Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 222. Sitzung des Deutschen Bundestages zur Fortsetzung der gestrigen Tagesordnung.
Ich bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Müller ({0}), Schriftführer: Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Dr. Becker ({1}) und Paul ({2}).
Ich danke schön.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 3. Juli 1952 die Kleine Anfrage Nr. 283 der Fraktion der SPD betreffend Ratifikation von Konventionen ({0}) beantwortet. Die Antwort wird als Drucksache Nr. 3590 verteilt.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, die Vorlagen betreffend die verschiedenen Punkte des Lastenausgleichs, die von gestern übernommen worden sind, an das Ende der heutigen Tagesordnung zu stellen. - Das Haus ist damit einverstanden.
Wir fahren in der gestern unterbrochenen Aussprache fort:
a) Fortsetzung der ersten Beratung der Entwürfe
1. eines Gesetzes betreffend den Vertrag I vom 26. Mai 1952 über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten mit den Zusatzverträgen,
2. eines Gesetzes betreffend das Abkommen vom 26. Mai 1952 über die steuerliche Behandlung der Streitkräfte und ihrer Mitglieder ({1});
b) Fortsetzung der ersten Beratung der Entwürfe
1. eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 27. Mai 1952 über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und betreffend den Vertrag vom 27. Mai 1952 zwischen dem Vereinigten Königreich und den Mitgliedstaaten der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft,
2. eines Gesetzes betreffend das Abkommen vom 27. Mai 1952 über die Rechtsstellung der Europäischen Verteidigungsstreitkräfte und über das Zoll- und Steuerwesen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ({2});
c) Fortsetzung der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen ({3}).
Zu dem gestern abend zum Schluß angeschnittenen Thema der Finanzen hat das Wort der Abgeordnete Pelster von der Fraktion der ChristlichDemokratischen Union.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Finanzminister hat gestern zur Frage der Finanzlasten bereits das Notwendige gesagt. In Ergänzung dessen möchte ich aber darauf aufmerksam machen, daß es mir und allen anderen Mitgliedern des Finanzausschusses, die mit diesen Fragen hauptsächlich zu tun haben, wie auch allen Mitgliedern dieses Hohen Hauses nicht angenehm ist, wenn durch den Schmuggel so ungeheure Summen den Finanzen des Bundes entzogen werden. Wir wissen darum, daß auch von den Besatzungstruppen der Schmuggel gefördert wird. Ich möchte aber sagen, daß es nicht richtig ist, allein diesen die Schuld zuzumessen; gut wäre es auch, wenn unser Volk sich im Kauf dieser Schmuggelwaren von Angehörigen der Besatzungstruppen etwas zurückhielte. Das könnte auch dazu beitragen, diese Schäden, die der deutschen Volkswirtschaft erwachsen, wesentlich zu mildern.
Zum andern werden wir es nie erreichen, der Arbeitslosigkeit ganz Herr zu werden. Wir sehen aber auch das Problem, das zur Beratung vor uns steht, nicht allein unter dem Gesichtspunkt, daß dadurch die Arbeitslosigkeit wesentlich gemildert werden könnte. Es ist richtig, daß ein Teil junger Menschen unter Umständen einberufen wird. Es ist auch richtig, daß dafür andere in die Arbeitsplätze einrücken. Aber eines wird auch richtig sein und von niemandem bestritten werden: solange der Zustrom aus der Ostzone, hervorgerufen durch den Druck der Unfreiheit, hervorgerufen durch die Gefahr für Leib und Leben, anhält, werden wir niemals in der Lage sein, mit dem Problem der Arbeitslosigkeit in der Hauptsache fertigzuwerden.
({0})
Wenn ich zu der Frage der Finanzen Stellung nehme, so möchte ich sagen, daß das ganze Vertragswerk nach unserer Meinung immerhin ein Schritt zur Besserung ist, daß es ein Schritt ist auf dem Wege unseres Volkes zur vollen Freiheit und Selbständigkeit, ein Meilenstein auch auf dem Wege zur Befriedung Europas und zur Sicherung des Weltfriedens. Das Vertragswerk fordert Opfer, das ist auch uns bekannt, und diese Opfer - das sage ich ganz offen - machen auch uns Sorgen und haben dem Finanzminister schwere Sorgen gemacht. Wir wissen, daß das deutsche Volk schwerer belastet ist als andere Völker. Wir tragen ungeheuer an den Lasten zweier verlorener Kriege. Der Finanzminister hat schon zum Ausdruck gebracht, daß die deutsche Steuerlast die schwerste Steuerlast ist, die je von einem Volk getragen wird. Der Bundesfinanzminister hat auch dargetan, wie hart das Ringen gewesen ist, um den Besatzungskostenbeitrag möglichst tragbar zu gestalten, auf eine niedrige Ebene herunterzudrücken. Ich weise hin auf die große Rede, die er im Zusammenhang mit dem Finanzausgleich gehalten und in der er - am 20. März 1952 - überzeugend dargetan hat, daß alles, alles geschehen ist, um die Dinge so weit zu steuern, daß die Belastung für das deutsche Volk tragbar geblieben ist. Auch in seiner gestrigen Rede hat er das wiederum überzeugend dargetan. Mit dem Finanzminister sind auch wir besorgt und bestrebt, keine Rückwirkungen eintreten zu lassen, wie sie vielfach in der Öffentlichkeit herausgestellt worden sind. Wir sind der Meinung, daß diese Belastung, die wir für die Sicherheit des Friedens, für die Sicherheit unseres Volkes auf uns nehmen müssen, nicht zu einer Rückwirkung auf die sozialen Verpflichtungen der Bundesrepublik führen darf. Wir müssen hier unsere Pflicht tun, und wir haben sie getan.
In diesem Zusammenhang ist es gut, einmal ein Wort über diese Dinge zu sagen. Die sozialen Verpflichtungen sind seit 1949 ständig in starkem Maße gestiegen; sie sind auch im letzten Etat wiederum mit über 500 Millionen DM höher angesetzt, weil wir nach der Seite hin eine stärkere Belastung tragen müssen, um der grimmigsten Not dieser Opfer des Krieges wenigstens zu steuern. Es ist vielleicht gut, darauf hinzuweisen, daß wir 1938 nach der Seite der sozialen Belastung bloß 71/, Milliarden Mark zu tragen hatten und 1951 allein an sozialer Belastung 17,8 Milliarden DM aufzubringen hatten.
Ich will es mir versagen, noch im einzelnen auf diese Dinge einzugehen. Wir wissen, es ist eine Ehrenpflicht für uns, die Opfer des Krieges im weitesten Sinne auch weiterhin zu versorgen, ihnen beizustehen. Die dem deutschen Volk aus dem zur Beratung anstehenden großen Vertragswerk erwachsenden finanziellen Belastungen dürfen - das sage ich nochmals - nicht zu einer Verminderung der sozialen Fürsorge führen. Es muß unsere Sorge sein, auch die Herabdrückung des Lebensstandards hintanzuhalten. Bisher ist uns das gelungen, ist es uns auch gelungen, den Lebensstandard zu erhöhen, zu verbessern gegenüber dem, was vorher war.
Wir wollen auch eines: ehrlich prüfen, was mit diesen Verträgen verbunden ist. Wir müssen es ablehnen, diese Prüfung auf der Ebene des Schlagworts durchzuführen. Wenn man heute morgen zum Bundeshaus ging, dann konnte man auf allen Straßen diese kleinen Zettel finden: „Generalvertrag ist Generalverrat - Deutsche fordern Friedensvertrag!" Es liegt ja nicht allein bei uns, daß der Friedensvertrag uns gewährt wird. Wir wollen die Frage auch nicht auf der Basis der Drohung lösen, wie sie vielleicht den meisten Mitgliedern dieses Hohen Hauses in den letzten Tagen zugegangen ist:
Die Unterzeichnung des Generalvertrags ist der größte Verrat, den je die Weltgeschichte gesehen hat, und wird einmal für die Verantwortlichen, die diesen unterschrieben haben, die schrecklichsten, die allerschwersten Folgen haben, zumal 90 % des deutschen Volkes diesen Vertrag ablehnen.
({1})
Hier verbindet man zugleich eine Drohung ({2})
für diejenigen damit, die aus ehrlichster Sorge vor ihrem Gewissen bestehen wollen und nun alles tun, um dem deutschen Volke den besten Weg in die Freiheit zu öffnen.
({3})
Gestern ist mehr als einmal zum Ausdruck gebracht worden, daß ein anderer Weg aufgezeigt werden möge. Wir hörten das Schlagwort: „Das, was wir verteidigen sollen, muß verteidigenswert sein." Jeder, der unvoreingenommen diese Dinge prüft, muß mit uns der Meinung sein, daß das, was wir bis heute geschaffen haben, was wir durch die gemeinsame harte Arbeit unseres Volkes erreicht und aufgebaut haben, tatsächlich wohl verteidigenswert ist; und wir müssen die Frage mit ja beantworten.
Es ist auch gut, im Zusammenhang mit dem, was in der letzten Zeit gerade in der Öffentlichkeit immer wieder von neuem zum Ausdruck gebracht wird, vor dem ganzen deutschen Volke hier einmal wieder aufzuzeigen, daß es wirklich nach unserer Meinung schon verteidigenswert ist, wenn wir unter den schwersten Umständen unsere Produktion - im Vergleich mit 1936 - von 57 % in der Mitte des Jahres 1948 bis zur Mitte des Jahres 1951 auf 134 % insgesamt - im Durchschnitt gesehen - erhöhen konnten und in den letzten Monaten 137 °/o des Produktionsstandes von 1936 erreicht haben. Ist es denn nicht verteidigenswert, wenn es uns gelungen ist, für das deutsche Volk Arbeit zu schaffen und Absatz zu schaffen durch den Wiedereinbau unseres Volkes und unserer gesamten Wirtschaft in den Welthandel, wenn es uns gelungen ist, unsere Ausfuhr von 206 Millionen im September 1948 auf 1368 Millionen im September 1951 zu steigern? Ist es denn nicht verteidigenswert, daß es uns gelungen ist, im Gebiet der Bundesrepublik 3,7 Millionen Menschen mehr in Arbeit zu bringen, als vor dem Kriege beschäftigt waren? Ist es nicht verteidigenswert, daß wir in den letzten zwei Jahren immerhin noch eineinhalb Millionen Menschen mehr in Arbeit bringen konnten?
({4})
Ist es nicht verteidigenswert, wenn es uns gelungen ist - und das kann auch nicht bestritten werden, dafür haben wir nun die Beweise zu stark in der Hand -, die Kaufkraft unseres Volkes, und zwar der breiten Masse unseres Volkes, von 66 % im Juli 1948 auf 108 - verglichen mit 1938 gleich 100 - zu steigern?
Wenn angesichts dieser unbestreitbaren Tatsachen noch jemand behaupten will, daß all dieses
({5})
nicht verteidigenswert sei, dann haben wir dafür kein Verständnis.
({6})
Wir freuen uns auch, daß der Bundeskanzler gestern Gelegenheit nahm, den ganzen Leidensweg, den unser Volk seit 1945 gegangen ist, einmal aufzuzeigen. Wenn wir an die Verhältnisse denken, die 1945 in den ersten Tagen nach dem Zusammenbruch herrschten, und das Vorwärtsschreiten bis zum heutigen Tage überblicken, dann dürfen wir schon sagen, daß das, was unter den schwersten Umständen staatspolitisch und wirtschaftspolitisch erreicht worden ist, schon wert ist, verteidigt zu werden, und zwar von allen Schichten unseres Volkes ohne Ausnahme.
Aber nicht davon allein ist unsere Entscheidung abhängig. Wir wissen: das große Vertragswerk bringt uns schwere finanzielle Belastungen. Es ist aber daneben die Frage zu stellen: Ist denn die Erhaltung des Friedens und die Sicherung des Friedens kein Opfer wert? Es ist die Frage zu stellen: Ist die Freiheit und die Sicherheit unseres Volkes und Vaterlandes nicht wirklich ein Opfer wert? Ist die Sicherung des Erfolgs gemeinsamer Arbeit des ganzen Volkes wirklich kein Opfer wert? Ist die Verhinderung eines Krieges, der doch ein unvorstellbar Vielfaches auch an finanziellen Opfern, vor allem aber an Blutopfern, fordern würde - ganz abgesehen von den furchtbaren Nöten für unser ganzes Volk, ganz abgesehen von den Zerstörungen, von denen unsere Städte noch Jahrzehnte zeugen werden -, ist all das nicht ein Opfer wert?
Ich sage nochmals: der Schutz von Blut und Leben unserer deutschen Menschen - auch unserer deutschen Menschen - muß uns schon einige hundert Millionen Mark wert sein.
({7})
Ich denke immer noch - das sage ich Ihnen ganz offen - daran, wie ich 1945 bei Cherbourg in der Gefangenschaft saß; hier im Hause sind ja mehrere, die das gleiche Schicksal geteilt haben. Damals hatten wir nur eine Sorge: Was wird in der Heimat sein? Wird das Heim, die Wohnung und alles noch stehen, oder wird alles zerstört sein? Denn die wüstesten Gerüchte liefen um. Werden unsere Lieben noch leben? Damals haben wir gesagt: alles, alles, was ist, kann aufgehoben, kann wieder erreicht werden, wieder aufgebaut werden, nur nicht vor Gräbern stehen müssen!
({8})
Und das wollen wir in Zukunft nicht mehr. Deshalb sagen wir auch: Das ist schon einige hundert Millionen Mark wert.
({9})
Nachdem der Finanzminister gestern in eingehender Weise zu den Dingen Stellung genommen und sie aufgezeigt hat, kann ich mir weitere Ausführungen auf dem Gebiet ersparen. Nur auf eines möchte ich eingehen.
Von anderer Seite ist dargetan worden, daß die Lasten, die uns Generalvertrag und Verteidigungsvertrag bringen, auch bei der heutigen Lage vom deutschen Volk ohne Erhöhung der Steuern, auch ohne Verminderung des Lebensstandards, getragen werden können. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium hat in einer Sitzung vor kurzer Zeit das ganze Problem eingehend untersucht und dazu auch öffentlich Stellung genommen. Er ist der Meinung, daß der für den laufenden Haushalt des Bundes vorgesehene
Verteidigungsbeitrag bei einer Mehrbelastung in der Größenordnung von zwei Milliarden gegenüber den bisherigen Besatzungskosten steuerlich und finanziell tatsächlich ohne Erhöhung der Steuern möglich ist. Das ist das Wesentliche. In diesem Wissenschaftlichen Beirat sind nicht allein Anhänger der Koalition tätig geworden. Das sind Wissenschaftler auch aus anderen Gruppen unseres Volkes, die diese Dinge eingehend geprüft haben. Wir sind einverstanden mit dem Ergebnis der Beratungen dieses Wissenschaftlichen Beirats, wenn er sagt: „Voraussetzung dafür ist freilich, daß der Bedarf der öffentlichen Haushalte - außer den Aufgaben für Verteidigungszwecke - keine Erweiterung und Ausdehnung erfahren darf."
Ich glaube, Sie sind mit mir der Meinung, daß das erste sein muß Sicherheit für unser Leben, Sicherheit für unser Volk. Darüber hinaus muß es unsere Aufgabe sein, die Lebensgrundlagen unserer Wirtschaft sicherzustellen. Das muß - ich betone es nochmals - unsere vornehmste Aufgabe sein. Unterlassen wir dies, dann, dürfen wir sagen, ist sehr, sehr in Frage gestellt, ob das, was wir weiterhin aufbauen wollen, jemals noch für unser deutsches Volk tragend werden kann.
Es ist gefordert worden, daß Engpässe in der Wirtschaft, die notwendig auftreten, wenn wir all das, was heute an Lasten auf uns kommt, tragen wollen, beseitigt werden. Dieses Hohe Haus hat in der Vergangenheit und vor kurzer Zeit noch dazu Stellung genommen und klar zum Ausdruck gebracht, daß es bereit ist, alles zu tun, um diese Engpässe zu beseitigen. Wir wissen auch, daß das manchmal nicht ohne eine gewisse Kreditausweitung möglich ist. Aber auch das haben wir und hat die Regierung in gemeinsamer Arbeit mit der Bank deutscher Länder - den Forderungen dieses Hohen Hauses entsprechend - in der Vergangenheit schon durchexerziert, um dadurch unser Wirtschaftsleben weiter vorwärtszubringen. Keineswegs wollen wir - da stimmen wir mit dem Wissenschaftlichen Beirat überein - eine inflationäre Kreditpolitik im Interesse der Finanzierung allein des Verteidigungsbeitrags. Die Erinnerungen aus der Vergangenheit schrecken da. Wir wissen auch um die Folgen einer solchen Politik und stimmen darin vollkommen mit den Ausführungen und Darlegungen des Wissenschaftlichen Beirats überein. Unsere Aufgabe, die Aufgabe aller vernünftigen Menschen und aller verantwortlichen Stellen in Staat und Wirtschaft muß es sein, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, die im zweiten Teil dieses Gutachtens dargelegt worden sind. Wir sind der Meinung, daß es unser aller Aufgabe sein muß, irgendwelche Aufblähungen, wie wir sie auch aus der Vergangenheit kennen, unter allen Umständen hintanzuhalten, und stimmen hier mit dem Wissenschaftlichen Beirat überein.
({10})
Meine Damen und Herren, darf ich um etwas mehr Ruhe bitten. Es ist heute morgen sehr unruhig im Hause.
Ich kann es mir versagen, die einzelnen Zahlen, die der Herr Bundesfinanzminister besonders in seiner letzten Antwort am Schluß des gestrigen Tages dargelegt hat, dem Hohen Hause hier nochmals vorzutragen.
({0})
({1})
Wir sind der Meinung, daß es unsere Pflicht sein muß, alles daranzusetzen, um das, was wir bisher erreicht haben und was uns genügend verteidigungswert erscheint, jetzt auch zu sichern. Wir müssen alles daransetzen, um eine richtige, eingehende Prüfung durchzuführen. Wir, ein jedes Mitglied dieses Hohen Hauses, sind vor Gott und vor unserem eigenen Gewissen sowie vor unserem ganzen Volke verpflichtet, zu prüfen, welchen Weg wir zu gehen haben. Wir haben auch im Interesse der 18 Millionen Deutschen, unserer Schwestern und Brüder in der Ostzone, die Pflicht, zu prüfen, was wir zu tun haben.
({2})
Ich bin - und sage das ganz offen - im Verein mit meinen politischen Freunden weithin in diesem Hause der Meinung, daß wir auch von der Belastungsseite her ein Ja zu diesen Verträgen sagen können, die uns hier vorgelegt worden sind.
({3})
Es kommt auch darauf an, welcher Geist die Menschen beseelt, die dieses große Vertragswerk durchführen sollen,
({4})
durchführen sollen hier in Deutschland, durchführen sollen bei unseren Vertragspartnern. Wenn alle diese Menschen vom richtigen Geist beseelt sind, wenn sie den Willen zum Ausgleich haben, wenn sie den Geist des Friedens in sich tragen, dann, so meine ich, muß sich das ganze Vertragswerk zum Segen unseres Volkes gestalten. Wir haben diesen guten Willen. Wir haben vorläufig keine Veranlassung, am guten Willen unserer Vertragspartner zu zweifeln. Wenn wir so wie in der Vergangenheit seit 1945 unseren Weg in steter Ruhe, in harter Arbeit weitergehen, dann, meine ich, wird auch dieses Vertragswerk so wie all die anderen Verträge, die wir vorher aus schwerstem Ringen heraus beschlossen und durchgeführt haben, zum Segen unseres Volkes werden. ich selbst habe nur eine Bitte an den Herrgott: Er möge so wie in der Vergangenheit auch in der Zukunft diese unsere Arbeit segnen!
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Strauß von der Fraktion der ChristlichDemokratischen/Christlich-Sozialen Union.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich auf die grundsätzliche Seite und auf einige wesentliche Einzelheiten des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft eingehe, darf ich mich mit einigen Stellen der Rede meines Kollegen Dr. Carlo Schmid befassen. Dr. Schmid hat gestern davon gesprochen, daß schon in Teheran beschlossen worden sei, einen Teil Deutschlands in den Westen und einen anderen Teil in den Osten zu integrieren. Es ist schwer zu begreifen, was Kollege Schmid in diesem Zusammenhang mit dem Worte „integrieren" sagen will. Er will damit offenbar zum Ausdruck bringen, daß man in Teheran eine Art Aufteilung Deutschlands in eine westliche und in eine östliche Interessensphäre der Großmächte beschlossen habe. Diese Behauptung entbehrt, wie ich feststellen muß, jeder nachweisbaren historischen Grundlage. Die Konferenz von Teheran hat sich fast ausschließlich mit konkreten Problemen der Kriegführung befaßt, wie auch aus dem veröffentlichten Kommuniqué der Konferenz hervorgeht.
({0})
Wir wissen aus dem Bericht von Harry Hopkins, veröffentlicht in dem Buch von Robert Sherwood, daß das künftige Schicksal Deutschlands sowohl in den offiziellen Verhandlungen wie in den inoffiziellen Gesprächen in Teheran nur sehr kurz angesprochen worden ist.
Dasselbe gilt für die Behauptungen, die Kollege Schmid im Hinblick auf den Inhalt des Potsdamer Abkommens und die darin enthaltenen territorialen Vorschriften aufgestellt hat. Es ist zutreffend, daß das Potsdamer Abkommen die endgültige Regelung der territorialen Frage dem Friedensvertrag vorbehalten hat. Es ist jedoch nicht zutreffend - und hier muß ein Irrtum des Kollegen Schmid vorliegen -, daß im Potsdamer Abkommen Rußland und Polen die Gebiete östlich der Oder und Neiße zugeschlagen worden seien.
({1})
Richtig ist vielmehr, daß die Konferenz grundsätzlich der sowjetischen Forderung auf Übergabe der Stadt Königsberg und des anliegenden Gebiets an die Sowjetunion zugestimmt hat, und zwar in der Weise, daß der amerikanische Präsident und der britische Premier erklärten, daß sie diesen Vorschlag bei der bevorstehenden Friedensregelung unterstützen würden.
Der Herr Abgeordnete Schmid hat ferner um Aufklärung über den Sinn jener Bestimmungen des Überleitungsvertrags gebeten, in denen bestimmt wird, daß vorläufige Grenzveränderungen nur mit Zustimmung der Drei Mächte vorgenommen werden können. Er hat dabei auf das Saargebiet angespielt und im Zusammenhang mit dieser territorialen Frage erwähnt, daß diese Frage auch ohne die Russen geregelt werden könnte. Darin hat er auch recht. Die Aufklärung aber über die von ihm angezogene Vorschrift bezieht sich auf etwas anderes. Im Westen sind nach 1945 einige vorläufige Grenzveränderungen zuungunsten Deutschlands vorgenommen worden. Die angezogene Bestimmung des Überleitungsvertrags besagt, daß wir nicht gehindert sind, jetzt, nach Inkrafttreten des Vertrags mit diesen Staaten, über eine Korrektur der vorläufigen Grenzveränderungen zu unseren Gunsten zu verhandeln. Damit darf ich auch diesen Punkt richtigstellen.
Ferner hat Kollege Schmid an dem Notstandsrecht des Art. 5 Kritik geübt. Er hat insbesondere angespielt auf das bekannte Urteil des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich aus dem Jahre 1932, durch das die preußische Staatsregierung ihrer Amtsfunktionen enthoben wurde. Es hat jedoch den Anschein, daß er den klaren Wortlaut in der Vorgeschichte und in der Auswirkung des Art. 5 nicht kennt.
({2})
Aus dieser Bestimmung geht klar hervor, daß es sich bei den Notstandsmaßnahmen um konkrete und begrenzte Einzelmaßnahmen handelt,
({3})
daß die Bundesregierung während einer Notstands in weitestmöglichem Ausmaß
({4})
konsultiert werden muß, daß man sich in weitestmöglichem Ausmaß ihrer Unterstützung bedienen muß und daß sie Schritte tun kann, um die Aufhebung des Notstands herbeizuführen. Der Artikel geht dementsprechend - ({5})
({6})
- Sie sitzen ja schon seit sieben Jahren in der deutschen Politik nach und haben doch nichts gelernt! ({7})
Der Artikel geht demnach von der klar erkennbaren Voraussetzung aus, daß die Bundesregierung auch im Notstandsfall ihre amtlichen Funktionen weiterführt und daß sie nicht beseitigt oder durch eine kommissarische Regierung ersetzt werden kann. Ich erinnere mich einer Rede, in der unser Kollege Carlo Schmid vor einigen Wochen behauptet hat, daß die Bundesregierung sozusagen nur im Regelfall die deutsche Regierungsgewalt ausübe, sonst wiederum die alliierten Hohen Mächte, und daß es an den alliierten Mächten läge, den Regelfall und den Ausnahmefall ihrerseits zu bestimmen.
Ich darf dann noch auf einen weiteren Punkt eingehen. Kollege Carlo Schmid hat gestern den Unterschied zwischen einseitigen Erklärungen der Westmächte und bindenden vertraglichen Abmachungen in seiner Rede nicht zum Ausdruck kommen lassen. Die Wiedervereinigung Deutschlands auch vor dem Abschluß des Deutschlandvertrags ist häufig als ein Ziel der Politik der Westmächte bezeichnet worden. Das gilt freilich kaum von dem Londoner Kommuniqué vom 7. Juni 1948, das der Abgeordnete Schmid zitiert hat. In diesen Worten des Londoner Kommuniqués lag nicht einmal eine einseitige Verpflichtung der Westmächte auf eine Politik der Wiedervereinigung Deutschlands. Die Wiedervereinigungsfrage bleibt bis zum Inkrafttreten des Deutschlandvertrages ein ausschließliches Vorbehaltsgebiet der Besatzungsmächte ohne, rechtlich gesehen, ein deutsches Mitwirkungsrecht. Durch den Deutschlandvertrag ist die Politik der Wiedervereinigung Deutschlands zu einer bindenden vertraglichen Verpflichtung geworden, die der deutschen Seite zugleich einen vertraglichen Anspruch einräumt, daß die Wiedervereinigung Deutschlands im Zusammenwirken mit ihr erfolgen müsse.
({8})
Ich wollte mit diesen einleitenden Ausführungen diejenigen Punkte in der Rede unseres Kollegen Carlo Schmid herausgreifen, die nach unserer Meinung entweder ein Mißverständnis oder eine objektive Mißinterpretation der angezogenen Bestimmungen darstellen.
({9})
- Das können Sie mir nachher im einzelnen erklären, Herr Kollege Marx!
({10})
Zusammenfassend darf ich nun, nachdem Kollege Carlo Schmid gestern in einer längeren Rede seine Bedenken gegen das Vertragswerk zum Ausdruck gebracht hat, einmal ein allgemeines Wort sagen. Wir sind uns ja wohl auch der Tatsache bewußt, daß diese Verträge nicht gerade ein Ideal darstellen, das mit Fackelzug und Fahnenweihe usw. begrüßt werden kann.
({11})
- Ja, wir sind Realisten! Herr Kollege 011enhauer, Sie werden noch einiges von mir hören. - Wir sind Realisten. Wir sind uns durchaus der Tatsache bewußt, daß diese Verträge auch für uns eine Reihe von Schattenseiten enthalten, und es wäre unehrlich von uns, wenn wir das nicht zugeben,
sondern sie in Bausch und Bogen loben und in den Himmel heben wollten.
({12})
Das möchte ich in aller Eindeutigkeit feststellen. Lassen Sie mich aber ebenso deutlich sagen: man kann weder von der Bundesregierung noch von Dr. Adenauer verlangen, daß er sieben Jahre nach dem zweiten Weltkrieg bei den Verhandlungen nachträglich noch den zweiten Weltkrieg gewinnt, was Sie vielleicht geschafft hätten!
({13})
Ich darf mich nun im besonderen mit der Frage der deutschen und der europäischen Sicherheit befassen und hier auf das Vertragswerk, das dieser Frage gewidmet ist, im allgemeinen und im besonderen eingehen. Die Entwicklung der weltpolitischen Lage und die besondere Situation Deutschlands haben es mit sich gebracht, daß wir uns im Deutschen Bundestag mit der Frage der deutschen Sicherheit befassen müssen. Ob wir wollen oder nicht; es ist unsere Aufgabe. Wenn von seiten der Opposition dagegen angeführt wird, der gegenwärtige Bundestag habe nicht das Recht, darüber eine Entscheidung zu treffen, weil zum Zeitpunkt seiner Wahl dieses Problem noch nicht in deutscher Zuständigkeit oder nicht aktuell gewesen sei, so erlauben wir uns, den Standpunkt zu vertreten, daß jedes Parlament die ihm gestellten Aufgaben anpacken muß, auch wenn sie 'im Katalog der späteren Opposition zum Zeitpunkt der Wahl noch nicht eingetragen waren.
({14})
Für uns besteht diese Frage im Augenblick nicht darin, Vorbereitungen gegen einen unmittelbar drohenden Angriff der Sowjetunion zu treffen. Für uns besteht die Aufgabe darin, unserem Staate ein Fundament zu geben, auf dem sich überhaupt erst ein geordnetes Staats-, Wirtschafts-, Kultur- und Sozialleben aufbauen läßt.
Deutschland muß aus dem Zustand des Spielballs zwischen zwei Machtblöcken, aus dem Zustand, ein Objekt der Politik der anderen zu sein, endlich einmal herauskommen. In dem Sinne, glaube ich, sind sich die Regierung und die Opposition einig. Die jahrelange Sorglosigkeit der Westmächte auf der einen Seite, die zielstrebige Macht- und Aufrüstungspolitik der Sowjets auf der anderen Seite haben dazu geführt, daß eine ganze Anzahl europäischer Völker ihre Freiheit verloren haben, haben dazu geführt, daß 18 Millionen Deutsche, deren Hoffnung sich heute auf uns hier und bei der zweiten und dritten Lesung auf den Deutschen Bundestag richtet,
({15})
dem gleichen Schicksal unterworfen wurden, haben letzten Endes auch dazu geführt, daß wir in dem Modellfall Korea unser eigenes Schicksal sehen könnten, wenn wir in der Frage der Sicherheit nicht frei von Parteiegoismus, frei von Schlagworten unter bewußtem Verzicht darauf, unserem Volk ein trügerisches Bild der Sicherheit vorzugaukeln, nüchtern und klar unsere Lage erkennen und dann das tun, was nach dieser Erkenntnis notwendig ist, auch wenn es unpopulär ist; das hat mit Verantwortung sonst nichts zu tun.
({16})
({17})
Aus diesem Grunde und aus keinem andern Grund hat sich die Bundesregierung an der Ausarbeitung des Vertrags über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft beteiligt, und aus diesem Grunde sind wir heute dabei, uns in erster Lesung mit diesem Vertrag zu beschäftigen.
Es geht uns bestimmt nicht darum, wieder Soldaten zu spielen, weil die Alliierten es uns freundlichst erlauben; es geht nicht darum, Deutschland wieder zu einer Militärmacht zu machen; es geht uns auf keinen Fall darum, alliierten Wünschen zu folgen, wenn sie das deutsche Menschen- und Rüstungspotential für ihre Sicherheitszwecke einspannen möchten.
({18})
Uns geht es darum, dem Volk zu zeigen, daß diese Frage zu ernst ist, als daß sie lediglich zum Spielball der Argumente zwischen den Parteien gemacht werden darf.
({19})
Diese Frage ist eine Schicksalsfrage unseres Volkes: an ihr wird sich unsere Zukunft entscheiden.
Uns nützt es gar nichts, zu sagen, daß die anderen mit dem totalen Sieg auch die totale Verantwortung übernommen haben, die ihnen wie ein Mühlstein am Halse hängen soll. Wir können die anderen nicht von ihrer Verantwortung für die Einheit und Sicherheit Deutschlands lossprechen. Wir sollen aber jede Gelegenheit benutzen, um die Verantwortung für uns selbst auch wieder selbst in die eigene Hand zu nehmen, soweit wir dazu in der Lage sind, und die anderen dann zu echter Mitverantwortung in unserem Sinne zu zwingen.
({20})
Es wäre töricht, von den Westmächten zu erwarten, daß sie unsere Interessen wahren und für unsere Sicherheit Opfer bringen, wenn wir nicht selbst durch unsere eigene Mitwirkung es den anderen unmöglich machen, gegen deutsche Interessen zu handeln.
Es ist notwendig und zweckmäßig, eine Viererkonfenz zu verlangen, in der über die deutsche Einheit und über einen deutschen Friedensvertrag entschieden wird. Noch zweckmäßiger erscheint es uns, eine Situation herbeizuführen, in der es unmöglich ist, daß sich die vier Mächte über Deutschland auf Kosten Deutschlands einigen können,
({21})
in der es keine andere Möglichkeit mehr gibt, als daß Deutschland, sei es auch nur in der Gestalt der gegenwärtigen Bundesrepublik, als freier, gleichberechtigter und nicht übersehbarer Partner von vornherein mit am Verhandlungstisch sitzt.
({22})
Darum soll man bei der Beurteilung der Vertragswerke nicht allein auf Ziffern und Paragraphen, man soll auf die Tatsachen schauen, die durch sie herbeigeführt werden sollen.
({23})
- Die Tatsachen kommen j a meist nicht vorher, sondern sie kommen durch die automatische Entwicklung von selber. Wenn Sie es fertigbringen, die Tatsachen vor den Buchstaben zu schaffen, dann bitten wir Sie herzlichst um ihr Rezept dazu.
({24})
Meine Herren von der Opposition, was Sie im Zusammenhang mit dieser Frage im Laufe der letzten
Monate und Wochen auch in diesem Parlament,
in der Öffentlichkeit und anderswo gesprochen haben, das sind doch weitgehend Spekulationen im luftleeren politischen Raum gewesen.
({25})
Ich habe einmal mit Interesse und Anerkennung das Wort von Disraeli, einem der größten englischen Staatsmänner, gelesen, daß Ereignisse eigentlich eine wundervolle Sache seien
({26})
- passen Sie genau auf! -: „Ereignisse sind eine wundervolle Sache. Sie sind von größerer Bedeutung als die feinste und umfassendste Spekulation."
({27})
- Sie meinen, er freut sich noch?
({28})
- Ja, von der Art Seelenwanderung, Herr Kollege Erler, bin ich noch nicht so erfaßt.
({29})
Ohne Zweifel hat auch die Bundesregierung Fehler begangen und hat Rückschläge bei ihrer Politik erlebt. Eine Politik ohne Schnitzer zu erfinden, meine Herren von der SPD, bleibt allein Ihnen überlassen.
({30})
Uns genügt es, daß die Bundesregierung mit ihrer bisherigen Politik eindeutige Tatsachen geschaffen hat, die wertvoller sind als die geistreichsten Betrachtungen.
({31})
Wir sind mit diesem Vertrag über die Errichtung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft daran, eine weitere Tatsache zu schaffen, die unserm Staat einen festen Standort gibt, die ihn vor dem Zugriff eines Aggressors schützt und die uns gleichzeitig für die Sicherheit der anderen unentbehrlich macht. Auch darin liegt eine politische Position.
({32}) Diese Tatsache, meine Damen und Herren, ist mehr wert als der kurzsichtige Versuch - das trifft nicht die SPD -, durch die Propagierung eines Ohnemich-Standpunktes Stimmen zu gewinnen oder durch die Noch-nicht-Propaganda Anhängerschaft im Lande zu sammeln. Wenn wir trotz mancher Bedenken und trotz mancher nicht erfüllten Wünsche zu diesem Vertrag ja sagen, dann tun wir es in der Erkenntnis, daß mit diesem Vertrag eine Tatsache zugunsten Deutschlands geschaffen wird, und tun wir es in der Überzeugung, nüchtern nach deutschen Interessen zu handeln.
({33})
Wenn Herr Kollege Ollennhauer bei jeder Gelegenheit erklärt, hundert Wohnungen seien für unser Volk wichtiger als hundert Soldaten, und damit den Eindruck erwecken will, als ob die Bundesregierung für Soldaten, aber nicht für Wohnungen Interesse habe, dann erweist er hiermit den deutschen Interessen weder so noch so einen guten Dienst.
({34}) Wir wissen sehr genau, wie notwendig Wohnungen in dieser Situation sind. Diese Bundesregierung braucht sich der Wohnungszahl nicht zu schämen, die sich während ihrer Tätigkeit als Bilanz ergibt.
({35})
({36})
Man soll aber nicht Wohnungen Soldaten gegenüberstellen. Das ist genau so unzweckmäßig - um höflich zu bleiben -, als wenn jemand sagen wollte, daß zehn Kindergärtnerinnen wichtiger sind als zehn Feuerwehrmänner.
({37})
Für den Fall eines Brandes, Herr Kollege Ollenhauer, wäre mit zehn Kindergärtnerinnen wenig gedient, und ich möchte nicht Sie zu ihrem Hauptmann ernennen.
({38})
Ebensowenig wäre mit zehn Feuerwehrmännern im Kindergarten gedient; auch das gäbe eine Katastrophe.
({39})
- Aber manchmal scheint es doch so, Kollege Erler!
({40})
Wenn Sie das Wort Kabarettrede bringen, dann sind Sie vielleicht doch bitte auch etwas empfänglich dafür, daß man nicht immer alles mit tierischem Ernst sagen kann; man kann es auch anders sagen.
({41})
Wenn es dann noch heißt: Bevor wir uns mit der Frage eines Verteidigungsbeitrages abgeben dürften, müßten alle Chancen und alle Risiken für die beteiligten Völker gleich sein, dann können wir darauf nur antworten: unsere Schuld ist es nicht - und auch Ihre Schuld nicht -, daß Deutschland zu beiden Seiten der Elbe und nicht zu beiden Seiten des Mississippi liegt. Es hat keinen Sinn, sich die Welt so vorzustellen, wie man sie wünscht. Man muß sich danach richten, wie sie ist.
({42}) Wenn Sie in der Regierungsverantwortung wären, meine Damen und Herren von der SPD, dann würden Sie Ihr schönes Spiel, das Sie in der Gegenwart betreiben - man kann es unter Umständen „Welt als Wille ohne Vorstellung" oder „Welt als Wille ohne Weg" nennen - nicht lange fortsetzen.
({43})
Kein Mensch würde in späteren Jahren diesen Bundestag und die verantwortliche deutsche Bundesregierung entschuldigen, wenn sie in der Stunde der Entscheidung für oder gegen die eigene Sicherheit Wunschbildern nachgelaufen wären und sich nicht an die deutsche Wirklichkeit gehalten hätten.
({44}) Wir laufen keinem Wunschbild nach, wir halten uns als deutsche Realisten an die gegebene Wirklichkeit.
({45})
In diesem Zusammenhang muß ein Wort über die Neutralität Deutschlands - oder besser gesagt: über die Neutralisierungspolitik Deutschlands - gesagt werden. Die Neutralisierung Deutschlands ist ein Stück der sowjetischen Außenpolitik geworden, das sich in allen Noten wiedergefunden hat.
({46})
Diese Forderung war sozusagen das Gegenstück
für das Zugeständnis, freie Wahlen nach sowjetischen Vorstellungen zuzugestehen. Der Kreml hat immer eine doppelte Außenpolitik getrieben - Sie gehören nicht dazu, Kollege Reimann -,
({47})
einmal eine defensive zur Sicherung und Erhaltung des Eroberten und Gewonnenen, dann eine offensive, um das noch zu erwerben, was ihm als nächster Schritt notwendig oder wünschenswert erschien. Es besteht für uns kein Zweifel darüber, daß die Neutralisierungspolitik der Sowjetunion gegenüber Deutschland ein Stück ihrer Offensivpolitik und nicht ihrer Defensivpolitik ist.
({48})
Wenn die Sowjets durch das Zugeständnis freier Wahlen innerpolitische Macht in einem Stück Deutschlands aus der Hand geben, dann fordern sie dafür, wie es in den Noten geschehen ist, eine Gegenleistung. Diese Gegenleistung besteht in der Neutralisierung Deutschlands. Der Wert der Neutralisierung Deutschlands besteht für die Sowjets nicht allein darin, Deutschland von einem westlichen Bündnissystem fernzuhalten, sondern das Ziel geht noch wesentlich weiter.
Wir Deutschen müssen uns über zwei Tatsachen im klaren sein, einmal: ohne Deutschland kann Europa nicht zustande kommen. Wir müssen aber ebenso wissen, daß auf die Dauer ohne Zusammenschluß der europäischen Völker auch in der gegenwärtig nur möglichen Form ein freies Deutschland nicht einmal in Gestalt der gegenwärtigen Bundesrepublik mehr möglich sein wird.
({49})
Das ist gleichzeitig die Stärke unserer politischen Position, die erkannt und nicht überspannt werden darf; das ist auch ihre Begrenzung und ihre Verantwortung. Es ist immer ein Ziel der kommunistischen Politik seit der Ausgangslage nach dem zweiten Weltkriege gewesen, Deutschland zu kommunisieren und auf diesem Wege nicht nur die europäische Einigung zu verhindern, sondern nach und nach ganz Europa in die Hand zu bekommen.
Neutralisierung Deutschlands im sowjetischen Sinn, gleichgültig ob mit deutscher Nationalarmee oder ohne sie, bedeutet eine endgültige Verhinderung der europäischen Einigung, bedeutet auf lange Sicht Rückzug der USA aus Europa - was gäbe es Schöneres, Kollege Reimann?! -, nicht nur mit Truppen, sondern auch in ihren außenpolitischen Verpflichtungen. Ein im gegenwärtigen Zustande sich selbst überlassenes Europa, das keine militärische Kraft nennenswerten Umfanges mehr aufweisen kann, würde durch innere Zersetzungstätigkeit und äußeren Druck in der Lage des Kaninchens vor der Schlange einem unausweichlichen Schicksal entgegensehen, nämlich der Bolschewisierung. In dieser Situation würden viele gesunde Abwehrkräfte nicht mehr zur Entfaltung kommen. Welches Schicksal uns dann bevorsteht, hat der ungarische Kommunistenführer Rakoczi in seinem offenherzigen Bericht über die Machtergreifung in Ungarn ganz genau geschildert. Er sagt darin:
Wir traten damals mit der klaren Absicht in die Regierungskoalition ein, die Zusammenarbeit der nichtkommunistischen Parteien zu sprengen. Unser Ziel war, den gesamten Staatsapparat in die Hände zu bekommen. Natürlich gaben wir damals die Hintergründe unserer Politik nicht bekannt; denn schon eine öffentliche Diskussion über die zukünftige
Strauß)
Diktatur des Proletariats hätte unter der Bevölkerung eine Alarmstimmung hervorgerufen und unsere Pläne durchkreuzt.
({50})
- Die stammt aus der Feder des ungarischen Kommunistenführers. Daß Sie nicht einmal das fertigbringen, glaube ich Ihnen unbesehen! ({51})
Ich empfehle diesen Bericht, meine Damen und
Herren, einigen unserer zeitgenössischen Politiker
vom Schlage Wirth, Wessel, Heinemann, Noack
gegebenenfalls für spätere Zeiten als KZ-Lektüre
in der Annahme, daß der Polizeihaushalt einer
deutschen Volksdemokratie à la Reimann einen
kleinen Betrag zum Ankauf zur Verfügung stellt.
({52})
Diejenigen Frauen und Männer, die als echte Pazifisten um des Gewissens willen gegen einen deutschen Verteidigungsbeitrag sind - und gegen diese wird kein böses Wort gesagt und soll und darf es auch nicht gesagt werden - müssen aber merken, daß die kommunistische Propaganda sie zwar ausnutzt, aber mit ihnen nur Schindluder treibt.
({53})
Als die neue Schallplatte aus Moskau mit dem Schlager „Volk ans Gewehr" zur Anpreisung einer deutschen Nationalarmee bereits unterwegs war, hielten die letzten kommunistischen Redner noch ihre Lobreden auf das Glück der deutschen Waffenlosigkeit und Militärfreiheit.
({54})
Selbst die an automatische Außensteuerung gewohnten Gehirne kommunistischer Versammlungszuhörer des Herrn Kollegen Reimann in München konnten nicht so rasch umdenken, daß sie ihm Beifall gespendet hätten, als er mit Pathos die Notwendigkeit einer deutschen Nationalarmee verkündete.
({55})
Um die Neutralitätsapostel, soweit sie von nationalen Ressentiments angehaucht sind, noch voll zu begeistern, hat man ihnen das Zerrbild einer deutschen Nationalarmee versprochen. Wir gehen wohl nicht fehl in der Annahme, daß man uns einen Teil der Arbeit bei der Aufstellung einer deutschen Nationalarmee damit abnehmen will, indem man sich die ostzonale Volkspolizei als deren Grundbestandteil bereits vorstellt.
Wir kennen, meine Damen und Herren, aus den sowjetischen Vorschlägen für den japanischen Friedensvertrag, was man sich dort unter einer solchen Nationalarmee vorstellt: nichts anderes als eine mit den Waffen von gestern ausgerüstete Polizeitruppe, deren Stärke und Ausrüstung von der Zustimmung der Sowjetunion abhängt. Deutschland braucht aber weder Soldaten für Paraden noch für Manöverbälle. Es braucht keine Flurschützengarde zur psychologischen Beruhigung für hintergründige politische Ziele.
({56})
- Ach so! Sie stellen sich die deutsche Nationalarmee als eine Armee ohne Schießen vor. Genau so! Da stimmen wir in den Ansichten völlig überein.
({57})
Aber gegen Sie nur mit Kartoffelsalat; das reicht völlig.
({58})
Deutschland braucht echte Sicherheit durch eigenen Beitrag zu einer reinen Defensivarmee Europas. Eine deutsche Nationalarmee hätte überhaupt nur dann einen Sinn, wenn sie sich in Bewaffnung und Ausrüstung entweder selbst mit den modernsten Geräten versorgen könnte oder eng an den Westen anlehnen dürfte, wie es Schweden und die Schweiz tun. Das würde aber genau dem Neutralitätszustand widersprechen, den die Sowjets im Auge haben und zur vertraglichen Grundlage machen würden. Eine von West und Ost völlig unabhängige deutsche Nationalarmee müßte aus eigener Produktion ausgerüstet und bewaffnet werden. Denn Ausrüstung und Bewaffnung von einer der beiden Seiten bezogen, würde diese Armee sofort von jeweils dieser Seite abhängig machen, würde ihr also den Charakter einer Neutralitätsarmee im sowjetischen Vertragssinne nehmen.
Außerdem, meine Damen und Herren, aus eigener Produktion eine Armee aufzustellen, die wirklich eine Sicherheitsgarantie bietet, ist Deutschland voraussichtlich nie mehr in der Lage, weil ihm dafür der Wirtschaftsraum fehlt, wie die beiden Weltkriege eindeutig bewiesen haben.
({59})
Es sei nur nebenbei bemerkt, daß wir nach der Zerstörung unserer Rüstungsproduktion und nach der Veränderung unserer Wirtschaftsstruktur nach dem Kriege weder große Neigung noch großes Interesse haben, unsere spärlichen Investitionsmittel für den Aufbau ausgerechnet einer Rüstungsindustrie zu verwenden.
({60})
Die deutsche Sicherheit darauf aufzubauen, daß wir eine ei gene Rüstungsproduktion errichteten, das erst, meine Damen und Herren, hieße Sozialpolitik und Sicherheit in einen ausweglosen Widerspruch zueinander bringen.
({61})
Die sozialen und wirtschaftlichen Opfer, die in diesem Falle gebracht werden müßten, stünden in keinem Verhältnis zu dem, was der finanzielle Verteidigungsbeitrag für die europäische Armee von uns fordert, so hoch er ist und so wenig er bagatellisiert werden kann.
Man kann die deutsche Neutralität aber auch nicht mit der Stellung der Schweiz oder Schwedens vergleichen. Diese Staaten sind in ihrem inneren Wesen und in ihrer militärischen Abwehrbereitschaft trotz ihrer Neutralität an den Westen angelehnt. Ein neutralisiertes Deutschland dürfte das nicht tun und könnte es nicht tun, ohne daß die Sowjets sich über den Bruch des Neutralitätsvertrages beschweren und darin einen Anlaß zur Intervention erlangen könnten.
({62}) Darüber hinaus - und das ist der entscheidende Gesichtspunkt bei dieser Frage Neutralität oder nicht? - behindert weder die schwedische noch die Schweizer Neutralität die europäische Einigung. Aber eine deutsche Neutralität würde die Einigung Europas verhindern, die USA nach absehbarer Zeit zum Abzug bringen und Europa im gegenwärtigen Zustand - im gegenwärtigen Zustand! - dem Terror ausliefern, der allein schon darin besteht, daß die Rote Armee Gewehr bei Fuß vor seinen ungeschützten Toren steht.
({63})
({64})
Das heißt: die vorübergehende Scheinfreiheit eines auf dieser Grundlage geeinigten Gesamtdeutschlands würde nicht nur uns die Freiheit endgültig nehmen, sondern auch den Deutschen in der Ostzone jede Aussicht auf Rückkehr zu einer echten und dauernden Freiheit für immer versperren. Die deutsche Sicherheit bedarf der Solidarität der europäischen Völker und der echten Sicherheitsgarantie der USA. So und nicht anders liegen Aussichten und Möglichkeiten einer deutschen Neutralität nach den Vorschlägen der Moskauer Note.
Meine Damen und Herren, wir Deutschen müssen uns vor einem hüten, was unserer Lage und unserer Mentalität nach dem Kriege und nach einer gewissen materiellen Erholung so sehr entspricht - und ich sage das in aller Deutlichkeit und Offenheit -: vor einer falschen Sicherheitsillusion. Nichts, aber auch gar nichts berechtigt uns, in dieser Illusion einzuschlafen. Wir würden eines Tages mit dem Rufe „Pan, komm mit!" geweckt werden. Wir müssen das begreifen, daß wir es uns auf die Dauer nicht leisten können - ich stimme hier wortwörtlich mit dem Kollegen Ollenhauer überein -, die Hände in die Hosentaschen zu stecken und uns auf die Garantien der Westmächte oder auf die gutmütige Haltung der Sowjetunion uns gegenüber zu verlassen. Auch uns ist jetzt die Frage gestellt, ob wir unser Teil beitragen. Jetzt ist die Frage gestellt, jetzt muß die Antwort gegeben werden. Sie muß nicht deshalb jetzt gegeben werden, weil etwa in nächster Zeit ein sowjetischer Angriff droht, sondern weil nur mit uns der erste Schritt getan werden kann, aber auch nur getan werden darf, damit in absehbarer Zeit Europa einschließlich Deutschlands auf einem sicheren Fundament steht.
Wenn die SPD die Ansicht vertritt, man könne jetzt die Verträge ruhig scheitern lassen, um dann später wieder verhandeln zu können, dann soll sie sich sagen lassen, daß sie in absehbarer Zeit kein besseres Ergebnis aushandeln kann, als dieses ist, wenn sie überhaupt zum Verhandeln kommt.
({65})
- Beweisen Sie doch zuerst einmal das Gegenteil!
({66})
- Meine Damen und Herren, es ist doch unsinnig, zu behaupten: Wir können diese Verträge ruhig scheitern lassen; wenn wir zum Verhandeln komken, haben wir eine ganz andere Grundlage; vor uns fallen die anderen in die Knie, und uns werden sie das geben, was sie euch nicht gegeben haben! Mit den Methoden, mit denen bisher aus Ihren Reihen darüber gesprochen worden ist, werden Sie das bestimmt nicht erreichen!
({67})
Wenn gestern Kollege Carlo Schmid von Verträgen mit dem Westen gesprochen hat, die keine Hypotheken enthalten sollen, dann wünsche ich ihm viel Glück zu solchen Verhandlungen. Vielleicht ist es am besten, er fordert zu Beginn der Verhandlungen ausnahmsweise und umgekehrt einmal die totale Kapitulation der Gegenseite.
({68})
- Meine Herren, seien Sie doch nicht so empfindlich!
({69})
- Seien Sie doch nicht so empfindlich! Sie hauen doch dauernd, wie man bei uns in Bayern sagt, mit Bierschlegeln auf uns ein, und dann beschweren Sie sich, wenn man Sie mit dem Federwischer abtupft!
({70})
- Aber es gibt bei Ihnen bessere Oberlehrer als bei uns! - In Wirklichkeit würde durch ein solches Manöver nur Zeit verloren werden, weil die SPD
- es ist leider so - sich nur in Spekulationen ergeht, aber keine Tatsachen schafft.
Auf der gleichen Linie liegt es, wenn auf dem Bezirksparteitag Hessen-Süd der SPD unser geschätzter Kollege Carlo Schmid meinte, man könnte sich sogar in der Frage der deutschen Einheit auf Korea-Verhandlungen einlassen - vorausgesetzt, daß die Presse richtig berichtet hat, was ich eigens als Fragezeichen voranstelle.
({71})
- Sie ziehen doch Ihre Informationen auch aus unserer Presse. Da können Sie uns doch keinen Vorwurf machen und uns doch nicht beschimpfen, wenn wir an Hand von zwei oder drei Ihrer Zeitungen das gleiche tun, und größer kann doch die Loyalität nicht sein, als zu sagen: vorausgesetzt und unterstellt, daß der Inhalt der Presseberichte darüber richtig ist.
({72})
Ein Nein des Deutschen Bundestages zu den vorliegenden Vertragswerken könnte in letzter Auswirkung zu solchen Korea-Gesprächen über unsere Zukunft führen, die aber dann eindeutig auf unsere Kosten gingen.
({73})
Wenn Kollege Carlo Schmid von der Gefahr spricht, mit einer solchen Politik der Ausweglosigkeit zuzutreiben, dann kann er damit nur die Politik der SPD selbst meinen,
({74})
die mit der faulen Zauberformel „Alles oder nichts" uns wirklich in die Ausweglosigkeit treiben würde.
({75})
Die politische Entwicklung wird auch nicht auf die Opposition warten, bis sie sich entschließt, in positivem und realem Sinne wieder mitzuarbeiten; diese Entwicklung wird entweder unter unserer Mitgestaltung weitergehen, oder sie wird ohne uns über uns hinweggehen.
({76})
Einmal heißt es: „Wir dürfen die Annahme der Verträge nicht unter dem Druck der amerikanischen Präsidentschaftswahlen beschleunigen"; dann heißt es wieder: „Die Verträge dürfen auf keinen Fall vor den Präsidentschaftswahlen ratifiziert werden." Es gibt keine falschere Betrachtungsweise als diese! Wenn wir schon nicht wollen, daß die
({77})
amerikanische Innenpolitik unsere außenpolitischen Entschlüsse bestimmt, dann dürfen unsere Entschlüsse auch nicht durch Termine der amerikanischen Innenpolitik bestimmt werden.
({78})
Wir müssen wissen, was wir im vorliegenden Falle wollen, und danach handeln. Wir müssen das auch dem amerikanischen Volke zeigen, ohne dessen Hilfe und ohne dessen Rückendeckung nach übereinstimmender Ansicht von Regierung und Opposition der Kampf um die Freiheit verloren ist. Meine politischen Freunde und ich hatten nach der Rede unseres Kollegen Carlo Schmid gestern den Eindruck, daß zwar die SPD in dieser Hinsicht mit uns gemeinsam fest entschlossen ist, aber im einzelnen nicht weiß, was sie dabei will.
({79})
Wir müssen wissen und wir wissen auch, was wir wollen. Wir sehen ein deutliches Ziel, ein begrenztes Ziel, ein Etappenziel vor unseren Augen, das mit der Annahme dieser Verträge erreicht wird. Und wenn dieses Ziel erreicht wird, dann reden wir weiter.
Wir haben uns schon öfter über den Begriff des Risikos in unserer Außenpolitik hier in diesem Hause unterhalten. Wir sind uns wohl darüber im klaren, daß es für uns Deutsche in unserer gegenwärtigen Lage eine Politik ohne Risiko überhaupt nicht gibt,
({80})
ferner darüber, daß das Risiko am größten ist,
wenn wir gar nichts tun und darauf warten, bis
die anderen ihre Politik in unserem Sinne ändern.
Tm allgemeinen sieht man zwei besonders große Risikomöglichkeiten. Einmal sieht man sie in der Gefahr, daß die Sowjetunion die Aufstellung einer europäischen Armee mit deutschem Beitrag durch einen kriegerischen Schritt verhindern würde; zum andern befürchtet man, daß Deutschland im Falle eines Konflikts zwischen Amerika und Rußland auch nach Aufstellung der Europaarmee zum Ort der Auseinandersetzung gemacht wird. Kollege Carlo Schmid hat gestern richtig gesagt, man solle nicht militärisch denken, wo politisch gedacht werden müsse. Ein goldenes Wort! Aber er hat leider aus dieser eigenen Weisheit eine falsche Schlußfolgerung gezogen und hat geglaubt, daß die Verweigerung eines deutschen Wehrbeitrages der richtige Ansatzpunkt wäre, um politisch denken zu können. Es besteht kein Zweifel, daß gegenwärtig, nach den vorhandenen Streitkräften gerechnet, ein militärisches Übergewicht der Sowjets in Europa besteht. Es besteht ebensowenig Zweifel darüber, daß hier ein Gleichgewicht hergestellt werden muß. Politisches Denken oder politische Verhandlungen im machtleeren Raum können vielleicht bei einem so gutmütigen Volk wie den Eskimos zum Erfolg führen; bei einem Partner mit der Mentalität der Sowjets sind sie zum Scheitern verurteilt.
({81})
Darum setzt die Anwendung einer politischen Denkmöglichkeit einen deutschen Verteidigungsbeitrag voraus.
Die Aufstellung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft wird niemals, wie im Vertrage ja ausdrücklich festgelegt ist, darauf ausgehen, politische Ziele mit militärischen Mitteln anzustreben, das heißt Gewalt anwenden zu wollen. Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ist ein reines Instrument der Abwehr und der Notwehr und nichts anderes. Aber - an Kollegen Carlo
Schmid gerichtet - gerade weil wir politisch denken, erkennen wir für Europa die Notwendigkeit an, ein Verteidigungsinstrument zu haben, um dann die politischen Fragen auf politischem Wege lösen zu können. Die Sowjets wissen ganz genau, daß Gründungsabsicht und -umfang der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft keine Gefahr für sie darstellt. Sie haben nicht nur keinen Grund, dagegen militärisch einzuschreiten; sie wissen auch genau, daß ein militärisches Eingreifen ihrerseits unweigerlich das auslösen würde, was sie genau so wenig wollen - hoffentlich! - wie wir.
Ohne Zweifel bleibt ein gewisses Risiko, bis die Europäische Verteidigungsgemeinschaft fertiggestellt ist. Nur übersehen die meisten Kritiker, daß dieses Risiko genau so und auf unabsehbare Zeit vorhanden ist, wenn die Europäische Verteidigungsgemeinschaft nicht hergestellt wird.
({82})
Kollege Carlo Schmid hätte doch gestern hier wiederholen können, was er am 6. März 1951 in London gesagt hat:
Die nichtkontinentalen Mächte USA und Großbritannien müssen auf den europäischen Kontinent eine solche Zahl von Truppen schicken, daß sie zusammen mit den kontinentalen Streitkräften, eingeschlossen darin deutsche Truppen, stark genug sind, um Europa eine vernünftige Chance wirksamer Verteidigung zu geben.
({83})
- Laut Bericht der „Neuen Zeitung" vom 7. März 1951! Die SPD ist keine Partei der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissenspflicht; sie will, daß ihr Land im Falle eines Angriffs, wenn keine anderen Möglichkeiten, es zu schützen, vorhanden sind, mit bewaffneter Macht und wenn nötig mit seinen eigenen Mitteln verteidigt wird.
({84})
Wenn Sie auf diese Plattform treten, auch wenn wir uns über Methoden und Termine nicht einig sind, dann könnten wir - was für unsere Sicherheit, für unsere Zukunft und für unsere Weltgeltung draußen von erheblichem Gewicht wäre - in dieser Frage Deutschland gemeinsam nach außen vertreten.
({85})
Es ist eine alte Forderung Dr. Schumachers und der SPD, daß die angelsächsischen Mächte eine solche Zahl von Divisionen in Deutschland stationieren sollen, daß hinter ihrem Wandschirm ein deutscher Verteidigungsapparat ohne Risiko aufgebaut und im Falle eines russischen Eingreifens der Gegenstoß sofort bis in die Gebiete von Weichsel und Niemen - ich zitiere wörtlich - vorgetragen werden kann. - Nun, ganz so militaristisch haben wir uns die Entwicklung nicht vorgestellt.
