Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 184. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Dr. Bertram, Neumann, Brandt, Dirscherl, Wönner.
Meine Damen und Herren! Ich habe weiterhin folgende Mitteilungen zu machen.
({0})
Der Deutsche Bundestag hat in der 149. Sitzung am 8. Juni 1951 beschlossen,
die Bundesregierung zu ersuchen,
dem Bundestag baldigst Vorschläge über die Beteiligung der Bundesrepublik an der Hilfe gegen die Hungerkatastrophe und ihre Folgen in Indien zu unterbreiten.
Vorzusehen ist in erster Linie sanitäre Hilfe durch Bereitstellen von Medikamenten und Behelfs-Ambulatorien.
Ich habe mitzuteilen, daß der Herr Bundeskanzler Vorschläge über die Beteiligung der Bundesrepublik an der Hilfe gegen die Hungerkatastrophe und ihre Folgen in Indien gemacht hat, und verweise auf die Drucksache Nr. 2953, worin die Vorschläge im einzelnen präzisiert sind. Ich darf annehmen, daß das Haus mit den Vorschlägen, die darin gemacht sind, insbesondere Zurverfügungstellung von Medikamenten und Gegenständen für die Einrichtung von Pumpen, einverstanden ist. Ich möchte das zur Kenntnis gebracht haben.
Meine Damen und Herren! Dann rufe ich den einzigen Punkt der Tagesordnung auf:
Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951 ({1}).
({2})
Ich darf darauf hinweisen, daß Ihnen der Ältestenrat vorschlägt, für die allgemeine Aussprache in der dritten Beratung eine Redezeit von fünf Stunden vorzusehen. Ich darf annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist.
({3})
- Zur Geschäftsordnung, Herr Abgeordneter Renner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Bundestagsfraktion der Kommunistischen Partei Deutschlands stelle ich nachstehenden geschäftsordnungsmäßigen Antrag:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die dritte Beratung des Gesetzentwurfs betreffend den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ({0}) wird von der Tagesordnung abgesetzt.
Der Bundeskanzler wird verpflichtet, dem Bundestag in der Sitzung vorn 11. Januar 1952 den Inhalt aller von ihm mit den Vertretern der Atlantikpaktmächte geführten Verhandlungen über den sogenannten Generalvertrag und die mit ihm verbundenen Nebenverträge über die Schaffung einer sogenannten Europa-Armee, sowie alle von ihm bereits eingegangenen Verpflichtungen bekanntzugeben. Der Bundestag führt im Anschluß an den vorn Bundeskanzler zu erstattenden Bericht unverzüglich eine Aussprache durch.
Wir Kommunisten stellen diesen Antrag, um einen letzten Versuch zu machen, im Parlament selber noch einmal Gelegenheit zu einem wirklich vertieften Studium
({1})
des Inhalts des Gesetzes zu schaffen.
({2})
Wir Kommunisten stellen den Antrag, weil wir der Auffassung sind,
({3})
daß im Interesse unseres Volkes die Annahme dieses Montan-Kriegspaktes unter allen Umständen verhindert werden muß. Wir stellen den Antrag, weil wir Kommunisten der Auffassung sind, daß die deutsche Kohle und der deutsche Stahl vordringlich zum Aufbau einer deutschen Friedensproduktion benutzt werden sollen. Wir Kommunisten stellen den Antrag, den Herrn Bundeskanzler zu verpflichten, nach monatelangem Verheimlichen aller bisher von ihm geführten Verhandlungen den Bundestag endlich von dem Umfang und Inhalt der von ihm mit den Vertretern der Atlantikpaktmächte geführten Verhandlungen und von den von ihm bereits vollzogenen Verpflichtungen in Kenntnis zu setzen.
Wir sind der Auffassung, daß der Bundestag sein Recht durchsetzen muß, von der Regierung und ihrem verantwortlichen Kanzler zu erfahren, was hinter dem Rücken des Bundestages und hinter dem Rücken des Volkes im Sinne der Vorbereitung eines neuen Weltkrieges
({4})
im Interesse der amerikanischen und der westdeutschen Imperialisten getrieben wird. Wir sind der Auffassung, daß der Schumanplan das B zum A des Generalvertrages darstellt. Wir sind der Auffassung, daß uns der Generalvertrag bekanntgegeben werden muß, um den ganzen Inhalt der im Schumanpakt enthaltenen Verpflichtungen genau übersehen zu können. Wir sind der Auffassung, daß der Schumanpakt nicht dem Interesse des deutschen Volkes dient, daß er nicht der Einigung Europas dient. Wir sind der Auffassung, daß er ein Pakt der europäischen Kanonenkönige, Kriegsgewinnler und Kriegsverbrecher gegen die Völker Europas ist. Wir sind der Auffassung, daß das deutsche Volk Gelegenheit bekommen muß, in eine Entscheidung darüber einzutreten, ob es der verbrecherischen Politik, die der Schumanplan beinhaltet, Folge leisten will; und wir sind der Auffassung, daß diejenigen, die heute diesem Gesetzentwurf in der dritten Beratung zustimmen, eines Tages vor dem deutschen Volke zur Rechenschaft gezogen werden.
({5})
Wir sind der Auffassung, das deutsche Volk in den Betrieben wird ihnen durch einheitlichen aktiven Abwehrkampf gegen die Durchführung dieses Kriegspaktes beweisen, daß es nicht gewillt ist, sich in den Dienst des dreckigen amerikanischen Krieges spannen zu lassen.
({6})
Ich bitte den Herrn Präsidenten, über unseren Antrag abstimmen zu lassen.
({7})
Meine Damen und Herren! Sie haben den geschäftsordnungsmäßigen Antrag mit der wenig geschäftsordnungsmäßigen Begründung gehört. - Das Wort hat Abgeordneter Mellies.
Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat in der letzten Sitzung durch ihre Anträge und durch die Begründung ihrer Anträge klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, wie sie zur dritten Lesung des Schumanplans steht. Der eben von der kommunistischen Fraktion eingebrachte Antrag enthält in seinem zweiten Teil und in seiner Begründung Ausführungen, die es der sozialdemokratischen Fraktion unmöglich machen, für diesen Antrag zu stimmen. Wir werden uns deshalb der Stimme enthalten.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich komme zur Abstimmung.
({0})
- Herr Abgeordneter Renner, noch einmal zur Geschäftsordnung?
({1})
Herr Abgeordneter Renner hat noch eine Minute von seiner geschäftsordnungsmäßigen Zeit. Wir können uns das leisten.
Ich bedaure die Erklärung der sozialdemokratischen Fraktion. Gestern hat die sozialdemokratische Fraktion durch ihre Sprecher hier erklären lassen, - ({0})
Herr Abgeordneter Renner, das ist nicht im Rahmen der Geschäftsordnung. Kommen Sie bitte zum Schluß!
Ich bin fertig; ich habe nur den einen Satz zu sagen, daß zwischen diesem Schumanpakt und dem Generalvertrag tatsächlich ein direkter Zusammenhang besteht. Gestern haben die Sozialdemokraten gesagt, daß man den Generalvertrag kennen muß, um den Inhalt des Schuman-plans zu beurteilen. Deshalb ist die heutige Stellungnahme nichts anderes als eine neue Unterstützung der Geheimdiplomatie des Herrn Dr. Konrad Adenauer.
({0})
Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich komme zur Abstimmung über den geschäftsordnungsmäßigen Antrag der Fraktion der KPD, von dem Sie eben Kenntnis genommen haben. Ich bitte die Damen und Herren, die für diesen Antrag sind, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen ist dieser Antrag gegen die Antragsteller abgelehnt.
Das Wort wünscht zunächst der Herr Berichterstatter Dr. Preusker zu nehmen. Ich bitte, Herr Abgeordneter!
Dr. Preusker ({0}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gegenstand, zu dem ich als Berichterstatter das Wort nehmen möchte, ist zwar noch in der vorhergehenden heutigen Sitzung entstanden und durch eine Abstimmung bereits erledigt worden, aber ich glaube mich doch verpflichtet, insbesondere im Hinblick auf die Formulierungen des Berichts
({1})
und die Bemerkungen Professor Carlo Schmids heute nacht zwei Punkte noch einmal darzustellen, so, wie sie mir als Berichterstatter nach den Unterlagen erscheinen müssen.
Herr Professor Carlo Schmid hat gestern, oder vielmehr heute nacht in der Begründung seines Antrags gesagt, im Auswärtigen Ausschuß sei von den Vertretern der Regierung zugegeben worden, daß Berlin Unionsausland ist. Ich habe mir das Protokoll der 67. Sitzung daraufhin angesehen und darf, glaube ich, von dem Protokoll insoweit Gebrauch machen, als der Herr Vorsitzende dieses Ausschusses laut Protokoll diese Beanstandung erhob, daß Berlin nicht expressis verbis als zwölftes Bundesland in dem Vertrag enthalten sei. Dazu findet sich noch die Bemerkung, daß, wenn der Vertrag so ratifiziert werden solle, die Bundesregierung zumindest eine entsprechende Erklärung abgeben müsse.
Laut der protokollarisch vermerkten Äußerung des Herrn Staatssekretärs Professor Hallstein ist dann auch eine entsprechende Äußerung der Bundesregierung zugesagt worden, die Möglichkeiten der rechtlichen Beurteilung zu prüfen, nämlich entweder, daß es zur Aufnahme Berlins einer ausdrücklichen vertraglichen Nennung bedürfe - das war im Ausschuß für Wirtschaftspolitik nie die Auffassung der Bundesregierung - oder aber nur einer deklaratorischen Bestätigung bedürfe. Sie haben im Laufe der heutigen Nachtsitzung die Ausführungen des Herrn Kollegen Tillmanns zur Frage Berlin gehört. Genau so hat die Mehrheit im Ausschuß für Wirtschaftspolitik die Situation Berlins angesehen. Insbesondere hat ja auch die Regierungserklärung nochmals darauf hingewiesen, daß
Berlin - zwar mit einer Klausel - bereits laut Grundgesetz zur Bundesrepublik gehört, daß die Bundesregierung für Berlin de facto die handelsvertraglichen Abmachungen trifft, daß Berlin durch die Bundesrepublik und Bundesregierung mit Kohle versorgt wird, daß also de facto alle Voraussetzungen des Grundgesetzes bereits gegeben sind. Im folgenden darf ich aber die Regierungserklärung noch einmal zitieren:
Hiernach ist die Herstellung der Voraussetzungen für die Anwendung des Vertrages auf das Gebiet von Berlin abhängig von der Gestaltung des Verhältnisses der Bundesrepublik zu Berlin. Über die Klarstellung dieses Verhältnisses wird zur Zeit im Zusammenhang mit der Ablösung des Besatzungsstatuts verhandelt. Die Verhandlungen nehmen einen günstigen Verlauf.
Das heißt also, daß sich laut Regierungserklärung auch die deklaratorische Klarstellung, soweit sie noch für erforderlich erachtet wird, im besten Zuge der unmittelbaren Verwirklichung befindet, so daß es mit Recht zu der Auffassung der Mehrheit des Wirtschaftspolitischen Ausschusses kommen konnte.
Ich habe auch nicht den Eindruck gehabt, als ob die Äußerungen der Bundesregierung im Auswärtigen Ausschuß so zu verstehen sein müßten, daß Berlin in dem Sinne als Unionsausland betrachtet werden könne, daß es unter allen Umständen einer
({2})
zusätzlichen vertraglichen Regelung zur Beseitigung eines derartigen Zustandes oder einer derartigen Auffassung bedürfe.
Der zweite Punkt, Herr Professor Carlo Schmid, sind Ihre Ausführungen im Zusammenhang mit der Begründung des Antrags Drucksache Nr. 2972 betreffend das Gesetz Nr. 27. Laut Protokoll sagten Sie:
Die Hohe Behörde wird an das Gesetz 27 gebunden sein; denn dieses Gesetz gilt ja als internationale Vereinbarung, und die Hohe Behörde ist ja an bestehende internationale Vereinbarungen gebunden.
Die Auffassung der Mehrheit des Ausschusses war, daß das Gesetz Nr. 27 niemals als internationale Vereinbarung gelten könne, sondern daß es ein einseitiger Besatzungsakt ist und daß dieser Charakter auch noch durch die Änderung der Präambel zu den Durchführungsverordnungen 6 und 7 zu diesem Gesetz, über die im Wirtschaftspolitischen Ausschuß ausführlich gesprochen worden ist, besonders unterstrichen worden ist. Aber das mag in diesem Zusammenhang sogar ohne Bedeutung sein; denn der Schumanplan-Vertrag enthält an keiner einzigen Stelle eine Formulierung, nach der die Montan-Union an derartige internationale Vereinbarungen gebunden sei. Und wenn auch wohl, wie mir aus den Besprechungen während der Vertragsverhandlungen in Paris noch erinnerlich ist, eine solche Klausel einmal zur Debatte gestanden haben mag, sie findet sich jedenfalls in dem endgültigen Vertrag nicht mehr, so daß ich als Berichterstatter der Meinung bin, daß insofern von dem Herrn Antragsbegründer ein im Vertrag nicht zu haltender Tatbestand angeführt worden ist.
Zu dieser Frage hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Schmid.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur einige kurze Ausführungen zu den Feststellungen des Herrn Berichterstatters! Ich wäre sehr glücklich, wenn seine Rechtsauffassung und seine Sachbetrachtung den Tatsachen entsprechen sollten, oder vielmehr, wenn wir sicher sein könnten, daß auch die andere Seite die Dinge so sieht und so beurteilt, wie dies eben durch den Herrn Berichterstatter geschehen ist.
Zunächst zum Problem Berlin. Da ist doch - das Protokoll weist es aus; es ist ein Stenogramm oder beinahe ein Stenogramm - von dem Herrn Staatssekretär klar gesagt worden:
Professor Hallstein sagt zu, auf die Bemerkung des Ausschußvorsitzenden hin sofort Verhandlungen mit Berlin aufzunehmen. Für eine Einbeziehung Berlins gebe es zwei Möglichkeiten: entweder es ausdrücklich dadurch einzubeziehen, daß man den Anwendungsbereich des Vertrages erweitere.
Wenn Berlin Unionsgebiet ist, dann braucht man doch den Vertrag nicht zu erweitern!
Das hänge aber bis zu einem gewissen Grade davon ab, wie die außenpolitische Vertretung endgültig geregelt werde.
Also ging Herr Staatssekretär Hallstein offenbar davon aus, daß es noch nicht feststeht, wie die außenpolitische Vertretung Berlins geregelt wird, wer also außenpolitisch für Berlin sprechen kann. Wir wissen, daß die Besatzungsmächte zum mindesten theoretisch bis jetzt davon ausgehen, daß sie es sind, die für Berlin die „Außenpolitik" zu führen haben.
Oder die zweite Möglichkeit: Berlin zu definieren als ein Land, dessen politische Interessen durch die Bundesrepublik wahrgenommen würden. Beide Möglichkeiten wolle man prüfen.
Ich meine, das ist deutlich genug. Da ist doch zum Ausdruck gebracht: Berlin ist nicht Unionsgebiet; man muß es entweder dazu machen, oder man muß es zu einem solchen interpretieren, und die Interpretation wird dann aus dem Satz 2 des Art. 79 versucht, in dem von Gebieten die Rede ist, deren außenpolitische Beziehungen von Vertragsländern wahrgenommen werden. Es besteht gar kein Zweifel darüber, was mit diesen Ländern gemeint war, nämlich die kleinen Gebiete, ohne eigene politische Kraft, die Enklaven in den Gebieten der Vertragspartner: San Marino, Monaco, Andorra - und das Saargebiet. Berlin war nicht damit gemeint. Das ist im Text vollkommen deutlich und geht aus der Entstehungsgeschichte klar hervor: Deutscherseits ist man mit Recht der Meinung, daß Berlin Teil der Bundesrepublik ist. Auf alliierter Seite ist man der Meinung, daß das nicht der Fall ist und daß das Außenpolitische, das Berlin betrifft, ihre Sache ist.
Aber der Herr Staatssekretär ist noch deutlicher geworden:
Staatssekretär Hallstein betont,
- heißt es im Text er habe nicht den Eindruck gehabt, daß insbesondere Berlin selbst an seiner Einbeziehung in den Vertrag interessiert sei.
({0})
Infolgedessen habe die Frage, ob Berlin dazu gehöre oder nicht, in den bisherigen Erwägungen keine Rolle gespielt.
({1})
Bestehe aber ein Interesse daran, Berlin zum
Vertragsgebiet zu machen, so gebe es die von
ihm zuvor schon aufgezeigten Wege. Der eine
sei der über die Interpretation des Art. 79.
Das ist gesagt worden. Ich glaube, daß ich in meiner gestrigen Begründung nichts anderes gesagt
habe, als - zusammengefaßt - das eben aus dem
Stenogramm Verlesene: es müsse über die Einbeziehung Berlins in das Unionsgebiet zu Verhandlungen kommen. Das muß geschehen; Sie wollen
es ja auch. Nur meinen wir, daß die Verhandlungsposition günstiger sei, wenn man die Verhandlungen führt und zum Abschluß bringt, ehe man den Preis schon bezahlt hat. Das ist das eine.
Das zweite ist die Sache mit dem Gesetz Nr. 27. Ich bitte wiederum um Entschuldigung, daß ich die französische Kammer zitieren muß. Französischerseits ist man ganz anderer Auffassung als sie der Herr Berichterstatter soeben vertreten hat. Der französische Außenminister - es mag auch der Wirtschaftsminister gewesen sein; jedenfalls war es ein Minister - hat auf eine diesbezügliche Anfrage erklärt:
Die Hohe Behörde werde an das Gesetz Nr. 27 gebunden sein, denn dieses Besatzungsgesetz sei das Produkt eines internationalen Abkommens der Besatzungsmächte.
Für sie ist das Völkerrecht, für uns Deutsche ist es das nicht, denn wir sind leider nicht beteiligt worden. Aber wir treten ja in eine Gemeinschaft ein, deren Partner glauben, daß auch Vereinbarungen solcher Art völkerrechtliche Bindungen seien. Wenn wir unter solchen Umständen vorbehaltslos eintreten, akzeptieren wir diese Verhältnisse doch,
({2})
genau so wie die anderen Vertragspartner sie mit akzeptieren, die nicht Besatzungsmächte sind. Wenn es auch nicht ausdrücklich im Vertrag steht, meine Damen und Herren: die Hohe Behörde ist doch an das von den Vertragspartnern akzeptierte Recht gebunden. Das geltende Recht ist Unionsrecht oder Recht, das über dem Unionsrecht steht; Völkerrecht steht über dem Unionsrecht, vor allen Dingen, wenn es sich um eine lex specialis handelt.
Werden wir viel Glück haben, wenn wir versuchen, der Hohen Behörde zu demonstrieren, daß das Gesetz Nr. 27 nicht international vereinbartes Recht ist? Ich hoffe es, daß wir damit durchdringen werden, ich fürchte aber, daß unsere Auffassung nicht von den anderen Vertragspartnern geteilt werden könnte, und befürchte auch, daß das Montangericht unseren Standpunkt nicht unbedingt für den richtigen anerkennen wird.
Dieses Montanrecht ist, wenn ich so sagen darf, nicht die oberste Stufe von Recht, die maßgebend für die Hohe Behörde ist; es gibt Recht, das diesem Recht vorgeht. Völkerrecht z. B. bricht dieses Recht, und zum Völkerrecht gehören leider Gottes auch partikuläre Vereinbarungen. Es wird darauf ankommen, ob es uns gelingen wird, die andere Seite davon zu überzeugen, daß ihr bisheriger Rechtsstandpunkt falsch und der unsere richtig ist. Das ist etwas, das ausgehandelt werden muß; nur meine ich: man hat bei dem Versuch, dies auszuhandeln, mehr Chancen, wenn man das v o r der Ratifikation des Vertrages versucht, als wenn man an die anderen nach der Ratifikation herantritt, also zu einem Zeitpunkt, an dem ihr Interesse, uns entgegenzukommen, nicht mehr sehr groß ist.
({3})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Meine Damen und meine Herren! Ich werde mich bemühen, in meinen Ausführungen das Wort „Recht" möglichst wenig zu gebrauchen. Wenn man das Wort „Recht" in jedem Satz gebraucht, dann bekommt man einen falschen Eindruck, nämlich den Eindruck, als wenn man unter der Firma „Recht" irgendwelche Dinge vorbringe, die nicht richtig sind.
Ich stelle gegenüber den Erklärungen meines Herrn Vorredners ausdrücklich fest: der Bedarf Berlins ist Bedarf der Bundesrepublik und als solcher anerkannt. Der Bedarf Berlins wird jetzt schon von den drei Besatzungsmächten und von der Ruhrbehörde als Bedarf der Bundesrepublik anerkannt.
Zweitens stelle ich ausdrücklich folgendes fest: ich verstehe nicht, wie in diesem Hause gesagt werden kann, das Gesetz Nr. 27 sei ein internationales Abkommen.
({0})
Das ist mir völlig unverständlich. Eine solche Erklärung
({1})
widerspricht dem deutschen Interesse diametral.
({2}) Das Gesetz Nr. 27 ist kein internationales Abkommen, sondern ein uns, dem deutschen Volke, von den Siegermächten oktroviertes Gesetz
({3}) und nichts anderes.
Ich wiederhole endlich das, was ich schon in meiner Erklärung in der vorgestrigen Sitzung gesagt habe: wenn die Hohe Behörde in Kraft getreten ist, hat keine Instanz in der Welt mehr ein Recht, uns an Verflechtungen, falls wir sie für nötig halten, zu hindern,
({4})
es sei denn, daß durch unsere Verflechtungen größere Zusammenballungen entstehen als an irgendeiner anderen Stelle der SchumanplanLänder.
({5})
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein Wort sagen - ich werde im Laufe des Tages nochmal sprechen -, das man nicht oft genug sagen kann: Ich bitte unsere deutschen Brüder und Schwestern in Berlin und im Osten, sich durch Ausführungen, die im Deutschen Bundestag leider Gottes gemacht worden sind, nicht entmutigen zu lassen.
({6})
Bei jeder Verhandlung, die wir geführt haben, und bei jeder Verhandlung, die wir führen werden,
({7})
denken wir mit in erster Linie daran, daß wir alles tun, damit wir sobald und so schnell wie möglich mit Berlin und dem deutschen Osten in Frieden und Freiheit wieder vereinigt werden.
({8}) Ausführungen, wie sie leider Gottes gestern hier gemacht worden sind, meine Damen und Herren, sind das beste Material für die Sowjetpropaganda, um die Deutschen im Osten zu entmutigen,
({9})
und ich meine, meine Damen und Herren, über allem Parteiinteresse steht das nationale deutsche Interesse.
({10})
Das Wort hat der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Professor Schmid hat gesagt, die Bundesregierung habe in den Ausschußverhandlungen den Standpunkt vertreten, Berlin sei Unions-Ausland. Zur Stützung dieser Behauptung hat er sich auf Ausführungen berufen, die ich selber im Ausschuß gemacht habe. Er hat diese Ausführungen, die ich dort gemacht habe, falsch interpretiert. Ich möchte diese Interpretierung richtigstellen.
({0})
Ich wiederhole den Wortlaut dessen, was ich im Auswärtigen Ausschuß gesagt habe, und zwar nach dem Protokoll der Ausschußverhandlungen. Es heißt darin in Wiedergabe der Ausführungen, die ich dort gemacht habe:
Für eine Einbeziehung Berlins gebe es zwei Möglichkeiten: entweder es ausdrücklich dadurch einzubeziehen, daß man den Anwendungsbereich des Vertrags erweitere oder - das hänge aber bis zu einem gewissen Grad davon ab, wie die außenpolitische Vertretung endgültig geregelt werde - Berlin zu defi({1})
nieren als ein Land, dessen politische Interessen durch die Bundesrepublik wahrgenommen würden. Beide Möglichkeiten wolle man prüfen.
Daraus ergibt sich, daß die Vertreter der Bundesregierung in diesen Ausschußverhandlungen davon ausgegangen sind, daß die Einbeziehung Berlins in diesen Vertrag, wie übrigens in andere Verträge auch, immer eine Angelegenheit ist, die einer besonderen Klarstellung bedarf. Daß das so ist, liegt an einem objektiven Grunde, nämlich an der seltsamen Rechtslage, in der sich Berlin völkerrechtlich und staatsrechtlich befindet und über deren juristische Würdigung übrigens, soviel ich weiß, in diesem Hohen Hause gar keine Meinungsverschiedenheiten bestehen. Innerstaatsrechtlich, d. h. nach dem Grundgesetz, ist Berlin Teil der Bundesrepublik.
({2})
Die Anwendung dieses Satzes, der im Grundgesetz steht, ist durch den bekannten Vorbehalt, den die Besatzungsmächte angebracht haben - einen Interpretationsvorbehalt -, in dem Sinne gehindert, daß die Ausübung der Regierungsgewalt über Berlin einschließlich dessen, was zur Regierungsgewalt an Befugnis zur außenpolitischen Vertretung gehört, nicht möglich ist. Das ist der Zusammenhang, der zwischen der Frage: Anwendbarkeit des Schumanplans auch auf Berlin als Teil des Unionsraums, und der Frage: Möglichkeiten für die Bundesrepublik zur außenpolitischen Vertretung Berlins, besteht.
Nun ist das, was in den Ausschußberatungen gesagt worden ist und was dort noch eine alternative Äußerung war, inzwischen durch die Erklärungen der Bundesregierung - in der vorgestrigen Regierungserklärung nämlich - geklärt. Jene alte Alternativäußerung war die folgende: Man kann die Klarstellung einmal dadurch erreichen, daß man den Vertragstext selbst, soweit er sich nämlich mit dem Anwendungsgebiet des Vertrags ausdrücklich befaßt, in derselben Form ergänzt, in der der Vertrag abgeschlossen worden ist; man ergänzt also hier den Vertragswortlaut. Die zweite Möglichkeit ist die, daß man anknüpft an die Definition des Anwendungsgebiets dieses Vertrags, wie sie in Artikel 79 enthalten ist, und zwar an die beiden Möglichkeiten, die in Artikel 79 stehen, daß nämlich der Unionsvertrag auf das europäische Gebiet der Vertragsstaaten Anwendung finde und ferner auf die europäischen Gebiete, deren auswärtige Angelegenheiten ein Unterzeichnerstaat übernimmt. Es ist eine faktische Besonderheit der Situation, die dazu führt, daß die Unterscheidung zwischen diesen beiden Fällen des Artikels 79 für Berlin keine Rolle zu spielen scheint: weil nämlich die tatsächliche Definition von Berlin als Bundesgebiet aus den Gründen, die ich soeben erwähnt habe, zufällig mit der Frage zusammenfällt: Hat die Bundesrepublik die Vertretungsmacht für Berlin?
({3})
Es ergibt sich demnach - das darf ich zusammenfassend sagen - schon aus dem Material - das die Verhandlungen und Erklärungen der Vertreter der Bundesregierung in den Ausschüssen ergeben, und erst recht wenn man die Regierungserklärung hinzunimmt, die .auf die dort offengehaltene Frage antwortet - und aus diesem Stand der Verhandlungen nichts, was den Schluß zuläßt, als habe die Bundesregierung einen Standpunkt eingenommen, der es rechtfertigt, zu sagen, Berlin sei von dem Anwendungsbereich des Montanvertrags abgetrennt, und es sei infolgedessen - das ist ja der Inhalt des Antrags der SPD-Fraktion - notwendig, diese Abtrennung rückgängig zu machen.
({4})
Meine Damen und Herren, nachdem zu diesem Thema keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, treten wir in die Besprechung der dritten Beratung im Rahmen der vereinbarten Redezeit ein.
Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere, daß der Herr Bundeskanzler bei der Eröffnung der Aussprache in der zweiten Lesung des Ratifizierungsgesetzes über den Schumanplan die Behauptung aufgestellt hat, alle diejenigen, die hier über den Schumanplan-Vertrag entscheiden, fällen damit eine Entscheidung für oder gegen Europa. Ich halte diese Fragestellung für außerordentlich bedauerlich, weil sie den Eindruck erwecken kann, als wolle man mit dieser Gegenüberstellung einer ernsthaften Diskussion über den konkreten Inhalt des uns hier vorliegenden Vertrags ausweichen
({0})
oder aber, als wolle man den Versuch machen, der Kritik der sozialdemokratischen Fraktion eine anti-europäische Einstellung zu unterschieben, von der jedermann weiß, daß sie mit der Geschichte und den Realitäten der sozialdemokratischen Politik nicht vereinbar ist.
({1})
Die Sozialdemokratische Partei - ich möchte das nach dieser Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers noch einmal ausdrücklich an die Spitze meiner Ausführungen stellen - ist für europäische Zusammenarbeit und sie ist für eine Zusammenarbeit der freien Völker nach unseren westlichen Vorstellungen. Unser Bekenntnis zur europäischen Zusammenarbeit ist in unserer grundsätzlichen sozialistischen Einstellung begründet.
({2})
Die friedliche Zusammenarbeit der Völker ist nach unserer Überzeugung die Voraussetzung für den Frieden und Wohlstand des eigenen Volkes. Diese Zusammenarbeit wiederum ist nach unserer Überzeugung undenkbar ohne die Freiheit der Demokratie. Freiheit, Frieden und soziale Sicherheit der Völker sind unteilbar. Das sind die Grundsätze unserer Politik, die von taktischen Situationen völlig unabhängig sind.
({3})
Wir haben das in der Geschichte unserer Partei bis in die jüngste Vergangenheit durch unser Verhalten und durch unsere Handlungen bewiesen.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch eine zweite allgemeine Bemerkung voranschicken. In der Diskussion gestern und vorgestern haben die Verhandlungen in der französischen Kammer über die Ratifizierung des Schumanplans eine wesentliche Rolle gespielt. Das war selbstverständlich und unvermeidlich. Frankreich ist der Initiator dieses Plans. Schließlich heißt er S c h u m a n-Plan. Frankreich ist neben der Bundesrepublik
({4})
der wichtigste Partner in der Montan-Union. Nach den Erklärungen seiner Väter soll dieser Plan die Gegensätze zwischen Frankreich und Deutschland für immer auslöschen. Unsere Auseinandersetzung mit den Argumenten in der französischen Kammerdebatte bedeutet keine anti-französische Stellungnahme; aber wir sind der Meinung, daß es ein Gebot der Aufrichtigkeit ist, klarzustellen, mit welchen Vorstellungen Frankreich in die Union mit Deutschland eintritt.
