Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 220. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach Abgeordneter Neuburger für vier Wochen wegen Krankheit und Abgeordneter Henßler für vier Wochen wegen Krankheit.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Dr. Baade, Dr. Veit, Dr. Krone, Jacobi, Dr. Luetkens, Dr. Reif, Dr. Baur ({0}), Determann, Dirscherl, Dr. Dr. Müller ({1}), Feldmann, Böhm, Dr. Kneipp, Frau Wolff, Dr. Will, Kühn, Dr. Luchtenberg.
Danke schön! - Ich darf annehmen, daß Sie mit der Erteilung des Urlaubs, soweit er über eine Woche hinausgeht, einverstanden sind.
Meine Damen und Herren, ein Abgeordneter dieses Hauses ist 70 Jahre alt geworden. Er hat gebeten, davon keine Notiz zu nehmen. Ich halte die Abgeordneten für Persönlichkeiten der Zeitgeschichte, die auch über ihre Person nur begrenzt verfügen dürfen,
({0})
und gratuliere darum auch hier dem Herrn Abgeordneten Dr. Etzel von der Föderalistischen Union herzlichst zu seinem 70. Geburtstag.
({1})
Die Fraktion der DP/ DPB hat mir mitgeteilt, daß der Abgeordnete Dr. Ott nicht mehr Gast der Fraktion ist.
({2})
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden wie üblich ohne Verlesung in das Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Deutsche Bundesrat hat in seiner Sitzung am 20. Juni 1952 beschlossen, den nachfolgen({3})
den Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen:
Gesetz zur Regelung der Miet- und Pachtverhältnisse über Geschäftsräume und gewerblich genutzte unbebaute Grundstücke,
Verwaltungszustellungsgesetz,
Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1952,
Gesetz über Wirtschaftsprüfer im Genossenschaftswesen,
Gesetz zur Verlängerung der Geltungsdauer von Vorschriften auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft.
Den Vermittlungsausschuß hat er angerufen zum
Gesetz über die vorläufige Regelung der Errichtung neuer Apotheken,
Gesetz zur Aufhebung der Mannschaftsrolle
und Bordliste auf Binnenschiffen,
Bundesjagdgesetz.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 18. Juni 1952 die Kleine Anfrage Nr. 276 der Fraktion der SPD betreffend Verhalten der Bundesregierung gegenüber öffentlichen Veranstaltungen ({4}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3508 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 24. Juni 1952 die Kleine Anfrage Nr. 277 der Fraktion der SPD betreffend Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit ({5}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3509 verteilt.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde ({6}).
Die auf der Drucksache Nr. 3474 stehende, vom Herrn Abgeordneten Dr. Becker gestellte Frage 1 hat Herr Abgeordneter Dr. Becker abgesetzt, da die Angelegenheit sich voraussichtlich erledigen wird.
Zur Frage 2 Herr Abgeordneter Dr. Wuermeling, bitte schön!
Dr. Wuermeling ({7}), Anfragender: Ich darf
den Herrn Bundesminister des Innern fragen:
Ist der Herr Bundesminister des Innern angesichts der von allen größeren Parteien vertretenen grundsätzlichen Auffassungen bereit, die Vorschrift der Ersten Durchführungsverordnung zum Bundespersonalgesetz, nach der der Bundesbeamte in der Öffentlichkeit nicht als aktiver Anhänger einer bestimmten politischen Partei hervortreten darf, von sich aus aufzuheben oder wenigstens ihre praktische Nichtanwendung zuzusichern, soweit es sich um die politische Betätigung von Bundesbeamten auf der kommunalen Ebene handelt?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des Innern.
Die Durchführungsvorschrift Nr. 1 zu § 3 des Bundespersonalgesetzes präzisiert in ihrem ersten Satz lediglich die auch ohne diese Festlegung selbstverständliche Pflicht des Bundesbeamten, auch bei seiner politischen Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus seiner Stellung als Diener des Staates, als Diener der Gesamtheit und aus der Rücksichtnahme auf die Pflichten seines Amtes ergeben.
Neben dieser an sich selbstverständlichen Verordnung erfährt daneben noch die Frage des passiven Wahlrechts ihre klare Charakterisierung, und zwar nimmt diese Bestimmung weder dem einzelnen Beamten die Wählbarkeit zu kommunalen Vertretungskörperschaften, die ihm das Verfassungs- und Wahlrecht ausdrücklich gewährt, noch nimmt sie ihm das Recht auf die Mandatsausübung als solche.
Das passive Wahlrecht von Bundesbeamten kann lediglich nach Art. 137 des Grundgesetzes durch ein Gesetz beschränkt werden. Ein solches Gesetz ist - anders als hinsichtlich der Wählbarkeit zum ersten Bundestag - für die Wahl von Bundesbeamten in kommunale Vertretungskörperschaften nicht ergangen. Infolgedessen steht die genannte Durchführungsbestimmung des Bundespersonalgesetzes weder der Wählbarkeit noch der Mandatsausübung in diesen Körperschaften entgegen.
Diese Rechtsauffassung des Innenministeriums ist inzwischen auf verschieden.. Anfragen allen oberen Bundesbehörden zur Berücksichtigung mitgeteilt worden.
Dr. Wuermeling ({0}), Anfragender: Darf ich eine Zusatzfrage stellen?
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter!
Dr. Wuermeling ({0}), Anfragender: Herr Minister, gilt diese Auskunft auch für den Fall, daß Bundesbeamte für politische Parteien kandidieren?
Wenn sie das Recht haben, gewählt zu werden, so ist es ja eine selbstverständliche Folgerung, daß sie sich in Ausübung dieses Rechtes ihren Wählern stellen.
({0})
Die Frage ist erledigt.
Zur Frage Nr. 3 Herr Abgeordneter Wirths, bitte!
Wirths ({0}), Anfragender:
Warum gibt der Bundesminister für Wohnungsbau eine Fachzeitschrift unter dem Titel „Das Bundes-Baublatt" und der Bundesminister der Finanzen eine Fachzeitschrift unter dem Titel „Die Bauverwaltung" heraus?
Halten die Herren Minister eine weitere Zersplitterung auf dem Gebiete des Fachschriftenwesens für richtig, und konnten sie nicht, falls die Notwendigkeit für eine neue Fachschrift von beiden Ministern erkannt wurde, zusammen eine herausgeben?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für den Marshallplan.
Herr Präsident! - Auf Ihre Anfrage, Herr Abgeordneter, habe ich das folgende zu antworten.
Die beiden Organe wenden sich an völlig verschiedene Leserkreise und haben auch eine sehr verschiedene Zielsetzung. Das „Bundes-Baublatt" ist der Nachfolger eines Dienstes von Monatsberich({0})
ten, den das Ministerium für Wohnungsbau seit Anfang 1951 auf den Wunsch zahlreicher Stellen herausgegeben hat. Die Sache hatte sich so ausgeweitet, daß monatlich etwa 1500 Stück versandt werden mußten, und zwar auf Grund der Anfragen. Daraufhin sind Länder, wohnungswirtschaftliche Organisationen und andere am Wohnungsbau interessierte Stellen an das Ministerium herangetreten mit dem Wunsche, eine Zeitschrift mit umfassender Zielsetzung zu erhalten, die die einschlägigen Gesetze, Verordnungen und Erlasse des Bundes und der Länder auf den Gebieten des Bau- und Wohnungswesens enthält, aber vor allen Dingen in einem nicht amtlichen Teil Aufsätze über alle aktuellen Fragen des Wohnungsbaues aufweist.
Dagegen ist die Zeitschrift „Die Bauverwaltung" die Fortsetzerin des früheren Zentralblatts der Bauverwaltung. Hier wird im wesentlichen et was anderes publiziert und ein anderer Kreis
sprochen. Dort werden vor allen Dingen die Erfahrungen der einzelnen Baubehörden vermittelt, und es wird auch ein Bericht über die öffentliche Bautätigkeit gegeben. Die Tatsache, daß hier sehr verschiedene Kreise erfaßt sind, habe ich bereits betont. Immerhin ist eines an der Frage sicher richtig, daß nämlich in weitgehendem Maße überlegt werden muß, wo und in welchem Umfang sich doch Wege zur Zusammenlegung von amtlichen Veröffentlichungen ergeben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wirths.
Wirths ({0}), Anfragender: Ohne Frage kann man zweierlei Meinung darüber sein, ob dieselben oder verschiedene Kreise angesprochen werden. Ist den Herren Bundesministern bekannt, daß diese
beiden Zeitschriften mit ungefähr demselben Titel und mit denselben Mitarbeitern, zum Teil mit demselben Inhalt in der Öffentlichkeit als Konkurrenzunternehmen angesehen werden?
({1})
Zweitens: Ist es den Herren Ministern bekannt, daß die interessierten Kreise - also insbesondere die Kreise der Bauwirtschaft - tatsächlich beide Zeitschriften halten müssen?
Ich habe bereits ausgeführt, daß es zweifellos notwendig ist, hier eine gewisse Überschneidung zu überprüfen und nach Abhilfe zu suchen.
Die Frage ist erledigt. - Zu Frage 4 Herr Abgeordneter Niebergall.
Niebergall ({0}), Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Frage gestellt:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die die Existenz unserer Landwirtschaft und Ernährung bedrohende weitere Landbeschlagnahmung für militärische Zwecke in Rheinland-Pfalz, aber insbesondere in den Kreisen Rockenhausen, Kusel, Kaiserslautern, Bergzabern, Birkenfeld, Pirmasens, Zweibrücken, Wittlich und Bitburg zu verhindern?
Wie hoch ist der bisher in diesen Gebieten angerichtete Schaden, welche Summe wurde bisher an die Geschädigten ausgezahlt, und bis wann gedenkt die Bundesregierung alle Betroffenen restlos zu entschädigen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister der Finanzen!
Zunächst muß ich feststellen, daß das Besatzungsstatut noch gilt. Solange das Besatzungsstatut gilt, liegt es nicht in der Entscheidung der Bundesregierung, ob und in welchem Umfange, wann und wo militärische Anlagen zum Zwecke der Verteidigung der freien westlichen Welt und damit zur Sicherung des Friedens errichtet werden.
Selbstverständlich bemüht sich die Bundesregierung, insbesondere die Dienststelle Blank, bei derartigen Anforderungen der alliierten Streitkräfte möglichst auf die Auswahl und den Umfang der Objekte im Interesse der betroffenen deutschen Bevölkerung, insbesondere der Landwirtschaft, und im Interesse der Sicherung der Ernährung Einfluß zu nehmen.
Was den zweiten Teil der Frage betrifft, so muß ich darauf verweisen, daß das Bundesministerium der Finanzen im Einvernehmen mit den zuständigen Bundesressorts die erforderlichen Richtlinien schon erlassen hat, nach denen das in Anspruch genommene Land aufzukaufen ist und die etwa entstehenden Schäden zu Lasten des Einzelplans XXVII abzugelten sind, soweit diese Schäden nicht zu Lasten des alliierten Besatzungskosten- und Auftragsausgabenhaushalts abgegolten. werden.
Was nun die spezielle Frage wegen der entstandenen Schäden in den Fällen Rockenhausen, Kusel etc. etc. betrifft, so muß ich darauf verweisen, daß die Durchführung dieser Richtlinien und dieser Maßnahmen durch die Oberfinanzdirektionen und die Behörden der Landesverwaltung, Besatzungslastenverwaltung, also Organisationen der Länder geschieht. Um im Einzelfall feststellen zu können, welche Schäden entstanden sind, müßte das Bundesfinanzministerium bei diesen Länderverwaltungen zunächst anfragen und sich die Unterlagen erholen. In all diesen aufgezählten Fällen sich die Unterlagen zu holen, war in der kurzen Zeit zwischen der Fragestellung und der jetzigen Beantwortung nicht möglich.
Erledigt.
Zur Frage 5 Herr Abgeordneter Niebergall!
Niebergall ({0}), Anfragender:
Sind dem Bundesminister für Wohnungsbau die ungeheuerlichen Zustände auf dem Gebiet des Wohnungs-, Schul- und Kanalisationswesens in der großen Siedlung Weisenheim, Kreis Neustadt/ Rheinland-Pfalz, bekannt? Was gedenkt der Herr Bundesminister zu tun, um diese unmenschlichen Zustände zu beseitigen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für 'den Marshallplan!
Es handelt sich bei ihrer Anfrage offenbar um die 119 Behelfsheime, die an eine Großsiedlung Weisenheim am Sand angegliedert sind. Diese sind im Jahre 1944 unter voller Finanzierung durch das Reich errichtet worden und jetzt Bundesvermögen. Infolgedessen ist für die Verwaltung der Bundesminister der Finanzen zuständig. Er hat mit dieser Verwaltung die Heimstätte 'in Neustadt an der Hardt beauftragt. Die Hauptmängel sind uns bekannt., Sie bestehen vor 'allen Dingen in der Un({0})
zulänglichkeit der Wasserversorgung, in dem Fehlen einer Kanalisation sowie dem hohen Grundwasserstand. Hinsichtlich der Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung handelt es sich zwar um 'Aufgaben, die in erster Linie Gemeindeangelegenheiten sind, weil aber die Gemeinde zu einer Abstellung der angeführten Mängel allein nicht in der Lage war, hat bereits das Land 'Rheinland-Pfalz zur Verbesserung der Verhältnisse bisher 65 000 DM für diese Behelfsheime ausgegeben. Es hat aber auch 'darüber hinaus am 6. Juni 1952 eine örtliche Besichtigung unter Beteiligung der Bundesvermögens- und Bauabteilung bei der Oberfinanzdirektion in Koblenz als der für die Verwaltung dieses ehemaligen Reichsvermögens zuständigen Stelle stattgefunden. Dabei wurde festgestellt, daß z. B. die Vermehrung der Zapfstellen für die Trinkwasserversorgung vordringlich und binnen kurzer Zeit durchführbar ist. Weitere Maßnahmen, die längere Zeit in Anspruch nehmen, sind eingeleitet. In Zusammenarbeit zwischen idem Bundesminister der Finanzen unid idem Land Rheinland-Pfalz wird die Angelegenheit unablässig weiter verfolgt.
Das ist erledigt. - Zu Frage 6 Herr Abgeordneter Paul ({0}).
Paul ({1}) ({2}), Anfragender: Meine Frage lautet:
Warum ist das Kuratorium der Bundeszentrale für Heimatdienst noch nicht einberufen worden?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des Innern.
Die Bundeszentrale für Heimatdienst ist noch im personellen Aufbau begriffen. Dieser personelle Aufbau kann nicht überstürzt werden, da von der Auswahl der geeigneten Persönlichkeiten gerade für die Arbeit an dieser Stelle außerordentlich viel abhängt. Trotzdem hat die Bundeszentrale bisher eine beträchtliche Anlaufarbeit geleistet. Außerdem habe ich bereits einen Organisationserlaß vorbereitet, der dem Bundeskabinett zur Zustimmung vorliegt. Sobald die Aufbauarbeit sich zu konkreten Plänen verdichtet hat, werde ich sofort das aus 15 Bundestagsabgeordneten bestehende Kuratorium der Bundeszentrale einberufen.
Eine Zusatzfrage.
Paul ({0}) ({1}), Anfragender: Die Bundeszentrale für Heimatdienst entfaltet ja bereits seit einigen Monaten, wie auch der Herr Bundesinnenminister erklärt hat, seine Tätigkeit. Ist der Herr Bundesminister der Meinung, daß diese Tätigkeit ohne die erforderliche demokratische Kontrolle stattfinden soll? Ist der Herr Bundesminister bereit, zu sichern, daß die Mitarbeit des Kuratoriums in Zukunft gewährleistet wird?
Nachdem die 'Bundeszentrale vom Hohen Hause beschlossen worden ist, ist es ganz selbstverständlich, daß das Hohe Haus auch die Gelegenheit und die Möglichkeiten der Kontrolle hat. Ich wiederhole nochmals: sowie der Organisationserlaß vom Kabinett verabschiedet ist, wird das Kuratorium sofort zusammenberufen werden. Im übrigen stehe ich ja dem Hohen Hause jederzeit zu Anfragen und zur
Kontrolle - auch für die in der Zwischenzeit geleistete Arbeit -- zur Verfügung.
Die Frage ist erledigt. - Zu Frage 7 Herr Abgeordneter Freidhof.
Freidhof ({0}), Anfragender:
Welche Maßnahmen gedenkt der Herr Bundesminister für Verkehr zu ergreifen, um die Durchfahrt unter der von deutschen Einheiten gesprengten Eisenbahnbrücke Frieda - Talbrücke zwischen den Stationen Schwebda und Geismar so weit zu sichern und zu erhöhen, daß die Landwirte auch mit beladenen Erntewagen die Brücke passieren können?
Der Herr Bundesminister für Verkehr ,zur Beantwortung.
Der Viadukt liegt etwa 400 m vor der Zonengrenze. Die Eisenbahnlinie ist auch jenseits unterbrochen. Die Brücke ist seinerzeit gesprengt worden. Die Durchfahrthöhe unter der Brücke beträgt 2,86m, da die Stahlüberbauten auf den Schuttkegeln der gesprengten Brückenpfeiler liegen. Die Eisenbahndirektion Kassel hat bereits 1950 mit dem Regierungspräsidenten von Kassel und dem Landrat von Eschwege eine Besprechung über diese Frage abgehalten. Eine weitere Besprechung mit dem Landrat hat am 7. November 1951 stattgefunden. Der Landrat hat jeweils erklärt, daß die Erschwerung infolge der geringen Durchfahrthöhe den Landwirten zugemutet werden kann. Für die Bundesbahn liegt daher keine Veranlassung vor, Maßnahmen zu ergreifen, um so mehr, als die Beseitigung der abgestürzten Überbauten mindestens 120 000 DM kostet.
Die Frage ist erledigt. Zur Frage 8 Herr Abgeordneter Dr. Arndt.
Dr. Arndt ({0}), Anfragender: Ich habe folgende Frage:
Aus welchen Gründen wurde der Referent für Verfassungsschutz, Dr. Karl Sauer, beurlaubt?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des Innern.
Der Referent für Verfassungsschutz, Dr. Karl Sauer, ist im Rahmen des üblichen Jahresurlaubsplanes vom 29. Mai bis zum 4. Juni dieses Jahres zum Besuch seiner Familie beurlaubt gewesen. Er nimmt seit dem 5. dieses Monats seine Dienstgeschäfte wieder wahr.
Dr. Arndt ({0}), Anfragender: Eine Zusatzfrage!
Eine Zusatzfrage.
Dr. Arndt ({0}), Anfragender: Hängt der Urlaubsantritt seinem Zeitpunkt nach nicht doch damit zusammen, daß Herr Dr. Sauer auf den bekannten Künstler Werner Finck zwar nicht mit Kanonen, aber doch mit Stalin-Orden geschossen hat?
({1})
Den Zusammenhang kann ich selbst nicht konstruieren.
({0})
({1})
Ich sagte ja schon, daß er zum Besuch seiner Familie beurlaubt gewesen ist. Ich nehme an, daß die Familie mit Herrn Finck keine näheren Beziehungen unterhält.
Eine weitere Zusatzfrage?
Dr. Arndt ({0}), Anfragender: Herr Bundesminister, das Ausweichen befriedigt mich nicht. Ich möchte wissen, ob im Zusammenhang mit dem Urlaubsantritt von Herrn Dr. Sauer von Aktionen die Rede gewesen ist, die sich gegen Werner Finck gerichtet haben.
Nein.
Dr. Arndt ({0}), Anfragender: Danke schön!
Zur Frage 9 Herr Abgeordneter Dr. Arndt.
Dr. Arndt ({0}), Anfragender: Ich habe die Frage:
Darf die Deutsche Bundespost keine internationalen Rückporto-Scheine ausgeben, obgleich sie selbst diese Scheine einlösen muß? Warum?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär im Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen.
Das Bundespostministerium hat sich durch Verhandlungen mit dem Weltpostverein und mit den zuständigen alliierten Stellen wiederholt bemüht, die Wiederzulassung des Verkaufs von internationalen Antwortscheinen im Bundespostgebiet zu erreichen. Diese Bemühungen waren trotz allem dem Antrag entgegengebrachten Verständnis für die Notwendigkeit der Einführung dieses Dienstes bisher aber leider erfolglos.
({0})
Für den Druck von Antwortscheinen mit der Bezeichnung „Deutschland" verlangt das internationale Büro des Weltpostvereins in Bern, dem nach Art. 164 der Vollzugsordnung zum Weltpostvertrag der Druck und die Verteilung obliegen, die Zustimmung des Alliierten Kontrollrats. Dieses Viermächtekomitee hat aber bisher nur die Genehmigung für den Antwortscheinverkehr nach Deutschland erteilt; denn diese Antwortscheine kommen ja gewissermaßen dem ganzen früheren Deutschland zugute.
Die Postverwaltung der Sowjetzone hat mehrfach, zuletzt noch am 15. April dieses Jahres, erklärt, daß sie an der Wiedereinführung des Verkaufs internationaler Antwortscheine vorläufig nicht interessiert sei. Darauf ist es unter anderem zurückzuführen, daß eine Zustimmung aller vier Alliierten zur Wiedereinführung dieses Dienstes bisher nicht erreicht werden konnte.
Andererseits erscheint es uns nicht angebracht, über das internationale Büro des Weltpostvereins zu versuchen, Antwortscheine herauszugeben, die den Aufdruck der Bundesrepublik tragen und daher auch nur eine auf ihren Bereich beschränkte Gültigkeit haben. Dafür sind folgende Gründe maßgebend:
1. Eine solche Maßnahme würde die Stellung Gesamtdeutschlands als einheitlichen Postgebiets gefährden, wie wir es immer betrachtet haben und noch betrachten.
({1})
2. Es könnten sich politische Folgerungen daraus ergeben: Unter anderem könnte man der Bundesrepublik vorhalten, der Trennung zwischen West- und Ostdeutschland dadurch Vorschub zu leisten.
3. Die Ostblockstaaten einschließlich China würden zweifellos nicht bereit sein, solche Antwortscheine einzulösen, d. h. gegen dort gültige Postwertzeichen umzutauschen.
4. Auch manche Länder, die der Bundesrepublik wohlwollend gegenüberstehen, würden vielleicht die Einlösung solcher Antwortscheine ablehnen, da die Bundesrepublik kein anerkannter selbständiger Staat im Sinne der Satzungen des Weltpostvereins ist, wie wir ja auch dem Weltpostverein bisher noch nicht angehören.
5. Es würde sich also wahrscheinlich nur die Möglichkeit bieten, mit verhältnismäßig wenigen Ländern diesen Dienst aufzunehmen. Eine solche Beschränkung würde aber sicherlich von der Öffentlichkeit nicht verstanden werden und außerdem zu postdienstlichen Schwierigkeiten führen. Bei etwaiger Wiederaufnahme dieses Dienstes - das ist unsere Ansicht - müßten vielmehr alle Vereinsländer gleichmäßig behandelt werden.
Dr. Arndt ({2}), Anfragender: Eine Zusatzfrage! Herr Staatssekretär, halten Sie diese Lage mit einer Gleichberechtigung für vereinbar?
Wie ich schon sagte, läßt sich an dem Zustand augenblicklich nichts ändern. Ich glaube, wir haben vom staatsrechtlichen Gesichtspunkt aus keine Veranlassung, im Moment daran etwas zu ändern.
Die Frage ist erledigt. Zur Frage 10 Herr Abgeordneter Morgenthaler!
Morgenthaler ({0}), Anfragender:
Aus welchen Gründen hat sich die Auszahlung der von den zuständigen Stellen festgesetzten Entschädigungsbeträge für Besatzungsverdrängte und Besatzungsgeschädigte in zahlreichen Fällen verzögert, und welche Maßnahmen sind beabsichtigt, um die alsbaldige Auszahlung zuerkannter Entschädigungen zu gewährleisten?
Der Herr Bundesminister der Finanzen!
Die Anfrage ist so allgemein gehalten, daß es unmöglich ist, eine auf einen Einzelfall abzielende konkrete Antwort zu geben. Ich möchte grundsätzlich nur folgendes bemerken. Zunächst erfolgt die Festsetzung der Entschädigungsbeträge, dann muß von den alliierten Dienststellen haushaltsrechtlich die Ermächtigung ausgesprochen werden, dann geht es erst auf die deutsche Verwaltung als solche über. Die Behörden der Besatzungslastenverwaltung haben den Auftrag, unverzüglich - im Regelfall - auszuzahlen. Die Behörden der Besatzungslastenverwaltung sind aber - ich weise noch einmal
({0})
darauf hin - Länderbehörden, so daß also, wenn hier eine Anfrage erfolgt, im Einzelfall erst von hier aus die Rückfrage bei der Länderverwaltung erfolgen muß, um die Unterlagen zu erhalten.
Allgemein möchte ich noch feststellen: das Bundesfinanzministerium ist sehr gern bereit, alles zu tun, um die unverzügliche Auszahlung zu gewährleisten, muß aber im Einzelfall die Anregung von den Geschädigten erhalten.
Eine Zusatzfrage?
Morgenthaler ({0}), Anfragender: Hat die Bundesregierung eine Möglichkeit, das Unrecht der Abwertung bei vielen Entschädigungssummen in irgendeiner Weise jetzt oder nach Aufhebung des Besatzungsstatuts wiedergutzumachen?
Über diese Frage ist in diesem Hause schon sehr häufig gesprochen worden. Wir haben mit den Besatzungsmächten seinerzeit verhandelt, um diese sogenannte Abwertung, also die Umstellung 1 zu 10 in bestimmten Fällen, in denen wirkliche Härten vorliegen, zu vermeiden. Ich darf aber bemerken, daß eine allgemeine Aufhebung dieses Grundsatzes, wie ich früher einmal bekanntgegeben habe, einen Mehrbedarf von rund 800 Millionen DM bedeuten würde. Kommentar überflüssig!
Zur Frage 11 Herr Abgeordneter Morgenthaler.
Morgenthaler ({0}), Anfragender:
Welche Bemühungen hat die Bundesregierung unternommen,
({1})
und welche Bemühungen wird sie unternehmen, um die deutsche Sprache insbesondere im amtlichen Verkehr rein zu erhalten und vor Verunstaltungen zu schützen?
({2})
Der Herr Bundesminister des Innern!
Die Bundesregierung wirkt ständig darauf hin, daß die deutsche Sprache auch im Amtsverkehr gepflegt und reingehalten wird. Sie arbeitet hierbei eng mit der im Jahre 1947 gegründeten Gesellschaft für deutsche Sprache in Lüneburg zusammen. Die Gesellschaft ist der anerkannte Rechtsnachfolger des Deutschen Sprachvereins. Diese Gesellschaft erhält einen laufenden Zuschuß aus Haushaltsmitteln des Bundes.
({0})
Im einzelnen darf ich auf folgendes hinweisen. In einer Auflage von 35 000 Stück wurden 1951 die von der Gesellschaft für deutsche Sprache unter Mitwirkung meines Ministeriums herausgegebenen „Fingerzeige für Gesetzes- und Amtssprache" an die Behörden abgegeben. Durch Rundschreiben meines Hauses vom 24. Oktober 1950, das im gemeinsamen Ministerialblatt veröffentlicht worden ist, wurden die Bundesbehörden angeregt, insbesondere Gesetzes- und Verordnungsentwürfe, aber auch grundsätzliche Bekanntmachungen und Anweisungen auf ihre Sprachreinheit zu überprüfen und durch die Gesellschaft, die ich eben nannte, besonders überprüfen zu lassen. Dieses Rundschreiben wird bei allen geeigneten Gelegenheiten den beteiligten Dienststellen in Erinnerung gebracht, insbesondere bei den Zusammenkünften der Organisationsreferenten der einzelnen Ressorts. Der Grad der Inanspruchnahme ist allerdings noch unterschiedlich, und ich bin bemüht, die Inanspruchnahme zu erhöhen. Besonders rege ist der Verkehr mit dem Bundesministerium für das Post-und Fernmeldewesen, mit den Behörden der Bundesbahn und selbstverständlich auch mit meinem eigenen Hause.
Nachdem nun der Aufbau der Gesellschaft auch in den Zweigstellen einen gewissen Abschluß erreicht hat, habe ich im Juni dieses Jahres die Länder gebeten, die Bestrebungen der Gesellschaft auch ihrerseits tatkräftigst zu unterstützen und auch von den Ländern aus im amtlichen Verkehr diese Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich bin mir bewußt, daß alle diese Maßnahmen der Bundesregierung einen wirklich durchschlagenden Erfolg nur dann haben können, wenn die einzelnen Beamten und Angestellten der Behörden die Pflege ihrer Muttersprache auch für sich selbst zu einer Herzenssache machen. Dazu gehört eine dauernde Erziehung in dieser Richtung und ein ständiger Hinweis. Ich habe daher Ihre Anfrage, Herr Abgeordneter, ganz besonders begrüßt und bitte auch um die Unterstützung des Hohen Hauses bei allen Bemühungen, unsere Sprachreinheit zu fördern und zu pflegen.
({1})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter?
Morgenthaler ({0}), Anfragender: Hat die Bundesregierung eine Möglichkeit, dem zunehmenden Unfug der Abkürzungen und Auflösungen in Buchstaben, die letzten Endes kein Mensch mehr verstehen kann, wirksam entgegenzutreten?
({1})
Ja, gegen allzugroße Torheiten und Geschmacklosigkeiten ist leider ein amtliches Rezept noch nicht gefunden.
({0})
Zur Frage 12 Frau Abgeordnete Dr. Weber.
Frau Dr. Weber ({0}) ({1}), Anfragende: Können nicht Gebiete, wie Aachen und Erkelenz, die zwangsevakuiert gewesen sind
- bis zu 21/20/o der Bevölkerung, die nur noch blieben und monatelang Schauplatz des unmittelbaren Kriegsgeschehens waren
- 6 bis 8 Monate nämlich -,
Stundung und Erlaß bei der Investitionshilfe erhalten, indem man diese Merkmale zu den bereits festliegenden hinzufügt, damit diese Gebiete als Sanierungsgebiet anerkannt werden?
Der Bundesminister der Finanzen.
Das Bundeskabinett hat bezüglich der Stundung der Beträge zur Aufbringung der Investitionshilfe
({0})
Richtlinien erlassen, die in der Zwischenzeit auch vom Bundesrat genehmigt worden sind. In diesen Richtlinien ist vorgesehen, daß Betriebe, die in sogenannten Notstands- und Sanierungsgebieten liegen, eine besondere Berücksichtigung erfahren können. Der Umfang dieser Gebiete wird durch einen interministeriellen Ausschuß bestimmt, der unter der Federführung des Bundeswirtschaftsministeriums steht.
Als der Herr Präsident der Industrie- und Handelskammer Aachen gelegentlich einer Verhandlung im Bundesfinanzministerium vorgesprochen hat, ob die Stadt Aachen in diese Notstandsgebiete eingereiht werden könnte - der Landkreis Aachen ist bereits eingereiht -, mußte ihm daher gesagt werden, daß es an ihm liege, sich an den interministeriellen Ausschuß zu wenden, der dann nach den gegebenen Verhältnissen die Einreihung von Aachen-Stadt und Erkelenz in diese Notstandsgebiete vornehmen kann.
Ich darf aber zum Schluß zu der Frage der Erweiterung der Merkmale noch bemerken, daß die Bevorzugung, die die Betriebe in Notstands- und Sanierungsgebieten erfahren, nach meiner Überzeugung gerade noch im Rahmen des gesetzlich Zulässigen liegen und weitere generelle Erlasse für Betriebe in diesen Gebieten ohne Änderung des Gesetzes voraussichtlich nicht möglich sind.
({1})
Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete?
Frau Dr. Weber ({0}) ({1}), Anfragende: Ich kann ja noch zusätzlich fragen, ob die Erweiterung der Merkmale gesetzlich festgelegt ist. Ich habe gehört, das sei nicht der Fall.
Die Frage bezieht sich doch wohl darauf, daß die in den Stundungsrichtlinien jetzt gegebenen Merkmale noch erweitert werden sollen.
({0}) Das halte ich ohne Änderung des Gesetzes kaum für möglich.
({1})
Frau Abgeordnete Weber, Ihre Entschlüsse sind keine Frage.
({0})
Zu Frage 13, bitte Frau Abgeordnete Weber.
Frau Dr. Weber ({1}) ({2}), Anfragende: Kann nicht dem schwergeschädigten Wirtschaftsraum von Aachen und Düren eine besondere Hilfe aus dem Grenzlandfonds gewährt werden?
Der Bundesminister der Finanzen.
Jawohl!
({0})
Aber ich darf auf folgendes hinweisen. Sanierungsfonds und Grenzlandfonds - die Worte werden für dieselbe Sache gebraucht -({1})
werden im Bundeshaushalt zur Unterstützung der Länder gegeben; da es in erster Linie Sache der Länder ist, auf diesem Gebiet tätig zu sein, haben die Zuweisungen aus Bundesmitteln den Charakter von zusätzlichen Mitteln. Es ist daher ganz selbstverständlich, daß diese Bundesmittel in erster Linie den finanzschwachen Ländern zur Ergänzung dessen gegeben werden müssen, was wegen der Finanzschwäche dieser einzelnen Länder in diesen Gebieten nicht geschehen kann im Gegensatz zu dem, was in finanzstarken Ländern geschieht Das, ist die Ausgleichsfunktion des Bundes. Obgleich Nordrhein-Westfalen nicht zu den finanzschwachen Ländern gehört,
({2})
ist ein kleiner Teil der Mittel dieses Grenzland- und Sanierungsfonds auch dem Land Nordrhein-Westfalen zugedacht worden.
({3})
Dieses Land hat infolgedessen die Möglichkeit, abgesehen von den eigenen zur Verfügung stehenden Mitteln, auch aus den Bundesmitteln des Grenzlandfonds nach seinem Belieben etwas zugunsten von Aachen zu tun. Die Entscheidung liegt aber bei den Länderverwaltungen, ob und auf welchem Gebiet im einzelnen diese Mittel aus dem Grenzlandfonds verteilt werden sollen.
Keine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete?
Frau Dr. Weber ({0}) ({1}), Anfragende: Nein
Zu Frage 14 Herr Abgeordneter Ritzel, bitte!
Ritzel ({0}), Anfragender:
Ist dem Herrn Bundesminister für Verkehr bekannt, daß die Eisenbahndirektion Frankfurt/Main der Deutschen Bundesbahn die Feldwegübergänge in den Gemarkungen Ebersberg, Lauerbach und Schönen im Kreis Erbach am 1. Juni 1952 in Anrufschranken umgewandelt hat, und was beabsichtigt er zu tun, um für die unverzügliche Beseitigung dieses die Landwirtschaft schädigenden Zustandes zu sorgen?
Der Herr Bundesminister für Verkehr.
Die Eisenbahndirektion Frankfurt hat mit Zustimmung des zuständigen Regierungspräsidenten und des zuständigen Landrats fünf früher ortsbediente Schranken an Feldwegübergängen, die verkehrsarm und nur saisonbedingt belebter sind, im Kreis Erbach in sogenannte Anrufschranken umgewandelt. Diese Schranken werden für Fahrzeuge im Bedarfsfall nach Anruf durch eine mechanische oder elektrische Glocke geöffnet. Für Fußgänger sind Drehkreuze eingerichtet. Bei Feldwegübergängen mit schwachem Verkehr hat sich diese Art der Schrankenbedienung nicht nur bewährt, sondern als besonders unfallsicher herausgestellt. Die Verzögerung durch die Bedienung der Schranken ist nur gering. Durch den Wegfall der Verkehrsschranken spart die Bundesbahn jährlich 4000 DM
je Überweg.
Eine Zusatzfrage?
Ritzel ({0}), Anfragender: Ist dem Herrn Minister bekannt, daß diese geringe Verzögerung in vielen Fällen bis zu 20 Minuten und noch mehr ausmacht und daß damit der Transport der Ernte besonders an gewittrigen Tagen sehr gefährdet ist und der Landwirtschaft ein wesentlich größerer Schaden entsteht, als der Bundesbahn entstünde, wenn der Zustand der Anrufschranken, der nur probeweise ist, wieder beseitigt würde?
Es ist merkwürdig, daß der Landrat bei den Verhandlungen dies nicht vorgebracht hat, Herr Abgeordneter.
Ritzel ({0}), Anfragender: Ob der Herr Landrat diese Dinge vorgebracht hat oder nicht, weiß ich nicht. Aber ich weiß, daß der Herr Landrat bestätigt hat, daß dieser Zustand besteht, und ich weiß, daß die Bundesbahn die gleiche Kenntnis hat. Ich frage, welche Konsequenz aus dieser neuen Kenntnis gezogen wird.
Diese Erkenntnis wird sich wohl erst später zu einer Berichtsanforderung verdichten müssen, um zu erfahren, ob diese Zustände tatsächlich so sind und nicht durch geeignete Gestaltung der Anrufmöglichkeit die Zeitspanne bis zur Öffnung verkürzt werden kann. Daß eine solche Schranke 20 Minuten braucht, bis sie geöffnet wird, ist bei dieser Einrichtung nicht notwendig. Es ist eine Frage der Bedienung. Aber ich glaube doch, wir können nicht bei jedem Feldweg einen Bahnwärter
aufstellen.
Noch eine Zusatzfrage?
Ritzel ({0}), Anfragender: Es ist die Frage: Ist es bekannt, daß es sich nicht um einen x-beliebigen Feldweg, sondern um vier Feldwege handelt, die von 240 Landwirten benutzt werden, und zwar täglich benutzt werden?
Es handelt sich sogar um fünf Feldwege, nicht um vier,
({0})
und diese fünf Feldwegübergänge werde ich deshalb noch einmal untersuchen lassen. Aber ich glaube, Herr Abgeordneter Ritzel, wir werden über solche Fragen sehr viel schneller zum Ziel kommen, wenn wir das Hohe Haus nicht bei jedem einzelnen Feldweg aufhalten.
({1})
Ritzel ({2}), Anfragender: Dagegen spricht aber - ich möchte dazu die Frage stellen -, ob die Fragestunde nicht auch dazu bestimmt ist, Herr Minister, auch nach Ihrer Auffassung, daß derartige Dinge in der Öffentlichkeit behandelt werden. - Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Sicherlich. Aber Sie können auch jede schriftliche Antwort von mir der Öffentlichkeit übergeben.
({3})
Zur Frage 15 Herr Abgeordneter Funk.
Funk ({0}), Anfragender: Herr Präsident!
Ist der Bundesregierung bekannt, daß am Bombenabwurfplatz Sulzheim, Landkreis Gerolzhofen ({1}) wiederholt gesundheitliche und wirtschaftliche Beeinträchtigungen der Zivilbevölkerung vorgekommen sind?
Ist der Bundesregierung außerdem bekannt, daß am 19. Mai 1952 der Büttnermeister Peter Ruß durch eine zu früh ausgelöste Fliegerbombe getötet wurde? Ist die Bundesregierung bereit, die Versorgung der Witwe und ihrer vier Kinder im Alter von eins bis fünf Jahren sicherzustellen? Besteht die Möglichkeit, den Abwurfplatz, der für Düsenflugzeuge viel zu klein ist, aufzuheben?
Der Herr Bundesminister der Finanzen!
Ich muß zu meinem Bedauern mitteilen, daß über diese Vorfälle irgendwelche Berichte bei der Bundesregierung noch nicht eingegangen sind. Ich darf darauf verweisen - was ich heute schon mehrmals getan habe -, daß die Besatzungslastenverwaltungen Behörden der Länder sind. Ich kann infolgedessen nur das tun - und das verspreche ich Ihnen -, .daß ich mich wegen dieser Fälle sofort mit- der zuständigen Stelle ins Benehmen setzen und Ihnen dann eine schriftliche Mitteilung geben werde.
Funk ({0}), Anfragender: Ich habe noch eine Zusatzfrage, Herr Präsident.
Eine Zusatzfrage!
Funk ({0}), Anfragender: Ist die Bundesregierung bereit, mit der amerikanischen Besatzungsmacht darüber zu verhandeln, daß ab sofort bis auf weiteres der Platz von Düsenflugzeugen nicht mehr angeflogen werden darf?
Ich bin gerne bereit, darüber zu verhandeln. Ob die Verhandlungen, nachdem ich die näheren Umstände nicht kenne, zu einem raschen Ergebnis führen werden, läßt sich natürlich nicht voraussehen.
({0})
Zur Frage 16 Herr Abgeordneter Fisch.
Fisch ({0}), Anfragender: Ich habe folgende Frage zu stellen:
Entspricht es den Tatsachen, daß im Mai dieses Jahres Dienststellen der amerikanischen Besatzungsmacht von einem Tag auf den anderen Bauaufträge in der Höhe von ca. 1 Milliarde DM für bisher zurückgestellte Projekte an deutsche Bauunternehmer erteilt haben?
- Hat die Bundesregierung, falls die genannten Meldungen zutreffen, Schritte unternommen, um zu verhindern, daß die Aufträge, die eine ungeheuerliche zusätzliche Belastung des deutschen Steuerzahlers bedeuten, ausgeführt werden?
Hat die Bundesregierungirgendwelche anderen Schritte unternommen, um zu verhindern, daß einzelne Bauunternehmer sich an
({1})
solchen Kriegskonjunktur-Gewinnen in provozierender Weise bereichern?
Der Herr Bundesminister der Finanzen!
Als die Bundesregierung von den Pressemeldungen Kenntnis erhielt, hat sie sich sofort, und zwar ohne eine Stunde Verzögerung, mit der amerikanischen Besatzungsmacht ins Benehmen gesetzt. Sie hat, nachdem damals gleichzeitig die Verhandlungen über die Verträge liefen, diesen Umstand dazu benutzt, in den Verträgen grundsätzlich eine Bereinigung zu erzielen. In diesen Verträgen ist jetzt bekanntlich vorgesehen, daß alle Bauaufträge, auch solche in der früheren amerikanischen Zone, über die deutschen Baubehörden zu laufen haben.
Was den vorliegenden Fall betrifft, so ist in den Verhandlungen auf Grund der Vorstellungen der deutschen Bundesregierung erreicht worden, daß sämtliche Akten über die Vergebung der Bauaufträge dem Bundesfinanzministerium zur Überprüfung zugesandt werden. Weiterhin ist vereinbart worden, daß sofort gewisse Probeaufträge an deutsche Baubehörden vergeben werden, damit diesen die Möglichkeit des Nachweises gegeben ist, daß sie in der Lage sind, mindestens ebenso rasch und ebenso billig Bauaufträge auszuführen, wie es über das von deutscher 'Seite nicht gewünschte System der Generalunternehmer geschieht. Soweit ich unterrichtet bin, hat das Hauptquartier einen Teil der Aufträge auch bereits zurückgezogen.-Nach meiner Unterrichtung sollen dies etwa 30 bis 40 °/o der seinerzeit erteilten Bauaufträge sein.
Fisch ({0}), Anfragender: Eine Zusatzfrage, bitte!
Eine Zusatzfrage!
Fisch ({0}), Anfragender: Ist die Bundesregierung bereit, in den Fällen, in denen die Bauaufträge nicht zurückgezogen worden sind - nach Ihrer Auffassung also in 60 bis 70 % der Fälle -, die Arbeiterschaft und die Unternehmer, die da aufgeboten wurden, aufzufordern, die ihnen aufgetragenen Arbeiten nicht zu leisten?
Die Bundesregierung ist nicht bereit, gesetzwidrige Maßnahmen zu ergreifen.
({0})
Herr Abgeordneter Gundelach zur Frage 17.
Gundelach ({0}), Anfragender: Ich stelle folgende Frage:
Ist dem Herrn Bundesminister für Post- und Fernmeldewesen bekannt, daß auf der Zahlstelle der Bundespost für Rentenauszahlungen im Bezirk Hamburg-Harburg unhaltbare Zustände bestehen, indem die Auszahlungen in einem völlig ungeeigneten Raum erfolgen und die Rentenempfänger bis zu 1 1/2 Stunden zum Teil auf der Straße in einer Schlange stehen müssen, wobei alte Personen wiederholt zusammengebrochen sind? Was gedenkt der Herr Minister zur Änderung dieses Zustandes zu unternehmen?
Zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär das Wort.
Die technische Durchführung der Rentenzahlung war und ist für die Post immer eine leidige Angelegenheit. Werden doch in den Großstädten für diesen Zweck für drei bis vier Tage 'im Monat Räume gebraucht, für die in der übrigen Zeit eine Verwendungsmöglichkeit kaum besteht. Während es im allgemeinen genügt, bei der Planung kleiner und mittlerer Postämter besondere Schalter als Reserve vorzusehen, werden bei größeren Ämtern bei Neubauten, soweit möglich, in Erd- und Kellergeschossen Rentenzahlstellen mit mehreren Schaltern eingerichtet. Diese Lösung ist aber nicht überall möglich, 'z. B. auch nicht in Hamburg-Harburg. Sie ist auch, wie schon angedeutet, unwirtschaftlich, wenn während der übrigen Zeit des Monats die 'Räume nicht ausgenutzt werden können. Deshalb ist die Anmietung von Räumen zur Rentenzahlung die beste Lösung, von der auch in großem Umfang Gebrauch gemacht wird. In Harburg war aber auch diese Lösung bisher nicht möglich, weil wegen der großen Raumnot Räume nicht zu beschaffen waren. Solange das nicht möglich ist, werden die Verhältnisse in Harburg unbefriedigend bleiben.
Das Schlangestehen wäre auch anderswo in dem vielfach beobachteten Umfang nicht notwendig, wenn sich die Rentenempfänger der Ordnung fügen und die Zahltage einhalten würden. Aber es ist ja menschlich durchaus verständlich, daß alle möglichst schnell zu ihrem Geld kommen wollen und daher fast alle schon ám ersten Zahltag erscheinen. Auch die Schaffung weiterer Sitzgelegenheiten, die von anderer Seite angeregt wurde, würde den Mißstand nicht beheben, denn auf der einen Seite würde der an sich schon beengte Raum zum Nachteil des Ganzen noch mehr eingeengt werden, anderseits würden solche Rentenempfänger, die sich erfahrungsgemäß unnötig lange im Raum aufhalten, um sich im Winter dort aufzuwärmen oder mit Bekannten Erinnerungen auszutauschen, zu noch längerem Verweilen verleitet.
Besonders unglücklich lagen nun die Verhältnisse in Hamburg-Harburg im August und September des vorigen Jahrs bei der Durchführung des Rentenzulagegesetzes, und ich glaube, Herr Abgeordneter, daß Sie diese Vorfälle bei Ihrer Anfrage im Auge haben. Dieses Rentenzulagegesetz ist erst am 10. August 1951 verkündet worden. Die Mehrzahlungen sollten aber noch im August geleistet werden, und bei dieser Zeitnot mußten unsere Beamten die sonst den Versicherungsträgern obliegenden Umrechnungsarbeiten allein durchführen. Deshalb mußte in allen beteiligten Dienststellen teilweise in Tag- und Nachtschichten gearbeitet werden, um die Ärmsten der Armen möglichst schnell in den Genuß der von diesem Hohen Haus beschlossenen Zulagen zu versetzen. Überdies verlangten die Versicherungsträger noch die Ausstellung besonderer Empfangsbescheinigungen für die Zulagen und nicht bloß für die Stammrenten. Daß eine solche Forderung bei den meist wenig schreibgewandten Rentenbeziehern erhebliche Verzögerung hervorrufen mußte, ist offensichtlich.
Trotz alledem hätten sich aber auch in diesem Sonderfall die Rentenzahlungen reibungsloser und erträglicher abwickeln lassen, wenn die Rentenempfänger unserer schwierigen Lage damals etwas mehr Verständnis entgegengebracht und den Anweisungen unserer Ordnungs- und Aufsichtskräfte besser Folge geleistet hätten. Das war, wie auch
({0})
die zu Hilfe gerufene Polizei bestätigt hat, nicht der Fall. Hatten sich doch Rentenempfänger zu Hunderten bereits morgens um 5 Uhr vor dem Auszahlungsraum eingefunden, der erst um 8 Uhr geöffnet wurde. Als nun die Türen geöffnet wurden, drängten die Rentenempfänger die Aufsichtsbeamten und Ordnungskräfte rücksichtslos beiseite. Beschimpfungen und tätliche Angriffe sind unter diesen Umständen nicht zu vermeiden gewesen.
Auch bei anderen Ämtern ist es aus Anlaß der Rentenzulagezahlungen im August und September 1951 zu ähnlichen Unzuträglichkeiten gekommen. Ich muß hier feststellen, es kann unseren Beamten und Angestellten nicht hoch genug angerechnet werden, daß sie aus Mitgefühl mit den in Not befindlichen. Rentenbeziehern trotz ihres unverantwortlichen Verhaltens die hierdurch stark erschwerten Zahlungen durchgeführt haben.
Diese besonderen Vorkommnisse damals im August 1951 können Sie aber, Herr Abgeordneter, nicht verallgemeinern. Es handelt sich, wie gesagt, um einen Sonderfall. Schon vom Oktober 1951 ab sind auch in Harburg wieder geordnete Rentenzahlungen möglich gewesen. Gewisse Mißstände lassen sich ,auch heute noch nicht ausräumen. Die Gründe dafür sind, wie ich schon sagte, von unserem Willen unabhängig. Bemühungen um neue Räume sind bis jetzt erfolglos gewesen. Wir haben die Räume in Harburg etwas vergrößert, wir haben eine besondere Entlüftungsanlage eingebaut.
Nun ist auch vorgeschlagen 'worden, die Rentenzahltage zu vermehren. Auch das stößt auf Schwierigkeiten. Würde man zu den vier Zahltagen zwei weitere Tage im Zahlmonat hinzunehmen, würden die Rentenempfänger zu spät zu ihrem Geld kommen. Sie würden dann unzufrieden sein. Auch die Möglichkeit, die vier Hauptzahltage in den Monat vorher zu verlegen, ist nicht allein von unserem Ermessen abhängig. Das würde zur Folge haben, daß die Versicherungsträger das Geld noch wieder zwei Tage früher an uns abliefern müßten, während sie es jetzt erst am 6. Tage vor dem Ersten des Zahlmonats einzuzahlen brauchen. Es handelt sich dabei um erhebliche Summen, monatlich um etwa 1/2 Milliarde DM, die sich auf 8 Millionen Einzelzahlungen verteilt, wobei natürlich der durch die frühere Zahlung eintretende Zinsverlust eine ins Gewicht fallende Rolle spielt.
Wir werden trotz aller Schwierigkeiten bemüht sein, auch in Harburg die Verhältnisse nach Möglichkeit weiter zu verbessern.
Ich darf auch das Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen freundlichst bitten, sich der Möglichkeit einer zusätzlichen schriftlichen Beantwortung von Fragen zu bedienen. Ich glaube, daß der Sinn der Fragestunde durch derartig umfangreiche Antworten nicht gefördert wird.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, wegen dieser umfangreichen Antwort die Fragestunde um fünf Minuten zu verlängern.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).
Muller ({1}) ({2}), Anfragender:
Trifft es zu, daß einem gewissen Peter Lütsches, der sich Bundesvorsitzender des sogenannten BVN ({3}) nennt und der der Untreue und des
Betrugs bezichtigt wird, von dem Bundeskanzler und anderen Mitgliedern der Bundesregierung finanzielle Unterstützung zugesagt worden ist? Welche Beträge hat dieser Lütsches, sei es direkt oder indirekt, aus Mitteln der Bundesregierung für sich bzw. den sogenannten BVN erhalten?
Zur Beantwortung der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers.
Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzlers: Aus den dem Bundeskanzler und den Bundesministern zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln, deren Bewirtschaftung der allgemeinen Nachprüfung unterliegt, hat Herr Peter Lütsches weder direkt noch indirekt für sich bzw. den Bund der Verfolgten des Naziregimes finanzielle Unterstützung zugesagt oder ausgezahlt erhalten. Sollte sich Ihre Anfrage aber auf Haushaltsmittel beziehen, deren Bewirtschaftung der alleinigen Prüfung durch den Herrn Präsidenten des Bundesrechnungshofes unterliegt,
({0})
dann könnte aus grundsätzlichen Erwägungen keine Auskunft erteilt werden.
({1})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.
Müller ({0}) ({1}), Anfragender: Herr stellvertretender Bundeskanzler, ist Ihnen bekannt, daß in einem persönlichen Schreiben dieses Lütsches an den Regierungspräsidenten in Köln zum Ausdruck gebracht worden ist, daß dieser BVN nach Rücksprache mit dem Herrn Bundeskanzler gegründet worden ist?
Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzlers: Das ist mir nicht bekannt.
Müller ({2}) ({3}), Anfragender: Ist Ihnen weiterhin bekannt, daß dieser selbe Lütsches in einem Schreiben vom 4. Mai 1950 an den Herrn Bundeskanzler zum Ausdruck gebracht hat:
Es ist meine Pflicht, Sie darauf aufmerksam zu machen und Sie zu bitten, all das in Ihren Kräften Stehende zu tun, um dem BVN eine materielle Grundlage zu schaffen, die es ihm ermöglicht, wenigstens ein Jahr in Ruhe zu arbeiten.
Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzlers: Diese Ihre Frage steht in keinem ursächlichen Zusammenhang mit 'der Frage, die mir hier rechtzeitig vorgelegt worden ist. Im übrigen würde ein solches Schreiben, wenn es vorliegt, letzten Endes im Inhalt nur übereinstimmen mit Hunderten von Briefen, wie sie jede Regierung in jedem Lande zu erhalten pflegt.
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Miller ({5}) ({6}), Anfragender: Um die Antwort, die Sie eben gegeben haben, gleich auf das richtige Gleis zu bringen: Ist Ihnen bekannt, daß der Herr Bundeskanzler am 8. Mai 1950 an diesen Lütsches geschrieben hat:
Im 'übrigen habe ich Ihr 'Schreiben vom 4 Mai an 'den für diese Angelegenheiten zuständigen Bundesminister des Innern abgegeben.
Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzler: Ich bin nicht dazu da, unvorbereitet die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von Fragen zu überprüfen, die nicht im Zusammenhang mit der hier gestellten Frage stehen.
({7})
Müller ({8}) ({9}), Anfragender: Ich stelle noch eine Frage: Ist dem Herrn stellvertretenden Bundeskanzler bekannt, daß maßgebende Herren in einer Untersuchung gegen Lütsches festgestellt haben, daß er nicht allein im Jahre 1949 45 000 DM unterschlagen hat, sondern daß er darüber hinaus - -
Herr Abgeordneter, entschuldigen Sie, ich muß Sie unterbrechen. Notwendige Zusatzfragen sind zulässig. Sie haben nach finanziellen Unterstützungen durch die Bundesregierung gefragt, nicht nach den Vorstrafen und Unterschlagungen des Herrn Lütsches. Ich muß diese Zusatzfrage beanstanden. Haben Sie sonst noch eine notwendige Zusatzfrage?
Müller ({0}) ({1}), Anfragender: Meine schriftliche Frage bezieht sich bereits auf die Untreue und Unterschlagungen.
Nein, die Frage ist eindeutig gestellt: „Welche Beträge hat dieser Lütsches ... -aus Mitteln der Bundesregierung für sich bzw. -den sogenannten BVN erhalten?"
Müller ({0}) ({1}), Anfragender: Die Antwort von Ihnen, Herr stellvertretender Bundeskanzler, für diesen Korruptionsskandal genügt mir vollauf.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Arnholz zu Frage 19.
Arnholz ({0}), Anfragender: Ich frage die Bundesregierung:
Ist der Entwurf eines neuen Heilpraktikergesetzes, um dessen beschleunigte Vorlegung der Bundestag in seiner Sitzung vom 15. Dezember 1950 einstimmig ersucht hat, noch immer nicht fertiggestellt,. und wann ist mit seiner Einbringung zu rechnen?
Das Wort hat der Bundesminister _ des Innern.
Ein Referentenentwurf ist fertiggestellt. Er wird -zur Zeit von den beteiligten Referenten meines Hauses überprüft. Die gesamte Materie soll so-dann mit den Vertretern der Berufsverbände und der für das Gesundheitswesen zuständigen Länderminister besprochen werden. Als-dann geht der Entwurf dem Kabinett zu.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Arnholz.
Arnholz ({0}), Anfragender: Wann, Herr Bundesminister, glauben 'Sie, wird der Gesetzentwurf eingebracht werden können?
Von -der Bundesregierung aus, insbesondere im Hinblick auf den erreichten Stand der Bearbeitung der Angelegenheit in meinem -Hause könnte ich Ihnen diesen Entwurf ohne weiteres noch vor den
Ferien zuleiten. Ich muß aber auf die starke Inanspruchnahme der Ausschüsse und -des Hohen Hauses selbst Rücksicht nehmen. Es wird sehr stark von -dem Arbeitsprogramm, das sich das Hohe Haus selbst stellt, abhängen, wann ich Ihnen diesen Entwurf für die Beratungen der Ausschüsse und des Plenums vorlegen kann. Von mir aus kann es jederzeit geschehen.
Arnholz ({0}), Anfragender: Danke schön!
Zur Frage Nr. 20 Herr Abgeordneter Arnholz.
Arnholz ({0}), Anfragender:
Ist dem -Herrn Bundesminister des Innern bekannt, daß kürzlich in einem westfälischen Kindergarten 20 Kind-er mit Tbc infiziert wurden, so daß d-as -Kreisgesundheitsamt für mehrere 'Kinder Heilkuren einleiten mußte?
Hält der Herr Minister die bestehenden Vorschriften für ausreichend, um die Wiederholung solcher Gesundheit und Leben der Kinder gefährdenden Vorkommnisse zu verhindern?
Der Herr Bundesminister des Innern, bitte!
Dieser Anfrage liegen offenbar Vorfälle zugrunde, die sich in Iserlohn abgespielt haben. Vor etwa einem Jahr ist dort durch eine Kinderschwester, deren Erkrankung an Tuberkulose nicht rechtzeitig erkannt worden war, eine Infektion mehrerer Kinder, die den Kindergarten besuchten, erfolgt. Ernste Erkrankungen oder Todesfälle sind Gott sei Dank nicht vorgekommen. Die Kinderschwester soll sich -den vorgeschriebenen regelmäßigen Röntgenuntersuchungen entzogen haben, und der zuständige Amtsarzt soll nicht rechtzeitig durchgegriffen halben. Hierüber schwebt beim Landgericht Hagen ein Verfahren, indessen Verlauf die Schuldfrage bei diesem bedauerlichen Vorkommnis geklärt werden muß.
Durch die Vorschriften gegen die Verbreitung übertragbarer Krankheiten durch Schulen, Kinderheime und ähnliche Einrichtungen sind an sich umfassende Maßnahmen zum Schutze der Jugend gegen gesundheitliche Gefährdung getroffen. Um eine Gefährdung durch Tuberkulose nach Möglichkeit auszuschließen, ist nach diesen Vorschriften von allen Dienstkräften, die bei ihrer Tätigkeit mit Kindern oder Jugendlichen 'in Berührung kommen, vor Antritt ihrer Stellung ein amtsärztliches Zeugnis beizubringen, das nicht älter als drei Monate sein darf und das sich auch auf eine Röntgenaufnahme der Lunge stützen muß. Die Röntgenuntersuchung der Lunge ist bei dem eben genannten Personenkreis in Abständen von höchstens drei Jahren in einem Gesundheitsamt zu wiederholen. Darüber gibt es einen Schulseuchenerlaß und einen ergänzen-den Runderlaß meines eigenen Hauses.
Die für -die Wiederholung der Röntgenuntersuchung vorgeschriebene Zeit erscheint mir persönlich zu lang und muß abgekürzt werden.
({0})
Das ist auch in verschiedenen Ländern bereits geschehen. Es ist vorgesehen, dieser Erkenntnis dadurch Rechnung zu tragen, 'daß die Vorschriften gegen die Verbreitung übertragbarer Krankheiten für Schulen und ähnliche Einrichtungen durch eine
({1})
in Bearbeitung befindliche Neufassung des Gesetzes zur Verhütung übertragbarer Krankheiten überprüft und strengere gesundheitliche Kontrollmaßnahmen gesetzlich verordnet werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Arnholz.
Arnholz ({0}), Anfragender: Meiner Anfrage liegt ein Fall aus der neuesten Zeit zugrunde. Es scheint mir also, daß die Durchführung der Vorschriften vielleicht doch noch nicht so ist, wie sie sein sollte. Ich frage daher den Herrn Minister noch, ob er bereit ist, erneut seinen Einfluß dahin geltend zu machen, daß solche Infektionen für die Zukunft vermieden werden, und durch welche Schritte. Im vorliegenden Falle sind die Einrichtungen offenbar nicht ausreichend gewesen.
Dr. Dr. h. c. Lehr: Bundesminister des Innern: Der neue Fall, den Sie eben nannten, ist mir noch nicht bekannt. Ich werde veranlassen, daß diese seuchenpolizeilichen Vorschriften erneut in Erinnerung gebracht werden, und werde die Länder und die sonstigen zuständigen Stellen bitten, ihre Amtsärzte entsprechend anzuweisen.
Arnholz ({1}), Anfragender: Danke schön!
Damit, meine Damen und Herren, ist auch die verlängerte Zeit für die Fragestunde abgelaufen. Ich darf unterstellen, daß die verbliebene Frage entweder schriftlich beantwortet oder erneut gestellt wird.
Ich komme zu Punkt 2 der Tagesordnung, gebe aber vorher noch folgendes bekannt: erstens, daß der Unterausschuß Deutsche Auslandsschulden und Auslandsvermögen zur Zeit in Zimmer 102 Süd tagt, weiterhin, daß der Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen um 14 Uhr zu einer kurzen dringenden Besprechung in Zimmer 210 zusammentritt, drittens, daß der Ältestenrat sich dahin verständigt hat, daß von 13 bis 14 Uhr eine Mittagspause eingelegt wird, viertens, daß nach der Beratung des Punktes 2 der Tagesordnung wegen Verhinderung der für die folgenden Punkte zuständigen Minister zunächst die Punkte 8 bis 17 beraten werden sollen, fünftens, daß nach einer Vereinbarung, die mir übermittelt worden ist, Punkt 5 der Tagesordnung, betreffend Änderung der §§ 1274 ff. der Reichsversicherungsordnung, heute abgesetzt werden soll. Weiterhin ist mir mitgeteilt worden, daß zu Punkt 9 der Tagesordnung
- Entwurf eines Versammlungsordnungsgesetzes
- heute lediglich der Bericht entgegengenommen und dann eine Vertagung auf die übernächste Sitzungswoche stattfinden soll. Darf ich unterstellen, daß das Haus mit dieser Regelung einverstanden ist? - Das scheint der Fall zu sein.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Fall Kemritz ({0}).
Bitte schön, Herr Abgeordneter Wagner, zur Begründung, und zwar im Rahmen einer Begründungszeit von 15 Minuten und einer Aussprachezeit von 60 Minuten. - Das Haus ist mit dieser Begrenzung einverstanden.