({86})
Zur Zeit dürften im Bundesgebiet 10 bis 11 angelsächsische Divisionen stehen. Wir wollen nicht gerade die Zahl von 60 bis 70 Divisionen, die Herrn
Dr. Schumacher einmal auf Grund eines Gesprächs
unterstellt worden ist, zu Grunde legen - ich sage
({87})
das ausdrücklich, weil ich das das letzte Mal gesagt habe und er dementiert hat -,
({88})
sind aber der Meinung, daß eine erhebliche Vermehrung der angelsächsischen Divisionen in Deutschland in dem dafür für notwendig gehaltenen Ausmaß nicht nur unleidliche Verhältnisse bei uns bringen, sondern die Kriegsgefahr dann wirklich herbeirufen kann, weil sich die Sowjets dadurch echt provoziert fühlen könnten.
In diesem Zusammenhang müssen wir die Bundesregierung und ihre militärischen Berater aber
mit allem Nachdruck und mit aller Deutlichkeit auf
eines hinweisen: Weder die Vereinigten Staaten
von Amerika noch die Länder Europas wünschen
einen Krieg. Aber immerhin ist die Lage der Vereinigten Staaten von Amerika so, daß sie im Ernstfall trotz erheblicher Opfer nicht die Zerstörung
ihres Landes und nicht die Vernichtung ihrer Bevölkerung befürchten müßten. Amerika könnte es
sich leisten, ohne seinen Kontinent zu gefährden,
den Sieg in der letzten Auseinandersetzung anzustreben. Für Europa könnte schon die erste Schlacht
eines wenn auch später gewonnenen dritten Weltkrieges vernichtend werden! Es bleibt nur als eine
Selbstverständlichkeit anzufügen, daß nach einer
sowjetischen Überrollung und Besatzung später
auch eine Befreiung nicht mehr viel nützen würde.
({89})
Wir haben Grund anzunehmen, daß es eine echte atlantische Strategie gibt, die einen Angriff von sowjetischer Seite aussichtslos macht, weil die Sowjetunion mit einem Präventivkrieg zwar wertvolle Positionen gewinnen, aber den späteren Ausgang nicht entscheidend beeinflussen könnte. Was wir fordern müssen, wenn wir gewillt sind, ein Ja zu dem Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu geben, das ist eine klare europäische Strategie mit besonderer Rücksicht auf die Verhältnisse Deutschlands als des letzten Partners.
({90})
Es ist klar, daß diese Dinge nicht in der Öffentlichkeit präzise in Form von Verpflichtungen kundgetan werden können, wie Kollege Carlo Schmid es gestern, sicher aus der gleichen Sorge heraus, gefordert hat. Aber wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie eine strategische Konzeption durchsetzt, in der Deutschland nicht zum Schauplatz einer Auseinandersetzung werden kann.
({91})
Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft dient nicht dazu, um für militärische Experimente gebraucht zu werden. Sie dient ausschließlich der Sicherung Europas, der Erhaltung des Friedens und der Bewahrung der europäischen Substanz als einem strategischen Grundsatz.
({92})
Wenn aber auch die Europäische Verteidigungsgemeinschaft dem NATO-Oberbefehlshaber nach den Bestimmungen des Vertrages zur Verfügung steht, so darf das nichts an der Tatsache ändern, daß die europäische Verteidigungsgemeinschaft nichts anderes ist als das Ergebnis einer gemeinsamen europäischen Staatspolitik. Auch wir hätten es lieber gesehen, wenn zuerst ein europäischer staatlicher Unterbau mit einer gemeinsamen Verfassung und einer gemeinsamen europäischen Regierung und Außenpolitik geschaffen worden wäre.
Der Ablauf der Ereignisse hat es leider anders bestimmt. Es ist aber eine alte Lehre seit Clausewitz' und längeren Zeiten, daß eine Armee keinen Selbstzweck darstellen darf, sondern einem politischen Willen unterworfen sein muß. Dieser gemeinsame politische Wille Europas fehlt heute noch. Er muß durch den Bau eines europäischen Staatswesens herangebildet und geformt werden.
({93})
Um so größeren Wert legen wir darauf, daß der
- ich möchte sagen - konstruktivste und positivste Artikel des gesamten EVG-Vertrags, der Art. 38,
({94})
von dem im EVG-Vertrag vorgesehenen Parlament dazu benutzt wird, um den verfassungmäßigen Unterbau eines europäischen Staatswesens vorzubereiten.
({95})
Wir sind uns völlig darüber im klaren, daß weder die Montan-Technokratie des Schumanplans noch die Militärbürokratie des EVG-Vertrags ausreichende europäische Anfänge darstellen.
({96})
Wir wünschen und arbeiten dafür, daß Schumanplan und Verteidigungsgemeinschaft möglichst bald organisch in den Rahmen eines europäischen Staatswesens eingefügt werden.
({97})
Schließlich müssen wir fordern und erreichen, daß eine atlantisch-europäische Politik der echten Stärke Schutz auch für den letzten Partner bietet, der in diesem Fall Deutschland ist. Die Zukunft der europäischen Substanz liegt in der Erhaltung des Friedens. Sie kann durch die Zerstörung auch nur eines einzigen europäischen Landes schon erheblich gemindert werden.
({98})
Schließlich möchte ich mich gegen ein Märchen
wenden, das von manchem Redner der Opposition
- ich weiß nicht, ob zur eigenen Beruhigung oder zur Beruhigung der Zuhörer - immer gebraucht wird. Dieses Märchen heißt: ein deutscher Verteidigungsbeitrag ist schon deshalb überflüssig, weil die Amerikaner, auf deren Anwesenheit Regierung und Opposition aus den gleichen Gründen den gleichen Wert legen, niemals eine Politik treiben könnten, in der sie Europa aufgeben könnten. Damit darf ich an die Rede einer SPD-Landtagsabgeordneten bei mir im Wahlkreise erinnern, die beruhigenderweise der Sowjetunion das gute Zeugnis ausstellte, daß sie nur friedliche Absichten verfolge, weil sie mit wirtschaftlichen Aufgaben im Innern ihres Landes vollständig ausgefüllt sei.
({99})
- Wenn Sie den Namen hören wollen, Herr Kollege Erler, ich gebe ihn Ihnen genau.
({100})
- Das wäre nicht das erste Mal, Herr Kollege Mellies. -So haben wir uns ungefähr das deutsche Gleichgewicht vorgestellt: die einen können nicht gehen, weil sie nicht dürfen, und die andern wollen nicht kommen, weil sie zu friedlich sind.
({101})
Wir wissen sehr genau, daß man auf die Frage, ob
die Sowjets eine Gefahr darstellen oder nicht, weder eindeutig ja noch eindeutig nein sagen kann.
({102})
Sie sind nach unserer Auffassung eine dann mit tödlicher Sicherheit drohende Gefahr, wenn sie ungestraft zugreifen können.
({103})
In demselben Maße hören sie auf, eine Gefahr zu sein, wo ihnen durch den Verteidigungswillen des bedrohten Landes mit allen Konsequenzen das Zugreifen unmöglich gemacht wird.
({104})
Aber diese Neufassung der Grimmschen Märchen für Politiker - daß die einen nicht abziehen dürfen und die andern nicht kommen wollen -sollten wir im deutschen Interesse nicht verbreiten.
({105})
Wer heute die These vertritt, daß die Amerikaner
nicht gehen können, weil sie nicht gehen dürfen,
der wendet die gleiche Logik an wie jemand, der
im Kriege sagte: Deutschland wird den Krieg
nicht verlieren, weil es ihn nicht verlieren darf.
({106})
Und wenn man dann fragte: warum?, bekam man regelmäßig zur Antwort: weil es siegen muß!
({107})
- Herr Kollege Erler, wir wollen uns auf dem Gebiet gegenseitig keine Vorwürfe machen.
({108})
Mir jedenfalls sollen Sie das Sacrificium intellectus, das manche von Ihnen begangen haben, nicht
unterschieben, auch nicht während des Krieges.
({109})
Es ist wohl richtig, daß jede außenpolitische Richtung in den Vereinigten Staaten - gleichgültig, wer Präsident wird, gleichgültig, ob Demokraten oder Republikaner in der Staatsführung sind - sich zur Verantwortung und Verpflichtung der USA für Europa und Ostasien bekennt. Ebenso richtig ist es aber, daß sich mit großer Wahrscheinlichkeit eine außenpolitische Richtung durchsetzen wird, die dieses Programm nicht endlos fortzusetzen gedenkt und die eines Tages die Konsequenzen ziehen wird, wenn die europäischen Völker nach sieben Jahren amerikanischer Hilfe noch nicht so weit sind, sich wenigstens zusammenschließen zu wollen, um durch Zusammenschluß ihrer Kräfte ihre eigene Sicherheit zu stärken und eine Verminderung der Amerikahilfe zu ermöglichen. Auf keinen Fall wird die Dauer der amerikanischen Verpflichtung sich nach den innerpolitischen Wünschen der deutschen Opposition richten.
({110}) Eines Tages wird es zum Abzug der amerikanischen Landtruppen kommen, wenn auch amerikanische Luftstreitkräfte im wirksamen Ausmaße noch auf lange Zeit zur Verfügung stehen werden. Wenn wir vermeiden wollen, daß Quartierherren aus dem Osten sie vertreten, müssen wir die Zeit bis dahin nutzen, um die europäische Verteidigungsarmee aktionsfähig zu machen.
Diese europäische Verteidigungsarmee, angelehnt an Industriepotential, Luft- und Seemacht der Vereinigten Staaten, wird einerseits in der Lage sein, einen jeden Angreifer von seinem Vorhaben abzuhalten, und stellt andererseits wegen ihres begrenzten Ausmaßes keine offensive Bedrohung der Sowjetunion dar. Auch darauf kommt es uns an. Nicht der Generalvertrag und die Europäische Verteidigungsgemeinschaft - an Kollegen Dr. Carlo Schmid igerichtet - sind eine Illusion der
Sicherheit, wie er gestern meinte, sondern der Wackelzustand Deutschlands, in den uns die Politik der Unentschlossenheit stürzen würde.
({111})
Wenn schließlich noch gesagt wird, daß die Aufstellung westdeutscher Divisionen durch die Aufstellung einer gleich großen Zahl ostdeutscher Divisionen völlig ausgeglichen würde, so scheint uns das kein echtes Argument in der Gegenwart zu sein. In der Denkschrift Nr. 35 des Informationsdienstes des Vorstandes der SPD über „Remilitarisierung und Aufrüstung in der Sowjetzone", die im März 1951 zum geplanten Außenministertreffen herauskam, heißt es wortwörtlich:
In der Sowjetzone steht eine kommunistische
Satellitenarmee, die einen eindeutigen militärischen Charakter bereits besitzt.
- März 1951, als wir noch keinen Bundesgrenzschutz hatten! Diese Satellitenarmee wurde von den Sowjets seit November 1946 unter gröbster Verletzung von Potsdam und der Bestimmungen des Kontrollrats aufgebaut und stellt eine Erweiterung des sowjetischen Kriegspotentials im Rahmen der stalinistischen Eroberungspolitik dar.
({112})
Daraus geht doch ganz klar hervor, daß nicht der Aufstellung westdeutscher Divisionen die Aufstellung ostdeutscher Divisionen nachfolgt, sondern daraus folgt doch mit zwingender Klarheit, daß die Bundesrepublik - endlich - im Rahmen eines gemeinsamen Sicherheitssystems der freien Welt in ihrem eigenen Interesse jetzt erst beginnt, einen Verteidigungsbeitrag vorzubereiten, während die Sowjets in ihrer Zone - unterstützt von deutschen Handlangern ehrlosen Charakters und Gewissens - seit Jahren Wirtschaft und Menschenkraft in brutaler Weise ausnutzen.
({113})
Unser Kollege Carlo Schmid hat gestern so besorgt festgestellt, daß der Verteidigungsbeitrag militärisches und teilweise finanzielles Potential zur Verfügung Dritter stellt. Er hat dabei vergessen zu sagen, daß es sich hier nicht um die Preisgabe deutscher Menschen an fremde Generalstäbe handelt, sondern daß Deutschland in allen zivilen und militärischen Führungsstellen der Europaarmee gleichberechtigt
({114})
mit den beiden anderen großen Teilnehmerstaaten Frankreich und Italien vertreten ist. Ich hätte einmal gern von Herrn Carlo Schmid gehört, ob er die Form der Koalitionsarmeen aus der Zeit der Kabinettskriege oder der Weltkriege für richtiger und zweckmäßiger hielte. In diesem Falle müßte er für eine nationale deutsche Wehrmacht eintreten, die sich aber bekannterweise, Kollege Schoettle, bei der SPD nicht immer gerade großer Beliebtheit erfreut hat und erfreuen würde. Wenn er aber mit seinen Ausführungen beanstandet, daß Deutschland bis jetzt im Atlantikpakt nicht gleichberechtigt ist - ich will nichts unterlassen, Herr Kollege Erler -, sondern dort nur im Rahmen des Ministerrats gemeinsame Beratungen herbeiführen kann, dann hat er recht mit diesem Vorwurf. Die im EVG-Vertrag ausdrücklich festgelegte Gleichberechtigung aller Teilnehmer muß zwangsläufig dazu führen, daß Deutschland auch die Gleichberechtigung im Atlantikpakt erhält, mit
({115})
dem die EVG durch ein besonderes gegenseitiges Beistandsabkommen verbunden ist.
({116})
Wir hielten es auch für notwendig, daß im Interesse eines gegenseitigen Vertrauens der Bundesrepublik durch praktische Beispiele bewiesen wird, daß sie als echte Partnerin anerkannt wird.
({117})
Eine militärische Partnerschaft hat nur dann einen
Sinn, wenn sie durch eine praktisch politisch bewiesene Partnerschaft begleitet und bestätigt wird.
({118})
Gerade Frankreich sollte erkennen: wenn Deutschland sich so einseitig und eindeutig in ein Vertrags- und Schicksalsverhältnis mit dem Westen einläßt, dann ist es Zeit, wirklich den Schlußstrich unter eine trennende Vergangenheit zu ziehen.
({119})
Die Verhältnisse haben sich wohl grundlegend seit der Zeit geändert, als Frankreich durch Allianzen mit Rußland Sicherheit vor Deutschland suchte. Die Frage unseres Kollegen Schmid, wie Frankreich sich im Ernstfall angesichts seiner bestehenden Allianzen mit Rußland verhalten würde, will ich aus Höflichkeitsgründen hier nicht mehr beantworten, weil ich dem Kollegen Carlo Schmid genau so wenig wie uns zutraue, jedenfalls Frankreich noch angreifen zu wollen.
({120})
Man muß der deutschen Delegation in Paris, die unter Vorsitz des Kollegen Blank verhandelt hat, auch hier im Bundestage - ob man Freund oder politischer Feind ist, hat damit nichts zu tun - die Anerkennung und den Dank dafür aussprechen, daß sie es fertiggebracht hat, im Rahmen des EVG-Vertrags die deutsche Gleichberechtigung durchzusetzen.
({121}) Außenpolitische Rücksichten zwingen mich hier
- nicht etwa, weil ich es nicht sagen wollte oder nicht zu sagen wüßte -, der Opposition nicht das zu sagen, was ich ihr in dem Falle gern sagen würde.
({122})
- Das würde Ihnen gut passen, gelt? - Ja, meine Damen und Herren, wenn ich es, ohne den Inhalt dessen zu sagen, was gemeint ist, mit einem Satz paraphrasieren darf: man kann das, was in Paris im EVG-Vertrag herausgehandelt worden ist, in der vollen Konsequenz und Auswirkung in Deutschland nicht behandeln, weil es dann von vornherein zu schwersten Angriffen in der französischen Innenpolitik gegen die dortige Regierung führen würde.
({123})
Es soll aber in Europa nicht so sein, daß die Generale und die Verteidigungsbeauftragten sich rascher einigen als die Politiker.
Wir nehmen mit gebührendem Respekt von der Tatsache Kenntnis, daß keine Diskriminierung Deutschlands vorliegt, wenn es sich nur auf einstimmigen Beschluß des Ministerrats Atomwaffen, chemische Waffen, biologische Waffen, V-Waffen, Kriegsschiffe und Flugzeuge herstellen darf; d. h. wenn Luxemburg widerspricht, darf die Herstellung dieser Waffen innerhalb des strategisch gefährdeten Gebietes nicht erfolgen. Diese Linie verläuft den Rhein entlang etwa bis zur Ostspitze
des Bodensees. Es ist nicht so, daß wir an der Herstellung dieses Materials auch nur das geringste Interesse hätten. Aber es wäre vielleicht ehrlicher gewesen, uns zu sagen, daß man die Herstellung dieser Waffen in Deutschland nicht erlauben will. Auch wenn es in absehbarer Zeit aus technischen und finanziellen Gründen nicht akut wird, so wünschen wir doch, daß die Freiheit Deutschlands im Bau von Luftfahrzeugen in möglichst kurzer Zeit wiederhergestellt wird.
({124})
Wir sehen genau die Gefahren, die mit den Auswirkungen des Art. 104 für unsere Wirtschaft verbunden sind. Die Beschaffungsstellen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft verfügen über eine ungeheure wirtschaftliche und finanzielle Macht. Wir müssen deshalb darauf bestehen, daß die zentrale Beschaffungsstelle am Sitz der Gemeinschaft paritätisch auch mit Deutschen besetzt ist.
({125})
Wir müssen darauf bestehen, daß die dem Kommissariat unterstehende - nicht dem deutschen Verteidigungsministerium unterstehende - Beschaffungsstelle für Deutschland ebenso, wie es anderswo der Fall ist, ausschließlich mit deutschem Personal besetzt wird.
({126})
Wir wünschen nicht - und ich weiß genau, warum ich das sage -, daß in diese Stelle die Beamten des zur Auflösung kommenden alliierten Sicherheitsamtes in Koblenz wieder ihren Einzug halten und auf kaltem Wege die Wirtschaftskontrolle über Deutschland fröhliche Urständ feiert.
({127})
- Das hängt zwar in dem Fall von Ihrer Mitarbeit ausnahmsweise nicht ab, alles andere ja.
({128})
- Bis jetzt ist noch gar nichts, und was sein wird, hängt von uns ab. - Diese Stelle wird im Jahr über eine Kaufkraft von mehr als 8 Milliarden DM verfügen.
({129})
Es ist beinahe überflüssig zu sagen, daß der deutsche Inlandsbedarf und der deutsche Export durch militärische Aufträge nicht mehr als in anderen Ländern eingeschränkt werden dürfen.
Bevor aber deutsche Kontingente aufgestellt werden, muß etwas aus der Welt geräumt werden, was die Atmosphäre zwischen uns und den Vertragspartnern vergiftet. Zahlreiche deutsche Soldaten werden noch hinter Schloß und Riegel gehalten, die nach normalen strafrechtlichen Begriffen und nach der von den Alliierten im Krieg selbst geübten Praxis nicht schuldig sind. Ich meine damit nicht diejenigen, die sich wirkliche Verbrechen haben zuschulden kommen lassen.
({130})
Wir sind aber der Meinung, daß man das Schicksal des unbekannten Obergefreiten genau so ernst
nehmen muß wie das Schicksal eines bekannten
Generals und daß man für beide eintreten muß.
({131})
Wir hoffen und wünschen, daß hier in der nächsten Zeit sichtbare Schritte geschehen, wie sie der Herr Bundeskanzler gestern angekündigt hat.
({132})
Schließlich müssen wir unsere Erwartung aussprechen, daß aus den vielen komplizierten Bestimmungen des Vertrags eine funktionsfähige Europäische Verteidigungsgemeinschaft auch wirklich entsteht. Man hört so viel an berechtigter und unberechtigter Sorge heute über das Wiederentstehen eines deutschen Militarismus. Wollen wir doch kurz klipp und klar einen Grundsatz aufstellen, auf den wir uns einigen könnten. Der Grundsatz heißt, daß Verfügungsgewalt über Waffen und Kommandogewalt über Waffenträger nur in die Hände von echten, zuverlässigen Demokraten gelegt werden darf.
({133})
Die Qualifikation des guten Fachmanns allein gibt noch nicht die Bestätigung dafür.
Ich möchte mich aber ebenso scharf hier gegen die törichten Behauptungen im Ausland, aber leider auch im Inland wenden, daß man den Deutschen überhaupt keine Waffen mehr in die Hand geben dürfe, weil sie unverbesserliche Militaristen seien. Ich habe der „Süddeutschen Zeitung" entnommen, daß auf der Protestkundgebung der bayerischen Gewerkschaften gegen das grundsätzliche Ja des ersten Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Verteidigungsbeitrag Redner und Geister aufgetreten sind, deren auch der Hexenmeister, der sie rief, in der Gestalt des Herrn Kollegen Max Wönner dann nicht mehr Herr werden konnte.
({134})
Es fielen dort die verhängnisvollen Worte, daß ein wiederbewaffnetes Deutschland sofort wieder eine Gefahr für den Frieden darstelle,
({135})
nicht nur für den Frieden der Sowjetunion, sondern auch für den Frieden der westlichen Welt.
({136})
- Das war kein Parteigenosse von Ihnen! ({137})
- Ja, aber immer noch besser, als Fisch zu sein! ({138})
Soll man sich dann wundern, wenn solche Worte aus dem Munde eines hohen Gewerkschaftsfunktionärs kommen, daß sie von deutschfeindlichen oder mißtrauischen Kreisen im Ausland, gerade in Frankreich, freudig aufgegriffen und dann gegen uns gebraucht werden?
({139})
Ich möchte hierzu in aller Klarheit feststellen: Wer als Deutscher dem deutschen Volk die innere Befähigung abspricht, Waffen zur Selbstverteidigung zu erhalten, ohne gleichzeitig dem Militarismus zu verfallen, der hat innerlich vor dem Militarismus kapituliert.
({140})
Schließlich muß der Unfug einmal aufhören, daß man den ehrlichen und anständigen Soldaten immer zum Militaristen stempelt.
({141})
Der Ungeist des Militarismus muß überwunden bleiben und, wo er auftreten sollte, rücksichtslos unterdrückt werden. Die Verteidigungsbereitschaft des friedlichen deutschen Bürgers darf nicht durch die Verunglimpfung des Ansehens des deutschen Soldaten geschwächt oder erstickt werden.
Auch dieser Verteidigungsvertrag - wenn ich das zum Schluß noch sagen darf - ist ein Stück der Außenpolitik der Regierung Adenauer, die von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, so gern als Politik der Schwäche und Nachgiebigkeit gebrandmarkt wird. Warum sagen Sie nicht gleich, es sei die Erfüllungspolitik einer Systemregierung? Dann wären die Fronten doch klarer.
({142})
Herr Kollege Carlo Schmid hat gestern gefragt,
ob diese Verträge einen neuen Anfang begründen
oder ob sie eine Politik abschließen, die 1945 begonnen wurde. Er hat das erste verneint und das
letzte bejaht. Ich glaube, daß Herr Kollege Carlo
Schmid damit unrecht hat. Es gibt nur eine Antwort, und die heißt: beides ist gleichzeitig der Fall.
({143})
Durch diese Verträge wird die Politik des Jahres 1945 liquidiert
({144})
und wird eine neue Epoche in der deutschen Politik eingeleitet.
({145})
Der Generalvertrag dient zum großen Teil der Liquidation der alten Politik; der EVG-Vertrag ist ein Bestandteil der neuen Politik.
({146})
Sie haben gestern, Herr Kollege Schmid, die Etappen 1945, 1949 und 1952 genannt und gemeint, daß die Wende schon vor 1949 eingetreten sei. Sie haben nur zum Teil recht, Herr Kollege Schmid. Die Wende ist nicht nur durch die Schwerkraft der Tatsachen eingetreten. Heute spricht man so natürlich von der automatischen Entwicklung. Wenn wir
Regierung ru g gehabt hätten, wenn wir geschlafen oder überhaupt nichts getan hätten - wir hätten sogar dagegen arbeiten können -, die Schwerkraft der Tatsachen hätte all das geschafft, was wir heute haben!
({147})
Lassen Sie mich auch mit aller Deutlichkeit feststellen: die Wende ist nicht nur durch die Schwerkraft der Tatsachen eingetreten, sondern durch die unerhörte Leistung des deutschen Volkes in allen seinen Schichten
({148})
und, was Sie gern bestreiten würden, durch eine kluge und maßvolle politische Führung des deutschen Volkes.
({149})
Das Petersberger Abkommen, das die Partei des Kollegen Carlo Schmid vor den Gerichtshof von Karlsruhe gebracht hat, hat dazu gedient, die damals noch nicht beendete Politik von 1945 zu liquidieren,
({150})
und ich wäre ja daran interessiert, zu erleben, wie das Urteil in Karlsruhe ausgeht. Wird die Klage als zulässig betrachtet und wird ihr stattgegeben, dann müßte eigentlich das, was in dem Vertrag bestimmt worden ist, nachträglich wieder aufgehoben werden.
({151})
Ich glaube, daß Sie daran genau so wenig wie wir ein Interesse haben.
({152})
zustand die deutsche Politik, auch die der SPD, geraten ist. Ich zitiere aus dem Band 426 der Reichstagsprotokolle einen Redner. Der sagte:
Eines der Verdienste Stresemanns ist es ja gewesen, daß er sich Mühe gegeben hat, jenen Irrglauben zu bekämpfen, der das deutsche Volk in eine nationale und eine nichtnationale Schicht einteilen wollte. Bis heute gelten in weiten Kreisen Deutschlands als national nur diejenigen, die in einem gewissen Kraftmeiertum ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Möglichkeiten von Mitteln der auswärtigen Politik sprechen, die schlechterdings nicht vorhanden sind.
Dieser Redner, meine sehr verehrten Damen und Herren, war der seinerzeitige Reichstagskollege Dr. Breitscheid von der SPD.
({153})
- Halten Sie doch nicht den Spiegel so deutlich vor sich hin!
Dann darf ich einen anderen Redner zitieren; es gäbe eine beinahe unübersehbare Fülle von solchen Zitaten, ich beschränke mich auf ein zweites. Da sagte ein Redner, daß der Reichstag aufgelöst werden müßte und Neuwahlen ausgeschrieben werden müßten, da die heutige Zusammensetzung des Reichstags in keiner Weise mehr den tatsächlichen Kräfteverhältnissen im Lande entspreche. Der Redner war Gregor Strasser von der SPD.
({154})
- NSDAP. Ich bitte um Entschuldigung, es war keine Absicht! ({155}) Ich darf abschließend dazu feststellen: Ja, ja, so wandeln sich die Zeiten!
Kollege Schmid hat gestern erklärt, Deutschland habe sich für ein Leben entschieden auf Grund von Ordnungen, die nur im Westen existieren. Wir sind völlig einverstanden mit ihm. Aber ziehen doch auch Sie, meine Damen und Herren von der SPD, einmal die praktischen politischen Konsequenzen daraus! Dr. Schmid hat gestern weiter erklärt, man dürfe mit dem Westen nur in Formen verbunden sein, die der Osten nicht als Bedrohung zu empfinden brauche. Das kann doch nicht praktisch heißen, daß die beherrschende Macht des Ostens den von ihr beherrschten Völkern ruhig Formen aufzwingen kann und selbst Formen annehmen darf, die für uns eine Bedrohung sind. Letzten Endes empfindet ja jeder Einbruchsdieb ein Sicherheitsschloß vor der Tür als eine Bedrohung seiner beruflichen Existenz!
({156})
Wir aber, Kollege Carlo Schmid, sollen nach Ihrer Meinung nicht das einzige tun dürfen, was für uns die Freiheit sichert und was einen politischen Ansatzpunkt bietet, um die Freiheit den Deutschen in der Ostzone wiederzuverschaffen?!
({157})
Sie haben schließlich, ebenso wie Kollege Dr. Arndt bei anderer Gelegenheit, betont, daß die SPD den Neutralismus ablehne, daß Sie aber keine Untertanen des Ostens werden wollen, daß Sie es auch ablehnen, Vasallen des Westens zu sein; ({158})
Es ist kein Ehrenmal der deutschen Opposition, wenn dieses Abkommen auf Grund der eingereichten Klage heute zur Gerichtsentscheidung steht. Man soll nicht politische Entscheidungen auf gerichtliche Instanzen übertragen, wenn nicht verfassungsmäßig zwingende Notwendigkeiten dafür vorhanden sind.
({159})
Sie haben gestern erwähnt, daß im Petersberger Abkommen die deutsche Bundesregierung durch eigene Unterschrift das Ruhrstatut anerkannt hat. Das ist ausdrücklich aus dem Munde des Kollegen Carlo Schmid gekommen. Kollege Schmid hat aber vergessen hinzuzufügen, daß die Unterschrift derselben Bundesregierung damit die Einstellung der Demontagen erwirkt hat
({160})
und daß die spätere Unterschrift derselben Bundesregierung unter den Schumanplan und das Ja der Mehrheit dieses Hauses zum Schumanplan die Unterschrift der Bundesregierung unter das Ruhrstatut wieder aufgehoben hat.
({161})
Das heißt doch auf deutsch, daß unsere Leistung zeitweise begrenzt war, daß das, was geleistet wurde, auf jeden Fall erfolgt wäre und daß das, was gerettet worden ist, heute noch steht, während unsere Leistung längst vorbei ist.
Herr Kollege Carlo Schmid hat gestern davon gesprochen, daß der Schumanplan der deutschen Souveränität die Verfügung über das größte deutsche Wirtschaftspotential - Kohle und Eisen - entziehe. Ja, wenn man die Zeitungen der letzten Tage liest, möchte man meinen, daß Carlo Schmid Mitglied des französischen Industriellenverbandes geworden ist,
({162})
nur auf der umgekehrten Seite; denn von dem stand vor einigen Tagen in der Zeitung zu lesen, daß er den Schumanplan wegen der Auslieferung der französischen Grundstoffindustrie an Deutschland ablehne.
({163})
Dann muß ich ihn - Herrn Kollegen Schmid - fragen, was er eigentlich von General de Gaulle hält, der den EVG-Vertrag in Frankreich aufs heftigste angegriffen hat, weil er den Deutschen Gleichberechtigung ohne Gegenleistung bringe.
({164})
Wir kommen doch mit diesen Standpunkten weder auf deutscher noch auf französischer Seite einen Schritt weiter.
Man kann nicht, wie ich schon einmal gesagt habe, mit der Einstellung von gestern und den Begriffen von vorgestern die Notwendigkeiten von heute und die Aufgaben von morgen begreifen. Wer es trotzdem tut, der ist ein Reaktionär.
({165})
Es steht nirgendwo in der Bibel geschrieben - nirgendwo! -, daß die Sozialisten die Fortschrittlichen und die Christlichen Demokraten die Reaktionäre sind; in der Bibel steht lediglich geschrieben: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen".
({166})
Vielleicht darf ich Ihnen - wenn der Herr Präsident mir noch wenige Minuten gestattet - aus der Lehrzeit der Weimarer Republik bloß noch ein paar Exempel bringen, in welchen Karussell({167})
und dann wartet der neugierige Zeitgenosse auf etwas, was Sie eigentlich denn sein wollen. Sie haben vergessen zu sagen, was Sie denn eigentlich sein wollen, wenn Sie die konkret gegebenen politischen Möglichkeiten betrachten. Die vierte Dimension ist noch nicht in der Naturwissenschaft, geschweige denn in der Politik erfunden worden.
({168})
Die Taktik der Verzögerung und die Taktik der Verhinderung kann nicht als echte politische Dimension angesprochen werden,
({169})
höchstens als Verlegenheitslösung derjenigen, die
sich zwischen sämtliche Stühle damit setzen würden.
({170})
Kollege Carlo Schmid hat gestern auch gesprochen von einem Ja zu einem Europa aller Völker mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten. Keine deutsche Politik kann dieses Europa in der gegenwärtigen Lage sofort verwirklichen. Unser Ja zum Deutschlandvertrag, unser Ja zum Verteidigungsvertrag ist die erste Voraussetzung und eine notwendige Etappe, um dieses gewünschte Europa überhaupt erst zu schaffen. Großbritannien und die skandinavischen Länder werden sich erst dann anschließen, wenn ein starker Kern geschaffen ist, der durch diese Verträge vorbereitet wird.
Das andere, was hier vorgeschlagen wird, ist nichts anderes als eine Politik mit der Devise: „Alles oder nichts". Wir haben nur eine echte Alternative. Diese echte Alternative heißt: „Das Mögliche oder nichts". Wir sollten es uns nicht ) leicht machen, das Mögliche zu erkennen und das Mögliche auszuschöpfen. Wir sollten aber auch an dieser Grenze stehen bleiben, weil wir darüber hinaus unwirklich und lächerlich wirken.
({171})
Wenn wir das, was heute möglich ist, ablehnen, werden wir das, was wir für morgen wünschen, niemals erreichen. Das Ansehen der Opposition und die Stellung Deutschlands in der Welt würden bedeutender sein, wenn auch Sie sich entschließen könnten, eine konstruktive Mitarbeit in der Außenpolitik auch in der politischen Opposition zu betreiben.
({172})
Deutschland braucht im entscheidenden Moment eine Regierung der Vernunft,
({173})
der nüchternen Überlegung,
({174})
der Unterscheidung des Möglichen vom Unmöglichen, braucht eine Regierung, die unbeeinflußt von nationalistischen Schlagworten
({175})
den Weg zur Verständigung und Freiheit sucht. ({176})
Damit habe ich nichts anderes getan, als aus der Schrift eines großen Sozialdemokraten, des Herrn Julius Leber, eine Stelle zitiert, die in seinem Buch erschienen ist.
({177})
- Es wäre für Sie sehr gut, wenn er noch leben würde und etwas von seinem Geiste auf Sie ausstrahlen könnte.
({178})
Dieser Satz steht nicht in dem Bulletin der Bundesregierung; dieser Satz steht in der Schrift des .Julius Leber. Der gleiche Satz gilt für uns auch heute wieder.
({179})
Die vorliegenden Verträge sind kein Ideal. In manchen Punkten der Zusatzverträge ist vielleicht nicht einmal das Maximum erreicht worden, das möglich gewesen wäre.
({180})
Aber diese Verträge sind ein Meilenstein auf dem Wege zur europäischen Einheit.
({181})
- Was Sie als Katastrophe empfinden, ist für uns die Rettung; darüber sind wir völlig einig! - Diese Verträge sind für uns eine Garantie für die deutsche Sicherheit und sie sind das Ende einer Politik, die mit dem Morgenthau-Plan begonnen hat. Diese Verträge sind der Beginn einer Politik, in der Deutschland wieder mitspricht und wieder mitentscheidet in der Gemeinschaft der freien Völker. Das verdanken wir dieser Außenpolitik und keiner anderen.
({182})
Das Wort hat zu einer kurzen Erklärung der Abgeordnete Dr. Tillmanns von der Fraktion der Christlich-Demokratischen Union.
Meine Damen und Herren! Bevor der Abgeordnete Reimann das Wort nimmt, habe ich folgendes zu erklären:
Wir alle haben gestern die erschütternde Nachricht gelesen, daß in Berlin wieder ein deutscher Staatsbürger, Herr Dr. Linse, am hellichten Tag auf offener Straße von sowjetzonalen Agenten überfallen, niedergeschlagen und in die Sowjetzone verschleppt worden ist.
({0})
Es handelt sich um einen neuen eklatanten Fall des Verbrechens des Menschenraubs.
({1})
Heute sind neue ähnliche Fälle bekanntgeworden.
({2})
Unseres Erachtens wird sich der Bundestag schnell über die erforderlichen Konsequenzen schlüssig werden müssen.
({3})
Für heute aber halten wir es für geboten, Protest und Verwahrung gegen diese Verbrechermethoden einzulegen und der Verbundenheit Ausdruck zu verleihen, die uns mit jenen verbindet, die in der Sowjetzone Deutschlands in dieser Unfreiheit leben.
({4})
Wir lehnen es deshalb ab, uns heute hier kommunistische Reden anzuhören.
({5})
Wir halten es mit der Aufgabe, die dieses Haus
gegenüber dem deutschen Volk hat, nicht für ver({6})
einbar, heute mit Kommunisten hier parlamentarische Diskussionen zu führen, als wäre nichts geschehen,
({7})
jedenfalls solange nicht die kommunistischen Mitglieder dieses Hauses offen von solchen Verbrechen abrücken und sie klar verurteilen.
({8})
Die Mitglieder der Fraktionen der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union, der Freien Demokratischen Partei und der Deutschen Partei werden während der Rede des Abgeordneten Reimann diesen Saal verlassen.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Reimann.
({0})
Meine Damen und Herren! Bleiben Sie einen Moment hier! Ich will Ihnen etwas sagen.
({0})
Ich will Ihnen etwas sagen, bevor ich meine Rede beginne.
({1})
Ich möchte Ihnen sagen: Lösen Sie Ihre Spionagezentralen auf!
({2})
Fordern Sie nicht Menschen auf, Spionage und Sabotageakte zu begehen. Dann werden Verhaftungen unterbleiben.
({3})
Das ist das erste. - Und das zweite ist: Setzen wir Deutschen uns an einen Tisch und verhandeln über freie Wahlen! Dann sind in drei Monaten keine Sektoren- und Zonengrenzen mehr,
({4})
dann haben wir ein eigenes deutsches Parlament, und dann hört auch das auf.
({5})
Aber das wollen Sie nicht! Deshalb kneifen Sie hier; deshalb wollen Sie hinausgehen. Sie wollen weiter Zwietracht in unser Volk säen.
Meine Damen und Herren, die erste Lesung dieses fast 500 Druckseiten umfassenden Vertragswerks gibt weder den Abgeordneten des Bundestags noch der öffentlichen Meinung die Gelegenheit, alle Einzelheiten dieses Vertrags zu behandeln und die gesamte Tragweite zu erkennen. Darum ist die Aufklärung über dieses Vertragswerk im Volk die erste und größte Aufgabe.
Die Bundesregierung entwickelt zur Ratifizierung eine verdächtige Eile aus zwei Gründen. Erstens fürchtet sie eine gründliche Diskussion über den Inhalt des Generalvertrags, der Zusatzverträge, des Pariser Abkommens und des ergänzenden Schriftwechsels, weil Dr. Adenauer genau weiß, daß das Bekanntwerden des vollen Inhaltes dieser Verträge in der Öffentlichkeit einen Sturm der Entrüstung und Empörung auslösen würde. Auch seine Rede gestern zeigt, daß er beharrlich die Politik der Verschleierung des Inhalts der Verträge fortsetzt. Zweitens möchte der Bundeskanzler mit der Ratifizierung dieser Verträge
Tatsachen schaffen, die die erfolgreiche Durchführung von Viermächte-Besprechungen über die friedliche Lösung der Deutschlandfrage und den Abschluß eines Friedensvertrags mit Deutschland unmöglich machen.
Es ist nicht richtig, daß der Herr Bundeskanzler an dem Erfolg von Viermächte-Besprechungen zweifelt. Es ist vielmehr so - und das wird durch jeden seiner Schritte bestätigt -, daß er den Erfolg solcher Viermächte-Besprechungen fürchtet. Darum verzögert und erschwert er ihr Zustandekommen. Darum wurde - meiner Ansicht nach zu Recht - in der Presse behauptet, daß Dr. Adenauer auch die Absendung der Antwortnote der Westmächte verzögern wollte bis nach der ersten Lesung des Generalvertrags.
Dr. Adenauer fürchtet die Einigung über die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen, weil er weiß, daß solche gesamtdeutschen Wahlen nur mit einer Niederlage der Adenauer-Regierung enden könnten.
({6})
Er fürchtet Verhandlungen zwischen den vier Großmächten und Deutschland über den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland, weil damit seine politische Konzeption des Krieges und Bruderkrieges, der - wie der „Rheinische Merkur" schrieb - Befreiung der unerlösten Provinzen, der Neuordnung Europas bis zum Ural usw. usw. nicht befolgt werden könnte.
Der Generalvertrag mit den Zusatzverträgen und dem Pariser Abkommen ist Verrat an der deutschen Nation, und darum müssen die Abgeordneten des Bundestages ihm ihre Zustimmung versagen. Das ergibt sich aus folgenden Tatsachen.
Erstens. Durch den Generalvertrag bleibt nicht nur die Spaltung Deutschlands bestehen, sondern durch ihn wird sie vertieft und wird gleichzeitig der Versuch gemacht, die Spaltung Deutschlands zu verewigen. Ich möchte in dem Zusammenhang darauf hinweisen, daß der Generalvertrag unbefristet und unkündbar ist. Nach Art. 10 können der Generalvertrag und die Zusatzverträge nur im gegenseitigen Einvernehmen in dem Umfang geändert werden, der erforderlich oder ratsam geworden ist. Das bedeutet, daß eine Kündigung dieses Vertrages nicht möglich sein soll, daß der Vertrag unbefristet ist und daß eine Revision des Vertrages unmöglich gemacht ist. Die Spaltung Deutschlands wird gleich mehrere Male im Vertragstext verankert. Schon in der Präambel heißt es:
Daß es das gemeinsame Ziel der Unterzeichnerstaaten ist, die Bundesrepublik Deutschland .... in die europäische Gemeinschaft zu integrieren, die selbst in die sich entwickelnde atlantische Gemeinschaft eingefügt ist.
Es leuchtet jedem ein, daß mit dieser Bedingung eine friedliche Wiedervereinigung Deutschlands unmöglich gemacht werden soll.
In der Präambel heißt es weiter an einer anderen Stelle, daß die Bundesrepublik und die Drei Mächte die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und den Vertrag über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft sowie den Generalvertrag mit den Zusatzverträgen - ich zitiere als wesentliche Schritte zur Verwirklichung
ihres gemeinsamen Strebens nach einem
({7})
wiedervereinigten Deutschland anerkennen, das in die europäische Gemeinschaft integriert ist.
Dieser Text bestätigt, daß sowohl Dr. Adenauer wie auch die Beauftragten der Drei Mächte ein einheitliches und unabhängiges Deutschland nicht wollen, sondern wie in Korea durch die Befreiung der unerlösten Provinzen die Deutsche Demokratische Republik mit Gewalt an Westdeutschland anschließen und in den Atlantikpakt einbeziehen wollen. Diese Politik steht der Politik der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands direkt entgegen und soll eine Verständigung der vier Großmächte unmöglich machen.
Mit Recht stellte darum die „Deutsche Zeitung" im April fest:
Die Spaltung Deutschlands ist ein Okkupationsziel. Immer häufiger wird in der Auslandspresse daran erinnert, daß die Trennung Deutschlands Voraussetzung für die Europapolitik der Westmächte sei.
So weit die „Deutsche Zeitung". Man muß jedoch hinzufügen, daß Dr. Adenauer in diesem Punkt wie auch in allen anderen Punkten - das werde ich noch nachweisen - vollständig mit der amerikanischen Politik übereinstimmt und diese in Westdeutschland durchführt.
Der Generalvertrag bedeutet auch den Verzicht der Adenauer-Regierung auf die Zugehörigkeit des Saargebiets zu Deutschland. Art. 7 Abs. 1 bestimmt u. a.: Die Bundesrepublik und die Drei Mächte sind weiterhin darüber einig, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu dieser Regelung, d. h. bis zu einer friedensvertraglichen Regelung, aufgeschoben werden muß. Damit anerkennt die Adenauer-Regierung den jetzigen Status an der Saar, die Trennung des Saargebiets von Deutschland und die Bestrebungen, das Saargebiet wirtschaftlich und politisch an Frankreich anzuschließen.
Art. 7 Abs. 2 bindet von vornherein ein Gesamtdeutschland an die Bedingung der Integrierung in die sogenannte Europäische Gemeinschaft, d. h. an die Einbeziehung in den Atlantikpakt, und soll somit die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands unmöglich machen.
Darüber hinaus steht dieser Artikel in Widerspruch zu Geist und Wortlaut des Grundgesetzes, denn nach diesem ist die Ausarbeitung einer deutschen Verfassung der Nationalversammlung überlassen. Es heißt in Art. 146 des Grundgesetzes:
Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.
Eine Nationalversammlung ist aber souverän, während hier von vornherein Auflagen über Charakter und Inhalt einer künftigen deutschen Verfassung gemacht werden. Man muß darum die Unterschrift Dr. Adenauers unter den Generalvertrag auch als den Versuch des Verfassungsbruchs kennzeichnen.
({8})
Aber auch Art. 7 Abs. 3 wurde geschaffen, um von vornherein nicht nur ein Gesamtdeutschland zu binden, sondern um darüber hinaus auch jeder westdeutschen Regierung jede Initiative für die Schaffung eines einheitlichen und unabhängigen Deutschlands zu nehmen. Es heißt dort wörtlich:
Soweit nicht alle Unterzeichnerstaaten ihre
gemeinsame Zustimmung erteilen, wird die
Bundesrepublik kein Abkommen abschließen noch einer Abmachung beitreten, welche
die Rechte der Drei Mächte auf Grund der genannten Verträge beeinträchtigen oder die
Verpflichtungen der Bundesrepublik auf
Grund dieser Verträge mindern würde.
Wer einen solchen Passus unterschreibt, kann keine deutsche Politik durchführen. Herr Dr. Adenauer hat damit unterschrieben, daß er nichts unternehmen wird, wozu nicht die gemeinsame Zustimmung aller Unterzeichnerstaaten vorliegt. Das heißt, daß er nicht deutsche, sondern amerikanische Politik in Westdeutschland betreibt.
Das wird jetzt auch bestätigt durch die Vorgänge um die Viererkonferenz. Bekanntlich hat die Regierung der UdSSR nicht nur die Grundsätze eines Friedensvertrages mit Deutschland veröffentlicht, sondern sich auch bereit erklärt, über jeden anderen Vorschlag zu verhandeln. Sie hat weiterhin vorgeschlagen, daß an der Ausarbeitung eines Friedensvertrages eine gesamtdeutsche Vertretung beteiligt sein soll, und den Vorschlag gemacht, daß die vier Mächte sich unmittelbar zusammensetzen sollen, um über die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands zu verhandeln. Es ist allgemein bekannt, daß die französische und englische Regierung zu solchen Viererverhandlungen bereit waren, während die Regierung der USA mit allen Mitteln das Zustandekommen von Viererbesprechungen verhindern will. Die Erfordernisse einer deutschen Politik machen die Einigung der vier Großmächte über die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands notwendig. Ein deutscher Politiker kann solche Viererbesprechungen nur begrüßen und
gleichzeitig
muß gleichzeitig alles tun, daß sie zustandekommen und daß eine gesamtdeutsche Vertretung an den Verhandlungen über die friedliche Lösung des deutschen Problems teilnimmt. Herr Dr. Adenauer hat also nicht im deutschen, sondern im amerikanischen Interesse gehandelt, als er seinen Vorstoß zur Verzögerung und Erschwerung der Viererkonferenz vorige Tage unternahm.
Daß die Bindung Westdeutschlands durch den Generalvertrag und das Pariser Abkommen eine absolute sein soll, wird außer durch den Art. 7 noch besonders erhärtet durch die sogenannte Garantieerklärung der Drei Mächte, die nichts anderes enthält als eine Sanktionsandrohung, die einseitig gegen den Austritt Westdeutschlands gerichtet ist. Es heißt dort wörtlich:
Wenn daher irgendeine Maßnahme von irgendeiner Seite die Integrität oder Einheit dieser Gemeinschaft bedroht, werden die beiden Regierungen dies als eine Bedrohung ihrer eigenen Sicherheit ansehen. Sie werden gemäß Art. 4 des Nordatlantikpakts handeln.
({9})
Wenn nun Dr. Schumacher erklärte, daß eine sozialdemokratische Regierung die Revision dieser Verträge anstreben würde, so bedeutet eine solche Erklärung nur die Abschwächung der mit dem Generalvertrag verbundenen Gefahren. Es wird in der Bevölkerung damit der Eindruck erweckt, als ob die Ratifizierung des Generalvertrages doch nicht mit so furchtbaren Gefahren verbunden sei, da eine sozialdemokratische Regierung oder eine andere westdeutsche Regierung die Möglichkeit der Revision dieser Verträge habe. Sowohl Art. 7 Abs. 3 als auch die Garantieerklärung zeigen
({10})
eindeutig, daß es keine Revisionsmöglichkeit im Rahmen des Vertrages gibt und daß auch Art. 10 des Generalvertrages die vagen Möglichkeiten einer Revision an solche Bedingungen knüpft, die sie praktisch unmöglich machen. Es kommt nicht darauf an, heute Illusionen über eine Revision zu schaffen, für die in diesen Verträgen keine Grundlage vorhanden ist, sondern darauf, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln die Ratifizierung dieses schändlichen Vertragswerkes zu verhindern.
({11})
Es kommt darauf an, nicht nur nein zu sagen, sondern, wie es auf allen Konferenzen die Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei verlangen, außerparlamentarische Aktionen durchzuführen, um die Ratifizierung dieses Dokuments der nationalen Schande zu verhindern.
({12})
Was ein Nein zu den Verträgen oder Verhandlungen mit Dr. Adenauer für einen Sinn haben soll, zeigen die Verhandlungen der Führer des DGB mit Dr. Adenauer und den Vertretern der Regierungskoalition. Was ist das Ergebnis? Das Ergebnis ist, daß am Mittwoch kommender Woche das Betriebsverfassungsgesetz im Parlament durchgepeitscht werden soll. Die Arbeiter und Angestellten aber werden am Dienstag und Mittwoch millionenfach erneut ihre Bereitschaft durch Streik und Demonstrationen kundtun, daß sie kämpfen um ihre Freiheit, daß sie kämpfen werden, daß in den Betrieben nicht der Herr-im-Hause-Standpunkt der Unternehmer durchgesetzt wird. Dieses Betriebsverfassungsgesetz, das in Wirklichkeit ein Antigewerkschaftsgesetz ist, muß zu Fall gebracht
werden.
Die Aufrechterhaltung der Spaltung Deutschlands verfolgt das Ziel, a) Westdeutschland als Aufmarschgebiet der Truppen zu erhalten und b) die Schaffung eines gesamtdeutschen Partners, also einer deutschen Regierung, für den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland unmöglich zu machen.
Die zweite Grundtatsache, die den antideutschen und volksfeindlichen Charakter des Generalvertrages mit seinen Zusatzverträgen beweist, ist, daß dieser Vertrag gerade geschaffen wurde, um den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland zu erschweren, j a unmöglich zu machen. Zwar wird in Art. 7 Abs. 1 erklärt, daß ein wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland ist. Der irreführende Charakter dieses Passus wird durch die in Art. 2 enthaltenen Vorbehaltsrechte der Besatzungsmächte klar. Die Drei Mächte behalten sich dort die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte vor in bezug auf die Stationierung von Streitkräften in Deutschland und den Schutz von deren Sicherheit für Berlin und Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung. Nach diesen Punkten werden dem deutschen Volke die wichtigsten Souveränitätsrechte genommen, das Recht der Bestimmung über seine Hauptstadt, über die nationale Einheit und das im Potsdamer Abkommen enthaltene Recht auf den Abschluß eines Friedensvertrages. Darüber hinaus enthält dieser Artikel eine ähnliche Bindung jeder westdeutschen Regierung wie der Art. 7 mit dem Ziel, die westdeutsche Regierung faktisch zu einem Ausführungsorgan der amerikanischen Politik zu machen. Der Art. 2 Abs. 2 lautet:
Die Bundesrepublik wird sich ihrerseits jeder Maßnahme enthalten, welche diese Rechte beeinträchtigt, und wird mit den Drei Mächten zusammenwirken, um ihnen die Ausübung dieser Rechte zu erleichtern.
Dieser Artikel verbietet also nicht nur jede eigene Initiative in der Richtung der Wiedervereinigung Deutschlands, der Einheit der deutschen Hauptstadt Berlin und des Abschlusses eines Friedensvertrages, sondern verpflichtet darüber hinaus die westdeutsche Regierung, jede Maßnahme zu unterlassen, die die Rechte der Besatzungsmächte beeinträchtigen könnte, und macht sie in diesen Grundfragen zu einem bloßen Werkzeug fremder Interessen. Darum hat Dr. Adenauer auch jede Verständigung mit der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik über die Wahl einer Nationalversammlung abgelehnt und läßt er durch seinen Polizeiminister alle Deutschen verfolgen, die aktiv für die Verständigung der Deutschen zur Wahl einer Nationalversammlung eintreten.
Drittens ergibt sich der Charakter dieses Generalvertrages aus dem in ihm enthaltenen Verzicht auf das Selbstbestimmungsrecht unseres Volkes, auf seine nationale Unabhängigkeit und Gleichberechtigung. Dr. Adenauer versucht immer wieder, in seinen Interviews und Reden den Generalvertrag schmackhaft zu machen, da er angeblich dem deutschen Volk die Souveränität und die Gleichberechtigung zurückgebe. In Wirklichkeit enthält jeder einzelne Artikel dieser Verträge den Verzicht auf souveräne Rechte unseres Volkes. Schon Art. 3 Abs. 1 bindet die Politik der Bundesregierung mit den Worten:
Die Bundesrepublik wird ihre Politik in Einklang ... mit den im Statut des Europarates aufgestellten Zielen halten.
Ebenso Art. 3 Abs. 2:
Die Bundesrepublik - heißt es bekräftigt ihre Absicht, sich durch ihre Mitgliedschaft in internationalen Organisationen,
die zur Erreichung der gemeinsamen Ziele
der freien Welt beitragen, mit der Gemeinschaft der freien Nationen völlig zu verbinden. In diesen Absätzen wird also die Politik der Bundesrepublik einseitig festgelegt und sie verpflichtet, den amerikanisch gelenkten Organisationen beizutreten und ihre Politik von amerikanischen Interessen bestimmen zu lassen. Das enthüllt den heuchlerischen Charakter solcher Erklärungen und Einwände, wie sie gegen den sowjetischen Entwurf der Grundsätze eines Friedensvertrages mit Deutschland vorgebracht wurden. In diesen Grundsätzen der Sowjetunion war als Vorschlag enthalten, daß Deutschland keine militärischen Bindungen eingehen soll, die sich gegen einen früheren Kriegsgegner richten. Dr. Adenauer erklärte dazu, man dürfe in keiner Weise die Handlungsfähigkeit einer gesamtdeutschen Regierung einschränken. Die Absätze 1 und 2 des Art. 3 des Generalvertrags, der die Unterschrift Dr. Adenauers trägt, enthalten aber einseitige Bindungen der westdeutschen Regierung an die amerikanische Politik und nehmen damit der westdeutschen Regierung künftig jede Handlungsfreiheit.
Das Pariser Abkommen über die Bildung der Europaarmee sowie die Zusatzverträge, besonders
({13})
der Zusatzvertrag über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und ihrer Mitglieder sowie der Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen rauben dem deutschen Volke wesentliche Souveränitätsrechte. Fast alle Bestimmungen dieser Verträge unterwerfen das deutsche Volk einer nationalen Versklavung. Sie schaffen der Besatzung zahlreiche Privilegien und Vorrechte, die im einzelnen festgelegt sind, von der Steuer- und Zollfreiheit bis zum Jagd-und Fischereirecht, von der Beschränkung der deutschen Gerichtshoheit bis zur Polizei- und Gerichtsbefugnis der Besatzungsstreitkräfte gegenüber Deutschland. Dieser Teil bestätigt mit aller Deutlichkeit, daß die Besatzungsmächte in Westdeutschland wie in einem Kolonialland regieren wollen.
Zum vierten. Das Besatzungsregime bleibt aufrechterhalten. Daran ändert auch nichts, daß sich die Hohen Kommissare künftig Botschafter nennen werden. Die Tatsache, daß im übrigen die amerikanische Botschaft nicht weniger als 4700 Mann Botschaftspersonal haben soll, beweist schon, daß es sich in Wirklichkeit nicht um eine Botschaft, sondern um ein Kontroll- und Regierungsorgan handeln wird.
({14})
Der Anspruch des deutschen Volkes auf Abzug aller Besatzungstruppen als Ergebnis eines Friedensvertrags mit Deutschland wird durch die imperialistischen Westmächte im Bündnis mit Adenauer verweigert. Ausdrücklich behalten sich die Drei Mächte, die innegehabten Rechte in bezug auf die Stationierung von Streitkräften in Westdeutschland und den Schutz von deren Sicherheit vor. Dieses Recht ist ebenso wie der Generalvertrag in der Zeitdauer unbegrenzt. Die Bundesregierung verpflichtet sich darüber hinaus, nach Maßgabe dieses Vertrages und der Zusatzverträge in vollem Umfang mitzuwirken, um diesen Streitkräften ihre Aufgaben zu erleichtern. Nach dem Generalvertrag haben die Besatzungsmächte jederzeit die Möglichkeit, die Militärdiktatur zu errichten und mit der Erklärung des Notstandes faktisch den Belagerungszustand zu verhängen.
Art. 5 Abs. 2 gibt den Besatzungsmächten das Recht, den Notstand zu erklären u. a. bei einer umstürzlerischen Störung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, weiter bei einer schweren Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder bei dem ernstlich drohenden Eintritt eines dieser Ereignisse, wenn nach Auffassung der Drei Mächte die Sicherheit ihrer Streitkräfte gefährdet ist. Die Erklärung des Notstandes liegt also völlig im eigenen Ermessen der Besatzungsstreitkräfte.
Wie mit dieser Drohung die demokratischen Rechte des Volkes und der demokratischen Organisationen - wie z. B. der Gewerkschaften - eingeschränkt werden sollen, zeigt sehr deutlich das kriegshetzerische Blatt „Der Tagesspiegel" vom 12. Februar 1952. Er schreibt wörtlich:
Die Aufforderung zum Generalstreik wird man mit Gelassenheit zur Kenntnis nehmen; denn die Gewerkschaftler werden sehr sorgfältig zu erwägen haben, ob sie es riskieren können, zu einem Streik aufzurufen, der automatisch das Wiederaufleben der Militärregierungen mit allen Konsequenzen zur Folge haben wird.
({15})
Die reaktionären Kräfte in Westdeutschland, die hinter dem „Tagesspiegel" stehen, sind also an diesem volksfeindlichen Vertrag, der die nationale Knechtung der Bevölkerung Westdeutschlands enthält, interessiert, weil sie ihre Herrschaft über das eigene Volk auf den Spitzen amerikanischer Bajonette aufrechterhalten wollen.
Die ganze sogenannte Gleichberechtigung Dr. Adenauers aber reduziert sich in dem Art. 5 auf das Recht, konsultiert zu werden. Dagegen heißt es im Art. 5 Abs. 5:
Sie
- d. h. die Drei Mächte werden sich im gleichen Ausmaß der Unterstützung der Bundesregierung und der zuständigen deutschen Behörden bedienen.
Dieser Absatz charakterisiert richtig das Verhältnis der Adenauer-Regierung und der westdeutschen
Staatsorgane zu den amerikanischen Okkupanten.
({16})
Die amerikanischen Generäle werden sich der westdeutschen Regierung „bedienen"; besser kann dieses Verhältnis nicht zum Ausdruck gebracht werden. Ich kann Herrn Adenauer zu dieser offenherzigen Beurteilung seiner Stellung, die er mit seiner Unterschrift versehen hat, nur beglückwünschen.
({17})
Das wird aber auch über die Person Dr. Adenauers in der Bevölkerung Klarheit schaffen.
Nach Abs. 7 des Art. 5 kann sogar jeder Truppenkommandant der Drei Mächte nach Belieben das Standrecht verhängen und mit Waffengewalt gegen die Bevölkerung vorgehen. Ich möchte hier mit aller Deutlichkeit feststellen, daß die Notstandsklausel in Verbindung mit einigen anderen Artikeln des Generalvertrags, beispielsweise Art. 2 und Art. 7 und den Zusatzverträgen, Westdeutschland zu einem Protektorat der Amerikaner macht.
Im Generalvertrag und in den Zusatzverträgen sichern sich die Drei Mächte, insbesondere aber die USA, entscheidende wirtschaftliche Vorteile. So bestimmt z. B. der Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen im Sechsten Teil, Art. 3 Abs. 1:
Die Bundesrepublik wird in Zukunft keine Einwendungen gegen die Maßnahmen erheben, die gegen das deutsche Auslands- oder sonstige Vermögen durchgeführt worden sind oder werden sollen, das beschlagnahmt worden ist für Zwecke der Reparation oder Restitution oder auf Grund des Kriegszustandes oder auf Grund von Abkommen, die die Drei Mächte mit anderen alliierten Staaten, neutralen Staaten oder ehemaligen Bundesgenossen Deutschlands geschlossen haben oder schließen werden.
