Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 228. Sitzung des Deutschen Bundestages in der Hoffnung, daß Sie durch die sitzungsfreie Zeit die Kräfte zu einer ersprießlichen Weiterarbeit des Deutschen Bundestages gesammelt haben.
Auch heute wieder
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ist ein Platz dieses Hauses mit Blumen geschmückt, zum Gedenken an einen Abgeordneten, der aus unserem Kreise durch den Tod abgerufen worden ist. Es ist in diesem Saale bereits mehrfach des Heimganges des Herrn Abgeordneten Dr. Kurt Schumacher gedacht worden. Die Daten seines Lebens sind uns allen bewußt, und ich brauche sie nicht noch einmal in Erinnerung zu rufen. Aber wir wollen heute, da das Plenum des Bundestages sich wieder versammelt hat, seines Heimganges herzlich gedenken.
Vielleicht ist der Tod eines Kollegen leider der einzige Vorgang, der uns durch die politischen Meinungsverschiedenheiten hindurch zu einem gemeinsamen menschlichen Gefühl und Besinnen zusammenführt. Wir gedenken der menschlichen Tragik dieses Lebens, dessen einzelne Stationen uns bewußt sind und die wir so oft vor uns gesehen haben. Wir erinnern uns der Tatsache, daß dieses Leben besonders in den letzten zwanzig Jahren mit seinem Leiden, aber auch mit seinen Entscheidungen und seinem Kampf das politische Geschick unseres Volkes in bewegender Weise begleitet hat. Wir wären unwahrhaftig, wenn wir an einem Grab politische Meinungsverschiedenheiten und politische Kämpfe bagatellisierten. Wir würden sie damit auch für den Heimgegangenen entwerten. Sie haben ihr Recht, und haben es um so mehr, je geprägter der Mann ist, der in diesem Kampf steht. Aber wir sind in unserem Volk so
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arm an politisch geformten Persönlichkeiten, die imstande sind, über ihren persönlichen Bereich hinaus prägend zu wirken, daß wir, wenn wir ihnen begegnen, ungeachtet aller verschiedenen Ansichten dafür dankbar sein müssen.
In dieser Achtung darf ich namens des ganzen Hauses der Sozialdemokratischen Partei und Fraktion unser herzliches Beileid zu dem schweren Verlust, der sie und uns alle getroffen hat, aussprechen.
Sie haben sich, meine Damen und Herren, zu Ehren des Herrn Abgeordneten Dr. Schumacher von den Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen. Ich möchte nicht unterlassen, auch hier darauf hinzuweisen, daß ich dem Herrn Abgeordneten Weinhold am 31. Juli und der Frau Abgeordneten Dr. Steinbiß am 19. August zur Vollendung des 60. Lebensjahres herzliche Glückwünsche übermittelt habe.
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Der Herr Abgeordnete Fürst zu Oettingen-Wallerstein hat zum 1. September aus gesundheitlichen Gründen sein Mandat niedergelegt. An seine Stelle ist von der Landesergänzungsliste Bayern der Abgeordnete Maerkl in den Bundestag eingetreten. Ich heiße ihn herzlich willkommen und wünsche ihm eine erfolgreiche Arbeit in unserem Kreise.
Die Fraktion der Deutschen Partei hat unter dem 4. September mitgeteilt, daß sie das Hospitantenverhältnis mit dem Abgeordneten Bahlburg gelöst hat.
Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit für die Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten. Matzner, Schriftführer: Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach die Abgeordneten Tichi für weitere drei Monate, Dr. Laforet für sechs Wochen, Meyer ({3}) für acht Wochen, Dr. Povel für acht Wochen, Dr. Doris für vier Wochen, Margulies für vier Wochen, Böhm für zwei Wochen und Henßler für weitere vier Wochen, alle wegen Krankheit.
Ich darf unterstellen, daß dieser Urlaub, soweit er über eine Woche hinausgeht, genehmigt ist. - Das ist der Fall.
Der Präsident hat Urlaub erteilt für zwei Tage den Abgeordneten Dr. von Merkatz, Mauk, Dr. Vogel, Dr. Dresbach, Karpf, Höfler, Frühwald, Struve, Dr. Bergstraeßer, Dr. Ott, Wönner, Frau Hütter, Dr. Horlacher, Wittmann, Dr. von Brentano, Pelster, Dr. Henle, Dr. Gerstenmaier, Dr. Pünder, Strauß, Ollenhauer, Wehner, Dr. Kreyssig, Dr. Schöne, Imig, Birkelbach, Blank ({0}), Dr. Preusker, Altmaier, Dr. Kopf, Mensing, Dr. Miessner und Dr. Solleder.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Gockeln, Bahlburg, Dr. Keller und Jacobs, für zwei Tage der Abgeordnete Dirscherl wegen Krankheit.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Deutsche Bundesrat hat in seiner Sitzung am 30./31. Juli 1952 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen:
Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1951;
Gesetz über die Erhöhung der Einkommensgrenzen in der Sozialversicherung und der Arbeitslosenversicherung und zur Änderung der Zwölften Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung;
Gesetz zur Ergänzung von Zuständigkeiten auf den Gebieten des Bürgerlichen Rechts, des Handelsrechts und des Strafrechts ({0});
Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Umsiedlung von Heimatvertriebenen aus den Ländern Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein;
Gesetz über das Abkommen über Meistbegünstigung vom 16. November 1951 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Libanon;
Gesetz über Zollbegünstigungen;
Gesetz über das am 25. April 1952 unterzeichnete Zusatzabkommen zum Zollvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft;
Gesetz zur Änderung der Zweiten Durchführungsverordnung zum Bremischen Übergangsgesetz zur Regelung der Gewerbefreiheit vom 14. Februar 1949;
Gesetz über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat betreffend Gastarbeitnehmer;
Gesetz über das Abkommen vom 18. Januar 1952 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien betreffend Gastarbeitnehmer;
Gesetz über das Abkommen vom 18. Januar 1952 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dein Königreich Belgien betreffend Grenzgänger;
Zweites Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes;
Zweites Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Besoldungsrechts;
Gesetz über die Deckung der Rentenzulagen nach dem Rentenzulagengesetz im Haushaltsjahr 1952;
Gesetz über das Bundesverwaltungsgericht;
Gesetz zur Änderung der §§ 1274 ff. der
Reichsversicherungsordnung; Betriebsverfassungsgesetz;
Gesetz zur Bereinigung von deutschen Schuldverschreibungen, die auf ausländische Währung lauten ({1});
Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete des Kostenrechts;
Drittes Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin ({2});
Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Verkehr mit Milch, Milcherzeugnissen und Fetten ({3});
Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über die Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiet der Sozialversicherung ({4}).
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Zum Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Binnenschiffahrts- und Rheinschiffahrtssachen und zum Gesetz zur Abwicklung und Entflechtung des ehemaligen reichseigenen Filmvermögens hat der Bundesrat beschlossen, die Einberufung des Vermittlungsausschusses zu verlangen.
Dem Bundesjagdgesetz hat der Bundesrat nicht zugestimmt; die Bundesregierung hat daher die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangt.
Der Bundesminister der Finanzen hat unter dem 19. August 1952 die Kleine Anfrage Nr. 256 der Abg. Frau Meyer-Laule und Genossen betr. Wohnungsbeschlagnahme in Heidelberg - Drucksache Nr. 3270 - abschließend beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3660 vervielfältigt.
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts hat unter dem 19. August die Kleine Anfrage Nr. 286 der Fraktion der FU ({6}) betr. Vertretung der Bundesrepublik in den arabischen Ländern - Drucksache Nr. 3616 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3659 vervielfältigt.
Der Bundesminister des Innern hat unter dem 5. August 1952 die Kleine Anfrage Nr. 287 der Fraktion der FU ({7}) betr. Vorlage eines Parteiengesetzes - Drucksache Nr. 3617 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3657 vervielfältigt.
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts hat unter dem 7. August 1952 die Kleine Anfrage Nr. 288 der Fraktion der FU ({8}) betreffend Personelle Besetzung des Auswärtigen Amts - Drucksache Nr. 3618 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3662 vervielfältigt.
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts hat unter dem 11. August 1952 über das von der Bundesregierung zum Beschluß des Bundestages in seiner 222. Sitzung betreffend Wiedervereinigung Deutschlands Veranlaßte berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3656 vervielfältigt.
Der Stellvertreter des Bundeskanzlers hat unter dem 13. August 1952 über die Erledigung des Beschlusses des Deutschen Bundestages in seiner 166. Sitzung betreffend Ausbau der Bundesstraßen 51 und 54 berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3661 vervielfältigt.
Der Stellvertreter des Bundeskanzlers hat unter dem 7. August 1952 über die Schritte der Bundesregierung zum Beschluß des Bundestages in seiner 186. Sitzung betreffend Ausdehnung der 50 %igen Ermäßigung der Arbeiterkarte für deutsche Seeleute auf einen Angehörigen für Besuchszwecke berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3665 vervielfältigt.
Der Bericht des Sprechers der Deutschen Vertreter in der Beratenden Versammlung des
Europarates vom 26. bis 30. Mai 1952 ist als
Drucksache Nr. 3653 vervielfältigt worden.
Ich habe darauf hinzuweisen, meine Damen und Herren, daß die nächste Fragestunde für Mittwoch, den 17. September, 13 Uhr 30, vorgesehen ist. Die Fragen müssen bis spätestens Freitag, den 12. September, 13 Uhr, in der Korrekturabteilung abgegeben sein.
Ich darf im übrigen darauf hinweisen, daß entsprechend der geschäftsordnungsmäßigen Verpflichtung der Deutsche Bundestag die zweite Auflage
des von Herrn Sänger im Cotta-Verlag erschienenen Handbuchs des Deutschen Bundestags sämtlichen Abgeordneten zuleiten wird.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes ({9}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen für die allgemeine Aussprache der ersten Beratung eine Aussprachezeit von 60 Minuten vor. - Das Haus ist damit einverstanden.
Meine Damen und Herren, darf 'ich bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß ein Abgeordneter, der zu Punkt 10 der Tagesordnung, betreffend Änderung der Reichsdienststrafordnung, zu sprechen hat und heute abend anderweitig verhindert ist, gebeten hat, den Punkt 10 etwa um 15 Uhr an die Reihe zu nehmen, eventuell die anderen Punkte der Tagesordnung etwas zurückzustellen. Ich nehme an, daß Sie damit einverstanden sind. - Das ist der Fall.
Zur Begründung des Gesetzentwurfs zur Änderung von Vorschriften des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes Herr Staatssekretär Ritter von Lex!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes bedeutet eine Novelle zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz vom 9. Juli 1922, das vom Reichstag seinerzeit einstimmig angenommen worden war. Dieses Reichsgesetz wollte das Recht des Kindes auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit gewährleisten, ohne daß dadurch die Rechte und Pflichten der -Eltern zur Erziehung berührt werden sollten. Mit dieser Einschränkung legte das Gesetz dem Staat die Verantwortung dafür auf, daß der Anspruch jedes deutschen Kindes auf Erziehung erfüllt würde. Unbeschadet der Mitarbeit freiwilliger Tätigkeit sollte öffentliche Jugendhilfe eintreten, soweit die Familie den Anspruch des Kindes nicht erfüllte.
Das Gesetz beabsichtigte, alle behördlichen Maßnahmen zur Förderung der Jugendpflege und Jugendfürsorge zu umfassen, und schuf zur Erfüllung der gesetzlichen Ziele Jugendwohlfahrtsbehörden als Organe der öffentlichen Jugendhilfe, deren Aufgaben und deren Verfassung - vorbehaltlich näherer Bestimmungen der Landesgesetzgebung - einheitlich für das Reich festgelegt wurden. Damit waren von der Gesetzgebungsseite her die Grundlagen für ein lückenloses Netz der Jugendhilfe in Stadt und Land geschaffen.
Durch die Verordnung über das Inkrafttreten des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes - die Verordnung vom 14. Februar 1924 wurden allerdings wichtige Aufgaben der Jugendämter ihres verpflichtenden Charakters entkleidet, so insbesondere die Aufgaben einer vorbeugenden Jugendhilfe, Diese wurden daher in der Folgezeit von den Jugendämtern nur auf freiwilliger Grundlage wahrgenommen. Dadurch wurden die großen erzieherischen Möglichkeiten des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes, die insbesondere die körperliche und die sittliche Gesunderhaltung der gesamten Jugend zum Ziele hatten, weithin nicht ausgeschöpft. Es konnten vielmehr überwiegend nur Maßnahmen für die sittlich gefährdete oder für die bereits verwahrloste Jugend durchgeführt werden,
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Einen weiteren schweren Einbruch in die ursprüngliche Konzeption des Jugendwohlfahrtsrechts brachte dann das Gesetz zur Änderung des Reichsgesetzes für Jugendwohlfahrt vom 1. Februar 1939. Die Geschäfte des Jugendamtes, die vorher durch ein Kollegium, zusammengesetzt aus leitenden Beamten der Gemeinde und aus Männern und Frauen, die in der Jugendwohlfahrt erfahren waren, geführt wurden, kamen jetzt gemäß den Vorschriften der Deutschen Gemeindeordnung von 1935 in die Hand des autoritär regierenden Bürgermeisters des sogenannten Dritten Reiches. Die vorhandenen Kollegien wurden ihrer Beschlußfunktion entkleidet und hatten als Beiräte keine Bedeutung mehr.
Alle an der öffentlichen und der freien Jugendwohlfahrt interessierten Kreise erstreben daher seit 1945 eine möglichst sinnvolle Wiederherstellung des alten Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes. Fachausschüsse haben Vorschläge ausgearbeitet, die der Öffentlichkeit wie auch der Bundesregierung zugeleitet wurden. In Verbindung mit diesen Fachkräften, insbesondere den Jugendbehörden der Länder, den kommunalen Spitzenverbänden, den Wohlfahrts- und Jugendverbänden, den Wohlfahrtsschulen, ist die Ihnen im Entwurf vorliegende Novelle zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz ausgearbeitet worden.
Die Novelle beschränkt sich auf die nach Ansicht der Fachkreise zur Zeit vordringlichen Änderungen, vor allem mußte der organisatorische Aufbau der Jugendämter klargestellt werden. Das Gesetz zur Änderung des Reichsgesetzes für Jugendwohlfahrt vom Februar 1939 in Verbindung mit der Deutschen Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 hatte, wie ich vorhin schon erwähnt habe, das nationalsozialistische Führerprinzip auch im Jugendamt verankert. Zwar ist dieses nationalsozialistische Recht in den einzelnen Ländern durch das Recht der neuen Gemeindeordnung ersetzt worden. Dadurch finden die neuen demokratischen Gemeinde-, Kreis- und Landesverfassungen auf die Führung der Geschäfte der Jugendämter Anwendung. Es besteht jedoch noch so lange Unklarheit, als nicht eine klare, für alle Länder möglichst einheitliche Neuregelung der Organisation der Jugendämter geschaffen worden ist.
Der Bund ist berechtigt, das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz zu ändern, da es nach Art. 124 und 125 des Grundgesetzes als Bundesrecht fortgilt. Nach diesen Bestimmungen wird das bisherige Reichsrecht dann Bundesrecht, wenn sein Gegenstand zur ausschließlichen oder zur konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes gehört. Da nach Art. 74 Ziffer 7 des Grundgesetzes und nach den Protokollen des Parlamentarischen Rates über die Ausschußsitzungen zu diesem Art. 74 Ziffer 7 die öffentliche Fürsorge im weitesten Sinne auszulegen ist und auch die gesamte Jugendwohlfahrt miterfassen soll, ist gemäß Art. 125 in Verbindung mit Art. 74 Ziffer 7 des Grundgesetzes das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz Bundesrecht geworden und unterliegt daher Änderungen durch den Bundesgesetzgeber.
Der Entwurf - auch das ist sehr wichtig - will unter Bezug auf Art. 84 des Grundgesetzes mit Zustimmung des Bundesrates die Einrichtung der Jugendamtsbehörden und das Verwaltungsverfahren durch Vorschriften regeln, die eine für das Bundesgebiet einheitliche organisatorische Basis für die sachgemäße Erledigung der Aufgaben der Jugendämter und der Landesjugendämter schaffen sollen.
Die Bestimmungen des Entwurfs lehnen sich stark an die alte Fassung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes an. Sie sichern dem Jugendwohlfahrtsausschuß die Bedeutung, die ihm bei jedem Jugendamt im Gesamtrahmen der Jugendhilfe schon nach dem Willen des Gesetzgebers des alten Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes zukommen sollte und die ihm bei der Bedeutung der Jugendarbeit für das Gesamtwohl auch unbedingt zukommen müßte. Die Verantwortung für die Erziehung der Jugend müssen alle im Jugendwohlfahrtsausschuß vertretenen Bürger der Gemeinde im Rahmen der bestehenden Gesetze, im Rahmen der Satzung des Jugendamtes und der Beschlüsse der poli- tischen Vertretungskörperschaft neben dem Jugendamt tragen. Es geht darum, gerade auf dem Gebiet der Jugendwohlfahrt eine echte Demokratie zu verwirklichen und den Bürgern, die durch freie Mitarbeit am Gemeinwohl Gemeinsinn beweisen, auch eine Mitverantwortung zu übertragen.
Die Verantwortung der politischen Vertretungskörperschaft der Gemeinde oder des Gemeindeverbandes - und das ist jetzt eine sehr wichtige Frage -, wie sie die Kommunalordnungen vorsehen, soll dadurch in keiner Weise beeinträchtigt werden. Die Vertretungskörperschaft soll über den Haushalt entscheiden. Sie soll gemäß landesrechtlichen Vorschriften die Satzung erlassen. Sie soll den Jugendwohlfahrtsausschuß berufen, dem neben Angehörigen der Vertretungskörperschaft und neben den leitenden Beamten der an der Jugendwohlfahrt besonders beteiligten Behörden auch erfahrene Männer und Frauen aller Bevölkerungskreise angehören sollen, insbesondere auch aus den Wohlfahrts- und aus den Jugendverbänden. Dieser Jugendwohlfahrtsausschuß soll im Rahmen der Satzung und im Rahmen der Beschlüsse der Vertretungskörperschaft über die Angelegenheiten der Jugendhilfe beschließen. Der Leiter des Jugendamtes soll die laufenden Geschäfte im Rahmen der Satzung und im Rahmen der Beschlüsse der zuständigen Vertretungskörperschaft und des Jugendwohlfahrtsausschusses führen. Diese Regelung für die Jugendämter muß sinngemäß auch für die Landesjugendämter, die der Koordinierung und der Unterstützung der Arbeit der Jugendämter dienen sollen, und auch für die Jugendbehörden der Stadtstaaten gelten.
Neben diesen vorwiegend organisatorischen Fragen, meine Damen und Herren, befaßt sich die Novelle mit der teilweisen Aufhebung der Verordnung vom 14. Februar 1924, jener Verordnung, die damals so weh getan hatte, weil sie ja die Pflichtaufgaben zu fakultativen Aufgaben erklärt hatte. Die Novelle will erreichen, daß die Pflichtaufgaben der Jugendämter wieder in dem Umfange hergestellt werden, wie es durch die Schöpfer des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes seinerzeit beabsichtigt war.
Die Novelle erklärt ferner die Aufgaben der Jugendämter, die in den §§ 3 und 4 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes festgelegt sind, zu Selbstverwaltungsangelegenheiten der Gemeinden und der Gemeindeverbände. Diese Bestimmung hat einige Diskussionen ausgelöst. Zur rechtlichen Seite ist folgendes zu sagen. Nach Art. 84 des Grundgesetzes gilt für alle gesetzlichen Vorschriften über die Zuständigkeit und über das Verfahren in Verwaltungssachen eine die übrigen Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes überlagernde Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Länder. Diese Vermutung kann aber durch ein Zustimmungsgesetz
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des Bundes, also durch ein Gesetz, dem der Bundesrat zustimmt, wieder ausgeschlossen werden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Abschließend muß ich noch erwähnen, daß die Ihnen heute vorliegende Fassung des Entwurfs nur zum Teil die Abänderungswünsche des Bundesrates berücksichtigt hat. Die Bundesregierung hat geglaubt, daran festhalten zu müssen, dem Bundestag vorzuschlagen, die öffentliche Jugendhilfe zu einer Selbstverwaltungsangelegenheit der Gemeinden und der Gemeindeverbände zu bestimmen.
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Der Bundesrat war im übrigen ja auch selbst der Überzeugung, daß die Länder Wert darauf legen, die öffentliche Jugendhilfe zur Selbstverwaltungsangelegenheit zu erklären, soweit diese Regelung in den einzelnen Ländern nicht ohnehin schon besteht. Es liegt im Interesse der Durchführung einer einheitlichen Jugendarbeit in allen Ländern des Bundesgebiets, daß die öffentliche Jugendhilfe im Rahmen der Bestimmungen der Novelle, die Ihnen vorliegt, bundeseinheitlich zu einer Selbstverwaltungsangelegenheit der Gemeinden und der Gemeindeverbände bestimmt wird.
Die Bundesregierung muß auch darauf Wert legen, daß entgegen dem Vorschlage des Bundesrats die im § 4 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes aufgeführten Aufgaben zu Pflichtaufgaben erklärt werden. Die seinerzeit durch die Notverordnung vom 14. Februar 1924 beschlossene Erklärung der Pflichtaufgaben des § 4 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes zu bloßen Kann-Aufgaben war aus rein finanziellen Gründen erfolgt. Sie hatte, wie ich eingangs schon erwähnt habe, zur Folge, daß sich die Jugendämter überwiegend nur der Gefährdetenfürsorge annahmen und die vorbeugende Fürsorge, die für unsere Jugendlichen unendlich wichtig ist, zurückgestellt haben. Inzwischen ist die Jugendnot so angewachsen, daß trotz der uns allen bekannten Finanznot dieses Kernstück des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes, vorbeugende Jugendhilfe zu treiben, nach Auffassung der Bundesregierung wieder in Kraft gesetzt werden muß, um einer stärkeren Gefährdung der Jugend in allen Stadt- und Landkreisen möglichst gleichmäßig entgegenwirken zu können. Es wird eine besonders wichtige Aufgabe dieses Hohen Hauses sein, diese für die öffentliche Jugendhilfe geradezu entscheidende Frage eingehend zu prüfen.
Es darf auch noch darauf hingewiesen werden, daß der vom Bundesrat vorgeschlagenen Ausnahmeregelung für die Organisation der Jugendämter in den Stadtstaaten nach nochmaliger eingehender Prüfung und Beratung mit Vertretern der Stadtstaaten von der Bundesregierung zwar grundsätzlich zugestimmt wurde, daß aber der Umfang der Ausnahmen im Interesse einer einheitlichen Jugendarbeit im gesamten Bundesgebiet nicht so weitgehend anerkannt werden konnte, wie es der Bundesrat vorgeschlagen hat. Die Bundesregierung glaubt, den Interessen der Stadtstaaten und ihrer besonderen verfassungsrechtlichen Lage in dem notwendigen Umfang nachgekommen zu sein.
Zum Schluß bitte ich, mir noch einen kleinen Hinweis zu gestatten. Die Bundesregierung wurde seinerzeit vom Bundestag beauftragt, ihm ein Rechtsgutachten darüber zukommen zu lassen, inwieweit das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz vom Jahre 1922 heute noch zu Recht bestehe. Ferner ersuchte der Bundestag um erne Aufstellung darüber, in welchem Umfang das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz in den Ländern heute noch als zu Recht bestehend anerkannt wird und auf Grund welcher Ausführungsbestimmungen und in welcher Weise die Durchführung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes in den Ländern zur Zeit gehandhabt wird. Ich habe mich zu diesen Fragen bereits in meinen vorstehenden Ausführungen kurz geäußert. Das vom Bundestag gewünschte Rechtsgutachten .und die vom Bundestag gewünschten Aufstellungen sind inzwischen aber noch besonders in eingehender Form seitens der Bundesregierung erstellt worden. Ich bitte zu entschuldigen, daß diese Unterlagen den Damen und Herren versehentlich noch nicht zugegangen sind. Sie werden bis zum Beginn der Ausschußberatungen auf jeden Fall in Ihrer Hand sein.
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Ich eröffne die allgemeine Besprechung der ersten Beratung.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Niggemeyer.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir freuen uns, bei dieser Gelegenheit sagen zu können, daß uns wohl nichts so sehr befriedigt wie die Tatsache, daß uns heute der Entwurf der Novelle zum RJWG zugeleitet worden ist Wir freuen uns - nicht nur diejenigen, die in der praktischen Jugendarbeit stehen oder sonst fachlich daran interessiert sind -, vor allem, glaube ich, im Namen aller Mitglieder des Ausschusses für Fragen der Jugendfürsorge zu sprechen, der ja wohl mit der Arbeit an diesem Gesetz beschäftigt werden wird. Dieser unserer besonderen Freude möchte ich hier Ausdruck geben, weil wir nun einmal Gelegenheit haben, an einem Gesetz zu arbeiten, das positive Maßnahmen für die Jugendarbeit in den Vordergrund stellen will. Ich sage das besonders, weil wir die undankbare Aufgabe hatten, bisher an Gesetzen zu arbeiten, die eine weitgehende Kritik vieler Kreise hervorgerufen haben. Ich erinnere an das Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit, ich erinnere an das Gesetz, das wir - so hoffe ich - in einer der nächsten Sitzungen verabschieden werden, an das Gesetz gegen die Verbreitung jugendgefährdender Schriften. Wenn ich gesagt habe, daß die Gesetze „Kritik weiter Kreise hervorgerufen haben", dann will ich hiermit doch bekunden, daß ich mich dieser Kritik natürlich nicht anschließe. Aber jetzt einmal Dinge zu schaffen, die für die Jugend positiv fördernd sein sollen, das beglückt uns.
Die Ausführungen des Herrn Staatssekretärs des Ministeriums des Innern bezüglich der Notwendigkeit der Novelle zum RJWG und bezüglich der Gesetzmäßigkeit der Vorlage dieses Gesetzes waren meiner Ansicht nach so klar und eindeutig, daß es nicht notwendig ist, darauf einzugehen. Trotzdem sei es mir gestattet, zu einigen Fragen der vorliegenden Novelle kurz Stellung zu nehmen und Fragen anzuschneiden, die sicherlich in der Arbeit des Ausschusses Diskussionen hervorrufen und die geklärt werden müssen.
Ich möchte zunächst noch mit einigen Worten auf die Ausführungen des Herrn Staatssekretärs eingehen. Der Herr Staatssekretär hat schon betont, daß einmal durch die Notverordnung des Jahres 1924 und vor allem durch die Änderung des Gesetzes im Jahre 1939 die Arbeit nach dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz, dessen Ziel vom Gesetzgeber damals ebenso gesehen wurde, wie wir es heute sehen, weithin gefährdet war. Durch die Notverordnung von 1924 wurde das Gesetz derartig ausgehöhlt, daß von den Jugendämtern im wesentlichen nur noch
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die Aufgaben, die sich aus der Jugendgefährdung ergaben, sowie - nur im Rahmen der zur Verfügung gestellten Mittel - die Aufgaben der fördernden Jugendhilfe wahrgenommen wurden. Durch das Gesetz von 1939 wurde das selbständige Arbeiten des Jugendamtsausschusses verbaut, des Jugendamtsausschusses, von dem wir wünschen, daß er in Zukunft ein „lebendiger" Jugendamtsausschuß werde. Das ist ein Begriff, der den Praktikern und Fachleuten in der Jugendpflegearbeit geläufig ist. Ein lebendiges Jugendamt fordern heißt zugeben, daß das Jugendamt in seiner alten Form nicht lebendig war. Die Gründe dafür sind in der Begründung angegeben. Ich habe sie angedeutet.
Ich möchte dazu noch einige Gedanken der Kritik sagen, die aber nicht rückwirkend anklagen, sondern die für die zukünftige Arbeit befruchtend wirken sollen. Mit dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz des Jahres 1922 wurde vollkommenes Neuland beschritten. Es brauchte eine gewisse Anlaufzeit, um irgendwie fruchtbar werden zu können. Es schuf das Jugendamt, also den Ausschuß mit seinem Vorsitzenden, dem Leiter der Behörde. Daß diese Ausschüsse im Laufe der ersten Jahre nicht besonders wirksam werden konnten, lag vielleicht daran, daß ihre Zusammensetzung zu repräsentativ war, daß die Fachleute in ihnen nicht zum Zuge kamen, daß der Leiter, der Vorsitzende, den Ausschuß als ein gewisses Hemmnis der Arbeit ansah und daß er daher den Ausschuß nur etwa ein- oder zweimal im Jahre zu einer Art Rechenschaftsbericht einberief, so daß dieser nicht zu einer praktischen Arbeit kam.
Die Vorschläge im neuen Gesetzentwurf lassen erkennen, daß die Wege, die jetzt beschritten werden sollen, zu einem „lebendigen" Jugendamt führen können. Die Änderung des Gesetzes im Jahre 1924 führte - das sei hier gesagt - vielfach zu einer Diffamierung des Jugendamtes. Denn das Jugendamt beschäftigte sich nach dieser Änderung in der Hauptsache nur mit der Gefährdetenfürsorge - es konnte sich nur mit dieser beschäftigen -, war also dazu verurteilt, Schutzaufsichten zu verhängen, Beschlüsse für die Fürsorgeerziehung zu fassen und mit Zwangsmaßnahmen in die Familie einzugreifen. Dadurch geriet es in der Bevölkerung in eine Diffamierung, die der Arbeit sehr abträglich war. Wie manche Fürsorgerin eines Jugendamtes ist in eine Familie hineingegangen und hat spüren müssen, wie sehr sie mit diesen falschen Vorstellungen des Begriffs „Jugendamt" kämpfen mußte, wie sie gegen eine Mauer anrennen und Mißverständnisse klären mußte, bis der echte Helferwille wirksam werden konnte. Das alles soll in dem kommenden Gesetz vermieden werden.
Nun hat der Herr Staatssekretär in seiner Begründung auf die wesentlichen Punkte hingewiesen. Die Begrenzung unserer Aussprachezeit läßt es nicht zu, über all das zu sprechen, was ja sicher in der Ausschußarbeit weitgehend zur Sprache kommen wird. So ist angeschnitten worden, daß die Novelle zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz vorsieht, daß die Aufgaben der Jugendpflege keine Selbstverwaltungsaufgaben der Gemeinden und Gemeindeverbände sein sollen. Ohne hier endgültig zu dieser Frage Stellung zu nehmen und auch ohne sagen zu wollen, daß ich oder wir Gegner der reinen Selbstverwaltungsaufgabe seien, sei es mir doch gestattet, auf einige Fragen wenigstens aufmerksam zu machen, die in der Ausschußarbeit geklärt werden müssen. Da ist etwa die Frage, ob bei der reinen Selbstverwaltungsaufgabe die im ursprünglichen Reichsjugendwohlfahrtsgesetz niedergelegten Begriffe der Arbeit erhalten bleiben, ob es möglich ist, daß das echte Subsidiaritätsprinzip gewahrt wird und wie es möglich ist, daß keine Spaltung der Arbeit in der Jugendpflege herbeigeführt wird. Ich erwähne diese Gedanken nur als Fragen, ohne näher darauf einzugehen. Ich erinnere weiter etwa daran, ob es möglich sein wird, die Jugendpflegearbeit der Justiz in Einklang mit einer reinen Selbstverwaltungsaufgabe des Jugendamts zu bringen. Eine weitere Frage ist, ob die Justizverwaltung etwa gewillt sein wird, ihre Probation-officers, die sie einsetzen will, unter die Kontrolle des jeweiligen Jugendamts zu stellen. Auch über diese Frage wird eine Entscheidung getroffen werden müssen.
Das alles sind Dinge, die im Ausschuß nach jeder Seite hin beleuchtet und geklärt werden müssen. Ich begrüße besonders all das, was in den §§ 9 bis 14 über die Neuformung des Jugendamts niedergelegt ist; ich begrüße, daß klar gesagt wird, daß das künftige Gesicht des Jugendamts im Verhältnis zum alten Reichsjugendwohlfahrtsgesetz eine Änderung erfährt, daß wir in Zukunft das Jugendamt, die Behörde, neben dem Jugendwohlfahrtsausschuß haben werden. Ich begrüße auch die Änderung des Begriffs „Jugendamtsausschuß" in „Jugendwohlfahrtsausschuß". Diese Doppelgesichtigkeit des kommenden Jugendwohlfahrtsausschusses ist zu begrüßen.
Weiter begrüße ich, daß klar umrissen ist, welche Personengruppen dem künftigen Jugendwohlfahrtsausschuß angehören. Ich freue mich darüber, daß entgegen der ersten Vorlage der Regierung in der Endfassung nach der Bundesratsbeschlußfassung auch noch ein Vertreter der Gewerbeaufsicht aufgenommen worden ist. Es wird sich in der Ausschußarbeit die Frage stellen, ob wir nicht noch Vertreter anderer Gruppen aufnehmen wollen oder müssen, z. B. den Vertreter der Polizei oder andere.
Ich bin weiterhin sehr befriedigt darüber, daß in den Entwurf ein Passus über die Sicherstellung der Eignung des Amtsstellenleiters des Jugendwohlfahrtsamts aufgenommen worden ist: charakterliche Eignung, Erfahrung, fachliche Kenntnisse. Vielleicht ist die Frage zu klären, ob über diese Dinge hinaus festgelegt werden soll, daß auch der Leiter der Amtsstelle Jugendamt bei Neuanstellung sein fachliches theoretisches Können durch Ablegung irgendeiner Prüfung unter Beweis stellt, und es ist vielleicht zu klären, ob es möglich ist, im Interesse der Jugend, der wir dienen wollen, und im Interesse der Menschen, die sich beruflich als Wohlfahrtspfleger oder Wohlfahrtspflegerinnen in den Dienst der Sache stellen, zu bestimmen, was für Eignungen wir bei Einstellung von Fachkräften voraussetzen.
Ich bin mir weiter darüber klar, daß bei der Frage des § 11 jeder von uns froh ist, daß in ihm die Möglichkeit der Delegation der Arbeit erhalten geblieben ist. Hiermit ist eine Straße, die zwar im alten Gesetz schon gebaut war, neu fundamentiert; hoffen wir, daß sie in Zukunft vielfach begangen wird.
Ich begrüß& es, daß die Bundesregierung zwar weitgehend den Änderungsanträgen des Bundesrats entgegengekommen, aber fest geblieben ist in der Entscheidung um den Art. II, der forderte, daß der Art. 8 des Reichsgesetzes über Jugendwohlfahrt vom 9. Juli 1922 in der Fassung der Verordnung
Heute steht die Sorge um die Jugend noch viel mehr im Vordergrund als 1922. Wir wissen, daß es eine staatspolitische Aufgabe erster Ordnung ist, der Jugend die Möglichkeit zu einem gesunden Wachstum zu schaffen. In diesem Hause stand dieses Problem schon öfter im Zusammenhang mit jugendfürsorgerischen Gesetzen zur Diskussion, und es gab dabei um die Wichtigkeit dieser Aufgabe keinerlei Meinungsverschiedenheit. Die Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und Jugendfürsorge und der Deutsche Städtetag haben sich in den letzten Jahren mit aller Entschiedenheit für das lebendige Jugendamt eingesetzt, das Mittelpunkt aller Bestrebungen der Jugendpflege und Jugendfürsorge werden soll. Alle zuständigen Organisationen und Körperschaften erkennen die Dringlichkeit der Jugendpflegearbeit an.
Im Gegensatz hierzu hat die Mehrheit des Bundesrats Bedenken gegen die Wiederinkraftsetzung
des § 4 gehabt. Dieser strittige § 4 lautet: Aufgabe des Jugendamts ist ferner, Einrichtungen und Veranstaltungen anzuregen, zu fördern und gegebenenfalls zu schaffen für: Beratung in Angelegenheiten der Jugendlichen; Mutterschutz vor und nach der Geburt;
Wohlfahrt der Säuglinge; Wohlfahrt der Kleinkinder; Wohlfahrt der im schulpflichtigen Alter stehenden Jugend außerhalb des Unterrichts und Wohlfahrt der schulentlassenen Jugend.
Der Bundesrat hat es anscheinend übersehen, daß gerade ein armer Staat die Verpflichtung zur vorbeugenden Fürsorge hat, weil heilende Fürsorge nachweisbar wesentlich teurer ist. Die Wiedereinsetzung des § 4 ist das Kernstück dieser Novelle. Ohne diesen Paragraphen hätte diese Novelle ihren Sinn überhaupt verloren. Um die Jugendnot, die durch die Kriegs- und Nachkriegszeit bedingt ist, zu heilen, müssen wir Maßnahmen der vorbeugenden Jugendhilfe gesetzlich verankert haben. Diese Notwendigkeit darf nicht nur aus der finanziellen Sicht der Gemeinden und Kreise heraus gesehen werden.
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Wir geben große Summen aus für die in Fürsorgeerziehung untergebrachte gefährdete Jugend, und wieviel menschliches Leid könnte verhindert werden, wenn durch vorbeugende Maßnahmen der Jugendhilfe rechtzeitig eingegriffen werden könnte.
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Wir können der Jugend eine wirkliche Hilfe leisten, sie schützen und ihr einen guten Start ins Leben ermöglichen, wenn wir die in § 4 festgelegten Aufgaben im weitesten Umfang von den Jugendämtern durchführen lassen. Bisher führten finanziell unabhängige Gemeinden die Aufgaben des § 4 freiwillig durch. Aber für die vom Finanzausgleich abhängigen Länder und Gemeinden ist die vorbeugende Jugendarbeit ohne Einsetzung des § 4 nicht möglich. Wir haben die Verpflichtung der Jugend gegenüber, für ihre Entwicklung mehr zu tun, als es bisher geschah. Die Begründung des Bundesrats, daß durch den Bundesjugendplan und die Landesjugendpläne die Forderungen des § 4 gewährleistet werden, trifft keinesfalls zu. Wir würden dann die Aufgaben der Selbstverwaltung weitestgehend einengen und die Jugendarbeit in ein Schema pressen, so daß der Erfolg recht zweifelhaft sein könnte. Die Jugendverbände haben sich mit aller Entschiedenheit gegen den Beschluß des Bundesrats zur Wehr gesetzt und ihre
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vom 14. Februar 1924 mit Ausnahme der Vorschrift der Ziffer 2 Satz 2 aufgehoben wird. Denn gerade hierdurch schaffen wir und können wir die positiv fördernden Dinge für unsere Jugend schaffen.
Es würde noch vieles zu sagen sein. Ich möchte zum Schluß sagen: Wir schaffen ein Gesetz für Menschen, für unsere jungen Menschen. Wir wissen, daß wir ein Gesetz schaffen, zu dessen Durchführung wir viele Menschen als Helfer brauchen, Menschen, die wir suchen müssen, die wir fördern müssen, die wir schulen müssen, vor allen Dingen in unseren freien Wohlfahrtsverbänden, Menschen, die wir in die Arbeit hineinstellen wollen. Und wenn ich nun einen Appell hier öffentlich kundtue, der zwar nicht zum Ziele hat - das kann er nicht -, die Verwirklichung dieses Appells im Gesetz zu verankern, dann ist es der Appell: sichern wir auch, versuchen wir überall da, wo wir es können, die Existenz der Menschen zu sichern, die von Berufs wegen sich für die Jugend bereitstellen.
Im Namen der Fraktion der Christlich-Demokratischen Partei beantrage ich Überweisung dieses Gesetzes an den Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge.
({4})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schanzenbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die von allen in der Jugendwohlfahrt Tätigen schon längst erwartete Novelle zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz liegt nun endlich dem Bundestag vor. Es ist erstaunlich, daß die bisher ungeklärte Rechtslage bezüglich des Begriffs „Jugendamt" und des Rechtes des Jugendamtsausschusses zu keinen größeren Schwierigkeiten in der Jugendpflege und in der Jugendfürsorge geführt hat. Besonders auffallend ist das in bezug auf die Amtsvormundschaft, in der verbindliche Rechtsgeschäfte von erheblicher Tragweite getätigt werden.
Bereits im Januar 1950 haben Verbände der freien Wohlfahrtspflege und der Jugendwohlfahrtspflege Vorschläge zu einer Novelle unterbreitet. In der Begründung zur Novelle, die uns nun vorliegt, wird ausgeführt, daß der vorliegende Gesetzestext in enger Zusammenarbeit mit diesen Verbänden entstanden ist. Wir haben diese Novelle sehr kritisch zu betrachten; denn es geht uns darum, die Grundlage zu schaffen, die nicht nur heute, sondern auch auf längere Zeit der Jugend das im § 1 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes festgelegte Recht sichert, nämlich das Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit.
Wenn der Gesetzgeber von 1918 bis 1923 den Mut hatte, aus den früheren Armenämtern Sozialämter und Jugendämter zu machen - und dies ist ihm in den nachfolgenden Jahren wirklich gelungen -, dann obliegt es uns heute, aus dem Jugendamt, das sich überwiegend bisher mit der gefährdeten Jugend befaßt hat, eine Stelle zu schaffen, die sich in vollem Umfang als Jugendbehörde bewähren kann.
Das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz wurde 1922 einstimmig im Reichstag verabschiedet. Es war ein großes Wagnis, von dem Hintergrund der Sozialgesetzgebung von vor 1918 her gesehen. Aber dieses Wagnis ist geglückt, obwohl durch die Notverordnung von 1923 große Lücken eingerissen worden sind.
({0})
Stellungnahme dem Herrn Präsidenten des Bundesrats mitgeteilt. Wenn Gemeinden bisher schon bereit waren, Aufgaben der vorbeugenden Jugendhilfe durchzuführen, und der Städtetag ein einmütiges Bekenntnis von der Notwendigkeit dieser Aufgabe abgelegt hat, dann ist es Pflicht des Bundestags, durch die Wiedereinsetzung des § 4 der deutschen Jugend eine entscheidende Hilfsstellung zu geben, durch die der programmatische Satz des § 1 verwirklicht werden kann.
Wir begrüßen es, daß in § 8 die öffentliche Jugendhilfe als Selbstverwaltungsangelegenheit der Gemeinden und Gemeindeverbände festgelegt wird und daß jede kreisfreie Stadt und jeder Landkreis ein Jugendamt mit einem Jugendamtsausschuß errichten müssen. Die §§ 8 und 9 sollen die Voraussetzungen schaffen, daß die Jugendämter in der Lage sind, ihre sozialpädagogischen Aufgaben zu erfüllen, und weite Bevölkerungskreise an der Jugendarbeit interessiert werden. Hier soll besonders der Jugendwohlfahrtsausschuß helfen. Der Entwurf sieht eine Sicherung der Mitarbeit der freien Wohlfahrtsverbände und der Jugendverbände vor. Auf diese Mitarbeit kann die öffentliche Jugendhilfe nicht verzichten. Es ist aber die Frage aufzuwerfen, ob die in § 9 angestrebte Regelung für heute und für die Zukunft die richtige ist. Uns scheint dies nicht der Fall zu sein. Die Regierung hat in der Vorlage einen Jugendwohlfahrtsausschuß aufgezeichnet, der in einem zu losen Verhältnis zu den demokratisch gewählten Gemeindeparlamenten steht. Die öffentliche Jugendarbeit ist aber unbestritten ein Bestandteil der Sozialpolitik. Sie liegt damit in der vollen Verantwortung der Parlamente. Die schwierigen Probleme der Jugendwohlfahrt müssen in die Parlamente getragen werden, damit diese für die Gestaltung des öffentlichen Lebens verantwortlichen Gremien sich mit den Fragen der Jugendnot und der Jugendhilfe immer wieder befassen müssen und sich dadurch der besonderen Verantwortung der Jugend gegenüber bewußt werden. Es besteht kein triftiger Grund, die Zusammensetzung des Jugendamtsausschusses anders zu gestalten als die anderen Ausschüsse der Selbstverwaltung. Gerade die Jugendwohlfahrtsarbeit gibt einen tiefen Einblick in die sozialen Zustände in unserm Volk, und hieraus können sich wirklich echte parlamentarische Auseinandersetzungen ergeben, welche die Jugendarbeit zweifellos nur fördern. Daß sich die Tätigkeit dieser Ausschüsse auf politisch polemische Erwägungen beschränkt, besteht gar keine Gefahr; denn die demokratischen Parteien gehen in der Sorge um die deutsche Jugend ein gutes Stück Weg gemeinsam miteinander. Für die Durchsetzung der Forderungen für die Jugend dürfte der parlamentarische Ausschuß das größere Gewicht haben. Wenn er sich laufend mit dem Problem der Jugendhilfe beschäftigt, wird er mit mehr Einsicht und besseren Argumenten sich für die notwendigen Mittel bei den Etatberatungen einsetzen. Die Anregung eines nichtparlamentarischen Ausschusses dürfte diese Durchschlagskraft nicht haben.
Unserer Auffassung nach sollte der Jugendamtsausschuß ein parlamentarischer Pflichtausschuß sein, der nach dem geltenden Gemeinderecht gebildet wird. Aber dieser Ausschuß wird keineswegs auf die Mitarbeit von Männern und Frauen verzichten können, die sich bisher in der Jugendhilfe bewährt haben. Ebenso müssen diesem Ausschuß Vertreter der freien Wohlfahrtsverbände und
der Jugendverbände mit beratender Stimme angehören. Ferner sollten in diesen Ausschuß mit beratender Stimme der Vormundschaftsrichter, der Berufsberater, der Leiter des Gesundheitsamtes, die Lehrerschaft und eventuell noch mehr Persönlichkeiten, die in der Jugendarbeit tätig sind, berufen werden. Es ist Aufgabe des Jugendamtsausschusses, mit seiner Sachkenntnis und dem Schwerpunkt der politischen Möglichkeiten für die Lösung der Jugendnot in seinem Bereich einzutreten.
Wir werden im Ausschuß unsere Änderungsvorschläge zu § 9 vorlegen. Wir sind mit der Delegation von Geschäften an besondere Ausschüsse sowie an Vereinigungen für Jugendhilfe und für Jugendbewegung nicht einverstanden. Dagegen haben wir gegen die Erledigung einzelner Angelegenheiten, wenn die sachgemäße Durchführung garantiert ist, nichts einzuwenden. Das Jugendamt soll Mittelpunkt aller Jugendarbeit sein, und es kann deshalb die großen Pflichtaufgaben, die im Reichsjugendwohlfahrtsgesetz festgelegt sind, nicht delegieren.
Wir halten die Einschaltung des Abs. 4 in § 12, der die Beteiligung der Landesjugendämter als Fachstellen in der kommunalen Aufsicht behandelt, für außerordentlich wichtig; denn ohne eine solche Bestimmung würde die Gefahr bestehen, daß aus fiskalischen Gründen gerade die vorbeugende Jugendhilfe nicht das nötige Verständnis bei der Aufsichtsbehörde findet.
Wir haben bei früheren Gelegenheiten in diesem Hause schon die Forderung nach einem Bundesorgan erhoben, das die Forschung, Planung und Zusammenfassung der jugendpolitischen Aufgaben vornimmt. Wir hoffen, in dieser Novelle eine befriedigende Lösung dieses unseres Anliegens zu finden.
Die Drucksache Nr. 3641 ist eine gute Diskussionsgrundlage. Die sozialdemokratische Fraktion wird ihre Gegenvorschläge zu den einzelnen Paragraphen im Ausschuß vorlegen. Wir hoffen, daß mit dieser Novelle zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz ein positiver Beitrag zur Behebung der Jugendnot in Deutschland geleistet werden kann. Wir beantragen, diese Drucksache dem Ausschuß für Jugendfürsorge, dem Ausschuß für innere Verwaltung und dem Ausschuß für Kommunalpolitik zu überweisen.
({1})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Thiele.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wieder einmal stehen in diesem Hause die Jugendprobleme zur Beratung, und wieder hat sich, wie bisher, so auch heute, die Frage aufgetan: Was tut diese Regierung und was tut dieser Bundestag zur Lösung der brennenden Jugendprobleme und der wirklich ungeheuren Notlage der Jugend? Der vorliegende Gesetzentwurf sieht lediglich eine Neuregelung des organisatorischen Aufbaues der Jugendwohlfahrtspflege vor, er beseitigt lediglich Änderungen im alten Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt von 1922, die durch das nationalsozialistische Regime eingeführt waren. Gut, das ist eine sehr notwendige Sache, die aber absolut von sekundärer Bedeutung ist, wenn nicht an die Beseitigung der Wurzel der Jugendnot herangegangen wird, wenn diese Regierung nichts dazu tut, um dieser ungeheuren Jugendnot zu steuern.
({0})
Ich vermag nicht zu erkennen, wieso Frau Abgeordnete Niggemeyer von einer solch beglückenden Freude sprechen konnte über die Tatsache, daß hier zum ersten Male etwas Positives für die Jugend getan sei. Meiner Ansicht nach hat sie damit das völlige Eingeständnis der absoluten Jugendfeindlichkeit der Adenauer-Regierung gegeben, daß sie hier sagte, hier sei zum ersten Male etwas Positives für die Jugend getan worden. Diese Novelle, so notwendig Änderungen sind, zeigt keinerlei Verbesserungen der materiellen Leistungen auf dem Gebiet der Jugendwohlfahrtspflege. Aus dem Material der Pressestelle der Bundesregierung „Jugendbedrohung in Zahlen und Tatsachen" ist folgender Satz zu entnehmen und typisch für den Charakter dieser Regierung:
Von der Öffentlichkeit weithin nicht erkannt,
gibt es einen Notstand der Jugend, den man
geradezu als Staatsnotstand bezeichnen kann. Ich denke, das ist ein sehr bezeichnendes Eingeständnis. Die erwähnte Denkschrift zeigt einige Gründe für das Jugendelend in Westdeutschland auf, die in der inneren und äußeren Notlage der Familien liegen. Ich meine, daß es notwendig ist, angesichts dieser Grundsatzdebatte über das Jugendwohlfahrtsgesetz noch einmal die Wurzeln für die ungeheure Jugendnot, die also nach Meinung der Regierung ein Staatsnotstand ist, aufzuzeigen. Ich möchte Ihnen dazu einige Zahlen, einige Gesichtspunkte hier sagen. Im Jahre 1950 standen im Bundesgebiet 64 419 Jugendliche vor dem Gericht. Nach der Zeitung „Michael" vom 24. Juni 1951 entfallen auf 100 Verbrechen, die 1950 in der Bundesrepublik verübt worden sind, 7 auf jugendliche Täter zwischen 14 und 18 Jahren. In diesem Artikel heißt es weiter, daß in Bayern allein im Jahre 1950 34 Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren sowie 5 Kinder unter 14 Jahren Selbstmord begangen haben. 28 % dieser von Jugendlichen begangenen Verbrechen fallen auf die Delikte Notzucht und andere Sittlichkeitsverbrechen, 6,4 % auf Mord und Totschlagsversuch. Die Jugendstraffälligkeit ist gegenüber dem Jahre 1933 um 87 % gestiegen. Von der Gesamtheit der jugendlichen Mädchen, die im Jahre 1950 in Westdeutschland wegen geheimer Prostitution angehalten wurden, waren fast 60 % noch nicht 14 Jahre alt. 51 % aller registrierten Geschlechtskranken unter 20 Jahren waren Jugendliche, 10 % davon noch nicht 14jährige Kinder.
Wie groß die Gefährdung der Jugend hauptsächlich durch die amerikanischen und englischen Filme neben der sozialen Lage in Westdeutschland ist,
({1})
geht aus einem Bericht der „Rheinpfalz" vom 19. August 1952 hervor. Danach haben Filmfachleute über 400 in Westdeutschland gezeigte amerikanische und britische Filme vom Standpunkt der Justiz untersucht. Dabei kam man zu dem geradezu erschütternden Ergebnis, daß in diesen 400 Filmen dem staunenden Publikum 1952 Gesetzesbrüche serviert wurden, darunter 310 Morde, 182 Meineide, 104 Raubüberfälle, 74 Erpressungen, 54 Fälle der Verführung von Minderjährigen und 34 Brandstiftungen.
Frau Abgeordnete Thiele, kommen Sie bitte zum Schluß; Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich denke, daß man sich nicht zu wundern braucht, wenn eine solche Art der Darstellung den jungen Menschen in Westdeutschland geboten wird und die Adenauer-Regierung nichts dazu tut, um diese Zustände zu beseitigen. Mir fehlt leider die Zeit, das ganze Problem anzusprechen.
({0})
Das wäre erforderlich gewesen, insbesondere auch von seiten der Vertreter der Regierungsparteien. Aber ich möchte nur noch kurz darauf hinweisen, daß das ungeheure Wohnungselend - allein 200 000 Kinder wohnen heute noch in Elendsbaracken -, ebenfalls die Not der studierenden Jugend und die große Arbeitslosigkeit, die in einer Menge von Zahlenangaben selbst von offiziellen Stellen der Bundesregierung immer wieder zum Ausdruck gebracht worden sind, die Wurzeln der Jugendnot sind und daß es erforderlich gewesen wäre, diese Fragen hier einmal anzusprechen
({1})
und Wege aufzuzeigen, wie man sie lösen kann. Allerdings denkt diese Regierung gar nicht daran, diese Not zu beseitigen.
