Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/6/1952

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 189. Sitzung des Deutschen Bundestages. Ich habe die Aufgabe, vor Eintritt in die Tagesordnung ({0}) der Tatsache zu gedenken, daß am heutigen Vormittag Seine Majestät König Georg VI., König von Großbritannien, Irland und der britischen Dominien über See, auf seinem Landsitz in Sandringham sanft verschieden ist. Der Gesundheitszustand des Königs, der sich am 23. September einer Lungenoperation hatte unterziehen müssen, hat noch gestern keinen Anlaß zu Besorgnissen gegeben. König Georg VI. ist am 14. Dezember 1895 in Sandringham als zweiter Sohn des späteren Königs Georg V. und seiner Gemahlin Anne, geborene Fürstin von Teck, geboren. Er erhielt die Namen Albert, Friedrich, Arthur, Georg. Im Dezember 1936 bestieg er den Thron nach dem Verzicht seines Bruders Eduard VIII. Der Prinz erhielt zunächst eine Ausbildung für die Laufbahn in der Marine. Im ersten Weltkrieg nahm er an der Seeschlacht ({1}) vor dem Skagerrak teil. Später wurde er Flugzeugführer, und zuletzt war er der Marinesektion der Königlichen Luftstreitkräfte zugeteilt. Meine Damen und Herren, ich glaube Ihrem gemeinsamen Gefühl Ausdruck zu geben, wenn ich Ihrer Majestät der Königin von England und dem englischen Volk in seiner Gesamtheit die herzliche und aufrichtige Teilnahme des Deutschen Bundestages zum Ausdruck bringe. Ich glaube, daß wir alle es mit Aufmerksamkeit und Dankbarkeit empfunden haben, daß der heimgegangene König trotz seines, wie sich nun herausgestellt hat, sehr schlechten Gesundheitszustandes noch vor kurzer Zeit den Bundeskanzler bei seinem Besuch in England empfangen hat. Wir haben das verstanden als den bewußten Ausdruck der Tatsache, daß England und Deutschland heute in eine gemeinsame Verantwortung gestellt sind. Wir werten diese deutliche Kundmachung des Willens des Königs als etwas, das wir mit Ehrerbietung in unsere politische Verantwortung hineinnehmen. Sie haben sich zu Ehren des heimgegangenen Königs von England von Ihren Plätzen erhoben. Ich habe weiterhin der Tatsache zu gedenken, daß am 24. Januar der Präsident der Republik Island, Svienn Björnsson, im 71. Lebensjahr heimgerufen worden ist. Er war der erste Präsident Islands nach der Abtrennung Islands von Dänemark. Auch dem isländischen Volk spricht der Deutsche Bundestag seine aufrichtige Teilnahme aus, verbunden mit dem Dank dafür, daß der heimgerufene Präsident den Deutschen, die in den letzten Jahren in Island eine neue Heimat gefunden haben, bereitwillig und mit Tatkraft geholfen und ihnen das Einleben in dieser neuen Heimat ermöglicht hat. Schließlich haben wir der Tatsache zu gedenken, daß am 31. Januar der Bundestagsabgeordnete und das Mitglied des Vorstandes der Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei Georg Kohl im Alter von 70 Jahren an einem Herzschlag verschieden ist. Er hat noch am Vorabend seines Todes in der Stadt seines Wahlkreises eine Versammlung abgehalten. Herr Kohl ist 1881 in München geboren. Nach seiner Schul- und Hochschulzeit war er als politischer Redakteur tätig. Er gehörte zum Kreis um Friedrich Naumann. 1907 wurde er Verleger und Redakteur in Brackenheim. Hier wurde er auch Gemeinderat, Vorsitzender des Bezirksgewerbeverbandes und Mitglied der Handwerkskammer Heilbronn. Wegen seiner politischen Haltung verlor er 1933 seine öffentlichen Ämter und seine Zeitung. Nach dem Zusammenbruch stellte er sich sofort wieder dem politischen Leben zur Verfügung. Er wurde Gemeinderatsmitglied in Bracken-heim sowie Kreistags- und Kreisratsmitglied. 1949 ist er im Wahlkreis Heilbronn direkt in den Bundestag gewählt worden. Er war ordentliches Mitglied des Ausschusses für Petitionen und des Ausschusses für Post- und Fernmeldewesen sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuß zum Schutze der Verfassung und im Ausschuß gemäß Art. 15 des Grundgesetzes. Ich spreche namens des ganzen Hauses den Angehörigen und seiner Fraktion unsere herzliche Anteilnahme aus. Wir werden der Arbeit des Kollegen Kohl, in der er sich in so vielseitiger Weise auch im Bundestag hingebungsvoll bewährt hat, ein dankbares Angedenken bewahren. Sie haben sich auch zum Gedenken an den Herrn Staatspräsidenten von Island und an unseren heimgegangenen Kollegen Kohl von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen. Ich habe nunmehr in unserem Kreise die am 31. Januar vom Abgeordnetenhaus in Berlin in den Bundestag gewählten 12 Abgeordneten zu begrüßen, und zwar die auf Vorschlag der Fraktion der SPD gewählten Herren Dr. Koenigswarter, Neubauer, Professor Schellenberg, Richard Schroeter und Frau Jeanette Wolff, die auf Vorschlag der Fraktion der CDU gewählten Herren Dr. Ferdinand Friedensburg, Ernst Lemmer und Frau Dr. Agnes Maxsein und die auf Vorschlag der Fraktion der FDP gewählten Herren Dr. Hans Henn, Karl Huebner, Dr. Rudolf Will und Frau Dr. Friderike Mulert. Meine Damen und Herren! Die Tatsache, daß heute 12 neue Abgeordnete Berlins in den Deutschen Bundestag eintreten, wovon einer, Herr Professor Schellenberg, für den ausgeschiedenen Herrn Abgeordneten Suhr in den Bundestag gewählt worden ist, rechtfertigt es, daß etwas mehr gesagt wird als die übliche Begrüßung, die wir bei dem Eintritt von neugewählten Abgeordneten hier auszusprechen pflegen. Wir haben es als einen großen Notstand empfunden, daß bisher aus Gründen, die wir nicht zu vertreten hatten, Berlin nur in einem wesentlich geringeren Maße als die übrigen Länder der Bundesrepublik Abgeordnete in den Bundestag entsenden konnte. Wir haben das dadurch auszugleichen versucht, daß wir diese von Berlin gewählten Vertreter der Berliner Bevölkerung in unsere Arbeit so eingeordnet haben, daß sie ihren besonderen Auftrag voll wahrnehmen konnten und daß in der parlamentarischen Praxis ein Unterschied zwischen den Berliner und den übrigen Abgeordneten, soweit er uns nicht zwingend auferlegt war, nicht erkennbar geworden ist. Ich glaube im Namen des Hauses zu sprechen, wenn ich sage, daß wir darüber beglückt sind, daß durch den Eintritt dieser 12 neuen Abgeordneten und die damit erfolgende Vermehrung der Zahl der Berliner Abgeordneten auf 19 jedenfalls die Bevölkerung der freien Sektoren Berlins im gleichen Umfange wie die übrige Bevölkerung des Bundesgebiets hier vertreten ist. Meine Damen und Herren, an der Stirnwand dieses Saales ist das Wappen der Stadt Berlin genau so angebracht wie die Wappen der übrigen Länder des Bundes, das Wappen der Stadt, die heute aus politischen Gründen nicht zu den Ländern gehört, die unmitelbar die Bundesrepublik bilden. Diese Zusammenstellung fasse ich als ein Symbol für die Tatsache auf, daß auch Sie, meine Damen und Herren, die Sie heute in den Bundestag eintreten, ebenso wie Ihre Kollegen, die bereits bisher dem Hause angehört haben, von uns in vollem Umfange mit den gleichen Rechten und Pflichten in unseren Kreis aufgenommen werden. ({2}) Trotz aller Hemmnisse und Schwierigkeiten wünschen wir darüber hinaus im Verhältnis der Bundesrepublik zu Berlin einen faktischen Zustand herbeizuführen, den rechtlich zu verwirklichen uns heute noch verwehrt ist. ({3}) Ich verstehe aber den Eintritt der 12 neuen Damen und Herren aus Berlin in den Bundestag nicht nur als einen Vorgang, der die westlichen ({4}) Sektoren Berlins und die Bundesrepublik angeht. Er betrifft in gleicher Weise die ganze Stadt Berlin und das Gebiet, in dem 18 Millionen Menschen wohnen, denen es heute noch versagt ist, zu uns zu gehören. ({5}) Sie, meine Damen und Herren, haben die Pflicht, uns Mahner zu der Aufgabe zu sein, daß wir in allen unseren Entscheidungen diese deutschen Brüder in ihrer Not und in ihrer Hoffnung nicht vergessen. Sie sind dazu besonders befähigt und berufen, und wir werden Ihre Mahnung und Ihren Rat in dieser Frage immer wieder hören. Es mag Ihnen symbolhaft erscheinen, daß der erste Punkt der Tagesordnung der ersten Sitzung des Bundestages, an der Sie teilnehmen, sich mit der Frage der deutschen Einheit befaßt. Daß Ihre und unsere gemeinsame Arbeit unablässig diesem Ziel dient, ist mein sehr herzlicher Wunsch an Sie bei Ihrem Eintritt in den Deutschen Bundestag. ({6}) Meine Damen und Herren, ich darf Sie sodann davon in Kenntnis setzen, daß ich dem Herrn Bundespräsidenten zum 31. Januar, d. h. zu seinem 68. Geburtstag, namens des Deutschen Bundestages die herzlichsten Glückwünsche ausgesprochen habe. Ich wiederhole das hier ausdrücklich. ({7}) Ich darf nun den Herrn Schriftführer bitten, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben. Massoth ({8}), Schriftführer: Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach Abgeordneter Parzinger für 4 Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme, Abgeordneter Lausen für weitere 3 Monate wegen Krankheit. Der Präsident hat Urlaub erteilt für 3 Tage den Abgeordneten Dr. Henle, Dr. Oesterle, Dr. Povel, Ahrens, Frau Hütter, Freiherr von Aretin, Dr. Weiß und Dirscherl. Der Präsident hat Urlaub erteilt für 2 Tage den Abgeordneten Eickhoff und Dr. Friedensburg. Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Günther, Dr. Nowack ({9}), Brese, Freudenberg, Dr. Bärsch, Kühn, Vesper, Frau Strohbach, Wönner, Dr. Besold, Dr. Veit, Reimann, Dr. Dorls und Euler.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Ich darf annehmen, meine Damen und Herren, daß Sie mit der Erteilung des Urlaubs, soweit er über eine Woche hinausgeht, einverstanden sind. Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden wie üblich ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen: Der Deutsche Bundesrat hat in seiner Sitzung am 1. Februar 1952 beschlossen, bei den folgenden Gesetzen einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: Gesetz betreffend den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951; Gesetz über den vorläufigen Handelsvertrag vom 12. 2. 51 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Königreichs Griechenland; Gesetz zur Änderung des § 7 Abs. 2 des Güterfernverkehrs-Änderungsgesetzes vom 2. September 1949 ({0}) in der Fassung des Gesetzes vom 8. Juli 1950 ({1}); Drittes Gesetz über die Übernahme von Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen im Ausfuhrgeschäft; Gesetz über weitere Stundung von Soforthilfeabgabe ({2}). Der Deutsche Bundesrat hat weiter beschlossen, zum Gesetz über die Errichtung eines Bundesgesundheitsamtes einen Einspruch nicht einzulegen. Der Herr Bundesminister für Arbeit hat in Ergänzung seines Schreibens vom 3. Dezember 1951 ({3}) unter dem 21. Januar 1952 weitere Ausführungen zur Anfrage Nr. 231 der Fraktion der SPD betreffend Regionale Europäische Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation ({4}) gemacht. Seine ergänzende Antwort wird als Drucksache Nr. 3046 verteilt. Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 21. Januar 1952 die Anfrage Nr. 237 der Abgeordneten Strauß, Dr. Schatz, Bodensteiner und Genossen betreffend Bezahlung von sogenannten Erfolgsprämien für Anzeigen bei Steuer- und Zollvergehen ({5}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3047 verteilt. Der Herr Bundesminister der Justiz hat unter dem 1. Februar 1952 die Anfrage Nr. 238 der Fraktion der SPD betreffend Einspruch der AHK gegen das Bundesgesetz über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Deutschen Bundespost ({6}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3062 verteilt. Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 30. Januar 1952 die Anfrage Nr. 240 der Abgeordneten Dr. Jaeger, Strauß, Stücklen und Genossen betreffend Unbezahlte Handwerkerrechnungen ({7}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3061 verteilt. Der Herr Bundesminister für Arbeit hat gemäß dem Beschluß des Deutschen Bundestage in seiner 155. Sitzung über die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes in der Zeit von 1. Oktober bis 30. November 1951 berichtet. Sein Schreiben vom 15. Januar 1952 wird als Drucksache Nr. 3045 verteilt. Der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen hat gemäß Beschluß der 165. Sitzung über die Grundsätze für die freie Wahl einer Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung berichtet. Sein Schreiben vom 5. Februar 1952 wird als Drucksache Nr. 3063 verteilt. Gemäß § 13 Satz 2 des Gesetzes über Errichtung und Aufgaben des Bundesrechnungshofes vom 27. November 1950 hat der Präsident des Bundesrechnungshofes am 23. Januar 1952 die Geschäftsordnung für den Bundesrechnungshof dem Bundestag mitgeteilt. Ein Exemplar liegt zur Einsichtnahme im Archiv. Zur heutigen Tagesordnung habe ich folgendes mitzuteilen: Entsprechend den Vereinbarungen im Ältestenrat ist in der Ihnen als „neu" übermittelten Tagesordnung der Punkt 1 b und 1 c eingefügt worden: Berichterstattung des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen zu den Grundsätzen für die freie Wahl einer Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung und zu dem Antrag der Fraktion der KPD, Drucksache Nr. 2966. Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht hat mir mitgeteilt, daß durch eine wichtige ({8}) Eingabe zum Vertragshilfegesetz eine erneute Beratung des Entwurfs im Rechtsausschuß erforderlich sei. Der Rechtsausschuß hat daher gebeten, Punkt 8 - Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die richterliche Vertragshilfe - von der heutigen Tagesordnung abzusetzen. Ich darf annehmen, daß das Haus mit dieser Absetzung einverstanden ist. - Das ist der Fall. Dann, meine Damen und Herren, können wir zum Punkt 1 der Tagesordnung kommen. Ich rufe auf die Punkte 1 a, b und c: a) Beratung der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP betreffend Wiedervereinigung Deutschlands ({9}); b) Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen ({10}) über den Bericht des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen zum Beschluß des Deutschen Bundestages vom 27. September 1951 betreffend Grundsätze für die freie Wahl einer Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung ({11}); c) Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen ({12}) über den Antrag der Fraktion der KPD betreffend Vorlage eines Wahlgesetzes für die gesamtdeutschen Wahlen ({13}). Zunächst zur Begründung der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP Herr Abgeordneter Brookmann. Bitte! Brookmann ({14}), Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor Ihnen liegt die Drucksache Nr. 2998, eine Große Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP betreffend die Wiedervereinigung Deutschlands. Ich habe die Ehre, diese Anfrage zu begründen. In der Erklärung der Bundesregierung vom 27. September vergangenen Jahres über die Abhaltung gesamtdeutscher Wahlen - einer Erklärung, die übrigens einmütig von diesem Hohen Hause gebilligt wurde - sprach die Regierung für sich die Verpflichtung aus, alles zu tun, um Gewißheit zu schaffen, daß die tatsächlichen Voraussetzungen für die Abhaltung der von ihr vorgeschlagenen gesamtdeutschen Wahlen gegeben sind, und gab dabei der Meinung Ausdruck, daß das vor aller Weltöffentlichkeit nur dadurch geschehen könne, daß eine neutrale internationale Kommission unter der Kontrolle der Vereinten Nationen in der Bundesrepublik, in Berlin und in der sowjetischen Besatzungszone eingesetzt werde, um zu untersuchen, inwieweit die bestehenden Verhältnisse die Abhaltung freier Wahlen ermöglichen. In einer Note der Bundesregierung über die alliierten Hohen Kommissare an die westalliierten Regierungen vorn 4. Oktober 1951 wurde darum gebeten, die Bildung einer solchen Kommission möglichst bald bei den Vereinten Nationen in Vorschlag zu bringen. Es wurde weiter gewünscht, eine entsprechende internationale Untersuchung für das Bundesgebiet unverzüglich durchzuführen. Mit erfreulicher und überraschender Schnelligkeit wurde dieser Antrag bereits vorn 4. bis 19. Dezember in Sitzungen des Politischen Sonderausschusses der Vollversammlung der Vereinten Nationen erörtert und am 20. Dezember 1951 mit großer Mehrheit trotz hartnäckigen Widerstandes der Sowjetunion und einiger ihrer Satellitenstaaten angenommen. Es ist bekannt, daß die Bundesrepublik durch die beiden Abgeordneten des Bundestages Dr. von Brentano und Dr. Schäfer sowie den Regierenden Bürgermeister von Berlin Professor Dr. Reuter und Dr. Gradl ({15}) vertreten war. In sehr eindrucksvollen und eindringlichen Reden der deutschen Vertreter wurde der Standpunkt der Bundesrepublik dargelegt. Das deutsche Volk hat es dankbar begrüßt und empfunden, daß die Weltöffentlichkeit sich mit der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands positiv beschäftigt hat. Es ist dankerfüllt von dem großen Verständnis vieler Völker der Vereinten Nationen für die unmögliche und unerträgliche Lage Deutschlands, die durch die Spaltung hervorgerufen worden ist. Der Zweck der heute dem Hohen Hause vorgelegten Großen Anfrage ist es, einen ausführlichen Bericht der Bundesregierung über den Verlauf der Beratungen der Vereinten Nationen zu erhalten. ({16})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Zur Beantwortung der Interpellation hat zunächst das Wort der Herr Bundeskanzler.

Dr. Konrad Adenauer (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000009

Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Die Bundesregierung nimmt gern die Gelegenheit wahr, dem Bundestag über die Verhandlungen der Vereinten Nationen zu berichten, die sich auf die Einsetzung eines internationalen Untersuchungsausschusses zur Prüfung der Voraussetzungen für gesamtdeutsche Wahlen beziehen. Die Bundesregierung hat am 27. September 1951 vor dem Bundestag eine Erklärung abgegeben, in der sie in 14 Punkten die Grundsätze einer Wahlordnung für gesamtdeutsche Wahlen niedergelegt hat. Da jedoch ernsthafte Zweifel bestehen, ob bei den gegenwärtigen Verhältnissen in dem sowjetrussischen Sektor Berlins und in der sowjetischen Zone freie Wahlen überhaupt möglich sind, ({0}) hat die Bundesregierung in derselben Erklärung den Wunsch ausgesprochen, daß eine neutrale internationale Kommission unter der Kontrolle der Vereinten Nationen untersuchen soll, ob in der sowjetischen Zone, in Ost-Berlin, in Berlin und in der Bundesrepublik die Voraussetzungen für die Abhaltung freier Wahlen gegeben sind. Diese Regierungserklärung hat die so gut wie einmütige Zustimmung des Bundestages gefunden. Die Bundesregierung hat daraufhin am 4. Oktober in einer an die Alliierte Hohe Kommission gerichteten Note die Regierungen der drei Westmächte gebeten, die Bildung einer solchen Untersuchungskommission möglichst bald bei den Vereinten Nationen vorzuschlagen. In der Note ist u. a. erklärt worden, daß die Bundesregierung einer solchen Kommission die Durchführung ihrer Aufgabe in jeder Weise erleichtern wird, ihr insbesondere Zugang zu allen Stellen der Bundes- und Länderverwaltungen gewähren und Einsicht in alle amtlichen Akten und Dokumente geben wird, ({1}) deren sie zur Erfüllung ihres Auftrages bedarf. Die Bundesregierung hat ferner beantragt, eine entsprechende internationale Untersuchung für das Bundesgebiet unverzüglich durchzuführen. Die drei westaliiierten Regierungen haben diesen Vorschlag in dankenswerter Weise aufgegriffen und am 5. November in gleichlautenden Noten den ({2}) ' Generalsekretär der Vereinten Nationen gebeten, in die Tagesordnung der am nächsten Tage beginnenden 6. ordentlichen Vollversammlung der UNO folgenden Punkt aufzunehmen: Einrichtung einer internationalen, unparteiischen Kommission unter der Kontrolle der Vereinten Nationen, die den Auftrag hat, in der Bundesrepublik Deutschland, in Berlin und in der sowjetischen Zone Deutschlands eine gleichzeitige Untersuchung vorzunehmen, um festzustellen, ob in allen diesen Gebieten die obwaltenden Zustände die Abhaltung wahrhaft freier Wahlen zulassen. Daraufhin hat die Vollversammlung der UNO in ihrer Sitzung vom 13. November mit 47 Stimmen gegen 6 Stimmen bei 2 Enthaltungen beschlossen, dem Antrag der Westmächte zu entsprechen. Die Nein-Stimmen waren von Sowjetrußland, der Ukraine, Weißrußland, der Tschechoslowakei, Polen und Israel abgegeben; enthalten haben sich bei der Abstimmung Guatemala und Burma. Damit ist zum ersten Male die höchste politische Weltinstanz mit der Frage gesamtdeutscher Wahlen befaßt worden. Das ist um so bedeutsamer, als der Sowjetblock alle Anstrengungen gemacht hat, die Vollversammlung unter Hinweis auf Art. 107 der Charta der Vereinten Nationen davon abzuhalten, in die Beratung einer Deutschland betreffenden Frage einzutreten. Der Art. 107 dieser Charta bestimmt wörtlich: Keine Bestimmung dieser Satzung soll Maßnahmen in bezug auf einen Staat, der während des zweiten Weltkrieges Feind irgendeines Unterzeichners dieser Satzung gewesen ist, ungültig machen oder ausschließen, die von den für solche Maßnahmen verantwortlichen Regierungen als Ergebnis jenes Krieges ergriffen oder genehmigt werden. Durch die Entschließung vom 13. November hat die Vollversammlung der UNO mit überwältigender Mehrheit entschieden, daß diese Bestimmung, die ais Übergangsregelung gedacht war, der Behandlung von Deutschland betreffenden Fragen durch die UNO auf die Dauer nicht. im Wege stehen dürfe. ({3}) Der Politische Sonderausschuß der Vereinten Nationen, an den die Frage gesamtdeutscher Wahlen durch Beschluß der Vollversammlung zur weiteren Beratung überwiesen worden war, hat sich im Laufe von 12 Sitzungen vom 4. bis 19. Dezember mit diesem Thema befaßt. In dem Ausschuß waren alle 60 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen vertreten. Zu Beginn der Ausschußverhandlungen legte der Vertreter Großbritanniens im Namen der drei Westmächte einen Entschließungsentwurf vor, in dem die künftigen Aufgaben der Untersuchungskommission näher umrissen wurden. Hiernach sollte die Kommission insbesondere untersuchen, ob in dem gesamtdeutschen Staatsgebiet der Staatsbürger tatsächlich Redefreiheit, Organisationsfreiheit, Pressefreiheit, Freizügigkeit und Sicherung vor willkürlicher Verhaftung besitzt. ({4}) Der Entschließungsentwurf forderte ferner die Bundesreg die sowjetzonalen Behörden und die Behörden Berlins auf, der Kommission freien Zugang zu allen Personen, Plätzen und Dokumenten zu gewähren, die für die Erfüllung ihrer Aufgabe von Bedeutung sind. Im Sonderausschuß wurde alsbald der Wunsch der großen Mehrzahl der Delegationen deutlich, Vertreter der Bundesrepublik, Berlins und der sowjetzonalen Behörden zu diesem Thema zu hören, damit die Mitglieder des Ausschusses sich ein besseres Bild von der tatsächlichen Lage in Deutschland machen können. Auf Antrag von Pakistan beschloß der Ausschuß gegen den heftigen Widerstand des Sowjetblocks mit 50 gegen 6 Stimmen bei einer Stimmenthaltung die Hinzuziehung deutscher Sprecher. ({5}) Die Bundesregierung teilte dem Generalsekretär am 6. Dezember mit, daß sie die Einladung für sich selbst und für Berlin annehme und die Bundestagsabgeordneten von Brentano und Schäfer sowie den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Professor Reuter, als Delegierte entsenden werde. Die Vertreter der Bundesrepublik gaben am 8. Dezember vor dem Sonderausschuß ihre mit großem Interesse erwarteten Erklärungen ab. Herr von Brentano schilderte ausführlich die in der Sowjetzone herrschenden Zustände, ({6}) auf Grund deren die Bundesregierung ernstliche Zweifel hegen müsse, ob freie Wahlen in jenem Teile Deutschlands zur Zeit möglich seien. Herr von Brentano wiederholte gleichzeitig die von der Bundesregierung mehrmals ausgedrückte Bereitwilligkeit, der beantragten Untersuchungskommission im Bundesgebiet jede erdenkliche Unterstützung zuteil werden zu lassen. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Professor Reuter, schilderte die besondere Lage Berlins und bestätigte die von Herrn von Brentano gemachten Aussagen hinsichtlich der Sowjetzone. Er betonte, daß die geplante Untersuchungskommission gerade für die Bevölkerung Berlins und der Sowjetzone von größter Bedeutung sei. Die von der deutschen Delegation abgegebenen Erklärungen wurden von den Mitgliedern des Ausschusses mit Zustimmung aufgenommen. Der Beschluß des Komitees, deutsche Vertreter einzuladen, hatte offensichtlich den Sowjetblock in große Verlegenheit gebracht; denn erst nachdem die Delegation der Bundesrepublik vor dem Sonderausschuß ihre Erklärung abgegeben hatte, entschlossen sich die sowjetzonalen Behörden, die Einladung des Generalsekretärs ebenfalls anzunehmen. Die sowjetzonale Delegation, bestehend aus den Herren Bolz, Nuschke, Ebert und Ackermann, sagte am 11. Dezember vor dem Sonderausschuß aus, wobei Herr Bolz für die Sowjetzone und Herr Ebert für Ostberlin sprachen. Die Ausführungen beider Redner waren in dem üblichen Stil kommunistischer Propaganda gehalten ({7}) und gingen nur am Rande auf das Thema der Untersuchungskommission ein. Die überwältigende Mehrheit der Ausschußmitglieder durchschaute die mangelnde Aufrichtigkeit der Argumentation, ({8}) die durch die glatte Weigerung der sowjetzonalen Vertreter, der vorgeschlagenen Untersuchungskommission irgendwelche Unterstützung angedeihen zu lassen, verdeutlicht wurde. ({9}) ({10}) Im Verlauf der weiteren Ausschußverhandlungen brachte der schwedische Außenminister Unden einen Antrag ein, der darauf abzielte, statt der geplanten Untersuchungskommission Viermächtebesprechungen über gesamtdeutsche Wahlen einzuleiten und die daraus resultierenden Wahlen unter der Kontrolle der Vereinten Nationen durchzuführen. Dieser Vorschlag, der die Unterstützung von nur wenigen Staaten land, wurde kurz vor der Abstimmung wieder zurückgezogen. Dagegen wurden verschiedene andere Zusatzantrage zu dem ursprünglichen Entschließungsentwurf der Westmächte ganz oder teilweise angenommen. Unter anderem sollte die Kommission ermächtigt werden, nicht nur die in den verschiedenen Teilen Deutschlands herrschenden Zustände zu untersuchen, sondern auch positive Vorschläge für eine Verbesserung dieser Zustände zu machen. Weiterhin sollten die Vereinten Nationen sich bereit erklären, gesamtdeutsche Wahlen, sobald sie sich auf Grund der vorzunehmenden Untersuchungen als möglich erwiesen, durch Organe der Vereinten Nationen zu überwachen, um auf diese Weise die Freiheit des Wahlganges zu gewährleisten. Die Kommission soll zunächst einen Bericht darüber erstatten, ob und in welchem Umfang sie angesichts der Haltung der verschiedenen deutschen Behörden die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen vermag. Spätestens am 1. September soll sie dem Generalsekretär ihren Schlußbericht überreichen. In dieser veränderten und verbesserten Form wurde der Entschließungsentwurf der drei Westmächte sodann am 19. Dezember im Sonderausschuß zur Abstimmung gebracht, wobei 45 Stimmen dafür und 6 Stimmen dagegen bei 8 Stimmenthaltungen abgegeben wurden. Die sechs gegnerischen Stimmen waren die des Ostblocks und Israels, die acht Stimmenthaltungen betrafen Schweden, Jugoslawien, Argentinien, Indien, Indonesien, Burma, Afghanistan und Yemen. ({11}) Zu Mitgliedern der Untersuchungskommission wurden die Niederlande, Brasilien, Island, Pakistan und Polen gewählt. Der Vertreter Polens im Sonderausschuß lehnte die Teilnahme seines Landes sofort in scharfer Form ab. ({12}) Bereits am 20. Dezember fand die Abstimmung der Vollversammlung statt, wobei sich wieder dasselbe Stimmenverhältnis ergab. Die Vertreter des Sowjetblocks machten nochmals den Versuch unter Hinweis auf Art. 107 der Charta. die Behandlung deutscher Fragen durch die Vereinten Nationen als unzulässig zu erklären. Dieser Versuch wurde jedoch wiederum abgewiesen. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen ist nunmehr bemüht, die von der Vollversammlung beschlossene Untersuchungskommission zusammenzustellen. Er hat sich zu diesem Zweck an die in der Kommission vertretenen Staaten gewandt und sie um die Benennung geeigneter Vertreter gebeten. ({13}) Es steht zu erwarten, daß sich die Kommission in Kürze konstituieren wird. Zusammenfassend darf ich die folgenden Ergebnisse der Verhandlung vor der UNO hervorheben: 1. Die von der Bundesregierung beantragte Untersuchungskommission ist mit überwältigender Mehrheit aller Nationen beschlossen worden und wird binnen kurzem aktionsfähig sein. ({14}) Die Bundesregierung und Berlin werden dieser Kommission jede nur erdenkliche Unterstützung zuteil werden lassen. ({15}) Es liegt nunmehr an den Behörden der Sowjetzone und Ost-Berlins, das gleiche zu tun. ({16}) Ich kann namens der Bundesregierung erklären, daß wir den lebhaften und dringenden Wunsch haben, daß die Behörden der Sowjetzone und OstBerlins unserem Beispiel folgen mögen. ({17}) Sollten sie sich aber jetzt weiterhin weigern, die Kommission in den von ihnen verwalteten Gebieten tätig werden zu lassen ({18}) - ich kann nur nochmals betonen, ich würde das außerordentlich bedauern -, ({19}) so beweisen sie damit, daß sie eine Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit tatsächlich nicht wollen ({20}) und daß ihre Vorschläge auf gesamtdeutsche Wahlen nicht ernstgemeint waren. ({21}) 2. Auch wenn sich die sowjetzonalen Behörden weiterhin weigern sollten, der Untersuchungskommission eine freie Tätigkeit in der Sowjetzone zu ermöglichen, ({22}) so wird die Kommission trotzdem weiterbestehen, um ein wachsames Auge ({23}) auf die dortigen Zustände werfen zu können. ({24}) Die Frage gesamtdeutscher Wahlen wird infolgedessen mit Wahrscheinlichkeit auch auf der nächsten Vollversammlung der Vereinten Nationen wieder Gegenstand der Beratungen sein. 3. Die überwältigende Mehrheit aller Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen hat sich in aller Form auf den Standpunkt gestellt, daß die dem Art. 107 der Charta der Vereinten Nationen durch den Sowjetblock gegebene Interpretation, wonach Deutschland betreffende Fragen nicht zur Zuständigkeit der UNO gehören, falsch ist. 4. Auf Grund der Initiative der Bundesregierung haben sich die Vertreter der sechzig in den Vereinten Nationen vertretenen Staaten zum erstenmal seit Kriegsende eingehend mit dem Problem der deutschen Einheit befaßt. Bei dieser Gelegenheit hat eine große Anzahl von Delegierten - darunter besonders viele Vertreter Lateinamerikas und des nahen, mittleren und fernen Ostens - vor aller Welt ihre Sympathien mit den Einheitsbestrebungen des deutschen Volkes bekundet und dem Wunsch Ausdruck gegeben, daß ein geeintes ({25}) und freies Deutschland alsbald wieder ein vollberechtigtes Mitglied der Völkergemeinschaft werden möge. ({26}) Ich möchte nicht versäumen, bei dieser Gelegenheit den Staaten, die sich in dieser freundschaftlichen Weise über Deutschland geäußert haben, den herzlichen Dank der Bundesregierung auszusprechen. ({27})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen. ({0}) -- Meine Herren von der kommunistischen Gruppe, Ihre Redezeit beträgt 15 Minuten. Ich bitte, sie doch nachher auszunutzen. ({1})

Jakob Kaiser (Minister:in)