Nach diesem Passus verpflichtet sich die Bundesregierung also nicht nur, gegen vergangenes Unrecht nicht zu protestieren, sondern darüber hinaus auch, Absichten gutzuheißen, die sie im einzelnen noch nicht kennt oder noch nicht kennen kann. Dr. Adenauer gibt also mit seiner Unterschrift eine generelle Bindung, alles hinzunehmen, was die Drei Mächte in dieser Frage noch unternehmen werden. Er erkennt die Beschlagnahme des deutschen Auslandsvermögens, der deutschen Warenzeichen und Patente an und verpflichtet sich,
({18})
Ansprüche und Klagen gegen solche Maßnahmen der Drei Mächte nicht zuzulassen.
Dieser Zusatzvertrag gibt darüber hinaus den ausländischen Kapitalisten wirtschaftliche Vorteile in der Art, daß sich die Bundesregierung verpflichtet, Entschädigungen für ihr im Bundesgebiet gelegenes Eigentum zu zahlen, während dieselben gleichzeitig aber von allen Abgaben, Sondersteuern und Auflagen befreit werden, die zum Zwecke der Deckung von Kriegslasten erhoben werden. So werden sie nach diesem Zusatzvertrag auch bis zum Jahre 1955 von der Soforthilfeabgabe und der Vermögensabgabe im Rahmen des Lastenausgleichs befreit.
Dieselben Bestimmungen sichern vor allem den amerikanischen Monopolen, wie General Motors, Ford, Stinnes usw. entscheidende Vorteile. Es ist mir unmöglich, auf alle Beschränkungen hier im einzelnen einzugehen sowie auf die Vorteile, die den ausländischen Finanzherren durch die Sonderbestimmungen über die Entflechtung, über die Behandlung des IG-Farbenkomplexes usw. erwachsen. Es muß aber gesagt werden, daß auf Grund der Bestimmungen des Zusatzvertrages den ausländischen Kapitalisten entscheidende Vorrechte gesichert sind und die fremden Eingriffe in die deutsche Wirtschaft aufrechterhalten bleiben.
Diese Bestimmungen und die im Finanzvertrag enthaltene Verpflichtung über die Zahlung der Besatzungskosten, der Kosten für die Söldnerverbände, die Verpflichtung der Bunderegierung, eine Reihe der Schäden, die durch die Anwesenheit der Besatzungstruppen verursacht wurden, zu tragen, die Bestimmung über die kostenlose Benutzung öffentlicher Einrichtungen usw. usw. bringen der
westdeutschen Bevölkerung zunehmende Belastungen und müssen zu weiteren Steuerlasten und Einschränkungen der sozialen Aufwendungen führen. Der Generalvertrag beinhaltet damit für die werktätige Bevölkerung auch wachsende Ausbeutung, sinkenden Lebensstandard, kurzum weitere Verschlechterung ihrer sozialen Lage.
Zum fünften dient der Generalvertrag der Zurverfügungstellung Westdeutschlands als Aufmarschgebiet und als Kriegsschauplatz und seiner Menschen als Söldner für fremde Interessen. Nach dem EVG-Vertrag entscheiden ausschließlich die Besatzungsmächte über die Stationierung, Anzahl und Standortverteilung der Besatzungstruppen. Die Bundesregierung verpflichtet sich, unter Anwendung von Nazigesetzen den Besatzungstruppen Ländereien usw. zur Verfügung zu stellen. Sie verpflichtet sich, geeignete zivile Arbeitskräfte zu vermitteln. Kurzum: nach dem Generalvertrag und dem Vertrag über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und ihrer Mitglieder wird Westdeutschland zu einem einzigen Manöverfeld und Aufmarschgebiet.
Mehr noch: durch ein besonderes Abkommen gemäß Art, 107 des Pariser Vertrages wird der größte Teil Westdeutschlands als strategisch gefährdetes Gebiet bestimmt, östlich einer in diesem Abkommen festgelegten Linie, die im wesentlichen längs des Nieder- und Mittelrheins verläuft und bis zur Ostspitze des Bodensees reicht. Diese Linie wurde bereits treffend als die „Pulverlinie" bezeichnet. Infolge dieser Linie wird unsere Heimat von vornherein als Gebiet der toten Zone behandelt, in dem im Kriegsfalle nach der Methode der verbrannten Erde alles Leben ausgelöscht werden soll.
Entgegen den Bestimmungen des Genfer Abkommens über die Landkriegführung hat Dr. Adenauer Abmachungen über die Produktion von chemischen, bakteriologischen und Atomwaffen getroffen,
({19})
die im Falle eines Krieges Anwendung finden sollen.
({20})
Die deutschen Söldnerverbände sollen nach einer Forderung von Dr. Adenauer damit ausgerüstet werden.
({21})
Im Pariser Abkommen, dem sogenannten EVGVertrag, ist die Anzahl und Bewaffnung sowie die Organisation der westdeutschen Söldnerverbände festgelegt. Ebenso ist festgelegt, daß die Mindestdienstzeit eineinhalb Jahre beträgt und daß die westdeutsche Jugend durch die allgemeine Wehrpflicht in diese militärischen Verbände gezwungen wird. Der EVG-Vertrag koppelt Westdeutschland an den Atlantikpakt. Der faktische Oberkommandierende dieser Streitkräfte ist der Oberbefehlshaber, der bekannte General Ridgway aus Korea.
({22})
Es wurde in der westdeutschen Presse behauptet, daß die westdeutschen Truppenverbände nur in den europäischen Gebieten der dem EVG-Vertrag angeschlossenen Staaten stationiert werden dürfen. Das entspricht jedoch nicht den Tatsachen. § 2 a des Art. 120 bestimmt, daß Verbände der europäischen Verteidigungsstreitkräfte mit Zustimmung des Oberbefehlshabers der Nordatlantikpaktorganisation auch in andere Gebiete verlegt werden können. In § 2 dieses Artikels wird bestimmt, daß Schulen, Einrichtungen und Ausbildungsstätten auch in Afrika liegen können. In § 3 wird bestimmt, daß diese Verbände faktisch in jedem Teil der Erde, d. h. auch in Korea und Vietnam, eingesetzt werden können.
({23})
Nach Art. 12 des EVG-Vertrags wird es möglich gemacht, daß Einheiten dieser Streitkräfte bei bestehenden und drohenden Unruhen eingesetzt werden können. Das bedeutet, daß die westdeutsche Jugend in Frankreich, in Italien und anderen Ländern gegen die dortige Bevölkerung, gegen streikende Arbeiter usw. eingesetzt werden kann, womit der Name der deutschen Nation aufs neue beschmutzt würde. Ebenso macht dieser Vertrag den Einsatz fremder Truppen gegen die westdeutsche Bevölkerung, gegen Arbeiter und Bürger möglich.
Weder der Bundestag noch irgendein westdeutsches Regierungsorgan wird unmittelbaren Einfluß auf den Charakter der Armee, auf den Einsatz der Truppen, auf die Art ihrer Ausbildung und Bewaffnung oder sonst eine irgendwie entscheidende Frage ihrer Organisation haben. Alle entscheidenden Fragen werden durch ein Kommissariat aus neun Personen, die weder ihren Regierungen noch Parlamenten verantwortlich sind, entschieden, darunter auch die Berufung und Beförderung der höheren Offiziere, wobei die höchste Instanz faktisch - das möchte ich noch einmal betonen - der amerikanische Oberbefehlshaber der Atlantikpaktstreitkräfte ist.
Es hat noch nie in der Geschichte eine Armee gegeben, die so von ihrem Volke losgelöst war wie diese Armee, die nach dem EVG-Vertrag aufgestellt
({24})
werden soll. Man kann die Stellung der jungen Deutschen, die in diese Armee gezwungen werden sollen, nur vergleichen mit den in der deutschen Geschichte von deutschen Fürsten verkauften jungen Hessen oder mit dem in den verschiedensten Fremdenlegionen dienenden Soldaten. Der Status dieser Armee ist der Status einer Fremdenlegion, die letzten Endes gegen die Interessen unseres Volkes für fremde Interessen, für die Interessen amerikanischer Kriegsabenteurer ihr Blut vergießen soll. Das deutsche Volk hat aber kein Interesse mehr daran, Sturmbock im Krieg für fremde Interessen zu sein. Es weiß zu sehr aus Erfahrung, daß der Krieg ihm nur grenzenlose Not und namenloses Leid bringen kann. Es weiß, daß ein neuer Krieg die Vernichtung Westdeutschlands zur Folge haben würde.
Es gibt für das deutsche Volk nur einen Weg, der ihm das Leben als selbständige und freie Nation garantiert: das ist der Weg der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands, der Weg des Abschlusses eines Friedensvertrags mit Deutschland und des Abzugs aller Besatzungstruppen.
({25})
Es gibt eine reale Möglichkeit, diesen Weg zu beschreiten, da die Sowjetunion das Angebot eines Friedensvertrages mit Deutschland nach den Grundsätzen, die die Wiederherstellung der deutschen Souveränität und Deutschlands als einheitlichen und unabhängigen Staates sichern, gemacht, da die Sowjetunion die sofortige Aufnahme von Viererbesprechungen vorgeschlagen hat und auch die Regierungen Englands und Frankreichs unter dem Druck der öffentlichen Meinung ihrer Länder für eine zustimmende Antwort zur Viererbesprechung bereit waren. Es gibt nur eine Macht, die Viererbesprechungen nicht wünscht - es sind die USA -, weil sie fürchtet, damit Westdeutschland als Aufmarschbasis und als Basis ihrer Herrschaft in Europa zu verlieren.
({26})
Es gibt einen westdeutschen Politiker, der dieser Macht dabei Zubringerdienste leistet; das ist, wie sich in den letzten Wochen wieder eindeutig gezeigt hat, Dr. Adenauer.
Der Bundestag kann seiner nationalen Pflicht nur gerecht werden, wenn er das Ansinnen, diese Schandverträge zu ratifizieren, zurückweist. Die westdeutsche Bevölkerung kann ihre Lebensinteressen nur dann erfolgreich verteidigen, wenn sie durch aktives Handeln die antinationale Regierung zum Rücktritt zwingt. Das deutsche Volk in unserer Heimat ist gegen diese Schandverträge. Das hat die Volksbefragung bewiesen und beweist die Volksentscheidung, die jetzt durchgeführt wird. Das deutsche Volk wird keinerlei Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen ergeben, übernehmen. Das ganze deutsche Volk muß heute durch durch den Volksentscheid, durch Streiks und Demonstrationen selbst entscheiden. Das Urteil über die Abgeordneten und Parteien wird von der Geschichte und wird von unserem Volke heute nicht nur nach Worten und Reden gefällt, sondern entscheidend dafür sind allein Handlungen und Taten.
({27})
Es gibt heute nur einen Weg: den Zusammenschluß aller Kräfte des deutschen Volkes gegen die Ratifizierung und Durchführung des Generalvertrags, für die friedliche Wiedervereinigung
Deutschlands und den Abschluß eines Friedensvertrags. Nur dieser Zusammenschluß und der Kampf um dieses Ziel kann der verhängnisvollen Entwicklung in Westdeutschland Einhalt gebieten und unsere Nation zu einem Leben in Einheit, Frieden und Freiheit führen.
({28})
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Dr. Reismann.
Herr Präsident! Meine. sehr verehrten Damen und Herren! Für die Föderalistische Union - Bayernpartei-Zentrum - habe ich folgende Erklärung abzugeben:
Wir haben uns der Protestkundgebung der Regierungskoalition durch Verlassen des Saales angeschlossen, um unserem Abscheu vor den unmenschlichen Methoden östlicher Rechtlosigkeit Ausdruck zu geben. Diese Haltung ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Um so mehr bedauern wir es, daß die Regierungskoalition es wieder einmal verabsäumt hat, das Haus zu einer einheitlichen Aktion zusammenzufassen.
({0})
Wir haben Herrn Dr. Tillmanns unser Befremden hierüber schon zum Ausdruck gebracht.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete von Thadden.
von Thadden ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Generalvertrag über die künftigen Beziehungen Deutschlands zu den Westmächten soll im Sinne seiner Befürworter die Besatzungszeit abschließen und die Voraussetzung für den Aufbau einer neuen deutschen Wehrmacht schaffen. Diese soll dann im Verein mit den Soldaten der Westmächte versuchen, den noch vorhandenen Rest Europas gegen die Gefahr einer Überrollung aus dem Osten zu schützen. Natürlich wäre es niemals zu diesem Vertrag gekommen, wenn der Geist von Teheran, Jalta und Potsdam noch lebensfähig wäre. Wir erinnern uns nur zu gut der erklärten Absicht unserer Gegner in Ost und West, Deutschland für immer niederzuhalten und ihm die Aufstellung von Soldaten, die Anschaffung oder gar die Benutzung von Waffen für alle Zeiten zu verbieten.
Manche sagen nun, unsere Situation heute sei ähnlich der Lage, wie sie sich nach dem. Versailler Vertrag ergeben hatte. Wir glauben aber, daß sich unsere heutige Lage von der damaligen grundlegend unterscheidet und daß die Siegermächte nach 1918 praktisch nur das Ziel hatten, aus uns ein Höchstmaß an Reparationen herauszupressen, und nur Sorge trugen, daß die winzige Reichswehr zu keinem Instrument werden konnte. Heute spricht man nicht von 100 000 Mann, sondern man fragt: Wieviele Soldaten kann Deutschland überhaupt stellen? Vor einem Jahr war es eine Viertelmillion, heute ist es eine halbe Million, und es wird wohl mehr werden. Die drohende Existenz des Kremls garantiert uns auch in Zukunft, daß die Westmächte gezwungen sind, den Wahnsinn von 1945 zu liquidieren.
Der bekannte Brief des Bundeskanzlers über die Bedrohung der westlichen Welt durch den Osten stammt vom August 1950. Wäre diese Gefahr
({1})
der Bedrohung von der Gesamtheit des Westens schon damals entsprechend ernst eingeschätzt worden, dann könnten - die Zeitfrage für sich allein betrachtet - heute schon deutsche Streitkräfte unter Waffen stehen. Aus innerer Uneinigkeit und aus Mißtrauen gegen uns hat sich der Westen bisher reichlich Zeit gelassen. Infolgedessen erscheint es uns nicht notwendig, daß man nun auf deutscher Seite die Dinge mit einer Eile betreibt, als ob Erfolg oder Mißerfolg von fünf Minuten abhängig wäre.
Bei aller Würdigung der Bedeutung der Verteidigung des Abendlandes, die wir in keiner Weise bestreiten, müssen wir doch gleichzeitig noch ein anderes Problem in unsere Betrachtungen einbeziehen, nämlich die Herbeiführung einer Wiedervereinigung Deutschlands, dessen Zerreißung ebenfalls auf das Konto von Teheran, Jalta und Potsdam geht. Es liegt uns fern, die Dinge von der falschen Perspektive jener Leichtgläubigen zu betrachten, die die Versprechungen der Sowjet-Politiker zu dem Thema „deutsche Einheit" als vollwertige Münze in Zahlung nehmen wollen. Vor einem solchen Leichtsinn warnen die Erfahrungen der letzten Jahre.
Aber dessenungeachtet mißbilligen wir, daß die Bundesregierung es völlig unterlasssen hat, durch taktisch notwendige Züge die angeblich ehrliche Verhandlungsbereitschaft des Ostens auf eine wirkliche Probe zu stellen. Wir haben lediglich die UNO um die Entsendung einer Kommission gebeten, deren Erfolg oder vielmehr Mißerfolg von Anfang an feststand.
Der Bundeskanzler verläßt sich nun anscheinend zu sehr auf ein Ergebnis des Notenwechsels zwischen den Westmächten und der Sowjet-Union. 1 Aber wir glauben, daß die Noten des Westens in Moskau wohl schwerlich ernst genommen werden; denn man weiß dort natürlich ganz genau, daß zum Beispiel die Franzosen an einer Einheit Deutschlands - und wenn es zunächst auch nur bis zur Oder-Neiße-Linie wäre - überhaupt nicht interessiert sind. Sie versuchen und sind zu jeder Zeit bereit, sich mit dem Kreml gegen Deutschland zu verständigen. Im Kreml weiß man natürlich auch, daß die Engländer an Handelsverträgen mit dem Osten mehr interessiert sind als an einer Ausweitung der deutschen Produktionskraft.
Es wäre nach unserer Auffassung die Aufgabe der Bundesregierung gewesen, in aller Öffentlichkeit durch eigene Vorschläge in die Auseinandersetzung mit dem Osten einzugreifen, wobei die Vertrauenswürdigkeit des östlichen Partners zunächst nicht entscheidend sein kann. Es ist wenig sinnvoll, sich in Bonn hinzustellen und - mit Recht - die Rückkehr nach Memel und Kattowitz zu fordern, gleichzeitig aber nichts zu versuchen, um zunächst nach Stralsund und Leipzig zu gelangen. Überdies entsteht leider auch noch der Anschein, als habe man allmählich vergessen, daß Saarbrücken in Deutschland liegt.
Was ist nun der konkrete Inhalt dieses Vertrages? Alle möglichen Rückstände aus der Besatzungszeit - selbstredend nur zugunsten der anderen - bleiben erhalten. Die sogenannte Entflechtung soll im Sinne der Schwächung der deutschen Wirtschaftskraft fortgeführt werden, wo eine Mobilisierung der letzten Kraft notwendig wäre. Unser Auslandsvermögen bleibt gestohlen; unsere Patente und Erfindungen bleiben ebenfalls gestohlen. Durch die Annahme dieses Vertrages erklären wir, daß wir damit einverstanden sind. Die Reparationsfrage soll überhaupt erst in einem späteren Friedensvertrag aufgerollt werden. Wir erkennen weiterhin die Gültigkeit aller Urteile an, die Alliierte gegen Deutsche in Deutschland gefällt haben. Die Alliierten kontrollieren weiter, wer nach Deutschland einreisen darf und wer nicht. Zwar verschwinden die Kreisresident-Offiziere, die ohnehin seit zwei Jahren nicht mehr wissen, was sie zu tun haben.
Die Rechte der Besatzungstruppen bleiben im wesentlichen unverändert. Ich bezeichne sie als Besatzungstruppen, denn Verbündete sind sie nach der Konstruktion dieses Vertrages noch lange nicht. Der deutsche Steuerzahler muß auch in Zukunft große Ausgaben für luxuriöse Bedürfnisse dieser Besatzungstruppen leisten, ohne daß selbst die EVG diese Ausgaben nachprüfen könnte. Diese Luxusausgaben werden ohnehin noch die bedauerliche Nebenwirkung einer Verminderung der militärischen Schlagkraft dieser „Bundesgenossen" haben. Wenn wir aber echte und gleichberechtigte Bundesgenossen gegen einen möglichen gemeinsamen Feind sein sollen, dann dürfen wir kein Rekrutendepot für Soldaten werden, über deren Einsatz wir letzten Endes nicht entscheiden. Unsere angebliche Gleichberechtigung im Rahmen der Europa-Armee ist leider praktisch wertlos, da die Entscheidungen im Oberkommando des Atlantikpaktes gefällt werden, aus dem man uns auf französischen Wunsch hin ausdrücklich ausgeschlossen hat.
Vor der Annahme des Schumanplanes sagte man, daß es nicht so wichtig sei, wie die anderen diesen Vertrag auslegten. Inzwischen haben wir aber genug Beispiele der Auslegungskunst der Franzosen erhalten, für die alle europäischen Verträge praktisch nichts anderes vorstellen als Handhaben zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit Deutschlands. Die Franzosen betrachten auch den Generalvertrag durchaus auf ihre Weise. Herr Professor Schmid zitierte gestern bereits Herrn Schuman. Ich will ihn weiter zitieren. Am 30. Mai sagte er auch, daß sich „an den Beziehungen Frankreichs zur Sowjetunion juristisch nichts geändert" habe. Das bedeutet, daß der 1944 in Moskau gegen uns geschlossene Vertrag juristisch gültig ist.
({2}) Nichtsdestoweniger redet man von einer „gemeinsamen Verteidigung Europas".
Die Europa-Armee ist ein völlig neues Experiment auf einem völlig neuen Gebiet. Der Vertrag mag als Geschäftsordnung zunächst brauchbar sein. Daß er im Ernstfall brauchbar sein wird, möchte ich bezweifeln. Es ist kein Trost, daß die Europa-Armee nicht so schlechtgeworden ist, wie es der Plevenplan einmal bezweckte. Aber, meine Damen und Herren, militärischer Irrsinn ist kein Maßstab.
({3})
Die Europa-Armee ist in ihrer jetzigen Struktur nichts anderes als eine von Frankreich organisierte planmäßige Unzulänglichkeit. Legionen von nicht kämpfenden Dolmetschern werden wir haben. Der Kampfwert dürfte zunächst minderer Natur sein.
Mit besonderem Nachdruck muß darauf hingewiesen werden, daß das brennende Problem einer unverzüglichen Freilassung der „Kriegsverbrecher" nicht gelöst ist. Unkontrollierte Versprechungen sind kein Ersatz. Die Tatsache, daß die Alliierten zur gleichen Zeit, in der sie die Aufstellung eines
({4})
bewaffneten deutschen Kontingents für eme gemeinschaftliche Verteidigung erwarten, es allen Ernstes noch für zumutbar halten, daß Deutsche weiterhin ihre Pflichterfüllung als Soldaten und als Zivilisten hinter Kerkermauern büßen, ist ein vernichtender Beweis für die Haltlosigkeit des ganzen Geredes von der deutschen Gleichberechtigung. Die deutsche Öffentlichkeit hat von der Bundesregierung wenigstens in diesem Punkte eine unerschütterliche Standhaftigkeit erwartet - leider vergebens.
Ich komme zum Schluß. Wenn es in dieser selbstverständlichen Angelegenheit nicht möglich gewesen ist, eine uns alle befriedigende Lösung zu erreichen, dann eröffnet dies außerordentlich bedenkliche Perspektiven. In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf hinweisen, daß es höchste Zeit ist, daß Mister Thon endlich aus Deutschland verschwindet, der 1946 beim Malmedy-Prozeß aktiv und persönlich an den Quälereien an deutschen Gefangenen beteiligt war, daß er möglichst bald zusammen mit Herrn Kempner dorthin gehen möge, wo Herr Kemritz bereits ist.
Wir stellen fest: eine Konstruktion, bei der wir lediglich aus einem kleineren Käfig in einen größeren Käfig gelangen, kann unser Volk nicht zur Mitarbeit anfeuern. Vor allem hat die jüngere Generation Sinn und Zweck eines soldatischen Einsatzes großenteils noch nicht erkannt. Das vorliegende Vertragswerk ist ungeeignet, eine solche Einsatzbereitschaft zu wecken.
Wenn der Herr Bundeskanzler die Hoffnung ausgesprochen hat, daß mit der Bildung der Europa-Armee ein Werkzeug geschaffen werde, um ohne Anwendung des letzten und äußersten Mittels, des Krieges, den deutschen Osten für Gesamtdeutschland zurückzugewinnen, so übersieht er leider die nicht bestreitbare Tatsache, das Frankreich die Wiederherstellung Deutschlands keineswegs will. Dies ist auch der entscheidende Grund, weshalb man uns auf Frankreichs Betreiben aus der obersten politischen und militärischen Leitung des Verbands der Atlantikpaktmächte herausgehalten hat.
Abschließend stelle ich fest: für die Verteidigung und für die Wiederherstellung Europas wollen auch wir die Kräfte unseres Volkes gerne mit einsetzen; aber wir verlangen dann, daß dieses Ziel von Anfang an klar ist und von allen Beteiligten angestrebt wird.
Eine Ablehnung dieser Verträge aus neutralistischen Gesichtspunkten wäre sinnlos. In der momentanen Situation gibt es für niemanden eine Neutralität. Wir lehnen die Verträge ab, weil uns ein Ziel vorgegaukelt wird, das einige unserer künftigen Bundesgenossen gar nicht erreichen wollen, und 'weil alle konkreten und unabdingbaren Voraussetzungen für unsere Bereitschaft in keiner Weise erfüllt sind.
Sollte sich der Bundestag in seiner Mehrheit für die Ablehnung entscheiden, so würde man eben weiter verhandeln, mit uns verhandeln, weil man es einfach muß, weil die Westmächte gezwungen sind, all den Wahnsinn zu bereinigen, den Herr Roosevelt der Welt eingebrockt hat.
Bei vernünftigen Bedingungen können die Deutschen an der Seite der Westmächte mitarbeiten. Man kann uns aber nicht in einem Arbeitsgang das Fell über die Ohren ziehen und die Uniform anziehen.
({5})
Von Art und Umfang erreichbarer Verbesserungen werden wir unsere Haltung bei der dritten Lesung des Vertrages abhängig machen.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zur Sache selbst spreche, möchte ich namens der sozialdemokratischen Fraktion das Bedauern dieser Fraktion darüber zum Ausdruck bringen, daß hinsichtlich . der von Herrn Abgeordneten Dr. Tillmanns hier vorgetragenen Erklärung nicht der Versuch einer Fühlungnahme mit der sozialdemokratischen Fraktion gemacht worden ist.
({0})
Es ist bekannt, daß es in der Frage der Beurteilung des Verbrechens von Berlin keine Meinungsverschiedenheiten gibt.
({1})
Um so mehr mußte das klar sein, als bekannt war, daß auch die sozialdemokratische Fraktion gestern einen Antrag zu diesem Verbrechen im Hause eingereicht hat.
Die sozialdemokratische Fraktion war und ist stets bereit, in gesamtdeutschen Fragen Gemeinsamkeit herbeizuführen. Die von Herrn Dr. Tillmanns im Namen der Regierungsparteien abgegebene Erklärung muß aber den Eindruck erwecken, daß es den Regierungsparteien trotz ihrer Beteuerung mit einer Gemeinsamkeit in solchen Fragen nicht ernst ist.
({2})
Die sozialdemokratische Fraktion drückt deshalb
ihr Bedauern aus und weist diese Methode zurück.
Zur Sache! In dieser Debatte ist wiederholt der Versuch gemacht worden, die in den Verträgen niedergelegten Ergebnisse der Politik des Herrn Bundeskanzlers und der drei Besatzungsmächte als den für Deutschland einzig möglichen Weg hinzustellen. Wer auf Grund anderer Einsicht in die Vertragstexte und in die politischen Zusammenhänge außerstande ist, dieser Politik seine Zustimmung zu erteilen, läuft Gefahr, als ein grundsätzlicher Verneiner bezeichnet oder gar beschuldigt zu werden, dem sowjetischen Expansionsstreben Vorschub zu leisten. Bei dieser Art von Argumentation ist es außerordentlich schwer, der Aufgabe einer parlamentarischen Debatte gerecht zu werden.
({3})
Die Opposition versucht doch. durch ihre Kritik ihrer Aufgabe gerecht zu werden, die Position des eigenen Landes in der Auseinandersetzung mit den ausländischen Verhandlungspartnern zu verbessern.
({4})
Hier aber wird uns zugemutet, die bisherigen Ergebnisse der Politik des Herrn Bundeskanzlers und der drei westlichen Besatzungsmächte als unabänderlich anzuerkennen.
Es dürfte, meine Damen und Herren, in diesem Hause keine Meinungsverschiedenheiten darüber geben, daß die Grundlagen der deutschen Politik nicht einfach aus den Spannungsfeldern der großen weltpolitischen Gegensätze - Interessengegensätze! - ausgeklammert wenden können.
({5})
({6})
Die Sprecher der Regierungsparteien machen es sich allzu leicht, wenn sie der Opposition vorwerfen, die Opposition postuliere einfach absolute Grundsätze, wie es heute das Leitmotiv des Herrn Kollegen Strauß war.
Bei dieser Debatte geht es darum, in welcher Haltung und von welchen Grundlagen aus die Forderungen der deutschen Politik vertreten werden sollen. Es ist also nicht so, daß die eine Seite des Hauses mit anderen Nationen zusammenarbeiten wolle, während sich die andere Seite des Hauses angeblich abseits stelle. Es geht in Wirklichkeit darum, w i e die deutschen Anliegen vertreten werden sollen.
Lassen Sie mich bei der Gelegenheit gleich noch auf einen hier wiederholt unternommenen Versuch mit ein paar Sätzen eingehen. Der Herr Kollege Strauß - und vor ihm haben das auch schon andere in dieser Debatte versucht - möchte uns, die Sozialdemokratische Partei, an die Seite Hugenbergs unseligen Angedenkens manövrieren.
({7})
Sie sollten dieses Gespenst nicht heraufbeschwören.
({8})
Sie sagen heute, Sie seien sozusagen die Fortsetzer einer Politik, wie sie Stresemann geübt habe. Nun, dann lassen Sie mich doch statt dessen, was darüber immer gesagt wird, ein paar Sätze Stresemanns aus den kritischen Zeiten zitieren:
Kein Staat
- so sagt Stresemann kann Deutschland gegen seine eigene Zustimmung zwingen, an einem Kriege, z. B. gegen Rußland, teilzunehmen. Kein Staat kann das Recht in Anspruch nehmen, ohne Genehmigung durch sein Gebiet durchzumarschieren.
Oder hören Sie eine Stelle aus der Radio-Ansprache Stresemanns vom 1. Mai 1926. Es sei, sagte er, niemals deutsche Absicht gewesen, „sich im Westen zu einer Kampfgemeinschaft gegen den Osten zu verbinden". Weiter:
Unsere Politik war vielmehr, das System friedlicher Abmachungen auf ganz Europa zu erstrecken. Welch eine andere europäische Großmacht kann ein gleiches Bekenntnis zur Schiedsidee aufweisen! Diese Schiedsidee
- so sagte er ist die Basis unserer Friedenspolitik.
Ich wollte solche Äußerungen nur in Erinnerung gebracht haben, weil es allmählich zum guten Ton zu gehören scheint, gegen die Sozialdemokratie auf die Weise zu polemisieren, daß man sie an die Seite Hugenbergs stellt und sich selbst sozusagen als Fortsetzer der Stresemannschen und der Verständigungspolitik bezeichnet.
({9})
Meine Damen und Herren, es dient der Demokratie in keiner Weise, wenn man eine Schlagwortpsychose erzeugt.
({10})
- Das ist gut, deswegen habe ich es auch gesagt. Aber hier unterscheiden wir uns wahrscheinlich von Ihnen, Herr Kiesinger: ich sage nämlich auch solche Dinge, von denen ich von vornherein hoffe, daß wir vielleicht einmal in einer Frage einig sind,
({11})
und nicht nur, um den Widerspruch zu provozieren.
Wenn wir nun in die Lesung dieses umfangreichen Vertragswerkes eintreten, so ist doch jede ernsthafte parlamentarische Arbeit von vornherein gehandikapt, wenn man sagt: Es kann dazu nur „Ja" gesagt werden; denn wenn man „Nein" sagt, geht sozusagen die Welt unter! Ich meine, wir sollten die Behandlung dieses Vertragswerkes auch nicht von solchen Schlagworten beeinflussen lassen. Die Bundesregierung trägt meines Erachtens die Hauptschuld an der Unruhe im Volk hinsichtlich dieser Verträge. Sie hätte nämlich durch eine angemessene Publizität dazu beitragen können, daß die Diskussion im Volk sachlich fundiert und in aller Breite, wie es der Bedeutung dieser Verträge entspricht, in Gang kam.
({12})
Man kann doch nicht ungestraft auf der einen Seite von einem solchen Vertragswerk als von einem „Stück Weltgeschichte" sprechen - so steht es doch im ersten Satz der amtlichen Begründung, die die Bundesregierung dem Vertragswerk beigegeben hat - und vor der Unterzeichnung sagen: ihr müßt jetzt zugestehen, daß ihr vorher nichts wissen dürft, ihr habt ja nachher Zeit!, und auf der anderen Seite nach der Unterzeichnung sagen: Aber jetzt beeilt euch mit der Ratifikation, denn sonst passiert ein Unglück!
({13})
Das paßt irgendwie nicht zusammen. Das Unterordnen der Behandlung der Vertragswerke unter fremde Termine - über das hier schon einiges gesagt worden ist - nützt - ungewollt, möchte ich sagen - den Verwirrungsmanövern der sowjetzonalen Machthaber.
({14})
Die Grundsätze jeder deutschen Politik sind doch wohl etwa folgende: daß man stets die Bereitschaft und den Willen zur Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und mit friedlichen Mitteln unter Beweis stellt,
({15})
daß man jede aus den Umständen sich ergebende oder notwendig werdende Zwischenlösung als ein eben durch die Umstände aufgezwungenes Provisorium versteht und interpretiert und daß keine Zwischenlösung die Wiedervereinigung erschweren darf.
({16})
Der Streit um die Verträge ist ein Streit darüber, ob der Herr Bundeskanzler bei den Verhandlungen das Maximum des zur Zeit Erreichbaren erzielt hat oder nicht.
({17})
Dabei spielt eine besondere Rolle die Frage, ob der Herr Bundeskanzler in richtigem Maße der vordringlichen Forderung „Wiedervereinigung in Freiheit mit friedlichen Mitteln" Rechnung getragen hat.
({18})
Der Bundeskanzler mutet uns zu, zu glauben, nur bei Annahme der Verträge, so wie sie sind, könne die Wiedervereinigung Deutschlands erreicht werden. Er bezichtigt seine Kritiker, sie hätten Illusionen über den Charakter der Politik der Sowjetregierung, wenn er sie nicht direkt als Wegbereiter einer Sowjetisierung Deutschlands beschuldigen läßt, wie es in jüngster Zeit im „Rheinischen Mer({19})
kur" und im „Echo der Zeit" am laufenden Band
nicht nur gegenüber Sozialdemokraten geschieht.
({20}) Andererseits läßt der Herr Bundeskanzler in dem vom Presse- und Informationsamt herausgegebenen „Bulletin" argumentieren, es sei eigentlich unverständlich, daß die Kritiker der vorliegenden Verträge jetzt, sozusagen fünf Minuten vor dem Ziel, die auch von ihnen - das heißt von Regierung und Opposition gemeinsam - befürwortete Politik der Integration Deutschlands in den Westen verlassen wollen. Nun, wie steht es damit?
Die Differenzen und Gegensätze, die hier und jetzt von Interesse sind, sind doch nicht Differenzen und Gegensätze darüber, ob der Sowjetpolitik zu trauen ist oder nicht, sondern Differenzen und Gegensätze darüber, ob der deutschen Politik Handhaben für die Erreichung der Wiedervereinigung in Freiheit und mit friedlichen Mitteln gegeben werden oder ob die deutsche Politik zu einer Funktion der Mächte gemacht werden und das Initiativrecht bei den Besatzungsmächten liegen soll.
({21})
Die vom Herrn Bundeskanzler geführte Politik der sogenannten Integration ist nicht identisch mit der von der Sozialdemokratischen Partei geforderten Politik der Zusammenarbeit der Nationen auf der Grundlage der Gleichberechtigung.
({22})
Wenn es richtig ist, daß alle Parteien die Wiedervereinigung als Ziel der deutschen Politik wollen,
so muß es auch möglich sein, über die Wege zur
Erreichung dieses Zieles ernsthaft zu diskutieren.
({23})
Die Behandlung des Notenwechsels zwischen Sowjetrußland und den drei westlichen Besatzungsmächten zeigt, daß sowohl über den Zeitpunkt als auch über Inhalt und Methode von Viermächtegesprächen erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen. Die Bundesrepublik kann Viermächtegespräche nicht erzwingen; sie hat auch nicht die Möglichkeit, Inhalt und Verlauf von Viermächteverhandlungen eindeutig zu bestimmen. Das liegt in der Natur der Sache. Um so wichtiger, meine Damen und Herren, ist es, der vordringlichsten Forderung Deutschlands auf Wiedervereinigung bei jeder sich bietenden Gelegenheit Gehör zu verschaffen,
({24})
und das ist nur möglich, wenn auf diese Forderung das ganze Gewicht der Nation konzentriert wird. ({25})
Ein Auseinanderfallen und ein Gegeneinanderarbeiten der demokratischen Kräfte in der entscheidenden Frage deutscher Politik führt zu verhängnisvollen Konsequenzen.
({26})
Denn diejenigen Kräfte des Auslandes, die es vorziehen, ein geteiltes Deutschland zu haben, haben leichteres Spiel, wenn die deutschen Parteien in der fundamentalen Frage der deutschen Politik fundamentale Gegensätze auszutragen haben.
({27})
Der Herr Bundeskanzler hat manches unterlassen, was zu gemeinsamem Handeln von Koalition und Opposition in dieser Fundamentalfrage notwendig und möglich gewesen wäre!
({28})
Der Herr Bundeskanzler hat nicht einmal die
Möglichkeit der Konsultation der Opposition vor
der Festlegung seiner Schritte und Vorschläge zum
Notenwechsel der Besatzungsmächte verwirklicht.
({29})
Bei der Stellungnahme zu Viermächteverhandlungen handelt es sich nicht um die Befürwortung oder Ablehnung eines einmaligen Aktes, einer einmaligen Viermächtekonferenz, sondern es handelt sich darum, ob die Politik der Bundesrepublik darauf abzuzielen hat, der Bundesrepublik die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten zu geben, jederzeit und von sich aus bei den vier Besatzungsmächten auf die Schaffung der Voraussetzungen zur Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und mit friedlichen Mitteln hinzuwirken. Die Ablehnung eines entsprechenden Antrages der sozialdemokratischen Fraktion am 3. April ist von der Regierung als eine Vollmacht für den Abschluß von Verträgen gewertet worden, die diese Möglichkeiten nicht ausdrücklich gewährleisten.
({30})
Meine Damen und Herren! Viermächteverhandlungen werden früher oder später kommen! Die deutsche Position wird aber nur dann befriedigend gesichert sein und werden können, wenn deutscherseits darauf gedrängt wird, jede Verhandlungsmöglichkeit auszunützen, und nicht, wenn eine Viermächtekonferenz als sogenannter letzter Versuch zur Demonstration etwa einerseits der Kompromißunwilligkeit der Sowjetregierung oder andererseits der Teilungsabsichten der Westmächte aufgezogen wird. Die deutsche Politik muß am Gegner bleiben, und soweit es in ihren Kräften steht, muß sie Verhandlungsmöglichkeiten positiv fördern.
({31})
Der Herr Bundeskanzler hat in der Periode des Notenwechsels der vier Besatzungsmächte wiederholt interveniert. Abgesehen davon, daß er in keinem Falle vorher mit einem der in Frage kommenden Ausschüsse des Bundestages die Art seiner Interventionen besprochen hat, hat er mehrfach öffentlich zum Ausdruck bringen lassen, daß er es vorziehe, lieber keine Viermächtekonferenz als eine Viermächtekonferenz zur Unzeit zu haben.
({32})
Es ist bekannt, daß sich der Herr Bundeskanzler
für den Einbau gewisser hemmender Faktoren in
die Antwortnoten der Westmächte eingesetzt hat.
({33})
Bestimmend dafür war offenbar sein Zeitfahrplan: erst Vollzug der Integration Westdeutschlands in das westeuropäische Vertragssystem, und dann den Zeitpunkt abwarten, an dem die Sowjetregierung geneigt sein würde, eine Art Ultimatum anzunehmen. Es ist also die eigentümliche Lage entstanden, daß der deutsche Bundeskanzler zwar grundsätzlich Viermächteverhandlungen begrüßt - wie er es ja auch gestern getan hat -, daß er aber, wenn sie konkret in Frage stehen, ihnen praktisch entgegenzuwirken versucht, weil er meint, der Zeitpunkt sei ungünstig.
({34})
Es ist ja - das mag hier als eine Nebensache klingen, aber es muß in diesem Zusammenhang wohl auch einmal angesprochen werden - nicht einmal bekanntgeworden, ob der Herr Bundeskanzler Verhandlungen auf der Ebene, sagen wir einmal, der Hohen Kommissare zur Erörterung der Sperrmaßnahmen an der Zonengrenze und zur
({35})
Wiederherstellung des kleinen Grenzverkehrs und der Wirtschafts- und Verkehrsbeziehungen im Zonengrenzgebiet verlangt hat. Ich glaube, sogar in dieser Frage ist der Herr Bundeskanzler der Meinung, es sei nicht zeitgerecht, Verhandlungen zu führen, obwohl dies nun schon auf einer ganz anderen Ebene und von brennender Notwendigkeit im unmittelbaren Lebensinteresse der Betroffenen liegt.
({36})
Seitdem der Bundestag am 6. Februar den Entwurf einer Wahlordnung für freie Wahlen zu einer Nationalversammlung in den vier Zonen und Berlin verabschiedet hat, ist von der Bundesregierung kein wesentlicher neuer positiver Schritt unternommen worden. Aber es genügt doch nicht, sich auf frühere Vorschläge zu berufen, und es ist mißlich, nur mit solchen Vorschlägen zu kommen, deren Ablehnung durch die sowjetische Seite man von vornherein so gut wie sicher sein kann.
({37})
Es drängt sich einfach die Frage auf: Was wäre, wenn der Herr Bundeskanzler den Bemühungen um die Wiederherstellung der deutschen Einheit mindestens soviel Kraft und Zeit geopfert hätte wie seinen Bemühungen um die sogenannte Integration?
({38})
Die sogenannte Integration führt ja nicht automatisch - das ist nicht mein Wort, das ist in der Debatte von den Befürwortern dieser Integration auch schon gebraucht worden - zur Wiedervereinigung Deutschlands. Der Bundeskanzler begeht in dieser Beziehung zwei Rechenfehler. Erstens: er nimmt an, die Zusammenlegung des Wirtschafts- und Militärpotentials einer Gruppe westeuropäischer Länder werde zu einem gewissen Zeitpunkt die Verhandlungsbereitschaft der Sowjetregierung erzwingen; zweitens: durch die Integrationsverträge seien die westlichen Vertragspartner eindeutig auf eine Politik der Wiedervereinigung Deutschlands festgelegt.
Zunächst zum ersten. Die Annahme des Herrn Kanzlers berücksichtigt nicht das Risiko einer Ablehnung eines solchen Ultimatums durch Sowjetrußland.
({39})
Die deutsche Politik läuft Gefahr, daß die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands an so viele weltpolitische Voraussetzungen geknüpft, so vielen weltpolitischen_ Fragen untergeordnet und zum Gegenstand nationalegoistischer Erwägungen fremder Mächte gemacht wird, daß eine Regelung mit friedlichen Mitteln aus dem Bereich des Möglichen herausrücken könnte.
({40})
Zum Zweiten: Die westlichen Vertragspartner erlangen durch die Verträge in Wirklichkeit ein ausgesprochenes Vetorecht gegen die Wiedervereinigung Deutschlands.
({41})
Der Bundeskanzler hat keinerlei Sicherheit dagegen, daß z. B. die französische Politik die Verträge dem französisch-russischen Pakt von 1944
unterordnet. Schon jetzt machen sich doch Tendenzen bemerkbar, mit Sowjetrußland auf der
Grundlage der Teilung Deutschlands zu paktieren.
({42})
Bei den Verhandlungen im Senat der Vereinigten Staaten wurde übrigens - sehr verehrter Herr Kollege, damit Sie sehen können, daß diese, wie Sie sagen, „tollen Behauptungen" nicht aus der Luft gegriffen sind - ausdrücklich darauf hingewiesen, und zwar vom amerikanischen Außenminister, daß in der Frage der Wiedervereinigung „Frankreichs traditionelle Furcht" durch die Verträge verkleinert worden sei.
({43})
Es könnte sich sehr bald herausstellen, daß von allen vertragschließenden Partnern nur die Bundesrepublik wirklich gebunden ist.
Die Behauptung, die bisherigen sowjetischen Angebote seien schon ein Ergebnis der - wie Sie es jetzt zu nennen belieben - „Politik der Stärke des Westens", und deshalb dürfe man sich nicht beirren lassen, geht von der falschen Voraussetzung aus, man könne mit gewissermaßen arithmetischer Sicherheit den Zeitpunkt errechnen, an dem es sich lohnen werde, mit Sowjetrußland zu verhandeln. Wer aber kann bestreiten, daß an einem bestimmten Punkt dieser Reihe ein Umschwung in entgegengesetzter Richtung vor sich gehen kann? Wenn Sie Wasser über einen bestimmten Punkt hinaus erhitzen, gibt es Dampf! Die deutsche Politik muß nicht nur das Risiko einer Entwicklung nach dem Muster von Prag, sondern sie muß auch das Risiko einer Koreanisierung Deutschlands zu verhindern trachten.
({44})
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat durch ihren Kampf gegen das sowietzonale Terrorregime und seine Expansionsbestrebungen einen wesentlichen Beitrag zur Verhinderung einer Entwicklung nach dem Muster der Tschechoslowakei und anderer Satellitenstaaten geleistet.
({45})
Die Sozialdemokratische Partei sieht in den Möglichkeiten der Handhabung des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft und in der Beziehung, in die wir dazu gebracht werden sollen, die Gefahr einer Koreanisierung Deutschlands. Die Gefahr des Wettrüstens auf deutschem Boden widerlegt das Rechenexempel vom automatisch erreichbaren militärischen Übergewicht
({46})
und erhöht das Risiko Deutschlands, Kriegsschauplatz zu werden.
({47})
- Herr Euler, Sie legten vorhin so großen Wert darauf, erst nach mir zu sprechen.
({48})
Vielleicht lassen Sie mich nun wirklich sprechen.
Die Wiedervereinigung Deutschlands könnte nach Wortlaut und Sinn der Vertragstexte - das können Sie nachprüfen, und es wird Sache der zweiten Lesung sein, das wirklich gründlich, nach bestem Wissen und Gewissen, nachzuweisen und zu prüfen - nur noch in der Form des Anschlusses der jetzigen sowjetischen Besatzungszone an das westliche Paktsystem denkbar sein. Es ist unrichtig, einzelne, in der Präambel oder an anderen Textstellen zu findende Bekenntnisse zur Wiedervereinigung als eines gemeinsamen Zweckes an die Stelle der Gesamtwirkung und der Tendenz
({49})
der Vertragswerke, die ja für die einzuschlagende Richtung bestimmend sind, zu stellen.
({50})
Aufrichtiger wäre es - ich sage das freimütig -, wenn die Befürworter der Verträge sagten: Jawohl, wir geben zu, für eine geraume Zeit müssen wir die Wiedervereinigung zurückstellen, aber wir haben dafür die und die Begründung. Denn das ist ja der Tatbestand, den Sie mit Kopfschütteln oder mit Ihren Wünschen nicht aus der Welt schaffen können!
({51})
Die Bundesrepublik unterwirft sich damit in dieser ihrer Lebensfrage einer Strategie, auf deren Ausgestaltung sie ohne Einfluß ist, die aber für die deutschen Lebensinteressen entscheidend ist. Die Auffassungen einzelner westlicher Vertragspartner oder gegebenenfalls ihrer Gesamtheit in den Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands haben von vornherein ein viel höheres spezifisches Gewicht als die Absichten der Bundesrepublik; denn die übrigen Vertragspartner gehören zur Organisation des Atlantikpakts, zu der die Bundesrepublik aber nur in einem Leistungsverhältnis steht.
({52})
Die Bundesrepublik soll in diese unter dem Übergewicht der Besatzungsmächte zustande gekommene Europäische Verteidigungsgemeinschaft mit erheblichen Diskriminierungen eingegliedert werden. Eine Vorbelastung für eine zu erstrebende friedensvertragliche Regelung mit einem wiedervereinigten Deutschland ist z. B. die französische Saarpolitik und sind amerikanische Versuche. die deutschen und französischen Gegensätze in der Saarfrage durch die sogenannte Europäisierung der von Deutschland abgetrennten Saar aus dem
Wege zu schaffen.
({53})
Die Saarfrage, meine Damen und Herren, ist für uns eine Probe aufs Exempel der demokratischen Gesinnung der westlichen Vertragspartner.
({54})
Aus Besatzungsfesseln werden Bündnisfesseln, und es ist mehr als fraglich, wie diese Bündnisfesseln, die unter dem Übergewicht der Besatzungsmächte geschmiedet worden sind, bei unseren Bemühungen um die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und mit friedlichen Mitteln fördern statt hemmen sollen. Die Verträge bedeuten die Eingliederung des zwischen der Ostgrenze des abgetrennten Saargebiets und der Westgrenze der sowjetischen Besatzungszone liegenden Teiles Deutschlands in ein Vertragssystem, das zwar dem Buchstaben nach auf der Gleichberechtigung beruht, in dem dieser Teil Deutschlands aber infolge der unterschiedlichen Startbedingungen und der Fortdauer von Besatzungsrecht in der Form von Vertragsrecht nicht gleichberechtigt mitwirken kann.
({55})
Nach der mehr oder weniger offen ausgesprochenen Ansicht westlicher Vertragspartner und ihrer Publikationsorgane und nach ihren Interessen ist unter Umständen das Fortbestehen der Teilung Deutschlands das „kleinere Übel". Nach der Auffassung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands laufen wir Gefahr, die deutschen Möglichkeiten zur Herbeiführung der Einheit mit friedlichen Mitteln ganz erheblich zu erschweren.
({56})
Sie fragen nach der Alternative, und es ist ja in letzter Zeit Mode geworden, so zu tun, als habe die Sozialdemokratische Partei Deutschlands gar keine eigenen positiven Vorschläge.
({57})
Umgekehrt wird in steigendem Maße versucht, Gegenvorschläge zur Politik des Herrn Bundeskanzlers und der drei westlichen Besatzungsmächte von vornherein als im Interesse der Sowjetpolitik liegend abzustempeln.
({58})
Es ist ein allzu bequemer Standpunkt,
({59})
wenn eine Regierung - Herr Wuermeling - einerseits das Ergebnis der nichtöffentlichen Verhandlungen ihres Chefs mit den ausländischen Vertragspartnern als das höchstmöglich Erreichbare hinstellt und andererseits Vorschläge zu Viermächteverhandlungen in den Wind schlägt.
({60})
Es ist notwendig und es sollte auch möglich sein, sich über einige grundlegende Forderungen zur Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit mit friedlichen Mitteln zu verständigen.
Erstens. Wiedervereinigung bedeutet die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Deutschen in den vier Zonen und Berlin ohne Zonenunterschiede.
({61})
- Wenn Sie nervös werden, Herr Gerstenmaier, ich wurde es bei Ihrer gestrigen Rede nicht!
({62})
Das wird auch dem Vorspruch des Grundgesetzes gerecht, in dem gefordert wird - und darauf haben sich alle verpflichtet, die zu diesem Grundgesetz stehen -, dafür zu sorgen, daß das ganze deutsche Volk in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden fähig wird.
({63})
- Da Sie vorhin gefragt haben, wem ich das sage: Ich sage es denen, die bereit sind, ja zu diesen Verträgen zu sagen, weil dann diese Möglichkeit nicht mehr gegeben sein wird.
({64})
({65})
- Herr Euler, ich sage Ihnen noch einmal: Sie haben vorhin Wert darauf gelegt, nach Wehner zu sprechen; sprechen Sie n a c h ihm und nicht zwischendurch!
({66})
Zweitens. Die zentralen deutschen Forderungen auf freie Wahlen unter internationaler Kontrolle in den vier Zonen und Berlin sollten nicht durch erschwerende Bedingungen belastet werden. Es sollte also nicht die Anerkennung etwa einer Kommission der Vereinten Nationen oder irgendwelcher anderer Kommissionen zur Voraussetzung des Eintritts in Viermächteverhandlungen gemacht werden.
({67})
- Wir sind nicht für russische Kommissionen, wir sind überhaupt weder russisch noch amerikanisch noch britisch noch französisch, sondern versuchen, das deutsche Interesse zum Ausdruck zu bringen!
({68})
Drittens. Über die Rechte einer deutschen Regierung, die von der aus freien Wahlen hervorgegangenen Nationalversammlung gebildet wird, müßten zwischen allen Beteiligten klare Abmachungen getroffen werden. Deutscherseits sind meines Erachtens bis zum Abschluß eines Friedensvertrags als Rechte einer Regierung mindestens folgende zu fordern: a) Eine solche Regierung muß die Ordnung im Innern gewährleisten können auf der Basis der Grundrechte; b) sie muß die Sicherheit des freien Verkehrs von Personen und Gütern ungehindert durch Zonengrenzen gewährleisten.
({69})
- Ich habe es ja nicht deswegen gesagt, weil ich annehme, daß Sie es nicht wollten. Ich mache ja Vorschläge, zu denen Sie ja oder nein sagen können.
({70})
c) Diese Regierung muß die Justizhoheit haben und die Gleichheit des Rechts in allen Teilen Deutschlands gewährleisten können;
({71})
d) Sie braucht die zur Sicherung der Versorgung der Bevölkerung notwendigen Vollmachten nach innen und außen; e) sie muß weiter echter Verhandlungspartner bei den Friedensvertragsverhandlungen sein; f) sie muß schließlich ihre Tätigkeit nicht durch das Vetorecht einer Besatzungsmacht oder des Gremiums der Besatzungsmächte einschränken oder stören lassen.
Viertens. Wenn die Möglichkeit
({72})
- Sie sind sehr „tolerante" Hörer - besteht, für das vereinigte Deutschland den Status eines Mitglieds der Vereinten Nationen zu erwirken, dann sollte diese Möglichkeit, die auch im sowjetischen Entwurf der Grundlinie eines Friedensvertrags vom 10. März enthalten war, erprobt und nicht in den Wind geschlagen werden.
({73})
Fünftens. Die Frage der Sicherung Gesamtdeutschlands muß auf der Grundlage der Mitgliedschaft Deutschlands in den Vereinten Nationen durch Garantieabkommen geregelt werden und kann nicht durch einseitige Festlegung auf EVG oder ähnliches präjudiziert werden.
Ich will am Schluß noch einige Worte zu dem auf der Tagesordnung stehenden von der sozialdemokratischen Fraktion eingebrachten Antr a g betreffend Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen sagen. Der Antrag lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, den Besatzungsmächten förmlich mitzuteilen, Bundestag und Bundesregierung erwarten, daß die Regierungen der vier Besatzungsmächte so bald wie möglich in Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen eintreten.
Aus dem, was ich bisher sagte, können Sie entnehmen, wie dringend uns das Anliegen ist, das in diesem Antrag seinen Niederschlag gefunden hat. Es geht um Verhandlungen, möchte ich abschließend betonen, nicht um Demonstrationen oder Entlarvungsversuche, und zu diesen Verhandlungen möchten wir diese Zustimmung haben.
({74})
Herr Kollege Strauß hat erklärt, daß es ihm und seinen Freunden darauf ankomme, eine Situation herbeizuführen, in der die vier Mächte sich nicht auf unsere Kosten verständigen können.
({75})
Das greife auch ich auf, meine Damen und Herren, und ich möchte sagen: um eine solche Situation herbeizuführen, dazu gehört die Befolgung einer Politik, wie ich sie in dieser Einzelfrage darzustellen versucht habe, die nun einmal zu den Kernfragen der deutschen Politik gehört. Dazu gehört diese Beharrlichkeit im Verhandelnwollen und dieses Unterbauen und Ausbauen der deutschen Position,
({76})
das aber Gefahr läuft, kaputtgemacht zu werden mit einer Politik, die Verträge schließen will, in der unser dringendes Anliegen Funktion anderer wäre und in der eine Hoffnung auf „automatische" Entwicklung zu einem schrecklichen Schluß führen könnte.
({77})
Das Wort hat der Abgeordnete Lemmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, den der Vorredner verlesen hat, findet
({0})
die Zustimmung der Fraktion der CDU/CSU, weil
er genau das enthält, was wir in der Frage der
Wiedervereinigung Deutschlands selbst vertreten.
Es entspricht dem Wesen der parlamentarischen Demokratie, daß in großen politischen Fragen die Opposition Entscheidungen der Regierung kritisiert, und es ist kaum vorstellbar, daß an einer Regierungsentscheidung eine Kritik seitens der Opposition selbst dann nicht geübt würde, wenn sie selbst im Grunde gar nichts anderes täte. Es bedarf dieser Abgrenzung für die Optik einer Bevölkerung, vor der auseinandergesetzt werden soll, wo möglicherweise Differenzen bestehen. Aber, meine Damen und Herren, ich glaube, mit der Zustimmung der großen Mehrheit dieses Hauses feststellen zu dürfen: wenn von seiten des Herrn Abgeordneten Wehner der Regierung der Vorwurf gemacht wurde, sie habe nicht das Maximum aus den Verhandlungen mit den Alliierten herausgeholt, dann sind wir demgegenüber der Meinung, daß eine Opposition niemals befriedigt werden kann
({1}) und daß selbst für den Fall durchschlagender Ergebnisse eine Opposition immer noch ein „Maximum" fordern würde, um das Ergebnis einer Regierungspolitik zu übertreffen. Insofern wollen wir die Kritik nicht allzu tragisch nehmen.
({2})
Wir wollen sie auch deshalb nicht zu tragisch nehmen, weil ich der Opposition die Rolle zubillige, Dinge zur Stärkung der Regierungspolitik kritisch zum Ausdruck zu bringen, damit nicht der Eindruck entsteht, als ob die Ergebnisse der uns vorliegenden Vertragspolitik uns etwa alle kritiklos befriedigen würden.
({3})
Davon kann keine Rede sein, und der Herr Bundeskanzler hat gestern in seiner ruhigen, leidenschaftslosen, sachlichen, nicht auftrumpfenden,
nicht polemisierenden, nicht ein Kraftmeiertum
herausstellenden Rede gerade darauf hingewiesen.
({4})
Es gibt Zwangsläufigkeiten, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, in der Politik einer Nation, die man nicht außer acht lassen sollte, wenn man weiß, welch einen Weg wir aus dem totalen Chaos zu neuer souveräner Politik einschlagen mußten.
({5})
- Jawohl, es gibt Zwangsläufigkeiten von solch einem Gewicht, daß auch die Sozialdemokratie gar nicht in der Lage wäre, die Realitäten solcher Zwangsläufigkeiten außer acht zu lassen, wenn sie die Verantwortung vor dem Volk und vor diesem Hause zu tragen hätte.
({6})
Ich bin weit davon entfernt - es wäre eine
alberne Demagogie -, die Opposition der Sozialdemokratie in Parallele zu rücken zu der Opposition der Deutschnationalen gegenüber internationalen Verträgen in der Weimarer Zeit. Aber ich bitte eines sagen zu dürfen: wenn ich beispielsweise die Stenogramme des Reichstags von September/Oktober 1925 noch einmal durchstudiere und sehe, was der Breslauer Völkerrechtler, der damalige deutschnationale Abgeordnete von Freytagh-Loringhoven an Bedenken gegen die Locarno-Verträge und gegen die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund vorgebracht hat, dann muß ich allerdings sagen, daß ich nicht ohne leichte Erschütterung die Identität der heute gehörten Argumente mit den Ausführungen Freytagh-Loringhovens feststelle.
({7})
Für Herrn Freytagh-Loringhoven war der Eintritt in den Völkerbund eine unmoralische Handlung, und er wies darauf hin, daß das Deutsche Reich nicht gleichberechtigt eintrete, daß das Deutsche Reich durch die Regierung noch einmal stillschweigend freiwillig gewisse Diskriminierungen bestätige, die über den Locarno-Vertrag hinweg bestehen sollten. Wir erinnern uns, daß FreytaghLoringhoven es beispielsweise für unvereinbar hielt, mit den Westmächten zu einem Freundschaftspakt in Locarno zu kommen, in den Völkerbund einzutreten, solange allierte Truppen als Besatzungstruppen auf deutschem Boden ständen. Sie wissen, über den Eintritt in den Völkerbund hinaus mußte noch fünf Jahre und länger die Besetzung von Teilen des Rheinlands durch alliierte Truppen hingenommen werden.
Es wäre ein Vergnügen, die klugen Worte - es wurde schon zitiert - eines Rudolf Breitscheid, eines Friedrich St a m p f er gegen eine solche Opposition hier im Hause zu verlesen, mit denen er die Deutschnationalen darüber belehrte, daß jede Politik einem Gesetz der Entwicklung und der Reife unterliegt und daß Kurzschlüsse und Katastrophen immer dann eintreten, wenn man glaubt, sich mit „alles oder nichts" über Realitäten hinwegsetzen zu können.