({5})
Die Verständigung zwischen dem französischen und dem deutschen Volk ist eine Lebensfrage für Europa. Wir wollen sie. Aber sie wird nur dauerhaft sein, wenn wir unsere Standpunkte und unsere entgegengesetzten Interessen frei diskutieren und zu klären versuchen. Jede offene Streitfrage, die heute im Zusammenhang mit dem Schumanplan auftaucht und die wir jetzt nicht diskutieren, tragen wir als Zünd- und Sprengstoff in die Gemeinschaft der Montan-Union,
({6})
und zwar zum Nachteil unserer beiden Völker und zum Nachteil Europas. Platonische Freundschaftserklärungen schaden sicher nicht; aber wenn wir jetzt zum Konkreten kommen wollen, müssen wir offen sprechen. Eine Politik, die bestrebt ist, den Partner mit schwierigen Fragen nicht zu ärgern, ist doch nur ein Beweis des mangelnden gegenseitigen Vertrauens.
({7})
Wir wollen den Graben zwischen dem französischen und dem deutschen Volk endgültig zuschütten. Er ist breit und tief. Wir kennen unsere Verantwortung. Aber, meine Damen und Herren, wenn wir diesen tragischen Abschnitt in der Geschichte unserer beiden Völker definitiv beenden wollen, dann müssen wir uns bei der Lösung dieser Aufgabe als freie Menschen gegenübertreten, und es darf in Bonn und in Paris nicht zwei völlig verschiedene Begründungen für den Beitritt zur Union geben.
({8})
Europa muß geeint werden, und es gibt nur zwei Wege zu diesem Ziel. Erstens den Weg der Gewalt. Wir haben die tragischen und grauenhaften Konsequenzen eines solchen Versuchs während der Hitler-Periode erlebt. Wir wissen, daß auch die bolschewistische Vorherrschaft über Europa eine Einheit Europas in der Finsternis der Diktatur sein würde.
({9})
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nur ganz wenige Bemerkungen über die Haltung der kommunistischen Fraktion in dieser Debatte machen. Die Kommunisten haben sich hier gegen den Schumanplan ausgesprochen. Aber das deutsche Volk darf sich keinen Augenblick darüber im Zweifel sein, daß die Haltung der Kommunisten hier im Bundestag auch in diesem Fall eindeutig bestimmt ist durch die russischen Interessen.
({10})
Es gibt wahrscheinlich nur einen denkbaren Fall,
in dem ein Vertrag wie der Schumanplan für
Deutschland noch ungünstiger sein könnte als der
uns heute vorliegende Vertrag. Dieser Fall könnte
eintreten, wenn auch die Sowjetunion Vertragspartner einer solchen Montan-Union sein würde.
({11})
Erinnern wir uns - ich sage das mit sehr viel Bedacht -, daß während der Viermächte-Konferenz in Paris im Jahre 1949 vor der Inkraftsetzung des Ruhrstatuts die Politik der sowjetrussischen Propaganda sich nicht gegen die Ruhrbehörde richtete,
({12})
sondern daß sie getragen war von der Forderung, die Sowjetunion an der Mitgliedschaft in der Ruhrbehörde zu beteiligen.
({13})
Auf der Berliner Tagung - um ein neueres Beispiel zu geben, damit Sie Ihr Gedächtnis nicht so weit durch alle Wendungen Ihrer Politik hindurchgeleiten müssen -, auf der Berliner Tagung des kommunistischen Weltfriedensrates im vergangenen Jahr forderte der französische Kommunist Farge die Wiederherstellung der Industriekontrollen und Produktionsbeschränkungen auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens.
({14})
Er zitierte zustimmend den Morgenthau-Plan und bedauerte, daß dieser Plan fallengelassen worden sei.
({15})
- Meine Damen und Herren, ich finde, die kommunistischen Mitglieder dieses Hauses sollten mit ihren Protesten etwas vorsichtiger sein,
({16})
vor allem nach ihrer gestrigen Abstimmung. In der gestrigen Nachtsitzung hatten wir abzustimmen über einen von der sozialdemokratischen Fraktion beantragten Art. I a), in dem wir eine Reihe von Sicherungen dafür schaffen wollten, daß unter allen Umständen Remontagen und der technische Wiederaufbau der Schwerindustrie an der Ruhr nicht durch Beschränkung von Investitionen durch die Hohe Behörde beeinträchtigt werden könnten. Wir haben außerdem auch eine Klarstellung der Gültigkeit des Gesetzes 27 über die Dekartellisierung verlangt.
({17}) Und was hat die kommunistische Fraktion gestern in der namentlichen Abstimmung getan? Sie hat gegen diesen Antrag für den Wiederaufbau der Ruhrindustrie gestimmt
({18})
Das steht in voller Übereinstimmung mit der sowjetrussischen Politik gegenüber der deutschen Wirtschaft.
({19})
Die deutschen Kommunisten spielen ihre Rolle in der russischen Politik gegen den Wiederaufbau der deutschen Industrie in der Bundesrepublik im Rahmen ihrer Propaganda als Kronzeugen deutscher Wiederaufrüstung und angeblicher imperialistischer Vorherrschaft auf dem Kontinent. Mit der Vertretung eines deutschen Standpunktes hat der kommunistische Kampf gegen den Schumanplan nicht das geringste zu tun.
({20})
({21})
Damit ist für mich das Kapitel kommunistische Propaganda im Bundestag abgeschlossen. Wir werden den anderen Teil dieser Auseinandersetzung im Angesicht der Bergarbeiter und Stahlarbeiter an der Ruhr führen.
({22})
Meine Damen und Herren, ich war zu diesen Bemerkungen im Zusammenhang mit der Frage gekommen, wie die Einheit Europas hergestellt werden kann. Der Weg der Gewalt ist ungangbar. Es bleibt nur ein zweiter Weg, der Aufbau einer europäischen Einheit auf Einsicht, Vertrauen und gegenseitiger Achtung aller Partner. Ich meine, daß wir die Untersuchung der Frage, ob wir dem jetzt vorliegenden Plan zustimmen können, unter dem Gesichtspunkt führen müssen, ob die Verhandlungen in diesem Geiste geführt wurden und ob in diesem Vertrag dieser Geist der Einsicht, des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Respektierung wirklich zum Durchbruch gekommen ist.
Ich spreche also hier zum Konkreten, zu diesem Schumanplan, diesem ersten konkreten Schritt zu einer europäischen Union. Wir lehnen ihn ab. Wir lehnen ihn ab als ein ungeeignetes Mittel zur Erreichung des erstrebten Zieles der europäischen Zusammenarbeit. Meine Damen und Herren, Sie haben heute morgen die Vertagung der dritten Lesung abgelehnt. Wir bedauern das, nicht weil wir bei dieser Abstimmung in der Minderheit geblieben sind. Ich beneide Sie auch nicht um den Sieg, den Sie in dieser Frage über uns errungen haben;
({23})
denn es scheint mir einer jener Siege zu sein, die nicht errungen werden durch das Schwergewicht der besseren Argumente, sondern durch die Macht der Zahl.
({24})
Meine Damen und Herren, ich sage das, weil wir es im Interesse des Ganzen bedauern, daß Sie es auf sich genommen haben, die Ratifizierung des Schumanplans heute trotz all der offensichtlichen Ungewißheiten zu erzwingen.
Wir sehen in dieser Haltung einen Beweis dafür, daß Sie trotz aller Warnungen entschlossen sind, den verhängnisvollen Weg der Außenpolitik der Bundesregierung weiterzugehen.
({25})
Unsere Differenz in der Außenpolitik besteht nicht darin, daß wir eine Meinungsverschiedenheit haben über das größere oder geringere Maß von Aktivität. Die Differenz liegt im Grundsätzlichen, und sie ist sichtbar geworden insbesondere bei den Diskussionen über den Schumanplan-Vertrag, den wir hier vorliegen haben. Uns scheint, daß die Außenpolitik der Regierung vom deutschen Standpunkt aus in hohem Maße von rein opportunistischen Gesichtspunkten geführt wird und im Grunde positionslos ist.
({26})
Ein Querschnitt durch die widerstreitenden Interessen der Alliierten ergibt doch noch nicht den Inhalt einer deutschen Außenpolitik.
({27})
Die Bundesrepublik ist in die Schumanplan-Verhandlungen gegangen ohne vorherige grundsätzliche Auseinandersetzung über die Frage einer echten deutschen Partnerschaft auf allen Gebieten unserer ausländischen Beziehungen. Die Anerkennung dieser Forderung mußte die Voraussetzung für jede internationale Verhandlung sein, in der wir uns aus freiem Entschluß an internationale Verträge binden.
Das Resultat dieses Versäumnisses in der Ausgangsposition liegt jetzt vor uns. Wir sollen den ersten großen internationalen Vertrag ratifizieren ohne jede sichere Grundlage hinsichtlich unserer staatsrechtlichen und völkerrechtlichen Stellung. Diesen Tatbestand kann doch niemand hier im Hause bestreiten! Und wir Sozialdemokraten sind eben nicht bereit, auf dieser Basis unsere Zustimmung zu einem so weittragenden internationalen Vertrag zu geben. Uns genügen die Erfahrungen, die wir seit der Unterzeichnung des Petersberg-Abkommens gemacht haben, vollauf.
({28})
Meine Damen und Herren! Wir tun es auch nicht, weil wir die Dringlichkeit der Ratifizierung von einem Tag auf den andern nicht einsehen können. Überlegen Sie einmal, in welcher Weise sich die Bundesregierung im Laufe der Schumanplan-Verhandlungen dem sogenannten Zeitargument der andern und eines Teils der nicht am Schumanplan beteiligten Alliierten gebeugt hat. Es mußte unbedingt der 18. April 1951 sein. Heute haben wir den 11. Januar 1952. Im April wurde gesagt, wenn die europäischen Völker nicht in kurzer Zeit diesen ersten Schritt tun, dann wird in Europa eine außerordentlich gefährliche Situation entstehen, und das Jahr 1952 wird möglicherweise ein Jahr des Verhängnisses werden.
Nun, dieses Jahr 1952 hat begonnen, und was erleben wir?
({29})
- Entschuldigen Sie, ich spreche ja nicht von dem sehr eifrigen Deutschen Bundestag; ich spreche von den andern Partnern.
({30})
- Frankreich hat in der Nationalversammlung ratifiziert. Die Ratifizierung im Rat der Republik steht noch aus, und niemand weiß, wann sie kommt, weil Frankreich zur Zeit keine Regierung hat. Die Ratifizierung in Belgien kommt bestenfalls im März, wenn nicht auch die neue belgische Regierungskrise eine neue Verzögerung bedeutet. Wann wird Italien, wann wird Luxemburg ratifizieren? Und steht es fest, daß in diesen drei Ländern, mit Ausnahme von Frankreich und Holland, tatsächlich eine Ratifizierung zustande kommt?
({31})
Meine Damen und Herren! Ich will gar nicht die Gründe untersuchen, die in diesen Ländern für die Verzögerung sprechen. Aber durch das Verhalten der demokratischen Länder außerhalb Deutschlands in bezug auf das Zeitproblem hat sich mit Evidenz gezeigt, daß dieses Zeitproblem niemals ein echtes Argument, sondern eine Pression auf die Deutsche Bundesrepublik gewesen ist.
({32})
Meine Damen und Herren, das sage ich hier nicht, um noch ein kritisches Argument hinzuzufügen. Ich sage es als ehrliche offene Warnung an die Mehrheit des Hauses und an die Regierung, sich
({33})
auch bei den gegenwärtigen weittragenden internationalen Verhandlungen nicht wieder einem solchen Scheinargument auf Kosten der deutschen Position zu beugen.
({34})
Es muß doch respektiert werden in Europa und in der Welt, daß dieses deutsche Volk und diese Bundesrepublik bei der Behandlung solcher internationaler Verträge in einer viel schwierigeren Position ist als irgendein anderes Land mit klaren staats und völkerrechtlichen Beziehungen, die uns bis heute fehlen.
({35})
Was wir nicht akzeptieren und was wir in unserer Ablehnung auch in dieser Beziehung zum Ausdruck bringen wollen: Wir sind nicht bereit, für die Ehre, zu den ersten zu gehören, mit neuen Belastungen und neuen Unsicherheitsfaktoren zu zahlen, die sich nach der Ratifizierung nur schwer oder überhaupt nicht korrigieren lassen.
({36})
Es gibt noch ein anderes Argument, das nach meiner Meinung auch nicht mehr stichhaltig ist. Es ist das Argument, das wir in diesen Tagen so oft gehört haben: „Gewiß, der Vertrag hat Mängel und Nachteile. Aber es muß doch endlich der erste Schritt in Richtung auf die Organisation von Europa getan werden. Wenn wir warten, bis alles vollkommen ist, kommen wir nie zurecht!" - Meine Damen und Herren! Es geht nicht um die Vollkommenheit von Verträgen dieser Art. Es geht um ein ganz anderes Problem. Die Organisation von Europa auf Teilgebieten oder im Ganzen ist zu einer praktischen Aufgabe geworden. Soll diese Organisation funktionieren, dann genügt nicht die Aufstellung von allgemeinen Grundsätzen und der Aufbau von Organisationsformen. Das allein schon ist, wie der Schumanplan und die Geschichte seiner Ratifizierung zeigt, ein sehr schwieriges Problem aber es ist nicht das wesentliche. Das Wesentliche ist die Ausbalancierung der natürlichen und unvermeidlichen nationalen Interessengegensätze bis zu dem Punkt, an dem eine für alle tragbare Lösung gefunden ist,
({37})
und die Ausbalancierung dieser Gegensätze in den Verhandlungen vor dem Abschluß des Vertrages.
({38})
Gelingt das nicht - ich sage es noch einmal -, dann übertragen Sie die Gegensätze in diese neue höhere Organisation mit der ganzen Sprengkraft, die sich in der Einkapselung noch erhöht.
Meine Damen und Herren! Das ist keine theoretische Feststellung. Untersuchen Sie die Debatten in der holländischen Kammer, in der französischen Kammer unter diesem Gesichtspunkt, dann wissen Sie, an welchen Punkten die Schumanplan-Anhänger aller Länder auf echte Schwierigkeiten gestoßen sind, die man hätte vermeiden können, wenn man mit Zeit und Geduld im Vorstadium der Ratifizierung verhandelt hätte.
Das gilt nicht nur für Einzelfragen. Ich will hier nicht noch einmal die Debatte in der französischen Kammer zitieren. Aber vergessen wir doch eines nicht: In dieser Debatte in der französischen Kammer ist das stärkste Argument der französischen Regierung für die Ratifizierung gewesen, daß die französische Regierung dem Parlament die Frage vorgelegt hat: „Wie wäre die Stellung Frankreichs, wenn es keinen Schumanplan gäbe? Wer hat den Koks für die eisen- und stahlschaffende Industrie? - Doch Deutschland, dessen Schwerindustrie schon mit 100 % ihrer Mittel arbeitet, während unsere Kapazität nur zu 85 % ausgenutzt ist! Deutschland, dessen Wiederaufrichtung unvermeidlich ist, wäre mehr und mehr der Schiedsrichter Europas." Man sage nicht, das sei die Sprache für den französischen Hausgebrauch.
({39})
Das wäre eine sehr gefährliche Selbsttäuschung unserer selbst. Denn was steckt hinter dieser Argumentation? Die Tatsache, daß die französische Regierung die Mehrheit des französischen Parlaments davon überzeugen konnte, daß der erste europäische Plan mit den Lebensinteressen der französischen Kohle- und Stahlindustrie in Einklang zu bringen ist, ja daß diese Industrie davon Vorteile hat.
Und, meine Damen und Herren, die Frage, die wir in dieser Debatte mit unseren Reden an dieses Haus gestellt haben, ist doch die: Wo ist die konkrete substantiierte Gegenrechnung der deutschen Regierung gegenüber dieser französischen Position?
({40})
Wenn Sie diesen Weg weitergehen, wenn Sie sich damit begnügen, in die neue europäische Organisation unsere Bekenntnisse zu Europa einzubringen, während die anderen ihre nationalen Interessen vertraglich verankern und sichern, dann werden die Deutschen immer die Ehre haben, ihre Bekenntnisse am teuersten zu bezahlen.
({41})
Es gibt noch ein anderes Gegenargument, das ebenfalls in der bisherigen Debatte selbstverständlich schon eine Rolle gespielt hat, auf das ich aber noch einmal kurz eingehen will. „Wenn wir" - so sagt man uns - „den Schumanplan nicht unterzeichnen, dann bleiben wir unter den jetzigen Belastungen des Besatzungsregimes". Der Herr Bundeskanzler hat heute morgen wieder einmal geglaubt, uns mahnen zu müssen, an die deutschen Interessen zu denken. Darf ich nicht vielleicht hier in diesem Zusammenhang die Frage stellen, ob nicht die Argumentation der Mehrheit dieses Hauses: „Wenn wir den Schumanplan nicht akzeptieren, bleibt das Besatzungsregime!" eine wesentliche Erleichterung der Politik der Alliierten in bezug auf das Junktim zwischen Schumanplan, Verteidigungsbeitrag und Generalvertrag ist?
({42})
Was ist der Schumanplan dank der Tatsache, daß wir am Ausgangspunkt die staats- und völkerrechtliche Position der Bundesrepublik nicht klar gemacht haben? Ist er die vertragsmäßige Sicherung bestimmter Ziele der Besatzungspolitik oder der Anfang einer europäischen Gemeinschaft von Gleichen unter Gleichen?
({43})
Meine Damen und Herren, wollen Sie ernsthaft bestreiten, daß er ein Kompromiß ist eindeutig zugunsten der Aufrechterhaltung und Durchsetzung bestimmter Besatzungsziele bestimmter früherer Besatzungsmächte?
({44})
Herr Kollege Semler hat gestern abend oder heute morgen davon gesprochen, ihm sei in diesen Tagen die Erinnerung an Locarno gekommen. ({45})
Meine Damen und Herren, es ist meine feste Überzeugung: mit dem Schumanplan sind wir noch lange nicht bei Locarno!
({46})
Ich habe vielmehr das Gefühl, daß der Schuman-plan ein Symptom dafür ist, daß man im Gegensatz zur gewaltsamen Ruhrbesetzung im Jahre 1923 - ({47})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich doch
aussprechen!
({48})
- Sie hatten mich noch nicht aussprechen lassen.
({49})
Meine Damen und Herren, ich habe bis jetzt - ({50})
- Ich meine, Lautstärke ist auch kein Argument!
({51})
Ich habe fortfahren wollen, daß der Schumanplan vielleicht auch ein Beweis dafür ist, daß man gewisse Ansprüche
({52})
auf die Ruhr auch auf dem kalten Wege eines solchen Vertrages sichern kann.
({53})
- Meine Damen und Herren, ich bin gewohnt, alles das zu sagen, was ich denke.
({54})
Aber ich denke nicht daran, mich von Ihnen zu irgendwelchen Äußerungen hinreißen zu lassen, die ich nicht vertreten kann.
({55})
Ich möchte noch auf ein weiteres Argument eingehen. Es ist gesagt worden: „Die Ruhrbehörde wird wegfallen!" Aber, meine Damen und Herren, wollen Sie nicht auch akzeptieren, daß die andere Seite mit der festen Vorstellung in die Montan-Union geht, daß die Hohe Behörde ein besseres Instrument zur Vertretung ihrer Interessen ist? Das ist doch unbestreitbar!
({56})
Der nächste Punkt. Man sagt: „Die Stahlproduktionsbeschränkung fällt!" Aber, meine Damen und Herren, die Diskussion in diesem Hause und in den Ausschüssen hat völlig klar gemacht: Wenn der Schumanplan in Kraft tritt, dann bildet die Stahlproduktionskapazität der Union eine Einheit, und über ihren Ausbau entscheidet die Hohe Behörde
({57}) unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Notwendigkeiten nicht des einzelnen Landes, sondern des Ganzen.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen sagen, warum ich das hier wiederhole.
({58})
Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß der Herr Staatssekretär Professor Hallstein hier vor dem Hause die Erklärung abgegeben hat, es gebe nicht den geringsten Zweifel darüber, daß, wenn Deutschland will, es eine Breitbandstraße aufbauen kann. Diese Erklärung des Herrn Staatssekretärs möchte ich hier noch einmal ausdrücklich zu Protokoll genommen wissen.
({59})
Das wollen wir abwarten.
Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine andere Bemerkung machen: Diese Beschränkungen der Möglichkeiten sind nicht nur eine Lebensgefahr für die deutsche Stahlindustrie an Ruhr und Rhein, sondern auch für das Industriegebiet an der Zonengrenze.
({60})
Was wird mit Werken wie Watenstedt und Salzgitter? Wo gibt es eine reale Unterlage für die Annahme, daß wir nach der Ratifizierung des Vertrages aus nationalpolitischen und allgemein demokratischen Gründen dieses wichtige Gebiet in den Wiederaufbau unserer Schwerindustrie wieder einbeziehen können? Die Politik der Abziehung der deutschen Kohlen- und Eisenindustrie von der Zonengrenze nach dem Westen liegt weder im Interesse der deutschen noch der europäischen Demokratie. Frankreich aber betrachtet die Demontage z. B. von Watenstedt und Salzgitter als endgültig und unwiderruflich. Und, meine Damen und Herren, ein wirtschaftliches Niemandsland der Bundesrepublik an der Zonengrenze ist in der gleichen Weise wie die Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen im Ruhrgebiet eine direkte Hilfeleistung für kommunistische und andere antidemokratische Strömungen und Aktionen.
({61})
Ich will nicht im einzelnen auf verschiedene Fragen eingehen, die im Zusammenhang mit der Debatte in der zweiten Lesung schon behandelt wurden. Lassen Sie mich aber bitte noch einmal ein Wort über das Gesetz Nr. 27 sagen. Ich denke, der Tatbestand ist durch die Diskussion klar geworden; ich beziehe mich auf sie. Aber ich erwähne diesen Punkt, weil wir auch von der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers heute morgen nicht befriedigt sind. Die Tatsache, daß es sich bei dem Gesetz Nr. 27 um Besatzungsrecht handelt, ist uns bekannt.
({62})
Die Tatsache, daß die Besatzungsmächte sich vorbehalten haben, die Durchführung des Gesetzes sicherzustellen, ist uns auch bekannt. Aber es ist doch in dieser Debatte ein neuer, entscheidender Gesichtspunkt aufgetaucht, nämlich die Feststellung in der französischen Kammer durch den Herrn Außenminister Schuman, daß die Dekartellisierung in der Zwischenzeit - in der Zwischenzeit! - nach dem Erlaß des Gesetzes Nr. 27 und nach der Unterzeichnung des Schumanplans im April 1951 Gegen({63})
stand eines Übereinkommens zwischen den drei Mächten und der Bundesregierung gewesen ist.
({64})
Diese Übereinkunft bleibt bestehen und endgültig, wie alle internationalen Übereinkommen; sie muß von der Hohen Behörde respektiert und angewandt werden.
({65})
Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, daß ich es Ihnen noch einmal vorgelesen habe.
Aber vielleicht sind wir in dem Punkt einig, daß wir hier keine Klarheit haben. Der Herr Staatssekretär Hallstein erklärt: Es gibt eine solche Vereinbarung nicht. Der Herr Bundeskanzler hat erklärt: Es besteht eine solche Verpflichtung nicht, denn das Gesetz Nr. 27 als Besatzungsgesetz ist keine internationale Vereinbarung. Sie werden mir zugeben: Das sind zwar sehr eindeutige, aber einseitige Erklärungen des deutschen Partners.
({66})
Und die Frage ist: Warum hat die Bundesregierung nicht schon vor Beginn der Debatte diese off en-sichtliche Meinungsverschiedenheit von so entscheidender Bedeutung durch Rückfrage in Paris aufklären lassen oder aufzuklären sich bemüht? Denn das müssen Sie uns doch zugeben: Diese einseitige Erklärung des Herrn Bundeskanzlers bindet niemand als den Herrn Bundeskanzler selbst.
({67})
Wir müssen doch wissen, ob diese Erklärung von der anderen Seite akzeptiert wird als in Übereinstimmung mit dem Vertragstext, und wir müssen wissen, wie der Herr Außenminister Schuman zu dieser merkwürdigen und bedeutsamen Feststellung gekommen ist.
Die Frage hat eine sehr weitgehende Bedeutung. Wenn 'nämlich die französische These richtig ist, wenn wir sie aus irgendeinem Grunde, der uns jetzt nicht bekannt ist, akzeptieren müssen, wird dann z. B. die Abmachung über die künftige Organisation des deutschen Kohlenverkaufs auch eine solche internationale Vereinbarung, die oberhalb der Hohen Behörde steht? Auch hier ist alles, buchstäblich alles, offen, und ich muß sagen: Es gehört ein großes Maß von Optimismus und gutem Glauben dazu,
({68})
in einer solchen Situation mit einer so ungeklärten Basis einen Vertrag zu unterzeichnen, der uns für 50 Jahre bindet, ohne daß wir die Basis unserer wirtschaftlichen Möglichkeiten kennen.
Es geht hier j a nicht nur um Vertrags- und Organisationsfragen. Dahinter steht doch das Schicksal von Millionen von Menschen und das Schicksal der gesamten 'deutschen Wirtschaft. Ich verarge dem französischen Volke nicht, wenn es die Montan-Union in erster Linie unter dem Gesichtspunkt seiner nationalen Interessen sieht. Aber wir haben nicht nur das Recht, sondern wir haben die Pflicht, das gleiche auch für unser Volk zu tun.
({69})
Das Wort „Europa" in der Bezeichnung des Vertrages ist für uns als Gegenleistung gegen die vielen Ungewißheiten keine befriedigende Aufrechnung. Im Gegenteil, Wort und Begriff laufen, wenn
sie mit dieser Praxis verbunden werden, Gefahr, in ihrer werbenden und aufbauenden Kraft zerstört zu werden.
({70})
Meine Damen und Herren, alles in allem: Nach wie vor ist unsere Überzeugung, daß die deutsche nationale Bilanz einer Prüfung der Montan-Union düster und ganz überwiegend negativ ist.
({71})
Wir beklagen dieses Resultat, weil wir das Ziel einer europäischen Wirtschaftsunion immer angestrebt haben und weil wir seine Verwirklichung heute für aktueller und notwendiger halten als zuvor. Aber auf der anderen Seite geht es hier um harte Tatsachen. Sie verlangen die Unterschrift unter den Vertrag, die Ratifizierung eines Vertrages, der fünfzig Jahre dauert. Wenn aber in diesem Vertrag so viele Spannungen liegen, ist es dann vom Standpunkt einer Europa-Politik der Bundesrepublik, vom Standpunkt der europäischen Idee, wirklich klug, den ersten Versuch ohne zwingenden Grund mit diesen Spannungen zu beladen?
({72})
Doch es sind nicht nur die Gründe, die ich hier genannt habe. Es ist auch die Frage, ob Umfang und Organisation des Planes dem entsprechen, was man sich von einer vernünftigen Organisation Europas vorstellt. Ich will auch hier Sauf die Wiederholung dessen, was bereits gesagt worden ist, verzichten. Aber ein Gesichtspunkt muß in dieser allgemeinen Diskussion der dritten Lesung doch wenigstens hervorgehoben werden: Der Schumanplan ist kein europäischer Plan, der Schumanplan ist ein Zweckplan für ein Teilgebiet Europas.
({73}) Mindestens Großbritannien und Skandinavien fehlen. Man hat uns gesagt - ich kenne die Argumente: Selbstverständlich hätten wir Großbritannien gern dabei gesehen, aber was sollten wir tun? Großbritannien war eingeladen, es hat abgelehnt! Außerdem kann es jederzeit beitreten, und es hat j a auch schon eine Vertretung bei der Hohen Behörde angekündigt! Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß beide Argumente nicht den Kern der Sache treffen. Großbritannien wurde natürlich eingeladen, aber unter der Bedingung wie alle anderen auch, nämlich daß jeder Teilnehmer an der Schumanplan-Konferenz vorher und blanko akzeptiert, daß im Rahmen der Schumanplan-Organisation eine supranationale Behörde aufgebaut wird. Das aber ist ein echter Streitpunkt in der Frage der Organisation Europas. Frankreich wußte, daß England diese Bedingung nicht akzeptieren wollte oder konnte. Das ist die Sache Frankreichs.
Aber war es im deutschen Interesse richtig, daß die Bundesregierung diese französische Bedingung von vornherein akzeptierte? Das Resultat dieser Akzeptierung liegt uns vor: Großbritannien, der größte europäische Produzent von Kohle und Stahl, steht außerhalb der Union; Skandinavien, wichtige Konsumenten, gehören nicht dazu. Und ich stelle einfach die Frage: wäre die Position Deutschlands in der Union nicht günstiger im Rahmen einer derartigen großen europäischen Union? Wäre es vom deutschen Standpunkt nicht besser gewesen, die britischen Einwände gegen eine übernationale Hohe Behörde ernster zu nehmen, als von vornherein die französische These zu akzeptieren?
({74})
({75})
Hier liegt unsere Kritik: auch hier wieder beim ersten Schritt keine genügend gründliche sachverständige Abwägung der deutschen Interessen in einem internationalen Gremium!
({76})
Außerdem aber: hat Deutschland nicht ein besonderes Interesse und im Rahmen der Neuordnung Europas vielleicht sogar die Aufgabe, alles zu fördern, was ganz Europa angeht? Denken wir an unsere eigene Situation! Die Bundesrepublik ist ein Provisorium. Vergessen wir das nicht, wenn wir über die Integrierung der Bundesrepublik in den Westen sprechen! Sie ist ein Provisorium, nicht nur aus ihrer Entstehungsgeschichte, sondern aus unserem eigenen Willen im Hinblick auf die Einheit Deutschlands. Und darüber gibt es doch wohl keinen Zweifel: je breiter die europäische Grundlage, desto stärker das Bewußtsein für die Einheit Deutschlands und für die Tatsache, daß Europa eben nicht an der Elbe aufhört. Wir wollen keine Neutralisierung Deutschlands; sie ist eine Phantasie oder eine gewollte Hilfestellung für die Expansionspolitik des Ostens. Aber jede Integration des freien Europas muß die Tendenz seiner Erweiterung nach dem Osten in sich tragen. Sie darf nicht den Verdacht der Abkapselung, der Preisgabe, der Umwandlung des jetzigen Provisoriums der Bundesrepublik und des Provisoriums Europa, wie es sich in Westeuropa darstellt, erwecken. Wir beklagen, daß die Bundesregierung in bezug auf die Stellung Berlins und der Ostzone in den Verhandlungen keine Initiative entfaltet hat. Wir haben die Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers zur Kenntnis genommen. Es ist die vierte Version, die wir in den Beratungen über diesen Vertrag in bezug auf Berlin erhalten haben.