Politiker ID: 11001053

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat Ihnen den Verlauf und die Bedeutung der Schritte der Bundesregierung für die deutsche Wiedervereinigung bei den Vereinten Nationen dargelegt. Diese Schritte sind Ausdruck der Erkenntnis aller verantwortlichen Parteien dieses Hauses, daß freien gesamtdeutschen Wahlen durch Prüfung der 'Voraussetzungen der Weg geebnet werden muß. Die Tatsache, daß wir die Bildung der Kommission der Vereinten Nationen erreicht haben, stellt bereits den ersten Schritt in dieser Richtung dar, der uns immerhin mit Zuversicht erfüllen darf. Wir haben erreicht, daß sich 60 Nationen eingehend mit der Frage beschäftigten, ob die Wiedervereinigung Deutschlands ein reim innerdeutsches Problem, wie es die sowjetische Seite darstellte, oder ob sie nicht zugleich auch ein internationales Problem ist. Die überwältigende Mehrheit der Vereinten Nationen erkannte die internationale Bedeutung der deutschen Frage an. Wir können deshalb gewiß sein, daß die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit bis zu ihrer Verwirklichung von der Tagesordnung der Vereinten Nationen nicht mehr abgesetzt werden kann. Wir können wohl ebenso davon überzeugt sein, daß das Gewicht der Vereinten Nationen die Wiedervereinigung Deutschlands in wirklicher Freiheit, nicht aber unter kommunistischen Vorzeichen ({0}) und mit kommunistischen Methoden zulassen wird. ({1}) Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hofft, daß die Kommission der Vereinten Nationen sehr bald ihre Arbeit aufnehmen wird. Sie würde es lebhaft begrüßen, wenn sie sich in Berlin niederlassen würde. Von Berlin aus gewinnt die Kommission die notwendige Ubersicht über ganz Deutschland, über Berlin, über die Sowjetzone und über die Bundesrepublik. ({2}) Wir wissen, noch setzen die sowjetischen Machthaber ihrer Einreise in die Sowjetzone Widerstand entgegen, aber allein schon die Anwesenheit der Kommission in Berlin würde Beleg dafür sein, daß es der Weltöffentlichkeit ernst ist mit der deutschen Wiedervereinigung. ({3}) In Berlin werden der Kommission die lebendigen Eindrücke vermittelt werden, deren sie bedarf, um ihre Aufgabe erfüllen, um ihrer Aufgabe gerecht werden zu können. Das gilt auch, wenn ihr bedauerlicherweise die Einreise in die Sowjetzone noch weiterhin verwehrt werden sollte. Auf jeden Fall bleibt die Bundesregierung gemäß ihrer Ankündigung vom 27. September 1951 bereit, der Kommission jede Gelegenheit zu geben, im Gebiet der Bundesrepublik ihre Untersuchungen anzustellen. Sie ist davon überzeugt, daß Berlin ein Gleiches zu tun bereit ist. Bundesrepublik und Berlin haben nichts zu verbergen. Vor allem aber begrüßen wir, daß der Kommission nicht nur Untersuchungsaufgaben übertragen worden sind, sondern daß ihr auch der Auftrag zuteil wurde, Empfehlungen für weitere Maßnahmen abzufassen, um die für die Abhaltung freier Wahlen erforderlichen Verhältnisse zu schaffen. Das bedeutet, daß die Kommission nicht nur berichtende Tätigkeit auszuüben. sondern daß sie auch konkrete Vorschläge über Möglichkeiten und Wege zur Herstellung der deutschen Einheit zu machen hat. ({4}) Kommt sofort. - Und deshalb beabsichtigt die Bundesregierung auch, nicht nur den Besatzungsmächten, sondern auch der Kommission der Vereinten Nationen ihren Entwurf eines Gesetzes über die Grundsätze einer freien Wahl zur Verfassung- gebenden Deutschen Nationalversammlung zu übermitteln. Aber so sehr wir auch hoffen, daß die Vereinten Nationen uns auf dem Wege zur Wiedervereinigung unterstützen werden, sehr t die Bundesregierung gewillt, ihre eigenen Verpflichtungen gegenüber dem gesamten deutschen Volk zu erfüllen. ({5}) Diese schon im Grundgesetz verankerte Verpflichtung ist im Laufe der letzten Jahre nicht geringer, sondern im Gegenteil: sie ist größer geworden. ({6}) Unsere Verantwortung für die Wiedervereinigung unseres Landes wird von Tag zu Tag größer. Sie wächst mit der Not der 18 Millionen in der Sowjetzone, sie wächst an der Bedrängtheit der Stadt Berlin, sie wächst an der Not der Heimatvertriebenen, sie wächst an der Sorge um die Existenz Deutschlands. Lassen Sie mich noch eines in aller Klarheit vor diesem Hohen Hause zum Ausdruck bringen. Alle vertraglichen Bindungen und Vereinbarungen mit der freien Welt können nur so gedacht sein, daß sie ganz Deutschland. d. h. unsere ganze Nation der Einheit, der Freiheit und dem Frieden näher bringen. ({7}) Das heißt: die Wiedervereinigung des gesamten deutschen Volkes darf nicht deutschen, sie muß erleichtert werden. ({8}) Dabei ist sich die Bundesregierung mit allen verantwortlichen Parteien dieses Hauses darüber ({9}) klar, daß es für uns nur einen friedlichen Weg zur Wiedervereinigung unseres Landes gibt. Dazu gehört auch, ({10}) daß wir uns zur Einheit in Freiheit durchwählen. ({11}) Sie kennen alle den ersten Entwurf eines Gesetzes über die Grundsätze für die freie Wahl einer Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, den die Bundesregierung Anfang November 1951 vorgelegt hat. Sie wissen um die mannigfachen Argumente, die von dieser und von jener Seite gegen einen bestimmten Teil seines Inhalts vorgebracht wurden. Alle interessierten Kreise hatten ja Gelegenheit, sich zu äußern. Von diesem demokratischen Recht ist in beachtlichem Umfange Gebrauch gemacht worden. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß alles, was im Dienste der Wiedervereinigung unseres Landes geschieht, auf breitester Grundlage erfolgen muß. Der Ihnen heute vorliegende Entwurf eines Wahlgesetzes hat die in der Diskussion vorgebrachten Auffassungen berücksichtigt. Der Entwurf basiert auf den bekannten 14 Punkten der vom Bundestag gebilligten Regierungserklärung vom 27. September 1951. Die Vorlage - das muß beachtet werden - stellt kein Gesetz im formalen Sinne dar, sondern sie ist die Grundlage für einen sozusagen diplomatischen Schritt bei den Besatzungsmächten und bei den Vereinten Nationen. Die Bundesregierung bittet das Hohe Haus, diesem Vorschlage eines Gesetzentwurfs seine Zustimmung zu erteilen. Die Bundesregierung gibt dazu folgende Erklärung ab: Die Bundesregierung hat auf Grund des Beschlusses des Bundestages vom 27. September 1951 einen Entwurf eines „Gesetzes über die Grundsätze für die Freie Wahl einer Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung" ausgearbeitet und der Öffentlichkeit übergeben. Sie legt dem Bundestag nunmehr eine Überarbeitung dieses Gesetzentwurfes vor, bei dem die in der öffentlichen Diskussion hervorgetretenen Gesichtspunkte berücksichtigt worden sind. Die vornehmste Aufgabe der zukünftigen Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung wird es sein, eine Verfassung zu schaffen. Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß diese Verfassung folgende Grundsätze enthalten muß: das Recht des Volkes, die Volksvertretung auch in den Ländern, Kreisen und Gemeinden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen und die Staatsgewalt durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben, die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsgemäße Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, das Recht auf die verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung, die Unabhängigkeit der Gerichte, ({12}) den Schutz der allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte, die Gliederung des Gesamtstaates in Länder und die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung. Die vorstehenden Grundsätze sind bereits bei Ausübung der vorläufigen Funktionen der Nationalversammlung bis zum Inkrafttreten der Verfassung anzuwenden. Die Bundesregierung ruft das gesamte deutsche Volk auf, durch seine zu wählende Vertretung die Neuordnung des in Freiheit wiedervereinigten Deutschlands im Geiste echter demokratischer Staatsauffassung durchzuführen. ({13}) So weit die Regierungserklärung. Entscheidende Punkte des Gesetzesvorschlages sind: Das Gebiet der Wahl bildet einen einheitlichen Wahlkreis. Sie wissen ohne weitere Erläuterungen die Gründe zu würdigen, die hierfür bestimmend sind. Weiter: Jede Partei reicht einen Wahlvorschlag für das gesamte Wahlgebiet ein. Jeder Wahlvorschlag muß von mindestens 10 000 Wahlberechtigten unterzeichnet sein. Wahlvorschläge von Parteien, die beim Inkrafttreten dieses Gesetzes bereits bestehen und in der Wahlordnung aufzuführen sind, bedürfen nur der Unterschrift von 10 Personen. Auf je 75 000 Stimmen entfällt ein Abgeordneter. Ein Rest von mehr als 50 000 Stimmen wird vollen 75 000 gleichgeachtet. Ein Wahlvorschlag, der nicht in mindestens einem deutschen Lande 5 % der dort abgegebenen Stimmen erreicht, bleibt unberücksichtigt. ({14}) Die Funktionen der Nationalversammlung sind in Art. 4 wie folgt gekennzeichnet: 1. Die Nationalversammlung beschließt die Verfassung. 2. Sie hat diejenige Gewalt, die erforderlich ist, um bis zum Inkrafttreten der gesamtdeutschen Verfassung die freiheitliche, rechtsstaatliche, demokratische und föderative Ordnung herbeizuführen und zu sichern. Wie in dem Gesetzentwurf erneut bestätigt wird, erachtet es die Bundesregierung für entscheidend, daß Vorbereitung und Durchführung der Wahl unter internationalem Schutz und internationaler Kontrolle stehen. Auf Grund eines solchen Wahlgesetzes und unter solchen Voraussetzungen kann - das ist unsere Überzeugung - Deutschland zur Wiedervereinigung in Freiheit kommen. Dem deutschen Volk das zu ermöglichen, wäre die Tat, die wir in der Bundesrepublik und in Berlin und mit uns die 18 Millionen in der Sowjetzone von der sowjetischen Besatzungsmacht erwarten. Bisher allerdings hat Pankow nur Instruktionen zur Herbeiführung von sogenannten gesamtdeutschen Beratungen erhalten. Pankow hat sich sogar dagegen geschützt, daß sein von ihm selbst entworfenes Wahlgesetz, das auf unsere heutigen Verhältnisse gar nicht anwendbar ist, zu Wahlen mißbraucht werden könnte. Denn Pankow hat zu strikten Voraussetzungen wiederum gesamtdeutsche Beratungen gemacht; unser Volk aber will keine Ausflüchte mehr, unser Volk will Taten! ({15}) ({16}) Der Weg ist klar. ({17}) Die vier Besatzungsmächte, d. h. die Westmächte und die Sowjetunion, haben die Möglichkeit, den Entwurf, zu dem wir heute die Zustimmung des Bundestages erbitten, zum Wahlgesetz für ganz Deutschland zu machen. Am Wahltage selbst wird sich das deutsche Volk dann für Einheit, für Freiheit und für Frieden entscheiden. ({18})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Zur Berichterstattung über den Bericht des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen zu Punkt 1 b der Tagesordnung hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Tillmanns. Dr. Tillmanns ({0}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beratungen über den Entwurf eines Gesetzes über die Grundsätze für die Freie Wahl einer Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, über die der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen soeben berichtet hat, haben in den verschiedenen Stadien in enger Verbindung und Fühlungnahme mit dem Ausschuß des Deutschen Bundestages für gesamtdeutsche Fragen stattgefunden. Dieser Ausschuß hat sich in verschiedenen Sitzungen mi.t dem Entwurf befaßt, und in der gestrigen Sitzung des Ausschusses hat der Gesetzentwurf, der Ihnen auf Drucksache Nr. 2063 vorliegt, den Gegenstand eingehender Beratungen gebildet. Namens des Ausschusses habe ich den Antrag zu stellen: Der Bundestag wolle beschließen, dem Bericht des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen zum Beschluß des Deutschen Bundestages vom 27. September 1951 betreffend Grundsätze für die Freie Wahl einer Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung zuzustimmen. Ich glaube, nachdem wir soeben den Bericht des Herrn Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen gehört haben, kann ich es mir ersparen, noch einmal im einzelnen auf den Inhalt der Vorlage einzugehen. Er ist Ihnen bekannt, und die entscheidenden Gesichtspunkte sind bereits hervorgehoben worden. Ich darf mich also in meinem Bericht darauf beschränken, den verlesenen Antrag zu stellen und um seine Annahme zu bitten. Inzwischen ist auf Drucksache Nr. 3067 ein Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der DP gestellt worden, der inhaltlich das gleiche zum Ausdruck bringt wie der Antrag des Ausschusses. Ich nehme an, daß es im Interesse der geschäftsordnungsmäßigen Vereinfachung liegt, wenn dieser Antrag auf Drucksache Nr. 3067 zum Gegenstand der Beschlußfassung gemacht wird. Ich bitte noch einmal, diesem Antrag die Zustimmung zu geben, damit endlich die Voraussetzung dafür geschaffen wird, daß die Bundesregierung, wie es in ihrer Erklärung vom 27. September 1951 zum Ausdruck gebracht worden ist, nunmehr diese Wahlordnung nach Annahme durch den Deutschen Bundestag den Vereinten Nationen, den vier Besatzungsmächten und den sowjetzonalen Behörden zur Stellungnahme zuleiten kann. Damit wird ein weiterer wichtiger Schritt zur Verwirklichung unseres gemeinsamen Anliegens, der Herb elführung freier gesamtdeutscher Wahlen, getan werden. ({1})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Zur Berichterstattung über den Punkt 1 c, den Antrag der Fraktion der KPD betreffend Vorlage eines Wahlgesetzes, als Berichterstatter des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen Herr Abgeordneter Dr. Hoffmann! Bitte schön! Dr. Hoffmann ({0}) ({1}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der kommunistische Antrag auf Drucksache Nr. 2966, der dem Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen seinerzeit überwiesen wurde, bezweckte, die Bundesregierung zu verpflichten, dem Bundestag unverzüglich den Entwurf eines Gesetzes über die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen vorzulegen. Nachdem das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen am 5. Februar dieses Jahres den Bericht erstattet hat, der Ihnen auf Drucksache Nr. 3063 vorliegt, hat der Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen einstimmig beschlossen, Ihnen zu empfehlen, den kommunistischen Antrag als durch die Vorlage dieses Berichts erledigt zu betrachten. Ich habe Sie also im Namen des Ausschusses zu bitten, dem Antrag des Ausschusses gemäß Drucksache Nr. 3065 zuzustimmen.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Ich danke den beiden Herren Berichterstattern. Meine Damen und Herren, ich eröffne die gemeinsame Aussprache über die Große Anfrage - ich unterstelle, daß eine Aussprache auch dazu gewünscht wird - und über die beiden Berichte des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen. Ich schlage Ihnen im Einvernehmen mit dem Ältestenrat eine Aussprachezeit von 180 Minuten vor. - Das Haus ist damit einverstanden. ({0}) - Herr Abgeordneter Kunze, Sie wünschen nicht, das Wort zu nehmen; aber vielleicht wünschen Sie eine andere Aussprachezeit? ({1}) Die Hälfte wünscht Herr Abgeordneter Kunze. Meine Damen und Herren. es ist ja niemand moralisch verpflichtet, die Redezeit auszunutzen. Ich schlage Ihnen also 180 Minuten vor. Das Wort hat Herr Abgeordneter Wehner.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren. Es ist ermutigend für uns, daß die Vollversammlung der Vereinten Nationen die Frage der deutschen Einheit zu ihrer Angelegenheit gemacht und sie erörtert hat. Ich finde, es ist besonders ermutigend, daß sich eine solch große Anzahl von Rednern aus so vielen Ländern in einer Weise dafür interessiert hat, die weit über eine formale Sympathiebekundung hinausgeht. Man darf wohl sagen, daß die Frage der deutschen Einheit auf Grund dieser Beratungen in der Vollversammlung der Vereinten Nationen nicht mehr nur eine nationale Angelegenheit der Deutschen selbst ist, sondern daß sie damit eindeutig zu einer Angelegenheit der Weltdemokratie geworden ist; das hat auch zum Ausdruck gebracht werden sollen. Vielleicht haben die Erörterungen von Paris für die Besatzungsmächte auch die Bedeutung, daß ihnen durch die zum Teil leidenschaftliche Erörterung der deutschen Frage vor einem so breiten internationalen Gremium gegenwärtig geworden ist, welche Rolle die deutsche Einheit bei der Ordflung der Verhältnisse und der Überwindung der Spannungen spielen kann bzw. welche Rolle ihr zukommt. ({0}) Es ist zur Stunde nicht zu übersehen, wie die Kommission, die gebildet wurde und über deren Kompetenzen wir hier einen Bericht gehört haben, ihre Tätigkeit in Angriff nehmen wird und kann. Schon die Konstituierung dieser Kommission ist auf ganz erhebliche Schwierigkeiten gestoßen. Die polnische Regierung, die durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen aufgefordert worden war, einen Vertreter in diese Kommission zu entsenden, hat brüsk abgelehnt. Sie hat sich dabei - das ist schon erwähnt worden - auf den Art. 107 der UNO-Satzungen berufen. Dieser Art. 107 hat doch in der Essenz den Zweck gehabt - das steht auch so drin und ist so kommentiert worden -, die Behandlung der Angelegenheiten früherer Feindstaaten der im Kriege befindlichen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen vor diesem Forum auszuschließen. Der Art. 107 ist inzwischen, nachdem 7 Jahre seit dem Abschluß der Kriegshandlungen vergangen sind, hinfällig geworden. Es ist ein besonders trübes Zeichen, daß es in diesem Hause eine - wenn auch kleine - Gruppe gibt, die applaudiert, wenn die Rede davon ist, daß sich eine Macht darauf beruft, auf Grund des Art. 107 keine deutschen Fragen behandeln zu wollen, obwohl es doch eine Frage des Friedens, der Menschenrechte und der Demokratie für die ganze Welt und für alle diese Länder ist. Darüber hinaus aber hat die polnische Regierung bei ihrer Absage auf die Aufforderung der Vollversammlung der Vereinten Nationen erklärt, die Bildung dieser Kommission und ihr Auftrag laufe auf eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des deutschen Volkes hinaus und beeinträchtige die Würde des deutschen Volkes. Diese Worte nehmen sich eigentümlich aus, wenn sie von jener Seite gebraucht werden. Unserer Auffassung nach wäre es keine Einmischung, wenn die Vereinten Nationen dazu beitragen sollten und dazu beitragen könnten, daß das deutsche Volk durch freie Wahlen unter internationaler Kontrolle endlich selbst seine gesetzgebende Versammlung wählen und eine Regierung bilden kann. Dieser Schritt wäre das Gegenteil einer Einmischung; das wäre nämlich ein Schritt zur Beendigung von Einmischungen, die infolge der ungeregelten Verhältnisse fortgesetzt über uns ergehen. Wir wünschen ja die internationale Kontrolle für die Vorbereitung und für die Durchführung freier Wahlen in allen Teilen unseres Landes, damit eben überall in Deutschland die Menschen wirklich ohne Furcht wählen können. Das wäre, so finden wir, keine „Beeinträchtigung der Würde des deutschen Volkes", wie es in der ablehn enden Stellungnahme der polnischen Regierung heißt, sondern würde helfen, einen Zustand zu beenden, der mit der Würde der Menschen unseres Volkes unvereinbar ist. Mit der Würde unvereinbar sind z. B. gewisse Anstalten, die man kennzeichnet, wenn man die Namen Bautzen, Waldheim, Torgau usw. ausspricht. ({1}) Die polnische Regierung hat in ihrer Ablehnung behauptet, daß die sogenannte Regierung der sowjetischen Besatzungszone - so heißt es nun wörtlich in dem Schreiben der polnischen Regierung - „die Unterstützung aller demokratischen Kräfte in ganz Deutschland genieße". Bei diesem Satz müssen wir notgedrungen heute ein wenig verweilen. Für uns in Deutschland ist es grotesk, wenn die Regierung von Pankow so charakterisert wird als der Ausdruck aller demokratischen Kräfte in ganz Deutschland. Aber wir hätten auch noch etwas anderes dazu zu sagen. Es bleibt nämlich die Frage, ob mit diesem Satz der polnischen Verlautbarung zum Ausdruck gebracht werden soll, daß sowjetischerseits immer noch versucht wird, die Elemente und die Instrumente der Unterdrückung in einem Teile Deutschlands als demokratisch zu firmieren. Offenbar soll diesen Elementen und Instrumenten gerade durch das Firmieren als „demokratisch" zur Macht im gesamten übrigen Deutschland verholfen werden. Unserer Auffassung nach gibt es nur eine demokratische Legitimation, und die besteht darin, sich ohne Vorrechte und ohne Kniffe zur Wahl zu stellen. Und damit weder Vorteile noch Nachteile für die eine oder andere Partei, für die eine oder andere Gruppe auftreten können, wollen wir eben die internationale Kontrolle in der Periode vor und während der Wahlen. Das war und das bleibt der Sinn der Auseinandersetzungen und der Beschlüsse dieses Hauses vom 9. März, vom 27. September vergangenen Jahres und bei anderen Gelegenheiten. Der Sinn war: freie Wahlen unter internationaler Kontrolle, damit gleiche Bedingungen überall und für alle gewährleistet werden. Bei der Ablehnung einer Hilfe durch die Vereinten Nationen seitens der Volkskammer der sowjetischen Besatzungszone hat offenbar - das muß man aus den Darlegungen der sowjetzonalen Volkskammer schlußfolgern - vor allem der Gedanke eine Rolle gespielt, daß das Kernstück aller bisherigen Angebote der sowjetzonalen Volkskammer die „gesamtdeutsche Beratung" ist. Nun, wir haben schon einmal die Frage gestellt, ob diese „gesamtdeutsche Beratung" lediglich eine Ersatzeinrichtung für die von uns aus guten Gründen schon einmal abgelehnte Err chtung eines sogenannten „gesamtdeutschen Konstituierenden Rates" sein soll. ({2}) Es stellt sich immer wieder die Frage, warum denn Körperschaften gebldet werden sollen, die, ohne daß sie aus freien Wahlen selbst hervorgegangen sind und ihr Mandat bekommen haben, faktisch Regierungsgewalt haben und ausüben sollen. Wir, d. h. die Abgeordneten des ganzen Hauses, waren seinerzeit ausdrücklich gegen den sogenannten Konstituierenden Rat, weil er eine provisorische Regierung mit großer Machtbefugnis ohne Wahl, ohne Mandat des freien Volkes geworden wäre. Wir sind auch gegen alle Ersatzeinrichtungen, die Regierungsgewalt ausüben sollen, ohne daß sie gewählt worden sind. Ebenso sind wir - und müssen es konsequenterweise sein - gegen Beratungen, die nur geführt werden sollen, um die sowjetische Verhandlungstaktik zu unterstützen. ({3}) Wir wüßten gern, was die Sowjetregierung offiziell will und meint; aber es kann uns nicht genügen - es muß immer wieder gesagt werden -, daß uns das durch den Mund der Leute von Pankow versichert wird, die keine bindenden Verpflichtungen einzugehen imstande sind. ({4}) Wir können über Beratungen in diesem Stadium nicht reden. Beratungen können sein über Einzelheiten der Technik, nachdem Voraussetzungen, politische Voraussetzungen gewährleistet sind. Was sollten denn z. B. solche Beratungen, von denen uns gesagt wird, sie sollten sich insbesondere mit der Beschleunigung des Abschlusses eines Friedensvertrages befassen? Man hatte ja schon im vorigen ({5}) Jahre einen Termin innerhalb des Jahres 1951 gestellt. Jetzt stellt man neue Termine. Wieso können denn Deutsche, wenn sie zu solcher Beratung zusammenkommen, irgend etwas Nutzbringendes für das Herbeiführen eines Friedensvertrages tun? Wenn die Regierung der Sowjetunion einen Friedensvertrag für Deutschland mit Deutschland usw. schließen will, dann muß sie doch wohl zu allererst mit ihren Verbündeten aus dem letzten Krieg, mit den übrigen Besatzungsmächten, zu einem Konsens in d' eser Frage kommen. Welchen Sinn hätten gesamtdeutsche Beratungen zur Förderung irgendeines Friedensvertrags? Man wird uns doch wohl nicht zumuten, daß wir Vorschläge darüber zu machen hätten, was andere uns als einen Friedensvertrag präsentieren sollten. In eine solche unmögliche Lage kommt man, wenn man derartige Losungen, derartige Forderungen stellt. Es erhebt sich die Frage: was will denn Pankow mit all diesen fortgesetzten Forderungen, die es in der Form abwandelt, die auch in dem Wortlaut ab und zu unseren Meinungen sich anzunähern scheinen, die aber, wenn man zugreift, sich immer wieder als Verkleidungen schon einmal erörterter und als unmöglich und als unannehmbar herausgestellter Pläne erweisen? Wir haben nun vor einiger Zeit einen sogenannten Wahlgesetzentwurf der sowjetzonalen Volkskammer zu Gesicht bekommen. Es ist eine umfangreiche Arbeit, ein umfangreiches Schriftstück. Wenn man es sich genau durchseht und sich bei seiner Bewertung von den Schlagworten freihält, mit denen es in die Welt gesetzt worden ist, dann kommt man zu einem Ergebnis, über das ernsthafte Menschen sich Gedanken machen und das sie ernsthaft erörtern müssen. Das Kernstück dieses Wahlgesetzentwurfs der sowjetzonalen Volkskammer ist ein zentraler Wahlausschuß mit für die einzelnen Länder abgezweigten Wahlausschüssen, die weder zeitlich noch hinsichtlich ihrer Machtbefugnisse in dieser Wahlordnung irgendwie konkret umgrenzt sind. Selbst wenn man in das, was dort steht, nicht mehr hineinlegen will als das, was mit dem Wortlaut vereinbar ist, so wird man zu dem Resultat kommen, daß diese Art Wahlausschuß entsprechend den Kompetenzen nichts anderes als eine Form von Nebenregierung ist, auch von der Seite aus gesehen, daß sie imstande sein soll, sich „Organe" - wie es in dieser Wahlordnung heißt - zu schaffen, über die es ebenfalls keine konkreten Begriffe gibt. Die Konstruktion dieses zentralen Wahlausschusses wäre nach der dort angewandten Begriffsbestimmung so, daß es nicht nur möglich, sondern wahrschenlich sogar gar nicht anders möglich wäre, als daß die sogenannten Massenorganisationen durch ihre Vertreter in einen solchen Wahlausschuß nach dem Muster der sowjetzonalen Volkskammer die Vertreter der Parteien majorisieren würden. Das sind nur einige der Fragen, die sich bei der Durchleuchtung dieses Vorschlags einstellen. Es ist viel davon geredet worden, wir könnten ja darüber Klarheit bekommen, wenn wir in die gesamtdeutsche Beratung kämen und wenn wir uns dort an den berühmten „runden Tisch" setzten. Es ist auch schon damit gelockt worden, daß ja dann dieser oder jener diesseits und jenseits der Zonengrenzen werde frei sprechen und Versammlungen abhalten können. Aber welchen Sinn hat es, über solche Dinge zu sprechen, bevor man sich nicht über die Grundvoraussetzungen klargeworden ist. So können alle diese Dinge, die doch nur Folgen von Grundvereinbarungen sein können, bei der gegenwärtigen Diskussion lediglich verwirrend wirken. ({6}) Es ist gesagt worden, man wolle von der Sowjetzone Parteivertreter in das Ruhrgebiet oder nach Oldenburg oder woandershin schicken. Nun, selbstverständlich, wir wollen mit unserem Wahlvorschlag ja gerade diese eiserne Trennung, dieses eiserne Zuhalten der Zonengrenze überwinden; es wird ja jetzt nur bei Leuten gelockert, mit denen man eben bestimmte Absichten hat. Wenn nun schon angekündigt wird, man werde in Oldenburg das und das sagen, man werde im Ruhrgebiet den Kumpels Aufklärung über dieses und jenes geben, so ist das nicht erschütternd. Wir brauchen hier nicht darüber zu reden, welche Fragen sich z. B. von selbst ergeben würden, wenn, sagen wir, Herr Ulbricht nach dem Ruhrgebiet käme. Es wäre ganz selbstverständlich, daß solchen Leuten,. ohne daß man vorher dazu „schulen" müßte, die Frage Bestell t würde, ({7}) was denn der betreffende Redner z. B. dafür getan hat und noch zu tun gedenkt, daß die Kriegsgefangenen endlich heimkehren. ({8}) - Das ist Ihre Sache, wenn Sie darüber schreien können. Wir können darüber nicht schreien; für uns ist das eine Herzensangelegenheit. Man würde diesen Leuten - darauf brauchten wir auch nicht vorher zu präparieren - sicher auch die Frage stellen, warum denn die Gefangenen von Bautzen, von Waldheim, von Torgau nicht freigelassen werden, ungeachtet dieser marktschreierisch angekündigten und dann so kläglich praktizierten Amnestie, von der man am 6. und 7. November vergangenen Jahres so viel Wesens gemacht hat. ({9}) Es ist doch kein einziger politischer Gefangener unter dieser Amnestie herausgekommen. ({10}) Was sollen denn dann diese Wortgefechte, was soll diese Wortakrobatik? Ich glaube auch, daß gerade die Arbeiter und Angestellten recht begierig sein würden, solche Menschen, die ihnen erzählen würden, welche Fortschritte auf der andern Seite der Zonengrenze gemacht worden seien, danach zu fragen, warum die Arbeiter und Angestellten in der sowjetischen Zone ihrer in jahrzehntelangen Mühen, gewerkschaftlichen Kämpfen und Kämpfen der Arbeiterbewegung überhaupt erworbenen Rechte jetzt verlustig gegangen sind. Ich meine die Rechte, die tarifvertragliche Regelung ihrer Arbeitsverhältnisse, ihrer Lohn- und Gehaltsverhältnisse durchsetzen zu können, und zwar auf dem Wege von Vereinbarungen, von bindenden Abmachungen. die jedem für eine bestimmte Zeit seinen Grundlohn und die Arbeitsbedingungen sichern. Die Leute würden wissen wollen, wieso es denn kommt, daß man diese in Jahrzehnten bewährten und von Generationen in der Arbeiterbewegung mühsam errungenen, erhungerten und erstreikten Rechte ietzt plötzlich mit Gewalt abbaut und an ihre Stelle sogenannte Betriebsverträge setzt, die man den Leuten aufzwingen will und auch aufzwingt. Es sind Betriebsverträgc" durch die die arbeitenden Menschen in die Klammer genommen werden, die aus zwei Zahlen gebildet wird, die der im November Gesetz gewordene Fünfjahresplan enthält, nämlich mindestens 60 % Leistungssteigerung, ({11}) also Steigerung der Arbeitsproduktivität des arbeitenden Menschen, bei höchstens 20 % Lohnerhöhung für die Arbeiter in der Industrie. ({12}) Diese Klammer - 60 % und 20 % - wollen die arbeitenden Menschen selbstverständlich aufgeklärt wissen. Das sind einige der Fragen, die interessieren. ({13}) Ich meine, Auseinandersetzungen darüber, was sein würde, wenn die grundsätzlichen Voraussetzungen geschaffen wären, sind heute wirklich zwecklos, sind so lange zwecklos, als die Besatzungsmächte der deutschen Forderung nicht Rechnung tragen, sich für die Gewährleistung der Voraussetzungen freier Wahlen zu entscheiden. Wir Deutschen können über die von den Besatzungsmächten geschaffene Tatsache der Spaltung Deutschlands nicht einfach hinwegspringen; aber wir sollten gerade deshalb keine Gelegenheit versäumen, über die vordringlichste politische Forderung aller Deutschen Klarheit zu schaffen. Ich bediene mich hier des Begriffs, den wir in unserem Beschluß vom 27. September gebraucht haben, als wir sagten, die vordringlichste politische Forderung aller Deutschen und des frei gewählten Bundestages sei eben diese Wiederherstellung der Einheit in Freiheit und Frieden. Es kommt dabei darauf an, so zu verfahren, daß die großen Mächte diese Forderung in ihrer Politik - ich möchte noch einmal betonen: in ihrer Politik - selbst zur Geltung bringen, daß es sich also in keinem Fall lediglich um Erklärungen handeln darf, sondern schließlich um politische Konsequenzen handeln muß. Die sozialdemokratische Fraktion, für die ich spreche, hat bedauert, daß in der Durchführung der Beschlüsse vom 27. September so mannigfache Verzögerungen eingetreten sind. Wir hatten uns damals einen ziemlich konkreten Fahrplan zurechtgelegt. Es kam darauf an, daß dabei Zug um Zug gemacht wird. Meine Fraktion hat durch einen Briefwechsel ihres Vorsitzenden mit dem Herrn Bundeskanzler schon im November den Versuch gemacht, diese Verzögerungen wettzumachen. Der Vorsitzende meiner Fraktion, Dr. Schumacher, hat in einer speziellen Ansprache an die Bevölkerung der sowjetischen Besatzungszone am Tage vor Weihnachten betont, daß die Sozialdemokratische Partei in dieser Sache jetzt keine Polemik gegen gewollte oder ungewollte Erschwerungen im Kampf um die Einheit wünsche; was sie wünsche - und ich möchte hinzufügen: das \vilm cht sie nach wie vor -, das sei, alle demokratischen Kräfte zusammenzuführen auf die allein stabile und Aussicht bietende Plattform der Bundestagsbeschlüsse vom 27. September 1951. Meine Damen und Herren, ich möchte hier noch betonen, daß die sezialdemokratischen Vorschle vom 9. März und 27. September bezüglich der Korn petenzen der Nationalversammlung aus dem Bedürfnis entstanden sind, die Nationalversammlung von Anfang an in den Stand zu setzen, die Demokratie in ganz Deutschland durchzusetzen. Ich gebe zu - und wir haben es immer gesagt -, es mag Meinungsverschiedenheiten, ernste Meinungsverschiedenheiten über das Wie geben. Wir sollten bei diesen Meinungsverschiedenheiten den Versuch machen--und ich appelliere auch jetzt noch einmal an alle, die dazu beitragen können. den Versuch zu machen -, auf der Grundlage der Sachlichkeit zu bleiben und es zu akzeptieren, daß es wirklich bestimmte, sehr komplizierte Probleme und besonders in der Übergangszeit eine ganze Problematik gibt. ({14}) Es geht um wirtschaftliche Fragen, es geht um das Finanzgefälle, es geht um die Frage der Vorräte, und es geht urn so viele andere politische und humanitäre Angelegenheiten. Würde man die Beschlüsse des Bundestages vorn 27. September auf den Vorschlag reduzieren, die Vereinten Nationen möchten eine Kommission zur Prüfung der Voraussetzungen der Wahlen bilden, dann würde man Pankow die Möglichkeit in die Hand geben, diesen Weg zu blockieren. ({15}) ich will damit sagen: wir sollten uns nicht auf diesen einen, gewiß sehr wichtigen Vorschlag, der im Gebäude der Maßnahmen, über die wir uns klargeworden waren, seinen Platz hat, beschränken. Man sollte ihn und auch die anderen Maßnahmen Zug um Zug zu ihrer Zeit durchführen. Das sollte nur noch einmal gesagt werden. Durch die Wahlordnung, die uns hier heute vorgelegt worden ist, wird möglicherweise die Klärung, die notwendig ist, gefördert. Vielleicht kann diese Wahlordnung auch ein I-Iilfsmittel für eine fruchtbare Unterstützung seitens der Vereinten Nationen sein. Das Ergebnis der Verständigung ist -- das soll natürlich nicht verhehlt werden -nicht der Weisheit letzter Schluß. Diejenigen, die daran mitzuarbeiten hatten, hatten dabei immer und immer wieder ihre eigenen Sorgen und haben diese zum Ausdruck gebracht. Es ist aber - das muß man so oder so jedenfalls sagen - das zur Zeit gemeinsam Erreichbare, und das ist natürlich auch schon etwas. Bei sorgfältiger Prüfung wird man feststellen, daß die 14 Punkte, die der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vorn 27. September als Grundzüge einer solchen damals angekündigten Wahlordnung vorgetragen hat, in dieser jetzigen Fassung enthalten sind. Zu den Auseinandersetzungen über die Rechte und Kompetenzen der Nationalversammlung möchte ich nur noch nachtragen - nicht nur, um es hier noch einmal aufzufrischen -, daß die Sozialdemokratische Partei in der Zeit, in der diese Auseinandersetzungen - leider nur zu einem geringen Teil hier in diesem Hause - geführt worden sind, Wert darauf gelegt hat, unzweideutig zu sagen, daß sie keineswegs eine zentralistisch-unitarische Lösung, sondern eine bundesstaatliche Regelung anstrebe. Zu diesem Wort steht die Fraktion, für die ich hier zu sprechen habe. Es bleibt aber auch dabei: diese Nationalversammlung braucht die Kraft, urn das in der Übergangszeit Notwendige zu regeln. Nun noch einige Worte zu der Frage, die manche besonders interessiert hat, warum das ganze Gebiet ein Wahlkreis sein soll. Wir wollen durch eine seiche Regelung auf keinen Fall dem kommenden Wahlrecht in einem vereinigten Deutschland in gendeiner Weise vorgreifen oder es in irgendeiner Weise festlegen. Hier handelt es sich - lasSie mich das offen aussprechen - einfach um etwas. was wir für notwendig gehalten haben, um den Wählen bei dieser ersten Wahl das notwendige Maß an Sicherheit zu geben und die Furcht vor Repressalien zu vermindern. Nichts anderes bezweckt diese Regelung. die für uns nach dieser ersten Wahl nicht mehr vorhanden und notwendig sein wird, ebenso wie es durch diese Regelung ({16}) keine Bindung an das Verhältniswahlrecht geben wird und geben soll. ({17}) Es liegt nicht in unserer Macht - das möchte ich noch einmal betonen -, die Besatzungsmächte zu einer Übereinkunft zu zwingen, die uns unverzüglich die Voraussetzungen für freie, allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlen unter internationaler Kontrolle gewährleistet. Die Dinge wären gewiß wesentlich einfacher, wenn die Sowjetregierung verbindlich erklären würde, daß sie zu solcher Übereinkunft bereit ist. Bisher läßt sie jedoch immer nur Pankow sprechen. Was wir angesichts dieser Lage tun können, aber auch tun müssen, das ist - so möchte ich sagen -, jederzeit unseren Willen und praktisch auch unsere Bçreitschaft zu freien Wahlen unter Beweis zu stellen und keine Gelegenheit an irgendeiner Steile verstreichen zu lassen, um diese Bereitschaft nachzuweisen. Für die Bundesrepublik sollte es, so meinen wir, klar sein - und ihre Vertreter sollten es überall allen klarmachen -, daß für uns ohne Unterschied der Parteizugehörigkeit und dessen, was damit zusammenhängt, die deutsche Einheit kein auswechselbares Propagandainstrument ist und daß sie nicht gegen irgend etwas anderes austauschbar ist. Sie ist sozusagen ein Postulat der deutschen Politik, an das niemand rühren kann, es sei denn, er wolle es in Kauf nehmen, in dieser deutschen Politik eben unmöglich zu sein. Die legitimen Grenzen für alle Engagements, die wir eingehen sollen oder mit denen wir uns zu befassen haben, sind durch unsere Pflicht gezogen, die deutsche Einheit zu fördern. Ich meine, es gehört sich, an dieser Stelle noch einmal klar und deutlich auszusprechen, daß wir, d. h. die Bundesrepublik, diese Aufgabe auch für die Deutschen in der sowjetischen Besatzungszone erfüllen, nicht weil sie eines Vormundes bedürften, sondern weil sie das von uns, die wir zum Unterschied von ihnen reden können, erwarten und mit Recht erwarten. ({18})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat Herr Abgeordneter Brookmann.

Walter Brookmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000273, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben den Bericht des Herrn Bundeskanzlers über die Behandlung der deutschen Frage durch die Vereinten Nationen mit großer Befriedigung zur Kenntnis genommen. Wir haben diesem Bericht entnehmen dürfen, daß Deutschland in der Welt jetzt doch wieder eine gewisse Achtung genießt, daß das Vertrauen zu Deutschland in der Welt im Steigen begriffen ist, und wir sind mit der Bundesregierung glücklich darüber, daß die Behandlung der deutschen Frage, der Frage der Wiedervereinigung, von der Tagesordnung der Vereinten Nationen nun nicht mehr herunterkommen kann. Ich will mich jetzt mit der von Herrn Bundesminister Kaiser verlesenen Regierungserklärung beschäftigen und insbesondere mit deren Kern, nämlich der Wahlordnung, die dem Hohen Hause bekanntgegeben wurde. Es handelt sich um die Drucksache Nr. 3063 die den Entwurf eines Ge- setzes über die Grundsätze für die Freie Wahl einer Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung enthält. Es sollte in diesem Hause eigentlich nicht notwendig sein, über eine Wahlordnung, die nach demokratischen Prinzipien aufgestellt ist, irgend etwas zu sagen. Ich halte es aber für notwendig im Hinblick darauf, daß auf der äußersten Linken einige Damen und Herren sitzen, die diese Prinzipien einer demokratischen Wahlordnung nicht kennen. Es sei mir daher gestattet, in Ergänzung dessen, was Herr Bundesminister Kaiser an wesentlichen und entscheidenden Punkten aus der Wahlordnung behandelt hat, noch auf einige Punkte hinzuweisen. Nach Art. 1 sollen in den vier Besatzungszonen Deutschlands und in Groß-Berlin freie, geheime, allgemeine, gleiche und direkte Wahlen zu einer Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung stattfinden. Einige wesentliche Punkte, die Herr Bundesminister Kaiser aus dieser Wahlordnung nicht genannt hat, sind folgende. Die Freiheit der politischen Betätigung zur Vorbereitung und Durchführung der Wahl muß gewährleistet sein. Alle Beschränkungen im Personenverkehr zwischen den Besatzungszonen einschließlich Groß-Berlins sind spätestens drei Monate vor der Wahl aufzuheben. Jedem Wahlbewerber muß die unbedingte persönliche Freiheit gewährleistet sein. Die Verbreitung von Zeitungen, Zeitschriften und sonstigem Druckmaterial, die in einem deutschen Lande erscheinen, sowie der Empfang von Rundfunksendungen sind im ganzen Wahlgebiet ungehindert zuzulassen. Das Wahlgeheimnis ist zu gewährleisten. Vorbereitung und Durchführung der Wahl haben unter internationalem Schutz und unter internationaler Kontrolle zu stehen. Über die Aufgabe der Nationalversammlung hat der Herr Bundesminister Kaiser bereits Auskunft gegeben. Mein Herr Vorredner hat schon darauf hingewiesen, daß die sogenannte Deutsche Demokratische Republik vor kurzer Zeit ebenfalls eine sogenannte Wahlordnung vorgelegt hat. Herr Wehner hat mit Recht gesagt, sie sei sehr umfangreich und umfasse 5 große Abschnitte mit insgesamt 48 Paragraphen. Bei näherer Betrachtung müssen wir jedoch feststellen, daß dieser Wahlgesetzentwurf lediglich Bestimmungen über die Technik des Wahlvorgangs enthält, nicht aber die Garantie für eine echte, unbehinderte Durchführung des Wahlkampfes und der Wahlhandlung selbst. Vorbereitung und Durchführung der Wahl sollen einem zentralen Wahlausschuß obliegen, der durch gesamtdeutsche Beratungen gebildet werden soll. Meine Damen und Herren, wir haben von jener Seite statt eines Bekenntnisses zur Abhaltung von Wahlen für die Wiedervereinigung Deutschlands immer nur etwas von gesamtdeutschen Beratungen gehört. Was von solchen gesamtdeutschen Beratungen zu halten ist, darüber brauche ich hier nichts zu sagen. Bisher waren es jedenfalls nur leere Deklamationen. Was wir wollen, ist nichts weiter, als so schnell wie möglich zu einer Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung zu wählen. Wir wollen nicht reden, wir wollen nicht beraten. Ich gehe nicht so weit wie Herr Abgeordneter Wehner, der meinte, über gewisse technische Einzelheiten könne man mit den Herren in der Sowjetzone beraten. Nein, nicht einmal das: denn wir wissen ja, was bei solchen Beratungen auf höchster internationaler Ebene bisher herausgekommen ist. ({0}) Wir wollen also nicht beraten, weil wir wissen. daß am Schluß dieser Konferenzen stets nichts weiter steht als ein zynisches Nein, sondern wir wollen wählen. Wir wollen aber nicht nur zu einer ({1}) Deutschen Nationalversammlung wählen, sondern wir wollen bei dieser Gelegenheit uns gleichzeitig auch zu einem vereinten Europa bekennen. ({2})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz.

Dr. Hans Joachim Merkatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001477, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich in die Erörterung der Sachprobleme eintrete, liegt mir daran, einem Wunsche meiner politischen Freunde entsprechend in dieser Stunde einmal die erhebliche Verwirrung, die um die Frage der deutschen Einheit gestiftet worden ist, anzusprechen. Wir haben es da drüben in Pankow bei den Handlangern der dortigen Besatzungsmacht mit einem überaus verschlagenen Gegner zu tun. ({0}) Diese verschlagene Methode hat die Tatsache der Spaltung Deutschlands und die Frage der Wiedervereinigung in das Gegenteil der Wahrheit zu verkehren gewußt, und es gibt im Gebiet der Bundesrepublik, in dem jede Informationsmöglichkeit und in dem die Freiheit nicht nur des Redens, sondern auch des Nachdenkens besteht, reichlich viele Leute, die auf den Propagandatrick hereingefallen sind, genau so wie viele aus den Reihen der Intelligenz und der Künstler auf die Propagandathesen weiland des Herrn Goebbels hereingefallen sind. ({1}) Meine Damen und Herren. ehe wir die Dinge auf das richtige Maß zurückführen - wir, die wir bemüht sind, die Wiederherstellung unseres Vaterlandes wirklich zu betreiben -, ist doch eines einmal klar herauszustellen. Die Frage nach der deutschen Einheit setzt die Frage voraus, wer es zu verantworten hat, daß dieses Land gespalten worden ist. Ich habe keine Veranlassung. die Verantwortlichkeit der Abmachungen von Jalta und Potsdam noch einmal zu wiederholen; das weiß jedes Kind. Wir befassen uns aber im Rahmen der deutschen Einheit mit den Fragen, die auch von uns selber mit zu verantworten sind, d. h. von deutschen Menschen. ({2}) Und hier ist folgendes festzustellen. Wodurch ist das Gefüge unseres Gesamtstaates auseinandergebrochen worden? Dadurch, daß Zustände der Ausbeutung, des Terrors und der Unfreiheit auf der anderen Seite herbeigeführt worden sind, im Wirtschaftlichen, im Sozialen und im Politischen. Es ist merkwürdig, daß der Erscheinung jener Bolschewisierung eines Teiles unseres Landes immer noch nicht die notwendige Kenntnis und Einsicht auf der anderen Seite gegenübersteht. Hier handelt es sich nicht allein darum, irgendwelche Verfassungsformen zu beseitigen, irgendwelche Institutionen, die auf dem Papier einer demokratischen Ordnung ähnlich sind. sondern hier geht es um die Beseitigung der Positionen, von wo aus der Terror auf den einzelnen Menschen ausgeübt wird, d. h. um die Beseitigung des Polizeiapparates, jenes zentral durch eine Bürokratie gelenkten Sicherheitsapparates einer Einheitspartei. Dieser Apparat bestimmt die wahren Zustände. Ich möchte keine dramatischen Worte gebrauchen, welche Leiden mit dem Funktionieren dieses Systems verbunden sind. Es gibt kein Wort, das stark genug ist, diese in der Seele. im Verstand, im Willen, in der Wirtschaft und im sozialen Leben vollzogene Spaltung richtig zu erklären und zu brandmarken. Wer die Geschichte der Konzentrationslager dereinst einmal schreiben will, wird das ganze Entsetzen feststellen können, das mit diesem System der dunklen Gewalt nicht nur über den Willen, sondern auch über die Seelen der Menschen erreicht worden ist. Meine Damen und Herren, hier liegt der innere Zustand der Spaltung, der, soweit er von Deutschen, die dort sich als Handlanger des bolschewistischen Systems bereit gefunden haben, zu vertreten ist, mit aller Klarheit herausgestellt werden muß. Voraussetzung für eine Wiederherstellung der Einheit Deutschlands ist die Beseitigung dieses Zustandes; das ist die Kernfrage der gesamten politischen Konzeption, die hinter den Vorschlägen zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands stehen muß. Im Rahmen dieser Feststellung möchte ich eines zum Ausdruck bringen: Wir wenden uns mit aller Entschiedenheit gegen eine Gleichstellung dieser Gewalten und dieser Leute, die drüben als Handlanger der sowjetischen Besatzungsmacht tätig sind, mit den staatlichen und politischen Institutionen auf dem Gebiet der Bundesrepublik. ({3}) Daher ist es ein kaum glaubhafter Vorgang, daß auch auf dem Gebiet der Bundesrepublik Intellektuelle, Künstler, Professoren, Geistliche und außerdem Zeitschriften repräsentativer Art sich so zweideutig gegenüber dem listigen Angebot eines Gesprächs mit diesen Gewalthabern ausgedrückt haben. Das muß bei einem Menschen, der die Dinge ehrlich und klar zu sehen bemüht ist, Empörung hervorrufen. ({4}) Bedeutet doch die Erörterung oder der Wunsch eines solchen Gesprächs, daß man den Leuten, die sich drüben zum Henkerdienst bereit gefunden haben, eine Gleichstellung zubilligt, die nicht anerkannt werden kann. Das ist Verrat an den Deutschen dort drüben. ({5}) Meine Damen und Herren, diese Dinge müssen einmal mit voller Klarheit herausgestellt werden. ({6}) Noch ein zweiter Punkt. Glaubt man denn hier und glaubt man da drüben, daß die sowjetische Besatzungsmacht die Maßnahmen des Terrors und der Bedrückung der deutschen Menschen etwa selber vollziehen wollte? Nein, dazu bedient sie sich der Handlanger; und wenn es diese Handlanger nicht gäbe, dann wären wir der wirklichen echten deutschen Einheit weit näher, als das der Fall ist. ({7}) Hier liegen die eigentlichen Fragen, die einmal angesprochen werden müssen. Wenn wir von Brüdern, von Schwestern dort drüben sprechen, dann sollten wir es tun in dem Geist der Empörung und in dem Willen, alles dazu beizutragen, daß der moralische Widerstand unter den Deutschen wächst. ({8}) Denn der Ausgangspunkt für das Ziel der Befreiung ist zunächst einmal der moralische Widerstand. Ich habe angesichts dieses Problems nicht ({9}) die Absicht, die Fragen gewissermaßen mit Samthandschuhen anzufassen; diese Fragen müssen mit Härte verdeutlicht werden. Diese Leute, die in Publikationsorganen im Gebiet der Bundesrepublik - ich möchte keine im einzelnen nennen, denn wenn wir schon in der Zeit der Denunziationen leben, so wollen wir es hier nicht persönlich machen - in einer überaus zweideutigen Weise mit den Verhältnissen dort drüben kokettieren, ({10}) - diese Leute sind es, die wir einmal anfassen müssen ({11}) und denen es einmal mit Klarheit gesagt werden muß, gerade auch -- und ich möchte nicht davor zurückschrecken, das zu sagen - in gewissen kirchlichen Kreisen. ({12}) Wie wollen wir diese Zone drüben dereinst befreien, wie wollen wir den Geist des moralischen Widerstandes, wie er notwendig ist, hervorrufen, wenn wir den Menschen nicht die moralische Unterstützung und mehr noch geben? Diese Fragen gelangen jetzt aus dem Bereich der Illusionen und der Träume in den Bereich politischer Möglichkeiten. Wir können nicht erwarten, daß eine der Grundlagen zur Beseitigung dieses Zustandes, nämlich Mut und Dynamik bei den Deutschen drüben gestärkt werden, wenn in dem Gebiet des freien Deutschland der fortgesetzte Verrat an diesen Menschen begangen wird, indem mit den Zuständen dort kokettiert und geliebäugelt wird, während die Verhältnisse in der Bundesrepublik fort und fort herabgesetzt werden, wenn die Regierung beschimpft wird, wenn die Parteien, die Politiker be- schimpft werden und wenn jeder Erfolg, der hier, auch zur materiellen Befreiung des Menschen, erreicht wird, herabgesetzt wird. Mit diesen Erscheinungen ist aufzuräumen. Sie sind letzthin die Ursache dafür, daß die Leute drüben auf einsamem Posten stehen und sich so oft verlassen fühlen. Was soll denn der junge Student, was soil der Pfarrer, der Arbeiter drüben, der den moralischen Widerstand aufbringt und oft mit diesem Widerstand tatsächlich eine weitere Sowjetisierung der Zone verhindert, denken, wenn er die Auslassungen liest und ertragen muß, die in der Bundesrepublik, wo wir die Freiheit der Meinung und die Pflicht zur Freiheit der Meinung haben, zum Ausdruck gebracht werden? ({13}) Wir sind uns völlig darüber klar, letzthin ist die deutsche Wiedervereinigung eine Frage der Weltlage. Aber wie sollen wir unserer Pflicht genügen, wenn nicht von unserer Seite aus alles getan wird, ' um die Veränderungen der Weltlage zu nutzen und zu fördern, die die Voraussetzung dafür sind, die Wiedervereinigung unseres Landes praktisch herbeizuführen. Hier gilt es für uns, sehr genau und sehr gewissenhaft zu prüfen und zu entscheiden, was in der deutschen Initiative und was in der Initiative der Großmächte liegt. Ich glaube, daß wir allmählich aus dem Zustand herauskommen, in dem das sozusagen nur Wortbekenntnisse sind. Die Verbindung der Bundesrepublik mit den drei Westmächten ermöglicht, nicht nur Wünsche und Proteste zu äußern und Vorschläge zu machen, sondern diesem Wünschen, Protesten und Vorschlägen auch das notwendige politische Gewicht zu geben. Man kann nicht verlangen, daß man drüben auf den Sankt-Nimmerleinstag hofft. Meine politischen Freunde wünschen in dieser Frage eine dynamische Politik, die die Angelegenheit voran bringt. Unsere Menschen dort drüben müssen sehen, daß in der gesamten politischen Gestaltung ein Weg gefunden wird, der ihnen eine Beendigung ihrer Leiden in absehbarer Zeit ankündigt. Ich glaube, daß ein sehr aktives Verhalten aller Parteien, aller Exponenten dieses freien Teils Deutschlands erforderlich ist, daß ein überaus feinfühliges Reagieren notwendig ist, um diesem Ziel näherzukommen, wenn wir bedenken, daß die Gewalthaber der Sowjetzone mit über 50 Tarnorganisationen bestrebt sind, die Freiheit auch hier in der Bundesrepublik zu unterwühlen. ({14}) Es ist jetzt notwendig, aus dem Bereich der Phantasie zu einer praktischen Politik überzugehen, die sich nicht nur auf die Verteidigung beschrankt, sondern die auch die notwendige Dynamik gegenüber den Leuten dort drüben enthält, die Handlanger der Besatzungsmacht sind und mitverantwortlich für die Spaltung Deutschlands. Herr Kollege Wehner hat über die Nutzlosigkeit von Beratungen, die uns von drüben angeboten worden sind und die ja die Anerkennung einer Gleichstellung voraussetzen, schon gesprochen. Es ist interessant - ich wiederhole das, was Herr Kollege Wehner bereits gesagt hat -, daß sich unter den von drüben gemachten Wahlvorschlägen die Schaffung eines 'Zentralausschusses und von regionalen Landesausschüssen findet, also das, was immer festzustellen ist, die berühmte Schlupfwespentaktik die in den osteuropäischen Satellitenstaaten mit ständigem Erfolg angewendet worden ist. ({15}) Ich bin gleich fertig. Meine Redezeit ist abgelaufen. Dieses Thema hat eine sehr grolle Weite und auch eine sehr große Tiefe. ich darf als das Ziel des politischen Bemühens meiner Freunde folgendes herausstellen. Die große Bedeutung der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands liegt vor allem darin, daß nur dadurch ein dauerhafter Frieden in Europa erreicht werden kann. Frieden, Freiheit und Einheit sind ais eine Ganzheit zu betrachten. ({16})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kleindinst.

Dr. Josef Ferdinand Kleindinst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001120, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Die CSU ist völlig einig mit dem Ziel der vorgeschlagenen Wahlordnung für eine Verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung, die Wiedervereinigung Deutschlands herbeizuführen. Sie bedauert aber, daß in Art. 4 die Mitwirkung der Länder bei der Beratung und Verabschiedung der Verfassung - im Gegensatz zu dem Gesetz vom 16. Februar 1919 über die vorläufige Reichsgewalt - nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Deshalb muß sie sich leider, auch angesichts des großen Zieles, der Stimme enthalten.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Decker.

Dr. - Ing. Hugo Decker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000362, Fraktion: Föderalistische Union (FU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich eine mehr technische Frage behandeln. In Art. 1 § 3 Abs. 2 ist die Fünf-Prozent-Klausel eingefügt. Diese Klausel steht in krassem Widerspruch zu dem Gedanken und dem Sinn der Demokratie; denn sie entrechtet einen beträchtlichen Teil der Wähler. Viele ({0}) Zehntausende von Stimmen fallen auf diese Weise einfach unter den Tisch, und der Ausdruck des politischen Willens der Bevölkerung wird zugunsten des Eindrucks der großen politischen Parteien verfälscht. Die Minderheitenklausel widerspricht auch dem Art. 3 des Grundgesetzes. Nun zur Stellungnahme im ganzen. Die Regierungserklärung und der Entwurf des Wahlgesetzes sind nichts anderes als eine dürftige Neuauflage von staatspolitischen Ideen und Konstruktionen im deutschen Raum aus dem Ende des 19. Jahrhunderts; und diese haben jedesmal zu einem unseligen Unglück des deutschen Volkes geführt. Wir wundern uns, daß, wenn man schon aus dem ersten Fehler nichts gelernt hat, auch aus den offensichtlichen Wiederholungen, die mit dem gleichen Unglück geendet haben, keine Schlüsse gezogen werden. Unseres Erachtens müssen grundsätzliche Neukonstruktionen angestrebt werden, um dem deutschen Volk die Aussicht auf eine bessere und friedlichere Zukunft zu gewährleisten. Der einzige Hinweis auf eine föderalistische Ausgestaltung eines gesamtdeutschen Staates in Art. 4 - den wir schärfstens ablehnen müssen - und die wenigen Hinweise in der Regierungserklärung, die von vornherein nebensächlich gehalten und weder zwingend noch überzeugend sind, können mit Leichtigkeit so ausgehöhlt werden, daß sie bedeutungslos sind. Wir müssen es insbesondere ablehnen, daß die die Verfassung ausarbeitende Nationalversammlung diese Verfassung auch beschließt. Eine Staatsverfassung kann nur dann wirklich beim Volk Anklang finden, wenn sie vom Volk und von den Ländern aus aufgebaut und gebilligt wird. Der natürliche Quell des Staatsrechts eines gesamten Deutschland sind das Volk und die Länder. Grundsätzlich muß daran festgehalten werden, daß kein Land in dieser Verfassung majorisiert werden darf. Ganz fehlt in diesem Entwurf ein Hinweis, wie und wann das Inkrafttreten der angestrebten Verfassung gedacht ist. Wir wünschen aufrichtig die Zusammenführung aller Deutschen in Einigkeit. Eine Zusammenkoppelung in einem Patenteinheitsstaat lehnen wir schärfstens ab. Wir wollen ein föderalistisch, bündisch aufgebautes Gesamtdeutschland in einem föderalistisch organisierten Europa. Die Föderalistische Union bekennt sich m t einem klaren Ja zu einem Zusammenschluß aller Deutschen in einem lebenskräftigen echten Bunde. Der Weg aber, der uns heute hier vorgeschlagen wird, führt zu einer Fehlkonstruktion, und um des hohen Zieles willen, das wir anstreben, müssen wir zu diesem Wahlgesetzentwurf, zu dieser Fehlkonstruktion, ein glattes Nein sagen. ({1})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schäfer.

