Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 198. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Auch zu Beginn dieser Sitzung haben wir die schmerzliche Pflicht, diesmal des Heimganges zweier Kollegen zu gedenken.
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Am 2. März verschied im Alter von 61 Jahren das Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion dieses Hauses Herr Abgeordneter Bernhard Lohmüller in Bremerhaven nach langer schwerer Krankheit. Herr Lohmüller ist am 25. Oktober 1891 in Donnerschwee in Oldenburg geboren. Als junger Metallarbeiter ist er von 1910 an aktiv in der Gewerkschaftsbewegung tätig gewesen. 1933 verlor er aus politischen Gründen seine Beschäftigung und übernahm 1945 die Neuorganisation der Sozialdemokratischen Partei in Bremerhaven und wurde auch Vorsitzender des örtlichen Metallarbeiterverbandes, des Ortsausschusses des Deutschen Gewerkschaftsbundes sowie Betriebsratsvorsitzender bei der Nordsee-Fischerei A. G. Er wurde 1946 Ratsherr in Bremerhaven und Mitglied der Bremischen Bürgerschaft. Seine besondere Liebe und Arbeit hat dort dem Siedlungswesen gegolten, das er als ehrenamtlicher Leiter des Dezernats für Grundstücks- und Siedlungswesen in Bremerhaven und als 2. Vorsitzender des Niedersächsischen Siedlerbundes förderte. Er ist als Kandidat im Wahlkreis 3 Bremerhaven-Bremen/Nord direkt in den Deutschen Bundestag gewählt worden und hat hier als ordentliches Mitglied dem Ausschuß für Petitionen, als stellvertretendes Mitglied dem Ausschuß für Außenhandelsfragen, dem Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen
({1})
und dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft
und Forsten angehört. Er hinterläßt eine Frau und
eine Tochter. Sein einziger Sohn ist 1942 gefallen.
Ich spreche namens des Deutschen Bundestages seinen Angehörigen und seiner Fraktion unsere herzliche Anteilnahme aus in dankbarem Gedenken an die Arbeit, die Herr Kollege Lohmüller in unserem Kreise geleistet hat.
Weiterhin ist das Mitglied der Fraktion der Freien Demokratischen Partei dieses Hauses Herr Bundesminister für Wohnungsbau Eberhard Wildermuth am 9. März im Alter von 61 Jahren in einer Tübinger Klinik überraschend einem Herzschlag erlegen. Der Minister war am Nachmittag des gleichen Tages in die Klinik eingeliefert worden. Man führt seinen plötzlichen Tod auf die Überarbeitung während des Wahlkampfes zurück.
Herr Eberhard Wildermuth ist am 23. Oktober 1890 in Stuttgart als Sohn eines Sanitätsrats geboren. Nach dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Tübingen, Leipzig und Berlin nahm er am ersten Weltkrieg teil und trat dann als Assessor in den Stuttgarter Kommunal- und später in den Staatsdienst ein. Hier bearbeitete er Fragen der Wirtschaftsförderung. Dann wurde er in die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung in Berlin berufen. Ein Jahr später übernahm er das Referat Wohnungs- und Siedlungswesen im Reichsarbeitsministerium und trat in die Deutsche Bau- und Bodenbank ein. Die Gründung und der Aufbau der Deutschen Gesellschaft für Öffentliche Arbeiten waren 1930 wesentlich auf seine Initiative zurückzuführen. Er nahm am zweiten Weltkrieg wie am ersten als tapferer und untadeliger Soldat, zuletzt als Oberst und Regimentskommandeur, teil und wurde mit hohen Orden ausgezeichnet. 1946 übernahm er das Staatssekretariat für Wirtschaft, das spätere Wirtschaftsministerium in Tübingen. Mit seiner Berufung zum Bundesminister für Wohnungsbau am 20. September 1949 trat er von diesem Posten zurück. Herr Wildermuth wurde über die Landesergänzungsliste des Landes Württemberg-Hohenzollern 1949 in den Deutschen Bundestag gewählt.
Meine Damen und Herren, in der Geschichte des Wiederaufbaus Deutschlands nach dem Zusammenbruch wird der Name des Ministers Wildermuth auf Grund seiner Persönlichkeit und seiner Leistung auf dem besonders schweren und dringenden Gebiet des Wohnungsbaus, insbesondere des Sozialen Wohnungsbaus, immer einen hervorragenden Platz einnehmen. Ich spreche namens des Hauses seiner Fraktion und seinen Angehörigen unsere herzliche Anteilnahme aus.
Sie haben sich zu Ehren unserer beiden Kollegen von den Plätzen erhoben; ich danke Ihnen.
Für einen ausgeschiedenen Abgeordneten ist Frau Elfriede Jaeger in den Deutschen Bundestag eingetreten. Ich heiße sie herzlich willkommen und wünsche ihr eine erfolgreiche Arbeit.
Ich bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Gockeln, Tichi, Wallner, Dr. Menzel, Loritz, Weinhold, Frau Rösch, Wittenburg, Lemmer, Mühlenberg, Dr. Kneipp, Freiherr von Aretin, Dr. Bleiß, Dr. Besold, Dr. Nölting, Kalbfell, Reitzner, Frau Dr. Maxsein, Hilbert, Dr. von Brentano, Morgenthaler, Bauknecht, Wagner, Dr.
Hoffmann ({0}), Freiherr von Fürstenberg, Dr. Veit, Schmidt ({1}), Schuler, Kiesinger, Frau Thiele, Fisch, Reimann, Rische, Vesper, Harig.
Meine Damen und Herren, ich darf unterstellen, daß Sie die Urlaubsgesuche., soweit der Urlaub über eine Woche hinausgeht, genehmigt haben. - Das ist der Fall.
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- Meine Damen und Herren, ich bitte Sie freundlichst, die Urlaubsgesuche, die Sie eben bereits genehmigt haben, jetzt zur Kenntnis zu nehmen.
Lange ({1}), Schriftführer: Es suchen für län-gene Zeit um Urlaub nach: für zwei Wochen die Abgeordneten Mayer ({2}) wegen Krankheit und Neuburger wegen dienstlicher Inanspruchnahme; für drei Wochen die Abgeordneten Dr. Wahl und Dr. Miessner wegen Krankheit; für vier Wochen die Abgeordneten Dr. Freiherr von Rechenberg, Henßler, Frau Hütten und Sander wegen Krankheit.
Darf ich Herrn Abgeordneten Dr. Wahl fragen, ob er krank oder hier ist?
({0})
- Nein, da sitzt er!
({1})
- Meine Damen und Herren, Prophetie gehört sonst nicht zu den Aufgaben der Abgeordneten; aber es ist hier gelegentlich anders.
({2})
Ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß heute um 18 Uhr die Mitgliederversammlung der deutschen parlamentarischen Sektion der europäischen Bewegung im Bundesratssaal stattfindet, und darf Sie um Ihre freundliche Unterstützung dabei bitten, daß die Tagesordnung nach Möglichkeit bis zu diesem Zeitpunkt abgewickelt werden kann.
Zur Tagesordnung der für diese Woche vorgesehenen Sitzungen darf ich darauf hinweisen, daß nach einer Vereinbarung unter den Parteien wegen der Trauerfeierlichkeiten für Herrn Bundesminister für Wohnungsbau die 199. Sitzung nicht morgen stattfindet, sondern daß sie am Mittwoch, dem 19. März 1951, um 13 Uhr 30 mit der für morgen vorgesehenen Tagesordnung abgehalten wird. Darum wird die Fragestunde, die für den 19. März vorgesehen war, auf die Sitzung am 20. März 1952, 13 Uhr 30, verlegt.
Zur heutigen Tagesordnung darf ich darauf hinweisen, daß nach einer interfraktionellen Vereinbarung bei Punkt 2 a und b so verfahren wird, daß nach der Begründung der Großen Anfrage und ihrer Beantwortung die Besprechung nicht begonnen werden soll, sondern zusammen mit der ersten Beratung des Gesetzes über Zollbegünstigungen und der jetzt dem Bundesrat vorliegenden Zollvorlage gemeinsam erledigt werden soll. Ich darf annehmen, daß das Haus mit dieser Regelung einverstanden ist. - Das ist der Fall.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden wie üblich ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Deutsche Bundesrat hat in seiner Sitzung am 29. Februar 1952 beschlossen, den nachfolgenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen:
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Gesetz zur Abwicklung der landwirtschaftlichen Entschuldung,
Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin ({4}),
Gesetz über die Behandlung von Zuwendungen an betriebliche Pensionskassen und Unterstützungskassen bei den Steuern vom Einkommen und Ertrag,
Gesetz über das Deutsche Arzneibuch,
Gesetz über die Beschränkung der Freizügigkeit für den Raum der Insel Helgoland während der Zeit des Wiederaufbaues,
Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für die im Ausland lebenden Angehörigen des öffentlichen Dienstes,
Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges ({5}),
Gesetz über die Errichtung einer Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung,
Gesetz über die Aufhebung von Vorschriften
auf dem Gebiete des Arbeitsschutzes,
Gesetz über einen Währungsausgleich für Sparguthaben Vertriebener.
Zu dem
Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über die Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen
und dem
Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde hat er die Einberufung des Vermittlungsausschusses gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes verlangt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 27. Februar 1952 die Kleine Anfrage Nr. 228 der Fraktion der CDU/CSU betreffend Besatzungsgeschädigte - Drucksache Nr. 2807 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3173 vervielfältigt.
Er hat weiter am 4. März 1952 die Kleine Anfrage Nr. 236 der Fraktion der SPD betreffend Funktion der American Expreß Company im Bundesgebiet - Drucksache Nr. 2899 - beantwortet. Die Antwort trägt die Drucksachennummer 3175.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat am 26. Februar 1952 die Kleine Anfrage Nr. 242 der Fraktion der SPD betreffend Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz - Drucksache Nr. 3094 - und die Kleine Anfrage Nr. 243 der Fraktion der SPD betreffend Altersversorgung für das deutsche Handwerk - Drucksache Nr. 3095 - beantwortet. Seine Schreiben werden als Drucksache Nr. 3164 und 3165 vervielfältigt.
Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amtes hat am 27. Februar 1952 die Kleine Anfrage Nr. 244 der Fraktion der Föderalistischen Union betreffend Schutz deutscher Interessen im Ausland - Drucksache Nr. 3103 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3174 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat am 7. März 1952 die Kleine Anfrage Nr. 247 der Fraktion der Föderalistischen Union betreffend Neuregelung des Reichsleistungsgesetzes Drucksache Nr. 3146 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3178 vervielfältigt.
Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts hat am 5. März 1952 auf Grund des Beschlusses des Deutschen Bundestages in seiner 175. Sitzung über die Rückgabe von Kunstgegenständen berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3177 verteilt.
Er hat ferner am 1. März 1952 auf den Beschluß des Deutschen Bundestages in seiner 185. Sitzung betreffend Vorlage eines Berichtes über die Ausführung des Haushaltsplanes des Auswärtigen Amtes für 1950 Bericht erstattet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3184 verteilt. Dann rufe ich auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Beratung der Übersicht Nr. 50 über Anträge
von Ausschüssen des Deutschen Bundestages
über Petitionen ({6}).
Ich darf darauf hinweisen, daß wir, um die Bedeutung der Petitionen auch vor der deutschen Öffentlichkeit klarzustellen, diesen Punkt einmal an den Anfang der Tagesordnung genommen haben und daß wir vorhaben und der Petitionsausschuß in Aussicht genommen hat, in der nächsten Woche zu Beginn der Donnerstag-Sitzung eine Darstelllung der Arbeit des Petitionsausschusses und eine Begründung des dann zu stellenden Antrags dieses Ausschusses zu geben.
Ich bitte die Damen und Herren, die den Anträgen des Petitionsausschusses, die Sie in der Übersicht Nr. 50, Umdruck Nr. 460, finden, zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Soweit ich sehe, ist dieser Antrag einstimmig angenommen.
Damit können wir zu Punkt 2 der Tagesordnung übergehen:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Horlacher, Dannemann, Eichner, Tobaben und Genossen betreffend Gleichgewicht im Zollsystem ({7}).
Zur Begründung hat Herr Abgeordneter Dr. Horlacher das Wort. Bitte, Herr Abgeordneter!
Dr. Horlacher ({8}), Anfragender: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was ich heute an einigen grundsätzlichen Bemerkungen ausführe, ist der Auftakt zu Debatten, die uns wahrscheinlich im Bundestag noch öfter beschäftigen werden. Ich erinnere mich da an die Zeiten - ich habe ja schon manches im parlamentarischen Leben mitgemacht -, in denen ich unter verschiedenen Koalitionen und Regierungen immer das Vergnügen hatte, besonders die zoll- und handelspolitischen Fragen vertreten zu müssen. Es sieht meistens nur so aus, daß manches oft besser geht, als man es annimmt, je nachdem die Regierungskoalition zusammengesetzt ist. Das ist die jeweilige Frage, und deswegen ist die Zollfrage auch keine grundsätzliche Frage einer jeweiligen Regierung, sondern sie ist eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung für die Gestaltung des wirtschaftlichen Lebens, und davon muß man ausgehen.
Deswegen habe ich auch zusammen mit einer Reihe von Freunden die Große Anfrage gestellt. Wir sind jetzt in der internationalen Zollpolitik in ein vollständig neues Fahrwasser hineingeraten. Was früher einmal war, ist nicht mehr. Bis zum zweiten Weltkrieg waren die Zolltarife zwischen den Handelsverträge abschließenden Ländern grundsätzlich zweiseitig ausgehandelt worden, also
({9})
sogenannte bilaterale Handelsverträge. Auf Grund der Charta von Havanna war von der Mehrzahl der am Welthandel beteiligten Staaten ein internationales Abkommen über Zölle und Handel geschlossen worden. Deswegen heißt man auch die Staaten, die hier beteiligt gewesen sind, entsprechend der ausländischen Übersetzung die sogenannten GATT-Staaten. Das sind die Vertragsstaaten, die die internationalen Abkommen von Torquay vorbereitet haben. Auf diesen GATT-Konferenzen wurden die Zolltarife nun nicht mehr nur bilateral, d. h. zweiseitig, ausgehandelt, sondern dann wurden die Zolltarife auch zu Bestandteilen multilateraler, d. h. mehrseitiger Verträge gemacht. Nach dem Recht der Meistbegünstigung kommt dazu der Abschluß dieser Verträge allen Staaten, die hier an dem Zollsystem beteiligt sind, zugute, nicht nur die Zollabreden, sondern darüber hinaus auch sonstige Vergünstigungen. Mit anderen Worten: wir sind von den zweiseitigen Handelsverträgen zu einem mehrseitigen System, zu einem großen einheitlichen Vertragswerk all der Staaten, die hier an den Verhältnissen beteiligt sind, übergegangen.
Nach dem Kriege gab es. zunächst zwei derartige Zolltarifkonferenzen, die eine in Genf, also in der Schweiz, die andere in Annecy, in Frankreich, die ohne Teilnahme Deutschlands stattfanden. Bei der dritten derartigen Konferenz in Torquay, in England, waren Deutsche eingeladen und als Beteiligte eingeschaltet. Die Bundesrepublik hat damals einen Zolltarifentwurf vorgelegt. Dieser Zolltarifentwurf war zunächst mehr von der Regierungsseite vorbereitet, und unsere Unterhändler, Sachverständigen und Generalsachverständigen hatten damals einen sehr schweren Stand, weil der Zolltarifentwurf vom Bundestag noch nicht genehmigt war. Das wurde erst Ende des Jahres 1951 nachgeholt.
Wir müssen daher zwischen den autonomen Tarifen der einzelnen Staaten und dem Verhandlungstarif, der letztlich erst herausgekommen ist, unterscheiden. Wir müssen weiter zwischen den verschiedenen Zollhöhen der einzelnen Länder unterscheiden. Hier gibt es die niedertarifarischen Länder wie die Benelux-Staaten und die hochtarifarischen Länder wie Frankreich und Italien. Dazu gehört auch infolge seiner gesteuerten Einfuhrpolitik Großbritannien. Und so zwischendurch kommt das deutsche Zollsystem mit einer mäßigen mittleren Linie auf zollpolitischem Gebiet. So ist die Lage. Das muß man auch im Auge behalten, um hier die Verhältnisse gerecht gegeneinander abwägen zu können.
({10})
Meine Damen und Herren, anstatt sich hier so angelegentlich zu unterhalten, während grundsätzliche Fragen erörtert werden, sollten Sie einmal das Vertragssystem von Torquay studieren,
({11})
denn das gehört zum internationalen Rüstzeug. Das muß man studiert haben, und das ist des Studiums wert. Es ist allerdings ein sehr mühsames Studium, denn hier ist ein Juristendeutsch wie nur selten vereinigt. Um das, was in dem Vertragswerk niedergelegt ist, genügend erläutern zu können, reichen die Sachverständigen des Bundestags, unsere Juristen allein gar nicht aus.
({12})
- Ja, sie reichen nicht aus, ich gebe das zu!
Es kommt aber noch folgendes in Betracht, was in der Präambel angeführt ist. Ich führe die einzelnen Staaten, die angeschlossen sind, gar nicht an. Das würde zu weit führen. Es sind meist europäische Staaten, aber auch überseeische Staaten wie Neuseeland, Pakistan, Südrnodesien, Syrien, die Südafrikanische Union, und auch die Vereinigten Staaten sind dabei. Die haben hier dieses GATT-System miteinander vereinbart in der Erkenntnis - jetzt kommt die Präambel -, was für uns sehr wichtig ist, daß ihre Beziehungen auf dem Gebiete des Handels und der Wirtschaft auf eine Erhöhung des Lebensstandards, auf die Verwirklichung der Vollbeschäftigung und ein hohes und ständig zunehmendes Volumen des Realeinkommens und eine wirkliche Nachfrage, auf die volle Verwertung der Hilfsquellen der Welt und eine Steigerung der Produktion und des Warenaustausches gerichtet sein sollen. Damit ist der Wunsch verbunden, zur Verwirklichung dieser Zielsetzungen durch den Abschluß von Abkommen beizutragen, die auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und der gegenseitigen Vorteile auf eine wesentliche Herabsetzung der Zolltarife und anderer Handelsschranken und auf eine Beseitigung der Diskriminierungen auf dem Gebiete des internationalen Handels abzielen. Daraus sehen Sie das große Ziel dieses Abkommens
von Torquay, und daraus sehen Sie, daß dieses
Ziel eigentlich ein großer Handelsvertrag ist, der hier alle Staaten, die in der Welt im- und exportieren, zusammenfaßt und zu gemeinsamem Handeln zusammenführt.
In dem System ist man dabei folgendermaßen vorgegangen. Das, was ich hier vortrage, ist auch die Auffassung der Generalsachverständigen, die damals mitgearbeitet haben; ich habe mich darüber ausdrücklich vergewissert. Die Verhältnisse sind so gewesen, daß jeder Staat immer die einzelnen Zollpositionen' genannt hat, auf die es ihm in den Verhandlungen ankam. Da wurde gewissermaßen durch zweiseitige Verhandlungen mit den jeweiligen Staaten die Zollhöhe festgesetzt, und letzten Endes kam dann auf diese Weise das ganze Vertragswerk zustande, so daß dem Vertragswerk von Torquay große Anlagen angefügt sind, darunter auch eine Liste der deutschen Zollzugeständnisse und eine Liste der ausländischen Zollzugeständnisse. Sie ersehen daraus: ein wirkliches Handelsvertragswerk, das von den anderen autonomen Zöllen der jeweiligen Länder abweicht und zu ausgehandelten Vertragszöllen gekommen ist. Deswegen darf man das Ganze jetzt nicht mehr auseinanderreißen.
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Man muß sich auch vor Augen halten, daß das Vertragswerk eine Reihe von Bestimmungen enthält, aus denen hervorgeht, daß man nicht ohne weiteres an dem Vertragswerk etwas ändern soll. Es enthält auch die Ausnahmebestimmungen, die Katastrophenklausel, die Währungsklausel und die wirtschaftliche Veränderungsklausel der einzelnen Länder, so daß hier durch autonomes Recht der einzelnen Länder zeitweilig von den Vereinbarungen abgesehen werden kann. Die Fragen sind alle im Vertragswerk geregelt, so daß darüber hinaus eigentlich nur durch die jeweilige Gesetzgebung der einzelnen Staaten zeitweilig eine Änderung der Verhältnisse eintreten kann.
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Meine Damen und Herren, darf ich Sie um etwas mehr Ruhe bitten, damit wir nicht zu schlecht bei dem Vergleich mit den Parlamenten abschneiden, denen Herr Kollege Horlacher früher angehört hat.
Dr. Horlacher ({0}), Anfragender: Ja, das ist auch gut so! Herr Präsident, ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie darauf hinweisen, aber es ist eine Materie - das gebe ich zu -, die nicht jeden interessiert.
({1}) Sie ist aber sehr wichtig. Es ist gewissermaßen ein großer Handelsvertrag, von dem man nicht ohne weiteres abweichen soll. Er ist mit gewissen Sicherungen, mit gewissen Ausnahmen umgeben; es ist ein sehr kompliziertes Vertragswerk. Ausdrücklich heißt es hier, daß die eigentlichen Zölle zwischen den beteiligten Staaten ausgehandelt sind, so daß nach Überzeugung der dort beteiligten Sachverständigen die weitere Aushandlung von Zollsätzen über das Abkommen von Torquay hinaus eigentlich nicht mehr Gegenstand von zweiseitigen Handelsverträgen sein sollte.
Insofern ist auch der Handelsvertrag mit der Schweiz nicht ohne Bedenken; denn er ist deswegen notwendig gewesen, weil die Schweiz dem GATT-System nicht angehört. Aber die Schweiz gehört dem Meistbegünstigungssystem an, so daß das, was mit der Schweiz vereinbart wird, auf alle Staaten des GATT im Wege der Meistbegünstigung gleichmäßig zurückwirkt. Das sind die Verhältnisse, die da eine Rolle spielen. Deswegen kann die deutsche Regierung nach meiner Überzeugung nicht ohne weiteres zu weiteren Zollzugeständnissen schreiten; denn die Zollzugeständnisse sind eigentlich in Torquay ausgehandelt worden.
Die Sache ist um so gefährlicher innerhalb unseres ganzen Zollsystems, weil dieses Vertragswerk von Torquay zunächst auf drei Jahre befristet und eine neue Konferenz in Toronto beabsichtigt ist. Wenn hier bereits die Verhandlungsreserven durch neue zweiseitige Verträge ausgeschöpft sind, dann kann es sein, daß wir in einer ganz schlechten deutschen Position erscheinen.
Im übrigen ist das keine Frage allein der deutschen Landwirtschaft, sondern das ist eine Frage auch der Industrie und des Gewerbes. Das deutsche Zollsystem ist darauf aufgebaut, die Rohstoffeinfuhren von Zöllen möglichst befreit zu halten und die Veredelungsproduktion sowohl in der Landwirtschaft wie in der Industrie einem besonderen Schutz zu unterwerfen, so daß in dem Verhandlungssystem von Torquay ein gemeinsamer Ausgleich zwischen Industrie und Landwirtschaft herbeigeführt worden ist. Es ist deswegen so schwer, an dem System neue Einbrüche vorzunehmen, weil das Gleichgewicht, das ehemals vereinbart war, gestört wird.
Auch soll man nicht mit dem Einwand kommen, die Verhältnisse seien so, daß unsere Exportindustrie einer weiteren Förderung bedarf. Die Sachverständigen sind sich schon darüber einig, daß das ein Ziel ist, das gewiß erstrebt werden muß. Aber die neuen wirtschaftlichen Entwicklungen bei den außenpolitischen Spannungen ergeben doch, daß wir in Deutschland jetzt für die Weiterförderung unseres industriellen und wirtschaftlichen Lebens einen weiten Spielraum haben durch die Steigerung der Verbrauchsgütererzeugung. Während andere Länder in der Verbrauchsgütererzeugung eingeschränkt sind, müssen wir den Ausfall in der Verbrauchsgütererzeugung anderer Länder ersetzen. Dadurch kommen wir selber in verstärktem Maße in das Exportgeschäft hinein.
All diese Gesichtspunkte müssen beachtet werden. Unter keinen Umständen darf das Gleichgewicht zwischen Industrie und Landwirtschaft
gestört werden. Glauben Sie mir, ich war bisher glücklich darüber, daß wir eine gewisse Sicherung unserer Landwirtschaft, eine gewisse Beruhigung und Stabilisierung der landwirtschaftlichen Verhältnisse erreicht haben. Auch für die Verbraucherschaft ist es von unerhörter Bedeutung, daß wir in der Produktionssteigerung der Landwirtschaft keinen Stillstand, daß wir keinen psychologischen Einbruch bekommen, sondern hier fortschreiten; denn das Brot, das wir selber erzeugen, die Nahrungsprodukte, die wir selber schaffen, sind viel sicherer als die ständige Abhängigkeit von der Einfuhr des Auslandes.
({2})
Wir müssen außerordentlich vorsichtig sein, daß der Wille unseres Bauernvolkes, auf dem einmal erreichten Wege fortzuschreiten, keine Unterbrechung erfährt.
Nach der Richtung hin ist es sehr interessant, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland - ich spreche das einmal aus, und das soll sich auch die Bevölkerung in der Gesamtheit merken - seit 1945 ungeheure wirtschaftliche Fortschritte gemacht haben, Fortschritte, wie man sie sich 1945 gar nicht anzunehmen getraut hätte.
({3})
Wir sind sowohl auf landwirtschaftlichem wie auf industriellem Gebiet vorwärtsgekommen. Wir haben eine Steigerung des Fleischkonsums von 18 kg pro Jahr auf 36 kg; diese sind bereits überschritten. Wir haben eine Steigerung des Trinkmilchverbrauchs, der noch erhöht werden muß. Der Zuckerverbrauch stieg von 19 kg auf 27 kg,
({4})
der Butterverzehr von 4,5 auf 6,3 kg, der Verbrauch von Pflanzenfett von 3,5 auf 10 kg. Bezüglich des Lebensstandards unserer gesamten Bevölkerung ist zwischen den Jahren 1947/48 und 1951/52 ein himmelweiter Unterschied.
({5})
Deswegen ist es unsere Aufgabe, hier keine Unterbrechung eintreten zu lassen. Man darf auch nicht bloß von vorübergehenden Verhältnissen ausgehen. Wenn infolge der Marktlage einmal eine Steigerung der Schweinepreise eintritt, dann wird man sofort nervös. Wenn man die Dinge nach zwei Monaten vor sich sieht, dann sind die Fleischpreise plötzlich wieder abgeebbt, und heute sind wir bei Schweinen wieder bei 1,20 DM je Pfund Lebendgewicht angelangt. Man sieht, daß man auch auf diesem Gebiet etwas Geduld haben muß und nicht durch Zugeständnisse an das Ausland die Sicherheit der inländischen Erzeugungs- und Verbrauchssteigerung in Gefahr bringen darf. Stabile Verhältnisse spielen im Wirtschaftsleben eine Rolle, und der Stabilität der Verhältnisse muß gerade auf dem landwirtschaftlichen und auch auf dem gewerblichen und industriellen Sektor Rechnung getragen werden. Wir wollen durchaus ein gutes Kameradschaftsverhältnis zwischen Industrie und Landwirtschaft erhalten. Was dem einen recht ist, muß dem andern billig sein. Wenn hier im großen Handelsvertrag die Interessen ausgeglichen sind, dann dürfen diese nicht durch die Sonderwünsche einzelner Staaten neuerdings wieder durcheinandergebracht werden.
Zum Schluß sage ich Ihnen etwas, was gerade angesichts der Verhältnisse im Osten besonders wichtig ist; ich spreche das im Deutschen. Bundestag aus: Unser ganzes Volk möge sich einmal von
({6})
den psychologischen Nachwirkungen der Zwangswirtschaft entfernen und einen Grundsatz anerkennen, der für das Leben Europas von entscheidender Bedeutung ist, nämlich den, daß ein gesundes, lebensfähiges Bauerntum eine der Hauptgrundlagen unserer ganzen Wirtschaft bildet,
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auch unseres kulturellen Lebens. Wir müssen also sagen: Wenn wir gewisse Forderungen aufstellen, dann tun wir das im Interesse des ganzen Volkes, damit wir unsere Wirtschaft gesund erhalten, damit wir unseren Grund und Boden zur höchsten Ertragsfähigkeit bringen und damit wir den Lebensstandard unserer Bevölkerung möglichst aus eigener Kraft aufrechterhalten. Das ist das Ziel, und diesem Ziele muß die Regierung dienen und dafür sorgen, daß keine Störung der Verhältnisse auf diesem Gebiet eintritt; denn das wäre eine Schädigung sowohl derer, die in der Wirtschaft stehen, wie derer, die die Wirtschaftsgüter zu verzehren haben. Deswegen bitte ich Sie, diesen Dingen Ihre besondere Aufmerksamkeit zu schenken, damit wir uns in ganz Europa eine gesunde Wirtschaft und ein lebensfähiges Bauerntum erhalten können.
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Meine Damen und Herren, zur Beantwortung der Großen Anfrage hat das Wort der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und zerren! Im Einvernehmen mit den Herren Bundesministern für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und der Finanzen erteile ich folgende Antwort.
Es heißt in der Großen Anfrage:
Durch das in Torquay geschaffene und vom Bundestag verabschiedete Vertragswerk sind die Zollgrundlagen bei den Vertragspartnern festgelegt worden. Dieses Vertragswerk ist durch das Aushandeln von Zollbegünstigungen zwischen den interessierten einzelnen Ländern zustande gekommen.
Durch das in Torquay in Zollverhandlungen der Bundesrepublik mit 21 Ländern im Rahmen des GATT geschaffene Vertragswerk wurde erstmalig auf Grund des neuen deutschen Zolltarifs ein multilateraler Zollvertrag abgeschlossen. Der Vertrag enthält zwar eine große Anzahl von Bindungen von Zollsätzen in dem Sinne, daß eine Erhöhung dieser Zollsätze vertragswidrig wäre; er enthält aber keine Verpflichtung, Zollsenkungen zu unterlassen. Da es nach der Präambel des GATT das Ziel dieses Abkommens ist, die Zolltarife der Vertragsstaaten im Wege gegenseitiger Zugeständnisse wesentlich zu senken, wird von den GATT-Vertragsstaaten zur Erreichung dieses Zieles eine weitere Senkung der Zollschranken ins Auge gefaßt. Diesem Zwecke sollen im Rahmen des GATT vor allem die zur Zeit in einem Ausschuß der GATT-Staaten in Prüfung befindlichen Pläne einer kollektiven Zollsenkungs- und Zollnivellierungsaktion, insbesondere der Pflimlin-Plan und der Benelux-Vorschlag, dienen. Ferner ist vorgesehen, daß multilaterale Zollverhandlungen stattfinden können a) zwischen GATT-Vertragsstaaten untereinander zur Erweiterung der bisherigen Zugeständnisse und b) zwischen GATT-Vertragsstaaten einerseits und Nicht-GATT-Vertragsstaaten andererseits mit dem Ziele der Aufnahme dieser letzteren Staaten in das GATT.