({8})
Wir haben in der Debatte auch von seiten der Opposition die verschiedensten Argumente vernommen. Ich will versuchen, sie auf einen Nenner zu bringen, um dazu kurz Stellung zu nehmen; denn ich will ja hier keinen Monolog halten. Monologe hat es in diesen 48 Stunden genug gegeben. Ich will versuchen, mit den Argumenten der Opposition einen Dialog zu führen. Es wurden von den Sprechern der Sozialdemokratie die verschiedenen Argumente vorgetragen. Ich glaube, daß sie im wesentlichen in folgenden Punkten zusammengefaßt werden dürfen. Einmal: die vorliegenden Verträge vorenthalten uns die Gleichberechtigung, ohne die keine vertraglichen Vereinbarungen getroffen werden dürfen. Was dazu gesagt werden sollte, habe ich gesagt. Ich möchte nur eines noch hinzufügen. Den vorliegenden Verträgen wird es gehen wie denen von Locarno und den Grundsatzungen des Völkerbundes. Bewähren sie sich, dann erledigen sich die Differenzpunkte mit geschichtlicher Zwangsläufigkeit von allein.
({9})
Oder: die Verträge bewähren sich nicht; dann bricht dieses ganze Gebäude ohnehin zusammen. ({10})
Ich habe das Vertrauen, daß sich die Ungereimtheiten des vorliegenden Vertragswerkes in Hinsicht auf unsere noch fehlende Gleichberechtigung von allein durch die Entwicklung ausbalancieren werden.
Das zweite war der Hinweis auf eine mögliche drohende Kriegsgefahr. Herr Kollege Carlo Schmid hat gestern den Satz geprägt, man könne der UdSSR keine Kapitulation - in Klammern: bereits, Klammer wieder zu - vor einem Kriege zumuten. Zweifellos ist dies richtig. Diese Auf({11})
fassung steht nicht im Widerspruch zu der Formulierung des Kanzlers, deren Bedeutung kaum überschätzt werden kann. Der Kanzler führte aus, daß es Deutschlands Rolle, Deutschlands Aufgabe im Bund mit dem Westen sei, vornehmlich und insbesondere um den Abbau der Spannungen zwischen Ost und West bemüht zu sein. Wer ein solches Bekenntnis ablegt, denkt nicht an Krieg, sondern denkt an Frieden
({12})
und sieht in den vorliegenden Vertragsentwürfen. eine Initiative, um aus der Erstarrung, aus der Passivität auf diplomatischem Feld herauszukommen, - herauszukommen nicht gegen uns, sondern mit uns. Am Ende stände der Versuch um einen Friedensvertrag nicht über und gegen Deutschland, sondern der Versuch eines Friedensvertrages m i t Deutschland.
Das dritte: Es wurde der Bundesrepublik so ungefähr die Legitimation bestritten, gewissermaßen als ein deutscher Teilstaat gesamtdeutsche Verpflichtungen einzugehen. Dazu ist zu sagen: es ist zweifellos richtig, daß die Bundesrepublik nicht Deutschland ist. Die Bundesrepublik ist ein Territorium - lassen Sie es mich plastisch darstellen - ohne die Wartburg, ohne Weimar, ohne Wittenberg, ohne Potsdam, ohne Dresden. Von dem Problem der Oder-Neiße-Linie darf ich in diesem Zusammenhang absehen. Ein solches Territorium ist nicht Deutschland. Aber wer auf den Bänken der Opposition will bestreiten, daß dennoch diese Bundesrepublik - darf ich es pathetisch sagen - das Vaterland aller Deutschen geworden ist, ganz gleich, wo sie sich zur Zeit befinden mögen?!
({13})
Die Bundesrepublik ist nicht deshalb das Vaterland aller Deutschen geworden, weil hier der westliche Wind weht und weil die Überlegenheit irgendwelcher westlicher Kulturwerte eine solche Formulierung rechtfertigte, sondern es gibt zwei andere Gründe, warum die Bundesrepublik nach unserer Meinung das Vaterland aller Deutschen ist. Die Deutschen in andern Zonen, in andern Ländern sollen ja wissen, daß wieder ein Vaterland für sie da ist. Das kann nur die Bundesrepublik sein; einmal, weil in diesem Raum durch die Besatzungsmächte keine Denaturierung unseres nationalen Lebens erfolgt ist,
({14})
zweitens, weil die Bundesrepublik berechtigt ist, diesen Titel zu führen, da ihre Organe, Regierung und Parlament, eine echte demokratische Legitimation haben.
Gewiß, die Bundesrepublik hat nicht die Möglichkeit, in dieser Stunde das Schicksal der 18 Millionen Brüder und Schwestern in der Sowjetzone zu ändern. Mein Kollege Wehner sprach davon, daß die Verträge die Wiedervereinigung Deutschlands nicht mehr möglich machten, daß nach Abschluß der Verträge keine Wiedervereinigung erfolgen könne. Dieser pessimistischen Auffassung muß ich allerdings mit ganzer Leidenschaftlichkeit entgegentreten,
({15})
weil sich der Prozeß der Wiedervereinigung Deutschlands völlig unabhängig von den vorliegenden und umstrittenen Verträgen mit eigener Dynamik fortsetzen wird.
({16})
- Das ist keine Deklamation. Ich bin davon überzeugt, daß schon jetzt - und in diesem Sinne haben wir uns bereit erklärt, dem sozialdemokratischen Antrag zuzustimmen -, vor der letzten Ratifizierung die Möglichkeit gegeben sein sollte, daß die westlichen Mächte im Einvernehmen mit der Bundesrepublik zur Lösung der gesamtdeutschen Frage mit der Sowjetunion zu einer Viererkonferenz zusammentreten. Mit keinem Wort hat der Kanzler in seiner Rede zum Ausdruck gebracht, daß er erst den Abschluß aller Ratifizierungen wünscht und daß erst dann an eine Viererkonferenz gedacht werden könnte.
({17})
Natürlich hat er auch nicht das Umgekehrte als
seine Meinung festgestellt - und Gott sei
Dank! -, denn wir können ja die Lösung all der
Fragen, die mit dem vorliegenden Vertragswerk
in Zusammenhang stehen, nicht davon abhängig
machen, mit wieviel Zeit und Geduld die sowjetischen Unterhändler nach dem Muster von Panmunjon eine Viererkonferenz durchführen würden.
({18})
Wenn aber hier eine innere und äußere Unabhängigkeit besteht, dann ist es richtig, von einem
Zeitplan Abstand zu nehmen und in diesem Fall
die westlichen Unterhändler so auszusuchen, daß
sie unbegrenzte Zeit und vorzügliche Nerven hätten, um auch einer endlosen Viererkonferenz ihren
Beitrag nicht zu verweigern, während unterdessen
die Erfüllung der Verträge vor sich gehen würde.
({19})
Will die Sowjetunion auf die Verträge und die Probleme, die durch sie gelöst werden sollen, Einfluß nehmen, dann liegt es nur an ihr, keine Panmunjon-Konferenz zu machen, sondern mit größter Klarheit zu sagen, unter welchen Voraussetzungen sie bereit ist, international kontrollierte gesamtdeutsche Wahlen zuzulassen.
({20})
Wir versichern jedenfalls unseren Mitbürgern und Mitbürgerinnen in der sowjetischen Zone, die in dieser Stunde zweifellos vor den Rundfunkapparaten sitzen und mit innerer Anteilnahme unseren Beratungen folgen, daß - und ich sollte meinen, in dieser Frage gibt es zwischen Opposition und Regierungsparteien keine Meinungsverschiedenheit, und wir sollten gegenseitige Verdächtigungen zum Schaden der Demokratie unterlassen ({21})
das A und O unserer Politik die Verfolgung der Wiederherstellung der Einheit der Nation in Freiheit ist.
Würde sich doch kein Parteiführer, kein Staatsmann in diesem Land politisch in Zukunft halten können, dessen Zuverlässigkeit in der Verfolgung der nationalen Einheit unklar wäre.
({22})
Auch eine Mitwirkung der Bundesrepublik an europäischen Gemeinschaftsorganisationen wird uns nicht in Versuchung bringen, einer westlichen Saturierung zu verfallen, sondern auch in Zusammenarbeit mit dem Westen uns für die vordringlichste Aufgabe nationaler Politik, die Wiedervereinigung Deutschlands einzusetzen. Ich möchte daher sagen: Zur Zeit kann es für die Bundesrepublik nur eine Beteiligung, eine Angliederung an internationale und übernationale Organisationen und Institutionen geben; ein Aufgehen, wie
({23})
wir es wünschen, in die europäische Gemeinschaft kann erst erfolgen, wenn das ganze Deutschland zu diesem Schritt in der Lage ist.
Und mit aller Entschiedenheit möchte ich wiederholen, daß die vorliegenden Verträge nach unserer Meinung kein Hindernis für die Wiedervereinigung Deutschlands darstellen. Ich möchte meinen, Verträge erfüllen sich erst im Leben, in der Praxis. Die vorliegenden Verträge bedeuten nicht von vornherein eine sichere Förderung der Wiedervereinigung, aber auch nicht eine Erschwerung oder ein Unmöglichmachen der Wiedervereinigung. Die Beantwortung dieser Alternative hängt von dem Geist und von dem Maß der politischen Entschlossenheit ab, mit denen diese Verträge erfüllt werden. Gestern, genau auf den Tag vor 3 Jahren, verabschiedete die Nationalversammlung in Weimar den Friedensvertrag von Versailles, und da es gut ist, von Zeit zu Zeit solche Vorgänge im Bewußtsein wieder aufzufrischen, möchte ich in diesem Zusammenhang eine knappe Bemerkung über den Ablauf dieser Sitzung der Nationalversammlung machen. Es sitzen auf unseren Bänken drei Mitglieder der Nationalversammlung, unser Kollege und Freund Paul Löbe, Luise Schroeder und Helene Weber, und sie werden nicht überrascht sein, wenn ich daran erinnere, daß an dem entscheidenden Abstimmungstag in Weimar ein sehr angesehener Abgeordneter, Strafrechtslehrer der Berliner Universität, Mitglied einer Oppositionspartei, Mitglied einer Partei, die die Annahme des Versailler Vertrags bekämpfte, zwei Stunden vor der Abstimmung tief besorgt als ein weiser Mann einen sozialdemokratischen Abgeordneten stellte und ihn fragte, ob es denn wahr sei, daß die Sozialdemokratie das Ratifikationsgesetz über den Friedensvertrag von Versailles ablehnen werde. Als er beruhigt wurde mit der Versicherung, die Sozialdemokratie stimme aus nationaler Verantwortung für dieses Gesetz, da ergriff dieser Abgeordnete die Hände seines sozialdemokratischen Kollegen: Gottlob, daß wir sicher sein dürfen, für diesen Vertrag eine Mehrheit zu haben.
({24}) Aber dieser Abgeordnete stimmte zwei Stunden später mit Nein,
({25})
obwohl er wußte, welch ungeheure Folgen zu ertragen gewesen wären, welch ungeheure Konsequenzen eintreten mußten, wenn der Versailler Vertrag abgelehnt würde.
({26})
- Ja, ich mache es umgekehrt, und Sie machen es eben auch umgekehrt,
({27})
und ich merke, Sie haben mich vollkommen verstanden!
({28})
Es ist eben so, daß sich auch die Sozialdemokratie kaum vorstellen kann - die Vorstellung könnte nicht ausreichen -, welche möglichen Konsequenzen zu verantworten wären - ich sage: möglichen -, wenn dieses Vertragswerk am Widerstand der Bundesrepublik scheitern würde.
({29})
Man kann wohl darüber streiten, ob es zu solcher Zuspitzung, ob es zu solcher Alternative kommen mußte, ob nicht eine andere Politik möglich gewesen wäre. Diese Frage stelle ich für meine Person selbst.
({30})
Aber, meine Damen und Herren, wir stehen jetzt vor einer geschichtlichen Zwangsläufigkeit,
({31})
und die Verantwortung für ein demonstratives
Nein zu tragen, sehe ich mich nicht in der Lage.
({32})
In Erinnerung an die erwähnte Sitzung der Nationalversammlung noch ein anderes Wort, und ich bitte die anwesenden Kollegen, mir zu bestätigen, daß ich den Eindruck von dem damaligen Geschehen richtig wiedergebe: Weil die damaligen Oppositionsparteien von den Deutschnationalen bis zu den Demokraten - dafür stimmten die Sozialdemokratie und das Zentrum - wußten, daß gar nichts anderes übrig blieb, als zu dem Versailler Vertrag ein Ja auszusprechen, verständigten sie sich im Ältestenrat darüber, daß die Vorsitzenden der Oppositionsfraktionen im Plenum zu der Abstimmung eine nationale Ehrenerklärung für die zustimmenden Abgeordneten abgeben würden.
({33})
Diese Erklärung ist abgegeben worden.
({34})
- Sie haben ja überhaupt keine Erklärung abgegeben, also können Sie sie auch nicht halten!
({35})
- Es wäre sehr gut, Herr Kollege Erler, wenn im Interesse unserer Demokratie eine solche Erklärung auch von Ihrer Seite käme, daß Sie als Sozialdemokraten glauben, aus diesen und jenen Gründen ein Nein sagen zu müssen, daß Sie aber den Respekt vor der nationalen Gewissenhaftigkeit der Mehrheit dieses Hauses ausdrücklich anerkennen würden.
({36})
- Der Präsident der Nationalversammlung stellte damals fest - ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zwei Sätze verlesen -:
Ich stelle mit Genugtuung fest, daß von verschiedenen Seiten des Hauses anerkannt wurde, daß alle Teile, ob Ja, ob Nein, nur aus vaterländischen Gründen sich bei ihrer Abstimmung leiten ließen, getragen von großen Gewissensbedenken und von der Auffassung über die schwierige Lage des Vaterlandes. Ich möchte wünschen, daß der Geist, der sich in dieser Versammlung kundgetan hat, sich auch hinausträgt in unser Volk. Das wäre nun noch das Allerschlimmste, wenn wir nach Vorgängen früherer Jahrzehnte, die glücklich
({37})
hinter uns liegen, uns in Schmähungen und Verdächtigungen gegen die vaterländische Gesinnung unserer Mitbürger ergehen wollten. ({38})
Das sind die Worte des Präsidenten Konstantin Fehrenbach am Ende dieser Sitzung gewesen. Und wenn Frau Kollegin Schroeder durch den Zwischenruf zutreffend darauf hingewiesen hat, daß es aber leider nicht von allen beachtet worden sei, dann lassen Sie mich dazu sagen: nicht zuletzt deshalb, weil die damalige Deutschnationale Partei unter dem wachsenden Einfluß Hugenbergs
({39})
und ihres radikalen Flügels es an der Beachtung dieses fair play fehlen ließ,
({40}) verstrickte sie sich zum Schaden des deutschen Volkes, zum Schaden ihrer eigenen Anhänger mehr und mehr in eine negative Opposition, durch die sie sich regierungsunfähig gemacht hatte.
({41}) Ich möchte deshalb hoffen und wünschen,
({42})
daß aus dieser Debatte heraus trotz allem eine Atmosphäre für die Ausschußberatung geschaffen wird, die es uns erlaubt, mit dem geziemenden Ernst die Beratung der Gesetzentwürfe durchzuführen und dann in einer zweiten und dritten Lesung zur gegebenen Zeit über taktische Meinungsverschiedenheiten hinweg es gerade um der Bedeutung dieser Verträge willen an der Demonstration nationaler Geschlossenheit nicht fehlen zu lassen.
({43})
Das Wort hat der Abgeordnete Wackerzapp.
Meine Damen und Herren! Vom Standpunkt meiner heimatvertriebenen Freunde aus habe ich zu dem vorliegenden Vertragswerk folgendes auszuführen. Wir Heimatvertriebenen sind j a nicht nur Bürger der Bundesrepublik geworden, sondern wir sind gleichzeitig Bürger unserer Heimatgebiete geblieben, aus denen man uns gegen göttliches und menschliches Recht gewaltsam herausgesetzt hat. Unser Anspruch auf Rückkehr ist unveräußerlich und unabdingbar. Das Potsdamer Abkommen hat ausdrücklich erklärt, daß die deutschen Grenzen erst im Friedensvertrag festgesetzt werden sollen, und unsere Heimatgebiete sind den Oststaaten nur zur Verwaltung übergeben worden. Diese Staaten haben sich aber nicht als ehrliche Sachwalter und Treuhänder erwiesen, sondern sie haben sich so benommen, als seien sie bereits. absolute Herren und als seien diese Gebiete schon endgültig in ihr Land eingegliedert. Sie haben daher volkstumsmäßig, kulturell, zivilisatorisch und wirtschaftlich alles unternommen, um das Deutschtum dieser Gebiete auszulöschen. Darüber hinaus haben sie durch ihre berufenen Staatsmänner mehrfach öffentlich erklärt, daß sie die Oder-Neiße-Linie als eine ewige Grenze ansähen, als die Friedensgrenze, die nicht angerührt werden dürfe, es sei denn um den Preis eines Krieges.
Leider haben sich die Staatsmänner der Ostzonenrepublik diesen Äußerungen angeschlossen und sie sogar aus eigener Überzeugung gebilligt.
Auf diese Weise sollten die berühmten oder berüchtigten „vollzogenen Tatsachen" geschaffen werden, die in der Geschichte der Welt schon soviel Unheil angerichtet haben, indem sie die Möglichkeit zu schiedlich-friedlicher und sinnvoller Gestaltung verbauten und immer wieder den Keim zu neuen Verwirrungen legten, die dann vielfach nach gewaltsamer Auswirkung drängten.
Die Westmächte haben mit immer steigendem Nachdruck auf den provisorischen Charakter des Potsdamer Abkommens hingewiesen. Wir freuen uns, daß dieser Standpunkt in Art. 7 des Generalvertrages ausdrücklich vermerkt worden ist. Wir Heimatvertriebenen sind darüber einig, daß eine Rückkehr für uns nur über Gesamtdeutschland in Frage kommen kann, aber nur über ein Gesamtdeutschland, das organisiert und gestaltet ist nach den Grundsätzen der freien Demokratie westlicher Prägung.
({0})
Wir sind weiter der Meinung, daß nichts versäumt und nichts unterlassen werden darf, daß vielmehr jegliche Möglichkeit und jegliche Chance ausgenutzt werden muß, um das gesamtdeutsche Problem zu einer positiven Lösung zu bringen. Wir begrüßen infolgedessen die bevorstehende Viererkonferenz und hoffen, daß auf ihr auch das Problem der deutschen Grenzen mit Nachdruck in unserem Sinne behandelt wird.
Leider ist im Ausland vielfach die Meinung verbreitet - dies gilt besonders für Frankreich -, wir Heimatvertriebenen wollten uns dem westlichen Verteidigungssystem in hintergründiger Absicht nur anschließen, um auf diese Weise militärischen Rückhalt zu bekommen, um unsere Heimat auf kriegerischem Wege wieder zurückzugewinnen. Diese Ansicht ist falsch und widerspricht allen Tatsachen. Die Heimatvertriebenen haben vor zwei Jahren in einer imposanten Kundgebung in Stuttgart vor der Weltöffentlichkeit durch ihre berufenen Vertreter ihr Grundgesetz, die VertriebenenCharta, verkündet. Sie haben hierin als fundamentalen Satz herausgestellt, daß die Rückkehr in die Heimat nicht auf kriegerischem Wege stattfinden soll. Wir wollen nicht, daß Deutschland Kriegsschauplatz und unsere Heimat ein Haufen von Trümmern, Schutt und verbrannter Erde wird.
({1})
Wir vertrauen vielmehr darauf, daß Recht und Gerechtigkeit schließlich zum Durchbruch kommen werden, das formale Recht, wie es im gesetzten Völkerrecht verbrieft ist, und die göttliche Gerechtigkeit, wie sie in den Verheißungen der Atlantikcharta und in der Proklamation der Vereinten Nationen als moralische Verpflichtung übernommen worden ist.
Wenn wir in unsere Heimat zurückkehren sollten, dann darf, wozu wir uns feierlich verpflichtet haben, nicht Zwang, nicht Rache und nicht Vergeltung stattfinden. Wir sind der Meinung, daß es durchaus möglich ist, wie es früher, noch vor wenigen Menschenaltern, der Fall war, daß Deutsche und Polen einträchtig auf demselben Raum zusammenleben können. Sie haben damals schiedlich und friedlich miteinander verkehrt und gewirkt. Diese freiwillige Zusammenarbeit hat die hohe Blüte dieser Gebiete zur Folge gehabt. Erst der künstlich gezüchtete Rassenhaß und der übersteigerte Nationalismus haben diesen glückhaften
({2})
Zustand zerstört mit all den furchtbaren Konsequenzen, die wir schaudernd erlebt haben. Wir wissen weiter, daß wir, wenn einmal die Rückkehr stattfinden sollte, dort auch Bewohner polnischer Abstammung, die selber Vertriebene sind, finden werden. Aus der Gemeinsamkeit des Schicksals heraus wird sich unschwer die Möglichkeit eines harmonischen Zusammenlebens ergeben. Wir sind deshalb der Meinung, daß die Zurückführung dieser Gebiete in den Rahmen Gesamtdeutschlands auch für die Welt etwas bedeuten würde, indem dieser Grenzraum dann in die Lage versetzt würde, in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht die Vermittlerfunktion zwischen Ost und West, den Brückenschlag von hüben nach drüben zu übernehmen, zum Segen nicht nur für Europa, sondern letzten Endes auch für die ganze Welt.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Pannenbecker, Föderalistische Union.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zum Vertragswerk vom Grundsätzlichen her einiges sagen. Mein Fraktionsfreund Dr. Decker wird dann hernach noch zu einzelnen Bestimmungen der Verträge Stellung nehmen.
Seit der Neubildung der Parteien nach Beendigung des Krieges haben Zentrum und Bayernpartei, in diesem Hause zusammengeschlossen zur Fraktion der Föderalistischen Union, die föderalistische Zusammenfassung Europas angestrebt. Sie haben das sogar zu einem wesentlichen Punkt ihrer Parteiprogramme erhoben, und zwar schon zu einer Zeit, als dieser Gedanke noch nicht aktuell und noch wenig populär war. Die Föderalistische Union bekennt sich also zu Europa im Sinne des christlich-abendländischen Gedankenguts. Wir sind auch bereit und halten es für notwendig, die Güter unseres Glaubens, unserer Freiheit, unserer Kultur und Tradition sowie unsere Lebensformen und unseren Lebensstandard notfalls gegen Angriffe zu verteidigen.
({0})
Die Voraussetzung für diesen Verteidigungswillen ist die Wiederherstellung der staatlichen Freiheit. Sieben volle Jahre sind seit der Kapitulation vergangen, und noch immer ist kein Friedensvertrag zustandegekommen. Noch immer leben wir unter einem Besatzungsstatut, und noch immer ist unserem Volk die natürliche Selbstbestimmung nicht zurückgegeben worden. Wenn wir die Freiheit verteidigen sollen, müssen wir sie erst zurückerhalten. Das ist übrigens eine Forderung, die sich aus den freiheitlichen Ideen des Westens ergibt und die auf dem Naturrecht beruht. Niemand wird ernstlich glauben, daß die Westalliierten bis zum Jahre 2003 - so lange soll der Verteidigungsvertrag nämlich laufen - ihre Beziehungen zu Deutschland auf die im Jahre 1945 aufgerichteten Bajonette stützen können. In totalitären Staaten mag man so etwas glauben.
Ein gleich wichtiges und gleich dringliches Anliegen wie diese Freiheit, von der ich sprach, ist für uns, die staatliche und wirtschaftliche Einheit Deutschlands wiederherzustellen. Natürlich kann sie für uns nicht anders in Betracht kommen als unter den Zeichen und Rechten der echten Demokratie. Das sind die Hauptgesichtspunkte, von denen wir uns bei der Beurteilung des Vertragswerks leiten lassen.
Wir sind uns bewußt, daß der verlorene Krieg der sofortigen vollen Erreichung unserer Wünsche in verschiedenen Punkten im Wege steht. Aber es ist die Frage, ob die gewählten Methoden und Wege des Vertragswerks richtig und ihre Ergebnisse noch annehmbar sind. Sehen Sie: Ein Bekenntnis zu den christlichen Prinzipien, zu Denkweise, Kultur und Freiheit des Westens bedeutet nämlich nicht ohne weiteres, daß nun auch jede daselbst erdachte Organisation und jedes daselbst erdachte politische System richtig oder doch akzeptabel ist. Es ist nicht schwer, mit Pathos für oder gegen das Vertragswerk zu reden.
({1})
Darauf kommt es auch nicht an. Es kommt darauf an, nüchtern, frei von Sentiments und Ressentiments die Realitäten zu erkennen, vor denen wir in der Bundesrepublik, in der Sowjetzone und darüber hinaus in Europa und in der Welt stehen, und daraus die Konsequenzen zu ziehen.
({2})
Dem Herrn Bundeskanzler kann man nicht widersprechen, wenn er sagt, man müsse das Vertragswerk vom Ganzen her sehen. Man muß die Abreden, ihre Bedeutung und ihre Auswirkung kritisch und nicht etwa vertrauensselig prüfen,
({3})
und die Schau vom Ganzen her darf uns nicht dazu verführen, des Zieles wegen ungeeignete Mittel und falsche Wege zu wählen.
({4})
Unter der Schau des Ganzen ist die Frage nach den Einzelheiten und nach der Wirkung nicht weniger wichtig. Wir müssen uns davor hüten, Folgen der Kapitulation vertraglich endgültig festzulegen, und wir wollen abwägen, ob es richtig ist, wie der Herr Bundeskanzler meint, daß uns das Vertragswerk die Wiedervereinigung mit der Ostzone und ihren rund 18 Millionen Menschen bringt. Vor allem ist auch die Frage zu prüfen, ob die Verträge den Frieden sichern oder gefährden und ob unsere eigene Sicherheit ausreichend gewährleistet ist, auch, ob unsere Leistungen im richtigen Verhältnis zu denen der Partner stehen. Dem Appell des Herrn Bundeskanzlers, den Standpunkt der Partner zu verstehen, muß die ebenso berechtigte Aufgabe dieses Hohen Hauses gegenübergestellt werden, zu prüfen, ob auch den deutschen Lebensinteressen und den deutschen Lebensrechten Genüge geschehen ist.
({5})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Decker, Föderalistische Union.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es auch klar ist, daß an dem Vertragswerk so, wie es vorliegt, nichts mehr geändert werden kann, so erübrigt es sich doch nicht, daß in der ersten Lesung die einzelnen Punkte hervorgehoben werden, in denen die Fraktion der Föderalistischen Union ({0}) besonders schwerwiegende Unklarheiten, Schwierigkeiten oder besonders drückende Bestimmungen erblickt, damit diese Punkte in den Ausschüssen besonders behandelt und geprüft werden. Wir erhoffen uns hiervon auch eine Auswirkung auf die künftige Auslegung, Handhabung und Entwicklung des Vertragswerks.
Das erste und ernste Anliegen ist für uns, daß das Vertragswerk bindend und unmittelbar eine
({1})
wirksame Verteidigung des Bundesgebiets an seinen äußersten Grenzen gewährleistet,
({2})
Grenzen, die zum größten Teil keine echten Grenzen, sondern offene Wunden sind
({3})
und über denen die Drohung lastet, sie könnten einmal zu kontinentalen Grenzen, zur Trennungslinie Europa-Asien mitten im Herzen Deutschlands werden.
({4})
Die Grenze gegen die Tschechei darf dabei nicht
Gegenstand minderer Sorge als die Elbelinie sein.
Der Deutschlandvertrag führt in seiner Präambel die Wiederherstellung eines vereinigten Deutschlands als eines seiner Hauptziele an. Seine Gegner stellen die politische Arbeitshypothese auf, der Vertrag hindere die Wiedervereinigung Deutschlands. Gewiß, er könnte als ein Mittel dazu mißbraucht werden. Es besteht auch kein Zweifel, daß er von russischer Seite als eine Erschwerung der Wiedervereinigung betrachtet werden wird. Aber sicherlich hindert das Vertragswerk eine Wiedervereinigung zu einem Ostsatellitenstaat Deutschland,
({5})
und augenscheinlich bringt er uns, wenn einmal Vierer-Verhandlungen mit dem Ziele der Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit zustande kommen sollten, gewichtige Bundesgenossen.
({6})
Vielleicht fänden sich um die Preisgabe eines anderen Zieles, nämlich der Föderation Europas, leichter Wege zu einem Zusammenschluß der beiden Trümmer Deutschlands. Aber wir dürfen und können nicht das eine mit dem anderen erkaufen.
({7})
Ebensowenig wie der Preis für die Wiedervereinigung Deutschlands der Verzicht auf die Teilnahme an der Föderation Europas sein darf, darf diese um die Preisgabe eines in Freiheit vereinten Deutschlands erkauft werden. Beides ist dem deutschen Volke gleich wert und gleich lebensnotwendig.
({8})
Der Herr Bundeskanzler hat darauf hingewiesen, daß der Verteidigungsbeitrag das wichtigste Glied des gesamten Vertragswerks ist. Zugegeben. Aber wir möchten darin nicht einen Ausdruck dafür erblicken, daß die Aufrüstung der Weisheit letzter Schluß ist.
({9})
Wir geben uns keiner Illusion über die Bedeutung von Verträgen, auch über die Bedeutung dieses Vertrages, hin, wenn es nicht gelingt, der europäischen Bevölkerung klarzumachen, daß hinter diesem Vertrag mehr als nur Interessen einzelner Regierungen, nicht einmal Völker, stehen, wenn es nicht gelingt, die Ideen dieser Verträge, die in den Präambeln zum Ausdruck kommen, in der europäischen Bevölkerung verwurzeln und verwachsen zu lassen.
Das ist keine Selbstverständlichkeit. Gerade da, wo es am wichtigsten ist, nämlich bei der Jugend, sind Vertrauen, Wehrbereitschaft und Wehrwille schmählich zerstört worden. Es war kein Nazitum,
sondern echte Bereitschaft und echter Wille, unsere Heimat und unser Volk zu verteidigen und zu schützen,
({10})
als die Truppen noch während des Zusammenbruchs bereit waren, mit den westeuropäischen Armeen einen Damm nach dem Osten zu errichten.
({11})
Nicht daß dies ausgeschlagen worden ist - was verständlich war -, sondern wie und unter welchen Umständen, hat der Jugend, j a dem ganzen deutschen Volk einen schweren Schock versetzt. Es ist nicht vergessen, und ich muß es heute leider wiederholen, daß Eisenhower ganze deutsche Armeen, die sich ihm ergeben haben, in sibirische Lager geschickt hat, daß Berlin, Wien und Prag den Russen ausgeliefert worden sind, - gewiß keine Leistung weitschauender, westliche Interessen wahrender Politik!
Die damalige Behandlung der deutschen Jugend, nur weil sie deutsche Soldaten waren, muß erst nach und nach wieder zum Vergessen gebracht werden.
({12})
Ein Schritt dazu wäre nicht zuletzt eine wirklich großzügige Freigabe der noch unter dem Vorwand von Kriegsverbrechen zurückgehaltenen Kriegsgefangenen.
({13})
Alles kommt darauf an, daß Deutschland ebenso Vertrauen zu den Vertragspartnern gewinnt, wie es selbst seine Kräfte einsetzen muß, das Vertrauen seiner Partner zu erwerben. Der Mißbrauch des Vertrauens durch die Siegermächte würde das Vertragswerk zum Totengräber der europäischen Idee machen.
Die aus den schlimmen Erfahrungen berechtigter- und verständlicherweise entstandene geistige Haltung des deutschen Volkes zur Wehrfrage läßt uns die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht als einen schweren, kaum tragbaren Fehler erscheinen. Vom Standpunkt der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft aus gesehen dürfte es doch genügen, wenn Deutschland seine Kontingente in voller Höhe bereitstellt. Wie es die Rekrutierung durchführt, ist seine innere und ureigenste Angelegenheit.
({14})
Eine Einmischung in diese weist sehr viel weniger auf föderative europäische Ideen als auf zentralistisches Machtstaatdenken hin. Der besatzungsrechtliche Status der deutschen Soldaten ist unseres Erachtens auch noch nicht völlig geklärt.
An der Organisation der europäischen Verteidigung stimmt bedenklich, daß im Kommissariat eine Machtanballung vorgesehen ist, die dieses Gremium mit geradezu diktatorischen Vollmachten ausstattet. Ihm gegenüber hat die Versammlung nicht das entsprechende in Demokratien dem Parlament zustehende Gegengewicht.
Eine möglichste Beschleunigung des Ersatzes der Schumanplanversammlung durch ein echtes europäisches Parlament ist deshalb zeitlich und sachlich dringend notwendig, ebenso wie die Ergänzung der Vertragsbestimmungen durch ein klares Bekenntnis eines jeden Vertragsteilnehmers, wirklich und unverzüglich ein wirkungsfähiges Parlament einer europäischen Föderation schaffen zu wollen. Bisher, auch in Straßburg, ist immer nur
({15})
ein „Möchten", nie ein „Wollen", immer nur ein
Wunsch, nie ein Wille zum Ausdruck gekommen.
So sehr wir in vielen Punkten mit der Konzeption des Kollegen Strauß einverstanden sind, so wenig können wir uns seinen Ausführungen über die vierte Dimension anschließen. Für Mathematiker und Naturwissenschaftler ist bekanntlich die vierte Dimension eine recht reale Größe, nämlich die Zeit; und die Zeit dürfte für den Politiker ebenso eine zu berücksichtigende und reale Größe sein. Auch der Arbeit der Zeit muß man etwas überlassen. Die Zeit ist nicht reversibel. Was versäumt ist - das gilt auch hinsichtlich dieser Verträge -, ist wahrscheinlich nicht mehr einzuholen. Die finanziellen, vor allem die steuerlichen Auswirkungen des Vertragswerks müssen einer besonders tiefschürfenden Prüfung unterzogen werden. Wir hoffen, daß der Finanzminister den Bundestag und das Volk ohne jeden Beleuchtungseffekt hinter seine Kulissen sehen läßt.
({16})
Vor allem ist zu untersuchen, inwieweit die finanziellen Verpflichtungen eine Senkung des Lebensstandards und eine Kürzung der sozialen Leistungen nach sich ziehen werden.
Weiterhin halten wir es für richtig, gelegentlich der Debatte um diesen Vertrag wiederum deutlich darauf hinzuweisen, welche Vermögensverluste dem deutschen Volk durch den sinnlosen Patentraub und die sinnlose Verschleuderung der Patente zugefügt worden sind. Der Einwand, daß viele Patente längst veraltet seien, entkräftet diese Einstellung nicht. Für viele wichtige Patente hat die Laufzeit erst nach 1945 begonnen, und es bestehen j a bekanntlich viele Möglichkeiten zur Verlängerung und Erneuerung. Wenn der Erlös und der Erfolg dieses Patentraubes für unsere Gegner auch gering, teilweise sogar negativ gewesen ist, so heißt das nicht, daß das deutsche Volk diesen völkerrechtswidrig zugefügten Schaden einfach wortlos abbuchen kann.
Wir erwarten, daß der Vertrag dazu führen wird, daß die wachsende militärische Kraft Westeuropas anstatt zu einer Bedrohung auf beiden Seiten zum Ansporn wird, in friedlicher Auseinandersetzung die Spannungen zwischen dem Westen und dem Osten abzubauen.
Mit Sowjetrußland und dem Totalitarismus ist ein ganz neuer Stil auf der politischen Bühne erschienen. Neue, bisher unbekannte und ungebrauchte politische Kampfmethoden werden entwickelt und eingesetzt. Es ist Sache des Westens, mit neuen politischen Konzeptionen - und eine solche sehen wir trotz aller Mängel in dem Vertragswerk ({17})
zu antworten. Wir werden daher der Überweisung der Verträge an die Ausschüsse zustimmen.
({18})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Mende, Freie Demokratische Partei.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, den Standpunkt meiner Fraktion zu dem Problem der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft darzulegen.
Als die Atlantik-Charta 1945 erstmals weiten Kreisen der deutschen Bevölkerung bekannt wurde, war es ein Satz, der uns alle mit einer Hoffnung erfüllte, nämlich jener, der besagte, daß die Menschheit nach diesem furchtbaren zweiten Weltkrieg ein Leben ohne Furcht und Not leben sollte. Inzwischen sind sieben Jahre ins Land gegangen, und die Menschheit lebt heute mehr als in den Tagen von 1939 in der Furcht vor dem dritten Weltkrieg. Gerade unser Land, das durch eine tragische politische Entwicklung in zwei Teile gerissen ist - 18 Millionen Deutsche drüben unter dem freiheitsfeindlichen System der sowjetischen Diktatur, 48 Millionen Deutsche hüben in der Bundesrepublik -, gerade Deutschland ist in besonderem Maße Träger jener weltpolitischen Spannungen zwischen Ost und West und damit Träger jener Furcht geworden. Es ist daher verständlich, daß in unserem Volk der Wunsch nach Frieden besonders groß ist, nicht zuletzt infolge der grausamen Erfahrungen, die unser Volk im letzten Weltkrieg machen mußte. Und wer wollte leugnen, daß ein dritter Weltkrieg Europa zum Atombombenversuchsfeld beider Parteien zwangsläufig machen müßte?
Worin liegt nun die Möglichkeit einer Friedenssicherung? Seit Tausenden von Jahren bemüht sich die Menschheit, jenes Problem des ewigen Friedens zu lösen, leider bisher ohne Erfolg! Weder die geistvolle und von tiefem ethischen Verantwortungsbewußtsein getragene Schrift des großen Königsberger Philosophen Kant „Vom ewigen Frieden" noch die modernen Institutionen wie Völkerbund, Vereinte Nationen und Weltsicherheitsrat haben eine Lösung dieses Problems gebracht. Es scheint daher wohl die nächstliegende Lösung zu sein, daß der Friede dann gewahrt wird, wenn der Kräftegruppierung und Schwerpunktbildung auf der einen Seite eine gleiche Kräftegruppierung auf der anderen Seite gegenübergestellt wird, damit in einer Verteilung der Schwergewichte keine von beiden Parteien der Verlockung unterliegen kann, eine risikolose Aktion zu wagen. Wir stimmen in dieser Konzeption durchaus dem Herrn Bundeskanzler zu, und nicht nur Politiker, sondern fast die gesamte militärische Fachwelt sieht in dieser realen Betrachtung die einzige heute gültige Sicherung des Weltfriedens. Man muß daher wohl auch das klassische Sprichwort „si vis pacem, para bellum" in diesem tieferen Sinne verstehen: Willst du den Frieden erhalten, dann mache durch deine Rüstung und Bereitschaft das Risiko für den Gegner so groß, daß er bei nüchterner Überlegung davon absieht, dieses Risiko einzugehen.
({0})
Man könnte es an einem anderen Beispiel aus dem täglichen Leben noch deutlicher sagen: Wer einen Bau errichtet, der muß Druck und Gegendruck, Schwerkraft und Stützung in seinen statischen Berechnungen so ausgleichen, daß eine Aufhebung der gegeneinander wirkenden Kräfte erfolgt. Denn nur dann, wenn die Statik gewährleistet ist, ist das Bauwerk solide; andernfalls stürzt es zusammen.
Auch der Weltfriede ist unseres Erachtens mit einem solchen Bauwerk vergleichbar. Wenn wir also die Verteidigungsgemeinschaft des Westens und die atlantische Gemeinschaft durch unseren Beitrag fördern, schaffen wir einen Ausgleich der Kräfte, die durch die gewaltige Massierung von Potential an Menschen, Gütern und revolutionären
({1})
Ideen durch den Osten bereits jahrelang angereichert werden. Die geistige Grundlage des Vertrags zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ist somit die Erhaltung des Friedens, und zwar nicht nur innerhalb der Partner - auch das ist schon ein großer politischer Fortschritt -, sondern auch im Verhältnis zu jenen Spannungen zwischen den großen Rivalen der Weltpolitik in Ost und West.
({2})
Herr Kollege Reismann, ich glaube, Sie wollten den Zwischenruf machen, Rüstungen führten meistens dazu, daß sie sich dann auch entluden. Nun, wenn ich mir die Kompliziertheit der Demokratie ansehe mit ihren Bremsen und Sicherheiten, mit der Verteilung der Gewichte, und wenn ich mir auch die Kompliziertheit des EVG-Vertrags ansehe, dann erscheint mir die Gefahr, daß von dieser Seite aus eine aggressive Aktion unternommen wird, gleich null. Das ist das Privileg autoritärer Staaten, von heute auf morgen Aggressionen auszulösen. Wir haben es doch erlebt: es genügte ein Druck auf einen Knopf, und die „Iswestija", die „Prawda" und der Moskauer Rundfunk einerseits und der deutsche Reichsrundfunk und der „Völkische Beobachter" andererseits feierten das deutsch-sowjetische Freundschaftsbündnis, das meines Erachtens überhaupt erst Hitler den 1. September 1939 ermöglicht hat, als die neueste politische Weisheit. Das ist in einer Demokratie schlechthin unmöglich. Es liegt also in der Rüstung des Westens nicht die Gefahr des Präventivkriegs; das ist, wie gesagt, das Privileg autoritärer Staaten.
({3})
Das Ziel aller unserer Maßnahmen, aller unserer Sicherheitsmaßnahmen muß sein, weder die erste Schlacht zwischen Weichsel und Memel schlagen zu wollen - wie das manche auf der Seite der Opposition vor einem Jahr in ihren Reden zum Ausdruck brachten - noch die letzte Schlacht zwischen Pyrenäen und Ebro durch den Westen gewinnen zu wollen. Alles, was wir im Rahmen dieses Vertrags tun, und das höchste Ziel der deutschen Außenpolitik muß es sein, zu erreichen, daß die erste Schlacht überhaupt nicht stattfinden kann.
({4})
Der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zieht meines Erachtens - wie auch bereits der Schumanplan - die Konsequenz aus dem Artikel 24 unseres Grundgesetzes. Wir waren nach Abschluß der Arbeiten des Parlamentarischen Rates mit Recht stolz darauf, daß wir im Grundgesetz als erster Verfassung der ganzen Welt einen freiwilligen Verzicht auf Souveränitätsrechte erklärt hatten. Wie mir erinnerlich ist, hat gerade die Fraktion der. heutigen Opposition sehr tatkräftig an diesem Artikel 24 mitgearbeitet, weil ihr dieser Artikel ein echtes Anliegen zu sein schien. Das Souveränitätsdogma hat doch seit der Zeit, da es Jean Bodin in seinen „Six livres de la république" interpretiert hat, sehr viel Blut und Tränen über die alte Welt gebracht. Es war daher verständlich, daß insbesondere die deutsche Jugend mit besonderer Hoffnung auf den Abbau der alten nationalstaatlichen Schranken sah und sich mit einer einhelligen Begeisterung der europäischen Idee zuwandte.
Was wir also im EVG-Vertrag vor uns haben, ist nichts anderes als die Realisierung des Absatzes 2 des Artikels 24 unserer Verfassung, in dem es heißt:
Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.
Mir scheint es etwas eigenartig zu sein, wenn nun plötzlich durch den Redner der Opposition, den sehr verehrungswürdigen Professor Carlo Schmid, auf dem alten Souveränitätsdogma wieder herumgeritten wird. Man kann nicht sagen: Wir bauen ein Europahaus auf, aber nicht auf unsere Kosten. Wenn man Europa bauen will, ist es selbstverständlich, daß man beginnt, als Mitgift zu diesem Europa gewisse Verzichte einzubringen.
({5})
Unter diesem Gebot standen auch die Verhandlungen der deutschen Delegation in Paris. Sie hatte es, wie unser Fraktionsvorsitzender, Kollege Dr. Schäfer gestern schon erwähnte, einfacher als ihre Verhandlungspartner, die solche Souveränitätsverzichtsmöglichkeiten nicht in ihren Verfassungen niedergelegt haben. Wenn man einwendet, daß viele Formulierungen im EVG-Vertrag vom Mißtrauen unserer Gegner und von der Furcht vor neuen deutschen Divisionen diktiert sind, so scheint mir das übertrieben zu sein. Die ersten, im sogenannten Pleven-Plan niedergelegten Vorschläge für die strukturelle Gestaltung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft waren allerdings von einem solchen Mißtrauen getragen. Sie haben daher den rein sachlichen Prüfungen der Fachleute nicht standhalten können. Wir müssen anerkennen, daß vom Pleven-Plan zum EVG-Vertrag ein gewaltiger Fortschritt zu beobachten ist, nicht nur in der strukturellen Gestaltung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, sondern auch in der Atmosphäre der Verständigung, die unter den Partnern erreicht werden konnte.
Es ist selten, daß man in der Politik mit Dank rechnen kann. Wer sich in die Infanteriedrecklinie der Politik begibt, muß von vornherein damit rechnen, daß zu seinen Lebzeiten sein Werk nicht anerkannt wird. Es scheint mir jedoch eine gewisse moralische Verpflichtung hier vorzuliegen, zumindest anzuerkennen, daß die deutsche Delegation in Paris aus der Sache etwas gemacht hat. Wer einmal im Ausland gewesen ist und bei Verhandlungen die eisige Atmosphäre kennengelernt hat, die zunächst den deutschen Verhandlungspartnern immer entgegentritt, der muß dankbar sein, daß trotz dieser eisigen Atmosphäre schließlich eine Auflockerung eintrat und daß am Ende sachliche Ergebnisse vorliegen, deren wir uns nicht zu schämen brauchen und die die anderen auch nicht zu beklagen haben. Man steht gerade bei militärischen Verhandlungen immer in der Situation , von der einen Seite als Militarist verschrieen zu werden, wenn man viel fordert, und von der anderen Seite als Landesverräter gebrandmarkt zu werden, wenn man scheinbar zu wenig verlangt hat.
Es ist nicht Aufgabe dieser ersten Lesung, in eine Erörterung der Einzelheiten des Vertrages zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft einzutreten. Das ist die Aufgabe der zweiten und dritten Lesung. Aufgabe dieser ersten allgemeinen Aussprache ist vielmehr, eine generelle Einstellung zu dem Vertrag zu finden.
({6})
({7})
Auch hier muß ich dem Herrn Kollegen Carlo Schmid widersprechen. Die Idee einer Verteidigungsgemeinschaft ist gar nicht so neu. Der erste Weltkrieg brachte das Ende der reinen Koalitionsarmeen, während der zweite Weltkrieg, insbesondere in der Zusammenarbeit der atlantischen Kräfte, in den letzten Kriegsjahren bereits eine Verteidigungsgemeinschaft mit gemeinsamem Oberbefehl, gemeinsamer Strategie, operativen und sogar taktischen Maßnahmen zuwege gebracht hat. Ich möchte die Strategie nicht etwa interpretieren als eine rein militärische Angelegenheit. Im modernen Krieg ist die Strategie die Summe politischer, wirtschaftlicher, propagandistischer und militärischer Maßnahmen.
({8})
Wir wissen, welch gewaltige militärische Leistungen diese atlantische Verteidigungsgemeinschaft hervorzubringen in der Lage war.
Natürlich treten bei Verteidigungsgemeinschaften gewisse Schwierigkeiten auf, zumindest bei Beginn. Eine der geringsten Schwierigkeiten ist noch die sprachliche.
Die ursprünglich im Pleven-Plan vorgesehene Begrenzung der nationalen Einheiten auf Kampfgruppen in Regimentsstärke würde den Aufgaben einer echten Verteidigungsgemeinschaft nicht entsprochen haben; denn die kleinste aktionsfähige Einheit ist nach den Militärvorschriften der ganzen Welt immer die Division. Diese Feststellung ist heute beinahe überholt; denn im zweiten Weltkrieg sind seitens der Roten Armee bereits homogene Artilleriekorps eingesetzt worden. Man muß also heute die kleinste aktionsfähige militärische Einheit schon beinahe im Korps sehen. Wenn der EVG-Vertrag trotzdem die Division als die Grundeinheit vorsieht, so ist es doch nicht ausgeschlossen, daß im Rahmen militärtechnischer Erkenntnisse eines Tages um der Erhöhung der Schlagkraft willen die Integration erst oberhalb der Korps-ebene und nicht schon auf der Korpsebene beginnt.
Das Geheimnis militärischer Erfolge liegt in dem reibungslosen Zusammenarbeiten der verbundenen Waffen zu Lande, zu Wasser und in der Luft und in der personellen und materiellen Schwerpunktbildung. Feuer, Bewegung und Nachschub sind in diesem Funktionieren der Zusammenarbeit insbesondere auf die Nachrichtenverbindungen angewiesen. Im modernen Krieg, der binnen 24 Stunden völlig neue Situationen schaffen kann und ebenso schnelle Entschlüsse zur Folge haben muß, ist das Problem der Befehlssprache und Nachrichtenübermittlung sehr wichtig. Wir sollten daher, soweit wie möglich, eine Homogenität etwa bis zur Korpsebene einschließlich erstreben, um einen Sprachenwirrwarr und damit falsche Mel-. dungen und Befehlsübermittlungen zu vermeiden; denn schließlich können wir den Befehlshabern bis zu den Kompaniechefs keine Armee von Dolmetschern beigeben; Esperanto können wir leider auch noch nicht allgemein als Verständigungssprache gebrauchen.
Man sollte deswegen diese und vielleicht auch andere sich ergebende Schwierigkeiten ruhig der Entwicklung überlassen und der Einsicht der militärischen Organe vertrauen, jener militärischen Organe, die in ihrer Zusammenarbeit den Politikern oft voraus sind. Wenn Sie sich einmal den Text des Generalvertrags und der Annexverträge vornehmen und mit dem Text des EVG-Vertrags vergleichen, wird Ihnen auffallen, daß im EVGVertrag eine wesentlich verständlichere Sprache gesprochen ist. Man muß daher den Eindruck haben, daß dort auch klarere Vorstellungen von dem zu Erreichenden geherrscht haben.
Meine Damen und Herren, wir bedauern allerdings, daß die EVG ohne einen politischen Unterbau ist. An der Spitze der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft sehen wir das entscheidende Exekutivorgan, das Kommissariat, das seinerseits von der Versammlung, dem legislativen Organ, und dem Ministerrat, dem föderativen Organ, kontrolliert wird. Schließlich haben wir neben diesen legislativen und exekutiven Organen als selbständige Säule den Gerichtshof als justizielles Organ., Wir sehen also in der Führung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft die klassische Nachbildung der demokratischen Verfassungen mit einer Aufteilung der Gewalten. Trotzdem fehlt der politische Unterbau. Wir können den Politikern Europas den Vorwurf leider nicht ersparen, daß sie weder in den verschiedensten europäischen Institutionen, von denen es mehr gibt, als notwendig erscheint, noch in Straßburg in den vergangenen Jahren eine europäische Verfassung auszuarbeiten und zur Geltung zu bringen in der Lage waren. Es ist da vielleicht der EVG-Vertrag ein Initiator und ein Mahner, nun endlich nachzuholen, was bisher nicht gelungen ist. Denn wenn die Politiker der Eigengesetzlichkeit einer Armee und auch Armeegemeinschaft nicht unterliegen wollen und wenn das Schlagwort von dér „Gewerkschaft der Generale" nicht Wirklichkeit werden soll, dürfen sich die Politiker die Verantwortung nicht entwinden lassen, und durch die Politiker muß daher bald jener fehlende politische Unterbau geschaffen werden. Denn nur so kann der Primat der Politik gewahrt bleiben und verhindert werden, daß die militärischen Befehlshaber, die ohnehin eine Viel schnellere Nachrichtenübermittlung zu ihren Partnern haben als die Politiker, statt Objekte politischer Entscheidungen zu sein, Subjekte eigenverantwortlichen Handelns auch auf dem Gebiete der Politik werden.
Wir werden in der zweiten und dritten Lesung noch genügend Gelegenheit haben, uns mit den Einzelbestimmungen des Vertrages auseinanderzusetzen. Ich möchte hier nur zwei Befürchtungen herausgreifen, die in der deutschen Öffentlichkeit immer wieder zu hören sind. Die eine lautet: Deutsche Männer könnten sich im Rahmen des Einsatzes der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft eines Tages auf überseeischen Kriegsschauplätzen, etwa in Indochina, wiederfinden. Diese Befürchtung kann leicht widerlegt werden, denn erstens heißt es bereits in der Präambel, daß das Ziel der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft die Verteidigung Westeuropas gegen jeden Angriff ist, und in Art. 120 heißt es ausdrücklich, daß Verbände der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft sowie Schulen, Einrichtungen und Ausbildungsplätze lediglich durch einstimmige Billigung des Rates außerhalb der europäischen Hoheitsgebiete der Mitgliedsstaaten verlegt werden könnten. Es genügt also hier das Veto des deutschen Vertreters, die Verlegung eines deutschen Verbandes außerhalb Europas zu verhindern. Außerdem können bei Verlegung von Einheiten in Gebiete, die außerhalb der in § 6 des Atlantikpakts festgelegten Räume liegen - das wäre z. B. Indochina - sogar nationale Parlamente sich einschalten. Es ist also in jedem Fall eine parlamentarisch kontrollierte deutsche Zustimmung notwendig, falls jemals eine Verlegung von Verbänden deutscher Nationalität in Gebiete
({9})
außerhalb der Verteidigungsgemeinschaft erwogen werden sollte.
Die zweite Befürchtung ist, die Angehörigen der deutschen Verbände würden zweitrangig sein, gewissermaßen Europäer zweiter Klasse. Auch dem muß widersprochen werden. Denn hier enthält die Präambel sowohl dem Sinne wie dem Wortlaut nach den Gedanken der Gleichheit und der gleichen Behandlung, und in Art. 6 heißt es ausdrücklich, daß dieser Vertrag keinerlei unterschiedliche Behandlung der Mitgliedstaaten zuläßt.
Entscheidend, meine Damen und Herren - und das ist das Kernstück meiner Ausführungen -, für die Funktionsfähigkeit der Organe der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und für den Wert der aufgestellten Verbände wird der Geist sein, in dem die Bestimmungen des EVG-Vertrages gehandhabt werden. Hier muß an Stelle des latenten Mißtrauens gegenüber Deutschland endlich das Vertrauen zu Deutschland treten. Und wir wünschten uns von Herzen, daß man der Demokratie von heute wenigstens soviel Entgegenkommen zeigt, wie man unklugerweise der Diktatur von gestern an Konzessionen zu machen bereit war.
({10}) Schließlich beweisen die vergangenen sieben Jahre, daß das deutsche Volk in seiner breiten Mehrheit von tiefer Friedenssehnsucht erfüllt und von dem Willen beseelt ist, die alten deutsch-französischen Gegensätze durch eine deutsch-französische Zusammenarbeit in europäischer Gemeinsamkeit zu überbrücken.
Wir wollen nicht vergessen, was leider in deutschem Namen der Welt noch gestern zugefügt wurde. Aber das Heute und Morgen gebieten, einen Schlußstrich unter das Vergangene zu setzen. Schließlich haben sich soviel Politiker, Journalisten, Sportler und Touristen auf ihren Reisen von der europäischen Loyalität des deutschen Volkes überzeugen können. Und wenn wir einmal die schwierigste Zeit, die Zeit der wirtschaftlichen Spannungen von 1946 bis 1948 betrachten - nicht einmal in dieser gefährlichen Zeit hat es einen Akt von Resistancehandlungen oder eine Aktion jenes Werwolfskomplexes gegeben, mit dem die Allierten in unser Land gekommen waren. Man sollte also aus der Realität der vergangenen Jahre gewisse Vertrauensbasen schaffen und nicht immer nur dem latenten Mißtrauen das Wort reden. Denn eine Armee ist nun leider Gottes keine Addition oder vielleicht Gott sei Dank keine Addition von Offizieren, Unteroffizieren, Soldaten und Material. Eine Armee ist ein lebendiger Organismus, und das Entscheidende an diesem Organismus ist der Geist, der ihn beseelt. Der Geist deutscher Verbände kann nicht gut sein, wenn eben kein Vertrauen zu diesen Verbänden herrscht.
Damit komme ich auch zu der Frage, die man allgemein mit dem Wort „Kriegsverbrecherproblem" umreißt. Auch hier wollen wir nicht vergessen, was leider anderen Völkern zugefügt wurde. Aber wir wissen doch, daß in der Psychose des letzten Krieges auf beiden Seiten bedauerlicherweise das Kriegs- und Völkerrecht überschritten wurde, und im Zeichen koreanischer Ereignisse ist die Verurteilung deutscher Soldaten doch recht strittig geworden. Denn was taten denn viele von den deutschen Befehlshabern anderes als das, wozu alliierte Befehlshaber in Korea gezwungen waren, nämlich: brutale, hinterhältige Kampfmethoden mußten mit ebenso harten Gegenmaßnahmen beantwortet werden, um das Leben der Untergebenen zu schützen und die Versorgung der Armeen sicherzustellen. Wenn man sagt: j a, aber ein General hat doch jeden Befehl zu prüfen, - es ist ein Unterschied, ob man General in einem demokratischen Staat ist oder General in einem Staat, der mit der furchtbaren Geißel der Sippenhaft jeden militärischen Befehlshaber bedroht hat.
Wir wollen nicht vergessen, daß unter den in alliierten Zuchthäusern noch festgehaltenen Deutschen sich natürlich noch manche befinden, die auch nach deutschem Recht schuldig geworden sind und gerechte Strafe verdienen. Wir wollen hier von ihnen nicht sprechen, obgleich auch sie sieben Jahre Zuchthaus hinter sich haben, das ist nach dem Strafrecht aller Staaten eine sehr harte Strafe. Wir wollen auch nicht sprechen von den Einsatzkommandos, KZ-Erschießungen, von den Versuchen an lebenden Menschen und sonstigen sadistischen Quälereien, deren wir uns heute noch tief schämen und tief schämen müssen. Aber die Zahl derer, die hier betroffen werden, ist doch verhältnismäßig gering. Wir meinen vielmehr, wenn wir für die sogenannten Kriegsverbrecher plädieren, alle diejenigen, die als Soldaten, als Angehörige der Verbände der Waffen-SS, die ja auch im Felde waren und die selbst nicht wollen, daß man sie mit der KZ-Bewachungs-SS identifiziert,
({11})
als Angehörige der Polizeiverbände aus den Kriegshandlungen heraus schuldig oder vielleicht teilschuldig geworden oder ganz unschuldig sind, und wünschen, daß diese Menschen einen Gnadenakt erfahren. Wir halten es für höchst wünschenswert, daß noch vor der dritten Lesung des Generalvertrages die Gnadentätigkeit der drei Hohen Kommissare so wirksam wird, daß schließlich den Gnadenkommissionen nur noch der Teil der absolut strittigen Fälle überlassen zu werden braucht. Ich könnte mir denken, daß die Alten, die Schwachen, die Kranken, die Kriegsversehrten und die jüngsten Inhaftierten aus menschlichen Gründen durch einen symbolischen Akt in großer Zahl heimgeschickt werden.
({12})
Wenn man im Ausland nun sagt: Aha, da ist schon wieder einer, der alternative und ultimative Forderungen stellt, der also wieder nationalistische Reden hält, - es muß doch auch im Ausland allen Gutwilligen auffallen, daß die Vertreter der Kirchen, unter ihnen prominente Bischöfe, Vertreter des Evangelischen Hilfswerkes, des Caritasverbandes, des Deutschen Roten Kreuzes, daß alle politischen demokratischen Parteien hier plädieren, so daß dieses Problem zu einer allgemeinen Angelegenheit des Geistes der Zusammenarbeit und des Vertrauens geworden ist. Man soll von uns nicht mehr verlangen, als man selbst zu geben bereit ist. Jedes Volk, auch ein besiegtes, kann nur bis zur Grenze der Selbstachtung gehen, wenn es sich nicht selbst aufgeben und politisch entmündigen lassen will.
({13})
Man soll hier auch politisch nach dem Vaterunser handeln - wir beten es, aber in der Politik scheint es vergessen zu werden-: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern! Wir sollten nicht nach dem Beispiel von Lots Weib handeln, das - nach der Bibel - zurückschaute und zur Salzsäule erstarrte, sondern man sollte vorwärts schauen auf Europa und auf die gemeinsame Gefahr, die uns alle bedroht, nicht nur in
({14})
Bonn, in Paris und London, sondern in der ganzen freien Welt. Ich appelliere hier mit aller Leidenschaftlichkeit an die Gutwilligen in aller Welt, die sich formieren müssen gegenüber der Front der Negativisten, jener Morbiden, die aus ihrer eigenen Morbidität auch nicht die Gesundung Europas wollen, die immer im Trüben fischen und die bewußt die Beziehungen unter den Völkern vergiften.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch auf eine Frage eingehen, die auch für den Geist der Verteidigungsgemeinschaft wichtig ist. Es ist die Frage der inneren Struktur der Verbände deutscher Soldaten, die wir einmal im Rahmen des EVG-Vertrages bekommen werden. Auch hier sehen wir uns großen Schwierigkeiten gegenüber. Man hat einmal die Ausübung des in der ganzen Welt ehrenhaften Soldatenberufs durch die sogenannte Entmilitarisierung unter Strafe gestellt. Man hat nach 1945 Gehorsam und Pflichterfüllung als Dummheit, Tapferkeit als Kriegsverbrechen hingestellt, und vom Berufsunteroffizier aufwärts begann der Militarist. Herr Kollege Strauß hat hier schon eine Definition über den Militarismus gegeben. Vielleicht kann ich sie ergänzen: Militarismus kann als die Bejahung der Anwendung von Gewalt zur Fortsetzung der Politik - mit anderen Mitteln - verstanden werden. Wenn das so ist -, dann sind selten Soldaten Militaristen, die mit ihrem eigenen Leben am ersten Tage die Folgen solcher Politik zu tragen haben.
