Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 219. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte um Ihre Aufmerksamkeit für die Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach der Abgeordnete Tichi für weitere sechs Wochen wegen Krankheit, der Abgeordnete Mayer ({0}) für weitere vier Wochen ab 10. Juni wegen Krankheit, der Abgeordnete Kern für vier Wochen wegen Krankheit, der Abgeordnete Matthes für vier Wochen wegen Krankheit, der Abgeordnete Fürst zu Oettingen-Wallerstein für sieben Wochen wegen Krankheit und der Abgeordnete Wallner für zwei Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme.
Meine Damen und Herren, ich darf unterstellen, daß Sie mit der Erteilung dieses Urlaubs einverstanden sind. - Das ist der Fall.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Dr. Dr. Nöll von der Nahmer, Segitz, Dr. Nowack ({0}), Dr. Bergstraeßer, Nowack ({1}), Fürst Fugger von Glött, Loritz, Lausen, Lemmer, Dr. Schatz, Dr. Povel, Dr. Semler, Dr. Orth, Ohlig, Dr. Veit, Heiland, Margulies, Dirscherl, Niebergall, Reimann, Neumann, Bodensteiner und Dr. Ott.
Ich danke schön.
Meine Damen und Herren, ich darf dem Herrn Abgeordneten Funcke, der gestern seinen 67. Geburtstag, und dem Abgeordneten Wartner, der gestern seinen 69. Geburtstag gefeiert hat, herzliche Glückwünsche aussprechen.
({0})
Die weiteren amtlichen Mitteilungen werden wie üblich ohne Verlesung in das Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 10. Juni 1952 die Kleine Anfrage Nr. 268 der Fraktion der SPD betreffend Suchdienst für Kriegsgefangene und Vermißte ({1}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache Nr. 3458 verteilt.
Der Herr Bundeskanzler hat zur Bekanntgabe im Bundestag gemäß § 4 Abs. 2 des Gesetzes für Sicherungsmaßnahmen auf einzelnen Gebieten der gewerblichen Wirtschaft den Entwurf einer Zweiten Verordnung zur Verlängerung der Geltungsdauer von auf Grund des Gesetzes für Sicherungsmaßnahmen auf einzelnen Gebieten der gewerblichen Wirtschaft erlassenen Verordnungen ({2}) übersandt.
Er hat weiter gemäß § 18 Abs. 5 des Gesetzes über den Verkehr mit Milch, Milcherzeugnissen und Fetten den Entwurf einer Verordnung M Nr. 1/52 über Preise für Milch, Butter und Käse zur Bekanntgabe im Bundestag übersandt.
Beide Verordnungsentwürfe liegen im Archiv zur Einsichtnahme aus.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Weißbuch über die Saarfrage ({3}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 15 Minuten und eine Aussprachezeit von 60 Minuten vor. - Das Haus ist damit einverstanden. Zur Begründung Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Dr. Mommer ({4}), Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn heute das von der Regierung immer als störend empfundene Thema Saar auf der Tagesordnung steht, so nur durch die Weigerung der Bundesregierung, den Bundestag ausreichend und erschöpfend zu informieren. Der Vorgang, der zu dieser Großen Anfrage führte, war folgender. Die Verhandlungen, die die Bundesregierung in London und Paris im Frühjahr dieses Jahres über die Saar führte, waren ein Musterbeispiel von Geheimdiplomatie. Wie immer begleiteten diese Geheimdiplomatie eine Beunruhigung der öffentlichen Meinung und der Verdacht, daß da etwas geschehe, was man der breiten Öffentlichkeit nicht sagen könne. Die Erklärungen, die der Herr Bundeskanzler uns in der Saardebatte am 24. April hier gegeben hat, waren keineswegs erschöpfend und befriedigend. Vor allem blieb der Widerspruch zwischen der Darstellung, die Herr Außenminister Schuman, und der, die Herr Bundeskanzler Adenauer über den Inhalt und das Ziel dieser Besprechungen abgegeben hatten, ungelöst. Der Herr Bundeskanzler flüchtete vor diesem Widerspruch in den Appell an das Haus, daß man einem deutschen Bundeskanzler doch mindestens ebensoviel Glauben schenken müsse wie einem nichtdeutschen Außenminister.
({5})
Nun, meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten möchten nicht darauf angewiesen sein, weder dem Herrn Bundeskanzler noch dem Herrn Außenminister Schuman zu glauben; wir möchten wissen, wir möchten informiert sein. Der Herr Bundeskanzler aber war sehr geizig mit Informationen und beschränkte sich auf eine summarische Wiedergabe der Inhalte, vor allem in bezug auf den entscheidenden Briefwechsel, mit dem die Verhandlungen abgeschlossen wurden. Mein Fraktionsfreund Ollenhauer hat damals schon gesagt, die Achtung vor dem Parlament hätte es geboten, daß wir bei der Debatte durch die Bundesregierung den vollen Wortlaut dieses Briefwechsels zur Kenntnis bekamen. Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer jedoch hat sich damit begnügt, diesen Briefwechsel in zwei Sätzen zusammenzufassen.
Mit dieser Erklärung konnten wir unmöglich zufrieden sein, und so haben wir schon am folgenden Tage eine Kleine Anfrage eingebracht, in der die Bundesregierung gefragt wurde, ob sie bereit sei, ein Weißbuch zu veröffentlichen, in dem die Verhandlungen dargestellt und alle einschlägigen Dokumente der Öffentlichkeit bekanntgegeben würden. Das war kein unbilliges Verlangen. Eine wichtige Episode in der Behandlung der Saarfrage
({6})
nach 1945 war durch das Scheitern der Verhandlungen zum Abschluß gekommen. Es dürfte einem internationalen Brauch in Demokratien entsprechen, daß in einem solchen Falle die Unterlagen für die Beurteilung des ganzen Vorganges auf den Tisch gelegt werden
({7})
und somit der Öffentlichkeit erlaubt wird, sich selbst ein Urteil über die Ursachen des Scheiterns der Verhandlungen zu bilden.
Unsere Geschäftsordnung gibt der Bundesregierung 14 Tage Frist für die Beantwortung einer solchen Kleinen Anfrage. Nachdem uns nach 29 Tagen die Antwort immer noch nicht bekannt war, haben wir die Kleine Anfrage in eine Große Anfrage umgewandelt. Diese Große Anfrage hat sich dann kreuzen müssen mit der Antwort auf die Kleine Anfrage. Die Antwort trägt das Datum des 16. Mai, wurde aber erst am 24. Mai hier in die Fächer gelegt. Nach Kenntnisnahme dieser Antwort bestand für uns kein Anlaß, unsere Große Anfrage zurückzuziehen, weil die Antwort völlig unbefriedigend ausgefallen ist. Es heißt dort, die Veröffentlichung der Verhandlungen, die vertraulich geführt worden seien, sei geeignet, die Außenpolitik der Bundesregierung zu beeinträchtigen. Es heißt weiter, der Inhalt des Briefwechsels sei in der Sitzung vom 23. April mitgeteilt worden. Dazu müssen wir sagen: die Bekanntgabe von Verhandlungen über die Saar kann doch nur dann störend auf die Außenpolitik der Bundesregierung wirken, wenn sie entschlossen ist, wegen der europäisch firmierten Politik Frankreichs die Augen vor dessen Richelieuscher Saarpolitik zu verschließ en, und wenn sie entschlossen ist, das Vorantreiben der Saarfrage der Unterzeichnung des Generalvertrags und des Vertrags über die europäische Verteidigungsgemeinschaft zu opfern.'
Was zu dem Briefwechsel zu sagen ist, haben wir schon gesagt. Am 23. April wurden wir mit zwei Sätzen über diesen Briefwechsel informiert. Wir waren nach dieser Information immer noch auf das Glauben und nicht auf das Wissen angewiesen. Diese ausweichende und negative Antwort muß den weiteren Schluß gestatten, daß es in diesen Verhandlungen doch manches gegeben hat, was aus guten Gründen auch weiterhin das Licht der Öffentlichkeit scheut.
Wir würden es begrüßen, wenn die Bundesregierung heute ihre Position revidieren und wenn sie sich doch noch entschließen würde, das von uns geforderte Weißbuch herauszugeben. Die Antwort, die wir schriftlich bekommen haben, kann nur als eine Mißachtung des Rechts des Parlaments auf Information gewertet werden, gegen die wir mit Nachdruck protestieren müssen.
Meine Damen und Herren, wir haben nicht die Absicht, heute eine große Saardebatte zu machen. Aber die Situation an der Saar zwingt uns doch, einige kurze Sätze zu dieser aktuellen Situation zu sagen.
Leider ist die Saarpolitik der Bundesregierung seit April durch große Unterlassungen gekennzeichnet. Am 22. Mai tagte der Ministerrat des Europarates. Die Bundesregierung hat diese Tagung vorübergehen lassen, ohne die Beschwerde über die undemokratischen Verhältnisse an der Saar wieder aufzugreifen. Auf der Tagung im März hatte die Bundesregierung auf die Weiterbehandlung der Beschwerde vorläufig verzichtet, weil „erfolgversprechende Verhandlungen" mit Frankreich über die Saar eingeleitet wurden. Nun, die „erfolgversprechenden Verhandlungen" haben keinen Erfolg gebracht, und es wäre nur konsequent gewesen, wenn diese Beschwerde bei der ersten Gelegenheit dann wieder aufgegriffen worden wäre, da die Voraussetzung für die Aussetzung weggefallen war. Das ist nicht geschehen.
Weiterhin hat die Bundesregierung inzwischen die großen Verträge unterzeichnet. Sie hat diese Verträge unterzeichnet, ohne darauf zu bestehen, daß an der Saar wenigstens das europäische Minimum der staatsbürgerlichen Freiheiten garantiert wäre. Das sind große Unterlassungen, die um so schwerer wiegen, als sich an der Saar Ereignisse vorbereiten, zu deren gutem Ausgang eine aktive Saarpolitik der Bundesregierung ganz besonders erforderlich wäre.
Im Herbst finden Wahlen statt. Die Freiheit der Parteien, die Freiheit der Presse und alle übrigen politischen Freiheiten sind nicht garantiert. Der Ausgang dieser Wahlen könnte ein Wendepunkt in der Entwicklung des deutschen Saargebietes
Er könnte es nur sein, wenn die Bundesregierung die Mittel, die sie auf diplomatischem Gebiet hat, um die Freiheit zu erzwingen, auch tatsächlich einsetzen würde.
Wie wir sehen, hat die Bundesregierung das bei zwei großen Anlässen, im Ministerrat des Europarats und bei der Unterzeichnung der Verträge, unterlassen. Wenn sie weiter diese Unterlassungen begeht und auch die Herbsttagung des Ministerrats im September nicht benutzt, um die Freiheit an der Saar zu erzwingen, dann wird sie sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, daß sie bereit sei, den Kampf um die Saar der Politik der sogenannten europäischen Integration zu opfern. Sie wird dann die volle Verantwortung für die Konsequenzen dieser Unterlassungen zu tragen haben.
({8})
Zur Beantwortung der Großen Anfrage hat das Wort der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der Fraktion der SPD wiederholt die Frage, die diese Fraktion der Bundesregierung bereits mit einer Kleinen Anfrage vom 24. April vorgelegt hat. Die Bundesregierung hat die Kleine Anfrage mit einem Schreiben vom 16. Mai beantwortet. Dieses Schreiben liegt Ihnen als Drucksache Nr. 3333 vor.
Ich wiederhole heute die Erklärung, daß die Bundesregierung nicht in der Lage ist, dem Bundestag ein Weißbuch über die Besprechungen vorzulegen, die ich in London und Paris mit dem französischen Außenminister über die Saarfrage gehabt habe.
({0})
Diese Besprechungen bestanden nur in einer vorläufigen Fühlungnahme. Sie sind überhaupt nicht so weit geführt worden, daß sich irgendwelche Ergebnisse gezeigt haben. Es liegt in der Natur der Sache, daß sich solche Besprechungen für eine Veröffentlichung nicht eignen. Durch eine Bekanntgabe würde ich die Pflicht zur vertraulichen Behandlung einer persönlichen Unterredung ver({1})
letzen und damit zukünftige Gelegenheiten nicht nur zu Besprechungen mit dem französischen Außenminister, sondern mit Außenministern überhaupt unmöglich machen.
({2})
Der Inhalt des Briefwechsels zwischen mir und dem französischen Außenminister vom 12. und 21. April ist bereits in der Bundestagssitzung vom 23. April von mir dem Hohen Hause zur Kenntnis gebracht worden.
({3})
Meine Damen und Herren, ich frage, wird eine Besprechung der Großen Anfrage gewünscht?
({0})
- Die Besprechung findet statt, und zwar im Rahmen der vorgesehenen Redezeit von 60 Minuten. - Ich habe bisher nur die Wortmeldung der Frau Abgeordneten Thiele.
Frau Abgeordnete Thiele hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Große Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion hat eine interessante und aufschlußreiche Vorgeschichte. Bereits am 24. April hat die sozialdemokratische Fraktion, wie es hier schon zum Ausdruck kam, in einer Kleinen Anfrage das gleiche Ansinnen an die Bundesregierung gestellt. Am 16. Mai verweigerte der Bundeskanzler mit den gleichen Worten, mit der gleichen Begründung wie heute die Auskunft, aber auch mit der gleichen Art, wie er gewohnt ist, dieses Parlament zu behandeln. Er erklärte damals wörtlich: „Eine Veröffentlichung des Inhalts der vertraulichen und persönlichen Besprechungen könnte im gegenwärtigen Zeitpunkt die Außenpolitik der Bundesregierung beeinträchtigen". Mit anderen Worten heißt das: die Preisgabe der Saar, der Verrat deutscher Interessen wurde fortgesetzt und wird fortgesetzt und durch neue Tatsachen erhärtet.
({0})
Adenauer rückte damals mit der Sprache nicht heraus, weil er die Unterzeichnung des Generalkriegsvertrages und das Abkommen über die amerikanische Söldnerarmee in Europa nicht gefährden wollte. In diesen Verträgen aber steht nichts darüber, daß die Saar deutsch ist. Im Gegenteil, alle internationalen Abkommen und Verträge, die die fremden Militärgouverneure und die Hohen Kommissare als Inhaber der „obersten Gewalt" für Westdeutschland abgeschlossen haben, wurden ausdrücklich durch Dr. Adenauer anerkannt, d. h. also: auch die Schaffung des französischen Saarprotektorats. Der Mann also, der nach den Worten des Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion nach der Unterzeichnung des Generalkriegsvertrags aufgehört hat, ein Deutscher zu sein, vermag sich auch nicht auf den Briefwechsel mit dem Hohen Kommissar zu berufen, weil es nämlich in der westeuropäischen Kriegsehe unter den amerikanischen Fittichen nicht um Liebesbriefe geht, sondern weil es hier um ganz eindeutige Kontrakte geht. Diesem Bundeskanzler geht es nicht um die Interessen der deutschen Brüder an der Saar, sondern um die Verwirklichung der amerikanischen Pläne.
Bereits im Schumanplan wurde das Saargebiet abgeschrieben. Der beim Londoner Besuch des Herrn Dr. Adenauer gestartete Theatercoup über die Saar enthielt die de-facto-Anerkennung der Pariser Marionettenregierung an der Saar. Die
billigen Demonstrationen hier im Bundestag, begonnen im Frühjahr 1950, als der sogenannte Europarat vor der Tür stand, wurden genau wie jetzt beim Generalkriegsvertrag durch Dr. Adenauer durch die Schaffung neuer Tatsachen immer sofort wieder wettgemacht. Eine solche Politik aber dient nicht den deutschen Menschen an der Saar, sie dient nicht deutschen Interessen, sondern sie verrät Deutschland.
Als am 3. März 1950 durch die Saarkonvention die Annexion dieses deutschen Landesteils durch den intimen Gesprächspartner Adenauers, den französischen Außenminister Schuman, perfekt wurde, erklärte zu diesem Gewaltakt die kommunistische Fraktion, daß das deutsche Volk ihn niemals anerkennen wird.
({1})
Für die Freiheit an der Saar aber gibt es nur einen einzigen Weg: den Kampf des ganzen deutschen Volkes für den Friedensvertrag mit ganz Deutschland einschließlich der Saar. Mit Kleinen und Großen Anfragen an die Adenauer-Regierung - und hier wende ich mich besonders an die sozialdemokratische Fraktion - wird nichts erreicht, sondern das ganze deutsche Volk muß den Kampf gegen die Saarkonvention, gegen alle Schandverträge führen.
({2})
Es zeigt sich aber auch, daß die Bevölkerung an der Saar nicht bereit ist, diese Politik gutzuheißen. Es zeigt sich, daß die Saarbevölkerung begriffen hat, wie man diesen Kampf führen muß. Das zeigt sich in der Zersetzung der separatistenfreundlichen Parteien. Das zeigt sich ganz besonders aber auf dem jetzt durchgeführten Verbandstag der IG Bergbau an der Saar. Auf diesem Verbandstag wurde ganz eindeutig und klar die separatistenfreundliche Politik verurteilt. Der Verbandstag lehnte die Saarkonvention ab, forderte den Friedensvertrag und jagte schließlich die separatistenfreundliche Führung der IG Bergbau zum Teufel.
({3})
Das ist die Politik, die die Bevölkerung an der Saar durchführt. Das ist die Politik, die auch das deutsche Volk durchführen muß, nämlich solche Männer zum Teufel zu jagen, die das deutsche Volk verraten.
({4})
Wenn nun im Bundestag wiederum über die undemokratischen Verhältnisse an der Saar gejammert wird, dann möchte ich noch einmal darauf hinweisen, daß in dem Parteiengesetz an der Saar und den Terrormethoden an der Saar ganz eindeutig die gleichen Methoden zu erkennen sind, die hier durch den Innenminister Lehr durchgeführt und mit dem vorgelegten Parteiengesetz vorgesehen sind.
({5})
Es ist ein und dasselbe: Durchführungsverordnung des Generalkriegsvertrages sind sowohl der Terror hier und das Parteiengesetz, das hier vorgelegt ist und durchgeführt werden soll, als auch die undemokratischen Verhältnisse an der Saar zur Unterdrückung aller Menschen, die für Frieden, Einheit und Freiheit eintreten.
Frau Abgeordnete Thiele, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Ich komme zum Schluß. - Mit der Durchführung des Generalkriegsvertrages sollen alle die Menschen mundtot gemacht werden, die für den Friedensvertrag und für die Einheit Deutschlands kämpfen. Das allerdings wird nicht gelingen, weil die Menschen bereit sind, diesen Kampf auch außerparlamentarisch und auf allen Ebenen zu führen, was nach dem Grundgesetz und nach allen demokratischen Gesetzen nicht nur das Recht, sondern die Pflicht des deutschen Volkes ist. Es gibt also nur einen einzigen Weg, die Verhältnisse an der Saar zu ändern. Es gibt nur einen einzigen Weg: die Einheit Deutschlands einschließlich der Saar herausstellen, den Friedensvertrag für ganz Deutschland erzwingen. Dann werden auch die Verhältnisse an der Saar geändert, und das ganze deutsche Volk wird einig sein. Es wird ein friedliebendes Volk zusammen mit dem französischen Volk sein.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Eichler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antwort, die der Herr Bundeskanzler meinem Kollegen Mommer und meiner Fraktion auf die Interpellation gegeben hat, ist selbstverständlich - was niemanden wundern wird - in höchstem Maße unbefriedigend und unzureichend. Wir haben diese Anfrage gerade in eine Große Anfrage umgewandelt, weil uns die Antwort auf die Kleine Anfrage absolut unzureichend war. Außerdem, in dieser Antwort steht: Was den Briefwechsel angeht, so ist sein Inhalt bereits in der Bundestagssitzung dem Hohen Hause zur Kenntnis gebracht worden. - Nun, wenn der Briefwechsel zur Kenntnis gebracht worden wäre, dann hätten wir selbstverständlich nicht beantragt, ihn noch einmal zur Kenntnis zu bringen. Tatsächlich ist darüber nur kurz referiert worden. Wenn in dem Briefwechsel nichts stünde, was zur Beunruhigung Anlaß gäbe, so sähen wir unsererseits nicht den geringsten Anlaß für die Bundesregierung, den Briefwechsel nicht klar und offen allen Beteiligten vorzulegen.
({0})
Wir haben in der vorigen Saardebatte von Herrn Bundeskanzler Adenauer den peinlichen Hinweis gehört, daß er das Haus vor die Frage stellte, ob man dem einen Außenminister oder dem andern mehr glaube. Wir halten in der Tat diesen Streit durchaus nicht eines Parlaments würdig. Es kommt nicht darauf an: wem glaubt man? In Hinsicht auf Tatsachen, die schwarz auf weiß bestehen, gibt es keinen Glauben, sondern einfach eine hinreichende Information, über die es dann keinen Streit mehr geben kann, höchstens über die Interpretation.
({1})
Wir haben doch erlebt - das ist der Grund unserer Anfrage -, daß die Interpretation dieses Briefwechsels wie überhaupt die Interpretation jeder Verhandlung über die Saar absolut verschieden ist, je nachdem, ob man die deutsche Regierung anhört oder den französischen Außenminister. Wir wollen nicht unterscheiden müssen: wem sollen wir mehr glauben?, - wir wollen die Fakten sehen, so daß es keinen Streit geben kann.
Der Herr Bundeskanzler hat sich darauf berufen, dieser Briefwechsel zwischen ihm und dem
Herrn französischen Außenminister sei eine Art ( von vertraulicher persönlicher Information, und er habe sich verplichtet, vertrauliche Unterhaltungen nicht bekanntzugeben. Jeder wird verstehen, daß es vertrauliche Verhandlungen gibt, über die man nicht einfach, ehe sie zu Ende geführt sind, die Öffentlichkeit unterrichtet. Aber aus diesen vertraulichen Verhandlungen sind ja Konsequenzen gezogen worden. Sie haben z. B. dazu geführt, daß der Herr Bundeskanzler die von ihm selber eingereichte Denkschrift beim Ministerrat des Europarats in der Sitzung nicht begründet, nicht diskutiert hat, daß er selbst auf die Diskussion, die auf die Tagesordnung gesetzt war, verzichtet hat, und zwar mit dem Hinweis darauf, daß der hier in Frage stehende Briefwechsel zwischen ihm und Herrn Schuman eine „erfolgversprechende Lösung der Saarfrage" anbiete. In der Erklärung, die er dann hier in der vorigen Bundestagsdebatte abgegeben hat, sagte er, es habe sich leider gezeigt, daß man auf der andern Seite - nämlich in Frankreich - noch nicht genügend europäische Bereitschaft zur Zusammenarbeit entwickelt habe.
({2})
Nun, wir möchten die Gründe wissen, die zu diesem Zusammenbruch eines Schrittes des Bundestags und der deutschen Regierung geführt haben. Denn die Proteste im Ministerrat sind ja nicht formale bürokratische Proteste. Sie sollen dazu führen, daß ein Volk von einer Million im Saargebiet endlich von einem Polizeiterrorregime befreit wird, über dessen Charakter dieser Bundestag nie verschiedener Meinung gewesen ist. Das Urteil darüber ist in verschiedenen fast einstimmig angenommenen Entschließungen dieses Bundestags klar zum Ausdruck gebracht worden.
({3})
Wir wünschen folgendes. Es ist unmöglich, die Bevölkerung an der Saar hier als eine quantité négligeable zu behandeln, einfach weil im großen europäischen Rahmen diese Millionenbevölkerung angeblich keine Rolle spielt. Wir werden peinlich an das gleichlaufende Beispiel erinnert, daß auch die Einheit Deutschlands hinter der Integration in den Westen zurückgestellt wird, ohne Rücksicht darauf, daß auch die 18 Millionen der Ostzone dann vielleicht dasselbe Schicksal erleiden, weil es anders „nicht in die außenpolitischen Pläne der Bundesregierung hineinpaßt".
({4})
Meine Damen und Herren, so geht es ganz gewiß nicht.
({5})
Wir sind deshalb der Meinung, der Herr Bundeskanzler sollte einmal in der Septembersitzung des Ministerrates den bisherigen, mit dem Briefwechsel begründeten Aufschiebungsprozeß abbrechen und das nachholen, was bisher unter Berufung auf den Briefwechsel mit dem französischen Außenminister unterblieben ist. Sie werden unsere Sorgen verstehen, wenn Sie die beiden Entschließungen vergleichen, die anläßlich der letzten Saardebatte eingebracht wurden, die Entschließung der Sozialdemokratischen Partei und die Gegenentschließung. Diese letzte zeigt klar und deutlich eine nicht nur latente, sondern beinahe ausgesprochene Bereitschaft, die Lösung der Saarfrage als relativ unbedeutend hinter der Art der Lösung außenpolitischer Probleme hinzustellen, wie sie
({6})
heute angestrebt wird. Ein unbefangenes Durchlesen der beiden Entschließungen zeigt ganz klar, worauf es uns ankommt. Wir hatten beantragt, über das Saarschicksal könnte nur das deutsche Gesamtvolk verfügen. Der Antrag der Koalitionsparteien, den Sie dann angenommen haben, lautet, irgendwelche Maßnahmen könnten nur mit deutscher Zustimmung erfolgen. Nun, welchem Juristen wäre es nicht möglich, unter diesen Umständen nachzuweisen, daß auch eine Zustimmung des Saarlandtages eine deutsche Zustimmung sei, weil wir ja alle darüber einig seien, daß die Bevölkerung an der Saar deutsch ist!
Den Punkt 5: Der Bundestag wird keiner Regelung zustimmen, die diesen Grundsätzen widerspricht, haben Sie einfach gestrichen. Wir möchten den Bundestag vor eine klare Entscheidung stellen. Da unsere Kleine und unsere Große Anfrage nicht beantwortet worden sind - denn was wir hier gehört haben, ist nur im formalen Sinne eine Antwort und nicht im sachlichen -,
({7})
stellt meine Fraktion den folgenden Antrag: Der Bundestag wolle beschließen,
die Bundesregierung zu ersuchen, dem Bundestag ein Weißbuch über die im internationalen Rahmen geführten Saarverhandlungen vorzulegen, insbesondere über den Briefwechsel zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Außenminister der französischen Republik.
Meine Damen und Herren, wir behalten uns vor, in dieser Frage einen Untersuchungsausschuß zu beantragen, der mindestens vertrauliche Informationen über die Verhandlungen über die Saar anstrebt. Wir bitten Sie, dem Antrag - den ich die Ehre habe, dem Herrn Präsidenten zu übergeben - zuzustimmen.
({8})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich Herrn Abgeordneten Eichler richtig verstanden habe - er sprach sehr schnell, und man kann doch von der Bank nicht so gut hören, wie Sie dort hören können - ({0})
- Meine Damen und Herren, wenn man d a s nicht mehr sagen darf!
({1})
Ich wiederhole nochmals: Wenn ich Herrn Abgeordneten Eichler richtig verstanden habe, dann hat er im ersten Teil seiner Ausführungen davon gesprochen, daß ich die Denkschrift und den Antrag auf Verhandlungen über die Zustände an der Saar zurückgezogen hätte,
({2})
während er im Laufe seiner weiteren Ausführungen gesagt hat - und das würde den Tatsachen entsprechen -, daß ich von vorläufigen Verhandlungen Abstand genommen hätte. Die Sache liegt so. In der Zwischenzeit ist von uns sowohl dem Präsidenten des Ministerrats des Europarats als auch dem Herrn Außenminister Schuman mitgeteilt worden, daß die damaligen Gründe, die
mich dazu bewogen haben, nicht die Anträge zurückzuziehen, sondern vorläufig von der Besprechung abzusehen, in Wegfall gekommen seien. Sowohl die Denkschrift als auch der Antrag werden, falls nicht irgendein Wechsel in der französischen Auffassung über die Saarfrage eintritt, im Ministerrat des Europarats von mir zur Sprache gebracht und werden dort verhandelt werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Kemper.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon so viel über die Saar gesprochen worden,
({0})
daß man wirklich nicht weiß, ob es für das Problem gut ist. Man kann nach den letzten Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers der Auffassung sein, daß die Dinge nun doch in Fluß kommen. Ich möchte aus der ersten Erklärung des Herrn Bundeskanzlers hier den einen Satz wiederholen: Diese Besprechungen bestanden in einer vorläufigen Fühlungnahme, sie sind nicht so weit geführt worden, daß sie in Einzelheiten fest umrissene Ergebnisse gezeitigt hätten.
Die Dinge liegen j a nun so, daß das Saarproblem das wichtigste Problem ist, welches zwischen Deutschland und Frankreich steht. Wenn wir die europäische Konzeption weiterdenken, so scheint es mir, daß das Saarproblem wirklich im beiderseitigen Interesse und im Interesse des Saarvolkes geregelt werden muß. Wir haben in der Presse gelesen, daß Herr Außenminister Schuman geäußert haben soll, daß das Saarproblem vor der Ratifizierung der Verträge geregelt werden müsse. Ich bitte deshalb die Bundesregierung, doch dafür zu sorgen, daß die Saarfrage wirklich in Fluß kommt; denn das Volk an der Saar - ich spreche nicht von der sogenannten Saarregierung - wünscht nichts sehnlicher, als zwischen Deutschland und Frankreich eine Brücke zu sein.
({1})
- Ich spreche zum Plenum, nicht zum Bundesrat!
- Bei allen Verhandlungen muß feststehen, daß
das Volk an der Saar deutsch ist und bleiben will.
Ich meine, es müßte möglich sein, eine Lösung zu finden, die beiden Teilen, also auch Frankreich, gerecht wird, etwa in wirtschaftlicher Beziehung. Ich weiß, daß das nicht leicht ist und daß es die Opposition viel leichter hat, mit Anträgen und Großen Anfragen zu kommen, als die Bundesregierung, die ja nun die Dinge meistern soll. In der jetzigen Zeit, in der wir das große europäische Ziel verfolgen, sollten Hindernisse wie die Saarfrage im Interesse der beiden Völker ausgeräumt werden. Ich möchte deshalb die Bundesregierung bitten, mit allem Ernst noch einmal zu versuchen, die Saarfrage erneut zur Debatte zu stellen und mit Frankreich zu verhandeln, damit dieses Hindernis zwischen den beiden Völkern endlich aus der Welt geschafft wird. Wird diese Frage nicht im europäischen Geist gelöst, wird dies, so fürchte ich, sich zum Schaden des europäischen Gedankens auswirken.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Neumayer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, hier nochmals den Standpunkt der Freien Demokratischen Partei zur Saarfrage darzulegen. Dies ist in der letzten Sitzung, in der über die Saarfrage verhandelt wurde, unzweideutig geschehen. Wir alle kennen die Schwierigkeiten, die der Lösung des Saarproblems entgegenstehen. Wir sind uns auch der großen Verantwortung bewußt, die die Bundesregierung trägt, da sie diese Frage einer für Deutschland befriedigenden Lösung zuführen muß.
Nun haben wir von dem Herrn Bundeskanzler gehört, daß er die Saarfrage im Ministerrat des Europarates nochmals zur Sprache bringen wird.
({0})
Wir hoffen und vertrauen darauf, daß es gelingen wird, alle noch entgegenstehenden Schwierigkeiten auszuräumen, sind uns aber darüber klar, daß dies nicht möglich ist, wenn den Verhandlungen, die zwischen den Regierungen bereits gepflogen worden sind und die wieder eingeleitet werden müssen, die Vertrauensbasis entzogen wird. Eine Gefährdung des Vertrauens könnte darin erblickt werden, wenn der Kanzler gezwungen würde, ein Weißbuch über die bisherigen Verhandlungen vorzulegen.
({1})
Wir haben aus seinem Munde gehört, daß es sich um vertrauliche Vorbesprechungen gehandelt habe. Auch der Herr Kolleg« Eichler hat nicht bestritten, daß es bei außenpolitischen Verhandlungen Dinge gibt, die vertraulich behandelt werden müssen. Es dürfte meiner Ansicht nach genügen, wenn der deutsche Bundeskanzler vor diesem Hause erklärt, daß die Vertraulichkeit der damaligen Besprechungen ihn nicht in die Lage versetzt, im Augenblick darüber ein Weißbuch vorzulegen.
({2})
Wir bitten aus diesen Gründen den Herrn Bundeskanzler, von der Erstellung eines Weißbuches vorläufig abzusehen
({3})
und dem Wunsche der Sozialdemokratischen Partei nicht nachgeben zu wollen.
({4})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung.
Im Rahmen der Aussprache über die Große Anfrage ist von der sozialdemokratischen Fraktion der Antrag gestellt worden - ich bitte, solche Anträge doch künftig mit einer Unterschrift zu versehen -,
({0})
der Ihnen vorgelesen worden ist und den ich nicht zu wiederholen brauche. Wir kommen zur Abstimmung über diesen Antrag. Ich bitte diejenigen Damen und Herren, die dem Antrage zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Damit ist Punkt 1 der Tagesordnung erledigt. Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Beratung der Großen Anfrage der Fraktion
der SPD betreffend Schreiben des Bundeskanzlers vom 16. Mai 1952 an Christian Fette
({1}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von höchstens 15 Minuten und eine Aussprache, wenn sie gewünscht wird, von 90 Minuten vor.
Zur Begründung hat das Wort der Abgeordnete Jahn.
Jahn ({2}), Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in einem Schreiben an den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes Christian Fette u. a. gesagt:
Die Ankündigung gewerkschaftlicher Kampfmaßnahmen fällt zeitlich zusammen mit der aus der Sowjetzone kommenden Drohung, das Zustandekommen des Deutschlandvertrags u. a. durch Ausrufung des Generalstreiks in der Bundesrepublik zu verhindern.
({3})
Weite Kreise des deutschen Volkes werden das zeitliche Zusammenfallen unter diesen Umständen nicht für einen bloßen Zufall halten.
({4}) Meine Damen und Herren, es ist meines Erachtens notwendig, daß diese Legende, die sieh langsam zur Lüge verdichtet,
({5})
einmal eindeutig zerstört wird.
({6}) Immer, wenn die Gewerkschaften etwas unternehmen, werden - und bei dem Metallarbeiterstreik in Hessen begann es - solche Verleumdungen in die Welt gesetzt.
({7})
- Herr Rische, mit Ihnen unterhalte ich mich
grundsätzlich nicht!
({8})
- Die Lautstärke Ihrer Stimmbänder geht nicht überall konform mit dem Fassungsvermögen des Gehirns.
({9}) Aber hier scheint es mir ernsthaft um einer Klärung willen nötig zu sein, die Dinge einmal klarzustellen. Wer guten Willens ist, Augen hatte zu sehen und Ohren zu hören, wird festgestellt haben, daß anläßlich der letzten Demonstrationen der Hunderttausende gewerkschaftlich organisierter Mitglieder eine beispielhafte Disziplin geherrscht hat
({10})
und daß, wo sich Kommunisten rührten, sie entweder durch ihre kleine Lächerlichkeit sich selbst töteten oder da, wo sie sich regten, einfach eliminiert wurden.
({11})
Aber ich möchte auf einen besonderen Fall hierbei zu sprechen kommen. Es war im Jahre 1949, als West-Berliner Eisenbahner - und ich habe die Ehre und das Vergnügen, der Vorsitzende dieser Organisation zu sein ({12})
in Berlin gegen den Bolschewisierungsprozeß in
offenem Kampfe opponierten. Wir haben damals
mit 300 Mann den Streik begonnen, und innerhalb
von 24 Stunden waren es 13 000 Mann. Der Kampf
({13})
hat 39 Tage gewährt, und an seinem Ende stand die Unterschrift des Chefs der SMA, der Sowjetischen Militär-Administration, des Generals Kwaschnin, unter dem von uns vorgelegten Vertrag. Da gab es kein „Njet", da gab es nur die Unterschrift.
({14})
Und dahinter stand das Volk von Berlin, und ich erkenne dankbar an, daß der damalige Magistrat von Berlin uns allein unterstützt hat. General Kwaschnin ist nicht mehr.
({15})
Das ist die Strafe, die die Sowjets für ihn ausgeworfen haben.
Ich sagte: Der Vertrag wurde unterschrieben. Wir wissen aus Erfahrung, daß Diktaturen Verträge schließen, um sie zu brechen.
({16})
Die Tinte unter dem Vertrag war noch nicht trocken, als von den 13 000 streikenden Eisenbahnern 3530 gemaßregelt wurden. Mit Hilfe des Magistrats von Berlin wurden 2030 wieder in Lohn und Brot gebracht. 1000 sind heute noch arbeitslos.
({17})
500 leisten Notstandsarbeiten. Zweimal habe ich von dieser Stelle aus an die Regierung appelliert, mir zu helfen, die Kämpfer für Freiheit in Lohn und Brot zu bringen, beide Male vergeblich. Die Gewerkschaft war es. die dafür sorgte, daß hei diesen Kämpfern für Freiheit und Demokratie der Glaube an die Demokratie nicht zugrunde ge) ist.
({18})
- Das soll den Beweis dafür liefern, daß der Vorwurf, wir seien für eine Verbolschewisierung, zu Unrecht erhoben wird. Für uns ist der Kampf gegen die Verbolschewisierung kein Lippenbekenntnis, sondern eine tägliche Verpflichtung.
({19})
- Dann sorgen Sie dafür, daß solche Verleumdungen nicht mehr erhoben werden.
({20})
- Sie sind hier in diesem Schreiben niedergelegt.
({21})
Wir haben unter Beweis gestellt, daß uns der Kampf gegen den Bolschewisierungsprozeß kein Lippenbekenntnis ist.
({22})
Eine Anzahl der streikenden Eisenbahner war von den Sowjetgerichten auch zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden,
({23})
darunter auch ein ehemaliger Reservelokomotivführer; den Namen kann ich heute nennen, da
seine Familie gerettet ist, ein ehemaliger Reservelokomotivführer Schwantes. Wir haben mit Hilfe eines Wachtmeisters der Volkspolizei den Mann aus dem Sowjetgefängnis befreit. Schwantes ist wieder in Lohn und Brot. Der Wachtmeister der Volkspolizei, obwohl auch bereits ein Jahr im Westen, konnte nicht in Lohn und Brot gebracht werden.
({24}) Er war j a nur ein Gewerkschaftler
({25})
und kein 131er.
({26})
Ich sage das deshalb, weil ich im Interesse Deutschlands und auch der Weltöffentlichkeit wünsche, daß endlich einmal die Legende, die deutschen Gewerkschaften seien als Hilfestellung für die Bolschewisten zu gebrauchen, zerbrochen werden muß.
({27})
Die festeste Säule für die Erhaltung der Demokratie in dieser westdeutschen Republik sind neben der Sozialdemokratischen Partei die Gewerkschaften.
({28})
Hierbei lassen wir uns von niemand übertreffen, und wir stellen das tagtäglich unter Beweis.
({29})
Herr Abgeordneter Rische, es ist doch nicht gerade Ihre Aufgabe, andere Leute wegen ihrer Lautstärke zu kritisieren.
Jahn ({0}), Anfragender: Es ist deshalb an der Zeit, daß wir auch von der Regierungsbank auf unsere Anfrage eine eindeutige Antwort erhalten. Ich erkläre und hoffe, es jetzt unter Beweis gestellt zu haben, daß wir es ein für allemal ablehnen, Steigbügelhalterdienste für den Sowjetbolschewismus zu leisten.
({1})
Wer diese Legende trotzdem aufrechterhält, der zerstört wertvollste moralische Widerstandskräfte gegen die Verbolschewisierung und stärkste moralische Aufbaukräfte für die westliche Welt. Aus diesem Grunde haben wir die Anfrage gestellt, formuliert in der Drucksache Nr. 3418, und wir ersuchen um eine Antwort, die den Vorwurf von uns nimmt, wir seien Steigbügelhalter des Bolschewismus.
({2})
Zur Beantwortung der Großen Anfrage hat das Wort der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe wegen der Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei im Hinblick auf die Besprechungen, die ich am 13. Juni mit Vertretern des Vorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes gehabt habe, mit dem Vorsitzenden des Bundesvorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Herrn Christian Fette, Fühlung genommen. Auf Grund dieser Fühlungnahme mit Herrn Fette halte ich es im gegenwärtigen Augenblick für rat({0})
sam, von einer Beantwortung und Erörterung der Großen Anfrage der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei abzusehen.
({1})
Ich frage, ob eine Aussprache gewünscht wird.
({0})
- Die Aussprache wird gewünscht.
Das Wort hat der Abgeordnete Pelster im Rahmen der Gesamtaussprachezeit von 90 Minuten.
Meine Damen und Herren! Ich bin schon der Meinung, daß es, nachdem in der vorigen Woche die Besprechungen stattgefunden haben, um die Frage, die zur Debatte stand und die die Grundlage des Briefes des Bundeskanzlers war, zu einem guten Abschluß zu bringen, nicht gerade notwendig gewesen wäre, die Dinge heute nochmals aufzurollen.
({0})
Auf der andern Seite möchte ich aber auch sagen, daß dazu vielleicht überhaupt gar keine Veranlassung bestand. Will man denn dem Bundeskanzler verwehren, auf ein Schreiben zu antworten, das doch gerade auch nicht mit einem Feinstift geschrieben ist? Es ist ganz klar, daß in solchen Auseinandersetzungen manchmal harte Worte fallen. Ich habe auch den Brief des Herrn Vorsitzenden Christian Fette vor mir. Wenn ich manche Äußerungen darin lese, sind sie nicht dazu angetan, dafür zu wirken, daß nun Entgegenkommen von allen Seiten gezeigt wird. Hier wird gesagt, daß schwerste Bedenken bestünden, daß das Gesetz schlechter sei als das Gesetz von 1920. Wenn ich mir dann den Entwurf der SPD zum Betriebsverfassungsgesetz ansehe und ihn mit dem alten Betriebsrätegesetz von 1920 vergleiche, kann ich nicht feststellen, daß, soweit das Recht der Arbeiter im Betrieb in Frage kommt, darin ein wesentlicher Fortschritt liegt. Der Entwurf, der im Ausschuß erarbeitet worden ist, geht aber in vielen, vielen Punkten weit über das hinaus, was im Entwurf der SPD drinsteht.
Wenn es in dem in der Großen Anfrage genannten Schreiben des Herrn Bundeskanzlers heißt: „Die Ankündigung gewerkschaftlicher Kampfmaßnahmen fällt zeitlich zusammen mit der aus der Sowjetzone kommenden Drohung, das Zustandekommen des Deutschlandvertrages u. a. durch Ausrufung des Generalstreikes in der Bundesrepublik zu verhindern", dann ist das die Feststellung einer Tatsache. Wenn ich mir die Gewerkschaftsblätter ansehe - ich bekomme sie doch auch alle -, finde ich darin große Transparente, worauf diese Aufforderungen zu lesen sind. Das können sie in den Blättern selbst feststellen.
({1}) Der Bundeskanzler hat in seinem Schreiben nicht erklärt, daß das seine Auffassung sei. Er hat die Unterstellung, die hier auch von dem Herrn Kollegen Jahn zum Ausdruck gebracht wurde, niemals getan. Wenn schon zitiert wird, ist es gut, auch ganz zu zitieren
({2})
und nicht nur einige Sätze herauszunehmen. Der Anfang des Zitats stimmt wörtlich mit dem Schreiben des Bundeskanzlers überein: „ ... das Zustandekommen des Deutschlandvertrages u. a. durch Ausrufung des Generalstreikes in der Bundesrepublik zu verhindern". Dann heißt es aber weiter:
„Wenn von seiten des Deutschen Gewerkschaftsbundes auch erklärt wird, daß die Ausrufung eines Generalstreikes nicht geplant sei, so werden doch Maßnahmen angekündigt, die in ihrem Ergebnis noch wirksamer sein sollen." Das ist eine Feststellung aus allen Blättern der Industriegewerkschaften.
({3}) In jeder Zeitung hat gestanden: Wir werden nicht den Generalstreik machen, aber wir werden Maßnahmen treffen, die viel, viel wirksamer sind. Der nächste Satz in dem Schreiben des Bundeskanzlers lautet dann: „Weite Kreise des deutschen Volkes werden das zeitliche Zusammenfallen unter diesen Umständen nicht für einen bloßen Zufall halten." Der Bundeskanzler spricht diese Annahme nicht aus, sondern er sagt: weite Kreise halten es nicht für einen Zufall. Es ist wiederum auch nicht richtig, den letzten Satz wegzulassen, worin es heißt: „Befürchten Sie, Herr Fette, nicht auch, daß aus solchen Dingen eine Schädigung des Ansehens des Deutschen Gewerkschaftsbundes entsteht, daß dem Deutschen Gewerkschaftsbund Ziele politischer Art unterschoben werden, die er selbst auch nicht billigt? " - Sehen Sie, meine Damen und Herren, wenn man die Dinge so nimmt, dann kann man wahrhaftig nicht von einer Verleumdung der Gewerkschaften durch den Bundeskanzler reden.
({4})
Sehen wir uns an, was daraus wird - Sie kennen doch auch das Blatt „Welt der Arbeit", nicht wahr? -, lesen wir dann den Brief Christian Fettes und die Folgerungen, die daraus gezogen sind, dann müssen wir sagen, daß das weit über das Ziel hinausgeschossen ist. Als Antwort darauf wäre verständlich gewesen, wenn eine schärfere Tonart angeschlagen worden wäre, als es tatsächlich der Fall gewesen ist. Wir müssen da lesen daß der Gesetzentwurf, um den es ja geht, nicht mehr und nicht weniger ist als ein verzweifelter Versuch der restaurativen Kräfte unseres Volkes, unter Verleugnung der soziologischen und gesellschaftlichen Bedürfnisse unserer Zeit einen Zustand gesetzlich zu stabilisieren, in dem der arbeitende Mensch in die Rechtlosigkeit des Frühkapitalismus zurückgeworfen wird.
({5})
Meine Damen und Herren, wer aus der Arbeitnehmerbewegung hervorgegangen ist - es gibt ja heute eine ganze Menge, die sich Arbeitnehmervertreter nennen und die nie gearbeitet haben! -,
({6}) wer durch 40 Jahre im gewerkschaftlichen Leben gestanden hat und auch heute noch darin steht - der Herr Kollege Jahn hat gesagt: ,,Ich habe die Ehre, Vorsitzender zu sein"; ich habe die Ehre, aus alter Anhänglichkeit noch Mitglied zu sein! -,
({7})
wer durch 40 Jahre den Kampf um die Arbeiter und die Arbeiterrechte geführt hat, der weiß auch, daß der Frühkapitalismus um die 1820 er Jahre lag. Da von Arbeitnehmerrechten zu reden, das würde doch zu weit gehen.
({8})
Daß der heutige Zustand hinter den Zustand dieser Zeit zurückfällt, das, meine Damen und Herren von der Opposition, glauben Sie doch selbst nicht.
Dann wird gesagt, daß die Sozialpolitik der Bundesregierung - und das muß in diesem Zusam({9})
menhang einmal gesagt werden - weit hinter dem zurückbleibt, was bisher dagewesen ist.
({10})
Wir, die wir in diesem Hause sitzen, haben doch mit wenigen Ausnahmen unserer jüngsten Kollegen alle die Dinge von 1905, 1906 an wirklich selbst erlebt. Denken wir dann einmal an die Zeit von 1919 bis meinetwegen 1933 und vergleichen sie mit den sieben Jahren, die jetzt hinter uns liegen, dann müssen wir doch feststellen, daß diese sieben Jahre sozialpolitisch wesentlich fruchtbarer gewesen sind als die Zeit nach 1920, in der Sie von der SPD doch auch in der Verantwortung gestanden haben.
({11})
Wenn ich den heutigen Gesetzentwurf vergleiche mit dem § 66 des alten Betriebsrätegesetzes, das bestimmt gut war, das aber leider Gottes nicht zur Auswirkung kam, weil auf beiden Seiten eine Versteinerung eingesetzt hat - wir haben es doch persönlich miterlebt -, dann darf ich sagen, daß das jetzige Gesetz einen wesentlichen Fort- schritt bringt. Daß es Rückschritte gibt gegenüber Ländergesetzen, jawohl, das gebe ich zu. Aber das ist ja von den Vertretern der Gewerkschaften, mit denen wir verhandelt haben, vier-, fünfmal selbst zugestanden worden. Ich sage Ihnen ganz offen: auch ich denke nicht daran, daß die Arbeitgeber die Konferenzen der Gewerkschaften bezahlen sollen, und ich denke nicht daran, das im Betriebsverfassungsgesetz zu verankern, auch wenn es im badischen Gesetz verankert ist. Sehen wir uns aber einmal das Ganze an. Die Zeit reicht nicht, .die sozialpolitische Gesetzgebung einzeln aufzuführen. Ich darf Ihnen aber sagen, daß innerhalb von zweieinhalb Jahren insgesamt 24 sozialpolitische Gesetze geschaffen worden sind. 6 weitere Gesetze hat die Bundesregierung inzwischen verabschiedet, 42 Gesetze sind in Bearbeitung. Wenn wir die Gesetze einzeln aufführten, würden Sie mir zugeben müssen, daß wirklich etwas erreicht worden ist.
Wenn aber, wie es in dem Brief von Fette geschieht, gesagt wird, gerade das Kündigungsschutzgesetz fordere zur Kritik heraus, dann darf ich Ihnen folgendes sagen: Der Herr Kollege Bührig war es, der uns in den Verhandlungen gesagt hat, gerade das Kündigungsschutzgesetz sei eines der besten Gesetze, die bisher geschaffen worden seien.
({12})
Ich glaube, beide Gruppen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf. der einen Seite und auch das ganze Haus auf der anderen Seite, sollten alles tun, um die Dinge nicht weiter zu verschärfen und um das Gesetz zur Verabschiedung zu bringen, damit endlich im Wirtschaftsleben eine Befriedung eintritt.
Ich komme jetzt zurück auf das, was mir am Tage nach Verabschiedung des Gesetzes für Kohle und Eisen einer Ihrer ältesten Kollegen gesagt hat: Die Debatte um das Mitbestimmungsgesetz bei Kohle und Eisen hat mich an die Zeiten von 1880 und 1890 erinnert! Ich habe ihm geantwortet: Da haben Sie, sehr verehrter Herr Kollege, bestimmt an den abgenagten Knochen gedacht, der immer hingeworfen worden ist! Darauf sagte er mir: „Wenn ich an das damalige Gesetzgebungswerk der Sozialversicherung der 80er und 90er Jahre denke und den heutigen stolzen Bau unserer Sozialversicherung sehe, dann muß ich doch sagen: es ist etwas geleistet worden." Wenn wir in der Frage der Mitbestimmung und der Betriebsverfassung einmal 10 oder 20 Jahre weiter sein werden, werden wir ebenso der Meinung sein, daß das Gesetz, das heute erarbeitet wird und zum größten Teil schon fertig ist, sich zum Segen für die Arbeitnehmer, zum Segen für die Wirtschaft, aber auch zum Segen für unser ganzes Volk und Vaterland ausgewirkt hat.
({13})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Paul.
Meine Damen und Herren! Ich hätte zu den Ausführungen des Abgeordneten Jahn nur eine Bemerkung zu machen. Ich hatte den Eindruck, daß er mit Adenauer gemeinsam gegen die Interessen der Arbeiterschaft und unseres Volkes handelt, indem er sich hier hinstellt und sich in einer wüsten Hetze gegen die Deutsche Demokratische Republik ergeht, gegen den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund und gegen die gesamte deutsche Arbeiterschaft, die jetzt im Kampf gegen die Adenauer-Regierung und ihre Politik gestanden hat.
({0})
Das Kernproblem der Debatte ist das Koalitionsund Streikrecht der Arbeiter. Wenn der Bundeskanzler in seinem Brief an den Vorsitzenden des DGB die gewerkschaftlichen Aktionen als Verstoß gegen das Grundgesetz bezeichnet, wenn von Nötigung gesprochen wird, dann ist dazu zu sagen, daß eine Regierung, die gegen den Willen des Volkes handelt und eine unsoziale und antinationale Politik betreibt, die die nationalen Interessen des Volkes preisgibt, längst den Boden der Legalität verlassen hat. Eine Regierung, die den Generalkriegsvertrag unterschreibt, die laufend Angriffe auf die demokratischen Rechte des Volkes durchführt, muß durch außerparlamentarische Aktionen der Arbeiterschaft und des Volkes zum Rücktritt gezwungen werden.
({1})
- Jawohl! Sie kann nur durch solche Maßnahmen zum Rücktritt gezwungen werden, weil sie den Willen des Volkes mißachtet und gegen den Willen des Volkes handelt. Nicht die Arbeiter und Gewerkschaften nötigen Regierung und Parlament, verletzen das Grundgesetz, sondern die Adenauer-Regierung bricht das Grundgesetz, sie nötigt laufend die Arbeiterschaft und das Volk.
Der Brief des Bundeskanzlers an Fette zeigt indem Gewerkschaftler erneut, daß diese Regierung eine Regierung des Großkapitals ist. Die Unternehmerpresse bediente sich der gleichen Drohungen und der gleichen Argumente gegen die Arbeiterschaft und ihre Gewerkschaften wie die Vertreter der Bundesregierung. Die Vertreter der Bundesregierung forderten die Anwendung des Blitzgesetzes. Sie drohten den Gewerkschaftsfunktionären und den Gewerkschaften mit Zuchthaus. In dem Unternehmerorgan ,,Der Industriekurier" wurde vor einigen Tagen ganz klipp und klar gesagt der Streik müsse in den Bann getan werden. Damit wird der Zusammenhang klar. der zwischen den Angriffen der Regierung auf die Rechte der Arbeiter und den Absichten der Großkapitalisten besteht. Diese provokatorischen Drohungen der Rüstungskapitalisten gegen die Arbeiterschaft er({2})
folgen zur gleichen Zeit, in der der Arbeitsminister Storch ein Antistreikgesetz, ein neues Zwangsschlichtungsgesetz ankündigt.
Das vorgelegte Betriebsverfassungsgesetz ist ein Teil der arbeiterfeindlichen und antinationalen Politik der Bundesregierung. Die flüchtige Prüfung dieser Gesetzesvorlage zeigt, daß es nicht um die Mitbestimmung der Betriebsräte und der Gewerkschaften in den Betrieben und in der Wirtschaft geht. Man will die Arbeiterschaft rechtlos machen, in den Betrieben den Herr-im-Hause-Standpunkt wiederaufrichten, jeden Widerstand der Arbeiter gegen verstärkte Ausbeutung und Rüstungswirtschaft brechen, die Belegschaften aufspalten, die Gewerkschaften schwächen, um ohne Störungen die Rüstungswirtschaft und die Kriegspolitik durchsetzen zu können. Von seiten der sozialdemokratischen Fraktion und der Gewerkschaftsführer hätte man sich mit aller Deutlichkeit zu dem einheitlichen Kampf der deutschen Arbeiterklasse gegen die Regierung des Krieges, gegen den Generalkriegsvertrag bekennen sollen. Die Arbeiterschaft hat in den gewaltigen Aktionen der letzten Tage gezeigt, daß sie nicht gewillt ist, sich ihre Rechte rauben zu lassen; die Arbeiterschaft hat in den Aktionen gezeigt, daß sie stark genug ist, diese Regierung zu beseitigen und den Generalkriegsvertrag zu Fall zu bringen. In dieser Stunde, in der Fette mit Adenauer einen Kuhhandel abgeschlossen hat,
({3})
in der Fette die Gewerkschaftsaktionen abbricht, da sind es sehr viele Gewerkschaftskollegen, die diesen Kuhhandel mit Recht als eine Preisgabe der Arbeiterinteressen, als eine Preisgabe der gewerschaftlichen Forderungen betrachten. Die Gewerkschaftsführer, die nicht entschlossen gegen die Kriegspolitik und die unsoziale Politik der Adenauer-Regierung kämpfen, sind bewußt oder unbewußt Helfershelfer der Adenauer-Regierung bei der Durchpeitschung des Generalvertrags. Der Abbruch der gewerkschaftlichen Aktionen zeigt, daß Fette sich mit Adenauer geeinigt hat. Er will durch solche Aktionen nicht die Kriegspolitik der Adenauer-Regierung stören! Das ist aber nicht der Wille der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft. Die Arbeiterschaft erkennt die engen Zusammenhänge,
({4})
die zwischen dem reaktionären Betriebsverfassungsgesetz und dem Generalkriegsvertrag bestehen.
({5})
Ich wende mich in dieser Stunde an meine Gewerkschaftskollegen, an die verantwortungsbewußten Gewerkschaftsfunktionäre: führt den Kampf für eure berechtigten gewerkschaftlichen Forderungen weiter, führt den Kampf gegen die unsoziale Politik, gegen die Kriegspolitik dieser Regierung weiter!
Kommen Sie langsam zum Schluß, Herr Abgeordneter Paul!
Diese Regierung muß zum Abtreten gezwungen werden! Nur über den Sturz dieser Regierung wird die Arbeiterschaft Mitbestimmung erreichen. Nur durch die Erringung eines Friedensvertrags und die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands wird es möglich sein, die Rechte der Arbeiterschaft in ganz Deutschland zu sichern, den Arbeitern den Platz in der
Wirtschaft und in der Gesellschaft zu geben, der ihnen gebührt. Dafür müssen die Arbeiter jetzt in den Betrieben weiter in Aktionseinheit zusammenstehen und alle die Maßnahmen abwehren, die geplant sind, um die Rechte des Volkes zu beseitigen. Die Arbeiter in den Betrieben müssen durchsetzen, daß der Generalkriegsvertrag fällt und damit zugleich die Adenauer-Regierung. Das ist die Aufgabe der Gewerkschaften. Dazu sollten sich alle Gewerkschaftsfunktionäre stolz bekennen. Damit leisten sie zugleich unserem Volk den Dienst, den die Stunde gebietet. Es geht nämlich um Sein oder Nichtsein der deutschen Arbeiterbewegung; es geht um Sein oder Nichtsein der deutschen Gewerkschaftsbewegung.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Böhm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der Sozialdemokratischen Partei, die heute morgen zur Debatte steht,
ist etwas mehr als nur eine Auseinandersetzung
mit den beiden Briefen, die zwischen dem Bundeskanzler und dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes gewechselt wurden. Der Kollege Pelster hat in seinen Ausführungen und in seiner Verteidigung des Kanzlers den Versuch gemacht, einiges aus dem Betriebsverfassungsgesetz zur Stützung seiner eigenen Argumentation heranzuholen. Ich will nicht in den gleichen Fehler verfallen und damit eine Debatte über das Betriebsverfassungsgesetz heraufbeschwören. Diese Debatte wird j a noch kommen. Ich bin mit dem Kollegen Pelster auch der Meinung, daß man alles vermeiden sollte, was zur Verschärfung der Gegensätze
beiträgt. Aber die Art und Weise, wie der Kollege Pelster versucht, zu argumentieren oder sich mit einzelnen Funktionären des Deutschen Gewerkschaftsbundes auseinanderzusetzen, ist der allerschlechteste Beitrag zur Schaffung einer Atmosphäre, in der eine vernünftige Regelung erfolgen kann.
({0})
Ich glaube, es wäre sogar notwendig gewesen, daß der Herr Bundeskanzler, der ja den Brief an den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes geschrieben hat, bei dem Zustandekommen der Besprechungen mit dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes den gleichen Weg gewählt hätte, den er gewählt hat, als er diesen Brief der Öffentlichkeit übergab.
({1})
Ich glaube, der Herr Bundeskanzler hätte damit sehr viel zur Entspannung der ganzen Verhältnisse beitragen können, weil draußen in den weiten Kreisen der Mitgliedschaft des Deutschen Gewerkschaftsbundes die Redewendung, die der Herr Bundeskanzler gebraucht hat, nicht nur als eine am Rande gemachte Redewendung betrachtet wird, sondern als eine Redewendung und Formulierung, die der Bundeskanzler als der Verantwortliche für die Politik seiner Regierung gebraucht hat. Der Herr Bundeskanzler wird mir zugeben müssen, genau so gut, wie der Herr Bundeskanzler Herrn Fette verdächtigt, für sowjetische Ziele eingespannt zu werden,
({2})
kann ich den Verdacht gegenüber dem Bundeskanzler aussprechen, daß er mit diesen Formulie({3})
rungen eine Legalisierung all der Ministerreden herbeiführen wollte, die bisher gegen die Gewerkschaftsbewegung gehalten worden sind.
({4})
Erinnern wir uns einmal an die vielumstrittene Rede unseres Herrn Bundesjustizministers Dehler. Bisher ist von der Bundesregierung und vom Kanzler immer wieder darauf hingewiesen worden: Das sind einzelne Reden der Minister - irgendwo gehalten -, die keine offizielle Meinung der Regierung darstellen können. Wenn aber der Bundeskanzler in einem solchen Brief und mit einer solchen Redewendung den Deutschen Gewerkschaftsbund in dieser Weise verdächtigt, liegt darin die Legalisierung einer Regierungspolitik, gegen die wir uns ganz entschieden wehren müssen.
Ich glaube, es ist notwendig, noch auf folgendes hinzuweisen. Wenn die Gewerkschaften in bezug auf die Fassung des Gesetzes über die Betriebsräte bzw. über das Mitbestimmungsrecht eine Reihe von Forderungen gestellt haben, so haben sie es in dem Bewußtsein getan, verfassungsrechtlich dazu die Möglichkeit zu haben. Die Gewerkschaften ebenso wie die Sozialdemokratische Partei wehren sich dagegen, daß jede Kritik an einer Maßnahme der Regierung oder an einer Haltung der Bundesregierung als staatsfeindlich, als international nicht mehr tragbar und als mit den Interessen des deutschen Volkes nicht vereinbar hingestellt wird. In diesem Brief kommt die Absicht zum Ausdruck, die Unabhängigkeit der Gewerkschaften in Frage zu stellen und die Entscheidungsbefugnis der Gewerkschaften einfach zu inhibieren.
Ich glaube, man muß bei diesem Brief des Kanzlers auch die Tatsache beachten, daß durch diesen Brief in der ganzen Bundesrepublik das Signal gegeben wurde, und alle möglichen Leute - solche, die berufen, und solche, die nicht berufen waren, zu der Frage Stellung zu nehmen - haben sich diese Argumentation des Kanzlers, zu eigen gemacht und damit die Atmosphäre draußen weitestgehend verschärft.
({5})
- Ich habe in diesem Augenblick gar nichts damit zu tun. Wir müssen uns aber an den Gedanken gewöhnen, daß nicht jede Fahne, die nicht schwarz ist, absolut eine Sowjetfahne sein muß.