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001933, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! Nur wenige Bemerkungen zu den vielen Gegenständen, die schon angesprochen worden sind. Mir scheint es sehr bedauerlich zu sein, daß die beiden letzten Redner die großen Zusammenhänge doch etwas sehr stark vernachlässigt haben. Spielt es bei der Frage der gesamtdeutschen Entwicklung und der deutschen Wiedervereinigung jetzt schon eine entscheidende Rolle, das Maß der inneren Gliederung und der Dezentralisation so in den Vordergrund zu rücken, daß man die Frage, auf die es hier im wesentlichen ankommt, nämlich zunächst einmal das Verbindende und Zusammenfügende hervorzuheben, so beiseite schiebt und vernachlässigt? Ich muß schon sagen: wenn das so motiviert wird, daß man von Gedankengängen geredet hat, die etwa vom Ende des 19. Jahrhunderts stammen, dann habe ich das Gefühl, man ist off en-bar mit den Vorstellungen, die dahinter stecken, noch weiter zurück. ({0}) Aber, wie gesagt, ich will, da es sich schlechthin um eine Zukunftsfrage aller Deutschen handelt, nicht in einen Wettstreit eintreten, welche von den Auffassungen, die hier vertreten werden, durch die Langfristigkeit ihrer Vergangenheit ehrwürdiger sind. Ich weiß nur das eine -- das ist für meine Freunde entscheidend -: wir möchten unter allen Umständen alle Möglichkeiten ergreifen, um über die Fürchterlichkeit hinwegzukommen, daß der Graben zwischen zwei Welten durch unser Volksgebiet mitten hindurch gezogen ist. Wir möchten wieder zu den Möglichkeiten gelangen, innerhalb Europas auf Grund unserer besonderen Lage in dieser europäischen Welt förderlich tätig zu werden durch die Wiedervereinigung unseres Volkes und über diese Wiedervereinigung dann für eine bessere gesamteuropäische Entwicklung und für den Frieden. ({1}) Darum möchte ich doch noch einmal an den Bericht des Herrn Bundeskanzlers über die Verhandlungen vor der UNO anknüpfen. Nicht nur ist mit einer sehr starken Mehrheit das Anliegen der Deutschen, wie es von seiten der Vertreter der Bundesrepublik vorgetragen worden ist - die internationale Kontrolle, die internationale Sicherung freier Wahlen -, akzeptiert worden. Nicht nur wurde in den Erklärungen der Vertreter der verschiedensten Völker der freien Welt immer wieder das eine sichtbar, daß die Frage der deutschen Einheit nicht eine Liebhaberei oder eine Schicksalsfrage der Deutschen ist, die sie gelöst von den Beurteilungen und von dem Hintergrund der übrigen Völker behandeln können. Die Frage der Wiederherstellung der deutschen Einheit wird heute von dem größten Teil der Völker der Welt als eine wesentliche Voraussetzung für die Erhaltung oder für die Wiederherstellung des Weltfriedens überhaupt verstanden. Damit ist die deutsche Frage ein Kernstück der gesamten weltpolitischen Entwicklung geworden. Ich halte das für sehr entscheidend und möchte es deswegen besonders in den Vordergrund rücken. Weil manche wegen der Mühseligkeit und Langsamkeit der Entwicklung - für die menschliche Ungeduld vollziehen sich ja historische Wandlungen meist viel zu langsam - leicht verzagen möchten und schwach werden und resignieren, weise ich auf die wesentliche Rolle hin, die die Frage der deutschen Einheit im großen weltpolitischen Zusammenhang bekommen hat. Darum weise ich darauf hin, daß dem deutschen Anliegen mit einer erheblichen und so beachtlichen Mehrheit entsprochen worden ist. Nun wird natürlich die Frage aktuell werden: Ja, wie soll denn dieser Ausschuß tätig werden? Der Versuch, ihn zu sabotieren, ist schon bei seiner Errichtung gemacht worden. Da wurden immer wieder geschäftsordnungsmäßige Kunststücke ge' macht, um die Abstimmung über die Dinge über({2}) haupt oder sogar das Vorbringen des Anliegens der deutschen Vertretung unmöglich zu machen. Die erhebliche Mehrheit hat sich durch ein solches Verfahren nicht einfangen lassen. Man ist nun dabei, zu versuchen, das eine Mitglied aus den Ostblockstaaten in diesem UNO-Ausschuß davon abzuhalten, seinen Platz in der Kommission einzunehmen. Ich möchte der Meinung sein, daß ein solches Versagen des polnischen Vertreters in dieser Kommission auf Grund seiner mangelnden Unabhängigkeit gegenüber volksfremden Machthabern und Befehlshabern - ({3}) - Wir sind allerdings unabhängig, Herr Renner, und wir haben gar nicht nötig, irgend etwas dazu zu sagen; denn wir gehören nicht zu den Elementen, die ganz Osteuropa tyrannisieren und es niedergebrochen haben. ({4}) Wer hat denn Rumänien und Ungarn und den ganzen Balkan und alle Länder bis nach Lettland und Polen niedergedrückt, und wer hat dieses Heerlager der Tyrannei da drüben errichtet? Doch nur Ihre Spießgesellen da drüben jenseits des Eisernen Vorhangs! ({5}) Aber davon wollte ich jetzt nicht reden. ({6}) Entscheidend wird es sein, daß man sich darüber klar bleibt, daß die UNO, wenn sie eine Kommission einsetzt, es auch als ihre Angelegenheit zu betrachten hat, daß diese Kommission, ihrer Bestimmung entsprechend, tätig wird, auch dann, wenn ein Mitglied dieser Kommission sich infolge mangelnder Unabhängigkeit seiner eigenen Regierung der Pflicht zur Wahrnehmung des Sitzes in der Kommission entziehen könnte. ({7}) In diesem Augenblick, meine Damen und Herren, ergibt sich für uns die Aufgabe, auf diese Zusammenhänge hinzuweisen. ({8})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Rische.

Friedrich Rische (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001857, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Meine Damen und Herren! Der Herr Merkatz und auch der Herr Wehner haben eigentlich die Katze über diese peinliche Situation in der heutigen Debatte aus dem Sack gelassen. Der Herr Wehner kündigte an: Das Wahlgesetz ist nicht endgültig, es kann im Hinblick auf demokratische Rechte verschlechtert werden; und Herr Merkatz sprach das bedeutsame Wort von der Dynamik und meinte damit Aggression und Bürgerkrieg. ({0}) Nun, kommen wir zu der gegenwärtigen Lage unseres Volkes zurück. Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes über die Grundsätze für die freien Wahlen zu einer Verfassunggebenden Nationalversammlung hat bekanntlich eine recht eigentümliche Geschichte. Der Entwurf scheute mehr als einmal das Licht der Öffentlichkeit. Was uns heute vorgelegt wurde, ist im Prinzip nicht mehr identisch mit den sogenannten vierzehn Punkten und nicht mehr identisch mit dem sozialdemokratischen Antrag, sondern bedeutet nichts anderes als den Versuch, wirklich freie Wahlen zu verhindern. Ein Gesetz hat uns Herr Adenauer vorgelegt, das in seinem Gehalt und in seiner Anlage zur Verhinderung wirklich freier Wahlen in Deutschland geschaffen wurde. Dazu wurden solche Bremsklötze in den Weg gelegt wie das Ersuchen an den Bundestag, dieses Gesetz der UN-Kommission zu übergeben. Ich möchte darum zunächst einmal davon ausgehen, daß dieser Entwurf nicht die Tatsache berücksichtigt, daß es heute zwei Regierungen und zwei Parlamente in Deutschland gibt. Es ist unserem Volke ebenfalls bekannt, daß seit geraumer Zeit der Entwurf eines Wahlgesetzes durch die Volkskammer der DDR unserem Volk vorgelegt wurde. Wenn man von dieser einfachen Tatsache ausgeht, ergibt sich - wenn man nämlich wirklich freie Wahlen will - jetzt nur eine einzige Frage, wie man beide Wahlgesetze zu einem Wahlgesetz für ganz Deutschland vereinigt. ({1}) Das wäre eine Frage der Vernunft, und ihre Lösung dürfte nicht schwerfallen. Es kann sogar als sicher gelten, daß auf einer gesamtdeutschen Beratung der Vertreter aus West- und Ostdeutschland schnell eine Verständigung über ein gesamtdeutsches Wahlgesetz herbeigeführt werden kann. Meine Damen und Herren! Wenn also die vorgelegte Wahlordnung einen Sinn haben soll, dann muß dieses Parlament die Frage beantworten: wie soll denn nunmehr in ganz Deutschland gewählt werden und wann? Es kann kein Zweifel bestehen, daß man dazu - das ist eine Frage des Selbstbestimmungsrechts unseres Volkes und der Ehre, der nationalen Ehre ({2}) deutsche Organe und nicht eine UN-Kommission benötigte, die in beiden Teilen Deutschlands die Kontrolle der Durchführung und Vorbereitung freier Wahlen übernimmt. Es wurde hier heute sehr viel über die UN geredet und auch über die Haltung der Sowjetunion. Dabei wurde nicht der wahre Kern der Haltung der Sowjetunion bekanntgegeben. Die Sowjetunion hat aus Gründen der Verletzung der UN-Satzung abgelehnt! Das ist der eine Fall. Außerdem ist die Sowjetunion der Meinung, daß deutsche Wahlen eine deutsche Angelegenheit seien. ({3}) Dieser Standpunkt wurde auch von der Delegation der Deutschen Demokratischen Republik in Paris vor der UN-Kommission in aller Deutlichkeit vorgetragen. Das ist auch der Standpunkt Polens. Das wissen Sie ganz genau. ({4}) Das haben Sie auch gelesen. Hinzu kommt, daß Herr Tschuikow die auch Ihnen bekannte Erklärung abgab, daß die Sowjetunion die Durchführung freier, geheimer, demokratischer Wahlen zu einer Nationalversammlung mit großer Sympathie verfolgt und jede Unterstützung zu geben bereit ist. Das sind die Fakten. Was nun die Frage internationaler Kontrollorgane angeht, so erinnere ich an das Schreiben des ({5}) Herrn Präsidenten Pieck an den Herrn Bundespräsidenten. In diesem Schreiben heißt es - das muß man heute in Erinnerung bringen -: Was die Überprüfung der Voraussetzungen für die Durchführung freier Wahlen betrifft, so teile ich Ihnen mit, daß die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik mit der Überprüfung in allen Teilen Deutschlands einverstanden ist. Sie ist aber der Meinung, daß eine solche Überprüfung am besten von den Deutschen selbst durchgeführt werden könnte, durch eine aus Vertretern Ost- und Westdeutschlands zusammengesetzte Kommission unter der Viermächte-Kontrolle von Vertretern der UdSSR, der USA, Englands und Frankreichs. Das ist deutlich, meine Damen und Herren, das ist auch ein deutscher Standpunkt! Sie aber nehmen heute einen amerikanischen Standpunkt ein. ({6}) Es ist also offensichtlich, daß in all diesen Fragen Verhandlungen und Verständigung notwendig sind, wenn man wirklich frei wählen lassen will. Dies ist um so leichter möglich, als die Volkskammer und die Regierung der DDR alle Hindernisse aus dem Wege geräumt und dem Bundestag jetzt zuletzt eine Fünfer-Kommission zur Vorbereitung und Durchführung freier gesamtdeutscher Wahlen vorgeschlagen haben. Wenn man wirklich freie Wahlen will, muß man also heute in diesem Bundestag ein gleiches tun. Wenn man Wahlen will, gibt es nur den Weg der Verhandlungen und den Weg der Bereitschaft zu echten Kompromissen, nicht zu faulen Ausreden. Entgegen dem Selbstbestimmungsrecht unseres Volkes soll jedoch der vorliegende Entwurf an ein internationales Kontrollorgan der UN, in dem die Vertreter Brasiliens - einer Diktaturmacht -, Islands - das amerikanisch besetzt ist -, Pakistans und Hollands vertreten sind, weitergeleitet werden. ({7}) Über den Charakter dieser „demokratischen" Staaten zu sprechen, wäre sehr interessant. In Brasilien z. B. führt man Wahlen mit dem Revolver durch, ({8}) und Pakistan hat überhaupt noch nicht demokratisch gewählt. Das hat der Herr Bundeskanzler hier verschwiegen. ({9}) - Polen, dazu komme ich noch. ({10}) Alles in allem ist das eine Verhöhnung des Selbstbestimmungsrechts des deutschen Volkes. Wer einen solchen Vorschlag unterstützt, kann nur die Absicht haben, die Durchführung wirklich freier demokratischer Wahlen in Deutschland zu verhindern, der kann nur die Absicht haben, Verhandlungen mit den Vertretern der Regierung und der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik abzulehnen. Das kam heute in den Diskussionsreden ganz eindeutig zum Ausdruck. Aber wer das tut, der will in Wirklichkeit keine freien Wahlen, sondern der will, was auch Herr Merkatz zum Ausdruck brachte, die gewaltsame Annexion, den Bürgerkrieg zur Eingliederung der DDR in die Bundesrepublik Westdeutschland. ({11}) Das haben Sie, Herr Tillmanns, selber schon hier gesagt. ({12}) Es entsteht beim Lesen des Wahlgesetzes der peinliche Eindruck, als ob das ganze Bemühen der Adenauer-Regierung darauf hinausginge, einen Tag vor der Wehrdebatte die freien Wahlen zu verhindern. Der sicherste Beweis des schlechten Gewissens ist allein schon die Tatsache, daß wir eben heute einen Tag vor der Wehrdebatte stehen. Herr von Merkatz hätte lieber seine Rede von heute für morgen zur Zustimmung zum Wehrgesetz aufbewahren sollen. Das wäre ehrlicher gewesen. Der sicherste Beweis ist ferner die Tatsache, daß Adenauer im Generalvertrag alle Rechte unseres deutschen Volkes preisgeben will und mit Hilfe der Amerikaner eine Militärdiktatur vorbereitet. ({13}) Das alles sind Fragen, worüber unser deutsches Volk erst einmal in freien deutschen Wahlen zu entscheiden hätte, aber Herr Adenauer will selbstherrlich Vorentscheidungen treffen. Herr Adenauer läßt aber über solche Lebensfragen unseres deutschen Volkes nicht einmal in Westdeutschland abstimmen, meine Herren von der SPD. Darum. ist dieses Wahlgesetz nichts anderes als eine Täuschung des Volkes durch Adenauer und Schumacher; denn beide wollen in Wirklichkeit keine Wahlen, sondern die Annexion, die Eingliederung. Sprecher der SPD erklärten wiederholt, daß Adenauer keine freien Wahlen in Gesamtdeutschland wolle, Herr Luetkens erklärte sogar, er wolle es darum nicht, weil sein Deutschland des Wehrgesetzes, des Schumanplans und des Generalvertrags nur bis zur Elbe reiche. Die sozialdemokratischen Verhandlungspartner Adenauers wissen auch, daß Herr Adenauer nicht einmal freie Wahlen in Westdeutschland will. Und dennoch stimmt die SPD diesem Wahlgesetz zu! Wir wollen, daß das deutsche Volk sich verständigt, und das wollen auch die sozialdemokratischen Arbeiter und Wähler. Darum ist dieses Gesetz nur eine Täuschung, und es zeigt, daß die Adenauer-Regierung und Schumacher nicht bereit sind, entsprechend dem nationalen Wollen unseres deutschen Volkes die Vereinigung zu erleichtern, sondern im Gegenteil alles zu tun, die Vereinigung unseres Vaterlandes zu verhindern. Das beweist doch auch der Antrag Dr. Lehrs, eine demokratische Partei, die KPD, zu verbieten, das beweist der Bruch jeder Rechtsstaatlichkeit durch den faschistischen Polizeiüberfall auf die Häuser der KPD und die Wohnungen friedlicher Staatsbürger. Das deutsche Volk will statt eines Wehrgesetzes ein Wahlgesetz, weil es ein Ausweg aus der nationalen Misere ist; denn eine gesamtdeutsche Beratung und die Durchführung freier Wahlen werden uns eine glückliche Zukunft Deutschlands geben, ein Deutschland, das zu einer Großmacht des Friedens werden wird. Nun ein Wort zum Saarmanöver Adenauers. Wer eine ernsthafte Lösung an der Saar will und wünscht, der muß eine gesamtdeutsche Beratung auch unter Hinzuziehung der Saarbevölkerung fordern, damit auch die Saarbevölkerung das Recht der Selbstbestimmung in Anspruch nehmen kann. Herr Adenauer aber macht jetzt ein Manöver mit der Saar, um vom Wehrgesetz abzulenken. Das ({14}) hat er vorher mit François-Poncet und McCloy so abgesprochen. ({15}) Der vorgelegte Entwurf eines Wahlgesetzes ist undemokratisch, wogegen das Wahlgesetz der DDR demokratisch ist, weil es der Jugend und den demokratischen Organisationen volle demokratische Rechte gibt. Wir können darum einer solchen Wahlordnung nicht zustimmen. Ich will hier nur an § 1 Abs. 1 und an § 2 erinnern, wo wir eine weitgehende Einschränkung demokratischer Rechte der Jugend und der demokratischen Organisationen feststellen. Das gleiche gilt auch in bezug auf den Art. 4, der die Kompetenzen der Nationalversammlung umreißt. Das ist der Gleichschaltungsartikel, um mit ihm von vornherein vollendete Tatsachen zu schaffen. Das ist unehrlich. Das nimmt Ihnen ja keiner im deutschen Volke ab, meine Damen und Herren! Wir sind allerdings der Meinung, daß dennoch alle Möglichkeiten gegeben sind, auf dem Wege gesamtdeutscher Verständigung und Beratungen eine gesamtdeutsche Wahlordnung zu schaffen und freie Wahlen durchzuführen. Und darum spreche ich hier und nicht, um, wie der Herr Bundeskanzler, irgendwelche Winkelzüge zu machen, sondern um einen ehrlich gemeinten Vorschlag zur Herstellung der Einheit Deutschlands zu unterbreiten. ({16}) Wir schlagen darum vor, der Bundestag wolle beschließen: Der Bundestag wählt eine aus 5 Mitgliedern bestehende Kommission, die gemeinschaftlich mit den bereits von der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik gewählten 5 Vertretern zur beschleunigten Beratung eines für ganz Deutschland gültigen Wahlgesetzes für eine Nationalversammlung zusammentritt. Diese gesamtdeutsche Kommission soll den vom Bundestag in seiner Sitzung am 6. 2. 1952 gebilligten Gesetzentwurf sowie den von der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik am 9. 1. 1952 bereits verabschiedeten Entwurf bearbeiten und einen gemeinsamen Entwurf eines Gesetzes für die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen zur Nationalversammlung vorbereiten. Dieser gemeinsam erarbeitete Entwurf wird dem Bundestag der Bundesrepublik und der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik zur Abstimmung unterbreitet. ({17}) Der Bundestag ist der Auffassung, daß das Saargebiet zu Deutschland gehört, wie das auch völkerrechtlich verpflichtend im Abkommen von Potsdam festgestellt ist. Zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Bevölkerung des Saargebiets beschließt der Bundestag die Teilnahme von Vertretern des Saargebiets an der gesamtdeutschen Beratung über die Schaffung eines Wahlgesetzes zur Durchführung freier Wahlen in ganz Deutschland zu einer Nationalversammlung. Der Bundestag lehnt es ab, die Entscheidung über die Vorbereitung und Durchführung gesamtdeutscher Wahlen einem Organ der UN zu übertragen. Er erklärt, daß das von der UN beschlossene Verfahren eine unzulässige Einmischung in die innerdeutschen Angelegenheiten und darum mit der nationalen Würde des deutschen Volkes unvereinbar ist. Meine Damen und Herren! Das ist unser Antrag. Ich bitte den Herrn Präsidenten, um die Unterstützung des Antrages bei den Herren Abgeordneten des Hauses nachzusuchen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Abgeordneter, trägt dieser Antrag die Unterschrift von 15 Abgeordneten dieses Hauses?

Friedrich Rische (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001857, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Ich ersuche Sie, Herr Präsident,

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ich wiederhole meine Frage: trägt dieser Antrag die Unterschrift von 15 Mitgliedern dieses Hauses?

Friedrich Rische (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001857, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Nein!

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Dann liegt kein ordnungsgemäßer Antrag im Sinne der Geschäftsordnung vor.

Friedrich Rische (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001857, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Ich bitte Sie, Herr Präsident, von Ihrer Befugnis Gebrauch zu machen, die Frage der Unterstützung an dieses Haus zu stellen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Abgeordneter, ich kann das Haus nur fragen, ob es einen Antrag unterstützt, wenn ein Antrag vorliegt, der den Vorschriften der Geschäftsordnung entspricht; ein solcher Antrag erfordert 15 Unterschriften. ({0}) Diese haben Sie mir nicht vorweisen können. Ich gebe Ihnen den Antrag zurück.

Friedrich Rische (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001857, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Ich stelle die Frage an das Haus, - ({0}) Ich stelle dann die Frage an das Haus, ob es genügend nationalbewußte deutsche Männer und Frauen gibt, ({1}) die diesen Antrag der KPD unterstützen. ({2})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Tichi.

Hans Tichi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002323, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemand kann bestreiten, daß das deutsche Volk in diesen Tagen vor Entscheidungen steht, die das Schicksal der Nation bestimmen. In der gesamtdeutschen Frage haben wir seit jeher eine klare Stellung bezogen, weil wir uns dessen bewußt sind, daß das Gruppenschicksal der Vertriebenen nicht vom Gesamtschicksal des deutschen Volkes zu trennen ist. Die 18 Millionen deutschen Menschen jenseits der Elbe rechnen auf uns. ({0}) Sie sind ohne uns verurteilt, in Angst und Sorgen zu leben, ihre Kinder in den Klauen eines Systems aufwachsen zu lassen, das ihnen und auch uns fremd ist. Darunter sind 3 Millionen Heimatvertriebene, die uns täglich beschwören, sie nicht zu verlassen, und die mit dem Tag schon rechnen, an dem sie befreit werden. Wir entnehmen diesen Aufschrei nicht nur aus Hunderten von Briefen, sondern insbesondere auch aus Gesprächen, die wir mit jenen führen, die illegal über die Grenze kommen und uns die wahren Tatsachen nicht vorenthalten. Sie sagen uns, daß weder die Amerikaner noch die Engländer noch die Franzosen für die deutsche Einheit verantwortlich sind, sondern wir allein, weil es um eine deutsche Angelegenheit ({1}) geht. Der Ausschuß der Vereinten Nationen hat in diesen Tagen die neutrale Kommission bestimmt, von der der Herr Bundeskanzler heute bereits erklärt hat, daß sie die Voraussetzungen für gesamtdeutsche Wahlen überprüfen soll. Viel richtiger wäre es gewesen, wenn die Regierung schon längst die Wahlordnung für gesamtdeutsche Wahlen vorgelegt hätte. Wir verlangen, daß die gestern dem Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen vorgelegte Wahlordnung rasch beraten und verabschiedet wird, damit vor aller Welt klargemacht wird, daß die gewählten Repräsentanten Deutschlands in Bonn die ehrliche Bereitschaft zeigen, die Einheit Deutschlands durch freie Wahlen herbeizuführen. Die Initiative in dieser Frage zu behalten, ist die beste und sicherste Methode, den Einheitswillen der Sowjetzonenmachthaber auf Herz und Nieren zu prüfen und ihre Scheinvorschläge, wie den letzten Volkskammerappell, als das zu bezeichnen, was sie sind: geschickt getarnte Versuche, eine echte Entscheidung zu verhindern, um ihre Macht in der Sowjetzone weiter zu behalten. Trotz dieser Meinung bekennen wir uns zu denen, die für ein direktes Gespräch mit dem Osten von Volk zu Volk ernstlich eintreten. Wir müssen unter allen Umständen die Initiative in der Deutschlandfrage gewinnen, die mit dem UNO-Beschluß auf Entsendung einer Überprüfungskommission nach Deutschland ganz eindeutig auf ein internationales Forum übergegangen ist. Wir sind dafür, daß die Deutschlandfrage nicht mehr zur Ruhe kommt, damit das Jahr 1952 tatsächlich das Jahr der deutschen Einheit werde. Die Ursache der deutschen Spaltung liegt in den unglückseligen Verträgen von Teheran, Potsdam und Yalta. Die Einheit kann nur durch Oberwindung dieser Verträge wiederhergestellt werden. Es gibt nur eine Tatsache: das deutsche Volk bleibt unabhängig von allen Gewalten, die es teilen oder beherrschen, nach dem göttlichen Gesetz eine Einheit. Diese Einheit wiederherzustellen, muß das Anliegen aller Deutschen sein. Die 9 Millionen heimatvertriebenen Menschen im Westen und die 3 Millionen Vertriebenen im Osten wissen, daß der Weg in die verlorene Heimat nur über die deutsche Einheit geht und nicht anders. Die Rückgabe der geraubten Ostgebiete liegt zunächst außerhalb der Wahlen in den vier Zonen. Der zweite Schritt kann nicht vor dem ersten gemacht werden, weil die Wiedervereinigung der Bundesrepublik mit der Sowjetzone die Voraussetzung für die Verhandlung um den deutschen Osten schafft. Die Beseitigung der Oder-Neiße-Linie, die Frage der sudetendeutschen Gebiete und das Saarproblem sind entscheidende Fragen eines künftigen Friedensvertrages. Vorsorglich muß unsere Regierung eine positive gesamtdeutsche Politik betreiben. Sie muß Vorkehrungen treffen, die den deutschen Anspruch auf Ostdeutschland festigen. Die Welt aber sollte einsehen, daß die Zeit gekommen ist, wo sie uns Freiheit und Souveränität wiedergeben muß. Das deutsche Volk will auf Grund seiner Erfahrungen die Formen seiner gesellschaftlichen und sozialen Ordnung aus eigenem entwickeln. Das deutsche Volk will nach der furchtbarsten Katastrophe seiner Geschichte den Frieden mit allen Völkern. Wenn es ein positives Verhältnis zwischen Europa und Asien geben soll, dann muß es über Deutschland gehen. Amerika und Asien stoßen an der Elbe zusammen. Über die Frage der Wiederherstellung oder Nichtwiederherstellung der deutschen Einheit darf es unter keinen Umständen zu einem dritten Weltkrieg kommen. Eines aber ist klar: nur wenn der Westen die angeblichen Ziele des Bolschewismus - Befreiung aller Menschen von Not und Elend - schneller und sichtbarer erreicht als der Kommunismus, wird für die Sowjets ein dritter Weltkrieg sinnlos sein. Wir Deutschen können die Stunde, in der die Grenze an der Elbe fallen wird, nicht bestimmen. Seit es aber hüben und drüben eine deutsche Regierung gibt, dürfen wir uns nicht freisprechen von der Mitverantwortung an der unseligen Trennung. Deutsche sind es, die an den Zonenübergängen die Schranken geschlossen halten. Freiheit der Persönlichkeit, Freiheit der Meinung und der Presse sowie Bewegungsfreiheit ohne Interzonenpaß in ganz Deutschland könnten verwirklicht werden, wenn es einen einigen deutschen Willen gäbe. Daß der Kampf um politische Ideologien uns schärfer trennt, als jedes Besatzungsdiktat es je könnte, das ist nur deutsche Schuld und Tragik. Welche Schwierigkeiten sich auch entgegenstellen mögen, das Bemühen, West- und Ostdeutschland zusammenzuführen, darf nicht nachlassen. Das sind wir unseren Menschen drüben, die hoffen und an uns glauben, schuldig. ({2})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Rische hat sich als Sprecher der kommunistischen Gruppe in diesem Hause ({0}) heute zum Anwalt des deutschen Selbstbestimmungsrechts gemacht. Er hat es für richtig gehalten, zu erklären, daß es eine Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten wäre, wenn durch eine internationale Kontrolle sichergestellt werden sollte, daß die Deutschen in allen Zonen Deutschlands ihre Meinung zum Ausdruck bringen könnten. Herr Kollege Rische, Ihre Argumentation ist eine glatte Irreführung. Umgekehrt wird etwas vernünftiges daraus; denn Sie wissen genau so gut wie jeder andere in diesem Saal, daß die Spaltung Deutschlands und die Unterjochung von 18 Millionen Menschen auf der anderen Seite der Elbe nicht Resultate innerer Entwicklungen in unserem Volke sind, sondern daß sie Resultate außenpolitischer Kräfteverhältnisse und Einwirkungen sind, ({1}) daß diese Spaltung unseres Vaterlandes darum auch nicht allein durch innere Mittel, sondern nur durch Veränderung des außenpolitischen Rahmens beseitigt werden kann. ({2}) - Herr Rische, seien Sie ruhig! Sie haben sich heute als Agitator der „Nationalen Front" betätigt. Ich habe mir vorhin im „Neuen Deutschland" von vor anderthalb Wochen einen Leitartikel durchgelesen. Da wurde im Rahmen der Orgie der Kritik und Selbstkritik den Agitatoren der „Nationalen Front" gesagt, sie arbeiteten nur mit papiernen Phrasen und dürften sich darum nicht wundern, wenn die Menschen, an die sie damit heranträten, ihnen im Geist des Götz von Berlichingen antworteten. ({3}) - Ich habe nur das „Neue Deutschland" zitiert! Brandt) Nun will der Kollege Rische mit den beiden Entwürfen nach der Methode „aus zwei mach eins'` verfahren. Den einen, der also die Hälfte darstellen soll, will er aber vorher nicht mit annehmen. ({4}) Er will beide nehmen und daraus einen machen. Wir haben jedoch deutlich zum Ausdruck gebracht, daß der andere, der Entwurf der sogenannten Regierung und der sogenannten Volkskammer der sogenannten DDR in drei entscheidenden Punkten für die Demokratie unakzeptabel ist. ({5})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Abgeordneter Brandt, fühlen Sie sich durch diesen Zwischenruf des Abgeordneten Rische beleidigt?

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, keineswegs, Herr Präsident. ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Dann werde ich auch keinen Ordnungsruf erteilen.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die heutige Debatte über die Behandlung der gesamtdeutschen Frage vor den Vereinten Nationen und über den Entwurf einer Wahlordnung sollte und dürfte nirgends so aufgefaßt werden, als wollten wir uns hier eines Pflichtpensums entledigen. Es darf auch nicht der Eindruck entstehen, als könnte es sich bei der Behandlung der deutschen Frage durch die Vereinten Nationen um eine Art propagandistischer Abrundung handeln. ({0}) - Das scheint Ihnen unangenehm gewesen zu sein, Herr Rische sonst nicht soviel dazwischenmeckern. Es scheint uns wichtig zu sein, im Zusammenhang mit dem Art. 4 der zur Beratung stehenden Wahlordnung noch einmal die Auffassung dieses Hauses vom 27. September vorigen Jahres dem gegenüberzustellen, was jetzt in der Debatte gesagt worden ist, nämlich, daß das, was wir anstreben, sobald der außenpolitische Rahmen es ermöglicht. nicht nur eine verfassunggebende Versammlung ist, sondern eine Versammlung, die in der Übergangszeit auch die unbedingt notwendigen Maßnahmen für Gesamtdeutschland und nicht zuletzt für die Freisetzung der Sowjetzone ergreifen kann. ({1}) Der Sprecher der CSU und der Herr Vertreter der Föderalistischen Union haben gesagt, daß der Art. 4 den föderativen, bundesstaatlichen Notwendigkeiten, wie sie vor allen Dingen von der Föderalistischen Union, aber auch von der CSU betont werden, nicht gerecht werde. Wir sind der Meinung, daß es bei dieser Wahlordnung, bei allem schuldigen Respekt vor der Eigenständigkeit der Länder der jetzigen Bundesrepublik, darauf ankommt, daran zu denken, daß es außer Bayern, Niedersachsen und Württemberg-Baden auch noch ein Sachsen, Sachsen-Anhalt, ein Mecklenburg und ein Brandenburg gibt und daß hier Formen gefunden werden müssen, durch die eine Ausnutzung des Föderalismus zur Stabilisierung eines kommunistischen Regimes in den Ländern der jetzigen Sowjetzone verhindert wird. ({2}) In diesem Zusammenhang ein Wort zu dem, was der Herr Kollege Tichi gesagt hat. Wir sind der Meinung, man soll sich zur Zeit einer Aufgabe annehmen. Das Problem, das heute im Zusammenhang mit der UNO und der Wahlordnung zur Debatte steht, bezieht sich auf die vier Besatzungszonen Deutschlands einschließlich Berlin. Das nächste Problem ist das unserer zukünftigen Ostgrenze. Ich möchte aber keinen Zweifel darüber lassen, daß wir bei aller Würd gung der Probleme, die Kollege Tichi angedeutet hat, nicht von dem Rechtsstandpunkt abweichen können, wonach wir die deutschen Grenzen von 1937, d. h. vor dem Zeitpunkt der Hitlersehen Aggression, anstreben. Wenn ich mich zu Wort gemeldet habe, so habe ich das eigentlich getan, um noch ein paar Bemerkungen darüber zu machen, daß die Stimmungen der Enttäuschung, der Niedergeschlagenheit, ja auch der Verzweiflung großer Schichten der Bevölkerung in der sowjetischen Zone im Zusammenhang mit diesem Problem vor dem Hause noch einmal angesprochen werden sollten. Wir bekommen erschütternde Briefe, nicht nur aus den Kreisen unserer politischen Freunde. Wir haben auch Unterhaltungen - gerade in den letzten Wochen wieder - mit den Menschen aus der Zone gehabt, die dauernd nach Berlin kommen, welche eben von dieser Stimmung der Verzweiflung erfaßt werden, einmal natürlich, weil die gesamtdeutschen Parolen und die Wahlparolen Hand in Hand m t einem nicht ablassenden Terror der gegenwärtigen Machthaber der sowjetischen Besatzungszone gehen. Wir spüren in diesen Unterhaltungen eine Stimmung der Empörung über die Leute im deutschen Westen, Leute, die manchmal einen Namen haben, wenn auch häufig schon einen etwas verstaubten Namen, und die sich von den Machthabern in Pankow brauchen oder mißbrauchen lassen und dabei nicht merken, wie sehr sie den Landsleuten in der Zone in den Rücken fallen. Aber wir spüren auch eine Enttäuschung über eine vermutete Inaktivität, über ein der Bevölkerung in der Zone nicht verständliches Zögern. Wir haben, glaube ich, immer wieder zu prüfen, ob diese Vorwürfe so ganz ungerecht sind, oder ob es nicht richtig ist, daß in der Politik, wie sie im Bund betrieben wird, manchmal eine etwas falsche Rangordnung der Probleme angewendet wird. Wenn solche Stimmungen aufkommen, sind sie über das Menschliche hinaus deshalb sehr bedenklich, weil sich aus ihnen Einbruchstellen für die Propaganda der sowjetischen und prosowjetischen Seite ergeben können und weil sich aus solchen Stimmungen auch eine Apathie ergeben kann. Wenn ich sage, vielleicht ist es nicht so ganz ungerecht, wenn manchmal bemängelt wird, unsere Aktivität - oder die Aktivität der dazu berufenen Stellen im deutschen Westen - sei unzulänglich, dann denke ich auch an das Beispiel Berlin. Dieses Hohe Haus hat am 27. September 1951 einen besonderen Beschluß gefaßt zugunsten freier Wahlen in allen vier Sektoren Berlins als dem möglichen Ausgangspunkt der Verwirklichung der deutschen Einheit. Wir haben es nicht recht verstanden, daß dieser Beselaluß des Hauses in der Note der Bundesregierung an die Adresse der drei Westmächte vom 4. Oktober 1951 nicht mit Erwähnung gefunden hat ({3}) ({4}) und daß dieser Beschluß auch nicht auf irgendeine andere Weise durch die Organe der Bundesrepublik - nicht einmal im Sinne der Propaganda, geschweige denn im Sinne der Politik und der diplomatischen Aktivität - an die Auslandsfaktoren herangetragen worden ist. Die sowjetzonale Seite hat es sich leicht gemacht und versucht, sich um eine Beantwortung dieser Testfrage zu drücken. Ich frage: haben wir es vielleicht der sowjetzonalen Seite nicht ein bißchen zu leicht gemacht, sich um die Beantwortung dieser Testfrage zu drücken? ({5}) Die sowjetzonale Seite hat von Gemeindewahlen gesprochen, von einem Nebengleis, von einem „Versuchskaninchen Berlin", und letztlich hat Herr Ebert gesagt, es sei zu spät, mit dem Vorschlag für freie Wahlen in ganz Berlin zu kommen. Ja, ich frage: wann war es denn eigentlich zu früh? ({6}) Ist es andererseits jemals zu spät, wenn es sich um die Realisierung unseres zentralen nationalpolitischen Anliegens handelt? ({7}) Wir meinen - und das wollte ich hier noch einmal zusammenfassen -, daß am Beispiel Berlin ein Beweis des guten Willens erbracht werden könnte und daß die Kommunisten und ihre Hintermänner geradezu dankbar sein müßten für die Chance, die sich ihnen hier bietet, ihren angeblich so guten Willen unter Beweis zu stellen. ({8}) Wir sind zweitens der Meinung, daß alle, die es mit der Einheit in Freiheit ernst meinen, auch dafür sein müßten, daß der Zustand der widernatürlichen Zerklüftung der deutschen Hauptstadt aufgehoben wird, damit eine deutsche Nationalversammlung in einem wiedervereinigten Berlin zusammentreten und sich betätigen kann. Wir sind der Meinung, daß das Problem der Wiedervereinigung Berlins als möglicher Beginn einer deutschen Wiedervereinigung auch darum ernst genommen werden sollte - wie übrigens auch im Dezember von der „Diplomatischen Korrespondenz" mit guten Gründen unterstrichen wurde -, weil wir in Berlin noch immer eine Wahlordnung des Jahres 1946 mit einer Kontrollapparatur haben, die jeden Tag wieder in Kraft gesetzt werden könnte, weil also die technischen und die formalen Voraussetzungen ganz andere sind als im Verhältnis zwischen den Zonen und weil schließlich in den vier Sektoren von Berlin - also auch im sowjetischen Sektor - die Sozialdemokratische Partei als wenn auch in ihrer Aktivität behinderte, so doch legale Partei noch besteht, während andererseits die SED auch in den Westsektoren zugelassen ist. Ich möchte allerdings in diesem Zusammenhang auch hier vor dem Deutschen Bundestag und vor der deutschen Öffentlichkeit feststellen, daß seit der Jahreswende der Sozialdemokratischen Partei über die früheren Behinderungen hinaus in den acht Bezirken des Ostsektors von Berlin immer neue Schwierigkeiten in den Weg gelegt worden sind, daß in sieben der acht Bezirke im Gegensatz zu einer BKO, d. h. einer Kommandanturanordnung, aus dem Mai 1946 den Sozialdemokraten die Parteibüros gekündigt worden sind ({9}) und daß das eine sehr interessante Begleitmusik ({10}) zu den Parolen derer ist, die angeblich für die deutsche Einheit sind. ({11}) Wir meinen, daß die Berlin-Frage und die Frage der Berliner Wahlen von der deutschen Politik nicht nur als eine Sache der Propaganda und der propagandistischen Abrundung, sondern als eine Sache der echten Politik betrieben werden sollte. Zum Schluß noch eines. Wir treffen in den Diskussionen draußen in der Bevölkerung mit unseren Anhängern und auch mit unseren Gegnern in zunehmendem Maße auf die Stimmung, daß das deutsche Volk selber vielleicht völlig ohne Einfluß auf die Entscheidung über die Frage sei, ob und wann wir zu gesamtdeutschen Wahlen kommen könnten. Die Behandlung der Dinge vor den Vereinten Nationen zeigt, daß diese Auffassung nicht ganz richtig ist. Ich glaube, es kommt darauf an, nicht nur in eine Himmelsrichtung, sondern nach mehreren Richtungen in der internationalen Politik klarwerden zu lassen, daß uns in den freien Teilen Deutschlands heute nichts davon abbringen kann, unser Ringen um die Wiedervereinigung auf dem Boden der Freiheit als eine Aufgabe ersten Ranges zu behandeln. Wir haben bei jedem Schritt deutscher Politik dafür zu sorgen, daß wir nicht durch eine Schmalspurpolitik unser nationalpolitisches Anliegen in Gefahr bringen lassen, sondern müssen uns bemühen, es zum gemeinsamen Anliegen der freien Welt zu machen. Wenn so verfahren wird, besteht unserer Überzeugung nach - vielleicht auch durch den heute hier gefaßten Beschluß, wenn er ernst genommen und ernst weiter betrieben wird - die Chance, daß der Wille unseres eigenen Volkes in West und Ost seinen Einfluß auszuüben vermag, indem er als unerschütterlicher Faktor in die Waagschale der internationalen Politik gelegt wird. ({12})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Brökelschen.

Dr. Else Brökelschen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich hatte nicht vor, heute hier zu sprechen. Ich würde auch nicht sprechen, wenn Herr Rische etwas vorsichtiger gewesen wäre. Es liegt mir hier ein höchst interessantes Dokument vom 5. November 1951 vor. Es ist ein Rundschreiben der bayerischen KPD an die bayerischen Kreisverbände. ({0}) - Ja, ja, hören Sie zu! Aus diesem Schreiben ergibt sich ganz klar, daß in der KPD durch das Angebot freier Wahlen aus der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik eine gewisse Unruhe entstanden sein muß. Man setzt sich hier mit dem Zugeständnis von Grotewohl auseinander, daß man die Voraussetzungen für die Durchführung dieser Wahlen im demokratischen Sinne schaffen wolle und fügt folgendes hinzu. Ich bitte den Herrn Präsidenten, das verlesen zu dürfen: Nur ein unverbesserlicher Formalist kann aus dieser Erklärung den Schluß ziehen, die Regierung der DDR wolle damit etwa einem faschistischen Kriegshetzer vom Schlage Lehrs Rede({1}) freiheit in ihrem Regierungsbereich einräumen oder den imperialistischen Agenten Kaisers und anderer amerikanischer Agenturen, die der Staatssicherheitsdienst der DDR bereits unschädlich gemacht hat, wieder Bewegungsfreiheit zubilligen. ({2}) - Hören Sie doch zu! Freuen Sie sich darüber, wenn Sie das mal hier hören können! Ebensowenig kann - wie Genosse Grotewohl inzwischen auf einer Pressekonferenz eindeutig festgestellt hat - etwa davon die Rede sein, die Schumacher-SPD in der DDR zuzulassen. ({3}) Meine Damen und Herren, ich glaube, da sehen Sie die „Voraussetzungen". ({4}) Und nun komme ich zu dem glühenden Bekenntnis von Herrn Rische zu den freien Wahlen. Ich bitte, auch dazu drei Zeilen vorlesen zu dürfen. ({5}) - Herr Rische, ich werde warten, bis Sie fertig sind, dann hört das Haus es nämlich besser: In der öffentlichen Propaganda werden alle Parteigliederungen unverändert die Forderung nach gesamtdeutschen Wahlen erheben. ({6}) In den Kreisen der Parteiaktivs jedoch muß allen Genossen klargemacht werden, daß es uns in Wirklichkeit um das Zustandebringen der von der Volkskammer geforderten gesamtdeutschen Beratungen geht. In diesem Kampf spielt die Parole der Wahlen nur die Rolle eines taktischen Manövers. ({7})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Rische zu einer kurzen Erklärung.

Friedrich Rische (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001857, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Meine Damen und Herren! Ich erkläre namens der kommunistischen Bundestagsfraktion ({0}) und auch namens des Parteivorstandes der KPD, daß dieses „Dokument" schon vor einigen Monaten als eine Fälschung entlarvt wurde. ({1}) Es handelt sich um ein „Dokument", das von einer Agentur an kommunistische Funktionäre verschickt wurde, von einer Agentur, die im Auftrag des Herrn Kaiser finanziert wird. Dieses „Dokument" ist eine Fälschung, ({2}) eine bewußte Lüge. ({3}) Es ist bedauerlich, daß die CDU zu derartigen Brunnenvergiftungen greifen muß. ({4})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Haus hat diese Erklärung zur Kenntnis genommen. Wir können fortfahren. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Richter. Dr. Richter ({0}) ({1}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte gleich zu Beginn betonen, daß selbstverständlich alles zu befürworten ist, was der deutschen Einheit dient. Wir haben ({2}) nie darüber einen Zweifel aufkommen lassen, daß es unser Ziel ist, die Einheit Deutschlands wiederherzustellen, und zwar die Einheit und Freiheit. Wenn man aber von Freiheit spricht, muß man auch wirklich Freiheit meinen ({3}) und darf nicht nur den Versuch machen, einer Seite und einer Regierung unfreies Verhalten und Maßnahmen vorzuwerfen, die keine Freiheit aufkommen lassen. Daß darf man nicht tun, wenn man selber nicht bereit ist, Freiheit auch dem anderen zu gewähren, dem, der eine andere Meinung hat. ({4}) Wenn man - durchaus nicht zu Unrecht - davon spricht, daß die eine Seite nichts anderes tue, als sich als die Stimme ihres Herrn auszugeben, dann soll man auf der andern Seite vorsichtig sein, nämlich wenn dieser andern Seite nachgewiesen werden kann, daß ihre Anweisungen auch nicht aus dem eigenen Innern, aus dem eigenen Nachdenken erwachsen, sondern ganz wo anders herkommen. Freie Wahlen sind durchaus zu bejahen, sind zu befürworten. Wir sollten sie aber auch einmal hier hüben durchführen. Man sollte, nachdem die Zusammensetzung des Bundestages schon längst überholt ist, nicht den Versuch machen ({5}) - ja, manche von Ihnen säßen bestimmt nicht mehr hier -, künftige Entscheidungen des deutschen Volkes durch wirklich freie Wahlen dadurch unmöglich zu machen, daß man an Wahlgesetzen herumarbeitet, die eine freie Abstimmung von vornherein zu einer Illusion machen. ({6}) Des weiteren möchte ich noch auf eines hingewiesen haben. Man spricht von Gesamtdeutschland und redet dabei immer von den Grenzen von 1937. Ja, haben Sie denn ganz und gar vergessen, daß uns durch Raub Gebiete genommen wurden, die nach 1937 - zum Teil durch ordnungsgemäße Verträge - zu Deutschland kamen, etwa das Sudetenland, etwa das Memelgebiet, und die, die uns einst schon einmal wider jedes Recht genommen worden sind?! Sollen denn diese Gebiete vergessen, einfach abgeschrieben werden? Wenn Sie die Vertretung auch dieser Deutschen wirklich darstellen würden, müßten viel mehr Deutsche aus dem Osten in diesem Hause sitzen, die dann auch bestimmt ihre Stimme erheben würden für die Deutschheit dieser Gebiete, für das Zu-Deutschland-Gehören auch von Gebieten, die 1937 eben noch nicht das Glück hatten, bei Deutschland zu sein. ({7}) Dann möchte ich noch auf einen Zwischenruf, der vorhin gekommen ist, eines erwähnen. Wir haben bereits zu einer Zeit kein Hehl aus unserer Gegnerschaft zum Kommunismus gemacht, als Sie, meine Damen und Herren, in deutschen Landerregierungen noch mit kommunistischen Ministern zusammen waren. ({8}) Die Alliierten, die das damals sehr gern hatten und die unsere Kritik am Kommunismus gar nicht gern sahen, merkten dann allerdings nach Jahren, was der Kommunismus ist, bzw. sie begannen, es zu merken. Sie merkten damit das, was 1945 in Deutschland eigentlich schon jeder politische Hilfsschüler wissen mußte. Erst als die Alliierten zu merken begannen, was Kommunismus ist, bekamen Sie den Auftrag, sich von den Kommunisten zu trennen. Jetzt auf einmal waren diese nicht mehr demokratisch. Man kann deshalb Ihre antikommunistischen Reden wirklich nicht als aus innerster Überzeugung kommend ansehen, genau so wenig wie Ihre großen Redensarten über Gesamtdeutschland. Erst jüngst haben Sie ja ein Gebiet ganz offen preisgegeben, das Saargebiet, das Sie abgetrennt haben. ({9}) Alles Gerede, daß Sie sich für das Saargebiet einsetzen wollen, ist ja nur Schaumschlägerei. ({10}) Denn Ihnen mußte es genau so bekannt sein wie dem Herrn Bundeskanzler -

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Abgeordneter Richter, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf. Dr. Richter ({0}) ({1}): - wie dem Herrn Bundeskanzler, daß bereits vor Monaten bekannt war, wer Botschafter in Saarbrücken werden sollte. Ihnen mußte es genau so bekannt sein wie dein Herrn Bundeskanzler, daß der französische Außenminister Schuman, daß die Franzosen gar kein Hehl daraus gemacht haben, daß sie auch mit Ernennung eines Botschafters die Außenpolitik des Saargebiets von Paris aus wahrnehmen würden. ({2}) Wie konnte man dann erwarten, daß dieses Gebiet seitens der westlichen Alliierten als noch zu Deutschland gehörig, als von Deutschland zu betreuen betrachtet würde.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ihre Redezeit ist abgelaufen, kommen Sie zum Schluß! ({0}) Dr. Richter ({1}) ({2}): Wir sprechen auch über Gesamtdeutschland. Falls Sie es noch nicht wissen sollten, will ich es Ihnen sagen. - Damals hat der Herr Bundeskanzler gesagt: „Frankreich hat keine politischen Absichten im Saargebiet". Wenn die Außenpolitik nicht zur Politik gehört, - -

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Abgeordneter, kommen Sie zum Schluß! Dr. Richter ({0}) ({1}): - dann weiß ich wirklich nicht, was man dazu sagen soll. ({2}) Ich darf noch ein Wort dazu sagen; einen einzigen Satz.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Nein, ich habe Sie zweimal aufgefordert, zum Schluß zu kommen. Ich entziehe Ihnen das Wort. ({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Neumann.