({15})
Militaristen tragen vielmehr Zivil. Sie sitzen in der Rüstungsindustrie, in der Diplomatie und in der Politik.
({16}) Und, meine Damen und Herren, durch die Politiker werden die Wehrgesetze gemacht, die dann die Soldaten verpflichten. In keinem Staat der Welt kann der Soldat - weder der Gefreite noch der Leutnant noch der General - fragen: „Ist das ein bellum justum" - frei nach dem Heiligen Augustinus - „oder ein bellum injustum, ein ungerechter Krieg?" Das bestimmen die Politiker, und meistens bestimmt es leider Gottes, nach dem positivistischen und nicht nach dem Naturrecht, der Sieger.
Man sollte hier einmal die Scheidung zwischen den echten Militaristen und den Soldaten vornehmen, die das Soldatentum als eine ethische Aufgabe ansehen und sich genau so unter Noske und Ebert vor die Weimarer Republik gestellt haben, wie wir hoffen, daß sie sich morgen oder übermorgen vor die freiheitliche Demokratie des Westens stellen, wenn jene Kontingente, Frau Thiele, die das geschulterte Gewehr bereits in Leipzig vorbeigetragen haben, jene FDJ-Kolonnen eines Tages uns befreien wollen, wie es so schön heißt, von dem kapitalistischen, kolonialen Joch des Petersberges.
({17})
Ich liebe die drei Hohen Kommissare nicht, ich schätze vielleicht den einen oder anderen von ihnen; mir sind aber drei Hohe Kommissare auf dem Petersberg immer noch sympathischer als Tausende von Kommissaren der Roten Armee und der Volkspolizei, die Sie mit den FDJ-Karabinerträgern uns dann bringen werden!
({18})
Nun, ich kann mir denken, daß wir hier von den Erfahrungen unserer Spätheimkehrer, von den Erfahrungen aller derer einen Nutzen haben werden, die die Bestialität jener bolschewistischen Fratze bis zur Neige kennenlernen mußten.
Wir werden in den Ausführungsgesetzen vieles übernehmen können, was sich im letzten Krieg und vor dem letzten Krieg in der Tradition des deutschen Soldatentums bewährt hat; wir werden aber alles ausmerzen, was sich gegen den Menschen und die Menschenwürde gerichtet hat und richten könnte. Für überspitzte Formen soldatischer Ausbildung darf in den deutschen Verbänden ebensowenig Platz sein wie für einen überlebten Ehrenbezeigungskult. Wir können es uns nicht mehr leisten, in der Zeit der Technisierung des Militärischen das Vorbeigehen in gerader Haltung mit zwei Kaffeekannen zu üben, sondern wir werden jene Formen in der Ausbildung des deutschen Soldaten übernehmen, die sich im frontnahen Raum im letzten Krieg bereits entwickelt haben. Dort hatte man keine Zeit für überflüssige Beschäftigungstheorien, sondern alles war eingestellt auf das battle training, auf das Kampftraining, mit dem Ziel, durch die Lehre und Übung des richtigen Verhaltens dem Mann das Leben zu retten. Denn das Ziel eines echten Offiziers ist es, Blut zu sparen und so viele wie möglich von seinen Soldaten wieder nach Haus zu bringen.
({19})
Im vorderen Graben und in analogen Räumen, im Panzer, in der Kampfmaschine, im U-Boot, zählt keine Disziplinarvorschrift, sondern nur der Eindruck des persönlichen Beispiels; wenn wir darauf unsere Ausbildung aufbauen, dann können wir ganz getrost sein.
Es werden in der Öffentlichkeit ja auch schon Diskussionen darüber geführt. Wir werden von diesen Diskussionskreisen sicher manche Anregung bekommen und dann Zeit haben, zu dem Problem der Auslesedienstpflicht - der ich sehr skeptisch gegenüberstehe -, zu Fragen des Disziplinarrechts, der Dienstzeit usw. Stellung zu nehmen. Aber wir dürfen eines von vornherein nicht vergessen. Soldat sein ist leider keine leichte Sache. Soldat sein bedeutet, herausgerissen zu werden aus seinem zivilen Lebenskreis, gewissen Organisationsformen und einem harten Leben unterworfen sein. Selbst die amerikanische Armee, deren liberale Formen wir zum Vorbild nehmen können, kennt das bekannte Sprichwort: „Das ist die Armee, Mr. John, weder Privatbad noch Telefon!" Wenn wir also an diese innerstrukturellen Maßnahmen herangehen, so wird das Ziel dieser Maßnahmen sein, im Soldaten in erster Linie den Menschen zu sehen, in zweiter Linie den Waffenträger. Die Achtung der Grundrechte, die Achtung vor der Menschenwürde und allem, was Menschenantlitz trägt, muß das höchste zu schützende Gut des kommenden Soldaten sein!
({20}) Ich glaube, hier in diesem Parlament - das wird ja oft von demagogischen Rednern draußen bestritten - sitzen genügend Erfahrene des ersten und des zweiten Weltkrieges, genügend Kriegsbeschädigte, genügend Menschen, die mit Gut und Blut zahlen mußten. Sie werden mit aller sachlichen Verantwortung an diese Fragen herangehen!
Noch ein Wort zu den Führungsorganen und Stäben! Hier muß nicht minder darauf geachtet werden, daß in den Stäben nicht jener verderbliche, intrigantenhafte, überhebliche und arrogante
({21})
Militärsnobismus wiederkehrt, den wir in manchen höheren Stäben gelegentlich leider gefunden haben. In den Führungsstäben muß vielmehr der Geist der Frontkameradschaft entscheidend sein! Militärsnobisten dürfen heute allenfalls Memoiren schreiben, aber wir lassen sie nicht mehr an das wertvollste Gut, das wir haben, an unsere Jugend heran!
({22})
Aber ich weiß, daß das Einzelerscheinungen waren. Es ist kein Zufall, daß nach dem letzten Krieg keinem Offizier oder Unteroffizier die Schulterstücke heruntergerissen wurden. Das ist ein Beweis dafür, daß doch - auch im Zusammenbruch - eine Art echter Kameradschaft vorhanden gewesen sein muß; wir hoffen, daß sie wiederkehrt bis in den höchsten Stab!
Wir stimmen trotz gewisser Vorbehalte und trotz gewisser Sorgen besonders nach der geistigen Seite hin - Frau Hütter, die in Genf war und die das Problem der deutschen Kriegsgefangenen und der noch Festgehaltenen besonders gut kennt, wird hier noch zu der geistigen Seite und dem Kriegsverbrecher-Problem Stellung nehmen - dem EVG-Vertrag zu. Wir sehen ihn als eine Versicherung an! Die Tatsache, daß wir wieder Soldaten stellen müssen, nicht mit Enthusiasmus, sondern mit der bitteren Notwendigkeit, ist die Versicherungsprämie für unser freiheitlich-demokratisches Leben. Genau so, wie man sich gegen den Unfalltod versichert in der Hoffnung, daß niemals dieser Versicherungsfall eintrete, so hoffen wir, daß die Versicherungsprämie des deutschen Beitrags zur EVG-Gemeinschaft nie zur Realisierung der Versicherung führen möge.
Im übrigen ist die Geschichte etwas Fließendes! Heraklit sagt: panta rhei - alles ist im Fluß! Die Opposition kritisiert zuviel an Formalien und hängt an der statischen Betrachtung der Dinge. Man sollte die dynamische Betrachtung als wesentlicher ansehen. Das heißt, daß in der Entwicklung der Zeit manches, was heute noch negativ ist, durch Verhandlungen auf Grund neuer Erkenntnisse beseitigt werden kann.
Man muß noch zum Schluß ein Wort an die Opposition richten. Meine Damen und Herren, Sie von der Opposition kennen mich als einen Mann, der versucht, Staatspolitik höher zu werten als Parteipolitik. Als ich beim Pfingsttreffen der FDJ vor zwei Jahren in Berlin war, habe ich symbolhaft gesehen, was uns allen droht, wenn jene von der Kommunistin Frau Thiele inspirierte und konspirierte Befreiung einmal Wirklichkeit werden sollte: man trug in dem Zug der 32er Reihen, die damals noch keine Karabiner trugen, wie jetzt in Leipzig, zwei überlebensgroße Puppen vorbei, unverkennbar Adenauer und Schumacher, aufgehängt an zwei Galgen. Mir kam symbolhaft zum Bewußtsein: warum eine Zusammenarbeit dieser beiden Staatsmänner erst am Galgen, warum nicht früher eine staatspolitische Gemeinsamkeit in Sicherheitsfragen, um den Galgen für sie beide und für uns alle zu verhindern?
({23})
Das ist das Problem, und bei aller Parteiverschiedenheit hoffe ich, daß wir auf einen Weg kommen, der nationale Sicherheitsfragen nicht zum Gegenstand von Wahlkämpfen und Parteistreitigkeiten macht. Wir sitzen alle in dem gleichen Boot, und ich möchte nicht, daß wir uns eines Tages in Sibirien darüber unterhalten
müssen, was wir hier versäumt haben. Daher in Umwandlung des alten klassischen Spruches „videant consules" an Sie die inständige Bitte, in Sicherheitsfragen alles Trennende beiseite zu stellen und die staatspolitische Gemeinsamenkeit als das höchste Ziel dieses Parlaments zu betrachten.
({24})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hütter.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es fällt mir nicht leicht, nach den Reden des heutigen Tages und insbesondere nach der sachlich echten und bewegenden Rede des Herrn Kollegen Lemmer heute vormittag - meines alten Führers aus der Zeit der zwanziger Jahre, als er noch der jüngste demokratische Abgeordnete in Berlin war
({0})
und ich selbst zu den Jungdemokraten gehörte - eine kritische Frage aufgreifen zu müssen, die wir nicht das erste Mal in großen politischen Zusammenhängen diskutieren: die Frage der sogenannten Kriegsverbrecher. Sie stand schon mehrfach auf der Tagesordnung dieses Hohen Hauses. Dennoch ist es nie zu einer Grundsatzdebatte gekommen, weil die Bundesregierung über eine Bereinigung dieser Frage monatelang verhandelte und wir mit Rücksicht auf die laufenden Verhandlungen nicht eingreifen wollten. Heute ist es nun so weit, daß wir uns mit der Frage befassen müssen, die ich als eines der Hauptstücke des Generalvertrags betrachte und die nicht nur eine rechtliche, sondern und vor allem eine menschliche und auch eine politische ist.
Was mich angesichts der vielen Menschen im Gewahrsam der östlichen und westlichen Mächte bewegt, was uns Männer und Frauen der Kriegsgeneration am nächsten angeht - uns, die Frauen der Gefangenen und Vermißten und die Heimkehrer - und was unser Gewissen beunruhigt und uns bange Zweifel aufdrängt, das ist die Frage: Verringert nicht das neue Vertragswerk die Hoffnung unserer Gefangenen in der Sowjetunion auf Heimkehr? Als sich in dieser Sache der greise evangelische Landesbischof Dr. Theophil Wurm aus meiner Heimatstadt Stuttgart kürzlich an Winston Churchill wandte, tat er es mit den Worten: „Ich denke, daß der Mann, der die Initiative zur staatlichen Einigung der europäischen Staaten ergriffen hat, am ehesten Kraft und Mut besitzt, zur Beseitigung der letzten Kräfte des Geistes von Nürnberg - wie sie auch in dem neuen Vertragswerk noch gefährlich nachwirken - die Initiative zu ergreifen. Es ist eine Tat der Gerechtigkeit und der Weisheit, die ich von Ihnen erbitte."
Meine Herren und Damen, solange die Sowjetunion sieht, daß der Westen noch immer Deutsche zurückhält, fühlt sie sich womöglich zu Gleichem berechtigt. Ich und mit mir Hunderttausende von Schicksalsgefährten ersuchen daher die Bundesregierung, sie möge auch jetzt mit tiefstem Ernst überlegen, was für unsere Gefangenen in der Sowjetunion, deutsche Männer und Frauen, getan werden kann, welcher Preis gegebenenfalls für sie geboten werden muß. Hätte man angesichts dieser gemeinsamen Verpflichtung gegenüber unseren Gefangenen im Osten nicht die drei westlichen Vertragspartner zu entscheidenden Zugeständnissen
({1})
für unsere Gefangenen in ihrer Hand bewegen können?
Was nun die Regelung der sogenannten Kriegsverbrecherfrage im Generalvertrag angeht, so finden wir sie in Art. 6 des Überleitungsvertrags, der sich auf die künftigen Verfahren der Behandlung dieser Frage bezieht. Nach diesem Artikel soll ein gemischter Ausschuß, bestehend aus drei deutschen und drei alliierten Mitgliedern, nämlich je einem Engländer, einem Franzosen und einem Amerikaner gebildet werden. Seine Befugnisse erstrecken sich auf Empfehlungen an die Besatzungsländer für die Beendigung oder Herabsetzung der Strafen, wobei nur einstimmige Empfehlungen bindend sind, während Mehrheitsbeschlüsse ausgeführt werden können, aber nicht müssen.
Eine andere Bestimmung in dem Abs. 4 des Art. 6 bringt zum Ausdruck, daß sich die Alliierten die Fortsetzung des Strafvollzugs auf deutschem Gebiet solange vorbehalten, bis die Deutschen in der Lage sind, ihn zu übernehmen.
Im Abs. 5 des Art. 6 verpflichtet sich die Bundesregierung ausdrücklich, daß sie nach Übertragung des Gewahrsams durch die Drei Mächte die übergebenen Personen unter denselben Bedingungen in Haft halten wird, wie sie für ihre Haft im Zeitpunkt dieser Übertragung des Gewahrsams gelten.
Damit begibt sich die Bundesregierung der Möglichkeit, künftig Menschen, die sie in Haft hält, Recht zukommen zu lassen. Wenn auch nach Abs. 1 eine ausdrückliche Anerkennung der Urteile nicht verlangt wird, so gibt immerhin die Feststellung zu Bedenken Anlaß, daß die Gültigkeit der Urteile nicht in Frage gestellt werden darf. Wir können uns daher mit dieser Regelung nicht zufrieden geben; denn da die Urteile selbst unangetastet bleiben, kann eine echte Überprüfung, also eine Revision nicht stattfinden. Außerdem möchte ich darauf hinweisen, daß diese Regelung nur für die auf deutschem Gebiet Inhaftierten Gültigkeit hat, also die ca. 700 Gefangenen auf außerdeutschem Boden innerhalb Europas nicht betrifft. Diese unterstehen nach wie vor ihren Gewahrsamsländern.
Um was für Urteile handelt es sich nun da, die wir unbesehen übernehmen müssen, und auf was für Recht waren sie gegründet? Das Erschreckende an den Kriegsverbrecherprozessen war die Anwendung eines Rechts, das nirgendwo früher galt und den Verurteilten auch nicht bekannt war. Es wurde geschaffen, als der Krieg zur Neige ging und sein Ausgang zugunsten der Alliierten sichtbar war.
So wurde z. B. erst im April 1944 in aller Stille der § 443 des Kap. 14 des Britischen Militärgesetzbuches geändert, der bisher besagte, daß derjenige vom Feind nicht bestraft werden kann, der auf höheren Befehl handelt. Das entsprechende amerikanische Gesetz „Regeln der Landkriegsführung" wurde in gleichem Sinne erst im November 1944 geändert. Die Grundlage für die Verfahren in Frankreich sind bekanntlich die Ordonnance vom 28. August 1944, die also noch während des Krieges, und zwar von der französischen Exilregierung in Algier erlassen wurde, und das Gesetz vom 15. September 1948, die sogenannte Lex Oradour. Auch das norwegische Recht wurde im Herbst 1944 von der Exilregierung in London in der Weise ergänzt, daß nunmehr die Verurteilung Angehöriger der deutschen Besatzungsmacht in Norwegen möglich war.
Wir sehen, es wurde ein ad hoc geschaffenes Sonderrecht angewandt, das dem international anerkannten Grundsatz Nulla poena sine lege widerspricht. Das Trauerspiel endet damit, daß z. B. das britische Militärgesetzbuch in Anerkennung dieses Grundsatzes im Jahre 1950 wieder seine alte Fassung erhielt. Demgegenüber sei noch der § 92 des Deutschen Militärstrafgesetzbuches in seiner Fassung vom 10. September 1940 zitiert, wo es heißt:
„Wer einen Befehl in Dienstsachen nicht befolgt und dadurch . . . einen erheblichen Nachteil herbeiführt, wird mit geschärftem Arrest, . . . mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu 10 Jahren bestraft. Wird die Tat im Felde begangen oder liegt ein besonders schwerer Fall vor, so kann auf Todesstrafe . . . erkannt werden."
Meine Herren und Damen! Die Frage des militärischen Gehorsams stand im Mittelpunkt der Prozesse. Die meisten Verurteilungen beruhten auf der Nichtanerkennung des Befehlsnotstands. Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß selbst die neue Genfer Konvention die Rechtsgrundlagen der Nürnberger Prozesse nicht übernommen hat. Als Begründung gab ein Alliierter an: „Wir wissen nicht, wie die Dinge in einem neuen Krieg aussehen werden."
({2})
Auf die vielen anderen Mängel der Rechtsfindung wie Aussagen unter Druck und andere Dinge möchte ich gar nicht erst eingehen. Kennzeichnend sind die zahlreichen kritischen Stimmen aus dem Ausland, darunter Churchill, Taft, Lord Hankey, der Bischof von Chichester, Frieda Utley, Maître Donnedieu de Varbres, Montgomery, Belgion. Es blieb dem britischen Feldmarschall Montgomery vorbehalten, am 26. Juni 1946 in Portsmouth zu betonen, daß unbedingter Gehorsam selbstverständliche Voraussetzung für jeden Soldaten ist, während Paget, der Verteidiger Man-steins, über den Begriff der militärischen Notwendigkeit in seinem Schlußplädoyer die Worte sprach:
Wenn die Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945 eine militärische Notwendigkeit
war, dann ist der Begriff der militärischen
Notwendigkeit dehnbar genug, um auch das
zu umfassen, was Manstein tat. Es liegt wirklich eine große Ironie darin, einen Mann in
einer Stadt wie Hamburg vor Gericht zu
stellen dafür, daß er Städte zerstörte.
Nach alledem kommen wir zu dem Ergebnis, daß der überwiegende Teil der so gefällten Urteile - die Juristen sprechen von 85 bis 90 % - zu Unrecht gefällt wurde. Schon am 14. November 1950 hat der Herr Bundesjustizminister von dieser Stelle aus dargelegt, daß und warum wir nach der Idee des Rechtsstaates und dem Wortlaut unseres Grundgesetzes jene Urteile nicht anerkennen können. Denn das Grundgesetz sieht in seinem Art. 103 Abs. 2 vor, daß die Anwendung rückwirkender Strafgesetze nicht gestattet ist. Das Kontrollratsgesetz Nr. 10, auf Grund dessen alle sogenannten Kriegsverbrecher verurteilt sind, ist aber ein solches, und bei Anwendung der zur Zeit der Tat gültigen Strafgesetze wären die meisten sogenannten Kriegsverbrecher nicht verurteilt worden. Hieraus geht einwandfrei hervor, daß die Übernahme derjenigen Kriegsverbrecher, die nach der Revision durch den Ausschuß dem deutschen Strafvollzug unterstellt werden sollen, so lange verfassungswidrig ist, bis eine erneute Verurteilung nach deutschem Strafrecht stattgefunden hat.
({3})
Nach § 90 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes kann jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Art. 33, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde erheben. Es ist nicht anzunehmen, daß, würde man so verfahren und die Prozesse neu aufrollen, noch viele Kriegsverbrecher übrigblieben, wenn man berechnet, daß sie alle eine Zuchthausstrafe von sieben und unter Anrechnung der good-conduct-time, d. h. des Erlasses eines Drittels der Strafe bei guter Führung, von 101/2 Jahren bereits hinter sich haben.
Es bleibt also nach unserer Überzeugung eigentlich nur der Weg der Bereinigung dieser Frage. Viele Gründe sprechen dafür, wenige dagegen. Berücksichtigt man außerdem, daß außer der bereits verbüßten Strafzeit von 101/2 Jahren mehrere Tausende seit 1945 hingerichtet wurden, so kann man heute mit guten Gründen sagen, daß nur noch wenige von den über 600 Gefangenen in Landsberg, Wittlich und Werl leben, die vielleicht eine höhere Strafzeit als 101/2 Jahre Zuchthaus verdient hätten.
Es gehört nun zum Wesen jeder Bereinigung einer Nachkriegsepoche. daß auch einige Schuldige daraus Nutzen ziehen. Wir müssen die Liquidierung dieser Frage, den endgültigen Schlußstrich - sei es auf dem Wege der Amnestie oder auf einem anderen möglichst schnellen Wege - trotzdem fordern. Denn die baldige Freiheit von einigen hundert Gefangenen ist nicht anders zu erreichen. Sie wiegt nach den Grundsätzen jedes Rechtsstaats schwerer als die Freilassung weniger noch Schuldiger.
Demgegenüber verschließt der Art. 6 eine echte Revision aller Urteile. Denn wer weiß, wann endlich die in Art. 6 vorgesehene Kommission ihre Arbeit aufnehmen wird, wann sie sich ihre Verfahrensvorschriften gibt, bis wann sie die Zehntausende von Seiten Akten und Dokumenten in die beiden anderen Sprachen übersetzt haben wird, wann endlich die ersten Ergebnisse vorliegen, Ergebnisse, die stets keine echte Revision sind, auf Grund deren dann aber die Bundesregierung die übrigen Gefangenen einmal übernehmen soll. Man ist auf amtlicher deutscher Seite der Ansicht, daß von der Möglichkeit des Art. 6 Abs. 9 Gebrauch gemacht wird, heißt es im Bulletin der Bundesregierung vom 17. Juni 1952, und daß noch vor Beginn der Tätigkeit des gemischten Ausschusses die Drei Mächte im Gnadenverfahren weitere Entlassungen durchführen würden. Die Bundesregierung nehme an, daß dadurch die Zahl der Fälle, die dann noch zur Entscheidung stehen, erheblich vermindert sein wird. Der gemischte Ausschuß könne dann in relativ kurzer Zeit die restlichen Fälle einer Lösung zuführen.
Die mir vorliegenden Informationen scheinen dafür zu sprechen, daß die Amerikaner in Landsberg im Gegensatz zur Praxis der Franzosen in Wittlich nur geringen Gebrauch davon zu machen gedenken und fast alles der späteren Kommission überlassen werden. So äußerte sich ein hoher amerikanischer Beamter Ende vorigen Monats noch in Landsberg gegenüber den Gefangenen: „Sie meinen. Sie brauchten nur noch drei Monate zu warten? Nein. es gibt keine Entlassungen vor Ratifizierung. Erst unterschreiben!"
Meine Herren und Damen, es trifft bestimmt zu, wie uns der Herr Bundeskanzler versichert hat, daß die Verhandlungen zum Generalvertrag in der angenehmen Atmosphäre vertrauender Partner geführt wurden. Ob aber der Geist des Vertrauens auch die Verantwortlichen für die Ausführung des Vertrags beherrschen wird, ist mehr als fraglich.
({4})
Es ist aus naheliegenden psychologischen Gründen zu befürchten, daß jeder der fremden Vertreter im gemischten Ausschuß bestrebt sein wird, einen beträchtlichen Rest von sogenannten Kriegsverbrechern, die von Gerichten seines Staates verurteilt sind, als endgültige Verbrecher übrigzulassen, und daß die fremden Vertreter aus Gründen der Gegenseitigkeit einander unterstützen werden. Hiergegen werden die deutschen Vertreter und die Bundesregierung machtlos sein.
Das Verfahren nach Art. 6 wird sich auch auf die zahlreichen Fälle, die nicht darunter fallen, schädlich auswirken. In Frankreich, Holland usw. wird man die Einleitung der Liquidierung des Gefangenenproblems zurückstellen, bis der gemischte Ausschuß seine Tätigkeit aufnimmt, dann, bis seine Praxis zu übersehen ist, und schließlich vielleicht, bis alle Fälle von dem Ausschuß entschieden sind.
Wir sehen aus der Problematik der Materie, daß wir uns mit der im Generalvertrag vorgesehenen Regelung der Kriegsverbrecherfrage nicht zufrieden geben dürfen, da einerseits die Urteile unangetastet bleiben müssen und andererseits einer Begnadigung der Betroffenen viele Hindernisse im Wege stehen. Sie ist auch nicht vereinbar mit dem Gedanken der Partnerschaft. Dazu schrieb mir in diesen Tagen ein vor kurzem von den Westmächten entlassener Gefangener, daß es untragbar wäre, wenn die Söhne der aus dem letzten Krieg noch nicht heimgekehrten sogenannten Kriegsverbrecher, die noch im Gefängnis und Zuchthaus sitzen, den Waffenrock anziehen müßten.
Man ist sich in weiten Kreisen darüber einig, daß das Problem der sogenannten Kriegsverbrecher gelöst werden muß. Es darf nicht den Weg in ein neues Europa vergiften. Es muß gelöst werden, bevor sich im nächsten Wahlkampf die Nationalisten seiner bemächtigen und es für ihre Zwecke mißbrauchen.
({5})
Man bedenke, daß das politische Gewicht jedes einzelnen unschuldigen Gefangenen von Tag zu Tag zunimmt und daß diese Frage einmal eine furchtbare politische Reaktion heraufbeschwören kann, deren wir, die wir die Zusammenarbeit mit dem Westen grundsätzlich bejahen, nicht mehr Herr werden würden,
({6})
weil das deutsche Volk das Vertrauen zu uns verlieren muß, wenn wir mit diesem Problem nicht tabula rasa machen.
Das Mitglied desbritischen Oberhauses Lord Hankey sagte kürzlich, kein Engländer würde bereit sein, sich mit den Deutschen zu verbünden, solange britische Feldmarschälle und Admirale von den Deutschen im Tower gefangengehalten würden; und Marschall Juin hat, als Göring ihn 1942 dazu bewegen wollte, daß die Franzosen zusammen mit den Deutschen die französischen Kolonialgebiete verteidigen sollten, geantwortet, daß er dies seinen Truppen nicht zumuten könne, solange sich noch französische Gefangene in Deutschland befänden. Glaubt man, daß die Deutschen weniger Ehrgefühl haben sollten, als Lord Hankey und
({7})
Marschall Juin mit Recht bei ihren Landsleuten voraussetzen?
Meine Herren und Damen, mein Wunsch geht dahin, daß eine zusätzliche Regelung gefunden wird, die der von mir aufgeworfenen Problematik voll und ganz gerecht wird. Ich berufe mich dabei auf die Ausführungen des Herrn Justizministers vom November 1950 und auf die Entschließung der Regierungsparteien vom 8. Februar dieses Jahres und komme zum Schluß, indem ich Ihnen die Worte des britischen Prime Minister Marquess of Salisbury zu bedenken gebe: Die ganze Kunst der Politik besteht darin, kleine Probleme zu regeln, bevor sie zu großen Problemen anwachsen.
({8})
Wir müssen der Bundesregierung und den Alliierten immer wieder mit der ganzen Kraft unseres Gewissens vorhalten, daß ohne eine realistische Lösung des Problems der sogenannten Kriegsverbrecher der positive Geist der großen westlichen Allianz überschattet bleibt.
({9})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Bazille, sozialdemokratische Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit dem Vertragswerk ist erneut die Frage der Kriegsgef angenen und der Verurteilten aufgeworfen worden. Sie soll durch die Einbeziehung in die Verträge nach den Vorstellungen der Bundesregierung „im Rahmen des politisch Erreichbaren" gelöst werden. Namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion habe ich dazu festzustellen, daß uns weder diese Methode der Kopplung mit den Verträgen noch der in diesen beschrittene Weg geeignet erscheinen, zu der auf diesem Gebiet notwendigen Bereinigung zu führen.
({0})
Wir müssen uns dagegen verwahren, daß elementarste Rechte deutscher Staatsbürger, Rechte, die mit jedem Menschen neu geboren werden, hier zum Gegenstand eines politischen Handels gemacht werden.
({1})
Es muß hier einmal mit aller Deutlichkeit gesagt werden, daß diese Rechte keine Unterschiede kennen und deshalb bei ihrer Vertretung grundsätzlich gleich bewertet werden müssen.
Die unschuldig Verurteilten haben einen Anspruch darauf, daß sich die Stimme der Nation, der sie angehören, in jeder Phase des Fortbestehens des ihnen zugefügten Unrechts erhebt.
({2})
Sie kann und darf durch vertragliche Bestimmungen nicht zum Verstummen gebracht werden.
({3})
Nirgendwo sind nationale Phrasen unangebrachter und verwerflicher als auf diesem Gebiet. Weder die deutsche Ehre noch die Ehre des ehemaligen deutschen Soldaten kann von Mächten außerhalb Deutschlands angetastet werden. Sie kann daher von dort auch nicht zugesprochen oder, wie man so oft hört, wiederhergestellt werden. Man hat den
unschuldig Verurteilten das Recht genommen; man hat ihnen Menschlichkeit verweigert; ihre Ehre haben sie behalten.
({4})
Die Dinge haben auch ein anderes Gesicht; denn der Ehre begeben haben sich jene, die Verbrechen begangen haben.
({5})
Gegen sie verhängte Sühnemaßnahmen stellen Recht dar, und der Gedanke wäre geradezu unerträglich, daß Verbrecher durch ein Angebot neuer deutscher Soldaten ausgehandelt würden.
({6})
Eine solche Konsequenz wäre die größte Schmach, die dem deutschen Soldatentum angetan werden könnte.
({7})
Wir halten es für unsere Pflicht, unablässig an das Rechtsgewissen der Welt zu appellieren, dem Unrecht Einhalt zu gebieten, in welcher Gestalt auch immer wir ihm begegnen. Dies gilt für den Westen gleichermaßen wie für den Osten.
Wo aber bleibt das Recht unserer Gefangenen in den Verträgen? Man hat es gegen ein sehr fragwürdiges System einer Gnadenpraxis ausgehandelt, durch welches noch nicht einmal die Rechtskraft der Urteile aufgehoben ist. Das halten wir für genau so unvertretbar wie eine prononciert vorgetragene Forderung nach einer Generalamnestie für alle Verurteilten. Wer sich im Namen des deutschen Volkes der verabscheuungswürdigsten und abscheulichsten Verbrechen schuldig gemacht hat, hat den Anspruch verwirkt, daß sich die Stimme der Nation für ihn erhebt.
({8})
Hier verbietet uns die Würde auch das Schweigen. Das scheint uns allerdings eine echte Frage der nationalen Ehre zu sein.
({9})
Wenn sich die Gewahrsamsländer dazu entschließen, sowohl aus Gründen des Rechts als auch aus Gründen der Menschlichkeit und der politischen Verantwortung, die sie einmal vor dem Richterstuhl der Geschichte werden übernehmen müssen, alle mit diesem Problem aufgeworfenen Fragen auf dem Wege der Amnestie oder der Gnadenerweise zu lösen, dann ist das allein ihre Sache. Ich stehe jedoch nicht an, hier zu erklären, daß auch die deutsche Sozialdemokratie einen solchen Schritt begrüßen würde und daß sie es bedauert, daß sich die Siegermächte auch des Westens zu einem solchen Schritt seither nicht haben aufraffen können.
({10})
Die Forderung danach aber steht dem deutschen Volk aus Gründen der Selbstachtung nicht zu. Weder das deutsche Parlament noch eine andere verfassungsmäßige Institution des deutschen Volkes sind der Raum, die Frage einer Generalamnestie zu diskutieren. Hier und für uns steht allein das Recht auf der Tagesordnung, und es wird dort so lange stehenbleiben müssen, bis auch dem letzten deutschen Kriegsgefangenen Gerechtigkeit widerfahren sein wird.
({11})
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird ihre Anstrengungen auf diesem Gebiet mit der
({12})
seitherigen Beharrlichkeit fortsetzen, geleitet vom Motiv. der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit und mit einer tiefen Verachtung für die Versuche, parteipolitisches Kapital aus einer Sache zu schlagen, in der sich menschliches Mitgefühl für die Betroffenen mit dem gemeinsamen Anliegen paaren sollte, das ihr Schicksal für uns Deutsche darstellt,
({13})
im Guten wie im Bösen. Hier wie anderswo gibt es weder Kollektivschuld noch Kollektivunschuld. Die Antwort auf die noch immer brennende Frage kann nur lauten: Freiheit und Recht für die unschuldigen Opfer Schuldiger.
({14})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Rehling.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Auseinandersetzungen über die Frage eines Ja oder Nein zu dem uns heute hier in erster Lesung vorliegenden Vertragswerke sind in den vergangenen Monaten auch in der deutschen Frauenwelt mit großer Leidenschaftlichkeit und teils so gefühlsbetont geführt worden, daß ich mich veranlaßt sehe, vom Standpunkt der Frau einiges zu dem ganzen Fragenkomplex zu sagen.
Es ist selbstverständlich, daß wir deutschen Frauen und Mütter, die zum erstenmal wieder seit Generationen den Krieg auf deutschem Boden erlebten, und zwar in der furchtbaren Form des totalen Krieges, der auch Frauen und Kinder in der Heimat nicht schonte, den Schock der Kriegs- und Nachkriegsjahre noch nicht überwunden haben. Sind es doch in erster Linie die Frauen und Mütter, denen die Kriege von jeher besonderes Herzeleid gebracht haben und die nicht nur im Kriege, sondern auch hinterher den Kampf aufzunehmen haben mit all den Folgeerscheinungen kriegerischer Katastrophen, dem Hunger, dem Wohnungselend, den Seuchen und dem ganzen stumpfen Widerstand einer aus den Fugen geratenen Welt. Ich sage, es ist verständlich, daß wir Frauen und Mütter noch unter den Schockwirkungen der vergangenen Jahre stehen. Aber es wäre außerordentlich verhängnisvoll, wollten wir in dem Zustand der Betäubung verharren oder uns gar einreden, daß nun ein für allemal mit allen derartigen Katastrophen Schluß sein werde, weil wir nicht noch einmal in eine solche hineingeraten wollen.
Wer in solchen Zeiten schwerer weltpolitischer Spannungen wie der unseren als Frau verantwortlich im politischen Leben steht, hat nicht nur die Verpflichtung, selbst die Wirklichkeit bezüglich der Beziehungen der Völker untereinander klar und nüchtern zu sehen und sich nicht zu gefühlsbetonten Entscheidungen drängen zu lassen, sondern auch die Aufgabe, den deutschen Frauen und Müttern ein klares und sachlich nüchternes Bild der Lage zu vermitteln, in der sie sich befinden. Es ist nun einmal so, daß die Menschen auf dieser Erde nicht in dem Umfange, wie wir es wünschen möchten, die Konsequenzen ziehen aus der geschichtlichen Entwicklung und aus den Katastrophen, und daß es heute wie vor Jahrhunderten eben doch immer wieder so ist, daß überall auf dieser Erde der Kampf ums Dasein tobt und daß der Starke den Schwachen unterdrückt und knebelt. Das ist eine
geschichtliche Wahrheit, die wir nicht leugnen können und die wir bei unserem politischen Handeln in Rechnung zu stellen haben, anderenfalls verfehlen wir unsere politische Aufgabe.
Gerade aber in diesem Punkt versucht man nun, der deutschen Frau und Mutter die klare Sicht zu vernebeln, indem man ihr in Wort und Schrift immer wieder einzureden versucht, daß durch die Wehrlosigkeit der Deutschen Bundesrepublik der Friede erhalten werden könne, während ein Ja zu dem Einschluß unseres Landes in ein westeuropäisches Staatensystem und die Beteiligung an der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft unweigerlich zum Krieg führen würde. Wann hat man je aus diesenKreisen gehört, daß die Ansammlung russischer Divisionen in Ostdeutschland, die Verstärkung der Satellitenarmeen und die Aufstellung der an Kriegswaffen verschiedenster Art ausgebildeten Einheiten der Volkspolizei etwa so gedeutet worden wäre, daß russischerseits ein Angriff auf uns geplant sei?
({0})
Nur wenn es darum geht, daß die westdeutsche Bundesrepublik einen Verteidigungsbeitrag leisten soll, heißt es: Das bedeutet Krieg. Man verschweigt geflissentlich, daß es in Europa Staaten gibt, die über hundert Jahre lang keinen Krieg geführt haben, aber trotzdem ein modernst ausgerüstetes Heer besitzen.
Ich war dabei, als im Europarat zum erstenmal im Sommer 1950 die Frage einer europäischen Verteidigungsarmee unter Einschluß der westdeutschen Bundesrepublik erörtert wurde. Ich habe seitdem alle Debatten miterlebt, die über diese Probleme im Europarat geführt worden sind. Ich kann Ihnen versichern, daß keine einzige der dort zusammengeschlossenen Nationen an einen Angriffskrieg denkt.
({1})
Als wir im Mai 1951 in Straßburg den Schuman-plan debattierten, war das, was in allen Reden aller europäischen Politiker immer wiederkehrte, daß durch diese Montanunion die Völker Europas zum ersten Mal wieder zu einer friedlichen Zusammenarbeit zusammengeführt worden sind.
({2})
Der ehemalige französische Ministerpräsident Reynaud fand in der Versammlung stärksten Beifall, als er ausführte:
Wenn es uns an dieser Stelle zum ersten Mal gelingt, die punktierten Ländergrenzen in Europa auszulöschen, dann wird es uns auch gelingen, die Tränen der Mütter in Europa zu trocknen.
Was für diese Montanunion gilt, gilt in noch viel stärkerem Maße für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Seit Jahrhunderten haben sich Frankreich und Deutschland in Kriegen zerfleischt, in die der Reihe nach nicht nur alle europäischen Staaten hineingezogen worden sind, sondern in die in den letzten beiden Kriegen die ganze Welt verwickelt worden ist.
Es ist das Konstruktive und Weltgeschichtliche an dieser Verteidigungsgemeinschaft, daß hiermit ein Ende gemacht und diesen Kriegen Halt geboten wird.
({3})
Ich meine, gerade die Tatsache, daß die Vereinigten Staaten in dem Diplomaten Kennan den Mann nach Moskau geschickt haben, der als bester Kenner russischer Verhältnisse gilt und die These von
({4})
dem möglichen friedlichen Nebeneinander der Sowjetunion und der USA vertritt, ist der beste Beweis dafür, daß auch Amerika alles daranzusetzen bereit ist, einen dritten Weltkrieg zu vermeiden.
Der Ablauf der Geschichte hat durch die Jahrtausende hindurch gelehrt, daß ein Nichtvorhandensein militärischen Gleichgewichts zwischen Völkern oder Mächtegruppen am ehesten zur Auslösung kriegerischer Konflikte führt. Gerade weil wir den Frieden erhalten möchten und wissen, daß ein 'weiterer totaler Krieg unser sicherer Untergang wäre, wollen wir dazu beitragen, ein militärisches Gleichgewicht zwischen Ost und West herzustellen.
({5})
Man versucht seitens der Kommunisten und ihrer Hilfsgruppen, gerade die Frauen propagandistisch zu beeinflussen, indem man einerseits an ihre Angst vor einem neuen Kriege, andererseits an ihre Verpflichtung, das Leben ihrer Kinder zu schützen, appelliert.
({6})
Meine Herren und Damen, ich habe früher schon einmal von dieser Stelle aus betont, daß ich es als die vornehmste Aufgabe in meiner poltischen Arbeit ansehe, für den Frieden zu wirken durch Neuknüpfung der zwischen den Nationen zerrissenen Fäden.
({7})
Aber ich muß mich doch sehr deutlich mit einer besonderen Art von Frauen-Friedenstagen und Frauen-Friedenskundgebungen, 'wie sie bei uns üblich geworden sind, auseinandersetzen. In den verflossenen Monaten sind uns allen ganze Stapel von Entschließungen sogenannter Frauen-Friedenskundgebungen oder Frauen-Friedenstage mit Unterschriften zugegangen, die fordern: Wir wollen einen gerechten Friedensvertrag und keinen Generalvertrag. Gerade die hierbei praktizierte Methode, einen sogenannten Volksentscheid herb eizuführen, gibt dem SPD-Abgeordneten im Parlamentarischen Rat Herrn Dr. Katz hundertprozentig recht, der bei der Ablehnung, den Volksentscheid. in das Grundgesetz einzubauen, ausführte, daß es in den jetzigen aufgeregten Zeiten unpraktisch sei, Zweifelsfragen zum Gegenstand großer Debatten im Volk zu machen, da sie leicht, zu leicht mit demagogischen Parolen belastet werden könnten.
({8})
Die uns zugegangenen Entschließungen waren Musterbeispiele für die Anwendung von demagogischen Schlagworten.
({9})
Warum geben die auf Frauen-Friedenskundgebungen redenden Frauen - und damit möchte ich mich in erster Linie an unsere Kollegin Frau Wessel wenden ({10})
nicht zunächst einen durch Dokumente zu belegenden kurzen Überblick darüber, wie es zu dieser
fürchterlichen Zerreißung unseres Vaterlandes
überhaupt gekommen ist? Die Verschärfung der
politischen Situation in Mitteleuropa ist doch nicht
von Westdeutschland und den westeuropäischen
Staaten herbeigeführt worden, sondern es war die
sowjetische Besatzungsmacht, die gleich nach Unterzeichnung des Potsdamer Abkommens durch
Nichtachtung der dort gefaßten Beschlüsse die ostdeutschen Gebiete systematisch bolschewisierte und damit die in Potsdam beschlossene Einheitlichkeit der Verwaltung Deutschlands, ungeachtet der Aufteilung in Besatzungszonen, unmöglich machte. Nicht wir sind es gewesen, die den Eisernen Vorhang herabgelassen haben. Nicht wir haben die Stadtverwaltung von Berlin in einen Ost- und Westmagistrat zerschlagen. Nicht wir haben die Luftbrücke notwendig gemacht. Nicht wir haben in Permanenz den Personen- und Güterverkehr zwischen den Zonen behindert, und nicht wir sind es, die Sperrzonen errichten, die Bevölkerung an der Zonengrenze von Haus und Hof verjagen, mit Schußwaffen bedrohen und Umleitungskanäle und -eisenbahnstrecken bauen, um die Verbindungen zwischen den Deutschen in Ost und West zu zerschneiden.
({11})
Diese Maßnahmen sind in keiner Weise durch die Unterzeichnung der Verträge gerechtfertigt; sie enthüllen nur den wahren Charakter der östlichen Regenten.
({12})
Es muß den Frauen gesagt werden, daß die östlichen Machthaber unter dem Leitmotiv der bolschewistischen Parteilichkeit und durch Einhämmern der bolschewistischen Ideologie - wir kennen die Methoden aus der Zeit des Nationalsozialismus ja zur Genüge - in Erziehung und Unterricht eine geistige Kluft aufzureißen versuchen, die schon wesentlich tiefergreifende Konsequenzen für eine Trennung der Deutschen in Ost- und Westdeutschland gehabt hätte, wenn nicht der weitaus größte Prozentsatz unserer Brüder und Schwestern einen so bewundernswürdigen geistigen Widerstand geleistet hätte.
({13})
Daß die kommunistischen Propagandisten diese Tatsachen verschweigen, ist nicht verwunderlich. Aber daß Männer und Frauen in Westdeutschland, die es weit von sich weisen, dem Kommunismus nahezustehen, das gleiche tun und auch nicht erwähnen, daß die Sowjets im Osten Europas schon längst systematisch einen Staatenblock gebildet haben, der politisch so straff durchorganisiert ist, daß sämtliche Regierungen der unterworfenen Länder nichts anderes sind als Funktionäre der Zentrale in Moskau, wie ja auch die Regenten in der Ostzone nichts anderes sind als linientreue Funktionäre, - daß sie dies alles nicht erwähnen, läßt stärkste Zweifel an der Objektivität dieser Männer und Frauen aufkommen.
({14})
Eine solche geistige Eingleisigkeit, die den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung nicht anerkennen will, ist doch ein Zeichen dafür, daß man entweder nicht gewillt oder nicht fähig ist, nüchtern und realistisch 'Politik zu treiben.
Nach den mir vorliegenden Wiedergaben der Rede von Frau Wessel auf der Friedenskundgebung in Bonn am Himmelfahrtstag, die ich in der „Deutschen Woche" und in der Zeitung ,,Schwarz-Weiß" fand, beklagte sie, daß die deutschen Menschen so wenig im echten Sinne politisch denken könnten, und zitierte einen ehemaligen Reichsgerichtspräsidenten, der vor 50 Jahren schon festgestellt habe, es fehle bei uns am Augenmaß für den Wert politischer Entscheidungen. Ich habe aus allen Entschließungen und aus allen Briefen, möchte ich hier betonen, die ich im Anschluß an
({15})
solche Kundgebungen bekommen habe, nicht den Eindruck gewonnen, daß bei den Friedenskundgebungen oder den Kundgebungen der Notgemeinschaft den Teilnehmern und Teilnehmerinnen dieses fehlende Augenmaß vermittelt worden wäre.
({16})
Ich finde es vielmehr erschütternd, wie man gerade bei der Beeinflussung der Frauen in Westdeutschland auf ihre mangelnde Einsicht in politische Zusammenhänge spekuliert.
({17})
Ich frage mich immer, warum alle diejenigen, die sich an die deutschen Frauen und Mütter mit der Aufforderung wenden, sich der Aufstellung deutscher Soldaten zu widersetzen, weil sie eine Herausforderung an den Osten bedeute, ihnen nicht gleichzeitig empfehlen, sich abends bei unverschlossener Haustür sorglos zu Bett zu legen. Mein Kollege Strauß hat heute morgen schon davon gesprochen, wie herausfordernd unter Umständen der Hausschlüssel auf den Einbrecher wirken könne.
Wenn man dem Staat grundsätzlich das Recht und die Pflicht zuerkennt, im Innern die Guten vor den Übergriffen und Gewalttaten durch die Bösen zu schützen, dann verstehe ich nicht, wie man ihm das Recht verwehren will, das Leben der ihm anvertrauten Bürger gegen Bedrohungen von außen zu sichern. Wie sagte doch der damalige Pfarrer Niemöller aus Berlin-Dahlem auf der Evangelischen Woche in Hannover am 27. August 1935, als er in seinem Vortrag „Der Friede Gottes als die Kraft des wehrhaften Mannes" den Christen im Hinblick auf die nationalsozialistische Aufrüstung theologisch - ich wiederhole: theologisch! - die Verpflichtung begründete, seinem Vaterlande mit der Waffe zu dienen? Damals führte er aus - ich bitte um die Genehmigung, das zitieren zu dürfen -:
Es ist eine gefährliche und unverantwortliche Utopie, wenn wir so tun wollten, als lebten wir in einer Welt des Friedens, wie es eine mehr als bedenkliche Illusion wäre, wenn wir uns so einrichten würden, als gäbe es weder Mord noch Ehebruch noch Diebstahl noch Verleumdung, kurz, als gäbe es kein Böses in dieser Welt, weil Gottes Gebot ja das alles verbiete. Gott hat die von ihm geschaffene und von ihm abgefallene Welt unter das Gesetz gestellt und der Obrigkeit den Befehl gegeben, das Gesetz zu hüten und dem Bösen zu wehren. Dazu trägt sie das Schwert, dazu hat sie Polizei und Gerichte und Gefängnisse und Henker. So hat die weltliche Macht des Staates auch das Leben des Volkes zu schützen und notfalls mit der Waffe, die ihr gegeben ist, zu verteidigen. Und wir sind ihr verpflichtet zu dem Dienst, den sie dazu von uns fordert.
Soweit Herr Pfarrer Niemöller im Jahre 1935!
({18})
Nun sagt j a auch Frau Wessel in ihren Reden gewiß nicht, daß wir in einer Welt des Friedens lebten. Aber sie versucht doch, den Frauen und Müttern zu suggerieren, daß es in ihrer Hand liege, diesen Zustand herbeizuführen. Das ist doch eine völlige Verzeichnung der Situation, in der wir uns befinden. Die tatsächliche Lage ist doch so, daß alle diese Friedenskämpfer und Friedenskämpferinnen ihren Ruf nach Frieden absolut einseitig erschallen lassen. Wo ist denn das echte Echo vom Osten her?
({19})
Frau Wessel sagte am Himmelfahrtstage:
Nicht die Versklavung an die Materie, sondern
Geist und Liebe müssen die Welt beherrschen.
Und sie fuhr fort:
Daß unsere gesamte Jugend und unsere Männer auch Kämpfer für den Frieden werden, liegt in der Hand der Frauen.
Mit solchen und ähnlichen Deklamationen - ich denke hier auch an den Schluß der Rede von Frau Rosel Hildebrand, bayerische SPD-Abgeordnete, auf der Frauen-Friedenskonferenz in München Mitte Juni: „Es lebe die eine, die friedliche, die geliebte Welt!" - ich wiederhole, mit solchen Deklamationen können die deutschen Mütter nichts, aber auch gar nichts anfangen,
({20})
wenn nicht von der anderen 'Seite ein echtes Echo kommt. Denn zum Frieden gehören immer zwei, Krieg kann einer allein anfangen.
({21})
Solange nicht auch Stalin dem schon wiederholt an ihn herangetragenen Vorschlag auf eine allgemeine Abrüstung Gehör schenkt, bleiben alle diese Frauen-Friedenskundgebungen eine Angelegenheit, die den Frauen und Müttern in Westdeutschland keinen Schritt vorwärts hilft auf dem Wege, den Frieden für unser Volk zu sichern. Es wird hier nichts anderes getrieben als eine Wunschtraumpolitik oder politische Schwarmgeisterei. Stalin ist Materialist; ihn interessieren nicht Wünsche und Gefühle, sondern einzig und allein Tatsachen. Nach dem Pressebericht hat Frau Wessel in Bonn auch gesagt: „In der Friedensbewegung stehen Menschen aller - -"
({22})
- Die begreife ich gleichzeitig unter den „Mitstreiterinnen und Mitkämpferinnen", Herr Kollege Besold; es hält sonst zu lange auf, alle einzeln aufzuführen. - „In der Friedensbewegung stehen Menschen aller Anschauungen und aller politischen Parteien, auch Kommunisten, mit denen wir uns in dieser Forderung gegen den Generalvertrag und für einen Friedensvertrag einig wissen." Ich muß Ihnen sagen, meine Damen und Herren, es sträubt sich alles in mir, anzunehmen, daß eine Frau von der Intelligenz von Frau Wessel nicht wissen sollte, daß es kein Wort im deutschen Sprachschatz gibt, mit dem von kommunistisch-bolschewistischer Seite eine solche Falschmünzerei getrieben wird wie mit dem Wort Frieden.
({23})
Sie wissen doch sicherlich alle, daß der kommunistisch-bolschewistische Friedenskämpfer jeden
Grundsatzpazifismus ablehnt. Das kann nicht nachdrücklich genug auch heute wieder betont werden.
Ich verwahre mich dagegen, daß bei der Agitation
in Frauenkreisen immer wieder die tiefe Friedenssehnsucht der deutschen Mütter mißbraucht wird.
({24})
Ich möchte noch einmal hervorheben, daß der östliche Friedensbegriff nichts gemein hat mit dem, was wir unter Frieden verstehen.
({25})
({26})
In einem Aufsatz des prominenten sowjetischen Theoretikers Chrustow in der Zeitschrift „Neue Welt", 1952, Nr. 6 heißt es:
Der Marxismus-Leninismus lehnt die Ideologie der Pazifisten ab, die scheinheilig vom Frieden schwatzen, in Wirklichkeit aber die Wachsamkeit der Völker gegenüber den Machenschaften der Kriegstreiber einschläfern und gegen die Befreiungsbewegung der unterdrückten Klassen und Nationen auftreten, um auf diese Weise die Unterjochung der Werktätigen zu verewigen.
Es ist doch aus einer Reihe von Zitaten bekannt, daß der Bolschewismus sogenannte „gerechte Kriege" kennt, und ich meine, wir erleben es in unserer Zeit, wie man versucht, mit Hilfe der Angehörigen anderer Völker solche Kriege in die Wege zu leiten. Solche Ausdrücke sollten deutsche Frauen und Mütter kennen, um nicht einer Wunschtraumpolitik zu verfallen, aus der es eines Tages ein böses Erwachen geben könnte. Sie sollten auch wissen, daß Anfang der zwanziger Jahre Lenin in einem Brief an die unabhängige deutsche Sozialistin Klara Zetkin schrieb:
Der Weg von Moskau nach Paris führt über Peking, Tokio und Kalkutta.
Und in einem Artikel, den er 1923 in der „Prawda" veröffentlichte, steht:
Man muß sich zunächst die asiatischen Menschenmassen angliedern, um mit ihnen die Revolution nach Europa zu tragen.
Wer die politischen Ereignisse in den letzten Jahrzehnten aufmerksam verfolgt hat, kann nicht umhin, festzustellen, daß Stalin sich diese Leninsche Konzeption vollinhaltlich zu eigen gemacht
hat. In Peking herrschen die Rotchinesen. Wenn Korea Hand bekommen würde, wäre man nicht mehr fern von Tokio, und quer durch Tibet versucht der chinesische Kommunismus durchzustoßen nach Kalkutta. Überall dort, wo sich schwache Stellen zeigen, versucht man einzubrechen. Ich erinnere an Indochina, an Persien, an Ägypten, an Tunesien - und nur dort wird zurückgewichen, wo sich der Wille zum Widerstand zeigt: in Griechenland, in Berlin, in Jugoslawien, in dem kleinen vorderasiatischen Staat Aserbeidschan. Das sollte uns eine Lehre sein. Jedenfalls ist es richtig, was Herr Pfarrer Niemöller 1935 in Hannover sagte:
Daß ein wehrloses Volk eine ständige Versuchung und ein dauernder Anreiz zu kriegerischen Überfällen ist und bleibt, haben wir als eine Tatsache anzuerkennen, die sich als stärker erweist als alle weltbeglückenden Pläne und Programme jener Optimisten, die da meinen, es müsse nur einer den Anfang machen, dann würde sich das übrige schon von selbst entwickeln.
Wir haben alle eine tiefe Sehnsucht nach Frieden und Sicherheit. Wir wollen endlich Ruhe haben. Aber können wir uns auf die Friedensbeteuerungen des Ostens verlassen? Ich meine, wenn es den östlichen Machthabern damit und mit ihrer angeblichen Sehnsucht nach einer Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit wirklich ernst wäre, dann würden sie nicht nach der Unterzeichnung der Verträge, die keine Tür zuschlagen und mit deren Unterzeichnung noch kein deutscher Soldat auf dem Plan erscheint, in der Volkskammer einen Beschluß auf Errichtung einer nationalen Armee herbeigeführt und Jugendliche,
darunter auch Mädchen, mit Gewehren bewaffnet haben. Die müssen doch immerhin schon irgendwo bereitgelegen haben!
Der Generalsekretär des kommunistischen Friedenskomitees, Heinz Willmann, sagte bereits am 30. Juni 1951 mit aller wünschenswerten Deutlichkeit:
Es soll sich niemand einbilden, daß die friedliebende FDJ aus Friedensträumern und kraftlosen Pazifisten besteht.
Wie kann, wenn es einem ernstlich um den Frieden zu tun ist, ein Vertreter des thüringischen Volksbildungsministeriums auf einer Lehrerversammlung ausrufen: „Wir müssen die Kinder hassen lehren!"? Und warum nimmt in der Gegenwartskunde in den Schulen die unentwegte Hetze gegen Westdeutschland und die Westmächte einen so breiten Raum ein?
In diesen letzten Wochen ist die Friedensliebe und die Sehnsucht der östlichen Regenten nach einem wiedervereinigten Deutschland endgültig demaskiert worden. Die ostzonale Presse berichtet uns immer wieder von der Bereitschaft Jugendlicher, in der Volkspolizei Dienst zu tun. In der Zeitung „Junge Welt" ist der Brief einer Frau Rosemarie Stern aus Burgstedt, Mutter mehrerer Kinder, an die FDJ-Spatzen in Chemnitz abgedruckt, in dem gegen die Provokationen zum Krieg Stellung genommen wird. Es heißt dort:
Sie sagen Frieden, die Transparente tragen
die Aufschrift Frieden, und daneben bereiten
diese Menschen die Bereitschaft zur Waffenergreifung in der Zeitung vor.
Auf diese Zuschrift antwortete das SED-Organ „Die Volksstimme":
Frieden und Wohlstand können nur erhalten bleiben, wenn die Bereitschaft zum Kämpfen besteht und wenn auch Sie, Frau Stern, Ihren Kindern empfehlen, in den. nationalen Streitkräften der Deutschen Demokratischen Republik Dienst zu tun.
Die „Brandenburgischen Neuesten Nachrichten" vom 15. Juni 1952 mit der Sonderbeilage „Hier spricht die Frontgeneration" schreibt unter der Überschrift „Wie die Bevölkerung für das Waffenhandwerk gewonnen werden soll - Wenn das Volk zu den Waffen greift":
Vor uns ersteht die vom ganzen Volk getragene Erhebung gegen Napoleon, deren heiße Flamme aber zugleich vom Kampf für demokratische Errungenschaften, wie sie Stein, Scharnhorst, Gneisenau, Arndt und andere Patrioten zum Teil durchgesetzt, zum Teil angebahnt hatten, genährt wurde. Wir haben hohe und höchste Werte zu verteidigen. Darum sagen wir ja zu nationalen Streitkräften. Der jämmerliche Ruf „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht" gilt nicht, wenn der Amerikaner und seine Söldner Panzer und Bomben gegen uns in Bewegung setzen.
Der Artikel ist umrahmt mit den Bildnissen Scharnhorsts, Gneisenaus, Yorcks und Nettelbecks und ,dem Hodlerschen Gemälde „Aufbruch der Jenenser Studenten".
In einer weiteren Nummer der „Brandenburgischen Neuesten Nachrichten" vom 22. Juni steht unter der Überschrift „Für die nationale Freiheit" unter anderem ein Aufsatz über die Freiheitsheldin von 1813, Eleonore Prochaska, freiwilliger Jäger im Lützower Korps. Darin wird der Ausruf „Herr Leutnant, ich bin ein Mädchen!" in Schlag({27})
zeilen fettgedruckt hervorgehoben. Ich meine, da wäre jetzt für Frau Wessel und ihre Mitstreiterinnen eine Aufgabe, in die Ostzone zu gehen und dort Frauen-Friedenstage und Frauen-Friedenskundgebungen zu veranstalten.
({28})
Ich wäre dankbar dafür, wenn Sie uns hier wissen ließe, in wie vielen Städten sie hat sprechen und gegen die Aufrüstung in der Ostzone Stellung nehmen können und wieviel Zeit ihr die sowjetzonalen Sender zur Verfügung gestellt haben, um auch über das Radio in die Breite zu wirken.
({29})
Nun hat Fr au Wessel in der 98. Sitzung des Deutschen Bundestags am 8. November 1950 für die damalige Zentrumsfraktion erklärt:
Wir wissen, daß es ein klares Naturrecht für jedes Volk ist, sich gegen Angriffe zu verteidigen, und es ist auch kaum zweifelhaft, daß das deutsche Volk sein Land und Leben gegen den Osten verteidigen wird, aber nur dann, wenn es zur Rettung seiner Freiheit notwendig ist, und nie um imperialistischer Ziele willen.
Wollen Sie denn wohl etwa den deutschen Frauen und Müttern gegenüber behaupten, daß seit dem Vordringen der Sowjets in die Mitte unseres Vaterlandes nicht auch unsere Freiheit und die unserer Kinder beständig bedroht gewesen ist und es noch ist? Sie soll doch einmal versuchen, in ihren Versammlungen den Frauen klarzumachen, sie könnten, wenn sie an einem Fluß wohnen, der über seine Ufer tritt, dann noch schnell einen Damm aufwerfen, wenn die Überschwemmung bereits Tatsache geworden ist.