({2})
Sie hat lediglich ein Interesse daran, das Geld, das zur Schaffung dieser Möglichkeiten notwendig wäre, dieser einen Million Jugendlichen, die Herr Blank jetzt in die Wehrmacht stecken will, zur Verfügung zu stellen.
({3})
- Aber sehen Sie, meine Damen und Herren, das weiß inzwischen auch die Jugend, daß die Adenauer-Regierung für sie nur den Soldatenrock und das Massengrab bereit hat, -
Kommen Sie zum Schluß, Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
- aber nichts tut, um ihre Not zu lindern, daß sie nichts tut, um endlich diese Jugendnot zu beseitigen.
({0})
- Sie ist alt, aber wahr, und Sie tun nichts, um das zu ändern!
Weitere Wortmeldungen? - Frau Abgeordnete Dr. Ilk!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, ich muß Frau Abgeordnete Thiele, wenn sie verpflichtet zu sein meint, eine Statistik zur Kenntnis zu bringen, darum bitten, daß sie uns einmal eine entsprechende von der Ostzone vorlegt.
({0})
Und noch sehr viel wichtiger scheint es mir, daß sie uns auch einmal über die Maßnahmen berichtet, die man drüben zum Schutze der Jugend trifft.
({1})
Ich meine nicht, daß es ein Schutz und eine Wohlfahrtspflege für die Jugend ist, wenn man z. B. in
der Ostzone Hunderte und Tausende von ganz
jungen Menschen wegen Lächerlichkeiten, ja
manchmal ohne jeden Grund, in die Kzs. sperrt
oder in eine Volkspolizei preßt, in die sie freiwillig
nicht hineinzugehen beabsichtigen, so daß sie, wenn
({2})
sie nicht hineinwollen, in die Westzone fliehen, um sich den unrechtmäßigen Zugriffen drüben zu entziehen.
({3})
Es ist eine alte Sache, daß uns bei jedem Anlaß etwas vorgeführt wird, von dem wir doch immer wissen, daß es nicht richtig ist.
({4})
Der Gesetzentwurf zur Änderung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes, der uns vorliegt, wird auch von der Fraktion der Freien Demokratischen Partei begrüßt. Ich möchte jetzt nicht auf die einzelnen strittigen Punkte eingehen. Wir werden unsere Anträge im Ausschuß einbringen. Ich glaube, daß, nachdem alle Parteien daran interessiert sind, das Beste für die Jugend herauszuholen, ein Gesetz zustande kommen wird, das unser aller Billigung findet.
Es ist vor allem zu begrüßen, daß nach dem Gesetzentwurf dem Jugendamt vorbeugende jugendpflegerische Maßnahmen übertragen werden; denn wohl bei keinem Problem ist es so klar, daß Vorbeugen besser ist als Heilen, wie in der Jugendpflege. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß kein Gesetz, und sei es noch so gut, eine Wirkung hat, wenn es nicht getragen ist von der Liebe zur Jugend und von der Bereitschaft, ihr zu helfen. An alle verantwortlichen Personen müssen wir die Bitte richten, all ihre Kraft und all ihre Liebe in ihrem Amt dafür zu verwenden, der Jugend zu helfen.
Ich bin nicht der Ansicht, daß wir das Amt des Bewährungshelfers, das wir beim Jugendgerichtsgesetz als eine Neuerung vorgesehen haben, vom Jugendamt trennen können. Ich meine, daß in die Jugendgerichtshilfe, die bisher bei den Jugendämtern wohl aufgehoben war, auch der Bewährungshelfer eingeschaltet werden soll.
Frau Schanzenbach hat den Antrag gestellt, den Gesetzentwurf an drei Ausschüsse zu überweisen. Ich bin sehr daran interessiert, und Sie alle werden es sicherlich ebenso sein, daß die Arbeit an diesem Gesetzentwurf beschleunigt wird. Man sollte die Vorlage nur dem Ausschuß für Jugendfürsorge als federführendem überweisen und den Kommunalpolitischen Ausschuß und den für innere Verwaltung beratend beteiligen.
({5})
Wenn alle Ausschüsse den Gesetzentwurf intensiv bearbeiten, dürfte die Verzögerung, die schon bisher groß genug ist und die wir schon sehr bedauert haben, noch größer werden. Ich möchte mich auf den Antrag beschränken, den Jugendfürsorgeausschuß als federführenden Ausschuß zu bestimmen.
({6}) - Ja, als alleinigen!
({7})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Besprechung.
Es besteht offenbar Einmütigkeit darüber, daß federführend der Ausschuß. für Jugendfürsorge ist. - Darüber besteht keine Meinungsverschiedenheit. Es ist weiter beantragt, den Ausschuß für Kommunalpolitik als mitberatenden Ausschuß zu betrauen. Darf ich fragen, wer dafür ist. - Wer ist
dagegen? - Wer enthält sich? - Und die Damen und Herren, die nicht mit abgestimmt haben! Das erste war die Mehrheit. Die Überweisung ist. erfolgt. Weiter ist beantragt, den Ausschuß für innere Verwaltung damit zu betrauen. Wer ist dafür? - Wer ist dagegen? - Bei der unterschiedlichen Abstimmung ist das diesmal die Mehrheit; das ist abgelehnt. Damit ist die Überweisung an den Ausschuß für Jugendfürsorge und an den Ausschuß für Kommunalpolitik erfolgt.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Polizeiverordnung über den Verkehr mit giftigen Pflanzenschutzmitteln ({0}).
Die Regierung verweist auf die gedruckte Begründung. Der Ältestenrat schlägt Ihnen Verzicht auf eine Aussprache vor. Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Fragen des Gesundheitswesens zu überweisen. - Sie sind damit einverstanden. Die Überweisung ist erfolgt.
Meine Damen und Herren, ich darf darauf aufmerksam machen, daß im Einverständnis mit dem Antragsteller und dem Haushalts-Ausschuß Punkt 15, betreffend Subventionen für phosphorhaltige Düngemittel, von der heutigen Tagesordnung abgesetzt ist, da der Antragsteller nicht anwesend ist.
Ich darf Ihnen vorschlagen, daß wir jetzt, wie wir vorgesehen hatten, Punkt 10 der Tagesordnung behandeln:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Reichsdienststrafordnung ({1});
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Beamtenrecht ({2}) ({3}). ({4}).
Der schriftliche Bericht des Ausschusses für Beamtenrecht liegt vor*). Soll ein weiterer mündlicher Bericht erstattet werden?
({5}) Herr Abgeordneter Bodensteiner, einige Bemerkungen zum Schriftlichen Bericht; bitte schön!
Bodensteiner ({6}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Zu dem Schriftlichen Bericht Drucksache Nr. 3594 sind noch einige Berichtigungen zu machen.
Auf Seite 6 muß es in § 29 statt „daß die Rücknahme" heißen „da die Rücknahme"; auf Seite 11 in § 58 statt „Hauptversammlung" „Hauptverhandlung". Auf den Seiten 15 bis 17 ist an Stelle der Bezeichnung „§ 3 bis § 17" zu setzen „Artikel 3 bis Artikel 17". Ferner steht auf Seite 15 rechte Spalte zu Artikel 3 in der vierten Zeile von unten „gemäß § 64 des zur". Es muß richtig lauten „gemäß § 4 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums".
Auf Seite 17 muß zu Artikel 14 der Satzteil „der auf den Bund übernommenen Verwaltungen" gestrichen werden.
Herr Abgeordneter Bodensteiner, das gilt über die in Umdruck Nr. 645 vorgesehenen und mitgeteilten Änderungen hinaus?
*) siehe Anlage Seite 10 364
Bodensteiner ({0}), Berichterstatter: Über die Änderungen hinaus!
Ferner bitte ich Sie im Namen des Ausschusses, die Berichtigungen des Umdrucks Nr. 645 zur Kenntnis zu nehmen. Sie sind zum Teil lediglich redaktioneller Art; darüber hinaus aber entsprechen sie den Beschlüssen des Ausschusses. Diese Fehler sind entstanden, weil sowohl die redaktionelle Fertigstellung als auch die Drucklegung dieser Drucksache unmittelbar vor den Parlamentsferien unter sehr starkem Zeitdruck erfolgt ist.
Ich habe dann noch zu berichten, daß die Anträge der Fraktion des Zentrums, Drucksache Nr. 182, und der Fraktion der SPD, Drucksache Nr. 905, durch den Beschluß zu Abschnitt II Art. 4 der vorliegenden Novelle ihre Erledigung gefunden haben. Dieser Beschluß wurde im Ausschuß mit Zustimmung der Antragsteller gefaßt.
Ich bitte Sie, dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, ich rufe auf: Abschnitt I, Änderung der Reichsdienststrafordnung, Art. 1 Ziffern 1, - 2, - 3, - 4. - Dazu keine Wortmeldungen? - Ich komme zur Abstimmung. Ich bitte die Damen und Herren, die dem aufgerufenen Abschnitt, den Überschriften, dem Artikel und den Ziffern 1 bis 4 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Es ist angenommen.
Zu Ziffer 5 liegt der Änderungsantrag der SPD-Fraktion auf Umdruck Nr. 627 Ziffer 1 vor. Herr Abgeordneter Dr. Brill!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an die allgemeinen Bemerkungen des Herrn Berichterstatters anknüpfen. Er hat auf den Umdruck Nr. 645 hingewiesen. Durch ihn wird die Vorlage in nicht weniger als neun Punkten berichtigt bzw. ergänzt. Wenn die Ergänzungen auch keine besondere materielle Bedeutung haben, so sollten wir uns doch eine solche Galopparbeit und Flickschusterei künftig ersparen. Wir haben j a bei den beiden großen Vertragswerken, dem Deutschlandvertrag und dem EVG-Vertrag, erlebt, daß sogar ein Zusatzabkommen über 60 Druck- und Schreibfehler sowie Irrtümer abgeschlossen werden soll. Ich meine, es hat keinen Zweck, unter einem angeblichen Zeitdruck vor den Parlamentsferien solche Fragen, die in der praktischen Anwendung erfahrungsgemäß große Schwierigkeiten bereiten, nämlich die Fragen, die sich hier auf das Kostenrecht beziehen, so ungenau zu behandeln, daß dann der Schriftliche Bericht und dessen Anlagen ergänzt werden müssen.
Meine Damen und Herren, wir haben Ihnen zu Ziffer 5 einen Änderungsantrag vorgelegt, der eine andere Regelung der Verjährung im Dienststrafverfahren vorsieht. Die Ausschußvorlage will eine Verjährung nur bei leichten Dienstvergehen, die lediglich mit Warnung, Verweis oder Geldbuße belegt werden können, und will als Verjährungsfrist fünf Jahre gesetzt haben. Wir schlagen Ihnen eine andere Regelung der Verjährung dahingehend vor, daß a 11e Dienstvergehen, die zur Kenntnis des Dienstvorgesetzten gekommen sind, als verjährt gelten, wenn mehr als drei Jahre verstrichen sind, im übrigen alle Dienstvergehen nach Ablauf von zehn Jahren verjähren. Damit bleibt natürlich der
Zusammenhang in der Verjährung, der zwischen Dienstvergehen und kriminellen Vergehen besteht, unberührt.
Der Herr Berichterstatter hat in seinem schriftlichen Bericht darauf hingewiesen, daß' durch den Vorschlag des Beamtenrechtsausschusses eine umfassende neue Regelung erfolgen soll, und außerdem gesagt, die Frage der Verjährung im Dienststrafverfahren sei zum erstenmal durch ein Wirtschaftsratsgesetz aus dem Jahre 1949 geregelt worden. Ich muß leider - und ich glaube, es ist in diesem Zusammenhang nicht unwichtig, das zu tun - darauf hinweisen, daß die Annahme des Herrn Berichterstatters unrichtig ist. Die Frage der Verjährung in Dienststrafverfahren war schon vor dem Jahre 1918 im Beamtenrecht einzelner Bundesstaaten mindestens teilweise geregelt. Wenn sich die Damen und Herren für diese damals - vor 1918 beispielsweise in Hessen, Württemberg, Bayern, dem Großherzogtum Sachsen - bestehenden Verjährungsregelungen interessieren sollten, so möchte ich sie und auch den Herrn Berichterstatter auf die Darstellungen von zwei bedeutenden bayerischen Juristen aufmerksam machen, des Freiherrn von Stengel, dessen Name mit der Reichsfinanzreform von 1908 verbunden ist, und des Professors von Piloty von der Universität Würzburg. Es ist also nicht richtig, anzunehmen, daß hier etwas vollkommen Neues nach dem Gesetz des Wirtschaftsrates geschaffen werden müßte. Umfassend ist die Frage der Verjährung dann nach 1918 in Angriff genommen worden. Ich hebe nur hervor, daß das thüringische Staatsbeamtengesetz von 1923, eine Novelle zum sächsischen Staatsbeamtengesetz von 1924 und das modernste Beamtengesetz, das hamburgische - ich glaube, es ist aus dem Jahre 1930 -, weitere Regelungen gebracht haben und schließlich auch durch die preußische Dienststrafordnung von 1932 in einem besonderen Abschnitt eine umfassende Regelung der Verjährung vorgenommen wurde. Ich erwähne das alles, um darauf hinzuweisen, daß das, was jetzt in Ziffer 5 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Dienststrafrechts vorgeschlagen wird, weit hinter der Rechtslage zurückbleibt, die zum Teil schon bis 1918 und weitgreifend bis 1933 geschaffen worden ist. Gegen ein solches Zurückbleiben in der bis 1933 bereits vorhandenen Rechtslage im Verjährungsrecht müssen wir als Sozialdemokraten uns mit aller Entschiedenheit aussprechen. Es ist auch in den Verhandlungen im Ausschuß, an denen ich teilgenommen habe, kein Grund dafür hervorgetreten, daß eine Notwendigkeit für eine solche rückwärtsgehende Regelung vorhanden ist. Alles, was an sachlichen Gründen im Ausschußbericht und in den Beratungen der Ausschüsse vorgebracht worden ist, trifft meiner Überzeugung nach nicht zu.
Im Ausschußbericht wird hervorgehoben, daß doch gerade die. spätere Aufdeckung von schweren Dienstvergehen - es wird dafür sogar der Aus, druck Verbrechen gebraucht - im Interesse der Allgemeinheit liege. In diesem Interesse liege es auch, daß bei Dienstvergehen, die mit einer höheren Strafe als Geldbuße zu belegen seien, eine Bestrafung noch nach einer Zeit möglich sein müsse, die weiter reiche als 10 Jahre, wie wir das vorschlagen. Meine Damen und Herren, dagegen ist zu sagen: Liegt wirklich eine Verbindung mit einem Verbrechen vor, so greifen ja die Verjährungsfristen des Strafrechtes Platz. So ist also dieser Einwand inhaltlos geworden. Und würde ein Vorgesetzter erst nach zehn Jahren darauf auf({0})
merksam, würde es ihm nicht gelingen, das Vergehen in drei Jahren aufzudecken, dann hätte er selber eine Pflichtwidrigkeit begangen und müßte bestraft werden. Das ist doch aber nicht anzunehmen.
Wir wollen also durch unseren Antrag erreichen, daß ohne Rücksicht auf die zu erwartende Dienststrafe alle Dienstvergehen in die Verjährungsregelung einbezogen werden und daß eine Unterscheidung gemacht wird zwischen denjenigen, die zur Kenntnis des Dienstvorgesetzten gekommen sind, und den anderen. Ich glaube, daß das auch politischen Interessen dient; denn bei dem parlamentarischen Regierungssystem ist sehr wohl ein Wechsel des Dienstvorgesetzten möglich, der zu einer anderen Beurteilung dienstwidriger Handlungen führt. Der Beamte muß davor geschützt sein, daß immer wieder wegen ein und derselben Sache Untersuchungen gegen ihn geführt werden. Das ist nur möglich, wenn Sie für den Fall, daß der Dienstvorgesetzte von diesen Handlungen Kenntnis gehabt hat, eine verhältnismäßig kurze Verjährungsfrist einführen. Dafür schlagen wir drei Jahre vor.
Gegen den kommunistischen Antrag, für diesen Fall nur drei Monate Verjährungsfrist vorzusehen, müßten wir uns aussprechen. Dieser Antrag verkennt unserer Auffassung nach die tatsächlichen Verhältnisse. Es ist nicht immer einfach, selbst eine verhältnismäßig geringe Sache im Dienstbetrieb aufzuklären. Drei Monate mögen ausreichen, wenn es sich nur um die Verletzung von Dienstvorschriften bei der Eisenbahn, bei der Post, bei der Polizei handelt. Sie reichen aber schon nicht mehr aus, wenn man etwa in die Finanzverwaltung oder die allgemeine innere Verwaltung hineinkommt. Deshalb sehen wir diesen kommunistischen Antrag als unreal an. Wir werden ihn ablehnen.
Meine Damen und Herren, wir bitten Sie aber, unseren Antrag angesichts der Tatsache anzunehmen, daß gerade über die Verjährung im Dienststrafverfahren jahrzehntelange Diskussionen stattgefunden haben und daß diese Diskussionen zu genau dem gesetzgeberischen Ergebnis geführt haben, das wir Ihnen heute als allgemeine Norm zu beschließen vorschlagen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Gundelach zur Begründung des Antrages auf Umdruck Nr. 652.
Meine Damen und Herren! § 3 Abs. 2 in der Ausschußfassung sieht vor, daß Dienstvergehen, die keine schwerere Disziplinarstrafe als Warnung, Verweis oder Geldbuße rechtfertigen, nach fünf Jahren nicht mehr verfolgt werden sollen. Wir Kommunisten sind der Auffassung, daß genannte Dienstvergehen, sofern sie dem Dienstvorgesetzten bekanntgeworden sind, bereits nach Ablauf von drei Monaten nicht mehr verfolgt werden sollten. Es ist unserer Meinung nach ein ganz unerträglicher Zustand, einem Dienstvorgesetzten das Recht einzuräumen, sich bis zu fünf Jahren mit der Erledigung eines ihm bekanntgewordenen Dienstvergehens, wie ich es erwähnt habe, Zeit zu lassen. Eine derartige Regelung liegt unseres Erachtens nicht im öffentlichen Interesse und bedeutet für den betreffenden Beamten eine dauernde Marter. Wir Kommunisten sind der Meinung, daß ein Dienstvorgesetzter verpflichtet sein
soll, innerhalb von drei Monaten wegen ihm bekanntgewordener leichterer Dienstvergehen das Disziplinarverfahren einzuleiten. Unterläßt er es, dann soll eine Verfolgung nicht mehr stattfinden. In allen anderen Fällen - das sind also die schwereren Fälle - soll nach dem Änderungsantrag, den ich vorgelegt habe, eine Verjährung nach zehn Jahren eintreten, wie es auch seitens der Fraktion der Sozialdemokratie beantragt wird.
Ich beantrage demgemäß, dem § 3 Abs. 2 .folgende Fassung zu geben:
Sind seit einem Dienstvergehen, das keine schwerere Disziplinarstrafe als Warnung, Verweis oder Geldbuße, gerechtfertigt hätte, mehr als drei Monate verstrichen und war dieses Vergehen dem Vorgesetzten bekannt, so ist eine Bestrafung nicht mehr zulässig. Im übrigen verjähren alle Dienstvergehen nach Ablauf von zehn Jahren seit dem Tage, an dem die disziplinarwidrige Handlung begangen worden ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Bodensteiner.
Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, die Änderungsanträge abzulehnen. Ich darf aber zunächst darauf hinweisen, daß der Vorwurf der „Flickschusterei" dem Beamtenrechtsausschuß zu Unrecht gemacht worden ist. Wir haben diesen Entwurf so, wie er von uns fertiggestellt worden war, rechtzeitig an den Rechtsausschuß gegeben. Dort lag er dann etwa zwei Monate unberührt, und erst kurz vor den Parlamentsferien ist es gelungen, den Rechtsausschuß zur Bearbeitung zu bewegen. Wir haben dann sämtliche Anregungen des Rechtsausschusses respektiert. Es wurde eine Redaktionskommission eingesetzt, die das Gesetz noch einmal durchgehen mußte, um die Änderungen des Rechtsausschusses durchgehend einzuarbeiten. Wir hatten zu dieser Arbeit bei diesem doch reichlich schwierigen Gesetz buchstäblich nur einen Vormittag zur Verfügung. Dabei ist es dann natürlich passiert, daß einige gemäß den Beschlüssen erforderliche Änderungen nicht berücksichtigt worden sind.
Ferner, sehr geehrter Herr Kollege Professor Dr. Brill, darf ich sagen: ich habe in meinem Bericht nicht behauptet, daß es nicht etwa irgendwo in den Länderdisziplinarrechten eine Verjährung gibt. Ich habe doch nur zu dem Bericht über das Bundesdisziplinarrecht - im früheren Reichsdisziplinar- bzw. Dienststrafrecht gab es doch so etwas noch nicht - gesagt, man könne das Recht des Vereinigten Wirtschaftsgebiets - gewissermaßen als des Vorgängers des jetzigen Bundes - in dieser Hinsicht einigermaßen mit dem Bundesrecht vergleichen.
Zu dem Antrag Umdruck Nr. 627 Ziffer 1 bitte ich doch folgendes zu bedenken. Der erste Teil des Antrags würde eine wesentliche Verschlechterung für die Beamten darstellen. Nach dem Antrag der Fraktion der SPD beginnt nämlich die Verjährungsfrist erst zu laufen, wenn das Vergehen zur Kenntnis des Dienstvorgesetzten gekommen ist, während sie nach dem Beschluß des Ausschusses schon unmittelbar nach der Begehung zu laufen beginnt. Also gerade die Strafen für die kleinen Vergehen würden den Beamten wesentlich härter treffen, während umgekehrt bei den schweren Vergehen eine allzugute Behandlung eintreten würde. Ich bitte zu bedenken: Kann man es verantworten,
({0})
einen Mann, der in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis steht, in diesem Verhältnis zu belassen, wenn nach zehn Jahren festgestellt wird, daß er ein Verbrechen begangen hat? Die Mehrheit des Ausschusses hielt das nicht für verantwortbar. Aus diesen Gründen bitte ich Sie im Namen der Regierungsparteien, es bei der vom Ausschuß vorgelegten Fassung zu belassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reismann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vom Herrn Berichterstatter ist soeben vorgetragen worden, daß sich durch diese Vorlage auch die Drucksache Nr. 182 erledige. Die Dr Drucksache Nr. 182 war ein Zentrumsantrag, der damals um eine Disziplinaramnestie bat. Die Sache liegt schon sehr lange zurück, und in der Zwischenzeit, in der sie nicht erledigt worden ist, haben manche darunter leiden müssen, daß gerade dieses dringende Bedürfnis nicht eher hat befriedigt werden können.
In diesem Sinne hat sich nun die Fraktion der FU mit der Frage befaßt, wie man sich zu der Verjährung der Dienststrafvergehen stellen soll. Wir halten es im Sinne der Grundgedanken unseres damaligen Amnestieantrages für besser, dem SPD-Antrag zu folgen, dem wir deswegen unsere Zustimmung geben. Ich kann Ihnen, Herr Kollege Bodensteiner, da nicht folgen. Der SPD-Antrag geht weiter; denn er vermeidet es, die Verjährung auf die kleinen Sachen zu beschränken. Der § 3 Abs. 2 der Vorlage beschränkt die Verjährung ausdrücklich auf „keine schwerere Disziplinarstrafe als ...". Es muß aber wie bei einer kriminellen Straftat auch bei den Dienststraftaten eine umfassende Verjährung Platz greifen, nicht nur für Kleinigkeiten. Es muß einmal ein Ende der Verfolgung sein und ziemlich bald; und zwar nicht nur dann, wenn der Vorgesetzte die Tat erfahren hat. Für den Fall allerdings kann man - auch das ist ja in dem Antrag der SPD zum Ausdruck gebracht - der vorgesetzten Behörde nicht mehr eine jahrelange, unter Umständen endlose Quälerei der nun einmal schuldig gewordenen Beamten gestatten, dann muß es zu einer schnellen Entscheidung kommen. Wir sind also, wie gesagt, entsprechend dem Grundgedanken unseres damaligen Amnestieantrags der Ansicht, daß der SPD-Antrag besser geeignet ist, stabile Verhältnisse und Ruhe und Ordnung - auch im Sinne der Behördenarbeit - zu bringen. Man wird nämlich dann angehalten und hält die Behörde an, bekanntwerdende Vergehen rascher zu verfolgen und gründlicher durchzugreifen. Den Beamten aber mag es zu ihrer Beruhigung dienen, daß man nicht zu weit in ihre Vergangenheit zurückgehen kann.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung zu Ziffer 5.
Der weitestgehende Antrag ist der Antrag des Abgeordneten Gundelach. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag auf Umdruck Nr. 652 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über Ziffer 1 des Antrags der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 627. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? Auch die Stimme des Herrn Abgeordneten Bucerius, der noch in den Saal kommt, macht die Sache nicht ganz klar.
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Ich bitte die Damen und Herren, diese Frage im Wege des Hammelsprungs zu klären. Wer für den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion ist, begibt sich durch die Ja-Tür.
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Ich bitte die Damen und Herren, die Schriftführer sind, sich an ihre Funktionen freundlichst erinnern zu wollen.
Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
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Ich bitte, die Abstimmung zu beschleunigen.
Ich bitte, zum Ende der Abstimmung zu kommen. - Ich bitte, die Türen zu schließen.
Die Abstimmung ist geschlossen.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Für den Antrag der Fraktion der SPD haben 140 Abgeordnete gestimmt, dagegen 165, bei 2 Enthaltungen. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über Ziffer 5 in der Ausschußfassung. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf Ziffern 6, - 7, - 8, - 9. - Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Zu Ziffer 10, Änderungsantrag Umdruck Nr. 627 Ziffern 2 und 3, Herr Abgeordneter Professor Brill zur Begründung.
Meine Damen und Herren! Wir haben zu Nr. 10 zwei Änderungsanträge gestellt. Der erste Änderungsantrag bezieht sich auf die Frage des Verhältnisses des ordentlichen Strafverfahrens zum Disziplinarverfahren. Die bisherige Rechtslage war bekanntlich so, daß das Disziplinarverfahren eingeleitet werden konnte, wenn ein ordentliches Strafverfahren eingeleitet war, und eingeleitet werden mußte, wenn in einem ordentlichen Strafverfahren die öffentliche Anklage erhoben worden war. Jedoch wurde die Durchführung des Disziplinarverfahrens ausgesetzt. Das hat, wie wir anerkennen, zu einer ganzen Reihe von Mißständen geführt, insbesondere dazu geführt, daß Jahre vergingen, bis nach der Rechtskraft des Revisionsurteils im strafgerichtlichen Verfahren, nach zwei oder drei Jahren, das Disziplinarverfahren überhaupt erst begonnen werden konnte, und der schuldige Beamte in der ganzen Zeit einen Teil seines Gehaltes bezog. Wir billigen also die Tendenz, die in Nr. 10 a zum Ausdruck gebracht wird; wir bezweifeln nur, ob die vorgeschlagene Lösung richtig ist.
Nach Ziffer 10 a soll dem Disziplinarverfahren Fortgang gegeben werden, wenn die Sachaufklärung gesichert ist. Wir sind der Auffassung, daß ein Urteil darüber, ob die Sachaufklärung gesichert ist, nicht von seiten der ermittelnden Behörde, sondern nur von seiten des Gerichts getroffen werden soll. Deshalb möchten wir an die Stelle des objektiven Merkmals ein subjektives setzen und
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schlagen Ihnen vor, zu beschließen, daß eine Fortsetzung des Disziplinarverfahrens stattfinden kann, wenn Gründe vorliegen, die in der Person des Beschuldigten liegen, wenn also, um einige Beispiele zu bilden, der Beschuldigte flüchtig ist oder wenn er in ungebührlicher Art und Weise die Sachaufklärung verzögert.
Der Antrag, den wir unter Ziffer 3 stellen, bezieht sich auf Nr. 10 Buchstabe b des Gesetzentwurfs und betrifft eine ganz grundsätzliche, in Literatur und Judikatur seit Jahrzehnten umstrittene und schwankend entschiedene Frage. Es ist nämlich die Frage, ob und inwieweit der Disziplinarrichter an die tatsächlichen Feststellungen des ordentlichen Strafrichters gebunden ist. Die wissenschaftliche Meinung war in dieser Frage immer geteilt. Die Rechtsprechung hat außerordentlich geschwankt. Die große Mehrheit der gerichtlichen Entscheidungen hat sich für die absolute Bindung des Disziplinarrichters an den Strafrichter ausgesprochen. Durch eine Entscheidung des Hamburgischen Disziplinargerichts aus dem Jahre 1930 ist zum erstenmal, dieser Grundsatz durchbrochen worden. Es ist deshalb zu begrüßen - da das bisherige Recht über diese Frage schwieg -, wenn jetzt eine gesetzliche Regelung vorgenommen werden soll. Wir haben aber auch hier große Bedenken gegen die vorgeschlagene Regelung. Diese Bedenken kommen aus ganz grundsätzlichen Erwägungen. Die grundsätzlichen Erwägungen beziehen sich auf die Frage, ob im deutschen Prozeß das Verhandlungsgeheimnis so wie bisher absolut gewahrt oder unter gewissen Voraussetzungen durchbrochen werden soll. Wir haben diese Frage im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht anläßlich der sogenannten Justizreform 1950 sehr gründlich erörtert, und die Ausschußmehrheit Ist zu dem Beschluß gekommen, eine solche Durchbrechung nicht zuzulassen.
Die Beratung des Gesetzes über die Errichtung des Bundesverfassungsgerichts hat weiter zur Behandlung dieser Frage Anlaß gegeben, und der Ausschuß und das Plenum dieses Bundestags haben sogar beim Bundesverfassunggericht die Veröffentlichung von dissentierenden Gutachten einzelner Mitglieder des Gerichts abgelehnt; eine Regelung also, die z. B. in den Vereinigten Staaten längst Rechtens ist und die, wie die Wissenschaft zumindest anerkennt, außerordentlich zur Weiterentwicklung unseres Rechts beitragen könnte, weil sie in Amerika wertvolle Beiträge zur Fortentwicklung des Rechts gebracht hat.
Hier soll nun auf einmal ein Nebengebiet unseres Rechts, das Disziplinarrecht, dazu benutzt werden, um eine Regelung in einer Einzelfrage, nämlich den Voraussetzungen des Abweichnes des Disziplinarrichters vom Urteil des Strafrichters, zu bringen; und zwar wird vorgeschrieben, daß ein solcher Beschluß des Disziplinargerichts einstimmig gefaßt werden muß und überdies noch in den Urteilsgründen, also - noch viel weitgehender, als wir es beim Bundesverfassungsgericht haben - in einem dissentierenden Gutachten zum Ausdruck gebracht werden soll. Wir sind der Auffassung, daß es für die Frage, ob das Disziplinargericht von den tatsächlichen Feststellungen des ordentlichen Gerichts abweichen soll, bei den Abstimmungsregeln der sinngemäß anzuwendenden Strafprozeßordnung so lange zu bleiben hat, als nicht die Prinzipienfrage im allgemeinen Strafrecht oder in dem Prozeß zum Bundesverfassungsgericht entschieden ist. Wenn man auf dem Standpunkt steht, daß der
Disziplinarrichter nicht gebunden ist, muß man ihm die Freiheit in der Beschlußfassung geben, die der ordentliche Richter hat. Daher rechtfertigt sich unser Antrag, den ich Sie anzunehmen bitte.
Herr Abgeordneter Kleindinst!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz der eingehenden Ausführungen des Herrn Kollegen Brill bitte ich, den gestellten Antrag abzulehnen und die Ausschußfassung anzunehmen. Es handelt sich um zwei Fragen, und zwar zunächst um die Frage, ob eine Verhandlung fortgesetzt werden kann, wenn die Sachaufklärung gesichert ist. Wenn man bedenkt, daß der Bundesdisziplinaranwalt und schließlich auch der Vorsitzende des Gerichts darüber zu befinden haben, ob das geschehen ist, so ist zweifellos genügend Sicherheit gegeben, daß die Sachaufklärung auch gesichert ist. Wenn man sich darauf beschränken will, daß in der Person des Beschuldigten Gründe vorliegen, so kann es sich nur um eine Flucht handeln oder um eine Erkrankung, die so schwer ist, daß der Betreffende nicht verhandlungsfähig ist, oder um eine Geisteskrankheit. In diesen Fällen wird schon nach der Strafprozeßordnung ausgesetzt. Infolgedessen bitte ich, die Fassung des Ausschusses anzunehmen.
Schließlich besteht noch die weitere Frage, daß nach dem Antrag übereinstimmend festgestellt werden soll, ob die Feststellung des Tatbestandes eines strafrichterlichen Urteils nach der Anschauung des Bundesdisziplinargerichts richtig ist. Das ist eine Beschränkung auf einen so ausgefallenen Fall, darf ich sagen, daß man eine übereinstimmende Auffassung der Richter annehmen darf. Eine Gefährdung des Beratungsgeheimnisses ist mit dieser Feststellung zweifellos nicht gegeben; einen Grundsatz der Verletzung des Beratungsgeheimnisses darf man hier nicht annehmen. Das ist wohl an den Haaren herbeigezogen. Es handelt sich lediglich um die Feststellung, ob sich zwei Tatbestände decken oder ob sie sich nicht decken. Ich bitte infolgedessen, die Ausschußfassung, die nach langen Beratungen zustande gekommen ist, anzunehmen und den gestellten Antrag abzulehnen.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Besprechung.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD, Umdruck Nr. 627 Ziffer 2 zu Nr. 10, § 13 Buchstabe a. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
. Ich komme zur Abstimmung über den Antrag betreffend Buchstaben b, Umdruck Nr. 627 Ziffer 3. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über Ziffer 10 in der Ausschußfassung. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf die Ziffern 11, - 12, - 13, 14, 15, - 16, - 17, - 18. -- Keine Wortmeldungen.
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Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf Ziffer 19, Änderungsantrag Umdruck Nr. 627 zu Ziffer 4. Zur Begründung Herr Abgeordneter Dr. Brill!
Meine Damen und Herren! Ich erlaube mir, darauf aufmerksam zu machen, daß die Entscheidung über diesen Antrag für uns in der Schlußabstimmung wichtig sein wird. Ich glaube kaum, daß unsere Fraktion in der Lage sein wird, der Novelle zuzustimmen, wenn auch dieser Antrag der Ablehnung verfallen sollte.
Es handelt sich um die Möglichkeit der Verteidigung vor dem Disziplinargericht. Die Fassung der Ausschußvorlage sieht vor, daß Verteidiger vor Disziplinargerichten nur Rechtsanwälte, Verwaltungsrechtsräte und Rechtslehrer an deutschen Hochschulen sein können. Wir möchten, daß die Verteidigung vor den Disziplinargerichten auch von Vertretern der Gewerkschaften und der Berufsverbände der Beamten geführt werden kann. Wir glauben, in dieser Formulierung schon entgegengekommen zu sein, denn wenn wir in diesem Fall nur nach unserer politischen Anschauung handelten, hätten wir uns auf den Standpunkt zu stellen, daß lediglich die Vertreter der Gewerkschaften zugelassen werden sollten. Wir wären aber damit einverstanden, daß auch Vertreter sonstiger Berufsverbände der Beamten vor den Disziplinargerichten auftreten können.
Auch hier würde das Gesetz, wenn es in der vorliegenden Fassung angenommen wird, ein Zurückbleiben hinter der bisherigen Rechtsentwicklung bedeuten. Ich darf dem Herrn Kollegen Bodensteiner erwidern: gewiß ist er vorhin formal im Recht gewesen, als er gesagt hat, er habe ja hier nur Reichsrecht, Bundesrecht und Zonenrecht zu vertreten. Insofern ist sein Bericht korrekt gewesen. Ich habe aber gesagt, daß wir die gesamte Rechtslage, die sich in der Entwicklung des Beamtenrechts ergibt, berücksichtigen sollten, und deshalb auch auf die gesetzliche Regelung in den Ländern hingewiesen. Ich halte es für meine Pflicht, darauf aufmerksam zu machen, daß auch in diesem Punkt seit 1923 in Thüringen, seit 1924 in Sachsen seit 1932 in Preußen, seit 1950 in Nordrhein-Westfalen Vertreter der Gewerkschaften und der Berufsverbände der Beamtenschaft zur Verteidigung vor den Disziplinargerichten zugelassen sind.
Ich will heute nicht den Streit beginnen, wer sich denn zur Vertretung vor solchen Gerichten am besten eignet, die Rechtsanwälte oder die Gewerkschaftsvertreter; darüber wird ja wohl morgen bei der Vorlage des Arbeitsgerichtsgesetzes in extenso gesprochen werden. Ich beschränke mich deshalb heute darauf, für diesen Antrag zwei Dinge hervorzuheben.
Wer die Praxis der Disziplinargerichte wirklich kennt, weiß, daß sie es mit drei Hauptarten von Disziplinarfällen zu tun haben. Die erste Hauptart sind Disziplinarvergehen, die sich aus strafgerichtlichen Verurteilungen ergeben. Dabei ist die Tätigkeit des Disziplinarrichters in der Regel verhältnismäßig einfach und erfordert nach meinem Dafürhalten keine besondere rechtswissenschaftliche Ausbildung, es sei denn, daß der Fall eintritt, den wir eben diskutiert haben: es ergeben sich Abweichungen für die tatsächlichen Feststellungen nach dem Ergebnis einer neuen Beweisaufnahme vor dem Disziplinargericht, die auch, zu einer neuen rechtlichen Würdigung des Falles führen.
Die zweite Hauptart sind die - wie ich sagen möchte - allgemeinen Dienstvergehen, insbesondere diejenigen, die sich aus Verletzung der Treupflicht ergeben. Ich gebe zu, daß für diese Hauptart eine genaue Kenntnis der Rechtsprechung notwendig ist. Ob die Rechtsprechung, die sich in bezug auf die Treupflicht in Deutschland in den Jahren 1930 bis 1945 breitgemacht hat, dazu geeignet ist, etwas anderes als Gesinnungslosigkeit daraus zu lernen, wage ich zu bezweifeln. Mit anderen Worten: eine Vertretung in Fragen der Verletzung der Treupflicht erfordert mindestens genau soviel gefestigte Staatsanschauung und Weltanschauung wie Rechtskenntnis und Kenntnis der Judikatur. Was den ersten Punkt anlangt, glaube ich, sind die Gewerkschaftsvertreter mindestens so zuverlässige Verteidiger wie Professoren oder Rechtsanwälte oder Verwaltungsrechtsräte.
Die große Masse der kleinen Disziplinarvergehen bildet die dritte Hauptart: die Verstöße gegen Dienstvorschriften aller Art. Ich meine, daß in dieser dritten Hauptart die Gewerkschaftsvertreter und die Angehörigen von Berufsverbänden viel, viel besser Bescheid wissen als gelehrte Juristen. Gelehrte Juristen sind auf diesem Gebiete in der Regel Laien, die erst von den Gewerkschaftsvertretern informiert werden müssen.
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Ich glaube also, daß sich die Zulassung von Vertretern der Gewerkschaften und der Berufsverbände der Beamten als Verteidiger vor den Disziplinargerichten sachlich durchaus rechtfertigt. Wir haben mit der Zulassung von Gewerkschaftsvertretern und Vertretern von Berufsverbänden in den letzten Jahrzehnten gute Erfahrungen gemacht, und wir sind dafür, daß diese guten Erfahrungen auch auf das Bundesdisziplinarrecht übertragen werden. Wir wünschen das insbesondere auch deshalb, um eine Rechtseinheit in Deutschland herzustellen, die den Gedanken der sozialen Gerechtigkeit materiell für die Beamtenschaft klar zum Ausdruck bringt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kleindinst.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Änderungsantrag und der Stellungnahme des Herrn Kollegen Brill liegt das Hineintragen arbeitsrechtlicher Gesichtspunkte in das Bundesdisziplinarrecht zugrunde. Das sind zwei wesentlich verschiedene Auffassungen. Es ist schon im Ausschuß hervorgehoben worden: die Bundesdisziplinarordnung ist keine arbeitsrechtliche Verfahrensordnung. Vor allem handelt es sich hier nicht um die Lösung eines Dienstverhältnisses, das auf Vertrag beruht und das etwa nach dem Arbeitsvertrag oder nach dem Anstellungsvertrag beurteilt werden soll, sondern nach den Grundsätzen des Beamtenrechts.
Weiterhin muß ich hervorheben, daß gerade im Bundesdisziplinarrecht häufig auch Rechtsfragen von sehr elementarer Bedeutung ausgetragen werden. Wenn Sie in der Zukunft irgend jemand disziplinarrechtlich verfolgen, weil er Grundrechte verletzt hat, dann kommen wichtige verfassungs({0})
rechtliche Fragen rein juristisch zur Entscheidung, die schon ein sehr großes Maß von Rechtskunde und Erfahrung erfordern.
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Im übrigen handelt es sich dabei nicht um die Kenntnis der Rechtsprechung der Disziplinargerichte in der Vergangenheit, sondern selbstverständlich um die Entwicklung und um die Rechtsprechung in der Zukunft.
Ich bitte also, diesen Antrag abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Brill.
Meine Damen und Herren! Die Behauptung, daß das Wesen des Disziplinarrechts aus dem Wesen des Beamtenverhältnisses heraus eine Anwendung arbeitsrechtlicher Gedankengänge ausschließt, ist meiner Meinung nach völlig unbegründet. Überall, bei Beamten, Angestellten und Arbeitern, handelt es sich um Arbeitsleistungen, auch wenn man sie beim Beamten Dienstleistungen nennt.
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In sehr, sehr vielen Fällen handelt es sich sogar um genau die gleichen Arbeitsleistungen.
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Nehmen wir doch einmal das öffentliche Verkehrswesen. Vergleichen wir, wieviel Beamte und wieviel Arbeiter da vorhanden sind. Wenn wir in diesem Punkt unsere grundsätzliche Auffassung durchsetzen wollten, Herr Abgeordneter Dr. Kleindinst, müßten wir ja eine vollkommen andere Position beziehen, nämlich die, daß für Beamte, Arbeiter und Angestellte einheitliche Arbeitsgerichte eingerichtet werden.
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So weit sind wir gar nicht gegangen. Überlegen Sie sich doch noch einmal, ob Sie das vorgeschlagene Kompromiß. das - ich wiederhole und betone es - auch die Berufsverbände der Beamten einschließt, nicht annehmen wollen.
Zu dem zweiten Punkt möchte ich kurz folgendes sagen. Es ist durchaus richtig, daß für die Vertretung vor den Dicziplinargerichten auch die Kenntnis anderer Rechtsgebiete notwendig ist, nicht nur die Kenntnis der Judikatur, insbesondere dann - auch das gebe ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Kleindinst zu -. wenn es sich um Verletzung der Treupflicht der Beamten handelt. die aus einer Verletzung der Grundrechte erfolgt. Und unser Antrag, Herr Kollege Bodensteiner, schließt es ja gar nicht aus, daß dann neben einem Gewerkschaftsvertreter auch ein Rechtsanwalt auftritt. so daß die Sache durchaus nach beiden Gesichtspunkten behandelt werden kann und Sie, wenn Sie unserm Antrag zustimmen, durchaus auch auf Ihre Kosten kommen werden.
Überlegen Sie sich das bitte noch einmal. Ich bitte Sie wirklich eindringlich Nehmen Sie uns nicht vorsätzlich jede Möglichkeit, der Novelle unsere Zustimmung zu geben, sondern stimmen Sie unserem Antrag zu.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 627 Ziffer 4.
Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit, der Antrag ist angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über Ziffer 19 unter Berücksichtigung der eben angenommenen Änderung. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Ziffer 20 auf. - Keine Wortmeldung. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Das ist die Mehrheit. Ist angenommen.
Ich rufe Ziffer 21 auf.
Zu dem Änderungsantrag Umdruck Nr. 627 Ziffer 5 hat der Abgeordnete Brill das Wort zur Begründung.
Meine Damen und Herren! In Nr. 21 werden den Gewerkschaften und Berufsverbänden der Beamten für die Besetzung der Disziplinargerichte insofern gewisse Zugeständnisse gemacht, als sie berechtigt werden, Vorschläge einzureichen. Es heißt: sie können Vorschläge einreichen. Aus dem Wort „können" folgt unserer Überzeugung nach, daß für die Behörde keine Verpflichtung besteht, die Gewerkschaften und Berufsverbände zur Einreichung von Vorschlägen aufzufordern und solche Vorschläge entgegenzunehmen. Das ist aber notwendig. Deshalb schlagen wir Ihnen vor, das Wort „können" durch „haben" zu ersetzen. Dadurch sind die Gewerkschaften und Berufsverbände verpflichtet, so zu verfahren, wie auch die Behörde verpflichtet ist. Sie müssen also dann gehört werden, auch wenn sie sich selbst nicht regen. Im Interesse einer Ausdehnung des Gedankens der Demokratie auf eine Demokratisierung unseres ganzen Gerichtswesens bitte ich Sie, diesen Antrag, der ja eigentlich nur dem Grundgedanken der Beiziehung von Schöffen und Geschworenen der ordentlichen Rechtspflege entspricht, anzunehmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Änderungsantrag Nr. 627 Ziffer 5 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ich bitte, die Abstimmung durch Aufstehen zu wiederholen, damit ein klarer Überblick gewonnen wird. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über Ziffer 21 in der Ausschußfassung. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; Ziffer 21 ist angenommen.
Ich rufe auf Ziffer 22; Änderungsantrag zu Umdruck Nr. 627 Ziffer 6. Herr Abgeordneter Brill zur Begründung.
Meine Damen und Herren, dieser Antrag zu Ziffer 22 der Gesetzesnovelle entspringt staatsrechtlichen Bedenken. Wir sind der Auffassung, daß es sich bei dem Bundesdisziplinarhof um ein oberes Bundesgericht handelt. Nach der Stellung des Disziplinarhofes im ganzen Sy({0})
stem, nämlich als Berufungsgericht gegen die Urteile der Disziplinarkammern, kann darüber kein Zweifel sein. Nach der Bestimmung des Gesetzes soll der Bundesdisziplinarhof beim Bundesverwaltungsgericht gebildet werden. Er ist also eine Nebeninstitution des Bundesverwaltungsgerichts, was zweifellos, wie es aus .dem Gesetz über die Errichtung des Bundesverwaltungsgerichtes zu entnehmen ist, als oberes Bundesgericht angesehen werden soll.
Nun bestimmt Art. 96 des Grundgesetzes in Abs. 2 - ich darf das mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -:
Auf die Richter der oberen Bundesgerichte findet Art. 95 Abs. 3 mit der Maßgabe Anwendung, daß an die Stelle des Bundesjustizministers und der Landesjustizminister die für das jeweilige Sachgebiet zuständigen Minister treten.
Der Verweis auf Art. 95 Abs. 3 besagt, daß die Richter an den oberen Bundesgerichten genau so berufen werden müssen wie die am obersten Bundesgericht, nämlich durch den Bundesjustizminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuß, der aus den Landesjustizministern und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern besteht, die vom Bundestag gewählt werden.
Unserer Überzeugung nach ist die Berufung der ordentlichen Richter am Bundesdisziplinarhof auch nur durch einen Richterwahlausschuß möglich. Die Auswirkung der Annahme unseres Antrags wäre also, daß unter dem Vorsitz des Herrn Ministers des Innern ein Richterwahlausschuß entscheiden müßte, dem die Minister des Innern der Länder oder, wenn in den Ländern, was auch vorkommt, die Disziplinargerichte den Justizministern unterstehen, diese und die nach Maßgabe des Richterwahlgesetzes zu wählenden Mitglieder des Bundestags angehören. Ich glaube, daß es sich nicht nur, wie es bisher den Anschein erwecken könnte, um eine formale staatsrechtliche Frage handelt, die an den Begriff oberes Bundesgericht anknüpft und aus ihm entwickelt wird. Ich bin vielmehr darüber hinausgehend der Meinung, daß auch die ganze Bedeutung des Bundesdisziplinarhofes verlangt, die Auswahl der Richter bei ihm nicht anders zu behandeln, als das bei den übrigen oberen Bundesgerichten geschieht.
Schließlich glaube ich, Ihnen vortragen zu sollen, daß in einer solchen, Beteiligung des Bundestags, an der wohl am meisten Anstoß genommen wird, gar nichts Neues liegt. Das bisherige Beamtenrecht kennt in den Ländern schon eine Wahl aller Richter - mit Ausnahme des Gerichtspräsidenten, dessen Amt an ein anderes Amt: Präsident des Oberlandesgerichts, Präsident des Oberverwaltungsgerichts, Präsident eines bestimmten Landgerichts, geknüpft ist - durch die Landtage.
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Wir würden also, wenn Sie unseren Antrag annehmen, nur in der durch das Grundgesetz vorgeschriebenen Form diese demokratische Entwicklung unseres Beamtenrechts weiterführen.
Das Wort hat der Abgeordnete Bodensteiner.
Meine Damen und Herren! Die Regierungsparteien sind mit der Opposition der Auffassung, daß die hauptamtlichen
Richter des Bundesdienststrafhofes vom Richterwahlausschuß gewählt werden müssen. Wir halten das für eine selbstverständliche Folge des Grundgesetzes und des Richterwahlgesetzes. Wir halten es aber ebenso für überflüssig, das in dieses Gesetz hineinzuschreiben. Darüber hinaus rennt der Antrag offene Türen ein. Es wird nämlich, soweit ich unterrichtet bin, bereits danach verfahren, und die entsprechenden Vorschläge werden dem Richterwahlausschuß zugeleitet. Es ist also völlig überflüssig, daß wir das in das Gesetz hineinschreiben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Brill.
Meine Damen und Herren! Die Mitteilung, daß praktisch so verfahren wird, ist j a erfreulich; aber das genügt meiner Meinung nach nicht, um Rechtssicherheit in dieser Frage zu schaffen. Soweit ich die Rechtslage jetzt übersehe
- ich gebe zu, daß ich jetzt nicht ganz sicher bin -, gibt das Richterwahlgesetz in seiner jetzigen Form dafür keine genügende Rechtsgrundlage. Es ist also notwendig, das, was praktisch gemacht wird, auch gesetzlich zu verankern. Ich glaube, daß nur dieses Gesetz der richtige Ort ist, um eine solche gesetzliche Verankerung vorzunehmen. Wenn die Erklärung, die der Herr Abgeordnete Bodensteiner eben abgegeben hat - ich staune etwas darüber, daß Sie unfreiwillig als Regierungsvertreter auftreten -, von der Regierung bestätigt wird, ist ja die Sache ganz einfach. Warum wollen Sie dann unserem Antrag nicht zustimmen?
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
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- Der Herr Staatssekretär bestätigt für die Regierung die Erklärung des Herrn Abgeordneten Bodensteiner. - Keine weiteren Wortmeldungen? Ich lasse abstimmen.
Wer für den Änderungsantrag Umdruck Nr. 627 Ziffer 6 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ziffern 23 und 24. Wer für die Annahme ,der Ziffern 22, 23 und 24 in der Ausschußfassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe!
- Gegen einige Stimmen angenommen.
Zu Ziffer 25 ist ein Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 627 Ziffer 7 angekündigt.
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- Eine Begründung wird nicht gegeben.. Wortmeldungen erfolgen nicht. Ich lasse abstimmen. Wer für diesen Änderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ziffer 26, - 27, - 28, - 29, - 30, - 31, -32. - Wer für die Ziffern 25 bis 32 in der Ausschußfassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen einige Stimmen bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Zu Ziffer 33 ist ein Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 627 Ziffer 8 angekündigt. Ohne Begründung? - Wortmeldungen erfolgen nicht. Ich lasse
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°abstimmen. Wer für den Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 627, Ziffer 8, ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Ich bitte, die Abstimmung zu wiederholen. Wer für den Änderungsantrag ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Saal ist sehr verschieden dicht besetzt. Es besteht Ungewißheit darüber, wo die Mehrheit ist. Wir müssen durch Hammelsprung abstimmen.
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Ich bitte, die Türen zu schließen.
Ich bitte, mit der Abstimmung zu beginnen.
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Ich bitte, die Türen zu schließen. Die Abstimmung ist geschlossen.
Meine Damen und Herren, dies ist das Ergebnis der Abstimmung: Mit Ja haben gestimmt 114, mit Nein 160 Mitglieder des Hauses; Enthaltungen keine. Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
In Ziffer 33 ist eine redaktionelle Korrektur vorzunehmen. In Abs. 3 Satz 2 des § 52 ist das Wort „Einleitung" durch „Einstellung" zu ersetzen. Wir brauchen darüber nicht besonders abzustimmen.