Franz Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001595, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als mein Fraktionsfreund Willy Brandt von den Behinderungen der sozialdemokratischen Arbeit im Ostsektor Berlins sprach, erlaubte sich der Abgeordnete Rische den Zwischenruf: „Sie sind ein ganz gemeiner Verleumder!" ({0}) - Er bestätigt es, und ich möchte mir nur erlauben, Ihnen einmal etwas über den Wert der Behauptungen des Herrn Rische zu unterbreiten. ({1}) Ich habe hier die Kündigungsschriften, die der Magistrat von Groß-Berlin - das ist die am 30. November 1948 durch die Sowjets eingesetzte Verwaltung des Ostsektors - versandt hat. In einer dieser Kündigungen - das möchte ich dem Herrn Rische sagen - heißt es beispielsweise bezüglich der Kündigung des Büros des Kreises 1 der Sozialdemokratischen Partei: Betr.: Räume in der 1. Etage Friedrichstraße 167 In der Anlage überreichen wir Ihnen eine Beschlagnahme über obige Räume, welche ab 1. 2. 1952 ein wirtschaftlich wichtiger Betrieb übernehmen soll. Wir bitten Sie, die Räume bis zu diesem Zeitpunkt spätestens frei zu machen. Sollte dies nicht der Fall sein, so würden wir uns leider veranlaßt sehen, eine Räumung am 3. 2. 1952 von uns aus vorzunehmen. ({2}) Das ist das Bezirksamt Mitte. Fs heißt weiter - ich will Ihnen den nächsten Fall schildern - in einem Schreiben des Bezirksamts Prenzlauer Berg: An die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Kreisleitung Prenzlauer Berg ... Auf Antrag des Hauptmieters der von Ihnen benutzten in Berlin NO 55, Prenzlauer Allee 57, Erdgeschoß, gelegenen gewerblichen Räume, nämlich des Magistrats von Groß-Berlin, Bezirksamts Prenzlauer Berg, - der der Hauptmieter ist heben wir hierdurch die Ihnen am 28. August 1947 erteilte endgültige Einweisung als irrigen Verwaltungsakt auf. ({3}) Das ist am 10. Januar 1952 geschehen. Herr Rische und Herr Renner, würden Sie bitte aufpassen! Es heißt weiter: Wir ersuchen Sie daher, - ich lese nicht alles vor die Räume bis zum 25. Januar 1952 freizumachen. Sollte eine Räumung bis zu dem genannten Zeitpunkt durch Sie nicht erfolgt sein, sehen wir uns veranlaßt, dieselbe gemäß §§ 31 ({4}) und 32 der Berliner Vollzugsordnung vom 2. 9. 1948 zum Kontrollratsgesetz Nr. 18 in Verbindung mit dem Polizeiverwaltungsgesetz vom 1. 6. 1931 im Wege des Verwaltungszwangsverfahrens durchzusetzen. Und dann heißt es weiter: Auf unsere Befugnis, notfalls geschlossene Räume auf Ihre Kosten öffnen zu lassen und zu betreten, weisen wir ausdrücklichst hin. An den Kreis Friedrichshain - ich lese nur den Schlußsatz -: Die Aufhebung erfolgt wegen Eigenbedarf. Gegen diese Verfügung ist binnen einer Frist von einer Woche nach Zustellung dieses Schreibens der Einspruch zulässig. Er ist an das oben genannte Wohnungsamt in doppelter Ausfertigung einzureichen und hat keine aufschiebende Wirkung. An Berlin-Lichtenberg - ich glaube, ich lese Ihnen damit den vierten oder fünften Fall vor -: Wir bitten Sie, das ganze Mietobjekt bis zum 26. 1. 1952 freizumachen, damit wir entsprechend anderweitig darüber verfügen können. Sollten Sie unserer Bitte wider Erwarten nicht entsprechen, würden wir uns zu unserem Bedauern genötigt sehen, die zwangsweise Räumung am Mittwoch, dem 30. 1. 1952, 10 Uhr, vorzunehmen. So könnte ich Ihnen noch eine Reihe weiterer Schreiben des sogenannten demokratischen Magistrats von Groß-Berlin vorlesen. Meine Zeit erlaubt es nicht, über die Probleme und die anderen von Ihnen vorgetragenen Dinge ausführlicher zu sprechen. Aber, Herr Rische, ein einziges Problem: Sie haben von der Verständigung gesprochen, die doch möglich sei, wenn alle Deutschen gewillt seien, zusammenzuarbeiten. Ich darf dem Hause einen einzigen Fall vortragen. Am 18. Oktober 1951 hat das Abgeordnetenhaus von Berlin einmütig beschlossen, eine Delegation des Abgeordnetenhauses solle den zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilten Berliner Abgeordneten Werner Rüdiger im Zuchthaus Waldheim besuchen. Bis zum heutigen Tage haben wir von der Regierung der sogenannten DDR keine Antwort auf dieses Ersuchen des Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses erhalten. ({5}) Sie können nur im Zentralorgan der Kommunistischen Partei Deutschlands, im sogenannten „Neuen Deutschland" vom 19. Oktober lesen: Wenn Herr Suhr und die anderen nach Waldheim kommen, dann haben wir die Zellen für sie reserviert! ({6})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Abgeordneter Neumann, kommen Sie bitte zum Schluß!

Franz Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001595, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist die Begleitmusik, Herr Präsident, zu dem, was die Kommunisten sagen. ({0}) Wenn Herr Rische von der nationalen Würde der Deutschen sprach, - wer Deutsche in Bautzen, in Waldheim oder irgendwo sonst unter diesen unwürdigen Verhältnissen einsperrt, der hat das Recht verwirkt, überhaupt von nationaler Würde zu sprechen! ({1})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. ({0}) - Zur Abstimmung hat das Wort der Abgeordnete Mellies.

Wilhelm Mellies (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren, namens der sozialdemokratischen Fraktion beantrage ich namentliche Abstimmung über den interfraktionellen Antrag Drucksache Nr. 3067.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Dieser Antrag ist von 50 Abgeordneten unterstützt. Ich lasse die namentliche Abstimmung durchführen. Zunächst aber, meine Damen und Herren, noch eine Bemerkung über den vom Abgeordneten Rische gestellten Antrag. Nach § 100 der Geschäftsordnung können Änderungsanträge zu Anträgen von jedem Abgeordneten gestellt werden, und es ist über sie abzustimmen, wenn sie von 15 Abgeordneten unterstützt werden. Nach § 97 der Geschäftsordnung bedürfen selbständige Anträge, um überhaupt behandelt werden zu können, 15 Unterschriften. Ob etwas ein Antrag oder ein Änderungsantrag ist, bestimmt sich nicht durch die Überschrift des mir übergebenen Papiers, sondern durch den materiellen Inhalt des Antrages. Der sogenannte Änderungsantrag, der mir übergeben worden ist, ist der typische selbständige Antrag. Er trägt keine 15 Unterschriften. Damit erfüllt er nicht die Voraussetzungen des § 97. Ich lasse über ihn nicht abstimmen. Wir beginnen nun mit der namentlichen Abstimmung. Ich bitte die Herren Schriftführer, mit den Urnen durch den Saal zu gehen und die Stimmzettel einzusammeln. Meine Damen und Herren, ich schlage vor, daß auch die nicht stimmberechtigten Berliner Abgeordneten bei dieser Abstimmung ihre Meinung zum Ausdruck bringen. Ich bitte einen der Herren Schriftführer, mit einer Urne bei den Abgeordneten aus Berlin vorbeizugehen, und bitte die Damen und Herren, die von Berlin in dieses Haus gewählt worden sind, ihren Stimmzettel in diese Urne zu geben. ({0}) ({1})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Ich frage, ob Abgeordnete vorhanden sind, die ihre Stimme noch nicht abgegeben haben und das zu tun wünschen? - Drüben sind noch Abgeordnete, die erst in diesem Augenblick ihren Umschlag öffnen. - Auch die Berliner Abgeordneten haben alle abgestimmt, soweit sie das zu tun wünschen? - Ich schließe die Abstimmung. Bis zum Ergebnis der Auszählung bitte ich um einen Augenblick Geduld. Ich gebe das vorläufige*) Ergebnis der Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/ *) Vergl. das endgültige Ergebnis Seite 8094. ({0}) CSU, SPD, FDP und DP bekannt. An der Abstimmung haben sich 347 Abgeordnete beteiligt, außerdem 17 Abgeordnete aus Berlin, die kein Stimmrecht haben. Mit Ja haben 293 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 29; enthalten haben sich 25 Abgeordnete, ungültige Stimmen keine. Die Berliner Abgeordneten, deren Stimmen nicht ausdrücklich mitgezählt werden, haben 17 Ja-Stimmen abgegeben, keine Nein-Stimme; keine Enthaltungen, keine ungültige Stimme. Ich darf das Ergebnis dieser Abstimmung als den Willen der ganz überwiegenden Mehrheit dieses Hauses verstehen, daß zur Wiederherstellung der deutschen Einheit kein demonstrativer, sondern ein echter Beitrag geleistet wird. ({1}) Ich darf unterstellen, daß entsprechend dem Antrag des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen die Drucksache Nr. 3066 mit dieser Abstimmung sachlich erledigt ist. Ich habe noch abzustimmen über den Bericht des Ausschusses Drucksache Nr. 3065, den Antrag der Fraktion der KPD als erledigt zu betrachten. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Ohne Enthaltungen gegen 2 Stimmen ist dieser Antrag des Ausschusses angenommen. Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung: Einspruch des Abgeordneten Loritz gegen den ihm in der 188. Sitzung erteilten Ordnungsruf ({2}). ({3}) - Darf ich Sie freundlichst um etwas Ruhe bitten. - Der Einspruch gegen den Ordnungsruf liegt Ihnen im Umdruck Nr. 435 vor. Ich darf auf folgenden kleinen Unterschied hinweisen, der mir sachlich nicht ganz ohne Einfluß zu sein scheint. Nach dem verbesserten Protokoll hat der Abgeordnete Loritz seinen Satz mit den Worten begonnen: „Wenn dieses Haus auch nur noch einen Funken von Selbstachtung besitzt, dann muß es dafür sorgen", usw. In dem Satz, der Herrn Vizepräsidenten Dr. Schäfer Veranlassung zu dem Ordnungsruf gab, steht dieses „noch" an einer anderen Stelle, so daß der Satz hieß: „Wenn dieses Haus auch nur einen Funken von Selbstachtung noch besitzt, ..." ({4}) - Ich habe ja gar nicht behauptet, daß Sie es geändert haben, Herr Abgeordneter Loritz. Sie werden aber nicht in Abrede stellen, daß Sie sich mit der Änderung einverstanden erklärt haben. ({5}) Da nach der Geschäftsordnung ohne Besprechung abgestimmt wird, bitte ich die Damen und Herren, die dem Einspruch des Herrn Abgeordneten Loritz stattzugeben wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit; der Einspruch ist abgelehnt. ({6}) - Wir wollen es durch Aufstehen feststellen, damit wir ein noch klareres Bild haben. Ich bitte die Damen und Herren, die für den Einspruch sind, aufzustehen. - Ich bitte die Damen und Herren, die für die Ablehnung des Einspruchs sind, sich zu erheben. ({7}) Enthaltungen? ({8}) Meine Damen und Herren, ich vermag kein eindeutiges Urteil abzugeben; ich bitte, diese Frage durch Hammelsprung zu entscheiden. ({9}) Ich bitte die Damen und Herren, die dafür sind, dem Einspruch stattzugeben, durch die Ja-Tür in der Mitte hereinzukommen; im übrigen: Nein und Enthaltungen. - Ich bitte Sie, den Saal möglichst schnell zu räumen und sich draußen auseinanderzusetzen. ({10}) Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Ich mache darauf aufmerksam, daß die Schilder „Enthaltung", „Ja" und „Nein" über den Türen angebracht sind. ({11}) Ich bitte, die Abstimmung zu beschleunigen. ({12}) Ich bitte, die Abstimmung zu schließen. Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis des Hammelsprungs bekannt. Für den Einspruch des Abgeordneten Loritz haben gestimmt 134 Abgeordnete, dagegen 125; 35 haben sich der Stimme enthalten. Damit ist dem Einspruch stattgegeben worden. ({13}) Meine Damen und Herren, ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung: Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Erste Protokoll vom 27. Oktober 1951 über zusätzliche Zugeständnisse zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen ({14}) ({15}). ({16}) -- Darf ich Sie freundlichst bitten, Ihre Unterhaltungen etwas einzuschränken. - Angesichts der schriftlichen Begründung verzichtet die Bundesregierung auf eine mündlichen Begründung des Gesetzes. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, von einer Aussprache zur ersten Beratung abzusehen. Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Außenhandelsfragen zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Die Überweisung ist erfolgt. Ich rufe den Punkt 4 der Tagesordnung auf: Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({17}) über die Denkschrift des Bundesministers der Finanzen betreffend Einsparungsmöglichkeiten im Besatzungslastenhaushalt ({18}). Für die Aussprache schlägt Ihnen der Ältestenrat eine Höchstredezeit von 120 Minuten vor. ({19}) ({20}) - Meine Damen und Herren, darf ich dieses Geräusch als eine Ablehnung des Vorschlags des Altestenrats verstehen? ({21}) - Machen Sie einen anderen Vorschlag? ({22}) - Vierzig Minuten scheint mir bei der Bedeutung der Sache zu wenig zu sein. Sind Sie mit 60 Minuten einverstanden? ({23}) - Meine Damen und Herren, darf ich fragen: Wer ist für 60 Minuten? - Wer ist dagegen? - Das erste war - dieses Mal ohne Hammelsprung - die Mehrheit. ({24}) Ich bitte den Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Wacker, das Wort zu nehmen. Wacker ({25}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SDP, FDP, DP, BP, WAV, Z und der Gruppe BHE-DG - Drucksache Nr. 2200 - hat der Deutsche Bundestag in seiner Sitzung vom 26. April 1951 beschlossen, den Bundesminister der Finanzen zu bitten, dem Bundestag eine Denkschrift vorzulegen, in der die Möglichkeiten von Einsparungen im bisherigen Besatzungshaushalt dargelegt werden. Das Bundesfinanzministerium hat diese Denkschrift unter Drucksache Nr. 2824 vorgelegt. Der Haushaltsausschuß hat sich damit in zwei Sitzungen beschäftigt und mich beauftragt, dem Hohen Hause über den Gang der Verhandlungen zu berichten. Gestatten Sie mir zunächst, dem Hohen Hause einiges über den Inhalt der Denkschrift zu unterbreiten. Man unterscheidet in der Denkschrift Besatzungslasten im weiteren und Besatzungsrasten im engeren Sinne. Zu den Besatzungslasten im weiteren Sinne zählen alle Leistungen, die von der Volkswirtschaft eines besetzten Landes im Zusammenhang mit der Besetzung erbracht werden müssen sowie alle von der Besatzung angerichteten Schäden. Die Verpflichtung zur Erbringung der Leistungen liegt im Falle der kriegerischen Besetzung im Völkerrecht begründet, und zwar nach der Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 1907. Diese Bestimmungen treffen auch auf Westdeutschland zu, da die Besetzung sich aus den Feindseligkeiten und der nachfolgenden Kapitulation ergab, jedoch mit der Maßgabe, daß die Anforderungen zur Befriedigung der Besatzungsmächte sich auf die Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung und den dort festgelegten Umfang beschränken. Danach ist also den Bedürfnissen des Besatzungsheeres Rechnung zu tragen in einem Ausmaß, das im Verhältnis zu den Hilfsquellen des besetzten Landes steht. Aus der Denkschrift ist zu entnehmen, daß diese Bestimmungen und die in der Haager Landkriegsordnung auferlegten Beschränkungen seitens der Besatzungsmächte nicht immer eingehalten worden sind. Die Anforderungen seien zum Teil weit über die für eine kriegerische Besetzung durch das Völkerrecht gezogenen Grenzen hinausgegangen. Was versteht man nun unter Besatzungslasten? Darüber gibt die Denkschrift auch einige Auskunft. Unter Besatzungslasten versteht man Dienstleistungen, Sach- und Werkleistungen, Bauleistungen, Energieleistungen, Nutzungsleistungen, sonstige Leistungen und Schäden. Besatzungslasten im engeren Sinne sind also alle Zahlungen, die für die Erbringung von Leistungen oder zum Ausgleich von Schäden zu Lasten der öffentlichen Haushalte des besetzten Landes aufgebracht werden müssen. Für diese Art von Besatzungslasten mußten bis zum 31. März 1950 die Länder und seither die Bundesrepublik Haushaltsmittel zur Verfügung stellen. Die seither geleisteten Ausgaben wurden jeweils in den Einzelplänen XXIV, XXV und XXVII festgelegt. Diese zwangsläufigen Ausgaben stehen im Zusammenhang mit der Besetzung und sind von den Besatzungsmächten nicht in das eigene Budget übernommen worden. Die Denkschrift gibt uns auch eine Aufstellung über Zahlung von Besatzungslasten von Beginn der Besetzung bis zum 31. März 1951. In der vorgenannten Zeit wurde ein Betrag von rund 26 Milliarden RM bzw. DM aufgebracht. Es ist interessant, die Zahlen der einzelnen Besatzungszonen anzuführen, die in der Denkschrift wiedergegeben sind. So entfallen vom Jahre 1945 bis zum Haushaltsjahr 1949/50 auf die britische Zone 12 294 000 000 DM bzw. RM, auf die US-Zone 9 841 000 000, auf die französische Zone 3 723 000 000 RM bzw. DM. Erwähnenswert ist, wie sich die Besatzungskosten und Auftragsausgaben im einzelnen für das Jahr 1951/52 zusammensetzen. In diesem Haushaltsjahr mußten aufgebracht werden für Dienstleistungen 23,9 %, für Sach- und Werkleistungen 11,1 % für Nutzungsleistungen 20,6 % für sonstige Leistungen 12,3 %, für Barzahlungen - also für einen ganz neuen Titel - 3,5 %, für Bauleistungen 24,5 %, für Besatzungsschäden 2,6 % und für sonstige Auftragsausgaben 1,5 %. Zusammen ergibt sich ein Betrag in Höhe von 6 595 000 000 DM = 100 %. Gegenüber dem Vorjahre bedeutet diese Summe einen Mehrbetrag von 1 135 000 000 DM. Die allierten Mächt haben ihre eigenen Haushaltsbestimmungen, die unsere Verwaltung einzuhalten hat. Nach diesen Bestimmungen können die bisher noch unverbrauchten Summen der Vorjahre jederzeit im laufenden Rechnungsjahr angefordert werden. Diese Rest-Haushaltssumme beträgt nach der Denkschrift zur Zeit 1 490 000 000 DM, so daß also der Bundeshaushalt für das Rechnungsjahr 1951/52 nicht nur die eben angeführte Summe von 6 595 000 000 DM vorzusehen hat, sondern mindestens noch mit den weiteren 1 490 000 000 DM Auslaufkosten der Vorjahre belastet werden muß. Für sonstige Kriegsfolgelasten muß noch ein Betrag von 803 000 000 DM vorgesehen werden, so daß sich eine Gesamtbelastung in Höhe von 7 488 000 000 DM ergibt. Vor der Bekanntgabe des alliierten Besatzungshaushalts hat man mit einer Ausgabenerhöhung des gesamten Bundeshaushalts um 4 Milliarden DM gerechnet. Diese Mehrausgaben hoffte man durch höhere Steuereinnahmen und Neueingänge durch die Produktionssteigerung decken zu können. Durch die Anforderungen der Alliierten erhöht sich jedoch das Mehr an Ausgaben auf rund 7 Milliarden DM. Hierfür sind Deckungsmittel in vollem Umfange nicht vorhanden. Die Denkschrift sagt hierzu, daß der Besatzungslastenvnranschlag 7u Beginn des Rechnungsjahres 1950 36 % des gesamten Bundeshaushalts betrug. Nach Ansicht der Verwaltung wird dieser Anteil der Besatzungslasten am Bundeshaushalt 1951 sich voraussichtlich nicht nur nicht ({26}) halten können, sondern dieser Anteil wird erhöht werden müssen. Diese Mehrbelastungen, die für die deutsche Volkswirtschaft daraus entstehen, sind insbesondere durch das Ansteigen der Besatzugslasten notwendig geworden. Interessant ist die Aufstellung der Belastung für den einzelnen Einwohner sowie den einzelnen Erwerbstätigen im Bundesgebiet. Hiernach entfallen auf jeden Einwohner im Jahre 1951 146 DM, auf jeden Erwerbstätigen 340 DM. In der Denkschrift wird weiter angeführt, daß nicht nur die außergewöhnliche Höhe der Besatzungslasten vom deutschen Volke so drückend empfunden wird, sondern hauptsächlich die Erkenntnis der Tatsache, daß keineswegs zwingende Notwendigkeiten für alle Arten dieser Lasten und den vollen Umfang bestehen, der dem deutschen Volke an Besatzunglasten auferlegt wird. Die Denkschrift weist eine Vielzahl von Möglichkeiten auf, die diese Lasten beträchtlich vermindern könnten. Ich komme damit nun auf diese Einsparangsmöglichkeiten zu sprechen. Ich entnehme aus der Denkschrift, daß bei den Verhandlungen mit den Hohen Kommissaren von diesen die Ansicht vertreten wird, eine Verminderung der Besatzungslasten, wie sie unsererseits für das Rechnungsjahr 1951/52 gefordert worden war, sei wegen der anlaufenden Verteidigungsmaßnahmen nicht möglich. Bei näherer Betrachtung der Besatzunglasten ergibt sich aber, daß zwischen ihrer Höhe und der Zahl der der Verteidigung dienenden Streitkräfte ein Mißverhältnis besteht. Dieses Mißverhältnis besteht darin, daß neben den Streitkräften auch heute noch eine umfangreiche zivile alliierte Verwaltung unterhalten werden muß. Das Rechnungsjahr 1949 zeigt das Mißverhältnis ganz klar auf. Die Aufwendungen für die Streitkräfte in dem vorgenannten Haushaltsjahr betragen 60 %, die Aufwendungen für die zivile Verwaltung betragen 40 %. Obwohl durch das im Jahre 1949 in Kraft getretene Besatzungsstatut der Besatzungsverwaltung bis in die Kreisstufe hinab nahezu sämtliche politischen und administrativen Aufgaben genommen wurden, hat sich an dem ermittelten Verhältnis zwischen Besatzungsaufwand für die Streitkräfte und dem für die zivile Verwaltung nichts grundlegend geändert. Das Institut für Besatzungsfragen schätzt diesen möglichen Einsparungsbetrag auf mindestens 1,1 Milliarden DM. Die der Befriedigung der Truppenbedürfnisse dienenden Lasten werden als sehr hoch bezeichnet. Hier ist wichtig, zu erwähnen, daß zu den Lasten, die die Bundesrepublik zu tragen rechtlich verpflichtet ist, auch noch die Besoldung der Besatzungstruppen und die Kosten ihrer Ausrüstung und anderes mehr hinzukommen. Diese Lasten müßten eigentlich aus den Militäretats des Heimatstaates bestritten werden; denn sie zählen zu den sogenannten externen Besatzungskosten. Das Institut für Besatzungsfragen hat hierzu einen sehr interessanten Beitrag geliefert. Es wird festgestellt, daß von dem Aufwand der Besatzungstruppen im Durchschnitt mindestens 57 % über dem vertretbaren und notwendigen Maß liegen. Das Institut stellt weiter fest, daß der Aufwand für einen ehemaligen deutschen Soldaten unter Berücksichtigung der inzwischen eingetretenen Preissteigerung sowie Hinzurechnung eines Mehrbetrages für vollmotorisierte Truppen 3020 DM betragen hat. Selbst wenn man der Besatzungsmacht Rechnung tragen wollte und ihr hierzu für höheren Lebensstandard einen Zuschlag von 40 % zubilligen würde, ergäbe dies erst einen Aufwand von 4230 DM je Soldat. Der tatsächliche durchschnittliche Aufwand für einen Soldaten der Besatzungsstreitkräfte beträgt dagegen 9750 DM. Von der aufgezeigten Differenz ausgehend errechnet das Institut für Besatzungsfragen die Summe von mindestens 1,4 Milliarden DM, die durch eine Rationalisierung der Truppenausgaben eingespart werden könnte. In der Denkschrift wird weiter hervorgehoben, es sei nicht richtig, daß die amerikanische Besatzungsmacht einseitig die Vergütung für Leistungen festsetze, und zwar ohne parlamentarische Kontrolle. Es stehe außer allem Zweifel, daß bei einer Mitwirkung durch das Parlament, wie dies in gewissem Umfange in der britischen Zone bereits eingeführt sei, erhebliche Einsparungen erzielt werden könnten. Das Institut für Besatzungsfragen schlägt hierzu ferner vor, die Bauvergabe, die Bauüberwachung und die Bauabrechnung durch deutsche Stellen vornehmen zu lassen. Die Einsparungen, die dadurch erzielt werden könnten, werden auf mindestens 20 % geschätzt. Den zweitstärksten Anteil am Besatzungslastenhaushalt beansprucht nach den Bauleistungen die Vergütung für Dienstleistungen. Dieser Anteil ist mit 1 571 Millionen DM veranschlagt. Die Denkschrift gibt uns einen Überblick über die am 30. Juni 1951 bei den Besatzungsmächten beschäftigten Personen, und zwar waren beschäftigt 307 549 männliche und 145 298 weibliche Personen, insgesamt 452 847 Personen. Es ist ein Vergleichsmaß für die Höhe der Zahl angegeben, und zwar der Personalbestand der Deutschen Bundesbahn mit insgesamt 535 218 Beschäftigten. Das sind rund 15 % Personal weniger als bei der Deutschen Bundesbahn, die als das größte Unternehmen Europas angesehen werden kann. Hier kommt die Denkschrift wieder auf den schon vorher gemachten Vorschlag zurück, die zivile alliierte Besatzungsmacht abzubauen. Als überflüssige Einrichtungen werden die von den Besatzungsstreitkräften unterhaltenen Sondereinrichtungen bezeichnet, wie z. B. das Unterhalten einer eigenen Feuerwehr. Hier wird vorgeschlagen, diese Aufgaben den deutschen örtlichen Berufsfeuerwehren zu übertragen. Weiter wird vorgeschlagen, auch die bei Besatzungsdienststellen errichteten handwerklichen Betriebe aufzugeben. In Heidelberg z.B., so heißt es in der Denkschrift, beschäftigen diese Betriebe 801 Bauhandwerker mit einem jährlichen Aufwand von 2 439 000 DM. Hierzu wird vorgeschlagen, diese Aufgaben den deutschen Baudienststellen oder durch Vereinbarung mit dem Handwerkunternehmen der freien Wirtschaft zu übertragen. Man nimmt an, daß diese Aufgaben mit einem weitaus geringeren Kostenaufwand durchgeführt werden könnten. Erhebliche Einsparungen, so wird in der Denkschrift weiter erklärt, könnten erzielt werden, wenn alle die Belastungen wegfallen würden, die mit den Völkerrechtsgrundsätzen unvereinbar sind, wie z. B. die Aufhebung des Instituts zur Betreuung deutscher Wissenschaftler und deren Angehöriger in Landshut, die sich zur Arbeitsleistung nach den Vereinigten Staaten verpflichtet haben; ferner die Aufhebung der Bewachungsstellen für ({27}) Gebäude, Flugplätze und dergl. mehr und insbesondere der Wegfall der Bezahlung von Hausangestellten. Die Denkschrift schlägt weiter vor, daß die Erledigung der Arbeitsverwaltungsangelegenheiten von deutscher Hand vorgenommen werden sollte, insbesondere die Einsteliung von Arbeitskräften, Lohn- und Gehaltseinstufungen, Arbeits- und Arbeitszeitüberwachung, Lohn- und Gehaltsabrechnungen und anderes mehr, was mit der Bearbeitung von Personalangelegenheiten in Zusammenhang steht. Es wird festgestellt, daß der Lohn- und Gehaltsabrechnung vielfach Arbeitszeiten zugrunde gelegt werden, deren Unrichtigkeit ganz offensichtlich ist. ({28}) Ein Beispiel sagt, daß Autobusfahrer in Bonn für 470 Arbeitsstunden im Monat entlohnt worden sind. Das sind durchschnittlich 18 Arbeitsstunden am Tag. Ein weiteres Beispiel besagt, daß in Iserlohn für Angestellte mehrere Monate hindurch täglich 71/2 Überstunden anerkannt und bezahlt worden sind. Von der Möglichkeit, Überstunden durch Freizeit abzugelten, wird nur weng Gebrauch gemacht. Die Denkschrift zeigt durch Darlegungen und Beispiele noch mehrere Mängel auf, aus denen man eine oberflächliche Bearbeitung der mit Personalangelegenheiten in Verbindung stehenden Aufgaben ersehen kann. Eine genauere Kontrolle wäre nur möglich, wenn diese Arbeiten durch deutsche Dienststellen vorgenommen werden könnten Die dadurch zielende Einsparungen wären ganz beträchtlich. Aus der Denkschrift geht noch hervor, daß auf dem Gebiet der Sach- und Werkleistungen Einsparungen in besonders hohem Maße gemacht werden könnten, und zwar durch den Wegfall jener Sach- und Werkleistungen, die nicht unmittelbar den Bedürfnissen der Besatzungsstreitkräfte dienen. Es wird angeführt, daß die britischen Besatzungrsstellen in immer stärkerem Mäße Requlsitionsgüter in solche Lager bringen lassen, die für eine Verschiffung ins Ausland günstig liegen. Dorthin werden vor allen Dingen Mangelwaren geleitet, die auf dem Weltmarkt selten sind, z. B. Feinbleche und hochwertiges Drahtseil. Es wurde ausdrücklich Anweisung erteilt, bestimmte Waren seemäßig verpackt zu liefern. Ferner wird es als ausgeschlossen angenommen, daß die Beschaffung von elektrischen Kühlschränken im Betrage von 7 Millionen DM, die Beschaffung von Teppichen im Betrage von 5,5 Millionen DM, die Beschaffung von 47 713 Bettvorlegern und 65 334 m Läuferstoff oder gar die Beschaffung von 564 506 künstlichen Zähnen im Werte von 232 785 DM notwendig gewesen ist. Auch im Hnblick auf die Qualitätsansprüche bei Sach- und Werkleistungen deutet die Denkschrift auf bedeutende Einsparungsmöglichkeiten hin. Die Denkschrift sagt, daß bei einer Rationalisierung des Beschaffungsverfahrens noch weitere Einsparungen möglich wären. Dieser Vorschlag wird deshalb gemacht, weil festgestellt wurde, daß Firmen für größere Aufträge herangezogen werden, deren Kapazität hierfür nicht ausreichend ist. Hier wird ein Beispiel angeführt: Ein kleiner Photo-Einzelhändler mit Ladengeschäft erhielt einen Auftrag auf Lieferung von 13 800 Röntgenfilmen im Werte von 69 000 DM. Es wird weiter angeführt, daß bei der Auftragsvergebung durch die Beschaffungsdienststellen nicht mit der Materie vertraute Handelsmakler und Vertreter eingeschaltet werden. Es wurde festgestellt, daß durch das beliebige Einkaufen der einzelnen Besatzungsdienststellen Anschaffungen getätigt werden, die weit über den tatsächlichen Bedarf hinausgehen, wie z. B. der Einkauf von 600 t Tarnfarbe, 100 t we ße Trockenfarbe oder 12 t Ultramarinblau. Die zuletzt genannte Menge entspricht dem Jahresbedarf der Bundesrepublik. Erwähnenswert ist der Einkauf von 150 t Schiebetürbeschlägen in einer heute vollkommen überholten Konstruktion. Das ist der mehrfache Jahresbedarf des Bundesgebietes. Die Beseitigung der angeführten Mängel würde eine in die Millionen gehende Ersparnis ergeben. In der Denkschrift wird der Vorschlag gemacht, die drei Besatzungsmächte beim Einkauf auszuschalten und diesen durch deutsche Dienststellen vornehmen zu lassen. Als besonders wichtig wird in der Denkschrift hervorgehoben, daß bei den Bauleistungen das Augenmerk auf Einsparungsmöglchkeiten zu richten ist. Überhöhte Anforderungen werden beim Kasernenbau gestellt, und zwar vor allem für die Wirtschaftseinrichtungen, Speiseräume, Klubräume, sanitären Anlagen, Versorgungsanlagen und anderes mehr. Für die Baufertigung wird in der Denkschrift eine langfristige Wirtschaftsplanung vorgeschlagen. Durch die Außerachtlassung der einfachsten Vergaberegeln ist der Sektor Bauleistungen m t 24 % der Besatzungslasten der größte Teil des Besatzungskostenhaushalts überhaupt. Nach der Denkschrift ist folgendes abzustellen: erstens die für die Bauplanung zu kurz bemessenen Fristen, zweitens die Pauschalvergabe, drittens die Überstunden, Lohnzuschläge, Nacht- und Sonntagsarbeit - diese Mehrausgaben entstehen durch zu kurz bemessene Baufristen -, viertens die Mängel bei der Bauaufsicht. In der Denkschrift wird die Herausgabe eingehender deutsch-alliierter Richtlinien für d'e technische Durchbildung aller Arten von Gebäuden vorgeschlagen. Ferner wird zur Festlegung einheitlicher Richtlinien die Schaffung eines zentralen deutsch-alliierten technischen Ausschusses vorgeschlagen. Für Energieleistungen sind im Haushalt 1951/52 keine genauen Zahlen zu ermitteln. Einiges aus der Denkschrift ist jedoch erwähnenswert. Im Lande Hessen betrug im Jahre 1949 der Stromverbrauch der Besatzungsmächte 80 % des Verbrauchs der gesamten Landwirtschaft. ({29}) In der Zeit vom 1. April 1950 bis 31. Dezember 1950 wurden für Elektrizität, Gas, Wasser und Dampf rund 19,8 Millionen DM bezahlt. Diese enorme Summe ließe sich bestimmt stark reduzieren, wenn man beim Stromverbrauch einen angemessenen Maßstab anwendete. Es wird vorgeschlagen, nach angemessenen Maßstäben Höchstsätze für den Verbrauch festzulegen. Die Höchstsätze müßten im Einklang mit der deutschen Leistungsfähigkeit festgesetzt werden. Der Mehrverbrauch solle zu Lasten der Besatzungsmacht selbst gehen. Hierbei wird der jeweils günstigste Tarif zur Berechnung vorgeschlagen. Am 30. September 1950 waren im Bundesgebiet einschließlich West-Berlin 49 412 Wohnungen beschlagnahmt. Von sämtlichen Gewerbezweigen ist durch die Inanspruchnahme von Räumen das Hotel- und Gaststättengewerbe am stärksten betroffen. Dadurch wird der Fremdenverkehr erheblich gedrosselt und der Volkswirtschaft ein großer ({30}) Schaden zugefügt. Durch die Feststellung, daß die beschlagnahmten Hotels häufig unterbelegt sind, wird die Aufrechterhaltung der Inanspruchnahme als nicht tragbar bezeichnet. Insbesondere wird als untragbar bezeichnet die Benutzung größter Hotels als Altkleiderlager oder die Beschlagnahme von Lichtspieltheatern, die bei 1000 Sitzplätzen nur mit 15 bis 20 Personen je Vorstellung besetzt sind. Mit vielen sonstigen beschlagnahmten Einrichtungen verhält es sich ähnlich. Zu diesem Punkt hat der Finanzminister bereits am 17. August 1951 den Hohen Kommissaren ein Memorandum überreicht, in dem er Vorschläge für die planmäßige Freigabe der beschlagnahmten Räume angeführt hat. Dieses Memorandum ist als Anlage 2 der Drucksache Nr. 2824 beigefügt. Zu den sonstigen Leistungen gehören die Nachrichten- und Transportleistungen. Diese betragen im Haushalt 1951/52 812 141 400 DM. Gegenüber dem Haushaltsjahr 1949/50 besteht ein Mehrbedarf von 250 %. Die amerikanische Besatzungsmacht beansprucht zur Zeit 31 Dieseltriebwagen. Hiervon sind 6 zu Lazarettwagen umgebaut; die restlichen 25 dienen zur Beförderung von höheren Offizieren und Beamten. Auch die Aufwendungen für Ärzte und Krankenanstalten fallen unter das Kapitel „Besondere Leistungen". Hierzu bemerkt die Denkschrift, daß die Inanspruchnahme von Spezialärzten, Kinderärzten, Geburtshilfe und dergleichen mehr zur Behandlung von Angehörigen der Besatzungsangehörigen mit weit höheren als den üblichen Honorarsätzen bezahlt wird. Weiterhin wird als auffallend bezeichnet, daß noch hohe Beträge für Leistungen gefordert werden, die mit dem veränderten Besatzungszweck nichts mehr gemein haben, wie z. B. für Reparationen, Wiedergutmachung und für die Entmilitarisierung. In diesem Zusammenhang wird ein seither vollkommen fremdes Kapitel aufgezeigt, nämlich die Entnahme von Bargeld, sogenannte Pauschzahlungen, über deren Verwendung keinerlei Aufschluß gegeben wird. Für die drei Besatzungsmächte sind insgesamt rund 237 Millionen DM in den einzelnen Haushalten vorgesehen. Diese Bargeldentnahme verstößt gegen das Völkerrecht und müßte künftig unterbunden werden. Als völkerrechtswidrig wird auch bezeichnet die Bezahlung der Arztbehandlungen von Besatzungsangehörigen, insbesondere aber der anfallenden diesbezüglichen Kosten für die Familienangehörigen. Soweit aus dem Inhalt der Denkschrift Drucksache Nr. 2824. In der Beratung hat sich eine lebhafte Aussprache ergeben, zu der Vertreter des Bundesfinanzministeriums noch interessante und wissenswerte Ausführungen gemacht haben. Der Vertreter des Bundesfinanzministeriums hat angeführt, daß das Besatzungsstatut in nächster Zeit durch zwischenstaatliche Verträge abgelöst werden solle. Man hielt es deshalb für angebracht, dem Haushaltsausschuß eine Gesamtbilanz über den Umfang der bisherigen Besatzungslasten zu geben. Nach den amtlichen deutschen Unterlagen seien in der Zeit vom Beginn der Besetzung bis zum Schluße des Rechnungsjahrs 1951 bei voller Ausschöpfung des im Bundeshaushalt 1951 verplanten Solls rund 35 Milliarden RM bzw. DM an Besatzungskosten aufgebracht worden. Da jedoch nicht alle Leistungen in den deutschen Haushalten erfaßt sind, ist der tatsächliche Gesamtwert in dem oben angeführten Zeitraum erheblich höher. Diese Erhöhung ergibt sich: 1. durch die Umstellungsdifferenz für Besatzungsleistungen, 2. durch die D-Mark-Erstausstattung der Besatzungsmächte, 3. durch nicht oder nicht ausreichend vergütete Besatzungsleistungen, insbesondere der Bahn und Post, sowie durch die nichtvergüteten irregulären Requisitionen, 4. durch die Leistung der sogenannten kostenlosen Dienste, 5. durch Ausfälle an Steuern, Zöllen und Abgaben. Nach den vorgenannten Leistungen wird der tatsächliche Gesamtwert der deutschen Leistungen für die Besatzung mit rund 40 Milliarden RM bzw. DM angenommen. Diese Leistungen werden als die sogenannten internen Besatzungslasten bezeichnet. Die externen Besatzungslasten, d. h. die Lasten, die im Zusammenhang mit dem Heimathaushalt der alliierten Besatzungsmächte stehen, werden auf mindestens 35 Milliarden RM bzw. DM geschätzt. Dies ergibt zusammen die Summe von 75 Milliarden RM bzw. DM. Der Vertreter des Bundesfinanzministeriums hat weiter ausgeführt, die bisherige Auffassung des Auslandes, daß die deutschen Besatzungslasten eine ausschließlich deutsche Angelegenheit seien, treffe nicht zu. Nach deutscher Auffassung bildeten vielmehr die internen und externen Besatzungslasten in politischer, wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht eine Einheit. Die Höhe der beiden Arten von Besatzungslasten sei voneinander abhängig. Man könne mit ruhigem Gewissen auf Grund deutscher Erfahrungen die These vertreten, daß jede deutsche Mark, die infolge entsprechender alliierter Maßnahmen eingespart würde und den deutschen Steuerzahler entlaste, gleichzeitig auch zu einer Entlastung des amerikanischen, britischen und französischen Steuerzahlers um mindestens einen Dollar führe, und zwar im Hinblick auf den übermäßigen Aufwand der alliierten Seite. Weiter wurde die Meinung vertreten, wenn die Staatsbürger und Parlamente der alliierten Regierungen über diese Tatsachen und Zusammenhänge ausreichend informiert würden, sei anzunehmen, daß die ständigen Beanstandungen der Bundesregierung, die darauf abzielten, eine Senkung der internen Besatzungslasten und damit eine wirtschaftliche Verwendung der deutschen Steuergelder zu erzielen, vollen Erfolg haben würden. Zu den Leistungen, die im Zuge der Verstärkung der alliierten Streitkräfte entstanden sind, hat der Regierungsvertreter auf die entsprechenden Haushaltspläne hingewiesen. Der Regierungsvertreter hat den Ausschuß noch über den derzeitigen Stand der Verhandlungen mit den Alliierten über Einsparungsmaßnahmen unterrichtet. Wegen des großen Umfanges der in dieser Hinsicht zu behandelnden Probleme sei zunächst ein Untersuchungsausschuß gebildet worden, dem Spezialsachverständige von beiden Seiten beigegeben worden seien. Für die Überprüfung seien folgende Punkte vorgesehen: erstens Dienstleistungen, zweitens Transportleistungen, drittens Bauleistungen, viertens Energieleistungen, fünftens Nachrichtenleistungen, sechstens Nutzungsleistungen. Auf einzelnen Gebieten seien bereits Erfolge erzielt worden. Zur Schaffung voller Klarheit und zur Herbeiführung weiterer Einsparungsmöglichkeiten seien weitere Verhandlungen im Gange. Zum Schluß hat der Regierungsvertreter noch eingehende Ausführungen über das Memorandum des Bundesministeriums der Finanzen vom 17. August 1951 über die planmäßige Freigabe von requiriertem Grundbesitz gemacht. Sofern die in diesem Memorandum gestellten Forderungen von den Alliierten ({31}) voll anerkannt würden, könne mit erheblichen Minderausgaben gerechnet werden. Auch hierüber wird, wie der Regierungsvertreter den Ausschuß unterrichtet hat, mit den Alliierten auf höchster Ebene noch verhandelt. Nach eingehender Beratung der aufgeworfenen Fragen ist der Ausschuß zu dem Beschluß, gekommen, dem Hohen Hause den in Drucksache Nr. 2999 niedergelegten Antrag zur Beschlußfassung vorzulegen. Der Ausschuß empfiehlt die Annahme. ({32})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich eröffne die Aussprache im Rahmen der beschlossenen Redezeit von 60 Minuten. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Bausch.

