Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 217. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Vor Eintritt in die Tagesordnung bitte ich den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach die Abgeordneten Schmitz für acht Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme, Kohl ({0}) für vier Wochen wegen Krankheit, Langer fur vier Wochen wegen Krankheit, Müller-Hermann für drei Wochen wegen Krankheit, Richter ({1}) für drei Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme, Birkelbach für zwei Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme, Wackerzapp für zwei Wochen wegen Krankheit und Euler für zwei Wochen wegen Krankheit.
Der Präsident hat für zwei Tage Urlaub erteilt den Abgeordneten Seuffert, Feldmann, Dr. Oesterle, Onnen, Dr. Hoffmann ({2}), Neuburger, Wönner, Günther, Dr. Henle, Dr. Veit, Dr. Kneipp, Gockeln, Wittmann, Lausen, Dr. Ott.
Endschuldigt fehlen die Abgeordneten Dr. Arndt, Rademacher, Mayer ({3}), Dr. Menzel, Dr. Nölting, Dr. Semler, Massoth, Frau Strohbach, Reimann, Vesper, Rische, Agatz, Kriedemann und Frau Dr. Mulert.
Gegen die Anträge auf Beurlaubung wird kein Widerspruch erhoben.
Meine Damen und Herren! In diesen Tagen haben zwei Kollegen Geburtstag gefeiert, und zwar der Abgeordnete Kunze, der seinen 60. Geburtstag gefeiert hat,
({0})
und der Abgeordnete Herrmann, der seinen 73. Geburtstag feiern durfte.
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Ich glaube, von Ihnen ermächtigt zu sein, den beiden Kollegen in Ihrer aller Namen herzlich Glück zu wünschen.
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Die Punkte 2 und 3 sowie Punkt 6 a und 6 b der heutigen Tagesordnung sollen auf Grund einer Vereinbarung der Fraktionen morgen behandelt werden. Sie sind also heute von der Tagesordnung abgesetzt.
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- Herr Mellies?
Wir bitten, Punkt 3 dann auf nächste Woche zu verschieben.
Es wird gebeten, Punkt 3 in der nächsten Woche zu beraten. - Dagegen wird wohl kein Widerspruch erhoben.
Die nächste Fragestunde wird am Mittwoch, dem 25. Juni, 13 Uhr 30, sein. Die Sperrfrist für die einzureichenden Fragen ist am Freitag, dem 20. Juni, 12 Uhr.
Weiter habe ich bekanntzugeben, daß die Fraktion der FDP unter dem 10. Juni mitgeteilt hat, daß der Abgeordnete Langer von diesem Tage an der Bundestagsfraktion der FDP nicht mehr angehört
({0})
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Deutsche Bundesrat hat in seiner Sitzung am 6. Juni 1952 beschlossen, den nachfolgenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen:
Gesetz über das landwirtschaftliche Pachtwesen,
Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über die einstweilige Gewährung einer Teuerungszulage zur Abgeltung von Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln,
Gesetz über die Aufhebung einiger Polizeiverordnungen auf dem Gebiet des Verkehrs mit Arzneimitteln.
Dem Gesetz über Teuerungszuschläge zur Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz hat er nicht zugestimmt. Bei dem Gesetz über einen Allgemeinen Lastenausgleich und dem Gesetz zur Einfügung eines Art. 120 a in das Grundgesetz hat er die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangt.
Der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages hat den 3. und 4. Zwischenbericht über Vorwegbewilligungen von Haushaltsmitteln vorgelegt, die als Drucksachen Nr. 3351 und Nr. 3352 verteilt worden sind.
Der Herr Bundeskanzler hat den
Entwurf einer Verordnung zur Verlängerung der Geltungsdauer von auf Grund des Gesetzes für Sicherungsmaßnahmen auf einzelnen Gebieten der gewerblichen Wirtschaft erlassenen Verordnungen ({1})
und den
Entwurf einer zweiten Verordnung über die Sicherung der Schrottversorgung ({2})
zur Bekanntgabe im Bundestag gemäß § 4 Abs. 2 des Gesetzes für Sicherungsmaßnahmen auf einzelnen Gebieten der gewerblichen Wirtschaft vorgelegt. Die beiden Verordnungsentwürfe liegen im Archiv zur Einsichtnahme aus.
Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat unter dem 28. Mai 1952 die Kleine Anfrage Nr. 264 des Abgeordneten Dr. von Brentano und Genossen betreffend Umgestaltung des Fernsprechnetzes WiesbadenMainz ({3}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3433 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 4. Juni 1952 die Kleine Anfrage Nr. 272 der Fraktion der SPD betreffend Unfälle an Bahnübergängen ({4}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3435 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen hat unter dem 26. Mai 1952 die im Einverständnis mit dem Fragesteller in eine Kleine Anfrage umgewandelte Große Anfrage betreffend Beschlagnahme von Kraftfahrzeugen in der sowjetisch besetzten Zone ({5}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3434 vervielfältigt.
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Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 29. Mai 1952 auf Grund des Beschlusses des Deutschen Bundestages in seiner 155. Sitzung eine zweite Übersicht über die Zahlen der bei den Bundesdienststellen beschäftigten Schwerbeschädigten nach dem Stand vom 1. April 1952 vorgelegt. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3432 vervielfältigt.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung: Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Hilfe für Berlin ({7}).
Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage hat der Abgeordnete Brandt.
Brandt ({8}), Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei weitem nicht alles, was in den letzten 14 Tagen über Berlin zu lesen war, hat die Lage auch nur einigermaßen zutreffend geschildert. Es sind unverantwortliche Panikmeldungen verbreitet worden. Aber als Tatbestand bleibt. wie es die sozialdemokratische Fraktion in ihrer Großen Anfrage Drucksache Nr. 3431 feststellt, daß die Maßnahmen der Machthaber in der Sowjetzone offensichtlich nicht nur auf die völlige Abschnürung Berlins von der sowjetischen Zone abzielen, sondern auch auf die Lähmung der West-Berliner Wirtschaft. Die Berliner Bevölkerung - nicht nur im Westen der Stadt, sondern in allen vier Sektoren - ist heute wie in den vergangenen Jahren entschlossen, sich nicht einschüchtern und kleinkriegen zu lassen. Dem Bund aber obliegt die Pflicht zu rascher und wirksamer Hilfe. Sympathieerklärungen allein reichen in dieser
Situation nicht aus. Sie reichen auch nicht aus gegenüber den schwer getroffenen Landsleuten aus dem neu etablierten Sperrgebiet entlang der Zonengrenze, denen Arbeitsplatz, Haus und Hof genommen werden und die in großer Zahl in das Bundesgebiet geflüchtet sind. Ihre Not ist unsere Not, und ihre Sorge muß durch die Fürsorge des Bundes so weit wie möglich gemildert werden. Die sozialdemokratische Fraktion wird dem Bundestag dazu in den nächsten Tagen konkrete Vorschläge unterbreiten. Es erscheint uns wenig sinnvoll, unser heutiges Anliegen, das auf praktische Hilfsmaßnahmen für Berlin abzielt, mit Auseinandersetzungen allgemeinpolitischer Art zu verbinden.
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Wenn man die Zusammenhänge überaus vorsichtig kennzeichnen will, kann man es so formulieren, wie es die „Frankfurter Allgemeine" dieser Tage getan hat,
({10})
als sie dem Sinne nach schrieb, es sei das unverdiente Schicksal der Berliner Bevölkerung, daß gerade ihr die vermeintlichen Vorteile der umstrittenen Westverträge am wenigsten zugute kämen. Wie dem auch immer sei, - für die Bundesregierung ergibt sich unserer Meinung nach jedenfalls eine unabweisbare Pflicht, alles zu tun, um Berlin in dieser Situation beizustehen. Wir wollen heute nicht darüber rechten, was in den vergangenen Jahren durch eine zögernde Haltung maßgebender Kreise des Bundes versäumt worden ist. Heute geht es uns nicht um eine kritische Rückschau; es geht uns einzig und allein darum, wie einer akuten Gefährdung wirksam begegnet werden kann.
An der Grenze zwischen den Berliner Westsektoren und der sowjetischen Besatzungszone scheint sich eine gewisse Normalisierung zu ergeben, allerdings eine Normalisierung auf der Basis der Abschnürung Berlins von den Randgebieten. Es waren inzwischen sehr große Schwierigkeiten für jene Berliner eingetreten, die ihren Wohnsitz in den Exklaven außerhalb des geschlossenen Stadtgebietes haben. Leider ergibt sich immer wieder, daß keine rechte Klarheit über die gegen Ende des Krieges und im Jahre 1945 mit Hinblick auf Berlin getroffenen Viermächtevereinbarungen zu erzielen ist. Der Außenpolitische Ausschuß dieses Hauses hat im Herbst vergangenen Jahres den Wunsch ausgesprochen, die Bundesregierung möge alle ihr bekannten und von den alliierten Mächten zu erlangenden Dokumente über die Berlin betreffenden Abmachungen in einem Weißbuch zusammenstellen. Eine solche Veröffentlichung ist bisher leider nicht erfolgt. Sie hätte ihre besondere Bedeutung gerade auch jetzt im Zusammenhang mit der Sicherung eines unbehinderten Verkehrs zwischen Berlin und dem westlichen Bundesgebiet.
Daß es sich bei der Verkehrsfrage nicht nur um ein Vorbehaltsgut, sondern auch um eine besondere Verantwortung der alliierten Mächte handelt, bedarf kaum einer ausdrücklichen Unterstreichung. Die Sicherheitsgarantie für Berlin, die kürzlich in Paris erneuert wurde, würde ihren Sinn verlieren, wenn sie sich nicht auch auf die Verkehrswege bezöge. Die gegenwärtige Lage ist jedoch - im Gegensatz zu mancherlei irrigen Vorstellungen im Westen - dadurch gekennzeichnet, daß der Interzonenverkehr - und zwar der Güter- wie der Personenverkehr - keiner Behinderung ausgesetzt ist. Die eigentliche Behinderung, meine Damen und Herren, liegt auf dem Gebiet der psychologischen Einkesselung. Man will das Vertrauen zu Berlin und zu seiner Wirtschaft erschüttern und dadurch das Arbeitsleben lähmen. Dieses Vorhaben der östlichen Machthaber ist leider nicht ohne Erfolg geblieben.
Es muß von dieser Stelle aus einmal ungeschminkt dargelegt werden, was sich auf dem Gebiet der Auftragserteilung für Berlin im Gefolge der letzten Störungsversuche getan hat. Von sachverständiger Seite ist uns gesagt worden, daß die Erteilung neuer Aufträge an Berliner Firmen in erschreckendem Umfange zurückgegangen sei.
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Anfragen westdeutscher Besteller gab es in der Woche vor und nach Pfingsten fast gar nicht.
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In einigen Fällen erfolgte auch eine Stornierung von Großaufträgen durch öffentliche Betriebe des deutschen Westens. Vielfach wurde die sofortige Lieferung später terminierter Aufträge im halbfertigen Zustand verlangt.
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Bei Berliner Banken verlangte man offen oder versteckt aus sogenannten Sicherheitsgründen die Überweisung großer Barbeträge nach Westdeutschland.
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Angesichts dieser Vorgänge haben wir der Bundesregierung mit allem Ernst die Frage vorgelegt, was sie zu tun gedenke, um einer solchen Entwicklung entgegenzutreten. Wir sind der Meinung, daß sie ihr vor allem durch eine vom Bund
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gesteuerte umfassende Auftragserteilung für Berlin entgegentreten sollte.
Wieder einmal ist in diesen Tagen das verhängnisvolle Wort von Berlin als einem „Faß ohne Boden" in Umlauf gesetzt worden. Lassen Sie mich in wenigen Worten zum Ausdruck bringen, was in West-Berlin in diesen letzten Jahren geleistet worden ist. Die industrielle Produktionsleistung ist - verglichen mit 1936 - von 22 % bei Ende der Blockade auf heute 51 % angestiegen. Der Berliner Export ins Ausland hat von 1949 bis 1951 verzehnfacht werden können. Der Absatz in das westliche Bundesgebiet ist demgegenüber bisher leider nur auf das Dreieinhalbfache erhöht worden. 63 000 effektiv neue Arbeitsplätze wurden in den letzten zwei Jahren geschaffen. Von den 69 000 damaligen Kurzarbeitern sind 55 000 wieder Vollarbeiter geworden. Die Berliner wissen, daß dies ohne 'die Unterstützung des Bundes und ohne die Auslandshilfe nicht möglich gewesen wäre.
({16})
Und so sehr wir Sozialdemokraten die BerlinPolitik der Bundesregierung im einzelnen zu kritisieren hatten, so sehr wünschen wir, daß die breite Masse der westdeutschen Steuerzahler von dem nicht nur politischen Wert, sondern auch von dem unmittelbaren wirtschaftlichen Effekt 'der Berlin-Hilfe erfährt.
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Vergessen wir auch bitte nicht, von welcher Ausgangsposition aus in Berlin wieder aufgebaut werden mußte. Seine Industrie wurde 1945 zu 85% demontiert, gegenüber 6 % im Durchschnitt des westlichen Bundesgebiets. Bei den Dienstleistungen, von denen sich Berlin als Hauptstadt und als europäisches Verkehrszentrum zur Hälfte I) ernährt hatte, trat eine 100%ige Demontage ein. Und dann kam die Blockade.
Es ist schon einiges geschehen in diesen Jahren. Aber West-Berlin hat trotz der Schaffung neuer Arbeitsplätze weiterhin über 280 000 Arbeitslose. In den letzten beiden Jahren sind nämlich 60 000 Flüchtlinge aus der Sowjetzone und 40 000 im Ostsektor von Berlin Entlassene auf dem West-Berliner Arbeitsmarkt neu in Erscheinung getreten. Berlin kann nun unserer Überzeugung nach seine politische Funktion - nämlich Vorposten der Freiheit zu sein und zur Hauptstadt des in Freiheit wieder zu vereinigenden Deutschlands zu werden - nur schwer erfüllen, wenn die Massenarbeitslosigkeit nicht überwunden wird. Eine weitere Erhöhung der Erwerbslosenziffer würde jedenfalls gefahrvolle Konsequenzen heraufbeschwören. Zur freiheitlichen Aufgabe Berlins gehört es, seinen Menschen Arbeit geben zu können. Zu den Aufgaben des Bundes gehört es, Berlin durch wirtschaftliche Hilfe ein Höchstmaß an Widerstandsfähigkeit zu verleihen. Dies ist keine illusionäre Zielsetzung, meine Damen und Herren. Sachkundige Ausarbeitungen besagen, daß bei Auslastung der vorhandenen Produktionskapazität und bei Schaffung neuer Industriezweige für Qualitätserzeugnisse in lohnintensiven Betrieben 150 000 bis 200 000 neue Arbeitsplätze in Berlin geschaffen werden könnten.
Durch das Dritte Überleitungsgesetz, das nach der Überwindung gewisser formaler Einwände der alliierten Behörden übermorgen vom Berliner Abgeordnetenhaus übernommen werden kann, wird die erste Phase der Berlin-Politik des Bundes endlich zu einem gewissen Abschluß gebracht. Am Beginn der zweiten Phase muß ein großzügiges
Programm der Auftragserteilung stehen. Berlin muß geholfen werden, damit es sich selbst weiterhelfen kann. Der Bund muß sich auch in seinem eigenen Interesse so einrichten, daß seine Hilfsmaßnahmen so produktiv wie möglich gestaltet werden.
Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände hat dieser Tage eine wohlwollende Verlautbarung herausgegeben. Das ist erfreulich; aber es ändert leider nichts an der Tatsache, daß die private Wirtschaft ihrer nationalpolitischen Verpflichtung gegenüber Berlin weitgehend nicht gerecht geworden ist. Sie ist unserer Meinung nach von Bundes wegen auch nicht energisch genug angehalten worden, ihrer Pflicht nachzukommen. Trotz mancher Sympathieerklärungen ist in gewissen Kreisen das Interesse an Geschäften mit Berlin bisher immer dann erlahmt und hat die „Sicherheits"- Krankheit bisher immer dann rapide um sich gegriffen, wenn ein neues politisches Risiko aufzutauchen schien. Wie töricht jedoch das dauernde Gerede vom politischen Risiko bisher gewesen ist, mögen Ihnen zwei Ziffern beweisen. Die effektiv beschlagnahmten Werte erreichten 1950 und 1951 jeweils noch nicht 2 Promille der von und nach Berlin transportierten Jahreswerte; davon war ein beträchtlicher Teil noch selbst verschuldet. Aus der 50-Millionen-Transportgarantie des Bundes brauchten bis Februar dieses Jahres Entschädigungen im Gesamtbetrag von nur 293 DM bewilligt zu werden.
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Es ist kein Ruhmesblatt der deutschen Wirtschaft, daß zahlreiche ihrer Träger Berlin in einer Zeit im Stich gelassen haben, in der dort ausländisches Privatkapital neu angelegt wird und aus Übersee Direktaufträge eintreffen.
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Ausländische Korrespondenten haben sich in vergleichenden Betrachtungen über das Interesse geäußert, das man der bedrängten deutschen Hauptstadt im Ausland und in manchen westdeutschen Kreisen entgegenbringt. Es handelt sich um vergleichsweise Betrachtungen, die für manche Kreise des deutschen Westens leider wenig schmeichelhaft ausfallen. Die Berliner CDU hat ja wohl auch nicht ohne Grund in der vorigen Woche darauf hingewiesen, die deutsche Wirtschaft dürfe sich bei der Erfüllung einer nationalen Aufgabe nicht von ausländischen Wirtschaftskreisen übertreffen lassen. Noch heute morgen hat eine angesehene westdeutsche Zeitung unter Berufung auf offizielle Kreise in England darauf verwiesen, daß die dort zu erwartende .Hilfe weitgehend davon abhängig gemacht wird, wie Westdeutschland selbst reagiert.
Ich habe vom Versagen der Privatwirtschaft gesprochen. Auf dem Gebiet der öffentlichen Auftragserteilung ist aber bisher auch nur ein Teil des Notwendigen und des Möglichen geschehen. Der Berliner Anteil an den Großaufträgen der Bundesbehörden beträgt bisher im Durchschnitt kaum 3 %. Seinem Bevölkerungsanteil nach müßte Berlin jedenfalls 41/2 % der Bundesaufträge erhalten, und als erklärtes Notstandsgebiet sollte ihm einiges mehr zufallen. Bei der Bundesbahn und der Bundespost ist in dieser Richtung auch schon Erfreuliches zu verzeichnen. Einige Länder und Großstädte haben der Notstandsgebiets-Klausel einige Beachtung geschenkt. Unserer Meinung nach ist aber im ganzen auf diesem Gebiet noch viel nachzuholen,
({20})
In unserer Interpellation haben wir die Regierung auch gefragt, was sie zur Verlegung weiterer Bundesbehörden nach Berlin zu unternehmen gedenke. Die bisherigen Ansätze vermögen uns in keiner Weise zufriedenzustellen. Wir meinen, daß Gesichtspunkte der Bequemlichkeit nicht zur Richtschnur deutscher Politik gemacht werden dürfen.
Wir haben die Regierung nicht nur gefragt, ob sie bereit ist, „alle Bundesbehörden anzuweisen und den Ländern zu empfehlen, daß in wesentlich vermehrtem Umfange Aufträge an die Berliner Wirtschaft gegeben werden", sondern haben auch gefragt, ob dem Bundestag in Kürze Vorschläge unterbreitet werden, in denen eine weitere finanzielle und wirtschaftliche Hilfe vorgesehen ist. Es wird unserer Meinung nach gesetzgeberischer und administrativer Maßnahmen bedürfen. Es muß eine verantwortliche Stelle geben, die die Auftragslenkung im Zusammenwirken mit dem Berliner Senat, der Berliner Absatzorganisation und den Gewerkschaften koordiniert. Es liegt uns daran, daß dabei auch ausdrücklich auf die Einhaltung sozialer Arbeitsbedingungen geachtet wird.
({21})
Die Bundesregierung sollte auf die private Wirtschaft nachdrücklich einwirken; sie sollte die Beteiligung Berlins am Außenhandel und vor allem auch am Interzonenhandel weiterhin fördern.
Der Bundestag hat übrigens nach seiner ersten Berlin-Debatte im Herbst 1949 den Beschluß gefaßt, die Bundesregierung möge vierteljährlich über die für Berlin getroffenen Maßnahmen berichten. Es ist jetzt vielleicht an der Zeit, diesen Beschluß aus der Vergessenheit hervorzuholen und ihn zu praktizieren.
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Die Bundesgarantie für unverschuldete Risiken aus dem Berlin-Verkehr sollte unserer Meinung nach auf den gesamten Güterverkehr in beiden Richtungen und auf die Transportmittel ausgedehnt werden. Es sollte erwogen werden, welche steuerlichen Vergünstigungen gewährt oder zeitlich und inhaltlich ausgedehnt werden können, und zwar sowohl für Wirtschaftsgüter zugunsten der Berliner Wirtschaft als auch für in Berlin getätigte Investitionen aus westdeutschen Mitteln.
Ein anderes Problem! Die Tarife der sowjetzonalen Eisenbahn sind wesentlich erhöht worden. Sollte man nicht von Bundes wegen ernsthaft daran denken, die Frachtbasis Berlin auf die Frachtbasis Braunschweig oder Helmstedt abzustellen?!
Ohne - damit komme ich zum Schluß meiner Begründung - den Fachberatungen der zuständigen Gremien vorgreifen zu wollen, möchten wir heute schon finanzwirtschaftliche Sofortmaßnahmen auf zwei Gebieten anregen. Das Notopfer Berlin hat im vergangenen Haushaltsjahr über 640 Millionen DM eingebracht, während 550 Millionen DM dem Berliner Landeshaushalt als direkter Bundeszuschuß zugeflossen sind. Für das laufende Haushaltsjahr rechnet man damit, daß das Notopfer über 750 Millionen DM einbringen wird. Angesichts dieser Ziffern sollte ein Sonderzuschuß von 100 Millionen DM zur Verfügung gestellt werden können, von dem wir meinen, daß er gerade in dieser Lage dem sozialen Wohnungsbau in Berlin als Ausdruck des Vertrauens zu Berlin zuzuführen wäre. Zum andern denken wir uns die Vorfinanzierung von weiteren 100 Millionen DM
an Aufträgen aus Rückflüssen der ERP- und GARIOA-Sonderfonds.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir betrachten Berlin heute wie gestern als das nächste Kettenglied im Ringen um die deutsche Wiedervereinigung. Wir sind heute wie gestern davon überzeugt, daß es die eigene Sache des Bundes und der Menschen im deutschen Westen ist, um die in Berlin gerungen wird. Wir geben der dringenden Hoffnung Ausdruck, daß die Verantwortlichen des Bundes ihrer Verantwortung gemäß handeln werden. Wo immer es erforderlich ist, werden wir den deutschen Westen wachrütteln und ihm die Erkenntnis vermitteln, daß in Berlin ein wesentliches Stück unseres gemeinsamen gesamtdeutschen Schicksals entschieden wird.
({23})
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch die Entwicklung. auf außenpolitischem Gebiet in den letzten Monaten ist die Bedeutung Berlins für uns, für die Bundesrepublik, und darüber hinaus für Europa und für den ganzen Westen - wenn möglich - noch gesteigert worden.
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Dieser Bedeutung, die Berlin für die ganze freie Welt hat, wird die Bundesregierung durchaus Rechnung tragen und gerecht werden. Ich folge dem Beispiel meines Herrn Vorredners und gehe nicht auf die Vertragswerke ein, die uns demnächst beschäftigen werden.
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Ich möchte aber an die Adresse der Berliner Bevölkerung in diesem Zusammenhang folgendes sagen. Sie kann sich fest darauf verlassen, daß ihre Interessen und ihr Schicksal in keinem Augenblick bei den Verhandlungen außer acht gelassen worden sind; ich freue mich, sagen zu können: das gilt nicht nur für die Verhandler auf deutscher Seite, das gilt auch für die Verhandler auf der andern Seite.
Meine Damen und Herren! Der Regierende Bürgermeister von Berlin hat in der vorigen Woche im Berliner Abgeordnetenhaus besondere wirtschaftliche Hilfsmaßnahmen für Berlin vorgeschlagen. Die Prüfung dieser Hilfsmaßnahmen ist noch in vollem Gang. Sie wird vorläufig abgeschlossen durch einen Besuch des Bundesfinanzministers und des Bundeswirtschaftsministers am 12. Juni in Berlin. In dieser Besprechung werden die Vertreter der Bundesregierung Gelegenheit haben, die Vorschläge Berlins anzuhören und zu prüfen. Ich selbst werde nach der ersten Lesung der Vertragswerke nach Berlin gehen, um mich dort auch selbst zu überzeugen von den Nöten, den Klagen und den Notwendigkeiten für Berlin.
({2})
Ein Wort möchte ich aufgreifen, das Herr Brandt gesprochen hat: das ist das Wort von der psychologischen Einkesselung Berlins. Das ist ein sehr richtiges Wort, und wir in der Bundesrepublik müssen in allen Kreisen, jeder an seinem Platz, aber jeder mit seiner ganzen Kraft dafür sorgen,
Bundeskanzler Dr. Adenauer)
daß diese psychologische Einkesselung, die von den Herren der Ostzone versucht wird, nicht erreicht wird.
({3})
Wir müssen und wir werden uns mit ganzer Kraft dafür einsetzen, daß sich Berlin und die Berliner, komme, was da kommen mag, mit uns in der Bundesrepublik wirtschaftlich und menschlich auf das engste auch in Zukunft verbunden fühlen.
Auf die Einzelfragen möchte ich folgendes erklären. Die Bundesregierung ist bereit, alle Bundesbehörden anzuweisen und den Ländern zu empfehlen, in wesentlich vermehrtem Umfange Aufträge an die Berliner Wirtschaft zu gehen. Wir haben diese Frage heute morgen im Kabinett besprochen, und wir sind zu der Überzeugung gekommen, daß sich auf diesem Gebiet noch manches tun läßt.
Ich habe eben schon davon gesprochen - damit komme ich zur Frage 3, die ja mit Frage 1 wohl zusammenhängt -, daß die Vorschläge, die Erörterungen im Berliner Abgeordnetenhaus, von uns nachgeprüft werden, daß der Bundesfinanzminister und der Bundeswirtschaftsminister nach Berlin gehen und daß wir dann, wie wir hoffen, in der Lage sein werden, Ihnen weitere Vorschläge vorzulegen. Ich darf auch darauf hinweisen, daß die Gesetzesvorlage, in der Berlin als Sitz des Bundesverwaltungsgerichtes bestimmt ist, noch hier im Hause bearbeitet wird.
Aber, meine verehrten Damen und Herren, der wirtschaftliche Zusammenhang Berlins mit der Bundesrepublik ist wesentlich für uns, damit Berlin wirtschaftlich existieren kann. Wir werden dafür sorgen, wir bereiten alles vor. Ich darf hier in Parenthese einfügen, daß wir zur Zeit Nahrungsmittel für die Berliner Bevölkerung für sechs volle Monate in Berlin deponiert haben.
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Auf das psychologische Moment müssen wir darüber hinaus immer wieder zurückkommen und den Berlinern die Überzeugung geben, daß wir die große, die entscheidende Bedeutung Berlins im Kampf für die Freiheit Deutschlands, im Kampf für die Freiheit Europas und im Kampf für die Wiedervereinigung Deutschlands in vollem Umfang bejahen und anerkennen.
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Ich bitte den Herrn Präsidenten, dem Bevollmächtigten der Bundesrepublik in Berlin, Herrn Vockel, nunmehr das Wort zu geben.
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Das Wort hat der Bevollmächtigte der Bundesrepublik Herr Dr. Vockel.
Dr. Vockel, Bevollmächtigter der Bundesrepublik in Berlin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Brandt hat eine Reihe von Forderungen begründet; er hat auch kritisiert, daß die Bunderegierung in den vergangenen Jahren für Berlin Pflichten versäumt habe und infolgedessen eine Rückschau notwendig sei.
({0})
Ich habe es übernommen, damit die Vorschläge, die zur Zeit geprüft werden, organisch in den Rahmen des schon Vorhandenen eingefügt und auf
ihm aufgebaut werden können, die schon gegebenen Mittel und Hilfen in aller Kürze einmal zu
prüfen, wobei ich zunächst feststellen darf, daß die Wirtschaft Berlins bereits seit Monaten stagniert, weil sie in einem vollen Zusamenhang mit der Wirtschaft Westdeutschlands und des Auslands steht und weil die Stagnation, die vor allem auf dem Konsumgütermarkt auch in Westdeutschland herrscht, auch auf Berlin zurückgewirkt hat. Unabhängig also von den Vorgängen der letzten Wochen wird es notwendig sein, die ökonomischen Dinge in Berlin nochmals nachzuprüfen und eventuelle Hilfsmaßnahmen zu erwägen.
Mit Dank habe ich davon Kenntnis genommen, daß ein großer Teil der wirtschaftlichen und finanziellen Hilfe des Bundes anerkannt worden ist. Ich bitte, meine Darlegungen für ein paar Minuten anzuhören, um sie noch einmal in einen Zusammenhang zu bringen.
Am einfachsten und klarsten sind die direkten finanziellen Hilfen, die der Bund gegeben hat. Wir wissen, daß zur Abdeckung des Defizits des Landesetats Berlin im vergangenen Jahr 550 Millionen DM gegeben worden sind, daß darüber hinaus für die Bundesauftragsausgaben ein Betrag über die abgeführten Bundessteuern hinaus in Höhe von ca. 130 Millionen hinzukommt. Der Bundesfinanzminister wird diese Hilfe auch für das kommende Jahr fortsetzen; er hat den Betrag von 550 Millionen im vorläufigen Anschlag bereits auf 600 Millionen erhöht, und er wird die Zuwendungen, die sich aus den Bundesauftragsausgaben ergeben, in voller Höhe leisten.