({6})
Wenn wir uns mit diesem Gedanken vertraut machen und den Gewerkschaften das Recht einräumen, das jeder andere für sich in Anspruch nimmt, dann, glaube ich, finden wir auch die Basis. Ich hätte gewünscht, daß der Kanzler vor den Verhandlungen eine Richtigstellung dergestalt gegeben hätte, daß es nicht seine Meinung ist, die Gewerkschaften besorgten die Geschäfte der Sowjetzone oder der Sowjetunion, sondern daß er der Auffassung ist, daß an der untadeligen Haltung der Gewerkschaften nicht zu rütteln ist. Wenn der Bundeskanzler soeben gesagt hat, daß man bei den Verhandlungen mit Fette übereingekommen sei oder daß bei den Verhandlungen mit Fette zum mindesten die Auffassung vertreten worden sei, diese Anfrage nicht zu beantworten, bevor Verhandlungen stattgefunden hätten, dann bin ich persönlich der Auffassung, daß es nicht Aufgabe des Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes sein kann, eine politische Aktion der Sozialdemokratischen Partei im Parlament durch eine Vereinbarung mit dem Kanzler abzulösen.
({7})
- Jawohl, das müßte man Herrn Fette sagen; der wird es ja auch hören. Aber das ist nicht das Entscheidende, sondern entscheidend ist, daß sich der Kanzler erklären muß und zu diesem Brief positiv oder negativ einstellen muß. Das ist die Frage, die im Interesse der Erledigung der ganzen Sache gestellt und beantwortet werden muß.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht hier um Geschehnisse und Zusammenhänge, die von einer sehr symptomatischen und entscheidenden Bedeutung für unsere politische Entwicklung sind. Deswegen, meine ich, sollte man die Sachverhalte nicht so verschieben, wie das bei der Begründung der Großen Anfrage und jetzt auch noch durch den Herrn Kollegen Böhm geschehen ist. Die Dinge liegen doch so, daß Aktionen betrieben worden sind, die die Grenze des Demonstrativen überschritten und die Möglichkeit der Störung des wirtschaftlichen Ablaufs auf bestimmten Gebieten ergaben. Das heißt, Erzeugungshemmnisse drohten die Versorgung der Bevölkerung zu stören. Damit drohten sie in den Versuch hineinzuwachsen. Hier war die Absicht zu vermuten, durch Verursachung von Schadensdrohungen das Parlament in eine Lage zu versetzen, bei der die freie Mehrheitsentscheidung der Abgeordneten nicht mehr möglich sein würde.
({0})
So sind die Dinge gewesen.
Die Aktionen fielen nun noch in einen sehr entscheidenden Zeitabschnitt der außenpolitischen Auseinandersetzungen. In einem entscheidenden Augenblick wurde eines der wichtigsten außenpolitischen Instrumente, nämlich die Presse, weitgehend ausgeschaltet.
({1})
Hier hat sich mehreres gezeigt. Ich will nicht im einzelnen auf die Frage eingehen, wie denn überhaupt noch eine Pressefreiheit aussehen soll, wenn von technischen Herstellern von Druckerzeugnissen willkürlich die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung reguliert werden kann.
({2})
Aber ich will auf diese Dinge gar nicht eingehen, sondern auf die als zufällig bezeichnete zeitliche Übereinstimmung der Aktionen des DGB mit einer außenpolitischen Entscheidung. Darüber kommt man doch nicht so leicht hinweg, indem man die ursächlichen Zusammenhänge auf den Kopf stellt und sagt: Das ist eine Verleumdung. Schön, auch mir ist die Versicherung gegeben worden, diese Zeitungssabotage sei rein zufällig gewesen. Ich will es glauben und als zutreffend unterstellen. Aber damit sind die Verursacher aus der Verantwortung für die Dinge nicht heraus. In der Politik kommt es nicht darauf an, welche Absicht man innerlich verfolgt, sondern auf die Reaktion, auf die Wirkung, die man durch seine Maßnahmen sichtbar auslöst.
({3})
({4})
Der Irrtum schließt die Verantwortlichkeit nicht aus. Selbst wenn ich also nur einen Irrtum bei der Zeitdisposition der Aktionen unterstelle, kann ich deswegen doch nicht einfach sagen: Nun ist es ein Irrtum gewesen, aber was die Bundesregierung getan hat oder diejenigen getan haben, die diese Vorgänge gerügt und auf die Bedenklichkeit der ganzen Geschichte hingewiesen haben, ist bösartige Verleumdung.
Es ist bei der Opposition in den politischen Auseinandersetzungen sehr beliebt, wenn man gar nicht mehr weiterkann, sich als Kapitolshüter der Rechte des Parlaments aufzuführen. Nun wohl, hier waren auch Rechte des Parlaments bedroht, ich glaube, sogar sehr deutlich. Herr Kollege Paul hat das offen ausgesprochen, als er soeben die außerparlamentarischen Aktionen angepriesen hat. Er spürt schon, welche Chancen und welche Möglichkeiten gegeben waren. Man sollte doch an diese Dinge denken und statt einer Umkehrung der Schuldfrage die Grenze zwischen der Politik und der Interessendarstellung, zwischen den Zuständigkeiten des Parlaments und den Rechten der Regierung einerseits und den Gegebenheiten der gesellschaftlichen Sozietäten der verschiedensten Art bei der vorparlamentarischen Betätigung andererseits einmal sehr sorgfältig ziehen. Aus einem Durcheinander auf diesem Gebiet erwächst eine echte Gefahr für die Demokratie.
Wenn also die Gewerkschaften in ein Zwielicht geraten sind, dann war das nicht Schuld des beanstandeten Briefes, sondern das war die Folge von Handlungen, bei denen sie zumindest den zeitlichen Zusammenfall von verschiedenen Ereignissen nicht beachtet haben. Man sollte daraus die Folgerung ziehen, daß man in der Zukunft etwas behutsamer vorgeht und nicht Ereignisse auslöst, ohne zu prüfen, auf welche Folgen man die Dinge eigentlich hinsteuert.
({5})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Über die Grenzen der Zuständigkeit von Arbeitnehmerorganisationen - Gewerkschaften - und politischen Parteien ist von meinem Vorredner eben einiges angedeutet worden. Ich glaube, es ist in der deutschen Öffentlichkeit noch in keiner Zeit mit so übereinstimmender Klarheit erkannt worden, welche gefahrvolle Situation dadurch gegeben ist, daß ein prononcierter Streik gegen ein Gesetz verkündet wird, das noch gar nicht einmal im Plenum des Parlamentes zur Diskussion stand, das in den Ausschüssen beraten wird und dessen endgültiger Text den meisten derjenigen, die darüber draußen hetzten und sprachen, noch nicht einmal bekannt war.
({0})
Ich möchte auch der Auseinandersetzung nichts hinzufügen, ob eine Massenorganisation, in der solche Irrtümer möglich sind, von denen Herr Dr. Schäfer soeben sprach, wahrhaft ein Garant der inneren Sicherheit sein kann.
({1})
Aber ich möchte auf eine andere Frage eingehen. Zunächst bin ich erstaunt, daß der Herr Präsident die Redner der Kommunistischen Partei nicht einmal zur Ordnung gerufen hat, als sie wieder einmal vom „Generalkriegsvertrag" sprachen. Es ist
eine Unerhörtheit, daß die Kommunistische Partei es in diesem Hause wagt, immer wieder mit solchen Formulierungen und Drohungen „mit außerparlamentarischen Aktionen"
({2})
zum Kampfe gegen das Recht des Parlamentes aufzufordern. Gegen diese Bedrohungen sollte sich der Deutsche Gewerkschaftsbund genau so verwahren wie dagegen, daß eine Partei sich zum Anwalt macht, etwa allein die Garantie zu geben, daß die Aufgaben einer Arbeitergewerkschaft nun auch in dem Rahmen durchgeführt werden, der für die Aufgaben der Gewerkschaften gegeben ist.
({3})
Der Wille zur wahrhaften Überparteilichkeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes sollte seinen Vorstand veranlaßt haben, nicht jetzt in dieser Stunde, sondern schon bei der Einbringung dieser Anfrage das Notwendige zu tun: nämlich sich dagegen zu verwahren.
Nun noch einiges zu dem Wesentlichen im dritten Absatz der Großen Anfrage. Da ist die Bundesregierung gefragt worden, ob sie den Kampf des Deutschen Gewerkschaftsbundes gegen jede Art von Totalitarismus nun etwa erschweren wollte oder nicht. Damit möchte ich mich auseinandersetzen. Ich glaube, niemand in diesem Hause wird nicht jedermann in Deutschland aufs ernsthafteste unterstützen, der bereit ist, einen wahrhaft verantwortungsbewußten Kampf gegen den Totalitarismus zu führen. Aber, meine Herren Funktionaire vom Deutschen Gewerkschaftsbund in den Reihen der Sozialdemokratischen Partei bis zur KPD, ich würde dem Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes namens meiner politischen Freunde sehr dankbar sein, wenn er sich wahrhaft Gedanken und ernsthafte Sorgen machte um die Demokratie, die dann gefährdet ist und nicht mehr ihr Recht der Freiheit bewahrt, wenn man an Stelle der Koalitionsfreiheit den Koalitionszwang zu setzen wünscht.
({4})
Ich bitte, daß sich der Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes und alle seine Funktionäre sehr ernsthafte Sorgen und Gedanken darüber machen, ob ein Unterschied besteht zwischen dem Gewissenszwang und der Not, in die Familienväter von 1933 an getrieben wurden, als sie Mitglied der NSDAP werden mußten - Arbeiter, Angestellte und Beamte -, und der Not, in der sich christliche Arbeiter, Angestellte und Beamte heute befinden, wenn sie zwangsweise Mitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes werden müssen,
({5})
aber auch der Not, in der sich deutsche Angestellte
und Beamte in deutschen Städten befinden, wenn
sie in diesen Wochen und Monaten scharenweise in
den DGB hineingehen müssen, weil erklärt und
beschlossen wird - sogar von demokratischen
Stadtparlamenten durch ihre Vertreter -, daß die
vom Bund und den Ländern gegebenen Gehaltszulagen nur denen gegeben werden sollen, die Mitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes sind.
({6})
Sie mögen sich überlegen, ob Sie noch Garanten der Demokratie sind, wenn sozialdemokratische Minister erklären: Wir werden die Gewerkschaften in Deutschland, die nicht dem Deutschen Gewerkschaftsbund angehören, nicht zu Tarifverhandlun({7})
gen zulassen; so werden wir ihnen am besten Leben und Entwicklung abschneiden, weil sie dann nicht in der Lage sind, für ihre Mitglieder Tarifverträge abzuschließen oder die Ergebnisse der Tarifverträge in Anspruch zu nehmen. Sie sollten sich alle diese Dinge genau so wie den Inhalt der „Welt der Arbeit", die doch ein überparteiliches Organ einer überparteilichen Gewerkschaft sein sollte, sehr ernsthaft zu Gemüte führen! Dann werden Sie in uns wahrhafte Freunde finden,
({8})
nicht nur Freunde der Gewerkschaftsbewegung, sondern Freunde, die Verteidiger und Garanten einer Demokratie sind, in der die Freiheit noch immer das oberste Gesetz ist.
({9})
Der Vertreter der Sozialdemokratischen Partei hat beim Geschlechtskrankheitengesetz uns so wunderbare Formulierungen über die Grenzen der Freiheit vorgelesen. Mögen Sie dieses Protokoll in den Reihen Ihrer Funktionäre, meine Herren und Damen, weit verbreiten und es fertig bekommen, die kommunistischen Funktionäre und Geschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes so schnell wie möglich zu entfernen,
({10})
damit wir mit Ihnen dafür sorgen können, daß der Kampf, den Sie führen wollen - und dafür müssen Sie erst die Voraussetzungen schaffen -, ein Kampf der Demokratie und der demokratischen Kräfte ist, die die Demokratie nicht so auslegen, wie es ihnen gerade genehm ist,
({11})
sondern die das Grundgesetz der Demokratie mit dem Grundsatz der Unteilbarkeit der Freiheit in jeder Situation anerkennen, auch dann, wenn es ihren Machtansprüchen nicht entspricht.
({12})
Beim Betriebsverfassungsgesetz und beim Selbstverwaltungsgesetz wird gerade die Deutsche Partei ganz besonders darauf achten, daß die Rechte der Arbeitnehmer, aber auch die gute Atmosphäre zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern sowohl im guten Klima des Betriebes als auch in der Zusammenarbeit der Sozialversicherungsträger gewährleistet werden. Nicht der Deutsche Gewerkschaftsbund und nicht irgendeine andere Gewerkschaft in Deutschland, auch nicht ein Arbeitgeberverband sollen über das Klima des Betriebes und über die Sozialversicherungsträger bestimmen, sondern Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollen erzogen werden zum Schönsten, was es in der Demokratie geben kann: zur Selbstverantwortung und Mitverantwortung, allerdings in Freiheit.
({13})
Meine Damen und Herren, ich glaube, eine Bemerkung machen zu sollen. Es bürgert sich in den letzten Wochen ein, daß die Nichtverhängung von Ordnungsmaßnahmen durch den Präsidenten zum Gegenstand von Erörterungen in der Debatte gemacht wird. Da es nicht um mich, sondern um jeden Abgeordneten geht, der auf diesem Platz sitzen wird, darf ich sagen: ich
glaube nicht, daß solche Debatten der Würde des Parlaments angemessen sind.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den Ausführungen des Kollegen Böhm möchte ich einige kurze Bemerkungen machen. Wir müssen die Feststellung treffen: der Adressat des Briefes des Herrn Bundeskanzlers war Herr Fette, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Inzwischen hat zwischen dem Bundeskanzler und dem Herrn Fette ein Gespräch stattgefunden. Ich kann nicht recht einsehen, daß sich nun ein Dritter in diese Auseinandersetzung einmischt. Ich sage Ihnen in aller Offenheit: ich kann es zumindest nicht einsehen, daß diese Einmischung der Sache dienlich ist;
({0})
ich meine die Sache einer Verständigung zwischen den Gewerkschaften und dem Parlament in der Frage des Betriebsverfassungsgesetzes.
Es muß auch folgendes gesagt werden. Niemand bestreitet dem Deutschen Gewerkschaftsbund das Recht, zum Betriebsverfassungsgesetz Forderungen zu stellen. Das bleibt dem Deutschen Gewerkschaftsbund und den anderen Organisationen unbenommen. Ich darf darauf hinweisen, daß über diese Forderungen und Wünsche des öfteren diskutiert wurde. Der Streit besteht nur darüber, ob man sich nicht in den Mitteln vergriffen hat, mit denen man diese Forderungen durchsetzen will. Wir wissen, daß es an sich schwer ist, die Grenze der Einwirkungsmöglichkeit auf das Parlament festzustellen, glauben aber doch, daß hier diese Grenze wesentlich überschritten wird; darum geht es letzten Endes.
({1})
Ich möchte also wünschen, daß diese Diskussion nicht die Bemühungen stört, den bestehenden Streit, wenn es möglich ist, aus der Welt zu schaffen.
({2})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Anträge sind nicht gestellt. Ich schließe die Besprechung, Damit ist Punkt 2 der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 3 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Vorbereitung der Beratung des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ({0}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 10 Minuten und eine Aussprachezeit von 60 Minuten vor. - Das Haus ist damit einverstanden.
Zur Begründung Herr Abgeordneter Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch dieser Ihnen vorliegende Antrag befaßt sich mit einer Frage, die heute bereits in verschiedenen Zusammenhängen das Haus beschäftigt hat, nämlich mit der Frage der unzureichenden Unterrichtung des Parlaments über wesentliche Fragen, die es selbst zu entscheiden hat. Der zugrunde liegende Konflikt, der die ge({0})
samte deutsche Öffentlichkeit aufs tiefste aufwühlt, ist seit dem 8. November 1950 öffentlich bekannt. Es handelt sich um die Frage, ob über eine Wehrverfassung ohne vorhergehende Änderung unseres Grundgesetzes entschieden werden kann. Ich will auf die Einzelheiten dieser Frage jetzt nicht eingehen. Das Entscheidende ist, daß die Bundesregierung es bis zum heutigen Tage unterlassen hat, ihren Standpunkt in dieser Frage auch nur zu begründen. Die Behauptung, daß die Meinung der anderen Seite falsch sei, ist kein Ersatz für die Begründung dieser Behauptung. Diese Begründung ist uns die Bundesregierung bisher schuldig geblieben.
In der ersten Wehrdebatte dieses Hauses ist von dem Vorsitzenden der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, Herrn Dr. Schumacher, auf die zwangsläufig notwendig werdende Verfassungsänderung hingewiesen worden, wenn Sie sich zu einem Verteidigungsbeitrag, wie ihn die Verträge vorsehen, entschließen sollten. Die Bundesregierung ist mit amtlichen Erklärungen zu diesem Thema erst Anfang Januar 1952 hervorgetreten, und zwar - das ist auffällig - unmittelbar nach der Verabschiedung des Schumanplan, keine Stunde eher. Sowohl der Herr Bundeskanzler als auch Herr Vizekanzler Blücher und der Beauftragte für Sicherheitsfragen - wie er sich jetzt nennt -, Herr Abgeordneter Blank, haben damals Erklärungen abgegeben, nach denen ihrer Meinung nach eine Änderung des Grundgesetzes in diesem Falle nicht erforderlich sei, Um diese Frage zu klären, bevor eine Entscheidung des Bundestages gegen die Verfassung gefällt würde, hat daraufhin sofort nach diesen Erklärungen die sozialdemokratische Bundestagsfraktion sich entschlossen, zusammen mit anderen Abgeordneten die Klage beim Bundesverfassungsgerichtshof am 31. Januar 1952 anhängig zu machen. Es ist unsere Pflicht, auch als Bundestag, uns mit der Rechtsfrage zu befassen, und zwar müssen wir diese Rechtsfrage prüfen, bevor wir überhaupt an die Ratifizierung herangehen.
Schon vor der ersten Lesung ist es wichtig, hierüber Klarheit zu haben. Denn wie soll man in einer ersten Lesung des Vertragswerkes auch nur in großen Zügen zu diesem Werke Stellung nehmen, wenn eine der wichtigsten Voraussetzungen, nämlich die verfassungsrechtliche Zulässigkeit unserer Beschlüsse, noch gar nicht hinreichend geklärt ist? Der Bundestag ist auf Grund des bisher ihm vorliegenden rechtlichen Materials zu dieser Prüfung nicht in der Lage. Wir möchten Sie zu dieser Prüfung instand setzen. Aus diesem Grunde haben wir Ihnen den. Antrag auf Drucksache Nr. 3410 vorgelegt, damit uns alle jene Dokumente unterbreitet werden, die uns die Möglichkeit geben, uns ein rechtlich zutreffendes Urteil über diese Verfassungsfrage zu bilden.
Wir haben zunächst einmal gefordert, daß die Bundesregierung die von ihr eingeholten Rechtsgutachten über die Frage der Wehrverfassung dem Bundestag sofort vorlegt. Es ist gar nicht einzusehen, weshalb mit diesem Gutachten eine derartige Geheimniskrämerei getrieben wird.
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Rechtsausführungen, meine Damen und Herren,
sind doch keine militärischen Geheimnisse; die
Fragen müssen Sie doch ohnehin einmal öffentlich
ausfechten. Warum hat also die Bundesregierung
die von ihr eingeholten Gutachten, um die sie sich
seit über einem Jahr bemüht hat, bisher weder dem
Bundesverfassungsgericht, das doch die Frage zu entscheiden hat, noch dem Bundestag vorgelegt? Bisher liegt lediglich teilweise eine Veröffentlichung des Gutachtens des Herrn Professor Jellinek vor, und da möchte ich aus der Debatterede des Herrn Kollegen Pelster von vorhin zitieren: „Wenn schon zitiert wird, dann ganz!" Warum wird dieses Gutachten nur teilweise publiziert? Warum wird es uns in anderen Teilen vorenthalten?
Noch schöner ist das Verhalten der Bundesregierung mit dem anderen Gutachten, auf das sie sich vielleicht stützt. Vielleicht kann sie sich auch gar nicht darauf stützen. Niemand kennt es. Es ist das Gutachten von Herrn Professor Erich Kaufmann. Das wird als Verschlußsache behandelt. Aber, meine Damen und Herren, Rechtsausführungen sind nun einmal keine Geheimen Kommandosachen. Das sollten wir uns weiß Gott abgewöhnen!
Es dürfte nicht geschehen, was sich im Unterausschuß des Rechtsausschusses des Bundesrates
am 12. und 13. Juni abgespielt hat. Ich möchte
Ihnen einen kleinen Auszug aus dem Protokoll mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten - vorlesen: Dem Unterausschuß des Bundesrates wäre eine Darlegung der Gesichtspunkte, aus welchen eine Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes nicht für geboten erachtet wird, seitens der Vertreter der Bundesministerien erwünscht erschienen. Diese haben jedoch erklärt, daß sie zur Zeit
- das ist also noch nicht einmal eine Woche her, das war vor wenigen Tagen erst nicht ermächtigt seien, hierzu
- zu einer Frage, die rechtshängig ist, die uns alle angeht, über die wir mit werden entscheiden müssen-eine Erklärung abzugeben, die notwendigerweise ins einzelne gehen müsse. Die Erörterungen innerhalb der beteiligten Stellen der Bundesregierung hierüber seien noch nicht abgeschlossen.
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Ja, meine Damen und Herren - wie kann man uns ein Vertragswerk vorlegen, wie kann man dieses Vertragswerk beim Bundesrat einbringen, und acht Tage nach der Einbringung sind die Vertreter der Bundesregierung beim Bundesrat nicht imstande, zu erklären, auf welche rechtlichen Gründe die Bundesregierung ihre Auffassung stützt, daß die Verträge verfassungsmäßig seien!
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Das ist ein unmögliches Verfahren, daß die Bundesregierung in dieser Weise ihren eigenen Vertretern einen Maulkorb umhängt in der Darlegung der Gründe, die die Bundesregierung für ihre Rechtsauffassung anführen zu können glaubt.
In der 150 Schreibmaschinenseiten umfassenden Begründung des Vertrages über die Schaffung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft befindet sich kein Wort über die verfassungsrechtliche Seite der Frage. Der Abgeordnete Arndt hat seinerzeit hier an dieser Stelle in der Debatte zu den Petersberger Verträgen ausgeführt, daß es Pflicht der Bundesregierung sei, in Streitsachen ihre Gutachten als Drucksache vorzulegen; und darum wollen wir sie jetzt bitten. Wir bitten also darum, einmal die Rechtsgutachten, die die Bundesregierung eingeholt hat, dem Bundestag vorzulegen und darüber hinaus zu unserer Meinungbildung die in dem anhängigen Streitverfahren vor dem Bundesver({4})
fassungsgericht gewechselten Schriftsätze gleichfalls dem Bundestag als ordentliche Drucksachen zugänglich zu machen. Das ist der Sinn der ersten beiden Punkte unseres Antrages.
Und nun der dritte Punkt. Wir müssen auch wissen, ob wir uns für legitimiert halten, ohne Neuwahlen über eine Wehrverfassung zu entscheiden. Darüber gibt es bisher nur ein Gutachten, soweit uns bekannt ist, das Gutachten von Herrn Professor Walter Schätzel, dem Ordinarius der Rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Bonn, der Ihnen vermutlich doch allen mindestens dem Namen nach bekannt sein sollte. Er ist der Meinung, die Neuwahlen seien nicht nur aus politischen, sondern auch aus rechtlichen Gründen erforderlich. Gut, Sie können anderer Meinung sein. Dann müssen Sie diese andere Meinung aber auch begründen können. Deshalb schlagen wir vor, daß zu dieser Rechtsfrage der Rechtsausschuß des Bundestages beauftragt wird, ein Hearing zu veranstalten, eine öffentliche Vernehmung von Sachverständigen, die dort Gelegenheit haben, ihre Gründe dem Rechtsausschuß darzulegen, damit er unserem Hause sein begründetes Votum zu dieser Frage abgibt. Dann haben wir Gelegenheit, daß diese Dinge endlich einmal aus der Dunkelkammer herauskommen, daß die Dinge auch so verhandelt werden, daß die Öffentlichkeit zu diesen Sitzungen des Ausschusses Zutritt hat, weil es erforderlich ist, daß Sie selbst und auch unser Volk über die zugrundeliegenden Rechtsfragen hinreichend aufgeklärt werden.
Ich möchte noch einmal darum bitten, daß in diesen Lebensfragen die Dinge, die keine militärischen Geheimnisse sind, sondern die Rechtsauffassungen beinhalten, endlich offen ausgesprochen
3 werden, damit Sie in Ihrer Verantwortung auch entscheiden können und wissen, was Sie tun. Denn bisher wissen wir es alle miteinander nicht, solange die Bundesregierung schweigt und Gründe durch Behauptungen ersetzt. Das ist kein zureichender Ersatz.
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Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte mich an den Antrag der Fraktion der SPD. Es ist in Ziffer 1 verlangt:
Die Bundesregierung wird ersucht, die von ihr eingeholten Rechtsgutachten über die Frage der Wehrverfassung sofort dem Bundestag vorzulegen.
Ich muß zunächst erklären, daß wir nicht im Besitz von Rechtsgutachten sind. Das einzige Rechtsgutachten, das darüber erstattet oder geschrieben worden ist, das von Herrn Professor Jellinek, ist in einer juristischen Zeitschrift ohne unser Zutun veröffentlicht. Aber abgesehen davon: es ist ganz selbstverständlich, wenn die Ratifizierungsgesetze zu den großen Vertragswerken beim Bundestag eingebracht werden - und ich möchte doch bitten, Herrn Abgeordneten Erler darauf aufmerksam machen zu dürfen, daß diese Ratifizierungsgesetze bisher beim Bundestag noch gar nicht eingebracht sind -, daß auch die Bundesregierung im Laufe der Verhandlungen, falls sie dann im Besitz von Rechtsgutachten ist, diese Rechtsgutachten zur Kenntnis des Bundestages und seiner Ausschüsse bringen wird.
Zu Ziffer 2:
Die Schriftsätze des vor dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahrens über den Antrag der Bundestagsabgeordneten Luise Albertz u. a. ({0}) und die zugehörigen Rechtsgutachten sind den Mitgliedern des Bundestages als Drucksachen des Bundestages zugänglich zu machen.
Die Bundesregierung ist nicht im Besitz dieser Schriftsätze. Im Besitz dieser Schriftsätze sind die Kläger, die beim Bundesverfassungsgericht Klage erhoben haben; sie sind auch im Besitz der Rechtsgutachten. Ich bin also auch hier nicht in der Lage, einem solchen Ersuchen stattzugeben, aus dem einfachen Grunde, weil das Schriftsätze der klägerischen Partei sind.
Davon abgesehen, meine Damen und Herren, darf ich doch eine allgemeine Bemerkung machen. Ich glaube, wir alle miteinander müssen uns in dem Bestreben einig sein, die Autorität des Bundesverfassungsgerichts in der gesamten Öffentlichkeit hochzuhalten und davor zu schützen, daß in irgendeiner Weise der Vorwurf erhoben werden könnte, in diesem politischen Gremium würden Sachen und Schriftsätze diskutiert, die in einem noch anhängigen Verfahren beim Bundesverfassungsgericht gewechselt worden sind.
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Zu Punkt 3 habe ich nichts zu sagen.
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Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Laforet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Prüfung der Frage, ob die Zustimmung zum Antrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ohne vorangegangene Änderung des Grundgesetzes zulässig ist, ist durch das Ersuchen des Herrn Bundespräsidenten das Plenum des Bundesverfassungsgerichts befaßt. Mit dem Gutachten des Bundesverfassungsgerichts wird dann dem Bundestag der Behelf gegeben, der in Ziffer 3 des Antrags auf Drucksache Nr. 3410 gewünscht ist. Das erstrebte Ziel wird also demnächst erreicht. Der Antrag zu Ziffer 3 ist sachlich erledigt und abzulehnen.
Zu den Ziffern 1 und 2 sind noch die auch vom Herrn Bundeskanzler schon betonten Klärungen nötig. Wir beantragen, die Ziffern 1 und 2 dem Rechtsausschuß zu überweisen und die Ziffer 3 abzulehnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Fisch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat den Antrag gestellt, die Bundesregierung möge die in ihrem Besitz befindlichen Rechtsgutachten vorlegen, die Schriftsätze des Bundesverfassungsgerichts mögen dem Bundestag zugänglich gemacht werden, und der Rechtsausschuß des Bundestages möge mit dieser Sache befaßt werden; er möge Professoren anhören und über das Resultat dem Bundestag gleichfalls Berichte vorlegen.
Der Herr Bundeskanzler und der Sprecher der Regierungskoalition haben hier bereits dargelegt, wie hoch sie dieses Begehren der SPD-Fraktion
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einschätzen. Wir hätten gar nichts dagegen, daß den Mitgliedern dieses Hauses einige zusätzliche Papierlieferungen zuteil werden. Auf ein bißchen weniger oder mehr kommt es dabei wohl nicht an. Die Frage ist nur die, ob solche Aktionen zur Papierbeschaffung das Entscheidende sind, worauf es angesichts der Tatsachen, die in den letzten Tagen und Wochen geschaffen worden sind, jetzt ankommt.
Das Bundesverfassungsgericht hat es am 15. Mai abgelehnt, eine einstweilige Verfügung zu erlassen, die es dem Bundeskanzler verbieten würde, die Verträge zu unterschreiben. Am 10. Juni hat das Bundesverfassungsgericht erklärt, daß es gegenwärtig nicht in der Lage sei, in der Sache, in der es angerufen wurde, eine Entscheidung zu fällen. Jetzt wurde sogar der Herr Bundespräsident bemüht, die komplizierte Klagemaschine von Karlsruhe in Bewegung zu setzen, damit in der Bevölkerung der Eindruck entsteht, daß die verfassungsmäßigen Rechte des Volkes gewahrt seien und daß niemand sich in dieser Sache Sorge zu machen brauche.
Herr Abgeordneter Fisch, in dieser Weise die Person des Herrn Bundespräsidenten in die Debatte zu ziehen, widerspricht der Würde des Hauses. Ich rufe Sie zur Ordnung.
Meine Damen und Herren, es ist offensichtlich, daß hierdurch der verhängnisvolle Gang der Dinge nicht aufgehalten wird. In der gleichen Zeit, wo Berge von Papier gewälzt werden, schaffen die Bundesregierung und ihre amerikanischen Freunde fertige Tatsachen. Herr Adenauer forciert demonstrativ den amerikanischen Zeitplan für die Ratifizierung der Verträge, obwohl er weiß, daß der Ältestenrat diesem Verfahren abgeneigt ist. Sein junger Mann, der Oberleutnant der Reserve Herr Blank, hält Reden, deren naive Provokationssucht beispiellos ist.
Herr Abgeordneter Fisch, die Behauptung „naiver Provokation" geht über die Grenzen einer sachlichen Kritik hinaus. Ich rufe Sie zum zweiten Mal zur Ordnung und mache Sie auf die Folgen eines dritten Ordnungsrufs aufmerksam.
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Schließlich aber hören wir, daß für Montag der Besuch des amerikanischen Pest-Generals Ridgway hier in Bonn angesagt ist. Ich frage Sie, kommt dieser Herr darum hierher, um als Berater der Bundesregierung in Verfassungsfragen zu wirken, oder will er vielmehr demonstrieren, daß er und seine Auftraggeber sich einen Dreck um das Grundgesetz bekümmern, daß es sich hier ganz allein darum handelt, in Erinnerung zu rufen, daß es hier nur ein Kommando, und zwar ein amerikanisches Kommando, gibt? Noch ist es nicht so weit, wie er sich das denkt. Das Volk will weder dem Ehrgeiz eines zu kurz gekommenen Oberleutnants zuliebe noch weil es die Amerikaner wünschen, sich in den Bruderkrieg und in die Katastrophe treiben lassen.
Herr Abgeordneter Fisch, auch die Bemerkung „eines zu kurz gekommenen Oberleutnants" ist ein persönlicher Angriff, der der Ordnung des Hauses nicht gemäß ist. Ich rufe Sie zum dritten Mal zur Ordnung und entziehe Ihnen das Wort.
Herr Präsident, ich habe keinen Namen genannt.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reismann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich vermag nicht einzusehen, weswegen man den beiden Ziffern 1 und 2 des SPD-Antrags nicht ohne weiteres stattgeben kann. Selbst dann, wenn man das Bedürfnis, diese Auskünfte zu erlangen, diese Drucksachen zu verteilen, nicht selbst hat, so steht doch dem eigentlich nichts im Wege. Ich sehe auch nicht ein, wozu es erst eines Ausschußbeschlusses und umständlicher Beratungen bedarf, da doch dieses Begehren an sich in jedem Falle erklärlich ist. Wenn wir uns erinnern, daß der Herr Bundeskanzler noch vor nicht allzu-langer Zeit hier von dieser Tribüne aus den Standpunkt der Klage so weit weggeworfen hat, und nun inzwischen hören, daß der Bundespräsident selber das zum Gegenstand einer Anfrage und eines Gutachtens macht, dann ist doch da etwas der Aufklärung bedürftig. Sofern man glaubt, daß die Bundesregierung noch weitere Gutachten hinter sich habe, ist es ganz normal, daß man sie bittet, diese vorzulegen. Es ist also lediglich die Frage, ob mit der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers die Sache erledigt ist, daß keine weiteren Gutachten vorliegen. Das braucht uns aber nicht zu hindern, diesen Beschluß zu fassen. Dann mögen der Herr Bundeskanzler und die Bundesregierung eine entsprechende Erklärung als Antwort auf diese Frage abgeben.
Bezüglich der Ziffer 2 des SPD-Antrages verstehe ich wiederum nicht, wie der Herr Bundeskanzler sagen kann, daß er darauf keine Erklärungen abzugeben habe. Er ist ja gar nicht darum gebeten worden. Diese Ziffer schließt sich doch an an die Einleitung: „Der Bundestag wolle beschließen:". Nach dieser Einleitung folgt dann: „Die Schriftsätze ... zugänglich zu machen." Es ist also nicht gesagt: „Die Bundesregierung wolle die Schriftsätze vorlegen". Daß das nicht geht, weiß doch das ganze Haus. Sie gar zum Gegenstand einer Diskussion zu machen, das ist doch offenbar mit dem Antrag auch nicht beabsichtigt. So weit geht der Antrag ja gar nicht. Wenn der Herr Bundeskanzler fürchtet, daß die Diskussion darüber dem Ansehen des Bundesverfassungsgerichts abträglich sei, ja, dann dürfte man die Frage überhaupt nicht in der Öffentlichkeit diskutieren. Ich sehe gar nicht ein, wieso die Erörterung über das Für und Wider der Frage dem Ansehen des Bundesverfassungsgerichts abträglich sein soll. Aber in dem Antrag ist ja nicht verlangt worden, diese Frage hier in diesem Hause im Plenum oder in Ausschußberatungen zu diskutieren, sondern lediglich, die Mitglieder des Hohen Hauses über das ins Bild zu setzen, was dem Bundesverfassungsgericht in den Schriftsätzen vorgetragen wird.
Gegen die Ziffer 3 des SPD-Antrags habe ich - zugleich im Namen meiner politischen Freunde - Bedenken anzumelden. Diese Frage ist nun immerhin durch zwei Verfahren - wollen wir es einmal so nennen, obwohl die Bitte um ein Gutachten nicht eigentlich ein Verfahren im prozessualen Sinne ist - beim Bundesverfassungsgericht anhängig geworden. Nun in der Zwischenzeit das Hohe Haus, sei es in Ausschüssen oder im Plenum, damit zu befassen, das bedeutet immerhin ein
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Tätigwerden in einem schwebenden Verfahren, was wir zumindest nicht für opportun und auch nicht für üblich halten.
Wir sind deswegen der Ansicht, daß man der dritten Ziffer widersprechen muß. Dagegen bitten wir, den beiden ersten Ziffern des Antrags schon jetzt ohne Ausschußverweisung stattzugeben.
Herr Abgeordneter Erler wollte zum Schluß noch etwas sagen. Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der bisherigen Debatte einige wenige Feststellungen. Erstens: Das Gutachten des Herrn Professor Jellinek ist nicht voll, sondern nur auszugsweise veröffentlicht.
Zweitens: Es ist bekannt, daß Herr Professor Hallstein sich seit sehr langer Zeit bemüht hat, zu dieser Frage Gutachten von verschiedenen rechtswissenschaftlichen Fakultäten im Gebiet der Bundesrepublik einzuholen. Ich bin durch die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers nun doch einigermaßen überrascht, daß Herr Professor Hallstein in dieser Frage offenbar überall Körbe bekommen hat. Sonst müßte es doch Gutachten geben.
Drittens: Das Gutachten von Herrn Professor Kaufmann wird vielleicht von dem Herrn Bundeskanzler nicht als ein solches bezeichnet; aber es existiert und läuft als Verschlußsache. Es besteht keinerlei Grund, die Rechtsausfuhrungen des Herrn Professor Kaufmann, die offenbar die Grundlage der Haltung der Bundesregierung in dieser Frage geben, dem Hohen Hause vorzuenthalten.
Ich meine also, wir sollten die Ziffer 1 unseres Antrags nicht an einen Ausschuß überweisen. Er enthält ja noch gar nicht die Forderung nach einer Debatte. Wir sollten ihn so, wie er dasteht, annehmen. Es kann doch jedem von Ihnen nur nützlich sein, wenn man die verschiedenen Rechtsauffassungen zu diesem Punkt kennenlernt.
Auch die Ziffer 2 sollten Sie annehmen. Der Herr Bundeskanzler ist gar nicht betroffen. Ziffer 2 betrifft eine Aufforderung an uns selbst, Herr Bundeskanzler. Sie enthält lediglich die Aufforderung, das Material, das dem Bundesverfassungsgericht zugegangen ist, dem Hause zur Kenntnis zu bringen, auch ohne Aussprache.
Zur Frage der Autorität des Bundesverfassungsgerichts hätte ich eine herzliche Bitte an den Herrn Bundeskanzler: daß er sich z. B. mit dem gleichen Nachdruck, mit dem er hier die Autorität des höchsten deutschen Gerichts zu Recht verteidigt, auch einmal an die ihm nicht ganz fernstehende Zeitung „Rheinischer Merkur" oder etwa an die Hamburger „Zeit" wendet, die es beide fertigbekommen haben, in einer an Diffamierung grenzenden Weise die Autorität des Gerichts dadurch herabzusetzen, daß sie dem Gericht bei der Fällung seiner Entscheidungen parteipolitische Motive unterstellt haben. Es wäre gut, wenn sich der Einfluß des Herrn Bundeskanzlers auch nach dieser Seite hin auf die ihm nahestehenden Freunde mäßigend bemerkbar machen würde.
Was Ziffer 3 anlangt, so bitte ich, zu bedenken, daß der Streit vor dem Bundesverfassungsgericht diese Ziffer nicht voll deckt. Aber ich könnte mich mit Herrn Kollegen Laforet sofort auf einer Linie finden. In der Sache meint Herr Kollege Laforet, es sollte hier im Bundestag über diese Frage gar keine Erörterung stattfinden, bevor das Bundesverfassungsgericht entschieden habe. Ich meine,
die Entscheidung wird wahrscheinlich nicht das unverbindliche Gutachten bringen, sondern es wird sich um eine verbindliche Streitentscheidung handeln. Aber das ist eine andere Sache. Auf alle Fälle muß das Bundesverfassungsgericht in dieser Sache sprechen. Wenn wir. meine Damen und Herren, in die erste Lesung der Vertragswerke eintreten, bevor das Bundesverfassungsgericht gesprochen hat, dann sprechen wir. Dann treten Sie doch bereits in die Entscheidung ein. Das können Sie nur tun, wenn Sie dann eben auch alle Fragen, die damit zusammenhängen, hier erörtern. Oder aber Sie dürfen nicht sprechen, Sie müssen warten. Mit dieser Konsequenz aus den Ausführungen des Herrn Kollegen Laforet bin ich voll einverstanden: wir setzen die erste Lesung aus bis zur Entscheidung des Streites durch das Bundesverfassungsgericht. Ich behalte mir vor, entsprechende Anträge zu gegebener Zeit zu stellen. - Das ist die logische Konsequenz. Herr Professor, auch wenn Sie den Kopf schütteln!
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Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich fürchte, wenn wir Rechtsgutachten hätten und sie veröffentlichten, würden wir uns den Vorwurf zuziehen, wir versuchten eine Entscheidung oder ein Gutachten des Bundesverfassungsgerichts zu beeinflussen.
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Aber, meine Damen und Herren, ich bedaure außerordentlich, daß meine Erklärung zu Ziffer 1 anscheinend von Herrn Abgeordneten Erler nicht geglaubt wird. Ich kann sie nur nochmals wiederholen: wir sind nicht im Besitz von Rechtsgutachten.
Was seine Zitierung von Herrn Professor Hallstein angeht, so kann ich nur sagen. daß Herr Arndt früher aufgestanden ist als Herr Professor Hallstein
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und sich schon eine Reihe von Rechtsgutachten besorgt hat. Herr Hallstein hat es noch nicht getan.
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- Ich habe Herrn Hallstein auch gesagt, er möchte sich an Herrn Dr. Arndt ein Beispiel nehmen.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung.
Es ist von Herrn Abgeordneten Laforet der Antrag gestellt worden, die Ziffern 1 und 2 dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag auf Ausschußüberweisung der Ziffern 1 und 2 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; diese Überweisung ist erfolgt.
Zu Ziffer 3 liegt kein Überweisungsantrag vor. Ich komme zur Abstimmung.
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- Herr Kollege Kunze, „den Antrag abzulehnen" ist doch kein Antrag, der eine besondere Abstimmung notwendig macht; das praktiziert man!
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Ich bitte die Damen und Herren, die für Ziffer 3 des Antrags Drucksache Nr. 3410 sind, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit; Ziffer 3 des Antrags ist abgelehnt.
Damit ist Punkt 3 der Tagesordnung erledigt. Ich rufe Punkt 4 auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Hilfe für die Gebiete an der Sowjetzonengrenze ({3});
b) Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betreffend Maßnahmen gegen sowjetischen Terror ({4});
c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Hilfe für die Gebiete an der Sowjetzonengrenze ({5}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 15 Minuten und eine Aussprachezeit von höchstens 120 Minuten vor.
Zur Begründung der Großen Anfrage - Punkt 4 a - und des Antrags - Punkt 4 c - hat Herr Abgeordneter Behrisch das Wort.
Behrisch ({6}), Anfragender und Antragsteller: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Was sich in der jüngsten Vergangenheit an der Sowjetzonengrenze abgespielt hat, gehört nicht in die Geschichtsbücher, es gehört in die Kriminalakten. Über einen 2000 Kilometer langen Grenzstreifen retten sich Menschen, im besten Fall mit armseliger Habe, meistens aber ohne Gepäck, in das Gebiet der Bundesrepublik. Ich komme aus der Grenzstadt Hof, und ich darf im Hinblick auf die schier endlosen Ströme von Heimatvertriebenen, die ich in den Jahren 1945/46 im Rahmen des Vollzugs der Potsdamer Austreibungsbeschlüsse passieren sah, wohl sagen: Es ist der Fluch der bösen Tat, daß sie fortzeugend Böses muß gebären. Denn ein innerer Zusammenhang zwischen den barbarischen Beschlüssen von Potsdam, wohin uns die Kommunisten zurückführen wollen, und dem Unfrieden, den die kommunistischen „Friedenskämpfer" an der Zonengrenze stiften, läßt sich schlechtweg nicht leugnen.
Dennoch besteht zwischen den Ereignissen von damals und denen von heute ein himmelweiter Unterschied. Damals war es der Nationalismus - den man wohl als die heidnische Religion unseres Jahrhunderts bezeichnen kann -, der Menschen aus ihrem Heimatlande trieb. Damals haben Polen. Tschechen und andere alle Menschen deutscher Zunge aus ihrem Lande gejagt. Heute evakuieren. enteignen, verfolgen, beschießen und erschießen Unmenschen, die sich Deutsche nennen, Deutsche.
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Es ist eine sinnvolle Demonstration der deutschsowjetischen Freundschaft, daß Vopos und Sowjetsoldaten gemeinsam die Befehle des Ministeriums für Staatsunsicherheit vollziehen. Mitten im - ich darf wohl sagen - Waffenfrieden wird weiter zerrissen, was 1945 gegen deutschen Willen getrennt worden ist. In Fristen von 2 bis 48 Stunden haben Menschen ihr Heim, ihre Heimat und ihre Habe zu verlassen. Wie das liebe Vieh, nur mit weniger Sorgfalt behandelt, verfrachtet man sie nach unbekannten Zielen. Wieder einmal, so glaube ich, ist der Beweis erbracht worden, daß die Meilensteine der Volksdemokratie zugleich auch die Grabsteine der Freiheit sind.
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In diesem Katalog der Schändlichkeiten, den man uns vorführt, begründet man die Evakuierung und Austreibung der Menschen damit, daß man Spionen, Agenten und Diversanten den Weg verbauen müsse. Als ob die Kinder, die Frauen, die Greise, die Bauern und die Arbeiter, die hier die Leidtragenden sind, mit solchen Dingen befaßt gewesen wären, und als ob die Russen und die Kommunisten nicht wüßten, daß man Spione und Agenten schon auf andere Weise an die Bestimmungsorte bringen kann, als daß sie nun unbedingt bei uns über die Grenze gehen müßten! Diese Lügen nimmt die Welt den Kommunisten nicht ab. Die Welt sieht wieder einmal mit Schaudern, wie die Kommunisten ohne einen Faden Recht einen dicken Strick Unrecht drehen.
Wenn man die Gelegenheit hatte, mit den Vopos zu sprechen, dann konnte man von ihnen auch hören, wie die Tragödie weiterlaufen soll. Der aufgeackerte Streifen an der Grenze soll vermint, mit Stacheldraht gesäumt und mit Wachtürmen versehen werden. Ich entsinne mich, solche Dinge einmal auf dem Balkan gesehen zu haben. Aber daß die Kommunisten-SEDisten als Schrittmacher der Balkanisierung Deutschlands auftreten, ist genau das, was wir von ihnen erwartet haben.
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Was sich die sowjetischen Machthaber gedacht haben, ist leicht zu erraten. Einmal sollte eine tote Zone geschaffen und alle Kontakte über die Zonengrenze hinweg sollten unterbunden werden. Man wollte sich auch eine gewisse Legitimation nach innen verschaffen. Es ist ja interessant, zu sehen, wie die aus dem Innern des Landes herangeführten Vopos vergeblich die Panzeranhäufungen, die Gräben und die Stellungen suchen, von denen man ihnen tagein, tagaus erzählt hat.
Ein Ziel 'der ganzen Aktion war es auch, bei uns Unruhe und Furcht zu schaffen. Aber ich darf den Kommunisten-SEDisten sagen - ich glaube, es ist im Hinblick auf die ganze Situation eine militärische Ausdrucksweise gestattet -: Das war ein Rohrkrepierer! Der Schuß ist arg nach hinten losgegangen, und sie stehen ziemlich belämmert da.
Aber eben weil die Sache ihnen nicht so ausgegangen ist, wie sie es sich gedacht haben, wäre es gut, wenn die Bundesregierung jetzt zum Zuge käme, wenn sie nachstoßen würde. Ich habe dieser Tage bei Romain Rolland gelesen:
Das beständige Streben des Menschen muß dahin gerichtet sein, die Summe des Leids und der Grausamkeit zu verringern. Das ist die erste menschliche Pflicht.
Diese erste menschliche Pflicht ist an uns herangetreten. Mit dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion auf Drucksache Nr. 3457 wird der Versuch gemacht, das Leid, das durch die Grausamkeit verursacht wurde, abzuschwächen und zu lindern. In diesem Antrag - Hilfe für die Gebiete an der Sowjetzonengrenze - wird die Bundesregierung ersucht,
unverzüglich den notwendigen Finanzbetrag
zur Verfügung zu stellen, der als Überbrük({10})
kungshilfe zur Linderung der durch die sowjetzonalen Sperr- und Evakuierungsmaßnahmen in den Gebieten an der Sowjetzonengrenze entstandenen besonderen Notlage für die Grenzkreise notwendig ist.
Es ist besonders wichtig - das darf ich vor allem nach Gesprächen, die ich mit Vertretern der Länder Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hessen und Bayern gehabt habe, hervorheben -, daß diese Hilfe an die Geflohenen und die betroffenen Einheimischen - und das sind viele - schnell erfolgt und daß nicht lächerliche Kompetenzstreitigkeiten diese ganze Hilfe illusorisch machen.
Wir möchten vorschlagen, daß der Bundestag die Bundesregierung beauftragt, diesen Überbrückungskredit an die entsprechenden Länderregierungen zu geben. Die Herren Landräte werden das Geld schon dorthin bringen, wo es am notwendigsten gebraucht wird. Wir erwarten also einen einstimmigen, einen sofortigen Beschluß des Bundestages in dieser Sache, weil wir den Menschen das Gefühl geben müssen, daß ihnen hier wirklich geholfen wird und daß ihre Sache unsere Sache ist.
Ich möchte aber in diesem Zusammenhang auch etwas anderes betonen. Sie wissen: wenn ein Luftzug kommt, brennen alle Flammen heller, und das, was jetzt geschehen ist, darf nicht damit enden, daß wir nun ein paar Pfennige in diese Grenzkreise geben. Nein, die Bundesregierung und der Bundestag müssen sich zu mehr aufraffen. Diese Austreibungen müssen für uns der akute Anlaß sein, umfassende Maßnahmen an der Zonengrenze einzuleiten, und das ist der Sinn der sozialdemokratischen Interpellation.
Sehr geehrte Damen und Herren! In den Punkten 1, 2 und 4 wird gefragt, was die Bundesregierung getan hat, um die Schäden festzustellen, welche Schäden sie ermittelt hat und was die Bundesregierung für die Aufnahme und Betreuung der Deutschen von jenseits der Zonengrenze zu tun gedenkt. Wir in Oberfranken haben z. B. 640 ha Ackerboden dadurch gewonnen, daß man die Leute da drüben vertrieben hat. Wir haben aber zugleich 1300 ha verloren. und da viele der Bauern mit ihrem gesamten Großvieh herübergekommen sind, wäre es Sache der Bundesregierung, hier einzusteigen und zu helfen, damit diesen Menschen eine Wohnbauhilfe, eine Existenzhilfe gegeben wird; denn letzten Endes ist die Situation ja durch die Unterzeichnung des Vertrags durch die Bundesregierung entstanden.
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Wir haben auch die Unterbrechung der Strom-, Gas- und Wasserversorgung festzustellen, und sehr viele Menschen haben ihre Arbeitsplätze verloren. Alles in allem kann man sagen, daß in den Grenzgebieten durch diese Dinge wieder einmal alles durcheinandergekommen ist. Nun heißt es im Potsdamer Abkommen, daß Deutschland eine wirtschaftliche Einheit sein sollte. Unter Punkt 3 unserer Interpellation fragen wir ja auch:
Hat die Bundesregierung Vorkehrungen getroffen, um auf dem Verhandlungswege die Wiederherstellung der für ¡die Bevölkerung in den Zonengrenzgebieten lebensnotwendigen Wirtschaftsbeziehungen zu erreichen?
Nun, meine Damen und Herren, die Vereinbarungen von Potsdam haben an der Zonengrenze in gewissen Stücken funktioniert. Es hat tatsächlich Vereinbarungen, Absprachen und Verträge gegeben, nach denen das Herüber und Hinüber von Arbeitskräften, die Transferierung von Strom, Gas und Wasser geregelt war. Die Maßnahmen, die jetzt von sowjetischer Seite getroffen worden sind, haben dazu geführt, daß wir an der Zonengrenze Zustände haben, wie sie an keiner echten Staatsgrenze bestehen.
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Darum fordert die Sozialdemokratische Partei, daß man die Besatzungsmächte beauftragen möge, in Verhandlungen einzutreten, weil die Dinge die Menschen hüben und drüben in gleicher Weise treffen. Es ist doch so, daß z. B. aus dem Braunschweiger Becken die Kohle nach Berlin geliefert wird. Es ist auch so, daß aus Molkereien Schleswig-Holsteins Butter und andere Produkte nach Berlin gelangen, und es ist so, daß Tausende Arbeiter von drüben nach hüben arbeiten gehen, und umgekehrt ist es dasselbe. Ich glaube also, daß die Leute drüben auch daran interessiert sind, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Wenn es sich zeigen sollte, daß das nicht so ist, dann müßten wir uns wenigstens nicht den Vorwurf machen, nicht alle Möglichkeiten versucht und ausgeschöpft zu haben; denn wer verhandelt, muß ja deshalb das Handeln nicht. sein lassen. Verhandeln schließt das Handeln nicht aus, nein, es bedingt es vielmehr; denn wer handelt, ist beim Verhandeln stark. Unter Punkt 5 unserer Interpellation fragen wir ja auch:
Ist die Bundesregierung bereit, durch Kredite ({13}) den durch die Sperrmaßnahmen betroffenen Unternehmen an der Zonengrenze die Möglichkeit zu den erforderlichen betrieblichen Umstellungen und Neueinrichtungen zu sichern?
Das bedeutet praktisch, daß hier die Bundesregierung in die Bresche springen muß, weil die Aufgaben, die jetzt an die Grenzkreise und die Länder herangetreten sind, von den Länderregierungen und den Kreisverwaltungen einfach nicht gemeistert werden können. - Herr Präsident, das Schlußzeichen beruht wohl auf einem Irrtum? Habe ich nicht 30 Minuten?
Herr Kollege, es war vereinbart: 15 Minuten. Es war nicht ersichtlich, ob man meinte: für jeden Antrag. Aber ich habe keine Bedenken, wenn das Haus keine Bedenken hat, daß Sie fortfahren.
({0})
- Offenbar nicht.
Behrisch ({1}), Anfragender und Antragsteller: Danke schön. - Ich habe hier einen Brief des Kollegen Wehner, der gerade die Frage der Braunschweigischen Kohlenbergbau A.G. behandelt, worin sich der Kollege Wehner insbesondere dieser sehr wichtigen Frage recht genau angenommen hat. Dort erfahren wir z. B., daß eine große Menge elektrischen Stromes - 300 Millionen kwh
- herübergeleitet wurde und daß 2000 Arbeiter durch die sowjetzonalen Maßnahmen arbeitslos geworden sind. Wir erfahren aus Herrn Wehhers Brief aber auch, daß die Braunkohlengesellschaft schon seit längerer Zeit die Errichtung eines Kraftwerks in Offleben geplant hat und daß ihr zur Durchführung des Bauvorhabens, das eine Gesamtsumme von 48 Millionen DM erfordern würde, ei Zuschuß, ein Kredit in Höhe von 20 Millionen DM fehlt. Jeder von uns wird einsehen, daß die Länderregierungen oder die betroffene Gesellschaft
({2})
die Summe von sich aus nicht aufbringen können. Es gibt also keinen Zweifel darüber, daß hier die Bundesregierung einsteigen muß.
Auch aus einer Unterredung, die ich mit Regierungsdirektor Jaksch gestern gehabt habe, ging klar hervor, daß die hessische Regierung der Ansicht ist, daß Wohnungsbaumittel und Existenzaufbaumittel zur Verfügung gestellt werden müssen, weil ein Teil der Bauern mit Einwilligung der Bauern auf unserer Seite ganz gern da oben bleiben möchte. Sie können aber nur wieder zu einer neuen Existenz gelangen und das gerettete Großvieh hat für sie wirtschaftlich nur einen Sinn, wenn man ihnen hilft, wieder Erde unter die Füße zu bekommen. Die Bauern auf dieser Seite wiederum haben bis zu vier Fünfteln ihres Landes verloren, so daß es vorkommen kann, daß ein Bauer sein Haus und sein Vieh auf unserer Seite der Zonengrenze hat, daß aber der Boden, die Wälder, die Wiesen drüben gelegen sind. Faktisch hat er dadurch für sein Vieh keine Futtermittel und für seine ganze Landwirtschaft keine Existenzgrundlage mehr. Das alles sind Dinge, die die Leistungsfähigkeit und Kompetenz der Länder überschreiten.
Ich habe auch die Beobachtung gemacht, daß z. B. Stromleitungen in kurzen Abschnitten über thüringisches oder anderes Gebiet geführt werden und daß damit, obwohl die Stromherstellung z. B. in Bayern erfolgt und die Belieferungspunkte in Bayern liegen, dennoch die Zufuhr unterbrochen ist, so daß kilometerlang neue elektrische Leitungen gebaut werden müssen. Nun gehen die Gesellschaften selbstverständlich vom Standpunkt des Gewinns und Profits aus und sagen: Das geht uns nichts an.
({3})
Also muß hier der Kreis, muß das Land einschreiten, denn man kann ja nicht ganze Ortschaften und ganze Industrieunternehmen ohne elektrische Energie lassen.
Das sind alles Dinge, bei denen also die betroffenen Zonengrenzgebiete die Hilfe des Bundes unbedingt brauchen. Ich darf, um einige Dinge zu nennen, zum Beispiel die Grenzstadt Tettau anführen, wo 15 000 Menschen durch die Abriegelung der Straßen und der Bahn buchstäblich von jeder Verbindung abgeschnitten sind. Hier taucht nun die Frage auf: wer bezahlt denn die wesentlich erhöhten Kasten, die die Menschen allein als Passanten oder auch für ihre Güter und Waren haben; wer trägt die Mehrkosten, die aufzubringen sind, um dahin zu gelangen? Ich darf an die Schieferbrüche in Lehesten in Thüringen erinnern, wo viele Menschen aus Oberfranken Arbeit gefunden hatten, die jetzt alle arbeitslos sind, obwohl auf der anderen Seite das Bergamt Bayreuth festgestellt hat, daß man die Schieferbrüche auf bayerischer Seite ohne weiteres in Betrieb nehmen kann, und damit hunderte Menschen, hunderte Steinbrucharbeiter wieder in Brot und Lohn kommen können, wenn 500 000 DM zur Erschließung der Schieferbrüche flüssig gemacht werden, wobei ich betonen möchte, daß wir den Schiefer selbst benötigen.
Nun werden Sie vielleicht fragen: Woher soll das Geld kommen? Die Interpellation der SPD zeigt auch hier den Weg. Wir haben von ERP-, ECA- und anderen Mitteln gesprochen. Meine Damen und Herren, wenn wir mehr als 11 Milliarden
DM zur Verfügung haben, um 12 Divisionen gegen die Russen auf die Beine zu bringen, meine ich, müßten wir doch auch etwas tun können, um den 360 Bettlerdivisionen zu helfen, die man uns in Potsdam beschert hat und mit denen Stalin sehr geschickt zu operieren versteht.
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Der Verteidigungsbeitrag, der angeboten ist, wäre nach unserer Auffassung erst einmal für eine wirkliche Ordnung der Mißstände an der sowjetischen Zonengrenze anzulegen, dann aber auch vielleicht für die Verwirklichung des Sonnemannplanes, von dem man jetzt nichts mehr gehört hat. Der Antikommunismus allein ist keine große Sache. Man kann den Kommunismus doch nur unschädlich machen, indem man ihm den Nährboden entzieht,
({5})
und der Nährboden für den Kommunismus ist die Armut in unserem Lande und in anderen Ländern.
Wie müssen uns also bemühen, gegenüber dem toten Streifen, de-, die Sowjets schaffen, einen
lebendigen Streifen bei uns anzulegen. einen Streifen, in dem die Menschen Arbeit, Lohn und Brot
haben. Im Gegensatz zu dem Streifen des Niederbruchs auf der anderen Seite soll der Streifen des
Aufbaus auf der Seite der Bundesrepublik stehen.
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Das ist es, was die sozialdemokratische Fraktion mit ihrer Interpellation bezweckt.
In Punkt 7 unserer Großen Anfrage heißt es dann:
Hat die Bundesregierung die Absicht, nunmehr das ganze Gebiet entlang der Sowjetzonengrenze zum Notstandsgebiet zu erklären und durch ein umfassendes Sanierungsprogramm die Voraussetzungen für den höchstmöglichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Standard zu gewährleisten, damit diese Gebiete - ungeachtet der von der Sowjetzonenregierung veranlaßten Störungen - ihre Aufgabe im Ringen um die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands erfüllen können?
Was heißt das? Ich darf Sie daran erinnern, daß die Kreise, die von den sowjetischen Maßnahmen betroffen worden sind, Kreise sind, die seit 1945 ununterbrochen in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Allein die Stadt Hof an der Saale hat seit 1945 über 2 Millionen Menschen durch ihre Mauern gehen sehen. Wissen Sie, welchen Aufwand von kirchlichen, von karitativen. von gemeindlichen und sonstigen Verbänden und Organisationen eine so gewaltige Heerschar erfordert hat?
Meine Damen und Herren, so ist es entlang der ganzen Grenze. Fragen Sie die Grenzbauern, wie oft ihnen 1945, 1946, 1947 das Getreide von den Grenzgängern zusammengetrampelt worden ist, fragen Sie sie, wie man ihnen die Kartoffelstöcke herausgezogen hat, obwohl erst ganz kümmerliche Knöllchen daran gewachsen waren, weil die Leute, die über die Grenze fluteten, Hunger hatten. Tausendfach und unsagbar sind die Opfer. die die Bevölkerung an der Zonengrenze seit Jahren gebracht hat. Darum ist es nun nicht damit getan, daß die Bundesregierung eine platonische Erklärung herausgibt, mit der, sagen wir, das ganze Gebiet an der Sowjetzonengrenze zum Notstands({7})
gebiet erklärt wird. Damit wäre den Leuten nicht geholfen; denn, wie Sie wissen, bleiben schöne Worte und fettes Fleisch nicht im Halse stecken. Mit schönen Worten ist den Leuten nicht geholfen.
An der Sowjetzonengrenze können Sie seit Jahren eine Abwanderung der Industrie beobachten. Die Kollegen Semler und Wellhausen, die in der Wahlzeit in diesem Gebiet da oben ganz emsig aufkreuzten, sollten sich als die Männer der Industrie mal dafür interessieren, was man von der FDP und von der CSU/CDU tun kann, um diese furchtbare industrielle Abwanderung aus dem Sowjetzonengrenzgebiet zu verhindern.
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Ich nehme fast auf jeder Fahrt von Hof nach Bonn junge Leute im Auto mit, die in Nordrhein-Westfalen irgendwie Arbeit suchen wollen, junge Leute, die arbeitswillig sind, die stark und doch hoffnungslos sind, weil sie seit Jahren zum Arbeitsamt pilgern und ihnen dort immer und immer wieder geragt wird: „Es ist nichts für Sie vorhanden."