Wagner ({1}), Anfragender: Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat die Groß e Anfrage auf Drucksache Nr. 3372 eingebracht:
Zu welchem Ergebnis haben die Verhandlungen der Bundesregierung mit dem amerikanischen Hohen Kommissar im Falle Kemritz geführt?
Der Fall Kemritz hat den Deutschen Bundestag schon zweimal beschäftigt. In den Sitzungen vom 20. und 21. Juni des vergangenen Jahres ist der Fall Kemritz in seiner ganzen Grausamkeit zum ersten Male hier vorgetragen worden. Jene Sitzung vom 20. Juni 1951 hat dem Hause offenbart, um welche Taten des Kemritz es sich handelt, hat dem Hause offenbart, daß hier ein Deutscher auf deutschem Boden an deutschen Menschen Verbrechen begangen hat, daß die deutsche Straf- und Ziviljustiz und die deutsche Ehrengerichtsbarkeit in Gang gesetzt worden sind und daß die amerikanischen Gerichts- und Verwaltungsbehörden eingegriffen haben, um einen notorischen Verbrecher der Strafe zu entziehen und es der deutschen Gerichtsbarkeit unmöglich zu machen, für Sühne bzw. Schadenersatz zu sorgen.
- In den Sitzungen vom 20. und 21. Juni hat der Bundestag Beschlüsse gefaßt, die der Bundesregierung Anweisungen für die Zukunft gegeben haben. Es war der einmütige Wille dieses 'Hauses, daß in der energischsten Weise durchgegriffen werde, um Dinge, die sich in der Vergangenheit abgespielt haben, wiedergutzumachen und für die Zukunft zu verhinderñ. Herr Abgeordneter Dr. Arndt hat jenes Mal mit aller Klarheit den ganzen Vorgang geschildert. Andere Kollegen dieses Hauses haben sich ihm angeschlossen, und man darf wohl sagen, der Deutsche Bundestag hat einmütig verlangt, daß hier in der schärfsten Weise durchgegriffen wird. Der Herr Bundesjustizminister D r. Dehler war es, der in der Sitzung vom 20. Juni 1951 durchaus richtige Worte gefunden hat, die im Laufe dieser Debatte noch deshalb zitiert werden müssen, weil man in der Folgezeit von der tiefgreifenden sittlichen Empörung über das, was vor sich gegangen ist, nicht mehr all das spürt, was jenes Mal aus den Worten des Herrn Ministers herausgeklungen ist.
Der Herr Bundesjustizminister hat in der Sitzung vom 28. Februar dieses Jahres, der zweiten, die sich mit dieser Frage beschäftigt hat, erklärt, daß er nach den Verhandlungen, die mit der amerikanischen Kommission der Sachverständigen gepflogen werden sollte, dem Bundestag berichten wird - ich zitiere -, „sobald ein greifbarer Abschluß vorliegt.". Meine Fraktion hat daraufhin die Kleine Anfrage Drucksache Nr. 3237 eingebracht. Diese Kleine Anfrage hat der Bundeskanzler in der Weise beantwortet, daß er ein Memorandum über den Fall Kemritz überreicht hat. Ich lasse es dahingestellt, ob diese Art der Beantwortung wirklich eine Beantwortung unserer Kleinen Anfrage darstellt; denn dieses Memorandum hat der Herr Bundesjustizminister diesem Hause, sobald er greifbare Ergebnisse hat, bereits versprochen.
Dieses Memorandum ist in seinem Inhalt außerordentlich interessant. Es bestätigt Dinge, die mein Kollege Arndt hier am 20. Juni vorgetragen hat, und es schält den Tatbestand sowohl nach seiner .rein tatsächlichen wie nach seiner rechtlichen Seite heraus. Es schält heraus, daß dieser Kemritz 23 Deutsche durch Hinterlist in die Macht der Sowjets gebracht hat, 23 Deutsche, von denen mindestens neun, nachdem sie in der Macht der Sowiets waren, gestorben sind, und von denen mit größter Wahrscheinlichkeit sieben weitere nicht mehr am Leben sind. Von diesen 23 Fällen - das ergibt sich aus dem Memorandum - hat Kemritz nach amerikanischen Angaben sieben Fälle zuge({2})
standen. Von diesen sieben Fällen, die er zugestanden hat, steht fest, daß drei dieser Männer, die durch ihn in die Macht der Sowjets gerieten, gestorben sind.
Das Memorandum befaßt sich dann in einer juristisch sehr gewissenhaften Weise, der ich zwar materiellrechtlich nicht immer folgen kann, mit der Frage, für welchen Fall Kemritz durch deutsche Gerichte zweifellos zur Verantwortung gezogen werden müßte und welche Fälle etwa zweifelhaft wären. Ich behalte mir vor, mich im weiteren Verlauf der Aussprache mit dem Standpunkt der amerikanischen Juristen, der amerikanischen Juristen der Besatzungsbehörden muß ich wohl richtiger sagen, weil dieser Standpunkt sicherlich mit dem der amerikanischen Juristen drüben in USA nichts zu tun hat, auseinanderzusetzen.
Zur Begründung der Anfrage darf ich zunächst nur darauf hinweisen, daß das Memorandum vom 16. Mai Drucksache Nr. 3379 zu einem sehr bedauerlichen und kläglichen Ergebnis kommt. Das Memorandum stellt fest: Eine Einigung zwischen den amerikanischen und deutschen Beauftragten im Fall Kemritz ist nicht zustande gekommen. Punkt eins. Es stellt weiter fest, Punkt zwei: Die Bundesregierung kann die Tatsache, daß Kemritz aus Deutschland hinausgeschafft worden ist, nicht als Bereinigung des Falles Kemritz anerkennen. Das halte ich für richtig, und damit sind wir auch einverstanden. Der Schlußsatz des Memorandums lautet nun - ich zitiere -:
Die Bundesregierung gibt der Erwartung Ausdruck, daß zuverlässige Sicherungen gegen dieWiederholung von ähnlichen Eingriffen in die deutsche Gerichtsbarkeit geschaffen werden, da diese Eingriffe geeignet sind, die Zusammenarbeit der beiden Nationen aufs schwerste zu beeinträchtigen.
Man muß sich vergegenwärtigen,, daß dieses Memorandum nicht etwa im Jahre 1951, sondern am 16. Mai 1952 verfaßt ist, und wenn man diese resignierende Feststellung der Bundesregierung mit den Ausführungen des Herrn Bundesministers der Justiz in der Sitzung vom 20. Juni 1951 vergleicht, dann muß man sagen, daß hier ein klaffender Widerspruch besteht. Der Herr Bundesminister hat sich mit Recht in der ersten Sitzung, in der die Angelegenheit zur Sprache gekommen ist, in der schärfsten Weise gegen das Verhalten der amerikanischen Behörden ausgesprochen und wörtlich gesagt - ich zitiere -:
Die Bundesregierung wird sich darüber
schlüssig machen, ob sie Antrag auf eine Art
von Auslieferung des Kemritz stellen wird. Wir haben davon gar nichts mehr gehört, und wir lesen in dem Memorandum gar nichts darüber. Von Auslieferung oder einer Art von Auslieferung wird nicht mehr gesprochen. Alles geht in einer Resignation unter, die unverständlich ist, wenn man sich den ganzen Fall überlegt.
({3})
Schließlich muß man die Bundesregierung und den Herrn Bundesminister der Justiz in diesem Zusammenhang fragen: Warum erwarten Sie, daß in Zukunft zuverlässige Sicherungen gegen die Wiederholung ähnlicher Eingriffe geschaffen werden?
({4})
Sie haben doch den sogenannten Deutschlandvertrag gemacht, und Sie hätten doch die Möglichkeit gehabt, in diesem Vertrag über die Beziehungen
-zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den
drei Mächten dafür zu sorgen, den Fall Kemritz in
der Abteilung „Vertrag zur Regelung aus Krieg
und Besatzung entstandener Fragen" zu bereinigen.
({5})
Sie hätten die Möglichkeit gehabt, nicht jenen dicken Strich unter den Fall Kemritz zu ziehen, den Sie doch, wenn dieses Vertragswerk ratifiziert werden sollte, in den §§ 2 und 3 tatsächlich ziehen. Sie hätten die Möglichkeit gehabt, sich hier einzuschalten und zu erklären: Dieser Fall Kemritz muß im Rahmen dieses Vertragswerks so bereinigt werden, wie es dem Rechtsbewußtsein des Bundestags und des deutschen Volkes entspricht.
({6})
Ich frage weiter: Wenn Sie der Hoffnung Ausdruck geben, daß solche Eingriffe in Zukunft nicht mehr geschehen, - was haben Sie in dem Vertragswerk getan, um sich solche Sicherungen zu verschaffen? Was haben Sie getan, um zu verhindern, daß auf dem Wege über die allzu mächtigen Geheimdienste wiederum Deutsche auf deutschem Boden an deutschen Menschen Verbrechen begehen können, ohne daß die -deutsche Gerichtsbarkeit die Möglichkeit hat, für entsprechende Sühne zu sorgen? Ich behalte mir vor, nach der Beantwortung dieser Fragen auf die Dinge zurückzukommen.
({7})
Zur Beantwortung der Großen Anfrage hat das Wort der Herr Bundesminister- der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung war und ist mit dem Bundestag in der Bewertung des Falles Kemritz einig. Sie hat auch alles, was in ihren Kräften stand, getan, um den Beschlüssen des Bundestags Rechnung zu tragen. Ultra posse nemo tenetur; was ich noch hätte tun sollen, weiß ich nicht. Richtig ist - und das habe ich in dem Memorandum, das Ihnen vorliegt, in allen Einzelheiten dargelegt -, daß eine Einigung zwischen den amerikanischen und deutschen Beauftragten in der ganzen Angelegenheit, besonders hinsichtlich der rechtlichen Bewertung der Vorgänge, nicht möglich war. Die amerikanischen Beauftragten haben nach dem Vortrag der deutschen Rechtsauffassung und einer eingehenden Erörterung der damit zusammenhängenden Rechtsfragen erklärt, die deutschen Argumente seien nicht geeignet, den amerikanischen Standpunkt zu ändern.
({0})
Der amerikanische Hohe Kommissar hat erklären
lassen, daß er eine Verhandlung des Falles Kemritz
vor einem deutschen Gericht nicht zulassen könne.
({1}) Am Ende hat dann der amerikanische Hohe Kommissar angeordnet, daß Kemritz das Bundesgebiet zu verlassen hat. Das ist mir, d. h. meinem Ministerium, durch zwei Beamte des Hohen Kommissars am 26. März dieses Jahres mündlich mitgeteilt worden, mit der Feststellung, daß sich Kemritz im Ausland befinde. Unsere Frage, wann er das Bundesgebiet verlassen habe und in welchem Land er sich aufhalte, wurde nicht beantwortet.
({2})
Wir haben gehört, daß er sich in den Vereinigten Staaten befinden soll.
Daß bei diesem Sachverhalt ein Verlangen auf Auslieferung nicht mehr möglich war, sondern daß
({3})
in dieser Erklärung eine Ablehnung des Verlangens, von dem ich bei der letzten Behandlung dieser Angelegenheit in diesem Hause gesprochen habe, nämlich, Kemritz dem deutschen Gericht zur Verfügung zu stellen, lag, ist selbstverständlich, und eine Wiederholung des Verlangens war sinnlos. Ich wiederhole aus Anlaß der Anfrage nochmals, daß die Bundesregierung die von dem amerikanischen Hohen Kommissar gewählte Lösung, Kemritz aus Deutschland zu entfernen, nicht als eine Bereinigung des Falles Kemritz anerkennen kann. Wir sind nach wie vor der Ansicht, daß die hinterhältige, verwerfliche Mitwirkung des Kemritz an den Verhaftungen, die der NKWD nicht nur gegenüber den Angehörigen des deutschen Abwehrdienstes, sondern auch gegenüber anderen Deutschen vorgenommen hat, Handlungen in sich schließt, die Verbrechen sind und die durch die Vorschriften ,der Besatzungsmächte über den automatischen Arrest weder gedeckt noch durch diese Vorschriften gerechtfertigt werden können.
Der Versuch, die Mitwirkung des Kemritz an diesen Freiheitsberaubungen als legal zu kennzeichnen, wird von der Bundesregierung nach wie vor im Einklang mit der Rechtsprechung des höchsten deutschen Gerichtshofes abgelehnt. Die Bundesregierung ist ferner der Auffassung, daß die Voraussetzungen des geltenden Besatzungsrechts für die erfolgten Eingriffe in die deutschen Gerichtsverfahren gegen Kemritz bei einer Reihe von ihm zur Last gelegten Handlungen bestimmt nicht vorgelegen haben und daß die rechtlichen Bedenken, die gegen die amerikanischen Eingriffe in die deutschen Gerichtsverfahren bei anderen Handlungen des Kemritz bestehen, durch die amerikanischen Darlegungen nicht ausgeräumt worden sind.
Mehr zu tun, mehr zu sagen, ist nach meiner Überzeugung bei der Sachlage nicht möglich. Ich beantworte die Frage des Herrn Interpellanten, was wir getan haben, um ähnliche Eingriffe in die deutsche Gerichtsbarkeit zu verhindern. Bei den Verhandlungen mit den amerikanischen Vertretern ist eingehend die Frage erörtert worden, wie in Zukunft derartige Fälle verhütet werden können. Das geschah bereits bei der Verhandlung vom 5. September 1951. Hierbei ist von dem Vorsitzenden der amerikanischen Delegation in Aussicht gestellt worden, daß bei Vorkommnissen ähnlicher Art eine Anhörung deutscher Stellen stattfinden werde, bevor eine amerikanische Entscheidung ergehe. In der Verhandlung vom 28. Februar dieses Jahres wurde die Erklärung dahingehend bestätigt, daß der amerikanische Hohe Kommissar sich künftig bei derartigen Vorkommnissen mit den deutschen Behörden in Verbindung setzen werde, und zwar zunächst mit den deutschen Landesbehörden, in Sachen von größerer Bedeutung mit der Bundesregierung.
Der Fall Kernritz hat dann bei den Verhandlungen über den Deutschlandvertrag. verständlicherweise eine erhebliche Rolle gespielt .-Er hat meiner Überzeugung nach zu einer Regelung geführt, die den deutschen Interessen Rechnung trägt.
({4})
Der Fall liegt der Abfassung des Art. 3 des Überleitungsvertrages, des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen, vom 26. Mai dieses Jahres zugrunde. Dieser Art. 3 lautet:
Niemand darf allein deswegen unter Anklage
gestellt oder durch Maßnahmen deutscher Gerichte und Behörden in seinen Bürgerrechten oder seiner wirtschaftlichen Stellung nur deswegen beeinträchtigt werden, weil er vor Inktafttreten dieses Vertrages mit der Sache der drei Mächte sympathisiert, sie oder ihre Politik oder Interessen unterstützt oder den Streitkräften, Behörden oder Dienststellen einer oder mehrerer der drei Mächte oder einem Beauftragten einer dieser Mächte Nachrichten geliefert oder Dienste geleistet hat.
Aus dieser Bestimmung ist zu folgern, daß zum mindesten solche strafbare Handlungen, die nicht selbst eine Unterstützung der drei Mächte oder ihrer Streitkräfte darstellen - wie Spionage oder Sabotage zu ihren Gunsten -, sondern nur im Zusammenhang mit einer derartigen Unterstützungshandlung geschehen sind, der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen. Bei den Verhandlungen über diesen Art. 3 ist mehrfach darauf hingewiesen worden, daß der Fall Kemritz nach deutscher Auffassung Prüfstein für die Fassung dieser Vorschrift sein müsse. Der alliierte Verhandlungsführer hat ausdrücklich erklärt, daß die Alliierten keinesfalls ein kriminelles Verhalten decken wollen. Durch diese Vorschrift soll also die Sühne eines kriminellen Verhaltens auf jeden Fall gewährleistet sein. Lediglich diejenigen Straftaten, die bis zur Ratifikation des Vertragswerkes von den - Alliierten evoziert sind oder evoziert werden, sind von der vorstehenden Regelung auf Grund des Besatzungsrechts ausgenommen.
Damit hat die Behandlung des Falles Kemritz eine bescheidene Wirkung gehabt, nämlich die, daß eben für die Zukunft in gleichliegenden Fällen ein Ausschluß der deutschen Gerichtsbarkeit nicht mehr in Frage kommen kann. Ich gehe mit dem Herrn Interpellanten dahin einig, daß dieses Ergebnis bitter ist. Das ist nicht die Folge eines Versagens unseres Verhandelns; das ist die Konsequenz einer sehr bitteren politischen Situation.
Ich eröffne die Aussprache im Rahmen der Redezeit von 60 Minuten. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedensburg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Memorandum der Bundesregierung stellt fest, daß die von dem Herrn Hohen Kommissar der Vereinigten Staaten gewählte Lösung von der Bundesregierung nicht als Bereinigung dieses bitteren Falles angesehen werden könne. Meine politischen Freunde schließen sich dieser Feststellung durchaus an und wünschen darüber hinaus, daß es nicht bei dieser Feststellung verbleibt, sondern daß die noch etwa gegebenen Möglichkeiten zur weiteren Verfolgung der Angelegenheit restlos ausgenützt werden.
Wir verkennen nicht, daß eine gewisse Besserung eingetreten ist. Ich glaube, es ist nicht zuletzt gerade dem Auftreten dieses Hohen Hauses zu verdanken, daß uns die !Schande erspart bleibt, Herrn Kemritz weiter als Anwalt des deutschen Rechtes vor deutschen Gerichten amtieren zu sehen. Es bleibt uns auch die Schande erspart, daß er weiter auf unserem deutschen Boden geblieben ist. Aber es bleiben eine ganze Reihe von sehr ernsten Aufgaben offen, um deren Erledigung ich namens meiner politischen Freunde ausdrücklich bitten muß.
Zunächst einmal ist es für uns nicht befriedigend, daß so schändliche Straftaten ohne Sühne bleiben. Ich beziehe mich auf die Zusicherung des
({0})
Herrn Hohen Kommissars der Vereinigten Staaten, der in der Pressekonferenz am 6. August 1951 in Berlin in Aussicht gestellt hat, Kemritz solle vor ein amerikanisches Gericht gestellt werden, sobald das Berliner Verfahren gegen ihn niedergeschlagen sei. Diese Erklärung ist zwei Monate später erfolgt, nachdem Kemritz von einem amerikanischen Gericht vorläufig freigelassen worden war; das ist also in voller Kenntnis der damals festgestellten Tatsachen gesagt worden. Ich glaube, de Herr Hohe Kommissar wird selbst Wert darauf legen, daß an seinem Wort nicht gedreht und gedeutelt wird und 'deshalb die von ihm gegebene Zusage nicht einfach in die Luft gesprochen bleibt, sondern daß ihr irgendeine konkrete Handlung folgt. Wir bitten die Bundesregierung, den Herrn Hohen Kommissar auf diese seine Zusage vom 6. August 1951 hinzuweisen. Die öffentliche Meinung unseres Volkes erwartet, daß diese Straftaten nicht ohne Sühne bleiben.
Die zweite Forderung, die wir zu stellen haben, bezieht sich auf die Entschädigung der unglücklichen Familien, der Hinterbliebenen. Es herrscht - ich glaube, ich habe das das letzte Mal ausgeführt - zum Teil bittere Not. Die Verfolgung der Ansprüche gegen Kemritz ist durch die amerikanische Intervention verhindert worden. Das Hohe Haus hat am 21. Juni vorigen Jahres durch Beschluß gefordert, daß die Ansprüche der geschädigten Hinterbliebenen gewahrt bleiben. Es befrieidigt uns nicht, wenn dieser Beschluß ebenfalls - ähnlich wie die Zusage des Herrn Hohen Kommissars - in die Luft gesprochen bleibt. Meiner Ansicht nach muß nach dieser Richtung irgend etwas erfolgen. Wir können der Not der Hinterbliebenen nicht tatenlos gegenüberstehen. Es ist möglich gewesen, auf privatem Wege bei einigen besonders dringenden und bitteren Fällen ein wenig zu mildern; aber die Rechtslage selber kann nicht so bleiben, wie sie jetzt ist, nämlich, daß die Verfahren vor dem Berliner Gericht sistiert bleiben. Ich würde gerne erfahren, wie sich die Bundesregierung die weitere Verfolgung gerade dieses wichtigen Punktes denkt.
- Drittens haben wir eine Forderung zu stellen, die ich nicht zu unterschätzen bitte. Die Hinterbliebenen der Kemritz-Opfer sind mit Recht verbittert und tief berührt, weil sie durch die Presse erfahren haben, daß der amerikanische Hohe Kommissar auf jener Pressekonferenz die Opfer des Kemritz in Bausch und Bogen als Kriegsverbrecher bezeichnet hat.
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Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß diese Behauptung für die Mehrzahl der Fälle sachlich nicht aufrechterhalten werden kann. Wir können es deshalb durchaus verstehen, wenn die Witwen und Waisen Wert darauf legen, daß der Makel - moralisch, strafrechtlich, besatzungsrechtlich - von ihren völlig unschuldigen Ernährern genommen wird.
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Meine Damen und Herren, hier handelt es sich um eine Frage, die nicht nur die Hinterbliebenen angeht. Es ist für uns alle von erheblicher Bedeutung, daß der Begriff ides Kriegsverbrechers nicht so leichtfertig verwendet wird, wie es im Laufe der letzten Jahre leider immer wieder geschehen ist. Nichts ist der Durchführung der moralischen und der materiellen Entnazifizierung in unserem Volke so schädlich gewesen, wie daß man auf dieselbe
Bank Leute 'gesetzt hat, gegen die jeder Vorwurf berechtigt ist, und Leute, gegen die überhaupt kein Vorwurf erhoben werden kann. Durch die leichtfertige Verwendung des Begriffs „Kriegsverbrecher" ist schon heute im gewissen Umfang der Zustand herbeigeführt worden, daß sich die eigentlichen Kriegsverbrecher entlastet fühlen, weil sie in einem Atem mit Leuten genannt werden, über deren Integrität überhaupt kein 'Zweifel sein kann. Es ist also nicht nur ein Anspruch der Hinterbliebenen, sondern es ist ein Anspruch der öffentlichen Meinung des deutschen Volkes, daß solche Anklagen, solche Vorwürfe nicht leichtfertig und nicht in Bausch und Bogen erhoben werden und daß in den Fällen, wo sie zu Unrecht erhoben worden sind, eine nachträgliche Berichtigung erfolgt.
'Also ich wiederhole: wir wünschen, daß die Strafverfolgung des Kemritz, vor einem amerikanischen Gericht meinetwegen, nunmehr durchgeführt wird, wie von dem Hohen Kommissar zugesagt, daß zweitens die zivilrechtlichen Ansprüche nicht ins Wasser fallen und daß drittens den Hinterbliebenen und dem deutschen Volk die moralische Genugtuung verschafft 'wird, auf die wir Anspruch haben. Selbstverständlich: das Entscheidende wird sein - und wir freuen uns, von dem Herrn Bundesjustizminister nach dieser Richtung Zusicherungen gehört zu haben -, daß sich derartige Fälle künftig nicht wiederholen. Insofern dürfen wir vielleicht die Erklärung unseres Kollegen Wagner als eine Ankündigung betrachten, daß er in dem Generalvertrag doch wenigstens gewisse positive Möglichkeiten erkennt,
({3}) und wir würden uns sehr freuen, wenn das auch zu einer Beurteilung des gesamten Generalvertrags durch seine politischen Freunde etwas beitragen würde.
({4})
Meine Damen und Herren, je mehr wir uns mit diesem Fall Kemritz in all seinen scheußlichen Einzelheiten beschäftigen, um so klarer muß uns werden, daß es höchste Zeit ist, in unserem Lande den rechtlosen Zustand der Willkür, wie er durch den Fall Kemritz beleuchtet wird, durch eine anständige, auf vertragliche Regelung gegründete Rechtssituation zu ersetzen.
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Jedenfalls ist der Fall Kemritz hervorragend geeignet, uns auch zum Nachdenken über die Dinge zu bringen, die uns in den nächsten Wochen beschäftigen werden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Fisch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man weiß nicht, wen man in dieser Angelegenheit mehr bedauern soll, die Regisseure der Sache, die in ihren Auseinandersetzungen mit 'den amerikanischen Dienststellen so fürchterlich hereingefallen sind, oder die Dirigenten der „öffentlichen Meinung", die nun selbst nicht mehr genau wissen, wie sie die Angelegenheit zu Ende führen sollen. Eigentlich sollte es eine großangelegte Kampagne werden, in der man ausgiebig Gelegenheit nimmt, sich über gewisse schauerliche Vorgänge drüben im Osten auszubreiten. In Wirklichkeit wurde es aber eine Tragikomödie, in der dargestellt wird, wie einige Leute auszogen, um einen tapferen Streit
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für Menschenrechte zu führen, und wie sie denn so plötzlich umkehren mußten, als sie sahen, daß auf der anderen Seite Mr. McCloy persönlich steht, der für solche Gefechte im Namen der Menschenrechte gar kein Verständnis hat, wenn es sich um Spitzel und Agenten in eigenen Diensten handelt.
Ich möchte mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus der Sitzung des Bundestags vom 20. Juni 1951 etwas zitieren. Damals befaßte man sich mit der Verlautbarung des Rechtsamtes des amerikanischen Hohen Kommissars vom 13. Juni, in der die Einstellung des amerikanischen Strafverfahrens gegen Kemritz begründet wurde. Damals 'kommentierte der Sprecher der SPD-Fraktion, Herr Arndt, diesen Vorgang folgendermaßen:
Ich glaube sagen zu dürfen, daß eine Verlautbarung so nicht abgefaßt worden wäre, hätte Mr. McCloy selber die Amtsgeschäfte führen können.
Nun, Herr Arndt würde sehr -bald eines Besseren belehrt, nämlich dahin, daß nicht die Abwesenheit von Mr. McCloy an dieser Fassung schuld war, sondern daß Herr McCloy höchstpersönlich dieses ganze Verfahren Wie auch den Text der Begründung vollinhaltlich billigt und sogar noch weitere Schritte unternimmt. McCloy hat einige Zeit darauf erklärt, er würde, wenn nötig; von seinem Besatzungsrecht Gebrauch machen, um Herrn Kemritz, zu schützen, und Sie wissen weiter genau, daß Mr." McCloy bzw. sein amerikanischer Statthalter in: Berlin, Matthewsen, die Anweisung gegeben haben, das in West-Berlin von einem deutschen Gericht gefällte Urteil für null und nichtig zu erklären.
Nicht nur Herr Arndt hat einen sehr seltsamen Kampf gegen Windmühlenflügel geführt, sondern auch sein Parteifreund Reuter, der am 3. August in der Berliner Abgeordnetenversammlung erklärte, niemals und unter keinen Umständen werde er dieser schändlichen Aufforderung des Mr. McCloy nachkommen. Aber einige Tage später war der Heldenmut bereits verflogen, und es wurde getan, was die „höchste Instanz für Menschenrechte", Mr. McCloy, in Berlin und in Westdeutschland befohlen hatte. Eine Bemerkung noch 'zu einer Äußerung des Herrn Ministers D r. D e h 1 er. Er wurde gefragt, wie die Schlußerklärung der Bundesregierung - in der es heißt, in 'Zukunft sollten solche Dinge nicht mehr geschehen, die Bundesregierung werde sich darum bemühen - mit gewissen anderen Vorgängen in Einklang zu bringen sei. Die Bundesregierung wurde gefragt, was sie getan habe oder zu tun gedenke, um die Wiederholung solcher Fälle zu verhindern. Herr Minister Dr. Dehler glaubte, sich auf 'den Text des Truppenvertrages berufen zu können. Ich muß 'ihm widersprechen. Aus dem Text des Vertrages bezüglich der „Regelung aus Krieg und 'Besatzung entstandener Fragen" geht nicht hervor, daß eine Wiederholung des Falles Kemritz in Zukunft vermieden wird. Im Gegenteil, aus dem Text geht hervor, daß der Fall Kemritz künftighin über Besatzungsrecht auf Grund deutscher Paragraphen generalisiert und legalisiert werden soll. In dem von Herrn Adenauer am 26. 'Mai unterschriebenen Vertrag ist festgelegt, daß eine Lex Kemritz Bestandteil deutschen Rechtes werden soll. Es ist also alles getan worden, um nicht etwa eine Wiederholung des Falles Kemritz zu verhindern, sondern um eine Wiederholung in unabsehbar vielen Fällen 'zu garantieren. Denn, Herr Minister'
Dr. Dehler, Sie haben bei Ihrer Vorlesung vergessen, zu zitieren, wie es in Art. 3 Abs. 1 'dieses Vertrages weitergeht, nämlich:
Die deutschen Behörden haben alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel anzuwenden, um sicherzustellen, daß der Zweck dieses Absatzes erreicht wird,
der Zweck nämlich, deutsche Spitzel und Agenten in amerikanischen Diensten unter allen Umständen vor Strafverfolgung zu schützen.
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- Ich bin sofort fertig. - Da dem so ist, meine Damen und 'Herren, kann man nur zu dem einen Schluß kommen: die Komödie, die hier in diesem Fall aufgeführt wird, ist das Papier nicht wert, auf das sie geschrieben wurde.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Wagner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir lehnen es ab, ein so trauriges Vorkommnis wie das, das sich im Fall Kemritz offenbart, irgendwie 'zu einer nationalistischen oder sonstigen Hetze gegen die Vereinigten Staaten zu mißbrauchen. Wir stellen mit großem Schmerz diese Geschehnisse fest. Es geht uns nicht wie den Kommunisten, die sich darüber freuen, daß eine Dienststelle einen so wahnsinnigen Fehler begangen hat. Was Iden Hinweis des Vorredners auf die -von meinem Freund Dr. Arndt in seiner großen Rede vom 20. Juni vorigen Jahres geäußerte. Meinung, diese Dinge wären nicht möglich gewesen, wenn der Hohe Kommissar in Deutschland anwesend gewesen wäre, anlangt, so muß ich sagen: das spricht in keiner Weise gegen meinen Freund Dr. Arndt. Wenn er eine so hohe Meinung von dem Hohen Kommissar hatte, so entspricht das unserer allgemeinen Tendenz, immer eher an das Gute unserer Mitmenschen zu glauben als an das weniger Gute.
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- Das trifft auf alle die 'zu, die in der Vergangenheit bewiesen haben, daß es ihnen auf Menschenrechte ankommt und nicht darauf, die Menschen zu knechten, zu versklaven und umzubringen, wenn sie für die Freiheit eintreten.
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Meine Damen und Herren, es ist nicht zu vermeiden, daß die Kommunisten bei so ernsten Debatten immer wieder versuchen, hier irgendein Süppchen zu kochen. Aber diese Debatten sind dazu wirklich nicht geeignet. Sie hätten so viele Möglichkeiten, sich in ihrem Laden und bei ihren Auftraggebern umzusehen, daß ihnen jedes moralische Recht fehlt, sich über Dinge aufzuregen, gegen die wir das Recht zu protestieren haben.
({2})
Nun sagte der Herr Bundesjustizminister, die Regierung habe alles getan, was sie tun konnte; und ich kann nicht verkennen, daß der Herr Bundesjustizminister und die Bundesregierung sich in einer nicht gerade beneidenswerten Lage in diesem Fall Kemritz befinden. Ich kenne den Herrn Bundesjustizminister viel zu gut, als daß ich nicht wüßte, daß er innerlich über die ganzen Vorgänge aufs tiefste erschüttert ist und empört ist über das, was hier vorgeht. Aber das Entscheidende ist doch schließlich der Umstand, daß politisch aus dieser berechtigten Empörung heraus eine gewisse Hand({3})
lung erforderlich ist; und da befinde ich mich allerdings in scharfem Gegensatz zu seiner Auffassung.
Der Herr Bundesminister meint, nachdem nunmehr dieser Kemritz nicht mehr auf deutschem Boden weile, sei ein Auslieferungsverlangen sinnlos. Diese Erkenntnis ist beim Herrn Bundesjustizminister neu; zum mindesten war sie nicht vorherrschend, als er uns seinerzeit, nämlich am 20. Juni, seine leidenschaftlichen Ausführungen vorgetragen hat. Jenes Mal berichtete er uns bereits, indem er sagte, Kemritz befinde sich nicht mehr in deutscher Jurisdiktion, er habe den deutschen Boden schon verlassen; und trotz dieser Feststellung - die sich nicht von der heutigen unterscheidet - erklärte er schließlich - ich wiederhole das Zitat von vorhin -,
daß die Bundesregierung sich darüber schlüssig
-werden muß, ob sie Antrag auf eine Art von
Auslieferung des Kemritz stellen wird.
Was jenes Mal nicht sinnlos war, ist es heute noch viel weniger. ({4})
Ich stehe auf dem Standpunkt, daß man der amerikanischen Öffentlichkeit diesen Fall Kemritz vortragen muß. Denn die öffentliche Meinung in Amerika ist gerade für solche Dinge außerordentlich empfänglich, und die öffentliche Meinung in Amerika ist eine Riesenmacht, eine Macht, größer als in jedem anderen Lande.
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- Sie haben ja keine Ahnung von diesen Dingen, weder von den Konzernen noch von Amerika! - Deswegen glaube ich, daß, wenn die Bundesregierung durch einen Auslieferungsantrag das Interesse der amerikanischen Öffentlichkeit auf dieses schändliche Verhalten des Kemritz lenken und dadurch die Stellung gewisser amerikanischer Dienststellen in Deutschland der amerikanischen Offentlichkeit offenbar würde, dort eine Stimmung erzeugt würde, die sogar für die noch nicht erfolgte Sühne des Falles Kemritz Heilung bringen würde. Sie brauchen sich nur zu vergegenwärtigen, daß die „New York Times" in einem Artikel, den Herr Kollege Friedensburg in der Sitzung, ich glaube, vom 28. Februar, zitiert hat, bereits in einer Weise Stellung genommen hat, die durchaus die Möglichkeit eröffnet, daß das, was hier über Dienststellen in Deutschland nicht möglich ist, über die amtlichen Stellen, gedrängt von der öffentlichen Meinung Amerikas, geschaffen werden kann und daß darüber hinaus auch Änderungen in den Bestimmungen, die nächstens unserer Beratung unterliegen, möglich sind.
Die Resignation der Regierung, die in den Worten des Herrn Ministers zum Ausdruck kommt: „Wir können nicht mehr, als wir können", ist meines Erachtens nicht geeignet, irgendwie das Gefühl derer zu befriedigen, die den Fall Kemritz kennen und die ihn sehen. Meine Damen und Herren, wenn die amerikanische Öffentlichkeit z. B. erfahren würde, daß die amerikanischen Dienststellen in Deutschland folgenden Standpunkt einnehmen, dann könnten Sie eine sehr bittere Reaktion- erleben. Denn die Amerikaner nehmen nach dem Memorandum der Bundesregierung den Standpunkt ein: es dreht sich im Falle Kemritz überhaupt nicht um eine ungesetzliche Handlung. Das können Sie einem Durchschnittsamerikaner nie beibringen, ebensowenig wie das irgendein Deutscher glauben kann. ({6}) Sie nehmen weiter den Standpunkt ein: Sollte aber eine ungesetzliche Handlung vorliegen - und das ist nun das Erschütternde an der ganzen Affäre -, dann wären die Besatzungsbehörden berechtigt, einem deutschen Gericht - wie es wörtlich heißt - jedes Verfahren zu entziehen, welches unmittelbar den Schutz, das Prestige und die Sicherheit der Besatzungsmacht berührt. „Nach amerikanischer Auffassung" - so heißt es wörtlich weiter in dem Memorandum - „werden durch ein deutsches Gerichtsverfahren gegen Kemritz das Prestige und die Sicherheit der amerikanischen Besatzungstruppen berührt".
({7}) Meine Damen und Herren, es ist erschütternd zu hören, wie dadurch das Prestige der amerikanischen Besatzungsmacht berührt werden kann, wenn ein Mann, der die schwersten Verbrechen begangen hat, vor den für ihn zuständigen Richter gestellt wird. Das ist unbegreiflich. Das Prestige der amerikanischen Besatzungsmacht leidet umgekehrt unter der Tatsache, daß man dem Gerichtsverfahren nicht seinen Lauf gelassen hat.
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Das Prestige leidet umgekehrt unter der Tatsache,
daß die Amerikaner diesen Verbrecher zum mindesten nicht vor ihr eigenes Gericht gezogen haben.
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Es leidet umgekehrt unter der Tatsache, daß die Amerikaner einem -Mann, der Freund Himmlers -und Heydrichs war, einem Mann, den sie zum Agenten gemacht haben, gestattet haben, mit anderen gegen den Kaufpreis von Menschenleben zu arbeiten.
Das ist das, worunter das amerikanische Prestige bei uns in Deutschland leidet. Das ist das Erschütternde für jeden, der Amerika liebt und Amerika kennt. Das ist das Prestige, um das die amerikanischen Stellen sich viel mehr kümmern sollten, als sie es in der Vergangenheit getan haben.
({10})
Ich bin überzeugt, das amerikanische Volk würde nicht dulden, daß man das Prestige auf einer so falschen Seite sucht, und es würde hier eine Korrektur vornehmen, die erforderlich ist im Interesse des rechtsstaatlichen Gedankens, im Interesse der Menschenwürde und im Interesse der freundschaftlichen Zusammenarbeit der Völker. Aber Maschinen in den Staaten sind stark, auch Maschinen in demokratischen Staaten. Sie können nur dann, wenn sie gefährlich geworden sind, zurückgedrängt werden, wenn in den Demokratien sich das Volk dahinterklemmt und das Volk dagegen Stellung nimmt. Ich appelliere an die Bundesregierung, nicht zu resignieren, sondern ihren Apparat spielen zu lassen, auf daß dafür gesorgt werde, daß diese Dinge eine Publizität erhalten, die sie tatsächlich erfordern.
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Nun muß ich dem Herrn Kollegen Friedensburg widersprechen. Er scheint mich völlig falsch verstanden zu haben. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß in dem neuen Vertrag, den ich schon vorher zitiert habe und den der Herr Bundesjustizminister nach mir zitiert hat, dem Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen keinesfalls fürs die Zukunft ausgeschlossen ist, daß wir wieder einen Fall Kemritz erleben.
({12})
({13})
Ich stehe im Gegenteil auf dem Standpunkt, daß man bei genauem Studium des Art. 3, insbesondere des Art. 3 Abs. 3 b geradezu sichert, daß in der Zukunft solche Fälle sich genau so abrollen können wie in der Vergangenheit. Denn es heißt in Art. 3 Abs. 3 b - ich -muß von Abs. 3 ausgehen Vorbehaltlich der Bestimmungen des Abs. 1 dieses Artikels und jeder anderen einschlägigen Bestimmung des Vertrages über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten oder der in seinem Art. 8 aufgeführten Zusatzverträge dürfen deutsche Gerichte die ihnen nach deutschem Recht zustehende Gerichtsbarkeit ausüben.
Und dann kommt der Buchstabe ({14}) - der ist im Augenblick uninteressant - und schließlich der Buchstabe ({15}), nach dem die deutschen Gerichte die ihnen nach deutschem Recht zustehende Gerichtsbarkeit ausüben dürfen
in Strafverfahren gegen natürliche Personen, es sei denn,
- und nun kommt die Ausnahme daß die Untersuchung wegen der angeblichen Straftat von den Strafverfolgungsbehörden der betreffenden Macht oder Mächte endgültig abgeschlossen war oder diese Straftat in Erfüllung von Pflichten oder Leistung von Diensten für die Besatzungsbehörden begangen wurde.
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Da haben Sie genau das Gegenteil. Wer Dienste für die Besatzungsbehörden begeht - und wer entscheidet, ob die Straftat nicht im Rahmen dieser Dienstleistung begangen worden ist? -, der kann nach wie vor, wenn das ratifiziert wird, nicht von den deutschen Gerichten abgeurteilt werden.
Ich behaupte also, daß genau das Gegenteil dessen der Fall ist, was der Bundesjustizminister vorgetragen hat. Ich behaupte also, daß dieser Vertrag keinesfalls einen Fall Kemritz für die Zukunft vermeidet und daß man aus dem Fall Kernritz nichts gelernt hat oder, wenn man etwas ge1 ernt hat, nicht in der Lage war, das hier im Vertragswerk durchzusetzen. Es ist also nicht so, Herr Kollege Friedensburg, daß diese Regelung uns veranlassen würde, unseren bisherigen Standpunkt zu ändern. Im Gegenteil - und wir werden später ausführlich dazu sprechen -, gerade dieser Fall Kemritz und die erfolgte Regelung in diesem Vertragswerk zeigen, daß es völlig unannehmbar ist, wenn wir für die Zukunft nicht ähnlich traurige und tragische Fälle erleben wollen.
({17})
Weiter der Herr Bundesminister der Justiz, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!, Nur ein Wort der Erwiderung noch. Meine Zusage in der Sitzung vom 20. Juni, notfalls eine Art Auslieferung zu begehren, war ja Gegenstand der monatelangen Verhandlungen mit den Alliierten. Denn unser Petitum war: Gebt Kemritz für die deutsche Gerichtsbarkeit heraus! Dies ist klar und mit dürren Worten am Ende abgelehnt worden. Man hat Kernritz in die Vereinigten Staaten in Schutz gebracht. Wir haben keinen Auslieferungsvertrag mit den Vereinigten Staaten und können deshalb ein förmliches Auslieferungsbegehren nicht stellen. Die Anklage an die Welt wegen dessen, was der Fall Kemritz bedeutet, ist, wie ich glaube, schon deutlich genug hinausgedrungen und bedarf kaum der Verstärkung. Die Auslegung des Art. 3 des Überleitungsvertrags geht ganz eindeutig dahin, daß mit dem Abschluß des Vertrags, abgesehen von einer kurzen Übergangszeit, die ausschließliche deutsche Gerichtsbarkeit besteht, die gar nicht mehr eingeschränkt werden kann. Schon darin liegt die Sicherheit, daß sich ein Fall Kemritz nicht wiederholen kann. Der Art. 3 ({0}) gibt so, wie ich ihn vorhin interpretiert habe, gerade als Konsequenz des Falles Kemritz eine Sicherheit dahin, daß materiell jedes verbrecherische Handeln auch seine Sühne findet.
Ich halte es für verdienstlich, daß der Herr Abgeordnete Friedensburg an die Zusage des amerikanischen Hohen Kommissars vorn 6. August 1951, wonach das Verhalten des Kemritz nicht ungesühnt bleiben soll, erinnert hat. Ich bin bereit, die Mahnung des Herrn Abgeordneten Dr. Friedensburg an den amerikanischen Hohen Kommissar weiterzuleiten.
Mit Recht hat Kollege Dr. Friedensburg die Frage der Sicherung der Ansprüche der Hinterbliebenen der Opfer des Kemritz berührt. Diese Frage wird von der Bundesregierung mit dem Ernst, dessen sie bedarf, erwogen. Der Herr Bundesfinanzminister hat wegen der Klärung der Dinge Verhandlungen mit der amerikanischen Besatzungsmacht eingeleitet.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, Anträge sind nicht gestellt. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Nach der getroffenen Vereinbarung sollen jetzt zunächst die Punkte 8 bis 17 der Tagesordnung erledigt werden.
Ich schlage Ihnen, da die Angelegenheit mit Rücksicht auf die Beratungen des Spruchsenats beim Hauptamt für Soforthilfe besonders dringlich ist, vor, den Punkt 17 der Tagesordnung, der ja einer Aussprache nicht bedarf, vorwegzunehmen:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP/DPB betreffend Wahl von Beisitzern für den Spruchsenat beim Hauptamt für Soforthilfe ({0}).
Herr Abgeordneter Dr. Reismann, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen .und Herren! Die Fraktion der Föderalistischen Union sieht sich plötzlich einer Drucksache Nr. 3473 gegenüber, einem interfraktionellen Antrag, über dessen Inhalt wir nicht im geringsten unterrichtet waren. Wir sind davon überrascht. Es handelt sich da an sich um eine Angelegenheit, von der man annehmen sollte, daß parteipolitische Meinungsverschiedenheiten darüber gar nicht aufkommen könnten. Um so mehr überrascht es uns, daß man einen Teil dieses Hauses damit einfach überfahren will. Dieses Verfahren möchten wir nicht einreißen lassen. Ich benutze die Gelegenheit, dagegen zu protestieren, und wir lehnen deswegen diesen Vorschlag ab, da wir nicht einmal Gelegenheit hatten, uns mit den Organisationen in Verbindung zu setzen, um festzustellen, was für eine Bewandtnis es mit der Persönlichkeit der damit benannten Damen und Herren hat.
({0})
Präsident -Dr. Ehlers: Meine Damen und Herren, soweit ich unterrichtet bin, hat niemand von den Antragstellern die Absicht gehabt, irgend jemand zu „überfahren", sondern es handelte sich praktisch um nichts anderes als um die Verlängerung der Amtszeit der im Amt befindlichen Mitglieder des Spruchsenats, da sich aus der Lastenausgleichsgesetzgebung sowieso eine Neuregelung ergibt und im Interesse der Erhaltung der Arbeitsfahigkeit wegen des Zeitablaufs des Auftrags die Notwendigkeit bestand, eine Wahl dieser Art vorzunehmen. Das ist der Hintergrund dieses Antrags, soweit ich darüber unterrichtet bin.
({1})
- Ich vermag nicht zu sagen, Herr Abgeordneter Dr. Reismann, warum das nicht geschehen ist. Ich wollte bloß die Mehrheit des Hauses, die diesen Antrag gestellt hat, gegen den Vorwurf in Schutz nehmen, daß sie irgend jemand „überfahren" wollte.
Wünscht sonst jemand, eine Erklärung zu dieser Frage abzugeben? - Das ist nicht der Fall. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP/DPB, Drucksache Nr. 3473, zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist gegen wenige Stimmen angenommen worden.
Ich rufe dann Punkt 8 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Preise für Getreide inländischer Erzeugung für das Getreidewirtschaftsjahr 1952/53 und über besondere Maßnahmen in der Getreide- und Futtermittelwirtschaft ({2}) ({3});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({4}) ({5}).
({6})
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Horlacher. Für die allgemeine Besprechung der dritten Beratung wird Ihnen, falls sie gewünscht werden sollte, eine Aussprachezeit von 40 Minuten vorgeschlagen. - Das Haus ist damit einverstanden.
Bitte, Herr Abgeordneter Horlacher, zur Berichterstattung!
Dr. Horlacher ({7}), Berichterstatter: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat sich in seiner Sitzung vom 19. Juni zunächst in einer allgemeinen Aussprache mit dem vorliegenden Gesetzentwurf beschäftigt. Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten legte dabei die Grundsätze dar, nach denen der Gesetzentwurf aufgestellt ist. Insbesondere wies er darauf hin, daß gegenüber dem früheren Getreidepreisgesetz an dem Von-bis-Preissystem festgehalten worden sei und daß außerdem die Verhältnisse der Reports so geregelt seien, wie es früher der Fall war. Es sei nur eine Änderung eingetreten, daß der Mindestpreis für Hafer angesichts der veränderten Marktlage um 10 DM für die Tonne herabgesetzt worden sei. Weiterhin wurde darauf hingewiesen, daß angesichts der Schwierigkeiten im Braugerstensektor die Verhältnisse insofern mit einer größeren Beweglichkeit geregelt seien, als die Festlegung der Zuschläge der Bundesregierung durch Verordnung vorbehalten sei.
Außerdem bat die Bundesregierung darum, an der Frühdruschprämie für Roggen festzuhalten. Dagegen ließen die veränderten Verhältnisse nach Ansicht der Regierung die Frühdruschprämie für Weizen nicht mehr angezeigt erscheinen.
Was das ganze System der Getreidebewegung anlange, so sei sie jetzt im Gegensatz zum vorigen Jahr - das wurde uns auch ziffernmäßig bewiesen - befriedigend; aber die geldlichen Grundlagen, besonders die notwendigen Kredite, stünden nicht in dem Umfang zur Verfügung, um das Ganze ordnungsgemäß und reibungslos abwickeln zu können. Darüber finden zur Zeit noch Beratungen mit den zuständigen Stellen statt.
Dann ist bei den Beratungen besonders mancher Gesichtspunkt erörtert worden, den ich nur ganz kurz streifen will; aber bei der Bedeutung des Gesetzentwurfs für die Verhältnisse in der Brotversorgung der Bevölkerung ist es doch notwendig, darauf einzugehen. In der allgemeinen Aussprache wurde insbesondere hervorgehoben, daß es doch notwendig sei, die Aufnahme der inländischen Ernte zu gewährleisten, die Erhöhung der Reports vorzunehmen und Unterschreitungen der Von-Preise zu vermeiden. Auch wurden von manchen Seiten Bedenken gegen die völlige Aufhebung der Frühdruschprämie bei Weizen geltend gemacht. Man wies darauf hin, daß die Landwirtschaft im Gegensatz zum Vorjahr vor folgenden Veränderungen stehe: Erstens eine nach unten veränderte Preislage, indem die ganzen Preisverhältnisse sich jetzt nicht mehr nach den Bis-Preisen, sondern nach den Von-Preisen richten werden. Dazu kommt der Wegfall der Frühdruschprämie bei Weizen, die immerhin einen Betrag von 20 bis 24 Millionen DM ausmachte. Ferner kommt hinzu, daß sich die Lage durch die Verhältnisse auf dem Gebiete der Milchwirtschaft verändert hat. So hat sich dann ein verändertes Bild ergeben.
Hinsichtlich der Braugerste sind von einzelnen Abgeordneten Erwägungen angestellt worden, ob man die Braugerste nicht freigeben solle. Angesichts des ganzen Preissystems hat man aber davon abgesehen, diese Überlegungen weiter zu verfolgen. Es wurde jedoch scharf betont, daß zum mindesten die Lage bei der Braugerste so geregelt werden muß, daß die Einfuhr- und Vorratsstelle über genügend Braugerste verfügt, damit sie in den Markt eingreifen kann, wenn die Verhältnisse es erfordern.
Einen besonderen Raum in den Beratungen nahm das Bezugscheinsystem für Futtermittel ein. Von einer Seite wurde zum Ausdruck gebracht, daß einem eventuellen Mißbrauch dieses Bezugscheinsystems dadurch vorgebeugt werden könne, daß der Bezugschein auf eineinhalb Monate befristet werde. Von anderer Seite wurde darauf hingewiesen, daß man mit dem Bezugscheinsystem für verbilligtes Futtergetreide die Frühdruschprämie für Roggen entfallen lassen könne.
Zu den aufgeworfenen Fragen wurde von seiten des Bundesernährungsministeriums Stellung genommen und betont, daß die Frühdruschprämie für Roggen unter allen Umständen bleiben müsse, und zwar angesichts der Versorgungslage, die bei Roggen eine ganz andere als bei Weizen sei, weiter angesichts der Tatsache, daß die Regierung über genügend Roggenbestände verfügen müsse, damit die Mischung des Konsumbrotes nicht verändert zu
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werden brauche und auf jeden Fall die Brotpreise eingehalten werden könnten.
Die Regierung hat dann gewisse Bedenken gegenüber die Erhöhung der Reports geltend gemacht und darauf hingewiesen, daß die Futtergetreideumtauschaktion in diesem Jahre reibungsloser vor sich gehen werde als im vergangenen Jahr. Sie hat ferner darauf hingewiesen, daß sie nicht in der Lage sei, eine Veränderung im System der Berechnung von Inlands- und Auslandsgetreide eintreten zu lassen. In der Weizenversorgung seien keinerlei Schwierigkeiten zu erwarten. Auch wurde von der Regierung darauf hingewiesen, daß bisher nur der Handel das Futtergetreide-Bezugscheinsystem vertreten habe, während die anderen Wirtschaftskreise sich dagegen ausgesprochen hätten. Das war die allgemeine Aussprache.
Am nächsten Tage, am 20. Juni, wurde dann in die Einzelberatung eingetreten. Es lag ein Antrag vor, die Weizentabelle etwas zu ändern, und zwar um dadurch bis zu einem gewissen Grade bei der Erntebewegung den notwendigen Anreiz zu geben. Sie finden die Tabelle im Beschluß des Ausschusses - er liegt Ihnen mit Drucksache Nr. 3478 vor - veröffentlicht. Sie können der Tabelle das Notwendige entnehmen. Sie ist nach dem vom Ausschuß angenommenen Antrag zu dem Wirtschaftsgebiet 2 durchgerechnet worden und entspricht den Entschlüssen des Ausschusses. Der Ausschuß hat hierbei betont, daß durch die Veränderung dieser Preisverhältnise unter keinen Umständen eine Erhöhung des Brotpreises zu erwarten sei, denn die Berechnung wird nunmehr wahrscheinlich entsprechend der Marktlage von den Von-Preisen ausgehen, so daß die 20-Mark-Spanne pro Tonne bis zu den Bis-Preisen ohnehin eine Erleichterung in den Verhältnissen für den Verbraucher ergibt. Hier ist schon die Tatsache gegeben, daß die Mehlpreise im Sinken begriffen sind. Durch die Veränderung der Verhältnisse tritt also keine Benachteiligung der Wirtschaft und der Verbraucherschaft ein.
Der Ausschuß hat dann mit Mehrheit dem Antrag zu § 1 Abs. 2 bezüglich der Veränderung der Preisverhältnisse für Weizen zugestimmt. Bei der Gelegenheit wurde auch ein Antrag des Abgeordneten Dr. Weiß zu § 1 Abs. 4 angenommen, auf den Seiten 10 und 13 der ursprünglichen Regierungsvorlage vor „Land Württemberg-Baden", „Land Baden" und „Land Württemberg -Hohenzollern" jeweils das Wort „ehemaliges" zu setzen. - Herr Präsident, das ist in dem Bericht nicht enthalten; ich bitte, das entsprechend vorzumerken.
Im Zusammenhang mit der Beratung des § 1 wurde noch auf folgendes hingewiesen. Es wurde beantragt, man sollte unter Umständen in Erwägungen darüber eintreten, die Abgabepreise für Importgetreide in Zukunft auf der Grundlage des cifPreises zu regeln. Außerdem sollte man für inländisches Getreide für eine bestimmte Zeit einen Vermahlungszwang festsetzen. Demgegenüber wurde erwähnt, es sei zur Zeit sehr schwer, innerhalb dieses Getreidepreisgesetzes eine Entscheidung in der Frage herbeizuführen; denn hier dürfe nicht bloß das Getreidepreisgesetz zu ändern sein, sondern das Getreidegesetz als solches, und es sei hier ein konstruktiver Umbau notwendig. Die Einfuhr- und Vorratsstelle müßte genügend finanziert sein. Wenn das Ganze bei richtiger Finanzlage funktionierte, müßte man eigentlich mit einem System der Richtpreise auskommen. Es wurde dann darauf hingewiesen, die Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide- und. Futtermittel müßte mit einer genügenden Kapitalgrundlage versehen sein, und die Bundesreserve sowie die Hilfe für Berlin müßten eigentlich ausgegliedert werden, damit die notwendigen Kreditmittel für die übrige Bewegung der Einfuhr- und Vorratsstelle zur Verfügung stehen.
Im übrigen war man der Meinung, daß die gesamte Getreidepolitik nach Verabschiedung des Gesetzes noch einer eingehenden Aussprache bedarf, insbesondere das System der cif-Preise, und daß vornehmlich auch noch die Fragen erörtert werden müssen, die mit der ganzen Gestaltung der Einfuhr- und Vorratsstelle zusammenhängen.
Es wurde dann noch ein Antrag bezüglich Industriehafer angenommen; Sie finden ihn in der Vorlage vermerkt. Bei Industriehafer tritt insofern eine Änderung ein, als eine gewisse Preiserhöhung vorgenommen wird. Das geht aus der Anlage hervor.
Außerdem wurden Anträge, die bezüglich des Handelssaatgutes vorgelegt wurden, abgelehnt, so daß es bei dem bisherigen System verbleibt.
Ich muß noch darauf hinweisen, daß gewisse Dinge, die in der Ausschußvorlage fett gedruckt sind, Übernahmen von Vorschlägen sind, die aus dem Bundesrat herüberkamen, die also vom Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten einstimmig gebilligt wurden.
Auf Seite 4 - der letzten Seite - des Ausschußberichtes finden Sie eine Änderung bezüglich des Hochzuchtsaatgutes, die ebenfalls durch Fettdruck hervorgehoben ist.
g 8 trägt den Verhältnissen in der Weise Rechnung, wie es der Bundesrat vorgeschlagen hat, was vom Ausschuß übernommen wurde.
§ 9 wurde auf Antrag der Regierung den Notwendigkeiten der Verhältnisse angepaßt.
Das sind die wichtigsten Gesichtspunkte, die ich als Berichterstatter hervorzuheben habe. Ich habe das Hohe Haus zu bitten, der Vorlage Drucksache Nr. 3478 mit den Änderungen des Ausschusses zuzustimmen, wozu noch die kleine Änderung in der Anlage zu § 1 kommt, die von mir schon besonders hervorgehoben wurde. Ich bitte um möglichst einstimmige Annahme dieses Gesetzes nach den Beschlüssen des Ausschusses.
({9})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir kommen zur zweiten Beratung des Gesetzentwurfs. Ich rufe zunächst § 1 auf.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller ({0}).
Müller ({1}) ({2}),: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat zu § 1 des vorliegenden Gesetzentwurfs einen Änderungsantrag eingereicht, den ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten vorlesen möchte. Er lautet:
, Für Brotgetreide ({3}) inländischer Erzeugung werden für die Monate Juli 1952 bis Juni 1953 die nachstehenden Erzeugerpreise in Deutscher Mark je tausend Kilogramm netto ausschließlich Sack festgesetzt. Die Lieferung hat entsprechend der für ausländisches Getreide geltenden Bestimmungen frachtfrei Paritätspunkt zu erfolgen, wobei die Frachtkosten aus öffentlichen Mitteln zu tragen sind. Die Mindestbeträge dürfen nicht unterschritten, die Höchstbeträge nicht überschritten werden. Die Preise sind nach demjenigen Preisgebiet zu errechnen, in dem der Paritätspunkt liegt.
({4})
Wir begehren also mit dieser Änderung des § 1 des vorliegenden Gesetzentwurfs die Einführung der Frachtsubventionen für inländisches Getreide. Damit klar wird, worum es sich hierbei handelt, gestatte ich mir, die folgenden Hinweise zu geben.
1. Eine Menge von jährlich etwa 2,5 Millionen t Auslandsweizen wird vom Bundesernährungsministerium über die Einfuhr- und Vorratsstelle und von dieser über die Länder an etwa 100 sogenannte Paritätspunkte frachtfrei geliefert. Dem Bund entstehen dadurch Kosten in der Größenordnung von etwa 80 Millionen DM pro Jahr. Sofern eine Mühle nicht Paritätspunkt ist, muß sie die Frachtkosten vom Paritätspunkt bis zu ihrem Standort selbst tragen.
2. Der Auslandweizen wird nach einem ominösen Schlüssel zugeteilt. Er berücksichtigt vier Gesichtspunkte, und zwar die Bevölkerungszahl eines Landes, das eigengebietliche Brotgetreideaufkommen, alte Mühlenkontingente und schließlich dieübergebietlichen Lieferbeziehungen.
3. Inlandsgetreide wird preismäßig nach vier Preisgebieten aufgeteilt, während es für Auslandgetreide deren drei gibt: ein Preisgebiet Nord, ein Preisgebiet Mitte und ein Preisgebiet Süd. Die Preise für Auslandweizen sind ohne Rücksicht auf dessen Qualität etwa 6 DM je Tonne höher als die inländischen Weizenpreise.
4. Da der Auslandweizen vom Bund frachtfrei Paritätspunkt geliefert wird, sind die Preise für Auslandweizen im Durchschnitt bis zu etwa 2 DM die Tonne niedriger als die Preise für Inlandweizen. Ein unwiderleglicher ökonomischer Grundsatz, wonach die bessere Qualität den höheren Preis rechtfertigt, wird also hier in sein Gegenteil verkehrt. Unter diesen Umständen muß es also verständlich erscheinen, daß die Mühlen den besseren und billigeren Auslandweizen dem inländischen Weizen vorziehen. Dabei soll nicht verkannt werden, daß es auch Auslandweizensorten gibt, die qualitativ hinter denjenigen des inländischen Weizens zurückbleiben. Besonders in den voraufgegangenen Jahren ist das in sehr starkem Maße der Fall gewesen. In den letzten Monaten jedoch haben sich hinsichtlich der Einfuhren erheblich bessere Qualitäten ergeben.
5. Inlandweizen ist frei zu kaufen, Auslandweizen wird, wie ich schon erwähnte, zugeteilt. Hier wird also an einem Requisit aus der Zeit der Zwangsbewirtschaftung mit einer Beharrlichkeit festgehalten, die nach meiner Auffassung wahrlich einer besseren Aufgabe würdig wäre.
({5})
Der Bundesregierung ist der geschilderte Zustand hinlänglich bekannt. Nachdem sie aber trotzdem keine Vorschläge unterbreitet hat, die geeignet wären, die Verhältnisse zu bessern, halten wir es im Interesse der Absatzsicherung für deutschen Weizen für dringend geboten, die Frachtsubventionen für das inländische Getreide wie beim ausländischen einzuführen. Vielleicht wird diese Maßnahme dann mit dazu beitragen, eine auf diesem Gebiet für alle Teile befriedigende und vernünftige Lösung herbeizuführen.
Ich bitte, dem Antrag meiner Fraktion Ihre Zustimmung zu erteilen.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Horlacher.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier ist wieder einmal etwas sehr Originelles passiert. Man soll die Menschen nicht für dümmer anschauen, als sie in Wirklichkeit sind.
({0}) Herr Kollege Müller , ich achte Sie persönlich sehr hoch als Sachverständigen; das wissen Sie. Ich greife auch Ihr cif-Preis-System gar nicht so stark an. Aber Sie haben da etwas verschwiegen, nämlich die Änderung des § 7 Abs. 1; das haben Sie elegant gemacht!
({1})
- Nein, über § 7 Abs. 1 rede ich.
({2})
- Auf § 1 komme ich zurück. Mir bleibt es als Redner vorbehalten, zu Ihrem Gesamtantrag Stellung zu nehmen. § 7 Abs. 1: das ist das Originelle; da liegt folgendes drin, worauf ich das Haus aufmerksam machen muß: die Frühdruschprämie für Roggen entfällt; dafür wird das Bezugscheinsystem für Futtergetreide allein eingeführt. Das ist der Unterschied gegenüber den Ausschußberatungen. Wir haben uns dem Wunsch der Regierung folgend angesichts der Weltroggenlage, wo in Deutschland die Roggenmengen schwer aufzubringen sind und vor Verfütterung zu schützen sind, - ({3})
- Wenn Sie nicht verstehen, daß ich das Recht habe, hier zu sprechen, worüber ich will, tun Sie mir leid. Ich komme auf § 1 schon noch zu sprechen. Zunächst einmal kommt das mit den Frühdruschprämien dran.