Neben diesen unmittelbaren Finanzhilfen ist eine große Gruppe mittelbarer Hilfe erfolgt. Der Bund hat auf die Abführung der Verbrauchsteuern in Höhe von 125 Millionen DM bis zum 31. März 1952 verzichtet. Der Bund hat eine Umsatzsteuerrückvergütung gewährt. Diese hat für die Konkurrenzfähigkeit der West-Berliner Wirtschaft eine große Bedeutung. Im Jahre 1951 ist die Umsatzsteuerrückvergütung auf 45 Millionen angewachsen. Berlin hat Steuervergünstigungen für die Abschreibungen nach § 7 des Körperschaft- und Einkommensteuergesetzes. Berlin ist im Lastenausgleichsgesetz für eine Reihe von Jahren mit einer fühlbaren, auf ein Drittel reduzierten Leistung bedacht worden, eine für den Aufbau der Berliner Wirtschaft besonders günstige Hilfe. Der Bund hat für die Sicherung der Rentenversicherungen Zuwendungen in beachtlicher Höhe gemacht und wird sie fortsetzen.
Durch diese finanzielle Hilfe, die durch das Dritte Überleitungsgesetz eine rechtliche Grundlage gefunden hat und in den nächsten Tagen auch vom Berliner Abgeordnetenhaus verpflichtend anerkannt wird, ist - und das ist das Entscheidende, weswegen ich darüber spreche - der Lebensstandard der Berliner Bevölkerung, der in den Jahren 1949, 1950 und auch noch 1951 bedeutend unter dem Lebensstandard Westdeutschlands stand, diesem Standard angeglichen worden.
Wir haben durch diese Hilfe in Berlin die Renten, die 131er Beamten und Pensionäre und die Kriegsopfer gesichert. Wir haben auch der Bundesbahn und ebenso der Bundespost zu danken, daß sie die Eisenbahn- und die Postpensionäre übernommen haben. Durch diese Maßnahmen ist die innere Kaufkraft Berlins wesentlich gestärkt worden, so daß die Berliner Wirtschaft und der
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Berliner Handel durch diese verstärkte Kaufkraft der Bevölkerung in den letzten Jahren einen großen Aufstieg haben nehmen können, vor allem im letzten Jahre, eine Tatsache, die man an den Umsatzsteuereingängen ohne weiteres ablesen kann.
Ich will dabei nicht verkennen, daß die große Zahl der Berliner Arbeitslosen - 290 000 - eine seelisch bedrückende Angelegenheit ist und daß diese Menschen in größerer Zahl, als es irgendwo in einem andern Teil des Bundesgebiets der Fall ist, seelisch und materiell unter diesem furchtbaren Zustand leiden müssen. Wir wissen, daß die Arbeitslosigkeit gerade in den letzten Wochen zugenommen hat. Das ist eine Folge davon, daß die Notstandsarbeiten in größerem Umfang eingeschränkt werden müssen und daß infolgedessen in der Notstandsaktion statt 40- bis 45 000 zur Zeit nur noch ungefähr 20 000 Personen beschäftigt werden können.
Ebenso wichtig wie diese finanzielle Hilfe ist die ökonomische Hilfe, die der Bund gewährt. Der Abgeordnete Brandt hat schon darauf hingewiesen, auf welchem Tiefstand wir nach Aufhebung der Blockade aufgebaut haben. Die Berliner Bevölkerung, die Berliner Arbeiterschaft und die Berliner Wirtschaft haben beim Aufbau der Berliner Wirtschaft Unglaubliches und Unerhörtes geleistet. Sie haben aber die Möglichkeit dazu im wesentlichen dadurch gehabt, daß der Bund und ERP- und GARIOA-Mittel ihnen geholfen haben. Sie wissen, daß wir in den letzten Jahren seit Beginn des Jahres 1950 aus ERP- und GARIOA-Mitteln schon ungefähr 400 Millionen DM bar eingesetzt haben und daß diese Mittel laufend weiter fließen. Sie wissen, daß die Vorfinanzierung von Aufträgen, von der der Abgeordnete Brandt vorhin auch gesprochen hat, in Höhe von 100 Millionen DM durch Zurverfügungstellung von GARIOA-Mitteln gerade in der vorigen Woche genehmigt worden ist, so daß zusätzlich für 100 Millionen DM Aufträge im wesentlichen von Bundespost, Bundesbahn und sonstigen öffentlichen Stellen nach Berlin gegeben werden können. Wir haben gerade in der vorigen Woche Betriebsmittelkredite in Höhe von 25 Millionen DM für die Betriebe sichern können, die bankmäßig an sich sehr schwer mit Krediten zu versorgen sind und für die vor allem auch für längerfristige Kredite keine Mittel da sind. Wir haben Flüchtlingskredite und Handwerkskredite gegeben.
Die Notstandsaktion Berlins ist eine sehr große Angelegenheit gewesen, die mit Hilfe von GARIOA-Geldern hat geleistet werden können. Bis Ende März dieses Jahres sind 425 Millionen DM aus GARIOA-Mitteln in diese Hilfe hineingeflossen. Ab 1. April werden noch 50 Millionen hineinfließen. Durch diese 50 Millionen DM ist eine Senkung der monatlichen Leistungen notwendig geworden. Wir hoffen aber, daß wir bis Ende des Etatjahres monatlich 10 Millionen DM zur Verfügung haben, wobei auch Senat und Bund Zuschüsse leisten. Wir haben aus den Bundesmitteln und GARIOA-Mitteln Bürgschaften für Berliner Betriebe geben können. Vom Bund stehen 20 Millionen DM zur Verfügung, aus GARIOA-Mitteln 10 Millionen DM.
Ökonomisch ist es in den letzten Monaten gelungen - auch das ist eine verhältnismäßig große Leistung -, gerade für die Mangelartikel an die Berliner Wirtschaft die erforderlichen Rohstoffe und Halbfabrikate beinahe hundertprozentig heranzubringen. Es war vor allem notwendig, die Kohle
heranzuschaffen, nachdem die Sowjetzone die Lieferung von Braunkohle eingestellt hatte. Auch diese Leistung ist vom Westen her teilweise in Höhe von 300 000 t im Monat erfolgt.
Wir haben dann in einer ganzen Reihe von Einzelfällen Subventionen gegeben. Allein für Margarine und Konsumbrot betragen die Subventionen für das Rechnungsjahr 1951 17 Millionen DM. Für die in Berlin eingelagerte Bundesreserve sind im Jahre 1951 9 Millionen DM an Personalkosten für die Auslagerungen und Einlagerungen ausgegeben worden.
Die Bundesregierung hat sich sehr bemüht, den Interzonenhandel in Gang zu halten oder wieder in Gang zu bringen. Wir haben geglaubt, daß gerade durch den Interzonenhandel der Warenweg zwischen West-Berlin und Westdeutschland einigermaßen gesichert werden könne, und wir sind froh, daß dieser Interzonenhandel wieder in Gang gekommen ist, zunächst mit einer Hin- und Her-summe von 61 Millionen DM. In neuen Verhandlungen sind weitere Aufstockungen geplant.
Ausfallbürgschaften für Lieferungen nach dem Westen sind schon erwähnt worden. Ferner sind in den letzten Monaten Kosten für die Luftbrücke entstanden. Auch diese Kosten werden, ebenfalls unter Mithilfe des Bundes, gedeckt.
Ich muß hier noch anerkennen, daß die augenblickliche noch einheitliche Rentenversicherung in Berlin durch die Lastengemeinschaft der Sozialversicherungsträger des Westens in größtem Umfang mit unterstützt wird, sowohl in der Rentenversicherung und der Unfallversicherung als auch in der Arbeitslosenversicherung.
Wir haben es in den letzten Wochen geschafft, die Flüchtlingshilfe des Bundes in Berlin aufzubauen, eine Tatsache, die sehr erfreulich ist, weil dadurch 80 % der in Berlin anfallenden Flüchtlinge nach dem Bundesgebiet abgeleitet werden können und nicht den Berliner Arbeitsmarkt bedrücken.
Wir haben aus dem Bundesjugendplan im Jahre 1951 1,5 Millionen DM nach Berlin bekommen und werden diese Summe auch im kommenden Jahre erhalten.
Das Wesentliche aber, womit Berlin weitergeholfen werden kann, ist tatsächlich eine erhöhte Auftragsvergabe nach Berlin. Tatsache ist, daß im Jahre 1951 für ungefähr 1,5 Milliarden DM Ware aus Berlin nach Westdeutschland und dazu für ungefähr 250 Millionen DM in das Ausland transportiert worden ist. Berlin selbst hat aber als Konsument Westdeutschlands Waren im Werte von ungefähr 3 Milliarden DM bezogen. Dieser Abstand zwischen 1,5 Milliarden DM Lieferungen und 3 Milliarden DM Bezügen ist die Spanne, die wir an Aufträgen nach Berlin haben müssen, um den Berliner ökonomischen Problemen einigermaßen gerecht zu werden. Der Herr Bundeskanzler hat bereits erklärt, daß von hier aus alles geschieht, um öffentliche Aufträge in stärkerem Umfang nach drüben zu legen. Es muß geprüft werden, ob man mit Hilfe der Verbände der Wirtschaft private Aufträge in stärkerem Umfang nach Berlin bekommt. Nur auf diesem Wege ist dem ökonomischen Problem Berlins im wesentlichen beizukommen.
Meine Damen und Herren, ich glaubte diese Ausführungen hier als Bericht dessen machen zu sollen, was tatsächlich in Berlin vorliegt, um die kommenden Verhandlungen in Berlin auf dem, was schon
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geschieht, aufbauen zu können. Denn ökonomisch ist es so, daß eine Wirkung dessen, was nun zusätzlich noch geschehen kann, nur dann erreicht werden hann, wenn man es organisch in das einfügt, was tatsächlich ist. Die Kapazität der Berliner Wirtschaft verträgt noch durchaus in großem Umfang Aufträge. Berlin lebt in dem politischen Spannungsfeld Ost- und Westdeutschlands. Es ist die Aufgabe der Westdeutschen, diese Spannung, die über dem Berliner Volk liegt, immer wieder zu erkennen und Berlin die Möglichkeit zu geben, daß es die Aufgabe, die es für die freie Welt hat, wirklich erfüllen kann.
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Das Wort hat Bürgermeister Reuter als Mitglied des Bundesrats.
Dr. h. c. Reuter, Regierender Bürgermeister von Berlin, Mitglied des Deutschen Bundesrats: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr dankbar, daß ich die Gelegenheit habe, aus Anlaß dieser Anfrage und der sich daran anschließenden Erklärung des Herrn Bundeskanzlers einige Bemerkungen an die Adresse an des Hohen Hauses zu richten. Ich glaube nicht, daß es in diesem Augenblick meine Aufgabe sein kann, in einer Fülle von Detailmitteilungen und Detailerörterungen das eigentliche Problem der gegenwärtigen Situation Berlins zu verwischen.
Tatsache war, Tatsache ist, daß jeder von uns damit hat rechnen müssen und gerechnet hat, daß die gegenwärtige Situation zu erneuten Schwierigkeiten in Berlin ürde führen müssen und können. Wir haben infolge sorgfältiger Beobachtung der Maßnahmen der Sowjets feststellen müssen, daß di Sowjets mindestens im Augenblick eine gewaltsame Auseinandersetzung und Abschnürung Berlins vorzunehmen offenbar nicht beabsichtigen. Aus guten Gründen, wie ich annehme: weil sie wissen, daß eine solche Maßnahme zu anderen Konsequenzen auch für sie führen würde. Wir wissen aber genau - uns es würde ein Fehler von uns sein, uns irgendwelchen Illusionen hinzugeben -, daß die Sowjets uns niemals geliebt haben und niemals lieben werden.
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Wir wissen, daß sie alles tun werden, um unsere Lage so schwer wie möglich zu machen.
({1})
Und wenn sie es nicht auf dem Weg des Frontalangriffs tun können, was sie sicher gerne möchten, aber augenblicklich nicht tun können, dann werden sie es auf dem Weg durch die Hintertür versuchen, nämlich durch die Hintertür der wirtschaftlichen Strangulierung und Erschwerung unserer Situation.
({2})
Es ist richtig, daß die Berliner Wirtschaft in den letzten Monaten etwas stagnierte, eine Erscheinung, die wir auch anderswo haben beobachten können. Tatsache ist aber, daß in Berlin im Monat April - in diesem Fall muß ich doch eine kleine Zahl nennen - die Auftragseingänge gegenüber dem Monat März um 10 % zurückgegangen sind, - bereits im Monat April! Für den Monat Mai habe ich noch keine endgültigen Zahlen vorliegen; ich weiß aber aus einer Fülle von Detailinformationen, die mir zur Verfügung stehen, daß der Rückgang ein größerer sein wird und sein muß aus Gründen, die offensichtlich mit den Spannungen der augenblicklichen Lage zusammenhängen, insbesondere damit zusammenhängen, daß eine gewisse Vorstellung, Berlin könne eventuell nicht sicher sein und es könne gefährlich sein, mit Berlin Wirtschaftsbeziehungen zu haben, doch offenbar weiter verbreitet ist, als es unserer Meinung nach richtig sein sollte. Demgegenüber kann ich als Sprecher des Landes Berlin - und nicht nur als sein Regierender Bürgermeister - nur erklären: Berlin ist der sicherste Platz, den wir in Deutschland haben!
({3})
Berlin wird allemal seine Freiheit verteidigen und kennt die Mittel und Wege, wie es seine Freiheit zu verteidigen hat.
({4})
Wir haben uns unter sehr viel schwereren Bedingungen behauptet, und wir werden uns auch unter den heutigen Bedingungen behaupten. Gerade die Ereignisse der letzten Tage haben deutlich gezeigt, daß sich cine solche Haltung lohnt und bezahlt macht ünd daß man gewisse Herrschaften auch mit einer ungewöhnlichen Schnelligkeit an den Verhandlungstisch bringen kann, was wir ja bisher auf anderen Gebieten noch nicht erlebt haben.
({5})
Aber in dieser Situation, meine Damen und Herren - und ich bitte, das nicht als eine der üblichen Hilfsappelle anzusehen; ich plädiere nicht für Hilfe für Berlin, ich plädiere für Hilfe für Deutschland! -,
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müssen wir Deutschen alles tun, um die ökonomische Lage dieser Stadt zu festigen, damit sie in Zukunft nicht nur von Subsidien abhängig ist, sondern damit sie von der Arbeitskraft ihrer fleißigen, arbeitswilligen und arbeitsfähigen Bevölkerung leben kann.
Wir haben die erste Periode unserer Entwicklung mit der Unterstützung des Bundes, die wir dankbar anerkennen und die unzweifelhaft auch Resultate gezeitigt hat, hinter uns, die erste Periode, die wir übermorgen im Abgeordnetenhaus mit der endgültigen Verabschiedung - es liegt nicht an uns, daß das so lange gedauert hat - des Dritten Überleitungsgesetzes abschließen werden. Damit ist der Grundsatz anerkannt, daß finanziell und ökonomisch Berlin ein Teil des Bundesgebiets sein soll.
Nun muß die zweite Periode kommen, die Periode des Aufbaues dieser Stadt, damit die Menschen in der Ostzone sehen, was die freie Welt bedeutet. Das ist die Aufgabe, die wir zu leisten haben.
({7})
Wir haben uns immer vor Augen zu halten, daß für jeden Deutschen, wo er immer leben mag, die Existenz, die Lebensfähigkeit, die Freiheit und die Wohlfahrt dieser Stadt eine Garantie für ihn selber ist, daß er in Freiheit leben und sein eigenes Schicksal in Freiheit aufbauen kann.
Wer Gelegenheit hat, Vergleiche zwischen dem Aufbau anderer westdeutscher Städte und dem Aufbau Berlins anzustellen, der weiß, wie sehr
({8})
Berlin ohne sein eigenes Verschulden, einfach durch die Gegebenheiten der historischen Entwicklung, hinter dem Aufbau anderer Orte zurückliegt. Dreihunderttausend Erwerbslose, aus welchen Gründen es immer sein mag - es gibt viele Gründe dafür, für die niemand ohne weiteres verantwortlich gemacht werden kann -, sind auf die Dauer in Berlin ein untragbarer Zustand. Für diese Menschen muß Arbeit geschaffen werden und kann Arbeit geschaffen werden. Der Anteil Berlins an öffentlichen Aufträgen im Jahre 1952 betrug nach meiner Kenntnis ungefähr 100 Millionen DM; der Prozentsatz seines Anteils an allgemeinen Aufträgen erreicht - die Schätzungen sind verschieden - nach der maximalen Schätzung nicht 3 %. Wenn man bedenkt, daß Berlin wie früher auch heute noch eine Industriestadt ist - prozentual heute sogar mehr als zuvor -, dann muß man sagen, daß ein Auftragsanteil - im Vergleich zu dem, was im Bundesgebiet vor sich geht - von 4 bis 5 Prozent keine Utopie sein kann. Eine solche Entwicklung würde das Problem Berlins lösen und wie Sprengpulver auf die Position der Sowjets in der Sowjetzone wirken und würde unsere gemeinsame Politik, die darauf ausgerichtet sein muß, alles zu tun, um die Einheit Deutschlands wiederherzustellen und die Sowjets zur Anerkennung dieser Politik zu zwingen, durch unsere wachsende Leistungsfähigkeit ganz außerordentlich unterstützen.
Unser Appell, den wir an die Bundesregierung gerichtet haben und auf den die Bundesregierung durch die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers dankenswerterweise in den Grundlinien positiv geantwortet hat, geht auch an dieses Hohe Haus: Helfen Sie uns, daß wir dieser Berliner Bevölkerung Arbeit schaffen können, damit die Arbeit dieser Bevölkerung im ganzen östlichen Deutschland zeigt, was die freie Welt politisch, ökonomisch und moralisch bedeutet. Indem Sie uns helfen, werden Sie - das kann ich, glaube ich, ohne jede Übertreibung sagen - nicht nur uns, sondern werden Sie sich selber helfen. Befreien wir uns gemeinsam von der Vorstellung, daß es sich bei dieser Aufgabe um eine Hilfsaufgabe für Notleidende handle; wenden wir uns gemeinsam der Vorstellung zu, daß es sich hier um eine Aufgabe handelt, uns selbst, allen Deutschen, die Voraussetzungen zu schaffen, unter denen allein wir nicht nur die Freiheit in Berlin, sondern auch die Freiheit in Deutschland gewinnen können.
Der Senat von Berlin wird an den Beratungen, die der Herr Bundeskanzler angekündigt hat, intensiv teilnehmen, sie vorbereiten. Ich bin sicher, daß wir sowohl administrative wie auch gesetzgeberische Maßnahmen nötig haben werden, die im einzelnen jetzt darzulegen vielleicht nicht zweckmäßig und nicht richtig wäre. Ich glaube, wir werden Gelegenheit haben, mit den zuständigen Ausschüssen des Bundestages, insbesondere auch mit dem Berlin-Ausschuß, das Resultat solcher Ausarbeitungen zu besprechen.
Aber ich darf dazu sagen: die Zeit drängt uns auch! Gewiß ist die Berliner Bevölkerung standhaft, und ich könnte mit Leichtigkeit und mit voller Berechtigung eine Erklärung abgeben, daß die Berliner Bevölkerung unter allen Umständen standhalten wird. Aber viel Not und Elend verbirgt sich hinter der einen Zahl von 290 000 Erwerbslosen. Über 100 000 dieser Erwerbslosen sind seit Beendigung der Blockade erwerbslos. Man muß sich einmal genau vorstellen, was das bedeutet!
Diese Menschen können Tag für Tag und Sonntag für Sonntag die Mauern ihrer Stadt nicht verlassen, sind eingepfercht auf ein enges Gebiet und bedürfen infolgedessen auch aus diesem Grunde einer pfleglichen Behandlung. Und sie haben eine wirkliche Hilfe verdient! Wenn irgend jemand sie verdient hat, dann ist es die Berliner Bevölkerung, nicht der Senat von Berlin, in deren Namen ich diesen Appell an Sie richte.
({9})
Ich nehme an, daß die Besprechung der Großen Anfrage verlangt wird und daß mehr als 30 Mitglieder dieses Hauses dies wünschen.
Der Ältestenrat schlägt dem Hause eine Gesamtbesprechungszeit von 90 Minuten vor.
Ehe ich das Wort erteile, habe ich bekanntzugeben, daß der Finanzausschuß um 16 Uhr in Zimmer 03 des Südflügels zusammentreten wird.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Fisch.
({0})
Meine Damen und Herren! Wohl noch nie, seitdem dieser Bundestag besteht, hat sich Herr Dr. Adenauer bemüht, mit solch überstürzter Eile eine Anfrage aus diesem Hause zu beantworten, wie bei dieser Sache. Es lohnt sich darum, zunächst ein Wort über die Hintergründe dieser Debatte zu sagen.
Die Bundesregierung weiß sehr wohl, daß sie noch nie, seitdem sie existiert, sich in einer solchen Isolierung vom Volke befand wie heute.
({0})
Sie weiß, daß die Bevölkerung ihre Politik, die nach amerikanischen Empfehlungen orientiert ist, verwünscht. Sie weiß auch, daß das Volk und insbesondere die Arbeiterschaft sich darauf vorbereiten, mit allen Mitteln die Ratifizierung der Schandverträge zu verhindern, die am 26. und 27. Mai unterzeichnet wurden. Und schließlich spürt die Bundesregierung auch den wachsenden Widerstand in den Reihen der Koalition, die sie selbst trägt.
Das sind die wirklichen Gründe, weshalb man jetzt ein neues Thema braucht, das in theatralischer Aufmachung vom gesamten Propagandaapparat der Bundesregierung abgewandelt wird,
({1})
ein Thema, das das Volk mit Haßstimmungen gegen den Osten, insbesondere gegen die Deutsche Demokratische Republik, verseuchen soll. Die Bundesregierung braucht dieses Thema auf der politischen Bühne Westdeutschlands, und zwar in einer solchen panikerzeugenden Aufmachung, damit man draußen nicht mehr von der Schande der Unterschrift des 26. Mai redet.
({2})
Sie braucht dieses Thema, um ungestört die beabsichtigte Ratifizierung der Verträge im Eiltempo vorbereiten zu können.
Man muß dem aber hinzufügen, daß der Vorstand der Bundestagsfraktion der SPD diesen Absichten Dr. Adenauers mit der Einbringung ihrer Großen Anfrage einen außerordentlichen Hilfsdienst erwiesen hat. Noch vor kurzem haben die Sprecher der SPD hier in diesem Hause erklärt,
({3})
daß jede Möglichkeit ausgeschöpft werden müsse, die durch die Noten der Sowjetregierung gebotene Chance für einen Weg zur friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit zu nutzen. Ich frage die Verfasser ddr Großen Anfrage der SPD: Ist das, was Sie heute hier veranlaßt haben, die geeignete Methode, um die Verständigung zwischen den vier Mächten, um die Verständigung also auch mit der Sowjetunion zu erleichtern? Ihre Wählerschaft, meine Herren vom Vorstand der SPD-Fraktion, wünscht keine doppelte Buchführung; sie wünscht, daß Ihre Taten mit Ihren hier proklamierten Worten über die friedliche Verständigung übereinstimmen.
Wer den jetzigen Stand des Problems West-Berlin in Ruhe und Sachlichkeit prüft, der stellt folgendes fest: nicht die Regierung der DDR hat gewisse Schwierigkeiten in der Lage West-Berlins geschaffen, sondern die Westmächte und die Handvoll mit ihnen aufs engste verbundener deutscher Politiker. Die Isolierung West-Berlins begann bekanntlich als unmittelbare Folge der von den Westmächten herbeigeführten separaten Währungsreform. Wer hat denn, Herr Professor Reuter, die 300 000 Arbeitslosen in Berlin geschaffen?
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In einem Bericht der West-Berliner Adressenfirma Klett vom April 1950, den Sie ja auch kennen,
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wurden nicht weniger als 1750 Namen bekannter West-Berliner Unternehmen aufgeführt, die sich bis dahin schon per Luftbrücke und per Schmuggelweg nach dem Westen abgesetzt haben.
Es ist sehr einfach, der Bevölkerung von West-Berlin heldenmütig zuzurufen: Harret aus! Etwas schwieriger wäre es für die Leute, die hier die wirkliche Macht ausüben, auf ihre Profite zu verzichten! Das ist doch wohl auch der Inhalt des wirtschaftlichen Problems, das hier angeschnitten wurde.
Was ist denn Wahres an dem ganzen Geschrei über die angeblich erschwerte Lage von West-Berlin? Der Bevollmächtigte der Bundesregierung in Berlin, Herr Dr. Vockel, hat am letzten Freitag hier in Bonn erklärt, daß es einen wirklich völlig freien Verkehr zwischen Berlin, der Deutschen Demokratischen Republik und Westdeutschland gebe. Er hat sich ausdrücklich gegen die überspitzten Zweckmeldungen der Westpresse über Vorkommnisse an der Grenze von West-Berlin gewandt und die absolute Sicherheit eines geregelten Warenverkehrs zwischen Berlin und dem Westen betont. Selbst der Chef einer West-Berliner Agentenzentrale hat heute hier in Bonn in einer Pressekonferenz erklärt: die Bevölkerung aus der DDR und aus Ost-Berlin kann ungehindert nach West-Berlin kommen, alle Meldungen in der westdeutschen Presse über angebliche Sperren sind falsch.
({6})
Hier wird Alarm geschrien, weil die Behörden der DDR für das Betreten ihres Gebietes Ausweise verlangen. Aber die Alarmschreier finden gar nichts dabei, wenn hier in Westdeutschland eine Aggressionsarmee gegen den Osten unter amerikanischem Kommando aufgebaut wird, die auf Bruderkrieg gedrillt werden soll. Sie finden gar nichts dabei, wenn die Westmächte einseitig eine ganze Serie von Viermächteabkommen aufheben
und lediglich für die Viermächteabreden über Berlin nach wie vor Gültigkeit verlangen.
Die Regierung der Sowjetunion hat bis heute alle Viermächteabkommen über Berlin peinlichst genau eingehalten. Wer wirklich ehrlich die Aufhebung gewisser Kontrollmaßnahmen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik wünscht, den möchte ich an den Text der Verordnung der Berliner Regierung vom 26. Mai erinnern, worin es heißt:
Alle zur Durchführung der Maßnahmen getroffenen Anordnungen, Bestimmungen und Anweisungen sind unter dem Gesichtspunkt zu erlassen, daß sie bei einer Verständigung über die Durchführung gesamtdeutscher freier Wahlen zur Herbeiführung der Einheit Deutschlands auf demokratischer und friedlicher Grundlage sofort aufgehoben werden können.
Das ist eine klare und eindeutige Sprache. Wer die Normalisierung der Verhältnisse in West-Berlin will, wer die Gesundung der West-Berliner Wirtschaft und die Beseitigung der West-Berliner Arbeitslosigkeit will, der kann keine andere Politik betreiben als diese: die Verhinderung der Ratifizierung des Generalvertrages,
({7}) gesamtdeutsche Beratungen über die Durchführung gesamtdeutscher freier Wahlen zu einer deutschen Nationalversammlung und Herbeiführung von Viermächteverhandlungen über den baldigen Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland und den darauf folgenden Abzug aller Besatzungsmächte.
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Ihre Redezeit ist abgelaufen!
Ich bin sofort fertig.
Würden Sie, meine Damen und Herren vom Fraktionsvorstand der SPD, die Vorschläge des Zentralkomitees der SED vom 24. März, auf dieser Grundlage in gemeinsame Beratungen einzutreten, annehmen, Sie würden unserem Volk und insbesondere Berlin einen besseren Dienst erweisen als mit dieser Ihrer Großen Anfrage. Wir sind davon überzeugt, daß die Bevölkerung immer stärker auch von Ihnen die Politik der Verständigung und der friedlichen Wiedervereinigung verlangen und sie schließlich erzwingen wird.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Tillmanns.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kann keinem Zweifel unterliegen - und auch mein Herr Vorredner kann die Tatsache nicht auswischen -, daß die Sperrmaßnahmen, die in den letzten Tagen über die Sowjetzone verhängt worden sind, in erster Linie den Zweck haben, die Deutschen der Zone von dem freien Berlin und der Bundesrepublik abzuriegeln. Es soll eben keine unerwünschte Nebenluft mehr aus der freien Welt in die Sowjetzone hineindringen.
({0})
Diktaturen können nun einmal nur in der Isolierung leben. Offener geistiger und politischer Aus({1})
einandersetzung sind sie nicht gewachsen, und diese Schwäche verdecken sie durch Terror.
({2})
Ich hoffe, der Bundestag wird bald Gelegenheit haben, sich ausführlich mit den Verpflichtungen zu befassen, die uns aus dieser neuen Lage gegenüber I den Deutschen in der Sowjetzone erwachsen. Aber wir dürfen die heutige Aussprache nicht vorbeigehen lassen, ohne zu versichern, daß wir alles tun werden, um die 20 Millionen jenseits des Eisernen Vorhangs auf friedlichem Wege mit uns in einem freien Deutschland zu vereinigen. Die Absperrungsversuche der Kommunisten werden nicht gelingen. Dazu ist das Gewebe der deutschen Lebensgemeinschaft viel zu dicht, und die Deutschen in der Sowjetzone wollen nun einmal mit uns zusammenbleiben. Ihr innerer Widerstand gegen die kommunistische Zwangsherrschaft wird sich durch die neuen Bedrückungen nur verstärken. Aber es ist an uns, jetzt erst recht zusammenzustehen zur Hilfe und Stärkung für diejenigen, die bedrückt sind.
