher Höhe die Winterbeihilfen in diesem Jahr gewährt werden sollen.
({2})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion zu der Frage der Winterbeihilfen ist nach unserer Meinung unzulänglich und verpflichtet die Bundesregierung zu nichts. Der Herr Bundesinnenminister hat der sozialdemokratischen Fraktion bereits die entsprechende Antwort gegeben. Die Formulierung, nach der die Bundesregierung beauftragt wird, unverzüglich dafür zu sorgen, daß diese Winterbeihilfe in Höhe von 50 DM und zusätzlich 10 DM zur Auszahlung gelangt, nimmt nicht die notwendige Rücksicht auf die seit langem bei allen Fraktionen des Bundes({0})
tags eingehenden berechtigten Anträge der Organisationen der Erwerbslosen, der Kriegsopfer und der übrigen Sozialgeschädigten. Es dürfte auch den Antragstellern bekannt sein, daß der Mindestbedarf für eine Normalfamilie für 5 bis 6 Wintermonate mindestens 30 Zentner Hausbrand und
8 Zentner Kartoffeln beträgt. Der Durchschnittspreis für Kohlen bewegt sich um 5 DM und der Preis für Einkellerungskartoffeln wird nach dem, was bis jetzt bekanntgeworden ist, bei 11 bis 12 DM pro Zentner liegen.
({1})
Der hier angesprochene Personenkreis müßte also allein dafür die Summe von 260 DM ausgeben. Wenn man dem den sozialdemokratischen Antrag entgegenhält, so ist diese aufgestellte noch nicht einmal verbindliche Forderung an die Regierung als sehr bescheiden anzusprechen.
Ich möchte hier den Verbandstag der Industriegewerkschaft Metall zitieren, der sich mit den Lebensverhältnissen der arbeitenden Menschen beschäftigt hat. Dort wurde eindeutig festgestellt, daß der Mindestbedarf für eine dreiköpfige Arbeiterfamilie zirka 360 DM beträgt und für eine vierköpfige Normalfamilie bei 440 DM liegt. Die Bundesregierung selbst hat wiederholt in ihren statistischen Angaben errechnet, daß das Existenzminimum bei 300 DM liegt.
Das war für uns bereits im vorigen Jahr der Anlaß, in dem damals von uns gestellten Antrag neben der Auszahlung von 50 DM als Winterbeihilfe an den Hauptunterstützungsempfänger und 30 DM für jedes zuschlagsberechtigte Familienmitglied die Forderung auf Lieferung von 30 Zentner Hausbrand und 2 Zentner Kartoffeln zu erheben. Wenn Sie noch hinzurechnen, daß bei der langfristigen Erwerbslosigkeit kaum Mittel zur Beschaffung der notwendigen Winterbekleidung vorhanden sind, dürfte sich mit aller Deutlichkeit die Unzulänglichkeit dieses Antrags herausstellen.
Vorhin bereits wurde in einem Zwischenruf bemerkt, daß das Geld für andere Zwecke in genügender Menge zur Verfügung stünde. Bereits bei der gestrigen Debatte wurde auf den Etat des Bundesfinanzministers hingewiesen, der allein
9 Milliarden DM für kriegerische Zwecke vorsieht. Wir halten es deshalb für notwendig - und ich bitte den Herrn Präsidenten, für unseren Antrag die Unterstützungsfrage zu stellen -, folgenden Antrag einzubringen:
Der Bundestag wolle beschließen:
Alle Bezieher von Renten aus der Rentenversicherung der Arbeiter, der Wanderversicherung, der Angestelltenversicherung, der Unfallversicherung, der Knappschaftsversicherung, der Arbeitslosenversicherung, die Empfänger von Soforthilfe nach dem Gesetz über den Lastenausgleich, die Empfänger von öffentlicher Wohlfahrtspflege und Tuberkulosenhilfe erhalten zur Beschaffung des Winterbedarfs an Wäsche und warmer Bekleidung eine einmalige Beihilfe für den Bezugsberechtigten in Höhe von 100 DM, für jedes bezugsberechtigte Familienmitglied in Höhe von 40 DM. Daneben werden für jeden Bezugsberechtigten mit einem Haushalt 30 Zentner Kohlen oder Ersatzheizstoff in gleichem Heizwert für den bezugsberechtigten Familienvorstand sowie für jedes bezugsberechtigte Familienmitglied je 2 Zentner Kartoffeln kostenlos geliefert.
Rentenberechtigte nach dem Bundesversorgungsgesetz, die Opfer des Krieges ({2}) haben Anspruch auf die vorstehenden Leistungen.
Außerdem wird allen Beziehern von Renten aus der Kriegsopferversorgung zusätzlich eine Sonderhilfe in der Höhe einer Monatsrente gezahlt.
Die für die Finanzierung der vorstehenden Leistungen benötigten Mittel übernimmt der Bund.
Der Herr Innenminister Dr. Lehr soll ruhig auf die Verdopplung seines Grenzschutzes verzichten; er soll die Millionen den bedürftigen Menschen zukommen lassen!
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Freidhof.
Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst gegen den Vorschlag wenden, den der Herr Abgeordnete Arndgen hier gemacht hat, diesen Antrag der sozialdemokratischen Fraktion an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Nach meiner Meinung können die Dinge nicht allein vom finanzpolitischen Standpunkt aus betrachtet werden, sondern in erster Linie von der sozialen Lage aus,
({0})
in der sich gegenwärtig die bedürftigen Unterstützungsempfänger befinden. Es ist nach meiner Auffassung deshalb notwendig, daß der Sozialpolitische Ausschuß und der Fürsorgeausschuß zu diesen Dingen zunächst einmal Stellung nehmen. Es ist auch deshalb nach meiner Überzeugung notwendig, weil der Sozialpolitische Ausschuß und der Fürsorgeausschuß die Frage prüfen müssen, ob nicht für diejenigen, die langfristig arbeitslos sind, die schon seit zwei, drei oder vier Jahren arbeitslos sind in Bezirken, wo keine Arbeitsmöglichkeit vorhanden ist, andere Richtsätze festgelegt werden sollen als für diejenigen, die erst kurzfristig arbeitslos geworden sind.
Nun hat der Herr Kollege Arndgen gesagt, daß die CDU verlangt, daß die gleichen Beträge wie im vergangenen Jahr ausgezahlt werden.
({1})
- So habe ich es gehört. Dabei soll allerdings die Teuerung, die gegenwärtig eingetreten ist, eine Berücksichtigung finden. Der Herr Innenminister hat erklärt, daß die finanzielle Lage des Bundes keine höheren Zuwendungen zuläßt als die Beträge, die im vergangenen Jahr ausgezahlt worden sind. Die Bundesregierung hat aber in den letzten Tagen den Fürsorgeempfängern, den Arbeitslosen und den Rentnern eine neue Verschlechterung ihrer Lebenslage gebracht, indem sie ihnen ab 1. Oktober oder 1. November - das steht noch nicht genau fest - eine Erhöhung der Mieten zumutet, also eine weitere Verschlechterung ihrer Lebenshaltung. Aus diesem Grunde ist es absolut notwendig, daß sich beide Ausschüsse mit dieser Frage beschäftigen, um zu erreichen, daß eine
({2})
befriedigende Lösung für diese Leute erreicht wird. Zweifellos wird niemand hier bestreiten wollen, daß es einige Gruppen in Deutschland gibt, die die ganze Last der Teuerung und der ganzen Verhältnisse zu tragen haben, daß es gegenwärtig niemandem schlechter geht als den Rentnern und den Arbeitslosen und daß deshalb versucht werden muß, eine befriedigende Lösung herbeizuführen.
Ich möchte deshalb bitten, daß der Antrag den beiden Ausschüssen überwiesen wird und daß möglichst rasch dazu Stellung genommen wird, damit die Leute möglichst bald in den Genuß ihrer Beihilfe kommen.
({3})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß meine Ausführungen noch mißverstanden worden sind. Ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß zwischen den Winterbeihilfen und den Weihnachtsbeihilfen unterschieden werden muß. Die Winterbeihilfen sind Pflichtleistungen der öffentlichen Fürsorge, also der Gemeinden und Gemeindeverbände, und die Höhe der Pflichtleistungen bestimmen die Fürsorgeverbände, eventuell nach Richtlinien, welche die Länder erlassen. Das ist also von uns hier ganz unabhängig. Es ist eine Sache der Gemeinden und Gemeindeverbände. Wir sind lediglich verpflichtet, 85 % des von den Fürsorgeverbänden Bestimmten zu bezahlen. Es ist also ganz automatisch eine Erhöhung da. Wenn die
Kartoffeln und Kohlen mehr kosten, dann müssen die Fürsorgeverbände dieses Mehr aufbringen, und wir müssen automatisch das Mehr mit unseren 85 % aufbringen. Das ist hier vielfach übersehen worden.
Freiwillig ist die Weihnachtsbeihilfe. Das werden Sie in den Ausschüssen ja wohl alles noch einmal beraten. Ich habe aber den Eindruck, daß in dieser Materie grundlegende Irrtümer im Hause bestehen. Es wäre doch nötig, diese Irrtümer in den Ausschußberatungen gründlicher aufzuklären, als es hier in einer Rede vor dem schwach besetzten Hause offenbar möglich ist.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Während der Debatte ist noch ein Antrag von der Gruppe der KPD eingegangen. Der Antrag ist nach der Geschäftsordnung nicht ausreichend unterstützt.
({0})
- An sich ist es nicht meine Aufgabe, dafür zu sorgen, daß ein Antrag hinreichend unterstützt wird. Ich will das Haus aber befragen. Ich bitte diejenigen, die den Antrag unterstützen, sich zu melden. - Das ist zweifellos nicht die ausreichende Zahl von 15 Abgeordneten. Ich kann infolgedessen diesen Antrag, der übrigens kein Änderungsantrag, sondern ein selbständiger Antrag ist und infolgedessen anders eingereicht werden müßte, nicht zur Abstimmung stellen.
Dann liegen ein Antrag auf Überweisung an den
Sozialpolitischen Ausschuß und ein Antrag auf Überweisung an den Haushaltsausschuß als federführenden Ausschuß vor. Welcher Antrag weitergehend ist, ist nicht gut zu sagen; das kommt auf den Effekt hinterher erst an.
({1})
- Ohne den Haushaltsausschuß werden wir in dieser Sache natürlich nicht auskommen. Ich stelle diese Frage zunächst auch lediglich dem Hause zur Entscheidung anheim. Ich bitte diejenigen, die die Überweisung an den Haushaltsausschuß wünschen, die Hand zu heben. - Das ist zweifellos die Mehrheit. Damit ist die Überweisung an den Haushaltsausschuß als federführenden Ausschuß beschlossen.
In nehme an, daß die Mitbeteiligung des Sozialpolitischen Ausschusses gewünscht wird. Dem wird nicht widersprochen.
({2})
- Ist nicht notwendig? Also: wer die Mitüberweisung an den Sozialpolitischen Ausschuß wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Minderheit, die Überweisung an den Sozialpolitischen Ausschuß zur Mitberatung ist beschlossen.
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt. Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ersten Wohnungsbaugesetzes ({3}).
Dazu schlägt der Ältestenrat eine Begründungszeit von 15 und eine Aussprachezeit von 60 Minuten vor.
Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Jacobi.
Jacobi ({4}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, der Ihnen zur Beratung vorliegt, entspringt einer Initiative der sozialdemokratischen Fraktion, die aus zwei Gründen erforderlich wurde. Wir haben seit Monaten gehört, daß im Wohnungsbauministerium ein Referentenentwurf zur Änderung des Ersten Wohnungsbaugesetzes in Arbeit sei, ohne daß ein Vorwärtskommen spürbar wurde. Der neue Wohnungsbauminister, Herr Neumayer, hat bei den Reden, die er in der letzten Zeit gehalten hat, auf diese Arbeit seines Ministeriums hingewiesen. Uns ist bekannt, daß noch heute morgen in seinem Ministerium eine Besprechung über den Referentenentwurf stattgefunden hat.
Es sind gewisse Schwierigkeiten hinsichtlich dieses Entwurfs aufgetreten. Eine der größten Schwierigkeiten scheint offenbar auf dem Gebiet zu bestehen, das uns beim Sozialen Wohnungsbau von jeher immer wieder die größten Schwierigkeiten gemacht hat, ich meine die Frage der Sicherstellung der Finanzmittel. Was wir in dieser Richtung über das, was der Referentenentwurf des Wohnungsbauministeriums beabsichtigt, gehört haben, klingt nicht sehr trostreich und entspricht nicht den Notwendigkeiten, die wir doch wohl alle als gegeben ansehen. Denn wir haben nie eine Stimme in diesem Hause gehört, die nicht mit Nachdruck immer wieder darauf hingewiesen hätte, wie notwendig die Förderung des Sozialen Wohnungsbaues ist.
({5})
Noch ein zweiter Gesichtspunkt hat uns zu unserer Initiative veranlaßt. Das ist die Tatsache, daß trotz aller statistischen Versuche, nachzuweisen, daß der Soziale Wohnungsbau gesichert sei, die Praxis ein anderes Bild ergibt. Es kann nicht bestritten werden, daß eine erhebliche Gefährdung des Sozialen Wohnungsbaues in absehbarer Zeit erwartet werden muß, wenn nicht besondere Maßnahmen getroffen werden.
Wir wollen auch die Gelegenheit dieser Aussprache nicht vorübergehen lassen, ohne mit Dankbarkeit festzustellen, daß wir im Wiederaufbauausschuß dieses Bundestages - von wenigen Einzelfragen abgesehen - immer wieder zu gemeinsamen Arbeitsergebnissen gekommen sind. Wir hegen die Hoffnung, daß diese wohltuende Praxis auch in Zukunft bleiben wird. Wir glauben, daß unser Gesetzentwurf, der der Sicherung und zugleich der Aktivierung des Sozialen Wohnungsbaus dienen soll, eine Grundlage für die weiteren Beratungen bildet, die ebenso harmonisch verlaufen sollten und verlaufen können, wie dies der Fall war, als das Erste Wohnungsbaugesetz verabschiedet wurde, ein Gesetz, von dem Sie alle wissen, in welch starkem Maße auch hier eine Initiative meiner Fraktion entfaltet worden ist, ein Gesetz, das selbst und in seiner Praxis auf Namen Bezug nehmen läßt von Menschen, die nicht mehr unter uns weilen. Ich meine Eberhard W i l de r m u t h, den ersten Wohnungsbauminister des Bundes, und unseren Kollegen Erich K l a b u n de, die sich theoretisch und praktisch um dieses Gesetz und seine Verwirklichung bemüht haben.
Meine Damen und Herren, ich wies darauf hin, daß wir über das nicht befriedigt sind, was sich bisher hinsichtlich der Absichten des Wohnungsbauministeriums in bezug auf die Änderung des Ersten Wohnungsbaugesetzes erkennen ließ. Wer sich mit den Wohnungsbaufragen beschäftigt hat, weiß, wie notwendig die Ergänzung dieses Gesetzes ist. Wir haben uns bemüht, eine Reihe von Fragen durch unseren Gesetzentwurf anzusprechen und einer Regelung zuzuführen, die ihre Notwendigkeit aus der Praxis jeden Tag bestätigt erhält. Wir mischten in erster Linie das ständige Ringen und Raufen mit dem Finanzminister wegen der Förderungsmittel verhindert wissen. Es ist eine unmögliche Situation, daß wir von Jahr zu Jahr wegen dieser Förderungsmittel Sitzung über Sitzung abhalten, ohne daß wir greifbare Ergebnisse erzielen, oder daß oft erst im Spätwinter die Finanzierung sichergestellt ist, wenn dies überhaupt der Fall ist, so daß wir mit dem Baubeginn immer wieder Verzögerungen mit in Kauf nehmen müssen, die unerträglich sind. Niemand bestreitet, daß der Wohnungsbau noch über Jahre hinaus die Aufgabe Nr. 1 bleibt. Aber das auszusprechen genügt nicht. Die Praxis erfordert eine Verbesserung mancher Möglichkeiten und mancher gesetzlicher Regelungen, mit denen wir es bisher zu tun hatten. Hier will der sozialdemokratische Gesetzentwurf eine Lücke schließen. Auch er verzichtet bewußt auf ein umfassendes Zweites Wohnungsbaugesetz, er enthält jedoch eine Reihe wesentlicher Ergänzungen des Ersten Wohnungsbaugesetzes, das sich bekanntlich im allgemeinen bewährt hat.
Was will der Gesetzentwurf? Sein Hauptanliegen - ich wies schon darauf hin - ist die Sicherung des mindestens finanziell bedrohten Sozialen Wohnungsbaus, darüber hinaus jedoch -- auch das durfte ich bereits aussprechen- seine Aktivierung. Er sucht dieses Ziel auf folgende Weise zu erreichen: Ersten: durch ein gesetzlich festgelegtes Jahresprogramm für den Bau von 400 000 Wohnungen des eigentlichen Sozialen Wohnungsbaus, und hierbei soll keine Anrechnung von Sonderprogrammen oder von Überhängen erfolgen, die bisher immer wieder ermöglichten, mit statistischem Material zu operieren, das einer Nachprüfung nicht immer standgehalten hat. Wir versuchen zweitens eine auf drei Jahre im voraus gesicherte Etatisierung festlegen zu lassen, und zwar gehen wir von einer Summe in einer Größenordnung von jährlich 1,6 Milliarden aus. Auf diesen Betrag soll keine Anrechnung von Sonderprogrammen, Sondermitteln also, erfolgen. Wir haben drittens in unserem Entwurf statuiert, daß die Verwaltung der Bundes-wohnungsbaumittel durch das Wohnungsbauministerium erfolgen soll. Wir haben konkrete Kapitalanlagevorschriften vorgesehen. Wir haben die Ermächtigung des Wohnungsbauministers, auf die Länder einzuwirken, verstärkt. Wenn kein Einvernehmen mit den. Ländern erzielt werden kann, soll dem Wohnungsbauminister eine gewisse Befugnis eingeräumt werden, von sich aus die Mittel zu steuern. Wir haben, um einen weiteren Punkt zu nennen, die Darlehnsförderung von Werkswohnungen ausgeschlossen, außer wenn diese in das Eigentum der Bewohner übergehen. Überhaupt haben wir uns bemüht, dieser Frage eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Wir haben die Förderung des Figenheims, der Kleinsiedlungen und anderer Einrichtungen, die zum Eigentum führen, als zu bevorzugen bezeichnet, und wir sind ernsten Willens, in dieser Richtung hin noch zu konkreten Beschlüssen zu kommen. Sie werden bei der Ausschußarbeit unsere diesbezügliche Bereitschaft feststellen können.
Es ist doch so, daß unsere Einstellung zum Eigentum nicht dem entspricht, was uns oft in der Propaganda entgegengehalten wird. Ich darf mich auf das Wort eines Mannes berufen, der kürzlich in diesem Hause an seiner Totenbahre geehrt wurde und der zur Frage der Siedlung und des Kleineigentums ein wesentliches Wort gesprochen hat, das man anerkennen sollte und dem zu folgen wir als ein Vermächtnis betrachten. Dr. Kurt Schumacher war es, der folgendes sagte:
Im Streben von Millionen arbeitenden Menschen nach dem eigenen Haus und dem eigenen Stück Grund und Boden drückt sich ein kultureller Wille aus, der alle diejenigen Lügen straft, die behaupten, daß die Forderungen der modernen Arbeiterbewegung nur aus materialistischen Motiven stammen. So wie die SPD den Kollektivismus in jeder Form ablehnt, so begrüßt sie alle Anstrengungen zur menschenwürdigen Lebensgestaltung. Sie sieht in jeder Siedlerstelle ein Stück vom Willen zur persönlichen Freiheit und wirtschaftlichen Unabhängigkeit und wird deshalb die Siedlung immer nach Kräften fördern.
Meine Damen und Herren, das sind Sätze, denen wir in unserem Initiativgesetzentwurf an einer Reihe von Stellen Rechnung getragen haben, vielleicht noch nicht in einer Form, die letztlich gültig ist. Aber ich deutete unsere Bereitschaft an, mit Ihnen gemeinsam hier nach Lösungen zu suchen.
Ich darf mich, da mir nur noch wenig Zeit zur Einbringung zur Verfügung steht, auf ein paar abschließende Stichworte beschränken und mir vorbehalten, wenn es nötig ist, in der allgemeinen
({6})
Aussprache noch auf einige Punkte, die dieser Gesetzentwurf zu regeln versucht, zurückzukommen.
Wir haben die Heraufsetzung der Mindestgröße, die bisher 32 qm im Sozialen Wohnungsbau betrug, auf 40 qm vorgesehen, und wir haben eine Reihe, wie wir glauben, wichtiger und ausreichender Bestimmungen für die Mindestausstattungen vorgesehen. Wir haben die bundesrechtliche Festlegung der Mindesteigenleistungen und ein System von Bewilligungsvorbescheiden vorgeschlagen; schließlich auch die Vereinheitlichung der Förderungsrichtlinien.
Ich darf hierzu bemerken, daß hier nur ein Punkt berührt wird, der auch zwangsläufig andere Fragen auslöst. Es geht uns darum, daß der Wust von Behördenformularen abgebaut wird, daß eine Vereinfachung auch des Bewilligungsverfahrens stattfindet. Ich bin so loyal, Herr Kollege Lücke, darauf hinzuweisen, daß S i e es waren, der vor kurzem anläßlich einer Tagung des Volksheimstättenwerks die bemerkenswerte Feststellung traf, daß z. B. für das Antragsverfahren des Eigenheimbauwilligen Formulare von insgesamt 132 m Länge und einem Papiergewicht von 2,5 kg ausgefüllt werden müssen.
Hier eröffnet sich ein dankbares Betätigungsfeld für die Verwaltungsvereinfachung unter dem Stichwort: Kein Aufbau in Papier! Denn jedes Formular weniger bedeutet einen Vertrauensgewinn für die Behörden und letztlich auch für die Demokratie.
Mit unserem Gesetzentwurf werden eine Reihe von Fragen aufgeworfen, die im Augenblick darzustellen ich infolge der Zeitnot nicht in der Lage bin. Betrachten Sie diesen Entwurf als den Versuch, auf einem der wichtigsten Gebiete - auch einer Art des Verteidigungsbeitrags! - zu einer Leistung, zu einer Sicherung des Lebensstandards zu kommen, die nicht wichtig genug genommen werden kann. Wir werden uns vorbehalten, auf Einzelheiten zurückzukommen. Wir sprechen die Hoffnung aus, daß Sie im Prinzip mit unseren Vorschlägen einverstanden sind und diesen Entwurf mit dazu zu verwenden versuchen, die erforderlichen Änderungen des Wohnungsbaugesetzes beschleunigt herbeizuführen. Wir werden den Antrag stellen - und ich bitte Sie, ihm zuzustimmen -, diesen Entwurf federführend dem Wiederaufbauausschuß und wegen der finanziellen Bestimmungen mitberatend dem Haushaltsausschuß zu überweisen.