({4})
- Das ist Ihnen unangenehm, Herr Schmidt. Es ist doch eine Frage für sich. Jeder kann in der Demokratie tun, was er für zweckmäßig hält.
({5})
In interne Auseinandersetzungen der grünen Front kann der Präsident nicht eingreifen. Diesem Naturgesetz müssen wir uns beugen.
Die Roggenmarktlage der Welt erfordert, daß möglichst viel und bald Roggen in die Hand der Regierung kommt, damit dieser Roggen vor der Verfütterung geschützt ist. Deswegen die Frühdruschprämie. Wir brauchen darüber keine weiteren Worte zu verlieren, weil sich die Frühdruschprämie im vorigen Jahr glänzend bewährt hat. Da liegen ja die Ziffern vor, und es ist auch der Brotversorgung unserer Bevölkerung zugute gekommen. Daher war es möglich, auch den Preis des Konsumbrotes mit den Subventionen das ganze Jahr über so durchzuhalten, wie es geschehen ist. Die Dinge hängen doch miteinander zusammen. Wir wollen hier eine Stabilität beim Getreide haben, damit auch die Verbraucher entsprechend Schutz genommen und vor den Schwankungen bewahrt sind, wenn in den späteren Monaten, z. B. in den Frühjahrsmonaten, nach Beginn des Wirtschaftsjahres eine Mangellage in Roggen eintritt. Da kommen die Schwierigkeiten. Die Landwirtschaft ist aus den Dingen meistens heraus. Die Dinge liegen in zweiter Hand. Da kommen die Schwierigkeiten für den Verbraucher.
Was das Bezugscheinsystem für Futtergetreide, für Gerste anlangt, sage ich Ihnen folgendes. Das
({0})
ist eine Frage, die nach meiner Überzeugung im Gesetz nicht geregelt werden kann. Die Regierung hat auch ohne Gesetz die Gelegenheit, auf Grund des Getreidegesetzes ein solches Bezugscheinsystem einzuführen. Das ist eine Frage, die sie mit den Sachverständigenkreisen noch eingehend durchberaten muß. Ich verrate kein Geheimnis, Herr Kollege Müller, wenn ich sage, daß sich die Sachverständigen hier nicht einig sind. Jedenfalls muß die absolute Garantie bestehen, daß der Landwirt, der verbilligtes Futtergetreide eintauschen will, dieses im Umtausch gegen Roggen auch bekommt. Es darf nicht so sein, daß das Futtergetreide an ihm vorbeigebracht wird und anderen Zwecken dient. Das ist die Kernfrage der ganzen Angelegenheit. Deswegen gehen wir so ungern daran, das hier gesetzlich festzulegen
({1})
und die Regierung hier an einem System festzuhalten, das sich unter Umständen zuungunsten des Landwirtes und der Verbraucherschaft auswirken kann. Der Zweck der Übung ist ja, durch das Umtauschverfahren möglichst viel Roggen gegen Gerste hereinzubringen. Deswegen ist es notwendig, daß wir hier vorsichtig sind. Ich bitte daher meine Freunde, diesem Antrag auf jeden Fall nicht die Zustimmung zu erteilen.
({2})
- Wenn Sie das nicht begreifen, daß ich zur Sache gesprochen habe, dann tun Sie mir leid. ({3})
Aber in der Demokratie ist ja alles möglich. ({4})
Ich habe einmal im bayerischen Landtag gesagt, in der Demokratie kann - je nach seiner Befähigung - der einzelne so gescheit oder so dumm daherreden, wie er es fertigbringt.
({5})
Das Haus nimmt davon Kenntnis.
({0})
Jetzt komme ich zu dem § 1 Abs. 1.
({0})
- Ja, jetzt sind wir da. Sie müssen warten. In der Demokratie müssen Sie warten können.
({1})
- Nein, ich kann genau so gut hinten anfangen, wenn es mir paßt.
({2})
Das ist mein Vergnügen. Meine Damen und Herren, lenken Sie mich nicht ab. Ich wollte meinen Kollegen Müller doch zunächst nur darauf hinweisen, daß er das mit der Frühdruschprämie so nebenbei verschluckt hat. Deswegen habe ich das zuerst erwähnt.
Jetzt komme ich zu § 1. Der § 1 ist wegen der Berechnung des Preises für das Inlands- und Auslandsgetreide eine so schwierige Angelegenheit, daß man das nicht zwischen Tür und Angel erledigen kann. Deswegen bitte ich, es bei der Regierungsvorlage zu belassen. Wir haben uns im
Ausschuß darauf geeinigt, daß diese Fragen später noch weiter erörtert werden sollen. Die Fragen können auch erörtert werden. Aber es muß die Gewißheit bestehen, daß hier keine Veränderung des Preisgefüges im allgemeinen eintritt. Es muß die Sicherheit bestehen, daß unsere kleinen Binnenmühlen mit dem entsprechenden Auslandsgetreide versorgt werden, damit hier eine Disponierung über Inlands- und Auslandsgetreide stattfinden kann. Das kann man nicht im Handumdrehen beurteilen und machen. So mancher Antrag sieht ganz bescheiden aus. Aber man muß immer wissen, was dahintersteckt;
({3})
denn darauf kommt es an. Wenn ich mir nicht ganz sicher bin, wie die Verhältnisse zu beurteilen sind, dann stimme ich dem nicht ohne weiteres zu. Ich werde infolgedessen auch hier meinen politischen Freunden empfehlen, dem nicht zuzustimmen. Das ist eine Frage, die später noch behandelt werden kann.
Was mir jetzt aber am Herzen liegt, nachdem ich sowieso das Wort habe - ich glaube, das andere kommt in der allgemeinen Aussprache der dritten Lesung dran -, ist, Sie zu bitten, die Anträge der SPD abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Lampl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre unseres Erachtens zu begrüßen gewesen, wenn das Getreidepreisgesetz vom Vorjahr ohne wesentliche Änderungen hätte übernommen werden können, weil die Landwirtschaft letzten Endes auf längere Sicht disponieren muß. Ich hätte insbesondere gewünscht, daß die Frühdruschprämie auch für Weizen weiter gewährt würde. Es ist zuzugeben, daß inzwischen gerade bei Weizen Änderungen in der Versorgungslage eingetreten- sind; aber vielleicht wäre es möglich gewesen, durch noch größere Erhöhung der Reports in dieser Richtung einen gewissen Ausgleich zu schaffen. Unseres Erachtens muß aber mindestens die Frühdruschprämie für Roggen aufrechterhalten werden. Ich habe den Eindruck, daß es richtiger ist, hier bei der Frühdruschprämie zu bleiben, als die Roggenlieferung etwa mit Bezugscheinen für verbilligtes Futtergetreide zu koppeln. Jedenfalls ist die Frühdruschprämie aus Gründen der Ernährungs- und Versorgungslage wichtig.
Meine Damen und Herren, meine politischen Freunde und ich halten den Gesetzentwurf in der
vorliegenden Form im ganzen für zweckentsprechend, so daß wir dem Gesetzentwurf Drucksache Nr. 3442 gemäß dem Antrag Drucksache Nr. 3478 zustimmen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Horlacher zurückkommen. Ich habe mich bei der Begründung des von meiner Fraktion gestellten Antrags lediglich mit § 1 des Gesetzentwurfes befaßt und dazu ausgeführt, welche Vorstellungen wir bezüglich der Gestaltung dieses Paragraphen haben. Die Frage des cifPreises, die Sie, Herr Kollege Horlacher, angeschnitten haben, steht hier nicht zur Diskussion. Vielleicht können wir bei anderer Gelegenheit ein({0})
mal darüber sprechen; das hoffe ich zuversichtlich. Ich selbst bedauere, daß wir nicht schon früher Gelegenheit gehabt haben, darüber zu reden.
Bei unserem Vorschlag geht es uns darum, unter den obwaltenden Umständen eine ausreichende Absatzsicherung für unsere inländische Weizenernte zu garantieren. Es handelt sich nicht darum, den Binnenbetrieben irgendwelche Mengen an ausländischem Getreide vorzuenthalten. Es müssen gleiche Bedingungen und gleiche Chancen für das inländische wie für das ausländische Getreide geschaffen werden. Das sehen wir nur gewährleistet, wenn Sie dem Änderungsantrag, den meine Fraktion gestellt hat, Ihre Zustimmung erteilen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Fassbender.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu unserem großen Bedauern ist die Vorlage auch in diesem Jahr wieder reichlich spät in den Ernährungsausschuß gekommen. Die Diskrepanz zwischen den Auffassungen der Abgeordneten Müller und Horlacher hätte bestimmt überwunden werden können, wenn die Möglichkeit gegeben gewesen wäre, das Pro und Contra vorher genügend zu beraten.
Ich glaube, auf eins hinweisen zu sollen. Die Getreidesituation ist in diesem Jahre eine bei weitem andere als im vergangenen Jahre. Im vorigen Jahr hatten wir leere Läger, sowohl beim Handel als auch bei den Mühlen und Genossenschaften; auch die Vorratsstelle verfügte über kaum nennenswerte Vorräte. Die Situation im Jahre 1952 ist vollkommen verändert. War begrüßen das volkswirtschaftlich ganz bestimmt, daß heute größere Vorräte vorhanden sind; jedoch dürfen diese Vorräte in der Praxis nicht dazu dienen, das Preisniveau, das wir im Interesse der deutschen Erzeugung unter allen Umständen erhalten müssen, und die Landwirtschaft zu gefährden. Im vorigen Jahr hatte die Vorratsstelle - das darf man ruhig sagen - ungeheure Mittel zur Verfügung, jederzeit durch Stützungskäufe einzugreifen, um den garantierten Preis sicherstellen zu können. In diesem Jahr ist das Verhältnis vollkommen anders. Man hat die Mittel, die wir eigentlich als Manipulationsmittel der Vorratsstelle gedacht hatten, dazu benutzt, um eine nationale Reserve zu schaffen, die wir im Grundprinzip selbstverständlich bejahen, weil sie notwendig ist. Aber man muß dann zudem auch Mittel schaffen, die den Ablauf der Dinge in der Abgabe der deutschen Ernte unter allen Umständen gewährleisten. Das ist leider nicht der Fall. Deshalb sehen wir uns gezwungen, nun mit marktkonformen Mitteln zu versuchen, das zuerreichen, was auf dem anderen Gebiet unseres Erachtens nicht mehr erreichbar ist.
Wir halten deshalb für notwendig, daß in Abänderung des § 1 die Getreidepreise und die Reports geändert werden. Wir haben bisher Reportsätze von 2 DM pro Monat und Tonne. Wenn Sie einmal überlegen wollen, daß die Tonne Getreide im Durchschnitt 400 bis 450 DM frei Mühle oder frei Genossenschaft kostet, und berücksichtigen, daß der normale Zinssatz - man kann darüber diskutieren, ob er notwendig ist - 10 % beträgt, dann wird das auf die Tonne einen Jahreszinssatz von 45 DM ausmachen. Durch 12 geteilt gibt das pro Monat
allein einen Zinsaufkommenssatz pro Tonne Getreide von 3,75 DM. Ich glaube, man kann weder den Genossenschaften noch den Mühlen, aber auch nicht dem Handel zumuten, daß sie 2 Mark Reports bekommen und allein für die Verzinsung der aufgewandten Mittel 3,75 DM bezahlen müssen.
Was wird die Folge sein, wenn wir bei diesen Reportsätzen bleiben, bei einer Versorgung der Mühlen für über 2 Monate? Auch im Handel liegen noch namhafte 'Mengen, ebenfalls bei den Genossenschaften. Der Erfolg wird sean, daß die 'deutsche Landwirtschaft nach der Ernte außerordentlichen Schwierigkeiten begegnet, 'ihr deutsches Brotgetreide zu Iden garantierten Preisen abzusetzen. Dem müssen wir entgegenwirken; denn gerade die kleinbäuerliche 'Bevölkerung ist es ja, die in erster Linie darauf angewiesen ist, direkt vom Felde zu dreschen, ida ihr Lagerungsraum fehlt, um das Getreide dann in den Verkehr zu bringen, wann es ihr paßt. Wir haben weiß Gott kein Interesse, daß gerade 'die hart arbeitende kleinbäuerliche Bevölkerung in ihrem Preis 'geschmälert wird.
Deshalb beantragen wir'- um die Genossenschaften, die Mühlen und den Handel daran zu interessieren, das Getreide möglichst zu den Preisen aufzunehmen, die garantiert sind - eine Erhöhung der Reports. Wir beantragen deshalb, beim Weizen in Abänderung ides Regierungsantrags die Preise wie folgt zu gestalten:
Juli, August 400 bis 420, September 405 bis 425, Oktober 410 bis 430, November 415 bis 435, Dezember 420 bis 440, Januar 1953 425 bis 445, Februar 430 'bis 450, März ebenfalls 430 bis 450, April wieder zurückgehend 420 bis '440, Mai 410 bis 430, Juni 400 bis 420.
Der Durchschnittspreis für das ganze Jahr wird sich für Getreide 'kaum ändern. Der Einwurf, der gemacht werden könnte und vielleicht berechtigt erscheinen würde, wenn es anders wäre, ais wir vorschlagen, daß dadurch Brotpreiserhöhungen in Erscheinung treten, trifft absolut nicht 'zu, zumal es - darin sind sich alle Sachverständigen in diesem 'Hohen Hause einig - in diesem Jahr sehr schwer sein wird, den Bis -Preis für unsere Landwirtschaft zu erzielen. Auf diesen Bis-Preis hat sich bisher der gesamte Brotpreis aufgebaut. Wenn nun hier für das Getreide eine kleine Erhöhung durchgeführt werden muß im Interesse der produzierenden Landwirtschaft, aber auch im Interesse der gesamten deutschen Volkswirtschaft, dann, glaube ich, soll man das ruhig in Kauf nehmen.
Unsere Vorschläge für Roggen sind ähnlich. Ich möchte bei dieser Gelegenheit ausdrücklich darauf hinweisen, daß wir unter allen Umständen bereit sind, für die Frühdruschprämie zu stimmen, und zwar aus der Erwägung heraus, daß 'Roggen auf dem Weltmarkt langsam eine Mangelware geworden ist. Was nie da war, ist 'vor kurzer Zeit eingetreten: an den amerikanischen Börsen hat der Roggenpreis den Weizenpreis erreicht. Deshalb müssen Wir alles tun, um die Verfütterung von deutschem Roggen hintanzuhalten. Das kann man aber nicht durch Verordnungen, sondern das kann man nur 'dadurch, daß man dem produ'zi'erenden Bauern ein Äquivalent gibt, damit er für seinen Roggen das bekommt, was er für Futtergetreide anlegen muß, und zudem einen 'kleinen Vorteil genießt. Tut man das nicht, dann kann man es dem Bauern nicht zumuten, daß er Transport und alle diese Dinge aus reinem Luxus macht im Interesse des Gesamten. Deshalb bitte ich 'Sie, an der Frühdruschprämie nicht zu rütteln.
({0})
Ein paar Worte über die cif-Preise. Ich habe Herrn Kollegen Müller bereits im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten darauf hingewiesen, daß wir bereit sind, uns über dieses Problem in seiner Gesamtheit einmal zu unterhalten, daß uns die Dinge im Augenblick aber für Entscheidungen noch nicht reif genug sind. An diesem Standpunkt, den wir im Ausschuß eingenommen haben, ändern wir nichts. Ich darf Sie aber auf eines hinweisen, Herr Kollege Müller. Bei den cifPreisen für Auslandsgetreide laufen wir Gefahr, daß das Auslandsgetreide von den deutschen Seehäfen abgezogen wird und über die holländischen und belgischen Häfen hereinkommt. Dann hätten wir vielleicht auf der einen Seite eine kleine Frachtvergünstigung für einen gewissen Teil der Mühlen. Man darf aber nicht verkennen, daß auf der andern Seite dieser kleine Vorteil unter allen Umständen dadurch aufgehoben würde, daß die deutschen Seehäfen in bezug auf den Getreideimport brachliegen würden. Das ist eine Politik, die wir im Interesse gerade der deutschen arbeitenden Bevölkerung in den Seehäfen nicht mitmachen können und wollen. Ich bitte Sie deshalb, wie es auch Herr Kollege Horlacher schon tat, die Anträge auf Einführung der cif-Preise im Augenblick abzulehnen. Aber ich möchte nochmals ausdrücklich wiederholen, daß wir bereit sind, uns im Ausschuß einmal eingehend über diese Dinge zu unterhalten und den Versuch zu machen, die Mittel und Wege zu finden, die hier möglich und gangbar erscheinen. Würde man die Dinge jetzt überstürzen, so würde ,das Gegenteil von dem eintreten, was wir wollen. Denn ich bin mit Herrn Kollegen Horlacherder Meinung: da die Qualität ides Auslandsgetreides infolge der Sonne, die dort drüben etwas besser scheint als bei uns, auch besser ist, würde doch, wenn wir beispielsweise den Binnenmühlen nicht die Möglichkeit gäben, beim Auslandsgetreide zu einem tragbaren Preis zu kommen, die Gefahr entstehen, daß die Qualität des von ihnen hergestellten Mehls der des von den See- und Hafenmühlen hergestellten Mehls unterlegen wäre. Das würde weiterhin bedeuten, daß sich das letzten Endes in einer Konkurrenz für diese Mittel- und Landmühlen auswirken könnte, die wir nicht wünschen, weil wir allein schon aus politischen Gründen jede Politik unterstützen, die mittlere Existenzen in unserem Staat erhält und fördert. Wir befinden uns da in bester Gesellschaft und auch im Einklang mit dem Grundgesetz, welches das ja 'zwingend vorschreibt.
Ich bitte Sie deshalb, die Anträge der SPD auf Einführung der cif-Preise abzulehnen, und bitte Sie darüber hinaus, unseren Änderungsanträgen zuzustimmen.
({1})
Wortmeldungen zu § 1 liegen nicht mehr vor.
({0})
- Der Antrag ist hier übergeben worden.
({1})
- Sie können ja beantragen, diesen Antrag an den Ausschuß zurückzuverweisen. Aber nach der Geschäftsordnung kann ein Redner in der zweiten Lesung jeden Antrag stellen, und ist ein Antrag eingebracht, wenn er dem Präsidenten schriftlich überreicht wird. Das ist geschehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Horlacher.
Ich kenne den Antrag nicht in seinen einzelnen Teilen; er hat aber wahrscheinlich eine Verschiebung im Preissystem zur Folge. Meine verehrten Damen und Herren, ich muß schon sagen: ich kann die Verantwortung dafür nicht übernehmen, daß durch solche Änderungsanträge das Getreidepreisgesetz nicht rechtzeitig in Kraft tritt.
({0})
Es laufen in Deutschland genug umeinander, die warten, daß ein gesetzloser Zustand eintritt. Denn die Getreidepreislage läßt sich mit der Kreditversorgung der Einfuhr- und Vorratsstelle nur schwer aufrechterhalten, und wenn hier kein Gesetz da ist, das die bestimmten Grundlagen bietet, dann sieht die Sache für die deutsche Landwirtschaft sehr schlecht aus. Dann könnten aus den Ziffern, wo man ein paar Mark später verspricht, zunächst einmal die großen Verluste bei der ersten Erntebewegung, auf die es in der Regel mit ankommt, eintreten. Deswegen bin ich dagegen, daß an dem Preissystem zwischen Tür und Angel noch etwas geändert wird.
Zu den Reports lassen Sie mich einmal folgendes sagen. Ich selber habe den Weizenantrag eingebracht. Jetzt kann ich etwas verraten.
({1})
Man muß ja als Berichterstatter immer etwas bescheiden sein und darf nur sagen, was hier notwendig ist; aber jetzt kann ich es sagen. Ich habe selber im Ausschuß gesagt - und das ist mein ureigenstes Werk; gestatten Sie, daß ich auch ein bißchen noch Vernunft habe -: man muß bei Weizen, damit hier die Verhältnisse einigermaßen in Ordnung bleiben, später etwas dazutun. Man muß gewissermaßen umgekehrt die Frühdruschprämien nicht gleich zu Beginn geben, sondern später, damit der Weizen etwas auf Lager gehalten werden kann, damit hier für den Landwirt, der nicht sofort abzuliefern braucht, ein Anreiz gegeben ist, zuzuwarten, damit nicht das Angebot in Weizen so plötzlich auf den Markt drückt.
({2})
- Nein, da wird gar nichts angeschmiert! Erstens bin ich ja bloß im Nebenberuf Maler, und sonst schmiere ich nichts an! - Hier, sehen Sie sich die Vorlage an. Die fettgedruckten Preise sind die Ausschußanträge, die einstimmig angenommen worden sind.
({3})
- Einstimmig angenommen worden sind! Sie sehen in der Preistabelle unter den Ausschußanträgen, wie sich hier die Preise später etwas erhöhen und verändern. Da ist ein Teil der Reports - Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, bitte mir jetzt etwas Gehör zu schenken - schon eingebaut.
({4})
Es kommt aber noch hinzu, daß die Reports auch von der Regierung ohne Veränderung der unteren Preisgrenze erhöht werden können, weil wir ja die Von- und Bis-Preise haben. Wir haben aber noch eine Differenz von 20 DM pro Tonne, so daß also die Regierung auch von sich aus den Wünschen, die hier geäußert worden sind, Rechnung tragen kann.
Ich bitte Sie daher, unter allen Umständen an den Beschlüssen dieses Ausschusses jetzt festzuhalten und andere Anträge abzulehnen. Manches von dem, was die Anträge gewollt haben, wird Berücksichtigung finden durch das, was ich hier geschildert habe. Wir werden uns über die ganze Frage im Ausschuß dann später doch noch in einzelnen Dingen unterhalten müssen.
Das Wort hat der Abgeordnete Fassbender.
Meine Damen und Herren! Eine ganz kurze Erwiderung auf die Ausführungen von Kollegen Horlacher. Ich glaube, Herr Kollege Horlacher hat die Dinge nicht ganz richtig verstanden. Tatsache ist doch wohl eins: daß wir alle ein Interesse daran haben, daß bei dem Mangel an Mitteln bei der Vorratsstelle möglichst Getreide von der Landwirtschaft aufgenommen wird. Daß das Interesse der Mühlen und der Genossenschaften größer ist, wenn die Reportsätze im Anfang höher liegen, ist etwas Selbstverständliches. Nicht das, Herr Kollege Horlacher, wird den Abfluß der Dinge gewährleisten, was Sie vortragen - „die Reports niedrig" -; nein, wenn die Reports im Anfang hoch sind, dann wird das Interesse bei den Genossenschaften, bei den Mühlen und beim Handel bei ihrer Überbelagerung jetzt schon vorhanden sein,
({0})
daß sie, um dann keine Verluste mehr zu erleiden, Getreide aus dem Markt nehmen, und nicht umgekehrt, wie Sie. Und ich sehe gar nicht, welche Verzögerung hier eintreten soll. Wenn der Bundestag unserem Antrag gemäß beschließt, treten ja diese Abänderungspreise sofort in Kraft.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Niklas.
Dr. Dr. h. c. Niklas Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Getreidepreise sind immer eine außerordentlich komplizierte Geschichte, und es ist im Laufe der Debatten allmählich schwer, sich durch diesen Drahtverhau durchzufinden. Wie liegen denn die Dinge? Gestatten Sie, daß ich mich zunächst zu dem Antrag der SPD Umdruck Nr. 589 Ziffer 1 äußere. Denn nur diese Ziffer bezieht sich auf den § 1 der Regierungsvorlage. Der erste Satz des sozialdemokratischen Antrages und der vorletzte und der letzte Satz entsprechen der Regierungsvorlage. Der Änderungsantrag der Sozialdemokratischen Partei liegt in folgendem Mittelsatz:
Die Lieferung hat entsprechend der für ausländisches Getreide geltenden Bestimmungen frachtfrei Paritätspunkt zu erfolgen, wobei die Frachtkosten aus öffentlichen Mitteln zu tragen sind.
Meine Damen und Herren, stellen Sie sich einmal
die Verwirklichung dieses Antrages vor! Ich brauchte
Hunderte, aber wirklich Hunderte von Beamten
und Angestellten, die dann jeden einzelnen I Zentner, der im Inlande zur Ablieferung kommt, hinsichtlich des Weges, den er nimmt, genau verfolgen. Denn, Herr Abgeordneter Müller, wenn ich den eben von mir verlesenen Mittelsatz Ihres Antrages recht verstehe, dann ist es doch in der Tat so.
Aber reden wir einmal ganz ehrlich, worum es dem Herrn Abgeordneten Müller bei seinem Antrag geht. Zur Begründung seines Antrages zitiert er die Regelung bei der Einfuhr von ausIändischem Getreide und sagt: dieses ausländische Getreide wird cif berechnet; infolgedessen wollen wir auch cif für das Inlandgetreide. Nun darf ich die Damen und Herren auf folgendes aufmerksam machen. Wir haben uns über die Cif-Preise des aus dem Ausland bezogenen Getreides bei Gott schon im Ausschuß genügend unterhalten, und wir werden uns über diese Materie im Ausschuß auch weiter unterhalten müssen. Hier, bei der Vorlage, über die Sie heute die Entscheidung treffen müssen, dreht es sich aber in keiner Weise um Auslandsgetreide, um CifPreise oder um eine andere Berechnung, sondern es dreht sich hier - ich bitte Sie, sich die Überschrift der Vorlage anzusehen - um inländisches Getreide. Wenn wir hier zu einem praktischen Weg kommen wollen, der uns die Aufziehung eines unendlich bürokratischen Apparates erspart, dann habe ich die dringende Bitte, sich dem Ausschußantrag anzuschließen, der in dieser Richtung die Regierungsvorlage billigt, und den sozialdemokratischen Antrag abzulehnen.
Jetzt komme ich noch zu der Kontroverse zwischen Herrn Abgeordneten Dr. Horlacher und Herrn Abgeordneten Fassbender. Meine Damen und Herren! Es ist nicht mit Unrecht von Herrn Abgeordneten Fassbender und auch von Herrn Abgeordneten Horlacher bemängelt worden, daß die sogenannten Reports zu niedrig sind. Was sind denn Reports? Dieses schöne Fremdwort heißt eigentlich nichts anderes als Zuschläge, die an den Getreideerzeuger gegeben werden, der es nicht sofort abliefert, sondern zwei oder drei Monate wartet und das Getreide bei sich ausschwitzen läßt, wobei ihm natürlich Kosten durch die Lagerung und Mehrauslagen dadurch entstehen, daß er das Entgelt für sein Getreide erst später bekommt. In der jetzigen bis zum 1. Juli dieses Jahres geltenden Vorlage hatten wir sieben Reports für sieben Monate à 2 DM gleich 14 DM vorgesehen. Nun hieß es - und dem kann ich nicht widersprechen -, daß diese Reports bei den heutigen Zinsen, die zu zahlen sind, als zu niedrig bezeichnet werden müssen. Deswegen - und jetzt wende ich mich besonders an Sie, Herr Abgeordneter Fassbender - hat der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten den Antrag Horlacher akzeptiert, der Ihnen in der Drucksache Nr. 3442 vorliegt. Unter § 1 Abs. 1 finden Sie die vom Ausschuß - ich glaube, mit großer Mehrheit - gebilligten Sätze, die in Wirklichkeit doch nichts anderes darstellen als eine Erhöhung der Reports. Es ist ja furchtbar langweilig, wenn man hier das Haus mit Zahlen so traktieren muß; aber es läßt sich letzten Endes nicht ganz vermeiden.
Ich darf es Ihnen vielleicht beweisen. Gestatten Sie, daß ich Weizenpreisgebiet 2 herausnehme und Ihnen dokumentiere, wie es ist. Juli und August: Regierungsvorlage und vom Ausschuß angenommener Antrag Horlacher gleich. Im September aber ändert sich dann die Situation. Da geht die Regierungsvorlage - ich nehme jetzt immer nur
({0})
die Mindestpreise, denn sonst gibt es ein Tohuwabohu - aus von 407, der Antrag Horlacher von 409. Oktober: Regierungsvorlage 4U9, Antrag Horlacher 413, November: Regierungsvorlage 411, Antrag Horlacher 417, Dezember: Regierungsvorlage 413, Antrag Horlacher 421, Januar: Regierungsvorlage 415, Antrag Horlacher 421. Nun bleibt die Sache beim Antrag Horlacher bis zum Juni gleich, nämlich mit 421. In der Regierungsvorlage steigt es im Februar auf 417, im März auf 419 und bleibt dann, wie gesagt, bis zum Juni so. Das - und jetzt muß ich auf diese Frage zurückkommen - scheint der Regierung akzeptabel. Es ist so, daß die Regierungsvorlage einen Mittelpreis, berechnet aus den verschiedenen Monaten in dem einen Preisgebiet, von 423,17 DM für die Tonne Weizen vorsehen würde. Der Antrag Horlacher würde einen Preis von 424,75 DM bedeuten. Das ergibt eine Differenz von 1,58 DM.
Jetzt bin ich natürlich den Vertretern der Verbraucher Antwort schuldig auf die Frage: Wirkt sich das auf den Brotpreis aus oder nicht? Ich kann mit gutem Gewissen sagen: nein!, und zwar aus folgendem Grund. Wir haben die alte Faustregel - .seit Jahren bewährt -, daß 10 DM Getreidepreissteigerung je Tonne gleichbedeutend sind mit 1,2 Pfennig Preissteigerung je Kilogramm Brot. Um 1,58 DM je Tonne würde sich also bei Annahme des Antrages Horlacher der Preis bei Brotgetreide gegenüber der Regierungsvorlage erhöhen. Das ergäbe nach dieser zitierten Faustregel eine Erhöhung des Brotpreises je Kilogramm um 0,2, also um 2/10 Pfennig. Dabei ist das, was ich sage, nur theoretisch richtig. In der Praxis ist es nämlich noch ganz anders.
({1})
ln der Praxis haben wir in diesem Jahre die Brothöchstpreise aus dem Mittelhöchstpreis, der 435 DM ausmacht, errechnet. Er liegt im Januar im Gebiet W 2. In diesem Jahre ist es so, daß nach der ganzen bisherigen Entwicklung der Dinge nicht die Bis-, sondern die Von-Preise das Marktbild beherrschen werden. Es müßte sich also, wenn diese von mir angenommene Entwicklung eintritt - und sie wird eintreten, soweit man in der Wirtschaft prophezeihen kann -, an und für sich aus der zu errechnenden Verringerung der Mehlpreise eine Verringerung des Brotpreises ergeben. So liegen die Dinge.
Ich bin etwas langweilig geworden mit meinen Zahlen. Aber man kann schließlich derartige Komplexe nicht mit allgemeinen Redensarten behandeln, sondern muß sie mit Zahlen erörtern.
Herr Abgeordneter Fassbender, jetzt gestatten Sie mir noch ein kurzes Wort zu Ihrem Antrag. Er liegt mir noch nicht vor, ich habe ihn nur aus Ihrer Schreibmaschine bekommen. Wir haben rasch eine Berechnung aufgestellt. Demzufolge wäre die praktische Abweichung nicht gerade welterschütternd. Ich, bleibe bei Weizen. Regierungsvorlage 423,17 DM, Antrag Fassbender 423,75 DM, Antrag Horlacher 424,75 DM. Aber, Herr Abgeordneter Fassbender, ich habe folgendes Bedenken gegen Ihren Vorschlag: Sie kommen zu dem Ergebnis, daß die Preise in den letzten Monaten des Wirtschaftsjahres heruntergehen, im März von 430 auf 420 DM, im April auf 410 DM, im Mai und Juni auf 400 DM. - Herr Abgeordneter Fassbender, dieses Experiment hat man während des zweiten Weltkrieges einmal aus ganz bestimmten Gründen gemacht, ich würde davon abraten, und zwar deswegen, weil es eigentlich - ich bitte um Entschuldigung - bis zu einem gewissen Grad eine Sünde wider den Heiligen Geist ist, wenn man dem Landwirt für Ware, die er länger behält, auf deren Bezahlung er im früheren Stadium verzichtet und deren längere Erhaltung ihm natürlich auch Kosten macht, weniger gibt. Deswegen, Herr Abgeordneter Fassbender, wäre ich verbunden, wenn Sie doch - wie Sie es im Ausschuß getan haben - der j a auch im Ausschuß von Ihnen akzeptierten Regelung zustimmen würden, wie sie sich aus der Drucksache Nr. 3442 ergibt.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir hoch ein Wort - und jetzt werde ich fast etwas unlogisch - zu dieser Streitfrage cif-Preise. Ich betone noch einmal: sie hat mit der Debatte, die heute zu führen ist, nichts zu tun; denn heute reden wir über inländische Preise, und die cif-Preise sind etwas, was das ausländische Brotgetreide und dessen Brotpreisgestaltung betrifft. Ich möchte aber keinen Zweifel daran lassen, sehr verehrter Herr Abgeordneter Müller, daß ich mich in dieser Frage den Ausführungen von Herrn Abgeordneten Horlacher und von Herrn Abgeordneten Fassbender voll und ganz anschließe.
({2})
- Ja, Sie verstehen es vielleicht nicht so, warum ich das sage; darum versuche ich, es Ihnen zu erklären. Wir haben ein Interesse daran, daß das ausländische Brotgetreide einigermaßen gleichmäßig über das ganze Bundesgebiet verteilt wird; und zwar aus den Gründen, die auch der Herr Abgeordnete Müller angeführt hat. Das ist in demselben Augenblick nicht mehr möglich, in dem wir beim ausländischen Getreide zum cif-System kommen; denn dann sind die Partizipierenden und Genießenden die am Meer oder am Wasserweg liegenden großen Mühlen. Dann wachsen die Mammut-betriebe noch mehr. Wir haben aber ein Interesse daran, daß das Mittelgewerbe in der deutschen Müllerei erhalten bleibt.
({3})
Wir haben gerade im Krieg erlebt, daß das Vorhandensein einer ,größeren Zahl von Mühlen - mag es auch überwachungsmäßig da und dort Schwierigkeiten bereiten - doch große Vorteile hat.
({4})
Deswegen sind wir dafür, daß die cif-Preise nicht eintreten, und ich würde bitten, daß über diese schwierige Materie heute überhaupt nicht mehr gesprochen wird. Wir werden uns noch einmal darüber unterhalten, und ich werde im Ausschuß ebenso wie hier meine Meinung vertreten; denn es ist meine Überzeugung. Ich würde aber doch bitten, daß wir doch heute zu einer Verabschiedung der Vorlage über, die inländischen - ich darf es noch einmal sagen: die inländischen - Getreidepreise kommen.
({5})
Weitere Wortmeldungen zu § 1 liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse zunächst über Ziffer 1 des Antrags Umdruck Nr. 589 - das ist der Antrag der Fraktion der SPD - abstim({0})
men. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das letzte war die Mehrheit. Ziffer 1 dieses Antrags ist abgelehnt.
Ich lasse nunmehr abstimmen über den Änderungsantrag der Abgeordneten Fassbender und Genossen. Es ist der Antrag, der während der Begründung überreicht wurde. Wer für die Annahme ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das letzte war die Mehrheit. Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich lasse nunmehr über § 1 in der Fassung der Vorlage abstimmen. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. -- Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit. Das Haus hat dem § 1 in der Fassung der Ausschußvorlage zugestimmt.
Ich rufe § 2 auf. Keine Wortmeldungen? ({1})
- Das Wort hat der Abgeordnete Fassbender.
Meine sehr verehrten Damen- und Herren! Im Auftrage meiner politischen Freunde stelle ich zu § 2 den Antrag - es dreht sich hier um den Preis für das Futtergetreide, das der Landwirtschaft zurückgeliefert werden muß -, diesen Paragraphen dergestalt fassen zu wollen, daß das Futtergetreide, das an die Landwirtschaft zurückzuliefern ist, jeweils zu 40 DM je Tonne unter den deutschen Roggenablieferungs -Mindestpreisen frei der jeweiligen Paritätsstation geliefert werden soll. Wir beantragen das deshalb, weil wir im vorigen Jahr die Erfahrung haben machen müssen, daß 20 DM nicht ausreichten, um die Unkosten für Fracht von den Paritätsstationen zur Genossenschaft oder zum Handel, für den Umschlag durch Handel oder Genossenschaften und für die Fracht zum Bauernhof auszugleichen. Wir haben damals erleben müssen, daß Futtergetreide, das teilweise - ich glaube, das wird mir auch der Herr Minister bestätigen - in der Qualität weit unter dem des abgelieferten deutschen Roggens lag, der Landwirtschaft durch die Vorratsstelle zu Preisen zur Verfügung gestellt wurde, die höher lagen als jene, die der Bauer für seinen Roggen bezog. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Landwirtschaft kein Luxus-, sondern ein Erwerbsunternehmen ist. Man kann es dem deuschen Landvolk, dem deutschen Bauern nicht zumuten, daß er erstklassigen Roggen abliefern soll - im Interesse des Gesamten ist er dazu bereit -, wenn er dafür minderwertige Futtermittelqualitäten zu einem Preise zurückbekommt, der über dem liegt. der ihm für gutes Brotgetreide gezahlt wurde. Wir bitten Sie deshalb, unseren Antrag anzunehmen.
Wollen Sie bitte den Antrag übergeben?
Das Wort hat Bundesminister Professor Niklas.'
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir wäre es sehr sympathisch, wenn die Möglichkeit bestünde, diesem Antrag zu entsprechen; denn je billiger wir das Futtergetreide dem Landwirt liefern, um so größer ist die Sicherheit, daß wir die Gegengabe in Form des für den menschlichen Verzehr bestimmten Getreides erhalten. Aber leider sind die Mittel nicht vorhanden. Ich rechne ungefähr so - denn man muß sich ja schließlich darüber einen gewissen Plan zurechtlegen -: bei einer angenommenen inländischen Roggenablieferung von 1,3 Millionen Tonnen würde gegenüber den jetzt dem Bunde entstehenden 30 DM Auslagen eine Erhöhung auf 40 DM, also um 10 DM, eine Mehraufwendung von 12 bis 13 Millionen DM entstehen. Es ist leider nicht möglich, hierfür die Mittel aus den Subventionsbeträgen zur Verfügung zu stellen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß der Herr Kollege F a s s b e n d e r seine Anträge erst hier in allerletzter Minute einbringt und daß sie nicht einmal schriftlich vorliegen. Zu einem Teil liegt das natürlich daran, daß wir auch in diesem Jahre mit dem Getreidepreisgesetz unter dem dabei schon traditionellen Zeitdruck arbeiten und praktisch damit schon wieder zu spät kommen. - Herr Kollege Fassbender, hören Sie doch zu, ich rede doch jetzt gerade mit Ihnen; in der Koalition können Sie sich doch immer unter der Hand zanken!
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Sie sehen aus der Ziffer 2 unseres Umdrucks, die in ihrem Zusammenhang gleich noch begründet werden wird, daß wir im Grunde auf dasselbe hinauswollen, nur - wie mir scheint - eben in einem logischeren Zusammenhang. Auf alle Fälle werden wir dem Antrag Fassbender zustimmen. Denn, meine Damen und Herren, hier ein bestimmtes Verfahren in einem Gesetz zu entwickeln und dann gleich zu sagen: Wir haben leider nicht das Geld, um dafür sorgen zu können, daß die Dinge so ablaufen, daß das Verfahren auch funktioniert, das bedeutet doch letzten Endes, dem Erzeuger den Schwarzen Peter zuzuschieben, wenn er derjenige ist, der nachher trotz des großzügigen Angebots den Roggen nicht für die Brotversorgung zur Verfügung stellt und das Futtergetreide nicht abnimmt. Wer das eine will, muß auch das andere wollen, und da Sie das eine offenbar wollen, werden wir in diesem Falle durch die Zustimmung zum Antrag Fassbender helfen, auch das andere zu wollen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Horlacher.
Es ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, ein ganz unmöglicher Zustand, daß man gezwungen wird, bei so wichtigen Sachen auf handschriftliche Anträge in einer flüchtigen Stellungnahme einzugehen.
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Ich halte das für einen unwürdigen Zustand. Ich halte es auch nicht für besonders angemessen, daß das gerade innerhalb der Regierungsparteien gegenseitig geschieht.
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Das spreche ich hier aus.
Wir sind allzumal Sünder, Herr Abgeordneter.
Man kann doch keinen vernünftigen Menschen zwingen. 7U einem Antrag Stellung zu nehmen. ohne daß er den Wortlaut des Antrags vor sich hat. Infolgedessen beantrage ich,
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die Beratung dieses Gesetzentwurfs so lange auszusetzen, bis die Anträge nach der Mittagspause schriftlich vorliegen.
Will sich jemand zu diesem Antrag zum Wort melden?
({0})
- Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Fassbender.
Fassbender ({1})': Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind nicht so böse wie Herr Kollege Horlacher. Wir haben absolut nichts dagegen, daß die Beratung ausgesetzt wird, bis heute nachmittag die Anträge vorliegen.
Ihnen, Herr Kollege Horlacher, darf ich wohl eins sagen: wenn einer in diesem Hohen Hause wenig Rücksicht auf das nimmt, was seine Koalitionsfreunde wollen, dann sind Sie es.
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Meine Damen und Herren, sind Sie damit einverstanden, daß wir die Beratung des Punktes bis nach der Mittagspause aussetzen? Ich glaube, Sie könnten und sollten damit einverstanden sein. - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich schlage Ihnen vor, daß wir jetzt schon mit der Mittagspause beginnen und unmittelbar nach der Mittagspause, d. h. um 14 Uhr, diesen Punkt wieder aufnehmen, falls bis dahin den Damen und Herren des Hauses die Anträge vorliegen.
Ich unterbreche die Sitzung.
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Die Sitzung wird um 14 Uhr 3 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schmid wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren! Wir fahren in der Sitzung fort, und zwar bei Punkt 8 der Tagesordnung, den wir angeschnitten haben.
In der Zwischenzeit sind die Anträge der Abgeordneten Fassbender und Genossen vervielfältigt und verteilt worden. Aber ich stelle fest, daß es sich bei diesen Anträgen nicht um Änderungsanträge, sondern um Entschließungen handelt. Wir können also dazu erst nach Schluß der dritten Lesung Stellung nehmen. So bestimmt es die Geschäftsordnung, Herr Kollege Fassbender.
Wir sind bei § 2. Liegen weitere Wortmeldungen vor? - Herr Fassbender!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bloß eine ganz kurze Erwiderung auf die Ausführungen des Herrn Ministers. Der Herr Minister glaubt, die Vergrößerung der, Preisunterschiede zwischen dem an die Landwirtschaft zurückzuliefernden Futtergetreide und dem von ihr abzuliefernden Roggen nicht mitmachen zu können, weil er befürchtet, daß dadurch 12 Millionen DM an Zuschüssen nötig werden. Herr Minister, auf dem Weltmarkt liegen die Brotgetreidepreise im Durchschnitt 20 Dollar je Tonne höher als die Futtergetreidepreise. Wenn es uns durch unsern Antrag gelingt, 200 000 t Roggen mehr herauszubekommen, sparen wir an Devisen, praktisch auch an IstAusgaben, die Kleinigkeit von 4 Millionen
Dollar, wodurch wir praktisch in 'der Lage wären, diese 12 Millionen DM, die Sie mehr aufwenden müssen, hereinzubringen, mit dem Unterschied allerdings, daß die 4 Millionen Dollar nicht nach Amerika gehen, während die 12 Millionen DM praktisch zur Verfügung der deutschen Landwirtschaft in Deutschland bleiben. Ich glaube deshalb, daß unser Entschließungsantrag mehr als berechtigt ist.
Keine weitere Wortmeldung zu § 2. Wer dieser Bestimmung zustimmen will, den 'bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme.
§ 3. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache über diesen Paragraphen und lasse abstimmen. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! -- Enthaltungen! - Einstimmige Annahme.
§§ 4, - 5, - 6. Wer für die Annahme der §§ 4 bis 6 nach der Ausschußvorlage ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - 'Gegenprobe! - Einstimmige Annahme.
§ 7. Hier ist ein Änderungsantrag gestellt. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben Ihnen vorgeschlagen, die in § 7 vorgesehene Frühdruschprämie zu streichen und sie durch ein Bezugsrecht auf verbilligtes Futtergetreide zu ersetzen. Es handelt sich dabei etwa um folgendes. Im vergangenen Jahr hat man eine Frühdruschprämie für denjenigen ausgelobt, der sein Brotgetreide so früh wie möglich drischt und an den Markt bringt. Das war eine ganz vernünftige Maßnahme, wenn auch gelegentlich bestritten wird, daß die günstige Entwicklung im Getreidewirtschaftsjahr darauf zurückzuführen ist. Das mag 'dahingestellt bleiben. Jedenfalls hat die Sache in dieser Richtung nicht schädlich gewirkt.
In diesem Jahr möchte man die Frühdruschprämie für Weizen wegfallen lassen. Das bedeutet, daß der Erzeuger sehr viel weniger für seinen Weizen bekommt, als er in dem vergangenen Jahr bekommen hat; denn er bekommt nicht nur nicht die Frühdruschprämie, sondern er bekommt auch zweifellos diesmal nicht den Höchstpreis, sondern sicherlich nur den Mindestpreis. Das muß auf die Masse der Erzeuger als eine ausgesprochene Preissenkung wirken. Es wird uns gar nichts nutzen, wenn wir sagen: Nein, es ist beim alten Preis geblieben; nur die Frühdruschprämie fällt. Wir sollten deshalb so schnell wie möglich von diesem Verfahren abkommen, um nicht etwa im nächsten Jahr dasselbe noch einmal beim Roggen zu erleben, falls man etwa bei einer völlig anderen, noch besseren Versorgungslage auch auf die Frühdruschprämie für Roggen verzichten könnte. Wir wollen hoffen, daß die Verhältnisse sich in dieser Richtung entwickeln. Dann würde noch einmal der Eindruck entstehen, daß der Roggen-Erzeugerpreis um so viel gefallen ist, wie die Frühdruschprämie heute beträgt. Es kann nicht bestritten werden, daß wir alle miteinander ein lebhaftes Interesse daran haben, möglichst viel von der Roggenernte für die Brotherstellung zu sichern und den Futterbedarf mit Futtergetreide zu 'decken. In unserem Lande zählt der Roggen nicht ohne weiteres zum Futter({0})
getreide. Es ist auch vorhin schon gesagt worden, daß es immerhin noch einfacher und billiger ist, Futtergetreide einzuführen, als Roggen. Deshalb ist es also absolut berechtigt, nach Mitteln und Wegen zu suchen, auf denen man diese Entwicklung in Gang bringt, die ich eben angedeutet habe. Die Regierung will das mit der Frühdruschprämie tun. Wir sehen in der Frühdruschprämie eine Benachteiligung ganz bestimmter Erzeugerkreise. Diejenigen, die z. B. Weizen und keinen Roggen haben, sind sowieso ausgeschlossen. Nicht jeder ist in der Lage, unter allen Umständen so früh zu dreschen, daß er in den Genuß der Frühdruschprämie kommt. Das hängt nicht nur von dem guten Willen ides Betreffenden ab. Es ist außerdem keine letzte Sicherheit dafür gegeben, daß die Frühdruschprämie in jedem Falle honoriert wird. Man soll sich jetzt auch nicht einreden, daß man mit dem, was man hier über Reports zu machen versucht hat, eine Sicherung für den Erzeugerpreis schafft. Wer die Versorgungslage kennt, wer die Entwicklung auf dem Getreidemarkt in den letzten Monaten angesehen hat, der weiß, in welch schwieriger Lage sich die Mühlen befinden, und wird mir das ohne weiteres zugeben. Es scheint mir also ein richtiges und - das Wort ist in diesem Hause gar nicht so unbeliebt - marktkonformes Mittel zu sein, mit einem solchen ,Bezugsrecht denjenigen, der Roggen für die Vermahlung zur Verfügung stellt, in die Lage zu versetzen, dafür verbilligtes Futtergetreide zu beziehen. Wir haben genügend Futtergetreide - das wird uns immer wieder versichert, und die Zahlen weisen das aus -, um diese Aktion durchführen zu können. Auf diese Weise sorgen wir dafür, daß auch derjenige tatsächlich in den Besitz dieses verbilligten - aus Steuermitteln verbilligten - Futtergetreides kommt, der dafür Roggen an den Markt bringt. Ich sage ausdrücklich nicht: abliefert, es handelt sich hier nicht um Ablieferung.
Es ist viel darüber geredet worden, was nun richtig oder was durchführbar ist. Ich glaube, im Ernst kann das nicht bestritten werden. Man braucht sich dazu nur von einem Verfahren zu lösen, das auch nicht unter allen Umständen konserviert werden muß. Deshalb schlagen wir Ihnen also vor, an Stelle der Frühdruschprämie den Preisanreiz für die Zurverfügungstellung des Roggens zur Brotherstellung durch ein solches Bezugsrecht zu sichern. Wir schlagen Ihnen darüber hinaus vor, idas in einer solchen Form zu tun, daß der Erzeuger auch wirklich in den Genuß der vollen Preisverbilligung kommt, die er haben muß, wenn er sich dazu entschließen soll. Es ist ja vorhin hier schon einiges dazu gesagt worden. Ich bedauere sehr, daß der Herr Kollege Fassbender seinen an sich sehr lobenswerten Antrag nun einfach in eine Entschließung umgewandelt hat, die die Regierung zu gar nichts verpflichtet. Wir haben ja damit hier einige Erfahrungen. nicht nur wir auf unserer Seite, sondern auch Sie auf Ihrer Seite und die Landwirtschaft ganz im besonderen, wieviel das in Wirklichkeit bedeutet. Wir möchten 'also, daß das nicht in dieser vagen Form erfolgt, sondern ausdrücklich im Gesetz festgelegt wird. Dem Landwirt muß 'das Futtergetreide so billig geliefert werden, daß man sich auch darauf verlassen kann, Iden Roggen für die Brotgetreideversorgung zu bekommen. Wenn man das will, dann muß man, wie 'gesagt, auch bereit sein, die Mittel dafür aufzuwenden. Die Rechnung geht, wie Herr Kollege Fassbender schon angedeutet hat, übrigens auch ganz glatt auf, wenn man das tut.
Man muß eben nur auf beiden 'Seiten wollen. Um ganz sicher zu gehen und nicht auf irgendwelche Versprechungen angewiesen zu sein, machen wir Ihnen mit unserem Änderungsantrag den Vorschlag, idas im Gesetz als den Willen dieses Hauses festzulegen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Horlacher.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen Lind Herren! Bei § 7 haben wir es mit drei Sachen zu tun: erstens der Frühdruschprämie, zweitens den Bezugscheinen und drittens den 40 Mark Abstand, die hier bei den Preisen für Futtergetreide gegenüber den anderen garantiert werden sollen. Ich habe schon heute früh ausgeführt, daß wir aus den Gründen, die sich aus der Gesamtlage auf dem Roggenmarkt ergeben, grundsätzlich an der Frühdruschprämie festhalten. Wir sind ja der Überzeugung, daß die Frühdruschprämie etwas 'Zusätzliches ist, um die Gefahr der Verfütterung unter allen Umständen zu vermeiden. Dabei sind wir, und zwar weite Teile des Ausschusses, gleichzeitig von der Meinung ausgegangen, daß es möglich ist, die Umtauschaktion sofort in Gang zu setzen; denn die Regierung besitzt jetzt genügend Futtergetreide. Es kommt also darauf an, daß neben der Gewährung der Frühdruschprämie gleich diese Umtauschaktion in Gang gesetzt wird.
Sie ersehen aus diesen Darlegungen den Unterschied 'in den Auffassungen. Nach unserer Ansicht soll hier eine Verstärkung stattfinden, sollen zwei Wege gegangen werden, damit der Roggen aus dem Futtertrog herausgenommen wird und zur Besserung der Lage der allgemeinen Brotversorgung zugeführt werden kann.
Deswegen werden wir - und hier wollen wir gegenüber heute früh wieder Frieden schließen, Herr Kollege Fassbender - Ihrer Entschließung zustimmen. Sie haben gut daran getan, diese Sache in Form einer Entschließung einzubringen. Das ist gut so aus dem einfachen Grunde, weil das gar nicht in dieses Preisgesetz gehört. D'as ist eine Frage des Getreidegesetzes und der Bestimmung der Abgabepreise durch die Einfuhr- und Vorratsstelle. Ob wir das in das Gesetz hineinschreiben oder nicht, jedenfalls ist es in der praktischen Durchführung nicht anders, als daß die Einfuhr- und Vorratsstelle doch darüber disponieren muß. Deswegen soll keine gesetzliche Vorschrift 'da drin sein, sondern wir wollen idas gegenüber der Regierung 'in Form einer Entschließung durchfechten; die Regierung soll es dann so zur Ausführung bringen.
Dem Antrag der SPD, der sich mit dem Bezugscheinsystem befaßt, können wir deswegen nicht zustimmen, weil dieser Antrag dahin geht, die Frühdruschprämie wegfallen zu lassen und an ihre Stelle das Bezugscheinsystem zu setzen. Wir wollen uns idurchaus nicht dagegen wehren, die Frage des Bezugscheinsystems nach allen Richtungen hin mit der Regierung zu prüfen. Wir möchten unter allen Umständen das 'Ziel erreichen, daß der Erzeuger in den Besitz ides verbilligten Futtergetreides kommt. In diesem Endziel stimmen wir alle miteinander überein. Wir wollen haben, daß hier der Abstand 40 DM pro Tonne beträgt. Auch darin stimmen wir weitgehend überein. Deswegen sind wir der Meinung, daß wir die Dinge nicht miteinander verquicken dürfen. Die Frage des Bezug({0})
scheinsystems muß noch gesondert erörtert werden. Die Regierung hat auf Grund des Getreidepreisgesetzes durchaus die Möglichkeit, ein solches System einzuführen. Die Sache bedarf aber gründlicher Besprechung mit den beteiligten Kreisen. Auf jeden Fall muß das Futtergetreide im Wege der Umtauschaktion in den Besitz des Landwirts kommen.
Es muß eines vermieden werden: daß aus den Wertpapieren, die die Bezugscheine darstellen, da sie ja mit Aufschlag verkauft werden können, Papiere 'werden, die den Markt nicht so beeinflussen, wie es ursprünglich gewünscht war. Ich habe da eine langjährige Praxis - mir wäre es viel lieber, ich 'wäre jünger und nicht schon so alt -,
({1})
und aus meiner langjährigen Praxis weiß ich, daß wir schon einmal ein Bezugscheinsystem gehabt haben; das waren die berühmten Bezugscheine für Mais. Wenn aber die Papiere so durcheinanderflattern und mit Aufschlag verkauft werden können, dann ist das immer "etwas Gefährliches. Da gibt es auch bayerische .Angelegenheiten. Es ist etwas Gefährliches, wenn diese 'Papiere mit Aufschlag weiterverkauft werden können und das Endziel, daß sie nämlich dem zugute kommen, für den sie gedacht waren, nicht erreicht wird. Deswegen muß die Frage eingehend geprüft werden. Man kann in diese Sache nicht so zwischen Tür und Angel springen.
Ich wäre also dafür, daß wir bezüglich Ziffer 1 der Entschließung des Abgeordneten Fassbender zustimmen und § 7 im übrigen unverändert annehmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Fassbender.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich über die Friedenserklärung des Abgeordneten Horlacher außerordentlich.
Zur Sache selbst noch ein Wort. Ich habe deshalb von einem Antrag abgesehen und statt dessen eine Entschließung eingebracht, Herr Kollege Kriedemann, weil mir im Laufe des Mittags vom Ernährungsministerium versichert worden ist, daß diese Dinge durchgesetzt werden.
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Sollte das nicht der Fall sein, dann werden wir später unsere Konsequenzen ziehen. Auch wenn wir auf den Antrag verzichtet haben, um die Dinge schneller ablaufen zu lassen, so sind wir doch nicht gewillt, unsere Auffassung in dieser Beziehung zu ändern.
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Keine weiteren Wortmeldungen.
Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der SPD, den der Kollege Kriedemann begründet hat, abstimmen. Wer für den Änderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse abstimmen über § 7 in der Ausschußfassung, - § 8, - § 9, - Anlage, - Einleitung und Überschrift. ({0})
- Das ist in den Änderungsvorschlägen des Ausschusses enthalten.
Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe!
- Das erste war die Mehrheit; diese Bestimmungen sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Ich eröffne zunächst die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Herr Bundesminister Professor Dr. Niklas.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich halte mich für verpflichtet, bei Beginn der dritten Lesung dieses wichtigen Gesetzes Ihnen ganz kurz einen Überblick über die derzeitige Getreideversorgungslage der deutschen Bevölkerung zu bieten. Die Sachlage hat sich gegenüber dem Vorjahr außerordentlich gebessert. Das ist einmal auf die Tatsache zurückzuführen, daß sich die Ablieferungen der deutschen Landwirtschaft - das möchte ich jetzt, nachdem das Wirtschaftsjahr zu Ende geht, hier vor der breiten Öffentlichkeit feststellen - in einer ganz ausgezeichneten Weise entwickelt haben.
Bis zum 1. Juli - es fehlt also am Ablauf des Wirtschaftsjahres nur mehr ein Monat - hat die deutsche Landwirtschaft an Roggen abgeliefert 1 223 000 t gegenüber 995 000 t im Vorjahr, an Weizen 1 494 000 t gegen 1 001 000 t im Vorjahr, an Brotgetreide insgesamt also 2 717 000 t gegen 1 996 000 t, an Futtergetreide 938 000 t gegenüber 594 000 t im Vorjahr. Die Ablieferungserwartung für Brotgetreide in Höhe von 2,7 Millionen t aus dem Inland ist also bereits am 1. Juni, vor Schluß des Wirtschaftsjahres, erreicht. Sie beziffert sich wahrscheinlich am Schluß des Wirtschaftsjahres, am 1. Juli auf 2 750 000 t. Die Ablieferungserwartung für Futtergetreide in Höhe von 800 000 t ist heute bereits erheblich überschritten. Die Mehrablieferung an Getreide gegenüber dem vergangenen Jahr beträgt hiernach insgesamt annähernd 1 Million t.
Zweitens. Die Einfuhrsituation hat sich ebenfalls günstig entwickelt. Sie wissen, Deutschland ist damals in das internationale Weizenabkommen mit 1,8 Millionen t eingestiegen. Ich darf feststellen, daß wir bis zum heutigen Tage diese große und bedeutsame Menge bis auf die letzte Tonne ausgenutzt, allergrößtenteils bereits in Händen, zum anderen Teil durch feste Verträge uns zur Lieferung gesichert haben.
Ich muß des weiteren feststellen, daß es uns in diesem Wirtschaftsjahr immer gelungen ist, die notwendigen Dollars für die Einfuhr von Brotgetreide zur Verfügung zu haben, weil wir - oft etwas unerbittlich, aber notwendigerweise - einen strengen Fahrplan aufstellten, der dahin ging, daß zunächst die Brotversorgung der deutschen Bevölkerung gesichert werden muß und daß die auch wichtigen, aber nicht so ausschlaggebenden Ernährungsgebiete - Fette und Zucker - unter Umständen dahinter zurückzustehen haben.
Die Bundesreserve, die in unserer Hand ist, beträgt heute 650 000 t Brotgetreide und 900 000 t Futtergetreide. Wir haben also am heutigen Tage
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insgesamt 1 550 000 t in unserer Hand. Am gleichen Termin des Vorjahres hatten wir demgegenüber nur 650 000 t.
Es steht von der dänischen Grenze bis zu den Felsenmauern meiner alpenländischen Heimat eine gute Ernte auf den deutschen Feldern. Möge das Schicksal es uns ermöglichen, sie unter Dach zu bringen, und mögen wir die Kraft finden, dann auch - nicht mehr das Mengenmäßige ist heute das Bedrückende, sondern das Finanzielle - die notwendigen Mittel aufzubringen, um diese deutsche Ernte zu bewegen. Mit Gottes und der Menschen Hilfe dürfen wir also darauf rechnen, daß das fundamentum regnorum - der Satz gilt auch heute noch -, die Brotversorgung der deutschen Bevölkerung, in dem am 1. Juli beginnenden neuen Wirtschaftsjahr gesichert ist.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Horlacher. - Der Ältestenrat hat eine Gesamtredezeit von 40 Minuten vorgeschlagen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich nach den Auseinandersetzungen über die einzelnen Paragraphen dieses Getreidepreisgesetzes nun etwas Grundsätzliches sagen zu der Frage der Brotversorgung der Bevölkerung überhaupt. Wir sind dem Herrn Minister außerordentlich dankbar, daß er diese Erklärung abgegeben hat. Um die gleiche Zeit des Vorjahres sind wir in großen Schwierigkeiten gewesen. Wir sind über alle diese Schwierigkeiten hinweggekommen. Es ist möglich gewesen, die notwendigen Einfuhren zu tätigen, die die Regierung in die Lage versetzten, durch ihr Instrument der Einfuhrschleuse, die Einfuhr- und Vorratsstelle, die Dinge so in die Hand zu bekommen, daß die Brotversorgung der Bevölkerung zu gleichbleibenden Preisen gesichert werden konnte. Das ist ein Ziel, dessen Erreichung im allgemeinen Interesse der Bevölkerung zu begrüßen ist. Insofern wissen wir der Regierung Dank.
Aber wir haben auch etwas zu bemängeln. Ich meine den Zeitdruck, in den wir immer bei der Beratung so wichtiger Gesetze geraten. Das Getreidepreisgesetz bringen wir kurz vor Toresschluß unter Dach und Fach. Der Bundesrat muß sich nächste Woche noch damit beschäftigen, und es wird sowieso der 4. oder 5. Juli, bis das Gesetz im Bundesgesetzblatt veröffentlicht sein wird. Die Vorlagen müssen rechtzeitig an das Hohe Haus kommen, damit wir nicht immer in die Lage versetzt werden, zu diesen wichtigen Problemen nur zwischen Tür und Angel Stellung nehmen zu können. Wir hätten auch unsererseits das Bedürfnis gehabt, gewisse grundlegende Fragen auf diesem Gebiet zu erörtern und weiter voranzutreiben. Wir müssen das auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.
Was aber jetzt Sorge macht, ist nicht mehr die mengenmäßige Versorgung der Bevölkerung, sondern ist die fortlaufende Versorgung, damit auch fortlaufend ein gleichbleibendes Preisniveau zugunsten der Verbraucher und Erzeuger durchgehalten werden kann. Das ist die Sorge, die vor uns steht, und mit dieser Sorge haben wir uns zú beschäftigen. Hier kommt es darauf an, daß, der Regierung die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, die sie zur Bewegung beispielsweise der Getreideernte braucht. Ich bin der Meinung, daß diese Mittel auf zweierlei Weise aufgebracht werden müssen, einmal dadurch, daß die Einfuhrstelle für Getreide und Futtermittel ein. eigenes Kapital bekommt und zum andern dadurch, daß dieses eigene Kapital von ihr dazu benutzt wird, die nötigen Kredite aufzunehmen. Denn beim Getreidekredit tut man sich viel leichter als beispielsweise beim Kredit zur Buttereinlagerung. Das ist ein viel besseres und stabileres Geschäft, weil hier die Lagerfähigkeit der Ware eine ganz andere ist.