Diese Hoffnungslosigkeit an der Zonengrenze muß überwunden werden. Dort sind Wirtschaftsgebiete zerrissen worden, die über Jahrzehnte und Jahrhunderte ineinandergewachsen waren. Es kommt nicht darauf an, die durchschnittenen Adern nun abzubinden. nein, wir müssen die durchschnittenen Adern zu einem neuen Kreislauf verbinden. Ich habe mir ja vor zwei Jahren erlaubt, den Damen und Herren des Hohen Hauses eine kleine Schrift zu überreichen, die den Titel trug „Oberfranken im Würgegriff". Ich bin sicher, daß alle Probleme, die ich ,darin im Hinblick auf Oberfranken aufgezeigt habe, für die ganzen Ge- biete entlang der Zonengrenze dieselben sind.
Wir brauchen also nicht nur den Überbrückungskredit, um den Opfern sofort etwas geben zu können, brauchen auch nicht allein die Erklärung zum Notstandsgebiet, weil den Leuten damit nicht geholfen wird, sondern wir erwarten von der Bundesregierung - das ist der Sinn unserer Interpellation - einen long-time-Plan, und wir erwarten von ihr, daß sie die Denkschrift, die ihr die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Bayern haben zugehen lassen. und die Denkschriften der Industrie- und Handelskammern aus dem Zonengrenzgebiet gründlich studiert und den Versuch macht, ihre eigenen Maßnahmen mit denen der vier Länder in sinnvoller Weise zu koordinieren.
Wenn auch der Strom von Menschen in den letzten Tagen nachgelassen hat, so kann uns doch jeder Tag vor neue, unangenehme Überraschungen stellen. Bisher sind ja die sogenannten unzuverlässigen und unzufriedenen Elemente aus der Zonengrenze evakuiert worden; aber wenn sogar die „paukende Anna" aus Rumänien unzufrieden und unzuverlässig war, ja, meine Damen und Herren, wer mag denn dann in der Sowietzone alles unzufrieden und unzuverlässig sein! Ich will damit sagen: es ist für Willkürmaßnahmen, wenn sie so begründet werden, doch überhaupt keine Grenze mehr gesetzt. Deshalb müssen wir alle, was auch kommen mag, gerüstet sein. Wir müssen den ernsthaften Versuch machen, an der Zonengrenze dem dort vorhandenen Unternehmergeist Luft unter die Flügel zu schaffen damit wir Dauerarbeitsplätze und neue Arbeitsplätze an der Zonengrenze errichten können. Ich sage noch einmal: die Länder und die Kreise können das nicht; hier muß der Bund helfen. Er muß um so mehr helfen, als er auf jeden Fall für die letzten Ereignisse die Verantwortung trägt.
Wir sehen in solchen Aufbaumaßnahmen an der Zonengrenze einen effektiven Verteidigungsbeitrag. Wenn wir uns bemühen, den Menschen drüben zu zeigen, daß es bei uns besser gemacht wird, daß wir hüben alles tun, um die Menschen in Arbeit, Lohn und Brot zu halten und ihnen eine sichere Existenz zu verschaffen, dann werden wir den Kampf um die friedliche Vereinigung Deutschlands, den wir ja alle führen, gewinnen wie eine Schlacht.
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Das Wort zur Begründung des Antrags auf Drucksache Nr. 3445 hat der Abgeordnete Dr. Preusker.
Dr. Preusker ({0}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Als ich die Anträge der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei las, war ich weitgehend der Meinung, daß heute wieder einmal eine Gelegenheit gegeben sei, bei der der Bundestag vor dem ganzen deutschen Volke eine einmütige Auffassung an den Tag legen könne. Ich bedauere, daß ich nach der Begründung des Herrn Abgeordneten Behrisch große Zweifel in dieser Hinsicht habe. Ich muß mich mit aller Entschiedenheit dagegen wenden, daß letzten Endes die derzeitige Situation durch die Unterzeichnung des Deutschland-Vertrages durch die Bundesregierung entstanden sei und daß die Bundesregierung die Verantwortung für diese Situation trage.
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Es ist doch wohl so, daß nicht von deutscher Seite aus der Eiserne Vorhang oder die Blockade Berlins erfunden worden ist, daß nicht von deutscher Seite aus die Unsicherheit und die Unfreiheit über deutsche Menschen gebracht wurde. Es ist unsere Pflicht und Schuldigkeit, die Freiheit, die Sicherheit und den Frieden unserer Menschen zu bewahren, soweit es für uns nur irgend möglich ist.
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Eines möchte ich noch hinzufügen. Ist es denn eine Antwort auf den Willen zur Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit, der von unserer Seite immer und immer wieder einmütig dokumentiert worden ist, wenn solche Maßnahmen am Eisernen Vorhang ergriffen werden? Ist das der Wille zur Einheit, der von den anderen immer mit Worten zum Ausdruck gebracht wird, denen aber solche grausigen Taten gegen deutsche Menschen gegenüberstehen? Ist denn das etwa der Wille, die Freiheit herzustellen und die Bedrohung von den Menschen wegzunehmen, daß man sie unter Terror von ihren heimatlichen Äckern, aus ihren Dörfern innerhalb der Grenzzone wegjagt, daß man sie entführt, daß man auf sie schießt wie auf Verbrecher und daß man drüben, ohne daß hier bisher das mindeste geschehen ist, sofort eine „Nationalarmee" proklamiert, nachdem man vorher bereits eine Volkspolizei errichtet hatte, daß man bereits die Jugendlichen dort mit Gewehren durch die Städte marschieren läßt? Ich glaube, die Frage der Verantwortung für das, was drüben geschieht, liegt eindeutig bei den sowjetischen Machthabern und ihren Trabanten in der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik.
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Ich darf einmal kurz aufzählen, was uns veranlaßt hat, den Antrag auf Drucksache Nr. 3445 zu
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stellen. Es sind nur ein paar Zahlen über das,, was in unserem hessischen Gebiet an Armsten der Armen über die Grenze verfolgt, beschossen, seit dem 1. Juni bis zum 10. Juni in den einzelnen Kreisen herübergekommen ist. Im Kreise Rotenburg sind es 220 Menschen, im Kreise Hersfeld 380 Menschen, im Kreise Fulda 150, im Kreise Hünfeld 470, im Kreise Witzenhausen 60 Menschen. Insgesamt sind es 1620 Menschen. Es wären sicher noch mehr, wenn nicht von der Volkspolizei Terrormethoden angewandt würden, wenn die Volkspolizei nicht auf diese Menschen schießen würde, wenn man nicht versuchen würde, sie zum Teil, wie wir gehört haben, noch hinter die Oder-Neiße-Linie hinwegzuführen.
Meine Damen und Herren, in unserem hessischen Flüchlingsaufnahmelager Gießen bestand in den Tagen vom 27. bis 29. Mai eine durchschnittliche Belegung von 300 bis 400 Flüchtlingen aus der Sowjetzone bei einem täglichen Abgang von etwa 200 Menschen. Seit dieser Zeit ist jetzt ununterbrochen das Lager in Gießen überfüllt mit über tausend Menschen. Wenn täglich 200 - ({5})
- Das ist wohl wahr! Sie können sich erkundigen. Ich habe es erst heute morgen getan. Dazu ist das Lager in Hanau überfüllt mit 800 bis 1000 Menschen; dazu hat der Kreis Rotenburg ein Hilfslager aufmachen müssen in Iba, es hat der Kreis Eschwege ein Zwischenlager auf seinem früheren Flughafen eröffnen müssen, es hat der Kreis Hersfeld ein Lager in Herfa aufmachen müssen.
({6})
- Sie sind doch wirklich nicht berufen über
diese Not deutscher Menschen zu reden!
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Ich darf wohl nur das einmal sagen, wie diese Menschen in Gießen ankommen: viel ärmer noch als manche der damals auf Grund der Abkommen von Potsdam und Jalta Vertriebenen, die Frauen zum größten Teil in der Küchenschürze, so wie sie nur im letzten Augenblick davonkommen konnten. Und ich darf wohl auch Herrn Behrisch noch einmal als ernste Mahnung das vorhalten, was am letzten Freitag als einstimmige Resolution dieser neuen Flüchtlinge und Opfer im Flüchtlingslager Gießen gefaßt worden ist: erstens die Forderung, daß diese neuen Terrormaßnahmen von der Bundesregierung vor die Vereinten Nationen gebracht werden, zum zweiten, daß die KPD im Westen verboten werden solle, daß die Propagandisten des Ostens ausgewiesen werden sollen, daß der Bundestag den sogenannten Staatssicherheitsdienst des Ostens zur verbrecherischen Organisation erklären solle. Diese Kundgebung schloß immer wieder mit dem Ruf nach Freiheit. Ich glaube, die Menschen haben damit deutlich genug bekundet, wer verantwortlich ist für ihr neues Leid und für ihr neues Elend.
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Wir haben beantragt, daß die Bundesregierung mit den Regierungen der Länder an der Zonengrenze sofort sicherstellen soll, daß alles geschieht, um die nach Tausenden zählenden unschuldigen Opfer dieser neuesten Terrormaßnahmen menschenwürdig unterzubringen und ihre erste Not zu lindern. Gleichzeitig damit haben wir beantragt, daß darin auch die Opfer der Maßnahmen einbezogen werden, die auf dieser Seite der Zonengrenze wohnen und drüben ihr Land hatten oder die von der Stromzufuhr oder von anderen Möglichkeiten abgeschnitten sind. Wir haben auch vor allen Dingen die Forderung an die Bundesregierung gestellt, in jeder möglichen Form nachdrücklichsten Protest vor der ganzen Weltöffentlichkeit gegen diese neuen Terrormaßnahmen gegen deutsche Menschen in der Sowjetzone zu erheben.
Ich möchte ein weiteres an unseren Antrag anknüpfen: den Appell an die Bundesregierung, die deutsche Bevölkerung zu einer gemeinschaftlichen freiwilligen Hilfsaktion für diese neuen Opfer aufzurufen.
Ich möchte weiter die Anregung geben, zu, prüfen, ob dies nicht wirklich der Anlaß ist, vor der Weltöffentlichkeit ein Weißbuch über die neuen Opfer zu veröffentlichen. Denn es sind ja schon genug Tote zu beklagen; wir haben Nachrichten genug darüber. Ich möchte die Einzelfälle hier nicht aufzählen. Ich habe aber die eine Bitte an den Bundestag: diesen unseren Antrag Drucksache Nr. 3445 hier gleich im Plenum anzunehmen.
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Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Herr Bundeskanzler.
Zu der Großen Anfrage der Fraktion der SPD, Drucksache Nr. 3456, zu dem Antrag der Fraktion der FDP, Drucksache Nr. 3445, und zu dem Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache Nr. 3457, hat die Bundesregierung folgendes zu erklären.
Im Widerspruch zu ihren Friedens- und Einheitsbeteuerungen haben die Machthaber der Sowjetzone in diesen Tagen einen Sperrgürtel mitten durch Deutschland gezogen. Mit den brutalsten Mitteln vertreiben sie die Bevölkerung aus diesem mitteldeutschen Landstrich. Mehr als 7 500 Deutsche mußten bisher infolge dieses Terrors Zuflucht in der Bundesrepublik suchen.
Die Bundesregierung legt im Namen des ganzen deutschen Volkes diesseits und jenseits der Zonengrenze feierlichen Protest ein gegen diese erneute Mißachtung der Menschenrechte. Die von den Sowjetzonenbehörden gegebene Begründung der Maßnahmen trägt den Stempel der Unwahrhaftigkeit an sich. Sie behaupten in ihrer Verordnung vom 27. Mai 1952, daß einmal die Bundesregierung einen strengen Grenz- und Zolldienst an der Zonengrenze eingeführt habe, daß sie weiter den angeblich mangelnden Schutz seitens der Sowjetzonenbehörden dazu benutzte, in immer größerem Umfange Spione, Diversanten, Terroristen und Schmuggler in die Sowjetzone zu schicken.
Beide Behauptungen sind völlig aus der Luft gegriffen. Die Bundesregierung hat keinerlei Schritte getan oder Maßnahmen getroffen, die auch nur den Schatten eines Beweises für diese Behauptungen abgeben könnten.
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Wohl aber fällt der zeitliche Zusammenhang der sowjetzonalen Maßnahmen mit der Unterzeichnung der Bonner und Pariser Verträge auf. Die massiven Drohungen der kommunistischen Propaganda machen deutlich, daß dieser zeitliche Zusammenhang kein Zufall ist.
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Dazu erklärt die Bundesregierung folgendes:
Die Bevölkerung der Sowjetzone ist nicht beteiligt an der Politik der Bundesrepublik. Deshalb ist es ebenso absurd wie unmenschlich, die Bevölkerung der Sowjetzone in diesem Zusammenhang zu terrorisieren.
Dabei ist sich das gesamte deutsche Volk klar darüber, daß hinter den sowjetzonalen Terrormaßnahmen die sowjetische Besatzungsmacht steht. Die Bundesregierung weist demgemäß auf den krassen Widerspruch zwischen diesen Taten in der Zone und den sowjetischen Noten an die Westmächte hin, die von deutscher Einheit und von Frieden sprechen. Diesen Beteuerungen gegenüber stellt das Vorgehen entlang der Zonengrenze eine unzweideutige Vertiefung der Teilung unseres Landes dar. Die Verantwortung für diese Verschärfung der Trennung tragen einzig und allein das Sowjetzonen-regime und die sowjetische Besatzungsmacht.
Der Tatbestand ist folgender. In Ausführung der sowjetzonalen Verordnung wurden aus einem Grenzstreifen, der sich nicht überall auf 5 km beschränkt, Zehntausende von Menschen vertrieben, zum Teil ohne Ankündigung oder nach kurzfristiger Aufforderung. Ganze Ortschaften wurden evakuiert, darüber hinaus Personen, die als Gegner des sowjetzonalen Systems gelten. Unter ihnen Bauern mit kleineren und mittleren Betrieben, Unternehmer und Betriebsleiter, ehemalige Offiziere. Weiter zahlreiche Mitglieder nichtkommunistischer Parteien, soweit sie öffentliche Ämter innehatten, z. B. eine ganze Reihe von Bürgermeistern. Dann ehemalige Mitglieder der NSDAP und ehemalige Mitglieder der SED, die der Parteireinigung zum Opfer gefallen sind. Und schließlich noch Personen, die irgendwelche Beziehungen zu Verwandten und Freunden in der Bundesrepublik unterhielten. Den unmittelbar Betroffenen wird nur gelegentlich eine Begründung für den Abtransport gegeben. Es wird behauptet, daß amerikanische Panzer an der Zonengrenze stünden, vor denen die Evakuierten in Sicherheit gebracht werden sollten.
({2})
Dabei kann sich jedermann davon überzeugen, daß an der Zonengrenze von Panzern weit und breit nichts zu sehen ist.
Die mit der Räumung beauftragten Volkspolizeieinheiten stießen zum Teil auf erbitterten Widerstand der Bevölkerung. Sie hatten Befehl, auf wehrlose Männer und Frauen zu schießen, wenn sie sich der Evakuierung widersetzten. In zahlreichen Fällen wurden die Evakuierten gefesselt. Familien wurden auseinandergerissen. Männer, Frauen und Kinder wurden getrennt fortgeschafft.
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Demgegenüber muß aber auch festgehalten werden, daß sich unter den eingesetzten Volkspolizisten Widerstand gegen diese Unmenschlichkeiten regte. Einzelne Volkspolizisten haben die Bevölkerung gewarnt. Sie haben vielen zur Flucht verholfen. Und nicht wenige haben gemeinsam mit den Vertriebenen den Weg in die Bundesrepublik angetreten.
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Diesen tapferen Männern und Frauen schulden wir Dank für ihre Haltung.
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- Die Feststellungen, die ich Ihnen soeben mitgeteilt habe, beruhen auf dem einwandfreien Zeugnis von Flüchtlingen, die in der Bundesrepublik Schutz gesucht haben.
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- Meine Damen und Herren, bitte, stellen Sie sich vor, im Parlament der Sowjetzone würde etwas Derartiges gesagt.
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Ich wiederhole: diese Feststellungen beruhen auf dem einwandfreien Zeugnis von Flüchtlingen, die in der Bundesrepublik Schutz gesucht haben.
Mehr als 7500 Deutsche haben bisher Zuflucht in der Bundesrepublik gesucht. Bundesrepublik, Länder, Organisationen der freien Wohlfahrtspflege, kirchliche Gemeinschaften und nicht zuletzt die politischen Parteien haben erste Hilfe geleistet.
Zu den Ziffern 1 und 2 der Anfrage der SPD teilt die Bundesregierung mit: Die Bundesregierung hat in Verbindung mit den beteiligten Landesregierungen Anweisung gegeben, die durch die rigorose Abtrennung der Sowjetzone von der Bundesrepublik entstehenden Schäden festzustellen. Land- und Forstwirtschaft, Energieversorgung, Industrie, Handel und Verkehr sind in Mitleidenschaft gezogen. In den Grenzgebieten droht vermehrte Arbeitslosigkeit. Noch sind aber nicht alle Schäden festzustellen, denn der sowjetzonale Willkürakt zerreißt ein lebendiges wirtschaftliches Gefüge.
Welche wirtschaftlichen Probleme durch die Sperrung der Zonengrenze aufgeworfen worden sind, sei am Beispiel der Braunschweigischen Kohlenbergwerke, Helmstedt, erläutert. Hier läuft die Zonengrenze mitten durch die Betriebe. Sie trennt die Brikettfabriken in Treue, Trendelbusch und das Schwelwerk Offleben von den Gruben in Wulfersbach, dem Kraftwerk in Harpke und der Brikettfabrik Bismarck. Letztere drei liegen in der sowjetischen Besatzungszone.
Durch die Grenzschließung hat das Kraftwerk in Harpke seine natürlichen Gruben verloren. Auch die Brikettfabrik Bismarck liegt still. Dagegen fällt die für den Absatz im Bundesgebiet verfügbar gewesene Rohkohle aus Wulfersbach ganz weg. Gleichzeitig sind 600 Beschäftigte arbeitslos geworden. 300 in der Sowjetzone wohnende Arbeiter können nicht mehr in ihre in der Bundesrepublik gelegenen Betriebe. Weitere 700 Arbeiter wurden dadurch brotlos, daß sie im Tagebau auf der Grube Victoria auf der sowjetzonalen Seite nicht mehr arbeiten können. Ein Teil von ihnen wird mit Notstandsarbeiten beschäftigt werden können. Jedoch wird dabei nicht zu verhindern sein, daß etwa 700 Arbeitslose neu aufzunehmen sind. Die Ertragslage der Braunschweigischen Kohlenbergwerke wird selbstverständlich durch die Einstellung der Betriebe stark getroffen. Im großen und ganzen wird der Betrieb jedoch aufrechterhalten werden. Insgesamt liegen ganz offensichtlich die größten Nachteile auf sowjetzonaler Seite. Zur Zeit wird geprüft, ob und inwieweit durch die Maßnahmen der Sowjetzonenbehörden bestehende Ver({8})
einbarungen über die ungestörte Zusammenarbeit der Betriebsteile verletzt werden. Das ist nur ein Beispiel.
Die ganzen Folgen der Terrormaßnahmen werden sich erst nach und nach herausstellen. Deshalb ist ein abschließender Überblick noch nicht möglich. Sobald sich das Gesamtbild ergibt, wird die Bundesregierung dem Bundestag Bericht erstatten.
Zu Punkt 3 der Anfrage erklärt die Bundesregierung, daß es Sache der sowjetischen Besatzungsmacht ist, die mitten in Deutschland getroffenen Willkürakte rückgängig machen zu lassen. Die Bundesregierung wird über die Westmächte in dieser Richtung zu wirken suchen.
Im Bereich der Bundesrepublik werden im Einvernehmen mit den zuständigen Landesregierungen und mit den Dienststellen der Besatzungsmächte Verhandlungen über die zu treffenden Maßnahmen aufgenommen werden. Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß die eingetretenen Störungen der Wirtschaftsbeziehungen durch Herstellung neuer Verbindungen beseitigt werden müssen. Die erforderlichen Schritte sind eingeleitet worden.
Direkte Verhandlungen mit dem sowjetzonalen Regime würden im Widerspruch zu der Haltung stehen, die Bundesregierung und Bundestag stets eingenommen haben. Man wird jedoch im Einvernehmen mit den zuständigen Landesregierungen die Möglichkeiten prüfen, um die für die Bevölkerung in den Zonengrenzgebieten notwendigen Wirtschaftsbeziehungen neu zu ordnen. Die Hilfe der Besatzungsmächte wird in Anspruch zu nehmen sein.
Zu Punkt 4 erklärt die Bundesregierung, daß sie im Einvernelmen mit den zuständigen Landesregierungen und den Organisationen der freien Wohlfahrtspflege für die Aufnahme und Betreuung der bisher rund 7500 vertriebenen Deutschen von jenseits der Zonengrenze Vorsorge getroffen hat. Zunächst wurden sie in den Bundesdurchgangslagern Gießen und Uelzen aufgenommen. Ein großer Teil von ihnen ist bereits in die Lager der Aufnahmeländer überführt worden. Dort gilt es, in raschem Zuge Wohnung und Arbeit für diese neuen Heimatvertriebenen zu finden. Die Bundesregierung appelliert an die glücklicheren Deutschen, denen ein so hartes Schicksal erspart geblieben ist, mit aller Kraft und mit allen Mitteln mitzuhelfen, diesen neuesten Opfern sowjetischer Willkür Wohnung, Arbeit und Brot zu schaffen.
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Ich begrüße den Appell an die gesamte Bevölkerung der Bundesrepublik, den Vertriebenen zu helfen. Die Bundesregierung wird diesem Vorschlag nähertreten.
Im übrigen wird die Bundesregierung prüfen, ob mit Rücksicht auf den Flüchtlingsstrom eine Erweiterung oder Änderung des Notaufnahmegesetzes notwendig wird.
Zu Punkt 5 teilt die Bundesregierung mit, daß den durch die Sperrmaßnahmen betroffenen Unternehmen an der Zonengrenze Kredite zur Verfügung gestellt werden sollen, um die erforderlichen betrieblichen Umstellungen und Neueinrichtungen zu erleichtern. Soweit die hierfür zur Verfügung stehenden allgemeinen Haushaltsmittel nicht ausreichen, bleibt die Bundesregierung für die Bereitstellung weiterer Mittel bemüht.
Zu Punkt 6: Soweit die Erstellung neuer Verkehrswege erforderlich wird, wird die Bundesregierung mit den Ländern bereitwillig in Verbindung
treten. Erfreulicherweise ist festzustellen, daß bei Bundesbahn und Kleinbahnen größere Betriebsumstellungen nicht notwendig sind. In einigen Fällen geht es um verstärkten Autobusverkehr zur Heranbringung von Arbeitern an ihre Arbeitsstätten. Soweit dadurch für die betroffenen Arbeiter erhöhte Ausgaben entstehen, wird durch Tarifvereinbarungen oder durch Zuschüsse geholfen werden müssen.
Zu Punkt 7 erklärt die Bundesregierung: Zunächst besteht nach ihrer Auffassung keine Notwendigkeit, das ganze Gebiet entlang der Zonengrenze zum Notstandsgebiet zu erklären. Soweit die Absperrungsmaßnahmen zu einer wirtschaftlichen Abschnürung von Teilgebieten geführt haben, sollen diese Gebiete in das allgemeine Sanierungsprogramm für Notstandsgebiete einbezogen werden, das von dem interministeriellen Ausschuß zusammen mit dem Grenzlandausschuß beraten wird. Um welche Gebiete es sich dabei handelt, wird die Bundesregierung alsbald im Einvernehmen mit den zuständigen Landesregierungen klären.
Die Bundesregierung ist sich ihrer Verantwortung für die gesamte der Sowjetzone bewußt. Sie fühlt sich ihr in dieser Periode neuer Bedrückungen - heute wie je - unlösbar verbunden. Sie wird besorgt sein, den neuen Opfern sowjetischer Willkür Heimat und Beruf zu ersetzen. Die Tausende von neuen Vertriebenen sind neue Mahnung für uns und für die Welt, alles zu tun, um die Wiedervereinigung Deutschlands in Freihit zu beschleunigen. Denn die Bundesregierung ist sich - gemeinsam mit jedem Deutschen - bewußt, daß es nur eine wirksame und endgültige Hilfe gibt: das ist die Rückkehr der Vertriebenen in eine freie Heimat. Diesem Ziele dient die Politik der Bundesregierung.
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Die Besprechung der Großen Anfrage wird gewünscht? - Der Wunsch wird von mehr als 30 Mitgliedern des Hauses unterstützt. Wir treten also in die allgemeine Aussprache ein. Ich schlage vor, über die beiden Anträge und die Große Anfrage gemeinsam zu diskutieren.
Das Wort hat der Abgeordnete Ewers.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schwer zu begreifen, welcher Teufel aus der heißesten Hölle die Regierung der Sowjetzone - soweit es eine solche gibt - und ihre russischen Geschäftsführer veranlaßt hat, ausgerechnet die Maßnahmen zu ergreifen und rücksichtslos durchzuführen, die seit etwa zwei Wochen an der Zonengrenze im Gange sind.
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- Da ist nichts zu tun, sondern da ist nur zu sehen und zu staunen! Diese Dinge, die sich dort abspielen, spielen sich vor der breitesten Öffentlichkeit der Westzonen ab, soweit die Bevölkerung an der Zonengrenze wohnt. Sie können nicht geheimgehalten werden. Sie bestehen darin, daß auf einem 10 m breiten Streifen das Kulturland, ganz gleichgültig, was darauf steht, zunächst einmal verwüstet wird und daß dahinter dieser Evakuierungsstreifen gebildet wird. Daß sich die Maß({1})
nahmen nur gegen als unzuverlässige Elemente angesehene Bewohner richten, ist uns neu. Nach unserer Kenntnis ist dort offenbar - nach der Auffassung der Ost-Regierung - jeder unzuverlässig; denn diese Räume werden ohne Rücksicht darauf, wen es trifft, evakuiert.
Diese Tatsachen - die allerdings an das Weltgewissen appellieren sollten -, die heute mitten in einem einheitlichen Staatswesen geschehen und die durch die unglückseligen Potsdamer Beschlüsse, die ein Gott nie wieder herstellen möge, offenbar herbeigeführt oder möglich gemacht sind, sind in der Tat erneut ein Anlaß, daß sich jeder freie Deutsche bis zur Gluthitze empört.
Was zu der Unglückslage der Personen, die dort betroffen sind, zu sagen ist, haben die beiden Herren Vorredner und der verehrte Herr Bundeskanzler gesagt. Von dem Standpunkt meiner politischen Freunde aus habe ich dazu nur noch eines zu bemerken: Es ist schmerzlich für diejenigen, die jetzt aus diesem aktuellen Anlaß als unmittelbare Nachbarn unseres Bundesgebiets zu uns herüberkommen, daß sich ihrer zunächst der Behördenapparat und die Bürokratie annehmen werden. Die Verbringung dieser Leute erst in die Auffanglager - was vielleicht nötig ist - ist schon peinlich. Wir wünschen, daß man diesen neuen Gästen aus dem Grenzgebiet der Ostzone so menschlich und so persönlich begegnet, wie es nur möglich ist; denn den Staatsapparat mit seiner Bürokratie haben sie im Osten sieben Jahre lang genossen. Sie sollten einmal in eine andere Atmosphäre kommen, als sie sie dort gewohnt sind, in die Atmosphäre einer persönlichen, menschlichen Hilfsbereitschaft, nicht etwa nur vor Beamte hinter Schaltern.
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Was die übrige Situation anlangt, so interessiert uns als Grenzbewohner in Niedersachsen und Schleswig-Holstein, aber auch in Hessen und Bayern an den Vorlagen in erster Linie die Konsequenz, die man aus der gegenwärtigen Zonengrenz-Krisenlage im allgemeinen ziehen kann und muß, und das, was die SPD in Ziffer 7 ihrer Großen Anfrage zum mindesten andeutet, wenn nicht geradezu fordert. Dazu möchte ich, nachdem der Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen gottlob gerade zum letzten Wochenende unsere Grenzbezirke im Norden, also in Schleswig-Holstein, von Lauenburg bis Lübeck nicht nur aufgesucht, sondern mit großer Genauigkeit und Sorgfalt untersucht hat, und auf Grund der Ergebnisse der Besprechungen, die in dem schleswig-holsteinischen Raum stattgefunden haben, vom Standpunkt meiner politischen Freunde aus folgendes sagen. Es ist ein schweres politisches Unglück, wenn auf Grund der Lage, daß die Sowjets den Eisernen Vorhang nunmehr endgültig herablassen und ihn offenbar zunächst nicht wieder aufziehen wollen, Wirtschaftskreise aus dem Innern unseres Staatswesens den Schluß ziehen, beabsichtigte Investierungen im Grenzgebiet lieber doch nicht vorzunehmen. Darüber hat der Herr Oberbürgermeister Reuter in seinen staatsmännischen Ausführungen in der letzten Woche vom Berliner Standpunkt aus einige sehr beherzigenswerte Worte zu uns gesprochen. Ich möchte sie für den gesamten Zonengrenzbereich hiermit wiederholen. Diesem von der Ostzone im Grenzstreifen erweckten Terror müssen die unbeugsame Entschlossenheit und der Mut des
Westens entgegengestellt werden, daß wir uns durch keinen Terror beugen lassen.
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Dazu ist in der Tat erforderlich, daß das, worüber wir Grenzdeutschen uns seit drei Jahren immer wieder beschweren mußten, aus diesem Anlaß nun nach Möglichkeit abgestellt wird.
Darf ich dazu bemerken, daß z. B. die Zahl der Arbeitslosen in meiner Heimat-Grenzgroßstadt Lübeck prozentual fast genau der in Berlin entspricht, was eben an der Zuwanderung von Flüchtlingen bei uns, in Berlin an der Abwanderung der großen Industriewerke gelegen ist. Die Lage aber, die durch die auch in Lübeck fast umfassende Nähe Ostdeutschlands in diesen beiden - nicht der Größe nach, aber vielleicht doch ihrer historischen Bedeutung nach - vergleichbaren Städten entstanden ist, weist klar darauf hin, daß in beiden Fällen durchaus parallele Umstände vorliegen.
Nun haben wir uns gerade von der Deutschen Partei aus über das West-Ost-Gefälle der Wirtschaftsankurbelung und der Konjunktur seit je und je zu beklagen gehabt und auch hie und da schon gemeint, daß in der Beziehung von der nun einmal am Rhein domizilierten Bundesregierung nicht immer das Mögliche und Erforderliche geschehen sei.
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Diese Klagen sind alt. Ich will sie keineswegs wiederholen, will auch nicht verschweigen, daß sich die Verhältnisse im Laufe der letzten beiden Jahre, soweit möglich, schon ein wenig gebessert haben. Aber gut, - nein, gut sind sie noch lange nicht, und mit Nordrhein-Westfalen sollte sich ein Armenhaus wie Schleswig-Holstein niemals zu vergleichen versuchen.
Nach unserer Anfrage Drucksache Nr. 1568 ist damals in der 116. Sitzung des Bundestags am 1. Februar 1951 eine kurze Debatte erfolgt, in der der Herr Bundeswirtschaftsminister - dessen Ministerium ich leider heute vermisse - Ausführungen gemacht hat. Damals - im Februar 1951 - war die Hauptsorge der Wirtschaftsbeobachtung die Engpaßschwierigkeit, das was dann im Laufe des Sommers mit der inzwischen schon obsolet gewordenen Investitionshilfe für die Grundstoffindustrien geregelt worden ist, was, wie der Minister selbst ausführte, eben leider nur dem Konjunkturrücken des Westens zugute komme, weil nun einmal hier der Schwerpunkt aller Grundstoffindustrien liege. Er fuhr fort, daß, wenn diese Sorge erst vorbei wäre, man dann auch an die Grenzgebiete denken könne und müsse, und dabei werde die Bundesregierung - er sagt es wörtlich; ich darf es eben kurz verlesen, es ist nur ein Satz -:
es sich angelegen sein lassen, zunächst die in diesen Ländern
- in den Grenzgebieten noch teilweise brachliegenden industriellen Kapazitäten und die örtlich vorhandenen Arbeitskräfte wieder in den Produktionsprozeß einzugliedern.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte dem Herrn Bundeswirtschaftsminister heute, im Juni 1952, zurufen: Hic Rhodus, hic salta! Jetzt ist es soweit, daß wir dem, was im Osten vom Teufel unternommen wird, als freiheitliche Deutsche ein politisches und wirtschaftliches Gegenargument entgegenstellen müssen, unsere Überzeugung, daß wir nur mit Wirtschaftsförde({5})
rung Propaganda machen können. Mögen die drüben ihre Gräben bauen und ihre Wachtürme errichten: auf unserem Gebiet, auf unserer Seite, wird in den deutschen Grenzgebieten aufgebaut, und zwar sollten landwirtschaftliche Gebäude gebaut und Fabriken und Werkstätten eingerichtet werden, soweit die Hallen heute noch leerstehen.
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Daß dort gewaltige Gebäude noch leerstehen, davon konnte sich der Ausschuß - allerdings während eines schweren Regengusses - in Lübeck hinreichend überzeugen.
Wenn solcherart die Reaktion des Westens auf die Schandtaten des Ostens sein sollte, wenn die möglichen, natürlich nur wirtschaftlich vertretbaren Investitionen an der ganzen Zonengrenze von Hof bis Lübeck einsetzen und die sozialen Schwierigkeiten durch neu investiertes Kapital behoben werden, dann ist das ein Ausdruck unserer Zuversicht für die Sicherheit unseres Lebens im Westen, der der Gemütsruhe der Zonenbewohner entspricht. Denn - damit darf ich schließen - unsere Erfahrung an der Zonengrenze lehrt: Je weiter man weg ist von dem „bestrichenen Raum" jener Panzergräben, die dort im Osten ausgehoben werden, desto größer ist die Nervosität; wer an der Atlantikküste wohnt, dessen Herz ist schon ganz und gar in die Schuhe versackt. Wer am Rhein wohnt, hat immer die Sorge: „Wann kommen sie?" Wir an der Zonengrenze sind der Meinung, daß jede Ängstlichkeit überflüssig ist, soweit sie sich auf das in unserer Macht Stehende bezieht. Wir von der Grenze her bitten die Bundesrepublik, daß sie die Investitionen in allen betroffenen Ländern. in Bayern, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, so lenkt, daß auch diese bisher zum Teil wirtschaftlich recht verödeten Grenzgebiete jenem Leben erwachen, das ihnen wirtschaftlich möglich ist. Ich meine natürlich keine krampfhaften Zweckgründungen politischer Art. Es gibt aber eine unendliche Fülle von echten wirtschaftlichen Anliegen, die sehr wohl erfüllbar wären, wenn nur die Scheu vor der Zonengrenze nicht irgendwie hemmend wäre. In diesem Sinne könnte für diese Gebiete die Terroraktion des Ostens, die nichts als eine politische Geste ist und die die unglückseligen Deutschen der Ostzone so schwer ins Unglück stürzt, zum Heile ausschlagen, indem wir eine etwas ausgeglichenere Wohlfahrt und Wirtschaftsstruktur im ganzen Bundesgebiet erhielten. Wir wollen deswegen nicht sagen, daß wir über die östliche Aktion glücklich sind; aber wir meinen, wir müßten aus den Tatsachen, wie sie jedermann vor Augen stehen, die Folgerungen ziehen und alles tun, um einheitlich wirtschaftlich und sozial den Westen stark zu machen.
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Meine Damen und Herren, ehe ich das Wort weiter erteile. schlage ich vor, daß das Haus nach Abschluß der Beratung des Punktes 4 der Tagesordnung eine Mittagspause von einer Stunde einlegt. Ist das Haus damit einverstanden?
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Das Wort hat der Abgeordnete Stegner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich würde es bedauern, wenn die Aussprache über den Tagesordnungspunkt, der uns jetzt beschäftigt, durch eine Debatte über die Wirtschaftssituation an der Zonengrenze überhaupt überschattet werden sollte. Wir sollten uns primär einmal mit der Situation befassen, die durch die Aktionen in der Ostzone, am 27. Mai dieses Jahres beginnend, entstanden ist. Diese Dinge sind wirklich nicht dazu angetan, die Situation zu dramatisieren; denn die Dinge, die dort geschehen sind, sind außerordentlich nüchtern und verlangen unser Eingreifen, damit schlimmes und schlimmstes Schicksal deutscher Menschen verhütet wird.
Meine Damen und Herren, ich hatte Gelegenheit, mir in den fraglichen Tagen an verschiedenen Stellen der Zonengrenze die Entwicklung anzusehen, das Pflügen des Zehnmeterstreifens durch die Maschinenausleihstationen, das Evakuieren von Dörfern usw., und ich könnte Ihnen, wenn ich wollte, packende und erschütternde Berichte darüber geben. Aber darum geht es nicht. Vielleicht sollte ich Ihnen aber von zwei Tatsachen Mitteilung machen, die für einen Deutschen, der die Gebiete aus häufiger Anschauung kennt und der sie nun nach dem 27. Mai wiedergesehen hat, geradezu erschütternd sind.
Die erste Tatsache ist - und das mag für den
„gesamtdeutschen Willen der Ostzonenregierung
sprechen -, daß die Schilder „Zonengrenze" frisch übermalt waren und die Aufschrift „Landesgrenze Deutsche Demokratische Republik" trugen. Damit war der Riß deutlich sichtbar geworden. Zweitens konnte ich feststellen, daß in der Zeit, in der vom Osten her soviel Papier aufgewendet wurde, um „gesamtdeutsche Gespräche" in Gang zu bringen, sich die Stationen an den Übergängen, die vorher barackenartig waren, nun mit einem Male zu massiven Kasernen der Volkspolizei und der russischen Truppenteile auswuchsen. Wenn man Gesamtdeutschland will, braucht man nicht von einer Landesgrenze zu reden und braucht nicht aus Baracken, die für den Grenzverkehr vorübergehend notwendig sind, Kasernen für die Dauer zu bauen.
({0})
Das sind politische Folgerungen, die man aus einem solchen Besuch ziehen kann.
Meine Damen und Herren, wir alle wissen um die Schwierigkeiten der Wirtschaft an der Zonengrenze. Alle, die Gelegenheit hatten, im Wirtschaftsausschuß mitzuarbeiten, wissen, wie oft wir uns den Kopf zerbrochen haben um die Notstandsgebiete, um die Sanierungsmaßnahmen, um die Sanierungskredite, und der Kollege Ewers hat vollkommen recht, wenn er erklärt hat, daß sie bisher ungenügend sind. Ich glaube, mit Rücksicht auf die eingetretene Verschärfung werden wir uns die ganze Planung noch einmal vornehmen und prüfen müssen, wie wir da helfen können. Aber das Ost-West-Gefälle, das von ihm angeschnitten worden ist, ist ja keine Eigenart der Entwicklung nach 1945. Wir hatten wirtschaftlich immer ein Gefälle vom Westen nach dem Osten und nicht umgekehrt. Es ist sehr schwer, industriell aus dem Osten in den Westen Deutschlands hineinzuliefern. Nachdem nun das östliche Hinterland für die Industrie im Zonengrenzraum weggefallen ist, ist die Situation schon aus rein geowirtschaftlichen Gründen außerordentlich schwierig geworden. Wir werden also diese Dinge noch einmal in ganz neuer Weise anpacken müssen und untersuchen, wie wir in ganz kurzer Zeit helfen können. Aber die Schwierigkeiten durch die Zonengrenzziehung sind in Wirklichkeit viel größer, als das bei oberflächlicher Betrachtung erscheint.
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Die Tatsachen des 27. Mai lassen uns auch einmal einen Blick auf die landwirtschaftlichen Schwierigkeiten werfen, die durch den Sperrstreifen entstanden sind. Ich darf hier einmal an Hand konkreter Unterlagen, die ich aus dem Kreis Duderstadt hier vorliegen habe, Ihnen ein Bild der Verhältnisse bei einem einzigen Bauern geben. Mir schreibt hier das „Niedersächsische Landvolk" über einen Betrieb, den ich besichtigt habe, folgendes:
Es ist ein Betrieb in Fuhrbach im Kreise
Duderstadt. Er gehört einem Bauern Adolf
Hacketal und hat eine Größe von 170 Morgen.
Durch die Grenzziehung
- also durch den Sperrstreifen hat Hacketal 127 Morgen verloren
- das ist nämlich das Gebiet, daß sich in der Ostzone befindet ({2})
und nur 43 Morgen behalten. Der Rest von den 43 Morgen ist etwas Ackerland und Hangweide mit anschließendem Bauernwald. Der Viehbestand von 10 Milchkühen mit dem dazu gehörenden Jungvieh-, Schweine- und Schafbestand kann infolge des Wegfalls der Futtergrundlage nicht mehr gehalten werden. Die Futtergrundlage ist verloren. Mehr als 4000 DM sind allein auf den Gebieten jenseits des Sperrstreifens für Kunstdünger ausgegeben worden, die im Herbst von dem Bauern abgedeckt werden müssen. Hacketal steht vor dem Ruin,
- schreibt hier lakonisch der Landwirtschaftsrat.
Verlust des einen Bauern: 35- bis 40 000 DM
nach heutigem vorsichtigem Überschlag.
Dies ist ein einziges Einzelschicksal, welches ich hier herausgreife, und deren sind viele. Aber für die Landwirtschaft besteht noch ein weiteres Problem. Es befindet sich ja auch von den Bauern in der Sowjetzone ein Großteil Gebiet hier auf unserem Boden. Was wird denn aus diesem Gelände? Dieses Gelände, das bisher im kleinen Grenzverkehr von den Sowjetzonenbauern bewirtschaftet wurde, liegt nun unbetreut da. Die Hackfrüchte müssen bearbeitet werden, alles übrige muß bewirtschaftet werden. Wer stellt die Arbeitskräfte, wer zahlt die Arbeitskräfte, und wer garantiert den Bauern, der sich dieses herrenlosen Gutes annimmt, daß nicht kurz vor der Ernte die Sowjetzonenbauern von der Volkspolizei herübergetrieben werden und den Ernteertrag in die Sowjetzone herüberholen?
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- Ja, ich wollte, es wäre so einfach! Ich wäre am meisten erfreut darüber; denn ich muß sagen, ich habe noch nie so viel Tränen gesehen wie in den Augen dieser Bauern, mit denen ich über diese Dinge zu sprechen Gelegenheit hatte.
Im Grundsatz begrüße ich alles, was der Herr Bundeskanzler an Hilfsmaßnahmen genannt hat. Ich möchte aber doch wegen der Besonderheit der Situation mir erlauben, einige konkrete Zusatzvorschläge zu machen. Erstens: Die Bundesregierung sollte in Zusammenarbeit mit den Landesregierungen Vorsorge treffen, daß in dem betroffenen Zonengrenzraum Verwaltungsmaßnahmen für die nächste Zeit vorsichtig durchgeführt werden; ich meine Steuereinziehung und ähnliche Dinge. Hier muß auf die Finanzämter gedrungen werden, daß Stundung oder Erlaß gewährt wird. Denn - ich habe Ihnen eben das Beispiel des Bauern Hacketal
aus Fuhrbach aufgezeigt - diese Leute können die Termine nicht einhalten, und es wäre vollkommen unverständlich für die Bevölkerung, wenn wir wegen Nichteinhaltung solcher Termine Zwangsmaßnahmen ergreifen würden. Das ist etwas, was sofort konkret durchgeführt werden kann.
Ein zweites wäre die schnelle Ermittlung der Schäden, die entstanden sind, unter Mithilfe der Landwirtschaftskammern und der Industrie- und Handelskammern. Man müßte, um die Betriebe vor dem Ruin zu retten, Maßnahmen erwägen, die diese Schäden ausgleichen, vielleicht unter Heranziehung der Soforthilfe oder ähnlicher Möglichkeiten. Darüber möge sich die Bundesregierung den Kopf zerbrechen. Es gibt sicherlich Möglichkeiten, und die Schadensfragen müssen baldigst geordnet werden.
Weiterhin müßte eine Anordnung erlassen werden - ebenfalls im Benehmen mit den Landesregierungen - über die Pflegearbeiten desjenigen Geländes, das Ostzonenbauern gehört und das hier weiter behandelt werden muß. Es müßte die Ausschaltung jeglichen Risikos für den Bauern gewährleistet sein, der die Pflege übernimmt.
Ein weiteres ist zu regeln: nicht nur unsere Bauern haben ihr Land durch die Sperre verloren; auch die Sowjetzonenbauern haben dasjenige Land verloren, was hier drüben liegt. Es wäre vernünftig, sich sehr bald einmal zu überlegen, ob man nicht eine Treuhandstelle schafft, eine Bundestreuhandstelle oder Ländertreuhandstelle - ich weiß nicht, wie die Befugnisse bei diesem merkwürdigen Problem verteilt sind -, und daß diese Treuhandstelle eine Art Flurbereinigung durchführt. Nach den ungefähren Zahlen, die ich hier habe, gleichen sich etwa Verlust und Landgewinn aus.
Wenn damit zu rechnen sein sollte, daß die Sperre lange dauert, dann wird man auch das sowjetzonale Bauerngelände, das bei uns liegt, bewirtschaften müssen. Hier entsteht natürlich ein rechtlich und landwirtschaftlich außerordentlich schwieriges Problem. Aber ich glaube, bei der Landnot, die wir hier in der Bundesrepublik haben, dürfen wir die Dinge nicht schleifen lassen. Ich möchte deswegen die Aufmerksamkeit der Bundesregierung gerade auf ein spezielles Flurbereinigungsgesetz für die Zonengrenze richten, damit das vorläufige Besitzverhältnis zwischen dem west- und ostdeutschen Gelände in der Bundesrepublik durch irgendeine gesetzliche Maßnahme in Ordnung gebracht wird.
Sie wollen bitte aus den wenigen Ausführungen ersehen, welche Fülle von Problemen zusätzlich zu den ständigen Zonenwirtschaftsschwierigkeiten in den letzten Tagen und Wochen entstanden sind. Nun, meine Damen und Herren, es ist j a ein schönes Zeichen
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- ich bin sofort fertig, Herr Präsident - einer echten Demokratie, wenn man nicht nur der Regierung die Initiative und die Durchführung aller Regelungen überläßt. Durch die Maßnahmen der DDR sind auch schwere Leiden über die Deutschen in der Sowjetzone gekommen, und wir haben diesen Leuten gegenüber auch eine politisch-moralische Verpflichtung. Ich möchte deswegen einen Appell an die deutsche Presse und an die deutschen Rundfunkgesellschaften richten, in der Zukunft
({5})
mehr für die Pflege dieses deutschen Bevölkerungsteils hinter diesem 10-Meter-Gürtel zu tun.
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Ich höre immer wieder die Klagen von unseren deutschen Brüdern und Schwestern jenseits des Eisernen Vorhangs, daß sie sich geistig und politisch abgeschrieben fühlen. Nun, sorgen doch die publizistischen Einrichtungen der Bundesrepublik dafür, daß das Innere, das Geistige, das deutsche Band zwischen uns und unseren Brüdern und Schwestern drüben in stärkerem Maße aktiviert wird und damit für die Dauer erhalten bleibt!
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Das Wort hat der Abgeordnete Freidhof.
Meine Damen und Herren! Nachdem mein Parteifreund Behrisch in eindringlicher Weise die Situation an der Zonengrenze geschildert hat und mein Parteifreund Professor Dr. Gülich nach mir noch einige Vorschläge zur Behebung der Notlage vortragen will, will ich mich
auf einige kurze Bemerkung beschränken. Ich möchte aber am Anfang meiner Ausführungen eine Feststellung treffen. Wer die Tage der Grenzschließung an der Zonengrenze miterlebt hat, wer gesehen hat, was sich dort abgespielt hat, wie die verängstigten Flüchtlinge aus der Sowjetzone bei uns eingetroffen sind, der muß feststellen, daß sich der Terror und die Willkür in der Sowjetzone in nichts von der Brutalität des Dritten Reiches unterscheiden. Ich bin empört darüber, daß vorhin bei verschiedenen Mitgliedern der kommunistischen Fraktion, darunter auch von einer Frau, das Wort „Ammenmärchen" gebraucht worden ist. Wer so wenig menschliches Gefühl hat, wie es in diesem Zwischenruf zum Ausdruck kommt, der kann sich nicht wundern, wenn wir der Auffassung sind, daß er gesinnungsmäßig sehr nahe an den Geist und Charakter eines Roland Freisler herankommt.
({0})
Wer gesehen hat, unter welcher Lebensgefahr die
Flüchtlinge die Zonengrenze überschritten haben
- darunter eine Anzahl Verwundete, die angekommen sind -, der kann nur mit tiefster
Empörung und mit Abscheu diese Dinge betrachten.
({1})
Ich möchte bei der Gelegenheit an den Anfang meiner Betrachtungen den Dank stellen, den wir denen abzustatten verpflichtet sind, die in unserer Zone sofort eingegriffen haben, um denen zu helfen, die aus der Sowjetzone geflüchtet waren. Wir haben das an der hessisch-thüringischen Grenze erlebt, wo ein großer Teil unserer Einwohner sich sofort bereiterklärt hat, alles zu tun, um diesen Leuten zu helfen. Wir sind der Meinung, daß die Bundesregierung die Verpflichtung hat, hier eine großzügige Hilfsaktion durchzuführen, um den Geflüchteten zu helfen, und daß darüber hinaus Maßnahmen ergriffen werden müssen, um den Gemeinden und Landkreisen die Lasten abzunehmen, die durch diese Situation entstanden sind. Die Kreise und Gemeinden sind nicht in der Lage, die Dinge allein zu meistern: Sie haben seither infolge der Arbeitslosigkeit schon große Lasten tragen müssen und stehen jetzt vor neuen Aufgaben, die nur erfüllt werden können, wenn der Bund eingreift und eine Reihe von Maßnahmen durchführt, die eine Erleichterung der Situation herbeiführen.
Nun möchte ich einige Probleme aus meinem Wahlkreis ansprechen, die wahrscheinlich in anderen Wahlkreisen ähnlich liegen. In den zwei Gemeinden Wommen und Herleshausen - Herleshausen ist die Übergangsstelle in die Sowjetzone - unmittelbar vor Eisenach wohnen etwa fünfzig Eisenbahner, die seither in der Sowjetzone beschäftigt gewesen sind. Sie haben bisher zum Eisenbahndirektionsbezirk Erfurt gehört. Mit der Schließung der Zonengrenze sind die Eisenbahner arbeitslos geworden. Interessanterweise heißt es in dem Kündigungsschreiben, daß die gesetzliche Kündigungsfrist eingehalten wird; aber schon bevor sie das Schreiben bekommen hatten, war ihnen der Grenzschein entzogen worden, so daß sie schon vorher arbeitslos geworden sind. In dem Schreiben heißt es - auch das ist interessant -, daß die Schließung der Zonengrenze aus Gründen der Sorge um die Menschen in der Sowjetzone erfolgt ist. Ich möchte die Bundesregierung ersuchen, alles zu tun, um diesen Eisenbahnern einigermaßen behilflich zu sein. Zum Teil sind sie schon vor 1945 bei der Eisenbahn beschäftigt gewesen. Sie bekommen jetzt kein Gehalt, keinen Lohn mehr. Sie sind in der Sowjetzone sozialversichert gewesen und haben natürlich heute keinen Rechtsanspruch mehr auf Krankenbehandlung usw. Ich möchte deshalb bitten, daß alles geschieht, um diesen Leuten zu helfen, auch denjenigen, die erst nach 1945 eingestellt worden sind.
Ich komme auf ein zweites Problem zu sprechen. Eine große Anzahl von Lehrlingen unseres Gebiets haben in Eisenach gelernt. Sie sind ebenfalls arbeitslos geworden, sind jedenfalls ihrer Stelle verlustig gegangen. Ich habe mich darum bemüht, einen Teil von ihnen nach Kassel zu bringen. Die Stadt hat sich bereiterklärt, sie im Lehrlingswohnheim unterzubringen. Wir müssen noch erreichen,
daß sie bei der Firma Henschel oder sonstwo unterkommen. Der Bund müßte nach meiner Auffassung aber verpflichtet sein, die finanziellen Lasten zu tragen.
Ein dritter Fall. Eine große Anzahl von Kaliarbeitern aus diesem Grenzgebiet sind seither mit der Eisenbahn über Gerstungen nach Heringen oder nach Hattorf zu ihrer Arbeit gefahren. Diese Eisenbahnlinie ist gesperrt. Sie müssen jetzt mit einem Omnibus weit außenherum fahren und haben ein wöchentliches Fahrgeld von 15,75 DM aufzubringen; das ist mehr als der dreifache Betrag dessen, was sie seither an Fahrgeld aufzubringen hatten. Ich bin der Meinung, daß auch hier der Bund die Verpflichtung hat, etwas zu tun.
Eine ähnliche Situation besteht im Kreise Hersfeld, wo etwa 300 Kaliarbeiter, die in der Sowjetzone gewohnt haben, herübergeflüchtet sind. Sie sind gegenwärtig notdürftig in Notquartieren untergebracht. Auch hier muß nach meiner Auffassung der Bund eingreifen, um für diese Leute etwas zu tun.
Auf die Stromversorgung will ich nicht näher eingehen. Es besteht dort die sonderbare Situation, daß das Kraftwerk, die Stromversorgung, auf der Werra liegt. Die Werra liegt auf unserer Seite; unmittelbar dahinter ist die Zonengrenze, ein umgepflügter Streifen. Aber das Kraftwerk gehört zur Sowjetzone. Es besteht infolgedessen die Gefahr, daß dort abgeschaltet wird und daß die Gemeinden nicht mehr mit Strom versorgt werden können, wenn nicht eine Verständigung erzielt und Maßnahmen ergriffen werden, um diese Gemeinden mit Strom zu versorgen.
({2})
Ein letztes Gebiet ist das, das der Herr Kollege Stegner angesprochen hat. Eine große Anzahl von Äckern, von Land unserer Leute liegt drüben und ein anderer Teil von Sowjetbewohnern auf unserer Seite. Die Dinge können nicht ausgeglichen werden, weil die Verhältnisse unterschiedlich sind. Ich darf nur daran erinnern, daß beispielsweise die Gemeinde Kleinensee im Kreise Hersfeld 250 Morgen Land in der Sowjetzone besitzt und keinen Ersatz durch Ländereien der Sowjetzonenbewohner dieser Gemeinde hat. Es müßte nach meiner Auffassung eine Rechtsbasis in der Form einer treuhänderischen Verwaltung, wie der Herr Kollege Stegner gesagt hat, geschaffen werden, um eine gerechte Verteilung der Ländereien unter den Geschädigten herbeizuführen, damit es nicht so geht, daß - wie in einer Gemeinde verlangt wurde - diejenigen, die viel Land auf der andern Seite verloren haben, nun den größten Teil des Landes bekommen, während auf unserer Seite Leute mit wenig Land leer ausgehen. Hier muß ein gerechter Ausgleich geschaffen werden. Es muß geklärt werden, ob die persönlichen, schriftlichen oder mündlichen Abmachungen, die Sowjetzonenbewohner mit unseren Einwohnern getroffen haben, und zwar ohne Pachtverträge abzuschließen, in Rechtsform gegossen werden, ob sie rechtsgültig sind oder nicht. Es muß auch die Frage der Grundsteuer geklärt werden, ferner die Frage, wie es mit dem Abernten der Äcker steht, die den Sowjetzonenbewohnern gehören.
Alle diese Fragen müssen in der nächsten Zeit geregelt werden, weil die Zonenbewohner ein Interesse daran haben, daß diese Fragen vom Bund geklärt werden. Allerdings möchte ich vor dem, was der Herr Kollege Stegner zuletzt sagte, warnen, nämlich davor, eine allgemeine Flurbereinigung durchzuführen. Wenn eine allgemeine Flurbereinigung durchgeführt werden würde, dann bedeutete das, daß wir die Zonengrenze jetzt als Landesgrenze anerkennen. Das darf aber unter keinen Umständen der Fall sein, sondern es handelt sich nur um vorübergehende Maßnahmen, die ohne eine allgemeine Flurbereinigung durchgeführt werden müssen.
Ich möchte bitten, daß die Bundesregierung alle Flüchtlinge, die von drüben gekommen sind, als politische Flüchtlinge anerkennt und daß Bundesmittel zur Verfügung gestellt werden, um diesen Flüchtlingen unter allen Umständen zu helfen.
Im übrigen schließe ich mich dem an, was mein Parteifreund Behrisch gesagt hat. Wir müssen alles tun, um zu einer befriedigenden Lösung dieser Frage und zu einer Hilfe für die Flüchtlinge zu kommen.
({3})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Strohbach.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Seitdem die Bevölkerung Westdeutschlands weiß, welche ungeheuerlichen Pläne die Adenauer-Regierung mit dem Generalvertrag verfolgt, wächst der Widerstand gegen diese Politik der offenen Kriegsvorbereitungen in allen Schichten unseres Volkes.
({0})
Es ist deshalb klar, daß die Kriegspolitiker in Westdeutschland etwas tun mußten, um die psychologische Vorbereitung ihres neuen Ostfeldzuges stärker voranzutreiben. Sie haben sich dabei an
die bewährten Vorbilder aus der Zeit der Vorbereitung des zweiten Weltkriegs gehalten. Damals waren es Naziprovokateure, die die Zwischenfälle in den Ostgebieten organisierten, die dann dazu benutzt wurden, im deutschen Volke den Haß gegen das polnische Volk zu schüren und den Krieg auszulösen. In den letzten Wochen haben dieses Geschäft die Agenten des Kaiser-Ministeriums und anderer westlicher Agentenbüros und Organisationen und nicht zuletzt die westdeutschen Rundfunkstationen, besonders der RIAS, mit ihrer skrupellosen Hetze besorgt. Die Menschen, die Sie hier heute beklagten, sind zum allergrößten Teil Opfer dieser Generalvertragspolitik Adenauers.
({1})
Sie sind Opfer der infamen Lügenpropaganda geworden, die aus dem Westen in die Deutsche Demokratische Republik hineingetragen wird.
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Die gleichen Leute, die schuld daran sind, daß die Deutschen in der DDR ihre Kraft auf den Schutz ihrer Heimat verwenden müssen, anstatt ungehindert ihre großen Aufbaupläne verwirklichen zu können, nehmen diese Schutzmaßnahmen der Deutschen jenseits der Zonengrenze jetzt zum Anlaß, in empörender Weise mit den Menschen an der Grenze ihre politischen Geschäfte zu machen.
Ich bin in den letzten Tagen an der Zonengrenze gewesen, ich habe dort mit Bewohnern der Grenzorte gesprochen, mit Beamten der Grenzstellen und auch mit solchen Menschen, die gerade erst über die Grenze gekommen waren. Es lag mir daran, festzustellen, warum diese Menschen ihre Heimat verlassen haben, warum sie manchmal Hab und Gut im Stich gelassen haben und nach Westdeutschland gegangen sind. Das erste, was ich dabei festgestellt habe, ist die Tatsache, daß selbst die Grenzbewohner die massenhaften Grenzübertritte nur aus dem Rundfunk und den Zeitungen kannten. Wir sind von einem Ort zum anderen und von einem Lager zum anderen geschickt worden, ohne selbst solche Grenzgänger anzutreffen. In Hof sagten uns einige Bürger in der Stadt, es seien hier Leute übergelaufen, die seien im A-Lager in Moschendorf untergebracht. Als wir dann in dieses Lager kamen, mußten wir feststellen, daß nicht ein einziger Grenzgänger dort durchgekommen war. Dagegen fanden wir dort ein paar tausend Männer, Frauen und Kinder, die zum Teil schon seit fünf Jahren in den Baracken dieses Lagers hausen
({3})
und ohne Arbeit sind. Diese Menschen endlich in normale Lebensverhältnisse zu bringen, wäre schon lange eine lohnende Aufgabe für dieses Haus gewesen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch darauf hinweisen, daß die gesamte Bevölkerung der Orte Reinigen, Halmern, Reddingen, Winterhoff und Velligsen in der Lüneburger Heide für den 1., 4. und 8. Juli den Austreibungsbefehl erhalten haben, weil diese Dörfer hier in Westdeutschland sieben Jahre nach Kriegsende für Schießübungen der Panzertruppen gebraucht werden. Ich denke, auch das wäre ein Problem, mit dem sich der Bundestag beschäftigen müßte
({4})
und das uns bedeutend näher liegt als die Probleme, die sich drüben in der Deutschen Demokratischen Republik aufgetan haben.
Angestellte der Lagerverwaltung in Hof-Moschendorf schickten uns dann in das Nordlager in
({5})
Hof. Auch dort erhielten wir zuerst die Auskunft, es seien spärlich Grenzgänger angekommen. Als wir dann aber Genaueres wissen wollten, stellte sich heraus, daß auch dort kein einziger Grenzgänger in den letzten Wochen angekommen war. Unterwegs, an der Straße, haben wir dann allerdings einen getroffen, der nach seiner Angabe erst wenige Stunden auf dem Boden der Bundesrepublik war. Nach allem, was dieser angebliche Flüchtling erzählt hat, war das einer der Beauftragten einer der Frankfurter Agentenzentralen. Über die Arbeit dieser Stelle war dieser Herr nämlich recht gut informiert, obwohl er angeblich gar nicht in der Bundesrepublik gewesen war, sondern aus der DDR kam. Offensichtlich war er an der Grenze auch schon von einem seiner Frankfurter Kollegen vom Grenzdienst in Empfang genommen worden. Das sind die Leute, die die Not derjenigen Menschen auf dem Gewissen haben, die in den letzten Tagen aus ihrer Heimat fortgelaufen sind.
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Solche gewissenlose Subjekte haben den Grenzbewohnern drüben, um sie dadurch zum Grenzübertritt nach dem Westen zu veranlassen, erzählt, sie würden hinter die deutschen Grenzen nach Osten gebracht. Ich möchte noch sagen, selbst amtliche Stellen in Westdeutschland haben uns bestätigt, genaue Informationen darüber zu haben, daß die Menschen aus den Grenzgebieten, die aus dem 10-m-Streifen ausgesiedelt worden sind, nach Mecklenburg ordentlich umgesiedelt wurden. Ähnliche Feststellungen wie die vorerwähnten mußten wir auch in Gesprächen mit anderen Grenzgängern machen.