Ziffern 33, - 34, - 35, - 36, - 37, - 38. - Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Bestimmungen sind angenommen.
Nach Umdruck Nr. 627 Ziffer 9 soll eine Ziffer 38 a eingefügt werden. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Dr. Brill.
Meine Damen und Herren! Wie der Herr Präsident eben sagte, handelt es sich bei diesem Antrag nicht um einen Änderungs-, sondern um einen Ergänzungsantrag. Ich darf Sie vielleicht bitten, Seite 48 des Berichts aufzuschlagen und § 60 Abs. 1 Satz 1 in der jetzigen Fassung zu lesen. Da steht etwas, was vielleicht Ihr Erstaunen erregen wird. Da wird lapidar gesagt: „Die Hauptverhandlung ist nicht öffentlich." Nun glaube ich, daß es uns seit mehr als 100 Jahren in Fleisch und Blut übergegangen sein sollte, daß alle Gerichte öffentlich verhandeln müssen. Hier aber soll die Öffentlichkeit absolut ausgeschlossen werden. Würden wir von unserem sozialdemokratischen Standpunkt eine Position vertreten, die hundertprozentig nicht den sozialdemokratischen Anschauungen, sondern den Anschauungen des vormärzlichen Liberalismus entspricht, dann würden wir einfach beantragen, das Wörtchen „nicht" zu streichen, so daß es dann heißen würde: „Die Hauptverhandlung ist öffentlich."Wie sich aber aus unserem Antrag auf Umdruck Nr. 627 Ziffer 9 ergibt, machen wir auch hier den Versuch, Ihnen entgegenzukommen, und schlagen Ihnen vor, zu beschließen:
Die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung ist auf Antrag des Angeschuldigten jederzeit herzustellen.
Es soll also dabei bleiben, daß - meinetwegen im Interesse der Verwaltung, die vielleicht dabei einiges zu verbergen hat - nicht öffentlich verhandelt wird. Aber es soll dem Angeschuldigten die Möglichkeit gegeben werden, jederzeit von sich aus die öffentliche Kontrolle über ein gegen ihn gerichtetes Gerichtsverfahren herzustellen.
Auch da muß ich zur weiteren Begründung die Frage aufwerfen: Warum soll denn das jetzt gemacht werden, wenn es sich eigentlich mit der ganzen Rechtsentwicklung nicht verträgt? Schon vor dem Jahre 1918 wurde vor den Disziplinargerichten des Deutschen Reichs, des Königreichs Sachsen, des Königreichs Württemberg und des Großherzogtums Sachsen öffentlich verhandelt. Nicht öffentlich wurde vor 1918 verhandelt in Preußen, in Bayern, in Baden, in Hessen. Nach 1918 wurde die Öffentlichkeit der Disziplinarverhandlungen hergestellt in Thüringen 1923, in Hamburg 1930, in Preußen 1932. Erst in der Nazizeit ist es zu einem Bruch mit diesem Prinzip der öffentlichen Verhandlung gekommen. Man empfand zuerst in Preußen das Bedürfnis - um einen Ausdruck der Regierungsvorlage zu gebrauchen -, wieder zu dem alten Rechtszustand zurückzukehren. Die Vorschrift der preußischen Dienststrafordnung von 1932 über die Öffentlichkeit der Disziplinarverhandlungen wurde im Jahre 1934 schon wieder aufgehoben. Inzwischen aber waren das Reichsministerium des Innern und das preußische Ministerium des Innern 1934 durch das Zweite Reichsstatthaltergesetz vereinigt worden. Die so vereinigten Bürokraten. glaubten, daß die Rechtslage auf Grund des preußischen Gesetzes nun auch im Reiche hergestellt werden müßte. So wurde also im Deutschen Reich 1937 diejenige Öffentlichkeit der Verhandlung abgeschafft, die seit 1873 unangefochten bestanden hatte.
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So ist die Entwicklung gegangen, meine Damen und Herren!
Haben wir nun wirklich bei einer geschichtlichen Besinnung - ich meine nicht Besinnung auf die Nazigesetzgebung von 1934 und 1937 - die Verpflichtung, das Prinzip der Öffentlichkeit für die Verhandlung der Disziplinargerichte so total und absolut aufzugeben, wie das der § 60 Abs. 1 Satz 1 vorsieht? Ich glaube: nein; denn, meine Damen und Herren, erinnern Sie sich doch bitte daran, wie diese Änderung des preußischen Disziplinarrechts, das die Nichtöffentlichkeit kannte, im Jahre 1932 zustande gekommen ist. Das Königreich Preußen hat, wenn man von den Bestimmungen des preußischen Allgemeinen Landrechtes von 1794 absieht, niemals ein umfassendes Beamtengesetz gehabt. Erst im Jahre 1851 wurde ein solches Gesetz für die richterlichen und 1852 für die nichtrichterlichen Beamten beschlossen. Diese Gesetze waren das letzte Aufbäumen des 48er Liberalismus in Preußen gegen die Reaktion, die mit der oktroyierten Verfassung vom 5. Dezember 1848 eingesetzt hat, und sie waren die einzig sichere Rechtsgrundlage für das preußische Beamtenverhältnis, wenn Sie nicht die gute Rechtsprechung des preußischen Oberverwaltungsgerichts, die sich aus allgemeinen Rechtssätzen entwickelt hat, in Betracht ziehen wollen.
Ich stelle nun an Sie die Frage: wollen Sie wirklich heute, im Jahre 1952, erneut das sanktionieren, was durch die preußische Reaktion im Jahre 1852 geschaffen worden ist? Wollen Sie heute, in dieser Stunde, die Rechtsentwicklung um hundert Jahre zurückdrehen?
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Wollen Sie das bekräftigen, was 1934 und 1937 unter nationalsozialistischer Führung gemacht worden ist? Es gibt nach meiner Meinung keine Einwände, die vor dem Grundsatz der Öffentlichkeit jeder Gerichtsverhandlung bestehen können; denn auch vor Disziplinargerichten kann die Öffent({2})
lichkeit nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung - Gefährdung der Staatssicherheit und Gefährdung der Sittlichkeit - ausgeschlossen werden. Ob das bei den Disziplinargerichten immer ein Fortschritt ist - ich spreche ganz allgemein -, wage ich zu bezweifeln. Kommt beispielsweise ein Lehrer wegen Sittlichkeitsvergehen vor das Disziplinargericht, so würde ich und habe ich als Disziplinarrichter niemals einen Grund dafür gesehen, die Öffentlichkeit auszuschließen; denn ich glaube, die Allgemeinheit hat ein großes Interesse daran, in das Innere des Schulbetriebs und Verwaltungsbetriebs nicht nur durch die verwaltungsgerichtliche Kontrolle, sondern auch durch die indirekte Kontrolle der Disziplinargerichte hineinzusehen. Das ist das wirkliche sachliche Interesse.
Fühlt sich ein Beamter durch die Öffentlichkeit der Verhandlungen beeinträchtigt, so wird man ihm eben sagen müssen, es hätte i a in seiner Hand, an seiner Person gelegen, keine Handlungen zu begehen, die ihn vor das Disziplinargericht gebracht haben. Aber, wie schon gesagt, ich glaube, daß die normalen Vorschriften der Strafprozeßordnung durchaus genügen, um die Öffentlichkeit dann auszuschließen, wenn das allgemein geboten erscheint.
Um also ein Prinzip des vormärzlichen Liberalismus aufrechtzuerhalten, um die Rechtsentwicklung in Deutschland nicht um genau hundert Jahre zurückzudrehen und um den immer größer werdenden Interessen der Allgemeinheit am Disziplinarwesen entgegenzukommen, bitte ich Sie, unseren Antrag in der Kompromißform, in der wir ihn eingebracht haben, anzunehmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Bodensteiner.
Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, den Antrag abzulehnen. Ich edaure außerordentlich, daß der Herr Kollege Professor Dr. Brill, den ich sehr schätze, nicht an den Beratungen des Ausschusses teilgenommen hat; sonst würde er uns hier nicht den Vorwurf machen, wir wollten in die Rechtspflege des absoluten Staates zurückkehren. Denn alle diese Fragen, die Sie hier angeschnitten haben, sehr verehrter Herr Professor, haben wir wirklich eingehend im Ausschuß erörtert, und ich darf Ihnen versichern, daß der Beschluß des Ausschusses einstimmig bei einer Enthaltung gefaßt worden ist.
({0})
Wir haben uns eingehend darüber unterhalten, ob es sich hier um ein zivil- oder strafgerichtliches Verfahren handelt, und wir sind eben zu der Überzeugung gekommen, daß es kein gerichtliches Verfahren, sondern daß es ein Verwaltungsverfahren ist, und nach eingehenden sachlichen Erwägungen
- ich will nicht im einzelnen darauf eingehen und hier nicht die ganze Ausschußberatung wiederholen
- sind wir zu der Überzeugung gekommen, daß es zweckmäßig ist, die Nichtöffentlichkeit des Verfahrens wiederherzustellen. Die Regierungsvorlage hat ja die Öffentlichkeit des Verfahrens vorgesehen.
Ich darf Sie noch darauf hinweisen, meine verehrten Damen und Herren, daß auch nach 1945 eine ganze Reihe von Ländern in Deutschland die Nichtöffentlichkeit des Verfahrens wiederhergestellt haben, z. B. Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Baden, Hamburg,
Bremen, Hessen. Es ist also ganz und gar nicht so,
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daß wir hier so wild drauflos in Rechtspflege des absoluten Staates gemacht haben.
Ferner darf ich Sie darauf hinweisen, daß die Formulierung auch rein konstruktiv nicht anwendbar ist. Wenn man das Recht nämlich dem Beschuldigten einräumt, dann muß man es doch ganz konsequent auch dem Disziplinaranwalt einräumen, und dann ist die Nichtöffentlichkeit so gut wie aufgehoben.
Aus diesen Gründen bitte ich Sie also, es bei dem Antrage des Ausschusses zu belassen, der eingehend beraten und einstimmig bei einer Stimmenthaltung beschlossen worden ist.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Brill.
Meine Damen und Herren! Ich bedauere selbst, daß es mir nicht vergönnt war, an den Verhandlungen des Beamtenrechtsausschusses teilzunehmen. Aber ich darf doch wohl sagen, daß diese Gesetzesvorlage auch im Ausschuß für Rechts. wegen und Verfassungsrecht verhandelt worden ist, und in diesem Ausschuß bin ich vom ersten bis zum letzten Verhandlungstage anwesend gewesen. Allerdings ist wohl in diesem Punkt eine Empfehlung des Rechtsausschusses nicht ausgesprochen worden.
Der Einwand, daß es sich um ein Verwaltungsverfahren handelt und deshalb die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden müßte, trifft meiner Meinung nach nicht zu. Denn soweit ich Gesetze über das Verwaltungsstreitverfahren kenne, verhandeln die Verwaltungsgerichte ebenfalls öffentlich.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Annahme des Antrags auf Umdruck Nr. 627 Ziffer 9 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Meine Damen und Herren, es ist nicht festzustellen, welches die Mehrheit ist. Wir müssen durch Hammelsprung entscheiden.
({0})
Ich bitte, die Türen zu schließen und mit der Auszählung zu beginnen.
({1}) Die Auszählung ist beendet.
Meine Damen und Herren, die Abstimmung hat folgendes Ergebnis: Mit Ja haben gestimmt 127, mit Nein 133; ein Mitglied des Hauses hat sich der Stimme enthalten. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Ziffern 39 bis 67. Ich habe anzumerken, daß in den Ziffern 33, 59, 61 und 64 gemäß Umdruck Nr. 645 redaktionelle Änderungen, Korrekturen des Wortlauts erfolgen müssen. - Ich nehme an, daß das Haus einverstanden ist. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen einige Stimmen bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ziffer 68. Hier ist ein Änderungsantrag, Umdruck Nr. 627 Ziffer 10, angekündigt. Das Wort zur Begründung dieses Antrags hat der Abgeordnete Dr. Brill.
Meine Damen und Herren! Der jetzige § 108, der durch Ziffer 68 geändert wird, enthält nach unserer Rechtsauffassung etwas vollkommen Unmögliches. Nach ihm sollen nämlich Verwaltungsmaßnahmen, wie die vorläufige Dienstenthebung, die Einbehaltung von Dienstbezügen und die Aufhebung dieser beiden Maßnahmen, einer richterlichen Behörde in dem Fall übertragen werden, daß es sich um Verfahren gegen richterliche Beamte handelt. Das wäre an sich möglich. Aber diese richterliche Behörde, der diese Verwaltungsmaßnahmen übertragen werden, ist auch entscheidendes Gericht. Eine solche Regelung verstößt nach unserem Dafürhalten gegen den Grundsatz der Trennung der Gewalten. Wir schlagen Ihnen deshalb, wie Sie in Nr. 10 des Umdrucks 627 nachlesen können, eine Formulierung des § 108 vor, die alle Befugnisse der Einleitungsbehörde im förmlichen Dienststrafverfahren auf den Richterwahlausschuß überträgt. Der Richterwahlausschuß ist wirkliche Ernennungsbehörde; der Richterwahlausschuß ist im Grunde auch die Anstellungsbehörde; er hat also die echte Zuständigkeit dafür, alle Verwaltungsakte zu setzen, für die an sich bei nichtrichterlichen Beamten die Einleitungsbehörde zuständig ist. Ich bitte Sie namens meiner Fraktion, dem Antrag zuzustimmen.
Wortmeldungen hierzu erfolgen nicht; wir stimmen ab. Wer für die Annahme des Änderungsantrags Umdruck Nr. 627 Ziffer 10 ist, den bitte ich um ein Handzeichen.
Gegenprobe! - Letzteres ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen ab über die Ziffern 68 bis 77. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Ersteres war die Mehrheit.
Art. 2. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich weise darauf hin, daß Art. 2 Bezug nimmt auf die Bundesdisziplinarordnung, die dem Gesetz angehängt ist. In dem Text dieser Bundesdisziplinarordnung ist gemäß Umdruck Nr. 645 eine Reihe von Irrtümern zu korrigieren. Ich nehme an, daß darüber nicht besonders abgestimmt zu werden braucht.
Wer für die Annahme von Art. 2 ist, den bitte ich. die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Gegen einige Stimmen angenommen. Damit erübrigt sich für den weiteren Fortgang der Abstimmung eine besondere Abstimmung über die Bundesdisziplinarordnung, die dem Gesetz beigefügt ist.
Abschnitt II, Art. 3,-4,-5,-6.-7.-8,9.-in.-11.-12.-13. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist. den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Mit überwiegender Mehrheit angenommen.
Zu Art. 14 sind Änderungsanträge angekündigt. Umdruck Nr. 649 Ziffer 1. Es bedarf wohl kaum einer Begründung: es ist ein interfraktioneller Antrag. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer für die Annehme des Änderungsantrags ist. den bitte ich. die Hand zu erheben. - Gegenprohe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Art. 14 in der abgeänderten Fassung, - Art. 15, - Art. 16. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen einige Stimmen angenommen.
Zu Art. 17 liegt ein Änderungsantrag vor, Umdruck Nr. 649 Ziffer 2. Er braucht wohl kaum begründet zu werden. - Wortmeldungen erfolgen nicht. Wer für die Annahme dieses Antrags ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe!
- Ist angenommen.
Einleitung und Überschrift. - Ich bitte um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Gegen einige Stimmen angenommen.
Damit ist die zweite Lesung abgeschlossen. Die Vorlage ist während der zweiten Lesung in einigen Punkten geändert worden, so daß wir zur dritten Beratung nur übergehen können, wenn nicht 10 Stimmen widersprechen.
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- Bitte, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktionen der FDP und der DP widerspreche ich der dritten Lesung.
({0})
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung für heute erledigt.
Ich bin gebeten worden, Ziffer 13 der Tagesordnung vorwegzunehmen, da Kollege Kunze verhindert ist, der Sitzung weiter beizuwohnen. Es handelt sich um die
Wahl der Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt,
also um eine bloße Abstimmung. Ich glaube, daß wir das unbeschadet der korrekten Abwicklung der Tagesordnung tun können. Es handelt sich um den Umdruck Nr. 648. Ich brauche wohl die Namen nicht vorzulesen. Auf eine Begründung soll auf Empfehlung des Ältestenrates verzichtet werden.
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- Der Umdruck Nr. 648 ist insofern abgeändert worden, als bei den Stellvertretern an Stelle des Abgeordneten Leibfried der Abgeordnete Farke treten soll. - Wortmeldungen erfolgen nicht.
Wir stimmen ab. Wer die auf Umdruck Nr. 648 vorgeschlagenen Personen wählen will, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die auf Umdruck Nr. 648 verzeichneten Personen sind zu Mitgliedern des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt gewählt worden.
Wir kommen nun zu Punkt 3 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Personalvertretungen in den öffentlichen Verwaltungen und Betrieben ({1}) ({2}).
Das Wort zur Begründung der Vorlage hat der Staatssekretär Ritter von Lex.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage, ob ein besonderes Personalvertretungsgesetz für den öffentlichen Dienst erlassen werden soll, ist bis in die letzten Beratungen des Betriebsverfassungsgesetzes im Bundestag und im Bundesrat umstritten gewesen. Durch die Beschlußfassung zu dem § 88 des Betriebsverfassungsgesetzes ist die Frage nunmehr entschieden. Das Betriebsverfassunggesetz findet auf die Betriebe
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und Verwaltungen des Bundes, der Länder, der Gemeinden und sonstiger Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts keine Anwendung. Es beschränkt sich auf den Bereich der Wirtschaft und sieht für den öffentlichen Dienst ein besonderes Gesetz vor. Damit wird die Ordnung des Rechts der Personalvertretung namentlich in der Bundesverwaltung zu einer dringenden Notwendigkeit. Der Gesetzentwurf regelt in seinen ersten Kapiteln die Bildung und Geschäftsführung der Personalvertretungen. Dabei ist der Entwurf bemüht, für den öffentlichen Dienst Abweichungen von den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes nur dort vorzunehmen, wo die Verschiedenheit zwischen Wirtschaft und öffentlichem Dienst dies erfordert. Die Bundesregierung trägt damit der Erfahrung Rechnung, daß Bestimmungen über Wahlen und Geschäftsführung überall große Ähnlichkeit besitzen, und daher auch für diese beiden Gesetze möglichst gleichmäßig getroffen werden sollten. Dennoch gibt es auch in den Vorschriften über die Bildung und Geschäftsführung der Personalvertretung Abweichungen vom Betriebsverfassungsgesetz, die sich aus der Zusammenfassung von Beamten, Angestellten und Arbeitern in einer Behörde oder in einem Betrieb der öffentlichen Hand ergeben.
Die Zusammenfassung der gewählten Vertreter der Beamten, Angestellten und Arbeiter in eine Personalvertretung hat die Bundesregierung mit dem Ziel der Zusammenarbeit innerhalb der Behörden und Betriebe für notwendig erachtet. Sie geht davon aus, daß die überwiegende Zahl der Angelegenheiten, mit denen sich die Personalvertretung zu befassen hat, gleichmäßig zu regeln ist. Selbst wenn man sich also für besondere Beamtenvertretungen entschieden hätte, würden die Beamtenvertretungen und die Vertretungen der Angestellten und Arbeiter in der überwiegenden Zahl der Angelegenheiten gemeinsam beraten und entscheiden müssen.
Die Schaffung einer gemeinsamen Personalvertretung für Beamte, Angestellte und Arbeiter in den Behörden und Betrieben des öffentlichen Dienstes erfordert aber andererseits, daß eine Majorisierung einer von diesen Gruppen durch andere vermieden wird und daß mit den Fragen. die nur eine Gruppe betreffen, nur diese Gruppe befaßt wird. So soll die Beamtenschaft sich beispielsweise nicht in Fragen, die nur die Angestellten angehen und von denen die Beamtenschaft überhaupt nicht betroffen ist, zum Schiedsrichter machen können, und natürlich auch umgekehrt.
Der Bundesrat hat vorgeschlagen, diese Beschränkung des Beratungs- und Entscheidungsrechts solle nur auf Antrag eintreten. Die Bundesregierung hat diesem Vorschlag nicht beitreten können. In Angelegenheiten, die nur eine Gruppe angehen, wäre es nach ihrer Auffassung unangebracht, die Vertreter anderer Gruppen an der Entscheidung mitwirken zu lassen. Die Verantwortung für Entscheidungen sollte auch im Personalrat immer nur der übernehmen, der mit den Dingen sachlich vertraut und von den Auswirkungen einer Entscheidung berührt ist.
Auch das System der Wahl soll die Wahrung der Rechte von Minderheiten möglich machen. Die Personalvertretung soll eine echte Repräsentation der Belegschaft darstellen. Die Mittel dazu sind die Gruppenwahl und innerhalb der Gruppen die Verhältniswahl. Die Verhältniswahl ist hier besonders geeignet, weil sie jeder Gruppe zu einer Vertretung gegenüber dem Chef der Behörde verhilft und weil es, anders als im staatlichen und politischen Leben, nicht auf die Schaffung tragfähiger Mehrheiten für die Regierungsbildung ankommt. Die Wahrung der Minderheitenrechte ist in der letzten Zeit durch einheitliche Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte als eine zwingende Voraussetzung für eine demokratische Gestaltung des Personalvertretungsrechts festgelegt worden. Nach Auffassung der Bundesregierung sollte daher die Gruppenwahl, die vor allem der Wahrung der Minderheitenrechte dient, nicht an eine vorherige ausdrückliche Zustimmung oder Entscheidung der Gruppe gebunden werden. Die Bundesregierung kann daher auch dem Vorschlag des' Bundesrats zu § 15 Abs. 2 des Entwurfs nicht folgen, der als Regelform die Gemeinschaftswahl vorsieht. Sie stimmt dabei mit der Entscheidung überein, die der Bundestag zu der gleichen Frage in den §§ 10 und 12 des Betriebsverfassungsgesetzes getroffen hat.
Der Bundesrat hat sich ferner für die Persönlichkeitswahl ausgesprochen und will damit die Verhältniswahl ablehnen. Hierzu muß darauf hingewiesen werden, daß die Persönlichkeitswahl, wie beispielsweise auch das Wahlrecht zum gegenwärtigen Bundestag zeigt, mit dem Verhältniswahlrecht nicht in Widerspruch stehen muß Der echte Gegensatz zu dem im vorliegeden Entwurf vorgeschlagenen Verhältniswahlrecht wäre das Mehrheitswahlrecht. Dieses könnte aber bei Anwendung auf die Wahlen der Personalvertretungen zu dem unbilligen Ergebnis führen, daß in den Betriebsräten, auch in Personalvertretungen, nur die Mehrheit vertreten ist und daß nur ihre Vertreter zu Wort kommen, während große Minderheiten keinerlei Möglichkeit haben, ihre Stimme zur Geltung zu bringen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die wichtigsten Bestimmungen, in denen das Personalvertretungsgesetz hinsichtlich der Bildung und der Geschäftsführung der Personalvertretungen vom Betriebsverfassungsgesetz abweicht, habe ich damit angeführt.
In den Vorschriften der Kapitel 5 bis 8 des Gesetzentwurfs werden die Befugnisse der Personalvertretungen und ihre Zusammenarbeit mit dem Leiter der Behörde oder des öffentlichen Betriebs geregelt. Diese Bestimmungen weichen von denen des Betriebsverfassungsgesetzes wesentlich ab. Damit trägt der Entwurf der Erkenntnis Rechnung, daß die wichtigsten Probleme beider Gesetze eben verschieden sind. Das Betriebsverfassungsgesetz hatte als wichtigste Frage die der wirtschaftlichen Mitbestimmung zu regeln. Diese Frage ist für das Personalvertretungsgesetz ohne Bedeutung. Im Personalvertretungsrecht entsteht dagegen das Problem, wie die Mitwirkungsrechte der Personalvertretung mit den Befugnissen des Parlaments - im Bund also mit denen des Bundestags - in Übereinstimmung zu bringen sind. Dieses Problem hat für das Betriebsverfassungsgesetz überhaupt nicht bestanden. Die Lösung, die der vorliegende Entwurf gesucht hat, darf ich bei der Schilderung der Regelung der Mitbestimmung der Personalvertretungen kurz darlegen.
Das Gesetz zählt die Angelegenheiten auf, in denen eine Beteiligung der Personalvertretungen in Betracht kommt. Es schlägt als Formen der Beteiligung die Anhörung, die Mitwirkung, die Mitbestimmung und den Abschluß von Betriebsvereinbarungen vor. Der einzelne Behördenchef wird also verpflichtet, die Vertretung seines Personals in
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bestimmten Angelegenheiten anzuhören, diese Angelegenheiten mit ihr zu erörtern und unter Umständen mit der Personalvertretung gemeinsam zu handeln. Bei diesen letztgenannten Angelegenheiten, in denen eine Mitbestimmung vorgesehen ist, kann der Behördenchef von sich aus die verweigerte Zustimmung der Personalvertretung nicht ersetzen.
Aber ebenso wie in der Privatwirtschaft muß auch in diesen Fällen eine Lösung gefunden werden. Deshalb ist im privaten Bereich der Appell an eine Schiedsinstanz eingeschaltet. Im öffentlichen Bereich ist dies nicht möglich; denn anders als der Unternehmer in der freien Wirtschaft ist in der öffentlichen Verwaltung der Behördenchef oder der Leiter des öffentlichen Betriebs nicht letztentscheidende Instanz, nicht Herr der Behörde oder des Betriebs, sondern er ist andereren, höheren Behörden und schließlich dem Minister nachgeordnet. Diese höhergeordneten Stellen können jederzeit in die Ermessenssphäre des Behördenchefs, um die es sich hier handelt, durch ihre Entscheidungen eingreifen. Auch diese Entscheidungen sind aber nicht frei wie die des Unternehmers. Sie unterliegen in der parlamentarischen Demokratie in Bund, Ländern und Gemeinden der Kontrolle des Parlaments oder der Vertretungskörperschaft. Deshalb ist es nach Auffassung der Bundesregierung nicht möglich, eine Schiedsinstanz einzuschalten und damit die Kontrolle des Parlaments oder der Vertretungskörperschaft zu schwächen.
Dieses Problem ist, soweit ich sehe, von allen Seiten, einschließlich des Deutschen Gewerkschaftsbundes, klar erkannt worden. Ich zitiere nur eine Stelle aus einer Veröffentlichung im „Deutschen Beamten", der Zeitschrift des DGB, vom April 1952. Dort heißt es:
Es kann nicht sein, daß der Minister in ein und derselben Sache dem Parlament verantwortlich, gleichzeitig aber von einem Mitbestimmungsrecht eines Betriebsrats abhängig gemacht ist.
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- Ich zitiere jetzt nur das, was der DGB geschrieben hat.
Der vorliegende Entwurf zieht deshalb die Grenze der Mitbestimmung v o r dem Minister als dem obersten Chef eines Ressorts, und in den Gemeinden zieht er die Grenze vor der Vertretungskörperschaft oder den von ihr delegierten Ausschüssen. Man wird gegen diese Lösung des Entwurfs nicht einwenden können, daß damit für den Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst ein schlechteres oder ein minderes Recht geschaffen werde. Es ist durchaus nicht gesagt, daß die Entscheidung des dem Parlament verantwortlichen Ministers oder der kommunalen Vertretungskörperschaft dem Beamten und Arbeitnehmer gegenüber nachteiliger sein müßte als die Entscheidung einer Schiedsinstanz, wie das Betriebsverfassungsgesetz sie vorsieht.
Man kann aber nach Auffassung der Bundesregierung auch die Pflichten und Rechte der im öffentlichen Dienst Tätigen nicht ohne weiteres den Rechten und Pflichten in einem privaten Beschäftigunesverhältnis gegenüberstellen. Der öffentliche Dienst ist bestimmt kein Mehr, er ist bestimmt auch kein Weniger als die Arbeit in der privaten Wirtschaft. Er ist aber etwas anderes und erfordert daher auch besondere Regelungen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Schluß darf ich noch ein kurzes Wort dazu sagen, daß der Gesetzentwurf auch auf die Regelungen der Länder Auswirkungen haben soll. Die verfassungsrechtliche Lage ist im Bund und in den Ländern in den Grundzügen gleich und daher auch von gleicher Bedeutung für das Personalvertretungsrecht. Die Bundesregierung kann daher dem Vorschlag des Bundesrats, den Ländern völlige Freiheit bei der Gestaltung des Personalvertretungsrechts zu lassen, nicht beitreten.
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- Die Rahmengesetzgebung, die ich gleich erwähnen werde, Herr Abgeordneter Dr. Menzel, braucht den Föderalismus durchaus nicht entscheidend zu schädigen.
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Die Bundesregierung sieht in verschiedenen Bestimmungen des Gesetzes einen Anwendungsfall des Art. 75 Ziffer 1 des Grundgesetzes, der, wie Ihnen bekannt ist, ja Rahmenbestimmungen auf diesem Gebiet vorsieht, und hält die Notwendigkeit für solche Rahmenvorschriften für gegeben.
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Der Gesetzentwurf ist eingebracht und begründet. Ich eröffne die allgemeine Aussprache der ersten Beratung. Das Wort hat der Abgeordnete Kühn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir uns vor den Parlamentsferien gelegentlich der Beratungen des Betriebsverfassungsgesetzes mit ähnlichen Fragen beschäftigten, wie sie jetzt zur Debatte stehen, wurde von der Fraktion der SPD auch das Problem der Personalvertretung angeschnitten. Und der Herr Kollege Böhm, glaube ich, war es, der damals außerordentlich leidenschaftlich die Ansicht vertrat, daß die Personalvertretungen auch in den öffentlichen Betrieben und in den Verwaltungen mit in das allgemeine Betriebsverfassungsgesetz hineingehören. Das Haus hat damals mit Mehrheit anders entschieden. Damals war schon das Personalvertretungsgesetz im Entwurf als Drucksache im Hause verteilt. Es ist nicht gelungen, sich schon vor den Parlamentsferien in der ersten Lesung über diesen Gesetzentwurf zu unterhalten, und so müssen wir es heute tun und müssen zu dem Gesetz grundsätzlich Stellung nehmen.
Wir haben eben aus dem Munde des Vertreters des Bundesinnenministeriums, Herrn Staatssekretärs Ritter von Lex, gehört, welche Momente die Regierung bewogen haben, in einem besonderen Gesetz die Personalvertretung in den öffentlichen Betrieben und Verwaltungen zu regeln. Ich bin ebenfalls der Meinung, daß die Problemstellung und die sich aus ihr ergebenden besonderen sachlichen Erfordernisse für eine gesetzliche Regelung völlig andere sind als die Verhältnisse bei den privaten Betrieben und in der privaten Wirtschaft. Mit Recht hat die Bundesregierung unseres Erachtens deshalb einen besonderen Gesetzentwurf vorgelegt, wobei ich auch feststellen darf, daß der Bundesrat in den Grundzügen mit diesem Gesetzentwurf einverstanden war.
Die Notwendigkeit einer besonderen gesetzlichen Regelung für den öffentlichen Dienst liegt eben in erster Linie darin, daß die Beziehungen zwischen dem Dienstherrn und den Verwaltungsangehörigen - und unter den Verwaltungsangehörigen
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möchte ich sowohl die Beamten wie die Angestellten und die Arbeiter verstehen - wesensmäßig völlig anderer Natur sind als die zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer in der privaten Wirtschaft. Vor allem ist die Forderung nach dem Mitbestimmungsrecht in der Privatwirtschaft insofern auch etwas ganz anderes, als sie ein Teil der Auseinandersetzung zwischen Arbeit und Kapital ist und als sie darauf abzielt, eine Demokratisierung der Wirtschaft durchzusetzen. Das kann keine Anwendung im öffentlichen Dienst finden. Denn der Verwaltungsangehörige steht nicht dem Privatkapital gegenüber, sondern, wie wir auch vorhin schon in der Begründung gehört haben, einem öffentlichen Dienstherrn als einem Organ des Staates und mithin auch einem Organ der Volksgesamtheit. Eine Demokratisierung etwa im öffentlichen Dienst ist kein Ziel mehr, das noch erreicht werden müßte, sondern sie ist eine Grundlage unserer Staatsgestaltung.
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Gleichwohl aber - und das haben wir eben gehört - bedarf es auch für den Bereich der öffentlichen Verwaltungen und Betriebe einer Regelung der Mitbestimmung der Verwaltungsangehörigen in sozialen und personellen Fragen. Denn eine wirtschaftliche Mitbestimmung im öffentlichen Dienst ist wesensmäßig doch gar nicht möglich; es wäre geradezu absurd, wenn etwa in einem behördlichen Bauamt die Personalvertretung darüber zu entscheiden hätte, ob eine Brücke oder ein Behördenhaus gebaut wird oder was sonst zu den Aufgaben eines Bauamtes gehört.
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Keine wirtschaftlichen Entscheidungen auf dieser Ebene! Dafür sind nämlich andere Organe da, und zwar die parlamentarischen Vertretungsorgane, gleichviel ob es sich um eine Gemeinde, um einen. Gemeindeverband, ein Land oder auch um den Bund handelt. Für diese Mitwirkungsrechte in der Sphäre der dienstlichen Aufgaben der Behörden - und darum handelt es sich - ist hier kein Raum.
Aber es besteht meines Erachtens auch noch eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zu einer völlig unabhängigen besonderen gesetzlichen Regelung. Schon die Weimarer Verfassung - das ist ja bekannt - hatte besondere Bestimmungen gerade über die Bildung von Betriebsräten, über die wirtschaftliche Räteverfassung und über den Reichswirtschaftsrat an der Spitze. Das waren organisatorische Grundlagen für die Wirtschaftsdemokratie. Aber ausdrücklich stand in dieser Weimarer Verfassung auch, daß besondere Beamtenvertretungen - und die Beamten stellen ja die große Masse gerade der Menschen, die in den Hoheitsverwaltungen tätig sind - geschaffen werden sollten. Es ist damals in der Weimarer Zeit nicht gelungen, eine gesetzliche Regelung aller dieser Fragen durchzuführen. Aber immerhin ist durch Erlasse und Anordnungen besonderer Art durchgesetzt worden, daß die Beamten ihre Vertretungen in den öffentlich-rechtlichen Verwaltungen und Betrieben hatten. Ich muß sagen, daß mit diesen Dingen damals gute Erfahrungen gemacht worden sind. Daher glaube ich, daß es sich hierbei nunmehr auch um hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums handelt, die nach Art. 33 Ziffer 5 des Grundgesetzes zu berücksichtigen sind. Dieser Verfassungsanspruch auf Beamtenvertretungen besteht unter allen Umständen, und er muß in irgendeiner Form realisiert werden. Daß wir mit den Einzelheiten dieses Gesetzentwurfes nicht ganz einverstanden sind und daß wir in vieler Beziehung in den Ausschußberatungen sicherlich noch diesen und jenen Änderungsantrag einbringen werden, steht ohne weiteres fest. Auf Einzelheiten möchte ich jetzt nicht eingehen.
Nur eines möchte ich noch sagen. Wir halten daran fest, daß unter allen Umständen die Gruppenwahl, die Gruppenberatung und auch die Gruppenentscheidung durchgesetzt werden muß. Wir glauben, daß wir auf diese Weise immerhin eine gute Lösung für diese Frage finden können.
Auch die Arbeiter und Angestellten in den öffentlichen Betrieben und Verwaltungen stehen unbedingt in einem anderen Dienstverhältnis zu ihrem Dienstherrn als etwa die in den privaten Betrieben. Wie man dann allerdings die Dinge nachher abgrenzt, wie man insbesondere die Betriebe und Verwaltungen einteilt, in denen das Personalvertretungsgesetz seine Geltung haben soll, das werden wir, glaube ich, im Ausschuß noch sehr eingehend beraten müssen.
Weiterhin bin ich der Meinung, die aus den letzten Worten von Herrn Staatssekretär Ritter von Lex ebenfalls herausklang, daß wir möglichst in Rahmenbestimmungen den Versuch machen sollten, für den Bund und die Länder ein einigermaßen einheitliches Recht zu schaffen.
Bei allen diesen gesetzlichen Vorschriften wird es letzten Endes doch immer darauf ankommen, welchen Geist dieses Gesetz atmet. Ich bin der Meinung, der Geist dieses Gesetzes sollte sein, allen Verwaltungsangehörigen das Gefühl einer echt en Mitarbeit zu geben. Ich glaube, wenn wir dies in dem Gesetz erreichen, dann werden wir auch zu dem Ziele kommen, das wir hier alle erstreben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich dabei noch eines sagen! Ich glaube, es wäre richtig, wenn sich mit diesem Gesetzentwurf nicht allein der Beamtenrechtsausschuß befaßte, sondern wenn man vielleicht einen gemeinsamen Ausschuß aus dem Beamtenrechtsausschuß und dem Ausschuß für Arbeit bildete und wenn so diese beiden Gremien zusammen darüber berieten, wie man hier zu einer Lösung kommt,
Im allgemeinen darf ich sagen, daß meine politischen Freunde der Grundtendenz des Gesetzes zustimmen, vorbehaltlich einer Reihe von Änderungsanträgen, die wir im Ausschuß stellen werden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wuermeling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der uns vorliegende Gesetzentwurf über die Personalvertretungen im öffentlichen Dienst betrifft Beamte, Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes. Sein Inhalt hat also einerseits eine beamtenrechtliche Seite, andererseits eine arbeitsrechtliche Seite. Mir ist von meiner Fraktion die Aufgabe gestellt worden, den Entwurf unter dem Gesichtspunkt des Berufsbeamtenrechtes kurz zu beleuchten, während mein Fraktionsfreund Rümmele anschließend zur arbeitsrechtlichen Seite, insbesondere im Zusammenhang mit den großen Betrieben Bahn und Post, Stellung nehmen wird.
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Die Frage, ob ein besonderes Gesetz über die Personalvertretungen im öffentlichen Dienst erlassen werden soll oder nicht, hat der Bundestag - wie an dieser Stelle heute schon erwähnt wurde - vor den Parlamentsferien durch Erlaß des selbständigen Betriebsverfassungsgesetzes für die private Wirtschaft bereits entschieden. Dieser Beschluß war verfassungsrechtlich, beamtenrechtlich und politisch richtig.
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Verfassungsrechtlich war er richtig, weil Art. 75 Ziffer 1 des Grundgesetzes dem Bund für das Recht des öffentlichen Dienstes in Ländern und Gemeinden nur ein Rahmengesetzgebungsrecht gegeben hat, während das Arbeitsrecht einschließlich Betriebsverfassung nach Art. 14 Ziffer 12 des Grundgesetzes im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung vom Bund ersthopfend geregelt werden kann und auch geregelt werden mußte. Beamtenrechtlich war der Beschluß des Bundestages richtig, weil beamtenrechtliche Vorschriften grundsätzlich nicht in Gesetze des allgemeinen Arbeitsrechtes hineingehören. Politisch war der Beschluß des Bundestages richtig, weil die parlamentarische Verantwortung der obersten Behördenchefs die gleiche Regelung wie in privatwirtschaftlichen Betrieben im öffentlichen Dienst schlechthin nicht zuläßt. Denn der oberste Behördenchef kann seiner parlamentarischen Verantwortung gegenüber dem für ihn zuständigen Parlament nicht durch entscheidende Mitbestimmung von Betriebsräten entzogen werden, es sei denn, man wollte in die verfassungsmäßige Zuständigkeit der demokratisch-parlamentarischen Körperschaften eingreifen. Letzteres kommt für uns und für unsere politischen Freunde unter keinen Umständen in Frage.
Im übrigen wolle man bei der Betrachtung des Gesetzes vor allem folgendes bedenken. Der Betriebsrätegedanke ist, wie hier auch schon angeklungen ist, aus dem jahrzehntelangen Ringen zwischen Kapital und Arbeit, aus dem Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit in der Erwerbswirtschaft erwachsen, den wir heute durch die Verwirklichung echter Betriebsgemeinschaft zu überbrücken bemüht sind. Im öffentlichen Dienst war und ist für diesen Gegensatz von Kapital und Arbeit überhaupt kein Raum, weil die Benorden keine privatwirtschaftlichen Erwerbsinteressen verfolgen, bei den Behörden vielmehr der Dienst am Gemeinwohl für jeden Behördenangehörigen alleiniges Prinzip des Handelns und Grundlage der zu treffenden Entscheidungen ist. In diesem Sinne fühlt sich die Beamtenschaft aller Dienstgrade als eine organische Einheit im Dienst am öffentlichen Wohl, an jenem öffentlichen Wohl, dem sich jeder einzelne durch das mit dem Diensteid bekräftigte beamtenrechtliche Treueverhältnis bis zum letzten Verbunden weiß.
So kann das Berufsbeamtentum die Frage der Personalvertretung aus seinem ganzen Berufsethos heraus nicht in einer Art Kampfstellung gegen den dem gleichen öffentlichen Wohl verpflichteten Behördenchef betrachten, sondern vor allem aus dem Bestreben heraus, die gemeinsame Arbeit aller Mitarbeiter zum bestmöglichen Einsatz für das Gemeinwohl zu bringen, also dem verantwortlichen Behördenchef mit Rat und Tat helfend und fördernd zur Seite zu stehen. Das gilt nicht zuletzt auch für die Mitwirkung in personellen und sozialen Angelegenheiten, die bei Betrachtung des
Aufgabenbereichs der vorgesehenen Personalräte im Vordergrund steht. Es scheint mir nicht unwichtig, diese grundsätzliche Denkweise unserer Berufsbeamtenschaft, die mit den staatspolitischen Notwendigkeiten in vollem Einklang steht, hier einmal an die Spitze zu stellen, zumal das deutsche Berufsbeamtentum es - ungeachtet seiner heutigen großen wirtschaftlichen Not - nicht zulassen wird, daß sein hohes Berufsethos durch materialistische Theorien und machtgierige Kampfparolen irgendwie unterminiert wird.
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Die von links verbreitete These, eine besondere Regelung der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst schaffe Arbeitnehmer minderen Rechts, kann vom deutschen Berufsbeamtentum überhaupt nicht ernst genommen werden, zumal sie einer egoistischen Denkweise entspricht, die dem Berufsbeamtentum wesensfremd ist. Behörden sind eben keine Betriebe mit Erwerbsinteressen, und Behördenangehörige sind keine Geldverdiener. Behörden sind vielmehr mit ihren Mitarbeitern eine organische Gemeinschaft im Dienst am Gemeinwohl. In dieser Einstellung müssen wir beamtenrechtlich den vorliegenden Entwurf betrachten. Hier liegen auch die Ausgangspunkte der berufsbewußten Beamtenschaft. Wir werden alle Einzelfragen, die ja erst im Ausschuß zu behandeln sind, .aus dieser Schau heraus beantworten in dem Bestreben, allen, d. h. auch allen nachgeordneten Mitarbeitern, jeden mit dem Wesen und der Aufgabe der Behörde zu vereinbarenden Einfluß vor allem auch auf die personellen und sozialen Entscheidungen zu sichern, um damit der Persönlichkeitswürde wie auch dem Berufsethos jedes einzelnen Mitarbeiters voll und ganz Rechnung zu tragen.
Dieses Gesetz soll den kommandierenden Vorgesetzten ebenso abschaffen, wie es dem räsonierenden Untergebenen den Boden entziehen muß. Es soll die organische Gemeinschaft aller Mitarbeiter ausgestalten im Sinne der Förderung des Gemeinwohls, das in beiderseitiger Erfüllung der durch das Beamtenverhältnis bedingten Treupflicht seine Verwirklichung findet.
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Eine besonders wichtige Frage dieses Gesetzentwurfes hat in dem Betriebsverfassungsgesetz insofern seine Vorentscheidung gefunden, als sie im öffentlichen Dienst erst recht nicht anders entschieden werden kann als im Betriebsverfassungsgesetz. Es handelt sich um die wichtige Frage, ob die Wahlen zu den Personalräten nach den Grundsätzen des Gruppenwahlrechts oder nach den Grundsätzen des Gemeinschaftswahlrechts erfolgen sollen, eine Frage, deren Beantwortung ihre Konsequenz dann in der Gruppenentscheidung oder Gesamtentscheidung des Personalrates hat. Da die Bedeutung dieser Frage vielfach nicht genügend gewürdigt wird, sei sie ganz kurz erläutert. Es besteht Einigkeit darüber, daß die Beamten, Angestellten und Arbeiter je nach der Größe ihrer Gruppe eine bestimmte Anzahl von Vertretern in den Personalrat entsenden. Bei der Gemeinschaftswahl hat jeder Behördenangehörige Stimmrecht für jeden Sitz im Personalrat, also kann z. B. der Beamte die Vertreter der Arbeiter und der Arbeiter die Vertreter der Beamten mitwählen. Entsprechendes gilt für die Angestellten. Bei der Gruppenwahl wählt jede Gruppe ihre eigenen
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Vertreter, also die Beamten die Beamtenvertreter, die Angestellten die Angestelltenvertreter und die Arbeiter die Arbeitervertreter, ohne daß der einzelne auch Stimmrecht in der anderen Gruppe hat.
Wenn dieses Gemeinschaftswahlrecht bisher teilweise in Geltung war, so kann es nicht einfach deshalb als richtig und gut bezeichnet werden, weil es in der Bundesrepublik schon irgendwo eingeführt ist. Man kann auch nicht von Rückschritt reden, wenn eine schiefe Entwicklung revidiert wird. Denn dieses Gemeinschaftswahlrecht führt zu ausgesprochen undemokratischen und damit ungerechten Ergebnissen. Wenn Sie das Beispiel einer Behörde mit 500 Arbeitern, 250 Angestellten und 250 Beamten wählen und das Gemeinschaftswahlrecht unterstellen, so hat das zur Folge, daß die 500 Arbeiter den entscheidenden Einfluß auf die Besetzung der Posten für die Beamten und Angestellten ausüben. Und umgekehrt ist es das gleiche, wenn Sie das Beispiel mit 500 Beamten, 250 Angestellten und 250 Arbeitern wählen. Dann würden die 500 Beamten den entscheidenden Einfluß auf die Besetzung der Personalratsstellen der Arbeiter ausüben, was auch nicht gerecht wäre. Im übrigen hat man die Erfahrung gemacht, daß linksgerichtete Behördenangehörige dieses Gemeinschaftswahlverfahren benutzen, um den gerechten Vertretungsanspruch ihrer anders eingestellten Berufskollegen auszuschalten. Das war weder demokratisch noch gerecht. Deswegen sind wir der Meinung, daß dieses Verfahren nicht aufrechterhalten werden kann. Die Gemeinschaft der Behörden braucht durch Gruppenwahlrecht in keiner Weise zu leiden. Im Gegenteil, undemokratische Vergewaltigungen von Minderheiten müssen zu einer Störung der Kameradschaft in der Behörde führen, wie es sich auch verschiedentlich erwiesen hat. Es geht auch nicht an, durch undemokratische Wahlmethoden bestimmten politischen Kreisen über die Betriebs- oder Personalräte den Einfluß auf die Behördenleitungen zu verschaffen, den sie auf dem Wege über die politischen Parlamentswahlen nicht erreichen können.
Auf Einzelheiten des Entwurfs kann ich wegen der Kürze der Zeit im übrigen nicht mehr eingehen. Alles in allem sind wir der Meinung, daß der Entwurf eine geeignete Grundlage für die Ausschußberatung ist, wenn ich auch nicht unterdrucken möchte, daß so manche Einzelheiten überprüft und verbessert werden müssen. Besonderen Wert legen auch wir auf die Rahmenbestimmungen für die Länder und Gemeinden. Das Ziel des Gesetzes muß sein, einerseits die Funktionsfähigkeit der Behörden zu steigern, andererseits das soziale Gefüge der Behörden im Sinne der vollwertigen Einordnung aller Mitarbeiter, nicht zuletzt im wohlverstandenen sozialen Sinne, sicherzustellen. In diesem Sinn werden wir im Ausschuß an die Arbeit gehen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Rümmele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Gesetz, das Personalvertretungsgesetz, wird direkt für etwa 900 000 Menschen Geltung erlangen, für die Bundesbeamten, Angestellten und Arbeiter einschließlich der Gebietskörperschaften. Von diesen 900 000 Menschen, die Bedienstete des Staates sind, sind nahezu 800 000 Beamte, Angestellte und Arbeiter der Bundesbahn und der Bundespost und etwa 110- bis 115 000 Angehörige der anderen Gruppen. Wenn Sie nun die Unterteilung zwischen Beamten und Arbeitern in der Gesamtzahl berücksichtigen, dann kommen Sie zu einem Verhältnis von etwa 60 % Angestellten und Arbeitern und 40 % Beamten, die dieser gesamten Verwaltung angehören. Es ist bei der Bundesbahn ja so, daß wir etwa 320 000 Angestellte und Arbeiter - in 'der Hauptsache Arbeiter - haben und etwa 200 000 Beamte, wobei allerdings zu sagen ist - und das erschwert die Beurteilung der Materie -, daß auch etwa 80 000 Arbeiter - also Leute, .die im Arbeiterverhältnis und unter Arbeitsrecht stehen - Beamtendiensttuer sind. Das ist eine Schwierigkeit, die man natürlich im Privatbetrieb nicht kennt und die auch von dem nicht verstanden werden kann, der sich nicht mit den Dingen beschäftigt. Bei der Post liegt es ähnlich, etwa die Hälfte von 260 000 Beschäftigten sind Beamte, und die weitere Hälfte sind Arbeiter. Ich sage runde Zahlen. Wenn Sie weiter berücksichtigen, daß dieses Gesetz zweif el-los ein 'Rahmengesetz für die Beamten, Angestellten und Arbeiter der Länder und auch für die der Gemeinden und Gemeindeverbände sein wird, dann kommen Sie auf eine 'Gesamtzahl von immerhin 1,9 Millionen öffentlicher Bediensteter. Auch bei den Ländern und Gemeinden ist das Verhältnis ähnlich, etwa 40 % sind Beamte und etwa 60 % Angestellte und Arbeiter. Insgesamt kann man, wenn man Bund, Gebietskörperschaften, Länder und Gemeindekörperschaften zusammenzählt, etwa mit 800 000 Beamten rechnen, mit etwa 500 000 Angestellten und mit rund 650 000 Arbeitern.
Ich habe 'diese Zahlen nur deswegen einmal herausgestellt, um zu zeigen, 'daß es schon daraus eine Schlußfolgerung geben muß. Auch nach dem Willen der Beamtenschaft soll der nicht beamtete Teil etwa keine Majorisierung versuchen und ausüben. Das kann man unterstreichen und unterstützen; denn der Zweck der Demokratie ist ja nicht die Majorisierung der anderen. Immerhin muß ja auch eine demokratische Mehrheitsbildung möglich sein und muß es eine Mehrheitsbildung geben.
Nun muß man die weitere Schlußfolgerung ziehen, es kann natürlich auch nie so sein, daß die Minderheit die Mehrheit irgendwie majorisiert. Ich will aber die Frage nicht weiter ausführen und nicht weiter ausholen und nur feststellen, daß, wenn man das Zahlenbild ansieht und die tatsächlichen Verhältnisse vergleicht, man zu der Schlußfolgerung kommen muß, daß zweifellos nicht nur der Beamtenrechtsausschuß, sondern auch der Arbeitsrechtsausschuß in, ich möchte beinahe sagen, gleichwertiger Arbeitsführung für die Beratung dieses Gesetzes zuständig sein muß. Da nun natürlich nicht beide Ausschüsse federführend sein können, wird, da das Innenministerium den Gesetzentwurf gemacht hat, ja wohl der Beamtenrechtsausschuß federführend sein müssen. Ich möchte aber hier vorschlagen, daß die beiden Ausschüsse zusammen eventuell einen Unterausschuß bestimmen. Dessen Vorsitzender könnte sehr wohl unser Herr Dr. Kleindinst sein, damit auch nach der Seite hin das Alter und die Würde zum Recht kommen. Aber ich kann mir auch denken, daß der Kollege Sabel und die anderen Mitglieder des Ausschusses für Arbeit hier Wesentliches beisteuern können.
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Nun noch eine andere Frage. Es ist hier ausgeführt worden - und es ist auch richtig -, daß die Gegebenheiten bei dem öffentlichen Dienst einerseits und bei der Arbeiterschaft und Angestelltenschaft bei irgendeinem Aktienunternehmen natürlich verschieden sind. Ich glaube, das wird von niemandem in diesem Hause, von keiner Seite des Hauses bestritten; das sind Tatsachen. Man kann auch selbstverständlich nicht ganz genau das, was in der Privatindustrie möglich, gang und gäbe und beschlossen ist, auf die Verhältnisse im öffentlichen Dienst übertragen. Denn da, wo parlamentarische Körperschaften anfangen, Verantwortung zu tragen, muß naturgemäß die Einwirkungsmöglichkeit über den Betriebsrat aufhören; aber sie kann ja über die parlamentarischen Körperschaften, ob das Gemeinderäte oder Stadträte, ob das Landtagsabgeordnete oder andere sind, ausgeübt werden.