Aber lassen Sie mich auch das eine noch aussprechen, Herr Bundesminister Niklas: Eine Bundesreserve von 1,5 Millionen t sieht sehr gut aus, aber man' darf sich nicht darüber täuschen: eine überwältigende Reserve ist das nicht. Die Tatsache, daß der Monatsbedarf der deutschen Bevölkerung für die Brotversorgung im Durchschnitt 400 000 t beträgt, läßt es uns angezeigt erscheinen, bei einer guten Getreideernte im Inland dafür zu sorgen, daß diese Bundesreserve durch eptsprechende Mittel verstärkt wird. Die Regierug muß diese Mittel zusammen mit den beteiligten Kreisen unter allen Umständen aufbringen, um einmal die Bundesreserve und um weiterhin die Versorgung Berlins in ausreichender Höhe zu halten. Das sind all die Dinge, die hier eine Rolle spielen.
Aber das sind direkte, konkrete Regierungsaufgaben; die sollten eigentlich abgesondert werden von dem laufenden Kredit, den die Einfuhr- und Vorratsstelle für die Durchführung ihrer Arbeit benötigt. Das ist die Frage, zu der ich wünschen würde, daß man hier einmal zu einer zielklaren Auffassung gelangte, damit die Einfuhr- und Vorratsstellen freier und unabhängiger arbeiten können, damit sie nicht ständig unter dem Druck mangelnder Finanzmittel stehen, damit das gewissermaßen richtig disponiert wird. Das ist unsere große Sorge. Deshalb wäre es notwendig, daß hier mit der Bank deutscher Länder und mit den anderen Kreditinstituten ins Benehmen getreten wird, damit das Ziel erreicht wird. Allein hat die Einfuhr- und Vorratsstelle schon eine Kapitalgrundlage von ungefähr 75 Millionen DM. Das muß durch entsprechende gesetzliche Regelung so geordnet werden, daß das auch eine Grundlage für eine Kreditaufnahme gibt.
Wir sind weiter der Meinung, die auch auf dem Deutschen Raiffeisen-Tag gestern zum Ausdruck gebracht worden ist, daß die Agrarpolitik in Deutschland nach einheitlichen Gesichtspunkten geführt werden muß; und wenn sie nach einheitlichen Gesichtspunkten vor sich gehen soll, dann muß dafür gesorgt werden, daß die Regierung in ihren einzelnen Ressorts sich koordiniert. Der Herr Bundesernährungsminister, der Herr Bundesfinanzminister und der Herr Bundeswirtschaftsminister müssen nach meiner Überzeugung nach einem bestimmten festen Programm in diesen wichtigen Lebensfragen des Volkes an einem Strange ziehen, damit diese Stellen, die zur Versorgung und zur Betreuung der Bevölkerung geschaffen worden sind, auch voll und ganz ihre Aufgabe erfüllen können.
Diese Gedankengänge möchte ich der Regierung mit auf den Weg geben. Hoffentlich gelingt es, daß diese Gesichtspunkte einmal aus der parteipolitischen Atmosphäre herausgehoben
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und in eine der allgemeinen Versorgung unserer Bevölkerung dienliche Atmosphäre hineingebracht werden. Denn diese allgemeine Versorgung ist das oberste Ziel und der Bundestag ist dazu da, diese allgemeine Versorgung nach den großen Richtlinien,
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die hier maßgebend sein sollen, zu sichern, damit wir das gemeinsame Ziel erreichen und jede Schwierigkeit, die sich in der Versorgung unserer Bevölkerung ergeben kann, meistern können.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst den Herren aus den Regierungsparteien anschließen, die schon bedauert haben, daß wir auch in diesem Jahre wieder das zweifellos sehr wichtige Gesetz über die Getreidepreise - es regelt j a nicht nur die Getreidepreise, sondern sehr viel mehr - im letzten Augenblick behandeln. Ich bedaure nur, daß den Herren aus den Regierungsparteien auch nicht mehr einfällt als mir, nämlich das Bedauern hier auszusprechen. Ich habe mir immer vorgestellt, daß die Regierungsparteien sogar imstande wären, eine Änderung dieses Zustandes herbeizuführen, den sie nicht nur zu beklagen brauchen. Sie sind dafür ja auch direkt verantwortlich; denn Regierung und Regierungsparteien sind doch wohl ein und dasselbe.
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- Na, das hört man auch ganz gern, wenn Sie sich davon absetzen!
Aber, meine Damen und Herren, zu dem, was hier verhandelt wird. Ich bin Herrn Horlacher dankbar dafür, daß er deutlich ausgesprochen hat: So ist unsere Vorratslage nun auch wieder nicht, daß wir in der Richtung gar keine Sorgen mehr zu haben brauchen. Wenn wir von einem Vorrat ) reden wollen - insbesondere wenn wir die besonderen Berliner Verhältnisse dabei noch im Auge haben -, der wirklich eine gute Grundlage für den Fall einer ernsthaften Bedrohung unserer Zufuhren usw. sein könnte, dann müßte man sich schon noch erheblich mehr anstrengen; d. h. ich stimme Ihnen zu, Herr Horlacher: dann müßte sich die Regierung da noch erheblich mehr anstrengen.
Sie beklagen, daß es hier nicht eine Agrarpolitik gibt. Wir haben auch im Ausschuß oft von Ihnen die Klagen darüber gehört, daß so viele Leute in der Agrarpolitik etwas zu sagen haben, sogar die Bank deutscher Länder. Kollege Horlacher, wenn es hier in diesem Hause wirklich eine Agrarpolitik gäbe und nicht nur só agrarpolitische Forderungen, wenn es in diesem Hause eine Agrarpolitik gäbe, die sich gegenüber anderen wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten durchsetzen würde und ein echter Bestandteil der Gesamtwirtschaftspolitik wäre, dann gäbe es eben nur eine Agrarpolitik, und alle anderen Institutionen hätten sich damit abzufinden. Aber von diesem Zustand sind wir noch weit entfernt, und ich habe auch den Eindruck, daß mit dem Gesetz, das jetzt verabschiedet werden soll, kein Schritt in dieser Richtung getan worden ist.
Wir sind doch erfreulicherweise nicht in der Lage, die uns so viele Jahre vertraut war, wo wir versuchen mußten, mit einer Mangellage fertig zu werden. Wir sind hier nicht einmal in der Lage, daß wir mit negativen Auswirkungen der Mangellage oder irgendeiner Entwicklungstendenz in der Getreidewirtschaft auf den Verbraucher zu rechnen haben. In Wirklichkeit haben wir hier schon ein ganz anderes Problem. Meine Herren von den Regierungsparteien, da wir nicht so leicht und nicht immer wieder mit irgendwelchen Versicherungen von der Regierung: „Aber diesmal wird es ganz bestimmt so gemacht!" zufrieden sind, wie z. B. Sie, Herr Kollege Fassbender, es noch eben angedeutet haben - und auf die Konsequenzen, die Sie ziehen wollen, bin ich gespannt -, möchten wir uns mit den Problemen doch etwas ernster auseinandersetzen, als es uns in diesem Gesetzentwurf der Fall zu sein scheint. Wir wissen ja, daß die Einfuhr- und Vorratsstelle in Wirklichkeit gar nicht in der Lage ist - und niemand wird es übernehmen, zu sagen, sie wird bestimmt dazu in der Lage sein -, den Preis, den man hier als den Von-Preis aufführt, unter allen Umständen zu halten. Gerade nachdem der Minister noch einmal erklärt hat, daß man es bei der frachtfreien Verteilung des Auslandsweizens belassen wolle, dürfte unsere Sorge um die Sicherung des Absatzes der deutschen Ernte zu einem angemessenen Preis durchaus berechtigt sein. Unser Antrag hat nur bezweckt, dieses Getreide den Mühlen frachtfrei zuzuführen, so wie ihnen das Auslandsgetreide frachtfrei zugeführt wird. Nichts anderem hat dieser Antrag gedient.
Es ist versucht worden, von dem eigentlichen Thema abzuleiten, indem mit dem Begriff CifPreise oder Groß- und Kleinmühlen herumgefuhrwerkt worden ist. Das hat damit überhaupt nichts zu tun. Wir haben das Thema auch nicht angeschnitten, sondern haben uns darauf beschränkt, deutlich zu sagen, was wir wollen. Wir bedauern, daß der Versuch gemacht worden ist, darum herumzureden und auf andere Dinge abzulenken, die mindestens im Augenblick hier nicht zur Debatte stehen. Da es aber dieses Verfahren der frachtfreien Verteilung des Auslandsweizens gibt, müssen wir uns hier an dieser Stelle - und nicht etwa im Getreidegesetz - mit dem Problem und seinen möglichen Folgen auseinandersetzen. Das haben wir in der Form getan, daß wir Ihnen vorgeschlagen haben: Geben Sie dann unter allen Umständen, gerade wegen der Kurzatmigkeit der Einfuhr- und Vorratsstelle, dem deutschen Getreide in der heutigen Situation, in der es das braucht, wenigstens die gleiche Chance. Es ist kein Trost, wenn der Minister sagt, das kostete uns zuviel Leute. Die Frühdruschprämie rechnet sich auch nicht von selber aus. Es gibt in unserem Wirtschaftsleben, insbesondere auf dem Agrarsektor, eine Fülle von Einrichtungen, die viel Leute und Mittel erfordern, ohne daß man weiß, ob etwas dabei herauskommt. Ich erinnere an die Mühlenstelle, um nur eine von diesen Einrichtungen zu nennen. Wir werden tins beim näheren Studium des Systems der Einfuhr-
und Vorratsstelle da vielleicht noch auf manche Überraschung gefaßt machen müssen.
Ich wiederhole: weil mindestens die ernsthafte Gefahr besteht, daß die Tendenz zum Mindestpreis, die sich in den letzten Monaten des jetzt ablaufenden Getreidewirtschaftsjahres deutlich gemacht hat, unter dem Eindruck der Vorratslage usw. sich verstärkt fortsetzen wird, und weil die Preise dann auf dem Papier stehen, haben wir zunächst einmal beantragt, so zu verfahren, wie es in Ziffer 1 unseres Antrages vorgeschlagen worden ist. Sie haben das abgelehnt.
Wir haben uns dann wegen der Sicherung eines ausreichenden Anteils der Roggenernte für die Brotversorgung ebenfalls mit den Erfahrungen auseinandergesetzt, die auf diesem Gebiete gemacht worden sind. Schließlich ist ja ein Getreidewirtschaftsjahr lang genug, um darüber Erfahrungen zu sammeln. Wenn- man aber die Erfahrungen nicht verwirklichen will, muß man daraus Kon({1})
Sequenzen ziehen. Wir haben uns schon im vergangenen Jahr, als wir so im allerletzten Augenblick hier über die Getreidepreise diskutierten, im Ausschuß vorgenommen, doch einmal alle Zusammenhänge der Getreidewirtschaft zu erforschen. Da gibt es eine Reihe von heißen Eisen. Diese müssen aber schließlich einmal angefaßt werden. Es ist im ganzen Jahre in dieser Richtung nichts geschehen. Es ist aber auch der Regierung nichts anderes eingefallen, und sie hat, abgesehen vom Fortfall der Weizenfrühdruschprämie, die praktisch für den Erzeuger eine Preissenkung bedeutet, dasselbe Gesetz vorgelegt; und um ein Haar wäre das alte sogar noch verlängert worden, um es also ganz besonders anschaulich zu machen, daß hier etwas Neues ganz offenbar nicht gemacht werden soll, daß hier Konsequenzen aus den Erfahrungen nicht gezogen werden sollen.
Wir haben Ihnen also vorgeschlagen, an Stelle dieser Frühdruschprämie ein Verfahren zu wählen, das das Ziel, genügend Roggen für die Brotversorgung vor der Verfütterung zu retten, d. h. den Bauern wirklich in die Lage zu versetzen, seinen Roggen an den Markt zu bringen, um sich - für ihn vorteilhaft - mit ausreichendem und genügend billigem Futtergetreide versorgen zu können, auf eine andere Weise erreicht, und zwar auf eine Weise, die, wie ich meine, billiger und zweckmäßiger ist, weil sie gezielter ist und weil sie tatsächlich mit aller Sicherheit dafür sorgt, daß derjenige, der den Roggen für die Broterzeugung zur Verfügung stellt, davon auch den vollen Nutzen hat. Auch diesen Antrag haben Sie abgelehnt, und es soll hier nun ein Gesetz beschlossen werden, das alles beim alten läßt. Niemand wird sagen können, daß das alte gut war, sondern man wird mir zugeben müssen, daß es sich doch in einer sehr gefährlichen Richtung entwickelt hat. Dafür, meine Damen- und Herren, wollen wir die Verantwortung nicht übernehmen. Man hat ein bißchen an den Reports geändert. Glaubt irgend jemand von Ihnen im Ernst, daß das mit gutem Gewissen den Bauern etwa als ein Ausgleich für den Fortfall der Frühdruschprämie oder für die Unsicherheit und die Schwäche der Einfuhr- und Vorratsstellen empfohlen werden kann? Wer es glaubt, der soll es tun; wir werden uns daran nicht beteiligen. Wir werden dieses Gesetz ablehnen und die Verantwortung für all das, was hier, wie gesagt, gar nicht dem Verbraucher droht, was hier mit aller Eindeutigkeit der Landwirtschaft droht, denen überlassen, die sowieso glauben, sie hätten die Wahrnehmung der Interessen der Landwirtschaft für sich gepachtet, und die es uns so gern streitig machen wollen, daß wir auch an den Erzeuger denken.
Meine Damen und Herren, wir, die wir die Sorgen nach beiden Seiten haben und die wir nach beiden Seiten mit dem gleichen Maß messen, haben zwei konkrete Anträge gestellt, durch deren Annahme wir alle gemeinsam unsere Bereitwilligkeit unter Beweis stellen könnten, aus Erfahrungen zu lernen, neue Wege zu gehen mit dem Ziel, den Markt zu ordnen, so daß Erzeuger und Verbraucher davon ihren Vorteil haben. Sie haben es abgelehnt, und damit haben Sie mit aller Eindeutigkeit die Verantwortung für das, was im neuen Getreidewirtschaftsjahr der deutschen Landwirtschaft bevorsteht.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Niebergall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemand kann ernsthaft die Notwendigkeit der Regelung der Getreidepreise bestreiten. Aber das vorliegende Gesetz dient nicht der Allgemeinheit, sondern es ist in erster Linie darauf abgestellt, den Interessen des Großgrundbesitzes Rechnung zu tragen.
({0})
Denn er ist ja derjenige, der in erster Linie Getreide anbaut, während die kleine Landwirtschaft Intensivwirtschaft und Veredelungswirtschaft betreibt.
({1})
Aber infolge der Steuerpolitik und der hohen Industriepreise sowie des technischen Rückstandes unserer kleinen Landwirtschaft und der Auswirkungen der Liberalisierung liegen die Preise für die Produkte der Landwirtschaft in vielen Fällen unter dem Selbstkostenpreis. Im vorigen Jahr war es noch so, daß durch die Frühdruschprämien für Weizen und Roggen, diesen bedeutenden Teil der Landwirtschaft, eine leichte Änderung geschaffen wurde. Denn die Klein- und Mittelbauern sind in der schweren Lage gezwungen, sofort nach der Ernte ihre Erträge abzusetzen. In dem diesjährigen Gesetz jedoch ist die Frühdruschprämie nur für Roggen vorgesehen. Für Weizen soll sie wegfallen. Wir wenden uns gegen eine solche Einengung. Hinzu kommt, daß die Frühdruschprämie dadurch gefährdet ist, daß die Lager und Speicher voll sind. Es besteht die Gefahr, daß, wenn die neue Ernte eingebracht wird, nicht genügend Platz vorhanden ist, um die neue Ernte so unterzubringen, daß der kleine Landwirt zu dem kommt, was er unbedingt für seine Existenz braucht. Es muß also nach unserer Auffassung Vorsorge dafür getroffen werden, daß der Bauer schnell seine Produkte für die Prämien, die ihm zustehen, absetzen kann.
Wir sind außerdem mit der Fassung des § 3 nicht einverstanden. Wie ist die Tatsache? Die Landwirtschaft - und zwar insbesondere die kleinen Landwirte - haben es auf Grund der Lage sehr, sehr schwer, das teure Saatgut zu kaufen. Für die großen ist das alles leichter; denn sie haben zum Teil die Möglichkeit, sich eigener Zucht zu bedienen, zum anderen verfügen sie über die notwendigen Mittel. Um auch den kleinen und den Mittelbauern zu helfen und ihnen die Anwendung von hochwertigem Saatgetreide zu ermöglichen, ist es notwendig, das Saatgut für diese Schichten vom Staat aus zu subventionieren. Die Ausgaben, die der Bund dafür hätte, würden durch die Steigerung und Verbesserung der Ernteerträge sehr schnell wettgemacht werden. Den Bauern bis zu 30 ha müßte nach unserer Auffassung eine solche Vergünstigung gegeben werden. Dann wäre unserer Landwirtschaft gedient.
Wir sind der Meinung, das ganze Problem, das heute hier angesprochen worden ist, läßt sich nur lösen, wenn wir radikal die Steuern senken und wenn wir wirklich der kleinen Landwirtschaft großzügige Kredite zur Verfügung stellen, damit sie aus dieser Misere herauskommt. Das dient der Landwirtschaft und dem deutschen Verbraucher.
Das Wort hat der Abgeordnete Fassbender.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur noch ein paar ganz kurze Worte. Ich möchte mich mit dem, was Herr Kollege Niebergall hier glaubte über den Schutz der kleinbäuerlichen Bevölkerung zum besten geben zu müssen, in keiner Weise auseinandersetzen.
({0})
Ich empfehle Ihnen, Herr Niebergall, mit mir in meinen Kreis da drüben zu kommen und mit den Kleinbauern, die drüben unter dem System jetzt weglaufen mußten, weil ihr Leben und ihre Sicherheit nicht mehr gewährleistet sind, zu sprechen. Dann würden Sie wahrscheinlich eine andere Auffassung von dem bekommen, was die Kleinbauern drüben von Ihnen denken!
({1})
Es ist bedauerlich, daß ein derart entscheidendes Gesetz, wie es das Getreidepreisgesetz ist, reichlich spät - ich sagte das heute früh schon - in unsere Hände gelangt ist. Auch wir hätten sehr viel lieber, Herr Kollege Kriedemann im Ausschuß in mehreren Sitzungen das Für und Wider all dieser Dinge durchdiskutiert. Ich glaube, daß wir dann im großen Rahmen vielleicht zu Ergebnissen gekommen wären, die der Sache noch besser gedient hätten. Wir sitzen unter Zeitdruck, und nur dieses Zeitdrucks wegen haben wir uns bereit erklärt, auf besondere Wünsche, die wir in Form von Anträgen hätten vorbringen können, zu verzichten; denn wir möchten in der Getreidewirtschaft nicht einen Zustand erleben. den man als gesetzlos bezeichnen könnte. Wir haben aus Erfahrung gelernt, daß der Dumme hierbei meist die bäuerliche Bevölkerung ist. Der Wunsch, das zu verhindern, hat uns gezwungen, unsere Anträge in Entschließungen umzuwandeln. Weitere Entschließungen von uns besagen ganz eindeutig, daß die Regierung aufgefordert werden soll - und ich hoffe. Herr Ernährungsminister, daß es Ihnen mit der Zusage sehr ernst ist -, weitere 300 Millionen DM für die Vorratsstellen zur Verfügung zu stellen, um etwaige Spitzen abfangen zu können. Des weiteren hoffe ich, daß Sie Ernst machen mit der beabsichtigten Verordnung. daß deutscher Weizen nun zwangsmäßig von den gesamten deutschen Mühlen in den ersten vier Monaten vermahlen werden muß. um etwaigem Anlieferungsdruck aus deutscher Ernte zu begegnen.
Ich bin mit Ihnen, Herr Kollege Kriedemann, der Meinung, daß es an der Zeit ist, uns über die gesamte Agrarpolitik sehr ernst zu unterhalten. Ich bin auch der Meinung, eine Gesamtkonzention der altrar- und ernährungsnolitischen Entwicklung ist langsam notwendig. Wir werden Gelegenheit nehmen, in ganz kurzer Zeit auch einmal zu dem Problem der gesamten Vorratsstellen, die ja doch der Dreh- und Angelpunkt einer gesunden Agrar-
und Ernährungspolitik sein müssen. hier in diesem Hause Stellung zu nehmen. Ich hoffe, daß wir dann gemeinschaftlich zu Zielen kommen, um dem deutschen Landvolk das zu geben, dessen es bedarf, um seiner hohen Aufgabe gerecht zu werden. und den deutschen Verbraucher davor zu bewahren, unmögliche Preisschwankungen hinzunehmen. Es wäre mir sehr lieb. wenn wir uns dann nicht nur über Getreide sondern auch einmal über Milch. Fett, über Fleisch und dergleichen unterhielten.
(Abg. Kriedemann: Über Buttermilch,
Herr Fassbender! - Heiterkeit.>
- Buttermilch? Die dürfen Sie trinken; Sie wissen, ich vertrage keine.
({2})
- Ja, Herr Niebergall, trinken Sie Kognak, dann werden Sie vernünftig.
({3})
Das hat schon der olle Bismarck gesagt; aber das ist ja auch ein Mann, den Sie nicht schätzen. Was soll ich mich auf Ihr Gekläff einlassen; es ist ziemlich sinnlos. Es gibt Ihnen nichts und mir erst recht nichts. Regeln Sie die Dinge, wo Sie die Möglichkeit haben, sie im Interesse des Gesamtvolkes zu regeln. Dann können Sie über diese Dinge mitreden. Solange müssen wir es uns verbitten, daß Sie uns Belehrungen erteilen.
({4})
Ich darf bei dieser Gelegenheit noch eins sagen. Es ist im deutschen Volke viel zu wenig bekannt, daß durch die Milchpreiskatastrophe - so darf ich es wohl nennen - die deutsche Landwirtschaft jährlich einen Verlust - gegenüber dem, Vorjahr, bei den jetzigen Preisen - von über einer halben Milliarde hat hinnehmen müssen. Ich glaube, das sind Sturmzeichen, die allen in diesem Hohen Hause vor Augen führen sollten, daß es notwendig ist, eine Gesamtagrarpolitik in einem Guß durchzuführen, die sich selbstverständlich in die gesamte deutsche Wirtschaftspolitik schlechthin einfügen muß. Wenn wir uns darüber einig sind, die notwendigen Vorsorgen zu treffen, dann, davon bin ich überzeugt, wird dem gesamten deutschen Volk damit ein wirklicher Dienst erwiesen.
({5})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir treten in die Einzelaussprache der dritten Lesung ein. - Anträge werden wohl nicht mehr gestellt.
Ich rufe die §§ 1 bis 9 mit Anlage, Einleitung und Überschrift auf. Wer für die Annahme ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit.
({0})
Enthaltungen? - Keine Enthaltungen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer für die Annahme des Gesetzes im ganzen ist, den bitte ich, dies durch Erheben von den Sitzen zu bezeugen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; das Gesetz ist angenommen.
Wir haben dann noch über die Entschließungen auf Umdruck Nr. 592, Fassbender und Genossen, abzustimmen. Wer für die Annahme dieser Entschließungen ist, den bitte ich. die Hand zu erheben.
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen. Damit ist Punkt 8 der Tagesordnung erledigt.
Ist Herr Dr. Becker bereit, den Bericht zu Punkt 9 zu erstatten?
({1})
Dann rufe ich Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über öffentliche Versammlungen und Aufzüge ({2}) ({3});
({4})
Mündlicher Bericht des Ausschusses zum Schutze der Verfassung ({5}) ({6}).
({7})
Nach der Vereinbarung soll nur der Bericht gegeben und die Diskussion auf die nächste Sitzungswoche vertagt werden.
Das Wort hat Herr Dr. Becker als Berichterstatter.
Dr. Becker ({8}) ({9}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Man sagt oft, daß Zahlen die Welt regieren. Goethe hat dazu einmal bemerkt, das stimme nicht ganz; aber jedenfalls zeigten uns die Zahlen, wie die Welt regiert werde. Wenn Sie die Drucksachennummer 1102 sehen, die auf dem ersten Blatt unseres Berichts abgedruckt ist - das ist die Nummer der Regierungsvorlage -, und wenn Sie dann den Bericht des Ausschusses mit der Drucksachennummer 2759 betrachten, dann können Sie aus dem Unterschied der beiden Zahlen ersehen, wie lange und wie gründlich die Ausschüsse, nämlich der Ausschuß zum Schutze der Verfassung und der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung, sich dieser Dinge angenommen haben. Ich darf hinzufügen und dankend erwähnen, daß auch der Bundesrat die Regierungsvorlage mit sehr vielen und sachkundigen Bemerkungen versehen hatte.
Die lange Dauer dieser Verhandlungen erklärt sich daraus, daß, wenn es schon in diesem Hause Spezialisten für diese oder jene Sache gibt, für das Versammlungsordnungsgesetz jeder der 402 Damen und Herren, die hier versammelt sind, Spezialist comme il faut ist.
({10})
Die Gründlichkeit der Verhandlungen hat also darunter keineswegs gelitten, sondern wir haben uns im Ausschuß Erfahrungen über Versammlungen von Itzehoe im Norden bis Lindau oder Reichenhall im Süden nach jeder Richtung hin ausgiebig erzählen lassen können.
Der Ausschußbericht, der Ihnen jetzt vorliegt, datiert vom 19. Oktober 1951. Überraschenderweise erfuhr ich heute morgen, daß er auf der Tagesordnung stehe, und unvorbereitet, wie ich war, muß ich Ihnen also diesen Bericht nun vortragen. Dabei darf ich im wesentlichen auf den Text, insbesondere also auf die Beschlüsse des 5. Ausschusses in der Ihnen vorliegenden Drucksache Bezug nehmen. Zusammenfassend darf ich folgendes sagen.
In der Regierungsvorlage hatten wir zwei wesentliche Dinge zu kritisieren. Das eine war, daß das ganze Gesetz eigentlich nur so von Verboten strotzte, als wenn gewissermaßen eine Verbotshysterie bei der Abfassung dieser Regierungsvorlage die Felder geführt habe. Die zweite Kritik, die wir anzubringen hatten, war die, daß, wenn diese Vorlage Gesetz geworden wäre, ein Versammlungsleitei von auch nur mitteldurchschnittlicher Begabung zweifellos nicht in der Lage gewesen wäre, eine Versammlung zu leiten, oder aber bei jeder Möglichkeit gestrauchelt und, seinerseits das Opfer irgendeines Paragraphen dieses Gesetzes geworden wäre. Wir haben deshalb also die Dinge sehr gründlich umgearbeitet. Ein Unterausschuß hat sich darum bemüht. Jedes der Mitglieder des Unterausschusses hat seinerseits einen Entwurf gefertigt. Wir haben diese miteinander verglichen und sind dann in der Plenarverhandlung des 5. Ausschusses wie auch des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung zu dem Ihnen vorliegenden Text gekommen.
Ausgangspunkt bildeten die Art. 8 und 9 des Grundgesetzes, d. h. also das Prinzip der Versammlungsfreiheit, das praktisch eigentlich nur eingeschränkt werden kann, wenn die Versammlung nichtfriedlichen Zwecken dient.
Im § 1 haben wir eine wesentliche Änderung vorgenommen, die zwar zunächst nicht so wesentlich aussieht wie sie ist. Darin wird grundsätzlich gesagt: Nicht nur derjenige, der an einer Versammlung teilnimmt, sondern jedermann hat bei offentlichen Versammlungen und Aufzügen _ - auch wenn er nicht unbedingter Teilnehmer zu sein braucht - sich so zu verhalten, daß die ordnungsgemäße Durchführung nicht gestört wird. Das und das Verbot des Waffentragens -sowie das Recht, an einer Versammlung teilzunehmen, ist der wesentliche Inhalt des allgemeinen Teils.
Im speziellen Teil - Abschnitte II bis IV - behandelt Abschnitt II die öffentlichen Versammlungen in geschlossenen Räumen, Abschnitt III öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge. Der vierte Abschnitt enthält schließlich die Strafbestimmungen.
Zusammenfassend kann ich ganz kurz folgendes sagen: Das Verbot einer Versammlung kann bei Versammlungen in geschlossenen Räumen grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des § 3 a ausgesprochen werden, nämlich nur dann, wenn konkrete Tatsachen vorliegen, die mit Sicherheit erwarten lassen, daß der Veranstalter oder sein Anhang die Versammlung dazu mißbrauchen werden, einen unfriedlichen Verlauf der Versammlung anzustreben oder zuzulassen usw., die Strafgesetze zu verletzen, die verfassungsmäßige Ordnung anzugreifen oder gegen den Gedanken der Völkerverstandigung zu verstoßen. Ich bitte also hervorheben zu dürfen: Wenn die Gefahr droht, daß von anderer Seite eine Versammlung gestört werden kann, oder wenn von anderer Seite her ein unfriedlicher Verlauf droht, dann kann das an und für sich zunächst nicht zum Anlaß eines Verbotes gemacht werden. Das Regulativ findet sich in einer späteren Bestimmung, wonach in einem solchen Fall der Leiter der Versammlung, dem im Text dieses Gesetzes das Hausrecht ausdrücklich zugesprochen ist, und zwar Hausrecht sowohl in privatrechtlicher wie auch in öffentlich-rechtlicher Beziehung, den Betreffenden herausweisen oder herausweisen lassen und sich dabei auch der polizeilichen Hilfe bedienen kann.
Ein weiteres Verbot in § 15 bezieht sich auf die Versammlungen unter freiem Himmel und auf Aufzüge. Hier kann die Versammlung von vornherein verboten werden oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach cien Umständen - es müssen auch wieder konkrete Umstände vorliegen und bekanntgegeben werden - die öffentliche Ordnung oder Sicherheit unmittelbar gefährdet ist. Damit ist - das möchte ich hervorheben - ausdrücklich auch ein Verbot unter dem Gesichtspunkt des polizeilichen Notstandes zulässig. Es ist klar, daß auch unter anderen Gesichtspunkten, z. B. sicherheitspolizeilichen Gesichtspunkten im Hinblick auf das Gebäude, in dem die Versammlung stattfinden soll, feuerpolizerlichen Gesichtspunkten hinsichtlich des Gebäudes,
({11})
eventuell veterinärpolizeilichen Gesichtspunkten --denken Sie an die Verbreitung von Tierseuchen auf dem Lande -, ein Verbot einer Versammlung erfolgen kann, also aus der allgemeinen gesetzlichen Grundlage heraus, die an sich mit dem Recht des Versammlungsschutzes oder mit dem Versammlungsrecht nicht ohne weiteres etwas zu tun hat. Ich möchte das aber der Vollständigkeit halber hier auch erwähnen.
Die Rechte der Polizei sind dann im einzelnen geregelt. Die Polizeibeamten haben sich bei dem Versammlungsleiter zu melden und bekommen einen besonderen Platz angewiesen. Sie haben insbesondere die Möglichkeit, bei Versammlungen unter freiem Himmel und bei öffentlichen Aufzügen Teilnehmer, die die Versammlung stören, auszuschließen. Der Leiter einer Versammlung unter freiem Himmel und der Leiter eines öffentlichen Aufzugs haben dieses Recht nicht, weil ein solches Recht für sie praktisch einfach undurchführbar wäre.
Eine besondere Bestimmung betrifft die Ordner, deren sich ein Versammlungsleiter bedienen kann. Es müssen ehrenamtlich tätige Männer und Frauen sein, nicht etwa bezahlte Rowdys. Der Ausschuß hat die Frage erörtert, ob man nicht auch für ihren Wohnsitz eine bestimmte räumliche Begrenzung vorsehen solle, indem also nur Ordner aus einem bestimmten Umkreis um den Ort der Versammlung zugelassen sein sollten. Man hat das nach reiflicher Überlegung und unter Zugrundelegung all der Erfahrungen, über die wir in reichem Maße verfügen, schließlich doch weggelassen, um sich nicht dieser Möglichkeit, Ordner zu beschaffen, zu begeben. Die Zahl der Ordner muß angegeben werden. Ferner ist die Frage erörtert worden, ob auch die Namen der Ordner der Polizei angegeben werden müssen. Wir haben das gestrichen, weil sonst unter Umständen aus kleinlichen Gesichtspunkten, wenn einer mal ausgewechselt werden muß oder die Namen miteinander verwechselt worden sind usw., Schwierigkeiten entstehen könnten, die mit der Frage des Versammlungsschutzes oder der Versammlungsfreiheit gar nichts mehr zu tun haben.
Die Frage des befriedeten Bannkreises um die Gebäude der gesetzgebenden Organe des Bundes und der Länder ist in § 16 angeschnitten. Dort wird gesagt, daß innerhalb des befriedeten Bannkreises öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und auch Aufzüge grundsätzlich verboten sind. Ausnahmen können nur mit Zustimmung des Präsidenten der betreffenden gesetzgebenden Körperschaft genehmigt werden. Es ist die Frage - vielleicht ist der Herr Minister des Innern so freundlich, darauf zu antworten -, ob für den Bund, für den Bundestag usw., auch vielleicht für den Verfassungsgerichtshof, die Umgrenzung der befriedeten Bannmeile auf dem Wege ist. Die üblichen Ausnahmen, daß für kirchliche Prozessionen, Bittgänge und Wallfahrten, gewöhnliche Leichenbegängnisse, Züge von Hochzeitsgesellschaften und hergebrachte Volksfeste diese Bestimmungen nicht gelten, sind aufrechterhalten.
Ein besonderer Abschnitt enthält die Strafvorschriften. Auch hier haben wir ziemlich zusammengestrichen. Im Entwurf war eine Fülle von Strafbestimmungen vorgesehen. Sie sehen, daß wir jetzt nur die Strafbestimmungen im Gesetz haben, die mit dem Schutz der Versammlungsfreiheit etwas zu tun haben. Zur Ergänzung müssen Sie immer den § 107 a des Strafgesetzbuches hinzunehmen, der die sogenannte Sprengung von Versammlungen unter Strafe stellt. Ebenso müssen Sie in Verbindung mit dem § 23 die einschlägigen Bestimmungen des Strafgesetzbuchs über Widerstand gegen die Staatsgewalt usw. lesen.
Schließlich noch eine Frage. Der ursprüngliche Entwurf der Regierung enthielt das Verbot des Uniformtragens. Der Ausschuß hat sich nach vielen und eingehenden Erörterungen dahin entschieden, dieses Verbot nicht auszusprechen. Wir sind zu der Überzeugung gekommen, daß die Möglichkeiten der Umgehung eines solchen Verbots groß sind, andererseits auch die Gefahr besteht, daß unbeabsichtigte Gleichförmigkeit der Kleidung - denken Sie nur an Trachtenfeste usw. - von einer übereifrigen Polizei gleich als ein Verstoß gegen derartige Bestimmungen angesehen werden könnte. Wir haben es für sehr unzweckmäßig gehalten, Bestimmungen zu schaffen, deren Anwendung in der Mehrzahl der Fälle unter Umständen zu Kleinlichkeiten führen kann. Wir haben schließlich erwogen, daß in den Fällen, die dem Verfasser dieses Entwurfs zunächst vorgeschwebt haben, daß sich jemand einfallen lassen sollte, in gewissen Trachten der Vergangenheit oder auch Trachten und Abzeichen der östlichen Gegenwart zu erscheinen, der Betreffende dadurch nur zu erkennen gibt, wem er angehört und welche grundsätzlichen Methoden er auch in tatsächlicher Form, d. h. in einer Form der Brachialgewalt, gewillt ist anzuwenden, so daß dann der Polizei ganz andere Möglichkeiten auf Grund allgemeinen Polizeirechts zur Verfügung stehen, als sie hier in einem Paragraphen dieses Gesetzes hätten geschaffen werden können.
Der Ausschuß bittet, diesem Gesetz in der Ausschußfassung zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Es ist zwischen den Fraktionen vereinbart worden, daß keine Aussprache stattfinden soll, sondern daß die Aussprache auf eine der nächsten Sitzungen vertagt werden soll.
({0})
- Das Haus ist einverstanden. Lediglich der Herr Bundesinnenminister wird eine kurze Erklärung abgeben. Ich erteile ihm das Wort.
({1})
Dr. Dr. h. c. Lehr: Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, namens der Bundesregierung einer gewissen Enttäuschung Ausdruck zu geben, daß das Gesetz heute nicht verabschiedet wird. Ich erinnere daran, daß der Gesetzentwurf heute Geburtstag feiert, denn vor zwei Jahren, gerade an diesem Tag, hat die Bundesregierung sich erlaubt, Ihnen den Gesetzentwurf vorzulegen. Ich bitte Sie sehr darum, das Gesetz, das zur Aufrechterhaltung unserer öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung dringend notwendig ist, zu verabschieden.
Zu der Frage des Herrn Berichterstatters habe ich nur zu sagen, daß das Bannmeilenrecht nach § 16 des Gesetzes sofort in Form einer Verordnung von der Bundesregierung geschaffen wird, sobald das Hohe Haus das Gesetz verabschiedet hat.
Dann ist im Einverständnis aller die Besprechung des Berichts auf eine der nächsten Sitzungen vertagt.
({0})
Ich habe noch bekanntzugeben, daß der Ausschuß Geld und Kredit morgen, Freitag, um 8 Uhr eine Sitzung abhält.
Der Herr Bundesarbeitsminister list nunmehr eingetroffen. Verabredungsgemäß rufe ich auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Deckung der Rentenzulage nach dem Rentenzulagengesetz im Haushaltsjahr 1952 ({1}).
Soll der Entwurf begründet werden? --- Das Haus verzichtet auf Begründung, auch auf Aussprache. Die Überweisung erfolgt an den Ausschuß für Sozialpolitik. - Das Haus hat so beschlossen.
'Ich rufe auf Punkt 4:
Dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP eingebrachten Entwurfs eines' Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiet der Sozialversicherung ({2}); Zusammenstellung der Beschlüsse in zweiter Beratung ({3}).
({4})
Ich eröffne die dritte Beratung mit der allgemeinen Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Preller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in der vorigen Woche die zweite Lesung dieses Gesetzes gehabt. Bei der
1 dritten Lesung müssen wir uns noch einmal vor Augen führen, was mit diesem Gesetz eigentlich gemeint ist. Ich darf sagen: in einer Leidensgeschichte dieser Selbstverwaltung ist nun heute ein gewisser markanter Punkt erreicht worden.
({0})
Es ist ja -an sich beinahe unwahrscheinlich, daß wir sieben Jahre nach 'dem En-de -des autoritären Regimes immer noch keine Selbstverwaltung haben. Mindestens seit 1948 wäre doch der Weg dazu frei gewesen.
Aber schon im Wirtschaftsrat und dann später hier bei den Beratungen über das- Selbstverwaltungsgesetz von 1951 war -die 'Gelegenheit benutzt worden, innerhalb der Selbstverwaltung Dinge durchzuführen, die wir als Verschlechterung ansprechen müssen. Sie setzte insbesondere bei zwei Punkten ein. Einmal nämlich dabei, daß die Beteiligung der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber in den Selbstverwaltungsorganen nun ganz grundsätzlich auf die Parität abgestellt werden sollte und ab-gestellt worden ist, obwohl doch früher - seit Bismarck - in der Krankenversicherung das Verhältnis 2/3 zu 1/3 mit großem Erfolg durchgeführt war. Die andere Verschlechterung lag darin, daß Idas Wahlverfahren einer ständigen Komplizierung unterworfen wurde, je länger darüber gesprochen wurde.
Es ist immer - und mit Recht - beklagt worden, daß die Arbeitnehmer bzw. die Versicherten nicht mehr das genügende Interesse -an ihrer Sozialversicherung hätten. Aber wie sollen denn die Versicherten, die doch -aus ihrem eigenen Lohn im wesentlichen die Sozialversicherung tragen, Interesse an ihrer Versicherung haben, wenn ihnen der entscheidende Einfluß versagt und vorenthalten wird? Darum ging eben 'der Kampf bei dem Selbstverwaltungsgesetz von 1951. Aber zu behaupten, daß des-halb, weil dieses Selbstverwaltungsgesetz von 1951 uns nicht gefiele, nun hinterher eine Verzögerungstaktik angewandt worden wäre, ist doch eine Methode politischer Unaufrichtigkeit; denn bei allem Mißbehagen, das wir gegenüber diesem Gesetz empfunden haben, ist doch der Wunsch auf Selbstverwaltung der Arbeitnehmer auch bei uns ganz selbstverständlich vorhanden und er sollte möglichst rasch erfüllt werden.
Wenn nun von einem Versagen bei der Entwicklung -dieses Gesetzes gesprochen worden ist, so glaube ich, sollte man insbesondere einmal ein Versagen innerhalb des Bundesarbeitsministeriums, aber, wie wir glauben, auch bei den Regierungsparteien ansprechen.
Ich möchte darauf hinweisen, daß beim Bundesarbeitsministerium 'die Bearbeitung durch aie Ministerialstellen weitgehend unter einer gewissen Unzulänglichkeit gelitten hat. Schon die Texte des Selbstverwaltungsgesetzes waren so unzulänglich, daß dann eine sehr umfangreiche Wahlordnung erforderlich wurde. Aber es tauchten dann später auch Schwierigkeiten juristischer Art -auf, die das Bundesarbeitsministerium selbst zugeben mußte, als es zum bekannten Entwurf des Bundesrates sagte, daß der Bundesrat die Lücken dieses alten Gesetzes nicht ausreichend geschlossen hätte. Von einem eigenen Entwurf des Bundesarbeitsministeriums in diesem Zeitpunkt haben wir aber nichts gehört. Man hat dann dem Bundesrat vorgeworfen, er hätte doch damals auch dem Gesetz zugestimmt. Aber auch die Regierungsparteien haben dem Gesetz von 1951 zugestimmt. Auf dieser Basis also kann man, glaube ich, nicht diskutieren.
Nun, ich spreche von der Verwaltung des Bundesarbeitsministeriums, von einer gewissen bürokratischen und uneinsichtigen Haltung, zum Teil sogar einer gewissen Rechthaberei, die sich im Ausschuß bemerkbar machte, und offensichtlich nicht nur bei uns, als der Opposition, als unangemessen aufgefallen ist. Vor allem war aber die Vorlage der Regierungsparteien, die doch offenbar im Zusammen-gehen mit -dem Arbeitsministerium vorbereitet worden war, in Form und Inhalt juristisch und sachlich nicht einwandfrei. Zum Teil war die Länge -der Beratungen, die dann im Ausschuß erfolgen mußten, darauf zurückzuführen, daß der Ausschuß selbst erst einmal eine Arbeit, die eigentlich 'im Bundesarbeitsministerium hätte erledigt werden müssen, nun formal durchführen mußte.
Die Vorlage, die die Regierungsparteien eingebracht haben, schließt aber nun nicht nur die Lücken, die seinerzeit vom Bundesrat angesprochen worden waren, sie stellt darüber hinaus nach unserer Auffassung den Versuch dar, die Versicherungsrechte einseitig zu verschieben.
Das geschieht einmal - davon haben wir bereits das letzte Mal gesprochen, aber wir werden auch heute noch einmal kurz darüber reden müssen - dadurch, daß die Stimmen der Rentner denen der Versicherten zugeschlagen worden sind, so daß das Verhältnis der Stimmen der Arbeitgeber zu denen der beschäftigten Versicherten, die doch die Beiträge tragen, nicht mehr paritätisch, sondern eben zugunsten der Arbeitgeber, die eine geschlossene Gruppe darstellen, verschoben worden ist, so daß nunmehr ein Übergewicht der Arbeitgeber da ist.
({1})
Zum andern war bereits in dem Selbstverwaltungsgesetz von den Vereinigungen der Arbeitnehmer gesprochen worden. Wir haben uns schon damals gegen diese Einfügung gewandt. In der weiteren Behandlung dieser Frage und der Rechte dieser Arbeitnehmervereinigungen ist deutlich geworden, daß offensichtlich bestimmte Tendenzen damit verfolgt worden sind. Meine Damen und Herren, wem soll denn die Einführung dieser Vereinigungen eigentlich dienen, und wem dient sie in Wirklichkeit? Dienst sie nicht den radikalen Gruppen, an denen doch weder die Regierungsparteien noch die Opposition irgendein Interesse haben können? Liegen hier nicht, wie ein beklagenswertes Wort im Ausschuß ,vermuten ließ, sogar Tendenzen gegen die Gewerkschaften vor?
Wir hatten im Ausschuß eine Anregung von Herrn Abgeordneten Arndgen, die wenigstens gewisse Gruppen ausschalten wollte. Sie erlauben uns, daß wir in unserem Umdruck Nr. 579 in der Ziffer 3 dieser Anregung nachgehen, nachdem Sie die vollkommene Eliminierung der Arbeitnehmervereinigungen das letzte Mal abgelehnt haben. Wir haben nun eine Formulierung gewählt, die an das anklingt, was 'Herr Kollege Arndgen einmal im Ausschuß zu formulieren versucht hat, und die wenigstens eine gewisse Begrenzung hinsichtlich dieser Vereinigungen von Arbeitnehmern vornehmen will. Wir hoffen, daß wir in diesem Punkte mit Ihnen einig gehen können.
({2})
Daß wir dem Grunde nach diese Vereinigungen in dem Gesetz nicht haben möchten, das wissen Sie vom letzten Mal. Ich möchte aber noch einmal folgendes sagen. Diese Vereinigungen - und wir wissen ja, welche Sie im Grunde meinen -, die heute völlig unbehelligt sind, werden durch diese Einfügung in das Wahlverfahren, wie meine Freunde glauben, in das politische Rampenlicht gerückt, in ein Rampenlicht, wie weder Sie noch wir es wollen bzw. wollen sollten.
Wir beklagen diese Tendenzen, die sich in dem Gesetzentwurf zeigen, besonders wenn wir darin grundsätzliche Bestrebungen sehen müßten, in sozialpolitischen Angelegenheiten die Gewerkschaften nicht als die berufenen Vertreter der Arbeitnehmer anzusehen, sondern daneben Gruppen heranzuziehen, die ihrem Wesen nach unbestrittenermaßen nicht Gewerkschaften sind.
Das letzte Mal ist in diesem Zusammenhang von einem Monopol der Gewerkschaften und auch von der Koalitionsfreiheit gesprochen worden. Nun, ich möchte dieses Wort vom Monopol der Gewerkschaften gar nicht weiter vertiefen, obwohl ich glaube, daß man einiges dazu sagen 'könnte. Aber darin sollten 'wir doch einig sein, daß das Grundgesetz, wenn es von der Koalitionsfreiheit spricht, nur Vereinigungen von Arbeitnehmern mit gewerkschaftsähnlichem Charakter meint. Wir sollten also in die Wahlen bei der Selbstverwaltung nur solche Formationen einführen. Wir möchten, meine Damen und Herren auch von den Regierungsparteien, vor dieser gefährlichen Gratwanderung warnen, die hier - zu einer Aufspaltung der Arbeitnehmerschaft - vorgenommen zu werden scheint.
({3})
Nun zum dritten Punkt, nämlich der Förderung einer 'weiteren Aufsplitterung innerhalb des Sozialversicherungswesens! Wenn nur Lücken ausgefüllt werden sollten, dann brauchte diese jetzt eben genannte Tendenz zur Aufsplitterung nicht in irgendeiner Form in diesem Gesetzentwurf zum Zuge zu kommen. Denn hier setzen sich ohne Not nach unseren Auffassungen Sonderinteressen durch. Die Sozialdemokratie hätte ja bei dieser Gelegenheit ihre Auffassung zur Aufsplitterung der Versicherungsträger, d. h. ihre Gegnerschaft dazu in irgendeiner Form zum Ausdruck bringen können. Wir haben es nicht getan, weil uns daran lag, die Wahlen so schnell wie möglich durchzuführen. Aber die Bestimmungen, die jetzt in der Vorlage enthalten sind, über die Erleichterung z. B. der Errichtung von Innungskrankenkassen oder über den leidigen Fall von Bremerhaven, zeigen nur, daß man diese Gelegenheit einer gewissen Möglichkeit der Stimmenüberlegenheit jetzt benutzen wollte, um für diese Sonderinteressen einiges herauszuholen.
({4})
- Wenn man das wollte, dann hätte man wenigstens, Frau Kalinke, wie ich Ihnen das letzte Mal 'bereits sagte, demokratische Sicherungen treffen sollen. Warum wird z. B. bei der Errichtung von Innungskrankenkassen die Befragung der Gesamtarbeitnehmerschaft ausgeschaltet und nur noch der Gesellenausschuß eingeschaltet, und warum gibt man einer Mehrheit von Arbeitnehmern allein nicht die Möglichkeit, gegen die Neuerrichtung von Krankenkassen wie im Falle des Bremerhavener Gebiets zu stimmen und koppelt die Stimmen der Arbeitnehmer mit denen der Arbeitgeber zusammen, so daß sich die Arbeitgeber nur der Stimme ,zu enthalten brauchen, um damit die alten Kassen automatisch wieder aufleben zu lassen? Demokratie ist das nicht. Das ist auch nicht irgendeine Form, die etwa die Arbeitnehmer in erster Linie an der Errichtung von Kassen interessieren sollte.
({5})
Meine Damen und Herren, erlauben Sie, daß ich bei dieser Gelegenheit gleich einige unserer Anträge begründe, damit wir nicht allzu lange mit diesen Dingen zu tun haben. Ich möchte hier darauf hinweisen, daß wir in unserem Antrag Umdruck Nr. 579 eine in dem zweiten Umdruck Nr. 533 enthaltene Änderung vorgenommen haben. Wir möchten nämlich die Ziffer 5 des Umdrucks Nr. 579 zurückziehen und möchten dafür die Ziffer II a) des Umdrucks Nr. 583 berücksichtigt sehen. Es handelt sich hier urn die sogenannten Außenseiter, die in die Geschäftsführung hineinkommen sollen und hineinkommen können. 'Sie haben in der zweiten Lesung die Möglichkeit ausgeschaltet, daß die beamtenmäßigen Voraussetzungen innerhalb von 15 Monaten nachgeholt werden können. Wir möchten bitten, daß dieser Satz wieder eingefügt wird, und zum andern möchten wir, daß in dem darauffolgenden Satz, der jetzt in der Vorlage steht, ausdrücklich gesagt wird, daß .die 'Ableistung der vorgeschriebenen Prüfungen für diese sogenannten Außenseiter nicht erforderlich sein solle. Wir möchten bitten, die Entscheidung, ob solche Außenseiter die erforderliche Befähigung haben, nachdem Sie unseren letztmaligen Antrag abgelehnt haben, wenigstens nicht einer Behörde, sondern einem Ausschuß zu überantworten, der bei 'einer obersten Verwaltungsbehörde begründet werden und der paritätisch aus Gewerkschaften _und Arbeitgebern zusammengesetzt werden soll.
Dann zu den weiteren Anträgen auf den Umdrucken Nm. 579 und 583. Das letzte Mal ist eine
({6})
Änderung der Stimmbezirke herbeigeführt worden. Wir bitten noch einmal, sich zu überlegen und zu prüfen, ob nicht, wie es unserer Auffassung entspricht und auch - was neulich schon betont worden ist - der Auffassung der Arbeitgeber, die in ihrer Zeitschrift das gleiche Argument vorgebracht haben, die Stimmbezirke in größeren Betrieben über 50 Arbeitnehmer die Betriebe selber sein sollen. Wir haben dementsprechend in Ziffer 6 dieses Umdrucks unseren Antrag vom letzten Mal wiederholt.
Außerdem haben Sie aber die Wahl auf den Sonntag beschränkt bzw. auf den vorangehenden Samstag nachmittag, für die Betriebskrankenkassen auf den gesamten Samstag. Wir möchten den Antrag, den der Kollege Winkelheide seinerzeit im Ausschuß gestellt hatte, hier wieder aufnehmen, wonach die Wahlen am Sonntag und an einem vorangehenden oder nachfolgenden Werktag durchgeführt werden sollen. Wir sind eben der Auffassung, daß auch an einem Werktag soll gewählt werden können.
Endlich der Antrag, die Angelegenheit Bremerhaven wieder auf den Stand des Gesetzes von 1951 zurückzuführen.
Meine Damen und Herren, hätte die Vorlage der Regierungsparteien sich, wie der Bundesrat das vorgeschlagen hatte, strikt daran gehalten, lediglich die juristischen Lücken des Selbstverwaltungsgesetzes auszufüllen, dann wäre das Gesetz voraussichtlich längst unter Dach und Fach, die Wahl hätte eingeleitet, vielleicht sogar schon durchgegeführt werden können, und die Sozialdemokratie hätte voraussichtlich auch zustimmen können.
Meine Damen und Herren, wir bitten Sie herzlich, die Anträge, die wir vorgelegt haben, doch noch anzunehmen. Wenn das geschieht, dann würden wir der jetzigen Vorlage zustimmen können.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der CDU hatte eigentlich nicht die Absicht, in diese Grundsatzdebatte einzugreifen. Nachdem aber der Abgeordnete P r e 11 e r zum Teil grundsätzliche Ausführungen zu dem eigentlichen Gesetz vom Februar 1951 gemacht hat, ist es doch notwendig, darauf zu verweisen, daß die Fragen, die er anschnitt und. die sich mit der Besetzung der Gremien in der Krankenversicherung beschäftigten, mit diesem Änderungsgesetz zum Selbstverwaltungsgesetz gar nichts zu tun haben. Das ist im ursprünglichen Gesetz längst geregelt. Auch die Frage der Bremen-Klausel hat mit diesem Gesetz an sich nichts zu tun, weil auch diese Dinge in dem ursprünglichen Gesetz, das wir im vergangenen Jahr verabschiedet haben, grundsätzlich geregelt sind.
Dann hat Herr Kollege Preller beanstandet, daß wir außer den Gewerkschaften auch noch sonstige Arbeitnehmerorganisationen vorschlagsberechtigt wissen wollen. Wenn wir in der Sozialversicherung eine Wahl durchführen wollen, dann soll es nicht auf der Seite der Vorschlagsberechtigten ein - ich benutze das Wort, Herr Kollege Preller - Monopol geben. Nach unserer Auffassung soll es in der Sozialversicherung keine Berufungen in die Gremien geben, sondern die Vertreter sollen von den Versicherten gewählt werden, und zwar auch von denen, die nicht einer Gewerkschaftsbewegung angehören. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich gehöre seit dem Jahr 1912 der Gewerkschaftsbewegung an, bin aber der Meinung, wir würden der Gewerkschaftsbewegung einen schlechten Dienst erweisen, wenn wir ihr ein Vorschlag-Monopol für Wahlen in der Sozialversicherung geben würden. Es würden dann geistige Spannungen, die nun einmal ausgetragen werden müssen, die dem Fortschritt jeder Bewegung dienen, bei den Wahlen zur Sozialversicherung außer acht gelassen werden, und ich möchte nicht, daß unsere Gewerkschaftsbewegung lediglich ein Verwaltungsapparat wird; sie soll vielmehr ein- lebendiges Glied innerhalb unseres Wirtschafts- und Volkslebens bleiben.
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Weiter, meine sehr Verehrten, bin ich der Meinung, daß die Gewerkschaftsbewegung bei ihrer Große und bei den Mitgliederzahlen, die sie aufzuweisen in der Lage ist, beruhigt zusehen kann, wenn kleinere Gruppen versuchen, sich an den Wahlen zu beteiligen. Bei ihren Mitgliederzahlen wird sie auch auf demokratischem Wege in der Lage sein, radikaler Gruppen Herr zu werden.
Wir sind der +Meinung, daß das Gesetz in der Form angenommen werden sollte, wie es in der zweiten Lesung verabschiedet worden ist.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, Herr Kollege Arndgen, alle Versuche, durch Ihre Ausführungen über den wirklichen Charakter dieses Gesetzes den Schein eines Fortschritts zu legen, scheitern an der Tatsache, daß die Bestimmungen dieses Gesetzes selbst gegenüber dem bisherigen Zustand einen erheblichen Rückschritt bedeuten.
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Ich glaube, allein die Tatsache, daß Herr Kollege Arndgen sich mit aller Entschiedenheit dagegen gewehrt hat, in der Frage der Zusammensetzung der Organe der Sozialversicherung eine Änderung herbeizuführen, beweist bereits, daß die Regierungskoalition in dieser grundlegenden Frage eine wirklich demokratische Entwicklung zuzulassen gar nicht geneigt ist.
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Wir haben in der zweiten Lesung den Antrag eingebracht, Organe in der Krankenversicherung nach dem Gesichtspunkt: zwei Drittel Vertreter der Arbeitnehmer, der Versicherten, und ein Drittel Vertreter der Arbeitgeber, zusammenzusetzen. Dieser Antrag ist von Ihnen abgelehnt worden. Ich habe darauf hingewiesen, daß die Beiträge zur Sozialversicherung ausschließlich Beiträge sind, die von den Versicherten selbst geleistet werden,
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daß die Arbeitgeber keinerlei tatsächliches und auch kein formales Recht hätten, in diesen Organen überhaupt vertreten zu sein, weil ja auch die Arbeitgeberanteile nichts anderes als Lohnanteile sind, die dem Arbeitnehmer vorenthalten und entzogen werden. Daraus ergibt sich die logische
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Schlußfolgerung, daß die Zusammensetzung der Organe zum mindesten zu zwei Dritteln, wenn nicht noch mehr, ' aus Vertretern der Versicherten zu erfolgen hat. Diese Anträge, wie gesagt, haben Sie abgelehnt.
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Eine zweite Frage. In dem vorliegenden Gesetz und auch in den neuen Anträgen der Frau Kalinke wird noch einmal festgelegt, daß auch andere, neue Arbeitnehmervereinigungen ihre Vertreter in diese Organe zu schicken berechtigt seien.
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Das ist ein unerhörter Rückschritt deswegen, weil dadurch nicht allein eine Zersplitterung in die Organe und die Versicherten selbst hineingetragen wird, sondern weil die Erfahrung lehrt, daß dadurch jenen Gruppen und Elementen die Tür aufgemacht wird, die nicht im Interesse der Versicherten ihre Funktionen und ihre Tätigkeit in den Organen ausüben werden und wollen, sondern hinter denen andere Kreise stehen.
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Ich komme zu einer dritten Frage. Dieses ganze Gesetz zeigt so eindeutig die Tendenz, die Ersatzkassen und die Betriebskrankenkassen zu bevorzugen, daß man sich dagegen mit aller Entschiedenheit zur Wehr setzen muß. Das kommt nicht allein in den Wahlvorschriften und darin zum Ausdruck, daß die Wahlen in den Räumen solcher Versicherungsanstalten durchgeführt werden können, sondern auch darin, daß die Absicht, die Ersatzkassen und die Betriebskrankenkassen zu fördern, durch das Gesetz eine entscheidende Stärkung erfährt.
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Eine weitere Frage! Wir haben in der zweiten Lesung gefordert, daß die Syndici der Arbeitgeberverbände keinerlei Berechtigung haben sollten, in den Organen tätig zu werden. Unsere Forderung wurde nicht berücksichtigt. Das Faktum wird sein, daß die Syndici der Arbeitgeberverbände die Organe der Selbstverwaltung zu Tummelplätzen ihrer Politik mit dem Ziel der weiteren Aushöhlung dieser Organe machen, um das Gesetz bzw. die Selbstverwaltungsorgane überhaupt nicht im Sinne dèr Versicherten in vollem Umfange wirksam werden zu lassen.
Schließlich wenden wir uns gegen die Einbeziehung Berlins. Es haben hier, auch in anderem Zusammenhang, schon verschiedentliche Diskussionen darüber stattgefunden, wie von hier aus versucht wird, die Einheitsversicherung in Berlin zu zerschlagen. Mit diesem Gesetz soll dieser Prozeß weiter vorangetrieben werden. Auch das würde nur dem dienen, was insbesondere von seiten der CDU und der DP verlangt wird, nämlich die Zerschlagung der Einheitsversicherung in Berlin, der VAB.
Diese wenigen Tatsachen unterstreichen nur die von mir bereits getroffene Feststellung, daß mit diesem Gesetz nicht ein Fortschritt, sondern ein Rückschritt erstrebt wird. Wir sind nicht in der Lage, diesem Gesetz zuzustimmen; wir lehnen dieses Gesetz vielmehr ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Wir beschäftigen uns hier zwar nur mit dem Änderungsgesetz; aber die Grundlage bildet doch das
Selbstverwaltungsgesetz, das in diesem Hause schon seit 11/2 Jahren beraten wird. In diesen Beratungen ist auf allen Seiten stets der einmütige Wille zur Selbstverwaltung zum Ausdruck gekommen. Gleichzeitig hat sich jedoch gezeigt, daß, wenn viele Menschen dasselbe sagen, sie durchaus nicht dasselbe meinen. Aus dieser unterschiedlichen Auffassung ist nach meiner Meinung zum Teil die bedenkliche Verzögerung zu erklären, die die Durchführung dieses Gesetzes bisher erfahren hat. Wir sind uns heute noch nicht über die Bedeutung des Wortes Selbstverwaltung einig. Gerade die von uns und von der DP - für die ich in diesem Fait mit sprechen darf - gestellten Änderungsanträge haben letztlich den Zweck, die Grundbegriffe für dieses Gesetz noch einmal festzulegen. Wir haben uns bewußt von dem früheren Zustand, bei dem das Maß der finanziellen Beiträge auch das Maß der Mitbeteiligung bestimmen sollte, abgewandt und die Parität zur Grundlage in der Besetzung der Organe gemacht. Dabei ist dann kein Raum mehr für irgendeine differenzierte Verteilung der Sitze in den Organen, wie sie jetzt wieder in den Anträgen der SPD gefordert wird. Eine lebendige Selbstverwaltung kann sich nur in der gemein_ sauren Arbeit verantwortlicher Persönlichkeiten und in dem unmittelbaren Austausch von Argument und Gegenargument entfalten; nur so ist eine sachliche Meinungsbildung möglich. Soll Selbstverwaltung einen Sinn haben, so müssen die Selbstverwaltungsorgane den Kreis der Beteiligten am Sozialversicherungsträger widerspiegeln. Es müssen Menschen sein, die repräsentativ sind für die tragenden Kräfte der Sozialversicherung, für die Versicherten und für die Unternehmer. Kommen wir an dessen Stelle aber dazu, daß nur noch Exponenten von Gruppen die Selbtverwaltungsorgane besetzen, dann versinken wir in die unpersönliche Anonymität der Gruppenexponenten; das ist genau das Gegenteil dessen, was Selbstverwaltung bedeutet und beinhaltet.