Ähnlich wie in Hof erging es uns noch an vielen anderen Stellen der Grenze. Alle Orte, die uns als Hauptübergangsstellen bezeichnet worden waren, haben wir aufgesucht. Aber überall wußten die Leute von diesen Massengrenzübertritten auch nur aus der Zeitung und aus dem Radio. Nur in Kronach konnten wir feststellen, daß dort in der Turnhalle vorübergehend 25 Doppelbetten aufgestellt worden waren, um die Grenzgänger, die durchkamen, bis zu ihrem Abtransport unterzubringen.
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Daß es sich dabei nicht urn Massen handeln konnte, ist ganz offenkundig.
Im hessischen Grenzabschnitt wurde uns von einer amtlichen Stelle gesagt, daß in den dicht besiedelten Gebieten normalerweise jeden Monat rund tausend Menschen die Grenze von Osten nach Westen überschreiten. Davon müssen mehr als 700 jeden Monat zurückgeschickt werden, weil es sich um ausgesprochene Schmuggler handelt. Ein Beamter versicherte uns, daß sehr viele Menschen an der Grenze von diesem Schmuggel lebten. Das sei natürlich jetzt bedeutend riskanter geworden. Deshalb hat es ein Teil dieser Leute vorgezogen, nach Westdeutschland zu gehen und hier durch möglichst dick aufgetragene Greuelgeschichten amtliche Hilfe und Unterstützung zu bekommen. Sie bekommen nämlich diese Hilfe und Unterstützung nur, wenn sie behaupten, daß sie gefährdet an Leib und Leben gewesen seien. Selbst von Beamten im Grenzgebiet ist uns mehr als einmal versichert worden, daß man von den Erzählungen der Grenzgänger nur einen kleinen Teil glauben dürfe; es wurde immer wieder betont, daß man darin an der Grenze bereits viel Erfahrung habe.
Daß von den Leuten, die ehrlicher Arbeit nachgehen, nur verschwindend wenig den Parolen des RIAS und der Agentengruppen aufgesessen sind, beweist allein schon die Tatsache, daß in dem Gebiet der Kalischächte Philippsburg, Wintershall usw. zwar rund 6000 Menschen Ausweise für den sogenannten kleinen Grenzverkehr hatten, weil sie selbst oder einer ihrer Angehörigen auf westdeutschem Gebiet Arbeit und auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik ihre Wohnung hatten, daß aber von diesen 6000 Menschen kaum ein Zehntel nach Westdeutschland gegangen sein kann, wenn man die amtlich genannten Zahlen für den ganzen hessischen Grenzabschnitt zugrunde legt. Alle anderen haben es vorgezogen, in ihren Heimatgemeinden in der DDR zu bleiben und sich dort nach anderer Arbeit umzusehen. Viele von denen, die sich unüberlegterweise zum Grenzübertritt haben verleiten lassen, sind außerdem bereits wieder in die DDR zurückgekehrt. Ein Beamter hat sogar davon berichtet, daß es an der hessischen Grenze Familien gebe, deren Kinder in der DDR in die Schule gingen, weil sie der Meinung seien, daß dort die Schule besser sei als bei uns,
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und daß sie sehr bedauerten, daß das nun erschwert wäre.
Das bleibt übrig, wenn man dem ganzen Geschrei der letzten Wochen über die angeblichen Massengrenzübertritte auf den Grund geht.
Hier ist über das Lager Gießen gesprochen worden. Ich war auch im Lager Gießen und habe festgestellt, daß es augenblicklich noch nicht einmal zur Hälfte belegt ist. Ich habe aber auch festgestellt, daß dort das Kaiser-Ministerium und das Amt für Verfassungsschutz und die verschiedenen Agenten und Ostbüros eifrig dabei sind, ihre Opfer auszuquetschen. In diesem Lager konnte ich im Gespräch mit einer eben eingetroffenen Frau in erschütternder Weise feststellen, wie einfache Menschen durch die ununterbrochene Hetze völlig kopflos gemacht worden sind, die unglaublichsten Gerüchte für bare Münze nehmen und auf solche unverantwortlichen Gerüchte hin Hab und Gut im Stich gelassen haben. Die ganze Gewissenlosigkeit derer, die diese Aktion hier vom Westen aus organisiert haben, ist mir auf dieser Fahrt entlang der Zonengrenze entgegengetreten.
Den Opfern dieser Hetze und der Adenauerschen Kriegspolitik muß geholfen werden, jawohl. Aber was Sie mit Ihren Anträgen vorschlagen, ist keine Hilfe. Über kurz oder lang werden die Mohren, die ihre Schuldigkeit getan haben, vergessen sein und so weitervegetieren wie die Barackenbewohner in Hof und vielen anderen Städten Westdeutschlands. Die vielen Anständigen unter den Grenzgängern werden ohnedies sehr bald einsehen, wie falsch ihr Schritt gewesen ist, und denen nachfolgen, die wieder nach Hause zurückgegangen sind. Die Hilfe für die Zonengrenzgebiete aber kann nur darin bestehen, daß wir hier verhindern, daß der Generalvertrag und die anderen Kriegsverträge ratifiziert werden. Die Zonengrenze muß und kann endlich fallen. Wir haben die Möglichkeit, dazu vieles beizutragen, wenn wir uns nicht vor den Karren dieser Kriegshetzer spannen lassen, sondern wenn wir das Unsrige dazu beitragen, daß wir bald den Friedensvertrag bekommen und daß die Zonengrenze in Deutschland fällt.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Brökelschen.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich glaube, wir haben gerade erlebt, wie gut es ist, wenn man einen Vertreter der Kommunistischen Partei reden läßt, ohne ihn zu unterbrechen. Denn auf die Wirkung dieser Rede nicht nur bei den unglückseligen Menschen, die jetzt über die Grenze herübergekommen sind, sondern auch bei denjenigen, die bis jetzt noch auf allerlei Propaganda der Kommunistischen Partei hereingefallen sind, bin ich gespannt und freue ich mich.
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Frau Strohbach, Sie haben das Wort von den Mohren gesprochen, die ihre Schuldigkeit getan haben und gehen können. Hoffentlich passiert Ihnen das nicht eines Tages auch.
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Ich werde im übrigen jetzt keine Zurufe der Kommunisten mehr beantworten, sondern werde mich wirklich mit dem beschäftigen, was uns heute angeht, mit der wahnsinnig schweren Situation unserer Menschen an der Zonengrenze.
Wer die Reise des Gesamtdeutschen Ausschusses in der vorigen Woche mitgemacht hat, dem ist .ein starkes Erlebnis geblieben, nämlich das Erlebnis, daß zusammengehöriges Land und zusammengehörige Menschen völlig sinnlos, ohne Grund auseinandergerissen werden.
({2})
Was auffiel, war die Friedlichkeit des Landes hüben und drüben. Es war weiter die Friedlichheit und die Gefaßtheit der Menschen hier im Westen der Grenze, und es war die Verzweiflungsstimmung derer von drüben, mit denen wir sprechen konnten. Das einzige, was drüben friedlich weiterlebte, war das Vieh, das auf den Weiden des Niemandslandes graste und das auf irgendeinen wartete, der es melken sollte. Was heute hier gesagt wurde, Agenten, Diversanten, Terroristen und wie man all das nennt, das sind Fremdwörter, mit denen wir im Westen nichts zu tun haben, die aus einer anderen Welt und Sprache eingeführt sind.
Ich möchte von den Einzelbildern, die wir gesehen haben, ein paar anführen. Wir haben eine alte Frau von 71 Jahren gesehen, die sich nun von ihrem Bauernhof, der seit 1720 in der Familie war, getrennt hatte. Glaubt Frau Strohbach wirklich, daß nur Gerüchte um den Verlust des Hofes diese alte Frau bewogen haben, das Letzte zu wagen und herüberzukommen, Hab und Gut im Stich zu lassen?
Wir haben Männer und Frauen aller Altersstufen gesehen. Wir haben - das Erschütternde! - Jugendliche gesehen, die man aus den Betrieben herausgenommen und in diese Grenzstreifen hineingeschickt hatte. Frau Strohbach, Sie mögen mir einmal sagen, wie man die Bewohner aus „10 m-Streifen" aussiedelt. Das ist ein Beweis, wie genau Sie die Dinge an der Zonengrenze studiert haben. Man hat diese Jugend aus den Betrieben herausgenommen und hat sie in dieses Niemandsland an der Grenze geschickt mit dem Auftrag, festzustellen, wer hier bei denen, die man noch nicht herausgeschickt hat, gegen die sogenannte
Deutsche Demokratische Republik ist und wer sich noch mit christlichen Dingen befaßt.
({3})
Diese Jungen haben das abgelehnt. Sie sind herübergekommen, weil sie nicht zu Spionen und zu Denunzianten an ihren eigenen Brüdern und Schwestern und an den älteren Menschen werden wollen.
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Wir haben uns wiederholt gefragt: Welches ist der Sinn dieser ganzen Aktion?
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Ich glaube, es gibt nur einen einzigen Sinn, und das ist die absolute Sinnlosigkeit.
({6})
Wenn man irgend einen Sinn finden wollte, dann könnte man vielleicht die ganze Aktion als einen der Versuche der „Reinigung" ansehen, die man j a drüben immer wieder unternimmt, weil man sich selber nicht sicher ist. Ich habe manchmal auch das Gefühl gehabt, daß man glaubt, hier ein Gebiet völlig öde und tot machen zu müssen, weil man selber aus einer Reihe von Gründen Angst hat.
({7})
Ich bin weiter der Meinung: der letzte Adressat
dieser ganzen Maßnahmen sind gar nicht diese unglückseligen Menschen, die durch sie betroffen sind,
sondern das sind wir hier in der Bundesrepublik.
Die ganze Aktion ist nur ein Teil des großen Versuchs, in der Bundesrepublik eine Panikstimmung
zu erzeugen und durch das Hereinströmen neuer
Massen das zu begünstigen, was man Chaos nennt.
({8})
Es gibt infolgedessen als gesamtdeutsche Aufgabe der Bundesrepublik im Augenblick nur eines: daß wir die Gefaßtheit dieser Menschen als allgemeine Gesinnung hier im Bundesgebiet bekommen.
({9}) Weiterverhin haben wir die Verpflichtung, uns in einem Maße, wie es leider Gottes weithin verlorengegangen ist, zu einer neuen Solidarität zusammenzufinden und aus dieser Solidarität heraus die Aufgaben zu lösen, die gelöst werden müssen.
({10})
Ich bin dem Herrn Bundeskanzler sehr dankbar dafür, daß er ganz konkrete Vorschläge gemacht hat. Ich bin nicht der Meinung, daß das platonische Vorschläge gewesen sind, sondern ich glaube, daß die Schwierigkeiten und die Lösungsmöglichkeiten sehr konkret angesprochen worden sind.
Darüber hinaus wollen wir aber gerade in dieser Stunde die Verantwortung nicht nur auf die Länder und die Bundesrepublik abschieben, sondern wir wollen auch die freien Organisationen und vor allen Dingen auch uns selbst zur Verantwortung rufen,
({11})
da zu helfen und uns einzusetzen, wo es nötig ist.
({12})
Es wird sich um zweierlei handeln. Es wird sich einmal um Soforthilfemaßnahmen handeln, die ergriffen werden müssen. Ich will nicht die Einzelheiten, die hier genannt worden sind, um weitere vermehren. Uns allen sind j a in den letzten Tagen täglich die Notrufe aus den Wahlkreisen zugegangen, und es ist selbstverständlich, daß wir uns dieser Fälle mit aller Kraft annehmen müssen.
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Weiter ist hier der große Komplex der sachlichen Aufgaben angesprochen worden. Ich bin zwar der Meinung, daß die sachlichen Schwierigkeiten sehr groß sind, vor allen Dingen, was die Belebung des Wirtschaftsraumes an der Grenze angeht. Aber, meine Damen und Herren, die Frage der Ansiedlung der Industrien und all dessen, was damit zusammenhängt, ist nicht eine Angelegenheit nur der CDU und der FDP, sondern ist eine Angelegenheit von uns allen, die wir verantwortlich sind.
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Und da bin ich - bei aller Anerkennung gerade dieser Schwierigkeiten - allerdings der Meinung, daß hier psychologische Hemmnisse sehr stark mitsprechen. Ich meine, diese psychologischen Hemmungen müssen überwunden werden nicht allein um des notleidenden Grenzgebiets, sondern um unserer gesamten Situation willen.
({15})
Im Zeitalter der Technik und der Atombomben gibt es keine Entfernungen und keine Sicherheitsbezirke mehr.
Ich möchte aber ein Weiteres sagen. Ich bin überzeugt - das möchte ich ganz klar zum Ausdruck bringen -, daß bei allem, was geschehen muß und geschehen wird, lediglich cine Uberbrückung in Frage kommen kann. Ich halte es für bedenklich, zu glauben - was bei Herrn Stegner, vielleicht ungewollt, anklang -, daß man hier mit definitiven Zuständen rechnen müsse. Was hier im Augenblick vor sich geht, ist vielmehr eine Kraftprobe im Kalten Kriege, und diese Kraftprobe müssen wir durchstehen und werden wir durchstehen.
({16})
Aber es ist nichts Endgültiges, was hier geschaffen wird. Das Endgültige kommt erst, wenn die großen Gegensätze und Fragen bereinigt werden.
Ich verzichte mit Absicht darauf, auf irgendwelche Einzelheiten einzugehen. Der Sinn dieser Aussprache im Bundestag ist tatsächlich der einer Kundgebung, eines Appells an die Weltöffentlichkeit in dem Sinne, wie es von verschiedenen Seiten hier schon betont worden ist. Es handelt sich um grobe Verletzungen von Menschenrechten, es handelt sich um neue Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und das in einem Augenblick, in dem man vom Osten her Friedensverhandlungen einzuleiten wünscht und die deutsche Einheit anspricht. Meine Damen und Herren, solange diese deutsche Einheit rein im Begriff des Propagandistischen bleibt und solange diese Einheit vom Osten her nicht untermauert ist vom Willen zu wirklich menschlicher Verbundenheit - ein schauerliches Beispiel dafür, wieweit diese menschliche Verbundenheit abhanden gekommen ist, haben wir heute wieder von der kommunistischen Seite gehört -, solange die Dinge so stehen, ist die Einheit für uns eine schwere, schwere Frage. Gerade diejenigen, die im Augenblick in den großen Fragen der Politik Verantwortung tragen, haben die Aufgabe, alles zu tun, was die Einheit in Freiheit erreichen hilft.
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- Ich bin allerdings der Meinung, daß der Generalvertrag, den Sie von der KPD ja immer wieder als „Generalkriegsvertrag" bezeichnen, dazu Möglichkeiten schafft, die wir bis jetzt nicht gehabt haben.
({18})
Und ein Letztes! In den letzten Wochen und Monaten ist, gerade im Zusammenhang mit der Frage der Gefährdung des Friedens, sehr oft die Mütterlichkeit angesprochen worden. Die Frauen sind auf den Plan gerufen worden. Das, was sich jetzt an der Grenze abspielt, ist allerdings etwas, das uns Frauen besonders angeht, und man sollte wünschen, daß gerade die, die in bestimmten Organisationen Friedenspropaganda betrieben haben, hier eingreifen, um eine praktische Voraussetzung auch für spätere Friedensverhandlungen zu schaffen.
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Wir sollen alles, was jetzt an der Grenze geschieht, nicht leicht nehmen. Wir wissen nicht, was noch nachkommt. Wir wissen nur eines, und zwar aus den Gesprächen, die wir an den verschiedensten Stellen gehabt haben: daß die Menschen, die betroffen worden sind, bereit sind, um der Freiheit willen das Letzte auf sich zu nehmen. Diese Bereitschaft verpflichtet uns, das Äußerste an Hilfe zu leisten. Es verpflichtet uns aber auch, hier bei uns zu viel mutigerem, viel entschlossenerem und viel kompromißloserem Handeln bereit zu sein, als das leider Gottes noch weithin der Fall ist.
({20}) - Ich habe nicht vor, zu antworten.
Meine Damen und Herren, wir werden nachher in einer Entschließung das zusammenfassen, was uns bewegt, und wir werden damit ein Wort an die betroffenen Menschen richten. Aber wir werden darüber hinaus nicht vergessen, daß auch der letzte Widerstandswille auf die Dauer erlahmen kann,
wenn auf der anderen Seite keine praktische Hilfsbereitschaft gewollt bzw. nicht mit klarem Bewußtsein durchgeführt wird.
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Das ist die schwere Aufgabe, vor der wir stehen, und ich möchte, daß diese gemeinsame Aufgabe manches an innerem Frieden und an innerer Einheit wiederherstellt, was leider Gottes durch eine Reihe von Anlässen und Entwicklungen in der letzten Zeit verlorengegangen ist. Wir haben hier eine gemeinsame Aufgabe, meine Damen und Herren! Wir wollen sie angreifen mit dem Bewußtsein gesamtdeutscher Verantwortlichkeit.
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Das Wort hat der Abgeordnete Gülich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer die Tatsachen über die Vorgänge im Grenzgebiet, die hier mitgeteilt worden sind, bestreitet und wer leugnet, daß damit namenloses Leid über die Bevölkerung in den Grenzgebieten gebracht worden ist, der weiß entweder nichts, oder er führt irre. Wer wie ich fünf Kilometer von der Zonengrenze entfernt wohnt und wer die Menschen hüben und drüben kennt, von vielen Flüchtlingen aufgesucht wird und sich im übrigen an keinerlei Hetze, sei es nach der einen Seite oder der andern hin, beteiligt, der weiß etwas von diesen Dingen. Wer aber etwas von diesen Dingen weiß, der darf dazu nicht schweigen, weil er sich sonst mitschuldig macht.
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({1})
Es handelt sich hier um neuerliche Rückfälle in die Barbarei, die jeden Menschen nur mit Scham und Schmerz erfüllen können.
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Meine Damen und Herren, wir müssen uns doch ganz kurz klarmachen, daß sich diese Grenzgebiete, die jetzt in eine neuerliche Not geraten sind, schon seit 1945 in großer wirtschaftlicher Bedrängnis befinden. In vielen Fällen sind bis zu 80 % des Absatzes im Hinterland abgeschnitten worden. Die Demontagen haben sich in den Grenzgebieten besonders stark ausgewirkt, und die Abziehung vorhandener Industrien im Zusammenhang mit der Übervölkerung hat diesen katastrophalen Zustand herbeigeführt, unter dem die Grenzgebiete leiden.
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Daher kommt es natürlich auch, daß die Grenzgebiete die finanzschwächsten Länder der Bundesrepublik sind.
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Wenn wir uns nun fragen, was jetzt geschehen soll, so möchte ich zu Beginn sagen: es dürfte Übereinstimmung im ganzen Hause darüber bestehen, daß von seiten der Bundesrepublik nichts geschehen kann und darf, was nach Repressalien aussieht.
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Im gleichen Sinne muß die Bundesrepublik auch auf die Besatzungsmächte einwirken, denn jede Repressalie vermehrt die Leiden der Deutschen jenseits der Grenze.
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Es wurde bereits von meinem Freunde Behrisch und auch von anderen Rednern gesagt, daß schnelle Hilfe unter allen Umständen nötig ist. Schnelle Hilfe scheitert aber bei der gesamten Organisation unserer öffentlichen Verwaltung immer an den Zuständigkeitsproblemen. Wo die Not so groß und so vielfältig ist, da darf es nicht an der Zuständigkeit scheitern. Es muß also an alle Beteiligten appelliert werden, selbstverantwortlich so viel zu leisten, wie überhaupt möglich ist.
Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer sagte, die Flüchtlinge, die vom Osten kämen, sollten so schnell wie möglich in „das Innere der Bundesrepublik "geführt werden. Hierzu gestatte ich mir eine Anmerkung, die ich für um so wichtiger halte, als die Grenzgebiete ja ohnehin schon nicht mehr Flüchtlinge aus den Ostgebieten aufnehmen sollen. Ich bin der Meinung, daß diese Frage nicht schematisch gelöst werden darf; denn in den Grenzgebieten sind ja gerade seit Jahrhunderten die Familienbeziehungen von der schleswig-holsteinischen zur mecklenburgischen, von der niedersächsischen zur mecklenburgischen Grenze usw. so eng, daß wir Wert darauf legen müssen, daß die Familienzusammenführung jetzt nicht gefährdet wird.
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Ich habe Flüchtlinge gesehen und gesprochen, die von Mecklenburg herübergekommen sind; sie sind geflüchtet vor der Austreibung, wegen der Räumung oder der teilweisen Räumung ihrer Dörfer. Diese Flüchtlinge haben in Lübeck oder in Lauenburg ihre Söhne oder Verwandte - nahe Verwandte -, und da scheint es mir notwendig zu sein, daß wir sie nicht erst lange durch Durchgangslager schleusen, sondern sie müssen mit Hilfe
der örtlichen Stellen so schnell wie möglich, ich möchte sagen unverzüglich, ihren Familienangehörigen zugeführt werden.
In diesem Zusammenhang muß an die Bundesregierung und an die Aufnahmeländer aufs neue appelliert werden, doch die Umsiedlung verstärkt zu fördern; denn es ist in den überfüllten Grenzgebieten geradezu unerträglich. Man kann das zwar mit statistischen Zahlen ausdrücken, aber nicht begreifen. Wenn man sich aber in die Apotheke eines Notstandsgebietes setzt, wie ich es jetzt getan habe, und dort sieht, daß vom Montag bis zum Donnerstag zwar Rezepte abgegeben werden, aber die Arznei nicht gekauft wird, weil die Leute nicht imstande sind, die 50 Pfennig für den Krankenschein zu zahlen, vielmehr warten müssen bis zum Freitag und Sonnabend; wenn man dann in den Fleischerläden und überall in allen Bereichen des Lebens dasselbe sieht, dann geht daraus hervor, daß alles getan werden muß, um die dortige Übervölkerung schnellstens zu mindern. Diejenigen Menschen, die dort nicht ortsgebunden, nicht familien- und nicht berufsgebunden sind, müssen möglichst schnell ins Innere der Bundesrepublik umgesiedelt werden.
Noch einige Anregungen und Bemerkungen. Ich halte es für notwendig, daß die Bundesregierung planmäßig die in den Grenzgebieten vorhandenen Fabrikationseinrichtungen durch verstärkte Vergebung von öffentlichen Aufträgen ausnutzt. Das ist eine Maßnahme, die den Finanzminister kein Geld kostet, die aber den Grenzgebieten schnell und entscheidend helfen kann.
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Dasselbe gilt für eine verstärkte Hergabe von Investitions- und Betriebsmittelkrediten. Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, daß wir eigentlich in allen Grenzgebieten - der Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen hat die Dinge am Freitag und Sonnabend gesehen - große, moderne Fabrikgebäude haben, die leerstehen und die wieder aktiviert werden müssen, was durch Gewährung entsprechender Kredite möglich ist, wie sie in unserem Antrag gefordert werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf eine Einzelheit eingehen. Sollten wirklich die Howaldtwerke in Kiel verkauft werden, dann sollte der Erlös aus einem solchen Verkauf unter allen Umständen im Grenzgebiet investiert werden. Er sollte nicht zu den Haushaltseinnahmen und er sollte auch nicht in andere Gebiete kommen. Auf diese Weise wäre es eher möglich, der Bevölkerung glaubhaft zu machen, daß ein solcher Verkauf sinnvoll ist.
Es ist ferner nötig, daß die Grenzgebietsbevölkerung angeregt wird, in ihrer Initiative nicht zu erlahmen. Wir haben ja unter den Einheimischen wie unter den Vertriebenen sehr viele aktive Menschen - Unternehmer, Handwerker, Bauern -, die nach Betätigung rufen und denen nur geholfen werden kann, wenn man ihnen den Start ermöglicht und erleichtert.
Ein weiterer sehr wichtiger Gesichtspunkt, von dem aus, wie ich glaube, besonders wirksame Hilfe geleistet werden kann, ist der, daß die Ministerien des Bundes längst eingeleitete Einzelaktionen schnell erledigen. Ich denke z. B daran, daß wir viele große unausgenutzte Hallen haben. Zum Teil wird seit Jahr und Tag mit der Bundesvermögensverwaltung darüber verhandelt, und diese schaltet zahllose Stellen ein. Man kann solche fernliegen({9})
den Objekte nicht nach dem Baukostenindex von 1936 und schon gar nicht nach dem Baukostenindex von 1952 beurteilen, sondern nur nach ihrem gegenwärtigen Verwertungswert. Wird dieser eingesetzt, dann können die Gebäude ihrer neuen Aufgabe schnell zugeführt werden. Ich erinnere an die langen Verhandlungen über die Gewährung des Erbbaurechts hinsichtlich der Muna in Mölln und zahlreiche Dinge mehr.
Freitag oder Sonnabend sahen wir den Priwall gegenüber von Lübeck-Travemünde. Durch die Grenzziehung sind die Bewohner nun abgeschnitten, so daß nur eine Fährverbindung mit Lübeck besteht. Mit Recht fragen die 3000 Priwall-Bewohner, wie sie dazu kommen, für die Benutzung der Fähre zu bezahlen. Bis zum 30. Juni hat das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen einen Teil der Kosten übernommen, den Hauptanteil trägt Lübeck. Man kann aber nicht von einer Stadt eine solche Leistung fordern, wenn es sich um eine Angelegenheit handelt, die den ganzen Bund betrifft. Hier müßte schnell gehandelt werden, und hier müßte auch der Herr Finanzminister die besonderen Belange dieses Gebietes berücksichtigen.
Ich erwähne nun die Dinge, die überall selbstverständlich sind: verstärkten Wohnungsbau, verstärkten Schulhausbau, verstärkten Straßenbau, und zwar nicht nur für die Bundesstraßen, sondern auch für die Kreis- und Gemeindewege. In der Fragestunde vor vierzehn Tagen hat mein Freund Bromme nach dem Ausbau der Bundesstraße 207 gefragt. Meines Erachtens ist diese Frage nicht genügend beantwortet worden. Die Bundesregierung muß hier Mittel und Wege finden, um allen bedrängten Grenzgebieten mit überhöhter Bevölkerungszahl, geschwächter Wirtschaft und ganz schwachen Finanzen durchgreifend zu helfen.
In diesem Zusammenhang muß ich allerdings auch einen Appell an die sogenannten wohlhabenden Länder richten, die leider auf der Bundesratstribüne jetzt nicht vertreten sind. Es muß aufhören, daß die Grenzgebiete wirtschaftlich weiter dadurch geschwächt werden, daß die Finanzminister wohlhabender Länder Industriebetrieben in den Grenzgebieten Angebote zur Übersiedlung in die großen Industriezentren machen.
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Ich könnte Ihnen hierüber sehr viel sagen und sehr viele konkrete Einzelheiten mitteilen. Ich kann das wegen der Kürze der Zeit nicht sagen noch will ich es sagen; das Thema muß jedoch in diesem Zusammenhang wenigstens angeschnitten werden.
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Es muß hier von den Ländern erwartet werden, daß sie nicht eigensüchtige Interessen verfolgen, sondern wirklich gesamtdeutsch denken,
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und hierbei müssen sie von der Bundesregierung unterstützt werden.
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Die Bundesregierung muß also planmäßig Industrien in den Grenzländern ansiedeln.
Wenn Sie mir noch eine politische Bemerkung gestatten wollen, dann möchte ich sagen: Der Zu-. stand, den ich eben kritisiert habe, würde durch eine einheitliche Bundesfinanzverwaltung von selbst unmöglich gemacht werden.
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Deshalb sollten wir auch aus Gründen der Stärkung der wirtschaftlich schwachen Grenzgebiete das Gesetz zur Änderung des Art. 108 des Grundgesetzes, das von der FDP eingebracht worden ist, schnellstens mit einer Zweidrittelmehrheit verabschieden.
Zur Diskussion von heute möchte ich noch folgendes sagen. Wir dürfen eigentlich nicht von „Bürgern der Bundesrepublik" sprechen, und wir sollten auch nicht davon reden, daß Deutsche „in die Bundesrepublik flüchten", sondern die Vorstellung von der Einheit Deutschlands und die Rechts- und Sinnwidrigkeit der Trennung sollen uns immer vor Augen stehen. Wir dürfen deswegen auch nicht - ich habe im übrigen Herrn Kollegen Stegner in allem zugestimmt - zu solchen Maßnahmen kommen wie etwa einem Flurbereinigungsgesetz, weil wir dadurch eine Grenze verewigen, die wir gar nicht als Grenze ansehen, sondern die wir nur als eine vorübergehende Trennungslinie betrachten wollen, die durch das gesamte deutsche Volk geht.
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Deswegen muß ich leider auch zu den Ausführungen meines verehrten Kollegen Ewers eine kritische Anmerkung machen. Er sagte: Mögen die „drüben auf ihrem Gebiet" Gräben ziehen, - wir werden „auf unserem Gebiet" aufbauen. - Nein, so einfach sind die Dinge nicht, Herr Kollege Ewers; wir wollen nicht von „drüben", ihrem Gebiet, und „hüben", unserem Gebiet, sprechen, sondern wir wollen die Vorstellung der gesamtdeutschen Einheit in keinem Augenblick verlieren.
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Ich komme zum Schluß. Die Bevölkerung in den Grenzgebieten ist allgemein tief beunruhigt. Zwar ist sie keineswegs in Panik; sie ist auch durchaus entschlossen, dort zu sein und dort zu leben, aber die Bevölkerung muß in Arbeit gebracht werden, die Untätigkeit muß aufhören. Sie darf nicht nur Subsistenzmittel haben, die gerade am oder unter dem Existenzminimum liegen; denn dadurch breitet sich eine Hoffnungslosigkeit aus, die gefährlich werden könnte. Wie die Bande der Familie hüben und drüben der gegenwärtigen Zonengrenze am stärksten sind, weil ja vorher niemals - jedenfalls seit über hundert Jahren - dort eine Grenze empfunden worden ist, so ist auch die Grenzbevölkerung der stärkste Träger des Gedankens der deutschen Einheit. Aus diesem Grunde dürfen wir die Grenzbevölkerung nicht im Stich lassen. Wir müssen ihr Mut machen; denn nur dadurch können wir dem Wohle des ganzen Volkes dienen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sprecherin der Kommunisten hat den Versuch gemacht, die Berichte über die Verhältnisse an der Zonengrenze anzuzweifeln. Sie hat hier erklärt, sie sei selbst an der Zonengrenze gewesen und habe sich von den wirklichen Verhältnissen überzeugt.
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Ich glaube bestimmt, wenn sie sich dort als Vertreterin der KPD zu erkennen gegeben hätte, hät({1})
ten wir zweifellos nicht das Vergnügen gehabt, sie heute in unserer Mitte zu begrüßen;
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denn bei der Stimmung an der Zonengrenze hätte ich mir ausdenken können, was passiert wäre.
Es wird notwendig sein, hier noch einmal einige Tatbestände aufzuzeigen. Der Herr Bundeskanzler hat ja auf die Situation hingewiesen. Die angebliche Rechtsgrundlage für das Verhalten der Ostzonenregierung ist eine Polizeiverordnung von Herrn Zaißer vom 27. Mai 1952. Wir dürfen aber nach den Feststellungen an der Zonengrenze sagen, daß die Aktionen in ihrer Auswirkung weit über den Inhalt dieser Verordnung hinausgehen, dürfen sogar sagen, daß diese Verordnung nicht den Rahmen für die Aktionen abgegeben, hat.
Ich muß nach meinen eigenen Feststellungen sagen: die Formen der Evakuierung sind wirklich entsetzlich. Es ist versucht worden, den Leuten drüben (diese Evakuierung irgendwie schmackhaft zu machen. Es ist mit den zweifelhaftesten Methoden versucht worden, hier Erklärungen, Unterschriften zu erhalten, die dann nach außen hin eine Rechtfertigung der Evakuierung darstellen sollten. Man hat beispielsweise in einem Bezirk zunächst einmal die Personalausweise eingezogen und hat gesagt: Ihr bekommt neue. Man hat aber alle diejenigen evakuiert, denen der Personalausweis entzogen wurde. Das Infamste, das ich festgestellt habe, ist in ,der Gegend von Vacha passiert. Dort hat man den Leuten Reverse zur Unterschrift vorgelegt mit folgendem Wortlaut: „Da die Maßnahmen der westlichen Aggressoren für die Bevölkerung der Grenzbezirke eine Beeinträchtigung der Sicherheit bedeuten, ersuche ich die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik um die Evakuierung aus dem Zonengrenzgebiet."
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Meine Damen und Herren, das sind doch Methoden, die wir keinesfalls gutheißen können.
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Von dem Herrn Bundeskanzler ist darauf hingewiesen worden, daß die Evakuierung in einer großen Zahl von Fällen von Mißhandlungen begleitet war; darüber sind eine ganze Reihe von Feststellungen getroffen worden. Es ist richtig, daß die Leute, die abtransportiert wurden, zum großen Teil gefesselt wurden, weil man Sorge hatte, daß sie noch im letzten Moment über die Grenze fliehen würden. Der gesamte Besitz der Grenzbevölkerung, die evakuiert wurde, wurde beschlagnahmt. Es ist richtig, daß ein großer Teil der Bürgermeister über die Genze geflüchtet ist, weil sie eben diese Maßnahmen nicht durchführen wollten und nicht durchführen konnten. Das ist doch die wirkliche Situation.
Ich darf auch darauf hinweisen, daß in den Zonengrenzgebieten die Durchführung von Gottesdiensten verboten ist, auch eine Tatsache, die nicht geleugnet werden kann. Ich weiß, daß man in einem Ort, wo man die Kirchenglocken läutete, als die Leute abtransportiert wurden, die Kirchen von der Volkspolizei besetzen ließ. Das ist also eine Summe von fragwürdigsten Vorkommnissen, und es ist wirklich bedauerlich, daß hier noch der Versuch gemacht wird, diese Dinge zu verkleistern, diese Tatbestände, die von den verschiedensten Stellen aus festgestellt werden konnten, hier abzuleugnen.
Lassen Sie mich damit die Schilderung der Verhältnisse abschließen. Es geht jetzt darum: was
soll nun geschehen? Darüber ist heute morgen schon manches gesagt worden. Ich glaube, das Beste, das Wichtigste, das Entscheidendste ist es, daß wir die Grenzkreise wirtschaftlich so stabil machen, daß die Menschen in diesen Grenzkreisen eine Existenzmöglichkeit haben. Dazu ist eine Hilfe der Behörden notwendig. Wir müssen uns aber darüber im klaren sein, daß es damit allein nicht getan ist. Es ist von einer Seite heute schon einmal gesagt worden: Es muß auch eine Bereitschaft vorhanden sein, in diesem Grenzraum wirtschaftlich tätig zu sein. Wir müssen wirklich dazu kommen, diesen Grenzraum wirtschaftlich gut zu situieren, damit man hier wirklich den Zustand erreicht, daß die Menschen dieser Grenzzone gegen alle Einflüsse von der anderen Seite her immun sind. Ich möchte dabei darauf hinweisen, daß es nicht leicht sein wird, der geflüchteten Bevölkerung aus der Landwirtschaft zu helfen.
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Soweit ich ¡die Dinge in meinem Bereich übersehen kann, ist es so, daß das Land, das Leute aus der Westzone in der Ostzone verloren haben, meistens umfangreicher ist als der Landbesitz, den Leute aus der Ostzone im Westen liegen haben. Ich weiß, daß Landbesitzer im Kreis Fulda 62 ha drüben haben, während solche aus der Ostzone nur 12 ha herüben haben. Ich möchte das nur einmal erwähnen, um daran deutlich zu machen, daß es schwierig ist, Hilfe für die Landwirte zu schaffen, die ihre Zuflucht in der Westzone gesucht haben.
Ich glaube, wir dürfen heute eines nicht übersehen: wir müssen dankbar der Tatsache gedenken, daß sich die Bevölkerung an der Grenze wirklich viel Mühe gemacht und bei der Aufnahme der Flüchtlinge sehr viele Opfer auf sich genommen hat. Wir müssen auch daran denken, daß gerade die karitativen Organisationen in den letzten zwei Wochen ihre Aufgaben sehr gut erfüllt haben. Ich darf darauf hinweisen, daß Hilfsaktionen, wie sie vom Herrn Bundeskanzler angedeutet worden sind, zum Teil schon in bestimmten Bereichen durchgeführt werden. So hat beispielsweise der Bischof von Fulda eine besondere Hilfsaktion eingeleitet. Zweifellos werden solche Aktionen auch noch von anderer Stelle durchgeführt werden.
Das Geschehen an der Grenze muß für uns Gelegenheit und Anlaß sein, deutlich zu machen, daß wir uns mit den Menschen drüben verbunden fühlen und auch bereit sind, in dieser Situation soweit wie möglich zu helfen. Wir müssen dafür Sorge tragen, daß zukünftig den besonderen Nöten im Grenzbereich mehr als bisher Aufmerksamkeit gewidmet wird.
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Das Wort hat der Abgeordnete Fuchs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Schicksal der Grenzbewohner ist von jeher ein hartes gewesen. Wie wir aus der Geschichte feststellen können, haben der Krieg und die nachfolgenden Ereignisse die Grenzgebiete immer am schwersten getroffen. Die Bewohner Thüringens, das das grüne Herz Deutschlands ist, haben wohl am wenigsten geglaubt, daß sie jemals solche Grenzschwierigkeiten erleben würden, wie wir sie jetzt dort feststellen können. Den sowjetzonalen Machthabern und ihren Handlangern blieb es vorbehalten, die friedliebende Bevölkerung der
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ganzen sowjetischen Besatzungszone sieben Jahre nach Kriegsende diese Schwierigkeiten in unerhörtem Ausmaße durchkosten zu lassen.
Als Vertreter eines Wahlkreises an der sowjetisch besetzten Zone muß ich zu meinem Bedauern folgendes feststellen. Bei der Vertreibung jenseits der Zonengrenze wurde in einer Weise verfahren, die jegliche Menschlichkeit vermissen läßt. Man fühlte sich in die Zeit unmittelbar nach dem Kriege zurückversetzt, als Millionen Deutscher ohne jegliche Habe ihre Heimat verlassen mußten. So geht es heute den neu Vertriebenen. Sie kommen ohne jegliche Habe, meistens nur mit dem, was sie auf dem Leibe haben, über die Grenze und finden Schutz und Hilfe bei den Bewohnern der Bundesrepublik im Westen. Es ist selbstverständlich, daß diesen unglücklichen Menschen Hilfe gewährt werden muß. Es ist deshalb dringlichst geboten, daß die Bundesregierung zusammen mit den Länderregierungen alle Maßnahmen ergreift, um sobald wie möglich zu helfen und diesen unglücklichen Menschen die Rückkehr in ihre Heimat zu ermöglichen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Fricke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sei mir gestattet, aus der Sicht meines Harzwahlkreises noch einiges zu der Diskussion beizutragen, die ja bereits sehr wesentliche Gesichtspunkte ergeben hat. Es handelt sich nicht darum, noch über die Dienststellen und das von ihnen veranlaßte technische Verfahren zu sprechen. Ich glaube, alles, was hier auf unserer
Seite diesseits der Zonengrenze geschehen ist, verdient Dank und Anerkennung. Diese Dienststellen wissen seit der heutigen Debatte auch, daß sie wegen der finanziellen Vorleistungen, die nötig waren, nicht in Sorge zu sein brauchen. Bewundernswert ist die Ruhe unserer deutschen Brüder diesseits der Zonengrenze bei all den Ereignissen gewesen. Unruhe muß es allerdings schaffen, wenn sie sich von uns verlassen fühlen.
Bei all den Meldungen, die ich inzwischen bekommen habe, hat mich eines doch besonders betroffen gemacht: die Tatsache, daß das Fremdenverkehrsgewerbe des Harzes zahlreiche Abmeldungen bereits festgelegter Quartiere für den Sommer wegen der Unruhe und der Unsicherheit in diesem Gebiet buchen mußte. Das darf meines Erachtens nicht sein. Hier nehme ich die Gedanken der Kollegen und Kolleginnen auf, die im Laufe der Debatte geäußert worden sind, daß es nicht nur darauf ankommt, die Bundesregierung und die Dienststellen um Initiative zu bitten, sondern auch auf eine gesamtdeutsche Solidarität. Ich möchte deshalb gerade von dieser Stelle aus auf die Sorge des Harzes, vom Fremdenverkehr allein gelassen zu werden, besonders hinweisen. Hier können wir viel leichter als durch die sehr weitschichtige Problematik einer Industrieansiedlung an der Zonengrenze helfen, indem wir nach drüben hin zeigen, wie ruhig und ordentlich die Verhältnisse bei uns sind. In allen Kreisen der Bevölkerung sollte man hier Initiative zeigen. Das wird die Ruhe auf unserer Seite nur stärken. Auch wir selbst im Bundestag sollten uns öfter im Grenzgebiet sehen lassen. Mit großer Freude und Erwartung wird im Harz jetzt die bevorstehende - häufig verschobene - Reise des Gesamtdeutschen Ausschusses begrüßt. Es sollte nicht der einzige Ausschuß sein, der sich im Grenzgebiet sehen läßt! Entgegen allen geographischen Feststellungen liegt gerade dieser Grenzraum von Bonn doch besonders weit entfernt. Das muß man immer wieder feststellen.
Schließlich darf ich noch etwas über unsere Verbindung mit den Deutschen jenseits der Grenze sagen. Wir sollten allgemein alles tun, um alle nur irgendwie bestehenden Wege privater und geschäftlicher Art aufrechtzuerhalten, sollten mit unseren Brüdern jenseits der Grenze korrespondieren und die Verbindung immer wieder auf einer rein sachlichen Basis aufrechterhalten. Wir sind alle Deutsche und gehören zusammen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir noch einige Bemerkungen zu dieser Diskussion. Ich hatte mich gefreut, daß der Herr Bundeskanzler selbst Gelegenheit nahm, zu dieser Großen Anfrage meiner Fraktion Stellung zu nehmen. Aber ich bedaure, daß die Stellungnahme des Herrn Bundeskanzlers sich doch im wesentlichen auf den Versuch einer Erläuterung der politischen Hintergründe dieses Geschehens beschränkte und daß der Herr Bundeskanzler es sich sogar, sagen wir einmal, nicht verkneifen konnte, bei dieser Gelegenheit über die Vertragspolitik so zu sprechen, als ob durch das Geschehen an der Grenze eine Möglichkeit gegeben wäre, die im Hause bestehenden tiefen Meinungsverschiedenheiten über die Vertragspolitik des Herrn Bundeskanzlers in irgendeiner Weise aus der Welt zu schaffen. Das kann man nicht, wie man auch dazu stehen mag. Diese Gelegenheit sollte eigentlich dazu nicht benutzt werden, auch nicht zur Rechtfertigung von irgend etwas oder zur Anklage gegen irgend jemand.
Ebensowenig wäre den Verhältnissen Rechnung getragen, wenn man diese Gelegenheit dazu benutzte, Ermunterungen an die unglücklichen Opfer jerer brutalen Repressalien auf der anderen Seite der Zonengrenze zu adressieren. Worauf es ankommt, ist, sich der Aufgabe gewachsen zu zeigen, die durch die Raserei der Machthaber auf der anderen Seite ,der Zonengrenze plötzlich entstanden ist. Ich kann nicht umhin, zu sagen: in mancher Beziehung habe ich die Auffassung, daß die Dinge für manche Behörden nicht nur überraschend kamen, sondern daß auch geraume Zeit verging, ehe man sich auf die notwendigen Hilfsmaßnahmen besann und sie durchführte. Es kommt doch jetzt noch vor, daß man meint, die Flüchtlinge sollten, so wie es vorher war, als dieser neue Strom noch nicht in Bewegung gesetzt war, in die beiden großen Auffang- und Durchgangslager gehen. Nun, wie sollen sie das, diese vorwiegend landwirtschaftlich tätigen Menschen, die Flüchtlinge in ihrer Heimat geworden sind? Denn, sie trennt von ihrer Heimat nur der drüben willkürlich gezogene Graben, der nun mit Stacheldraht und anderem noch befestigt wird.
Nach dieser Debatte wird man sagen müssen: die Themen, die mit der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion angeschlagen sind, sind hier, wenn überhaupt, so nur in den Anfängen zu beantworten versucht worden. Man sollte sich darüber klar sein, daß sobald wie möglich die Gelegenheit gesucht werden muß, zu diesen sieben Punkten und zu dem, was in den Anträgen, die
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daneben laufen, gesagt ist, nicht nur politisch Stellung zu nehmen, sondern so Stellung zu nehmen, daß dabei etwas herauskommt. Heute hätten hier die Fachminister sprechen müssen. Ich hatte erwartet, daß der Herr Wirtschaftsminister hier sprechen würde und ,daß wir es nicht bei Deklamationen bewenden ließen, sondern konkrete Vorschläge erörtert und Pläne umrissen hätten. Auf diese kommt es jetzt an; das fehlt. Wenn Sie an die Zonengrenze gehen, so sind es nicht Leute, die sozusagen berufsmäßige Kritiker sind, sondern ernsthafte Leute, Leute mit Verantwortungsgefühl, die es bedauern, daß z. B. das eben von mir angesprochene Ressort sich so blutwenig für diese Dinge interessiert. Es kann doch nicht erwarten, daß sich die Schäden, die dort angerichtet worden sind, sozusagen von selbst „auspendeln".
Es ist uns nicht möglich, uns mit einer Antwort zufrieden zu geben, in der es klipp und klar heißt, man werde keinen Versuch zu unmittelbaren Verhandlungen machen, um unter Berufung auf das bestehende Wirtschaftsabkommen zu versuchen, die eingetretenen und angerichteten Schäden zu beheben. Herr Bundeskanzler, muß ich sagen, es würde doch wohl z. B. nicht zuviel verlangt sein, wenn man von den Besatzungsmächten verlangte, daß sie unter Berufung auf die Verträge, die im Jahre 1946/47 und bei anderen Gelegenheiten von beiden Seiten unterschrieben worden sind, jetzt diese Verträge und die darin geregelten Wirtschaftsbeziehungen wiederherstellen. Wollen Sie sogar darauf verzichten? Darüber, daß man diese Wiederherstellung verlangen muß, kann doch keine Meinungsverschiedenheit bestehen.
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- Ich danke Ihnen für Ihre Belehrung! Ich wollte Ihnen nur sagen, daß ich mir Notizen gemacht habe - obwohl ich nach Ihrer Meinung nicht zugehört habe, Herr Oberlehrer! - , daß der Kanzler Verhandlungen abgelehnt habe.
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Stimmt ja nicht!)
Deshalb ist es mein Recht, im Namen meiner Fraktion noch einmal darauf zu verweisen, daß man verhandeln soll.
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- Von diesem Holz, Herr Wuermeling, bin ich nicht, daß ich die Unwahrheit sage. Wenn Sie mich davon überzeugen können, daß der Herr Kanzler verhandeln will, dann werde ich sagen: Gut, dann sind wir einer Meinung. Aber nach meiner Auffassung ist hier gesagt worden, es solle auf direkte Verhandlungen verzichtet werden. Ich äußere mich rein sachlich. Diese Finessen, sich hiergegenseitig Dinge anzuhängen, können Sie bei anderer Gelegenheit versuchen, aber nicht bei dieser Gelegenheit des Trauerspiels an der Zonengrenze, dessen Folgen doch ganz Deutschland trägt.
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Hier geht es gegen Deutsche auf beiden Seiten, und die Rechnung bezahlen am Schluß wir alle. Deswegen - dazu habe ich nochmals das Wort ergriffen - wünschen wir, daß der Herr Bundeskanzler und die zuständigen Ressortminister zu den sieben Punkten unserer Anfrage bei nächster Gelegenheit, wenn wir - nun bleibt ja nichts anderes übrig - dazu konkrete Anträge einbringen werden, in positiver Weise Stellung nehmen.
Denn auf dieser Seite muß bis an den letzten Zentimeter der Zonengrenze aufgebaut werden, müssen Fabriken in Gang gesetzt werden, statt abgezogen und allmählich verödet zu werden, muß wirklich konstruktiv etwas getan werden, damit sich in diesen Gebieten unternehmerischer Geist entwickeln kann.
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Darüber lachen Sie, meine Herren. Gehen Sie doch hin an die Zonengrenze, und fragen Sie, was wir vom Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen und was wir bei Gelegenheit ,der Besuche der einzelnen Betriebe mit den Leuten geredet haben. Nur ein Zeichen dafür, wie wenig Sie uns überhaupt verstehen! Wie wollen Sie überhaupt die Lage in Deutschland verstehen, wenn Sie bei solcher Gelegenheit schon ein Geschrei anfangen? Hier geht es um die Hilfe, und zwar nicht mit Heftpflaster, sondern um eine große wirtschaftliche Hilfe, damit die soziale Widerstandskraft dieses Gebiets gestärkt wird.
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Das Wort hat der Abgeordnete Brookmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer bisher noch Zweifel hatte, auf welcher Seite die wahren Friedenskämpfer unid diejenigen sitzen, die ehrlich die Wiedervereinigung Deutschlands wollen, wird durch den sowjetisch-sedistischen Anschauungsunterricht an der Zonengrenze eindrucksvoll und nachhaltig belehrt worden sein. Und wer es bisher nicht begreifen wollte, daß es sinnlos und zwecklos ist, den Friedensschalmeien und den Wiedervereinigungsbeteuerungen auf sowjetzonaler Seite zu glauben, der wird durch die heutige Debatte überzeugt worden sein, daß wir heute mehr denn je alle. wirklich alle, zusammenstehen müssen in dem festen Willen, systematisch auf die Wiedervereinigung mit den 18 Millionen deutschen Brüdern und Schwestern hin tätig zu sein.
Als Ausdruck dieses gemeinsamen Willens und des weiteren Willens für die heimatlos gewordenen Menschen und die an der Zonengrenze gelegenen Gebiete lege ich namens folgender Fraktionen: der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der DP und der Föderalistischen Union dem Hohen Hause folgenden Entschließungsantrag mit der Bitte um Annahme vor:
Der Deutsche Bundestag möge beschließen:
Der Deutsche Bundestag hat sich in seiner Sitzung vom 18. Juni 1952 mit der Lage der deutschen Menschen befaßt, die durch die sowjetzonalen Sperr- und Ausweisungsmaßnahmen seit dem 26. Mai 1952 Existenz und Heimat verloren haben.
In feierlicher Form erhebt der Deutsche Bundestag vor dem deutschen Volk und der Weltöffentlichkeit Protest gegen die neuen Willkür- und Terrormaßnahmen des menschenverachtenden Regimes in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, durch die Deutsche von Deutschen getrennt werden sollen. Er erklärt die Ausweisungsaktionen für ungesetzlich und legt feierlich Verwahrung dagegen ein, daß hier das Recht eines jeden Menschen auf Heimat grundlos und sinnlos mißachtet wird.
Der Deutsche Bundestag appelliert an die freie Welt, ihre volle Aufmerksamkeit auf
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die Vorgänge an ,der Zonengrenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetzone zu lenken und mit der Bundesregierung in der Bereitschaft zusammenzustehen, den unglücklichen Flüchtlingen Hilfe und Beistand zu gewähren.
Der Deutsche Bundestag fühlt sich dem Schicksal der hartbetroffenen Bevölkerung der Sowjetzone eng verbunden. Er wird alle Anstrengungen unternehmen, ihr Los zu erleichtern.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über die Anträge, zunächst über den Antrag Drucksache Nr. 3445, Antrag der Fraktion der FDP. Wer für die Annahme ,dieses Antrages ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der kommunistischen Fraktion angenommen.
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- Ich bitte um Entschuldigung: gegen die Stimmen der kommunistischen Gruppe.
Wir stimmen weiter über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache Nr. 3457 ab. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit denselben Stimmen angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag, der soeben verlesen wurde. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der kommunistischen Fraktion einstimmig angenommen.
({1})
- Falsa demonstratio non nocet. Ich glaube im übrigen kaum, daß dieser lapsus linguae etwas an den politischen Verhältnissen dieses Landes ändern wird.
({2})
Damit unterbrechen wir der Absprache gemäß die Sitzung für eine Stunde. Der Bundestag versammelt sich wieder um 15 Uhr.
({3})
Die Sitzung wird um 15 Uhr 1 Minute durch den Vizepräsidenten Dr. Schäfer wieder eröffnet.
Die Sitzung ist wieder
eröffnet. Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung: Beratung des Antrages der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP/DPB betreffend Gesetz über Teuerungszuschläge zur Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz ({0}) ({1}).
Hier liegt eine Vereinbarung vor, über den Antrag ohne Begründung und ohne Aussprache zu entscheiden. - Dem wird nicht widersprochen, das Wort ist auch nicht gewünscht. Dann nehme ich die Zustimmung des Hauses dazu an.
Dann kann ich jetzt aufrufen den Punkt 6 ,der Tagesordnung:
a) Erste Beratung ides von der Fraktion der Föderalistischen Union ({2}) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft ({3});
b) Beratung des Antrags der Fraktion der Föderalistischen Union ({4}) betreffend Anleihe zur weiteren Förderung der öffentlichen Versorgungswirtschaft ({5});
c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP/DPB eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft ({6});
d) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP/DPB betreffend steuerliche Behandlung von Zinserträgen aus Wertpanieren im Rahmen der Investitionshilfe ({7}).
Vom Ältestenrat ist eine Begründungszeit von je 15 Minuten für die verschiedenen Anträge und eine Gesamtaussprachezeit von 60 Minuten vorgesehen. - Ich nehme die Zustimmung des Hauses dazu an.
Zunächst Punkt 6 a. Wer begründet für die Fraktion der Föderalistischen Union? - Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Bertram.
Dr. Bertram ({8}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stellen heute den Antrag, die §§ 1 bis 35 des Investitionshilfegesetzes aufzuheben, nachdem das Gesetz erst so wenige Monate in Kraft ist. Gleichzeitig stellen wir den Antrag, eine steuerbegünstigte Anleihe von mindestens 400 Millionen DM unter Bereitstellung von Haushaltsmitteln für die Zinsverbilligung aufzunehmen. Ich will auf den Vortrag derjenigen Gründe, die wir hier entweder bereits vorgetragen haben oder die Gegenstand der verschiedenen Verfassungsbeschwerden sind, die die Rechtsgültigkeit dieses Gesetzes betreffen, verzichten. Ich will mich auf den Vortrag derjenigen Gründe beschränken, die sich durch die völlig veränderten Verhältnisse bei den Aufbringungspflichtigen und auf dem Kapitalmarkt ergeben haben und die durch offensichtliche Fehler in der Struktur des Gesetzes entstanden sind, die sich erst in der Praxis erwiesen haben und die den Grundsatz der Aufbringungsgerechtigkeit verletzen.
Ähnlich wie im privaten Recht muß auch im öffentlichen Recht der Grundsatz gelten, daß die Gesetze nur unter der Einschränkung Geltung haben dürfen, daß die Voraussetzungen, die bei ihrem Erlaß bestanden, auch für die Dauer des Gesetzes Bestand haben. Die Änderung von gegenstandslos gewordenen Gesetzen hat uns schon an sehr oft beschäftigt. Die Forderung nach Änderung überholter Gesetze ist ein Ausfluß eines der grundlegenden Sozialprinzipien, des Prinzips der Autorität. Zur Wahrung der Autorität des Staates müssen gegenstandslos gewordene Gesetze geändert werden.
Daß hier eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse vorliegt und eine Notwendigkeit zur Änderung des Gesetzes gegeben ist, beweist ja auch deutlich der Antrag der Regierungsparteien mit den allerdings mehr als bescheidenen und dürftigen Vorschlägen und beweist weiter die Tatsache, daß unger Antrag wiederholt von der Tagesordnung abgesetzt werden mußte, um den Regie({9})
rungsparteien Gelegenheit zu geben, noch in aller Hast am Gesetz etwas zurechtzuflicken.
({10})
- An der Tatsache selbst jedoch, Herr Kollege Pelster, daß eine Notwendigkeit zur Änderung gegeben ist, werden auch Sie nicht vorbeikommen können.
({11})
- Ob ich das sagen muß oder nicht, - es ist immerhin erstaunlich, daß unser Antrag vor Wochen vorgelegt worden ist und daß nach wiederholten Vertagungen gestern plötzlich ein Änderungsantrag von Ihnen mit diesen bescheidenen Vorschlägen aufgetaucht ist.
({12})
- Das ärgert mich nicht. Im Gegenteil, wir haben der Vertagung zugestimmt, um zu erreichen, daß auch in Ihren Reihen die bessere Einsicht - wenn auch spät, so doch nicht zu spät - siegen möchte.
({13})
Der in § 1 umrissene Zweck des Gesetzes beruht auf dem Wunsche nach Umlenkung liquider Mittel in einen Sektor der Volkswirtschaft, der wegen Preisstopps angeblich unter der allgemeinen Unergiebigkeit des Kapitalmarktes besonders zu leiden hatte, aus Sektoren der Volkswirtschaft, die angeblich reichlich über liquide Mittel verfügen. Wie sieht nun die Wirklichkeit aus? Die Engpaßindustrien haben durch die Preiserhöhung seit dem Erlaß des Gesetzes erhebliche Mehrerlöse zugebilligt erhalten. Die Preiserhöhung im Bergbau hat durchschnittlich 10 DM je Tonne betragen. Unter Anrechnung der in Zukunft wegfallenden Spitzenkohlenpreise ergibt sich eine durchschnittliche Erhöhung von 4,50 DM je Tonne bei 80 Millionen Jahrestonnenverkauf, also ein Mehrerlös pro Jahr von 360 Millionen DM. Bei Stahl beträgt die effektive Preiserhöhung 55 DM je Tonne, bei 10 Millionen t Jahresumsatz also ein Mehrerlös seit Erlaß des Gesetzes von 550 Millionen DM im Jahr.
({14})
Dazu kommt noch der Überpreis bei Exportlieferungen, der bei rund 150 DM je Tonne liegen dürfte und bei einem durchschnittlichen Exportumsatz von monatlich 150 000 t einen Erlös von zur Zeit 221/2 Millionen DM erbringt. Ob diese Sonderkonjunktur anhalten wird, weiß natürlich niemand.
({15})
In jedem Falle hat die jüngste Preisfestsetzung allein für den Inlandmarkt der Engpaßindustrie eine wesentliche Erlösaufbesserung gebracht.
Die Preisindizes haben sich wie folgt entwickelt: nach Erzeugergruppen auf Grund der amtlichen statistischen Unterlagen im April 1951 für Eisen, Stahl und Metalle 341, Bergbau 200, Investitionsgüter 200, Verbrauchsgüter 207. Also gerade Eisen und Stahl liegen erheblich über dem durchschnittlichen Index. Bei der Aufgliederung nach Verwendungszwecken sieht es wie folgt aus: Grundstoffe 252, Investitionsgüter 200, Verbrauchsgüter 207. Also auch hier ist indexmäßig für die Erzeugnisse der Grundstoffindustrien ein erheblich höherer Erlös erzielt worden als für die Erzeugnisse der Konsumgüter- und der Investitionsindustrien.
Diese Preisentwicklung hat gleichzeitig mit der allgemeinen Unkostenentwicklung seit dem Erlaß des Investitionshilfegesetzes, die nicht ungünstig gewesen ist, eine wesentliche Verbesserung der Ertragslage der Engpaßindustrien mit sich gebracht. Aus diesem Grunde ist die vor langer Zeit vorhanden gewesene kapitalmäßige Engpaßlage bei den Grundstoffindustrien ja weitgehend verschwunden. Die Umstellung des Eigenkapitals hat ergeben, daß gerade die Grundstoffindustrie sich in besonders günstigen Verhältnissen befunden hat. Die Eisen- und Stahlindustrie hat die Reichsmarkschlußbilanz um rund 365,7 Millionen DM aufstocken können, d. h. um 91,3 % des Reichsmarkschlußkapitals, die Energiewirtschaft um 731,7 Millionen gleich 31,6 % des Reichsmarkschlußkapitals, der Bergbau um 216 Millionen gleich 27,5 % des Reichsmarkschlußkapitals, das Bekleidungsgewerbe um 198 gleich 19 %, das Baugewerbe um minus 101 Millionen gleich minus 54 % und die Schiffahrt um minus 269 Millionen gleich minus 71,8 %. Sie sehen also, daß gerade in der Grundstoffindustrie auch eine außerordentlich günstige Umstellungsrelation, d. h. eine besonders günstige Erhaltung des in diesen Industrien arbeitenden Kapitals stattgefunden hat.
Ich fasse also zusammen: sowohl Ertragslage als auch Vermögenslage der Grundstoffindustrien sind nicht ungünstig und haben sich seit dem Erlaß des Gesetzes außerordentlich verbessert. Wenn ich noch darauf hinweise, daß die Grundstoffindustrien selbst von der Bestimmung des § 36 des Investitionshilfegesetzes in vollem Umfang Gebrauch zu machen beabsichtigen - wie sich aus dem Investitionsplan 1952 ergibt -, so heißt das nichts anderes, als daß diese Industrien sich selbst in der Lage glauben, die Sonderabschreibungsmöglichkeiten in vollem Umfange auch verdienen zu können.
Auf der andern Seite hat sich die Lage der Aufbringungspflichtigen zum großen Teil sehr stark im ungünstigen Sinne verändert. Bei manchen ist die Lage direkt kritisch geworden. Wenn man vor einigen Jahren bei der Textilindustrie von einer Überliquidität sprach, so ist diese Überliquidität ja längst dahingeschwunden. Der Preisverfall bei den Rohstoffen dieser Industrie hat die ernstesten finanziellen und vor allem liquiditätsmäßigen Sorgen gerade dort hervorgerufen. Wenn man ferner auf die Lederindustrie, die Holzverarbeitungsindustrie, aber auch die Papierindustrie hinweist große aufbringungspflichtige Industriezweige -, so weiß man, daß hier eine Liquidität, die eine solche Aufbringung gestattete, nicht vorhanden ist.
Nicht unerwähnt möchte ich vor allem die jungen Industrien in den Notstandsgebieten lassen. Diese haben im Zuge einer verschärften Konkurrenz kaum noch die Möglichkeit einer Fortexistenz, da sie die Nachteile einer ungünstigen Standortwahl, insbesondere hohe Vorfrachten und Versandfrachten nicht zu überwinden vermögen. Ein Beispiel eines Großbetriebs der Papierindustrie zeigt folgendes Bild. Bei 4,9 Millionen Aufbringungspflicht sind 180 Millionen Kriegsschäden vorhanden. Das Gesamtkapital beträgt noch 24 Millionen. Verpflichtungen zum Ausbau der kriegsbeschädigten Werksanlagen und für Rationalisierung bestehen in Höhe von 12 Millionen. Der Gewinn für 1950/51 dürfte insgesamt 10 Millionen betragen. Man fragt sich mit Recht: Woher sollen solche Betriebe überhaupt noch einen einzigen Pfennig abzweigen, die ja nicht einmal die Verpflichtungen für die Rationalisierungsinvestition aus ihren Gewinnen auch nur annähernd bezahlen können?