({7})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wohnungsbau.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war ein stolzer Tag in der Geschichte unseres jungen Parlamentes, als am 28. März 1950 das Erste Wohnungsbaugesetz einstimmig angenommen worden ist. Seitdem sind rund eine Million Wohnungen erstellt worden. Allein im vorigen Jahre hat der Wohnungsbau im Bundesgebiet die stolze Ziffer von 400 000 Wohnungseinheiten erreicht. Auch in diesem Jahre hoffe ich mit einer ähnlichen Zahl aufwarten zu können. Diese Ergebnisse können eigentlich erst dann richtig gewürdigt werden, wenn man sich vor Augen hält, daß die höchste Jahresleistung im Gebiet der heutigen Bundesrepublik in den Zeiten zwischen den beiden Kriegen, nämlich im Jahre 1928, der Bau
von 197 000 Wohnungen gewesen ist. Es besteht also ein gewaltiger Unterschied zwischen den Leistungen der beiden letzten Jahre und der Höchstleistung der Zeit zwischen den beiden Kriegen. Zu meiner Freude darf ich auch feststellen, daß die Zahl der Arbeitslosen in der Bauwirtschaft im Jahre 1952 einen besonders niedrigen Stand aufweist, der sogar niedriger ist als der des Jahres 1951. Das Erste Wohnungsbaugesetz hat damit wohl seine erste Bewährungsprobe bestanden.
Die großen Erfolge, die im Wohnungsbau erzielt worden sind, sind - das möchte ich hier in Dankbarkeit bekennen - mit in erster Linie auf die unermüdliche Tatkraft und auf die Schaffenskraft meines leider zu früh verstorbenen Vorgängers zurückzuführen. Im Sinne Eberhard Wild ermuths weiterzuwirken und mit allen Kräften die immer noch bestehende große Wohnungsnot zu lindern, mit allen Kräften, nicht nur mit der Kraft der Vernunft und des Verstandes, sondern auch mit der ganzen Leidenschaftlichkeit des Herzens dahin zu wirken, daß unsere Kinder dem Zwielicht der Bunker, der trüben Luft der Baracken entrissen und gesunden Wohnungen und Wohnverhältnissen zugeführt werden, das betrachte ich als meine erste Verpflichtung.
({0})
Die Bezeichnung des ersten Wohnungsbaugesetzes als Erstes Wohnungsbaugesetz deutet bereits darauf hin, daß man sich schon damals darüber klar gewesen ist, daß in geraumer Zeit auf Grund gewonnener Erfahrungen Änderungen und Ergänzungen zu diesem Gesetz vorgenommen werden müssen. Bei der Übernahme meines Amtes war in meinem Hause eine umfangreiche Novelle zum Wohnungsbaugesetz in Bearbeitung. Dieser Entwurf, der über 60 Paragraphen enthielt, befaßte sich auch mit einer Reihe von Einzelregelungen. Ich bin nach eingehender Prüfung zu der Überzeugung gelangt, daß es technisch und systematisch sehr schwierig ist, in die verschiedenen Bestimmungen des Ersten Wohnungsbaugesetzes neue Einzelregelungen hineinzuprojizieren. Wegen des inneren Zusammenhangs der Vorschriften müßte dann das ganze Gesetz gewissermaßen neu redigiert werden. Die Verhandlungen darüber würden aber zweifellos solche Zeit in Anspruch nehmen, daß zu befürchten wäre, das Gesetz könnte sich zu Beginn der neuen Bauperiode noch nicht auswirken. Ich habe mich daher entschlossen, die Vorarbeiten für ein umfassendes Zweites Wohnungsbaugesetz zwar weiter zu betreiben, die Regelung der vordringlichsten Probleme aber zunächst in einer kurzen Novelle zusammenzufassen.
({1})
Die Verhandlungen über diese Novelle mit den Bundesressorts, mit den Ländern, mit den wohnungswirtschaftlichen Verbänden, den Kapitalsammelstellen, der Bauwirtschaft und anderen für den Wohnungsbau wichtigen Organisationen sind jetzt so weit fortgeschritten, daß ich bestimmt damit rechne, diese Novelle in einigen Wochen dem Hohen Hause vorlegen zu können;
({2})
ich nehme es mit aller Bestimmtheit an, ich hoffe
es; die Verhandlungen sind nahezu abgeschlossen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nur ganz kurz über den Inhalt dieser Novelle im Vergleich zu dem heute zur Beratung stehenden Entwurf der Fraktion der SPD einige Bemerkungen
({3})
machen. Bei der Verabschiedung des Ersten Wohnungsbaugesetzes kam es bei der großen Wohnungsnot in erster Linie darauf an, möglichst rasch eine möglichst große Anzahl von Wohnungen zu schaffen. Aus diesem Grunde mußte damals die quantitative Wohnungsbaupolitik den Vorrang vor der qualitativen haben. Ich halte aber nunmehr den Zeitpunkt für gekommen, die Qualitätsfrage stärker als bisher in den Vordergrund zu rücken.
({4})
Die Bundesregierung hat es immer als eine ihrer vornehmsten Aufgaben angesehen, den Eigentumsgedanken und damit auch das Staatsgefühl unserer Bevölkerung zu stärken. Ich selbst betrachte es als ein wesentliches Ziel der nunmehr zu verfolgenden Wohnungsbaupolitik, möglichst breiten Volksschichten zu neuem Eigentum zu verhelfen.
({5})
Ich freue mich, feststellen zu können, daß auch der heute zur Beratung stehende Entwurf der SPD-Fraktion sich diesem Gedanken nicht verschließt. In der von mir vorzulegenden Novelle wird der Gedanke des Eigenheims, der Gedanke der Siedlung und auch des Wohnungseigentums wesentlich stärker akzentuiert werden, als dies in dem SPD-Entwurf vorgesehen ist.
Um der Qualitätsverbesserung zu ihrem Rechte zu verhelfen, ist in meinem Entwurf vorgesehen, nicht nur, wie das im SPD-Entwurf geschieht, die Mindestflächen, sondern auch die Höchstflächen der für den Sozialen Wohnungsbau bereitzustellenden Wohnungen zu erhöhen. Gerade von der Erhöhung der Höchstfläche verspreche ich mir eine gewisse Belebung der privaten Bautätigkeit, und ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, daß ich die Hebung der privaten Bautätigkeit auch als eine der vordringlichen Aufgaben meines Ministeriums betrachte.
({6})
- 80 Quadratmeter!
Auch der SPD-Entwurf verschließt sich offenbar nicht der Notwendigkeit, einer gewissen Neuregelung der Richtsatzmiete zuzustimmen. Es ergibt sich dies aus einigen auflockernden Bestimmungen, die der Entwurf enthält. Nachdem seit der Koreakrise Löhne und Gehälter erheblich angezogen haben, erscheint es mir unmöglich, an dem bisherigen starren Gefüge der Richtsatzmieten festzuhalten.
Herr Kollege Jacobi hat auch darauf verwiesen, daß es an der Zeit sei, im Bewilligungsverfahren eine vereinfachende Lösung zu finden. Ich darf Ihnen sagen, Herr Kollege Jacobi, daß in meinem Hause bereits Besprechungen stattgefunden haben und daß die Bemühungen fortgesetzt werden, wie man möglichst rasch und möglichst durchgreifend hier zu einer Vereinfachung kommen kann.
Die Ausführungen, die Herr Kollege Lücke vor vierzehn Tagen in Köln gemacht hat, haben mich sehr stark beeindruckt, und ich habe sofort in meinem Hause die entsprechenden Beratungen angestellt und hoffe, daß wir bald über Fortschritte berichten können.
({7})
Es wird nicht ganz einfach sein - das sage ich ohne weiteres -, weil ja nicht der Bund allein hierüber zu entscheiden hat.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch ganz kurz bemerken, daß ich in einigen anderen Punkten dem SPD-Entwurf nicht beitreten kann. So sehr mir natürlich auch jede Erhöhung der öffentlichen Mittel für den Wohnungsbau erwünscht ist, so sehr mir eine längerdauernde Sicherung und Festlegung dieser Mittel willkommen wäre, so mußte doch die Regierungsvorlage auf realpolitischem Boden bleiben. Es gibt viele Forderungen, die ich vom Standpunkt des Wohnungsbaues aus brennend gern erfüllt sähe. Ich bin mir aber andererseits auch der Verantwortung bewußt, als Mitglied der Bundesregierung nur solche Forderungen stellen zu dürfen, die wirklich erfüllbar sind.
({8})
Die in § 4 des SPD-Entwurfs vorgesehene Bindung der Kapitalsammelstellen zur Hergabe eines bestimmten Prozentsatzes ihrer langfristigen Mittel erscheint mir ebenfalls nicht vertretbar. Die Kapitalsammelstellen haben sich ihrer Verpflichtung zur Bereitstellung erststelliger Hypotheken auf Grund des Ersten Wohnungsbaugesetzes freiwillig in einem solchen Umfange unterzogen, daß ich nicht anstehe, ihnen hier an dieser Stelle den Dank des Bundesministers für den Wohnungsbau auszusprechen. Ich fürchte, daß eine gesetzliche Bindung sich nicht nur störend auswirken, sondern auch die so notwendige Förderung des Kapitalmarktes ungünstig beeinflussen könnte.
({9})
Meine Damen und Herren, dies waren einige Punkte, auf die ich mir heute einzugehen erlaubte. Im übrigen erscheint es mir durchaus zweckdienlich, wenn der SPD-Entwurf heute der Ausschußberatung überwiesen und wenn bereits im Ausschuß mit der Grundsatzaussprache begonnen wird. Damit kann eine wertvolle Vorarbeit auch für den von mir in Bälde vorzulegenden Regierungsentwurf geleistet werden. Die Einzelberatung wäre dann mit der Aussprache über diesen Regierungsentwurf zu verbinden.
Herr Kollege Jacobi hat vorhin darauf hingewiesen, daß sich im Ausschuß für Wohnungsbau im allgemeinen immer wieder der Wille durchsetze, zu einer einheitlichen Lösung der schwebenden Fragen zu gelangen. Ich darf hier von mir aus sagen, daß ich diese Stellungnahme außerordentlich begrüße, und ich darf weiter sagen, daß ich es mir zu einem besonderen Stolz anrechnen würde, wenn es gelänge, auch zur Novelle zum Ersten Wohnungsbaugesetz eine einheitliche Stellungnahme des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen und damit vielleicht auch des ganzen Hohen Hauses herbeizuführen.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Parzinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Wohnungsbau im Ganzen der Wirtschaft wird auf Jahre hinaus zu den größten und zugleich dringlichsten Investitionsaufgaben der deutschen Volkswirtschaft zählen. Gleichzeitig stehen aber auch noch andere zahlreiche und dringliche Investitionsaufgaben zur Lösung. Das vom Bundestag erfreulicherweise einstimmig angenommene Erste Wohnungsbaugesetz vom 24. April 1950 stellte als Programm für die kommenden sechs
({0})
Jahre den Bau von 1,8 Millionen Wohnungen im Sozialen Wohnungsbau auf und forderte damit den Bau von durchschnittlich 300 000 Wohnungen in jedem Jahre. Der Herr Bundesminister für Wohnungsbau hat nach Errichtung des Ministeriums bereits im Herbst 1949 für 1950 den Bau von 250 000 Wohnungen und einen Aufwand von 2,7 Milliarden DM vorgesehen. Die tatsächliche Bauleistung übertraf die vorsichtige Planung erheblich. Mit einem Einsatz von 3,8 Milliarden DM sind im Jahre 1950 rund 360 000 Wohnungen gebaut worden. 4,35 Millionen Wohnungen fehlen zur Zeit in Westdeutschland. Im Jahre 1939 gesamter Bestand von Wohnungen 10,1 Millionen, davon im Kriege zerstört 2,5 Millionen, also ein Viertel, Neubedarf nach 1945 2 Millionen für Vertriebene, 1,2 Millionen für Haushaltsneugründungen.
Wie steht es nun mit den Finanzierungsmöglichkeiten für den Wohnungsbau 1952? Wenn für das Jahr 1952 wieder 300 000 Wohnungen im sozialen Wohnungsbau geschaffen werden sollen, so müssen bei einem Ansatz von etwa 7 000 bis 7 500 DM für eine Wohnung an öffentlichen Mitteln rund 2,2 Milliarden DM aufgebracht werden. An öffentlichen Mitteln stehen, wie wir alle wissen, zur Verfügung: 1) 525 Millionen DM Bundeshaushaltsmittel im ordentlichen Haushalt, davon etwa 125 Millionen DM für Altbesatzungsgeschädigte und Kasernenverdrängte, 2) etwa 675 Millionen DM weitere öffentliche Mittel aus zentralen Aufkommen, und zwar aus a) restlichen Soforthilfemitteln rund 260 Millionen DM, b) Umstellungsgrundschulden erstes Quartal 1952 rund 100 Millionen DM, c) Wohnraumhilfe gemäß § 350 des Lastenausgleichsgesetzes 300 Millionen DM, d) Sondermittel für Versuchs- und Vergleichsbauten, Rückflüsse u. a. rund 15 Millionen DM, 3) 500 Millionen DM Haushaltsmittel der Länder und Gemeinden, 4) 50 Millionen DM aus ECA-Mitteln, insgesamt über 100 Millionen DM, davon aber ein großer Teil erst- und letztstellig einzusetzen. Es sind u. a. noch zu erwarten zu 1) 100 Millionen DM, die für den außerordentlichen Haushalt vorgesehen sind, zu 2) 200 Millionen DM im Wege der Vorfinanzierung. Die Gesamtsumme beliefe sich dann auf 2 050 Millionen DM. Zusätzlich kommen für den dringend notwendigen Bergarbeiterwohnungsbau aus der Kohlenabgabe rund 220 Millionen DM. Sie bilden die Grundlage für den Bau des für 1952 vorgesehenen Drittels von über 90 000 Wohnungen, die zur Zeit noch in den Bergbaurevieren fehlen.
Es wäre zu dem ganzen großen Fragenkomplex noch sehr vieles zu sagen. Zum Beispiel lassen sich noch erhebliche Einsparungen bei den Baukosten erzielen, wenn die Baustellen wirklich rationell eingerichtet, die Baunormen geschickt angewandt und die neuen Ergebnisse der Bauforschung berücksichtigt werden. Hierzu gehört auch, daß alle mit dem Wohnungsbau befaßten und über die vielen Einzelbestimmungen unterrichteten Stellen, wie Behörden, Sparkassen, nicht zuletzt auch Presse und Rundfunk, den Bauwilligen jede Aufklärung und beratende Hilfe zuteil werden lassen müßten. Gewarnt werden muß allerdings vor Versuchen, an Raum- oder Wohnungsgröße, an sanitären und hygienischen Einrichtungen sparen zu wollen. Wir müssen im Gegenteil in steigendem Maße auf die Schaffung familiengerechter Wohnungen, am besten in Form von Eigenheimen oder wenigstens von Wohnungseigentum Wert legen.
Ich bin daher der Meinung -und mit mir ist
es meine Fraktion -, daß es notwendig ist, die
Förderung des Eigenheimbaus mit allen Mitteln
in Anlauf zu bringen, ebenso den Wiederaufbau der zerstörten Stadtkerne. Gerade durch den Wiederaufbau der zerstörten Stadtkerne ergibt sich zwangsläufig die Möglichkeit, den Arbeit- und Wohnungsuchenden in einem Zuge zu helfen, denn die Wohnung muß da gebaut werden, wo sich naturgemäß der Arbeitsplatz befindet.
Über die Bauleistung im Lande Bayern möchte ich nicht ausführlich sprechen. Ich darf im Namen meiner Fraktion, der Föderalistischen Union, folgendes sagen. Wir stimmen grundsätzlich dem von der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ersten Wohnungsbaugesetzes zu, und wir würden uns freuen, wenn im nächsten Haushaltsjahr - ich meine: im Jahre 1952/53 - von der Seite des Herrn Bundesfinanzministers die Mittel gegeben würden, die tatsächlich notwendig sind. Es würde uns darüber hinaus noch mehr freuen, wenn gerade im Sektor der Eigenwohnungen, des Eigenheims, wo z. B. gerade die Stadt München eine hervorragende Lösung gefunden hat, etwas geschehen würde. Ich freue mich, hier als der Abgeordnete des Wahlkreises Berchtesgaden, Laufen und Traunstein sagen zu dürfen, daß die Stadt München im Wiederaufbau Hervorragendes geleistet hat. Der Ministerialdirektor in der Obersten Baubehörde in München, Herr Fischer, hat unlängst die Leistungen des Landes Bayern hinsichtlich der Ausgaben für den Sozialen Wohnungsbau im Jahre 1951 auf 258 Millionen DM und im Jahre 1952 auf bisher bereits 182 Millionen DM beziffert. Bayern hat 1951 auf je 10 000 Einwohner 85 Wohneinheiten gebaut und wird' mit dieser Leistung nur von Australien übertroffen.
({1})
Im Bundesgebiet sind im Vergleichszeitraum 83, in Amerika 72, in Schweden 60, in England 38, in Frankreich 33 und in Italien 17 Einheiten gebaut worden. Mögen sich der Bundestag und das Bundeswohnungsministerium an dem bayerischen Beispiel das holen, was in diesem Fall notwendig ist.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Paul.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der stolze Erfolg, wie der Herr Wohnungsbauminister sagte, in den letzten Jahren kann über die Tatsache nicht hinwegtäuschen, daß der Soziale Wohnungbau durch die Politik der Bundesregierung in eine Sackgasse geraten ist.
({0})
Der Wohnungsbauminister wies darauf hin, daß
mit Beginn der Korea-Krise, d. h. mit der wahnsinnigen Aufrüstung in der kapitalistischen Welt
({1})
zugleich die Preise gewaltig angezogen haben.
({2})
Wir haben in Westdeutschland jetzt den Zustand, daß ein Kubikmeter umbauter Wohnungsraum 60 bis 70 DM kostet, während er vor zwei, drei Jahren 35 bis 40 DM gekostet hat. Das ist die Folge der Politik der Bundesregierung
({3})
({4})
1 Wenn der Herr Bundeswohnungsbauminister im Zuge der Bereitststellung von Mitteln darauf hinweist, daß man den realpolitischen Boden nicht verlassen dürfe, dann möchte ich darauf hinweisen, daß die enormen Baupreise seine angeblich jährlich bereitgestellten 500 Millionen Mark praktisch halbiert haben. Das ist eine nicht zu bestreitende Tatsache. Wo mehr als 40 % der Mittel des Bundeshaushalts für Besatzungskosten und für die Wiederaufrüstung ausgegeben werden,
({5})
hat man wenig Geld für den Sozialen Wohnungsbau.
Der Herr Minister sagte, es sei seine Absicht, vielen Menschen zu einem Eigentum zu verhelfen. Nach meiner Meinung ist aber die Politik der Bundesregierung gerade auf das Gegenteil gerichtet: viele Menschen durch die Steuer- und Preispolitik um ihr kleines Eigentum zu bringen!
({6})
Die Regierung will durch die vollständige Freigabe der Mieten die fehlenden Mittel jetzt aus den breiten Massen herausholen. Man hat die Altbaumieten entgegen dem Willen der Mieter und den Interessen der gesamten Bevölkerung jetzt um 10% erhöht; der Mieterbund hat bereits darauf hingewiesen, daß das eine erneute Mehrbelastung der Mieter um mehr als eine Milliarde Mark ausmacht.
Durch die Gesetzesvorlage der SPD soll nun das Erste Wohnungsbaugesetz eine Ergänzung erfahren. Herr Kollege Jacobi, ich habe das Aktionsprogramm des sozialdemokratischen Parteitags aufmerksam studiert.
({7})
In diesem Aktionsprogramm sagen Sie, daß sich die Sozialdemokratie nicht der Notwendigkeit einer allgemeinen Reform der Mietpreisgestaltung verschließen wolle; eine Erhöhung der Mieten irgendwelcher Art dürfe aber erst nach vorheriger Lösung der Lohn- und Gehaltsprobleme vorgenommen werden. Ihre heutige Vorlage greift aber der Lösung der Gehalts- und Lohnprobleme vor;
({8})
denn sie sieht eine Überschreitung der Richtsatzmieten bei Wohnungen in Stadtkernen um 30 % und bei den Eigentümerwohnungen in Einfamilienhäusern um 25 % vor.
({9})
Sie gehen in Ihrer Vorlage sogar noch weiter: Sie wollen noch Zusatzgebühren für sogenannte Einbaumöbel und für Heizung usw. eintreiben. Sehen Sie, Sie sind weit über das Ziel Ihres Aktionsprogramms hinausgeschossen; denn die Löhne und Gehälter wurden ja noch gar nicht erhöht.
({10})
Ich sage Ihnen mit aller Deutlichkeit: Über diese Frage muß man sich noch mit der Arbeiterschaft unterhalten. Wir werden in aller Öffentlichkeit über diese Vorlage zu sprechen wissen.
({11})
Auf jeden Fall sind wir Kommunisten der Meinung, daß mit der neuen Novelle keine Änderung der festgelegten Richtmieten des Ersten Wohnungsbaugesetzes vorgenommen werden darf. Jede Novelle, die eine Erweiterung in der Richtung der
Freigabe der jetzigen Mieten zum Inhalt hat, wird von uns nicht nur bekämpft und abgelehnt, sondern wir werden im Bunde mit den Millionen von Mietern die Öffentlichkeit gegen diese Maßnahmen mobilmachen.
Das Ziel der Bundesregierung ist ganz offensichtlich. Sie will durch Mieterhöhungen die fehlenden Mittel eintreiben, um so die Milliarden aufzubringen, die man andererseits für die Vorbereitung des amerikanischen Krieges auf deutschem Boden zur Verfügung zu stellen bereit ist. Ich sage Ihnen: Der Soziale Wohnungsbau kann nur gefördert werden, wenn man sich dieser Politik der Bundesregierung widersetzt; denn durch die Verhinderung des Generalvertrags wird es möglich sein, nicht nur die 1,6 Milliarden DM, die die SPD jetzt gefordert hat, jährlich bereitzustellen, sondern wir werden die Möglichkeit haben, das zu verwirklichen, was die KPD anläßlich der Regierungserklärung des Bundeskanzlers forderte, nämlich 10 °/o des Bundeshaushalts zweckgebunden für den sozialen Wohnungsbau aufzuwenden. Das ist aber nur möglich, wenn gebrochen wird mit der Politik des Generalvertrags der Bundesregierung.