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Ich warne deshalb dringend davor, an die Stelle der unmittelbar Beteiligten die Möglichkeit zu setzen, Beauftragte der Gruppen in die Selbstverwaltungsorgane zu schicken. Wir verbinden dadurch nicht die notwendigen Maßnahmen der Sozialversicherung mit dem Verständnis und dem Willen der an der Sozialversicherung unmittelbar Beteiligten, sondern wir schaffen ein neues Zwischenglied, eine Art Filter, das nur die Entfernung zwischen der Verwaltung und den Beteiligten vergrößert, anstatt sie zu verringern.
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- Ja, Ihre Phantasie geht wahrscheinlich in eine andere Richtung.
Die Gewähr, daß die Posten der Geschäftsführung durch wirklich fachkundige Personen besetzt werden, die auch das Vertrauen der b ei den Parteien besitzen, soll unser zweiter Antrag vergrößern.
Die maßgebenden Persönlichkeiten im Bundesrat haben diesmal intensiv an den Beratungen in unserem Ausschuß mitgearbeitet. Wir dürfen also das Vertrauen haben, daß keine weitere Verzögerung in der endgültigen Erledigung des Gesetzes durch den Bundesrat entsteht und daß das Gesetz nun in ganz kurzer Zeit wirklich in die Praxis umgesetzt werden kann.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Über das Gesetz zur Wiederherstellung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung ist in diesem Hause so viel Grundsätzliches gesagt worden, daß ich es mir ersparen möchte, noch einmal eine Grundsatzdebatte mit der Opposition zu führen.
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Allerdings möchte ich nicht verschweigen, daß es uns sehr seltsam anmutet, daß der Sprecher der Sozialdemokratischen Partei hinsichtlich der Verzögerungstaktik hier derartige Ausführungen gemacht hat, obwohl er sehr genau wußte - ich möchte nicht auf die Situation mit der Wahlordnung eingehen -, wie stark die Opposition im Bundesrat daran beteiligt war, daß dieses Gesetz nicht schon viel früher wirksam werden konnte.
({1})
Denn die Opposition im Bundesrat war nach meiner Auffassung schon damals, als die Vorbesprechungen im Bundesarbeitsministerium stattfanden, und bei den Beratungen des Gesetzes genau so über die Grundsatzprobleme informiert wie jetzt.
Aber nicht das soll der Anlaß sein, weshalb ich noch ein Wort zur Opposition sagen möchte. Ich finde es immer ein wenig peinlich, wenn von_ den Kräften, die zu verschiedenen Zeiten in der jüngsten Vergangenheit der deutschen Geschichte so unterschiedliche Auffassungen über die Demokratie gehabt haben, nun so große Worte von demokratischen Formen gefunden werden! Besonders peinlich, wenn es um die Selbstverwaltung und die Zulassung derjenigen geht, die man in der Demokratie als „Minderheiten" zu bezeichnen pflegt.
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Ich glaube, wir sind in diesem Hause alle einig darüber, daß das Recht der Minderheit zu achten eine der vornehmsten Tugenden der Demokratie sein sollte.
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Anlaß der weiteren Auseinandersetzung war wieder einmal die Frage der sogenannten Zersplitterung der Sozialversicherungsträger, auf die ich hier auch nicht eingehen möchte. Ich möchte nur ausdrücklich feststellen: das, was im Selbstverwaltungsgesetz hinsichtlich Bremerhaven bei der zweiten Lesung von uns so ausführlich diskutiert worden ist, sollte doch auch Sie darüber belehrt haben, daß es damals nicht um demokratische Maßnahmen ging, noch nicht einmal um Fragen der Sicherung eines Sozialversicherungsträgers oder der Notwendigkeit der Auflösung oder Errichtung neuer Versicherungsträger, sondern um ganz undemokratische Terrormaßnahmen im Zeichen der Besatzungspolitik, deren wir uns eigentlich schämen sollten.
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Mit diesem Gesetz wollen wir nichts anderes tun, als das wiedergutmachen, was in dunklen Tagen der deutschen Geschichte und in der Nachkriegszeit geschehen ist. Es würde auch der Opposition gut anstehen, wenn sie das, was in Bremerhaven in ihrem Namen mit Hilfe der Militärregierung geschehen ist, und das, was in Berlin auch im Namen ihrer Freunde mit Hilfe einer anderen Besatzungsmacht geschah, nicht hier unter demokratischen Vorzeichen verteidigen würde.
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Es ist immer ein wenig peinlich, zu hören, wie sehr gefährdet die Demokratie ist, wenn bei der Selbstverwaltung Vereinigungen von Arbeitnehmern eine Rolle spielen könnten, die vielleicht - und man erhebt da den drohenden Finger - den Staat und die Sozialversicherung gefährden könnten. Ich habe es bei den Debatten um die Gewerkschaftsprobleme und um den Brief des Herrn Fette an den Herrn Bundeskanzler schon sehr deutlich ausgedrückt, was wir darunter verstehen. Aber, meine Herren und Damen hier im Deutschen Bundestag, wenn Sie wissen, daß in Berlin die Angestellten der Angestelltenversicherungsanstalt von einem kommunistischen Bürgermeister und kommunistischen Funktionären 1945 bedroht wurden und daß sie von einem Abgeordneten der -SPD, der uns hier vor den Gefahren warnt, die vom FDGB drohen, herangeholt wurden, dann ist es besonders bedauerlich und für uns peinlich, daß wir uns mit diesen Dingen hier immer wieder auseinandersetzen müssen.
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Wir wollen keine platonischen Beteuerungen der Demokratie, sondern wir wollen, daß wir sie gemeinsam hier dem deutschen Volke vorleben.
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- Schreien Sie doch nicht so! Sie haben ja hier auch das Wort gehabt. - ({8})
Fühlen Sie sich so schrecklich im Unrecht? Ich hoffe, daß in Ihren Reihen sehr viele Demokraten sein werden, die sich dieses Tatbestandes schämen und die mit uns dafür sorgen werden, daß wir das Recht wiederherstellen; denn uns geht es nur um i das rechtsstaatliche Denken, in dem man nicht mit Mitteln, wie sie mit Hilfe der Besatzungspolitik in den Jahren 1945 bis 1946 gehandhabt wurden und die von Ihnen noch heute verteidigt werden, Auffassungen durchzusetzen pflegt.
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Wir haben heute nochmals einen Antrag gestellt, den wir bereits in der zweiten Lesung in der Koalition gestellt haben und den ich im Namen der Fraktion der Freien Demokratischen Partei und der Deutschen Partei zu begründen die Ehre habe. Wir haben den Wunsch, daß das Selbstverwaltungsgesetz und die Novelle zum Selbstverwaltungsgesetz wie jedes andere Gesetz, das von diesem Hause beschlossen wird, auch die Berlin-Klausel enthält. Wir haben den Wunsch, daß dieses Gesetz sowie das Selbstverwaltungsgesetz auch im Lande Berlin angewandt wird.
Wir fühlen uns damit sogar in Übereinstimmung mit der Mehrheit der Sozialdemokratischen Partei in Berlin
({10})
und mit allen guten Demokraten, nicht nur in diesem Hause, die wünschen, daß auch in Berlin das Recht der Bundesrepublik gilt. Für diejenigen von Ihnen in der SPD, denen das lächerlich erscheint, werde ich die eigenen Entschließungen Ihres Landesvorstands mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen. Wie Sie selber wissen, ist in Berlin auf Ihrem Landesparteitag beschlossen worden - ich entnehme es dem „Telegraph"; diese Zeitung ist ja wohl unverdächtig, nicht sozialdemokratisch zu sein -, „die SPD sehe in der Eingliederung Berlins in das Gesetzgebungs- und Finanzsystem des Bun9742 Deutscher Dundestag - 220. Sitzung. Donn, Donnerstag, den 26. Juni 1952
({11})
des den einzig möglichen Weg zur politischen, wirtschaftlichen und sozialen Sicherung Berlins". So
heißt es in der Entschließung Ihrer eigenen Partei.
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- Und in Berlin, meine Herren und Damen? Ich spreche jetzt wiederum mit einer Zeitungsstimme die Meinung der Berliner aus; gestatten Sie, Herr Präsident, daß ich zitiere. Ich spreche jetzt mit den Stimmen, die sich in Berlin nicht nur in der Diskussion zu Zeiten der Wahlkämpfe damit beschäftigen, sondern die seit 1945 nicht aufgehört haben, sich damit zu beschäftigen, „daß diese im Berliner Abgeordnetenhaus so oft gegebene Erklärung, daß Berlin wahrhaft ein Land des Bundes sein will und daß alle Gesetze des Bundes auch wirklich in Berlin gelten sollen, doch eine Deklaration ist, an der man zweifeln muß und von der man manchmal meint, daß die Hintertüren, die man in Sondergesetzen zu öffnen wünscht, dann die Versuche einer wahren Angleichung zur Farce machen würden". In Berlin kann man darüber einiges mehr hören als hier, und wenn es auch Berliner Vertreter gibt, die glauben, daß wir im Bund diese Dinge nicht so gründlich kennen und verfolgen, so mögen sie auch aus diesen Zeitungen hören, daß das, was in Berlin im Hinblick auf das Überleitungsgesetz für die Renten- und Unfallzulagen diskutiert worden ist, daß das, was in Berlin damals in bezug auf die Angleichung der Rentengesetze bereits zum 1. April dieses Jahres beschlossen worden ist, bis heute trotz aller Beteuerungen nicht in Kraft getreten ist.
Ich habe in einer Berliner Zeitung, die, glaube ich, der CDU nahesteht, im „Tagesspiegel"
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vor nicht langer Zeit einen Aufsatz darüber gelesen, daß dem Ausschuß für Arbeit des Abgeordnetenhauses nun ein Überleitungsgesetz vorliege,
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in dem ganz eindeutig erkennbar sei, daß man in dem Teil, der die Krankenversicherung in Berlin angehe, sehr zweifelhafte Äußerungen abgegeben habe, die uns fragen lassen, ob es denn mit der Angleichung der VAB wirklich ernst sei?
Was die Selbstverwaltung in Berlin angeht - und wegen der Selbstverwaltung haben wir den Antrag gestellt -, so ist das, was dort beabsichtigt ist, wohl etwas seltsam, wenn man sich die Ausführungen der Vertreter der Sozialdemokratischen Partei noch einmal vor Ohren führt, nämlich, daß dort ein Vorstand, der nach dem in Berlin zu schaffenden Gesetz zu bestellen sein soll, in der Lage sein wird, die bisherige Satzung zu ändern oder eine neue aufzustellen. Es erscheint auch seltsam, daß dort nicht einmal die Gewerkschaften schlechthin, für die Sie so warme und anerkennende Worte gefunden haben, sondern nur die eine Gewerkschaft, nämlich das Monopol, das wir nicht meinen, die Möglichkeit haben soll, das Vorschlagsrecht auszuüben. Die Besorgnis, daß in Berlin Schwierigkeiten entstehen könnten, weil der FDGB daraus Ansprüche ableiten könne, ist ganz unbegründet. Ich meine, daß der FDGB keine unabhängige Gewerkschaft, ja überhaupt keine Gewerkschaft ist, und daß es Ihnen sehr leicht sein sollte, das in Berlin zu beweisen.
Im übrigen wiederhole ich, was ich hier bei anderen Gelegenheiten gesagt habe. Die Berliner, die so beispielhaft bewiesen haben, daß sie wissen, was Freiheit ist, werden auch wissen, was die Gefahren bedeuten, die vom Osten her kommen. - Sicherlich besser, als manche hier im Bundesgebiet!
Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist abgelaufen!
Ich bitte, mir noch fünf Minuten zu geben, da ich auch den Antrag der FDP mitbegründe.
Das ist mir nicht bekannt.
Ich begründe den Antrag für die FDP und für die DP.
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Ich bitte, Herr Präsident, zur Begründung des Antrags noch folgendes hinzufügen zu dürfen. Es dient auch nicht der Verständigung in der Offentlichkeit, wenn der Herr Professor Schellenberg, der Schöpfer der VAB, in Versammlungen jetzt schon erklärt hat, „es bleibe alles beim alten", und hier im Bundestag könnten wir ruhig Gesetze machen, „der Laden bekommt einen anderen Namen", „mögen die Bonner Gesetze machen, wie sie wollen, uns wird das nicht beeindrucken".
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Es dient auch nicht der Verständigung, wenn in Zeitungen zu lesen ist, daß ein Koalitionskrise in Berlin dann entstehe, wenn in Berlin die Krankenversicherung angepaßt werde. Und es dient nicht der Verständigung, wenn eine Berliner SPD- Zeitung schreibt, daß dann durch die Anpassung der Krankenversicherung die Renten in Berlin gesenkt würden. Es ist auch nicht gut, daß der Arbeitsminister gemeinsam mit dem Senat der Stadt Berlin Vereinbarungen getroffen hat, und daß er das Parlament dazu zwingen möchte, diese Vereinbarungen zu legalisieren, die doch nur Anlaß zu verantwortlichen Entscheidungen der Abgeordneten dieses Hauses sein können.
Zum Schluß möchte ich - wegen der Zeit, die mir nicht mehr zur Verfügung steht - nur noch auf eins hinweisen. Der Bürgermeister Berlins, Herr Reuter, hat in der Rundfunkansprache über den RIAS erklärt, „wir würden unsere Pflicht, die wir gegenüber der Bevölkerung Berlins haben und die wir gegenüber der Sowjetzone übernommen haben, verletzen, wenn wir die Flinte ins Korn werfen würden. Ich bin fest entschlossen, das nicht zu tun. Für Berlin gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder es bleibt eine kleine isolierte Insel, die allmählich verkümmert und in das sowjetische Paradies hineingleitet, oder es fügt sich in das große Gefüge der Bundesrepublik ein". Ich glaube, daß der große drohende Finger mit der Koalitionskrise wieder einmal jenes Manöver eingeleitet hat, das schon so oft eingeleitet worden ist, wenn man um kleinerer Probleme der Berliner Sozialversicherungsanstalt willen in der außenpolitischen Situation die Sicherheit Berlins oder gar des deutschen Bundesgebiets
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beschwört. Ich glaube, Herr Reuter wird zu seinem Wort stehen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die verantwortlichen Kräfte im Berliner Stadtparlament in dieser gefährdeten Stadt etwa die Ent(Frau Kalinke
scheidung in der Koalitionsfrage davon abhängig machen werden, ob die Berliner Ortskrankenkasse die eine oder die andere Gestalt hat oder ob sie nicht doch in voller Verantwortung prüfen wollen, ob es nicht besser ist, daß den Berlinern in ihrer sozialpolitisch so gefährdeten Situation der Lastenausgleich und die Hilfe des gesamte n Bundesgebiets zur Verfügung steht.
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Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem vorher Herr Arndgen zu den Ausführungen von Herrn Professor Preller Stellung genommen hat, halte ich es für überflüssig, noch einmal ähnliches zu sagen, wie es Herr Arndgen hier vorgetragen hat. Aber Frau Kalinke hat eben gesagt, es sei nicht Aufgabe des Bundesarbeitsministers, in Dinge einzugreifen, die an und für sich durch dieses Hohe Haus zu erledigen seien.
_ Die Frage der Sozialpolitik und ihrer Entwicklung in der Nachkriegszeit hat leider Gottes durch die unterschiedlichen Verhältnisse im Gebiet der heutigen Bundesrepublik und in Berlin unterschiedliche Regelungen gefunden. Immer war es das Bestreben der Bundesregierung und vor allen Dingen meines Ministeriums, dahin zu wirken, daß Berlin auch auf allen Gebieten der Sozialversicherung so behandelt werden soll, als wenn es 12. Land der Bundesrepublik wäre. Wir haben uns deshalb sowohl in diesem Hohen Hause als auch in Berlin mit den Senatsmitgliedern des öfteren über diese Fragen unterhalten. Gott sei Dank ist es gelungen, in völliger Übereinstimmung zwischen dem Berliner Senat und meinem Ministerium bzw. der Bundesregierung einheitliche Auffassungen darüber zustandezubringen, daß auf dem Gebiet der Unfall- und der Rentenversicherung in Berlin nicht nur gleiches Recht, sondern auch gleiche Versicherungsträger geschaffen werden konnten. Das war notwendig, weil die Berliner Versicherten nicht die unbedingte Gewißheit hatten, die Leistungen, die auch ihnen versprochen worden waren. in der Zukunft zu erhalten. Diese Dinge sind zwischen der Bundesregierung und dem Senat in Berlin gemeinsam vereinbart worden.
Unterschiedliche Auffassungen haben sich noch auf dem Gebiet der Krankenversicherung ergeben. Hier haben wir uns - der staatsrechtlichen Sonderstellung Berlins Rechnung tragend - nicht in die Berliner Angelegenheiten eingemischt. Bei den beiden anderen Versicherungsarten haben wir zwischen der Bundesrepublik und den Berliner Versicherungsträgern eine Leistungsgemeinschaft herbeigeführt und deshalb gleiches Recht und gleiche Verhältnisse geschaffen. Bei den letzten Besprechungen mit dem Berliner Senat, die in meinem Ministerium stattgefunden haben, sind wir uns darüber einig geworden, daß, soweit die Rentenversicherungen in Frage kommen, die völlige Angleichung an die Bundesrepublik vorgenommen wird. Weil wir aber auf dem Gebiet der Krankenversicherung keinen Lastenausgleich zwischen den Versicherungsträgern der Bundesrepublik und Berlin haben, glaubten wir, die Entwicklung in Berlin vor allem in der heutigen Zeit den Berlinern selbst überlassen zu sollen. So ist die Situation und nicht anders.
Ich bin deshalb der Meinung, daß man in das heute zu verabschiedende Gesetz eine Berlin-Klausel nicht einfügen soll, weil für die beiden Versicherungssparten, die Unfallversicherung und die Rentenversicherung, durch die vorliegenden, bereits verabschiedeten Gesetze die völlige Rechtsgleichheit gesichert ist.
Ich bin der Überzeugung, daß es in der nächsten Zukunft notwendig und möglich wird, in freien Verhandlungen mit den in Berlin zuständigen Stellen auf dem Gebiete der Krankenversicherung eine Ordnung zu schaffen, die auch in Berlin den Versicherten die Sicherung ihrer Rechtsansprüche sicherstellt. Das soll aber auf keinen Fall geschehen, ohne daß in der Bundesrepublik und im Land Berlin eine einheitliche Meinung herbeigeführt wird; denn es darf meines Erachtens in der heute so schwer geprüften Stadt Berlin nicht die Meinung aufkommen, daß wir von der Bundesrepublik aus den Berlinern auf irgendeinem Gebiet Gewalt antun wollten.
({0})
Die Entwicklung ist im Gange, und sie wird ihren natürlichen Auschluß finden, und man sollte nicht durch übereilte Maßnahmen in Berlin die Überzeugung entstehen lassen, daß man von der Bundesrepublik aus den Berlinern etwas aufzwingen wollte, was sie selber nicht wollen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Arndgen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem Frau Abgeordnete Kalinke erneut den Antrag eingebracht hat, eine Berlin-Klausel in das Selbstverwaltungsgesetz einzufügen, und diesen Antrag begründet hat, bin ich beauftragt, von unserer Fraktion aus zu diesem Antrag folgendes zu erklären.
Meine Freunde und ich sind grundsätzlich der Auffassung, daß die Sozialversicherung in Berlin in der gleichen Weise wie im Bundesgebiet Geltung bekommen muß, doch sind wir der Meinung, daß es bei dieser Angleichung auf das Tempo ankommt, damit bei der Umgestaltung des Berliner Sozialversicherungsrechts nicht politisches, nicht wirtschaftliches und auch nicht soziales Porzellan kaputtgeschlagen wird.
Dem Abgeordnetenhaus in Berlin liegt zur Zeit ein Gesetzentwurf vor, der nach § 5 des Rentenzulagengesetzes mit der Bundesregierung abgestimmt worden ist.
({0})
Nach diesem Gesetz wird, nachdem durch das
Pentenzulagengesetz in der Unfallversicherung das
Unfallversicherungsrecht in Berlin schon an das
Bundesrecht angeglichen ist, nunmehr durch dieses
neue Berliner Gesetz ein eigener Träger für die
Rentenversicherung eingerichtet, eine Landesversicherungsanstalt, der auch die Verwaltung der Angestelltenversicherung wie im Bundesgebiet treuhänderisch übertragen wird. Weiter sieht dieses
Berliner Gesetz einen eigenen Träger für die Krankenversicherung vor. Damit ist schon eine weitgehende Angleichung an das Sozialversicherungsrecht
des Bundesgebiets nunmehr auch in Berlin gewährleistet. Es ist nicht abzustreiten, daß diese Neu({1})
erung auf dem Gebiet der Sozialversicherung zunächst einmal in die Berliner Bevölkerung eindringen und die Berliner Bevölkerung sich an diese Neuerung gewöhnen muß.
Nach Verabschiedung des Berliner Gesetzes bleiben gegenüber dem Bundesrecht in der Sozialversicherung noch folgende andere Regelungen in Berlin übrig. Es ist dort zunächst einmal verwehrt, Sonderkassen in der Krankenversicherung einzurichten. Weiter bleibt übrig die Nichteinführung der Selbstverwaltung nach dem Muster, wie wir es hier im westdeutschen Bund heute einrichten wollen.
({2})
Bei den übriggebliebenen Angleichungen wird nun abzuwägen sein, zu welchem Zeitpunkt sie ohne größere Schwierigkeiten - die in mannigfacher Art auftreten können und, wenn die Angleichung im gegenwärtigen Zeitpunkt durchgeführt würde, auch bestimmt eintreten werden - vorgenommen werden können. Es muß daher zu gegebener Zeit und im richtigen Moment das durchgeführt werden, was in der heutigen Zeit, im jetzigen Moment eben zu großen Schwierigkeiten führen könnte.
Soweit die Zulassung von Sonderkassen in der Krankenversicherung in Berlin diskutiert wird, darf unter keinen Umständen die wirtschaftliche, die soziologische wie auch die arbeitsmarktpolitische Lage in Berlin außer acht gelassen werden. Ich war in der vergangenen Woche in Berlin.
({3})
- Ich weiß nicht, wer schon öfter dort war, Frau Kollegin Kalinke.
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Bei dieser meiner Anwesenheit habe ich feststellen müssen, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse in Berlin noch weit von dem entfernt sind, was im Bundesgebiet schon Tatsache ist. Es sind mir in Berlin Zahlen vorgelegt worden, die nicht ohne weiteres beiseite geschoben werden können. Es wurde mir beispielsweise mitgeteilt, daß in Berlin bei rund 900 000 Beschäftigten 300 000 Arbeitslose vorhanden sind, daß den Versicherten in Berlin, deren Zahl ungefähr 700 000 beträgt, fast 400 000 Rentner gegenüberstehen. Wenn bei einer solchen Situation ein Krankenversicherungsträger auseinandergerissen wird, dann könnte sich dieses Auseinanderreißen im jetzigen Moment zu einer Leistungsunfähigkeit dieses Sozialversicherungsträgers auswirken. Es müßte, wenn wir den Versicherten in Berlin dienen wollen, die Umorganisierung der Krankenversicherung hinausgeschoben werden bis zu einem Zeitpunkt, in dem sich auch in Berlin die Verhältnisse konsolidiert haben.
Noch ein Wort zur Selbstverwaltung in Berlin. Ich habe davon gesprochen, daß in Berlin ein Gesetz zur Angleichung der Sozialversicherung in Vorbereitung ist. Wenn wir nun heute einer BerlinKlausel in dem Sinne zustimmen würden, wie sie Frau Abgeordnete Kalinke begründet hat, dann würde ein Gesetz in Berlin zu einem Zeitpunkt schon wieder illusorisch werden, in dem die Tinte der Unterschrift noch nicht trocken geworden ist. Eine solche Tatsache würde in Berlin zu politischen Schwierigkeiten führen; die wir auch als Bundestagsabgeordnete hier nicht verantworten können. Wir sind hier im Bund, auch dann, wenn heute eine Berlin-Klausel nicht in das Gesetz eingefügt wird, zu jedem Zeitpunkt in der Lage, und zwar nach § 5 des Rentenzulagegesetzes wie auch nach dem § 13 - glaube ich, ist es - des Dritten Überleitungsgesetzes, hier ein Gesetz zu verabschieden, das auch bezüglich der Selbstverwaltung in Berlin die gleichen Bestimmungen einführt, wie wir sie im Bundesgebiet haben. Weil die Dinge so liegen, sind wir in der Mehrheit der CDU der Meinung, daß man bei der Verabschiedung des Gesetzes, das heute zur Debatte steht, von einer Berlin-Klausel absehen sollte.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Schroeder.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich hatte die Absicht, erst zum Art. III des Gesetzes zu sprechen. Nachdem nun aber die Begründung des Änderungsantrags Umdruck Nr. 587 der Fraktionen der DP und FDP, der zum Art. III gestellt worden ist, jetzt bereits erfolgt ist und auch der Herr Arbeitsminister dazu Stellung genommen hat, hoffe ich, daß der Herr Präsident mir gestattet, die Redezeit, die ich sonst zu Art. III erbeten hätte, jetzt bereits in Anspruch zu nehmen, um die Debatte nicht unnötig auseinanderzureißen.
Das ist nicht notwendig, Frau Abgeordnete. Inzwischen ist durch die Regierungserklärung ein Viertel Redezeit für die allgemeine Aussprache hinzugewachsen.
({0})
Meine Herren und Damen! Ich habe mich sehr gefreut und bin dem Herrn Arbeitsminister für die Ausführungen, die er hier gemacht hat, sehr dankbar. Ich freue mich auch, daß der Herr Kollege Arndgen, ganz besonders nachdem er die Verhältnisse in Berlin in der vorigen Woche - wie er sagte -- studiert hat, zu der Überzeugung gekommen ist, daß wir Berlin in diesem Augenblick nicht einfach zwingen können, nun auch vor allen Dingen in der Krankenversicherung die Bestimmungen des hier zu beschließenden Gesetzes anzunehmen.
Ich möchte auch auf das etwas sonderbare politische Niveau der Rednerin der Deutschen Partei nicht weiter eingehen.
({0})
Ich möchte nur zwei Bemerkungen machen. Frau Abgeordnete Kalinke hat gemeint, der Regierende Bürgermeister von Berlin würde verantwortungsbewußt genug sein, um nicht wegen kleiner Probleme etwa jetzt seine Aufgabe in Berlin zu verlassen. Ich möchte doch daran erinnern, daß in der großen Berlin-Debatte, die wir hier wegen der Schwierigkeiten gehabt haben, die durch die Sowjetmaßnahmen erneut über Berlin gekommen sind, ausgerechnet dieselbe Rednerin - ein kleines, ihr am Herzen liegendes Problem, nämlich das Problem der Angestelltenversicherung, angesprochen hat.
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Ich freue mich, daß in diesem Hause nicht einmal die 30 Stimmen zu erreichen waren, um überhaupt den Antrag zur Abstimmung zu bringen.
({2})
({3})
Eine zweite Bemerkung. Es ist hier der Beschluß unseres Berliner Parteitages angeführt worden. Ich glaube, es ist für uns alle nichts Neues, daß Berlin selbstverständlich dem Bund angeschlossen werden und zum Bunde gehören will. Ich darf daran erinnern, daß wir alle, die wir in Berlin in irgendeiner Form führend dastehen, seit Jahren um die Eingliederung in den Bund ringen und darum, als gleichberechtigt zum Bund zu gehören. Aber der Herr Arbeitsminister hat schon darauf hingewiesen - Herr Kollege Arndgen hat es bestätigt -, daß die staatspolitische Stellung Berlins infolge des politischen Kampfes, den wir seit Jahren führen, eine andere ist als die des Bundes. Ich darf das; was Herr Kollege Arndgen, wie er sagte, in der vorigen Woche in Berlin erfahren hat, nur bekräftigen. Er hat auf die Zahl der Arbeitslosen und der Rentenbezieher verwiesen. Ich weise auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten hin, die durch die Spaltung Berlins, den Kampf, in dem wir mittendrin stehen, über uns gebracht worden sind und täglich erneut gebracht werden; Sie brauchen nur die heutige Presse anzusehen. Ich führe die Überalterung Berlins an, die dadurch eingetreten ist, daß die arbeits- und leistungsfähigen Männer Berlin zum Teil verlassen haben oder infolge der sowjetzonalen Bedrängnisse nicht nach Berlin zurückgekommen sind. Der Frauenüberschuß ist sehr gewaltig, er ist größer als in irgendeinem andern Teile Deutschlands. Das alles hat es mit sich gebracht, daß heute rund eine Million Menschen als Renten- und Unterstützungsbezieher in dieser gespaltenen Stadt leben.
Ich darf dann noch darauf hinweisen, daß die gesundheitlichen Folgen der Blockade und des ganzen schweren Kampfes und der ständigen Gefährdung der Berliner Menschen ganz selbstverständlich außerordentlich schlimm sind. Dann können Sie sich vorstellen, - das möchte ich noch sagen -, daß all diese Menschen durch eine gespaltene Krankenversicherung nicht so versorgt werden können, wie es notwendig ist. Die Folge wäre geradezu, daß diese Menschen dann aufs schlimmste litten, weil eben der leistungsfähigere Teil zu den Ersatzkassen hinüberflüchten würde.
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Ich erinnere daran, daß es doch der Gedanke der Sozialversicherung ist, die Risiken der Schlechter-gestellten mit denen der Bessergestellten auszugleichen.
({5})
Das ist der Grund gewesen, weshalb in der langen Besprechung zwischen der Bundesregierung und dem Berliner Senat, bei der die Berliner Vorsitzenden der CDU und der FDP anwesend waren, die gemeinsame Entschließung zustande gekommen ist, an dieser Berliner Krankenversicherung vorläufig nicht zu rütteln. Das Rentenüberleitungsgesetz, das in Berlin beschlossen werden wird, ist nur zurückgestellt worden, weil in der vorigen Woche plötzlich dieser Antrag aufgetaucht ist.
Meine Herren und Damen, es ist hier einiges zitiert worden. Ich bitte deshalb den Herrn Präsidenten, doch auch ein Wort unseres Regierenden Bürgermeisters zitieren zu dürfen, das er in seiner Regierungserklärung vom April dieses Jahres gebraucht hat, und zwar aus der wirklichen Zeitung der CDU in Berlin; das ist ja nicht der „Tagesspiegel", sondern der „Tag".
({6})
Darin hat der Bürgermeister gesagt: „Eine Änderung dieser besonderen Berliner Regelung wird möglich sein, wenn die allgemeine wirtschaftliche Lage Berlins sich so weit gehoben hat, daß Berlin mit seinen Produktionszahlen, seinen Beschäftigungsziffern und seiner Arbeitslosigkeit das Niveau des Bundesgebiets erreicht hat."
Meine Herren und Damen, Sie haben sich - und wir sind Ihnen dafür dankbar gewesen - fast einmütig für die Hilfe für Berlin erklärt, damit die Schwierigkeiten überwunden werden und diese wirtschaftliche Angleichung erfolgt. Ich darf Sie nur bitten, wenn infolge immer erneuter uns auferlegter Schwierigkeiten leider das Gegenteil dieser wirtschaftlichen Angleichung und Überwindung der Schwierigkeiten festzustellen ist, uns dann nicht noch neue politische Schwierigkeiten durch einen Antrag, wie er hier eingebracht ist, zu machen. Ich hoffe aufrichtig, daß Sie uns Ihre Hilfe in praktischer Weise durch Ablehnung dieses Antrags gewähren.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammer.
Meine Damen und Herren! Der Herr Arbeitsminister hat hier soeben ausgeführt, daß er sich die Gedankengänge, die uns zum Einreichen des Antrages zu Art. III veranlaßt haben, nicht zu eigen machen könne, und der Herr Abgeordnete Ar n d g en hat für einen Teil seiner Fraktion begründet, warum die Unterschrift der Fraktion der CDU nicht mehr unter jenem Antrag steht, den wir Ihnen vor 8 Tagen g e m e i n s am eingereicht hatten. Der Herr Kollege Arndgen hat gesagt, man solle sich hüten, soziales Porzellan zu zerschlagen. Das hieß natürlich: wir, die Anhänger der Berlin-Klausel, würden soziales Porzellan zerschlagen.
Die sehr verehrliche Frau Kollegin Reuter - ({0})
- Habe ich mich versprochen? Entschuldigen Sie. Die verehrte Frau Kollegin Schroeder hat eben das Bild des Ringkampfes in die Diskussion hineingebracht. Ja, ich glaube, es ist kaum ein Geheimnis geblieben, daß in den letzten Tagen innerhalb der Fraktionen um dieses Problem der Berlin-Klausel gerungen worden ist, wie Jakob mit dem Engel des Herrn gerungen hat,
({1})
aber es ist keiner zu Boden gegangen.
Gestatten Sie mir, zu begründen, warum wir glaubten, so verfahren und Ihnen diese Berlin-Klausel vorlegen zu sollen. Zwei Gedanken sind es, um die sich in den letzten Tagen alles bewegt hat. Das, eine ist der Gedanke: schädigt man mit einer solchen Regelung den Berliner Versicherten der Krankenversicherung? Der andere: die politischen Konsequenzen des Gesetzes. Herr Kollege Arndgen hat hier einen Teil der Dinge dargestellt, und Frau Kollegin Schroeder hat die Situation Berlins ergänzt: 900.000 Beschäftigte, 300 000 Erwerbslose, 400 000 Rentner. Da bedeute die Aufgliederung der noch bestehenden Einheitskrankenkasse - das ist ja noch der Rest der VAB - eine so außerordentliche Verlagerung der Risiken, daß die dabei entstandenen Ortskrankenkassen nicht lebensfähig seien. Man darf zunächst nicht das Argument der 400 000 Rentenversicherten mit hineinbringen. Hier haben die Ortskrankenkassen
({2})
nur Auftragsleistungen auszuführen. Aber auch das Übrige gibt Grund, zu diskutieren.
Die Aufgliederung der Einheitskrankenkasse in verschiedene Krankenkassen wird einige Probleme mit sich bringen. Aber da bestehen Sicherungen. Mindestens für die Neuerrichtung der Betriebskrankenkassen gilt der § 248 der Reichsversicherungsordnung, verehrte Frau Kollegin Schroeder. In § 248 steht:
Eine Betriebskrankenkasse darf nur errichtet werden, wenn sie
erstens den Bestand oder die Leistungsfähigkeit vorhandener allgemeiner Ortskrankenkassen und Landkrankenkassen nicht gefährdet.
Also hinsichtlich der Neugründung ist hier eine Sicherung vorhanden.
Was die Ersatzkassen angeht, so ist es durchaus bestritten, daß die Ersatzkrankenkassen eine besonders günstige Auslese von Risiken darstellten. Meiner Ansicht nach ist es eine primitive Methode, unter schlechtem Risiko die Versicherung von Arbeitnehmern mit geringem Einkommen und unter gutem Risiko die von Arbeitnehmern mit höherem Einkommen zu verstehen. Letzten Endes kommt es auf die Ansprüche der Versicherten an. Es ist eine bekannte Tatsache: die einen essen gerne Eis, die anderen werden gerne krank. Es dürfte Ihnen allen bekannt sein-und jeder Arzt wird es Ihnen bestätigen -, daß die Besucher der ärztlichen Sprechstunde, soweit sie Kinder sind, die Kinder aus Ein- und Zweikindehen sind, aber nicht die Kinder aus Fünf- und Sechskindehen.
Aber ist das das entscheidende Problem in Berlin? Ist diese VAB nicht längst tot? Der Teil Krankenversicherung wird bis zu dem Tage existieren, an dem eine Trennung zwischen ihr und der Renten- und Unfallversicherung stattgefunden hat. Denn die etwa 9 °/o an Beiträgen, die für die Krankenhilfe seither verwendet worden sind, werden dann nicht mehr fließen. Dann fließen nur 6 oder 7 % in die Kassen. An diesem Tage ist der wirtschaftliche Ruin da. Das kündigt sich schon an. Haben Sie übersehen, daß in Berlin die VAB bereits nicht mehr in der Lage ist, ihre Verpflichtungen gegenüber ihren Lieferanten zu erfüllen, die Verpflichtungen gegenüber den Heilberufen? Haben Sie nichts davon gehört, daß dort Demonstrationen drohen? Mit dem Tage, mit dem die VAB gedrittelt sein wird, wird auch die Krankenversicherung in Berlin bereits begraben sein. Und wenn nun wirklich dieses ausgebrannte Haus demontiert werden soll, sollte das für die Sozialdemokratische Partei Berlins, die in Anerkennung der außenpolitischen Situation dort eine Koalition gebildet hat, ein Grund sein, deshalb ihre außenpolitische Konzeption zu verlassen?
({3})
Ich glaube das nicht. Vergessen Sie doch nicht; Herr Kollege Preller, -
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte zum Schluß zu kommen.
Verzeihen Sie, Herr Präsident! Nachdem der Herr Minister -
Das ist bereits berechnet!
(Heiterkeit.>
Dann bin ich sehr zu kurz
gekommen. Gestatten Sie mir nur noch einige Sätze.
({0})
Meine Damen und Herren, diese VAB ist doch so gegründet worden, daß man dort eine Anzahl von Genossenschaften, Arbeitervereine, zahllose zum Teil seit hundert Jahren bestehende Krankenkassen, Vereine, die jahrzehntelang in genossenschaftlicher Art im Sinne echten Bürgertums gearbeitet haben, zertreten hat. Deshalb muß hier jetzt Remedur geschaffen werden. Wir verlangen, daß die letzen Mauersteine dieses Zwing-Uri endgültig abgetragen werden.
({1})
Damit ist die Rednerliste erschöpft
({0})
und auch die allgemeine Aussprache.
Wir kommen nun zur Beratung derjenigen Teile der Vorlage, zu denen Änderungsanträge vorliegen. Ich rufe zunächst auf Art. I Nr. 2. Dazu liegen vor die Änderungsanträge der SPD auf Umdruck Nr. 579 Ziffern 1, 2 und 3 und der Änderungsantrag der DP auf Umdruck Nr. 588. Wird das Wort noch gewünscht? - Herr Abgeordneter Richter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion des Bundestages will mit diesem Antrag erreichen, daß die Zusammensetzung der Selbstverwaltungsorgane in der Kranken- und Rentenversicherung zu drei Fünfteln aus Vertretern der Versicherten und zu zwei Fünfteln aus Vertretern der Arbeitgeber erfolgt. Wie Sie wissen, vertritt die SPD-Fraktion grundsätzlich den Standpunkt, daß nur dann von einer Selbstverwaltung gesprochen werden kann, wenn die Mitglieder der Versicherungen, also die Versicherten selbst in den Organen die Rechte und Pflichten allein wahrnehmen. Wir haben uns bei der letzten Beratung des Gesetzes bereit erklärt, zwei Drittel Vertreter der Versicherten und ein Drittel Vertreter der Arbeitgeber zu akzeptieren. Sie bestehen nach wie vor auf der sogenannten Parität. Obwohl die Versicherten allein die Mittel für ihre Versicherung aufbringen
({0})
und obwohl die Versicherten 95 % und die Arbeitgeber nur 5 % ausmachen, wollen Sie den 5 % Arbeitgebern die gleichen Rechte gewähren wie den 95 % Versicherten.
In Anbetracht der Bedeutung dieser Frage beantragen wir namentliche Abstimmung.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann kommen wir zur Abstimmung.
Herr Abgeordneter Richter, zu welchem Antrag hatten Sie namentliche Abstimmung beantragt?
({0})
- Über diesen Antrag der SPD auf Umdruck Nr. 579 Ziffer 1 ist namentliche Abstimmung beantragt. Der Antrag ist durch die Fraktion ausreichend unterstützt. Wir kommen also zur namentlichen Abstimmung. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Abstimmungskarten einzusammeln.
({1})
({2})
Ich bitte die Herren Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
({3})
Meine Damen und Herren, von jetzt ab werden keine Stimmkarten mehr angenommen, die Annahme ist nun also endgültig geschlossen.
Das vorläufige Ergebnis*) der Abstimmung: Mit Ja haben gestimmt 137, mit Nein 197, enthalten 5. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 579 Ziffer 2. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme nun zum Antrag der Fraktion der DP Umdruck Nr. 588. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Nunmehr Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 579 Ziffer 3. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag zustimmen wollen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die Art. I Nr. 2 in der Fassung der zweiten Beratung annehmen wollen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. -- Enthaltungen? - Art. I Nr. 2 ist ih der Fassung der Beschlüsse zweiter Beratung angenommen.
({4})
Es liegt noch ein inzwischen eingegangener Änderungsantrag Umdruck Nr. 590 der Fraktion der FDP zu Art. I Nr. 2 Buchstabe c vor. Ich bitte diejenigen, die diesem Änderungsantrag zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun zu Art. I Nr. 3. Dazu liegt ein Antrag der SPD auf Umdruck Nr. 579 Ziffer 4 vor. Wird zur Begründung des Antrags noch das Wort gewünscht? - Sie ist schon gegeben.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Antrage zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die Art. I Nr. 3 in der Fassung der Beschlüsse der zweiten Beratung annehmen wollen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Art. I Nr. 3 ist in der Fassung der Beschlüsse der zweiten Bereitung angenommen.
Ich rufe mm Nr. 5 auf. Dazu liegt ein Antrag der SPD auf Umdruck Nr. 579 Ziffer 5 vor.
({5}) -- Ist zurückgezogen.
Dann liegt ein Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 583 Ziffer Ha vor. - Auf die Begründung die Antrags wird ebenfalls verzichtet, weil sie schon gegeben ist. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
*) Vergl. das endgültige Ergebnis Seite 9783.
Ferner liegt dazu noch der Antrag Dr. Atzenroth Umdruck Nr. 590 Ziffer 2 vor. Wird dazu eine Begründung gewünscht?
({6})
- Ist schon gegeben. Dann können wir über beide Anträge abstimmen.
Ich lasse abstimmen zunächst über den Antrag der SPD. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Dann lasse ich abstimmen über den Antrag der FDP Umdruck Nr. 590 Ziffer 2. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die der Nr. 5 in der Fassung der Beschlüsse zweiter Beratung zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; Nr. 5 ist in der Fassung der Beschlüsse zweiter Beratung angenommen.
Ich rufe Nr. 6 auf. Dazu liegt ein Antrag der SPD Umdruck Nr. 579 Ziffer 6 vor. - Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht, weil die Begründung in der Generaldebatte gegeben worden ist. Ferner liegt vor der Antrag Umdruck Nr. 583 Ziffer II b. - Das Wort ist nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Antrag auf Umdruck Nr. 579 Ziffer 6. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen ab über Umdruck Nr. 583 Ziffer IIb. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte uni die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die der Nr. 6 in der Fassung der Beschlüsse zweiter Beratung zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; Nr. 6 ist in dieser Fassung angenommen.
Ich rufe Nr. 11 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der SPD Umdruck Nr. 579 Ziffer 7 vor. - Das Wort zur Begründung ist nicht gewünscht, ebenfalls nicht zur Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die der Nr. 11 nach den Beschlüssen der zweiten Lesung zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; in der Fassung der Beschlüsse zweiter Beratung angenommen.
Jetzt kommen wir zu Art. III. Dazu liegt ein Antrag der DP und FDP auf Umdruck Nr. 587 vor. Eine Aussprache darüber erübrigt sich wohl, da bereits über den Gegenstand gesprochen worden ist.
({7})
- Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Im Namen der Fraktionen der Freien Demokratischen Partei und der Deutschen
({0})
Partei bitte ich um namentliche Abstimmung. Im Hinblick auf das Versprechen - auch der übrigen Abgeordneten in diesem Hause -, das der Abgeordnete herr Kollege Horn in der zweiten Lesung namens der Koalitionsparteien gegeben hat, möchte ich Sie noch einmal auffordern, sich sehr ernsthaft zu überlegen, ob sich nicht die verantwortungsbewußten Kollegen in dieser Stunde unserem Antrag anschließen sollten.
({1})
Meine Damen und Herren, es ist Antrag auf namentliche Abstimmung gestellt. Ich bitte diejenigen, die den Antrag unterstützen, die Hand zu heben.
({0})
- Nein, ich sehe, daß die Fraktionen in dieser Hinsicht nicht geschlossen stimmen. Es geht nicht, daß hier für eine Fraktion die Zustimmung so erklärt wird, als ob die Fraktionen übereinstimmten. Ich muß schon auszählen lassen. Ich bitte die Herren Schriftführer, auszuzählen, und bitte diejenigen, die für namentliche Abstimmung sind, die Hand zu heben. - Meine Damen und Herren, es ist allgemein übereinstimmende Einschätzung, daß 50 Stimmen nicht zusammengekommen sind. Ich kann die namentliche Abstimmung unter diesen Umständen nicht stattfinden lassen.
({1})
Wir stimmen ab über den Antrag der FDP und DP, Umdruck Nr. 587. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit. - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem Art. III in der Fassung der zweiten Lesung zustimmen, die Hand zu erheben. -- Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit. Der Artikel ist in der Fassung der Beschlüsse zweiter Beratung angenommen.
Nun kommt Einleitung und Überschrift. Ich bitte diejenigen, die dem zustimmen, die Hand zu erheben. - Angenommen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz in der soeben beschlossenen Fassung zustimmen, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit. Das Gesetz ist damit in dritter Lesung verabschiedet.
Wir haben dann noch über die Entschließung Umdruck Nr. 577 abzustimmen. Dazu wird das Wort von Herrn Abgeordneten Horn gewünscht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich nur ganz kurz sagen, warum Ihnen dieser Entschließungsantrag vorgelegt wird. In Drucksache Nr. 2643, dem Antrag der Regierungsparteien, war im § 9 Abs. 5 eine Vorschrift vorgesehen, wonach mit dem Tag nach der Wahl der Geschäftsführung gemäß den Vorschriften der Selbstverwaltung in der Rentenversicherung der Angestellten die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Kraft treten sollte, die als solche dann die Rechtsnachfolgerin der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte würde. Bei den weiteren Besprechungen, die 'darüber innerhalb der
Koalitionsparteien stattgefunden haben, haben wir dann bei denAusschußberatungen diesen Abs. 5 aus der Vorlage herausgenommen, dafür aber uns entschlossen, dem Hause diesen Entschließungsantrag vorzulegen, dessen Inhalt ja schon mehrfach Gegenstand von Erörterungen und, wenn ich nicht irre, auch von Beschlüssen dieses Hauses gewesen ist. Wir beauftragen in diesem Entschließungsantrag die Bundesregierung, den Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte beschleunigt vorzulegen. Wir verbinden damit die bestimmte Erwartung, daß die Vorlage ohne jede vermeidbare Verzögerung in Gang gebracht werden und dem Hause alsbald zugehen möge. Ich bitte das Hohe Haus, der Entschließung die Zustimmung zu geben und von einer Ausschußüberweisung Abstand zu nehmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schroeder.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Bei allem Verständnis für die Ausführungen des Herrn Kollegen Horn bedauere ich doch, im Namen meiner Fraktion erklären zu müssen, daß es uns nicht möglich ist, der Entschließung zuzustimmen. Wir müßten dann heute das ganze Problem der getrennten Arbeiter- und Angestelltenversicherung aufrollen. Si e werden selber der Ansicht sein, daß das in diesem Augenblick nicht möglich ist. Aber ohne Debatte über ,dieses Problem können wir zu unserm Bedauern unsere Zustimmung nicht geben. Nach unserer Ansicht ist auch gar nicht die Eile verständlich, die diesem Antrag zugrunde liegt. Wenn wir lins vergegenwärtigen, daß es sich bei der Versicherung in allererster Linie um das Recht der Versicherten handelt, dann wissen wir doch alle, daß kein Versicherter, auch kein Angestelltenversicherter, deswegen schlechter gestellt ist, weil nunmehr seit Jahren die Rechte der Versicherten durch die Treuhänderschaft der Landesversicherungsanstalten wahrgenommen werden. Ich glaube also, ehe wir eine solche beschleunigte Erledigung verlangen können, müssen wir uns alle erst klar sein, ob wir es überhaupt für richtig halten, von unserm Standpunkt aus, 'der wahrscheinlich in diesem Hause verschieden sein wird, die Invaliden- und Angestelltenversicherung auch in ihrer Trägerschaft - in ihren Aufgaben sind sie ja getrennt - wieder zu trennen. Meine Fraktion wird sich 'deshalb bei der Abstimmung über diese Entschließung der Stimme enthalten.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließung der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP auf Umdruck Nr. 577. Ich bitte diejenigen, die zuzustimmen beabsichtigen, die. Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Die Entschließung ist bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Wir stimmen weiter ab über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache Nr. 3402 Ziffer II. Ich bitte diejenigen, die dem Ausschußantrag zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Punkt 5 ist zurückgestellt. Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
({0})
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ({1}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Gesamtredezeit von 120 Minuten vor. - Ich nehme die Zustimmung des Hauses dazu an.
Das Wort zur Einbringung der Vorlage hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung hat eine marktwirtschaftliche Konzeption zur Grundlage. Eine Marktwirtschaft ohne die Institution eines freien Leistungswettbewerbs ist nicht denkbar, so wenig wie sich ein freier Leistungswettbewerb ohne die Funktion eines freien Preises entfalten kann. So gesehen bedeutet das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen eine Ergänzung, eine Vervollständigung der von uns verfolgten marktwirtschaftlichen Politik.
Es ist bei der Beratung und bei den Vorarbeiten zu diesem 'Gesetz - ich möchte mich hier auf die Grundsätze der Gesetzgebung beschränken - darum gegangen, ob bei diesem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen unbedingt eine Verbotsgesetzgebung notwendig sei oder ob nicht auch eine Mißbrauchsgesetzgebung einen ausreichenden Schutz gegen eine mißbräuchliche Anwendung wirtschaftlicher Gewalt sicherstellen würde.
Der vorliegende Gesetzentwurf basiert auf der Grundlage einer Verbotsgesetzgebung. Ich möchte im einzelnen näher begründen, warum sich die Bundesregierung auf ,den Standpunkt der Verbotsgesetzgebung gestellt hat.
Ich sagte schon einleitend, eine marktwirtschaftliche Ordnung beruht auf der Funktion eines freien Preises. Wir sind weiterhin der Auffassung und wollen diese Auffassung durchsetzen, daß die Marktwirtschaft von heute, d. h. eine soziale Marktwirtschaft, die Auswüchse oder Mißstände zu beseitigen hat, die sich entfaltungsgeschichtlich aus dem liberalen System, wenn Sie wollen, aus einer kapitalistischen Ordnung heraus entwickelt haben. Wir wollen durch diese Gesetzgebung dafür Sorge tragen, daß durch einen wirklich freien und ungehemmten Leistungswettbewerb die Fortschritte der wirtschaftlichen Entwicklung, der Rationalisierung, der Leistungssteigerung in einer Verbesserung - der Lebenshaltung unseres Volkes sich auswirken können. Dazu aber darf der Leistungswettbewerb nicht gehemmt oder verfälscht werden. Es dürfen im Wettbewerb keine diskriminierenden Maßnahmen zur Anwendung kommen, und dazu müssen insbesondere die Machtpositionen in der Wirtschaft - ob es sich nun um unternehmerische Zusammenschlüsse, Monopole oder rechtliche Vereinbarungen wie Kartelle handelt -, die geeignet sind und die die Grundlage zur Ausnutzung wirtschaftlicher Macht bilden, dahingehend überwacht werden. Das Gesetz schafft den Ordnungsrahmen und zugleich die Handhaben dafür, daß eine möglichst vollständige 'Konkurrenz Platz greifen kann und daß überall dort, wo aus tatsächlichen Gegebenheiten diese vollständige Konkurrenz nicht durchsetzbar erscheint, eine Kartellbehörde den Markt zu überwachen und dafür Sorge zu tragen hat, daß marktgerechte Preise und marktgerechte Prinzipien des Wettbewerbs zur Anwendung gelangen.
Der Preis hat in der Marktwirtschaft die Funktion des Ausgleichs; über den Preis vollziehen sich die Anpassungsvorgänge der Wirtschaft hin zu einem Gleichgewicht. Eine gleichgewichtige Wirtschaft ist die Voraussetzung jeder guten ökonomischen Ordnung. Ein starrer Preis, von welcher Seite er auch gesetzt ist - sei es vom Staat oder von einem Monopol oder von einem Kartell -, verfälscht das Marktbild, verhindert den wirtschaftlichen Ausgleich und läßt die große Gefahr erstehen, daß Spannungen und Störungen sich krisenhaft verhärten und damit die Funktion eines freien Marktes ausgeschaltet wird,'daß Anpassungen sich nicht mehr vollziehen können.
Eine Mißbrauchsgesetzgebung wäre nur dann in Frage gekommen, wenn der Gesetzgeber den Standpunkt verträte ;daß mit Kartellen grundsätzlich die Absicht verbunden wird, eine mißbräuchliche Gewalt auszuüben oder die Macht zu mißbrauchen. Das ist nicht der Fall. Es muß vielmehr zugegeben werden, daß Kartelle subjektiv oft von der ehrlichen und einwandfreien Absicht geleitet sind, aus ihrer Schau heraus für die Enge ihres Bereiches gute Ordnungsprinzipien zu setzen. Aber wenn aus der Gesamtkonzeption der Marktwirtschaft heraus ein starrer Preis sich mit dem System als solchem nicht vereinbaren läßt, dann darf auch keine Möglichkeit einer Preisbindung und einer starren Preisfestsetzung gegeben sein.
Eine Mißbrauchsgesetzgebung stößt also deshalb ins Leere, weil es hier nicht allein darauf ankommt, Mißbräuche zu beseitigen. Selbstverständlich beinhaltet das Gesetz auch Handhaben gegen den Tatbestand einer Diskriminierung und anderer Formen der Verfälschung oder Verhinderung eines freien Leistungswettbewerbes. Eine Mißbrauchgesetzgebung aber könnte nur dann Anwendung finden, wenn der Tatbestand und das Faktum eines gebundenen, starren Preises mit der Grundkonzeption einer Marktwirtschaft überhaupt zu vereinbaren wäre. Das aber ist zweifellos nicht der Fall. Ich darf noch einmal sagen: Marktwirtschaft ohne freien Leistungswettbewerb und ohne die Funktion eines freien Preises sind undenkbar. Hier handelt es sich um einen unlösbaren Zusammenhang.
Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß eine sogenannte Mißbrauchgesetzgebung nach historischer Erfahrung noch in keinem Lande funktioniert hat, auch nicht in Deutschland.
Es ist zuzugeben, daß wir mit einer Verbotsgesetzgebung Neuland betreten. Ich möchte aber mit ebensolcher Deutlichkeit feststellen, daß diese Vorlage zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen nicht etwa auf amerikanischen Vorstellungen beruht.
({0})
Die mögen hier mit uns übereinstimmen. Aber es ist die eigene 'Konzeption, die eigene Auffassung, kurz der Standpunkt der 'Bundesregierung, der in diesem Gesetz vertreten wird und der nicht von irgendeiner Meinung irgendeiner alliierten Dienststelle beeinflußt ist.
({1})
Die Verbotsgesetzgebung wird dafür sorgen, daß aller Fortschritt in der Wirtschaft sich in einer Verbesserung der Marktversorgung und der Lebenshaltung unseres Volkes auswirkt. Der freie Leistungswettbewerb soll - wie ich vorhin schon erwähnte - sicherstellen, daß alle Vorteile der Rationalisierung, der Leistungsverbesserung, der höheren Effizienz der menschlichen Arbeit sich
({2})
nicht in Monopol- oder Differentialgewinnen niederschlagen, sondern an den Verbraucher zum Zwecke der Verbesserung und Erhöhung seiner Lebenshaltung weitergegeben werden müssen. Insofern bedeutet dieses Wettbewerbsgesetz ein Korrelat zu der politischen Demokratie, weil es die Freiheit des Verbrauchers sicherstellt, weil es darüber hinaus 'dem Fortschritt in 'der Wirtschaft Raum gibt.
Nun 'wurde von mancher Seite eingewandt, gerade die Verbotsgesetzgebung behindere ja die Freiheit. Das stimmt in einem rein formalistischen Sinne. Aber ich glaube, daß die Freiheit zur Unterbindung 'der Freiheit mit einem freiheitlichen marktwirtschaftlichen System unvereinbar ist.
({3})
Es ist dann in bezug auf dieses Gesetz auch der Einwand vorgetragen worden, daß damit die deutsche Wirtschaft gegenüber anderen nationalen Volkswirtschaften 'diskriminiert werden würde,
({4})
daß damit gar unter Umständen die Leistungskraft der deutschen Volkswirtschaft gegenüber unseren Wettbewerbern in anderen Ländern geschmälert würde.
({5})
Ich darf dazu sagen, daß in dem Gesetz Ausnahmen vorgesehen sind, Ausnahmen allerdings, die einer besonderen Genehmigung bedürfen. Es sind in den §§ 2, 4 und 5 Ausnahmen in bezug auf das Krisenkartell, das Rationalisierungskartell und das Außenhandelskartell vorgesehen.
Ich bin selbstverständlich mit Ihnen der Meinung, daß eine solche Gesetzgebung, die immerhin in gewisser 'Hinsicht eine Revolutionierung bedeutet, einer eingehenden Beratung in den Ausschüssen bedarf. Wenn schon die Vorbereitungen 'auf der Regierungsebene außerordentlich zeitraubend und schwierig gewesen sind, so bin ich mir darüber klar, 'daß auch in den Ausschußberatungen noch sehr eingehende und tiefgreifende Erörterungen Platz greifen müssen.
({6}) Aber 'das eine möchte ich mit 'Bestimmtheit sagen: Nach meiner Überzeugung wird dieses Gesetz nicht zu einer Leistungsminderung 'der deutschen Volkswirtschaft führen, auch nicht und vor allem nicht gegenüber unseren Mitbewerbern im Auslande. Denn gerade dieses Gesetz wird dafür Sorge tragen, daß der Drang und Zwang zur Leistung in der deutschen Wirtschaft lebendig bleiben und daß diese Vorteile - um es ein drittes Mal zu erwähnen -- dann auch tatsächlich dem gesamten Volk, dem Verbraucher, zugute kommen. Das ist der Sinn dieses Gesetzes.
Ein letzter Einwand, der 'bei diesem Gesetz aufgetaucht ist, geht dahin, ob dieses Kartellamt und die Tätigkeit der Kartellbehörde nicht die Gefahr des Überwucherns einer neuen Bürokratie mit sich bringt, die geeignet ist, die Freiheit der gewerblichen Wirtschaft, der wir durch dieses Gesetz ja Raum geben wollen, gerade wieder einzudämmen. Ich glaube, auch dieser Einwand ist nicht aufrechtzuerhalten. Erstens einmal ist es nicht 'die Absicht, hier einen großen bürokratischen Apparat aufzuziehen;
({7})
und zum andern möchte ich sagen, daß die Bürokratie eines solchen Kartellamts zweifellos sehr
viel geringer ist, als es die einer Vielzahl von Kartellen wäre.
({8})
Über die Rechtsstellung des Kartellamts möchte ich hier nicht im einzelnen sprechen, darf aber zum Schluß noch einmal sagen, daß Kartelle mit dem System einer Marktwirtschaft nicht vereinbar sind. Gerade wenn sich Kartelle in Bereichen auswirken, in denen ein unabweisbarer Bedarf der Konsumenten vorliegt, dann wird 'der Bereich 'der gewerblichen Wirtschaft, in dem sich über einen freien Markt und über einen freien Preis Ausgleiche und Anpassungen vollziehen können, so eng, daß damit die Ordnung 'der Marktwirtschaft im ganzen und in 'den Grundlagen gestört ist. Wir müssen dafür sorgen, daß sich ein freier Markt mit der Funktion eines freien Preises möglichst frei und möglichst breit fundiert entfalten kann.
'({9})
Der Hinweis darauf, daß in diesen oder jenen Bereichen ja 'auch heute keine vollständige Konkurrenz herrscht, daß wir also keine Marktwirtschaft in Reinkultur haben, daß wir sie nicht „chemisch rein" verwirklichen konnten, weil z. B. faktische 'Monopole unvermeidbar sind, kann nicht zu der Nutzanwendung führen, auf dem Wege kollektiver Machtkonzentration - 'der natürlichen oder der künstlichen - weiterzuschreiten. Wir müssen vielmehr bestrebt sein, solche Positionen in der Wirtschaft mehr und mehr aufzulösen, um der Funktion des Marktes über 'den freien Preis breitesten Spielraum zu geben.
Dieses Wettbewerbsgesetz ist ein notwendiger Bestandteil unserer Wirtschaftspolitik. Es ist, wenn Sie so wollen, die Krönung einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Ich darf Sie deshalb bitten, diesem Gesetz Ihre Zustimmung zu geben.
({10})
Wir treten in die erste Beratung ein. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wortmeldungen? ({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Etzel.
Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes gegen Beschränkungen des Wettbewerbs ist ein Werk, das der Sicherung der von meinen Freunden und auch von mir vertretenen Wirtschaftsverfassung dient. Die soziale Marktwirtschaft, die wir vertreten, ist nicht Wirtschaftsliberalismus im alten Sinn, sie ist allerdings auch keine Planwirtschaft im Sinne einer staatlichen Lenkung des Wirtschaftsablaufs. Diese soziale Marktwirtschaft ist vielmehr ein System von Elementen und Maßnahmen, welche einmal dem Menschen die Freiheit geben, seine Aufgabe in der Wirtschaft im Rahmen eines gesunden Gewinnstrebens zu erfüllen, welche aber auch den Staat verpflichten, die gesellschaftlichen Aufgaben mit marktgerechten Mitteln und nur mit diesen wahrzunehmen, die gesellschaftlichen Aufgaben, die nun einmal dem modernen Staat obliegen.
Ich will mich im Rahmen der Diskussion in der ersten Lesung über diese marktkonformen Mittel nicht weiter verbreiten, halte es aber für notwen({0})
dig, einmal auf die Elemente einzugehen, die erforderlich sind, um den marktwirtschaftlichen Ablauf zu ermöglichen und sicherzustellen.
Drei Elemente sind es, die solcher Freiheit dienen und die ihrem Wesen nach sich der staatlichen Einflußnahme unter der Voraussetzung entziehen, daß ein Markt vorhanden ist, nämlich Käufermarkt, Leistungswettbewerb und funktionierender Preis. Was den Käufermarkt anlangt, so stellt er die Freiheit der Konsumwahl dar. Nicht der Staat mit Marken, mit lenkenden Behörden teilt dem Konsumenten das zu, was er konsumieren darf,
({1})
sondern der Konsument teilt sich selbst zu, er bestimmt selbst, was er verbrauchen soll.
({2})
Den Konsum bestimmt der Verbraucher im Rahmen seiner Mittel selbst. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Im Sinne solche Betrachtungsweise ist selbstverständlich auch der Unternehmer Konsument.
({3})
In einem solchen Käufermarkt tritt nun der Unternehmer dem Verbraucher in einem echten Leistungswettbewerb gegenüber. Nur so wird unserer Auffasung nach das höchste Ergebnis der Produktion erzielt, so wie beispielsweise auf dem Sportplatz Höchstleistungen auch nur im Wettbewerb erzielt werden können.