Es ist weiter klar, daß wir natürlich keine Leute in den Aufsichtsrat schicken können wie in der Privatindustrie, einesteils weil es so etwas bei den Behörden nicht gibt, andernteils weil bezüglich der großen Behörden eine besondere Gesetzgebung verabschiedet ist oder verabschiedet werden wird - ich darf an das Bundesbahngesetz und an das kommende Bundespostgesetz erinnern - und die Abgeordneten in den entsprechenden Körperschaften auf diese Dinge einen gewissen Einfluß haben.
Aber es gibt große Unterschiede nicht nur zwischen öffentlichem und privatem Dienst, sondern auch innerhalb des öffentlichen Dienstes selbst. Beamte der Justizverwaltung und Angestellte und Arbeiter der Justizverwaltung sind natürlich nicht ohne weiteres vergleichbar nut einer großen Dienststelle der Bundesbahn, einem großen Rangierbahnhof, einer großen Güterhalle, einer Bahnmeisterei oder einem Werkstättenbetrieb. Da sind die Unterschiede zwischen den Gruppen im öffentlichen Dienst manchmal ebenso groß oder noch größer als gegenüber den privaten Diensten.
Wenn man das berücksichtigt, dann kommt man dazu, das selbstverständlich die Zuständigkeiten auf sozialem Gebiet, auf personellem Gebiet und auf arbeitstechnischem Gebiet, wie der Gesetzesentwurf sagt, im Gegensatz zum wirtschaftlichen Sektor bei der Privatindustrie verschieden sind. Aber man braucht durchaus nicht die parlamentarischen Körperschaften ausschalten zu wollen und kann doch vielen berechtigten Wünschen nachgeben. Denn zwischen der Tätigkeit der parlamentarischen Körperschaften und den Möglichkeiten der Menschenführung im Betrieb, in der Dienststelle, in der Verwaltung sind große Möglichkeiten vorhanden; und da scheint mir das, was dieser Gesetzentwurf bringt, ich möchte beinahe sagen, polizeiwidrig schüchtern zu sein. Die Polizei untersteht ja dem Innenministerium, das diesen Entwurf mit zu verantworten hat. Aber, meine Damen und Herren, wenn schon im sozialen Gebiet - nicht nur beim personellen - von etwa 14 aufgezählten Zuständigkeitsbereichen ganze drei, nämlich die Kantinen, die Wohlfahrtseinrichtungen und die Unfallverhütung, der Mitwirkung unterstehen und die übrigen elf Zuständigkeitsbereiche entweder nur dem Anhören oder dem Mitwirken unterstellt werden, dann kann ich Ihnen nur sagen, muß der Ausschuß oder müssen die Ausschüsse oder der Unterausschuß noch kräftige Arbeit leisten. Denn mindestens auf dem sozialen Gebiet kann man auch bei Aufrechterhaltung aller Disziplin und Ordnung und aller Einordnung noch viel weiter entgegenkommen, und man kann das auch im personellen Gebiet.
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Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß und will Ihnen nur eines sagen: Es bringt ja schließlich auch das Personal, der Arbeiter oder Angestellte genau wie der Beamte, in diese Partnerschaft etwas Aktives ein, nämlich seine Person, seine Dienstleistung; und wenn man ihm Vertrauen schenkt und ihm entgegenkommt, wo es möglich ist, und weitgehend entgegenkommt, dann wird dieses Vertrauen auch wieder seine Belohnung finden durch erhöhte Dienstfreudigkeit. Wir wissen ja: die Zeit des Herr-im-Hause-Standpunktes ist ebenso vorbei wie das Kolonialzeitalter innerhalb der Völker. Also man soll die Schlußfolgerung ziehen. Ich bin fest überzeugt, daß man nicht zu zaghaft vorzugehen braucht. Man soll zwar die Kirche im Dorf lassen. Man soll aber weitestgehend der Idee und der Sache Vertrauen schenken. Dann wird die Zeit kommen - vielleicht schon in fünf oder zehn Jahren -, wo man es ebensowenig versteht, daß man ohne Mitbestimmung ausgekommen ist, wie man es heute nicht mehr verstehen würde, daß man ohne Tarifvertrag auskommen konnte oder auskommen könnte.
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Ich darf noch beantragen, den Gesetzentwurf federführend an den Ausschuß für Beamtenrecht sowie an den Arbeitsausschuß zu überweisen, aber mit der Bitte, daß beide Ausschüsse vollzählig zusammen einen Unterausschuß oder Arbeitsausschuß bilden und dann diese Materie gemeinsam behandeln.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Farke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das vorliegende Personalvertretungsgesetz geht von der Notwendigkeit einer besonderen gesetzlichen Regelung für den öffentlichen Dienst aus. Die Fraktion der Deutschen Partei bejaht diese Notwendigkeit, da sie Ungleiches nicht gleich, sondern den ungleichen Gegebenheiten gemäß verschieden behandelt wissen will. Die Beziehungen zwischen Dienstherrn und den Verwaltungsangehörigen sind für sie anderer Natur als die zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft. Die Auseinandersétzung über die Mitbestimmung zwischen Arbeit und Kapital - das wurde schon vom Abgeordneten Kühn gesagt zielt auf eine Demokratisierung der Wirtschaft hin. Der Verwaltungsangehörige im öffentlichen Dienst steht aber nicht dem Kapital, sondern einem öffentlichen Dienstherrn gegenüber, einem Organ der Volksgesamtheit, dem Ausdruck der Demokratie an sich als Grundlage unserer Staatsgestaltung. Wenn es demnach schon schlecht möglich ist, Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst in ein Betriebsverfassungsgesetz, wie der Deutsche Gewerkschaftsbund es fordert, einzubeziehen, das nur für Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft Regelungen treffen kann, so ist es noch weniger möglich, das mit Beamten zu tun.
Von 1918 bis 1933 wäre keiner betreffs der Beamten auf diesen Gedanken gekommen. Da war es selbstverständlich, daß den Beamten nach hergebrachtem Recht besondere Beamtenvertretungen gebührten. Das staatspolitische Gefühl war noch nicht verlorengegangen. Was aber in der Vergangenheit und besonders nach der Weimarer Ver({0})
fassung 1918 bis 1933 als Aufgabe gesamtstaatlicher Verantwortung begriffen wurde, gilt heute für uns mehr denn je und ist nicht umsonst in Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes gefordert.
Die Zusammenkoppelung von Angestellten und Arbeitern mit den Beamten in dem vorliegenden Gesetz, also zweier innerhalb des öffentlichen Dienstes verschiedener Kategorien, führt allerdings zu Schwierigkeiten. Für mich und meine Freunde ist nun die Frage, ob diese Schwierigkeiten in dem vorliegenden Gesetzentwurf gelöst werden. Nach Durchsicht des Gesetzes kann von uns diese Frage ,nicht ganz bejaht werden, da besonders die Beamtenvertretungen als solche nicht unbedingt gesichert sind und durch das indirekte Wahlverfahren nach den Grundsätzen des Rätesystems in § 51 illusorisch werden.
Als unmöglich sehen wir auch § 55 Abs. 2 an, in dem von Maßnahmen des Arbeitskampfes gesprochen wird,
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was nach unserer Auffassung eine Legalisierung des Streikrechts bedeuten kann.
Auch die Amtszeit des Personalrats von zwei Jahren nach § 23 erscheint uns zu kurz. Dazu kommen natürlich noch unmißverständliche Formulierungen und weitere Ergänzungen, die wir bei der Beratung im Ausschuß als Forderungen stellen werden.
Die Fraktion der Deutschen Partei hat das Bestreben des Deutschen Gewerkschaftsbundes abgelehnt, den öffentlichen Dienst, insbesondere die Beamtenvertretung, innerhalb eines Betriebsverfassungsgesetzes zu regeln. Sie wird das gleiche tun, wenn in dem vorliegenden Personalvertretungsgesetz Forderungen betriebsverfassungsähnlicher Art gestellt werden sollten. Wir denken nicht daran, die Hand dazu zu bieten, die öffentlichen Verwaltungen und den öffentlichen Dienst zu syndikalisieren.
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Entwicklungen, wie sie sich bei den letzten Proteststreikversuchen innerhalb des öffentlichen Dienstes durch den Deutschen Gewerkschaftsbund zeigten, die zu einem Auflösungsprozeß und zu einem Aufhören der staatspolitischen Funktion des Beamtentums führen müssen, setzen wir einen kompromißlosen Widerstand entgegen.
Der vorliegende Gesetzentwurf des Personalvertretungsgesetzes ist für die Fraktion der Deutschen Partei die geeignete Grundlage für die kommende Ausschußarbeit. Wir sind auch damit einverstanden, daß der Beamtenrechtsausschuß sowohl als auch der Arbeitsrechtsausschuß für die Beratung gemeinschaftlich herangezogen werden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Pannenbecker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, man kann sagen, daß sich alle Fraktionen dieses Hauses für die Erhaltung des Berufsbeamtentums eingesetzt haben und weiter einsetzen werden. Das heißt also, auf eine kurze, prägnante Formel gebracht, daß man den Beamten geben muß, was den Beamten zusteht. Dazu gehört u. a. ein Personalvertretungsgesetz, und dieses wäre - da stimme ich mit den Herren Vorrednern überein - nach den hergebrachten Grundsätzen des Beamtenrechts einzurichten. Das
bedeutet meines Erachtens eine säuberliche, systematische Trennung vom Arbeitsrecht. So sind denn auch die Beamten in das Betriebsverfassungsgesetz nicht aufgenommen worden.
Hinsichtlich des vorliegenden Gesetzentwurfs im Rahmen meiner nur wenige Minuten betragenden Redezeit folgendes. Es erscheint angebracht, die Wahlvorstände nicht durch den Personalrat, sondern durch die Personalversammlung wählen zu lassen. Ich glaube, das würde demokratischer zugehen.
Hinsichtlich des Schutzes der Minderheiten, von dem insbesondere der Regierungsvertreter sehr eingehend gesprochen hat, glaube ich, daß man der in der Regierungsvorlage vorgesehenen Gruppenwahl zustimmen soll, und diese Gruppenwahl sollte man auf das Verhältniswahlsystem abstellen. Bei Bezirks- und Hauptpersonalvertretungen müßte meines Erachtens das System der Urwahl, also die direkte Wahl Platz greifen.
Eine gewisse Ausweitung der Befugnisse der Beamtenvertretungen gegenüber den in der Regierungsvorlage vorgesehenen Befugnissen erscheint - darauf hat insbesondere Herr Abgeordneter Rümmele hingewiesen - angebracht. Über Anhörung, Mitwirkung und Mitbestimmung wird bei den Ausschußberatungen eingehend gesprochen werden müssen. Meine Fraktion ist mit der Überweisung der Gesetzesvorlage an die genannten Ausschüsse einverstanden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Menzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der ersten Lesung des Entwurfs dieses Gesetzes über die Personalvertretung knüpfen wir an die Beratung des Betriebsverfassungsgesetzes am letzten Tage vor den Parlamentsferien an, die recht unrühmlich endete, unrühmlich, weil sich die Mehrheit dieses Hauses gegenüber dem Recht der Arbeitnehmer auf die Mitgestaltung an der deutschen Wirtschaft so absolut verschloß. Die Erbitterung auf seiten der Arbeitnehmer ist um so berechtigter und um so größer, weil sie glauben, nach dem, was sie in den schweren Aufbaujahren nach 1945 geleistet hatten, ein Anrecht darauf zu haben, nunmehr das Schicksal der deutschen Wirtschaft -mitgestalten zu dürfen.
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Nun, das ist nicht geschehen. Und die Erbitterung ist auch deshalb so groß, weil die Mehrheit dieses Hauses es damals abgelehnt hat, sich einer wirklichen Aussprache zu stellen, und sich allein darauf verlassen hat, daß sie letzten Endes die Stimmenmehrheit habe.
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Wir werden auch nicht, Herr Bundesarbeitsminister, Ihr großes Schweigen vergessen, das Sie bei dieser Debatte an den Tag gelegt haben. Wenn ich daran erinnere, so deshalb, weil dieses Gesetz, das uns jetzt vorliegt, den gleichen Geist - oder es ist vielleicht richtiger zu sagen: den gleichen Ungeist - atmet wie das allgemeine Betriebsverfassungsgesetz.
Neben dem materiellen Inhalt dieses Gesetzes interessiert hier zunächst einmal die parlamentarischtechnische Behandlung des Entwurfs durch die Bundesregierung. Der Gesetzentwurf trägt das Datum vom 7. März dieses Jahres. Nachdem er den Bundesrat passiert hatte, lag er der Bundesregie({2})
rung bereits Ende März wieder vor. Mitte Juni setzten die Bemühungen ein, durch eine gemeinsame Besprechung zwischen Bundesregierung und dem Deutschen Gewerkschaftsbund die entstandenen Differenzen durch Verhandlungen auszugleichen. Aber mitten hinein in diesen Waffenstillstand, mitten hinein in diese Verhandlungen im Juli prellte die Bundesregierung plötzlich vor, und mit auffallender Hast forderte sie die überstürzte Verabschiedung nicht nur des allgemeinen Betriebsverfassungsgesetzes, sondern auch die erste Lesung dieses Personalvertretungsgesetzes.
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Da wird es die Bundesregierung - auch der Herr Bundesinnenminister - verstehen, wenn wir fragen, warum sie den Entwurf dieses Personalvertretungsgesetzes, nachdem er vom Bundesrat zurück war und er schon 31/2 Monate vorlag, ausgerechnet in dem Augenblick dem Parlament vorgelegt hat, in dem sie mitten in den Verhandlungen mit dem DGB war. Suchte sie vielleicht einen Vorwand, um diese Verhandlungen scheitern zu lassen? Leider haben wir in den Erklärungen des Herrn Regierungsvertreters zu dieser Frage keine Aufklärung erhalten.
Nun zum materiellen Inhalt dieses Gesetzes! Das Gesetz "ist ein Teil der Bemühungen, das Redit der öffentlichen Bediensteten neu zu ordnen. Es fing zunächst mit dein vorläufigen und dann mit dem endgültigen Bundesbeamtengesetz an; die Versuche setzten sich fort in dem sogenannten Treuepflichtgesetz; heute haben wir das Personalvertretungsgeset, und es bleiben offen die Rahmengesetzgebung und die Neuordnung der Besoldung.
Bereits bei dem Treuepflichtgesetz sah sich die Bundesregierung im Bundestag vielseitiger und sehr heftiger Kritik ausgesetzt, weil sie nämlich auch in jenem Gesetz Ausnahmerechte gegen die Beamten schuf.
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Diesen Weg setzt die Bundesregierung mit dem vorliegenden Entwurf fort, denn auch dieses Gesetz trägt ganz eindeutig die Tendenz eines Ausnahmerechts gegen die Arbeitnehmer und Beamten des öffentlichen Dienstes.
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Das zeigt sich schon daran, wenn man sich die Überschrift des Gesetzentwurfs ansieht. Hier wird nämlich ängstlich vermieden, das Wort „Mitbestimmung" anzuführen, und man spricht lediglich noch von einer „Personalvertretung".
Nach dem Entwurf gehen die Absichten der Regierung ganz offensichtlich dahin, die seit 1945 auf diesem Gebiet geschaffenen Fortschritte rückgängig zu machen. Denn es ist ja nicht so, wie hier von verschiedenen Rednern ausgeführt worden ist, als wenn wir nicht schon bisher die gemeinsame Wahl aller Gruppen des öffentlichen Dienstes gehabt hätten. Wenn jetzt die getrennte Gruppenwahl verlangt wird, ist das etwas völlig Neues und Rückschrittliches.
Schon das Betriebsrätegesetz von 1920 sah die einheitliche Betriebsvertretung für alle Arbeiter und Angestellten vor, und zwar gleichgültig, ob es sich um Arbeiter und Angestellte der öffentlichen Verwaltung und Betriebe oder der Privatwirtschaft handelte. Nur die Beamten waren nach der Weimarer Verfassung herausgenommen. Diese Regelung hatte nie recht befriedigt; denn schon damals mußte man immer wieder feststellen, wie mißlich
es war, die Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes von den Beamten der gleichen Verwaltungen zu trennen.
Wie nicht anders zu erwarten war, hat der Nationalsozialismus auch auf diesem Gebiet Neuerungen geschaffen. Sie müssen angeführt werden, weil sich in dem neuen Entwurf einiges findet, was aus jener Zeit zu stammen scheint. Der Nationalsozialismus brachte die völlige Trennung der Arbeitnehmer der freien Wirtschaft von den Arbeitnehmern der Hoheitsverwaltungen und öffentlichen Betriebe. Natürlich war für ihn als Diktatur die Einrichtung wirklich demokratischer Vertretungen eine unerträgliche Institution. Daher wurde das Kontrollratsgesetz Nr. 22 nach 1945 allseitig und allgemein begrüßt, weil es ohne jeden Vorbehalt ein einheitliches Betriebsverfassungsgesetz für Angestellte, Arbeiter und Beamte brachte. Viele Länder sind diesen Weg in ihrer Gesetzgebung nach 1945 dann auch gegangen. Ich darf hier die Länder Bayern, Baden, Bremen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein nennen.
Diese allgemeine Entwicklung auf Grund des Kontrollratsgesetzes und die Entwicklung in den Ländern versucht nunmehr dieser Gesetzentwurf zurückzudrehen.
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Er errichtet zunächst einmal eine Barriere zwischen den Arbeitern und Angestellten der Verwaltungen - und nicht nur der Verwaltungen, sondern auch der riesigen großen wirtschaftlichen Betriebe der öffentlichen Hand ({7})
und denen der übrigen Wirtschaft. Dabei drängt sich die Frage auf, die einer sorgfältigen Prüfung vorbehalten bleiben muß, ob diese Zweiteilung - von dem politischen Dilemma einmal ganz abgesehen - nicht dem Art. 3 des Grundgesetzes widerspricht, der da fordert, daß Gleiches vom Gesetzgeber gleich zu behandeln ist.
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Sie ({9}) sagen: Gott sei dank, daß eine solche Regelung kommt. Daher darf ich Ihnen die Drucksache Nr. 970, den Antrag der CDU, also der die Regierung tragenden Partei, aus dem Jahre 1949 in Erinnerung bringen. In jenem Gesetzesvorschlag der CDU war ein einheitliches Betriebsverfassungsgesetz und einheitliches Betriebsverfassungsrecht aller Angestellten, Beamten und Arbeiter vorgesehen.
({10})
Aber, meine Damen und Herren, ich will Ihnen eins zugeben: das war noch die Zeit, als man auch in Ihrem Kreise noch vom Ahlener Programm sprechen durfte.
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Mit dieser Barriere, mit der Schaffung dieser Kluft und Spaltung allein begnügt sich der Entwurf nicht. Er geht noch einen Schritt weiter. Beim Lesen des § 2 des Gesetzes könnte man noch den Eindruck haben, es schaffe doch eine Einheit von Beamten, Angestellten und Arbeitern. Aber schon der § 15 geht plötzlich von völlig anderen Voraussetzungen aus, wenn er sagt: die Beamten, Angestellten und Arbeiter wählen ihre Vertreter in getrennten Wahlgängen, es sei denn, daß sie anderweitig beschließen. Diese Spaltung wird auch bei dem Gesamtpersonalrat des § 51 fortgesetzt.
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Der Bundesrat hat hiergegen protestiert. Über diesen Protest ist die Bundesregierung viel zu leicht hinweggegangen. Im Bundesrat sitzen doch Ressortchefs, Länderminister, die Vorgesetzten großer Behörden, die über ein riesiges Personal verfügen. Die Mitglieder des Bundesrats müssen doch, als sie sich gegen diese Aufspaltung in besondere Interessentengruppen wehrten, auf Grund ihrer Erfahrungen in den Ländern gute Gründe dafür gehabt haben, daß sie gegen diese Aufteilung sind. Ich vermisse ein näheres Eingehen der Regierung hierzu.
Man kann sich auch nicht auf die Beamten selbst berufen, meine Damen und Herren, wie es heute versucht wurde. Nehmen wir aus der Fülle der Praxis einmal eine interessante Behörde, das Bundeswirtschaftsministerium. Die Beamten, Angestellten und Arbeiter des Herrn Professor Erhard haben vor einiger Zeit ihre Betriebsratswahlen gehabt. Nebenbei mag bemerkt sein, daß von den elf Betriebsratsmitgliedern, die aus fünf Beamten, fünf Angestellten und einem Arbeiter bestehen, sieben dem Deutschen Gewerkschaftsbund angehören,
({14})
drei nicht gewerkschaftlich orientiert sind und daß keiner von ihnen dem Deutschen Beamtenbund angehört. Was aber noch viel interessanter und für diese Beratung wichtig ist, ist folgendes. Man hat beim Bundeswirtschaftsministerium die Probe aufs Exempel gemacht und den 1080 Abstimmungsberechtigten in geheimer Abstimmung die Frage vorgelegt, ob sie eine Gruppenwahl haben wollen oder eine gemeinsame Wahl.
({15})
Ich muß sagen: Hut ab vor jenen Beamten, Angestellten und Arbeitern; denn 1063 haben für eine Gemeinschaftswahl gestimmt und nur klägliche 17 für eine getrennte Wahl.
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Also mit der Berufung auf die Wünsche bei der Beamtenschaft - gerade bei einem solchen Ministerium - sollte man vorsichtig sein.
Meine Damen und Herren, ich sagte Ihnen schon, daß wir seit Jahren die Gemeinschaftswahl auch in den großen Verwaltungen der Länder haben.
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Wir haben in Nordrhein-Westfalen Gott sei Dank - ({18})
- Welche Erfahrungen haben Sie denn auf diesem Gebiet? Ich werde Ihnen etwas sagen, Herr Kollege! Wir haben mit der Gemeinschaftswahl die allerbesten Erfahrungen in sämtlichen Behörden, von den Gemeinden bis herauf zu den Ministerien, gemacht,
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und keiner in Nordrhein-Westfalen denkt daran, wenn er nicht durch dieses Rahmengesetz gezwungen wird, dies abzuschaffen.
Nun, wie sehen denn die Mitbestimmungsrechte aus? Sie sehen so aus, wie man es von der jetzigen Regierung eigentlich nicht anders erwarten kann, daß sich diese Rechte nämlich durchweg beschränken auf Anhörung, auf Mitwirkung, und dann kommt so ganz bescheiden nachgekleckert das Wort
„Mitbestimmung", und das bezieht sich dann auf
einige Wohlfahrtseinrichtungen und - Kantinen.
({20})
Aber selbst das könnte nach Meinung der Regierung gefährlich werden; denn sie sagt gleich anschließend: wenn aber die Personalvertretung auch in diesen Dingen mal nicht zustimmen sollte, weil sie vielleicht die Kantine woandershin haben will, dann kann der Behördenchef diese mangelnde Zustimmung ersetzen. Und schon ist es aus mit der Mitbestimmung.
Noch ängstlicher ist man bei der Polizei und dem Grenzschutz; der bekommt überhaupt kein Mit- bestimmungsrecht, nicht einmal in den einfachsten und primitivsten sozialen Fragen. Da werden Rechte aberkannt, die sonst alle, auch in der Exekutive, in Deutschland schon seit mehr als dreißig Jahren haben.
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Man geht hier weit hinter 1914 zurück.
Auch rechtliche Bedenken sind anzumelden. Es heißt in dem Gesetzentwurf, daß auch den Tarifvertragspartnern nicht das Recht zugestanden werden könne, etwas anderes zu vereinbaren. Hier geht man also von rein zentralistischen Machtmöglichkeiten aus, verstößt nicht nur gegen die jetzigen Bestimmungen des Tarifvertragsgesetzes, sondern blockiert in den einzelnen Verwaltungen und in öffentlichen Betrieben wie Straßenbahn, Gaswerken, Bundesbahn und Bundespost einfach die Möglichkeit, daß sich beide Partner an den gleichen Tisch setzen und eine andere „Anhörung" oder eine andere „Mitbestimmung" vereinbaren. Das wird ihnen in Zukunft striktestens verboten.
Nun, welche Begründung die Regierung für dieses merkwürdige Verhalten gibt, haben wir ja gehört, und sie ist von seiten einiger Fraktionsredner der Koalitionsparteien wiederholt worden.
Aber, meine Damen und Herren, es heißt doch mit völlig falscher Front kämpfen, und es bedeutet doch eine Irreführung der Öffentlichkeit und dieses Plenums, wenn man immer wieder erklärt, die Mitbestimmung in der öffentlichen Verwaltung würde dahin führen, daß der Ressortchef, also der Minister, eine politische Verantwortung vor dem Parlament nicht mehr übernehmen könnte. Es denkt doch kein Mensch daran und es ist auch niemals ein Anliegen des Deutschen Gewerkschaftsbundes oder meiner politischen Freunde gewesen, zu verlangen, daß die Beamten die politische Willensbildung des Ministers mitzubestimmen hätten.
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Schon bei den Personalien sind auch wir der Auffassung, daß die politischen Beamten, deren sich jeder Minister bei der Fülle seiner Arbeit bedienen muß, um zu wissen, wem er seine Vertretung anvertraut, natürlich nicht der vollen Mitbestimmung unterliegen.
Aber im übrigen: seien Sie doch nicht so angstlich. Auch hier will ich Ihnen aus meinen Erfahrungen in Nordrhein-Westfalen etwas sagen. Wir haben in Nordrhein-Westfalen seit Jahren auf Grund einer Tarifvereinbarung mit den Gewerkschaften das volle Mitbestimmungsrecht bei allen Personalien eingeführt. Es hat in diesem großen Land mit allein über 120 000 Beamten - hinzu kommen die Angestellten und Arbeiter in den öffentlichen Diensten und Verwaltungen - in den ganzen Jahren nicht einen einzigen Fall gegeben, wo es nicht zu einer Verständigung gekommen wäre. Ja, es ist
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nicht einmal ein einziger Fall wirklichen Streites entstanden. Wenn man wirklich ein bißchen Optimismus und Zutrauen hätte, dann müßte man auch den Mut haben, eine volle Mitbestimmung zu schaffen.
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Im übrigen, meine Damen und Herren: sollte die öffentliche Hand nicht eigentlich mit gutem Beispiel vorangehen, wie wir uns künftig - und ich meine hier vor allem wieder die großen öffentlichen Betriebe - die sozialverpflichtete und die neue Wirtschaft denken? Das gilt natürlich auch für die Hoheitsverwaltung. Auch hier sollten wir mit gutem Beispiel vorangehen und Vertrauen zu den Beamten, Angestellten und Arbeitern haben.
In ihrem Eifer, ihre rückständigen Auffassungen durchzusetzen, geht die Bundesregierung - ich habe es vorhin schon durch einen Zwischenruf gegenüber Herrn Staatssekretär von Lex zum Ausdruck gebracht - sogar so weit, daß sie alle föderativen Prinzipien, die sie sonst immer so sehr betont, über Bord wirft. Während man sich sonst gar nicht genug tun kann, immer wieder zu erklären, daß den Ländern das zu belassen sei, was man billigerweise den Ländern zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten überlassen könne, opfert man in dem Augenblick all diese schönen Prinzipien, wenn man hofft, bestimmte sozialpolitische Prinzipien mit einigen Stimmen Mehrheit durchsetzen zu können. Sie wissen, daß ich kein Anhänger eines überspitzten Föderalismus bin; aber ist denn das vorliegende Sachgebiet nicht gerade ein Schulbeispiel dafür, was man den Ländern selbst überlassen kann, wie s i e nun ihre Länderverwaltung 1 am besten handhaben wollen? Was interessiert uns denn, ob ein Landrat in Bayern oder ein Oberkreisdirektor in Niedersachsen seinem Personalrat bei den Fragen der Personalien mehr Rechte einräumt, als es Ihnen heute paßt? Lassen Sie doch die Gemeinden dieses Experiment machen! Lassen Sie es doch - ich komme nochmals auf Nordrhein-Westfalen zurück - weiter auf den guten Erfahrungen aufbauen, die es gemacht hat! Man hat sich bei jeder Gelegenheit bemüßigt gesehen, den Beamten, Angestellten und Arbeitern der öffentlichen Verwaltung ein Lob auszusprechen und ihnen besonders zu danken für das, was sie zum Aufbau in den schwierigen Zeiten geleistet haben. Natürlich ist das berechtigt. Aber, meine Damen und Herren, was nützen denn solche Proklamationen, wenn man nachher, wenn es zur Tat kommt, diese Grundsätze schmählich im Stich läßt? Denn das ist doch nun der Dank, den die Beamten durch dieses Gesetz bekommen, der Dank, der darin besteht, daß diese Vorlage von einem geradezu deprimierenden Mißtrauen getragen ist. Die Beseitigung der bisherigen, seit Jahren bestehenden Rechte auf dem Gebiet der Personalvertretung, die Abschaffung der einheitlichen Vertretung und damit die Beseitigung wirklich demokratischer Grundsätze in der Verwaltung bedroht doch geradezu die Erhaltung des Betriebsfriedens. Sollte nicht gerade der Staat ein Vorbild sein, und müßte er nicht mehr Vertrauen haben? Was hier getan werden soll und was hier getan wird, ist ein schlimmes und böses Beispiel. Das, was hier geschaffen werden soll, ist kein mutiger Schritt, den wir so nötig hätten, kein mutiger Schritt vorwärts. Das Gesetz widerspricht jedem Gedanken einer fortschrittlichen Entwicklung unserer Verwaltung. Es ist kein Gesetz, das eines modernen Staates würdig wäre. Wir lehnen daher
das Gesetz in erster Lesung bereits ab und werden gegen jede Verweisung an einen Ausschuß stimmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist unmöglich, in das Pathos, das Herr Dr. Wuermeling in der Verteidigung dieses Gesetzes aufgebracht hat, einzustimmen und zu behaupten, daß dieses Gesetz eine gesunde Grundlage zur Diskussion über eine Personalvertretung sei. Ich glaube, dieses Gesetz atmet vom ersten bis zum letzten Paragraphen den reaktionären Geist, der im Polizeiministerium des Herrn Dr. Lehr vorherrschend ist. Reden Sie doch bitte nicht von einer Mehrheit der Arbeiter und Angestellten, die ein Personalvertretungsgesetz wünschten. Ihnen ist genau so gut wie uns bekannt, daß die übergroße Mehrheit der Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes bereits immer den Einbau in das Betriebsverfassungsgesetz verlangt und die Schaffung eines gesonderten Gesetzes über die Personalvertretung für den öffentlichen Dienst abgelehnt hat. Das Personalvertretungsgesetz, wie es in der ersten Lesung vorliegt, reiht sich würdig dem Gesetz über die Treuepflicht der Beamten an, für das dasselbe Ministerium verantwortlich zeichnet, und muß nach unserer Auffassung den schärfsten Widerspruch aller Kreise, vor allen Dingen der Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes, herausfordern. Von einem wirklichen Mitbestimmungsrecht ist in diesem Gesetz genau so wenig die Rede wie im Betriebsverfassungsgesetz.
Nach 1945 ist es gelungen, in den einzelnen Ländern in einer ganzen Reihe von Fragen auf diesem Sektor bestimmte Fortschritte zu erzielen, die mit diesem Gesetz wieder illusorisch gemacht werden. Die platonische Vertröstung auf Schaffung bestimmter Rahmengesetze wird diesen Zustand nicht ändern. Auch nach diesem Personalvertretungsgesetz ist die Hauptaufgabe der Betriebsräte nicht ein Mitbestimmungsrecht, sondern nur ein Mitwirkungsrecht, und es setzt eine Unmasse von Verpflichtungen gegenüber der vorgesetzten Dienststelle fest. Ein wirkliches Mitbestimmungsrecht als wichtiges Mittel im Kampf um die Erhaltung des Friedens widerspricht der Politik der Regierung Adenauer, denn die Durchführung des Generalvertrages hat die Beschneidung der Rechte der Arbeiterschaft und die Schaffung eines Friedhofes in Westdeutschland zur Voraussetzung.
Die Fraktion der CDU/CSU hatte - und das hat der Kollege Menzel bereits angeführt - in ihren ursprünglichen Entwurf zu einem Betriebsverfassungsgesetz die öffentlichen Dienste miteingeschlossen, und sie hat bezeichnenderweise im Zuge der politischen Entwicklung zum Generalvertrag und zum Verteidigungsbeitrag diesen Gedanken aufgegeben. Die Beamten, Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes werden mit diesem Gesetz unter ein Ausnahmerecht gestellt, das diesen Personenkreis zu einem willenlosen Werkzeug erniedrigt. Auch dieser Gesetzentwurf atmet genau wie das Treuepflichtgesetz einen absolut autoritären Geist, der noch nicht einmal mit Ihrer soviel gepriesenen freiheitlichen Grundordnung in Einklang gebracht werden kann; denn was freiheitliche Grundordnung ist, bestimmt auch in diesem Falle der Bundesinnenminister Dr. Lehr.
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Der Inhalt dieses Gesetzes zeigt, was man heute noch glaubt dem Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes zumuten zu können: auch hier wieder die Mindestbeschäftigungsdauer von sechs Monaten oder mindestens einem Jahre in öffentlichen Verwaltungen oder Betrieben, auch hier wieder die Feststellung, daß der Personalrat alles zu unterlassen hat, was geeignet ist, die Arbeit und den Frieden der Dienststelle zu gefährden, ein Paragraph, mit dem man alles machen und jede andere Meinung unterdrücken kann, das Verbot des Arbeitskampfes, die Kautschukbestimmungen über die Rechte der Personalvertretungen, die Tatsache, daß die Personalräte nur zu hören sind, ohne daß sie etwas zu sagen haben, vor allem natürlich bei Maßnahmen zur Hebung der Arbeitsleistung, Verteilung von Wohnungen, über die die Dienststelle verfügt, Mitwirkung oder Mitbestimmung bei Wohlfahrtseinrichtungen, Mitwirkung bei der Annahme von Belohnungen oder Geschenken.
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- Ja, noch zwei Sätze! - Das ist ein kleiner Auszug aus dem politischen Lexikon, das die Bundesregierung den Vertretern des öffentlichen Dienstes zumutet. Es ist lächerlich, zu sagen, daß die Mitbestimmung nicht so aussehen kann, daß die Arbeiter und Angestellten oder deren Vertretungen über den Bau einer Brücke bestimmen. Aber verlassen Sie sich darauf: nachdem die Bundesregierung auch dieses Gesetz, das den reaktionären Geist dieser Regierung erneut unter Beweis stellt, hier vorgelegt hat, wird sie Gelegenheit haben, dieses Gesetz auch vor den Arbeitern, Angestellten und Beamten des öffentlichen Dienstes zu vertreten und die notwendige Antwort aus diesen Kreisen zu erhalten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wellhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! _Es ist von fast allen Seiten dieses Hauses an dem Entwurf der Regierung Kritik geübt worden, auch von uns. Es erscheint mir gegenüber den sehr weitgehenden Ausführungen - so will ich einmal sagen - des Herrn Menzel angebracht, diesem Hause davon Kenntnis zu geben, daß die Vertreter der CDU und der FDP, Herr Sabel, Herr Schröder und ich, in den Verhandlungen mit den Gewerkschaften im Juli 52 ganz deutlich zum Ausdruck gebracht haben, daß wir Änderungen an diesem Gesetz vorzunehmen gedenken. Ich möchte Ihnen vorschlagen, nun erst einmal ein wenig abzuwarten, wie das Gesetz sich in den Ausschüssen entwickelt.
Ich bin aber genötigt, nachdem Herr Menzel dieses Thema angeschnitten hat, auch ein ganz kurzes Wort, zwar nicht, um nachzutarocken, wie man in Bayern sagt, zu dem, was wir vor Beginn der Ferien hier besprochen haben, zu sagen, auch keinen Epilog oder Nekrolog zu halten, aber doch ganz erheblich dem zu widersprechen, was Herr Menzel von der „Erbitterung" gesagt hat. Es hat sich inzwischen herumgesprochen - ich glaube, das ist der richtige Ausdruck -, daß das Betriebsverfassungsgesetz eine ganz erhebliche Verbesserung und Vergrößerung in den Rechten der Arbeitnehmer darstellt.
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Das ist auch tatsächlich der Fall. Denken Sie an
das soziale Mitbestimmungsrecht, womit allerdings
im wesentlichen nur das kodifiziert worden ist, was von der Wirtschaft schon praktiziert wird, ohne daß es bis jetzt in einem Gesetze stand. Denken Sie an das personelle Mitbestimmungsrecht, womit Sie jetzt bei Mißständen die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Arbeitsgerichte haben. Denken Sie vor allem - das kann ich nur immer wieder ganz besonders sagen - an das Drittel der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat!
Da Sie sich ja nun in der zweiten und dritten Lesung mit dem Gewerkschaftsbund so sehr gleichgeschaltet haben, meine Herren von der SPD, - lesen Sie doch bitte den Aufruf der Gewerkschaften nach der Verabschiedung des Mitbestimmungsrechts! Da steht nämlich sehr verständig drin: „Männer und Frauen, beschäftigt euch nun mit diesen neuen Rechten der Arbeitnehmer und macht daraus etwas Gutes!" Daß Sie damit nicht zufrieden sind, ist selbstverständlich. Daß aber eine Erbitterung in Ihren Kreisen herrscht, meine verehrten Damen und Herren ({1}), das glauben Sie nach meiner Ansicht selber nicht!
({2})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ursprünglich war der Antrag gestellt worden, die Vorlage an den Ausschuß für Beamtenrecht als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Arbeit zu überweisen. In der Zwischenzeit ist mir ein Antrag vorgelegt worden, der folgendermaßen lautet:
Für die Beratung der Drucksache Nr. 3552 - Personalvertretungsgesetz - wird ein Ausschuß, bestehend aus Mitgliedern des Ausschusses für Beamtenrecht und Mitgliedern des Auschusses für Arbeit, gebildet, der berechtigt ist, einen Unterausschuß zu bestellen, der zu gleichen Teilen aus Mitgliedern der beiden Ausschüsse besteht.
Wir kämen also damit zu einem neuen Ausschuß, der aus zwei Ausschüssen zusammengesetzt ist. Offenbar soll das die Aufgabe des Berichterstatters erleichtern. Wird zu diesem Antrag das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann lasse ich abstimmen. Wer für die Schaffung dieses neuen Ausschusses ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; es ist im Sinne des Antrags beschlossen.
Nun wird der ursprünglich gestellte Antrag auf Verweisung wohl dahin geändert, daß die Vorlage an diesen neu geschaffenen Ausschuß überwiesen werden soll. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; die Vorlage ist an den neu geschaffenen Ausschuß überwiesen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den gewerblichen Binnenschiffsverkehr ({0}).
Hierzu schlägt Ihnen der Ältestenrat vor, sich damit zufrieden zu geben, daß die Regierung auf die gedruckte Begründung verweist, und auf eine Aussprache zu verzichten. Der Gesetzentwurf soll an den Ausschuß. für Verkehrswesen überwiesen werden. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ist angenommen.
({1})
Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Inkraftsetzung neuer Vertragszollsätze gegenüber Spanien ({2}) in Anpassung an den am 1. Oktober 1951 in Kraft getretenen deutschen Zolltarif ({3}).
Hier soll auf dieselbe Weise verfahren werden, jedoch soll die Vorlage an den Ausschuß für Außenhandelsfragen überwiesen werden. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Einstimmig so beschlossen.
Nunmehr Punkt 6 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP/DPB eingebrachten Entwurfs eines Prämiengesetzes ({4}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Gesamtredezeit von 60 Minuten vor.
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Scharnberg.
Scharnberg ({5}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das dem Bundestag auf Grund eines Initiativantrags der drei Regierungsfraktionen vorliegende Prämiengesetz ist im Zusammenhang mit dem in der ersten Lesung vor den Ferien verabschiedeten und zur Zeit in Beratung in den zuständigen Ausschüssen befindlichen Gesetz zur Förderung des Kapitalmarkts durch steuerliche Begünstigung festverzinslicher Wertpapiere zu betrachten. Die Zielsetzung beider Gesetze besteht in der Reorganisation und der 1 Förderung des Kapitalmarkts. Dies ist eine unabweisliche Notwendigkeit für die Förderung der staatlichen, wohnungsbaulichen und industriellen Investitionstätigkeit. Insbesondere die Finanzierung industrieller Investitionsvorhaben, von deren Vermehrung die Verbesserung der Bedarfsdeckung, die Erhöhung der Exporttätigkeit unserer Wirtschaft und die Schaffung neuer Arbeitsplätze entscheidend abhängen, ist nur entweder im Wege der Selbstfinanzierung durch Abschreibungen oder mit staatlichen Mitteln oder über den Kapitalmarkt möglich. Die Finanzierung über den Kapitalmarkt ist aus sozialen und wirtschaftspolitischen Gründen besonders erwünscht. Vom sozialpolitischen Standpunkt aus deswegen, weil auch der breiten Masse der Sparer das gesparte Kapital verbleibt; vom wirtschaftspolitischen Standpunkt aus deswegen, weil durch die im Kapitalmarkt wirksam werdenden Kontrollen der Kapitalsammelstellen und anderer Organisationen Fehlinvestitionen am besten vermieden werden.
Die Kapitalbildung ist aber, wie ich schon erwähnte, auch dringend förderungsbedürftig im Interesse des Wohnungsbaus und insbesondere des sozialen Wohnungsbaus und schließlich im Interesse der öffentlichen Hand, damit sie auf dem Kapitalmarkt Mittel für den Ausgleich der außerordentlichen Haushalte beschaffen kann.
Die Kapitalbildung über den Kapitalmarkt wurde bisher lediglich mit Hilfe des § 10 des Einkommensteuergesetzes gefördert. Dieser Paragraph sieht bekanntlich vor, daß gewisse Sonderausgaben, die der Kapitalbildung dienen, steuerlich begünstigt werden. Darunter fallen unter anderem Lebensversicherungsprämien, Bausparkassenbeiträge, Einzahlungen auf Anteile von Bau- und Verbrauchergenossenschaften und sogenannte Kapitalansammlungsverträge, d. h. die Bildung von auf mehrere Jahre festgeschriebenen Sparkassenguthaben oder auf mehrere Jahre gesperrten. Wertpapierdepots. Die Begünstigung erfolgt in der Weise, daß derartige Sonderausgaben bis zu einem bestimmten Höchstbetrag, der sich nach dem Familienstand richtet, voll, darüber hinaus bis zur Höhe von 15 % der Gesamteinkünfte zur Hälfte von den steuerpflichtigen Einkünften abgezogen werden können.
Diese Steuerbegünstigung kommt-und darin liegt ihre Unzulänglichkeit - vorwiegend denjenigen zugute, die in höheren Einkommensteuerstufen stehen; die breite Masse der Lohnempfänger ist an ihr, weil sie in niedrigeren Steuerstufen stehen, nicht interessiert. Sie kommt im übrigen nicht den Körperschaftsteuerpflichtigen zugute, und sie ordnet auch nicht den in Unordnung geratenen Markt der festverzinslichen Wertpapiere.
Auf Grund dieser Erwägung kamen wir in dem Arbeitskreis, der mit der Regierung die Probleme des Kapitalmarkts behandelte, zu dem Ergebnis, den letzterwähnten Mängeln, nämlich dem nichtfunktionierenden Markt der festverzinslichen Wertpapiere, durch das Kapitalmarktförderungsgesetz zu begegnen. Dieses Gesetz sieht bekanntlich vor, daß die Erträge der festverzinslichen Wertpapiere steuerlich begünstigt werden, wodurch zweifellos dem Markt der festverzinslichen Wertpapiere die notwendige Stütze geboten wird, indem viele Geldbesitzer veranlaßt werden, ihre Geldmittel im Kapitalmarkt anzulegen, und so neues Kapital entsteht.
Darüber hinaus ist auch damit zu rechnen, daß an Stelle von Investitionen, die nicht unbedingt notwendig sind, Kapitaltitel erworben werden. An dem Kapitalmarktförderungsgesetz sind aber ebenfalls vorwiegend diejenigen Kreise interessiert, die größere Mittel anzulegen in der Lage sind, die also in einer höheren Einkommensteuerstufe stehen; denn die Steuerbegünstigung des Ertrags der Wertpapiere wirkt sich bei demjenigen, der in einer niedrigeren Einkommensteuerstufe steht, naturgemäß weniger aus. Infolgedessen war es notwendig, auch denjenigen Kreisen, die ein .geringeres Einkommen haben, eine dem § 10 desEinkommensteuergesetzes und dem Kapitalmarktförderungsgesetz entsprechende Vergünstigung zukommen zu lassen. Dies, meine Damen und Herren, ist der Sinn des Ihnen vorliegenden Prämiengesetzes.
Wenn dieses Gesetz nicht sogleich mit dem Kapitalmarktfönderungsgesetz dem Bundesrat und dem Bundestag zugegangen ist, so liegt dies daran, daß in den Vorbesprechungen mit den Herren Länderfinanzministern seitens ihrer Steuerreferenten Bedenken dahingehend geäußert wurden, ob das Sparprämiengesetz von den Finanzämtern angesichts ihrer schon bestehenden Überlastung technisch verkraftet werden könnte. Da sich die Länderfinanzminister anfangs diesen Bedenken anschlossen, hat die Regierung das Prämiengesetz zunächst zurückgestellt. Es war aber damals schon der Wunsch der Regierungsfraktionen, durch Einbringung eines Initiativantrages zu dokumentieren, daß sie das Kapitalmarktförderungsgesetz für einseitig halten und aus den von mir eben angeführten Gründen ein Junktim mit dem Prämiengesetz herzustellen wünschen. Dabei kommt es den Regierungsfraktionen nicht so sehr darauf an, ob nun die Bestimmungen, wie sie in dem vorliegenden Ge({6})
setzentwurf enthalten sind, im einzelnen so verbleiben oder ob die eine oder andere Bestimmung in der Ausschußberatung abgeändert wird.
({7})
Dies trifft insbesondere zu auf die Bestimmung, nach der dem Einkommensteuerpflichtigen die Wahl gelassen wird, ob er im Rahmen dieses Prämiengesetzes oder auf Grund von § 10 des Einkommensteuergesetzes sparen will. Wir könnten uns vorstellen, daß die Vergünstigung dieses Paragraphen neben der Vergünstigung des Prämiengesetzes in Anspruch genommen werden könnte, wobei eventuell der § 10 etwas umzubauen wäre. Hierdurch würden sicherlich auch die technischen Bedenken der Steuerreferenten der Länder hinfällig werden. Im übrigen hat der Bundesrat ja inzwischen erfreulicherweise in seiner Entschließung vom 20. Juni dieses Jahres auch seinerseits die Vorlage eines Sparprämiengesetzes gefordert.
Im einzelnen möchte ich zu dem Gesetz kurz .folgendes vortragen. Als prämienbegünstigte Aufwendungen sind in der Hauptsache Bausparkassenbeiträge, Aufwendungen für den Ersterwerb von Bau-, Wohnungs- und Verbrauchergenossenschaftsanteilen und schließlich Sparprämienverträge vorgesehen. Die Frage, ob auch Lebensversicherungsprämien und der 'Ersterwerb von Wertpapieren in den 'Katalog der prämienbegünstigten Aufwendungen einbezogen werden kann, muß noch im Ausschuß erörtert werden.
Die vorgesehene Prämie beträgt 30 %. Die Prämien sind nach oben begrenzt derart, daß jeder Steuerpflichtige für sich jährlich höchstens 600 DM Prämie beanspruchen kann. Dieser Betrag erhöht sich für den Ehegatten und für jedes Kind um je 150 DM. Für Prämienberechtigte, die das fünfzigste Lebensjahr vollendet haben, erhöht sich der Betrag von 600 auf 1200 DM. Die Prämie soll dem Sparer bei dem Institut, bei dem er spart und dessen Auswahl ihm selbstverständlich freisteht, tunlichst sofort gutgeschrieben werden. Das bedeutet also, daß z. B. ein Verheirateter unter 50 Jahren mit Ehefrau und zwei Kindern jährlich Anspruch auf 1050 DM Prämie hat, die er bekommt, wenn er 3500 DM spart. Es soll ihm alsdann sofort ein Betrag von 4550 DM gutgebracht werden. Voraussetzung natürlich ist bei dem nicht zweckgebundenen Sparen - d. h. also bei den Prämiensparbeträgen -, daß eine Festlegung auf 4 bzw. 41/2 Jahre erfolgt. Der Sparer eines Prämiensparvertrags kann also über den gesparten Betrag zuzüglich der Prämie erst nach 4 bzw. 41/2 Jahren verfügen. Die Zinserträge - einschließlich derjenigen auf die Prämie - sollen ihm jedoch laufend zur Verfügung stehen.
Das Institut, bei dem gespart wird, fordert die einzelnen Prämienbeträge beim Finanzamt an, das nun seinerseits die Aufteilung zwischen Bund und Ländern nach dem 'Schlüssel, nach dem Körperschaft- und Einkommensteuer zwischen Bund und Ländern aufgeteilt werden, vornimmt. Eine zusätzliche Belastung der Länder und des Bundes wird nur insoweit eintreten, als durchlas Gesetz die Spartätigkeit belebt wird. Soweit das Prämiensparen an die Stelle von bisher im Rahmen des § 10 des Einkommensteuergesetzes gesparten Beträgen tritt, wird die bisherige Steuerrückvergütung lediglich in eine Prämienzahlung umgewandelt, so daß sich hierdurch für die Haushalte voraussichtlich kein nennenswerter Ausfall ergibt.
Zum Schluß sei noch erwähnt, daß selbstverständlich das kürzlich beschlossene Wohnungsbauprämiengesetz in dem neuen Prämiengesetz, das ja auch günstigere Prämensätze vorsieht, aufzugehen hat.
({8})
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Gesetz ist nicht die erste Maßnahme zur Steuerbegünstigung des Sparens, mit der wir uns in diesem Hause zu beschäftigen haben. Wir haben schon eine ganze Reihe von derartigen Maßnahmen in unserer Steuergesetzgebung gesehen; teils soll dieses Gesetz sie ersetzen, teils soll es neben sie treten. Wir haben in erster Linie innerhalb der Sonderausgaben des § 10 des Einkommensteuergesetzes die Steuerbegünstigungen sehr stark ausgebaut. Ober den Erfolg kann man verschiedener Meinung sein. Soweit wir es feststellen und schätzen können, dürften wir insgesamt etwa 1,5 Millarden DM als vielleicht zusätzliche Spareinlagen durch diese Maßnahmengewonnen haben. Aber sie dürften uns im Durchschnitt 33 bis 40 0/0 und insgesamt vielleicht 500 bis 600 Millionen DM an Steuergeldern gekostet haben. Das heißt also, daß bis zu diesem Umfang hier privates Kapital unmittelbar aus öffentlichen Geldern mehr oder weniger geschenkt worden ist.
Man kann, wie gesagt, verschiedener Meinung darüber sein, ob der Effekt einen derartigen Aufwand an öffentlichen Geldern lohnt, zumal wir Gründe haben anzunehmen, daß es nicht gerade die Allerärmsten gewesen sind, die sich diese Begünstigungen zunutze machen konnten. Ein Durchschnittssatz von 33 bis 40 % an öffentlichem Zuschuß bedeutet ja, daß es auch Fälle gibt, in denen dieser öffentliche Zuschuß weitaus höher ist und schon heute, bei einmaliger Durchführung der Operation, die ja unter Umständen wiederholt werden kann, nach dem bisherigen System über 50 % des gewonnenen Kapitals beträgt.
Wir haben das Wohnungsbauprämiengesetz hier verabschiedet, dessen Auswirkungen noch schwer zu übersehen sind, und haben nun diesen Gesetzentwurf vorliegen. Wenn es nur gälte. über das technische Für und Wider einer solchen Maßnahme zu sprechen, so würden wir das Haus damit kaum zu behelligen haben; das ist Sache des Ausschusses. Es sind in der Tat sowohl von seiten der Finanzverwaltung wie von seiten der Sparkassenverbände als eigentlich Sachverständigen und auch von anderer interessierter Seite schon eine Reihe von technischen Bedenken und Vorschlägen zu dem Gesetz vorgebracht worden. Da aber nun das Gesetz, wie auch in der Begründung selbst betont worden ist, ja nur ein Anhängsel, eine mehr oder weniger notwendige Verbrämung zu dem dem Ausschuß bereits vorliegenden Kapitalmarktförderungsgesetz ist, muß die ganze Angelegenheit denn doch im Zusammenhang mit jenem wichtigeren Gesetz betrachtet werden, und es muß vor allen Dingen die Frage gestellt werden, ob man mit derartigen Behelfs- und Einzel- und Teilmaßnahmen auf dem Gebiete der Kapitalbildung und der Pflege des Kapitalmarktes überhaupt noch Effekte erreichen kann oder ob ein 'derartiges Verhalten nicht nachgerade geradezu Gefahren in sich schließt. Wir halten es für richtig, daß mit dem Kapitalmarktförderungsgesetz der Regierung die Frage ange({0})
sprochen worden ist; aber wir glauben nicht, daß sie in so einseitiger Weise gelöst werden kann, wie es in diesem Entwurf eines Kapitalmarktgesetzes versucht worden ist.