Das können wir vor allem dadurch tun, daß wir das freie Berlin stärken und kräftigen. Die sowjetischen Maßnahmen wollen j a erreichen, daß Berlin dadurch geschwächt wird, daß sich Besorgnis und Unsicherheit über die Lage Berlins verbreitet. Nicht so sehr in Berlin selbst; das wurde schon gesagt. Dort hat man sich ein verhältnismäßig dickes Fell erworben, und man weiß aus Erfahrung, daß man gegenüber dem Bolschewismus schon halb gewonnen hat, wenn man sich nicht bange machen läßt. Es scheint mir die Aufgabe des ganzen deutschen Volkes und der freien Welt zu sein, heute dieselbe Haltung zu beweisen und Berlin mit allen Mitteln zu helfen. Wir begrüßen daher die Erklärung des Bundeskanzlers, die diese Hilfe in wirksamer Weise zusagt, und als Berliner Vertreter darf ich hinzufügen: wir Berliner schulden der Bundesregierung Dank für alles, was schon bisher für Berlin geschehen ist.
Es kommt meiner Meinung nach in erster Linie darauf an, daß wir alle moralischen Kräfte zusammenfassen zur Behauptung der freien Stadt Berlin und ihr zeigen, daß ihr Schicksal das unsrige ist. Deshalb sollten in den nächsten Wochen und Monaten so viel Deutsche wie irgend möglich nach Berlin gehen. Kongresse und Tagungen aller Art und auch bedeutsame sportliche Veranstaltungen sollten in Berlin stattfinden.
({3})
Auf keinen Fall sollten Kongresse, die für Berlin angekündigt sind, jetzt abgesagt werden.
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Diese meine Mahnung gilt auch für den Deutschen Gewerkschaftsbund.
({5})
Ich kann nur hoffen, daß er seine Absicht, den diesjährigen Gewerkschaftskongreß nach Frankfurt zu verlegen, noch einmal gründlich überprüft.
({6})
Was die wirtschaftlichen Maßnahmen für Berlin anlangt, so glaube ich, namens meiner Fraktion versichern zu können, daß der Appell des Regierenden Bürgermeisters von uns in jeder Weise aufgenommen wird.
({7})
Die wirtschaftlichen Stützungsmaßnahmen für Berlin müssen auch nach unserer Meinung mehr als bisher die gewerbliche Produktion durch Zuführung vermehrter Aufträge entwickeln und dadurch die Arbeitslosigkeit vermindern helfen. Alle öffentlichen Stellen, die Aufträge zu vergeben haben, müssen nunmehr diese Pflicht wirklich erkennen. Das gilt nicht nur für die Bundesbehörden, insonderheit Bahn, Post, Zollverwaltung usw., sondern in gleicher Weise für die Auftragsvergebung der Länder und der Kommunalbehörden aller Stufen. In derselben Weise geht dieser Appell an die gesamte deutsche Wirtschaft. Wir hoffen, daß es der Bundesregierung gelingt, in freier Zusammenarbeit mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft und auch der Gewerkschaften diese gemeinsame Aufgabe durchzusetzen. Vielleicht ist das wirksamer als die Einführung rechtlicher Verpflichtungen. Die deutsche Wirtschaft würde gegen ihre ureigensten Interessen handeln, wenn sie nicht von sich aus alles täte, um die Berliner Wirtschaft zu stärken.
Das heißt nicht, daß besondere Vergünstigungen für Warenbezüge aus Berlin und für Lieferungen nach Berlin entbehrlich wären, im Gegenteil. In dieser Beziehung müssen kräftige und auch mutige Maßnahmen durchgeführt werden. Die vielfachen Erschwerungen der Wettbewerbslage der Berliner Wirtschaft müssen durch solche Vergünstigungen ausgeglichen werden. Wir schlagen vor, daß über die schon bestehenden steuerlichen Vergünstigungen hinaus eine erhöhte Abschreibungsmöglichkeit für solche Investitionsgüter gewährt wird, die aus Berlin bezogen werden, und daß dem Auslandsexport der Berliner Wirtschaft besondere Förderung zuteil wird durch bessere Finanzierungsmöglichkeiten und durch Aushandlung von Zollerleichterungen im Ausland. Auch die Teilnahme Berliner Firmen an ausländischen Messen muß durch den Bund besonders gefördert werden. Wir bitten, zu prüfen, ob die Vorschriften über die Verwendung von Sperrmarkguthaben in der Weise gelockert werden können, daß diese Guthaben zur Bezahlung von Exporten Berliner Erzeugnisse verwendet werden können. Berlin muß auch einen stärkeren Anteil am Interzonenhandel durch besondere Kontingente erhalten. Berlin ist nun einmal die gegebene Mittlerin für den Warenverkehr mit der Sowjetzone. Deshalb sollten auch die damit befaßten Bundesbehörden stärker in Berlin zusammengefaßt werden.
Ich will mich nicht länger in Einzelheiten der Maßnahmen vertiefen, die notwendig sind. Nur auf die dringende Notwendigkeit, den Warentransport zwischen Berlin und der Bundesrepublik zu sichern, will ich noch hinweisen. Transportgarantien müssen nicht nur für Lieferungen aus Berlin, sondern auch für die umgekehrte Richtung gegeben und erweitert werden.
({8})
Für die bevorstehenden Frachterhöhungen der Bundesbahn braucht Berlin unbedingt einen Ausgleich. Das gleiche gilt für die Erhöhung der Kohlenpreise. Hier sind gesetzliche Sondermaßnahmen nötig, die schweren Schaden von der Berliner Wirtschaft abwenden müssen. Sie sehen, wir stehen vor vielfältigen Aufgaben, die sorgfältig aufeinander abzustimmen und ständig zu überprüfen und zu entwickeln sind. Es handelt sich nicht um eine einmalige Aktion, sondern um eine Dauerverpflichtung, der sich auch der Deutsche Bundestag unterziehen muß.
({9})
Die Fraktionen der Regierungskoalition stellen daher den Antrag, der Ihnen in Drucksache Nr. 3443 vorliegt und der den Zweck hat, den Berlin-Ausschuß des Bundestags und die anderen befaßten Ausschüsse mit dieser Aufgabe zu betrauen. Da eine Änderung der Fassung des ersten Satzes dieses Antrags vorgeschlagen wird, darf ich mir erlauben, den Antrag noch einmal in der endgültigen Fassung zu verlesen. Er lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Bundestag ist sich mit der Bundesregierung darüber einig, daß alles getan werden muß, um die finanzielle, wirtschaftliche und soziale Lage Berlins und seiner Bevölkerung zu stärken und zu verbessern Die erforderlichen Unterstützungsmaßnahmen bedürfen ständiger Überprüfung und Fortentwicklung. Der Bundestag beauftragt daher den Ausschuß für Berlin ({10}), diese Aufgabe in Zusammenarbeit mit den für die einzelnen Sachgebiete zuständigen Ausschüssen zu übernehmen und gegebenenfalls Vorschläge vorzubereiten.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, diesem Antrag Ihre Zustimmung zu gehen.
({11})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wessel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn sich der Bundestag heute mit der Hilfe für Berlin beschäftigt, so treffen für diesen Fragenkomplex wohl nicht die Ergebnisse zu, die das Frankfurter Institut für Demoskopie in diesen Tagen veröffentlicht hat, daß nämlich die
deutsche Öffentlichkeit, nach verschiedenen Be- fragungen zu schließen, über hochpolitische Angelegenheiten nur mangelhaft unterrichtet sei. Denn im Falle Berlin spürt es nicht nur die Berliner Bevölkerung, sondern ganz Deutschland muß sich darüber klar sein, daß jetzt ein Imstichlassen Berlins durch Westdeutschland und den Westen die Sorge um das Schicksal der Ostzonenbevölkerung noch vermehren würde. In dieser Situation ist den Berlinern keineswegs, wie schon betont worden ist, mit schönen Sympathieerklärungen geholfen. Solidarität mit Berlin bedeutet vor allem wirtschaftliche und soziale Hilfe, damit nicht das Gefühl der Verlassenheit die Menschen im Osten in dem Kampf, den sie jetzt durchzustehen haben, erfaßt.
Zunahme der Arbeitslosigkeit wäre eine der großen Gefahren, die den Berlinern und damit auch der Ostzonenbevölkerung das Gefühl der Verlassenheit geben würde. Darum sind Aufträge aus dem Westen für Berlin so entscheidend. Die Wirtschaft im Westen sollte sich nicht von irgendwelchen Angstgefühlen leiten lassen, denn Angst ist der schlechteste Ratgeber nicht nur für den Politiker, sondern auch für den Wirtschaftler. Vor allem sollte man verhindern, daß die Versicherungsprämien für den Transport und dergleichen rapide erhöht werden, denn eine solche Erhöhung bedeutet alles andere als eine Stärkung des Sicherheitsgefühls.
Neben der Wirtschaft muß es vor allem, wie schon betont wurde, die Bundesregierung selbst sein und müssen es ebenso die Behörden der Länder und Kommunen sein, die in der Hilfe für Berlin mit gutem Beispiel vorangehen, wenn eine durchschlagende Hilfe für Berlin geleistet werden soll und nicht nur für einige Monate. Denn die Bundesregierung muß sich darüber klar sein, daß der Druck auf Berlin nicht so schnell nachlassen und man vor allem auf wirtschaftlichem Gebiete seitens der Ostzonenregierung und Rußlands - im Kalten Krieg von heute - auf Berlin einzuwirken versuchen wird. Die Berliner Wirtschaft wird deshalb mit langfristigen Investitionen durch die Bundesregierung gestützt und weiter aufgebaut werden müssen.
Als letztes möchte ich das unterstreichen, was Herr Kollege Tillmanns hinsichtlich des Interzonenhandels gesagt hat. Es wird gerade im Interesse Berlins notwendigerweise die Politik der Bundesregierung sein müssen, den Osthandel zu verstärken und neue Möglichkeiten dafür zu erschließen. Gestern konnte man in den Zeitungen lesen, daß eine englische Handelsdelegation zur Zeit in Ost-Berlin über Stahl- und Maschinenlieferungen für Rotchina und Korea verhandeln soll und daß auch Vertreter von Bulgarien, Rumänien und der Tschechei an diesen Handelsbesprechungen teilnehmen, bei denen es sich um ein Geschäft von einer halben Milliarde handeln soll. Meine Damen und Herren, es mutet doch angesichts solcher Nachrichten etwas merkwürdig an, daß dem Bund und Berlin sogar die Ausfuhr von Gebrauchsgütern in die Ostzone verboten ist. Offensichtlich werden bei dem westdeutschen Warenverkehr mit dem Osten allzu kleinliche Maßstäbe angelegt, die für die übrigen Länder, auch die des Westens, nicht Geltung haben. Eine andere Regelung des Osthandels zugunsten der Wirtschaft der Bundesrepublik ist auch eine entscheidende Hilfe für Berlin, denn Berlin würde der Vorposten Deutschlands nach dem Osten in wirtschaftlicher Hinsicht sein. Dadurch würden auch Spannungen gelockert werden können, die auf dem politischen Gebiet so verschärft worden sind. Es ist unsere Pflicht, jede Möglichkeit zu ergreifen, um den Berlinern in ihrem Kampf zu helfen. Wem es in seiner Politik um ganz Deutschland geht, der ist sich der Bedeutung Berlins und damit der Notwendigkeit der Erreichung dieses Zieles bewußt.
Die Föderalistische Union wird aus dieser Einstellung heraus dem Antrag der Regierungsparteien Drucksache Nr. 3443 zustimmen.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich möchte, da es um Berlin geht, den Deklarationen und Verlesungen, die wir eben gehört haben, nichts hinzufügen, obwohl es sehr schwer ist, dazu - oder besser gegen derartige Deklarationen - nichts zu sagen. Ich möchte nur über das sprechen, was in der Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion - wohl versehentlich - vergessen worden ist. Wir meinen, daß das hohe Maß an echter Garantie und echter Sicherung für Berlin nicht allein gegeben sein kann durch eine vermehrte Auftragsvergebung nach Berlin - obwohl das sehr wesentlich ist - und durch die Schaffung der Grundlagen - man sprach hier von „psychologischen Voraussetzungen"- für das Gefühl der Sicherheit, von dem wir wünschen, daß es die Berliner täglich neu und fest mit uns verbindet. Darüber hinaus sollten wir uns in voller Verantwortung auch darüber klar sein, daß es nicht mit An({0})
fragen und Deklarationen und nicht mit schönen Formulierungen von der Liebe zu Berlin, unserer alten Reichshauptstadt, getan ist, von der wir alle wünschen, daß sie bald die deutsche Bundeshauptstadt wird. Es ist vielmehr erforderlich, daß man auch in der politischen Kleinarbeit, so wie es die Berliner immer wieder getan haben, sich von den Interessen der Parteipolitik freimacht und auf dem Sektor, der unlösbar mit dem wirtschaftspolitischen verbunden ist, nämlich dem sozialpolitischen Sektor, das Seine tut, um den Berlinern das Gefühl echter Sicherung nicht zu versagen.
Auch meine Freunde in der Fraktion der Deutschen Partei freuen sich, daß das Dritte Überleitungsgesetz in diesen Tagen verabschiedet werden wird. Wir hoffen, daß die Sozialdemokratische Partei in Berlin wie hier im Bundestag das ihre dazu tun wird, daß bei allen Gesetzen, die hier beschlossen werden,
({1})
die Berlin-Klausel nicht fehlt.
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Ich hoffe, daß Sie gegen die Einfügung der Berlin-Klausel bei keinem Bundesgesetz Bedenken haben werden, damit kein Sonderrecht für die Berliner geschaffen wird, um deren Wohl es Ihnen - so hoffe ich doch - genau so heiß im Herzen brennt wie allen Westdeutschen.
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Ich weiß, daß Ihr Bürgermeister diese Zusicherung gegeben hat, und meine Freunde, denen es um die sachliche Auseinandersetzung geht,
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freuen sich auch, daß der sozialdemokratische Parteitag in Berlin anerkannt hat, wie richtig unsere alte Forderung ist: daß Berlin in seiner gesamten Gesetzgebung der Bundesrepublik wirklich und wahrhaftig angepaßt wird, damit gleiches Recht für alle Deutschen gilt. Deshalb wollen wir hier den Deklamationen nicht noch einige hinzufügen. Ich kann nur mit dem Bedauern. daß uns der Bundesarbeitsminister durch seinen Staatssekretär in der Fragestunde eine so weiche Antwort gegeben hat, sagen: Wir hoffen, daß die Wünsche, die Sie hinsichtlich der Errichtung der Bundesbehörden haben, schnellstens verwirklicht werden. Wir wollen das Unsere dazu tun, indem wir erneut an diesem Platz fordern, daß endlich die vom Bundestag beschlossene Errichtung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin erfolgt. Ich erlaube mir, im Namen der Deutschen Partei nochmals einen Antrag vorzutragen, den wir jetzt dem Präsidenten übergeben werden:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, das Errichtungsgesetz über die vom Bundestag beschlossene Bundesanstalt für die Angestelltenversicherung vorzulegen und bis zur Errichtung der Bundesanstalt die Berliner Restanstalt der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte in die Treuhänderschaft der Bundesregierung zu übernehmen.
Wir hoffen außerdem, daß alles geschieht, um die hemmenden Bestimmungen, die Einengungen zu beseitigen, die in Berlin sowohl hinsichtlich des Sozialversicherungs- wie des Beamtenrechts
noch vorhanden sind, damit nicht bei Angestellten und Beamten von Bundesbehörden für sich und ihre Familienangehörigen Sorgen oder Bedenken bestehen müssen,
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wenn sie nach Berlin versetzt werden. Darum bitten meine Freunde Sie, dem weiteren Antrag der Deutschen Partei zuzustimmen:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, gemeinsam mit dem Land Berlin zu gewährleisten, daß die in Berlin beschäftigten Angestellten und Beamten nach dem Recht der Bundesrepublik ihre sozialversicherungs- und beamtenrechtlichen Ansprüche garantiert erhalten, um die Verlegung weiterer Bundesbehörden nach Berlin zu erleichtern und zu ermöglichen.
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- Ich möchte auf diesen Zuruf nicht eingehen, ({7})
weil die Berliner ihn ganz bestimmt hören und sich das Nötige denken werden. Ich hoffe, Sie werden ihn nicht aus dem Protokoll streichen. Ich bin überzeugt, daß die Berliner sehr genau zu unterscheiden wissen zwischen solchen Anfragen und Zwischenrufen und dem, worum es uns verantwortungsbewußt geht, nämlich darum, daß Berlin die Festung der Freiheit ist, von der Ihr Bürgermeister sprach, daß „die Garantie der Freiheit und der Wohlfahrt in Berlin" - so sagte Herr Reuter - eine wahrhaft unteilbare Garantie ist. Eine Garantie der Freiheit, die wir für die deutsche Stadt Berlin wie für unsern gesamten deutschen Osten unteilbar wünschen!
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Will.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin wie meine Vorrednerin der Auffassung, daß man bei einer Fortsetzung der Debatte wesentlich Neues nicht sagen kann, daß aber zu befürchten steht, daß der Eindruck der vorzüglichen Ausführungen, die hier von dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Regierenden Bürgermeister von Berlin, den ich mit besonderer Freude in diesem Hause erstmals begrüße, nur eine Verminderung erfahren könnte. Ich begnüge mich daher, auf einige wenige Dinge aufmerksam zu machen, die bisher nicht ausgesprochen worden sind.
Es ist ja nicht so, daß Berlin nur 290 000 Arbeitslose hat, sondern es gibt dort noch eine beinahe ebenso große Zahl von Leistungsempfängern der Sozialversicherung, und es gibt eine nicht sehr viel geringere Zahl von Fürsorgeunterstützungsempfängern. Wir müssen also in einer Stadt von annähernd 21/4 Millionen mit einem ungeheuren Anteil an Sozialrentnern und Arbeitslosen rechnen. Das ist ein Bild, von dem man sich hier im westlichen Bundesgebiet keine Vorstellung machen kann. Wenn es sich also darum handelt, Berlin zu helfen, dann wird das Kernproblem immer sein, diese vielen Menschen wieder in eine produktive Arbeit zu bringen.
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Es sind hier Vorschläge vielfacher Art gemacht worden, und es ist dem Hause zur Kenntnis gebracht worden, was bisher auf diesem Gebiet geschehen ist. Diese Leistungen des Bundesgebiets werden in Berlin dankbar anerkannt, und ich möchte auch für die Fraktion der Freien Demokratischen Partei erklären, daß wir uns hier wie auch in Berlin dieser Leistungen ständig bewußt gewesen sind. Wenn es dabei nicht sein Bewenden haben kann, so sind die Gründe durch die Ausführungen, die wir heute gehört haben, völlig klar geworden.
Ich möchte hier aber noch eines in den Vordergrund stellen, worüber schon gesprochen worden ist, was aber nicht mit dem nötigen Nachdruck behandelt worden ist, nämlich die unbedingte Notwendigkeit einer freien Verbindung Berlins mit dem Westen. Die einzige Straße, die Nabelschnur, die uns verbindet, die Autobahn, ist kaum geeignet, den vollen Verkehr zu bewältigen, der zwischen dem Bundesgebiet und Berlin fluktuiert. Aber wenn auch hier noch Unterbrechungen stattfinden und wenn hier noch Gefährdungen vorhanden sind, so bedeutet das eine schwere Benachteiligung des Wirtschaftslebens von Berlin. Ich möchte daher - und ich spreche das im Bewußtsein der Auffassung aus, die die Berliner Wirtschaft vor allem hat - aufs neue an die Bundesregierung appellieren, nichts zu unterlassen, was geeignet ist, die freie Verbindung Berlins mit dem Westen auf die Dauer zu gewährleisten.
Nach diesen wenigen Worten, die ich glaubte, hier noch anfügen zu dürfen, kann ich noch sagen, daß die Fraktion der Freien Demokratischen Partei dem Antrag Drucksache Nr. 3443, der Ihnen vorliegt, zustimmen wird.
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Das Wort hat der Abgeordnete Mellies.
Meine Damen und Herren! Der Begründer unserer Großen Anfrage, der Kollege Brandt, hat schon darauf hingewiesen, daß wir absichtlich vermieden haben, die großen politischen Zusammenhänge hier zur Sprache zu bringen. Einige Bemerkungen, die in der Debatte gefallen sind, nötigen mich aber doch zu einer kurzen Entgegnung.
Zunächst, Herr Bundeskanzler, haben wir bei Ihrem ersten Satz, der hier gesprochen wurde, doch daran denken müssen, daß bei dem ersten großen Vertragswerk der Staatssekretär des Auswärtigen Amts von dieser Stelle erklären mußte, man habe bei den Verhandlungen an Berlin nicht gedacht.
({0})
Es wäre wahrscheinlich auch wünschenswert gewesen, wenn Ihre Feststellung, die Sie vorhin getroffen haben, etwas kräftiger gewesen wäre.
({1})
Der Herr Kollege Tillmanns hat das Wort wiederholt, das sich auch, soweit ich unterrichtet bin, in der Entschließung findet, die die CDU-Partei für Berlin am letzten Sonntag gefaßt hat. Er hat darauf hingewiesen, daß durch die Drangsale in der sowjetisch besetzten Zone die Widerstandskraft der dortigen Bevölkerung nur gestärkt werde. Herr Kollege Tillmanns, ich glaube, daß wir mit solchen Formulierungen sehr vorsichtig sein sollten.
({2})
Es gibt keine unbegrenzte Leidensfähigkeit, und man sollte nicht bei der Bevölkerung drüben den Eindruck erwecken, daß man ihr eine solche unbegrenzte Leidensfähigkeit zumute.
({3})
Man sollte auch nicht durch solche Formulierungen vielleicht die Machthaber dort drüben in der sowjetischen Zone dazu reizen, nun einmal auszuprobieren, ob das auch wirklich wahr sei.
({4})
Zu den Ausführungen des kommunistischen Redners nur ein paar Bemerkungen. Man kann sie j a nur recht würdigen, wenn man sie in einer geschichtlichen Parallele sieht.
({5})
Die Kommunisten stellen sich heute als die einzigen und wirklichen Vorkämpfer für Einheit und Freiheit hin. Genau so haben sie sich vor 1933 als die einzigen und wirklichen Kämpfer gegen den Nationalsozialismus hingestellt.
({6})
Praktisch hat ihre Tätigkeit doch nur dazu geführt, daß es dem Nationalsozialismus verhältnismäßig leicht geworden ist, sein verbrecherisches Regime in Deutschland anzutreten.
({7})
Und nach 1945 - Herr Fisch, sehen Sie sich die Akten Ihrer Partei einmal wieder an! - war bei Ihnen ja das gesunde Selbstgefühl vorhanden, wie sehr Sie damals mit Ihrer politischen Haltung auf der falschen Ebene gelegen haben. In dem Schuldbekenntnis, das Sie damals abgelegt haben, haben Sie klar ausgeführt, daß gerade durch Ihre Politik die nationalsozialistischen Gewalthaber indirekt gefördert worden sind.
({8})
So seien Sie sich auch in dieser Situation darüber klar, daß das, was heute in der sowjetischen Zone und in West-Berlin geschieht, letzten Endes eine Unterstützung der Politik ist, die Sie - nach Ihren Worten - nicht wollen.
({9})
Es ist ja nur bedauerlich, daß man immer wieder das unangenehme Gefühl haben muß, daß das, was hier von der Seite ({10}) gesprochen wird, nicht der wirklichen Überzeugung entspricht, sondern daß hier nur das dargeboten wird, was auf Weisung der Machthaber von dort drüben gesagt werden muß.
({11})
Und dann Frau Kollegin Kalinke! Es gibt ja Menschen, die reden am meisten und am liebsten über das, was ihnen fehlt.
({12})
Wenn Sie vorhin an einen überparteilichen Standpunkt appelliert haben, dann haben Sie mit Ihren Ausführungen selber den besten Beweis geliefert, daß Sie diesen überparteilichen Standpunkt hier nicht einnehmen können. Letzten Endes haben Sie doch nur Ihr ganz besonderes, spezielles An({13})
liegen bei dieser großen Sorge um Berlin zum Ausdruck gebracht.
({14})
Meine Damen und Herren, Herr V o c k e l hat hier eine Übersicht über die Entwicklung in den letzten Jahren gegeben. Gewiß, wenn man den Weg einmal überschaut, dann muß man feststellen, daß es eine gute Entwicklung gewesen ist, auch wenn nicht alle Wünsche erfüllt wurden. Aber, Herr Vockel, ich glaube, wir sind uns doch alle darüber einig, daß dieser Weg ein sehr harter und sehr mühseliger Weg gewesen ist. Und es wäre wahrscheinlich im Interesse der Sache manchmal besser gewesen, wenn er nicht so hart und mühselig gestaltet worden wäre.
Es ist hier sehr viel von den Nachprüfungen gesprochen worden, die über die Vorschläge angestellt werden sollen. Der Herr Regierende Bürgermeister von Berlin hat schon betont, die Zeit dränge. Wir haben von uns aus den Wunsch, daß diese Nachprüfungen nun nicht sehr viele Wochen und Monate dauern, sondern daß man möglichst schnell zu entscheidenden Beschlüssen kommt. Dabei sollte immer wieder im Vordergrund stehen, daß es gilt - wie es auch der Herr Regierende Bürgermeister formuliert hat -, die ökonomische Kraft Berlins zu stärken.
Der Herr Bundeskanzler hat darauf hingewiesen, daß man immer wieder auf das Psychologische zurückkommen müßte. Gewiß, Herr Bundeskanzler, das ist von großer Bedeutung. Aber die Menschen, die durch ihre jahrelange Arbeitslosigkeit einer immer größeren Verelendung entgegengehen, sind schließlich doch nicht mehr in der Lage, noch solche psychologischen Wirkungen aufzunehmen. Wir dürfen auch nicht nur die Zahl von 290 000 Erwerbslosen sehen, sondern müssen noch die Familienangehörigen dazunehmen. Das bedeutet, daß mindestens 25 % der Bevölkerung in West-Berlin von dieser Arbeitslosigkeit betroffen sind und in einem außerordentlichen Maße darunter leiden.
Deshalb muß die erste Voraussetzung sein, daß die ökonomische Kraft Berlins gestärkt wird, damit Berlin auch die Kraft hat, seine große Aufgabe zu erfüllen. Das. was mein Kollege Brandt über das Verhalten einzelner deutscher Wirtschaftskreise gesagt hat, war erschütternd und beschämend. Meine Damen und Herren, wir hoffen, daß die Appelle, die heute hier ausgesprochen worden sind, nicht ungehört verhallen und daß damit die Bundesrepublik der Aufgabe nachkommt, die sie zu erfüllen hat, nämlich einmal diesen Vorposten der Freiheit in dem sowjetischen Meer mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu stärken, damit aber auch zweitens in der Welt das Bewußtsein hervorzurufen: Es gibt für Deutschland trotz aller improvisatorischen Einrichtungen nur eine Hauptstadt, und das ist Berlin!
({15})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Es ist ein Entschließungsantrag Drucksache Nr. 3443 eingebracht worden, der offensichtlich die Unterstützung von mehr als 30 anwesenden Mitgliedern dieses Hauses hat. Ich lasse zunächst über diesen Antrag abstimmen. Der Antrag ist von Herrn Abgeordneten Dr. Tillmanns verlesen worden; ich brauche ihn wohl nicht ein zweites Mal zu verlesen. Wer für die Annahme ist, den bitte
ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der kommunistischen Gruppe angenommen.
Dann sind von Frau Abgeordneten Kalinke zwei Anträge eingereicht und verlesen worden. Nach § 107 der Geschäftsordnung muß ein Antrag die Unterstützung von 30 anwesenden Mitgliedern des Hauses finden, wenn über ihn abgestimmt werden soll. Finden diese beiden Anträge die Unterstützung von 30 Mitgliedern des Hauses? Ich bitte um ein Handzeichen der Damen und Herren, die diese Anträge unterstützen wollen. - Das sind offensichtlich weniger als 30 Mitglieder des Hauses. Die beiden Anträge haben damit nicht die genügende Unterstützung gefunden, sie können nicht beschieden werden. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP, BP und Z eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ({0});
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten ({1}) ({2}) ({3});
b) Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten ({4}) über den Antrag der Fraktion des Zentrums betreffend Zusatzkonvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ({5}).
Ich erteile das Wort zur Berichterstattung zu 4 a) und 4 b) dem Abgeordneten Professor Dr. Brill.
Dr. Brill ({6}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten und namens des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht habe ich dem Hohen Hause einen ausführlichen schriftlichen Bericht*) vorgelegt. Ich glaube deshalb, mich heute in der mündlichen Berichterstattung auf diejenigen Punkte beschränken zu können, die seit dem Abschluß der Verhandlungen in den beiden Ausschüssen neu hervorgetreten sind.
Auf die Bedeutung dieses Punktes der Tagesordnung brauche ich nicht einzugehen. Die Tatsache allein, daß mit der europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten das erste europäische Gesetz vorliegt - übrigens bisher auch das einzige europäische Gesetz -, rechtfertigt es, dieser Konvention die größte Aufmerksamkeit zu schenken. Aber auch die Art der Konvention ist eine völlig neue. Während sich unser Grundgesetz darauf beschränkt, die Menschenrechte zu erklären, sie justiziabel zu machen und im Art. 19 über den Schutz der subjektiven öffentlichen Rechte und in den verschiedenen Vorschriften über die Errichtung des Bundesverfassungsgerichts eine Garantie ankündigt, aber nicht ausführt, bringt die Straßburger Konvention eine institutionelle Garantie. Sie enthält zu diesem Zwecke Vorschriften über die Einrichtung einer
*) Siehe Anlage 1 Seite 9535.