({16})
Durch derartige Vorgänge wird aber nicht nur die Großindustrie in dem verarbeitenden Sektor schwer getroffen; vor allem hart getroffen durch die völlig willkürlichen Maßstäbe sind die Mittelstands-, die Einzelhandels- und Handwerksbetriebe. Ich möchte Ihnen dazu einige Beispiele - ebenfalls aus der Praxis - vortragen. Ein Textileinzelhandelsgeschäft hat bei der verlangten Aufbringungsleistung von 5800 DM unter Außerachtlassung der Anlagewerte einen Aktivsaldo von rund 20 000 DM, darin 17 000 DM Forderungen. Dem stehen auf der andern Seite 133 000 DM Schulden gegenüber, darunter allein 20 000 DM Steuerschulden infolge der verschärften Betriebsprüfungen gerade des letzten Jahres. Die Steuerschulden kann der Betrieb zur Not abdecken; aber Steuerschulden u n d Investitionshilfe kann der Betrieb, ohne daß er Konkurs anmelden muß, natürlich nicht mehr abdecken. Die Außenstände sind schwer einbringlich geworden. Es handelt sich um einen Fabrikort, in dem viel Textilindustrie ist. Es wird nur verkürzt gearbeitet. Umfangreiche Arbeiterentlassungen sind erfolgt, so daß der Betrieb in großem Umfang anschreiben lassen muß und die Normalumsätze kaum noch halten kann.
Ein zweiter Fall: ein Fleischermeister A in B, Alleinmeister mit Sohn als Geselle, Aufbringungsleistung 700 DM, auf der Aktivseite 1200 DM Kasse und 588 DM Forderungen; demgegenüber einschließlich 'Steuerschulden 9 499 DM Schulden. Der Betrieb ist totalkriegsgeschädigt. Ein weiterer Fall: Dachdeckermeister C in D, Aufbringungsleistung 1200 DM, der Liquiditätsstatus: Kasse 506 DM, Außenstände 46 154 DM, auf der andern Seite Schulden 70 000 DM. Die Außenstände können nicht realisiert werden; die Bauherren haben mit der ) Restfinanzierung Schwierigkeiten und laden diese Last der Restfinanzierung erfahrungsgemäß gerade auf den mittelständlerischen Bauhandwerker ab. Es ist für ihn ganz ausgeschlossen, daß er diese Außenstände. von 46 000 DM hereinbekommen kann; auf der andern Seite muß er Investitionshilfe bezahlen und weiß nicht, wie er seine Außenstände realisieren soll.
Ein Lebensmitteleinzelhändler D in B, Aufbringungsleistung 800 DM, auf der Aktivseite 4 117 DM, darunter 2 296 DM Außenstände; auf der andern Seite 13 200 DM Schulden, davon 7 000 DM Steuerschulden. Die Höhe der Außenstände von 2 300 DM kennzeichnet die mangelnde Erfüllung der Zahlungspflicht der Abnehmer. Auch in diesem Ort Arbeitslosigkeit und verkürzte Arbeit. Er kann den Betrieb nur fortführen, wenn er sich dem Kunden gegenüber zum Anschreiben bereiterklärt. Der Lebensmitteleinzelhändler leidet sehr unter der Konkurrenz kapitalkräftiger Großfilialbetriebe. Der Betrieb hat Kriegsschaden erlitten.
Also überall dieselben Beobachtungen! Auf der einen Seite infolge verschärfter Steuerprüfungen erhebliche Steuerschulden, auf der andern Seite infolge der Schwierigkeiten der allgemeinen Wirtschaftslage ein starkes Ansteigen der Außenstände, keine Möglichkeit der Realisierung und infolgedessen völlige Illiquidität dieses Zweiges der Wirtschaft.
Der Hinweis auf Stundungs- und Erlaßrichtlinien hilft dort wenig.
({17})
- Ich führe das im einzelnen aus, Herr Kollege Etzel. - In den Erlaßrichtlinien von Münster heißt es im einzelnen:
Es muß ihnen zugemutet werden, daß sie die fehlenden Geldmittel durch einen Bankkredit beschaffen oder daß sie Gegenstände des Umlaufsvermögens veräußern.
In den Verwaltungsrichtlinien heißt es:
Die Anlegung eines strengen Maßstabs ist aus folgenden Gründen gerechtfertigt. Die Investitionshilfe ist keine Steuer, sondern bezweckt die Umleitung von Kapitalbeträgen in bestimmte Engpaßindustrien. Wenn Ausfälle entstehen, muß der Aufbringungssatz erhöht werden.
Der bayerische Finanzminister hat im Bundesrat diese Bedenken ebenfalls eingehend vorgetragen und eine Änderung der Stundungsrichtlinien verlangt. Wenn das aber geschehen würde, dann müßte der Aufbringungssatz für die verbleibenden, eventuell noch liquiden Betriebe in einer Weise erhöht werden, daß diese Betriebe in unerträglicher Weise belastet würden. Wenn insbesondere in den Stundungsrichtlinien verlangt 'wird, daß das Umlaufsvermögen zum Wiederbeschaffungspreis - d. h., wenn der heutige Wiederbeschaffungspreis
niedriger ist als der Einkaufspreis, unter dem Einkaufspreis - und unter Verzicht auf Gewinn ver
kauft werden muß, da mutet man tatsächlich auf
der einen Seite den Aufbringungspflichtigen zu,
sie sollen mit Verlust verkaufen, 'während man
den anderen, den Berechtigten, die durchaus dazu
in der Lage sind, den Weg zum Kapitalmarkt nicht
zumutet und ihnen die geringe Zinsmehrbelastung
unter allen Umständen ersparen möchte. Das ist
die fehlende Aufbringungsgerechtigkeit dieses Gesetzes, wie sie sich durch die Praxis ergeben hat.
Wenn man ferner bedenkt, daß die Stundungsausschüsse auf Grund von Ermittlungen der Industrie- und Handelskammer besetzt ward er, und daß jede Stundung die Gefahr einer Erhöhung des Aufbringungssatzes mit sich bringt, muß mit einer generell ablehnenden Einstellung der Stundungsausschüsse gerechnet werden. In zahlreichen Protestentschließungen ist ja dieser Gesichtspunkt auch vorgetragen worden.
Die Verfechter des Gesetzes behaupten nun, daß eine Finanzierung der Engpaßindustrie ausscheidet, weil eine Selbstfinanzierung nicht in Frage komme, der Staat als Finanzier kein Geld mehr habe und der Kapitalmarkt brachliege. Dazu möchte ich nur auf ein Zitat von Professor Salin 'in Basel vom 23. IVIai 1952 hinweisen, der erklärt hat, daß das Argument des Kapitalmangels eine Schimäre ist. Eine falsche Zinspolitik hat das Kapital auf den Schwarzen Markt getrieben, und dieser Fehler der Regierungspolitik soll jetzt auf dem Rücken unschuldiger Aufbringungspflichtiger ausgebadet werden. Der Streit zwischen dem Bundeswirtschaftsminister und dem Bundesfinanzminister 'hat eben die Sanierung des Kapitalmarkts, die ja lange genug gefordert worden ist, immer wieder hinausgeschoben. Diese unterlassene Sanierung des Kapitalmarkts ist die Ursache dafür, daß wir hier ein solches Gesetz gemacht haben.
Das Gesetz verstößt aber auch in ganz entscheidender Weise gegen unsere gesamte Privatrechtsstruktur. Ich muß mich kurz fassen. Der Staat darf nicht tun, was in der jeweiligen Situation passend wäre, sondern nur das, was nach der ethischen Gesamtstruktur des Staates erlaubt ist. Die Inanspruchnahme des Nichtstörers für eine möglicherweise öffentliche Aufgabe ist auch im Polizeirecht unzulässig. Hier handelt es sich aber darum, daß die Mängel der Kapitalversorgung der Engpaß({18})
industrien nicht von denjenigen hervorgerufen worden sind, die hier pflichtig gemacht worden sind, sondern durch Fehler der Kapitalmarktpolitik des Staates. Hier hätte der Hebel angesetzt werden müssen; hier wäre es auch berechtigt gewesen. Daß man die Nichtstörer heranzieht, bedeutet eine willkürliche Verletzung des Privateigentums. Das Privateigentum ist aber ein Grundrecht des einzelnen, in das willkürliche Eingriffe verboten sind.
Die Unterversorgung der Engpaßindustrien ist eine Folge des Preisstopps und der staatlichen Kapitalmarktpolitik. Beides sind staatliche Maß- nahmen. Völlig unschuldig sind die Aufbringungspflichtigen. Sie sind diejenigen, auf deren Rücken man staatliche Fehler ausbügeln will.
Wenn die SPD in ihrem Aktionsprogramm jetzt eine Investitionslenkung verlangt, so kann diese mit Mitteln verschiedenster Art erfolgen. Man sollte aber hoffen, daß auch von dieser Seite das Mittel, das im ersten Abschnitt des Investitionshilfegesetzes vorgesehen ist. abgelehnt wird und daß deshalb auch die SPD der Aufhebung dieses Abschnitts des Investitionshilfegesetzes ebenso zustimmt, wie sie seinerzeit die Annahme abgelehnt hat.
Der Fortbestand der von uns beanstandeten Paragraphen bringt einen bedauernswerten Zwiespalt in unsere gesamte Wirtschaft. Die Begünstigten haben jetzt zum Teil begonnen, die Mittel, die ihnen von den Pflichtigen zufließen, so zu investieren, daß sie den Pflichtigen in verstärktem Maße Konkurrenz machen. Sie errichten neue Verarbeitungskapazitäten, die bevorzugt mit Rohmaterial beliefert werden, und dehnen ihren Werkshandel oder ihren Vertriebsapparat aus. Besonders wird der Ausbau des blauen Tankstellennetzes beanstandet, aber auch der Verkauf von Gas- und Elektrogeräten durch Versorgungsbetriebe. Hier fließen indirekt Mittel aus der einen Hand zwangsweise an die Berechtigten, und diese machen den Pflichtigen dann damit Konkurrenz.
Eine Änderung unseres Gesetzentwurfs in technischer Hinsicht mit Rücksicht auf die jetzt teilweise gezahlte erste Rate wird im Ausschuß notwendig sein. Die Zahlung war bei der Einreichung unseres Gesetzentwurfs noch nicht erfolgt. Die Änderung ist aber unschwer durchzuführen. Ich bitte, den Gesetzentwurf außer dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik und dem Ausschuß für Geld und Kredit auch dem Ausschuß für Finanzen und Steuern zuzuweisen, und hoffe, daß es uns gelingen wird, eine Anpassung des Gesetzes an die veränderten Umstände zu erhalten.
({19})
Weiterhin zur Begründung Herr Abgeordneter Hagge.
Hagge ({0}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die nach der Tagesordnung jetzt vorliegenden Drucksachen Nrn. 3386 und 3387 tragen neben der Unterschrift der FU auch meine Unterschrift. Ich möchte hier die Gelegenheit nehmen, zu erklären, daß ich nicht der FU angehöre, sondern nach wie vor Mitglied der CDU dieses Hauses bin.
({1})
Ich möchte die Gelegenheit nehmen, Ihnen zu sagen, wie ich dazu gekommen bin und aus welchem Grund ich dazu gekommen bin, diese Anträge mit zu unterschreiben.
Wenn Sie sich an das Werden des Gesetzes über 1 die Investitionshilfe und an die Abstimmungen zu diesem Gesetz in der letzten Lesung zurückerinnern, dann werden Sie in dem Wortprotokoll von dem damaligen Tage meine Erklärung zu der Abstimmung auf Grund des § 107 der Geschäftsordnung kennen. Um Sie aber davon erneut in Kenntnis zu setzen, gestatte ich mir, den Herrn Präsidenten zu bitten, das verlesen zu dürfen. Ich habe damals folgende Erklärung zu Protokoll gegeben:
Ich bestreite dem Bundestag das Recht, ein Gesetz zu beschließen, wonach eine Person verpflichtet wird, anderen Personen Kredit zu geben. Der Bundestag kann durch Gesetze Steuern und Abgaben allgemeiner Art beschließen, aber nie eine Verpflichtung zur Hergabe von Krediten. Hinweisen möchte ich dabei auf die schlechte Liquiditätslage der allgemeinen gewerblichen Wirtschaft. Auch diese Tatsache verbietet ein solches Gesetz.
Leider entspricht dieser mein Hinweis darauf, daß schon die Liquiditätslage diesem Hohen Hause verboten hätte, ein solches Gesetz und eine solche Verpflichtung zu beschließen, heute in weit größerem Umfange den Tatsachen, als es damals der Fall war. Das ist selbst denjenigen, die sonst nicht soviel über die wirkliche Situation in der Wirtschaft unterrichtet sind, wohl inzwischen durch die verschiedenen Erlebnisse bekanntgeworden.
Aber das ist nicht meine Grundauffassung, sondern meine Grundauffassung ist, daß dieses Haus an das Grundgesetz gebunden ist, auch bei der Schaffung von Gesetzen. Das ist durch das Grundgesetz in Art. 1 Abs. 3 besonders dokumentiert, wo es heißt: „Die nachfolgenden Grundrechte binden die Gesetzgebung, ...". Welche Grundrechte sind nun bei diesem Gesetz nach meiner Auffassung verletzt? Erstens hat das Gesetz verletzt den Art 3 Abs. 1: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich." Denn durch dieses Gesetz wird ein Kreis von Personen gezwungen, einem anderen Kreis Darlehen zu geben.
({2})
- Das ist etwas ganz anderes, Herr Preusker. Sie scheinen nicht daran zu denken, daß die Steuer - ich habe es j a ganz ausdrücklich erklärt - eine Abgabe ist. Dies ist aber keine Abgabe, sondern eine Vermittlung von Darlehen, Herr Preusker. Dabei sind die Steuersätze geradezu ein Beweis für das Wirksamwerden des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes. Denn die progressiven Steuern beweisen, daß die Menschen alle nach ihrem Können gleich herangezogen werden. Da ist ein himmelweiter Unterschied, Herr Preusker, zwischen dem, was Sie eben behauptet haben, und dem, was hier geschaffen worden ist.
Eben weil ich mich zur CDU bekenne, bekenne ich mich aber besonders auch zum Art. 14, wo es im ersten Absatz heißt: „Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet." Durch dieses Gesetz ist genau das Entgegengesetzte von dem gemacht, was ich darunter verstehe. Ich habe seinerzeit die Ehre gehabt, mit den Kollegen der Sozialdemokratie gegen das ganze Gesetz zu stimmen. Nur war ein Unterschied zwischen uns. Sie haben seinerzeit dagegen gestimmt, weil nach Ihrer Auffassung durch das Gesetz nach Masse und Zeit nicht genug vermittelt werden sollte. Ich stehe nicht an, zu erklären, daß ich - wie ich es damals getan habe - mich mit Ihnen in freundschaftlicher Art
({3})
gegen das Gesetz richtete, da ich damals wie heute dieselbe Auffassung und dieselbe Veranlassung dazu hatte. Ich bitte also, diese Vorlagen, die auch meinen Namen tragen, den entsprechenden Ausschüssen zu überweisen.
({4})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Etzel ({0}), ebenfalls zur Begründung.
Dr. Etzel ({1}) ({2}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Mehrheit meiner Fraktion hat dem Investitionshilfegesetz nur unter sehr ernsten, seinerzeit auch dem Herrn Bundeswirtschaftsminister gegenüber geäußerten Bedenken und Vorbehalten zugestimmt und sie hat ihre im Grund ablehnende Haltung in der zweiten Beratung vor dem Hohen Hause zum Ausdruck gebracht. Wir waren der Meinung, daß die Engpässe und Schwierigkeiten in den Grundindustrien und in der Energiewirtschaft durch organische, marktgerechte Mittel, das heißt durch Ordnung der Preiswirtschaft und des Kapitalmarktes, beseitigt werden müssen und daß es wirtschaftlich unvernünftig ist, den beteiligten Industrien die wirtschaftlichen Entgelte durch Beibehaltung zwangswirtschaftlicher Eingriffe und Regelungen vorzuenthalten und ihnen dafür durch eine gelenkte Maßnahme Mittel zu injizieren, die man durch eine Zwangsoperation anderen, inzwischen selbst in Liquiditätsschwierigkeiten geratenen Wirtschaftszweigen entzieht.
Wir waren ferner der Auffassung, daß die kurz vorher durch das Einkommensteuer-Änderungsgesetz allgemein stark eingeengten Möglichkeiten
der Selbstfinanzierung für die Grund- und Energieindustrien infolge der Einfügung des Teiles III, also des § 36, wieder wesentlich erweitert worden seien und daß so den beteiligten Industrien beachtliche Mittel zur Ausweitung der Kapazitäten und zur Rationalisierung verblieben. Überdies war mit dem § 37 auch preiswirtschaftlich ein Schritt vorwärts getan.
Nun, der Koreaboom ist zu Ende, und niemand kann voraussehen, ob sich wieder ein anderer Boom zur ausreichenden Beschäftigung der deutliche Rückbildungssymptome aufweisenden und zunehmend unter Ausfuhrschwierigkeiten leidenden überdimensionierten Wirtschaft des Westens rechtzeitig einstellen wird. Die Engpässe in den Grundindustrien haben sich - das gibt auch die Bank deutscher Länder in ihrem Maibericht zu - von der Bedarfs- wie von der Produktionsseite her wesentlich aufgelockert, die Zechen haben ihre Rentabilität verbessern können. Ein kürzlich veröffentlichter Überblick über die DM-Umstellungen der Eigenkapitalien der Aktiengesellschaften in der Eisen- und Stahlindustrie, der Energiewirtschaft und dem Bergbau zeigte, daß diese Gruppen eine besonders günstige Entwicklung der Eigenkapitalien bei der Überführung von der alten auf die neue Währung aufweisen können, wennschon zuzugeben ist, daß die DM-Eröffnungsbilanzen nicht unbedingt schlüssige Aussagen über Kapazität und Rentabilität eines Betriebes oder Wirtschaftszweiges zu machen brauchen. Endlich liegt das Kursniveau der einschlägigen Aktien trotz der in der letzten Zeit allgemein eingetretenen Rückgänge immer noch sehr erheblich über demjenigen zur Zeit der Konzipierung, der Beratung und der Verabschiedung des Gesetzes. Wir sollten endlich
darauf verzichten, zu glauben, daß wir uns den Widersinn einer zweigeteilten Wirtschaft, einer preisgestoppten und einer preisfreien, einer zwangswirtschaftlich gelenkten und einer marktmäßigen, und die Kostspieligkeit zerrütteter Kapitalmärkte noch lange leisten können. Entweder Marktwirtschaft oder gelenkte Wirtschaft!
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat kürzlich erklärt, daß es - nach der zum 1. Mai verfügten Kohlenpreiserhöhung - sein Ziel sei, den Eisenpreis ebenso freizugeben wie den Schrottpreis. Auch Industrie- und Handelskammern und Verbände nicht nur der eisenschaffenden, sondern auch der eisenverarbeitenden und sonst eisenverbrauchenden Wirtschaftszweige haben sich gegen die bestehende bürokratische, dem Endverbraucher keineswegs nützende und große Kosten verursachende Lenkungswirtschaft der sogenannten leichten Hand ausgesprochen. Das Wirtschaftssicherungsgesetz ist bis zum 31. März 1953 befristet. Die zu ihm ergangenen Rechtsverordnungen laufen bereits am 30. Juni dieses Jahres aus. Hier bietet sich die Gelegenheit, mindestens eine weitere Auflockerung, wenn nicht die Freigabe vorzunehmen. Der Bundesrat sollte im Hinblick auf § 37 des Investitionshilfegesetzes bei der Beratung am Freitag keine gesetzliche Möglichkeit haben, sich einer solchen Regelung in den Weg zu stellen.
Zu den preiswirtschaftlichen Maßnahmen muß aber die Wiederherstellung der Kapitalmärkte hinzukommen. Das Hohe Haus hat bei Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes mit dem § 391 einen - allerdings späten - Anfang gemacht. Was aber soll man sagen, wenn die Bundesregierung in dem von ihr vorgelegten Gesetzentwurf zur Förderung des Kapitalmarkts aus Angst vor der Courage des Scharnberg-Ausschusses eine wirkliche Einsicht in die Aufgaben, die sich heute stellen, vermissen läßt und sich mit einem zaghaften Gang begnügen möchte, wo es gilt, groß auszuschreiten. Es ist nicht recht zu verstehen, daß der Regierungsentwurf die Industrieobligationen, insbesondere die Wandelanleihen, deren Förderung und Ausgestaltung für die Ausführung von Investitionsplänen der Grundindustrien von großer Bedeutung sein könnte, in der steuerlichen Behandlung der Zinsen schlechter stellt als die Pfandbriefe und die diesen gleichgeordneten Kommunalschuldverschreibungen. Nicht einmal die Zinserträge aus den dem Aufbringungsschuldner der Investitionshilfe zuzuteilenden Wertpapieren sollen nach dem Entwurf steuerlich irgendwie begünstigt sein. Die industriellen Schuldverschreibungen sind früher neben der Erhöhung des Gesellschaftskapitals das klassische Mittel zur Finanzierung von Investitionen gewesen. Ihre begünstigte steuerliche Behandlung wenigstens im Bereich der Grundindustrien und der Energiewirtschaft würde gegebenenfalls notwendige Investierungen in diesen Zweigen erleichtern. Die Befürchtung, daß dadurch eine unerwünschte oder gar nachteilige übertriebene Verschiebung vom Kontensparen zum Wertpapiersparen herbeigeführt werden könnte, erscheint kaum begründet.
Eine entschiedene und richtige Kapitalmarktpolitik macht die Teile I und II des Investitionshilfegesetzes entbehrlich. Aber eben auf die Wiedergewinnung des Sparers und seines Vertrauens kommt es an. Es ist nicht damit getan, daß die Spareinlagen wieder steigen. Zum Wiederaufbau der zerstörten Kapitalmärkte gehört mehr. Der Sparer ist nicht einfach nach Belieben zu melken, wie etwa - erlauben Sie mir den keineswegs
({3})
hintergründig gemeinten Vergleich - bekanntlich die Blattläuse von Ameisen gemolken werden.
Auch eine weitere Senkung der Mindestreservesätze für befristete Einlagen bei Geldinstituten wäre angezeigt. Die von der Bank deutscher Länder zum 1. Mai vorgenommene Herabsetzung genügt nicht; die Sätze liegen immer noch an den im Notenbankstatut festgelegten Höchstgrenzen. So werden sehr beträchtliche Sparkapitalien der kreditbedürftigen Wirtschaft entzogen und sterilisiert.
Als eine Sofortmaßnahme wäre unabhängig von der beantragten Aufhebung der Teile I und II des Investitionshilfegesetzes erforderlich, die Aufbringung der veränderten Wirtschaftslage anzupassen, sie vor allem auf einen längeren Zeitraum auszudehnen, die Bestimmungen über Erlaß und Stundung großzügig und unter besonderer Berücksichtigung der an der Zonengrenze abgesperrten Grenzland-Wirtschaft zu fassen, eine Überprüfung des Aufbringungsschlüssels vorzunehmen und anderes mehr. Einige Erleichterungen in den Zahlungsterminen hat das Kuratorium für die Investitionshilfe bereits angeordnet, andere in Aussicht genommen.
Die Beratung der von der Föderalistischen Union - Bayernpartei/Zentrum - am 16. Mai eingebrachten Gesetzesvorschläge ist in der vergangenen Woche zweimal von der Tagesordnung abgesetzt worden. So erhielten andere Fraktionen des Hauses Zeit und Gelegenheit zu eigenem Vorgehen. Wir empfinden Genugtuung darüber, daß die Überzeugung von der Änderungsbedürftigkeit des Investitionshilfegesetzes und von der Notwendigkeit stärkerer Kapitalmarktförderungsmaßnahmen weitere Kreise zieht. Allerdings gehen nach unserer Meinung die in den Drucksachen Nrn. 3463 und 3464 gestellten Anträge nicht weit genug. Auch der Gemeinschaftsausschuß ist soeben mit Erleichterungs- und Auflockerungsvorschlägen, darunter auch dem Vorschlag einer Hinaufsetzung der Freigrenze, hervorgetreten.
Der ursprüngliche Gedanke einer freiwilligen Gemeinschaftshilfe war das spontane Ergebnis der Schockwirkung der ersten Schrecksekunde des Koreakrieges. Seine Voraussetzungen sind weitgehend weggefallen. Dem tragen unsere Anträge Rechnung. Die Kapitalbeschaffungshilfe für die öffentliche Versorgungswirtschaft bildet nach unserer Ansicht einen Sonderfall. Zu seiner Bereinigung halten wir die in Drucksache Nr. 3387 vorgeschlagene Finanzierung für geeignet und erforderlich.
Wir bitten um die Zustimmung des Hohen Hauses zu dem sachlichen Inhalt und der Tendenz unserer Anträge bzw. um die bereits beantragte Überweisung an die Ausschüsse.
({4})
Das Wort zur Begründung des unter 6 c der Tagesordnung aufgeführten Antrags hat der Herr Abgeordnete Raestrup.
Raestrup ({0}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon seit längerer Zeit haben sich die Koalitionsparteien mit den Schwierigkeiten beschäftigt, die sich bei der Durchführung des Investitionshilfegesetzes namentlich in den Kreisen der kleineren Abgabepflichtigen gezeigt haben.
({1})
Nachdem wir die ganze Entwicklung dieser Angelegenheit aufmerksam verfolgt haben, sind wir nach eingehenden Beratungen dazu gekommen, dem Hohen Haus einen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP/DPB vorzulegen, den Sie unter Drucksache Nr. 3463 finden, und einen Ergänzungsantrag, den ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten auch schon mit behandeln darf und der Ihnen auf Drucksache Nr. 3464 vorliegt.
Zweck unseres Antrages ist es zunächst, die Fristen um vier Monate hinauszuschieben, so daß also erst vier Monate später der endgültige Betrag von 1 Milliarde DM aufzubringen ist und daß dementsprechend auch die Aufrufe zur Zahlung und die Zahlungsverpflichtungen hinausgeschoben werden.
Um nun das Anlagepapier, das die Abgabepflichtigen erhalten - und das war unsere große Sorge -, wertvoller zu gestalten, haben wir in dem Antrag gesagt, daß dann, wenn die Zuteilung der Wertpapiere nicht innerhalb von 18 Monaten nach voller Zahlung der Aufbringungsschuld erfolgt, sich der Zinssatz mit Beginn des folgenden Monats auf 5 v. H. erhöht. Wir haben dann eine weitere Ergänzung dahin gemacht - und dies ist meines Erachtens sehr wesentlich -, daß diese Zinssätze nicht der Einkommen- und Körperschaftsteuer unterliegen sollen. Meine Damen und Herren, es ist ja für die Abgabepflichtigen - und vielen wird ja, wie Sie wissen, die Entrichtung dieser Abgabe sehr schwer - von wesentlicher Bedeutung, daß das Papier verwertbar ist. Und wenn es sich um ein 4- bis 5%iges steuerfreies Papier handelt, dann liegt in der Steuerersparnis ein solcher Vorteil, daß dieses Papier in der Zukunft meines Erachtens ein Papier ist, das zu günstigen Bedingungen zu veräußern ist.
({2})
- Das ist es wohl! Rechnen Sie sich das bitte aus!
({3})
Wir wollen ja auch dem Abgabepflichtigen ein Ent- gelt für das geben, was er unter großen Mühen aufzubringen hat. Das ist durchaus berechtigt. Der weitere Wunsch und die Anregung, vielleicht ein lombardierungsfähiges Anlagepapier zu erzielen, können vorläufig noch nicht verwirklicht werden, weil der Kapitalmarkt noch nicht genügende Sicherheit für die Aufnahme haben wird.
Sehr wichtig ist es, daß wir dem Mittelstand, namentlich den Handwerkern, entgegenkommen, indem wir nur dann eine Abgabepflicht eintreten lassen, wenn in den Kalenderjahren 1950 und 1951 in jedem Jahre mehr als 10 000 DM verdient worden sind. Wenn Sie die Veranlagungsrichtlinien nehmen und auf Grund des Einkommensteuergesetzes von einer Freistellung eines Einkommens bis zu 10 000 DM ausgehen, dann sind, glauben wir, die größten Bedenken, die aus den Kreisen des Handwerkerstandes und des kleineren Mittelstandes kommen, doch beseitigt.
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind wohl die Hauptpunkte, die wir herausgegriffen haben, in denen wir eine Linderung glaubten schaffen zu sollen.
Wir haben dann auf Drucksache Nr. 3464 einen weiteren Antrag gestellt, der die steuerliche Behandlung von Zinserträgen aus Wertpapieren im Rahmen der Investitionshilfe betrifft. Wir haben beantragt, die Einkommensteuer von den Zinserträgen aus Wertpapieren, die dem Aufbringungsschuldner auf Grund seiner Erwerbsberechtigung
({4})
zufließen, nur durch Abzug vom Kapitalertrag in
Höhe von 30 v. H. der Kapitalerträge zu erheben.
Ich habe Ihnen nur das Wesentliche vorgetragen, weil wir ja den Antrag gestellt haben, diese Angelegenheit dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu überweisen.
Meine Damen und Herren, es ist vielleicht verlockend und mag auch in den Kreisen der Abgabepflichtigen einen guten Eindruck machen, wenn der Antrag auf Aufhebung dieses Gesetzes gestellt wird. Aber ich möchte doch mit aller Klarheit und Deutlichkeit sagen, daß es angesichts der Tatsache, daß bereits ein Betrag von 140 Millionen DM bezahlt worden ist, bei den Abgabepflichtigen, die gewissenhaft und pünktlich bezahlt haben, einen außerordentlich schlechten Eindruck erwecken würde, wenn sie nun nachher sehen sollten, daß das Gesetz aufgehoben wird. Es würden meines Erachtens außerordentlich große Schwierigkeiten entstehen, diese Beträge zurückzuzahlen. Und die Notwendigkeit, daß die Grundstoffindustrien das Kapital für Investierungen - die sie ja zum großen Teil schon in Angriff genommen haben - tatsächlich erhalten, ist doch auch vorhanden.
Deshalb glaube ich, daß wir, wenn wir wirklich verantwortungsbewußte Arbeit leisten wollen, die Änderungsanträge, die die Koalitionsparteien gestellt haben, im Wirtschaftspolitischen Ausschuß gründlich beraten und den andern Antrag, der meines Erachtens nur Unruhe und Durcheinander stiften will, ablehnen sollten.
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Zur Begründung liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir treten in die Aussprache ein im Rahmen der bereits beschlossenen Redezeit von 60 Minuten. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Preusker.
Meine Damen und Herren! Die Drucksachen Nr. 3463 und 3464 tragen auch die Unterschrift der FDP. Aber ich möchte von vornherein keinen Zweifel darüber lassen, daß das bei weitem nicht alles ist, was wir uns zur Verbesserung des inzwischen eingetretenen Zustandes vom Bundestag und von der Bundesregierung erwarten. Wir haben bereits bei der dritten Lesung des Investitionshilfegesetzes die Erklärung abgegeben, daß uns eine Zustimmung zu diesem Gesetz sehr schwer fällt, daß wir dieses Gesetz als ein Gesetz des mangelnden Mutes vor den letzten Konsequenzen bezeichnet haben und daß wir uns schließlich in der Mehrheit der Fraktion nur deswegen dazu durchgerungen haben, die Zustimmung - nach erheblichen Verbesserungen - zu geben, weil uns die Erfüllung oder Schaffung von drei bestimmten Voraussetzungen verbindlich zugesagt worden war.
Die eine Voraussetzung wurde noch im Gesetz verankert. Es ist der - freundlicherweise auch in dem Antrag der FU erhalten gebliebene - § 36, der Paragraph, der die steuerliche Selbstfinanzierung von Investitionen der Grundstoffindustrien in gewissem Umfange gestattet. Die beiden anderen Voraussetzungen zur endgültigen Beseitigung dieses „Systems der Aushilfen und Umwege" sind leider auch bis zum heutigen Tage noch nicht erfüllt. Die eine Voraussetzung war nämlich die Wiederherstellung eines funktionsfähigen Kapitalmarktes, auf dem tatsächlich dann im Rahmen der Möglichkeiten unserer Volkswirtschaft allein der Preis darüber entscheidet, wer in der Lage ist, sich am Kapitalmarkt Kapital für volkswirtschaftliche
Investitionen zu beschaffen, und durch den dieser Preis, der Zins, zum unbestechlichen Lenker des vorhandenen Kapitals zu den volkswirtschaftlich dringlichsten und notwendigsten Investitionen wird.
Wir haben von unserer Seite aus nichts unversucht gelassen - es wurde vorhin schon einmal der Name Scharnbergausschuß genannt, dem für unsere Fraktion auch ich angehöre -, um die Lösung dieses Problems der Kapitalmarktauflockerung voranzutreiben. Wir müssen aber feststellen, daß diese Bemühungen, die wir in voller Übereinstimmung mit dem Bundeswirtschaftsminister begonnen haben, in der letzten Zeit auf wachsende Schwierigkeiten gestoßen sind, namentlich aus dem Bereich der Länderfinanzminister. Wir erwarten von den Länderfinanzministern doch, daß sie sich darüber klar werden, daß sie letzten Endes Steuern nur erhoffen können, wenn sie erst einmal die Grundlagen einer funktionierenden Wirtschaft in vollem Umfang berücksichtigen. Wir müssen ferner erwarten, daß die Bundesregierung sich mit allem Nachdruck dafür einsetzen wird, daß das jetzt dem Bundesrat vorliegende Gesetz zur Auflockerung Förderung des Kapitalmarktes mit größter Beschleunigung verabschiedet wird.
Die dritte Voraussetzung, die wir damals aufgestellt hatten, die Preisbereinigung auf dem Gebiet der Grundstoffe mit dem Ziele der Freigabe der Preise ist ebenfalls - das müssen wir hier betonen - vom Bundeswirtschaftsminister immer wieder vorangetrieben worden. Es hat sich auch erwiesen, daß die auf dem Gebiete des Schrottmarktes endlich erfolgte Freigabe inzwischen schon die Wirkung gehabt hat, daß dieser so außerordentlich knappe Gegenstand Schrott jetzt in ausreichendem Maße angeboten wird und daß bereits die erste Senkung des freigegebenen Schrottpreises erfolgen konnte.
Wir erwarten von der Bundesregierung, daß nunmehr auch in aller Kürze der zweite Schritt - die „zweite Halbzeit", wie es kürzlich einmal zum Ausdruck gebracht worden ist - auf dem Gebiet der Grundstoffe nachfolgt und die Freigabe der Preise und die Aufhebung der Lenkung und Bewirtschaftung auf den Gebieten erfolgt, auf denen sie noch existiert. Nur dann, wenn wir sicher sind, daß während des Stadiums der Beratungen dieser von uns mitunterschriebenen Anträge diese zweiten und dritten damals geforderten Voraussetzungen endlich erfüllt werden, wird sich unsere Fraktion dazu durchringen können, der abschließenden Durchführung dieses Gesetzes noch einmal eine Mehrheit zu verschaffen.
Wir müssen natürlich auch darauf bestehen, daß den in dem Antrag aufgestellten Forderungen einer Erhöhung der Freigrenze, einer Erstreckung der Fristen, einer Heranziehung der gemischtverarbeitenden Betriebe, einer Verbesserung der Verwertbarkeit der Papiere und schließlich einer vernünftigen Handhabung der Stundungs- und Erlaßrichtlinien nach ernsthafter Prüfung bis zum äußerst tragbaren Maß Rechnung getragen wird. Nach den Unterlagen, die wir bis jetzt über das Aufkommen an Investitionshilfe besitzen, sind wir sicher, daß die Möglichkeit besteht, hier erhebliche Zugeständnisse zu machen und sogar zu einer Herabsetzung des Satzes zu kommen. Wir sind auch sicher, daß die beschleunigte Durchführung des Kapitalmarkt-Förderungsprogramms den nunmehr eingeschlagenen Weg der Senkung des Diskontsatzes noch um einen weiteren Schritt vor({0})
antreiben läßt, so daß auch eine nochmalige Verbilligung der gesamten volkswirtschaftlichen Finanzierung eintreten kann.
Zum Abschluß möchte ich noch eine Bemerkung an den Kollegen Bertram richten. Sie haben vorhin zum Ausdruck gebracht, die Grundstoffindustrien hätten in der Zwischenzeit genügend Möglichkeiten zur Finanzierung gehabt. Das ist bedauerlicherweise nach wie vor nicht der Fall, wie wir leider nur zu genau wissen. Die Energiewirtschaft ist nach wie vor darauf angewiesen, daß sie weiterhin aus irgendwelchen Quellen die Mittel zur Finanzierung erhält. Aber auch die Eisen- und Stahlindustrie hat in den Betrieben, in denen demontiert wurde - und diese sollen ja hauptsächlich durch die Investitionshilfe finanziert werden keine andere Möglichkeit, als entweder über den Kapitalmarkt oder auf andere Weise zu Mitteln zu kommen. Da hilft ihr die Tatsache, daß andere Unternehmen besser verdienen, gar nichts.
Ich möchte noch hinzufügen: Dadurch, daß nunmehr eine natürliche Kursbildung bei den Wertpapieren der Muttergesellschaften der entflochtenen Gesellschaften auf dem Grundstoffgebiet eingetreten ist, hat keine dieser Gesellschaften auch nur einen Pfennig an Kapital für Investitionen erhalten. Die Notwendigkeit, noch erhebliche Mittel für die Finanzierung unserer demontierten und hinter den anderen Ländern zurückgebliebenen Grundstoffindustrien aufzubringen, besteht nach wie vor.
Wir wünschen aber - das möchte ich noch einmal unterstreichen -, daß wir ehe wir diese Anträge aus den Ausschüssen heraus zur Verabschiedung im Plenum bekommen, hinsichtlich der Kapitalmarktförderung, der Preisbereinigung und der Beseitigung der Lenkung und Bewirtschaftung bei den Grundstoffen endlich klar sehen können.
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Das Wort hat der Abgeordnete Raestrup.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten mache ich eine kurze Richtigstellung. Ich habe bei der Begründung des Antrags zum Schluß beantragt, den Antrag der FU nicht dem Ausschuß zu überweisen und ihn abzulehnen. Anscheinend habe ich nicht darauf hingewiesen, daß ich das nicht im Auftrage der Fraktion, sondern auf Grund meiner persönlichen Auffassung tue. In der Fraktion - ich war in der gestrigen Fraktionssitzung nicht anwesend - sind die Ansichten geteilt gewesen. Die einen sind für die Behandlung des Antrags im Wirtschaftspolitischen Ausschuß und anderen Ausschüssen gewesen, die anderen sind dagegen gewesen. Ich möchte das hier feststellen und noch betonen, daß bei der schlechten Besetzung der Fraktion, wie mir gesagt wurde, in der Abstimmung eine Mehrheit für die Überweisung in den Ausschuß gewesen ist. Ich möchte das hier richtigstellen, damit da kein Irrtum entsteht.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Naegel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns vor einem Jahr zum erstenmal in diesem Hause über die Investitionshilfe der deutschen Wirtschaft unterhalten. Wir haben damals ein freiwilliges Angebot des Gemeinschaftsausschusses der deutschen Wirtschaft zur Grundlage unserer Diskussion gemacht. Es ist uns
von vielen Seiten sehr übelgenommen worden, daß wir dieses Angebot nicht schnellstens in Gesetzesform gekleidet und hier verabschiedet haben, sondern daß wir es gewagt haben, hier unsere eigene Meinung zu sagen und in eine eingehende Prüfung einzutreten. Die Verhältnisse haben sich geändert. Man vergißt den Ausgangspunkt, und viele vergessen heute auch die Entwicklung, die sich schon zu dem damaligen Zeitpunkt gezeigt hat und die wir seitdem erlebt haben.
Denken wir doch einmal an die Situation zurück. Denken wir daran, daß wir damals über Sparmarken, über Abs-Plan, über Abschreibungsfinanzierungen und alle möglichen Dinge sprachen, denken wir auch daran, daß damals die Gefahr bestand, eine neue steuerliche Entwicklung einleiten zu müssen, um überhaupt die dringend notwendigen Mittel für die deutsche Grundstoffindustrie und die deutsche Energieversorgung zu bekommen. Wenn wir über die Grenzen hinaussehen und feststellen, was in den letzten Jahren allein in England an staatlichen Mitteln in die Grundstoffindustrie zu ihrer Modernisierung und Mechanisierung geflossen ist, womit eine wesentliche Kapazitätserhöhung und eine wesentliche Leistungssteigerung erreicht wurde, wenn wir weiter an die Entwicklung in Frankreich, Belgien und Lothringen, sogar in Italien denken, müssen wir die Notwendigkeit erkennen, unsere deutsche Grundstoffindustrie und Energieversorgung auf die Höhe der Leistungsfähigkeit der übrigen europäischen Länder zu bringen. Ich glaube, es wäre unklug, wenn wir uns dieser Erkenntnis verschließen wollten. Das war aber nur die Voraussetzung. Auf Grund dieser Voraussetzung des freiwilligen Angebots der deutschen Wirtschaft haben wir seinerzeit das Gesetz beraten und angenommen.
Die Verhältnisse haben sich geändert. Selbstverständlich müssen wir auch in der Gesetzgebung eine Wirtschaftspolitik treiben, die lebensnahe ist und die den Mut hat, sich den geänderten Verhältnissen anzupassen. Diesen Mut hatten wir. Wir haben schon lange nicht nur in der öffentlichen Diskussion, sondern auch bei Beratungen im kleineren Kreis immer wieder erkennen müssen, und zwar nicht erst seit 8 oder 14 Tagen, sondern seit Monaten, daß eine Anpassungsnotwendigkeit besteht. Ich selbst habe in der Öffentlichkeit in meiner Eigenschaft als einer der leitenden Männer des deutschen Einzelhandels oft genug über dieses Thema gesprochen und unseren Freunden gesagt: Wir haben seinerzeit zur Investitionshilfe ja gesagt, und bei diesem Ja bleiben wir. Aber wir verlangen und erwarten, daß eine Anpassung an die veränderten Verhältnisse erfolgt.
Diese Anpassung liegt in erster Linie einmal in einer Verschiebung der Zahlungstermine, damit eine Verlängerung der Aufbringungsfristen und -zeiträume eintritt. Es liegt uns weiter sehr viel daran, daß die Papiere oder Zertifikate oder wie man sonst die Guthaben, die durch die Aufbringungspflicht entstehen, nennen mag, besser ausgestattet werden. Darüber hinaus sollte man überlegen, ob nicht - zusätzlich zu dem Antrag, den der Kollege Raestrup hier eben begründet hat - noch weitere Erleichterungen eintreten könnten, meinetwegen durch eine Überprüfung der Aufbringungsgrundlage, der Bemessungsgrundlage. Man spricht von Freigrenzen, man spricht von anderen Möglichkeiten der Anpassung an die, sagen wir einmal, wirtschaftsgruppen- oder wirtschaftsstufenmäßige individuelle Lage. Ich kann mir vor({0})
stellen, daß alle diese Dinge eine große Berechtigung haben, und es wird notwendig sein, sie im Ausschuß eingehend zu prüfen. Ich bin der Auffassung, daß wir das, was wir seit Wochen und Monaten beraten haben, nunmehr in diesem Änderungsantrag sehr gründlich, aber vielleicht noch nicht bis zur letzten Feinheit niedergelegt haben.
Ich glaube, ich brauche Sie kaum zu bitten, diesem Antrag Ihre Zustimmung zu geben, bzw. der Überweisung dieses Antrags an den zuständigen Ausschuß zuzustimmen. Wir hatten mit der Erarbeitung und Formulierung etwas gezögert, weil wir nicht gern im unklaren bleiben mochten und gern erst einmal wissen wollten, was sich bei dem ersten Zahlungstermin an praktischen Ergebnissen herausstellte. Man hat nun festgestellt, daß ungefähr 150 Millionen DM eingezahlt worden sind, daß also doch ein ganz großer Teil der Aufbringungspflichtigen dieser Pflicht nachgekommen ist und ordnungsgemäß und termingerecht gezahlt hat. Darüber hinaus ist eine Reihe von Stundungsanträgen gestellt, die noch behandelt werden müssen, die aber damit noch keine endgültige Erledigung erfahren. Es scheint uns doch notwendig zu sein, festzustellen, daß wir uns seit Wochen und
Monaten mit dem Problem beschäftigen, daß wir aber mit Rücksicht auf das Ergebnis der ersten Zahlungstermine erst in den letzten Wochen diese Formulierungen gefunden haben, die Ihnen heute vorliegen. Gerade im Hinblick darauf scheint es mir notwendig zu sein, das zu unterstreichen, was Kollege Raestrup schon sagte: diejenigen, die ordentlich gehandelt und pünktlich gezahlt haben, würden ja doch in eine völlig schiefe Lage kommen, wenn wir nunmehr hergehen und das Gesetz völlig annullieren wollten.
Ich darf mich dabei auch noch einmal an den Herrn Kollegen Dr. Bertram wenden und gerade seine letzten Worte aufgreifen. Er sagte, es sei die Absicht des FU-Antrags, eine Anpassung des Gesetzes an die veränderten Verhältnisse zu erreichen. Ich glaube, daß dieses Ziel durch unseren Antrag besser erreicht wird als durch den etwas sehr weitgehenden totalen Ablehnungsantrag der FU. Ich persönlich und ein Teil meiner Freunde sind deshalb der Meinung, man sollte der Bitte, diesen FU-Antrag dem Ausschuß zu überweisen, nicht entsprechen, sondern den Antrag ablehnen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Jaffé.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fragen und Zweifel um das Gesetz, mit dessen beantragter Ablehnung bzw. Änderung in seinen wesentlichen Bestandteilen wir uns hier zu beschäftigen haben, wären kaum aufgetreten, wenn der Erlaß des Gesetzes sich nicht weit über Gebühr verzögert hätte. Wir haben hier ein Musterbeispiel dafür, wie schwer es ist, mit einem Wirtschaftsgesetz rechtzeitig akute wirtschaftliche Notstände zu beseitigen oder wenigstens zu mildern. Nachdem die gewerbliche Wirtschaft, die ja selber dauernd erhebliche und eindringliche Klagen vorgebracht hat über mangelnde Versorgung aus der Grundstoffindustrie, vor allen Dingen mit Kohle, mit Eisen und in sehr vielen Fällen auch mit Energie, sich in ihrer Gesamtheit dazu entschlossen hatte, eine Selbsthilfeaktion anlaufen zu lassen, hat sie, wie schon betont worden ist, immer wieder darauf gedrängt, nunmehr das Gesetz schnellstens zu verabschieden, damit es seine Wirksamkeit nicht einbüßte. Aber der langsame parlamentarische Weg - das ist nun einmal der Lauf der Dinge in einem demokratischen Staat - hat diese Hoffnungen doch etwas enttäuscht. Es ist dann - wenn ich mich recht entsinne, durch eingehende und sich immer wieder verzögernde Beratungen im Bundesrat - doch eine lange Zeit ins Land gegangen, ehe das Gesetz hier verabschiedet werden konnte.
Ich brauche nicht darauf einzugehen, wie die Dinge damals lagen. Ich darf aber doch noch einmal daran erinnern, daß im Grunde genommen eine Stützung der Grundstoffindustrie deswegen erforderlich schien, weil der fast stürmisch zu nennende Aufstieg der gewerblichen Wirtschaft schneller vorangeschritten ist als die Produktion der Grundstoffindustrie. Der Herr Kollege Bertram hat sehr richtig ausgeführt, daß die Dinge sich wesentlich geändert haben. Es erhebt sich aber natürlich die Frage, ob sie sich so geändert haben, daß eine völlige Aufhebung des Gesetzes - mit Ausnahme allerdings der Bestimmung über die Abschreibungsfreiheit in der Grundstoffindustrie - gerechtfertigt ist. Ich gebe zu, und meine politischen Freunde sind durchaus dieser Überzeugung, daß die Liquidität gerade in der verarbeitenden Industrie, vor allem im gewerblichen Mittelstand, im Handel und Handwerk, erheblich gesunken ist und daß dieser Mißstand in den Notstandsgebieten, zu denen auch mein Heimatland Niedersachsen und ebenso Schleswig-Holstein gehören - ich erinnere dabei nur an das bekannte West-Ost-Gefälle -, besonders fühlbar ist.
Aber in der Frage, ob deshalb eine Aufhebung des Gesetzes insgesamt - das beabsichtigt praktisch ja der Antrag der FU - berechtigt ist, sind wir doch zu der Überzeugung gekommen, daß diese Frage zu verneinen ist. Die Aktion ist nun einmal angelaufen, die Mittel sind teilweise schon den Investitionszwecken zugeführt, und der Geldeingang zeigt, wie eben schon betont wurde, daß die Durchführung anscheinend doch möglich ist. In diesem Zusammenhang darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die Stundungsanträge im ganzen bisher nur etwa 10 % ausmachen.
Berechtigte Änderungswünsche müssen erfüllt werden. Es ist schon gesagt worden, inwieweit die Gesetzentwürfe der Koalition diesen berechtigten Wünschen entgegenkommen. Es handelt sich dabei erstens um die bessere Verzinsung, zweitens um die attraktivere Ausgestaltung der Wertpapiere durch eine erhebliche steuerliche Begünstigung, drittens um die Verteilung der Aufbringung auf längere Zeiträume, viertens um die Befreiung von der Investitionsabgabe bei Einkommen von unter 10 000 DM in den beiden Jahren, auf der anderen Seite um stärkeren Zwang auf schnellere Ausgabe der Wertpapiere und letztens um die Aufhebung der allgemeinen dreijährigen Sperrfrist und Zulassung zum Börsenhandel nach den Bedingungen des Kuratoriums.
Wir glauben aber, daß man - da nun doch eine Überweisung der Änderungsanträge an den Ausschuß erforderlich sein wird - darüber hinaus noch etwas mehr tun sollte und daß für das Wesentlichste, was erreicht werden muß, nämlich die Liquidität der Aufbringungspflichtigen nicht mehr zu beeinträchtigen, als unbedingt erforderlich ist, noch ein weiterer Schritt getan werden sollte. Die Zeit, die vergeht, bis der Aufbringungspflichtige nach seiner Zahlung in den Genuß der
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Wertpapiere kommt, ist viel zu lang und wird
immer ein bis möglicherweise zwei Jahre dauern.
Wir halten es daher für zweckmäßig, daß eine
Zwischenfinanzierung mit Wertpapieren durch die
Industriekreditbank erfolgt, und zwar mit lombardfähigen Wertpapieren, damit der Aufbringungspflichtige dann in der Lage ist, seine Liquidität wiederherzustellen. Die Anleihe von 400 Millionen DM dürfte zur Zeit kaum zu placieren sein.
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- Ich bin sofort fertig. - Sie erscheint auch, wenn das Gesetz nur abgeändert, aber im ganzen beibehalten wird, nicht erforderlich.
Ich darf dann abschließend grundsätzlich noch sagen: das Beispiel dieses Gesetzes zeigt uns, wie wenig sinnvoll auf wirtschaftlichem Gebiet Zwangseingriffe aller Art sind. Wir glauben, daß man stattdessen einen funktionsfähigen Kapitalmarkt schaffen müßte, der gepflegt werden muß, damit das Vertrauen zurückkehrt. Dann werden Zwangsanleihen nicht mehr nötig sein. Wir glauben ferner, daß man noch intensiver eine Steuerpolitik treiben sollte, die die Substanz nicht mehr aushöhlt, sondern vor allem den mittleren und kleinen Betrieben Investitionsmöglichkeiten läßt, und die insbesondere dem Erneuerungsbedarf der Betriebseinrichtungen Rechnung zu tragen hat. Das würde zu endgültigen Lösungen führen. Die Investitionshilfe kann nur eine Übergangslösung sein und, das hoffe ich bestimmt, die letzte dieser Art.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist nun schon sehr erheblich überschritten. Ich bitte doch, nun abzuschließen.
Ich schließe damit ab, daß ich Sie bitte, die Anträge der FU abzulehnen und die beiden Änderungsanträge der Koalition an die vorgesehenen Ausschüsse zu überweisen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Paul.
Meine Damen und Herren! Bei der Behandlung und Verabschiedung des Investitionshilfegesetzes haben wir aus grundsätzlicher Stellungnahme wie aus den Erwägungen, daß damit die Bedarfsgüterindustrie stark belastet wird, den Gesetzesvorschlag abgelehnt. Die Reden der Herren aus den Koalitionsparteien am heutigen Tage sind eine offene Bankrotterklärung des damals angenommenen Gesetzes.
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Darüber kann selbst eine solche Tatsache nicht hinwegtäuschen - wenn sie stimmen sollte -, daß 140 Millionen DM bereits eingegangen sein sollen. Tatsache ist, daß man das Gesetz damals von einer falschen Situation aus beschlossen hat. Tatsache ist, daß sich die Bedarfsgüterindustrie und die Exportindustrie sehr stark gegen diese Zwangssteuer wehren. In der Tat haben Bedarfsgüterindustrie und Exportindustrie dazu auch alle Ursache. Sehen wir uns nämlich die Lage in der Schuhindustrie, in der Textilindustrie und in einer Reihe von Fertigwarenbetrieben der Metallindustrie einmal an. Wir werden feststellen, daß in dem Maße, wie zunehmend Material für die Rüstung herangezogen wird und der Zwangsexport an Kohle nicht gemindert, sondern gesteigert wurde, auf Grund all dieser Tatsachen und des verschärften Wettbewerbs auf
den kapitalistischen Märkten ein gewaltiger Produktionsrückgang und damit Kurzarbeit und auch Massenentlassungen in diesen Industrien eingetreten sind. Wir haben z. B. Rückgänge - wie Sie vielleicht selber wissen - in der Kunstfaserindustrie um über 50 %. Die bayerische Textilindustrie mußte 50 000 Arbeiter auf Kurzarbeit setzen. Ich las erst dieser Tage, daß die Howaldt-Werft in Kürze 500 Arbeiter zusätzlich entlassen muß, weil sie nicht genügend Bleche für die Schiffsreparaturen und für den Schiffbau erhält.
Nun schlägt man heute vor, die Zahlungstermine zu verschieben. Man schlägt weiter vor, die Zinsleistung zu erhöhen, und zwar von 4 auf 5 N. Man schlägt weiter vor, die Kleingewerbetreibenden bis zu 10 000 DM Einkommen von der Investitionsabgabe auszunehmen. Meine Herren von den Koalitionsparteien, w i r haben damals einen Abänderungsantrag gestellt, nach dem man von der Abgabe alle Betriebe bis zu 200 Beschäftigten ausnehmen sollte. Sie haben das damals abgelehnt. Heute müssen Sie selbst zugeben, daß es so nicht gehen kann, wie Sie damals gegen unseren Antrag hier beschlossen haben. Es gibt nur eine Lösung, die auch führende Wirtschaftler selbst vorschlagen. Man findet z. B. in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" Artikel von Herrn Gross, in denen gesagt wird, man müsse dieses Gesetz rücksichtslos aufheben. Glauben Sie doch nicht, daß Sie den Notstand der Bedarfsgüterindustrie und der Kleingewerbetreibenden durch die Aufschiebung der Zahlungstermine beheben können! Die Lage wird dadurch für diese Industriezweige nicht besser. Im Zeichen der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung wird die Lage für die Export- und Bedarfsgüterindustrie noch katastrophaler werden. Für die gesamte Wirtschaft gibt es nach unserer Meinung nur eine Lösung, nämlich dafür einzutreten, daß alle Beschränkungen, die unserer Wirtschaft auferlegt sind, aufgehoben werden. Der Zwangsexport an Kohle und Stahl muß aufhören, so daß wir die Möglichkeit erhalten, die Kohle und den Stahl in unserem eigenen Lande und in erster Linie zugunsten unserer Bevölkerung, zur Förderung der Exportindustrie, zur Erzeugung von Schwermaschinen und zur Erzeugung von lohnintensiven Fertigwaren der Metallindustrie zu verwenden.
Dazu ist weiter notwendig, daß man mit der bisherigen einseitigen Orientierung nach dem Westen bricht. Man muß entschieden kämpfen gegen die Warenembargos, gegen die Beschränkung des Handels mit dem Osten. Man muß eintreten für den freien Handel, im Rahmen des Kampfes um die Erreichung eines Friedensvertrags. Das ist die einzige Lösung für die westdeutsche Industrie. Die Lösung besteht nicht darin, daß man im Zuge der Praktizierung des Generalvertrags nun eine Rüstungswirtschaft aufzieht. Es wird ja bereits vor einer Rüstungskonjunktur durch 'den Wirtschaftsminister selbst gewarnt. Wir sind der Meinung - und das Haus sollte sich dazu durchringen, es hier ganz offen zu sagen, die Herren der Koalitionsparteien haben das selbst erklärt -: Dieses Gesetz hat Bankerott erlitten. Daraus sollte man die Schlußfolgerung ziehen, das Gesetz aufzuheben. Man sollte den Leuten, die die Gelder bereits gezahlt haben, diese Gelder zurückerstatten.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Kreyssig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ja eine alte Wahrheit, daß eine schlechte Sache nicht dadurch besser wird, daß man sie wiederholt oder mehrfach vorbringt. Ich hätte die Argumente, die der Kollege Bertram vorgetragen hat, ernster genommen, und man hätte sich vielleicht mit ihnen ernster auseinandersetzen müssen, wenn der Antrag, den er hier begründet hat, zum ersten Mal gestellt worden wäre.
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Aber derselbe Antrag ist am 22. November 1951 schon einmal gestellt worden, und es fällt mir ein bißchen schwer, nachdem damals der Antrag nicht durchkam, nun die angeblich jetzt so überzeugenden neuen Argumente ernst zu nehmen. Wir sind der Auffassung - Sie wissen es aus der Debatte, die wir bei der Annahme des Investitionshilfegesetzes gehabt haben -, daß die gesamte Investitionshilfe, die für die Schwerindustrie, die Grundstoffindustrien gegeben wurde, unzulänglich und unzureichend ist.
Nachdem eine Anzahl von Kollegen kleine Reminiszenzen an den reichlich merkwürdigen und kuriosen Werdegang dieses Gesetzes gegeben haben, möchte ich doch noch einmal daran erinnern, daß wir in der Steinkohle nach der anerkannten Ziffer der Fachleute, des Bundeswirtschaftsministeriums und aller sonstigen Instanzen in den nächsten drei Jahren jährlich 800 Millionen DM brauchen. Das sind 2,4 Milliarden DM.
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- Langsam, langsam, Herr Etzel!
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- Erst zuhören, dann reden! - Für die Eisenindustrie wird der Betrag auf jährlich 600 Millionen DM gerechnet. Das sind 1,8 Milliarden DM. Das ergibt zusammengerechnet einen zusätzlichen Bedarf von 4,2 Milliarden DM, den die beiden Grundstoffindustrien - außer ihren eigenen Mitteln, die sie durch Selbstfinanzierung aufbringen - nötig haben.
Der Gesamtinvestitionsbedarf - niemals war diese Summe bestritten - betrug 6 bis 7 Milliarden DM. Gegenüber diesem enormen Kapitalbedarf, der unsere Grundstoffindustrien so erweitern sollte, daß die Gesamtwirtschaft ein tragfähiges, gutes Fundament bekommt, hat der Bundestag mit Müh und Not unter vielen sehr merkwürdigen Umständen schließlich 1 Milliarde DM beschlossen.
Sie wissen, daß die Organisation für die europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit in Paris - OEEC - beschlossen hat, die Produktion in den nächsten Jahren um 25 % zu erhöhen. Das mußten schließlich auch die Kollegen der damaligen Zentrumsfraktion wissen, die nun mit der Bayernpartei in der Föderalistischen Union vereinigt ihren alten Antrag wiederholen. Es ist unmöglich, die erwünschte Produktionsausdehnung zu erreichen, wenn man die Grundstoffindustrien nicht entsprechend erweitert. Die Regierung selbst wird wahrscheinlich ein etwas beklommenes Gefühl im Hinblick auf das Schicksal der Investitionshilfe gehabt haben, weil die Regierung wiederum bei dem Verteidigungsbeitrag usw. die Steigerung der Produktion und die Steigerung des Sozialprodukts auf Grund der erweiterten Grundstoffindustrien zur Grundlage genommen hat.
Wir sind - und es ist, glaube ich, der richtige Augenblick, darauf hinzuweisen -, selbst wenn man diese bescheidene Milliarde aufbringt und nun wirklich endlich bis in die Investition hineinführt, immer noch in einer überaus schlechten Situation. Sie wissen, die Franzosen haben es bei der Kohletagung in Essen verhindert, daß ein langfristiges Investitionsprogramm für den Bergbau genehmigt wurde, weil man „den Schumanplan nicht präjudizieren" wollte! Sie wissen, die Franzosen haben erreicht, daß das Fachgremium der OEEC in Paris unsere Investitionsanträge für die August-Thyssen-Hütte und für Watenstedt-Salzgitter auf Eis gelegt und ihre Behandlung vorläufig zurückgestellt hat, wiederum weil die Franzosen es fertiggebracht haben, kein Präjudiz zu schaffen, wie sie erklären, und weil sie höchstwahrscheinlich der Überzeugung sind, daß nach dem erst einmal erfolgten Inkrafttreten des Schumanplans diese Fragen in einem anderen Gremium auch gegen uns entschieden werden.
Wir haben also eine im Grunde genommen zu späte und viel zu unzulängliche Investitionshilfe, und wir sind inzwischen durch die Verträge, nämlich die Montanunion, die hier im Hause gegen unsere großen und berechtigten wirtschaftlichen Bedenken ratifiziert worden ist, außerordentlich schwer gehandikapt und wahrscheinlich nicht einmal in der Lage, diese eine Milliarde richtig zu investieren.
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Die ganze Aktion - darüber ist sich, glaube ich, das ganze Haus einig - ist um 18 Monate zu spät gekommen. Wenn ein Kollege gesagt hat - ich glaube, der Abgeordnete Dr. Etzel ist es gewesen -, das ganze Investitionshilfegesetz sei aus der „Schrecksekunde des Korea-Krieges" entstanden, dann muß ich feststellen, daß seine Schrecksekunde 9 Monate gedauert hat;
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der Beginn des Krieges in Korea und die ersten Diskussionen um die „einjährig-freiwillige" Milliarde liegen 9 Monate auseinander, Herr Kollege Etzel.