({4})
Das Verhältnis der Verbraucherwünsche am Käufermarkt zu der Größe der Produktion im Rah) men des Leistungswettbewerbs wird nun durch den funktionierenden Preis geregelt, und ein funktionierender Preis lenkt hier gewissermaßen lautlos die Wirtschaft. Hier bedarf es keinerlei staatlicher oder privater Eingriffe.
({5})
Sind die Verbraucherwünsche größer als die Produktion, steigt nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage der Preis und übt nunmehr zwei Funktionen aus. Einmal regt er eine zusätzliche Produktion an, zum andern aber bremst er in Richtung auf einen unberechtigten Konsum. Durch solche Anregung und Bremse wird das Verhältnis von Nachfrage und Angebot schnellstens, jedenfalls sehr viel schneller als durch eine staatliche Lenkung wieder in eine Ordnung gebracht und praktisch außerhalb jeglicher sozialschädlicher Wirkungen wiederhergestellt.
Beeinflußt man nun aber die Bildung des Preises, sei es durch eine Manipulation der Nachfrage, sei es durch eine Manipulation des Angebots oder sei es durch eine Festsetzung des Preises, so wird die lautlose und natürliche Lenkungsfunktion des Preises künstlich beeinflußt und damit gestört.
Um diese Störung geht es uns bei diesem Gesetz im wesentlichen. Die Freiheit, welche dem Käufermarkt und im Leistungswettbewerb den Menschen zukommen muß, wenn sie funktionieren sollen, kann und darf jedenfalls, solange ein Markt vorhanden ist, weder durch den Staat noch durch Private aufgehoben oder beeinflußt werden. Auf diesen Gebieten gibt es nicht ein „bißchen" Freiheit. Die Freiheit ist entweder völlig vorhanden, oder sie wird auf die Dauer gänzlich aufgehoben. Ich denke aber, daß Menschen, denen das Freiheitsanliegen so am Herzen liegt wie uns in diesem Hause, alles tun sollten, um ein Höchstmaß an Freiheit jederzeit auch auf diesem Gebiet zu ermöglichen.
Das Problem ist also nicht, o b durch eine Freiheitsbehinderung ein Mißbrauch ausgeübt wird, sondern d a ß durch die Leistungswettbewerbsbeschränkung der Preis, der funktionieren muß, außer Funktion gesetzt wird mit all den Folgen, die sich daraus ergeben. Daher ist es auch völlig falsch, wenn in der öffentlichen Diskussion weitgehend eine Mißbrauchsgesetzgebung gefordert wird. Die Störung des funktionierenden Preises tritt in vielen Fällen längst ein, bevor es zu einem Mißbrauch kommt, und wird in vielen Fällen gestört, ohne daß ein Mißbrauch je einträte. Hier liegt auch wohl praktisch die Lösung des Rätsels dafür, daß viele Männer mit großem Namen, die sich in der Öffentlichkeit häufig für ein Kartelldenken eingesetzt haben, wogegen an sich nichts zu sagen wäre, sich ausgerechnet für eine Mißbrauchgesetzgebung einsetzen.
Wenn ich aber schon die Funktion des Preises in seiner Freiheit beeinflussen will, tritt eine Frage auf, die sehr ernst gestellt und sehr ernst beantwortet werden muß, nämlich die Frage, ob in solcher Situation der Staat oder eine Gruppe von Privaten das Recht zu solcher Freiheitsbeschränkung haben darf. Ich für meinen Teil muß sagen, daß in solcher Situation allerdings der Staat vor einer Gruppe von Privaten dieses Recht hätte.
Aus dieser grundsätzlichen Überlegung heraus muß ich auch zu einer Frage Stellung nehmen, die zur Diffamierung dieses Gesetzentwurfes immer wieder gestellt wird, nämlich zu der Behauptung, bei diesem Gesetzentwurf handele es sich um einen alliierten Befehl. Nein, meine Damen und Herren, das ist ein absoluter Irrtum. Ich kann nur das unterstreichen, was Herr Professor Erhard soeben an diesem Platz gesagt hat: es handelt sich um ein Stück unserer ureigensten Auffassung. Ich kann das auch beweisen. Die CDU der britischen Zone hat bereits sehr frühzeitig in dem sogenannten Ahlener Programm sehr eindeutig negativ zur Kartellfrage Stellung genommen, und in den Düsseldorfer Leitsätzen haben wir ein gleiches getan zu einem Zeitpunkt, da dieser Bundestag noch gar nicht bestand und da kein Mensch daran dachte, daß das Kartellproblem einmal in einem Generalvertrag überhaupt Erwähnung finden könne. Auch schon in der Regierungserklärung und in den Ausführungen der Abgeordneten, die damals in Ergänzung der Ausführungen des Bundeskanzlers gesprochen haben, haben wir eindeutig zu dem Kartellproblem Stellung genommen. Wir haben das auch später getan, und Herr Professor Erhard hat doch in aller Öffentlichkeit immer wieder eine eindeutige Stellung zu dieser Frage bezogen.
An dieser Stelle noch ein Wort zum Monopol. Ich bejahe eine Monopolkontrolle. Wer ein Monopol hat, entzieht sich damit - außerhalb jeder ethischen Wertung, die hierbei keine Rolle spielen darf - dem Leistungswettbewerb. Wer wirklich frei sein will, muß sich dem Leistungswettbewerb stellen. Wer sich ihm nicht stellt, darf auch nicht frei sein. Wir bejahen daher dem Grundsatz nach auch eine Monopolkontrolle.
Ich will heute hier an dieser Stelle zu dem vorgelegten Gesetzentwurf im einzelnen nicht Stellung nehmen. Der Gesetzentwurf muß ja an den Ausschuß verwiesen werden. Es wird notwendig
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sein, in eingehender Ausschußarbeit die ganze Problematik zu diskutieren und die einzelnen Problempunkte zu erörtern. Ich will mich auch keineswegs auf jede Einzelheit des Gesetzentwurfs festlegen. Ich bin schon der Meinung, daß daran manches zu ergänzen und sicher auch manches zu verbessern sein wird. Ich habe aber die Hoffnung, daß schließlich aus dieser Arbeit heraus dem Hohen Hause eine Vorlage unterbreitet wird und daß nach Überwindung eines Wustes von Irrtümern - denn um einen solchen Wust handelt es sich bei der Kritik weitgehend --, aber auch von Böswilligkeit und nicht zuletzt doch auch vorhandener Mängel, am Ende ein Gesetz beschlossen wird, das einmal den Verbraucher schützt, den Leistungswettbewerb fördert, dem Preis am Markt seine lautlose Lenkungsfunktion gesetzlich sichert und damit der Freiheit in einem hohen Maße dient, das den deutschen Menschen bestmöglich und billig versorgt und das dort, wo die Reinheit des Gedankens wegen der Härte des Tatbestandes nicht durchgeführt werden kann, auch nicht aus Starrheit notwendige Wege verweigert, die eben dieses Tatbestandes wegen gegangen werden müssen.
Ich bitte daher das Hohe Haus, den Antrag an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik als federführenden Ausschuß zu verweisen. Herr Kuhlemann, der Vorsitzende des Ausschusses für Außenhandel, hat mich gebeten, darauf hinzuweisen, daß mit Rücksicht auf das Außenhandelskartell auch dieser Ausschuß beteiligt zu werden wünscht. Herr Rademacher hebt die Hand; ich darf annehmen, daß auch er mit seinem Ausschuß an den Beratungen beteiligt sein möchte.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schöne.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf behandelt eines der wesentlichsten Themen der deutschen Wirtschaftsverfassung. Wir haben vor uns den Entwurf eines Bausteins für die Wirtschaftsverfassung. Da bedarf es allerdings einer Klarstellung, um welche Art der Wirtschaftsverfassung es sich denn hier handelt. Wenn man den vielen Beteuerungen in Wort und Schrift Glauben schenken darf, so haben wir - oder besser gesagt: bekommen wir - die soziale Marktwirtschaft, und die von Herrn Etzel eben zitierten Düsseldorfer Leitsätze unterstreichen das ja noch. Ich darf zitieren Leitsatz Nr. 1 zur Verwirklichung - nicht zur Krönung, Herr Minister! - der sozialen Marktwirtschaft:
Der Leistungswettbewerb ist gesetzlich sicherzustellen,
und
das Gesetz muß konkurrenzbeschränkende
Marktabreden und Kartellverträge verbieten.
Nun, wenn man dieser Auffassung aber jene gegenüberhält, die in der Begründung zu dem Gesetz steht, dann liest man: „Das Gesetz .... stellt eine der wichtigsten Grundlagen zur Förderung und Erhaltung der Marktwirtschaft dar." Hier liegt ein Bruch. Wir lesen in der Regierungsbegründung „Marktwirtschaft" statt „sozialer Marktwirtschaft", und wir lesen „Förderung und Erhaltung" -- hören
sogar „Krönung" - und lesen sonst in den Düsseldorfer Leitsätzen: „Verwirklichung".
Diesen Zwiespalt der Natur -- ({0})
- Später, Herr Stegner, über Natur! - Diesen Zwiespalt der Natur klärt wohl ganz gut ein Zeitungsartikel auf, aus dem ich nur ein paar Sätze zitieren darf. Es heißt da:
Indessen ist bisher niemals klar definiert worden, was die Regierung unter der sozialen Marktwirtschaft versteht. Zumindest stehen sich dabei zwei unterschiedliche Auffassungen gegenüber. Die eine Auffassung geht davon aus, daß das Streben nach möglichst vollendeter Wirksamkeit eines freien Wettbewerbsmechanismus von Natur die soziale Wirkung in sich trägt. Die andere Auffassung mißt der Marktwirtschaft an sich keinen sozialen Charakter, aber auch keinen antisozialen, sondern einen ganz neutralen, rein ökonomischen Charakter bei und sieht die soziale Ergänzung der Wirtschaftspolitik in der gerechten Einkommensverteilung.
Und so weiter. Nun, dieses Zitat stammt aus der „Zeit" vom 22. Mai, und zwar von einem Mann, der eine geraume Zeit lang in unmittelbarer Nähe des Herrn Bundeswirtschaftsministers selbst gearbeitet hat, nämlich dem Generaldirektor Friedrich. Ich darf ihn also wohl als unverdächtigen Zeugen für diesen Zwiespalt anrufen.
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Für ein Wirtschaftsverfassungsgesetz ist, so sagte ich, nicht ganz unerheblich, welche Art der Verfassung denn geschaffen werden soll, und für unsere Entscheidung über diesen Entwurf ist nicht ohne Belang, welche entscheidende Bedeutung man dabei dem Wettbewerb beimißt. Die eine Auffassung - nach Friedrich- weist dem Wettbewerb lediglich ökonomische Bedeutung zu und weist darauf hin, daß die soziale Ergänzung durch die Wirtschafts poitik geschehen müsse. Die andere dagegen mißt dem Wettbewerb schlechthin, a priori, auch soziale Wirkung bei.
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Diese letztere Auffassung von Wettbewerb und Konkurrenz schimmert durch verschiedene Stellen der Regierungsbegründung hindurch. So heißt es einmal:
Das Gesetz geht von der durch die wirtschaftswissenschaftliche Forschung erhärteten wirtschaftspolitischen Erfahrung aus, daß die Wettbewerbswirtschaft die ökonomischste und zugleich demokratischste Form der Wirtschaftsordnung ist.
Und ferner heißt es:
Die Wettbewerbsordnung stellt die wirtschaftlichen „Grundrechte" der Freiheit der Arbeit und der Verbrauchswahl sicher.
Mit diesen Worten, meine Damen und Herren, erscheint der Wettbewerb als das einzig Wahre und Gute, und damit wird alles andere als ethisch verwerflich betrachtet.
Diese Überbewertung des Wettbewerbs möchte ich mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Wir Sozialdemokraten sind keineswegs gegen den Wettbewerb. Wir möchten unter gar keinen Umständen seine guten Funktionen missen. Aber es ist eine Illusion, wenn man glaubt, den Wettbewerb, die Konkurrenz, zum beherrschenden, ja sogar ethische Funktionen erfüllenden Prinzip der Volks({3})
wirtschaft machen zu können. Wir Sozialdemokraten teilen nicht die Vorstellung, der Egoismus aller gegen alle führe zwangsläufig zur Harmonie aller mit allen. Wir glauben vielmehr, daß uns Menschen die Herbeiführung der Harmonie als sittliche Forderung gestellt ist. Ich bin selber kein Professor und darf deswegen den Worten von Professor Erhard vielleicht ein Zitat gegenüberstellen, das von einem Professor stammt:
Die Konkurrenz ist ein Ordnungs- und Steuerungsprinzip im engeren Bereich der arbeitsteiligen Wirtschaft, aber kein Prinzip, auf dem man eine Gesellschaft als Ganzes aufbauen könnte. Soziologisch -moralisch ist sie sogar ein gefährliches Prinzip, das eher auflöst als verbindet.
Dieses Zitat stammt von Professor Röpke, der ja wohl sicher nicht im Verdacht steht, ein Sozialdemokrat zu sein; es ist in seinem Buch „Gesellschaftskrise der Gegenwart" enthalten.
Ich nehme also die Formulierungen der Regierungsbegründung zu diesem Entwurf als überbewertet und überbetont und habe mich auch gefreut, daß in dem eigentlichen Text des Gesetzentwurfs eine bedeutend vernünftigere Auffassung vom Wettbewerb und seiner harmonischen Kraft zutage tritt. Es schien mir aber notwendig, einmal auf diese unsere Auffassung klar und deutlich hinzuweisen und damit eine Linie der Kritik anzudeuten, unter der wir den Entwurf bei der weiteren Beratung gewissenhaft prüfen werden.
Ich komme nun zu dem Entwurf. Unsere grundsätzlich positive Einstellung zu dem Entwurf ergibt sich aus unserer Grundhaltung zu dem Problem der wirtschaftlichen Macht. Grundsätzlich darf ich hierzu sagen, die SPD bejaht den technischen Fortschritt und den organisatorischen Fortschritt. Die SPD kennt damit das Problem der wirtschaftlichen Macht. Wir wissen, daß sich eine Entwicklung vom freien zum organisierten Kapitalismus vollzogen hat. Daraus folgt für uns, daß ein Mißbrauch wirtschaftlicher Macht unter allen Umständen verhütet werden muß. Vor solchem Mißbrauch sind Verbraucher einerseits und kleine und mittlere Unternehmer andererseits zu schützen. Auf Grund dieser Tendenz verfolgen wir gegenüber der wirtschaftlichen Macht zwei Ziele, erstens das Ziel der Beseitigung der unrichtigen und unzweckmäßigen wirtschaftlichen Macht, zweitens das Ziel: alle zweckmäßigen Formen wirtschaftlicher Macht sind zu bejahen, aber unter eine öffentliche Kontrolle zu bringen. Mit diesen beiden Punkten sind die großen Linien unserer Haltung zu dem vorliegenden Entwurf abgesteckt.
Nun noch ein paar Worte zu den Einzelheiten des Entwurfs, zunächst zu der Frage des Kartellverbots. Aus den obigen Darlegungen zum Wettbewerb, wie wir ihn sehen, ist ersichtlich, daß es uns sehr darauf ankommt, die richtige Grenzlinie zwischen zweckmäßigen und unzweckmäßigen Erscheinungen wirtschaftlicher Macht zu ziehen. Aus dieser Konzeption bietet sich eine Mißbrauchsgesetzgebung eher an als eine Verbotsgesetzgebung. Dies kam auch in unserem Antrag betreffend ein Gesetz gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht zum Ausdruck, den wir im Januar 1950 in diesem Hohen Hause gestellt haben. Wir haben in den letzten Wochen mit einem sehr großen Interesse das Für und Wider zum Kartellverbot verfolgt. Wir haben gehört, daß laute Rufer für die Marktwirtschaft nun, wo der bislang hinkende Wettbewerb zu einer vollständigen Wettbewerbsordnung gemacht werden soll, Angst vor der eigenen Courage bekommen haben. Mancher Unternehmer gönnt eben sehr häufig seinen Lieferanten den Segen des Wettbewerbs, würde jedoch seine eigenen Erzeugnisse gern einer Kartelldiktatur unterworfen sehen. Wir haben Kenntnis davon genommen, daß dieses Gesetz die europäische Integration störe. Wir haben andererseits vernommen, daß in anderen europäischen Ländern andere Grundsätze der Wirtschaftsverfassung bestünden. Wir haben davon gehört, daß die wirtschaftliche Praxis ein Kartellverbot unmöglich mache.
Nun, meine Damen und Herren, ich möchte mich heute nicht im einzelnen mit diesem Für und Wider auseinandersetzen. Wir Sozialdemokraten sehen einen großen Vorteil der Verbotsbestimmung darin, daß die betroffene Wirtschaft zu dem Nachweis gezwungen wird, aus welchen Gründen sie im Einzelfall vom Grundsatz der Wettbewerbsfreiheit abweichen will. Andererseits verschließen wir nicht die Augen vor der Tatsache, daß zum erstenmal in der europäischen Geschichte die Kartellpolitik eines europäischen Landes einem Verbotsgrundsatz unterworfen wird.
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Unser endgültiges Urteil über die Frage des Kartellverbots, die mir die Schicksalsfrage dieses Gesetzes zu sein scheint, werden wir erst dann fällen können, wenn der Entwurf gewissenhaft in allen seinen Teilen durchgearbeitet worden ist und, ich darf hinzufügen, wenn wir die Gewißheit haben, daß für die deutsche Wirtschaftsordnung ein deutsches Gesetz gemacht werden kann.
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Interessieren würde uns bei der Behandlung des Entwurfs ferner einmal die Sonder- bzw. Ausnahmeform des Rationalisierungskartells. Hier ist es besonders die Frage: Ist dieses Rationalisierungskartell des Entwurfs ein Mantel, unter dem jeder Kartellsyndikus sein Kartell unterbringen kann? Und ein besonderes Kapitel hier in den Ausnahmen wird das Krisenkartell sein. Für das Krisenkartell ist die Genehmigung durch die Kartellbehörde nach dem Entwurf abhängig vom Nachweis - ich zitiere -,
daß die Regelung infolge eines vorübergehenden, nicht auf nachhaltiger Änderung der Nachfrage beruhenden Absatzrückgangs notwendig ist, um eine Stillegung . . . zu vermeiden.
Dazu ist notwendig eine zuverlässige Unterscheidung zwischen konjunkturellen und strukturellen Bewegungen.
Nun, meine Damen und Herren, ich glaube, es ist kein Grund für die Annahme gegeben, daß mit einem Male die Behörde, das Kartellamt, das tun kann, worum sich die Wissenschaft schon seit einigen zehn, zwanzig, dreißig Jahren bis zum heutigen Tage ergebnislos bemüht.
Ein anderes Kapitel der besonderen Behandlung wird sein die Frage der Individual- Verträge, und hier werden wir unsere besondere Aufmerksamkeit den Bestimmungen über den Markenartikel widmen.
Ein letztes besonderes Kapitel, dem wir unsere Aufmerksamkeit widmen werden, wird das Bundeskartellamt sein. Ich darf gleich anklingen lassen, daß uns hierbei auch die Frage einer Verzahnung dieses Kartellamts mit dem Bundeswirtschaftsrat oder
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entsprechenden Organisationen interessieren wird. Dies, meine Damen und Herren, heute nur zu den Einzelheiten dieses Gesetzes.
Gestatten Sie mir hier noch eine ganz kurze historische Anmerkung, eigentlich zwei historische Anmerkungen, zu diesem Entwurf. Die eine Anmerkung erstreckt sich auf die parlamentarischen Bemühungen um dieses Gesetz. Aus der grauen Vorzeit des neuen deutschen Parlamentarismus ist uns bekannt, daß die Verwaltung für Wirtschaft, damals in Frankfurt, sich außerordentliche Mühe gegeben hat, ein solches Gesetz zu gebaren. Diese selben Bemühungen wurden dann von der Bundesregierung nach 1949 aufgenommen. Seitdem ist sie mit der Ausarbeitung eines Entwurfs beschäftigt. Als nun nichts geschah, stellte die SPD am 27. Januar 1950 in der 32. Sitzung den Antrag und erkundigte sich nach dem Wohlergehen des Gesetzentwurfs.
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Sie stellte den Antrag, weil die AHK angekündigt hatte, daß sie von sich aus ein Gesetz erlassen würde, wenn die Bundesregierung nicht bald ein Gesetz bringe. Mein Fraktionsfreund Professor Nölt i n g sagte damals:
Jedenfalls ist es besser, daß wir unsere Wirtschaftsordnung nach eigenen Erfahrungen und Bedürfnissen gestalten, damit es nicht zu einer übereilten Bilderstürmerei kommt.
Herr Professor Erhard antwortete damals im Januar 1950 unter anderem:
...Ich habe die Zusage, daß ... man in Kenntnis der deutschen Bemühungen und der sehr geraden Haltung, die wir auf diesem Gebiet einnehmen, uns zu einer deutschen Kartellgesetzgebung kommen läßt.
Mit dem Antrag der SPD im Januar 1950 hat man sich dann nicht weiter beschäftigt und hat ihn nicht dazu benutzt, sich mit der Materie selbst zu befassen. Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums und der Regierungskoalition sagten, die von der SPD angeregte Debatte sei völlig überflüssig gewesen, da alles bereits im Lot und völlig perfekt sei.
Das war im Januar 1950, also vor zweieinhalb Jahren. Nun, seit dieser Zeit haben wir eigentlich nur gelegentliche Zeitungsnotizen über das Problem „Kartelle und ihre Verhütung" erhalten, und diese Zeitungsnotizen beschäftigten sich eigentlich mit diversen Referentenentwürfen und ebenfalls, wenn ich hinzufügen darf, mit diversen Referentenschicksalen.
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Ein anderes Kapitel meiner historischen Anmerkung betrifft die besatzungsrechtlichen Bemühungen um dieses Gesetz. Im März 1949 hatte die britisch-amerikanische Stelle für das damalige Zweizonengebiet der Verwaltung für Wirtschaft den Auftrag erteilt, ein Gesetz gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht auszuarbeiten. Auf Grund des Petersberg-Abkommens vom 22. November 1949 ist die Bundesregierung verpflichtet, auf dem Gebiet der Beseitigung monopolistischer Tendenzen gesetzgeberisch tätig zu werden, wobei sie den von der Alliierten Hohen Kommission auf Grund des Art. 2 b des Besatzungsstatuts erlassenen Entscheidungen entsprechen muß. Der Generalvertrag besagt in seinem Entwurf, bis ein Bundesgesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in Kraft tritt, das den entscheidenden Bestimmungen des von der Bundesregierung dem Bundesrat zugeleiteten Gesetzentwurfs entspricht, bleiben die besatzungsrechtlichen Bestimmungen in Kraft. Nun, wir werden sehr daran interessiert sein, zu erfahren, welches diese entscheidenden Bestimmungen sind, außer dem, wie ich hinzufügen darf, zur Auflage gemachten Kartellamt.
Ich darf abschließend sagen, daß wir Sozialdemokraten bereit sind, an einem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen mitzuarbeiten, und zwar durchaus positiv mitzuarbeiten, wenn die gesetzlichen Bestimmungen nach deutschen Ordnungsgrundsätzen gefunden und gesetzt werden können. Wir möchten jedoch in diesen Verhandlungen keine falschen Töne, und ein solcher falscher Ton, scheint mir, klang neulich aus den Äußerungen des französischen Dekartellisierungsspezialisten M. Favereau. Er soll gesagt haben, daß die deutschen Kartelle erwiesenermaßen ihre Macht politisch mißbraucht hätten und daß man deshalb in Deutschland eine strengere Gesetzgebung benötige. Ich möchte sagen, daß wir 'Sozialdemokraten uns in der Arbeit an diesem Gesetz etwas zurückhalten würden, wenn wir merken werden, daß man uns wettbewerbsmäßig verstümmeln will, um auch so auf dem Gebiete der wirtschaftlichen Funktionen unseren 'Start für eine Europawirtschaft wesentlich zu verschlechtern.
Wir stimmen dem Antrag auf Überweisung an die genannten Ausschüsse zu.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Etzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bis zum Beginn der zwanziger Jahre gab es in Deutschland keine Kartell- und Monopolgesetzgebung. Die erst Ende des Jahres 1923 ergangene Verordnung gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen beruhte auf dem Grundgedanken der Kartellfreiheit mit der Maßgabe, daß „Verträge und Beschlüsse, welche Verpflichtungen über die Handhabung der Erzeugung oder des Absatzes, die Anwendung von Geschäftsbedingungen, die Art der Preisfestsetzung oder die Forderung von Preisen enthalten", schriftlich abgeschlossen werden mußten, daß Verträge, die die „Gesamtwirtschaft oder das Gemeinwohl gefährden", für nichtig erklärt werden konnten, daß die Mitglieder von Kartellen bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ein außerordentliches Kündigungsrecht hatten und 'daß Sperren oder sperrähnliche Maßnahmen der Einwilligung des Vorsitzenden des Kartellgerichts bedurften. Ihr Zweck war also, im Einzelfall den Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen zu verhindern. Einen entscheidenden Einfluß auf die wirtschaftliche Entwicklung hat, wie zuzugeben ist, das Kartellgericht, dessen zwanzigjährige Rechtsprechung jedoch von hohem Stand war, nicht genommen und konnte ihn auch nach der ganzen Anlage der Kartellverordnung gar nicht nehmen.
In der großen Wirtschaftskrise nach 1929 - in den Jahren 1930 und 1931 - erging eine Kartellnotverordnung, eine Verordnung über Preisbindung für Markenwaren und eine weitere Notverordnung. Keine enthielt ein grundsätzliches Kartellverbot, erst recht nicht die nationalsozialistische Gesetzgebung, die im Gegenteil 1933 mit dem Zwangskartellgesetz die Rechtsgrundlage für den Zwangszusammenschluß von Unternehmungen eines Wirtschaftszweiges und für zahlreiche Er({0})
richtungs- und Erweiterungsverbote schuf. Seit 1947 hatte das frühere deutsche Kartellrecht wegen der Kartellgesetzgebung der alliierten Militärregierungen nur noch untergeordnete Bedeutung.
Der vorliegende Gesetzentwurf, der die besatzungsrechtliche Normensetzung ablösen soll, geht von einer der bisherigen deutschen Gesetzgebung entgegengesetzten Grundhaltung aus. Er will - das wollen wir alle -die Wettbewerbswirtschaft sichern. In ihrer unbedingten Abneigung gegen Beschränkungen des Wettbewerbs wissen aber die Verfasser des Entwurfs keinen anderen Weg als den des grundsätzlichen Verbots. So schufen sie ein Verbotsgesetz mit - wie man in der bayerischen Fachsprache so schön sagt - Erlaubnisvorbehalt. Es ist ein Polizeistrafgesetz. Unversehens aber haben dabei und damit die Initiatoren in ihrem an sich durchaus löblichen Bestreben die sichere Gefahr der Schaffung einer neuen staatlichen oder vielmehr bürokratischen Machtballung heraufbeschworen. Angesichts der Fülle von Vollmachten, welche die Kartellbehörde haben soll, wäre mit der Entstehung eines großen, kostspieligen, die wirtschaftlichen Abläufe und Entwicklungen störenden Amtsapparats zu rechnen, der nicht imstande sein würde, elastisch, wendig und rasch die nach den oft wechselnden wirtschaftlichen Verhältnissen notwendig werdenden Entscheidungen zu treffen. 'Seine Funktionäre wären darauf erpicht, auch das letzte vereinbarte Kalkulationsschema in den Bereich ihrer Einflußnahme zu ziehen. Diese Gefahren wären auch bei der Besetzung mit einem hockqualifizierten, nicht auf Juristen beschränkten, sondern auf Volks- und Betriebswirte sowie Ingenieure erweiterten Arbeitsstab nicht ausgeschlossen. Letzten Endes würde das Gesetz in seiner gegenwärtigen Gestalt zu einer übermäßigen Entwicklung der vertikalen Organisation der Wirtschaft, der freie verarbeitende Betriebe von der Rohstoffbasis aussperrenden Vertrustung führen, deren schwere Panzerung weniger erträglich wäre als die leichte Kavallerie horizontaler Abreden oder Beschlüsse.
Das grundsätzliche Verbot hat notwendigerweise das Bestreben beteiligter oder betroffener Wirtschaftszweige zur Folge, in die Liste der Befreiungen aufgenommen zu werden. Ein solches Verfahren führt leicht zu willkürlichen Regelungen. Der Gesetzentwurf, seine Vorbereitung und bisherige Beratung bestätigen diese Erfahrung, und die Ausnahmen, mit denen der Bundesrat die Kataloge der Freistellungen erweitert wissen möchte, machen das noch deutlicher. Es ist nicht so sehr zu beanstanden, daß nach § 75 Abs. 5 des Entwurfs die in den Marktgesetzen für Getreide, Zucker, Milch und Fett zugelassenen Wettbewerbsbeschränkungen aufrechterhalten bleiben sollen, daß ferner der Bundesrat in seinen Änderungsvorschlägen zu den §§ 75 und 76 das gesamte land-und forstwirtschaftliche Genossenschaftswesen in Erzeugung, Absatz und sogar Be- und Verarbeitung land- und forstwirtschaftlicher Produkte einschließlich der Möglichkeit von Preisabreden sowie die Kreditinstitute, Versicherungseinrichtungen und Bausparkassen von dem Verbot ausnehmen will; aber es ist die Tatsache unbefriedigend, daß das generelle Verbot zu sachlich berechtigten oder gebotenen, in der Auswahl jedoch notwendigerweise willkürlichen Befreiungen Anlaß gibt oder zwingt. Es ist nicht zu verwundern, wenn Industrie, Handwerk, Handel und sonstige Zweige der gewerblichen Wirtschaft hierin für sich eine Diskriminierung sehen und wenn beispielsweise der Außenhandel es nicht versteht, daß kartellmäßige Außenhandelsabreden, die zur Behauptung des deutschen Wettbewerbs auf den Außenmärkten unerläßlich sein können, nicht grundsätzlich aufgenommen sein sollen, sondern nach § 5 besonders zugelassen werden müssen. Andererseits werden die freien Berufe, die Architekten, Wirtschaftsprüfer, Treuhänder, selbständigen Ingenieure usw. mit Recht erbittert sein, daß sie der Bundesrat in das Kartellgesetz einbeziehen möchte, sogar ohne 'Rücksicht darauf, ob sie gewerbesteuerpflichtig sind oder nicht. Hier ergeben sich im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes gewichtige verfassungsrechtliche Bedenken. Ziel einer Kartellgesetzgebung sollte wohl sein, von dem 'Grundsatz auszugehen, daß Kartelle erlaubt, mißbräuchliche, gemeinschädliche, monopolistische, die Wettbewerbswirtschaft gefährdende Kartellabreden und Kartellbeschlüsse aber verhindert oder unterbunden werden müssen. Das entspricht offenbar auch dem Kap. V Art. 46 der Havanna-Charta und der Auffassung unserer europäischen Nachbarstaaten.
Das Prinzip eines allgemeinen Kartellverbots muß wahrscheinlich aufgegeben werden. Die zu billigende Absicht des Gesetzgebers würde wohl besser durch wirksame Einrichtungen einer strengen Kartellaufsicht mit Registrierpflicht für Kartellabreden erreicht. Dem Kartellaufsichtsamt müßten Befugnisse und Handhaben zu einem nachdrücklichen Einschreiten zur Verfügung stehen. Entsprechend einem Vorschlag des Europarats könnte bei bestimmten, erfahrungsgemäß allgemeinschädlichen Vereinbarungen wie bei Boykott, 'Diskriminierungen von Abnehmern und dergleichen die Beweislast so geregelt werden, daß die Kartellteilnehmer den Gegenbeweis zu führen hätten. Weiterhin wäre zu prüfen, ob nicht die Kartellabreden grundsätzlich nur als Naturalobligationen, also als nicht klagbare Verbindlichkeiten gelten sollten.
Es ist anzunehmen, daß in den Ausschußberatungen nochmals auf die ganze Problematik der Angelegenheit eingegangen wird. Der Ausschuß dürfte dabei auch nicht ganz an der umstrittenen Frage vorübergehen können, ob 'kartellierte Über- oder Unterpreise zu einer Über- oder Unterkapitalisierung in den kartellierten Unternehmen oder Zweigen führen. Da der Gesetzentwurf in seinem ganzen Ausmaß von erheblichen Rechtsfragen durchzogen ist, erscheint die Mitbeteiligung des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht veranlaßt. Namens der Föderalistischen Union ({1}) darf ich diese Mitbeteiligung hiermit ausdrücklich beantragen.
({2})
Das Wort hat Herr Minister Dr. Erhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu einigen Betrachtungen von Herrn Dr. Schöne Stellung nehmen, Obwohl ich nicht glaube, daß er mit seinen Darlegungen über die Verbindung von amerikanischer Auffassung zu diesem deutschen Gesetz den Vorwurf einer Abhängigkeit erheben wollte. Ich kann nur eines sagen: die Äußerungen, die nach einer Notiz, die ich nicht kannte, der französische Herr Kartellberater gemacht hat, sind keinesfalls in einer Sitzung mit den Alliierten gefallen. Ob es eine private Äußerung war, weiß ich nicht; aber dann ist sie ja auch völlig gleichgültig.
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Ich darf noch einmal versichern - und ich möchte 'das mit aller Deutlichkeit herausstellen -, daß die Auffassung, die sich in diesem Gesetz niedergeschlagen hat, deutschen Ursprungs ist. Die Gedanken sind auch nicht neu, sondern sind mindestens 25 Jahre alt.
(Zuruf von ({1})
Sie sind erwachsen aus den Erfahrungen, die man mit der früheren deutschen Kartellgesetzgebung, eben einer Mißbrauchsgesetzgebung gemacht hat, und sie basieren erkenntnistheoretisch auf den wissenschaftlichen Lehren insbesondere der Freiburger Schule.
Ich kann nur immer wieder sagen: So sehr ich mich auf der einen Seite darüber freuen möchte, daß wir in der Auffassung mit den Amerikanern in bezug auf dieses Thema und diesen Problemkreis übereinstimmen, so sehr muß ich auf der andern Seite diese Übereinstimmung fast bedauern, wenn in der deutschen Öffentlichkeit auch nur an irgendeiner Stelle die Meinung entstünde, als ob wir in dieser Frage unter irgendeinen Druck gesetzt worden wären oder unsere deutsche Auffassung auf fremde Einflüsse zurückzuführen wäre. Die Bundesregierung verwahrt sich gegen eine solche Unterstellung mit aller Entschiedenheit. Dieses Gesetz entspricht unserer originären Auffassung und wird von uns aus unserer deutschen Interessenlage heraus vertreten.
Dann, Herr Dr. Schöne, darf ich Ihnen noch etwas mit aller Bestimmtheit versichern. Die Ausnahmen, die im Gesetz, vorgesehen sind und die einer besonderen Genehmigung in der Form eines Rationalisierungs-, insbesondere des Krisen- und auch des Außenhandelskartells bedürfen, sind ganz bestimmt nicht als ein Instrument gemeint, um dem Kartellgesetz entschlüpfen zu können, sondern das sollen wirklich Ausnahmen sein, die so stichhaltig begründet sein müssen, daß sie allgemein und unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten Anerkennung verdienen.
Ich bin weit davon entfernt, etwa den Wettbewerb als Prinzip heilig zu sprechen. Ich weiß, daß man auch in wirtschaftlichen Ordnungskategorien denken kann, bei denen der Wettbewerb nicht zwingender Bestandteil ist. Aber ich glaube, hier muß eine immanente Betrachtung Platz greifen. Im Rahmen der deutschen Wirtschaftspolitik, jedenfalls im Rahmen einer Marktwirtschaft, ist der Wettbewerb ein unabdingbarer Bestandteil der ökonomischen Ordnung.
Wenn Sie weiter von der europäischen Konzeption sprachen, dann scheint es mir doch immerhin deutlich genug zu sein, daß auch der Zusammenschluß oder das Zusammenfinden Europas unter marktwirtschaftlichen Grundsätzen stehen wird. Ich darf auf die Tendenzen der Liberalisierung der Europäischen Zahlungsunion verweisen. Ich darf weiter auf den Schumanplan verweisen, der den Grundsatz eines freien Leistungswettbewerbs im gemeinsamen Markt vorausstellt. Sie werden in der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft auch ähnliche Züge eines freien Wettbewerbs finden. Wir können also annehmen, daß dieses Kartellgesetz, das den Wettbewerb in den Mittelpunkt stellt, nicht nur einer deutschen Auffassung entspricht, sondern wahrscheinlich auch einer europäischen Konzeption, so wie sie sich heute abzeichnet, entgegenkommt.
Ich darf noch einmal sagen: Ich glaube, daß, selbst wenn dieses Kartellgesetz Neuland betritt und wenn wir in Deutschland mindestens innerhalb Europas als erstes Land eine solche Ordnung verwirklichen wollen, sich das nicht zum Schaden der 'deutschen Wirtschaft auswirken wird. Sonst hätte ich das Kartellgesetz ganz bestimmt nicht in dieser Form vorgelegt. Ich darf noch einmal bitten, fernerhin in keiner Diskussion mehr auch nur den Gedanken anklingen zu lassen, wir wären mit diesem Kartellgesetz irgendeiner alliierten Auffassung hörig. Ich lehne das mit aller Entschiedenheit auch persönlich ab.
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Das Wort hat der Abgeordnete Rische.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Theorien über sozialen und organisierten Kapitalismus etwas über das wirkliche Leben!
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Die interessanteste Frage der heutigen Debatte über ein sogenanntes Antikartellgesetz: Warum wurde es erst heute vorgelegt? Die Antwort darauf ist einfach: Dieses Gesetz atmet seinem ganzen Inhalt und seinen Buchstaben nach den Geist des Generalvertrages. Warum? Die Verzögerung hat ausschließlich politische Ursachen. Es wurde gewartet, bis der Kartellbau und die Monopolisierung der westdeutschen Kriegswirtschaft nahezu abgeschlossen sind. Die Gesetze Nr. 75 und Nr. 27 waren wichtige Meilensteine auf diesem Wege. Dies wiederum war nur möglich durch den Bruch der Potsdamer Bestimmungen, die jede Monopolisierung aus Gründen der Erhaltung des Friedens für Deutschland und Europa untersagten; denn die Monopolorganisationen sind typisch für den agressiv-imperialistischen Charakter der deutschen Schwerindustrie und ihres Staates. Das gilt für die Vergangenheit und gilt heute mehr denn je. Diese Verzögerung wurde gefördert, um die Monopolisierung im Rahmen und Geist des Generalvertrags zu regeln. Die Bestimmungen des Generalvertrags zeigen deutlich, daß die amerikanischen Interessenten über die sogenannte Dekartellisierung z. B. bei IG-Farben, in der Stahlindustrie und im Bergbau feste Kriegsorganisationen schaffen wollen, die den modernsten Erfordernissen der Rationalisierung, der Rüstung und der Gewinnchancen entsprechen. Die Methode der Enflechtung ist im Grunde genommen nur die Methode der Monopolisierung in diesen Industrien. Sie war ein willkommener Anlaß, um durch Druck und Finanzmethoden amerikanischem Kapital die Führung in den Kerngesellschaften zu garantieren. In diesem Sinne ist dieses Gesetz eine der vielen Durchführungsverordnungen des antideutschen Generalkriegsvertrages. Ich will den Beweis führen.
Im Generalvertrag wird vorgegeben, daß unserm deutschen Volke die Souveränität zurückgegeben wird. In der Tat aber ist er ein Vertrag der nationalen Knechtung und der Preisgabe aller Souveränitätsrechte insbesondere im Wirtschaftsleben. Im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen wird vorgegeben, daß Kartellbildungen untersagt werden. In Wirklichkeit geht es nicht um die Unterbindung der Bildung von Kartellen und anderen Monopolvereinigungen, sondern um die Schaffung von gesetzlichen Voraussetzungen für die faktisch ungehinderte Kartellexpansion durch staatliche Förderung. Wenn der Generalvertrag ein amerikanisches Diktat zur Preisgabe der nationalen
({1})
Rechte auf Unabhängigkeit und staatliche Einheit bedeutet, so ist dieses Kartellförderungsgesetz ebenfalls nach amerikanischem Vorbild für die Konzentration in der Kriegswirtschaft geschaffen. Bekanntlich hat die amerikanische Gesetzgebung ebenfalls nicht verhindert, daß die größten Monopolvereinigungen der Welt entstanden und immer stärker wurden.
In § 1 des Gesetzes wird zum Schein versucht, von der „Anti" -Absicht des Gesetzes zu sprechen. So ist aber das Wort „Verbot der Kartelle" usw. durch die Worte „sind unwirksam" umgangen worden. Alle anderen Paragraphen, insbesondere die §§ 2 bis 5, sind schon glatte Zulassungsbedingungen für Kartelle und ähnliche Vereinbarungen auf allen Ebenen. Diese Paragraphen sanktionieren die bereits auf tausendfache Art und Weise geschaffenen Monopolorganisationen, die das ganze Wirtschaftsleben im Bundesgebiet in feste Bande geschlagen haben. Insbesondere geschah dies über die Neuerrichtung der Unternehmerverbände und der sogenannten wirtschaftlichen Vereinigungen. Ein dichtes Netz von Organisationen überzieht das Bundesgebiet, an deren Spitze der Bundesverband der deutschen Industrie und zahlreiche andere Unternehmerorganisationen stehen. Die Funktion dieser Organisationen hat sich gegenüber früher insofern geändert, als die meisten gleichzeitig die Aufgaben von Kartellen übernommen haben. Sie sind heute mit den Hunderten von sogenannten Wirtschaftsvereinigungen für alle Wirtschaftszweige die Akteure aller Kartellfunktionen von der Preis- bis zur Marktbeherrschung.
Man muß hinzufügen, dies geschieht mit der amtlichen Förderung des Herrn Bundeswirtschaftsministers. Denn diese Organisationen sind die festesten Stützen der Kriegswirtschaft und stellen die Berater für diese verderbliche Politik. Auf ihr Drängen wurde auch das vorliegende Gesetz über ein dutzendmal geändert. Die Sachberater von Günther bis Risse sind doch die Exponenten der Schwerindustrie, der Herren Reusch, Dinkelbach und Kost. Danach ist dieses Gesetz auch geraten. Wenn man beispielsweise in § 7 Beschränkungen bei der Zulassung von Kartellen usw. vorgeben will, so zeigt doch die amerikanische Praxis, daß jederzeit neue Kartellbildungen möglich sind. Es gibt zur Not auch Kartelle, die durch mündliche Vereinbarungen bei einem Cocktail zustande kommen oder nach der Methode der lobbyists in den Wandelgängen auch dieses Parlaments.
Ich stelle darum fest, daß dieses Gesetz die Kartellpraxis überhaupt nicht berührt. Es bietet vielmehr alle Möglichkeiten, immer mehr und immer mächtigere Monopolgebilde zum Schaden der Wirtschaft zu schaffen. Im übrigen helfen dabei die Ausnahmebestimmungen des Schumanplans, wodurch Superkartelle in der Stahl- und in der Kohleindustrie geschaffen werden.
Ein Wort zur Kartellbehörde. Das Bundeskartellamt hat die Aufgabe, Kartelle usw. zu gestatten oder zu überprüfen. Diese Praxis kennen wir. Daran ändert auch nichts der scheinbar überparteiliche Charakter dieser Behörde. Es wird so sein, daß nicht die Krupp, Zangen oder Dinkelbach selbst, sondern vergleichsweise ihre Syndici in der Behörde tätig sind.
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Warum das alles? Die Adenauer-Regierung und
ihre Hintermänner drängen zu einer aggressiven
Wirtschaftspolitik nach außen. Das kommt zum
Ausdruck in der vorgesehenen Zulassung von sogenannten Außenhandelskartellen. Das ist keine neue Praxis. Sie wurde und wird von den großen Konzernen ständig geübt. Das aber bedeutet die Zulassung von internationalen Kartellen, wie z. B. der Kartellvereinbarung I. G. Farben mit der amerikanischen Monopolgesellschaft Dupont. Die Schaffung von Rationalisierungskartellen kündigt ebenfalls einen neuen verschärften Raubzug auf Kosten der Arbeiter durch intensivere Ausbeutung an.
Warum dies alles? Die Frage ist einfach beantwortet. Es geht um die Schaffung solcher Monopolorganisationen in der Wirtschaft, die die Politik des Krieges und der Remilitarisierung rücksichtslos zum Schaden des Volkes anwenden sollen. Darum auch der Bruch des Potsdamer Abkommens. Ohne die Durchführung der Entkartellisierung und der Beseitigung der Monopolwirtschaft ist es unmöglich, die Bedingungen für eine Wiedergeburt Deutschlands als eines friedlichen und demokratischen Staates zu sichern. Die Kartelle sind immer wieder die Ansätze zur autoritären Regierung. Das wurde mehr als einmal in Deutschland praktiziert. Das zu verhindern ist die Aufgabe aller wirklich besorgten Deutschen, die sich bemühen müssen, eine solche Praxis zu erwirken, durch die Kartelle nicht nur kontrolliert, sondern abgeschafft werden.
({3}) Das Gesetz aber will gerade das Gegenteil. Es will den Opfern der Kartelle, den kleinen und schwachen Unternehmern, den Arbeitern und schließlich unserem deutschen Volke Sand in die Augen streuen. Hinter der Fassade dieses Gesetzes wollen die Kartellisten ein neues Unglück für unser deutsches Volk vorbereiten.
Dieses Gesetz hat neben dem Gesetz Nr. 27 und anderen Gesetzen Vorgänger, wie z. B. das Gesetz über den Niederlassungsbereich von Kreditinstituten, durch welches die bestehenden 30 Nachfolgeinstitute der Großbanken gegenwärtig in drei regionale Gruppen zusammengefaßt werden. Jede der alten Monopolbanken verfügt über eine Nachfolgebank, so daß insgesamt 9 Banken entstehen, die doch das Wiedererstehen der alten Banken nur schlecht verschleiern können. Hier zeigt sich, daß aus der ursprünglich vorgesehenen Dezentralisierung eine neuerliche Konzentration wurde, wie dies auch in der ganzen eisenschaffenden Industrie und im Bergbau der Fall ist.
Ich möchte zum Schluß sagen, die Aussichten dieses Gesetzes sind durchaus nicht ermutigend. Eine Reihe von Syndici der Schwerindustrie finden ein neues Betätigungsfeld, um leichter die Bestimmungen des Gesetzes im Verlaufe ihrer Verhandlungen über den Haufen zu werfen. Es ist kein Hindernis für die Schaffung von Kartellen und anderen Monopolorganisationen, sondern ein Sprungbrett für diese. Im übrigen wird dieses Gesetz im Zeichen der sich verschärfenden politischen und wirtschaftlichen Krise wie lose Papierblätter zerflattern. Wir aber wollen einen wirklichen Schutz vor den Kriegsinstrumenten, die diese Monopolorganisationen darstellen. Die Durchführung der Bestimmmungen des Potsdamer Vertrages ist dafür unerläßliche Voraussetzung. In diesem Vertrag heißt es:
In praktisch kürzester Frist ist das deutsche Wirtschaftsleben zu dezentralisieren mit dem Ziele der Vernichtung der bestehenden übermäßigen Konzentration der Wirtschaftskraft, dargestellt insbesondere durch Kartelle, Syndikate, Truste und andere Monopolvereinbarungen.
({4})
Dieser Vertrag ist nicht aufgehoben, er ist wirksam und wurde nur durch die Praxis der Amerikaner über den Haufen geworfen. Mit dieser Praxis ist zugleich eine neue Gefährdung für unser Volk gekommen. Dieses Gesetz hat keine andere Aufgabe, als in der deutschen Wirtschaft neue mächtige Kriegsinstrumente zu schaffen, die, wie schon zweimal, nur dazu dienen, einen neuen, dritten Weltkrieg vorzubereiten.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Preusker.
Meine Damen und Herren! Es war immerhin interessant, von dem Vertreter einer kollektivistischen Gesellschaftsordnung Ausführungen für das Kartellgesetz zu hören. Ich glaube, wir brauchen uns damit im Augenblick nicht weiter zu beschäftigen.
Der Herr Kollege Schöne hat davon gesprochen, daß es bei diesem Gesetz darum gehe, sich zunächst einmal darüber klar zu sein, welches denn nun die Grundauffassung der sozialen Marktwirtschaft sei, und er hat die Frage aufgeworfen, ob es sich dabei wirklich um den Wettbewerb handle und ob dieser Wettbewerb ein solcher aller gegen alle sein müsse, der durch dieses Gesetz zu sichern sei. Ich möchte ihm folgendes entgegenhalten. Wir sehen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, oder ich möchte besser sagen: ein Gesetz zur Sicherung eines fairen Wettbewerbs als eines der grundlegenden Ordnungsgesetze einer freiheitlichen und sozialen marktwirtschaftlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung an. Aber es ist tatsächlich nur eines. Gleichrangig daneben steht für uns beispielsweise das Betriebsverfassungsgesetz als ein Gesetz zur Ordnung der menschlichen Beziehungen zwischen den schaffenden Kräften, ob sie Arbeitnehmer oder Unternehmer sind, innerhalb der Betriebe. Ebenso steht gleichrangig die Gesamtordnung der Sozialversicherung als eines der Gesetze der freiheitlichen sozialen Gesellschaftsordnung daneben; sie ist eine dritte Säule, auf der die Beziehungen der nicht mehr im produktiven Prozeß stehenden Menschen zur Gesamtheit ruhen.
Auf diese Weise darf ich von unserem Gesichtspunkt aus einmal die Einordnung dieses Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vornehmen. Es ist uns deshalb sehr verständlich, daß schon in der Vergangenheit um die Form dieses Gesetzes sehr hart gerungen worden ist. Wir sind uns auch darüber klar, daß in den nächsten Monaten noch sehr viele ernsthafte Überlegungen zu den einzelnen Punkten und zu den Grundsatzfragen angestellt werden müssen.
Jedenfalls kann jemand, der die Freiheit derwirtschaftlichen Betätigung, die Freiheit der privaten Initiative, die Freiheit des Konsums, die Freiheit des Anspruchs auf den Leistungsertrag und damit auf ein in der Gesamtverantwortung gehaltenes Privateigentum bejaht, nicht anders, als daß er ein Gesetz zur Ordnung dieser Freiheit im wirtschaftlichen Bereich und zur Sicherung dieser Freiheit als unabdingbar notwendig fordert. Wir werden uns deshalb als Anhänger dieser freiheitlichen Gesellschaftsordnung auch mit allen Kräften dafür einsetzen, daß ein solches Gesetz möglichst bald verabschiedet wird.
Wir müssen dazu aber noch etwas anderes sagen. Wir können nicht begreifen, daß in vielen Teilen der Wirtschaft im Augenblick der ernsthaften Beratung dieses Gesetzes eine so starke Verwirrung eingetreten ist, wie wir sie beobachten können. Man kann sich nicht gut auf der einen Seite gegen die „Allmacht" des Staates, gegen „willkürliche" Eingriffe des Staates in wirtschaftliche Dinge zur Wehr setzen und kann auch nicht gut mit allem Nachdruck darauf hinweisen, wie wenig es dem Staat anstehe, selber zu wirtschaften, wie dabei immer wieder „Schwarze Märkte", Korruption und Entrechtungen entstünden - die aus falsch verstandenen sozialen Vorstellungen unter Umständen so unglücklich enden, daß die Gesamtheit der Steuerzahler einige Jahre später dafür aufkommen muß, damit dann aus allgemeinen Steuermitteln Investitionen gemacht werden, die vorher unterblieben sind -, und auf der andern Seite in einem Atemzug alle diese Vollmachten zur Regelung von Preisen, zur Regelung der Produktion, des Absatzes und der Lieferung an Stelle des Staates selber in Anspruch nehmen. Wir müssen von unserem Standpunkt aus der Wirtschaft sehr deutlich sagen: wenn sie die staatliche Bevormundung nicht wünscht und wenn sie selber feststellt, zu welchen verheerenden Folgen die staatlich gelenkte Wirtschaft in der Vergangenheit geführt hat, dann muß sie auch konsequent genug sein, um nicht gegen sich selbst das Mißtrauen, das dann in noch viel stärkerem Maße naturnotwendig in der Bevölkerung aufkommen muß, zu mobilisieren, indem sie die gleiche Vollmacht für sich beansprucht.
Wer den guten Tropfen, der in einer leistungsentlohnenden, arbeitsteiligen Volkswirtschaft liegt, für sich beansprucht, der muß auch bereit sein, auf der anderen Seite den bitteren Tropfen zu übernehmen und sich unter die Gesetze eines wirklich fairen und ordentlichen Wettbewerbs zu beugen. Deshalb ist die FDP grundsätzlich bereit, nicht nur e i n Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu beraten, sondern auch das Prinzip der Unvereinbarkeit von irgendwelchen Wettbewerbsbeschränkungen bei der Ausübung einer wirtschaftlichen Macht, die durch Leistungen aufgebaut ist oder zu überwinden ist, hinzunehmen.
Die FDP muß dazu feststellen: zum Funktionieren eines solchen auf der Verbotsgesetzgebung aufbauenden Gesetzes gehört dann auch wirklich eine unter dem Gesetz des Wettbewerbs stehende Marktwirtschaft. Diese Marktwirtschaft, die ausschließlich unter diesem Gesetz steht und funktioniert, können wir im Augenblick noch nicht wieder als gesichert feststellen. Es bestehen nicht nur in verschiedenen Bereichen, in den Bereichen der Grundstoffe, des Kapitalmarktes, der Wohnungswirtschaft, noch staatliche Lenkungsmaßnahmen, sondern es ist darüber hinaus festzustellen, daß es namentlich auf einem Gebiet eine ganz gefährliche, in das Funktionieren eines echten Leistungswettbewerbs eingreifende Verzerrung gibt, unter dem Druck der Not und der gesamten Verhältnisse wenige Jahre nach einem verlorenen Krieg allerdings nur zu begreiflich. Das ist die außergewöhnliche Steuerbelastung,
({0})
die auf ein Steuersystem aufgepfropft worden ist, das für ganz andere, friedliche Verhältnisse und Beanspruchungen konstruiert war. Aus diesen Gründen der übermäßigen steuerlichen Progression, einer Auswirkung von Steuergesetzen im Bereiche der Wirtschaft, die nicht die Leistung begünstigt, sondern zum Teil sogar zur „Kostenproduktion" anregt und die letzen Endes zu der Gefahr führt,
({1})
daß statt der Produktion die Korruption gefördert wird, kann auch ein Verbotsgesetz auf dem Gebiet der Wettbewerbsordnungen ernste Gefahren in der praktischen Anwendung herbeiführen, kann es auch ernste Ungerechtigkeiten gegenüber denjenigen bedeuten, die versuchen, sich gegenüber derartigen, ich möchte einmal sagen, Systemwidrigkeiten einer staatlichen Steuergesetzgebung zu schützen.
Schließlich muß noch ein Weg gefunden werden, wie man auch kleine und neue Betriebe, einstufige Betriebe in einwandfreier Form in einem fairen Leistungswettbewerb erhalten kann gegenüber z. B. mehrstufigen oder aber horizontal stark konzentrierten Betrieben, die unter Umständen die Möglichkeit haben - denken Sie an die chemische Industrie -, mit Kuppelprodukten in diesem oder in jenem Fall einmal unter Umständen eine faire Kalkulation und einen fairen Wettbewerb außer acht zu lassen.
Wir stellen daher an die Bundesregierung die Forderung, daß dieses Ordnungsgesetz der Wirtschaft, dieses Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen auch zum Anlaß genommen wird, nun auf den übrigen Gebieten, die ich eben nannte, und vor allem auf dem Gebiet der Steuergesetzgebung, die Systemvoraussetzungen einer funktionierenden Marktwirtschaft herzustellen, damit das Ordnungsgesetz wirklich segensreich wirken kann und nicht unter Umständen Schäden hervorruft, die es nicht hervorrufen will. Wenn die Bundesregierung bereit ist, mit uns diesen Weg auf dem gesamten Gebiet der Wettbewerbsordnung in der Wirtschaft zu gehen, dann sind wir auch bereit, mit ihr den in Europa neuartigen Weg einer Verbotsgesetzgebung auf dem Gebiet der Kartelle zu gehen. Denn für uns dreht es sich bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs wie bei allen wirtschaftlichen Fragen nicht in erster Linie um die speziell wirtschaftlichen Interessen, sondern gerade bei dieser kardinalen Frage dreht es sich für uns um die Grundfragen der Erhaltung einer freiheitlichen und sozialen Ordnung, um die Sicherung und Förderung des Wohlstandes und der Wohlfahrt unseres Volkes und um den Schutz unseres Volkes gegen die Bedrohung. die von mannigfachen Einflüssen staatlicher Allmacht, staatlicher Eingriffe und staatlicher Systemwidrigkeiten - Lenkurig oder sonstwie genannt - bisher nicht nur auf die Wirtschaft, sondern dann immer wieder auf die gesamte soziale Ordnung ausgegangen ist.
Diese Bedrohung sehen wir vor allen Dingen in vier K's - auch wir haben vier K's, das möchte ich den Herren von der Opposition einmal sagen -,
({2})
das sind die Bedrohungen durch Kollektivismus, Klassenkampf,
({3}) Kommandowirtschaft und Korruption. ({4})
Damit wir gegen diese Katastrophe - das wäre des fünfte K - gesichert sind, sind wir schon bereit, auf dem Gebiete der Sicherung der Freiheit einen Weg bis zum äußersten mitzugehen. Aber wir müssen auch wissen, daß er auf allen Gebieten mit Sicherheit zum Erfolg führt.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete von Merkatz.
Dr. von Merkatz ({0}) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die bisher in der ersten Lesung des Kartellgesetzes geäußerten Ansichten einander gegenüberstellt, wird man feststellen, daß sowohl bei der Opposition als auch bei den Fraktionen der Koalition eine bemerkenswerte Vorsicht in der Formulierung obgewaltet hat. Wir haben - und das interssiert uns wesentlich - die gewisse Kartellfreundlichkeit, die aus den Worten des Herrn Kollegen Schöne herausklang, gehört. Wir haben auch bemerkt, daß er in gewisser Hinsicht - um dieses Schlagwort zu gebrauchen - eine Mißbrauchgesetzgebung lieber befürworten würde, ohne mit dieser seiner geäußerten Ansicht seine Fraktion festzulegen. Wir vermerken, daß wir in diesem Punkt uns einmal mit einer Grundauffassung der Opposition so ein klein wenig näherzukommen scheinen.
({1})
Ich darf vorweg bemerken, daß wir dem Herrn Wirtschaftsminister, der diese Geetzesvorlage als rein deutschen Entwurf sehr stark gefördert hat, die Befreiung von der Zwangswirtschaft verdanken. Wenn ich deshalb gegenüber dem von ihm vorgelegten Entwurf eine gewisse Nuance der Kritik anklingen lassen muß, so möchte ich nicht unterlassen, diese Dankbarkeit vorweg zum Ausdruck zu bringen und damit zugleich ein grundsätzliches Bekenntnis zu verbinden zu den grundlegenden Zielen, die mit diesem Gesetzentwurf verfolgt werden.
Es ist ferner zu bemerken, daß eine sehr feingeschliffene und auf viel praktische Erfahrung beruhende juristische Kleinarbeit grundsätzlicher Art in diesem Entwurf steckt, und ich schließe mich besonders auch der Auffassung an, daß es sich hier nicht um einen Entwurf handelt, dessen Grundideen aus einer Hörigkeit gegenüber dem uns von Amerika herübergebrachten Sendungsglauben hervorgegangen sind.
Es handelt sich hier um einen sehr bedeutsamen Vorgang. Ich möchte nicht übertreiben; aber ich glaube, daß dieses Gesetz einen ganz wesentlichen Teil der Wirtschaftsverfassung darstellt
({2})
und daß es eigentlich ein Gesetz von einer Bedeutung ist, die der vieler grundlegender Bestimmungen des Grundgesetzes nicht nachsteht. Eine Wirtschaftsverfassung hat ja drei Elemente: die Ordnung des Marktes, die Frage des Eigentums in der Wirtschaft und die Frage der Betriebsverfassung. Es ist also mit diesem Gesetz einer der wichtigsten Teile der Wirtschaftsverfassung, die immer zugleich die Verfassungswirklichkeit auch der politischen Verfassung darzustellen pflegt, in Angriff genommen worden. Man kann zweifelhaft sein, ob im gegenwärtigen Zustand schon der Reifegrad erreicht ist, ein so grundsätzliches Gesetzgebungswerk zu vollbringen, und ob es nicht weiser gewesen wäre, einen Zustand des Überganges zunächst vorzuziehen. Im Gegensatz zur Weimarer Verfassung hatte der Parlamentarische Rat es ausdrücklich abgelehnt, die wirtschaftspolitischen Grundsätze bereits zu formulieren, und auch ich persönlich möchte mich dahin aussprechen, daß es mir als ein Wagnis und als ein Zeichen von großem Mut erscheint, bereits jetzt diesen aus der Wirtschaftstheorie, aus der Freiburger Schule, hervorgegangenen Gesetzentwurf zur Formulierung zu bringen. Allerdings steht da der Herr Wirtschaftsminister in einer guten Gesellschaft. Nach dem Zusammenbruch von 1807, im Jahre 1811, hat man
({3})
beim Neuaufbau des Staates auch auf dem Gebiet der Wirtschaft und damit praktisch der Sozialordnung den grundsätzlichen Gedanken der Freiheit zum erstenmal praktisch formuliert. Man hat vieles davon in den ersten Krisenjahrzehnten des vorigen Jahrhunderts zurücknehmen müssen.
({4})
1849 ist beispielsweise die Zunftordnung - wie es auch in der Begründung zu dem Gesetz dargelegt ist - wieder eingeführt worden, und die Gedanken, die damals im Zusammenbruch Preußens zu seiner Wiederaufrichtung gefaßt worden sind, waren ja nicht nur Gedanken im Bereich des Politischen, nicht nur Gedanken im Bereich der Wehrverfassung, sondern das Entscheidende, das, worauf praktisch heute noch unser Denkbild in der Verwaltung, in der Wirtschaft und in der Gesellschaft beruht, ist damals als eine Frucht des Zusammenbruchs ergriffen und vorausgedacht worden. Ich sage dies, um auch mit diesen Darlegungen die Behauptung abzuwehren, daß in der Konzeption dieses Gesetzes eine Hörigkeit gegenüber den Besatzungsmächten zutage trete, und ich sage es mit dem Ziel, daß die Ausgestaltung dieser Gesetzesvorlage in sehr sorgfältiger Arbeit in unseren Ausschüssen vorgenommen werden möge, und zwar möchte ich andeuten: völlig. unabhängig von den Vorstellungen, die man bei den Dekartellisierungs-
und sonstigen Wirtschaftsfanatikern gehabt hat. Denn was hier beschlosen wird, kann unter Umständen dieselbe segensreiche oder, falls es nicht richtig durchdacht ist, verhängnisvolle Wirkung haben; eine segensreiche Wirkung vielleicht genau wie damals die Gesetzgebung um das Jahr 1811/ 1812, die ein ganzes Jahrhundert in ihren grundsätzlichen Auffassungen bestimmt hat.