({77})
Diese Tatsache an sich ist bedauerlich.
Zweitens ist es für uns bedrückend gewesen, daß wir gestern bei der Frage nach der Stellung der Montan-Union zur russisch besetzten Zone eine Antwort des Herrn Staatssekretärs bekamen, aus der schließlich hervorging, daß in den Übergangsbestimmungen auch eine Bestimmung zu finden ist, die es möglich macht, die Handelsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Ostzone als eine interne Angelegenheit der Deutschen zu betrachten, allerdings mit der Maßgabe, daß die Hohe Behörde ihre Zustimmung geben muß.
({78})
Welches wäre denn die wirkliche Ausgangsposition der deutschen Verhandlungspartner in dieser Frage gewesen? Meiner Meinung nach am Beginn der Verhandlungen die Klarstellung, daß die These der Bundesregierung und des Bundestages, die wir alle teilen, daß nämlich die Bundesregierung stellvertretend für ganz Deutschland spricht, auch eine anerkannte These in der Festlegung der Position der Bundesrepublik in der Montan-Union ist.
({79})
Was uns bedrückt und - darüber täuschen Sie sich nicht - was in breiten Schichten des Volkes Unruhe, Unsicherheit und Sorge hervorruft,
({80})
ist, daß man angesichts des Ablaufs dieser Verhandlungen nicht immer mit Sicherheit weiß, ob man die deutsche Einheit wirklich als zentralen Ausgangspunkt für deutsche Verhandlungen im Ausland behandelt.
({81})
Wir meinen also: eine deutsche Delegation, die die Zustimmung der anderen Partner zur Anerkennung des Grundsatzes, daß die Bundesregierung in den Montanverhandlungen stellvertretend für ganz Deutschland spricht, nicht bekommt, hätte sich nicht auf Einzelverhandlungen abdrängen lassen; denn es ist eine schlechte Sache, wenn ein Drittel des deutschen Landes und des deutschen Volkes in einem solchen Vertrage schließlich nur in den Übergangsbestimmungen mit erwähnt wird. So geht es nicht.
Dasselbe gilt für das Saargebiet. Ich will nicht noch einmal die Debatte von heute nacht aufnehmmen: Wir waren doch am 18. April, am Morgen der Unterzeichnung des Plans, in bezug auf unser Verhältnis zu Frankreich nicht im Status von Siegern und Besiegten, sondern wenn Ihre Version stimmt, dann waren wir doch Partner. Da hätte der deutsche Partner den französischen Partner doch mindestens vor die wirklich substantielle Frage stellen müssen: Wir Deutschen können nur in die Montan-Union gehen, wenn die Wirtschaftsunion zwischen der Saar und Frankreich fällt,
({82})
weil die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs in der Montan-Union ihre gerechte Befriedung finden können.
({83})
Das Dilemma, daß diese Fragen - Berlin, deutsche Einheit und Saargebiet - in der öffentlichen Diskussion auftauchen, ist doch nicht durch das Verhalten der Opposition hervorgerufen worden. Es ist die unvermeidliche Folge der Anlage und der Durchführung der Verhandlungen. - Das sind die Gründe, die wir hier auch in bezug auf die geographische Ausdehnung der Montan-Union kritisch vorzubringen haben.
Ich möchte meine Zeit nicht wesentlich überschreiten; ich möchte aber noch einmal mit allem Nachdruck und mit aller Eindeutigkeit alles das unterstreichen, was hier über den undemokratischen Aufbau der Organe der SchumanplanOrganisation gesagt worden ist. Auch hier ist nicht alles klar geworden.
({84})
Wir sind gar nicht befriedigt von den Erklärungen des Herrn Staatssekretärs Hallstein über die Auslegung der Artikel des Vertrages, in denen festgelegt wird, daß mit diesem Vertrage gewisse Hoheitsrechte der nationalen Souveränität entzogen werden und in die Zuständigkeit der Hohen Behörde übergehen. Herr Professor Hallstein hat gestern die Dinge bagatellisiert. Ich halte das für eine sehr schlechte Methode. Er hat gestern zum ersten Male z. B. auch dem Ministerrat in diesem Zusammenhang eine Aufgabe zugeschoben, die er nach meiner Überzeugung nach dem Geist des Vertrags nicht hat. Aber selbst wenn er sie haben sollte, nämlich die Aufgabe der korrigierenden Einwirkung auf eine zu weitgehende Auslegung der Hoheitsrechte der Hohen Behörde, ist im Ministerrat die deutsche Position nicht so, daß wir dort mit Erfolg unsere Interessen gegenüber der Hohen Behörde durchbringen könnten.
Alles das bitte ich noch einmal in Betracht zu ziehen. Dabei appelliere ich an alle, die hier als demokratische Europäer oder als europäische Demokraten gesprochen haben. Dieser SchumanplanVertrag schafft, wenn es nach Ihrem Willen geht, eine Art von Modellorganisation für die Organisation bestimmter Teilgebiete europäischer
({85})
Wirtschaft und europäischen gesellschaftlichen Lebens. Auf der Pariser Konferenz zwischen Weihnachten und Neujahr ist der Plan aufgetaucht, dem sogenannten Parlament der Schumanplan-Organisation gleichzeitig die Aufgabe zuzuweisen, auch das Parlament der zukünftigen europäischen Verteidigungsorganisation zu werden, und man hat mit dem Gedanken gespielt, wiederum diesem sogenannten Parlament die Aufgabe zu überweisen, die Verfassung einer europäischen Föderation auszuarbeiten.
Wenn Sie Europa in dieser Weise organisieren - autokratisch in der Spitze und auf der Basis von Managerorganisationen, ohne genügende effektive demokratische Kontrolle -, können Sie sicher sein, daß Sie damit die werbende Kraft der europäischen Idee auf die Völker, die nicht unter demokratischen Bedingungen leben, ganz erheblich abschwächen.
({86})
Das ist ein zentraler gemeinsamer Gesichtspunkt aller, die es ehrlich mit einer echten europäischen Gemeinschaft meinen. Neben allem anderen hat der Plan in seinem Aufbau autokratische Elemente, die wir, unbeschadet aller gegensätzlichen Auffassungen im Politischen oder Ökonomischen, als Anhänger einer demokratischen und freiheitlichen Verfassung in den einzelnen Ländern in Europa grundsätzlich ablehnen müssen.
({87})
Wir laufen Gefahr, daß diese Elemente des Autokratischen und des Undemokratischen sich verhärten und daß Europa sich in einer Weise konserviert, in der die wirklichen elementaren Lebenskräfte der Völker erstickt und unterdrückt werden. Es gibt keine europäische Organisation ohne die freiwillige innere Bejahung dieser Organisation durch die breiten Massen des Volkes. Es gibt keine wahrhaft lebensfähige europäische Organisation ohne die Möglichkeit der Mitbestimmung und der Mitgestaltung durch die arbeitenden Menschen in dieser europäischen Organisation.
({88})
Ich fasse zusammen: Nach unserer Auffassung ist dieser Plan unannehmbar; denn er steht in Widerspruch zu elementaren Lebensinteressen des deutschen Volkes. Er belastet das deutsche Volk einseitig zugunsten eines Partners in ungleich höherem Maße als die anderen Partner. Er nimmt uns die Bewegungsfreiheit für den Wiederaufbau unserer Kohle- und Stahlindustrie unter modernen Gesichtspunkten und für die Neugestaltung unseres Wirtschaftslebens. Er gibt uns keine Sicherheit für eine ausreichende Verfügung über Kohle und Stahl für die Ausfuhr, um die für die deutsche Ernährung und Rohstoffversorgung notwendigen Einfuhren sicherzustellen. Er gefährdet und erschwert durch seine geographische und sachliche Begrenzung den Aufbau einer umfassenden europäischen Union. Der undemokratische Charakter seiner Verfassung ist unvereinbar mit den Grundideen einer Neuordnung Europas unter demokratischen und freiheitlichen Gesichtspunkten. Schließlich ist seine Verflechtung und Verzahnung mit Bestimmungen des Besatzungsrechts oder mit anderen bereits vorhandenen oder noch abzuschließenden Verträgen in diesem Augenblick unabsehbar.
Unsere Ablehnung des Schumanplans ist keine antieuropäische Entscheidung. Sie ist keine Verweigerung der europäischen Zusammenarbeit. Mit dem Schumanplan lehnen wir nichts anderes ab als diese spezifische Form einer Zusammenarbeit.
Das Entscheidende ist nicht, daß der erste Schritt getan wird; allein entscheidend ist, daß der erste Schritt in der richtigen Richtung getan wird,
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daß das neue Haus auf festem und sicherem Grund gebaut wird.
Wir sagen nein, und wir schaffen damit, wenn Sie wollen, der Bundesregierung die Möglichkeit, gestützt auf ein solches Votum des Bundestags, neue Verhandlungen über eine echte europäische Wirtschaftsorganisation einzuleiten. Das erste Ziel dieser Verhandlungen sollte die wirtschaftliche Zusammenführung Europas auf der ganzen Breite der Volkswirtschaft sein. Man darf nicht bei der Abspaltung einzelner Märkte beginnen. Die Schaffung von Teilorganisationen trägt die Gefahr in sich, daß sie den Fortschritt zu einer umfassenden europäischen Wirtschaftsorganisation blockiert, und nur eine solche umfassende Wirtschaftsorganisation wird alle Faktoren der Produktion beweglicher machen und dadurch auf eine immer weiter fortschreitende Integrierung Europas dringen. Verhandlungen auf einer solchen Basis, von der Bundesregierung geführt unter allen Voraussetzungen der Gleichberechtigung und der Gleichwertigkeit, wären nach unserer Auffassung ein erster solider Schritt zu einem starken und lebenskräftigen Europa, dessen Freiheit, Menschlichkeit und soziale Gerechtigkeit für alle Völker in gleicher Weise gilt.
({90})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Brentano.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In seiner Regierungserklärung am vergangenen Mittwoch hat der Herr Bundeskanzler bereits darauf hingewiesen, daß nahezu alle Vorbehalte und Bedingungen gegenüber dem Vertragswerk, wie sie in der Aussprache der ersten Lesung zum Ausdruck kamen und wie sie insbesondere auch in dem von Ihnen zitierten Antrag Drucksache Nr. 2484 zusammengestellt waren, in der Zeit zwischen der ersten und der zweiten Lesung gegenstandslos geworden sind. Ich kann nur wiederholt auf diese Feststellung und auf die Materialien des Auswärtigen Amtes verweisen, die auch dem Hohen Hause zur Verfügung gestellt worden sind.
Aber, meine Damen und Herren, ich vermag dann um so weniger zu begreifen, warum heute ein Teil dieses Hauses sagt: Zwar wird die Ruhrbehörde ihre Tätigkeit einstellen; zwar werden die Kohle- und Stahlkontrollgruppen verschwinden; zwar werden die Beschränkungen der Stahlkapazität und der Stahlproduktion aufgehoben; zwar wird die Sicherheitsbehörde in die Kohle- und Stahlwirtschaft keine Eingriffe mehr vornehmen können; alles das haben wir erreicht, aber es bestehen noch andere Belastungen und Beeinträchtigungen, die als Folge des verlorenen Krieges über uns verhängt sind, und wir lehnen den Schumanplan ab, weil nicht vor seiner Ratifizierung alle diese Beschränkungen und Belastungen in Wegfall kommen. Diese Einstellung scheint mir sehr unrealistisch und sehr unsachlich zu sein, und diejenigen, die sie vortragen, scheinen mir keine rechte Vorstellung von dem zu haben, was der Schumanplan eigentlich bedeutet.
Wenn w i r zu dem Vertragswerk j a sagen, dann tun wir das doch nicht, weil wir glauben, daß die
({0})
Unterzeichnung eines Vertrags mit den fünf anderen Teilnehmerstaaten etwa den Abschluß eines Friedensvertrags ersetzen könne, eines Friedensvertrags, den wir zur Zeit - und darin dürfte ich wohl mit der großen Mehrheit dieses Hauses übereinstimmen - aus den bekannten Gründen gar nicht wünschen. Wir unterschreiben den Vertrag auch nicht, um durch die Unterzeichnung irgendwelche Belastungen abzulösen. Wir haben die Unterzeichnung vielmehr davon abhängig gemacht, daß alle die Beschränkungen, Vorbehalte und Eingriffsmöglichkeiten beseitigt werden, die als Ausfluß des Besatzungsrechts Deutschland auf dem Gebiete der Kohle- und Stahlwirtschaft noch einseitig belasten, weil wir nie versäumt haben, darauf hinzuweisen, daß es in dieser Gemeinschaft nur Partner mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten geben darf. Wenn man mir sagt, diese Belastungen und Beschränkungen würden ja auch ohne Unterzeichnung des Vertrags voraussichtlich irgendwann einmal wegfallen, dann möchte ich antworten: Das ist wohl möglich. Aber glaubt denn irgend jemand wirklich, daß wir so viel Zeit zu verlieren haben und daß unsere Lage in Deutschland, in Europa und in der Welt so gesichert ist, daß wir als verantwortliche und vernünftige Menschen sagen könnten: wir treten in eine Diskussion über eine internationale Zusammenarbeit überhaupt erst dann ein, wenn im Laufe der Jahre und vielleicht Jahrzehnte ein De-factoZustand erreicht ist, der praktisch die Beseitigung aller durch den Verlust des Krieges bedingten Belastungen mit sich bringt!?
({1})
Ich wiederhole: wir schließen den Schumanplan nicht ab, weil er unsere wirtschaftliche und politische Lage gegenüber dem Ausgangspunkt verbessert. Wir schließen ihn ab, weil wir die zugrunde liegende Konzeption der weiträumigen Zusammenarbeit zwischen allen europäischen Staaten, die dazu bereit sind, für richtig halten und weil wir sie im Interesse der deutschen Wirtschaft und der deutschen Politik begrüßen und fördern wollen.
({2}) Unabdingbare Voraussetzung war dabei die Wiederherstellung der vollen Gleichberechtigung im Rahmen des Vertragswerks. Wenn daher der Schumanplan auch nur dazu beitragen würde, alle die Einschränkungen, von denen ich vorhin gesprochen habe, vorzeitiger zu beseitigen, als dies ohne den Plan geschehen würde, dann wäre allein diese Feststellung genug, um auch aus diesem Grund den Schumanplan im Interesse des deutschen Volkes zu unterstützen.
Mein Fraktionsfreund Etzel hat gestern den Antrag der Fraktionen der Koalition, der Ihnen auf der Drucksache Nr. 2974 vorliegt, vorgetragen und begründet. Ich mache mir die in seinen Ausführungen vertretene Auffassung vollinhaltlich zu eigen. Ich habe darüber hinaus noch den besonderen Wunsch an die Bundesregierung, daß sie unmittelbar nach der Ratifizierung dieses Vertrages durch dieses Haus und durch den Bundesrat die erforderlichen Verhandlungen führen möge, die der Errichtung der Hohen Behörde vorausgehen müssen. Es liegt im Interesse der gesamten deutschen Wirtschaftspolitik, daß die Organe der Montan-Union ihre Tätigkeit unmittelbar nach Inkrafttreten des Vertrages aufnehmen. In den Besprechungen zwischen den Teilnehmerstaaten müssen ohne jedes Zögern alle noch offenen Fragen geklärt werden. Es handelt sich darum, den Sitz der Hohen Behörde festzulegen und die rein technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Hohe Behörde mit einem angemessenen Stab von Mitarbeitern ihre Tätigkeit so rasch wie möglich aufnehmen kann. Weitere Voraussetzung ist, daß sich die vertragschließenden Partner über die personelle Zusammensetzung der Hohen Behörde möglichst jetzt schon einig werden, daß also die acht Mitglieder der Hohen Behörde bestellt werden, die unverzüglich zusammentreten sollten, um die Zuwahl auch des neunten Mitgliedes vorzunehmen.
Alle diese Entscheidungen können und müssen schon jetzt getroffen werden, auch wenn sie noch unter dem Vorbehalt der Ratifizierung durch einige Länder stehen. Denn jede Verzögerung in diesen Vorarbeiten wäre - nicht nur im deutschen Interesse, sondern im Interesse aller Vertragspartner - unerwünscht und schädlich. Es darf nicht dahin kommen, daß Entscheidungen, die der Hohen Behörde zustehen, von ihr nicht rechtzeitig getroffen werden können, weil sie noch nicht aktionsfähig ist, mit der Folge, daß etwa für das zweite Quartal 1952 die Ruhrbehörde noch einmal von ihren Befugnissen Gebrauch machen könnte und müßte. Es kommt deswegen auf eine rechtzeitige Vorbereitung der Beschlüsse an. Denn den ersten Entscheidungen dieser Hohen Behörde wird unzweifelhaft eine ganz besondere politische und psychologische Bedeutung zukommen. Gerade der Start dieses neuen Organismus wird in allen beteiligten Ländern und besonders in Deutschland mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Deswegen halte ich auch die Bildung des Ministerrats jetzt schon für erforderlich.
Ich habe noch ein weiteres Anliegen. Es ist heute morgen schon über die Bedeutung des Gesetzes Nr. 27 im Zusammenhang mit dem Schumanplan diskutiert worden. Ich habe es ebensowenig wie der Herr Bundeskanzler verstanden, daß ein Sprecher dieses Hohen Hauses, noch dazu ein Jurist, von sich aus erklärt hat, das Gesetz Nr. 27 trage den Charakter eines völkerrechtlichen Vertrags und sei daher auch für die Hohe Behörde des Schumanplans bindend. Abgesehen davon, daß ich diese Auslegung für grundfalsch halte, weil sie jeder Basis entbehrt - auch der Redner, der j a obendrein noch Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses ist, müßte wissen, daß die Bundesregierung niemals eine Vereinbarung über das Gesetz Nr. 27 getroffen hat -, halte ich es wirklich nicht für nötig, daß, wenn eine Zweifelsfrage bestehen sollte, die „authentische Interpretation" im Sinne der Gegenseite hier von dieser Tribüne aus gegeben wird.
({3})
Daran kann auch die oft zitierte Erklärung des französischen Außenministers in Paris nichts ändern. Welche Bedeutung kommt dieser Erklärung zu?
({4})
Herr Kollege Ollenhauer sagt uns: Diese Erklärung ist doch sehr wesentlich, weil sie eine Auslegung des Vertrages bedeuten könnte. - Ja, meine Damen und Herren, erstens einmal kann auch der französische Außenminister bei einer Detailfrage irren. Zum zweiten steht ihm j a nicht nur die eindeutige Erklärung des Bundeskanzlers gegenüber. Wenn Sie sich die Mühe machen, den Brief des französischen Hohen Kommissars François-Poncet als Vertreters der Alliierten Hohen Kommission nachzulesen, der Ihnen auch mit den Materialien
({5})
des Auswärtigen Amtes vorgelegt wurde, werden Sie feststellen, daß auch in diesem Brief nicht mit einem Wort von einer Vereinbarung zwischen den drei Alliierten und der Bundesregierung die Rede ist, sondern lediglich von der Durchführung des Gesetzes Nr. 27, eines, wie der Herr Bundeskanzler sagte, oktroyierten Gesetzes, an dessen Durchführung mitzuarbeiten die Bundesregierung gerade deshalb abgelehnt hat, damit nicht der Anschein erweckt wird, daß sie die Rechtsgültigkeit dieser Vorschrift anerkennt.
Aber wir haben wohl den Wunsch, daß die alliierten Regierungen die Zusagen, die sie uns gegeben haben, nun auch einlösen. Es ist an der Zeit, daß die über die deutsche Kohlen- und Stahlindustrie ausgeübten Kontrollen wegfallen, sobald der Schumanplan in Kraft getreten ist. Es ist notwendig, daß nun endlich die Vorarbeiten, für die schließlich sechs Jahre zur Verfügung standen, abgeschlossen werden, damit die schon 1945 von den Alliierten angekündigte und eingeleitete Neuordnung der deutschen Grundstoffindustrien durchgeführt wird. Ich glaube, es ist keine unberechtigte Kritik, wenn man feststellt, daß der große Arbeitsstab, der den Alliierten für diese Aufgabe zur Verfügung stand, wohl schon in der Lage gewesen wäre, mit diesem Problem fertig zu werden, wenn nicht vielleicht auch solchen Arbeitsstäben ein gewisses Beharrungsvermögen innewohnen würde, das behördliche Institutionen nun einmal zu haben pflegen.
Aber wir haben die Bitte, die Bundesregierung möge nichts unversucht lassen, den Alliierten jetzt zu sagen, daß der Zeitpunkt für die alliierten Behörden gekommen ist, die Durchführung des Gesetzes Nr. 27 so zu beschleunigen, daß sie alsbald abgeschlossen werden kann, und daß keine formalen Schwierigkeiten mehr gemacht werden. Der Sinn des Gesetzes Nr. 27 ist bekannt. Es enthält die drei klar umrissenen Ziele: Beseitigung von wirtschaftlichen Machtzusammenballungen, Verhinderung der Fähigkeit zur Kriegführung, Ausschaltung von notorischen Förderern der Angriffspläne des Dritten Reiches.
Es ist an der Zeit, daß klare Verhältnisse und klare Verantwortlichkeiten in der betroffenen Industrie geschaffen werden. Man sollte auch keine formalen Schwierigkeiten und Bedenken mehr geltend machen. Ich werde darauf hingewiesen, daß beispielsweise das, was sich in der Bergwerksindustrie durchaus bewährt hat, die sogenannte Unoactu-Gründung der neuen Gesellschaften, für die Eisenindustrie abgelehnt wird, wohl nur deshalb, weil dort ein anderer Sachbearbeiter sitzt und vielleicht ein umständlicherer Weg gefunden werden kann. Ich habe den Wunsch - ich wiederhole es -, daß die Bundesregierung alles tut, um diese Abschlußarbeiten zu fördern. Sie möge auch das Augenmerk der Alliierten Hohen Kommission, gegebenenfalls der alliierten Regierungen, darauf hinlenken,
({6})
daß es eine unerläßliche Voraussetzung für ein wirklich reibungsloses Funktionieren des Schumanplanes sein wird, daß durch eine klare Aufgabenverteilung klare Verantwortlichkeiten, klare Zuständigkeiten in der betroffenen Industrie geschaffen werden.
({7})
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ollenhauer hat heute morgen seine Rede - ich will mich jetzt mit einigen Ausführungen der Opposition beschäftigen - damit begonnen, daß er sagte, der Herr Bundeskanzler habe bedauerlicherweise der Aussprache heute morgen die Tendenz gegeben: Wer sich für den Schumanplan entscheidet, entscheidet sich für Europa, wer sich dagegen entscheidet, entscheidet sich gegen Europa. Herr Kollege Ollenhauer hat es leidenschaftlich abgelehnt, daß man die Dinge so simplifiziert und die europäische Überzeugung seiner Partei angreift.
Nun, meine Damen und Herren, ich möchte etwas antworten. Es war nicht nur Herr Kollege Ollenhauer schon in seiner Rundfunkrede wohl heute vor acht Tagen im Frankfurter Rundfunk, sondern es waren auch Herr Kollege Schmid und Herr Ollenhauer heute morgen, die dieser Diskussion eine andere Tendenz gegeben haben: Wer für den Abschluß des Schumanplans ist, ist gegen die Einheit Deutschlands. Wenn wir darauf reagieren, dann hält man das für eine Empfindlichkeit.
({8}) Nein, meine Damen und Herren, ich muß sagen, ich bin über diese Tendenz, die der Diskussion gegeben wird - und darin stimme ich vollkommen mit den Ausführungen meines Freundes Tillmanns von gestern überein - überrascht und bestürzt, und zwar deswegen, weil ein seicher Gedankengang überhaupt erst vor einigen Wochen aufkam. ich frage mich: Warum hat die große Sozialdemokratische Partei mit all ihren Experten und Sachverständigen erst vor wenigen Wochen gemerkt, daß die Durchführung des Schumanplans der deutschen Einheit im Wege steht?
({9})
- Ach, Herr Kollege Arndt, ich habe sehr genau aufgepaßt. Und wenn Sie dazu etwas zu sagen haben, dann melden Sie sich nachher und geben Sie mir alle Fundstellen an, wo Sie und Ihre Freunde im Zusammenhang mit dem Schumanplan auf die Gefährdung der deutschen Wiedervereinigung bereits früher hingewiesen haben.
({10})
- Das wird Ihnen sehr schwer gelingen, Herr Kollege Arndt.
Es ist gestern schon dem Herrn Kollegen Schmid vorgehalten worden, daß er in der Debatte vom 12. Juli 1951, also in der ersten Lesung, als er als Redner seiner Partei und Fraktion die Bedenken gegen den Schumanplan vortrug, ebenso wie der Kollege Henßier, mit keiner Silbe auch nur angedeutet hat, daß die Annahme des Schumanplans die Wiedervereinigung Deutschlands gefährde. Ich kann mir kaum denken, daß diesen beiden Rednern dieses nach den heutigen und gestrigen Ausführungen wichtigste Argument damals durch einen Zufall aus der Erinnerung geschwunden war.
({11})
Aber ich habe noch eine weitere Frage. Herr Kollege Schmid hat auch dem Parlamentarischen Rat angehört. Er war es, der sich mit der großen Mehrheit des Parlamentarischen Rates auch mit größter Leidenschaft für die Annahme des Art. 24 eingesetzt hat. Dieser Art. 24, der die Übertragung von Souveränitätsrechten vorsieht, kam in ein Grundgesetz, dessen provisorischen Charakter wir gekannt und noch durch die Aufnahme des Art. 146 betont haben. Also ich nehme für mich in Anspruch - und wohl auch für die anderen, die am
({12})
Grundgesetz mitgearbeitet und sich über ihre Entscheidungen gewisse Vorstellungen gemacht haben -, daß wir uns damals schon sagten - da uns ja damals die tragische Tatsache der Teilung Deutschlands bekannt war -, eine Integration Deutschlands in Europa auf dem Wege des Art. 24 steht der Wiedervereinigung Deutschlands nicht im Wege. Sonst hätten wir ja diesen Artikel nicht beschlossen. Selbst wenn uns das nicht bekannt gewesen sein sollte - ich nehme für mich in Anspruch, daß es mir bekannt war -, dann wäre es wohl den deutschen Länderregierungen bekannt geworden, die ihren Landtagen die Annahme empfohlen haben, und es wäre wohl den Landtagen bekannt geworden, die jeweils, auch mit den Stimmen Ihrer Partei, meine Damen und Herren, das Grundgesetz angenommen haben. Nun frage ich Sie, wenn Sie heute sagen: Wenn wir jetzt Art. 24 gebrauchen, gefährden wir die Wiedervereinigung, warum haben Sie dann den Art. 24 überhaupt beschlossen?
({13})
Außerdem habe ich auch kein Verständnis dafür, daß noch am 10. Mai vorigen Jahres - da war es wohl - Herr Kollege Nölting in der Beratenden Versammlung des Europarates in Straßburg, als er über den Schumanplan sprach, gesagt hat - auch damals war von der Gefahr für die Wiedervereinigung mit keinem Wort die Rede -: Nein, wir lehnen den Schumanplan nicht ab, weil er uns zuviel ist; wir lehnen ihn ab, weil er uns zuwenig ist; wir. wollen eine echte Integration auf allen Gebieten der Wirtschaft und moglichst auch der Politik. Da habe ich die schüchterne Frage: Wenn eine solche vollkommene Integration der Deutschen Bundesrepublik in Europa sogar Ihr Wunsch ist,
I) glauben Sie denn, daß eine etwas mildere Form der Integration auf einem gewissen Teilgebiet die Wiedervereinigung Deutschlands mehr gefährden könne als das, was Sie wollen?
Ein Weiteres. Ich habe den Eindruck, daß man sich manchmal der Unsicherheit der eigenen Situation auch bewußt ist. In einer Diskussion, die etwas ähnliches zum Gegenstand hatte, hat Herr Kollege Schmid vor wenigen Wochen in der Beratenden Versammlung in Straßburg noch gesagt, er sage nein zu einer kleineuropäischen Lösung, da sie als eine Teillösung eine Endlösung erschwere, wenn nicht gar ausschließe. Als ein Zwischenruf ihn auf die nicht sehr überzeugende Logik dieses Gedankengangs hinwies und als er gefragt wurde, wie er das belegen wolle, hat er zum Beweis darauf hingewiesen, die kleindeutsche Lösung habe seinerzeit ja auch die großdeutsche Lösung verhindert. Ich muß sagen, wenn ein Staatsrechtler vom Format des Herrn Kollegen Schmid bereits zu solchen Erklärungen Zuflucht nehmen muß, dann scheint er von seiner eigenen Darstellung nicht mehr recht überzeugt zu sein.
({14})
- Aber gern, Herr Kollege, ich werde alles nachholen, was ich bisher versäumt habe.
({15})
Wenn es überhaupt ein Beispiel dafür gibt, daß eine Teillösung eine Gesamtlösung nicht erschwert, sondern erleichtert, dann ist es gerade das Beispiel der Teillösung, die mein Freund Etzel gestern schon erwähnt hat, nämlich der Deutsche Zollverein. Wenn mir ein Mensch sagt, daß die kleindeutsche Lösung die großdeutsche unmöglich
gemacht habe, dann muß ich allerdings dem, der das behauptet, empfehlen, ein wenig Geschichte nachzulernen.
({16})
Meine Damen und Herren, ich muß mich jetzt noch mit einigen Worten mit den Ausführungen des Kollegen Professor Nölting beschäftigen. Herr Professor Nölting hat gestern die Behauptung aufgestellt, daß in der Debatte der französischen Nationalversammlung kein europäischer Geist spürbar geworden sei, vielmehr habe man dort - ich wiederhole, was er sagte - mit dem gewetzten Schlächtermesser gearbeitet. Nun, meine Damen und Herren, ich bin überrascht und auch ein wenig bestürzt, daß es sich Herr Kollege Nölting so leicht macht und ein so gefährliches Schlagwort in die Welt setzt.