({12})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Lücke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist heute nicht der Zeitpunkt, die Forderungen, die die CDU an die Novelle zum Ersten Wohnungsbaugesetz zu stellen hat, im einzelnen zu erörtern. Wir werden das tun bei der Vorlage der Regierungsnovelle und wahrscheinlich auch bei der von der Christlich-Demokratischen Union erarbeiteten Novelle. Persönlich freuen wir uns über den edlen Wetteifer der Parteien untereinander, den Wohnungsbau zu fördern. Es ist besser, Kollege Jacobi, wenn man ins Programm schreibt „300 000 Wohnungen" und 400 000 erreicht, wie es der Regierung gelungen ist,
({0})
als daß wir 400 000 verlangen, ohne die 1,6 Milliarden DM, die Sie in Ihrem Entwurf fordern, mit der notwendigen Deckung zu versehen. Vielleicht können Sie hierzu in der Aussprache etwas sagen, woher wir das Geld nehmen sollen.
({1})
Im übrigen bleibt das Ziel - und darin, das habe ich früher einmal gesagt, lassen wir uns nicht übertreffen -, daß alles geschieht, das Volumen des Wohnungsbaues nicht nur zu halten, sondern möglichst zu vergrößern.
Wir wehren uns gegen einen Anlagezwang der Realkreditinstitute, weil die Realkreditinstitute bis heute tatsächlich bewiesen haben, daß sie den Wohnungsbau beliehen haben, und zwar mehr, als sie auf Wunsch des Ministers angegeben haben. Was wir jedoch bei einzelnen Realkreditinstituten bemängeln, ist, daß man den Eigenheim- und den Siedlungsbau oder das Wohnungseigentum - die Rechtsform, die wir erst kürzlich geschaffen haben - nur zögernd beleiht. Es gibt Realkreditinstitute, die erklären, das koste zuviel Konten, das koste zuviel Arbeit, und dann diese Gelder in großen Summen Wohnungsbauunternehmen geben, die dann Mietwohnungen bauen. Ich habe üble Be({2})
schwerden mannigfachster Art aus ganz Deutschland in diesem Sinne erhalten. Deshalb wäre unser Appell im Zusammenhang mit der Frage des Anlagezwangs hier nur der, daß die Realkreditinstitute den Eigenheim- und Siedlungsbau sowie das Wohnungseigentum genau so beleihen sollten, wie man den Mietwohnungsbau beleiht.
({3})
Meine verehrten Damen und Herren, ich möchte hier drei Grundforderungen der CDU noch einmal klar herausstellen, weil sie so dringlich sind. Vorweg möchte ich sagen: Herr Bundesminister für Wohnungsbau, die Novelle, die Regierungsvorlage, eilt. Bringen Sie sie ein, auch wenn einzelne Dinge noch nicht ganz in Übereinstimmung mit den verschiedenen Unternehmen und Ressorts zu bringen sind! Wir möchten, daß das Baujahr 1953 unter dem Zeichen der Novelle steht. Sie sagten mit Recht: Das Erste Wohnungsbaugesetz hat seine Bewährung bestanden. Aber, meine verehrten Damen und Herren, in einem Punkte hat das Gesetz versagt, und zwar in der Zielsetzung, die vom Parlament und vom Ausschuß einstimmig angenommen worden ist, mehr Eigentum als bisher zu schaffen, und zwar Eigentum für jene Bevölkerungsschichten, die durch Krieg und Nachkriegsereignisse eigentumslos geworden sind. Ich habe mir aus meinen Akten einen einstimmig angenommenen Antrag vom 13. Dezember 1950 hervorgeholt
Drucksache Nr. 1705 -, der auf Grund der Großen Anfrage der CDU gestellt wurde, und zwar zur Sicherung familiengerechter Wohnungen im sozialen Wohnungsbau. In diesem Antrag haben wir damals erklärt, wir wollen, daß wesent1ich mehr als bisher Eigentum an Wohnungen, Eigenheimen und Kleinsiedlungen für breite Volksschichten geschaffen wird. Wir wollen, daß der Bau familiengerechter Heime sichergestellt wird, in denen sich auch ein normales Familienleben mit vier und mehr Kindern entwickeln kann. Auf Grund dieser Forderung haben wir den Antrag angenommen, den ich hier nicht verlesen will, der sichert, daß mehr Mittel hierfür bereitgestellt werden. Man spricht in dem Antrag von einem „angemessenen Anteil" der für den Wohnungsbau bestimmten Bundesmittel, der für diese Zwecke zu verwenden sei, im besonderen für kinderreiche Familien.
Meine Damen und Herren, was ergibt nun die Praxis und was veranlaßt uns, auf beschleunigte Verabschiedung der Wohnungsbaunovelle zu drängen? Der Anlaß hierzu ist, daß die Eigenheimbaupolitik ganz erheblich gegenüber dem Mietwohnungsbau in Rückstand gekommen ist. Wir haben im Augenblick noch keine verläßliche abschließende Statistik, aber die Erhebungen des Baujahres 1951, die der Gesamtverband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen für sich erstellt hat und die weiter von einzelnen Ländern erstellt wurde, habe ich durchrechnen lassen; wir kommen demnach auf die erstaunliche Ziffer, daß nicht jeder Fünfte, der über den neuen Wohnungsbau eine Wohnung bekommen hat, auch Eigentümer geworden ist - diese Zahl ist vorbehaltlich der endgültigen Statistik mit der gebotenen Vorsicht zu behandeln -, so daß von 1000 Wohnungen, die täglich in Deutschland gebaut werden, 800 Mietwohnungen sind. Ich habe auch das Ergebnis der Erhebungen der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft, von der als einzigem Unternehmen verläßliche Erhebungen zunächst vorliegen, durchgerechnet. Das sind ganze 14,7% von 151 000 Wohnungen des sozialen Wohnungsbaues, die im Baujahr 1951 gebaut wurden, zugleich in das Eigentum in Form der Siedlung, des Eigenheims oder des Wohnungseigentums überführt wurden. Das ist zu wenig! Ich freue mich, daß Kollege Jacobi und alle Stellen hier im Hause immer wieder beteuern: Wir wollen Eigentum schaffen für die bislang Eigentums- und Vermögenslosen. Und wenn betont wurde - es ist hier sicherlich nicht ohne Grund von Ihnen geschehen -, daß der verehrte verstorbene Vorsitzende Ihrer Fraktion, Herr Dr. Schumacher, dieselbe Forderung gestellt hat - wie zitiert worden ist -, so kann ich hinzufügen: die Kirchen fordern es, die Organisationen fordern es, und die Menschen in Deutschland, die wohnungslos sind, fordern, daß sie Eigentum bekommen, daß man sie nicht wieder in Mietswohnungen steckt, wo sie jahrzehntelang zahlen müssen und Mieter bleiben.
Wenn nun die Mehrheit des deutschen Volkes Eigentum fordert und das Parlament diese Beschlüsse einstimmig gefaßt hat, ist doch die Frage zu stellen: Warum geschieht denn das nicht? Die Ursachen hierfür sind vielfach: es sind technische Schwierigkeiten, die wir demnächst hier erörtern wollen, weiter finanzielle Schwierigkeiten, aber vor allem fehlt weithin auch der Wille, die viel schwierigere Eigentumspolitik durchzuführen. Wir sind deshalb fest entschlossen, nicht mehr mit „angemessen" oder „bevorzugt" diese Notwendigkeit in die Gesetzessprache einzubauen und zu betonen, sondern werden unsererseits fordern, daß mindestens zu 60 % - mindestens, aber überwiegend -die öffentlichen Mittel des sozialen Wohnungsbaus dazu dienen, Dauerwohnrechte - Wohnungseigentum, Eigenheime und Kleinsiedlungen und Vorratseigenheime - zu erstellen.
Ich kenne die Schwierigkeiten, Herr Minister, die uns das Grundgesetz auferlegt und die es uns erschweren, die Landesmittel entsprechend zu den. Ich bin aber der Meinung, daß doch jedes Land und jede Partei interessiert sein müßten, Eigentum für jenen Kreis zu schaffen, den wir im sozialen Wohnungsbau umschreiben. Wir werden deshalb davon nicht abgehen. Ich muß jetzt ergänzend die Forderung, die oft mißdeutet worden ist, stellen, daß für die Wohnungsunternehmen ebenfalls eine Bindung erfolgt, daß sie die Hälfte ihrer im sozialen Wohnungsbau gebauten Wohnungen in dieser Rechtsform - also der Rechtsform des persönlichen Eigentums für den künftigen Mieter oder Wohnungseigentümer oder den Eigenheimbesitzer oder den Kleinsiedler - erstellen. Diese Forderung ist wichtig. Sie ist doppelt wichtig angesichts der Dinge, Kollege Paul, die wir in Ostberlin zu sehen die Ehre haben. Leider haben wir noch keine Möglichkeit, Lichtbilder zu zeigen.
({4})
Ich würde Ihnen die Fotos zeigen, Kollege Paul, von den 400 m langen Wohnblöcken an der Stalinallee,
({5})'
die als Idealbild für den Arbeiter drüben aufgestellt werden, dem man das Gaukelbild des Eigentums nicht mehr vorführen dürfe, -- so sagte Fleck anläßlich eines Richtfestes. Die Ostzone hat nun weiß Gott auf diesem Gebiet nicht viel nachzuweisen!
({6})
Ich möchte weiter ebenso dringlich den Wunsch
aussprechen, daß nun endlich die Forderung verwirklicht wird, kinderreichen Familien bevorzugt
({7})
zu helfen. Es ist erschütternd, zu sehen und die Zuschriften täglich lesen zu müssen, daß die Familien mit mehreren Kindern, die doch nun tatsächlich das Sozialprodukt des Staates schaffen und um die wir uns darum in Europa doppelt zu kümmern hätten, keine Wohnungen bekommen können; ausgerechnet nicht die kinderreichen Familien, die besonders hilfsbedürftig sind. Es ist in Deutschland eine bedauerliche Tatsache, daß in den Annoncen der Zeitungen oft, ja meistens zu lesen ist: „Wohnung zu vermieten, nur an kinderloses Ehepaar."
({8})
Wenn wir diese Art Wohnungspolitik fortsetzen und nicht dafür sorgen, daß die Familien mit mehreren Kindern Wohnungen mit Vorrang bekommen, daß wir ihnen dazu Eigentum an Wohnungen geben und Familienheime mit Grund und Boden schaffen, dann gibt sich dieses Volk selber auf.
Es ist eine erschütternde Tatsache, daß über 70 Prozent der Wohnungen, die wir gebaut haben - es ist nicht zu leugnen, daß wir rasch bauen mußten -, Ein-, Zwei- und Dreiraumwohnungen sind. Meine Damen und Herren, das sind keine Wohnungen für Familien! Darum fordern wir, daß sowohl hinsichtlich der Wohnungsgröße als auch hinsichtlich der Rechtsform - also als persönliches Eigentum - Wohnungen besonders für die kinderreichen Familien geschaffen werden, denen unsere besondere Sorge zu gelten hat.
Wenn ich hier erwähne, daß wir auch die jungen Familien endlich einmal nennen dürfen, dann, glaube ich, spreche ich damit ein Anliegen von Hunderttausenden junger Eheleute aus, denen man über die Wohnungsämter heute oft erst nach zwei oder drei Jahren eine Wohnung zuspricht. Wir wünschen, daß auch junge Familien mit Eigentum versehen werden, damit sie für ihr eigenes Heim mit Grund und Boden sparen können und ihnen eine Entwicklungsmöglichkeit für ihre junge Familie gegeben wird.
Diese Forderungen sind für uns unabdingbar; wir wollen sie in der Gesetzesnovelle verankern. Wir werden hoffentlich mit der bisherigen Einmütigkeit an die Frage herangehen können. Ich freue mich darüber, daß Herr Kollege Jacobi angedeutet hat, daß auch Sie diese Dinge so sehen. Aber ich möchte nochmal mit allem Ernst sagen: mit „angemessen", mit „bevorzugt" und „Wohlwollen gegenüber kinderreichen Familien" ist den Menschen nicht geholfen. Diesmal muß eine zwingende gesetzliche Bestimmung geschaffen werden, damit wir diese Pläne verwirklichen können. Es eilt sehr, das erfahren gerade diejenigen, die tagtäglich im Wohnungsbau tätig sind.
Lassen Sie uns hinsichtlich der Sprachregelung von einem Begriff herunterkommen, der da heißt „Wohnungseinheit". Es ist ein gefährliches Wort. Dieser Begriff „Wohnungseinheit" hat dazu geführt, daß man die Familienheime nicht mehr genügend bedacht hat. Es ist notwendig, daß über dem Schreibtisch manches mit dem Rechenstift arbeitenden Baumeisters, manches Wohnungswirtschaftlers und Wohnungswissenschaftlers das Bild einer Familie aufgehängt wird. Dann wird er merken: da kann man mit „Wohnungseinheit" nichts machen, da müssen wir schon zu Familienheimen und zu Familienwohnungen kommen! Ich wehre mich nicht gegen Kleinstwohnungen für Alleinstehende oder „auslaufende" Ehepaare. Wir müssen sie schaffen und wollen sie schaffen. Aber ich wehre mich dagegen, daß diese Kleinstwohnungen die Norm des sozialen Wohnungsbaus werden. Die
Norm des sozialen Wohnungsbaus muß und wird und soll das familiengerechte Heim sein, im Eigentum der Glieder der Familie.
({9})
Ferner wurden die Formulare zitiert. Ich habe sie aneinanderkleben lassen. Es hat viel Arbeit gekostet, und Herr Kollege Jacobi hat hier richtig zitiert. Ich möchte nur zur Richtigstellung sagen: diese 132 Meter Formulare schließen nicht nur die Verfahren für die öffentlichen Gelder, sondern auch die Verfahren beim Katasteramt, die Verfahren für die dingliche Sicherung usw. in sich. Auch die Mehrausfertigungen sind aneinandergeklebt. Aber es sind nun mal mit Mehrausfertigungen aneinandergeklebt 132 Meter. Wenn nun jemand einmal im Leben ein Haus baut und durch diesen Wust hindurch soll, wird er es aufgeben und wird lieber als Mieter wohnen wollen. Wir freuen uns über jeden Vorschlag.
({10})
- Auch im Süden sind die Katasterämter, Grundbuchämter und Realkreditinstitute alter Schule. Es ist unser Anliegen - und das habe ich mit dem Herrn Minister schon besprochen -, daß wir einen Untersuchungsausschuß einsetzen, der diese Schlange von 132 Metern überprüft und sie mehrfach teilt. Es ist künftighin unser Anliegen, daß wir diese Schlange kürzen. Wir werden also bei den Beratungen auch über diese Dinge sprechen müssen.
Ich möchte, bevor ich die Grundvoraussetzungen, die notwendig sind, um Familienheime und größere Wohnungen für die Familien bauen und Eigentumsmaßnahmen durchführen zu können, hier bekanntgebe - das will ich demnächst tun -, abschließend sagen: wir wünschen, die Parteien mögen sich dahingehend einigen und auch eine entsprechende gesetzliche Regelung finden, daß das Baujahr 1953 und die folgenden Baujahre die Baujahre der Familienheime werden. Wenn wir das erreichen, haben wir unserem Volk einen großen Dienst erwiesen.
({11})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wirths.
Meine Damen und Herren! Ich möchte an die Bemerkung des Wohnungsbauministers anknüpfen, das Erste Wohnungsbaugesetz habe sich bewährt. Das kann man im großen und ganzen sagen, und die Kritik, die Herr Kollege Lücke berechtigterweise geübt hat, richtet sich weniger gegen das Gesetz und seinen Inhalt als vielmehr gegen die Handhabung in den Ländern. Deshalb begrüße ich auch, daß nach dem Vorschlag der SPD die Position des Bundeswohnungsbauministers den Ländern gegenüber gestärkt werden sell. Ich habe Ihnen, Herr Kollege Jacobi, hier einige Pluspunkte und einige Minuspunkte aufgeschrieben. Die Pluspunkte überwiegen, aber ich will im Augenblick nicht untersuchen, ob nicht die zwar an Zahl geringeren Minuspunkte doch schwerer wiegen. Also, das ist ein Pluspunkt für Sie, und ich glaube, man muß es machen, damit wir auch zu einer Verfahrensvereinfachung kommen.
Wenn Sie weiterhin fordern, daß die Rückflüsse wiederum dem Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden, dann ist das ja eigentlich eine Selbstver({0})
ständlichkeit - zu unserem Entsetzen haben wir im Ausschuß vor einiger Zeit feststellen müssen, daß es leider nicht so ist -, und das entspricht auch den Vorschlägen des Bundeswohnungsbauministers selbst. Wenn Sie es sich aber andererseits relativ leicht machen und 1,6 Milliarden einsetzen, dann muß ich dazu sagen: j a, wenn wir das Geld haben, ist es leicht zu bauen. Sie hätten also mindestens sagen müssen, durch welche Steuererhöhung diese 1,6 Milliarden hereinkommen sollen.
({1})
- Ja, Herr Paul, dann würde ich doch vorschlagen: übernehmen Sie und Ihre Freunde mal für drei Monate die Regierungsbank
({2})
und machen Sie das mit den Besatzungsmächten, so wie Sie es im Osten ja nicht fertiggebracht haben!
({3})
Im übrigen, sehr verehrter Herr Paul, wir kennen uns ja schon eine ganze Reihe von Jahren. Sie waren ja auch mal Wiederaufbauminister des Landes Nordrhein-Westfalen. Damals waren Sie ein relativ vernünftiger Mann.
({4})
Aber die Zahlen, mit denen Sie heute jonglieren - der Kubikmeter umbauten Raumes koste im sozialen Wohnungsbau 60 bis 70 DM -, stimmen doch gar nicht.
({5})
- Aber lieber Herr Paul, ich bin ein Mann aus der Baupraxis, ich weiß genau, wie die Preise heute sind; das werden die anderen Herren mir bestätigen können, die damit zu tun haben und von den Dingen wirklich etwas verstehen. Im übrigen war das letzte Mal, als Sie und Ihre Freunde in unserem Ausschuß mitgearbeitet haben - das war für mich persönlich durchaus erfreulich -, beim Wohnungseigentumsgesetz. Dann sind Sie verschwunden und sind bis heute überhaupt nicht mehr bei der Ausschußarbeit erschienen.
({6})
- Sehen Sie doch mal die Anwesenheitsliste nach!
({7})
- Sie können j a noch etwas darüber streiten, ob Sie einmal oder zweimal dagewesen sind oder nicht. Im großen und ganzen brauchen wir uns ja auch nicht darüber zu beklagen, daß Sie nicht mehr bei uns erscheinen. Wir werden auch ohne Sie fertig und werden die Gesetze schon hinkriegen.
({8})
Aber da sind doch noch verschiedene Minuspunkte im SPD-Antrag, die ich erwähnen möchte. Wir werden uns im Ausschuß eingehend darüber zu unterhalten haben. Es ist doch, sehr verehrte Kollegen von der SPD, wirklich nicht möglich, eine Bindung der Mittel, die insgesamt den Kapitalsammelstellen zur Verfügung stehen, mit 60 bis 80 % zu fixieren und dann auch noch einen Zinssatz - das ist nämlich das Entscheidende - von
6 % durch ein solches Gesetz festzulegen. Ich bin der Meinung, durch geeignete Maßnahmen, deren Wirkung wir erhoffen - Kapitalmarktförderungsgesetz -- werden wir allmählich zu einem Zinsabbau für langfristige Gelder kommen müssen. Der normale Zinssatz für erststellige Hypotheken ist 41/2, 43/4, höchstens 5 %. Auch dieser Satz ist sogar zwischen den Kriegen einmal erreicht worden. Da müssen wir wieder hin. Auch 6% halte ich für zu hoch. Bei einem solchen Zinssatz werden Sie immer wieder entweder in Form von öffentlichen Förderungsmitteln, also nachstelligen Hypotheken oder in Form von Zinszuschüssen zu einer Subventionierung des Wohnungsbaus kommen müssen.
Sie haben erfreulicherweise auch Pluspunkte; ich will einige von ihnen erwähnen. Sie wollen eine Erhöhung der Quadratmeterwohnfläche bei dem weiteren Wiederaufbau. Das ist durchaus erfreulich. Dann kommt natürlich die Konsequenz, daß dann auch die starre Einkommensgrenze erhöht werden muß. Sie wollen auch eine Förderung des Eigenheimbaues und des Baus von Eigentumswohnungen. Bei diesen ganzen Pluspunkten gehen wir mit. Wir wollen aber noch viel mehr auf dieser Seite Ihres Entwurfs haben.
Meine Damen und Herren, der Herr Minister hat erklärt, daß seine Novelle nur einige Neuregelungen zum Bundeswohnungsbaugesetz bringen wird. Über den Rahmen der Regelungen, die er für erforderlich hält, werden wir im Ausschuß sprechen müssen. Ich habe das Gefühl - weil ich nun glücklicherweise einmal Einsicht in den Referentenentwurf bekommen habe -, daß tatsächlich nicht all das, was zu ordnen wäre, neu geordnet werden soll. Ich erinnere an die Notwendigkeit der Vorfinanzierung. Auch darüber müssen wir in der neuen Novelle etwas sagen. Das ist die ungeheure Schwierigkeit, die wir heute in der Wohnungsbaupraxis haben. Also, kommen Sie doch herüber mit Ihrem Gesetz! Das ist eine Mahnung, an die sich eine Reihe von Ministerien halten sollten. Die Herren Referenten feilen viel zu sehr an ihren Paragraphen herum, sie streiten sich in den Ressorts, dann feilen sie wieder. Dann geht es zum Bundesrat, da wird wieder gefeilt, dann kommt es wieder zurück, dann wird wieder durchgesehen und dann kriegen wir es hierher in den Ausschuß. Meine Herren Minister: es wird ja doch anders; wir ändern ja doch im Ausschuß so viel, daß Sie es nachher nicht wiedererkennen!