Das GATT-Vertragswerk stellt demnach keinen Abschluß, sondern einen Ausgangspunkt für die weitere Zollpolitik aller beteiligten Länder dar.
Es heißt in der Großen Anfrage weiter:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß nur bei außerordentlich schwierigen Verhältnissen durch eigene Gesetzgebung der Länder zeitlich begrenzte Zollerleichterungen oder Einfuhrbeschränkungen eintreten können und daß Zollzugeständnisse nicht zum Gegenstand zweiseitiger Handelsverträge gemacht werden können, die dann im Wege der Meistbegünstigung auf alle Vertragsstaaten sich auswirken?
Weder im GATT noch in anderen internationalen Vereinbarungen ist das Recht der beteiligten Länder, Zollerleichterungen oder Zollermäßigungen eintreten zu lassen, sachlich oder zeitlich beschränkt. So kann auch die Bundesrepublik autonome Ermäßigungen der Zollsätze, und zwar durch Gesetz oder auf Grund der der Bundesregierung in § 4 de Zolltarifgesetzes erteilten Ermächtigung durch Verordnung vornehmen. In § 4 des Zolltarifgesetzes ist ausdrücklich festgelegt worden, daß eine auf Grund dieser Ermächtigung ergehende Verordnung ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen erlassen werden darf. Außerdem ist zur Sicherung der Rechte der gesetzgebenden Körperschaften vorgesehen, daß die Bundesregierung vom Verordnungsrecht nur mit Zustimmung des Bundestags nach Anhörung des Bundesrats Gebrauch machen kann. Die Bundesregierung wird eine solche Maßnahme nur bei außerordentlich schwierigen Verhältnissen vorschlagen.
Die mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen - Einfuhrkontingentierungen - sind in Verbindung mit den Zahlungsrestriktionen unter den gegenwärtigen Verhältnissen leider noch ein unentbehrliches Instrument der Handelspolitik. Sie pflegen jeweils nach den wirtschaftlichen Bedürfnissen unter Beachtung der bestehenden internationalen Verpflichtungen zur Liberalisierung - OEEC und GATT - gelockert oder verschärft zu werden, zumal sie im engsten Zusammenhang mit der Devisenlage stehen. Die Steuerung der Einfuhrbeschränkungen erfolgt in allen Ländern auf Grund bestehender Rechtsvorschriften im Verwaltungswege.
Vor Einführung der mengenmäßigen Beschränkungen sowie der Zahlungsrestriktionen in die Handelspolitik gab es nur einheitliche Handelsverträge, die im wesentlichen aus gegenseitigen Zollzugeständnissen unter Zusicherung der Meistbegünstigung bestanden. Die Entwicklung der letzten 20 Jahre hat dazu geführt, daß heute bei zwischenstaatlichen Vereinbarungen über den Außenhandel international zwischen Wirtschaftsabkommen mit Kontingentabreden, sogenannten Warenabkommen; und Zollverträgen unterschieden wird. Daraus hat sich in der Verhandlungspraxis aller Länder der Grundsatz herausgebildet, Zölle nur gegen Zölle und Kontingente nur gegen Kontingente auszuhandeln. Auch die Bundesregierung bekennt sich zu diesem Grundsatz, insbesondere gegenüber Mitgliedstaaten des GATT, die in Torquay Gelegenheit hatten, ihre Zollwünsche vorzubringen, und die die Möglichkeit besitzen, im Rahmen des GATT neue multilaterale Zollverhandlungen zu beantragen. Wo hingegen in Ausnahmefällen, wie z. B. bei Dänemark, zwingende außen- oder innenwirtschaftliche Gründe eine mindestens vorübergehende Ermäßigung von Zöllen notwendig machen sollten, wird eine solche Er({0})
mäßigung nicht handelsvertraglich zugestanden werden, sondern die danach erforderlichen Maßnahmen werden von der Bundesregierung autonom unter Anwendung des § 4 des Zolltarifgesetzes ergriffen werden.
Bei Nicht-GATT-Staaten ist der Abschluß zweiseitiger Zollverträge notwendig, um die zollrechtliche Basis des beiderseitigen Handelsverkehrs zu schaffen. Ein Beispiel bietet der deutsch-schweizerische Zollvertrag.
Selbstverständlich kommen autonom angeordnete ebenso wie in zweiseitigen Zollverträgen eingeräumte Zollermäßigungen allen meistbegünstigt behandelten Staaten zugute. Auch angesichts dieser Tatsache werden autonome oder vertragliche Zollsenkungen stets nur dann vorgenommen werden, wenn das deutsche gesamtwirtschaftliche Interesse daran trotz der bekannten Auswirkungen der Meistbegünstigung überwiegt.
Eine weitere Frage heißt:
Ist die Bundesregierung bereit, die Grundlagen des Vertragswerkes von Torquay zu beachten und für die Erhaltung des Gleichgewichts im Zollsystem zwischen Landwirtschaft einerseits und Industrie und Gewerbe andererseits einzutreten?
Die Grundlagen des Vertragswerkes von Torquay, wie sie vorstehend verschiedentlich berührt worden sind, werden von der Bundesregierung als Vertragspartner jederzeit voll beachtet werden.
Wenn mit der Erhaltung des Gleichgewichts im Zollsystem zwischen Landwirtschaft einerseits und Industrie und Gewerbe andererseits gemeint sein sollte, daß die Landwirtschaft keinen geringeren Zollschutz genießen sollte als die anderen Wirtschaftszweige, so darf darauf hingewiesen werden, daß die Landwirtschaft gegenwärtig sicherlich keinen geringeren Zollschutz genießt als die anderen deutschen Wirtschaftszweige. Die Bundesregierung wird sich wie bisher bei der Frage des Zollschutzes jeweils von den Notwendigkeiten des einzelnen schutzwürdigen deutschen Wirtschaftszweiges leiten lassen, welche sie pflichtgemäß mit den Interessen der Gesamtwirtschaft abzuwägen hat.
({1})
Meine Damen und Herren, Sie haben die Beantwortung der Großen Anfrage gehört. Entsprechend der interfraktionellen Vereinbarung darf ich unterstellen, daß Sie eine Besprechung wünschen, daß sie aber nicht heute stattfindet, sondern zusammen mit der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Zollbegünstigungen - Drucksache Nr. 3152, Punkt 2 b der heutigen Tagesordnung - mit den kommenden Zollberatungen der Vorlage verbunden wird, die jetzt im Bundesrat anstehen. - Das Haus ist mit dieser Regelung einverstanden. Damit ist Punkt 2 der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf den Punkt 3:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Arbeitslosenversicherung ({0}).
Die Bundesregierung hat auf die schriftliche Begründung verwiesen. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf eine Aussprache in der Beratung zu verzichten,
Ich schlage Ihnen vor, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für Arbeit zu überweisen. - Das Haus ist mit der Überweisung einverstanden.
Ich rufe auf Punkt 4:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Erlaß von Rechtsverordnungen auf dem Gebiet der Neuordnung des Geldwesens ({1}).
Auch hier verweist die Regierung auf die schriftliche Begründung. Eine Aussprache soll nach dem Vorschlag des Ältestenrats nicht stattfinden.
Ich schlage Ihnen vor, diesen Gesetzentwurf federführend dem Ausschuß für Geld und Kredit und zur Mitberatung dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen zu überweisen. - Das Haus ist damit einverstanden. Die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe auf Punkt 5:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen auf Zustimmung des Bundestages zum Verkauf des ehemaligen Standortlazaretts in Heilbronn an die Stadt Heilbronn ({2}).
Auch hier verweist die Regierung auf ihre schriftliche Begründung. Eine Aussprache soll nach Vorschlag des Ältestenrats nicht stattfinden. Ich schlage vor, diesen Antrag der Regierung dem Haushaltsausschuß zu überweisen. - Das Haus ist mit der Überweisung einverstanden.
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Erste Protokoll vom 27. Oktober 1951 über zusätzliche Zugeständnisse zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen ({3}) ({4});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen ({5}) ({6}).
({7})
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Kuhlemann. Der Ältestenrat schlägt dem Hause vor, auch hier auf eine Aussprache zu verzichten.
Bitte, Herr Abgeordneter Kuhlemann.
Kuhlemann ({8}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Mit der Drucksache Nr. 3027 ist dem Bundestag der Entwurf eines Gesetzes über das Erste Protokoll vom 27. Oktober 1951 über zusätzliche Zugeständnisse zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen zwischen der Südafrikanischen Union und der Bundesrepublik Deutschland vorgelegt worden. Die Angelegenheit ist dem Außenhandelsausschuß überwiesen worden. Der Außenhandelsausschuß hat sich mit der Frage beschäftigt und hat der Begründung, die dem Antrag beigelegt worden ist, seine Zustimmung gegeben. Aus der Begründung sehen Sie, daß auf der südafrikanischen Seite neue Konzessionen bei der Einfuhr von Eisenbahngüterwagen nach den südafrikanischen Unionsstaaten und andererseits auf der deutschen Seite Konzessionen gemacht worden sind, wodurch wir wichtige Rohstoffe und andere Sachen zu einem niedrigeren Zollsatz einführen können.
Der Bundesrat hat der Vorlage seine Zustimmung gegeben. Der Außenhandelsausschuß schlägt Ihnen vor, dem Gesetzentwurf, wie er Ihnen vorliegt, Ihre Zustimmung zu erteilen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe auf zur zweiten Beratung: Art. I, - II, - III, - Einleitung und Überschrift. - Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich komme zur Abstimmung in der zweiten Beratung über das Gesetz in seiner Gesamtheit. Ich bitte die Damen und Herren, die ihm zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; in der zweiten Beratung angenommen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Eine allgemeine Aussprache soll nicht stattfinden. Änderungsanträge sind nicht gestellt.
Ich komme zur Abstimmung in der dritten Beratung: Art. I, - II, - III, - Einleitung und Überschrift. - Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Das Gesetz ist angenommen.
Gemäß § 88 der Geschäftsordnung findet eine Schlußabstimmung bei Gesetzen betreffend Verträge mit auswärtigen Staaten nicht statt.
Ich rufe auf Punkt 7:
Beratung des Entwurfs einer Verordnung über einen allgemeinen Mietzuschlag bei Wohnraum des Althausbesitzes ({0}).
Die Regierung wünscht keine besondere Begründung zu geben. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, eine Aussprache nicht stattfinden zu lassen und den Entwurf dieser Verordnung federführend an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen und mitberatend dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik und dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen. - Das Haus ist offensichtlich einmütig mit dieser Überweisung einverstanden.
Ich rufe auf Punkt 8:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Zulagen und Mindestleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung ({1}) ({2});
Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik ({3}) ({4}). ({5})
Ich sehe die Frau Berichterstatterin, Frau Abgeordnete Kalinke, nicht im Saal.
({6})
- Danke! Ihnen liegt ein schriftlicher Bericht*) der Frau Berichterstatterin vor; er trägt die Drucksachennummer 3115. Ich darf unterstellen, daß Sie davon Kenntnis genommen haben.
({7})
- Die Frau Berichterstatterin ist auch da, verzichtet aber mit Rücksicht auf die Bestimmung der Geschäftsordnung auf eine mündliche Erläuterung des schriftlichen Berichts.
({8})
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen für die allgemeine Aussprache der dritten Beratung eine Redezeit von 60 Minuten vor.
Ich rufe zunächst auf den Ersten Teil, § 1 des Gesetzes. - Bitte schön, Herr Abgeordneter Schellenberg!
*) Schriftlicher Bericht siehe Anlage Seite 8515.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! § 1 bestimmt, daß zu Verletztenrenten - abgesehen von den Sondervorschriften des § 1 a - Zulagen nur gewährt werden sollen, wenn die Rente mindestens 50 % der Vollrente beträgt. Das widerspricht nach Ansicht meiner Fraktion den Grundlagen der Unfallversicherung. In der Unfallversicherung werden Leistungen aus Anlaß von Betriebsunfällen gewährt, die einen Ausgleich für Haftpflichtansprüche des Unfallverletzten zur Abgeltung der Unfallgefahr in den Betrieben darstellen. Wenn der Gesetzgeber jetzt aus Anlaß der Teuerung zwar grundsätzlich Zulagen zu den Unfallrenten gewährt, aber einen Teil, und zwar einen sehr wesentlichen Teil aller Rentner - 370 000 Verletzte nach dem Material des Bundesarbeitsministeriums - von der Gewährung der Zulagen ausnimmt, so stellt dies eine Benachteiligung dieser Versicherten dar. Zwar wird durch § 1 a die Möglichkeit gegeben, in besonderen Fällen dennoch eine Zulage zu gewähren. Das Verfahren nach § 1 a weist aber Merkmale auf, die einer Bedürftigkeitsprüfung ähneln. Eine solche Methode widerspricht nach Ansicht meiner Fraktion dem allgemeinen dem generellen Rechtsanspruch des Unfallverletzten. Es muß deshalb nach unserer Ansicht für a 11e Unfallverletzten eine Zulage gewährt werden, um so mehr, als die Unfallrente auch einen Ersatz der Mehraufwendungen, die ein Verletzter hat, darstellt.
Im übrigen führen die §§ 1 und 1 a praktisch dazu, daß für Verletzte in dem gleichen Betrieb mit dem gleichen Schaden unterschiedliche Renten gewährt werden, nämlich je nachdem, zu welchem Zeitpunkt sich der Unfall ereignet hat. Wenn beispielsweise ein Unfall vor der Erhöhung der Löhne und Gehälter eingetreten ist, so beträgt die Unfallrente unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen Jahresarbeitsverdienstes von 1800 Mark bei Verlust eines Auges 33 Mark monatlich. Aber ein Verletzter, der gegenwärtig einen Unfall erleidet und etwa einen durchschnittlichen Jahresarbeitsverdienst von 3000 Mark hat, würde aus Anlaß des gleichen Unfalls in dem gleichen Betriebe eine Rente von 55 Mark erhalten. Meine Fraktion ist der Ansicht, daß diese unterschiedliche Regelung sozialpolitisch nicht sinnvoll ist.
Die Begründung für diese unterschiedliche Regelung kann nur in der Frage der Mittelaufbringung liegen. In dem Ausschußbericht wird darauf verwiesen, die Betreffenden hätten zum großen Teil ein Erwerbseinkommen. Ein solcher Grund dürfte aber gerade von denjenigen, die das Versicherungsprinzip in der Unfallversicherung vertreten, nicht als sehr durchschlagend angesehen werden. Der Bedarf für die Gewährung von Renten auch an Verletzte mit einer Beschädigung von unter 50 % wird von der Regierung mit 29 Millionen DM im Jahre angegeben. Im Vergleich zu den gestiegenen Materialkosten, im Vergleich zu den in gewisser Weise gestiegenen Personalkosten bedeutet ein solcher Betrag, der nicht aus Steuermitteln aufzubringen ist, sondern im Wege des Umlageverfahrens von der gesamten Wirtschaft getragen wird, nur einen Prozentsatz, der auf weniger als 0,1 % des gesamten Lohnaufkommens beziffert werden kann.
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Es ist deshalb nicht einzusehen, weshalb diejenigen dieser Verletzten, die bei der Arbeit, insbesondere in den schweren Jahren des Wiederaufbaus, zu einer Zeit, in der noch keine Lohnerhöhungen in
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dem bisherigen Ausmaße gewährt wurden, einen Unfall erlitten haben, praktisch von der Gewährung der Zulagen ausgenommen werden sollen.
Im übrigen ähnelt - und darauf muß auch in diesem Zusammenhang hingewiesen werden - das Verfahren, nur für einen Teil der Rentner Zulagen zu gewähren, dem Prinzip, das bereits beim Rentenzulagengesetz praktiziert wurde; auch dabei wurde nämlich ein Teil der Rentner von der Gewährung der Teuerungszulagen ausgeschlossen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat beim Rentenzulagengesetz die Nichtgewährung oder teilweise Nichtgewährung von Teuerungszulagen an die Mindestrentner mit versicherungstechnischen Grundsätzen begründet. Versicherungstechnische Grundsätze würden es aber erforderlich machen, den Unfallrentnern ausnahmslos die Rentenzulagen zukommen zu lassen. Versicherungstechnisch läßt es sich jedenfalls nicht rechtfertigen, einen Teil, und zwar den größten Teil der Rentner von der Gewährung der Zulagen auszunehmen.
Das Verfahren des § 1 a zur Durchführung der Zulagengewährung für Beschädigte mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um weniger als 50 % ist außerordentlich kompliziert. Es ist so kompliziert, daß die Berufsgenossenschaften, die im allgemeinen über keinen regionalen Unterbau, d. h. über keinen Unterbau auf örtlicher Grundlage verfügen, überhaupt nur unter größten Schwierigkeiten in der Lage sein werden, jene Zulagen für Beschädigte unter 50 % zu gewähren. Der Verwaltungsaufwand, der hierfür erforderlich sein wird, steht unseres Erachtens in keinem Verhältnis zu der Höhe der Zulagen, die für diese Rentner unter 50 % Beschädigung in Betracht kommen. Nach dem Material des Bundesarbeitsministeriums beträgt nämlich die durchschnittliche Erhöhung für Rentner unter 50 % zwischen 6 und 7 Mark monatlich. Das ist nach dem Material des Bundesarbeitsministeriums für jeden leicht zu errechnen: 370 000 Rentner bei einem Aufwand, den das Bundesarbeitsministerium auf 29 Millionen DM im Jahre schätzt. Für die Prüfung der Voraussetzungen zur Gewährung einer Zulage von durchschnittlich 6 bis 7 Mark monatlich wird zwangsläufig ein Verwaltungsapparat in Bewegung gesetzt, dessen Aufwand in keinem sinnvollen Verhältnis zu den Mitteln steht, die für die Gewährung von Zulagen an alle Verletzten benötigt werden.
Meine Damen und Herren, es darf in diesem Zusammenhang noch an ein anderes Beispiel erinnert werden, an das Beispiel des Teuerungszulagengesetzes, des sogenannten Drei-Mark-Gesetzes, das auch aus verwaltungstechnischen Gründen praktisch bisher für den Bereich der Rentenversicherung nicht durchgeführt werden konnte. Meine Fraktion befürchtet, daß sich auch in bezug auf die Gewährung von Unfallzulagen für die Verletzten unter 50 % Beschädigung ähnliche Schwierigkeiten ergeben werden. Deshalb beantragt meine Fraktion, in § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 zu streichen. Ferner beantragt sie die Streichung von § 1 a, damit alle Verletzten ohne Unterschied in den Genuß der Teuerungszulage kommen.
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Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen vorschlagen, daß wir in der Einzelbesprechung der zweiten Beratung gleichzeitig den § 1 a mitberaten. Vom Herrn Abgeordneten Schellenberg ist eben der Änderungsantrag seiner Fraktion auch zu § 1 a begründet worden.
Zunächst zur Begründung des Antrags der Abgeordneten Renner und Genossen der Herr Abgeordnete Renner!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin in der angenehmen Lage, die Ausführungen des Herrn Vorredners restlos unterstreichen und mir zu eigen machen zu können.
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- Kommt selten vor, ganz recht. Es wäre mir sogar angenehm, wenn es gelegentlich mal bei Ihnen vorkommen könnte.
({1})
Seine Ausführungen erlauben mir, die meinigen in etwa abzukürzen.
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Wir haben zu § 1 den Antrag gestellt, daß alle Bezieher von Verletztenrenten, ohne Rücksicht auf den Grad ihrer Erwerbsminderung, eine Zulage zu den derzeitigen Rentensätzen erhalten. Ich gebe zu, daß bei der Kompliziertheit der Unfallversicherungsgesetzgebung die einheitliche Rentenfestsetzung, also die Festsetzung einer Rente, die bei gleicher Beschädigung für jeden Unfallverletzten gleich ist, sehr schwierig ist. Man hätte eine derartige Regelung erreichen können, wenn man es etwa darauf abgestellt hätte, die Unfallversicherungsgesetzgebung im Sinne der Gesetzgebung für die Kriegsbeschädigten, also im Sinne des Kriegsopferversorgungsgesetzes aufzubauen. Diesen Antrag haben die Sozialdemokraten im Ausschuß auch gestellt. Er ist abgelehnt worden. So stehen wir denn hier vor der Tatsache, die mein Vorredner mit der Feststellung richtig charakterisiert hat, daß in einem und demselben Betrieb Menschen mit gleicher Beschädigung, mit gleicher Erwerbsbeschränkung nebeneinander stehen und verschieden hohe Renten bekommen.
Vollkommen unerträglich ist es nach unserer Auffassung, daß man die Zulage nicht generell allen Beziehern von Verletztenrenten zubilligt. In der Begründung ist gesagt worden, daß von den rund 370 000 Leichtunfallbeschädigten das Gros, etwa 95 %, im Erwerbsleben stehen. Es heißt dort: „Bei einer Nichtberücksichtigung der Rentenempfänger unter 50 %, von denen 95 % erwerbstätig sind und die ihr volles Einkommen neben der Rente haben können, würde die Möglichkeit bestanden haben, die Renten der über 50 % Erwerbsgeminderten intensiver zu erhöhen."
Das zwingt uns, einmal zu der Frage Stellung zu nehmen: Hat der Leichtbeschädigte denn kein Anrecht auf seine Rente, braucht er sie etwa nicht? Ich sage, auch der sogenannte Leichtbeschädigte hat einen absoluten Anspruch auf diese Rente nebst Zulage, weil der Unfall seine Lebensbedürfnisse, seine Ansprüche, die er ans Leben zu stellen hat und die gedeckt werden müssen, bedeutend erhöht. Auch dem sogenannten Leichtbeschädigten erwachsen höhere Lebenshaltungskosten auf Grund des erlittenen Unfalls. Dieser erhöhte Anspruch muß unserer Überzeugung nach gedeckt werden. Es ist auch ein Unfug, die Dinge so darzustellen, als habe der berufstätige Unfallrentner keinen Anspruch mehr auf die Rente, da er ja an seinem Arbeitsplatz dieselben Lohnbezüge habe wie der sogenannte gesunde Arbeiter. Bei Anwendung derselben Logik kommt man dann notwendigerweise zu dem Schluß, daß auch die Renten der Leichtbeschädigten aus der Kriegsopferversorgung gestrichen und beseitigt werden können; denn von
({3})
denen steht ja auch ein großer Teil noch im Arbeitsprozeß. Aber die körperliche Mehrbelastung auch eines im Arbeitsprozeß stehenden Leichtbeschädigten macht es unserer Überzeugung nach dringend notwendig, daß man ihm zumindest diese erbärmliche Zulage, die der vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet, zubilligt.
Etwas anderes muß an dieser Stelle ausgesprochen werden. Es heißt hier, daß, wenn ein Unfallbeschädigter neben seiner Unfallrente eventuell Kriegsbeschädigtenrente bezieht, diese Rentensätze aufeinander abzustellen sind, daß also Renten aus Unfall und Renten aus Kriegsdienstbeschädigung miteinander verquickt werden sollen. Im Ausschuß haben die Koalitionsparteien, als die SPD ihren Antrag einbrachte, die Unfallversicherungsgesetzgebung nach der Kriegsopferversorgungsgesetzgebung auszugestalten, gesagt, das sei nicht tragbar. Sie haben gesagt: „Wir wollen keine Identifizierung des Haftpflichtgedankens aus der Unfallversicherung mit der Kriegsopferversorgung." Hier, nach dem Gesetzentwurf aber, denken sie daran und sind bereit, den kriegsbeschädigten Beziehern von Unfallrenten einen Teil ihrer Renten zu nehmen. Da sind sie gern bereit, zu „identifizieren".
Und nun zu einem anderen Problem:
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das ist der Art. 1 a, nach dem den Leichtbeschädigten unter gewissen Voraussetzungen die Zulage im Sinne eines sogenannten Kann-Anspruchs auf Antrag bewilligt werden kann. Im Ausschuß hat laut Ausschußprotokoll ein Sprecher darauf verwiesen, daß diese Leichtbeschädigten ja überhaupt keine Rentenerhöhung nötig hätten, da sie - ich zitierte das schon einmal - bei vollem Tariflohn im Betriebe ständen. Wer aber die Rentenfeststellungsmethoden kennt, wer weiß, wie starr das System ist, nach dem die Renten bei den verschiedenen Unfallschädigungen prozentual bemessen werden, der muß mir zugeben, daß auch in die Kategorie der sogenannten Leichtbeschädigten Menschen fallen, die einen unabdingbaren Anspruch auf ihre Rente haben, weil sie sie brauchen, weil ihre Lebensbedingungen es notwendig machen, daß sie zu ihrem kärglichen Lohn diese Rente beziehen.
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Die Regierung steht offensichtlich auf dem Standpunkt, daß die Ansprüche auf Bezüge aus der Sozialversicherung keine echten Rechtsansprüche darstellen. Diese Regierung, die sich so oft und gern rühmt, die Regierung eines Rechtsstaates zu sein, scheut sich nicht im geringsten, dieses Prinzip des Rechtsanspruchs zu verletzen. Das ist dieselbe Regierung, die bei anderer Gelegenheit, wenn es sich um die Reichen in unserem Volk handelt, das Prinzip der Heiligkeit und Unantastbarkeit des Eigentums nicht hoch genug halten kann.
Da komme ich nicht daran vorbei, auf gewisse Erscheinungen im politischen Tageskampf der letzten Monate einmal kurz einzugehen. Diese Erscheinungen konzentrieren sich um die Person des Herrn Bundesjustizministers Dehler, der auch heute nicht hier ist, nicht wahr?
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Soll ich etwa daraus schließen, daß er sich für unzuständig zur Behandlung der Sozialversicherungsprobleme erklärt, daß er endlich seine Anmaßung preisgibt, die Sozialberechtigten als Betrüger hinzustellen?
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Herr Abgeordneter Renner, wollen Sie freundlichst zu den §§ 1 und 1 a sprechen. Sie haben dazu die Möglichkeit im Rahmen der allgemeinen Aussprache und Ihrer Redezeit.
Ich komme zu § 1. Die Sache ist so: Wir haben zu fordern, daß der Rechtsanspruch der Unfallgeschädigten auf ihre Renten absolut anerkannt wird. Wir haben uns gegen jeden Versuch zu wehren - auch wenn er von einem Minister kommt -, diesen Rechtsanspruch irgendwie anzutasten. Man soll uns doch nicht mit der lächerlichen Begründung kommen, die Kosten, die eine Einbeziehung der Leichtbeschädigten in dieses Zulagegesetz verursache, seien untragbar. Darf ich an die Tatsache erinnern, daß. nach der ersten Zerstörung im Jahre 1933 das Vermögen der Sozialversicherungsträger wieder auf 22 Milliarden Mark gestiegen war und daß darunter ein Vermögen der Unfallberufsgenossenschaften von mehr als einer halben Milliarde Mark war. Dieses Vermögen ist durch Hitler und durch seinen Krieg vertan worden. Bei der sogenannten Währungsreform haben Sie es fertiggebracht, sich an einer Aufwertung dieser Rechtsansprüche der Sozialversicherungsträger vorbeizudrücken. Darum bin ich der Meinung, die Sozialversicherungsträger haben einen Anspruch darauf, daß der Staat, diese Adenauer-Regierung, das ihnen gestohlene Vermögen zu 100 % aufwertet.
Wir verbitten es uns auch, daß die Behauptung aufgestellt wird, daß jeder dritte Unfallgeschädigte, jeder dritte Sozialberechtigte seine Rente zu Unrecht, betrügerisch bezieht.
({0})
- Das ist von Herrn Dehler gesagt worden, von demselben Herrn Dehler, dem in der letzten Woche nachgesagt worden ist, daß er sich in einer sehr eigenartigen Art und Weise in ein Rentenverfahren eingemischt hat.
Herr Abgeordneter Renner, ich rufe Sie zum zweitenmal zur Sache und mache Sie auf die Folgen eines dritten Rufs zur Sache aufmerksam.
Schön! Sie können nicht verhüten, daß ich ein Schlußwort sage.
Ein Schlußwort steht Ihnen nicht zu. Eine allgemeine Besprechung findet in der dritten Beratung statt.
Aber vielleicht machen Sie es mir nicht allzu schwer; ich bin in zwei Sätzen fertig.
Da ist derselbe Herr Dehler, der sich hier hinstellt und uns Wasser predigt, der, wenn es auf sich selbst und seine Familie ankommt, Wein trinkt. Das ist der Mann, der sich nachsagen lassen muß, daß er in seiner Eigenschaft als Minister in ein Rentenverfahren seiner Schwägerin direkt und persönlich eingegriffen hat mit dem Erfolg -
Herr Abgeordneter Renner, ich rufe Sie zum drittenmal zur Sache und entziehe Ihnen das Wort.
Schon, dann muß ich das bei der dritten Lesung vorbringen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Daß der Kollege Renner diese Anträge vorbringen würde, war nicht verwunderlich; denn sie dienen der Soll-Erfüllung. Aber wir waren um so mehr erstaunt, daß der Vertreter der Sozialdemokratie hier all die Argumente, über die wir uns in den Ausschußberatungen eingehend unterhalten haben, in der breitesten Ausführlichkeit wiederholt hat. Wir haben uns die Arbeit nicht leicht gemacht, wir haben die Dinge im Ausschuß eingehend geprüft und geglaubt, die Argumente im wesentlichen widerlegt zu haben.
({0})
- Natürlich, das ist unser berechtigter Glaube, und diesen Glauben haben wir jetzt noch. Es ist etwas befremdlich, daß ausgerechnet von dem Geschäftsführer der VAB die Berufung auf das Versicherungsprinzip hier so breit vorgetragen wird. Diese Berufung ist hier nicht am Platze; denn es handelt sich um Teuerungszulagen. Ich verzichte darauf, hier in der Debatte all das zu wiederholen, was sich im Ausschuß zugetragen hat. Wir glauben, daß wir nach ernstester Arbeit den Weg gefunden haben, der auch von seiten der Verletzten als der beste, der glücklichste und der gerechteste Weg bezeichnet werden kann. Deswegen werden wir von der Regierungskoalition die hier eingebrachten Anträge ablehnen.
Ich sehe keine weitere Wortmeldung. Ich schließe die Besprechung zu § 1 und § 1 a.