({17})
Haben Sie denn, Herr Kollege Nölting, die Debatte in Paris wirklich gelesen?
({18})
- Und wenn Sie sie gelesen haben - - ({19})
- Ach, ich habe sie schon vor Ihnen aus Paris kommen lassen, verehrter Herr Kollege.
({20})
- Es ist furchtbar einfach, man schreibt an die deutsche Botschaft und bittet, das Compte rendu zu schicken. Ich empfehle Ihnen, das nachzumachen.
({21})
Herr Schuman hat - wenn Sie einen Ausdruck europäischer Gesinnung hören wollen, Herr Kollege Nölting - in dieser Debatte erklärt:
Unsere beiden Nationen, die jahrhundertelang durch blutige Konflikte getrennt waren, wären vermutlich nicht reif für ein sofortiges Zusammengehen. Zu viele Zwischenfälle, vor allen Dingen in den letzten Monaten, haben uns gezeigt, wieviel wunde Punkte, wieviel Mißtrauen noch vorhanden sind trotz der riesigen Fortschritte, die von Menschen guten Willens erzielt worden sind. Aus diesem Grund sind wir fest überzeugt, daß das sicherste Mittel für einen raschen Erfolg darin liegt, daß Frankreich und Deutschland in einer mehrseitigen Gemeinschaft zusammenarbeiten, in der die partikularistischen Bestrebungen dank dem ständigen Kontakt aller Beteiligten allmählich verschwinden. Auf diese Weise wird mit dem Problem Deutschland stillschweigend und notwendig das Problem Europa aufgeworfen, dieses Europa, von dem alle Welt spricht, von dem man sich nur schwer ein genaues Bild machen kann.
({22})
Indem wir diese Gemeinschaft gründen, haben wir die Sicherheit, nicht etwa Europa zu schaffen, aber einen entscheidenden Schritt zu tun in der Richtung auf dieses Europa, das sich vereinigen und organisieren will.
Ich kann Ihnen noch viele Beiträge zu Ihrem Zitatenschatz geben, Herr Kollege Nölting. Eines möchte ich wenigstens hier anführen. Ein junger Abgeordneter im französischen Parlament, M. Faure, sagte:
({23})
Darum hängt das Funktionieren dieser Gemeinschaft in erster Linie von dem guten Willen der Menschen ab. Das ist das klassische Schicksal aller Institutionen. Sie haben den gleichen Wert wie der Geist, der sie beseelt. Und wenn wir nicht von Anfang an unsere Minderwertigkeitskomplexe gegenüber Deutschland aufgeben, wäre es zweifellos unnütz und sogar gefährlich, sich auf dieses Unternehmen einzulassen.
({24})
Meine Damen und Herren, ich habe, obgleich Herr Kollege Ollenhauer sagte, daß er und seine Freunde keinen antifranzösischen Aspekt in die Diskussion tragen wollten, doch den Eindruck, daß aus solchen Erklärungen - ich könnte sie beliebig vermehren - mehr an europäischer Gesinnung und Verständigungsbereitschaft spricht als etwa aus der Feststellung des Herrn Kollegen Ollenhauer, man könne die Montan-Union allenfalls mit der Ruhrbesetzung vergleichen.
({25})
Ich weiß auch nicht, ob sehr viel von europäischer Gesinnung in der Feststellung zu finden war, daß die Montan-Union an Schlechtigkeit allenfalls überboten werden könne durch einen Vertrag mit der Sowjetunion.
Nun, meine Damen und Herren, zurück zu den Ausführungen des Kollegen Nölting. Ich habe den Eindruck, Herr Kollege Nölting, daß Sie selbst gestern ein Schlächtermesser gewetzt haben; und Sie haben versucht, damit den europäischen Gedanken zu töten. Es ist Ihnen nicht gelungen, Herr Kollege Nölting. Das Messer war nicht scharf genug, und die Schlächtergesellen, die Sie ausgewählt haben, sind nicht geeignet, Ihnen bei Ihrer Aufgabe zu helfen.
({26}) Vielleicht liegt es auch daran, wenn ich die
blumenreiche Sprache meines Kollegen Schmid von heute morgen dabei in Erinnerung zurückrufen darf, daß Sie an Stelle des Schlächtermessers ein Messer ohne Heft und Klinge benutzt haben.
({27})
- Ja, doch, kommt noch.
({28})
- Also, lassen wir das, es ist etwas peinlich.
Wenn Sie, Herr Kollege Nölting, wirklich der Meinung sind, daß der Schumanplan die Fortsetzung einer brutalen Besatzungspolitik auf Kosten des deutschen Volkes sei, wie erklären Sie sich dann eigentlich, daß auch Ihre sämtlichen sozialistischen Freunde in den Ländern des Schumanplans diesem Plan zugestimmt haben? Müßten Sie dann nicht konsequenterweise die internationale Zusammenarbeit mit denen alsbald aufgeben, die in so brutaler Weise die Besatzungspolitik zu verewigen suchen?
({29})
Aber ich habe mir bei der Anführung der einzelnen Zitate manchmal überlegt, wie leicht es doch ist, um Stimmung zu machen, Zitate zu bringen. Herr Kollege Nölting hat gestern sehr dramatisch geschildert, daß man ein wenig das Gruseln bekommen könne, daß man mit den Kohlen „den Hahn abstellen und den wirtschaftlichen Belagerungszustand verhängen" könne. Es ist ganz originell, dann etwa die „Humanité", die bekannte Zeitung in Paris, vom 28. Dezember 1951 zu vergleichen. Dort können Sie einen ebenso interessanten wie erregenden Artikel lesen „Die Ruhrmagnaten legen ihre Hand auf die Gaszufuhr von Paris".
({30})
Ich könnte sehr viele Zitate aus der Debatte bringen, die beweisen, daß die gleichen Vorbehalte und Bedenken, die hier von der Sozialdemokratischen Partei gegen den Schumanplan vorgetragen werden, dort von der Schwerindustrie und von den Kommunisten mit dem gleichen Nachdruck vorgetragen wurden.
({31})
Es genügt ja vielleicht, wenn ich einige wenige besonders interessante Stimmen zitiere. Aus der Rede des unabhängigen Generals Aumeran:
Wenn die Montan-Gemeinschaft und die europäische Armee vom Parlament angenommen werden, verliert Frankreich seine Bedeutung als große Nation. Es wird ihm unmöglich sein, seine Souveränität über die Gebiete der französischen Union aufrechtzuerhalten.
Pierre André von der äußersten Rechten hat es noch deutlicher ausgesprochen:
Warum haben die Deutschen unterzeichnet? Wir haben den Deutschen, woran ich erinnern möchte, das königliche Geschenk der Abschaffung unserer Zollschranken gemacht. Das ist unsere Morgengabe. Wir öffnen unsere Grenzen der deutschen Kohle und dem deutschen Stahl, und zwar nicht nur in Frankreich, sondern auch in den überseeischen Gebieten.
({32})
Dann können Sie nachlesen die Ausführungen des Herrn Professor Perroux, Professor an der Universität Paris, der in einem Rechtsgutachten erklärt hat:
Deutschland erstrebt durch den Montanpakt zunächst die wirtschaftliche und dann die politische Hegemonie in Europa. Es ist offensichtlich, daß Deutschland durch seine Industrie, durch seine Arbeitskraft, durch seine schöpferische Energie danach strebt, zur führenden Macht in Europa zu werden.
Als das gestern einmal gesagt wurde, hat interessanterweise Herr Kollege Paul einen Zwischenruf gemacht, durch den er zum Ausdruck gebracht hat, daß er damit gar nicht einverstanden sei.
({33})
Ich verzichte schon mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Zeit darauf, Ihnen noch eine Reihe von Zitaten zu bringen, die ich beliebig bringen könnte, viel reichlicher als Sie, Herr Kollege Nölting, der Sie uns mit langen Zitaten aufgehalten haben, länger, als ich es heute tue.
Es genügt vielleicht, wenn ich noch ein kurzes Zitat aus der „Neuen Zürcher Zeitung" anläßlich der Ratifizierung in der französischen Kammer bringe, wo es heißt:
Die Anwälte der schwerindustriellen Interessen traten Seite an Seite mit den Wortführern der traditionellen französischen Sicherheitspolitik gegenüber Deutschland auf und bedienten sich
({34})
auch ihrer Argumente. Aber beide Gruppen zusammen konnten die Opposition gegen die Montan-Union nur um wenige Stimmen verstärken. Daß die wirtschaftlich mächtige Schwerindustrie mit ihren Anstrengungen einen so sichtbaren Mißerfolg erlitt, beweist die feste Fundierung der europäischen Initiative Schumans und widerlegt überdies die Behauptung der Linken, daß der politische Mißbrauch wirtschaftlicher Macht nur durch die Nationalisierung der Industriekonzerne verhindert werden kann.
({35})
Eine Bemerkung noch zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Nölting, der mit bewegten Worten vor der drohenden Massenabwanderung der deutschen Arbeiter gewarnt hat. Würden Sie es denn wirklich für eine so schlechte Auswirkung des Vertrages halten - ({36})
- Gut, also Abwanderung von Arbeitskräften.
({37})
- Hätten Sie mir Ihr Manuskript gegeben, hätte ich es etwas genauer sagen können. - Würden Sie es wirklich für eine so schlechte Auswirkung des Vertrages halten, wenn er die Freizügigkeit des arbeitenden Menschen ein wenig erleichtern würde? Ich darf Sie daran erinnern, daß Sie und Ihre Freunde auch in Straßburg für die Freizügigkeit des arbeitenden Menschen gestimmt haben.
({38})
Ich finde, das ist eine Selbstverständlichkeit, weil ich nicht der Meinung bin, daß man in Europa weiterhin die Arbeitskraft eines Menschen mit einem Ausfuhrzoll belegen soll.
({39})
Außerdem, Herr Kollege Nölting, erinnere ich mich nicht, Ihre mahnende und zürnende Stimme gehört zu haben, als einer Ihrer Parteiangehörigen, ein Funktionär der Gewerkschaft IG Metall, anläßlich eines Streiks den deutschen Arbeitern empfohlen hat, sich in Frankreich Arbeit zu suchen!
({40})
Noch ein weiteres, ernstes Wort zu dem Saarproblem. Herr Kollege Mommer hat zu dem Saarproblem Stellung genommen, und ich muß sagen, ich konnte seinen Ausführungen weiß Gott nicht mehr folgen.
({41})
- Nein, nein, nicht bestürzt, darüber schon gar nicht! - Er hat immer wieder gesagt, die deutsche Bundesregierung habe es versäumt, ihre Trümpfe auszuspielen. Aber er hat uns verschwiegen, worin die Trümpfe bestehen. Ich glaube, wenn wir anfangen würden, mit den anderen Mächten Karten zu spielen, dann würde es sich ja wohl nur um ein Glücksspiel handeln.
({42})
In einem anderen Spiel pflegt der Partner im allgemeinen sehr rasch zu erkennen, welche Trümpfe der Gegner in der Hand hat. Ich glaube, bei uns wäre das j a nicht so schwer zu durchschauen, und ich hätte mich gefreut, Herr Kollege Mommer,
wenn Sie uns gesagt hätten, welche Trümpfe die Bundesregierung hätte ausspielen sollen.
({43})
Ich stelle Ihnen die Gegenfrage: Wird die Saarfrage denn gelöst, wenn wir nun den Schumanplan nicht ratifizieren? Oder wird die Lösung erschwert, wenn wir ihn ratifizieren, oder wird die Lösung erleichtert? Ich bin schon der Meinung, daß nur eine Feststellung richtig sein kann: Die Lösung der Saarfrage kann nur erleichtert werden nach der Ratifizierung des Schumanplans, nachdem das gesamte Wirtschaftspotential der sechs Länder und damit auch Frankreichs und Deutschlands auf dem Gebiete von Stahl und Kohle in die Montan-Union eingebracht ist.
({44})
Nach dieser Entscheidung hat der Wunsch der französischen Politik, der bedauerlich ist - ich werde darauf noch zu sprechen kommen -, sich in der Saar eine Art Faustpfand zu sichern - um gewisse, wie ich glaube, abgestandene Sicherheitsbedürfnisse damit zu befriedigen -, der Wunsch, das weiter aufrechtzuerhalten, seine letzte Begründung verloren.
({45})
Wir bedauern es selbst hier alle auf das tiefste, und wir haben es schon oft gesagt, daß die französische Politik im Jahre 1945 und 1946 in einer Wallung der Gefühle, die damals vielleicht noch bestand, die aber niemals politische Entscheidungen tragen sollte, an der Saar Verhältnisse geschaffen hat, die wir niemals anerkennen können und niemals anerkennen werden. Unsere Weigerung, das anzuerkennen, beruht nicht auf irgendeiner engstirnigen nationalstaatlichen Vorstellung, nicht auf einem falschen Nationalismus, sondern sie beruht darauf, daß wir glauben, daß auch die Beziehungen zwischen den Völkern nur auf dem Fundament des Rechts beruhen können, und weil wir der Überzeugung sind, daß man, indem man im Saargebiet Tatsachen schuf, die mit der Rechtsgrundlage nicht vereinbar sind und die auch sittlich und moralisch nicht gerechtfertigt sind, das Recht im Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland verletzt hat und daß diese Rechtsverletzung nicht nach einer Rechtfertigung, sondern nach einer Veränderung des Zustandes verlangt.
Es ist ganz klar - und es geht auch aus dem Schriftwechsel hervor, der dem Vertrag beigefügt ist -, daß die deutsche Bundesregierung und die Parteien der Koalition niemals - ich wiederhole es - daran gedacht haben und daran denken, den Zustand, der heute an der Saar praktisch geschaffen ist, als Rechtens anzuerkennen, und daß wir niemals darauf verzichten werden, immer wieder von neuem und immer wieder mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß hier ein Unrechtstatbestand wiedergutgemacht werden muß, ein Unrechtstatbestand, der auch die Beziehungen aller freien Völker Europas zu gefährden, zu belasten und zu vergiften droht.
({46})
Dem dient auch unser Antrag, den wir eingereicht
haben und den ich dem Herrn Kollegen Mommer
erläutern möchte. Er glaubt, daß in dem Antrag
({47})
Wesentliches fehlt. Ich glaube, das Wesentliche ist darin enthalten.
({48})
- Wann?
({49})
- Ach, lassen Sie doch, Herr Kollege! - Herr Kollege Mommer hat, wie ich fürchte, Punkt 1 des Antrags nicht verstanden, sonst hätte er nicht gesagt, das Wesentliche fehle. Ich glaube, es gibt ein Wesentliches, was wir verlangen können, sollen und müssen, die Wiederherstellung echter freiheitlicher Verhältnisse an der Saar. Wenn diese Entscheidung einmal getroffen ist, dann ist mir um die spätere Entscheidung des deutschen Volkes an der Saar nicht bange.
({50})
- Herr Kollege Mommer, deswegen haben wir unseren Antrag gestellt, wenn Sie es immer noch nicht begriffen haben.
({51})
Ich muß noch eine weitere Feststellung treffen,
weil ich mich mit dem, was gestern gesagt worden
ist, auseinandersetzen muß und will, auch wenn es
Ihnen nicht paßt. Es blieb in der gestrigen Debatte
Herrn Kollegen Veit vorbehalten, eine Äußerung
zu tun, die ich bedaure. Er hat es für richtig gehalten, die Behauptung aufzustellen, man beschwöre hier - ich zitiere sinngemäß - das Andenken an die Toten zweier Weltkriege, uni mit
einem solchen Pathos fehlende sachliche Argumente
zu ersetzen. Er fügte hinzu, daß ihm und seinen
Freunden das Andenken an diese Toten dazu zu
heilig sei. Ich bedaure so etwas, weil ich finde, man
sollte solche Gefühle nicht in eine Debatte ziehen.
({52})
- Ich bedaure es um so mehr, als Sie offenbar ({53})
- ich kann es nicht anders verstehen, weil es von unserer Seite nicht geschehen ist - in einer höchst merkwürdigen Weise auf die französische Kammerdebatte anspielen. In der französischen Kammerdebatte hat der unabhängige Abgeordnete General Aumeran, einer der radikalsten Nationalisten der französischen Kammer, mit den gleichen bewegenden Worten wie hier Herr Veit gegen den Schumanplan gesprochen. Er hat das Andenken an die Toten zweier Weltkriege beschworen und erklärt, er berufe sich auf das Andenken der Toten der zwei Weltkriege und warne die französische Regierung und die Kammer, das Opfer dieser Toten zu vergessen und den Vertrag zu ratifizieren.
({54})
Dann war es der französische Ministerpräsident Pleven - diese Erklärung ist schon gestern genannt worden -, der antwortete: ,.Nos morts, mon général, ne sont pas morts pour que tout recommence comme avant -Unsere Toten, Herr General, sind nicht gefallen, damit alles noch einmal von vorn anfängt!"
({55})
Ich kann nicht finden, daß derjenige, der in diesem Sinne die sinnlosen Opfer zweier Weltkriege in Erinnerung ruft, damit das Andenken dieser Toten in irgendeiner Weise herabzieht. Ich glaube sogar - und ich möchte beinahe annehmen, daß Sie mir darin zustimmen müssen -, man könnte sagen: Wenn wir vor 25 Jahren in Europa bereits so weit gewesen wären, einen Schumanplan zu ratifizieren, dann wären Millionen in den Jahren 1939 bis 1945 nicht gefallen!
({56})
Ich komme zu den abschließenden Bemerkungen der Debatte. Herr Kollege Ollenhauer hat heute morgen noch einmal die Argumente vorgetragen, die seine politischen Freunde bestimmen, gegen die Ratifizierung Stellung zu nehmen. Die sachlichen Argumente, die gestern von anderen Rednern und auch von Herrn Kollegen Ollenhauer vorgetragen worden sind - und es sind eine Reihe von sachlichen Argumenten und eine Reihe von Punkten, die uns auch nachdenklich stimmen - haben wir, wie ich glaube, sehr sorgsam und sehr reiflich in monatelanger Arbeit geprüft. Wir sind nicht der Auffassung, daß diese Bedenken uns irgendwie hindern könnten, Ja zu sagen. Wir sind nicht etwa jetzt bereit und gewillt, alles in den schönsten lichten Farben zu schildern und zu glauben, daß mit dem Tage, an dem die Hohe Behörde ihre Arbeit aufnimmt, eine neue Epoche des Glücks und des Friedens ausbricht. Wir wissen sehr wohl, daß dieser Organismus auch schweren Belastungsproben ausgesetzt sein wird. Wir wissen sehr wohl, daß selbstverständlich dieser Organismus nur funktionieren kann, wenn alle in ihn das Vertrauen setzen, daß dort eine echte europäische Gesinnung herrscht und daß sich die Mitglieder der Hohen Behörde als einer supranationalen Instanz der großen und einmaligen Aufgabe bewußt sind, über nationalstaatliche Grenzen, über Ländergrenzen und über enge nationalstaatliche Vorstellungen hinaus Entscheidungen zu treffen, die immerhin 150 Millionen Menschen auf das unmittelbarste berühren.
Ich glaube aber - und das möchte ich Herrn Kollegen Ollenhauer antworten -, daß die Abstimmung, die wir gestern in der zweiten Lesung hatten, nicht, wie er es etwas simplifizierte, nur ein Ergebnis der Macht der Zahl war. Wenn wir schon hier im Parlament und Demokraten sind, dann müssen wir zugeben, daß eben das Schwergewicht der Argumente sich durch die Macht der Zahl auszudrücken pflegt.
({57})
Und deswegen finde ich diese Apostrophierung nicht gut. Ich glaube, Sie würden es uns sehr übelnehmen, wenn Sie einmal die Mehrheit hätten und wir sagten: Es ist nur die Macht der Zahl.
({58})
Ich werde es auch nicht tun! Aber ich glaube auch nicht, daß das die Auffassung des deutschen Volkes ist. Ich habe die feste Überzeugung, daß hier das deutsche Volk und auch große Teile der Wähler der Opposition anders denken als diejenigen, die hier gesprochen haben.
({59})
- Herr Kollege, regen Sie sich doch nicht auf! Sie sagen ja auch, wir hätten nicht die Mehrheit hinter uns!
({60})
- Es ist doch ganz gut in der gespannten Atmosphäre, daß sie einmal lachen können, Herr Kollege!
Ich bin der festen Überzeugung, daß die überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes hinter dieser Vorstellung steht, auch wenn sie die Einzelheiten dieses sehr komplexen Vertragswerkes nicht kennt, weil es den Millionen von Menschen diesseits und jenseits der Grenzen darauf ankommt, einmal zu sehen, daß man nicht nur über Europa spricht, sondern etwas tut, was auch sichtbar ist.
({61})
Was nützen alle Lippenbekenntnisse zur europäischen Integration, wie wir sie auch hier gehört haben und ebenso in Straßburg soviel zu hören bekommen haben! Ich glaube, die Reaktion auf diese Lippenbekenntnisse, die der Präsident der Beratenden Versammlung Henri Spaak - übrigens ein Sozialist ({62})
gezeigt hat, als er in tiefster Enttäuschung über die wiederholten Erklärungen und über den Mangel an Entschlußkraft, zu handeln, sein Präsidium niederlegte, diese Reaktion der Enttäuschung war der Ausdruck der Meinung von Millionen von Menschen in ganz Europa.
({63})
Ich sage Ihnen für meine Freunde und für mich: ich bin sehr stolz darauf, daß wir an diesem ersten Werk europäischer Integration mitarbeiten können und daß wir mit dazu berufen sind, den ersten Stein zu dem europäischen Gebäude zu setzen und das erste Fundament zu legen. Ich lasse mich hier nicht etwa nur von falschen Vorstellungen oder Utopien leiten.
({64})
Ich bin der festen Überzeugung - und das ist allerdings die Zwangsläufigkeit, die Sie, Herr Kollege Schmid, befürchten -, daß die Zwangsläufigkeit der Entwicklung, die durch diesen ersten Schritt nun ausgelöst wird, uns weiterführen wird zu einer echten Integration der freien Völker Europas einschließlich eines freien ungeteilten Deutschland.
({65})
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte meine Darlegungen unter einen Gesichtspunkt stellen, der mir bisher recht kurz gekommen zu sein scheint. Den Ausgangspunkt bildete ein Erlebnis, das in diesen Tagen sehr viele von Ihnen wohl genau so empfunden haben wie ich. Einer der negativsten und störendsten Eindrücke der letzten drei Tage in diesem Hause war das überaus anmaßende Verhalten der kommunistischen Abgeordneten.
Sie, die nur aus der Angst vor demselben Bannstrahl, der Kurt Müller traf,
({0}) den traurigen Mut finden können, für eine Macht einzutreten, die seit ihrem Erscheinen auf deutschem Boden eine lange Kette schwerer Verbrechen gegen das deutsche Volk und gegen die Menschlichkeit begangen hat, sie sollten uns allein durch ihr Verhalten herausfordernder Frechheit aus Angst lebhaft die Existenzbedrohung des deutschen Volkes vor Augen gerückt haben. Es ist ein Zustand geistiger Zernichtetheit, wenn Menschen, die durchaus beanspruchen, als Deutsche bezeichnet zu werden, für ein Machtsystem eintreten, dem Millionen deutscher Kriegsgefangener und Zivilisten zum Opfer fielen, das unsere Brüder und Schwestern in Mitteldeutschland mit einer Elendsexistenz in stummem Schrecken belegt, das Mitteldeutschland in eine sowjetische Wirtschaftsprovinz und in einen sowjetischen Terrorbereich verwandelt und zu alledem zwischendurch die Aushungerungsblockade über zweieinhalb Millionen Berliner verhängt hat. Es ist sehr nötig, Bestand und Verhalten dieser satanischen Macht auf deutschem Boden, die Trägerin der Bedrohung ist, als die alles überschattende Gefahr in Erinnerung zu bringen, die uns das Gesetz eines sehr bestimmten Handelns vorschreibt. Dies erscheint mir um so notwendiger, als ich mich nicht des Eindrucks erwehren kann, daß bei der Sozialdemokratie in letzter Zeit eingebildete Zwangsläufigkeiten mit angeblich drohenden Gefahren aus dem Westen eine außerordentliche Rolle spielen, wie sich aus den gestrigen Darlegungen insbesondere des Abgeordneten Wehner ergab, während die sehr handgreiflichen Zwangsläufigkeiten mit den ihnen eigenen Gefahren aus dem Osten demgegenüber ungebührlich zurücktreten.
({1})
Demgegenüber betrachten wir es als die entscheidende Aufgabe der deutschen Regierung, die deutsche Freiheitsbastion, die die Bundesrepublik darstellt, von der sowjetischen Bedrohung freizuhalten und den mitteldeutschen Bereich mit seinen 18 Millionen Deutschen auf friedliche Weise von der sowjetischen Sklaverei frei zu machen.
({2})
Diese Aufgabe hat nicht nur europäischen, sondern weltpolitischen Rang, und sie kann nur im weltpolitischen Rahmen auf der Basis echter bundesgenossenschaftlicher Zusammenarbeit mit allen Völkern gelöst werden, die Recht und Freiheit zu den allein gestaltenden Mächten des Gemeinschaftslebens in und zwischen den Völkern machen wollen.
Lassen Sie mich deutlich sagen: Der Heroismus der Berliner Bevölkerung im Blockadewinter hätte nicht zur siegreichen Verteidigung der Stadt gereicht, wenn nicht Schutz und Hilfe der westlichen Demokratien gewährt worden wären. Die Bundesrepublik hätte ohne den Schutz der westlichen Demokratien nicht entstehen können. Die Sowjets würden nicht geduldet haben, daß diese ihre weiteren europäischen Expansionsabsichten zunichte machende Freiheitsbastion auf deutschem Boden entstand. Die Bundesrepublik hätte ohne diese seit drei Jahren fortschreitende politische und wirtschaftliche Wiedereingliederung in die Welt der freien Völker nicht eine prosperierende Entwicklung nehmen können, und ihre zukünftige Ent({3})
wicklung hängt davon ab, daß die nationalstaatliche Anarchie, die balkanische Zerrissenheit Europas zunächst in dessen sowjetfreiem Teil überwunden wird, daß Europa sich aus der selbstverschuldeten Enge zur Weite ohne trennende Grenzen entwickelt,
({4})
damit die europäischen Völker eine Wohlstand schaffende Kraft entfalten können, die ihnen in der wechselseitigen Absperrung versagt bleiben müßte, damit sie ferner auch aus sich die erforderliche Verteidigungskraft entfalten können, ohne die ihre Existenz um so gefährdeter würde, je mehr ihr Wohlstand hervorträte.
Die mögliche Wendung der sowjetischen Politik zum Verzicht auf Angriffe und zur Herbeiführung eines langdauernden Friedens auch um den Preis der Freigabe deutscher und anderer europäischer Gebiete wird um so eher kommen, je früher die europäischen Völker einer sowjetischen Expansionspolitik keine Chancen und keine Hoffnungen mehr lassen. Sollten die europäischen Völker außerhalb des sowjetischen Bereichs im Zustand nationalstaatlicher Anarchie weiterleben, dann könnten die Sowjets allerdings in einigen Jahren für sie verheißungsvolle Konfliktlagen erhoffen, die bei etwaiger Abschwächung der amerikanischen Schutzbereitschaft Eingriffe mannigfacher Art aussichtsreich erscheinen ließen. Solange die Sowjets Perspektiven dieser Art nicht aufzugeben brauchen, haben sie keinen Anlaß, ihr Verhalten auf die Befreiung der Ostzone einzurichten. Ihr Verhalten in Paris, wo sie Farbe bekannt haben, indem sie die UNO-Kommission ablehnten, ist hierfür ein nachhaltiger Beweis. Dieses Verhalten müßte letzt eigentlich auch dem Letzten zeigen, daß das Einheitsgeschwätz von drüben nichts anderes als ein Bestandteil offensiven, expansiven Verhaltens ist, darauf angelegt, den mangelnden Willen zu freien Wahlen unter hinreichenden Garantien zu verschleien. und die tiefe Sehnsucht unseres Volkes
zur Wiedervereinigung, aber einer Wiedervereinigung auf dem Boden der Freiheit, nur zu mißbrauchen. Hier im Westen versündigt sich jeder an unserem Volke, der, obwohl er dies erkennt und weiß, den Anschein erweckt, als ob es nicht so wäre. Aus dem Einheitsgeschwätz kann allerdings eines Tages die Bereitschaft zur Einräumung der Freiheit auf der sowjetischen Seite werden; aber nicht dadurch, daß wir gerade das unterlassen, was wir tun müssen, um die Freiheit zu sichern, sondern indem wir das tun, was die Sowjets gern unterlassen sehen möchten.
Die Sowjets möchten den Schumanplan gern verhindern, weil sie wissen, daß er ein Tatbestand ist, der nicht zurückgenommen werden kann, der nur in der Richtung einer umfassenden europäischen Föderation überholt werden kann, überholt werden soll und überholt werden wird, nicht in 50 Jahren, sondern in wenigen Jahren. Sie möchten den Schumanplan verhindern, weil sie wissen, daß er den Ausbruch tragischer Entzweiungen mit tödlichen Folgen für die beteiligten Völker in Westeuropa beseitigt. Sie möchten ihn verhindern, weil sie wissen, daß nach vielen geschichtlichen Beispielen die Bildung eines großen Marktes wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten gibt, die nach wenigen Jahren den Streit über den Vorteil des einen und den Nachteil des anderen als gegenstandslos erscheinen lassen, weil allesamt Vorteile in einem Ausmaß erringen - nicht nur einer auf Kosten des anderen -, die vorher für ganz unwahrscheinlich gehalten wer- den. Und die anhebende Entwicklung ist um so hoffnungsvoller, als ihr Ausgangspunkt in einer Mangellage liegt, die um so kräftiger zur Ausweitung des Produktionsapparates und zur beschleunigten Nachholung überfälliger Investitionen mit dem billigsten Aufwand anreizt.
Alle diese Gründe, die den Sowjets der Schumanplan verhaßt machen, heißen uns, ihn unter Dach und Fach zu bringen. Was uns in unserem Verhältnis zu den Vertragspartnern zuversichtlich über die anhebende Entwicklung stimmt, ist die Aufhebung aller siegerstaatlichen Beschränkungen und Kontrollen der Vergangenheit, soweit sie Kohle, Eisen und Stahl betreffen.