({30}) Oder sie soll ihnen zu empfehlen versuchen, erst dann ein Schloß für die Haustür zu kaufen, wenn der Einbrecher bereits auf der Schwelle steht. Die Antwort dürfte eindeutig sein.
Ich stimme ihr vollkommen bei, daß unsere Regierung die Aufgabe hat, alles zu tun, um den Ausbruch eines kriegerischen Konfliktes zu verhindern. Aber das geschieht nicht dadurch, daß wir wehrlos dem Zugriff aus dem Osten preisgegeben werden. Gewiß sollten wir keine Möglichkeit ausschlagen, zu echten Verhandlungen zu kommen. Aber wenn den Frauen immer wieder als einzige Möglichkeit, zum Frieden zu kommen, die Parole „Deutsche müssen an einen Tisch!" zugerufen wird, dann muß man doch die Frage aufwerfen: Mit wem können wir uns denn hier von Westdeutschland aus zusammen an einen Tisch setzen? Unsere Brüder und Schwestern, mit denen wir uns innerlich fest verbunden fühlen, können es weder wagen, ihre politische Meinung zu äußern, noch aber ihr Nachdruck zu verleihen. Wir wissen aus der Zeit des Nationalsozialismus, daß eine kleine Schicht gewissenloser Menschen ein ganzes Volk terrorisieren kann. Wir wissen aber auch, daß Machthaber, in deren Bereich Konzentrationslager sind, Machthaber, die Menschen verschleppen und sie, von Jugendlichen angefangen, zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilen, nicht abtreten können. Sie können sich höchstens nach dem Osten absetzen; denn wenn ihr System fällt, dann sind sie ihres Lebens nicht mehr sicher.
Gerade aber auch die deutschen Frauen sollen wissen, daß mit den gegenwärtigen Machthabern
in der Ostzone kein Paktieren möglich ist, daß diese, wenn sie von Gesamtdeutschland sprechen, nur ein solches unter bolschewistischem Vorzeichen im Auge haben. Und was das für unsere Frauen und für unsere Kinder bedeutet, das dürften wir von unseren Angehörigen drüben wissen. Der einzig gangbare Weg, um zu einer Wiedervereinigung mit unseren Brüdern und und Schwestern zu kommen, führt über freie Wahlen. Wir haben diese seit 1949 in Abständen immer wieder gefordert und damit den einzig möglichen konstruktiven und praktischen Vorschlag zu einer Wiedervereinigung gemacht. Es wäre gut, wenn den Frauen auf diesen Kundgebungen auch einmal gesagt würde, daß die Hohen Kommissare auf wiederholte Bitten an den russischen General Tschuikow, in seinem Gebiete die Voraussetzungen für freie Wahlen zu schaffen, bis auf den heutigen Tag noch keine Antwort bekommen haben.
({31})
Herrn Heinemanns Ausspruch: „Wer nicht schießen will, muß miteinander reden", klingt nicht mehr sehr überzeugend, nachdem ein rundes Jahr bei Waffenstillstandsverhandlungen in Korea geredet worden ist ohne daß die Waffen zum Schweigen gebracht worden wären. Sicherlich kann man seinem Ausspruch zustimmen, daß die längste Verhandlungszeit, um mit Rußland zu einer Verständigung zu kommen, besser ist als der kürzeste Atomkrieg. Aber glaubt Herr Heinemann wirklich, daß mit den Russen erfolgreich unterhandelt werden könnte, wenn sie die Trümpfe in der Hand haben und wir nichts? Wir haben jetzt genügend Beispiele über die Verhandlungsmethoden der Sowjets, und es sollten sich auch solche Männer wie Herr Heinemann daran erinnern, daß es ein altes russisches Sprichwort gibt, das sagt: Der Wolf verliert die Haare, aber nicht den Charakter. Gerade das, was weder die Kundgebungen der Notgemeinschaft noch die Reise des Herrn Heinemann in die Ostzone noch Herrn Niemöllers Flug nach Moskau zustande gebracht haben, nämlich die Absendung der sowjetischen Note vom 10. März 1952 zu erwirken, ist durch die konsequente Integrationspolitik des Westens möglich geworden. Daß durch die Ratifizierung der Vertragswerke die Verhandlungsmöglichkeiten nicht unterbunden sind, ist in dieser Debatte schon oft genug betont worden.
Ich kann mir denken, daß Frau Wessel einen fabelhaften Applaus bekam, als sie am Himmelfahrtstag sagte: Wenn ich mir der Verantwortung für unser Volk bewußt bin, dann habe ich als deutscher Politiker deutsche Politik zu machen und keine amerikanische und keine russische. Wenn Frau Wessel daran liegt, daß die Frauen politisch denken lernen, dann kann sie ihnen wirklich nicht einzureden versuchen, es würde heute in einer einzigen europäischen Hauptstadt - London eingeschlossen - noch eine außenpolitische Entscheidung gefällt, die nicht irgendwie von Washington oder von Moskau beeinflußt wird. Und dann soll sie doch bitte dabei sagen, wie sie diese deutsche Politik machen will. Über den vom Herrn Bundeskanzler mühsam genug erreichten Lockerungen der außenpolitischen Beschränkungen, wie wir sie beim Zusammentritt des Parlaments hier vorfanden, scheint sie vergessen zu haben, daß die Zugeständnisse in Richtung selbständiger Behandlung außenpolitischer Fragen - und dazu
({32})
rechnet ja nun leider auch die Wiedervereinigung Deutschlands, da sie nur über die Siegermächte zustande kommen kann - nach Art. 3 des Besatzungsstatuts jederzeit widerrufen werden können. Der Generalvertrag gibt uns im Art. 7 Abs. 1 wenigstens die Möglichkeit, bei einem frei zu vereinbarenden Friedensvertrag mitzureden, und sieht in Abs. 2 ein Zusammenwirken der Bundesrepublik mit den Drei Mächten vor, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: ein wiedervereinigtes Deutschland.
Nun verwahren sich diese Kreise um Frau Wessel, Herrn Heinemann und Niemöller immer sehr dagegen, als kommunistisch infiziert zu gelten.
({33})
Ich möchte hier feststellen, daß ich in den Versammlungen niemals einen dieser Männer und eine dieser Frauen den Kommunisten zuzurechnen pflege. Aber sie können es doch nun einmal nicht leugnen, daß sie als Lautverstärker der kommunistischen Propaganda gefeiert und gelobt werden.
({34})
In der Kundgebung am Himmelfahrtstag, in der ja auch Frau Thiele sprach und in der gewiß eine stattliche Zahl von Genossinnen anwesend war,
({35})
ist Frau Wessel in einer minutenlangen Ovation gefeiert worden. Die Herren Wirth, Heinemann und Niemöller wurden lobend von Herrn Reimann in der Debatte vom 7. Februar sowie mehrfach von dem Ministerpräsidenten Grotewohl in den Reden der Deutschen Demokratischen Volkskammer erwähnt, und nach dem Herrn Kirchenpräsidenten Niemöller wurden in der Ostzone Straßen und Plätze benannt.
Ich möchte fragen: Dient so etwas wirklich einer echten Befriedung oder werden dadurch unsere Brüder und Schwestern im Osten noch mehr geknechtet? Ich möchte diesen Männern und Frauen empfehlen, sich doch einmal bei den Mitgliedern unseres Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen zu erkundigen, was sie in der letzten Woche bei ihrer Grenzlandfahrt hörten, als sie den Bericht eines vertriebenen Bauern auf Tonband aufnahmen, in dem dieser sich am Schluß erbittert darüber äußerte, daß durch solche Kundgebungen der Notgemeinschaft und ähnliche Veranstaltungen den Peinigern in der Ostzone moralisch das Rückgrat gestärkt würde.
({36})
Und nun gestatten Sie mir, meine Herren und Damen, noch einige Sätze zu diesen ganzen Fragen zu sagen in meiner Eigenschaft als Glied der evangelischen Kirche, in deren Bereich das Für und Wider eines Verteidigungsbeitrags Gegenstand lebhafter Auseinandersetzungen gewesen ist und noch ist. Ich möchte vorab sagen, daß ich das Wächteramt der Kirche auch gegenüber dem Staat grundsätzlich bejahe und jederzeit bereit bin, mich von den Dienern der Kirche an die große Verantwortung mahnen zu lassen, die ich als ein in der Politik tätiger Christ in ganz besonderem Maße zu tragen habe.
({37})
Auf der andern Seite weiß ich aber auch, daß nach den Bekenntnisschriften unserer Kirche und den Erfahrungen, die wir im Kampf gegen den nationalsozialistischen Staat gemacht haben, die weltliche Obrigkeit, der Staat, als Gottes Ordnung von
der Kirche anerkannt und geachtet werden soll. Ich bedauere es daher aufrichtig, wenn im Laufe der Debatten über die beiden erwähnten Probleme aus dem Raume der Kirche - ich denke hier an den Kirchenpräsidenten Niemöller und ihm nahestehende Kreise - Äußerungen gefallen sind, die dazu angetan waren, die zwangsläufig noch auf schwachen Füßen stehende staatliche Autorität in der westdeutschen Bundesrepublik zu gefährden.
Ich muß es ferner auf das entschiedenste ablehnen, daß Vertreter der Kirche, die dazu berufen zu sein glauben, mir Entschließungen oder offene Briefe zusenden, in denen sie sich in politische Einzelfragen einmischen und konkrete Vorschläge machen, wie das vorliegende Problem gemeistert werden soll, ohne über die nötige Sachkenntnis zu verfügen. Ich habe sehr dankbar die Erklärung des Herrn Bischofs Dr. Dibelius im Herbst vorigen Jahres begrüßt, die feststellt, daß die Kirche es sich nicht nehmen lassen könne, politische Fragen auf ihren Veranstaltungen zu diskutieren, daß es aber nicht ihre Aufgabe sei, Methoden zu ihrer Lösung vorzuschlagen.
Wenn nun der Herr Kirchenpräsident Niemöller und seine Freunde für sich in Anspruch nehmen, in solch schwerwiegenden Fällen wie dem vorliegenden konkrete Vorschläge für das einzuschlagende Verfahren zu machen, könnten sie meines Erachtens genau so gut einem Chirurgen bei einer Operation auf Leben und Tod verbindliche Anweisungen über die anzuwendende Technik geben. Vor kurzem kam mir ein Buch über Niemöllers politisches Wirken seit 1945 in die Hand, das von seinem Sekretär, dem General a. D. Beyer, geschrieben wurde. Auf Seite 84 steht zu lesen:
Er
- Niemöller sieht mit Recht seine Aufgabe darin, auch im politischen Leben ein Künder und Prophet, ein Mahner und Warner zu sein. Propheten sind Männer gewesen, die der Welt das Wort Gottes sagten, von dem es gilt, daß es nicht das eine Mal ja und das andere Mal nein ist.
Die Propheten pflegten nicht als Privatleute zu sprechen und hinterher zu dementieren. Wenn jedenfalls ein kirchlicher Amtsträger meint, er müsse in der praktischen Politik tätig werden - Herr Beyer berichtet an der gleichen Stelle von Niemöller, daß das seine Ansicht sei -, dann möge er bei der nächsten Gelegenheit, die sich bietet, dahin gehen, wo er die Verantwortung für seine politischen Reden, Entscheidungen und deren Konsequenzen tragen muß, nämlich in ein Parlament, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, daß er in des Wortes ureigenster Bedeutung verantwortungslos rede.
Martin Luther hat sich in seiner Schrift „Wider die himmlischen Propheten" in scharfen Worten gegen die politischen Propheten im geistlichen Rock gewandt. Wir sollten wahrhaftig die Geschichte zu Rate ziehen und bedenken, welche Nöte solche zwangsläufig auf die Klerikalisierung der Politik hinarbeitenden Propheten uns in der Vergangenheit gebracht haben und in der Zukunft noch bringen könnten.
({38})
Ich will noch ein letztes Argument streifen, auf das ich in Versammlungen wiederholt von christlichen Müttern angesprochen worden bin. Sie berichteten, daß ihre Söhne den Standpunkt ver({39})
träten, man könne den Bolschewismus nicht mit Waffengewalt bekämpfen,
({40})
sondern nur mit der Kraft des Geistes, und wenn er nun über Westdeutschland kommen solle, dann sei der Christ gehalten, wehrlos alles über sich ergehen zu lassen.
({41})
Dazu habe ich folgendes zu sagen: Selbstverständlich steht es dem einzelnen Christen frei, für sich den Weg des Martyriums zu wählen und sich wehrlos erschlagen zu lassen.
({42})
Aber es ist unmöglich, daß er seine persönliche Glaubensüberzeugung zur Richtschnur für alle, für ein ganzes Volk macht.
({43})
Einer der bedeutendsten lebenden deutschen evangelischen Theologen erklärte zur Frage der Aufstellung militärischer Einheiten zur Sicherung Deutschlands: Natürlich wäre eine Regelung der ganzen Dinge ohne Anwendung von Gewalt christlicher, und ich würde darum auch alle diejenigen als Heilige betrachten, die heute bereit sind, die Ehre von Frau und Kind um Christi willen zum Opfer zu bringen für die Sünden der Menschen; jedoch würde ich die gleichen Menschen als gefährliche Schwärmer ansehen, wenn sie von Obrigkeiten das verlangen, was nur den Heiligen vorbehalten ist.
Professor Gollwitzer, einer der nächsten theologischen Freunde Dr. Niemöllers meint - ich zitiere sinngemäß -: Man könne den Bolschewismus gewiß nicht mit Kanonen bekämpfen; aber wenn man einem Angriff der Soldaten der Roten Armee begegnen wolle, dann komme man nicht ohne Waffen aus.
({44})
Zum Schluß möchte ich Ihnen noch einmal die von Frau Wessel zitierte Äußerung des früheren Reichsgerichtspräsidenten in die Erinnerung zurückrufen, der schon vor 50 Jahren feststellte, es fehle uns am Augenmaß für den Wert politischer Entscheidungen. Damals mag er wohl an die außenpolitische Situation gedacht haben, als wir uns nicht zwischen Ost und West entscheiden konnten. Der Erfolg war, daß wir uns zwischen zwei Stühle setzten und den ersten Weltkrieg als Zweifrontenkrieg erlebten.
Wir sind aber nicht, wie Herr Kollege Schmid gestern meinte, nur darauf angewiesen, mit historischen Analogien zu arbeiten.
({45})
Wir versuchen auch, historische Entwicklungen in unsere Konzeption hineinzunehmen. Ich erinnere daran, daß im Jahre 1948 der tschechische Historiker Franz Palaky in dem Schreiben, in welchem er seine Absage an die großdeutsch orientierte und damit die Einheit Österreichs gefährdende Frankfurter Nationalversammlung begründete, den berühmten Satz einfügte.:
Wahrlich, existierte der österreichische Kaiserstaat nicht schon längst, man müßte im Interesse Europas, im Interesse der Humanität selbst sich beeilen, ihn zu schaffen.
Fällt Österreich weg, so droht
- so prophezeite er dem Donau-Raum der Einbruch des russischen
Kolosses. Keins seiner Völker wäre allein
stark genug, dem mächtigen Nachbarn im Osten erfolgreich Widerstand zu leisten. Denken Sie sich Österreich in eine Menge von Republiken und Republikchen aufgelöst.
({46})
Welch ein willkommener Grundbau für eine russische Universalmonarchie!
So rief er aus. Genau hundert Jahre danach wurde seine hellsichtige Warnung unmittelbarste und düsterste Wirklichkeit.
In seinem Aufsatz „Altösterreichs späte Rechtfertigung" weist Wolfgang Höpker darauf hin, daß die Voraussetzungen dafür, daß die Russen 1948 in Prag einziehen und Europas Kerngebiet Böhmen und Mähren in ein Protektorat Moskaus verwandeln konnten, 30 Jahre vorher durch die Zerschlagung der österreichisch-ungarischen Donaumonarchie geschaffen worden ist. Dem Sog des in diesem Raum entstandenen Vakuums sind die Sowjets gefolgt. Ausgerechnet die Tschechen Masaryk und Benesch sind es gewesen, die am heftigsten die Zerschlagung Österreichs von Wilson gefordert haben. Alle diese selbständig gewordenen Nationalstaaten sind inzwischen vom Bolschewismus verschluckt worden. Soll Deutschland der nächste sein?
({47})
Im Blick auf diese Frage gedenke ich nicht, den Kopf in den Sand zu stecken oder in die rosaroten Wolken einer nicht zu praktizierenden und darum wirklichkeitsfremden Neutralitätspolitik. Ich kann auch den deutschen Frauen und Müttern eine solche Haltung nicht empfehlen. Jede Entscheidung in dieser Lage ist für uns nicht ohne Risiko. Es gilt daher, sehr sorgfältig abzuwägen, wo das geringere Risiko ist, und da möchte ich allerdings sagen, daß ich wohl bereit bin, mich der Anschauung anzuschließen, daß der Starke am mächtigsten allein ist. Aber im politischen Raum trifft es niemals zu, daß der Schwache am mächtigsten allein ist. Und daher, meine Herren und Damen, weil ich mich an der Überrollung unseres Vaterlandes und des restlichen Europas nicht mitschuldig machen möchte und weil ich der Überzeugung bin, daß die Erhaltung und Sicherung dessen, was wir als die europäische Lebensform zu bezeichnen pflegen, die seit mehr als tausend Jahren auch die unsrige ist und zu der als unveräußerliches Gut die Freiheit und das Recht gehören, nur durch den Zusammenschluß der Völker des schon so verstümmelten Europas überhaupt nur möglich ist, sage ich j a zur europäischen Integration und damit zu den beiden vorliegenden Vertragswerken.
({48})
Meine Damen und Herren, aus dem Hause ist beanstandet worden, daß der Rundfunk in der Lage sei, die Rednerliste bekanntzugeben, während das Haus darüber nicht unterrichtet sei. Mir liegen vor die Wortmeldungen der Herren Abgeordneten Euler, Erler, Loritz, Fröhlich, Brandt, Goetzendorff und von Brentano. Ich darf darauf hinweisen, daß die Redezeiten einiger Fraktionen ganz oder annähernd erschöpft sind. Ich bitte, sich freundlichst in der Bemessung der Redezeit darauf einzustellen, nachdem Herr Präsident Schäfer in großzügiger Handhabung der Geschäftsordnung die Redezeiten bereits um ein Viertel verlängert hat.
Herr Abgeordneter Euler hat das Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege. Schmid hat gestern hier wie schon am Sonntag auf dem Parteitag der SPD von Südhessen in Rüsselsheim das Rezept der Sozialdemokratischen Partei bekanntgegeben, das lautet: es sollen Viermächteverhandlungen stattfinden; die SPD sagt nein zu den Verträgen, damit diese Verhandlungen stattfinden können; eine neue Lage hält die Sozialdemokratie erst dann für gegeben, wenn die Viermächteverhandlungen gescheitert sind.
Nun ist nicht schwer zu prophezeien, daß Viermächteverhandlungen kommen werden; sie sind auch für äußerst wünschenswert zu halten, damit ein neuer Versuch gemacht wird, die deutsche Einheit in Freiheit auf der Grundlage friedlicher Verständigung zu erreichen. Aber man muß sich wohl von vornherein darüber im klaren sein, daß diese Verhandlungen eine lange Dauer haben werden und daß man viel besser von einer längeren Verhandlungsperiode sprechen sollte als von Viermächteverhandlungen, wenn man darunter eine einmalige und nur mehrere Tage dauernde Konferenz versteht. Das ist wohl auch die Voraussetzung, die Herr Kollege Schmid gemacht hat, denn er hat - zwar nicht gestern hier in diesem Hause, wohl aber am Sonntag in Rüsselsheim auf dem Parteitag der SPD Hessen-Süd - folgendes ausgeführt: Wenn man mit den Sowjets ernsthaft verhandeln wolle, dann müsse man sich an den Verhandlungen in Korea ein Beispiel nehmen und Geduld beweisen und dürfe nicht das erste sowjetische Nein zum Anlaß nehmen, den Russen die Schuld für das Scheitern der Verhandlungen in die Schuhe zu schieben.
({0})
Aus dieser Auffassung des Kollegen Schmid selbst ergibt sich, daß er mit einer langen Verhandlungsdauer rechnet, daß er diese lange Verhandlungsdauer wünscht. Ich glaube, er ist sich auch bewußt, daß die Bestimmung der Dauer der Verhandlungen von den Sowjets abhängt, wenn man die Verhandlungen nicht mit einem Ergebnis abschließen will, wie es die Sowjets erwarten, sondern mit einem Ergebnis, das eine für die freiheitliche Welt tragbare Lösung darstellt.
Während dieser längeren Dauer einer ganzen Verhandlungsperiode soll es also eine europäische Integration unter Einschluß der Bundesrepublik nicht geben, und es soll während dieser Zeit auch keine Defensiv rüstungsbemühungen der Bundesrepublik und der anderen europäischen Völker auf der Grundlage einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft geben. Wenn wir also dem Rezept der Sozialdemokratie folgen, tun wir auch weiterhin auf unberechenbar lange Zeit den Sowjets den Gefallen, uns so zu verhalten, wie sie es wünschen. Es ist außerdem die Schwäche in der Empfehlung der Sozialdemokratie, daß durch die darin enthaltene Meinung, wenn sie allgemein zur Herrschaft käme, die Sowjetunion geradezu ermutigt würde, die Verhandlungen aufs äußerste zu verlangsamen, da ja nach dieser Meinung feststeht, daß inzwischen der gesamte europäische Integrationsprozeß abgestellt wäre.
({1})
Nach diesem ersten Einwand gegen das neue Rezept der Sozialdemokratie will ich einen zweiten, nicht weniger entscheidenden Einwand vorbringen. Ich stelle die Frage: Besteht denn überhaupt die Aussicht, daß sich die Situation in Europa und in der gesamten Welt zur Durchsetzung unserer deutschen Forderungen auf die Verwirklichung der deutschen Einheit in Freiheit verbessert, wenn diese Verträge, die jetzt zur Diskussion stehen, nicht ratifiziert werden? Führt das Nichtwirksamwerden dieser Verträge zu einer Verbesserung der Situation derart, daß wir die Aussicht hätten, in Verhandlungen von längerer Dauer eine tragbare deutsche Lösung gegenüber den Sowjets durchzusetzen? Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, sehr schlüssig beweisen zu können, daß das nicht der Fall ist.
Ich möchte meinen Beweis dafür von der These her führen, die gestern Professor Carlo Schmid hier aufgestellt hat. Seine These lautete, die Verträge führten nicht zur Abrüstung, sondern zum Wettrüsten, und dieses Wettrüsten führe zum Kriege. Mit einer solchen allgemeinen These in der heutigen konkreten Situation kann man nichts anderes als eine unheilvolle Verwirrung anrichten; denn durch diese These des Herrn Professor Schmid, die sich die Sozialdemokratie zu eigen gemacht hat, wird ja doch die Frage umgangen: warum ist denn bisher die internationale Abrüstung nicht verwirklicht 'worden?
({2})
Es wird die weitere Frage umgangen: wo ist denn in der Nachkriegszeit abgerüstet worden, und wo ist in der Nachkriegszeit nicht abgerüstet worden? Wenn man diese Fragen beantwortet, die den Schlüssel für die heutige Politik und ihre Beurteilung geben, dann muli man doch mit der Feststellung beginnen, die, glaube ich, auch die Sozialdemokratie nicht bestreiten wird: der Feststellung, daß die USA, daß England, daß Frankreich nach 1945 bereits in einem unwahrscheinlichen, geradezu unverantwortlichen Maße abgerüstet hatten, während die Sowjetunion stets bei ihren 180 Divisionen geblieben ist und stets einen Finanzierungshaushalt für die Rüstung weit über Friedensausmaß hinaus, geradezu von Kriegsausmaß hatte. Die Sowjetunion hat ihre Rüstung ständig verstärkt. Sie hat den einseitigen Rüstungsstand, der durch die Abrüstung der demokratischen Völker entstanden war, dann benutzt, um die Staaten ihres Besatzungsbereiches in sowjetische Provinzen mit nationalen Scheinregierungen zu verwandeln. Sie hat weiter diese Lage benutzt, um von Jahr zu Jahr Aggressionen in aller Welt anzuzetteln. Die Aggressionen nahm sie zwar nicht selbst vor, sondern ließ sie durch andere, durch Abhängige vornehmen, denen sie aber die verantwortlichen Führer und die Waffen lieferte, denen sie die ganze materielle und rüstungsmäßige Unterstützung lieferte.
Man darf auch einmal daran erinnern, in wie außerordentlichem Maße die Vereinigten Staaten und die anderen führenden Völker der westlichen demokratischen Welt sich Mühe gegeben haben, über die UNO und ihre verschiedensten Konferenzen eine allgemeine Rüstungskontrolle durchzusetzen, beginnend mit einer allgemeinen Kontrolle der Atomwaffen. Alle diese Bemühungen und Versuche sind nicht an dem Widerstand eines nicht auszumittelnden Gegners gescheitert, sondern an dem Widerstand der Macht, die wir alle für ihre ständige Politik der Rüstungssteigerung und der Ausnutzung dieses hohen Rüstungsstandes für Aggressionen in aller Welt bestens kennen, eben der Sowjetunion. Aus diesen Erfahrungen der ersten Jahre nach 1945 ist erst spät die StopStalin-Politik der Vereinigten Staaten und der anderen demokratischen Mächte entstanden. Es be({3})
durfte dann immer noch einer besonders schrecklichen Erfahrung, ehe die USA zu ihrer Defensivrüstung übergingen. Es bedurfte dazu erst des kommunistischen Angriffs in Korea, der schließlich auch nur von Moskau aus gestartet wurde.
Nun, was soll es in Anbetracht dieser tatsächlichen Entwicklung heißen, wenn Herr Kollege Schmid mit Thesen über die allgemeinen Gefahren des Wettrüstens kommt? Will er denn die einseitige Abrüstung des Westens wiederhergestellt wissen oder die einseitige Unterlassung der Rüstungsbemühungen der westlichen Welt sicherstellen, d. h. ist ihm daran gelegen, in Europa die Lage wiederherzustellen, wie sie zur Zeit des Korea-Konfliktes bestanden hat, eine Lage, die auch in Europa früher oder später zu neuen sowjetischen Aggressionen führen müßte, deren Opfer wir sehr leicht werden könnten? Daß diese Gefahr in Europa drohen würde, ergibt sich aus der sowjetischen Spekulation auf die Entmutigung der USA. Die Sowjets wissen am allerbesten, daß das heutige Europa vor ihnen nur durch die im Augenblick bestehende Gewißheit Schutz genießt, daß ihr Angriff in Europa den Weltkrieg mit den Vereinigten Staaten auslösen würde. Darauf beruht unsere Sicherheit und die der europäischen Völker überhaupt, dagegen nicht auf den Möglichkeiten des Selbstschutzes; denn ein solcher ist ja im Augenblick überhaupt noch nicht gegeben, weil die allernotwendigsten Maßnahmen versäumt worden sind. Deshalb haben wir in Deutschland - aber ebenso sehr alle anderen europäischen Völker - ein ganz fundamentales Lebensinteresse daran, daß das amerikanische Volk nicht enttäuscht wird, daß es sich nicht von einer Politik des Schutzes für Europa abwendet und weiterhin bereit ist, die Anstrengungen auf sich zu nehmen und die Opfer zu tragen, die darin liegen, daß heute die Amerikaner fast völlig allein den Hauptteil aller Anstrengungen in der Welt tragen.
Ich weiß sehr wohl, daß die Sozialdemokratie diese Argumentation nicht schätzt, weil sie f älschlicherweise, wie ich meine, davon überzeugt ist, daß die USA sich nicht von Europa abwenden könnten. Das hat der Kollege Arndt schon in der 191. Sitzung vom 8. Februar gesagt. Er hat damals ausgeführt, die Notwendigkeit der Selbsterhaltung führe dazu, daß die USA das drittgrößte Industriepotential nicht an die Sowjetunion fallen lassen könne. Gestern hat Carlo Schmid denselben Gedanken etwa mit der Wendung zum Ausdruck gebracht, die amerikanische Europa- und Deutschlandpolitik beruhe auf dem wohlverstandenen Selbstschutzinteresse der USA, sich in Europa und in Deutschland selbst zu verteidigen. Nun, ich finde hierin nichts anderes als einen geradezu größenwahnsinnigen Glauben an die Automatik und die Unverlierbarkeit der USAHilfe, daran, daß diese Hilfe uns und den anderen europäischen Völkern auch dann erhalten bleibe das ist letzten Endes die Quintessenz der sozialdemokratischen Überzeugung -, wenn wir und die anderen Europäer die größten Dummheiten begehen. Eine solche Automatik hat es in der Welt noch niemals gegeben. Wir wissen, wie gerade maßgebliche Amerikaner, die die Politik des Einsatzes der USA in Deutschland und in Europa für richtig halten, darum besorgt sind, daß sich im amerikanischen Volk ein Wandel vollziehen könnte, der die Fortsetzung dieser Politik unmöglich machte. Es hat schon mehr Fälle solchen plötzlichen Stimmungsumschwungs in den Vereinigten Staaten gegeben, und es hat schon mehr Völker
gegeben, die in den entscheidenden Situationen große Fehler begangen haben, mit denen sie gegen ihr wohlverstandenes Eigeninteresse sehr entschieden verstießen. Es hat sie 1918 auf der alliierten Seite gegeben; es hat sie nach 1933 in Deutschland gegeben. Denn wer hätte geglaubt, daß sich 1939 dieses 1918 geschlagene Deutschland in ein Abenteuer einlassen würde, von dem mit Sicherheit zu sagen war: es erwächst der zweite Weltkrieg daraus, und er endet mit einer ebenso schlimmen Niederlage wie der erste Weltkrieg? Wer hätte nach 1945 geglaubt, daß die Amerikaner den ungeheuren Fehler einer so unglücklichen Überbezahlung der sowjetischen Bundesgenossenschaft auf die Weise begehen würden, daß sie selbst die Russen tief nach Europa hereinlassen würden.
Man braucht sich, wenn man all diese Argumente nicht für überzeugend hält, schließlich nur noch die eine Frage vorzulegen: Wäre es für das deutsche Volk selbstverständlich, den Völkern aller Welt im Kampfe um die Freiheit nicht nur ideelle Hilfe, sondern materielle Waffenhilfe und Hilfe mit Menschen, mit Soldaten, zu geben, wenn diese anderen Völker, gleichermaßen an der Erhaltung ihrer Freiheit und ihrer Existenz interessiert, nicht zum mindesten das ihren Kräften Entsprechende mit dazu beitragen würden? Wie lange würde das deutsche Volk die Politik einer Regierung unterstützen, die bereit wäre, alle Völker im Kampfe um die Freiheit mit deutschen Menschen, Waffen und Geld zu unterstützen, wenn diese anderen Völker nicht aus sich, nach ihren Kräften gemessen, das Entscheidende dazu beitragen?
({4}) Ich glaube, nach dem, was die sozialdemokratische Opposition in den letzten Jahren an außenpolitischen Ansichten gezeigt hat, könnte man davon überzeugt sein, daß gerade diese Sozialdemokratische Partei keine deutsche Regierung dulden würde, die bereit wäre, deutsche Hilfe in alle Welt zu geben, wenn sich nicht die anderen Völker entsprechend beteiligten.
({5})
Schließlich noch eins. Meine sehr geehrten Damen und Herren, stellen Sie sich einmal die Farmersleute und die Bürger am Missouri und an der amerikanischen Westküste vor. Wie weit ist da Europa entfernt! Wie leicht kann sich in die Gemüter dieser Menschen der Gedanke einschleichen: ja, müssen denn unsere Söhne nach Europa? Muß unsere Regierung die Waffen und das Geld immer wieder diesen europäischen Völkern hingeben, wenn diese europäischen Völker nicht das durch diese Situation Gebotene aus eigenen Kräften mitzutun bereit sind?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist eine abenteuerliche Leichtfertigkeit, wenn Sie versuchen, vor dem deutschen Volk den trügerischen Anschein zu erwecken, es bestehe eine unverlierbare Automatik der USA-Hilfe. Und Sie bestreiten ja nicht, daß, wenn diese Hilfe, wenn dieses Einstehen der Vereinigten Staaten für Europa verlorenginge, dann diese europäischen Völker und in erster Linie das deutsche Volk nicht die Möglichkeit hätten, der sowjetischen Gefahr ein sie abwendendes Risiko entgegenzusetzen. Jedenfalls wird lange Jahre das Machtverhältnis in der Welt noch so sein, daß die eine der beiden großen Weltmächte, die UdSSR, nur durch das Risiko eines Weltkrieges mit den USA davon abgehalten werden kann, kriegerische Unternehmungen irgendwo in Szene zu setzen. Da ist es doch nun immerhin so:
({6})
solange amerikanische Truppen in Deutschland sind, werden die Amerikaner nicht eingreifen, weil irgendwelche Garantien auf dem Papier stehen, sondern weil der Angriff auf Westdeutschland überhaupt nur durch einen Angriff auf amerikanische Truppen geleistet werden kann. Solange diese Truppen hier sind und die Amerikaner die Sowjets wissen lassen, daß der Angriff auf diese Truppen den Weltkrieg bedeutet, haben wir hier einen automatischen Friedensschutz. Da besteht wirkliche Automatik. Diese Automatik werden die Sowjets nicht auslösen. Deswegen ist ihre ganze Politik darauf gerichtet, uns und die anderen europäischen Völker zu einer Politik zu verführen, die letzten Endes darauf hinausläuft, daß wir den amerikanischen Schutz in Europa, zumindest in Deutschland, verlieren.
Wenn es die Aufgabe der Außenpolitik ist, den gefährlichsten Fall unter allen Umständen auszuschließen, dann ist es die erste Pflicht einer jeden deutschen Regierung, dem gefährlichsten Fall eines sowjetischen Angriffs, damit dem gefährlichsten Fall eines Krieges und dem gefährlichsten Fall des Untergangs in Sklaverei dadurch zu begegnen, daß wir alles tun, um uns den jetzt gegebenen, in der Anwesenheit der Amerikaner liegenden automatischen Schutz zu erhalten. Wir können ihn uns auf die Dauer nur erhalten, wenn wir uns nicht ausschließlich auf die Hilfe der anderen verlassen, sondern wenn wir im Friedensschutz durch ihre Anwesenheit beginnen, unsere eigene Kraft mit einzusetzen.
Diese Überzeugungen sind völlig schlüssig. Ich betrachte alles andere als irreal. Ich betrachte alles andere vor allem mit solchen Risiken für unser Volk belastet, daß man jede Regierung warnen müßte, von diesem gesicherten Weg ab auf einen weniger sicheren Weg zu gehen. Auf diesem Wege sind wir sicher, daß die erste Schlacht nicht stattfindet. Deshalb sollten wir ihn unter allen Umständen weitergehen. Es wird dann auch der Punkt kommen, an dem durch eine Gesamtstärkung der westlichen Welt jener Zustand der Bereitschaft zu entschiedenen Zugeständnissen bei den Sowjets erzeugt wird, der heute, jedenfalls nach dem bisherigen Verhalten der Sowjets zu schließen, noch nicht vorhanden ist. Denn heute besteht ja für die Sowjets noch die Aussicht, daß sich die Neutralisierung Deutschlands durchsetzt. Heute besteht für die Sowjets noch die Aussicht, daß aus der europäischen Integration nichts wird, also der Zustand der nationalstaatlichen Zerrissenheit in Europa verewigt wird. Heute besteht für die Sowjets noch die Chance, daß sich die USA von Europa und Deutschland abwenden, weil sie von den europäischen Völkern fortlaufend enttäuscht werden.
Nun werden diese Aussichten, die sich allesamt an die Neutralisierung Deutschlands knüpfen, von hier aus noch erheblich verstärkt, nachdem sich die Sozialdemokratie letzten Endes auf eine Politik der Neutralisierung Deutschlands eingelassen hat. Denn das, was Carlo Schmid gestern gesagt hat, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist nichts anderes als die These von der Neutralisierung Deutschlands. Das ist in der Debatte bisher noch nicht gesagt worden; es ist aber dringend nötig, daß es gesagt wird.
({7})
Was soll es denn heißen, daß Deutschland ein souveräner Staat zwischen dem amerikanischen und dem sowjetischen Machtblock werden soll? Was soll das heißen, wenn von einer eigenständigen deutschen Politik gesprochen wird, als deren Ergebnis anzustreben sei, daß Deutschland dem Westen ideologisch angeschlossen sei, ohne aber eine Gefahr für die Sowjetunion werden zu können? Und was soll es schließlich heißen, wenn gesagt wird - auch von Carlo Schmid -, es dürfe den Sowjets keine Lösung zugemutet werden, die Deutschland einem Gebiet der potentiellen Feindschaft zuschlägt? All diese Wendungen sind ja gar nicht anders zu deuten, als daß letzten Endes die Vorstellung von einem Deutschland in bewaffneter oder unbewaffneter Neutralität dahintersteht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Neutral wäre dieses Deutschland doch nur kraft einer internationalen Garantie nach Abzug aller Besatzungstruppen. Die Sowjets dürften dann darauf spekulieren, daß in dem Augenblick, in dem sie einen Angriff riskieren, das Einschreiten der Garantiemächte nicht erfolgt. Es ist die Situation des Krieges mitten in Deutschland, der gerade dadurch, daß ein neutralisiertes Deutschland ein Machtvakuum sein müßte, gar nicht zu vermeiden wäre.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das erkenne ich als die bisher nicht erwähnten Konsequenzen dessen, was hier Carlo Schmid gestern als das neue Rezept der Sozialdemokratie zum besten gab. Wenn man seine Rede sehr aufmerksam liest und sehr lange über den verschiedenen von ihm gebrachten Wendungen brütet, von denen ich hier einige wiedergab -, es ist letzten Endes aus diesen Wendungen nur das eine Ziel zu entnehmen, das die Sozialdemokratie künden läßt: es ist letzten Endes das Ziel der Neutralisierung Deutschlands.
Damit hängt es ja auch zusammen, daß die Sozialdemokratie seit einiger Zeit - der Wendepunkt war letzten Endes die damals desavouierte Rede des Herrn Kollegen Luetkens hier im Bundestag - gegenüber dem Osten sehr behutsame Wendungen gebraucht, aber gegenüber dem Westen zu einer ständig maßloseren Kritik übergeht. Wir haben gestern gerade in der Rede von Carlo Schmid wieder einen sehr guten Anschauungsunterricht dafür bekommen, wie sehr jetzt in den Reden der Sozialdemokratie der gute Glaube gegenüber dem Osten Hand in Hand geht mit dem schärfsten Mißtrauen und der schärfsten Kritik gegenüber dem Westen;
({8})
und das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist nicht nur in Berlin, sondern vor allem in der Sowjetzone schon längst bemerkt werden.
({9})
Die Menschen in Berlin und in der Sowjetzone ({10})
sind nicht bereit, Ihre Illusion zu teilen.
({11}) Die befinden sich in außerordentlich großer Sorge, daß die Sozialdemokratie eine politische Linie einschlägt, die gerade unsere Menschen in der Sowjetzone nicht als den Weg zur Freiheit betrachten können, auf der sie nicht hoffen können, zur Freiheit und damit zur deutschen Einheit zu gelangen. Es wird immer mehr erkennbar, daß die Sozialdemokratie eine Politik der Weltverfälschung und auch eine Politik der Wertverfälschung betreibt.
({12})
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben ja gerade Exzesse in den Formulierungen
({13})
des Herrn Dr. Schumacher selbst erlebt. Wenn Herr Dr. Schumacher vor einiger Zeit sagte: „Wer diese Verträge unterschreibt, ist kein Deutscher mehr", dann sagte er ja genau das, was Grotewohl und Pieck auch sagen,
({14})
und niemand von der Sozialdemokratie ist offiziell von dieser Bemerkung abgerückt. Es hat überhaupt nur einen unter den prominenteren Sozialdemokraten gegeben, den Bürgermeister von Bremen, Herrn Maisen, der es für erforderlich gehalten hat, sich von dieser Äußerung abzusetzen. Alle anderen sozialdemokratischen Führer haben zu dieser Äußerung geschwiegen, und Sie wissen, was das bedeutet. Sie wissen, daß diese Äußerung damit, daß sich die Partei nicht von ihr absetzt, zum Gegenstand der parteipolitischen Propaganda draußen in den breiten Schichten der Bevölkerung wird!
({15})
Sie haben sich vorhin darüber beklagt, daß die Auseinandersetzung mit Ihnen zu scharf geführt werde. Ich bin der Auffassung, sie wird noch nicht scharf genug geführt in Anbetracht der äußersten nationalen Diffamierung, mit der Sie glauben, jetzt wieder in Deutschland Politik treiben zu können. Politik, wie Sie sie verstehen, ist letzten Endes nur Politik um die Stimmen bei den nächsten Wahlen.
({16}) -- Nun, wir werden Ihnen die Quittung geben!
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der liebenswürdigen Ansprache des Kollegen Euler werden wir demnächst in der deutschen politischen Öffentlichkeit noch einiges erleben. Ich kann dem, Kollegen Euler nur sagen: die Sozialdemokratische Partei ist es gewöhnt, von Ihnen und einem Teil - Gott sei Dank nur einem Teil! - Ihrer Freunde in einer Sprache behandelt zu werden, die uns nur aus der Erinnerung an das Dritte Reich geläufig ist!
({0})
Ich möchte zu Ihnen über dieses Thema nur sprechen, wenn auch Sie sonst im übrigen nicht den Versuch unternehmen, die demokratische Zuverlässigkeit der Sozialdemokratischen Partei in Zweifel zu ziehen. Wenn das klargestellt ist, reden wir weiter!
({1})
Jetzt zu den Äußerungen des Kollegen Euler.
({2})
- Hier steht heute auf der Tagesordnung die erste Lesung des Vertrages der Bundesregierung - ({3})
- Das ist das Thema; das haben Sie zu verteidigen, und wehren Sie sich nicht, daß die Verträge hier auf der Anklagebank sitzen.
({4})
- Auf der Tagesordnung steht ein Vertrag, der
hier zu beraten und von Ihnen zu verteidigen ist!
({5})
- Kollege Strauß, wenn Sie auf den Kollegen Euler dahin eingewirkt hätten, daß er die Sprache führt, die in den letzten beiden Tagen erfreulicherweise von allen anderen gesprochen worden ist, dann hätte es diesen Zwischenfall nicht gegeben! Das brauche ich Ihnen doch nicht zu sagen.
({6})
Nun, wenn nach der Meinung des Kollegen Euler feststeht, daß nicht nur die Bundesrepublik, sondern bei der Entwicklung, die er sich vorstellt, künftig auch die jetzige sowjetische Besatzungszone Soldaten in die Europäische Verteidigungsgemeinschaft stellt, wenn das feststeht - und das ist ungefähr der Sinn seiner politischen Konzeption -, dann können Sie mir vielleicht verraten, ob die Russen vor dieser Konzeption jetzt einfach mir nichts dir nichts in die Knie gehen und sagen werden: Bitte schön, außer dem Portemonnaie, außer der sowjetischen Besatzungszone, liefern wir euch auch noch das Leben obendrein. - Ich meine, es ist wirklich eine sehr irreale Konzeption, etwa davon auszugehen, daß das eine Bedingung sei, unter der überhaupt eine ernsthafe Konferenz zustande kommen kann, auf der die Deutschlandfrage nun einmal wirklich auf friedliche Weise nur mit der vierten Besatzungsmacht verhandelt werden kann. Denn sonst, eben wenn wir nicht eine solche Konferenz wollen, wird die Deutschlandfrage mit Gewalt gelöst. Das ist keine Konzeption, auf Grund deren eine derartige Konferenz überhaupt möglich ist. Man kann nicht mit einem Eisenbahnzug gleichzeitig auf verschiedenen Gleisen in verschiedener Richtung fahren, und das ist genau das, was Sie jetzt hier zu unternehmen versuchen.
({7})
Sie wünschen: sowohl daß die Verträge ratifiziert werden, als auch - wie Sie sagen - daß trotzdem noch auf einer Viererkonferenz über eine friedliche Lösung der Deutschlandfrage verhandelt wird - wobei Sie genau wissen, daß der Gegenstand dieser Verhandlungen weitgehend vorweggenommen wird durch das System der Verträge, das wir heute diskutieren.
({8})
- Nein, das ist keine Fiktion; Sie müssen sich die Reden Ihrer eigenen Freunde sehr genau anhören. Sie müssen sich durchlesen, was in Art. 2 des Vertrages steht. Das Ziel der Vertragspartner ist völlig klar. Sie haben es im Vertrag ausdrücklich festgelegt, daß sich die Bundesrepublik als ihr
({9})
politisches Ziel gemeinsam mit den Westmächten die Integrierung ganz Deutschlands in diejenige europäische Gemeinschaft setzt, zu der ausdrücklich auch die Europäische Verteidigungsgemeinschaft gehört.
({10})
Das ist das erklärte Ziel der Vertragspartner, und mit diesem Ziel vor Augen ist also eine echte Viererkonferenz nicht möglich.
({11})
Wie sieht es denn heute aus? Ist die Frage, die wir heute zu diskutieren haben, wirklich so gestellt, als ob es sich darum handelte, daß wir abzurüsten beginnen, um dann nackt und bloß den Russen gegenüberzustehen? Das ist doch gar nicht die weltpolitische Frage, vor der Deutschland heute steht, sondern die Frage ist genau umgekehrt, ob in einer Situation eines relativen Gleichgewichts der großen militärischen Blöcke in der Welt
({12})
die Deutschen von sich aus einen Beitrag dazu leisten sollen, daß die Rüstungsschraube in schnellere Umdrehung versetzt wird, ob sie einen Beitrag dazu leisten sollen, daß Öl ins Feuer gegossen wird,
({13})
statt den Versuch zu unternehmen, an einer Stelle die Kette des Verhängnisses zu durchbrechen, statt den Versuch zu unternehmen, an einer Stelle, nämlich bei der Lösung der deutschen Frage, einen Beitrag zur Entspannung der internationalen Situation zu leisten, statt die internationale Situation weiterhin zu verschärfen.
Man diskutiert mit unseren amerikanischen Freunden - ich sage bewußt „Freunden" - auch das Schicksal Europas. Niemand in diesem Saale ist davon überzeugt, daß dieses Europa nun auf ewige Zeiten nur mit amerikanischen Almosen und mit amerikanischer militärischer und wirtschaftlicher Hilfe erhalten bleiben könne. Es kommt darauf an, in der konkreten Wirklichkeit von heute auch unseren amerikanischen Freunden klarzumachen, welch großer Beitrag für die Erweiterung der Freiheit in der Welt es wäre, wenn es gelänge, durch eine Verständigung in der deutschen Frage die Grenzen der Freiheit doch zunächst einmal von Lübeck bis - sagen wir einmal - nahe Stettin vorzurücken. Die Weltkarte hätte ein anderes Gesicht. Es kommt darauf an zu prüfen, was unter diesen Umständen wirklich ein angemessener Preis für diese Veränderung der Weltlage zugunsten der freien Kräfte in der Welt wäre und ob es wirklich nun der Weisheit letzter Schluß wäre, daß man sich diesen Weg verbaut, indem man meint, wir kauften auf lange Sicht mit 12 deutschen Divisionen ein größeres Ausmaß an Freiheit ein. Es ist im Gegenteil nahezu offensichtlich, daß die deutschen Divisionen den Schutz der Bundesrepublik vielleicht im Verein mit den anderen ermöglichen können, daß sie aber nicht die Tür aufhalten für eine in absehbarer Zeit zu erreichende Befreiung von 18 Millionen Deutschen, deren Schicksal uns doch allen, Ihnen wie uns, am Herzen liegt.
({14})
Ich möchte Ihnen sagen, daß das ganze Gerede über die Neutralisierung, wo es hier nur um die militärischen und doch nicht um die politischen, ökonomischen und sozialen Aspekte der Zusammenarbeit der freien Völker geht - nur um das Militär und um nichts anderes -, doch in Wahrheit nur dazu dient, von der Tatsache abzulenken, die aus allen Ihren Erklärungen hier hindurchschimmert, daß Sie doch in Wirklichkeit die Viererkonferenz entweder gar nicht wollen oder sich von ihr so wenig versprechen, daß sie entschlossen sind, von Anfang an Bedingungen zu stellen, die sie zum Scheitern verurteilen müssen.
({15})
Es ist hier von der Analogie der zwanziger Jahre gesprochen worden. Diese Analogie ist grundfalsch. Es genügt, wenn wir daran erinnern, daß die Besatzung der zwanziger Jahre nicht die Regierungsgewalt in Deutschland ausgeübt hat. Es genügt, wenn wir daran erinnern, daß hier keine Eingriffe in die Gesetzgebungsgewalt des deutschen Parlaments und der deutschen Regierung möglich waren. Es genügt, daran zu erinnern, daß wir damals nach einem Friedensvertrag - und um einen Friedensvertrag - zu entscheiden hatten und daß uns damals niemand zugemutet hat, den Eintritt in ein bestimmtes System von Militärallianzen als Verständigungspolitik zu bezeichnen.
({16})
Das ist nämlich zweierlei. Man komme uns doch nicht mit der Behauptung, daß Verständigung mit unseren Nachbarn nur möglich ist - das ist wirklich eine sehr neue Erfindung der Politik -, wenn man sich mit ihnen in einer Armee zusammenschließt. Verständigungspolitik, Wettrüsten und Aufrüsten sind Gott sei Dank nicht synonym in der Weltgeschichte, auch für die Deutschen nicht. Sie haben andere Gründe, aber ich bitte, diese Gründe nicht immer mit der Verständigung zu maskieren. Erfreulicherweise können sich zwei Völker miteinander verständigen und auch miteinander zusammenarbeiten,
({17})
ohne daß sie zu diesem Zweck eine gemeinsame Militärallianz, ein System von Militärbündnissen eingehen müssen.
({18})
- Nach der Erklärung des Bundeskanzlers, die er uns gestern gegeben hat, ist die europäische Integration gerade nach seiner Meinung auf dem heikelsten Gebiet, nämlich auf dem militärischen Gebiet, zuerst in Angriff genommen worden.
({19})
Ich sage Ihnen ehrlich, daß es für die Sache Europas und für die Sache des echten Zusammenwachsens der europäischen Völker keine Förderung, sondern leider Gottes ein Verhängnis ist, wenn wir die europäische Sache in dieser Weise mit den Problemen der Rüstung belasten und Europa mit Rüstung gleichsetzen.
({20})
({21})
Warum sind die an den Verträgen beteiligten sechs europäischen Regierungen nicht mit dem gleichen Eifer - ich wiederhole noch einmal: mit mindestens dem gleichen Eifer -, den sie für die Schaffung der Verteidigungsgemeinschaft aufgebracht haben, daran gegangen, jene Vorschläge voranzutreiben, die - unter Förderung und Weiterausbau der Arbeiten des Europäischen Wirtschaftsrats in Paris, unter weiterem Ausbau des Instruments der Europäischen Zahlungsunion, unter Aufnahme der gerade auch von den Skandinaviern und von den Engländern im Europarat gemachten und dort gutgeheißenen Vorschläge - den Weg gewiesen haben, um nicht nur aus den sechs Ländern, sondern aus ganz Europa durch systematischen, Jahr für Jahr im vorhinein vertraglich festgelegten Abbau der Zollmauern zu einem einheitlichen, zusammenhängenden großen Wirtschafts- und Währungsgebiet zu gelangen? Das ist unsere europäische Einheit! Ich meine, sie läßt sich durchaus sehen neben dem Versuch, nun die Sechs lediglich zusammenzufassen und damit in der Praxis in diesem Euroaa, wie die letzten Erörterungen ja auch in verschiedenen Ausschüssen des Europarats gezeigt haben, neue Spannungen zwischen dem Kontinent und den doch wahrlich auch vom militärischen Gesichtspunkt und von der Sicherheit aus nicht zu verachtenden Freunden in England und in Skandinavien heraufzubeschwören.
({22})
- Der Schumanplan ist ebenfalls leider kein Plan, der wirklich imstande ist. einen einheitlichen Markt in dem Sinne zu schaffen, daß alle Verbraucher an ihm partizipieren. Durch das Herausbrechen von Teillösungen - so wie Sie es unternommen haben - kann man nicht zu einer Zusammenfassung des Ganzen kommen; denn ich kenne keinen Verbraucher, der mit Eisenbahnschienen oder mit Roheisenblöcken handelt. Woran die Verbraucherschaft, woran die ganze Wirtschaft wirklich interessiert ist,
({23})
das ist der Markt für die gesamte Wirtschaft und nicht ausschließlich für Kohle und Eisen. Aber wir führen keine Schumanplan-Debatte.
Ich möchte mich in diesem Zusammenhang auf die Erörterung der großen Hoffnung beschränken, die Sie auf den Art. 38 des EVG-Vertrags setzen. Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Diese Hoffnung ist sehr mager. Wozu verpflichten sich eigentlich die Regierungen und die Parlamente nach diesem Vertrag? Sie verpflichten sich - bitte, lesen Sie es sehr genau; der letzte Absatz ist der entscheidende -, nach einer bestimmten Zeit noch einmal eine Konferenz abzuhalten. Das ist alles, was eigentlich darin steht. Viel mehr ist doch in der Sache nicht präzisiert. Warum haben die Regierungen, wenn es ihnen darauf ankam, eine echte parlamentarische Kontrolle auch des künftigen Haushalts der Verteidigungsgemeinschaft und auch der wesentlichen Entschlüsse der Leitung der Verteidigungsgemeinschaft durchzusetzen, dann nicht an den Beginn ihrer Beratungen die Ausstattung der Versammlung dieser Gemeinschaft mit den entsprechenden parlamentarischen Befugnissen gesetzt?
({24})
- Darum geht es nicht!
({25})
- Nein, es geht genau darum, daß Sie, die den Vertrag gemacht haben, doch nicht daran gehindert worden sind, so weit zu gehen, wie Sie es für richtig hielten. Also wollten Sie die parlamentarische Kontrolle nicht! Sonst hätten Sie sie nicht weggelassen. Das ist doch die Frage. Wir haben doch den Vertrag nicht gemacht.
({26})
Und nun zu den Ausführungen des Kollegen Strauß. Ich habe ein ganzes Kapitel bei ihm vermißt. Ich nehme nicht an, daß das landsmannschaftliche Ursachen hat, verehrter Kollege Strauß. Aber immerhin, in allen Reden, die hier gehalten worden sind, mußte natürlich außer der Frage der rein militärischen Sicherung der Bundesrepublik doch - und fast alle Redner haben sich damit auseinandergesetzt - gestellt werden die Frage nach der Verknüpfung dieser Verträge mit der deutschen Einheit.
({27})
Zu diesem Thema haben Sie sich nicht geäußert. Sie haben selbst ausgeführt, daß ein unmittelbarer militärischer Angriff nicht droht. Trotzdem war der ganze Tenor Ihrer Ausführungen ausschließlich darauf abgestellt, zu beweisen, daß wir uns mit den Verträgen militärische Sicherheit für die Bundesrepublik erwerben. Es ist kein Versuch unternommen worden, sichtbar zu machen, wie denn nun mit politischen Mitteln in absehbarer Zeit die Freiheit für die 18 Millionen Deutschen in der Sowjetzone überhaupt erlangt werden kann. Diese Frage steht bis zu dieser Stunde unbeantwortet im Raume.
({28})
Wir sagen Ihnen dazu, daß der Versuch zu einer solchen Regelung entgegen der Meinung des Kanzlers nie zu früh unternommen werden kann.
({29})
Kollege Strauß hat einen beneidenswerten Sinn für Humor entwickelt. Ich gebe ehrlich zu, daß es eine schätzenswerte Eigenschaft ist, wenn man nicht immer mit einem so fürchterlichen Bierernst an alle Probleme herangeht. Er hat auch eine große Gabe für eine volkstümliche Darstellung sehr ernsthafter und schwieriger Probleme. Aber ich meine, Kollege Strauß, in der Schicksalsfrage, die wir hier diskutiert haben, da waren Ihre Ausführungen des Ernstes und der Bedeutung der Stunde nicht voll angemessen.
({30})
In dieser Weise kann man hier wirklich keine Anekdoten erzählen,
({31})
wie Sie hier versucht haben, Gleichnisse für Gebiete der Politik einzuführen, die von einer Vergleichbarkeit sehr weit entfernt sind. Ich will den Versuch unternehmen, das an einigen kleinen Beispielen aufzuzeigen. Sie haben gemeint, die sozialdemokratische Politik ginge von der Vorstellung aus, daß wir eigentlich doch der Meinung seien, obwohl Deutschland den Krieg verloren habe, müßten wir jetzt erst die totale Kapitulation der anderen fordern.
({32})
({33})
Ich darf in aller Bescheidenheit daran erinnern, daß nicht die Bundesrepublik, sondern die Deutschen im Jahre 1945 kapituliert haben nicht nur vor den Westmächten, sondern auch vor der Sowjetunion. Das ist immerhin ein nackter Tatbestand. Und was Sie jetzt wollen in der Frage der Wiederherstellung der deutschen Einheit, das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß Sie hoffen auf eine Kapitulation der Russen, bevor ein Schuß fällt, lediglich aus dem Gefühl, daß wachsende westliche Stärke sie erzwingt.
({34})
Ein zweites. Sie haben hier vom Wohnungsbau gesprochen
({35})
und haben gemeint, man dürfe nicht den Wohnungsbau in eine Relation zu den Leistungen für den Verteidigungsbeitrag bringen. Sie haben dann im Hause den Eindruck erweckt, als ob die erfreulicherweise gewaltige Leistung des deutschen Volkes im Wohnungsbau in den vergangenen Jahren nun ausschließlich und allein ein Verdienst der amtierenden Regierung wäre.
({36})
- Das war der Eindruck, den Ihre Ausführungen machen mußten.
({37})
- Kollege Strauß, wenn Sie jetzt durch Ihre Zwischenrufe zu erkennen geben, daß Sie genau wie wir der Überzeugung sind, daß von der Bundesregierung über alle Parteien dieses Hauses bis zu den Länderregierungen und jeder Kommune uns jedem, der Hand mit angelegt hat, der Wohnungsbau eine ungeheure Gemeinschaftsleistung unseres Volkes gewesen ist, wenn das der Sinn Ihres Zwischenrufs eben gewesen ist, dann bin ich in diesem Punkt mit Ihnen einig.
({38})
- Das ist aber nicht ausschließlich eine Bilanz der Regierung; darauf kommt es in diesem Zusammenhang an!
({39})
Nun darf ich Sie. wenn wir vom Wohnungsbau sprechen, Kollege Strauß, an eine Einzelheit erinnern. Ich darf Sie erinnern an den Kampf, den wir in diesem Hause - zusammen mit dem Kollegen Lücke - allmonatlich und alljährlich geführt haben, um auch nur die letzten kümmerlichen 100 Millionen im Jahr an Bundesmitteln für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus herauszuholen. Und dann haben wir heute gehört, daß es leicht ist, daß es gar keine allzu großen Schwierigkeiten bringen wird, den Verteidigungsaufwand aufzubringen ohne Steuererhöhung und ohne Herabsetzung der sozialen Leistungen. Das beweist doch, daß entweder die Bundesregierung und der Finanzminister in den Fragen des Wohnungsbaus eben bisher von einem Standpunkt ausgegangen
sind, von dem aus man die eigenen Möglichkeiten
schlechter eingeschätzt hat, als sie waren, oder aber
- und das geht gar nicht auf unseren Finanzminister; das ist eine Bemerkung, die möchte ich allen Regierungen in der ganzen Welt gemeinsam zurufen -, daß wir hier wieder der verhängnisvollen Tradition gegenüberstehen, daß immer, wenn es um die Rüstung irgendwo in der Welt geht, alle Anstrengungen der Nation auf dieses Ziel konzentriert werden können, obwohl es in den Perioden vor der Rüstung weiß Gott Ziele gegeben hätte, die ähnlicher Anstrengungen und ähnlichen Schweißes auch wert gewesen wären.
({40})
Der Herr Finanzminister hat uns hier eine beruhigende Zusicherung gegeben. Er hat gesagt; der große Bruder aus Amerika kommt für alles auf. Aber hier steht auch noch eine Frage offen im Raum, nämlich die Frage ({41})
- Doch, er hat in der Antwort an den Kollegen Schoettle gesagt, daß ihm die Aufbringung dieser Lasten auch dank der amerikanischen Hilfe keine Sorgen macht.