Die Fraktion der SPD hat auf Umdruck Nr. 465 den Antrag gestellt, § 1 Abs. 1 Satz 2 sowie Abs. 3 zu streichen. Ich darf zunächst über diesen Antrag betreffend § 1 abstimmen lassen. Ich bitte die Damen und Herren, die der Streichung von Abs. 1 Satz 2 sowie von Abs. 3 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Bei der unterschiedlichen Besetzung des Hauses ist das Ergebnis leider nicht eindeutig. Ich bitte Sie, die Entscheidung im Wege des Hammelsprungs vorzunehmen. Wer für den Antrag der SPD ist, geht durch die J a-Tür.
({0})
Ich bitte Sie, den Saal möglichst bald zu räumen. Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
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Ich bitte, die Abstimmung zu beschleunigen. - Ich bitte, die Abstimmung zu schließen. Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Für den Antrag der Fraktion der SPD haben gestimmt 135 Abgeordnete, dagegen 168 Abgeordnete bei 0 Enthaltungen. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Renner und Genossen unter Ziffer 1 des Umdrucks Nr. 466. Ich bitte diejenigen, die für diesen Antrag Ziffer 1 sind, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD und den gleichlautenden Antrag der Abgeordneten Renner und Genossen, § 1 a zu streichen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine
Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Damit, meine Damen und Herren, komme ich zur Abstimmung über die Überschrift, Erster Teil, § i und § 1 a des Gesetzes. Ich bitte die Damen und Herren, die diesen beiden Paragraphen zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Beide Paragraphen sind mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf § 2. Herr Abgeordneter Preller zur Begründung des Antrags der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 465 Ziffer 2.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich bekanntlich um eine Teuerungszulage. Es kann durchaus begründet werden, daß diese Teuerungszulage, wie in § 2 vorgesehen, gestaffelt zu gewähren ist. Die Sozialdemokratie hatte seinerzeit den Antrag gestellt, die Zulagen auf 25 % zu bemessen; wir halten daran fest. Wenn nun eine Staffelung durchgeführt wird mit Rücksicht darauf, daß die Unfallrenten nach der Höhe des Jahresarbeitsverdienstes berechnet werden und sich der Jahresarbeitsverdienst in den hier zur Rede stehenden Jahren zweifellos erhöht hat, so glauben wir doch, daß die Art der Staffelung nicht den Bedürfnissen der Unfallrentner selbst entspricht. Insbesondere möchten wir darauf hinweisen, daß eine Zulage - eine sogenannte Zulage, muß man beinahe sagen - von 5 %, wie sie für die Unfallrentner aus der ersten Hälfte des Jahres 1951 vorgesehen ist, bei weitem nicht ausreichen kann. 5 % von Unfallrenten können Beträge von 1, 2 und 3 DM sein. Niemand wird glauben, daß damit der geltenden Teuerung seit diesem Zeitpunkt tatsächlich Rechnung getragen wird. Der offizielle Index, dessen Richtigkeit wir allerdings bestreiten, hat für diese Zeit, bis zur Mitte des Jahres 1951, bereits eine Erhöhung der Indexziffer um 8 % gebracht. Unterdessen ist zweifellos die Teuerung noch weiter gestiegen. Aus diesen Gründen kann eine Erhöhung der Unfallrenten aus dem ersten Halbjahr 1951 um nur 5 % schlechterdings nicht ausreichend sein.
Wir gehen davon aus, daß, etwa dem amtlichen Index folgend, die Erhöhung der Renten für diesen Zeitraum mit 10 % angenommen werden müßte. Nehmen wir dann die Staffelung zwischen 25 und 10 %, so bleiben in der Mitte 17,5 %. Was die 25 % angeht, die nach der Ausschußvorlage für die Unfälle vor dem 1. Juli 1949 gewährt werden sollen, so ist dieses Datum zweifellos etwas willkürlich gewählt; es schließt im Grunde an das damalige Wirtschaftsratsgesetz über die Erhöhung der Unfallrenten an. Aber die Teuerung, die unterdessen eingetreten war, gilt j a für das gesamte Jahr 1949, so daß nach unserer Auffassung die Erhöhung um 25 % für sämtliche Renten gelten sollte, die im gesamten Jahr 1949 und in den Jahren vorher gezahlt worden sind. Es bleibt dann die Rentenzulage für das Jahr 1950 mit der Mitte zwischen beiden Polen, mit 17,5 %, einem Prozentsatz, der ebenfalls leicht von den Behörden zu berechnen ist.
Das alles gilt schon für die Renten, die Beschädigten mit einer mehr als 50%igen Erwerbsminderung gezahlt werden. Nachdem aber nun die §§ 1 und 1 a in der Ausschußfassung angenommen worden sind, muß ich noch darauf hinweisen, daß die Rentner mit einer geringeren als 50%igen Er({0})
werbsminderung bei diesen Erhöhungen nicht genügend berücksichtigt werden. Die Renten für die mehr als 50 % Erwerbsgeminderten sind ja seinerzeit, 1949, durch eine Umrechnung höher gestaffelt worden. Das gilt aber nicht für die Rentner mit einer geringeren als 50%igen Erwerbsminderung, so daß für diese eine doppelte Benachteiligung eintritt. In diesem Zusammenhang weise ich noch einmal insbesondere auf die Erhöhung der Zulagen um 5 % für die Unfallrentner des letzten Jahres hin. Diese doppelte Schädigung bedeutet, daß gerade die Rentner mit einer geringeren als 50%igen Erwerbsminderung - die die Teuerung ebenso zu spüren bekommen - praktisch weniger als 5 % Zulage erhalten. Dies scheint uns sehr ungerecht zu sein. Aus diesem Grunde bitten wir Sie, unserem Antrag Rechnung zu tragen.
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Weitere Wortmeldungen?
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- Frau Abgeordnete Kalinke!
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Zu den Ausführungen des Herrn Professor Preller, die eigentlich völlig unnötig waren, weil sie nämlich im Ausschuß bereits ausführlich widerlegt worden sind, möchte ich nur einen Satz sagen: Die Regierungsparteien haben festgestellt, daß 95 % der Rentner mit einer geringeren als 50%igen Erwerbsminderung voll im Erwerbsleben stehen und in der Lage sind, ihr Einkommen zum vollen Tariflohn zu erwerben.
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Zur Begründung des Antrags zu § 2 Herr Abgeordneter Renner!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muß Frau Kalinke direkt dankbar sein, daß sie hier noch einmal im Namen der Koalitionsparteien vor aller Öffentlichkeit zum Ausdruck gebracht hat, was sie von dem Begriff „Rente" als Rechtsanspruch hält.
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Bei allen Unfällen, die vor dem 31. Dezember 1949 eingetreten sind, sieht die Vorlage eine Zulage in Höhe von 25 % vor. Die sozialdemokratische Fraktion hat den heute hier vorgetragenen Antrag bereits im Ausschuß gestellt. Dort wurde er abgelehnt.
Ich darf nun etwas zur Begründung unseres eigenen Antrags sagen. Wir sind der Ansicht, daß die prozentuale Erhöhung in den fünf Gruppen von 1949 bis zum ersten Halbjahr 1951 gemessen an der Entwicklung der Löhne und der Preise absolut zu gering und auch nicht gerechtfertigt ist. Wir haben die „Mitteilungen des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften", und zwar die Nummer 12 des Jahres 1951, einmal nach dieser Seite hin kontrolliert. Dort ist festgestellt, daß der durchschnittliche Bruttowochenverdienst aller Arbeiter im Jahre 1949 55,27 DM betrug. Im Jahre 1950 betrug dieser durchschnittliche Wochenarbeitsverdienst 61,29 DM. Im März 1950 betrug der durchschnittliche Wochenlohn 80,21 DM, im Juni 1950 91 DM, im September 1950 62,75 DM und im Dezember 1950 64,28 DM, ferner im März 1951 65,77 und im Juni 1951 71,81 DM. Nach unserer Errechnung, die sich auf diese gewerkschaftliche Unterlage der Durchschnittseinkommen stützt, ergibt sich für die Zeit vom Juni 1949 bis zum Juni 1951 eine Erhöhung der durchschnittlichen Bruttowochenverdienste von 30 %, in der zweiten Rubrik eine Erhöhung von ebenfalls 30 %, in der dritten Rubrik eine Erhöhung von 21,5 %, in der vierten Rubrik eine Erhöhung von 11,4 % und in der fünften Rubrik eine Erhöhung von 8 %. Eine Erhöhung der Unfallrenten wird aber, wie ich schon vorgetragen habe, nur vorgeschlagen in der ersten Gruppe um 25 %, in der zweiten um 20 %, in der dritten um 15 %, in der vierten um 10 % und in der fünften um 5 %. Wenn wir berücksichtigen, daß vom Juni 1951 bis heute die Preise ungeheuerlich gestiegen und daß die Löhne nicht entfernt in demselben Verhältnis angestiegen sind, kommen wir zu dem zwingenden Schluß, daß die Erhöhung der Wochenverdienste nicht dem Stand der Preis-, Steuer- und Mieterhöhungen gleichkommt.
Weiter muß man noch berücksichtigen, in welchem Mißverhältnis die derzeitigen Löhne zu den tatsächlichen Lebenshaltungskosten stehen. Deshalb halten wir unseren Antrag für absolut gerechtfertigt, in dem gefordert wird, daß auf Renten für Unfälle die vor dem 1. Juli 1949 eingetreten sind, eine Zulage in Höhe von 30 % gewährt wird, für Unfälle, die bis Ende 1949 eingetreten sind, ebenfalls eine Zulage von 30 %, für Unfälle, die im ersten Halbjahr 1950 eingetreten sind, eine Zulage von 25 %, für im zweiten Halbjahr 1950 erfolgte Unfälle eine Zulage von 15 %. Renten für Unfälle des Jahres 1951, vor dem 1. Juli 1951, sollen nach unserem Antrag mit einer Zulage von 10 % bedacht werden.
Wir Kommunisten halten unsere grundsätzliche Auffassung aufrecht, daß die Unfallrenten einheitlich ausgerichtet werden müssen. Wir sind der Auffassung, daß bei gleicher Schädigung durch einen Unfall eine gleich hohe Rente mindestens in der Höhe gewährt werden muß, daß das Existenzminimum des Unfallverletzten gesichert ist. Das ist unser grundsätzlicher Standpunkt. Wir halten auch unsere Forderung aufrecht, die wir seinerzeit in einem Antrag dem Hohen Hause zur Kenntnis gebracht haben, daß die derzeitigen Unfallrenten generell um 30 % erhöht werden. Unser derzeitiger Antrag ist nur gestellt worden, weil wir zu der Überzeugung gekommen sind, daß ein Mehr aus diesem Hohen Hause nicht herauszuholen ist. Wir glauben aber den Beweis erbracht zu haben, daß die Zulagen in der von uns geforderten Höhe das mindeste sind, was gewährt werden muß, wenn man überhaupt von einer Verbesserung der Unfallrenten sprechen will.
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Herr Abgeordneter Preller!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den vorigen Ausführungen noch eines: Behauptungen werden nicht dadurch beweiskräftig, daß sie von der Frau Abgeordneten Kalinke ausgesprochen werden.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nun nicht vor. Ich schließe die Besprechung zu § 2.
Der weitergehende Antrag ist der der Abgeordneten Renner und Genossen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag der Abgeordneten Renner und Genossen - Umdruck Nr. 466 Ziffer 3
({0})
- zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben.
- Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen?
- Bei zahlreichen Enthaltungen ist der Antrag abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD in Umdruck Nr. 465 Ziffer 2. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über § 2 in der Ausschußfassung. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf § 3. - Herr Abgeordneter Preller zur Begründung des Antrags auf Umdruck Nr. 465 Ziffer 3.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier handelt es sich um die Höchstgrenze der Verletztenrente. Die Verletztenrente soll dann keine Zulage erhalten, wenn die berechnete Rente einschließlich der Zulage 250 DM überschreitet. Da die Vollrente, die hier in Betracht kommt, zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes beträgt, würde das also heißen, daß alle jene, die über 375 DM monatlich verdient haben - beziehungsweise, da die Zulage mit eingerechnet werden soll, die zur Zeit der Berechnung der Rente sogar etwas weniger verdient haben -, nicht in den Genuß der Zulage kommen. Bei den heutigen Löhnen und Gehältern bedeutet das praktisch, daß fast alle Facharbeiter, die auf irgendeine Weise in den Genuß einer Unfallrente gekommen sind, keine Zulage erhalten. Dasselbe gilt für die meisten technischen und die meisten kaufmännischen Angestellten. Ich glaube, daß dies nicht gerecht ist und daß wir einen höheren Satz als 375 DM monatlichen Arbeitsverdienst annehmen müssen. Wir stellen infolgedessen den Antrag, die Zahl 250 durch 300 zu ersetzen. Das würde bedeuten, daß alle diejenigen, die einen monatlichen Arbeitsverdienst von 450 DM gehabt haben, aus dem die Unfallrente berechnet wurde, wenigstens in den Genuß der Zulage kommen könnten. Wir glauben, daß dies allein gerecht ist, und bitten um Ihre Zustimmung.
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Herr Abgeordneter Renner zur Begründung des Streichungsantrags.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben den Antrag gestellt, den § 3 der Gesetzesvorlage gänzlich zu streichen. Nach der Vorlage - das ist schon ausgeführt - darf die Vollrente plus Zulage nicht mehr als 250 DM im Monat übersteigen. Hier erhebt sich für uns Kommunisten die grundsätzliche Frage: Wie hoch darf bzw. wie hoch soll die Vollrente überhaupt sein? Wir stehen auf dem Standpunkt - das ist ein alter Standpunkt, auch der der alten sozialdemokratischen Arbeiterbewegung -, daß die Festlegung der Vollrente mit zwei Dritteln des DurchschnittsJahresarbeitsverdienstes falsch ist. Wir Kommunisten stehen auf dem Standpunkt, daß die Vollrente eines Unfallbeschädigten gleich sein muß dem Lohn, den der Mann in der Lohngruppe, in der Kategorie, in der er vorher beschäftigt gewesen ist, verdienen würde. Wir sind darüber hinaus sogar der grundsätzlichen Auffassung, daß es Fälle gibt, in denen bejaht werden muß, daß ein Vollinvalide, ein voll erwerbsunfähiger Unfallbeschädigter auf Grund der Art und der Schwere seiner Verletzung manchmal sogar einen Anspruch darauf hat, daß seine Rente höher ist als der Lohn, der in der jeweiligen Kategorie verdient wird.
Die Vorlage, in der die Höchstvollrente auf 250 DM festgelegt ist, wird zur Folge haben, daß das Gros der Unfallrentner, die aus den gelernten und angelernten Berufen kommen - von den gehobenen ganz zu schweigen -, diese Zulage nicht erhalten wird. Das ist aber auch die Absicht, und darum haben Sie im Ausschuß diesem Paragraphen bewußt diese Form gegeben.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Besprechung zu § 3.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Herrn Abgeordneten Renner und Genossen auf Streichung des § 3 - Ziffer 4 des Umdrucks Nr. 466 - zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe.
- Enthaltungen! - Bei zahlreichen Enthaltungen abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die Ziffer 3 des Änderungsantrags der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 465 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über § 3 in der Ausschußfassung. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen! - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Zu § 4 liegt auch ein Streichungsantrag des Herrn Abgeordneten Renner vor. Soll der Antrag begründet werden, Herr Abgeordneter Renner?
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- Herr Abgeordneter Renner verzichtet auf Begründung.
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Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Streichungsantrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe.
- Enthaltungen! - Bei zahlreichen Enthaltungen ist der Streichungsantrag abgelehnt. Ich darf unterstellen, daß damit § 4 mit der gleichen Mehrheit als angenommen gilt.
Zu § 5 liegt ebenfalls ein Antrag des Herrn Abgeordneten Renner und Genossen vor. Er soll offenbar nicht begründet werden. - Das ist der Fall. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag der Abgeordneten Renner und Genossen - Ziffer 6 des Umdrucks Nr. 466 - zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über § 5 in seiner Gesamtheit in der Ausschußfassung. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Zu § 6 liegt lediglich der Änderungsantrag unter Ziffer 7 des Umdrucks Nr. 466 vor. - Ohne Begründung?
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- Herr Abgeordneter Renner wünscht diesen Antrag zu begründen. Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! In dem Entwurf hat der jetzt zur
Sprache kommende § 6 Abs. 2 folgende Fassung: Beim Zusammentreffen von Renten der Unfallversicherung und der Rentenversicherungen muß die Summe der Leistungen aus beiden Versicherungszweigen mindestens den Betrag der Rente aus der Rentenversicherung erreichen, der ohne Zusammentreffen der Rente aus der Rentenversicherung mit der Rente aus der Unfallversicherung zu zahlen wäre; insoweit ruht die Rente aus der Rentenversicherung nicht....
Wir stehen also hier vor der Tatsache, daß die Ruhensvorschriften beim Doppelbezug von Renten in modifizierter Form aufrechterhalten bleiben, im Prinzip bestehen bleiben, und das gibt mir Veranlassung zu einigen grundsätzlichen Ausführungen.
Wenn man den Standpunkt bejaht, daß ein Rechtsanspruch gegeben ist auf die Renten aus der Sozialversicherungsgesetzgebung, ein Rechtsanspruch, der entstanden ist auf Grund der Tatsache, daß diese Rentenrechte durch die Aufbringung von Beiträgen erworben sind, - wenn man dieses Prinzip bejaht, dann muß man auch die Forderung bejahen, daß endlich mit der Praxis Schluß gemacht wird, daß bei Doppelbezug von Renten ein Teil dieser Rentenrechte zum Ruhen kommt. Diese Vorschrift, daß beim Doppelbezug von Renten ein Teil der Renten zu ruhen hat, stammt aus der Ära Brüning.
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- Sie stammt doch aus der Ära Brüning. Es war die Hungernotverordnung von Weihnachten 1930
- es ist Ihnen unangenehm, daß ich daran erinnere -, es war die bekannte Weihnachts-Hungernotverordnung Ihres damaligen Kollegen Brüning. Bei der Begründung im Reichstag ist er gelegentlich gefragt worden, was der Begriff „ruhen" bedeuten soll. Als frommer Katholik hat er gesagt, ruhen heißt: ruhen auf ewig. Und er scheint recht zu behalten. Hitler ließ die Renten ruhen, und unsere Regierung: „So sozial wie irgend möglich" - Adenauer in seiner Regierungserklärung! -, diese Regierung mit dem Grundsatz: Sozialversicherung nicht nach dem Prinzip des Nötigen, sondern Sozialversicherung nach dem Prinzip des Möglichen diese Regierung läßt
dieses Prinzip eines Brüning und eines Hitler bestehen.
Ich sagte schon einmal: Sie rühmen sich so oft, ein Rechtsstaat zu sein. Hier, an den Ärmsten der Armen, begehen Sie bewußt einen Entzug von wohlerworbenen Rechten. Sie verstoßen gegen ein Prinzip, das Sie bei anderer Gelegenheit nicht hoch genug halten können. Was würden Sie z. B. zu der „unverschämten Zumutung" - so höre ich die Herren von der FDP schon sagen - erklären, wenn wir Ihnen zumuten wollten, etwa auf einen Teil Ihres Dividendengewinns, dieses unverdienten Gewinns,
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den Sie allein auf Grund der Tatsache machen, daß Sie Inhaber von Aktien sind, zu verzichten? Was würden Sie sagen? Sie würden schreien: Bolschewismus, Bolschewismus! Aber hier, wo es um die Ärmsten der Armen geht, da ist Ihr christlich-soziales Gewissen absolut unbeschwert. Wir Kommunisten sind mit den Sozialberechtigten draußen ganz allgemein - und es gibt keinen,
der das nicht fordert - der Auffassung, daß mit diesen Ruhensvorschriften endlich Schluß gemacht werden muß und daß den Sozialberechtigten ihre wohlerworbenen Rechte auf Rente restlos zugesprochen werden müssen. Die Sozialberechtigten draußen stehen auf dem Standpunkt, daß dieser Rechtsanspruch Vorrang vor all Ihren finsteren Plänen der Remilitarisierung und der Kriegsvorbereitung haben muß, und sie werden Ihnen die Antwort geben, falls Sie es wagen sollten, unseren Antrag abzulehnen.
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Herr Abgeordneter Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat zu dem § 6 der Vorlage deshalb keinen Änderungsantrag eingereicht, weil vor einigen Monaten von diesem Hause ein Initiativgesetzentwurf der SPD zu den §§ 1274 ff. der Reichsversicherungsordnung dem Ausschuß für Sozialpolitik überwiesen wurde. Derselbe dürfte Ihnen in Kürze in zweiter und dritter Lesung zur Beschlußfassung unterbreitet werden. In diesem besonderen Gesetzentwurf wird das ganze Problem der Ruhensvorschriften der Sozialversicherung behandelt werden müssen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag der Abgeordneten Renner und Genossen, Ziffer 7 auf Umdruck Nr. 466, zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe.
- Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen ist der Antrag abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den § 6 in der Ausschußfassung. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben.
- Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf die §§ 7, - 8, - 9. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. - Diese Paragraphen sind mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren! Zu dem im Ausschußbericht als Zweiter Teil bezeichneten Teil des Gesetzes hat sich, wie Sie wissen, eine Meinungsverschiedenheit ergeben. Der Vorsitzende des Sozialpolitischen Ausschusses hat in einem Schreiben, das er an mich und auch an den Herrn Vorsitzenden des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität gerichtet hat, den Standpunkt vertreten, daß der Ausschuß mit der Ausdehnung der im Bundesgebiet in Geltung zu setzenden Rechtsvorschriften über die gesetzliche Unfallversicherung auch auf das Land Berlin seine Zuständigkeit überschritten habe. Nach § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung befassen sich die Ausschüsse nur mit den ihnen überwiesenen Gegenständen. Da es sich nach meiner Auffassung um eine Entscheidung handelt, deren Bedeutung über den Einzelfall hinausgeht
- es geht also um eine grundsätzliche Auslegung der Geschäftsordnung gemäß § 129 -, habe ich den Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität gemäß diesem Paragraphen um eine Prüfung gebeten.
Ich habe von dem Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität folgendes Schreiben erhalten, das ich zur Kenntnis bringe:
(Präsident Dr. Ehlers'
Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat in seiner heutigen Sitzung zu der Frage der Erweiterung des Unfallversicherungs-Zulagegesetzes um Bestimmungen zur Überleitung des Unfallversicherungsrechts im Lande Berlin Stellung genommen und mit 7 gegen 5 Stimmen bei Stimmenthaltungen folgenden Beschluß gefaßt:
1. Der ursprünglich an den Ausschuß für Sozialpolitik überwiesene Gesetzentwurf über Zulagen und Mindestleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung, Drucksache Nr. 2934, enthält in § 10 eine Bestimmung über die Anwendung des Gesetzes auf das Land Berlin.
2. Als „überwiesene Gegenstände" im Sinne des § 60 Abs. 3 sind nur solche Dinge zu verstehen, die materiell mit dem Inhalt in innerem Zusammenhang stehen.
3. Die Erweiterung des Entwurfs eines Unfallversicherungs-Zulagegesetzes, Drucksache Nr. 2934, um Bestimmungen zur Überleitung des Unfallversicherungsrechtes im Lande Berlin, wie sie aus dem Antrag des Ausschusses fur Sozialpolitik Drucksache Nr. 3115 hervorgehen, steht im Zusammenhang mit dem ursprünglich überwiesenen Gegenstand Unfallversicherungs - Zulagegesetz Drucksache Nr. 2934.
Das ist die Stellungnahme des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität. Sie ersehen aus dem Antrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 465, daß in Ziffer 4 gewünscht worden ist, den Zweiten und Dritten Teil der Ausschußvorlage zu streichen. Das ist ein Antrag im Rahmen der geschäftsordnungsmäßigen Behandlung in der zweiten Beratung. Es handelt sich zunächst nach meiner Überzeugung um die Frage der grundsätzlichen Klärung gemäß § 129 der Geschäftsordnung, die vom Bundestag beschlossen werden muß. Ich bitte also, zunächst in diesem Rahmen die Frage zu klären.
Wünscht jemand, das Wort dazu zu nehmen? - Herr Abgeordneter Ritzel, bitte!
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- Der Herr Berichterstatter hat mir den Bericht des Ausschusses schriftlich übergeben, Herr Abgeordneter Ewers.
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- Die Stellungnahme! Das ist der Bericht über die Prüfung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem, was ich Ihnen zu sagen habe, handelt es sich nicht um einen Bericht des Ausschusses, sondern es handelt sich um die Stellungnahme meiner Fraktion zu diesem Punkt. Erstmals seit der Verabschiedung der neuen Geschäftsordnung am 6. Dezember vorigen Jahres wird eine Entscheidung des gesamten Hauses darüber verlangt, ob die Bestimmungen, die der Herr Präsident bereits zitiert hat, in dem Sinne, wie die Mehrheit des Ausschusses für Sozialpolitik es beschlossen hat und wie es in der Ihnen gedruckt vorliegenden Vorlage enthalten ist, nach § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung dem Sinn und Geist der Geschäftsordnung entsprechen.
Es ist bereits bekanntgegeben worden, daß in dem Beschluß des Ausschusses, in dem Teil, der einstimmig beschlossen worden ist, als „überwiesene Gegenstände" im Sinne des § 60 Abs. 3 nur solche Dinge zu verstehen sind, die materiell mit dem Inhalt in innerem Zusammenhang stehen.
Für den, der sich nicht gerade als Ausschußmitglied entweder vom materiellen Inhalt her oder als Mitglied im Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität mit der praktischen Handhabung der Geschäftsordnung befassen mußte, mit der Praxis, die uns hier entgegentritt, ist es vielleicht etwas zu viel verlangt, die Sache in allen ihren Einzelheiten zu durchschauen. Aber wenn ich mich daran erinnere, daß von diesem Hohen Hause eine Geschäftsordnung beschlossen worden ist, die, wie ich damals sagen durfte, das innere Gesetz, das Hausgesetz des Deutschen Bundestages ist, wenn ich daran denke, daß die Interpretation durch Beschluß des Deutschen Bundestages gemäß § 129 der neuen Geschäftsordnung so etwas ist wie ein Akt der Rechtsschöpfung, dann muß ich sagen: Es stellt das Gewissen und die Verantwortlichkeit der Mitglieder des Hohen Hauses vor eine gesteigerte Verantwortung in dem Moment, in dem entschieden werden muß, ob ein Zusatz, ein zweiter Teil zu einem Gesetzentwurf wirklich Rechtens in diesem Gesamtentwurf Platz finden darf, ein zweiter Teil, der mit dem ersten Teil nur in einem sehr losen Zusammenhang steht.
Die bisherige Einzelberatung hat gezeigt, daß es sich um die Beschlußfassung über die Genehmigung von Erhöhungen der Bezüge aus der Unfallversicherung, um Zulagen handelt. Wenn Sie sich nun einmal die Mühe machen wollen, in der Ausschußdrucksache jenen Zweiten Teil auf Seite 12. wenigstens mit seinen Titeln zu Rate zu ziehen - nachdem Sie sicher vorher schon den Inhalt studiert haben -, dann finden Sie, daß in diesem Zweiten Teil folgendes geschieht. Im Ersten Teil ist bisher in der zweiten Lesung über die Erhöhung von Renten aus der Unfallversicherung für das Gebiet der gesamten Bundesrepublik beraten und beschlossen worden. In dem ursprünglichen Entwurf war in einem § 10 und entsprechend im § 11 von der Bundesregierung die Anwendung der uns allen bekannten Berlin-Klausel vorgesehen, d. h. die Ausdehnung dieses Gesetzes über eine Erhöhung der Zulagen in der Unfallversicherung durch jenen Apparat, der für die Durchführung von Bundesgesetzen im Land Berlin vorgesehen und notwendig ist. Nachdem das alles in dem ursprünglichen Entwurf vorgesehen war, kam es in der Beratung des Fachausschusses dazu, daß plötzlich ein vollkommen selbständiger Entwurf, der im Bundesarbeitsministerium ausgearbeitet war und sich auf etwas ganz anderes bezog - nämlich auf das große Problem der Ausdehnung der gesamten Unfallversicherung auf das Land Berlin und auf die Anpassung der Unfallversicherungsbestimmungen nach der RVO auf das Land Berlin -, auf Grund eines Antrags mehrerer Fraktionen plötzlich in ein reines Spezialgesetz über die Erhöhung der Unfallrenten im Bundesgebiet hineingearbeitet wurde.
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Dieser Zweite Teil nennt - ich folge hier den einzelnen Titeln - in Abschnitt II den Träger der Versicherung der auf Berlin auszudehnenden Gesamtunfallversicherung; er spricht in den folgenden Abschnitten von dem Verfahren, von den Leistungen im ganzen, von finanziellen Auseinandersetzungen und von der Personalübernahme. Der Dritte Teil nennt dann die entsprechenden Übergangs- und Schlußvorschriften. Meine Damen und
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Herren! Wir haben einmal zu der Zeit der Geltung der früheren Geschäftsordnung eine Episode in diesem Hohen Hause erlebt, an die wir, wie ich glaube, alle nicht gern zurückdenken. Es war jene lex specialis für die Wahl einer Bundeshauptstadt.
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Da wurde die Geschäftsordnung geändert, um einen speziellen Zweck zu ermöglichen, nämlich den Zweck der geheimen Abstimmung über die Frage Bonn oder Frankfurt. Nachdem diese Änderung der Geschäftsordnung ihren Zweck erfüllt hatte, ist diese Bestimmung damals wieder aus der Geschäftsordnung entfernt worden.
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Heute, meine Damen und Herren, soll der § 129 in einer Weise interpretiert werden, die praktisch bedeutet, daß eine wenn auch noch so wichtige, aber gegenüber der Ausdehnung des gesamten Unfallrechts auf das Land Berlin doch in den Hintergrund tretende, in ihrer Dringlichkeit aber absolut zu bejahende und nicht wegen grundsätzlicher Auseinandersetzungen zurückzustellende Spezialfrage, nämlich die Notwendigkeit der Erhöhung der Unfallrenten, mit einer ganz generellen Regelung des gesamten Unfallversicherungsrechts durch dessen Ausdehnung auf das Land Berlin verbunden wird.
Wir haben in § 78 der neuen Geschäftsordnung eine Bestimmung, in der es heißt:
In der ersten Beratung findet eine Aussprache nach den vorn Bundestag gebilligten Vorschlägen des Ältestenrats statt. Es werden nur die Grundsätze der Vorlagen besprochen.