Ich glaube, niemand hätte sich träumen lassen, daß der Herr Kollege Ollenhauer sich gerade in diesem Augenblick zu der Behauptung versteigen würde, der Schumanplan sei vom deutschen Standpunkt aus nicht mit Locarno, sondern mit der Besetzung der Ruhr von 1923 zu vergleichen und zu erklären, der Vertrag könne denselben Effekt hervorrufen wie ein kalter Eingriff. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden uns gerade dieses Beispiel verstiegener Urteilskraft sehr gut merken,
({5})
und wir werden sicherlich bald Gelegenheit haben, Sie an diese Prognose zu erinnern, wie an manche andere, die Sie in den vergangenen Jahren über die Entwicklung abgegeben haben.
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Über die beschleunigte Durchführung des Gesetzes Nr. 27 wird verhandelt, und wir bitten die Regierung, die Verhandlungen in jeder Weise zu intensivieren, damit ehestmöglich der Zustand erreicht wird, von dem ab dann die Zusicherung gilt, daß für uns auch auf diesem Gebiet keine anderen Bestimmungen gelten als die des Schumanplans. Es handelt sich um die Beendigung der Entflechtung, und wir sind des Auffassung, daß gerade die vollzogene Ratifikation von deutscher Seite auf der anderen Seite den Anstoß dazu geben sollte, sich zu überwinden, und technische Formalitäten und Schwierigkeiten fallen zu lassen. Der Verhandlungsstand dürfte durch die deutsche Ratifikation eher verbessert als verschlechtert werden. In manchen Situationen ist der beste Trumpf, der ausgespielt werden kann, ein Verhalten, das das Vertrauen mehrt.
Völlig unerfindlich sind die gegen die Ratifikation geltend gemachten Gründe, die Berlin und die Ostzone betreffen. Was Berlin betrifft, so wissen wir, daß es hinsichtlich der Belieferung mit den Vertragsprodukten bereits in den deutschen Verbrauch mit einbezogen wird. Was die Gleichstellung Berlins anlangt, so schweben auch darüber Verhandlungen. Bezüglich der sowjetischen Zone ist darauf hinzuweisen, daß sie gemäß Art. 79 Abs. 1 in das Vertragsgebiet eintritt, sobald die deutsche Einheit wiederhergestellt wird. Denn Art. 79, der die Anwendbarkeit des Vertrages auf die europäischen Gebiete der vertragschließenden Teile erklärt, ergibt im Zusammenhang mit dem
22 der Übergangsbestimmungen, daß die deutsche Gesamtheit schon jetzt respektiert wird. Es ist schlechthin rätselhaft, wie die Opposition dazu kommt, Zweifel aufzublähen, da die Westmächte gerade durch die Note vom 15. Oktober 1951 der Bundesrepublik zugesagt haben, in jeder Weise gemeinsam mit der Bundesregierung eine Politik zu führen, die der Wiederherstellung der deut({7})
sehen Einheit in Freiheit auf friedlichem Wege dient, nachdem in Ausführung dieser Zusage die westlichen Demokratien dem Antrag des Deutschen Bundestages, die Ostzonenfrage vor die Uno-Vollversammlung zu bringen, entsprochen haben und feststeht, daß der Generalvertrag eine entsprechende Verpflichtung zur Wiederherstellung der deutschen Einheit enthalten wird.
Bleibt als ernstes Bedenken die Saar. Es wiegt für uns nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge schwer. Aber vor die Frage gestellt, ob deshalb der Schumanplan abzulehnen oder anzunehmen ist, lassen wir uns von der Erwägung leiten, daß in Europa ein durch Machtverhältnisse bestimmter Zustand durch den Rechtszustand abgelöst wird. Die anhebende europäische Rechtsordnung muß naturgemäß die Erwägungen des Rechts immer nachhaltiger und bestimmender gegenüber machtpolitischen Gesichtspunkten hervortreten lassen. Der moralische Anspruch auf Respektierung des Selbstbestimmungsrechts unserer deutschen Bevölkerung an der Saar wird um so unabweisbarer, je mehr die Zugehörigkeit des Saargebiets zu einem der beiden Staaten machtpolitische Bedeutung verliert, je mehr zugleich die Gefühle des französischen Volkes durch den Zeitablauf und die neuen Gemeinschaftsbemühungen von feindseligen Affekten frei werden. Zur Zeit sind diese Affekte noch nicht so weit abgeklungen, daß in Frankreich eine Lösung vertragen würde, die der entscheidenden Tatsache entspricht, daß die 900 000 Menschen an der Saar Deutsche und nicht Franzosen sind. Eine Art der Vertretung unseres Rechtes, die in der Ablehnung des Montanpaktes kulminieren würde, könnte nur eine erneute Verhärtung der alten Gefühle bewirken. Deshalb machen wir unter erneuter Bekräftigung unseres Rechtes den Montanpakt nicht von der Erfüllung unseres Rechtsanspruchs abhängig, geben indessen der Hoffnung Ausdruck, daß die französische Regierung sich entschließen möge, dem Zustand staatsbürgerlicher Unfreiheit im Saargebiet ein Ende zu setzen und weitere Eingriffe in das Eigentum an Kohle und Hütten einzustellen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir an diesem Tage den Blick in die deutsche Vergangenheit nach dem ersten Weltkrieg zurückwenden, dann sollten wir dem Geist eines Mannes begegnen, der in schwerem Ringen um die deutsche Gleichberechtigung im Rahmen einer europäischen Ordnung trotz schwerster Krankheit seine Kraft rücksichtslos verbrauchte, bis ihn ein allzu früher Tod ereilte, ein Tod, der für das deutsche Volk verhängnisvoll wurde. Wem der Name Gustav Stresemann gegenwärtig ist, der weiß, was in dieser Stunde seine nationale und europäische Pflicht ist.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Decker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der zweiten Lesung sind die Gründe, die für und gegen den Schumanplan sprechen, einzeln bewertet worden, und je nach dem Ergebnis dieser Wertung wurden sie auf die linke oder auf die rechte Waagschale gelegt. Aufgabe der dritten Lesung ist es nun, die Wägung vorzunehmen, und dies möchte ich für meine politischen Freunde von der Föderalistischen Union tun.
Es ist am Schumanplan sehr viel Kritik geübt worden, auch die beiden Redner von unserer Seite brachten ein gutes Maß davon zum Ausdruck. Diese Kritik war zum größten Teil berechtigt, begründet und oft von sehr schwerem Gewicht. Es ist offensichtlich, daß man nach dem Fehlschlag, Europa auf parlamentarischem Wege zu schaffen, nach dem Leerlauf von Straßburg die Dinge nicht einfach weiter treiben lassen darf.
Dem fehlgeschlagenen Versuch Straßburg muß ein neuer auf einem neuen Gebiete folgen, und ein solcher Versuch auf wirtschaftlichem Gebiet ist der Schumanplan. Unsere Redner haben nicht verhehlt, daß sie im Schumanplan weder ein voll durchkonstruiertes noch ein ungefährliches Instrument zur wirtschaftlichen Vereinigung Europas sehen. Allein, der beste Vertrag nützt nichts, wenn bei den Partnern nicht der Wille vorhanden ist, ihn in loyaler Weise auszulegen und zu erfüllen. Man sagt: es ist der Geist, der sich den Körper bildet. Es ist auch der Geist, der den Buchstaben eines Vertrags mit Leben erfüllt. Hoffen wir, daß die Sehnsucht der Völker Europas nach Einigung und Frieden die Vollstrecker des Vertrags zwingt, ihn im Sinne europäischer Verbrüderung, im Sinne europäischer Humanitas auszulegen und zu verwirklichen.
Die wirtschaftlichen Bestimmungen des Schumanplans sind in vieler Hinsicht nicht klar, erschöpfend und eindeutig abgefaßt. Zum Teil können sie für uns zu ungünstigen Folgen führen. Aber alle diese Mängel sind reparabel. Irreparabel dagegen ist die politische Auswirkung einer Ablehnung des Schumanplans. Gerade Schwierigkeiten, die sich bei der Durchführung zeigen werden, können mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer gewissen allgemeinen Konzilianz führen, da solche Schwierigkeiten sich in der Regel auf alle Vertragspartner erstrecken werden. Es können aus dem Vertrag auch keine aggressiven Tendenzen, selbst nicht gegen den Osten, in dem ja eine Montan-Union effektiv längst vorhanden ist, herausgelesen werden, und der Schumanplan läßt auch keine antiföderalistische Tendenz erkennen, da die Zusammenarbeit der Völker und der Schutz der einzelnen in einem freiwilligen - ich betone: freiwilligen - Zusammenschluß gewährleistet werden sollen.
Wägen wir nun die beiden randvoll gefüllten Waagschalen gegeneinander ab, so liegen auf der einen Seite schwerste Bedenken und vielleicht auch große Gefahren, auf der anderen Seite Erwartungen und Möglichkeiten einer neuen und besseren Zukunft. Nehmen wir an - vielleicht ist es so -, daß die beiden Waagschalen gleich schwer sind: meine Fraktion würde sich auch in diesem Fall entschließen, der positiven Waagschale den Vorzug zu geben.
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Selbst im ungünstigsten Falle würde sich meine Fraktion von dem Gedanken leiten lassen, daß der Arzt, um einen auf den Tod Erkrankten zu retten, sich zu einer Operation entschließt, auch wenn sie weniger als 50 % Aussichten auf ein Gelingen hat. Er geht das Wagnis mit vollem Bewußtsein ein, weil er weiß, daß auch nichts zu tun schaden kann, wie nichts zu tun ja auch nicht von der Verantwortung befreit.
Meine Fraktion ist sich klar, daß die Zustimmung zum Schumanplan ein ähnliches Wagnis ist. Sie weiß, daß die Zustimmung auch ein Opfer ist, und sie weiß, daß das Integral über Europa, das jetzt gebildet werden soll, nur ein partielles Integral ist. Aber in der Hoffnung, damit einen Schritt für eine bessere Zukunft Deutschlands und
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1 Europas zu tun, stimmt die Fraktion der Föderalistischen Union, Bayernpartei/Zentrum, dem Schumanplan zu.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der Deutschen Partei darf ich zum Ausdruck bringen, daß wir mit unserer Zustimmung die volle Verantwortung für dieses entscheidende Vertragswerk mit zu übernehmen bereit sind. Wir stimmen zu, weil durch diesen Vertrag die notwendigen wirtschaftlichen und politischen Tatsachen geschaffen werden, die es ermöglichen, die europäische Zusammenarbeit wirksam zu machen; weil durch diesen Vertrag der unschätzbare Vorteil eines größeren Wirtschaftsraumes errungen wird; weil dieser Vertrag - und hier kann der Bundesregierung das Verdienst nicht abgesprochen werden - uns bereits jetzt wesentliche Befreiungen für den Wiederaufbau Deutschlands gebracht hat und weiterhin fort und fort bringen wird; weil dieser Vertrag die Möglichkeit in sich schließt, unsere Wirtschaft im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit so zu entwickeln, daß es möglich sein wird, die großen sozialen Verpflichtungen und Aufgaben, die unserer Generation und unserem Jahrhundert gestellt sind, wirklich zu lösen. Denn wir gehen von der Auffassung aus, daß die sozialen Fragen nicht mehr allein aus der Kraft einer Nationalwirtschaft heraus gelöst werden können, sondern nur aus der Kraft der Zusammenarbeit in einem größeren Wirtschaftsraum lösbar sind.
Wir stimmen diesem Vertrage zu, weil er die Aussicht auf eine wirkliche und dauerhafte Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich
bietet. Diese Verständigung zweier Völker und
Kulturen, zweier geschichtlicher Räume wird entscheidend sein für eine Wiedergeburt des europäischen Geistes, für eine Wiedergeburt seiner Leistungsfähigkeit, für das Wiederheraufkommen Europas in der Welt, also für die Geltung eines Erdteils, dem die ganze Welt so viel an geistigen und materiellen Gütern verdankt.
Wir stimmen diesem Vertrage zu, weil er auch die Voraussetzungen für eine Beilegung des Streites um die Saar in sich schließt. Dabei halten meine politischen Freunde mit so gut wie allen Deutschen an dem klar definierten deutschen Standpunkt fest; aber wir sehen, daß dieser Vertrag wirklich eine Möglichkeit bietet, auch für die Interessen unseres deutschen Volkes an der Saar einzutreten und sie wirksam zu vertreten.
Wir stimmen diesem Vertrage zu, weil seine Verwirklichung es unmöglich machen wird, Deutschland an den sowjetisch-imperialistischen Machtblock preiszugeben, und weil diese Sicherung in Mitteleuropa für Deutschland das entscheidende Lebensinteresse ist. Wir stimmen diesem Vertrage zu, weil er künftig auch eine Isolierung Deutschlands verhindern wird; und die Weltlage, meine Damen und Herren, ist so, daß in Europa jeder isolierte Staat verloren wäre.
Wir hätten gewünscht, die Ratifikation dieses Vertrages hätte bereits im Sommer stattgefunden. Ich bekenne das heute hier noch einmal und möchte es unterstreichen. Wir stimmen diesem Vertrage jetzt zu, weil angesichts der Weltlage keine Zeit zu verlieren ist. Ich brauche dazu keine weiteren Ausführungen zu machen. Jedem ist klar, daß hier der Zeitgewinn der Gewinn von allem ist. Letzthin stimmen wir diesem Vertrage schließlich zu, weil er ein Werk werdender Solidarität in unserem zerrissenen Kontinent darstellt.
Wir sind uns gewiß dessen bewußt, welch unendliche Schwierigkeiten in einem so vielgestaltigen Kulturraum zu überwinden sind, in einem Raum, in dem so viel Geschichtliches in uns lebt und gegeneinander steht. .Aber dieser Vertrag zwingt und erzieht in seinem Funktionszusammenhang zur Integrierung, d. h. zur Solidarität der Menschen, der Gesinnungen und der Organisation der Arbeit.
Wir kennen die großen Risiken, die in diesem Vertrage liegen; aber wir sind der Überzeugung, daß ohne ein Aufsichnehmen solcher Risiken der entscheidende Schritt in die Zukunft nicht getan werden kann.
({0})
Wir stimmen diesem Vertrage zugleich in dem Bewußtsein zu, daß er Sicherungen enthält, neuartige Konstruktionen des Rechtes und der politischen Technik, die es sicherstellen, daß kein Lebensinteresse irgendeines dieser Partner gekränkt und beseitigt werden kann.
Wir lehnen die Konzeption der sozialdemokratischen Opposition ab, man könne in dieser Zeit und angesichts der gegenwärtigen Weltlage durch ein Versagen der Zustimmung irgendeine Besserung der Position erzielen. Ein solches Vertragswerk, das überhaupt die Basis für eine Gesundung unseres diplomatischen und politischen Lebens schafft, kann und darf angesichts der Gefahren, die über Europa schweben, nicht nach dem üblichen Konzept des do ut des ausgehandelt werden. Es wäre verderblich in diesem Zeitpunkt, in dem es darauf ankommt, größte Anstrengungen zu unternehmen, um Europa die letzte Chance zu geben, nicht nur zu überdauern und den Frieden zu erhalten, sondern wieder zu einem Aufstieg in der Zukunft zu kommen. Deshalb dürfen wir diesen Vertrag nicht zum Ausgangspunkt eines diplomatischen Kaesong benutzen. Wir verkennen nicht den Ernst, den uns die Opposition vor Augen gestellt hat, wie notwendig und richtig es ist, in einer aktiven Außenpolitik auch Trümpfe auszuspielen, die man in der Hand hat; aber wir müssen es aus dem Gefühl der Verantwortung und der Einsicht in die Situation ablehnen, aus dieser Frage des gemeinsamen Interesses Europas, das zugleich das Lebensinteresse unseres Landes ist, zu einem Spiel mit Trümpfen zu machen. Wir lehnen die sozialdemokratische Konzeption ab, daß die Bundesrepublik als Provisorium anzusehen sei. Wir bleiben konsequent bei unserer Auffassung, daß Westdeutschland, dieser Teil Deutschlands, der sich in Freiheit entscheiden kann, in dem die erste freie Entfaltung einer deutschen Politik nach dem Zusammenbruch überhaupt möglich geworden ist, der deutsche Kernstaat ist und der Treuhänder für unser gesamtes deutsches Volk, dem zu handeln versagt ist.
({1})
Wenn Sie den Begriff des Provisoriums hinsichtlich
der räumlichen Ausdehnung verstehen, dann will
ich zustimmen. Wenn Sie d' eses Provisorium aber
dahingehend verstehen, man müsse die politische
Organisation unseres Landes als minderen Ranges
ansehen, als sei uns Zeit gegeben. Geschichte sozusagen provisorisch in die Kladde zu schreiben, dann
({2})
müssen wir diese Auffassung ablehnen. Diese Bundesrepublik ist der Repräsentant des deutschen Reiches, des deutschen Volkes und hat bei jedem Schritt so zu handeln, als ob es sich hier um die Führung des Ganzen handele.
({3})
Mit dieser Auffassung, daß es sich hier um ein Provisorium handele, da sonst die Gefahr einer kleinstdeutschen Lösung bestünde, hängt die Auffassung der Opposition zusammen, man müsse auch kleineuropäische Lösungen ablehnen, weil sie zu partikularistischer Zersplitterung, zur Einengung des Aktionsraums führten, weil sie also praktisch das, was als eine Hypothek und Last auf dem alten geschichtlichen Kontinent liegt, verstärken könnten. Diese Auffassung ist falsch. Wir sind der Meinung, daß sowohl in Europa als auch in Deutschland - Sie können überhaupt eine Identität zwischen unseren eigenen politischen Aufgaben und Anliegen und den europäischen Aufgaben und Anliegen feststellen -, daß überall da, wo wahrhafte Initiative entfaltet wird, nicht eine Desintegration stattfindet, sondern daß an diesen Punkten Energien wach werden, die zur Integration und Konzentration führen.
({4})
Teillösungen in Europa werden nicht blockieren,
denn in einem so vielgestaltigen Raum kann sich
eine politische und wirtschaftliche Organisation
immer nur in regionalen Bereichen vollziehen. Ich
glaube, England und die skandinavischen Völker,
mit denen uns eine alte Tradition der Zusammenarbeit verbindet, haben keinen Zweifel
darüber gelassen, daß sie jeder guten Initiative,
die in diesem europäischen Raum ergriffen wird,
ihren Beistand und ihre Mithilfe geben werden.
England und Skandinavien haben andere politische Bedingungen und andere Bedürfnisse. Das ist im Europarat oft zutage getreten und das gilt es einzusehen. Wenn England es von vornherein verneinen mußte, sich auf ein supranationales, auf ein übernationales Konzept festzulegen, so ist das aus seiner Situation gewissermaßen als Vorort des Commonwealth verständlich.
Von der Oppositon ist die Konstruktionsformel des Schumanplans angeriffen worden. Man hat gesagt, daß der Schritt in jene Konstruktion ein Schritt auf einem falschen Wege sei, und es sei bei diesen Fragen von entscheidender Bedeutung, daß der erste Schritt, der bekanntlich die anderen Schritte nach sich ziehe, auf dem richtigen Wege geschehe. Aus den Ausführungen der Opposition klingt an, daß sie eine gesamtdemokratische, gewissermaßen einheitsstaatliche Lösung in Europa anstrebt, eine Totallösung unter Einschluß alles dessen, was zu Europa gehört. Das ist das Fernziel, das sich aber nur in Stationen erreichen läßt. So unsere Meinung. Wenn Sie schon nicht das einheitsstaatliche und unitarische Konzept nehmen können, sondern von den historischen Einheiten - das sind die Staaten Europas - ausgehen müssen, dann gibt es keinen anderen Weg, als daß man zunächst jene dem bundesstaatlichen Aufbau ähnliche Organisationsform anwendet. Ich kann das Argument nicht gelten lassen, daß bei der Hohen Behörde, die ja nicht einer Regierung, einem Ministerium, sondern eher einem Staatssekretariat in einer Bundesverfassung zu vergleichen ist, nicht die notwendigen demokratischen Sicherungen getroffen worden seien. Was versteht man überhaupt unter Demokratie? Soll man hier irgendwelche Mechanismen verstehen, oder soll man hierunter den Geist verstehen, auf den es ankommt?
Was geschieht in Deutschland, was geschieht in Europa? Ich glaube, es ist nicht zu viel gesagt, daß als eine Frucht dieser unheimlichen Zeit, in der der Mensch sich in seiner Unfreiheit erkannt hat, als eine Frucht der unendlichen Leiden in Konzentrationslagern und hinter dem Stacheldraht, hinter dem die Kriegsgefangenen gesessen haben, in Europa eine wahrhaftige Neubegründung der menschlichen Freiheit hervorgehen wird. Das mögen Sie eine Revolution nennen. Ich glaube, daß diese Erneuerung viel tiefer greift, als man das mit dem politischen Begriff der Revolution fassen könnte. Es beginnt in all den Völkern, die viel erlitten haben, und in den Menschen - ich denke hier insbesondere an die Vertriebenen - ein neuer Geist aufzubrechen, zu fühlen, daß der Mensch seine Verantwortung Gott gegenüber trägt und daß Freiheit und Verantwortung, das Einstehenwollen und das Einstehenmüssen für sein Leben wieder neue Wirklichkeit werden müssen. Ich glaube, daß in diesem Aufbruch einer neuen Freiheit der eigentliche Kernpunkt der Erneuerung unseres europäischen Geistes ist, eines Geistes, der in der Geschichte hervorgetreten ist durch die Aktivität, den Mut und die Selbständigkeit des Denkens, den Mut, in neue Bezirke vorzustoßen, nicht verhaftet und erstarrt in alten Kulturformen, alten Gesinnungen. Es ist aus diesem europäischen Kontinent so oft und oft der Funke der Energie aufgesprungen. Möge dieser Funke der Energie, der inneren, echten Befreiung auch jetzt aufbrechen, damit die Befreiung all der Teile Europas geistig, innerlich vor sich gehen möge, die gegenwärtig in Knechtschaft leben. Ich meine hiermit nicht nur unsere Brüder östlich der Elbe, in Mitteldeutschland; ich meine nicht nur den historischen Anspruch Deutschlands auf seine Gebiete ostwärts von Oder und Neiße. Ich meine auch die Befreiung der Staaten Osteuropas, deren Schicksal von uns so verstanden werden muß wie unser eigenes Schicksal auch.
({5})
Ich glaube, es ist ein schlechter Dienst, den man der deutschen Einheit und der inneren geistigen Dynamik dieses Vorgangs der Wiedervereinigung leistet,
({6})
wenn man unserer Bundesregierung, die als erste deutsche Regierung nach dem Zusammenbruch um Deutschlands Lebensrecht und Freiheit, Gleichberechtigung und Gleichwertung ringt, irgend etwas unterschiebt. was das Vertrauen in ihre Auffassung, daß die Einheit unserer Nation das erste, wichtigste, unverzichtbare Anliegen ist, als unabdingbare Grundlage unserer Politik in Frage stellen könnte. Es kommt hierbei doch nicht nur auf die diplomatische Geschicklichkeit der Regierung an, sich in den Verhandlungen richtig zu bewegen. Die Befreiung unseres Vaterlandes ist eine grundlegende Tat, die aus dem Herzen der ganzen Nation hervorbricht, und dazu ist vor allen Dingen Vertrauen zwischen der Regierung und dem Volke erforderlich. Dieses Vertrauen zu stärken, die Voraussetzungen zu schaffen, um wirklich aktiv sein zu können, dafür bietet dieser Vertrag in der europäischen Solidarität die Grundlage, und weil es so ist, deshalb sagen wir Ja.
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Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Die ersten Sätze, die Herr Abgeordneter Ollenhauer heute morgen sprach, waren - so schien es mir beim Hören - dazu angetan, meine große Besorgnis, die ich wegen der Ausführungen einiger Herren der Opposition diese Nacht bekommen habe, zu beseitigen. Ich freute mich darüber, und ich sah mich gleichzeitig dadurch der Verpflichtung überhoben, auf die Ausführungen in dieser Nacht noch einmal zurückzukommen; denn es liegt mir an sich nicht, auf den geschlagenen Gegner nochmals einzuschlagen.
({0})
Aber, meine Damen und Herren, die weiteren Ausführungen des Herrn Abgeordneten Ollenhauer, der doch der stellvertretende Vorsitzende einer großen deutschen Partei ist,
({1})
haben diese Besorgnisse, die die Ausführungen der sozialdemokratischen Oppositionsredner gestern in mir hervorgerufen haben, nicht beseitigt, sondern verstärkt.
({2})
Ich bedauere diese Ausführungen. Was hilft, meine Damen und Herren, eine Erklärung platonischer Liebe zu Europa
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und zur Völkergemeinschaft, wenn ich dann die Gelegenheit, bei der ich zeigen kann, daß ich wirklich Europa will und daß ich ein Freund der Völkergemeinschaft bin, nicht nur nicht benutze, sondern im Gegenteil Ausführungen mache, die dazu angetan sind, die anderen Völker, die anderen Regierungen, mit denen wir doch zusammenarbeiten müssen, wenn wir wirklich zu einem Europa kommen wollen, in derartiger Weise vor den Kopf zu stoßen!?
Ich habe überhaupt - lassen Sie mich das einmal sagen - aus dem Verlauf der Debatte und dem ganzen Verhalten der Opposition den Eindruck, daß sich die Herren in keiner Weise ein wirkliches Bild davon machen, wie es draußen in der Welt aussieht.
({4})
Gestern ist sogar von einem Mann wie Herrn Professor Schmid - ich glaube nicht, daß mich mein Gedächtnis trügt - hier verlangt worden, wir sollten die Ratifizierung des Schumanplans aufschieben, bis die anderen einen Beweis dafür geliefert hätten, daß sie europäisch denken und daß sie eine Gemeinschaft der Völker wollen.
({5})
Meine verehrten Damen und Herren, ist denn das menschliche Gedächtnis so kurz?
({6})
Hat man denn jetzt bei uns Deutschen schon vergessen, daß doch durch deutsche Nationalsozialisten dieser Krieg entfesselt
({7})
und das ganze Elend, unter dem die Welt stöhnt, heraufbeschworen worden ist?
({8})
Und kann man, wenn wir eine solche Vergangenheit erlebt haben und wenn die anderen Völker seien Sie sich doch völlig darüber klar - noch von
tiefem Mißtrauen gegenüber dem deutschen Volk
erfüllt sind, von der Tribüne des Deutschen Bundestages aus bei der Verabschiedung einer solchen
Vorlage verlangen, daß die anderen einen Beweis
für ihre europäische Gesinnung und für ihren Willen zur Gemeinschaft mit anderen Völkern liefern,
({9})
und erklären: „Erst dann werden wir ratifizieren!"?
({10})
- Meine Damen und Herren, ich spreche wirklich nicht, um zu verletzen, sondern ich spreche aus ehrlicher Besorgnis. Man wird draußen die Mentalität, die aus den gestrigen Reden, nicht etwa der Kommunisten - die kennt man -, sondern aus den Reden der sozialdemokratischen Herren her-ausleuchtet, analysieren
({11})
und man wird sagen, - ({12})
- Ja, man wird nachdenken, verehrter Kollege Schmid, aber in einer ganz anderen Richtung, als Sie meinen.
({13})
Man wird sich doch sagen: Ist das nicht wieder diese deutsche Eigentümlichkeit, die immer nur bei den anderen die Schuld sucht,
({14})
die nur für sich verlangt, aber nicht bereit ist, zu geben?
({15})
Meine Damen und Herren, ich habe vor einiger Zeit, als ähnliche Reden von den Herren der sozialdemokratischen Fraktion gehalten wurden, den Auftrag gegeben, einmal Hugenbergsche Reden aus den zwanziger Jahren herauszusuchen.
({16})
Da hat sich herausgestellt
({17})
- ich bin bereit, Ihnen das Material zu geben -, daß eine verblüffende Ähnlichkeit besteht zwischen den Gedankengängen der sozialdemokratischen Opposition und den Gedankengängen des Herrn Hugenberg.
({18})
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist wichtiger, daß der Redner spricht, als daß interfraktionelle Gespräche in einer solchen Vielzahl veranstaltet werden, daß man nichts mehr versteht.
Lassen Sie mich auch im Hinblick auf die deutsche Öffentlichkeit und auf die ausländische Öffentlichkeit noch einige weitere Ausführungen machen,
({0}) und zwar zunächst zur Saarfrage. Ich bleibe dabei, was ich gesagt habe: ich bin der Auffassung, daß sich durch unser Vorgehen die Verhältnisse Frankreich-Saar-Deutschland zur Zufriedenheit regeln werden.
({1})
Ich kann das nur nochmals mit allem Nachdruck wiederholen.
({2})
- Jedenfalls unendlich viel früher, als wenn wir uns hier hinstellen und erst von den anderen einen Beweis europäischen Denkens verlangen.
({3})
Nun zur Frage Berlin und Sowjetzone.
({4}) - Ich habe darauf schon geantwortet, und Herr Staatssekretär Hallstein hat auch darauf geantwortet. - Ich möchte Ihnen aber jetzt noch etwas vorlesen; ich nehme an, daß ich das darf. Es ist durch die Blume angedeutet worden, daß die Bundesregierung und auch die drei Westalliierten keinen besonderen Wert auf die Wiederherstellung der deutschen Einheit legten.
({5}) Ich möchte Ihnen aus der Präambel des Entwurfs zum Generalvertrag folgenden Satz vorlesen:
({6})
. . . da die Schaffung eines völlig freien und vereinigten Deutschlands auf friedlichem Wege und die Herbeiführung einer frei vereinbarten friedensvertraglichen Regelung, die gegenwärtig durch außerhalb ihrer Macht liegende Tatsachen verhindert werde, ein grundlegendes und gemeinsames Ziel der Signatarstaaten bleiben.
({7})
Ich möchte Ihnen desgleichen den Art. 7 des Entwurfs zum Generalvertrag vorlesen:
Die drei Mächte und die Bundesrepublik sind darin einig, daß ein wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland ist,
({8})
welche die Grundlage für einen dauerhaften Frieden bilden soll.
({9})
- Wenn Sie mir versprechen, dann 6 Wochen nach
Moskau zu gehen, will ich es Ihnen zeigen. ({10})
Im Laufe dieser beiden Tage sind von einer Reihe von Rednern der Opposition Klagen laut geworden über den schlechten Start unserer Schwerindustrie infolge der Demontagen, während das in Frankreich ganz anders sei. Ach, meine Damen und Herren, wir leben in einer verwirrten Zeit.