({42})
Die Amerikaner - und jetzt will ich Ihnen ein paar Zahlen nennen, vielleicht beruhigt Sie das wieder - haben sich bisher nur dahin vernehmen lassen, daß sie bereit sind, 1 Milliarde Dollar für die Erstausstattung der Deutschen zu geben. Das sind 5 Milliarden - die Zahl hat Kollege Schoettle genannt -, 5 Milliarden DM unter Brüdern gerechnet. Daß aber nach den Zahlen des Kollegen Blank, denen nicht widersprochen worden ist, 40 Milliarden bis Ende 1954 aufgebracht werden müssen für das Material für die deutschen Divisionen, daß für die Ausfüllung der Lücke, die da klafft in Gestalt von 35 Millarden, bisher nur Hoffnungen da sind und nichts anderes. das ist doch ein Tatbestand, mit dem man sich allen Ernstes auseinandersetzen muß. Es kommt noch hinzu, daß die vom Finanzminister angekündigten schweren Waffen auch nach der Zusage der Amerikaner bisher nur bis zum 30. Juni 1953 geliefert werden sollen, bis zu einem Termin, an dem es selbst,. nach Ihrem eigenen Fahrplan kaum deutsche Verbände gibt, die ernsthaft schwere Waffen gebrauchen. Und was dann?
Das ist eine ganze Reihe von offenen Fragen, die wir in gründlicher Ausschußberatung diskutieren müssen. Selbst diejenigen von Ihnen, die den Verträgen zuzustimmen beabsichtigen, müssen über diese Punkte Klarheit haben, damit sie wirklich wissen, was sie tun und was in Wirklichkeit an Lasten und Verpflichtungen übernommen wird.
Dann ist hier geredet worden von der faulen Zaubertrommel der Sozialdemokratischen Partei: „Alles oder nichts". Nun, wir haben nie ein Programm aufgestellt, in dem drinsteht „Alles oder nichts"; das ist einfach nicht wahr. Aber der Kanzler hat hier Verträge vorgelegt, bei denen in der Sache von uns gefordert wird, sie ganz anzunehmen oder ganz abzulehnen.
({43})
- Bitte, das ist doch in Wahrheit eine Politik des „Alles oder nichts" im Zusammenhang mit diesem Vertrag, des Ja oder Nein, während die Möglichkeit
({44})
bestanden hätte, durch eine rechtzeitige Aussprache
({45}) über die mit dem Vertrag in Zusammenhang stehenden Fragen in diesem Hause der Bundesregierung noch jene Rückendeckung und jene Ratschläge auch aus Ihren eigenen Reihen mit auf den Weg zu geben,
({46})
die sie bei den internationalen Verhandlungen hätte mit einsetzen können.
({47})
In der entscheidenden Stunde haben Sie sich diesem Begehren nach der Aussprache versagt, während das englische Parlament die Aussprache in der Woche vorher gehabt hat.
({48})
- Der 'Standort dieser Verträge in der politischen Wirklichkeit der Landschaft des Jahres 1952 ist in der Februar-Debatte nicht in der Weise abgehandelt worden, daß lannähernd zutreffende Präzisionen über die zur Entscheidung stehenden Fragen dem Hause wirklich bekannt waren; das ist ausgeschlossen.
({49})
Nein, meine Damen und Herren, „Alles oder nichts" ist keine Parole, weder für Sie noch für uns, sondern da meine ich, der Bundeskanzler hat ganz recht, wenn er sagt: eine Politik des Schrittfür-Schritt. Nur muß man eben wissen, wohin die Schritte gesetzt werden sollen, nur muß man wissen, nach welcher Seite man zu gehen wünscht. Wir stehen hier an dem Kreuzweg, an dem auf der einen Seite die Schritte zum Versuch einer friedlichen Wiederherstellung der deutschen Einheit,
({50})
zum Abbau der internationalen Spannungen führen und auf der andern Seite zu einer Verhärtung der jetzigen Spannungen in der Welt, zur Verwandlung der beiden Teile Deutschlands in Festungen der beiden Mächteblöcke, die einander waffenstarrend mit dem sehr gefährlichen Konflikts- und Explosionsstoff gegenüberstehen, der, unvermeidlich, sich in einer solchen Entwicklung bildet.
Kollege Strauß meinte, wir wollten Verhandlungen im machtleeren Raum. Das ist weder für heute noch für morgen richtig; denn einmal können Verhandlungen mit der Sowjetunion über die Wiederherstellung der deutschen Einheit weder heute, noch, wenn Sie die Verträge ratifizieren sollten, nach Abschluß der Verträge überhaupt von den Deutschen geführt werden. Wir führen ja die Verhandlungen gar nicht.
({51})
Von idenjenigen, die die Verhandlungen führen, kann kein Mensch behaupten, nämlich auf der westlichen Seite mindestens von den Amerikanern und Engländern, daß sie den Russen nackt und waffenlos zum Fraße vorgeworfen daliegen. Das ist doch auch keine zureichende Darstellung der Tatsachen
des Verhältnisses der Verhandlungspartner bei diesen Verhandlungen.
({52})
Einige Worte haben mich etwas erschreckt, und zwar das Wort von der deutschen Weltgeltung, verehrter Kollege Strauß, und die Anklänge dahin, daß es sich doch eigentlich mit Divisionen, wenn man sie erst einmal hat, in vielen Punkten leichter verhandelt. Ich meine, gerade diese beiden Punkte deuten doch auf das hin, was Sie selbst in Ihren weiteren Ausführungen ein wenig zutreffend als Kraftmeierei gebrandmarkt haben.
Dann haben Sie sich mit dem französischen Bündnis mit der Sowjetunion beschäftigt. Sie haben geglaubt, diese Frage damit abtun zu können, daß Sie gesagt haben: Ja, wollen Sie denn Krieg mit Frankreich? Das ist doch gar nicht die Frage, sondern wie sich z. B. die Französische Republik bei einem Konflikt zwischen der 'Sowjetunion und Deutschland verhält, das ist die Frage, um die es geht. Welcher Vertrag hat dann den Vorrang?
({53})
- Nein, auch dieser Punkt ist nicht im Verteidigungsvertrag geregelt; das ist offen!
({54})
- Jawohl!
Kommen wir zu einem weiteren Punkt,. den Sie scherzhaft erwähnt haben, es gebe keine vierte Dimension. Ich muß Ihnen leider widersprechen. Es ist vielleicht merkwürdig, aber ich muß Ihnen sagen, daß es seit Einstein wirklich eine vierte Dimension gibt,
({55})
und zwar die Bewegung des Raumes in der Zeit.
Wenn Sie das nicht mitbekommen haben, dann tut
mir das leid. Aber es gibt manches in der Welt,
das sich Ihrem Zupacken, Ihrem sehr begreiflichen
Zupacken entzieht. Die Politik muß sich aber nach
allen Tatsachen und Erkenntnissen richten, auch
nach denen, die dem Kollegen Strauß nicht ganz
zugänglich sind; idas ist nun einmal nicht anders.
({56})
Nun stehen noch ein paar Fragen an, zu denen wir, glaube ich, auch noch keine zutreffende Auskunft bekommen haben. Es ist eine geschichtliche Erfahrung, daß jedes Wettrüsten bisher in der Welt an einen Punkt geführt hat, bei dem die Explosion nahezu unvermeidlich wurde.
({57})
- Darauf komme ich noch zu sprechen. Ich frage: Wie stark muß man eigentlich werden - und meinen Sie wirklich, daß die andere Seite nicht auch Bemühungen unternimmt, in der gleichen Zeit stärker zu werden? -,
({58})
wie stark muß man eigentlich werden, ehe Sie
glauben, daß die Viererkonferenz einen Sinn hat?
({59})
Diese Frage bitte ich offen 'zu beantworten.. ({60})
({61})
Die Viererkonferenz hat nur einen Sinn, wenn man sie will und wenn man den Erfolg will. Dazu muß man unseren westlichen Verhandlungspartnern dann aber auch zuraten und darf ihnen nicht abraten. Dazu darf man keine Tatsachen schaffen, die durch die Eingliederung der Bundesrepublik in ein festes System der Militärbündnisse der anderen Seite das Abhalten einer solchen Konferenz nahezu interesselos machen.
Was meinen Sie denn, über was verhandelt wird, wenn wir einmal zu einer friedlichen Wiederherstellung der deutschen Einheit kommen werden und man sitzt mit dem Russen an einem Tisch? Meinen Sie, daß dann die Frage ides Austritts des bereits mitgerüsteten Deutschland aus der europäischen Verteidigungsgemeinschaft noch ernsthaft erörtert werden kann? Meinen Sie, daß man erst 40 Milliarden zum Fenster hinauswirft, um nachher zu sagen: Wir können das alles als Schrott verkaufen? Damit setzen Sie eine Entwicklung in Gang, die tatsächlich eine gewisse Eigengesetzlichkeit entfaltet.
({62})
Wo ist der Weg,
({63}) der nach Ihrer Meinung automatisch in Anwendung dieser Verträge zur Wiedervereinigung führt? Das Wort des Kollegen Lemmer von der Dynamik ist in diesem Punkt tatsächlich eine Deklamation, die in den Tatsachen keine Stütze findet.
Sie meinen, es besteht keine Hoffnung, es ist sinnlos, sich mit den Russen an einen Tisch zu setzen.
({64})
Das kann man erst wissen. wenn man es ernsthaft ergründet hat. Es gibt ein Beispiel, daß der Bundeskanzler selbst zitiert hat. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung ausgeführt, daß der Rückzug der Sowjetrussen aus Persien durch die Vereinten Nationen erzwungen worden sei. Er ist nicht erzwungen worden mit Gewalt, er ist nicht erzwungen worden durch die Einbeziehung Persiens in irgendein System der Militärallianzen, sondern er ist erzwungen worden auf dem Weg von Verhandlungen, bei denen es gelang, beide Seiten davon zu überzeugen, daß sie jede in dieser Lösung tatsächlich für die Zukunft einen eigenen Erfolg erblicken könnten. Bitte, das ist der Weg, der auch im Deutschlandfalle ernsthaft beschritten werden muß. Ich meine, wir sind das unserem Volke und dem Frieden der Welt schuldig.
({65})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Herr Abgeordneter Schmid hat in seiner gestrigen Rede gemahnt, wir sollten die Aktivität in der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands nicht den Russen überlassen, und Herr Wehner hat heute morgen ausdrücklich Zweifel daran geäußert, ob die
Bundesregierung der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands genügend Bedeutung beigelegt habe. Nun, ich möchte mir erlauben, Ihnen ein Verzeichnis der Bemühungen vorzulesen, die wir gemacht haben. Am 21. Oktober 1949 haben wir in einer Regierungserklärung erklärt, daß die Bundesrepublik verantwortlich sei für die 18 Millionen in Ostdeutschland. Am 22. März 1950 hat die Bundesregierung eine Erklärung über freie gesamtdeutsche Wahlen abgegeben. Am 26. Mai 1950 haben wir veranlaßt, daß die Alliierte Hohe Kommission an das Sowjetische Oberkommando in Deutschland ein Schreiben betreffend Wiederherstellung der deutschen Einheit gerichtet hat. Dann ist am 14. August 1950 die Regierungserklärung vom 22. März über gesamtdeutsche Wahlen hier wiederholt worden. Am selben Tage hat der Bundestag eine dahingehende Entschließung gefaßt. Diese beiden Entschließungen sind der Alliierten Hohen Kommission übermittelt worden. Am 1. Oktober 1950 habe ich eine neue Note an die Alliierte Hohe Kommission betreffend gesamtdeutsche Wahlen gerichtet. Am 9. Oktober 1950 hat die Alliierte Hohe Kommission an Herrn Tschuikow eine Note über freie gesamtdeutsche Wahlen gerichtet. Dann hat die Bundesregierung am 9. März 1951 wiederum eine Note an die Westmächte über die Hohe Kommission betreffend gesamtdeutsche Wahlen gerichtet. Am 27. September 1951 haben hier Bundesregierung und Bundestag eine Erklärung über gesamtdeutsche Wahlen abgegeben. Am 4. Oktober 1951 hat die Bundesregierung an die westalliierten Regierungen eine neue Note betreffend eine Wahluntersuchungskommission gerichtet. Dann haben wir die Schritte über die Alliierte Hohe Kommission bei der UNO getan. Alle Parteien hier im Hause - mit einer einzigen Ausnahme - haben den Erfolg, den wir damit gehabt haben, ganz außerordentlich hoch eingeschätzt. Am 6. Februar 1952 haben wir hier das Gesetz betreffend freie Wahlen beschlossen. Dieses Gesetz ist am 16. Februar an die Alliierte Hohe Kommission zwecks Weiterleitung an die Sowjetregierung übergeben worden. Wir haben, als die UNO-Kommission gewählt worden ist, hier am 21. März 1952 ein Gesetz über Erleichterung der Arbeit der UNO-Kommission beschlossen. Am 3. April 1952 haben wir von neuem hier beschlossen, bei den Besatzungsmächten auf Durchführung freier gesamtdeutscher Wahlen zu dringen.
Ich stelle das, meine Damen und Herren, gegenüber den Ausführungen, die ich eingangs erwähnte, fest. Ein Sprecher einer Fraktion dieses Hauses hat sich zu meinem sehr großen Bedauern bei einer solch wichtigen Angelegenheit darin gefallen, die Haltung der Bundesregierung gegenüber der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands anzuzweifeln. Ich stelle fest, daß wir bisher in diesen Fragen immer einträchtig gehandelt haben, daß alle unsere Forderungen an Sowjetrußland weitergegeben sind, daß aber Sowjetrußland auf keine einzige Note der drei Westalliierten überhaupt eine Antwort erteilt hat.
({0})
Herr Kollege Wehner hat heute morgen einige Sätze gesagt, die ich sehr bedauere und die besser nicht gesagt worden wären. Er hat ausgeführt, der Deutschlandvertrag mache die deutsche Politik zu einer Funktion der Besatzungsmächte. Er hat
({1})
weiter gesagt, die Alliierten bekämen durch den Deutschlandvertrag ein ausgesprochenes Vetorecht gegen die Wiedervereinigung Deutschlands.
({2})
Auf diese Weise, wie das Herr Wehner zu tun beliebt hat, macht man keine Politik,
({3})
macht man vor allem keine Außenpolitik und erwirbt man sich nicht die dringend notwendige Hilfe der Westalliierten bei der Wiedervereinigung Deutschlands, auf die wir genau so gut angewiesen sind wie auf die Sowjetunion.
({4})
Ich habe geglaubt, jeder, dem es um die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands ernst ist, könne es nur begrüßen, wenn im Deutschlandvertrag drei von den vieren, die mitwirken müssen, sich ausdrücklich verpflichten, mit uns zusammen, mit uns gemeinsam eine Politik zu führen, die die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit zum Ziel hat.
({5})
An diesen Worten kann Herr Wehner nicht vorbeigehen. Was tut er? Er hat heute wörtlich gesagt: Es kommt nicht auf die einzelnen Bestimmungen an, sondern maßgebend ist der Geist der Verträge. Meine Damen und Herren, ich protestiere in sehr nachdrücklicher Weise in diesem Hause und vor der gesamten Öffentlichkeit dagegen, daß bei der Beratung eines solchen Vertrags,
({6})
der für uns von solcher Bedeutung ist, ein Mitglied dieses Hauses ein solches Mißtrauen gegenüber den drei Vertragspartnern, mit denen wir zusammen die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit herbeiführen müssen, ausspricht.
({7})
Ich möchte an Herrn Kollegen Wehner die Frage richten: Was ist denn nach seiner Meinung der Geist der Verträge?
({8}) Das soll er dann mal hier ausführen.
Der Deutschlandvertrag - das möchte ich hier gegenüber der Behauptung, daß unsere Außenpolitik nur eine Funktion der Politik der drei Alliierten würde, ausdrücklich sagen - gibt, wenn er in Kraft getreten ist, der Bundesrepublik jeden Tag und jede Stunde das Recht, bei den drei Westalliierten zu verlangen, daß Schritte unternommen werden, um die Wiedervereinigung herbeizuführen.
({9})
Meine Damen und Herren, der Kollege Wehner hat heute morgen ebenfalls die Behauptung aufgestellt, die Bundesregierung habe nichts gegen die Sperrung der Zonengrenze getan. Woher weiß das denn Herr Wehner? Ich könnte ihm eine auf unsere Veranlassung an Herrn Tschuikow gerichtete sehr ernste Note über diese Frage vorlegen. Also, man soll nicht solche Behauptungen aufstellen - ({10})
- Ich habe mir diese Äußerungen des Herrn Kollegen Wehner wörtlich aufgeschrieben. Die Stenographen werden ja auch aufgeschrieben haben.
({11})
Außerdem, meine Damen und Herren, ist doch diese ganze Rede aufs Band gegangen.
({12})
Herr Wehner hat dann weiter heute morgen ausgeführt, ich hätte es mir angelegen sein lassen, in die Antwortnote, die um diese Stunde schon in Moskau überreicht ist, hemmende Faktoren einzubauen. Woher weiß das denn eigentlich Herr Wehner?
({13})
Die Note wird heute abend der Öffentlichkeit übergeben werden. Dann können Sie ja doch die Note mal lesen, Sie werden dann daraus ersehen, daß, und zwar durchaus mit meinem Einverständnis, der sozialdemokratische Antrag auf eine ViermächteKonferenz schon überholt ist.
({14})
Aber Sie werden's ja heute abend lesen.
({15})
- Meine Dame und Herren, Sie haben mir auch nicht mitgeteilt, N, -s Sie den Herren von der Labour Party bei Ihrem Besuch gesagt haben,
({16}) aber ich habe es über London gehört.
({17})
Für eines bekenne ich mich schuldig, und dafür übernehme ich die Verantwortung: Ich habe gebeten, daß man in diese Antwortnote den Begriff „freie Wahlen" so aufnehmen möchte, wie Herr Kollege Wehner ihn von diesem Platze aus aufgestellt hat.
({18})
Ich nehme an, daß das doch Ihren Beifall finden wird.
({19})
Leider muß ich mich noch mit den Ausführungen des Herrn Kollegen Erler befassen. Ich bedaure einen großen Teil seiner Ausführungen.
({20})
- Sie bedauern ja doch auch meine Ausführungen, dann darf ich doch wohl auch Ihre bedauern.
({21})
Sehen Sie, meine Damen und Herren, ich halte es nicht für opportun, namentlich im gegenwärtigen Augenblick nicht für opportun, wo wir nach meinem Glauben zu einer Viererkonferenz kommen werden, davon zu sprechen, daß wir durch die Ge({22})
nehmigung dieser Verträge Sowjetrußland zwängen, in die Knie zu gehen. Das ist kein guter Ausdruck.
({23})
Ebensowenig halte ich es für klug und richtig, daß
in einem Augenblick, wo es nach aller Wahrscheinlichkeit zu einer Viermächtekonferenz kommt, von
dem Vertreter einer so großen Fraktion hier davon
gesprochen wird, die Genehmigung dieser Verträge verlange von den Russen eine Kapitulation.
({24})
Das ist ein sehr verhängnisvolles Wort, das die Atmosphäre außerordentlich stört.
({25})
Ebenso, meine Damen und Herren, halte ich es für keinen richtigen Sprachgebrauch, wenn man davon spricht, daß man Sowjetrußland einen angemessenen Preis zahlen müsse.
({26}) Sowjetrußland hat in der Sowjetzone nicht mehr Rechte als irgendeine andere Besatzungsmacht in
ihrer Zone.
({27})
Wenn man nun, wie ich hoffe, am Beginn einer
Reihe von Konferenzen steht, die die Wiedervereinigung Deutschlands und damit eine allgemeine
Entspannung herbeiführen soll, dann halte ich es
nicht für gut, wenn man fragt: Welch angemessenen Preis hat man denn Sowjetrußland dafür zu bieten, daß es der Sowjetzone das wiedergibt, was es ihr genommen hat?
({28})
Ich halte es auch nicht für gut, daß man davon spricht, wir zögen die Rüstungsschraube an, um dadurch Verhandlungen zu vereiteln. Nein, meine Damen und Herren, so spricht man wirklich nicht, wenn außenpolitische Verhandlungen bevorstehen. Ich bin der Auffassung, daß alle diese Äußerungen in keiner Weise angetan sind, die Verhandlungen mit Sowjetrußland über das von uns erstrebte Ziel zu erleichtern.
({29})
Herr Kollege Erler scheint auch den Art. 7 des Deutschland-Vertrages gar nicht gelesen zu haben.
({30})
- Ich nenne ihn Deutschland-Vertrag, und ich wäre Ihnen sehr dankbar, meine Damen und Herren, wenn Sie den Ausdruck „Generalvertrag" wegließen und den Vertrag auch „Deutschland-Vertrag" nennten.
({31})
- Ja, darauf wäre ich sehr stolz!
({32})
Nun die merkwürdigen Widersprüche in den Ausführungen des Herrn Kollegen Erler! Einmal führt er aus, daß 12 Divisionen doch viel zu wenig seien gegenüber der Macht Rußlands, und auf der anderen Seite führt er aus, daß wir dadurch die
Russen vor den Kopf stießen und zur Kapitulation zwängen.
({33})
- Ja, meine Damen und Herren, ich bin sehr froh, daß das deutsche Volk mich hört!
({34})
Ich bin wirklich sehr froh darüber,
({35})
und ich weiß ganz genau - ich habe es schon gestern gesagt -, wo die Mehrheit des deutschen Volkes steht.
({36})
- Meine Damen und Herren, fragen Sie doch mal den kleinen Kreis Ihrer Herren, die mit den Herren aus London gesprochen haben, was sie diesen gesagt haben. Aber ich bin zur Diskretion verpflichtet, ich kann es nicht sagen.
({37})
Jedenfalls, eine so vollständige Verkennung des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, wie sie aus den Worten des Herrn Kollegen Erler klang, ist wirklich außerordentlich bedauerlich.
Ich habe mir erlaubt, immer und überall, auch gestern, zu sagen: der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft hat ja gar nicht den Hauptzweck, geschweige denn den einzigen Zweck, gegen Sowjetrußland eine Barriere zu bilden. Der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft hat in allererster Linie der. Zweck, dafür zu sorgen, daß kein Krieg mehr unter europäischen Völkern entsteht.
({38})
Ich darf Ihnen folgendes sagen, und das wird Sie vielleicht überzeugen: Auf einer Konferenz der sechs Außenminister der EVG-Länder war ein starker Gegensatz zwischen den Außenministern über die Dauer des Vertrages. Herr Schuman hat damals folgendes ausgeführt: „Wenn wir diesen Vertrag, so wie das von einem Teilnehmer verlangt wurde, nur auf zwanzig Jahre schließen, dann erreichen wir nicht das, was wir wollen. Denn in zwanzig Jahren wird eine Generation da sein, die den Schrecken des Krieges nicht mehr kennen gelernt hat, und auf der anderen Seite ist dann die Gemeinschaft noch nicht so zusammengewachsen, daß sie die Gegensätze. die nun einmal vorhanden sind, überwunden hat!" Das war die Begründung Schumans für eine Vertragsdauer von 50 Jahren. Wir haben uns seiner Ansicht angeschlossen. Wir hofften, daß nach 50 Jahren die Völker, die in dieser Gemeinschaft vereint sind, so zusammengewachsen sind, daß an einen Krieg zwischen ihnen nicht mehr zu denken ist.
Sie haben die politische Zusammenfassung vermißt. Ich will Ihnen dazu folgendes sagen. Die politische Zusammenfassung kommt, es wird auf der nächsten Außenministerkonferenz in Paris, die im letzten Drittel dieses Monats stattfindet, der Anfang der Beratung darüber schon gemacht werden, mit ganz präzisen Vorschlägen. Ich hoffe, daß, wenn wir soweit sind, Sie dann zustimmen werden.
({39})
Herr Kollege Erler hat noch etwas gesagt, das geeignet ist, in der großen Öffentlichkeit Aufsehen und Erbitterung zu erregen. Er hat gesagt: „Für Rüstungszwecke ist immer Geld da".
({40})
Nun warten Sie doch mal ab; ich bin ja noch nicht fertig. Er hat aber dabei nicht beachtet, daß wir ungefähr denselben Betrag jetzt schon für Besatzungszwecke auszugeben gezwungen sind;
({41})
wenn er über die finanzielle Lage und über die finanzielle Belastung durch den Vertrag spricht, dann mußte das, was gestern Herr Schäffer ausführlich hierüber gesagt hat, mit angeführt werden.
({42})
Meine Damen und Herren, eines muß ich nach der zweitägigen Verhandlung feststellen - ich kann nur sagen, daß mich diese Feststellung in meiner Überzeugung stärkt, daß wir den richtigen Weg gehen -: Keiner der Herren von der Opposition hat einen anderen Weg gezeigt!
({43})
Ich glaube, das kann man dem deutschen Volke nicht oft genug sagen, daß nur kritisiert worden ist, aber nicht ein anderer Weg, der auch nur die Aussicht bietet, zu dem gemeinsam von uns gewünschten Ziele zu kommen, hier aufgezeigt wurde.
({44})
Das einzige, was gesagt worden ist,
({45})
- warten Sie doch mal ab! -, ist, man solle neu verhandeln. Darin steckt doch zunächst folgendes: man glaubt also doch, daß man zu dem Ziele nur durch Verhandlungen mit den Westalliierten kommt.
({46})
- Da sind wir uns ja schon ein großes Stück nähergekommen!
({47})
Ich möchte mich jetzt auch zu anderen Kritiken wenden, die gestern und heute an dem Vertragswerk ausgesprochen worden sind. Ich war der erste
- weil ich ja auch zuerst das Wort nahm -, der erklärte, mancher Artikel in diesem Vertragswerk hätte, wenn es nach mir gegangen und wenn ich damit durchgekommen wäre, einen anderen Inhalt bekommen. Bitte, meine Damen und Herren, überlegen Sie doch einmal, ohne daß wir uns dabei ereifern und an die Köpfe kommen - dann und wann ist das ja ganz gut, aber man braucht es nicht ständig zu tun -,
({48})
bitte, überlegen Sie doch auch einmal folgendes: Alle diese Verträge sind Ergebnisse von Kompromissen zwischen vier oder sechs Verhandelnden. Bedenken Sie doch bitte, daß auch von den andern viel verlangt worden ist. Nehmen Sie z. B. den Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Ich stehe nicht an, zu erklären, daß ich es als ein Opfer ansehe, das z. B. Frankreich bringt,
wenn es im höheren Interesse auf seine nationale Armee Verzicht leistet.
({49})
- Doch, es tut es wohl, meine Damen und Herren!
({50})
- Dann muß ich auch darauf eingehen. Frankreich erhält das Recht, Truppen in seinen überseeischen Besitzungen zu halten. Ich kann Ihnen sagen: mit Freuden wäre man bereit gewesen, der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft auch diese Aufgabe zu übertragen. Wären Sie dann bereit gewesen, einzuwilligen, daß unsere deutschen Leute nach Indochina hätten gehen müssen?!
({51})
Ich darf nochmals sagen: Wenn man die ganzen Vertragswerke leidenschaftslos und ruhig überprüft, dann muß man sich doch immer vor Augen halten: es handelt sich um Kompromisse. Wenn man neu verhandeln würde, würde man ebenfalls wieder nur auf dem Kompromißwege weiterkommen können. Wenn Sie - das werden Sie ja tun - die französische Presse verfolgen, dann werden Sie sehen - es ist ein schwacher, aber ein gewisser Trost für mich -, daß Herr Schuman noch mehr angegriffen wird als ich, weil er uns bei diesen Kompromissen viel zu weit entgegengekommen sei. Ich denke mir also, die Wahrheit liegt in der Mitte. Dort wird geschimpft, bei uns wird geschimpft - es ist nicht so tragisch, meine Damen und Herren!
({52})
Das muß mal kommen, das muß eben ertragen werden. Man muß sich einmal aussprechen, dann wird man in den Ausschüssen weitere Aufklärungen geben. Ich für meine Person, der ich doch vielen Verhandlungen beigewohnt habe - Sie wissen, daß die Verhandlungen sogar bis zu 18 Stunden hintereinander gedauert haben -, kann nur sagen, daß ich glaube, wir haben alles herausgeholt, was herauszuholen war. Natürlich kann ich Ihnen das nicht beweisen, meine Damen und Herren. Wer wollte das aber auch beweisen! Einer von den Herren der sozialdemokratischen Fraktion hat gesagt: Wer sagt uns denn, daß die Bundesregierung das Maximum herausgeholt hat. - Wie will man das denn überhaupt klar entscheiden! Ich fühle mich verpflichtet, Ihnen zu sagen, daß wir allen unseren Mitarbeitern bei diesem Werk aufrichtigen und herzlichen Dank schulden. Wenn Sie wüßten, mit welcher Hingabe gearbeitet worden ist, mit welcher Zähigkeit gekämpft und gerungen worden ist, dann würden Sie wahrscheinlich auch Ihre Anerkennung nicht versagen.
({53})
Ich möchte zwei Namen nennen - aber die anderen gehören alle dazu -, der eine ist Staatssekretär Hallstein und der andere ist Herr Blank,
({54})
die wirklich Hervorragendes geleistet haben. ({55})
Meine Damen und Herren, mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten möchte ich aus einem Aufsatz,
({56})
der in der Zeitschrift für internationale Fragen „Außenpolitik" erschienen ist, geschrieben von Prof. Grewe, der sich auch an den Verhandlungen hervorragend beteiligt hat - ich habe den Aufsatz eben erst bekommen -, Ihnen folgendes vorlesen, damit Sie die ganze Problematik erkennen:
Eine sehr einfache und überzeugende Lösung der zu bewältigenden Aufgaben schien sich anzubieten:
- das Angebot habe ich gemacht Aufhebung des Besatzungsstatuts und vollständige Freigabe der Souveränität der Bundesrepublik, vertragliche Einräumung ' eines Truppenstationierungsrechtes an Großbritannien und die Vereinigten Staaten unter Gewährung der im NATO-Truppenstatut vorgesehenen Rechte an die britischen und amerikanischen Streitkräfte, Stationierung französischer Truppen auf der Grundlage und im Rahmen der Vorschriften des Vertrags über die Gründung der EVG... Leider hatte auch eine Lösung auf dieser Linie keine reale Verwirklichungschance, denn eine solche Lösung hätte die Zerstörung der interalliierten Vereinbarungen von 1945 bedeutet. Die drei Westalliierten haben aber keinen Augenblick einen Zweifel daran gelassen, daß eine Lösung mit dieser Folge für sie nicht in Frage kam. Geht man den Motiven dieses Entschlusses nach, so wird man sie auch vom Standpunkt der deutschen Interessen aus anerkennen und billigen müssen. Damit muß man aber auch ihren Konsequenzen zustimmen. Die Grundkonzeption, auf der sich der ganze Deutschlandvertrag mitsamt seinen Zusatzverträgen aufbaut, beruht auf der Erkenntnis der Übereinstimmung der alliierten und der deutschen Interessen in diesem Punkte, Die durch die Teilung Deutschlands herbeigeführte eigentümliche Lage bringt es mit sich, daß gerade die Löschung jener letzten Hypotheken, die auf der deutschen Souveränität lasten, d. h. die vollständige Beseitigung der Viermächtevereinbarungen von 1945, zugleich die letzten Klammern gefährden würde, die Deutschland heute noch zusammenhalten.
({57})
Überlegen Sie sich doch das einmal in aller Ruhe. Wir hätten um den Verzicht auf die Wiedervereinigung Deutschlands wahrscheinlich die vollen Souveränitätsrechte ohne Vorbehaltsrechte bekommen können,
({58})
aber damit hätten wir, das schreibt Herr Grewe ganz richtig, die letzten Klammern gelöst, die jetzt noch die beiden Teile Deutschlands zusammenhalten.
({59})
Das, meine Damen und Herren, wollen weder wir noch Sie! Wenn an meiner Stelle ein sozialdemokratischer Bundeskanzler gestanden hätte, hätte er genau das tun müssen, was ich getan habe.
({60})
Lassen Sie mich ein letztes Wort noch sagen. Verträge allein schaffen noch kein Vertrauen unter den Vertragschließenden. Gemeinsame Arbeit, Sichkennenlernen, das schafft Vertrauen. Es wird - es ist schon von einem Redner gesagt worden natürlich absolut darauf ankommen, in welchem Geiste die Verträge ausgeführt werden. ({61})
Diesen Geist müssen wir Deutsche mitschaffen helfen. Sicher müssen es auch die anderen mittun, aber wir müssen dabei helfen. Wenn wir von vornherein an das ganze Vertragswerk mit diesem inneren Gegensatz, mit dieser Opposition, mit diesem Mißtrauen gegenüber den anderen Vertragspartnern herangehen - Sie wissen doch alle, daß man einen Menschen nur dann gewinnen kann, wenn man ihm Vertrauen zeigt; aber ich gewinne ihn niemals, wenn ich ihm nur mit Mißtrauen gegenübertrete.
So werden wir Deutsche, wenn die Verträge Recht geworden sind, an die gemeinsame Arbeit mit den Westalliierten herantreten müssen in der Hoffnung, daß die Vertragspartner Vertrauen zu- einander bekommen. Ich bin - das möchte ich nochmals wiederholen - der Auffassung, daß wir der Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden ein ganz großes Stück nähergekommen sind.
Ich wiederhole: Auch hier hat keiner der Oppositionsredner einen näheren und besseren Weg gezeigt als den Weg der Verhandlungen. Von Herrn Erler ist gesagt worden: Wettrüsten, das schafft Krieg oder die Gefahr des Krieges; ich weiß den Wortlaut nicht mehr genau. Ich darf Sie nochmals darauf hinweisen, welche Beispiele ich gestern hier genannt habe. Hätten die anderen, als Hitler auf tete, sich auch stark gemacht, würde Hitler niemals gewagt haben, zum Krieg zu schreiten.
({62}) - Ach nein, sie waren j a gar nicht stark.
Ich wiederhole auch das zweite Beispiel. Sowjetrußland würde niemals entgegen den zusammen mit den Alliierten geschlossenen Friedensverträgen die Oststaaten zu Satellitenstaaten gemacht haben, wenn es nicht gewußt hätte, den andern in der militärischen Stärke so überlegen zu sein, daß sie ihm nicht in den Arm fallen konnten. Und das ist es doch, was unsere Politik bezweckt. Ich bin doch bei Gott kein Militarist - das kann ich Ihnen wirklich versichern -,
({63})
und ich will auch wahrhaftig keinen Krieg. Das Ziel meiner ganzen Arbeit ist doch nur das eine: dem deutschen Volk und Europa den Frieden wirklich zu schaffen.
({64})
Lassen Sie mich noch das Wort hinzufügen: Ich möchte auch den Frieden mit Sowjetrußland haben. Aber Sowjetrußland soll - und das wünschen wir von ihm - die 18 Millionen Deutschen, die es jetzt so in der Faust hält, freigeben.
({65})
Das ist das Verlangen, das wir an Sowjetrußland stellen; nichts anderes. Wir, dieses relativ kleine Deutschland, können das starke Rußland nicht mit Krieg überziehen, und Säbelrasseln wäre von uns geradezu blödsinnig. Das ist doch so klar, daß man kein Wort darüber zu sagen braucht.
({66})
Ich wiederhole noch einmal, was ich auch schon gesagt habe, und Nachrichten, die ich heute morgen während der Sitzung bekommen habe, haben es mir wieder bestätigt: Unsere Menschen in der Ostzone sehen heute auf uns, und sie warten darauf, daß wir auf unserem Weg so schnell fortschrei({67})
ten wie irgend möglich, weil wir ihre einzige Hoffnung sind.
({68})
Das Wort hat der Abgeordnete Fröhlich.
Fröhlich ({0}): Herr Präsiden! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens des Blocks der Heimatvertriebenen und der Entrechteten habe ich folgende Erklärung zum Generalvertrag und zum Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft abzugeben.
Der BHE ist nicht gegen die Tendenz der Verträge, die Bundesrepublik als Partner in den Kreis der freien Nationen Europas einzugliedern. Die Voraussetzung hierfür ist jedoch die uneingeschränkte Gleichberechtigung nach innen und nach außen. Die Vertragswerke tragen diesen Forderungen aber nicht Rechnung. Sie werden noch in starkem Maße von dem Geist des Besatzungsstatuts beherrscht, der im besonderen Ausdruck findet in
erstens der Notstandsklausel im Art. 5, die sich nicht nur auf die Bundesrepublik, sondern auf alle Vertragspartner beziehen sollte; denn die Gefahr innerer Unruhen besteht auch und viel mehr bei anderen Partnern dieser Verträge als bei der Bundesrepublik;
zweitens in der Bindungsklausel im Art. 7, die eine Wiedervereinigung Deutschlands von der Zustimmung aller Vertragspartner abhängig macht, jedem von ihnen also ein Vetorecht zubilligt und dadurch deutschen Bestrebungen im Sinne einer Wiedervereinigung jede Selbständigkeit nimmt;
drittens in dem Verzicht auf das deutsche Auslandsvermögen in einem Gesamtwert von 20 bis 25 Milliarden DM, eine Forderung, die, da auch das Vermögen im neutralen Ausland betroffen ist, weit über die Bestimmungen des Versailler Vertrages hinausgeht;
viertens in den Reparationen und Restitutionen, aus deren Regelung eindeutig der Grundsatz zu erkennen ist, daß Unrecht nur von Deutschen, nicht aber von Alliierten begangen worden sein kann;
fünftens in der unbefriedigenden Lösung des sogenannten Kriegsverbrecherproblems und
sechstens in den 'Bestimmungen über die Dekartellierung und Entflechtung, die die völlig unnötige, mit dem Charakter des Vertrages unvereinbare Einmischung in innerdeutsche Verhältnisse bedeutet.
Der BHE ist davon überzeugt, daß der unangemessen hohe finanzielle Beitrag der Bundesrepublik die für einen echten Verteidigungswillen notwendige soziale Befriedung hemmend beeinflussen muß. Wirtschaftliche Schwierigkeiten und ein sozialer Niedergang werden die unausbleibliche Folge sein und den inneren und äußeren Feinden der Bundesrepublik und ihrer demokratischen Ordnung überzeugendes Material in die Hand geben, um unseren jungen Staat von innen und außen in verstärktem Maße auszuhöhlen. Der BHE will keinem Vertrag seine Zustimmung geben, von dem er überzeugt ist, daß er auf die Dauer nicht gehalten werden kann. Er hält es für richtiger, vor der Ratifikation offen und ehrlich die notwendigen und bei gutem Willen erfüllbaren Forderungen auf eine Revision anzumelden.
Der BITE begrüßt Viermächte-Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit mit dem Ziel, im Interesse des gesamten deutschen Volkes und der freiheitliebenden Völker Europas zu klären, wer die deutsche Wiedervereinigung will und wer sie zu verhindern sucht.
Der BHE erkennt dankbar an, daß sich die Vereinigten Staaten von Nordamerika bei der Beratung des Vertragswerks in hohem Maße für die Gleichberechtigung und Souveränität verwendet haben. Ihre ernsthaften Bemühungen sind jedoch im besonderen an den Hemmungen der französischen, Verhandlungspartner gescheitert. Der BHE hat Verständnis für die im französischen Volke noch bestehenden Bedenken gegenüber der politischen Aufrichtigkeit und dem ehrlichen Willen aller Deutschen für eine dauernde Freundschaft mit ihrem französischen Nachbarn. Er glaubt aber, daß sich angesichts der Bedrohung der noch freien Völker des Westens das französische Volk und seine politische Führung überzeugen sollten, daß es für Frankreich, für Deutschland und für das gesamte freie Europa ein Unglück wäre, wenn durch mangelndes gegenseitiges Vertrauen neue nationalistische Bestrebungen in beiden Ländern genährt würden, die eine Vereinigung der europäischen Völkerfamilie verhindern könnten.
({1})
Im übrigen stellt der BHE fest, daß es den deutschen Verhandlungspartnern nicht gelungen ist, die der Bundesrepublik in dem Washingtoner Abkommen zugesicherte völlige Gleichberechtigung durchzusetzen. Die Ursachen hierfür müssen, wenn sie nicht auf mangelnde Gründlichkeit, Zielstrebigkeit und Beharrlichkeit der Verhandlungen von deutscher Seite zurückzuführen sein sollten, sorgfältig geprüft werden.
({2})
Der BHE wird sich nicht in der Lage sehen, dem Vertragswerk in der jetzigen Fassung zuzustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wessel.
Meine Herren und Damen! Frau Kollegin Rehling hatte die Freundlichkeit, vornehmlich mich in ihrer Rede zu erwähnen. Ich habe es eigentlich nicht nötig, für meine Versammlungen und die der Notgemeinschaft
({0})
die Empfehlung des Bundestags durch Frau Rehling zu bekommen; denn die Versammlungsteilnehmer kommen auch ohne diese Empfehlung dorthin.
({1})
Mir scheint es aber doch notwendig zu sein, zu den Ausführungen von Frau Rehling, die mir nun aus dem Stenogramm vorliegen, einige Dinge richtigzustellen. Das, was ich in meinen Versammlungen draußen sage, sage ich auch hier im Bundestag. Ich glaube, ich habe es gar nicht nötig, über diese meine politische Linie, der ja von Ihnen sehr oft widersprochen worden ist, noch etwas auszuführen. Es hat sich aber wohl aus der politischen Entwicklung erwiesen, daß so manches sich als richtiger gezeigt hat als dasjenige, was vor einem
({2})
halben Jahre hier noch von ihrer Seite gesprochen worden ist.
Von Frau Rehling ist eine Versammlung erwähnt worden, die hier in Bonn am Himmelfahrtstag stattgefunden hat. Ich möchte einmal in aller Öffentlichkeit feststellen, daß auf dieser Versammlung nur christliche Frauen gesprochen haben, unter anderen die Vikarin Küppers, die ja Frau Rehling näher bekannt sein müßte als mir. Frau Thiele ist nicht unter den Rednern gewesen; ich weiß nicht einmal, ob Frau Thiele dort gewesen ist.
({3})
Es ist doch einmal zu sagen, daß man hier nicht einfach lose Behauptungen aufstellen kann, die nicht zu beweisen sind.
({4})
Es wird dann davon gesprochen, ich oder andere Leute der Notgemeinschaft wären ,,kommunistisch ferngesteuert". Meine Herren und Damen. Herr Dr. Heinemann und ich haben es sich jetzt vorgenommen - und wir haben es ,bereits getan jeder dieser Bemerkungen auch gerichtlich nachzugehen. Da läßt sich immer feststellen, daß man dann nicht zu seinem Worte steht und daß man es ganz anders gemeint hat.
({5})
Ich möchte nur wünschen und ich fordere auch die Mitglieder dieses Bundestags, die solche Bemerkungen machen, auf, dies in einer öffentlichen Versammlung und nicht im Schutz der Immunität dieses Hauses zu tun, damit sie den Beweis erbringen müssen.
({6})
- Ich rege mich gar nicht auf, Herr Kollege; aber
diese Methoden, die Sie sich zu erlauben belieben,
scheinen mir alles andere als anständig zu sein! ({7})
Es ließe sich ja dann durchaus nachweisen, inwieweit wir „ferngesteuert" sind, und ich möchte sehr gern einen solchen Termin einmal erleben, damit Sie auch für diese Behauptungen, die Sie so leichtfertig ausstreuen, den Beweis antreten müssen. Es gibt auch für Sie ein achtes Gebot: Man soll nicht ein falsches Zeugnis ablegen!
({8}) Das gilt auch für uns in diesem Hause.
Aber ich möchte mich jetzt noch einmal zu einigen anderen Bemerkungen äußern. Es ist gesagt worden, daß im Grunde genommen die Frauen ja ganz anders denken als diejenigen, die davon sprechen, daß es zu einer Verständigung und zum Frieden kommen muß. Meine Damen und Herren, das Wort „Frieden" - das gebe ich Ihnen zu - ist sehr viel mißbraucht worden. Aber immerhin ist es doch ganz interessant, daß nach der letzten Untersuchung des EMNID-Instituts in Bielefeld - ich habe die Zahl nicht ganz genau in Erinnerung, aber doch ungefähr - weniger als 20 % der befragten Frauen sich noch im Mai 1952 für eine Wiederaufrüstung ausgesprochen haben. Dazu braucht man keine kommunistisch ferngesteuerten Versammlungen abzuhalten, um zu wissen, wie die tatsächliche Meinung draußen im Volk ist.
({9})
Frau Rehling hat mir empfohlen, doch auch einmal in der Ostzone zu sprechen. Meine Damen und Herren, wir hätten vielleicht alle die Verantwortung, gerade den Menschen in der Ostzone in ihrer gegenwärtigen Situation ein Wort zu sagen, und ich möchte hier an Ausführungen von Karl Barth erinnern, der ja Frau Rehling nähersteht als mir. Er hat davon gesprochen, daß gerade in einer Zeit, in der die Menschen in der Ostzone im Kollektiv und im Fernsein von Gott stehen, die Kirchen und die Menschen, die sich zu ihm bekennen, eine ganz besondere Aufgabe zu erfüllen haben. Aber stellen Sie sich doch einmal vor, ich würde eine Versammlung in der Ostzone abhalten. Dann wäre ich schon „hundertfünfzigprozentig kommunistisch"!
({10})
Das ist ja die Methode heute bei uns, daß man von vornherein etwas unterstellt, was aus ganz anderen Motiven hervorgeht. Ich habe am vergangenen Sonntag immerhin in West-Berlin eine Rede gehalten und habe dort das ausgesprochen, was in der gegenwärtigen Zeit auszusprechen notwendig ist. Ich werde mir erlauben, nicht nur Frau Rehling, sondern auch den anderen Kollegen und Kolleginnen dieses Hauses diese Rede demnächst im Wortlaut vorzulegen, und dann können Sie ja einmal selbst feststellen, wieweit ich in Wirklichkeit „kommunistisch ferngesteuert" bin.
({11})
- Das ist ja die Methode, Frau Rehling!
({12})
Das kennen wir ja aus Ihren Versammlungen, aus denen berichtet worden ist.
({13})
Man sagt das nicht, aber die Zuhörer müssen den
Eindruck haben, daß die Angegriffenen es wären.
({14})
Das bewegt sich immer so an der Grenze dessen, daß die Zuhörer annehmen können, es wäre doch der Fall.
Meine Damen und Herren, wenn wir nicht mehr die Möglichkeit haben können, auch andere Auffassungen von der Politik des Herrn Bundeskanzlers zu haben, ist es schlimm um die Demokratie bestellt. Herr Kollege Dr. Friedensburg, der in der Versammlung am Sonntag in Berlin anwesend war, wird kein Wort gefunden haben - und Sie werden es in meiner Rede auch nicht finden können -, mit dem ich polemisch irgendwie gegen diese Politik etwas gesagt oder dem Herrn Bundeskanzler Motive unterschoben hätte, die vielleicht im Jargon der Ostzone beliebt sind. Aber man kann doch dieser Politik gegenüber auch noch eine andere Auffassung haben, nämlich die, daß ich daran glaube, daß mit Machtpolitik diese Welt nicht wieder in Ordnung zu bringen ist,
({15}) sondern daß gerade die Menschen, die vom christlichen Standpunkt aus diese Welt in Ordnung bringen wollen,
({16})
die Persönlichkeit des Menschen und den Glauben an den Geist und seine Wirkung höher einschätzen sollten als Atombomben und Panzer.
({17})
({18})
Es muß doch möglich sein, auch gegenüber der Auffassung, von der aus jetzt die Integration Europas vorgenommen wird und von der ich persönlich der Überzeugung bin, daß die vorliegenden Verträge uns in eine falsche Sicherheit bringen - ich möchte da nur an die Ausführungen erinnern, die noch in diesen Tagen von dem Expräsidenten Hoover in Amerika gemacht worden sind -, gerade den Menschen, die einen andern Standpunkt vertreten, Gelegenheit zu geben, die Frage aufzuwerfen, wieweit denn diese Verträge wirklich eine echte Integration Europas vornehmen. Ich glaube, gerade von dem Menschen, dem es darauf ankommt, ein echtes, freies und vom Persönlichkeitswert getragenes Europa zu schaffen, der sich als Ziel auch die Neuordnung der Gesellschaft und der sozialen Frage gestellt hat, der ein Europa will, das seine politische Einigung als das Entscheidende im Kampfe gegen den Kommunismus sieht, kann man nicht einfach behaupten, daß er damit die Geschäfte der Kommunisten besorge. Das ist doch wohl das Entscheidende, worin wir uns alle begegnen sollten: auch von der Politik anders denkender Menschen immer anzunehmen, daß sie aus dem gemeinsamen deutschen Willen gestaltet wird.
Ich kann, weil ich nicht so viel Zeit zur Verfügung habe, nicht im einzelnen auf die Frage eingehen, weshalb man seine Einwendungen zu den Verträgen haben kann. Ich möchte aber mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur drei ausländische Stimmen erwähnen, die in der „Rhein-Zeitung" am 30. Mai 1952 gestanden haben. Da schrieb die englische Zeitung „Daily Mail", die immerhin unabhängig-konservativ ist:
Weil der Bonner Vertrag unsere schönsten Hoffnungen vernichtet, ist er eine schlechte Lösung. Es liegt in der Natur der Dinge, daß dieses Abkommen nicht von Dauer sein kann. Die internationalen Spannungen wird es weder lockern noch lösen.
Und die Schweizer Zeitung „Die Tat", die man als ein liberales Blatt bezeichnet, schrieb unter Anspielung auf ein Schauspiel von Ibsen unter der Überschrift „Gespenstersonate":
Das Wort drängt sich wieder und wieder auf, wenn man beobachtet, wie die Staatsmänner des heutigen Rumpfeuropa mit den unsichtbaren Kräften ringen, die sich ungeladen mit ihnen zu Tisch gesetzt haben, wie unter ihren eigenen durchsichtigen Überwürfen die nationalen alten Farben durchschlagen. Selbst die Federn, mit denen die Bonner Konvention unterschrieben wurde, drückten es aus, daß keine einheitliche Konzeption hinter dem begonnenen Werk steht.
Als letzte die französische Zeitung „Le Monde": Mit dem heutigen Tag beschreiten wir einen gefährlichen Weg. Die Wiederbewaffnung Deutschlands im Rahmen der Europa-Armee stellt zweifellos nicht die beste Lösung dar. Es ist Sache der Diplomaten, herauszufinden, ob sich die beiden Lager über das künftige Schicksal Deutschlands - mit oder ohne Armee - einigen können, bevor sich der Rhythmus der gegenseitigen Überbietungen immer mehr beschleunigt.
Meine Redezeit ist zu Ende. Auch ich möchte wie Frau Rehling mit einem historischen Zitat schließen, und zwar mit dem von Schiller über die Möglichkeiten einer früheren Beendigung des Dreißigjährigen Krieges. Er schrieb:
Der große Zeitpunkt fand nur mittelmäßige Geister auf der Bühne.
({19})
Ungenutzt blieb der entscheidende Moment, weil es den Mächtigen an Einsicht und den Mutigen an Macht fehlte.
({20})
Das Wort hat de; Abgeordnete Goetzendorff.
Goetzendorff ({0}) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als unabhängigem Abgeordneten sind mir nur wenige Minuten zugebilligt. Ich werde schon aus Gründen der Zeit kaum der Versuchung erliegen, die Gnade des Himmels oder den Segen des Herrgotts anzurufen, wie dies gestern und heute so oft geschah.
({1})
Ich habe auch nicht die Zeit, mich mit den Einzelheiten des Vertrags auseinanderzusetzen, beispielsweise mit dem Raub der Alliierten am deutschen Auslandsvermögen, der durch diese Verträge sanktioniert wird, mit der Ungeheuerlichkeit, daß uns zugemutet wird, trotz Inkrafttretens dieser Verträge noch deutsche Soldaten hinter alliierten Gefängnismauern zu wissen.
Was mich bewegt, ist die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen wir wieder marschieren müssen. Der Herr Bundeskanzler hat erklärt, durch die dem Hohen Hause vorliegenden Verträge würden wir Deutsche künftig nicht nur Objekt sein, sondern wir würden auch gegebenenfalls mithandeln können. Handeln kann aber einmal heißen: marschieren. Marschieren irgendwann, irgendwo, irgendwohin, bis zu einem mutmaßlichen bitteren Ende.
({2})
Der Herr Bundeskanzler hat weiter gesagt, diese Verträge würden für die nächsten 50 Jahre einen Krieg unmöglich machen und verhindern, daß unser Vaterland Kriegsschauplatz wird. Ich weiß nicht, was die Zehntausende ehemaliger deutscher Soldaten, die am Lautsprecher die Ausführungen des Herrn Kanzlers gehört haben, sich hierbei gedacht haben.
({3})
Vielleicht haben sie sich mit der Feststellung begnügt, daß Herr Dr. Adenauer ein Optimist ist. Worauf sich diese hoffnungsträchtige Ansicht des Herrn Kanzlers gründet, hat er uns nicht überzeugend nachzuweisen vermocht. Oder glaubt er im Ernst, daß im Falle eines Krieges das Häuflein einer noch in den Geburtswehen liegenden europäischen Armee der Dampfwalze aus dem Osten Halt gebieten könnte? Diese europäische Armee hat erst vor wenigen Stunden der greise Expräsident der Vereinigten Staaten, Hoover, einer vernichtenden Kritik unterzogen. Er hat von dilettantischen Versuchen gesprochen, er hat diese europäische Armee ein Phantom genannt. Glaubt der Herr Kanzler im Ernst, bestenfalls 25 Divisionen könnten verhindern, daß Deutschland Kriegsschauplatz wird? Einer geballten Macht von mehr als 150 Divisionen russischer Soldaten stünde dann
({4})
ein verlorener Haufen entgegen, der alle Hände voll zu tun hätte, um mit dem Mißtrauen in den eigenen Reihen fertigzuwerden.
Wie sieht es mit der europäischen Verteidigungspotenz einschließlich Englands aus? Die Franzosen sind uns bisher jeden Beweis schuldig geblieben, daß sie unsere Freunde sind. Ihr Land ist von Kommunisten durchsetzt, und ihre Divisionen werden ein getreues Spiegelbild der politischen Verhältnisse bieten. Vielleicht wird dann nicht nur nach vorwärts, sondern im Ernstfall auch nach rückwärts geschossen. Den Kampfwert der italienischen Armee werden wir nach diesem verlorenen Krieg nicht allzu hoch einschätzen. Der Brite ist ein tapferer Soldat; aber er hat in der Geschichte schon oft erkennen lassen, daß er seine soldatischen Tugenden nur dann voll entfaltet,
({5})
wenn es darum geht, die eigenen Interessen zu vertreten.
({6})
- Ich habe, Herr Kollege Gerstenmaier, ein Gefühl dafür, denn es geht um unsere Zukunft und unser Schicksal. Oder sollen vielleicht die Truppen des Holländers den Kampfwert verstärken?
({7})
Herr Abgeordneter, es ist keine gute Sitte, von der Tribüne des Parlamentes herab fremde Völker zu kritisieren.
({0})
Goetzendorff ({1}): Ich kritisiere nicht fremde Völker, sondern stelle das Rechenexempel auf, was im Ernstfall geschehen würde. Ich habe nicht die Absicht, fremde Völker zu diskriminieren.
({2})
- Sie werden mir gestatten, dieses Rechenexempel so darzustellen, wie ich es sehe.
({3}) Im Ernstfall wird auch die holländische Armee nicht ausreichen, die Kampfkraft zu verstärken; denn sie hat schon bei den letzten Krönungsfeierlichkeiten nicht einmal zur Absperrung ausgereicht.
({4})
Herr Abgeordneter, diese Ausführungen sind nicht zulässig. Wenn Sie in diesem Stille fortfahren, werde ich Ihnen das Wort entziehen.
({0})
Goetzendorff ({1}): Ich habe davon Kenntnis genommen, daß diese Ausführungen nicht zulässig sind. Ich hätte aber damit begründet,
({2})
daß es im Ernstfall ein Wahnwitz ist, es auf einen Krieg ankommen zu lassen.
({3}) So sieht die nüchterne Wirklichkeit aus.
Darüber, daß die Sowjets diese Verträge als eine Bedrohung empfinden, braucht nicht mehr diskutiert zu werden. Dem Russen aber wird nachgesagt, daß er unberechenbar ist. Wir wissen nicht, ob er nicht einem vermeintlichen Aufmarsch gegen sich mit einem Präventivkrieg begegnet. Dann aber gnade Gott Deutschland! Auch ich bin sicher, daß am Ende einer solchen Auseinandersetzung der Westen siegen wird, weiß aber nicht, ob dieser Sieg den deutschen Soldaten, den deutschen Frauen und Kindern dann noch nützt oder ob sie nicht inzwischen längst auf dem zum Schlachtfeld gewordenen deutschen Boden verblutet sind.
Noch gibt es die Möglichkeit, eine bessere Lösung wenigstens zu versuchen. Eine Viererkonferenz sollte die deutsche Frage mit dem Ziel der Wiedervereinigung Deutschlands diskutieren.
({4})
Eine tiefe Sehnsucht nach Frieden geht durch das deutsche Volk, nach einem Frieden, zu dem uns die Blutopfer verpflichten, die wir in der jüngsten Vergangenheit gebracht haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler und die Sprecher der Koalition haben gestern und heute die These vertreten, daß diese Westverträge und die damit verbundene Politik der einzig mögliche Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit seien. Die dazu vorgetragenen Gesichtspunkte haben uns weder gestern noch heute zu überzeugen vermocht. Dieser Weg, so wie er sich uns nach all dem darstellt, was wir bisher an Argumenten gehört und an Dokumenten studiert haben - und wir werden sie in der Einzelberatung, die in den Ausschüssen bevorsteht, noch aufmerksamer studieren müssen -, befreit die Bundesrepublik unserer Meinung nach, nicht aus einem Zustand der Zwielichtigkeit und der Inaktivität in den Fragen, die das zentrale Anliegen aller deutschen Politik sein müssen. Es ist unerträglich, wenn in diesen Fragen - ich meine die Fragen der deutschen Wiedervereinigung - nicht völlige Klarheit geschaffen wird.
Der Bundeskanzler hat sich vorhin darüber beschwert, die Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion hätten nicht gebührend Rücksicht genommen auf die lange Liste von Noten und Erklärungen, die die Regierung zu diesem uns alle bewegenden Problem der deutschen Einheit abgeben hat. Es handelt sich ja zum großen Teil um Beschlüsse, die aus der Initiative der Fraktionen dieses Hauses und des Gesamtdeutschen Ausschusses erwachsen sind. Aber lassen wir das beiseite ! Es kommt jetzt nicht darauf an, Herr Bundeskanzler, welche Schreiben Sie den Alliierten 1950 und 1951 geschickt haben, sondern das deutsche Volk hätte jetzt ein Recht zu wissen: Was hat denn eigentlich die deutsche Bundesregierung von sich aus initiativ und mit dem Versuch der Gestaltung getan, seitdem die Phase des neuen
({0})
Notenwechsels zwischen den Westmächten und der Sowjetunion begonnen hat?
({1})
Wir können hier doch nicht zusammenkommen. um Geschichtsforschung zu betreiben, sondern wir sind hier, um uns mit Fragen dar aktuellen Politik auseinanderzusetzen.
({2})
- Nun, Herr Kollege Lücke, der Bundeskanzler hat gesagt, wenn wir heute abend oder morgen früh den Text der Note lesen würden, würden wir sehen, daß die Forderungen, die mein Freund Wehner auch heute noch einmal nachdrücklich vertreten hat, in dieser Note enthalten sind. Ich kann dazu lediglich erklären: wir werden uns unter diesem Gesichtspunkt die Note sehr genau ansehen.
({3})
Wir bestreiten dem Herrn Bundeskanzler und den Sprechern der Koalition die sachliche Berechtigung, zu sagen, daß dieser von ihnen für richtig gehaltene Weg nicht nur der gegebene Weg, sondern, wie sie gesagt haben, sozusagen auch die Garantie zur Erreichung des Ziels der deutschen Einheit sei. Angesichts der Entrüstung, die vorhin wieder durch den Herrn Bundeskanzler zum Ausdruck gebracht worden ist, und angesichts dessen, was der Kollege Strauß heute morgen über die vertraglichen Verpflichtungen anderer für die deutsche Einheit gesagt hat, frage ich mich manchmal, ob die Bundesregierung und die geschätzten Kollegen aus der Mitte und von der Rechten dieses Hauses keine ausländischen Zeitungen lesen, ob sie nicht zum mindesten den Informationsdienst, der vom Presseamt der Bundesregierung herausgegeben wird, lesen.