Ob der Bundestag davon Gebrauch macht, ist in sein Ermessen gestellt. Aber wenn dem Bundestag seinerzeit ein derart ausgedehntes Gesetz vorgelegt worden wäre, dann - ich glaube, das unterliegt keinem Zweifel, und das wird wohl die heutige Debatte noch erweisen - hätte der Bundestag mit Rücksicht auf das, was zu dieser ausgedehnten Materie zu sagen ist, nicht darauf verzichtet, in erster Lesung zu der Frage der Ausdehnung des Unfallversicherungsrechts auf das Land Berlin Stellung zu nehmen.
Nun ist das Merkwürdige eingetreten, daß man eine Spezialfrage in einem Gesetzentwurf zuerst formuliert und dann eine Generalfrage diesem Gesetzentwurf als zweiten Teil anhängt.
({4})
Das erinnert mich - auch wenn es Ihnen nicht gefällt, Herr Kollege! - so ungefähr an meine Jugendzeit, als ich mir sehnsüchtig wünschte, ein Fahrrad zu besitzen. Da ich kein Fahrrad bekommen konnte, habe ich mir zuerst zwei Fahrradklammern zugelegt.
({5})
Genau so logisch ist das, was hier auf dem Gebiet der Gesetzgebung geschieht.
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Die Situation ist doch so, daß Sie, wenn Sie bei diesem Beschluß der Mehrheit des Ausschusses zu verbleiben wünschen, ,den Versuch machen, an eine Nebensache, so wichtig sie in ihrer Art auch ist, eine Hauptsache zu hängen, und zwar ohne Einverständnis mit den Hauptbeteiligten.
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Meine Damen und Herren, vor mir liegt ein Telegramm des Senats von Berlin vom 11. März, also von gestern. Darin heißt es:
Bei der Beratung im Ausschuß hat der Senator für Arbeit wohl erklärt, daß Berlin den Wunsch habe, in das Unfallzulagegesetz des Bundes einbezogen zu werden, nicht aber, daß das Berliner Organisationsgesetz mit dem Unfallzulagegesetz gekoppelt werde. Weiter hat der Senator für Arbeit nicht erklärt, daß mit dem Organisationsgesetz erst die Voraussetzung für die Anwendung des Unfallzulagegesetzes in Berlin geschaffen werden müsse. Damit entfällt auch die Begründung für die Auffassung der Regierungsparteien, daß die Errichtung der Berufsgenossenschaften in Berlin unverzüglich ermöglicht werden solle, damit in der Durchführung des Gesetzes und in
der Bereitstellung der Mittel der Berufsgenossenschaften des Bundesgebiets für das Land Berlin keine Verzögerung eintritt.
Meine Fraktion hat in Ziffer 4 des Antrags Umdruck Nr. 465 beantragt:
Der zweite und dritte Teil der Ausschußvorlage ({8}) sind zu streichen, und an deren Stelle sind die §§ 10 und 11 der Regierungsvorlage wiederherzustellen.
Der Bundestag muß auf Grund des § 129 der Geschäftsordnung Stellung nehmen, und vorweg hat
der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität
mit Mehrheit Stellung genommen. Er hat in Ziffer 3 seines Beschlusses von heute vormittag gesagt: Die Erweiterung des Entwurfs eines Unfallversicherungs - Zulagegesetzes, Drucksache Nr. 2934, um Bestimmungen zur Überleitung des Unfallversicherungsrechts im Lande Berlin, wie sie aus dem Antrag des Ausschusses für Sozialpolitik, Drucksache Nr. 3115, hervorgehen, steht im Zusammenhang mit dem ursprünglich überwiesenen Gegenstand: Drucksache Nr. 2934, Unfallversicherungs-Zulagegesetz.
({9})
- „Na also"? Das hat eine Mehrheit gegen eine starke Minderheit bei Stimmenthaltungen beschlossen, und ich glaube, wenn gerade unsere Juristen in einer stillen Stunde den ganzen Sachverhalt noch einmal kritisch und objektiv nachprüfen, dann werden sie finden, daß hier ein Akt vollzogen wird, der vom Standpunkt einer normalen Entwicklung der Geschäftsordnung des Bundestages unmöglich sein sollte.
({10})
Meine Damen und Herren, es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Standpunkt, den der Ausschuß mit Mehrheit eingenommen hat, so zu interpretieren ist und so interpretiert werden sollte, obwohl ich gar keine große Hoffnung habe, daß ich Sie zu überzeugen vermag, da die Fronten, wohl aus parteipolitischen Gründen, festgelegt zu sein scheinen.
({11})
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Zusammenhang des Ausschußbeschlusses mit dem ursprünglich überwiesenen Gegenstand - Interpretation zu § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung - doch immerhin ein Zusammenhang sein muß. der nicht eine Hauptsache zur Nebensache degradiert oder umgekehrt eine Nebensache dazu benutzt, eine Hauptsache anzuhängen und sie auf eine Weise zu verabschieden, die dem Bundestag in der
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Praxis die Möglichkeit nimmt, in der ersten Beratung zu einem derart speziellen Gesetzentwurf Stellung zu nehmen.
Ich frage Sie: warum hat denn das Bundesarbeitsministerium ursprünglich diesen getrennten Gesetzentwurf vorbereitet, der mit einer solchen Hast und Eile in das Nebengesetz hineingearbeitet wurde, daß in der Drucksache zunächst sogar noch die alten Paragraphenbenennungen erschienen sind, wie sie in dem Entwurf des Bundesarbeitsministeriums verzeichnet waren? Ich würde es beklagen - auch mit Rücksicht auf die Konsequenzen, die sich daraus in der Zukunft ergeben könnten -, wenn in einer derartigen Weise der Bundestag seine Funktion nach § 129 der Geschäftsordnung dazu benutzen wollte, einen Sachverhalt herzustellen, der der inneren Begründung, ja sogar der inneren Logik und der Gerechtigkeit entbehrt. Deshalb bitte ich Sie, dem Antrag meiner Fraktion zuzustimmen.
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Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Ritzel hat eben gesagt, daß ihm ein Telegramm des Berliner Senats vom gestrigen Tag vorliege, wonach der Berliner Senat mit der Einbringung des erweiterten Gesetzes nicht einverstanden sei. Herr Abgeordneter Ritzel, ich darf Ihnen sagen: hier liegt vor mir der Beschluß des Berliner Senats Nr. 1361, in dem es heißt:
Entwurf eines Gesetzes über Zulagen und
Mindestleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung und zur Überleitung des Unfallversicherungsrechts im Lande Berlin.
a) Der Senat beschließt, der Absicht des Bundesarbeitsministers, das Organisationsgesetz zur Neuregelung der Berliner Unfallversicherung mit dem Unfallrentenzulagegesetz zu verbinden, zuzustimmen.
({0})
b) Die Bearbeitung dieses Beschlusses liegt in den Händen des Senators für Arbeit und des Senators für Bundesangelegenheiten.
Heute mittag um 12 Uhr ist von meinem Ministerium ein Gespräch mit Herrn Dormann, dem Sachbearbeiter des Berliner Senats, geführt worden, der dabei ausdrücklich erklärt hat, daß diese Stellungnahme des Berliner Senats nach wie vor bestehe und keine Änderung erfahren habe.
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Es wäre sehr interessant, zu erfahren, von wem das Ihnen vorliegende Telegramm aufgegeben worden ist.
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- Dann stehe ich allerdings vor einer spanischen Wand.
Ich bin dem Hohen Hause gegenüber verpflichtet, in diesem Zusammenhang einmal klar darzulegen, wie die Dinge liegen. Wir haben anläßlich der Beratungen über das Rentenzulagengesetz in Berlin Verhandlungen wegen der Neuordnung der Sozialversicherung geführt. Damals hat uns der Senat in aller Deutlichkeit erklärt: Wir werden in Berlin die entsprechenden Gesetze herstellen, wonach das Unfallrecht in Berlin dem Bundesrecht angeglichen
und die Berufsgenossenschaften in Berlin wieder Versicherungsträger werden. Auf Grund dieser ganz klaren Erklärung haben wir das Gesetz über die Erhöhung der Unfallrenten so vorgelegt, wie es zu Anfang in dieses Haus gekommen ist. Dann sind - völlig ohne unser Zutun - Herr Senator Klein und Herr Senator Fleischmann in voller Übereinstimmung mit dem Senat zu mir gekommen und haben gesagt, es sei, wenn man die Dinge richtig nehme, praktisch gar nicht möglich, Bundesrecht in Berlin abzuändern, und es sei unbedingt notwendig, für das Unfallrecht die Neuordnung der Versicherungsträger in Berlin mitzuregeln; denn der Bund könne zwar Gesetze erlassen, die man in Berlin zu übernehmen habe, aber das Berliner Abgeordnetenhaus könne nicht Gesetze erlassen, denen nachher der Bund zustimmen solle. Die Herren haben damals gesagt: Wir wollen, daß hier ein einheitliches Gesetz ersteht, das, wenn es nachher von Bundestag und Bundesrat verabschiedet ist, in der Gesamtheit in Berlin vorgelegt wird und das damit bindendes Recht auf allen Gebieten der Unfallversicherung herstellt. Dann haben wir - Herr Abgeordneter Ritzel, ich darf Sie bitten, das besonders zu beachten - die erweiterte Vorlage nicht allein, sondern mit dem besonderen Sachbearbeiter des Berliner Senats fertiggestellt. Hier handelt es sich um eine Gemeinschaftsarbeit des Bundes mit Berlin. Wenn Sie also sagen, daß diese beiden Dinge keinen inneren Zusammenhang haben, dann ist das nicht richtig. Das Gesetz hat die Berlin-Klausel in der erstvorgelegten Form. Diese Berlin-Klausel ist einfach nicht anzuwenden und damit das Gesetz in Berlin nicht durchzuführen. wenn nicht entweder durch eine Berliner gesetzliche Regelung oder durch eine gesetzliche Regelung dieses Hauses die Voraussetzungen geschaffen werden. Hier handelt es sich ia nicht darum. daß wir aus Steuermitteln Gelder nehmen und darrt Renten erhöhen. sondern wir verpflichten Sozialversicherungsträger, im Umlageverfahren die notwendigen Mittel aufzubringen. Von Berlin wird uns doch immer wieder gesagt: Wir sind bei der Schwäche unserer Wirtschaft nicht in der Lage, diese Dinge über die Bühne zu bringen; wir können sie nicht finanzieren. Wir haben uns im Bund durch das Rentenzulagegesetz verpflichtet, Berlin aus den Rentenversicherungsträgern im Jahr 40 bis 50 Millionen DM zu geben. Wir verpflichten durch das jetzt vorliegende Gesetz die Berufsgenossenschaften. für den Spezialzweck der Unfallversicherung Beträge von 10 bis 15 Millionen DM nach Berlin zu transferieren. Und das glauben Sie doch wohl auch. daß. wenn ich es mit einer Versicherung zu tun habe, die nun einmal nichts anderes darstellt als eine Haftpflichtversicherung der Arbeitgeber, ich nicht eine Gruppe verpflichten kann, für eine andere Gruppe Ausgleiche zu zahlen, wenn nicht gleiches Recht besteht und wenn nicht auch die Durchführung der Versicherung durch dieselben Versicherungsträger erfolgt.
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Ich wundere mich nach all dem, was ich auf diesem Gebiet im letzten halben Jahr mit den verantwortlichen Leuten von Berlin zu verhandeln gehabt habe, daß mir von der Linken dieses Hauses eine derartige Atmosphäre entgegenschlägt. Ich bin der Meinung, der innere Zusammenhang Ist dadurch gegeben, daß eben die Berlin-Klausel des ursprünglichen Gesetzes ohne diese Erweiterung des Gesetzes einfach nicht anwendbar ist.
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Das Wort hat der Abgeordnete Ewers.
Meine Damen und Herren, es steht fest, daß wir uns in einer Geschäftsordnungsdebatte gemäß § 129 befinden und noch nicht in der Debatte über den Streichungsantrag der Fraktion der SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Materie, die wir erörtern, wäre, wenn im Hintergrund kein hochpolitisches Argument stünde, außerordentlich spröde; und ich fürchte, selbst durch meine etwas aufgelockerte Form der Darstellung ihr nicht alle Sprödigkeit nehmen zu können.
Grundsätzlich kann ich vorausschicken: die heutige Debatte und die folgende Abstimmung werden zeigen, daß es außerordentlich ungeschickt ist, wenn man dauernd gelten sollende Bestimmungen auf Grund einer hochpolitischen Meinungsverschiedenheit auslegt.
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Darin bin ich mit dem Herrn Ausschußvorsitzenden Ritzel durchaus einig. Nicht einig bin ich mit dem, was heute hier geschehen ist, insofern, als wir nach § 129 die grundsätzliche Auslegung des § 60 im Bundestag nur dann vornehmen können, wenn eine „Prüfung" durch den Geschäftsordnungsausschuß vorangegangen ist, und als damit, daß hier das Votum des Ausschusses, der Antrag an den Bundestag, vorgelesen wird, das Haus über diese Prüfung hinreichend informiert sein soll. Wir pflegen solche Anträge immer „Mündlicher Bericht" zu nennen; in Wirklichkeit sind sie ja immer nur das Extrakt der Verhandlungen, nämlich hinsichtlich der Frage: Welche Beschlüsse beantragt der Ausschuß? Diese Anträge bedürfen der Begründung, und erst die Begründung ist der „Bericht". Da ein schriftlicher Bericht hier nicht vorliegt, hätte meines Erachtens zunächst einmal Herr Langer als bestellter Ausschußberichterstatter das Wort haben müssen, um hier so objektiv wie möglich die Sachlage dem Hause darzulegen. Das ist nicht geschehen.
Statt dessen hat unser sehr verehrter Herr Ritzel mit der Autorität seiner Person und seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Geschäftsordnungsausschusses für seine Fraktion nicht ohne Leidenschaftlichkeit - die ich ihm gern nachsehe; wir sind ja ungefähr gleichaltrig, wir freuen uns unserer Leidenschaft ({1})
den Standpunkt seiner Partei vertreten.
Gestatten Sie mir, daß ich - zwar nicht als Beauftragter, aber als mich ermächtigt fühlender Vertreter der Regierungskoalition - den gegenteiligen Standpunkt mit möglichst ebenso viel Nachdruck
- wenn auch nicht mit so viel Leidenschaftlichkeit
- und mit ein wenig Humor vertrete.
Herr Ritzel, unsere Anträge in den Ziffern 1 und 2 sind im Ausschuß einstimmig gefaßt worden. Wir erkennen an, daß über die Frage der Anwendung dieses Gesetzes auf Berlin in der Vorlage der Regierung ein wichtiger § 10 steht. Wir erkennen gemeinsam an, daß es auf den inneren Zusammenhang einer zu erledigenden Sache mit der eigentlichen Hauptangelegenheit ankommt, wenn der Sachzusammenhang des § 60 der Geschäftsordnung gewahrt sein soll.
Was nun den § 10 des Gesetzes anlangt, so bitte ich alle diejenigen Mitglieder des Hauses, die die Debatte mit einiger sachlicher Aufmerksamkeit verfolgen wollen, einmal die Seite 18 des Berichts in Drucksache Nr. 3115 aufzuschlagen, wo Sie den § 10 der Regierungsvorlage in der linken Spalte finden. Nachdem einige Seiten vorher in der linken Spalte rein gar nichts zu lesen war, kommt dann plötzlich der § 10. Es kann, wie Sie dort feststellen werden, nicht die Rede davon sein, daß die in den Gesetzen allgemein übliche Berlin-Klausel hier nur eingefügt sei. An dieser Stelle ist vielmehr nach Satz 1 ein jetzt in dieser Ausschußvorlage gesperrt gedruckter Satz 2 eingefügt, dessen Wortlaut - ich muß ihn leider verlesen, denn darauf kommt es entscheidend an - lautet:
Über die Auswirkungen des vom Lande Berlin zu erlassenden Gesetzes auf den Bund oder die gesetzliche Unfallversicherung im Bundesgebiet regelt die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Senat des Landes Berlin das Nähere.
Zu deutsch: eine Ermächtigung soll der Gesetzgeber der Bundesregierung geben, um eine Regelung der Beziehungen zu Berlin herbeizuführen.
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- Nicht nur „Ausführungsbestimmungen", sondern die Auswirkungen" sollen geregelt werden; das geschieht nur durch eine Rechtsverordnung. these Ermächtigung stand in der Vorlage. Wenn der Standpunkt der SPD richtig wäre, hätte der Sachund Fachausschuß allein vor der Frage gestanden: Friß, Vogel, oder stirb! Davon kann keine Rede sein.
Es ist auch nicht so, daß es sich bei § 10 der Vorlage, wenn die Hauptsache ein Fahrrad wäre, lieber Herr Ritzel, nur um die .,Hosenklammern" gehandelt hätte; mindestens ist eine sehr volltönende Fahrradglocke bereits angebracht gewesen. Uns allen klingen die Ohren davon, daß wir hier der Bundesregierung eine Ermächtigung erteilen sollen, und das klingt uns nicht sympathisch. Das hat der Ausschuß abgelehnt und statt dessen eine schon vorher in anderen Gremien besprochene und mit Berlin schon weitgehend geförderte spätere Vorlage gleich in das Gesetz hineingearbeitet, und zwar ist das, wie wir aus dem Munde des Herrn Arbeitsministers, der den Senatsbeschluß von Berlin Nr. soundsoviel verlesen hat, eben gehört haben, mit voller Zustimmung der dortigen Landesregierung uno actu in diesem Gesetz geregelt.
Das alles hat nun mit der Frage des Sachzusammenhangs sehr viel zu tun. Wäre es für die Bundesregierung bei der Vorlage des Gesetzes bezüglich der §§ 1 bis 9 überhaupt nicht in Frage gekommen, es auch auf Berlin Anwendung finden zu lassen, solange dort versicherungstechnisch noch Unordnung herrscht, dann wäre ein Sachzusammenhang bestimmtestens nicht gegeben gewesen. Da aber die Bundesregierung auch bei diesem Gesetz wie allen sonstigen, die wir erlassen und die Allgemeingültigkeit beanspruchen sollen, an Berlin gedacht hat und Berlin an den Segnungen und Verpflichtungen dieses Gesetzes teilnehmen lassen wollte - den Segnungen für die Arbeitnehmerschaft und den Verpflichtungen für die Organe -, so hat sie den § 10 ausdrücklich hineingenommen.
Nun sagt Herr Ritzel - und dem darf ich doch mit einiger Energie widersprechen -, der § 10 und seine weitere Durchführung stehe im Verhältnis zu den übrigen Paragraphen wie eine Hauptsache zur Nebensache. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist gefährlich, auch nur eine Bemerkung gegen Berlin zu machen; aber die Auffassung, daß im Verhältnis zum Gesamtinhalt eines Gesetzes die
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Vorschrift, daß es auch auf das zwölfte Land Anwendung finden soll, die „Hauptsache" sei, geht doch wohl ein bißchen weit.
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Hier ist das Bundesgebiet mit, ich glaube, heute 45 Millionen Einwohnern, und in Berlin haben wir mit rund zwei Millionen Einwohnern eine für uns sehr wertvolle Bastei gegen den Osten. Aber daß es die Hauptsache sei, daß dieses Gesetz auch in Berlin Anwendung findet, und daß gegenüber der Frage, ob in Berlin in der Materie das gleiche Bundesrecht gilt, die ganze Regelung des Bundesgesetzes eine Lappalie sei, - ({5})
- Doch, es wurde gesagt: das eine ist die Hauptsache und das andere eine Nebensache. Nein, meine Herren, davon ist keine Rede, sondern hier handelt es sich um eine gewiß auch für Berlin wünschenswerte Regelung, und nur die Regelung selbst ist die Hauptsache. Die Frage aber, ob diese nun auch in Berlin gelten soll oder nicht, ist im Verhältnis zur Hauptsache eine außerordentliche Nebensache, ebenso wie wenn Sie, wollen wir mal sagen, das Land Schleswig-Holstein ausnehmen wollten; das wäre auch keine Hauptsache im Verhältnis zu dem Gesamtinhalt des Gesetzes. Die Begriffe sind also ein wenig verschoben.
Ich komme zum Ausgangspunkt zurück. Für die Koalitionsparteien und ihre Rechtsberater steht einwandfrei fest, daß die Abschnitte 1 und 2 des Beschlusses des Geschäftsordnungsausschusses stets grundsätzlich Leitmotiv für die Frage sein müssen: Erstens: Wann ist der „Gegenstand" noch derselbe? Nur dann, wenn von ihm in einer Vorlage überhaupt die Rede ist. Zweitens: Besteht zwischen
dem Hauptgegenstand und dem, was geregelt worden ist, ein innerer Sachzusammenhang? Das letztere ist keine grundsätzliche Frage. Hierzu bin ich folgender Meinung: Wenn in einem Gesetz eine Sache durch Ermächtigung oder meinetwegen nur durch Ermächtigung zum Erlaß von Ausführungsbestimmungen geregelt werden sollte und ein Ausschuß statt dessen vorschlägt, nicht zu ermächtigen, sondern das Entsprechende ins Gesetz selbst hineinzuschreiben, dann ist der Sachzusammenhang so klar, daß es sich nicht um eine Fahrradglocke, sondern um eine Kirchenglocke handelt. Insoweit ist wirklich kaum ein Zweifel möglich.
Es wäre mir, wie gesagt, lieber, ich könnte das alles ohne Rücksicht auf die hochpolitische Bedeutung dieser Frage, die sie offenbar auch für Berlin selbst hat, hier ausführen. Wir Juristen der Koalition, die wir als Mehrheit für den Vorschlag des Ausschusses gestimmt haben, haben bei dieser Sache ohne Leidenschaft und ohne Ereiferung gehandelt und ein ganz ausgezeichnet gutes Gewissen.
({6})
Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst den Herrn Berichterstatter, den Herrn Abgeordneten Langer, dagegen in Schutz nehmen, als ob er eine Pflicht nicht erfüllt hätte. Herr Abgeordneter Langer ist bei mir erschienen und hat mit mir über die Sache gesprochen. Es ist dabei die Erwägung angestellt worden, ob die Prüfung durch den Geschäftsordnungsausschuß gemäß § 129 der Geschäftsordnung tatsächlich dem Antrag eines Ausschusses gleichzusetzen sei, der einen Bericht im formellen Sinne bedinge. Diese Frage haben wir verneint, und der Geschäftsordnungsausschuß hat daraufhin das Ergebnis seiner Prüfung dem Hause mitgeteilt. Ich habe das für ausreichend gehalten. Im übrigen sind ja nun durch Mitglieder dieses Hauses die verschiedenen Gesichtspunkte hinreichend erörtert worden.
Das Wort hat der Abgeordnete Gengler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Darlegungen meines Vorredners, des Herrn Kollegen Ewers, kann ich mich in der Geschäftsordnungsdebatte kurzfassen. Ich bin zunächst der Meinung, daß es nicht erforderlich ist, aus allem eine Grundsatzfrage zu machen, wie es heute hier teilweise geschehen ist. Es handelt sich in diesem Fall meines Erachtens weitgehendst um eine Frage der Zweckmäßigkeit. Der Herr Bundesarbeitsminister hat eingehend dargelegt, unter welchen Gesichtspunkten wir diese Einfügung in das Gesetz betrachten müssen. Im Grunde genommen handelt es sich lediglich darum, daß im Interesse der bedürftigen Versicherten für Berlin die materiellen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen werden, um das Gesetz durchzuführen und gleiches Recht in Berlin wie in der Bundesrepublik herzustellen. Es bestand Übereinstimmung darüber, daß die gute Auswirkung dieses Gesetzes, eine Erhöhung der Unfallrenten, auch im Lande Berlin Platz greifen solle. In Verfolg dessen - und damit komme ich zum rein Geschäftsordnungsmäßigen - war es richtig, daß auf der Grundlage des § 10 der Vorlage Drucksache Nr. 2934 der Ausschuß sich mit der Ingangsetzung der Unfallrentenerhöhung für Berlin beschäftigt hat. Mein Vorredner hat bereits darauf hingewiesen, daß das, was in § 10 der Regierungsvorlage gesagt wird, nicht lediglich eine „Fahrradklammer" als Anwartschaft auf ein Fahrrad darstellt, wie Herr Kollege Ritzel vorhin gesagt hat. Der erste Satz des § 10 stellt fest, daß das Gesetz seine Auswirkung auch auf Berlin haben soll. Wesentlich ist dann aber der zweite Satz:
Über die Auswirkungen des vom Lande Berlin zu erlassenden Gesetzes auf den Bund oder die gesetzliche Unfallversicherung im Bundesgebiet regelt die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Senat des Landes Berlin das Nähere.
Nun hat seit der Vorlage das Bundesarbeitsministerium in Verhandlungen mit dem Senat von Berlin die Klarheit über diesen Satz 2 geschaffen, und es war selbstverständlich ein Recht des Ausschusses, an Stelle der Verhandlungs- und Abschließungsermächtigung, wie sie § 10 für die Bundesregierung enthalten hat, gleich die vollständige Regelung in das Gesetz hineinzunehmen. Insofern komme ich auch nach der Geschäftsordnung zu der Auffassung, daß die vorgesehene Regelung im Einklang mit der Vorlage steht und darum auch der Ausschuß berechtigt war, einen solchen Beschluß zu fassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Mellies.
Meine Damen und Herren! Der Herr Präsident hat vorhin dankenswerterweise darauf hingewiesen, daß es sich hier zunächst immer noch um die Geschäftsordnungsdebatte handelt. Wie notwendig eine saubere Trennung der hier anstehenden Fragen ist, haben gerade die Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers bewiesen. Der Herr Minister hat sich über die
({0})
Atmosphäre beschwert, die ihm von der linken Seite des Hauses bei dieser Frage entgegenschlage. Herr Minister, es handelt sich hier zunächst noch gar nicht um die sachliche Auseinandersetzung; es handelt sich letzten Endes gar nicht um die Frage, welche Stellung der Berliner Senat zu dieser Frage einnimmt und wie das Gesamtproblem zu beurteilen ist, sondern hier handelt es sich zunächst lediglich um eine Frage, die allerdings das Hohe Haus in ganz besonderem Maße angeht. Ich bitte die Damen und Herren auch der Regierungskoalition, diese Frage jetzt doch einmal nur vom Standpunkt des Parlaments aus anzusehen. Dann werden Sie, glaube ich, auch zu der Überzeugung kommen, daß der Weg, der hier beschritten werden soll, außerordentlich gefährlich ist. Wenn wir nächstens erleben, daß die Vorlagen, die wir an die Ausschüsse verweisen, in einer so veränderten Form herauskommen - in einer Form, die praktisch nicht mehr ein Gesetz, sondern zwei Gesetze enthält -, dann ist das, glaube ich, ein Weg, den wir, von unserer Gesamtarbeit aus gesehen, lieber nicht beschreiten sollten. Ich bitte deshalb noch einmal dringend, diese Frage genau zu prüfen und zu überlegen.
Herr Kollege Ewers, ich stimme mit Ihnen in der Beurteilung des § 10 der Regierungsvorlage völlig überein. Aber wenn der Ausschuß dann die Unzulänglichkeit dieses Paragraphen erkannt hat, konnte es niemals seine Aufgabe sein, sozusagen ein neues Gesetz dem ersten Gesetz anzuhängen, sondern er hatte dann diesem Hause den Antrag oder die Entschließung zu unterbreiten, die Bundesregierung zu ersuchen, möglichst bald ein entsprechendes Gesetz vorzulegen. Das war der Weg, der hätte gegangen werden müssen; dann hätten wir uns diese Auseinandersetzung hier ersparen können. Denken Sie bitte einmal daran: Wir sind das erste Parlament der Bundesrepublik - ich habe von dieser Stelle aus verschiedentlich darauf hingewiesen -, und die Praxis, die wir hier einführen, ist später Vorbild für die zukünftige Arbeit der Parlamente. Vor solchen Präzedenzfällen, wie sie hier geschaffen werden, sollten wir uns im Interesse des Parlaments selbst hüten.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur eine ganz kurze Erwiderung zu einzelnen Ausführungen. Wenn ich mich auf § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung stütze, dann darf ich feststellen: Gegenstand, der vom Plenum des Hauses dem Ausschuß für Sozialpolitik überwiesen worden ist, war ein Gesetz über Rentenerhöhungen. Gegenstand des Abschnitts II, der dann auf Grund eines getrennten Gesetzentwurfs des Bundesarbeitsministeriums von der Mehrheit des Ausschusses angehängt worden ist,
({0})
ist das Problem der Organisationsänderung zur Überleitung der gesamten Unfallversicherung im Lande Berlin. Wenn Sie das noch als Gegenstand, als „Anhängsel" im Sinne von § 60 Abs. 3 betrachten wollen, dann beneide ich Sie nicht um diese Kunst der Interpretation.
Herr Kollege Ewers, ich glaube, Sie haben mich bei der Schilderung von Hauptsache und Nebensache ebenso mißverstanden, wie ich befürchte, daß Sie bei der Interpretation, die Sie der Geschäftsordnung angedeihen lassen, fehlgreifen. Ich möchte den von Ihnen zitierten letzten Satz des § 10 des alten Entwurfs - Drucksache Nr. 2934 - etwas anders betrachten und das Hohe Haus bitten, dieser Betrachtung zu folgen. Es heißt hier:
Über die Auswirkungen des vom Lande Berlin
zu erlassenden Gesetzes
- zu der Frage der Rentenerhöhung und zu nichts anderem ({1})
auf den Bund oder die gesetzliche Unfallversicherung im Bundesgebiet regelt die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Senat des Landes Berlin das Nähere.
Kein Wort, Herr Kollege Ewers, von einer Ermächtigung, kein Wort gar von einer Generalermächtigung, sondern lediglich die Feststellung, daß das Spezialgesetz über die Rentenerhöhung durch eine Ausführungsbestimmung, die zwischen dem Bund und dem Land Berlin vorzubereiten und durchzuführen ist, geregelt werden soll; sonst gar nichts.
Nun noch eine abschließende Bemerkung zu den Zweifeln, in denen sich der Herr Bundesarbeitsminister befindet. Herr Minister, nicht nur das von dem Herrn Dr. Dormann unterzeichnete Fernschreiben - nicht Telegramm, insofern habe ich mich zu berichtigen -, sondern auch ein zweites Fernschreiben gleichen Wortlauts von gestern liegt hier vor:
Berlin, 11. 3., 15 Uhr 30 Ich habe soeben das nachstehende Fernschreiben an den Senator Dr. Klein gegeben.
Fleischmann
Was ist daraus zu schlußfolgern? Daß der Senat der Stadt Berlin - ({2})
({3})
- Ob man das „umfallen" nennen kann, weiß ich
nicht. - Jedenfalls besteht die Auffassung, die in
dem entscheidenden, auch von dem Herrn Minister
als entscheidend bezeichneten Teil vertreten wird,
daß dieses angehängte, separate Gesetz nicht in den
Gesetzentwurf Drucksache Nr. 2934 hineingehört.