({11})
Ich könnte Ihnen eine ganze Reihe von eigenartigen Bildern ausmalen. In Frankreich erbitterter Widerstand der Schwerindustrie gegen den Schumanplan.
({12})
In allen anderen Ländern des Schumanplans stimmen die sozialistischen Parteien und die Gewerkschaften dafür. Bei uns sprach als erster Diskussionsredner der Abgeordnete Henle, der doch wahrhaftig ein Vertreter der Schwerindustrie ist, für den Schumanplan.
({13})
Dagegen sprachen hier die Herren der sozialdemokratischen Fraktion, und dafür erklären sich die Einheitsgewerkschaftler.
({14})
Das ist eine solche Verwirrung der Gemüter, daß
man tatsächlich nur den Kopf dazu schütteln kann
({15})
und daß man doch - das möchte ich in allem Ernste und in allem Freimut tun - die sozialdemokratische Fraktion bitten möchte, ihre Stellungnahme zu der Arbeit der Koalition und der Bundesregierung, um die Deutschen wieder zu einem f r e i en Volk zu machen, noch einmal nachzuprüfen.
({16})
Man muß auch einmal vergessen und einen anderen Weg einschlagen können.
({17})
Ich beneide die angelsächsischen Völker darum, daß in England und in den Vereinigten Staaten Opposition und Regierungspartei in den wichtigen außenpolitischen Fragen Hand in Hand gehen.
({18})
Das ist wirklich ein Zeichen einer reifen Demokratie,
({19})
die auf dem Standpunkt steht, daß in nationalen Fragen das Parteiinteresse hinter den allgemeinen Interessen zurückzutreten hat.
({20})
- Ach, meine Damen und Herren, ich wünschte, ich wäre einsamer, als ich leider Gottes bin, ich habe immer soviel Leute um mich herum!
({21})
Nun zu denjenigen, die hier von einem schlechten Start gesprochen haben. Ja, Sie haben doch gehört, daß die Beschränkungen unserer industriellen Produktion fortfallen, sobald der Schumanplan ratifiziert ist.
({22}) Fortfallen, meine Damen und Herren! Wir werden demnächst keine Hohe Kommission mehr haben; wir werden keine Ruhrbehörde mehr haben.
({23})
Ich meine, gerade Sie von der Sozialdemokratischen Partei müßten auf Grund Ihrer Vergangenheit
({24})
mit beiden Händen danach greifen. Das würden die Leute, die in den 20er Jahren als Vertreter der Sozialdemokratischen Partei im Reichstag waren, bestimmt getan haben.
({25})
Eines der Hauptziele des Schumanplans - ich glaube, es ist nur von einem Redner gestreift worden - ist doch
({26})
die Verhütung künftiger europäischer Kriege.
({27})
Gerade die sozialdemokratische Opposition müßte auch aus diesem Grunde da mit freudigem Herzen ja sagen. Selbst wenn Sie Bedenken über den einen oder anderen Artikel haben - Gott, die habe ich auch. Sie müssen sich vorstellen, meine Damen und Herren, daß, wenn sich sechs Länder zusammensetzen, da unmöglich etwas herauskommen kann, was allen bis zum letzten Rest gefällt.
({28})
Meine Damen und Herren!
({0})
- Meine Damen und Herren, ich bitte, Platz zu nehmen!
({1})
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist unterbrochen.
({2})
- Meine Damen und Herren, ich bitte, den Saal zu räumen. Im übrigen untersage ich unter diesen Umständen das Photographieren. - Die Tribünen sind sofort zu räumen. - Ich bitte, auch den Saal
zu räumen. Ich werde zur Weiterführung der Sitzung klingeln lassen.
({3})
Die Sitzung wird um 13 Uhr 56 Minuten wieder aufgenommen.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist wieder eröffnet. Der bedauerliche Vorfall, der zu der Unterbrechung Veranlassung gegeben hat, wird genau untersucht werden. Es werden die nötigen Feststellungen getroffen. Dazu ist alles Weitere veranlaßt. Sobald die entsprechenden Feststellungen klar vorliegen, werden weitere Entscheidungen getroffen werden.
Wir fahren nunmehr in der Aussprache über den Schumanplan fort, die unterbrochen worden ist. Ich bitte den Herrn Bundeskanzler, fortzufahren.
Meine Damen und Herren! Eines der am stärksten unterstrichenen Argumente, die die Herren von der sozialdemokratischen Opposition gegen den Schumanplan ausgesprochen haben, war folgendes. Sie haben ausgeführt: Alles, was jetzt geschieht, ist eine große Sache, wir wollen nicht zu dem Anfang Stellung nehmen jetzt, ob so oder so - wie Herr Abgeordneter Schmid gestern ausgeführt hat -, ohne daß wir Bescheid um das Ganze wissen. Dazu möchte ich einige Worte sagen.
Zunächst ist ein Junktim zwischen Schumanplan und Generalvertrag und Eintritt in die europäische Verteidigungsgemeinschaft und die dazu gehörigen Annexvertrage von keinem der Vertragspartner des Schumanplans gemacht worden.
({0}) - Ja, da lachen Sie doch mal!
({1})
Ich wiederhole: Von keinem der SchumanplanStaaten ist ein Junktim zwischen diesen beiden anderen Verhandlungskomplexen hergestellt worden. Es würde unsere Verhandlungsbasis bei den anderen Vertragswerken erheblich beeinträchtigen, wenn wir von uns aus ein solches Junktim herstellen würden.
({2})
Meine verehrten Herren, mit dem Abschluß dieses Vertrags treten wir doch zum ersten Mal seit dem Zusammenbruch als gleichberechtigte Vertragspartner mit fünf anderen europäischen Staaten zusammen.
({3})
Von dem Augenblick an - glauben Sie es mir -, auch wenn das Besatzungsstatut dann noch nicht aufgehoben ist, weil dazu der Generalvertrag gehört, haben wir bei den Verhandlungen, die zu führen sind, eine ganz andere Position. Wir haben in der gesamten Welt eine ganz andere Position, als wir sie haben, wenn wir noch nicht als Vertragspartner von den anderen freien europäischen Ländern anerkannt worden sind.
({4})
Zu den Ausführungen „wir wollen erst das Ganze sehen!" - ja, verehrter Herr Schmid, glauben Sie denn wirklich, daß es mit dem Generalvertrag, daß es mit dem Verteidigungsvertrag
({5})
({6}) am Ende sein wird?
({7})
Eine ganze Anzahl anderer Vorgänge, Verhandlungen und Verträge werden sich anschließen müssen.
({8})
- Dann würden wir ja niemals überhaupt beginnen können!
({9})
Ich meine: wenn wir einen schweren und langen Weg zurückzulegen haben, um unser Vaterland wieder frei und gleichberechtigt zu machen, dann ist es gut, daß wir, sobald wir die Gelegenheit haben, einen nennenswerten Schritt auf dem Wege zu machen, diesen Schritt entschlossen machen!
({10})
Aber ich möchte, weil immer gestern, oder vielmehr diese Nacht, die Rede von Vorleistungen, von Mißerfolgen usw. gewesen ist, Ihnen doch einmal trotz der vorgerückten Zeit - ich werde hier nicht mehr lange sprechen - einige Tatsachen im Zusammenhang vorführen, und dann mögen Sie selbst entscheiden, ob nun tatsächlich unsere Arbeit, die Arbeit der Bundesregierung dank der Unterstützung der Regierungskoalition, ergebnislos geblieben ist oder nicht.
({11})
Die französische Aufforderung an uns zu Verhandlungen über den Schumanplan führte Deutschland zum ersten Mal seit Kriegsende aus seiner Isolierung heraus
({12})
und eröffnete uns Chancen zu einer gleichberechtigten Partnerschaft mit diesen Mächten - sogar
mit einer Besatzungsmacht, mit der französischen
- auf einem wirtschaftlich und politisch, militärpolitisch
({13})
entscheidenden Gebiet.
Der Vorwurf, der gemacht worden ist, die europäischen Staatsmänner seien zwar bereit, von der Einheit Europas zu reden, sie wollten sie aber nicht durch eine Tat verwirklichen, wird durch den Schumanplan durchschlagend entkräftet.
Durch den Schumanplan ist weiter ein amerikanisches Interesse an Europa außerordentlich belebt und intensiviert worden. Ich glaube, auch einer der Herren von der sozialdemokratischen Opposition
- ich weiß nicht, ob Herr Kollege Ollenhauer oder Herr Schmid - hat gestern sogar betont, daß ohne die Vereinigten Staaten Europa nicht zu helfen sei.
Weiter wird für die Bestrebungen zur Schaffung eines Europa durch den Schumanplan ein Kristallisationspunkt geschaffen, den leider der Europarat in Straßburg nicht bilden konnte. Der Schuman-plan bedeutet nicht eine französische Hegemonie über Europa. Ich habe schon bei einer früheren Gelegenheit ausgeführt, daß eine französische Hegemonie über Deutschland und damit über Europa durch eine Verewigung der Ruhrbehörde herbeigeführt würde. Der Schumanplan entsagt diesen Plänen, wenn sie je einmal bestanden haben. Er hebt das ganze Problem des Zusammenlebens der Völker auf eine neue überstaatliche europäische Ebene, die jede Vormachtstellung ausschließt. Und dadurch haben wir, meine Damen und Herren, wenn man von der russischen Gefahr absieht, eine wirkliche Aussicht auf eine endgültige Befriedung Europas, das während seiner ganzen langen Geschichte immer wieder dadurch in kriegerische Wirren gestürzt worden ist, daß die eine oder die andere europäische Macht nach einer Vormachtstellung in Europa getrachtet hat.
Und nun die weitere Entwicklung! Durch unser Eingehen auf den Schumanplan haben wir den ehemaligen Feindstaaten die Möglichkeit eröffnet, Deutschland, die Bundesrepublik und die Frage der deutschen Einheit unter neuen Aspekten zu sehen. Wir waren zuerst der gefürchtete Gegner; dann waren wir das Objekt der Besatzung, und morgen werden wir die Partner der anderen sein.
({14})
Sehen Sie, das ist eine Entwicklung von einer so fabelhaften Schnelligkeit, daß damals, als wir hier in diesem Saale vor zweieinhalb Jahren zum ersten Mal zusammentraten, noch kein Mensch daran gedacht haben würde, daß so etwas überhaupt möglich wäre.
({15})
Die Einzeletappen dieser Entwicklung waren die New Yorker Konferenz vom September 1950, die im März 1951 erfolgte Revision des Besatzungsstatuts, die Washingtoner Konferenz vom September 1951, die Konferenz der vier Außenminister in Paris im November 1951, auf der die grundsätzliche Zustimmung zu dem Generalvertrag gegeben wurde.
Meine Damen und Herren, weil wir infolge unseres ganzen Zustandes verständlicherweise alle miteinander so übermäßig beschäftigt sind mit den Arbeiten, die die ganze Lage auch im Innern uns aufzwingt, ist in Deutschland gar nicht genügend beachtet worden, daß im November 1951 zum ersten Male seit dem Zusammenbruch der Außenminister der Vereinigten Staaten, der Außenminister Englands, der Außenminister Frankreichs und der Außenminister Deutschlands im Quai d'Orsay in Paris als völlig gleichberechtigte Partner zusammengesessen und miteinander gesprochen haben.
({16})
Die Zustimmung zum Schumanplan birgt in sich die logische Folgerung der Alliierten, daß der Partner Deutschland - denn wir sind ein Partner Westeuropas geworden! - nicht mehr ein Objekt des westöstlichen Gegensatzes sein darf, sondern durch Einbau in das Sicherheitssystem des Westens gegen sowjetische Angriffe geschützt werden muß. Meine Damen und Herren, weil wir jetzt seit Jahr und Tag von Gefahren umgeben sind, ist uns das Bewußtsein und das Gefühl für diese Gefahr mehr oder weniger abhanden gekommen. Aber die Gefahr ist nach wie vor da. Ich freue mich, daß gestern auch von Herrn Ollenhauer gesagt worden ist, daß eine Neutralisierung Deutschlands nicht in Frage käme. Diese Gefahr der Neutralisierung Deutschlands, durch die wir als Objekt zwischen Osten und Westen dagelegen hätten, entwaffnet, hilflos, wehrlos, quergeschnitten -, diese Gefahr beheben wir damit. Ich kann Ihnen in diesem Zusammenhange auf Grund der Besprechungen, die ich mit dem britischen Premierminister gehabt habe, sagen, daß auch Großbritannien auf demselben Standpunkt steht, den ich eben gekennzeichnet habe.
({17})
Diese ganze Entwicklung hat dann dazu geführt, daß der deutsche Außenminister - im Falle von Großbritannien der Außenminister und der deutsche Bundeskanzler - nach Italien, nach Rom, nach Großbritannien und öfters nach Paris eingeladen wurde
({18})
und daß er im Frühling auch nach Washington gehen wird.
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Fragen Sie doch bitte unsere Landsleute, die im
Ausland leben, welche Wandlung sich im Ausland
in der Haltung gegenüber Deutschland gezeigt hat.
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Wir gewinnen durch die Zustimmung zum Schumanplan an politischem Gewicht; diese Zunahme an politischem Gewicht ist ein sehr wesentliches Moment bei dem Ringen um die deutsche Einheit. Glauben Sie mir doch, daß ich als deutscher Bundeskanzler bei allem, was ich tue, die Wiedergewinnung Berlins und des Ostens und den Zusammenschluß zu einem einigen Deutschland als eine meiner vornehmsten Aufgaben ansehe.
({21})
Und glauben Sie mir: Nach dem Kriege, der über die Welt hingegangen ist, bei der Atmosphäre, die infolge dieses Krieges in der Welt entstanden ist - bei alledem kommt man in der Politik nur Schritt für Schritt und mit zäher Geduld vorwärts.
({22})
Die wesentlichste Voraussetzung dafür, weiterzukommen, ist, daß das deutsche Volk bei den anderen Völkern wieder Vertrauen erwirbt.
({23})
Es ist wirklich so - ich habe mich davon überzeugt -: In der Außenpolitik spielen natürlich auch das Materielle und alle möglichen Gesichtspunkte eine große Rolle; aber eine größere Rolle noch spielt die psychologische Atmosphäre,
({24})
eine größere Rolle noch spielt die Überzeugung - um hier konkret zu sprechen -, daß das deutsche Volk ein friedliebendes Volk ist, ein Volk, das die Völkergemeinschaft will und das in Frieden, in Freundschaft und in Freiheit mit allen anderen freien Völkern in der Welt leben will.
({25})
Und nun, meine Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, richte ich, nachdem dieses Kapitel, das wir in den Tagen behandelt haben, abgeschlossen ist, als Deutscher und als deutscher Bundeskanzler nochmals die herzliche Bitte an Sie: Versuchen wir doch, den Weg, Deutschland wieder in die Höhe zu bringen, zusammen zu gehen, und setzen Sie sich nicht der Gefahr aus - denn ich weiß, daß die Sozialdemokratische Partei wertvolle Leute in sich schließt - ({26})
- Ach, Herr Arndt, ich habe Sie ja gar nicht gemeint!
({27})
Dieser Zwischenruf, wenn er auch von einem einzelnen kam, ist doch wirklich bezeichnend.
({28})
Es ist mir heiliger Ernst, wenn ich sage, daß in der Sozialdemokratischen Partei
({29})
wertvolle Kräfte sind, die wir brauchen zum Wiederaufbau des deutschen Volkes.
({30})
Ich bitte Sie daher: Prüfen Sie doch unter diesem
Gesichtspunkt nun mal die ganze Situation nach.
({31})
An uns soll es nicht fehlen, daß wir weiterkommen. Aber ich meine, Sie würden auch gut daran tun im eigenen Interesse, damit es nicht nachher heißt, daß in diesen historischen Jahren alles das, was wir für Deutschland erreichen und was wir, wie ich überzeugt bin, noch im Jahre 1952 weiter erreichen werden, erreicht werden mußte im Kampf gegen eine große Partei im Innern.
({32})
Ich bin überzeugt, daß trotz alledem der Erfolg dieser Beratungen und die Annahme des Schuman-plans jetzt in dritter Lesung uns den Zielen näherbringen wird, die wir verfolgen, dem Frieden in der Welt, der Wiedervereinigung Deutschlands und dem Zusammenleben und der Freundschaft mit den anderen freien Völkern der Welt.
({33})
Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich danke Ihnen für die Möglichkeit, daß ich unmittelbar nach den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers einiges zu seinen Bemerkungen hier sagen kann. Der Herr Bundeskanzler hat sich mit einem Teil der Argumente auseinandergesetzt, die die sozialdemokratischen Sprecher im Laufe dieser Debatte gegen den Schumanplan vorgebracht haben, aber leider nur mit einem Teil und zum Teil in einer Form, wie er die Argumente sieht. Und er hat an uns einen Appell gerichtet; er hat an uns den Appell gerichtet, wir sollten uns doch darüber klar sein, wie schwer die Situation des deutschen Volkes in der Welt ist, wie schwer die Aufgabe ist, das Mißtrauen gegenüber dem deutschen Volke in der Welt abzubauen. Schließlich hat er uns aufgefordert, wir sollten doch nicht die Schuld immer zuerst bei den anderen suchen.
Herr Bundeskanzler, ich möchte hier in aller Freiheit und in aller Offenheit sagen: Sie dürfen davon überzeugt sein, daß die Sozialdemokratische Partei sich ihrer Verantwortung gegenüber dem Volk und Europa bei jedem Wort, das hier gesprochen worden ist, absolut und voll bewußt ist.
({0})
Wir haben ein sehr klares Bild über das, was im Ausland an Vorstellungen über Deutschland lebt, und das Bild hat viele Seiten. Aber, Herr Bundeskanzler, Sie werden mir doch nach Ihren ausreichenden Informationen im Ausland an Ort und Stelle zugeben, daß die Zweifel an der demokratischen und friedlichen Gesinnung des deutschen
({1})
Volkes und an den demokratischen und friedlichen Zielen seiner Regierung nicht zuletzt auch durch gewisse Äußerungen maßgebender Mitglieder Ihres Kabinetts
({2})
viel mehr bestärkt worden sind als durch irgendwelche anderen Umstände.
({3})
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen ganz offen sagen: Wir haben nicht die Absicht gehabt, in diesem Zusammenhang dieses Thema zu behandeln. Aber wenn der Herr Bundeskanzler es für richtig hält, die sozialdemokratische Stellung zu dem Schumanplan im Jahre 1952 mit der nationalistischen Politik eines Herrn Hugenberg in Vergleich zu bringen, dann möchte ich den Herrn Bundeskanzler darauf aufmerksam machen, daß wir durchaus bereit sind, auch auf dieser Ebene einmal den Kampf ganz offen auszutragen.
({4})
Dann können wir j a einmal untersuchen, wieviel Anhänger und wieviel Träger Hugenbergscher Ideen in den Reihen der Parteien Ihrer Regierungskoalition heute noch sitzen!
({5})
Wir können auch noch weitergehen. Vielleicht können wir auch untersuchen, wie denn die Vertretung der Gedankengänge des „Dritten Reiches" in den Reihen der Abgeordneten in den Regierungsparteien ist.
({6}) Bitte, meine Herren, täuschen Sie sich nicht, den Kampf können Sie haben! Aber ich will Ihnen hinzufügen: ich glaube, der Herr Bundeskanzler hat der Autorität seines Amtes, die zu respektieren wir immer bereit sind, einen denkbar schlechten Dienst erwiesen, als er in dieser Weise zwischen der sozialdemokratischen Argumentation und Hugenbergschem Nationalismus Vergleiche zu ziegen wagte.
({7})
Und nun einige weitere sachliche Bemerkungen. Herr Bundeskanzler, Sie haben an uns, an das Haus, aber insbesondere an die sozialdemokratische Opposition appelliert: Denken Sie daran, in welcher schwierigen Position wir internationale Verhandlungen zu führen haben, wie groß die Widerstände sind! Meine Damen und Herren, das ist überhaupt nicht das Problem. Jeder ernsthaft denkende Mensch in Deutschland weiß, was wir seit 1945 an Mauern von Mißtrauen, Zweifel und wirklichem Haß gegen Deutschland abtragen mußten, Mauern, die das Regime des Dritten Reiches aufgerichtet hat, gegen das wir vom ersten Tage an mit Leidenschaft gekämpft haben.
({8})
Bitte, wir Sozialdemokraten sind - das müssen
Sie uns zugeben, und das bestätigt die Geschichte im Jahre 1945 auf die Trümmer der nationalsozialistischen Diktatur und des Wahnwitzes ihres
zweiten Weltkrieges hingetreten. Aus welch
anderen Motiven, als diesem Volke wieder eine
menschliche und freiheitliche Ordnung zu geben?
({9})
Und wo wäre denn in Deutschland der Gedanke
der Demokratie, der Gedanke der Freiheit ohne
die Loyalität der Millionen von sozialdemokratischen Wählern gegenüber dem demokratischen und freiheitlichen Staat?
({10}) Meine Damen und Herren, so kann man uns nicht behandeln!
({11})
- Entschuldigen Sie! Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, wir sollen an diese Dinge denken. Bitte, das haben wir in der Praxis durch unser Verhalten bewiesen. Nur, diese Unterhaltung gehört nicht in die Debatte über diesen Vertrag, und zwar aus folgendem Grund:
Ich habe mit Verständnis gehört, wie der Herr Bundeskanzler stolz berichtet hat über die Zusammenkunft der vier Außenminister in Paris im November 1951. Ich habe seine Empfindung verstanden, als er sagte: Sehen Sie, da war der deutsche Bundeskanzler und der Außenminister wieder ein Partner unter Gleichen! Bitte, Herr Bundeskanzler, das ist doch die Position. Ihre These ist: Der Schumanplan-Vertrag ist das erste Stück Gestaltung einer echten Partnerschaft. Wenn das richtig ist - und diese These ist die Basis Ihrer ganzen Außenpolitik -, dann können Sie in der Diskussion gegenüber der sozialdemokratischen Kritik nicht die Ressentiments aus der Kriegszeit gegen die Sozialdemokratie verwenden.
({12})
Das wirkliche Verhängnis unserer Situation ist
- und das ist der Vorwurf, den ich heute der Bundesregierung machen muß, genau wie mein Freund Carlo Schmid es gestern getan hat -, daß wir die Beziehungen besatzungsrechtlicher Art und die Beziehungen auf der Basis der Partnerschaft am Anfang der Diskussion über den Schumanplan nicht klar und deutlich auseinandergehalten und geklärt haben.
({13})
Darin liegt die Meinungsverschiedenheit zwischen Ihnen und uns. Sie werden in dieser ausführlichen Debatte nicht eine einzige sozialdemokratische Bemerkung finden, in der von Schuld bei den anderen die Rede ist.
({14})
- Wir haben nur die Motive und Interessen der anderen Parteien untersucht, und wir haben gefragt: wie kommen w i r mit unser en Motiven und Interessen dann zum Zuge? Im Verhältnis der Partnerschaft ist das eine berechtigte und notwendige Auseinandersetzung, und da fängt die Diskussion erst an.
Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, abgesehen davon, daß wir als Opposition bei Auseinandersetzungen über ganz andere Probleme immer wieder Gefahr laufen, von Ihnen mit gewissen parteitaktischen und ähnlichen unsachlichen Bemerkungen hier überfahren zu werden, stehen wir doch immer wieder vor dem Problem, daß wir in der Sache mit dieser Regierung und mit dem Herrn Bundeskanzler in allen entscheidenden Situationen nicht in ein echtes Gespräch gekommen sind.
({15})
- Entschuldigen Sie, d e n Fall müssen Sie uns noch nennen, in dem sozialdemokratische Repräsentanten eine Aufforderung des höchsten Beamten
deutscher Bundestag ({16})
der Bundesrepublik zu einer Unterhaltung abgelehnt haben! Einen solchen Fall gibt es nicht, weil wir es als eine selbstverständliche Anstandspflicht gegenüber dem Bundeskanzler ansehen, einer Einladung zu folgen. Was uns aber die sachliche Zusammenarbeit unmöglich macht, dafür ein Beispiel. Wir sind jetzt drei Tage in dieser Plenardiskussion zusammen, wir haben Wochen der Diskussion im Wirtschaftspolitischen und im Außenpolitischen Ausschuß gehabt. Wir haben im Laufe dieser Tage immer wieder erst durch äußerstes Pressen und Drücken wichtige Fakten von der Regierung erfahren. Heute erleben wir gewissermaßen als Krönung der Argumentation der Regierungskoalition die Vorlesung von zwei Artikeln des Entwurfs eines Generalvertrages. Ja, meine Damen und Herren, wie stellen Sie sich denn eine gemeinsame Außenpolitik vor, wenn Sie den verantwortlichen Repräsentanten der größten Partei im letzten Augenblick diese beiden Sätze ins Gesicht schleudern und sagen: Seht ihr, was sind wir für tüchtige Leute!
({17})
Das ist eine unmögliche Basis für eine gemeinsame Politik.
({18})
Meine Damen und Herren! Wir wollen hier nicht über den Vergleich mit England im einzelnen sprechen. Derartige einseitige, unvollständige Informationen hat es in keinem Augenblick internationaler Verhandlungen der britischen Regierung gegenüber dem Parlament gegeben, ganz gleich, ob Labour oder die Konservativen an der Regierung waren.
({19})
Wenn hier zu lernen ist, bitte, Herr Bundeskanzler, beweisen Sie durch Ihr Verhalten gegenüber der Opposition in der Sache, daß wir auf einen anderen Gesprächsfuß kommen können.
({20})
Aber ich will in aller Klarheit und Offenheit hinzufügen, Herr Bundeskanzler, die Voraussetzung für eine solche Gemeinsamkeit ist eine gründliche, vorbehaltlose Untersuchung darüber, ob es zwischen Ihnen und uns in den Grundfragen der Außenpolitik, ihrer Methode und ihrer Zielsetzung tatsächlich eine so weitgehende Übereinstimmung gibt. Wir haben uns bisher vergeblich bemüht, in dieser außenpolitischen Debatte in diesem Punkte voranzukommen. Das Resultat ist nicht befriedigend.
Wenn Sie schon der Meinung sind, Herr Bundeskanzler - und ich teile Ihre Auffassung -, daß dieser Schumanplanvertrag etwas ist, das sich lohnt, ernsthaft zu diskutieren, dann müssen wir Sie aber doch - auch wenn es kurz vor der Abstimmung ist, in der Sie Ihre Siegesgewißheit haben - fragen: Warum kommen Sie denn jetzt hier vor der Öffentlichkeit mit dem Argument, es gebe kein Junktim zwischen der Ratifizierung des Schumanplans und der des Generalvertrages und des sogenannten Verteidigungsbeitrages? Herr Bundeskanzler, niemand von uns hat jemals die Behauptung aufgestellt, daß unter den sechs Partnern des Schumanplans über ein solches Junktim gesprochen worden sei; aber es gibt j a doch noch einen sehr kräftigen Paten des Schumanplans, der auf die deutsche Politik nicht immer in sehr liebenswürdiger und fairer Weise Einfluß nimmt. Die amerikanische Politik vor und seit der Washingtoner Konferenz war in ihrer praktischen Konsequenz die Forderung an die Deutschen: Ratifiziert den Schumanplan, sonst können wir den
Generalvertrag mit der erweiterten Souveränität oder Selbständigkeit der Bundesrepublik nicht durchsetzen!
({21})
Ich behaupte nicht, daß es darüber auch nur ein Stück Papier, d. h. eine Note an die Bundesregierung gibt; aber wenn die Spatzen bestimmte Dinge von den Dächern pfeifen, dann soll man sie in einer solchen Diskussion nicht abstreiten wollen.
({22})
Nun ein letztes Wort. Der Herr Bundeskanzler hat an unsere Partei appelliert und hat geglaubt hier sagen zu müssen, daß auch nach seiner Auffassung in der Sozialdemokratischen Partei wertvolle Kräfte für den Aufbau unseres Volkes sind. Herr Bundeskanzler, lassen wir die Pathetik! Wenn Sie mit der Sozialdemokratie in ein Verhältnis kommen wollen, in dem wir sachlich miteinander reden und Meinungsverschiedenheiten klären, dann müssen Sie von der Grundtatsache ausgehen, daß es Ihnen gegenüber nur eine einzige, geschlossene, einheitliche Sozialdemokratie gibt.
({23})
Das Wort hat der Abgeordnete Reimann.
Meine Damen und Herren! Im Namen der kommunistischen Fraktion habe ich folgende Erklärung abzugeben. Mit der Unterschrift unter das Schumanplan-Abkommen hat die Regierung Adenauer ihre Bereitschaft zur Preisgabe der Souveränität des deutschen Volkes ausdrücklich festgestellt. Eine Ratifizierung dieses Abkommens durch den Bundestag bedeutet, daß die Mehrheit der Abgeordneten denselben Weg des Verzichts auf das nationale Selbstbestimmungsrecht und die Unabhängigkeit unseres Volkes geht. Durch den Schumanplan wird dem deutschen Volke das Hecht der Entscheidung über seine wichtigsten Industriezweige und damit über die ganze Wirtschaft genommen. Die Entscheidung über Kohle und Stahl wird in die Hände der Hohen Behörde gelegt, die ein monopolistischer Zusammenschluß mit einer Machtvollkommenheit ist, wie er bisher in der Geschichte unbekannt war. Mit vollem Recht schreibt die „Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung":
Die Hohe Behörde darf so gut wie alles. Sie ist ein riesiges, mit allen Machtvollkommenheiten ausgestattetes überstaatliches Zwangskartell denkbar monopolistischer Art.
Die in letzter Instanz Bestimmenden in diesem ganz Westeuropa umfassenden Monopol werden jedoch die amerikanischen Bankherren sein. Ihre unbeschränkte Herrschaft Ist sowohl durch die Abhängigkeit der Montan-Union von amerikanischen Krediten als auch durch die Milliarden Dollars garantiert, die bereits in der Wirtschaft der westeuropäischen Länder investiert sind.
Die Abgeordneten des Bundestages haben kein Recht, einen Vertrag zu ratifizieren, der dem deutschen Volk sein Selbstbestimmungsrecht und seine nationale Unabhängigkeit raubt.