({9})
Wir wollen hoffen, daß wir es dann besser machen als Sie und Ihre Herren.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Jacobi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich die letzten Worte des Kollegen Lücke noch einmal rekapitulieren. Seine Aufforderung, man möge sich im Wohnungsbauministerium beeilen, unterstreichen wir dreifach. Aber ich habe aus den Bemerkungen des Herrn Bundeswohnungsbauministers die Tendenz gespürt, nur in jedem Fall dieses Haus darauf hinzuweisen, daß man doch auf alle Fälle abwarten müsse, was un. nun das Wohnungsbauministerium als Novelle vorlegen wird. Bis dahin werden Monate vergehen,
({0})
({1})
und man sollte die Möglichkeit durchaus ernst hier aufgreifen, an Hand unseres - entschuldigen Sie! - durchdachten Entwurfs, der mindestens auch rechtstechnisch einwandfrei ist - Herr Kollege Dr. Pünder, Sie haben daran nicht mitgewirkt;
({2})
vielleicht wäre er noch besser geworden, wenn Sie uns geholfen hätten -, nun zur Erörterung all der Einzelfragen zu kommen, die im Wohnungsbauministerium im Augenblick noch nicht entscheidungsreif zu sein scheinen.
Herr Minister, ich möchte Ihnen, gerade weil Sie neu in dieses Ministerium gekommen sind, den Rat geben, ein wenig mehr Forsche an den Tag zu legen und sich von den Fachleuten nicht aufhalten zu lassen; denn Sie haben wiederholt Ihren guten Willen bekundet, im Sinne Ihres Vorgängers zu arbeiten. Bitte, setzen Sie sich durch. Lassen Sie sich nicht abdrängen. Die Forsche, von der ich sprach, haben Sie vor allem im Kampf mit dem Finanzminister nötig. In diesem Punkte sind wir bei unserem Gesetzentwurf sehr weit gegangen. Aber wenn uns hier die Frage vorgelegt wird, woher wir die Deckungsmittel nehmen wollen - meine sehr verehrten Damen und Herren, bei Beamtengehältern und anderen fixen Ausgaben haben wir uns seit Jahren abgewöhnt, diese Frage in den Vordergrund der Betrachtung zu stellen. Diese Ausgaben nehmen wir als Selbstverständlichkeit an. Der soziale Wohnungsbau ist von einer solchen Wichtigkeit, daß wir uns endlich dazu verstehen sollten, zu begreifen, daß er eine fixe Größe darstellt, deren Sicherung im ordentlichen Haushalt festgelegt werden muß.
({3})
Das ist unser Anliegen, und darüber werden wir mit Ihnen im einzelnen dann sprechen, wenn wir den Etat einmal hinsichtlich der Möglichkeiten zerpflücken, für den Wohnungsbau Beträge aufzubringen.
Herr Wohnungsbauminister, gelegentlich kommt ja durch einen günstigen Wind auch uns der eine oder andere Brief, die eine oder andere Veröffentlichung zur Kenntnis. Was da kürzlich über ein Schreiben des Bundesfinanzministeriums an das Bundeswohnungsbauministerium mitgeteilt worden ist, läßt nichts Gutes ahnen hinsichtlich der Bereitschaft des Finanzministers, nun wirklich das Äußerste an Entgegenkommen dem Sozialen Wohnungsbau gegenüber zu zeigen.
Ich kann und will hier nicht auf Einzelheiten eingehen; im Ausschuß sind wir gern bereit, mit Ihnen im einzelnen darüber zu sprechen. Wir können Ihnen nur den Rat geben: Mönchlein, du gehst einen schweren Gang! Rüste dich und kämpfe um diese Dinge.
({4})
Wir haben alle Veranlassung, von Ihnen sehr viel Rückgrat und sehr viel Stärke zu verlangen, Herr Wohnungsbauminister.
Ein letztes Wort, Herr Kollege Lücke, zu einer Bemerkung, die nicht ganz unwidersprochen bleiben darf. Sie sprachen davon, es sei besser, in einem Gesetz von 300 000 Wohnungen zu reden und 400 000 Wohnungen zu bauen, wie dies als Verdienst der Bundesregierung im Ergebnis etwa des letzten Jahres festzustellen sei. Herr Kollege Lücke, es ist zwar so, daß man als Mitglied einer Regierungspartei die selbstverständliche Pflicht
hat, seine eigene Regierung nach außen hin entsprechend zu vertreten. Aber es sollte hier keine Legende geschaffen werden. Es sollte hier nicht die Legende entstehen,
({5})
als wenn es das alleinige Verdienst der Bundesregierung sei,
({6})
oder als wenn ihr hier mehr an Leistung zuzuerkennen sei als etwa den Ländern, den Gemeinden und Gemeindeverbänden, auch denen, die selbst gebaut haben. Hier sollten wir doch ein wenig vorsichtig sein und uns doch noch nicht auf eine Art wahltaktische Darstellung einlassen.
({7})
- Das ist allerdings schlecht.
({8})
- Na, hören Sie mal! Der Herr Bundeskanzler ist nicht hier, sonst könnte ich das Wort „Mehr sein als scheinen" in bezug auf manches persiflieren. Aber sprechen wir heute nicht darüber. Es ist besser, wir bleiben auf dem Boden der Sachlichkeit, die uns immer wieder bei der Arbeit im Wohnungsbau zusammengeführt hat. Er wird auch eine Basis für die Bearbeitung unseres Gesetzentwurfs abgeben, von dem wir nur hoffen, meine Damen und Herren, daß Sie bereit sind, mit uns zusammen bald an die Arbeit zu gehen und nicht abzuwarten, bis der Herr Wohnungsbauminister die vielfältigen Schwierigkeiten überwunden hat, die er selbst andeutete und die wahrscheinlich noch Monate die Vorlage eines Gesetzentwurfs der Bundesregierung vereiteln, mindestens aber verzögern werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Kalbfell.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Eigenheim wird von dem Vertreter der SPD, Herrn Jacobi, verlangt. Das ist nicht nur seine Meinung; ich glaube, es ist die Meinung der ganzen Partei. Das Eigenheim verlangen Sie, Herr Kollege Lücke, Herr Wirths, und alle sind der Meinung, daß man Eigentum schaffen soll. Ich glaube, daß wir in Süddeutschland das längst erstrebt und auch verwirklicht haben.
({0})
Es wird zweifellos für die großen Wohnungsbaugesellschaften in den nächsten Jahren eine zwangläufige Entwicklung geben, daß sie das von uns miteinander geschaffene Wohnungseigentumsgesetz stärker als bisher anwenden.
({1})
Die großen Wohnblocks, die errichtet worden sind, sind bis jetzt im allgemeinen als Mietblocks erstellt und vergeben. Wir können auf die Dauer diese Wohnungen gar nicht behalten, weil die Genossenschaften, wenn sie weiter Häuser bauen wollen, ihr Eigenkapital, das sie bereits investiert haben, wieder zurückbekommen müssen. Sie werden die Wohnungen verkaufen. Warum sind sie nicht verkauft worden? Der Apparat ist viel zu umständlich, und die Menschen sind auch noch nicht bereit, Woh({2})
nungseigentum zu erwerben. Man braucht eine gewisse Anlaufzeit, um das zu erreichen. Die Kreditinstitute haben sich bisher nicht bereit erklärt, diese Wohnungen auf Anhieb mit Hypotheken zu beleihen. Sie sind nicht bereit, das zu übernehmen, was wir als Voraussetzung haben müssen, nämlich, daß sie in der normalen Beleihungsgrenze bleiben und die global gegebenen Darlehen auf die Einzelwohnung übernehmen. Es ist deshalb Pflicht der Regierung, insbesondere unseres verehrten Bundesministers für Wohnungsbau, mit den Realkreditinstituten über diese Dinge zu verhandeln, damit sie bereit sind, diesen Wunsch zu erfüllen. Es ist das unser aller Wunsch gewesen, als wir das Gesetz verabschiedet haben.
Wenn Sie aber den Menschen Eigentum geben wollen - über die soziale und ethische Frage will ich gar nicht reden -, so verpflichtet dieses Eigentum auch. Das ist ein sittliches Gesetz. Zum zweiten braucht man aber auch den Willen und das nötige Kapital. Das zu schaffen, ist nun einmal unser Streben gewesen, als wir das Prämienspargesetz verabschiedet haben. Es ist das eine Frage der sozialen Leistungen überhaupt und des Einkommens. Menschen, die ein Einkommen von 250 bis 300 DM und Familie haben, können nicht noch so viel sparen, daß sie zu 1000, 1500 oder sogar zu 2000 DM kommen, um das Eigenkapital für den Erwerb einer Wohnung aufzubringen.
({3})
- Die großen Unternehmen haben ihren alten Hausbesitz verpfändet, um das Eigenkapital zu schaffen.
({4})
- Herr Kollege Lücke, erst vor wenigen Tagen habe ich mit dem Verband der Württemberg-Badischen Wohnungsbauunternehmen darüber gesprochen und festgestellt, daß z. B. eine Genossenschaft von 700 Mitgliedern am Ende ihrer eigenen Kapitalkraft ist und verkaufen muß, um wieder neu bauen zu können. Das ist etwas, was wir alle mit unterstützen müssen.
Sie haben bezüglich der Wohnungsgröße Wünsche. Wir freuen uns darauf. 32 qm ist keine ausreichende Wohnung für eine Familie. Sie genügt für den Anfang. Sie genügt aber nicht, wenn zwei oder sogar drei Kinder da sind. Die Familie kann diese Wohnung nicht behalten. Wie soll das aber geschehen, wenn sie jetzt schon in das Eigentum der Familien übergeführt worden sind? Das ist doch bei der Besprechung über den Verkauf der ECA-Wohnungssiedlungen in den letzten Tagen klar zum Ausdruck gekommen. Wer soll kaufen, und unter welchen Bedingungen soll man kaufen?
({5})
Wenn die Wohnung mit 35 qm zu klein ist, dann muß man später verkaufen. Es wird schwer sein, die Käufer zu finden, wenn der Lebensstandard weiter steigt; und das ist anzunehmen. Wir sind bereit, die Wohnungsgröße auf 80 qm zu erhöhen. Aber bedenken Sie, daß bei den heutigen Baukosten die Wohnung dann auch entsprechend teurer wird. Viele Menschen werden, wenn Sie 1,20 oder 1,25 DM Richtsatz zugrunde legen, die Miete von 90 bis 100 DM nicht aufbringen können. Das ist wiederum ein Problem, das uns ernste Sorgen bereiten wird, nämlich wie wir dann den Ausgleich schaffen. Sie sehen ja auch, daß wir bereit sind,
das Mietpreisproblem der Altwohnungen zu regeln. Das ist aber eine Forderung, die allseitig erhoben wird und nur dann erfüllt werden kann, wenn gleichzeitig das Lohngefüge entsprechend geändert wird. Diese Angelegenheit wird uns noch sehr viel Arbeit verursachen.
Das, was der Herr Kollege Parzinger bezüglich der Normen gesagt, ist längst geklärt. Lassen Sie mich aber noch ein technisches Problem anschneiden, das im Sozialen Wohnungsbau vorhanden ist. Ich meine die Beseitigung des Lärms in den Wohnungen. Diese Frage scheint mir ebenso wichtig zu sein wie die der Wohnungsgröße. Wir müssen künftig darauf achten, daß auch die nötige Schallisolierung eingebaut wird, damit man von seinem Nachbarn neben oder über oder unter sich nicht fortgesetzt gestört wird. Die Lösung dieser Frage müssen wir ebenso fördern wie die der Wohnraumgröße. Das ist aber wiederum eine Frage des Preises, der Miete, der Rentabilität und der Finanzierung.
Wir haben im Ausschuß bisher bewiesen, daß wir diese Fragen gemeinsam lösen wollen und daß wir diese Angelegenheit nicht als eine Sache der Propaganda ansehen. Was wir hier besprechen, ist Gegenstand ernster Sorgen, die uns gemeinsam angehen. Das Wichtigste ist, daß wir mindestens 400 000 Wohnungen im Jahr bauen, und zwar für die Menschen, die in Not und Elend leben müssen, die bisher zu keiner Wohnung gekommen sind. Wer ein Einkommen von 600 oder 700 DM hat, hat sich im allgemeinen eine Wohnung schaffen können, die andern dagegen nicht. Ich muß sagen, das ist eine Frage des Einkommens, der Baukosten und der Wirtschaftlichkeitsberechnung. Darauf ist es zurückzuführen, daß wir die Forderung erheben, im Etat die nötigen Mittel einzustellen, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß wir im Dezember, spätestens im Januar wissen: das Bauprogramm wird im Jahre 1953 kontinuierlich durchlaufen, d. h., die Bauten werden auf das ganze Jahr verteilt. Diese Regelung ist nötig, damit die Bauwirtschaft in den Stand gesetzt wird, zu produzieren und zu rationalisieren. Nur dann wird es ein Erfolg werden.
({6})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung.
Ich darf unterstellen, daß Sie mit der Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen, an den Haushaltsausschuß und den Ausschuß für Geld und Kredit einverstanden sind.
({0})
- Die Überweisung an den Ausschuß für Geld und Kredit wünschen Sie nicht.
({1})
- Das erste ist sicher. Sind Sie mit der Überweisung an die beiden Ausschüsse einverstanden? - Das ist der Fall.
Ich rufe den Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Außenhandelsfragen ({2}) über die Interpellation der Fraktion
({3})
der SPD betreffend Devisenkontrolle ({4}).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Serres. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen höchstens 40 Minuten für die Aussprache vor. - Das Haus ist damit einverstanden. Meine Damen und Herren, ich bitte um freundliche Mithilfe dabei, daß wir von der heutigen Tagesordnung noch möglichst viel in möglichst kurzer Zeit erledigen können.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Serres.
Dr. Serres ({5}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Dem Hohen Haus ist mit der Drucksache Nr. 2180 eine Interpellation der sozialdemokratischen Fraktion betreffend Devisenkontrolle
vorgelegt worden. Sie datiert vom 20. April 1951 und wurde damals durch die deutsche Zahlungsbilanzkrise in der Europäischen Zahlungsunion veranlaßt. Dadurch ergab sich die Forderung nach einer schärferen Kontrolle des Deviseneingangs. Man befürchtete, daß Devisenerlöse beiseite gebracht werden könnten. Die sozialdemokratische Fraktion hat der Bundesregierung vier Fragen vorgelegt, die sich im wesentlichen mit der Zuständigkeit auf dem Gebiet der Devisenüberwachung und mit wirksamen Maßnahmen zur Devisenkontrolle befassen.
Das Plenum des Hauses hat sich in der 141. Sitzung vom 10. Mai 1951 mit der Interpellation befaßt. Die Antwort der Regierung ist vom Herrn Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums erteilt worden. Aus der Debatte hat sich bereits damals ergeben, daß über die Zuständigkeit auf dem Gebiet der Devisenüberwachung erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium, den obersten Landesbehörden für Wirtschaft und der Finanzverwaltung bestanden. Das Hohe Haus hat daher entgegen dem geschäftsordnungsmäßigen Brauch die Interpellation den zuständigen Ausschüssen überwiesen, und zwar dem Ausschuß für Außenhandelsfragen als federführendem und dem Ausschuß für Geld und Kredit als mitberatendem. Die beiden Ausschüsse haben es für zweckmäßig gehalten, eine Unterkommission „Devisenkontrolle" zu bilden, die sich mit der Materie befaßt hat und die sich aus je drei Vertretern der beiden Ausschüsse zusammensetzt.
Als die Unterkommission ihre Arbeit übernahm, befand sie sich vor folgender Lage. Einmal wurde die Devisenbewirtschaftung von den obersten Wirtschaftsbehörden der Länder und den Landeszentralbanken ausgeübt. Die Devisenüberwachung erfolgte durch die obersten Wirtschaftsbehörden der Länder und durch die Oberfinanzdirektionen im Auftrage des Bundesfinanzministeriums. Nach längeren Beratungen hat sich die Unterkommission „Devisenkontrolle" im Frühjahr dieses Jahres mit einer abschließenden Stellungnahme befaßt. Sie ist zu dem Ergebnis gekommen, zu empfehlen, Bundesdevisenstellen bei den Oberfinanzdirektionen einzurichten und diese Devisenstellen dem unmittelbaren Weisungsrecht des Bundeswirtschaftsministeriums zu unterstellen. Die Unterkommission hat sich damit also im wesentlichen an den Rechtszustand angelehnt, der vor dem Kriege in Deutschland bestanden hat.
Der Ausschuß für Außenhandelsfragen hat sich mit dieser Empfehlung der Unterkommission am 20. März dieses Jahres befaßt. Es ergab sich jedoch
aus den Verhandlungen mit den Vertretern der beteiligten Ressorts, daß eine Übereinstimmung wegen der Zuständigkeitsfrage nicht zu erzielen war. Vor allen Dingen ergaben sich auch von seiten der Länder verfassungsrechtliche Bedenken wegen der Kompetenzfrage. Es wurde damals in der Sitzung des Außenhandelsausschusses vorgesehen, daß die beteiligten Ressorts erneut in Verhandlungen untereinander eintreten sollten. Diese Verhandlungen haben schließlich im Juli dieses Jahres zu einer Vereinbarung geführt. Sie bezieht sich nur auf die Devisenüberwachung. Die Zuständigkeiten bleiben nach dieser Vereinbarung in der bisherigen Form bestehen, d. h. die obersten Wirtschaftsbehörden der Länder sowie die Oberfinanzdirektionen sind für die Devisenüberwachung zuständig; es soll aber in Zukunft in gegenseitigem Einvernehmen gearbeitet werden. Es ist vorgesehen, daß ein Prüferstab bei den obersten Landesbehörden für Wirtschaft eingerichtet und ausgebaut wird und daß bei den Prüfungen eine weitgehende Unterstützung durch die Oberfinanzdirektionen gesichert wird. Die Oberfinanzdirektionen sollen auch Prüfungsanträgen der obersten Landesbehörden entsprechen. Ferner ist eine gegenseitige Unterrichtung vorgesehen. Allgemeine Verwaltungsanweisungen sollen nur im gegenseitigen Einverständnis erfolgen. Ferner werden sich die beteiligten Behörden auch über schwebende Ermittlungs- und Strafverfahren gegenseitig unterrichten. Sofern eine Übereinstimmung zwischen den beteiligten Behörden nicht erfolgt, soll die letzte Entscheidung bei den Ministerien liegen. Außerdem ist die gemeinsame Ausbildung der Devisenprüfer und ein Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet der Devisenüberwachung vorgesehen.
Das Bundesjustizministerium hat noch in einem
Gutachten vom 8. Juli dieses Jahres geprüft, ob die Devisenüberwachung durch die Oberfinanzdirektionen ausgeübt werden kann. Das Bundesjustizministerium ist zu einem positiven Ergebnis gekommen.
Nachdem diese Vereinbarung zustande gekommen war, hat sich der Ausschuß für Außenhandelsfragen nochmals mit dieser Frage befaßt. Der Ausschuß hat der Vereinbarung zugestimmt. Er hat lediglich sein Bedauern darüber ausgesprochen, daß es so lange gedauert hat, bis eine Verständigung unter den beiden Ressorts zustande gekommen ist. Im übrigen hat der Ausschuß der Erwartung Ausdruck gegeben, daß in Zukunft eine loyale Zusammen arbeit zwischen den beteiligten Behörden stattfindet.
Meine Damen und Herren, ich habe die Ehre, Sie namens des Ausschusses zu bitten, dem Antrag gemäß Drucksache Nr. 3684 Ihre Zustimmung zu geben:
Der Bundestag wolle beschließen:
die Interpellation der SPD - Nr. 2180 der Drucksachen - durch die nunmehr zwischen dem Bundesfinanzministerium und Bundeswirtschaftsministerium erfolgte Regelung für erledigt zu erklären.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrage des Ausschusses, den der Herr Berichterstatter vorgetragen hat, zuzustimmen wünschen, die
({0})
Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Notenwechsel zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kuba vom 7. September 1951 betreffend die vorläufige Regelung der Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern ({1});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen ({2}) ({3}).
({4}).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Lange.
Lange ({5}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens des Ausschusses für Außenhandelsfragen habe ich Sie zu bitten, entsprechend der Drucksache Nr. 3685 Ihre Zustimmung zu dem Gesetz zu geben, das den Notenwechsel zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kuba vom 7. September 1951 betreffend die vorläufige Regelung der Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern ratifiziert. Die Ratifizierung dieses Notenwechsels ist notwendig, weil in Ziffer 2 des Briefes der kubanischen Delegation der Bundesrepublik die Meistbegünstigung gewährt wird und durch die Bestätigung die Meistbegünstigung auf die beiden beteiligten Länder ausgedehnt wird.
Um die Berichterstattung abzukürzen, verweise ich auf die Begründung der Regierung, der sich der Ausschuß angeschlossen hat. Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf die Anlagen, die dem Notenwechsel beigegeben sind, vor allem auf die Liste 2, in der den deutschen Erzeugnissen, die als Einfuhrgüter in Frage kommen, entsprechende Zollerleichterungen auf der kubanischen Seite gewährt werden, die denen der Präferenzzölle entsprechen, die Kuba den Vereinigten Staaten gewährt, mit der einen Ausnahme unter Nr. 15, elektrische Glühlampen, die den Amerikanern gegenüber günstiger behandelt werden.
Ich bitte Sie also namens des Ausschusses, dem Antrag zu entsprechen, der Bundestag wolle beschließen, dem Entwurf eines Gesetzes über den Notenwechsel zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kuba vom 7. September 1951 betreffend die vorläufige Regelung der Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern unverändert nach der Vorlage zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf eine Aussprache zu verzichten. - Das Haus ist damit einverstanden.
Ich rufe in der zweiten Beratung Art. I, - II, - III, --- Einleitung und Überschrift auf. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; das ist angenommen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Nach der Geschäftsordnung entfällt bei Staatsverträgen
die Schlußabstimmung. Dadurch ist das Gesetz in dritter Beratung angenommen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung ({0}) über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Paßgebühren ({1});
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Morgenthaler, Leonhard und Genossen be treffend Paßgebühren ({2}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Gesamtaussprachezeit von 40 Minuten vor.
Berichterstatter für den ersten Antrag ist der Abgeordnete Feldmann. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Feldmann ({3}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ihnen vorliegende Drucksache Nr. 3185 bezweckt zunächst, daß die Gebühren für die Ausstellung eines Passes für Jugendliche auf 1 DM festgesetzt werden. Darüber hinaus soll nach dem Antrag die Bundesregierung ersucht werden, vom Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit ein Gutachten darüber einzuholen, ob und wieweit zum Zwecke der Verbilligung eine Vereinfachung der Paßausstellung erfolgen kann.