Paul Bausch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Berichterstatter hat dem Hohen Hause Kenntnis gegeben von der Denkschrift der Bundesregierung über Einsparungsmöglichkeiten im Besatzungslastenhaushalt, Drucksache Nr. 2824, und von dem Ergebnis der Beratungen des Haushaltsausschusses über diese Denkschrift. Es ist nicht meine Absicht, über den Bericht des Herrn Berichterstatters hinaus auf den allgemeinen und grundsätzlichen Inhalt dieser Denkschrift einzugehen. Ich möchte nur unterstreichen, was der Herr Berichterstatter schon gesagt hat, daß nämlich diese Denkschrift eine Fülle der wertvollsten Anregungen über die Gestaltung der Besatzungslasten enthält. Es ist sehr bedeutsam, daß die Denkschrift gleich zu ihrem Eingang feststellt, daß die Alliierten, wenn auch nicht alle deutschen Forderungen berücksichtigt worden seien, doch anerkennenswerter Weise auf zahlreichen Gebieten des Besatzungslastenrechts den Anregungen der deutschen Regierung Rechnung getragen hätten. Nun wissen wir ja, daß zur Zeit auf internationaler Ebene Verhandlungen darüber geführt werden, daß sich Deutschland einem internationalen Sicherheitssystem anschließt. Wir wissen auch, daß die Regierung auf dem Standpunkt steht, daß nach Verwirklichung dieses großen Planes jedes Land für diejenigen Lasten aufkommen soll, die ihm durch seinen eigenen Anteil an diesem Sicherheitssystem entstehen. Wenn diese Auffassung der Bundesregierung akzeptiert werden und sich auch durchsetzen würde, dann würden wir uns über die Fragen des Besatzungslastenhaushalts künftig nicht mehr zu unterhalten haben. ({0}) In jedem Fall aber enthält diese Denkschrift für die Zeit, in der wir uns noch mit diesen Dingen befassen müssen, sehr wertvolle Anregungen. Es zeigt sich gerade an diesem Beispiel, an dieser Denkschrift, welch gutes Resultat sich ergibt, wenn Bund und Länder ihre Kenntnisse, ihre Erfahrungen und ihr Material zusammentragen, um dem Bundestag und damit dem ganzen Volk Auskünfte über den Stand solcher wichtigen Probleme zu geben. Ich möchte aber nun vor allem einen wichtigen Teil dieser Denkschrift, der mir besonders am Herzen liegt, besprechen. Der Drucksache Nr. 2824 ist eine Anlage 2 beigegeben. In dieser Anlage 2 ist ein Memorandum der Bundesregierung über die planmäßige Freigabe von requirierten Wohn- und gewerblichen Gebäuden abgedruckt. In diesem Memorandum ist besonders die Frage behandelt, was unternommen werden könne, um die Inhaber von Wohngebäuden und gewerblichen Gebäuden, deren Häuser von der Besatzungsmacht beschlagnahmt und weggenommen worden sind, wieder in den Stand zu setzen, ihre Gebäude zu beziehen. Es ist ganz klar, daß die schweren Eingriffe in den Wohnraum, also in das Eigentum, wie sie in den Jahren 1945 und 1946 vorgenommen worden sind, viel, viel Verbitterung in breiten Schichten unseres Volkes verursacht haben. ({1}) Es gibt eine Unzahl von Menschen, die ein schönes Eigenheim besessen haben und dieses Eigenheim und ihr gesamtes Hab und Gut, ihre Möbel usw., in sehr kurzer Zeit und unter sehr bitteren und schwierigen Umständen verlassen mußten, deutsche Bürger, die heute noch in behelfsmäßigen Wohnungen, in Bunkern, in Kellern und in Dachkammern notdürftig untergebracht sind. Es ist ganz klar, daß diese Umstände auch heute noch Ursache der Verbitterung sind. Da wir nun alle ein Interesse daran haben, daß sich das Verhältnis zwischen den deutschen Volksgenossen und den Vertretern der Besatzungsmacht positiv entwickelt, da wir darauf ausgehen, zu gleichberechtigten Partnern der jetzigen Besatzungsmächte zu werden, und da wir mit diesen Vertretern gemeinsam um eine freie und friedliche Welt ringen wollen, so liegt es in unser aller Interesse, diese Zustände so bald wie möglich nach der positiven Seite hin zu verändern. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, daß die Eigentümer der Wohnungen so bald wie möglich wieder in ihre Wohnungen, in ihre Eigenheime einziehen können und daß dort, wo das heute noch nicht der Fall sein kann, wo vielleicht heute ein Haus von dem Eigentümer noch nicht wieder im ganzen bezogen werden kann, doch die Möglichkeit geschaffen wird, daß der Eigentümer sein Heim wenigstens teilweise wieder beziehen kann. Im Hinblick auf diese besonders schwierig zu lösende Aufgabe ist es höchst bedeutsam, daß in der Anlage 2 zu Drucksache Nr. 2824, in diesem Memorandum der Bundesregierung über die planmäßige Freigabe von requirierten Wohn- und gewerblichen Gebäuden, über Vorgänge berichtet wird, die vielleicht einen praktischen Weg zeigen können, diese unerwünschten Zustände zum Guten hin abzuwandeln und die Eigentümer von Wohnheimen wieder in ihre Häuser zu bringen. Es ist in dieser Denkschrift auf einen wichtigen Vorgang in der britischen Besatzungszone hingewiesen. Es wird festgestellt, daß die britische Rheinarmee sich grundsätzlich bereit erklärt hat, in einer Stadt ihres Besatzungsgebietes, in der Stadt Herford, im engsten Einvernehmen mit der Stadtverwaltung und der Notgemeinschaft der Besatzungsgeschädigten besondere Maßnahmen durchzuführen, die darauf hinausgehen, die aus ihren Heimen Vertriebenen wieder in diese hineinzubringen. Es ist weiter besonders bedeutsam, daß sich der Herr Bundesminister der Finanzen nach dem Memorandum grundsätzlich bereit erklärt hat - meine Damen und Herren, hier müssen wir scharf aufpassen; denn es dreht sich um ein nach meiner Auffassung sehr großzügiges Angebot -, alles zu finanzieren, was dazu dient, solche Eigenheime, die jetzt von der Besatzung in Anspruch genommen sind, in der Weise umzubauen, daß die Eigentümer wenigstens einen Teil ihres Hauses wieder beziehen können. Man kann natürlich einwenden: Die Besatzungsmacht soll ganz herausgehen, und ({2}) der Eigentümer soll sein Haus wieder ganz beziehen können. Dem ist aber entgegenzuhalten, daß man damit keine Lösung bekommt, daß man damit keine praktische Hilfe schafft. Selbstverständlich sollen die Häuser, soweit dies irgendwie möglich ist, ganz freigegeben werden. Wo das aber nicht möglich ist, bedeutet es, glaube ich, schon einen Fortschritt, wenn wenigstens eine teilweise Freigabe der Häuser erreicht wird. Ich komme nun zu meinem besonderen Anliegen. Ich bin der Meinung, alle zuständigen Stellen sollten mit aller Entschlossenheit die erforderliche Initiative entfalten, die Lösungen, die sich hier konkret abzeichnen, praktisch zu verwirklichen. Die Bundesregierung - ich meine das Bundesministerium der Finanzen - sollte mit allem Nachdruck auf die Landesregierungen, diese aber wiederum auf die Landräte und Kreisbehörden einwirken. Andererseits sollte die Initiative, die die britische Besatzungsbehörde in dankenswerter Weise ergriffen hat, auch von den amerikanischen und französischen Besatzungsbehörden aufgenommen werden. In enger Zusammenarbeit zwischen den Besatzungsbehörden und den deutschen Behörden und dem Verband der Besatzungsgeschädigten sollte daran gegangen werden, von Kreis zu Kreis, von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf diese überall verbitternd und störend wirkenden Zustände zu beseitigen. Es muß mutig und entschlossen eine Initiative ergriffen werden. In jeder Stadt, in jedem Dorf, in denen von der Besatzungsmacht Gebäude beschlagnahmt worden sind, muß mindestens so viel erreicht werden, daß für jedes Jahr ein Plan aufgestellt wird, in dem vorgesehen ist, daß zum mindesten ein bestimmter Prozentsatz von Besatzungsgeschädigten in ihre Häuser einziehen können. Deine Damen und Herren, ich bin überzeugt, dies ist etwas Erreichbares, etwas Realisierbares, etwas, was den Leuten, die heute vielfach enttäuscht und verbittert abseits stehen, wieder Mut, Hoffnung und Zuversicht gibt. Ich sehe den Vertreter des Herrn Bundesfinanzministers hier. Herr Staatssekretär, der Bundestag erwartet, daß sich der Herr Finanzminister an die Zusage hält, die in dieser wertvollen Denkschrift gegeben ist. ({3})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Ritzel.

Heinrich Georg Ritzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001860, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure zunächst, daß das Hohe Haus Gelegenheit genommen hat, bei diesem wichtigen Punkt der Tagesordnung die Redezeit auf die Hälfte herabzusetzen. Es handelt sich hier um Milliardenbeträge. Da wäre es freilich nützlicher gewesen, wenn sich ein vollbesetztes Haus ({0}) Rechenschaft über die Dinge gegeben hätte, um die es hier geht, und wenn es auch Gelegenheit hätte nehmen können, dieser mutigen, tapferen Denkschrift der Bundesregierung die nötige Beachtung zu schenken; aber offensichtlich fehlt sie in weiten Teilen des Hauses. Ich kann nur hoffen, daß die Besatzungsbehörden keine falschen Schlüsse daraus ziehen. Wir stehen vielleicht bald vor der Ablösung des Besatzungsstatuts. Es könnte die Frage aufgeworfen werden, ob es überhaupt noch nötig und nützlich sei, über die Dinge zu reden. Ich habe den Eindruck, daß wir noch lange an den Problemen kranken werden, wenn nicht ein wirklicher Gesundungsprozeß, der durch eine echte, ehrliche Zusammenarbeit erzielt werden könnte, eingeleitet und durchgesetzt wird. Dieser Gesundungsprozeß kann sich nicht nur auf die Bundesregierung und die Besatzungsbehörden beziehen, sondern er muß sich auch auf die Länder und die Gemeinden beziehen. Wir wissen aus den Darlegungen im Haushaltsausschuß, daß insbesondere auf dem Gebiete der Gemeindemitarbeit einige Bedenken und Nachteile zu verzeichnen sind. Wir von der sozialdemokratischen Fraktion wünschen, daß vor allem drei Gesichtspunkten Rechnung getragen wird, einmal der erwähnten besseren Zusammenarbeit, dann den gegebenen Sparmöglichkeiten und einer besseren Kontrolle, Sparmöglichkeiten auf dem Gebiete der Zivilverwaltung und der Militiärverwaltung der Alliierten und bessere Kontrolle auf allen Gebieten, insbesondere aber bei der Vergebung von Aufträgen. ({1}) Wir haben keinen Zweifel, daß bei Teilen der Alliierten der gute Wille vorhanden ist. Es liegen auch gewisse Beweise dafür vor. Wir haben aber ebensowenig Zweifel daran, daß sich - vielleicht auf Grund der Verantwortung einzelner, die ihre Kompetenzen überschritten haben mögen - Dinge ereignet haben, die ins gute Tuch gehen und die wir vom Standpunkt der deutschen Volkswirtschaft und des deutschen Elends nicht ohne Kritik passieren lassen dürften. Der amerikanische Hohe Kommissar hat seine Bereitwilligkeit erklärt, in gewissen Fragen - wie es heißt - einer Zusammenarbeit mit deutschen Stellen zuzustimmen. Der Herr englische Kommissar bzw. die Regierung Großbritanniens haben erklärt, daß sie einen Sparkommissar eingesetzt haben. Und die französische Regierung hat - ich zitiere aus dem Bericht - eine Rechnungsprüfungskommission und neuerdings eine rein französische Sondersparkommission eingesetzt. Nun, gebrannte Kinder scheuen das Feuer! Wir haben auf diesem Gebiet reichlich Lehrgeld gezahlt. und wir möchten so klar. wie nur möglich den Wunsch zum Ausdruck bringen, daß eine ehrliche Zusammenarbeit zwischen den Beauftragten der Alliierten und den Beauftragten der Bundesregierung zustande kommt, nicht nur in gewissen Fällen, sondern ganz generell. Wir haben dafür zwei Hauptgründe. Der eine ist materiell. der andere politisch. Der materielle Grund besteht in der Feststellung, die einmal etwa vor Jahresfrist mein Fraktionskollege Herr Professor Dr. Baade zum Ausdruck gebracht hat, als er erklärte, daß nach den gewissenhaften Feststellungen statistischer Stellen ein Viertel des Gesamtaufwands Verteidigungszwecken und drei Viertel anderen Zwecken dienten. Ich glaube, eine derartige Feststellung, die auch untermauert werden kann, sollte eigentlich zum Auf-. sehen mahnen und Veranlassung dafür sein, daß hinsichtlich des Zustandekommens der Besatzungskosten, die das deutsche Volk zu tragen hat, an Haupt und Gliedern eine gründliche Revision erfolgt. ({2}) ({3}) Der politische Grund, den wir haben, besteht in einer sehr einfachen Feststellung. Übermorgen schreiben wir den 8. Februar. Damit sind sechs Jahre und neun Monate seit dem Waffenstillstand vom 8. Mai 1945 verflossen. Wir glauben, daß es an der Zeit ist, daß man nunmehr, nachdem das deutsche Volk auf anderen Gebieten heftig umworben wird, dem deutschen Volk auch auf diesem Gebiete einer ungerechtfertigten Belastung endlich einmal jene Gerechtigkeit angedeihen läßt, auf die es einen moralischen, einen politischen und einen menschlichen Anspruch erhebt und hat. ({4}) Wir unterscheiden zwischen echten und unechten Besatzungskosten. Wir konstatieren nach dem Etat des Jahres 1951 eine Besatzungslast von 7 Milliarden 658 Millionen DM. Wenn Sie sich einmal vergegenwärtigen wollen - ich bitte den Herrn Präsidenten um die Erlaubnis, einige Zahlen zu zitieren -, was das bedeutet, dann darf ich in Erinnerung rufen: das Bulletin der Bundesregierung hat diese dankenswerte Zusammenstellung in Nr. 50 gebracht - ich empfehle sie Ihrem an-gelegentlichen Studium -, aus der sich ergibt, daß von der gesamten Ausgabe des Bundeshaushalts 1951 die eben erwähnten 7,6 Milliarden 40,2 % darstellen. ({5}) Sie werden das Größenverhältnis erst recht erkennen kennen, wenn Sie berücksichtigen, daß beispieisweise im gleichen Haushalt die Finanzhilfe für Berlin mit 2,1 % berechnet wird und erscheint, und wenn Sie den Riesenumfang der Soziallasten laut Bundeshaushalt zum Vergleich heranziehen. Ich erinnere an die Tatsache, daß wir - hauptsächlich auf Grund zweier Weltkriege - etwa 15 Millionen Rentenbezieher haben und daß der gesamte Sozialetat des Bundeshaushalts 39,3 % oder 7,4 Milliarden umfaßt. Also die Besatzungskosten sind noch erheblich höher als der gesamte Sozialetat. Ich will wegen der Kürze der Zeit darauf verzichten, Ihnen andere Vergleichszahlen zu bringen. Aber ich glaube, dab diese Starrheit, die unserem Etat allein durch diesen Posten mit über 40 % verliehen wird, Beweis genug dafür ist, daß wir zwingende Veranlassung haben -- auch unter etwa veränderten Verhältnissen der Zukunft -, darauf zu drangen, daß hier eine Revision an Haupt und Gliedern eintritt. Diese Revision hat tausend Möglichkeiten, ob sich das um die Lampen für Unteroffizierswohnungen handelt, in denen nicht eine gewöhnliche Tischlampe für 30 Mark genügt, sondern eine handgefertigte Lampe für 200 bis 250 Mark notwendig ist, oder ob es sich beispielsweise in Köln-Marienburg um Villen für Offiziere handelt, bei denen eine 150 000 bis 200 000 Mark ({6}) und die Wohnungseinrichtung 40 000 Mark kostet, ({7}) ob es sich um einen Mißbrauch von Wohnungen handelt in Fällen, wo - ich zitiere aus dem Haushaltsausschuß - zwei Personen 10 bis 13 Zimmer ({8}) oder drei Personen 15 Zimmer benützen, oder ob es sich um einen Bedienungsmißbrauch handelt, wenn drei Engländer in einer großen Wohnung acht deutsche Bedienstete benötigen, ({9}) oder ob es sich darum handelt, die Zahl in Erinnerung zu rufen, die der Herr Berichterstatter bereits genannt hat, nämlich daß 452 874 Deutsche als Personal für die Besatzungsmacht benötigt werden, oder ob es sich darum handelt, festzustellen, daß ein Teilchen, ein Quentlein dieser mißbräuchlichen Entwicklung nun dadurch abgestellt worden ist, daß die Dienstrnädchenkosten wenigstens zum Teil auf die Hausherren und Haushaltungsvorstände übertragen worden sind. Alles, meine Damen und Herren, kommt letzten Endes darauf hinaus, daß eine scharfe kritische Prüfung Platz greifen muß, auch gegenüber den Bedürfnissen des Herrn Generals, ({10}) der 4,5 cbm getrockneter Wasserflöhe benötigt. ({11}) Ich habe im Haushaltsausschuß gefragt: Für was? - Für Goldfische! Ich habe mich erkundigt, welches Format die Goldfische haben. Etwa das eines Haifisches? - Stimmt nicht, sind normale Gold-. fische, die aber anscheinend mit 4,5 cbm getrockneter Wasserflöhe einen Notvorrat angelegt bekommen! Oder aber eine Lady, die für 202 DM Parfüm braucht! Oder wenn auf Kosten des Besatzungshaushalts Kinderwageneinlagen, Damenschlafanzüge oder zur Sicherheit der Besatzungstruppen Damenreitsättel beschafft werden! Kurzum, es sind eine Fülle von Dingen, die, wie ich wiederholen möchte, zum Aufsehen mahnen. Auch gewisse andere Ausgaben könnten eingespart werden. Bei meinen zwangsläufigen Autofahrten erfreue ich mich durchaus nicht immer des Anblicks der amerikanischen Militärpolizei, die die Landstraßen sicher macht, der Militärpolizei, die bei der Verkehrskontrolle an die Stelle der deutschen Polizei tritt. Ich könnte mir auch denken - erst heute morgen habe ich im Haushaltsausschuß um deswillen reklamiert -, daß die Möglichkeit bestünde, gewisse Ausgaben zu ersparen, die die Herren Hohen Kommissare verursachen und die entstehen bei der Ausübung von Grenzkontrollen, bei der Ausfüllung völlig überflüssiger Grenzkontrollkarten zum Zwecke der Information der Hohen Kommission durch deutsche Zöllner. Hier könnte bestimmt erheblich eingespart werden. Das gleiche gilt für die Einschränkung und Unterlassung der Briefzensur, der Telefonzensur und was dergleichen Schönheiten mehr sind. In dem Bulletin Nr. 62 sind eine ganze Reihe von Fällen erwähnt, in denen die Kostenvoranschläge weit überschritten worden sind. Ich empfehle dieses Bulletin Ihrer Aufmerksamkeit. Ich will es hier nicht verlesen, aber ich will Sie mit der neuesten Entwicklung in der französischen Zone bekanntmachen. Dort werden Bauten mit einer Bauzeit von drei Monaten durchgehetzt mit Zuschlägen bis zu 100 %, ({12}) mit Vertragsstrafen, die die Unternehmer bereits so weit gebracht haben, daß sie diese Vertragsstrafen zur Sicherheit schon in die Kalkulation miteinbeziehen. ({13}) Ich möchte auch, ähnlich wie Herr Bausch, nur auf Grund einiger Tatsachen auf die Beanspruchung der Wohnungen hinweisen. Vor mir liegen Briefe: Wie lange soll die Beschlagnahme dieses Hauses und die Rechtlosigkeit der Geschädigten noch dauern? Denkt man erst an eine Übergabe nach völliger Ruinierung, auf daß wir dereinst ({14}) unser mit großer Mühe, viel Fleiß und größter finanzieller Belastung erstelltes Einfamilienhäuschen erst als Wrack zurückerhalten? Oder andere Dinge, die mir noch heute hier in die Hand gedrückt worden sind als Beweis für die Situation: In Gießen-Wieseck, einem kleinen Vorort der Universitätsstadt Gießen, sind in den letzten Tagen bzw. Nächten in vier Einfamilienhäusern die Wasserrohre gebrochen und die Häuser überschwemmt worden. Diese Einfamilienhäuser, beschlagnahmt von den Alliierten, stehen seit Jahr und Tag leer! ({15}) Meine Damen und Herren, ich glaube, man läßt sich von einem großen Irrtum leiten. Man glaubt: die Deutschen können zahlen, wir brauchen sie nur zu belasten! Die Dinge liegen anders. Ich habe mir die Mühe gemacht, einmal nachzuprüfen - ich bedaure sehr, daß die Zeit nicht reicht, um das auch vor aller Öffentlichkeit im einzelnen darzulegen -, wie es sich mit der Steigerung und der Entwicklung des Sozialprodukts in einigen Ländern verhält. Wenn wir das Jahr 1937 als Grundlage nehmen und den Maßstab 100 anlegen und daran feststellen, was an Sozialprodukt pro Kopf erzielt wird, dann finden wir in Deutschland 94 % des Ergebnisses von 1937, in Großbritannien 118,7 %, in Dänemark 155,1 %, in Frankreich 120,6 % und in den USA 157,3 %. Aber auch auf andere Weise, auch an Hand der steuerlichen Entwicklung, an Hand vor allem aber dessen, was pro Kopf der Bevölkerung an Lebensmöglichkeiten zur Verfügung steht, läßt sich beweisen, daß diese Art der Belastung ein bitteres Unrecht am deutschen Volke ist. ({16}) In Deutschland verbleibt pro Kopf der Bevölkerung zum Leben ein Satz von 91,8 % - wiederum bezogen auf 1937 -, in Großbritannien von 101 %, in Frankreich von 111,9 % und in den USA von 143,3 %. ({17}) Meine Damen und Herren, nach meiner Uhr habe ich noch 4 Minuten Zeit. Ich mache aber Schluß, weil ich einem Fraktionsfreund noch die Möglichkeit zu einer besonderen Feststellung geben will. Unsere Herren Minister sind jetzt aus Paris zurückgekehrt. Sie wurden dort von den drei Weisen, nicht von den drei Weisen aus dem Morgenland, sondern von den drei Weisen aus dem Abendland, empfangen. ({18}) Wir sind begierig, zu hören, was demnächst auf diesem Gebiet vorzutragen sein wird. Ich hoffe sehr, daß auch durch diese Verhandlungen und durch die erstrebte Revision eine Wendung zum Guten eintritt, die in bezug auf das Verhältnis zwischen den Besatzungstruppen, den Hohen Alliierten und dem deutschen Volk als eine dringende Notwendigkeit bezeichnet werden muß. ({19})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Etzel.

Dr. Hermann Etzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000498, Fraktion: Föderalistische Union (FU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will weder von Velourteppichen noch von gepreßten und getrockneten Wasserflöhen sprechen, sondern mich angesichts der erfolgten Halbierung der Redezeit auf einige zusammenfassende Urteile beschränken, welche die dankenswerte Denkschrift des Herrn Bundesfinanzministers und sein ebenso dankenswertes Memorandum in ihren Schlußbemerkungen gefällt haben. In der Denkschrift ist gesagt, es habe sich gezeigt, daß sehr viele Ausgaben unnötig sind, während andere vom Standpunkt des Völkerrechts grundsätzlichen Bedenken begegnen, und daß die unter Opfern und Entbehrungen aufgebrachten Steuermittel nicht so rationell und sparsam verwendet würden, wie es angebracht und möglich wäre. Das Memorandum stellt fest, daß der Zeitpunkt gekommen sei, in dem aus politischen und sozialen Gründen grundsätzliche Planungen zur Beseitigung der Not der Altbesatzungsverdrängten beschleunigt durchgeführt werden müssen. Der Presse gegenüber hat sich der Herr Bundesfinanzminister dagegen gewandt, daß die notwendigen Einsparungen zu Lasten der von Requisitionen oder Besatzungsschäden betroffenen Personen vorgenommen werden. Was aber ist aus dieser Erwartung des Herrn Bundesfinanzministers und seinem Anruf an die Besatzungsmächte geworden? Dem vom Bundestag einstimmig gefaßten Beschluß, in dem die Bundesregierung ersucht worden ist, bei der Oberkommission dahin zu wirken, daß die Umrechnung der Entschädigung von Besatzungsschäden aus der Zeit vor der Währungsreform im Verhältnis 10 : 1 alsbald aufgehoben und durch eine Regelung ersetzt wird, welche den allgemein gültigen rechtsstaatlichen Grundsätzen des Privateigentums und der Gleichheit aller vor dem Gesetz sowie den Grundsätzen und Grundgedanken des alliierten Währungsumstellungsgesetzes von 1948 entspricht, also durch eine Umstellung von 1 : 1 - diesem Beschluß des Bundestages ist von der Oberkommission nicht entsprochen worden. Sie begründet ihre Ablehnung in der Hauptsache mit zwei Argumenten, die in keiner Weise stichhaltig sind. Sie sagt erstens, die Umstellung der Besatzungsschäden im Verhältnis 10 : 1 sei mit den Grundsätzen und grundlegenden Ideen der Gesetze über die Währungsumstellung durchaus vereinbar, und zweitens, es wären andernfalls schwerwiegende Rückwirkungen zu erwarten, welche die finanziellen Schwierigkeiten der Bundesrepublik verschlimmern würden. ({0}) Meine Damen und Herren, ich muß meinem Erstaunen darüber Ausdruck geben, daß hier Argumente vorgebracht worden sind, die prima vista, auf den ersten Anhieb als nicht begründet anzusehen sind. Es ist erstens nicht richtig, daß die Umstellung von 10 : 1 den Bestimmungen und den Grundgedanken des Dritten Währungsgesetzes entspricht; denn es handelt sich hier nicht um Geldsummenforderungen, auf die allein sich das Dritte Währungsgesetz bezieht, sondern um echte Restitutionen, nämlich Schadensersatzforderungen. ({1}) Zweitens ist es höchst erstaunlich, ja erregend, daß die Oberkommission erklärt, es würden sich, wenn dem Antrag des Bundestages stattgegeben würde, außerordentlich ungünstige Rückwirkungen für die finanzielle Belastung der Bundesrepublik ergeben. Meine Damen und Herren, wir waren der Meinung, daß die Erleichterungen - die notwendigen Erleichterungen! - für die Bundesrepublik durch die ebenso notwendigen Einsparungen in der bislang so aufwendigen Praxis der Besatzungsmächte erzielt werden müssen, daß aber nicht eine sozial ({2}) schwache Gruppe allein in Anspruch genommen und ihr nicht eine Last aufgeladen werden kann, die sie für die Gesamtheit zu leisten hat. ({3}) Es ist unerträglich, daß immer wieder versucht wird, die ganzen Kriegsfolgelasten oder einen Teil davon auf einzelne Bevölkerungsgruppen abzuladen, ({4}) und es ist untragbar, wenn die Besatzungsmacht so verfährt, anstatt zu erklären: „Gut, wir sind mit einer solchen erhöhten Umstellung, die in der Natur des Rechts, um das es hier geht, liegt, einverstanden und werden uns unsererseits bemühen, durch entsprechende Einsparungen eine solche Umstellung von 1 : 1 zu ermöglichen." Das wäre verständlich, das wäre psychologisch auch für die Besatzungsmacht höchst wertvoll gewesen. Eines darf ich noch sagen: wir wünschen und hoffen, daß von keiner Seite der Versuch unternommen wird, die in dem Gesetz Nr. 47 der Oberkommission enthaltene Regelung in irgendwelche Zusatzverträge hineinzuschmuggeln. Wir sind der Auffassung, daß jeder derartige Versuch von der deutschen Politik mit den entschiedensten Mitteln zurückgewiesen werden müßte. Wenn weiterhin in der Denkschrift gesagt wird, ({5}) daß ein Teil der Besatzungslasten völkerrechtlichen Bedenken begegne, so ist damit der entscheidende Punkt berührt. In der Tat ist es so, - ({6})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ihre Redezeit ist abgelaufen!

Dr. Hermann Etzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000498, Fraktion: Föderalistische Union (FU)

Bedauerlich; es ist gerade der wichtigste Punkt, um den es noch geht. in das Grundgesetz mußte die Bestimmung des Art. 25 aufgenommen werden, daß die allgemeinen Regein des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind, daß sie den Gesetzen vorgehen und Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes erzeugen. Zu diesem allgemeinen Völkerrecht gehört auch die Haager Landkriegsordnung. Sie schafft - was die Besatzungsmächte nicht anerkennen wollen - für die Besetzung Deutschlands unmittelbar geltendes Recht, sie hat den Charakter allgemein verbindlichen Völkerrechts und stellt gegenüber dem Besatzungsrecht eine höherrangige Rechtsnorm dar. Aber ({0}) nun kommt das Entscheidende. ({1}) Es ist uns nicht erlaubt, - ({2})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ich bitte, zum Schluß zu kommen.

Dr. Hermann Etzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000498, Fraktion: Föderalistische Union (FU)

- aus dieser Tatsache die Konsequenz zu ziehen, und zwar deswegen, weil nach dem alliierten Gesetz Nr. 13 kein deutsches Gericht eine Entscheidung treffen darf, weiche die Gültigkeit oder Rechtmäßigkeit eines Gesetzes, einer Verordnung, Richtlinie, Entscheidung oder Anordnung verneint, die durch eine Besatzungsbehörde veröffentlicht worden ist. Daher kann es auch aus der etwaigen Feststellung, daß eine Besatzungsnorm gegen höherrangiges Völkerrecht verstößt, für seine Urteilsfindung keine Folgerungen ziehen. Mit anderen Worten: ({0}) wir sind nicht in der Lage, den Besatzungsmächten vorzuhalten, daß ihre Zumutungen und Anforderungen völkerrechtlich nicht zu halten sind. Wir sind überzeugt, daß die Besatzungsmächte auch in Zukunft keine Vernunft walten lassen, sondern daß sie bei ihrer Prüfung in dieser geschichtlichen Stunde vor aller Welt, vor aller Augen und Ohren durchfallen werden, weil sie in den Hauptfächern Politik und Psychologie nur höchst ungenügende Leistungen vollbracht haben. ({1})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Ewers.

Hans Ewers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000505, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bedaure mit Herrn Ritzel die schlechte Besetzung des Hauses. Ich bin der Ansicht, daß man, wenn auch nur kurz, so doch sehr deutlich zu der Sachlage Stellung nehmen muß und daß Herr Ritzel und die anderen Vorredner Wesentliches gesagt haben. Ich möchte nur einige kurze maßgebliche Gesichtspunkte hinzufügen. Wir hoffen alle, daß die Zeit des Besatzungsrechts vorbei ist und daß in der Zukunft infolge der Ablösung des Besatzungsrechts durch vertragliche Bindungen Angelegenheiten wie die vorliegende uns nicht mehr zu beschäftigen brauchen. Aber selbst wenn diese Hoffnung berechtigt sein sollte, geht es nicht an, über den Inhalt dieser Memoranden und Denkschriften zur Tagesordnung überzugehen. Wir als Deutsche müssen hier einmal folgendes feststellen: Diese Materialien werden in die Geschichte eingehen und werden nach 50 oder 100 Jahren von der Geschichtswissenschaft beurteilt werden. Unsere Enkel und Urenkel werden dann schon, was die Wissenschaft dazu sagt. Sie werden sehen, daß dieses hier Besatzungsmächte waren, die uns angeblich die Menschlichkeit bringen wollten und die in dieser Weise verfahren sind. Ich empfehle jedem Abgeordneten, diese Denkschriften sorgfältig aufzubewahren. Sie sind wichtigstes und entscheidendes Material. Ich komme nun zu einer mich besonders als Juristen interessierenden Angelegenheit. Neben der weiträumigen Gleichgültigkeit, mit der man bei der Installierung seines Wohllebens in Deutschland offenbar deutsche Interessen angesehen hat, fällt mir auf, daß Einzelnes doch überhaupt nur Sinn und Verstand hat, wenn ich annehme, daß es zugunsten von kollaborierenden Deutschen geschehen ist. Wie soll ich es verstehen, daß nach dem Bericht für Sachleistungen teilweise Firmen ausgesucht werden, denen jegliche Eignung fehlt, daß man für 60 000 DM Röntgenfilme in einem kleinen Ladengeschäft kauft, das nie im Leben Großhandel betrieben hat, daß man Chemikalien bei einer Baufirma kauft und damit den Preis pro Gallone von 7 auf 10 DM in die Höhe schnellen läßt? Wie soll ich es verstehen, daß man Makler und sonstige Vermittler heranzieht, die gar keine Handelsfunktion dabei entfalten, sondern nur Provision einstreichen, oder daß man durch Generalunternehmer die Beziegelung eines Daches vornehmen läßt, die dem Unterunternehmer 60 DM und dem Hauptunternehmer 460 DM einbringt? Ich sage ganz offen: was die Mitarbeit oder das Mit({0}) verdienen deutscher Stellen anlangt, so schreien diese Dinge nach dem Staatsanwalt. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß hier nicht nur finanzpolitische Gesichtspunkte, nicht nur verschwenderische Siegerlüste eine Rolle spielen. Was die Mitarbeit und das Mitverdienen von Deutschen anlangt, so handelt es sich vielmehr um Dinge, die einmal einem Generalstaatsanwalt übertragen werden müßten, der nachprüfen müßte, ob das alles mit rechten Dingen zugegangen ist. ({1}) Ich sage auch ganz offen: es befremdet mich aufs äußerste, daß bei Lagerhortungen d.e Firmen für die Besatzungsmacht gewisse Güter, die heute Mangelware sind, für den Seeverkehr verpackt absenden, worauf sie dann z. B. in Hamburg-Glinde oder in anderen in Küstennähe liegenden Lägern untergebracht werden, um bei Gelegenheit ohne deutsche Zollmöglchkeiten auf dem Weltmarkt zu verschwinden. Das alles sieht - gestatten Sie mir das gute deutsche Wort - verdammt nach Schiebung aus. Ich meine, man müßte da hineinleuchten. Denn das ist nicht bloß etwas, was dem einzelnen Besatzungsangehörigen ein bequemes und unabhängiges Leben gestattet - von dem, was mein Kollege Ritzel über die Psychologie gesagt hat, unterschreibe ich jedes Wort; das ist schon peinlich genug -, sondern es besteht der Verdacht, daß hier tatsächlich strafbare Handlungen begangen worden sind. Das kann man nicht auf sich beruhen lassen. Ich möchte den Herrn Finanzminister bitten, auch den Herrn Justizminister zu Rate zu ziehen, und ihm d'e einzelnen Vorgänge vorzulegen, damit dieser prüft, ob hier etwas Strafbares in Betracht kommt. Ein Weiteres ist folgendes. Wenn wir zu einer gemeinsamen Abrechnung für einen Verteidigungsbeitrag kommen, wollen wir hoffen und wünschen, daß die normalen Kontrollorgane der anderen Vertragsmächte zum Zuge kommen und eine solche vor keinem Parlament, vor keiner Regierung zu verantwortende Mißwirtschaft nicht fortdauert. ({2})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Funcke.

Oscar Funcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000621, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Freunde haben im Mai vorigen Jahres angeregt, von dem Besatzungshaushalt nicht nur wie üblich Kenntnis zu nehmen, sondern gleichzeitig eine Denkschrift zu fordern, um über die tatsächlichen Ausgaben des Besatzungshaushalts zu einer größeren Klarheit zu kommen. Andere Fraktionen haben sich dem angeschlossen, und wir haben heute diese Denkschrift vorlegen. Sie ist nach ihrer Aufstellung nur lückenhaft; denn es ist dem Herrn Bundesminister der Finanzen nicht gelungen, in der Breite die Mitteilungen aus den verschiedenen Ländern zu erhalten, um diese Denkschrift noch stärker zu fundieren. Trotzdem ist sie noch dazu geeignet, durch die Wucht ihrer Argumente im In- und Ausland stärksten Eindruck zu machen, selbst wenn man zugeben muß, daß in einem solch großen Apparat wie einer Besatzungstruppe von oberen und unteren Stellen gelegentlich Torheiten gemacht werden oder aber wenn man sich auf den Standpunkt stellt, daß einzelne hervorragende und auch in der Debatte eine entscheidende Rolle spielende Punkte nicht symptomatisch für die gesamte Besatzungsarmee sind. ({0}) Die Denkschrift als solche beschäftigt uns heute. Wir haben aber in dem Antrag des Haushaltsausschusses unter 2 a vorgesehen, die Denkschrift der Alliierten Hohen Kommission und den Hohen Kommissaren zur Kenntnis zu bringen. Wir haben weiter unter 2 d vorgesehen, daß über das Ergebnis der Einsparungsmaßnah men dem Bundestag spätestens in zwei Monaten Mitteilung zu machen ist. Meine Fraktion möchte daher in diesem Augenblick auf eine Diskussion der Einzelheiten verzichten. In vielen Punkten würde es ja nichts anderes sein als eine Wiederholung dessen, was die Herren Vorredner schon mit mehr oder weniger Temperament vorgebracht haben. Wir erwarten, daß der Herr Bundesminister der Finanzen uns innerhalb der genannten Frist diesen Bericht gibt und wir dann Gelegenheit haben werden, auch zu den Einzelheiten Stellung zu nehmen. ({1})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kohl.

Rudolf Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001166, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es kommt wen'ger darauf an, wie Herr Kollege Ewers gewünscht hat, daß die Denkschrift einmal in die Geschichte eingehen soll, sondern es kommt vielmehr darauf an, zu erkennen, was das Volk zu dem in Westdeutschland herrschenden Besatzungsluxus zu sagen hat. Wir sind der Auffassung, daß sich die Denkschrift, die ja durch einen Antrag der CDU/CSU veranlaßt worden ist, in ihrem sachlichen und politischen Inhalt eigentlich gegen die Bundesregierung selbst richtet und erst in zweiter Linie gegen die Besatzungsmächte, weil die Hohe Kommission bereits am 16. März 1951 der Bundesregierung mitteilte, die Besatzungskosten würden weiterhin um 1 132 000 000 DM heraufgeschraubt werden, und dieses Heraufschrauben der Besatzungskosten entspricht letzten Endes dem Wunsch der Bundesregierung nach Sicherheit. Man soll den damals mitgegebenen Begleitbrief der Hohen Kommission dem deutschen Volk immer wieder ins Gedächtnis zurückrufen, weil damit praktisch die Verantwortlichkeit der Bundesregierung und der Mehrheit dieses Hauses herausgestellt wird, die doch weit mehr Besatzungstruppen in Westdeutschland stationieren will, als gegenwärtig vorhanden sind. Man sollte aber, glaube ich, noch eine andere Frage stellen: Wer hat die „drei Weisen" der Bundesregierung beauftragt, mit den „drei Weisen" der alliierten Mächte darüber zu verhandeln und zu erklären, Westdeutschland sei bereit, 10,5 Milliarden DM Besatzungskosten oder „Sicherheitsbeiträge" zu bezahlen? Wer hat sie beauftragt? Weder der Bundestag noch das Volk! Ich glaube, wenn die Denkschrift einen geschichtlichen Wert haben soll, wäre es sachlich richtig, wenn diese Dinge in der Denkschrift ebenfalls erwähnt würden. Ein kurzes Wort zu einer Eingabe - Herr Kollege Bausch war so liebenswürdig, die Frage zu stellen- der Ortsgruppe Kempten der Besatzungsgeschädigten. Gemäß der im Bundestag wiederholt in Gang gesetzten Parole: „Sie sollen es gut bei uns haben!" zeigt sich dort folgende Tatsache, die auch nicht in der Denkschrift vorhanden ist. Von '71 dort beschlagnahmten Häusern stehen über 50 seit mehr als sieben Monaten leer. Die beschlagnahmten Mehrfamilienhäuser sind praktisch unterbelegt, aber der westdeutsche Steuerzahler darf dafür selbstverständlich seine Steuern zahlen; er darf die Miete zahlen. ({0}) Ich möchte noch auf ein anderes hinweisen. Am 31. Oktober 1951 hat in Heidelberg eine Demonstration von 1500 Besatzungsverdrängten stattgefunden. Sie haben prächt ge Parolen mitgeführt, die die Meinung der Bevölkerung zum Ausdruck brachten, beispielsweise: „Gebt unseren Kindern ihr Vaterhaus wieder!" - „Gebt uns Menschenrechte, nicht Gesetze der Prärie!" In einer kleinen Abwandlung des bekannten englischen Sprichworts sagten sie: „Mein Heim ist eure Burg!" usw. Das ist der Wille und die Meinung der Bevölkerung draußen, die allerdings in der Denkschrift nicht zum Ausdruck kommen. Gestatten Sie mir dann noch ein Wort zu einer Eingabe, die in den letzten Tagen allen Fraktionen des Bundestages, glaube ich, zugegangen ist - man soll die Dinge hier aussprechen -, der Requisitionsgeschädigten von Traben-Trarbach. In einem Ort, der 5- bis 6 000 Einwohner hat, sind 100 französische Familien mit Urahne, Großmutter, Mutter und sehr viel Kindern einquartiert worden. Hundert Wohnungen wurden beschlagnahmt. Die Besatzungsverdrängten leben in Kellern und Speichern. Die dort einquartierte Truppe ist noch nicht einmal eine militärische, sondern zählt zur französischen Mobilgarde, die also bei Streiks und Unruhen in Frankreich selbst eingesetzt wird. Noch eine kurze Notiz aus einer westdeutschen Industriezeitung. Dort kommt zum Ausdruck, daß allein im ersten Quartal 1951 die amerikanische Besatzungsmacht der westdeutschen Textilindustrie einen Auftrag von 300 000 qm Sackleinwand, 58 000 m Inlett, 28 000 Hosen und 21 000 Teppichen übermittelt hat. Nun, es ist wirklich ein trauriger Witz, daß auf 4 Hosen 3 Teppiche entfallen. Alles selbstverständlich für unsere „Sicherheit" und damit die Besatzungstruppen es gut haben sollen bei uns! Wir sind der Auffassung, daß es viel besser wäre, diese Denkschrift in einer Millionenauflage der gesamten westdeutschen Bevölkerung zuzustellen, als mit ihr in sehr untertäniger Form an die Hohen Kommissare zu appellieren; dann wäre sie auch in der pol tischen Wirkung mehr wert als die Millionen Traktätchen von Jakob Kaiser. ({1})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat Herr Abgeordneter Hoecker.

Heinrich Höcker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000915, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Bausch hat in seinen Ausführungen die Stadt Herford genannt und hat daran Bemerkungen geknüpft, die ich einmal in aller Öffentlichkeit noch näher erklären möchte. Ich habe das Vergnügen - wenn ich das so nennen darf -, Oberbürgermeister dieser Stadt zu sein. Im Jahre 1945 wurden mit einem Schlage innerhalb von 24 Stunden 6 000 Menschen auf die Straße gesetzt; und ich habe leider das zweifelhafte Vergnügen, mich seit Beendigung des Krieges bis zum heutigen Tag mit diesem fruchtbaren Besatzungsproblem zu beschäftigen. Alle Bemühungen, eine Erleichterung herbeizuführen, schienen ergebnislos, bis ich im Herbst des Jahres 1950 eine Unterredung mit dem englischen Hohen Kommissar über diese Frage hatte und ihm den Plan nahelegte, einmal zu überdenken, ob es nicht möglich sei, daß Deutsche und Engländer gemeinsam in einem Hause wohnen könnten. Die Pläne, die wir vorgelegt haben, sahen vor, daß in den Zweifamilienhäusern die englischen Offiziersfamilien oder sonstige Personen mit ihren Familien wohnen könnten und daß der Hauseigentümer das Haus wieder in Besitz und in Pflege nehmen könne. Der englische Hohe Kommissar sagte, daß er diesem Plan wohlwollend gegenüberstehe und ihn den zuständigen Stellen zur Begutachtung und eventuell zur Durchführung zuleiten möchte. Bis der Plan also überhaupt einmal in seinem Anfangsstadium verwirklicht werden konnte, hat es weit über ein Jahr gedauert. ({0}) Wir stellen heute zu unserer großen Enttäuschung fest, daß an eine vollständige Verwirklichung dieses Planes nicht gedacht werden kann, weil dem eine Verfügung des englischen Kriegsministeriums aus dem Jahre 1938 entgegensteht, in der den Offizieren ein bestimmter Wohnraum garantiert wird, wenn sie sich außerhalb ihres Landes befinden. ({1}) - Ein koloniales System, das heute in bezug auf diese Frage auf Deutschland übertragen wird. ({2}) In dieser Verfügung steht z. B., daß ein englischer Major mit Frau und einem Kind einen Wohnraum von acht Zimmern mit dem dazu nötigen Komfort benutzen und beanspruchen darf. ({3}) Alle Vorstellungen, die wir in dieser Beziehung gemacht haben, haben bisher nicht dazu geführt, daß das englische Kriegsministerium diese Verfügung einer Revision unterzogen hat. Der Herforder Plan scheitert aber - ich bin offen genug, anzuerkennen, daß es auch wenige Offiziere der höheren Dienststellen gibt, die sich bemühen, diesen Plan in bezug auf das Zusammenwohnen zur Durchführung zu bringen - an dem Widerstand der unteren Stellen insbesondere. ({4}) Zwar haben wir in einer Reihe von Fällen erreicht, daß Deutsche mit Engländern zusammenwohnen - mit sehr guten Ergebnissen -, aber diese Fälle sind in bezug auf die große Zahl der beschlagnahmten Häuser so gering, daß nicht davon gesprochen werden kann, daß diese Aktion des guten Willens, wie wir sie genannt haben, auch nur einigermaßen durchgeführt wird. Ich möchte von dieser Stelle aus an die Regierung die Bitte richten, einmal mit der englischen Regierung darüber zu reden, ob es nicht möglich wäre, diesen seit 1938 bestehenden Anspruch in ein anderes Gewand zu kleiden, damit nicht die Berechtigung der Sergeanten und sonstigen Leute so ist, daß sie diesen Wohnraum auf Grund der genannten Verfügung beanspruchen können. ({5}) Das wird eine der ersten Aufgaben sein, die in Angriff zu nehmen sind, wenn überhaupt etwas Ähnliches gemacht werden soll. Meine Damen und Herren, noch heute sind in Deutschland fast 60 000 Wohnungen beschlagnahmt. Dreieinhalb Millionen Menschen leiden noch unter dieser Beschlagnahme, und der Kampf der Notgemeinschaften gilt ja der Freigabe. Die Grundlagen dazu bieten - und das sollten auch die Besatzungsmächte anerkennen - das Grundgesetz in seinen Artikeln 13 und 14, das Besatzungsstatut in dem Art. 2 f, die Charta der Menschenrechte und die Haager Konvention. ({6}) Meine Redezeit ist j a gleich vorbei, ich werde mir aber noch erlauben, nur einen Absatz aus einem Brief zu verlesen, der deutlich die Stimmung widerspiegelt, die im deutschen Volk gegenüber den Besatzungsmächten in dieser Frage herrscht. In einem Brief wird mir mitgeteilt: Tausende von deutschen Häusern und Wohnungen sind heute von Frauen, Kindern, Müttern und Großmüttern fremder Besatzungssoldaten bewohnt. Das letzte Bett, der letzte Stuhl, die letzte Beere im Garten sind sicher, allerdings sicher vor uns, nicht sicher für uns. So sieht die Sicherheit der deutschen Heimat aus! Man redet in salbungsvollen Tönen von der Verteidigung der westlichen Kultur, und im gleichen Augenblick zerstört man deutsche Heime, obwohl das Heim j a die Urzelle jeder menschlichen Kultur überhaupt ist. Deutsche Möbel, Erbstücke, Produkte früherer europäischer Kulturepochen werden weiter verschleppt, zerstört oder in unglaublichem Zustand in Möbelauffanglager - der Volksmund bei uns sagt dazu Möbelfriedhöfe - verschleppt und, wenn sie dorthin verschleppt sind, in total zerschlagenem Zustand ihren Eigentümern wieder zurückgegeben. Wenn die Besatzungsmächte der Auffassung sind, - ({7}) - Das ist jetzt passiert. ({8}) - In Herford. Ich lade Sie ein, einmal dahin zu kommen, dann werden Sie sehen, daß es geradezu grauenhaft ist, in welchem Zustand sich die Möbel, gute deutsche Wertarbeit, auf diesen Möbelfriedhöfen befinden. Wenn die Besatzungsmächte der Auffassung sind, nach diesen Prinzipien die deutsche Gleichberechtigung herbeiführen und mit uns zu einer Verständigung kommen zu wollen, dann sehe ich in bezug auf die Gleichberechtigung und die Verständigung sehr schwarz. ({9})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat der Abgeordnete Graf Spreti.