Ich möchte aber auch die Gelegenheit wahrnehmen, gegen einen Begriff, wie er aus den Darlegungen der. Opposition hervorklang, gegen den Begriff der wirtschaftlichen Macht, Stellung zu nehmen. Wenn man formulieren würde „wirtschaftliches Vermögen", träfe es den Sachverhalt besser. Der Begriff der ,.wirtschaftlichen Macht" steht in einer sehr schlechten Nachbarschaft zum Begriff der politischen Macht und zu gewissen Präambeln von alliierten Gesetzen, die eine der verhängnisvollsten Kriegsanschuldigungen gegen Deutschland bedeutet haben. Man reicht der marxistischen Konzeption schon den kleinen Finger, indem man hier von dem Umschlag von wirtschaftlicher Macht in politische Macht spricht, indem hier ein Ressentiment gegen gewisse Organisationsformen in der Wirtschaft aufgebracht wird. Die rein politische Zielsetzung einer solchen Propaganda muß erkannt werden. Wir wünschen bei der Beratung dieses Gesetzes einen völlig anderen Ausgangspunkt, wie das ja auch in der Regierungsvorlage in unserem Sinne zum Ausdruck gelangt ist.
Da vieles in dieser Gesetzesvorlage ein Experiment bedeutet, würden es meine politischen Freunde wenigstens für eine Übergangszeit für richtiger halten, wenn man sich entschlossen hätte, grundsätzlich von der Konzeption der Mißbrauchsgesetzgebung und nicht von der der Verbotsgesetzgebung auszugehen. Ich habe sogar erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel - nähere Darlegungen möchte ich mir, um Sie nicht zu langweilen, für den Ausschuß vorbehalten -, ob in der Gesetzesvorlage, im Gegensatz zu den Grundgedanken unserer Verfassung der richtige Gebrauch der Freiheit vorgeschrieben werden kann. Ich weiß nicht, ob dies alles -nicht ein
Verstoß gegen Grundprinzipien unserer freiheitlichen Verfassung ist. Der Wettbewerb mit seinen segensreichen Wirkungen ist ja nichts anderes als das Gebrauchmachen von einem Teil der Freiheit. Wenn man diese Frage rein positivistisch anfaßt, wird man sehr leicht gegen jede der Ausgangspositionen Gegenargumente anführen können.
Ich muß zugeben, daß eine Mißbrauchsgesetzgebung einen großen Verwaltungsapparat erforderlich machen könnte und daß die praktische Sicherung der Freiheit des Wettbewerbs nach der Methode der Mißbrauchsgesetzgebung sehr schwierig ist. Andererseits kann man denselben Einwand auch bei der Verbotsgesetzgebung erheben. Auch dort wird es die Augenzwinker-Kartelle, Frühstücks-Kartelle und sonstige Untergrundmaßnahmen geben können. Also gerade die Gefahr des vierten K, der Korruption, von der Herr Kollege Preusker gesprochen hat, ist bei einer so großen Machtausweitung des Staates doch wohl nicht zu leugnen.
Ich habe hier eine bestimmte staatsphilosophische Auffassung. Ich glaube, daß man mit besetzen nicht verordnen kann: Jetzt haben wir einen freiheitlichen Zustand, und so soll es in diesem freiheitlichen Zustand sein. Hier machen sich vielmehr in der Wirtschaft gewisse Entwicklungsgesetze geltend, die nicht allein auf eine nationale Wirtschaft begrenzt sind und die nicht durch einen Gesetzesbelehl aus der Welt geschafft werden können. Ich glaube, daß diese Ordnungsfunktion, die man dem Staate mit den Machtbefugnissen der Kartellbehörde überträgt, in das vollige Gegenteil umschlagen kann. Die Tatsächlichkeit der Existenznot kann stärker sein als der Gesetzgeber. Ich betone nachdrücklich das, was der Herr Kollege Preusker gesagt hat: es kommt auf die Systemvoraussetzungen an. Mit den Befugnissen der Kartellbehörde kann man großen Mißbrauch treiben. Man kann damit eine Planungs- und Lenkungswirtschaft auf die Beine stellen, gegen die fruhere Befugnisse, die so allmählich über die Kartellgesetzgebung angefangen haben, als geringfügig zu bezeichnen wären. Es besteht die Gefahr, daß die Wirtschaft verbürokratisiert wird. Darüber, nach welchen Methoden und mit welchen Personen diese Kartellbehörde arbeiten soll, machen wir uns besondere Sorgen. Ist es in der Wirtschaft nicht so, daß ein Klimawechsel sehr plötzlich vonstatten geht? Und ist, wenn ein Krisenkartell aufgebaut werden -soll, bis zu der Entscheidung der Kartellbehörde das Unglück nicht schon geschehen oder auch die Krise vielleicht schon wieder vorbei? Man sollte die spontanen Abwehr- und Schutzkräfte der Wirtschaft nicht behindern. Ich denke da z. B. an die Entwicklung des Investitionsgesetzes. Es ist außerordentlich schwer, juristisch wirtschaftlich lebendige Tatbestände zu erfassen. Man kann bewundern, mit wieviel Präzision die einzelnen Formulierungen geschaffen worden sind. Aber wenn Sie sie in der Praxis anwenden, ohne zu berücksichtigen, daß hier Systemvoraussetzungen gegeben sein müssen, dann können dieselben Formeln sich als Generalklauseln verhängnisvoll in das Gegenteil verkehren und auswirken.
Nur noch ein ganz kurzes Wort. Das, was mir in diesem Gesetzentwurf fehlt - ich spreche hier zugleich für meine politischen Freunde -, ist, daß die Konzeption des Gesetzes nicht den unmittelbaren Anschluß findet an die Entwicklung in Europa und an die Vorstellungen, die man in der Welt - ich denke hier an die Havanna-Charta ({5})
gehabt hat. Man kann sagen, daß der Herr Wirtschaftsminister den Sprung nach vorn gemacht hat, daß diese Prinzipien möglicherweise für eine Großraumwirtschaft Europas als Vorbild wirken können. Daß ein Anschluß gefunden werden muß, ist sicherlich das Ziel, das wir verfolgen. Aber vielleicht wäre es weiser gewesen - wenn das gegenüber der Besatzungsmacht politisch möglich gewesen wäre, um diese Dinge in deutsche Hoheit zu bekommen -, weniger kühn und auf der Grundlage einer wirklichen Markterforschung und nicht nach einer Theorie vorzugehen. Denn so, wie die Dinge hier liegen, kann die Gefahr bestehen, daß man unter gewissen Nötigungen im Rahmen der deutschen Wirtschaft und mit Rücksicht auf die Schwerfälligkeit, die in der Regel solchen staatlichen Ordnungsfunktionen anhaften, doch gegenüber den anderen Wirtschaften in einen Rückstand kommt. Aber es wird auch hier - ich betone es noch einmal - darauf ankommen, daß zugleich die richtigen Systemvoraussetzungen geschaffen und gesichert werden.
Meine Fraktion würde es begrüßen, wenn dieses Gesetz auch im Rechtsausschuß sehr sorgfältig und ohne jede Überhastung durchberaten würde.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Stegner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Aufgabe, die grundsätzsätzlichen Ausführungen meines Freundes Preusker im einzelnen zu ergänzen. Übrigens, Herr Professor Erhard, mir ist eines nicht klargeworden: warum Sie das Gesetz „Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen" nennen. Ich bin natürlich gebildet genug, um zu wissen, daß eine doppelte Negation eine Bejahung bedeutet. Aber man hättte auch sagen können: Gesetz zur Förderung oder zur Sicherung des Wettbewerbs. Das wäre wahrscheinlich dem Thema gerechter geworden. Entschuldigen Sie diese Einschaltung. Aber wir sollten unsere Gesetze auch in der Überschrift so klar ausstatten, daß man weiß, was gemeint ist, ich meine, daß auch der einfach denkende Mensch weiß, was gemeint ist.
({0})
- Ja, Herr Kollege Kreyssig, ich kämpfe ja gerade für die Klarheit und ich glaube, wir werden uns darin einig sein.
Ich darf für einen Teil meiner Freunde hier erklären, daß wir lieber ein Gesetz gesehen hätten, das den Mißbrauch der Kartelle zum Gegenstand gehabt hätte. Diese Meinungen werden weitgehend aus der Diskussion heraus unterbaut und nicht zuletzt durch die Ausführungen von Herrn Professor Erhard, der sagte: ein Kartellgesetz oder ein Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen nach der reinen Verbotsseite hin hat nur Sinn, wenn wir von einer „chemisch reinen Marktwirtschaft ausgehen. Nun, wir wissen, daß es eine chemisch reine Marktwirtschaft heute nicht gibt, und wir sind nicht ganz sicher, ob es eine chemisch ganz reine Marktwirtschaft in der Zukunft geben wird. Man kann nämlich die Entstehung dieses Gesetzes nur aus der wirtschaftlichen Entwicklung heraus sehen, und es ist interessant, daß der Gesetzentwurf, hier selber Ausnahmen, also Durchbrechungen des Verbotsprinzips zuläßt. Ich denke dabei nicht so sehr an die Kartellausnahmen, sondern ich denke an die Ausnahmen bei den vertikalen Verträgen, an die
Ausnahmen des § 11, die Ausnahmen der Markenartikel. Warum hat man sie denn herausgenommen? Weil aus einer fünfzigjährigen Entwicklung heraus ganz offenbar geworden ist, daß die Einführung der Markenartikel in gar keiner Weise markt- und preisstörend gewirkt hat, sondern in den fünfzig Jahren geradezu ein kalkulatorisches Rückgrat für eine schwache Händlerschicht georden sind und damit im wesentlichen dem Verbraucher zugute gekommen sind, indem man die volkswirtschaftlich notwendige Händlerschicht wirtschaftlich gestärkt hat. Dies ist geradezu ein Beweis für die Richtigkeit einer Mißbrauchsgesetzgebung. - Es sprechen aber auch noch andere Gründe gegen eine ganz starre Wettbewerbsgesetzgebung.
Wir werden uns in den Ausschüssen sehr genau überlegen müssen, welche Lockerungen und Änderungen hinsichtlich der Verbote getroffen werden müssen; denn dieses Gesetz hat ja nicht nur das Verbot der Kartellverträge im Auge, sondern ebenso wichtig ist der zweite Abschnitt, der von sonstigen Verträgen redet, und damit sind die vertikalen Individualverträge gemeint.
Wir stehen auf dem Standpunkt, daß ein reines Verbotsgesetz unter gar keinen Umständen die Gleichgewichtigkeit der Wirtschaft stören darf. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Industrie bisher stärker - wirtschaftsgeschichtlich gesehen - durch horizontale Kartelle gebunden war oder sich gebunden hat, was durchaus nicht so furchtbar zu sein braucht. Man kann das Kartell ja auch so definieren - und ich bin der letzte, der unnütze Kartelle verteidigt, aber man muß die Dinge aus der Entwicklung heraus sehen -, daß man die Preisregulierung aus der Verbraucherebene in die Leistungsebene hineinzieht - in die Produktionsebene -, und das kann manchmal gerade für den Verbraucher durchaus vorteilhaft sein. Ich darf weiterhin darauf aufmerksam machen, daß der zweite Teil des Gesetzes - die §§ 10 und folgende - die vertikalen Bindungen trifft, die für die Funktionen des Handels von Bedeutung sind.
Es ergibt sich also folgendes: Während sich die horizontalen Bindungen mehr auf die Industrie erstrecken, erstrecken sich die vertikalen vorwiegend auf den Handel. Nun kommt weiterhin die Ausnahme des § 75 in Betracht, welche die ganze Landwirtschaft aus der Kartellgesetzgebung herausnimmt. Wir wissen zwar, daß die Landwirtschaft besonderen volkswirtschaftlichen Grundsätzen unterliegt, aber wir laufen bei einer totalen Verbotsgesetzgebung die Gefahr, daß die Gleichgewichtigkeit zwischen Industrie, Handel und Landwirtschaft, die ja aufeinander abgestimmt sein müssen, gestört wird. Das sind Dinge, auf die wir sehr stark werden achten müssen.
Noch ein zweiter Punkt. Wenn dieses Gesetz die Marktwirtschaft fundieren oder ihre Krönung darstellen soll, dann müssen wir natürlich im Gesetz darauf achten, daß keine Folgen ausgelöst werden, die die Marktwirtschaft stören. Ich denke an ungleiche Startbedingungen verschiedener gesellschaftlicher Konstruktionen. Ich denke da gerade an die Frage der Genossenschaften im landwirtschaftlichen Sektor. Ich betone wieder: ich habe nichts gegen das Genossenschaftswesen in der Landwirtschaft; nur wird man dafür Sorge tragen müssen, daß die Parallelorganisationen privater, also nicht genossenschaftlicher Art keiner Wettbewerbshinderung, keiner Startbehinderung unterliegen. Das wäre gegen den Grundsatz des Gesetzes.
({1})
Ich habe solche Beispiele nur erwähnt, um zu zeigen, daß das Gesetz in sich bei weitem nicht so geschlossen ist, wie es bei oberflächlicher Betrachtung scheinen könnte. Nun, wir haben Verständnis dafür, daß die Regierung ein Verbotsgesetz vorlegt; denn ein Verbotsgesetz ist im Kartellwesen sehr viel einfacher zu entwerfen als ein Mißbrauchsgesetz. Wenn Sie ein Verbotsgesetz machen, brauchen Sie im Grunde nur drei Paragraphen. Sie sagen im ersten Paragraphen: „Abreden sind verboten", im zweiten Paragraphen sagen Sie: „Ausnahmen sind erlaubt", und im dritten Paragraphen umreißen Sie die Behörde, welche die Ausnahmen gestattet. Damit ist an sich der Fall sachlich abgeschlossen. Wenn Sie ein Mißbrauchsgesetz machen, dann haben Sie natürlich eine Fülle, ich möchte beinahe sagen, Kasuistik von Tatbeständen aufzustellen, und das macht natürlich einen solchen Entwurf sehr viel schwieriger. Es ist also sicher einfacher, ein Verbotsgesetz vorzulegen.
Ich gehe mit dem Kollegen von Merkatz vollkommen einig, daß eine Verbotsgesetzgebung eine besondere Überprüfung der Kartellbehörde notwendig macht, denn es hat ja keinen Sinn, kleine Abreden abzuschaffen und durch die Kartellbehörde etwa ein Instrument übermäßiger Machtzusammenballung neu zu schaffen. Es wäre auch töricht, eine Kartellbehörde zu schaffen, die den Herrn Bundeswirtschaftsminister in seiner segensreichen Tätigkeit dadurch stört, daß sie eine eigene Wirtschaftspolitik zu treiben beginnt. Dieser Fall kann eintreten; denn die Kartellbehörde hat j a nicht nur die Möglichkeit, Ausnahmen zuzulassen, sondern sie überwacht auch die Kartelle, sie überwacht ferner die Betriebe, die zu den Ausnahmen gehören. Ich bitte Sie z. B., einmal ganz besonders die Auskunftsmöglichkeiten, über die diese Kartellbehörde verfügt, zu beachten. Sie werden sehen, daß hier ein sehr erhebliches Machtinstrument entstehen kann.
Es ist die Aufgabe einer Generaldebatte, die Ausschußberatungen vorzubereiten. Deshalb möchte ich gerade auf diese Dinge hingewiesen haben, weil sie die Ausschüsse sehr intensiv befassen müssen, um so mehr, als ich beim Überlesen des Gesetzes den Eindruck habe, daß der Entwurf teilweise über die bisherigen volkswirtschaftlich -wissenschaftlichen Erkenntnisse überhaupt hinausgeht. Die Arbeit wird also nicht so einfach sein. Wir werden versuchen müssen, die Verbotsgesetzgebung so weit aufzulockern, daß sie einmal dem Sinne des Gesetzes noch gerecht wird, auf der andern Seite aber keine neuen Zusammenballungen gestattet. Wir werden die Gleichstellung der wirtschaftlichen Funktionen sichern müssen. Ich denke dabei an die Industrie, an Handel und Landwirtschaft, an das Genossenschaftswesen. Wir werden besonders an den land- und forstwirtschaftlichen Sektor denken müssen. Wir werden die Frage der vertikalen Verträge, also der Individualverträge sehr genau überprüfen müssen, denn in § 10 sind in der Wirtschaft bewährte Dinge, z. B. die Verkaufsorganisation betreffende Verträge, sehr einschneidend unter Verbot gestellt worden. Es ist überhaupt charakteristisch, daß der Entwurf zwei grundsätzlich verschiedene Bewertungen kennt: die Kartelle des § 1 werden nur - nach § 1 - „unwirksam", während die vertikalen Abreden des § 10 rechtlich „nichtig" werden. Sie wollen also beachten, daß beide Gruppen von vornherein einer ganz verschiedenen Behandlung unterliegen. Die Kartelle des § 1 haben die Möglichkeit, von Ausnahmen Gebrauch zu machen - die drei Ausnahmen sind oft genug genannt worden; man wird bei ihrer Definition sehr sorgfältig vorgehen müssen -, während für die Abreden des § 10, also die Individualabreden, überhaupt keine Ausnahmen nach dem Gesetz zugelassen werden können außer denen, die in § 11 genannt sind, nämlich der Markenartikel und gewisser Verlagserzeugnisse; aber weitere Ausnahmen sind nicht möglich.
Ich glaube also, diese Dinge sind in dem Entwurf noch nicht so durchgearbeitet worden, daß sie den wirtschaftlichen Gegebenheiten der Praxis entsprechen. Wir werden in sehr ernster Arbeit den Gesetzentwurf einer Überarbeitung unterziehen müssen, um ein Gesetz zu schaffen, welches garanjiert, daß eine Störung oder Verschiebung im wirtschaftlichen Gleichgewicht nicht stattfindet. Es muß vielmehr erreicht werden, daß ein solches Kartellgesetz die Wirtschaft fördert. Wir werden aber darauf achten müssen, daß dem Verbraucher kein Unrecht geschieht und daß soziale Verschiebungen nicht auftreten können. Wenn es uns gelingt, die Arbeit in diesem Sinne durchzuführen, werden wir ein Gesetz schaffen, das bahnbrechend in der Welt ist. Die Aufgabe, die vor uns liegt, ist wahrscheinlich bei keinem bisher verabschiedeten Wirtschaftsgesetz so schwer geworden wie bei diesem. Ich glaube aber, daß es unseren Bemühungen gelingen wird, ein Gesetz zu schaffen, das der Wirtschaft und dem deutschen Volke dient.
({2})
Ich darf dem Hause mitteilen, daß die Fraktion der Deutschen Partei die Anträge unter Punkt 15 und Punkt 16 von der heutigen Tagesordnung abgesetzt wissen möchte. - Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bertram.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon in der Lesung vom 27. Januar 1950 hatte ich drei Fragen gestellt, die im wesentlichen bis heute noch nicht beantwortet sind. Zunächst war die Frage: Wo und auf welchen Marktgebieten kann ein derartiges Gesetz überhaupt wirksam werden? Ist eine solche Gesetzgebung etwa nur eine Gesetzgebung gegen die industrielle Warenerzeugung? Und die dazugehörige Frage: Welche Formen des Machtmißbrauchs existieren, und wie lassen sich all diese vielfältigen Formen, die existieren können, überhaupt in einer gesetzgeberischen Jacke erfassen.
Ich möchte auf die Sektoren des Geldes und des Kapitals, der Versicherungswirtschaft, der Landwirtschaft, der Dienstleistungen, der Versorgungswirtschaft, aber auch auf die Grundstoffwirtschaft und das Handwerk hinweisen. Wenn man all diese großen Teile unserer Volkswirtschaft betrachtet, dann kommt man zu der Annahme, daß dieses Gesetz weniger als die Hälfte der deutschen Volkswirtschaft erfassen wird.
Ich hatte ferner darauf aufmerksam gemacht, ob die Preisfreiheit, die ein Postulat der Nützlichkeit ist, ausreichend ist, um ein solches Gesetz zu begründen. Unserer Ansicht nach kann nicht au Fragen der bloßen Nützlichkeit auf Grund der Erkenntnisse einer sogar noch umstrittenen volkswirtschaftlichen Schule ein solches Gesetz erlassen werden, sondern die Basis müßte tiefer, müßte im Ethischen liegen. Nur auf ethisch-positiven Grundlagen kann ein solches Gesetz gerechtfertigt werden.
({0})
Diese Frage nach den ethisch-positiven Grundlagen ist im Gesetz nicht beantwortet worden. Es ist beispielsweise ein Fehler des Gesetzes und seines Aufbaues, deshalb auch die von Herrn Kollegen Stegner beanstandete Fassung „gegen Wettbewerbsbeschränkungen", daß etwas Positives, ein positives Ziel in dem Gesetz überhaupt fehlt. Es fehlt darin, daß beispielsweise Wettbewerb lauter sein muß, daß im Wirtschaftsleben Startgleichheit herrschen soll. Es fehlt ein Satz, daß Wettbewerb fair sein muß, daß die Vertragsfreiheit nur insoweit gegeben ist, als grundlegende Sozialprinzipien nicht verletzt werden. Derart positive Sätze sind im Gesetz nicht enthalten, und nur sie könnten überhaupt die Basis für ein solches Gesetz bieten. Die Sozialprinzipien der Ganzheit, der Solidarität, der Subsidiarität müßten in einem solchen positiven Katalog vornweg den. materiellen Inhalt des Gesetzes bestimmen. Dann erst könnte die Frage „Verbots- oder Mißbrauchsgesetz" erörtert werden, und dann würde diese rein formelle Frage sehr an Gewicht verlieren; denn diese positiven Gebote würden sich an alle richten und damit eine wesentlich breitere Wirkung ausüben als diese bloß ethisch-neutrale Nützlichkeitsgesetzgebung, die heute so und morgen- so ausgelegt werden kann. Die Vorsorge für die Klein- und Mittelexistenzen aus dem Gesichtspunkt des organischen Wachstums gehört als Postulat in ein solches Gesetz hinein.
({1})
In ein solches Gesetz gehört die Notwendigkeit der
Eigentumsverschaffung, insbesondere für die Nachwuchsgeneration. Diese Postulate werden dann die
sachlichen Entscheidungen, die den Richtern sehr
schwerfallen werden, richtungweisend beeinflussen.
({2})
- Ich komme zum letzten Satz. Um diese Schwierigkeiten zu klären, hatten wir vorgeschlagen, eine Enquete zu veranstalten. Das war am 27. Januar 1950. Diese Anregung ist nicht auf fruchtbaren Boden gefallen. Wir werden uns vorbehalten, deswegen einen erneuten Antrag vorzulegen, um tatsächlich zu erreichen, daß dieses außerordentlich schwierige Kapitel auch in Form einer außerparlamentarischen Enquete genügend vorbereitet wird, um etwas Richtiges und Brauchbares zu schaffen.
({3})
Damit ist die Rednerliste erschöpft. Es ist der Antrag gestellt, die Vorlage an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik, der federführend sein soll, zu überweisen, außerdem an den Ausschuß für Außenhandelsfragen, an den Ausschuß für Verkehrswesen und an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht. Ist das Haus mit diesem Antrag einverstanden? - Kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP/DPB eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft ({0}); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik ({1}) ({2})
({3});
b) Zweite Beratung des von der Fraktion der Föderalistischen Union ({4}) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft ({5}).
({6}).
Zunächst 7 a. Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Naegel.
Naegel ({7}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Drucksachen Nrn. 3463 und 3464 haben dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß zur Beratung vorgelegen. Der Wirtschaftspolitische Ausschuß hat nach eingehender Prüfung im wesentlichen die Änderungsvorschläge dieser Drucksachen akzeptiert und dabei im einzelnen folgende Überlegungen angestellt.
Punkt 1 befaßt sich mit den in § 5 des alten Gesetzes festgelegten Zinsen für den Aufbringungsbetrag. Es ist festgelegt worden, daß dann, wenn innerhalb von 18 Monaten nach voller Zahlung die Zuteilung der Wertpapiere noch nicht erfolgen kann, der Zinssatz von 4 auf 5 % erhöht wird. Eine weitere wichtige Bestimmung wird im Satz 3 verankert, wonach die Erträgnisse der Aufbringungspflichtigen an Zinsen und Dividenden nicht mehr steuerpflichtig im Sinne des Einkommen- und Körperschaftsteuergesetzes sind. Diese beiden Änderungen bedeuten eine wesentlich bessere Ausstattung der Papiere und auch der Ansprüche. Dabei war es von Bedeutung, zu überlegen, ob wir auch schon die Verzinsung der durch Zahlung entstandenen Guthaben steuerfrei machen konnten oder ob das erst möglich wäre, wenn die Zertifikate oder die Wertpapiere bereits ausgehändigt worden seien. Sie wissen, daß man in Anlehnung an das in Vorbereitung befindliche Gesetz zur Förderung des Kapitalmarkts diese Gedankengänge geäußert hat. Da es nun aber nicht im Ermessen der Aufbringungspflichtigen liegt, nach eigener Entscheidung eine Umwandlung der Guthaben in festverzinsliche oder andere Wertpapiere durchzuführen, so glaubten wir hier zu dem Schluß berechtigt zu sein, daß wir schon für die Guthabenerträgnisse die gleiche Steuerbefreiung festlegen, wie es in dem Kapitalförderungsgesetz für die WertpapierErträgnisse vorgesehen ist.
Ein weiteres Problem war die Verschiebung der Termine sowohl für die Entscheidung über die Höhe des Aufbringungssatzes wie auch - noch wesentlicher vielleicht als diese Frage - für die Zahlungen. Wir haben als letzten Termin für die Rechtsverordnung zur Änderung des Aufbringungssatzes an Stelle des 31. August 1952 den 31. Dezember 1952 gesetzt, und wir haben in § 7 Abs. 3 den letzten Zahlungstermin statt für den 31. Dezember 1952 erst für den 30. April 1953 vorgesehen. Dementsprechend wird auch die Aufforderung zur Zahlung vom 30. September 1952 auf den 31. Januar 1953 verschoben. Wir glauben, daß mit dieser Terminverschiebung eine wesentliche Erleichterung für die Aufbringung der Investitionshilfezahlungen geschaffen wird.
Ein weiterer Punkt unserer Überlegung war die Verbesserung für die kleineren Betriebe der gewerblichen Wirtschaft hinsichtlich der Heranziehungspflicht. Wir haben geglaubt, in § 11 die Freigrenze, die bisher mit 560 DM als Mindestsumme der Aufbringungspflichtangegeb en war, heraufsetzen zu sollen. Der Ausschuß hat sich für eine Festlegung auf 800 DM entschieden. Damit werden wesentliche Vorteile insbesondere für die kleinen Gewerbebetriebe geschaffen. Danach müßte bei einem Gewinn- und Abschreibungsanteil von 10 % vom Umsatz mindestens ein Jahresumsatz von 155 000 DM
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erreicht werden, wenn überhaupt eine Aufbringungspflicht entstehen soll. Bei anderen Prozentsätzen des Gewinn- und Abschreibungsanteils liegen die Grenzen entsprechend; würde man z. B. einen Satz von 4 % zugrunde legen, wie er in Handelsbetrieben üblich ist, so müßte man eine Umsatzgrenze von 320 000 DM erreichen, ehe überhaupt eine Pflicht für die Leistung der Investitionshilfezahlungen entsteht.
({9})
Das Problem der Verzugszuschläge für verspätete Zahlungen war auch Gegenstand der Beratungen. In dem bisherigen Gesetzestext ist vorgesehen, daß für den ersten Monat 1 % und für jeden weiteren Monat 2 % Verzugszinsen gezahlt werden müssen. Bei 2 % im Monat sind das 24 % im Jahr, - eine ganz erhebliche Belastung derjenigen, die nicht rechtzeitig zahlen können oder wollen. Wir glaubten aber, mit Rücksicht auf gewisse Illiquiditätserscheinungen in verschiedenen Wirtschaftsstufen und Wirtschaftssparten eine gewisse Erleichterung für die ersten beiden Monate eintreten lassen zu sollen. Wir haben deshalb den 1 °/oigen Zuschlag auf die beiden ersten Monate erstreckt und erst vom dritten Monat ab einen Verzugszuschlag von 2 0/o vorgesehen. Für die gerechte Beurteilung dieser Maßnahme muß noch erwähnt werden, daß es sich hier um nicht abzugsfähige Ausgaben handelt, die dadurch natürlich besonders Gewicht gewinnen.
Eine weitere Überlegung führte zu der Betrachtung .der gemischten Unternehmen, also der Unternehmen, die sowohl auf der Grundstoffebene als auch in der Verarbeitungsebene sich betätigen. Nach dem bisherigen Gesetzestext konnten derartige Betriebe eine Befreiung von der Aufbringungspflicht für das gesamte Unternehmen beantragen. Durch die Neufassung der §§ 20 und 21 ist jetzt festgelegt, daß ein Befreiungsantrag nur für den Teil gestellt werden kann, der in der Grundstoffebene liegt, während die in der Verarbeitungsebene liegenden Teile des Unternehmens aufbringungspflichtig bleiben. Ich bin beauftragt, hier ausdrücklich zu erwähnen, daß mit dieser Anordnung auch die unerwünschten Konkurrenzverschiebungen verhindert werden können, wenn z. B. Energieversorgungsunternehmen sich sowohl in der Energieversorgung als auch im Verkauf und in der Installation betätigen. Es ist mit dieser Begriffsbestimmung möglich, nunmehr zu erreichen, daß keine Energieversorgungsunternehmen begünstigt werden können, die gleichzeitig den Ausbau des Handels und der Installation betreiben.
({10})
Wir hielten diese Bestimmung für besonders wichtig, weil wir gerade hier durch Wettbewerbsverschiebungen bei Regiebetrieben und anderen Betrieben der Energieversorgung in letzter Zeit Beobachtungen machen mußten, die Tatsachen aufzeigten, welche der aufbringungspflichtigen mittelständischen Wirtschaft nicht zugemutet werden konnten.
In ähnlicher Weise soll eine Bestimmung wirken, die in § 29 Abs. 6 ihren Niederschlag gefunden hat. Es handelt sich dabei darum, festzustellen, daß eine Konzentration der eigenen Mittel - auch der eigenen Mittel, betone ich - für Investitionszwecke nur auf die begünstigten Vorhaben stattfinden muß. Es können nicht neben Begünstigungen und Zuteilungen von Mitteln aus der Investitionshilfe auch noch andere Mittel dazu verwandt werden, um neben den ausdrücklich begünstigten Vorhaben auch noch einen weiteren Ausbau anderer Stufen der Unternehmungen vorzunehmen. Wir haben deshalb diese Neufassung so vorgenommen, weil uns am Herzen lag. auch zum Ausdruck zu bringen, daß wir Konkurrenzverschiebungen verhindern wollen.
Ich darf noch einige Ergänzungen zu der eben vorgetragenen Änderung des § 29 machen, die mir wichtig erscheinen. Es handelt sich wie gesagt darum, daß durch Auflagen des Kuratoriums bei der Zuteilung der Darlehnsbeträge besondere Bedingungen eingebaut werden sollen, die eine Konzentration aller Mittel auf die begünstigten Vorhaben fordern. Es ist weiter bestimmt, daß bei einer Verletzung dieser Auflagen nicht nur eine Rückzahlung der gegebenen Darlehnssummen erfolgen muß, sondern daß damit gleichzeitig der Bewilligungsbeschluß aufgehoben wird und damit natürlich auch alle Freistellungen anderer Teile des Unternehmens von der Aufbringungspflicht hinfällig werden.
Die nächsten Punkte beschäftigen sich mit dem § 30 und anschließend mit dem § 33, in denen es sich um die Sperrfrist der Papiere handelt. Im Gegensatz zu dem früheren Gesetzestext soll nun- mehr keine Sperrfrist mehr festgelegt werden. Es soll lediglich die Frage geregelt werden, die allen Interssierten sehr am Herzen lag, wann nämlich die Börsenzulassung erfolgt. Es wird zunächst f est-gelegt, daß die Börsenzulassung zu dem Zeitpunkt zu erfolgen hat, den der Darlehnsvertrag vorsieht. Sollte eine vorherige Börsenzulassung gewünscht werden, dann ist allerdings die Möglichkeit gegeben, daß der Bundeswirtschaftsminister Einspruch erhebt, wenn dadurch Störungen auf dem Kapitalmarkt zu befürchten sind. Ähnliche Bestimmungen sind vorgesehen, damit die vereinbarten Termine für den Antrag auf Börsenzulassung nicht verzögert werden. Als letzter Termin dafür gilt der 31. März 1955.
Das -gleiche gilt gewissermaßen für die Emission bei denjenigen Betrieben, die bisher vielleicht auf Grund alliierter Gesetze irgendwelche Hinderungsgründe hatten. Wenn diese Behinderung wegfällt, dann hat die Emission zu den vereinbarten Terminen zu erfolgen. Wenn sie entgegen der Bestimmung des Darlehnsvertrages unterlassen wird, dann erhöht sich der Zinsfuß um 4 % pro anno.
Ich deutete im Zusammenhang mit § 30 und § 33 an, daß die Sperrfrist, die bisher verankert war, fallengelassen ist und daß man die weitere Entwicklung auf die Börsenzulassung abgestellt hat, weil damit auch offiziell die Lombardfähigkeit der Papiere verbunden ist.
In § 36 ist in Ergänzung der bisherigen Liste der Wirtschaftszweige, die steuerbegünstigte Abschreibungen vornehmen können, auch die Wasserwirtschaft aufgenommen worden, im Hinblick auf die Bedeutung der Wasserwirtschaft für die Förderung der Kohle und für die Steigerung der ,Stahlproduktion besonders im Ruhrgebiet. In Zukunft werden die steuerbegünstigten Abschreibungen also auch in der Wasserwirtschaft möglich sein.
Neben diesen Änderungen des Gesetzes hat der Wirtschaftspolitische Ausschuß beschlossen, Ihnen folgende Entschließung vorzutragen:
Der Bundestag geht bei der Beschlußfassung über das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft davon aus, daß die Zinserträgnisse aus Wertpapieren, die dem Aufbringungsschuldner auf Grund seiner Erwerbsberechti({11})
gung zufließen, steuerlich begünstigt werden; die Bundesregierung hat einen entsprechen den Gesetzentwurf dem Bundesrat bereits zugeleitet.
Ich darf wiederholen, daß es sich hierbei um das Gesetz zur Förderung des Kapitalmarktes handelt, das bereits dem Bundesrat vorliegt.
So weit waren die Beratungen im Wirtschaftspolitischen Ausschuß unter Zuziehung von Vertretern des Ausschusses für Geld und Kredit gediehen. Dann hat sich der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen als der vom Hohen Hause auch mitbeauftragte Ausschuß erneut mit dem Gesetzentwurf befaßt. Er hat den materiellen- Änderungen des Gesetzes, wie sie der Wirtschaftspolitische Ausschuß beschlossen hatte, zugestimmt, aber eine textliche Änderung in der Entschließung vorgenommen, die ich nunmehr hier im Auftrage des Vorsitzenden des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen zu vertreten habe. Dieser Ausschuß empfiehlt Ihnen folgenden Text der Entschließung:
Der Bundestag geht bei der Beschlußfassung über das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft davon aus, daß steuerliche Maßnahmen zur Förderung des Kapitalmarktes auf die Wertpapiere dieses Gesetzes Anwendung finden.
Ich bin gebeten worden, Ihnen diesen Text vorzutragen und Sie zu bitten, ihm zuzustimmen.
Ich glaube aber noch auf einen Punkt aus der weiteren Behandlung des Gesetzentwurfs im Wirtschaftspolitischen Ausschuß hinweisen zu müssen. Es sind eine Reihe von Eingaben vorgelegt worden, die die Abgeordneten veranlassen sollten, ihre Beschlußfassung zu ändern. Wir konnten uns aber diesen Eingaben nicht anschließen, wir haben sie nicht akzeptiert.
Eine Anregung der Herren Vertreter der SPD, doch noch einmal zu überprüfen, ob man nicht gewerbliche Betriebe in Gebieten mit besonders hoher Arbeitslosigkeit von der Entrichtung des Aufbringungsbetrages befreien könnte, wurde eingehend beraten. Wir konnten uns aber auch diesem Antrag nicht anschließen, er wurde von der Mehrheit abgelehnt.
Ein weiteres Problem war die Behandlung der Richtlinien des Bundesfinanzministeriums für die Bewertung des Lagerbestandes eines Betriebes bei der Erfüllung der Abgabepflicht. Es waren Klagen laut geworden, daß die bisherigen Richtlinien eine zu strenge Veräußerungspflicht eigener Vermögenswerte vorsahen, um den Aufbringungsbetrag überhaupt zahlen zu können. Das Bundesfinanzministerium sagte zu, daß die Richtlinien für die Behandlung von Anträgen auf Stundung oder Erlaß und für die Bewertung der Lagerbestände eine entsprechende Form finden sollen, um den vorgebrachten Wünschen Rechnung zu tragen.
Ich darf das Hohe Haus bitten, dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe Ziffer 1 auf.
({0})
- Es liegt ein Antrag des Abgeordneten Rademacher in Umdruck Nr. 591 vor, der sich auf eine Einfügung vor Nr. 1 bezieht.
Das Wort zur 'Begründung hat der Abgeordnete Rademacher.
Meine Damen und Herren! Ich kann mich in der Begründung sehr kurz fassen. Ich habe in der ersten Lesung auf die in § 3 vorhandene Ungleichheit hingewiesen. Der Antrag, den ich eingebracht habe, ergänzt die Kategorien des Verkehrs, also angefangen beim gewerblichen Straßenverkehr; dann handelt es sich um die Gleichstellung der Werften ohne Rücksicht darauf, ob es sich um bundeseigene oder private Werften handelt.
Was ich als Gegner des Gesetzes grundsätzlich zu dem ganzen Gesetz zu sagen habe, werde ich mir erlauben in der dritten Lesung vorzutragen.
Wird das Wort zu dem Antrag gewünscht? -- Herr Abgeordneter Schmücker.
Mit dem Antrag soll versucht werden, einige Gruppen von der Investitionsabgabepflicht auszunehmen. Bei den ersten Gruppen ist es noch verständlich; aber, meine Damen und Herren, diese haben doch schon ohnehin eine große Anzahl von steuerlichen Erleichterungen. Bei den vorletzten Gruppen muß ich aber sagen, daß ich nicht weiß. wie man es riskieren kann, sie herauszunehmen. Man hat uns auch .den Vorschlag gemacht, alle Betriebe herauszunehmen, die in die Handwerksrolle eingetragen sind. Das haben wir selbstverständlich abgelehnt, weil wir nicht nach einem äußeren Merkmal verfahren können, sondern nach Umsatz und Einkommen verfahren müssen. Wir bitten Sie also, diesen Änderungsantrag des Herrn Abgeordneten Rademacher abzulehnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir können dann über diesen Antrag abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag Rademacher in Umdruck Nr. 591 zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Dann hat sich zu einem Antrag, der auch zu § 3 des Investitionshilfegesetzes gehört, der also in der Ziffernfolge vorgeordnet werden müßte, Herr Abgeordneter Freudenberg zum Worte gemeldet.
Freudenberg ({0}): Meine Damen und Herren! Ich will mit den Worten beginnen, mit denen mein Freund Rademacher aufgehört hat, aber Sie nicht damit bedrohen, daß ich bei der dritten Lesung meine grundsätzliche Neigung oder Abneigung zu diesem Gesetz vortragen werde. Was ich aber zu § 3 vortragen will, weswegen ich dem Herrn Präsidenten einen Antrag übergeben habe, ist folgendes.
Eine der Hauptbegründungen des Investitionshilfegesetzes war die, daß man gesagt hat, daß einige Zweige der Wirtschaft wesentlich vorangeeilt und die Grundstoffindustrien nicht gefolgt sind. Das ist durchaus richtig. Man hat daraus gefolgert, daß man deswegen jetzt den Grundstoffindustrien die Möglichkeiten des Nachholens und des Aufbaus einräumen müsse.
Was man aber in der Wirtschaft und insbesondere in den Industriezweigen, in denen die Produktionsindizes wesentlich zurückgeblieben sind, weit hinter 1936, nicht versteht, ist, daß man .nun diese Gewerbezweige ebenfalls zu der Leistung heranziehen will. Ich glaube, daß es durchaus be({1})
rechtigt wäre, daß Gewerbezweige, deren Produktionsindex im ersten Halbjahr 1952 nach den Indexberechnungen des Statistischen Amtes unter 100 % von 1936 liegt, von der Aufbringungspflicht befreit werden. In diesem Sinne habe ich den Antrag gestellt, das Gesetz über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft vom 7. Januar 1952 wie folgt abzuändern:
In § 3 wird folgende Ziffer 11 angefügt: Gewerbezweige, deren Produktionsindex im ersten Halbjahr 1952 nach den Indexberechnungen des Statistischen Amtes unter 100 % von 1936 liegt.
Der Ausfall auf Grund dieses Antrages wird in der Gesamtaufbringungspflicht nicht sehr Wesentliches ausmachen, da es erfreulicherweise nur einzelne, allerdings sehr wesentliche Industriezweige sind, die ,unter diese Befreiung fallen würden. Ich möchte ganz offen sagen, daß es im wesentlichen die Betriebe der Ledererzeugung und Lederverarbeitung sind, die unter gar keinen Umständen weiter belastet werden können. Denn welche Sorgen das Aufbringen laufender Betriebsmittel gerade diesen Industriezweigen machen, darüber ist j a nun nachgerade volle Klarheit geschaffen worden. Ich bitte also, diesem Antrag zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, der Antrag ist verlesen worden; ich brauche ihn wohl nicht zu wiederholen. Wird das Wort dazu gewünscht? - Das Wort hat Herr Abgeordneter Etzel.
Ich bitte, den Antrag, den Herr Freudenberg hier soeben gestellt hat, abzulehnen. Es wäre Zeit gewesen, einen solchen Antrag rechtzeitig im Ausschuß zur Diskussion zu stellen und ihn damit auf seinen sachlichen Inhalt sachlich prüfen zu lassen. Ein Antrag dieses Inhalts in dieser unübersehbaren Form mit wahrscheinlich unmöglichen Voraussetzungen, die nicht nachprüfbar sind, kann meines Erachtens hier nicht angenommen werden. Ich bitte daher, ihn abzulehnen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Freudenberg.
Freudenberg ({0}): Ich danke für die Belehrung, die ich von Herrn Etzel erfahren habe. Ich will zugeben, daß es vielleicht richtiger ist, diesen Antrag jetzt nicht zu verbescheiden, und stelle deswegen den Antrag, diesen Antrag zur Behandlung an den Wirtschaftspolitischen Ausschuß zu verweisen.
Herr Abgeordneter Freudenberg, das geht nicht. Einen Änderungsantrag zu einem Gesetzentwurf in zweiter Beratung, nachdem der Gesetzentwurf heute noch in dritter Lesung beraten und verabschiedet werden soll, kann man nicht gut in den Ausschuß schicken. Das müßte dann schon in der Form eines neuen Initiativgesetzes oder etwas ähnlichem erfolgen. So ist es jedenfalls geschäftsordnungsmäßig nicht möglich.
({0})
Das Wort wird weiter nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag des Abgeordneten Freudenberg zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. Mit überwiegender Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe nun auf Nr. 1 der Ausschußvorlage. Dazu liegt vor der Änderungsantrag der Föderalistischen Union auf 'Umdruck Nr. 584 Ziffer 1. Ist der zur zweiten oder zur dritten Beratung vorgesehen?
({1})
- Zur dritten Beratung vorgesehen. Dann liegen zur zweiten Beratung keine Änderungsanträge vor. Wortmeldungen? - Das Wort hat Herr Abgeordneter Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir werden Sie bitten, diesem Punkt 1 des Ausschußantrages nicht zuzustimmen. Ich will nicht darüber sprechen, ob das, was hier vorgesehen ist, große materielle Bedeutung hat oder nicht. Sie wissen, daß das Finanzministerium sich in den Ausschußberatungen gegen die hier vorgesehene Steuerbegünstigung ausgesprochen hat, und zwar deshalb, weil sie den Steuersäckel wieder einmal 25 bis 30 Millionen kostet. Leider nimmt der Herr Bundesfinanzminister nicht mehr oft an Steuerdebatten dieses Hauses teil, seit die Geschichte mit der Aufwandsteuer passiert ist. Er befürchtet wahrscheinlich, sich allzuoft in Übereinstimmung mit der Opposition zu befinden, und das wäre ihm offenbar unangenehm.
Ich glaube, man kann nicht so weit gehen, daß man überall da, wo etwas wehtut, in den Steuersäckel greift. Es ist auffällig, daß dieser Griff in den Steuersäckel immer dann besonders eilig vorgenommen wird, wenn es sich um einen Geldbeutel handelt, dem es besonders wehtut. Und darum geht es hier bei diesem Gesetz. Sie wollen jetzt nachträglich Steuerbegünstigungen vorsehen. Damit beweisen Sie uns am besten, daß es richtiger gewesen wäre, diese Gelder als Steuern herauszuziehen und von Amts und Staats wegen zu verwenden, statt daß man das noch freiwilliges Opfer oder so ähnlich nennt. Der Zweck dieses Gesetzes - Sie wollen ja nun außerdem noch die vorgesehene Sperrfrist aufheben, indem Sie diese ganzen Gelder in sehr kurzer Frist wieder auf den Kapitalmarkt loslassen wollen - scheint nachgerade nicht mehr der zu sein, zurückgebliebenen Grundstoffindustrien Mittel zuzuführen, sondern scheint langsam der zu sein, eine möglichst gewinnbringende Anlage für die Gelder zu schaffen, die hier gezahlt werden sollen.
({0})
Vorweg gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu einigen anderen Punkten der Gesetzesvorlage. Eine ganze Reihe von Dingen, die Sie hier nun in gequälter Weise vorsehen - über die Emissionsbedingungen, über die Fristen usw. -, alle diese Dinge, mit denen sowohl die Zuführung der Gelder an die begünstigten Industrien wie die Abwicklung der ganzen Abgabe so aufgehalten worden ist, wären vermieden worden, wenn Sie, wie wir Ihnen bei der Gesetzesberatung vorgeschlagen haben - und wie nicht nur wir, sondern die sachverständigen Kreditinstitute Ihnen vorgeschlagen haben -, den einfachen Weg gegangen wären, nicht die einzelnen Schuldtitel der begünstigten Unternehmungen hier in einem sehr zweifelhaften und niemals funktionierenden Verfahren verteilen zu wollen, sondern einfach Titel des Fonds auszugeben. Sie haben diesen Antrag damals nicht angenommen, wahrscheinlich hauptsächlich, weil es ein sozialdemokratischer Antrag war. Wir sind jedenfalls nicht gewillt, Schwierigkeiten, die daraus
({1})
entstanden sind, dadurch zu erleichtern, daß wieder der Steuersäckel dafür hergenommen wird.
({2})
Keine weiteren Wortmeldungen. Wir kommen zur Abstimmung über Nr. 1. Ich bitte diejenigen, die der Ausschußfassung zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf die Nrn. 2, - 3 - und 4. - Dazu sind keine Änderungsanträge gestellt, das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die der Fassung der Ausschußvorlage zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe nun Nr. 5 auf. Dazu liegt ein Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP/DPB und der Föderalistischen Union auf Umdruck Nr. 593 vor.
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- Das ist neuerdings zur zweiten Beratung gestellt; es ist verändert worden. - Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das Wort hat Herr Abgeordneter Stücklen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann auf eine ausführliche Begründung des Antrags auf Umdruck Nr. 593 verzichten, da gegen diesen von den Fraktionen der CDU/CSU, der FDP, der DP und der FU eingebrachten Antrag, wie ich in persönlicher Verbindung mit Vertretern der SPD erfahren habe, keine Bedenken bestehen. Ich möchte nur einige erklärende Worte hinzufügen, warum nun plotzlich wieder ein Antrag erscheint, der den Freibetrag in § 11 auf 900 DM anstatt 800 DM festsetzt. Es ist im Ausschuß insofern ein Fehler unterlaufen, als man angenommen hat, daß durch die Befreiung mit dem Freibetrag von 800 DM eine erhöhte Grenze von 13 000 DM erreicht wird. Eine genaue Berechnung hat ergeben, daß hierzu ein Freibetrag in Höhe von 900 DM erforderlich ist. In gütlichem Einvernehmen unter den Fraktionen ist daher diese Regelung getroffen worden.
Zu § 11 hatte bereits im Wirtschaftspolitischen Ausschuß ein Antrag vorgelegen, den versteuer-baren Gewinn bei der Veranlagung zu berücksichtigen. Es war vorgesehen, 20 000 DM für den gesamten Bemessungszeitraum nicht heranzuziehen ohne Rücksicht auf den Umsatz. Mit Recht wurde aber von seiten des Bundesfinanzministeriums eingewandt, daß dann auch Wirtschaftsgruppen und Wirtschaftsunternehmen aus der Investitionshilfe entlassen würden, von denen man annehmen kann, daß sie in der Lage sind, die Investitionshilfe aufzubringen. Es lag auch keinesfalls in unserem Interesse, Wirtschaftsunternehmen mit 6 Milliarden DM Umsatz im Jahr aus diesem Gesetz zu befreien. Dieser Antrag - Umdruck Nr. 593 - hat einzig und allein zum Ziel, die gewerbliche Wirtschaft, die mittelständische Wirtschaft aus diesem Gesetze soweit als möglich zu entlassen. Denn es kann keinesfalls der Sinn des Investitionshilfegesetzes sein, diese mittelständische Wirtschaft zu erfassen.
Dem § 11 Satz 2 soll eine Ziffer 2 angefügt werden, nach der die Aufbringungspflicht entfallen soll, wenn der versteuerbare Gewinn plus Abschreibung in dem gesamten Bemessungszeitraum nur 30 000 DM und der Umsatz in dem gesamten Bemessungszeitraum nicht mehr als 500 000 DM beträgt. Darüber hinaus soll nun der Freibetrag, wie ich angeführt habe, auf 900 DM erhöht werden. Damit haben wir die Gewißheit, die mittelständische Wirtschaft weitestgehend entlastet zu haben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; dann ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 593 zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? Bei wenigen Enthaltungen angenommen.
Dann bitte ich diejenigen, die der Nr. 5 der Ausschußvorlage in der soeben durch die Annahme des Änderungsantrags geänderten Fassung zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? Bei wenigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe nun die Nrn. 6, - 7, - 8, - 9, - 10, -11, - 12, - 13, - 14 der Ausschußvorlage auf. Zu den aufgerufenen Ziffern liegen keine Änderungsanträge vor. Wortmeldungen erfolgen nicht. Dann ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Ziffern der Ausschußvorlage zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Weiter liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU auf Umdruck Nr. 594 vor, der auch zur zweiten Beratung gestellt werden soll. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Etzel.
Meine Damen und Herren! Der Antrag auf Umdruck Nr. 594 zieht nur die Schlußfolgerung aus den bisher angenommenen Anträgen und faßt die Ziffern 1 bis 14 aus redaktionellen Gründen zu einem einzigen Artikel zusammen. Ich glaube, daß es einer besonderen Begründung dieses Antrages nicht bedarf. Der Antrag dient auch der Klarstellung, daß die Befreiungen, die jetzt beschlossen werden, ex tunc und nicht ex nunc erfolgen sollen.
Wird das Wort noch gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag ,auf Umdruck Nr. 594. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich nehme an, daß über Einleitung und Überschrift keine Abstimmung notwendig ist, sondern daß das Haus zustimmt. - Ich stelle das fest.
Damit ist die zweite Beratung beendet.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Sie erfolgt im Rahmen einer Redezeit von 60 Minuten.. Ich nehme die Zustimmung des Hauses dazu an.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Rademacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist erfreulich, daß in der dritten Lesung auch ein Gegner des ganzen Gesetzes noch einmal Gelegenheit zur Stellungnahme hat. Ich tue dies gleichzeitig im Namen einer beachtlichen 'Zahl meiner eigenen Fraktionskollegen. Ich bin auch überzeugt, daß quer durch die Parteien hindurch eine nicht unerhebliche Zahl von Kollegen dieses Hauses meine Ansichten billigen wird.
({0})
Am Beispiel Verkehr und Werften habe ich bereits anläßlich der ersten Lesung des Änderungsantrags der Koalition auf die Verletzung des Gleichheitsprinzips nach dem Grundgesetz ausdrücklich hingewiesen. Es kommt mir aber heute und in diesem Augenblick darauf an, ausgehend von diesen Beispielen etwas sehr Grundsätzliches für den durch dieses Gesetz maßgeblich betroffenen Mittelstand zu sagen, von dem neuerdings in diesem Hause immer sehr viel gesprochen wird, für den aber relativ wenig getan wird.
({1})
- Jawohl, das war sehr erstaunlich,
({2})
daß nach dem vielen Hin und Her der Herr Berichterstatter sich heute veranlaßt gefühlt hat, mehrere Male das Wort „Mittelstand" zu gebrauchen. Das ist mir sehr aufgefallen und hoffentlich auch der Öffentlichkeit.
({3})
- Herr Etzel, ich bitte Sie, diese Verdächtigungen für sich zu behalten; das ist eine Beleidigung.
({4})
Meine verehrten Damen und Herren - ({5})
-- Ja, Ihnen gefällt das nicht, daß man sich in der Demokratie erlaubt, gegen eine verschworene Gemeinschaft grundsätzlich eine andere Auffassung darzutun.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren - -({7})
-- Sie kommen auch noch dran; seien Sie ganz beruhigt!
({8})
Es wird immer so dargestellt, als ob der Gemeinschaftsausschuß - und ich gehöre diesem Gemeinschaftsausschuß an - im Auftrag aller Abgabepflichtigen handele. Ich stelle ausdrücklich fest, daß weder überall in den deutschen Handelskammern noch in den Wirtschaftsverbänden in einwandfreier Weise eine Mehrheit für dieses Gesetz erkundet wurde.
({9})
ich bin überzeugt, die Idee der Investitionshilfe an sich ist gut gewesen.
({10}) Inzwischen ist aber sowohl der materielle als vor allen Dingen meines Erachtens auch der politische Zweck der ganzen Angelegenheit verpufft. Über den materiellen Effekt bestehen mindestens heute im Zuge der Entwicklung außerordentliche Meinungsverschiedenheiten. Ein politischer Effekt, der gewollt war, wäre nur zu erzielen gewesen, wenn von Anfang an spontan Zeichnungen der direkt Interessierten erfolgt wären.
({11})
Der gesetzliche Rahmen hätte folgen können. Statt dessen haben die Initiatoren offenbar Angst vor der eigenen Courage bekommen und daher eine kaum begrenzte Ausweitung auf alle gewerblichen Betriebe, insbesondere auch auf die Mittelstandsbetriebe, durchgesetzt. Die Schwierigkeiten, die sich ergeben haben, sollen nun mit Palliativmittelchen ausgeräumt werden. Es ist doch interessant, einmal dieses Hin und Her und dieses Auf und Ab der Änderungen festzustellen, mit denen man versuchen will, nun das, was im Grundsatz verkehrt gemacht ist, wieder auszugleichen.
Ich darf daher feststellen, daß die durch den Mündlichen Bericht vorgesehenen Änderungen des Gesetzes absolut unzulänglich sind, ganz abgesehen davon, daß die Kompliziertheit des Gesetzes und die bürokratische Arbeitsweise der eingesetzten Ausschüsse meines Erachtens auch einen nicht un-beachtlichen Teil der für die Investitionshilfe erwarteten Milliarde aufzehren werden.
Meine Damen und Herren, ist es nicht ein vollendeter Unsinn - wenn man sich nur diesen einen geänderten Paragraphen ansieht -, daß der Mittelstand, dessen Kreditarmut nach der Währungsreform ja bekannt geworden ist, sich Kredite gegen Zinsen beschaffen muß, die wiederum durch Abzugsfähigkeit zu Lasten des Bundeshaushalts gehen? Das wäre ja noch ein vernünftiger Ausgleich. Aber denen, die sich keine Mittel zu beschaffen brauchen, wird durch diesen Paragraphen noch ein Geschenk gegeben. Ich glaube, besser kann man's nicht beweisen.
Die Absicht, trotz besserer Erkenntnisse an dem Gesetz mit unzulänglichen Änderungen unter allen Umständen festzuhalten, hat teilweise auch zu recht merkwürdigen Methoden geführt. Gegnerische Stellungnahmen innerhalb einer Fraktion werden wenige Minuten später den Verbündeten in den anderen Fraktionen bekanntgegeben - verzeihen Sie, daß ich das einmal mit aller Offenheit sage --, und Überweisungen an weitere Ausschüsse, die sachlich berechtigt sind, werden dann in diesem Hause lächerlich gemacht. Anders kann man's nicht bezeichnen.
({12})
Meine verehrten Damen und Herren, nach zweieinhalb Jahren Tätigkeit werden Sie, glaube ich, im großen und ganzen meine Sachlichkeit in den Debatten, die ich bisher hier bewiesen habe, nicht bestreiten. Ich muß aber einmal mit aller Deutlichkeit fragen: Ist in diesem Hause wirklich noch eine Spur einer gewollten Mittelstandspolitik zu bemerken?
({13}) Zwar kennen wir die fortgesetzten Bekenntnisse der Regierung und der Fraktionen zugunsten des deutschen Mittelstandes. Auch die sozialdemokratische Fraktion betont ja bei jeder sich bietenden Gelegenheit, daß sie sich der Sorgen und Nöte des Mittelstandes annehme. Bei diesem Gesetz, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Linken, haben wir nicht viel davon gemerkt.
({14})
Ja, Sie gehen so weit, dem Mittelstand laufend zu versichern, daß Ihre gemeinwirtschaftlichen und sozialistischen Pläne den Mittelstand nicht betreffen würden. Bei diesem Gesetz hatten Sie wieder einmal Gelegenheit, das zu beweisen. Aber alle entsprechenden Anträge in den Ausschüssen haben Sie ja ebenfalls abgelehnt.
Eine Mittelstandspolitik, wie sie beispielhaft ist, wird in Belgien betrieben.
({15})
({16})
- Ich habe sie nicht gemacht. Sie kennen von meinem Gewerbe nichts, sonst würden Sie das nicht sagen. Schauen Sie sich das Handelsgesetzbuch an, dann können Sie den Unterschied zwischen Seeschiffahrt, Binnenschiffahrt, Nahverkehr, Spedition usw. feststellen!
({17})
- Ich hoffe, daß die Unterbrechungen meiner Redezeit zugute kommen.
({18})
Wie eine echte Mittelstandspolitik betrieben wird, das sehen Sie beispielsweise in dem kleinen Nachbarland Belgien. Dort hat man - allein schon als rein äußerliches Zeichen - ein besonderes Ministerium, das sich dieser Mittelstandsfragen annimmt. Ich darf vielleicht auch erwähnen, daß es zur Zeit in Frankreich ein ausgesprochener Mittelständler ist - der Ministerpräsident Pinay -, der im Begriff ist, das politische und wirtschaftliche Chaos auf dem Weg über die Sicherung des Mittelstandes zu überwinden.
({19})
Wie sieht es dagegen bei uns in der Bundesrepublik aus? Drei große Gruppen sind es schließlich und letzten Endes, die hier die Politik bestimmen: Es sind erstens die Großbetriebe aller Art, zweitens sind es staatliche, halbstaatliche und kommunale Betriebe, und drittens sind es die hauptsächlich von der SPD unterstützten Gewerkschaften, deren politische Potenz von Tag zu Tag steigt.
({20})
Einzig und allein die bäuerliche Front hat es verstanden, sich zu behaupten.
Zwischen diesen Mahlsteinen droht der gewerbliche und freiberufliche Mittelstand zerrieben zu werden, jener Mittelstand, dessen wirtschaftliche und kulturelle Stellung zugleich auch in seiner geistigen Unabhängigkeit die einzige Garantie gegen den drohenden Kollektivismus bietet. Kollektivismus und Dirigismus gibt es nämlich nicht nur auf der Seite der politischen Linken.
({21})
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich glaube, eine gewisse sagen, Herr Präsident?
Ja, einen Satz!
Ich glaube, eine gewisse Toleranz ist in diesem Hause immer üblich gewesen.
Ich fürchte, der Mittelstand, heute im Begriff, fünfter oder sechster Stand zu werden, wird bei den nächsten Wahlen alle Parteien zur Rechenschaft auffordern, oder er wird, was noch schlimmer wäre, sich noch mehr als bisher von den Wahlen absentieren.
({0}) - Ja, Sie wollen es nicht hören, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Herr Abgeordneter, ich muß Sie bitten, zu Ende zu kommen. Die Redezeit ist abgelaufen; sie ist schon überschritten.
Ich bin am Ende, Herr Präsident. Wirklich nur noch einen letzten Satz! - Ich habe das Beispiel des Investitionshilfegesetzes benutzt, um nochmals an alle, die es angeht, zu appellieren, das Steuer herumzudrehen zu einer wirklichen, aktiven Mittelstandspolitik. Die Erhaltung des Mittelstandes ist weit mehr als nur eine Frage der wirtschaftlichen Existenz überhaupt; sie ist gleichermaßen entscheidend für den geistigen und kulturellen Aufbau unseres Landes schlechthin!
({0})
Der eine Satz ist zu Ende!
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kreyssig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat sich gerade einen Augenblick lang überlegt, ob sie taktvollerweise aus dem Hause gehen sollte, damit Sie Ihren Familienzwist unter sich austragen können.
({0})
Aber da das bei der dritten Lesung doch schlecht geht, blieb uns nichts anderes übrig, als dieses muntere Gespräch mit anzuhören.
({1})
- Herr Kollege Bertram hat manchmal bestimmte Stellen, wo er nicht mitkommt:
({2})
es dreht sich um den Familienzwist, nicht um den Mittelstand! Sie müßten doch auch bemerkt haben, wie komisch Herr Rademacher argumentiert hat. Immerhin, der Herr Kollege Rademacher hat, vielleicht ganz unbeabsichtigt, einen Punkt angeschnitten, den wir einmal etwas ernsthafter überlegen und behandeln sollten.
({3})
- Ich habe gesagt: Herr Kollege Rademacher hat einen sehr peinlichen und kritischen Punkt angeschnitten, mit dem wir uns noch einen Augenblick befassen müssen. In der Ausschußsitzung ist uns mitgeteilt worden, welches Ergebnis die Investitionshilfe bisher gehabt hat. Es ergibt sich daraus, daß 311 297 Betriebe aufbringungspflichtig gewesen sind,
({4}) daß 38 488 Betriebe Stundungsanträge gestellt haben, also insgesamt damit zu rechnen wäre, daß etwa 273 000 Betriebe wirklich aufbringungspflichtig sein würden.