Die sozialdemokratische Fraktion ist in der Frage des Verhaltens gegenüber der Kapitalbildung, insbesondere auf dem Gebiete der Steuerpolitik, immer von zwei Erkenntnissen ausgegangen. Einmal davon, daß die Pflege der Kapitalbildung, wenn sie wirtschaftlich gesund sein soll, eine entsprechende Entwicklung und notfalls auch Pflege der Kaufkraft, insbesondere der Massenkaufkraft, voraussetzt. Das heißt, daß nicht nur insbesondere steuerpolitische Maßnahmen zur Begünstigung der Kapitalbildung im Zusammenhang der gesamten Steuerpolitik, auch vom Standpunkt der Steuergerechtigkeit aus, gesehen werden müssen, sondern das heißt weiter, daß Maßnahmen zur Begünstigung der Kapitalbildung auch wirtschaftlich wirkungslos bleiben und geradezu verderblich sein müssen, wenn nicht eine entsprechende Entwicklung der Massenkaufkraftmärkte und Absatzmärkte gesichert ist.
Zum zweiten sind wir der Ansicht, daß der Kapitalmarkt nicht Selbstzweck ist, insbesondere nicht Selbstzweck im Sinne einer Gelegenheit, Geld zu verdienen, sondern daß der Kapitalmarkt ein Mittel dafür ist, daß die Kapitalversorgung funktioniert, wozu, wie wir ausdrücklich betonen möchten, auch die Kapitalversorgung der öffentlichen Wirtschaft gehört. Wir sind der Ansicht, daß unter den heute gegebenen Umständen dieser Sinn und Zweck des Kapitalmarkts und der Kapitalbildung ohne eine entsprechend verantwortungsbewußte Einwirkung auf die Kapitalverwendung und auf die Kapitalverteilung nicht erreicht werden kann. Wir glauben nicht, daß das Kapitalmarktförderungsgesetz diese Grundsätze beachtet hat. Wir glauben gerade, daß es die Frage, wozu das Kapital dann verwandt werden soll und welche Bedingungen sich jeweils aus dem Verwendungszweck auch für die Angebote, die dem Kapitalgeber gemacht werden können, ergeben, mehr oder weniger umgangen hat. Wir bezweifeln überhaupt, daß man einseitig in dieser Weise eine Pflege des Wertpapiermarktes verausziehen kann, obwohl auch wir der Ansicht zuneigen, daß man einzelne Maßnahmen, insbesondere auf dem Gebiet der Kapitalversorgung der Wohnungswirtschaft, wohl nicht mehr unterlassen kann.
Wir glauben vor allem nicht, daß man die notwendige verantwortliche Einflußnahme auf die Bedingungen des Kapitalmarkts auf die Dauer durch Steuergesetze ersetzen kann. Vor allen Dingen möchten wir daran festhalten, daß eine Steuerpolitik in ihrem ganzen Zusammenhang gesehen werden muß und daß es nicht immer wieder dazu kommen darf, daß unter dem Vorwand irgendwelcher angeblich 'besonders dringlicher wirtschaftlicher Notwendigkeiten ausgerechnet die Steuerermäßigungen und Steuerbegünstigungen dorthin gelegt werden, wo die Steuer an und für sich am wenigsten schmerzt. Wir glauben, daß man all die Schwierigkeiten, die man bei diesem Gesetz umgangen hat, nicht wieder einfach durch einen Griff in den Steuersäckel zudecken kann.
Wir begrüßen es, wie gesagt, daß eine gründliche Überprüfung der Probleme der Kapitalbildung und des Kapitalmarkts in die Wege geleitet wird. Wir sind durchaus bereit, uns an dieser Überprüfung zu beteiligen. Aber dem vorgelegten Entwurf stehen wir mehr als kritisch gegenüber. Im ,
Zusammenhang mit den durch den Entwurf angeschnittenen Fragen und unter der Frage, ob man dieser wirklich notwendigen Neuordnung und Neudurchdenkung - so möchte ich sagen - des Kapitalmarkts weiter durch solche Behelfs- und Teilmaßnahmen ausweichen kann, werden wir auch den hier vorliegenden Entwurf des Prämiengesetzes beurteilen.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache über diesen Punkt geschlossen. Ich darf Ihnen vorschlagen, eine Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen als federführenden Ausschuß und ferner an den Ausschuß für Geld und Kredit und an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen vorzunehmen. - Dem wird nicht widersprochen. Dann hat das Haus so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Erhebung der Vermögensteuer im Verhältnis zwischen dem Bundesgebiet und Berlin ({0}) für die Kalenderjahre 1949 bis 1951 ({1}).
Zu diesem Punkt der Tagesordnung ist seitens der Regierung auf die gedruckte Begründung verwiesen. Der Ältestenrat hat vorgesehen, keine Aussprache stattfinden zu lassen und unmittelbar eine Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen vorzunehmen. - Es wird nicht widersprochen. Damit hat das Haus so beschlossen.
Ich rufe dann auf Punkt 8 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Finanzausgleich unter den Ländern in den Rechnungsjahren 1951 und 1952 ({2});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen ({3}) ({4}).
Dazu hat das Wort der Herr Berichterstatter, Abgeordneter Dr. Gülich. Es ist vom Ältestenrat vorgesehen, an diesen Bericht keine Aussprache an- zuschließen, sondern die Verabschiedung unmittelbar vorzunehmen.
Dr. Gülich ({5}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Finanzausschuß des Bundestages hat den Gesetzentwurf in seiner 141. Sitzung am 11. Juli 1952 beraten; er ist im wesentlichen der Regierungsvorlage gefolgt. 11 von 33 Paragraphen sind allerdings geändert worden. Es waren zum Teil redaktionelle Änderungen notwendig geworden, auf die ich im einzelnen nicht einzugehen brauche, Sie ergaben sich einmal aus der Tatsache, daß inzwischen das Zerlegungsgesetz vom 29. März 1952 verabschiedet worden ist und Datum und Fundstelle nachträglich eingefügt werden mußten, ferner aus der Tatsache, daß inzwischen die Zusammenfassung der Länder Württemberg - Baden, Württemberg - Hohenzollern und Baden zum Land Baden-Württemberg erfolgt ist; die Notwendigkeit zu weiteren Änderungen ergab sich durch die Entwicklung seit der Verabschiedung des Gesetzentwurfs im Kabinett.
Die Änderungen, die der Ausschuß nun aus verschiedenen Gründen vorgenommen hat, müssen in großen Zügen hier behandelt werden. Es handelt sich zunächst um § 6 Abs. 3, die Steuerbefreiung des Neuhausbesitzes. In den Ländern Baden, Rhein({6})
land-Pfalz, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern war vom Jahre 1946 an die teilweise Grundsteuerbefreiung des Neuhausbesitzes, die 25 v. H. beträgt, aufgehoben worden, während in den übrigen Ländern des Bundesgebietes die Steuerbefreiung weiterhin Gültigkeit hatte. Infolgedessen erscheint im Finanzausgleich 1951 die Steuerkraft der vorgenannten Länder im Vergleich zur Steuerkraft der übrigen Länder höher, was nach der Konstruktion des Finanzausgleichs zu einer entsprechenden Schlechterstellung dieser Länder geführt hat. Das Ausmaß dieser Ungleichheiten ist zwar nicht sehr erheblich, doch erschien ihre Beseitigung im Hinblick auf die Methodik des Finanzausgleichs erwünscht und berechtigt. Vom Jahre 1951 an ist mit der Vereinheitlichung des Grundsteuerrechts die Steuerbefreiung des Neuhausbesitzes in allen Ländern wieder eingeführt worden. Eine Berichtigung der Ungleichheiten ist also nur für das Rechnungsjahr 1951 notwendig, da im Finanzausgleich des Jahres 1951 die Realsteuereinnahmen des Vorjahres 1950 als Ausgleichselemente eingesetzt sind.
Dann sind in § 9 Abs. 2 die Rechnungsanteile der Länder an den Kriegszerstörungslasten geändert worden. Bei einem gleichbleibenden Gesamtrechnungsbetrag von 300 Millionen DM vermindert sich für das Rechnungsjahr 1951 der Anteil des Landes Rheinland-Pfalz um rund 1,8 Millionen DM und erhöhen sich um diesen Betrag die Anteile der anderen Länder entsprechend. Der Grund hierfür war der, daß das Land Rheinland-Pfalz den Ausfall an Grundsteuer B entgegen der vorgesehenen gesetzlichen Regelung nicht nach dem tatsächlichen Aufkommen errechnet hatte, sondern nach einem infolge Steuerbefreiung des Neuhausbesitzes geringeren Aufkommen, obwohl diese Steuerbefreiung in Rheinland-Pfalz, wie ich vorher bei § 6 ausgeführt habe, aufgehoben war.
In § 10 sind die Rechnungsanteile der mittelbaren Flüchtlingslasten geändert worden. Auch hier sind bei einem gleichgebliebenen Gesamtrechnungsbetrag von 300 Millionen DM die für das Rechnungsjahr auf die einzelnen Länder entfallenden Rechnungsanteile geändert worden, je nach der Zuwanderung oder Abwanderung im Rahmen der gelenkten und der ungelenkten Umsiedlung. Die Berichtigung wurde möglich, nachdem das Statistische Bundesamt die Zahlen der Heimatvertriebenen und Zugewanderten nach dem Stand vom 30. September 1951 berichtigt hat, so daß sich nunmehr auf Grund der berichtigten Zahlen die in der Drucksache Nr. 3638 aufgeführten Rechnungsanteile der Länder ergeben. Es erhöhen sich somit die Anteile für die Flüchtlingsaufnahmeländer, und es vermindern sich die Anteile für die Flüchtlingsabgabeländer Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein.
Dann einige Worte zum § 13, der in der Ausschußvorlage nicht besonders erwähnt worden ist. Der Finanzausschuß hat im § 13 zugestimmt, die Hochschullasten der Länder als Ausgleichslasten nach dem Katalog, der in § 7 aufgeführt ist, zu berücksichtigen. Man kann natürlich darüber streiten, ob dieses Verfahren richtig ist, weil es sich bei den Hochschullasten nicht um Aufwendungen von überregionaler Bedeutung handelt und weil ja die Kulturhoheit bei den Ländern liegt. Die Mehrheit der Länder hatte sich bereits beim Finanzausgleichsgesetz 1950 für die Berücksichtigung der Hochschullasten ausgesprochen. Wir haben aber damals dem Bundestag empfohlen, die Hochschullasten nicht zu berücksichtigen, und die Länder haben sich dann mit der Ablehnung durch den Bundestag abgefunden. In den Vorverhandlungen über den Gesetzentwurf für die Rechnungsjahre 1951 und 1952, der uns hier vorliegt, hat sich nun die überwiegende Mehrheit der Länder wieder für die Berücksichtigung der Hochschullasten eingesetzt. Im Hinblick darauf hat der Finanzausschuß des Bundestages trotz gewisser Bedenken der Einbeziehung der Hochschullasten zugestimmt. Von finanzieller Bedeutung ist dies vornehmlich für die süddeutschen Länder, weil diese im Gegensatz zu den norddeutschen Ländern einen Numerus clausus für ihre Hochschulen nicht eingeführt haben und daher die Zahl der Studierenden an den süddeutschen Hochschulen relativ höher ist als an den norddeutschen.
In § 16 Satz 1 wurde der Stichtag für die Festsetzung der Einwohnerzahl als Grundlage für die Errechnung der Ausgleichsmeßzahlen geändert, nachdem das Statistische Bundesamt die Einwohnerzahl der Länder nach Gemeindegrößenklassen gegliedert für das Rechnungsjahr 1951 zum 31. Dezember 1951 festgestellt hat. Der Stichtag für das Rechnungsjahr 1952 liegt noch nicht fest und soll durch den Herrn Bundesminister der Finanzen für den Finanzausgleich 1952 festgesetzt werden.
In § 22 Abs. 3 Satz 2 wird, da die Zeit inzwischen verstrichen ist, eine Änderung des Termins für die Restvorauszahlungen der ausgleichspflichtigen Länder notwendig. Der Ausschuß hat für die Leistung der Zahlungen eine Frist von zwei Wochen nach Verkündung des Gesetzes vorgeschlagen.
Zum Schluß noch einige Worte zum Kapitel II des Gesetzentwurfs, das den Zweck hat, denjenigen Ländern, die in den Rechnungsjahren 1948 und 1949 Haushaltsfehlbeträge durch überdurchschnittliche Lasten mit Kriegsfolge- und Sozialaufwendungen erlitten hatten, einen nachträglichen Haushaltsausgleich zu ermöglichen. Soweit die Länder für diese überdurchschnittlichen Lasten, die ja an sich Bundeslasten sind, Darlehen aufgenommen hatten, sollen diese bei der Bereinigung der alten Schulden berücksichtigt werden. Schleswig-Holstein z. B. war in den fraglichen Jahren 1948 und 1949 nicht in der Lage, Darlehen für diese Überbelastung aufzunehmen, ganz einfach deshalb, weil es keinen Darlehnsgeber fand. Infolgedessen ist der Reichsstock für die Arbeitslosenversicherung eingesprungen und hat die damals vom Land zu zahlenden Arbeitslosenfürsorgeunterstützungen vorgeschossen. Die Summe, die nun als Schuld des Landes Schleswig-Holstein gegenüber dem Reichsstock noch in der Schwebe ist, beträgt 98,8 Millionen Mark.
Der Ausschuß hat sich mit der Frage befaßt, ob er dem Bundestag empfehlen sollte, diese Ausgaben im Finanzausgleichsgesetz zu berücksichtigen. Es wäre dann in § 8 ein Zusatz notwendig gewesen, der so lauten müßte:
... und die von ihnen im Rechnungsjahr 1952 aus Landesmitteln geleisteten Ausgaben zur Erfüllung von Verpflichtungen, die nach § 18 Abs. 6 Ziffer 2 des vorbezeichneten Gesetzes dem Lande zur Last fallen.
Mit dem vorbezeichneten Gesetz ist das Erste Gesetz zur Überleitung von Lasten und Deckungsmitteln auf den Bund gemeint. Der Ausschuß hat sich jedoch dazu nicht entschließen können. Ich selbst habe auch keinen entsprechenden Antrag gestellt, sondern das nur aktenkundig gemacht, weil bei einem solchen Beschluß des Ausschusses die Verabschiedung des Gesetzes überhaupt gefährdet worden wäre. Nachdem sich die Mehrheit der Länder in den wesentlichen Dingen geeinigt hatte, wollte
({7})
der Ausschuß die Verabschiedung des Gesetzes nicht erschweren. Der Ausschuß glaubt jedoch, daß die Angelegenheit im Finanzausgleich 1953 erneut aufgegriffen werden sollte.
Im übrigen stecken natürlich in diesem sehr komplizierten Gesetz noch manche Unebenheiten. Es war aber dem Ausschuß nicht möglich, diese zu bereinigen; denn wenn man eine Unebenheit anfaßt, kommt man sofort in einem andern Paragraphen auf neue Schwierigkeiten. Da sich aber die Länder im wesentlichen geeinigt hatten, wollte der Ausschuß nur solche Änderungen vornehmen, die sich aus den Gründen, die ich zu Beginn meiner Ausführungen dargelegt habe, von selbst ergaben.
Der Finanzausschuß empfiehlt dem Hause einstimmig, den Gesetzentwurf mit den aus der Drucksache Nr. 3638 ersichtlichen Änderungen, im übrigen unverändert nach der Regierungsvorlage anzunehmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Änderungsanträge liegen nicht vor. Ich darf daher die §§ 1 bis 33, Einleitung und Überschrift aufrufen. - Keine Wortmeldungen.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Paragraphen, der Einleitung und der Überschrift zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen mit überwiegender Mehrheit angenommen. Damit ist die zweite Beratung beendet.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich rufe auf zur allgemeinen Aussprache. - Das Wort ist nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe die §§ 1 bis 33, Einleitung und Überschrift auf und bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. - Das ist die gleiche Mehrheit wie bei der zweiten Beratung. Damit ist das Gesetz in dritter Beratung angenommen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz in der in der dritten Beratung beschlossenen Fassung zustimmen, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen mit überwiegender Mehrheit in dritter Beratung verabschiedet.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gesetze über die Landeszentralbanken ({0});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Geld und Kredit ({1}) ({2}).
({3})
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Ruhnke. Auch in diesem Falle hat der Ältestenrat keine Aussprache vorgesehen, sondern sofortige Erledigung der Abstimmung nach der Berichterstattung.
Ich bitte den Herrn Berichterstatter, das Wort zu nehmen
Ruhnke ({4}), Berichterstatter: Herr Präsident! I Meine Damen und Herren! Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Gesetze über die Landeszentralbanken sieht die Aufhebung einer Bestimmung des Gesetzes Nr. 21 der Alliierten Hohen Kommission vor. Die Aufhebung bezieht sich auf die Verpflichtung der Länderfinanzminister, die Kapitalanteile der Landeszentralbanken zu veräußern. Wir sind in Erwartung eines Bundesnotenbankgesetzes, und mit diesem hier zur Beschlußfassung vorliegenden Gesetzentwurf soll der kommenden Gesetzgebung nicht vorgegriffen werden. Der Ausschuß hat sich auch mit der Frage befaßt, ob es sich um ein Zustimmungsgesetz handelt. Er verneint diese Frage; er sieht das Gesetz nicht als Zustimmungsgesetz an.
Der Ausschuß für Geld und Kredit bittet Sie durch mich um unveränderte Annahme der Vorlage.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die Aussprache der zweiten Beratung ein. Wird das Wort gewünscht? Es liegt ein Änderungsantrag der Föderalistischen Union zur zweiten Beratung vor. Zur Begründung hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Besold.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Föderalistischen Union Umdruck Nr. 650 will, daß in die Präambel des Gesetzentwurfs die Worte „mit Zustimmung des Bundesrates" eingefügt werden. Es handelt sich um eine verfassungsrechtliche Grundsatzfrage. Der Bundesrat hat sich mit dieser Frage ebenfalls beschäftigt und unter dem 14. März 1952 beantragt, in die Präambel die Worte „mit Zustimmung des Bundesrates" einzufügen, da dieses Gesetz zweifellos ein Zustimmungsgesetz ist. Der Finanzausschuß des Bundesrats hat nach den Darlegungen des Berichterstatters im Bundesrat 'einstimmig die Auffassung vertreten, daß das Gesetz nach Art. 84 des Grundgesetzes der Zustimmung des Bundesrates bedürfe, da durch die Aufhebung des Veräußerungsverbotes in die Organisation der Landeszentralbanken und damit in die Verwaltungshoheit der Länder eingegriffen werde, weil die Landeszentralbanken nach den Landeszentralbankgesetzen die Stellung von Landesbehörden haben. Der Berichterstatter wies ferner darauf hin, daß die durch die alliierte Gesetzgebung getroffene Landeszentralbankregelung gemäß Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes der Zustimmung des Bundesrats bedurft hätte, wenn sie vom deutschen Gesetzgeber erlassen worden wäre. Demnach ist die Änderung eines solchen Gesetzes durch den vorliegenden Gesetzentwurf ebenfalls zustimmungsbedürftig.
Ich darf auch darauf hinweisen, daß der Antrag des Bundesrats in der Anlage 2 zu der Drucksache Nr. 3454 im Bundesrat lediglich gegen 8 Stimmen angenommen worden ist. Die Fraktion der Föderalistischen Union bittet daher, dem Änderungsantrag Umdruck Nr. 650 zuzustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen dann, zur Abstimmung.
Ich habe eine Frage. Die Föderalistische Union hat in ihrem Antrag geschrieben, daß in der Präambel die Worte einzufügen sind: „mit Zustimmung des Bundesrates". Ich nehme an, daß sie meint, diese Einfügung solle in § 1 gemacht "wen,
({0})
den. Oder soll sie erfolgen in dem Satz „Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen"?
({1})
- Also, an dieser Stelle soll die Einfügung geschehen. Dann, meine Damen und Herren, stimmen wir zunächst über diesen Satz ab. Wer mit dem Antrag Umdruck Nr. 650 einverstanden ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die der Einleitung nach der Vorlage zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Angenommen.
Ich rufe nun auf § 1, - § 2, - Einleitung und Überschrift. Änderungsanträge liegen nicht mehr vor, so daß ich glaube, wir können sofort abstimmen. Ich bitte diejenigen, die der Fassung der Vorlage zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Damit ist das Gesetz in zweiter Beratung angenommen.
Ich rufe zur
dritten Beratung
auf und eröffne die allgemeine Aussprache. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Einzelberatung. Ich rufe auf § 1, - § 2, - Einleitung und Überschrift. - Das Wort ist nicht gewünscht. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Das Gesetz ist damit in dritter Beratung angenommen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz in der soeben beschlossenen Fassung zustimmen, sich zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Damit ist das Gesetz in dritter Beratung verabschiedet.
Ich rufe nun - Punkt 10 ist bereits erledigt - Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Prüfung der unzulänglichen Einstellung von Schwerbeschädigten bei den Bundesdienststellen ({2}).
({3})
- Auf die Begründung wird verzichtet. Eine Ausschußüberweisung kommt nicht in Frage. Wir können dann gleich abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das ist die für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ausreichende Mehrheit. Die Einsetzung ist damit beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Preise für Butter und Kartoffeln ({4}).
Dazu schlägt Ihnen der Ältestenrat eine Begründungszeit von 10 Minuten und eine Aussprachezeit von 60 Minuten vor. Ich nehme die Zustimmung des Hauses an.
Zur Begründung hat das Wort der Abgeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf Grund gewisser Erfahrungen, die wir bei der Behandlung ähnlicher Themen in der Vergangenheit gemacht haben, möchte ich mich zunächst darum bemühen, einige Klarstellungen zu geben, damit das Thema nicht verschoben wird. Wir beginnen bei solchen Fragen häufig da, wo es einen sachlichen Anlaß dazu gibt, und enden in Deklamationen, die mit der Sache dann nichts mehr zu tun haben. Es handelt sich für uns bei dem Antrag auf Drucksache Nr. 3664 nicht um den Versuch, eine Grundsatzfrage der Agrarpolitik zur Debatte zu stellen, und wir wollen auch keineswegs eine Aussprache über die Erzeugerpreise in die Wege leiten. Auch möchten wir keine Diskussion über das Wetter und seine Auswirkungen auf die Landwirtschaft haben. Insbesondere handelt es sich hier nicht um einen Angriff auf die Landwirtschaft - ich sage das mit ganz besonderem Nachdruck -; denn wir denken nicht daran, für objektive Tatbestände wie zum Beispiel Mangel an Niederschlägen oder für eine Produktion, die der gestiegenen Nachfrage nicht gerecht werden kann, Prügelknaben zu suchen. Ganz besonders gehört es nicht zum Stil meiner politischen Arbeit, eine Gruppe der Bevölkerung gegen die andere auszuspielen. Das möchte ich mit besonderem Nachdruck hier gesagt haben. Niemand braucht sich daher berufen zu fühlen, nun etwas zur Verteidigung der Landwirtschaft zu sagen, weil sie gar nicht angegriffen ist. Im Gegenteil, ich würde dringend darum bitten zu bedenken, daß es zweifellos der schlechteste Bärendienst sein würde, der jemals der Landwirtschaft von ihren beflissenen Freunden geleistet worden ist, wenn man sie an die Diskussion über Kartoffelpreise von 13 Pfennig das Pfund oder Butterpreise von 85 bis 90 Pfennig das Viertelpfund anhängen würde; und nur von diesen Preisen soll heute geredet werden.
Zunächst die Butter. Nachdem wir im vergangenen Jahr einen für angemessen gehaltenen Butterpreis nur dadurch halten konnten, daß sehr erhebliche Mengen eingelagert worden sind, die zum Schluß, soweit sie für die menschliche Ernährung noch verwendet werden konnten, mit Verlusten abgesetzt wurden, und nachdem wir im vergangenen Jahr zur Vermeidung eines Preisdrucks auf den Buttermarkt das bekannte England-Butterexportgeschäft gehabt haben, wo mit erheblichen Aufwendungen von Mitteln, die man vielleicht besser in Deutschland hätte einsetzen sollen, wenigstens billige Butter nach England geschafft worden ist, haben wir in diesem Jahr eine völlig veränderte Situation. Damals hat man die Tatsache, daß es offensichtlich zuviel Butter gab, die nicht abzusetzen war, darauf zurückgeführt, daß außer der deutschen Produktion auch noch Einfuhren aus dem Ausland auf den Markt gekommen waren, und man hat sich sogar so weit verstiegen, aus dieser Situation heraus eine Propaganda für Produktionseinschränkungen zu machen. Uns allen sind noch die handelspolitischen Konsequenzen geläufig, die sich daraus ergeben haben. Sie erinnern sich an die sehr lebhafte Diskussion anderer Wirtschaftskreise darüber, daß bei Aufrechterhaltung der hohen Buttereinfuhrzölle nachteilige Folgen für die deutsche Exportwirtschaft nur mit großen Schwierigkeiten abgewendet werden konnten.
Inzwischen, sage ich, ist die Situation völlig verändert, und wir haben im Augenblick mit Butterpreisen zu tun, die sich mühelos und auf keine andere Weise aus der Tatsache erklären, daß einer gestiegenen Nachfrage kein ausreichendes Angebot
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gegenübersteht. In der Unterhaltung über die Butterprobleme in der Vergangenheit ist deutlich zum Ausdruck gekommen, daß man in unserem Lande, mindestens was den agrarischen Sektor angeht, die Auffassung hat, hohe und am besten sogar überhöhte Preise seien ein besonders wirkungsvoller Anreiz für die Ausweitung der Produktion. Dabei ist auch die Vorstellung - ich möchte beinahe sagen: die Zwangsvorstellung - zum Ausdruck gekommen, daß die Rentabilität der Milchproduktion nur über den Butterpreis zu sichern sei. Aber darüber werden wir uns hoffentlich sehr bald unterhalten können, wenn wir hier die Ihnen ja bekannte Novelle zum Milchwirtschaftsgesetz verabschieden sollen. Heute haben wir also keine Überbestände; dafür haben wir steigende Preise.
Ich möchte bei der Gelegenheit ein Wort an diejenigen verwenden, die die sehr unerfreuliche, offenbar auch von den Betreffenden als sehr unerfreulich empfundene Situation in irgendeinem Zusammenhang mit der lebhaften Kritik an der Einlagerungspolitik in der Vergangenheit bringen wollen. Faktisch hat das, was wir heute erleben, mit der Einlagerung einer nicht absetzbaren Buttermenge, die zum Schluß mit erheblichen Verlusten auf den Markt gebracht und untergebracht werden mußte, durchaus nichts zu tun. Denn wenn wir heute keine Vorräte haben, um in der gegenwärtigen Situation etwa den Versuch eines Preisdrucks ausüben zu können, dann nicht wegen der damaligen Kritik, sondern weil es einfach keine Butter gegeben hat, die man einlagern konnte. Abgesehen von dem panikartigen Exportgeschäft nach England, das ich schon erwähnt habe, ist die Butter, die hier produziert worden ist, aufgenommen worden, und selbst die Einlagerung einer verhältnismäßig sehr kleinen Menge hat schon die Preisbewegung in Gang gebracht. Wie gesagt: das ausdrücklich an die Adresse derjenigen, die etwas, was ganz offensichtlich falsch war, nun als Entschuldigung für einen anderen Zustand verwenden wollen, der auch offensichtlich falsch ist.
Die Produktion, sage ich, reicht nicht aus, um die gestiegene Nachfrage zu befriedigen, und die Nachfrage ist interessanterweise - daran sollte immer wieder erinnert werden - in dem Augenblick gestiegen, in dem der Butterpreis zurückgegangen ist. Da Einfuhren nicht zur Verfügung stehen und, nachdem man sie sozusagen durch eine erklärte Zollpolitik grundsätzlich abgeschafft hat, nun auch kurzfristig nicht so als Lückenbüßer in die Wege geleitet werden können, ist also gar nicht damit zu rechnen, daß sich diese Dinge, die sich, wie gesagt, für den Verbraucher - und um dessen Anliegen wird ja heute verhandelt - in einem hohen Preis ausdrücken, von selber wieder einrenken könnten. Deshalb müssen unserer Meinung nach schleunigst Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Es reicht nämlich nicht aus, wenn man, wie das von maßgebender Stelle geschehen ist, Sagt: nun, dann essen die Leute halt Margarine! Eine solche Margarinepropaganda ist bisher nicht gemacht worden. Das reicht nämlich nicht aus; denn es handelt sich nicht nur um die hohen Butterpreise, denen man selbstverständlich ausweichen kann - denn es gibt ausgezeichnete Margarine, und es gibt vor allen Dingen auch Schmalz in einer außerordentlich günstigen Preisrelation zur Butter -; es handelt sich in Wirklichkeit um ganz andere Dinge, mit denen wir fertig werden müssen.
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- Sie sagen: Die Margarine ist zu billig! Nun, das ist Geschmacksache, und das liegt sehr im Auge des Beschauers. Fragen Sie mal die Leute, die froh sind, wenn sie ihren Brotaufstrich mit Margarine vornehmen können, weil ihr Geld zu etwas anderem nicht ausreicht. Dann werden Ihnen diese Leute vielleicht nicht zustimmen. Diese Leute gibt es nämlich auch.
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Man sollte sich sehr hüten, in solchen Situationen zu sagen, daß die Margarine zu billig ist.
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- Nun, ich habe eben so etwas gehört. Das ist im übrigen auch oft genug gesagt worden, daß die Margarine zu billig sei.
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- Lassen wir es mal dabei!
Wir müssen uns mit ganz anderen Dingen auseinandersetzen. Es machen sich die ersten Anzeichen jetzt bereits dafür bemerkbar, daß die Molkereien, veranlaßt durch den hohen Molkerei-Abgabepreis, mehr Spaß an der Verarbeitung von Milch zu Butter haben als an der Herstellung von Trinkmilch. Wir haben auch schon die Forderungen nach einer Erhöhung des Trinkmilchpreises gehört, und zwar unter Bezugnahme auf den höheren Butterpreis.
Meine Damen und Herren, wie die Molkereien die Dinge ansehen, ist ihre Angelegenheit. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß an dieser unerfreulichen Entwicklung die Landwirtschaft
- d. h. die, die die Milch erzeugen - bisher noch in keiner Weise beteiligt ist; denn wenn sich auch die Molkerei-Auszahlungspreise auf einer Basis von 6 DM und zum Teil schon darüber bewegen, dann haben sich die Auszahlungspreise an den Bauern dieser Entwicklung nicht angeschlossen, sondern mir sind eine ganze Reihe von Molkereiabrechnungen aus den letzten Wochen bekannt, die noch niedriger als vor einigen Monaten liegen.
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Meine Damen und Herren, wenn wir aber dieser Entwicklung tatenlos zusähen, dann ergäbe sich zweifellos und notwendigerweise eine unerhört gefährliche Konsequenz. Dann folgt dem hohen Butterpreis der hohe Milchpreis, und wenn im Augenblick der Verbrauch auch noch nicht rückläufig ist, wenn sich 'auch herausstellt, daß die Reaktion der Verbraucher auf die Preisentwicklung zögernder verläuft und träger stattfindet, als man vielleicht annehmen sollte, dann wird sich eben doch etwa zwangsläufig ergeben, daß den höheren Preisen die sehr erfreuliche Verbrauchssteigerung und insbesondere das gewachsene Interesse am Trinkmilchverbrauch zum Opfer fällt.
Wenn wir den Verbrauchern mit dem Trost: „Wenn die Butter zu teuer ist, dann mögen sie doch Margarine essen", den 'Entschluß, sich den Buttergenuß abzugewöhnen, so leicht machen, wenn wir dann die Entwicklung über einen hohen Milchpreis und über das damit zusammenhängende Nachlassen der ohnehin schon sehr zögernden Bestrebungen, von der Butter auf die Milch umzuschalten, um die Rindviehhaltung rentabel zu machen, auch noch erleben, dann werden wir eine neue Welle der Überproduktion heraufbeschwören. Dann wird die Geschichte wieder von vorne anfangen.
Wie gesagt, es steht für uns nicht nur das Problem der hohen Butterpreise und der Auswirkungen dieser hohen Preise auf diejenigen zur Diskus({6})
sinn, die vielleicht wegen ihres Alters oder aus anderen Gründen ihrer körperlichen Verfassung gezwungen sind, Butter zu essen, auch wenn sie ihnen eigentlich zu teuer ist; es steht für uns nicht nur der hohe Butterpreis im Vordergrund unserer Betrachtungen, sondern die Konsequenzen, die sich notwendigerweise aus der Situation ergeben müssen, die sich in diesem nahen Butterpreis ausdrückt. Da, wie gesagt, überhaupt nicht damit gerechnet werden kann, daß sich die Geschichte von selber einpendelt, und da, wenn sie sich so von selber einpendelt, dies nur auf eine Weise geschehen kann, die uns allen sehr unerwünscht sein muß, nämlich mit einer Senkung des Butter- und Milchverbrauchs, darum müßte und sollte hier etwas geschehen, was auch für die Zukunft noch richtig ist und was ganz bewußt darauf abstellt, die deutsche Bevölkerung an einen Mehrverbrauch van Trinkmilch zu gewöhnen. Das ist für die Milcherzeugung unter allen Umständen auch das sicherere und bessere Geschäft als die Verwandlung von Milch in Butter. Wir sollten also den Butterzoll aufheben und sollten alles tun, um hier Butter auf den Markt kommen zu lassen, und zwar aus den beiden Gründen, die im Zusammenhang gesehen werden müssen.
Es ist uns immer wieder gesagt worden, daß Butter sowieso gar nicht zu beschaffen sei und daß wir deshalb auf Zollsenkungen keine großen Hoffnungen setzen sollten. Die Zölle sind doch eingerichtet worden, um die heimische Produktion vor einem Druck aus ausländischer Erzeugung zu schützen. Und wenn sich nun die Gelehrten darüber einig sind, daß ein solcher Druck gar nicht stattfinden kann, weil ausländische Butter nicht zur Verfügung steht, dann sind die Zölle eben - mindestens in der gegenwärtigen Situation - völlig sinnlos. Dann erfüllen sie gar keinen Zweck, es sei denn, daß sie einigen Leuten, die die Marktlage etwas anders beurteilen, die Möglichkeit geben, immer wieder zu sagen, daß der hohe Butterpreis nur wegen der Zollvorschriften und wegen der Höhe der Zölle so gehalten werden könne. Dann sollte man uns doch von diesem Vorwurf befreien, sollte man den Leuten doch dieses Argument nehmen und auf die Aufrechterhaltung eines Mittels verzichten, das sowieso nicht wirksam werden kann.
Ein Wort zu den Kartoffeln. Es ist kein Geheimnis und niemand kann dem widersprechen, daß wir bis in die letzten Tage überhöhte Kartoffelpreise erleben. Ich habe mir heute morgen noch einmal aus vielen Städten, ich kann sagen: aus allen wichtigen Städten des Bundesgebiets per Fernschreiben die Einzelhandelspreise sagen lassen. Sie liegen immer noch bei 11, 12 und 13 Pfennig. Einige von Ihnen werden sie vielleicht schon selber zu diesem Preis gekauft haben. Es ist also keine Frage, daß es sich hier um eine sehr dringende Angelegenheit handelt, mit der der Bundestag sich beschäftigen muß. Wenn man vor den hohen Butterpreisen noch ausweichen kann, so ist das bei den Kartoffeln nicht der Fall, weil es nämlich für die auf die Kartoffeln angewiesenen Bevölkerungskreise keinen Ersatz für die Kartoffeln gibt. Hier kann man auch nicht warten, etwa darauf, daß sich allmählich dann doch noch herausstellen sollte, daß die Kartoffelernte gar nicht so schlecht ist, wie man sie zunächst hingestellt hat. Hier muß täglich gekauft werden, und für die, die jetzt Kartoffeln zu 12 Pfennig kaufen müssen, ist es kein Trost, wenn hinterher nach einigen Monaten die Kartoffeln meinetwegen nur noch 7 oder 8 oder 9 Pfennig
kosten. Das Geld sind sie los, und sie werden dabei das Gefühl haben, 'daß sie damit nur einem Mannöver zum Opfer gefallen sind, gegen das man sie aus der Kenntnis der Dinge hätte schützen können.
Noch kann niemand übersehen, welches Ausmaß der Produktionsausfall, der durch die Trockenheit in einigen Teilen des Bundesgebiets verursacht ist, nun in Wirklichkeit haben wird. Wir sind tatsächlich da alle noch auf Schätzungen angewiesen. Das hindert natürlich diejenigen, die gern spekulieren und die sich mindestens ein Stoßgeschäft, wenigstens für ein paar Wochen oder ein paar Monate, und eine besonders günstige Spanne ausrechnen, nicht, hier schwarz in schwarz zu malen. Ich möchte von dieser Stelle als meine Meinung mit allem Nachdruck sagen, daß es eine so schlechte Kartoffelernte überhaupt nicht geben kann, daß davon die Versorgung mit Speisekartoffeln in Frage gestellt werden könnte. Denn dazu ist der Anteil der Speisekartoffeln an dem Gesamtkartoffelverbrauch unserer Volkswirtschaft nun einmal nicht groß genug. Immerhin gibt es einige Tatsachen, z. B. die Tatsache der Minderung der Erzeugung. Es gibt ferner die Überlegungen, die sich an die zukünftigen Schweinepreiseanknüpfen. Auch darüber sollte niemand streiten, daß solche Überlegungen angestellt werden und daß sie dazu reizen können, Kartoffeln zu verfüttern, denn wenn man sie für die Schweine haben will, sind sie sehr billig und verlustfrei über lange Zeit zu lagern. Es gibt schließlich die Unsicherheit in der Versorgung mit Futtergetreide, insbesondere was die Preisrelationen angeht. Auch diese Fakten drücken sich in den so unerhört hohen Kartoffelpreisen aus. Es sollte sich auch niemand darüber wundern, daß aus den Preisgesprächen, die nun ganz unvermeidlich sind und aus denen ich auch niemandem einen Vorwurf machen will, die Verbraucher ihrerseits falsche Konsequenzen ziehen. Wir waren uns im vergangenen Jahre darüber einig, daß es unzweckmäßig ist, wenn nun der eine oder andere losstürzt und versucht, noch irgendwo schnell Kartoffeln zu kaufen. Ich denke dabei z. B. an die Unternehmungen, die dann mit ihren Lastzügen auf den Acker gefahren sind und in der Sorge, daß es immer noch schlimmer wird, Kartoffeln gekauft haben und die damit die Sache tatsächlich noch schlimmer gemacht haben.
Man sollte sich aber nicht darüber wundern, wenn die Verbraucher nun auch ihrerseits einmal aus diesen Unsicherheiten, aus diesem Durcheinander eben nicht richtigere Konsequenzen ziehen, als es andere Menschen tun. Das ist nun einmal so, wenn die Agrarpolitik voller Widersprüche ist und man auf Vertrauen nicht rechnen kann. Es ist keine ausreichende Erklärung und es trägt nicht zur Stärkung 'des Vertrauens bei, wenn dann gesagt wird: Na ja, man muß sich halt daran gewöhnen, daß gutes Ferienwetter eben einen höher gehängten Brotkorb bedingt, - als ab das eine mit dem anderen so zusammenhinge und man nichts dagegen machen könnte. Es reicht auch nicht aus, wenn nun selbst vom Bundesernährungsministerium gesagt wird, daß man ja noch gar nicht weiß, wie groß die Kartoffelernte werden wird. Es ist auch noch nicht ausreichend, wenn da ganz vorsichtig schon von Einfuhren die Rede ist oder davon, daß man überlegt, ob man nicht doch mit den Zöllen irgend etwas machen soll. Was hier erforderlich ist, sind drastische Maßnahmen, wirksame Maßnahmen, ich sage noch einmal: drastische Maßnahmen! Gerade weil es sich nicht um einen echten Mangel handelt, sondern nur um eine Spekulation mit dem Mangel
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auf der einen 'Seite und um eine Furcht vor dem Mangel und einen dadurch bedingten Preis auf der andern Seite, ist die Regierung hier in höchstem Maße verpflichtet, Klarheit und Beruhigung zu schaffen, aber eben nicht durch irgendwelche mehr oder weniger unverbindliche Erklärungen, sondern durch Maßnahmen.
Wir haben Ihnen hier Maßnahmen vorgeschlagen. Ausdrücklich möchte ich sagen, daß wir unter unseren Maßnahmen nicht den Höchstpreis vorgeschlagen haben. Meine Freunde und ich halten nichts von solchen Maßnahmen. Wir wissen, daß sie, wenn sie überhaupt funktionierten, nur im Rahmen eines in sich völlig geschlossenen Bewirtschaftungssystems funktionieren würden, das aufzubauen oder in Gang zu setzen wir glücklicherweise keinen Grund haben. Wir möchten deshalb, daß die praktischen Maßnahmen der Regierung in den sonst so beliebten marktkonformen Mitteln bestehen. Ich bin der festen Überzeugung, daß man die Gemüter sehr schnell beruhigen wird, wenn man etwa in der Richtung verfährt, wie wir es Ihnen unter Punkt 1, 2 und 3 unseres Antrages vorgeschlagen haben.
Man soll doch nicht so argumentieren, daß man sagt: 8 Millionen t werden gebraucht, 100 000 t kann man 'bloß einführen. Wieviel Kartoffeln man einführen kann, stellt sich erst dann heraus, wenn man sich ernsthaft um eine Einfuhr bemüht und nicht nur mit 100 000 t Kartoffeln operiert, weil man in Wirklichkeit eben nichts tun will. Ich möchte einmal erleben, was für interessante Angebote an Einfuhrkartoffeln wir bekämen - und ich bin der Überzeugung, wir brauchen nur Angebote, wir brauchen gar keine Kartoffeln, um das zu erreichen, was wir hier erreichen wollen -, wenn die Regierung etwa sagte, daß sie denen, die ihr jetzt durch Kartoffeleinfuhren helfen, die heutige Situation zu überwinden, eine zusätzliche Chance geben werde, wenn es im nächsten Jahr um die sehr profitable Einfuhr von Frühkartoffeln geht.
Ich bin im übrigen der Meinung, daß allein der unbezweifelbare Wille der Regierung, hier Ordnung zu schaffen, ausreicht, um uns aus der Situation herauszubringen, die sich eben für uns in diesen Preisen ausdrückt. Man soll uns auch nicht sagen, daß die Aufhebung der Zölle keinen Sinn habe, weil dann bekanntlich das Ausland mit seinen Preisen doch nachziehe. Daß unser Einfuhrverfahren schlecht und unpsychologisch ist - und es gibt dafür heute im großen und ganzen ja nicht einmal mehr die 'Entschuldigung, das hätten uns die Alliierten so oktroyiert -, ist kein Geheimnis. Daß man es intelligenter, wirtschaftlicher und kaufmännischer machen kann, braucht die Opposition nicht erst zu erfinden. Es gibt in diesem Lande genügend Leute, die das können, und man muß es nur wollen. Wir haben deshalb gern darauf verzichtet, hier noch ausdrücklich etwas über das Einfuhrverfahren zu sagen, weil es unserer Ansicht nach ebenso eine Selbstverständlichkeit ist, daß man so etwas intelligent macht, wie es unserer Meinung nach eben eine Selbstverständlichkeit ist, sich nicht um Festpreise oder um Höchstpreise zu streiten, deren Durchsetzbarkeit doch von niemand ernstlich geglaubt werden kann und die höchstens als ein Pflästerchen für diejenigen in Erscheinung ' treten, denen die wirtschaftlichen Vorgänge und Zusammenhänge nicht klar sind oder die wirklich wirksame Maßnahmen, auch Maßnahmen der Marktwirtschaft - die berühmten marktkonformen Mittel -, eben nicht anwenden wollen.
Es kann nicht daran gezweifelt werden, daß das Problem, das wir mit unserem Antrag angesprochen haben, außerordentlich vordringlich ist. Es brennt nicht nur bildlich auf den Nägeln, sondern ein großer Teil der Menschen in unserem Land muß von der Politik - wenn nicht von der Regierung, dann vom Parlament - erwarten, daß man sich in einer so zugespitzten Situation schleunigst um Maßnahmen bemüht. Ich möchte wahrlich nicht vor Ihnen den Eindruck erwecken, als handle es sich hier um Maßnahmen, die nur wir erfinden oder auf die nur wir kommen könnten. Den Ehrgeiz haben wir gar nicht. Es genügt uns, daß wir den Mut haben, diese Dinge anzusprechen, auch in dem Bewußtsein, daß wir damit eine Diskussion heraufbeschwören, die immer in der Gefahr ist, am eigentlichen Thema vorbeizugehen. Aber wegen der Eilbeddrftigkeit und darum, weil es sich hier wirklich nicht um irgendwelche Grundsatzfragen handelt, um irgendwelche Probleme von Ewigkeitswert, von denen das Wohl oder Wehe ganzer Berufsstände abhängt, möchten wir Ihnen vorschlagen, die Geschichte nicht erst in den Ausschuß zu tun. Was die Kartoffeln kosten, weiß jeder, und und was die Butter kostet, weiß auch jeder. Und wer das nicht in Ordnung findet und wer das nicht sich selbst überlassen möchte, der wird hoffentlich unserer Bitte entsprechen, diesem unserem Antrag zuzustimmen, damit die Regierung auf eine Aufforderung des Bundestags hin das tut, was sie bisher leider noch nicht getan hat.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem vorletzten Satz hat der Herr Abgeordnete Kriedemann das Problem als wichtig bezeichnet. Es ist infolgedessen selbstverständliche Pflicht für mich, zu diesem Fragenkomplex, der in den letzten Wochen ja die Öffentlichkeit sehr intensiv beschäftigt hat, Stellung zu nehmen.
Ein Wort vorweg zur sogenannten Vorratspolitik.
Ich möchte den Vorwurf zurückweisen, daß die
Bundesregierung nicht alles getan habe, um auf
diesem Gebiet die Dinge entsprechend zu regeln.
Wie war es denn im vergangenen Jahr? Wir hatten in den letzten vorausgehenden vier Jahren die
inländische Milchproduktion um 86 % gesteigert.
Infolgedessen standen Milch und deswegen auch
Butter genügend zur Verfügung. Nimmt man aber
den gesamten Komplex der Fettversorgung als
eine unteilbare Größe - und das muß man ja tun
-, so darf ich nicht unterlassen, auf die Achillesferse hinzuweisen, die sich 1951 in der Margarineversorgung herausstellte. Korea hat uns über Nacht
in eine schwierige Situation gebracht. Wir haben
zehn Tage nach Korea am Weltmarkt in den Preisen für Ölsaaten eine Steigerung um 12,5 % gehabt,
({0})
während die anderen Grundnahrungsmittel nur um 2 % in die Höhe gegangen waren. Ganz klar, wenn politische Schwierigkeiten entstehen, dann denkt man ernährungswirtschaftlich zunächst an den wundesten Punkt, an die Fettversorgung auf der ganzen Welt. Deutschland stand nach Korea wiederum glücklich am Schwanz der Schlange, und es war bis zum August 1951 sehr schwer möglich, auch nur einigermaßen befriedigende Mengen an
({1}) Ölfrüchten auf dem Weltmarkt zu erwerben. Aber im Inland war diese Möglichkeit gegeben, und man hätte mir mit Recht die größten Vorwürfe gemacht, wenn ich von ihr nicht Gebrauch gemacht hätte. Das Bundeskabinett hat mich infolgedessen damals ermächtigt, zunächst 20 000 t und dann noch einmal 10 000 t aufzukaufen, so daß wir die immerhin respektable Menge von 30 000 t hatten.
Dann kam ein Winter, der entgegen allen Voraussetzungen eine außerordentlich günstige Futtersituation schuf, so daß die Milcherzeugung und damit natürlich auch die Butterproduktion weit größer waren, als war Sachverständigen alle zusammen uns hatten träumen lassen. Infolgedessen gab es einige Schwierigkeiten mit dem Absatz dieser großen Butterreserve von 30 000 t.
Es wird mir nun der Vorwurf gemacht, daß ich von dieser vorjährigen Reserve nicht entsprechend in das laufende Jahr herübergenommen habe. Den Kritikern darf ich zwei Momente vor Augen führen. Erstens ist die Butterlagerung im Gegensatz zur Lagerung aller sonstigen Grundnahrungsmittel sehr teuer. Jede Tonne, die wir in die Hand nehmen, kostet uns zur Zeit im Durchschnitt rund 400 DM an reinen Lagerungskosten. Zweitens: Trotz sorgfältigster Lagerung und Ausnutzung aller modernen Einrichtungen der Krühltechnik ist die Buttereinlagerung immer ein schlechtes Geschäft, weil man natürlich selbst Markenbutter nach soundso langer Lagerung doch nur zu gedrückten Preisen absetzen kann. Man muß ständig „wälzen", wie der Terminus technicus heißt. Wenn man diese Momente berücksichtigt, dann kommt man zu dem Urteil, zu dem sich auch ein Sachverständigengremium, wie ich es mir besser nicht denken könnte, nämlich der Wirtschaftsausschuß der Einfuhr- und Vorratsstelle, erklärt hat: Man mußte im Frühjahr räumen.
Wie war es nun zu Beginn dieses Jahres? Zunächst floß die Milch in Strömen. Aber es hat sich sehr bald folgendes gezeigt: wir bekamen, weil infolgedessen auch mehr Butter erzeugt wurde, eine starke Rückwärtsentwicklung der Butterpreise. Es wird mir niemand verübeln, wenn ich darauf hinweise, daß der sogenannte Molkereiabgabepreis, der ein Jahr vorher auf 5,70 DM festgesetzt war, auf 4,85 DM zurückging. Ich darf das besonders betonen, weil in jenen Monaten der Preisbaisse bei Butter niemand über die Butterpreise sprach, obwohl die Baisse natürlich die Landwirtschaft in einer entsprechenden Minderung der Milchauszahlungsquoten recht erheblich traf.
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Nun kam die große Dürre, die man auch nicht voraussehen konnte und die Ausmaße annahm, die in manchen Gegenden der Bundesrepublik einen recht bedrohlichen Rückgang des Milchanfalls mit sich brachten. Etwas anderes kam dazu - der Herr Vorredner hat ja über dieses Kapitel sehr ausführlich gesprochen -: die einsetzende Hitze hat den Verbrauch von Frischmilch mehr gesteigert als unsere jahrelange Propaganda: „Trinkt mehr Milch!" Wir haben während der heißen Wochen - ich kann das zahlenmäßig nachweisen - teilweise eine Verfünffachung des Frischmilchabsatzes gehabt; ich kann Städte nennen - ich zitiere Frankfurt -, denen es trotz aller Bemühungen nicht gelang, in diesen heißen Wochen so viel Frischmilch von den Molkereien hereinzubekommen, wie die Bevölkerung verlangte. Selbstverständliche Folge war eine Verringerung der inländischen Buttererzeugung.
Demgegenüber ist der Butterverbrauch gestiegen. Als Ernährungsminister sage ich: Gott sei Dank! Ich freue mich darüber, daß weiteste Kreise der Bevölkerung heute in der Lage sind, die nicht nur ernährungsmäßig, sondern auch gesundheitlich so bedeutsame Butter in entsprechendem Maße zu konsumieren.
Nun erhebt man den Vorwurf, daß wir dieser Tatsache nicht durch eine Vermehrung der Einfuhr genügend Rechnung getragen haben. Demgegenüber möchte ich mit allem Nachdruck folgendes hervorheben. In der ganzen westlichen Welt hat sich in der letzten Zeit der Butterverzehr außerordentlich gehoben. Während z. B. die skandinavischen Staaten noch vor Jahresfrist - also zu einer Zeit, als wir selber übergenug Butter hatten - auf Abnahme der in den Handelsverträgen vorgesehenen recht erheblichen Kontingente drängten, ist es heute so, daß wir mit Mühe und Not nur verhältnismäßig kleine Mengen durch unsere Ausschreibungen hereinbekommen. Ich kann verraten, daß es den Schweden unangenehm war, als wir in diesem Frühjahr eine Ausschreibung für schwedische Butter vornahmen - den Schweden, die vor Jahresfrist mit der Sperrung der Erzeinfuhr nach Deutschland drohten, falls wir ihnen nicht entsprechend Butter abnahmen!