({7})
Beschwerdekommission und Bestimmungen über die Errichtung eines europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. In allen europäischen Ländern, in denen bisher eine Debatte über die Ratifikation dieser Konvention stattgefunden hat, haben sich die Abgeordneten der verschiedensten Parteien vor allen Dingen dieser institutionellen Garantie der Menschenrechte zugewandt. Die Errichtung der Beschwerdekommission und des Gerichtshofs für Menschenrechte sind ein weiterer und hoffentlich sehr wirksamer Schritt zum Abbau der nationalen Souveränität und zur Behauptung der Souveränität des Individuums gegen die Omnipotenz der Nationalstaaten. Der europäische Gedanke, verbunden mit dem Gedanken der Menschenrechte hat damit eine neue, absolut fortschrittliche Prägung in der Entwicklung des öffentlichen Rechts erhalten.
Nun, meine Damen und Herren, einige Bemerkungen zu den einzelnen Fragen. Sie werden aus dem Bericht ersehen haben, daß sich der Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten insbesondere den politischen und - wie es in der Natur der Sache liegt - der Aus-
den
für Rechtswesen und Verfassungsrecht den juristischen Fragen zugewandt hat. Für den Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten war insohin ,die Frage interessant: Soll die Konvention letzt ratifiziert werden, ist jetzt der geeignete Zeitpunkt, oder sollte die Bundesrepublik nicht einen späteren Zeitpunkt abwarten?, und weiter die Frage: Soll die Bundesrepublik nach der Errichtung des Bundesverfassungsgerichts, nach der Vergabe von Zuständigkeiten an das Bundesverfassungsgericht, die über alle bisherigen Zuständigkeiten eines höchsten Gerichtshofs hinausgehen, auch denjenigen Teil der Konvention ratifizieren, der sich auf die Beschwerdekommission und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bezieht? Bei der Diskussion im Ausschuß ist dabei insbesondere die Beratung im englischen Unterhaus in Betracht gezogen worden, die .alsbald nach der Unterzeichnung des Protokolls in Rom vom 4. November 1950 stattgefunden hat. Ich freue mich, heute dem Hohen Hause mitteilen zu können, daß das englische Unterhaus eine zweite Diskussion über diese Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gehabt hat; sie hat am 22. Februar 1952 stattgefunden. Wie aus einem Schreiben des britischen Außenministers an den Generalsekretär des Europarats hervorgeht. hat das englische Unterhaus in dieser zweiten Beratung auch der Errichtung der Beschwerdekommission und des Gerichtshofs zugestimmt.
Norwegen hat am 22. Dezember 1951 die Ratifikation des gesamten Textes beschlossen und nur eine Ausnahme gemacht, die in diesem Parlament nicht interessieren dürfte; sie bezieht sich auf die Zulassung der Jesuiten, die in Norwegen wohl nach wie vor verboten ist.
Schweden hat am 11. Januar 1952 über die Konvention verhandelt und, wie das Ratifikationsschreiben ebenfalls ausweist, die Ratifikation im ganzen beschlossen.
Damit sind drei Tatsachen geschaffen, die die Lage, die der Auswärtige Ausschuß vorgefunden hat, vollständig verändern und die, glaube ich - mich auf der Linie des Ausschusses bewegend -, für den Bundestag gar keinen anderen Beschluß zulassen als den, dem Ratifikationsgesetz, so wie
es vom Ausschuß vorgelegt worden ist, im ganzen zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, ich erspare es mir weiter, auf den Katalog der juristischen Fragen im einzelnen einzugehen, den Sie auf den Seiten 2 und 3 des Berichts unter Nummern 1 bis 6 finden. Ich mache besonders darauf aufmerksam, daß in dem Katalog ,die Nr. 6 noch einmal in a) bis h) unterteilt ist. Nur die Frage, zu der Sie der Ausschuß bittet den Beschluß zu fassen, die Bundesregierung zu ersuchen, einen Vorbehalt anzumelden, bedarf einer besonderen Heraushebung. Es handelt sich dabei um einen Vorbehalt zu Art. 7 der Konvention, den Sie in der synoptischen Gegenüberstellung des deutschen, französischen und englischen Textes auf Seite 14 oben abgedruckt finden. Art. 7 Abs. 1 enthält in etwas größerer Umschreibung den Rechtssatz des Art. 103 des Grundgesetzes: nulla poena sine lege. Art. 7 Abs. 2 läßt aber eine Ausnahme von diesem Rechtssatz zu, wenn nach allgemeiner internationaler Anschauung eine Handlung bereits als strafbare Handlung galt, auch ohne daß ein Strafgesetz vor der Begehung dieser Handlung erlassen war. Nach den außerordentlich trüben Erfahrungen, die das deutsche Volk in der Periode der nazistischen Diktatur mit der Durchbrechung des Rechtssatzes nulla poena sine lege gemacht hat, und nach den schauderhaften Erfahrungen - meine Damen und Herren, das darf ich unter dem Eindruck der Debatte, die wir eben über Berlin gehabt haben, vielleicht hinzufügen -, die wir - fast periodisch - in der sowjetischen Besatzungszone mit der Durchbrechung dieses Rechtssatzes machen, glaubt der Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten, Ihnen vorschlagen zu sollen, daß in Deutschland eine Durchbrechung des Rechtssatzes gemäß Art. 7 Abs. 2 künftig nicht mehr stattfinden darf. Die Bundesregierung soll deshalb ersucht werden, einen entsprechenden Vorbehalt bei der Niederlegung der Ratifikationsurkunde zu erklären; selbstverständilch muß das in der Ratifikationsurkunde selbst zum Ausdruck gebracht werden. Sie soll ersucht werden, diesen Vorbehalt zu erklären und damit zu begründen, daß zwischen Art. 7 Abs. 2 der Konvention und Art. 1ß3 des Grundgesetzes ein unlösbarer Widerspruch enthalten und der Bundestag nicht gewillt ist, eine Änderung des Grundgesetzes gemäß Art. 7 Abs. 2 der Konvention vorzunehmen. - Soviel zu den übrigbleibenden juristischen Fragen.
Nun noch zwei Bemerkungen zu den politischen Fragen. Der Gesetzestext ist vom Auswärtigen Ausschuß in Art. 2 geändert worden. Es lagen staatsrechtliche Gründe dafür vor, im Gesetz nicht auszusprechen, ,daß durch .den Beschluß des Bundestags die Ratifikation erfolgt sei, sondern, da der Ratifikationsvorgang selbst eine Aufgabe der Bundesregierung, der Exekutive ist, diese zu ermächtigen, die Ratifikation vorzunehmen. Wir haben uns dabei an ausländische Vorbilder, insbesondere an das französische Recht gehalten. Bei dieser Gelegenheit darf ich Sie bitten, in Ihrem Exemplar auf Seite 8 in der Überschrift den Ausdruck „Konvention zur Wahrung der Menschenrechte" durch den Ausdruck „Konvention zum Schutze der Menschenrechte" zu ersetzen. Der französische Ausdruck protection, der englische Ausdruck protection erlauben keine andere Übersetzung als „Schutz" der Menschenrechte.
Die zweite politische Frage finden Sie auf Seite 5 des Berichts unter Ziffer 7. Von allem
({8})
Anfang an ist von den verschiedensten Seiten und insbesondere von den Vertretern des Senats von Berlin der Wunsch ausgesprochen worden, diese Konvention auch auf Berlin zu erstrecken. Die politische und juristische Lage bot in dieser Hinsicht bisher Schwierigkeiten. Der Ausschuß war auch der Auffassung, daß der Art. 63 der Konvention nicht erlaubt, durch einfache Erklärung der Bundesregierung später die Konvention auf Berlin zu erstrecken, denn die ratio legis des Art. 63 ist die Verleihung des Status der Menschenrechte an Kolonialgebiete, die aus dem Status des Protektorats aufrücken in den Rang einer Selbstverwaltungskolonie. Man sollte Motiven nicht ohne Not Gewalt antun. Daß Berlin als Protektorat der Bundesrepublik betrachtet werden könnte, kommt sowieso nicht in Frage. Es muß also nach den besonderen außenpolitischen, völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Verhältnissen gehandelt werden, die wir heute vorfinden. Besprechungen, die in den letzten Tagen und heute vormittag stattgefunden haben, haben zu dem Ergebnis geführt, dem Bundestag vorzuschlagen, heute zu handeln und durch Einfügung eines neuen Artikels in das Ratifikationsgesetz nach deutschem Staatsrecht diese europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und der Grundfreiheiten mit dem Inkrafttreten des deutschen Gesetzes auf Berlin auszudehnen. Darf ich mir erlauben, Herr Präsident, diesen interfraktionellen Antrag gleich dem Hohen Hause bekanntzugeben. Sie haben ihn auf Ihrem Pult im Umdruck Nr. 569 vorliegen. Er lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
1. Es wird folgender Artikel III neu eingefügt: „Artikel III
Die Konvention gilt im gesamten Geltungsbereich des Grundgesetzes."
2. Der bisherige Artikel III wird Artikel IV.
Zur Erläuterung darf ich sagen: Mit dem Ausdruck „gilt im gesamten Geltungsbereich des Grundgesetzes" ist nach der herrschenden Auffassung im deutschen Staatsrecht die Erstreckung auf Berlin ausgesprochen. Ich hebe hervor, daß diese Anschauung vom Bundesverfassungsgericht neuerlich anerkannt worden ist. Durch eine Entscheidung vom 25. Oktober 1951 hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, daß - mag man die organisatorischen Vorschriften des Grundgesetzes als suspendiert ansehen und andere Teile in Frage ziehen - der Grundrechtsteil des Grundgesetzes in Berlin heute bereits aktuelles Recht ist. Wir knüpfen also an diese höchstrichterliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an, wenn wir den Ausdruck gebrauchen: „gilt im gesamten Geltungsbereich des Grundgesetzes". Wenn der Bundestag heute dieses Gesetz beschließt, wenn es am Tage nach seiner Verkündung in Kraft tritt, sind die europäischen Menschenrechte in Berlin, weil sie den Grundrechtsteil des Grundgesetzes decken und nur in einigen wenigen Punkten weitergehen, nämlich im Verbot der Sklaverei und der Folter - vielleicht auch für Berlin etwas aktuell -, unmittelbar in Kraft getreten.
Das sind die paar Bemerkungen, die ich machen wollte. Im Namen des Ausschusses habe ich Sie in Ergänzung des Schriftlichen Berichts zu bitten, den Entwurf des Gesetzes auf Seite 7 der Drucksache Nr. 3338 mit der Einfügung dieses neuen Artikels anzunehmen und der Anmeldung eines Vorbehalts zu Art. 7 Abs. 2 der Konvention zuzustimmen.
({9})
Meine Damen und ( Herren, wir treten ein in die zweite Beratung des Gesetzes über die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Ich rufe auf Art. I. - Keine Wortmeldungen. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen einige wenige Stimmen angenommen.
Art. II. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer für die Annahme ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen einige wenige Stimmen angenommen.
Ich lasse abstimmen über den Art. III nach Umdruck Nr. 569. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! -- Gegen einige Stimmen angenommen.
Nunmehr rufe ich auf den bisherigen Art. III, jetzt Art. IV. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Angenommen.
Einleitung und Überschrift. - Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. Wortmeldungen? - Das Wort hat der Abgeordnete Ritzel. - Ich darf, ehe Sie sprechen, noch bekanntgeben, daß der Ältestenrat eine Gesamtredezeit von 40 Minuten vorgesehen hat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion, die zu den Antragstellern zum Entwurf eines Gesetzes über die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gehört, stimmt auch dem Bericht des Herrn Ausschußberichterstatters zu. Sie will damit einen Beitrag leisten zur Fortentwicklung eines der größten Probleme der Menschheit. Sie will damit auch einen Beitrag leisten zu einer Erfüllung der eigentlichen Aufgaben, die dem Europarat gesetzt sind, der Aufgaben, die seinerzeit zu anderen Hoffnungen berechtigten oder Anlaß gaben, als sie in der Zwischenzeit in Erfüllung gegangen sind.
Ich erinnere mich noch als Organisator des ersten europäischen Kongresses, ein Jahr nach dem zweiten Weltkriege, im Jahre 1946, in Hertenstein am Vierwaldstättersee an die großen Hoffnungen, die gerade auch an den Gedanken der Sicherung der den Menschen angeborenen und unveräußerlichen Rechte geknüpft worden sind. Ich erinnere mich auch an jenen bekannten Kongreß im Jahre 1948 in der holländischen Hauptstadt den Haag, der eigentlich die Grundlage des Straßburger Europarates wurde. Das Ringen, das durch Jahrhunderte ging und von dem Willen getragen wurde, das Naturrecht, das der Träger des Strebens nach Sicherung der Menschenrechte ist, in ein geschriebenes Recht umzuwandeln, das für alle Völker rechtsverbindlich ist, dieses Ringen soll sich nun im Rahmen dieser Konvention teilweise vollenden, die zunächst von den Mitgliedstaaten des Europarates getragen wird.
Wir sehen, wenn wir die Geschichte betrachten, daß eine Wandlung, eine Fortentwicklung des Begriffs der Menschenrechte im Zuge der Wandlung der Gesellschaftsbegriffe überhaupt stattgefunden hat. Gerade wir in Deutschland unterstreichen das, was der Herr Berichterstatter vorhin gesagt hat,
({0})
auf Grund der ganz besonderen und sehr bitteren Erfahrungen, die wir in unserem Vaterland gemacht haben, jener bitteren Erfahrungen, die eine Vernichtung der Menschenrechte durch den Despotismus des Dritten Reiches im Gefolge hatten. Wir unterstreichen die Notwendigkeit der Sicherung, der Unantastbarkeit der Würde des Menschen, der Sicherung der Unverletzlichkeit und der Freiheit der Person mit einem Hinweis darauf, daß auch heute im Gebiet der Bundesrepublik in mancher Hinsicht noch eine besondere Sorge in bezug auf unsere eigene Praxis obzuwalten hat. Ich brauche nur an gewisse Methoden zu erinnern, die auf dem Gebiet der Verhängung und Ausführung der Untersuchungshaft bei vielen Gerichten geübt werden. Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens, die Freiheit der religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisse, die nach unserem Grundgesetz unverletzlich sein sollen, sollen darüber hinaus auch im Gebiet des gesamten Machtbereichs des Europarates als unverletzlich gelten. Wir wissen, daß der deutsche Katalog der Grundrechte und der Menschenrechte nach dem Grundgesetz weiter geht als die vorliegende Konvention. Wir betrachten aber gerade den Inhalt des Grundgesetzes als einen nützlichen, in die Zukunft weisenden Beitrag zur Fortentwicklung jener internationalen Regelung der Menschenrechte.
Das Zusatzabkommen, das angestrebt wird, ist uns gleichfalls ein besonderes Anliegen: das Recht auf Heimat, das Recht auf Freizügigkeit und das Recht auf ein Asyl aus politischen Gründen. Wir anerkennen - und das steht auch bereits in un-rem Grundgesetz - den Vorrang des Völkerrechts in der Frage der Sicherung der Menschenrechte.
Nun hat heute die Frage der Übertragung, der Anwendbarkeit der Konvention auf Berlin auch in dem Bericht des Herrn Berichterstatters eine Rolle gespielt. Wir begrüßen den Antrag, der auch mit unserer Unterschrift gestellt wurde. Sie werden aber verstehen, wenn ich in diesem Zusammenhang ein Wort der Klage und des Bedauerns darüber sage, daß den Deutschen in den sowjetbeherrschten Gebieten unseres Vaterlandes diese Garantie, diese Sicherung der Menschenrechte nicht zuteil wird. Wenn man sich fragt, wieso unter Mitwirkung von Deutschen in der Sowjetzone ein solcher Zwang, eine solche Bedrückung, eine solche Versklavung möglich ist, dann findet man, besonders wenn man die Menschen, die dort mitwirken, aus vergangenen Tagen kennt - wenn man nicht eine absolute Verlumpung der Gesinnung voraussetzt -, eigentlich nur die eine Antwort: daß der Revolver, der auf alle gerichtet ist, von den deutschen Machthabern in der Sowjetzone vor allem einmal im eigenen Genick gespürt wird
({1})
und daß unter diesem Druck eine Entwicklung möglich ist, bei der in keiner Beziehung davon gesprochen werden kann, daß sie eine Sicherung der Menschenrechte in der Sowjetzone darstellt.
Vom europäischen Gesichtspunkt aus betrachten wir diese Konvention als eine Teilentwicklung zu einem wirklichen Europa. Wir beklagen es, gerade in dem Zusammenhang in diesen Tagen feststellen zu müssen, daß der einzig konkrete Inhalt der europäischen Idee bisher in der Annahme des sogenannten Eden-Planes für die Begründung einer militärischen Organisation Europas besteht, während bekanntlich der Antrag Spaak, der eine politische Organisation der Vereinigten Staaten von
Europa zum Ziele hatte, im Abgrund versunken ist.
Wir begrüßen diese Konvention aber noch aus
einem anderen Gesichtspunkt. Gerade der deutsche
Boden ist Zeuge dafür geworden, wie wüste Orgien
durch den Ungeist und das Gift des Antisemitismus gefeiert wurden. Wir haben allen Anlaß,
einen aktiven und nützlichen Beitrag zur Ausbreitung einer Gesinnung zur wahren Sicherung der
Menschenrechte zu leisten. Wir sehen in dem, was
hier geboten und gegeben wird, einen Anfang zur
Sicherung der Menschenrechte und zur Überwindung des Rassenhasses, der auch den Nationalitätenhaß für immer abschnüren soll. Wir sehen
darin eine Sicherung und eine Möglichkeit, die
Glaubens- und Gewissensfreiheit zu wahren und
der Gesinnungsfreiheit jenen Platz anzuweisen und
zu sichern, ohne den eine Freiheit weder in Europa
noch sonst in der Welt gegeben ist. Um deswillen
stimmt unsere Fraktion dem Ausschußbericht zu.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Thiele.
({0})
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der vorliegende Gesetzentwurf gibt mir Anlaß, einmal nachzuprüfen und festzustellen, wie denn die wirklichen Zustände in den Ländern des sogenannten Europarates sind, den Ländern, die diese Konvention unterschrieben haben, um daran zu erkennen, wie phrasenhaft die Erklärungen sind, die mit der Konvention Gesetzeskraft erlangen sollen und dabei doch noch Deklarationen bleiben. Diese phrasenhaften Erklärungen haben nämlich den einzigen Zweck, zu verschleiern, daß die Willkür der amerikanischen Imperialisten in all diesen Ländern oberstes Gesetz ist.
({0})
Die Konvention wirkt wie ein Hohn im Hinblick auf Westdeutschland, wo bereits die Auswirkungen des Generalkriegsvertrags auf Leben und Recht jedes Deutschen spürbar sind. Im Art. 2 heißt es:
Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt.
Weiter heißt es in diesem Artikel, daß eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden darf. In Essen aber wurde auf Befehl des Innenministers Lehr ein junger Deutscher erschossen, der sich das Recht nahm, an einer friedlichen Veranstaltung der Jugend teilzunehmen, so wie es im Art. 11 dieser Konvention ausdrücklich garantiert ist.
Wie aber steht es mit den Menschenrechten und Grundfreiheiten unter den Bedingungen des Generalvertrags? Nach diesen Bedingungen kann jeder Besatzungsbefehlshaber mit Hilfe der Notstandsklausel jeden wahrhaft deutsch denkenden und handelnden Menschen vor ein Standgericht stellen. Nach diesen Bedingungen wird den Gewerkschaften der Kampf gegen das reaktionäre Betriebsverfassungsgesetz als verfassungsfeindlich ausgelegt, und dieser Kampf wird sogar mit Zuchthausstrafe bedroht und soll abgewürgt werden. Nach diesen Bedingungen wird fast täglich die in der Konvention garantierte Versammlungsfreiheit mit Füßen getreten. Ebenfalls erlaubt sich nach diesen Bedingungen die Regierung Adenauer, jeden, der nicht die politische Auffassung der Re({1})
gierung Adenauers und damit der Amerikaner vertritt,
({2})
aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen,
({3})
während diese gleiche Regierung täglich die Gedanken- und Gewissensfreiheit mit Füßen tritt und jetzt versucht, durch die Verfassungsklage gegen die Kommunistische Partei einen neuen Reichstagsbrandprozeß zu inszenieren, was ihr jedoch nicht gelingen wird.
Was sollen angesichts dieser Tatsachen solche Phrasen wie im Art. 9: „Jedermann hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit" und im Art. 10: „Jeder hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung" und im Art. 11: „Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen, einschließlich des Rechts, zum Schutze ihrer Interessen Gewerkschaften zu bilden und diesen beizutreten"? Die Rechte, die in dieser Konvention ausgesprochen sind, haben in Westdeutschland ebensowenig eine Heimat wie in den bisherigen Unterzeichnerstaaten und in den Ländern der Protektaten von Übersee. Es sind die gleichen Regierungen, die in ihren Kolonien und im eigenen Land seit Jahrzehnten Unterdrückung, Sklaverei und gewissenlose Ausbeutung ohne Rücksicht auf Recht und Menschenwürde unter dem Deckmantel solcher Konventionen erfolgreich für Macht- und Profitinteressen praktiziert haben und auch heute noch praktizieren.
({4})
Dieselbe Moral, die hinter dieser Konvention steht, wird in Korea von den Mitgliedern und Protektoren dieser Konvention angewandt.
Und wie steht es denn mit dem Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten in dem Kriegsgefangenenlager Koje, wo gestern 32 wehrlose Gefangene niedergemetzelt wurden? Es ist wahrlich eine doppelte Moral, die die Initiatoren dieser Konvention zu ihrem Leitmotiv machen und seit Jahrzehnten, ja seit Jahrhunderten gemacht haben: Menschenrechte und Grundfreiheiten der westdeutschen Bevölkerung werden mit dem Generalkriegsvertrag an die amerikanischen Imperialisten verkauft, um aus Deutschland ein zweites Korea zu machen und es unter die Herrschaft eines General Ridgway zu stellen, eines Generals, der für die Vernichtung blühender Dörfer und Städte und für den Mord an Frauen und Kindern verantwortlich gemacht wird.
({5})
Weil wir es nicht verantworten können, daß der
westdeutschen Bevölkerung Rechte vorgegaukelt
werden, die sie unter den Bedingungen des
Generalkriegsvertrags niemals besitzen wird,
können wir dieser Konvention unsere Zustimmung
nicht geben und werden uns der Stimme enthalten.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie pedantisch ernst wir es mit den Grundrechten und Grundfreiheiten in unserem Lande nehmen, zeigt die Tatsache, daß F r au Thiele und ihre Gruppenfreunde hier an dieser
Stelle das erzählen dürfen, was sie soeben erzählt hat.
({0})
Wir wissen auch ganz genau, daß sie nicht deswegen dieser Konvention nicht zustimmen, weil sie glauben, wir gaukelten damit unserem Volke etwas vor,
({1})
sondern weil sie gar nicht anders können. Denn würden sie zustimmen, dann würden sie ja die Grundsätze des Bolschewismus verraten.
({2})
In der zugleich glorreichen und schmerzensreichen Geschichte der Menschen- und Grundrechte stellt die Annahme dieser Konvention im Europarat und stellt die Annahme dieser Konvention in jedem der europäischen Parlamente ein neues, hoffnungsreiches Kapitel dar. Wenn wir heute über diese Konvention keine großen Worte mehr machen und keine langen Reden mehr halten, so gewiß nicht deswegen, weil wir nicht davon überzeugt sind, daß es sich um eine ganz wichtige und große Sache handelt, sondern einfach deswegen, weil uns diese Sache so selbstverständlich, ein so unbedingtes Anliegen unserer politischen Existenz geworden ist, daß wir einfach nicht mehr viele Worte darüber machen wollen. Meine politischen Freunde stimmen dem Antrag des Ausschusses in vollem Umfang zu.
Ich darf hinzufügen, daß auch wir der Meinung sind, daß es notwendig ist, den Vorbehalt zu Art. 7 Abs. 2 zu machen. Es ist eine ernste Frage, um die es sich da handelt; aber wir haben in der Geschichte des Dritten Reiches in der Tat erleben müssen, daß, nachdem einmal der Grundsatz, daß kein Verbrechen als solches bestraft werden durfte, ohne daß dafür eine klare gesetzliche Norm vorhanden war, verlassen war, der Willkür und dem Unrecht Tür und Tor geöffnet waren. Danach haben wir im Grundgesetz eine Bestimmung aufgenommen, die es uns verbietet, den Art. 7 Abs. 2 anzunehmen. Wir müssen daher den Vorbehalt machen.
Ich bin überzeugt, daß in diesem Jahrhundert die Ehre und die Würde, die Freiheit und die Sicherheit des Menschen ein immer bedrohtes höchstes Gut sein werden. Wir leben in einem gefährlichen Jahrhundert. Wir teilen nicht mehr den Optimismus unserer Vorfahren im 19. Jahrhundert, die all diese Dinge als selbstverständlich gesichert ansahen. Deswegen müssen wir jeden Schritt vorwärts - und sei es auch nur ein kleiner Schritt - aus ganzem Herzen begrüßen. Alles, was wir dazu tun können, um dieser Konvention zum wirklichen Leben zu verhelfen, muß getan werden.
Als einen der wichtigsten Fortschritte sehen wir an, daß es sich nicht nur um eine Deklaration handelt, sondern daß auch wir einer höchsten europäischen Gerichtsbarkeit zugestimmt haben, so daß diese Menschenrechte und Grundfreiheiten nun richterlich erzwingbar sind. Hoffen wir, daß diese höchste europäische Gerichtsbarkeit auf dem Gebiete der Menschenrechte und der Grundfreiheiten ein neuer wichtiger Beitrag sein wird für das Zusammenwachsen einer kommenden größeren europäischen Heimat!
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker.
Meine Damen und Herren! Selbstverständlich stimmt auch meine Fraktion dem Antrag zu. Zur Begründung nur ganz wenige Worte, und zwar diesmal aus der Praxis. An der hessisch-thüringischen Grenze können wir beobachten, wie dort Städte und Dörfer geräumt werden, wie die Leute verschleppt werden nach Osten in eine ungewisse Zukunft und nach ihnen noch völlig unbekannten Gegenden. Wir sehen dort, wie sich Menschen über den Grenzfluß, die Werra, hinweg bei Nacht im Schutze der Dunkelheit zu retten versuchen und verfolgt werden von den Schüssen der Volkspolizei. - Gestatten Sie mir, das abzukürzen und nicht
weiter auszumalen. Jedes Wort dazu wäre überflüssig. Diese Tatsache, das, was die Menschen dort täglich erleben - wir hier im Westen, die es sehen müssen, und die im Osten, die es dulden müssen -, ist mehr als alles andere eine Begründung für diesen Antrag.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache eröffne die Einzelaussprache in dritter Lesung.
Ich rufe auf Art. I, - Art. II, - Art. III, - Art. IV, - Einleitung und Überschrift. - Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Enthaltung der kommunistischen Fraktion.
({0})
- Ich bitte um Entschuldigung.
Ich rufe auf zur Schlußabstimmung. Wer für die Annahme des Gesetzes als ganzes ist, den bitte ich, dies durch Erheben von den Sitzen zu bezeugen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Enthaltung der kommunistischen Gruppe.
({1})
Der Bundestag hat dem Gesetz über die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten seine Zustimmung erteilt.
Wir haben nun noch abzustimmen über Ziffer 2 des Antrags des Ausschusses, den Sie auf Seite 6 der Drucksache Nr. 3338 finden. Wer für die Annahme dieses Teiles des Ausschußantrags ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen einige Enthaltungen angenommen.
Nunmehr bitte ich den Kollegen Dr. Brill, das Wort zur Berichterstattung über den Antrag der Fraktion des Zentrums Drucksache Nr. 2197 betreffend Zusatzkonvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu ergreifen.
Dr. Brill ({2}), Berichterstatter*): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion des Zentrums hatte am 25. April 1951 eine Zusatzkonvention beantragt. Diese Zusatzkonvention sollte die Sicherung des Rechts auf die Heimat, der Freizügigkeit und des politischen Asylrechtes bringen. Auch zu diesem Antrag haben beide Ausschüsse - der Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten und der Rechtsausschuß - Stellung genommen.
Problematisch war dabei nur das Recht auf die Heimat. Was Freizügigkeit und politisches Asylrecht bedeutet, dürfte im ersten Punkt absolut und im zweiten Punkt nach englischem Gewohnheits-
*) Schriftlicher Bericht: Anlage 2 Seite 9540.
recht relativ klar sein. Aber die Begründung eines Rechts auf die Heimat, meine Damen und Herren, das wäre im Völker- und Staatsrecht eine völlig neue Rechtsfigur. Der Rechtsausschuß hat deshalb darauf verzichtet, dazu Erklärungen abzugeben. Der Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten hat versucht, dieser Frage negativ nahezukommen, und festgestellt, was das Recht auf die Heimat nicht sein kann. Er wünscht eine sehr scharfe Zäsur zwischen den anerkannten Rechten ,der nationalen Minderheiten und dieser neuen Rechtsfigur eines Rechtes auf die Heimat zu machen. Er glaubt also nicht, daß die bisherigen Einrichtungen im einzelnen, die das Recht nationaler Minderheiten garantieren sollten, genügen, um ein Recht auf die Heimat zu statuieren. Das Recht auf die Heimat müsse einfach das Recht des Menschen sein, in seinem Lebenskreise ohne Rücksicht auf den etwaigen Wechsel der Staatsgewalt über das Territorium zu bleiben. -Der Ausschuß weist Sie, meine Damen und Herren, weiter darauf hin, daß ein solches Recht nicht im Stile einer Konvention, wie wir sie eben ratifiziert haben, geschaffen werden kann, sondern daß das nur durch Vereinbarungen von Staat zu Staat, in bilateralen und multilateralen Abkommen möglich ist.
Unter diesem Gesichtspunkt hat der Ausschuß den Antrag des Zentrums abgeändert. Sie finden den Antrag in der zweiten Spalte des Berichts Drucksache Nr. 3339:
Die Bundesregierung wird ersucht,
innerhalb des Europarates auf den Abschluß einer Zusatzkonvention zu der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten hinzuwirken, durch die das Recht auf die Heimat, die Freizügigkeit und das politische Asylrecht für jedermann und gegenüber allen totalitären Gefahren sichergestellt wird.