Deshalb rate ich Ihnen noch einmal: verzichten Sie
darauf, die Geschäftsordnung zu vergewaltigen.
Es wäre eine Vergewaltigung der Bestimmungen
der Geschäftsordnung, die sich bitter rächen müßte.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Vorwurf der Vergewaltigung der Geschäftsordnung ist sachlich völlig ungerechtfertigt.
({0})
Wenn irgend etwas dazu angetan war, dies klarzustellen, dann waren es die Ausführungen des Herrn Ministers Storch. Aus diesen Ausführungen ergibt sich klipp und klar, daß es sich, damit das Gesetz über die Zulagen und Mindestleistungen in der Unfallversicherung auf Berlin angewandt werden kann, darum handelt, die finanzielle Grundlage für
({1})
die Anwendbarkeit dadurch zu sichern, daß die Berufsgenossenschaften im Bundesgebiet die Mittel für Berlin aufbringen.
({2})
Ich glaube, es liegt im Interesse Berlins, sichergestellt zu sehen, daß die Berliner in den Genuß dieses Gesetzes kommen. Die Sozialdemokratie muß wohl selbst sehr lange auf diesem Standpunkt gestanden haben; denn sie hat während der ganzen Zeit im Ausschuß an der Ausgestaltung dieser Bestimmungen mitgearbeitet und hat den Einwand, es handle sich hier um eine zu weitgehende Auslegung des § 129 der Geschäftsordnung, erst ganz zuletzt vorgebracht. Wenn dieser Einwand hier vorgetragen wird, dann liegen bestimmte politische Gründe und Hintergedanken nicht bei . den Koalitionsparteien, sondern bei der Opposition.
({3})
Weitere Wortmeldungen zu dieser Geschäftsordnungsfrage liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache darüber.
Wir kommen zur Abstimmung über den Vorschlag des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität vom 12. März 1952. Wer für den Vorschlag des Ausschusses ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich rufe den Zweiten Teil, Abschnitt I, § 10 auf. Hier ist ein Antrag der Fraktion der SPD angekündigt. Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesarbeitsminister hat in seinen Bemerkungen zu der Frage der Geschäftsordnung auch den materiellen Inhalt des Zweiten und Dritten Teils angesprochen und erklärt, daß das Unfallversicherungs-Zulagegesetz ohne eine strukturelle und organisatorische Änderung der Berliner Sozialversicherung, die Teil 2 und 3 des Gesetzes vollziehen sollen, nicht anwendbar ist. Der Herr Bundesarbeitsminister hat dabei auf das Rentenzulagegesetz verwiesen. Zwischen dem Rentenzulagegesetz und dem UnfallversicherungsZulagegesetz bestehen aber grundlegende Unterschiede.
({0}) Durch das Rentenzulagegesetz hat der Bund finanzielle Verpflichtungen für die Berliner Sozialversicherung übernommen, über deren Höhe bei anderer Gelegenheit noch etwas zu sagen sein wird. Das möchte ich deshalb erwähnen, weil verschiedentlich behauptet worden ist, der Berliner Sozialversicherungsträger werde in außerordentlich großem Umfang vom Bund finanziert. Das entspricht, wie später einmal darzulegen sein wird, nicht ganz den Tatsachen. Insbesondere ist z. B. die dankenswerte Hilfe des Bundes gegenüber dem Berliner Rentenversicherungsträger geringer als die beim Versicherungsträger Schleswig-Holstein.
Der entscheidende Unterschied liegt darin, daß das Unfallzulagegesetz aus den Beiträgen der Unternehmungen finanziert wird und daß die Durchführung dieses Gesetzes in Berlin ohne weiteres und ohne jede organisatorische Änderung der Berliner Unfallversicherung möglich wäre,
({1})
nämlich deshalb, weil alle Mittel für die Unfallversicherung im Bunde und in Berlin durch Umlage der Unternehmungen aufgebracht werden.
Dabei darf ich Ihnen mitteilen, daß die Umlage
zur Unfallversicherung in Berlin gegenwärtig niedriger ist als die entsprechende Umlage, die die
Berufsgenossenschaften im Bundesgebiet erheben.
({2})
Im übrigen ist das Finanzmaterial, das der Herr Bundesarbeitsminister für die Ausschußberatungen zur Verfügung gestellt hat, in dieser Hinsicht mißverständlich. In diesem Material - ich darf zitieren - heißt es:
Zu diesen Aufwendungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1951 werden noch folgende zusätzlichen Aufwendungen erwachsen:
- mehrere Ziffern aufgeführt -
d) 36 Millionen DM für die Einbeziehung Berlins in die gesetzliche Unfallversicherung einschließlich der Zulagengewährung nach dem Unfallzulagegesetz.
Diese Zahlen werden den Tatsachen nicht gerecht. Das muß ich hier erklären.
({3})
Die gesamte Umlage der Berliner Sozialversicherung auf dem Gebiete der Unfallversicherung wird einschließlich der Zulage jährlich nur 18 Millionen DM betragen und ausschließlich von den Berliner Arbeitgebern aufgebracht; sie belastet nicht zusätzlich die Arbeitgeber des Bundesgebiets.
({4}) Diese Umlage dient dazu, alle Leistungen der Unfallversicherung zu erbringen. - Herr Kollege Atzenroth, Sie kennen die Gestaltung der Berliner Unfallversicherung nicht. Die Berliner Unfallversicherung ist in ihrem materiellen Recht, dem Recht der Leistungen, voll dem Recht des Bundesgebiets angepaßt, z. B. in der Methode der Rentenberechnung und anderen Bestimmungen. Die Unterschiede bestehen lediglich in bezug auf die grundlegenden Fragen der Organisation.
({5})
Meine Damen und Herren, durch das Unfallzulagegesetz wird also - und das scheint mir entscheidend zu sein - Berlin und der Berliner Sozialversicherung keine zusätzliche Hilfe durch Versicherungsträger oder Arbeitgeber des Bundesgebiets gewährt. Derartige Behauptungen entsprechen, wie ich nachdrücklich erklären möchte, nicht den Tatsachen. Allerdings wird durch das Unfallzulagegesetz in den Vorschriften des Teils 2 und 3 - und deshalb wendet sich meine Fraktion dagegen - versucht, durch eine Koppelung von Unfallzulage mit der organisatorischen Gestaltung der Sozialversicherung eine sozialpolitische Entscheidung herbeizuführen, die gewissermaßen die Neuordnung der Sozialversicherung in bestimmter Richtung präjudizieren soll.
Im übrigen werden durch die Vorschriften des Zweiten und Dritten Teils die Rechte Berlins und der Berliner Sozialversicherung gegenüber den Rechten der Sozialversicherungsträger im Bundesgebiet beeinträchtigt, und zwar in folgender Weise: Nach § 620 der Reichsversicherungsordnung werden die Berufsgenossenschaften nach örtlichen Bezirken gebildet. Durch den Teil 2 des Unfallzulagegesetzes wird praktisch die Möglichkeit zur Bildung örtlicher Versicherungsträger für Unfallversicherung in Berlin ausgeschaltet. In verschiedenen Teilen des Bundesgebiets bestehen örtliche Versicherungsträger, örtliche Bauberufsgenossenschaf({6})
ten in Hamburg, die württembergische Bauberufsgenossenschaft, die bayerische Bauberufsgenossenschaft; Berlin wird aber durch die Vorschriften des Teils 2 die Möglichkeit genommen, örtliche Versicherungsträger zu errichten. Berlin hat weiter keine Möglichkeit, eine eigene Aufsicht über diese Versicherungsträger, die bei örtlichen Versicherungsträgern den Ländern zusteht, auszuüben; das wird durch das Unfallzulagegesetz unmöglich gemacht.
Außerdem wird aber auch das Leistungsrecht durch den Teil 2 und 3 des Unfallzulagegesetzes keineswegs verbessert, wenn berücksichtigt wird, daß die Unfallzulagen in Berlin automatisch auch ohne Teil 2 und 3 durchgeführt werden können. Die Leistungen werden sogar in nicht unwesentlichen Teilen verschlechtert. Die Berliner Unfallversicherung führt gegenwärtig ein Unfallarztverfahren durch, d. h. eine spezialärztliche Versorgung für alle Unfallverletzten ohne Unterscheidung, ob es sich um einen Unfall des Arbeitslebens oder des täglichen Lebens handelt. Bei Durchführung von Teil 2 und Teil 3 wird diese besondere unfallärztliche Versorgung aller Verletzten unmöglich gemacht, weil dann Träger der Unfallversicherung lediglich die Berufsgenossenschaften sind, die sich in der Durchführung der unfallärztlichen Behandlung auf Arbeitsunfälle beschränken. Das ist eine Verschlechterung der Leistungen.
({7})
Weiter machen es die Vorschriften der Teile 2 und 3 unmöglich, den Verletzten, die im Osten Berlins wohnen und von der Berliner Sozialversicherung mit Sitz West-Berlin Rentenleistungen erhalten, die Zulagen nach dem Unfallzulagegesetz zu gewähren. Die Zulagen sind nämlich beschränkt auf Personen, die im Lande Berlin - Berlin ({8}) - wohnen, während der Berliner Unfallversicherungsträger wegen der besonderen Situation denjenigen, die in Berlin ({9}) arbeiten und im Osten wohnen, Rentenleistungen gewährt.
Auch in bezug auf die Selbstverwaltung bestehen seitens meiner Fraktion Bedenken. Gegenwärtig ist in Berlin genau so wie im Bundesgebiet zwar noch keine volle Selbstverwaltung durchgeführt. Aber wir haben in Berlin eine Selbstverwaltung unter Beteiligung von Versicherten und Vertretern der Regierung. Die Berufsgenossenschaften haben bis zur Stunde, da das Selbstverwaltungsgesetz noch nicht durchgeführt wird, keine Selbstverwaltung unter Beteiligung der Versicherten. Durch eine Übernahme der Vorschriften des Bundesgebietes wird also in Berlin bis zum Erlaß des Änderungsgesetzes zum Selbstverwaltungsgesetz eine Selbstverwaltung für die Unfallversicherung unter Beteiligung der Versicherten ausgeschlossen werden.
Außerdem sind in den Teilen 2 und 3 Vorschriften enthalten, die sich zum Nachteil der Beschäftigten der Berliner Sozialversicherung auswirken und von den allgemein geltenden Normen in bezug auf die Sicherung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes im Bundesgebiet abweichen. Für die Haltung meiner Fraktion ist weiter von Bedeutung, daß nach den Vorschriften des Teils 2 praktisch die Zentrale der Unfallversicherung von Berlin in das Bundesgebiet verlegt wird. Berlin kämpft wegen seiner besonderen arbeitsmarktpolitischen Lage, wie den Damen und Herren des Hauses bekannt ist, seit Jahren einen verzweifelten Kampf um die Verlegung zentraler Bundesstellen nach Berlin. Durch die Vorschriften des Teils 2 und 3 werden nicht etwa öffentliche Dienststellen, also die Träger der Unfallversicherung, die vor dem Zusammenbruch ihren Sitz in Berlin hatten, nach Berlin verlegt. Das Umgekehrte tritt ein: die Zentralen der Unfallversicherung bleiben im Bundesgebiet, und in Berlin werden nur rein örtliche Stellen eingerichtet, die lediglich Durchführungsaufgaben haben, denen aber nicht die zentrale Lenkung übertragen wird. Deshalb haben auch Abgeordnete der Fraktionen der Regierungsparteien im Berliner Parlament, meine Damen und Herren, sehr beachtliche Gründe gegen eine Übernahme der Regelung des Teils 2 und des Teils 3. In diesem Zusammenhang ist es wohl bemerkenswert, daß mit besonderem Nachdruck versucht wird, die Erörterung dieser Fragen aus der Berliner Atmosphäre herauszunehmen und im Zusammenhang mit dem Unfallzulagegesetz hier in diesem Hause zu behandeln.
({10})
Im übrigen sind die Vorschriften über das Inkrafttreten des Gesetzes technisch undurchführbar. Es ist unmöglich, das Gesetz mit Wirkung vom 1. April in Kraft zu setzen, da bis dahin das Gesetz noch nicht einmal veröffentlicht sein wird. Es geht nicht an, dieses Gesetz rückwirkend durchzuführen. Wer soll denn für die Zeit nach dem 1. April die Verantwortung für die Leistungsgewährung an die Versicherten tragen? Insofern ist das Gesetz, wie sich auch aus einer Reihe anderer Vorschriften ergibt, nach Auffassung meiner Fraktion nicht gut durchdacht. Beispielsweise muß für die Eigenunfallversicherung nach Teil 2 erst ein besonderer Berliner Träger der Eigenunfallversicherung im Wege eines Durchführungsgesetzes errichtet werden. Das wird doch eine geraume Zeit in Anspruch nehmen! Wer führt bis dahin die Aufgaben der Unfallversicherung durch? Das Gesetz mit Wirkung ab 1. April 1952 in Kraft zu setzen, die Umlage sogar rückwirkend für das gesamte Jahr 1951 durch die Träger der Unfallversicherung des Bundesgebietes erheben zu lassen. ist nach Ansicht meiner Fraktion verwaltungstechnisch eine Unmöglichkeit.
Darüber hinaus sind wir aber auch der Meinung, daß der Zweite und der Dritte Teil des Gesetzes nicht gründlich durchgearbeitet sind.
({11})
- Meine Damen und Herren, schauen Sie sich einmal die Paragraphen des Zweiten und Dritten Teils an! Es ist praktisch ein anderes Gesetz an das Unfallzulagegesetz herangeflickt worden - um diesen plastischen Ausdruck einmal zu gebrauchen -, ohne daß die Dinge voll aufeinander abgestimmt worden sind. Sie werden bei der weiteren Beratung feststellen müssen, daß das tatsächlich der Fall ist. Die sozialdemokratische Fraktion steht deshalb auf dem Standpunkt, daß der Sache, nämlich der bestmöglichen Gewährung von Unfallrentenzulagen, ein schlechter Dienst durch ,die Einfügung eines Zweiten und eines Dritten Teils erwiesen worden ist. Aus diesem Grunde sind wir nicht in der Lage, uns bei der Beratung des Zweiten und Dritten Teils zu beteiligen. Die Verantwortung dafür müssen die Damen und Herren des Hauses tragen, die auf dem Standpunkt stehen, daß eine solche Koppelung, die sich nicht aus den Notwendigkeiten eines Unfallversicherungs-Zulagegesetzes ergibt, durchgeführt wird.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der erste leitende Direktor der Versicherungsanstalt Berlin, Herr Professor Schellenberg, der seit kurzem gleichzeitig Abgeordneter dieses Hauses ist, hat hier eben in einer Form zur Vorlage Stellung genommen, die, wenn man an die offizielle Haltung der Berliner Regierung und der Mehrheit des Berliner Parlaments in Sachen Angleichung des Sozialversicherungsrechts an das Bundesrecht denkt, nur allergrößtes Befremden auslösen kann.
({0})
Man wäre versucht zu sagen: Herr Dr. Schellenberg hat quasi ein Plädoyer in eigener Sache gehalten.
({1})
Es kostet in der Tat eine starke Überwindung, wenn man der Versuchung widerstehen will, auf diese Ausführungen in der Ausführlichkeit einzugehen, wie es die Lage der Versicherungsanstalt Berlin eigentlich erforderlich macht.
Ich will mich auf einige Erklärungen und Feststellungen beschränken. Seit geraumer Zeit haben wir immer dann, wenn Debatten über Sozialversicherungsgesetze geführt worden sind, bei denen es sich um die Einbeziehung des Landes Berlin gehandelt hat - die Kolleginnen und Kollegen, insbesondere die, die im Sozialpolitischen Ausschuß sind, kennen die Vielzahl der Gelegenheiten und auch hier im Plenum sind schon eine Reihe von Debatten dieser Art geführt worden -, gemeinsam betont, daß wir bei allen Gesetzesvorlagen dafür eintreten, das Land Berlin so zu behandeln wie das übrige Gebiet der Bundesrepublik.
({2})
Auf Grund dieser Erkenntnis - das wollen wir doch hier einmal ganz deutlich und klar herausstellen -- hat der Bund auch bis zur Stunde - und er tut es auch noch für die Zukunft - finanzielle Leistungen an die Versicherungsanstalt Berlin abgeführt, die sich bei Gott sehen lassen können,
({3})
auch wenn Herr Professor Schellenberg hier Vergleiche etwa mit dem Land Schleswig-Holstein zieht. Ich muß es bedauern, daß der Direktor dieser Versicherungsanstalt hier nicht ein klareres Wort zu diesen enormen Leistungen des Bundes gefunden hat.
({4})
Es ist immer wieder - ich erinnere mich bei solchen Debatten regelmäßig der Erklärungen, die der Regierende Bürgermeister damals im Ausschuß abgegeben hat, daß, wenn man A sagt, man auch B sagen muß - betont worden, daß wir systematisch in jedweder Beziehung bestrebt sein wollen, das Berliner Recht an das Bundesrecht anzugleichen. Herr Senator Fleischmann hat bei der Beratung dieser Vorlage im Ausschuß für Sozialpolitik ausdrücklich erklärt - und das kann nicht bestritten werden -, daß wir in der Sache selber durchaus einig seien, daß da keine Meinungsverschiedenheiten bestünden. Diese Erklärung ist durch den Berliner Senatsbeschluß, ,den Herr Minister Storch verlesen hat, erhärtet worden. Herr Fleischmann hat im Ausschuß gesagt: ich vertrete diesen Senatsbeschluß.
Meine verehrten Damen und Herren, wir wollen die Dinge einmal ganz klar darstellen, wie sie sind.
Ich kann nicht mit Daten dienen, aber ich kann auf die Tatsache hinweisen, daß in Berlin schon vor geraumer Zeit als erste Maßnahme beschlossen worden ist, die Unfallversicherung wieder in das Bundesrecht zu überführen. Bis heute, in der Situation, in der wir jetzt stehen, hat das Berliner Parlament noch keine Vorlage verabschiedet, die diesen damaligen Beschluß verwirklicht. Wenn in Erkenntnis all der Schwierigkeiten in der gemeinsamen Erarbeitung dieser Gesetzesvorlage jene Übereinstimmung zwischen Bundesarbeitsminister und Berliner Senat zustande gekommen ist -, was für ein Grund besteht denn nun in Wahrheit noch, gegen die Durchführung dieser von der übereinstimmenden Meinung getragenen Absicht heute noch Sturm zu laufen?
({5})
Dahinter steckt ganz eindeutig die Einstellung der
Berliner Sozialdemokratie und derjenigen, die die
Versicherungsanstalt Berlin - die sich bei Gott
in keiner günstigen Finanzlage befindet - auch in
die Zukunft hinüberretten, jedenfalls die Dinge
so lange hinausschieben wollen, bis man die Hoffnung haben kann, daß hier im Bundesgebiet eine
Reform der Sozialversicherung in Anpassung an
das geltende Berliner Recht vorgenommen würde.
({6})
So geht es beileibe nicht! Es ist in der Tat so!
Nun ist man durch den Mehrheitsbeschluß des Berliner Parlaments und auch durch den Senatsbeschluß an und für sich eigentlich doch gehalten, diese Vorlage mit zu vertreten. Das aber, was die sozialdemokratische Fraktion heute hier in diesem Hause tut, ist nichts anderes als der Versuch, der ganz klare Versuch, das, was in Berlin mit den dortigen Möglichkeiten bis zur Stunde nicht gelingt, hier in diesem Hause durchzusetzen,
({7})
also gewissermaßen Steigbügelhaltung für Absichten, die dort vorhanden sind.
({8})
Wenn man aber - und das möchte ich insbesondere an die Adresse der sozialdemokratischen Fraktion sagen - das in Berlin geltende Sozialversicherungsrecht an das Bundesrecht angleichen will, dann gehören dazu auch die Sozialversicherungsträger, wie sie im Bundesgebiet bestehen, und wenn wir die Unfallversicherung nach Bundesrecht regeln wollen, dann gehört dazu auch die berufsgenossenschaftliche Trägerschaft, wie sie im Bundesgebiet selber Geltung hat.
({9})
Nun hat Herr Professor Schellenberg auf verschiedene Dinge hingewiesen, in denen das Berliner Recht verschlechtert würde, wenn wir das Gesetz heute so annehmen. Er hat insbesondere auch dabei herausgestellt, daß die Berliner Unfallversorgung ja nun alle Verletzten - gleichgültig, ob sie im Beruf verunglückt sind oder nicht - einbezieht. Er hat aber auch gleichzeitig darauf hingewiesen, daß das Beitragsaufkommen für die Regelung der Unfallversicherung von den Berliner Arbeitgebern getragen wird. Meine Damen und Herren, das scheint mir ja eines der unmöglichen Dinge zu sein, auf die hingewiesen werden muß. Wie kommen im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung die Berliner Arbeitgeber dazu. die Beiträge auch für diejenigen Menschen aufzubringen, die sonst irgendwie einen Schaden, eine Verletzung erlitten,
({10})
aber mit dem Personenkreis und dem Zuständigkeitsbereich der berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherung beileibe nichts zu tun haben?
({11})
Ich glaube, schon, daß das ein Punkt ist, der in der Tat einer Korrektur bedarf. Ich glaube, wir tun der Berliner versicherten Bevölkerung im letzten Ende und in Wahrheit einen Dienst, wenn wir auch von hier aus dafür sorgen, daß das Sozialversicherungsrecht zwischen Bund und Land Berlin so bald wie möglich in Übereinstimmung gebracht wird; denn schließlich ist es auch für die Berliner Bevölkerung ein finanzieller Fortschritt, wenn man die Dinge im ganzen und wahrheitsgemäß beleuchten will.
Aus all diesen Gründen bitte ich das Hohe Haus, in seiner Mehrheit jedenfalls, die sozialdemokratischen Anträge auf Streichung des Zweiten und Dritten Teils der Vorlage - der §§ 10 bis 25 - abzulehnen. Wir können sie ablehnen in der beruhigenden Überzeugung, daß wir zum ersten nicht gegen die Geschäftsordnung verstoßen haben und zum zweiten eine Regelung treffen, deren Durchführung in Berlin nur im Interesse der dortigen Versicherten liegen kann.
({12})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Nach den uns nicht überraschenden Ausführungen des Herrn Professor Schellenberg - ich kenne ihn aus seinen Turnusreden in Berlin und anderswo - möchte ich ihn jetzt doch noch in Ergänzung der Ausführungen meines Kollegen Horn darauf aufmerksam machen, daß er sich selber hier in ausgezeichneter Weise widersprochen hat; denn ich nehme an, als der noch im Amt befindliche Geschäftsführer der Versicherungsanstalt Berlin fühlt er sich sicherlich noch verantwortlich für das, was in dem Nachrichtenblatt der VAB im Januar dieses Jahres zu lesen war. Auch ich möchte hier dem Reiz widerstehen, dem Herrn Professor Schellenberg - und ich könnte es sehr handfest - so einige Dinge nachzuweisen, die ihm wenig Freude machen würden!
({0})
Ich möchte ihm nur in Erinnerung bringen, daß seine VAB in seinem Nachrichtenblatt mit ihm hoffentlich noch der Auffassung ist, was im Januar dieses Jahres - ich möchte es mit Genehmigung des Präsidenten vorlesen - geschrieben wurde:
Es ist daher selbstverständlich, daß die auf vielen Rechtsgebieten seit 1945 bestehenden Unterschiede mehr und mehr durch vernünftige Änderungen einander angeglichen werden. Das gilt auch für die Sozialversicherung; denn Berlin-West kann es sich nicht leisten, eine völlig isolierte Gesetzgebung aufrechtzuerhalten. Damit würden wir den Deutschen in Berlin und in der Bundesrepublik nichts nützen, vielmehr ihre Zusammenarbeit erschweren.
Es kommt sehr wesentlich darauf an - so schreibt das Blatt des Herrn Professor Schellenberg -, daß diese Angleichung erfolgt. Und zu der Selbstverwaltung, die er hier zitiert hat, ist im selben Artikel folgender bemerkenswerte Satz zu lesen:
Die Parlamente im Bundesgebiet und auch in
Berlin sind dabei, durch Neuordnung der Gesetzgebung die Selbstverwaltung wieder in vollem Umfang Wirklichkeit werden zu lassen. Das Anpassungsgesetz vom 3. Dezember 1950 bedarf noch einer Ergänzung durch die vom Senat aufzustellende Wahlordnung. Diese wird davon abhängen, wie die Gestaltung im Bundesgebiet endgültig erfolgt. Mit einer abschließenden Gesetzgebung in dieser Frage ist in den nächsten Monaten zu rechnen.
So Herr Professor Schellenberg in seinem VAB-Nachrichtenblatt!
({1})
Im Ausschuß für Sozialpolitik haben allerdings die Schellenberger und ihr Anhang
({2})
etwas anderes vertreten. Da wollten sie ein besonderes Selbstverwaltungsgesetz für Berlin. Das wurde politisch begründet. Und sehen Sie, meine Herren von der Opposition, das ist nämlich der Knalleffekt der heutigen Debatte: nicht Geschäftsordnungsfragen, über die man sehr sachlich diskutieren kann; nicht Fragen betreffend den Umfang oder das geringere oder weitere Ausmaß der Einbeziehung des S 10, sondern die ganz nüchterne Tatsache, daß hier aus politischen Gründen etwas verteidigt wird, mit dem Herr Renner und Sie einig sind, Herr Professor Schellenberg: jene von den Kommunisten für Berlin befohlene Versicherungsanstalt, die nach Ihrem Willen ein Modell sein soll für die Reform im Bundesgebiet, und hoffentlich werden Sie nach dieser Debatte in Berlin aufhören, dieses Modell zu preisen. Heute haben Ihre Freunde in Berlin erklärt, dieser Punkt sei von der Tagesordnung abgesetzt. Sicher war der Wunsch der Vater des Gedankens. Ich bin überzeugt, daß Sie es in den nächsten Wochen in Ihren vielen Versammlungen der SPD in Berlin schwer haben werden, den Berliner Arbeitern zu erklären, wie Sie es verantworten wollen, den § 10 zu streichen und die Zulage in Berlin nicht zu gewähren.
({3})
Ich setze voraus,
({4})
daß Sie den Ausschußbericht alle sehr gründlich gelesen haben, sonst würde ich empfehlen, nachzulesen, was in diesem Bericht festgestellt wurde - Herr Horn hat es schon gesagt, aber nur zum Teil -, nämlich daß Herr Fleischmann - ich habe damals wortwörtlich mitgeschrieben - die im Berliner Senat vorhandenen Meinungsverschiedenheiten als „nur politisch-taktischer Art" erklärte. Sie lägen nicht in der Sache und sie wären - das Wort ist wirklich gesprochen worden - nur politisch-taktischer Art. Meine Herren und Damen, ich bin der Auffassung: in den Fragen der deutschen Sozialversicherung und des Rechts der deutschen Sozialversicherung kann es für uns keine politisch-taktischen Fragen geben.
({5})
Da kann es für uns nur die grundsätzliche Entscheidung geben,
({6})
ob jeder Berliner endlich das gleiche Maß an Sicherheiten haben soll, nämlich nicht eine Satzung der VAB, sondern die Gewähr, daß diese Leistungen auch bezahlt werden können.
Ich würde Herrn Professor Schellenberg bitten, den Bericht des Bundesrechnungshofes wieder ein({7})
mal in einer stillen Stunde recht gründlich nachzulesen. Vielleicht macht er uns auch einmal die Freude, bei einer seiner nächsten Reden ein wenig gründlicher auf diese Kernprobleme einzugehen, mit denen sich der Bundesrechnungshof schon vor längerer Zeit beschäftigt hat, damals, als er Ihnen so dringlich wie möglich empfohlen hat, die VAB zu beseitigen und das Recht der Bundesrepublik anzupassen, da sonst nämlich in naher Zukunft - und die ist längst eingetreten - sehr wesentliche Schwierigkeiten die Folge sein würden.
Meine Herren und Damen, es erübrigt sich, etwa darüber Betrachtungen anzustellen, was das bedeutet, wenn der beamtete Senator für Arbeit der Stadt Berlin in unserem sozialpolitischen Ausschuß einen Mehrheitsbeschluß, den er als Beamter zu vertreten hat, bekanntgibt und was man sich dabei denken soll, wenn der gleiche Beamte heute ein Telegramm mit einer gegenteiligen Meinung schickt. Ich überlasse das Ihrer eigenen Feststellung, wie Sie über eine solche Vertretung denken. Im Ausschuß wurde damals von der Berliner Opposition erklärt, das sei nicht die Einheitsmeinung Berlins, sondern nur eine Mehrheitsmeinung. Wir sollten als gute Demokraten die Mehrheitsmeinung der verantwortlichen Leute im Berliner Senat achten, die nämlich das Wohl der Berliner Arbeiterschaft meinen und nicht politisch-taktische Erwägungen, die nämlich nicht mit parteipolitischen Finessen die Verwirklichung bereits getroffener Entscheidungen zu verhindern suchen, sondern die in echter Verantwortung das Recht verteidigen wollen, das für alle Bürger das gleiche sein muß.
({8})
Das Wort hat Abgeordneter Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kalinke hat darauf hingewiesen, daß wir den schriftlichen Bericht zu der Drucksache eingehend studieren sollten. Ich habe dies getan. Ich muß zu meinem Bedauern feststellen, daß die Berichterstatterin Frau Abgeordnete Kalinke sich in ihrem schriftlichen Bericht Drucksache Nr. 3115 zu dem Unfallversicherungs-Zulagegesetz nicht immer an die Tatsachen gehalten hat.
({0})
Ich nehme an, daß dies auf einem Irrtum beruht. Vielleicht war sie auch gerade bei der Beratung des einen oder anderen Punktes in der betreffenden Ausschußsitzung nicht anwesend.
Auf Seite 3 des Berichts führt die Berichterstatterin nämlich an, der § 10, der in der Gesetzesvorlage die übliche Berlin-Klausel enthält, führte hinsichtlich der Durchführung und Anwendung des Gesetzes in Berlin zu großen politischen Diskussionen im Ausschuß. Ich muß hierzu erklären, daß im Ausschuß zu dem § 10, als ich ihn aufgerufen hatte, Herr Abgeordneter Arndgen das Wort verlangte und beantragte, die Beratung der §§ 10 und 11 der Gesetzesvorlage auszusetzen. Herr Abgeordneter Arndgen überreichte einen Antrag, der als „Zweiter Teil" bezeichnet war und die neuen §§ 10 bis 25 des Gesetzes enthält. Ich schlug vor, daß dieser umfangreiche Ergänzungsantrag erst von den einzelnen Fraktionsvertretern beraten werden sollte, bevor der Ausschuß in seiner Gesamtheit dazu Stellung nimmt. Es wurde dementsprechend beschlossen, wie aus dem Protokoll des Ausschusses für Sozialpolitik vom 18. Januar 1952 hervorgeht.