Karl Spreti (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002206, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bekam gestern einen Brief aus meinem Wahlkreis, der schon zitiert wurde, und zwar von Herrn Kohl. Ich wußte zwar nicht, daß er so schnell bekennen würde, mit dieser Interessengemeinschaft in Korrespondenz zu stehen, ({0}) aber ich finde es etwas eigenartig, einer solchen Interessengemeinschaft, die aus kleinsten Beamten, kleinsten Handwerkern und Arbeitern besteht, die sich unter mühsamster Arbeit ihr kleines Häuschen verdient haben, die Antwort zu geben, daß die Mehrheit des Bundestages gegen die Meinung, die scheinbar von ihm vertreten wird, handelt. Ich glaube, daß gerade mein Wahlkreis, das Allgäu, ein Wahlkreis ist, der vom Fremdenverkehr lebt, sich sehr schwer sein Geld verdienen muß und auf diese Häuser angewiesen ist. Man sollte auch respektieren, daß gerade diese Menschen bis heute in keiner Weise zu chauvinistischen Mitteln gegriffen haben. Wir haben in diesem Bezirk Häuser, die als Wochenendhäuser benutzt werden oder anscheinend für den Wintersport gedacht sind, von denen, wie Herr Kohl sagte - und die Zahlen stimmen ungefähr -, 55 von 71 leer stehen. Wenn in der Denkschrift des Finanzministers vermerkt ist, daß man zu einer gemeinsamen Überprüfung kommen will, dann würde ich darum bitten, auch diese Frage mit den alliierten Stellen genauestens zu besprechen. Ich glaube, auch sagen zu dürfen, daß dieses Land da unten und diese Bauern bestimmt Verständnis für die Berücksichtigung gewisser Wünsche haben; aber sie haben kein Verständnis dafür, daß man hier nicht das Haus oder besser das Dach teilt, zumal man sieht, daß man es, sei es in Osterreich oder in der Schweiz, typisch österreichisch oder schweizerisch nennt, wenn man mit den Bewohnern in einem hause lebt und ihre Gebräuche beobachten kann. Ich möchte darum den Vorschlag machen, daß von seiten des Finanzministeriums gerade auf dieses Alpengebiet, das jetzt im Winter auf die Wintersportgäste angewiesen ist, die praktisch seine Einnahmequellen sind, besonders hingewiesen und versucht wird, mit den alliierten Stellen vielleicht zu einer gütlichen Regelung zu kommen. ({1})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Zur Abstimmung hat Herr Abgeordneter Renner das Wort gewünscht.

Heinz Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001823, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, über den Punkt 2 in dem mündlichen Bericht des zuständigen Ausschusses getrennt abzustimmen, da wir nicht in der Lage sind, den Unterabschnitten a), b) und d) zuzustimmen, wohl aber bereit sind, für c) zu stimmen.

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Getrennte Abstimmung ist gewünscht. Ich glaube, wir brauchen darüber keine lange Aussprache zu führen; wir werden getrennt abstimmen. Ich rufe also zunächst Ziffer 1 des Ausschußantrages auf Drucksache Nr. 2999 zur Abstimmung auf und bitte diejenigen, die der Ziffer 1 zustimmen, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. ({0}) - Bei einer Enthaltung. ({1}) - Also drei Enthaltungen. Wir kommen nun zur Abstimmung über Ziffer 2. Ich rufe abschnittsweise auf. Ich bitte diejenigen, die Abschnitt 2 a zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Gegen einige Stimmen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über 2 b. - Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung und einigen Gegenstimmen angenommen. - Ich bitte diejenigen, die Abschnitt 2 c zustimmen, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung angenommen. Nun Abschnitt 2 d. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung angenommen. - Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung verabschiedet. Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Behandlung von Zuwendungen an betriebliche Pensionskassen ({2}) und Unterstützungskassen bei den Steuern vom Einkommen und Ertrag ({3}); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen ({4}) ({5}). ({6}) Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Pelster. Pelster ({7}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Drucksache Nr. 2546 vom 8. September 1951 ist von der Regierung der Entwurf eines Gesetzes über die Behandlung von Zuwendungen an Pensionskassen und Unterstiitzungskassen bei den Steuern vom Einkommen und Ertrag vorgelegt worden. Diese Vorlage ist in der 165. Sitzung dieses Hohen Hauses dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen zur Bearbeitung und Beratung überwiesen worden. Der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen hat hierfür einen besonderen Unterausschuß eingesetzt, der sich eingehend mit den Bestimmungen der Regierungsvorlage beschäftigt hat. Das Arbeitsergebnis dieses Unterausschusses ist dann im Gesamtausschuß nochmals eingehend beraten und besprochen worden und liegt Ihnen als Drucksache Nr. 3041 nunmehr vor. Das Gesetz war deshalb notwendig, weil die bisherige Regelung der steuerlichen Behandlung von Zuwendungen an Pensions- und Unterstützungskassen noch in Erlassen des Reichsministers für Finanzen festgelegt und geregelt war. Die letzte Regelung, eine Teilregelung, war in der Verordnung über die Behandlung von Zuwendungen an Pensions- und Unterstützungskassen bei Steuern vom Einkommen und Ertrag vom 1. Dezember 1950 erfolgt, die im Bundesgesetzblatt 1950 Seite 749 veröffentlicht worden ist. Diese Regelung war, nur soweit Pensionskassen in Frage kamen, für das zweite Halbjahr 1948 und das Jahr 1949 bestimmt. Damit schloß die Frage der steuerlichen Behandlung von Zuwendungen an Pensionskassen ab. Für Unterstützungskassen war die Regelung zeitlich unbegrenzt. Deshalb mußten diese Dinge neu geregelt werden. Bei der Behandlung dieser Frage waren zwei Haupterfordernisse zu erfüllen und zu beachten. Das war einmal die haushaltsmäßige Frage, und zweitens waren es sozialpolitische Fragen, die hier im Widerstreit standen. Beiden mußte man möglichst weitgehend gerecht werden. Es mußte versucht werden, sie mehr oder minder in Einklang zu bringen. Zweifellos ist es zu begrüßen, wenn seitens wirtschaftlicher Unternehmen durch Pensionskassen - sie kommen j a hauptsächlich für größere Betriebe in Frage - alles getan wird, um das Renteneinkommen arbeitsunfähiger oder alter Arbeitnehmer einigermaßen aufzubessern. Auf der andern Seite müssen wir uns aber darüber klar sein und hat auch der Ausschuß erkannt, daß diese Aufwendungen aus dem Ertrag genommen und damit steuerfrei gestellt werden, daß sie also zu einem steuerlichen Ausfall insbesondere für die Länder führen werden. Diese Dinge sind eingehend nach jeder Seite hin beraten worden. Es ist auch der Gedanke aufgeworfen und besprochen worden, ob es nicht zweckmäßiger sei, diese so aufgewandten Mittel der allgemeinen Rentenversicherung in Form höherer Beiträge zur Verfügung zu stellen und damit eine allgemeine Erhöhung des Renteneinkommens aus der Rentenversicherung, Invaliden- und Angestelltenversicherung herbeizuführen. Der Plan ist nicht weiter verfolgt worden; er lag j a auch diesem Gesetz nicht zugrunde. Wir haben bei der Behandlung zu beachten, daß es sich bei den Pensionskassen um Ansprüche handelt, auf die ein Rechtsanspruch gegeben ist, während bei den Unterstützungskassen eine weitere Unterscheidung dahingehend zu treffen ist, daß wir solche mit laufenden Leistungen haben, ohne daß ein Rechtsanspruch gegeben ist, und solche, die nur von Fall zu Fall Leistungen gewähren. Dementsprechend mußten auch die Zuwendungen an solche Kassen verschieden bewertet werden. Auch die steuerliche Behandlung ist unterschiedlich. Die Pensionskassen sind Versicherungsunternehmungen; sie fallen unter das Gesetz über die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmungen, weil sie einen Rechtsanspruch auf Leistungen gewähren. Es war notwendig, zu beachten, daß diese Pensionskassen j a durch die Währungsreform in ihrem Deckungskapital hart getroffen worden sind und dieses Deckungskapital nun wieder einigermaßen aufgewertet bzw. aufgefüllt werden muß. Nach der Verordnung vom 1. Dezember 1950 waren für die Zeiträume des zweiten Halbjahres 1948 und für 1949 die Zuwendungen an Pensionskassen unbeschränkt als Betriebsausgabe abzugsfähig, erstens wenn sie auf einer in der Satzung oder im Geschäftsplan festgelegten Verpflichtung des Zuwendenden beruhen, zweitens wenn sie auf eine Verfügung der Versicherungsaufsichtsbehörde hin zur Auffüllung des nach versicherungsmäßigen Grundsätzen erforderlichen Deckungskapitals dienen sollen. Ab 1950 ist die Neuregelung notwendig, da die freie Absetzungsmöglichkeit zu untragbaren Steuerausfällen für die Länder führen würde. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Begründung, die in der Denkschrift der Regierung enthalten ist. Die Auffüllung des Deckungskapitals mußte daher dahin geregelt daß werden, daß erstens sowohl die haushaltsmäßigen Belange der Länder als auch zweitens die Interessen der Versicherten, der Mitglieder, der Arbeitnehmer, die den Pensionskassen angehörten, gebührend berücksichtigt wurden. Aber auch die Frage der Fundierung der Unterstützungskassen mußte neu geregelt werden. Im einzelnen ist zu den Bestimmungen des Gesetzentwurfs zu sagen, daß nach der Ihnen vorliegenden Drucksache Nr. 3041 der § 1 zunächst den Begriff der Pensionskassen umreißt und dann den Zweck der Kassen festlegt. Sie haben der Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenversorgung eines oder mehrerer Wirtschaftsunternehmen zu dienen und müssen mindestens 90 % der beschäftigten Arbeitnehmer, ihrer Angehörigen oder der Hinterbliebenen umfassen. Die Abweichung vom Regierungsentwurf liegt darin: Der Regierungsentwurf macht einen Unterschied zwischen Pensionskassen, die körperschaftsteuerpflichtig sind, und solchen, die nicht körperschaftsteuerpflichtig sind. Der Ausschuß hat diese Unterscheidung beseitigt. Die einheitliche Behandlung aller Pensionskassen war notwendig im Hinblick auf die Tatsache, daß alle Pensionskassen Versicherungsunternehmungen sind und damit ohne Rücksicht auf die körper-schaftsteuerpflichtige Behandlung nach den Vorschriften des Versicherungsaufsichtsgesetzes ein Deckungskapital ansammeln müssen. Nach dem Regierungsentwurf soll die Bildung des Deckungskapitals für die Anwartschaften auf Rentenleistun({8}) gen gleichmäßig auf die Zeit bis zu dem versicherungsmathematisch berechneten Eintritt des Versicherungsfalles verteilt werden, d. h. die Zuwendungen dürfen nicht willkürlich in einem Jahre höher und in einem andern Jahre niedriger festgelegt werden, sondern müssen gleichmäßig sein. Dieser Grundsatz der jährlich gleichmäßigen Zuwendungen soll nach dem Entwurf des Finanzausschusses nur bei Bildung des Deckungskapitals angewandt werden: a) für die Wiedererhöhung der durch die Währungsgesetzgebung herabgesetzten Anwartschaften, b) für die Erhöhungen der Leistungen über den satzungsmäßigen Stand eines Stichtages hinaus und c) bei Kassen, die nach dem 31. Dezember 1950 gegründet werden. Nur in diesen Fällen sollen diese Bestimmungen zur Anwendung kommen. Diese Abschwächung des Grundsatzes der gleichmäßigen Bildung des Deckungskapitals war notwendig, weil bei der Regelung, die der Regierungsentwurf vorsah, die bereits vor dem 31. Dezember 1950 gegründeten Kassen ihr bisheriges Beitragssystem in größtem Umfange durch Satzungsänderungen würden umgestalten müssen. Es soll deshalb bei den alten Kassen das bisherige Zuwendungs- und Beitragssystem weiterhin grundsätzlich zulässig bleiben. Nur aus haushaltmäßigen Gründen soll ein Fehlbetrag an Deckungskapital, der durch die Währungsreform entstanden ist oder durch Satzungsänderungen entsteht, gleichmäßig angeglichen werden. Durch die Währungsreform ist das Deckungskapital für laufende Leistungen erheblich zusammengeschrumpft. Werden die Leistungen der Pensionskasse höher umgestellt, als sich nach dem Gesetz über Leistungen aus vor der Währungsreform eingegangenen Renten- und Pensionsverpflichtungen vom 11. Juni 1951 - Bundesgesetzblatt I Seite 379 - ergibt, so ist nach den Vorschriften des Versicherungsaufsichtsgesetzes das Deckungskapital für diese höheren laufenden Leistungen wieder aufzufüllen. Der Entwurf des Finanzausschusses sieht vor, daß die Auffüllung des Deckungskapitals auf einen Zeitraum von fünf Jahren verteilt wird. Gegenüber dem Regierungsentwurf ist weiterhin zugelassen, daß gewisse versicherungstechnische Fehlbeträge, die sich aus einer Veränderung der Sterblichkeit ergeben und damit eine höhere Belastung der Pensionskasse herbeiführen oder die durch eine Erhöhung des gesamten Lohn- und Gehaltsniveaus entstehen, auf dem die Pensionsleistungen nachher basieren, im Wege des Einmalbeitrags innerhalb eines Veranlagungszeitraumes der Pensionskasse zugewendet werden können. § 2 des Entwurfs befaßt sich mit der steuerlichen Behandlung der Zuwendungen an Unterstützungskassen. Diese Unterstützungskassen gewähren keinen Rechtsanspruch auf Rentenleistungen und unterstehen auch nicht der Versicherungsaufsicht. Die soziale Funktion der Unterstützungskassen ist deshalb geringer als die der Pensionskassen. Da die bei den Unterstützungskassen angesammelten Mittel dem Unternehmen, das diese Unterstützungskasse eingerichtet hat, zum guten Teil auch als Betriebsmittel dienen - sie können im Betrieb mit angelegt werden -, werden diese Kassen auch einmal mehr oder minder zu diesem Zweck gegründet. Wir haben in der letzten Zeit sehr häufig gesehen, daß solche Kassen neu gegründet worden sind. Es ist deshalb aus haushaltmäßigen Gründen erforderlich, die Zuwendungen an diese Kassen zu begrenzen. Auf der andern Seite war sich der Ausschuß darüber klar, daß nicht verkannt werden dürfe, daß diese Kassen auch der sozialen Befriedung dienen und teilweise nach Ansammlung eines entsprechenden Deckungskapitals in Pensionskassen umgewandelt werden. Gegenüber dem Regierungsentwurf hat der Finanzausschuß die folgenden wesentlichen Änderungen vorgenommen. Der Regierungsentwurf begrenzt die Höhe der Zuwendung auf einen Prozentsatz der Lohn- und Gehaltssumme, ohne daß es darauf ankommt, ob die Unterstützungskasse bereits laufende Leistungen gewährt. Der Entwurf des Finanzausschusses stellt dagegen zunächst auf die Finanzierung der bereits laufenden Leistungen ab. Wenn in einer Unterstützungskasse bereits laufende Leistungen gegeben werden, soll das nach versicherungsmathematischen Grundsätzen für die Finanzierung der laufenden Leistungen erforderliche Deckungskapital steuerlich begünstigt zugewiesen werden können. Bei bereits am 31. Dezember 1951 laufenden Leistungen kann dieses Dekkungskapital in fünf Jahren angesammelt werden. Bei nach diesem Stichtag beginnenden laufenden Leistungen kann das Deckungskapital für den Renten- oder Unterstützungsfall sofort zugewiesen werden. Durch diese Änderung des Regierungsentwurfs wird erreicht, daß die Höhe der Zuwendung in großem Umfange davon abhängig ist, ob die Kasse bereits soziale Leistungen erbringt. Je höher die bereits gewährten Leistungen sind, desto höher sind die zulässigen Zuwendungen. Neben dieser Zuwendung zur Bildung des Dekkungskapitals für die bereits laufenden Leistungen können für die Bildung eines Kassenvermögens zur Finanzierung der künftigen laufenden Leistungen den quasi Anwartschaftsanwärtern- denn ein Rechtsanspruch besteht bei diesen Unterstützungskassen ja nicht - Zuwendungen in Höhe von jährlich anderthalb Prozent der gesamten Lohn- und Gehaltssumme des Betriebs bis zu insgesamt 30 % der Gesamtlohn- und -Gehaltssumme des Betriebs gemacht werden. Der Prozentsatz für die Finanzierung der künftigen laufenden Leistungen mußte gering gehalten werden, da es bei den Unterstützungskassen im wesentlichen auf die Finanzierung bereits laufender Leistungen ankam, die besonders geregelt waren. Für Unterstützungskassen mit Leistungen von Fall zu Fall konnte die Zuweisung nicht auf 11/2 % der Lohn- und Gehaltssumme festgelegt werden. Daher ist der Ausschuß zu der Überzeugung gekommen. daß hier eine Zuwendung von 1/2 % der Gesamtlohn- und -gehaltssumme ausreichen müßte. Auch ist die Gesamtsumme. die Grenze des anzusammelnden Kapitals, auf 15 % der Gesamtlohn- und -gehaltssumme des Betriebes beschränkt. Ich mache noch besonders darauf aufmerksam: im Ausschuß wurde, auch von seiten der Sachverständigen, gewünscht, ausdrücklich im Bericht zu betonen, daß mit den Worten „Gesamtlohn- und -gehaltssumme des Betriebes" der gesamte Betrag gemeint sei. der überhaupt an Lohn und Gehalt im Betrieb gezahlt werde, und nicht bloß Lohn und Gehalt der Mitglieder, die der Betreuung durch die Kassen unterliegen. Der Ausschuß selbst war der Meinung, daß das nicht notwendig sei, da das im Wortlaut schon klar genug zum Ausdruck komme. Es wurden aber Bedenken geäußert und damit begründet, daß im Lande bei der Feststellung der Steuerfreiheit usw. manchmal ganz eigenartige Praktiken von unteren Behördenangestellten, von Prüfern usw. angewendet worden seien. Ich stelle also ausdrücklich fest: der Ausschuß war ({9}) sich darüber klar, daß die Gesamtlohn- und -gehaltssumme des Betriebes in Frage kommen sollte. Der Regierungsentwurf sah dann vor, daß ein Teil des angesammelten Deckungskapitals außerhalb des Betriebes in anderen Betrieben, in der Wirtschaft überhaupt angelegt werden sollte. Der Ausschuß hat diese Bestimmung fallen gelassen im Hinblick darauf, daß durch das Gesetz über die Investitionshilfe diese Dinge weitgehend geregelt sind, und hat davon Abstand genommen, diese Vorschrift in das Gesetz zu übernehmen. Der § 3 des Entwurfs befaßt sich nur mit den Unterstützungskassen und bezieht sich nicht auf die einzelnen Pensionskassen. Der § 4 des Entwurfs regelt das Inkrafttreten. Die Regelung des § 1 soll bereits für den Veranlagungszeitraum 1950 und für 1951 in Frage kommen. Ich weiß, daß das Hohe Haus die Praxis ablehnt, Gesetze so weit zurückzudatieren. In diesem Falle ist es aber notwendig, und zwar deshalb, weil ein Anschluß an das alte, abgelaufene Recht gefunden werden muß. Die Pensionskassen können mit ihren Zuwendungen nicht für einen bestimmten Zeitraum ins Leere fallen. Es muß also ein Anschluß gefunden werden. Seitens der Finanzbehörden. ist weiterhin den in Frage kommenden Firmen mit Pensionskassen mitgeteilt worden, daß diese Regelung erfolgt. Die Bilanzabschlüsse für diese Zeit sind auch noch nicht getätigt worden. Es handelt sich um ungefähr 300 Firmen im Gesamtgebiet des Rundes. Es können also für diese Zeit noch Zuwendungen gemacht werden. Bisher war das unsicher, weil man nicht wußte, wie sie steuerlich behandelt wurden. Ich habe die Aufgabe, das Hohe Haus zu bitten, den Beschlüssen des Finanzausschusses, die Ihnen in der Drucksache Nr. 3041 vorliegen, zuzustimmen. Die Beschlußfassung im Ausschuß war durchweg einstimmig, bzw. es ist nicht einmal abgestimmt worden, weil wir uns alle in sämtlichen Punkten auf den Wortlaut geeinigt haben, wie er Ihnen in der Drucksache vorliegt. ({10})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe auf § 1. - Das Wort ist nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen. Ich komme zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die § 1 zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; es ist also so beschlossen. Ich rufe weiter auf die §§ 2, - 3, - 4, - 4a, -5, - Einleitung und Überschrift. - Das Wort ist nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Paragraphen, Einleitung und Überschrift zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich rufe auf zur dritten Beratung und eröffne die allgemeine Aussprache. Für die allgemeine Aussprache hat der Altestenrat eine Gesamtredezeit von 60 Minuten vorgesehen. Ich nehme die Zustimmung des Hauses dazu an. Das Wort hat der Abgeordnete Tenhagen.

Wilhelm Tenhagen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002304, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der jetzt zur endgültigen Verabschiedung anstehende Gesetzentwurf hat, wie ja auch der Herr Berichterstatter schon anklingen ließ, neben der steuerlichen auch sehr starke sozialpolitische Bedeutung. Ich bin persönlich der Auffassung, daß das Sozialpolitische in diesem Gesetz überwiegt. Die sozialdemokratische Fraktion wird diesem Gesetz auch in der dritten Lesung zustimmen. Diese Zustimmung erfolgt allerdings nicht freudigen Herzens, und zwar deshalb nicht, weil wir die Form, die hier für die Lösung eines echten sozialen Problems gewählt wird und durch die Begünstigung bei der steuerlichen Behandlung gefördert wird, nicht vorbehaltlos anerkennen können. Gewiß trägt das Gesetz soziale Züge. Es läßt sich auch nicht leugnen - und wir leugnen es auch nicht -, daß aus diesem Gesetz heraus den arbeitenden Menschen gewisse materielle Vorteile erwachsen. Aber unserer Meinung nach werden diese Vorteile doch sehr stark durch die Tatsache überschattet, daß der arbeitende Mensch in die Gefahr gerät, sich eben dieser Vorteile wegen, die das Gesetz ihm gibt, in starkem Maße an den Betrieb zu binden, seine Freizügigkeit mehr oder weniger aufzugeben und vielleicht sogar zum Betriebsegoisten zu werden. Diese Bedenken entspringen insbesondere aus der augenblicklichen Praxis dieser Pensionskassen, die der Herr Berichterstatter im einzelnen genau charakterisiert hat. Die Praxis wirkt sich dahin aus, daß beim Ausscheiden aus dem Betrieb der Pensionsanspruch ja verlorengeht, daß weiterhin die Einrichtung solcher Pensionskassen und auch die Leistungsfähigkeit dieser Pensionskassen und damit die Leistungen überhaupt von der Rentabilität des Betriebs abhängig sind und damit auch dazu führen, daß trotz allem eine erhebliche Unsicherheit für die in diesen Betrieben arbeitenden Menschen auf diesem Gebiet bestehen bleibt. Diese Bedenken werden durch die Tatsache unterstrichen, daß der überwiegende Prozentsatz dieser Kassen aus Kassen ohne Rechtsanspruch und aus Kassen mit Leistungen von Fall zu Fall besteht. Unserer Meinung nach is`, bei diesen Kassen der Arbeitnehmer für diesen Teil seiner Altersversorgung in einem nicht vertretbaren Ausmaß von der Rentabilität seines Betriebes oder gar der Gunst seines Arbeitgebers abhängig. Das positive Moment dieses Gesetzentwurfs sehen wir darin, daß das Schwergewicht der steuerlichen Vergünstigungen bei den Kassen liegt, die den Arbeitnehmern einen Rechtsanspruch gewähren und zugleich als öffentlich-rechtliche Versicherungsanstalten beaufsichtigt werden. Diese Tatsache war letztlich auch bestimmend dafür, daß meine Fraktion diesem Gesetz zustimmt. Aber ein Wort möchte ich in diesem Zusammenhang noch zu der sozialen Haltung der Unternehmer sagen, die gerade bei der hier behandelten Materie so gern herausgestellt wird. Wir verkennen nicht, daß es Unternehmer gibt, die in echter sozialer Verantwortung derartige Einrichtungen, wie sie hier angesprochen sind, schaffen. Aber der Regierungsvertreter hat bei den Beratungen im Ausschuß mehrfach darauf hingewiesen, daß in der letzten Zeit ein starker Drang zu den Pensionskassen ohne Rechtsanspruch oder mit Leistungen von Fall zu Fall bestehe und daß selbst von verhältnismäßig kleinen Betrieben dieser Weg beschritten werde, mit der Tendenz, über die steuerlich begünstigten Zuwendungen an diese ({0}) Kassen, die diese wiederum dem Betrieb als Investitionsmittel zur Verfügung stellen, steuerliche Vorteile zu bekommen. Diese Tatsache hat unseres Erachtens nichts mehr mit sozialer Haltung zu tun. Wir sind vielmehr der Meinung, daß das in höchstem Maße unsozial ist; unsozial deshalb, weil auf diese Art und Weise dem Staat Steuermittel entzogen werden, die ihm wiederum fehlen, um die ihm obliegenden sozialen Aufgaben zu erfüllen. Wir sind der Auffassung, daß die Frage der ausreichenden Altersversorgung für die schaffenden Menschen gelöst werden muß. Wir wissen auch, daß diese Aufgabe nicht vorn Staat allein gelöst werden kann, daß die deutsche Wirtschaft zusätzlich Leistungen dafür erbringen muß. Weil wir aber der Meinung sind, daß die Lösung auf überbetrieblicher Ebene zu suchen ist - einmal, um allen arbeitenden Menschen eine zusätzliche Altersversorgung zu gewährleisten, zum andern, weil wir damit gleichzeitig die Frage lösen, auch den Menschen, die in unrentablen Betrieben beschäftigt sind, eine solche Versorgung zu sichern -, sehen wir in diesem Gesetz nur einen Übergang, und wir werden von uns aus bemüht sein, eine endgültige Lösung dieses Problems so schnell wie möglich herbeizuführen. ({1})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wellhausen.

Dr. Hans Wellhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002468, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man wie ich viele Jahre einer Unterstützungskasse nach § 2 - also ohne Rechtsanspruch - vorgestanden hat und nun vor die Aufgabe gestellt wird, als Vorsitzender eines Ausschusses an der Beratung eines solchen Gesetzes mitzuhelfen, dann tritt einem allerdings die Problematik dieses Gesetzes vor Augen. Ich unterschreibe manches von dem, was Herr Tenhagen über diese Problematik gesagt hat. Ich glaube aber doch nicht, Herr Tenhagen, der Sie ja besonders lebhaft und sehr positiv und erfreulich im Ausschuß mitgewirkt haben, daß Sie nun sagen wollen, Sie förderten unsoziales Verhalten, ({0}) denn dann dürften Sie ja nicht zustimmen. Ich gebe Ihnen aber insofern recht, daß es natürlich Möglichkeiten des unsozialen Verhaltens - wie auf allen Gebieten, so auch auf diesem - gibt. Die Hauptsache ist, daß man sie vermeidet. Der Regierungsentwurf gab wenig Möglichkeiten, schon zu einer befriedigenden Lösung zu kommen. Wir waren insbesondere sehr schnell einmütig der Meinung, daß man keinen Anlagezwang durchführen sollte. Auch sonst haben wir manches verändert und, wie wir natürlich annehmen, verbessert. Ich bin aber nicht der Meinung, daß wir den Stein der Weisen gefunden haben. In dieser Materie ist schon sehr viel herumexperimentiert worden, auch während des „Dritten Reiches". Es ist jetzt das erstemal, daß man sich entschlossen hat, eine gesetzliche Regelung durchzuführen. Hoffentlich haben wir die richtige Mitte gefunden; denn um eine Mitte handelt es sich in der Tat, nämlich um die Mitte zwischen der gelegentlich auftretenden Neigung, Gewinn zu verstecken, wo man kann, und dem doch wohl häufigeren und ausschlaggebenden Bestreben, in sozialer Beziehung zur Altersversorgung etwas zu tun oder bei Krankheit von Fall zu Fall zu helfen. Ich bin nicht der Auffassung. daß die betriebliche Ebene dafür nicht geeignet ist. Es gibt, gottlob, in Deutschland eine Menge Betriebe - ich glaube, sagen zu können, weil ich darüber die meiste Übersicht habe: der meinige gehört dazu -, die hier einen guten Weg gefunden haben, ihren alten Leuten zu helfen. Wenn es zusätzlich zur Invaliden- und Angestelltenversicherung geschieht, um so besser; wenn es die alleinige Versorgung ist, auch gut, um die Fürsorge zu entlasten, denn das ist ja die am wenigsten ansprechende Versorgung, die es überhaupt geben kann. Das Haus möge sich doch vielleicht ein wenig eine Vorstellung davon machen, daß es nicht so leicht ist, in einer solchen Frage eine gesetzliche Regelung zu finden und dabei auf diesem schmalen Grat zu wandeln, den ich eben gekennzeichnet habe. Ich betone noch einmal: es ist uns sicherlich nicht in vollem Umfange gelungen. Wir glauben aber doch, ein Plus geschaffen zu haben. Deswegen, Herr Tenhagen, stimmen wir zu, zwar auch nicht ganz freudigen Herzens, aber vielleicht doch etwas freudigeren Herzens als Sie; nun, darauf kommt es dann schließlich nicht mehr an. Ich spreche - ich habe vergessen, das zu sagen - gleichzeitig für die DP. ({1})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Die Rednerliste ist erschöpft. Wir kommen zur Abstimmung. Ich glaube, nach dem Verlauf der Diskussion kann ich gleich das ganze Gesetz aufrufen. Ich rufe auf die §§ 1 bis 5, Einleitung und Überschrift. - Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich bitte nun diejenigen, die in der Schlußabstimmung dem Gesetz als ganzem zustimmen, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich rufe nun Punkt 6 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Erhebung einer Abgabe „Notopfer Berlin" ({0}); Zweiter Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen ({1}) ({2}). ({3}) Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Dr. Bertram. Dr. Bertram ({4}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beratung dieser Gesetzesvorlage hat einen etwas ungewöhnlichen Verlauf genommen. Sie wurde uns zunächst vorgelegt - das war der Hauptzweck -, um einen höheren Steuerertrag zu erzielen. Der Nebenzweck war, eine gewisse Verbesserung des gesamten Systems der Abgabe „Notopfer Berlin" zu erreichen. In den Beratungen des Ausschusses hat sich herausgestellt, daß aus verschiedenen Gründen, die ich hier nicht im einzelnen ausführen will, keine Neigung bestand, den gesamten Steuerertrag zu erhöhen. Ich kann Ihnen also die insofern erfreuliche Mitteilung machen, daß dieser Gesetzentwurf nun im Unterschied zur ursprünglichen ({5}) Vorlage keine Erhöhung des Steuerertrages mit sich bringt, sondern lediglich eine systematische Durcharbeitung und Verbesserung des bisherigen Rechts. Wir haben in der vorigen Woche den Mündlichen Bericht im wesentlichen fertiggestellt. Einzelne Ergänzungen sind aber erst in der Sitzung des heutigen Vormittags beschlossen worden. Sie finden diese in Umdruck Nr. 438 als Nachtrag zu dem Zweiten Mündlichen Bericht des Ausschusses. Die Begründung zu den Änderungsanträgen, die in Umdruck Nr. 438 gestellt werden, werde ich im Laufe meines Berichtes vortragen. Die Systemänderung des „Notopfer Berlin" liegt in vier Punkten. Zunächst ist die Stufensteuer abgeschafft, die bisher das „Notopfer Berlin" kennzeichnete. Statt dessen ist eine Prozentsteuer, eine Belastung nach dem Vomhundertsatz eingeführt worden. Bisher war es ja so, daß für jede angefangene Stufe der volle Steuerbetrag entrichtet werden mußte. Daraus entstand eine wesentliche Ungerechtigkeit. Diese ist dadurch beseitigt worden, daß nicht mehr für jede angefangene Stufe der volle Steuerbetrag dieser Stufe zu entrichten ist; man hat dafür einen laufenden Prozentsatz eingeführt. Ein weiterer grundsätzlicher Unterschied zur bisherigen Fassung liegt darin, daß statt der zwei Steuerklassen jetzt die gewohnten Steuerklassen des Einkommensteuerrechts zugrunde gelegt worden sind. Ein dritter wesentlicher Unterschied ist darin zu sehen, daß durch den neuen Tarif die Familienbelastung abgebaut worden ist. Eine Verschärfung der Belastung der Ledigen in einzelnen Punkten war das Korrelat dieser Entlastung der Familien. Als vierter und letzter systematischer Unterschied gegenüber der bisherigen Fassung ist die Ausdehnung der Progression hervorzuheben. Die Progression endete bisher bei 12 000 DM, während sie nach der Neufassung mit 24 000 DM endet. Ich will Ihnen aus einer umfangreichen Ausarbeitung des Bundesfinanzministeriums nur einige Beispiele aus dem Tarif vortragen. Sie können dann die Auswirkungen im Prinzip schon erkennen. Beim Jahresbruttolohn von 2580 DM beträgt das Notopfer Berlin für Ledige in Zukunft 20,70 DM, während es bisher 18 DM betrug, für Verheiratete mit einem Kind in Zukunft 12,60 DM, während es bisher 14,40 DM betrug, und bei einem verheirateten Steuerpflichtigen mit fünf Kindern bisher und auch in Zukunft Abgabefreiheit. Bei einem Jahresbruttolohn von 6180 DM beträgt das Notopfer Berlin für den Ledigen in Zukunft 70,20 DM, während es bisher 51 DM betrug, für Verheiratete mit einem Kind in Zukunft 45,90 DM, bisher 51 DM, und bei Verheirateten mit fünf Kindern in Zukunft 15,30 DM, bisher 51 DM. Sie sehen aus diesen Zahlenreihen die Entlastung bei den Verheirateten und die recht niedrige Belastung bei den Ledigen. Hier handelt es sich aber - das sei noch einmal hervorgehoben - insgesamt gesehen nicht urn eine Erhöhung des Steuerertrages und - das ist ebenso wichtig - insgesamt gesehen auch nicht um eine Erhöhung der Belastung bei den Ledigen. Denn infolge der Einführung des prozentualen Tarifs fallen ja für die Ledigen die bei den Anfangsbeträgen jeder Stufe eintretenden Überbelastungen auch weg. Man muß also, um den Vergleich des Tarifes bis zu Ende durchzuführen, auch daran denken, daß die Einführung einer Progression dazu führt, daß im Durchschnitt gesehen eine kleine Mehrbelastung eintritt. Die einzelnen Gesamterträgnisse des Notopfers Berlin für das Rechnungsjahr 1951 im ersten bis dritten Vierteljahr sind vom Bundesfinanzministerium wie folgt berechnet worden: die gesamte Abgabe der Arbeitnehmer auf 234,3 Millionen, die Abgabe der Veranlagten auf 103,8 Millionen und die Abgabe der Körperschaften auf 88,3 Millionen. Das Verhältnis der Lohnsteuer zur veranlagten Einkommensteuer einerseits und das Verhältnis der Abgabe der Arbeitnehmer für das Notopfer Berlin zur Abgabe der Veranlagten für das Notopfer Berlin andererseits waren schon in den früheren Debatten über das Notopfer Berlin ein ganz entscheidender Punkt. Gerade bezüglich dieses Punktes hat sich aber durch den neuen Vorschlag eine wesentliche Verbesserung ergeben. Diese ist darauf zurückzuführen, daß die Progression von 12 000 auf 24 000 DM gestiegen ist, und darauf, daß sich durch die prozentuale Belastung sämtlicher Einkommen das Verhältnis insgesamt verschoben hat. Während dieses Verhältnis zwischen diesen drei Steuerarten - Lohnsteuer einerseits, Einkommen-und Körperschaftsteuer andererseits - im Jahre 1950 1 zu 0,66 betrug, wird es 1952 1 zu 1,3 betragen und damit dem Verhältnis des Steueraufkommens an den zugrunde liegenden Steuern - dieses beträgt 1 zu 1,8 - und damit der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit wesentlich näher kommen, als das bisher der Fall gewesen ist, Ich komme nun zu den Einzelheiten des Gesetzentwurfs. Ziffer 1 a ist bisher schon geltendes Recht, wenn in § 4 Abs. 4 die Worte „52 Deutsche Mark" durch die Worte „65 Deutsche Mark" ersetzt werden sollen. Diese Änderung ist bereits im Zuge der Erhöhung der Pauschbeträge für Sonderausgaben und Werbungskosten im Verordnungswege durchgeführt worden und findet jetzt im Gesetz den Niederschlag. Die Ziffer 1 b bedeutet eine Vergünstigung für den Fall der Lohnzahlung nach Wochen. Bisher wurde bei der Lohnzahlung n ch Wochen das Notopfer Berlin erhoben, wenn bei dieser Lohnzahlung eine Lohnsteuerpflicht eintraf. In Zukunft wird das geändert, und zwar wird in jedem Fall der Monatsfreibetrag zugrunde gelegt werden. Die Fälle schwankenden Arbeitsverdienstes für größere Zeiträume, für mehrere Monate oder Jahre -- also der umgekehrte Fall - wurden jedoch nicht berücksichtigt, da das Gesetz nur eine beschränkte Geltungsdauer haben soll. Die Ziffer 2 sieht eine Angleichung der veranlagten Einkommensteuerpflichtigen an die Lohnsteuerpflichtigen vor. Gleichzeitig hat eine positive Neufassung stattgefunden, um eine leichtere Verständlichkeit herbeizuführen. Das hat nichts mit einer materiellen Gesetzesänderung zu tun. Die Ziffer 3 bedeutet eine Ergänzung wegen der Begünstigung von Vereinen und Stiftungen, die als nichtkapitalistische Körperschaften begünstigt werden sollen und deshalb bereits in § 11 Abs. 1 erwähnt werden mußten. Ziffer 5 habe ich in meinen einleitenden Ausführungen zu der Neugestaltung des Tarifs bereits behandelt. Die Ziffer 6, Streichung der §§ 22 und 23, bedeutet die Streichung überholter Vorschriften aus der Zeit der Einführung des Gesetzes. ({6}) Die Ziffer 7 bedeutet gegenüber der Vorlage der Regierung, die eine lange Liste von Ermächtigungen haben wollte, eine ganz erhobliche Einschränkung. Praktisch bleibt nur eine einzige Ermächtigung, nämlich die Aufstellung von Tabellen übrig. Dies geschieht im Zuge der allgemeinen Richtlinien und Wünsche, die dieses Haus wiederholt geäußert hat. Die in den Überleitungsvorschriften vorgesehenen Ermächtigungen sind in das Gesetz selbst hineingearbeitet worden, insbesondere den § 26. Der § 25 ist in zweierlei Hinsicht von Bedeutung. Einmal ist hier der Gesetzestext, der früher hieß: „Dieses Gesetz erstreckt sich" usw. dahin geändert worden, daß er jetzt lautet: ,.Dieses Gesetz gilt bis zum 31. März 1953". Wir haben also die passive Satzbildung in die aktive umgewandelt, und zwar deshalb, weil wir ein besseres Deutsch haben wollten. Wir sagten uns, auch wenn jemand mit der Lupe suchen würde, könnte er darin keine materielle Gesetzesänderung finden, und bemühten uns, auch hier zu einem besseren Deutsch als dem üblichen oder häufig anzutreffenden Finanzamtsdeutsch zu gelangen. Ein zweiter Punkt ist von größerer Bedeutung, und zwar handelt es sich da um die Frage der Geltungsdauer. Ursprünglich war vorgesehen, daß dieses Gesetz bis zum 31. Dezember 1952 gelten sollte. Jetzt ist die Geltungsdauer bis zum 31. März 1953 ausgedehnt worden. Das hat ein großes Bedenken, und zwar deshalb, weil jetzt der Erhebungszeitraum nicht gleich dein Kalenderjahr ist. Da die veranlagten Steuerpflichtigen und die Körperschaftsteuerpflichtigen aber ihr Einkommen wesentlich nach dem Kalenderjahr ermitteln, ergeben sich hier schwerwiegende Überschneidungen, die dann durch die in § 26 Abs. 5 eingebauten gesetzlichen Fiktionen gelöst werden mußten. Gerade dieser Punkt, auf den ich gleich noch einmal eingehen werde, hat im Ausschuß eine eingehende Debatte hervorgerufen. Zu § 26 Ziffer 9 Abs. 1 des Mündlichen Berichts ist nichts zu erinnern. Zu Abs. 2 ist darauf hinzuweisen, daß die Begünstigung der veranlagten Körperschaften nach dieser Ziffer noch auf das Jahr 1950 zurückgerechnet wird, und zwar deshalb, weil die Veranlagungen für 1950 zwar im Gange sind, trotzdem aber diese Vergünstigung nach der Meinungsäußerung der Länderfinanzverwaltungen noch durchgeführt werden kann. Ziffer 3 besagt, daß die Vergünstigungen für den Arbeitslohn, die in diesem Gesetz enthalten sind, erst dann in Kraft treten können, wenn das Gesetz verkündet ist und wenn die entsprechenden Tabellen in der Hand der Lohnsteuerstellen sind. Aus diesem Grunde kann von den entsprechenden Bestimmungen erst ab April 1952 Gebrauch gemacht werden. Ziffer 4 bedeutet, daß ein Viertel des Einkommens des Jahres 1952 noch zum alten Tarif und drei Viertel zum neuen Tarif herangezogen werden sollen, wobei man davon ausgeht, daß das Einkommen gleichmäßig in allen vier Vierteljahren erzielt worden ist. Ziffer 5 bringt die Anpassung der Steuergrundlagen an den ungewöhnlichen Erhebungszeitraum. Wir haben j a einen Erhebungszeitraum erstes Quartal 1953. Der Weg, der gesucht und gefunden worden ist, bedeutet: man fingiert, daß ein Viertel des Einkommens im Kalenderjahr 1953 gleich dem Einkommen im ersten Quartal 1953 sei. Hierbei ergab sich die Frage, ob es eine Ermäßigungsmöglichkeit bei geringerem effektivem Einkommen geben müsse oder eine Ermäßigung und einen Fortfall der Besteuerung, wenn ein Steuerpflichtiger im ersten Quartal 1953 überhaupt kein Einkommen hat bzw. ob eine Erhöhungsmöglichkeit gegeben sein müsse, wenn ein Steuerpflichtiger im ersten Quartal 1953 ein höheres Einkommen hat und später vielleicht die subjektive Steuerpflicht sogar in Fortfall kommen soll. Dabei wurde vorgeschlagen, die Vorauszahlungen als Pauschalabgeltung der Steuerpflichtigen des ersten Quartals 1953 gelten zu lassen. Das wurde vom Ausschuß abgelehnt. Der Alternativvorschlag, die Laufzeit des Gesetzes auf den 31. Dezember 1952 zu beschränken, wurde vom Ausschuß ebenfalls abgelehnt. Der Grund für diese Ablehnung war, daß wir es uns nicht gestatten könnten, das Aufkommen für Berlin durch eventuell notwendig werdende steuerliche Beschlüsse im ersten Quartal 1953 irgendwie in Gefahr zu bringen. Art. II enthält die Bestimmung für Berlin. § 12 Abs. 1 des Überleitungsgesetzes bestimmt, daß die Abgabengesetze auch im Land Berlin gelten. Das war im Falle dieses Gesetzes nicht möglich, weil in Berlin bereits eine Steuer, die ähnlich dem Notopfer Berlin wirkt, besteht, und zwar die Währungsnotabgabe. Es war aber auch verfassungsrechtlich möglicherweise bedenklich - entsprechende Bedenken wurden jedenfalls geäußert -, weil die Bundeskompetenz nicht durch einfaches Gesetz auf ein Land übertragen werden könne. Demgegenüber wurde aber zu Recht eingewandt: da das Land Berlin kein Land in staatsrechtlichem Sinne sei, so daß der Bund unmittelbare Gesetzgebungskompetenz im Land Berlin habe, könne durch diese Bestimmung auch keine Gesetzgebungskompetenz verletzt oder übertragen werden. Aus diesen Gründen hat sich der Ausschuß dahin entschieden, die Fassung des Art. II entsprechend dem Umdruck zu wählen. Danach gilt dieses Gesetz entgegen § 12 Abs. 1 des Gesetzes über die Stellung des Landes Berlin im Finanzsystem des Bundes - Drittes Überleitungsgesetz - vom 4. Januar 1952 nicht im Land Berlin. Sollte aber in Berlin die mögliche Aufhebung der Währungsnotabgabe erfolgen, tritt in Berlin an die Stelle dieser Notabgabe die Möglichkeit, daß auch Berlin eine entsprechende eigene Belastung seiner Steuerpflichtigen vornimmt.