Neu an diesem Antrag ist der zweite Absatz:
Der Bundestag empfiehlt den deutschen Mitgliedern in der Beratenden Versammlung des Europarates, im gleichen Sinne tätig zu werden.
Ich habe die Ehre, Sie zu bitten, diesem Ausschußantrag zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reismann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Fraktion der Föderalistischen Union, die den Antrag der früheren Zentrumsfraktion aufgenommen hat, erkläre ich mich mit der Fassung einverstanden, die der Ausschuß in seinen Beratungen dem von uns eingebrachten Antrag gegeben hat. Die jetzige Fassung entspricht dem Sinn und dem Zweck dessen, was wir beabsichtigt hatten. Es war bei der Einbringung dieses Antrages beabsichtigt, die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten fortzuentwickeln; und zwar fortzuentwickeln gerade in einem Sinne und nach einer Richtung hin, die sich in den zuletzt vergangenen Jahren und Jahrzehnten als besonders notwendig erwiesen hat.
Wenn man sich dabei insbesondere den in den Ausschußberatungen besonders in Betracht gezogenen Begriff des Rechtes auf die Heimat etwas näher ansieht, könnte man auf den Gedanken
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kommen, daß es sich dabei eigentlich um etwas handelt, das schon in den anderen Grundrechten und Menschenrechten enthalten ist, nämlich um einen Ausfluß sei es der Freizügigkeit, sei es der allgemeinen menschlichen Freiheit überhaupt. Wenn das aber bisher so aufgefaßt worden wäre, dann wären die Heimatvertreibungen in den letzten zehn, fünfzehn Jahren sicherlich nicht vorgekommen. Denn sie sind j a auch unter Regimen vorgekommen, die sich auf die Menschenrechte berufen haben. Gerade deswegen ist es notwendig - mag auch zunächst der Begriff des Rechtes auf die Heimat noch etwas unscharf, noch nicht ganz klar umrissen sein, aber, nebenbei bemerkt, so fangen ja alle Rechtsbegriffe an -, daß man ihn schon jetzt einmal fixiert, formuliert und zum Gegenstand eines Abkommens macht. Gerade deswegen, weil es sich als eine Geißel der modernsten Zeit, als eine Barbarei unseres Jahrhunderts herausgestellt und entwickelt hat, daß man ganze Länder von ihrer Bevölkerung entblößt, ist es notwendig, daß man dieses Recht nun endlich besonders sichert und es zu den keiner Diskussion mehr unterworfenen allgemeinen Grundfreiheiten und Menschenrechten rechnet und definitiv erklärt.
Daß es sich dabei nicht um eine Sache der nationalen Minderheiten handelt, hat der Herr Berichterstatter soeben mit Recht herausgehoben. Es ist überhaupt nicht zu fassen, um wessen Recht es sich im einzelnen handelt; denn das kann von Ort zu Ort und von Zeit zu Zeit und je each den Umständen wechseln. Es kann sein, daß das Recht auf Heimat beispielsweise, aber auch das Recht auf Freizügigkeit oder das Asylrecht aus nationalistischen Gesichtspunkten bedroht ist, es kann aber auch sein, daß es aus Unduldsamkeit religiöser oder politischer
Art bedroht wird; und auch solche Minderheiten, wenn man es so nennen will, müßten gesichert werden, eben durch ein solches Abkommen, wie wir es empfehlen. Es muß also durchaus offen bleiben, wessen Rechte hier geschützt werden sollen; es muß genügen, daß hier die zu schützenden Rechtsgüter gekennzeichnet werden.
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Ich möchte aber zu der Begründung des Herrn Berichterstatters eines noch hervorheben, damit nicht durch den Eindruck unseres Einverständnisses eine demnächstige falsche Auslegung gefördert wird. Es ist in dem kurzen Schriftlichen Bericht auf Drucksache Nr. 3339 gesagt worden, daß das Recht des Menschen auf die Heimat das Recht sei, in seinem Lebenskreise ohne Rücksicht auf den etwaigen Wechsel der Staatsgewalt über das Territorium zu bleiben. Es kommt dabei nach unserem Dafürhalten nicht auf den Wechsel der Staatsgewalt an, sondern darauf, daß dieses Rechtsgut des Verbleibens in der Heimat geschützt wird gegenüber der Staatsgewalt überhaupt, auch wenn eine bleibende Staatsgewalt es sich plötzlich einfallen lassen sollte, intolerant zu werden, wenn eine bleibende bisherige Staatsgewalt es sich plötzlich einfallen lassen sollte, Bestimmungen zu erlassen oder eine Praxis anzuwenden, die diesem Recht auf Heimat und dem Recht auf Freizügigkeit und dem Recht auf Asyl widersprechen.
Die Rechte auf Freizügigkeit und auf Heimat sind in gewissem Sinne Teile eines gemeinschaftlichen Oberbegriffs. Das Recht auf Freizügigkeit bedeutet nämlich das Recht, sich niederzulassen, wo man will. Das Recht auf Heimat bedeutet das Recht, zu bleiben, wo man sich niedergelassen hat, und wo man bleiben will. Sie werden einsehen, daß es sich
hier nur um eine Klarstellung auf Grund konkreter Ereignisse handelt, aber nicht um etwas wesentlich Verschiedenes. Man hat mit Recht gesagt, dieser Begriff sei etwas unscharf. Er muß unscharf sein, solange die Praxis und die Anwendung dieser Grundsätze noch nicht zu einer deutlichen Klarstellung geführt hat. Wir sind der Ansicht, daß es besser ist, der Klarheit und der Deutlichkeit halber hier zwei Begriffe zu wählen, die sich vielleicht überschneiden, die aber sicher die Gewähr dafür bieten, daß sie nichts unberücksichtigt, un-betroffen lassen, was sie schützen sollen.
Wir stimmen deshalb dieser Formulierung des Ausschusses zu und bitten Sie, dem Antrag ebenfalls die Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist völlig ausgeschlossen, in der kurzen Redezeit, die mir zur Verfügung steht, zu der außerordentlichen Tragweite des Rechtes auf die Heimat Stellung zu nehmen. Ich darf nur darauf hinweisen, daß meine politischen Freunde bereits im Parlamentarischen Rat versucht haben, das Recht auf die Heimat zu definieren und unter die Grundrechte aufzunehmen. Dieser Versuch ist gescheitert. Es ist das große Verdienst von Rudolf Laun, unterdessen der juristischen Erfaßbarkeit des Rechtes auf die Heimat nähergekommen zu sein. Es handelt sich hier um ein zentrales Anliegen aller Vertriebenen. Ich glaube, man geht nicht zu weit, wenn man sagt, daß die Formulierung, das heißt die Bewußtmachung des Rechtes auf die Heimat völkerrechtlich und staatsrechtlich eine ähnliche Tragweite hat wie nach dem Dreißigjährigen Kriege im Frieden von Münster und Osnabrück die Erkenntnis vom Recht der Religionsfreiheit, aus dem sich später in den amerikanischen Kolonien und in der französischen Revolution die Deklaration der Menschenrechte entwickelt hat. Es ist das Verdienst von Rudolf Laun, darauf hingewiesen zu haben, daß es zwei Systeme völkerrechtlicher Bildung geben kann, ein System, das auf dem Souveränitätsrecht beruht, und ein völkerrechtliches System, das auf den Menschenrechten beruht. Wenn man der Bildung des Völkerrechts an den Maßstäben des Menschenrechtes - ein Prozeß, der völkerrechtlich seit der Deklaration der Menschenrechte zu verfolgen ist - zum Durchbruch verhelfen will, dann ist der zentrale Gedanke, auf dem dieses völkerrechtliche System beruhen muß, die Bewußtmachung des Rechtes auf die Heimat als einer Grundlage aller übrigen Menschenrechte.
Es hat nicht an Versuchen gefehlt, das Recht auf die Heimat zu definieren. Man kennt es im Recht des Minderheitenschutzes, man kennt es in den Rechten auf Freizügigkeit, in den Rechten, die die kulturelle Autonomie gewährleisten. Wir haben das Scheitern des Minderheitenrechtes nach 1918 erlebt, eines Minderheitenrechtes, das man als individuellen Anspruch zu konstruieren versuchte. Es ist eine der allerwichtigsten Aufgaben der juristischen Lehre und auch der juristischen Praxis, die Grundlage eines klar definierten Menschenrechtes auf die Heimat zu finden. Ich glaube, in Zusammenhang mit den Arbeiten an der Verfassung einer europäischen Union muß dieses Recht auf die Heimat ein zentraler juristischer Ausgangspunkt für die Architektur des Gebäudes einer solchen Verfassung sein. Die Erkenntnis des Rechtes auf
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die Heimat ist eines der leidvoll gefundenen Ergebnisse unserer schweren Zeit. Erst wenn man dieses Recht auf die Heimat als ein von aller Welt, von allen zivilisierten Völkern gegenüber jeder totalitären Bedrohung erkanntes Menschenrecht zu begreifen vermag, werden wir die Zukunft des Völkerrechts im demokratischen Sinne erfochten haben.
Meine Fraktion wird dem Antrag des Ausschusses, der den praktischen Bedürfnissen Rechnung trägt, zustimmen.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist also geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses auf Umdruck Nr. 3339 Ziffer 2. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Wir kommen zu Punkt 5:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten ({0}) über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP/DPB, FU ({1}) betreffend Untersuchung über deutsches Auslandsvermögen ({2}).
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Dr. Pfleiderer.
Dr. Pfleiderer ({3}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der interfraktionelle Antrag betreffend Untersuchung über deutsches Auslandsvermögen, Drucksache Nr. 3327, wurde seinerzeit dem Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten ohne Aussprache überwiesen. Der Ausschuß hat beschlossen, dem Hause zunächst einen Schriftlichen Bericht*) über das Gesamtgebiet zu erstatten. Denn es hat sich gezeigt, daß die Frage von großer weltwirtschaftlicher, volkswirtschaftlicher und privatwirtschaftlicher Bedeutung ist. Es hat sich auch gezeigt, daß die Frage für Hunderttausende von Deutschen von Bedeutung ist. Der Strom von Zuschriften hat dem deutlich Ausdruck verliehen. Der Bericht liegt Ihnen nunmehr als Drucksache Nr. 3389 vor. Der Bericht wurde in dieser Form vom Ausschuß einstimmig angenommen.
Ich möchte nur mit wenigen Worten die Grundgedanken des Berichts und des ihm angeschlossenen Antrags des Ausschusses vortragen.
Das Auslandsvermögen wurde nach dem Kriege für Reparationszwecke in Anspruch genommen; und dies hat sich für die wirtschaftliche Schuldentilgung als schädlich erwiesen. Mit dem Wegfall des Auslandsvermögens fehlten wesentliche Posten in der deutschen Zahlungsbilanz. Es kam dazu, daß letzten Endes die Auslandsgläubiger selbst die Reparationen bezahlten. Um hier klar zu sehen, wäre es nötig, zu prüfen, welchen Einfluß eine Freigabe des Auslandsvermögens, d. h. eine Lösung des Auslandsvermögens aus der Reparationsverhaftung, für die Schuldentilgung haben würde. Man
*)Siehe Anlage 3 Seite 9541.
müßte das in drei Richtungen untersuchen: erstens hinsichtlich des bis jetzt noch nicht liquidierten deutschen Auslandsvermögens, zweitens hinsichtlich des zwar liquidierten Auslandsvermögens, dessen Liquidationserlöse aber noch nicht verteilt worden sind, und interesseshalber drittens bezüglich des Auslandsvermögens, das liquidiert worden ist und dessen Erlöse auch bereits verteilt sind.
Die Alliierten haben in ihrer Reparationspolitik die Reparationsgüter eingeteilt in eine Kategorie A, die das uns hier interessierende Auslandsvermögen umfaßt, und in eine Kategorie B, die die Demontagegüter und die Schiffe umfaßte. Bei der Behandlung der Reparationsgüter der Kategorie B wurde sehr schnell offenbar, daß die Demontagen für die Wirtschaft schädlich waren und eine Störung für die Politik der Vereinigten Staaten bedeuteten, die mit Hilfe des Marshall-plans darauf gerichtet war, das zerstörte Europa wirtschaftlich wieder in Ordnung zu bringen. Deshalb hat der Marshallplanadministrator schon früh einen Ausschuß eingesetzt, das sogenannte Humphrey Committee, um genau zu prüfen, welchen schädlichen Einfluß die Demontagen auf die
wirtschaftliche Gesundung Europas und insbesondere Deutschlands hätten. Dieses Committee hat einen Bericht erstattet, und ihm ist zuzuschreiben, daß damals noch 167 Anlagen von der Demontageliste gestrichen wurden.
Nun ist auch bei den Reparationsgütern der Kategorie A, nämlich dem Auslandsvermögen, der Augenblick gekommen, wo man sieht, wie die Reparationspolitik wirtschaftlich schädliche Folgen nach sich zieht. Deshalb lag der Gedanke nahe, nunmehr auch bei diesen Gütern einen Ausschuß einzusetzen, der diese Frage unabhängig und sachverständig, von einer neutralen Grundlage aus, prüfen soll. Wenn ein solcher Ausschuß an die Arbeit geht, muß seine Tätigkeit abgegrenzt werden, einmal gegenüber der Londoner Schuldenkonferenz, die gegenwärtig tagt, sowie gegenüber dem Teil VI des Überleitungsabkommens oder, wie es jetzt heißt, des „Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen".
Bei der Schuldenkonferenz in London wurde dem Auslandsvermögen in zwei verschiedenen Beziehungen Rechnung getragen: einmal hinsichtlich der Minderung der deutschen Wirtschaftssubstanz durch die Wegnahme des Auslandsvermögens, d. h. der Minderung der deutschen Aufbringungs- und Transferfähigkeit, sodann zum zweiten bei der Frage der Aufrechnung von Liquidationserlösen gegen deutsche Schuldverpflichtungen, was besonders in England und Schweden der Fall war. Die Londoner Schuldenkonferenz als eine rein internationale Finanzkonferenz hat keine Befugnis, in die Reparationsfrage einzugreifen. Wohl aber werden die Gläubiger in London, die darum kämpfen, möglichst viel deutschen Transfer zur Schuldentilgung zu erhalten, feststellen, daß die Wegnahme des Auslandsvermögens zu Reparationszwecken die deutsche Zahlungsbilanz wesentlich verschlechtert und damit die deutsche Transferfähigkeit vermindert. Dies ist gerade im jetzigen Augenblick bedeutsam, wo um die Jahreszahlungen, die wir zu leisten haben werden, in London gerungen und verhandelt wird.
Unser deutsches Anliegen ist ganz klar: Wir wollen unseren Kredit wiederherstellen, und um den Kredit wiederherzustellen, wollen wir unsere Schulden bezahlen. Insofern sind wir Deutschen die Verbündeten unserer ausländischen Gläubiger.
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Wir glauben dabei, daß es für die Schuldentilgung nicht nützlich wäre, das Auslandsvermögen zu liquidieren und den Liquidationserlös zur Schuldentilgung zu verwenden, sondern wir halten es für besser, das Auslandsvermögen, soweit es vorhanden ist, durch Rückgabe an die Eigentümer wieder in seine normalen, notwendigen und unerläßlichen volks- und weltwirtschaftlichen Funktionen als eine devisensparende und deviseneinbringende Einrichtung einzusetzen.
Wenn wir nun die Arbeiten des vorgeschlagenen Ausschusses zu Teil VI des eben erwähnten Überleitungsabkommens in Vergleich setzen, dann müssen wir sagen, daß dieser Teil VI, so wie er verhandelt worden ist, diesen Antrag in nichts stören würde. Wir selbst können und wollen heute noch nicht im einzelnen zu diesem Reparationsteil des Überleitungsabkommens Stellung nehmen, denn dieses Abkommen ist ja auch dem Auswärtigen Ausschuß noch nicht zur Stellungnahme und Beschlußfassung überwiesen. Wir haben uns deshalb auch nicht dazu zu äußern, ob es gut war, die Enteignungsgesetze der Alliierten in diesem Reparationsteil VI des Überleitungsabkommens anzuerkennen. Wir haben nur zu fragen, ob nicht die Bestimmungen dieses Überleitungsabkommens dem vorliegenden Antrag entgegenstehen, und das scheint nicht der Fall zu sein. Die Unterhändler haben sich bei der Verhandlung über diesen Teil VI alle Mühe gegeben, die Türen für künftige Lösungen offenzulassen, also auch für Lösungen in dem Sinne, das Auslandsvermögen, das zu Reparationszwecken verhaftet ist, aus dieser Verhaftung herauszulösen und mit Hilfe zweiseitiger Verträge wieder in den ökonomischen Bereich zurückzuführen.
Der Ausschuß ist der Ansicht, daß in diesem Fall Eile nottue. Die Schuldenkonferenz in London ist im Gange. Damit die Arbeiten des beantragten Ausschusses dafür noch Verwendung finden könnten, müßten sie rasch eingeleitet und durchgeführt werden. Die Regierung könnte, falls das Haus dem Antrag des Ausschusses zustimmen sollte, durch Beschleunigung ihrer Maßnahmen viel Nutzen stiften zu Hause und im Ausland.
Mit diesem Hinzufügen möchte ich bitten, dem Antrag des Ausschusses Ihre Zustimmung zu erteilen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. - Für die nachfolgende Aussprache hat der Ältestenrat eine Gesamtredezeit von 90 Minuten vorgesehen. Ich nehme die Zustimmung des Hauses dazu an.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Luetkens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende, von allen Fraktionen unterschriebene Antrag will auf eine Lösung hinaus, die es möglich machen würde, wie es in dem begleitenden Bericht heißt, das Auslandsvermögen zum Schuldendienst heranzuziehen, und zwar sowohl hinsichtlich der Aufbringung wie des Transfers. Nun ist das Auslandsvermögen bisher durch einseitige Abmachungen und Verträge verhaftet für die Abgeltung von Reparationsforderungen an Deutschland. Wenn dieses Vermögen also zur Lösung der Schuldenfrage herangezogen werden sollte, wie es der Antrag vorsieht, so müßte die Verhaftung dieses Auslandsvermögens zugunsten der Reparationsforderungen zumindest zu einem Teil gelöst werden. So heißt es denn auch auf Seite 10 des Ausschußberichts, der dem
Antrag vorangeht, das Auslandsvermögen solle statt zu Reparationszahlungen zum Schuldendienst für die Auslandsschulden herangezogen werden. Infolgedessen spricht der interfraktionelle Antrag, der uns vorliegt, gleichzeitig und unmittelbar alle drei Seiten des dreieckigen Problems von Auslandsschulden, Auslandsvermögen und Reparationsforderungen an.
Das eigentliche politische Ziel dieses interfraktionellen Antrags wäre also eine Regelung, welche dieses Dreieck in einer volkswirtschaftlich tragbaren und für alle annehmbaren Weise auflösen würde. Es sollte also mit der Regelung der Schuldenfrage gleichzeitig erreicht werden - und es müßte erreicht werden, wenn dem Antrag Folge gegeben wird und wenn er Auswirkungen hätte -, daß weitere Forderungen aus dem Kriege, also Reparationen, bei einer vereinbarten Regelung des Schuldenproblems nicht mehr geltend gemacht werden könnten.
Meine Damen und Herren, viele von uns wissen und erinnern sich, zu welchen Schwierigkeiten dieses Fragenbündel von Auslandsvermögen, Auslandsschulden und Reparationsforderungen nach dem ersten Weltkrieg international Anlaß gegeben hat und zu welch unerfreulichen Konsequenzen die damalige Behandlung dieser Fragen insbesondere für Deutschland geführt hat. Wir haben in den letzten Wochen wohl alle einen gewissen Vorgeschmack davon bekommen, wie groß das Interesse der Bevölkerung, und zwar nicht nur der unmittelbar Betroffenen, für diese Fragen ist. Der Kreis derer, die durch die Liquidation von Auslandsvermögen in der Art und Weise, wie sie vorgenommen worden ist, in ihrer Existenz oft vernichtend getroffen worden sind, ist anscheinend viel größer als nach dem ersten Weltkrieg. In sehr zahlreichen Fällen handelt es sich, wie wir aus Briefen, die uns zugegangen sind, ersehen, nicht etwa um große Vermögen und um großen Besitz, sondern vielfach um kleine Leute, die eben auch deshalb durch die Liquidation in ihrer Existenz besonders schwer getroffen worden sind. Würde dieses Mal nicht frühzeitig eine befriedigendere Lösung für das gesamte Problem gefunden werden, so müßte man befürchten, daß die Grundlagen unseres staatlichen Lebens wieder ins Schwanken gebracht werden, wie das vor etwa 20 oder 25 Jahren infolge der damaligen Behandlung dieses Fragenkomplexes der Fall war. In Erinnerung an diese Ereignisse der zwanziger Jahre haben sich im Auswärtigen Ausschuß alle Fraktionen, sowohl die der Regierungskoalition wie die der Opposition, in gemeinsamem Bemühen seit anderthalb Jahren zusammengefunden, um nach ihrem Können und Vermögen eine gemeinsame Linie in dieser Frage zu verfolgen. E i n Ergebnis dieser Bemühungen ist der Ihnen jetzt zur Beschlußfassung vorliegende Antrag.
Die New Yorker Beschlüsse der drei Außenminister vom September 1950, welche die sogenannte kleine Revision des Besatzungsstatuts einleiteten, knüpften diese Revision insbesondere an die Bedingung, daß die Bundesrepublik die deutschen Auslandsschulden übernehme. Die drei westlichen Besatzungsmächte erklärten damals mündlich und schriftlich, ein solches Anerkenntnis werde hi gesetzlicher Weise vom Bundestag beschlossen werden müssen. Ein solcher Schuldenvertrag als internationaler Vertrag bedarf an sich schon der Beschlußfassung durch den Bundestag. Darüber hinaus handelt es sich jedoch um eine Maßnahme, die finanziell und haushaltsmäßig so tief in das Leben der ganzen Bevölkerung einschneidet, daß in
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keiner parlamentarischen Demokratie solche finanziellen Maßnahmen ohne gewissenhafte Prüfung und ohne die Zustimmung der gewählten Vertreter des Volkes in Kraft gesetzt werden können, eine Zustimmung, die eben zunächst auf Grund der finanziellen Tatsachen, um die es sich dreht, gefunden werden müßte.
Der Herr Bundeskanzler hat auch im Auswärtigen Ausschuß diese Verfahrensweise für politisch und rechtlich erforderlich erklärt, und in der Mantelnote der Bundesregierung an die Hohe Kommission, die diesem Haus mit Drucksache Nr. 2218 vorgelegt wurde, heißt es denn auch, der Notenwechsel über die Schuldenfrage werde zu gegebener Zeit den gesetzgehenden Körperschaften vorgelegt werden. Das ist bis heute nicht geschehen, und mehr denn ein Jahr ist seither vergangen. Aber während dieser Zeit hat die Bundesregierung begonnen, in London zunächst vorbereitende Verhandlungen über die Regelung der Schuldenfrage zu führen, und seit Ende Februar tagt, von dem Dreimächteausschuß einberufen, in London eine Konferenz, deren Aufgabe es sein soll, die endgültige Regelung des Schuldenproblems zu finden. Das, meine Damen und Herren, geschieht, obwohl im Auswärtigen Ausschuß einstimmig gebilligt wurde und obwohl in einem einstimmig gebilligten Bericht des Auswärtigen Ausschusses festgestellt. wurde - vor der Entsendung der Delegation zu dieser endgültigen Schuldenkonferenz in London -, daß vor der Ratifikation des Schuldenanerkenntnisses durch den 'Bundestag eine Reihe grundsätzlicher Klärungen erfolgen müsse, und obwohl damals in diesem Bericht auch einstimmig festgestellt wurde - ich darf daraus zitieren -, daß ohne eine solche Ratifikation durch die gesetzgebenden Körperschaften die Verhandlungen über
die Durchführung des Notenwechsels völkerrechtlich und staatsrechtlich keine Grundlage hätten.
Nunmehr ist weiterhin die Regelung dieses Gesamtkomplexes, der auch die Frage der Auslandsschulden und ihrer Zahlung betrifft, in den Generalvertrag und die mit ihm zusammenhängenden Zusatzverträge hineinverlegt worden. Ich glaube, aus alledem, was ich Ihnen vorgetragen habe, muß man den Schluß ziehen, daß hier entgegen früherer besserer Einsicht der Versuch gemacht wird, den Bundestag und die 'gesetzgebenden Körperschaften gleichsam zu umgehen. Wie ich glaube, wird durch diese Art des Vorgehens, nämlich durch den Versuch, in dem Generalvertrag implicite eine Schuldenerklärung abgeben zu lassen, die Basis völlig verschoben, auf welcher sich der Bundestag mit diesem so wichtigen Problem zu beschäftigen hätte. Wenn man das in den Rahmen eines so wichtigen und umfangreichen Vertragswerks einfügt, wie es der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, die Zusatzverträge und der Generalvertrag selbst sind, so können die finanziellen und die steuerlichen Probleme, die die Schuldenfrage stellt, nicht mehr mit der Ernsthaftigkeit und der Gewissenhaftigkeit geprüft werden, die der Bundestag als ganzes, sein Haushaltsausschuß und seine mit finanziellen Fragen befaßten Ausschüsse anderweitig darauf verwenden würden. Es wäre nicht gut, wenn die Bundesregierung die gesetzgebenden Körperschaften in eine solche Lage versetzte, und es wäre auch nicht gut, wenn sich dieses Hohe Haus in eine solche Lage manövrieren ließe. Der Bundestag sollte, wie ich glaube, den alten Grundsatz der Demokratie und den alten Grundsatz aller gewählten Vertretungen des Volkes peinlichst achten, nämlich daß es keine finanziellen Belastungen geben darf ohne eine vorherige eingehende, nur auf die zur Erörterung stehende Sache gegründete Prüfung und Mitwirkung durch die Volksvertretung. Die sozialdemokratische Fraktion hält es aus diesen Erwägungen für erforderlich, daß die Ratifikation des Notenwechsels über die Anerkennung der deutschen Auslandsschulden durch den Bundestag erfolgt, bevor die Annexverträge zum Generalvertrag behandelt werden.
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Die Bundesregierung hat diesem Hohen Hause mit Drucksache Nr. 2218, datiert vom 26. April 1951, eine Reihe von Noten vorgelegt, darunter den Notenwechsel der Bundesregierung mit der Hohen Kommission vom G. März 1951. In dieser Drucksache sind nicht alle für die Schuldenfrage bedeutsamen Schriftstücke enthalten. Sie konnten es damals auch nicht sein. Denn der Notenwechsel fand eine Fortsetzung und endete mit einer deutschen Note vom 28. Juni 1951, die auf Drängen des ganzen Auswärtigen Ausschusses von der Bundesregierung der Hohen Alliierten Kommission zugestellt wurde. Diese Vorgänge finden Sie auf Seite 10 des Ihnen vorliegenden Ausschußberichts erwähnt. Sie finden dort angedeutet, daß die Bundesregierung ihre frühere Feststellung, die in der Note vom 6. März 1951 enthalten ist, nämlich die Feststellung, die deutsche Erklärung zur Schuldenfrage habe die einstimmige Billigung des Bundestagsausschusses gefunden, in der Note vom 28. Juni korrigiert hat.
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In dem Ihnen vorliegenden Bericht finden Sie, daß in der deutschen Note vom 28. Juni erklärt wird, die Schuldenanerkennung sei nur unter der Voraussetzung ausgesprochen worden, daß die Frage des Auslandsvermögens geregelt werden könne und daß sich bei Fortfall dieser Voraussetzung die gesetzgebenden Körperschaften veranlaßt sehen könnten, ihre bisherige Haltung zu überpüfen.
Die sozialdemokratische Fraktion hält es für notwendig, daß die nach dem 6. März 1951 zwischen der Alliierten Hohen Kommission und der Bundesregierung ausgetauschten Noten diesem Hohen Hause baldigst zur Kenntnis gebracht werden, damit auch in der Öffentlichkeit Klarheit darüber geschaffen werden kann, welche Stellungnahme der Ausschuß für auswärtige Anlegenheiten als das in Frage kommende Organ dieses Hohen Hauses in dieser Frage eingenommen hat. Meine Fraktion stellt den Antrag, den ich Ihnen verlesen darf:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, dem Bundestag alsbald in Ergänzung des Materials, das sie mit Schreiben vom 26. April 1951 übermittelt hat - Drucksache Nr. 2218 -, den anschließenden Notenwechsel mit der Alliierten Hohen Kommission über die deutsche Schuldenerklärung zur Kenntnis zu bringen, insbesondere auch die deutsche Note vom 28. Juni 1951.
Ich darf Ihnen, Herr Präsident, diesen Antrag meiner Fraktion überreichen.
Meine Damen und Herren, abschließend darf ich die Frage des Generalvertrags berühren, wenn ich auch aus Gründen, denen schon verschiedene Redner heute gefolgt sind, nicht die Absicht habe, auf seinen Inhalt irgendwie näher einzugehen. Die Initiative zu dem vorliegenden interfraktionellen Antrag kam aus den Reihen der Regierungskoalition. Die sozialdemokratische Fraktion hat den Antrag mit unterschrieben.
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Wie Sie wissen, trifft der Sechste Teil des Überleitungsvertrags, der dem Generalvertrag angefügt ist, Bestimmungen über die Reparationsfrage. Danach soll die Bundesrepublik die gegen die deutschen Auslandsvermögen getroffenen Maßnahmen weitgehend hinnehmen und damit auch die verhaftende Verbindung, die zwischen Auslandsvermögen und Reparationen einseitig hergestellt wurde, anerkennen. Ich kann mich mit den Ausführungen des Herrn Berichterstatters zu diesem Punkte nicht ganz einverstanden erklären. Ich bin der Meinung, daß diese Bestimmungen des Sechsten Teils des Überleitungsvertrags ganz bestimmte Konsequenzen hinsichtlich des Problems haben, das heute hier zur Diskussion steht.