({5})
Aus diesen Ziffern und aus dem, was nachher
weiter gesagt worden ist - ich komme gleich darauf -, geht hervor, was auch Herr Rademacher angedeutet hat und was uns gar nichts Neues ist nur die Rechte des Hauses wollte es bis dahin nicht
wahrhaben -: daß die sehr krampfhaft aufrechterhaltene „Freiwilligkeit", diese schöne Fassade,
kläglich und kärglich in sich zusammengebrochen
ist. Sie wissen, die deutsche gewerbliche Wirtschaft
wollte die „freiwillige Milliarde" aufbringen, sie
wollte einen „einheitlichen Willen" bekunden, sie
wollte einen „gemeinsamen Entschluß" durchführen, und sie hat vor allem erklärt und sehr viel
Propaganda damit gemacht - insofern war sehr
({6})
interessant, was Herr Rademacher nun als Kommentar sagte -, daß sie diesmal in einer so wichtigen Frage ihre ansonsten sehr bekannten eigensüchtigen Wünsche hinter die „Notwendigkeiten des Staatsganzen" zurückstellen wolle. Nun, von den 310 000 aufgeforderten und den wahrscheinlich etwa 280 000 wirklich aufbringungsverpflichteten Betrieben hatten bis zum Stichtag des 20. Juni 1952, als wir im Wirtschaftsausschuß die Änderungen beraten haben, ganze 84 865 Betriebe gezahlt.
({7})
Sie haben insgesamt knapp 150 Millionen DM aufgebracht, das sind mit Mühe und Not 60 % des Solls der ersten Tranche dieser Investitionsanleihe! 35 % aller derer, die eigentlich freiwillig diese Milliarde gemeinsam leisten wollten, haben bis heute überhaupt nichts von sich hören lassen; sie spielen einfach gegenüber den „Notwendigkeiten des Staatsganzen" den toten Mann.
Nun sagen Sie natürlich, die wirtschaftliche Situation habe sich geändert, und es seien Schwierigkeiten entstanden, die man nicht habe voraussehen können. Da leider, wie ich feststellen muß, der Herr Bundeswirtschaftsminister nicht mehr da ist, kann er nicht hören, was ich ihm zu dieser Situation sagen muß. Wenn nämlich der soeben heute neu etablierte „ungekrönte König der Kartellgegnerschaft" im Lande herumreist und überall in jeder Rede erklärt, Steuersenkungen seien jetzt die Rettung der Wirtschaft, dann braucht sich im Grund genommen kein vernünftiger Mensch zu wundern, wenn die Steuern oder auch die fälligen Leistungen nicht aufgebracht werden. Das ist etwas, was Sie in Betracht ziehen sollten. Vielleicht sorgen Sie einmal dafür, daß die Wochenendreden unserer Minister etwas „konformer" werden in dem, was Sie zu erreichen suchen Das, was wir vor Jahr und Tag vorausgesagt haben, als wir das Gesetz im Ausschuß beraten haben, ist jedenfalls eingetreten: Der Gemeinschaftsausschuß, dem Sie mit sehr viel Entgegenkommen - und mit sehr viel Gunst von der Rechten - die Möglichkeit gegeben haben, sich gewissermaßen an Stelle des Parlaments als Gesetzesmacher zu konstituieren, - dieser Gemeinschaftsausschuß hat keine Resonanz gefunden. Und er hat vor allem innerhalb seiner eigenen Kreise nicht die Autorität, die notwendig gewesen wäre, um die Idee der Aufbringung der Milliarde durchzuführen.
Sie wissen andererseits - das ist der Grund, weshalb wir diesen Änderungsvorschlägen in der Gesamtheit nicht zustimmen können -, daß die eigentliche Idee ja gar nicht war, Ihre „eigensüchtigen Interessen" hinter die des Staatsganzen zurückzustellen, sondern Sie 'wußten sehr genau, daß Ihnen eine Steuer bevorstand, und Sie wollten mit dem Dreh der freiwilligen Leistung dieser Steuer aus dem Wege gehen.
Nachdem nun die Ziffern, die ich nannte, deutlich zeigen, wohin das alles geführt hat, bleibt eine Tatsache bestehen, und damit geht der letzte Nimbus dieser großen Investitionshilfe in die Binsen. Übriggeblieben 'ist nämlich nichts anderes als der nackte Eigennutz, - übriggeblieben ist nichts anderes als das, was wir schon so oft kennengelernt haben, nämlich höchst eigensüchtige Wünsche. Jetzt kommen Sie, meine Herren, und sagen: Die „Idee" hat nicht genügt, - diese Attraktion für die Zeichnung hat nicht ausgereicht. Jetzt müssen wir dieser Anleihe einen besonderen Anreiz geben. Nachdem Sie vor einem Jahr - Sie entsinnen sich, der Kanzler hätte mit 'dem Investitionshilfegesetz beinahe eine Parlamentskrise heraufbeschworen - gewünscht haben, daß wir es sogar vor den Parlamentsferien des vorigen Jahres verabschieden, hat nun der Gemeinschaftsausschuß gewünscht, man solle Steuerfreiheit für die Einkommen- und Körperschaftsteuer beschließen.
Im Hinblick auf das Kapitalmarkt -Förderungsgesetz, das ja - glaube ich - demnächst in diesem Parlament in die erste Lesung kommt, haben wir Sie im Ausschuß darauf aufmerksam gemacht, wie unlogisch und inkonsequent es ist, daß Sie angesichts eines Gesetzes, das dieses Haus noch gar nicht verabschiedet hat, in die Änderungen, die Sie zur Investitionshilfe vorschlagen, schon Steuerbegünstigungen aufnehmen. Wir haben Ihnen empfohlen, zu warten, bis das Kapitalmarkt-Förderungsgesetz kommt, und die Investitionshilfe dann einzubauen. Sie haben es vorgezogen, anders zu verfahren. Richtig, Sie sind sehr zufrieden mit der Rolle, Herr Naegel, die Sie für die diesmal nicht vorhandenen Vertreter des Gemeinschaftsausschusses im Ausschuß übernommen haben. Aber Sie müssen eben auch dann gegenüber der Bevölkerung die Verantwortung dafür tragen, daß Sie nun mindestens 25 oder 30 Millionen DM Steuerausfall wieder - wie 'das bei dieser Koalition üblich ist - aus den Taschen der armen Bevölkerung herausholen.
Vom Finanzministerium ist gesagt worden, der Steuerausfall oder sagen wir richtiger: der Steuerverzicht, der durch diese Steuerbegünstigung vom Bund übernommen wird, betrüge nur 25 bis 30 Millionen DM. Ich bin aber doch recht skeptisch, ob diese Zahl stimmt. Ich möchte Sie einmal daran erinnern, daß wir im Jahre 1951 mit Steuerbegünstigungen ganze knappe 25 Millionen DM an Wertpapieren auf dem Kapitalmarkt an Private unterbringen konnten. Das war nur dadurch möglich, daß ein Steuerverzicht in Höhe von 12,5 Millionen erfolgt ist. Mit anderen Worten: der Bund hat mit dieser Politik die Hälfte dessen, was man dem Kapitalmarkt zuführen wollte, durch Steuerverzicht indirekt aus einer Kassa bezahlt. Wir haben Zahlen, aus denen hervorgeht, daß im Jahre 1951 - ich will der Debatte über die Kapitalmarkt -Förderungsmaßnahmen keineswegs vorgreifen - die sämtlichen steuerbegünstigten Förderungen zugunsten des Kapitalmarkts insgesamt 1 565 Millionen DM erbracht haben. Der Steuerverzicht, also der Steuerausfall in den Kassen der Länder und indirekt des Bundes, hat nach den Angaben des Bundesfinanzministeriums 1951 zwischen 512,5 bis 692,5 Millionen DM betragen! Ob d a s eine richtige Politik ist, bleibt dahingestellt. Aber es ist ein typisches Zeichen dafür, daß es auf alle Fälle falsch ist, in diesem Änderungsgesetz nun auch mit Steuerbegünstigungen zu operieren.
Nun möchte ich noch etwas sagen, weil das Problem der Liquidität als Argument für Ihre Änderungswünsche bzw. die Ides Gemeinschaftsausschusses ein so großes Gewicht gehabt hat. Sie wissen - wenigstens diejenigen, die sich mit Geld, Kapital und der Wirtschaft beschäftigen -- sehr genau, daß wir das Phänomen haben, daß die Geldflüssigkeit in der Bundesrepublik, zum mindesten seit Ende März, in einem ungeheuren Umfang zugenommen hat. Wenn Sie den Wochenbericht der Bank deutscher Länder für die erste Juniwoche, der heute in die Fächer gelegt worden ist, einmal durchlesen, dann finden Sie die Feststellung, daß die kurzfristigen Kredite an Wirtschaft und Private in der ersten Juniwoche um 144,7 Millionen DM - wie die BdL sagt: beträchtlich - zurückgegangen
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sind. Wir haben erheblich hohe Beträge dieses Rückgangs der kurzfristigen Kredite. Mit anderen Worten: wir haben schon beinahe alarmierende Feststellungen, daß die Liquidität, die Geldflüssigkeit, ein beängstigendes Format annimmt. Deshalb hat die Bank deutscher Länder ja auch am 28. Mai den Diskontsatz von 6 auf 5 % gesenkt. Das tut man bekanntlich nicht, wenn die Industrie illiquid ist und es ihr schlecht geht, sondern wenn es sich aus der Fülle heraus als ratsam und notwendig erweist, eine kleine Bremse anzulegen. Das Problem der Liquidität ist also nicht entscheidend, wenn Sie jetzt Änderungsmaßnahmen treffen , - jedenfalls nicht im Prinzip entscheidend.. Daß die eine oder andere Firma oder Branche etwa notleidend geworden sein kann, wird niemand bestreiten. Allerdings, niemand wird auch verantworten können, daß man nun für eine Branche etwa dem zustimmt, was gerade vorhin beantragt worden ist.
Sie machen einen Kardinalfehler, indem Sie jetzt die Steuerfreiheit für die Papiere beschließen, die ausgegeben werden sollen. Sie wissen, daß der Bundesfinanzminister, höchstwahrscheinlich nicht zuletzt deshalb, seinen Protest vorgebracht hat, weil Sie nämlich mit der Steuerbegünstigung, die Sie dieser einen Milliarde und den dafür auszugebenden Wertpapieren geben wollen, einen erheblichen Teil des Erfolges vorher zunichte machen oder in Frage stellen, der durch das Kapitalmarkt-Forderungsgesetz erreicht werden soll. Wenn Sie der Meinung sind, das Argument, das ich hier vorbringe, stimme vielleicht nicht, dann möchte ich Sie doch auf eines hinweisen, was Ihnen zu denken geben sollte. Es liegt mir wirklich fern, zu so vorgerückter Stunde noch viel zu dem weiß-blauen Husarenritt des Landes Bayern auf dem schwarzrot-goldenen Kapitalmarkt in der Bundesrepublik zu sagen. Aber die Tatsache, daß in wenigen Tagen ein Betrag von 176 Millionen DM für eine achtprozentige Schatzanweisungsanleihe gezeichnet worden ist, bei der ausdrücklich vermerkt war, daß sie der Einkommensteuer unterworfen ist, ist doch in vieler Hinsicht ein deutliches Merkmal dafür, daß man die Investitionshilfe nun völlig zu einem Geschenk an die angeblich so gebefreudige Industrie macht, weil man nämlich dies e Milliarde keineswegs in irgendeiner Form hätte zu begünstigen brauchen. Interessant ist außerdem - ich will es für den Fall hinzufügen, daß Sie es nicht wissen -, daß 85 % dieser 176 Millionen nicht in Bayern, sondern außerhalb Bayerns gezeichnet worden sind. Da kann nun weiß Gott niemand sagen, daß in der Bundesrepublik die Knappheit an flüssigem Geld groß ist und die Illiquidität, von der so oft gesprochen wird, wirklich ernsthaft eine Gefährdung auch der Investitionsanleihe sein könnte.
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-Lieber Herr Preusker, vielleicht fragen Sie einmal beim bayerischen Finanzminister nach; wir haben doch jetzt keine öffentliche Fragestunde, und ich bin nicht in der peinlichen Lage, ein Auskunftsminister der Bundesregierung zu sein.
Ein Wort noch zu der Entschließung, die eingebracht worden ist. Daß sie vom Kollegen Wellhausen - das spricht eben doch für die Finanztheoretiker - exakter formuliert worden ist als vom Ausschuß für Wirtschaftspolitik, ist für uns kein ausreichender Anlaß, ihr zuzustimmen. Wir werden sie ablehnen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Mensing.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich fühle mich veranlaßt, zum Ausdruck zu bringen, daß die schallende Ohrfeige, die wir eben in der Mitte und auf der rechten Seite des Hauses von meinem Vorredner bekommen haben, absolut berechtigt war. Sie war deshalb berechtigt, weil die Art und Weise, wie auf der rechten Seite und in der Mitte die Ausführungen unseres Kollegen Rademacher behandelt wurden, uns wahrhaftig nicht zur Ehre gereichen. Es muß schließlich möglich sein, in diesem Hohen Hause Meinungen zu äußern, ohne daß man versucht, sie zu ironisieren, und daß man diese Ausführungen genau so ernst entgegennimmt, wie ich gewohnt bin, die Ausführungen der anderen Kollegen dieses Hauses entgegenzunehmen, ganz gleich, von welcher Seite - außerhalb der KPD - die Ausführungen gemacht werden.
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- Die Ausführungen meines Kollegen Rademacher waren von einem sehr großen Ernst getragen und absolut berechtigt.
Ich bekenne mich dazu, daß es eine Ungerechtigkeit ist, wenn man das private Verkehrsgewerbe belastet und auf der andern Seite das staatliche Verkehrsgewerbe unbelastet läßt.
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Das bedeutet, daß der Wettbewerb und der Start unter ungleichen Bedingungen erfolgen. Aus diesem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit heraus bekenne ich mich zu der Auffassung meines Kollegen Rademacher.
Aber darüber hinaus möchte ich einmal folgendes sagen. Das Investitionshilfegesetz wird, solange es besteht - davon bin ich überzeugt -, die gewerbliche Wirtschaft ständig in Atem halten. Wir werden uns immer wieder von neuem von Zeit zu Zeit mit diesem Gesetz beschäftigen müssen. Die ursprüngliche Absicht, die man damit verfolgte, ist längst durch die Entwicklung überholt. Ich hätte gewünscht, daß dieses Gesetz zurückgezogen worden wäre, dann hätten wir es nicht nötig, uns heute auseinanderzusetzen. Ich stehe nicht an zu erklären, meine Herren von der Industrie
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- bitte, soweit hier Abgeordnete sind, die glauben, sich für die Belange der Industrie einsetzen zu müssen -, halten Sie einmal innere Einkehr und überlegen Sie sich, wie Sie sich einstellten, wenn z. B. das Handwerk Ihnen zugemutet hätte, eine Milliarde DM zur Flottmachung des deutschen Handwerks aufzubringen. Es mag eine Groteske sein, daß wir uns gerade heute mit einem solchen Gesetz beschäftigen, wo am gestrigen Tage der Hauptausschuß für Geld, Kredit und Bankwesen des Zentralverbandes des deutschen Handwerks festgestellt hat, daß Kredite in Höhe von wenigstens 500 Millionen DM erforderlich sind, um das Handwerk vor dem Ruin zu schützen. Ich darf Ihnen noch eine andere, vollkommen einwandfreie Zahl nennen: die Volksbanken haben festgestellt, daß sie zumindest eine Milliarde DM benötigen, um den Kreditwünschen des Handwerks Rechnung tragen zu können. Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Volksbanken heute sehr stark in der Kreditgebung gehandikapt sind, weil ein Fünftel der gesamten Kredite, die bisher gegeben worden sind, Investitionskredite, d. h. langfristige Kredite, geworden sind.
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Der gewerbliche Mittelstand - das stelle ich fest - und auch die Volksbanken sind hinsichtlich der Zuweisung staatlicher Mittel stiefmütterlich behandelt worden. Ich möchte Ihnen hier einmal folgende Zahlen zur Kenntnis bringen, die beweisen, daß die Volksbanken aus den ERP-Mitteln kaum etwas zur Verfügung gestellt bekamen, wie 'das bei anderen Banken der Fall war. Die Zentralkasse nordwestdeutscher Volksbanken, die die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bremen und einen Teil Westfalens umfaßt, hat bisher an Handwerkerkrediten erhalten: Hamburg 2 366 000 DM, Hannover 2 903 000 DM; diese beiden Zentralkassen zusammen 5 269 000 DM. Bei 160 Volksbanken bedeutet das einen durchschnittlichen Betrag von 32 500 DM.
In einer ganzen Reihe von Resolutionen, die mir in der letzten Zeit zugestellt worden sind, heißt es: Der gewerbliche Mittelstand stellt fest, daß die Voraussetzungen für die seinerzeit von der Wirtschaft angebotene Investitionshilfe heute nicht mehr gegeben sind. Damals war eine Konjunktur auf dem Konsumgütersektor, der die Grundstoffindustrie nicht gewachsen war. Inzwischen hat sich aber das Bild gewandelt. Auf dem Konsumgütersektor sind die Umsätze stark zurückgegangen, während die Grundstoffindustrie im letzten Jahre erheblich aufholen konnte. Hinzu kommt, daß gerade bei einem großen Teil der Grundstoffindustrie ein sehr intensiver Werkshandel betrieben wird, der zu einer schweren Schädigung des gewerblichen Mittelstandes führt.
Ich gebe zu, daß in dem Antrag der Koalition zugunsten des Mittelstandes eine Änderung eingetreten ist. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß die bestehenden Werkbetriebe da sind und
nach wie vor offengehalten werden. Man stelle sich einmal die Gedanken eines Handwerksmeisters oder eines gewerblichen Mittelständlers vor, wenn er Gelder für die Investitionshilfe aufzubringen hat und sich sagen muß, daß diese für Betriebe verwandt werden, die ihm selbst Konkurrenz machen.
Zu diesen Dingen wäre noch sehr viel zu sagen. Die Richtigkeit meiner Behauptung wird am besten durch die Tatsache bewiesen, daß Bundeskanzler Dr. Adenauer anläßlich der Sitzung des Deutschen Handwerksrates klar zum Ausdruck gebracht hat, daß die handwerkliche und mittelständische Wirtschaft in den letzten Jahren vernachlässigt worden sei; die Bundesregierung hätte zunächst die Industrie fördern müssen, was richtig war, um die Massen in Arbeit und Brot zu bringen. Aber nachdem die Räder dort rollen, sei nunmehr das Handwerk und der gewerbliche Mittelstand an der Reihe, um auch gefördert zu werden.
Ich bekenne mich restlos zu dieser Auffassung. Ich betone noch einmal: die Industrie hat in den letzten Jahren aus eigener Kraft Milliarden investieren können. Wir vom Handwerk und vom gewerblichen Mittelstand haben das nicht gekonnt. Aus diesem Gesichtspunkt heraus ist es unmoralisch, ein solches Gesetz zu beschließen, das den mittelständischen Betrieb zwingt, Gelder für die Montanindustrie aufzubringen. Ich lehne deshalb dieses Gesetz aus grundsätzlichen Erwägungen ab.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
Meine Damen und Herren! Es ist sicher nicht leicht, jetzt zu reden, aber ich möchte doch eine Erwiderung auf das geben, was der Herr Kollege Rademacher gesagt hat, ebenso auf das, was vorhin der Kollege Mensing ausgeführt hat.
Es ist richtig, daß wir mit dem, was der Gemeinschaftsausschuß beschlossen hat, nicht einverstanden sind und daß manches aus dem Klagelied des Mittelstandes durchaus stimmt. Ich frage aber, meine Damen und Herren, warum man jetzt diese Reden gehalten hat. Wir sprechen über ein Gesetz zur Änderung eines Gesetzes, die zugunsten des Mittelstandes erfolgen soll. Und da geht man nach oben und singt ein Klagelied. Das vermag ich nicht einzusehen.
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Ich halte das für eine ausgesprochen schlechte Taktik, wenn man zugunsten des Mittelstandes sprechen will, jetzt nach oben zu gehen, nachdem wir etwas erreicht haben, und dann den Leuten draußen zu sagen, es sei nichts gemacht worden. Es ist in Wirklichkeit für den Mittelstand schon etliches getan worden; man muß nur dasein und mithelfen.
({1})
Meine Damen und Herren, es ist natürlich eine Streitfrage, was Mittelstand ist. Man kann da nicht nach einzelnen Gruppen gehen, man kann nicht einmal danach gehen, ob einer Handwerker ist. Ich habe das vorhin hier ausgeführt. Man kann nicht sagen: Jemand ist in die Handwerksrolle eingetragen und wird jetzt ausgenommen. Und man kann auch, Herr Rademacher, nicht behaupten, daß ein Hochseefischer oder Speditionsunternehmer unbedingt Mittelständler ist.
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Ich will darüber nicht lange reden, möchte Ihnen aber eins sagen. Wenn wir Mittelstandspolitik betreiben wollen, dann tun wir es zugunsten der kleinen Mittelständler, damit sie existieren können. Möglichst viele mittelständische Existenzen, das ist die beste Politik für den Mittelstand. Und das haben wir erreicht, meine Damen und Herren, mit den Anträgen, die in dem einen Punkt - das stelle ich hier fest - erfreulicherweise das ganze Haus angenommen hat.
({3})
Meine Damen und Herren, es ist das Wort gefallen, wir sollen nicht nur reden. Wir haben heute morgen in einem Unterausschuß des Finanz- und Steuerausschusses über einen Antrag der FDP verhandelt, der - ich erwähne das ausdrücklich - Steuererleichterungen betraf. Wir waren in allen Fraktionen einig und stellten ohne Neid und mit Freude fest, daß in vielen Punkten unsere Wünsche und Anträge bereits überholt waren, weil die Regierung sie bereits durchgeführt hatte. Das muß doch auch einmal gesagt werden.
({4})
Es hat keinen Sinn, daß wir anfangen zu sagen: der Bundestag ist mittelstandsfeindlich, oder daß wir sagen: er ist arbeiterfeindlich,, oder: er ist beamtenfeindlich. Wir sind Volksvertreter und wollen hier für das ganze Volk eintreten.
({5})
Weitere Wortmeldungen zur allgemeinen Aussprache sind nicht mehr vorhanden. Infolgedessen ist sie geschlossen.
Wir kommen nun zur Einzelberatung derjenigen Punkte, zu denen Änderungsanträge vorliegen. Ich
({0})
rufe zunächst Nr. 1 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Föderalistischen Union in Umdruck Nr. 584 Ziffer 1 vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Etzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Hohe Haus hat in der zweiten Beratung den Antrag der Parteien auf Umdruck Nr. 593 mit einer seltenen Mehrheit angenommen. Es ist damit zu rechnen, daß die dritte Beratung kein anderes Abstimmungsergebnis haben wird. Ich möchte daher anregen, die Abstimmung über den Antrag Umdruck Nr. 593 vor der über unseren eigenen Antrag Umdruck Nr. 584 vorzunehmen, und zwar deswegen, weil wir uns bei einer Annahme des Antrags Umdruck Nr. 593 in der Lage sehen, die Ziffern 2 und 3 unseres Antrags Umdruck Nr. 584 zurückzuziehen.
Herr Abgeordneter, das ist mir nicht ganz verständlich. Der Antrag Umdruck Nr. 593 ist in zweiter Beratung bereits angenommen. Ich kann ihn also nicht weiterhin zum Gegenstand der Abstimmung machen. Die Fassung ist in der zweiten Beratung entsprechend dem Beschluß geändert. Die Sache war ursprünglich für die dritte Beratung vorgesehen. Das ist jetzt anders.
Dann darf ich mitteilen, daß wir im Hinblick auf die endgültige Annahme des Antrags Umdruck Nr. 593 die Ziffern 2 und 3 unseres Antrags Umdruck Nr. 584 zurückziehen.
Also von Umdruck Nr. 584 sind die Ziffern 2 und 3 zurückgezogen. Ziffer 1 besteht aber weiter. - Wie ist es mit Ziffer 1?
Nach § 5 Abs. 3 des Investitionshilfegesetzes sollen die aufgebrachten Beträge grundsätzlich mit 4 % verzinst werden. Der Diskontsatz beträgt gegenwärtig 5 %. Der Gesetzentwurf zur Förderung des Kapitalmarkts sieht eine Zinsnorm von 5 bis 5 1/2%A netto vor. Die Bundesregierung hat also den Versuch unternommen, einen landesüblichen Zinsfuß auf ungefähr 5 bis 5 1/2 % festzusetzen. Nun ist nicht recht einzusehen, warum die auf dem Wege einer Zwangsanleihe aufzubringenden Beträge schlechter gestellt werden sollen als andere Anleihebeträge. Es erscheint begründet und ist gerecht, die Aufbringungsbeträge durchweg ohne Rücksicht darauf, innerhalb welcher Frist die Zuteilung der Wertpapiere erfolgt, mit 5 % zu verzinsen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Naegel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frage der Zinsen für die Aufbringungsbeträge ist lange erörtert worden. Man darf nicht vergessen, daß für die ersten eineinhalb Jahre der ganze Apparat der Industriekreditbank eingeschaltet werden muß, um die Aufbringung und Verteilung zu regeln, so daß die Zinsen, die der Schuldner bezahlt, dem Gläubiger nicht in voller Höhe zugute kommen, sondern zu einem großen Teil für den Aufbau der Verwaltung und die Durchführung der Investitionshilfe verwandt werden müssen. Dadurch wird sich ungefähr folgendes Beispiel ergeben. Der Begünstigte aus der Investitionshilfe zahlt 8 %. 1 % davon geht für die Finanzverwaltung ab. Weitere 3 % sind als Verwaltungskosten an die deutsche Industriekreditbank notwendig, und 4 % werden vorläufig an die Aufbringungspflichtigen bezahlt. Das ändert sich spätestens nach 18 Monaten. Wenn bis dahin noch keine Papiere ausgegeben sind, erhöht sich der Satz auf 5 %. Werden bis zu diesem Termin schon die Papiere ausgegebén, dann ergibt sich zwangsläufig ein sich automatisch entwickelnder Zins oder eine entsprechende Dividende. Ich bin deshalb nach eingehender Prüfung mit meinen Freunden der Meinung, daß man den Antrag der FU auf sofortige Änderung des Zinssatzes auf 5 % nicht annehmen kann, und ich bitte das Hohe Haus, den Antrag abzulehnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann ist die Aussprache geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Föderalistischen Union in Umdruck Nr. 584 Ziffer 1. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu -erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das ist die überwiegende Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Zu Nr. 3 ist der Änderungsantrag zurückgezogen worden, ebenso zu Ziffer 6.
Ich rufe nun auf Nr. 9. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Föderalistischen Union auf Umdruck Nr. 584 Ziffer 4 vor. Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Dr. Etzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 36 des Investitionshilfegesetzes sieht die Investierungsfrist bis zum 31. Dezember 1954 vor. Innerhalb dieser Zeit sollen die Anschaffungen und Herstellungen, die einer besonderen Steuerbegünstigung unterliegen, ausgeführt sein. Die Ziffer 9 des Ausschußantrags sieht für § 29 Abs. 6 eine Fassung vor, nach der ebenfalls bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, nämlich dem 30. Juni 1953, die Investition konzentriert vorgenommen und eine Zersplitterung 'der Mittel durch Investierung in grundstoffindustriefremde Verwendungszwecke vermieden werden muß. Es erscheint berechtigt und notwendig, die Investierungsfristen in § 29 Abs. 6 Satz 1 und in § 36 Abs. 1 übereinstimmend, also einheitlich auf den 31. Dezember 1954 festzusetzen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Naegel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, man kann diesem Antrag zustimmen, ohne den Sinn des Gesetzes zu verändern. Ich möchte 'deshalb namens meiner Freunde unsere Zustimmung zu dem Antrag erklären.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann kommen wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag Umdruck Nr. 584 Ziffer 4 zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war .die Mehrheit; der Änderungsantrag ist angenommen.
Wir haben nun abzustimmen über Nr. 9 in der soeben beschlossenen neuen Fassung. Ich bitte diejenigen, die 'zustimmen, die Hand zu heben. - Das ist die Mehrheit; es ist dann so beschlossen.
Ich hatte vorhin versäumt, zu Nr. 1 noch die Annahme der Ausschußfassung festzustellen. Iih bitte
({0})
diejenigen, die die Nr. 1 in 'der Fassung der Beschlüsse der zweiten Beratung anzunehmen gewillt sind, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - 'Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Weitere Änderungsanträge liegen nicht vor. Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen dann zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz in der soeben beschlossenen Fassung der dritten Beratung einschließlich der Einleitung und Überschrift zustimmen, sich von 'den Plätzen zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; das Gesetz ist damit angenommen.
Wir kommen nun noch zur Abstimmung über die Ausschußentschließung auf Drucksache Nr. 3476 Ziffer 2. Dazu liegt zunächst noch ein Änderungsantrag Dr. Wellhausen vor,
({1})
von dem ich annehme, daß er von seiner Fraktion unterstützt wird. Dieser Änderungsantrag zu der Entschließung befindet sich auf Umdruck Nr. 582. Das Wort wird dazu nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag Dr. Wellhausen zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen. - Die Entschließung Drucksache Nr. 3476 ist damit in der geänderten Fassung angenommen.
Meine Damen und Herren, dann haben wir noch den Punkt 7 b:
Zweite Beratung des von der Fraktion der
Föderalistischen Union ({2}) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft ({3}): ({4})
Ich rufe zunächst auf § 1. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Bertram.
Dr. Bertram ({5}) ({6})': Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir werden unseren Antrag etwas umformulieren. Wir werden beantragen, daß das Gesetz am 16. Mai 1952 in Kraft treten soll. Ich überreiche diesen Antrag dem Herrn Präsidenten und werden die §§ 1 und 2 sofort begründen.
Bereits in der zweiten Lesung habe ich auf die Änderung der Verhältnisse hingewiesen. Ich möchte 'das jetzt nicht noch einmal tun. Ausdrücklich möchte ich nur betonen, daß sich außer den Verhältnissen bei 'den Abgabepflichtigen und bei den Begünstigten vor allem die Verhältnisse auf dem Kapitalmarkt geändert haben. Der Diskontsatz ist zurückgegangen, die Ausleihungen an Private gehen laufend zurück. Die Spareinlagen erreichen 1951/52 2 Milliarden DM, die langfristige Geldkapitalbildung 5 Milliarden DM, was im Verhältnis zum Vorjahr eine Verdoppelung bedeutet. Die Hortungsgelder, die infolge der falschen Kapitalmarktpolitik der Regierung bisher noch nicht hervorgelockt werden konnten, werden von der „Sparkasse" in ihrem 'Heft 24 aus 1951 auf 1,6 Milliarden DM geschätzt. Mehr als 100 Millionen DM sind 'in Wandelanleihen angelegt worden. Die Bayern-Anleihe, die in drei Tagen 160 Millionen DM erbrachte, mußte von den Banken repartiert werden; es waren nur Zuteilungen in Höhe von rund einem Fünftel der nachgefragten Beträge möglich. Das heißt doch, der Kapitalmarkt ist in einer wesentlich geänderten Verfassung gegenüber dem Jahr zuvor. Daß der Kapitalmarkt nicht funktioniert, hat in anderen Umständen seine Ursache. Der Kapitalbedarf der begünstigten Zweige der Industrie wird für das Jahr 1952 mit 1220 Millionen DM aus normalen Abschreibungen gedeckt, mit 750 Millionen DM aus Sonderabschreibungen gemäß § 36 des Soforthilfegesetzes, mit 195 Millionen DM durch ERP-Mittel und mit mindestens .100 Millionen DM aus normalen Bankmitteln, so daß es sich bei dem Gesamtobjekt der §§ 1 bis 35 des Investitionshilfegesetzes nur um ein Drittel 'des Gesamtvolumens der Investitionen der begünstigten Industrien handelt. In den vier Jahren nach der ersten Inflation wurden wesentlich höhere Beträge aus dem Kapitalmarkt aufgebracht, als heute aufgebracht werden, und zwar ungefähr das Dreifache, nur deshalb, weil 'damals eine andere und bessere Kapitalmarktpolitik getrieben worden ist. Daß der Kapitalmarkt jetzt nicht funktioniert, ist aber Sache der Politik und nur der Politik. Wenn der Kapitalmarkt gefördert würde, wäre die Verweisung der Begünstigten an diesen Markt ohne weiteres möglich. Die bekannten Hindernisse, auch die Schwierigkeiten, die die Länderfinanzminister bei dem Kapitalmarkt -Förderungsgesetz machen, würden eher überwunden werden können, wenn dieses Gesetz, soweit es sich um die Zwangsanleihebestimmungen handelt, aufgehoben wäre; denn dann wären die Länderfinanzminister gezwungen, eine andere Kapitalmarkt -Förderungspolitik mitzumachen, als sie es heute tun.
Der Einwand, daß ein Teil der Beträge schon gezahlt worden sei, ist keineswegs stichhaltig. Ein Betrag von 125 Millionen DM war durch die Bank deutscher Länder vorfinanziert. Dieser Betrag ist durch die Einzahlungen in Höhe von rund 150 Millionen DM jetzt an die BdL zurückgeflossen. Es würde bei der 'heutigen Verfassung der BdL nicht schwierig sein, daß die BdL den gleichen Betrag, den sie schon einmal vorgelegt hat, noch einmal vorlegte und daß damit die Zahlungen an diejenigen zurückgeleistet würden, die auf Grund der Selbsterklärungen freiwillig Zahlungen geleistet haben. Das heißt, falls das Gesetz mit Wirkung vom 16. Mai in Kraft träte, würde sich ohne weiteres ein Anspruch auf Rückzahlung ' dieser Beträge ergeben; die Rückzahlung würde aus den gleichen Mitteln möglich sein, die schon einmal in der Hand der Bank gewesen sind. Deswegen würden irgendwelche finanziellen 'Schwierigkeiten nicht eintreten.
Neben diesen Gründen der Zweckmäßigkeit bleibt unsere grundsätzliche Ablehnung dieses gesetzgeberischen Monstrums bestehen, eines Monstrums, weil es unter seiner freundlichen Schafsfellhülle der gegenseitigen 'Hilfe in Wirklichkeit eine Zerstörung des Privatrechts verbirgt.
Ich ' bitte Sie deshalb, unserem Antrag in der abgeänderten Fassung zuzustimmen, und beantrage namentliche Abstimmung, damit eindeutig klargestellt wird, wer jetzt noch, nachdem eigentlich alle, die Augen haben zu sehen, sehen können, diesem Gesetzentwurf zustimmt.
Wenn mir noch eine persönliche Erklärung gegenüber Herrn Kollegen Kreyssig gestattet sein mag, so möchte ich annehmen, daß Herrn Kollegen Kreyssi'gs Bemerkung, ich gehörte zu denjenigen
({7})
Abgeordneten, die immer nicht alles mitbekämen, darauf zurückzuführen ist, daß die Raum- und Hörverhältnisse hier so ungünstig sind, daß man manchmal tatsächlich nicht in der Lage ist, alles mitzubekommen.
({8})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Preusker.
Meine Damen und Herren! Die Ausführungen, die vorhin mein Fraktionskollege Rademacher zu diesem Gesetz gemacht hat, beweisen wohl deutlich genug, welche unerfreulichen Rückwirkungen dieses Gesetz in breiten Kreisen der deutschen Wirtschaft und namentlich der mittelständischen Wirtschaft gehabt hat. Es ist von unserer Seite aus auch nie versucht worden, dieses Gesetz als irgendeine organische Lösung des Kapitalmangels in den Grundstoffindustrien zu bezeichnen.
Wir haben vielmehr von Anbeginn angestrebt, eine organische Lösung dieses allerdringlichsten Problems der deutschen Volkswirtschaft zu finden, nämlich einmal über eine vernünftige Entzerrung der Grundstoffpreise, zum zweiten durch die organische Entwicklung eines funktionsfähigen Kapitalmarktes und zum dritten, weil das Problem so riesengroß geworden war, durch eine steuerliche Begünstigung der Abschreibungen für diese Industrien. Damals war niemand in diesem Hause bereit, einen von diesen Wegen, die das Problem organisch gelöst hätten, mit uns zu gehen, obwohl wir rechtzeitig über das Niederbreisiger Programm und verschiedene andere Initiativen versucht haben, die 'deutsche Öffentlichkeit, die deutsche Wirtschaft und den Deutschen Bundestag auf einen solchen Weg zu bringen.
Gestatten Sie mir eine kurze Bemerkung. Die eine Milliarde, die hier auf dem Wege der Zwangsanleihen aufgebracht werden sollte, ist ein Tropfen auf den heißen Stein eines Investitionsnachholbedarfs in den deutschen Grundstoffindustrien in Höhe von etwa 12 Milliarden DM. Sie reicht also sowieso vorn und hinten nicht aus. Aber der Betrag kann im Augenblick auf gar keinem anderen Wege aufgebracht werden, weil man die Vorlage betreffend die Kapitalmarktförderung erst jetzt ,dem Bundestag zuleitet, nachdem wir immer wieder gedrängt haben, weil man uns zum zweiten auf dem Wege der Entzerrung der Preise nach wie vor gerade aus dem Bereich der Wirtschaft erhebliche Widerstände geleistet hat,
({0})
obwohl dies nun einmal eine Notwendigkeit ist, die nicht zu umgehen ist, wenn man in der ganzen Linie konsequent sein will.
Ich darf ein Drittes sagen. Die Begünstigten der Investitionshilfe sind ja nicht etwa die Betriebe der Grundstoffindustrien, die sich selbst zu helfen vermögen. Gewisse dieser Betriebe der Eisen- und Stahlindustrie müssen sich das aber von hier aus einmal sagen lassen, daß sie sich in der letzten Zeit durchaus nicht immer so verantwortungsbewußt verhalten haben, wie man das von ihnen hätte verlangen können. Es hätten auch einmal einige Autos weniger angeschafft werden können, und dies und jenes wäre in einer fairen Belieferung der verarbeitenden Wirtschaft und des Handels zu fairen Preisen besser zu machen gewesen. Das ist in schärfstem Maße zu verurteilen und ist ein trauriges Zeichen. Es ist allerdings auch, von uns aus gesehen, immer wieder die notwendige Begleitung einer nicht konsequenten freiheitlichen Wirtschaftspolitik. Die Begünstigten der Investitionshilfe sind vielmehr in erster Linie die demontierten Betriebe, die sich auf keine andere Weise Mittel für die Investitionen verschaffen konnten. Es sind die Betriebe, die neue Kohlenzechen abteufen wollen, die Betriebe, die neue Energieanlagen schaffen wollen, Vorhaben, die auf keine andere Weise finanziert werden können. Hier geht es darum, abzuwägen zwischen volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten - den Notwendigkeiten der Mehrbelieferung mit Energie, Kohle, Eisen und Stahl -, die allen zugute kommen - gleichgültig ob es sich um Notstandsgebiete oder um Handwerksbetriebe handelt -, und diesem, ich möchte einmal sagen, Opfer, das den Einzelnen nicht zuletzt deswegen zugemutet wird, weil nicht der Mut vorhanden war, eine konsequente Linie zu gehen.
({1})
Wir haben uns, da wir sehen, daß das Aufkommen im ganzen günstiger ist, als angenommen werden konnte, darum bemüht, gerade die mittelständische Wirtschaft und einige andere Bereiche zu befreien. Hoffentlich können wir in absehbarer Zeit noch obendrein den Aufbringungssatz für alle heruntersetzen, um dem Ganzen immer stärker den Charakter einer auch freiwillig zu leistenden Hilfe geben zu können. Der Widerstand, der hier heute aufgeklungen ist, sollte uns allen eine Mahnung sein, es nicht noch einmal wieder auf irgendeinem Gebiet - Preisentzerrung, Kapitalmarkt oder sonst etwas anderem - an Mut fehlen zu lassen, die ganzen Konsequenzen zu ziehen. Wenn man dazu nicht bereit ist, kann man auch nicht erwarten, daß man hier eine 'Bereitschaft findet, einen solchen Weg wie die Investitionshilfe völlig abzulehnen.
Ich bitte 'deshalb darum, daß wir in Kenntnis dieser Zusammenhänge und der gesamten Verantwortung, die auf uns lastet, jetzt erst einmal den Weg der Verbesserung 'und der Erleichterungen, die wir heute nachmittag beschlossen haben, weitergehen. Ich darf Ihnen das eine versichern: wir werden die ersten sein, die versuchen werden, diesen Weg, 'der im vorigen Jahr als Ausweg, ich möchte sagen, der Inkonsequenz gegangen wurde, völlig abzustoppen, wenn wir entweder sehen, daß es nicht gelingt, den Weg der konsequenten Maßnahmen der Kapitalbefreiung und der Preisentzerrung zu gehen, oder aber wenn es uns auf der anderen Seite gelingt, ihn sehr schnell zu gehen, und wenn wirklich die Erfolge eintreten, die es uns ermöglichen, vorzeitig die ganze Investitionshilfe auf eine freiwillige Finanzierung umzulenken.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Etzel ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Beweise dafür, wie berechtigt unser auf die Aufhebung der Teile I und II des Investitionshilfegesetzes gerichteter Antrag ist, darf ich nur zwei Tatsachen hervorheben.
Die Europäische Wirtschaftskommission hat vor wenigen Tagen die Zahlen der europäischen Rohstahlerzeugung im ersten Quartal 1952 veröffentlicht. Umgerechnet auf das Jahr würde danach Westdeutschland seinen Abstand zu England auf 1 Million t - 15,236 Millionen t gegen 16,244 Millionen t - verringert haben.
({0})
Sodann ist soeben der Geschäftsbericht 1950/51 des Vorstands der neuen Stahlkerngesellschaft Stahl- und Walzwerke Großenbaum AG bekanntgeworden, die aus der Liquidationsmasse des Mannesmann-Konzerns entflochten und gegründet worden ist. Der Vorstand schlägt 6 %, die nach dem Dividendenstopp zulässige Höchstdividende, auf das Grundkapital von 14 Millionen DM vor. Dies ist möglich, obwohl aus eigenen Mitteln der Gesellschaft das vorläufige Grundkapital von 5 auf 14 Millionen DM erhöht wurde, obwohl bedeutende freie Rücklagen mit 6,92 Millionen DM neu ausgewiesen und nicht weniger als 8,79 Millionen DM für „ungewisse Schulden", wie sich die Verwaltung ausdrückt, rückgestellt wurden. Ein sorgfältiges Studium des Geschäftsberichts und eine genaue Prüfung der zum 30. September 1951 aufgestellten Bilanz dürfte den Eindruck einer höchst erfreulichen Vermögenslage der Stahlkerngesellschaft bestätigen und vertiefen. Es ist die Annahme erlaubt, daß es sich nicht um einen Einzel- und Sonderfall handelt. Bei einer solchen Lage ist offenkundig, daß die in den Teilen I und II des Investitionshilfegesetzes vorgesehene Zwangsanleihe nicht mehr verteidigt und aufrechterhalten werden kann.
Wir bitten das Hohe Haus, unserem Gesetzesvorschlag in der zweiten Beratung zustimmen zu wollen.
({1})
Das Wort hat noch einmal Herr Abgeordneter Naegel.
Herr Präsident!' Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir brauchen uns in eine nähere Argumentation der Überlegungen, die wir angestellt haben, nicht mehr einzulassen. Ich möchte aber doch keine Unklarheit darüber lassen, daß wir der Meinung sind, diesen Antrag der FU abzulehnen, da er durch die Annahme unserer wesentlichen Änderungen zum Gesetz überholt ist.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache zu § 1 ist infolgedessen geschlossen.
Es ist namentliche Abstimmung zu § 1 beantragt worden. Ich bitte diejenigen, die den Antrag auf namentliche Abstimmung unterstützen, die Hand zu heben. - Das sind keine 50 Abgeordnete. Der Antrag auf namentliche Abstimmung ist also abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über § 1. Ich bitte diejenigen, die für Annahme des Paragraphen sind, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit; der § 1 ist abgelehnt.
Ich rufe nun § 2 auf, und zwar mit der Änderung, die von den Antragstellern vorhin vorgeschlagen worden ist: Inkrafttreten des Gesetzes am 16. Mai 1952. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem § 2 der Gesetzesvorlage zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit. Infolgedessen ist der § 2 abgelehnt.
Einleitung und Überschrift.
({0})
- Es sollen also alle Bestimmungen abgelehnt werden. Ich rufe Einleitung und Überschrift auf. Ich bitte diejenigen, die für Einleitung und Überschrift sind, die Hand zu heben. Ich bitte um die Gegenprobe. - Einleitung und Überschrift sind abgelehnt.
Damit ist dieser Gesetzentwurf nicht mehr Gegenstand der weiteren Beratung. Er kann nicht in die dritte Beratung kommen. Wir sind also mit Punkt 7 a und b der Tagesordnung fertig.
Ich erteile gemäß § 36 der Geschäftsordnung das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Becker zu einer tatsächlichen Erklärung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses Nr. 47 für die Personalpolitik im Auswärtigen Amt möchte Ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten in der Form einer Erklärung dem Hause eine geschäftsordnungsmäßige Anregung vortragen.
Der Untersuchungsausschuß Nr. 47 hat seine Arbeiten im wesentlichen beendet und seinen Bericht abgeschlossen. Der Bericht befindet sich im Druck und wird in einigen Tagen ausgegeben werden können. Der Ausschuß hat dem Plenum dieses Hauses - und nur diesem - zu berichten. Bis zur Freigabe des Berichts ist dieser geistiges Eigentum des Ausschusses.
Die „Frankfurter Rundschau" hat nun Bruchstücke des Berichts in ihrer heutigen Ausgabe veröffentlicht. Zur Geschäftsordnung habe ich deshalb auf diesem Wege dem Plenum den Wunsch des Ausschusses vorzutragen, die Erörterung dieses Berichts möglichst bald - noch im Laufe des Monats Juli - auf die Tagesordnung zu setzen, damit der Bericht und das, was der Ausschuß in ihm als einstimmiges Ergebnis festgestellt hat, vor dem zuständigen Gremium im ganzen und nicht nur bruchstückweise erörtert werden kann.
({0})
Ich habe zugleich dem lebhaften Bedauern Ausdruck zu geben, daß die „Frankfurter Rundschau" nicht die wenigen Tage bis zur Veröffentlichung des vollständigen Berichts warten zu können geglaubt hat,
({1}) daß sie sich offensichtlich unbefugt in den Besitz des Berichts gesetzt hat und daß nun mehrere Personen - sowohl Angestellte des Bundestags als auch Angestellte der Druckerei - in den Verdacht kommen, den Bericht weitergegeben zu haben. Ich bedauere insbesondere, daß aus einem reiflich erwogenen und abgewogenen Bericht nur Bruchstücke veröffentlicht worden sind, die ein schiefes Bild geben müssen.
Ich bedauere, daß durch diese Veröffentlichung die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von dem Gesamtinhalt unseres Berichts auf die Art und das Zustandekommen dieser vorzeitigen Veröffentlichung abgelenkt wird. Deshalb bittet der Ausschuß Nr. 47 im Rahmen der Geschäftsordnung den Ältestenrat dringend, den Bericht nach Abschluß der Druckarbeiten sofort insgesamt zu veröffentlichen und die Erörterung über ihn möglichst umgehend auf die Tagesordnung zu setzen.
Meine Damen und Herren, ich habe dazu zu bemerken, daß sich der Ältestenrat in seiner nächsten Sitzung mit dieser Angelegenheit befassen wird.
({0})
Ich rufe nun Punkt 10 unserer Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Änderung und Ergänzung fürsorgerechtlicher Bestimmungen ({1}).
({2})
- Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Strauß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen meiner politischen Freunde beantrage ich, diesen Punkt von der Tagesordnung abzusetzen. Erstens ist uns die Drucksache zu spät zugestellt worden, um sich noch eingehend mit ihr befassen zu können; zum zweiten sollten wir Zeit haben, dieses wichtige Gesetz ausreichend zu beraten.
({0})
Meine Damen und Herren, ich frage das Haus, ob es diesem Antrag zustimmt. Wird widersprochen? - Es wird nicht widersprochen; dann ist das Haus mit dieser Verschiebung einverstanden.
Ich rufe nun Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Erste, zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Besteuerung des Kleinpflanzertabaks im
Erntejahr 1952 ({0}). Wird das Wort zur Begründung gewünscht?
({1})
- Das Haus verzichtet auf die Begründung. Auf die Aussprache scheint ebenso verzichtet zu werden?
({2})
- Ich habe zur ersten Beratung aufgerufen. Das heißt, daß nun die Generalaussprache stattfindet. Dazu liegen keine Wortmeldungen vor. Damit ist die erste Beratung geschlossen.
Ich rufe auf zur
zweiten Beratung,
und zwar die einzelnen Paragraphen.
Wird zu § 1 das Wort gewünscht? - Bitte, Herr Abgeordneter Morgenthaler!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Hinblick auf die Tatsache, daß die Verabschiedung dieses Gesetzes und seine Verkündung erst nach dem 1. Juli erfolgen können, ist es notwendig, daß die Anmeldefrist verlängert wird. Ich möchte deswegen den Antrag stellen, die Anmeldefrist erst zum 31. Juli ablaufen zu lassen, so daß also die Anmeldungen der Grundstücke und Tabakpflanzen noch später, als im Gesetz vorgesehen ist, erfolgen können.
({0})
Ich bitte das Hohe Haus, diesem Antrag zuzustimmen.
Wird weiter das Wort zu § 1 gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann kann ich die Aussprache schließen und zur Abstimmung kommen. Es liegt zunächst der soeben vorgetragene Änderungsantrag des Herrn Abgeordneten Morgenthaler zu § 1 vor, daß die bebauten Grundstücke und die Zahl der gesetzten Pflanzen in der Zeit vom 1. bis zum 31. Juli 1952 anzumelden sind. Ich bitte diejenigen, die diesem
Änderungsantrag zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Dann bitte ich diejenigen, die dem § 1 des Gesetzes mit der soeben beschlossenen Änderung zustimmen, die Hand zu heben. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe § 2 auf. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem § 2 zustimmen, die Hand zu heben. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Sodann befindet sich auf der Rückseite dieser Drucksache ein Antrag des Bundesrats, einen § 3 anzufügen. Irgendwie muß nun dazu Stellung genommen werden. Wird dazu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Seuffert!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage, einen § 3 anzufügen, mit dem Text, der in der Stellungnahme des Bundesrats enthalten ist.
Sie haben den Antrag des Herrn Abgeordneten Seuffert gehört, einen auf Drucksache Nr. 3455 befindlichen § 3 nach .dem Vorschlag des Bundesrats anzufügen. - Das Wort wird dazu nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag des Abgeordneten Seuffert zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; es ist also so beschlossen.
Zu Einleitung und Überschrift nehme ich auch die Zustimmung des Hauses an. Damit ist die zweite Beratung beendet.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung
und zur allgemeinen Aussprache. - Das Wort wird dazu nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen. Da Änderungsanträge nicht gestellt sind, kann ich gleich die §§ 1, 2 und 3, die Einleitung und Überschrift zur Abstimmung stellen und gleichzeitig die Schlußabstimmung durchführen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz zustimmen, sich zu erheben. - Das ist die Mehrheit. - Das Gesetz Ist damit in dritter Beratung angenommen.
Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung:
Erste, zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP/DPB und FU ({0}) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes über den Kapitalverkehr ({1}).
Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Scharnberg.
Scharnberg ({2}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen unter Drucksache Nr. 3480 vorliegende Initiativantrag aller Fraktionen betreffend ein Gesetz zur Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes über den Kapitalverkehr vom 2. September 1949 ist das Ergebnis einer Beratung im Ausschuß für Geld und Kredit. Dem Ausschuß, der dabei federführend sein sollte, ist von der Vollversammlung des Bundestags am 18. Juni 1952 der Entwurf eines Gesetzes über den Kapitalverkehr - Nr. 3439 der Drucksachen - überwiesen worden. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 20. Juni 1952 im ersten Durchgang den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des Kapitalmarkts durch steuerliche Begün({3})
stigung festverzinslicher Wertpapiere verabschiedet. Der Ausschuß für Geld und Kredit ist der Auffassung, daß die Befugnisse des im Gesetz über den Kapitalverkehr behandelten Kapitalverkehrsausschusses abhängig gemacht werden müssen von den endgültigen Bestimmungen des Gesetzes zur Förderung des Kapitalmarkts. Infolgedessen hat der Ausschuß die Beratung des Gesetzes über den Kapitalverkehr bis zur Beratung des Kapitalmarkt-Förderungsgesetzes zurückgestellt.
Da das bisherige Gesetz über den Kapitalverkehr vom 2. September 1949 bis zum 30. Juni dieses Jahres befristet ist, ist es notwendig, dessen Geltungsdauer zu verlängern. Eine Befristung der Verlängerung bis zum 31. Oktober dieses Jahres erscheint ausreichend, da bis zu diesem Zeitpunkt mit der Verabschiedung der dem Ausschuß für Geld und Kredit vorliegenden neuen Entwürfe des Gesetzes zur Förderung des Kapitalmarkts und des Gesetzes über den Kapitalverkehr gerechnet werden kann. Nach einem gemeinsamen Zusatzantrag aller Fraktionen soll dem Gesetz auch die Berlin-Klausel angefügt werden.
Ich bitte, alle Anträge anzunehmen.
Vizepräsident Dr. Schäfer Wird weiter das Wort zur ersten Beratung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Damit ist die Aussprache zur ersten Beratung geschlossen.
Ich rufe auf zur
zweiten Beratung.
Zunächst § 1. - Dazu wird nicht das Wort gewünscht. Ich schließe die Aussprache und komme zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die § 1 annehmen, die Hand zu heben. - Das ist die Mehrheit; § 1 ist angenommen.
Ich rufe auf § 2, Einleitung und Überschrift und bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. - Das ist die Mehrheit; das ist angenommen.
Wir haben nun noch § 3 auf Umdruck Nr. 595, der bisher keine Nummer hatte. Ich bitte diejenigen, die § 3 zustimmen, die Hand zu heben. - Das ist ebenfalls die Mehrheit; § 3 ist angenommen.
Ich rufe nun auf zur
dritten Beratung.
Allgemeine Aussprache. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Ich rufe auf §§ 1, - 2, - 3. - Änderungsanträge liegen nicht vor, auch nicht zu Einleitung und Überschrift. Ich bitte diejenigen, die in dritter Beratung - gleichzeitig Schlußabstimmung - dem Gesetz zustimmen, sich zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Das Gesetz ist in dritter Beratung angenommen.
Ich rufe nun auf Punkt 13:
Erste Beratung -des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gesetze über die Landeszentralbanken ({4}).
Dazu schlägt der Ältestenrat eine Gesamtredezeit von 60 Minuten vor. - Ich nehme die Zustimmung des Hauses an.
-Die Regierung verweist auf die gedruckte Begründung. - Zur Aussprache ist das Wort nicht gewünscht. Dann ist die Aussprache geschlossen. Damit ist die erste Beratung beendet.
Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Geld und Kredit vor. - Dem wird nicht widersprochen; -die Zustimmung des Hauses zu dieser Überweisung ist gegeben.
Ich rufe nun auf Punkt 14:
Beratung des Antrags der Fraktion der Föderalistischen Union ({5}) betreffend Sanierung von Notstandsgebieten ({6}).
Dazu schlägt -der Ältestenrat für die Begründung 10 Minuten und für die Aussprache 40 Minuten Redezeit vor.
Das Wort hat der Abgeordnete Freiherr von Aretin.
Freiherr von Aretin ({7}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine mißliche Sache, über einen Antrag, der ein Notstandsgebiet betrifft -- zu so später Stunde -, als letzten Punkt der Tagesordnung zu verhandeln.
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- Ich darf bitten, mir nur fünf Minuten Gehör zu schenken.
Es geht um die kassenmäßige Bereitstellung von 25 Millionen DM, die im Einzelplan XXIII des Haushalts für das Jahr 1951 bereits vorgesehen waren und die auf Grund des Gesetzes zur Feststellung des Haushalts für das Rechnungsjahr 1952, das wir neulich verabschiedet haben, nun-mehr auch für 1952 vorgesehen sind. Die Gelder aus dem Sanierungsfonds sind in -den vergangenen Jahren so spät zur Verteilung gelangt, daß sie nicht mehr rechtzeitig hinausgekommen sind.
Nun stellt sich die Lage so dar, daß der Herr ( Bundesfinanzminister zwar haushaltsrechtlich in der Lage ist, diesen Betrag zur Verfügung zu stellen, jedoch durch ein Schreiben vom 31. März 1952 die beteiligten Ressorts angewiesen hat, nur noch solche Auszahlungen zu tätigen, zu denen die Bundesrepublik auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen verpflichtet ist. Der Herr Bundesfinanzminister ist der Auffassung, daß gegenüber den Sanierungsgebieten keine rechtliche, allenfalls eine moralische Zahlungspflicht besteht. Die gleiche Auffassung hat Herr Minister Schäffer auch in der Antwort vertreten, die er in der 215. Sitzung auf eine Frage nach § 111 der Geschäftsordnung erteilt hat. Er hat damals ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung es im Prinzip einsieht und noch vor wenigen Wochen beschlossen hat, -die Hilfe für die Sanierungsgebiete von 25 Millionen auf 50 Millionen zu verdoppeln, daß aber die Auszahlung dieser Beträge davon abhängt, daß die Länder sich bei den Verhandlungen über die Inanspruchnahme ihres Steueranteils mit einem Bundesanteil von 40 % einverstanden erklären. Meine Damen und Herren, ich will es mir versagen, näher auszuführen, daß es sich hier allenfalls um einen Druck handelt, der auf Kosten der Ärmsten ausgeübt wird.
An sich ist es eine Selbstverständlichkeit, daß bundeshaushaltsrechtlich zur Verfügung stehende Mittel zur Verfügung gestellt werden. Ich bin auch der Überzeugung, daß der Herr Bundesfinanzminister dieser Ansicht ist. Ich denke nur an die vielen Reden, die er in seinem und meinem Wahlkreis über dieses Thema gehalten hat. Ich darf Sie daher bitten, mit der Annahme dieses unseres Antrags die Möglichkeit zu geben, daß noch im Sommer mit
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den Förderungsmaßnahmen im Sanierungsgebiet begonnen wird und die Finanzierung zum richtigen Zeitpunkt eingeleitet wird. Es sind nur 25 Millionen,
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also die Hälfte dessen, was die Bundesregierung als notwendig angesehen hat. Es ist ähnlich wie im Sprichwort: es ist der Spatz in der Hand und die fette Taube auf dem Dach. Meine Damen und Herren, ich. darf Sie bitten, den Notstandsgebieten diesen Spatz in der Hand zu gewähren.
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Das Wort hat der Abgeordnete Höhne.
Meine Damen und Herren! Anschließend an die letzten Worte meines Vorredners möchte ich sagen, daß damals der interministerielle Ausschuß nicht 50 Millionen für notwendig erachtet hat, um den Notstandsgebieten wirklich zu helfen, sondern der interministerielle Ausschuß war sich darüber klar, daß zunächst, um die dringendsten Maßnahmen veranlassen zu können, 100 Millionen erforderlich wären. Erst durch den Einspruch des Bundesfinanzministers ist diese Summe auf 25 Millionen herabgedrückt worden.
Das Problem der Notstandsgebiete ist hier wiederholt behandelt worden. Ich möchte nicht auf Einzelheiten eingehen, ich möchte aber sehr dringlich darauf hinweisen, daß schon vor zwei Jahren die notwendigen Sicherungsmaßnahmen für die toten Gebiete hätten vorgenommen werden müssen. In diesen zwei Jahren ist nichts geschehen. Das sollte uns zu denken geben. Wir sollten hier nicht Reden in den luftleeren Raum hinein halten, sondern Beschlüsse des Bundestags so ernst nehmen, wie sie sind. Wir haben in der vorigen Woche hier in bezug auf die Grenzlandmaßnahmen sehr ernste Worte gehört. Wenn wir nun nach einem zweijährigen Warten feststellen müssen, daß ein Antrag notwendig ist, um die 25 Millionen, die bereits im Etat festgelegt sind, loszueisen, dann müssen wir sagen: hier stimmt etwas nicht. Hier wird dem Ernst der Sache nicht entsprechend Rechnung getragen.
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Wir sind uns aber darüber klar, daß etwas Endgültiges geschaffen werden muß. Unter etwas Endgültigem verstehe ich das, was vor zwei Jahren, im Mai 1950, der interministerielle Ausschuß bereits beschlossen hat: energische Maßnahmen einzuleiten, dabei auch einen Verteilerschlüssel aufzustellen, nach dem die Notstandsgebiete mit Aufträgen versehen werden sollen.
Die Abgeordneten dieser notleidenden Gebiete wissen davon ein Liedlein zu singen. Sie sind die Geschäftsreisenden ohne Auftrag geworden. Man sollte doch die Bitten, die an dieser Stelle und in dieser Form vorgetragen werden, nicht in den Wind schlagen. Ich bitte Sie, den Antrag Drucksache Nr. 3460, so wie er ist, anzunehmen. Er ist etatsmäßig begründet, und die Mittel sind freizumachen. Es geht nicht, daß - nach dem Willen des Finanzministeriums - die 25 Millionen erst dann freigemacht werden, wenn die Länder die Erhöhung des Bundesanteils an der Einkommensteuer auf 40 % zugesagt haben. So gehen die Dinge nicht. Hat der Haushaltsausschuß Etatsmittel vorgesehen, dann müssen sie ausgeschüttet werden. Keinesfalls aber darf die Anweisung vorgesehener Etatsmittel von politischen oder finanziellen Abmachungen zwischen dem Bund und den Ländern abhängig gemacht werden. Diese Dinge sind ungut. Draußen auf dem flachen Lande und gerade in den Notstandsgebieten ist man wegen der Behandlung derartiger Dinge sehr mißtrauisch geworden.
Ich bitte Sie, den Antrag nicht etwa einem Ausschuß zu überweisen, sondern sofort anzunehmen.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Eine Ausschußüberweisung ist nicht beantragt; dann stelle ich den Antrag zur Abstimmung und bitte diejenigen, die dem Antrag zustimmen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit überwiegender Mehrheit angenommen.
Die folgenden Punkte der Tagesordnung sind entweder abgesetzt oder bereits erledigt. Damit sind wir am Ende der heutigen Sitzung.
Die nächste, die 221. Sitzung des Deutschen Bundestags findet am 9. Juli, 9 Uhr vormittags, statt.
Ich darf noch darauf hinweisen, daß die Abgeordneten gebeten werden, vor dem Verlassen des Hauses noch einmal ihre Fächer zu entleeren. Es befinden sich darin die Tagesordnungen und die Drucksachen für die nächsten Plenarsitzungen.
Des weiteren wird gebeten, zu den Debatten am 9. Juli die Texte des Generalvertrages, des EVGVertrages usw. mitzubringen, da sie nicht zum zweiten Male im Plenum ausgelegt werden können.
Die 220. Sitzung ist geschlossen.