Mit den Paßgebühren hat es eine eigene Bewandtnis. Der Bund setzt zwar die Gebühren fest, aber er vereinnahmt sie nicht. Die Paßgebühren fließen ausschließlich den Paßausgabestellen, das sind in der Regel die Stadt- und Landkreise, zu. Diese Paßausgabestellen verwenden die Paßgebühren zur Finanzierung ihrer Paßämter. Infolgedessen ist die Frage der Veränderung der Paßgebühren, nach oben oder nach unten, stets eine Angelegenheit, die das finanzielle Interesse der Gemeinden und Gemeindeverbände, nicht aber das Interesse des Bundes berührt. Aus diesem Grunde mußte sich der Ausschuß mit dem für Kommunalfragen zuständigen Kommunalpolitischen Ausschuß ins Benehmen setzen. Wir haben in voller Übereinstimmung der Auffassungen die Beschlüsse gefaßt, die Ihnen in unserem Bericht auf Drucksache Nr. 3635 vorliegen.
Grundsätzlich ist zu sagen, daß der Bundestag für die Festsetzung von Paßgebühren nicht zuständig ist. Das war im Reiche so und ist auch auf Grund des inzwischen veröffentlichten Bundespaßgesetzes vom März dieses Jahres der Fall, in dessen § 13 der Bundestag der Bundesregierung ausdrücklich die Befugnis zur Festsetzung der Paßgebühren eingeräumt hat. Die letzte Festsetzung der Gebühren ist im Jahre 1932, also vor zwanzig Jahren, erfolgt. Es bedarf keines besonderen Hinweises, daß infolge der wirtschaftlichen Veränderungen innerhalb dieser Zeit, insbesondere nach der Kostenseite, eine Revision der Gebühren notwendig ist, und daß auch insbesondere nach der Beanspruchung, die die Paßämter heute im Vergleich zu 1932 erfahren, eine erhebliche Mindereinnahme an Gebühren eintreten muß. Während wir 1932 noch ein nahezu geregeltes Verhältnis im europäischen Verkehr hatten, ist durch den Krieg jede Beziehung zum Ausland verlorengegangen. Infolgedessen ist die Frequenz der Paßausstellungen sehr viel geringer und die relative Höhe der Kosten, die auf die einzelne Paßausstellung entfallen, entsprechend höher. Die Gemeinden waren es, die mit besonde({4})
rem Nachdruck auf die Erhöhung der Paßgebühren hinwirkten, und die Bundesregierung hat inzwischen die Paßgebührenverordnung vorbereitet, die - unter Abschwächung des Antrages des Deutschen Städtetages, der 10 DM haben wollte -eine Gebühr von 8 DM vorsieht. Die zur Zeit noch geltenden Paßgebühren resultieren aus dem Jahre 1932 und betragen 3 DM für den Paß und 50 Pf. für den Familienausweis.
Inzwischen hat die Fraktion der SPD den Antrag gestellt, im Interesse des Austauschs von Jugendlichen unter den europäischen Staaten und zwischen Deutschland und dem Ausland überhaupt die Gebühren für Jugendliche auf 1 DM festzusetzen. Der Ausschuß für innere Verwaltung und ebenso der Kommunalpolitische Ausschuß waren, und zwar in voller Übereinstimmung mit den Antragstellern der Meinung, daß die Förderung des Jugendreisens in weitestgehendem Maße der internationalen Verständigung und Annäherung dient und daß die Jugend, die auch nach unserem Dafürhalten der beste Gesandte der Völker ist, die erstrebt, einander zu verstehen und sich zusammenzufinden, in ihrem Bemühen gefördert werden sollte. Wir haben dabei auch das Alter von 25 Jahren für zweckmäßig gehalten, obgleich dieses Alter über die bisherige Vorstellung von Jugendlichen weit hinausgeht. Wir haben aber dieses Alter gewählt, weil wir insbesondere die studierende und die in der Ausbildung befindliche Jugend mit heranziehen wollten, haben allerdings bei der Einräumung der ermäßigten Gebühr von 1 DM zur Voraussetzung gemacht, daß die Reise der internationalen Verständigung dienen soll. Der Ausschuß war sich darüber klar, daß der Jugend an sich schon Verständigung und gegenseitige Annäherung immanent sind und daß man im allgemeinen bei Reisen von Jugendlichen bis zu 25 Jahren die Absicht der Verständigung unterstellen soll. Aber bei denjenigen Jugendlichen, deren Reisen offenbar einem besonderen Berufszweck, insbesondere kaufmännischen Absichten, dient, soll die Gebühr nicht in Frage kommen.
Wir mußten konsequent, da wir die Förderung des Jugendreisens als ein beachtliches politisches Anliegen betrachteten, das ja zur Zuständigkeit des Bundes gehört, nunmehr auch dem Bund den Ersatz derjenigen Auslagen auferlegen, die durch die verbilligte Ausstellung des Passes den Paßämtern, also den Gemeinden und den Gemeindeämtern erwachsen. Aus diesem Grunde sieht der Bericht vor, daß für den Fall der Zustimmung zu dem von mir vorgetragenen Bericht die Bundesregierung den ausstellenden Behörden den Unterschiedsbetrag zwischen den Selbstkosten und der ermäßigten Gebühr in geeigneter Weise erstatten soll. Wir haben es unterlassen, eine besondere Rubrik des Haushaltsplans anzuführen - wir haben zwar an den Jugendplan gedacht -, weil wir der Meinung waren, daß die Beträge ohnedies vielleicht nicht allzu beachtlich werden, und weil wir insbesondere glauben, daß bei einer Erhöhung der Paßgebühren dei Ausgleich des Haushalts der Paßämter ohnedies herbeigeführt wird, so daß unter Umständen eine Erstattung überhaupt nicht in Frage kommt.
Der Herr Vertreter der Regierung hat mich bei den Ausschußberatungen und auch später darauf aufmerksam gemacht, daß seitens des Innenministeriums Bedenken gegen eine solch globale Erstattung und insbesondere gegen eine solch zweckbestimmte Erstattung beständen, daß es dem System des Finanzausgleichs widersprechen würde, für spezielle Zwecke - also zweckbestimmt - den Gemeinden und Gemeindeverbänden Überweisungen zu machen.
Abschließend darf ich noch sagen, daß sich der Ausschuß nicht entschließen konnte, dem in dem Antrage weiter geforderten Gutachten durch den Bundesbeauftragten zuzustimmen, weil wir der Meinung waren, daß einerseits durch ein solches Gutachten eine zu weitgehende Verzögerung der Paßgebührenordnung eintreten würde, und andererseits der Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit angesichts der finanziellen und wirtschaftlichen Selbständigkeit der Gemeinden kein zuständiges Organ ist und weil vielleicht auch bei dem Abstand der Gemeinden die Zweckmäßigkeit ihrer Verwaltungseinrichtungen von dem Bundesbeauftragten nicht genügend überschaut werden kann.
Ich habe Ihnen nunmehr die Bitte vorzutragen, dem Mündlichen Bericht in der Drucksache Nr. 3635 Ihre Zustimmung zu geben, wonach die Gebühren für die Pässe Jugendlicher - mit den Einschränkungen, die ich eben bereits vorgetragen habe - bis zum Alter von 25 Jahren auf eine Mark festgesetzt werden und im übrigen die Bundesregierung ersucht werden soll, die den Gemeinden dadurch entstehenden Ausfälle in geeigneter Weise, d. h. nach der ihr am zweckmäßigsten erscheinenden Art, aber ohne Einzelnachweisung, zu erstatten.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Entwurf des Bundesministeriums des Innern über die Paßgebühren liegt dem Bundesrat vor. Er hat mit der Verabschiedung gewartet, um zu hören, wie das Hohe Haus heute denkt. Die Gebühren werden bekanntlich genommen, um damit Kosten zu decken, die im Interesse eines einzelnen entstanden sind. Das ist der Sinn solcher Gebühren. Die Erhöhung der Gebühren, wie sie in dem vorgenannten Entwurf vorgesehen ist, Ist im wesentlichen auf Antrag der kommunalen Spitzenverbände zurückzuführen, die nachgewiesen haben, daß der sachliche und persönliche Aufwand ihrer . Paßämter erheblich zugenommen hat und daß die meisten Paßbehörden heute eines kommunalen Zuschusses bedürfen.
Nun ist die beantragte Ermäßigung der Gebühren für Ausstellung eines Passes für Personen bis zu 25 Jahren möglich, und zwar ohne eine Änderung der Paßgebührenverordnung. Wir haben einen § 6, den ich Ihnen eben in seinem Abs. 2 vielleicht in Erinnerung bringen kann. Es heißt da:
Soweit es zur Wahrung kultureller, volkswirtschaftlicher oder sonstiger erheblicher Belange erforderlich erscheint, können der Bundesminister des Innern und das Auswärtige Amt auch in anderen Fällen als den in Abs. 1 genannten eine Ermäßigung oder den Erlaß der Gebühren allgemein vorsehen.
Die Fassung „oder sonstiger erheblicher Belange" ist so allgemein, daß wir hiernach Ihren Wünschen entsprechen können.
Die genauen Feststellungen, welcher Ausfall den Gemeinden entstehen würde, lassen sich ohne umfangreiche Erhebungen nicht treffen. Es ist aber
({0})
anzunehmen, daß dieser Ausfall nicht allzu beachtlich sein wird, wenn man von dem Grundsatz ausgeht, den Ausfall nicht generell für alle Jugendlichen vorzusehen, sondern die Ermäßigung eben auf staatspolitisch wichtige oder dem internationalen Austausch dienende Fälle oder ähnliche Reisen beschränkt. Die Folge würde allerdings sein, daß die Antragsteller dann einen zeitlich begrenzten Paß erhalten. Die Ausfälle würden zu Lasten der Verwaltungsbehörden der Länder gehen. Ein Ausgleich zwischen Land und Bund würde unseren ganzen Finanzausgleich stören. Sie brauchen letzten Endes nicht wegen dieser an sich geringfügigen Änderung ein Gutachten des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit einzuholen. Das würde sehr lange dauern. Abgesehen davon ist der Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit für diese Fragen gar nicht zuständig.
Ich würde Ihnen, da von unserer Seite der gute Wille besteht, weitgehend Ihren Wünschen zu entsprechen, empfehlen, den Antrag der SPD hinsichtlich der Gebührenermäßigung für Jugendliche der Regierung zu überweisen, und zwar als Material zu § 6 des Entwurfs der Paßgebührenordnung. Wir können in der eben vorgeschlagenen Weise mit der individuellen Prüfung zeitlich begrenzte Pässe in all den Fällen ausstellen, in denen staatspolitisch wichtige oder ähnliche Anlässe für eine Reise vorliegen.
Herr Abgeordneter Morgenthaler wünscht seinen Antrag Drucksache Nr. 3695 kurz zu begründen.
Morgenthaler ({0}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antragsteller sind sich bewußt, daß der Bundestag nicht die Möglichkeit hat, Paßgebühren festzusetzen. Deswegen haben sie den Bundestag ersucht, die Regierung zu bitten, von der Erhöhung der Paßgebühren Abstand zu nehmen. Sie sind der Auffassung, daß eine Erhöhung der Paßgebühren unserer allgemeinen politischen Linie, eine Verständigung unter den Völkern herbeizuführen, widerspricht. Sie sind weiterhin der Auffassung, daß man den sozial Schwachen durch eine Niedrighaltung der Paßgebühren die Möglichkeit geben sollte, ins Ausland zu schauen. Sie sind drittens der Auffassung, daß eine Erhöhung in diesem geplanten Ausmaß wohl nicht gerechtfertigt erscheint.
Es will mir scheinen, daß hier gewisse Unklarheiten entstanden sind. Bei uns ist es doch so, daß das Antragsformular von der Gemeinde ausgefüllt wird. Die Gemeinde verlangt dafür etwa 50 Pfennig. Dann geht das Antragsformular an das Landratsamt. Dort wird der Paß von einem vom Land bezahlten Beamten ausgefüllt. Dafür werden 3 DM bezahlt. Das Landratsamt hat diese 3 DM an das Land abzuliefern. Inwieweit der Bund, der die Paßformulare liefert, Forderungen gegenüber dem Land erhebt, weiß ich nicht. Wenn man zusammenstellt und berechnet, wieviel Unkosten entstehen, kann man, glaube ich, jedenfalls nicht auf die Summe von 8 DM kommen. Ich habe in meinem Landratsamt nachgefragt, wieviel Pässe eigentlich in letzter Zeit ausgestellt worden sind. Die Ausstellung der Pässe läuft ja erst seit Februar 1951. In diesen 11 Monaten sind in meinem Landkreis mit etwa 75 000 Einwohnern 1659 Pässe ausgestellt worden. Im jetzigen Halbjahr wurden 923 Pässe ausgestellt. Rechnen Sie rund 2000 Pässe im Jahr. Ich habe mir sagen lassen, daß der Beamte auf dem Landratsamt etwa eine halbe Stunde braucht, um solch einen Paß auszufüllen. Wenn Sie die Stunde mit 3 DM annehmen, können Sie ausrechnen, inwieweit die Erhöhung der Paßgebühren auf 8 DM gerechtfertigt erscheint. Wir möchten deswegen nach wie vor bitten, wenn irgend möglich die Erhöhung der Paßgebühren zu unterlassen oder aber, wenn das nicht der Fall sein sollte, sich auf den Antrag der SPD zu einigen, der dahin geht, daß die Paßdauer verlängert wird. Wir sollten uns alle miteinander Mühe geben, zu versuchen, daß die ganzen Paß- und Visumsdinge abgebaut werden und wir letzten Endes wieder dahin kommen, wo wir im Jahre 1914 waren, als wir ohne Visum und ohne Paß ins Ausland gehen konnten.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Jacobi.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wäre sehr reizvoll, den Herrn Kollegen Morgenthaler über die verschiedene Gestaltung des kommunalen Verfassungsrechts zu informieren. Das Institut des staatlichen Landrats, das es offenbar in seiner Heimat noch gibt, kennen wir z. B. in der früheren britischen Zone nicht mehr. Im übrigen sind, glaube ich, Landkreise nicht sehr typisch für die Betrachtung der Fragen, die hier zur Erörterung stehen.
Ich will Sie nicht mit Zahlen langweilen; ich habe ein sehr exaktes Zahlenmaterial zur Hand, das ich aber nicht gebrauchen will mit der Tendenz, die Sie mir vermutlich unterstellen, die Sie wissen, daß ich hauptberuflich Angestellter beim Deutschen Städtetag bin. Ich habe im Städtetag noch heute morgen eine Unterredung geführt und darauf hingewiesen, daß es notwendig und möglich ist, im Wege von Vereinfachungsmaßnahmen einigen Verwaltungsaufwand abzubauen,
({0})
der auch bei der Ausstellung von Pässen immer noch gang und gäbe ist. Da ist noch eine Art Auswirkung der umständlichen Praxis zu spüren, die in den ersten Jahren nach 1945 einriß, als die Besatzungsmacht jeden Deutschen, der wegen irgendeines Paßanliegens kam, nicht nur sehr kritisch, sondern auch außerordentlich zurückhaltend betrachtete und entsprechend behandelte. Es kann heute schneller gehen. Es ist möglich, die Unterlagen schneller beizuschaffen.
Es handelt sich um nicht unerhebliche Defizitbeträge, die in den einzelnen Städten festzustellen sind. Auch hier will ich Sie nicht mit Zahlen langweilen; aber ein kurzer Hinweis ist vielleicht doch gut. Beim Paßamt der Stadt Stuttgart ist im letzten Jahr ein Zuschußbedarf von über 78 000 DM entstanden. Das ist, wenn man die vielen Defizitbeträge addiert, die in den verschiedenen Ämtern auftreten, kein Pappenstiel. In Essen waren es 50 000 DM. Die Summen schwanken; sie sind zum Teil erheblich. Herr Kollege Morgenthaler, damit Sie einen Begriff von der Größenordnung bekommen: in Braunschweig sind in sechs Monaten des Jahres 1951 allein 3608 Reisepässe ausgestellt worden. Da sind also doch schon eine Reihe von Leuten in Tätigkeit, die sich dieser Arbeit unterziehen.
Wir von der sozialdemokratischen Fraktion haben nun einen Vermittlungsantrag eingebracht, der einen Mittelweg weist, den wir begehen sollten. Wir haben mit Umdruck Nr. 661 beantragt:
({1})
Der Bundestag wolle beschließen:
- insoweit wird also der Antrag Morgenthaler und Genossen ergänzt Die Bundesregierung wird ersucht, von einer Erhöhung der Paßgebühren in dem Umfange, wie sie der Entwurf einer Paßgebührenordnung vorsieht, abzusehen und die Geltungsdauer der Reisepässe auf fünf Jahre zu erstrecken.
Wir denken daran, daß eine gewisse Erhöhung der Paßgebühren verantwortet werden kann, und meinen, daß sie bei 5 oder höchstens 6 DM liegen sollte, nicht bei 8 DM, Herr Bundesinnenminister, wie es die Vorlage der Regierung vorsieht. Ein Ausgleich ergibt sich dadurch, daß die Geltungsdauer der Pässe, die bisher zwei Jahre beträgt - wenn ich nicht irre -, auf fünf Jahre erstreckt wird. Die Ausstellung eines Passes auf fünf Jahre kann in jeder Weise verantwortet werden. Dadurch ersparen wir Verlängerungsgebühren und dadurch machen wir die im Interesse der Gemeinden und Gemeindeverbände nicht ganz unumgängliche Erhöhung der Gebühren erträglich.
Wenn es nach uns ginge, sollte es keine Pässe mehr geben. Wir müssen alles versuchen, um Schwierigkeiten abzubauen, die immer noch entstehen, und den Verkehr der Völker untereinander stärker zu pflegen, als es bisher der Fall war. Aber leider können wir das nicht allein bestimmen. Überhöhte Paßgebühren und unnötiger Verwaltungsaufwand sollten bekämpft werden. Wir glauben, die Annahme unseres Antrages sollte empfohlen werden, weil er schon einen Teil des Weges zurücklegt, der in Zukunft noch konsequenter beschritten werden müßte.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin in der angenehmen Lage, Ihnen erklären zu können, daß der wesentliche Teil der zu diesem Punkt gestellten Anträge sich dadurch erledigt, daß gemäß § 20 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Ausführung des Paßgesetzes vom Jahre 1952 Pässe jetzt ständig auf die Dauer von fünf Jahren ausgestellt werden, es sei denn, daß besondere Umstände die Ausstellung auf kürzere Zeit geboten erscheinen lassen. Einen solchen Fall habe ich Ihnen soeben am Beispiel der Jugendpässe vorgetragen. Damit erledigen sich die Anträge, soweit sie die Zeitdauer der Pässe betreffen.
Was die Kosten der Pässe anlangt, so haben wir eingehende Umfrage gehalten. Ich kann Ihnen nur erklären, daß die kommunalen Spitzenverbände für die Ausstellung eines Passes 10 DM als angemessen erbeten haben.
({0})
Das Kabinett ging so weit nicht mit und beschränkte sich auf 8 DM. Nach unseren Unterlagen, die mir auch vom Finanzminister bestätigt worden sind, glaubt dieser, daß die richtige Höhe bei 8 DM liegt.
Herr Abgeordneter Jacobi hat soeben aber auf einen richtigen Weg hingewiesen. Tatsächlich werden in einigen Ländern noch sehr überflüssige Nebenmaßnahmen vorgenommen, die man besser unterließe bzw. beseitigte. Was wir dazu tun konnten, haben wir in den Ausführungsvorschriften und in den Verwaltungsvorschriften bereits getan.
Hier könnte man tatsächlich durch einen vereinfachten Geschäftsgang innerhalb der Länder und Gemeinden bei den Ausstellern der Pässe sehr wesentliche Ersparnisse erzielen.
({1})
Ich würde Ihnen also vorschlagen, die Anträge, soweit es sich um die Zeitdauer handelt, für erledigt zu erklären. Ich würde Sie bitten, den Wünschen der Gemeinden zu entsprechen und ihnen die 8 DM zu belassen, damit wir nicht den Gemeinden neue Kosten machen.
({2})
- Bundestagsabgeordnete werden sogar zuvorkommend behandelt.
({3})
- Das könnte im Einzelfall berechtigt sein.
Herr Abgeordneter Feldmann, bitte!
Meine Damen und Herren! Der Antrag Drucksache Nr. 3185 hat die Verabschiedung der Paßgebührenordnung durch den Bundesrat bisher verzögert. Wenn wir in dieser Frage heute nicht zu einer Entscheidung kommen, wird die Verzögerung auf unabsehbare Zeit fortgeführt. Ich halte es im Interesse der Gemeinden für nicht mehr vertretbar, diese Angelegenheit noch weiterhin hinauszuschieben. Wenn sich die Antragsteller, die eine Erhöhung um jeden Preis vermeiden wollen, nicht zur Zurückziehung ihres Antrags überhaupt entschließen können, würde ich darum bitten, daß der von der SPD eingebrachte Antrag Umdruck Nr. 661, der ja nicht die Erhöhung um jeden Preis ablehnt, sondern der eine Erhöhung in dem wirtschaftlich und verwaltungsmäßig gerechtfertigten Ausmaß, allerdings nach näherer Prüfung, einräumt, angenommen wird. Dann würden wir erreichen, daß die Gebührenfestsetzung überhaupt erfolgt und daß der Bundesrat, der ja nach § 13 der Verordnung seine Zustimmung geben muß, die Gebührenverordnung verabschieden kann, damit die Gemeinden endlich den Haushalt ihrer Paßämter in Ordnung bringen können. Die Frist von fünf Jahren ist, wie der Herr Minister bereits sagte, durch das neue Gesetz gewahrt. Ich würde also, um das Verfahren überhaupt abzuschließen und um insbesondere unseren Gemeinden und Gemeindeverbänden zu dienen, bitten, dem Antrag der SPD auf dem neuen Umdruck Nr. 661 zuzustimmen.
Herr Abgeordneter Morgenthaler, wird Ihr Antrag aufrechterhalten
({0})
oder zurückgezogen? - Wird aufrechterhalten! Wird der Schlußsatz Ihres Antrags ({1}) aufrechterhalten?
({2})
- Kann fortfallen. Damit würden die Worte „und die Geltungsdauer der Reisepässe auf fünf Jahre zu erstrecken" wegfallen können. Das Haus hat davon Kenntnis genommen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung.