Aber nicht nur der erhöhte Verbrauch in den anderen Ländern der westlichen Hemisphäre hat das Bild völlig geändert; auch die Dürre hat zu ähnlichen Erscheinungen wie bei uns geführt. Vor acht Tagen hatte ich den Besuch des Stellvertreters des irischen Ministerpräsidenten de Valera. Irland hat uns früher immer Butter geliefert, und wir sind in unserem Handelsaustausch sehr stark aktiv, so daß wir auch Interesse daran haben, den Iren abzukaufen. Meine erste Frage an den stellvertretenden irischen Ministerpräsidenten lautete: „Können Sie uns Butter geben?" Er hat auf das stärkste abgewinkt mit dem Hinweis darauf, daß selbst diese sonst mit den besten Niederschlagsverhältnissen von ganz Europa gesegnete Insel in diesem Sommer eine solche Dürre hatte, daß die eigene Buttererzeugung außerordentlich stark reduziert werden mußte.
Wir sind noch einen Schritt weitergegangen. Früher haben wir - auch darüber ist in diesem Hohen Hause schon oft gesprochen worden - grundsätzlich nur prima Butter eingeführt - nur Markenbutter -, weil wir der Meinung waren, daß deutsches Geld eben nur für gute Ware ausgegeben werden darf. Wir sind davon abgegangen und haben auch mittlere Qualitäten ausgeschrieben - ohne entsprechenden Erfolg!
Nun könnte man einwenden - und der vorliegende Antrag der SPD ist ja eigentlich eine Konkretisierung dieses Einwands -, daß. der vom Deutschen Bundestag am 15. Juli 1951 mit dem neuen deutschen Zolltarif beschlossene 25 %ige Wertzoll zu hoch sei, daß er also prohibitiv wirke. Meine Damen und Herren! 25 % Wertzoll bedeuten heute bei dem gegebenen Weltmarktpreis ungefähr eine Zollbelastung von 112 bis 115 DM je Doppelzentner. Es liegt nun der Einwand nahe, daß gegenüber dem Bülow-Zolltarif, der seit dem Jahre 1902 gilt, eine Erhöhung eingetreten sei; denn damals war der Butterzoll je Doppelzentner nur 75 M. Ich will jetzt gar nicht auf das Jahr 1902 zurückgehen, in dem die Weltmarktpreise ja noch niedriger waren; sondern ich ziehe die für den Vergleich näherliegenden Jahre 1936/38 in Rechnung. Damals kostete die Butter auf dem
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Weltmarkt 130 RM. 75 RM Zoll je Doppelzentner war also gleichbedeutend mit einer Zollbelastung in Höhe von 58 °/o. Ich glaube, man muß diese Tatsache im Auge behalten, wenn man das Heute und das Früher in eine gerechte Relation bringen will.
Nun darf ich mir noch eine Bemerkung gestatten. Auch Herr Kriedemann hat darüber gesprochen, wenn auch nur andeutungsweise. Bekanntlich gehen in den Kreisen der Sachverständigen die Meinungen über die Auswirkung der Zollermäßigungen erheblich auseinander. Es gibt Verteidiger der Idee, daß jede Zollherabsetzung die Einfuhr erleichtere und vermehre. Es gibt aber auch Stimmen, die darauf hinweisen, daß - und das darf ich jetzt unterstreichen - insbesondere bei internationalen Mangellagen Zollermäßigungen letzten Endes den ausländischen Lieferanten zugute kommen,
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die nach Meinung dieser Kreise dadurch in die Lage versetzt werden, ihre Forderungen zu erhöhen. Ich sehe ein, daß es die kostbare Zeit des Hohen Hauses zu sehr in Anspruch nehmen würde, dieses wirtschaftlich hochinteressante Thema hier weiter zu vertiefen; ich glaube aber, daß es in dem Ausschuß, dem ja wohl dieser Antrag überwiesen werden wird, Zeit und Gelegenheit gibt, sich mit dieser sehr bedeutsamen Frage ohne jede Voreingenommenheit zu befassen. Persönlich bin ich hinsichtlich der Feststellungen über die Auswirkungen derartiger Zölle oder Auflagen sehr vorsichtig geworden, seit ich das dreibändige Werk des bekannten deutschen Wirtschaftlers Du Bois-Reymond gelesen habe. Er hat seine Doktorarbeit darüber gemacht, und die Sache hat ihn so interessiert, daß es eigentlich seine Lebensarbeit wurde. Ich I habe mir diese über tausend Seiten umfassende Studie zu Gemüte geführt. Sie dreht sich um die Frage: wem kommt der lange Jahre von den preußischen Städten erhobene Oktroi zugute?, und ich muß sagen, nach der Lektüre dieser tausend Seiten war ich so klug wie vorher, wahrscheinlich der Verfasser auch.
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Nun zur Kartoffel. Sie werden von mir verlangen, daß ich bei der Betrachtung der Situation ganz kurz etwas über die Ernte sage. Ich tue das ungern; denn die Ernte ist ja noch nicht geborgen. Aber bis heute zeichnet sich folgendes Bild ab. Auf Grund des Witterungsverlaufs in diesem Sommer läßt sich eine große Scheidelinie zwischen Gebieten mit guten und schlechten Ernteaussichten ziehen, die etwa 80 km nördlich von Frankfurt verläuft. Südlich dieser Linie befinden sich niederschlagsarme Gebiete mit unbefriedigenden Ernteergebnissen, während die Gebiete nördlich dieser Scheidelinie im allgemeinen ausreichende Niederschläge hatten und eine gute Kartoffelernte erwarten dürfen. Von der gesamten Kartoffelanbaufläche im Bundesgebiet liegen etwa 50 % nördlich und 50% südlich dieser Linie. Es zeigt sich aber mit fortschreitender Ernte immer mehr, daß sich die Regenfälle in den letzten Wochen im süddeutschen Raum noch ausgewirkt haben und es auch hier Gebiete mit befriedigenden Kartoffelerträgen gibt. Ich nenne nur das für die Kartoffel bedeutsame Donau-Moos. Als Dürregebiete mit schlechten Ernten schälen sich die Gebiete am Oberrhein, am Neckar und zu beiden Seiten des Rheins heraus, so daß wirklich schlechte Ernteaussichten nur für etwa 25 bis 30 % der Gesamtanbaufläche im Bundesgebiet bestehen. Im norddeutschen Raum liegen
Anzeichen dafür vor, daß in manchen Gebieten die Ernten besser ausfallen werden als im Vorjahr. Es läßt sich aber noch nicht erkennen, ob und inwieweit diese Mehrerträge im Norden die Mindererträge im süddeutschen Raum auszugleichen in der Lage sind.
Bei vorsichtiger Beurteilung der Lage muß man davon ausgehen, daß wir voraussichtlich die 24 Millionen t des vergangenen Jahres - die 28 des vorvorigen Jahres stellten einen Rekord dar - nicht erreichen werden. Wir brauchten - ich muß, obwohl der Herr Abgeordnete Kriedemann gegenüber diesen Zahlen skeptisch war, doch ganz kurz etwas dazu sagen - für die Deckung des menschlichen Bedarfs in Kriegszeiten und in den Nachkriegsjahren 10 bis 11 Millionen t. Nach unseren Berechnungen ist dieser Bedarf im vergangenen Jahre auf rund 9 Millionen t zurückgegangen, die Selbstversorger eingeschlossen. Es sind also 37 % der vorjährigen Kartoffelernte für den menschlichen Verzehr in Anspruch genommen worden. Zur Erhöhung der für den menschlichen Verzehr zur Verfügung stehenden Speisekartoffelmenge ist - das darf ich auf die Anfrage des Herrn Abgeordneten Kriedemann bemerken - bereits Vorsorge für eine Einfuhr von bis zu 100 000 t Speisekartoffeln aus Holland und 20 000 t aus Dänemark getroffen worden.
Was nun den Zoll anlangt, so liegen die Dinge folgendermaßen. Nach dem geltenden deutschen Zolltarif betragen die Einfuhrzölle für Kartoffeln im Juli 35, im Juni 30 und für die restliche Zeit des Jahres 20 %. Vom Bundesminister der Finanzen ist beim Kabinett eine Vorlage eingereicht worden, den Kartoffelzoll vom 1. September bis zum 31. Dezember 1952 aufzuheben.
Ich möchte noch eine Saite anklingen lassen, auf die der Herr Abgeordnete Kriedemann nicht mit Unrecht hingewiesen hat: die Bedrohung durch das Schwein. Wir stellen zur Zeit im Rahmen der Roggenumtauschaktion 6 bis 700 000 t verbilligtes Futtergetreide den Landwirten zur Verfügung und damit - niemand wird das bestreiten können - vermindert sich die Gefahr der Bedrohung des menschlichen Kartoffelbedarfs vom Schweinetrog her.
Nun sieht der Antrag der SPD in Ziffer 3 eine Einschränkung der industriellen Verarbeitung von Kartoffeln in Brennereien und Stärkefabriken vor. Dazu sei folgendes bemerkt. Im vergangenen Jahre wurden im deutschen Bundesgebiet 102 000 t Kartoffeln verbrannt, das sind 0,46 % der Ernte. Ein Verbot des Verbrennens von Kartoffeln würde auch die Schlempe in Wegfall kommen lassen und damit unsere an und für sich knappe Futterdecke, vor allem für die Milcherzeugung, verringern. Um Mißbräuche zu vermeiden, hat das Bundesministerium der Finanzen das diesjährige Brennkontingent, das vor 2 Jahren bis zu 150 %, im abgelaufenen Jahr 100 % betrug, auf 80 % eingeschränkt.
Nun zur sehr umstrittenen Stärkefabrikation. Die deutschen Stärkefabriken werden infolge der billigeren holländischen Konkurrenz auf dem Stärkesektor die zur Zeit bestehenden deutschen Kartoffelpreise überhaupt nicht anlegen können. Im übrigen ist ja die Einfuhr von Fabrikkartoffeln liberalisiert und zollfrei, so daß die Stärkefabriken in der Lage sind, ihren Kartoffelbedarf zum großen Teil im Ausland zu decken. Holland ist bereit, 40 000 t Fabrikkartoffeln zu liefern.
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Richtig ist, daß zu Beginn der eigentlichen Kartoffelversorgung in diesem Jahre - ich sehe von den Frühkartoffelpreisen ab - verhältnismäßig hohe Kartoffelpreise verlangt wurden. Sie betrugen zum Beispiel Anfang August in Bayern loco 8,50 DM, in Württemberg-Baden, in der Pfalz und in Hessen 9 bis 9,50 DM. Im norddeutschen Raum lagen die Kartoffelpreise zu der genannten Zeit niedriger; sie betrugen 6,50 bis 7,50 DM. In der Zwischenzeit ist eine gewisse Angleichung zwischen Norden und Süden erfolgt. Zur Zeit - das sind die Ergebnisse der letzten Tagesnotierungen - kosten die Kartoffeln in Bayern, Württemberg-Baden, Hessen und der Pfalz 7,50 bis 8 DM und im norddeutschen Raum 5,80 bis 7 DM.
Schließlich sei noch folgendes bemerkt. Der ab Mitte August im diesjährigen Trockengebiet einsetzende Regen hat es natürlich nicht mehr vermocht, die sogenannten mittelfrühen Sorten im. Wachstum günstig zu beeinflussen, weil hier die Schale schon zu fest war, so daß es höchstens zur sogenannten Kindel-Zwillingsbildung kommt. Dagegen lauten die Meldungen übereinstimmend dahin - ich kann das aus meinem eigenen Betrieb bestätigen -, daß bei den späten Sorten - ich nenne den erfreulicherweise viel angebauten „Ackersegen" - der gerade noch rechtzeitig kommende Regen eine Vermehrung der Kartoffelerträge im normalen Wachstum ermöglichte. Aus diesem Grunde braucht man hinsichtlich des endgültigen Ergebnisses nicht allzu schwarz zu sehen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Dannemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der SPD Drucksache Nr. 3664 ist nicht einmalig und auch nicht außergewöhnlich. Jedesmal wenn nach den Spielregeln der freien Marktwirtschaft die Nachfrage größer wird als der Bedarf und auch auf agrarischem Sektor die Preise ansteigen, stellen wir fest, daß sich eine allgemeine Nervosität bemerkbar macht und daß sofort parlamentarische Anträge eingebracht werden auf Zollsenkung, vermehrte Einfuhren, auf Preisfestsetzungen und irgendwelche sonstigen Maßnahmen, die seitens des Staates eingeleitet werden sollen. Interessant ist, zu beobachten, daß ausgerechnet die Stellen, die sich seinerzeit mit aller Energie gegen die Beibehaltung des Höchstpreises für Butter ausgesprochen haben und die ebenso energisch eine Bevorratung von Butter abgelehnt haben, sich heute darüber beschweren, daß die Preise ansteigen und daß keine Vorräte vorhanden sind, um irgendwelche Preismanipulationen durchzuführen. Dabei weiß jeder, daß die augenblickliche Situation durch die Dürre verursacht worden ist. Es ist auch nicht unbekannt - der Herr Minister hat eben darauf hingewiesen -, daß nennenswerte Überschüsse an Butter praktisch in der ganzen Welt nicht vorhanden sind. Es dürfte auch nicht unbekannt sein, daß im Februar 1951 bei den Rhöndorfer Besprechungen ein Molkereiabgabepreis von 5,70 DM je Kilogramm Butter als durchaus berechtigt angesehen worden ist, daß aber in den letzten Monaten, wie der Minister ebenfalls zum Ausdruck gebracht hat, die Landwirtschaft diesen Preis nicht annähernd bekommen hat, sondern wochenlang, zum Teil monatelang Preise hat hinnehmen müssen, die bis auf 4,65 DM je Kilogramm absanken, d. h. Preise je Kilogramm, die fünf Pfennig je Liter Milch
unter den Gestehungskosten waren. Wäre man im Frühjahr unseren Vorschlägen gefolgt und hätte damals - ich muß hier dem widersprechen, was der Herr Kollege Kriedemann zum Ausdruck gebracht hat -, als die Preise abrutschten und Überschüsse an Butter vorhanden waren, Butter in einer Menge von 15 000 t, wie wir es verlangt haben, eingelagert und wäre der Herr Finanzminister bei der Gewährung von Geldern für die Bevorratung nicht so ablehnend gewesen, dann sähe es heute für unsere Verbraucher anders aus.
Meine Damen und Herren, was wir jetzt auf dem Buttersektor erleben, wird sich in drei Monaten auf anderem Gebiet wiederholen, wenn jetzt wiederum seitens der Bank deutscher Länder und des Herrn Finanzministers, wie es den Anschein hat, kein Geld zur Verfügung gestellt werden soll, um das Überangebot an Rindern aufzufangen und damit der Bevölkerung nach drei Monaten Fleisch zu tragbaren Preisen zur Verfügung zu stellen. Die Zeche dieser falschen Vorratshaltung wird auch dann wieder der Verbraucher zu zahlen haben.
Wie steht es nun mit der Butter- und Kartoffelversorgung? Die augenblickliche Eigenproduktion an Butter beträgt monatlich 24 000 bis 25 000 t, der Verbrauch monatlich zwischen 28 000 und 30 000 t. In der Vorratsstelle haben wir leider nur einen Vorrat von annähernd 3700 t und nicht 15 000 t, wie wir verlangt haben. Die benachbarten Staaten schwelgen auch nicht in Butter, sie haben zum Teil nur ganz geringe Überschüsse. So hat z. B. Holland, das im vorigen Jahr um diese Zeit einen Vorrat von annähernd 17 000 t hatte, im Augenblick nur einen solchen von 2500 t. Auch dort steigen laufend die Butterpreise. Zur Zeit kostet die Butter in Holland unverzollt frei Grenze je Kilogramm 5,20 bis 5,26 DM. Der größte Teil der Überschüsse ist bereits an Belgien und Frankreich verkauft. Dänemark hat in der ersten Hälfte dieses Jahres mindestens 10 % weniger an Butter erzeugt als im Vorjahr und die Überschüsse weitgehend an England verkauft. Schweden - das hat der Herr Minister zum Ausdruck gebracht - wird Last haben, die zur Ausfuhr nach Deutschland vorgesehenen 9000 t auch nur zur Hälfte liefern zu können. Finnland hat einen Bestand von etwa 6000 t weitgehend verkauft an England und Rußland. Das einzige Land, das tatsächlich einen nennenswerten Überschuß an Butter hat, ist Neuseeland; aber dieses muß auf Grund langfristiger Verträge 87,5 % aller Überschüsse an England verkaufen.
Sie sehen also, meine Damen und Herren, einmal, daß nennenswerte Mengen an Butter auf dem Weltmarkt überhaupt nicht vorhanden sind, zum andern, daß die Entwicklung in preislicher Hinsicht in den benachbarten Staaten genau so gelaufen ist wie bei uns in der Bundesrepublik.
Nun macht man den Vorschlag, Zollsenkungen eintreten zu lassen. Keiner in diesem Saal wird wohl ernsthaft glauben, daß angesichts eines jährlichen Bedarfs von etwa 320 000 bis 350 000 t Butter die lächerlichen paar tausend Tonnen Butter irgendwie für den Verbraucher eine Preissenkung herbeiführen können, ganz abgesehen davon, daß, wie wir aus der Vergangenheit wissen, die von uns in Aussicht genommenen Zollsenkungen sich meistens dahin auswirken, daß benachbarte Staaten den jeweiligen Inlandspreis entsprechend erhöhen.
Abschließend möchte ich zu diesem Punkt sagen, daß wir uns von den Vorschlägen, die hier gemacht worden sind, eine praktische Wirkung überhaupt
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nicht versprechen und daß es nach unserer Auffasung lediglich eine agitatorische Wirkung haben kann.
Wir müssen uns auch dagegen verwahren, daß die Zollsätze jeweils immer nur auf dem agrarischen Sektor gesenkt werden sollen, wenngleich man doch auch bei anderen Produkten, bei solchen der gewerblichen und industriellen Wirtschaft, die gleichen Zollsätze feststellen muß. Wir müßten die Zollsätze dann auch bei der Einfuhr von Autos, Maschinen, Chemikalien und Düngemitteln senken. Da denkt aber kein Mensch daran, die Zollsätze zu senken, um diese Arbeiter nicht brotlos zu machen.
Wie sieht es nun bei den Kartoffeln aus? Wir werden - und das ist kein Geheimnis - eine geringere Ernte haben als im letzten Jahr. Der Herr Minister hat zum Ausdruck gebracht, daß wir im vorigen Jahr eine Ernte von 23 bis 24 Millionen t Kartoffeln gehabt haben. Persönlich bin ich der Meinung, daß wir nicht an diese Zahl herangekommen sind. In diesem Jahr werden wir wahrscheinlich 20 Millionen t Speisekartoffeln aufbringen. Wir brauchen, wenn wir je Kopf der Bevölkerung 31/2 bis 4 Zentner Speisekartoffeln zugrunde legen, 8 Millionen t. Es wird gar kein Problem sein, das hat Herr Kriedemann schon zum Ausdruck gebracht, den Speisekartoffelbedarf des deutschen Volkes zu decken.
Was nun das Brennverbot anlangt, so bin ich der Meinung, man hätte mit diesem Vorschlag etwas vorsichtiger sein sollen. Jeder Fachmann weiß, daß zum Brennen von Kartoffeln und zur Stärkeherstellung in erster Linie weißfleischige Futterkartoffeln mit einem hohen Stärkegehalt benutzt werden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man bei einem Brennverbot den Verbrauchern eine große Freude machen würde, wenn man der Verbraucherschaft in Zukunft statt dessen weißfleischige Futterkartoffeln auf den Tisch des Hauses setzte. Außerdem weiß jeder Fachmann, daß die kleinen, angehackten Kartoffeln und die gerade bei dieser Dürre zahlreichen mit Kindelbildung behafteten Kartoffeln in erster Linie für Stärkeherstellung und Brennzwecke Verwendung finden. Auch hier kann ich mir wirklich nicht vorstellen, daß man dem Verbraucher mit einem Verbot eine Freude machen würde. Ich bin daher der Meinung, daß auch nach dieser Richtung hin kein brauchbarer Vorschlag gemacht worden ist.
Ich möchte daher vorschlagen, daß der vorliegende Antrag dem Ausschuß für Ernährung und Landwirtschaft als federführendem Ausschuß und weiter zur Mitberatung dem Ausschuß für Außenhandelsfragen überwiesen wird. Wir werden uns im Ausschuß mit diesem ganzen Fragenkomplex eingehend und ernsthaft befassen müssen, insonderheit mit der Vorratshaltung. Wir sind der Meinung, daß eine Bevorratung und eine befriedigende Versorgung der Bevölkerung zu erträglichen Preisen auf die Dauer nicht durchgeführt werden kann, solange eine Agrarpolitik von verschiedenen Ressorts des Ministeriums betrieben und solange eine Vorratshaltung von dem mehr oder weniger guten Willen des Herrn Finanzministers und dem jeweiligen Geldsack diktiert wird. Wir sind andererseits der Meinung, daß alle Agrargesetze - -
Ihre Redezeit ist abgelaufen; ich bitte, zum Schluß zu kommen.
Ich bin sofort fertig, Herr Präsident, - daß alle Agrargesetze, die wir geschaffen haben, so lange Theorie bleiben, als die Vorratsstelle nicht über genügend Eigenkapital verfügt und als nicht :tatsächlich Geld vorhanden ist, um, unabhängig von dem jeweiligen Geldbedarf, eine Agrarpolitik zu betreiben, die auf die Dauer gesehen die Eigenerzeugung steigert und dem Verbraucher Nahrungsmittel zu erträglichen und stabilen Preisen zur Verfügung stellt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Tobaben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muß es dem Herrn Kollegen Kriedemann lassen, daß er den Antrag Nr. 3664 außerordentlich geschickt begründet hat. Er hat seine Ausführungen nicht auf Angriffe gegen die Erzeugerpreise und auch nicht gegen die Landwirtschaft aufgebaut, sondern er hat die zu hohen Verbraucherpreise angegriffen, die im Moment für Kartoffeln und auch für Butter tatsächlich gezahlt werden müssen. Aber ich bin der Meinung, wenn er Wege vorschlägt, die in der Hauptsache wohl in der Aufhebung der Zölle ihren Niederschlag finden, dann sind das Fragen, die an dieser Stelle schon manches Mal im Prinzip diskutiert worden sind. Ich habe dabei die Sorge, daß die Zustimmung zu einem solchen Antrag für die Erzeuger, für den deutschen Bauer doch nicht ohne eine ganz ernste Gefahr auslaufen kann. Wenn nämlich unsere landwirtschaftlichen Erzeugerpreise wieder unter die Gestehungskosten sinken werden, dann bangt mir, daß Kollege Kriedemann nicht so schnell bereit sein wird, auch wieder einer Einführung oder Erhöhung der Zollsätze zuzustimmen.
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- Ich habe darum gebangt.
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Nun bin ich aber auch der Meinung - und ich glaube, man wird mir auch von der anderen Seite recht geben -: Wenn die Marktordnungsgesetze, die wir für die Haupterzeugnisse eingeführt haben, tatsächlich richtig gehandhabt werden, wenn die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen, um sie richtig zu handhaben, und wenn der Wirrwarr beendet ist, dann werden die Zölle gar nicht mehr die entscheidende Rolle spielen, die sie bisher gespielt haben. Ich hätte gewünscht, daß wir in der Vergangenheit in der Handhabung der Marktordnungsgesetze etwas mehr Mittel zur Verfügung gehabt hätten und daß auch der Wirrwarr nicht in dem Maße vorhanden gewesen wäre, wie es der Fall war. Aber ich muß auch darauf hinweisen, daß in einer Zeit, als wir uns dafür einsetzten, mit Hilfe der Marktordnungsgesetze - als unsere Landwirtschaft ihre Erzeugnisse unter den Gestehungskosten abgeben mußte -, Butter und Schweine einzulagern, von Ihrer Seite der gleiche Antrag eingebracht worden ist wie heute, die Zölle gerade für diese Dinge aufzuheben. Mir will scheinen, man könnte da sehr gut ein altes Sprichwort allen denen in Erinnerung rufen, die sich damals auf diesen Standpunkt gestellt haben, gleichgültig woher sie kommen: „Du selbst bist Störer deiner Ruh; du zogst dir selbst dein Unglück zu."
Es ist hier bereits nachgewiesen worden, nicht nur vom Herrn Minister, sondern auch von Herrn Dannemann, daß die Aufhebung der Zölle für den Verbraucher und auf den Verbraucherpreis nicht
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so schnell wirksam werden würde. Aber sie würde in der Zukunft für den Erzeuger meines Erachtens doch eine erhebliche Gefahr darstellen.
Wie liegen die Dinge bei den Kartoffeln? Ich brauche nur darauf hinzuweisen, was hier gesagt worden ist. Auch bei einer geringeren Ernte reicht die eigene Erzeugung durchaus und bei weitem aus, den Speisekartoffelbedarf zu decken. Nun liegen die Erzeugerpreise bei uns in den Haupterzeugungsgebieten, wo wir auch eine einigermaßen gute Ernte haben, in Niedersachsen und SchleswigHolstein, bei 5,50 bis 6,50 DM für den Zentner. Dieser Preis ist hier auch nicht angegriffen worden. Das freut mich. Wenn wir nun nüchtern rechnen, von der Praxis aus - und das werden Sie im Laufe dieses Jahres sicher erleben -, so wird der Erzeuger, der 5,50 bis 6,50 DM für seine Kartoffeln erhält, auf die Verfütterung dieser Kartoffeln weitgehend verzichten, weil eine Verfütterung nicht mehr lohnend ist, wenn er für vier Zentner Kartoffeln einen Zentner Getreideschrot erhalten kann. Wir werden darum meines Erachtens - das ist eine logische Folgerung auf Grund dieser realen nüchternen Berechnung - im Verlauf dieses Jahres aus der eigenen Ernte genügend Kartoffeln für den Verbrauch zur Verfügung haben.
Aber eins, meine ich, müssen wir in dieser Zeit tun: Wir dürfen nicht Beunruhigung in die Bevölkerung und in die Kreise der Erzeuger hineintragen. Dadurch steigert man das Angebot nicht, sondern man senkt es, und einige wenige Spekulanten, die dabei verdienen wollen, haben letzten Endes den Vorteil davon.
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Ich würde darum vorschlagen, die Diskussion über diese verschiedenartige und komplizierte Frage, zu der sehr viel zu sagen ist, hier nicht abzuschließen - das wird auch gar nicht möglich sein -, sondern sie dem Ausschuß zu überweisen, wie das bereits beantragt ist. Ich stimme diesem Antrag namens meiner Fraktion zu.
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Das Wort hat der Abgeordnete Eichner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FU hat zu dem Antrag der SPD Drucksache Nr. 3664 einen Änderungsantrag eingebracht, und die Ausführungen des Herrn Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beweisen, daß dieser Änderungsantrag seine Berechtigung hat. Bei der Verabschiedung der Marktordnungsgesetze hatten wir die große Genugtuung, daß sie fast einstimmig vom Hohen Hause angenommen wurden. Wenn sich nun gewisse Fehler bei der Einfuhr- und Vorratsstelle bemerkbar gemacht haben, so ist es selbstverständlich an der Zeit, daß sie abgestellt werden, damit eine gleichmäßige Versorgung der verbrauchenden Bevölkerung gewährleistet ist, andererseits aber auch der Landwirtschaft die Preise zukommen, die es ihr ermöglichen, die Erzeugung zu heben.
Ich muß einige Bemerkungen zum Butterpreis machen. Es ist ein jahrzehntealter Unfug, daß der Milchpreisaufbau statt von unten nach oben von oben nach unten getätigt wird, d. h. daß nach der jeweiligen Marktlage und den Notierungen für
Butter und Käse und anderer Produkte der Milchpreis berechnet wird. Ich glaube, es ist an der Zeit, daß man endlich einmal daran geht, die Erzeugerunkosten für die Milch oder die Preise für Milch so zu gestalten, daß man näher an die Erzeugerunkosten herankommt, weil damit in Notzeiten auch die Gewähr gegeben ist, daß entsprechende Mangelzeiten überbrückt werden können.
Ich beantrage, daß die beiden Anträge dem zuständigen Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten überwiesen werden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dr. Müller.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte, die wir heute abend haben, haben wir ja im Laufe der Tätigkeit dieses Parlaments jedes Jahr gehabt, und zwar einmal nach der einen und einmal nach der andern Seite.
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Einmal waren die Erzeuger nicht zufrieden, ein anderes Mal die Verbraucher. Dann versuchte man, durch Augenblicksmaßnahmen die Dinge zu ändern, und hatte den Mut, das auch noch „Agrarpolitik" zu nennen.
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Eine Agrarpolitik kann man nur steuern, wenn man, auf lange Sicht gesehen, ein ganz klares Ziel hat und diese Agrarpolitik ohne Einwendungen, die von den verschiedensten Interessentenklubs kommen, durchführt.
Wenn wir nun den Buttersektor nehmen, dann muß man doch auch einmal folgendes feststellen. Im Frühjahr waren Vorräte eingelagert, und dann ging plötzlich der Kampf gegen diese Vorratshaltung und gegen die sogenannte Wälzaktion los. Dann hat man sich leider verleiten lassen, die Vorräte abzustoßen. Als der Butterpreis auf 4,85 DM gesunken war, hat man die Vorräte nicht wieder aufgefüllt. Die Schuld hat daran gelegen, daß die Vorratsstelle nicht die notwendigen Mittel zur Verfügung hatte. Wenn Herr Kriedemann heute gefordert hat, daß man die Dinge doch hätte intelligenter machen können, gebe ich ihm recht. Aber ich glaube, Herr Kriedemann, Sie sind mit mir darin einig, daß der Finanzminister, nachdem er jetzt von sich aus die Aufhebung der Kartoffelzölle herbeigeführt hat, doch damit einen Beweis von Intelligenz auch in der Agrarpolitik gegeben hat.
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Meine Damen und Herren, wenn man die Butterkalamität beheben will und von Einfuhrmöglichkeiten redet, so geht man schief. Der Herr Minister hat überzeugend dargelegt - und das weiß jeder, der ,sich mit diesen Problemen beschäftigt -, daß eine Einfuhr von entscheidenden Mengen, die den Markt beeinflussen können, im Augenblick nicht möglich ist. Hätte man die 15- bis 20 000 t im Frühjahr eingelagert, so hätte man den Markt jetzt mit marktkonformen Mitteln steuern können und wäre über diese Krise hinweggekommen. Wenn aber Herr Kriedemann daraus den Schluß zieht, daß die Zölle überhaupt überflüssig seien, so ist das meines Erachtens durchaus abwegig; denn die Zölle sind ja nicht als ein Mittel für den Tagesgebrauch gemacht worden, sondern als ein Mittel zur Steue(Dr. Dr. Müller [Bonn»
rung unserer gesamten Außenhandelspolitik, und die kann man nicht von heute auf morgen abschaffen und übermorgen wieder einzuführen versuchen.
Aber darüber, Herr Kriedemann, ließe sich reden, ob man in Notzeiten einmal für eine gewisse Zeit eine Abschaffung oder Ermäßigung der Zölle herbeiführt, um über augenblickliche Schwierigkeiten hinwegzukommen. Dagegen wird auch die Landwirtschaft nie etwas einzuwenden haben, weil die Landwirtschaft - das ist bei den Marktgesetzen immer wieder betont worden und ist der Zweck der Marktgesetze - jeden Konjunkturpreis ablehnt und Wert auf stabile Preise legt, die auch der Landwirtschaft einen gerechten Lohn geben.
Ich bin der Auffassung, daß sich mit diesem
Butterproblem der Ausschuß zu beschäftigen hat
und daß man eine solche Frage nicht im Handumdrehen in diesem Hohen Hause erledigen kann.
Der Ausschuß hat die Pflicht, zu prüfen, ob eine
Einfuhr möglich ist, und wenn ja, in welchem Umfang und zu welchen Preisen. Dann können wir
zu diesen ganzen Problemen Stellung nehmen. In
diesem Zusammenhang wird sich der Ausschuß
auch einmal - wie es durch Beschluß des Bundestags vom 16. Juli bestimmt worden ist - mit der
gesamten. Vorratswirtschaft beschäftigen müssen,
um einmal nachzuprüfen, was hier geschehen ist,
um einmal festzustellen, wo die Schuld liegt, daß
die Vorratsstellen, die eine marktordnende Aufgabe erhalten haben, bisher nicht so haben funktionieren können, wie es der Markt und das Interesse von Erzeuger und Verbraucher erfordern.
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Nun zu den Kartoffelpreisen! Für die Kartoffelpreise ist die Versorgung mit Spätkartoffeln maßgebend und nicht das, was heute am Markt ist. Der Herr Minister hat selber ausgeführt, die Ernte werde unter der vorjährigen Ernte liegen. Ich bin aber nach den Berichten, die vorliegen, der Überzeugung, daß wir immerhin 20 Millionen t haben werden bei einem Speisekartoffelbedarf von 8 Millionen t. Die Deckung des Speisekartoffelbedarfs ist vorhanden, da gehe ich mit Herrn Kriedemann absolut einig. Aber wir erleben es j a nicht zum erstenmal in diesem Jahre, daß, bevor die Ernte aus der Erde ist, schon begonnen wird, bezüglich der Kartoffelversorgung für den Winter Panikstimmung zu machen.
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Da sind Leute, die entweder Panik machen, um ihr Geschäft zu machen, oder Leute, die glauben, damit ein politisches Geschäft machen zu können,
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wobei ich anerkenne, Herr Kollege Kriedemann, daß Sie nicht den Versuch gemacht haben, aus diesen Dingen heute ein politisches Geschäft zu machen. Aber gegen diese Dinge müssen wir uns, Regierungspartei oder Opposition, geschlossen wenden.
Sehen wir doch einmal die Preise an, wie sie heute am Kartoffelmarkt sind! In der ersten Septemberwoche hat der Bauer nach den Mitteilungen des Zentralmarktberichts bekommen: in Kiel 5,30 DM bis 5,60 DM, in Oldenburg 5,60 DM, in Hannover 5,80 DM, in Westfalen, das näher am Verbrauch liegt, 6 bis 7 DM, und der Verbraucher zahlt heute 12 bis 13 Pfennig. Da scheint es mir notwendig zu sein, einmal anzusetzen.
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Ich glaube, daß es auch Aufgabe der landwirtschaftlichen Organisationen ist, in ihrem eigenen Interesse einmal in den Markt einzugreifen und von sich aus auch einmal die Frage der Kartoffelversorgung in die Hand zu nehmen.
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Meine Damen und Herren, warum die Aufregung? Warten wir doch die Ernte einmal ab! Nachher redet kein Mensch mehr über diese Dinge. Die Verarbeitung zu verbieten bei den Mengen, die zur Verfügung stehen, glaube ich, hat gar keinen Sinn mehr.
Nun ist in dem Antrag gefordert worden, daß der Preis der Kaufkraft angemessen ist. Herr Kriedemann, ich hätte gewünscht, Sie hätten diesen „angemessenen Preis" einmal genannt!
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Aber ich nehme an, daß Sie das im Ausschuß tun werden, damit wir uns darüber auch unterhalten können. Dabei darf man nicht vergessen, daß auch der Bauer einen Anspruch auf eine angemessene Entlohnung seiner, Arbeit hat.
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Ferner erscheint es mir dringend notwendig, daß in der Futtermittelversorgung das letzte getan wird, um zu verhüten, daß übermäßig viel Kartoffeln, die für Speisezwecke erforderlich sind, in den Trog wandern. Dasselbe gilt auch, Herr Minister, - um das hier einzuschalten - bezüglich der Zuckerrüben, bei denen auch die Gefahr besteht.
Ich schließe mich dem Antrag an, diesen Antrag dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und dem Außenhandelsausschuß zu überweisen. Diese Ausschüsse mögen in der nächsten Woche versuchen, eine Klärung und Entscheidung der Frage herbeizuführen.
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Für die restlichen zehn Minuten der Redezeit der Fraktion der CDU Frau Abgeordnete Niggemeyer.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Probleme, die hier heute durch den Antrag der Sozialdemokratischen Fraktion angeschnitten worden sind, sind zweifellos sehr wichtig und verpflichten uns geradezu, daß wir uns mit ihnen beschäftigen. Die Debatte hat ja auch bewiesen, daß sie von allen Parteien des Hauses als wichtig angesehen wurden, wenn auch der Weg der Diskussion nicht ganz so war, wie es Herr Kriedemann vorgeschlagen hat. Herr Kriedemann hat gesagt, wir sollten auf agrarwirtschaftliche Dinge nicht eingehen und die Witterung und all diese Fragen nicht berühren. Er hat sich selbst nicht enthalten können, doch auf alle diese Dinge zu kommen. Mir scheint, auf diese agrarwirtschaftlichen Dinge brauche ich nicht einzugehen.
Es ist mir aber ein Bedürfnis, hier einmal etwas für die Verbraucher zu sagen. Butterpreis und Kartoffelpreis bilden ein Problem, das mich auch in den Ferien stark beunruhigt und beschäftigt hat, weil ich spürte, wie sehr es an die soziale Lage weiter Kreise unserer Bevölkerung rührt. Es ist hier zwar schon betont worden, daß bei der Butterversorgung eine Versorgungsnotlage nicht eintreten könne und daß hier eine Ausweichmöglichkeit nach billigeren Fetten hin gegeben sei. Trotzdem sage ich offen: ich bedaure es, daß die Erhöhung des Butterpreises, die sowohl vom Herrn Minister wie vom Vertreter der Landwirtschaft
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begründet worden ist, doch bewirkt hat, daß der Kreis der butteressenden Bevölkerung kleiner geworden ist. Es ist hier behauptet worden - und ich muß das glauben, und auch die statistischen Berichte weisen es aus -, daß der Butterverbrauch gestiegen ist. Es bleibt zu erwägen, worauf das zurückzuführen ist und in welchen Ländern sich das nachweisen läßt. Sind es die Länder, die Feriengäste aufnehmen? Ist es zurückzuführen auf den Zustrom von vielen Menschen aus dem Ausland? Das wäre wirklich zu prüfen. Denn ich bezweifle es, daß der Normalverbraucher allein um der Tatsache eines höheren Butterpreises willen nun mehr Butter ißt. Das muß gesagt werden, und wir müssen nach Mitteln suchen, um hier zu steuern.
Hinsichtlich des Kartoffelpreises handelt es sich noch mehr um eine soziale Frage. Ich erlebe es seit dem Jahre 1948, seit den Tagen des Frankfurter Wirtschaftsrates, daß wir in jedem Herbst eine Debatte über die Kartoffelfrage haben. Ich habe mich in diesem Jahr gefragt: warum so viel früher als in anderen Jahren? Ich habe mit Bedauern festgestellt, daß es eine Begründung dafür gibt, daß die Frage in diesem Jahr eher aufgetaucht ist, und zwar die, daß die Früh- oder Mittelkartoffelpreise sich länger auf der Höhe gehalten haben als früher. Einen Preis von 12 und 13 Pfennigen pro Pfund Kartoffeln im September gab es in früheren Jahren und auch im vergangenen Jahre nicht. Ich bin der Ansicht, die auch mein Kollege Herr Dr. Müller vertreten hat, daß hier zu prüfen ist - denn auch Herr Kriedemann hat ja nicht gesagt, die Landwirtschaft sei für diese Situation verantwortlich -: wo sind hier Schäden, die wir ändern können? Ich würde es begrüßen, wenn auch die landwirtschaftlichen Organisationen von sich aus für die Versorgung der Bevölkerung Maßnahmen träfen, damit den Schädlingen, die nur aus Spekulation die Preise in die Höhe treiben, einmal kräftig in ihr Handwerk gepfuscht wird.
Ich bin mit den meisten Rednern der Ansicht, daß sich diese Fragen nicht ganz durch ein Gesetz lösen lassen, das die Zölle aufhebt. Ich stimme mit all meinen Kollegen von der Landwirtschaft überein, daß die Diskussionen darüber im Ausschuß einmal so und einmal so gelaufen sind. Allerdings bin ich der Ansicht, die Landwirtschaft sollte versuchen, eben um der echten Beruhigung der Bevölkerung willen, bei der nun einmal, ob durch falsche Presseinformationen, ob bewußt oder unbewußt, Panikstimmung hervorgerufen werden soll und deren Aufmerksamkeit gerade auf dieses Zollproblem gelenkt wurde, - die Landwirtschaft also, die einerseits glaubt, daß die Aufhebung der Zölle nicht preissenkend wirke, und die andererseits behauptet, daß kein Mangel an Butter bestehe, sollte für eine gewisse Zeit im Sinne der Vorschläge von Herrn Dr. Müller versuchen, einen Weg zu finden, um dem Volk zu zeigen: dieser euer Weg, den ihr wollt, führt nicht zum Ziel.
Ich glaube, meine Redezeit ist bald um. Ich wünsche also ernstlich, daß sich das gesamte Haus und der gesamte Ausschuß echte Sorgen um Butter, Kartoffeln und das Fleischproblem machen. Das Fleischproblem ist ja auch von verschiedenen Rednern angeschnitten worden. Ich sehe eine echte Sicherstellung der Versorgung, die ja nach Meinung aller Redner nicht fraglich ist, doch letztlich darin, daß ein echter Ausgleich zwischen Futtermitteln und Kartoffeln geschaffen wird, damit es auch dem
Landwirt, der vielleicht auch spekulativ handeln will - hier im Hause haben wir keinen, der das tut -,
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nicht zu leicht gemacht wird, die Kartoffeln in den Trog hineinzutun. Darum unterstütze ich den Antrag, der hier von verschiedenen Seiten gestellt worden ist, daß wir die Fragen ernsthaft im Ausschuß - und zwar sehr schnell - prüfen. Ich wünsche und hoffe, daß die heutige Debatte auch dazu dient und dienen kann, Beruhigung in die Verbraucherkreise zu bringen.
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Präsident Dr. Ehlers; Das Wort hat der Abgeordnete Loritz.
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LorItz ({4}): Meine Damen und Herren! Es ist ja nicht das erste Mal, daß hier in diesem Hause eine Debatte wegen der überhöhten und ständig steigenden Lebensmittelpreise stattfindet.
({5})
Und es ist immer gleich gegangen: es sind einige Anträge gestellt worden, die Sache ist in die Ausschußberatung gekommen, ist dort monatelang herumgewälzt worden, und bis sie wieder ins Plenum kam, ist unterdessen der richtige Zeitpunkt für die Einleitung der Maßnahmen schon vorbeigewesen. Und genau so wird es diesmal auch gehen!
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Das ganze ist ein Verwaltungs problem, und die ganzen Schwierigkeiten kommen daher, daß die Staatsverwaltung nicht richtig und nicht rasch genug funktioniert hat.
({7})
Es hat nämlich anderswo Regierungen gegeben, die recht zeitig , und zwar schon im Juni und Juli, als man die Dürreschäden bereits im Entstehen gesehen hat, auf dem Weltmarkt disponierten. Warum verschweigt man van Ihrer Seite dem deutschen Volke und dem Verbraucher, daß z. B. die französische Regierung rechtzeitig, und zwar schon in dem Zeitpunkt, in dem Pinay von seinem Urlaub zurückkam, Aufkäufe auf dem Weltmarkt gemacht hat?
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- An Butter, an Fleisch und anderen Lebensmitteln ! Die fehlen .Ihnen natürlich; diese Mengen können Sie heute nicht mehr kaufen. Es sind Mengen yon rund 20 000 und noch mehr Tonnen allein an Butter gewesen, von denen Pinay sprach. Ich bin überzeugt, daß die Franzosen rechtzeitig hier Butterkäufe machen konnten, während unsere Regierung leider zu spät drankam. Es ist keineswegs nur die Schuld des Herrn Landwirtschaftsministers allein. Ich glaube sogar, daß die Schuld anderer von seinen Kollegen viel größer ist, die nämlich die Mittel verweigert und nicht rechtzeitig parat gestellt haben, um diese Ankäufe zu machen. Darüber hat man heute nicht gesprochen! Man hat auch nicht darüber gesprochen, daß Pinay damals, im Juli und August, der Presse wörtlich erklärte, es werden Fleischeinfuhren aus Deutschland nach Frankreich kommen, und zwar habe die deutsche Regierung den Franzosen große Angebote von Rindfleisch gemacht. Die Folge davon ist, daß unsere Bevölkerung nicht in dem erwarteten Ausmaß auf Rindfleisch ausweichen kann, wie gewisse
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Stellen es immer wieder angesichts der hohen Schweinefleischpreise empfehlen.
({10})
- Nein, das kann sie nicht, weil nämlich sonst eine solche Verknappung bei Rindfleisch eintreten würde, daß sofort auch hier Preissteigerungen ähnlich wie bei Schweinefleisch erfolgen würden.
- Darüber wurde auch nicht gesprochen!
Es wurde heute auch nicht darüber gesprochen, in welchem Umfang eine Zollaufhebung für Butter sich sofort auf den Butterpreis auswirken würde
({11})
und daß man die Butter sofort um 20 bis 25 % billiger in den Läden verkaufen könnte, wenn der Butterzoll und alle ähnlichen staatlichen Abgaben für kurze Zeit einmal beseitigt würden. Davon haben Sie auch nichts gesagt.
({12})
Und von den sonstigen weitergehenden Belastungen der Milch und damit des Butter- und Fettpreises haben Sie auch nicht gesprochen. Es gibt mindestens im Lande Bayern - wahrscheinlich auch noch anderswo, aber für Bayern weiß ich es genau - einen sogenannten Milchpfennig. Es ist viel mehr als ein Pfennig pro Liter, bedeutend mehr. Wissen Sie, wofür er verwandt wird? Er wird dafür verwandt, einige Hundert oder ein paar Tausend nutzlose Beamte und Angestellte in verschiedenen Bewirtschaftungsstellen und sonstwo durchfüttern zu können.
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- Jawohl, d a s ist die Verwendung des Milchpfennigs im Lande Bayern. Auch eine Verteuerung des Milchpreises!
({14})
- Herr Kollege Eichner, Sie kennen diese Dinge ganz genau. Ich glaube, Sie werden mir bestätigen, daß die Erhebung des Milchpfennigs im Lande Bayern den Milchpreis nicht unerheblich verteuert.
Ober all das hat man heute hier nicht gesprochen, sondern wir haben schöne Ausführungen bekommen, daß im Lande Skandinavien der Butterkonsum heraufgegangen ist. Wir haben aber nichts davon gehört, daß noch im Mai und Juni, als die Trockenheit bereits einsetzte, auf dem Weltmarkt Butter genügend zu haben war,
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so daß eine voraussehende deutsche Regierung in der Lage gewesen wäre, Mengen hereinzubekommen, die einen heilsamen Druck auf den Butterpreis ausgeübt hätten.
Ihre Redezeit ist abgelaufen, Herr Abgeordneter Loritz.
Loritz ({0}): Wir haben zweitens nichts davon gehört, daß die Bundesregierung von sich aus eingreifen würde, um so nutzlose und verderbliche Abgaben, die auf dem Milchpreis zu Lasten des städtischen Verbrauchers liegen, wie den Milchpfennig und alle anderen Dinge, endlich einmal zu beseitigen. Auch hierdurch würde schon ein wertvoller Druck auf die Preise bei Milch und Molkereierzeugnissen eintreten.
Drittens haben Sie, meine 'Herren von den Regierungsparteien, der Bevölkerung verschwiegen, daß Sie heute noch und in den vergangenen letzten Monaten Exporte an lebenswichtigen Agrarprodukten gemacht haben, die uns heute fehlen, zum mindesten als Ausgleichsmöglichkeit. Zuerst die Butterexporte an England und jetzt die Rindfleischexporte, von denen Pinay gesprochen hat
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und an die Sie anscheinend heute nicht gern erinnert werden!
Kommen Sie bitte zum Schluß, Herr Abgeordneter Loritz!
Loritz ({0}): Meine Damen und Herren, leider ist meine Redezeit wie immer auf fünf Minuten beschränkt.
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- Für S i e Gott sei Dank! Aber nicht für den Verbraucher, der gern hören möchte, wie ein unabhängiger Abgeordneter sich die Sache denkt!
Einen Satz noch, meine Damen und Herren! Die Teuerung bei Butter, Milch, ebenso bei Schweinefleisch und anderen lebenswichtigen Erzeugnissen ist nichts anderes als ein Glied in einer seit drei Jahren in diesem Lande fortlaufenden Kette, einer Kette der Unfähigkeit, einer Kette der Täuschung der Volksmassen über die wahren Gründe, die hinter diesen Preissteigerungen stehen, und ein Glied einer Kette, die mit Sicherheit bei den nächsten Wahlen Ihnen um den Hals gelegt wird. Seien Sie dessen sicher!
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Strohbach.
Meine Herren und Damen! Der vorliegende Antrag beschäftigt sich mit einem Problem, das vor allem den Frauen seit Wochen auf den Nägeln brennt. Es zeugt von einer unerhörten Mißachtung der Not breitester Bevölkerungsschichten, wenn Herr Staatssekretär Sonnemann dieses Problem mit der Bemerkung abzutun versucht, es handle sich bei den Preiserhöhungen ja nur um wenige Pfennige. Diese „wenigen Pfennige" haben sich infolge der Politik der Adenauer-Regierung in den letzten Monaten ganz beträchtlich summiert und sind für den Geldbeutel der allermeisten Menschen in Westdeutschland nicht mehr erschwinglich. Es sind ja nicht nur Butter und Kartoffeln teurer geworden. Fast in allen Städten steigen die Gas- und Strompreise. Die Kohlenrechnungen erreichen phantastische Höhen, so daß in verschiedenen Städten die Kohlenhändler die Bevölkerung aufgefordert haben, doch endlich die Winterkohlen zu bestellen, weil sie sonst dem Auftragsanfall im Winter nicht werden nachkommen können.
Sind das nicht außerordentlich ernste Zeichen dafür, daß sich die Mehrheit unserer Bevölkerung mit großen Sorgen herumzuschlagen hat? Man kann ein solch ernstes Problem nicht dadurch aus der Welt schaffen, daß man es bagatellisiert, und auch nicht durch weitschweifige Erörterungen über die Witterungseinflüsse. Die hohen Agrarpreise sind eine unmittelbare Folge der hohen Kriegspreise in der Industrie. Man muß diesem Problem schon gründlicher zu Leibe gehen.
Wie groß die Sorgen gerade der Frauen durch die fortgesetzten Preissteigerungen geworden sind, wird wohl am besten durch die Tatsache gekennzeichnet, daß in den letzten Monaten Tausende von Frauen und Müttern, die mit dem Verdienst ihres Mannes einfach nicht mehr auskommen können,
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gezwungenermaßen außerhäusliche Arbeit jeder Art aufnehmen mußten, um wenigstens das Notwendigste kaufen zu können, ohne in Schulden zu versinken. Anstatt dieser bedrohlichen Entwicklung Einhalt zu gebieten, redet die Adenauer-Regierung davon, daß die Bevölkerung diese Opfer im Interesse der neuen Kriegsvorbereitungen bringen müsse.
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Zu solchen sinnlosen Opfern sind die Frauen aber nicht bereit - ich finde das gar nicht zum Lachen, meine Herren und Damen -, und sie verlangen mit viel Recht in zahlreichen Stellungnahmen sofortige wirksame Hilfe. Herr Sonnemann schlägt als eine solche Hilfe vor, wir sollten Margarine essen; wahrscheinlich, damit die Kriegsvorräte unangetastet bleiben.
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Es ist schlimm genug, daß viele das schon seit Jahren tun müssen. Die Regierung soll die eingelagerten Buttervorräte herausgeben.
Wir sind der Meinung, daß die im vorliegenden Antrag in Ziffer 1 vorgeschlagenen Maßnahmen den städtischen Verbrauchern keine niedrigeren Preise, wohl aber den Klein- und Mittelbauern neue Schwierigkeiten bringen werden. Damit ist jedoch niemandem in Westdeutschland geholfen. Um wirksame Hilfe bringen zu können, ist es nach unserer Meinung notwendig, sofort feste Preise zu schaffen, die den Einkommensverhältnissen angepaßt sind und weitere Preissteigerungen ausschließen. Es sind Subventionen für die Bauern nötig, um sie instand zu setzen, ihre Erzeugnisse zu den festgelegten Preisen zu verkaufen. Es ist nötig, schnellstens alles zu tun, was auch in dem Antrag bereits zum Ausdruck kommt, um freien Handel nach unseren Notwendigkeiten mit allen Ländern zu ermöglichen.
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Herr Abgeordneter Kriedemann!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe es hier des öfteren gesagt und, wie ich glaube, in meiner Beteiligung an der agrarpolitischen Arbeit in diesem Hause auch praktisch betätigt, daß mir der Sinn der Agrarpolitik die Herausstellung der Interessengemeinschaft der Masse der Erzeuger und der Masse der Verbraucher zu sein scheint. Ich setze mich damit ausdrücklich von denen ab, die ein politisches Geschäft daraus zu machen versuchen, die eine gegen die andere Gruppe unserer Bevölkerung auszuspielen. Ich bin nicht entschlossen, diese Haltung zu ändern, obwohl mir völlig klar ist, daß jedesmal, wenn vom sozialdemokratischen Standpunkt Kritik an der Agrarpolitik geübt wird, oder auch nur, wenn man sich von diesem Standpunkt aus um die agrarpolitischen Probleme bemüht, von anderer Seite dieses sozialdemokratische Unterfangen als ein neuer Beweis für die behauptete Feindschaft der Sozialdemokraten gegenüber der Landwirtschaft zu diffamieren versucht wird. Ich vertraue darauf, daß zum Schluß die Bauern doch schon schlauer sind als die Methoden, mit denen man mit ihnen ein politisches Geschäft zu machen versucht, ohne daß es sich bisher jemals in Wirklichkeit ausgezahlt hat.