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache der zweiten Beratung. Ich rufe auf Art. I. - Das Wort wird nicht gewünscht; die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Es liegt zunächst ein Antrag des Ausschusses zu Art. I Ziffer 2 vor, den wir wohl als Änderungsantrag behandeln müssen. Ich bitte diejenigen, die diesem Änderungsantrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist zweifellos die Mehrheit; es ist also so beschlossen. Dann liegt ein Änderungsantrag zu Ziffer 9 vor. Ich bitte diejenigen, die diesem Antrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen. Ich bitte dann diejenigen, die Art. I in der abgeänderten Fassung zustimmen, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen wenige Stimmen angenommen. Ich rufe auf Art. II. Dazu liegt ein Antrag auf Umdruck Nr. 438 Ziffer 3 vor, den Wortlaut zu ({0}) ändern. Ich bitte diejenigen, die diesem Ausschußantrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen angenommen. Ich rufe dann auf Art. III, Einleitung und Überschrift und bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist zweifellos die Mehrheit. Damit ist Art. III angenommen und das Gesetz in zweiter Lesung erledigt. Ich rufe auf zur dritten Beratung. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Keine Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe auf Art I, - Art. II, - Art. III, - Einleitung und Überschrift und bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen wenige Stimmen angenommen. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetz im ganzen zustimmen, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen wenige Stimmen in dritter Lesung verabschiedet. Ich rufe nun auf Punkt 7 unserer Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Deutsche Arzneibuch ({1}); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Fragen des Gesundheitswesens ({2}) ({3}). ({4}). Das Wort zur Berichterstattung hat Frau Abgeordnete Arnold. Frau Arnold ({5}), Berichterstatterin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Das vorliegende Gesetz - Drucksache Nr. 2857 - über das Deutsche Arzneibuch ist von der Bundesregierung gemäß Art. 76 Abs. 2 des Grundgesetzes vorgelegt worden. Die Zuständigkeit des Bundes zur gesetzlichen Regelung beruht auf Art. 74 Ziffer 19 des Grundgesetzes, wo es heißt: . . . Verkehr mit Arzneien, Heil- und Betäubungsmitteln und Giften. Das Gesetz hat den Zweck, das Deutsche Arzneibuch Nr. 6, Ausgabe von 1926, zu einem Bundesgesetz zu erklären - siehe § 1 des Entwurfs - und den Bundesminister des Innern zu ermächtigen, das Arzneibuch entsprechend den Fortschritten der medizin schen und pharmazeutischen Wissenschaften zu ergänzen oder neu herauszubringen - dies in § 2 des Entwurfs. Die rechtliche Notwendigkeit zum Erlaß eines Gesetzes über diesen Gegenstand ergibt sich aus folgendem. Das zur Zeit gültige Deutsche Arzneibuch geht in seinem rechtlichen Ursprung auf einen Beschluß des Bundesrates aus dem Jahre 1872 zurück. Auch die in der Zwischenzeit erfolgten weiteren fünf Ausgaben des Arzneibuches sind jeweils durch einen Beschluß des Bundesrats, später des Reichsrats, zustande gekommen. Diese rechtliche Grundlage für die Neuherausgabe eines Arzneibuches besteht aber heute nicht mehr, da der heutige Bundesrat nicht mehr Träger eines eigenen Verordnungsrechtes ist. Die sachliche Notwendigkeit zur Schaffung eines neuen Arzneibuches ergibt sich aus der Tatsache, daß seit 1926 eine große Anzahl wichtigster Arzneistoffe und Arzneimittel, wie z. B. die Vitamine, die Hormone, die Sulfonamide und die Antibiotika erst entdeckt und in die Therapie neu eingeführt wurden. Auch aus der Tatsache, daß z. B. die Schweiz 1941, England 1948, Frankreich 1949 und die Vereinigten Staaten 1948 und 1950 je ein neues nationales Arzneibuch herausgebracht haben, mag die Wichtigkeit der laufenden Anpassung der Arzneibücher an die wissenschaftlichen Fortschritte hervorgehen. Zu der Fassung des Entwurfs hat der Gesundheitsausschuß des Bundestages nach eingehender Beratung folgende textlichen Abänderungen beschlossen. In § 1 soll hinter dem Wort „Arzneistoffe" in der dritten Zeile das Wort „Arzneien" eingefügt werden. Diese Einfügung erscheint uns notwendig, um alle Stoffklassen und Stoffgruppen, die im Arzneibuch enthalten sind, damit anzusprechen. Da bisher eine Legaldefinition dieser Begriffe noch nicht besteht und das Arzneibuch Vertreter aller dieser drei Stoffgruppen enthält, erscheint es notwendig, diese drei Begriffe „Arzneistoffe", „Arzneien", „Arzneimittel" nebeneinander aufzuführen. Weiterhln soll hinter dem Wort „Arzneimittel" in § 1 dritte Zeile der Halbsatz .,soweit sie durch Anotheken abgegeben werden" eingefügt werden. Diese Finfügung hat den Zweck, das Deutsche Arzneibuch auf seinen bisherigen Anwendungsberech, nämlich die Apotheken, zu beschränken. Da das Arzneibuch lediglich für die Apotheken verbindlich ist, muß dies zum Ausdruck gebracht werden. Einer Anregung zur Erweiterung des Gültigkeitsbereichs des Deutschen Arzneibuchs über die Apotheken hinaus, z. B. für die pharmazeutische Industrie und verwandte Industrien, konnte der Gesundheitsausschuß nicht beipflichten, da diese Fragen nicht in den Rahmen des hier zur Erörterung stehenden Gesetzentwurfs gehören, sondern einem künftigen Arzneimittelgesetz vorbehalten bleiben müssen. Das Deutsche Arzneibuch soll eben nur das bleiben, was es immer war, nämlich das Handbuch für den Apotheker. Sodann ist ein § 2 a eingefügt worden, der lautet: Dieses Gesetz ,und die Grund des § 2 zu erlassenden Rechtsverordnungen gelten auch im Lande Berlin, sobald das Land Berlin gemäß Artikel 87 Absatz 2 seiner Verfassung die Anwendung dieses Gesetzes beschließt. Der Gesundheitsausschuß hat dieses Gesetz nach eingehender Beratung einstimmig angenommen. Er bittet das Hohe Haus, den vorliegenden Entwurf eines Gesetzes über das Deutsche Arzneibuch mit den vom Gesundheitsausschuß vorgenommenen Änderungen anzunehmen. ({6})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Ich danke der Frau Berichterstatterin und eröffne die zweite Beratung. Das Wort ist nicht gewünscht; dann kann ich die Aussprache schließen. Ich rufe auf § 1, - § 2, - § 2 a, - § 3, - Einleitung und Überschrift und bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen?, - Einstimmig angenommen. Damit ist die zweite Beratung beendet. Ich rufe auf zur dritten Beratung. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort ist nicht gewünscht; die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe auf § 1, - § 2, - § 2 a, - § 3, - Einleitung und Überschrift. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. --- Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. ({0}) Ich bitte diejenigen, die in der Schlußabstimmung dem Gesetz als ganzen zustimmen, die Hand zu erheben. - Ebenfalls einstimmig angenommen. Ich rufe, da Punkt 8 abgesetzt ist, Punkt 9 der Tagesordnung auf: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht ({1}) über den Antrag der Fraktion des Zentrums betreffend Gesetzgebungsrahmen und den Antrag der Fraktion des Zentrums betreffend Fundstellennachweis für Gesetze ({2}). Das Wort zur Berichterstattung hat Frau Abgeordnete Nadig. Frau Nadig ({3}), Berichterstatterin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Rechtsausschuß hat sich mit dem Mündlichen Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der innneren Verwaltung in zwei Sitzungen beschäftigt. Dem Bericht lagen zwei Anträge der Zentrumsfraktion auf Schaffung eines Gesetzgebungsrahmens und auf Schaffung eines Fundstellennachweises für Gesetze zugrunde. Von seiten der Regierungsvertretung wurde darauf hingewiesen, daß für Reichs-und Bundesgesetzblatt in dem jeden Sammelband beigefügten Index schon etwas Ähnliches bestehe, daß ferner der Justizminister die Absicht habe, weitere derartige Register zu schaffen und zu einem Fundstellennachweis auszubauen. Der Ausschuß war der Auffassung, daß die auf diesem Gebiet bereits eingeleiteten Arbeiten den Anforderungen nicht genügen, daß man die Arbeit auch nicht der privaten Initiative überlassen kann. Die Übersicht und Anwendbarkeit der Gesetze erfordert die amtliche Anlage eines Fundstellennachweises für Gesetze. Darüber hinaus hat der Ausschuß festgestellt, daß dringend vom Jahre 1867 an eine Gesamtbereinigung des geltenden Reichs- und Bundesrechts vorgenommen werden muß. Zur Zeit ist die Feststellung, in welcher Fassung ein Gesetz heute noch Gültigkeit besitzt, eine zeitraubende, umständliche Arbeit. Die Bereinigung und Zusammenfassung dieser Gesetze wird nicht nur eine große Erleichterung bringen, sondern auch die Rechtssicherheit erhöhen. Der Wirtschaftsrat hat im Jahre 1948 bereits mit der Sammlung und Sicherung des Reichs-und Bundesrechts begonnen. Diese Arbeit wurde vom Justizministerium fortgesetzt. Leider haben die finanziellen Verhältnisse dazu gezwungen, die Arbeit einzustellen. Es handelt sich zweifellos um eine umfangreiche und zeitraubende Arbeit, die aber aus Gründen der Rechtssicherheit durchgeführt werden muß. Der Rechtsausschuß war einstimmig der Auffassung, daß die für diese Aufgabe erforderlichen Mittel im Haushaltsplan bereitgestellt werden müssen. Er bittet Sie, dem Ihnen vom Rechtsausschuß vorgelegten Antrag auf Drucksache Nr. 3018 zuzustimmen. ({4})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Ich danke der Frau Berichterstatterin. Der Ältestenrat war der Ansicht, daß in diesem Falle von einer Aussprache abgesehen werden kann. Es liegen auch keine Wortmeldungen vor. Ich kann also sofort zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache Nr. 3018 übergehen. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag des Ausschusses zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; damit ist der Antrag angenommen. Ich rufe nun Punkt 10 der Tagesordnung auf: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ({0}) betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Paschek gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 26. November 1951 ({1}). Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Dr. Mende. Dr. Mende ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität lag ein Schreiben des Herrn Bundesjustizministers vom 26. November 1951 dahingehend vor, über die Immunität des Abgeordneten Pascheck zu entscheiden. Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde, der sich aus einem Schreiben des Oberstaatsanwalts von Bonn vom 24. Oktober 1951 ergibt. Der Bundestagsabgeordnete Wilhelm Paschek ist verdächtig, a) den Mietautounternehmer Mirkosch in Lichtenfels durch falsche Vorspiegelungen über seine Zahlungsfähigkeit und seinen Zahlungswillen dazu veranlaßt zu haben, in erheblichem Umfange für ihn Fahrten auszuführen, ohne dafür das diesem zustehende Entgelt gezahlt zu haben; b) das Vermögen der Bundestagskasse dadurch geschädigt zu haben, daß er sich in der Zeit von September 1949 bis März 1950 auf Grund unrichtiger Angaben über die von ihm mit dem Kraftwagen gefahrenen Kilometer Beträge auszahlen ließ, die er in dieser Höhe nicht zu beanspruchen hatte. Der Oberstaatsanwalt sieht in beiden Fällen einen Betrug gemäß § 263 StGB. Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität empfiehlt, da es sich weder um einen Vorwurf politischen Charakters handelt noch irgendwie der Verdacht politisch tendenziöser Verfolgung vorliegt, die Immunität aufzuheben.

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag des Ausschusses, Drucksache Nr. 3010, zustimmen, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen. Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ({0}) betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Goetzendorff gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 17. November 1951 ({1}). Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Ritzel. Ritzel ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages ging im August des vorigen Jahres eine Mitteilung eines Herrn Anton Schmidt aus Passau ein. In dieser Mitteilung bezichtigte Herr Schmidt den Abgeordneten Herrn ({3}) Günther Goetzendorff, München, daß er zum Nachteil der Kasse des Deutschen Bundestages in betrügerischer Absicht den Betrag von 1 680 DM zugunsten dieses Herrn Schmidt bezogen habe, den er fälschlicherweise als seinen Fahrer bezeichnet habe. Die Angelegenheit hat bereits damals den Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität befaßt. Der Herr Präsident des Deutschen Bundestages sah sich auch auf Grund der Ausschußempfehlung veranlaßt, bei der Staatsanwaltschaft Strafantrag zu stellen. Die Staatsanwaltschaft hat die Sache aufgegriffen und schließlich an den Herrn Bundesminister der Justiz über den Herrn Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen Vorlage gemacht mit dem Ersuchen, Stellung zu nehmen dahin, ob zur Einleitung der Strafverfolgung die Immunität des Herrn Abgeordneten Günther Goetzendorff aufzuheben sei. Im einzelnen heißt es darin: Der Bundestagsabgeordnete Goetzendorff wird beschuldigt, 1. für seinen früheren Sekretär Anton Schmidt, den er nicht als Kraftfahrer angestellt und beschäftigt hatte, in der Zeit vom Januar bis Juli 1951 zu Unrecht bei der Diätenstelle des Deutschen Bundestages die für den Kraftfahrer eines Bundestagsabgeordneten zustehenden Tagegelder liquidiert und dadurch dem Deutschen Bundestag einen Schaden von 1680 DM zugefügt zu haben, 2. den genannten Anton Schmidt durch zum Teil nicht einhaltbare Versprechungen veranlaßt zu haben, in seine Dienste als Sekretär zu treten und deswegen eine andere ihm angebotene Stellung als Vertriebsleiter eines Verlages auszuschlagen. In beiden Fällen kommt Betrug ({4}) in Betracht . . . . Soweit der Anzeigende Schmidt in seiner Eingabe an den Herrn Präsidenten des Bundestages ferner gegen einen namentlich nicht genannten Beamten der Diätenstelle des Bundestages den Verdacht der passiven Bestechung äußert, - es wurde gesagt, ein Beamter der Diätenstelle habe einen Kasten Zigarren erhalten und angenommen -habe ich ein gesondertes Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt . . . eingeleitet. Sollten die Ermittlungen begründete Anhaltspunkte dafür ergeben, daß bei dem Bundestagsabgeordneten Goetzendorff insoweit der Tatbestand der aktiven Bestechung ({5}) in Betracht käme, werde ich auch diesen Vorgang zur Herbeiführung einer Entscheidung gemäß Art. 46 Abs. 2 GG vorlegen. Nun, was diesen letzteren behaupteten Sachverhalt angeht, so erwarten wir selbstverständlich hier mit großem Interesse das Ergebnis etwaiger Ermittlungen dieser Anzeige gegen Unbekannt. Heute haben wir es nur mit dem Tatbestand zu tun, der sich auf die Beschuldigung bezieht, der Herr Abgeordnete Goetzendorff habe den Betrag von 1680 DM zugunsten eines nicht vorhandenen Kraftfahrers, der in Wirklichkeit sein Sekretär gewesen sei, aus der Kasse des Bundestags bezogen. Der Ausschuß hat sich mit der Angelegenheit am 16. Januar befaßt. Bereits am 6. Dezember 1951 hat Herr Abgeordneter Goetzendorff an den Vorsitzenden des Ausschusses einen Brief gerichtet, in dem es - ich will loyalerweise auch davon Kenntnis geben - unter anderem heißt: In der Zeit, wo keine Fahrten vorlagen, wurde Schmidt mit der Ablage meiner Korrespondenz betraut und führte gelegentlich auch kleine Schriftwechsel. Er entfernte sich aus seinem Beschäftigungsverhältnis unter Mitnahme zahlreicher Akten, die er einem meiner Prozeßgegner in die Hände spielte, wofür er von diesem eine Anstellung erhielt. Es handelt sich um den Zeitungsverleger Hans Kapfinger in Passau, der durch seine haltlosen Anschuldigungen gegen den zweiten Gewerkschaftsvorsitzenden Otto Reuter und den Bundestagsabgeordneten Behrisch hervorgetreten ist. Eine einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Passau hat inzwischen dem Anton Schmidt bei Androhung einer Gefägnisstrafe bis zu sechs Monaten untersagt, von dem entwendeten Material Gebrauch zu machen. Anläßlich einer Haussuchung bei Anton Schmidt wurden zahlreiche mir gehörende Akten beschlagnahmt. Gegen Schmidt läuft ein Strafverfahren wegen qualifizierter Unterschlagung bei der Staatsanwaltschaft Bonn. Unter anderem entwendete er mir mein Tagebuch, das nach gröblicher Verfälschung in Umlauf gesetzt wurde und Ihnen, sehr verehrter Herr Vorsitzender, bereits bekannt ist. Nun, ich habe hier nur als Berichterstatter zu reden und darf mich daher auch jeder Äußerung in bezug auf eine Qualifikation der Beteiligten enthalten. Im Auftrag des Ausschusses bitte ich das Hohe Haus, dem Antrag auf Aufhebung der Immunität zum Zwecke der Strafverfolgung die Zustimmung zu erteilen.

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag des Ausschusses zustimmen, die Hand zu erheben. - Enthaltungen? - Gegenprobe! - Gegen wenige Stimmen angenommen. Ich rufe nunmehr auf Punkt 12 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ({0}) betreffend Genehmigung zur Haft zwecks Erzwingung des Offenbarungseides gegen den Abgeordneten Freiherrn von Aretin gemäß Schreiben des Rechtsanwalts Stock, München, vom 7. Dezember 1951 ({1}). Ich bitte Herrn Abgeordneten Striebeck, zur Berichterstattung das Wort zu nehmen. Striebeck ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Schreiben vom 7. Dezember 1951, das über den Präsidenten dieses Hauses dem Geschäftsordnungsausschuß zuging, hat der Rechtsanwalt Dr. Hanns Stock aus München als Vertreter des Landgerichtsrates a. D. Dr. Günther Zieschank, ebenfalls aus München, die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Freiherrn von Aretin zwecks Vorführung zum Termin auf Ableistung des Offenbarungseides be- antragt. Aus den Akten geht hervor, g , daß der ge- nannte Dr. Günther Zieschank Inhaber eines vollstreckbaren Titels über 9719 DM ist. Hinzu kommen 9 O/o Zinsen seit dem 29. März 1951 und die ({3}) bisherigen Vollstreckungskosten von insgesamt 300 DM. Wie es in der Antragsbegründung weiter heißt, ist eine versuchte Sachpfändung ohne Erfolg geblieben. Durch Versteigerung des damaligen Personenkraftwagens des Abgeordneten von Aretin konnten lediglich die Kosten und ein kleiner Teil der Hauptsumme befriedigt werden. Meine Damen und Herren, ich möchte hier in meiner Berichterstattung zunächst die Bekanntgabe eines Grundsatzes des Immunitätsausschusses einschieben. Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität steht grundsätzlich auf dem Standpunkt, daß die Durchführung eines Offenbarungseidverfahrens gegen einen Abgeordneten als Schuldner kein Zur-Verantwortung-ziehen im Sinne des Art. 46 Abs. 2 des Grundgesetzes ist und damit keiner Genehmigung des Bundestags bedarf. Auch die Anordnung der Haft durch das Gericht zur Erzwingung der Leistung des Offenbarungseids - wenn der Schuldner in dem zur Leistung des Offenbarungseids bestimmten Termin nicht erscheint oder die Leistung des Eids ohne Grund verweigert - bedarf nach Ansicht des Ausschusses keiner Genehmigung des Bundestags. Genehmigungspflichtig ist jedoch die Vollstreckung des Haftbefehls, da es sich hierbei um eine Beschränkung der persönlichen Freiheit im Sinne des Art. 46 Abs. 3 des Grundgesetzes handelt. Der Ausschuß wird deshalb in Zukunft nur solche Ersuchen in Offenbarungseidverfahren gegen Abgeordnete in geschäftsordnungsmäßige Behandlung nehmen, bei denen bereits Haft durch das zuständige Gericht angeordnet ist und um Genehmigung zur Vollstreckung dieser Haft ersucht wird. Im vorliegenden Fall ist bereits am 20. Juli 1951 vom Amtsgericht München Haftbefehl zur Erzwingung des Offenbarungseids erlassen worden, so daß einer Behandlung dieser Angelegenheit nichts im Wege stand. Ich habe nun im Namen des Ausschusses zu erklären, daß es der Ausschuß bedauert, sich in wiederholtem Fall mit der gleichen Person und der gleichen Angelegenheit beschäftigen zu müssen. ({4}) Der Ausschuß steht auf dem Standpunkt, daß besonders ein Abgeordneter nicht Schulden am laufenden Band machen sollte, ohne daran zu denken, sie in angemessener Zeit zu bezahlen. ({5}) Ein solches Verfahren dürfte nicht dazu angetan sein, das Ansehen der Abgeordneten und des Bundestags zu heben. Der Ausschuß hält es in dem hier zur Debatte stehenden Fall für richtig und selbstverständlich, dem Antrag des Rechtsanwalts und des Gerichts stattzugeben. Der Antrag des Ausschusses lautet: Der Bundestag wolle beschließen: Die Genehmigung zur Haft zwecks Erzwingung des Offenbarungseides gegen den Abgeordneten Freiherr von Aretin wird erteilt. Ich darf die Damen und Herren bitten, diesem Antrag Ihre Zustimmung zu geben. ({6})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag des Ausschusses Drucksache Nr. 3049 zustimmen, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen. Ich rufe nun Punkt 13 der Tagesordnung auf: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ({0}) betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Strauß gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 23. November 1951 ({1}). Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Sassnick. Sassnick ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Amtsgericht Passau ({3}) hat am 24. Oktober des vorigen Jahres über das Bayrische Staatsministerium der Justiz um eine Entscheidung über die Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Ludwig Volkholz wegen Beleidigung ersucht. Über das Bundesministerium der Justiz wurde jenes Ersuchen ordnungsgemäß dem Bundestag zugestellt. Ich muß noch mitteilen, daß der Bundesjustizminister dem bayerischen Justizminister gegenüber das Bedenken geäußert hat, daß es nicht Sache des Gerichts, sondern des Privatklägers selbst sei, Prozeßhindernisse, die einem Privatklageverfahren entgegenstehen, zu beseitigen. Herr Volkholz, der bekanntlich mittlerweile die nach seiner Auffassung sehr ungastlichen Gefilde der Bundesrepublik verlassen hat, um sie mit den rotweißroten Wäldern jenseits der Salzach zu vertauschen, hat diesen Bedenken übrigens Rechnung getragen. Er hat sich kurz vor seiner Flucht, nämlich am Heiligen Abend, am 24. Dezember 1951, als privater Kläger an den Herrn Bundestagspräsidenten gewandt, um die Immunitätsaufhebung des Kollegen Strauß zu erreichen. ({4}) Der Angelegenheit selbst liegt folgendes zugrunde: Nach einem Bericht der „Passauer Neuen Presse", der im Original den Akten beigefügt ist, soll der Kollege Strauß am 2. September vorigen Jahres in einer öffentlichen Versammlung in Neukirchen am Inn erklärt haben, man solle Voruntersuchungen gegen Volkholz eher einem Arzt als dem Staatsanwalt übergeben. ({5}) Der Ausschuß war mit allen Stimmen bei einer Stimmenthaltung der Ansicht, daß es sich um Äußerungen handelt, die im Rahmen einer politischen Versammlung gemacht worden sind und die daher rein politischen Charakter haben. Aus diesem Grunde empfiehlt der Ausschuß dem Hohen Hause, gemäß der in dieser Hinsicht ständig geübten Praxis die Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Strauß nicht zu erteilen.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Meine Damen und Herren, ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses, den Sie gehört haben, Drucksache Nr. 3050. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen. ({0}) Ich rufe die nächste Immunitätssache, Tagesordnungspunkt Nr. 14, auf: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ({1}) betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Volkholz gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 10. Dezember 1951 ({2}). Berichterstatter ist Abgeordneter Ritzel. Darf ich ihn bitten, das Wort zu nehmen? Ritzel ({3}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte das Hohe Haus, es nicht dem bayerischen Volke anzukreiden, wenn es sich hier um den fünften Fall aus Bayern handelt. ({4}) Abgeordneter Volkholz, der soeben eine Rolle als Kläger spielte, ist hier wiederum einmal in der Rolle des Beklagten und Beschuldigten. Er wird beschuldigt, erklärt zu haben, daß er einem Mann namens Anton Strauch, Gemüsehändler seines Zeichens, die Existenz vernichte, wenn er gegen Volkholz aussagen werde. Er ist beschuldigt, gegenüber einem Herrn Christian von Löwen in Zwiesel erklärt zu haben, daß er ihn mit Dreck so zudecken wolle - er muß also ausreichend zur Verfügung gestanden haben -, ({5}) daß der betreffende Herr von Löwen keine Luft mehr kriegen würde. ({6}) Der Herr Volkholz hat weiter in jener berühmten Rede von Zwiesel, mit der sich das Hohe Haus schon wiederholt interessiert befaßt hat, den Herrn Abgeordneten Dr. Schumacher als Landesverräter bezeichnet. Herr Kollege Dr. Schumacher hat aus diesem Grunde Strafantrag gestellt. Der Herr Staatsminister der Justiz in Bayern hat die gesamten Unterlagen hierher gegeben und um eine Entscheidung des Hohen Hauses gebeten. Der Herr Bundesjustizminister hat die gleiche Bitte an uns. Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität befaßte sich gern und liebevoll auch mit dieser Angelegenheit und hat nach gründlicher Beratung beschlossen, dem Hohen Hause zu empfehlen, auch diesmal die Immunität des Herrn Abgeordneten Volkholz aufzuheben. Indem ich Ihnen diesen Beschluß warm empfehle, entledige ich mich meines Auftrags.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich komme zur Abstimmung. Ich bitte die Damen und Herren, die für diesen Ausschußantrag auf Drucksache Nr. 3051 sind, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen. Als nächste Immunitätssache rufe ich Punkt 15 der Tagesordnung auf: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ({0}) betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen die Abgeordneten Dr. Arndt und Dr. Schumacher gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 19. Dezember 1951 ({1}). Berichterstatter ist Abgeordneter Hoogen. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen. Hoogen ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Oberstaatsanwalt beim Landgericht in Bonn hat auf dem Dienstwege dem Deutschen Bundestag einen Vorgang mit der Bitte zugeleitet, eine Entscheidung darüber herbeizuführen, ob die Genehmigung zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen die Abgeordneten Dr. Kurt Schumacher und Dr. Arndt erteilt werden soll. Dieser Bitte haben sich der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen und der Bundesminister der Justiz angeschlossen. Ein förmlicher Antrag auf Aufhebung der Immunität ist von keiner Seite gestellt worden. Namens des Ausschusses habe ich Veranlassung, festzustellen, daß ein förmlicher Antrag auf Aufhebung der Immunität nicht gestellt worden ist; denn in einer teilweise irrigen Presseberichterstattung sind gegenteilige Verlautbarungen zutage getreten. Nach der Darstellung der Staatsanwaltschaft sollen die Abgeordneten Dr. Schumacher und Dr. Arndt auf Grund der Einlassungen der inzwischen verurteilten Johannes Kaiser und Paul Siegel in dem Verdacht stehen, sich der Hehlerei und Preisgabe geheimer amtlicher Mitteilungen schuldig ge- macht zu haben. Die Staatsanwaltschaft beabsichtigt infolgedessen, ein Ermittlungsverfahren wegen Hehlerei und Preisgabe geheimer amtlicher Mitteilungen einzuleiten. Eine Befassung mit der Frage, ob die Genehmigung zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen des behaupteten Verdachts der Preisgabe geheimer amtlicher Mitteilungen zu erteilen ist, erübrigt sich, well insoweit die gesetzlich vorgeschriebene Anordnung des Bundesministers der Justiz zur Strafverfolgung fehlt, im übrigen aber auch kein Anhaltspunkt dafür gegeben ist, der eine solche Anordnung rechtfertigen könnte. Im Zusammenhang mit dem von der Staatsanwaltschaft behaupteten Verdacht der Hehlerei hat das Parlament nach den von ihm selbst entwickelten Grundsätzen nicht das Recht der Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung weil das einen Eingriff in die Rechtsprechungsgewalt der ordentlichen Gerichte bedeuten würde. Deshalb muß auch eine Berichterstattung über den strittigen Teil des Sachverhalts unterbleiben. Zur Frage der rechtlichen Beurteilung eines völlig unstrittigen Sachverhalts mehren sich jedoch im Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität zunehmend die Stimmen, die dann für eine Versagung der Genehmigung der Strafverfolgung sind, wenn zweifelsfrei von einer strafbaren Handlung unter keinen Umständen gesprochen werden kann. Im vorliegenden Falle bedarf es allerdings einer Erörterung dieser Frage nicht, weil nach der einhelligen Überzeugung des Ausschusses der von der Staatsanwaltschaft erhobene Verdacht der Hehlerei nicht losgelöst von den politischen Zusammenhängen gesehen werden darf. Es wurde im Ausschuß von einem politischen Hintergrund und von politischen Motiven mit dem Hinweis darauf gesprochen, daß die Opposition Unterlagen der Regierung erlangt habe. Nach der einmütigen Überzeugung des Ausschusses handelt es sich um eine politische Angelegenheit, die mit der politischen Tätigkeit der Abgeordneten in einem untrennbaren Zusammenhang steht. In einem solchen Falle ist bisher aus grundsätzlichen Erwägungen die Genehmigung zur Einleitung eines Strafverfahrens nicht oder nur dann erteilt worden, wenn die Schwere des Vorwurfs eine Aufklärung des Sachverhalts ausschließlich im Inter({3}) esse des Ansehens des Parlaments gebot. Zu einer solchen Aufklärung des Sachverhalts ist in dem vom Bundestag eingesetzten Untersuchungsausausschuß Nr. 45 Gelegenheit gegeben. Infolgedessen mußte der Ausschuß in Verfolg der von ihm selbst entwickelten Grundsätze, die vom Hohen Hause gebilligt worden sind, zur Versagung der Genehmigung zur Einleitung eines Strafverfahrens kommen. Es bleibt noch zu erwähnen, daß im Ausschuß zunächst beantragt worden war, die Beschlußfassung über die Frage der Erteilung der Genehmigung zur Strafverfolgung auszusetzen, um in der Zwischenzeit das Urteil des Landgerichts in Bonn vom 21. Januar dieses Jahres in Sachen Siegel und Genossen herbeizuziehen. Dieser Antrag wurde jedoch nicht aufrechterhalten, weil der Vertreter des Bundesministeriums der Justiz mitgeteilt hat, daß in dem Verfahren vor der Strafkammer des Landgerichts in Bonn sorgfältigst vermieden worden sei, Feststellungen darüber zu treffen, ob ,und in welchem Umfange andere Persönen in der Sache beteiligt gewesen seien. Unter diesen Umständen versprach man sich im Ausschuß mit Recht keine Förderung der Angelegenheit von einer Einsichtnahme in das Urteil der Strafkammer des Landgerichts in Bonn. Meine Damen und Herren! Namens des Ausschusses habe ich die Ehre, Sie zu bitten, dem Antrag aus Drucksache Nr. 3052, d. h. auf Versagung der Genehmigung zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen die Abgeordneten Dr. Kurt Schumacher und Dr. Arndt, zuzustimmen.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Es hat sich bei mir zum Wort gemeldet der Abgeordnete Goetzendorff. Goetzendorff ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Öffentlichkeit ist ein sehr häßlicher Verdacht laut geworden, ein Verdacht, daß sich zwei ganz hervorragende Vertreter dieses Hauses der Hehlerei schuldig gemacht haben könnten. Ich bin weit davon entfernt, nur an die Andeutung einer Möglichkeit dieses Verdachts zu glauben. Ich bin aber der Meinung, man sollte gerade diesen hervorragenden Persönlichkeiten des Deutschen Bundestages die Möglichkeit geben, sich gegenüber den Vorwürfen in der Öffentlichkeit zu rechtfertigen und dann eventuell die Denunzianten zur Rechenschaft zu ziehen. ({1}) Meine Damen und Herren! Politisch ist ja alles verbrämt, was in diesem Hause serviert wird. Ich möchte Ihnen eines sagen: Bei mir ist, glaube ich, sieben- oder achtmal sehr, sehr schnell die Immunität aufgehoben worden. Ich habe mich jedesmal herzlich darüber gefreut, weil ich wieder einmal einem Denunzianten den Giftzahn ausziehen konnte. Ich habe bisher alle Prozesse gewonnen, ({2}) und ich bin der Meinung, es gehört auch zum Ansehen des Parlaments, sich dagegen zu wehren, wenn hier prominente Mitglieder dieses Hauses einen so häßlichen - gestehen wir es doch - Verdacht hinnehmen müssen. Ich bitte, mich nicht mißzuverstehen; aber ich bin der Meinung, man sollte den Herren die Möglichkeit geben, gegen diese Gerüchte anzugehen, und die Immunität aufheben.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität auf Drucksache Nr. 3052. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen. Damit kämen wir dann zur Bekämpfung der Schädlinge, der Seuchen und der Maul- und Klauenseuche. ({0}) Meine Damen und Herren! Ich rufe auf den Punkt 16 der Tagesordnung: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Horlacher und Genossen betreffend Schädlings- und Seuchenbekämpfung ({1}); b) Beratung des Antrags der Fraktion der Föderalistischen Union ({2}) betreffend Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche ({3}); c) Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend Beschaffung von Bekämpfungsmitteln gegen die Maul- und Klauenseuche aus der DDR ({4}); d) Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend Bereitstellung von Bundesmitteln zur Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche ({5}). Der Ältestenrat schlägt Ihnen Begründungszeiten von 15, 10, 10, 10 Minuten und eine Aussprachezeit von 60 Minuten vor. Ich habe die Hoffnung, daß sie nur zu einem Teil in Anspruch genommen wird. Darf ich fragen, wer den Antrag der Abgeordneten Dr. Horlacher und Genossen begründet? - Herr Abgeordneter Horlacher persönlich! Bitte schön! Dr. Horlacher ({6}), Antragsteller: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage, die jetzt auf der Tagesordnung steht, hat mit den Fragen, die vorangegangen sind, nichts zu tun. ({7}) Hier handelt es sich um eine Frage von sehr ernster Bedeutung. Ich verfolge die Entwicklung der Maul- und Klauenseuche in der Deutschen Bundesrepublik seit einigen Monaten und ich muß sagen, daß sie jetzt besonders auch im Süden der Bundesrepublik einen Höhepunkt aufweist - es wird auch noch andere befallene Gebiete geben -, der zu außerordentlicher Besorgnis Anlaß gibt. Täuschen wir uns nicht darüber: wenn es nicht gelingt, der Maul- und Klauenseuche in den nächsten Wochen einigermaßen Herr zu werden, dann sehe ich für die kommende Frühjahrsbestellung besonders bei den Bauern, die auf die Kuh-Einspannung angewiesen sind, sehr schwarz. Außerdem hat das Vieh, soweit es durch die Seuche hindurchgegangen ist, schon dadurch stark gelitten, so daß die Gespannkraft dieses Viehes nicht voll zum Einsatz zu bringen ist. Ich habe schon gesagt, daß wir uns die Sache nicht so leicht machen können. Wir werden vorbereitende Maßnahmen treffen müssen, damit wir dieser Sache Herr werden und damit die Frühjahrsbestellung unter allen Umständen gesichert werden kann. Es kommt der zweite wichtige Gesichtpunkt. Sie wissen alle miteinander, daß unsere Fleischversorgung außerordentlich angespannt ist. Wenn bei dem riesigen Milliardenkapital, das in dem Viehstapel der bäuerlichen und landwirtschaftlichen ({8}) Bevölkerung drinsteckt, große Verluste eintreten, entstehen auch Gefahren für die Weiterführung einer ausreichenden Fleischversorgung der deutschen Bevölkerung. Vor diese ernste Frage sind wir gestellt. Dazu kommt, daß es ursprünglich so ausgesehen hat, als ob die Seuche einen milderen Charakter haben wird. Sie trägt aber jetzt schon einen stärkeren Charakter. Die Viehausfälle mehren sich, und es gibt einzelne Kleinbauern - mir sind solche Fälle berichtet worden -, die ihre zwei oder drei Stück Vieh durch die Seuche bereits verloren haben. Es ist schwer, hier Ersatz zu schaffen - in den verseuchten Gebieten kann es überhaupt nicht gemacht werden -, und die Entschädigung für das gefallene Vieh ist auch sehr schwer aufzubringen. Die Tierseuchenkassen sind aufs äußerste angespannt. Hier muß auch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ersucht werden, mit den Ländern in Fühlung zu treten, damit eine Vorfinanzierung stattfindet; denn jetzt, wo die Kassen so in Anspruch genommen sind, kann das nicht alles geleistet werden. Das ist der Tatbestand, der vor uns liegt. Die andere Seuche, die vorhin behandelt worden ist, läßt sich leichter bekämpfen. Das ist Sache der Gerichte. hier handelt es sich um den Ausfall, der durch eine Seuche eintreten kann, die einen für die Aufrechterhaltung der landwirtschaftlichen Betriebe recut gefährlichen Charakter trägt. Vielleicht werden wir nach einigen Wochen, wenn sich die Verhältnisse nicht bessern lassen, die Sache viel ernster anschauen, anschauen, als wir das heute tun. Deshalb habe ich hier den Antrag nach verschiedenen Richtungen hin gestellt. Es ist notwendig, daß sich die Tatigkeit des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft auf diesem wichtigen Gebiet weiterhin ausdehnt und daß es mit den Ländern in Fühlung tritt, damit die notwendige Verzahnung in den Bekämpfungsmaßnahmen sichergestellt ist. Ich weiß, daß auch gewisse internationale Verhandlungen schon laufen. Es ist notwendig, daß die internationalen Verhandlungen verstärkt werden. Ich bin in meinem Antrag von dem Gesichtspunkt ausgegangen, daß wir der Seuchen, insbesondere der Maul- und Klauenseuche, nicht Herr werden, wenn wir nicht gewisse europäische Einrichtungen schaffen. Der Impfstoff gegen die Maul- und Klauenseuche hat leider Gottes die Eigenschaft, nicht haltbar zu sein, und es ist daher schwierig, immer genügend Impfstoff zur Hand zu haben. Deshalb habe ich daran gedacht: wenn man schon in europäischen Konventionen zu arbeiten anfängt, dann ist hier eine Konvention zur Bekämpfung der tierischen und pflanzlichen Schädlinge eine ernste Notwendigkeit. Wird diese geschaffen, dann wird es, da die Schädlinge nicht in allen Ländern gleichmäßig auftreten werden, immer gelingen, die vereinte Kraft, die von Europa gebildet wird, in dem jeweils betroffenen Land zusammenzufassen, um der Seuche Herr zu werden. Damit würde auch die Seuchenbekämpfung an den Grenzen in gute Hände übergeleitet werden. Das sind die Gesichtspunkte, die da niedergelegt sind. Neben der Maul- und Klauenseuche gibt es auch die Hühnerpest. Wir haben in unseren Hühnerbeständen ein ziemlich starkes Kapital investiert, und wenn auch hier Ausfälle eintreten, macht sich das in der Versorgung der Bevölkerung sehr nachhaltig bemerkbar. Es ist infolgedessen notwendig, daß man sich mit allem Ernste dieser Fragen annimmt. Es ist sehr schwer, hier das Richtige zu treffen. Ich kann heute abend nicht mehr so lange reden. Es ist praktisch so, daß das Leben des Bauern, ich möchte hier einmal sagen: durch die Naturverhältnisse, unter denen er zu arbeiten hat, sehr erschwert wird. Da kommen Wind und Wetter und alles mögliche dazu. und dann gibt es noch die Seuchen im Viehstall. Das ist der empfindlichste Verlust, der den Bauern trifft. Er läßt sich meistens nicht in einem Jahr. sondern erst nach mehreren Jahren wieder ausgleichen. Deshalb ist hier Beschleunigung absolut notwendig. Ich behalte mir vor, im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten noch weitere Ausführungen zu machen. An sich ist der Antrag so gefaßt, daß Sie ihn ruhig hier annehmen können; aber vielleicht haben manche Damen und Herren noch etwas dazu zu bemerken. Das können sie im Ausschuß tun. Es muß aber in der nächsten Woche geschehen; denn große Verzögerungen sind hier nicht mehr am Platz. Es kommt auf iede Woche an, und ich nehme auch an. daß das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft die Grundgedanken. die in dem Antrag enthalten sind, sofort aufnimmt und die entsprechenden Verhandlungen herbeiführt. Leider haben wir eine Seuchenbekämpfungsstation nicht mehr zur Verfügung. Sie liegt auf der Insel Riems. Es wäre notwendig, daß diese Seuchenstation wieder irgendwie zu Hilfe eilt. Das wäre eine Angelegenheit, der sich der Herr Kollege Renner einmal annehmen könnte, damit wir von dieser ehemals in unserm eigenen Besitz befindlichen Station den Impfstoff bekommen können. Dieser Impfstoff wäre wichtiger als Ihr übriger Impfstoff, der von der Ostzone herüberkommt. ({9}) Aus diesem Grunde ist es notwendig, unter allen Umständen dafür zu sorgen, daß eine europäische Station für die verschiedenen Gebiete eingerichtet wird, damit wir in Zukunft gegen die Ausbreitung von Seuchen besser geschützt sind, als es bisher der Fall ist. ({10})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Wer begründet den Antrag der Fraktion der Föderalistischen Union? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Hoffmann! Hoffmann ({0}) ({1}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den temperamentvollen Ausführungen meines Vorredners kann ich mich etwas kürzer fassen, als ich ursprünglich beabsichtigte. Wir haben seinerzeit eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet und um Mitteilung ersucht, welche Schritte sie unternehmen wolle, um der Ausbreitung der Maul- und Klauenseuche Einhalt zu gebieten. Die Antwort der Bundesregierung vom 17. Oktober 1951 hat uns nicht befriedigt. Wohl sind Maßnahmen vorgeschlagen worden, aber diese Maßnahmen sind nicht ausreichend; denn es wird ein energisches Eingreifen notwendig sein, um die Maul- und Klauenseuche tatsächlich einzuschränken und zurückzudrängen. Der Landwirtschaft sind, wie Herr Kollege Horlacher schon saute, bereits ungeheure Nachteile entstanden und werden auch noch in Zukunft entstehen. Ich möchte die Bundesregierung darauf aufmerksam machen, ob es ihr bekannt ist, daß man zur Zeit 12,50 DM für das Impfen eines Tieres ver({2}) langt hat, also ungefähr 300 % mehr, als man gewöhnlich dafür zu bezahlen braucht, es sind Schwarzmarktpreise. Wir müssen feststellen, daß die Bundesregierung, also die Regierung überhaupt, vollständig die Kontrolle über das Serum, die Impfstoffe, verloren hat. Es könnte sonst nicht vorkommen, daß man in Baden genügend Impfstoffe bekommen kann, in Bayern nicht, daß die praktischen Tierärzte für 12,50 DM die Impfstoffe haben, dagegen die Kreisveterinärräte nicht. Die Folgen dieses Seuchenganges sind vor allen Dingen auch in den Gebieten von Nordrhein-Westfalen sehr stark. Zum Teil sind in den befallenen Beständen 50 % der Tiere verloren gegangen, und wir wissen noch nicht, wie es in der Zukunft weitergehen soll. Der Landwirtschaftsverband schätzte den Schaden der Maul- und Klauenseuche vor ungefähr 2 Monaten auf etwa 140 Millionen DM. Mittlerweile wird der Schaden vielleicht bis auf ungefähr 200 Millionen DM angestiegen sein. Wenn wir einmal zurückdenken: 1920 hatten wir den größten Maul- und Klauenseuchegang, der jemals dagewesen ist. Damals waren zirka 12 Millionen Tiere befallen, davon 6 Millionen Stück Rindvieh. In der Erkenntnis, daß man es nicht allein der Landwirtschaft überlassen kann, diese Seuche zu bekämpfen, hat man 1927 auf der Insel Riems vor Greifswald das Institut zur Erforschung der Maul- und Klauenseuche und zur Herstellung von Serum eingerichtet. Im Anschluß an die Einrichtung wurden große Mengen von Vakzinen hergestellt, die zur Rinderimpfung benutzt wurden. Man hat, wie Herr Kollege Horlacher schon sagte, auch in diesem Seuchengang versucht, Impfstoffe aus dem Ausland einzuführen. Man hat Vakzine eingeführt aus Dänemark, Holland und Italien. Dabei hat sich herausgestellt, daß die Vakzine, die aus Dänemark eingeführt waren, vollständig versagten, dagegen die italienischen einigermaßen brauchbar waren. Es wird notwendig sein, polyvalente Vakzine herzustellen, die auch tatsächlich für die Bekämpfung der einzelnen Arten des Virus brauchbar sind. Bei dem letzten Seuchengang hat sich gezeigt, daß wir 5 Arten des Virus A, dann das Virus C hatten, und neuerdings ist auch das Virus O aufgetreten. Auch das ist ein Zeichen, daß wir ein Institut haben müssen, das sich mit diesen Fragen beschäftigt. Denn der Schaden, der für die Landwirtschaft und für die gesamte Volkswirtschaft entsteht, ist so gewaltig, daß hier der Staat eingreifen muß. ({3}) - Herr Kollege, die Maul- und Klauenseuche ist ja nicht allein eine Frage der Landwirtschaft, ({4}) sondern die Frage der Seuchenbekämpfung ist schließlich eine Frage der gesamten Volkswirtschaft, weil auch die gesamte Volkswirtschaft, besonders jetzt, wo die Ernährungslage und gerade die Versorgung - ({5}) - Nein, aber die Einrichtung des Instituts, Herr Kollege, das wir früher schon hatten! Wir bedauern die Zweiteilung Deutschlands; das Institut liegt leider in der russischen Zone, und so müssen wir nun versuchen, hier in unserem Gebiet ebenfalls ein solches Institut einzurichten. Sie wissen ja, daß wir nur ein Privatinstitut haben, und zwar das der Behringwerke in Marburg. Aber es ist eben ein Privatinstitut. Wie Herr Kollege Horlacher Ihnen schon gesagt hat, ist es nicht möglich, die Vakzine, das Serum längere Zeit aufzubewahren. Deshalb wird ein Privatinstitut niemals das leisten, was ein Staatsinstitut leisten wird und auch leisten muß; denn es wird privatwirtschaftlich denken. Ich stimme dem Antrag des Herrn Kollegen Horlacher zu, den Antrag, den wir unter Drucksache Nr. 2988 eingebracht haben, dem Ernährungsausschuß an erster Stelle zur fachlichen Durchberatung und gleichzeitig dem Haushaltsausschuß zu überweisen. Ich stimme Ihnen, Herr Kollege Horlacher, auch darin vollständig zu, daß Eile geboten ist. Ich glaube, daß der Herr Minister - der j a eigentlich hier sein wollte - und von der veterinärmedizinischen Fakultät ist, sich dieser Sache ganz besonders liebevoll annehmen wird. ({6})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort zur Begründung der beiden kommunistischen Anträge hat der Abgeordnete Niebergall. Niebergall ({0}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unseren Anträgen liegt folgendes zugrunde. Nach einem Bericht des deutschen Rinderzüchterverbandes hatten wir in der westdeutschen Viehzucht bis November vergangenen Jahres einen Schaden in Höhe von 120 Millionen DM. In dieser Summe sind nicht eingerechnet die Schäden, die sich aus den Nachkrankheiten und aus den späteren Auswirkungen ergeben haben. Es dürfte keineswegs übertrieben sein, wenn in eingeweihten Kreisen davon gesprochen wird, daß der Schaden zur Zeit mehr als 200 Millionen DM ausmacht. Allein in Rheinland-Pfalz waren Anfang Dezember mehr als 500 Gemeinden, über 2400 Gehöfte, 17 °/o aller Gemeinden von der Seuche erfaßt. Noch toller war der Zustand in Niedersachsen, in Schleswig-Holstein und in Südbaden. Insgesamt waren bis zum 1. Dezember mehr als 50 000 Gehöfte von der Seuche erfaßt. Von einem wesentlichen Rückgang dieser Seuche ist in Westdeutschland wenig zu verspüren. Mit Recht stellen unsere Bauern und alle Interessenten die Frage, wer die Verantwortung für das Ausmaß - ich betone: das Ausmaß - der Seuche trägt. Diese Frage ist um so mehr berechtigt, als der augenblickliche Seuchengang in seinem Umfang den des Jahres 1937/38, als wir noch nicht über ausreichendes Serum verfügten, wesentlich überschreitet. Wir machen für dieses Ausmaß des Seuchenganges die Bundes- und Länderregierungen verantwortlich, denn weder Bund noch Länder haben genügend Mittel, ({1}) Impfstoffe zur Bekämpfung der Seuche zur Verfügung zu stellen. ({2}) - Warum regen Sie sich auf? Ich wünsche Ihnen j a nicht die Maul- und Klauenseuche. ({3}) Es ist nicht wahr, daß kein Geld da sei, wie man behauptet. Geld ist doch da; aber es wird nicht für diese Zwecke, für Friedenszwecke ausgegeben, ({4}) ({5}) sondern für andere Zwecke, für Zwecke der Remilitarisierung, ({6}) für die Grenzschutzpolizei und jetzt für den Wehrvertrag. ({7}) Allerdings: wer die Politik Adenauers macht, die Politik der Remilitarisierung, hat für die Landwirtschaft kein Geld. Es ist auch nicht wahr, wenn man hier sagt, in Deutschland seien nicht genügend Impfstoffe vorhanden. Herr Kollege Horlacher, Deutschland hört nicht auf an der Elbe, sondern Riems gehört zu Deutschland. Wir können über diese Impfstoffe dort ganz gut verfügen. ({8}) Vor Monaten haben nämlich Landwirtschaftsstellen der Deutschen Demokratischen Republik deutschen Regierungsstellen im Westen Hilfsangebote gemacht. Diese Stellen der Deutschen Demokratischen Republik konnten das tun, weil das Forschungsinstitut auf der Insel Riems dank der Unterstützung der Regierung der DDR Impfstoffe gegen die Maul- und Klauenseuche wesentlich verbessert und auch in ausreichendem Maße hergestellt hat. Deutsche Bauerndelegationen haben sich jetzt überzeugt, daß diese Impfstoffe in ausreichendem Maße vorhanden sind. Es gibt Wissenschaftler, die behaupten, daß diese Impfstoffe beim Vieh fünf bis sechs Jahre nachhaltig sind. Ich kann das nicht genau beurteilen, da ich nicht der Wissenschaftler dazu bin. ({9}) Was aber taten die angesprochenen Regierungsstellen Westdeutschlands? Sie lehnten dieses Angebot, das von Deutschen für Deutsche gemacht wurde, ab, und zwar auf Geheiß des Petersbergs Unseren Bauern fehlt für ein solch verantwortungsloses Verhalten jedes Verständnis. Mit Empörung sagen unsere Bauern - und ich habe in den letzten Monaten mit tausenden gesprochen-: ({10}) Soll deshalb, weil auf Geheiß Herr Adenauer mit Herrn Grotewohl sich nicht an einen Tisch setzen soll, unser Vieh in den Ställen zugrunde gehen? - Das ist die Frage, die die Bauern mit Recht stellen. An einem solchen Verhalten der Bundesregierung kann höchstens die amerikanische Konservenindustrie interessiert sein, denn für sie heißt die Rechnung: je mehr Vieh in Westdeutschland fällt, um so mehr Konserven kommen hierher und um so höher ist der Profit. Das ist doch eine Tatsache, die Sie nicht bestreiten können. Denken Sie doch einmal ernsthaft darüber nach! Unsere Bauern haben dafür kein Verständnis, daß in den. Seuchengebieten in den Herbstmonaten große Manöver veranstaltet wurden und die Seuche von einem Dorf in das andere geschleppt wurde. Die Regierung aber hat dabei geschwiegen. ({11}) - Ob das Absicht war oder nicht, die Regierung hat dazu geschwiegen, und die Folgen tragen heute unsere Landwirte draußen. Dieses Verhalten der Bundesregierung kommt unseren Bauern vor wie das Verhalten jenes Mannes, der auf einem Ast sitzt und sich selber den Ast absägt. Denn darüber dürfte doch Klarheit bestehen: durch die Sabotage des Interzonenhandels seitens des Petersbergs wird in erster Linie die westdeutsche Wirtschaft und die Mehrheit unserer Bevölkerung getroffen und sonst niemand. Denn die drei Eisheiligen auf dem Petersberg bzw. deren Länder machen ganz gute Geschäfte mit dem Osten auf Kosten der deutschen Wirtschaft. ({12}) Die lachenden Verdiener an diesem Verhalten sind die amerikanischen Konzerne, die lustig ihre Geschäfte mit dem Osten betreiben. Deshalb rufen wir von dieser Stelle unser Volk und alle Bauern auf, sich mit aller Kraft in den Organisationen und Verbänden und allerwärts gegen diese wahnsinnige, gegen diese volksverderbliche Politik zu wenden. Der deutschen Landwirtschaft kann nur geholfen werden und sie kann nur leben, wenn man ihr großzügige Hilfe gibt durch Steuerermäßigungen, langfristige Kredite und Änderung der Industriepreise und indem man gegen diesen gewaltigen Seuchengang, der auch vom Herrn Kollegen Horlacher bestätigt wurde, etwas tut. Die deutsche Landwirtschaft kann nur leben, wenn der Sabotage des Interzonenhandels Einhalt geboten wird und wenn den volksfeindlichen Maßnahmen der Adenauer-Regierung ein Ende bereitet wird. Der Landwirtschaft kann nur geholfen werden durch solche Maßnahmen, wie sie die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik im Interesse der Landwirtschaft ergriffen hat. ({13}) - Bitte, ich fordere die Bauernvertreter auf, einmal dorthin zu fahren, wie es westdeutsche Bauern getan haben, und an Ort und Stelle ganz nüchtern zu studieren, was dort getan wird und was hier getan wird, und dann wollen wir uns noch einmal hier unterhalten.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Herr Abgeordneter Niebergall, vielleicht kehren Sie ganz langsam zur Maul-und Klauenseuche zurück! Niebergall ({0}), Antragsteller: Ich glaube, das gehört mit dazu; das ist die Politik der AdenauerRegierung, und das sind die Mätzchen, die man uns hier vorsetzt. Der Landwirtschaft kann nur dadurch geholfen werden, daß man eine Friedenswirtschaft entwickelt. Was wir brauchen, ist nicht Schumanplan, Wirtschafts-Kriegsplan, sondern ein deutscher Agrarplan. Wir brauchen keinen Generalkriegsvertrag, ({1}) sondern wir brauchen ein deutsches Agrargesetz.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Herr Abgeordneter Niebergall, ich rufe Sie zum zweitenmal zur Sache und mache Sie auf die Folgen eines dritten Rufes zur Sache aufmerksam.