Herr Naegel hat darauf hingewiesen, welche merkwürdige Entwicklung das Investitionshilfegesetz genommen hat. Erst war es der Abs-Plan; dann kamen die Sonderumsatz- und Luxussteuerpläne unseres Bundesfinanzministers; dann kam Professor Erhards Sparmarkenplan; schließlich kam jener gloriose 9. April 1951. Damals hat die deutsche Industrie bzw. haben deren wichtigste Vertreter, Herr Berg, Herr Petersen, Herr Raymond und wie sie alle heißen, ein sogenanntes „Sieben-Punkte-Programm" beschlossen. Sie haben es Herrn Professor Erhard mit auf den Weg nach Amerika gegeben, damit er über die Situation der Grundstoffindustrien beruhigt wegfahren konnte. In diesem Programm steht - und das soll man doch, wenn es nach so kurzer Frist wieder fragwürdig geworden ist und diskutiert wird, einmal in die Erinnerung zurückrufen -: „Die Investitionen der Grundstoffindustrien müssen in der nächsten Zeit den Vorrang vor anderen Investitionen der deutschen Wirtschaft haben."
Dann kam die zweite richtige und gute Einsicht. Diese lautete: „Aus dieser Erkenntnis betrachten die Vorsitzenden es als die Aufgabe der deutschen Wirtschaft, in eigener Verantwortung und aus eigener Kraft die erforderlichen Mittel hierfür aufzubringen."
Nun, wie das weitergegangen ist, wissen wir. In dem Mitteilungsblatt der Industrie- und Handelskammer München hat am 20. August 1951 im
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r Hinblick auf diesen Entschluß, den man als eine große Tat gefeiert hat, der folgende schöne Satz gestanden: „Allzuoft hatte das deutsche Unternehmertum sich sagen lassen müssen, es sei unfähig zur Bildung eines einheitlichen Willens, zur Durchführung eines gemeinschaftlichen Entschlusses und zur Unterordnung eigensüchtiger Wünsche unter die Notwendigkeiten des Staatsganzen." Damals war die Industrie und waren viele Kreise stolz, daß nun endlich ein Entschluß gefaßt wurde, und dann mußten wir im Anschluß daran während der Beratungen merken, zu welch einer kläglichen Interessenten- und Intrigenpolitik das Gesetz führte. Aber nun gar zu verlangen, nachdem es mühselig, wenn auch unzulänglich und zu spät, zustande gekommen ist, nachdem die Beiträge angelaufen sind und - wie Herr Bertram und die Vertreter dieses Antrags wissen müssen - eine Reihe von Vorhaben auf Grund dieser Investitionshilfe zugeteilt, genehmigt und vorfinanziert sind und dringlichst weiter finanziert werden müssen. - da also zu verlangen, daß man das ganze Investitionshilfegesetz einfach mit einem Federstrich beseitigen soll -, ein solches Verlangen kann man nur als den Wunsch bezeichnen, einen wirtschaftspolitischen Fehler allergrößten Ausmaßes zu machen.
Es bleibt die Tatsache bestehen, daß die Investitionshilfe ein Strukturproblem der deutschen Wirtschaft lösen sollte und nicht an irgendeine beliebige, sich natürlich ändernde Konjunkturlage gebunden war. Das entscheidende Prinzip - und das richtige Prinzip - der Investitionshilfe war und bleibt die Umlenkung von Investitionen, wenn man verhindern will, daß, wenn die Situation sich vielleicht in zwei oder drei Monaten ändert, ein
wilder Wettlauf nach Rohstoffen und Baumaterialien stattfindet und die Grundstoffindustrien dabei zu kurz kommen. Wir wissen selbstverständlich auch, daß sich zumindest seit dem April vorigen Jahres, aber auch seit November und Dezember des vergangenen Jahres in der Wirtschaft einiges geändert hat. Wir wissen, daß die Wirtschaft zum Teil stagniert, Rückschläge hat. Die Regierungsparteien haben das auch erkannt und haben daher ihre Abänderungsanträge gestellt. Der Herr Bundeswirtschaftsminister wird es wahrscheinlich demzufolge auch zur Kenntnis nehmen müssen. Wir haben also durchaus Verständnis dafür, ,daß in Abänderungsanträgen mit Fristverschiebungen usw. versucht wird, Härten, die jetzt auftreten und die man nicht voraussehen konnte, zu mildern. Die Sozialdemokratische Partei wird die letzte sein, die solchen Wünschen kein Verständnis entgegenbringt.
Ich darf Sie aber und möchte Sie daran erinnern, mein Damen und Herren, daß Sie es leichter gehabt hätten und nicht soviel zu korrigieren brauchten, wenn Sie den einen oder andern Antrag der sozialdemokratischen Fraktion im vorigen Herbst angenommen hätten. Wir haben damals erklärt und mit guten Gründen darauf hingewiesen, daß beispielsweise die Notstandsgebiete und die Grenzraumgebiete - und die Industrien in diesen Gebieten - zur Investitionshilfe nicht herangezogen werden sollten. Es ist doppelt tragisch, daß nun wieder eine neue, besonders verschärfte Situation in diesem Gürtel - ,dem roten Gürtel, wo es immer wieder wirtschaftlich brennt - entstanden ist. Hätten Sie damals unsere Anträge angenommen, hätten Sie sich wahrscheinlich einen Haufen Stundungen und Erlaßanträge erspart und hätten es heute etwas leichter, die Dinge so zu machen, daß sie für die Gesamtwirtschaft erträglich sind.
Nun, eines bleibt als Tatsache bestehen: das Investitionshilfegesetz darf nicht beseitigt werden! Die sozialdemokratische Fraktion wird deshalb dagegen stimmen, daß der Antrag der Föderalistischen Union an den Wirtschaftsausschuß überwiesen wird. Wir müssen trotz der Schwierigkeiten, die in den einzelnen Industrien vorhanden sind, uns immer wieder vor Augen halten, einmal daß die Situation möglicherweise sich in kurzer Zeit wieder ändern kann, zum andern daß je 1000 Tonnen Stahl, die nicht erzeugt werden, 30 Arbeitskräfte in den Grundstoffindustrien unbeschäftigt lassen und in der Weiterverarbeitung jeweils 550 Menschen keine Arbeit geben. Die Abwürgung des Investitionshilfegesetzes, also die Streichung dieser bescheidenen einen Milliarde, würde viele Tausende von Menschen ohne Arbeit lassen, ganz abgesehen davon, daß sehr schwere wirtschaftliche Schäden einfach dadurch eintreten würden, daß die begonnenen Vorhaben brach liegenbleiben würden.
Ich glaube, es ist nicht notwendig, daß ich auf Einzelheiten zu den Anträgen, die von der Regierungskoalition auf den Drucksachen Nrn. 3463 und 3464 eingereicht worden sind, näher eingehe Das sind im wesentlichen Fragen, die mit der Steuerpolitik oder auch der Prämienpolitik, die bei uns jetzt Mode wird, zusammenhängen. Darüber wird mein Fraktionskollege Seuffert Ihnen einiges sagen. Den Antrag der Föderalistischen Union, Drucksache Nr. 3387, bitten wir dem Ausschuß zu überweisen.
Ich möchte Sie abschließend darauf aufmerksam machen, daß die sozialdemokratische Fraktion bei der Ausschußberatung zur Diskussion stellen wird, daß der § 36 des Investitionshilfegesetzes auch auf die Wasserwirtschaft ausgedehnt werden soll. Ich glaube, das ist damals übersehen worden. Nachdem wir alle der Auffassung waren, daß vor allem im Ruhrgebiet wasserwirtschaftliche Probleme sehr großen Ausmaßes vorliegen
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und die Steuerbegünstigung, wie Sie sie betrieben haben, sehr modern geworden ist, sind wir der Auffassung, daß man das vergessene Wasser mit einbeziehen sollte.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur zweieinhalb Minuten. Die Notwendigkeit der Investitionshilfe bestreitet niemand, nicht einmal Herr Kollege Hagge, und wir entsinnen uns auch sehr gut des Werdeganges. Aber wir müssen auch heute noch einmal darauf hinweisen, daß ein Vertretungsgremium der Wirtschaft sehr gut beschließen kann. Ich möchte behaupten, daß dieses Gremium sehr schlechten Kontakt mit der mittleren Wirtschaft gehabt hat. Denn es bleibt schließlich doch - ich möchte sagen - die Ungerechtigkeit, daß derjenige, der, sagen wir einmal, tausend Mark aus gewerblicher Tätigkeit verdient und davon sein Einkommen und auch die Investitionen in seinem Betrieb zahlen muß, jetzt Lasten übernehmen muß, während ein anderer, der das gleiche Geld aus einer anderen als gewerblichen Tätigkeit gewinnt, keine Lasten zu
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übernehmen hat. Wir wissen, daß viele dieser Dinge durch den CDU-Antrag gemildert werden. Aber trotzdem halten wir es für ein Gebot der Fairness, daß beide Anträge dem Ausschuß überwiesen werden. Darum möchte ich Sie bitten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Rademacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, auf das Grundsätzliche des Investitionshilfegesetzes einzugehen. Ich habe meine Meinung schon bei der Verabschiedung des Gesetzes zum Ausdruck gebracht, eine Meinung, die auch von einer Anzahl meiner Kollegen ha meiner Fraktion geteilt wird.
Ich möchte aber noch einmal zu den Fragen des Verkehrs sprechen. Ich habe seinerzeit den Versuch unternommen, zu erreichen, daß der gesamte Verkehr aus der Investitionshilfe herausgenommen wird. Das ist leider nicht gelungen. Das Bild sieht jetzt so aus, daß die Deutsche Bundespost, die Deutsche Bundesbahn, die Binnenschiffahrt, die Küstenschiffahrt, die Hochseeschiffahrt, die nichtbundeseigener. Eisenbahnen und öffentlichen Verkehrsbetriebe befreit sind. Damit ist nur ein sehr geringer Teil des Verkehrs von der Abgabe nicht befreit. Darin sehen die Betroffenen eine außerordentliche Verletzung des Gleichheitsprinzips, dessen Einhaltung im Grundgesetz vorgeschrieben ist. Aus diesem Grunde haben die Benachteiligten auch eine sehr fundierte Verfassungsbeschwerde eingereicht.
Zweck meiner wenigen Ausführungen ist es also, Sie zu bitten, meinem Antrag zuzustimmen, den ich bereits dem Herrn Präsidenten übergeben habe, die Drucksache Nr. 3463 - und zwar nur diese - auch dem Ausschuß für Verkehrswesen zu überweisen. Die Behandlung im Ausschuß für Verkehrswesen braucht keine Verzögerung zu bedeuten; sie kann eine rein formelle sein. Ich stehe bereits mit dem Herrn Vorsitzenden des Wirtschaftspolitischen Ausschusses in Kontakt, um diese berechtigten Gründe, die ich hier bereits vorgetragen habe, bei der Behandlung im Wirtschaftspolitischen Ausschuß in Gegenwart von Vertretern meines Ausschusses zu behandeln.
Ich möchte aber zu diesen Verkehrsfragen ein weiteres Wort sagen und eine weitere Anregung geben. Im Gesetz ist noch ein eklatanter Fall der Ungerechtigkeit zu finden. Sie alle in diesem Hause haben Ihre Bereitschaft erklärt, die deutsche Seeschiffahrt wieder aufzubauen. Dazu gehört die gesunde wirtschaftliche Grundlage der deutschen Werten. Wenn Sie im Gesetz sagen, daß die bundeseigenen Werften von der Abgabe befreit sind, die privaten Werften dagegen nicht, dann haben Sie, meine Damen und Herren, einen weiteren Fall der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes, wie er kaum schlimmer gedacht werden kann. Ich darf auch auf folgendes hinweisen. Es handelt sich hier darum - und zwar sowohl bei den Verkehrs- als auch zum Teil bei den Werftfragen; denn es gibt sehr viele kleinere Werften, die betroffen sind -, die so oft versicherte Mittelstandspolitik nun auch einmal auf diesem Gebiet durch gleiche Behandlung durchzusetzen.
Ich darf noch einmal darum bitten, die Drucksache Nr. 3463 aus den von mir angeführten Gründen auch dem Verkehrsausschuß zu überweisen, und ich darf hoffen, daß sich der Wirtschaftspolitische Ausschuß bei seiner Beratung der Frage der Werften besonders annimmt.
Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist für Sie, meine Herren von der Mehrheit des Hauses, sicherlich kein Vergnügen, den wirren Scherbenhaufen zu verteidigen, den Sie mit diesem Gesetz trotz unserer vielen Warnungen aufgehäuft haben.
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Es ist natürlich fast genau so peinlich, mit so matten Argumenten, wie sie von Ihrer Seite vorgebracht worden sind, der Feststellung entgegenzutreten, daß dieses Gesetz ein Fehlschlag und eine gefährliche Halbheit ist, wie es in diesem Augenblick peinlich wäre, die Richtigkeit dieser Feststellungen einfach zugeben zu müssen.
Ich will aber jetzt nicht zu den Anträgen des Zentrums, sondern nur zu dem Antrag Drucksache
Nr. 3463 der der Mehrheit dieses Hauses gestellt ist, sprechen. Ich will hier auch nicht weiter zu den Fragen der Verschiebung von Terminen und Fristen Stellung nehmen, zu den Fragen, die durch den rasanten Schwung entstanden sind, den Schwung der Einjährig-Freiwilligkeit, mit dem sich das, was man deutsche Wirtschaftskreise und ihre Vertreter in diesem Hause nennt, in ihrem Verantwortungsbewußtsein und ihrer Opferbereitschaft auf dieses Problem gestürzt haben,
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sondern ich will mich lediglich mit der Ziffer 1 Ihres Antrages beschäftigen, worin Sie vorsehen, daß die Zinsen für die Aufbringungsguthaben nicht nur erhöht werden, sondern auch in vollem Umfang steuerfrei sein sollen. Ich glaube, ich habe Veranlassung, mich mit diesem merkwürdigen Versuch zu beschäftigen, den Pelz, der zu waschen ist, ja nicht naß zu machen und an der natürlichen Logik der Tatsache vorbeizukommen, daß die Ausführung einer Zahlung nun einmal die Liquidität im Augenblick beeinträchtigt. - Auch deswegen, weil im Zusammenhang mit dieser Frage bereits auf das dem Bundesrat vorliegende Gesetz zur Festigung des Kapitalmarkts hingewiesen worden ist.
Meine Damen und Herren, Sie werden sich keinen Illusionen darüber hingeben, daß die Sozialdemokratie eine derartige Politik nicht mitmachen kann. Wenn sie unter der Pflege des Kapitalmarkts ständig und nur verstehen, Einkommen, höheres Einkommen, arbeitsloses Einkommen mit Steuerbegünstigung zu versehen, wenn Sie glauben, diese sogenannte Pflege des Kapitalmarkts ständig durch Kürzung der Steuermittel vornehmen zu können, wenn die zur Festigung der Lebenshaltung, zur Festigung der Kaufkraft der breiten Massen, aus der allein eine gesunde Grundlage des Kapitalmarkts hervorgehen kann, zu verwenden wären, werden sie auf den schärfsten Widerspruch der Sozialdemokratie stoßen. Dieses Gesetz war von Anfang an nichts anderes als ein Ausweichmanöver vor den echten Forderungen einer notwendigen Investitionslenkung und einer notwendigen Sicherung der Grundlagen der Wirtschaft; und es konnte nicht klarer werden, wie haltlos, zwiespältig und ohne Grundlage diese Politik ist, wenn in demselben Atemzug, in dem dieses Gesetz verteidigt wurde, von Ihnen, Herr Kollege Dr. Preus({2})
ker, die Forderung aufgestellt wurde, daß auch auf dem Gebiete des Kapitalmarktes, daß auch in den Fragen der Kapitalverwendung derjenige den Vorrang zu erhalten habe, der den besten Preis für das Kapital zu zahlen habe. Herr Kollege Dr. Preusker, wer den teuersten Preis für das Kapital zahlen kann, das haben wir denn doch in den letzten Jahren reichlich gut gesehen und sehen es noch jeden Tag daran, wie die Kinos und Vergnügungspaläste aus dem Boden geschossen, die Wohnungen zurückgeblieben sind
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und leider - man muß es sagen - auch einige reichlich übertriebene Fabrikausstattungen und Verwaltungsgebäude auf diesem Wege entstanden sind. Meine Damen und Herren! Den Kapitalmarkt festigt man nicht dadurch, daß man Steuermittel zur einseitigen Förderung privater Kapitalbildung verwendet. Den Kapitalmarkt fördert man nur durch die Festigung der Grundlagen der Wirtschaft und nicht ohne Sicherung des Geldwerts und des Staatskredits. Durch die einseitige Verwendung von Steuermitteln aber zu dem Zwecke, wie sie hier und in den folgenden Gesetzen angestrebt werden soll, durch eine solche einseitige Verwendung und eine Art und Weise, die zudem noch sozialen Unfrieden schafft, werden Sie nicht eine Sicherung, sondern eine Gefährdung des Kapitalmarktes erreichen.
Herr D r. P r e u s k er, noch ein Wort! Sie haben mit dem Ihnen zustehenden Stolz auf die Bemühungen und Ergebnisse des sogenannten Scharnberg-Ausschusses hingewiesen.
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Das ist ein Weg, auf dem Sie sorgfältig jedes Gespräch und auch nur jeden Meinungsaustausch mit der Opposition vermieden haben, ein Weg, den Sie nun offenbar in allen Fragen hier einschlagen wollen, wie Sie es ja in vielen Fragen, die in letzter Zeit dieses Haus beschäftigt haben, getan haben, während Sie gleichzeitig ganz offenbar das Bemühen haben, das letzte Viertel Ihrer glorreichen Regierung
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zu einer Akzentuierung Ihrer Politik zu verwenden, die sich soweit wie möglich von allen möglichen Grundlagen einer Verständigung entfernt. Ich möchte im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Dr. Preusker, die Erwartung und die Hoffnung aussprechen, daß die Finanzminister der Länder, die ja erfreulicherweise ohne Rücksicht auf ihre Parteistellung, soweit wir sehen können, aus sachlichen und nicht aus politischen Überlegungen zu handeln pflegen, die Bedenken, die Sie sehr mit Recht vorgebracht haben, auch weiter festhalten werden, die Bedenken gegen diese einseitige Verwendung der Steuergelder.
Zum Schluß möchte ich noch eins sagen. Ich glaube nicht, daß man den Kapitalmarkt auf die Dauer durch Maßnahmen festigen kann, deren Grundlagen bei einer Änderung der politischen Grundlagen in diesem Parlament so fragwürdig werden müssen, daß sie geradezu naturnotwendig beseitigt werden müssen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Preusker.
Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Seuffert, wir werden uns über dieses Problem sicher in den Ausschüssen noch sehr eingehend unterhalten müssen, aber gestatten Sie mir ein paar Bemerkungen zu dem, was Sie sagten, weil es, glaube ich, notwendig ist, um einige falsche Eindrücke nicht erst aufkommen zu lassen. Es dreht sich nicht um irgendwelche Steuergeschenke, die mit der Steuerbefreiung der Zinsen aus den Papieren des Investitionshilfegesetzes oder später durch die teilweise Befreiung bei den endgültig emittierten Papieren gemacht werden sollen, sondern es handelt sich darum, dafür zu sorgen, daß die Zinssätze, die sich in unserem kapitalarmen Lande herausbilden würden, nicht die Höhe erreichen, die sie sonst ohne Zweifel erreichen müßten. Wir wollen gerade dadurch vermeiden, daß eine derartige Belastung der Preisentwicklung für die letzten Konsumenten eintritt, daß daraus eventuell unsoziale Rückwirkungen entstehen könnten.
Wir sind uns weiter auch klar darüber, daß wir infolge der Verbreiterung der Lebensgrundlagen unseres Volkes allmählich eine Stärkung des Kapitalaufkommens erwarten dürfen, daß also der Preis für das überlassene Kapital genau wie nach dem ersten Weltkrieg nach der Wiederaufbauphase zurückgehen wird, und wir wollen deswegen von vornherein versuchen, ein einigermaßen tragbares, wirtschaftlich vernünftiges Zinsniveau mit geeigneten Mitteln anzustreben.
Noch eine zweite Bemerkung. Sehen Sie, gerade von unserer Seite ist damals mit besonderer Energie der Gedanke des Wohnbausparprämiengesetzes vertreten, der Antrag von uns eingebracht worden, und zwar - ich darf das hier einmal zu einer Bemerkung des Herrn Kollegen Kreyssig sagen - damals mit wärmster Unterstützung gerade auch Ihres verstorbenen Kollegen Klabunde, der in diesem Punkte absolut mitgezogen hat. Ich möchte gleich hinzufügen: Es war unsere Absicht, neben das allgemeine Kapitalmarktförderungsgesetz von vornherein auch über die Regierungsebene ein allgemeines Prämienspargesetz zu setzen, das auch dem kleinsten Sparer, der nicht auf das Wertpapier-, sondern auf das Sparkontosparen ausgeht, mindestens die gleichen, wenn nicht noch höhere Begünstigungen einräumt. Es ist das leider an dem Widerstand einiger, wie ich glaube, Länderfinanzminister gescheitert. Man kann aber nicht sagen, wenn es unsere Absicht war, dieses Gesamtwerk vorzulegen, daß es weniger sozial ist, wenn nur ein Teil davon übrigbleibt. Wir werden uns daher in der Koalition an dem Tage gestatten, an dem das Kapitalmarktförderungsgesetz zur Debatte steht, als Initiativantrag das allgemeine Prämiengesetz mit einzubringen, und wir rechnen dann doch damit, daß Sie das ganze Werk als einen Weg ansehen werden, den Sie gemeinsam mit uns gehen können.
Nun lassen Sie mich noch etwas zu Ihrer Bemerkung sagen, wir wollten Sie von der Mitarbeit ausschließen. Herr Kollege Seuffert, was wir hier gemacht haben, war, eine beratende Funktion bei der Bundesregierung auszuüben, um sie instand zu setzen, gewisse Wünsche der Koalition als ihren Entwurf dem Bundestag vorzulegen. Wenn Sie das überlegen, können Sie, glaube ich, nicht davon sprechen, daß Sie irgendwie von etwas ausgeschlossen worden wären. Wir werden uns im Gegenteil sehr freuen, wenn diese Gesetzesvorlagen hier zur Beratung stehen, mit Ihnen den Weg gemeinsam zu
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gehen, und wir hoffen, daß wir, nachdem wir gerade in der Frage des Wohnbausparprämiengesetzes damals Ihre volle Unterstützung hatten, diese Unterstützung auch auf diesem Wege bekommen werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bertram.
Meine Damen und Herren! Wenn wir seitens der Föderalistischen Union den Antrag gestellt haben, die §§ 1 bis 35 des Gesetzes aufzuheben, so fällt darunter der größte Teil des Gesetzes, aber keineswegs der bedeutendste Teil.
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- Nein, das ist nicht natürlich. § 36 des Investitionshilfegesetzes ergibt einen jährlichen Sonderabschreibungsbetrag von 750 Millionen DM. Also allein § 36 hat für die drei- oder vierjährige Laufzeit des Gesetzes einen wesentlich höheren wirtschaftlichen Effekt als die gesamte Milliarde, und zwar mehr als das Doppelte. insofern ist § 36 wirtschaftlich mindestens doppelt so gewichtig wie die vorhergehenden 35 Paragraphen. Es ist daher nicht richtig, daß wir verlangt hätten, das gesamte Gesetz aufzuheben. Nicht nur aus bloßer Freundlichkeit wollen wir diesen Paragraphen in dem Gesetz lassen, sondern er scheint uns eine organische Kapitalmarktförderung zu sein.
Es ist gar kein Streit darüber, daß eine Förderung der Grundstoffindustrien möglich und auch notwendig ist. Die Ausdehnung der gesamten deutschen Industrie um einen entsprechenden Prozentsatz ist aber verlangt. Das Investitionsfinanzierungsprogramm allein für das Jahr 1952 sieht einen Gesamtkapitaleinsatz der Grundstoffindustrien von 4 1/2 Milliarden vor. In diesen 4 1/2 Milliarden spielt der von uns zum Wegfall vorgeschlagene Betrag nur eine geringfügige Rolle.
Soweit es sich um Versorgungsbetriebe handelt, ergänzt unser Antrag bezüglich der Zurverfügungstellung von Anleihemitteln in Höhe von 400 Millionen die Lücke, und zwar genau in der gleichen Höhe, wie es sonst das Investitionshilfegesetz tun wollte. Dieser Weg ist aber ebenfalls eine organische Förderung und kein so willkürlicher Eingriff in die gesamte privatrechtliche Struktur unserer Wirtschaft wie das Investitionshilfegesetz. Deshalb ist es durchaus möglich, die notwendigen Vorhaben auf diesem Wege und nicht auf dem Wege der §§ 1 bis 35 des Investitionshilfegesetzes zu finanzieren.
Es handelt sich also nur um einen Streit über den notwendigen Weg, und hier allerdings - das muß ich sagen - ist der Weg, wie ihn die Regierungsparteien nochmals gehen wollen, ein Weg, der unseren Auffassungen vom Privateigentum so diametral entgegengesetzt ist, daß wir diesen Weg unter gar keinen Umständen mitgehen können. Selbst wenn dieser Antrag, wie Herr Kollege Kreyssig sagt, taktisch nicht günstig gestellt sein sollte, können wir ihn prinzipiell unter keinen Umständen zurücknehmen und müssen deshalb auf der Behandlung dieses Antrages bestehen.
Ich möchte noch auf einen Gesichtspunkt hinweisen, der lediglich die Geschäftsordnung betrifft. Wir haben einen Antrag eingebracht - bereits vor mehreren Wochen, am 16. Mai -, der der auslösende Antrag für einen Änderungsantrag der Regierungsparteien gewesen ist. Wenn zunächst von unserer Seite ein Änderungsantrag gestellt worden ist und später ein anderer Änderungsantrag zum gleichen Gesetz kommt, scheint es mir höchst unkollegial zu sein, zu beantragen, den zweiten Änderungsantrag einem Ausschuß zur Beratung zu überweisen, den ersten Änderungsantrag aber hier kurzerhand niederzustimmen. Das ist dein Fall ähnlich, daß jemand, nachdem er gesprochen hat, den Antrag stellt: nunmehr beantrage ich Schluß der Debatte. Ein derartiges Verfahren wird auch sonst nicht als besonders korrekt angesehen. Ohne Rücksicht darauf, ob Sie dem Grundgedanken unseres Antrages zustimmen, bitte ich Sie deshalb, zum mindesten die Überweisung zu beschließen, nachdem Sie selber mit Ihrem Antrag anerkannt haben, daß ein Bedürfnis zur Abänderung vorliegt.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; dann ist damit die Aussprache erledigt.
Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über die Drucksache Nr. 3386. Es ist Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik beantragt. Ich bitte diejenigen, die dieser Überweisung zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Die Mehrheit ist nicht klar feststellbar; es muß durch Hammelsprung entschieden werden. Wer für die Überweisung der Drucksache Nr. 3386 an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik ist, stimmt mit Ja, wer dagegen ist, mit Nein. Darf ich bitten, den Saal so schnell wie möglich zu räumen.
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({1})
Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
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Ich bitte, die Abstimmung zu schließen, die Türen ebenfalls.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung über den Überweisungsantrag bekannt. Mit Ja haben gestimmt 118, mit Nein 180 Abgeordnete bei 7 Enthaltungen. Der Überweisungsantrag ist abgelehnt.
Damit erübrigt sich heute eine weitere Abstimmung über die Drucksache Nr. 3386. Sie wird zu gegebener Zeit zur zweiten Beratung auf die Tagesordnung gesetzt werden.
Wir kommen zu Punkt 6 b, Drucksache Nr. 3387. Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik. Noch an einen weiteren Ausschuß?
({1}) - Besteht darüber Einmütigkeit?
({2})
Es ist also beantragt Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik, offenbar einmütig?
({3})
Darf ich fragen, wer gegen die Überweisung an den Ausschuß für Geld und Kredit ist?
({4})
- Die Damen und Herren, die jetzt dagegen stimmen, als „niemand" zu bezeichnen, geht doch zu weit.
({5})
({6})
- Also die Überweisung an den Ausschuß für Geld und Kredit ist auch erfolgt.
Noch ein weiterer Ausschuß?
({7})
- Meine Damen und Herren, es steht doch jedem Abgeordneten frei, die Mitbeteiligung von Ausschüssen zu beantragen.
({8})
- Also es ist vorgeschlagen worden, wegen der Steuerbegünstigung auch noch an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen zu überweisen. Darf ich fragen: ist man gegen die Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen?
({9})
- Das ist keine Mehrheit. Die Überweisung ist erfolgt.
Herr Abgeordneter Jacobi hat Überweisung an den Ausschuß für Kommunalpolitik beantragt.
({10})
- Herr Kollege Gengler, Ihre Stimme ist eine von 420! - Wer ist dafür, daß an den Ausschuß für Kommunalpolitik überwiesen wird? - Wer ist dagegen? - Das letztere ist die Mehrheit. Die Überweisung ist abgelehnt. Weitere Anträge sind nicht gestellt.
Ich komme zu Punkt 6 c. Zunächst Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik, wohl ohne Widerspruch?
({11})
- Darf ich fragen, wer dagegen ist. - Auch wenn Sie sitzen bleiben, sehe ich Sie, Herr Kollege Bertram. Ihre Stimme wird durch das Erheben nicht gewichtiger.
({12})
- Es sind also einige wenige Stimmen dagegen; aber die Überweisung ist dennoch erfolgt.
Dann Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen?
({13})
- Einverstanden! Oder ist jemand dagegen? - Sie sind dagegen, Herr Kollege Dr. Bertram? ({14})
- Zur Kenntnis genommen. Gegen wenige Stimmen.
Herr Kollege Rademacher hat Überweisung an den Ausschuß für Verkehrswesen beantragt, wenn ich recht verstanden habe.
({15})
Zunächst: wer ist gegen die Überweisung an den Ausschuß für Verkehrswesen? - Wer ist dafür? - Das erste war unzweifelhaft die Mehrheit.
Herr Kollege Köhler möchte den Antrag gern dem Ausschuß für Jugendfürsorge überweisen. Wer ist dafür?
({16})
- Herr Kollege Köhler zieht den Antrag zurück. Ich darf ergebenst bitten, nicht durch nicht ernstgemeinte Anträge die Abwicklung der Geschäfte zu verzögern.
({17})
Ich komme zu 6 d. Auch Ausschuß für Wirtschaftspolitik und Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen? Ist das Haus damit einverstanden? - Wer ist dagegen? - In diesem Falle niemand. Das ist einmütig beschlossen. Damit ist Punkt 6 der Tagesordnung erledigt.
Ich komme zu Punkt 7:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung kriegsbedingter gewerberechtlicher Vorschriften ({18}).
Die Regierung verweist auf die schriftliche Begründung. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf eine Aussprache zu verzichten. - Das Haus ist damit einverstanden. Ich schlage Ihnen vor, den Antrag dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu überwisen.
({19})
- Die Überweisung ist erfolgt. Der Punkt ist erledigt.
Zu Punkt 8 ist eine Vereinbarung unter den Fraktionen darüber erzielt worden, daß dieser Punkt:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ({20}),
heute abgesetzt werden soll. Ich darf annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist und daß die Frage, wann der Punkt wieder auf die Tagesordnung kommen soll, der Vereinbarung im Ältestenrat überlassen bleibt. - Das Haus ist damit einverstanden. Punkt 8 ist damit abgesetzt.
Ich komme zu Punkt 9:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Kapitalverkehr ({21}).
Hier verweist die Regierung auf die schriftliche Begründung, die Ihnen gedruckt vorliegt. Der Ältestenrat schlägt Ihnen Verzicht auf Aussprache vor. - Das Haus ist damit einverstanden. Überweisung an den Ausschuß für Geld und Kredit ist offenbar gemeinsame Überzeugung des Hauses.
({22})
- An den Ausschuß für Wirtschaftspolitik ebenfalls. Darf ich die Frage stellen: auch an den Ausschuß für Kommunalpolitik?
({23})
- Das ist ebenfalls die gemeinsame Überzeugung des Hauses.
({24})
- Einige Herren sind dagegen; die meisten sind dafür.
({25})
- Meine Damen und Herren, stimmen wir ab!
Wer ist für die Überweisung dieses Gesetzentwurfs
an den Ausschuß für Kommunalpolitik als mitberatenden Ausschuß? - Wer ist dagegen? - Das
erste war die Mehrheit; die Überweisung ist erfolgt.
Meine Damen und Herren, ich rufe auf Punkt 10:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs
eines Gesetzes betreffend das Protokoll vorn
16. Februar 1952 über Zollvereinbarungen
zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der Türkei ({26});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für
Außenhandelsfragen ({27}) ({28}).
({29})
({30})
Dazu Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen. Herr Abgeordneter Serres, bitte!
Dr. Serres ({31}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Drucksache Nr. 3427 ist dem Hohen Hause der Entwurf eines Gesetzes betreffend das Protokoll vom 16. Februar 1952 über Zollvereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei vorgelegt worden. Das Gesetz ist in erster Lesung dem Ausschuß für Außenhandelsfragen überwiesen worden, der sich mit den Einzelheiten befaßt hat, insbesondere mit dem Protokoll selbst, das Sie in Anlage 1 finden, sowie mit den Anlagen 2 und 3, die die Listen der Tarifzugeständnisse beider Partner enthalten.
Mit der Türkei ist im Rahmen des GATT-Abkommens im vergangenen Herbst verhandelt worden, wobei die Paraphierung der Zollzugeständnislisten zustandegekommen ist. Jedoch ist später eine Unterzeichnung der Listen unterblieben, da die Türkei ihre endgültige Zustimmung davon abhängig gemacht hatte, daß die Bundesrepublik eine wesentliche Senkung der Tabaksteuer vornähme. Die Bundesrepublik sah sich zu dieser Konzession außerstande, da es sich bei der Tabaksteuer um eine innere Abgabe handelte und sie der Auffassung war, sie könne im Rahmen der Verhandlungen des GATT dieses Zugeständnis an den GATT-Partner nicht machen. Auf diese Weise ist ein Schwebezustand entstanden, der sich für die beiderseitigen Wirtschaftsbeziehungen hinderlich ausgewirkt hat. Das hatte zur Folge, daß mit der Türkei im Frühjahr dieses Jahres erneut verhandelt worden ist. Diese Verhandlungen haben zu dem Protokoll vom 16. Februar 1952 geführt.
Sie finden in der Anlage 2 die Liste der Tarifzugeständnisse, die die Bundesrepublik der Türkei gemacht hat. Die Liste A enthält einige Konzessionen auf dem Gebiete der Ernährung. Als eine der wichtigsten möchte ich nur kurz die Position 08 04, Weintrauben getrocknet, erwähnen, wo statt des bisherigen Zollsatzes von 10 % der Türkei Zollfreiheit gewährt worden ist. Daneben finden sich einige andere Zollsenkungen, die der Türkei konzediert worden sind. Im übrigen ist bei einer Reihe von Positionen die Bindung der Zölle vereinbart worden.
In der Liste B finden Sie die Tarifzugeständnisse der Türkei an die Bundesrepublik, die wesentlich umfangreicher sind, wobei zu bemerken ist, daß die Türkei noch das Gewichtszollsystem hat. Die Konzessionen der Türkei an die Bundesrepublik umfassen die Gesamtheit der Artikel, die für die Ausfuhr Deutschlands nach der Türkei traditionell sind.
Der Ausschuß ist in seinen Beratungen zu der Überzeugung gekommen, daß die Listen A und B und damit im Zusammenhang das Protokoll IV wesentliche Erleichterungen für den deutsch-türkischen Handelsverkehr bedeuten. Der Ausschuß war daher einstimmig der Auffassung, dem Protokoll zuzustimmen. Ich habe die Ehre, Sie zu bitten, den Antrag des Ausschusses gemäß Drucksache Nr. 3459 anzunehmen, der wie folgt lautet:
Der Bundestag wolle beschließen,
dem Entwurf eines Gesetzes betreffend das Protokoll vom 16. Februar 1952 über Zollvereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei - Nr. 3427 der Drucksachen - unverändert nach der Vorlage zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf eine allgemeine Aussprache in der dritten Beratung zu verzichten.
Ich rufe zur zweiten Beratung auf Art. I, - Art. II, - Art. III, - Einleitung und Überschrift. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich bitte die Damen und Herren, die den aufgerufenen Artikeln, der Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; angenommen.
Zur
dritten Beratung
entfällt eine Einzelbesprechung, da keine Änderungsanträge gestellt sind. Gemäß § 88 entfällt eine Schlußabstimmung. Ich muß aber in der dritten Beratung, um zu einer Abstimmung zu kommen, über Art. I, Art. II, Art. III, Einleitung und Überschrift abstimmen lassen. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; das Gesetz ist angenommen.
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 11 auf:
Erste Beratung des Entwurf eines Gesetzes über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königkreich Belgien betreffend Grenzgänger vom 18. Januar 1952 ({0}).
Die Regierung verweist auf die gedruckte Begründung. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf
eine Aussprache zu verzichten. - Das Haus ist
damit einverstanden.
Ich schlage Ihnen die Überweisung an den Ausschuß für Arbeit vor. - Das Haus ist damit einverstanden; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe Punkt 12 auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien betreffend Gastarbeitnehmer vom 18. Januar 1952 ({1}).
Hierfür gilt das gleiche wie für Punkt 11. Ich
schlage Ihnen ebenfalls Überweisung an den Ausschuß für Arbeit vor. - Das Haus ist damit einverstanden; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe Punkt 13 auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat betreffend Gastarbeitnehmer ({2}).
Ich bin darüber unterrichtet worden, daß die Fraktionen vereinbart haben, auf die vom Ältestenrat vorgeschlagene Redezeit von 40 Minuten zu verzichten, und daß eine Überweisung ohne Debatte an den Ausschuß vorgesehen ist, und zwar ebenfalls Überweisung an den Ausschuß für Arbeit. - Das Haus ist damit einverstanden. Die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Beschäftigung Schwerbeschädigter ({3}) ({4}).
({5})
Die Regierung verweist auf die schriftliche Begründung des Gesetzes. Eine mündliche Begründung ist nicht vorgesehen.
Mir ist der Wunsch der Fraktionen mitgeteilt worden, auf eine Aussprache zu verzichten und das Gesetz ohne Aussprache an den zuständigen Ausschuß zu verweisen. Ist das Haus damit einverstanden?
({6}) - Ich höre „Nein"?
({7})
- Einverstanden, aha! Also ich darf vorschlagen, das Gesetz an den Ausschuß für Arbeit federführend und an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen zu überweisen.
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- Herr Abgeordneter Arndgen!
Ich beantrage, den Gesetzentwurf federführend dem Ausschuß für Kriegsopferfragen zu überweisen und den Ausschuß für Arbeit zu beteiligen.
Ist das die gemeinsame Überzeugung des Hauses?
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- Meine Damen und Herren, jetzt geht also die Schlacht um die Ausschüsse los. Herr Abgeordneter Sabel ist dagegen.
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- Nicht nur; nein, entschuldigen Sie! - Es dreht sich um die Frage, an welchen Ausschuß das Schwerbeschädigtengesetz federführend überwiesen werden soll. Ich hatte die Federführung des Ausschusss für Arbeit vorgeschlagen, und außerdem sollte der Entwurf zur Mitberatung an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen überwiesen werden. Herr Abgeordneter Arndgen hat beantragt: federführend an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen, mitberatend an den Ausschuß für Arbeit.
({2})
Darf ich fragen, wer mit der letzteren Regelung - federführend der Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen - einverstanden ist? - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit, die Überweisung ist also in dieser Form erfolgt. Damit ist der Punkt 14 der Tagesordnung erledigt.
Ich komme zu Punkt 15 der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiet der Sozialversicherung ({3});
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik ({4}) ({5}).
({6}).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg, der erkrankt ist. Für ihn hat Herr Abgeordneter Freidhof als Berichterstatter das Wort.
Freidhof ({7}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren: Ich mochte keinen Bericht erstatten, sondern ich möchte mich auf den Schriftlichen Bericht') beziehen, den der leider erkrankte Kollege, Herr Professor Schellenberg erstattet hat. Aber in dem Bericht des Berichterstatters ist auf Seite 10 ein Druckfehler enthalten, den ich zu berichtigen bitte.
In der Synopse, also in der Zusammenstellung des Gesetzes, wie es der Sozialpolitische Ausschuß mit Mehrheit genehmigt hat, ist in § 2 Abs. 7 Satz 7 gesagt, daß für die Rentenversicherung als Vertreter der Versicherten auch „Beauftragte" der Gewerkschaften gelten. In dem Original, das der Herr Professor Schellenberg als Berichterstatter hierher geschickt hat, ist ebenfalls von „Beauftragten" gesprochen. In der Korrektur ist das Wort „Beauftragte" gestrichen und an Stelle von „Beauftragte" „Angestellte" gesetzt worden. Ich bitte, diesen Fehler zu berichtigen und an Stelle von „Angestellte" „Beauftragte" aufzunehmen.
Herr Abgeordneter Freidhof, ich habe es noch nicht. W o steht es auf Seite 10?
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- Es ist vorgeschlagen, auf Seite 10 in der linken
Spalte hinter „Vertreter der Versicherten auch"
das Wort „Beauftragte" und nicht „Angestellte" zu
setzen. - Ich danke Ihnen, Herr Berichterstatter.
Ich eröffne die Besprechung der zweiten Beratung. Ich rufe zunächst auf Art. I Ziffer 1. Dazu liegen keine Änderungsanträge vor. - Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Ziffer 1 ist angenommen.
Ich rufe Ziffer 2 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 575 Ziffern 1 und 2 vor.
Zur Begründung hat Frau Abgeordnete Schroeder das Wort.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wenn wir uns heute noch einmal mit dem Problem der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung und mit ihrer Durchführung zu beschäftigen haben, so ist das darauf zurückzuführen, daß in dem Gesetz vom Februar 1951 eine Reihe von Unklarheiten vorhanden ist, die sowohl im Bundesrat wie im Sozialpolitischen Ausschuß des Bundestages einer eingehenden Aussprache bedurften.
Ich erlaube mir, Ihnen den Antrag der SPD auf Umdruck Nr. 575 zu erläutern. Dieser Antrag betrifft dasjenige Problem der Selbstverwaltung, das schon bei der Beratung des Gesetzes von 1951 eine besondere Rolle gespielt hat und das auch heute noch einer ganz besonderen Beachtung bedarf, nämlich die Frage der Zusammensetzung der Organe und damit derjenigen Kreise, die die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung durchzuführen haben, nachdem, wie wir alle wissen, in der nationalsozialistischen Zeit diese Selbstverwaltung beseitigt worden ist. Hier haben wir die wichtigste Bestimmung, und es ist deshalb notwendig, daß ich noch einmal auf die Beratungen zurückkomme, die wir in der 89. und 91. Sitzung dieses Bundestages bereits gehabt haben, wobei ich von vornherein erkläre, daß es in keiner Weise meine Absicht ist, noch einmal alle Gründe, die wir damals
*) Siehe Anlage Seite 9691.
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angeführt haben, hier wieder anzuführen. Ich möchte nur daran erinnern, daß Herr Kollege Arndgen als Berichterstatter seinerzeit ausgeführt hat, daß es das Kennzeichen des Gesetzes sei, die Verwaltung wieder in die Hände der Beteiligten zurückzuführen. Nach unserer Überzeugung sind die Beteiligten, d. h. die in erster Linie an der Selbstverwaltung Interessierten die Versicherten. Wir alle wissen, wie unter Umständen die ganze Existenz von der Durchführung der Gesetze und der Satzungen auf dem Gebiet der Sozialversicherung abhängig ist. Ich erinnere an die große Zahl von Kranken, Invaliden, Unfallverletzten und Alten, deren einzigen Schutz die Sozialversicherung darstellt. Deshalb haben wir in der 89. und auch in der 91. Sitzung verlangt, daß die Versicherten bei der Zusammensetzung der Organe zu zwei Dritteln, die Arbeitgeber dagegen zu einem Drittel vertreten sein sollen. Ich brauche nur darauf hinzuweisen, daß wir diese Bestimmung seit 50 Jahren, bis zum Jahre 1933, bereits in der Krankenversicherung gehabt haben und daß es deshalb unser Wunsch war, diese maßgebende Beteiligung und den maßgebenden Einfluß der Versicherten in der gesamten Sozialversicherung .zu erhalten.
Die Mehrheit dieses Hauses hat geglaubt, uns in dieser Forderung nicht zustimmen zu sollen, obwohl unser Kollege Richter damals ausdrücklich festgestellt hatte, ,daß sich bei Probeabstimmungen nicht nur die befragten Versicherten, sondern auch die befragten Arbeitgeber in der Mehrheit für unsern Antrag erklärt haben. Sie haben geglaubt, daß in der Sozialversicherung bei der Bildung der Organe unbedingt die Parität gewahrt sein muß und 50 % Arbeitgeber 50 % Arbeitnehmern gegenüberstehen müssen. Wir haben darin, wie ich schon sagte, vor allen Dingen in der Krankenversicherung einen so empfindlichen Rückschritt gegenüber der früheren Zeit gesehen, daß es uns zu unserem Bedauern unmöglich war, dem Gesetz zuzustimmen. Auch die Begründung des Herrn Arbeitsministers konnte uns in keiner Weise von der Richtigkeit Ihrer Maßnahmen überzeugen, daß nämlich die finanziellen Schwierigkeiten dazu führen würden, daß in Zukunft weitere Einnahmen für die Sozialversicherung geschaffen werden müßten und deshalb die Arbeitgeber in den Organen in genau demselben Umfang wie die Arbeitnehmer beteiligt sein müßten. Ich persönlich kann ja aus eigener Erfahrung sagen, daß solche finanziellen Schwierigkeiten auch nach dem ersten Weltkrieg und vor allen Dingen in der Inflation vorhanden waren und daß dort keinerlei Schwierigkeiten entstanden waren, obwohl die Arbeitgeber in der Krankenversicherung nur zu einem Drittel beteiligt waren.
Wenn wir nun heute in unserem Antrag Umdruck Nr. 575 einen Vermittlungsvorschlag machen, so muß ich Ihnen sagen, daß wir es mit genau so schwerem Herzen tun, wie wir es bereits im Ausschuß getan haben. Im Ausschuß haben wir den Antrag gestellt, weil wir sahen, daß wir kei e Mehrheit für unsere Forderung, die Zusammensetzung zu zwei Dritteln und einem Drittel vorzunehmen, bekommen würden. Nach diesem Antrag sollte die Zusammensetzung auf drei Fünftel Versicherte und zwei Fünftel Arbeitgeber festgelegt werden. Dieser Antrag ist im Ausschuß zu unserem großen Bedauern abgelehnt worden. Wenn wir nun heute noch einmal einen ähnlichen Vorschlag bringen, dann bitte ich Sie, darauf hinweisen zu dürfen, daß inzwischen eine Klarstellung über das aktive und passive Wahlrecht der
Rentenberechtigten erfolgt ist. Ich begrüße das,
und auch meine Fraktion begrüßt das außerordentlich. Denn wir sind der Ansicht, daß die Verwaltung ganz besonders auch des Rates derjenigen bedarf, die die Durchführung der Gesetze und der Satzungen persönlich am eigenen Leibe erleben. Sie sollen sich aber auch nach jahrzehntelanger Beteiligung an der Aufbringung der Mittel nicht nur als Objekt, sondern auch als Subjekt fühlen können.
Allerdings darf ich bei dieser Gelegenheit gleich auf den Antrag der Regierungsparteien Umdruck Nr. 574 hinweisen. In diesem Antrag fordern Sie die Streichung der Bestimmung, daß die Rentenberechtigten lediglich bei einem Versicherungsträger mitbeteiligt werden können. Dieser Antrag
- das muß ich gleich sagen - ist uns unverständlich, denn es ist doch eigentlich ganz selbstverständlich, daß die Rentenberechtigten nur einem Organ angehören können. Ich wäre dankbar, wenn die Herren und Damen der Koalition uns einmal diesen Antrag erläuterten, weil er uns eigentlich etwas unverständlich ist.
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- Ja, im Ausschuß haben wir ihn auch abgelehnt, das wissen Sie doch. Damals ist er mit Mehrheit abgelehnt worden, Herr Kollege, und ich habe geglaubt, damit sei die Sache erledigt gewesen.
Ich sage also noch einmal.: Wir freuen uns an und für sich über die Beteiligung der Rentenberechtigten und über die Klarstellung ihrer Rechte in dem Gesetz. Aber Sie alle wissen, daß diese Rentenberechtigten lediglich als Versicherte in dem Gesetz genannt sind. Damit ist die Parität, meine Herren und Damen von der Regierungskoalition, die Sie selbst immer so ausdrücklich gewünscht und verlangt haben, die Parität von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, wenn Sie sie zu 50 % bestehen lassen wollen, selbstverständlich durchbrochen. Ich glaube, das kann in keiner Weise bestritten werden. Das ist der Grund, weshalb wir noch einmal unseren Antrag Umdruck Nr. 575 gestellt -haben, in dem wir fordern, daß sich die Organe in der Krankenversicherung und in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten zu drei Fünfteln aus Vertretern der Versicherten einschließlich der Rentenberechtigten und zu zwei Fünfteln aus Vertretern der Arbeitgeber zusammensetzen. Ich habe die große Hoffnung, daß Sie uns darin zustimmen werden; denn unter anderen Umständen müßten wir ausdrücklich feststellen, daß die Parität, von der Sie so oft gesprochen haben, im Gesetz in keiner Weise gewahrt wird. Es ist natürlich sehr schwer festzustellen, welchen Prozentsatz der gesamten Versicherten die Rentenberechtigten ausmachen und welchen Prozentsatz das aktive Wahlrecht dieser Rentenberechtigten ausmacht. Aber ich glaube, daß unser Antrag so bescheiden ist - wenn wir die Organe zu drei Fünfteln aus Versicherten, einschließlich Rentenberechtigten, zusammensetzen wollen und zu zwei Fünfteln aus Arbeitgebern -, daß ich mir kaum vorstellen kann, daß hiergegen ein Einwand erhoben werden wird. Es würde bestimmt kein Versicherter, der heute noch die hohen Beiträge zahlt, verstehen, wenn ihm nicht einmal das gleiche Recht gewährt werden würde, das dem Arbeitgeber gewährt wird. Es wäre vielleicht am allerklarsten, wenn wir sagten: Die Organe werden zusammengesetzt zu zwei Fünfteln aus Vertretern der Arbeitgeber, zu zwei Fünfteln
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aus Vertretern der Arbeitnehmer und zu einem Fünftel aus Vertretern der Rentenberechtigten.
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Aber mit voller Absicht wollen wir die Rentenberechtigten nicht spezialisieren, sondern wir wollen sie mit denjenigen zusammenfügen, die heute noch in der Lage sind, in der sie unter Umständen selber einmal Jahrzehnte lang waren.
Aus diesem Grunde haben wir den Antrag formuliert, der Ihnen vorliegt, und ich möchte bitten, daß Sie diesem Antrag nun zustimmen. Ich sage noch einmal: es ist uns nicht leicht gefallen, diesen Antrag zu stellen. Wir sind der Ansicht, daß die Arbeitnehmer zum mindesten in der Kranken- und Rentenversicherung zu zwei Dritteln vertreten sein müssen. Es ist aber unser Wunsch, nun endlich eine Einigung zu erzielen, auf Grund deren die Versicherten zur Wahlurne gehen können. Ich bitte Sie, uns dabei zu helfen, daß sie auch wirklich mit innerer Zufriedenheit diesen Weg an die Wahlurne gehen können.
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Meine Damen und Herren, wir sprechen zunächst über den Antrag Umdruck Nr. 575 zu Ziffer 1, der begründet worden ist. Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).
Meine Damen und Herren! Bisher ging schon immer in den Diskussionen über die Frage Sozialversicherung und insbesondere über die Frage der Organe der Sozialversicherung die entscheidende Auseinandersetzung über die Zusammensetzung dieser Organe. Ich glaube, daß diese Frage unter zwei Gesichtspunkten von einer maßgebenden und entscheidenden Bedeutung ist, daß es sogar die Kernfrage der gesamten Sozialversicherung und ihrer Organe ist.
Der eine Gesichtspunkt ist der: Es handelt sich um den berechtigten Anspruch der Versicherten auf entscheidende Mitwirkung in den Organen, die für sie zuständig sind. Auf Grund der Tatsache, daß sie fast ausschließlich die Leistungen für diese Sozialversicherung herbeischaffen und tragen, müssen sie auch das Recht haben, entscheidend in den Organen der Sozialversicherung vertreten und dort tätig, zu sein. Es gibt keinen berechtigten und stichhaltigen Grund für die Forderung der paritätischen Besetzung der Organe der Sozialversicherung. Ich habe bereits einmal bei früherer Gelegenheit in diesem Hause dargelegt, daß die sogenannten Arbeitgeberanteile für die Sozialversicherung in Wirklichkeit nichts anderes sind als vorenthaltene Lohnanteile, Lohnanteile, die dem Arbeitnehmer nicht ausgezahlt worden sind. Allein aus diesem Gesichtspunkt ergibt sich der Anspruch der Versicherten auf eine entsprechende überwiegende Vertretung in den Organen. Die Forderung, daß die Versicherten zu zwei Dritteln in den Organen vertreten sind, ist also das Mindeste.
Bei dieser Frage ist noch ein zweiter Gesichtspunkt von sehr weittragender Bedeutung. Wir haben ja erlebt, wie man im ersten und zweiten Weltkrieg nicht davor zurückgeschreckt ist, die Mittel, die im Laufe der Jahre die Sozialversicherung angesammelt hat und die Milliarden betragen haben, für den Krieg einzusetzen. Wir haben aus Äußerungen des Herrn Bundesfinanzministers und des Wirtschaftsministers wiederholt zumindest Anpielungen darauf entnehmen können, daß und wie
man auch jetzt beabsichtigt, an die Beträge heranzugehen, die in der Sozialversicherung angesammelt werden. Wir haben das im Hinblick auf die Arbeitslosenversicherung gehört, und Andeutungen in dieser Richtung sind auch in bezug auf die Sozialversicherung gemacht worden. Wir haben in der Vergangenheit erlebt, wie diese Beträge für den Krieg verwendet wurden, insbesondere in der Zeit des Nationalsozialismus und seines verbrecherischen Krieges. Wir wollen aber auch verhindern, daß im Zuge der Vorbereitungen, die jetzt getroffen werden, erneut entsprechende Maßnahmen getroffen werden und ein Zugriff auf die Summen der Sozialversicherung, die die Arbeitnehmer mit ihren Beitragsleistungen geschaffen haben, erfolgt. Ganz abgesehen natürlich von der grundlegenden Forderung, daß überhaupt ein solcher Krieg verhindert wird. Die Frage steht also im Zusammenhang damit, daß die Vertretung der Versicherten in den Organen der Selbstverwaltung entsprechend gesichert ist, weil wir erwarten können, daß jeder Versuch. Mittel der Sozialversicherung für irgendwelche Zwecke der Kriegsvorbereitung zu verwenden, von den Arbeitnehmern durch ihre mehrheitsmäßige Vertretung in den Organen mit aller Entschiedenheit abgelehnt wird.
Unsere Auffassung geht also dahin, daß die Versicherten in den Organen mit zwei Dritteln vertreten sein müssen. Wir stellen den diesbezüglichen Änderungsantrag, daß § 2 Abs. 1 Buchstabe a folgende Fassung erhält:
Die Organe der Versicherungsträger setzen sich zusammen in der Krankenversicherung, in den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten und in der Unfallversicherung zu zwei Dritteln aus Vertretern der Versicherten einschließlich der Rentenberechtigten und zu einem Drittel aus Vertretern der Arbeitgeber.
Ich bitte den Herrn Präsidenten, diesen Antrag dann mit zur Abstimmung zu bringen.
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Meine Damen und Herren, ich möchte gleich eine weitere Bemerkung zu demselben Paragraphen machen. In dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion - ich weiß nicht, ob er noch näher begründet werden wird - wird bereits darauf Bezug genommen, daß auch Arbeitgebervereinigungen bestimmte Mitwirkungsrechte bzw. Mitbeteiligungsrechte in der Verwaltung der Sozialversicherung gewährt werden sollen. Wir wenden uns dagegen. Wir sind der Meinung, und zwar aus dem prinzipiellen Grunde, daß es sich hier ausschließlich um eine Einrichtung für die Arbeitnehmerschaft handelt, daß Vertreter der Arbeitgeber und ihrer Vereinigungen keinerlei Recht irgendwelcher Mitsprache oder Mitbestimmung haben dürfen, daß die Organe der Sozialversicherung und diese selbst ausschließlich im Interesse nur der Versicherten selbst wirksam werden dürfen und wirksam sein können und infolgedessen irgendwelche Einwirkungen von Arbeitgeberseite auch gesetzlich ausgeschaltet werden müssen. Wir bitten, unserem Antrag ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Schroeder hat bei der Begründung ihres ersten Änderungsantrages
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auch Bezug genommen auf die Ziffer 1 des Antrags der Regierungsparteien, in dem beantragt wird, in § 2 Abs. 7 den Satz 3 zu streichen.. Frau Kollegin Schroeder hat mit einer gewissen Sorge hier ausgesprochen, daß wir damit etwas wieder zurückrevidieren möchten, was im Ausschuß an und für sich beschlossen war. Ich kann Ihnen diese Sorge wirklich nehmen, verehrte Frau Kollegin. Bei diesem Antrag handelt es sich nur um die Beseitigung einer Dublette. Sie haben ebenso, wie ich das tun möchte, mit Befriedigung festgestellt, daß wir in dieser neuen Vorlage das passive und das aktive Wahlrecht voneinander getrennt haben. Wenn Sie freundlicherweise die erste Seite der Drucksache, in der die Beschlüsse zusammengestellt sind, sich anschauen wollen, dann finden Sie in der Spalte rechts in der dritten Zeile die gleiche Bestimmung:
Die Rentenberechtigten können als solche nur Organen von Trägern der Rentenversicherungen, der Unfall- und der Knappschaftsversicherung angehören, von denen sie ihre Renten beziehen.
Da das bereits hier steht, brauchen wir es auf der nächsten Seite nicht noch einmal zu sagen. Deshalb unser Antrag, diesen Satz zu streichen.
Damit ist also die Ziffer 1 unseres Antrags schon begründet. Im übrigen hat Frau Kollegin Schroeder ihren Antrag zum Teil auch damit begründet, daß wir jetzt hier die Rentenberechtigten sowohl in das passive wie auch in das aktive Wahlrecht mit einbezogen haben. Ich darf darauf verweisen, daß wir aber in unseren Beschlüssen an der Bestimmung des ursprünglichen Gesetzes dem Grunde nach festgehalten haben, daß die Rentenberechtigten nach näherer Bestimmung der Satzung nur in beschränkter Zahl den Organen angehören dürfen, weil wir der Meinung sind, daß wir denjenigen, die nun nicht mehr, wenn ich so sagen darf, aktive Versicherte, sondern Rentenbezieher sind, nicht, im ganzen gesehen, dieselbe Stellung einräumen können, wie den aktiven Versicherten, also denjenigen, die noch Beiträge zahlen und keine Renten beziehen. Aus diesem Grunde diese Einschränkung.
Wir sind auch der Meinung, daß dieses Recht nur den Leuten aus eigener Versicherung, also den früheren Stammversicherten, wenn man so sagen darf, eingeräumt werden soll und daß man dieses Recht nicht auch dem großen Heer von Witwen oder anderen Personen konzedieren kann, die Renten beziehen. Ich darf also mit Nachdruck darauf verweisen, daß wir an dieser Bestimmung festhalten wollen, die den Rentenberechtigten das Mitsprache- und Mitwirkungsrecht in den Organen sehr wohl zugesteht, es ihnen aber nicht in dem Ausmaß zuerkennen kann, wie es bei den übrigen Versicherten der Fall ist.
Im übrigen darf ich zu dem Antrag, der von Frau Kollegin Schroeder begründet worden ist, sagen: Die Regierungsparteien haben in diesem Hause bei den verschiedensten Gelegenheiten ihre grundsätzliche Einstellung zur Zusammensetzung der Organe so deutlich zum Ausdruck gebracht und durch mehrfache Beschlüsse erhärtet, daß sie heute davon absehen, ihrerseits erneut in eine Grundsatzauseinandersetzung hier einzutreten. Ich darf nur erklären, daß sich an unserer Einstellung, an unserer begründeten Auffassung von der Zusammensetzung der Organe bis heute nichts geändert hat, daß wir auch durch die Darlegungen,
die wir hier gehört haben, keines besseren belehrt worden sind.
Die Regierungsparteien werden also sowohl den Antrag der Gruppe der KPD wie auch den Antrag der Fraktion der SPD zu diesem Punkte ablehnen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Preller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure sehr, daß der Herr Abgeordnete Horn jetzt zum Abschluß nicht wenigstens auf die Begründung eingegangen ist, die meine Kollegin Frau Schroeder für unseren Antrag auf eine andere Zusammensetzung der Organe gegeben hat. Denn die Frage, Herr Abgeordneter Horn, ist nicht beantwortet, was Sie als Sprecher der CDU oder der Koalitionsparteien dazu sagen, daß nunmehr die Parität zuungunsten der Versicherten, der Arbeitnehmer, durchbrochen ist. Das ist die Frage, von der wir ausgehen, und wir glauben, daß hier ein sehr guter Grund vorläge, der Sie eigentlich dazu bringen müßte, nun auch zu dieser Frage nicht nur Stellung zu nehmen, sondern unserem Antrage zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Preller und auch die Frau Abgeordnete Schroeder haben vergessen, daß wir in der Sozialversicherung, in der Krankenversicherung, in der Unfallversicherung wie auch in der Rentenversicherung, den Begriff „Arbeitnehmer" nicht kennen, sondern daß dort immer von „Versicherten" geredet wird und daß dieser Begriff „Versicherte" auch im Gesetz steht; ob nun einer eine Rente bezieht oder ob einer einen Beitrag in die Versicherung als Arbeitnehmer bezahlt, er ist „Versicherter". Es kann also nicht davon die Rede sein, daß mit der von uns vorgeschlagenen Regelung bezüglich Vertretung der Versicherten in der Versicherung die Parität zwischen Versicherten und Arbeitgebern durchbrochen werde. Ich glaube, meine sehr Verehrten. daß man die Dinge nur so und nicht anders sehen kann. Damit ist die Auffassung, wie wir sie vertreten, die richtige.