Nun zu der anderen Sache. Herr Abgeordneter Horn hat gesagt, wenn ich ihn richtig verstanden habe, Herr Senator Fleischmann, Berlin, habe erklärt, daß der Berliner Senat einstimmig den Beschluß gefaßt hätte, das Gesetz, so wie es heute vorliegt, zu verabschieden. Ich muß doch feststellen, daß meines Wissens und nach den Erinnerungen meiner Freunde der Herr Senator Fleischmann im Ausschuß für Sozialpolitik erklärt hat - was Frau Kalinke soeben bestätigte -, daß eine Mehrheit des Berliner Senats diese Auffassung vertreten habe. Es ist immerhin ein Unterschied, ob es sich um eine Mehrheit handelt oder ob man den gesamten Berliner Senat für diese Maßnahmen verantwortlich machen kann.
Ich finde es auch sehr eigenartig, daß Herr Kollege Abgeordneter Horn hier zu den Ausführungen meines Parteifreundes Schellenberg quasi als von einem Auftreten in eigener Sache gesprochen hat.
({1})
Schließlich sind wir doch alle mehr oder weniger in irgendwelchen Sozialversicherungsträgern tätig oder daran interessiert oder wir sind sonstwie mit den sozialpolitischen Fragen so verwachsen, daß wir in dieser Beziehung doch schon ein Recht haben - auch wenn wir Angestellte bei irgendeinem Sozialversicherungsträger oder ehrenamtliche Funktionäre in irgendeinem Organ der Selbstverwaltung eines Sozialversicherungsträgers sind -, zu den Problemen der Sozialversicherung und zu den einzelnen Fragen offen unsere Meinung und die unserer Partei und Fraktion zum Ausdruck zu bringen.
Ich möchte mich auch gegen die Ansicht des Herrn Kollegen Horn wehren, daß die Berliner Bevölkerung annehmen könnte, wir leisteten ihr mit diesem Gesetz einen guten Dienst und der Inhalt dieses Gesetzes stelle für Berlin einen besonderen Fortschritt dar. Ich muß doch mit aller Deutlichkeit erklären, daß in Berlin kein Unfallrentner eine Zulage von mehr als 5 % bekommt.
({2})
Die Zulagen von 25 %, von 20 %, von 15 und 10 %, die Sie beschlossen haben, kommen für Berlin ja nicht in Frage, weil in Berlin bereits ein Unfallrentenzulagegesetz für die Zeit gemacht wurde, wofür diese Sätze von Ihnen vorgesehen worden sind. Das Gesetz für Berlin ist erst so lange in Kraft, daß nur eine Zulage von 5 % zu den festgesetzten Renten in Frage kommen kann. Nach den Beschlüssen, die Sie in zweiter Lesung gefaßt haben, kämen die 5 % nur für die Schwerbeschädigten Unfallrentenbezieher in Frage, also für die, die über 50 % Unfallrente beziehen. Denn all die andern, die unter 50 % Unfallrente beziehen, müssen nach Ihren Beschlüssen erst die Voraussetzung erfüllen, daß ihr Einkommen auf mindestens zwei Drittel ihres früheren Arbeitsverdienstes gesunken ist. Die werden, bedingt durch die Lohnerhöhungen, die seit dem Unfall eingetreten sind, überhaupt keine Zulage erhalten. Man kann deshalb nicht davon sprechen, daß die Berliner Bevölkerung uns diese rein organisatorische Maßnahme danken wird und die Berliner Unfallverletzten dadurch einen Fortschritt erzielten. Dieses Gesetz bringt ihnen keine Fortschritte. Diese 5 % Zulage, die für die Schwerunfallbeschädigten in Berlin äußerstenfalls in Frage kommen, hätten die Ber({3})
liner gesetzgebenden Organe auch aus eigener Kraft, mit eigenen Mitteln durchführen können.
({4})
Das Wort hat Abgeordneter Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Richter hat soeben den schriftlichen Bericht, der uns aus dem Ausschuß vorgelegt worden ist, beanstandet. Ich teile seine Beanstandung nicht, aber ich darf doch darauf hinweisen, daß dieser Bericht die Unterschrift des Herrn Richter trägt und damit Herr Richter die Verantwortung mit übernommen hat.
({0}) - Er trägt die Unterschrift des Herrn Richter, des Ausschußvorsitzenden.
({1}) Meine Damen und Herren! Ich billige Herrn Abgeordneten Professor Schellenberg ohne
weiteres zu, daß er hier in eigener Sache sprechen kann. Aber seitdem er in die Arbeit des Ausschusses für Sozialpolitik hineingekommen ist, ist plötzlich auch die gesamte Haltung der SPD umgewandelt worden. Während man sich bis dahin noch in allen Gesprächen zu der Meinung bekannt hat, daß wir das Berliner Sozialversicherungsrecht an das Recht des Bundes möglichst schnell anpassen wollen und müssen, werden jetzt verzweifelte Versuche unternommen, die Versicherungsanstalt Berlin noch weiter zu erhalten. Gerade die Ausführungen, die Herr Professor Schellenberg in bezug auf die Unfallversicherung gemacht hat, zeigen die Unhaltbarkeit dieses ganzen Systems, das ja doch schließlich nur einem Zufall sein Entstehen verdankt.
({2})
Aus eingehenden Besprechungen mit den beteiligten Kreisen in Berlin habe ich die Kenntnis, daß diese Kreise - nicht nur die Arbeitgeber, die die Beiträge aufzubringen haben, sondern auch die Versicherten - nichts dringlicher wünschen, als mit ihrem Unfallversicherungsrecht an das Recht im Bundesgebiet angeglichen zu werden. Wir tun den Berlinern den größten Gefallen, wenn wir dieses Gesetz so schnell wie möglich verabschieden.
Wenn Herr Professor Schellenberg erklärt hat, es sei nicht richtig, daß Mittel aus dem Bundesgebiet für diese Unfallrenten nach Berlin fließen, dann wäre doch die logische Folgerung, wir brauchten überhaupt keine Berlin-Klausel in dieses Gesetz hineinzunehmen; dann würde sich ja in Berlin alles von selber regeln. Die Tatsache liegt unzweideutig vor, daß die einzelnen Berufsgenossenschaften des Bundesgebiets in dem Augenblick, wo das Unfallversicherungsrecht von Berlin dem das Bundesgebiets angeglichen wird, erhebliche zusätzliche Aufwendungen für Berlin zu tragen haben. Im Interesse der Verbundenheit mit Berlin sind wir dazu bereit und wollen das gern tun. Aber es ist eine Selbstverständlichkeit, daß diese Anpassung nur auf der gleichen organisatorischen Grundlage erfolgen kann.
Herr Professor Schellenberg hat weiter gesagt: Diejenigen, die für dieses Gesetz stimmen werden, tragen die Verantwortung für die Einzelheiten und dafür, daß irgendwelche Mängel an dem
Gesetz bestehen. Aus den Ausschußverhandlungen erinnere ich mich daran, daß sich auch die Opposition Paragraph für Paragraph an der Diskussion beteiligt hat, daß Anträge von der Opposition gestellt worden sind, die in diesem Gesetz zum Teil ihren Niederschlag gefunden haben. Erst in dem Augenblick, als wir eine Schlußabstimmung vornehmen wollten, wurden diese Bedenken vorgetragen, die heute diese große Debatte hervorgerufen haben.
Meine Damen und Herren! Ich wiederhole: Wir tun der Berliner Bevölkerung einen großen Dienst, wenn wir dieses Gesetz so schnell wie möglich annehmen und Wirklichkeit werden lassen.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der bisherigen Debatte um die Durchführung des Unfallrentengesetzes in Berlin hat die Fraktion der SPD darauf verwiesen, daß man auch die organisatorische Überleitung der Gesetzesvorschriften für die Unfallversicherung des Bundes auf Berlin will. Man hat allerdings den Zwischenruf gemacht: Jawohl, aber mittels einer vernünftigen Regelung! Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD-Fraktion, ich weiß nicht, ob Sie Ihren Mann im Senat der Stadt Berlin, der durch Ihr Vertrauen in den Berliner Senat hineingekommen ist, fallenlassen wollen; denn die Bestimmungen über die Überleitung der bundesgesetzlichen Regelung auf Berlin sind in einmütiger Arbeit mit Ihrem Vertrauensmann im Berliner Senat und mit dessen Sachbearbeitern erarbeitet worden. Da also die Vertreter der Opposition und die Vertreter der Regierungsparteien zu einer einmütigen Formulierung gekommen sind, bin ich der Meinung, daß der Zweite Teil des Gesetzes, um den die Diskussion hier geht, doch eine vernünftige Regelung geworden ist, die auch bestimmt den Interessen der Berliner Versicherten Rechnung tragen wird.
Nun hat Herr Kollege Richter darauf verwiesen, daß nach diesem Gesetz die Unfallrenten in Berlin nur um 5 % erhöht würden. Herr Professor Schellenberg hat schon darauf verwiesen, daß die Renten zunächst einmal nach dem durchschnittlichen Jahresarbeitsverdienst, der zur Zeit des Unfalls verdient werden kann, errechnet wird. Wenn in Berlin im Jahre 1950 und Anfang 1951 schon Regelungen getroffen wurden, nach denen die Unfallrenten erhöht wurden, dann hatten die Unfallrenten in Berlin bis zum damaligen Zeitpunkt den Status, sagen wir einmal, der damals anerkannten Rentenhöhe erreicht, und wenn wir für die Zeit, die zwischen der Rentenerhöhung in Berlin und dem Abschluß dieses Gesetzes liegt, für das Gebiet der Bundesrepublik 5 % als richtig ansehen, dann ist das, wenn die Renten in Berlin wie auch im westdeutschen Gebiet die gleiche Höhe haben sollen, nur Rechtens, und es bedeutet keine unterschiedliche, schlechtere Behandlung der Berliner Versicherten.
Endlich bin ich der Meinung, daß wir mit der Diskussion zu Ende kommen sollten
({0})
und daß wir neben dem Ersten auch den Zweiten
Teil des Rentenzulagegesetzes annehmen. sollten,
damit die Unfallrentner, die schon lange auf die
({1})
Nachzahlung der Rentenzulage warten, recht bald in deren Besitz und in den Genuß einer höheren Rente als bisher kommen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß Herr Kollege D r. Atzenroth in einem großen Irrtum befangen ist, wenn er behauptet, daß ich als Ausschußvorsitzender den schriftlichen Bericht der Berichterstatterin Frau Abgeordneten Kalinke unterschrieben hätte. Der schriftliche Bericht der Abgeordneten Frau K a link e ist von ihr allein fertiggestellt und durch das Sekretariat auf dem üblichen Wege weitergegeben worden. Lediglich der Antrag des Ausschusses, der in der Drucksache Nr. 3115 auf Seite 5 unten beginnt und lautet: „Der Bundestag wolle beschließen: 1. dem Gesetzentwurf mit den aus der nachstehenden Zusammenstellung ersichtlichen Änderungen zuzustimmen " , trägt sowohl meine Unterschrift als Ausschußvorsitzender wie auch die Unterschrift der Berichterstatterin Frau Kalinke.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse zunächst abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Umdruck Nr. 465 Ziffer 4. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! -Letzteres ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe nunmehr auf - und ich glaube, das Haus wird mich meiner Verpflichtung entbinden, die einzelnen Paragraphen aufzurufen - den Zweiten und Dritten Teil. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; sie sind angenommen. Einleitung und Überschrift! Ich bitte um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; angenommen bei zahlreichen Enthaltungen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten ein in die
dritte Beratung
des Gesetzes. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wortmeldungen? - Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat bereits im Juli 1950 die Gewährung von Teuerungszulagen zu allen Renten beantragt. Das Hohe Haus hat diesen Antrag der Regierung als Material übermittelt.
({0})
Am 13. Februar 1951 hat meine Fraktion nochmals um die Vorlage eines entsprechenden Gesetzes zur Gewährung von Teuerungszulagen zu allen Renten gebeten.
({1})
- Zu allen Renten, meine Damen und Herren!
Bei Beratung des Rentenzulagengesetzes im Juli vergangenen Jahres hat der Herr Bundesarbeitsminister dem Hohen Hause erklärt, daß dem Bundestag in sehr kurzer Zeit ein Unfallrentenzulagengesetz unterbreitet wird. Diese Regierungsvorlage wurde im Dezember dem Hohen Hause vorgelegt. Die Rentner, die nun schon seit vielen Monaten, zumindest nach Erlaß des Rentenzulagengesetzes, die Erhöhung der Unfallrenten erwarten, werden zu einem großen Teil über dieses Gesetz enttäuscht sein.
({2})
Denn die überwiegende Mehrzahl der Rentner wird nach diesem Gesetz praktisch keine Zulage zur Unfallrente erhalten.
({3})
- Diese Tatsache können Sie nicht bestreiten. Die Unfallrentner, die keine Zulage erhalten, werden sehr unbefriedigt sein.
({4})
Nachdem die Mehrheit des Hauses beschlossen hat, den Rentnern mit einer Rente von unter 50 % grundsätzlich keine Zulage zu gewähren, hält es meine Fraktion für erforderlich, jedenfalls für alle diese Rentner die gleichen Voraussetzungen für die Rentenberechnung zu schaffen. Die Grundlagen der Rentenberechnung sind nach der Fassung des § 1 a unterschiedlich. Meine Fraktion überreicht deshalb dem Herrn Präsidenten einen Antrag auf Änderung des § 1 a, der das Ziel verfolgt, nachdem schon die Gewährung von Zulagen zu allen Renten nicht die Billigung des Hohen Hauses gefunden hat, wenigstens bei der Anwendung der Berechnungsgrundlagen für alle Rentner die gleichen Grundlagen herbeizuführen.
Meine Fraktion ist aus den in der zweiten Lesung vorgetragenen Gründen nicht in der Lage, dem Gesetz ihre Zustimmung zu geben. Dieses Gesetz trägt nach unserer Auffassung den sozialen Erfordernissen nicht Rechnung. Überdies wird durch die Vorschriften des Zweiten und Dritten Teiles der Beschluß des Hohen Hauses auf Einsetzung eines Beirats zur Neuordnung der deutschen Sozialversicherung, der vor 14 Tagen gefaßt wurde, insofern ignoriert, als nicht die Beratungen dieses Beirats abgewartet, sondern im voraus für Berlin bestimmte Tatsachen geschaffen werden.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Renner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir halten in der dritten Lesung alle unsere bei der zweiten Lesung vertretenen Anträge aufrecht.
({0})
Herr Abgeordneter Renner, das können Sie nicht, denn Sie haben keine 15 Unterschriften unter Ihren Anträgen. In der dritten Lesung können nur Anträge gestellt werden, die - Renner ({0}): Nun nehmen Sie von meinen 5 Minuten nicht auch noch etwas weg!
Ich gebe Ihnen eine Minute zu. Ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen, daß Sie diesen Antrag nicht stellen können.
Schön, schön! Deshalb habe ich gesagt, wir halten unsere Anträge aufrecht. Damit ist ja nicht gesagt, daß ich die neuerliche Abstimmung verlange.
({0})
Aber ich hoffe, daß diese Unterbrechung nicht auf meine kurze Redezeit angerechnet wird. Die Uhr ist schon angestellt worden, ehe ich die Rednertribüne betreten habe.
Zur Sache selber! Auch wir sind der Auffassung, daß mit diesem Gesetz nichts anderes erreicht wird als eine schwere Enttäuschung der Unfallrentner draußen im Lande. Dasselbe Manöver der Irreführung, das man beim sogenannten Rentenzulagengesetz für die Invaliden vorgenommen hat, wird hier heute wiederholt. Nachdem man monatelang die Unfallverletzten hat warten lassen, kommt jetzt dieses elende Ergebnis heraus.
Ich habe eingangs meiner Ausführungen auf die Tatsache hingewiesen, wie relativ gering die Aufwendungen sind, die entstehen würden, wenn man den von uns gestellten Anträgen stattgäbe. Ich habe den Versuch gemacht, diese Ausgaben in Relation
zu bringen zu den Ausgaben, die die Mehrheit dieses Hauses ohne jedes Bedenken für die Wiederaufrüstung und für den Krieg zu opfern bereit ist.
({1})
Ich habe auch angedeutet, daß das, was wir hier erleben, ein Extrakt der Gesamthaltung dieser
Regierung und der Regierungskoalition gegenüber
den sozialpolitischen Problemen hier im Lande ist.
({2})
Ich habe gesprochen von der Rolle des Herrn Justizministers Dehler; und ich benutze die wenigen Minuten, um diese Rolle noch einmal zu unterstreichen. Was hat er hier vor der Öffentlichkeit gesagt, was hat er hier im Hause mit Billigung des Herrn Adenauer aufrechterhalten, was hat er später im Lande noch einmal wiederholt? Das, daß jeder dritte Sozialberechtigte seine Rente zu Unrecht, betrügerisch erhält.
({3})
- „Betrügerisch zu Unrecht erhält", das hat er gesagt!
({4})
Nun finde ich hier in der „Frankfurter Rundschau" vom 5. März dieses Jahres einen Artikel, in dem folgendes festgestellt wird:
Der Streit zwischen dem Bundesjustizminister Dr. Thomas Dehler
- und so weiter ist in ein neues Stadium eingetreten. Der „Parlamentarisch-Politische Pressedienst" . . . der SPD gibt am Dienstag eine Behauptung des VdK-Landesgeschäftsführers von Bayern, Weißhäuptl, wieder, wonach die Witwe Dehler durch die Hilfe ihres Schwagers eine monatliche Grund- und Ausgleichsrente von 164 DM beziehe, die ihr -
Herr Abgeordneter Renner, kommen Sie bitte zur Sache. Sie haben zu dem Entwurf des Gesetzes über Zulagen und Mindestleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung das Wort erhalten und nicht zu einer Rede über Äußerungen des Ministers Dr. Dehler.
Ich habe doch wohl ein Recht, die ganze Haltung des Ministeriums zu dem Problem Sozialversicherung aufzuzeigen. Was wird hier behauptet? Hier wird behauptet, daß der Herr Minister seinen persönlichen und seinen Einfluß als Minister geltend gemacht hat, um einem Familienmitglied eine Rente zuzuschanzen, auf die dieses Familienmitglied keinen Anspruch hat.
({0})
Der Herr Dehler hat dazu geäußert, diese Angaben seien nicht wahr.
({1})
Aber hier in dem Artikel wird festgehalten, daß die Ausgleichsrente gewährt wird, obwohl das Einkommen dieses Familienmitglieds des Herrn Dehler aus Haus- und Grundbesitz weit über die Einkommenshöchstgrenze hinausgeht, die das Bundesversorgungsgesetz enthält. Das ist die Praxis: kein Geld für die Sozialpolitik, aber Milliarden und aber Milliarden zur Durchführung dieser volksfeindlichen Politik, die sich verkörpert in Adenauer, in Schäffer, in Lehr und nicht zuletzt auch in dem Herrn Dehler und in der Mehrheit dieses Hauses, die bald keine Mehrheit mehr sein wird.
({2})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die allgemeine Aussprache ist geschlossen.
Ich eröffne die Einzelaussprache. - Ich lasse zunächst abstimmen über den Änderungsantrag, der von der Fraktion der SPD zu § 1 a eingereicht worden ist. Er enthält zwei Ziffern:
1. In § 1 a Abs. 1 werden die Worte „zwei Drittel des der Rente zugrunde liegenden Jahresarbeitsverdienstes" geändert in: „zwei Drittel eines gleichartigen Arbeitsverdienstes des Jahres 1951".
Zwischen Abs. 1 und Abs. 2 wird ein neuer Absatz eingeschoben:
Der gleichartige Arbeitsverdienst des Jahres 1951 wird nach den Grundsätzen des § 2, Absätze 2 bis 4' des Gesetzes über Verbesserungen der gesetzlichen Unfallversicherung vom 10. August 1949 berechnet, Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1949, Seite 251.
2. § 1 a Abs. 5 erhält folgende Fassung: Die Zulage kann nur entzogen werden, wenn und insoweit sich das für die Gewährung der Zulage maßgebende Erwerbseinkommen nach Abs. 1 um mehr als 10 v. H. über zwei Drittel eines gleichartigen Arbeitsverdienstes des Jahres 1951 erhöht hat.
Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf die §§ 1 bis 25, Einleitung und Überschrift. Wer dafür ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -Gegen zahlreiche Enthaltungen angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Schlußabstimmung. Wer für die Annahme des Gesetzes im ganzen ist, den bitte ich, dies durch Erheben von den Sitzen zu bezeugen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -Gegen zahlreiche Enthaltungen angenommen.
({0})
Ich habe noch über Ziffer 2 des Ausschußantrags in der Drucksache Nr. 3115 abstimmen zu lassen. Wer dafür ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. ({1})
- Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit! Wer für den Antrag Ziffer 2 des Ausschusses ist, der lautet:
2. den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Erhöhung aller Unfallrenten - Nr. 2622 der Drucksachen - durch die Beschlußfassung zu Ziffer 1 für erledigt zu erklären,
den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen. Damit ist Punkt 8 der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen ({2}) über den Antrag der Fraktion der Deutschen Partei betreffend Fahrpreisermäßigung für Spätheimkehrer ({3}).
Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Leibfried.
Leibfried ({4}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Angelegenheit, über die ich zu berichten habe, hat sich durch die Länge der Zeit eigentlich von selbst erledigt.
Es handelt sich um einen Antrag der Fraktion der Deutschen Partei, der mit dem Datum vom 30. Juni 1950 als Drucksache Nr. 1113 gestellt worden ist und folgenden Wortlaut hat:
Die Bundesregierung wird ersucht, hilfsbedürftigen Spätheimkehrern aus Kriegsgefangenschaft gegen Vorlage einer Bescheinigung ihrer zuständigen Betreuungsstelle im Bundesgebiet auf den Kraftfahrlinien der Bundesbahn und der Bundespost eine 50%ige Fahrpreisermäßigung zu gewähren. Die Ermäßigung wird befristet bis 30. Juni 1951.
In der 88. Sitzung des Deutschen Bundestags wurde beschlossen, diesen Antrag dem Kriegsopferausschuß - federführend - und dem Ausschuß für Post- und Fernmeldewesen sowie dem Verkehrsausschuß zu überweisen. Die beiden letzten Ausschüsse haben sich im Oktober 1950 mit der Angelegenheit beschäftigt und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß der Antrag infolge der schwierigen finanziellen Lage der Bundesbahn abgelehnt werden müsse. Der Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen hat sich in seiner 40. Sitzung ebenfalls mit dem Antrag befaßt und festgestellt, daß eine Zurückstellung der Angelegenheit bis zur Verbescheidung der Frage der allgemeinen Fahrpreisermäßigung angängig sei. Die Deutsche Partei war mit dieser Einstellung einverstanden. In der 47. Sitzung am 14. März 1951 hat der 26. Ausschuß der Fraktion der Deutschen Partei vorgeschlagen, den Antrag Drucksache Nr. 1113 über den Bundestagspräsidenten zurückzuziehen. Die Fraktion der Deutschen Partei hat daraufhin mit Schreiben vom 11. Mai 1951 nochmals gebeten, den vorliegenden Antrag bis zur Neuregelung der Fahrpreisermäßigung zurückzustellen. Da die in dem Antrag von der Deutschen Partei geforderte Fahrpreisermäßigung für Spätheimkehrer bis zum 30. Juni 1951 befristet sein sollte, hat der 26. Ausschuß in seiner Sitzung vom 20. Februar 1952 beschlossen, den Antrag für erledigt zu erklären.
Ich bitte das Hohe Haus, diesem Antrag gemäß der Ihnen vorliegenden Drucksache Nr. 3151 zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf eine Aussprache zu verzichten. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich lasse abstimmen. Wer für den Ihnen vorgetragenen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Einstimmige Annahme.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten ({0}) über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Uneheliche Kinder der Besatzungsangehörigen ({1}).
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Pfleiderer als Berichterstatter.
Dr. Pfleiderer ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Antrag der Fraktion der SPD Drucksache Nr. 2191 ist ein soziales und politisches Problem aufgeworfen worden, das seine Bedeutung noch lange nicht verlieren wird. Das Problem ist von der antragstellenden Fraktion zunächst als ein deutsches Problem im Zusammenhang mit der Besatzung aufgeworfen worden. Es ist aber nicht nur ein deutsches Problem, sondern ein internationales geworden und wird es immer mehr werden, je stärker die Verteidigungskräfte vermehrt und je häufiger die Kräfte des einen Landes in einem andern Land stationiert werden.
Nach den bisherigen Erhebungen handelt es sich bereits um 94 000 Besatzungskinder,
({3})
davon rund 3000 Mischlinge. In manchem ist ja die Entwicklung etwas rückläufig geworden; aber ich glaube, daß solche Zahlen einer Nation wie der deutschen doch auch zu denken geben sollten.
Das Problem ist nun aus zwei Gründen schwierig, einmal wegen der Verschiedenartigkeit, ich möchte fast sagen: wegen der Gegensätzlichkeit des materiellen Rechts in den einzelnen Ländern, zum andern wegen der Schwierigkeit der Rechtsverfolgung. Die Rechtsverfolgung leidet aber nicht nur unter den an sich schon sehr ungünstigen prozessualen Verhältnissen, sondern vor allem unter dem besonderen Umstand, daß die Erzeuger einer fremden Wehrmacht angehören und damit nicht nur einen besonderen völkerrechtlichen Status genießen, sondern auch häufig ihren Aufenthaltsort wechseln.
Nach Art. 21 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch richten sich die Unterhaltsansprüche von Besatzungskindern an sich nach deutschem Recht. Zur Zeit ist jedoch durch besatzungsrechtliche Vorschriften die gerichtliche Geltendmachung sowohl vor deutschen Gerichten als auch vor Besatzungsgerichten ausgeschlossen.
({4})
Diese besatzungsrechtlichen Vorschriften knüpfen an den völkerrechtlichen Satz an, daß Truppen im Ausland exterritorial seien.
({5})
Ich glaube, es wird das Haus interessieren, wenn ich mit ein paar kurzen Worten die Rechtslage in den verschiedenen Ländern umreiße, aus denen die Besatzungstruppen kommen, und zwar nach der materiellen wie auch nach der prozessualen Seite.
In den Vereinigten Staaten ist das Recht des unehelichen Kindes in jedem Einzelstaat verschieden geregelt, in der Mehrzahl der Fälle aber an das englische Recht angeglichen.
In England gilt nach dem Common Law jedes außerhalb einer rechtsgültigen Ehe geborene Kind als „Bastard". Das uneheliche Kind hat dort überhaupt keinen Unterhaltsanspruch gegen seinen Vater. Vor einem englischen Gericht könnte auch die Mutter einen Anspruch nur geltend machen, wenn das Kind in England selbst geboren wäre oder wenn die Mutter englische Staatsangehörige mit Wohnsitz in England wäre. Es heißt, in England werde die Höhe der Zahlungen auf eine Höchstsumme begrenzt, die 20 Schilling in der Woche und bei Soldaten 10 Schilling in der Woche ausmache.
In Frankreich gilt grundsätzlich noch der bekannte Satz: „La recherche de la paternité est
interdite”, „Die Nachforschung nach der Vaterschaft ist verboten". Das nichtanerkannte Kind hat in Frankreich keinen Unterhaltsanspruch. Das anerkannte uneheliche Kind hat die gleichen Ansprüche wie ein eheliches bis zum Abschluß seiner Berufsausbildung. - Soweit das materielle Recht.
Prozessual ist zu sagen, daß in den Vereinigten Staaten die Verfolgung etwaiger Ansprüche in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ausgeschlossen ist, weil das amerikanische Recht fordert, daß der Kläger in den Vereinigten Staaten bzw. in dem gleichen Staat der USA wohnhaft sei wie der Beklagte. Die Vorschriften über die Gewährung des Armenrechts sind in jedem Einzelstaat verschieden. Vertragliche Abmachungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik über die gegenseitige Gewährung des Armenrechts bestehen nicht.
In England ist die Verfolgung des Anspruchs gegen den unehelichen Vater nur möglich, wenn der Vater sich vertraglich zur Zahlung verpflichtet hat. In solchen, allerdings verhältnismäßig seltenen Fällen, steht auch der Bewilligung des Armenrechts kein Hindernis entgegen. Die völlige Kostenbefreiung ist zwar eine seltene Ausnahme. Im allgemeinen wird von der Law Society in London, die das Armenrecht bewilligt, ein Betrag von 30 bis zu 70 Pfund verlangt.
In Frankreich wurde vor französischen Gerichten deutschen Klägern das Armenrecht vereinzelt gewährt. Über eine generelle Regelung sind, wie die Regierung mitgeteilt hat, Verhandlungen im Gange. Die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen scheitert in einer Vielzahl von Fällen an dem „ordre public", an den Bestimmungen der einzelnen Länder über das internationale Privatrecht.
Meine Damen und Herren! Die Frage der Besatzungskinder ist für Deutschland im jetzigen Zeitpunkt besonders brennend, weil die Besatzungsherrschaft ihrem Ende entgegengeht und durch die vertraglich geregelte Verteidigungsgemeinschaft ersetzt werden soll. Damit geht das Problem der „Besatzungskinder", wenn ich so sagen darf, in das der „Verteidigungskinder" über.
Der Bericht des Ausschusses soll auch ein Beitrag zu der nötigen Neuregelung sein. Der Ausschuß war der Ansicht, daß in Verhandlungen mit der Hohen Kommission vor allen Dingen erreicht werden sollte, daß die Vaterschaft der Besatzungskinder richterlich festgestellt wird; denn das ist die Grundlage aller weiteren rechtlichen Schritte. Dann war der Ausschuß der Ansicht, daß der Unterhalt der Kinder gesichert werden sollte. Es ist leider zu befürchten, daß die bisher unter Besatzungsherrschaft geborenen Kinder ohne Unterhaltsansprüche gegen ihre Erzeuger bleiben werden und daß die ganze Fürsorgelast von den deutschen Stellen getragen werden muß.