({3})
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung, Drucksache Nr. 3635. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 661 ({4}) in der eben durch Wegfall des letzten Satzes abgeänderten Form. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; dieser Antrag ist angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag Drucksache Nr. 3695.
Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung: Beratung des Antrags der Fraktion der Deutschen Partei betr. Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Ausübung der Krankenpflege ({5}).
Zur Begründung schlägt der Ältestenrat 10 Minuten, zur Aussprache 60 Minuten vor.
({6})
- Meine Damen und Herren, es ist ja niemand gezwungen, diese Zeit von 60 Minuten in Anspruch zu nehmen. Eine Aussprachezeit werden wir ja vorsehen müssen. Ich schlage Ihnen also 60 Minuten vor.
Zur Begründung Frau Abgeordnete Kalinke, bitte!
Frau Kalinke ({7}), Antragstellerin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Auf der Konferenz der deutschen Gesundheitsminister in Düsseldorf am 13. Februar 1952 ist es ganz besonders begrüßt worden, daß sich die deutschen Ärzte in einer Zeit eigener und allgemeiner großer wirtschaftlicher Schwierigkeiten weitgehend Fragen der Gesundheitspolitik zugewandt haben. Deutsche Arztetage haben immer wieder gesetzliche Maßnahmen für die Aktivierung der Gesundheitspolitik gefordert und mit Recht darüber Klage geführt, daß in den Parlamenten und Ministerien der Volksgesundheit als dem einzigen Kapital unseres Volkes nicht genügend Bedeutung beigemessen ist. Alle Aufgaben der vorbeugenden wie der behandelnden Medizin, alle Bemühungen um eine möglichst vollkommene Gesunderhaltung des deutschen Volkes müssen bei uns wie in anderen Ländern scheitern, wenn nicht die Voraussetzungen gegeben sind, die für jede Gesundheitsfürsorge unentbehrlich sind und die darin bestehen, die Durchführung der Krankenbehandlung durch eine wohlorganisierte Krankenpflege zu gewährleisten. In Deutschland wie in allen Ländern der Welt besteht die Sorge um den Nachwuchs in der Krankenpflege; es ist eine echte internationale Sorge. Appelle an den Idealismus der Jugend und bedenkliche Erläuterungen in der Presse über die veränderte seelische Haltung und die das gesellschaftliche Leben bedrohende Lage können nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch der Beruf der Frankenschwester als „Berufsstand" gesehen und gewertet werden muß, wenn das moderne Krankenhauswesen nicht zum Erliegen kommen soll.
Alle Berufe einer Zeit sind in ihrer geistig-sittlichen Substanz auch geformt von der wirtschaftlichen und schicksalhaften Situation eines Volkes. Mit moralischen Anwürfen gegen den Mangel an Idealismus oder gegen den Mangel an Opfermut, den man bei einem Stand als selbstverständlich
voraussetzt, während ihn alle anderen Stände
ablehnen, ist dem Problem nicht beizukommen. Es muß daher Aufgabe der Gesetzgebung sein, diese Fragen nicht nur vom Geistig-Sittlichen oder von der ethischen Substanz her zu sehen, sondern sie wahrhaft realistisch neu zu ordnen. Übersehen sollte man weder die sozialpolitischen noch die kulturpolitischen Voraussetzungen, wenn man daran geht, die Not zu beheben, die für die gesamte Entwicklung der Medizin wie für die Gesundheitspolitik von morgen ausschlaggebend sein werden.
Kennzeichnend für den geringen Anreiz, junge Menschen für den Krankenpflegedienst zu begeistern, ist die kritische und geradezu unerträgliche Lage in der Krankenpflege an sich. Die gesetzlichen Vorschriften über die Arbeitszeit des Krankenpflegepersonals in öffentlichen Krankenanstalten, die am 13. Februar 1924 geregelt wurden, sollten endlich überprüft werden. Auch der Runderlaß des Reichsministers des Innern von 1943 hinsichtlich der Richtzahlen bei der Besetzung von Krankenpflegestellen wird längst nicht mehr korrekt angewandt. Die Folge der mangelnden Kontrolle in den Krankenanstalten - den staatlichen wie den karitativen - ist eine unverantwortliche Überlastung des Krankenpflegepersonals. Die gut ausgebildete Krankenschwester muß sehr oft Hausarbeit mit verrichten. Die in der Ausbildung befindliche 'Krankenschwester ersetzt billige Arbeitskräfte und ist ebenfalls mit Hausarbeit überlastet. Aus Gründen der Sparsamkeit werden Stationsmädchen entlassen und den Schwestern wird weitere Arbeit aufgebürdet.
Während für die Hausangestellten immerhin die Freizeiten an Sonn- und Feiertagen geregelt sind, ist für die Krankenpflegerinnen das Einspringen in der Urlaubszeit, für die Nachtwache und bei Vertretungen eine selbstverständliche ideale Verpflichtung. Auch durch den Mangel an Urlaubsvertretungen in den Krankenhäusern sind die einzelnen Schwestern sehr oft vor Antritt ihres eigenen Urlaubs schon total erschöpft. Im „Bulletin" vom 30. September ist von der Frauenarbeitslosigkeit geschrieben, daß sie nämlich laufend zunehme und daß besonders unausgebildete Kräfte wegen Berufsfremdheit heute nicht zu vermitteln und daher Unterstützungsempfänger sind. Hier erwächst der Arbeitsverwaltung eine ganz besondere Aufgabe. phantasievoll nach neuen Wegen zu suchen, um durch Umschulung und Schulung für die Mangelberufe geeignete Kräfte zu gewinnen.
Der Landesgesundheitsrat hat sich in Niedersachsen schon im Jahre 1950 mit dem Problem der Krankenpflege befaßt und dagegen Stellung genommen, daß so unvorstellbarer Raubbau mit der Arbeitskraft der deutschen Krankenschwestern getrieben und damit die Arbeitsfreude in einem Maße eingeengt wird, das die echten Voraussetzungen der wahren Krankenpflege nicht mehr ermöglicht, nämlich auch das Ausströmen von Ruhe und hilfreicher Menschlichkeit, das in einer Atmosphäre der Hetze und Überbelastung nicht mehr möglich ist. Die Schwierigkeiten in dem modernen Krankenhausbetrieb, verschärft durch Nachkriegslasten, Neubauten und Nachholbedarf, können nicht auf dem Rücken der Schwestern und nicht durch eine Überforderung der Schwestern und Überanstrengung des gesamten Krankenpflegepersonals gelöst werden. Die Betreuung des Kranken als Mensch und Patient muß zu kurz kommen, wenn überanstrengte Krankenpflegerinnen ohne Lebenserwartung und ohne Zukunftsaus({8})
sichten nicht mehr jugendliche Menschen für eine Aufgabe begeistern können, unter der ihre jetzigen Vertreterinnen sehr oft nicht nur physisch, sondern auch psychisch restlos zusammenbrechen. Die nüchterne Feststellung, daß in einem großen Schwesternverband 50 bis 70 % des Nachwuchses nach dem Krankenpflegeexamen den Beruf wieder verlassen haben, sollte uns sehr zu denken geben. Auch die Form der Diskussion in der Presse trägt nicht immer dazu bei, das Problem einer guten Lösung zuzuführen. Darum ist die Fraktion der Deutschen Partei initiativ geworden und ist der Auffassung, daß schnellstens ein Rahmengesetz vorgelegt werden sollte, das die einheitliche Ausbildung in der Krankenpflege sowie den Aufbau der Krankenpflegeschulen und die Prüfung regelt.
Für die Ausbildung sollte darauf geachtet werden, daß die Schwesternhelferinnen in ihrer Ausbildungszeit nur von Ärzten und gut ausgebildeten Schwestern, nicht aber, wie so oft, auch von jungen Assistenten unterrichtet werden. Der Lehrplan sollte für alle Schulen verbindlich sein. Das bis heute gültige Gesetz sagt nur etwas über die Anzahl der Stunden aus. Die Lehrschwestern und Schulleiterinnen müssen zu diesem Lehramt ebenfalls ausgebildet sein und außerdem das notwendige pädagogische Talent besitzen. Sie sollen nicht nur wegen ihres Alters zur Oberschwester oder Oberin herangezogen werden, sondern wegen ihrer besonderen Eignung. Im Anschluß an die Ausbildung sollte auch die laufende Fortbildung gesetzlich vorgeschrieben und geregelt sein.
({9})
- Ich bitte mir doch noch eine Minute mehr zu geben.
) Wir hoffen, daß das Arbeitsministerium nach Wegen suchen wird, die Kontrolle der Arbeitszeit und die Abschaffung der Überarbeit und auch der Überbelastung endlich zu garantieren. In den Ländern sollte dafür Sorge getragen werden, daß bei den Neubauten von Krankenhäusern auf die Wohnungen für die Schwestern genügend geachtet wird und Vorsorge getroffen wird, damit die überlasteten Krankenschwestern nicht etwa zu mehreren in einem Zimmer wohnen müssen und bei ihrem wahrhaft schweren Dienst nicht einmal eine Stunde der Ruhe für sich in einem Einzelzimmer haben.
Das, was in Zeitungsanzeigen aus dem Ausland
- man ist auf der Suche nach Krankenschwestern
- zu sehen ist, das, was ich unlängst in Hannover in einer Bekanntgabe des Landesarbeitsamtes las - 184 Schwesternschülerinnen wurden in Sonderflugzeugen nach Südafrika geflogen, um, wie die Zeitung schreibt, sich dort zu verheiraten, ohne daß sie die Ausbildung, die immerhin kostspielig und langwierig ist, beendet hatten -, scheint mir auch nicht der richtige Weg. Es ist auch sehr typisch, daß schon in der Vergangenheit ein Frauenberuf, der ein besonderer und ausgeprägter Frauenberuf war, in der Öffentlichkeit weitgehend vernachlässigt behandelt worden ist. Die Notlage dieses Standes ist so aktuell, daß es mit Zeitungsartikeln und mit der Aufforderung: „Schreien Sie nur weiter, bis Sie irgendwo gehört werden", nicht getan ist.
Ich möchte, weil ich leider wegen der kurzen Zeit zum Schluß kommen muß, nur noch darauf hinweisen, daß unsere Forderung nach einem Gesetzentwurf, der die Ausbildung und Ausübung des Krankenpflegeberufs regelt, nicht etwa zum
Ziel hat, einen Gesetzentwurf für einen Einheitsstand aller Heil- und Hilfsberufe zu erstreben. Wir sind der Meinung, daß die Neuordnung des Gesundheitswesens nicht der Beginn einer sozialisierten Medizin mit einem übersteigerten technischen Apparat sein soll und daß darum auch als Grundlage für die Neuordnung des 'Gesundheitswesens nicht die Schaffung eines Einheitsstandes, sondern der Schutz und die Förderung eines Standes notwendig ist, der als spezieller Frauenberuf dieses Schutzes und dieser Förderung ganz besonders bedarf.
({10})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Steinbiß.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wenn wir den Antrag von der Deutschen Partei lesen, fragen wir uns vielleicht: Warum sollen wir ein Gesetz machen? Zur sachlichen Begründung hierzu möchte ich folgendes sagen. Die Verordnung zur Ordnung in der Krankenpflege vom Jahre 1938 ist so mit nationalsozialistischem Gedankengut durchsetzt, daß wir sie heute nicht mehr gebrauchen können. Mit ihrer Ablehnung jedoch kommen wir auf die Reichsgewerbeordnung zurück, da in der Präambel der Verordnung von 1938 der Satz fehlt, daß mit diesem Gesetz grundsätzlich die Heilberufe aus der Reichsgewerbeordnung herausgenommen sind, die Ermächtigung zum Erlaß von Verordnungen jedoch nach Art. 129 Abs. 3 des Grundgesetzes erloschen ist. Es bleibt also nur übrig, ein Gesetz zu machen.
Was erwarten wir von dem Gesetz? Oder vielleicht fragen wir besser: Was erhoffen wir von diesem Gesetz? Das Gesetz soll, wie vorgetragen worden ist, eine neue Ordnung der Krankenpflege aufstellen. Sofort sehen wir wohl in unseren Gedanken die Krankenschwestern im Krankenhaus von Tür zu Tür huschen, um den Kranken Linderung zu bringen. Vielleicht ist hier der Ort, einmal allen Schwestern in den Krankenhäusern, nicht in meinem Namen, auch nicht nur im Namen meiner politischen Freunde, sondern im Namen des ganzen Bundestags unseren herzlichen Dank zu sagen für ihre unermüdliche Hilfe und Barmherzigkeit, für den Einsatz ihrer ganzen Kraft und für ihre volle Hingabe.
({0})
Das Gesetz soll zuerst die Ausbildungszeit, die Arbeitszeit und das Entgelt der Schwestern in den Krankenhäusern regeln. Alle befragten Organisationen haben fast Bleichlautende Bedingungen aufgestellt, die an sich erfüllbar erscheinen. Wir hören z. B. von einer 60-Stunden-Woche. Wenn wir wissen, daß bei der Röntgenassistentin erklärt worden ist. sie dürfe aus Gesundheitsgründen nicht länger als 42 Stunden in der Woche arbeiten, und von der kommunalen Behörde sofort die entsprechenden Kräfte neu eingestellt wurden, dann erscheint es wohl begreiflich, daß wir für die Schwestern auf die 60-Stunden-Woche drängen müssen. Natürlich ist es unmöglich. in den Krankenhäusern mit dem 8-Stundentag auszukommen: denn Angst, Schmerzen und Tod lassen sich nicht auf eine Zeit festlegen. Es wird dann auch über die Freizeit zu sprechen sein. Auch die räumliche Unterbringung für die Schwestern muß geregelt werden.
Bei der Entlohnung ist einmal zu berücksichtigen, daß viele Väter ihre Kinder aus geldlichen Rücksichten von diesem Beruf fernhalten. So habe
({1})
ich es erlebt, daß einmal 20 junge Mädchen für diesen Beruf willig waren und sich fest entschlossen hatten. Dann haben aber 18 Väter die Zustimmung ihrer Kinder zurückgezogen, weil sie nicht damit einverstanden waren, daß diese jungen Mädchen nicht gleich Geld verdienten. Nach zweimaliger Geldentwertung ist es auch verständlich, wenn eine Schwester sich darüber bedrückt fühlt, daß sie nicht imstande ist, in Not geratene Angehörige zu unterhalten.
Aber wir fragen uns: Sind es wirklich diese Gründe allein, die den Schwesternmangel hervorgerufen haben? Die strengen Regeln der verschiedenen konfessionellen Schwesternverbände mit den Formen und Ordnungen, die sich durchaus bewährt haben, sind nach Ansicht der Berufsberaterinnen und der Oberinnen kein so starkes Hindernis zum Eintritt, wie oftmals gesagt wird, zumal sich diese Verbände den durch die neue Zeit gegebenen Fragen keineswegs verschließen. Sie geben einsamen Frauen unserer Kriegsgeneration wiederum Halt und Heimatgefühl in einer fest-gefügten Gemeinschaft und wecken das Bewußtsein des eigenen Wertes in der verantwortlichen Mitarbeit im Kreise Gleichberechtigter. Dazu kommt, was gar nicht hoch genug anzuschlagen ist, die Aussicht auf selbständige und leitende Stellungen im vorgerückten Alter in Häusern, Stationen, speziellen Abteilungen und ähnlichem, mit stets gedecktem Tisch und nie drohender Erwerbslosigkeit und mit gesicherter Altersversorgung.
Doch die Erfahrungen in anderen gut zahlenden Ländern zeigen, daß die wirtschaftlichen Gründe keine ausschlaggebende Bedeutung haben. Sehen wir nach England, nach Amerika oder sogar nach Schweden - dem Mustersozialland mit seinen raffiniert schönen und zweckmäßigen Krankenhausneubauten und seiner monatlichen Vergütung mit 350 bis 500 Kronen -, so finden wir, daß in allen diesen Ländern ganze Stockwerke, ja ganze Krankenhäuser unbenutzt dastehen, nur weil es an Pflegerinnen gebricht. Es hilft auch wenig, wenn man sagt, hier fehlt es nicht an Schülerinnen, sondern an vollausgebildeten Schwestern. Diese Länder haben keinen Frauenüberschuß, und so heiraten hier die Frauen, bevor sie in den vollen Schwesternberuf eintreten. Doch das trifft den Kern der Sache nicht. Frau Kalinke hat schon erwähnt, daß alle diese Länder nach deutschen Schwestern rufen.
Nein, neben den wichtigen und unbedingt zu lösenden materiellen Gründen sind es andere. Hier kann uns das zu erstellende Gesetz doch noch etwas helfen. Mehr als 90 % aller jungen Mädchen verlassen mit 14 Jahren die Schule und wenden sich irgendeinem Beruf zu. Wenn das junge Mädchen das 18. Lebensjahr erreicht hat und sich dann zum Schwesternberuf melden könnte, ist es meist schon fest in seinem Beruf verankert oder möchte die materiellen Vorteile nicht mehr missen. Es gehört dann schon eine innere Berufung dazu, den entsagungsvollen Beruf einer Schwester noch auf sich zu nehmen; was allerdings gar nicht so selten der Fall ist. Die Regierung sollte prüfen, ob hier nicht durch Mittel der öffentlichen Hand - ich denke an den Bundesjugendplan - junge Mädchen in Häusern nahe dem Krankenhaus - aber nicht in diesem, sonst würden die jungen Menschen weltfremd werden - untergebracht und mit hauswirtschaftlichen, mit gärtnerischen und sonstigen Arbeiten beschäftigt werden können - neben theoretischem Unterricht -, die zum Krankenhaus gehören und die heute vielfach von Krankenschwestern verlangt werden. Das kostet natürlich einiges Geld, aber es sollte uns ,die Sache wert sein, zudem diese Ausbildung die jungen Menschen gut für die Ehe vorbereitet und auch sonst eine gute Grundlage für ihr zukünftiges Leben bildet, wenn sie am Schluß der Ausbildung den Schwesternberuf doch nicht ergreifen möchten.
Die letzten Ursachen für den Mangel an Schwestern, an Pflegerinnen, liegen tiefer. Sie sind ein Zeichen der Kultur- und Menschenkrise, in der wir stehen, die zu beheben Menschenkraft allein nicht ausreicht. Eins aber können und wollen wir: wir können ein gutes Gesetz schaffen, das viele Steine des Anstoßes beseitigt. So bitte ich das Hohe Haus. dem Antrag zuzustimmen.
({2})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Hoffnung, etwas zur Abkürzung der Debatte beizutragen, gestatten Sie mir einige kurze Bemerkungen. Ich habe vor Ihnen über diesen Punkt schon einmal gesprochen; das war in der 206. Sitzung des Hohen Hauses am 24. April dieses Jahres. Ich bitte Sie freundlichst, vielleicht einmal diese Ausführungen, die ich in der damaligen Fragestunde gemacht habe, nachzulesen.
Die Ausübung der Krankenpflege und die Ausbildung der Krankenpflegerinnen ist durch ein Gesetz vom 28. September 1938 geregelt. Der § 1 dieses Gesetzes macht die berufsmäßige Ausübung der Krankenpflege von einer Erlaubnis abhängig. Aber dieser § 1 ist bis 1945 nicht in Kraft getreten. Wohl haben nach 1945 einige Länder voneinander stellenweise abweichende Vorschriften erlassen, so daß tatsächlich das Bedürfnis nach einer bundeseinheitlichen Regelung besteht. Die Vorarbeiten zu einer bundeseinheitlichen Regelung sind von meinem Haus in Angriff genommen. Ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß wir dieses Gesetz wirklich noch in dieser Wahlperiode zur Abstimmung bringen.
Bei der Berücksichtigung des Berufsstandes der Krankenpflegerinnen ist in der Hauptsache an zwei Punkte gedacht, erstens an die Vergütung und zweitens an die Arbeitszeit. Auch hier bitte ich Sie freundlichst, nachzulesen, was ich am 24. April vor Ihnen ausführlich dargelegt habe. Die wirtschaftliche Lage der Krankenpflegerinnen hängt sehr stark mit der wirtschaftlichen Lage der Krankenhäuser selbst zusammen. Diese ist, alles in allem genommen, sehr unerfreulich. Eine unmittelbare Beeinflussung der Krankenhäuser und der Verhältnisse dort steht mir nicht zu. Ich kann höchstens auf mittelbarem Wege etwas tun, und das geschieht fortgesetzt.
Die arbeitszeitliche Überbeanspruchung der Schwestern habe ich auch damals vor Ihnen aufrichtig bedauert; sie ist ziemlich allgemein festzustellen. Die Neuregelung der Arbeitszeit in den Krankenanstalten wird von uns auch beabsichtigt.
Ich möchte Sie bitten, mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Stunde den Antrag der Fraktion der Deutschen Partei dem Ausschuß für Fragen des Gesundheitswesens, eventuell auch dem Ausschuß für Arbeit zu überweisen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hubert.
Meine Damen und Herren! Die Statistik der Krankenkassen zeigt, daß die Erkrankungsziffer bei den in der Krankenpflege beschäftigten Personen bei 8,5 % liegt, während sie bei allen übrigen Arbeitnehmern nur 3,2 % beträgt; und auf dem letzten Ärztetag in München 1951 hat Dr. Fromme festgestellt, daß die Zahl der Berufserkrankungen bei den Angestellten der Krankenhäuser im Bundesgebiet im Jahre 1949 dreimal so hoch war wie im Gesamtdeutschland im Jahre 1934. Diese Zahlen beleuchten eine Situation, die uns nicht nur im Hinblick auf die betreffenden Berufe, sondern auch auf die gesamte Volksgesundheit mit Sorge erfüllen muß; denn eine Herabsetzung der Leistungsfähigkeit der Krankenpflegerinnen oder des Krankenpflegers bringt eine mangelhaftere Versorgung des kranken Menschen, ja sogar Gefährdung für ihn mit sich. Ein erschütterndes Beispiel ist der Fall jener Krankenschwester, die kürzlich unter Anklage vor Gericht stand und sich damit verteidigte, daß sie im Zustand völliger Erschöpfung gewesen sei, so daß sie für ihr Handeln nicht verantwortlich gemacht wer- den könne. Als das Gericht Zweifel in diese Aussage setzte, wurde sie von den Mitschwestern und der Oberin bestätigt. Die Schwester hatte wochenlang nicht nur zehn bis zwölf Stunden, sondern länger täglich arbeiten müssen. Sosehr wir die selbstlose Opferbereitschaft anerkennen, mit der sich Menschen in echtem Liebesdienst der Krankenpflege widmen, sosehr sind wir doch auch verpflichtet, dafür zu sorgen, daß diese Menschen nicht selber ihre Gesundheit ruinieren und darüber hinaus der Kranke Schaden leidet.