Ich habe vorgeschlagen, eine Reihe von Dingen hier nicht zu diskutieren, weil es sich um Selbstverständlichkeiten handelt. Daß es in einigen Gebieten des Bundesgebietes in diesem Jahr nicht genügend Regen gegeben hat, kann kein Gegenstand der Debatte sein; denn das kann jeder selber feststellen. Einige sind ja in diesen Gebieten zu Hause, oder sie sind ferienhalber dorthin gereist. Ich habe deshalb aus demselben Grunde auch gebeten, hier nicht zu tun, als handle es sich um ein agrarpolitisches Problem. Ich habe ausdrücklich davor gewarnt, so zu diskutieren, als sei das Interesse der Landwirtschaft mit eben diesen Verbraucherpreisen gekoppelt, um die es sich hier heute dreht.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten haben niemals, auch nicht in diesem Antrag, den Vorschlag gemacht, die Zölle grundsätzlich abzuschaffen, weil sie sowieso keinen Wert hätten. Wir haben allerdings nicht diese statische Einstellung gegenüber der Zollpolitik, die uns hier so oft entgegenkommt, wenn man sagt: Da haben wir nun gerade so ein schönes Gebäude aufgebaut, und kaum steht es da, so wird daran herumgebaut. Herr Kollege Müller, wir beide fahren gelegentlich im Auto, und ich steuere meins auch selber. Sie sagten eben, daß es sich bei den Zöllen sozusagen um Steuerungselemente handele. Wissen Sie, was das Typische an solchen Steuerungselementen ist? Zum Unterschied von der Karosserie sind sie sehr beweglich, so daß man sie handhaben kann und sogar bewegen muß, wenn man nicht gegen einen Baum fahren will. Dazu hat man die Steuerungselemente.
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- Auch in unserm Antrag, Herr Kollege Müller, ist nicht vorgeschlagen worden, nun gleich die ganzen Zölle abzuschaffen, sondern es heißt ausdrücklich, daß die Erhebung der beiden Zölle bis auf weiteres ausgesetzt werden soll - nicht mehr! -, und das nur in Anpassung an eine augenblickliche Situation, von der wir hoffen, daß sie nicht ewig dauern wird, aber da man nicht weiß, wie lange sie dauert, eben bis auf weiteres.
Ich will dem Herrn Minister nicht in die weiten Gefilde folgen, in denen er seine Überlegungen angestellt hat, und ich würde im übrigen vorschlagen, daß wir nicht jedesmal bis auf Korea zurückgehen, denn auch das ist eine Selbstverständlichkeit, die wir hier oft genug diskutiert haben. Vielleicht hätten Sie meinen Ausführungen entnehmen können, Herr Minister, daß es mir heute gar nicht darauf ankam, irgendwelche alten Geschichten aufzurühren oder hier Vorwürfe zu erheben.
Ich wollte mich gar nicht mit der Agrarpolitik auseinandersetzen, und ich hätte das Problem der Vorratshaltung in der Vergangenheit gar nicht angesprdchen, wenn ich nicht dazu durch die läppische und etwas unsinnige Behauptung gezwungen worden wäre, daß die Kritik an der damaligen Vorratshaltung schuld daran sei, daß wir heute keine Vorräte haben. Was heißt denn: Hätte man auf uns gehört, dann hätte man 15 000 t Butter in diesem Frühjahr eingelagert, und dann würde das jetzt nicht passiert sein?! Erstens wissen wir, was 15 000 t der Nachfrage gegenüber bedeuten. Zweitens: woher hätten wir denn die 15 000 t Butter zur Einlagerung nehmen sollen? Man hätte doch nur Butter einlagern können, wenn man sie aus dem Ausland eingeführt hätte; denn das, was in Deutschland produziert wurde, ist ja vom Verbraucher aufgenommen worden. Wir haben uns ja sehr darüber gefreut, daß bei den geringeren Butterpreisen offensichtlich Bevölkerungsschichten an Butter herankamen, die auch in unserem Lande zu Hause sind und die bis dahin keine Gelegenheit zum Ge({1})
nuß von Butter hatten, weil sie zu teuer war. Glauben Sie wirklich, daß es Sinn der Vorratspolitik gewesen wäre, den Leuten so schnell wie möglich die Butter wieder wegzunehmen? Wenn hier immer wieder kritisiert wird, daß das mit der Einfuhr- und Vorratsstelle nicht klappt, dann kann ich nur wiederholen, was ich schon bei früherer Gelegenheit hier ausgeführt habe: Solange nicht die ganze Bevölkerung einschließlich Verbraucher durch die Tat davon überzeugt wird, daß Vorratshaltung auch zu ihren Gunsten geschieht, wird die Geschichte nicht funktionieren.
Ich möchte Herrn Kollegen Dannemann - er hat es wohl gesagt - darauf aufmerksam machen: es war gar nicht so unlogisch, daß wir in dem Augenblick, als über die finanzielle Stärkung der Einfuhr- und Vorratsstellen die Rede war, beantragt haben, man solle die Zölle senken. Denn es kann nicht die Aufgabe des Bundes sein, den Einfuhr- und Vorratsstellen Geld zu geben, damit sie nur eingreifen, wenn etwa die Schweinepreise oder die Rinderpreise absinken. Das Ganze wird unter der Überschrift „Vorratshaltung" betrieben. Die Einfuhr- und Vorratsstellen müssen in der Lage sein, einen solchen Vorrat anzulegen, daß sie wirkungsvoll eingreifen können. Da es nicht möglich ist, aus der einheimischen Erzeugung wirklich Vorräte anzulegen, mit denen man auf den Preis losgehen kann, wenn sich da unerfreuliche Dinge entwickeln, muß man einführen, und da man nur einführen kann und immer nur einführen konnte, wenn man vorher die Zollbarriere wegnimmt, haben wir das damals beantragt. Ich wiederhole: wir hätten auch in diesem Frühjahr Buttervorräte nur aus der Einfuhr hinlegen können, und wir hätten dazu auch wieder die Zölle wegnehmen müssen, weil es im übrigen keinen Sinn hat, mit Bundesmitteln Vorratshaltung zu betreiben, nachdem man sie vorher durch die Zölle unnötig teuer gemacht hat.
Natürlich kann man heute nicht durch Fortfall der Zölle den Fehler korrigieren, der vor einiger Zeit gemacht worden ist. Natürlich können wir heute nicht, wenn wir die Zölle wegfallen lassen, von den Schweden Butter kriegen. Natürlich haben wir jetzt zunächst einmal eine Situation geschaffen, die alle anderen, mit denen wir sonst Handel treiben konnten, gezwungen hat, sich einen andern Absatz für ihre Produkte zu sichern. Es verlangt wirklich eine Abkehr von dieser Politik, wenn wir uns in Zukunft nicht wieder vor die gleiche Situation bringen wollen. Im übrigen sollen wir uns nicht einreden, daß wir dem andern zum Schluß einen großen Gefallen getan haben, wenn wir ihn durch die hohen Zölle daran gehindert haben, hier Butter loszuwerden. Es ist heute im Außenhandelsausschuß vom Vertreter der Regierung ausdrücklich gesagt worden, daß die Schweden auch heute noch Wert darauf legen, mit uns ins Buttergeschäft zu kommen. Daß es hier im Lande dafür ein echtes Bedürfnis gibt, machen ja die Preise deutlich.
Wenn es manchmal so scheint, als könnte man über agrarpolitische Probleme überhaupt nicht leidenschaftslos reden, so habe ich heute den Eindruck gehabt, als seien strenge Logik, wirtschaftliches Denken und wirtschaftliches Handeln bei einigen Leuten unvereinbar. Am Kartoffelbeispiel können wir sehen, daß Kleinigkeiten, Dinge, die überhaupt keine Rolle spielen, oder Vermutungen ausreichen, um auf dem Markt Auswirkungen zu zeitigen, die unerfreulich sind. Es ist demgegenüber, daß die Kartoffeln heute 12 und 13 Pfennig kosten - mir ist ein Fall von 15 Pfennig pro Pfund bekannt -, ja kein Trost, zu sagen, die Kartoffelversorgung hänge nicht von dem ab, was heute und morgen geschehe; das ergebe sich erst am Ende der Ernte, und man müsse das über das ganze Jahr sehen. Die Frauen, die heute Kartoffeln für 15 Pfennig oder für 12 oder 13 Pfennig - das ist mir auch genug - kaufen müssen, weil sie ihrem Mann und ihren Kindern morgen etwas zu essen geben müssen, fühlen sich mit ihren Sorgen oberflächlich abgespeist, wenn man sagt: Man braucht das Ganze nicht allzu schwarz zu sehen - so hat sich der Herr Minister ausgedrückt -, das wird sich wohl noch alles zurechtziehen. Von einem der Herren Diskussionsredner wurde die Lage so dargestellt, daß es ganz besonders gefährlich sei, Unruhe in die Geschichte hineinzubringen. Wenn es eine tolle Unruhe gibt, dann doch nur, wenn der Bundestag und die dazu bestellten Organe der Bundesrepublik sich um eine solche Angelegenheit nicht kümmern.
Das einzige, was mich hier einigermaßen beruhigt hat, war die Mitteilung, daß der Bundesfinanzminister bezüglich der Kartoffeln diesen weisen Beschluß gefaßt hat. Aber was das wirtschaftliche Denken und das wirtschaftliche Funktionieren angeht, so sagte ich schon, daß Kleinigkeiten genügen, um gewissen Spekulanten ein großes Geschäft zu sichern, ein Geschäft, das wir in seinen Auswirkungen, wie immer wieder gesagt worden ist, alle miteinander mißbilligen. Gegenüber solchen Aktionen, gegenüber einem solchen Verhalten auf dem Markt reicht es eben als wirtschaftliche Maßnahme nicht aus, wenn man sagt: 9 Millionen t brauchen wir, 100 000 t können wir nur kriegen, - lohnt sich gar nicht! Gegenüber einem solchen Verhalten reicht es eben nicht aus, wenn man sagt: 9 Millionen t Speisekartoffeln brauchen wir und - was weiß ich - 500 000 t sind verbrannt und verarbeitet; das eine hat mit dem andern gar nichts zu tun. Das eine hat mit dem andern so viel zu tun wie die Behauptung, daß in diesem Jahre die Kartoffeln knapp werden.
Die Korrespondenz des Bauernverbandes hat ausdrücklich gesagt, uns würden in diesem Jahre mindestens 2 Millionen t Kartoffeln fehlen. Mehr braucht nicht gesagt zu werden, um nun eben die preislichen Auswirkungen heraufzubeschwören. Von der Bundesregierung muß verlangt werden, daß sie rechtzeitig mit entsprechendem Verhalten, mit einer entsprechenden Stellungnahme und wirksamen Maßnahmen dieser Spekulation begegnet. Nur darum handelt es sich.
Wir haben Ihnen einige Vorschläge in dieser Richtung gemacht, und ich wiederhole meine Bitte, daß Sie sie annehmen mögen. Was hier auf Umdruck Nr. 651 gesagt worden ist, reicht nämlich nicht aus. Insbesondere, meine Damen und Herren, möchte ich Sie bitten, dem Antrag nicht zuzustimmen, der diese Drucksache in den Ausschuß verweist. Selbst Herr Loritz hat hier mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß man sehr schlechte Erfahrungen hat: Anträge, die aus einem sehr aktuellen Anlaß in dieses Haus kommen und die man im einzelnen nicht weiter zu beweisen braucht, weil j a jeder die Schwierigkeiten kennt, gehen in den Ausschuß. Dort werden sie dann lange und gründlich bearbeitet und kommen erst wieder - das haben wir gerade bei Zollangelegenheiten oft genug erlebt - an das Haus zurück, wenn die meisten gar nicht mehr begreifen können, wie ein solcher Antrag überhaupt gestellt
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werden konnte. Dann ist es zu spät. Aber das bedeutet nicht, daß man sich die ganze Angelegenheit hätte ersparen können. Dann haben nämlich - um auf diesen Fall von heute zurückzukommen -soundso viel Leute einen Preis bezahlt, der in keiner Weise gerechtfertigt ist; dann sind soundso viel Leute, weil man sie schutzlos der Spekulation überlassen hat, dieser zum Opfer gefallen. Das, was sie dann an Kaufkraft, an hart erarbeitetem Einkommen verloren haben, bringt ihnen nichts mehr zurück.
Ich bitte Sie noch einmal dringend, den Willen dieses Hauses, die Zustände, die wir, insbesondere was die Kartoffeln angeht, alle für sachlich vollkommen unberechtigt halten und von denen insbesondere die Landwirtschaft keine materiellen Vorteile, aber wieder die üblichen damit verbundenen Nachteile hat, keinen Tag länger bestehen zu lassen, dadurch zum Ausdruck zu bringen, daß Sie dem Antrag Drucksache Nr. 3664 hier in diesem Augenblick zustimmen.
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Weitere Wortmeldungen? - Herr Abgeordneter Dr. Frey.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein paar Worte. Ich glaube, gerade die letzten Ausführungen, die Herr Kriedemann hier gemacht hat. sollten doch die Dinge eigentlich ins rechte Licht setzen. Er hat gesagt, es sei nicht möglich, diesen Antrag an den Ernährungsausschuß zu überweisen, weil dann vielleicht bis zum Ende der Beratungen die Situation wieder anders sei. Ich glaube, gerade dieses Argument sollte doch die, wie ich fast sagen
möchte, Unmöglichkeit dartun, über dieses tägliche Sein und Werden, d. h. über die Tagessituation, in solchen schwerwiegenden Fragen, wie sie ja nun von allen Seiten beleuchtet worden sind, jetzt ad hoc zu entscheiden.
Meine Damen und Herren, es sind ja doch Butter-Ausschreibungen gemacht worden, und zwar, wenn ich die Zahl recht im Kopf habe, über 35 Millionen DM, betreffend eine Menge von 17 000 t. Herr Kriedemann, wo soll denn nun auf einmal die Erleichterung herkommen? Man schafft mit der Beseitigung oder Ermäßigung von Zöllen oder dergleichen eine Mangelerscheinung, die überall vorhanden ist, nun einmal nicht aus der Welt. Darüber muß man sich doch klar sein. Dieses Herumzerren an den Zöllen geht wirklich nicht so weiter. Was würde das Hohe Haus sagen, wenn ich hier den Antrag stellte, z. B. für Schuhe, Textilien, Maschinen und all das die Zölle abzuschaffen?
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- Meine Damen und Herren, ich glaube, damit würden wir auch soziale Probleme anrühren, die noch behandelt werden müssen. So geht es doch auf die Dauer einfach nicht weiter. Wir müssen in der Agrarpolitik eine klare Linie vertreten. Es hat fast den Anschein, daß jeder deswegen, weil er jeden Tag essen muß, nun auch meint, Agrarpolitiker von ganz großem Format zu sein.
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Ich meine, man sollte diese Dinge wirklich einmal klar sehen und sich auch die Zeit dafür nehmen,
solche Probleme in einem Ausschuß gründlich zu behandeln.
Ich stelle deshalb nochmals den Antrag, daß das Hohe Haus diesen Antrag der SPD an den Ernährungsausschuß überweist.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung.
Es ist beantragt worden, den Antrag der Fraktion der SPD - und ich darf unterstellen, auch den Antrag der Fraktion der Föderalistischen Union - an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Außenhandelsfragen zu überweisen. Ich bitte die Damen und Herren, die dieser Überweisung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Soweit ich sehe, ist dieser Antrag gegen eine oder zwei Stimmen einstimmig angenommen worden.
Ich gebe nun bekannt, daß der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten diesen Ausschuß auf morgen vormittag, 9 Uhr 30, einberuft.
Ich rufe weiter Punkt 14 der Tagesordnung auf: Beratung des Zweiten Berichts des Untersuchungsausschusses zur Prüfung der im Raume Bonn vergebenen Aufträge ({0}) ({1}).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Graf von Spreti. Schriftlicher Bericht*) liegt vor. - Bitte schön!
Graf von Spreti ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Drucksache Nr. 3626 hat der Untersuchungsausschuß - 42. Ausschuß - zur Prüfung der im Raume Bonn vergebenen Aufträge einen Schriftlichen Bericht vorgelegt. Ich möchte hierzu einige Worte sagen. In der Öffentlichkeit kursieren zur Zeit gewisse Überschriften, etwa solche: „Ausbau Bonns kostet den Staat Riesensummen" oder „64 Millionen mehr als der Voranschlag", „Schwester eines Architekten Vorhänge bemalt" oder „Untersuchungsausschuß prangert an". Es ist die Aufgabe jedes Untersuchungsausschusses, so sachlich wie möglich das Für und Gegen gegenüberzustellen und zu prüfen. Wir haben in einer sehr harmonischen Weise - Koalition, Opposition - diesen Auftrag entgegengenommen und auch ausgeführt. In fünfzehn Sitzungen hat der Ausschuß die Beratungen geführt, und zwar hat er zehn öffentliche Sitzungen abgehalten und drei Ortsbesichtigungen vorgenommen. Er hat darüber in diesem zweiten Bericht eine Aufstellung gegeben. Sie finden in der Drucksache zunächst den historischen Gang dargestellt, anschließend die Organisation des ganzen Büros, das ganze Vergabewesen, und zwar sowohl die Planung als auch die Beschaffung. Im Anschluß daran finden Sie die Einzelobjekte behandelt. Ich darf Sie aber darauf aufmerksam machen, daß hier Druckfehler unterlaufen sind. Auf Seite 8, linke Spalte, 16. Zeile von oben ist nach dem Wort „Bodenbespannungen" einzufügen „und Fensterbespannungen". Auf Seite 11, linke Spalte, 15. Zeile von unten muß es statt „BDA" richtig heißen „Bundesrechnungshofes".
*) Anlage 2 Seite 10378
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Die Überschrift „64 Millionen mehr als der Voranschlag" ist anscheinend durch eine falsche Lesung des Berichts entstanden. Auf Seite 15 steht unter der Zusammenstellung der Mehrkosten die Bemerkung:
Die Mehrkosten sind auf die bei dem ursprünglichen Anschlag nicht vorausgesehenen, aber im Rahmen des Programms ZECO entstandenen Anforderungen an Raumbedarf und Ausstattung für die Besatzungsmacht zurückzuführen.
Ich wäre sehr dankbar, wenn dies in der Öffentlichkeit berücksichtigt würde.
Was die „Schwester eines Architekten" betrifft, so ist auch hier eine falsche Wiedergabe erfolgt. Es handelt sich nämlich um die Schwester einer bei dem Architekten angestellten Zeichnerin. Die Schlagzeile wirft ein falsches Licht auf die Sache.
Weiter wird in einer Zeitung ein ursprünglicher Voranschlag für den Bundessitz Bonn von 3,8 Millionen DM genannt. Dem wird die Gesamtsumme von 144 Millionen DM gegenübergestellt. Das ist völlig falsch. Die Zusammenstellung von 144 Millionen DM mit den 64 Millionen DM Mehrausgaben, die darunter begründet sind, zeigt, daß es sich niemals um 3,8 Millionen DM gehandelt hat.
Ich bitte Sie, den Bericht entgegenzunehmen und ihn entsprechend dem Wunsche des Ausschusses zu verabschieden.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Berlin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 2. März 1950 hat das Hohe Haus den Beschluß gefaßt, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, der sich mit der Vergabe der im Raum Bonn erteilten Aufträge im Zuge des Aufbaus der Stadt Bonn als vorläufige Bundeshauptstadt beschäftigen sollte. In der 152. Sitzung am 14. Juni 1951 hat dieser Ausschuß einen ersten Bericht über das bis dahin abgeschlossene und bearbeitete Kapitel gegeben. Es bezog sich auf den Aufbau der Bundesbehörden im Raum Bonn. Der zweite Teil seiner Aufgabe bezog sich auf das Kapitel der Besatzungsbauten, die ebenfalls im Raum Bonn errichtet wurden.
Damals schon hat der Kollege Erler erklärt, daß die Feststellungen im ersten Bericht, gemessen an dem, was zu erwarten sei, nur kleine Fische seien und daß noch einige dicke Brocken folgen würden. Damit waren gemeint: die Aufwendungen für die Stäbe der Hohen Komission, die Wohnungen der Angehörigen dieser Stäbe und die Unterbringung der Hohen Kommission selbst, soweit sie im Raum Bonn untergebracht werden mußte. Der heute zur Debatte stehende Bericht beschäftigt sich also mit diesen Dingen und gibt die Antwort auf die Fragen, die in dem damals angenommenen SPD-Antrag enthalten sind. Da der Herr Berichterstatter die Fragen bei seinen mündlichen Erläuterungen nicht erwähnt hat, scheint es mir angebracht, sie den Antworten im Bericht kurz gegenüberzustellen.
Der Untersuchungsausschuß hatte hinsichtlich der für Rechnung der Bundesrepublik Deutschland zur Einrichtung der vorläufigen Bundeshauptstadt Bonn vergebenen Aufträge erstens zu prüfen, nach welchen Grundsätzen die Aufträge vergeben wurden, und zwar bei Aufwendungen sowohl für die deutsche als auch für die alliierte Seite. Antwort: Die Grundsätze für die Auftragsvergabe in der Enklave Bonn ergeben sich aus Anlage 3. Der Ausschuß hat leider feststellen müssen, daß, wie sich aus den Einzelheiten des Berichts ergibt, diese Grundsätze nicht eingehalten worden sind.
Zweitens, ob Aufträge von unzuständigen Stellen und ohne Beteiligung des Bundesfinanzministeriums vergeben wurden. Antwort: Mindestens in zwei Fällen steht einwandfrei fest, daß Aufträge von den verwaltungsmäßig hierfür nicht zuständigen Architekten erteilt und durchgeführt wurden.
Drittens, ob und welche Vorkehrungen getroffen wurden, um Überforderungen durch die Lieferanten zu vermeiden. Antwort: Sämtliche Rechnungen sind ordnungsmäßig durch die dafür vorgesehenen Organe geprüft worden. Sämtliche Lieferanten haben sich unterschriftlich verpflichten müssen, die bei dieser Prüfung eventuell festgestellten Überzahlungen zu erstatten. Im übrigen wird auf die Beantwortung dieser Frage im ersten Ausschußbericht verwiesen. Es heißt da:
Zum Teil sind die Überforderungen darauf zurückzuführen, daß die Bau und Einrichtung planenden und überwachenden Dienststellen personell nicht ausreichend ausgestattet waren. Nach Ansicht des Ausschusses wäre es Aufgabe der die Dienstaufsicht führenden Organe gewesen, diesen abträglichen Zustand rechtzeitig zu erkennen und Maßnahmen zur Abhilfe zu treffen, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß die für die Einrichtung der Bundesorgane gebotene Eile eine gründliche Arbeit erschwerte.
Viertens, ob Überforderungen vorgekommen sind. Antwort: Nach den eingeholten Gutachten und den Feststellungen des Rechnungshofes sind Oberforderungen vorgekommen. Es ist Sache der beteiligten Dienststellen, bei den festgestellten Firmen auf Erstattung von Überzahlungen hinzuwirken, soweit das nicht schon geschehen ist.
Fünftens, ob einzelne Interessenten oder Interessentenkreise oder bestimmte Gebietsteile einseitig bevorzugt worden sind. Antwort: Auf einzelnen Gebieten der Bauwirtschaft und de Einrichtung war der Wettbewerb unzureichend. Dadurch sind bestimmte Firmen, insbesondere des Raumes Bonn und des Landes Nordrhein-Westfalen, z. B. die Firma Schlüter, nicht unerheblich bevorzugt worden. Schließlich hat eine Gruppe von deutschen Architekten sich eine bevorzugte Stellung durch die Hilfe der amerikanischen Besatzungsmacht zu verschaffen gewußt.
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Sechstens, ob Anschaffungen ohne Rücksicht darauf gemacht worden sind, daß die Gegenstände bereits in Frankfurt vorhanden waren und von dort nach Bonn überführt werden konnten. Diese Frage entfällt und ist vom Ausschuß mit Nein beantwortet worden.
Siebentens, aus welchen Gründen und in welcher Höhe größere Summen ausgegeben wurden, als dem Bundestage vor seiner Entscheidung über den Bundessitz als erforderlich bekannt waren. Antwort: Die Summen, um die die tatsächlichen Aufwendungen für die Einrichtung der Dienststellen der Hohen Kommission im Raum Bonn die im Bundestag bei seiner Entscheidung über den Bundessitz als erforderlich bezeichneten Mittel
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überschritten haben, gehen aus der Zusammenstellung auf den Seiten 14/15 des Berichts*) hervor.
Soweit die konkreten Antworten auf die Fragen und die Punkte, die der Ausschuß zu klären beauftragt war. Ich möchte neben diesem Querschnitt aber noch betonen, daß, obwohl manchmal Zweifel darüber bestanden, allgemeine Richtlinien der Alliierten über die Art der Auftragsvergabe vom 20. April 1950 vorlagen. Wäre nach ihnen gearbeitet worden, hätte manches Unerfreuliche vermieden werden können. Hier haben aber, gemessen an der Nichtbefolgung dieser Richtlinien, deutsche und alliierte Stellen gesündigt. Die Terminnot war gewiß ein wichtiger Faktor, und manches ist auch zu verstehen, wenn man sich in jene Zeit zu versetzen sucht; aber die Eile ist entschieden mehr bewertet worden als die ordnungsmäßige Auftragserteilung. Bei dem Wissen um die Folgen hätten die deutschen Stellen mehr Rückgrat zeigen müssen. Allerdings gab es damals noch keinen Untersuchungsausschuß. Soweit es sich um die Aufträge handelt, die durch verschiedene Kräfteeinwirkungen nicht ordnungsmäßig vergeben worden sind - das sagte ich schon -, hat sowohl der Ausschuß als auch der Bundesrechnungshof festgestellt, daß viele Aufträge freihändig vergeben worden sind, und zwar vor allem in der Zeit des Nachsommers und Herbstes 1949.
Die Anlage der Organisation „Büro Bundeshauptstadt" war zu der damaligen Zeit nach meinem Dafürhalten nicht gerade ideal. Dazu möchte ich nur das Folgende darlegen. Herr Maß als freischaffender Architekt hatte einen Vertrag mit dem „Büro Bundeshauptstadt" und schied nach einer gewissen Zeit als Werkvertragsarchitekt aus und übernahm eigene Aufträge. Er hatte gute Informationen von Herrn Dipl.-Ing. Schlempp über wahrscheinlich kommende Großbauvorhaben im Raume Bonn. Beide Herren kannten sich aus der Zeit der Organisation Todt. Hier ergab sich für Herrn Maß zweifellos eine Überkreuzung von zwei Dingen, nämlich der Pflicht der Aufgabenerfüllung für das „Büro Bundeshauptstadt" auf der einen Seite und der Wahrnehmung seiner eigenen Interessen bei dem Willen, in der Zukunft weiter als freischaffender Architekt tätig zu bleiben. Ich bin der Auffassung, daß eine solche Überkreuzung und Überschneidung nicht gut ist. Es sollte als Lehre aus diesem Vorkommnis doch alles getan werden, um gegenwärtig und in Zukunft bei irgendwelchen Behörden solche Verhältnisse nicht wieder auftreten zu lassen.
Die Zusammenarbeit im „Büro Bundeshauptstadt" selbst war zwischen den Abteilungen I und II, der Abteilung I unter der Leitung von Herrn Dr. Wandersleb und der Abteilung II unter der Leitung von Herrn Dr. Rühl, nicht gerade die beste. Die Auswirkungen haben sich beim Projekt Deichmannsaue gezeigt. Raum- und Bauplanung unter Dr. Rühl stand gegen die Beschaffungsstelle des Herrn Dr. Becker als Leiters. Dr. Rühl stand zu den Architekten bzw. zu der Architektengemeinschaft, Herr Dr. Becker wehrte sich gegen die nach seiner Meinung übertriebenen Anforderungen dieser Architekten. Die Gemeinschaft bestand aus den Herren Hebebrand, Freiwald, Schlempp, und später kam ein Herr Harting hinzu, der für Möbelentwürfe verantwortlich zeichnete.
*) Anlage 2 Seiten 10390/91
Eine Betrachtung darüber anzustellen, wie diese Gruppe mit amerikanischer Hilfe zu den Aufträgen in Deichmannsaue gekommen ist, würde hier zu weit führen. Von einer sauberen, ordnungsmäßigen Vergabe kann aber nicht gesprochen werden. Der Gegenpol zu dieser Gruppe war Herr Dr. Becker. Den Architekten war ein amerikanischer - angeblicher oder auch echter - Wunsch schon ein Befehl. Diese Auffassung bestimmte die Atmosphäre in Deichmannsaue und in der Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden. Was es aber mit den Wünschen und Anforderungen ohne den Begriff „Befehl" auf sich hatte, ist durch einen Brief des Herrn Dr. Wandersieb an eine britische Stelle bewiesen worden, in dem er einen schriftlichen Befehl verlangt hat, ehe er den Anforderungen Folge leisten werde. Nach diesem Brief kam es dann zu einer Besprechung und zu einer Kompromißlösung. Es muß an dieser Stelle erwähnt werden, daß z. B. die Bauleitung in Wahner Heide ohne einen Befehl von den Engländern keine wesentlichen Arbeiten in Angriff genommen hat. Hier wird also der Beweis erbracht, daß es auch anders ging. Im Fall Deichmannsaue wurde niemals ein schriftlicher Befehl von den Amerikanern verlangt. Im Fall Deichmannsaue hat Herr Dr. Wandersieb nach den Ausschußverhandlungen den Eindruck aufkommen lassen, als ob er die Auffassung des Herrn Dr. Rühl und der Architekten über den Begriff „Wunsch gleich Befehl" unterstütze.
Wie weit die Vorstellungen von Herrn Dr. Rühl über eine bestimmte Stilentwicklung im Raum Bonn von Herrn Dr. Wandersleb vielleicht ungewollt gestärkt worden sind, kann nicht gesagt werden. Auf einem solchen Boderf der Unklarheit aber konnten die Pläne der Architektengruppe gedeihen. Herr Dr. Becker war Gegner dieser Stilentwicklung und auf möglichst sparsame Gestaltung und Einrichtung der Bauten bedacht.
Die Höhe des Honorars für die Architekten hat bei ihren Bestrebungen aber keine ausschlaggebende Rolle gespielt. Der Satz lag unter dem zulässigen Querschnitt. Vielmehr war es wohl der künstlerische Ruf, der sie lockte und Antrieb für ihre Pläne war. Für die Arbeit eines Architekten sollen Auge, Hirn, Herz, und Bleistift maßgebend sein, so sagt man in Fachkreisen. Bei der Architektengemeinschaft ist der Bleistift gewiß nicht in dem Umfang maßgebend gewesen. Ich meine, nicht im Hinblick auf die Zeichnung, sondern in bezug auf die Rechnungen, die eines Tages der Öffentlichkeit und dem Bund präsentiert worden sind.
In einer Ausschußverhandlung hat Herr Dr. Wandersieb einmal erklärt, daß er als Beamter auf der Seite von Dr. Becker stehe. Daraus ergibt sich die Frage: Wo stand Herr Dr. Wandersieb dann wohl sonst? Diese Frage ist nicht klar beantwortet worden. Nun, ich bin der Meinung, daß er vielleicht unter Berücksichtigung der damaligen Verhältnisse das Ziel hatte; es weder mit dem einen noch mit dem anderen geradezu zu verderben. Eine weniger pendelnde und dafür mehr, wenn ich so sagen darf, feste, klare Haltung als Hauptleiter des „Büro Bundeshauptstadt" hätte nach meiner Meinung vieles vermeiden können. Anscheinend aber war Herr Dr. Rühl mit seinen Berufskollegen der Stärkere. Herr Dr. Wandersleb kann nach meinem Dafürhalten im Fall Deichmannsaue nicht ganz von den Dingen, die passiert sind, freigesprochen werden. Er kannte die Tendenz der Schlangenbader Beschlüsse, und sein Bemühen hätte es mehr sein müssen, die Wünsche der
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Alliierten mit danach zu werten. Für die verantwortlichen Deutschen hätten sie so weit wie möglich als Maßstab gelten müssen.
Wie sieht nun die vielbesprochene „Stilentwicklung" im Raum Bonn aus? Sie bezieht sich entscheidend auf die Innenausstattung von Deichmannsaue. Zuerst sollte die gesamte Geschichte über 600 000 DM kosten. Der geistige Urheber dieses Kostenanschlages konnte nicht genau festgestellt werden. Später wollten es die Architekten für 400 000 DM schaffen, während die zuständige englische Dienststelle dann 500 000 DM als Höchstbetrag genehmigte. Am Ende ist der Betrag von 479 900 DM dabei herausgekommen. Dafür gab es Schantungseide-Bespannung, welche die Firma Hochgeschurz, die sonst mit Eisentüren handelt, sofort liefern konnte, weiter mit Schweinsleder bezogene Möbel, dann einen Schreibtisch, der ebenfalls mit Leder bezogen war und in den oben ein amerikanisches Wappen geprägt wurde, schließlich einen handgemalten Vorhang für 1 500 DM Arbeitslohn und gute Teppiche. Das war etwa der Umriß um diesen Begriff „Stil". Er war aber nicht lange von Bestand. Eines Tages - durch welche letztlichen Ursachen, konnte der Ausschuß nicht genau feststellen - verschwand die Herrlichkeit. Die Amerikaner entfernten Möbel und Vorhänge und beschafften auf eigene Kosten neue, einfachere Möbel. Die Gesamtkosten für die Einrichtung in Deichmannsaue betrugen also 479 900 DM, wovon für Bespannung und Gardinen der Betrag von 188 000 DM ausgegeben worden ist.
Nun einiges zu dem allgemeinen Niveau. Wenn man auch Verständnis für eine ordentliche Einrichtung hat - und das wird jeder von uns auch gegenüber den Besatzungsbehörden gelten lassen -, muß man doch sagen, daß hier der Rahmen zu weit gezogen worden ist. Ich will damit keine billige Kritik fördern. Aber es muß hier ausgesprochen werden, daß draußen im Volk bei den noch lange nicht beseitigten Trümmern auf vielen Gebieten unseres Lebens und den noch vorhandenen vielen sozialen wunden Stellen am deutschen Volkskörper die Vorstellung deutscher verantwortlicher Leute und treuhänderisch arbeitender Architekten nicht verstanden wird und nicht verstanden werden darf. Diese Nachkriegszeit gibt keinen Raum für solche Stilentwicklungen. Eine entsprechende Anpassung an die deutsche Lage und Armut wäre notwendig gewesen. Das gilt auch für das Verhalten des Pächters vom „Düsseldorfer Hof" in Königswinter sowie des Stadtbaurates von Königswinter. Ihre Anforderungen von Silbergeschirr für 1000 Personen gingen nicht nur über die Grenzen des tatsächlichen Bedarfs weit hinaus, sondern in eine Ebene, wo man sein Eigentum korrigieren konnte, ohne daß es etwas kostete, um mit den Worten des Herrn Dr. Becker zu reden, die er einmal in der Verhandlung gebraucht hat.
Herr Abgeordneter Berlin, Ihre Redezeit ist um.
Die Ausschußberatungen über den Komplex „Düsseldorfer Hof" haben einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Herr Porth und Herr Zörnack haben zweifellos gut zusammengearbeitet. Die Kosten für das Silbergeschirr - darunter 54 Dutzend Salatbestecke - haben die Summe von über 134 000 DM ergeben.
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Lassen Sie mich zum Kapitel Niveau noch einige Zahlen nennen, die nicht im Bericht stehen. Die Einrichtung des Hotels Dreesen - Einrichtung, sage ich - kostete 450 600 DM, davon Bespannung 122 000 DM. Das Hotel Petersberg erforderte 1 218 500 DM;
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Bespannung, Gardinen und Teppiche machten den Betrag von 298 000 DM aus. Für den „Düsseldorfer Hof" wurden - allerdings ahne Silbergeschirr - 189 838 DM ausgegeben; auf Dekoration und Bespannung entfielen 71 000 DM. Schließlich haben wir im „Kölner Hof" in Königswinter den Betrag von 132 483 DM zu verzeichnen; die Ausgaben für Bespannung entstanden hier in einer Höhe von 31 100 DM.
Weiter ist nicht uninteressant, daß von einer kurz vorher ins Leben gerufenen Firma auf amerikanischen Wunsch hin eine Wäschereimaschine gekauft worden ist, die 60 000 DM kostete, während ein gleichwertiges deutsches Fabrikat nur 35 000 DM gekostet hätte.
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Der Fall ist noch in der Untersuchung der amerikanischen und deutschen Kriminalpolizei.
Schließlich interessiert es die Öffentlichkeit, wo die Möbel im Wert von 60 000 DM aus dem Hotel Dreesen geblieben sind, weil sie infolge Änderung der Pläne dort nicht mehr gebraucht wurden.
Herr Abgeordneter, wir haben eine Redezeit vereinbart. Ich bitte freundlichst, sich daran zu halten.
Jawohl, Herr Präsident. - Auf die Zahlen in der Gesamtabrechnung will ich nicht mehr eingehen. Der Herr Berichterstatter hat sie vorhin erwähnt.
Betrachtet man nun das Gesamtbild, so kann man wohl sagen, daß auf alliierter wie auf deutscher Seite trotz der Eile nicht das gebührende Maß gehalten worden ist. Durch die oft plötzlich geänderten Pläne der Alliierten ist eine weitere erhebliche Kostenerhöhung entstanden. Nun, wenn man in die Stadt Berlin reisen will, sollte man eben nicht den Weg über Paris oder Washington machen. Das ist eben teurer. Beim Tauziehen zwischen Architekten und Kräften des Büros Bundeshauptstadt und Herrn Becker war letzterer mit seinen Hilfskräften zu schwach. Aus dem Gang der Verhandlungen mußte oft der Eindruck gewonnen werden, daß sich Firmen und Architekten über den Kopf des Herrn Dr. Becker hinweg die Bälle zuwarfen. Wenn auch formal keine genügenden Anhaltspunkte für ein Vergehen der Architektengemeinschaft gefunden werden konnten, so dürfte man vom gesunden Menschenverstand her doch in der Lage sein, sich sein eigenes Urteil zu bilden. Für die Öffentlichkeit aber ist es wichtig zu wissen, daß die Besatzungsmächte in ihren Ansprüchen und in ihrem Verhalten genau so überprüft wurden, wie das bei deutschen Stellen der Fall war.
Zum Schlußwort des Ausschußberichts lassen Sie mich noch sagen, daß die Formulierung im letzten Satz „und sieht sich daher gezwungen" vielleicht nicht ganz glücklich gewählt ist. Wir sollten zum Wort „Zwang" auch die Einsicht nehmen; denn es hat keinen Zweck, bei der Lage der Dinge den Untersuchungsausschuß mit aller Kraft bis zum Schluß der Legislaturperiode am Leben zu erhalten. Wenn der Untersuchungsausschuß unter Bezugnahme auf das Schlußwort in diesem Bericht
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seine Arbeit abschließt, dann ist das politische Ergebnis, wenn ich es so nennen darf, in folgendem zu fassen: In der Demokratie ist es möglich, in dunkle Winkel hineinzuleuchten und unkorrekte Handlungen von Personen und öffentlichen Einrichtungen in aller Öffentlichkeit zu behandeln. Hier zeigt sich der Wert der parlamentarischen Kontrolle. Es können dadurch Voraussetzungen geschaffen werden, um Vorkommnisse zu vermeiden, die sich gegen das Wohl der Allgemeinheit richten. Der Staatsbürger muß die Gewißheit haben können, daß es einen Schutz gegen unverantwortliche Verwirtschaftung seines materiellen Beitrags für den Staat gibt. Die Bundesregierung mit ihren Organen hat die Verpflichtung, diese Aufgabe im Rahmen ihrer Zuständigkeit mit aller Kraft zu erfüllen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hasemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sei mir gestattet, als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zunächst einige allgemeine Bemerkungen zu machen. Herr Kollege Berlin hat schon zum Ausdruck gebracht, daß der Auftrag, den das Plenum an diesen Untersuchungsausschuß gegeben hat, sehr alt ist. Er datiert bereits aus dem Jahre 1950. Wenn zwischen den beiden Berichten, die in diesen zwei Jahren erstattet wurden, große Zeiträume liegen, so könnte beinahe der Eindruck entstehen, als ob der Ausschuß mit diesem Auftrag des Plenums so etwas wie eine Lebensstellung bekommen hätte. Ich möchte dazu aber doch bemerken, daß das vorliegende Material, das geprüft werden mußte, ganz außerordentlich umfangreich ist. Dazu kam noch - wenn ich einmal in diesem Bilde bleiben darf -, daß wir die Ausschußarbeiten gewissermaßen nur „nebenamtlich" machen konnten, weil fast alle Kollegen durch ihre Tätigkeit in anderen Ausschüssen außerordentlich stark in Anspruch genommen waren; und es ist schwer, einen SiebenerAusschuß immer so zusammen zu bekommen, daß er überhaupt beschlußfähig ist.
Bei der Fülle des Materials war es auch nicht möglich, alle vorliegenden Probleme und alle vorliegenden Komplexe hinreichend gründlich zu untersuchen. Wir haben daher aus den drei großen Gebieten - Wohnungsbauten, Verwaltungsbauten und Hotelbauten - jeweils einen Komplex herausgezogen, den aber dann mit aller Sorgfalt und aller Gründlichkeit untersucht. Wenn bei diesen Untersuchungen, wie es ja leider der Fall gewesen Ist, sehr viel Unerfreuliches herausgekommen ist, so ist, wie ich meine, zu unterstellen, daß genau so Unerfreuliches herausgekommen wäre, wenn man auch alle anderen Objekte mit derselben Sorgfalt und Gründlichkeit hätte prüfen können.
Sie werden bei Durchsicht des Berichts feststellen, daß noch am wenigsten bei den reinen Wohnungsbauvorhaben zu beanstanden war. Zunächst waren natürlich, zu Beginn der Besatzungszeit, die Anforderungen und Ansprüche der Besatzungsmächte - und zwar aller Besatzungsmächte - außerordentlich hoch. Ich erinnere dabei nur an die sattsam bekannten Beschlagnahmemaßnahmen, durch die Privathäuser, Hotels, Kuranlagen, Sportanlagen, Badeanstalten und 'dergleichen beschlagnahmt wurden. Man hat von dem Recht und auch von der Macht des Siegers in einem Maße Gebrauch gemacht, das für uns selbst bei Berücksichtigung der besonderen Umstände nur sehr schwer verstanden werden kann. Nun hat sich das im Laufe der Zeit erfreulicherweise etwas geändert, wenn man auch von dem, was früher geschehen ist, nur sehr zögernd zurücktritt. Es muß aber festgestellt werden - das müssen wir als Chronisten, die wir im Ausschuß ja auch sind -, daß etwa vom Jahre 1950 ab in stärkerem Maße die Einsicht auch bei den Alliierten wuchs. Die erforderlichen Neubaumaßnahmen wurden von dieser Zeit ab in erträglichen Formen abgewickelt, wenn auch noch manche Dinge für uns gerade in der besonderen Situation, in der sich ja die Bundesrepublik befand, immer noch unverständlich waren, z. B., wenn ich nur in Gebiet herausgreifen darf, die übersteigerten Raumanforderungen der Alliierten, ganz besonders dabei auch der britischen Dienststellen. 'Es war für niemanden im Ausschuß verständlich, und es wird wahrscheinlich auch von niemandem in der breiten Öffentlichkeit verstanden werden, wenn beispielsweise Wohnungen, selbst für hohe Offiziere, mit vier Badezimmern ausgestattet werden müssen und natürlich mit der entsprechenden Anzahl von Fremdenzimmern. Offizierswohnungen sind immerhin keine Hotels, ganz besonders, wenn man berücksichtigt, daß ja auch Hotelbauten, und zwar Hotelbauten hohen Niveaus, in größerer Anzahl zur Verfügung gestellt werden mußten.
Es kann jedoch mit Genugtuung festgestellt werden, daß sich die deutschen Dienststellen, die mit der Durchführung von Bauten beauftragt waren, in stärkstem Maße bemüht haben, die Anforderungen auf ein erträgliches Maß zurückzuschrauben, und zwar oft mit Erfolg; und wenn nicht mit Erfolg, dann hat man klugerweise so verfahren, daß man zur Festlegung der Verantwortung direkte Befehle erbeten und auch erhalten hat.
Weniger erfreulich liegen die Dinge aber bei den Bürobauten und bei den Hotelbauten. Hier handelt es sich zwar nicht um Neubauten, sondern um Um- und Ausbauten dieser Gebäude, die zudem meist unter starkem Zeitdruck umgebaut coder eingerichtet werden mußten. Aber hier zeigt sich doch in einem geradezu erschütternden Maße, daß die notwendigen - ja, manchmal hat man den Eindruck, sogar gewollten - Improvisationen zu außerordentlichen Verteherungen geführt haben. Wenn Sie den Bericht lesen, dann werden Sie da zwischen den Zeilen viel von dem erbitterten, Kampf erfahren, den die Beschaffungsstelle des Herrn Oberregierungsrats Dr. Becker gewissermaßen gegen eine doppelte Front zu führen hatte: einmal gegen die hier und dort sehr stark übersetzten Anforderungen der Alliierten, zum andern aber auch - man höre und staune - gegen Deutsche, gegen deutsche Architekten und Baubeauftragte.
Dieser Kampf wurde auch in den beiden Komplexen, die wir sehr genau untersucht haben - sowohl Haus Deichmannsaue wie auch Hotel „Düsseldorfer Hof" - in gleicher Weise sichtbar, und es ist das traurige Fazit unserer Untersuchungen, daß beileibe nicht nur die Besatzungsmächte Ansprüche gestellt haben, die übersteigert und kostspielig waren, sondern daß auch die deutschen Architekten, die mit den Baudurchführungen beauftragt waren, zur Durchsetzung ihrer künstlerischen Ideen, ihres „Stil- und Raumgefühls", die Steuergroschen des deutschen Volkes doch in einer nicht zu verantwortenden Art und Weise vertan haben. Ich persönlich kann mich dabei des Eindrucks nicht erwehren, daß nicht nur die Durchsetzung
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eines bestimmten künstlerischen Willens bei all diesen Dingen maßgebend war, sondern sicherlich auch die Summe der Baukosten, die ja in einem bestimmten Verhältnis zu den Honoraren stehen.
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Ich habe gar nichts dagegen, wenn die Architekten ihr neues Stilgefühl bei privaten Bauten abreagieren, die sie für Irgendeinen zahlungskräftigen Bauherrn durchführen. Bei der Erstellung von reinen Verwaltungsbauten auf Kosten der Steuerzahler aber habe ich für diese Dinge kein Verständnis.
Ich habe auch kein Verständnis für Methoden, wie sie z. B. der Pächter des Hotels „Düsseldorfer Hof" in Königswinter, Herr Zörnack, in trautem Verein mit dem ihm sehr eng befreundeten Baurat Porthangewendet hat, indem er eine Menge von Einrichtungsgegenständen aller Art - nicht nur Silber, sondern auch Betten und dergleichen -angefordert hat, die noch für Generationen Zörnackscher Enkel und Urenkel völlig ausgereicht hätten.
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Das Interessante ist dabei, daß sich dann bei der Feststellung der Verantwortlichkeiten diese beiden Freunde gegenseitig die Schuld zugeschoben haben, und es ist für 'mich persönlich eine große Genugtuung, daß sich der Staatsanwalt gerade dieser Dinge liebevoll angenommen hat.
Die geringe mir zur Verfügung stehende Zeit erlaubt es leider nicht, nun noch auf weitere Mißstände einzugehen, die sich besonders in den ersten Jahren - und zwar teils aus verständlichen Gründen, teils aber auch unter Mißbrauch der Situation - gezeigt haben. Aber wir müssen doch feststellen: wo heute noch Neubauten oder Beschlagnahmungen erfolgen, geschieht das unter Einschaltung deutscher Dienststellen und unter Anwendung aller Maßnahmen und Mittel, die unnötige Härten oder Kosten vermeiden. Es kann dazu gesagt werden, daß sich die Dienststellen des Bundes mit Erfolg bemüht haben, so sparsam wie möglich zu wirtschaften. Ich betrachte es in diesem Zusammenhang auch als meine Pflicht, hervorzuheben, daß besonders Herr Dr. Becker mit seiner Beschaffungsstelle sich vorbildlich um 'allergrößte Sparsamkeit bemüht hat. Und wo ihm das nicht immer in vollem Umfang gelungen ist, war es nicht seine Schuld.
Noch ein letztes Wort zu folgendem. Ursprünglich sollte 'der Untersuchungsausschuß noch einen weiteren 'Komplex überprüfen, und zwar die Erstellung und Einrichtung des Bundeshauses und seiner Nebenbauten. Ich habe bereits am 14. Juni 1951, als ich den ersten Bericht des Untersuchungsausschusses erstattete, einen dringenden Appell an die Finanzminister des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen gerichtet, daß man umgehend in Verhandlungen über die Aufteilung der entstandenen Kosten zwischen dem Bund und dem Land Nordrhein-Westfalen eintreten sollte. Bis heute ist diese Auseinandersetzung nicht erfolgt,
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wie Sie auch aus dem beigefügten Brief des Bundesfinanzministeriums ersehen können. Das Land Nordrhein-Westfalen hat es sich sehr einfach gemacht. Es hat einen Betrag von 3,9 Millionen DM bereits von seinen Zahlungsverpflichtungen an den Bund einbehalten, ohne überhaupt zu einer Abrechnung mit dem Bund zu kommen. Von der endgültigen Regelung wissen wir nur, daß heute versucht wird, von den hier in Bonn investierten
Kosten soviel wie möglich dem Bund aufzuhängen,
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obwohl man seinerzeit bei der Wahl Bonns als Bundeshauptstadt nur davon geredet hat, daß der Bund etwa 20 % der zu investierenden 20,5 Millionen - so ungefähr war die Summe - zu übernehmen habe.
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- Nein, das gehört zu dem Bericht, den wir Ihnen vorgelegt haben. - Der Ausschuß hat sich mangels ausreichender Unterlagen nicht in der Lage gesehen, in die Prüfung dieser Dinge einzutreten, obwohl ich überzeugt bin, daß gerade die Oberprüfung des Komplexes Bundeshaus eine Fülle von Dingen ans Tageslicht gebracht hätte, die nicht nur für dieses Hohe Haus, sondern auch für die breite Öffentlichkeit interessant gewesen wäre.
Das Wort hat der Abgeordnete Kohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht mit dem Ergebnis des Untersuchungsausschusses zeigt uns ein Bild, das beschämend und zu gleicher Zeit empörend wirkt. Man darf dabei nicht vergessen, daß es gerade Herr Dr. Adenauer gewesen ist, der mit allen Mitteln Bonn zur Hauptstadt dieses westdeutschen Staatengebildes gemacht hat, und daß die Konsequenzen nun hier im Ergebnis dieses Berichtes vor uns liegen.
Die Hohen Kommissare nahmen diese Entwicklung zum Anlaß, auf Grund der Schlangenbader Beschlüsse den Auftrag zu geben, in Bonn und Umgebung zur Unterbringung der Behörden der Hohen Kommissare Raum zu schaffen. An einer anderen Stelle des Berichtes heißt es, daß sämtliche Bauten auf ausdrücklichen alliierten Befehl zurückzuführen sind. Die Kosten für diese Zusammenarbeit mit den Alliierten hat wie immer das deutsche Volk zu tragen. 144 Millionen DM sind es, fast doppelt soviel, wie ursprünglich veranschlagt worden war. Bei der Ausführung dieser öffentlichen Bauten aus Steuergeldern, des Hotels Petersberg, des Hotels Dreesen, des Herrensitzes Deichmannsaue für den amerikanischen Hochkommissar und all der anderen Bauten, stellen wir nicht nur die Dienstbeflissenheit - das hörten wir von dem letzten Redner, Herrn Dr. Hasemann - vieler amtlicher deutscher Stellen gegenüber den fremden Herren fest, sondern auch eine schamlose Bereicherung deutscher Firmen. Der Bericht spricht zartfühlend von Überforderungen und schließlich von einer mangelhaften Kontrolle der Verwendung von Steuergeldern. Es muß festgestellt werden, daß die Forderungen der Alliierten Hohen Kommission, ja vielfach die persönlichen Wünsche der einzelnen Hochkommissare die ungeheuer hohen Kosten für ihre Amtssitze und Dienstgebäude entscheidend mit verursacht haben.