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Meine Damen und Herren, zu dem Änderungsantrag Umdruck Nr. 575 zu Ziffer 1 liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wünschen Sie, daß wir die Abstimmungen jetzt einzeln vornehmen oder erst die Anträge nacheinander begründen lassen?
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- Ich lasse einzeln abstimmen.
Zunächst muß ich über den weitergehenden Antrag, der von Herrn Abgeordneten Müller begründet worden ist, abstimmen lassen. Sie haben den Antrag gehört, ich brauche ihn nicht noch einmal zu verlesen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag der kommunistischen Gruppe zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD, Umdruck Nr. 575 Ziffer 1.
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- Es ist bisher nur Ziffer 1 begründet worden, Herr Abgeordneter. Es ist nun gerade der Wunsch ausgesprochen worden, nacheinander abzustimmen. - Wir stimmen also zunächst über den Antrag unter Ziffer 1 ab. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Der Antrag unter Ziffer 2 soll nicht begründet werden? ({3})
- Der Antrag ist damit erledigt, daß der Antrag unter Ziffer 1 abgelehnt ist.
Dann darf ich die Damen und Herren, die Ziffer 2 Buchstaben a und b der Drucksache
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- ich bin noch bei a und b, Herr Kollege Horn - zuzustimmen wünschen, bitten, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. Die beiden Buchstaben a und b der Ziffer 2 des Art. 1 sind angenommen.
Zu Buchstabe c wünscht Herr Abgeordneter Dannebom, den Antrag der SPD, Umdruck Nr. 575 Ziffer 3 a und b, zu begründen. Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 575, den ich zu begründen habe, bringt in Ziffer 3 zum Ausdruck, daß nicht nur in der Rentenversicherung, sondern auch in der Unfall- und in der Knappschaftsversicherung Beauftragte der Gewerkschaften als Vertreter gelten können. Schon bei den Beratungen dieses Änderungsgesetzes sowie auch des eigentlichen Selbstverwaltungsgsetzes für die Sozialversicherung im Sozialpolitischen Ausschuß ist die Auffassung vertreten worden, daß es, da im Augenblick nicht genügend Sachkenner aus den Kreisen der Versicherten zur Verfügung stehen, notwendig ist, Spezialisten als Beauftragte der Gewerkschaften in allen Zweigen der Sozialversicherung zu verwenden. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, der Kompliziertheit der Materie halber es schon für rotwendig erachtet haben, in der Rentenversicherung Beauftragte der Gewerkschaften als Vertreter der Versicherten anzuerkennen, so trifft das unseres Erachtens auch in der Unfall- und in der Knappschaftsversicherung zu.
Darf ich gleich noch ein Wort zu der Knappschaftsversicherung sage-. Während der Ausschußberatungen ist zum Ausdruck gebracht worden, daß die Angestellten beispielsweise der Industriegewerkschaft Bergbau gleichzeitig in der knappschaftlichen Versicherung versichert seien. Diese Auffassung trifft nicht zu. In sehr vielen. ja in den meisten Fällen sind die Angestellten nicht knappschaftsversichert. Nur ein kleiner Teil von gewerkschaftlichen Angestellten ist in der Knappschaftsversicherung.
Wir bitten Sie deshalb, gemäß unserem Antrag in § 2 Abs. 7 hinter dem Wort „Rentenversicherung" die Worte „die Unfallversicherung sowie die Knappschaftsversicherung" einzufügen. Ich darf vielleicht bitten, über diesen unseren Antrag getrennt abzustimmen, einmal soweit er die Unfallversicherung und zum andern soweit er die Knappschaftsversicherung betrifft.
Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten darf ich gleich Ziffer 3 b unseres Änderungsantrags noch begründen. In dem Abs. 7 Satz 7 sollen die Worte ,;oder der Vereinigungen von Arbeitnehmern" gestrichen werden. In der alten Fassung des Selbstverwaltungsgesetzes, wie es vom Ausschuß beschlossen war, waren diese Worte nicht enthalten. Erst in der zweiten Lesung wurde von Herrn Dr. Atzenroth der Antrag gestellt und dann mit Mehrheit angenommen. Damit wird ein gefährlicher Weg in der Sozialpolitik beschritten. Wir sind der Auffassung, daß damit politische Momente in die Selbstverwaltungsorgane hineingetragen werden.
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Sie, meine Damen und Herren, die Sie für diese Formulierung sind, können uns doch wirklich nicht sagen, was Sie nun eigentlich unter Vereinigungen von Arbeitnehmern verstehen.
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Wollen Sie, daß sich bei den Wahlen verschiedene kleine Gruppen, sagen wir, Gruppen von sieben Arbeitnehmern bilden können?
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Halten Sie es für richtig, daß die auch die Möglichkeit haben sollen, Wahlvorschläge einzureichen? Werden diese Wahlvorschläge zugelassen, so wird eine Unmenge Wahlvorschläge einlaufen. Werden sie nicht zugelassen, so wird das zu Einsprüchen am laufenden Band führen. Schließlich wird der Wahlbeauftragte einen sehr schweren Stand haben. Ich meine, auch Sie, meine Damen und Herren, wollen doch, daß die Wahlen nach Verabschiedung dieses Gesetzes möglichst schnell durchgeführt werden.
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Wollen wir das gemeinsam, dann sollten wir anstreben, daß das Gesetz so klar und einfach wie eben möglich gehalten wird. Deshalb bitte ich Sie, unserem Änderungsantrag Ihre Zustimmung zu geben.
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Ich schlage Ihnen vor, daß wir zunächst bei Buchstabe c verbleiben. Wünschen Sie dazu das Wort, Herr Abgeordneter Atzenroth? - Bitte schön!
Meine Damen und Herren! Wir stellen uns die Selbstverwaltung als ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten zwischen den echten Beteiligten, den Arbeitnehmern und Arbeitgebern vor. In ein solches System von Selbstverwaltung würde die Entsendung von Beauftragten in keiner Weise hineinpassen. Es würde die Selbstverwaltung geradezu zerstören, wenn Menschen in diese Organe entsandt würden, die mit der Sache direkt nichts zu tun haben, die sich daraus vielleicht einen Beruf machen. Praktisch könnte jeder Rechtsanwalt als Beauftragter auftreten, und wir würden nachher ein Gremium von Juristen oder von berufsmäßig Beauftragten haben. Meine Fraktion lehnt die Aufnahme des Wortes „Beauftragten" in dieses Gesetz ab. Wir behalten uns vor, in der dritten Lesung die entsprechenden Anträge zu stellen.
Den Antrag der Sozialdemokratischen Partei unter Ziffer 3 Buchstabe a lehnen wir unter allen Umständen ab.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Zu dem gleichen Punkt erkläre ich namens der Fraktion der Deutschen Partei, daß wir uns ebenfalls vorbehalten, zu beanttragen, in der dritten Lesung den Text wiederherzustellen, wie er in der Drucksache vorliegt. Wir haben uns aus den Argumenten, die mit Recht auch von dem Sprecher der SPD vorgetragen worden sind, bereit gefunden, Angestellte der Gewerkschaften, aber auch Angestellte der Arbeitgebervereinigungen zuzulassen, um in der komplizierten Materie einen Kreis von Sachverständigen zu haben. Wenn Angestellte der Vereinigungen von Arbeitnehmern, der Gewerkschaften und der Vereinigungen von Arbeitgebern zugelassen werden, so ist das ein Zugeständnis an die Entwicklung und, wie Herr Dr. Atzenroth sehr richtig gesagt hat, schon eine Durchbrechung der echten Selbstverwaltung, in der eigentlich nur die Versicherten und ihre Arbeitgeber zu bestimmen hätten. Beauftragte könnten nur dann zugelassen werden, wenn Sie bereit wären, den Arbeitgebern dasselbe Recht wie den Arbeitnehmern zuzugestehen. Ich bin mit Herrn Dr. Atzenroth der Meinung, daß in der Selbstverwaltung weder Rechtsanwälte noch Funktionäre wünschenswert sind. Wir können deshalb dem Antrag, auch „Beauftragte" zuzulassen, nicht zustimmen.
Herr Abgeordneter Winkelheide bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Änderungsantrag der SPD geht dahin, hinter dem Wort „Rentenversicherung" die Worte „die Unfallversicherung sowie die Knappschaftsversicherung" einzufügen. Wir hatten damals schon die Knappschaftsversicherung eingebaut, und da haben Vertreter
der IG Bergbau uns gebeten, die Sache wieder zu streichen. Ich glaube, bei dieser Frage sind wir uns im Grundsätzlichen einig, daß es nämlich das Idealste wäre, wenn wir keine Funktionäre, keine Beauftragten und keine Angestellten der Organisation brauchten. Denn wenn die Arbeiterschaft oder die Versicherten das soziale Mitbestimmungsrecht verlangen, dann sollen sie auch ihre eigene Sache selbst vertreten. Wir anerkennen aber die Tatsache, daß da noch große Mängel vorhanden sind, und wollen ja in der Rentenversicherung eine Ausnahme machen. Wenn getrennt abgestimmt wird, sind auch einige meiner Freunde bereit, für die Knappschaftsversicherung zu stimmen. Hinsichtlich der Unfallversicherung können wir uns Ihrem Antrag nicht anschließen und werden ihn ablehnen.
Dann hat der Kollege Dannebom beantragt, daß die Worte „oder der Vereinigungen von Arbeitnehmern" gestrichen werden. Das ist eine sehr grundsätzliche Frage. Die Befürchtungen, die zum Ausdruck gekommen sind, daß da kleine Grüppchen oder, was weiß ich, welche politischen Gruppen zutage treten würden, bestehen, glaube ich, nicht in diesem Umfang. Ich glaube, man darf die Sozialversicherung aber auch nicht von der Schau aus sehen, daß man sagt, für ihren Bereich sei nur die Gewerkschaft zuständig. Das wäre zu viel verlangt. Denn ich habe den Kampf der Gewerkschaften und auch Ihren Kampf als SPD immer aufgefaßt als Kampf gegen eine Monopolstellung. Und da haben Sie unsere Unterstützung. Nun dürfen wir nicht in den Fehler verfallen, daß wir in der Sozialversicherung ein einziges Monopol schaffen, und zwar das Monopol der Gewerkschaften. Darum bitte ich, daß die Worte „oder der Vereinigungen von Arbeitnehmern" stehenbleiben, daß die Vereinigungen von Arbeitnehmern also das gleiche Recht bekommen wie die Gewerkschaften. Denn die Koalitionsfreiheit muß unter allen Umständen sichergestellt werden. Wenn sich dann die Wahl vollzieht und die Versicherten ihre Sache in ihre Hände nehmen, dann passiert da, glaube ich, kein Unglück. Ich bitte, den Antrag der SPD in diesem Punkte abzulehnen.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen zu diesem Punkt nicht vor. Ich schließe die Besprechung zu c).
Ich komme zunächst zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP/DPB Umdruck Nr. 574 Ziffer 1, den Satz 3 zu streichen. Wenn ich richtig zähle, ist das der Satz „Rentenberechtigte können nur" usw. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrage auf Streichung des Satzes 3 des Abs. 7 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen ist dieser Antrag angenommen worden.
Dann komme ich zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 575 Ziffer 3 a, und zwar getrennt nach Unfallversicherung sowie Knappschaftsversicherung. Es handelt sich um den Antrag, in Ziffer 7 Satz 7 hinter dem Wort „Rentenversicherung" die Worte „ , die Unfallverversicherung sowie die Knappschaftsversicherung" einzufügen. Ich lasse zunächst abstimmen über die Einfügung der Worte „die Unfallversicherung". Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag, die Worte „die Unfallversicherung" einzufügen, zuzustimmen wünschen, Pine Hand zu erheben.-Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag, die Worte - es muß jetzt also praktisch nur heißen: „die Knappschaftsversicherung" einzufügen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. ({0})
- Ist die Entscheidung inzwischen abgeschlossen?
- Ja, es scheint so. Ich bitte um die Gegenprobe.
- Das erste war die Mehrheit; dieser Antrag ist angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 575 Ziffer 3 b, in Satz 7 die Worte „oder der Vereinigungen von Arbeitnehmern" zu streichen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; dieser Antrag ist abgelehnt.
Damit sind die Änderungsanträge zu c erledigt.
Ich bitte die Damen und Herren, die der abgeänderten Fassung von c zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen?-Das erste war die Mehrheit; c ist angenommen.
Zu d liegen keine Änderungsanträge vor, auch keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die d zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. ({1})
Enthaltungen? - Es ist etwas unsicher mit der Abstimmung: aber die Mehrheit ist doch zweifellos für d.
Zu Ziffer 3 ist der Antrag der SPD auf Umdruck Nr. 575 unter 4 a und 4 b von Herrn Abgeordneten Dannebohm begründet worden. Wer wünscht, den Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU, FDP und DP/DPB, Umdruck Nr. 574 Ziffer 2 a, zu begründen? - Herr Abgeordneter Horn, bitte! 2 b und c dann auch mit, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst den Antrag unter Ziffer 2 a kurz begründen. Es ist leider so gewesen, daß sich aus dem ersten Gesetz doch mancherlei Unklarheiten ergeben hatten. Wir haben uns mit den Vertretern des Bundesrats ins Benehmen gesetzt und uns sehr darum bemüht, die Differenzpunkte möglichst auszuschalten und zu bereinigen. Unter den Fragen, die als ungeklärt bezeichnet wurden, wurde auch die erhoben, ob denn nun bei der Einreichung von Vorschlagslisten eine Listenverbindung, wie man sie bei dem System der Verhältniswahl kennt, möglich sein soll oder nicht. Bei den Unterhaltungen wiesen die Vertreter des Bundesrats darauf hin, daß das Gesetz eine klare Erkenntnis, ob ja oder nein, nicht enthalte. Die Koalitionsparteien haben sich über diesen Punkt dann untereinander verständigt. Als ihre Meinung darf ich folgendes vortragen.
Wir sind der Auffassung, daß man beim Verhältniswahlsystem in der Sozialversicherung Listenverbindungen dann, wenn mehr als zwei Vorschlagslisten eingereicht werden, zulassen sollte. Man sollte es den in Frage kommenden Gruppen, die die Vorschläge unterbreiten, nicht unmöglich machen, sich mit ihren Listen untereinander zu verbinden. Wenn sie in ihren Auffassungen im wesentlichen übereinstimmen und der Meinung sind, daß sie hier gemeinsam ziehen sollten, sollte man ihnen eine Listenverbindung nicht verwehren. Wir halten das für eine Auswirkung wirklich echter demokratischer Haltung auch bei diesen Wahlen. Aus diesem Grunde, um jede Unklarheit zu beseitigen, haben wir diesen Antrag eingebracht und bitten das Hohe Haus, dem zuzustimmen, daß eine Verbindung mehrerer Wahlvorschläge, also Listenverbindungen zulässig sind.
Zur Begründung der Ziffer 2 b darf ich in Kürze folgendes sagen. Es bestand die Meinung - ich glaube, sie ist sogar in Kommentaren zum Selbstverwaltungsgesetz vertreten worden -, daß man den Vorstand des Versicherungsträgers nach den gleichen Vorschriften wählen solle wie die Vertreterversammlung. Das würde bedeuten, daß also ebenso wie bei der Wahl zur Vertreterversammlung ein öffentliches Wahlausschreiben zu erfolgen hätte, daß die vorschlagsberechtigten Gruppen aufgefordert würden, bis zu einem bestimmten Termin Wahlvorschläge einzureichen, kurzum, daß im ganzen dieselbe Prozedur, wie sie bei den Urwahlen zur Vertreterversammlung zu vollziehen wäre, auch bei der Wahl des kleinen Gremiums Vorstand notwendig wäre. Um auch hier jede Unklarheit zu beseitigen und die Wahl des Vorstandes nach Vorschriften vollziehen zu lassen, die so einfach wie möglich sind, haben wir diesen Antrag eingebracht. Darf ich seinen Inhalt kurz erläutern.
Nachdem die Vertreter die Wahl zur Vertreterversammlung vollzogen haben, die Vertreterversammlung in Funktion tritt, finden doch in ihr die einzelnen vorschlagsberechtigten Gruppen sowieso ihren Niederschlag, also der DGB, wenn er mit seinen Vorschlagslisten zum Zuge gekommen ist, oder die Deutsche Angestelltengewerkschaft oder eine Vereinigung von Arbeitnehmern oder auch freie Vorschlagslisten.. Wir glauben nun, daß es durchaus genügt, wenn die nun in der Vertreterversammlung vertretenen Gruppen ihrerseits nach den Vorschriften, wie sie unser Antrag beinhaltet, die Vorschläge machen. Konkret gesprochen würde das also so aussehen, daß der Vorsitzende der Vertreterversammlung eine Sitzung mit der Tagesordnung „Wahl des Vorstandes" einberuft. In der Sitzung machen nun die einzelnen Gruppenvertreter nach diesen Vorschriften ihre Vorschläge. Dann haben wir die sehr umständliche Prozedur vermieden, wir haben eine einfache Wahl des Vorstandes. Aus diesem Grunde bitte ich das Hohe Haus, unserem Antrage stattzugeben.
Herr Abgeordneter Dannebom hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Umdruck Nr. 574 Ziffer 2 Buchstabe a haben wir gerade den entgegengesetzten Standpunkt einzunehmen, wie ihn der Kollege Horn zum Ausdruck gebracht hat. Deshalb wünschen wir, daß in den Satz das Wort „nicht" eingefügt wird, so daß er lautet:
Eine Verbindung mehrerer Wahlvorschläge ({0}) ist nicht zulässig.
Zu Buchstabe b: dem könnten wir zustimmen, wenn nicht der letzte Satz ebenfalls wieder die Listenverbindung befürwortete. Wir bitten deshalb, über den Buchstaben b getrennt abzustimmen, weil wir uns bis auf den letzten 'Satz mit ihm einverstanden erklären können.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung zu Ziffer 3:
Ich komme zur Abstimmung zunächst über die Änderungsanträge der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 575 Ziffern 4 a und 4 b. Kann über beide Anträge zusammen abgestimmt werden?
({0})
- Also einzeln! Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 575 Ziffer 4 a betreffend Abs. 1 Satz 5, die Worte „der Vereinigungen von Arbeitnehmern" zu streichen.
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- Darf ich vor der Abstimmung die Mitglieder des Hauses bitten, ihre Plätze einzunehmen. Es ist sehr schwer zu übersehen, wie die Mehrheitsverhältnisse sind, wenn hier eine Wanderungsbewegung stattfindet. - Ich bitte die Dannen und Herren, die dem Antrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 575 Ziffer 4 a zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe.
- Enthaltungen. - Das zweite war die Mehrheit; dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über Ziffer 4 b auf Umdruck Nr. 575 betreffend Satz 8 des Abs. 1. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zu dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD zu dem Änderungsantrag Umdruck
({2})
Nr. 574 Ziffer 2 Buchstabe a, das Wort „nicht" vor „zulässig" einzufügen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit. Dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über Ziffer 2 Buchstabe a des Änderungsantrags Umdruck Nr. 574. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Dieser Änderungsantrag ist angenommen.
Sind die Antragsteller damit einverstanden, daß über Ziffer 2 Buchstabe b in zwei Teilen abgestimmt wird, daß also über den letzten Satz besonders abgestimmt wird? - Das ist der Fall. Ich bitte die Damen und Herren, die Ziffer 2 Buchstabe b des Antrags Umdruck Nr. 574 ausschließlich des letzten Satzes zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Satz „Listenverbindung ist zulässig" in diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Dem Satz „Listenverbindung ist zulässig" in Ziffer 2 b des Umdrucks Nr. 574 wird damit zugestimmt.
Ich bitte die Damen und Herren, die Ziffer 2 in der jetzt geänderten Form zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Ziffer 2 ist angenommen.
Ich rufe auf Ziffer 3 des Antrags der CDU/CSU, FDP, DP/DPB, Umdruck Nr. 574 Buchstaben a bis d. Wer wünscht, diesen Antrag zu begründen? - Herr Abgeordneter Horn!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Änderungsantrag unter Ziffer 3 a bezweckt kurz gesagt, auch die Knappschaftsversicherung in die Lage zu versetzen, nach gesetzlicher Vorschrift einen ersten und einen zweiten stellvertretenden Vorsitzenden zu wählen. Die bisherigen Bestimmungen sehen das gleiche bereits für die Unfallversicherung vor, da wir es bei der Unfallversicherung ja auch mit Arbeitnehmern - mit Selbständigen mit fremden Arbeitskräften und mit Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte - zu tun haben.
Bei der Knappschaft - so sind wir belehrt worden - wird diese Wahl bezw. die Bestimmung von zwei stellvertretenden Vorsitzenden auch schon bisher gehandhabt, und zwar ist es so, daß der Vorsitzende aus der Arbeiterschaft genommen wird, ein stellvertretender Vorsitzender ein Werksvertreter ist und der zweite stellvertretende Vorsitzende aus der Angestelltenschaft genommen wird. Die Knappschaft hat den Wunsch, der nach unserer Überzeugung berechtigt ist, auch für die Zukunft an dieser Regelung festhalten zu können. Aus diesem Grunde haben wir die bisher in der Vorlage enthaltene Vorschrift um diese Bestimmung erweitert und im übrigen nur noch durch die Formulierung verdeutlicht, daß sie einen ersten und einen zweiten stellvertretenden Vorsitzenden wählen. Ich bitte das Haus, diesem Antrag zu entsprechen.
Zum Buchstaben b darf ich 'auf die Vorlage verweisen, in der gesagt ist, daß, wenn eine Wahl
nicht zustande kommt, sie an einem anderen Tage zu wiederholen ist. Wörtlich heißt es in der Vorlage:
Erhält kein Mitglied eine Mehrheit, so wird die Wahl auf einen anderen Tag anberaumt.
Wir halten das für eine nicht wünschenswerte Erschwerung, zumal wenn wir uns vorstellen, daß der Vorstand zusammengetreten ist, um seine Vorsitzenden zu wählen. Es ist zu berücksichtigen, daß die Leute meistens ehrenamtlich tätig sind; sie kommen aus Berufen und müssen also ihre Zeit unter Umständen mühsam dafür freimachen. Wenn man bei dieser Vorschrift bleibt, dann müßten nach einem ersten negativen Wahlgang die Leute wieder nach Hause fahren oder noch einen zusätzlichen Tag dableiben, was für ihre beruflichen Dinge vielleicht ungünstig wäre. Wir möchten deshalb mit unserem Antrag, in dem wir sagen: „Erhält kein Mitglied eine Mehrheit, so wird die Wahl wiederholt", zunächst zum Ausdruck bringen, daß die Wiederholung auch dann am gleichen Tage stattfinden kann. Wenn eine Unterbrechung der Sitzung von einigen Stunden erfolgt, dann kann in der Zwischenzeit unter Umständen sehr wohl in Gesprächen eine Verständigung darüber zustande kommen, daß in einem zweiten Wahlgang am gleichen Tage eine Mehrheit gesichert ist. Das möchten wir durch diesen Satz ermöglichen.
Wenn wir nun - damit komme ich zu dem Buchstaben c --- unterstellen, daß auch bei der Wiederholung am gleichen Tage ein Ergebnis nicht zustande kommt, so wollen wir den nächsten Satz der Vorlage, in dem es heißt: „Kommt die Wahl auch hierbei nicht zustande", also bei einer Wahl am andern Tage, durch folgende Fassung ändern:
Kommt die Wahl auch an einem anderen Tage nicht zustande, so gilt der Kandidat als gewählt, auf den eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen entfällt; . . .
Ich wiederhole: wir wollen durch die Ergänzung sicherstellen, daß unter Umständen auch in einem Wiederholungswahlgang ,am gleichen Tage ein Resultat erzielt werden kann, und nur dann, wenn das nicht möglich ist, durch die Formulierung unter c) die Wahl gewährleisten.
Ich bitte, die drei Änderungsanträge, die ich kurz begründen durfte, anzunehmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dannebom.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine politischen Freunde stimmen dem Antrag auf Umdruck Nr. 574 Ziffer 3 unter a) zu, weil es zutrifft, daß in der Arbeitsgemeinschaft der Knappschaften schon so verfahren wird. Wir sind aber der Einfachheit halber der Meinung, daß dem Wortlaut unter a) folgender Satz hinzugefügt werden sollte:
Einer der Vorsitzenden in der Knappschaftsversicherung soll ein Angestellter sein.
Wenn wir diesen Satz anfügen, erübrigt sich nämlich der Antrag unter Ziffer 3 d. Ich möchte Sie also bitten, unserm Zusatzantrag Ihre Zustimmung zu geben, weil er die ganze Angelegenheit vereinfacht.
({0})
Herr Abgeordneter Horn!
Ich bitte zu entschuldigen, daß der Buchstabe d von mir nicht gleich in die Begründung einbezogen worden ist. Wenn wir unter d) die Formulierung „Dies gilt für die Knappschaftsversicherung entsprechend mit der Maßgabe, daß Arbeiter und Angestellte als besondere Gruppen gelten" gewählt haben, dann haben wir das nur getan, damit sich die Gesetzesformulierung an den letzten Satz des Abs. 2 richtig anschließt. Der letzte Satz des Abs. 2 lautet bisher:
In der landwirtschaftlichen Unfallversicherung
sind der erste und der zweite Stellvertreter je
aus den beiden anderen Gruppen zu wählen,
denen der Vorsitzende nicht angehört.
Um das hier logisch anzuschließen und in Ordnung zu bringen, schlagen wir vor, den eben zitierten Satz hinzuzufügen. Ich möchte Herrn Kollegen Dannebom und seine Fraktion darüber beruhigen; ich habe vorhin dasselbe auch schon zu Herrn Kollegen Preller gesagt. Als wir diesen Satz formuliert haben, ist kein Mensch auf den Gedanken gekommen - und auch jetzt denkt niemand daran -, etwa mit der Bezeichnung „besondere Gruppen", wenn auch nur am Rande, einen Einbruch in die derzeitige gesetzliche Struktur der Knappschaftsversicherung zu versuchen. Ich betone ausdrücklich, daß gar kein anderer Gesichtspunkt als der, die Dinge hier logisch anzufügen, für unsere Formulierung maßgebend gewesen ist. Aus diesem Grunde bitte ich, den Änderungsantrag der SPD abzulehnen und unserer Formulierung zuzustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD, den Herr Abgeordneter Dannebom vorgetragen hat, zu der Ziffer 3 a des Änderungsantrags Umdruck Nr. 574. Ich bitte diejenigen, die diesem Änderungsantrag
- der also folgenden zweiten Satz vorsieht: „Einer der Vorsitzenden der Knappschaftsversicherung soll ein Angestellter sein" - zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit. Dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die Ziffer 3 a des Antrags Umdruck Nr. 574 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Dieser Antrag ist angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die der Ziffer 3 b des Änderungsantrags Umdruck Nr. 574 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Das ist angenommen.
Bei Ziffer 3 c bitte ich ebenfalls die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Änderungsantrag Ziffer 3 d zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe.
- Enthaltungen? -- Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über Art. I Nr. 4 unter Berücksichtigung dieser Änderungen. Ich bitte die Damen und Herren, die Nr. 4 zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Nr. 4 ist angenommen.
Meine Damen und Herren, ich habe vorhin bei Nr. 4 davon abgesehen, über den Antrag Umdruck Nr. 574 Ziffer 2 c „Der bisherige Buchst. d ({0}) wird zu Buchst. e" besonders abstimmen zu lassen. Das ist eine redaktionelle Änderung, die
selbstverständlich ist; ich darf unterstellen, daß das mit der Gesamtabstimmung erledigt ist.
Ich rufe auf Art. I Nr. 5, dazu Antrag der SPD Umdruck Nr. 575 Ziffern 5 und 6. Herr Abgeordneter Freidhof, bitte!
Meine Damen und Herren! § 4 Abs. 1 Satz 8 sieht vor, daß Gruppen von Versicherten Vorschlagslisten einreichen können, wenn sie bei einem Versicherungsträger mit nicht mehr als eintausend Versicherten die Unterschriften von mindestens dreißig Wahlberechtigten - ({0})
- Dann bitte ich um Entschuldigung.
Ziffern 5 und 6, Herr Abgeordneter Freidhof, des Antrags Umdruck Nr. 575!
({0})
- Ja, meine Damen und Herren, ich bin sicher, daß Sie auch nicht alle immer genau den Punkt finden, über den gerade geredet wird.
({1})
- Das ist doch nun einmal eine Zusammmenarbeit!
({2})
Es handelt sich doch darum, daß dreißig, einhundert und einhundertundfünfzig Unterschriften genügen sollen.
({0})
Darf ich noch einmal sagen, Herr Kollege: Ziffer 5 des Antrags Umdruck Nr. 575!
({0})
Herr Abgeordneter Preller, wenn Sie so freundlich sein würden!
Meine Damen und Herren! Es handelt sich darum, daß wir in dem Gesetz von 1951 bei den Befugnissen der Geschäftsführung in der Landesversicherungsanstalt einen Satz gestrichen sehen möchten. In § 8 Abs. 1 Buchst. c des Gesetzes von 1951 ist vorgesehen, daß bei der Aufstellung des Haushalts, des Stellenplans und in Fragen der Vermögensanlage die Geschäftsführung als solche eine beschließende Stimme hat. Die Geschäftsführung ist aber nach der Anlage des ganzen Gesetzes von 1951 eine Geschäftsführung, während der Vorstand, d. h. das Organ, die eigentlichen Aufgaben durchzuführen haben soll. Das wird an dieser Stelle durchbrochen, indem der Geschäftsführung, die nur Geschäftsführung sein sollte, gerade in sehr wichtigen und weittragenden Angelegenheiten, nämlich der Aufstellung des Haushalts, des Stellenplans und der Vermögensanlage, eine beschließende Stimme gegeben wird, in Angelegenheiten, bei denen sie selbst mitbetroffen wird und in denen sie in eigener Sache nun mitbeschließen soll.
Soweit ich unterrichtet bin, haben wir uns schon früher dagegen gewendet. Wir wollten diese Angelegenheit hier noch einmal aufgreifen und bitten, daß dieser Satz gestrichen wird, daß also die Geschäftsführung in diesen Angelegenheiten, die sie
({0})
weitgehend selbst betreffen, auch nur eine beratende Stimme hat.
Ziffer 6 bitte auch gleich!
In demselben Paragraphen 8 Buchstabe c ist vorgesehen, daß auch solche Bewerber zum Zuge kommen können, d. h. Geschäftsführer werden können, die sich ihre Eignung auf Grund von Lebens- und Berufserfahrungen innerhalb und außerhalb des öffentlichen Dienstes erworben haben. Das geht in Ordnung und darüber sind wir vollkommen einig. In einem weiteren Halbsatz ist dann aber vorgesehen, daß darüber, ob ein so Gewählter eine solche Befähigung habe, die oberste Verwaltungsbehörde oder eine von ihr bestimmte Stelle - also eine Behörde - zu entscheiden habe. Das möchten wir nicht. Wir sind der Auffassung - und wir glauben aus diesem Grunde hier dem Antrag der Koalitionsparteien nicht zustimmen zu können -, daß es genügen müßte, wenn das Organ sich über die Qualifikation des Geschäftsführers entsprechend unterrichtet hat. Glaubt das Organ, daß diese Qualifikation vorhanden ist, dann sollte dies auch genügen; denn dieses Organ besteht ja aus Sachverständigen, nämlich aus Arbeitnehmern und Arbeitgebern, und deren Votum sollte ausreichend sein, um in diesen Fällen zu entscheiden. Eine Behörde, wie sie im Gesetzentwurf und wie sie auch wieder in dem Antrag der Regierungskoalition vorgesehen ist, ist unseres Erachtens nicht die geeignete Stelle, dies zu entscheiden. Wir glauben, das Organ sollte selbst entscheiden. Gegebenenfalls könnte sich auch irgendein paritätisch aus Arbeitnehmern und Arbeitgebern zusammengesetztes Organ damit befassen. Wir meinen aber, es sollte gen igen, diesen letzten Halbsatz des letzten Satzes von § 8 Buchstabe c Abs. 5 zu streichen. Wir bitten aus diesem Grunde, unserem Antrage und nicht dem Antrag der CDU bezw. der Regierungskoalition zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf Herrn Kollegen Preller zunächst doch sagen, daß sein Sprechfehler - Antrag der „CDU" - keiner ist. Es handelt sich bei dem Umdruck Nr. 576 nicht um einen Antrag der Koalitionsparteien, sondern um einen Antrag der Fraktion der CDU/CSU.
Daß ich dazu überhaupt noch ein Wort sagen muß, hat den Grund, daß dieser Antrag in einem nicht unwichtigen Punkt von der Ausschußvorlage abweicht. In der Ausschußvorlage haben wir ebenso wie auch in unserem ursprünglichen Antrag, der hier in der ersten Lesung behandelt worden ist, die Bestimmung vorgesehen, daß ein Geschäftsführer, für den die dienstrechtlichen Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze gelten, bei der Wahl die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt haben muß, und wir haben konzediert, daß, wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, eine Nachholung innerhalb von 15 Monaten möglich sein soll.
Mit unserem Änderungsantrag sind wir nun davon abgegangen und glauben - nach nochmals angestellten Überlegungen -, diese Konzession mit den 15 Monaten nicht machen zu sollen. Wir meinen, daß ein Geschäftsführer, für den die dienstrechtlichen Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze gelten, schon bei der Wahl und der
Übernahme seines Amtes die Voraussetzungen wirklich erfüllt haben soll. Wenn wir aber - das möchte ich jetzt im Hinblick auf den Antrag der SPD sagen - hier schon diese strengere Vorschrift innehalten wollen, dann wäre es, glaube ich, gerade mit Rücksicht auf diese Kategorie von Geschäftsführern ein gewisses Unrecht, wenn wir bei den sogenannten Außenseitern, die wir in der Sozialversicherung durchaus bejahen, weil wir glauben, daß aus der praktischen sozialen Arbeit, sei es ails Gewerkschaften, sei es aus der sozialen Bewegung usw., sehr wohl gute, qualifizierte Kräfte für diese Funktionen kommen können, die Wahl durch die Körperschaft als genügend ansehen. Wir sind der Meinung und möchten dabei bleiben, daß es sehr wohl richtig ist, der obersten Verwaltungsbehörde das letzte, entscheidende Wort zu geben, ob die Qualifikation bei diesem Außenseiter in der Tat gegeben ist oder nicht.
Aus diesem Grunde bitten wir, den Antrag der SPD abzulehnen und dem CDU-Antrag Umdruck Nr. 576 die Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Meine Fraktion steht auf dem Standpunkt des Berufsbeamtentums.
({0})
Sie sieht ein, daß auf dem Gebiet der Sozialversicherung gewisse Ausnahmen notwendig sind, aber sie möchte diese Ausnahmen soweit als möglich beschränken. Wir würden dem Antrag, den die CDU hier vorgelegt hat, unsere Zustimmung
geben, wenn eine Einschränkung aufgenommen würde. Deswegen habe ich folgenden Änderungsantrag vorzulegen, den ich dem Herrn Präsidenten überreichen werde. Wir schlagen vor, daß in
Art. I Ziff. 5 Buchstabe c betreffend § 8 Abs. 5 im letzten Satz nach dem Worte „haben" die Worte eingefügt werden „und mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen gewählt worden sind". Wir wollen damit erreichen, daß ein echter Wille des Organs vorgelegen haben muß, um diesen Kandidaten, der an und für sich nicht Berufsbeamter ist, zu wählen. Wenn diese Wahl vorgenommen worden ist, dann sind auch, glauben wir, schon in einem gewissen Umfang die Voraussetzungen für eine Ausnahme gegeben.
Ich bitte Sie also, diesem Änderungsantrag zu Umdruck Nr. 576 Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! In meiner Fraktion besteht in dieser Frage keine einheitliche Auffassung. Meine Freunde und eine Minderheit der Fraktion befürchten, daß eine präjudizierende Regelung für das Beamtengesetz getroffen wird. Ein größerer Teil meiner Fraktion ist durchaus der Auffassung der Antragsteller, die auch hier von der FDP bekundet wurde, daß es in der Sozialversicherung, wenn irgendwo, nur wünschenswert sein kann, daß auch Menschen, die aus echter Berufung und aus echter Hingabe an die soziale Arbeit geeignet sind und die dafür auch die Befähigung in der Lebensleistung und Berufserfahrung nachgewiesen haben, die Möglichkeit erhalten sollen, Geschäftsführer zu
({0})
werden. Das soll aber in jedem Fall eine Ausnahmelösung sein, weil wir nicht möchten, daß bei den Angestellten der Sozialversicherungsträger, die sehr oft genau so wie die Beamten eine sehr lange Entwicklung als Sachbearbeiter haben, das Gefühl entsteht, daß sie von der Entwicklung zum Geschäftsführerposten ausgeschlossen sind und von außen her aus irgendwelchen Gründen ihnen ein Geschäftsführer vorgesetzt wird. Am wenigsten möchten wir, daß der Geschäftsführer etwa aus politischen Gründen berufen wird. Um der echten Entpolitisierung der Sozialversicherungsträger willen sind auch wir der Auffassung, daß, wenn eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen zustandekommt, wie es Herr Dr. Atzenroth eben begründet hat, man dem CDU-Antrag mit vollem Verantwortungsbewußtsein zustimmen kann. Wir werden daher dem. CDU-Antrag mit dem Zusatzantrag der FDP zustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung.
Ich komme zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP zu dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck Nr. 576. Nach diesem Änderungsantrag der Fraktion der FDP sollen in der vorletzten Zeile des Änderungsantrags auf Umdruck Nr. 576 hinter dem Wort „haben" die Worte eingefügt werden „und mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen gewählt worden sind". Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Änderungsantrag der FDP zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck Nr. 576. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen. Damit erübrigt sich die Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 575 Ziffern 5 und 6.
Ich komme nunmehr zur Abstimmung über die Nr. 5 in ihrer Gesamtheit. Ich bitte die Damen und Herren, die der Nr. 5 zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; Nr. 5 ist angenommen.
Ich rufe auf Nr. 6, dazu die Ziffern 4, 5 und 6 des Änderungsantrags auf Umdruck Nr. 574.
Zur Begründung hat das Wort der Abgeordnete Horn.
Meine Damen und Herren! Ich beschränke mich zunächst auf die Bemerkung, daß unser Änderungsantrag von der Ausschußvorlage insofern abweicht, als es in der Ausschußvorlage heißt:
Die Versicherungsämter können im Einvernehmen mit dem Wahlausschuß der Versicherungsträger von den Gemeinden abweichende Stimmbezirke festsetzen.
Wir möchten dafür folgende Bestimmung treffen: Die Versicherungsämter können im Einvernehmen mit dem Wahlausschuß der Versicherungsträger mehrere Gemeinden zu einem Stimmbezirk vereinen oder innerhalb einer Gemeinde mehrere Stimmbezirke bilden.
Diese konkretere Formulierung hat sich nach unserem Dafürhalten als notwendig erwiesen, weil in den Gesprächen, die während der Verhandlungen u. a. auch mit den Vertretern des Bundesrats geführt worden sind, gewisse Zweifel in bezug auf die eindeutige Auslegung des Satzes, wie er in der Vorlage steht, aufgekommen sind.
Unser Antrag ergänzt dann die Ausschußvorlage noch durch die Vorschrift, die die Knappschaftsversicherung betrifft. Diese Vorschrift scheint uns notwendig, um den Verhältnissen, wie sie heute in der Knappschaft gegeben sind, auch wirklich Rechnung zu tragen, und zwar hinsichtlich der Bezeichnungen, die hier stehen: Ältestensprengel und Sprengelwahlgruppen. Ich möchte nicht mit näheren Erläuterungen darauf eingehen, sondern nur sagen, daß die Verhältnisse in der Knappschaft es notwendig erscheinen lassen, das besonders festzulegen.
Darf ich dann noch ein kurzes Wort zu dem Antrag der SPD sagen, dem wir unsere Zustimmung nicht geben können, weil er insbesondere die Forderung enthält, daß bei Betrieben mit einer Belegschaft von 50 und mehr Personen in den Betrieben gewählt werden soll. Wir halten eine solche Vorschrift für nicht angängig und sehen darin u. a. auch eine Benachteiligung der übrigen Wähler, die nicht derartigen Betrieben angehören. Wir möchten einheitlich als Stimmbezirke die Gemeinden festgesetzt wissen, mit den Ausnahmemöglichkeiten, wie sie auch unser Antrag beinhaltet.
Aus diesen Erwägungen lehnen wir den Antrag der SPD-Fraktion ab und bitten, unserem Antrage zuzustimmen.
Wollen Sie Ziffer 5 und 6 auch gleich begründen, Herr Abgeordneter?
Zu den Ziffern 5 und 6 unseres Antrages ist folgendes zu sagen.
Dem Abs. 3 b möchten wir folgenden Satz anfügen:
Sie kann auch vorschreiben,
- nämlich die Wahlordnung daß und inwieweit die Wahlen in den Geschäftsräumen der Versicherungsträger stattfinden.
Solche Fälle sind praktisch gegeben, wenn es sich um Versicherungsträger handelt, die eine am Platze einheitliche, auch karteimäßig erfaßte Mitgliedschaft haben. Solche Kassen sind die Betriebskrankenkassen, die Innungskrankenkassen, die Ersatzkassen, die über eine Mitglieder-Einzelkartei verfügen, so daß bei einer Wahl in den Geschäftsräumen eine wesentliche Vereinfachung in der Durchführung des Wahlgeschäfts möglich wird.
Aus diesen Erwägungen resultiert auch Buchstabe b von Ziffer 5 unseres Antrages, der besagt:
Dasselbe gilt auch, wenn die Wahlen in den
Geschäftsräumen der Versicherungsträger
stattfinden.
In dem Abs. 3 c sind Ausnahmemöglichkeiten der Wahlordnung vorbehalten. In den Einzelfällen, die dort niedergelegt sind, kann von der Vorschrift der Ausstellung von Wahlausweisen abgegangen werden, wenn dafür andere, ausreichende Unterlagen vorhanden sind. Mit anderen Worten, die Wahlordnung kann auch andere Unterlagen als Wahlausweise gelten lassen. Diese Voraussetzungen sind in den von mir angeführten Fällen auch gegeben, und wir möchten der Wahlordnung - nicht
({0})
in der Form eines zwingenden Gebots, sondern einer Kann-Vorschrift - die Möglichkeit geben, auch für diese Fälle entsprechend den Vorschriften in Abs. 3 c zu verfahren.
Ziffer 6 unseres Änderungsantrages weicht insofern von der Ausschußvorlage ab, als in dieser gesagt ist:
Die Wahlen finden an einem Sonntag und am vorhergehenden oder am nachfolgenden Werktage statt.
Das würde also praktisch bedeuten, daß in sehr vielen Fällen am Samstag und am Sonntag gewählt wird und in anderen zahlreichen Fällen am Sonntag und am Montag. Eine derartige Uneinheitlichkeit wünschen wir nicht. Deshalb haben wir in unserem Antrag vorgeschlagen, zu sagen:
Die Wahlen finden an einem Sonntag und am
vorhergehenden Samstagnachmittag statt.
Wir möchten also sehr wohl auch den Samstag für das Wahlgeschäft mit heranziehen, und bei Betrieben mit einer Betriebskrankenkasse soll die Wahl nach unserem Antrag am letzten Arbeitstage der Woche stattfinden, weil ja heutzutage in vielen Betrieben am Samstag nicht gearbeitet wird. Ich bitte, auch diesem Antrag die Zustimmung zu geben.
Wer begründet den Antrag? - Herr Abgeordneter Freidhof, bitte.
Der Antrag, den eben Herr Kollege Horn begründet hat, bedeutet eine wesentliche Verschlechterung gegenüber dem, was der Sozialpolitische Ausschuß beschlossen hat. Wenn schon im Sozialpolitischen Ausschuß beschlossen worden ist, daß die Wahlen nur da in den Betrieben stattfinden, wo Betriebskrankenkassen vorhanden sind, und daß sie sonst in den Gemeinden stattfinden müssen, würde durch den Antrag, den jetzt die CDU eingebracht hat, eine weitere Verschlechterung eintreten. Der Beschluß des Sozialpolitischen Ausschusses sieht vor, daß der Versicherungsträger von den Gemeinden abweichende Stimmbezirke festsetzen kann. Auch der Versicherungsträger kann also festlegen, daß in Betrieben Abstimmungen stattfinden. Nach dem Antrag der CDU wäre diese Möglichkeit nicht mehr gegeben, sondern es bestünde nur noch die Möglichkeit, in Betrieben mit Betriebskrankenkassen die Wahl im Betrieb abzuhalten, während alle übrigen Wahlen außerhalb des Betriebs stattfinden müßten.
({0})
Wir sind damit einverstanden, daß die Gemeinden Stimmbezirke sind. Unser Antrag bezweckt aber, daß in Betrieben mit mehr als 50 versicherten Betriebsangehörigen besondere Stimmbezirke gebildet werden müssen. Wir befinden uns hier in einer für Sie vielleicht interessanten Gesellschaft. Im letzten „Arbeitgeber" steht nämlich ein Artikel, der sich ebenfalls mit der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung befaßt und auch zu den Stimmbezirken Stellung nimmt. Es ist sehr bemerkenswert - und ich darf die Ausführungen vielleicht mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vorlesen, weil sie unsere Haltung auch nach d e r Seite hin rechtfertigen -, daß selbst die Arbeitgeber unserer Meinung sind, daß die Wahlen in den Betrieben stattfinden sollten. Es heißt hier:
Die Bildung der Stimmbezirke für die Wahlen
bleibt nicht mehr, wie es das Selbstverwaltungsgesetz bisher vorsah, der Regelung durch die Wahlordnung vorbehalten. Als Stimmbezirke gelten mit Ausnahme der Wahlen zur Betriebskrankenkasse die Gemeinden. Grundsätzlich soll die Wahl am Sonntag stattfinden. Damit trägt das Gesetz den sehr berechtigten Wünschen nicht Rechnung, daß die Wahlen auch in Betrieben von bestimmter Größe an und dementsprechend auch an Werktagen durchgeführt werden können.
Die Arbeitgeber sind derselben Auffassung wie wir, daß in den Betrieben gewählt werden soll, um damit eine höhere Wahlbeteiligung zu erreichen.
Wir lehnen deshalb sowohl den Antrag der CDU wie auch den vom Sozialpolitischen Ausschuß beschlossenen Antrag ab. Ich bitte Sie, den Antrag der Sozialdemokratie anzunehmen. Ich darf noch darauf hinweisen, daß auch die Sachverständigen der Versicherungsträger sich dafür ausgesprochen haben, die Betriebe mit mindestens 50 Wahlberechtigten als besondere Stimmbezirke anzuerkennen.
Dem zweiten Teil des Antrags der CDU: Stimmbezirke für die Wahlen der Versichertenältesten ({1}) in der Knappschaftsversicherung sind die Ältestensprengel und die von den Wahlausschüssen der Knappschaften zu bildenden Sprengelwahlgruppen
wird die sozialdemokratische Fraktion zustimmen.
Zu den beiden anderen Anträgen betreffend die Abhaltung der Wahlen in den Geschäftsräumen der Versicherungsträger behalten wir uns unsere Stellungnahme für die dritte Lesung vor.
Etwas Grundsätzliches ist noch folgendes: In dem Antrag der CDU ist festgelegt, daß die Wahlen für die Betriebskrankenkassen am letzten Wochentage, also den ganzen Sonnabend, in den Betrieben stattfinden können.
({2})
- Vom Sonnabendnachmittag ist nichts gesagt. ({3})
- Es ist nur gesagt: Diejenigen, die nicht in den Betrieben wählen, wählen außerhalb der Arbeitstage, nämlich am Sonnabendnachmittag. Das betrachten wir als eine Gegensätzlichkeit und als eine verschiedenartige Behandlung der beiden Versicherungsarten. Wir bitten deshalb, auch diesen Antrag abzulehnen und den Antrag der Sozialdemokratie anzunehmen.
Herr Abgeordneter Müller!
Meine Damen und Herren! Die Diskussion über den Antrag der CDU hat nicht nur hinsichtlich der sachlichen Änderungen der Ausschußvorlage eine Bedeutung. Ich glaube, man muß die Absichten, die diesem Antrag zugrunde liegen, noch von einer anderen Seite beleuchten. Warum versteift sich die Regierungskoalition, insbesondere die CDU, darauf, daß nur in den Betrieben, wo Betriebskrankenkassen vorhanden sind, die Wahlen im Betrieb durchgeführt werden sollen, während man alle anderen Betriebe davon ausschalten will? Dahinter steckt doch offensichtlich die Absicht, die Tendenz der Entwicklung von Betriebskrankenkassen zu stärken und zu unterstützen. Das ist ein spezielles Gebiet des Herrn Kollegen Horn, der j a in seiner Gesamtkonzeption nicht auf die Vereinheitlichung, sondern auf die Aufrechterhaltung der Zersplitterung der
({0})
Sozialversicherung eingestellt ist. Auch das ist als Hintergrund für diesen Antrag zu bewerten. Dagegen wenden wir uns.
Ein zweiter Gesichtspunkt muß in der Frage der Durchführung der Wahlen noch beachtet werden. Herr Kollege Horn ist der Meinung, daß die Wahlen, zeitlich gesehen, einheitlich durchgeführt werden sollen. Während man also in Betrieben, wo Betriebskrankenkassen bestehen, einen Arbeitstag nimmt, um die Wahlen durchzuführen, soll bei den anderen Betrieben der Sonntag bzw. der Samstagnachmittag genommen werden. Man müßte andererseits - in dieser Beziehung möchte ich die Auffassung des Kollegen Freidhof unterstützen - die Betriebe mit mehr als 50 Beschäftigten als Stimmbezirke betrachten und ihnen die Möglichkeit geben, im Betrieb selbst die Wahl durchzuführen. Man muß den Versicherten in den Betrieben von einer bestimmten Anzahl der Beschäftigten an die Durchführung der Wahl im Betrieb ermöglichen. Sollte es bei der jetzigen Bestimmung bleiben, könnte noch ein dritter Faktor in der Propaganda des Kollegen Horn eine bestimmte Wirkung haben. Es könnte nämlich gesagt werden: Sehen Sie, in den Betrieben, wo die Betriebskrankenkassen sind, haben wir eine Wahlbeteiligung von 60 bis 70 %, während bei allen anderen Wahlen, die in den Stimmbezirken durchgeführt werden sollen, nur eine Beteiligung von vielleicht 20 oder 30 % oder weniger zu verzeichnen ist. Damit würde eine Entwicklung unterstützt werden, die niemals im Interesse der Sozialversicherung und auch nicht im Sinne der Vereinheitlichung der Sozialversicherung liegen kann. Deswegen lehnen wir diese Anträge ab.
Weitere Wortmeldungen
liegen nicht vor, ich schließe die Besprechung.
Ich lasse zunächst über den weitergehenden Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 575 Ziffer 7 abstimmen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag auf Umdruck Nr. 575 Ziffer 7 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP auf Umdruck Nr. 574 Ziffer 4.
({0})
- Sie wünschen getrennte Abstimmung. Die Antragsteller sind mit getrennter Abstimmung einverstanden. Ich lasse zunächst über die ersten beiden Sätze bis „Stimmbezirke bilden" abstimmen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesen beiden Sätzen zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; das ist angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem letzten Satz der Ziffer 4 dieses Antrages zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die überwiegende Mehrheit des Hauses; auch dieser Satz ist angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag auf Umdruck Nr. 574 Ziffer 5 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die Ziffer 6 des Antrags auf Umdruck Nr. 574 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die Nr. 6 in der abgeänderten Fassung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben.
({1})
- Ich lasse abstimmen über Art. I Ziffer 6 in der geänderten Ausschußfassung. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; Ziffer 6 ist angenommen.
Ich rufe auf Nr. 7. - Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die Nr. 7 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. -Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Zu Nr. 8 liegt ein Änderungsantrag der SPD auf Umdruck Nr. 575 Ziffern 8 und 9 vor. Wer wünscht ihn zu begründen? Herr Abgeordneter Freidhof, bitte!
Meine Damen und Herren! Der § 225 a der Reichsversicherungsordnung bestimmt, daß, wenn eine Innungskrankenkasse errichtet werden soll, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, also beide Teile, dies mit Mehrheit beschließen müssen. Durch die vorliegende Bestimmung soll jetzt erreicht werden, daß die Möglichkeit besteht, Innungskrankenkassen zu errichten, wenn die Gesellenausschüsse - also nicht mehr die Mehrheit der Gesellen, sondern nur die Gesellenausschüsse zustimmen. Das bedeutet nach unserer Auffassung die Ausschaltung des § 225 a. Daß die Mehrheit der Gesellen nicht mitbestimmen soll, das bedeutet das demokratische Prinzip ausschalten. Wir sind deshalb der Meinung, daß dieser Paragraph unmöglich ist, und bitten, ihn zu streichen.
Darf ich Sie bitten, Ziffer 9 auch gleich zu begründen, Herr Abgeordneter Freidhof?
({0}) - Herr Abgeordneter Preller, bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns im Ausschuß lange Zeit darüber unterhalten, wie es mit den §§ 251 bis 254 der Reichsversicherungsordnung stehe und welche Bestimmungen dieser Paragraphen noch anwendbar seien. Wir haben uns unterdessen - ich möchte hier nicht in Einzelheiten gehen - noch einmal in unserer Fraktion darüber unterhalten und glauben, daß der Abs. 1 des § 251 doch auch für die Zukunft noch wesentliche Bestimmungen bringt. Deshalb möchten wir diesen Abs. 1 des § 251 anwendbar bleiben lassen. Das ergibt dann den Antrag, hinter „§§ 251" die Worte „Abs. 2" zu streichen.
Keine weiteren Wortmeldungen. Ich schließe die Besprechung zu Ziffer 8. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 575 Ziffer 8 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag auf Umdruck Nr. 575 Ziffer 9 zuzustimmen wün({0})
schen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die der Nr. 8 des Art. I in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Nr. 8 ist angenommen.
Zu den Nrn. 9 und 10 liegen Änderungsanträge nicht vor. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf Nr. 11. Änderungsantrag der SPD Umdruck Nr. 575 Ziffer 10. Wer will ihn begründen? - Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gerade diese Ziffer unseres Änderungsantrags veranlaßt mich, hier als Vertreter des Bremerhavener Gebiets, das sich mit diesem Punkt besonders auseinanderzusetzen hat, einmal die Meinung nicht bloß der Versicherten, sondern auch der Arbeitgeber zu diesem Punkt darzulegen.
Ich möchte feststellen, daß, nachdem das Gesetz vom 22. Februar 1951 bereits in Bremerhaven besonders viel Staub aufgewirbelt hat und nunmehr die Möglichkeit bestand, Kassen, die seinerzeit, 1945/46, geschlossen worden sind,
({0}) wieder aufleben zu lassen, von diesem Wiederaufleben bisher kein Gebrauch gemacht worden ist. Ich möchte weiter feststellen, daß mir von dem Kreishandwerksmeister, der bestimmt nicht in dem Verdacht steht, Vertreter meiner Fraktion zu sein, schriftlich bestätigt worden ist, er warne davor, einmal die Landkrankenkassen und zum andern die Innungskrankenkassen wieder aufleben zu lassen. Ferner haben die Innungsverbände über ihre Obermeister mitteilen lassen, daß für die Bäcker und auch für die Schlachter ein Wiederaufleben ihrer Kassen als nicht notwendig, ja sogar als für die Innung schädigend angesehen werde, da die Schließung die Kassen seinerzeit davor bewahrt habe, das Handwerk mit erheblichen Schulden zu belasten. Tatsache ist jedenfalls, daß ein Teil Beiträge bis zu einem Jahr nicht abgeführt hat.
Nun wird mit Hilfe des Antrags der CDU/CSU, FDP und DP versucht, in § 18 Abs. 4 Nr. 3 den Kassen, die ihre Lebensfähigkeit zum Teil nicht bewiesen haben, von Gesetzes wegen die Möglichkeit zu einem Wiederaufleben zu geben. Dabei läßt man nur die eine Einschränkung zu, daß gegen dieses Wiederaufleben sich die Mehrheit der Versicherten und Arbeitgeber gemeinsam entscheiden müsse. Gerade dieser Punkt ist meines Erachtens ein Kuriosum. Denn hier wird auf die Trägheit der Menschen spekuliert, die, wenn sie schon sehr schwer an die Wahlurnen zu bekommen sind, noch viel schwer dazu zu bekommen sind, nein zu einer Sache zu sagen, der sie mit einer erheblichen Gleichgültigkeit gegenüberstehen. Wenn man aber sagt, daß eine Mehrheit von Arbeitgebern u n d Arbeitnehmern ablehnen müsse, dann genügt es schon, wenn tatsächlich die Arbeitgeber überhaupt nicht Stellung nehmen und die Mehrheit der Arbeitnehmer gegen das Wiederaufleben stimmt. Auch damit würde das Wiederaufleben dieser Organe ermöglicht werden. Die Bremerhavener Ortskrankenkasse steht nach ihrer Vereinigung durchaus gesund da. In unmittelbarer Nachbarschaft dagegen, in Bremen, wo das nicht der Fall war, hat sich immer wieder gezeigt, daß die einzelnen Kassen Zuschüsse und Schutz benötigten. Ich darf als Beispiel anführen, daß bei dem Beitragsaufkommen der Landkrankenkassen - eigentlich der einzige Punkt, der in unserem Bezirk überhaupt noch von sich reden macht - wahrscheinlich die Versicherten am schlechtesten wegkommen. Das Aufkommen im Landgebiet beträgt pro Kopf 87 DM, im Stadtgebiet 151 DM im Jahr, im Mittel 131 DM. Eine einfache Frage: Was geschieht, wenn das Landgebiet herausgenommen wird? Es wird natürlich infolge des geringeren Aufkommens mit den Leistungen niedriger liegen.
Andererseits möchte ich davor warnen, die einmalige Stellung Bremerhavens hinsichtlich seiner Kasse, welche sich als gesund herausgestellt hat, dadurch zu durchbrechen, daß man Teile von Gesetzes wegen herausnimmt und den bisher niedrigen Beitragssatz von 5 bis 6 % automatisch auf 7 % erhöht, weil dieser Kasse die Rentenversicherten und die Arbeitslosen verbleiben müßten.
Zur Frage der Wiedereröffnung der örtlichen Ersatzkasse wäre folgendes zu sagen. Zur Zeit sind etwa neun Ersatzkassen am Ort, allerdings keine örtlichen. Ich erlebe es in meinem Betrieb immer wieder, daß mir die Angestellten, die sich bei dem Neuaufleben dieser Ersatzkassen haben eintragen lassen, mit Klagen kommen, daß ihnen dieser Schritt leid tue. Diese Klagen stehen nicht vereinzelt da. Das ist durchaus verständlich. Jeder, der einmal wirtschaftlich tätig war, weiß, daß ein großes Organ durchaus Möglichkeiten hat, die Forderungen und die Dinge, die notwendig sind, um den Versicherten Schutz zu gewähren, in ausreichendem Maße zu erfüllen. Nun hat man aber obendrein noch eine Ausnahme gerade für die örtliche Ersatzkasse geschaffen, in dem vorgeschlagen wird, den 500 Personen, die sich dafür erklären können, diese Kasse neu zu errichten, die Möglichkeit zu geben, neben den neun bereits vorhandenen eine zehnte, örtliche Kasse zu errichten.
Aus diesem Gesichtspunkt heraus und aus der Lage, die mir tagtäglich vor Augen ist, möchte ich bitten, dem Antrag der SPD Umdruck Nr. 575 Ziffer 10 Ihre Zustimmung zu geben.
({1})
Frau Abgeordnete Kalinke, bitte!
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Als die Regierungsparteien im Selbstverwaltungsgesetz die Frage der Wiedergutmachung in Bremerhaven - und nur darum geht es - angeschnitten hatten, ist zu diesem Problem bereits beim Selbstverwaltungsgesetz hier wie auch im Vermittlungsausschuß, den damals der Bundesrat auch wegen dieser Frage angerufen hatte, sehr viel gesagt worden. Ich bedauere sehr, daß der neue Kollege aus Bremen, der, wenn ich mich nicht irre, in der Nachwahl zu uns gekommen ist, diese Situation nicht kennt. Er hätte es uns sonst erspart, diese Frage noch einmal aufzurollen.
Es ging den Regierungsparteien nicht darum, in Bremerhaven etwa Sonderrechte zu schaffen, sondern es ging uns nur darum, das wiedergutzumachen, was durch die Politik der Besatzungsmacht, verursacht durch Anträge des Geschäftsführers der Bremerhavener Ortskrankenkasse, damals geschehen ist. Ich versage es mir - so reizvoll und so interessant das politisch auch wäre -,
({0})
auf das einzugehen, was 1945 in Bremerhaven geschehen ist. Ich möchte nur auf das antworten, was bei der Begründung des SPD-Antrags von dem Herrn Kollegen soeben behauptet worden ist. Auf einen Antrag, der damals von der Deutschen Partei in Bremen gestellt wurde, hat sich in Bremen ein Senatsausschuß damit befaßt, die Rechtsgrundlagen für das Zustandekommen der Einheitskasse in Bremerhaven zu untersuchen. Dieses Gutachten des Rechtsausschusses liegt mir vor; und da Sie zunächst die Innungskassen zitiert haben, möchte ich aus diesem Gutachten mit Genehmigung des Präsidenten nur einen Satz verlesen, nämlich den Satz aus dem Brief, den der Leiter der Ortskrankenkasse an die Militärregierung geschrieben hat und in dem er darum bittet, die Innungskassen aufzulösen. Darin steht, „daß die Fleischer und Bäcker aus lauter Eigenbrödelei ohne Erkennung eines sichtbaren Vorteils es für notwendig gehalten haben, dieses kleine Sondergebilde bestehen zu lassen." Durch die Auflösung einer Innungskasse werde Büro, Personal und Material eingespart, und die Arbeiten könnten ebenso gut in den Räumen der Allgemeinen Ortskrankenkasse erledigt werden. Mit der Argumentation, daß die übrigen Kassen - als da sind Betriebskrankenkassen, Landkrankenkassen und Ersatzkassen der Angestellten - in großem Umfang unter nationalsozialistischem Einfluß standen, mußte das Vermögen dieser Kassen auf Befehl der Militärregierung auf die Ortskrankenkasse überführt werden. Außerdem wurde bei den Landkrankenkassen noch ein weiteres Argument in der Empfehlung des Herrn Ortskrankenkassenleiters mit der Unterstützung des Bürgermeisters, seines Genossen von damals, der Militärregierung gegeben, „daß nämlich das Bestehen von Landkrankenkassen" - so steht es im Gutachten - „eine vorwiegend preußische Angelegenheit sei und daß man in dem Freistaat Bremen wie auch in dem Freistaat Hamburg, die diese Kassenart nicht kennen, daher die einheitliche Ortskrankenkasse haben müsse".