Der allgemeine Nachwuchsmangel im Schwesternberuf aber droht, wenn ihm nicht abgeholfen wird, in naher Zukunft zu einer Katastrophe in unserer Krankenversorgung zu führen. Dieses Problem hat schon seit längerer Zeit nicht nur die davon betroffenen Schwesternschaften, sondern alle mit dem Gesundheitswesen befaßten Organisationen und Personen beschäftigt. Von seiten der Gewerkschaft ÖTV liegt eine Denkschrift über die „Arbeits- und Organisationsverhältnisse der Schwestern in Krankenhäusern" vor, und wir haben Empfehlungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft.
Wenn jetzt von seiten einer der Regierungsparteien ein Antrag kommt, der die Ausbildung, Förderung und Ausübung des Krankenpflegeberufs gesetzlich regeln will, so möchte ich der Hoffnung Ausdruck geben, daß dieser Gesetzentwurf zu der Gruppe von Gesetzen gehört, von der sich die Koalitionsparteien vorgenommen haben, daß sie noch im Laufe dieser Legislaturperiode verabschiedet werden sollen.
({0})
Die Ausbildung der Krankenschwestern muß selbstverständlich dem internationalen Niveau entsprechen, und sie bedarf einer der heutigen medizinischen Forschung entsprechenden Ausweitung und Vertiefung. Vor allen Dingen, glaube ich, müssen wir erkennen, daß der Krankenschwesternberuf nicht mehr allein von der Caritas her bestimmt sein kann, sondern daß man ihn auch als einen echten Beruf wie jeden anderen werten muß,
({1})
der seine Anerkennung und auch die seiner
Leistung entsprechende Entlohnung finden muß.
Selbstverständlich wird gerade zu diesem Beruf
eine besondere Liebe gehören, ein besonderes Streben, eine innere Neigung zum Helfenwollen, zum Pflegen; aber er darf in seinen Bedingungen nicht unter die Arbeits- und Lebensbedingungen anderer Berufe herabsinken. Die Lebensbedingungen der Schwestern sind heute, was ihre Entlohnung, was ihre Arbeit anbelangt, besonders schlecht. Daß, wenn sie gebessert werden, durchaus ein Anreiz besteht, daß junge Menschen sich diesem Beruf wieder zuwenden, sehen wir an dem Beispiel der Hansestadt Hamburg, die in ihren staatlichen Krankenhäusern keinen Mangel an Schwesternnachwuchs kennt, ja die sogar teilweise ein Überangebot hat. Die Hansestadt Hamburg zahlt aber tarifliche Löhne, sie hat eine gesicherte Altersversorgung für die Schwestern und eine vernünftig beschränkte Arbeitszeit. Es wurde hier auf die 60-Stunden-Woche als erstrebenswert hingewiesen. Nun, diese 60-Stunden-Woche ist heute noch durch die Krankenhaustarifordnung gesetzlich verankert;
({2})
sie wird bloß nirgends befolgt, und die Schwestern müssen 10 und 12 Stunden, ja länger am Tage arbeiten und werden zudem noch in zwei Dritteln aller Anstalten mit nichtpflegerischen Arbeiten, d. h. mit Hausarbeiten, belastet. Das trifft ganz besonders für die Lehrschwestern zu, die außerdem noch vielfach für ihre Unterrichtsstunden einen Teil ihrer Freizeit opfern müssen.
Es ist nicht so, daß die materielle Grundlage und die Arbeitsbedingungen nicht sehr ausschlaggebend sind. Ich gebe aber zu, daß Frau Kollegin Steinbiß recht hat, daß ein Grund auch der ist, daß der Krankenpflegedienst erst mit dem 18. Lebensjahr angetreten werden kann und hier zwischen dem Verlassen der Schule und dem 18. Lebensjahr o eine Lücke klafft, die ausgefüllt werden muß, damit nicht junge Mädchen, die Neigung zu diesem Beruf haben, sich in der Zwischenzeit schon anders entscheiden. Wir sollten ferner nicht übersehen, daß der strukturelle Wandel unserer Gesellschaft heute viele junge Mädchen und junge Frauen zwingt, nicht nur für sich, sondern auch für eine Familie, für Eltern, für Geschwister zu sorgen, und daß sie es sich nicht leisten können, einen Beruf zu wählen. der ihnen diese Möglichkeit nicht gibt.
({3})
Wertvolle Kräfte, die Liebe und Neigung zum Krankenpflegeberuf haben, gehen ihm auf diese Weise verloren.
Ein besonderes Anliegen der Schwestern aber sind die mangelhaften Wohnverhältnisse in den Krankenhäusern. Oftmals wird sich die notwendige Arbeitsentlastung durch Neueinstellung von Schwestern für die Schwestern dahin auswirken, daß sie nun zwar kürzer arbeiten können, dafür aber nicht nur zu viert, sondern sogar zu sechst ein Zimmer miteinander teilen müssen. Gerade bei einem Beruf aber, der wie der der Krankenschwester in ihrem Umgang mit dem kranken Menschen immer wieder aufs neue seelische Kräfte verlangt, ist der Ausgleich, den die Ruhe und die Zurückgezogenheit eines eigenen Zimmers geben, unbedingt notwendig und erforderlich.
({4})
Wir müssen hier darauf dringen, daß die jungen Schwestern und in noch viel stärkerem Maße natürlich die Schwestern mit zunehmendem Alter die Wohnlichkeit eines eigenen Raumes, eines eigenen Heimes für sich in Anspruch nehmen können.
({5})
Der Bau von Schwesternwohnheimen sollte auch ein Anliegen der Bundesregierung sein. Ich möchte hier anregen, daß im Rahmen des allgemeinen Wohnungsbauprogramms des Bundes eine Förderung des Baues von Schwesternheimen erfolgt. Der Bund sollte vor allen Dingen selbst mit gutem Beispiel und nicht mit schlechtem vorangehen. Wir haben nicht nur mit Erstaunen, sondern mit Erschütterung gehört, daß bei dem Bau des Bundesversorgungskrankenhauses in Pyrmont nicht einmal ein Posten für ein Schwesternwohnheim eingesetzt ist.
({6})
Wir müssen erwarten, daß diesem Mangel noch in dem Nachtragshaushalt für 1952 abgeholfen wird; und ich möchte hier die Bitte an den leider nicht anwesenden Herrn Bundesarbeitsminister richten, daß er einen Bericht anfordert und uns zuleiten läßt, ob in den Bundesversorgungskrankenhäusern, was die Wohnverhältnisse der Schwestern anlangt, wenigstens die Richtlinien der Deutschen Krankenhausgesellschaft beachtet worden sind.
Wenn ich alle Forderungen, die auch Frau Kalinke aufgestellt hat, zusammenfasse, nicht nur hinsichtlich einer ausreichenden Entlohnung, sondern auch hinsichtlich der Einstellung von genügendem Personal an Schwestern wie von genügendem Hilfspersonal in Krankenhäusern, ferner hinsichtlich des notwendigen Schwesternwohnraums, dann sind dafür ohne Zweifel Mittel notwendig. Es hätte auch eine Aufgabe der von uns seinerzeit geforderten Sozialen Studienkommission sein sollen, die Sie, meine Damen und Herren, leider abgelehnt haben, einmal auf Bundesebene festzustellen, wie hoch der Bedarf hierfür ist. Gerade dieser Antrag zeigt wieder, daß es eben mit Einzelgesetzgebung nicht geht, sondern daß man diese Probleme im größeren Rahmen sehen muß. Wie der Herr Bundesinnenminister soeben angeführt hat, hängt das Problem der Schwestern eng mit der Situation der Krankenhäuser zusammen und ist davon nicht zu trennen; eines greift in das andere. Nur wenn wir hier zu einer sinnvollen Planung und Koordinierung kommen, werden wir wirklich zum Ziel gelangen.
({7})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Mulert.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es wäre sinnlos. wollte ich nach allem, was hier bereits an Einzelheiten gesagt worden ist, noch auf die fehlende Altersversorgung, auf die schlechte Ausbildung der Schwestern, auf die fehlenden Wohnungen, auf die Überbelastung usw. eingehen. Aber einen Punkt, auf den der Herr Bundesinnenminister schon kurz hingewiesen hat und den auch Frau Dr. Hubert angezogen hat, möchte ich noch unterstreichen: den Zusammenhang zwischen der Notlage der Schwestern und der Notlage der Krankenanstalten, besonders der karitativen und privaten Krankenanstalten. Niemand möge sich darüber hinwegtäuschen, daß die beste gesetzliche Regelung für die Krankenschwestern nur einen Bruchteil der Schwierigkeiten - und nicht die wichtigsten - wird beseitigen können, solange nicht das Grundproblem. eben die Notlage der Krankenanstalten, gelöst ist. Aus ihr resultieren letzten Endes alle diese Verwicklungen. Der Herr Bundesminister des Innern hat bereits in der 206. Sitzung und auch heute wieder versprochen, daß die Bundesregierung
- so hat er gesagt - nach mittelbaren Wegen suche, der offenbaren Notlage der Krankenhäuser zu steuern. Auf mittelbarem oder auf unmittelbarem Wege, Herr Bundesminister, das soll uns gleich sein; dankbar wären wir nur, wenn recht bald etwas geschähe. Denn wir sind uns bewußt, daß nicht nur unersetzliche Werte für die Allgemeinheit verlorenzugehen drohen, sondern daß auch alle Versuche, dem Problem der pflegerischen Berufe zu Leibe zu gehen, Stückwerk bleiben müssen, solange das Übel nicht an der Wurzel gepackt wird. Mit anderen Worten, erst im Rahmen eines neuen Krankenhausgesetzes wird in vollem Umfang Abhilfe für die Nöte geschaffen werden können, von denen wir heute sprechen. Meine Fraktion behält sich vor, die Regierung um eine beschleunigte Vorlage eines solchen Gesetzentwurfs zu bitten.
Das zweite Hauptproblem, das des Nachwuchsmangels im Schwesternberuf, wird - darüber müssen wir uns alle klar sein - nicht vom Materiellen her allein, etwa von der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Schwestern, zu lösen sein, und zwar deshalb nicht, weil tiefere Ursachen dafür verantwortlich gemacht werden müssen. Die innere Bereitschaft zu selbstlosem Dienst am Kranken hat im Zuge der allgemeinen Entwicklung erschreckend nachgelassen. Dieses Teilproblem wird neben der materiellen Sicherstellung der Krankenschwestern in erster Linie vom Erzieherischen her angefaßt werden müssen. Solange ein großer Teil unserer heutigen Jugend das Ziel vor allem darin erblickt, das Leben zu genießen, statt einer guten und großen Sache dienen zu wollen, wird das Nachwuchsproblem unlösbar bleiben. Die echte Krankenschwester arbeitet nicht um des äußeren Vorteils willen, sondern aus innerer Berufung und christlichem Ethos heraus. Deshalb sollte ihr und ihrem Beruf als Äquivalent für den fehlenden äußeren Lohn die besondere Achtung und Anerkennung der Gesellschaft gesichert sein. Keine gesetzliche Regelung wird in der Lage sein, Bedingungen zu schaffen, die einen adäquaten Gegenwert für die Selbstaufopferung darstellen können, die der echten Krankenschwester innere Verpflichtung ist. Das schließt nicht aus, daß wir, auch meine Fraktion, eine gesetzliche Regelung ihrer äußeren Belange für außerordentlich dringend halten, nicht zuletzt auch um des hohen Interesses willen, das die Allgemeinheit an der Erhaltung eines gesunden und hochwertigen Schwesternstandes haben muß. Es ist bekannt und hier schon erwähnt. daß die deutschen Schwestern in der ganzen Welt gefragt sind.
Wir wissen alle, daß auch auf dem Gebiet des Gesundheitswesens eine große Reihe ungelöster Fragen offensteht. und wir bedauern das in einer Zeit. in der unser Volk ganz besonderen Anlaß hat, die Reste seiner Volkskraft und Volksgesundheit aufs pfleglichste zu behandeln. Es verlautet., daß die Zahl der anstehenden Gesetze so groß sei, daß die Entscheidung über die Reihenfolge der Abwicklung schwerfalle. Wir verstehen, Herr Bundesminister. daß auch die Bundesregierung nicht zaubern kann: aber wir bitten Sie dennoch. alle Anstrengungen zu machen. um die Gesetzgebung gerade auf einem Gebiet zu beschleunigen, das infolge der augenblicklichen Verhältnisse von ganz besonders aktueller und eminenter Bedeutung ist.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Strohbach.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der bisherige Verlauf der Debatte hat klargemacht, daß sowohl in der Öffentlichkeit wie auch hier in diesem Hause allgemein bekannt zu sein scheint, ein wie brennendes Problem die Frage ist, mit der sich der vorliegende Antrag beschäftigt. Meine Vorrednerinnen haben schon eine ganze Reihe von Fragen angeschnitten, die man in diesem Zusammenhang unbedingt stellen muß. Ich kann mich sehr kurz fassen, weil ich nicht die Absicht habe, das zu wiederholen. Ich bin aber der Meinung, daß man mit dem, was hier zum Ausdruck gekommen ist, die jetzige Not in der Frage des Nachwuchses in der Krankenpflege sei wesentlich auf den Rückgang des Idealismus unter den Frauen zurückzuführen, ganz bestimmt an der Hauptursache vorbeigeht. Wer einmal einige Zeit als einfacher Dritter-Klasse-Patient in einem Krankenhaus zugebracht hat, weiß, daß von den Krankenschwestern Unmögliches verlangt wird. Der Dienst dieser Frauen beginn morgens um 6 Uhr und endet nicht vor 8 Uhr abends. Dabei ist die Mittagspause oft sehr fraglich. Ich habe erlebt, daß die Schwestern einer ganzen Station in einem Stuttgarter Krankenhaus mehrere Tage hintereinander ihre so nötige Mittagsruhe opfern mußten, um die Fußböden ihrer Station zu scheuern und zu bohnern, weil angeblich kein Geld da war, um für diese Arbeit besondere Arbeitskräfte einzustellen. Dazu mußten diese Schwestern mit der Verwaltung noch eine heftige Auseinandersetzung bestehen, um wenigstens zweckmäßige Reinigungsmittel für diese zusätzliche Arbeit zu bekommen; denn selbst daran sollte auf Kosten der Schwestern und ihrer Arbeitskraft gespart werden.
({0})
Wir sind der Meinung, daß man von den Frauen und jungen Mädchen, die diesen Beruf ergreifen sollen und möchten, nicht verlangen kann, überhaupt auf jeden Anspruch auf ein eigenes, persönliches Leben zu verzichten, ihre Arbeitskraft und ihr ganzes Leben zu opfern, um irgendwelche Ersparnisse für andere Zwecke zu ermöglichen. Unter den heutigen Umständen werden wir niemals genug junge Mädchen oder Frauen für diesen Beruf interessieren können.
Deshalb ist es sowohl im Interesse derer, die sich der Krankenpflege widmen, als auch im Interesse der hilfsbedürftigen Kranken ein dringendes Erfordernis, dem Pflegepersonal durch gesetzliche Regelung eine geregelte Arbeits- und genügende Freizeit, ausreichende Entlohnung und eine Unterbringung zu sichern, die ihm nach dem schweren Dienst ausreichende Erholung und Entspannung garantiert.
Außer diesen wichtigen Forderungen haben die Frauen und Mädchen, die in der Krankenpflege tätig sind, noch einige dringliche Anliegen. Der Gesetzentwurf muß deshalb nach unserer Meinung in engster Fühlungnahme mit dem Pflegepersonal und seinen Organisationen zustande kommen, damit die tatsächlich vorhandene Not dieser unentbehrlichen Helfer wirklich beseitigt wird. Er sollte aber nicht, wie das hier angeführt worden ist, noch his ins nächste oder übernächste Jahr verzögert werden. Wir sind der Meinung, daß hier dringend schnellste Abhilfe notwendig ist, um der großen Not der in der Krankenpflege Beschäftigten wirklich zu steuern.
({1})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Arnold.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es war mir eine Freude, durch den Herrn Innenminister zu hören, daß endlich jetzt auch die Frage der Krankenpflege von Bundesebene aus angefaßt werden soll. Aber ich muß sagen: Was nützen alle Gesetze oder Rahmengesetze, wenn nicht zuvor die Wurzel allen Übels, das ist und bleibt die Frage des Nachwuchses für das Krankenpflegepersonal, beseitigt wird. Ohne genügend Personal gibt es eben keine ausreichende Pflege von Kranken und infolgedessen keine Gesundung des Einzelkranken und auch keine Volksgesundung. Dieses wichtige Problem der Volksgesundheit hätte man längst schon viel energischer anfassen müssen, als das bisher geschehen ist. Dabei will ich nicht bestreiten, daß sich Regierung, Krankenhäuser, Berufsvertretung, Presse und auch der Landesgesundheitsrat schon oft mit dem Problem befaßt haben. Besonders auch das Land Nordrhein-Westfalen, das muß ich hier betonen, bemüht sich sehr ernstlich, die Not der Krankenschwestern und des sonstigen Pflegepersonals zu beheben. Alle \vissen, daß die Anforderungen, die an die Pfleger und Pflegerinnen gestellt werden, ihre Leistungskraft bei weitem übersteigen und daß diese dabei tatsächlich seelisch und körperlich zugrunde gehen. Daß sich nur sehr wenige Frauen und Männer mit Berufsethos für diesen schweren Beruf bereit finden, der ihre Kraft buchstäblich auffrißt, und das auch noch bei unzulänglicher Bezahlung und nicht genügend Entspannung, Freizeit und Urlaub, ist ganz selbstverständlich. Die Folgen dieser Überforderungen sind. wie schon gesagt wurde, bedrohlich. Es sind nicht genügend Meldungen für diesen Beruf da; im Gegenteil, wir haben ein Abwandern zu anderen Berufen zu verzeichnen, die weniger Anforderungen an die psychischen Kräfte und den Opfergeist der Menschen stellen.
Angesichts dieser Lage besteht wohl in diesem Hohen Hause Einmütigkeit darüber, daß eine grundlegende Änderung der Arbeitsbedingungen für die Krankenschwestern und das gesamte Pflegepersonal der Krankenhäuser erfolgen muß. Insbesondere muß für eine genügend große Zahl an Arbeitskräften und deren fortlaufende gesundheitliche Beaufsichtigung gesorgt werden. Das ist sehr wichtig. Weiter muß eine Begrenzung der Arbeitszeit bei einer planvollen Einteilung des Arbeitstages sowie eine wesentliche Verkleinerung der einzelnen Krankenstationen auf höchstens 30 Betten erfolgen. Es darf nicht vorkommen, daß eine einzige Nachtschwester 53 Betten in der Nacht zu betreuen hat. Ferner sind notwendig eine Verlängerung des Urlaubs, pünktliche Einhaltung des freien Wochennachmittags und eine bessere Unterbringung des Pflegepersonals - das wurde hier heute abend schon öfter betont -; vor allen Dingen müssen diejenigen Schwestern, die Nachtdienst hatten, die Möglichkeit haben, am Tage zu schlafen. Der Schlaf dieser Schwestern darf nicht durch den Durchgang durch ihre Zimmer dauernd unterbrochen werden, so daß sie ihre Nachtpflege wieder antreten müssen, ohne ausgeruht zu sein. Insbesondere ist eine weit bessere Bezahlung als bisher erforderlich.
Wenn diese Forderungen zunächst einmal verwirklicht werden, dann wird, glaube ich, die Not des Nachwuchses bestimmt bald behoben sein. Man hätte glauben sollen, daß die Krankenhäuser diesen
({0})
Nöten des Personals von sich aus begegnen würden. Die Verhältnisse sind in dieser Beziehung sehr unterschiedlich. Einzelne Häuser bezeichnet man als ausgesprochen gut, andere dagegen als ausgesprochen schlecht. Man muß sagen, daß die Krankenkäuser heute wegen der täglich steigenden Lebenshaltungskosten, wegen der steigenden Arznei- und Verbandstoffkosten bei nicht ausreichenden Pflegesätzen - das kommt dazu - auch in großer Not sind. Der Nachwuchsmangel steht mit an erster Stelle, ohne Pflegepersonal gibt es eben überhaupt kein Krankenhaus.
So begrüßt denn meine Fraktion den Vorschlag, jetzt ein Gesetz zu schaffen. Wir haben den dringenden Wunsch, daß dies recht bald geschieht; denn es ist zum Wohle unserer Schwestern und vor allem im Interesse der Gesundheit des gesamten Volkes.
({1})
Zum Schlußwort Frau Abgeordnete Kalinke!
({0})
- Verzichtet! Herzlichen Dank!
({1})
Meine Damen und Herren, Anträge sind nicht gestellt. Der Herr Bundesminister ist nicht als Abgeordneter, sondern als Bundesminister tätig geworden und hat nur eine Anregung gegeben.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der Deutschen Partei Drucksache Nr. 3687. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf den letzten Punkt der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der
CDU/CSU betreffend Hilfe für die sittlich
gefährdete Jugend in den Räumen Baumholder, Kaiserslautern, Bitburg und Worms
({2}),
und wiederhole meine Bitte um Abkürzung.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen zur Begründung 10 Minuten, zur Aussprache höchstens 60 Minuten vor. - Das Haus ist einverstanden.
Frau Abgeordnete Dietz, bitte, zur Begründung des Antrags.
Frau Dietz ({3}), Antragstellerin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich kurz zu diesem Antrag folgendes ausführen. Im Lande Rheinland-Pfalz sind an verschiedenen Orten Großbaustellen der Besatzungsmächte in Angriff genommen worden. Ich denke an den Raum Baumholder, an Worms, Kaiserslautern, Kreuznach, Bitburg und viele andere. In der Nähe des Dorfes Baumholder z. B. ist ein großes militärisches Zentrum entstanden, und die Zahl der Soldaten, die dort untergebracht ist, wird wahrscheinlich noch sehr erhöht werden, wenn die Planungsbauten einmal fertiggestellt sind. Zahlreiche Baufirmen sind dort tätig und beschäftigen viele Tausend Arbeiter, unter denen auch viele Jugendliche sind. Um diese jugendlichen Arbeiter geht es uns. Darauf bezieht sich unser Antrag. Denn diese jungen Menschen können nicht bei ihren Eltern wohnen, sie müssen an ihrem Arbeitsplatz bleiben und sich dort ein Unterkommen suchen. Da tauchen sie nur zu oft bei den Frauen unter, die als Troß der gut verdienenden Soldaten und Arbeiter dieses Gebiet bevölkern. Diese Frauen werden von den Arbeitern und Soldaten unterhalten. Sie
verdienen viel Geld und sind in der Lage, hohe Preise für Zimmer zu bezahlen, und die einheimische Bevölkerung gibt sie ihnen nur zu gern ab. Aber diese Frauen sind eine große sittliche Gefahr für unsere jugendlichen Arbeiter, sowohl für die, die von auswärts hinkommen, als für die Jugendlichen, die in den Familien leben, bei denen diese Frauen untergebracht sind.