({6}) - Eben, leider! Es ist nun bekannt geworden, daß sich im In- und Ausland große und bedeutende private Verbände mit diesem internationalen Problem zu beschäftigen beginnen. Diese Verbände werden hier sicherlich ein weites Feld einer menschenfreundlichen Betätigung finden und die Anstrengungen der Staaten unterstützen können. In diesem Zusammenhang ist im Ausland auch der Gedanke aufgetaucht, man solle nicht den Erzeuger für den Unterhalt des Kindes in Anspruch nehmen, sondern den Staat, dem der Erzeuger angehört. Dies würde das Kind natürlich unabhängig machen von den materiell-rechtlichen und prozessualen Schwierigkeiten seiner Lage und von dem ungewissen Schicksal, dem Soldaten ausgesetzt sind. Eine solche Regelung würde ferner - das ist besonders wieder im Ausland hervorgehoben worden - in den Fällen, wo der Erzeuger verheiratet ist, den Frieden der Ehen erhalten helfen. Der Auswärtige Ausschuß wollte eine solche Lösung ausdrücklich offenhalten und hat deshalb Ziffer 2 des Antrages entsprechend geändert.
Nun hat sich mit demselben Problem auch der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht im Bundestag befaßt. Er hat seine 149. Sitzung, vom 21. Januar 1952, diesem Problem gewidmet und dem Auswärtigen Ausschuß und durch mich dem Hause empfohlen, dem Antrag auf Drucksache Nr. 2191 unverändert zuzustimmen, und ich möchte glauben, daß er auch die Abänderungen billigen wird, die von uns aus vorgeschlagen worden sind.
Darüber hinaus aber hat der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht noch empfohlen, eine Entschließung etwa folgenden Inhalts zu fassen:
Der Bundestag appelliert an die Vereinten Nationen mit der Bitte, durch ihre guten Dienste Hilfe zu leisten, um in Deutschland einen Zustand zu beenden, der mit den Menschenrechten der von Besatzungsangehörigen außerehelich gezeugten Kinder unvereinbar ist.
({7})
Der Auswärtige Ausschuß war jedoch der Ansicht, daß die materielle und formelle Rechtslage sowie die allgemeinen rechtlichen und moralischen Auffassungen über das Problem in den verschiedenen Ländern noch so verschieden sind, daß man noch nicht von einem gesicherten Menschenrecht der unehelichen Besatzungskinder sprechen kann und daß es deshalb auch schwierig wäre, einen Appell an die Vereinten Nationen auf diese Menschenrechte zu gründen.
Der Rechtsausschuß wollte dann seine Entschließung noch weiter ausdehnen und empfehlen, Rechtsverwahrung dagegen einzulegen, daß diesen Kindern der Schutz des deutschen Rechts und der deutschen Gerichtsbarkeit verweigert wird.
({8})
Der Auswärtige Ausschuß glaubte aber, daß es in Anbetracht des geltenden Völkerrechts schwierig wäre, eine solche Rechtsverwahrung schlüssig zu begründen. Fremde Wehrmachtsangehörige können deutschem Recht und deutscher Gerichtsbarkeit nur im Vertragswege unterstellt werden. Kraft Völkerrechts sind sie dem Recht des Aufenthaltsortes nicht unterstellt. Deshalb wäre für eine Rechtsverwahrung im Augenblick auch noch kein Raum.
Der dritte Vorschlag des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht hat zum Inhalt, internationale Verhandlungen vorzuschlagen, um eine völkerrechtliche Konvention zu schaffen, durch die der Unterhalt derjenigen Kinder sichergestellt wird, die außerehelich von den Angehörigen der Streitkräfte einer anderen Nation gezeugt sind. Hierbei soll dann insbesondere auch dem Grundsatz des Art. 21 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch Rechnung getragen werden. Der Auswärtige Ausschuß glaubte, daß diese Konvention nach Ansicht des Rechtsausschusses nicht auf die Besatzungsmächte oder die Staaten der europäischen Verteidigungsgemeinschaft beschränkt sein sollte.
Der Auswärtige Ausschuß trat der Empfehlung des Rechtsausschusses bei, glaubte jedoch, daß die Bundesregierung zunächst prüfen sollte, inwieweit der Inhalt des Vorschlages nicht bereits durch die vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen im April 1951 angenommene Entschließung gedeckt ist. Diese Entschließung der Vereinten Nationen ist auf die Annahme einer von den Vereinigten Staaten in den Grundzügen vorgelegten Konvention über die internationale Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen gerichtet. Es dürfte sich also möglicherweise nicht mehr darum handeln, von deutscher Seite eine Initiative bei den Vereinten Nationen - denen wir ja nicht angehören - zu ergreifen, sondern nur darum, der von den Vereinigten Staaten ergriffenen Initiative beizutreten. In den Grundzügen zu dieser Konvention ist insbesondere von Fällen die Rede, wo das Land, in dem die Abkömmlinge leben, keine Jurisdiktion über die verpflichtete Person hat. Das würde also den Fall der Wehrmachtsangehörigen decken.
Nachdem der Auswärtige Ausschuß den Bericht in dieser Angelegenheit verfaßt hatte, hat die Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 464 den Entwurf einer Entschließung vorgelegt. Ich möchte von seiten des Auswärtigen Ausschusses anregen, daß die beschlußfassende Fraktion diese Entschließung noch einmal überprüft, besonders im Hinblick darauf, daß bei den Vereinten Nationen bereits eine Initiative ergriffen worden ist.
Mit diesem Hinzufügen darf ich bitten, dem Bericht des Ausschusses Ihre Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Für die nachfolgende Aussprache schlägt der Ältestenrat eine Gesamtredezeit von 60 Minuten vor. Ich nehme die Zustimmung des Hauses dazu an.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Rehling.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir haben aus dem Bericht des Auswärtigen Ausschusses entnommen, daß in dieser Frage eine Diskrepanz zwischen dem Recht des unehelichen Kindes in Deutschland und demjenigen in den Heimatländern der Besatzungsangehörigen besteht und daß diese Diskrepanz zur Zeit die Realisierung der Rechtsansprüche auf Feststellung der Vaterschaft und auf Zahlung des Unterhalts unmöglich macht. Wir kommen nicht an der Tatsache vorbei, daß die Mentalität des amerikanischen und auch des englichen Volkes in bezug auf die unehelichen Kinder anders ist als bei uns. Man kann das bedauern, schafft aber diese Tatsache nicht aus der Welt.
Wir haben gehört, daß in den meisten amerikanischen Staaten, die zu den USA gehören, die Frage der Rechtsansprüche der unehelichen Kinder sehr ungünstig geregelt ist. Daraus läßt sich wohl auch die im allgemeinen ablehnende Haltung der amerikanischen Besatzungsangehörigen gegenüber ihren in Deutschland. verbliebenen Kindern herleiten. Es kommt zwar immer wieder einmal vor, daß Besatzungsangehörige freiwillig ihre Vaterschaft anerkennen. Die Amerikaner haben dazu auch nicht etwa eine Ermächtigung durch die HICOG nötig. Aus einer solchen freiwilligen Anerkennung ergeben sich aber in keiner Weise irgendwelche Rechtsansprüche. Gelegentlich unterhält eine Kindesmutter zu dem Vater ihres Kindes noch persönliche Beziehungen oder steht mit ihm in Briefwechsel. Aber die Zahl dieser Fälle ist verschwindend gering und praktisch bedeutungslos. In den meisten Fällen kümmern sich die Väter nicht um ihre unehelichen Kinder. Ihr Aufenthalt ist schon während ihrer Dienstzeit in Deutschland nur schwer zu ermitteln. Sind sie nach Erfüllung ihrer Dienstpflicht in ihr Heimatland zurückgekehrt, so ist es fast unmöglich, zu erfahren, wo sie sich aufhalten.
Uns interessiert in diesem Zusammenhang, wie die Schwierigkeiten in anderen Ländern geregelt werden, in denen ausländische Besatzungstruppen stationiert sind, ob also etwa in England oder Frankreich Rechtsansprüche gegen die in diesen Ländern befindlichen amerikanischen Soldaten geltend gemacht werden können. In England gibt es annähernd 70 000 solcher unehelichen Kinder, deren Väter amerikanische Soldaten sind. Es läge nahe, anzunehmen, daß zwischen den beiden angelsächsichen Mächten bindende Vereinbarungen getroffen worden wären, die einen Rechtsanspruch garantieren. Dem ist aber nicht so. Die uneheliche Mutter in England wendet sich an eine Wohlfahrtsorganisation in London; diese leitet den Fall der entsprechenden Wohlfahrtsorganisation in New York zu, die ihn wiederum an die kommunalen Organisationen weitergibt, um von hier aus zu versuchen, durch einen gewissen moralischen Druck auf den Vater des Kindes einzuwirken. Ähnlich liegen die Dinge in Frankreich. Daraus können wir entnehmen, daß die deutschen Mütter unehelicher Kinder nicht etwa diskriminiert sind. Mir ist bekannt, daß auch innerhalb der NATO dieses Problem noch nicht erörtert worden ist. Der Herr Berichterstatter hat darauf hingewiesen, daß von den Amerikanern die Initiative ergriffen worden ist, die UNO zu veranlassen. die Möglichkeit einer allgemeingültigen Konvention zu prüfen.
Wir haben in dieser Zeit, in der es nicht möglich war, auf gesetzlichem Wege etwas für diese Kinder zu tun, natürlich nichts unversucht gelassen, ihnen zu helfen. Und so ist von den verschiedensten Stellen bei uns im Lande über ausländische kirchliche Stellen, Kinderschutzorganisationen, Auslandsjugendfürsorgebehörden, Frauenorganisationen und ähnliche mehr versucht worden, die Rechtsansprüche der unehelichen Besatzungskinder zu sichern. Bisher haben wir noch keine wesentlichen Ergebnisse erzielt. Aber ich meine, gerade
({0})
die Frauenorganisationen sollten gebeten werden, sich stärker einzuschalten, da der Schutz des Kindes doch in aller Welt ureigenstes Gebiet der Frau ist.
Nach den im Bundesinnenministerium vorliegenden Angaben haben wir zur Zeit 94 000 uneheliche Besatzungskinder in der westdeutschen Bundesrepublik. Die höchste Geburtenzahl weist das Jahr 1946 auf; sie ist bis zur Mitte des Jahres 1951 gesunken, und jetzt ist sie wieder langsam im Steigen begriffen in den Gegenden, in denen amerikanische Garnisonen liegen: Wiesbaden, München und Mannheim. Ich möchte bei dieser Gelegenheit doch auch einmal darauf verweisen - der Herr Berichterstatter hat das auch schon angedeutet -, wie stark sich wohl die Zahl der unehelichen Besatzungskinder erhöhen würde, wenn etwa Besatzungstruppen in einem solchen Umfang nach Deutschland kämen, wie es seinerzeit Herr Dr. Schumacher in einer Unterredung mit dem Hohen Kommissar Herrn McCloy forderte.
Die Lasten, die den Fürsorgeverbänden durch Leistung der Unterhaltsbeiträge erwachsen, sind erheblich. Nach Ermittlungen, die man in einem begrenzten Gebiet angestellt hat, sind bei 32 108 Kindern von einzelnen Fürsorgeverbänden monatlich 265 034 DM zu zahlen.
Eine besondere Gruppe unter den Besatzungskindern bilden die 3093 Negermischlinge, die ein menschliches und rassisches Problem besonderer Art darstellen. Von ihnen sind 1941 bei der Mutter, 388 in der Familie der Mutter. 450 in Pflegestellen, 314 in Heimen untergebracht. Völlig ohne Familienbindungen wachsen 350 heran. Bei den in Heimen oder Pflegestellen untergebrachten Kindern kümmern sich in 363 Fällen die Mütter noch um ihre Kinder. Insgesamt 362 farbige Väter nehmen noch Anteil an dem Ergehen ihrer Kinder; davon sind innerhalb des Bundesgebietes 292. 68 unterstützen ihre Kinder vom Ausland her. 20 Neger haben nach Ableistung ihrer Militärzeit nachweislich in Frankreich Asyl gefunden und dort die deutschen Mädchen oder Frauen geheiratet.
Die verantwortlichen Stellen der freien und behördlichen Jugendpflege haben sich bereits seit Jahren Gedanken über das Schicksal dieser Mischlingskinder gemacht, denen schon allein die klimatischen Bedingungen in unserem Lande nicht gemäß sind. Man hat erwogen, ob es nicht besser für sie sei, wenn man sie in das Heimatland ihrer Väter verbrächte. Es ging auch einmal die Meldung durch deutsche Zeitungen, daß die Möglichkeit bestände, Mischlingskinder marokkanischer Herkunft in Familien oder Heimen in Frankreich oder Nordafrika unterzubringen. Auf Rückfrage erhielt der Deutsche Caritasverband von den zuständigen ausländischen Stellen den Bescheid. daß noch kein offizieller Weg gegeben sei, Kinder in der vorerwähnten Weise unterzubringen. Die in Nordafrika tätigen katholischen Missionare, die auch Waisenhäuser unterhalten, raten von der „Abgabe" von Mischlingskindern dorthin ah. Aus ihren Schreiben möchte ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einige Sätze vorlesen; es heißt darin:
Das Los der Mischlingskinder bereitet uns Sorge, weil sie sowohl von den Europäern als von den Schwarzen verachtet werden. Die Zwiespältigkeit des Mischlingslebens unter Europäern und Negern läßt sich nicht leugnen. Der Mischling rebelliert gegen den Stachel der Verachtung. Ein Teil der Mischlinge, der sich dem europäischen Lebensstil genähert hat,
ist moralisch herabgekommen, sozial geschwächt und nicht charakterfest. Ein anderer Teil ist im einheimischen Leben aufgegangen; sie haben untereinander geheiratet und führen ihr eigenes Familienleben.
({1})
Abschließend heißt es:
Es bleibt immer noch die beste Lösung, wenn der weiße Elternteil sein Mischlingskind behält und aufzieht.
Soviel mir bekannt ist, ist es bisher nur in einem einzigen Falle gelungen, durch Vermittlung des Pariser Roten Kreuzes einen Mischling in Casablanca unterzubringen. In den übrigen Missionsgebieten in Amerika und Afrika liegen die Dinge ähnlich.
Diese Mischlingsfrage wird also ein innerdeutsches Problem bleiben, das nicht einfach zu lösen sein wird. Wir müssen die Aufmerksamkeit der deutschen Öffentlichkeit auf diese Frage lenken, da zu Ostern 1952 die 1946 geborenen Mischlinge eingeschult werden. Allerdings ist es völlig undiskutabel, die Aufmerksamkeit. der Öffentlichkeit in der Form auf diese Frage zu lenken, wie es in der Karnevalszeit in einer Stadt geschah, in deren Rosenmontagszug man einen Wagen sah mit der Beschriftung „Made in Germany". Auf ihm standen deutsche, als Mulatten zurechtgemachte Kinder. So etwas kann man kaum noch als Geschmacklosigkeit bezeichnen.
({2})
Bei ihrer Einschulung beginnt für die Mischlingskinder nicht nur ein neuer Lebensabschnitt wie für
die übrigen Schulanfänger, sondern sie treten auch
in einen neuen Lebensraum ein aus ihrer bisherigen
relativen Abgeschlossenheit. Sie fallen auf durch
ihre Farbigkeit. Bei einigen zeigen sich auch
Schwierigkeiten des Temperaments. Wer mit Kindern umgeht, weiß, daß sie sehr unduldsam sein
können gegenüber allem, was irgendwie aus dem
Rahmen fällt. Hier liegt für die Eltern, für die
Lehrer und für uns alle eine besondere Aufgabe.
Wir bekennen uns im Grundgesetz zu den Menschenrechten. Wir haben im Europarat der Konvention über die Menschenrechte zugestimmt, die sich mit der Konvention über die Menschenrechte der UNO deckt. Bemühen wir uns daher, in Deutschland den Mischlingen nicht nur die gesetzliche, sondern auch die menschliche Gleichberechtigung zu gewähren!
({3})
Ich meine, wir hätten hier Gelegenheit, einen Teil der Schuld abzutragen, die der Nationalsozialismus durch seinen Rassedünkel auf das deutsche Volk geladen hat.
({4})
Abschließend möchte ich im Namen meiner Fraktion sagen, daß wir dem Bericht des Ausschusses zustimmen und wünschen, daß es der Bundesregierung gelingen möchte, bei den Verhandlungen über Generalvertrag und Verteidigungsbeitrag eine befriedigende Lösung auch für diese unehelichen Kinder zu finden. Was die Entschließung der SPD-Fraktion anlangt, so bin ich allerdings der Überzeugung, daß sie durch die Tatsache, daß die UNO bereits im April vorigen Jahres dem Antrag der Amerikaner - eine solche Konvention zu schaffen, wie sie die SPD beantragt - zugestimmt hat, gegenstandslos geworden ist.
({5})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Nadig.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Im Laufe der Jahrhundete war das Recht des unehelichen Kindes mancherlei Wandlungen unterworfen. Die Entwicklungsgeschichte zeigt, daß die Rechtsstellung mehr oder weniger von der Struktur des gesellschaftlichen und sozialen Lebens abhängig ist. Wenn das schon für das uneheliche Kind schlechthin gilt, wieviel mehr trifft es auf das uneheliche Besatzungskind zu. Das uneheliche Kind hat im Bürgerlichen Gesetzbuch eine schlechte, unzureichende Regelung seines Rechtsanspruchs gefunden. Ja, wir sind der Meinung, man bestraft das Kind dafür, daß es nicht in eine Familie hineingeboren wurde. Die unehelichen Besatzungskinder sind aber völlig rechtlos. Das uneheliche Kind hat im BGB seinen gesetzlichen, klagbaren Anspruch auf Feststellung der Vaterschaft und Zahlung einer Unterhaltsrente. Das Kind eines Besatzungsangehörigen hat aber weder einen Anspruch auf Feststellung der Vaterschaft noch auf Alimentation. Eine solche Klage einzuleiten, ist von vornherein unmöglich. Die Last der Aufzucht und Erziehung der unehelichen Besatzungskinder liegt allein auf den Schultern der Mütter oder - und so ist es in einem hohen Prozentsatz der Fälle - der Wohlfahrtsämter.
So ist in vielen Fällen das Leben dieser Kleinen von Anfang an durch materielle und seelische Not gezeichnet. Sind es dazu noch Kinder mit einer anderen Hautfarbe, also Mischlinge, ist ihr Schicksal doppelt tragisch. Meine Vorrednerin hat schon darauf hingewiesen, wie furchtbar sich diese Dinge im Leben der Kinder auswirken. Ich bin aber der Meinung, daß wir daraus kein allzu großes Drama machen sollten. Erzieher, Öffentlichkeit und nicht zuletzt die Presse haben hier eine große Aufgabe: durch ihre Stellungnahme zu verhindern, daß alte doktrinäre Gedanken des Rassenwahns auferstehen können. Das deutsche Volk sollte der Welt zeigen, daß wir bei aller Verschiedenheit und bei aller Farbigkeit im Menschen immer nur den Menschen sehen. Wir sind überzeugt, daß durch diese Einstellung den Mischlingskindern der Lebensweg durchaus erleichtert werden kann.
Genaue Angaben über die Zahl der unehelichen Besatzungskinder fehlen. Meine beiden Vorredner haben schon von 94 000 gesprochen. Diese Zahl ist um 1950 ermittelt worden. Sie haben auch ausgeführt, daß es unter diesen 94 000 etwa 3000 Mischlingskinder gibt. Wir haben noch keinen Stillstand und müssen auch damit rechnen, daß eine Verstärkung der Besatzungstruppen ein weiteres Ansteigen der Zahl der unehelichen Kinder mit sich bringt. Aber, verehrte Frau Vorrednerin, ich hätte doch erwartet, daß die Richtigstellung der Behauptung, der Kollege Schumacher habe die Verstärkung der Besatzungstruppen gefordert, auch bis zu Ihnen gedrungen wäre.
({0})
Denn es ist j a inzwischen durch die Presse bekanntgegeben worden, daß diese Kolportage nichts anderes als eine Lüge ist.
({1})
Vor sieben Jahren wurde der zweite Weltkrieg beendet. Dürfte es nicht an der Zeit sein, das Kriegsrecht nun fallen zu lassen und auch den Besatzungssoldaten die Verantwortung für ihre unehelichen Kinder aufzuerlegen? Das könnte eine Maßnahme im Sinne echter Völkerverständigung sein. Die jetzige Regelung widerspricht jedem natürlichen Rechtsgefühl und steht vor allen Dingen in krassem Widerspruch zur christlichen Verantwortung. Der englische Minister Younger hat sich nach Zeitungsmeldungen damit einverstanden erklärt, daß die englischen Soldaten für die von ihnen gezeugten Kinder Pflichten übernehmen. Das ist gewiß eine schöne Geste, die aber zu nichts verpflichtet und berechtigt. Damit kann eine deutsche Mutter vor dem Gericht niemals eine Entscheidung erwirken. Ein völliger Wandel in der Auffassung ist notwendig, und dem unehelichen Besatzungskind sind die gleichen Rechte wie den übrigen unehelichen Kindern in Deutschland zu geben. Das heißt, daß die unehelichen Besatzungskinder Anspruch auf Feststellung der Vaterschaft und Zahlung einer Unterhaltsrente haben müssen. Das ist gewiß nicht viel, hilft aber, diese armen Geschöpfe vor der schlimmsten äußeren Not zu schützen. Das Problem ist nach seiner menschlichen und wirtschaftlichen Seite so tragisch, daß sich das Hohe Haus mit allen Mitteln für einen gesetzlichen Schutz der unehelichen Besatzungskinder einsetzen muß.
Wir sind weiter der Ansicht, daß es sich nicht nur um ein deutsches, sondern um ein internationales Problem handelt. Uneheliche Besatzungskinder sind in allen Ländern, in denen sich Besatzungstruppen befinden oder befunden haben, zurückgeblieben. Es wäre angebracht und eine dankenswerte Aufgabe für die UNO, sich dieses Problems anzunehmen. Wenn auch der Antrag an die UNO bereits im vorigen Jahr erfolgt ist, so haben wir doch in der Zwischenzeit über die Tätigkeit der UNO nichts erfahren.
Dem Vorschlag des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten stimmen wir zu, und wir ergänzen ihn durch die Ihnen vorliegende Entschließung. Ich bitte das Hohe Haus dringend, diese Entschließung anzunehmen, denn erst dadurch können Sie den unehelichen Besatzungskindern wirklich zu ihrem Recht verhelfen.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Strohbach.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es ist heute in der Debatte davon gesprochen worden, daß sich in Westdeutschland nach amtlichen Feststellungen 94 000 Besatzungskinder befinden. Ich habe in Zeitungen und in Stellungnahmen zu dieser Frage schon sehr viel höhere Zahlen gelesen, die entweder neueren Datums sind oder eben besagen, daß diese Kinder gar nicht alle erfaßt und festgestellt sind. Man muß dazu sagen - und jeder weiß das auch -, daß die unehelichen Kinder es an sich schon sehr schwer haben, daß sich aber die Besatzungskinder im besonderen großen Schwierigkeiten gegenübergestellt sehen, die sie zeitlebens belasten. Deshalb muß man großes Interesse daran haben, daß dieses Problem in einer Weise gelöst wird, die den Kindern voll gerecht wird. Man sollte meinen, daß auch bei den Besatzungsmächten - und in diesem Fall bei den westlichen Besatzungsmächten, die sich doch immer so besonders gern als die Hüter der sogenannten westlichen Demokratie und der christlichen Kultur aufspielen - der Grundsatz gilt, daß für ein Kind der Vater und die Mutter zu sorgen haben. Das würde bedeuten, daß man sich zu dem Grundsatz bekennt: Sowohl die Besatzungssoldaten als auch die Mütter dieser Kinder haben für deren Unterhalt aufzukommen.
({0})
Dieser Standpunkt wird aber ganz offenbar nicht eingenommen. Sonst könnte es nicht sein, daß von den westlichen Besatzungsmächten solche Erklärungen abgegeben werden wie die, daß die Sorge für die Besatzungskinder eine rein deutsche Angelegenheit sei, und daß ein zuständiger Beamter der amerikanischen Besatzungsbehörden in Westdeutschland, Mr. William Gosser, erklären konnte, daß kein amerikanischer Soldat, Offizier oder Zivilist zur Zahlung von Unterhaltshilfen für diese Kinder gezwungen werden könne.
({1})
Ich stehe auf dem Standpunkt, daß mit diesen Äußerungen die Westmächte wieder einmal den Standpunkt des Kolonialherrn gegenüber dem deutschen Volk praktizieren.
({2})
Ich denke, für uns steht in diesem Augenblick nur die eine Frage zur Debatte, nämlich: Was kann man tun, um für die Kinder zu sorgen!
({3})
Und hier steht an erster Stelle doch wohl die
materielle Sicherstellung der Entwicklung dieser
Kinder und ihrer Erziehung und die Sorge für ihre
Gesundheit. Es steht aber auch an ganz bevorzugter
Stelle der Schutz dieser Kinder vor Diskriminierung, und dieses letztere ist wirklich unsere deutsche
Sache, der Schutz dieser Kinder vor Diskriminierung, der ganz besonders die heute hier schon
mehrfach angesprochenen Mischlinge treffen muß.
({4})
Es ist in den Zeitungen schon davon geschrieben worden, daß für diese Mischlingskinder besondere Schulen oder besondere Klassen eingerichtet werden sollen. Wir halten das für falsch. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß es möglich sein muß und daß es auch möglich ist, diese Kinder durch eine selbstverständliche Gleichbehandlung in die Gemeinschaft aller Kinder einzuführen und in dieser Gemeinschaft groß werden zu lassen. Das wichtigste scheint uns, die Garantie dafür zu schaffen und die Möglichkeit festzulegen, daß sowohl der Vater als auch die Mutter für diese Kinder zu sorgen haben, daß aber auch wir uns verpflichtet und verantwortlich fühlen, für diese Kinder zu sorgen und sie davor zu bewahren, daß sie in ihrer ferneren Zukunft immer mit dieser Belastung zu kämpfen haben.
Wir unterstützen deshalb den vorliegenden Antrag der sozialdemokratischen Fraktion. Wir müssen aber dazu erklären, daß man auch dieses Übel bei der Wurzel anfassen muß, d. h. daß man nicht noch mehr Besatzungstruppen nach Westdeutschland holen darf, sondern daß man dafür eintreten muß, daß die Besatzungstruppen unser Land endlich verlassen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete von Thadden.
von Thadden ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frau Kollegin Strohbach hätte besser nicht gesprochen. Ich kann ihr die Unruhe, aus der sie sprach, nachfühlen. Es war ein Tanz auf einem schmalen Seil, den sie hier aufführte; denn unausgesprochen hing der Zwischenruf in der Luft: Ja, was ist denn mit den Hunderttausenden von nicht Besatzungskindern,
sondern Vergewaltigungskindern, die ja in Deutschland auch vorhanden sind, unter anderm auch Mischlinge?
({1})
Meine Damen und Herren! Wir hoffen, daß die Bundesregierung in kürzester Frist dieses Thema zu einer befriedigenden Lösung führt. Wir haben gehört, daß auch in England und auch in Frankreich das Problem der Besatzungskinder, die fremde Truppen oder Gasttruppen dort hinterlassen, noch ungeregelt ist. Hoffen wir also, daß im Zusammenhang mit dem Aufbau der sogenannten Verteidigungs -Gemeinschaf t auch für diese so außerordentlich schwierige und das Verhältnis der Völker untereinander sehr leicht heftig belastende Frage ein Nenner gefunden wird, der es ermöglicht, daß in Deutschland diese Dinge endlich auf eine vernünftige, klare und saubere Basis gebracht werden.
({2})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung zunächst über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache Nr. 3110. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Wir kommen dann zur Abstimmung über die Entschließung auf Umdruck - ({0})
- Das Wort zur Abstimmung hat Frau Dr. Rehling.
Meine Herren und Damen! In Anbetracht der Tatsache, daß die Vereinten Nationen den Antrag der Amerikaner angenommen haben, die Möglichkeiten einer solchen Konvention zu prüfen, wie sie hier in der Entschließung der SPD-Fraktion beantragt ist, möchten meine Fraktionsfreunde und ich den Antrag stellen, doch diese Entschließung dem Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten zu überweisen und die Bundesregierung zu ersuchen, zunächst einmal einen Bericht darüber zu geben, wie weit die Arbeiten in dem betreffenden Ausschuß der UNO gediehen sind.
({0})
Das Wort zur Abstimmung hat Frau Nadig.
Meine Herren und Damen! Ich bitte doch, über diese Entschließung abzustimmen. Uns liegt daran, auch die Kinder, die aus Vergewaltigungen durch die Russen stammen und deren Zahl besonders in Berlin sehr hoch ist, und die Sowjetmacht mit in das Problem einzubeziehen.
({0})
Aus diesen Gründen bitten wir Sie, dieser Entschließung Ihre Zustimmung zu geben und sie noch einmal der UNO zuzuweisen.
Also, meine Damen und Herren, zu dem Umdruck Nr. 464 ist zunächst der Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten gestellt. Ich muß über diesen Überweisungsantrag zuerst abstimmen lassen. Ich bitte diejenigen, die der Überweisung zustimmen, die Hand
({0})
zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Meine Damen und Herren, es ist unter diesen Umständen nicht zu entscheiden, wo die Mehrheit liegt. Ich muß durch Hammelsprung auszählen.
({1})
- Es ist nicht zu vermeiden: wir müssen durch Hammelsprung auszählen. Es ist hier nicht einheitlich und klar festzustellen, wie die Mehrheitsverhältnisse bei der etwas gelockerten Besetzung sind. Ich bitte also die Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen, und ich bitte die Abgeordneten, so schnell wie möglich wieder hereinzukommen.
({2})
Meine Damen und Herren, ich bitte, die Räumung etwas zu beschleunigen, damit die Auszählung beginnen kann.
Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen. ({3})
Ich bitte, die Abstimmung zu beschleunigen. - Ich bitte, die Türen zu schließen. - Die Abstimmung ist beendet.
Meine Damen und Herren! Das Ergebnis der Auszählung: Mit Ja haben 156, mit Nein 112 Abgeordnete gestimmt. Damit is c die Überweisung des Umdrucks Nr. 464 an den Ausschuß beschlossen.
Wir kommen nun zum nächsten Punkt der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der
Föderalistischen Union ({4}) betreffend
Beschlagnahme von Geländeteilen für militärische Zwecke ({5}).
Der Ältestenrat hat eine Begründungszeit von 10 Minuten und eine Gesamtaussprachezeit von 40 Minuten vorgesehen. Ich nehme die Zustimmung des Hauses an. Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Dr. Bertram.
Dr. Bertram ({6}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Kreise Soest sind in großem Umfang Beschlagnahmen von Gelände zugunsten von Trainingcamps angekündigt worden, ferner Beschlagnahmen zugunsten der Erweiterung eines Flugplatzes in Werl. Der Kreis Soest ist einer der fruchtbarsten Kreise und einer der fruchtbarsten Bezirke der ganzen Bundesrepublik überhaupt. Wir haben nur sehr wenig Wald, Wiesen und Forste in unserem Kreis. Die wenigen Streifen, die wir in diesen Geländestücken im Kreise Soest haben, sollen fast restlos beschlagnahmt werden, und zwar der sogenannte Werler Stadtwald, das Brandholz und das Gelände im Lohner Klei.