Weiterhin soll im Achten Teil des Annexvertrags eine Schuldenerklärung abgegeben werden, und zwar auf Grund der Lage, wie sie durch den Notenwechsel vom 6. März 1951 gegeben ist, also ohne Berücksichtigung dessen, was in der deutschen Note vom 28. Juni später niedergelegt worden ist. Der Text des Annexvertrags befleißigt sich an dieser Stelle einer einigermaßen eigentümlichen Ausdrucksweise, wenn er sagt, die Bundesrepublik bekräftige erneut die Übereinkunft über die Auslandsschulden. Die Bundesrepublik hat dieses sogenannte Übereinkommen bisher überhaupt noch nicht bekräftigt, und es ist staats- und völkerrechtlich bisher überhaupt noch nicht gültig geworden. Wenn aber die Annexverträge in der Form in Kraft treten sollten, in der sie jetzt vorliegen, so würde durch den Achten Teil sanktioniert werden, was der Auswärtige Ausschuß bis heute immer einstimmig als unmöglich bezeichnet hat,
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B) nämlich die Scheidung von Auslandsschulden und Auslandsvermögen. Gegen diese Scheidung wendet sich gerade der Antrag, der uns vorliegt.
Die Erreichung des politischen Ziels, das allen Antragstellern vorschwebt, würde durch die gegenwärtigen Bestimmungen des Generalvertrags behindert werden. Meine Fraktion ist sich der politischen Tragweite des Antrags bewußt. Sie wird ihm zustimmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Müller.
Meine Damen und Herren! Ich kann mir gut vorstellen, daß es einigen Parteien, die diesen Antrag unterzeichnet haben, nicht sehr wohl dabei zumute ist, daß der Bericht des Ausschusses gerade jetzt dem Bundestag vorgelegt und damit der Öffentlichkeit unterbreitet wird. Wenn diese Parteien - ich meine insbesondere die Regierungsparteien - hätten übersehen können, daß ihr Chef, Herr Adenauer, den Generalvertrag und die Zusatzverträge dem Bundestag mit einer solchen Eile zur Ratifizierung vorzulegen beabsichtigte, dann hätten sie zweifellos davon Abstand genommen, über die Frage der Regelung oder Nichtregelung der deutschen Auslandsvermögen und ihrer Beschlagnahme durch die Herren in Washington, in Frankreich und England usw. jetzt zu beraten. Es ist zunächst einmal zweifellos das Verdienst des Herrn Berichterstatters, in diesem Bericht, wenn auch bei aller Vorsicht der Formulierung, doch einige Feststellungen zu treffen, die für die deutsche Öffentlichkeit von geradezu alarmierender Bedeutung sind. Der Herr
Berichterstatter trifft in seinem schriftlichen Bericht Feststellungen über das deutsche Sachvermögen im Ausland, das durch die Maßnahmen nach Kriegsende dem deutschen Volke verlustig gegangen ist und das einen Wert von schätzungsweise - und zwar bei vorsichtiger Schätzung - rund 20 Milliarden Vorkriegsmark darstellt,
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wobei hinzuzufügen ist, daß es sich hierbei allein um die deutschen Sachvermögen im westlichen Ausland handelt.
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Es wird zweitens festgestellt, daß zu diesen Sachvermögen die geistigen Werte hinzukommen, die dem deutschen Volke gestohlen und geraubt Word en sind.
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Es handelt sich allein um zirka 100 000 Patente. Ich hatte schon einmal Gelegenheit gehabt, von dieser Stelle aus auf die Methoden hinzuweisen, mit denen die Herren Amerikaner 1945 ihre besonderen Auftragskommandos in den Jeeps gleich hinter der ersten Linie nach Oberhessen schickten, um dort aus einem Stollen die darin versteckten Patente herauszuholen und sie schnellstens nach den Vereinigten Staaten zu bringen.
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Sie wissen aus der amerikanischen Presse selbst, wie die Herren, die dieses gestohlene deutsche geistige Eigentum verwendet haben, es nicht nur materiell einschätzten, sondern wie sie damit auch ihre eigene Industrie zum Teil um 30, 40 und noch mehr Jahre auf einen Sprung nach vorwärts entwickelten. C
Zu diesen rund 100 000 Patenten kommen noch annähernd 200 000 Marken- und Warenzeichen und Urheberrechte. Aus dem Bericht selbst geht hervor - und es ist geradezu eine Ironie -, daß deutsche Firmen gezwungen sind, die ihnen gestohlenen Warenzeichen zurückzukaufen, damit sie auf dem Auslandsmarkt nicht alles verlieren und ihre Exportmöglichkeiten sicherstellen können. Der Betrag dieser geistigen Werte wird mit 18 Milliarden DM angegeben. Wir hatten vor einiger Zeit Gelegenheit, über den Raub der in deutschem Besitz befindlichen ausländischen Wertpapiere zu sprechen, die in diesem Bericht mit 21/2 Milliarden DM angegeben werden. Wenn dem noch die Summe der in deutschen Händen befindlichen Zahlungsmittel der neutralen Staaten mit 2,6 Milliarden DM bzw. Vorkriegswerten hinzugefügt wird, dann steht fest, daß dem deutschen Volke an Auslandsvermögen 45 Milliarden gestohlen worden sind.
Meine Damen und Herren, ich gehe auf die Frage, wie mit diesem Auslandsvermögen umgegangen worden ist, überhaupt nicht ein. Ich gehe auch nicht ein auf den Raub an deutschem Vermögen im Inland, die Frage der Demontagen, die Frage der Entnahmen aus der laufenden Produktion usw. Was aber in diesem Zusammenhang wesentlich ist, das ist die Feststellung, daß derselbe Bundeskanzler Adenauer, der mit seinem Generalvertrag für die Maßnahmen verantwortlich ist, die jetzt seitens der Deutschen Demokratischen Republik angesichts des offensiven Charakters des Generalkriegsvertrags ergriffen werden müssen - und Sie, die ihm zustimmen, sind auch verantwortlich für das, was gerade im Hinblick auf die
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Notwendigkeit der Verteidigungsmaßnahmen in der Deutschen Demokratischen Republik geschieht -, in seinem Generalvertrag bzw. im Sechsten Teil des Zusatzvertrags diesen Raub amerikanischer Piraten und Buschräuber - anders kann man es nicht bezeichnen - an deutschem Eigentum noch ausdrücklich anerkennt.
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Im Sechsten Teil dieses Zusatzvertrags heißt es in Art. 3 ausdrücklich:
Die Bundesrepublik wird in Zukunft keine Einwendungen gegen die Maßnahmen erheben, die gegen das deutsche Auslandsvermögen oder sonstige Vermögen durchgeführt worden sind oder werden sollen, das beschlagnahmt worden ist für Zwecke der Reparation oder Restitution oder auf Grund des Kriegszustandes oder auf Grund von Abkommen, die die Drei Mächte mit anderen alliierten Staaten, neutralen Staaten oder ehemaligen Bundesgenossen Deutschlands geschlossen haben oder schließen werden.
Das bedeutet eine Sanktionierung des Raubes, den diese Piraten am deutschen Volksvermögen begangen haben. Genau so heißt es in Ziffer 3 dieses Art. 3 des Sechsten Teils:
Ansprüche und Klagen gegen Personen, die auf Grund der in Absatz 1 und 2 dieses Artikels bezeichneten Maßnahmen Eigentum erworben oder übertragen haben, sowie Ansprüche und Klagen gegen internationale Organisationen, ausländische Regierungen oder Personen, die auf Anweisung dieser Organisationen oder Regierungen gehandelt haben, werden nicht zugelassen.
Das ist also ein absolutes Abschreiben der deutschen Auslandsvermögen und hat seinen besonderen Reiz gerade im Zusammenhang mit den Forderungen, die jetzt in London gegenüber Deutschland erhoben werden.
Ihre Redezeit ist schon erheblich überschritten. Ich bitte zum Schluß zu kommen.
Die Regierung hat keinerlei Recht zu einer solchen Unterschrift. Das Volk wird dafür sorgen, daß die Absichten, die Herr Dr. Adenauer und die hinter ihm stehenden Kreise mit dem Generalvertrag verfolgen, zunichte gemacht werden.
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Wir sind der Meinung, daß es eine Aufgabe des
kommenden Friedensvertrags ist, eine Regelung zu
finden, die dem gesamten deutschen Volke dient.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wahl.
Meine Damen und Herren! Das dornige Problem des Auslandsvermögens ist von dem Herrn Berichterstatter in besonders eindrucksvoller Weise dargelegt worden, und zwar sowohl in seinem schriftlichen Bericht wie in seinen mündlichen Ausführungen, zu denen Herr Dr. Luetkens noch wertvolle allgemeine Aspekte beigetragen hat. Der Antrag des Ausschusses läuft darauf hinaus, die devisenwirtschaftliche .Seite des Problems zu unterstreichen und es aus dem alleinigen Zusammenhang mit dem Reparationsproblem herauszulösen und in engeren Zusammenhang mit den gesamten Hemmungen des Weltverkehrs der Gegenwart, insbesondere den deutschen Transferschwierigkeiten, zu bringen. Das ist sicher ein sehr zweckmüßiger und glücklicher Weg, um in dieser Frage, die noch im Fluß ist, weiterzukommen, ein Weg, dem im Ausschuß von allen Fraktionen zugestimmt worden ist.
Herr Dr. Luetkens hat nun den Antrag gestellt, daß die Bundesregierung ersucht werden soll, die Noten über die Sehuldenfrage zur Ratifikation vorzulegen. Es erscheint uns zweifelhaft, ob die jetzige Gelegenheit die richtige ist, um diesen Antrag zu stellen. Immerhin beantragen wir, diesen Antrag dem Auswärtigen Ausschuß zur weiteren Bearbeitung zu überweisen.
Noch einige Bemerkungen über eine Frage, die heute hier nicht entschieden werden kann, die aber mit dem behandelten Problem im Zusammenhang steht und die deutsche Öffentlichkeit sehr bewegt, nämlich die Frage: Hat die- Bundesregierung wirklich rechtsverbindlich und endgültig auf das deutsche Auslandsvermögen in dem Annexvertrag verzichtet? Sie hat das nicht getan. Zwar heißt es in dem Vertrag, -daß die Bundesrepublik in Zukunft keine Einwendungen gegen die Maßnahmen erheben wird, die das beschlagnahmte deutsche Auslandsvermögen treffen und getroffen haben; aber damit ist ein Verzicht auf die deutsche Rechtsposition als solche nicht ausgesprochen. Es handelt sich lediglich darum, daß bis zur friedensvertraglichen Regelung die Frage von deutscher Seite unerörtert bleiben soll. Man darf nicht vergessen, daß die europäischen Staaten, die den Krieg gewonnen haben, das Auslandsvermögen ihrer Bürger schon während des Krieges verloren haben, weil sie es auf Grund der amerikanischen Gesetzgebung für Lieferungen von Kriegsmaterial opfern mußten. Darin lag ein schweres psychologisches Hemmnis - um nicht zu sagen: Hindernis - für eine uns befriedigende Regelung schon im jetzigen Zeitpunkt. Andererseits ist es der deutschen Verhandlungsführung gelungen, für zweiseitige Verhandlungen über alle das deutsche Auslandsvermögen betreffenden Fragen mit alien Staaten, auch denen, die an dem Interalliierten Reparations abkommen in Paris teilgenommen haben, schon jetzt eine Möglichkeit zu eröffnen. Diese Möglichkeit gab es bisher nicht. Darin liegt der entscheidende Fortschritt, daß sich die deutschen Verhandlungspartner jetzt nicht mehr entgegenhalten zu lassen brauchen, daß zweiseitige Sonderabmachungen gegen das IARA-Abkommen verstoßen und deshalb unzulässig sind. Die in den Vereinbarungen enthaltene Vertagung des Gesamtproblems zugleich mit der Eröffnung der Möglichkeit, bei Handelsvertragsverhandlungen oder ähnlichen Anlässen das Problem des deutschen Auslandsvermögens im Verhältnis zu den einzelnen Staaten aufzurollen, war unter diesen Umständen im Augenblick das äußerst Erreichbare. Es mußte vermieden werden, daß schon jetzt ein Schlußstrich unter dieses traurige Kapitel gezogen wurde. Je weiter wir uns vom Tage der Kapitulation entfernen, um so günstiger muß sich unsere Verhandlungsposition entwickeln.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann ist die Aussprache geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Antrag der SPD, der eigentlich so etwas wie einen Ergänzungsantrag darstellt. Dazu
({0})
ist die Überweisung an den Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten beantragt. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. - Das ist zweifellos die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Wir stimmen jetzt über den Antrag des Ausschusses Drucksache Nr. 3389 Ziffer 2 ab. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wir kommen nun zu Punkt 7 der Tagesordnung: Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend das Protokoll vom 16. Februar 1952 über Zollvereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei ({1}).
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Auf eine Begründung wird verzichtet. Wortmeldungen liegen ebenfalls nicht vor. Dann darf ich wohl vorschlagen, die Drucksache dem Ausschuß für Außenhandelsfragen zu überweisen. - Dem wird nicht widersprochen; es ist so beschlossen.
Ich rufe nun Punkt 8 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Erste Berichtigungsund Änderungsprotokoll zu den Zollzugeständnislisten des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens ({2}) ({3});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen ({4}) ({5}).
({6})
Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Dr. Serres.
Dr. Serres ({7}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Hohen Hause ist mit Drucksache Nr. 3176 der Entwurf eines Gesetzes über das Erste Berichtigungs- und Änderungsprotokoll zu den Zugeständnislisten des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens ({8}) vorgelegt worden. Nach der ersten Lesung ist der Gesetzentwurf dem Ausschuß für Außenhandelsfragen zur weiteren Beratung überwiesen worden, der sich mit dem Gesetz und speziell mit dem Protokoll eingehend befaßt hat.
Das Protokoll enthält zunächst eine Reihe von Positionsänderungen in der Liste der deutschen Zollzugeständnisse. Es handelt sich im wesentlichen um Berichtigungen formeller Natur neben zwei Tarifpositionen Nummern 2307 und 2518, die materieller Natur, aber ohne wesentliche Bedeutung sind.
Es folgen dann die ausländischen Zollzugeständnislisten. Auch hier überwiegen die Berichtigungen formeller Natur. In wenigen Fällen sind Änderungen bei den ausländischen Zollzugeständnissen erfolgt, die in der Hauptsache eine Anpassung an autonome Tarifänderungen darstellen. Es ist besonders hervorzuheben, daß in keinem Fall die vorgenommenen Änderungen eine Beeinträchtigung deutscher Ausfuhrinteressen bedeuten. Das Protokoll ist zunächst durch die deutsche Delegation paraphiert worden, da, wie gesagt, einige materielle Änderungen in dem Protokoll enthalten sind und deswegen das Protokoll der Zustimmung der gesetzgebenden deutschen Körperschaften bedarf.
Wie bereits erwähnt, hat der Ausschuß für Außenhandelsfragen sich eingehend mit dem Gesetz und dem Protokoll befaßt. Er ist einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, das in seinem Antrag niedergelegt ist, den ich Ihnen zur Beschlußfassung empfehle:
Der Bundestag wolle beschließen:
dem Gesetzentwurf - Nr. 3176 der Drucksachen - unverändert nach der Vorlage zuzustimmen.
({9})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten ein in die zweite Beratung. Ich rufe auf Art. I. - Keine Wortmeldungen. Aussprache geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die Art. I zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; angenommen.
Art. II. - Keine Wortmeldungen. Aussprache geschlossen.
Ich bitte diejenigen, die Art. II zustimmen, die Hand zu erheben. - Die Mehrheit; angenommen.
Art. III, - Einleitung und Überschrift. - Keine Wortmeldungen. Aussprache geschlossen.
Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Bestimmungen zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; angenommen. Damit ist die zweite Beratung beendet.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. - Keine Wortmeldungen. Allgemeine Aussprache geschlossen.
Ich rufe auf Art. I, - II, - III, - Einleitung und Überschrift. - Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Gegen wenige Stimmen angenommen.
Eine Schlußabstimmung entfällt nach § 88 der Geschäftsordnung letzter Satz. Dieses Gesetz ist also in dritter Beratung angenommen.
Ich rufe nun auf Punkt 9 der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der Vorschriften über die Aufhebung des Mieterschutzes bei Geschäftsräumen und gewerblich genutzten unbebauten Grundstücken ({0});
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen ({1}); ({2}). ({3})
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Lücke.
Lücke ({4}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mir erlaubt, den Ausschußbericht über die Beratungen des Gesetzes über die Aufhebung des Mieterschutzes bei Geschäftsräumen und gewerblich genutzten unbebauten Grundstücken schriftlich*) vorzulegen. Sie wollen deshalb die näheren Einzelheiten über den Verlauf der Beratungen aus der Ihnen vorliegenden Drucksache Nr. 3419 entnehmen.
*) Siehe Anlage 4 Seite 9560.
({5})
An den Beratungen über diesen von der Regierung vorgelegten Gesetzentwurf nahmen der Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen - federführend - sowie der Rechtsausschuß und der Wirtschaftsausschuß teil. Die Beratungen über die recht verwickelte Gesetzesmaterie gestalteten sich schwierig, konnten aber dank der sehr intensiven Arbeit der Ausschüsse so abgewickelt werden, daß Ihnen heute der Gesetzentwurf zur zweiten und dritten Lesung vorgelegt werden kann.
Das Ihnen vorliegende Beratungsergebnis hat nicht die Zustimmung der SPD-Fraktion gefunden. Die SPD-Fraktion trat für eine Auflockerung des geltenden Mietrechts unter gleichzeitiger Beibehaltung der Preisbindung und Aufrechterhaltung des Mieterschutzes für Geschäftsräume und gewerblich genutzte unbebaute Grundstücke ein. Ungeachtet dieser mehr rechtssystematischen als praktischen Unterscheidung haben sich in sachlichen Fragen grundlegende Unterschiede zwischen der in dem Gesetzentwurf niedergelegten Auffassung der Regierungsparteien und der Auffassung der Opposition nicht ergeben.
Ich darf das Hohe Haus bitten, dem vorliegenden Gesetzentwurf die Zustimmung zu Zehen
({6})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die zweite Beratung des Gesetzes ein. Ich rufe auf § 1. - Dazu liegt ein Änderungsantrag der SPD auf Umdruck Nr. 570 Ziffer 1 vor. Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Jacobi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich hinsichtlich unseres Änderungsantrags zu § 1 kurz fassen. Ich darf vorweg bemerken, daß unser Änderungsantrag zu § 2 erledigt ist, weil sein Anliegen bereits in der Vorlage, die wir unterbreitet bekommen haben, Berücksichtigung gefunden hat.
Zu § 1 haben wir den Antrag gestellt, die Worte „mit Wirkung vom 1. Dezember 1951" zu streichen. Wir haben in entsprechender Weise auch im Ausschuß den Versuch gemacht, nach dieser Richtung eine Änderung der Vorlage zu erreichen, weil die vorgeschlagene Regelung erkennbar darauf abzielt, die umstrittenen November-Verordnungen zu legalisieren. Ich will den Streit über die Frage, ob die November-Verordnungen rechtswirksam sind oder nicht, hier heute nicht noch einmal zur Erörterung bringen. Die Meinungsverschiedenheiten, die hier verschiedentlich Gegenstand der Darstellung waren, sind unverändert geblieben. Wir sind der Auffassung, daß die Verordnungen - und das ist von uns wiederholt dargetan worden - aus einer Reihe von Gründen nicht rechtswirksam werden konnten. Es ist nur eine prinzipielle konsequente Weiterverfolgung unserer Gedanken und Meinung, wenn wir die Auffassung vertreten, daß jetzt nicht im Wege der nachträglichen gesetzgeberischen Regelung diese Verordnungen legalisiert werden können.
Wir sind im übrigen der Auffassung, daß wir uns auch auf dem Gebiete, das wir jetzt im Augenblick behandeln, weitgehend von dem Versuch absetzen sollten, Gesetze mit rückwirkender Kraft überhaupt zu schaffen. Der Einwand, der hiergegen im Ausschuß erhoben worden ist, scheint uns nicht stichhaltig zu sein. Er ging dahin, es seien inzwischen im Vertrauen auf die Rechtswirksamkeit der Verordnungen allüberall eine Fülle von vertraglichen Vereinbarungen getroffen und in Kraft gesetzt worden, so daß man hier Unfrieden und Unklarheit stifte. Wir halten eine solche Betrachtung nicht für begründet und bitten daher, unserem Änderungsantrag zuzustimmen.
Das Wort zu § 1 hat der Abgeordnete Lücke.
Meine Damen .und Herren! Namens der Koalitionsparteien darf ich bitten, diesen Antrag der SPD-Fraktion zu § 1 abzulehnen. Diese Frage ist in den Ausschußberatungen eingehend besprochen worden, und der Ausschuß kam in seiner Mehrheit dazu, dem Antrag nicht zu entsprechen. Ich darf deshalb bitten, ihn abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ewers.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf zu diesem grundsätzlichen Änderungsantrag der SPD vom Standpunkt der Juristen, die dieses Gesetz mitbearbeitet haben - auch für andere Paragraphen, insbesondere für den § 5, den die SPD gar nicht ändern will, obgleich in ihm auch das Datum vom 1. Dezember eine ganz entscheidende Rolle spielt -, einige grundsätzliche Worte sagen.
In diesem Hause, glaube ich, gibt es keinen, der nicht die Rückwirkung von Gesetzen, insbesondere auch von Steuergesetzen, für ein außerordentlich schweres Übel hält. Wenn mit der Regelung, die dieses Gesetz vorsieht, eine rückwirkende Kraft verbunden sein sollte, würden sämtliche Juristen Herrn Jocobi zustimmen. Das ist nicht der Fall. Um was es sich handelt, hat er selbst angedeutet. Allerdings handelt es sich nicht um die Legalisierung einer in ihrer Wirksamkeit zweifelhaften Regierungsverordnung, sondern es handelt sich darum, daß das, was dort verordnet war, nunmehr gegenstandslos, aber durch dieses Gesetz als Bundesgesetz anerkannt wird.
({0})
Daß die Oppositionsparteien daran nicht interessiert sind, gebe ich zu. Aber an dem, was durch die Verordnungen in den weitesten Kreisen der gewerblichen Wirtschaft angerichtet ist, sollten sie auch interessiert sein. Wir meinen daher, es bleibt dem Bundesgesetzgeber, wenn er hier Ordnung schaffen will, gar nichts anderes übrig, als die Stichtage beizubehalten, die nun einmal in einer bisher für gültig gehaltenen Rechtsverordnung erwähnt und im Bundesgesetzblatt als Gesetz verkündet waren. Ich möchte mich daher dagegen verwahren, daß es sich erstens um eine Rückwirkung handelt und zweitens um eine „Legalisierung". Allerdings sind diejenigen, die wie die Koalitionsparteien der Auffassung sind, daß man auf dem Sektor der gewerblichen Raummieten nunmehr ebenfalls - wenn auch sukzessive - zur sozialen Marktwirtschaft übergehen sollte, der Meinung, daß der 1. Dezember 1951 schon insoweit der richtig gewählte Stichtag wäre.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache zu § 1 geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag der SPD auf Umdruck Nr. 570 Ziffer 1 zustimmen, die Hand zu
({0})
heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das
letzte ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem Paragraphen in der Ausschußfassung zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit. § 1 ist angenommen.
Ich rufe auf die §§ 2, - 3, - 4, - 5, - 6, -7, - 8. - Wortmeldungen und Änderungsanträge liegen nicht vor. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Paragraphen zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. - Angenommen.
Ich rufe nun auf § 9 mit dem Änderungsantrag der SPD auf Umdruck Nr. 570 Ziffern 3, 4 und 5. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Jacobi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 9 ist einer der wesentlichsten Paragraphen der vorgesehenen Regelung. Der Herr Berichterstatter hat sowohl in seinem schriftlichen Bericht als auch in seinen ergänzenden mündlichen Ausführungen darauf verwiesen, daß das Anliegen dieses Gesetzentwurfs im wesentlichen in zwei Kardinalregelungen besteht: Erstens darin, den Mieterschutz für Geschäftsräume und gewerblich genutzte unbebaute Grundstücke aufzuheben und zweitens eine Mietpreiserhöhung zu gestatten, die sich nach bestimmten, in diesem Gesetz niedergelegten Prinzipien vollziehen soll. Für die Anwendung des Gesetzes ist der § 9 von entscheidender Bedeutung. Wir werden zu einem späteren Zeitpunkt zu der Gesamtproblematik dieses Gesetzentwurfs und zu den Gefahren, die durch ihn für weite Kreise des gewerblichen Mittelstands ausgelöst werden, noch Stellung nehmen.
In § 9 aber finden wir eine Reihe von Regelungen, die - unabhängig von der Frage, ob man dieses Gesetz bejaht oder verneint, ob man es für fortschrittlich oder rückschrittlich hält - Gegenstand sehr ernsthafter Überlegungen sein müssen. Der § 9 enthält den Katalog jener Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, um dem Vermieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht mehr als zumutbar erscheinen zu lassen. Er enthält einen Katalog, der nicht ein ausschließlicher ist, sondern nur in einer beispielsweisen Aufzählung besteht. Das ergibt sich aus dem Wort „insbesondere". dessen Streichung wir begehren, weil wir der Meinung sind, man sollte bei der vorgesehenen Regelung in diesem Gesetz möglichst alle Tatbestände klar und deutlich abgrenzen, damit auch für den einfachen Bürger, der von ihm betroffen wird, eine Übersicht über die Anwendbarkeit des Gesetzes besteht und er sich darüber klarwerden kann, was dieses Gesetz für ihn bringt. Wir haben also den Antrag gestellt, das Wort „insbesondere" in Abs. 1 zu streichen.
Wir haben des weiteren beantragt, in Ziffer 2 die Worte „oder eines Verwandten gerader Linie" zu streichen. Die Ziffer 2 des § 9 Abs. 1 regelt den Fall des Eigenbedarfs. Wenn solcher Eigenbedarf bejaht wird, soll der Mieter nicht mehr den Schutz finden, der ihm bisher gebührte, und auch innerhalb der Regelung dieses Gesetzes hinter die Interessen des Vermieters zurückgesetzt werden. Wir haben bereits bei der ersten Beratung des Gesetzentwurfs - das war in der 196. Sitzung des Bundestags - lebhafte Bedenken gegen den nach unserer Meinung viel zu weit abgesteckten Begriff des Eigenbedarfs angemeldet. Wir haben im Ausschuß lediglich erreichen können, daß die Einbeziehung der Verschwägerten herausgenommen wird.
Nach der jetzigen Fassung ist es also so, daß der Vermieter die Räume oder Grundstücke für eigene Zwecke oder für Zwecke seines Ehegatten oder eines Verwandten gerader Linie beanspruchen darf. Dieser Kreis scheint uns zu weit gesteckt zu sein. Wir haben sowieso die Sorge, daß Eigenbedarf gelegentlich vorgetäuscht werden wird, um zunächst einmal in die Geschäftsräume hineinzukommen, daß sich dann aber plötzlich irgendein Dritter in diesen Geschäftsräumen findet. Wir sind der Auffassung: gerade bei diesem Tatbestand müßte auch bedacht werden, daß ein Gewerbetreibender manchmal in jahrzehntelanger mühevoller Arbeit einem Geschäftsraum erst Sinn, Gestalt und wirtschaftliche Bedeutung gegeben hat, daß der sogenannte „good will" eine Rolle spielt, daß Fleiß und Mühen über lange Zeit darauf verwandt worden sind, Publikum anzuziehen, einen Käuferkreis heranzuholen, und daß infolgedessen die Heraussetzung eines solchen Geschäftsraummieters zugunsten nicht nur des Vermieters oder seines Ehegatten, sondern auch zugunsten irgendwelcher Verwandten nicht ohne weiteres gerechtfertigt werden kann. Wir sind der Meinung, daß bei verständiger Würdigung unseres Anliegens auch die Regierungsparteien allen Anlaß hätten, darüber nachzudenken, welche Konsequenzen drohen, wenn man den im Gesetz vorgesehenen weiten Begriff des Eigenbedarfs bestehen läßt. Wenn man den Begriff des Eigenbedarfs auf den Vermieter selbst und seinen Ehegatten beschränkt, dann scheint uns genügend Vorsorge dafür getroffen zu sein, nach Fortfall des Mieterschutzes den engeren Familienkreis in den Stand zu setzen, nunmehr von sich aus gewerbliche Räume im eigenen Hause zu benutzen. Eine Weiterziehung dieses Kreises scheint uns mit erheblichen Gefahren verbunden zu sein. Wir sind also der Auffassung, daß man nach dieser Richtung hin an der Vorlage nicht festhalten sollte.
Eine ebenfalls wichtige, vielleicht noch wichtigere Bestimmung enthält der Abs. 2 dieses Paragraphen. Das ganze Gesetz geht von der Vorstellung aus, daß es möglich sei, den Begriff der ortsüblichen Miete anzuwenden. Es ist jedem, der die Verhältnisse untersucht hat, bekannt, daß es den Begriff der ortsüblichen Miete bei Geschäftsräumen nicht gibt. Aus den bekannten Gründen hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte keine ortsübliche Miete bilden können. Im übrigen spricht der Gesetzentwurf von der angemessenen Mieterhöhung. Dieser Begriff wird im Gesetzentwurf verschiedentlich erwähnt. Was eine angemessene Mieterhöhung ist, muß natürlich irgendwie definiert, mindestens aber so klar abgesteckt sein, daß man sich in der Praxis ein klares Bild machen kann. Das ist durch dieses Gesetz nicht erreicht. Im Gegenteil, die Definition des Begriffes der angemessenen Mieterhöhung, die sich im Abs. 2 des Paragraphen 9 findet, löst eine Fülle von neuen Gefahren aus, die soziale Härten mit sich bringen und die absolut unerfreulich sind. Es heißt in diesem Abs. 2:
Eine Mieterhöhung ist angemessen im Sinne des Absatzes 1 Nr. 4, wenn und soweit die vorn Vermieter geforderte Miete die ortsübliche Miete, die sich für Geschäftsräume oder Grundstücke gleicher Art und Lage nach Wegfall der Preisbindungen bildet, nicht übersteigt.