Wenn hier nicht die Jugend größten Schaden leiden soll, dann müssen außerordentliche Maßnahmen getroffen werden. Es genügt auch nicht, daß wir defensive Maßnahmen ergreifen; wir müssen vorbeugende Arbeit leisten. Deshalb wird folgendes vorgeschlagen: erstens die Errichtung von Jugendwohnheimen für die auswärtigen jugendlichen Arbeiter. Hier sollen die Jugendlichen nach der Tagesarbeit zusammenkommen und sollen dort Ausspannung und Erholungsmöglichkeiten finden. Auch die einheimischen Jugendlichen können sich hier zusammenfinden. Zweitens: die Einrichtung eines oder mehrerer Asyle für gefährdete weibliche Jugendliche - die sich dort herumtreiben -, damit sie einmal vorläufig in diesen Asylen untergebracht werden.
Lassen Sie mich zusammenfassend sagen, daß die Statistik der Fürsorge zeigt, daß in allen Gebieten der Bundesrepublik die Zahlen der Fürsorgeerziehungsfälle zurückgegangen sind, daß sie sich aber im Lande Rheinland-Pfalz erhöht haben. Wir können wirklich sagen, daß unser Land in bezug auf die sittliche und moralische Gefährdung der Jugend heute Notstandsgebiet geworden ist, und die außerordentlichen Verhältnisse verlangen auch von uns, daß wir außerordentliche Maßnahmen ergreifen. Wir möchten wünschen, daß aus den Mitteln des Bundesjugendplans hier dem Land eine tatkräftige Hilfe zuteil wird.
Ich beantrage also, diesen Antrag dem Ausschuß für Jugendfürsorge zu überweisen. Wir müssen alles tun, damit unsere Jugend in einer Atmosphäre körperlicher und seelischer Sauberkeit aufwachsen kann.
({4})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den Räumen Baumholder, Kaiserslautern, Bitburg und Worms sind tatsächlich besondere Maßnahmen notwendig. Die Bundesregierung hat sich mit der Landesregierung von Rheinland-Pfalz, mit den freien Wohlfahrtsverbänden und mit den örtlichen Fürsorgeorganisationen schon weitgehend abgestimmt, inwieweit durch Hilfsmaßnahmen zunächst der Stadt- und Landkreise, der Landesregierung und der Wohlfahrtsverbände Abhilfe für die Jugend und gegen die Gefährdung der Jugendlichen geschaffen werden kann.
Zur Zeit kann ich über folgende Ergebnisse berichten. Der Bau von Jugendwohnheimen im Lande Rheinland-Pfalz wird im Rahmen des Bundesjugendplans besonders verstärkt. Das Land Rheinland-Pfalz ist unterrichtet worden, daß nach einer neuen Entschließung des Kabinetts zu den 20 Millionen DM, die im Bundesjugendplan auch für die Erbauung von Wohnheimen vorgesehen sind, noch einmal 10 Millionen DM aufgewandt werden, so daß also insgesamt 30 Millionen DM bereitgestellt werden. Es wird versucht werden, darüber hinaus noch weitere Mittel zur
({0})
Verfügung zu stellen. Das Land Rheinland-Pfalz ist benachrichtigt, daß diese Anträge von ihm bis zum 10. dieses Monats gestellt werden müssen. Beratungen mit den Ländern sind auf den 16. Oktober angesetzt, und nach einer Beratung mit den Mitgliedern des Aktionsausschusses des Bundeskuratoriums am 17. Oktober hoffen wir, über alle diese Anträge entscheiden zu können.
Über die Förderung von Jugendwohnheimen hinaus sind von der Bundesregierung weitere Mittel bereitgestellt worden, um einige wenige sogenannte Wohnheime Nr. II erbauen und bewirtschaften zu können. In diese Wohnheime Nr. II sollen gefährdete weibliche Jugendliche aufgenommen werden, die durch örtlich arbeitende Fürsorgekräfte sofort aus den gefährdeten Gebieten herausgenommen werden sollen, um in erzieherisch-fürsorgerisch besonders gut geleiteten Heimen wieder in geordnete Arbeitsverhältnisse gebracht zu werden. Sie werden von diesen Heimen aus dann in normale Jugendwohnheime übergeführt. Diese Jugendwohnheime sollen abseits der gefährdeten Gebiete errichtet werden. In den gefährdeten Gebieten selber wird es genügen, in kleinen, aber gut geleiteten Vorasylen mit besonders ausgewählten Fürsorgern zu arbeiten. Mit der Durchführung dieser besonderen Gefährdetenfürsorge ist bereits begonnen worden. Der gesamte Finanzierungsplan dieser laufenden Arbeit wird mit den zuständigen Stellen zur Zeit durchberaten. Soweit die Bundeszentralen der freien Wohlfahrtsverbände für die Durchführung der Arbeit in diesen Gebieten bereits Anträge auf finanzielle Förderung vorgelegt haben, sind für bereits angelaufene Hilfsaktionen auch besondere Mittel bereitgestellt worden.
Die laufende Fürsorgearbeit der Stadt- und Landkreise wird durch die Bundesregierung insoweit gefördert, als die örtlich im Einzelfall entstehenden Kosten für Jugendliche aufgewendet werden, die dem Kreis der Kriegsfolgenhilfeempfänger angehören. In solchen Fällen werden, wie ich vorhin schon für die Weihnachtsbeihilfe und die Winterbeihilfe ausführte, 85 % der anfallenden Kosten vom Bund erstattet.
Im übrigen aber ist die Fürsorge für die gefährdete Jugend ja nicht Sache des Bundes, sondern Sache der Stadt- und Landkreise bzw. der Landesregierung. Die finanzielle Förderung von Kindergärten, Tagesstätten und Kinderhorten ist auch Sache der Stadt- und Landkreise bzw. der Landesregierung, weil die Förderung dieser Maßnahmen im Rahmen des § 4 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes in den Zuständigkeitsbereich der Stadt- und Landkreise gehört.
Ich muß nun im Einvernehmen mit dem Kollegen von der Justiz noch etwas sagen. Auch durch besondere gerichtliche und strafrechtliche Maßnahmen greifen wir in diesen Fällen ein. Es handelt sich um die gerichtliche Verfolgung der Kuppelei und von Fällen des § 361 Nummer 6 des Strafgesetzbuches, d. h. Fällen der gewohnheitsmäßigen Unzucht in Wohnungen und Häusern, in denen Jugendliche wohnen, oder an Orten, die zum Besuch durch Jugendliche bestimmt sind. Wir hoffen, damit der Gefährdung von Jugendlichen begegnen zu können. Für bestimmte Landkreise ist inzwischen auf Grund des § 361 Nummer 6 c des Strafgesetzbuches durch Anordnungen des Ministers des Innern von Rheinland-Pfalz die Bewerbs- und gewohnheitsmäßige Ausübung der
Unzucht in Gemeinden von weniger als 20 000 Einwohnern verboten worden. Die Generalstaatsanwälte sind auf die Durchführung dieser Maßnahmen besonders hingewiesen worden. Endlich hat eine Besprechung über die besondere Bekämpfung der Prostitution in den genannten Gebieten zwischen Vertretern der Landesregierung von Rheinland-Pfalz und den zuständigen Truppenkommandos stattgefunden in der Richtung, daß eine verstärkte Überwachung des Verkehrs an Bahnhöfen, in Gaststätten und an anderen geeigneten Stellen durch verschärfte Kontrolle des Verkehrs stattfindet und dadurch Abhilfe geschaffen wird.
Die Ermittlungen über den Umfang der schwebenden Strafverfahren laufen noch. Ich kann darüber im Augenblick noch nichts berichten. Aber ich glaube, daß wichtiger als diese strafrechtlichen Maßnahmen, die ich nur zur Ergänzung des gesamten Vorgehens dem Hohen Hause vorgetragen habe, die eingangs erwähnten positiven Maßnahmen zum Schutze der Jugend sind.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Ilk.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich bin sehr dankbar dafür, daß der Herr Innenminister bereits Erklärungen dahin abgegeben hat, daß von seiten der Bundesregierung alles getan wird, um diesen Notständen dort abzuhelfen. Meine Fraktion hätte den gestellten Antrag aus ganzem Herzen unterstützt.
Aber darüber hinaus ist es wohl unsere Pflicht, vom Bundestag aus einmal an die Eltern, die in diesem Gebiete wohnen, die ernste und eindringliche Mahnung zu richten, nicht um des Gelderwerbs willen das sittliche Wohl ihrer Kinder aufs Spiel zu setzen und sich daran zu erinnern, daß sie verpflichtet sind, nicht nur für das leibliche, sondern auch für das seelische Wohl ihrer Kinder zu sorgen. Es ist sehr bedauerlich, daß an solchen Orten wie den hier genannten sich immer eine Menge leichtlebiger Frauen und Mädchen zusammenfindet, und zwar an Orten, wo auch viele Ausländer zusammengezogen sind. Dadurch ist schon verschiedentlich im Ausland das falsche Bild entstanden, daß die Masse unserer weiblichen Jugend einem wenig guten Lebenswandel anheimgefallen ist. Es ist mir eine Pflicht - und ich glaube, daß Sie mir darin zustimmen -, einmal von dieser Stelle mit aller Eindringlichkeit zu erklären, daß diese leichtlebigen Personen nur einen ganz winzigen Bruchteil unserer weiblichen Jugend ausmachen
({0})
und daß unsere weibliche Jugend in ihrer Mehrzahl fleißig, sauber und anständig und gesund an Leib und Seele ist.
({1})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Nadig.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Antrag der CDU-Fraktion weist auf Vorgänge hin, die wir leider nicht nur im Lande Rheinland-Pfalz, sondern die wir überall dort finden, wo Truppen in größerem Maße zusammengezogen sind. Ich erinere an die Verhältnisse zur Zeit der Luftbrücke in Celle, an die Zustände in Mannheim, in Kitzingen, in Unterfranken, wo mit der Zunahme der Truppen automa({0})
tisch das Dirnentum angewachsen ist und wo sich fast unerträgliche Verhältnisse entwickelt haben. Denken Sie auch an die letzten Dinge in Bonn; der hier eingeleitete Schulstreik hat seine Ursache doch auch in ähnlichen Verhältnissen.
Dirnentum hat es in allen Jahrhunderten gegeben. Seine tiefere Ursache liegt in den sozial-wirtschaftlichen Verhältnissen. In Zeiten der Armut und der Not ist das Dirnentum immer sehr stark angewachsen. In der Gegenwart kommen die besonderen Verhältnisse, großer Frauenüberschuß und besetztes Land, hinzu. In diesem Zusammenhang weise ich auf die gegenwärtige Arbeitslosenzahl der Frauen hin, die um vieles höher als die der Männer liegt. Hier wäre Vollbeschäftigung und Arbeitsvermittlung die beste Lösung. Es ist eine Mahnung an die Regierung und die Arbeitsamtsbehörden, die notwendigen Maßnahmen einzuleiten. Durch Symptombehandlung ist eine Lösung des Problems nicht zu erreichen. Auf keinen Fall wollen wir, daß man auf Bordellierung und Kasernierung zurückgreift. Beides hat sich in der vergangenen Zeit als ein großer Irrtum in der Bekämpfung des Dirnentums erwiesen, ja, das Gegenteil des Gewollten wurde erzielt. Bordelle und Quartierstraßen bilden immer wieder einen sensationellen Anziehungspunkt für die Jugendlichen. Wenn wir eine ernsthafte Bekämpfung des Dirnentums wollen, müssen wir zu anderen Maßnahmen kommen.
Wir wollen positive Maßnahmen. Das hat eben der Herr Innenminister schon unterstrichen. Das Bemühen um den Schutz der Jugendlichen muß so zeitig wie möglich einsetzen. Weil bekannt ist, daß Väter und Mütter über alles viel eher als über Sexualfragen - in der Schule ist es das gleiche - mit ihren Kindern sprechen, weil wir wissen, daß die Eltern diese Aufgabe kaum oder nur ganz unzureichend erfüllen, müssen wir eine zweitbeste Lösung erstreben. Diese ist nach unserer Auffassung die Einführung eines sexualpädagogischen Unterrichts in allen Volks- und höheren Schulen, eines Unterrichts, der sich nicht nur auf die Berufsschulen erstreckt, wo wir ihn teilweise schon haben, sondern der systematisch schon in den Volksschulen beginnt und sich dann aufbaut. Wir wissen, daß die Einführung eines solchen Unterrichts nicht einfach ist, daß er die Schulung und Heranbildung der Lehrer voraussetzt. Wir glauben aber, daß wir durch einen guten sexualpädagogischen Unterricht einen wesentlichen Schritt vorwärts tun. Außerdem wäre es von besonderer Wichtigkeit, Einfluß auf die öffentliche Meinung in bezug auf die pädagogische Sexualerziehung auszuüben. Als organische Maßnahme scheint uns der stärkere Einsatz der weiblichen Polizei in sozialpädagogischem Sinne notwendig. Gewiß haben wir auch zur Zeit schon weibliche Polizei, aber auf dem Land und in den kleinen Orten viel zuwenig. Hinzu kommt, daß ihr Aufbau und ihre Verwendung beinahe in jedem der elf Länder verschieden ist. Gewiß ist das eine der Erscheinungen unserer Polizei überhaupt. Bei der weiblichen Polizei ist eine stärkere Vereinheitlichung und eine Anpassung an die sexualpädagogischen Aufgaben wichtig und notwendig.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat sich kürzlich recht fortschrittlich erwiesen. Der Herr Innenminister hat die Aufhebung der Bordelle verfügt und ihre Wiedereinrichtung verboten. Ich hoffe, daß dieses gute Beispiel die anderen Länder folgen läßt und daß dadurch doch einmal unser guter
Kulturstand dokumentiert wird. Mit der Aufhebung der Bordelle allein ist es nicht getan. Wenn wir die Prostitution wirkungsvoll bekämpfen wollen, ist eine sozial-pädagogische Betreuung dieser Frauen und Mädchen durch Spezialfürsorgerinnen notwendig. Ohne diese Einflußnahme ist ihre Eingliederung in das soziale Leben und in Arbeitsverhältnisse kaum möglich. Wir halten die Wiedererrichtung von Pflegeämtern für unerläßlich, weil sonst die Aufhebung der Bordelle nur eine halbe Maßnahme darstellt. Die jetzige Situation fordert von uns umfassende Maßnahmen. Deshalb der Antrag an die Bundesregierung, im Interesse eines echten Jugendschutzes den Ländern für die Durchführung folgender Aufgaben Mittel über den Bundesjugendplan zur Verfügung zu stellen.
Erstens: Einführung eines sexualpädagogischen Unterrichts im gesamten Bundesgebiet für alle Volks- und höheren Schulen; zweitens: a) Verstärkung der weiblichen Polizei und ihre vordringliche Verwendung auf sozialpädagogischem Gebiet; b) Hinwirkung auf eine möglichst einheitliche Vor- und Ausbildung der weiblichen Polizei; drittens: Wiedereinrichtung von Pflegeämtern zur Bekämpfung des Dirnentums.
({1})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Thiele.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Dieser Antrag zeigt, welche Nachteile das längere Verbleiben der Besatzungstruppen in unserem Lande hat. Ich bin der Meinung, die Diskussion und auch der Antrag selbst gehen völlig am Kernproblem vorbei. Es ist doch nicht so, daß unsere Frauen, unsere Jungen und Mädel schuldig sind, sondern schuldig sind diejenigen, die sie in die Situation hineingebracht haben. Ich bin sehr einverstanden mit Frau Dietz, wenn sie sagt, daß ganz Rheinland-Pfalz ein Notstandsgebiet ist. Jawohl, es ist ein Notstandsgebiet. Aber warum? Weil dort heute bereits Kriegsschauplatz ist. Die ganze Rote Zone ist ein einziges Kriegsaufmarschgebiet, und dort herrschen die Verhältnisse, mit denen Sie sich heute beschäftigen müssen.
Auf einer Tagung von Jugenddelegierten und Wohlfahrtsverbänden, die kürzlich in Düsseldorf stattgefunden hat, wurde in einem Bericht hervorgehoben, daß die Jugend seit Jahrhunderten nicht mehr derart gefährdet worden sei wie heute. Das ist in der Tat so. Ganz besonders kraß tritt die sittliche Gefährdung der Jugend dort in Erscheinung, wo die Besatzungstruppen konzentriert sind und nicht nur bei Kriegsübungen, sondern auch in der übrigen Zeit die Bevölkerung in Angst und Schrecken halten.
Wenn ich mir anhören muß, was für eine Perspektive der Herr Innenminister Lehr für unsere Jugend in jenen Gebieten aufstellt, dann muß ich sagen, das ist wahrlich nicht erfreulich für unsere Jugend. Sie wollen in den Gebieten, wo die Besatzungstruppen solche Verhältnisse schaffen, Zwangserziehung anordnen, Asyle und alle solche Dinge einrichten; sie wollen mit Polizeimaßnahmen dort vorgehen, während eine andere Schlußfolgerung notwendig gewesen wäre. Um Truppenübungsplätze, Kasernen und Baustellen der f remden Besatzer herum sind heute sogar schulpflichtige und minderjährige Mädchen anzutreffen und dort in eine solche Situation hineingebracht worden.
({0})
So berichtet der Bürgermeister von Kaiserslautern, daß bei einer Razzia in der Dännerkaserne über 20 Mädchen und Knaben unter 14 Jahren ermittelt und festgenommen wurden, mit denen die amerikanischen Besatzer Unzucht getrieben hatten. Seitdem in Wiesau ein Kriegsflugplatz gebaut wird, sind ähnliche Dinge, die unsere Jugend verderben, dort an der Tagesordnung. Mitte des Jahres gab es in dem vom Antrag umschriebenen Gebiet 3368 uneheliche Kinder, aber nur 4 Besatzer zahlen Alimente. Meldungen über Vergewaltigungen, Mißhandlungen an deutschen Frauen und Mädchen durch die amerikanischen Besatzungstruppen sind fast täglich in der westdeutschen Presse und insbesondere in der Lokalpresse zu lesen.
Es gibt eine Reihe von Beispielen, die Ihnen bekannt sind. Ein junger Einwohner aus Gimbsweiler brachte nach einer Tanzveranstaltung sein Mädchen nach Hause. Plötzlich stürzten sich drei USA-Soldaten auf ihn und brachten ihm schwere Verletzungen mit dem Rasiermesser bei. In Pirmasens mißhandelte ein amerikanischer Besatzungssoldat ein junges Mädchen mit solcher Brutalität, daß es in ein Krankenhaus eingeliefert werden mußte. - Auf der Straße von Kusel nach Dielenkopf versuchten zwei amerikanische Soldaten eine 27jährige Ehefrau ins Auto zu zerren, wobei ihr sämtliche Kleider zerrissen wurden.
Also nicht unsere Frauen sind schuld, sondern schuld sind die Verhältnisse, die durch die Besatzungstruppen geschaffen werden. Deutsche Frauen und Mädchen sind leider billige Vergnügungsobjekte für amerikanische Offiziere und Soldaten geworden.
Eine andere Seite der Gefährdung der Jugend ist das Wohnungselend in diesem Gebiet. Elendsbaracken sind es, die in Kaiserslautern zwischen der Hauptverkehrsstraße nach Mainz und der Fabrikanlage der Zschocke-Werke stehen. 2000 Menschen vegetieren dort unter unwürdigsten Verhältnissen. Zumeist sind es kinderreiche Familien. In Zweizimmerwohnungen müssen durchschnittlich sieben Personen zusammensein; in vielen Wohnungen müssen daher erwachsene Geschwister beiderlei Geschlechts in einem Zimmer wohnen. Angesichts dieser der Zivilisation Hohn sprechenden Zustände wurden in dem gleichen Gebiet modern eingerichtete Besatzungswohnungen gebaut; in dem gleichen Gebiet werden auch immer neue Kriegsflugplätze, Kasernen und Flugzeuge gebaut.
({1})
Es ist also Geld dafür vorhanden.
Wollen Sie der sittlichen Gefährdung unserer Jugend unter diesen Umständen wirklich entgegentreten,
({2})
dann genügt nicht die Einrichtung von Tagesstätten, von Asylen, dann genügen nicht die Maßnahmen, die Ihnen der Herr Innenminister Lehr genannt hat, sondern dann müssen Sie eine einzige Forderung stellen: Schluß mit der Kriegsvorbereitung, Abzug der Besatzungstruppen!
({3})
Der Abzug der Besatzungstruppen ist möglich, wenn Sie sich zum Zwecke einer friedlichen Verständigung zusammensetzen mit den Vertretern der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik,
({4}) damit wir einen Friedensvertrag bekommen. Dann können wir der Lösung auch der Probleme der deutschen Jugend nähertreten.
({5})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung.
Frau Abgeordnete Dietz hat beantragt, diesen Antrag dem Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge zu überweisen. Oder wünschen Sie, direkt abzustimmen?
({0})
- Überweisung! Ich bitte die Damen und Herren, die der Überweisung an den Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Die Überweisung ist erfolgt.
Ich darf noch darauf hinweisen, daß nach einer Vereinbarung im Ältestenrat die nächste Fragestunde nicht am 8. Oktober, sondern am 22. Oktober stattfindet. Ich bitte, die Fragen für die Fragestunde bis Freitag, den 17. Oktober, 12 Uhr, einzureichen.
Ich weise darauf hin, daß nach der Vereinbarung im Ältestenrat in der nächsten Woche eine Sitzung nicht am Mittwoch, dem 8., sondern am Donnerstag, dem 9. Oktober, 13 Uhr 30, stattfindet; also nur eine Sitzung in der nächsten Woche. Ich berufe diese Sitzung auf Donnerstag, den 9. Oktober, 13 Uhr 30, und schließe die 232. Sitzung.