Die Erregung in den beteiligten Kreisen ist außerordentlich. Nachdem die Angelegenheit bekannt wurde, sah man die Bauern zum Brandholz ziehen, ein Fahrzeug hinter dem andern, um von ihrem Holz zu retten, was sie retten konnten, und vor einer drohenden Beschlagnahme in Sicherheit zu bringen. Die zuständigen Vereine, die zuständigen Forstbehörden, der Verein Heimatpflege und wie sie alle heißen mögen, haben sich gegen diese Maßnahmen gewandt.
Der Kreis Soest ist überhaupt schon in militärischer Hinsicht sehr stark belastet. Wir haben in Soest selbst drei große Kasernenkomplexe, die mit belgischen Besatzungstruppen belegt sind; wir haben eine starke englische Garnison; wir haben in einer Stadt, die durch den Krieg zu 63 % zerstört ist, in außerordentlich starkem Maße Beschlagnahmen von Wohnungen und von Hotels zugunsten der Besatzungsmacht. In der Stadt Werl sind zahlreiche Hotels und Wohnungen beschlagnahmt. Der frühere Fliegerhorst ist für die belgische Besatzungsmacht beschlagnahmt worden, das größte Industriewerk Werls, die D o m a g, die immer über tausend Menschen beschäftigt hat, ist zugunsten der belgischen Reparatureinheit, der REMI, beschlagnahmt worden. Dadurch sind tausend Werler Arbeiter gezwungen, regelmäßig nach auswärts zu fahren, um dort ihr Brot zu verdienen.
All diese schweren Belastungen, die wir jetzt schon durch Maßnahmen der Besatzungsmacht zu tragen haben, werden dadurch verschärft, daß die einzigen größeren forstwirtschaftlich und gemischtwirtschaftlich genutzten Grundstücksflächen, die wir im Kreise Soest haben, jetzt zugunsten von Trainingcamps beschlagnahmt werden sollen. Wir haben in Vorverhandlungen darauf hingewiesen, daß doch nicht ausgerechnet nur der Kreis Soest so stark mit Beschlagnahmen belastet werden müsse, daß man auch andere Kreise heranziehen solle. Man hat uns erklärt: „Ja, in andern Kreisen müssen demnächst die deutschen Divisionen ihre Standorte finden, und wir werden in den andern Kreisen, die ihr uns als Ersatz vorschlagt, auch noch weitere Beschlagnahmen vornehmen."
Diese Dinge sind natürlich auf der Ebene, auf der sie bisher verhandelt worden sind, nicht ordnungsmäßig durchzubekommen. Das Hauptziel unseres Antrages ist, ein eindeutiges Verfahren einzuschlagen. Das Verfahren, das jetzt eingeschlagen wird, ist völlig undurchsichtig. Es hat sich zwar ein interministerieller Ausschuß gebildet. Zu diesem interministeriellen Ausschuß werden die Anforderungen der Besatzungsmacht getragen. Dieser interministerielle Ausschuß auf Landesebene versucht dann zu erörtern, ob durch diese Beschlagnahmen nun besonders schwere Schäden eintreten oder nicht. Aber dieser interministerielle Ausschuß ist eben ein reines Verwaltungsorgan ohne jede Kompetenz, ohne jede Sicherung der Anhörung der Betroffenen, ohne jede Sicherung einer angemessenen Entschädigung, vor allem aber ohne jede Sicherung der Wahrung übergeordneter, überörtlicher Interessen, und damit nicht geeignet, diese schwerwiegenden Eingriffe überhaupt eingehend zu beurteilen.
Wir brauchen deshalb dringend für dieses ganze Verfahren eine Neuregelung, die es gestattet, aus dem Dunkelkammerverfahren der reinen Verwaltungshandhabung herauszukommen in ein geordnetes Rechtsverfahren. Hinzu kommt, daß die Inanspruchnahme von derartigem Gelände zugunsten der Besatzungsmacht eine Handlungsweise ist, die meiner Ansicht nach ganz eindeutig gegen das geltende Völkerrecht verstößt. Durch die Haager Landkriegsordnung ist wohl eine Erweiterung des derzeitigen Besitzstandes der Besatzungsmacht nicht zugelassen. Wenn die Besatzungsmacht Befehle erteilen und dieses Land auf dem Zwangswege beschlagnahmen will, so muß sie das verantworten, wenn sie die nötigen Konsequenzen daraus ziehen will. Keinesfalls ist es aber zulässig, daß in diesem Stadium deutsche Behörden mitwirken, indem sie diesen Maßnahmen zustimmen und dadurch dulden, daß Privateigentum zugunsten der Besatzungsmacht weggenommen wird. Erst wenn zwischen den Besatzungsmächten und den Deutschen ein Vertragsverhältnis zustande gekommen sein sollte, ist es überhaupt denkbar, daß auf der
({7})
Basis der Freiwilligkeit tatsächlich eine entsprechende Mitwirkung deutscher Stellen verantwortet werden könnte.
Es kommt hinzu, daß wir keine Kontrolle über die Kosten und den Aufwand der neu errichteten Trainingcamps haben. Die Soester und die sonstigen Firmen, die bei den Besatzungsaufträgen beteiligt sind, bestätigen übereinstimmend, daß der Aufwand, der für diese Einrichtungen getrieben wird, ganz ungewöhnlich ist. Ganz abgesehen von der Einrichtung ist auch die Art und Weise der Errichtung der Bauwerke für die Dauer gedacht. Es werden Einrichtungen geschaffen, die nicht einmal in deutschen Kasernen, die doch sehr gut und schön gewesen sind, zu finden waren. Die neuen Trainingcamps sollen massive, zweigeschossige Kasernen darstellen, die unterkellert sind, und sie liegen in den besten Waldstreifen, die überhaupt vorhanden sind. Die Panzer sollen von dort aus das Waldgelände und das Land befahren, und wie sehr Wald und Feld leiden, wenn Kettenfahrzeuge regelmäßig die Gegend befahren, ist ja aus Manöverberichten allen gut bekannt. Wir jedenfalls haben im Kreise Soest durch derartige Panzerkettenfahrzeuge schon außerordentliche landwirtschaftliche Schäden zu verzeichnen gehabt.
Wegen der Gefahren, die der gesamten Bevölkerung des Kreises Soest durch die erneute und weitere Inanspruchnahme zugunsten militärischer Zwecke, und zwar militärischer Zwecke der Besatzungsmacht drohen, haben sich sowohl der Rat der Stadt Werl mit diesem Problem beschäftigt und in eingehenden Entschließungen, die sie sowohl an die Landesregierung wie an die Bundesregierung gerichtet haben, dringend gewarnt, dies Verfahren durchzuführen. In der Stadt Werl hat bereits ein Schweige- und Protestmarsch stattgefunden, bei dem schwarze Fahnen mitgeführt worden sind, und auf Plakaten hat gestanden: „Wir wollen pflügen und nicht fliegen!" Dieses Plakat ist anläßlich der Erweiterung des Flugplatzes Werl entworfen worden.
Nun wird erwidert: Ja, der Flugplatz Werl wird möglicherweise nicht eingerichtet werden, weil die Geländeverhältnisse dort sehr ungünstig sind. Aber von anderer Seite wird wieder auf folgendes hingewiesen: Wenn wir erst die Trainingcamps haben und die dafür erforderlichen Geländestreifen beschlagnahmt sind, dann kommt selbstverständlich hinterher auch der Flugplatz; denn was einmal Flugplatz gewesen ist, muß es auch wieder werden. So sind wir im Kreise Soest tatsächlich in einer Weise belastet. zu der man in anderen Kreisen nichts Vergleichbares findet, und zwar in einem Verfahren belastet, das unter Ausschluß der Kontrolle deutscher parlamentarischer oder sonstiger Stellen völlig willkürlich durchgeführt wird, einem Verfahren, das vor allem jetzt, da es kein vertragliches Verhältnis zwischen uns und den Besatzungsmächten gibt, das diesen Zustand billigen könnte, als absolutes Unrecht bezeichnet werden muß.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Das Gebiet, das von diesem Antrag Nr. 3145 der Föderalistischen Union berührt wird, ist schwierig und weitverzweigt. Die Wünsche, die bier in bezug auf einzelne Bezirke geäußert werden, werden von anderen Bezirken in gleicher oder ähnlicher Weise geäußert. Erst heute morgen hat der Außenpolitische Ausschuß ähnliche Wünsche auf der Tagesordnung gehabt. Nun gehen die Wünsche, die in dem Antrag der Föderalistischen Union geäußert werden, auch auf allgemeinem Gebiet über spezielle Fragen hinaus. Es wird einmal gefordert, daß Beschlagnahmungen verhindert werden sollen; es wird zum andern gefordert, daß die Zustimmung zu alliierten Beschlagnahmungen nicht erteilt werden soll; und es wird schließlich verlangt, daß die Finanzbauämter des Bundes angewiesen werden, ihre Mitwirkung bis zum Abschluß eines Generalvertrags zu verweigern. Ich glaube, die zu erwartende und die schon vorhandene große Zahl von Reklamationen, die auch von der Erinnerung an die Tatsache getragen wird, daß ausgebaute Orte in der Nähe von Flugplätzen im letzten Weltkrieg auf Flugzeuge, die Bomben abwarfen, wie ein Magnet wirkten, dürfte Veranlassung geben, daß die Dinge von der grundsätzlichen Seite her angepackt und daß zur Abklärung des Sachverhalts Richtlinen ausgearbeitet werden, kurzum, daß man sich intensiv mit der Materie befaßt. Im Namen meiner Fraktion schlage ich daher vor, den vorliegenden Antrag der Föderalistischen Union durch Beschluß des Hauses dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten und Angelegenheiten des Besatzungsstatuts zu überweisen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Majonica.
Herr Präsident! Meine Damen und hierren! Lem Antrag des Herrn Kollegen Ritzel schließen wir uns an. ich glaube auch, daß vor allen Dingen die speziellen und allgemeinen Punkte des Antrags der Föderalistischen Union in einem Ausschuß beraten werden müssen. Ich darf aber den Argumenten, die Herr Kollege Bertram hinsichtlich des Kreises Soest eben vorgebracht hat, noch einige Argumente hinzufügen. Insbesondere darf ich sagen, daß der Kreis Soest stark landwirtschaftlich orientiert ist und daß die bedrohten Wälder dieses Kreises für die klimatischen und die Bodenverhältnisse von ausschlaggebender Bedeutung sind. Wenn diese Wälder angetastet werden, wird die Landwirtschaft im Kreise Soest sehr starken Schaden erleiden. Die Angelegenheit steht im Augenblick so, daß wahrscheinlich das Flugplatzprojekt nicht durchgeführt wird, und auch hinsichtlich der anderen Beschlagnahmungen sollen irgendwelche Einschränkungen getroffen worden sein, über die ich im Augenblick im einzelnen nicht informiert bin. Fs wird aber auf jeden Fall bei diesen Wäldern bleiben. Wenn diese Wälder und auch der Werfer Stadtwald. der wohl der einzige größere Vermögensbestandteil der Stadt Werl ist, angetastet werden sollten, würde das für die Verhältnisse im Kreise Soest sehr schwerwiegende Bedeutung haben. Ich hoffe daß diese Bedenken hei der Beratung im Ausschuß mitberücksichtigt
werden. ({0})
Meine Damen und Herren, ich darf darauf hinweisen, daß die für heute nachmittag 18 Uhr vorgesehene Sitzung der Europäischen Parlamentarierunion unmittelbar im Anschluß an diese Beratung stattfindet.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Niebergall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erleben hier mit Soest dasselbe, was wir auch in Süddeutschland fortgesetzt erleben.
({0})
Seit dem 1. Januar 1951 wurden 500 000 ha Land - Ackerboden, Wiesen, Weiden - für militärische Zwecke beschlagnahmt oder sollen es noch werden. Deshalb, Herr Kollege Bertram, ist Ihre Lösung keine Lösung. Sie hieße nur, den Brand von einem Haus nach dem andern tragen.
({1})
Wenn man das Problem grundsätzlich lösen will, dann muß man die Forderung erheben, daß überhaupt Schluß gemacht wird mit solchen militärischen Maßnahmen in Westdeutschland. Mit Recht fordern die Bauern in Westdeutschland und die betroffenen Gemeinden und Kreise, daß sich kein Deutscher dazu hergibt, irgendwie eine Hand zu reichen zu solchen Beschlagnahmen.
({2})
Es muß Schluß gemacht werden mit jeder Beschlagnahme; denn sie sind nicht nur eine Bedrohung des Friedens schlechthin, sondern auch eine Bedrohung unserer Ernährung. Jeder Hektar Boden, der uns entzogen wird, bedeutet vermehrte Einfuhr von Lebensmitteln zu überhöhten Preisen, und die müssen wiederum die breiten Massen der Verbraucher zahlen. Mit Recht fordern alle Bauern, die betroffenen Gemeinden und Kreise, daß, soweit bereits das Gelände beschlagnahmt worden ist, endlich und schnell das Geld an sie ausgezahlt wird, damit sie ihre Existenz erhalten oder neu begründen können. Deshalb fordern sie also eine schnelle und restlose Wiedergutmachung.
Wir sind der Meinung, daß wir von dieser Stelle aus die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten warnen müssen. Was versucht man gegenwärtig? Man versucht da oder dort abzuschwächen, um dann blitzschnell in der Nacht die Maßnahmen zu ergreifen. Wir haben das jetzt vor einigen Tagen in Rheinland-Pfalz erlebt. In Rheinland-Pfalz hat man erst die Beschlagnahme von Gelände angekündigt, dann hat man mitgeteilt, man verhandele, und in der Nacht hat man 30 oder 40 Panzer genommen und ist über das Gelände hinweggefahren, so daß es heute unbrauchbar ist. Deshalb warnen wir die Bevölkerung und fordern sie auf, wachsam zu sein und mit allen Mitteln dagegen anzukämpfen. Es gibt ein glänzendes Beispiel: das Verhalten des Stadtrats und der gesamten Bevölkerung von Freiburg, die durch entschiedene Maßnahmen den Bau eines Flugplatzes verhindert haben.
({3})
- Können wir gemeinsam hingehen und uns das ansehen?
({4})
Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Daher ist die Aussprache geschlossen.
Es ist beantragt, den Antrag Drucksache Nr. 3145 dem Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten zu überweisen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Ausbau der Interzonenübergangsstrecke Autobahn-Ausfahrt Tönen-Kontrollpunkt Juchhö bei Hof/Saale ({0}).
Wer begründet? - Bitte, Herr Abgeordneter Behrisch!
Behrisch ({1}), Antragsteller: Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Zu unserem Antrag Drucksache Nr. 3124 ist folgendes zu sagen. Für den Interzonenverkehr von Bayern nach der sowjetischen Besatzungszone ist die Autobahn München-Berlin eigentlich der ideale Verkehrsweg. Sie ist nicht zu gebrauchen, weil die Saalebrücke bei Hirschberg noch immer nicht in Ordnung ist. Somit bewegte sich der gesamte Interzonenverkehr über die Nebenautobahn, die von Hof nach Chemnitz geht. Im Herbst vorigen Jahres, Ende September / Anfang Oktober, wurde diese Autobahn von den Russen oder von den sowjetzonalen Behörden - was ungefähr dasselbe sein dürfte ({2})
für den Verkehr gesperrt. Eine Begründung wurde nicht gegeben. Es wird aber allgemein gesagt, daß diese Autobahn gesperrt worden sei, weil sich die Russen in ihren Arbeiten beim Abbau der Uranerze nicht stören lassen wollen. Bekanntlich ist dieses Gebiet ja gesperrt. Wie dem auch sei, die Autobahn ist nicht mehr zu benutzen. Deshalb müssen die schweren Fahrzeuge, die Fernlaster, von der Autobahn abzweigen und müssen die sogenannte Bundesstraße 2 benutzen. Diese Bundesstraße 2, die auf bayerischer Seite über eine Strecke von nur 31/2 Kilometer befahren werden muß, also von der Abfahrt Töpen bis zum Grenzübergangspunkt Juchhö, befindet sich in einem Zustand, der es nicht gestattet, den Interzonenverkehr aufzunehmen.
Nun hat sich das Straßen- und Flußbauamt mit der Verbesserung dieser Straße befaßt. Der schlechte Zustand der Straße selbst wäre in zwei Bauetappen zu beheben. Erstens einmal ist ein unmöglicher Zustand die Durchfahrt durch die Grenzgemeinde Töpen. Dort ist die Straße nur 3,60 bis 4,20 m breit. Sie ist bei nassem Wetter in einem furchtbar morastigen Zustand, und sie ist außerdem durch Spitz-kurven derartig unübersichtlich, daß man wohl an die Geschichte aus dem Lesebuch erinnert wird, an den Fall, daß sich zwei Fuhrleute in einem Hohlweg begegneten und keiner mehr vor und keiner mehr zurück wollte. Kurzum, es ist ein Zustand auf dieser Strecke, der sich für den Interzonenverkehr einfach nicht eignet.
Das Straßen- und Flußbauamt würde dem Übel auf folgende Weise abhelfen. Zunächst einmal müßte die Ortsdurchfahrt Töpen umgangen werden, d. h. es müßte eine Umgehungsstraße von einem Kilometer Länge gebaut werden. Diese Straße würde der üblichen Breite von Bundesstraßen angepaßt werden, d. h. sie würde 71/2 Meter breit sein. Sie müßte zwei Brücken haben und würde einen Aufwand von alles in allem etwa 350 000 DM erfordern. Wenn man die schlechte Verbindung von der Autobahn bis zu dieser Umlegungsstelle und das Stück von der Ortsausfahrt Töpen bis zur Zonengrenze von 700 Metern mit in Rechnung stellt, dann würde der Ausbau dieser Straße einen Gesamtaufwand von 800 000 DM erforderlich machen. Hinzu käme ein Asphalt-Beton-Belag mit 155 000 DM Kosten. Damit hätte man eine Straße, die den Anforderungen des Interzonenverkehrs entsprechen würde. Ich habe j a schon betont, daß sich auf dieser Straße täglich viele Dutzende schwerster Lastwagen bewegen müssen. Es hat eine Unmenge von sehr schweren Autounfällen gegeben. Ich darf noch hinzufügen, daß nach Aussagen der Fahrer die Straße auf sowjetischem Gebiet in bester Ordnung ist, so daß aller Anlaß bestünde, dieses kurze Stück in Bayern, d. h. in der Bundesrepublik - es handelt sich ja um eine Bundes({3})
straße -, auch in Ordnung zu bringen, damit man dieses unheimliche Gefühl für die Fahrer aus der Welt schafft. Bei den Fahrern hat es sich bereits herumgesprochen, daß diese kurze Strecke von 31/2 Kilometern eine Autofalle darstellt.
Sofern man nicht imstande wäre, diesen ganzen Betrag von 800 000 bzw. 955 000 DM aufzubringen, wäre dem schlimmsten Übel gesteuert, wenn man die Ortsdurchfahrt Töpen durch die geplante Umgehungsstraße von einem Kilometer ausschalten würde, wenn man also dieses Stück von einem Kilometer Länge bauen würde. Man käme dadurch mit der Hälfte des Betrages aus. Auf jeden Fall: die Ortsdurchfahrt Töpen muß geändert werden. Eine Veränderung der Situation, während die Straße befahren wird, ist infolge der furchtbaren Enge nicht möglich.
Wir beantragen deshalb die Überweisung unseres Antrags an den Haushaltsausschuß und hoffen auf eine schnelle und effektive Erledigung.
Das Wort hat der Herr Bundesverkehrsminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zu dem Antrag der Fraktion der SPD darauf aufmerksam machen, daß, wie der Herr Vorredner schon gesagt hat, diese sogenannte Bundesstraße 2 erst im vorigen Herbst wieder zu einiger Bedeutung dadurch gekommen ist, daß die Russen ohne vorherige Anzeige den Interzonenübergang von der Autobahn Nürnberg-Hof-Chemnitz auf diese Nebenstraße gelegt haben. Es ist in den letzten Jahren tatsächlich eine Nebenstraße gewesen, auch wenn sie als Bundesstraße aufgeführt ist, da seit dem Bestehen der Autobahn NürnbergSaalfeld mit dem Übergang über die jetzt gesprengte Saalebrücke diese Straße schon innerhalb Deutschlands nur noch untergeordnete Bedeutung hatte - sie war ja abgelöst worden durch die Autobahn München-Berlin - und weil dann nach der Grenzziehung zwischen der sowjetischen und der amerikanischen Besatzungszone der Übergang im Zuge der Bundesstraße 2 verschiedene Jahre gesperrt war, so daß es sich letzten Endes nur noch um eine Stichstraße nach dem Ort Töpen gehandelt hat.
Diese Straße ist natürlich so lange in ihrem früheren Ausbauzustand geblieben, weil bei den zahlreichen notwendigen und lange nicht genügend geförderten Ausbauarbeiten an anderen Straßen gar keine Veranlassung bestand, eine solche Stichstraße etwa zu verbessern. Nachdem ohne Ankündigung diese Übergangsstelle der Autobahn in Richtung Plauen-Chemnitz nach Töpen-Juchhö verlegt worden ist, sind sofort die entsprechenden Maßnahmen zur Verbesserung der Straßenbreite getroffen worden. Wir hatten vorher schon, auch bei den Verhandlungen über den Interzonenverkehr, darauf hingewiesen, daß diese Straße für den Übergang völlig ungeeignet sei. Sie ist es auch auf der sowjetisch besetzten Seite; aber da geht es uns ja haushaltsmäßig nichts an.
({0})
Für den Ausbau der Straße sind im Nachtragshaushalt 1952 500 000 DM veranschlagt worden. Ein früherer Ansatz war nach der Entwicklung der Verhältnisse nicht möglich. Ich hoffe, wir werden den Nachtragshaushalt so rechtzeitig verabschieden, daß dieser Betrag noch in diesem Sommer
aufgewendet werden kann. Die restlichen
200 000 DM, die noch nötig sind, kommen dann im nächsten Jahr.
Ich darf in diesem Zusammenhang noch eines betonen: Es scheint mir an sich nicht unbedingt erforderlich, mit solchen Wünschen das Hohe Haus in Anträgen zu beschäftigen. Wenn man bei uns im Ministerium anfragt, wird man jederzeit darüber Auskunft bekommen, wieweit wir mit diesen Fragen beschäftigt sind. Wenn sich dann noch ein solcher Antrag als notwendig erweist, bin ich dankbar, wenn er gestellt wird. In diesem Fall ist das, was der Herr Antragsteller wünscht, bereits im Laufen. Ich glaube, das Hohe Haus brauchte sich damit nicht noch besonders zu beschäftigen.
({1})
Für die nachfolgende Debatte ist eine Gesamtredezeit von 40 Minuten vorgesehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedensburg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, daß ich in dieser späten Stunde das Hohe Haus noch mit dieser Angelegenheit befassen muß. Aber es steht doch etwas mehr dahinter als nur die technische Frage einer Straßenausbesserung. Nach der Erklärung des Herrn Ministers scheint der Fall zunächst geregelt und in Ordnung zu sein. Aber, Herr Minister, so ganz befriedigt bin ich nicht. Wenn da überhaupt schon gearbeitet wird, - warum stellt man dann nicht die Autobahnbrücke wieder her und bringt den Verkehr in der ganzen Gegend überhaupt wieder auf ein halbwegs vernünftiges Gleis? Es ist doch nicht so, daß es uns nichts angeht - wie der Herr Minister meint -, was auf der anderen Seite geschieht, sondern hier handelt es sich um eine Lebensader zwischen Berlin und Süddeutschland. Es handelt sich um eine Lebensader zwischen zwei Teilen Deutschlands, und da geht uns alles an, was irgendwie hüben oder drüben geschieht. Ich glaube, da wird das Hohe Haus mir auch zustimmen.
Ich kann aber diese Erörterung nicht vorübergehen lassen, ohne Ihre Aufmerksamkeit einen Augenblick auf das Grundsätzliche zu richten. Ich bin letzten Freitag diese Straße gefahren. Ich bin immer noch eigensinnig genug, bei der Durchfahrt durch die sowjetische Zone das Auto zu benutzen. Ich kann nur sagen, der Menschheit oder Deutschlands ganzer Jammer fällt uns an, wenn wir die Verhältnisse dort sehen. Ich bin in den letzten Jahren fast über jede europäische Grenze gefahren; das ist überall ein Kinderspiel im Vergleich zu den Übergängen und dem, was hier mitten im Herzen Deutschlands den Verkehr zwischen Deutschen behindert und bedrängt, in einer Weise behindert und bedrängt, daß die Leute nicht mehr den Mut haben, zueinander zu kommen. Ich will das mit Absicht nicht dramatisieren, um nicht andere abzuschrecken, zu fahren. Aber wenn Sie sehen, was dort von sowjetzonaler oder russischer Seite aufgebaut worden ist, dann werden Sie den Eindruck haben, die Sachen sind, um mit Schiller im „Wilhelm Tell" zu sprechen, wie für die Ewigkeit gebaut. Es sind da neue Gebäude entstanden, als wenn es sich hier um eine Grenze für die nächsten tausend Jahre handeln würde.
({0})
8514 Deutscher. Bundestag ({1})
Auf deutscher Seite ist eine höchst dürftige Hilfsbaracke aus Holz aufgebaut, während drüben alles massiv und großartig ist.
({2})
- Kollege, ich bin ja da gewesen.
({3})
- Kollege Renner, wenn es Sie interessiert, - ({4})
- Kollege Renner, wenn ich Ihnen sagen darf:
auf der Seite der Bundesrepublik mögen es vielleicht sechs oder acht Beamte sein, und auf sowjetzonaler Hunderte, die dort Dienst tun.
({5})
So ist das beiderseitige Verhältnis.
(({6})
Während auf der Seite der Bundesrepublik die Abfertigung rein formal gehandhabt wird, werden Sie
drüben in meiner Meinung nach lächerlichster
Weise schikaniert, Sie müssen Ihre Brieftasche vorzeigen usw., obwohl jeder weiß, daß man sein Geld
auch durch die Luft schicken kann. Jedenfalls können wir - ich bitte freundlichst um Verständnis
dafür - diese Dinge nicht behandeln, ohne uns
einen Augenblick klarzumachen, was hier an Ernstem und Schwerem für unser Volk auf dem Spiele
steht. Ich glaube, es wäre Zeit, daß wir gelegentlich
unsere Stimme erheben und klarmachen: dieser
Unfug hat vom deutschen Boden zu verschwinden.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Zawadil.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich würde Sie nicht noch mit ein paar Sätzen in Anspruch nehmen, wenn nicht dieser Antrag symptomatisch für die Situation in einem Grenzgebiet wäre, wie es Oberfranken darstellt. Ich möchte hier unterstrichen haben: die Situation in Oberfranken ist nicht etwa so, daß man sie mit der eines anderen Gebietes vergleichen könnte. Die Lage ist dort ganz besonders geartet. Wenn nicht schon alle Möglichkeiten auf dem Instanzenweg über Regierungsbezirk und Münchener Landesregierung erschöpft worden wären, hätten, glaube ich, die Antragsteller nicht wegen einer 3,5 km langen Straßenstrecke den Bundestag beansprucht. Es ist also nicht allein um das Stückchen Straße zu tun. Es befriedigt uns allerdings, was der Herr Bundesverkehrsminister gesagt hat, daß diese Strecke der Bundesstraße 2 aller Wahrscheinlichkeit nach noch in diesem Jahr in Ordnung gebracht wird. Das aufgeworfene Problem ist aber symptomatisch für die gesamten Verkehrsverhältnisse. Auch die Bundesstraße 22, die quer durch Oberfranken führt, befindet sich in einem ähnlichen Zustand. Die verehrten Kollegen aus Oberfranken werden mir recht geben, wenn ich sage, daß der Zustand dieser Straße geradezu eine Kulturschande ist.
Sie wissen ja, daß die oberfränkischen Gebiete von München aus nicht gerade sehr gefördert werden. Diejenigen, die sich hier in Bonn als die Bannerträger des Föderalismus gebärden, handeln in München als absolute Zentralisten.
({0}) Das wirkt sich zum Nachteil unserer fränkischen Gebiete aus. Es ist eine Tatsache, über die nichts hinwegtäuschen kann: die fränkischen Gebiete weisen in Bayern die höchsten Steuerleistungen auf, aber bei Subventionen werden sie denkbar stiefmütterlich bedacht.
({1})
- Ja, ich hoffe, daß Sie Gelegenheit nehmen werden, das in München einmal zu sagen; denn dort wird so etwas geflissentlich vermieden. Ich möchte die Kollegen von der Bayernpartei darum bitten, daß sie sich auch einmal zu Wortführern der nordbayerischen Belange machen.
Ich will Sie nicht weiter in Anspruch nehmen, obgleich ich- dazu noch einige interessante Dinge vorbringen könnte. Ich bitte aber das Haus um die Zustimmung dazu, daß dieser Antrag dem Haushaltsausschuß federführend und den Ausschüssen für Verkehrswesen und für Grenzlandfragen überwiesen wird.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen.
({0})
- Das Wort hat der Herr Bundesverkehrsminister.
Ich darf zu den Ausführungen von Herrn Dr. Friedensburg folgendes sagen: Wir legen den allergrößten Wert darauf, zwei Autobahnbrücken zu bauen: das eine ist die Saale-Brücke, das andere die ElbeBrücke bei Magdeburg. Wir haben das schon wiederholt gefordert und gesagt, daß wir sogar bereit wären, Mittel und Material zur Verfügung zu stellen. Würde die andere Seite dem zustimmen, wären wir sicher schon längst mit diesen beiden Brücken fertig.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist nunmehr wirklich geschlossen.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung.
({0})
- Meine Damen und Herren, wir sind gleich fertig; dann können Sie sich außerhalb dieser Räume wundervoll unterhalten. Ich möchte deshalb schnell die Abstimmung erledigen. Wir haben hier also über den Antrag abzustimmen, die Angelegenheit erstens dem Haushaltsausschuß federführend zu überweisen, zweitens den Ausschuß für Verkehrswesen und drittens den Ausschuß für Grenzlandfragen an den Beratungen zu beteiligen. Ich bitte diejenigen, die dem zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Damit ist dieser Überweisungsantrag angenommen.
Wir sind am Ende unserer Sitzung. Ich berufe die nächste, die 199. Sitzung des Deutschen Bundestags, auf Mittwoch, den 19. März, 13 Uhr 30.
Die 198. Sitzung ist geschlossen.