({0})
Als ortsübliche Miete wird hier also cinc Miete angesehen, die sich nach Wegfall der Preisbindungen bildet. Das ist aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, ein erheblicher Gefahrenpunkt. Denn diese Regelung öffnet spekulativen Tendenzen und Bestrebungen Tür und Tor. Wir haben mit unserem Änderungsantrag darauf hinweisen wollen, daß es absolut ausreichend ist, als angemessen erhöht eine Miete anzusehen, die sich gebildet hat, die sich also nicht erst nach Inkrafttreten dieses Gesetzes bilden w i r d. Die Regelung, wie wir sie in der Vorlage finden, überläßt die Festsetzung einer angemessen Miete der zukünftigen Entwicklung. Diese Entwicklung scheint uns gefährlich zu sein, weil sie Spekulanten und Leuten, die konjunkturelle Situationen ausnutzen, Auftrieb und Anreiz gibt.
Es ist ja im übrigen auch eine Fiktion, von der die Vorlage nach einer anderen Richtung hin ausgeht. Uns ist im Ausschuß gesagt worden - und auch im schriftlichen Bericht des Berichterstatters klingt das an -, es sei doch so, daß die Entwicklung der letzten Jahre es gestatte, heute davon auszugehen, daß ein Raummarkt auf dem Gebiet
der Geschäftsräume vorhanden sei. Im Ausschuß
hat ein Sprecher der Regierungsparteien sogar den Ausdruck gebraucht, der „Marktausgleich" sei heute gewährleistet. Das kann aber nur hier und da in wenigen Orten der Fall sein. Das kann im Zweifel auch nur für Geschäftsräume in modernen Ladenbauten stimmen, in denen Mietpreise verlangt werden, die der Wolkenkratzerhöhe von Neubauten mit ihrer bekannten Fassadenarchitektur und ihrer Aufwendigkeit entsprechen. Es ist festzustellen, daß kein Raummarkt, sondern Raumnot herrscht; und diese Raumnot - meine Damen und Herren, betrachten Sie das doch bitte ohne jede Leidenschaft und ganz sachlich - wird dazu führen, daß die Bestimmung, die wir angreifen und um deren Änderung wir Sie bitten, zu einer Konjunkturmiete führt, aber nicht zu einer Miete, die sich nach normalen. sozial vertretbaren marktwirtschaftlichen Grundsätzen bildet.
Wir bitten diese ernsten Bedenken, die wir gegen den Vorschlag der Vorlage geltend machen, zu berücksichtigen; denn von dieser Bestimmung hängt weitgehend die Entwicklung auf dem Gebiet der Geschäftsraummieten ab und eine Preisentwicklung, von der, wie ich hoffen möchte, Sie ja auch nicht wünschen, daß sie konjunkturell so verläuft, daß sie praktisch sogar bis an die Grenze des Wucherparagraphen des Strafgesetzbuches herangeht.
({1})
Es mag eingewandt werden, daß es gewisse Kontrollmöglichkeiten gibt; aber, Herr Kollege Lücke, die Praxis der letzten Monate hat gezeigt, daß es so gut wie überall auch unter den Vermietern von Geschäftsräumen Böse geben kann, die Chancen ausnutzen.
({2})
- Sie werden nicht erfaßt! Die tatsächlichen Verhältnisse, Herr Kollege Lücke, sind manchmal stärker als die rechtlichen Möglichkeiten, sich gegen solche Dinge zu wenden. Die Tatsache, daß ein Geschäftsraummieter an das Grundstück gekettet ist, das seine Existenzgrundlage bildet, zwingt ihn oft, Vereinbarungen einzugehen und den Weg zum Gericht um seiner wirtschaftlichen Existenz willen zu vermeiden. Das ist eine Tatsache, die nicht bestritten werden kann und die
allein schon Veranlassung ist, bei der Fassung der Bestimmungen im einzelnen sehr zur Nachdenklichkeit zu raten.
Ich bitte Sie, unsere Änderungsanträge - besonders den zu Abs. 2 des § 9 - nicht wieder mit einer lapidaren Erklärung abzutun, die Regierungsparteien sähen sich außerstande, in diesem Gesetz noch irgendeine Änderung zu treffen. Wenn Sie aber wirklich diese Anträge ablehnen sollten, meine sehr verehrten Damen und Herren, so glaube ich nicht, daß alle jene Kreise, von denen Sie doch oft behaupten, daß sie Ihnen nahestehen, dafür Verständnis haben werden.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wirths.
Meine Damen und Herren! Ich bitte namens der Regierungsparteien, die SPDAnträge zu diesem Paragraphen abzulehnen. In § 9 Abs. 1 möchte die SPD das Wort „insbesondere" gestrichen haben. Das würde bedeuten, daß dann nur diese vier Fälle ziehen. Wir können aber unmoglich alle möglichen Fälle, die sich aus der Praxis ergeben, in das Gesetz hereinbringen. Wir haben vier wichtige Hauptpunkte hervorgehoben und diese mit „insbesondere" bezeichnet.
Zu dem zweiten Antrag, nämlich der Streichung der Worte ,.oder eines Verwandten gerader Linie" in S 9 Abs. 1 Ziffer 2 ist zu sagen, daß der Ausschuß bereits dadurch eine Verbesserung zugunsten der Mieter hineingebracht hat, daß die Verschwägerten gestrichen wurden. Aber hierbei ist ja zu berücksichtigen. daß in den letzten Jahrzehnten durch die Unmöglichkeit, einen Wechsel vorzunehmen, eine ganz neue Generation herangewachsen ist, die ganz zweifellos den Anspruch hat, in dem väterlichen Gebäude auch einmal ein Geschäft betreiben zu können. Wir können also nicht darauf verzichten. daß auch die Verwandten in gerader Linie berücksichtigt werden.
({0})
Aber der Herr Jacobi hat vollkommen vergessen, daß la nun noch ein zweiter Satz kommt, nämlich der:
.... und auch bei Berücksichtigung der Verhältnisse des Mieters die Vorenthaltung des Mietgegenstandes eine schwere Unbilligkeit für den Vermieter darstellen würde; . . .
({1})
Man kann nicht das eine für sich betrachten und des andere vernachlässigen.
({2})
muß also zusammentreffen, wenn überhaupt der Vermieter etwas gegen den Mieter unternehmen kann.
In einem weiteren Nebensatz ist ausdrücklich gesagt daß der Vermieter dann nicht den Eigenbedarf geltend machen kann. wenn er etwa dem Mieter in dessen bisherigen Mieträumen in seinem
Geschäftszweig eine unzumutbare Konkurrenz machen will. Das war nämlich auch das Hauptanliegen all der Einsprüche, die aus den Kreisen der Gewerberaummieter kamen, eben zu verhindern, daß der Vermieter nur aus dem Grund kündigt und den Mieter aus seinem Geschäftsraum herausbringt, um sich in dessen gemachtes Nest zu setzen.
Da ist nämlich das gewahrt, was Herr Jacobi dringend gefordert hat.
({3})
Dann zu dem letzten Antrag der SPD, der den Wegfall der Worte „nach Wegfall der Preisbindung bildet" und den Ersatz durch die Worte „gebildet hat" fordert. Dazu ist zu sagen, daß auch dieser Satz nicht ohne den Abs. 3 dieses § 9 betrachtet werden kann.
({4})
- Ja, Ihr er Meinung nach völlig falsch. Ich sehe es so, wie ich es lese und wie ich es auffasse und auslege, und ich glaube, daß diese Art der Auslegung, wie ich sie gebe, richtig ist. Wenn sich nämlich nach Wegfall der Preisbindungen noch keine ortsübliche Miete gebildet hat, dann kommt der Abs. 3 in Frage: sofern die Feststellung der ortsüblichen Miete erheblichen Schwierigkeiten im Sinne des Abs. 2 begegnet, tritt die Miete auf Grund der Berechnungsverordnung ein, und damit ist ja erreicht, daß nicht etwa eine - wie es Herr Jacobi ausgedrückt hat - Konjunkturmiete sich entwickelt,
({5})
sondern daß sich eine Kostenmiete bildet; und wenn sie sich noch nicht gebildet hat, dann tritt bis dahin die Miete nach der Berechnungsverordnung ein.
So glaube ich also, daß der ganze Aufbau gerade dieses entscheidenden § 9 innerlich durchaus logisch ist und daß er andererseits sowohl den Interessen der Vermieter wie auch den berechtigten Interessen der Gewerberaummieter vollkommen Rechnung trägt.
Ich bitte Sie, diesem Paragraphen zuzustimmen und die SPD-Anträge abzulehnen.
({6})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD zu § 9 auf Umdruck Nr. 570 Ziffern 3 bis 5. Ich bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen ab über § 9 in der Fassung der Ausschußvorlage. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; § 9 in der Fassung der Ausschußvorlage ist angenommen.
Ich rufe § 10 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 570 Ziffer 6 vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Herr Abgeordneter Jacobi!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es bedarf nur weniger Worte, und ich bitte um Ihr Einverständnis damit, daß ich gleichzeitig auch die beiden letzten Änderungsanträge kurz begründe, damit wir dann vielleicht schneller weiter kommen.
Es handelt sich bei unserem Antrag zu § 10 nur um eine Wortumstellung, die allerdings nach unserer Auffassung den Vorteil bietet, daß die Änderungen einen etwas stärkeren Schutz
({0})
mit sich bringen, ohne daß mit ihnen die Stellung des Vermieters unzumutbar eingeengt wird.
({1})
Unseren Antrag zu § 19 Satz 2 bitte ich lediglich ! einmal unter Zuhilfenahme der Kenntnisse, die Sie in der Schule in der deutschen Sprache erlangt haben, daraufhin zu lesen, warum eigentlich die Worte „auch nur" dort stehen. Sie sind völlig überflüssig, auch für die Juristen. Die Worte „auch nur" sollten daher gestrichen werden, weil auch nach dieser Streichung der Sinn der Vorschrift nicht nur klar bleibt, sondern eigentlich klarer ist als bei der bisherigen Fassung.
Zu § 23 haben wir allerdings ein grundlegende Änderung beantragt, nämlich die Streichung des zweiten Satzes und der Nummern 1 und 2 und die Einfügung eines neuen Satzes:
Gleichzeitig treten entgegenstehende Vorschriften außer Kraft.
Ich habe nach dem bisherigen Ergebnis der Abstimmmung nicht den Mut, anzunehmen, daß Sie
dieser letzten Änderung zustimmen, weil mit ihr
natürlich auch rechtspolitisch einiges verbunden ist.
({2})
Unser Änderungsantrag ergibt sich aus der Auffassung, die wir in der Frage vertreten, ob und warum man in dem vorliegenden Gesetz die umstrittenen Verordnungen vom November 1951 legalisieren sollte. Wir sind nicht der Meinung, daß das geschehen dürfte. Aber in dieser Frage werden Sie uns sicherlich überstimmen. Mein Appell aber an Ihr deutsches Sprachgewissen bleibt, und so habe ich die Hoffnung, daß Sie wenigstens unserem Antrag in Ziffer 7 Ihre Zustimmung nicht versagen werden.
Das Wort wird nicht weiter gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag der SPD-Fraktion auf Umdruck Nr. 577 Ziffer 6 zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen ab über § 10 in der Fassung der Ausschußvorlage. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; § 10 ist angenommen.
Ich rufe nun auf die §§ 11, - 12, - 13, - 14, -15, - 16, - 17, - 18. - Es liegen keine Änderungsanträge vor, das Wort ist auch nicht gewünscht. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; die §§ 11 bis 18 sind angenommen.
Ich rufe auf § 19. Dazu liegt ein Änderungsantrag der SPD, Umdruck Nr. 570 Ziffer 7, vor. Er ist bereits vorhin durch den Antragsteller begründet worden. Das Wort ist weiter nicht gewünscht, die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag der SPD auf Umdruck Nr. 570 Ziffer 7 zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem § 19 in der Fassung der Ausschußvorlage zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe nun auf § 20, - § 21, - § 22. - Dazu sind keine Änderungsanträge gestellt und keine Wortmeldungen erfolgt. Wir stimmen ab. Ich bitte
({0})
diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf § 23. Dazu liegt der Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Umdruck Nr. 570 Ziffer 8 vor. Wird dazu nochmals das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Weitere Wortmeldungen liegen auch nicht vor; die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag der SPD, Umdruck Nr. 570 Ziffer 8, zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem § 23 in der Fassung der Ausschußvorlage zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; der § 23 ist angenommen.
Ich rufe auf die §§ 24, - 25, - 26, - 27. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Zu § 28 liegt ein Antrag der Föderalistischen Union vor.
({1})
- Hier ist vermerkt „dritte Beratung". Ich habe aber eine Wortmeldung des Herrn Dr. Etzel zur zweiten Beratung.
({2})
Dann kommen wir zu den §§ 28, - 29, - Einleitung und Überschrift. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Paragraphen sowie der Einleitung und Überschrift zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Damit ist die zweite Beratung beendet, ich rufe nun auf zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Dazu hat der Ältestenrat 60 Minuten vorgesehen. Ich nehme an, daß die von dem Ältestenrat beschlossene Begrenzung der Redezeit die Zustimmung des Hauses findet.
Das Wort hat der Abgeordnete Jacobi.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe soeben mit einiger Verwunderung die gebundenen Hände betrachtet, die einige von Ihnen doch sichtbar gezeigt haben.
({0})
- Herr Kollege Lücke, wir wollen über dieses Kapitel nicht sprechen. Die einzige Sorge, die Sie hatten, war doch die, wir würden der dritten Lesung aus formalen Gründen widersprechen können. Das hat Sie wohl veranlaßt, nach dieser Richtung hin gewisse Sicherungsmaßnahmen durchzuführen; sie wären unnötig gewesen. Denn wir müssen ja irgendwie zu einer Regelung kommen. Wir hätten wahrscheinlich keinen Gebrauch von der uns durch ,die Geschäftsordnung eröffneten Möglichkeit gemacht.
({1})
- Ich bin für die KPD nicht verantwortlich, Herr Kollege Lücke.
Ich bitte, Sie noch einmal mit allem Ernst auf die Konsequenzen dieses Gesetzes für weite Kreise des Mittelstandes hinweisen zu dürfen. Machen Sie sich doch bitte die Regelung nicht zu leicht und denken Sie daran, was sich in den letzten Monaten im Zuge der umstrittenen November-Verordnungen vollzogen hat. Sie alle wissen aus Ihren Orten, zu welchen zum Teil unerträglichen Forderungen und Maßnahmen vielfach die November-Verordnungen geführt haben. Es ist kein Trost, zu wissen, daß dieses Gesetz nun in einer Reihe von Punkten einen Ausgleich von Härten bringt. Ich hatte soeben schon Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß hier nicht nur die formale Betrachtung Platz zu greifen hat. sondern daß wir erkennen müssen daß auf dem Gebiete der Geschäftsraummieten die wirtschaftliche Stärke eine besondere Bedeutung hat und daß die Kraft des Faktischen stärker sein kann als Recht und vielleicht auch als Moral.
Wir haben bereits in der 196. Sitzung feststellen müssen, daß bis in Ihre Reihen hinein ein gewisses Unbehagen über die Verordnungen zu spüren war, die von der Bundesregierung im November erlassen worden sind. Erst diese Verordnungen haben zu dem Weg geführt. an dessen Ende nun die zur Zeit zu beratende Vorlage steht. Hätte die Bundesregierung an Stelle der Verordnungen von Anfang an einen Gesetzesvorschlag unterbreitet, so wäre einmal keine Zeitnot entstanden, die uns wegen der Fristen jetzt wieder einmal unter Druck setzt. Auch die heillose Verwirrung in den Reihen der Gewerberaummieter, also in weiten Kreisen des Mittelstandes, wäre vermieden worden.
Nach dem, was die letzten Monate in der Praxis ergeben haben, wird und kann kein sachlich Urteilender in diesem Hause bestreiten, daß die Vorlage tiefe Eingriffe in einen wesentlichen Teil von Wirtschaft und Handel mit sich bringt. Die Bagatellisierung der Auswirkungen der November-Verordnungen, die aus offiziösem Mund seit Monaten immer wieder zu hören war, ist durch die brennende Not unzähliger Gewerberaummieter, die inzwischen offenkundig geworden ist, leider widerlegt.
({2})
Zehntausende von Gewerbetreibenden bangen um ihre Existenz. Der ihnen angeblich zugedachte Schutz gegen die zum Teil brutale Handhabung der November-Verordnungen ist völlig unzureichend. Um dem Hausbesitz zu helfen, wären weder die November-Verordnungen noch dieses Gesetz notwendig gewesen.
Die sozialdemokratische Fraktion hat sich nachweisbar mit Ernst und Fleiß bemüht, einen Weg zu suchen, der zu einer solchen Hilfe hätte führen können, ohne daß auf der anderen Seite neue Not entstanden wäre. Wir haben in den Ausschußberatungen eingehende Vorschläge unterbreitet. Es ist notwendig, sie wenigstens kurz zu erwähnen, da wir in den letzten Monaten wiederholt erleben mußten, daß uns von bestimmter interessierter Seite in absolut unsachlicher Form unterstellt worden ist, wir seien gar nicht bestrebt, auch die Seite des Hausbesitzes zu sehen. Die Sozialdemokratische Partei ist nicht eine Partei der Mieter, sie ist auch nicht eine Partei der Vermieter. Sie wird sich nach dieser Richtung hin nur von Fall zu Fall entscheiden. In ihren Reihen gibt es sowohl Mieter als Vermieter.
({3})
({4})
- Ach, verzeihen Sie gütigst. Ich weiß, warum ich das sage. Ich könnte Ihnen aus fünf oder sechs Zeitschriften von Haus- und Grundbesitzervereinen aus den letzten Wochen den Beweis dafür antreten, daß man in einseitiger Weise gegen uns agiert hat und der Wahrheit zuwider behauptet, wir hätten nicht die geringste Einsicht und nicht das geringste Verständnis für die Not des Althausbesitzes. Eine solche generelle Betrachtung ist falsch, und wir müssen uns gegen sie wehren.
Wir haben in den Ausschüssen praktische Vorschläge unterbreitet. Wir haben zum Ausdruck gebracht, daß wir zwar die Meinung vertreten, der Mieterschutz für Gewerberäume solle nach wie vor aufrechterhalten bleiben; wir haben aber in gleicher Weise unsere Zustimmung zu einer Regelung erklärt, die von der bisherigen Stopp-Preis-Situation wegführt und eine generelle angemessene Erhöhung der Geschäftsraummieten ermöglicht. Ich kann und will in diesem Augenblick nicht unsere Einzelvorschläge unterbreiten. Der Berichterstatter hat im großen und ganzen darauf hingewiesen. Ich lege lediglich Wert auf die Feststellung, daß diese Vorschläge von uns intensiv durchdacht und von uns zum Gegenstand der Beratung gemacht worden sind.
Unsere Vorschläge sind allerdings in den Ausschüssen im wesentlichen nur angehört und, wenn überhaupt, so nur oberflächlich debattiert worden. Das mag zum Teil an dem Zeitdruck gelegen haben, unter dem die Ausschüsse arbeiten mußten. Es kann aber auch sein, daß unsere Vorschläge unbequem waren, denn des Rätsels Lösung erbrachte schließlich der Hinweis eines Sprechers der Regierungsparteien, daß die Bundesregierung mit ihren Vorschlägen ein dem Haus- und Grundbesitz gegebenes Versprechen einzulösen gedenke.
({5})
In ähnlicher Weise läßt sich auch der Herr Berichterstatter in dem Schriftlichen Bericht Drucksache Nr. 3419 vernehmen, wo er die Regierungserklärung vom 20. September 1949 ausdrücklich erwähnt. Als die Berufung auf dieses Politikum, von dem ich gerade sprach, im Ausschuß erfolgte, bedeutete dies praktisch das Ende der materiellen Diskussion und die geschlossene Ablehnung selbst d e r Änderungsvorschläge der sozialdemokratischen Fraktion, die im Rahmen des Gesetzentwurfs gestellt wurden, durch die Regierungsparteien.
In dem Bericht des Herrn Berichterstatters haben wir zwei Sätze gefunden, über die wir nur unserem bassen Erstaunen Ausdruck geben können. Nach einem Hinweis auf die angebliche Erstarrung der Besitzverhältnisse infolge des bisherigen Mieterschutzes für Geschäftsräume und gewerblich genutzte unbebaute Grundstücke lesen wir - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten wörtlich zitieren -:
Auf der anderen Seite standen viele aufstrebende tüchtige Kräfte und der unendlich große Kreis der Flüchtlinge, Vertriebenen und Ausgebombten, die von der Möglichkeit, Mieträume zu erlangen, geradezu ausgeschlossen waren.
({6})
Es erschien dringend geboten, auch in dieser
Hinsicht eine Auflockerung zu schaffen. ({7})
Gegenüber einem solchen Ausblick auf die vermuteten Segnungen des Gesetzentwurfes kann man
nur schlicht im Volkston sagen: Da staunt der Fachmann, und der Laie wundert sich. Staunen und Verwunderung stellen sich nämlich dann unausweichlich ein, wenn man sich die Regelung des
§ 9 ansieht, über die vorhin schon im einzelnen gesprochen worden ist. Denn die Bestimmungen dieses Paragraphen sind in geradezu klassischer Weise geeignet, genau das zu verhindern, was dem Herrn Berichterstatter als wünschenswert und möglich erscheint. Die Bestimmungen des § 9 üben insoweit sogar eine Sperrfunktion gerade für die wirtschaftlich schwächsten Kreise aus, die an Geschäftsräumen interessiert sind, nämlich für die Vertriebenen und Bombengeschädigten. Wir werden, Herr Kollege Lücke, das oft zitierte blaue Wunder erleben, wenn sich die Praxis dieses Gesetzes demnächst entfaltet, und wir werden nach den Fällen suchen müssen, in denen es gelungen ist, Vertriebenen unter den Auspizien dieses Gesetzes nach Aufhebung des Mieterschutzes und nach Freigabe der Preise gemäß den Bestimmungen des § 9 einen Geschäftsraum zur Verfügung zu stellen.
({8})
- Ach, du lieber Gott, was Sie mit der Eingliederungshilfe und mit dem Lastenausgleich nicht alles machen wollen! Das sind doch alles komplizierte Regelungen. Wir haben es doch schon mit den November-Verordnungen, worauf ich kürzlich bereits hinweisen mußte, erlebt, daß Flüchtlinge, die mit den Mitteln der Soforthilfe und mit Krediten in Geschäftsräume kamen, von Vermietern herausgesetzt worden sind oder daß ihnen gekündigt wurde, obwohl sie Baukostenzuschüsse gegeben haben. In der Praxis sehen die Dinge anders aus als vom grünen Tisch oder vom grünen Sessel, Herr Kollege Lücke, und wir können nur zum Ausdruck bringen, daß wir wegen der sozialen Auswirkungen dieses Gesetzes von großer Sorge erfüllt sind.
Wir haben bereits bei anderen Gelegenheiten, und ich habe auch heute darauf hingewiesen, daß wir uns auch hinsichtlich des Eigenbedarfs unsere Gedanken machen, Ich darf hinzufügen, daß eine Bestimmung fehlt, die eine Garantie gegen eine Scheinmanipulation darstellt, die darin bestehen kann, daß man, nach kurzer Zeit, des zunächst geltend gemachten Eigenbedarfs überdrüssig, einem wildfremden Dritten den Geschäftsraum zur Verfügung stellt. Ich habe über die Schwierigkeiten gesprochen, die 'sich durch die Bestimmung des § 9 ergeben werden, die besagt, daß nach Wegfall der Preisbindungen die Angemessenheit der Miete festgestellt werden soll. Ich habe von der Fiktion gesprochen, von der die Vorlage ausgeht, daß ein Marktausgleich an Geschäftsräumen vorhanden sei. Es besteht kein Raummarkt, es besteht Raumnot, und diese Tatsache der Raumnot führt zwangsläufig dahin, daß sich trotz der gegenteiligen Meinung des Herrn Kollegen Wirths nicht eine Marktmiete im üblichen Sinne bilden kann, sondern daß ene Konjunkturmiete entstehen wird, in der sich der effektive Raummangel widerspiegelt.
Mit diesen Hinweisen will ich zum Schluß kommen. Ich habe den Eindruck, daß Sie, meine Damen und Herren, sich beim besten Willen nicht überzeugen lassen. Es werden dann andere Instanzen dazu Stellung nehmen müssen,
({9})
({10})
ob das Gesetz so in Kraft treten kann, wie Sie es sich vorstellen. Ich darf darauf hinweisen, daß in den letzten Tagen in einer außerordentlich beachtlichen Kundgebung der Gewerberaummieter erklärt worden ist, dieses Gesetz reiche nicht aus, um die Auswirkungen der November-Verordnungen, soweit es sich um Härten und empfindliche Nachteile handle, irgendwie auszugleichen. Es werden sehr viele alte Inhaber kleiner Einzelhandelsgeschäfte und Inhaber von Handwerksbetrieben betroffen, und bei der jetzigen Fassung des Gesetzes
- wir haben von etwa 2,3 Millionen Gewerberaummietern auszugehen - haben unter Umständen 1,3 Millionen Gewerberaummieter mit Kündigungen zu rechnen.
Am selben Tage, an dem diese Meldung durch die Presse ging, und in derselben Zeitung, in der ich diesen letzten Appell der Notgemeinschaft der Gewerberaummieter las, fand ich eine Notiz über eine Veranstaltung in der Westfalenhalle. aus Anaß des 100jährigen Jubiläums der Dortmunder Kolpingsfamilie. Dort hat Herr Ministerpräsident Arnold von Nordrhein-Westfalen vor 15 000 Zuhörern den Satz geprägt, nichts könne zur Festigung des Staates mehr beitragen als die Bildung moglichst vieler Einzelexistenzen
({11})
und eine gerechte Verteilung des Besitzes.
({12})
- Sie sagen ,;Sehr gut" und „Sehr richtig", aber Sie. verzichten selbst darauf, Herr Kollege Lücke, durch die Politik,
({13})
die mit diesem Gesetz verbunden ist, die Voraussetzungen zu schaffen, die erforderlich sind, um solchen Einzelexistenzen auch ein Minimum von Entfaltungsmöglichkeiten zu geben.
({14})
Dieses Gesetz wird in der Praxis ein Gesetz werden, durch das Tausende von Existenzen bedroht und an den Rand des Ruins gebracht werden.
({15})
- Ja, bagatellisieren Sie die Dinge nur! Die Verantwertung dafür werden nicht Sie tragen, - - werden Sie tragen und nicht wir.
({16})
- Ach, ein lapsus linguae ist nicht zu schlimm wie eine so falsche Politik, wie Sie sie mit diesem Gesetz betreiben.
({17})
Die Quittung für diese falsche Politik wird Ihnen gelegentlich Her Kreis der davon Betroffenen geben.
({18})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Huth.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! - Den Zwischenruf habe ich verstanden, Herr Kollege Meyer. Aber ob es sich um eine falsche Politik handelt, das wird sich erst in der Zukunft erweisen. Daß wir versucht haben, nach den Spielregeln der Demokratie auch dieses Gesetz unter Dach und Fach zu bringen,
({0})
werden Sie nicht abstreiten können, Herr Kollege
Jacobi. Ich darf Sie daran erinnern, daß wir am
28. Februar die Ausschüsse beauftragt haben, dieses Gesetz, das die Regierung uns vorgelegt hat, zu bearbeiten. Die Ausschüsse haben einen Unterausschuß aus den drei Ausschüssen - Wirtschaftspolitischer Ausschuß, Rechtsausschuß und Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen - eingesetzt, und in eingehenden Beratungen, unter tätiger aktiver Mitwirkung des Vertreters der Sozialdemokratie,
({1})
haben wir die gesamten Paragraphen durchgearbeitet.
({2})
- Jawohl, wir haben die Einwendungen Ihres
Herrn Vertreters in allen Punkten weitestgehend
berücksichtigt, und das, was Ihnen heute vorliegt,
meine Damen und Herren, ist das einmütig erarbeitete Ergebnis der Beratungen des Ausschusses,
({3})
d. h. des Unterausschusses, in welchem Ihr Vertreter maßgeblich mitgearbeitet hat. Das möchte ich ganz klar und deutlich feststellen.
({4})
- Meine Damen und Herren, Sie geben immer vor, die Demokratie in Erbpacht zu haben, Im halben Mai haben wir das Gesetz in den Ausschuß gebracht. Sie haben drei Monate Zeit gehabt und haben nichts getan, sondern haben Ihren Vertreter mitarbeiten lassen.
({5})
Als dann die Not aufs höchste gestiegen war, da kamen Sie und wollten nun den ganzen Gesetzentwurf umschmeißen. So kann man keine Politik machen, das möchten wir einmal ganz klar und deutlich zum Ausdruck bringen.
Wir haben bisher im Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen immer versucht, einmütig zum Zuge zu kommen. Das war hier aus einem bestimmten Grunde nicht möglich, nämlich deshalb. weil sich hier letztlich die Geister schieden. Hier drehte es sich nämlich darum, die Linie der Wirtschaftspolitik der Regierung und der Koalitionsparteien zu verfolgen. Dagegen hat man eben Stellung bezogen. Wir haben es bedauert, daß wir uns im Ausschuß so verhalten mußten, weil Sie die ganze monatelange Arbeit nun mit einem Federstrich abtun und etwas völlig Neues vorlegen wollten.