Otto Niebergall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001604, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Ich spreche zur Sache. Das gehört mit zur Landwirtschaft.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Sie sprechen nicht allgemein über Landwirtschaft, sondern über Maul-und Klauenseuche.

Otto Niebergall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001604, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Ja, was ist denn Maul- und Klauenseuche? Ist das eine Krankheit des Peters-bergs oder eine Krankheit der Landwirtschaft? - Die deutsche Landwirtschaft braucht keine europäische Agrarunion, sondern was sie braucht, ist ein deutscher Wirtschaftsplan und die Einigung ({0}) unseres Vaterlandes, gesamtdeutsche Beratungen und Wahlen. Damit wird auch der deutschen Landwirtschaft geholfen.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Meine Damen und Herren, es sind sämtliche Anträge begründet. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu dem Herrn Abgeordneten Niebergall werde ich mich absolut auf die Maul-und Klauenseuche konzentrieren. ({0}) Ich darf das Einverständnis der Herren Abgeordneten Horlacher und Hoffmann voraussetzen, daß die von ihnen behandelten Angelegenheiten im Ernährungsausschuß ihre Erledigung finden. Aus dem Antrag und den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Niebergall könnte man den Eindruck gewinnen, als ob im Gegensatz zu Westdeutschland in Ostdeutschland in bezug auf die Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche alles in bester Ordnung sei und wir von Ostdeutschland nur lernen könnten. Dem ist nicht so. Es ist keineswegs so, daß in der Ostzone ein Maul- und Klauenseuchenbekämpfungsmittel vorhanden sei, das für die Lösung der Aufgaben, vor denen wir hier stehen, in irgendeiner Weise nutzbar sein könnte. Verantwortlich dafür, daß sich die Maul- und Klauenseuche in Westdeutschland ausgebreitet hat, ist das Auftreten eines neuen Erregers. Dieser ist in Ostdeutschland genau so unbekannt wie bei uns. Wir haben vor einem Vierteljahr mit der ostdeutschen Versuchsanstalt in Riems Verbindung aufgenommen, haben ihr unsere Vakzine zugeschickt und sie gebeten, uns ihre Vakzine probeweise herzusenden. Dieses Ersuchen ist bislang nicht beantwortet worden. ({1}) Die Dinge liegen in der Ostzone im Gegenteil folgendermaßen. Bekanntlich besteht dort eine Zwangsimpfung, die, nebenbei bemerkt, auf Konten der Tierhalter durchgeführt wird. Für diese Zwangsimpfung fehlen aber die Vakzine, so daß nach einem von dem Leiter der Versuchsanstalt in Riems veröffentlichten Aufsatz die Zwangsimpfung bislang nur gebietsweise hat durchgeführt werden können. ({2}) Die Maul- und Klauenseuche hatte in der Ostzone am 1. Dezember 1951 1764 Gemeinden und 10 305 Gehöfte erfaßt, ein Zeichen dafür, daß auch in der Ostzone irgendein wirksames Bekämpfungsmittel gegen den neu aufgetretenen Erreger der Maul-und Klauenseuche nicht vorhanden ist. President Dr. Ehlers: Meine Damen und Herren, im Rahmen der Aussprache Herr Abgeordneter Steinhörster!

Willi Steinhörster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß doch zunächst, bevor ich auf die Anträge eingehe, folgendes zum Ausdruck bringen. Ich glaube nicht, daß der Herr Staatssekretär Sonnemann das Recht hat, an Abgeordnete Zensuren zu erteilen. ({0}) Das ist eine ganz allgemeine Feststellung und gilt auch, wenn sich in diesem Fall die Zensur auf einen kommunistischen Abgeordneten bezogen hat, der es ja nun - das wissen wir alle - versteht, von der Maul- und Klauenseuche zum Schluß auf den „imperialistischen Krieg" zu kommen. Aber davon abgesehen: es steht einem Staatssekretär nicht zu, Zensuren an Parlamentarier zu erteilen. ({1}) Ich möchte nur zu einem Teil der vorliegenden vier Anträge sprechen, zu dem noch gar nichts gesagt worden ist, zu dem auch der Herr Staatssekretär kein Wort gesprochen hat, nämlich zu dem Teil der Anträge, der sich auf die Schädlingsbekämpfung in der Bundesrepublik bezieht. Hinsichtlich des Problems der Maul- und Klauenseuche darf ich im Namen meiner Fraktion erklären, daß wir uns den Ausführungen des Kollegen Dr. Horlacher durchaus anschließen können und auf dieser Basis im Ausschuß zusammenarbeiten werden. Es ist das zweite Mal, daß sich das Parlament mit einer etwas außergewöhnlichen Frage, eben mit dieser Frage der schädlings- und seuchenbekämpfung, beschäftigt. Das erste Mal ging es um die Beantwortung der Anfrage Nr. 226 vom 6. November 1951. In dieser Anfrage wünschte die sozialdemokratische Fraktion von der Bundesregierung eine Antwort, welche Maßnahmen zur Bekämpfung des Buchenprachtkäfers getroffen werden. Der Buchenprachtkäfer, der in einem außergewöhnlich starken Ausmaß im Süden der Bundesrepublik aufgetreten ist und dort erhebliche Verwüstungen anzurichten droht, war ein der Land- und Forstwirtschaft bis dahin fast unbekanntes Insekt. Die Antwort, die die Bundesregierung auf diese Anfrage erteilt hat - und ich meine, auch solche Anfragen, die nicht alltäglich sind, müssen ernst genommen werden -, war nach meiner Ansicht mehr als dürftig. Diese Antwort ist auf Drucksache Nr. 2879 am 28. November 1951 erteilt worden. Ich habe mich aus einem persönlichen Interesse, das ich diesen Dingen entgegenbringe, etwas mehr um diese Fragen gekümmert und insbesondere von den südwürttembergischen land- und forstwirtschaftlichen Stellen Auskünfte bekommen, die sich in keiner Weise etwa mit denen in der Antwort des Bundesernährungsministeriums decken. Ich sagte schon, daß dieser Käfer bis dahin ein unbekanntes Insekt gewesen ist. Aber die Sache ist ernster. Daher reicht diese Feststellung allein nicht aus. Denn es sind immerhin 260 000 Festmeter Holz befallen. 260 000 Festmeter Holz, das ist doch keine Kleinigkeit! In der Antwort der Bundesregierung heißt es: Es ist uns bekannt, daß das der Fall ist; die Schäden, von denen gesprochen wird oder die vermutet werden, sind nicht groß, denn der Buchenprachtkäfer hat nur hiebreife Buchen befallen, und das Holz wird sowieso geerntet, das fällt ja sowieso an. - In Wirklichkeit - sagen die Forstleute in Südwürttemberg - ist es aber gar nicht so; denn der Umfang des Schadens ist überhaupt noch unbekannt und zur Zeit auch gar nicht feststellbar. Und das scheint mir auch richtig zu sein. Eine Grundlagenforschung auf diesem Gebiete, eine Forschung in der Chemie und in der Biologie gibt es überhaupt noch nicht. Wenn solche Forschungen angelaufen sein sollten, so sind ({2}) sie doch in keiner Weise abgeschlossen. Daher stehen auch Forstwissenschaft und die Wissenschaft, die sich auf landwirtschaftlichem Gebiete mit diesen Dingen befaßt, in dem Fall Buchenprachtkäfer noch vor einem Rätsel. Übrigbleiben wird nun eine Bekämpfung durch Gift in einem Umfange, daß man wegen der Folgen Angst bekommen muß. Infolge einer so radikalen Vergiftung werden pro Hektar und Jahr etwa 300 DM Kosten entstehen. Es gibt für diese Großaktion überhaupt noch keine Geräte; man muß also noch Geräte konstruieren und anfertigen, um eine so große Aktion durchführen zu können. Das Allerschlimmste bei dieser Betrachtung aber ist, daß, wie die Fachleute übereinstimmend erklären, der Erfolg keineswegs sicher ist! Hinzu kommt - und das ist mir das größte Anliegen, ja das hat mich überhaupt hier auf diese Tribüne gebracht -, daß mit einer so großangelegten Vergiftung, wie das hier unter Umständen nötig wird, eine völlige Vernichtung der gesamten Insektenwelt auf dieser Fläche eintritt. Es werden also nicht nur Schadinsekten vergiftet und abgetötet, nein, auch alle nützlichen Parasiten, alle natürlichen Feinde dieser Insektenwelt. Die Ursache dieser Kalamität - so wird von seiten der württembergischen Forstverwaltung gesagt - liege in den ungewöhnl chen Wetterverhältnissen, insbesondere in der Dürre der Jahre 1947 bis 1949. Das wollen die ,.Fachleute" nicht glauben. Sie glauben vielmehr, daß das nicht die tatsächliche Ursache ist. Denn - so sagen sie - das hat es früher auch schon gegeben, wir haben auch früher schon dürre Jahre .und ähnliche klimatische Verhältnisse gehabt. Die wirkliche Ursache liegt, so glaube ich, sicher viel tiefer. Sie liegt einmal darin, daß zwar nicht n u r in diesem Gebiete, aber vielleicht in diesem Gebiete ganz speziell der Wasserhaushalt restlos gestört, um nicht zu sagen zerstört worden ist. Die wirkliche Ursache liegt weiter darin, daß die natürlichen Feinde in einer Weise abgenommen haben, die noch gar nicht zu übersehen ist, und daß für die Vermehrung der natürlichen Feinde dieser Schadinsektenwelt so gut wie gar nichts getan wird, daß man heute alles Heil in Gift sucht und von nützlichen Vögeln, von Waldameisen, von Schlupfwespen und dergleichen anscheinend gar nichts weiß. In den deutschen Wäldern herrschen überhaupt keine natürlichen Verhältnisse mehr. Wir kennen doch nur noch den Begriff ,,Forsten" und nicht mehr den Begriff „Wald". Alles wird doch l'e'ite ausgerichtet nach dem sogenannten Nützlichkeitsprinzip, das am Ende aber gar kein Nützlichkeitsprinzip mehr ist. Das zur Einleitung und vielleicht zur Erklärung unserer Absicht, die Bundesregierung zu einer etwas stärkeren Beweglichkeit in diesen Fragen anzuregen, sowie zu dem Thema Buchenprachtkäfer. Nun zu dem Antrag Horlacher und Genossen. Der Antrag horlacher und Genossen will, daß die Bundesregierung beweglicher wird, daß sie sich mit den Ländern der Bundesrepublik ins Benehmen setzt, um rechtzeitig - rechtzeitig, darauf kommt's doch an, Herr Kollege Horlacher - stärker auftretenden pflanzlichen Schädlingen und, wie Sie weiter wollen. tierischen Seuchen durch geeignete und zentrale Abwehrmaßnahmen - Bund, Länder und darüber hinaus europäische Organisationen - zu begegnen. Gestatten Sie mir hierzu ein paar grundsätzliche Bemerkungen. Durch die ständigen Eingriffe der Menschen in die Natur ist das biologische Gleichgewicht gestört worden. Das ist eine Tatsache, die niemand bestreiten kann. Durch die Land- und forstwirtschaftliche Kultur in der Jetztzeit und in den jetzt betriebenen Formen müssen die biologischen Zusammenhänge einfach zerrissen werden. Die Folge einer solchen willkürlichen Zerreißung der biologischen Zusammenhänge sind nun einmal derartige Schädlingsplagen, wie wir sie im Falle des Buchenprachtkäfers erlebt haben und wie wir sie - ich bin fest davon überzeugt - an anderem Ort gelegentlich wieder erleben werden. Was die Menschen heute treiben, entspricht nur scheinbar dem Nützlichkeitsprinzip. Es bringt uns kein Stück weiter, und am Schluß steht dann immer die Kalamität, am Schluß steht dann die Bekämpfung mittels Gift. Ich darf Sie vielleicht mit ein paar Zahlen bekanntmachen. Die Kartoffelkäferbekämpfung, eine sehr wichtige Angelegenheit in Deutschland - und es gibt wohl keinen Menschen, der nicht von der Wichtigkeit überzeugt wäre -, kostet pro Jahr 25 Millionen DM, die Bekämpfung der San José-Schildhaus kostet den Steuerzahler pro Jahr 1 bis 2 Millionen DM. Wenn dabei ein Dauererfolg möglich wäre, - einen Dauererfolg gibt es aber nicht. D'ese Gelder müssen jedes Jahr wieder neu aufgebracht werden. Am meisten bedaure ich den folgenden Umstand. Die Praxis zeigt, daß eine Grundlagenforschung für die Schädlingsbekämpfung noch nicht den Stand erreicht hat, der notwendig wäre, um die Anwendung dieses hochpotenzierten Giftes überhaupt zu rechtfertigen. Die chemischen Gifte, die heute Anwendung finden, wirken nicht selektiv und zerstören in weitem Ausmaße - das habe ich schon gesagt - andere Lebewesen, die einfach erforderlich sind, insbesondere auch Lebewesen im Boden, die für die Humusbereitung so außerordentlich wichtig sind, Parasiten und Raubinsekten, wie ich schon ausgeführt habe. Ich glaube, man sollte jetzt damit beginnen einen anderen Weg zu beschreiten, und sollte nicht auf dem bisherigen „bequemen" Weg verbleiben. Man sollte jetzt an die biologischen Schädlingsbekiimpfungsmethoden her-angeben. Hierzu wäre eine Grundlagenforschung nötig, wie sie in den übrigen Teilen Europas, insbesondere aber n Amerika schon seit 15 Jahren betrieben wird. Die Erfahrungen im Ausland sind außerordentlich wertvoll. Man sollte nun damit anfangen, diese Erfahrungen zu sammeln und auszuwerten. In Deutschland haben wir kein Institut. Wir haben eine Biologische Bundesanstalt, und ich empfehle Ihnen, den Bericht dieser Biologischen Bundesanstalt für das Jahr 1950 einmal sorgfältig zu lesen. In diesem Bericht über das Jahr 1950 werden Sie über biologische Schädlingsbekämpfung so gut wie nichts finden, weil auf dem Gebiet von dieser Anstalt nach meiner Meinung so gut wie nichts getan wird; einen anderen Schluß kann ich nicht ziehen. Sie werden das Wort ,.Biologie" nur einmal finden, und zwar in der Firmenbezeichnung dieser Anstalt. Das scheint mir keine gute und ausreichende Sache zu sein. Nun wissen wir, daß der Aufbau der Bundesrepublik eine planmäßige Forschungsarbeit stark behindert. Das ist eine große Schwierigkeit, vor der wir einfach rein verwaltungsmäßig und verfassungsmäßig stehen. Im Bundesernährungsministerium werden Fragen der Schädlingsbekämpfung bearbeitet, und man beschäft gt sich damit. Man behandelt aber diese Fragen heute noch getrennt, einmal für die Landwirtschaft und einmal für die ({3}) Forstwirtschaft. Das scheint mir ein unhaltbarer Zustand zu sein, sowohl vom Organisatorisch- Verwaltungsmäßigen her wie auch in der Sache. Das Ministerium sollte sich überlegen, wieweit hier eine Zusammenfassung und eine Zusammenarbeit möglich ist. Hinzu kommt, daß nach meinen Feststellungen die forstwirtschaftliche Seite erheblich zu kurz gekommen ist. Für die forstwirtschaftliche Seite muß mehr getan werden. Ich brauche Sie nur daran zu erinnern, daß wir heute in der Bundesrepublik noch rund 20 Millionen Festmeter borkenkäfergefährdetes Holz stehen haben. Diese Tatsache scheint mir ausreichend zu sein, um das Ministerium dazu anzuhalten, der forstwirtschftlichen Seite etwas mehr Interesse entgegenzubringen. Ich darf jetzt zum Schluß kommen und zusammenfassen. Nach meiner Meinung muß folgendes gefordert werden: Aktivierung der biologischen Grundlagenforschung und Verbreitung der gewonnenen Erkenntnisse und der praktischen Ergebnisse unter der interessierten Bevölkerung, insbesondere natürlich unter der bäuerlichen Bevölkerung, Lehrer für den wissenschaftlichen Nachwuchs, Gleichstellung - und darauf möchte ich das Schwergewicht legen - der nichtchemischen und biologischen Bekämpfungsmethode mit der chemischen Methode, Einsatz von Bundesmitteln auch für die biologische Grundlagenforschung und die daraus resultierenden Bekämpfungsmethoden, staatliche Unterstützung von Naturschutz ganz allgemein, speziell von Vogelschutz, Windschutz usw. und Förderung einer entsprechenden Landschaftsgestaltung; das sind alles Dinge, die zusammengehören. Außerdem ist, wenn wir die ganze Frage jetzt einmal vom Grund her anpacken wollen, eine Beteiligung der Humanmedizin an diesen Fragen zu fordern. Wir müssen weiter eine Rationalisierung der chemischen Bekämpfung dahingehend fordern, daß nur mit zur Zeit unentbehrlichen Giften, nur am günstigsten Ort und zu den günstigsten Zeitpunkten in der geringestmöglichen Menge gearbeitet werden darf und auch nur dann, wenn diese Mittel von der Biologischen Bundesanstalt anerkannt sind. Es ist kein Geheimnis. daß es heute etwa 1 000 Schädlingsbekämpfungsgifte gibt und daß in der chemischen Industrie auf diesem Sektor Gewinnspannen von 500 bis 1 000 % keine Seltenheit sind. Zu fordern ist nach meiner Überzeugung weiter die Beauftragung eines Gremiums von fünf bis sechs erfahrenen Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis. Dieses Gremium, das wir zusammenstellen müßten, hat sich einen Arbeitsplan für die Grundlagenforschung zu machen, und dieses Gremium müßte die Arbeiten auf vorhandene Institute verteilen. Es müßte die Ergebnisse sammeln und koordinieren und müßte sie an das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie an die Länder weiterleiten. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten muß diese Arbeiten geldlich unterstützen, die Länder haben die Arbeiten durchzuführen. Das Ziel der gesamten Bekämpfung muß eine Synthese zwischen der wirtschaftlichen Forderung nach höchster Rentabilität der Land- und Forstwirtschaft und der Landschaftshygiene sein. So wie die Humanmedizin durch die Hygiene große Erfolge bei der Seuchenbekämpfung hat, muß auch die Pflanzenmedizin durch Hygiene vorbeugen und heilen. Ein gesund aufgebauter und gepflegter Dauerwald z. B. ist schädlingsfester als ein gleichartiger, im Kahlschlagverfahren bewirtschafteter Bestand, ebenso ein unter günstigem Windschutz liegender Acker. Auf den Ergebnissen der biologischen Grundlagenforschung aufbauend, hat die angewandte Wissenschaft in Zusammenarbeit mit der Praxis direkte Bekämpfungsmethoden zu entwickeln. Ich weiß, daß auf Gift nicht verzichtet werden kann, zum mindesten nicht restlos verzichtet werden kann; es sollte jedoch nicht einseitig angewandt werden, und es sollten nur die Mittel noch angewandt werden, die nach den Ergebnissen der Grundlagenforschung sinnvoll sind. In das von mir angedeutete und geforderte Gremium sollte man nur solche Persönlichkeiten berufen, die das praktische Ziel im Auge behalten und die nicht für ihre Privatinstitute besondere Vorteile herausschlagen wollen. An den vom Gremium zu vergebenden Aufgaben müssen beteiligt werden Universität, Länderinstitute, Biologische Bundesanstalt, Pflanzenschutzämter, im Rahmen der Erprobung Vogelwarten und Vogelschutzwarten. Es soll kein neues Institut gegründet werden, keine Überorganisation erfolgen. Es müssen jedoch Stellen an den vorhandenen Instituten bewillig t werden, um Nachwuchs heranzubilden. Ich bitte vielmals um Entschuldigung, wenn ich diese Dinge etwas breiter ausgeführt habe. Ich halte sie für außerordentlich bedeutungsvoll und wichtig und gebe dem Wunsch und der Hoffnung Ausdruck, daß auch Sie es tun. Die Sache ist wirklich ernst, und wir sollten diese Fragen gründlich und mit dem nötigen Ernst im Ausschuß erörtern. Ich möchte, wenn mir Herr Kollege Dr. Horlacher beipflichtet, anregen, daß wir im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten einen Unterausschuß bilden und daß dieser Unterausschuß sich Sachverständige als Gutachter beschaffen kann, damit diese Fragen dann wirklich einer Erledigung zugeführt werden. ({4})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dannemann.

Robert Dannemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000356, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der hier zur Debatte stehende Fragenkomplex ist in der Tat ernster, als man schlechthin annimmt. Die Maul-und Klauenseuche hat im verflossenen Jahr im ganzen Bundesgebiet sehr erhebliche Verluste verursacht. Wie bereits aus den Ausführungen meiner Herren Vorredner hervorging, wird man damit rechnen können, daß nach vorsichtiger Schätzung allein durch direkte Tierverluste und durch die Minderung der Leistungen im Bundesgebiet ein Schaden von mindestens 200 Millionen verursacht worden ist. Noch ist die Seuche nicht abgeklungen, und noch wissen wir nicht, ob sie nicht beim Weideauftrieb im Frühjahr von neuem aufflackern wird. Es soll auch nicht die Frage aufgeworfen werden, wer für dieses starke Auftreten und Umsichgreifen der Maul- und Klauenseuche verantwortlich gemacht werden soll. Hier haben zweifellos verschiedene Umstände mitgespielt. Ohne Frage trifft das zu, was der Herr Staatssekretär zum Ausdruck gebracht hat: daß das plötzliche Auftreten bisher unbekannter Virusstämme ein groß Teil dazu beigetragen hat. Aber, meine Damen und Herren, sicher ist auch, daß dieser Seuchengang wesentlich harmloser verlaufen wäre, wenn von Anfang an genügend Vakzine zur Verfügung gestanden hätte. Früher stand uns auf der Insel Riems dieses wunderbare Institut zur Verfügung, das hervorragende Arbeit geleistet hat, ein Institut, das Vakzine herstellte ohne Rücksicht darauf, ob in einem Jahr ({0}) die Seuche stark oder weniger stark auftrat. Dadurch waren wir in die Lage versetzt, daß bei plötzlichem Auftreten eines Seuchengangs sofort die genügende Menge an Impfstoffen zur Verfügung stand und sofort eingegriffen werden konnte. Nach dem Verlust dieses Instituts hat man - das muß ich sehr deutlich aussprechen - leider versäumt, einen entsprechenden Ersatz zu schaffen. Ja, man glaubte vielfach - das klang auch heute aus den Zwischenrufen durch -, daß die Bekämpfung derartiger Seuchen alleinige Angelegenheit der Länder sei. Ja, meine Damen und Herren, s o kann man Seuchen nicht wirksam bekämpfen. Das ist auch volkswirtschaftlich gesehen absolut unvertretbar. Es ist auch ein unmöglicher Zustand, die Herstellung von Vakzinen, wie es bislang geschehen ist, lediglich Privatpersonen zu überlassen, die nur vom rein kaufmännischen Gesichtspunkt aus betrachtet die Impfstoffherstellung betreiben können. ({1}) Das muß ja zwangsläufig dazu führen, daß in Jahren mit leichten Seuchengängen oder in freien Jahren nur wenig Impfstoffe hergestellt werden, weil kein Absatz vorhanden ist, mit dem Ergebnis, daß bei plötzlichem Auftreten einer Seuche eben die Impfstoffe fehlen, wie wir es haben feststellen müssen. Die Herstellung der Vakzine kann auch, wie ich eben schon sagte, nicht allein Länderangelegenheit sein, sondern sie muß Bundesangelegenheit sein. Darüber hinaus stimme ich Herrn Dr. Horlacher bei, daß nicht ein Land allein mit diesen Seuchen fertig werden kann, sondern daß es eine europäische Angelegenheit sein sollte. Aber nicht nur die Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche muß von Bundes wegen einheitlich geregelt werden; ganz ähnlich liegen die Verhältnisse auch bei einer Reihe von anderen Seuchen, wie bei der Schweinepest und bei der Geflügelpest. Allein bei der Geflügelpest wurden im letzten Quartal 1951 im Bundesgebiet 1692 neue Ausbruchsorte amtlich festgestellt, davon allein im September 19S1 nicht weniger als 1 049 Fälle von Neuauftreten; und auch diese Pest wäre bestimmt harmloser verlaufen, wenn auch in diesem Falle genügend Impfstoffe zur Verfügung gestanden hätten. Auch das traf nicht zu. Ferner bin ich der Meinung, daß auch wirksamere Maßnahmen auf dem Gebiete der Kontrolle beim Verkehr der Tiere von Hof zu Hof und von Land zu Land und ebenfalls bezüglich der Einfuhr aus dem Auslande ergriffen werden sollten. Ich möchte daher abschließend den Antrag des Herrn Kollegen Dr. Horlacher auch von uns aus wärmstens unterstreichen und möchte wünschen, daß diese Frage im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten eingehend geklärt wird und daß wir zu einer zentralen Impfstoffherstellung seitens des Bundes kommen, damit nun endlich Millionenwerte der Volkswirtschaft erhalten bleiben. ({2})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Tobaben.

Peter Tobaben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002332, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in der letzten Zeit allerhand über eine internationale Verknappung wichtiger Lebensmittel gehört. ({0}) -- Ja, Frau Kollegin, Sie erinnern sich vielleicht noch an heute morgen, wo auch über ähnliche Dinge gesprochen worden ist. Für uns in Deutschland kommt die Knappheit an Devisen noch besonders hinzu, so daß wir einen Verlust durch Schädlinge oder Seuchen auf ein Minimum beschränken sollten. Wenn die individuellen Anstrengungen unserer Landwirtschaft zur Produktionssteigerung in den vergangenen Jahren von Erfolg gekrönt worden sind - von einem Erfolg, über den ich hier nicht besonders zu sprechen brauche -, so müssen wir andererseits feststellen, daß eine Seuchen- und eine Schädlingsbekämpfung nicht mit dem gleichen Erfolg durchgeführt werden kann. Hier ist es, zumal es sich um ein volkswirtschaftliches Interesse handelt, notwendig, daß der Staat der Landwirtschaft so weitgehend wie möglich hilft. In der Herstellung der verschiedenen Typen der Vakzine gegen die Maul- und Klauenseuche, in der Vorratshaltung und in der Ausgleichung der Hilfe über die einzelnen Ländergrenzen hinweg ist eine staatliche Aufgabe durchzuführen. Ich bin der Meinung, daß damit - das ist hier bereits zum Ausdruck gekommen - diese Aufgabe nicht erschöpft ist. Hier sind schon der Kartoffelkäfer und andere Schädlinge genannt worden, die unter Umständen einen gleichen Schaden herbeiführen können. Ich will nicht untersuchen, ob in der Vergangenheit eine Unterlassung von irgendeiner Seite vorliegt. Ich will auch nicht untersuchen, ob immer die richtige Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern erfolgt ist. Die hier zu diskutierenden Fragen können heute in diesem Kreise nicht mehr so ausgiebig beraten werden, wie es geschehen müßte. Ich glaube mit dem Kollegen Horlacher einer Meinung zu sein, daß diese wichtigen Fragen schnell und ausgiebig im Ernährungsausschuß diskutiert werden müssen. Dabei müssen wir bedenken, daß durch Seuchen- und Schädlingsverluste die Produktionskosten steigen, was bestimmt nicht zu einer Verbilligung der Lebenshaltung der übrigen Schichten unseres Volkes beiträgt. ({1})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Niebergall.

Otto Niebergall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001604, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär Sonnemann, Sie haben es sich sehr leicht gemacht. So wird den Bauern nicht geholfen, und so kann auch der Seuchengang nicht gewendet werden. Ich stelle an Sie ganz konkret die Frage: Hat die Regierung oder, besser ausgedrückt, eine landwirtschaftliche Stelle der Deutschen Demokratischen Republik an landwirtschaftliche Stellen Westdeutschlands ein Angebot zur Hilfeleistung gemacht? Ja oder nein? ({0}) Herr Staatssekretär, woher haben Sie Ihre Mitteilung, daß es in der Deutschen Demokratischen Republik nicht genügend Impfstoffe gibt? Ihre Angaben widersprechen all dem, was uns Delegationen von der Insel Riems mitgeteilt haben. Herr Staatssekretär, woher haben Sie diese famose Information über 10 000 verseuchte Gehöfte usw.? Niemand bestreitet, daß es auch in der Deutschen Demokratischen Republik eine Maul- und Klauenseuche gibt. Das ist eine Frage der Verschleppung. Aber Tatsache ist, Herr Staatssekretär, daß dort nicht die Landwirtschaft dafür aufkommt, sondern daß der Staat dafür die Mittel gibt und die Regierung dort alles gegen die Seuche tut. Dafür gibt es in der Deutschen Demokratischen Republik eine Gesetzgebung. Deshalb sage ich: etwas höher ({1}) hängen und hier nicht einfach etwas behaupten, wofür man keinen Beweis hat. Wenn man irgend etwas gegen die Deutsche Demokratische Republik hat, soll man das offen auf den Tisch des Hauses legen und nicht solche Mätzchen machen. Unsere Antwort darauf wird nicht ausbleiben.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Der Herr Staatssekretär wünscht, das Wort zu nehmen. Ich nehme nicht an, daß dadurch die Debatte neu eröffnet wird.

Not found (Staatssekretär:in)

Die von mir vorgetragenen Zahlen über den Seuchenstand in der Ostzone stammen aus dem amtlichen Seuchenbericht der ostzonalen Landwirtschaftsverwaltung. Die von mir vorgetragenen Angaben darüber, daß in der Ostzone nicht genügend Impfstoff vorhanden ist, stammen aus einer Veröffentlichung des Herrn Dr. med. vet. habil. Heinz Röhrer, Leiter der Forschungsanstalt auf der Insel Riems, veröffentlicht in der Deutschen Molkereizeitung in Kempten. ({0}) Ich kann Ihnen die entsprechende Stelle aus dem Bericht des Leiters des Instituts in Riems im Wortlaut vorlesen. ({1}) - Soweit ich weiß, ist der Leiter dieser Forschungsanstalt Träger hoher Auszeichnungen in der Ostzone. ({2}) Seine Ausführungen haben - auszugsweise wiedergegeben - folgenden Wortlaut: Nicht zuletzt wird der Erfolg des schweren Kampfes der Tierärzte gegen die Seuche von der tätigen Mitarbeit der Landbevölkerung abhängen. Das gilt insbesondere bei dem bestehenden relativen Mangel an Impfstoff. Die angeordneten veterinärpolizeilichen Maßnahmen müssen von den Tierbesitzern streng und mit dem nötigen Verständnis durchgeführt und die Sperrvorschriften genauestens eingehalten werden. Ausschlaggebend aber für die schnelle Erreichung des Ziels ist und bleibt der großzügige Einsatz des Impfstoffes. Der Beschaffung der erforderlichen großen Vakzinmengen stehen natürlich große Schwierigkeiten entgegen. Alle Länder, die über Produktionsstätten verfügen, sind selbst verseucht und weitgehend mit der Tilgung der Seuche in ihrem Land beschäftigt. ({3}) Da die gesamte Vakzinierung der Rinderbestände gemäß Gesetz vom 6. September 1950 in der DDR noch nicht überall durchgeführt werden konnte, ist zunächst die Kapazität der Riemser Anstalt durch die hierfür benötigten Vakzine voll ausgeschöpft, so daß ein Export von Impfstoff zur Zeit nicht möglich ist. ({4}) -- Nein! ({5})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung. Es liegt der Antrag vor, die vorliegenden Anträge dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und, soweit es sich um Haushaltsfragen handelt, auch dem Haushaltsausschuß zu überweisen. Ich darf annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist. - Das ist der Fall. Ich rufe auf Punkt 17 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten ({0}) über den Antrag der Fraktion der KPD betreffend Landrückgabe an die Bauern der Gemeinde Schweigen ({1}). Sie haben den Antrag des Ausschusses vor sich. Der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Kopf, ist erkrankt. Er hat mir einen schriftlichen Bericht *) vorgelegt. Wünscht das Haus, daß ich diesen schriftlichen Bericht verlese? ({2}) - Das ist nicht der Fall. Wünscht jemand das Wort? Der Ältestenrat schlägt Ihnen keine Aussprache vor. Das Haus ist damit einverstanden. ({3}) - Wer ist nicht damit einverstanden? ({4}) - Und wer ist damit einverstanden? - Das scheint mir die Mehrheit zu sein. Damit findet eine Besprechung nicht statt. ({5}) - Der Ältestenrat war nicht für eine Aussprache. Der Ältestenrat hat vorgesehen, keine Aussprache stattfinden zu lassen. Erstens ist es von mir notiert, und zweitens ist es in der Erinnerung aller Mitglieder des Ältestenrates außer der Ihren. ({6}) Ich komme zur Abstimmung über den Antrag Drucksache Nr. 3008. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; der Antrag ist angenommen. Ich rufe auf Punkt 18: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten ({7}) über den Antrag der Fraktion der KPD betreffend Bodenbeschlagnahme in der Gemeinde Von-hausen, Kreis Büdingen ({8}) ({9}). Auch hier schlägt Ihnen der Ältestenrat vor, auf eine Aussprache zu verzichten. ({10}) Es liegt ebenfalls ein `schriftlicher Bericht**) des Herrn Berichterstatters vor; das ist der gleiche, der erkrankt ist. Wünschen Sie hier eine Verlesung? ({11}) - Das ist nicht der Fall. ({12}) - Zur Abstimmung Herr Abgeordneter Müller. *) siehe Anlage 2 Seite 8089 **) siehe Anlage 3 Seite 8090

Oskar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001562, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Meine Damen und Herren! Da eine Aussprache hierzu nicht stattfinden soll, möchte ich noch folgendes sagen. Meine Fraktion hätte in einer Aussprache beantragt, daß der Ausschußbericht folgende Formulierung erhält: Der Antrag der Fraktion der KPD, Drucksache Nr. 2956, soll der Regierung nicht als Material, sondern zur Berücksichtigung überwiesen werden. Damit wollten wir erreichen, daß angesichts der Lage in der Gemeinde Vonhausen im Kreise Büdingen die geplante Beschlagnahme durch eine solche Beschlußfassung als Auflage an die Regierung verhindert würde. Das wäre unser Antrag gewesen. Dadurch, daß eine Aussprache nicht stattfindet, ist das nicht möglich. Wir müssen uns also infolgedessen bei dieser Formulierung der Stimme enthalten.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Herr Abgeordneter, es wäre auch hinzugekommen, daß gemäß § 100 der Geschäftsordnung die Zahl der anwesenden Mitglieder Ihrer Gruppe nicht ausgereicht hätte, um einen solchen Antrag geschäftsordnungsmäßig zu stellen. ({0}) - Ich habe sie heute noch nicht getroffen, Herr Abgeordneter Renner; das ist das erstemal. Ich komme zur Abstimmung über den Antrag Drucksache Nr. 3009. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben - Das t die Mehrheit: der Antrag ist Ich rufe auf Punkt 19: Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse ({1}). Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag Umdruck Nr. 434 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Ich rufe auf Punkt 20: Beratung der Übersicht Nr. 48 über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages über Petitionen ({2}). Ich bitte die Damen und Herren, die den in der Übersicht gestellten Anträgen zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit, Herr Abgeordneter Renner wünscht gemäß § 36 der Geschäftsordnung eine Erklärung abzugeben. Bitte, Herr Abgeordneter.

Heinz Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001823, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf Grund des § 36 der Geschäftsordnung gebe ich folgende tatsächliche Erklärung ab. Zu der Behauptung des Herrn Abgeordneten Neumann betreffend Behinderung der Arbeit der Sozialdemokratischen Partei im Demokratischen Sektor Berlins erkläre ich: Gestützt auf eine amtliche offizielle Mitteilung des Amtes für Informationen des Magistrats für Groß-Berlin - veröffentlicht am 16. Januar 1952 - ist festzustellen: Sämtliche Büros der Sozialdemokratischen Partei im Demokratischen Sektor von Berlin sind nach wie vor geöffnet und arbeiten ungestört. ({0}) Nicht in einem einzigen der Büros konnten die SPD-Funktionäre mitteilen, daß ihre Räume durch Eingreifen der demokratischen Behörden geschlossen oder in ihrer Arbeit behindert wurden. Im Zuge der Feststellung der Bezirkswohnungsämter zur Erfassung zweckentfremdeten Wohnraums wurden auch Büros der Sozialdemokratischen Partei erfaßt. ({1}) - Ersparen Sie sich das „Aha" bis zum Schluß! - Dabei stellte sich heraus, daß einige Kreisvorstände ohne rechtliche Grundlage ihre Räume benutzten. ({2}) - Ohne rechtliche Grundlage also, ohne Vorliegen von Verträgen, Ihr vertragstreuen Demokraten! - Anstatt durch gütliche Vereinbarung die Rechtslage herzustellen, haben einzelne Bezirkswohnungsämter unter Hinweis auf die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen administrative Maßnahmen eingeleitet. ({3}) Dabei wurden jedoch die Betroffenen ausdrücklich auf das Rechtsmittel des Einspruchs hingewiesen. In der Mehrzahl der Fälle wurde auch von diesem Rechtsmittel Gebrauch gemacht. Es steht also fest, daß diese Maßnahmen von Behörden nicht die Zustimmung der verantwortlichen politischen Stellen Berlins gefunden haben. ({4}) Es steht fest, daß kein einziges SPD-Büro im Demokratischen Sektor von Berlin geschlossen worden ist oder von der Schließung bedroht ist. Aber es heißt weiter in der Verlautbarung dieser amtlichen Stelle: In der letzten Zeit wurden des öfteren Büroräume der SED von organisierten Banden ungehindert überfallen und demoliert. ({5}) Das Verschweigen dieser Gewalttaten durch die Westpresse ist eine neue Ermunterung für die weitere Verübung derartiger faschistischer Überfälle und beweist ({6}) - und beweist, wie in West-Berlin Wahlen vorbereitet werden sollen. ({7}) - „Oho"? Wie die Überfälle nicht nur hier in der Bundesrepublik selber unter der Ägide des Herrn Lehr, so finden auch in West-Berlin die organisierten Überfälle auf demokratische Büros statt. ({8})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Nachdem das Haus diese Erklärung zur Kenntnis genommen hat, berufe ich die nächste, die 190. Sitzung des Deutschen Bundestags auf Donnerstag, den 7. Februar 1952, 9 Uhr 30, und schließe die 189. Sitzung.