Selbst bei dem Bau von Wohnungen wurde auf die Not des deutschen Volkes in keiner Weise Rücksicht genommen. Nach dem Bericht wurden in Godesberg-Friesdorf 124 Großwohnungen für die amerikanische Hochkommission mit einem Kostenaufwand von über 9 Millionen DM, d. h. einem Durchschnittsaufwand von 77 000 DM je Wohnung errichtet, während der deutsche Wohnungsbau mit durchschnittlich 10 000 DM pro Wohneinheit rech({0})
net. Aber selbst diese Wohnungen genügten den Amerikanern nicht; sie wurden als unbefriedigend zurückgewiesen. Die Engländer forderten, daß die Häuser für ihre Stäbe ausgestattet würden, wie es sich für die Angehörigen einer Botschaft gezieme. Vier Bäder mußten jedem Stabsoffizier in die Wohnung eingebaut werden.
Für den Umbau des Hotels Petersberg zum Sitz der Alliierten Hohen Kommission mußte der deutsche Steuerzahler fast 21/2 Millionen DM zahlen. Dabei durfte selbstverständlich ein Ruheraum für Dr. Adenauer am Sitz der Hohen Kommissare nicht fehlen, der hoffentlich der Nachwelt erhalten bleiben wird. Beim Umbau des Hotels Dreesen ließen die Engländer Möbel im Wert von 60 000 DM mitgehen, von denen kein Mensch weiß, wo sie hingekommen sind.
Deutsche Unternehmer waren es, die die Gelegenheit nicht vorbeigehen ließen, auf Kosten des deutschen Volkes dort Sondergeschäfte zu machen, wie beispielsweise die Architektengruppe, die hier schon genannt worden ist: Hebebrand, Freiwald, Schlempp usw., wie es eingehend in dem Bericht festgestellt worden ist. Diese Herren, die hier diese Sondergeschäfte machten, stellten sich schutzsuchend hinter den Rücken der amerikanischen Dienststellen, um die Wünsche dieser Herren zu erfüllen und Bedenken der deutschen Verwaltung auszuschalten. Sie drohten sogar den deutschen Beamten damit, daß sie sich gegebenenfalls bei den amerikanischen Stellen beschweren würden. Die Westberliner Firma Fliege machte sich an den stellvertretenden amerikanischen Hochkommissar General Hays heran, um für sich den Auftrag auf Ausbau des Herrensitzes Deichmannsaue zu sichern.
All die Einzelheiten, die der Bericht des Untersuchungsausschusses deutlich aufzeigt, zwingen zu der Konsequenz - und Sie werden in der nächsten Zeit Gelegenheit haben, dazu Stellung zu nehmen -, daß Sie die Note der Sowjetunion, die den Abzug der Besatzungstruppen vorsieht, in diesem Hause sehr ernst diskutieren und so ernst nehmen wie die Mehrheit des deutschen Volkes. Dann werden wir uns mit solchen Korruptionssümpfen in diesem Hause nicht mehr herumzuschlagen haben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Graf von Spreti.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zusammenfassend zu diesem Bericht noch kurz einiges sagen. Es wird in der Öffentlichkeit behauptet, daß die Bauten, die man „Klein-Amerika" nennt, und das Bürogebäude in Mehlem auch aus den Geldern der deutschen Steuerzahler bezahlt worden seien. Das stimmt nicht. Diese Bauten sind aus rein amerikanischen Geldern errichtet worden.
Welches ist nun eigentlich der Sinn des ganzen Untersuchungsausschusses? Wir haben schon einige Untersuchungsausschüsse eingesetzt und ihre Berichte hier entgegengenommen; in allernächster Zeit wird wahrscheinlich ein anderer fällig werden. Man hat das Gefühl, daß manchmal die Untersuchungsausschüsse und deren Berichte und Feststellungen, zu denen wir ja verpflichtet sind, als ein Eingriff in die Exekutive betrachtet werden. Das ist völlig falsch. Ich glaube, es ist das beste Zeichen eines demokratischen Staatswesens, daß man überhaupt den Mut hat und auch die Möglichkeit gibt, die unsauberen Geschäfte und Vorkommnisse zu untersuchen und in der Öffentlichkeit zu nennen.
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Wir wissen ganz genau, daß gerade im Dritten Reich viel passiert ist und man den Mund halten mußte, wenn man nicht riskieren wollte, ins Konzentrationslager zu kommen.
Was ist nun eigentlich die Konsequenz? Ich möchte hier einmal den Architektenberuf etwas verteidigen, nicht deswegen, weil ich ihm angehöre; aber man soll nie dramatisieren und verallgemeinern. Es ist leider vorgekommen, daß in diesem Falle verschiedene Architekten nicht ganz ihrer Pflicht - was nämlich im Berufsethos eines Architekten liegt - der Treuhänderschaft entsprochen haben. Ich glaube, es ist hier am Platze, den Wunsch zu äußern, so bald wie möglich das von der Architektenschaft und vom Bund Deutscher Architekten selbst geforderte deutsche Architektengesetz zu verabschieden, damit auch hier eine völlige, ich möchte sagen, Einstufung erfolgt unter freischaffenden Architekten, wie ich sie mir vorstelle, in solche, die in künstlerischen Wolken schweben, und andere, die als Treuhänder wie ein Notar oder Rechtsanwalt gezwungen sind, die Kosten einzuhalten. Bei öffentlichen Bauaufträgen soll eventuell ein sehr freischaffender Künstler, wie es solche sehr viele gibt, gezwungen sein, einen treuhänderisch vereidigten Architekten zur Seite zu nehmen.
Zweitens möchte ich hier sagen, man sollte für die Zukunft die Lehre ziehen, etwas vorsichtiger zu sein, besonders bei kommenden Staatsaufträgen. Es ist bei großen Bauten Tür und Tor offen, daß Unternehmer versuchen und es auch verstehen, ihre Ware anzubieten. Wir haben hier bei großen Massen von Plüschteppichen und sonstigen Fensterbespannungen erlebt, wie unnötig sogar die Bespannungen sind, die angebracht worden sind, und zwar unter dem Wunsch und dem Motto, man wolle damit ein geräuschloses Arbeiten erreichen. Aber auf der andern Seite kann ich mir nicht vorstellen, daß es der Wunsch oder der Befehl des sogenannten Auftraggebers war, die Zimmer bis zum letzten Eck mit Plüschteppichen auszulegen. Es ist der Wunsch jedes Architekten - und das ist seitens meines Kollegen Berlin angeklungen -, das möglichst Schönste und Geschlossenste und Harmonischste zustande zu bringen. Aber es ist für uns Architekten auch Pflicht, Maß zu halten und als Treuhänder das Mögliche nach unten zu berücksichtigen und nicht immer nur der Grenze des Bauherrn zu entsprechen, so daß eventuell - und das kommt leider sehr oft vor - der Preis überschritten wird. Deshalb bitte ich Sie - und zwar hauptsächlich die Verwaltung -, künftighin aufpassen zu wollen, daß man mit solchen Dingen, von denen ich absichtlich in der Klammer gesagt habe: das kann nur unter militärischer Mentalität vorkommen, und mit diesem, wollen wir sagen, Sich-herausstellen-wollen, weil man dem Vorgesetzten irgendwie imponieren will, nicht Kosten verursacht und wegen des Einräumens von einem Stockwerk ins andere für den Besuch eines Generals 5000 DM für Transportkosten ausgibt. Wenn wir diese Folgerung aus dem Untersuchungsausschuß ziehen und sie in Zukunft in die Wirklichkeit umsetzen, dann haben wir vielleicht am besten dem Sinn des parlamentarischen Untersuchungsausschusses entsprochen.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses auf Seite 16 der Drucksache Nr. 3626. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist dieser Antrag angenommen.
Punkt 15 der Tagesordnung ist abgesetzt.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betreffend Nachträgliche Mitteilung an den Bundestag von der Bestellung eines Erbbaurechts an einem reichseigenen Grundstück in Wilhelmshaven auf der Schleuseninsel ({0}).
Die vollzogene Bestellung des Erbbaurechtes wurde nachträglich mitgeteilt. - Das Wort wird dazu nicht gewünscht. Ich darf unterstellen, daß der Bundestag von der nachträglichen Mitteilung der Bestellung des Erbbaurechtes zustimmend Kenntnis nimmt.
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- Es wird Überweisung an den Haushaltsausschuß beantragt. Der Haushaltsausschuß hat ja, wenn ich recht unterrichtet bin, Herr Abgeordneter, darüber schon verhandelt. - Also, erleichtern wir uns das Geschäft, indem wir dem Antrag des Herrn Abgeordneten Blachstein entsprechen.
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- Nach meiner unmaßgeblichen Erinnerung ist die Bestellung von Erbbaurechten immer im Haushaltsausschuß erledigt worden.
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- Herr Abgeordneter, Sie müssen mir schon glauben, daß es geschehen ist. Ob es richtig war oder falsch, darüber können wir uns streiten.
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Ich schlage Ihnen zur Vereinfachung vor, die Sache dem Haushaltsausschuß federführend und dem Finanz- und Steuerausschuß mitberatend zu überweisen. Dann werden wir hoffentlich klarkommen. Wenn die beiden Ausschüsse sich darüber einigen, daß es andersherum richtig ist, wird es den Bundestag auch nicht erschüttern. - Die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Kahn und Genossen betreffend Sanierung der westlichen Oberpfalz ({5}) ({6}).
Wir werden die westliche Oberpfalz sanieren, und zwar zunächst durch den Mund des Herrn Abgeordneten Kahn, der den Antrag begründet, nach Vorschlag des Ältestenrates in höchstens 10 Minuten bei einer Aussprachezeit von höchstens 60 Minuten.
Kahn ({7}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor uns liegt die Drucksache Nr. 3513, die den Antrag Kahn und Genossen enthält, der die wirtschaftliche Hebung bzw. Sanierung weitester Teile der Oberpfalz, vor allem der westlichen Oberpfalz, erzielen soll. Ich darf mir erlauben, den von mir und den mitunterzeichneten Kollegen gestellten Antrag zu begründen.
Es ist nicht das erste Mal, daß im Deutschen Bundestag zu dem umfangreichen Komplex der Fragen der Notstandsgebiete Stellung genommen wird. Ich habe bereits vor 2 Jahren hier im Hause auf die katastrophale Notlage weitester Teile Ostbayerns und der Oberpfalz hingewiesen. Aus der vorliegenden Drucksache ersehen Sie, welche Städte und welche Landkreise nach unserer Kenntnisnahme und nach ausführlicher, Betrachtung der amtlichen Unterlagen als Notstandsgebiete erhöhten Grades in Frage kommen sollen. Zu den im Antrag bezeichneten Gebieten muß noch das Maxhüttengebiet in der mittleren Oberpfalz mit Schwandorf, Burglengenfeld und Eschenbach einbezogen werden.
Mein Antrag gliedert sich in zwei Teile, zunächst einmal in die Bitte, die genannten Kreise und Städte zu Notstandsgebieten erhöhten Grades zu erklären, und sodann in die Bitte an die Bundesregierung, die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen und die finanziellen Mittel bereitzustellen. Ich darf mir erlauben, hier im Hause mit allem Ernste darauf hinzuweisen, daß der vorliegende Antrag keineswegs aus irgendeinem Agitationsbedürfnis eingereicht wurde, Wie schon vor Jahren, so muß heute darauf hingewiesen werden, daß fast die gesamte Oberpfalz die Kennzeichen nicht nur eines wirtschaftlichen Notstandes trägt, sondern daß vor allem auch die Merkmale eines politischen Notstandsgebietes gegeben sind. Auf den Grenzkämmen dieses Stückes bayerischer und deutscher Erde steht der Satellitismus Moskaus, der dieses Grenzgebiet nicht nur wirtschaftlich abschnürt, sondern politisch eine ständige Bedrohung darstellt.
Nur in ganz groben Umrissen darf ich zur Notstandsfrage überhaupt Stellung nehmen. In dem Landkreis Riedenburg beträgt der Anteil der Heimatvertriebenen 34 % der Bevölkerung; so steht dieser Landkreis als der zweitstärkst belegte Kreis Bayerns da. Ohne Mittel des Bundes ist in diesen Gebieten an eine Erweiterung der Betriebe und Unternehmungen nicht zu denken. Das Handwerk der verschiedensten Zweige ringt kärglich um seine Existenz, und' der Großteil der bäuerlichen Betriebe und der Landwirtschaft verfügt weitestgehend über schlechte Bodenverhältnisse und Bonitäten. Es ist mir unerklärlich, daß versucht wurde, amtlicherseits Landkreise in Niederbayern, die als bestes Bauernland gelten, als Sanierungsgebiete zu bezeichnen. Das von mir angesprochene Gebiet weist in den Städten Schwandorf und Neumarkt größte Kriegsschäden auf.
Vor über einem Jahr hat der deutsche Bundestag das Problem Hohenfels behandelt. Der Raum Hohenfels und Umgebung, der für die amerikanischen Besatzungsmacht als Truppenübungsplatz beschlagnahmt wurde, liegt mitten in diesem Notstandsgebiet. Wirtschaftlich sind neben dem Raum Hohenfels eine Reihe von Gemeinden fast tödlich getroffen worden. Aus Dutzenden von Briefen und amtlichen Unterlagen bin ich in der Lage, heute zu erklären, daß die Stadt Velburg und die Marktgemeinde Schmidtmühlen mit zu den härtest getroffenen Teilen gehören. Gut die Hälfte dieses Gebietes ist reine Juraformation mit den typischen
Deutscher Bundestag - 228: Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1952 10357
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in der Verkarstung befindlichen Jurahöhen. Der Durchschnittsertrag auf dem Gebiet des landwirtschaftlichen Sektors liegt pro Hektar für alle Getreidearten nur bei 13,5 Doppelzentnern, das ist also die geringste Ertragsfähigkeit in ganz Bayern.
Ein Blick auf den Landkreis Regensburg zeigt, daß in diesem großen Landkreis eine erschreckende Arbeitslosigkeit herrscht. Eine Ansiedlung von Kleinbetrieben, geschweige denn von Großbetrieben, ist hier undurchführbar, weil die Verhältnisse keinen Anreiz für die Unterbringung von gewerblichen und industriellen Unternehmungen bieten und der größte Teil der Gemeinden nicht einmal an einer Bahnlinie liegt.
Folgende Gesichtspunkte waren für meinen Antrag maßgebend: erstens die trostlose Lage der Wohn- und Wirtschaftsgebäude, die sich großenteils in unzureichendem und schlechtem Zustand befinden und oft sogar gesundheitsgefährdend sind, zweitens die vollends unzureichenden Wege- und Straßenverhältnisse, die noch durch die mit der Beschlagnahme des Raumes Hohenfels verbundenen Fahrten für Militärfahrzeuge außerordentlich stark gelitten haben und leiden. Drittens: es ist klar, daß durch Truppenbewegungen am Rande eines großen Truppenübungsplatzes nicht nur die Straßen, sondern auch die Fluren sehr in Mitleidenschaft gezogen werden und zudem die Schäden am Besitz der öffenlichen Hand, so bei Gemeindewegen und Brücken, nicht ausgeglichen werden können. Dazu könnte ich noch die dringend notwendige Hilfe auf den Gebieten der Wasser- und Energieversorgung, der Schulverhältnisse, der Wiederaufforstung der schwer angeschlagenen Wälder und der Arbeitsverhältnisse anführen.
Von den drei im Bundesgebiet- bereits anerkannten Notstandsgebieten ist in dem vor mir geschilderten Notstandsgebiet die Not groß und unabstreitbar. Ich darf das Haus bitten, unseren Antrag zu realisieren, d. h. die genannten Gebiete als Notstandskreise und Notstandsstädte, womöglich erhöhten Grades, zu bezeichnen und die hierfür notwendigen finanziellen und materiellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Um die einzelnen angeführten Fragen und Schwierigkeiten einer dauernden Lösung entgegenzuführen, bitte ich, daß unser Antrag zunächst dem Grenzlandausschuß als beratendem und dem Haushaltsausschuß als federführendem Ausschuß zur eingehenden Beratung überwiesen wird. Ich beantrage ferner nach der Beratung in diesen beiden Ausschüssen eine endgültige Stellungnahme und Beschlußfassung. Ich darf hier die Bitte aussprechen, gleichzeitig die Bundesregierung zu ersuchen, eine Vorlage zu machen und weitgehende Maßnahmen nicht nur für jene Teile, sondern für alle anderen Gebiete der gesamten Oberpfalz, füge ich bei, zu treffen, die, was die Behörden festzustellen hätten, ebenfalls die Kennzeichen eines großen Notstandes tragen.
Heute darf ich als Kenner Gesamtostbayerns zum Schluß noch sagen, daß der Deutsche Bundestag nicht umhin kann, weiteste Teile, nicht nur der bezeichneten Gebiete, sondern der gesamten Oberpfalz als Notstandsgebiete erhöhten Grades zu erklären und durch Bundesmaßnahmen eine Änderung, und zwar eine dauernde Änderung der wirtschaftlichen Struktur zu schaffen, damit nach dem Anlaufen einer weitgehenden Bundeshilfe und durch gemeinsame Arbeit aller Beteiligten, des Bundes und auch des Landes Bayern aus diesem Armenhaus Deutschlands, aus dieser „Opfer"-Pfalz
das wird, was wir anstreben: die lebensfähige Oberpfalz in Bayern für Deutschland.
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Ich eröffne die Aussprache über den begründeten Antrag. Das Wort hat der Abgeordnete Meitinger.
Meine Damen und Herren! Es ist bekannt, daß die Oberpfalz allerseits als strukturelles Notstandsgebiet anerkannt wird. Der interministerielle Ausschuß in Bann, der sich mit dieser Frage zu befassen hat, hat auf Anregung des bayerischen Landwirtschaftsministeriums und des bayerischen Wirtschaftsministeriums das Gebiet der Oberpfalz bereist. Insbesondere die westliche Oberpfalz, der Stadtkreis und Landkreis Neumarkt, die Landkreise Parsberg, Bailngries und Riedenburg waren Gegenstand dieser Besichtigungsfahrt.
Die strukturelle Notlage wird anerkannt. Es wird anerkannt, daß weder das Gewerbe noch der geringe Handel noch die geringe Industrie, die dort betrieben wird, noch die Landwirtschaft der Bevölkerung Lebensunterhalt und Lebensmöglichkeit geben. Trotzdem kam der interministerielle Ausschuß zu dem Ergebnis, daß die Oberpfalz nicht in das Sanierungsprogramm 1952/53 einbezogen werden soll.
Wer die Oberpfalz 'kennt, wo es noch Gebiete gibt, die ohne Straßen sind, wo Gebiete vorhanden sind, die heute entvölkert werden, weil das Land extensiv bewirtschaftet werden muß, wo der Boden so arm ist und in Verbindung mit der Landwirtschaft auch kein Gewerbe, kein Handel und keine Industrie aufkommen kann, der kann es nicht verstehen, daß man diese Oberpfalz, die seit Jahrhunderten als das ärmste Land Deutschlands genannt wird, unberücksichtigt ließ. Die Oberpfalz ist nicht die Rheinpfalz, die Oberpfalz ist die Steinpfalz.
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Ich habe mich mit den Herren, die im interministeriellen Ausschuß zuständig sind, eingehend unterhalten und sie befragt, wieso sie dazu gekommen sind, dieses Gebiet zu übersehen und nicht in das Notstan0ds-, in das Sanierungsprogramm hereinzunehmen. Alle gaben zu, daß die Sanierung der Oberpfalz notwendig ist und die Menschen dort weder im Gewerbe noch im Handel noch in der Industrie noch in der Landwirtschaft leben können.
Nun möchte ich Ihnen folgendes sagen. Man hat die Oberpfalz wohl gefunden, als die Truppenübungsplätze anzulegen waren, den Truppenübungsplatz Grafenwöhr zu früherer Zeit und den Truppenübungsplatz Hohenfels in letzter Zeit. Da hat man gewußt, daß in der Oberpfalz wenig ertragreiches Land ist, daß man da eben den Truppenübungsplatz hinlegen muß. Jetzt, wo es gilt, etwas zu geben - ungefähr 75 Millionen stehen zur Verwendung für das Notstandsgebiet zur Verfügung - soll diese arme Oberpfalz nichts bekommen. Warum?
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Nehmen wir zum Beispiel Schleswig-Holstein! Ich mache keinen Vorwurf. Schleswig-Holstein erfüllt die Bedingungen, die der interministerielle Ausschuß stellt: 23 % Arbeitslosigkeit, 80 Beschäftigte je 100 000 DM Einheitswert Landwirtschaft. Ja, meine Damen und Herren, in der Oberpfalz können diese 'Bedingungen nicht mehr erfüllt wer({2})
den, weil durch den Truppenübungsplatz Hohenfels die ganzen Arbeitskräfte verlorengehen. Die Angestellten, die Arbeiter auf idem Lande ziehen ab und gehen als Hilfarbeiter dorthin. Die Bauern mit hundert Tagewerken stehen ohne Arbeiter da und müssen sich heute Traktoren beschaffen. Woher das Geld nehmen? Sie roden den wenigen Wald, den sie haben.
({3}) Ich könnte Ihnen noch mehrere solcher Beispiele anführen. Insbesondere möchte ich Ihnen aber sagen: Von dem Truppenübungsplatz Hohenfels aus werden die wenigen brauchbaren Straßen, die die umliegenden Landkreise, wie Neumarkt, Bailngries, Riedenburg, Parsberg,. Burglengenfeld und der anliegende Teil von Amberg-Land haben, total zusammengefahren, so daß man überhaupt nicht mehr weiß, wo in der Oberpfalz eine Straße ist. In der vollständig zerstörten Stadt Neumarkt, deren Geschäfte usw. privat wieder aufgebaut worden sind - die Stadt selbst hat noch nicht .aufgebaut -, waren kürzlich die Straßen etwas ausgebessert worden; sie sind aber jetzt schon wieder vollständig zusammengefahren. Die Vertreter des interministeriellen Ausschusses sind dort gewesen. Herr Wirtschaftsminister Erhard hat mir brieflich mitgeteilt, die strukturelle Not werde anerkannt, und es werde auch anerkannt, daß die Menschen dort nicht mehr vom Gewerbe, von der Landwirtschaft und vom Handel und von der Industrie leben könnten. Man sagt dann: Die Möglichkeit besteht, dieses Gebiet noch in das Sanierungsprogramm hineinzunehmen, aber der bayerische Wirtschaftsminister schlägt es nicht vor.
Herr Abgeordneter Meitinger, Ihre Redezeit ist seit längerer Zeit abgelaufen!
Ja, meine Herren, wenn der bayerische Wirtschaftsminister und der bayerische Landwirtschaftsminister dem Vorsitzenden des interministeriellen Ausschusses geschrieben haben, er möge dieses Gebiet bereisen und überprüfen, ob ein solcher Notstand gegeben sei, daß es in das Sanierungsprogramm hineinkomme, so ist damit gesagt, daß auch von Bayern aus dieser Antrag gestellt, ist. - Herr Dr. Müller, wenn Sie etwas verbittert sind, das macht mir gar nichts aus.
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Herr Abgeordneter Meitinger, ich bitte Sie zum zweitenmal, zum Schluß zu kommen.
Ich bitte Sie also, dafür zu stimmen, daß die Oberpfalz, mindestens die Landkreise, die insbesondere neuerdings durch Hohenfels doppelt in die Notlage gezogen worden sind, in das Sanierungsprogramm als Notstandsgebiet einbezogen zu werden.
Herr Abgeordneter Meitinger, ich bitte, zum Schluß zu kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich muß Ihnen leider das Wort entziehen.
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Dies möchte ich besonders hervorgehoben haben und möchte Sie bitten, sich bei der Abstimmung demgemäß zu entscheiden.
Das Wort hat Herr Abgeordneten Höhne.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemand wird leugnen, daß der Bundestag seine großen Sorgen hat.
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Aber wenn wir dieses „große" Interesse hier feststellen, dann glauben wir, daß die großen Sorgen unserer Hunderttausenden von Menschen hier als kleine Sorgen betrachtet werden. Ich weiß nicht, ob dieser Antrag, die westliche Oberpfalz zu sanieren, genügt, um eine echte Sanierung vorzunehmen. Wir haben uns in der letzten Zeit wiederholt mit derartigen Anträgen beschäftigt. Ich frage alle diejenigen, die in Notstandsgebieten wohnen: Was haben diese Gebiete denn letzten Endes für einen Erfolg und für einen Nutzen aus all unseren Diskussionen und Mühewaltungen gezogen? - Wir haben doch Rundreisen gemacht, wir haben Beobachtungen angestellt, haben Pläne angefertigt, wie und mit welchen Mitteln wir denn diesen Notständen zu Leibe gehen sollen. Bis heute sind die Hilfsmaßnahmen, die erfolgt sind, nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein geworden. Es zischt nicht einmal. Aber dieses Elend in diesen Gebieten schreit so sehr! Wenn ich Sie, meine sehr verehrten Anwesenden, in diese Gebiete hineinführen könnte, dann würden Sie feststellen, daß weite Gebiete - Zehntausende von Menschen - nicht einmal einen Brunnen haben, geschweige denn fließendes Wasser. Sie müssen dort für Mensch und Tier, für Wald und Feld ihr Wasser meilenweit in Gefäßwagen herbeiholen und dergleichen. Alle diese Dinge müßten doch nun endlich einer Lösung zugeführt werden.
Schauen Sie, dieser Antrag, der nichts weiter verlangt als das, was wir schon seit Jahren verlangen, ist doch nichts mehr als eine Anklage gegen die Regierung, die es unterläßt, echte wirtschaftspolitische Maßnahmen zu vollziehen. Wir haben festzustellen, daß ein Gebiet des Reiches, das sich in der glücklichen Lage befindet, inmitten der Rohstoffe zu sein, Arbeitskräfte-Mangel zu besitzen, also damit ein reiches Gebiet zu sein, noch reicher gemacht wird; und auf der anderen Seite besteht und entsteht ein wirtschaftliches Wüstengebiet, in dem die Menschen zur Verzweiflung getrieben werden.
Meine Damen und Herren! Wenn ich von Verzweiflung rede, dann glauben Sie nicht, daß ich übertreibe. Betrachten wir, um Ihnen einen kleinen Ausschnitt dieses Notstandsgebietes zu geben - das ist ja nun allgemach ein verbrauchtes Wort geworden, aber ich möchte es trotzdem anwenden -,
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die Hauptstadt dieses wirtschaftlichen Wüstengebietes, die trotz des Hebesatzes von 300 bis 390 % Gewerbesteuer den niedrigsten Steueraufkommensatz hat. Wir sehen, daß das Steueraufkommen der Stadt Regensburg mit 49,13 % weit unter dem Bundesdurchschnitt von 72 % liegt, ganz zu schweigen von den anderen Gebieten, die wirtschaftlich in der glücklichen Lage sind, die Mittel hereinzubekommen, um ihre lokalen, gemeindlichen und regionalen Bedürfnisse zu befriedigen.
Angesichts dieser Tatsache müßte es doch eine zwingende Notwendigkeit sein, daß neben den so leichthin behandelten Anträgen und der stupiden Erklärung des Finanzministeriums, es sei kein Geld vorhanden, nun endlich einmal das getan wird, was der vorliegende Antrag eigentlich will. Unser Antrag will, daß die Regierung einmal feststellt, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um eine Sanierung dieses Notstandsgebietes zu erreichen. Wir kommen nicht weiter mit Einzel({2})
anträgen und einzelgebietlichen, regionalen Hilfsmaßnahmen. Was helfen kann, sind wirtschaftspolitische Planmaßnahmen, die eine Hilfe für diese Gebiete bringen, damit die wirtschaftlichen Wüstengebiete nun einer besseren Zukunft entgegengeführt und die dort lebenden Menschen hoffnungsfreudiger werden.
Ich bitte Sie, den vorliegenden Antrag noch dahingehend zu erweitern, daß auch der Landkreis Burglengenfeld einbezogen wird.
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- Der ist mit einbezogen; ich danke dafür.
Aber der eigentlich weitestgehende Antrag müßte sein, daß alle die bisher als Notstandsgebiete deklarierten Gebiete in dieses große Überprüfungswerk mit hereingenommen werden, damit das entsteht, was ich eben ausgeführt habe, nämlich ein großes Hilfswerk zum Wohle dieser wirtschaftspolitischen Wüstengebiete.
Das Wort hat der Abgeordnete Zawadil.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist bedauerlich, daß dieser Antrag in so vorgerückter Stunde zur Behandlung steht, um so mehr, als - wie es auch schon früher oft der Fall war - um diese Zeit die Presse bereits Ladenschluß gemacht hat.
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- Aber sie kann zumindest draußen bekanntgeben, daß sich der Bundestag ernsthaft mit diesen Problemen befaßt. Das erfährt die Öffentlichkeit meist nicht oder nur zum geringen Teil.
Es ist hier schon von kompetenter Seite gesagt worden, um was es sich bei dem Antrag handelt. Ich halte ihn nicht für einen Agitationsantrag, sondern ich halte ihn für einen sehr wesentlichen Bestandteil jener Bemühungen, dort zu helfen, wo es am notwendigsten ist.
Das nordostbayrische Gebiet ist seit Jahrzehnten vom Land Bayern vernachlässigt worden
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und wird auch heute leider Gottes noch - weniger
vom Bund als vom Land Bayern - vernachlässigt.
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- Das ist eine bedauerliche Tatsache, Herr Kollege Müller. Ich habe schon früher einmal bei einer Gelegenheit darauf hingewiesen, daß Bayern selbst in München einen Zentralismus betreibt und daß alles, was nördlich oder nordostwärts der Donau liegt, sehr stiefmütterlich behandelt wird, obzwar man z. B. Oberfranken als das bayerische Ruhrgebiet bezeichnen kann. Ich könnte vom Standpunkte Oberfrankens fast genau dasselbe klagen, wie Herr Kollege Kahn und Genossen in bezug auf die Oberpfalz. Ich will daher allen Ernstes die Kollegen aus Bayern bitten, ihren Einfluß bei der bayerischen Regierung dahin geltend zu machen, daß Bundesmittel, die nach Bayern fließen, auch in dem Sinne der Zweckgebundenheit, wie sie Bonn vorsieht, Verwendung finden. Es geht nicht an, daß Mittel für Straßenbauten, die für Nordbayern vorgesehen sind, in München abgezweigt werden für Straßenbauten in Gegenden, wo Feldwege nicht so schlecht sind wie Bundesstraßen in Nord- und Ostbayern.
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Ich kann Ihnen solche Straßenstücke nennen, meine Damen und Herren! Ich befahre sie jedes Wochenende. Es sind bloß 8 km; aber ich glaube - und ich gehe darauf jede Wette ein -, daß nirgends in Westdeutschland Teile einer Bundesstraße einen derartigen Zustand aufweisen wie gerade diese 8 km der Bundesstraße 22. Es dürfte nicht möglich sein, daß die zweckgebundenen Gelder, die jedes Jahr vom Bundesverkehrsministerium zur Verfügung gestellt werden, eine andere Verwendung finden als zur Reparatur und zur Herstellung dieser Straße.
Daß dieses Thema immer zum Schluß einer Tagesordnung behandelt wird, ist kein Fehler des Ältestenrats. Es liegt daran, daß immer nur Teilausschnitte der Grenzland- und Notstandsprobleme zur Erörterung gelangen und infolgedessen an den Schluß der Tagesordnungen rutschen. Es fehlt bisher der Wille, eine große und einheitliche Planung herbeizuführen, und es fehlt als Voraussetzung dafür meiner Ansicht nach eine Systematik und eine Planmäßigkeit in der Bewältigung dieser Probleme. Die Aufgeschlossenheit der Bundesregierung gegenüber den Grenzland- und Notstandsproblemen ist keineswegs zu leugnen. Aber es wird meist erst dann eingegriffen, wenn der Brand bereits Schäden angerichtet hat. Die Behandlung von Notstands- und Grenzlandproblemen darf nicht wie bisher auch weiterhin den Charakter der Improvisation haben. Wir hören hier „Notstandsgebiete erhöhten Grades", - eine Terminologie, die auch wieder neu ist.
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Ich glaube, daß wir uns werden ernstlich damit befassen müssen und dann auch erkennen werden, daß es einen Unterschied zwischen Grenzlandproblemen und Notstandsproblemen gibt. Bisher werden beide Begriffe allzuoft verwechselt. Man ist der Auffassung, daß überall dort, wo Grenzland ist, auch Notstand herrscht oder Notstand nur dort sein kann, wo Grenzland ist. Ich kann mir vorstellen, daß im binnendeutschen, ja sogar im westdeutschen Raum Gebiete zu Notstandsgebieten erklärt werden können. Jedenfalls muß nicht jedes Grenzgebiet unbedingt Notstandsgebiet sein. Es wird daher notwendig sein, daß sich einmal der Grenzlandausschuß mit dieser Frage befaßt und die Gebiete der westdeutschen Bundesrepublik in eine gewisse Einteilung bringt nach a) Grenzlandgebieten, wobei zu unterscheiden sein wird, daß es Grenzlandgebiete entlang des Eisernen Vorhangs und sonstige Grenzlandgebiete gibt, deren Problematik ganz anders gelagert ist, b) Notstandsgebieten, die nicht unbedingt identisch mit Grenzland sein müssen, und c) Gebieten, bei denen beide Faktoren zusammenspielen. Für jede dieser Kategorien müßte ein klares Sanierungs-. und Förderungsprogramm aufgestellt werden. Auch der Begriff „Not" müßte in diesem Zusammenhang definiert und einer Klärung zugeführt werden.
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Wenn ich an die Grenzgebiete Bayerns denke, so meine ich, daß dort, sofern nicht der eindeutige Notstand mitspielt, vor allem alle jene Faktoren zu fördern sind, die dazu dienen, einerseits die Abwehr der Bewohner dieser Grenzgebiete gegen negative Einflüsse aus dem Osten zu stärken und andererseits Brücken zu schlagen zu Gleichgesinnten jenseits des Eisernen Vorhangs, um diejenigen zu stärken, die im erbitterten Kampf um die Erhaltung ihrer Substanz stehen. Die Schaffung wirtschaftlicher Konsolidierung entlang des
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Eisernen Vorhangs, um so mehr, wenn es sich gleichzeitig um Notstandsgebiete handelt, scheint ' mir wirkungsvoller und daher wichtiger zu sein als manche der bisherigen Bemühungen; ich denke da an Aufklärungsschriften und Plakate. Ich halte solches für nicht so wirkungsvoll wie die Notwendigkeit, daß in erster Linie die Not der Grenzlandbevölkerung materiell und sozial gebannt wird. Denn was nützen Aufklärungsschriften über die Verhältnisse in der Sowjetzone, wenn die Not unsere eigenen Grenzbewohner zur Abwanderung nach dem Westen zwingt, wenn Handel und Gewerbe zum Erliegen kommen, kurz, wenn die Menschen sich im Stich gelassen fühlen? Die politischen und materiellen Auswirkungen einer vernachlässigten Grenze, eines vernachlässigten Notstandsgebietes untergraben letzten Endes auch die augenblicklich im großen und ganzen günstige Entwicklung der binnen- und westdeutschen Wirtschaft und ziehen diese auf die Dauer gesehen in Mitleidenschaft.
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Herr Abgeordneter Kahn wünscht noch das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte meinen Antrag, den ich formuliert habe, noch erweitern dahingehend, daß die Materie, die Inhalt meines Vortrags und der Ausführungen der drei Kollegen Dr. Meitinger, Dr. Zawadil und Höhne war, auch noch dem Unterausschuß des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen zur Mitberatung überwiesen wird.
({0})
Ich habe von verschiedenen Kollegen erfahren, daß im Gesamtdeutschen Ausschuß ein Unterausschuß gebildet worden ist, der sich speziell mit der Frage der Sanierung der Notstandsgebiete zu befassen hat.
Zusammenfassend darf ich dann noch folgendes sagen. Aus den Ausführungen der verehrten Kollegen, die nach mir sprachen, und aus meiner Darstellung der Verhältnisse nicht nur in den angeführten Stadt- und Landkreisen, sondern in der ganzen Oberpfalz haben wir doch einhellig erfahren, daß es sich um einen wirtschaftlichen Notstand handelt, um ein Gebiet - das muß ich. sagen -, das leider auch im 19. Jahrhundert von München aus wirtschaftlich nicht so befruchtet wurde, wie es wünschenswert gewesen wäre.
({1}) Das darf ich als Bayer und auch als Föderalist feststellen.
Und noch ein Satz sei hier angefügt. Die wirtschaftliche Lage in der Oberpfalz, die heute so schwierig ist, ist aber auch mitbedingt durch die wirtschaftliche und politische Abschnürung gegenüber der früheren Tschechoslowakei. Denn mit dem wirtschaftlichen Notstand ist auch, wie ich schon aufgezeigt habe, der politische Notstand verbunden, und diese beiden Notstände, die vorhanden sind, ergeben die Tragik dieses Gebietes, wie es die drei Kollegen, die nach mir sprachen, in diesem Hause schon geschildert haben.
({2})
Herr Abgeordneter Meitinger, Ihre Redezeit war bereits vorhin verbraucht. Ich kann Ihnen das Wort nicht mehr geben. Herr Abgeordneter Kahn gehört nicht der Bundesregierung an; also wird durch seine Ausführungen keine' neue Redezeit in Lauf gesetzt.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Besprechung.
Es ist beantragt worden, den Antrag der Herren Abgeordneten Kahn und Genossen dem Haushaltsausschuß als federführendem Ausschuß, ferner dem Grenzlandausschuß und der Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen zu überweisen. Ich darf annehmen, daß Sie damit einverstanden sind. - Die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der FU ({1}) betreffend Bonus bei KraftfahrzeugVersicherungen ({2}).
Herr Abgeordneter Dr.-Ing. Decker will den Antrag kurz begründen.
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Dr.-Ing. Decker ({4}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich sehr kurz fassen und möchte Sie bitten, das, was ich jetzt nicht sage, zugunsten des Antrags zu bewerten. Diese Dinge lassen sich ja auch alle im Ausschuß noch behandeln. Wir möchten mit dem Antrag erreichen, daß nicht auch in Zukunft der sorgsame Fahrer den Rowdy auf der Sraße finanzieren muß. Das würde auch dazu beitragen, die immer steigende Unfallhäufigkeit auf der Straße etwas zu verringern. Wie das gemacht werden soll, muß in den Einzelheiten im Ausschuß beraten werden.
Wir bitten 'Sie, den Antrag dem Ausschuß zu überweisen.
Wortmeldungen liegen nicht vor. ({0}) - Bitte schön, Herr Abgeordneter, im Rahmen einer Redezeit von 40 Minuten, wie sie der Ältestenrat vorschlägt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Hinblick auf die fortgeschrittene Zeit will ich mich auch sehr kurz fassen. Der Antrag der Föderalistischen Union beabsichtigt, vorsichtig und anständig fahrende Kraftwagenbesitzer mit einem Bonus auszuzeichnen, andererseits Kraftfahrzeugbesitzer, die wiederholt Unfälle verursacht und damit das Risiko der Versicherungen ins Unermeßliche steigern, durch höhere Tarife stärker zu belasten. Die Absicht dieses Antrages ist gut gemeint; die Durchführung wird nicht ganz einfach sein. Trotzdem wird man nicht umhinkönnen, diesen Antrag im Ausschuß sorgfältig zu beraten und einen Weg zu. suchen, der das leidige Problem der wiederkehrenden Prämienerhöhungen sozial zu parieren in der Lage ist.
Welche Bedeutung dieser Antrag im Fall seiner Annahme und des Findens einer gerechten Lösung bekommen kann, erkennt man, wenn man sich die neuesten Zahlen der Straßenverkehrsunfälle des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden vor Augen führt. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich Ihnen die wichtigsten Zahlen nahebringen, weil sie der beste Beweis dafür sind, wie angebracht der Antrag ist.
Im zweiten Vierteljahr 1952 haben sich im Bundesgebiet 92 914 Straßenverkehrsunfälle ereignet, d. h. um 16 % mehr als im zweiten Vierteljahr 1951. Die Unfallbeteiligung nahm bei den Personenkraftwagen - ohne Kraftdroschken und Kiaftomnibusse
({0})
gerechnet - um 20 vom Hundert, bei Krafträdern um 35 vom Hundert zu. Demgegenüber erhöhte sich die Unfallbeteiligung der Miet- und Lastkraftwagen mit Anhängern nur um 1,9 %. Unter den Unfallursachen - und das ist das Entscheidendste - haben sich die Fälle des Nichtbeachtens der Vorfahrt um 16,9 % erhöht, des falschen Einbiegens um 23,3 %, des falschen Überholens und Vorbeifahrens um 20% und des übermäßig schnellen Fahrens um 37,9 %. Das bedeutet also, daß alle bisherigen Bemühungen des Bundesverkehrsministeriums durch seine Aufrufe, daß alle Verkehrsschulung, daß alle Mahnungen von Behörden und Presse anscheinend völlig zwecklos sind. Muß da der Gesetzgeber nicht auf den Gedanken kommen, kein Mittel unversucht zu lassen, das Aussicht bietet, der Raserei ein wirksames Gegenmittel entgegenzustellen? Ist nicht im Hinblick auf diese Zahlen die Annahme berechtigt, daß alle diese Verkehrssünder dann am ersten zum Nachdenken und zur Vernunft gebracht werden können, wenn sie finanziell stärker zur Tragung des Risikos herangezogen werden? Ist diese Zwangssolidarität aus moralischen Gründen abzulehnen? Ich glaube nicht, wenn einerseits der Bonus sorgfältig im voraus festgesetzt wird und andererseits das Risiko, das diese rasenden Motorrad- und Autofahrer von Jahr zu Jahr steigern, entsprechend durch zusätzliche Belastungen pariert werden kann.
Meine Fraktion ist der Ansicht, daß dieser Antrag im Ausschuß sorgfältig geprüft werden soll, wie derselbe insbesondere auch als Erziehungsmittel für fahrlässige Autoraser heilsame Wirkung erzielen kann. Ich stelle deshalb den Antrag, den Antrag Drucksache Nr. 3518 dem Ausschuß für Wirtschaft und dem Ausschuß für Verkehr zur Beratung zu überweisen.
Das gleiche wollte ich Ihnen vorschlagen: an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Verkehrswesen zur Mitberatung. Sind Sie einverstanden? - Die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf - im Zuge der Erörterung bayerischer Fragen -:
Beratung der Berichte des Ausschusses für
Verkehrswesen ({0})
a) über den Antrag der Fraktion der Bayernpartei betreffend Bau der Zellertalbahn ({1});
b) über den Antrag der Abgeordneten Volkholz, Donhauser, Dr. Seelos und Fraktion der Bayernpartei betreffend Geplante Einstellung der Lokalbahn Passau-Wegscheid auf der Strecke Obernzell-Wegscheid ({2});
c) über die Anträge der Abgeordneten Dr. Etzel, Dr. Seelos und Fraktion der Bayernpartei betreffend Bau einer Autobahn und der Abgeordneten Dr. Baumgartner, Dr. Etzel, Dr. Seelos und Fraktion der Bayernpartei betreffend Ausbau und Instandsetzung des Straßennetzes in Bayern ({3});
d) über den Antrag der Abgeordneten Stücklen, Strauß, Dr. Solleder, Bodensteiner und Genossen betreffend Straßenbauten in Bayern ({4}).
Zu den ersten beiden Punkten ist Herr Abgeordneter Hoffmann ({5}) Berichterstatter. Ich
bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Dr. Hoffmann ({6}) ({7}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag auf Drucksache Nr. 440 betreffend Bau der Zellertalbahn ist schon in der 33. Sitzung am 1. Februar 1950 dem Verkehrsausschuß überwiesen worden. Es läßt sich also nicht bestreiten, daß zwischen der ersten und zweiten Beratung sehr viel Zeit verstrichen ist. Der Verkehrsausschuß ist aber der Auffassung, daß dieser Zeitverlust durch die besonderen Umstände zu rechtfertigen ist. Die Frage ist seinerzeit im Anschluß an die Überweisung sofort in einem Unterausschuß des Verkehrsausschusses behandelt worden, und der Verkehrsausschuß hat daraufhin schon am 10. Mai 1950 beabsichtigt gehabt, Ihnen die Ablehnung des Antrages vorzuschlagen, weil sich ergeben hat, daß der Bau einer solchen Bahn keinerlei Rentabilität ergeben würde und daß die Bahn auf lange Zeit hinaus durch den Bund hätte subventioniert werden müssen. Man hat damals die Berichterstattung lediglich deshalb zurückgestellt, weil beabsichtigt war, zu veranlassen, daß die Möglichkeit der Verbesserung der Straßenverhältnisse in dem betreffenden Bezirk anstelle des Baues dieser sicherlich unrentablen Bahn geprüft würde.
Nun handelt es sich aber bei dieser Straße um eine Landesstraße, und die Prüfung der Frage ablag daher dem Lande Bayern. Offenbar ist die Prüfung dieser Frage auch inzwischen noch nicht abgeschlossen worden. Eine weitere Zurückstellung hielt aber der Verkehrsausschuß schon deshalb nicht für zweckmäßig, weil inzwischen durch das Bundesbahngesetz die Zuständigkeit für die Frage des Baues einer Bahn auf die Organe der Bundesbahn übergegangen ist, so daß also ohnehin nicht mehr die Möglichkeit besteht, in einem Antrag die Bundesregierung zu beauftragen, den Bahnbau zu veranlassen.
Ich habe Ihnen daher im Namen des Verkehrsausschusses entsprechend der Drucksache Nr. 3485 vorzuschlagen, den Antrag abzulehnen.
Ich darf gleich über den nächsten Antrag berichten, den Antrag auf Drucksache Nr. 1087, der in der 73. Sitzung am 12. Juli 1950 dem Verkehrsausschuß überwiesen wurde. Der Bundesminister für Verkehr hat dem Ausschuß gegenüber zweimal, nämlich am 7. Juli 1950 und am 26. August 1950, Stellung genommen und mitgeteilt, daß er eine Untersuchung durch die Bundesbahn veranlaßt hat. Die Ermittlungen scheinen auch heute noch nicht abgeschlossen zu sein. Es ist dem Verkehrsausschuß mitgeteilt worden, daß in erster Linie geprüft werden soll, ob nicht auf einer Teilstrecke dieser Bahn ein Ersatz durch Schienenomnibusse in Frage kommt. Jedenfalls steht aber fest, daß die seinerzeit befürchtete Stillegung der Bahn nicht eingetreten ist,
Im übrigen ist auch hier nach der Verabschiedung des Bundesbahngesetzes nunmehr die Zuständigkeit der Bundesbahn gegeben. Mit der Frage müßten also die Organe der Bundesbahn befaßt werden, die allein darüber beschließen könnten, ob und in welchem Umfang etwa eine Stillegung in Frage käme. 'Einem etwaigen Stillegungsbeschluß müßte außerdem nach § 14 Abs. 4 d des Bundesbahngesetzes der Bundesminister für Verkehr seine Zustimmung geben.
Unter diesen Umständen schlägt Ihnen der Verkehrsausschuß vor, zu beschließen, gemäß Drucksache Nr. 3488 den Antrag für erledigt zu erklären.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Der Berichterstatter für die beiden Punkte c) und d), Herr Abgeordneter Günther, ist erkrankt. Darf ich fragen, ob das Haus auf eine Berichterstattung verzichtet?
({0})
- Das ist der Fall.
Die Berichterstattung ist erfolgt. Wird das Wort gewünscht?
({1})
- Herr Abgeordneter Volkholz hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, den Antrag der Bayernpartei betreffs Bau der Zellertalbahn nicht abzulehnen. Ich glaube nicht, daß es richtig ist, dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen, nachdem der Bau der Zellertalbahn bereits durch einen früheren Reichstag genehmigt worden ist. Der Antrag wurde deshalb von uns eingereicht, weil der frühere Verkehrsminister von Bayern Herr Dr. Helmerich an uns herangetreten ist, doch endlich den Gedanken der Zellertalbahn wieder auf zu-frischen und erneut einzubringen. Er hat uns auch darauf aufmerksam gemacht, daß diese Bahn sich rentieren wird, da sie ja nicht eine Bahn ist, die. irgendwo endigt, sondern den Zweck hat, ein bereits bestehendes Bahnnetz weiter zu erschließen und einen Anschluß an ein größeres Bahnnetz sicherzustellen.
Wir bitten Sie deshalb, dem Antrag des Ausschusses nicht zuzustimmen, sondern den Antrag an den Ausschuß zurückzuverweisen, damit die damaligen Unterlagen des Reichstags ebenfalls beraten werden können. Denn in der Zwischenzeit hat sich die Lage dieses Gebietes nicht geändert. Es ist noch keine Straße gebaut, und es haben sich bereits verschiedene Gefahren ergeben, da gewisse Industrien in Erwägung gezogen haben, wenn diese Bahn nicht gebaut wird, ihre Betriebe an andere Orte zu verlagern, die verkehrstechnisch günstiger liegen.
Aus diesem Grunde bitte ich Sie, dem Antrag meiner Fraktion zuzustimmen und den Antrag der Bayernpartei Drucksache Nr. 440 an den Ausschuß für Verkehrswesen zurückzuverweisen.
Der Herr Berichterstatter wünscht noch einmal das Wort.
Dr. Hoffmann ({0}) ({1}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Ich glaube, bei Herrn Abgeordneten Volkholz liegt ein Mißverständnis vor. Wenn der Verkehrsausschuß vorschlägt, diesen Antrag abzulehnen, dann empfehlen wir Ihnen damit nicht, den Bau der Zellertalbahn abzulehnen, sondern nur den Antrag, der beinhaltete, die Bundesregierung zu beauftragen, das und das zu tun; und zwar deshalb, weil die Zuständigkeit der Bundesregierung eben nicht mehr gegeben ist. Diese Frage gehört nach Inkrafttreten des Bundesbahngesetzes zur Zuständigkeit der Organe der Bundesbahn. Aus diesem Grunde kann gar nicht anders verfahren werden, als daß der Antrag abgelehnt wird.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Höhne.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sollten die Dinge nicht so einfach nehmen, indem wir der Regierung Material überweisen; denn die Regierung weiß ja nicht mehr die Schreibtische und die Regale aufzutreiben, wo sie, die von uns gebilligten und als Material überwiesenen Anträge unterbringen kann.
({0})
Herr Abgeordneter, zu welchem Antrag sprechen Sie?
Zu den hier vorliegenden Anträgen, -
Ja, als Material soll nur eine r überwiesen werden!
Bau einer Autobahn und Ausbau und Instandsetzung des Straßennetzes in Bayern. Ich möchte beantragen, daß die vier hier vorliegenden Anträge dem Antrag betreffend Sanierung der westlichen Oberpfalz angegliedert und als großes wirtschaftskonzeptionelles Programm behandelt werden. Es geht nicht an, daß wir einfach über diese Dinge hinweggehen. Wir legen Wert darauf, daß endlich einmal von der Regierungsseite und auch von uns aus etwas Entscheidendes erfolgt. Deshalb bitten wir Sie, die vier Anträge mit dem Antrag betreffend die Sanierung der westlichen Oberpfalz, Drucksache Nr. 3513, zu verbinden und diesen gesamten Wirtschaftskomplex dem Ausschuß zurückzuüberweisen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung.
Es liegt zunächst der Antrag des Abgeordneten Höhne vor, sämtliche vier Anträge dem Haushaltsausschuß, dem Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen und dem Grenzlandausschuß, denen wir die übrigen Anträge überwiesen haben, zu überweisen. Ich bitte die Damen und Herren, die für diese Überweisung sind, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ich halte das zweite für die Mehrheit.
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- Wie bitte?
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- Meine Damen und Herren, da Sie einer anderen Meinung sind, bitte ich Sie, diese Frage im Wege des Hammelsprungs zu erledigen. Wer für die Überweisung der vier Anträge an die Ausschüsse ist, denen der Antrag bezüglich Sanierung der westlichen Oberpfalz überwiesen ist, geht durch die Ja-Tür. Ich bitte die Damen und Herren, den Saal zu verlassen.
({2})
Ich bitte, den Saal möglichst schnell zu räumen. Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
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Ich bitte, die Abstimmung zu beschleunigen. - Ich bitte, die Abstimmung zu schließen. Ich bitte, die Türen zu schließen.
Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Mit Ja haben gestimmt 105, mit Nein 49 Abgeordnete, bei einer Enthaltung. Der Bundestag ist nicht beschlußfähig.
Ich berufe die 229. Sitzung auf morgen, den 11. September, 13 Uhr 30. Dann wird die Abstimmung wiederholt.
Ich schließe die 228. Sitzung.