Herr Reimann, ich bitte, die Unterbrechung zu entschuldigen. Ich muß dem Hause etwas bekanntgeben. - Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität tritt in fünf Minuten im Saal 02 zusammen.
Schumanplan, Pleven-Plan und der Generalvertrag sowie die Verträge, die noch kommen werden, die Herr Dr. Adenauer jetzt gerade angekündigt hat, sind eine Einheit. Der Schumanplan hat die Aufgabe, das Kriegspotential der westeuropäischen Länder zusammenzufassen und die ganze Wirtschaft der Kriegsrüstung unterzuordnen. So schreibt die „New York Herald Tribune" über den Schumanplan:
Die günstigen Folgen, die ein solcher Schritt für das Kriegspotential Westeuropas geben würde, sind eindeutig.
So hat bereits Bundeswirtschaftsminister Erhard über die Eingliederung der westdeutschen Industrie in die amerikanische Aufrüstung während seiner Amerikareise bindende Abmachungen getroffen und Dr. Lehr die Aufnahme der direkten Waffenproduktion in Westdeutschland gefordert. Während also der Schumanplan der Aufrüstung dient, enthält der Pleven-Plan die Bildung der Söldnerarmee. Es charakterisiert die ganze Mißachtung gegenüber dem Bundestag und des Volkswillens, daß die vom Volk gewählten Abgeordneten und die deutsche Öffentlichkeit von den Abmachungen und Geheimplänen der Regierung Adenauer über amerikanische Beamte und eine amerikanische Presseagentur erfahren. Es drängt sich hier die Frage auf: Von wem hat die Regierung Adenauer das Recht und den Auftrag erhalten, Abmachungen und Maßnahmen zu treffen, die gegen das Grundgesetz verstoßen und den Willen des Volkes mißachten? Wem fühlt sich diese reaktionäre Regierung Adenauer verantwortlich, dem Volk und seiner Vertretung im Bundestag oder der amerikanischen Hohen Kommission?
({0})
Schumanplan und Pleven-Plan finden ihre Zusammenfassung im Generalvertrag. Nach den Informationen, die die Abgeordneten des Bundestages ebenfalls aus der internationalen Presse und aus amerikanischen Agenturen beziehen müssen, ist der Inhalt des Generalvertrages bestimmt durch die Aufrechterhaltung der fremden Besatzung auf unbeschränkte Zeit, durch die Verweigerung des Abschlusses eines Friedensvertrages, durch den Raub der Rechte des Volkes, über seine Lebensfragen selbst zu bestimmen, durch die Vertiefung der Spaltung Deutschlands und durch Vorrechte der Besatzungsmächte, die bis zur Aufrichtung einer Militärdiktatur gehen. Keine Regierung und kein Parlament würden wirkliche Entscheidungen treffen können, sondern werden nach dem Generalvertrag zu Marionetten herabgewürdigt. Da der Schumanplan, der Pleven-Plan und der Generalvertrag eine Einheit darstellen, bedeutet die Ratifizierung des Schumanplans eine Vorentscheidung auch für den Pleven-Plan und den Generalvertrag, noch bevor die Einzelheiten dieser Pläne und Vertragsabschlüsse überhaupt bekanntgegeben sind. Wer zum Schumanplan ja sagt, sagt auch ja zum Generalvertrag, der größten Ungeheuerlichkeit in der Versklavung Westdeutschlands, sagt j a zur Kriegsvorbereitung.
({1})
Der Schumanplan vertieft die Spaltung Deutschlands. Entgegen allen Erklärungen Dr. Adenauers vor dem Bundestag steht fest, daß im Schumanplan die Deutsche Demokratische Republik zoll- und wirtschaftspolitisch als Ausland behandelt wird, steht fest, daß der innerdeutsche Handel mit der Deutschen Demokratischen Republik der Genehmigung der Hohen Behörde bedarf. Das einheitlich gewachsene deutsche Wirtschaftsgefüge soll durch den Schumanplan endgültig zerrissen werden, um die deutsche Wirtschaft den Rüstungsinteressenten amerikanischer und deutscher Imperialisten unterzuordnen. Die Aufstellung des Söldnerheeres im Rahmen des Pleven-Plans, die von Professor Hallstein angekündigte Einbeziehung Westdeutschlands in den aggressiven Atlantikkriegsblock und der Abschluß des Generalvertrages würden die von Dr. Adenauer betriebene Spaltung Deutschlands aufs äußerste verschärfen. Die von Dr. Adenauer verfolgte Politik der Integration Europas ist die Politik der Zerreißung Deutschlands und seiner Zerstörung in einem dritten Weltkriege.
Die Bildung der Montan-Union wird für unsere gesamte Wirtschaft katastrophale Folgen haben. Die bereits vor sich gehende Deformierung des Wirtschaftsgefüges durch die einseitige Förderung der kriegswichtigen Industriezweige und die Behinderung der Verbrauchsgüterindustrien wird durch den Schumanplan in beschleunigtem Tempo fortgesetzt. Die Kohle wird noch stärker als bisher der Friedensindustrie und der Versorgung der Bevölkerung entzogen und ausschließlich der Rüstung dienen.
({2})
Der deutsche Außenhandel, der bereits heute unter den willkürlichen Beschränkungen des Ost-West-Handels leidet, wird unter die Kontrolle der Hohen Behörde geraten, und der Export der Güter der Friedensindustrie wird zum Erliegen kommen.
Die Hohe Behörde erhält das Recht der Entscheidung über die Investitionen und über die Stilllegung solcher Betriebe, die nach ihrer Auffassung nicht genügend Profit abwerfen. Das bedroht unmittelbar neben französischen und belgischen Gruben auch die Randzechen des Ruhrgebiets und andere Betriebe wie z. B. Watenstedt-Salzgitter mit der Stillegung, wodurch hunderttausende Arbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren und der Gefahr der Deportierung ausgesetzt werden.
({3})
So stellt die „Neue Zürcher Zeitung" richtig fest: Zu diesem Bedenken gesellen sich noch Überlegungen über das künftige Verhältnis der Hohen Behörde zur NATO ({4}). Diese Institutionen werden bei künftigen Investitionen im Raum der europäischen Montan-Union mitzuwirken haben. Innerhalb der NATO wurde ein dreiköpfiger Ausschuß, bestehend aus dem Amerikaner Harriman, dem Franzosen Monnet und dem Engländer Plowden gebildet, dem praktisch eine unbeschränkte Entscheidung über alle mit den Verteidigungsaufgaben zusammenhängenden Fragen obliegen soll.
Bei den Machtbefugnissen der Hohen Behörde wird notwendigerweise das Mitbestimmungsrecht zu einer bloßen Farce. Die Hohe Behörde, die autoritär handeln kann und die aus den Vertretern der deutschen Schwerindustrie, des französischen Comité des Forges und der Schwerindustriellen der anderen westeuropäischen Länder zusammengesetzt wird, kann sich mit einem Federstrich über das Mitbestimmungsrecht und die anderen Rechte der Arbeiter hinwegsetzen. So heißt es in Art. 9 über die Mitglieder der Hohen Behörde:
Sie dürfen bei der Erfüllung ihrer Pflichten weder Anweisungen von einer Regierung oder einer anderen Stelle einholen, noch solche Anweisungen entgegennehmen.
({5})
Die Erklärungen Dr. Adenauers, daß der Schumanplan ein Schritt zur Gleichberechtigung des deutschen Volkes sei, dient nur der Irreführung der Bevölkerung.
({6})
Tatsächlich wird die Abhängigkeit und nationale Unterdrückung der westdeutschen Bevölkerung stärker als bisher. Die angebliche Aufhebung des Ruhrstatuts und einiger Beschränkungen für die Rüstungsproduktion ist keineswegs ein Schritt zur Gleichberechtigung, da alle Befugnisse der Ruhrbehörde und anderer alliierter Stellen an die Hohe Behörde übergehen.
({7})
Vielmehr stellt die Montan-Union eine noch schärfere Versklavung der westdeutschen Bevölkerung dar, weil die Befugnisse der Hohen Behörde weiter gehen als die der bisherigen Ruhrbehörde. Die Auswirkungen des Schumanplans würden alle Bevölkerungsschichten in Westdeutschland mit Ausnahme weniger Rüstungsinteressenten aufs schwerste treffen. Für die Arbeiter bedeutet die Bildung eines solchen Rüstungsmonopols die größte Steigerung der Ausbeutung, durch Lohndruck verschärfte Arbeitsanspannung, den Angriff auf ihre sozialen Rechte, auf den Achtstundentag, auf ihre Freizügigkeit und die Bedrohung durch Massendeportation. Die europäischen Arbeiter sollen durch die Montan-Union auf das Los herabgedrückt werden, das die chinesischen Kulis von sich geworfen haben. Jeder Arbeiter weiß, daß die Vergrößerung der Macht der Monopole für ihn verstärkte Ausbeutung, Bedrohung seiner Lebensrechte und Freiheiten bedeutet. Schon heute haben wir ein ständiges Absinken des Lohnanteils am Produkt und eine Zunahme der Gewinne der kriegswichtigen Industrie. Schon heute gibt es in Westdeutschland, wie auf dem Hüttenwerk Oberhausen, den Versuch, für die Arbeiter den Sonntag abzuschaffen.
({8})
Die steigenden Unfallziffern im Ruhrbergbau sind die ersten Folgen des sogenannten Erfolgsanteilsystems. Dieses wird noch in den Schatten gestellt, wenn der Schumanplan verwirklicht wird.
Aber auch der Bauer, der Handwerker, Bürger und kleine Unternehmer werden durch den Schumanplan aufs schwerste getroffen. Der Sinn des Monopols ist die Erhöhung der Preise für die Produkte der Monopolbetriebe. Schon die Bildung des Ruhrkohlensyndikats hatte die Erhöhung der Kohlepreise zur Folge, die notwendigerweise eine Verteuerung aller Industrieprodukte mit sich bringt. Das bedeutet für den Bauern, daß die Preisschere zwischen Industrie- und Agrarproduktion noch weiter klafft, daß die Düngemittel weiter im Preis steigen und daß der Bauer diese hohen Preise nicht aufbringen kann, also ein Absinken der Ertragsfähigkeit des Bodens, der Rentabilität der Bauernhöfe und damit eine Bedrohung der Existenz des Bauern. Dasselbe trifft im Prinzip für den Handwerker und Kleinunternehmer zu, der durch die Monopolisierung von Kohle und Stahl ebenfalls gezwungen ist, Rohstoffe und Halbfertigwaren zu überhöhten Preisen zu kaufen. Die Steuer- und Investierungspolitik der Regierung Adenauer, die eine Belastung des Handwerks, des Mittelstandes, überhaupt der kleinen und mittleren Betriebe der verarbeitenden Industrie zugunsten der Grundstoffindustrie ist, zeigt, welche Gefahr diesen Volksschichten durch die Montan-Union droht.
Schon heute leiden Wissenschaft und Künste unter der verhängnisvollen Kriegspolitik in Westdeutschland. Schulen können wegen der Kohlenknappheit ihren Lehrbetrieb während des Winters nur in beschränktem Maße durchführen.
({9})
Ärzte, Schauspieler, Schriftsteller, Maler führen ein Elendsleben, da die öffentlichen Mittel für Wissenschaft und Kunst mehr und mehr beschnitten werden. Nur jene wissenschaftlichen Institute haben in etwa ausreichende Mittel zur Verfügung, die unmittelbar an die kriegswichtigen Industrien gekoppelt sind
({10})
oder Forschungsaufgaben erfüllen, die kriegswichtige Bedeutung haben, die also dem Zwecke der Vernichtung von Menschenleben dienen. Die Beschränkung des innerdeutschen Handels, über den der Hohen Behörde die letzte Verfügung vorbehalten ist, die Drosselung des friedlichen Außenhandels mit den Märkten in Osteuropa und in Asien zeigen den Kaufleuten, zeigen den Handelsstädten Hamburg, Lübeck und Bremen, daß die Montan-Union die Gefährdung ihrer Existenz beinhaltet.
Der Schumanplan in Verbindung mit dem Plevenplan und dem Generalvertrag bedroht vor allem die deutsche Jugend. Die Kriegsgeneration soll in die Uniform einer Söldnerarmee gepreßt werden.
({11})
Heute zum Söldnerdienst gepreßt und damit der Möglichkeit einer geordneten Entwicklung ihrer Fähigkeiten für ein friedliches Leben beraubt, soll sie morgen für die Profitinteressen der deutschen und amerikanischen Rüstungsgewinnler das Ende im Massengrab finden.
({12})
Es ist das elementarste Lebensrecht unserer Jugend, sich gegen diese lebens- und jugendfeindlichen Pläne mit aller Kraft zu wehren, und die Pflicht der Väter und Mütter sowie des ganzen Volkes, unserer Jugend dabei jede Unterstützung und Hilfe zu geben.
({13})
Das Schicksal der deutschen Jugend darf es nicht sein, den Tod in einem ganz Europa verwüstenden Krieg zu finden,
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sondern soll es sein, in Frieden alle ihre Fähigkeiten zu entfalten und sich eine glückliches Leben zu erbauen.
Weil unser Volk erkennt, welch nationales Unglück mit dem Schumanplan heraufbeschworen wird, lehnt es, mit Ausnahme einer kleinen Schicht, den Schumanplan ab. Eine Befragung des Volkes über den Schumanplan würde mit einer schweren Niederlage der Adenauer-Regierung und aller jener enden, die den Schumanplan unterstützen.
({15})
({16})
Unser Volk ahnt, daß es sich in einer sehr ernsten Situation befindet, die weitgehend mit der des Jahres 1932 übereinstimmt. Ebenso wie damals fällt heute die Entscheidung über Krieg und Frieden. Damit muß sich jeder Mensch in Westdeutsch({17})
land, insbesondere jeder Abgeordnete des Bundestags seiner Verantwortung bewußt sein. Keiner kann sich dieser Verantwortung entziehen. Keiner kann später einmal sagen: Ich habe nicht gewußt, welche Folgen meine damalige Entscheidung haben würde.
({18})
Wenn Vertreter der Regierungskoalition in der Bundestagsdebatte die Ratifizierung des Schumanplans „den Sprung in das große Abenteuer" nannten, so mögen sie daran denken, womit der Sprung des größten Abenteurers Hitler geendet hat.
({19})
Eine besondere Verantwortung trägt die Arbeiterklasse. Sie steht in den Zentren der Produktion, in den Kohlengruben und Hüttenwerken. Wenn sie sich zur Aktionseinheit zusammenschließt, ist sie eine unüberwindliche Kraft, die alle Kriegspläne, den Schumanplan, den Generalvertrag, zerbrechen wird. Die Tätigkeit der Sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaftsführung zur Aufrechterhaltung der Spaltung der Arbeiterklasse, zur Verhinderung der Aktionseinheit beweist ebenso wie das Auftreten der sozialdemokratischen Redner in der Bundestagsdebatte, daß die Führung der SPD nur eine Scheinopposition macht, prinzipiell aber dem Schumanplan zustimmt und durch ihre Haltung das Zustandekommen des Schuman-plans ermöglichen will. Das haben solche sozialdemokratischen Führer wie der Vorsitzende des DGB, Fette, Reuter, Kaisen und Brauer selbst ausgesprochen. Die Bedenken, die sozialdemokratische Führer wie Dr. Schumacher, Ollenhauer und Carlo Schmid gegenüber der jetzigen Fassung des Schumanplans geäußert haben, laufen auf nichts anderes hinaus als auf die Forderung: größere Rechte der deutschen Monopolherren gegenüber den französischen in der Montan-Union. Herr Ollenhauer befindet sich offensichtlich in einer schwierigen Lage. Es fällt ihm sehr schwer, sich mit den präzisen Argumenten auseinanderzusetzen, die gestern und vorgestern von den Sprechern der kommunistischen Fraktion vorgetragen sind. Darum kommt er auf den eigenartigen Einfall, der Politik der Verteidiger des Friedens und der Einheit Deutschlands Erklärungen und Motive zu unterschieben, die mit der Wirklichkeit nicht das geringste zu tun haben. Herr Ollenhauer glaubt, der kommunistischen Fraktion einen Vorwurf daraus machen zu müssen, daß sie dem heute nacht hier zur Abstimmung gelangten Ergänzungsantrag der SPD zum Schumanplan ihre Zustimmung versagt hat. Herr Ollenhauer vergißt dabei, zu sagen, daß dieser Antrag dem Sinn und Wortlaut nach mit der Zustimmung zum Schumanplan verknüpft ist und daß aus diesem entscheidenden Grunde für jeden wirklichen Gegner des Schumanplans eine Zustimmung zu dem sozialdemokratischen Antrag überhaupt nicht in Frage kommt.
({20})
Wenn Herr Ollenhauer sagt, daß er sich mit uns bei den Arbeitern über den Schumanplan auseinandersetzen will, so nehme ich ihn hier beim Wort. Herr Dr. Schumacher und ich haben ein Telegramm von der Belegschaft der Meidericher Hütte erhalten, worin wir aufgefordert werden, beide vor der Belegschaft unsere Standpunkte zum Schuman-plan darzulegen.
({21})
Ich bin bereit, dieser Aufforderung so schnell als
möglich nachzukommen, und bitte: Sollte Herr
Dr. Schumacher noch nicht gesund sein, so soll Herr Ollenhauer gemeinsam mit mir zur Belegschaft fahren, und wir werden dort beide der Belegschaft unseren Standpunkt klarmachen.
({22})
Die ernste Lage, in der sich unser Volk befindet, die Gefahren, die mit dem Schumanplan, dem Plevenplan und dem Generalvertrag verbunden sind, machen es erforderlich, daß sich das ganze Volk, gleich welcher Weltanschauung und sozialen Stellung, gleich welcher Parteirichtung, zu einer breiten patriotischen Bewegung zusammenschließt. Jeder klarblickende Mensch in Westdeutschland erkennt, daß der Weg, den die Adenauer-Regierung geht, ins Unglück führt, die Zerstörung unserer Heimat und die Vernichtung der Existenz unseres Volkes heraufbeschwört. Es gibt nur eine Möglichkeit, diese Gefahr zu bannen: indem das Volk die Adenauer-Regierung stürzt. Es gibt genug Menschen in der westdeutschen Bevölkerung, die aus dem Gefühl der nationalen Verantwortung heraus bereit sind, eine andere Regierung zu bilden.
Während der Bundestag über die Ratifizierung des Schumanplans verhandelt, trat die Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik zusammen, um den Entwurf der Wahlordnung für gesamtdeutsche Wahlen zur Nationalversammlung zu beraten. Dieser Entwurf, der sich bis auf einige Punkte auf das Reichstagswahlgesetz der Weimarer Republik stützt, zeigt auch dem letzten Deutschen, daß die Deutsche Demokratische Republik bemüht ist, gesamtdeutsche demokratische Wahlen zur Nationalversammlung zustande zu bringen. In der Volkskammer wurde ein Fünfpunkte-Programm festgelegt, welches das Zustandekommen gesamtdeutscher Wahlen zur Nationalversammlung und die Schaffung eines einheitlichen demokratischen Deutschlands ermöglicht und das darum unmittelbar aufgegriffen und verwirklicht werden muß. Ich schlage darum vor, daß wir in der nächsten Sitzung den Vorschlag der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik in Verbindung mit unserem Antrag behandeln und eine Kommission wählen, die mit den Vertretern der Volkskammer sofort Verhandlungen über ein Wahlgesetz für ganz Deutschland aufnimmt.
({23})
Das ist der friedliche Weg für unser Volk, den es in seiner Mehrheit fordert. Immer mehr Politiker und Persönlichkeiten erklären sich für diesen Weg; so auch der bayerische Ministerpräsident Ehard. Herr Dr. Adenauer war seit den Bundestagssitzungen im Herbst mit den Verhandlungen über den Schumanplan und den Generalvertrag sehr beschäftigt. Für die Erfüllung des Auftrags des Bundestags, den Entwurf einer Wahlordnung für gesamtdeutsche Wahlen auszuarbeiten, hat die Adenauer-Regierung anscheinend keine Zeit gehabt.
Herr Abgeordneter Reimann! Ich empfehle Ihnen, Ihre Redezeit für die Erörterung des Schumanplans zu verwenden. Ihre Redezeit läuft in 5 Minuten ab.
Oder ist etwa die erste Lesung dieser Wahlordnung auf dem Petersberg noch nicht abgeschlossen?
({0})
Es gibt nur einen Ausweg aus der jetzigen gefahrdrohenden Lage. Das ist: alle Pläne, die dem Kriege dienen, zu verwerfen und statt dessen unmittelbar den Plan des Aufbaus eines einheitlichen, unab({1})
hängigen, friedliebenden und demokratischen
Deutschlands zu verwirklichen. Die Schaffung
eines solchen Deutschlands führt über gesamtdeutsche Beratungen zu freien Wahlen über den
beschleunigten Abschluß eines Friedensvertrags.
Ich richte an alle Abgeordneten des Bundestags
die ernste Mahnung, die Stimme im Volke zu
hören. Das deutsche Volk ist in seiner großen
Mehrheit gegen diesen Schumanplan. Das Volk ist
für die Einheit Deutschlands. Stimmen Sie im
Interesse unseres Volkes gegen den Schumanplan!
({2})
Frau Abgeordnete Dr. Rehling hatte sich zum Wort gemeldet. Ich sehe sie nicht im Saal. Darf ich Sie bitten, sie zu informieren? - Frau Abgeordnete Hütter hatte sich auch gemeldet. Ich sehe sie ebenfalls nicht im Saal.
({0}) Vielleicht haben die Damen nicht damit gerechnet, daß Herr Abgeordneter Reimann mit seiner Redezeit auskommen würde.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Loritz.
Loritz ({2}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Und insbesondere Herr Präsident! Es freut mich, daß Sie mich einmal in der Rednerliste vorziehen, wenn ich auch insgeheim glaube, daß es vielleicht doch nicht so zu meinen Gunsten war, was Sie tun wollten. Vielmehr wollten Sie mir gern den fast leeren Saal präsentieren.
Herr Loritz, ich lasse gern über Telefon ansagen, daß Sie sprechen. Es steht allen Abgeordneten frei, sich Ihre Rede anzuhören.
Loritz ({0}): Soviel ich weiß, war Herr Dr. Ott vor mir dran.
Herr Dr. Ott hat ausdrücklich gebeten, später sprechen zu dürfen, weil er noch eine Besprechung seiner Gruppe hat.
Loritz ({0}): Gut! - Meine Damen und Herren, mir stehen leider nur 10 Minuten Redezeit zur Verfügung.
({1})
- Ja, für Sie ist das zuviel. Ich kann deswegen nur einige wenige Punkte herausgreifen. Lassen Sie mich ein paar Sätze zu dem sprechen, was uns Herr Bundeskanzler Adenauer heute an diesem so historisch wichtigen Zeitpunkt sagte. Die Rede, die er heute hielt, war eine der inhaltlich mattesten, die wir je von ihm vernommen haben. Oder zeugt es vielleicht von einer staatsmännischen Klugheit, Sätze zu gebrauchen, in denen sich Worte finden wie „geschlagener Gegner", gegenüber Deutschen, die auch, wie es die Abgeordneten der Opposition tun, für sich in Anspruch nehmen, das Interesse Deutschlands und der europäischen Zivilisation im Auge zu haben? Vielleicht ist der Herr Bundeskanzler in seinen Gedankengängen schon von den kommenden Dingen so angekränkelt, daß er sich nur noch in militärischen Begriffen äußern kann und von „geschlagenen Gegnern" und vielleicht demnächst gar von Divisionen und Armeekorps
und von Tankangriffen, und von was weiß ich sonst noch spricht!
({2})
Meine Damen und Herren, ich möchte es mir verbitten, daß hier solche Ausdrücke in einer Auseinandersetzung unter Deutschen gebraucht werden. Laufen vielleicht heute die Fronten schon so, daß für Herrn Adenauer und die Interessenten des französischen Comité des Forges zusammen wir die Gegner sind, wir, die wir stets gegen Diktatur und Faschismus, und wie all das geheißen hat, gekämpft haben!
({3})
Meine Herren, noch eine Äußerung Dr. Adenauers; und das ist weitaus das Wichtigste. Adenauer sagte, die Opposition würde - ich habe es mir wörtlich mitstenographiert - in keiner Weise ein wirkliches Bild sich davon machen, was das Ausland denkt und wie das Ausland und die Welt wirklich uns sieht. Ich glaube, gerade hierin liegt eine enorme Verkennung der Lage seitens Dr. Adenauers. Das Ausland hält gar nichts von einem pseudoidealistischen Vortrag von irgend jemand hier herinnen, in dem es wimmelt von Ausdrücken wie „Europa" und „Idealismus" und „neue Zukunft" und „Vergessen", und weiß Gott was. Im Gegenteil, solche pseudoidealistischen Ausführungen sind im Ausland geradezu verdächtig,
({4})
weil im Ausland nichts mehr gefürchtet wird als jene labilitas animi, die sich heute duckt und wehmütige Erklärungen abgibt und in pseudoidealistischen Phantomen schwelgt und vielleicht wieder morgen, so wie sie das gestern getan hat - wenn sie glaubt, sich das leisten zu können -, wieder mit dem Stiefel brutal drauftritt auf die Schwachen, die am Boden liegen. Ich glaube, das Ausland - wenigstens das Ausland, auf das es uns ankommt - will gar nicht solche unwahre idealistische Träumereien hören. Dem Ausland wäre es sehr viel sympathischer, wenn es wüßte, wie wir uns die Dinge denken, was wir zu fordern haben, was wir wirklich fordern und was wir den anderen dafür anbieten wollen.
({5})
Diese Politik des do ut des, diese klare Angabe dessen, was wir leisten wollen und dafür verlangen, wird uns nicht verdächtig machen, sondern verdächtig machen Deutschland solche Redensarten, wie wir sie zum Überdruß in den letzten zwei Tagen von seiten der Regierungsparteien und auch der Regierung gehört haben.
({6})
Meine Damen und Herren, ich glaube, man wird draußen nicht bloß die Reden der Opposition analysieren, wie der Herr Bundeskanzler meint, sondern gerade Ihre Reden nach diesen pseudoidealistischen Gesichtspunkten hin!
Lassen Sie mich kurz den Kardinalfehler der Politik der Regierungskoalition und der Politik Dr. Adenauers aufzeichnen.
({7})
Dr. Adenauer will im Juni Äpfel ernten und essen, statt bis zum September damit zu warten. Ich fürchte, Dr. Adenauer und seine Regierung werden nach dem Genuß dieser unreifen Äpfel an der Ruhr sterben,
({8})
({9})
wobei Sie mein Wortspiel mit der Ruhr als Krankheit und mit der Industrie an der Ruhr vielleicht begriffen haben, meine Herren Zwischenrufer da vorne.
({10})
Ja, meine Damen und Herren, ich fürchte, diese Regierung wird an der Ruhr sterben!
Was wir Dr. Adenauer vorwerfen, das ist, daß er die ungeheurliche Chance nicht erkennt, die zu uns gekommen ist, nicht etwa durch Verdienst der Adenauer-Regierung,
({11})
auch nicht durch Verdienst irgendwelcher anderer
Herren, nein, sondern durch die grundsätzliche
Umgestaltung der ganzen Weltsituation infolge des
Korea-Konflikts usw. uns in den Schoß gefallen ist.
({12})
Wenn wir die Situation ausnutzen, erregen wir nicht den Verdacht des Auslands, sondern wir würden im Gegenteil als Partner nur geachtet werden, als Partner, die endlich einmal vernünftig und realistisch und nicht pseudoidealistisch denken können.
({13})
Ich bin schon als Jurist für klare Abmachungen. Ich will heute wissen: Was wollen wir den Franzosen geben? Wir anerkennen ihre Bedürfnisse auf deutsche Kohle; aber wir anerkennen nicht die unerhörte Benachteiligung Deutschlands und wahrscheinlich auch des französischen Volkes und der Völker der übrigen Schumanplan-Länder durch den Vertragsentwurf, der Ihnen vorliegt. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte eines
D sagen:
({14})
Die Wandlung, die sich im Ausland vollzogen hat, ist ein Glückzufall, der uns vielleicht verdientermaßen, vielleicht auch unverdientermaßen,
({15})
ja, vielleicht auch verdientermaßen in den Schoß gefallen ist. Wenn wir von den Sünden der Vergangenheit sprechen - gut und recht. Ich bin der erste, der schon seit Jahrzehnten den Finger darauf gezeigt hat. Aber dann müssen wir auch von den Sünden sprechen, die in der Austreibung von 16 Millionen Ostdeutschen bestanden haben. Die Schuld hieran liegt keineswegs nur im Osten. In Jalta und Potsdam haben noch andere Herren mitgewirkt bei diesen Dingen, die genau so ein Verbrechen an der Menschheit sind, und vielleicht in ebenso großem Umfang wie das, was die Gestapo während der Hitlerzeit an unschuldigen Menschen gesündigt hat.
Nachdem ich nur noch eine Minute Redezeit habe, will ich nur noch kurz - ({16})
- Ja, Ihre Einladungen, mit denen der Herr Bundeskanzler nach Paris und London kam, was ist das schon so „Besonderes", das hätte er auch mit einer anderen Politik haben können, eben gerade deswegen, weil wir heute infolge der geopolitischen und allgemein weltpolitischen Lage zu einem unentbehrlichen Partner für die westliche Kultur geworden sind.
({17})
Nur einen Satz noch zu den Änderungsanträgen der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 413. Ich habe gestern gegen diesen Änderungsantrag gestimmt und werde das auch heute tun, aber nicht etwa deswegen, weil der Inhalt unter Ziffern 1, 2, 3 und 4 falsch wäre - der ist absolut richtig -, sondern deswegen, weil die Formulierung, und zwar vor allem in den ersten Worten dieses Antrags, so ist, daß man, wenn man für diesen Antrag stimmt, Gefahr laufen kann, daß dies gründlich mißverstanden wird. Wir wollen nicht irgendeinem Antrag die Stimme geben,
({18})
in dem auch nur in der einleitenden Formel steht: „Die Zustimmung zum Schumanplan erfolgt", weil wir wissen, daß dieser Schumanplan - und das wiederhole ich noch einmal - ein Unglück für unser gesamtes Volk werden wird. Dieser Tag heute ist ein entscheidender, ich fürchte, ein ebenso entscheidender wie jener Tag im März 1933. Ich beschwöre Sie nochmals: geben Sie kein Ermächtigungsgesetz, weder an inländische Diktatoren noch an eine ausländische Haute Autorité, auf die das Volk keinen oder so gut wie keinen Einfluß hat! Lehnen Sie den Schumanplan ab!