Ich sagte schon anfangs: ich möchte dieser Argumentation, die mit dem wahren Bedürfnis der Errichtung von Innungskrankenkassen und Landkrankenkassen nichts zu tun hat, nichts hinzufügen, sondern mich nur dagegen verwahren - und ich tue das in aller Kollegialität -, daß Sie aus dem Zusammenhang gerissen hier einen Brief vorlesen, der nicht die Meinung der Innung ist, sondern die Meinung eines Vorstandsmitglieds der Ortskrankenkasse ist, der auf Wunsch von Herrn Direktor Sank en auch an Herrn Bundesarbeitsminister Storch geschrieben hat, und ich gestatte mir, Herr Präsident, vorzutragen, was die Handwerkskammer in Bremen dem Herrn Bundesminister Anton Storch auf seine Rückfrage wegen dieses von Ihnen zitierten Briefes geantwortet hat. Da steht nämlich drin:
Sehr verehrter Herr Bundesarbeitsminister! Die Ihnen unter dem 11. Januar 1952 von dem Obermeister der Fleischerinnung Bremerhaven, Herrn Bleckmann, zugegangene Äußerung zu dem Entwurf eines Änderungsgesetzes war gestern Gegenstand der Beratung der Handwerkskammer. Einstimmig beschlossen die gewählten Vertreter des bremischen Handwerks bei vollzähliger Anwesenheit der Mitglieder aus Bremerhaven, zu denen auch ein Vizepräses der Handwerkskammer gehört, Ihnen mitzuteilen, daß sie die Auffassung des Obermeisters der Fleischerinnung in Bremerhaven nicht teilen. Die Kammer ist vielmehr der Meinung, daß sich die Innungskassen stets bewährt haben. Eine einzige schlechte Erfahrung, die nicht im System der Innungskassen begründet liegt, sondern auf andere Ursachen zurückzuführen ist, kann nicht zum Maßstab einer Bewertung dieser Einrichtung genommen werden.
Es wird dann noch gegen die schriftliche Äußerung des Herrn Bleckmann Verwahrung eingelegt. Zum Schluß heißt es, „daß die Handwerkskammer sich verpflichtet fühlt, festzustellen, daß sie sich von der schriftlichen Äußerung des Herrn Bleckmann distanziert, die ihre Begründung darin finde, daß Herr Bleckmann als Vorstandsmitglied der Ortskrankenkasse in Bremerhaven und Parteigenosse des leitenden Direktors in seinen Bemühungen, ihm zu helfen, nun wohl Stellung genommen habe."
Ich freue mich, daß Herr Direktor Sanken, der damals so heftig für die Schaffung der Einheitskasse Bremerhaven eingetreten ist, inzwischen sicherlich eingesehen hat, daß das Vorschicken von Geschäftsführern politischer Parteien und das Vorschicken von einzelnen Vertretern - sei es der Innungen oder der Landkrankenkassen - zu keinem Erfolg führt und daß er selbst bereit ist - ich besitze ein Schreiben, das an den Oberkreisdirektor gerichtet ist -, nun dem Wunsch des Kreistags Rechnung zu tragen und vor der gesetzlichen Regelung zu einem Kompromiß hinsichtlich der Landkrankenkassen zu kommen.
Meine Freunde in den Koalitionsparteien sind nicht der Meinung, daß über das, was in Bremerhaven an Unrecht geschehen ist und was wiedergutzumachen ist, nicht etwa Handwerkskammern, Innungen, Arbeitgeberverbände oder Gewerkschaften befinden sollen, sondern die Versicherten selbst werden Gelegenheit haben, zum Ausdruck zu bringen, ob sie ihre alten Kassen wiedererrichtet haben wollen. Das betrifft besonders die einzige Angestelltenkrankenkasse, um die es in Bremerhaven geht. Das Gesetz schreibt in keiner Weise etwas Neues oder anderes für die Neuerrichtung von Krankenkassen vor. Es handelt sich in dem von Ihnen beanstandeten Paragraphen lediglich um die Wiederherstellung des einheitlichen Bundesrechts auch in Bremerhaven.
Nun noch ein Wort zu dem Argument, das die Bremerhavener AOK so gut ist und die Bremer Kassen so schlecht sind. Meine Herren und Damen, Nichtkenner der Situation in diesem Hause könnten auf den Gedanken kommen, das sei ein Argument für die Einheitsortskrankenkasse Bremerhaven. Ich kann in diesem Zusammenhang nur eines sagen. Die wirtschaftliche Situation in dem amerikanischen Hafen und in dem Gebiet, in dem die Morbidität niedriger ist und in dem schon zu einem Zeitpunkt amerikanische Verpflegung in großem Umfange gegeben wurde, als in Bremen und Hamburg noch gehungert wurde, ist ein kleiner Teil davon. Noch sehr viel wäre dazu zu sagen, was den Gesundheitszustand der Bevölkerung in einer einzelnen Hafenstadt anders beeinflussen kann als etwa die Situation in einer Stadt mit sehr vielen Arbeitslosen und Kranken.
Wenn weiter auf die Klagen der armen Angestellten hingewiesen worden ist, die Mitglieder einer Ersatzkasse geworden sind, so kann ich nur sagen, daß sie freiwillig Mitglieder geworden sind und jederzeit die Möglichkeit haben, freiwillig der Ortskrankenkasse Bremerhaven beizutreten, wenn
({1})
sie mit ihrer Ersatzkasse nicht zufrieden sind. Ich habe allerdings bisher nicht in einem einzigen Falle gehört, daß ein Mitglied einer Bremerhavener Ersatzkasse Grund zur Klage hatte.
Ich bitte die Freunde der Koalition und auch die Abgeordneten der Opposition, mit uns darin übereinzustimmen, daß mit der Annahme dieser Paragraphen das Recht der Reichsversicherungsordnung wiederhergestellt und damit einheitliches Sozialversicherungsrecht geschaffen wird, das Sie doch mit uns gleichermaßen für das ganze Bundesgebiet wünschen.
({2})
Herr Abgeordneter Preller!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete Kalinke hat ja die Gewohnheit, das demokratische Recht anzusprechen. Wenn wir uns aber ansehen, wie dieser Absatz jetzt im Ausschuß formuliert und hier von den Koalitionsparteien beantragt worden ist, so stellen wir fest, daß die Kassen, um die es sich handelt, automatisch wieder geöffnet werden und es erst eines Einspruchs der Versicherten bedarf, um diese automatische Öffnung gegebenenfalls rückgängig zu machen. Das ist nicht Demokratie, Frau Abgeordnete Kalinke!
({0})
Demokratie wäre es, wenn Sie den Versicherten das Recht geben würden, von sich aus diese neuen Kassen zu beantragen. Aber das haben Sie nicht gewagt.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung zu Nr. 11.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 575 Ziffer 10, den Buchstaben c in Art. I Nr. 11 zu streichen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über Nr. 11 in der Ausschußfassung. Ich bitte' die Damen und Herren, die Nr. 11 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; Nr. 11 ist angenommen.
Ich rufe auf Art. II. - Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die Art. II zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen angenommen.
Ich glaube, der Antrag der CDU/CSU, FDP und DP/DPB bezüglich Berlin bedarf wohl keiner Begründung. Oder soll er noch begründet werden? - Herr Abgeordneter Horn!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zu Ziffer 7 unseres Sammelantrags folgendes zu erklären. Nachdem wir diesen Antrag eingereicht hatten und er auch bereits gedruckt war, haben noch Besprechungen innerhalb des Hauses, auch innerhalb der Koalitionsparteien, über diese Frage und die damit zusammenhängenden Dinge stattgefunden. Dabei ist uns deutlich geworden, mehr als das vorher der Fall war, daß in dieser Frage, die auch sehr wesentlich mit dem zur Zeit in Berlin anstehenden Gesetz über die Rechtsangleichung in der Rentenversicherung und der Aufgliederung der Berliner Sozialversicherung in einen Träger für Rentenversicherung und einen für Krankenversicherung zusammenhängt, Besprechungen mit dem Herrn Bundesarbeitsminister einerseits und den Vertretern Berlins andererseits geführt worden sind, über deren Verlauf wir eine Unterrichtung vom Herrn Bundesarbeitsminister persönlich haben möchten. Der Herr Bundesarbeitsminister ist zur Zeit noch in Genf und wird, wie ich höre, gegen Wochenende zurückerwartet. Vorher werden wir diese Unterrichtung halt nicht bekommen können.
Es kommt weiter hinzu, daß hier innerhalb des Hauses noch nicht volle Klarheit darüber besteht, wie die Dinge vom Sozialpolitischen Ausschuß in dieser Frage abgeschlossen bzw. noch nicht abgeschlossen sind. Aus diesen Erwägungen, entscheidend aber aus dem erstgenannten Grund, möchten wir die Rückkehr des Herrn Bundesarbeitsministers abwarten, bevor über diesen Antrag entschieden werden mag. Wir möchten also, daß in der zweiten Lesung darüber nicht befunden wird.
Ich darf mir gleichzeitig schon hier den Antrag gestatten, die dritte Lesung aus dem gleichen Grund um eine Woche zu verschieben, damit in der Zwischenzeit diese Dinge geklärt werden können. Die Regierungsparteien behalten sich vor, den bereits gestellten Antrag dann in der dritten Lesung zur Entscheidung zu bringen.
Meine Damen und Herren, der Antrag Umdruck Nr. 574 Ziffer 7 ist für die zweite Beratung zurückgezogen.
Herr Abgeordneter Dr. Atzenroth!
Ich wollte die letzte Erklärung von Herrn Kollegen Horn für die FDP und die DP dahin ergänzen, daß wir die Erklärung abgeben: Wir werden den Antrag in der dritten Lesung stellen. Wir behalten es uns nicht nur vor, sondern wir werden den Antrag in der dritten Lesung stellen.
Meine Damen und Herren, jedenfalls ist der Antrag in der zweiten Beratung nicht gestellt; das steht fest.
Ich rufe auf Art. III, Einleitung und Überschrift. - Ich bitte die Damen und Herren, die Art. III, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das ist mit Mehrheit angenommen.
Damit ist die zweite Beratung beendet. Ich darf unterstellen, daß das Haus damit einverstanden ist, daß die dritte Beratung dieses Gesetzes zu einem im Ältestenrat zu verabredenden Zeitpunkt stattfindet. - Das ist der Fall. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf den Punkt 16:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betr. Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Gastarbeitnehmer vom 23. November 1951 ({0});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit ({1}) ({2}).
({3})
({4})
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Ludwig. Darf ich ihn bitten, das Wort zu nehmen.
Ludwig ({5}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Arbeit hat sich in seiner Sitzung am 28. Mai mit der Vorlage Drucksache Nr. 3208 betreffend Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Gastarbeitnehmer befaßt.
({6})
Zur Vervollkommnung ihrer Berufskenntnisse können beide Länder 500 Arbeitnehmer pro Jahr zu einem einjährigen Aufenthalt zulassen. Sie unterliegen den, gleichen Arbeits- und Lohnbedingungen und den gleichen Vorschriften über die soziale Sicherheit wie die Einheimischen. Ein Ausschußmitglied hat lediglich angeregt, ob es bei späterem Anlaß möglich sei, die Altersgrenze von 30 Jahren etwas zu erhöhen.
Das Abkommen gilt bis zum 31. Dezember 1952, wird aber stillschweigend um ein Jahr verlängert, wenn keine Kündigung erfolgt. Der Ausschuß empfiehlt einstimmig, dem Abkommen zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die zweite Beratung. Ich rufe auf Art. 1, - Art. 2, - Art. 3, - Einleitung und Überschrift. - Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme. Damit ist die zweite Beratung geschlossen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich rufe auf zur Einzelberatung: Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Einstimmige Annahme. Gemäß § 88 der Geschäftsordnung entfällt die Schlußabstimmung. Damit ist Punkt 16 erledigt.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Arbeitslosenversicherung ({0}); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit ({1}) ({2}).
({3})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Ludwig als Berichterstatter.
Ludwig ({4}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Arbeit befaßte sich am 28. Mai mit dem aufgerufenen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich, Drucksache Nr. 3125. Danach genießen die Angehörigen der vertragschließenden Staaten bei Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit die gleichen Rechte wie die Einheimischen. Die Abmachung erstreckt sich auf Arbeitslosenversicherung, Arbeitslosenfürsorge oder in Österreich Notstandshilfe, einschließlich Krankenversicherung, Kurzarbeitunterstützung und werteschaffende Arbeitslosenfürsorge. Eine Verrechnung der Beiträge findet nicht statt. Das Abkommen soll für 1 Jahr geschlossen werden, aber jeweils 1 Jahr weitergelten, wenn es nicht gekündigt wird. Es bedarf der Ratifizierung.
Der Ausschuß empfiehlt einstimmig die Zustimmung.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich rufe auf zur zweiten Beratung: Art. 1, - Art. 2, - Art. 3, - Einleitung und Überschrift. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme.
Ich schließe die zweite Beratung und rufe auf zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache und rufe auf zur Einzelberatung Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme. Eine Schlußabstimmung entfallt aus denselben Gründen wie bei der vorhergehenden Ziffer der Tagesordnung.
Ich rufe auf Punkt 18 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Sozialpolitik ({0}) über den von den Abgeordneten Dr. Bertram, Rümmele, Tichi, Clausen und Genossen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Pensionskasse Deutscher Eisenbahnen und Straßenbahnen ({1}).
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Horn als Berichterstatter.
Horn ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Drucksache Nr. 2334 war von den Antragstellern ein Gesetzentwurf eingebracht worden, in dem verlangt wurde, daß die Pensionskasse Deutscher Eisenbahnen und Straßenbahnen als eine Sondereinrichtung der Sozialversicherung anerkannt werden sollte. Ein Paragraph sieht vor, wie die Sanierung dieser Versicherungseinrichtung sichergestellt werden soll. Die Vorlage war dem Sozialpolitischen Ausschuß überwiesen; mitbeteiligt war der Haushaltsausschuß. Es fanden mehrere Sitzungen statt. Auch die beteiligte Leitung der Pensionskasse und die in Frage kommenden Gewerkschaften wurden angehört.
Schon als der Antrag eingebracht wurde, befand sich die Pensionskasse seit längerem in Gesprächen über die Sanierung mit den Ländern, insbesondere mit dem Land Nordrhein-Westfalen, und mit dem Bundesfinanzministerium. Der Einrichtung sind aus diesen Quellen im Laufe der Zeit auch gewisse Zuwendungen gemacht worden, auf die ich hier im einzelnen nicht einzugehen brauche; insbesondere sind im Rahmen des Rentenaufwertungsgesetzes, das wir im vorigen Jahr verabschiedet haben, gewisse Ansprüche erfüllt worden.
Meine Damen und Herren, es handelt sich in der Tat um eine nicht gerade einfache Materie. Die Tatsache besteht, daß diese Pensionseinrichtung außerordentlich notleidend geworden ist. Nach den mir vorliegenden Unterlagen ist die Zahl der Rentenbezieher oder Anspruchsberechtigten heute nahezu ebenso groß wie die Zahl der der Einrich({3})
tung noch angehörenden aktiven und beitragzahlenden Mitglieder.
Die Pensionskasse nahm schon im früheren Reichsgebiet eine einmalige Sonderstellung ein. Viele von Ihnen werden sich erinnern, daß auch die Rentenversicherung bzw. die Angestelltenversicherung früher gewisse Ersatzeinrichtungen anerkannt hat. Diese damals bestehenden Vorschriften sind aber beseitigt worden, und nach dieser Zeit war die Pensionskasse die einzige Versicherungsanstalt, die noch die Altersversorgung eines an sich sozialversicherungspflichtigen Personenkreises selbständig durchführte. Diese einzigartige Stellung beruht auf Beschlüssen des früheren deutschen Bundesrats aus den Jahren 1913 und 1915. Sie hat sich aus den besonderen Bedürfnissen des Eisenbahnwesens erklärt, das dem öffentlichen Dienst zugerechnet wird, auch soweit es sich um die Eisenbahn in privatrechtlicher Form handelt; die Bediensteten dieser Privateisenbahnen genießen eben eine beamtenähnliche Stellung. So kam es, daß dieser Personenkreis bei Zugehörigkeit zu dieser Kasseneinrichtung von der Sozialversicherungspflicht im übrigen befreit wurde.
Die Kasse ist einmal durch die Folgen der Währungsreform etc. finanziell äußerst notleidend geworden, zum andern ist eine besondere Schwierigkeit dadurch eingetreten, daß einige Mitglieder dieser Kasse wegen ihrer Ansprüche Klage erhoben haben. Während den Mitgliedern, da die Einrichtung versicherungsrechtlich als eine Privatversicherungseinrichtung angesehen wurde, zunächst Ansprüche nur im Verhältnis von zehn zu eins zuerkannt wurden, wurde durch bundesgerichtliche Entscheidung festgestellt, daß die Kasse Leistungen im Verhältnis eins zu eins zu machen hat. Sie befindet sich zur Zeit auch noch dadurch in besonderer Schwierigkeit, daß ihr nur bis zum 30 Juni Vollstreckungsschutz gegeben wurde, so daß sie ab 1. Juli in noch größere Beklemmung kommen müßte, wenn ihr nicht irgendeine finanzielle Hilfe zuteil wird.
Meine Damen und Herren! Ich will darauf verzichten, Ihnen vorzutragen, inwieweit heute und für die Zukunft in den nächsten Jahren versicherungsmathematisch die Rentenansprüche das tatsächliche Beitragsaufkommen übersteigen. Die Fehlbeträge, die sich schon dadurch ergeben, beziffern sich, wenn ich es im Augenblick richtig im Gedächtnis habe, auf 4,5 bis 5 Millionen DM im Jahr.
Im Ausschuß bestand völlige Einmütigkeit darüber, daß der Pensionskasse irgendwie geholfen werden muß. Es bestand aber auch Einmütigkeit darüber, daß man diese Einrichtung, so wie die Verhältnisse nun einmal sind, auch was den Vergleich zwischen passiven und aktiven Mitgliedern angeht, auf die längere Dauer unmöglich so noch weiterschleppen kann. Meinungsverschiedenheiten bestehen zwischen den beteiligten Ministerien - dem Bundesarbeitsministerium und dem Bundesfinanzministerium-insofern, als der Herr Bundesarbeitsminister der auch nach Meinung des Ausschusses an sich richtigen Auffassung ist, daß man diese verhältnismäßig kleine Einrichtung nicht heute noch zu einer Ersatzeinrichtung der Sozialversicherung erklären kann. Es muß eines Tages darüber befunden werden, inwieweit die Kasse überhaupt noch existenzfähig ist und man den dann verbleibenden aktiven Teil nach näheren Bedingungen doch in die Sozialversicherung wird überführen müssen. Das Bundesfinanzministerium vertritt den Standpunkt, daß es eine Einrichtung
sei, die sehr wohl der Aufsicht des Bundesarbeitsministers unterstehen sollte, während zur Zeit der Herr Bundesfinanzminister die Aufsicht übernommen hat. Der Ausschuß war sich darüber klar, daß es auf Grund des vorliegenden Antrags nicht möglich war, eine endgültige Entscheidung zu treffen. Der Ausschuß hielt sich auch nicht für befugt, von sich aus nach Endlösungen zu suchen. Er hat aber sehr wohl die Notwendigkeit einer baldigen endgültigen Regelung bejaht. Deshalb liegt Ihnen die Ausschußvorlage vor, der auch der Haushaltsausschuß seine Zustimmung gegeben hat.
Unter 1 a der Ausschußvorlage auf Drucksache Nr. 3444 wird beantragt, die Bundesregierung zu beauftragen, dem Bundestag beschleunigt einen Gesetzentwurf über die endgültige Regelung der Verhältnisse der Pensionskasse Deutscher Privateisenbahnen vorzulegen. In der einmütigen Erkenntnis aber auch, daß die Kasse bis dahin auf eine finanzielle Hilfe nicht warten kann, haben die Ausschüsse unter Buchstabe b weiter vorgeschlagen, bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes durch eine Übergangslösung sicherzustellen, daß auch über den 1. Juli 1952 hinaus die Verpflichtungen der Pensionskasse Deutscher Privateisenbahnen gegenüber den Pensionären erfüllt werden können. Wir halten es für untragbar, daß für die Folge etwa auch die Pensionäre durch diese Schwierigkeiten notleidend werden sollten und keine Pensionen mehr beziehen könnten. Ich bin darüber unterrichtet, daß die Leitung der Pensionskasse auch zur Zeit wiederum im Gespräch mit dem Bundesfinanzministerium ist. Ich möchte der Hoffnung Raum geben, daß, nachdem wir heute diesen Antrag hier verabschiedet haben werden, diese Gespräche dann auch zu konkreten Ergebnissen verdichtet werden können, die der Einrichtung dann auch zum rechten Termin noch die notwendige finanzielle Überbrückungsmöglichkeit sicherstellen.
In der Ziffer 2 des Antrags des Ausschusses wird dann weiter vorgeschlagen, die Beratung über den Antrag Nr. 2334 bis zur Vorlage des unter Ziffer 1 a bezeichneten Gesetzentwurfs auszusetzen.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, der Ausschußvorlage Ihre Zustimmung zu geben und damit den Angehörigen dieser Pensionskasse auch wieder ein besseres Gefühl hinsichtlich ihrer zukünftigen Versorgung zu vermitteln.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf eine Aussprache zu verzichten. - Es erhebt sich kein Widerspruch. - Wortmeldungen liegen nicht vor.
Dann stimmen wir ab über den Antrag des Ausschusses. Wer für den Antrag des Ausschusses auf Drucksache Nr. 3444 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist bei einer Stimmenthaltung im übrigen einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu dem Abkommen über den Internationalen Währungs-Fonds ({0}) und über die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung ({1}) ({2}).
({3})
Hier empfiehlt der Ältestenrat, sich mit der Verweisung der Regierung auf die gedruckte Begründung begnügen zu wollen, auf eine Aussprache zu verzichten und den Antrag an den Ausschuß für Geld und Kredit zu überweisen. Besteht Einverständnis? - Kein Widerspruch; dann ist so beschlossen. Die Drucksache Nr. 3428 ist dem Ausschuß für Geld und Kredit überwiesen. Damit ist Punkt 19 der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen ({4}) über den Antrag der Fraktion der Deutschen Partei betreffend Entschädigung des für Wehrmachtzwecke und Reichsautobahn beschlagnahmten Grundbesitzes ({5}).
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Bertram als Berichterstatter.
Dr. Bertram ({6}) ({7}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Angelegenheit, die uns hier beschäftigt, ist schon wiederholt Gegenstand parlamentarischer Verhandlungen gewesen. Eine Interpellation der Bayernpartei und des Zentrums - Drucksache Nr. 1382 - vom 22. September 1950 hat die Angelegenheit zuerst aufgegriffen. Die Antwort der Regierung datiert vom 18. Oktober 1950. Eine Anfrage Nr. 218 der Zentrumspartei vom 16. Oktober 1951 hat das Problem erneut angeschnitten. Die Antwort der Regierung - Drucksache Nr. 2778 --- datiert vom 14. Dezember 1951.
Der jetzt vorliegende Antrag der Deutschen Partei - Nr. 2770 der Drucksachen - vom 5. November 1951 ist eingehend und wiederholt im Ausschuß behandelt worden. Es haben Verhandlungen mit den beteiligten Ministerien - Bundesfinanzministerium und Bundesverkehrsministerium - stattgefunden, so daß der Ausschußbericht erst jetzt vorgelegt werden konnte. Der Sachverhalt resultiert im wesentlichen aus der Inanspruchnahme von Grundstücken durch das Deutsche Reich für Zwecke der Wehrmacht, für Zwecke der Verteidigung, für Luftschutz, für Ausweichkrankenhäuser, für Reichslagerhallen und für das Unternehmen Reichsautobahnen. Der Rechtsgrund für die Inanspruchnahme ist sehr vielfältig gewesen. Es sind Verträge abgeschlossen worden, Kauf- oder Tauschverträge. Inanspruchnahmen haben auf Grund des Reichsleistungsgesetzes. auf Grund des inzwischen aufgehobenen Gesetzes über Landbeschaffung für Zwecke der Wehrmacht stattgefunden; es sind Enteignungsverfahren durchgeführt worden; ein Teil der Grundstücke ist auch formlos in Besitz genommen worden und ist noch heute im Besitz des Bundes.
Ein typisches Beispiel dieser Art für viele will ich kurz berichten. Der Reichsfiskus und die Stadt Münster haben durch Vertrag vom 15. Juli 1930 vereinbart, daß die Stadt dem Reichsfiskus das Eigentum an einem Gelände für den Truppenübungsplatz Dorbaum in der Nähe der Stadt verschaffen und als Gegenleistung der Reichsfiskus der Stadt das Gelände des Exerzierplatzes Loddenheide übereignen sollte. Also 1930! Die Stadt Münster hat das Gelände Dorbaum mit einem Kostenaufwand von 1,2 Millionen Mark erworben und dem Reichsfiskus vollständig zu Eigentum verschafft. Der Reichsfiskus seinerseits hat aber seine Gegenverpflichtungen aus jener Zeit noch nicht
erfüllt und hat der Stadt Münster das Gelände nicht übereignet. Die Loddenheide ist inzwischen auch beschlagnahmt worden, und die Aussicht für die Stadt, das Eigentum daran zu erhalten, ist gleich Null. Also eine Verpflichtung, die jetzt ungefähr 20 Jahre alt ist und seit 20 Jahren noch nicht erfüllt worden ist! Derartige Fälle sind hier sehr häufig vorgekommen.
Ferner müßte noch die Frage erörtert werden, was in denjenigen Fällen geschehen soll, in denen Grundstücke in Anspruch genommen und auf den Grundstücken Bauten errichtet worden sind, die den Wert der Grundstücke erhöht haben, und in denjenigen Fällen, in denen Wertminderungen bei Grundstücken, die im Besitz des Bundes sind, aber noch nicht bezahlt sind, vorliegen, beispielsweise bei Waldgrundstücken, die das ehemalige Reich in Anspruch genommen und teilweise oder ganz abgeholzt hat und in bezug auf die das Reich dem Eigentümer den Erlös bis heute schuldig geblieben ist.
Es wurde zunächst erwogen, diese Frage auf dem Wege der Rechtsprechung zu klären. Diese Frage kann aber auf dem Wege der Rechtsprechung wahrscheinlich nicht geklärt werden. Soweit vom Reich in Anspruch genommene Grundstücke bereits in das Eigentum des Reiches übergegangen sind, steht den früheren Grundstückseigentümern ein Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises oder der im Enteignungsverfahren festgesetzten Entschädigung gegen das Reich zu. Dieser Anspruch fällt aber unter § 14 des Umstellungsgesetzes, kann also, da er noch nicht umgestellt ist und noch auf Reichsmark, auf eine nicht mehr in Geltung befindliche Währung lautet, weder gegen das Reich noch gegen die Bundesrepublik Deutschland geltend gemacht werden, bevor hier nicht eine gesetzliche Regelung eingreift.
Richtet sich der Anspruch gegen das Unternehmen Reichsautobahnen, so greift § 14 des Umstellungsgesetzes nicht Platz. Die Geldsummenverpflichtungen des Unternehmens Reichsautobahnen sind vielmehr nach § 13 des Umstellungsgesetzes im Verhältnis von 10 : 1 umgestellt. Obwohl danach eine Verurteilung des Unternehmens Reichsautobahnen, dessen rechtliche Existenz nicht erloschen ist, erfolgen könnte, wird sie nicht zur Befriedigung des Klägers führen können, da dieses Unternehmen nach Art. 90 des Grundgesetzes und § 1 des Gesetzes über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs vom 2. März 1951 vermögenslos geworden ist. Eine Inanspruchnahme der Bundesrepublik Deutschland für die Verbindlichkeiten des Unternehmens Reichsautobahnen kann aber erst auf Grund einer in § 8 Abs. 2 des genannten Gesetzes vorbehaltenen gesetzlichen Regelung erfolgen. Die andere Ansicht, daß diese Bestimmung, sofern sie sich nicht nur auf das Verhältnis zwischen Bund und Ländern bezieht, rechtsungültig sei, wird vom Bundesfinanzministerium nicht akzeptiert und ist zweifelhaft. § 8 Abs. 2 des genannten Gesetzes hat vielmehr nach Auffassung der Ministerien dieselbe Bedeutung wie § 5 des Gesetzes über die vorläufige Regelung der Rechtsverhältnisse des Reichsvermögens und der preußischen Beteiligungen vom 21. Juli 1951. Zu der letzteren Bestimmung liegen bereits zahlreiche Gerichtsentscheidungen vor, daß diese Bestimmung als eine absolute Sperrvorschrift anzusehen ist, die eine unmittelbare Inanspruchnahme des Bundes vor einer gesetzlichen Regelung ausschließt. Die
({8})
gleiche Sperrwirkung kommt demnach auch § 8
Abs. 2 des Gesetzes über die Bundesautobahnen zu.
Sind die Grundstücke vom Reich auf Grund eines Vertrages in Anspruch genommen worden, ohne daß der Eigentumsübergang auf das Reich erfolgt ist, so steht den Grundstückseigentümern ein Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises gegen Auflassung des Grundstücks zu. Der Anspruch des Kaufpreises ist nach § 14 des Umstellungsgesetzes nicht umgestellt worden. Bis zu einer gesetzlichen Regelung des Umstellungsverhältnisses kann er daher gerichtlich nicht geltend gemacht werden. Das einzige Recht der Grundstückseigentümer wäre, daß sie sich gegenüber dem Auflassungsanspruch des Reiches auf ein Leistungsverweigerungsrecht berufen. Damit ist den Grundstückseigentümern aber wenig gedient, da der Bund an einem solchen Auflassungsanspruch nicht interessiert ist, solange er den Besitz ohne Zahlung behalten kann.
Ist ein Grundstück vom Unternehmen Reichsautobahnen auf Grund eines Kaufvertrages in Anspruch genommen worden, ohne daß das Eigentum auf die Reichsautobahn übergegangen ist, so findet § 18 des Umstellungsgesetzes Anwendung. Auch hier kann dieser Anspruch auf den im Verhältnis 1 : 1 umgestellten Kaufpreis gegen den Bund nicht vor der gesetzlichen Regelung geltend gemacht werden.
Ist die Inanspruchnahme eines Grundstücks ohne vertragliche Regelung in Anwendung gesetzlicher Bestimmungen, also des Reichsleistungsgesetzes oder des Gesetzes zur Landbeschaffung für Zwecke der Wehrmacht geschehen, ohne daß ein Eigentumsübergang erfolgt ist, so kann der Bund sich gegenüber der Herausgabeklage des Eigentümers auf § 986 BGB berufen, braucht nicht herauszugeben, braucht aber auch aus den oben genannten Gründen der Sperrvorschrift nicht zu zahlen.
Ist die Inanspruchnahme endlich formlos erfolgt, so hat der Bund kein Recht zum Besitz. In diesem Falle wäre eine Herausgabeklage des Eigentümers wahrscheinlich erfolgreich. Die Grundstücke müßten herausgegeben werden, wobei der Bund für Werterhöhungen, insbesondere Bauten, nur einen Bereicherungsanspruch hätte, der im Verhältnis von 10 : 1 umzustellen wäre. Nur das Oberlandesgericht in Frankfurt hat in diesen Fällen eine Umstellung im Verhältnis 1 : 1 angenommen.
Es ist auf die Dauer unerträglich - dies war die einhellige Meinung des Ausschusses -, daß der Bund die Werte behält, aber Zahlungen nicht leistet. Eine Verweisung auf die künftige gesetzliche Regelung, die wiederholt in der Korrespondenz und auch in den Antworten der Regierung auf die Interpellation und auf die Anfrage erfolgt ist, hat uns jetzt seit über zwei Jahren aufgehalten, ohne daß irgendein praktischer Erfolg eingetreten ist. Diese Regelung wird voraussichtlich auch noch eine ganze Weile auf sich warten lassen. Das im Bundesministerium der Finanzen in Vorbereitung befindliche Gesetz zur Bereinigung nicht abgewickelter Grundstücksinanspruchnahmen für öffentliche Zwecke soll erst die gesetzliche Grundlage schaffen. Daneben soll aber dieses Gesetz auch eine Reihe materiell-rechtlicher Bestimmungen enthalten, die eine beschleunigte Abwicklung der Grundstücksinanspruchnahmen sichern. Deshalb wird das Gesetz noch einer wesentlichen Überarbeitung, Ergänzung und Abstimmung bedürfen und alsbald noch nicht eingereicht werden können. Ob die Durchführung der im Rahmen der Bereinigung nicht abgewickelten Grundstücksinanspruchnahmen auf Grund der Länderenteignungsgesetze oder auf Grund eines neu zu erlassenden Bundesenteignungsgesetzes zu erfolgen hat, ist im Ausschuß ebenfalls erörtert worden. Der Ausschuß hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß die Ländergesetze maßgebend sein sollten, daß aber dem Bund generell das Enteignungsrecht für derartige Inanspruchnahmen verliehen werden sollte.
Auf Grund dieser Rechts- und Sachlage ist der Finanzausschuß zu dem Beschluß gekommen, daß eine Sofortregelung die gegebene Lösung sei. Diese Sofortregelung, die völlig unabhängig von der zu erwartenden komplizierten gesetzlichen Regelung vorgesehen ist, finden Sie in dem Ihnen vorgelegten Beschluß. In diesem Beschluß sind diejenigen Fälle nicht aufgeführt worden, in denen das Eigentum an derartigen beschlagnahmten Grundstücken bereits übergegangen war, aber der Kaufpreis noch nicht bezahlt war. Diese Fälle sind wie alle ehemaligen Reichsverbindlichkeiten zu regulieren und bleiben so lange offen, als die ehemaligen Reichsverbindlichkeiten nicht reguliert sind. Etwas anderes gilt für diejenigen Fälle, in denen der Bund früher vom Reich in Anspruch genommene Grundstücke jetzt nicht mehr benutzt. Diese Grundstücke sollen sofort an die Eigentümer zurückgegeben werden. Soweit es sich bei diesen Grundstücken um beschädigte Grundstücke handelt, soll die Frage des Minderwertes einer späteren gesetzlichen Regelung vorbehalten bleiben. Soweit in den Grundstücken Verbesserungen erfolgt sind, soll der Mehrwert im Vertragswege vom Eigentümer voll erstattet werden. Soweit die Grundstücke - und das ist die wichtigste Ziffer unseres Beschlusses - weiterhin vom Bund oder von dem Unternehmen Reichsautobahnen in Anspruch genommen werden, sollen sie alsbald rechtsgeschäftlich erworben und bezahlt werden. Endlich soll der Bundesfinanzminister - das ist die Ziffer 3 unseres Entschließungsentwurfs - feststellen, welche Mittel im übrigen für die Abwicklung des Gesamtkomplexes erforderlich sind. Vorläufige Berechnungen haben ergeben, daß allein für den Erwerb der Grundstücke der Reichsautobahn, also für Grundstücke, die die Reichsautobahn im Besitz hat, aber noch nicht bezahlt hat, 70 Millionen DM erforderlich sind und daß für derartige Wehrmachtgrundstücke, Flugplätze usw., 500 Millionen DM benötigt werden. Für diesen Komplex von rund 570 Millionen DM für noch nicht bezahlte Grundstücke sind im letzten Etat sage und schreibe 5,3 Millionen DM ausgewiesen worden. Das würde also eine Erledigung dieser Frage in hundert Jahren bedeuten. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Regelung nicht den berechtigten Interessen der Grundstückseigentümer entspräche. Daneben soll - das ist aber meistens schon der Fall - den Grundstückseigentümern eine Nutzungsentschädigung gezahlt werden. Endlich soll in den Fällen, in denen das Eigentum den Grundstückseigentümern wirtschaftlich entzogen ist, in denen sie aber gleichwohl Steuern für diese Grundstücke zu zahlen haben, weil eine Fortschreibung der Einheitswerte bisher nicht möglich war, eine Fortschreibung der Einheitswerte durchgeführt und Überzahlungen erstattet, weitere Inanspruchnahmen zur Grundsteuer nicht mehr erfolgen und endlich die Heranziehung zur Soforthilfeabgabe beseitigt werden. Das ist die letzte Ziffer unseres Beschlußentwurfs.
Bei den Verhandlungen mit dem Bundesfinanzministerium hat sich ergeben, daß die Haushalts({9})
abteilung des Bundesfinanzministeriums keine Möglichkeit sieht, diesen großen Betrag von 500 bis 600 Millionen DM in absehbarer Zeit unterzubringen. Es wird also darauf ankommen, daß der Haushaltsausschuß des Bundestags sich darüber klar wird, wie die berechtigten Ansprüche, die auf Grund dieses Beschlusses, der Ihnen vorgeschlagen wird, eindeutig bestimmt werden, auch haushaltsmäßig abgedeckt werden sollen.
({10})
Ihr Beifall zeigt, wie dankbar Sie alle dem Herrn Berichterstatter für diesen Bericht sind.
({0})
Seine Ausführlichkeit scheint mir noch den einen besonderen Vorzug zu haben, daß er wohl eine besondere Aussprache überflüssig gemacht haben wird.
({1})
Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Annahme des Ausschußberichts auf Drucksache Nr. 3426 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Einstimmige Annahme.
({2})
Ich rufe auf Punkt 21 der Tagesordnung: Beratung der Übersicht Nr. 54 über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages
über Petitionen ({3}).
Ich kann wohl annehmen, daß das Haus mit den Anträgen des Petitionsausschusses und der übrigen Ausschüsse einverstanden ist - Widerspruch erhebt sich nicht. Das Haus beschließt, den Anträgen r der Übersicht Nr. 54 zuzustimmen.
Ich rufe auf Punkt 22 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ({4}) betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Behrisch gemäß Schreiben der Rechtsanwälte Dr. Henneberg und Dr. Beyer, Hof/Saale, vom 30. April 1952 ({5}).
Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Kahn.
Kahn ({6}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rechtsanwälte Dr. Henneberg und Dr. Beyer in Hof an der Saale haben im Auftrag des Zeitungsverlegers der „Frankenpost" in Hof an der Saale, des Herrn Tibor Yost, mit Schreiben vom 30. April dieses Jahres den Deutschen Bundestag ersucht, die Genehmigung zu einem Strafverfahren gegen den Kollegen Behrisch wegen Beleidigung zu erteilen, und sie haben das Ersuchen gestellt, die Immunität des vorgenannten Kollegen aufzuheben. Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat in seiner 147. Sitzung am 27. Mai dieses Jahres hierzu wie folgt Stellung genommen:
Der Ausschuß hat durch den Berichterstatter Auszüge aus einzelnen Artikeln, für die der Abgeordnete Behrisch verantwortlich zeichnete, entnommen. Darin heißt es unter anderem: „Alle oberfränkischen Zeitungen ... wissen, daß Yost ein ,elender Lügner' ({7}) ist." Weiter heißt es in einem Artikel vom 30. August 1951:
Wie ein Dieb in der Nacht ist der aus durchsichtigen Gründen nach Garmisch entwichene Tibor Dioszeghy wieder in Hof aufgetaucht. ... Das Unternehmen der kommunistischen Wühlratte.
Der Berichterstatter und der Ausschuß sind nach eingehender und sachlicher Behandlung zu der einmütigen Auffassung gekommen, daß es sich bei der Abfassung der fraglichen Artikel um einen Abwehrkampf gegen einen bekannten Kommunisten handelt und daß es sich nicht um eine Verleumdung, sondern um Beleidigungen im Rahmen politischer Auseinandersetzungen handelte und der politische Charakter der Auseinandersetzungen gegeben war. Der Ausschuß beschloß einstimmig, das Ersuchen der beiden Hofer Anwälte auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Behrisch abzulehnen.
Ich bitte, gemäß dem Ausschußantrag heute zu entscheiden.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Antrag des Ausschusses stimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme.
Ich rufe auf Punkt 23 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ({0}) betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Rische gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 1. April 1952 ({1}).
Ich erteile das Wort zur Berichterstattung dem Abgeordneten Ewers.
Ewers ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Fall des Herrn Abgeordneten Rische fällt etwas aus dem allgemeinen Rahmen heraus und ist daher vielleicht geeignet, daß ich mit „Faust" sage: ,.Ich bin des trocknen Tons nun satt." Herr Rische ist in folgende Angelegenheit verwickelt. -
So sprach Mephisto - Ewers ({0}): Ja, aber im „Faust". Ich bin hier
nicht Mephisto, ich bin hier nur Berichterstatter!
({1})
Herr Rische hat mit anderen Parteifreunden am
5. August 1951 in dem Lokal „Tante Lene" ({2})
bei Wuppertal, offenbar in einer einsamen Umgebung von Wuppertal, eine Geburtstagsfeier für
sieben Männer und eine Dame bestellt. Am
6. August 1951 erschien dann auch diese Gesellschaft, wie gesagt, im ganzen sieben Herren und eine Dame, und unter ihnen als maßgebende Persönlichkeiten Herr Kollege Rische und der Landtagsabgeordnete der KPD in Nordrhein-Westfalen Angerfort. Die Gesellschaft aß in dem Lokal „Tante Lene" zu Abend und zog sich dann zur eigentlichen Feier in ein Hinterzimmer, das sie vorher hatte reservieren lassen, zurück. Der Wirtin von „Tante Lene", einer Frau Anni Dicke, und ihrer Angestellten Anni Hofmann, wurde die
({3})
Sache problematisch aus zwei Gründen. Einmal wurde nichts bestellt
({4})
außer Coca-Cola und Wasser,
({5})
was bei Geburtstagsfeiern bei „Tante Lene" nicht üblich ist. Zum andern wurden, wenn man bedienenderweise hineinkam, sehr hastig Urkunden und Schriftstücke vom Tisch entfernt, als ob es etwas zu verbergen gebe, so daß die beiden Damen wohl zeitweilig gelauscht haben. Dann sei etwas gesprochen worden von einem Karl Mai, der mit der Bahn gefahren sei und wegen der Polizei zwei Züge habe überspringen müssen. Auch sonstige Andeutungen über ähnliche Dinge haben sie dabei erfahren, die ihnen unheimlich erschienen. Jedenfalls rief „Tante Lene", also Frau Anni Dicke, das Überfallkommando an, nachdem einer der Chauffeure dieser acht Herrschaften, der draußen wartete, erklärt hatte, daß, wenn sie Geld dafür haben wolle, weil sie Ausfälle habe, sie 15 Mark bekommen könne; im übrigen sei die Sache aber ganz unverdächtig. Aber die Wirtin hat angerufen, und im selben Moment hat wohl der Chauffeur drinnen Bescheid gesagt. Kurz und gut, als das Überfallkommando erschien, waren die Herrschaften, die acht Personen, schon weg, d: h. nicht ganz weg, aber aus dem Lokal heraus an ihren Autos, die bereitstanden, und begaben sich auf die Flucht. Sie sind verfolgt worden. Das Weitere interessiert vorläufig nicht.
Dies alles geschah etwa um 22 Uhr nachts. Während das Überfallkommando mit seinem Streifenwagen vor dem Lokal stand, kam in Zivil des Weges der Landposten aus Herbighausen, der Polizeiwachtmeister Kuchhäuser. Kuchhäuser - in Zivil - erkundigte sich, was hier los sei, und erfuhr das, was ich eben erzählte. Die Wirtin, Frau Anni Dicke, bat ihn nun dringend, daß er, der zuständige Polizeibeamte des Bezirks - wenn auch in Zivil -, doch bei ihr bleiben möge; sie habe Angst vor diesen Leuten, die kämen sicher wieder.
({6})
Ihre Vermutung war richtig. Nach einer Stunde kam zunächst Herr Angerfort - wie wir heute wissen, der Abgeordnete Angerfort - wieder und sagte: Die Dame hat hier in dem Zimmer eine Handtasche vergessen. Darf ich sie mal holen? - Bitte schön, gehen Sie hinein! - Man untersuchte das Zimmer und fand keine Handtasche. Herr Angerfort entfernte sich. Um 24 Uhr, eine Stunde später, kam Herr Rische mit dieser. Dame, wiederum um die angeblich vermißte Handtasche zu suchen. Beide wurden in das Hinterzimmer geführt, wo man keinen Geburtstag gefeiert, sondern sonst getagt hatte. Die beiden fanden dort keine Handtasche und entfernten sich. Immer noch blieb Herr Kuchhäuser zum Schutz von Anni Dicke - der Wirtin ({7})
und der Anni Hofmann im Lokal. Um 3 Uhr endlich rückten wiederum zwei Autos an. Ihnen entstiegen Herr Rische und Herr Angerfort, die - türklopfend - das Lokal betraten.
Jetzt kommt das, was unter Umständen eine strafbare Handlung hinüber oder herüber sein soll. Die Angelegenheit ist deshalb sehr genau durchforscht worden, weil Herr Rische gegen diesen Polizeiwachtmeister Kuchhäuser wegen allerhand Vergehen eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft in Wuppertal erstattet hat. Im Rahmen dieses Verfahrens gegen den Wachtmeister Kuch-häuser sind die Dinge möglichst genau festgestellt. Das Verfahren ist dann durch einen Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft, der am 12. Januar dem Anwalt von Herrn Rische zugestellt worden ist, eingestellt worden. Seitdem ist also das Verfahren gegen Herrn Kuchhäuser rechtskräftig durch Einstellungsbeschluß abgeschlossen. Jetzt möchte die Staatsanwaltschaft auf dem Dienstwege, daß man untersucht und prüft, ob eventuell ein Verfahren gegen den Abgeordneten Rische wegen Widerstands, tätlichen Angriffs und Bedrohung eines Beamten bei Ausübung seines Dienstes einzuleiten ist.
Es handelt sich dabei um folgendes: Angerfort und Rische betraten, wie gesagt, das Lokal, das ihnen nachts um 3 Uhr geöffnet wurde. Herr Kuchhäuser stellte sich im Laufe der Unterhaltung sehr bald als Polizeibeamter mit Ausweis vor, und Angerfort und Rische verlangten weitere Räume des Lokals zu sehen, was ihnen die Wirtin verwehrte. Angerfort - nicht Rische, der aber, wie gesagt, nach der Meinung der Staatsanwaltschaft in gewolltem und bewußtem Zusammenwirken mit Angerfort handelte - unterhielt sich dann im Lokal, während mit einer gewissen Gewaltsamkeit - ohne Verletzung einer Person - Angerfort nach hinten ging und nun nicht jenen Versammlungsraum, sondern einen Abstellraum aufsuchte und aus diesem ein verschnürtes Paket von Papieren entnahm, mit dem er spornstreichs das Lokal verlassen wollte. Das wollte Herr Kuchhäuser dienstlich verhindern, um zu prüfen, was da mitgenommen würde.
Bei dem Versuch der Verhinderung geschah nun folgendes. Herr Rische stellte sich in die Tür des Gasthauses - wir kennen seine Statur ({8})
und versuchte durch seine Körperlichkeit in der Tür Herrn Kuchhäuser zu hindern, hinauszukommen, um bei den Autos eventuell polizeiliche Maßnahmen zu ergreifen. Das gelang ihm.
({9})
Dessen Verfolgung ist also verzögert worden; und als er dann herausging, da war man schon im Wagen. Mehrere verließen den Wagen. Kurz und gut, Angerfort mit den Papieren fuhr mit einem der Wagen davon. Nunmehr kamen Auseinandersetzungen, und bei diesen Auseinandersetzungen soll, eben wiederum nach Aussagen des einen oder anderen der Beteiligten, Herr Rische dem Beamten Kuchhäuser Widerstand geleistet haben. Angefaßt hat er ihn nicht, wie ausdrücklich festgestellt wurde, sondern der Widerstand ist mehr bäuchlings erfolgt.
({10})
Verletzt ist keiner; und es ist auch sonst nichts vorgekommen. Die Polizeistreife hat dann diesen Wagen gestellt, hat die Personalien festgestellt, und dieses Abenteuer ist dann im Sande verlaufen. Diese beiden Gerichtsverfahren - a) gegen Kuchhäuser, inzwischen eingestellt, b) jetzt gegen den Abgeordneten Rische, umgekehrt: ob er Widerstand geleistet habe - sind die Residuen dieses abenteuerlichen Streichs.
Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat diese Sache sehr ernstlich erwogen - trotz des auch dort etwas heiter empfundenen gesamten Sachverhalts - und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß hier praktisch gar nichts geschehen
({11})
ist außer der Behinderung eines in Zivil sich darstellenden örtlich zuständigen Wachtmeisters, der bis 3 Uhr nachts in doch immerhin auffälliger Weise in einem Lokal weiter ausharrte. Herr Rische behauptet, er sei betrunken gewesen; das wird durch Frau Anni Dicke und das Mädchen Anni entschieden geleugnet. Es ist auch festgestellt, welche Mengen er getrunken hatte. Das war blitzwenig in diesen 5 Nachtstunden.
({12})
Es ist also jedenfalls ein Auftritt, der vielleicht bei den Beteiligten, insbesondere bei der Frau Wirtin, etwas unangenehme Gefühle hervorrief, aber sonst ist nichts passiert.
({13})
Wir dürfen auch in keiner Weise unterstellen, daß
dort strafbare oder politisch unerlaubte Erörterungen im Geburtstagszimmer gepflogen worden sind.
Deswegen ist der Ausschuß insoweit einstimmig - bei einigen Stimmenthaltungen - der Meinung, daß man diesen Anlaß, bei dem es sich um reine Politik handelt, nicht für hinreichend halten könne, die Immunität des Kollegen Rische aufzuheben. Ich empfehle Ihnen daher namens des Ausschusses, wie beantragt, die Genehmigung zur Strafverfolgung in diesem Fall zu verweigern.
({14})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich frage, ob das Wort zu seinem Bericht gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall.
({0})
Dann stimmen wir ab. Wer für die Annahme des Ausschußantrages ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Einstimmige Annahme.
({1})
- Enthaltungen bitte? - der Ausschußantrag ist also mit einigen Enthaltungen angenommen, Ich glaubte, daß die Vortrefflichkeit des Berichts des Herrn Berichterstatters auch die Zögerndsten zur Zustimmung bewogen haben müßte.
({2})
Ich rufe Punkt 24 der Tagesordnung auf: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ({3}) betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen die Abgeordnete Frau Strohbach gemäß Schreiben des Rechtsanwalts Meurer, Düsseldorf, vom 16. Mai 1952 ({4}).
Auch hier erteile ich das Wort dem Abgeordneten Ewers zum Bericht.
Ewers ({5}), Berichterstatter: Ich bitte zunächst um Erlaubnis, zu dem üblichen trockenen Ton des Bundestags zurückzukehren; denn hier handelt es sich um eine politische Beleidigung. Daß sie politisch ist, steht fest, wenn auch vielleicht in jener aus dem Rahmen fallenden Art von Sachen auf dem Beleidigungssektor, wie sie den Immunitätsausschuß immer wieder beschäftigen und über die man entscheiden muß.
Frau Strohbach wird in einer Privatklage von Herrn Hans vom Hoff, dem Mitglied des Vorstands des Deutschen Gewerkschaftsbundes, wegen Beleidigung verklagt, vertreten durch seinen Düsseldorfer Anwalt, der um Aufhebung der Immunität
nachkommt, weil Herr vom Hoff als Politiker durch die Kollegin Frau Strohbach beleidigt sei.
Es handelt sich darum, daß offenbar die Leitung der KPD in Stuttgart einen entschiedenen Kampf gegen die SPD deshalb führt, weil sie der SPD vorwirft, daß sie beim Schumanplan und seiner Verabschiedung ein etwas zwielichtiges Spiel getrieben habe. Jedenfalls hat Herr vom Hoff eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Stuttgart erwirkt, in der dem Vorsitzenden der Parteileitung der KPD in Stuttgart, Willi Bechtle, verboten wird, daß er gewisse Behauptungen aufstellt, verbreitet oder verbreiten läßt. Die Behauptung, die Herr Bechtle, wie gesagt, der Vorsitzende der dortigen KPD, nicht verbreiten darf, lautet wie folgt: Hans vom Hoff, ein führender rechter Sozialdemokrat, nehme als Vertreter des DGB an der Ausarbeitung des Schumanplans in Paris teil; als Anerkennung dafür werde er vom Bundesvorstand in die Schumanplanbehörde delegiert, wo er im Jahr 260 000 DM beziehe. Diese Behauptung wird also nach der Mitteilung der Privatklage von Herrn Bechtle aufgestellt, und ihre Weiterverbreitung ist durch diesen Gerichtsakt verboten.
Es ist dann in der Folgezeit ein Flugblatt erschienen, von dem uns nur die Seite 3 vorliegt und das nach der Behauptung der Privatklage die Unterschrift der Kollegin Strohbach trägt. Diese Seite 3, die hier in einer Fotokopie vorliegt, stellt die Haltung der SPD beim Schumanplan in „Worten" und „Taten" gegenüber. Uns interessiert hier nur der erste Abschnitt „Worte", „Taten", den ich nur zu verlesen brauche, wo es vorstehend im Text lautet:
Die Haltung der rechten SPD-Führer in der Frage des Schumanplans ist ein besonders deutliches Beispiel der Irreführung der deutschen Werktätigen.
Dann kommen als „Worte":
Während Schumacher und seine Freunde schärfste Ablehnung spielten,
und als „Taten":
fuhr vom Hoff, Vorstandsmitglied des DGB und der SPD, nach Paris, um den Schumanplan mit auszuarbeiten, und wird als Anerkennung für diesen Verrat an den deutschen Werktätigen für die Schumanplanbehörde, die sogenannte Hohe Behörde, delegiert, wo er die „Kleinigkeit" von 260 000 DM jährlich an Judaslohn erhält.
Die Mehrheit des Ausschusses ist der Meinung, daß diese Beleidigung an Verleumdung grenze oder gar Verleumdung sei, weil hier behauptet wird, daß zwischen einem Gehalt - Höhe beliebig - und der Haltung des Herrn vom Hoff etwas vorliege, das die Bezeichnung „Verrat" verdiene, und daß man hier von einem „Judaslohn", dem Lohn eines Verräters, sprechen könne. Daß sich die Beleidigung nicht um den Privatmann vom Hoff dreht, sondern um das Vorstandsmitglied des DGB, ist klar. Der Ausschuß ist in seiner großen Mehrheit der Meinung, daß in diesem Fall wegen der Schärfe der verleumderischen Bezeichnungen „Judaslohn" und „Verrat" die Immunität aufgehoben werden müsse. Ich betone, daß ich diese Auffassung hier zu vertreten habe, ohne meine eigene Stellung auch nur bekanntgeben zu wollen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Mende.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren, nur eine Bemerkung. Meine Fraktion sieht in der Herausgabe von Flugblättern solchen Inhalts durch Abgeordnete eine Umgehung der pressegesetzlichen Vorschriften, wonach ein Ab-. geordneter nicht verantwortlicher Redakteur einer periodischen Zeitschrift sein darf. Es scheint sich die Tendenz zu zeigen, in Flugblättern, die man verantwortlich zeichnet, derartige Angriffe zu lancieren, um den Schutz der Immunität für sich in Anspruch nehmen zu können. Wir sind der Meinung, daß das einen Mißbrauch der Immunität darstellt, und . werden in allen derartigen Fällen nicht nach dem Grundsatz handeln, daß hier eine Beleidigung politischen Charakters vorliegt, sondern werden den Mißbrauch der Immunität dadurch zu verhindern suchen, daß wir in solchen Fällen für die Aufhebung der Immunität stimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Antrag des Ausschusses ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen einige Stimmen bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf Punkt 25 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ({0}) betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Niebergall gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 8. April 1952 ({1}).
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Muckermann zur Berichterstattung.
Muckermann ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Koblenz hat auf Grund einer Anzeige über den Justizminister von Rheinland-Pfalz und den Bundesjustizminister ersucht, eine Entscheidung des Bundestags über die Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Niebergall wegen übler Nachrede herbeizuführen. Die Akten tun kund, daß der Abgeordnete Niebergall am 1. Februar 1952 in einer öffentlichen Versammlung in Koblenz den Anzeigenden der Homosexualität bezichtigt habe.
Der Ausschuß hat sich bei seinen Beratungen dem Vorschlag des Berichterstatters angeschlossen, daß es sich hier nicht um eine politisch infizierte Nachrede handelt, sondern um eine private Beleidigung und Nachrede übler Art, und daß deswegen dem Antrag zugestimmt werden müsse, in das Strafverfahren einzuwilligen, d. h. die Genehmigung zum Strafverfahren zu erteilen. Ich bitte das Hohe Haus, sich der einstimmigen Auffassung des Ausschusses anzuschließen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Annahme des Ausschußantrags ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Gegen einige Stimmen angenommen.
Ich rufe auf Punkt 26 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ({0}) betreffend Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen Theodor Busch, Hamburg, wegen Beleidigung des Bundestages betreffend Eingabe des Theodor Busch vom 26. März 1952 u. a. ({1}).
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Gengler zur Berichterstattung.
Gengler ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Theodor Busch aus Hamburg, Inhaber einer Kraftfahrzeugreparaturwerkstatt, hat am 12. und 26. März 1952 vervielfältigte Zuschriften an die Mitglieder der Bundesregierung und des Bundestages in Bonn gerichtet. Theodor Busch firmiert sich auf seinen Briefumschlägen als „Institut für Wirtschafts- und Arbeitslosenforschung". Diese Zuschriften enthalten beleidigende Äußerungen gegen den Bundestag. Er beschuldigt die Bundestagsmitglieder, daß sie trotz des von ihm errechneten Wertbetrages von 25 Milliarden DM es nicht verlohnend finden, seine Ausarbeitungen zu prüfen, und begründet seine Auffassung damit, daß die Volksvertreter „Angst vor der Wahrheit haben", und das „vor einem gewöhnlichen Europäer ohne eine Bonzenlaufbahn".
Weiterhin führt er aus, daß das deutsche Volk endlich wissen muß, was für Volksvertretern es auch heute wieder in die Hände gefallen ist. Er schreibt dann wörtlich weiter:
Mein langjähriger diesbezüglicher vorausgegangener Schriftverkehr und die Verhandlungen mit der Bundesregierung haben erwiesen, daß das größte Nest der Spitzbuben und Verbrecher im Bundeshaus zu finden ist.
Aus Aufbau und Inhalt der Schreiben des Theodor Busch kann man zwar entnehmen, daß es sich um einen mehr oder weniger einfältigen und verstiegenen Menschen handelt, der glaubt, den Stein der wirtschaftlichen Weisheit gefunden zu haben, und seine Ansicht mit rechthaberischem Fanatismus verficht.
({3})
Aber auch bei Zubilligung mildernder Umstände kann dem Verfasser der Zuschriften nicht das Recht gegeben werden, mit derartigen Beschimpfungen und Beleidigungen gegen den Bundestag zu operieren.
Der Ausschuß kam nach Kenntnisnahme dieses Sachverhalts zu der Auffassung, daß in diesem Fall die Ermächtigung zur Strafverfolgung gemäß § 197 des Strafgesetzbuches erteilt werden soll. Hierbei soll jedoch bei der Mitteilung an die Staatsanwaltschaft empfohlen werden, die Anwendbarkeit des § 51 des Strafgesetzbuches bei dem Verfasser der Zuschriften zu prüfen. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache Nr. 3425 anzunehmen.
Bei dieser den Deutschen Bundestag betreffenden Angelegenheit noch eine zusätzliche Feststellung. Dem Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität sind in den letzten Tagen Berichte zugegangen über Gerichtsurteile betreffend Beleidigungen des Deutschen Bundestages. Wir haben daraus nicht den Eindruck gewonnen, daß Strafverfolgungen wegen Beleidigung des Deutschen Bundestags mit dem erforderlichen Nachdruck behandelt werden, wie es der Stellung des Deutschen Bundestags entsprechen sollte. Einige Gerichte haben sich trotz offensichtlich krasser Beschimpfungen und Beleidigungen des Bundestags befremdlicherweise damit begnügt, die Erklärungen der Beleidiger anzunehmen mit den Ausreden da({4})
hin, daß der Bundestag oder seine Abgeordneten nicht gemeint seien, - sehr billige Ausreden, deren En-bloc-Annahme bei diesen Gerichtsurteilen alles andere als erhebend wirkt. Ich bitte das Justizministerium, in Verbindung mit den Staatsanwaltschaften dieser Entwicklung seine besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
({5})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich lasse abstimmen. Wer dafür ist, daß die Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen Theodor Busch gegeben werden soll,
({0})
den bitte ich, dies durch ein Handzeichen zu bezeugen. - Gegenprobe! - Gegen einige Stimmen angenommen.
Ich rufe Punkt 27 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Solleder, Höhne, Dr. Wellhausen und Genossen betreffend Ausnahmetarif für Kohlen nach Bayern ({1}).
Darf ich dem Hause den Vorschlag machen, diesen Antrag ohne besondere Begründung und ohne Aussprache dem Haushaltsausschuß, dem Ausschuß für Verkehrswesen und dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu überweisen. Ist das Haus einverstanden?
({2})
- Dann ist so beschlossen.
Und nun - Ende gut, alles gut - Punkt 28:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Horlacher und Genossen betreffend Subventionen für phosphorhaltige Düngemittel
({3}).
Darf ich auch hier die Anregung geben, diesen Antrag ohne besondere Begründung dem Haushaltsausschuß - ({4})
- Herr Abgeordneter, davon sind wir alle überzeugt; aber vielleicht kann die Angelegenheit in den beiden zuständigen Ausschüssen
({5})
auch ohne besondere Begründung und Aussprache im Plenum mit derselben Trefflichkeit und Sorgfalt behandelt werden, als wenn wir uns noch hier über Phosphate unterhalten hätten. Ist das Haus damit einverstanden, daß dieser Antrag dem Haushaltsausschuß und dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten überwiesen wird, wobei der Haushaltsausschuß federführend sein soll? ({6})
Damit, meine Damen und Herren, ist die Tagesordnung erledigt.
Ich berufe die nächste, die 220. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 25. Juni, 13 Uhr 30 ein und schließe die 219. Sitzung.