({6})
- Herr Jacobi. Sie haben diesen Ausdruck gebraucht. Sie haben auch heute wieder. wie schon in den letzten Besprechungen, die Sache wirklich reichlich dramatisiert.
Sie haben eben von den Großkundgebungen der Notgemeinschaft der Gewerberaummieter gesprochen. Auch ich habe in diesen Tagen von diesen Großkundgebungen gelesen, und ich kann Ihnen sagen. daß auf der angeblichen Großkundgebung in Wuppertal 7 Gewerberaummieter vertreten waren.
({7})
und daß auf der angeblichen Großkundgebung in
Düsseldorf 60 Gewerberaummieter vertreten
waren. Aber diese Großkundgebungen sind von
der Presse mit Dreicicerolettern, d. h. groß aufge({8})
macht worden; sie ist wahrscheinlich vorher durch Anzeigenaufträge reichlich unterstützt worden.
({9})
Aber wie man diese Politik gemacht hat, möchte ich an einem Bild der Zeitschrift „Quick" illustrieren. Die „Quick" hat letzthin mal eine Seite gebracht, auf der man in scharfer Weise gegen das Gesetz vorgegangen ist. Diese Angaben der „Quick" stammten, wie der Berichterstatter der „Quick" mitgeteilt hat, ausschließlich aus Mieterkreisen, entbehrten jeglichen Beweises. Zu dem Bild, das eine Bremer Dame zeigen sollte, hat man eine Münchnerin zu Hilfe genommen, weil man zu bequem war, nach Bremen zu fahren!
({10})
Meine Damen und Herren, das ist die Tatsache!
({11})
Wenn es uns darum geht, doch nun allmählich die Zwangsbewirtschaftung zu beseitigen, dann sei mir gestattet, auf ein Wort von Professor Röpke zu verweisen, der erklärt hat, die Zwangsbewirtschaftung im Wohnungswesen sei als eine am Boden der Marktwirtschaft steckengebliebene Mine des Kollektivismus anzusehen.
({12})
Meine Damen und Herren, was wollen wir durch dieses Gesetz erreichen? Jeder Unternehmer, jeder Händler, jeder Arbeiter hat die Möglichkeit, seine Arbeitskraft gegen Höchstgebot zu verwerten. Es wäre nicht gerecht und verstieße gegen den im Grundgesetz verankerten Grundsatz der Gleichbehandlung aller Staatsbürger, wenn man dem Hauseigentümer nicht einmal zugestehen wollte, durch angemessene Miete sein Eigentum zu erhalten. Es wurde eben hervorgehoben, daß wir noch Raumnot haben. Es mag bedingt richtig sein, daß es Orte gibt, in denen im Augenblick noch Mangel an Gewerberaum herrscht.
({13}) Aber weil wir das wissen, deshalb ist diese Kündigungswiderrufsverordnung bzw. dieses Kündigungswiderrufsgesetz entstanden. Wir haben in diesem Gesetz - ich betone ausdrücklich: unter Zustimmung Ihres Vertreters im Ausschuß - den Mietern weitestgehenden Schutz angedeihen lassen. Sie werden nicht abstreiten können, daß dem so ist. Also wo Not entstehen wird, da greift das Gesetz schon ein.
Der Mieterschutz für gewerbliche Räume und für die anderen Räume ist im Jahre 1923 entstanden. Drei Jahre nach diesem Termin hat man den Mieterschutz für die gewerblichen Räume wieder aufgehoben. Im Kriege wurde dann der Mieterschutz für gewerbliche Räume wieder eingeführt. Es handelte sich um eine lediglich kriegsbedingte Maßnahme, als sich im September des Jahres 1939 die damalige Regierung veranlaßt sah, für die Gewerberaummieter den Schutz wieder einzuführen. Ich weiß nicht, ob das als Rüstungsmaßnahme notwendig war oder ob es darum ging, dem Soldaten, der eingezogen war, seinen Ladenraum zu erhalten. Jedenfalls war es eine reine Kriegsmaßnahme. Nachdem der Krieg nun seit sieben Jahren vorbei ist - nach 1923 hat es nur drei Jahre gedauert -, ist es, glaube ich. an der Zeit - wir haben es damals auch ausführlich begründet, so daß ich es nicht mehr zu tun brauche -, daß wir heute eine Lockerung eintreten lassen. In den Ausschußberatungen sind wir weitestgehend von dem abgewichen, was die Regierung uns vorgelegt hat. Weitgehend haben wir auch der Tatsache Rechnung getragen, daß hier und da noch Not herrscht, und daß wir den Mietern, die bedroht sind, einen Schutz angedeihen lassen müssen, das hat das Gesetz weitestgehend berücksichtigt. Ich darf Sie daher bitten, der Vorlage des Ausschusses zuzustimmen.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Etzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf in der Fassung der Beschlüsse des 18. Ausschusses entspricht einer ernstlich kaum mehr bestreitbaren Notwendigkeit. Er baut auf einem wichtigen Gebiete ausschließlich kriegsbedingte zwangswirtschaftliche Einrichtungen ab, löst, indem er die durch die Verordnungen vom 27. und 29. November 1951 getroffenen Maßnahmen fortführt und ergänzt, die im Bereich des Althausbesitzes eingetretene langjährige Erstarrung der Besitzverhältnisse, beseitigt die unverdienten und unberechtigten Differentialgewinne der Althausmieter, gleicht auf dem Gebiet der Mieten die bisherige Verschiedenartigkeit der Wettbewerbsbedingungen aus, öffnet den Weg zur allmählichen Wiederherstellung der Rentabilität des Althausbesitzes, bewirkt die unentbehrliche Belebung der Instandsetzungs-, Aus- und Neubautätigkeit des Althausbesitzes und gibt damit der Wirtschaft bedeutsame Impulse. Das Gesetz wird dazu beitragen, das gegen einen großen Berufs- und Besitzstand, eben den Althausbesitz, gerichtete Ausnahmerecht zu liquidieren und dem im Grundgesetz und den Länderverfassungen verankerten Eigentumsbegriff wieder Geltung zu verschaffen. Es ist eine Dokumentation des Rechts und der wirtschaftlichen Vernunft.
Die vorbehaltlose Zustimmung zur Grundtendenz des Gesetzes wäre jedoch der Fraktion der Föderalistischen Union ({0}) kaum möglich, wenn es nicht gleichzeitig Vorkehrungen gegen wirtschaftliche und soziale Härten, ungerechtfertigte und untragbare Zumutungen und mißbräuchliche, willkürliche Ausnützungen einer Lage träfe. Das aber ist doch offenbar der Fall. Das schutzwürdige Interesse der Althausmieter ist nach unserer Auffassung in den §§ 8, 9 und 11 angemessen gewahrt. Die Föderalistische Union wird daher dem Gesetzentwurf in der Fassung der Beschlüsse des 18. Ausschusses, abgesehen von ihrem auf Umdruck Nr. 568 eingebrachten Antrag, auch in der dritten Beratung zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ewers.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Jacobi waren der Schwanengesang der SPD zur geliebten Zwangswirtschaft
({0})
auf dem Sektor der Raummiete. Ich kann es der SPD nachfühlen, daß sie von diesem Restbestandteil der Zwangswirtschaft nur mit größter Wehmut und mit den fürchterlichsten Prophezeiungen Abschied nimmt, genau so wie von der Brotkarte und der Fleischkarte.
({1})
({2})
- Das glaube ich nicht nur, das weiß ich sogar. Ich kann mich durchaus in Ihr Herz versetzen.
({3})
Wenn ich wie Sie für die Zwangswirtschaft wäre, würde ich genau so denken.
({4})
Diesen Schwanengesang haben wir zugleich mit einer Verbeugung und Anpreisung vor dem Hausbesitz beobachtet. Ich bin gespannt, ob der Hausbesitz nunmehr begeistert zur SPD übergehen wird, weil sie ach so eigentumsfreundlich ist. Dies vorweg.
({5})
Was für Mißverständnisse grundlegender Art vorliegen und daß hier mit Begriffen gearbeitet wird, die wir, die wir der Meinung sind, daß sich Preise frei bilden können, überhaupt nicht verstehen, dafür war ja der Änderungsantrag zu § 9 Abs. 2 ein deutlicher Beweis. Da wollte die SPD von Preisen reden, die sich unter dem Zwang der Preisbindung gebildet hätten. Unter der Preisbindung „bilden sich", meine sehr geehrten Damen und Herren, überhaupt keine Preise, sondern dort werden sie befohlen und von oben verordnet. Dort kann sich überhaupt nichts bilden, sondern dort herrscht ein Mann, der auf den Knopf drückt und einen beliebigen Namen trägt - wenn wir Glück haben, ein kluger Mann; meistens nur mittelklug - und der irgend etwas anordnet, was dann zu geschehen hat. Preisbildung ist nur dort möglich, wo eben Angebot und Nachfrage unter sozialen Gesichtspunkten bestimmte Preise ermöglichen und höchstens zulassen.
({6})
Nun noch ein Wort zum gesamten Gesetzestext. Wir im Unterausschuß, die wir uns dort die Münder fusselig geredet haben und uns zusammengerauft haben,
({7})
- auch wir von den Koalitionsparteien haben uns zusammengerauft -, haben die erste Garnitur der SPD, Herrn Jacobi. bis Ende Mai leider vermissen müssen. Wir haben uns mit ihm nicht zu raufen brauchen, sondern hatten mit ihm höchstens im letzten Stadium jene theoretischen Auseinandersetzungen: hie Zwangswirtschaft, hie freie Wirtschaft oder auch soziale Marktwirtschaft, wie es eben auch in meinen Worten kurz anklang. Er hätte sonst vermutlich verhindert, soweit sein Einfluß reicht, daß ausgerechnet auf der großen Mieterkundgebung mit Recht darüber geklagt worden ist, daß sich kein Mieter mehr durch das „Gestrüpp der Verordnungen" hindurchfinden könne. Das war auch unsere Meinung. Wenn Sie nun dieses Gesetz hernehmen, das in der Tat das Gesamtgesetz für alle Raummieten ist, so werden Sie feststellen: nach der Arbeit des Unterausschusses braucht kein Mensch mehr irgendeine Verordnung einzusehen.
({8})
Es ist nichts mehr nachzusehen als dieses Gesetz, das alles enthält und umreißt, und daher natürlich nicht für jeden Piefke sofort verständlich ist.
({9})
- Das verstehen wir Juristen und die Sachverständigen; aber von dem Gestrüpp der Verordnungen sind der Mieter und der Hauswirt in Zukunft verschont. Ich meine, das allein ist schon die Arbeit wert gewesen, die wir für das Gesetz aufgewandt haben.
Im übrigen sind wir der Überzeugung, daß der nach den Verordnungen der Regierung zunächst jedenfalls verfügte, wenn auch nicht geplante Übergang von der gebundensten zur freiesten Wirtschaft auf diesem Sektor ohne jede Zwischenstufe undenkbar gewesen wäre. Wir haben daher die Konzeption der Regierung mit dem Anspruch auf Widerruf der Kündigung durchgearbeitet und fanden sie durchaus brauchbar. Ich möchte betonen, die Lage des Altmieters während der Übergangszeit ist bestimmt nicht mehr so günstig wie nach dem Mieterschutzgesetz, aber sie ist vollständig von der verschieden, die in der freien Wirtschaft eingetreten wäre. Deswegen braucht kein Mieter zu glauben, daß sich nunmehr der Markt der Mieten etwa so bildet, wie es vielleicht der eine oder andere Wucherer unter den Eigentümern - es gibt überall schlechte Kerle, auch bei den Eigentümern - sich vorstellt. Preisbildung ist nicht das, daß einer skandalöserweise glaubt, nach
Belieben fordern zu können sondern es bildet sich
der übliche Preis danach, was im Durchschnitt gezahlt wird.
({10})
- Man kann alle wesentlichen Sachen zu einem solchen Gesetz in acht Minuten nur sehr schwer sagen; aber ich habe es beinahe geschafft und verabschiede mich.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Paul.
Meine Damen und Herren! Wenn noch bei der Behandlung der Nacht-und Nebelverordnungen in diesem Hause bestritten wurde, daß die Regierung und die Koalitionsparteien die Absicht hätten, auf dem, Gebiete des Wohnungsmarktes das Prinzip der Wirtschaftspolitik des Herrn Erhard durchzusetzen, dann ist das heute in den Diskussionsreden der Koalitionsparteien ganz deutlich klar geworden. Schon aus diesen grundsätzlichen Erwägungen muß man sich gegen das vorliegende Gesetz zur Wehr setzen. Es stellt den ersten Schritt auf dem Weg zur vollständigen Freigabe aller Wohnräume und zu einem ungehinderten Mietwucher dar. Wenn Herr Huth hier sagte, was wir wollen, dann kann man ihm nur entgegnen: er will die Tür öffnen für eine ungehinderte Ausplünderung der Mieter und auch des Mittelstandes.
({0})
Wir erlebten hier vor einigen Wochen durch Anträge der CDU und CSU eine große Debatte über die Notlage des Mittelstandes. Damals wurden von dieser Stelle aus bittere Tränen über den Notstand des Mittelstandes geweint. Dieses Gesetz ist ein Anschlag auf die Existenz Hunderttausender von kleinen Leuten, Hunderttausender von Mittelständlern; es ist mittelstandsfeindlich von A bis Z. Es wird erforderlich sein, dem Mittelstand die Doppelzüngigkeit in Ihren Stellungnahmen und in Ihrem Auftreten, meine Herren von den Koalitionsparteien, - ich hätte bald das harte Wort Demagogie gebraucht ({1})
({2})
aufzuzeigen. Der materielle Inhalt des Gesetzes zeigt mit aller Deutlichkeit, wie man vorzugehen gedenkt. Es wurde bereits auf den § 9 des Gesetzes hingewiesen. In diesem Paragraphen wird ganz deutlich gesagt, daß der Mietvertrag aufgehoben und die Kündigung vollzogen wird, wenn man dem Vermieter nicht mehr zumuten kann, das Mietverhältnis fortzusetzen, d. h. - siehe unter Punkt 4 - wenn er eine höhere Miete erzielen kann, als der Mieter zu zahlen bereit ist. Hinzu kommt, daß gemäß des § 5 des Gesetzes die den gewerblichen Räumen anhängenden Wohnräume nicht ausgenommen sind. Es heißt hier ausdrücklich: das Mieterschutzgesetz ist aufgehoben und ungültig.
Das gilt für alle Wohnräume - heißt es -,
wenn der Mietwert der Wohnräume weniger
als ein Drittel des gesamten Mietwerts der
vermieteten Räume beträgt.
Das heißt: wenn der Mittelständler, der ein Ladenlokal mit einer anhängenden Zweizimmerwohnung im Gesamtbetrag von 150 Mark hat und für die Wohnräume 40 Mark zahlt, dann wird auch für diese Wohnräume der Mieterschutz aufgehoben. Für diese Wohnräume treten die Kündigungsfristen in Kraft und gleichfalls die sogenannten Preisbestimmungen, d. h. die Kostenmieten oder, wie man besser sagen sollte, die Wuchermieten.
Aus diesen Erwägungen, den grundsätzlichen wie den sozialen Auswirkungen dieses Gesetzes heraus muß man sich diesem Gesetz widersetzen. Meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, wenn Sie auch nur einen Funken von Vertrauen im Mittelstand halten wollen, dann müssen Sie sich hier revidieren,
({3})
dann müssen Sie von einer solchen Politik abrücken. Wir werden jedenfalls in der Öffentlichkeit und unter den Mittelständlern Aufklärung über Ihre Absichten schaffen,
({4})
die Sie verfolgen. Sie wollen im Zuge Ihrer unsozialen und Kriegspolitik
({5})
eine ungeheuere Massenbelastung durchsetzen. Sie wollen neue Mittel aus den breiten Volksmassen für eine Kriegspolitik eintreiben im Interesse des deutschen und amerikanischen Imperialismus. Aus allen den Erwägungen heraus werden wir diesem Gesetz unsere Zustimmung nicht geben.
({6})
Das Wort hat der Abgeordordnete Jacobi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will weder von Schwänen und ihren Gesängen noch von Kriegslärm sprechen. Ich glaube, wir sollten uns bei diesem Gesetz nicht überfordern, bei einem Gesetz, das zwar wichtig ist, das aber keinen Anlaß dazu bietet, in lyrische Betrachtungen zu verfallen oder die Frage eines drohenden Krieges im Augenblick zu erörtern.
Ich will mich ganz kurz mit einer Bemerkung des Herrn Kollegen Huth beschäftigen. Sie betraf die angebliche Mitarbeit der SPD im Ausschuß. Er hat vergessen, sehr klar darauf hinzuweisen, daß man bei der Arbeit, die an diesem Gesetzentwurf im Ausschuß geleistet worden ist, zu unterscheiden hat zwischen der Arbeit der gemeinsamen Ausschüsse, die eingerichtet waren, vor allen Dingen der Arbeit des federführenden Ausschusses, des Ausschusses 18, und der eines Unterausschusses. In diesem Unterausschuß haben wir uns selbstverständlich - wie bei den übrigen Beratungen - einer sachlichen Beteiligung nicht entzogen. Ich nehme an, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß es nicht Ihre Absicht ist, der Opposition solche Mitarbeit zu verargen.
({0})
Daraus aber den Schluß zu ziehen, daß wir für das Gesetz, wie es jetzt vorliegt. mitverantwortlich wären, das ist doch eine recht kühne Folgerung, die der Herr Kollege Huth gezogen hat. Im Unterausschuß ist mitgearbeitet, aber nicht mit abgestimmt worden. Es wurde dort zum Ausdruck gebracht, daß die Arbeit unter dem Vorbehalt der Genehmigung und der Beschlußfassung des gesamten bzw. des federführenden Ausschusses geleistet worden sei, und selbstverständlich auch unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Fraktionen. Das ist eine Tatsache. Aus ihr Schlußfolgerungen der von Herrn Huth beliebten Art zu ziehen, ist absolut abwegig.
Ein zweiter Punkt. Er hat erklärt, die Massenkundgebungen - oder wie er sich ausdrückte - der Gewerberaummieter seien Gremien von wenigen Beteiligten gewesen. Ich habe nicht von Massenkundgebungen gesprochen. Das verwechseln Sie mit meinem Hinweis auf die Versammlung der Kolpingfamilie in der Westfalenhalle.
({1})
- Dann habe ich mich versprochen. Ich habe zum Ausdruck bringen wollen, daß es sich um Veranstaltungen gehandelt hat, die ein gewisses Gewicht besitzen. Soweit ich informiert bin, handelte es sich in Düsseldorf um eine Delegiertenkonferenz. Ob die Zahlen, die der Herr Kollege Huth nannte, stimmen oder nicht, weiß ich nicht. Das ist aber alles uninteressant. Interessant ist, daß dieses Gesetz unterschiedslos alle Geschäftsrauminhaber trifft, gleichgültig, ob sie Schuster, Schneider, Bäcker und Metzger oder ob sie Rechtsanwälte oder Ärzte sind. Also auch der Kreis der freien Berufe wird von diesem Gesetz erheblich berührt.
Was wir befürchten, ist eine unendliche Erschwerung der Lage manches Betroffenen; wir erwarten nicht das, was der Herr Kollege Lücke über diesen Gesetzentwurf hoffend zum Ausdruck gebracht hat. Wir können uns
({2})
- ich komme zum Schluß, Herr Präsident - nicht
des Eindrucks erwehren, daß Sie es sich nach wie
vor doch relativ leicht machen. Der Trost, den Herr
Kollege Ewers in der Tatsache findet, daß man nun
ein Gesetz habe, in dem die Dinge, soweit Geschäftsräume in Frage kommen, geregelt wären,
scheint uns ein recht billiger Trost zu sein, ein
schöner Trost vor allem für den exmittierten Gewerberaumbesitzer von gestern, der morgen auf
der Straße nur noch in einem Gesetz nachblättern muß, um festzustellen. ob seine neue Sachlage auch der Rechtsgrundlage entspricht, ein
Trost, der in der Praxis wenig hilft. Was aber die
Praxis uns bringen wird, wird nichts Gutes sein.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Wirths.
Meine Damen und Herren! Ich
hätte mir eigentlich ersparen können, noch einmal zu dem Gesetz Stellung zu nehmen, wenn nicht
({0})
Herr Kollege Jacobi - insbesondere in seinen ersten Ausführungen - eine Darstellung gegeben hätte, die zum mindesten schief ist. Dabei kann ich Herrn Kollegen Paul übergehen, der sich hier als Mittelstandsverteidiger aufgespielt hat. Vielleicht haben wir mit den Kollegen, die in dem Mittelstandsblock zusammenarbeiten, die Gelegenheit, demnächst einmal mit Herrn Paul - wenn er dieser Vereinigung beigetreten ist - sachlich zu diskutieren.
Zu dem, was der Herr Jacobi gesagt hat, folgendes. Es ist ihm bei seiner Darstellung - und das gilt auch für die ganzen Beratungen in den Ausschüssen - zuzugestehen, daß durch die Verordnungen vorn November tatsächlich eine unangenehme Situation entstanden ist. Das ist unumwunden zuzugeben. Ich möchte behaupten: wenn die Regierung das Gesetz uns damals etwa in der Form, in der es jetzt vorliegt, unterbreitet hätte, wäre es erstens viel früher in Kraft getreten, wäre diese unangenehme Zeitspanne vom Dezember bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes, also stark ein halbes Jahr, vermieden worden; zweitens wären dann die Fälle, von denen Herr Jacobi gesprochen hat, bestimmt nicht aufgetreten .
Wie ist aber die Lage wirklich gewesen? Nach der Darstellung von Herrn Jacobi muß man vermuten, daß überall Heulen und Zähneklappern gewesen ist, weil die armen Leute von heute auf morgen aus ihren Räumen heraus gemußt haben. Das ist nicht der Fall. Im Verhältnis zu der un- endlich großen Zahl von Gewerberaummietern ist die Zahl der Kündigungen gering gewesen, ebenso die von unberechtigten Forderungen von Vermietern. Ich habe bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs bereits darauf hingewiesen, daß nicht nur Einzelpersonen oder Gesellschaften gekündigt haben, um entweder eine höhere Miete zu erzielen oder die Geschäftsräume an sich zu bringen, sondern daß das im weiten Maße auch die Städte getan haben. Wenn man nun noch weiter bedenkt, daß in unseren Städten im Bereiche der Industrie- und Handelskammern bereits vor Monaten Schlichtungsausschüsse aus Kreisen der Vermieter und Mieter gebildet worden sind, dann darf man bestimmt annehmen, daß man sich in diesen Schlichtungsausschüssen geeinigt hätte; diese wären auch die rechten Stellen gewesen, um Härtefälle auszugleichen. Man hat die Arbeit in diesen Ausschüssen nicht zu aktivieren brauchen, weil ja seit Monaten bekannt ist, daß ein solches Gesetz bevorsteht.
Was haben wir nun gemacht? Wir haben den sachlichen Inhalt der Regierungsverordnungen vom November vorigen Jahres mit der Regierungsvorlage betreffend Kündigungen und Kündigungswiderruf verbunden und haben ein Gesetz gemacht, das nun wirklich einen Ausgleich der Interessen herbeiführt.
Herr Jacobi nimmt für seine Partei in Anspruch, daß sie keine Partei der Mieter oder der Vermieter sei. Dann kann ich für meine Partei, überhaupt für die Koalitionsparteien, dasselbe Recht in Anspruch nehmen. Wir sind keine Interessenvertretung, sondern haben für einen gerechten Ausgleich zu sorgen. Wir sind der Überzeugung, daß dieser Gesetzentwurf den Ausgleich herbeiführt. Die Befürchtungen des Herrn Jacobi sind grundlos; das wird die Zukunft erweisen.
({1})
Meine Damen und Herren,
weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Besprechung der dritten Beratung.
Zur Einzelberatung rufe ich die Paragraphen auf, zu denen Änderungsanträge vorliegen. Sie haben Änderungsanträge der Fraktionen der CDU/ CSU, FDP, DP/DPB in Umdruck Nr. 571 und der Fraktion der Föderalistischen Union in Umdruck Nr. 568.
Zur Begründung des Antrags Umdruck Nr. 571 Ziffer 1 zu § 5 der Abgeordnete Dr. Brönner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Auftrage der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP/DPB darf ich den Änderungsantrag Umdruek Nr. 571 kurz vortragen. Es handelt sich um vier Ziffern. In den Ziffern 1, 2 und 3 dreht es sich nur um redaktionelle Änderungen, und zwar um folgende:
1. § 5 wird wie folgt geändert:
a) In Absatz 3 Satz 2 Halbsatz 2 werden die Worte „das Miet- oder Pachtverhältnis" ersetzt durch die Worte „das Mietverhältnis"
b) Der folgende Absatz 5 wird angefügt: „({0}) Die Absätze 3 und 4 gelten für Pachtverhältnisse entsprechend."
2. In § 11 Absatz 1 werden nach dem Wort „kann" die Worte „bei einem vor dem 1. Dezember 1951 begründeten Mietverhältnis" eingefügt.
3. In § 12 Absatz 1 werden nach den Worten „bei Mietverhältnissen, die" die Worte „vor dem 1. Dezember 1951 begründet sind und" eingefügt.
In der Ziffer 4 handelt es sich darum, daß ein Satz eingefügt wird, um Zweifel auszuschalten, Mißverständnisse zu vermeiden und die berechtigten Belange nach beiden Seiten noch besser zu wahren:
4. § 28 erhält folgenden Satz 2:
„Hat der Mieter oder Pächter auf Grund einer solchen Vereinbarung eine höhere als die bisherige Miete oder Pacht entrichtet und tritt er von der Vereinbarung zurück, so kann er den Unterschiedsbetrag nur insoweit zurückfordern, als die vereinbarte höhere Miete oder Pacht, die sich aus § 9 Abs. 2, 3 ergebende Miete oder Pacht übersteigt."
Ich bitte im Namen der Koalitionsfraktionen, diesen Antrag anzunehmen.
Wünscht noch jemand das Wort dazu? - Darf ich zur Vereinfachung des Verfahrens, nachdem der Kollege Brönner mir den Aufruf der §§ 11, 12 und 28 abgenommen hat,
({0})
auch die Fraktion der Föderalistischen Union bitten, ihren Änderungsantrag Umdruck Nr. 568 zu begründen. - Herr Abgeordneter Dr. Etzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach § 28 soll jeder Vertragsteil von Vereinbarungen, durch die ein vor dem 1. Dezember 1951 begründetes Miet- oder Pachtverhältnis in der Zeit vom 1. Dezember 1951 bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes geändert worden ist, innerhalb einer Frist von drei Monaten seit diesem Inkrafttreten zurücktreten können. Der dieser
({0})
Vorschrift zugrunde liegende Gedanke erscheint gerechtfertigt. Nach dem Inkrafttreten der Verordnungen vom 27. und 29. November 1951, also nach dem 30. November 1951, sind im Hinblick auf diese Verordnungen Kündigungen von Miet- und Pachtverhältnissen und Neuregelungen derselben erfolgt. Hierbei konnte die durch das vorliegende Gesetz beabsichtigte Regelung natürlich nicht berücksichtigt werden. Es erscheint wohl nicht unbillig, beiden Vertragspartnern die Möglichkeit zu geben, für die Zukunft eine Änderung nach den Grundsätzen des neuen Gesetzes zu verlangen. Die Gewährung eines Rücktrittsrechts, dessen Ausübung die in der Zwischenzeit getroffenen Vereinbarungen mit rückwirkender Kraft vernichtet, ist weitgehend. Wir möchten aber, um die Verabschiedung des Gesetzes nicht zu verzögern, von der Einbringung eines darauf bezüglichen Änderungsantrages absehen. Dagegen hält es die Föderalistische Union im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit für zweckmäßig, die dreimonatige Frist auf eine einmonatige abzukürzen.
Wir bitten das Hohe Haus, unserem auf Umdruck Nr. 568 eingebrachten Antrag zustimmen zu wollen.
Meine Damen und Herren, wünscht jemand das Wort dazu? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Einzelbesprechung zu den aufgerufenen §§ 5, 11, 12 und 28.
Ich komme zunächst zur Abstimmung über die Anträge unter Ziffer 1 auf Umdruck Nr. 571 zu § 5. Ich bitte die Damen und Herren, die diesen Änderungsanträgen zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Die Änderungsanträge sind angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über § 5 in der geänderten Fassung. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Ersteres war die Mehrheit. § 5 ist angenommen.
Ich darf wohl über die Änderungsanträge unter Ziffern 2 und 3 auf Umdruck Nr. 571 zu. den §§ 11 und 12 gemeinsam abstimmen lassen. Ich bitte die Damen und Herren, die den beiden Änderungsanträgen zu § 11 und § 12 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Die Änderungsanträge sind angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die den §§ 11 und 12 in der geänderten Form zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe, bitte! - Das erste war die Mehrheit. Die §§ 11 und 12 sind angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungantrag Umdruck Nr. 568, den Herr Abgeordneter Dr. Etzel begründet hat. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Änderungsantrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Der Änderungsantrag ist angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Änderungsantrag Umdruck Nr. 571 Ziffer 4 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Der Änderungsantrag zu § 28 ist angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem § 28 in der Änderungsfassung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. § 28 ist angenommen.
Meine Damen und Herren, ich komme zur Schlußabstimmung über das Gesetz zur Regelung der Miet- und Pachtverhältnisse für Geschäftsräume und gewerblich genutzte unbebaute Grundstücke - Geschäftsraummietengesetz -. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz in seiner Gesamtheit zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. Enthaltungen, bitte! - Das Gesetz ist bei einer Enthaltung, wenn ich recht sehe, mit Mehrheit angenommen worden.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die 218. Sitzung auf Mittwoch, den 11. Juni, 9 Uhr, und schließe die 217. Sitzung.