({19})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Rehling.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Frau Kollegin Strohbach hat sich heute früh berufen gefühlt, als Anwältin der deutschen Mütter und der deutschen Jugend einen dringenden Appell an die Abgeordneten dieses Hauses zu richten, die Montan-Union abzulehnen, weil sie die erste Etappe auf dem Wege zu einem dritten Weltkrieg bedeute. Ich schmeichle mir nicht, Frau Strohbach eines Besseren belehren zu können, und möchte das auch gar nicht versuchen. Wir sprechen zwar die gleiche Sprache, aber wir füllen die Begriffe mit einem völlig verschiedenen Inhalt, und diese Tatsache macht leider ein gegenseitiges Verstehen unmöglich.
({0})
Ich möchte aber von dieser Stelle aus ganz kurz begründen, warum ich mich getraue, als eine Frau, die ja zum Schumanplan sagt, ohne Scheu vor deutsche Mütter und deutsche Jugend hinzutreten. Als wir im Mai vorigen Jahres in Straßburg über den Schumanplan debattierten, sagte Paul Reynaud, der 1940 beim Einzug der Deutschen in Paris französischer Ministerpräsident war, in den folgenden Jahren viel gelitten hatte und einer der Organisatoren der französischen Widerstandsbewegung war, unter Bezugnahme auf die Rede der deutschen Delegierten Professor Nölting, Dr. von Campe und Dr. von Brentano folgendes:
Wir haben zwischen zwei Geistesrichtungen zu wählen. Die von unserem Kollegen Nölting vertretene bedeutet einen Schritt rückwärts zu einem in Nationalstaaten sich gegeneinander abkapselnden Europa, während die Kollegen von Brentano und von Campe sich in ihren Reden auf ein wahrhaft europäisches Niveau erhoben haben.
({1})
Ich entscheide mich für den letzteren Weg; denn es handelt sich um Europa.
({2})
Unter starkem Beifall der Versammlung fuhr er fort:
Wenn es uns gelingt, hier zum erstenmal die punktierten Ländergrenzen auszulöschen, dann wird es uns auch gelingen, die Tränen der Mütter in Europa zu trocknen.
Aus diesem Geist heraus ist die Konzeption des Schumanplans geboren, und das ist ihre Zielsetzung. Und weil ich es als das Hauptanliegen meiner politischen Tätigkeit ansehe, alles zu tun, was der Sicherung eines echten Friedens dienen kann, nachdem ich erlebt habe, was an Jammer und Elend über die Frauen, die Mütter und die Jugend der beteiligten Völker allein durch die beiden Weltkriege dieses halben Jahrhunderts gebracht worden ist, stimme ich für den Schumanplan; denn er ist ein konstruktiver Beitrag zu einer echten Friedenspolitik.
({3})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hütter.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Mein Fraktionsfreund Euler hat heute eines Mannes gedacht, der sich an höchster verantwortlicher Stelle im deutschen öffentlichen Leben die Aufgabe gestellt hatte, die den Völkerfrieden beeinträchtigenden alten Gegensätze zwischen Frankreich und Deutschland zu beseitigen: Gustav Stresemann. Man kann aber dieses Mannes nicht gedenken, ohne seinen großen Partner auf der französischen Seite, Aristide Briand, zu erwähnen. Er ist verbunden - ob im Lob, ob in der Kritik der Geschichte der zwanziger Jahre, der Geschichte Europas - mit der Person Stresemanns.
Als ich an einem kalten Wintermorgen des Jahres 1932 meine Wohnung in Paris verließ, um zur Arbeit zu gehen, fand ich wenige, Schritte von meinem Hause entfernt eine Menschengruppe, die sich um einen Sarg gruppierte; und man flüsterte, daß es sich um Briand handele, der in diesem Sarg liege. Die Abendpresse erzählte dann von dem Besuch des deutschen Botschafters, Herrn von Hoesch, als einem der ersten diplomatischen Vertreter fremder Länder in Paris bei der Leiche Briands. Herr von Hoesch legte ein Veilchensträußchen auf das Bett des Toten. Ich verfolgte meinen Weg, der der gleiche war wie der des Sarges, und ich habe beobachten können, daß es damals Franzosen gab, die beim Anblick dieses Sarges die Hand zur Faust ballten.
Damals wurde die Hoffnung der europäischen Jugend, insbesondere die Hoffnung der deutschen Jugend, zu Grabe getragen; und die politische Entwicklung des deutschen Volkes führte zu einer seiner größten Niederlagen.
In den zwanziger Jahren war der Europa-Gedanke hauptsächlich von Deutschland ausgegangen. Heute, meine Herren und Damen, bietet uns ein Franzose die Hand zur Überbrückung der alten Gegensätze zwischen Frankreich und Deutschland. Heute bietet uns Schuman die Hand. Der Schumanplan ist also einerseits ein Stück Verwirklichung alter Wünsche; andererseits - das wissen wir - ist er ein Vorläufer; denn es hinken noch viele ungelöste politische Fragen nach, die nicht nur von der Opposition vorgetragen wurden. Sie dürfen kein politischer Unruhefaktor bleiben, sie müssen bald beantwortet werden.
Ich denke - um nur einen der Faktoren zu nennen - an die noch Festgehaltenen, an die deutschen Festgehaltenen in fremdem Gewahrsam. Aber gerade diese Menschen setzen ihre ganze Hoffnung auf die Verständigungspolitik des heutigen Deutschlands. Gerade diese Menschen erblicken in dem Schumanplan ein Stück Vorwärts in dieser Richtung. Hand in Hand mit der übrigen Welt soll das politische Gleichgewicht wiederhergestellt werden, das uns den Frieden gewährt; denn davon, daß es uns gelingt, mit den übrigen Ländern der christlich abendländischen Welt einen Friedensbund zu gründen, hängt unsere Zukunft, die Zukunft unserer Kinder ab; einen Friedensbund, der vom Friedensvertrag darin unterschieden sein würde, daß dieser bloß einen Krieg, jener aber alle Kriege zu enden suchte. Oder wie Kant sagt:
Dieser Bund gehe auf keinen Erwerb irgendeiner Macht des Staates, sondern lediglich auf Erhaltung und Sicherung der Freiheit eines Staates für sich selbst und zugleich anderer verbündeter Staaten, ohne daß diese doch sich deshalb öffentlichen Gesetzen und einem Zwang unter demselben unterwerfen sollen.
Die Jugend von damals, die Jugend zu Briands und Stresemanns Zeiten, ist die mittlere Generation von heute, ist die Generation, die an der Front war, die in Gefangenschaft war und zum Teil auch heute noch ist. Sie hat erfahren, daß es vieler Jahre bitterster Erfahrung bedarf, um große Ideen zum Reifen, um Wünsche zum Tragen zu bringen. Sie erwartet - um es zu betonen -, daß Europa nicht länger Diskussionsthema bleibt; sie erwartet, daß es Wirklichkeit wird. Und als eine, die zu dieser Generation gehört und ihre Freuden und Leiden geteilt hat, freue ich mich, daß mit der Ratifizierung des Schumanplans Europa aus der Ebene des Gesprächs gerückt ist, Europa endlich zur Fahne wird.
Ich bitte das Hohe Haus, die Ratifizierung des Schumanplans zu bestätigen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Tichi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe im Namen meiner Gruppe nachstehende Erklärung abzugeben:
Wir haben uns gestern mit Rücksicht auf die schweren Bedenken, die wir gegen einige Bestimmungen des Schumanplans haben, der Abstimmung enthalten. Wir haben die Absicht gehabt, heute den gleichen Standpunkt einzunehmen. Die heutigen Argumente des Herrn Bundeskanzlers haben uns davon überzeugt, daß wir im Interesse der Heimatvertriebenen, Fliegergeschädigten und Entrechteten dabei sein müssen,
({0})
wenn der erste und entschiedene Schritt für den Aufbau eines wirtschaftlich und politisch freien Deutschlands und geeinten Europas getan werden muß. Wir werden deshalb dem Schumanplan in der dritten Lesung zustimmen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Hedler.
Hedler ({0}): Meine Damen und Herren! So sehr ich die Bemühungen des Herrn Bundeskanzlers begrüße, die Verhandlungen zum Schumanplan der westeuropäischen Staaten als Vorläufer einer späteren europäischen Union voranzutreiben, so deutlich muß ich meiner Ansicht Ausdruck geben, daß die Voraussetzungen für den Abschluß dieses Vertrags noch nicht gegeben sind. Ich will nicht die teils berechtigten Einwände wiederholen, die von dieser Stelle bereits erhoben sind. Jeder Vertrag basiert auf dem Grundsatz von Treu und Glauben. Fehlt diese Grundlage, so ist ein solcher Vertrag binnen kurzer Zeit zum Scheitern verurteilt oder - und das wird die Folge der heutigen Fassung des Schumanplans sein - er wird sich allein zuungunsten eines Vertragspartners, und das ist zweifelsohne Deutschland, auswirken.
Wir haben es in der vergangenen Zeit leider erleben müssen. daß uns von seiten unserer Vertragspartner nur Mißtrauen und auch Konkurrenzneid entgegengebracht worden sind.. Ich darf hierbei an die Maßnahmen der Ruhrbehörde und des Sicherheitsamtes in Koblenz noch in jüngster Zeit erinnern. Beide Ämter haben uns gelehrt, daß wir alle Veranlassung hätten, nun auch unsererseits sehr mißtrauisch zu sein.
Ganz besonders aber ist ein Vertrag zum Scheitern verurteilt, wenn er unter Druck zum Abschluß kommt. Die Hohe Kommission hat immer wieder zum Ausdruck gebracht, daß die Alliierten zweiseitige Verträge mit Deutschland abschließen werden. wenn Deutschland den Schumanplan angenommen hat. Dann erst wird auch das Besatzungsstatut entfallen. Dieser Druck seitens der Hohen Kommission dürfte dazu angetan sein, die Bedenken hinsichtlich des Schumanplans noch zu vergrößern.
Mit Recht hat das Hohe Haus seinerzeit entschieden dagegen protestiert, daß die Regierung der Ostzone deutsche Gebiete vertraglich abgetreten hat, und diese Abtretung als für sich in keiner Weise verbindlich erklärt. Sowohl in der Frage der deutschen Ostgebiete als auch hinsichtlich des Schumanplans handelt es sich um Werte, die nicht West- oder Ostdeutschland gehören, sondern Eigentum des gesamten deutschen Volkes sind.
Weil ich an morgen denke, erkläre ich: Solange unsere früheren Gegner die Abkommen von Yalta und Potsdam nicht außer Kraft gesetzt haben, solange es ein Gesamtdeutschland noch nicht gibt, solange Deutschland nicht von einem gesamtdeutschen Parlament und einer von diesem gewählten gesamtdeutschen Regierung vertreten wird, fühle ich mich nicht berechtigt, über Eigentum des deutschen Volkes eine Entscheidung auf derartig lange Sicht hin zu treffen. In diesem Fall ist es nicht an Deutschland, die Voraussetzungen für den Schumanplan zu schaffen. Es ist mir daher nicht möglich, dem Schumanplan meine Zustimmung zu geben.
({1})
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Rednerliste. Ich schließe die allgemeine Besprechung der dritten Beratung.
Darf ich Ihr Einverständnis unterstellen, daß Sie auch die Einzelbesprechung der dritten Beratung als erledigt ansehen?
({0})
- Das ist die gemeinsame Überzeugung des Hauses.
Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst wieder klären, welche Vorlagen wir zur Abstimmung haben:
Zunächst den Entwurf des Gesetzes, Abstimmung auf Grund des Ausschußberichts.
Weiterhin liegt vor ein Antrag der Fraktion der KPD, der mir heute morgen übergeben worden ist: Der Bundestag wolle beschließen:
Das Gesetz betreffend den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951 hat verfassungändernden Charakter und bedarf gemäß Art. 79 der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrats.
Dieser Antrag ist geschäftsordnungsmäßig unzulässig, da er die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichtshofs gemäß Art. 93 des Grundgesetzes vorwegnehmen würde. Ich lasse diesen Antrag nicht zu.
Der Antrag der Fraktion der SPD, der in der zweiten Beratung gestellt worden war, auf Einführung eines Art. I a ist unter Umdruck Nr. 413 wiederholt worden.
Weiter liegt ein Antrag der Fraktion der SPD unter Drucksache Nr. 2973 vor, den ich als Entschließungsantrag nach der eigentlichen Abstimmung zur Abstimmung bringen werde. Das gleiche gilt für den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP laut Drucksache Nr. 2974 und den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU laut Umdruck Nr. 412.
Meine Damen und Herren! Ich darf Sie freundlichst um eine gewisse Ruhe bitten! Wir erleichtern uns damit die Geschäftsführung.
Die Fraktion der KPD - ({1})
- Herr Abgeordneter Euler wünscht das Wort. Ich bitte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der Regierungsparteien beantrage ich namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, das deckt sich mit einem Antrag, den die Fraktion der KPD heute morgen eingereicht hat. Darf ich fragen: Wird der Antrag hinreichend unterstützt?
- Das ist der Fall.
({0})
- Herr Abgeordneter Mellies, bitte!
Meine Damen und Herren! Angesichts der Bedeutung der Angelegenheit sind wir gezwungen, auch über den von uns noch einmal eingereichten Antrag betreffend Art. I a die namentliche Abstimmung zu beantragen.
Meine Damen und Herren, wir kennen das ja von heute morgen schon. Ich darf also feststellen, daß über den Art. I des Gesetzentwurfs und über den Antrag der Fraktion der SPD - Umdruck Nr. 413 - jeweils namentliche Abstimmung stattfindet. Ich bitte Sie, sich wiederum mit den entsprechenden Abstimmungszetteln zu versehen. Achten Sie bitte darauf, daß auf den Zetteln auch wirklich „Ja", „Nein" oder
({0})
„Enthaltung" steht. Es hat gestern einen Irrtum dadurch gegeben, daß auf einem Stimmzettel überhaupt nichts stand.
Meine Damen und Herren, darf ich noch um folgendes Technische bitten. Die Karten - da wir ja die namentliche Abstimmung erst neuerdings in größerer Zahl betreiben - hängen zum Teil etwas zusammen. Es hat sich gestern gezeigt, daß die Gefahr besteht, daß zwei Karten zusammenklebten. Wir sind dann zu Berichtigungen des vorläufigen Abstimmungsergebnisses genötigt. Ich bitte also freundlichst, die Karten einmal zu knicken, nicht endgültig, damit wir sie nicht wieder auseinanderzufalten brauchen, aber damit Sie sehen, daß wirklich nur eine Karte eingelegt wird. Daß jemand absichtlich zwei Karten einlegt, glaube ich nicht. Es hat ja auch keinen Zweck, da der Name daraufsteht.
({1})
Meine Damen und Herren, ich rufe auf Art. I des Gesetzes betreffend den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951 zur namentlichen Abstimmung. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmzettel einzusammeln. Meine Damen und Herren, ich bitte einen Augenblick um Gehör. Es gibt offenbar technisch nichts, was es nicht gibt.
({2})
Mir wird eben ein Zettel gezeigt, auf dem auf der einen Seite „Ja", auf der anderen Seite „Nein" gedruckt ist.
({3})
Wir werden das nachprüfen. Ich bitte Sie aber, vorsichtshalber die Zettel einmal umzudrehen, damit Sie sehen, ob auch auf beiden Seiten „Ja" bzw. „Nein" steht. Es ist das keine raffinierte Methode, das Abstimmungsergebnis zu beeinflussen.
({4})
Meine Damen und Herren, ich frage: Sind noch Abgeordnete im Hause, die ihre Stimme nicht abgegeben haben? - Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Herren Schriftführer, auszuzählen.
Eine Frage im Interesse der Ökonomie unserer Zeiteinteilung. Der Herr Vorsitzende des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität hat mich gebeten, eine Immunitätssache jetzt noch vortragen zu können. Sind Sie bereit, in dieser Pause diesen
Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität
entgegenzunehmen?
({5})
Ich darf den Herrn Ausschußvorsitzenden bitten. - Bitte, Herr Abgeordneter Ritzel!
Ritzel ({6}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Hohe Haus hat sich vor einiger Zeit mit der Freigabe der Strafverfolgung -
Darf ich einen Augenblick unterbrechen, Herr Abgeordneter? Ich möchte feststellen: Werden wir direkt auf den Rundfunk übertragen?
({0})
Dann bitte ich, den Rundfunk abzuschalten und keine Rundfunkübertragung in diesem Augenblick vorzunehmen. - Ist das sichergestellt?
({1})
Ich sorge dafür, daß die Teile der Bänder, falls es aufgenommen wird, herausgeschnitten werden.
({2})
Herr Abgeordneter Ritzel, ich bitte Sie, einen Augenblick zu warten, bis ich sichergestellt habe, daß die Rundfunkübertragung unterbrochen ist. Herr Abgeordneter Ritzel, darf ich Sie nun bitten, das Wort zu nehmen.
Ritzel ({3}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Hohe Haus hat sich vor einiger Zeit mit der Freigabe der Strafverfolgung des Herrn Abgeordneten Volkholz befassen müssen. In diesem Verfahren sind neue Tatbestände entstanden, die vorhin Veranlassung gegeben haben, daß mich der Vertreter des Herrn bayerischen Justizministers auf Grund eines Fernschreibens, das an den Herrn Bundesjustizminister gerichtet ist, in meiner Eigenschaft als Vorsitzer des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität am Fernsprecher darum gebeten hat, noch heute eine Entscheidung des Hohen Hauses in bezug auf die Aufhebung der Immunität, die Freigabe der Strafverfolgung und die Erlaubnis zur Verhaftung des Abgeordneten Volkholz zu erwirken.
Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat sich mit der Angelegenheit befaßt. Es handelt sich um folgenden Tatbestand: Das Ermittlungsverfahren gegen den Abgeordneten Volkholz wegen seiner Rede in Zwiesel Anfang Juni 1951 durch den Oberstaatsanwalt Dr. Weiß-Eggendorf hat neue Ergebnisse gebracht. Der bayerische Justizminister übergab dem Oberstaatsanwalt Dr. Weiß die Weiterleitung der Maßnahmen, die hier ergriffen werden müssen. Die Ermittlungen in dem Verfahren gegen den Abgeordneten Volkholz haben zu einem Haftbefehl des Amtsgerichts Regen vom 10. Januar 1952 gegen seinen Hauptzeugen wegen dringenden Verdachts des Meineids geführt.
Der Hauptzeuge Reiman hat vor dem Ältestenrat des bayerischen Landtags am 14. November 1951 unter Eid ausgesagt, daß er seine Aufzeichnungen über die Rede Volkholz in Zwiesel während der Versammlung in dem vorgewiesenen blauen Heft gemacht habe. Die Ermittlungen haben ergeben, daß die Aufzeichnungen in einem anderen Heft gemacht worden sind. Es besteht der dringende Verdacht, daß die Aufzeichnungen in dem vorgewiesenen falschen Heft gemeinsam mit Volkholz verfaßt worden sind. Dieser Verdacht wird dadurch bestärkt, daß Volkholz selbst bei seiner Einvernahme zugegeben hat, dem Zeugen ein Kraftfahrzeug im Wert von 4000 DM bei sofortiger Anzahlung von 700 DM und im übrigen auf Grund Bürgschaft seiner Frau überlassen oder ihm gekauft zu haben. Außerdem steht fest, daß der Zeuge Reiman an einem dritten Ort eine Zusammenkunft mit Volkholz vor dessen Vernehmung am 7. Januar 1952 herbeigeführt hat, um seine Aussagen mit den Aussagen von Volkholz abzustimmen.
Daraus ergibt sich für den Oberstaatsanwalt der dringende Verdacht der Anstiftung zum Meineid. Der Oberstaatsanwalt befürchtet, daß nur bei rascher Vollstreckung des Haftbefehls wegen Ver({4})
dunklungs- und Fluchtgefahr wahrheitsgetreue Ermittlungsergebnisse erzielt werden können. Er bittet deshalb im Einvernehmen mit dem bayerischen Justizminister und in dessen Auftrag um den vorerwähnten Beschluß.
Der Auschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat sich in eingehender Aussprache mit der Angelegenheit befaßt und mit Mehrheit beschlossen, dem Hohen Hause folgenden Beschluß zu empfehlen:
Der Bundestag wolle beschließen,
die Genehmigung zum Strafverfahren und zur Verhaftung gegen den Abgeordneten Volkholz wegen Verdachts der Verleitung zum Meineid zu erteilen.
Ich bitte Sie, dementsprechend zu beschließen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schmid.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich fühle mich persönlich außerstande, mir auf Grund dieses kurzen Vortrages ein Urteil darüber zu bilden, ob im Hinblick auf die vorgetragene Beschuldigung die Immunität aufgehoben werden sollte oder nicht. Ich bitte deshalb, die weitere Beratung über diesen Antrag zu vertagen.
Wollen Sie den Vertagungsantrag zeitlich begrenzen, Herr Abgeordneter Dr. Schmid?
Ich möchte keinen bestimmten Termin vorschlagen, Herr Präsident. Der Ältestenrat wird sich darüber schlüssig wer- den müssen, wann diese Angelegenheit am besten auf die Tagesordnung gesetzt werden kann.
Herr Abgeordneter Gengler, wünschen Sie noch das Wort zu nehmen?
Zu dem Vertagungsantrag des Herrn Kollegen Schmid darf ich bemerken, daß der Ausschuß gerade im Hinblick auf das besondere Ersuchen des bayerischen Justizministers, ferner im Hinblick auf die Dringlichkeit der Angelegenheit und die ganz besondere personelle Dringlichkeit dazu gekommen ist, seinen Antrag zu stellen.
Meine Damen und Herren, zunächst ist der Antrag auf Absetzung dieses Punktes von der heutigen Tagesordnung gestellt. Ich bitte die Damen und Herren, die für die Absetzung sind, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Meine Damen und Herren, die Abstimmung ist zweifelhaft. Ich darf aber bitten, sie im Augenblick zurückzustellen. Ich möchte jetzt nicht die Abstimmung über den Schumanplan durch einen Hammelsprung wegen einer Immunitätssache unterbrechen.
({0})
Ich darf auf die Angelegenheit gleich zurückkommen.
Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen zunächst das vorläufige Ergebnis*) der Abstimmung über Art. I des Gesetzes bekannt. Es sind abgegeben worden 378 Stimmen, davon mit Ja 232, mit
*) Vergl. das endgültige Ergebnis Seite 7836 Nein 143, bei 3 Stimmenthaltungen. Damit ist Art. I angenommen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD, Umdruck Nr. 413, einen Art. I a einzufügen. Dafür ist ebenfalls namentliche Abstimmung beantragt. Ich bitte die Damen und Herren, wiederum mit Hilfe des Stimmzettels abzustimmen und beide Seiten des Stimmzettels zu prüfen. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmzettel einzusammeln. Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD beabsichtigt, durch Herrn Abgeordneten Dr. Mommer zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU, Umdruck Nr. 412, eine Erklärung bekanntzugeben. Darf ich unterstellen, daß Sie bereit sind, diese Erklärung in der Pause entgegenzunehmen?
({2})
- Herr Abgeordneter Dr. Mommer, darf ich bitten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vorliegende Entschließung der Fraktion der CDU/CSU zur Saarfrage ist der Ausdruck der Nachgiebigkeit, die die Bundesregierung im Montanvertrag gegenüber der unveränderten Machtpolitik Frankreichs an der Saar bewiesen hat. Im Gegensatz zu den Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers vor dem Deutschen Bundestag am 30. Mai 1951 enthält sie nicht den Standpunkt des Rechtes auf Freiheit an der Saar und deren Rückkehr zu Deutschland. Sie unterläßt es, durch Verbindung mit der Ratifikation des Montanvertrages Frankreich und der Welt eindringlichst darzutun, daß der Deutsche Bundestag in der Wiederherstellung der staatsbürgerlichen Freiheiten an der Saar eine Frage von grundsätzlicher europäischer Bedeutung und den Prüfstein für die Ernsthaftigkeit des europäischen Geistes im Montanvertrag sieht.
Die Fraktion der SPD kann einer solchen Entschließung nicht zustimmen; sie wird sich der Stimme enthalten.
Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Mellies wünscht, zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP auf Drucksache Nr. 2974 ebenfalls eine Erklärung abzugeben.
Meine Damen und Herren! Die in dem Antrage auf Drucksache Nr. 2974 angeschnittenen Fragen sind auch in den Anträgen der sozialdemokratischen Fraktion, die am gestrigen Tage zur Abstimmung standen, berührt worden. Wir haben wesentlich schärfere Bindungen und Regelungen für notwendig gehalten. Die Mehrheit des Hauses hat diese sozialdemokratischen Anträge abgelehnt.
Damit aber die Bundesregierung und auch die Öffentlichkeit auf die hier vorliegende Notwendigkeit besonders hingewiesen wird, werden wir jetzt, nachdem unsere weitergehenden Anträge abgelehnt worden sind, für diesen Antrag stimmen, damit er das nötige Gewicht bekommt und seine Wirkung verstärkt wird.
({0})
Meine Damen und Herren! Ich darf unterstellen, daß der von der Fraktion der CDU/CSU gestellte Antrag auf namentliche Abstimmung über diese Drucksache damit entfällt.
({0})
Herr Abgeordneter Renner wünscht auch, eine Erklärung dazu abzugeben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Fraktion ist nicht in der Lage, dieser Entschließung der Fraktion der CDU/CSU zuzustimmen. Wir haben in unserer gestrigen Stellungnahme und in der Erklärung, die heute unser Parteivorsitzender Reimann abgegeben hat, ausdrücklich festgestellt, daß die Bundesregierung im Zuge des Schumanplans eindeutig die Saar verraten und verkauft hat!
({0})
Herr Abgeordneter Renner, ich weise den Ausdruck „verraten und verkauft hat" zurück und rufe Sie zur Ordnung!
Wir sind der Auffassung, daß wir angesichts dieser Situation von der Regierung nicht erwarten können, daß sie ernstlich an die Durchführung dessen herangeht, was in diesem Antrag der CDU/CSU vorgeschlagen und von ihr gefordert wird.
({0})
Ich darf Sie um einen Augenblick Geduld bitten, bis das Ergebnis der Auszählung feststeht. Herr Abgeordneter Professor Dr. Schmid erklärt mir, nachdem er Einsicht in das Fernschreiben genommen hat, daß er seinen Antrag auf Absetzung der Immunitätssache zurückzieht
({0})
Darf ich dann diese Angelegenheit zu einem Ende bringen. Sie haben den Antrag des Herrn Vorsitzenden des Ausschusses gehört.
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- Dann würde ich bitten, das bis nach der Abstimmung zurückzustellen, Herr Abgeordneter Ritzel.
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- Herr Abgeordneter Ritzel verzichtet auf das Wort. - Ich kann über den Antrag des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität abstimmen lassen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe.
- Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen gegen wenige Stimmen ist der Antrag des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität angenommen. Damit ist dieser Punkt erledigt.
({3})
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Einfügung eines
*) Vergl. das endgültige Ergebnis Seite 7836 Art. I a - Umdruck Nr. 413 - bekannt. Es sind abgegeben worden 375 Stimmen; mit Ja 140, mit Nein 233 bei zwei Enthaltungen. Damit ist dieser Antrag der Fraktion der SPD abgelehnt worden.
Ich rufe zur Einzelabstimmung in der dritten Beratung weiter Art. II, Art. III, Einleitung und Überschrift auf. Ich bitte die Damen und Herren, die den aufgerufenen Artikeln sowie der Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei, wenn ich recht sehe, zwei Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Damit komme ich zur Schlußabstimmung über das Gesetz betreffend den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz in seiner Gesamtheit zuzustimmen wünschen, sich von ihren Plätzen zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ich stelle fest, daß das Gesetz betreffend den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl angenommen ist.
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Meine Damen und Herren! Wir befinden uns bei diesem wichtigen Gesetz nicht in der Situation, daß der Bundestag das Gesetz einstimmig angenommen hat. Dennoch glaube ich, zum Ausdruck bringen zu dürfen, daß es in diesem Hause niemand gibt, der sich nicht über die Bedeutung dieses Gesetzes im klaren ist und der nicht den innigen Wunsch hat, daß der Weg, der vom Deutschen Bundestag damit für das deutsche Volk beschritten worden ist, Segen und Wohlfahrt nicht nur für das deutsche Volk, sondern für die Völker Europas und auch Sicherung des Friedens und der sozialen Ordnung in der Welt bedeuten möge.
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Ich komme zu den weiteren Anträgen, zunächst zu dem Ihnen vorliegenden Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP auf Drucksache Nr. 2974, zu dem soeben Herr Abgeordneter Mellies eine Erklärung abgegeben hat. Es ist keine namentliche Abstimmung beantragt worden. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist gegen wenige Stimmen angenommen worden.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache Nr. 2973. Herr Abgeordneter Etzel, wünschen Sie eine Erklärung dazu abzugeben?
Meine Damen und Herren! Dieser Antrag ist im Auschuß nicht beraten worden. Ich darf für die Koalitionsparteien beantragen, diesen Antrag dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zur Beratung zu überweisen.
Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor. Sie haben den Antrag des Herrn Abgeordneten Etzel gehört, diesen Antrag auf Drucksache Nr. 2973 dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zur Beratung zu überweisen. Ich bitte die Damen und Herren, die dieser Überweisung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. ({0})
Ich bitte um die Gegenprobe. - Die Überweisung ist mit Mehrheit erfolgt.
Schließlich komme ich zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Umdruck Nr. 412 betreffend das Saargebiet. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei zahlreichen Enthaltungen gegen wenige Stimmen angenommen.
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- Bei zahlreichen Enthaltungen gegen wenige
Stimmen ist dieser Antrag angenommen, Herr Abgeordneter Renner. Ich kann Ihre Stimmen doch nur als „wenige Stimmen" bezeichnen.
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Meine Damen und Herren! Damit sind wir am Ende der Tagesordnung dieser Woche. Ich glaube, wir sind uns alle darüber einig, daß es eine so bedeutsame Woche in der Geschichte des Deutschen Bundestages kaum gegeben hat. Ich danke Ihnen für Ihre Mitarbeit.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 16. Januar 1952, 13 Uhr 30, und schließe die 184. Sitzung.