({4})
Herr Kollege Strauß ist jetzt leider nicht da, aber ich muß es ihm trotzdem sagen, da es sich ja weniger um den französischen Herrn de Gaulle, sondern darum handelt, daß eine Serie ernst zu nehmender einflußreicher Presseorgane in den Vereinigten Staaten, in England und in anderen Ländern übereinstimmend der Auffassung Ausdruck gegeben haben, die uns außerordentlich besorgt macht: der Weg dieser Verträge sei wohl oder übel mit der großen Gefahr verbunden, daß die Spaltung Deutschlands versteinert und die Teilung auf lange Sicht festgelegt werde.
({5})
ich habe hier nicht die Zeit, aber ich kann jedem Kollegen aus dem Hause, der sich dafür interessiert, ein ganzes Bündel solcher Zeitungen, nicht irgendwelcher Provinzblättchen, sondern maßgeblichster Zeitungen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens, zur Verfügung stellen.
Wir glauben auch nicht, meine Damen und Herren von der Mitte und der Rechten des Hauses, daß es sachlich berechtigt ist, eine Richtung der westlichen Politik gleichstellen zu wollen und sozusagen suggestiv dem Volk gegenüber gleich- setzen zu wollen mit der Zugehörigkeit zum Westen oder gar mit dem Bekenntnis zur Freiheit.
({6})
Das ist eine völlige Verschiebung der Positionen.
Aber ich habe nicht zuletzt darum um das Wort gebeten, weil ich auch der Meinung bin, daß es falsch ist, falsch vorn Herrn Bundeskanzler, falsch gestern auch vom Kollegen Gerstenmaier, für eine Politik, die so umstritten ist wie die, über die wir heute streiten, die wehrlose Bevölkerung der Sowjetzone, die hier nicht selbst ihre Meinung sagen kann, sozusagen mit Beschlag belegen zu wollen.
({7})
Es ist ganz gewiß so, daß die Bevölkerung der Sowjetzone auf uns schaut. Herr Bundeskanzler, Sie haben heute morgen einen Brief bekommen, sagen Sie. Wir bekommen auch Briefe, und einige von uns reden mit den Menschen aus der Zone jede Woche und sehr häufig. Aber wir glauben nicht, daß es richtig ist - dazu ist die Lage dieser unserer 18 Millionen in der Sowjetzone viel zu ernst aus ihren Äußerungen propagandistisches Kapital zu schlagen.
({8})
Die Ehrlichkeit gebietet auch zuzugeben, daß die Bevölkerung in der Sowjetzone den tatsächlichen Inhalt dieser Verträge noch weniger kennt und kennen kann als die Bevölkerung im Westen Deutschlands.
({9})
Es gilt auch, zu erkennen, Herr Kollege, daß die Stimmen der Verzweiflung aus der Zone, die ich mindestens so gut kenne wie irgend jemand in diesem Saal, die Stimmen des „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende", gewiß das erschütternde Schicksal unserer Menschen hinter dem Eisernen Vorhang widerspiegeln, aber daß sie doch nicht den Weg deutscher Politik bestimmen können.
({10})
Denn dieser Weg der deutschen Politik kann
weder für uns noch für unsere Menschen in der
Zone und in Berlin - das ist vorhin übereinstimmend erklärt worden - der Weg einer militärischen Lösung des deutschen Einheitsproblems sein.
({11})
Lassen Sie mich ein Wort hinzufügen. In dieser Debatte ist von Panmunjon gesprochen worden. Ich finde, es ist falsch, eine so harte Kritik an den Amerikanern zu üben, wie sie heute in bezug auf Panmunjon geübt worden ist.
({12})
So unerträglich und so nervenaufreibend Verhandlungen dieser Art mit den dort in Frage stehenden Größen der Weltpolitik sein mögen - ich stehe zu dem Wort, daß trotzdem ein Monat und ein Jahr nutzloser Verhandlungen dieser Art, zunächst nutzloser Verhandlungen, besser für die Welt und für die Menschheit ist als eine Minute eines ohne Not heraufbeschworenen dritten Weltkrieges.
({13})
Der Kollege Lemmer hat heute morgen von der Bundesrepublik als dem Vaterland aller Deut({14})
sehen gesprochen. Für die Menschen in der Sowjetzone ist die Bundesrepublik zumindest -die Hoffnung, und unsere Aufgabe ist es, die Hoffnung dieser Menschen nicht zu enttäuschen.
({15})
Lassen wir jetzt einmal dahingestellt, ob alles bisher Mögliche geschehen ist. Wir zweifeln daran. Halten wir uns an das, was jetzt auf der Tagesordnung der deutschen Politik steht!
Uns erfüllt die Sorge - Herr Kollege Wehner hat dieser Sorge Ausdruck verliehen, und ich bedaure, daß der Herr Bundeskanzler sich nicht mit dem auseinandergesetzt hat, was Kollege Wehner wirklich gesagt hat, sondern mit dem, von dem der Herr Bundeskanzler glaubt, daß er es gesagt habe -, ich sage: uns erfüllt die große Sorge, daß der deutschen Politik in dieser unserer entscheidenden Schicksalsfrage doch bis zu einem starken Grade die Hände gebunden werden. Der Herr Bundeskanzler hat es in der Sache zugegeben. Er hat hier erklärt, nach diesen Verträgen stehe uns jeden Tag und jede Stunde das Recht zu, bei den Westmächten zu erscheinen und Verlangen anzumelden, Forderungen zu stellen, die sich auf dieses Problem erstreckten. Erstens ist das nichts Neues, denn bei den Westmächten kann man wohl auch heute schon erscheinen.
({16})
Zweitens aber bestätigt diese Formulierung „wir können jederzeit bei den Westmächten erscheinen" jenen unserer Meinung nach besonders unbefriedigenden Teil des Generalvertrages,
({17})
in dem es der Sache nach in der Frage der deutschen Einheit eben doch ein Vetorecht der Anderen gibt.
({18})
Wir werden ja auf die Einzelheiten zurückkommen, wir werden Ihnen in der zweiten Lesung nichts schenken.
({19})
Gestern und heute konnte es sich der Sache nach nur um eine Auseinandersetzung in großen Zügen handeln.
({20})
- Aber eines, Herr Kollege Krone, nimmt Ihnen weder in Berlin noch in der Zone irgend jemand ab. Das ist die Redensart desjenigen, der sich der Kritik im demokratischen Staat stellen soll: Ja, wenn Sie an meiner Stelle verhandelt hätten., hätten Sie todsicher auch nichts anderes erreichen können! Das erinnert mich an das Argument eines bekannten amerikanischen Korrespondenten vor gut einer Woche, der schrieb, man könne doch den armen Leuten, die auf deutscher wie auf alliierter Seite monatelang verhandelt und sich dabei vielleicht graue Haare eingehandelt hätten, nicht zumuten, mit diesem grausamen Spiel des Verhandelns noch einmal zu beginnen. Dieses Argument der grauen Haare ist - bei allem Re- spekt vor den 18stündigen Verhandlungen, auf die auch der Herr Bundeskanzler hier Bezug genommen hat - doch wohl nicht jener Maßstab, von
dem aus dieses Haus und die Ausschüsse an die Einzelberatung dieser Verträge herangehen sollten.
({21})
- Herr Kollege, was die Billigkeit angeht, so wäre dieser Zwischenruf zu einem früheren Zeitpunkt, glaube ich, mindestens ebenso angebracht gewesen.
({22})
Wenn wir zu den Einzelheiten Stellung nehmen sollen, dann sollten wir auch nicht mitten in einer solchen Debatte wie heute - ich habe das in bezug auf den Kollegen Wehner und die Antwort des Herrn Bundeskanzlers schon gesagt - die Argumente so verkehren, daß sich für die Leute, die uns zuhören, kein vernünftiger Zusammenhang mehr ergibt. Was hat der Kollege Erler hier gesagt? Er hat auf die sehr ernsten Probleme hingewiesen, die doch auch jeder von Ihnen sehen muß, wie Sie die Dinge auch beurteilen mögen, die sehr ernsten Probleme finanzieller und ökonomischer Art, die sich aus dem Verteidigungsbeitrag ergeben. Dabei handelt es sich, wie Kollege Schoettle schon gestern erwähnte, neben dem laufenden finanziellen Verteidigungsbeitrag um den Block der 40 Milliarden, die so oder so für die materielle Ausrüstung des deutschen Kontingents aufgebracht werden müssen.
({23})
- Für die Erstausrüstung, ganz richtig. Mit diesem Argument - ganz egal, zu welchem Schlußergebnis wir im übrigen kommen mögen, Herr Bundeskanzler - kann man sich doch vor der deutschen Öffentlichkeit nicht mit Ihrem Gegenargument auseinandersetzen, daß über nicht
mehr zu leisten sei, als was jetzt an Besatzungskosten zu leisten ist. Denn das ist einfach nicht
richtig.
({24})
Ich habe schon gesagt: Es ist einfach nicht wahr, wenn man so tut, als gäbe es nur eine Art des Verhaltens in der westlichen Welt. Man macht es sich zu leicht, wenn heute wieder - vor allen Dingen in den Vormittagsstunden - der Trennungsstrich konstruiert werden sollte zwischen einer verantwortungsbewußten Mehrheit des Hauses und einer Opposition ohne Verantwortung. Es ist von unserer Seite zu einem früheren Zeitpunkt gesagt worden, aber ich glaube, es muß in dieser Debatte noch einmal wiederholt werden: Auch wir tragen unsere Verantwortung vor dem Grundgesetz und vor dem Volk und sind uns dieser Verantwortung bewußt,
({25})
und durch diese Verantwortung ist unsere Argumentation, ist unsere kritische und, wie wir glauben, auch positive Auseinandersetzung mit der uns vorliegenden Politik getragen.
Ich darf nach einmal wiederholen: Die sozialdemokratische Fraktion des Deutschen Bundestages besteht nicht aus Neutralisten, sie besteht nicht aus Illusionären einer absoluten Waffenlosigkeit in dieser ach so unvollkommenen und so wenig friedfertigen Welt.
({26})
- Aber wenn Sie es wissen wollen, Herr Kollege
Strauß - eigentlich hat es Ihnen der Kollege
({27})
Carlo Schmid gestern schon gesagt -: falls sich, sei es heute oder sei es morgen, die Möglichkeit zur Einheit in Freiheit unserem Volke bieten sollte - und wir sollten unser Teil dazu beitragen, daß sich solche Möglichkeiten böten -,
({28})
dann müßte die deutsche POlitik dazu ja sagen, auch um den Preis des Verzichts auf gewisse Ihnen liebgewordene militärpolitische Konstruktionen.
({29})
Und Sie handeln nicht recht, wenn Sie etwas als illusionär oder gar verwerflich bezeichnen, was ernsthaft gar nicht erprobt ist.
Herr Kollege Gerstenmaier hat gestern von der Gefahr gesprochen, daß in Düsseldorf oder in München etwas passieren könnte. Unser Leben als Einzelne und als Volk ist in dieser Periode, in der wir leben, in der Tat voller Gefahren. Ohne politisches Risiko und ohne Zutrauen zu diesem Volk und gerade zu den 18 Millionen in der Sowjetzone werden wir in der Tat nichts erreichen können. Wir werden bereit sein müssen, ein gewisses politisches Risiko einzugehen, genau so wie wir gemeint haben und weiterhin meinen, daß die deutsche und europäische Politik das Risiko einer Korrektur ihrer ursprünglichen Zeitpläne verträgt, und genau so gut wie wir meinen, daß die deutsche und europäische Politik das Risiko - wie ich meine: die Notwendigkeit! - einer neuen, gründlichen Überprüfung des ganzen Vertragswerkes erfordert.
Lassen Sie mich abschließen. Die hier wie früher vielfach entstellte Politik der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands ist getragen von einem dreifachen Ja: Ja zur Solidarität der Demokratien und zur gleichberechtigten Mitwirkung Deutschlands in der europäischen und internationalen Zusammenarbeit,
({30})
Ja zum Frieden und damit zum unausgesetzten
und ernsthaften Bemühen um die Lösung der gesamtdeutschen Frage und der europäischen Krise,
({31})
Ja, meine Damen und Herren, aber vor allem auch und immer wieder zur Erstrangigkeit des Ringens um die Einheit dieses Volkes auf dem Boden der Freiheit und sozialer Gerechtigkeit.
({32})
Das Wort hat der Abgeordnete Loritz.
Loritz ({0}): Meine Damen und Herren! Man möchte es wirklich nicht glauben, wenn es nicht bittere Tatsache wäre, daß heute, kaum sieben Jahre nach einem Ende mit Schrecken, nach einem Ende mit mehreren Millionen toter und vermißter deutscher Soldaten, sich wiederum ein deutscher Kanzler findet, der nichts Eiligeres zu tun hat, als die Wiederaufrüstung zu betreiben
und die deutsche Jugend auf die Kasernenhöfe zu bringen. Und wiederum, genau wie unter Hitler, wird das deutsche Volk nicht gefragt, ob es diese Wiederaufrüstung überhaupt will. Wiederum entscheidet ein Kanzler und eine Clique um ihn. herum über die Köpfe unseres Volkes hinweg, und wiederum finden sich im deutschen Parlament Ja-Sager-Abgeordnete zu diesem neuen grausigen Ermächtigungsgesetz für eine neue Katastrophenpolitik.
Deutsche! Jetzt ist die Stunde gekommen,
({1})
wo im ganzen Volk Männer und Frauen aufstehen müssen, die es wagen, dieser AdenauerRegierung schärfstens die Meinung zu sagen, dieser Regierung, die g e g en den Willen der Mehrheit unseres Volkes handelt und die eine Volksabstimmung über die Fragen der Wiederaufrüstung fürchtet und mit allen Mitteln zu verhindern gesucht hat.
({2})
Jetzt zeigt es sich, wie recht wir von der WAV hatten,
({3})
als wir seit 1945 - leider als einzige Partei in Deutschland - immer wieder forderten, daß wenigstens über die wichtigsten Gesetze, von denen Wohl und Wehe unseres Volkes auf Jahrhunderte hinaus abhängt, nicht bloß ein kleiner Haufe von Ministern und Abgeordneten entscheidet, sondern das Volk selbst in geheimer Abstimmung. Wenn einmal die Geschichte der deutschen Nachkriegszeit geschrieben wird, wird man uns zubilligen müssen, daß wir damals rechtzeitig vorausgesehen haben, wie verhängnisvoll in Deutschland eine Verfassung werden mußte, die alle Rechte einigen Abgeordneten und Ministern und keine Rechte dem deutschen Volk gibt - bei so wichtigen Entscheidungen über seine Zukunft!
({4})
Meine Damen und Herren! Die Sprecher der Regierungsparteien haben gestern und heute immer wieder um den Kern der Sache herumgeredet. Die Kernfrage aber heißt: Könnten wir mit den 12 Divisionen, die Adenauer den Amerikanern angeboten hat, oder sogar mit 20 Divisionen - mehr kann aus dem völlig ausgebluteten deutschen Volk Westdeutschlands sowieso nicht mehr herausgeholt werden -, könnten wir mit diesen unseren 12 oder 20 Divisionen den Russen schlagen oder auch nur an der Zonengrenze aufhalten, wenn Stalin heute gegen Deutschland marschieren würde? Jeder General, jeder Soldat, den ich bisher darüber fragte, hat mir die gleiche Antwort gegeben:
({5})
Nein, niemals können wir das! Bekannte deutsche Generale haben mir wörtlich erklärt:
({6})
Die zwölf deutschen Divisonen werden höchstens
dazu dienen können, ein paar Tage Rückzugsgefechte zu schlagen, so lange, bis sich die 6 amerikanischen und die paar englischen Divisionen auf
ihre Schiffe zurückgezogen haben; denn mehr
({7})
amerikanische Divisionen als sechs gibt es ja gar nicht in ganz Europa. Gerade dieser hinhaltende Widerstand deutscher Truppen wird trotz all ihrer Tapferkeit dann dazu führen, daß Westdeutschland zum Kriegsschauplatz wird; und das bedeutet, daß auch der letzte Rest dessen vernichtet wird, was vom vorigen Weltkrieg übriggeblieben ist!
Ja, es ist nicht unsere Schuld, daß es so weit gekommen ist: Schuld an dieser Aussichtslosigkeit einer westdeutschen Aufrüstung bei einem Einfall der Russen tragen die Herren von Jalta und Potsdam, die Deutschland zertrümmert haben, die den deutschen Schutzschild gegen Osten zerbrochen haben, der die abendländische Kultur durch viele Jahrhunderte hindurch gegen die Ungarn, gegen die Awaren, gegen die Türken, gegen die Mongolen geschützt und verteidigt hat, seit das Römische Reich dazu zu schwach wurde.
({8})
Schon seit jenen vergangenen Jahrhunderten war es immer wieder Deutschland, das nicht nur sich selbst, sondern auch genau so Frankreich und England und die ganze abendländische Kultur gegen die Angriffe aus dem Osten geschützt hat. Diesen Schutzschild haben die Amerikaner und Engländer zerbrochen, und die deutschen Truppen, die sich 1945 an der Elbe den Amerikanern und Engländern ergeben haben, wurden von diesen an die Russen ausgeliefert, und die fehlen heute für Deutschland und die ganze Welt. So ist es gekommen, daß Westdeutschland heute - selbst bei einer deutschen Aufrüstung - nicht mehr verteidigt werden könnte, wenn die Russen angreifen würden. Unter diesen Umständen trotzdem den Jakele zu machen, der vorangeht und für die Amerikaner die Vorhut gegen die Russen spielt, ist ein Wahnsinn und ein Verbrechen am deutschen Volke.
Das Niederträchtigste aber ist, daß hier in Westdeutschland die allgemeine Wehrpflicht auf Wunsch der amerikanischen Regierung eingeführt werden soll, während Amerika selbst die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht abgelehnt hat und heute noch ablehnt. Das bißchen deutsches Blut, das wir noch haben, soll also restlos geopfert werden, während die Herren in Amerika ihr eigenes Blut möglichst schonen wollen und die allgemeine Wehrpflicht für ihre eigenen Soldaten bis jetzt abgelehnt haben! Herr Dr. Adenauer, ich rufe Ihnen zu:
({9})
unter den gegenwärtigen Umständen ist es ein Wahnsinn und ein Verbrechen am deutschen Volke, die allgemeine Wehrpflicht bei uns einzuführen, schon allein deshalb, weil wir mit unseren 12 oder 20 Divisionen überhaupt nicht in der Lage wären, den Russen zu schlagen, wenn Stalin heute nach Westen marschieren würde.
Aber wer sagt Ihnen denn überhaupt, daß Stalin tatsächlich nach Westen marschieren will?
({10})
Wenn er das gewollt hätte, dann hätte er es seit
1945 bis jetzt, sieben .Jahre lang, ungehindert tun
können, viel besser als in der kommenden Zeit.
Stalin hat es aber nicht getan, sondern er hat die
Amerikaner in Asien kämpfen lassen. Warum? Weil das für die Russen viel günstiger ist, als wenn sie Westeuropa zum Kriegsschauplatz werden lassen würden; denn nach Asien, nach Korea, Indochina usw. haben die Amerikaner fast dreimal so lange Nachschublinien über den Stillen Ozean, als sie über den Atlantik hätten. In Asien gibt es auch im Gegensatz zu Westeuropa kein gut ausgebautes Straßennetz, auf dem sich die technische Überlegenheit der amerikanischen Motorisierung auswirken könnte. Und in Asien gibt es nicht wie in Europa eine Bevölkerung, die mit den Amerikanern teilweise blutsverwandt ist, sondern lauter Asiaten, die den Amerikaner schon als Weißen gründlich hassen. Und in Asien gibt es Malaria, Typhus und ein Klima, das auch für den Amerikaner schwerste Verluste bringt, alles im Gegensatz zu Europa! Aus all diesen Gründen ist es für Stalin viel vorteilhafter, eine kriegerische Auseinandersetzung mit den Amerikanern in Asien zu führen und nicht in Westeuropa.
Das alles aber ändert sich von Grund auf, wenn plötzlich deutsche Divisionen an der Elbe aufmarschieren, und zwar unter amerikanischem obersten Befehl. Dann könnte es sein, daß sich Stalin und der russische Generalstab schwerstens bedroht fühlen. Denn der Russe fürchtet nichts so sehr als den deutschen Soldaten, den er in zwei Weltkriegen kennengelernt hat. Der Russe fürchtet nicht die italienischen Divisionen und nicht die englischen und nie' t die amerikanischen Infanteriedivisionen; aber die deutschen Divisionen fürchtet er! Und das ist die entsetzliche Gefahr der Adenauerschen Remilitarisierungspolitik,
({11})
daß der Russe nämlich angreift, gerade weil er sich fürchtet, und zwar jetzt dann nach Westen, statt wie bisher nach Osten. Selbst wenn diese Gefahr nur 20% Wahrscheinlichkeit für sich hätte, - -({12})
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Loritz ({0}): Ich bitte, mir doch noch ein paar Minuten Redezeit bei für das deutsche Volk so wichtigen Dingen zu geben!
({1})
Es ist nicht Demokratie, Angehörige kleiner Parteien oder fraktionslose Abgeordnete daran zu hindern, auch ihre Ansicht dem deutschen Volke vorzutragen!
({2})
Ich darf fortfahren: Selbst wenn die ebengenannte Gefahr nur 20 % Wahrscheinlichkeit für sich hätte, -
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Loritz ({0}): - - selbst dann darf ein verantwortungsbewußter deutscher Politiker in der jetzigen Zeit bei einer deutschen Wiederaufrüstung nicht mitmachen. Wir dürfen nicht mehr
({1})
va banque spielen! Wir dürfen nicht mehr ein so hohes Risiko wagen und alles auf eine Karte setzen, denn wir haben zwei Weltkriege hintereinander verloren, und wehe, wenn wir jetzt nicht endlich einmal eine vorsichtige Außenpolitik machen!
({2})
Mögen doch diejenigen, die uns heute eine Wiederaufrüstung empfehlen, selber den Stahlhelm aufsetzen und sich zum Kampf gegen den Osten melden, meinetwegen in Korea oder sonstwo; aber unser Volk sollen sie in Ruhe lassen!
Herr Abgeordneter, kommen Sie zum Schluß! Es ist das letzte Mal, daß ich Sie darauf aufmerksam mache.
Loritz ({0}): Wenn uns heute wiederum der Spruch vorgeschwätzt wird, den wir schon 1934 und 1936 hörten,
({1})
wir müßten aufrüsten, um stark zu sein, denn nur durch Aufrüsten könne ein Krieg verhindert werden, so wundere ich mich nur darüber, wie es in Deutschland auch nur noch einen Menschen geben kann, der wiederum solche dummen Sprüche glaubt. Denkt doch daran, wohin wir durch die Aufrüstung gekommen sind! Ins Verderben!
({2})
Und durch eine neue Aufrüstung kommen wir wieder ins Verderben!
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, Ihre Rede abzuschließen; sonst entziehe ich Ihnen das Wort.
Loritz ({0}) : Gut! Es ist mir leider nicht möglich, dagegen etwas zu machen. Ich bitte Sie, Herr Präsident, mir wenigstens noch die Möglichkeit zu geben, ein paar Sätze zu sprechen.
({1})
Meine Damen und Herren, es ist nicht wahr, daß wir durch Ablehnung der Wiederaufrüstung eine Chance verlieren würden, wie Herr Dr. Adenauer behauptet. Tm Gegenteil! Je länger wir uns rar machen, je länger wir uns zurückhalten, um so wertvoller wird Deutschland in den Augen der beiden rivalisierenden Weltmächte werden. Es muß die Aufgabe jeder deutschen Regierung sein, dem Westen wie dem Osten klarzumachen, daß die Neutralität Deutschlands im Interesse sowohl des Ostens als auch des Westens liegt! Das hat Bismarck gesagt, der bisher größte deutsche Staatsmann,
({2})
der hoffentlich nicht noch nachträglich von Ihnen, meine Herren von der CDU, deswegen als Neutralist und Landesverräter bezeichnet wird.
Herr Abgeordneter Loritz, Sie haben Ihre Redezeit um die Hälfte überschritten. Ich entziehe Ihnen das Wort.
Loritz ({0}): Leider ist die Redezeit zu kurz, - ({1})
Das Wort ist Ihnen entzogen.
Loritz ({0}) : - um hier auch nur einigermaßen vollständige Ausführungen machen zu können. Traurig genug!
Meine Damen und Herren! Ich warne Sie, diese Verträge zu unterschreiben.
({1})
Sie graben damit das Grab des deutschen Volkes und auch Ihr eigenes!
Das Wort hat der Abgeordnete Fisch.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Hause liegt ein Antrag der SPD vor, wonach die Bundesregierung ersucht werden soll, den Besatzungsmächten förmlich mitzuteilen: ,,Bundestag und Bundesregierung erwarten, daß die Regierungen der vier Besatzungsmächte so bald wie möglich in Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen eintreten." Ein Sprecher der Partei des Herrn Dr. Adenauer hat hier bekanntgegeben, daß die Koalitionsparteien diesem Antrag zuzustimmen gedenken. Hierzu möchte ich einige Bemerkungen machen.
Erstens. Die kommunistische Fraktion wird dem Antrag der SPD-Fraktion über die Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen ihre Zustimmung geben, weil sie der Auffassung ist, daß nur über Viermächteverhandlungen der Weg zur friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands eröffnet werden kann.
Zweitens. Die kommunistische Fraktion steht jedoch auf dem Standpunkt, daß es nicht genügt, nur unverbindliche Wünsche auszusprechen, wie dies im vorliegenden Antrag geschieht. Sie ist der Meinung, daß es vor allem auch nicht genügt, wie es die Koalitionsparteien tun, nur Lippenbekenntnisse abzulegen, die zu nichts verpflichten. Wer ernsthaft den Erfolg von Viermächteverhandlungen wünscht, der darf nicht Tatsachen schaffen, die eine friedliche Lösung der deutschen Frage verhindern sollen, der darf nicht Tatsachen schaffen, die jeder Verständigung auf lange Zeit einen Riegel vorschieben sollen. Wer einen Erfolg von Viermächteverhandlungen wünscht, muß alle Handlungen unterlassen, die dazu dienen, die Ratifizierung der Kriegsverträge von Bonn und Paris vorzubereiten oder zu erleichtern. Wer den Erfolg von Viermächteverhandlungen wünscht, muß alles unterlassen, was ihre weitere Verzögerung herbeiführen würde, so auch das Verlangen nach Abhaltung von Vorkonferenzen. Wer den Erfolg von Viermächteverhandlungen wünscht, muß sich entschieden dagegen wehren, daß wir in einen militärischen Aufmarsch einbezogen werden, der sich eindeutig gegen eine der vier Mächte richtet, nämlich gegen die Sowjetunion.
Drittens. Viermächteverhandlungen werden nur dann zur Wiederherstellung eines geeinten, freien, unabhängigen und friedlichen Deutschlands führen, wenn sie bindende Vereinbarungen über den baldigen Abschluß eines Friedensvertrags mit Deutschland und den daraus folgenden Abzug aller Besatzungsmächte treffen.
({0})
Viertens. Viermächteverhandlungen werden nur dann die Einleitung zur Wiederherstellung der vollen Souveränität des deutschen Volkes sein, wenn zu diesen Verhandlungen eine gesamtdeutsche Vertretung zugezogen wird, die auf der Grundlage der Gleichberechtigung den vier Großmächten gegenüber die Interessen des gesamten deutschen Volkes wahrnimmt.
Fünftens. Es muß festgestellt werden, daß die Politik des Bundeskanzlers mit dem Wunsch nach Durchführung von Viermächteverhandlungen unvereinbar ist.
({1})
Der Bundestag müßte deshalb entschieden verurteilen, daß Dr. Adenauer beim amerikanischen Hochkommissar mit der Absicht intervenierte, die Westmächte zu veranlassen, daß sie der Sowjetunion unannehmbare Bedingungen für die Abhaltung von Beratungen stellen.
Die Tatsache, daß die Parteien der Regierungskoalition dem SPD-Antrag zustimmen wollen, schützt sie nicht vor der Feststellung, daß sie diesem Sabotageversuch des Bundeskanzlers an der Abhaltung von Viermächtebesprechungen ihre Zustimmung erteilt haben. Solange die Mehrheit des Bundestages es ablehnt, den Wunsch nach der Durchführung von Viermächteverhandlungen in einer solch präzisen und unmißverständlichen Weise zu formulieren, solange diese Mehrheit nicht klipp und klar erklärt, daß alle weiteren Verhandlungen über die Kriegsverträge von Bonn und Paris sofort eingestellt werden, solange kann niemand glauben, daß die Zustimmung zu dem vorliegenden Antrag ernstgemeint ist. Dem Wunsche des deutschen Volkes aber entspricht es, daß das unwürdige Doppelspiel beendet und alles getan wird, um auf dem Wege über unverzügliche Viermächteverhandlungen Deutschland die Einheit, den Frieden und die Freiheit zu geben.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gerstenmaier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß sich diese Diskussion dem Ende zuneigt, zeigt dieses Haus, das mein Vorredner trefflich zu leeren vermocht hat.
({0})
Lassen Sie mich dennoch zum Schluß dieser Debatte einige Punkte klarstellen, die nach meiner Überzeugung in der Diskussion mindestens sehr ernsthafte Schwierigkeiten, Mißstimmungen, möglicherweise auch Irrtümer heraufbeschworen haben.
Erstens. Herr Kollege Erler hat noch einmal hier gegen den europäischen Verteidigungsvertrag plädiert, plädiert in der Art, als ob es sich in diesem Vertrag um eine höchst problematische Militärallianz handeln würde, aber nicht um das, was wir in diesem Vertrag sehen und, wie wir glauben, auch beweiskräftig dem deutschen Volk vorlegen können. Die Militärallianz alten Stils spielt hierbei überhaupt keine Rolle, sondern es handelt sich um ein Mittel ersten Ranges für die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa, für die europäische Einigung.
({1})
Ich möchte wissen, ob die Ablehnung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft etwa den Sinn haben soll, daß man bereit ist, den Russen - die ganz nach unserer Überzeugung, wie es der Herr
Bundeskanzler ausgeführt hat, keinen Anspruch auf einen besonderen Preis dafür haben, wenn sie das räumen, was ihnen nicht rechtmäßig gehört - einen Preis, ja einen Überpreis anzubieten, der etwa so aussehen könnte: Torpedierung der europäischen Einigung! Ich muß gestehen, daß mich diese Erwägung mit sehr ernster Sorge erfüllt, und ich kann nur hoffen, daß ich mich darin irre und daß auch der Kollege Erler der Meinung ist, daß es mitnichten erlaubt sein kann, den Russen oder irgend jemand sonst gegenüber die Möglichkeit der europäischen Einigung, die nun einmal mit dieser Kernbildung begonnen hat, als Preis anzubieten. Ich bin der Meinung, wenn das der Fall wäre, dann würden Sie damit Rußland nicht mehr und nicht weniger als unsere deutsche Zukunft, ja die Zukunft Europas überhaupt anbieten und würden sie damit vernichten.
Eine zweite Bemerkung zu dem, was der Herr Kollege Brandt hier gesagt hat. Sehr verehrter Herr Kollege Brandt, wir haben niemals die Absicht gehabt - und ich denke, daß wir es auch nie getan haben -, unter irgendeinem Gesichtspunkt oder in irgendeinem Augenblick das Schicksal und die Leiden von 18 Millionen Menschen in der Ostzone unter propagandistischen Gesichtspunkten zu verwerten. Daran haben wir weder gedacht noch haben wir es gewollt oder beabsichtigt. Meine Freunde und ich haben nichts anderes zum Ausdruck gebracht als das, daß wir bis zum Erweis des Gegenteils davon durchdrungen sind, daß diese 18 Millionen keinen andern Wunsch haben, als in die Freiheit zu kommen, und diejenigen, die in die Freiheit wollen - sie mögen sein, wo sie wollen -, die stehen auf unserer Seite!
({2})
Schließlich noch ein Wort zu Frau Wessel. Sehr verehrte Frau Kollegin, es ist nicht unsere Schuld, wenn man dadurch ins Zwielicht gerät, daß andere mit den besten Absichten, die einen bewegen, so manipulieren, daß man sich unablässig in der Verteidigung befindet. Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß niemand von uns Ihnen unterstellt oder auch nur angedeutet hat, daß Sie Kommunistin seien.
({3})
Ich bin aber der Meinung, daß jedes Mitglied dieses Hauses in seinem politischen Verhalten darauf achtgeben und besondere Aufmerksamkeit darauf verwenden muß, ob und inwieweit es von anderen Mächten manipuliert wird.
({4})
Im übrigen haben wir hier frei das gesagt, was wir meinen, als wir davon gesprochen haben, daß wir nicht die Aufrüstung, sondern die Abrüstung in der Welt für den besseren Weg halten würden, und ich sehe keine sehr überzeugende Antwort darin, wenn uns daraufhin vorgehalten wird, daß das, was wir mit dem EVG-Vertrag zu beschließen willens seien, unweigerlich zum Wettrüsten führen müsse. Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß dieser Diskussion noch einmal darauf hinweisen, daß die Sowjetunion bis jetzt immerhin mit mindestens zwei Tatbeständen bewiesen hat, daß sie die Abrüstung in der Welt, von der doch nicht nur geredet wurde, sondern mit der ein ernsthafter Versuch gemacht worden ist, ignoriert. Sie hat die Abrüstung der drei Mächte ignoriert, und, worauf ich auch einmal hinweisen möchte, sie igno({5})
riert dauernd den Versuch des großen internationalen Ausgleichs, der auf der Ebene der Vereinten Nationen gemacht worden ist; denn schließlich sind die Vereinten Nationen ein Instrument nur für diesen Zweck, und sie dienen nur diesem Thema, dem Thema des internationalen Ausgleichs mit friedlichen Mitteln. Wer torpediert ihn? Antwort: immer nur und immer wieder die Macht im Osten!
({6})
In Anbetracht dieser Tatbestände, meine ich, sollte man uns nicht vorhalten, daß wir irgend etwas zu einem nicht in die Welt gehörenden Wettrüsten beitragen wollten, in einem Augenblick, in dem wir lediglich von dieser Ignoranz der Russen Kenntnis nehmen und das tun, was uns aufgetragen ist, nämlich unsere Menschen- und unsere Christenpflicht, sehr verehrte Frau Wessel, zu erfüllen, die auch darin besteht, daß wir gehalten sind, unsere Nächsten davor zu schützen, daß sie dem andern in die Hand fallen,
({7})
dem andern, der dann das macht, was wir neulich in Berlin gehört haben, der den Menschen so verwandelt, daß man ihn nur noch als einen Ausgelieferten beschreiben kann. Was ist denn der Mensch im Bereich der gesamten Sowjetmacht? Nichts anderes als ein Ausgelieferter!
({8})
Wer dies Schicksal von sich und von denen, die mit ihm sind, ganz gleichgültig, ob sie in seinem politischen Denken mit ihm konform gehen oder nicht. abwenden will, der trete auf unsere Seite, und zwar rechtzeitig auf unsere Seite.
({9})
Damit, meine Damen und Herren. bin ich am Schluß. Ich glaube, es wäre ein Mißverständnis, wenn man diese Debatte etwa unter dem Gesichtspunkt betrachten, analysieren oder kommentieren wollte, daß hier die Regierungsparteien eine Vorlage ihrer Regierung verteidigt hätten. An dem ist es nicht. Ich gestehe: aus zwei Gründen. Zunächst
einem ganz simplen Grunde: ringsum in der Welt Brandstätten. Ich finde nicht, daß derjenige sich verteidigen muß oder in einer Verteidigungssituation ist. der sich nun daran macht, eine Feuerwehr aufzustellen. Davon kann keine Rede sein, daß man sich deswegen verteidigen müßte. Es ist wahr: wir stehen hier für eine europäische Verteidigungsgemeinschaft. Aber deshalb verteidigen wir uns noch nicht. Und zweitens: Wir sind daran, die weiße Fahne über Deutschland herunterzuholen, und wer uns daran hindern will, der soll es vor dem deutschen Volk und vor seinem Gewissen verantworten. Aber diejenigen, die diese Fahne herunterholen, um die Fahne unseres eigenen Volkes, unseres eigenen Staates zu befestigen, die sind nicht in der Verteidigungsposition.
Nein. meine Damen und Herren, darin werden wir mißverstanden. Wir holen die weiße Fahne herunter. Hindert uns nicht daran! Wenn ihr nicht mitgeht. dann verantwortet es vor unserem Volk und vor eurem Gewissen. Wir aber gehen vorwärts! in diesem Vorwärtsgehen steht unser Wille. diese Verträge zu ratifizieren. Deshalb wiederhole ich das. was ich am Anfang dieser Diskussion für meine Freunde gesagt habe: wir sagen auch nach dieser Debatte ja zu dem Vertragswerk.
({10})
Das Wort hat dei Abgeordnete Dr. Reif.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Schluß dieser Debatte sollte weiß Gott nicht polemisch sein. Trotzdem habe ich mich zum Wort gemeldet, als der Herr Kollege Brandt aus Berlin sprach. Nun hat Herr Kollege Gerstenmaier schon von sich aus - wobei ich mich anschließen möchte - uns gegen die Behauptung verwahrt, als wenn jemand von uns aus der Kenntnis der Notlage unserer Volksgenossen in der sowjetischen Besatzungszone Kapital schlagen wollte. So ist es doch nicht, Herr Kollege Brandt. Genau so wie Sie komme ich, wenn ich in Berlin bin, täglich mit Freunden aus der sowjetischen Besatzungszone zusammen. Ich habe mir wirklich alle Mühe gegeben, mit ihnen darüber zu sprechen, ihre Meinung zu erforschen, ob sie diesen Weg für richtig halten oder nicht. Ich weiß, daß wir nicht alle fragen können; aber ich habe niemals etwas anderes gehört als das Vertrauen, daß dann, und nur dann, wenn dieser Weg, so wie er in der Bundesrepublik nun seit Jahren beschritten worden ist, fortgesetzt wird, die Hoffnung sich realisieren kann, von der die Menschen dort leben. Ich habe nie etwas anderes gehört, Herr Brandt, und das ist wohl noch viel wichtiger als die Sorge vor dem, was kommen mag, wenn dieser Bundestag die Ratifizierung der Verträge ablehnen sollte.
({0})
Das ist, glaube ich, das größte Manko dieser Diskussion, daß die Opposition uns auf der einen Seite bei vieler Kritik - zu der sie als Opposition berechtigt ist; das ist ihre Funktion ({1})
erstens einmal keine positiven Gedanken über eine Konzeption der Ostpolitik gebracht hat,
({2})
und zweitens - und wiederum ist das sehr viel
schlimmer -, daß keiner von Ihnen auf die Frage
eingegangen ist: Wie wirkt denn nun eine Ablehnung dieser Verträge auf die Haltung des Kremls?
({3})
Allein darauf kommt es doch an. Herr Lemmer hat hier ausgesprochen, daß es, nachdem diese Politik - von der er sogar sagte, vielleicht hätte er sie gar nicht gemacht - nun in der Zusammenarbeit mit den demokratischen Völkern des Westens so weit fortgeschritten ist, geradezu eine Ungeheuerlichkeit wäre, wollten wir diese Politik sabotieren.
Dann hat Herr Brandt noch ein Wort gebraucht, das sehr wenig in diese Diskussion paßt. Er hat von „militärischen Lieblingsvorstellungen" gesprochen. Herr Brandt, ich bin in beiden Weltkriegen einfacher Soldat gewesen; ich würde mich weiß Gott nicht für militärische Lieblingsgedanken irgendeines Generals oder meinetwegen auch irgendeines Ministers einsetzen. Darum geht es doch gar nicht. Wer die Ausführungen meines Freundes Mende gehört hat und wem bekannt ist, wie über diese Dinge verhandelt worden ist, der weiß auch, daß, wenn wir die Verteidigung bejahen und wenn wir diesen Schritt gehen, wir das menschlich und demokratisch Modernste tun wollen, was überhaupt auf diesem Gebiet denkbar ist. Daran darf doch niemand zweifeln. Auch der Herr Bundeskanzler hat es wiederholt ausgesprochen.
Und das allerletzte, die angebliche Bindung der deutschen Politik durch diesen Deutschlandvertrag.
({4})
Herr Brandt hat sich auf ausländische Pressestimmen berufen. Auch die ausländische Presse macht Politik. Ich will das gar nicht verkleinern. Man soll diese Pressestimmen kennen und sich danach ein Bild machen, wie die Dinge draußen liegen. Aber das viel Wichtigere ist doch, daß wir von nun an - und zwar nicht weniger, sondern mehr als bisher - die Möglichkeit haben, nicht mit der ausländischen Presse, sondern mit den ausländischen Regierungen zu diesem Ziel zusammenzuarbeiten. Herr Brandt, es ist doch einfach nicht wahr, daß wir jetzt mehr gebunden sind als vorher. Wer hat denn vorher eine Politik der Wiedervereinigung machen können ohne die Hilfe der Amerikaner, der Engländer und der Franzosen? Jetzt haben sie sich verpflichtet, uns in dieser Politik beizustehen. Wenn Sie heute abend oder morgen früh die Note lesen werden, dann werden Sie sehen, daß diese Verpflichtung schon jetzt sehr viel mehr bedeutet als die Kritik, die von Ihrer Seite ausgesprochen worden ist, erwarten läßt.
({5})
Meine Damen und Herren, es stehen keine weiteren Namen auf der Rednerliste. Wir können zur Abstimmung kommen.
Ich habe zunächst bekanntzugeben, daß der Ausschuß für Geschäftsordnung um 19 Uhr zu einer Sitzung zusammentritt.
({0})
Wir haben nunmehr über die v erweisung der einzelnen Entwürfe an die Ausschüsse zu entscheiden. Es ist vorgeschlagen worden, die Drucksachen Nrn. 3500, 3501 zu überweisen an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten als den federführenden Ausschuß, dann an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Finanzen, den Haushaltsausschuß, den Rechtsausschuß, den Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen und an einen Sonderausschuß, __der gemäß § 62 zu bilden ist.
({1})
- Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter von Brentano!
Es war von uns nur beantragt: Verweisung an den auswärtigen Ausschuß, den Rechtsausschuß - -
Ich habe hier einen Zettel meines Vorgängers vorgefunden, auf dem die Vereinbarung über die Ausschüsse steht. Ich nahm an, daß es mit dieser Vereinbarung seine Richtigkeit hat.
({0})
Dann ist es gut!
Dann besteht Einverständnis. Wir hätten dann zunächst den Beschluß nach § 62 der Geschäftsordnung zu fassen, diesen Sonderausschuß einzusetzen. Ich lese den Antrag vor, der von einer Reihe von Fraktionen gestellt wird:
Es wird ein Bundestagsausschuß zur Mitberatung des EVG-Vertrages und der damit zusammenhängenden Abmachungen gemäß § 62 der Geschäftsordnung eingesetzt. Der Ausschuß besteht aus 21 Mitgliedern. An seinen Beratungen nehmen gemäß § 73 Absatz 4 Satz 2 nur Mitglieder und stellvertretende Mitglieder teil.
Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Gegen einige wenige Stimmen angenommen. - Enthaltungen? Keine Enthaltungen.
Nun Überweisung an die Ausschüsse, die ich verlesen habe. Ist das Haus einverstanden? ({0})
Ich bitte um Abstimmung. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Gegen die Stimmen der kommunistischen Gruppe angenommen.
Ich habe noch über einen Antrag abstimmen zu lassen. Es ist der Antrag Drucksache Nr. 3495, Antrag der Fraktion der SPD betreffend Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, kommen wir zum nächsten Punkt der Tagesordnung.
({1})
- Es wird mir soeben mitgeteilt, daß noch die Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten ({2}) über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Kenntnisgabe von Dokumenten durch die Bundesregierung an den Bundestag ({3})
stattfinden soll, und zwar ohne weitere Diskussion. Berichterstatter ist Kollege Dr. Kopf.
Herr Abgeordneter Dr. Kopf, ich bitte Sie, das Wort zur kurzen Berichterstattung zu ergreifen.
Dr. Kopf ({4}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in Beantwortung der Anfrage der KPD-Fraktion Nr. 143 am 26. April 1951 dem Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestags Abschriften des mit der Alliierten Hohen Kommission geführten Schriftwechsels wegen der Frage der deutschen Auslandsschulden übersandt. Dieser Schriftwechsel schließt mit dem Notenwechsel ab, der am 6. März 1951 erfolgt ist. Das Begleitschreiben, das der deutschen Note beigefügt war, wies darauf hin, daß die deutsche Erklärung zur Schuldenfrage die einstimmige Billigung des Bundestagsausschusses für das Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten gefunden habe.
Die beiden Noten - die Note der Bundesregierung vom 6. März 1951 und die Antwortnote der Alliierten Hohen Kommission vom gleichen Tage - sind als Anlage des Sechsten Teils - Reparationen - des Vertrags zur Regelung der aus Krieg und Besatzung entstandenen Fragen wiedergegeben.
Auf diesen Notenwechsel vom 6. März 1951 sind weitere Noten gewechselt worden. Am 10. April 1951 überreichte der Herr Bundeskanzler der Alliierten Hohen Kommission eine weitere Note, in der Wünsche für die künftige Behandlung des Auslandsvermögens geäußert wurden. Diese Wünsche gingen auf Erörterungen zurück, die im
({5})
Auswärtigen Ausschuß geführt worden waren und in deren Verlauf auf den Zusammenhang zwischen Auslandsschulden und Ausiandsvermögen hingewiesen worden war. Die deutschen Vorschläge sind durch eine Note der Alliierten Hohen Kommission vom 28. April 1951 zurückgewiesen worden. Am 28. Juni 1951 hat die Bundesregierung erneut eine Note an die Alliierte Hohe Kommission gerichtet und mitgeteilt, daß die Schuldenanerkennung nur unter der Voraussetzung erfolgt sei, daß die Fragen des deutschen Auslandsvermögens geregelt werden.
Die Fraktion der SPD hat beantragt, den Notenwechsel, der auf den Notenaustausch vom 6. März 1951 erfolgt war, den Mitgliedern des Bundestags zugänglich zu machen. Der Auswärtige Ausschuß hält diesen Wunsch für berechtigt. Er ist insbesondere der Auffassung, daß nur die Kenntnis dieses Notenwechsels die Mitglieder dieses Hauses in die Lage versetzen dürfte, die Bestimmungen des Sechsten Teils - Reparationen - und des Achten Teils - Ansprüche gegen Deutschland - des Vertrags zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen beurteilen und würdigen zu können. Aus diesem Grunde schlägt der Auswärtige Ausschuß dem Hohen Hause vor, den Antrag der SPD-Fraktion Drucksache Nr. 3453 anzunehmen.
({6})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, über diesen Antrag sollte eine Aussprache nicht stattfinden. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Auswärtigen Ausschusses Drucksache Nr. 3511 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit des Hauses. Der Antrag ist angenommen.
Wir haben gestern auf die Tagesordnung die Punkte gesetzt, die den Lastenausgleich betreffen. Ich habe heute morgen übersehen, meine Damen und Herren, darauf hinzuweisen, daß nach der getroffenen Vereinbarung auch folgender Punkt heute auf die Tagesordnung gesetzt werden sollte:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung von deutschen Schuldverschreibungen, die aaf ausländische Währung lauten ({0}) ({1}).
Der Ältestenrat hatte vorgeschlagen, dieses Gesetz ohne Aussprache und ohne Begründung dem zuständigen Ausschuß zu überweisen. Darf ich annehmen, daß Sie damit einverstanden sind und daß dieser Punkt der Tagesordnung zunächst erledigt werden kann? Es handelt sich also um Drucksache Nr. 3584. Die Bundesregierung verweist auf die schriftliche Begründung, die noch nicht gedruckt ist, die Ihnen aber noch zugehen wird.
({2})
Sie werden das mit der Zeit vor den Ferien entschuldigen, in der wir ja einige andere umfangreiche Drucksachen zu erledigen hatten. Ich darf Sie bitten, mit der Überweisung dieses Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Geld und Kredit einverstanden zu sein. - Das Haus ist damit einverstanden.
Dann kommen wir zu den Anträgen des Vermittlungsausschusses, nämlich
a) Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({3}) zu dem Entwurf eines Gesetzes über den Lastenausgleich ({4});
b) Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({5}) über den Entwurf eines Gesetzes zur Einfügung eines Art. 120a in das Grundgesetz ({6});
c) Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({7}) über den Entwurf eines Gesetzes über Teuerungszuschläge zur Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz ({8}) ({9}).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Kunze.
Darf ich ihn bitten, das Wort zu nehmen.
Kunze ({10}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens aller Fraktionen habe ich zunächst darauf aufmerksam zu machen, daß wir nicht dem Antrag des Vermittlungsausschusses entsprechen können, über alle drei Punkte, nämlich Vermittlungsausschußvorschlag betreffend Lastenausgleichsgesetz, betreffend Einfügung des Art. 120 a in das Grundgesetz und betreffend Aufhebung des Teuerungszulagengesetzes abzustimmen, weil wir für die Beschlußfassung über Art. 120 a eine qualifizierte Mehrheit haben müssen. Ich darf mitteilen, daß wir zwischen Bundestags- und Bundesratsvertretung im Ausschuß für die Frage der Änderungswünsche des Bundesrats zu Art. 120 a des Grundgesetzes in Verbindung mit § 232 des Lastenausgleichsgesetzes eine Übereinstimmung erzielt haben. Wir haben im Lastenausgleichsgesetz die Erhebung der Abgaben zum Lastenausgleich zu einer Auftragsangelegenheit der Länder gemacht.
Allgemein darf ich bemerken, daß im Protokoll des Vermittlungsausschusses ausdrücklich darauf hingewiesen ist, daß die Vertreter der neun Länder einschließlich des Landes Berlin von der Notwendigkeit überzeugt waren, daß der Bundesfinanzminister die Generallinien festlegen müsse und daß es da zu einem Gentleman's Agreement zwischen Bundesrat und Bundesregierung kommen müsse, um eine einheitliche Erhebung dieser Abgaben sicherzustellen.
Mit dieser Erläuterung kann ich daher als vielleicht am zweckmäßigsten vorschlagen, Herr Präsident, zuerst den Vermittlungsvorschlag betreffend Einfügung eines Art. 120 a in das Grundgesetz zur Abstimmung im Wege des Hammelsprungs zu stellen. Dann haben wir die verfassungsrechtliche Grundlage für die Abstimmung über die beiden anderen Anträge.
Meine Damen und Herren! Wir haben die Möglichkeit - ich muß das feststellen - das Gesetz zur Einfügung eines Art. 120 a in das Grundgesetz auch ohne Hammelsprung anzunehmen, wenn die verfassungändernde Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages eindeutig ist. Wir wollen zunächst also den Versuch machen, ohne Hammelsprung auszukommen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz
({0})
zur Einfügung eines Art. 120 a in das Grundgesetz, dem Antrag des Vermittlungsausschusses entsprechend, zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Also einer der Schriftführer und weitere vier Enthaltungen. Ich stelle fest, daß die verfassungändernde Mehrheit erreicht ist. Dieser Art. 120 a ist mit verfassungändernder Mehrheit angenommen.
Bitte, Herr Abgeordneter Kunze!
Kunze ({1}), Berichterstatter: Dann habe ich zweitens auf den Schriftlichen Bericht, der in den Drucksachen Nrn. 3548 und 3549 vorliegt, hinzuweisen. Ich glaube, es ist nicht erforderlich, jetzt in dieser Abendstunde noch auf all die Einzelheiten dieser Dinge einzugehen.
({2})
Sie haben Gelegenheit gehabt, die Drucksachen durchzusehen. Ich habe entsprechend dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses Ihnen vorzuschlagen, die beiden Vorschläge des Vermittlungsausschusses anzunehmen.
Herr Abgeordneter Dr. Reismann wünscht eine Erklärung abzugeben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vorschlag des Vermittlungsausschusses bedeutet gegenüber der bisherigen Fassung des Lastenausgleichsgesetzes eine wesentliche Verschlechterung, insbesondere hinsichtlich des § 38 betreffend die Anrechnung der eigenen Schäden. Wir behalten uns vor, alsbald nach der Verabschiedung dieses Gesetzes einen Änderungsantrag bezüglich dieses Punktes einzubringen, und ich hoffe dabei auf die Unterstützung des Herrn Kollegen Kunze und seiner Freunde.
Herr Abgeordneter von Brentano wünscht eine Erklärung abzugeben.
Meine Damen und Herren! Namens der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP möchte ich zu der Abstimmung folgende Erklärung abgeben:
Das vom Bundestag mit absoluter Mehrheit beschlossene Lastenausgleichsgesetz ist in dem vom Bundesrat angerufenen Vermittlungsausschuß unter Mitwirkung der sozialdemokratischen Opposition erheblichen Veränderungen unterworfen worden, die fast durchweg als Verschlechterungen dieses Gesetzes anzusehen sind.
({0}) Nur um das besonders von den Geschädigten und Abgabepflichtigen so dringend erwartete Gesetz möglichst bald in Kraft treten zu lassen, haben sich die Fraktionen der Regierungskoalition mit schweren Bedenken entschlossen, dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses ihre Zustimmung zu geben. Die Regierungsparteien werden alle Kräfte daransetzen, die dem neuen Gesetz eingefügten Mängel in allernächster Zukunft zu beseitigen. Gleichzeitig beantrage ich namens der genannten Fraktionen namentliche Abstimmung.
({1})
Zu einer Erklärung Herr Abgeordneter Seuffert.
Seuffert ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion gibt zu dieser Abstimmung folgende Erklärung ab:
Der Vorschlag des Vermittlungsausschusses sieht gewisse Verbesserungen der ursprünglichen Gesetzesfassung vor.
({1})
- Wir sind im Gegensatz zu der Mehrheit der Auffassung, daß es Verbesserungen sind. Wir sind allerdings auch der Meinung, daß diese Verbesserungen nicht etwa einer sozialdemokratischen doktrinären Politik, sondern der sachlichen Einsicht des Bundesrates entstammen.
({2})
Der Vorschlag hat jedoch in wesentlichen Punkten den Geist des Gesetzes, der für die sozialdemokratische Fraktion unannehmbar war, bestehen lassen. Noch immer ist eine Verteilung der Entschädigungsgelder vorgesehen, die die Besitzer ehemals großer Vermögen auf Kosten der vielen kleinen Geschädigten einseitig bevorzugt.
({3})
Die Abzugsfähigkeit der Abgaben bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer ist im wesentlichen aufrechterhalten. Dadurch ist die an sich schon sehr weitgehende Belastung der öffentlichen Haushalte durch dieses Gesetz auf einem unerträglich hohen Maß belassen, indem den Abgabepflichtigen allein durch diese Bestimmung jährlich mindestens 180 Millionen DM aus Steuergeldern geschenkt werden. Vorschläge, statt dessen eine weitere Verbesserung des Aufkommens von der Abgabeseite her vorzusehen, sind nicht zum Zuge gekommen. Wir bedauern insbesondere, daß Beschlüsse, über die sachlich bereits eine Einigung erzielt worden war, offenbar aus politischen Erwägungen wieder rückgängig gemacht worden sind.
({4})
Die Zustimmung zu diesem Vermittlungsvorschlag würde eine nachträgliche Genehmigung des Gesetzes in seiner heutigen unannehmbaren Form bedeuten. Wir lehnen deswegen den Vorschlag ab. Wir beantragen namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich nehme aber an, daß Sie es im Interesse der Vereinfachung bei einer namentlichen Abstimmung bewenden lassen.
({0})
Auch Herr Abgeordneter Loritz wünscht, eine Erklärung abzugeben.
({1})
Loritz ({2}) : Meine Damen und Herren! Das Lastenausgleichsgesetz, wie es Ihnen jetzt vorliegt, nachdem es durch den Vermittlungsausschuß gelaufen ist, bedeutet noch genauso wie vorher eine schwerste Schädigung für die Besitzer kleiner und mittlerer Einkommen oder Vermögen und bringt für die Berechtigten, für die Heimatvertriebenen, die einheimischen Kriegsgeschädigten usw. auch jetzt noch keineswegs das, worauf sie einen moralischen und rechtlichen Anspruch hätten. Diese Vermittlungsausschuß-Formulierung belastet aber wiederum so gut wie nicht die großen Aktienpakete-Besitzer, sie zieht fast nicht heran die großen Währungsreform-Gewinnler, sondern sie belastet einseitig den kleinen Mittelstand und breiteste Schichten der Bevölkerung.
({3})
({4})
So kommt es, daß durch die neue Formulierung des Lastenausgleichsgesetzes wiederum nur Summen zusammenkommen, die viel zu wenig sind, um für die heimatvertriebenen und einheimischen Kriegsgeschädigten eine wirksame Hilfe bringen zu können.
({5})
Deswegen muß jeder, der diese Dinge durchschaut, das Lastenausgleichsgesetz auch in dieser Form schärfstens ablehnen!
({6})
Im Laufe der Arbeit des Bundestages wird uns schon noch geschenkt werden, den Unterschied zwischen Erklärungen und Debattereden kennenzulernen!
({0})
Werden weitere Erklärungen gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen also zur Abstimmung über den Antrag des Vermittlungsausschusses Drucksache Nr. 3548.
({1})
- Meine Damen und Herren, ich weise darauf hin - ich hoffe, das haben Sie inzwischen gelesen -, daß sich diese Abstimmung nach dem Antrag des Vermittlungsausschusses auch auf den Entwurf eines Gesetzes über Teuerungszuschläge zur Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz - Drucksache Nr. 3549 - erstreckt. Die Drucksache Nr. 3549 ist durch die Abstimmung über Art. 120 a erledigt.
Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmzettel einzusammeln.
({2})
Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, sich auf Ihre Plätze zu begeben. Es ist für die Herren Schriftführer unmöglich, einen Überblick zu behalten, wenn Sie alle in den Gängen stehen.
Darf ich die Pause der Auszählung benutzen, um den letzten Punkt der Tagesordnung zu erledigen, nämlich:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP/DPB, FU ({3}) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ({4}).
Es ist vorgesehen, daß auf eine Begründung verzichtet wird, auf eine Aussprache ebenfalls. Ich empfehle Ihnen, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für den Lastenausgleich zu überweisen. Das Haus ist damit einverstanden. Die Überweisung ist erfolgt.
Meine Damen und Herren, darf ich noch einige Bekanntmachungen geben, um Sie nachher nicht aufhalten zu müssen.
Erstens bittet die Landesgruppe der CSU, mitzuteilen, daß sie im Anschluß an die Sitzung zusammentritt.
Der Unterausschuß 3 - Landwirtschaft - des Ausschusses für Heimatvertriebene tagt statt um 19 Uhr um 20 Uhr.
Weitere Bekanntmachungen? - Offenbar nicht.
Meine Damen und Herren, ich frage: Sind noch Abgeordnete vorhanden, die ihre Stimme abzugeben wünschen und zu den Anträgen des Vermittlungsausschusses Nrn. 3548 und 3549 noch nicht abgestimmt haben? - Es ist kein Abgeordneter mehr vorhanden, der noch abzustimmen wünscht. Ich schließe die Abstimmung.
({5})
Meine Damen und Herren, darf ich das vorläufige Ergebnis *) der Abstimmung über den Antrag des Vermittlungsausschusses bekanntgeben. Von den stimmberechtigten Abgeordneten haben sich 353 Abgeordnete beteiligt; mit Ja haben gestimmt 208, mit Nein 139, bei 6 Enthaltungen. Von den Berliner Abgeordneten haben sich 15 beteiligt, mit Ja 9, mit Nein 6 gestimmt. Damit ist der Antrag des Vermittlungsausschusses auf den Drucksachen Nrn. 3548 und 3549 - vorbehaltlich der Überprüfung des Ergebnisses - angenommen.
Ich habe noch eine Sache vorzubringen, meine Damen und Herren. Bei den zahlreichen Änderungen, die der Antrag des Vermittlungsausschusses im Gefolge hat, wird es nötig sein, Unstimmigkeiten des Wortlauts, die sich ergeben haben und deren Berichtigungen im Interesse der Übersichtlichkeit der Vorlage nicht sämtlich eingearbeitet werden konnten, zu beseitigen. Ich bitte daher, mir die Ermächtigung zu geben, vor der Bekanntgabe des Lastenausgleichsgesetzes Unstimmigkeiten des Wortlauts, also lediglich redaktioneller Art, zu beseitigen. Sind Sie damit einverstanden?
({6})
- Das Haus ist damit einverstanden. Damit ist auch dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf Mittwoch, den 16. Juli 1952, 9 Uhr und schließe die 222. Sitzung.