Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 173. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Junglas, Gockeln, Frommhold, Schütz, Dr. Schatz, Dr. Henle, Onnen, Dr. Hasemann, Schill, Dr. Freiherr von Rechenberg, Frau Döhring, Dr. Trischler, Görlinger, Dr. von Golitschek, Dr. Dresbach, Frau Thiele, Rische, Fisch, Vesper, Reimann.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden wie üblich ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 29. Oktober 1951 gemäß Beschluß des Deutschen Bundestags in seiner 110. Sitzung über die Vorbereitungen zu einem Gesetzentwurf zur Neubildung von Landwirtschaftskammern berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 2766 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 25. Oktober 1951 gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages in seiner 155. Sitzung über die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 2777 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 6. November . 1951 die Anfrage Nr. 222 der Fraktion der SPD betreffend Privatmobiliar in den von den Besatzungsmächten beschlagnahmten Wohnungen - Drucksache Nr. 2720 beantwortet. Die Antwort wird als Drucksache Nr. 2750 vervielfältigt.
Meine Damen und Herren! Ich rufe auf Punkt 1
der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) über den Entwurf eines Bundesbahngesetzes ({1}).
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Berichterstatter des Ausschusses ist Herr Minister Renner. Darf ich ihn bitten, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Ihnen in der Drucksache Nr. 2730 vorliegenden schriftlichen Bericht des Vermittlungsausschusses darf ich Ihnen im Namen dieses Ausschusses folgendes vortragen.
Die Änderungsvorschläge zu § 6 a, § 7 Abs. 3, § 8 Abs. 1 und § 11 Abs. 1 und 2 betreffen die Organe der Bundesbahn, ihr Verhältnis zueinander und ihr Verhältnis zum Bundesminister für Verkehr. Die Anträge des Bundesrats zielten darauf ab, die Stellung des Verwaltungsrates zu stärken und sein Verhältnis zum Vorstand mehr als bisher dem des Aufsichtsrats zum Vorstand innerhalb einer Aktiengesellschaft anzupassen. Sie hatten andererseits aber auch das Ziel, die Stellung des Verwaltungsrats gegenüber dem Bundesminister für Verkehr zu stärken. Diesen Wünschen ist der Vermittlungsausschuß, dessen Beschlüsse im wesentlichen einstimmig gefaßt worden sind, nur teilweise gefolgt.
Diese grundsätzliche Feststellung will ich an Hand der einzelnen Änderungsvorschläge erörtern. Die Einfügung des § 6 a hat letztlich nur redaktionelle Bedeutung. Schon die Abschnittsüberschriften der Bundestagsfassung - Vorstand, Verwaltungsrat, Aufsicht - zeigen, daß der Bundesminister für Verkehr nicht innerhalb der Organisation der Bundesbahn, also nicht neben den Organen der Bundesbahn steht. Der Vermittlungsausschuß war jedoch mit dem Bundesrat der Auffassung, daß diese Rechtsstellung der Bundesbahnorgane einerseits und des Bundesministers für Verkehr andererseits einer Klarstellung bedürfe, und hat Ihnen zu diesem Zweck die Einfügung der genannten Bestimmung vorgeschlagen.
Im Falle des § 7 Abs. 3 handelt es sich darum, ob der Bundesminister für Verkehr sich wegen seines Vorschlags für den Vorsitzer und die übrigen Vorstandsmitglieder mit dem Verwaltungsrat nur ins Benehmen setzen muß oder ob er gehalten sein soll, seine Vorschläge nur im Einverständnis mit dem Verwaltungsrat zu machen. Die verschiedenen Möglichkeiten - Anhörung, Benehmen, Einvernehmen - wurden vom Vermittlungsausschuß ähnlich wie im Falle der Bundesanstalt für Arbeitslosenversicherung und Arbeitsvermittlung eingehend erörtert. Der Vermittlungsausschuß schlägt Ihnen die Bestimmung des Einvernehmens vor. Entgegen der Auffassung des Bundesrats, der dem Bundesminister für Verkehr ein auch für andere Fälle vorgesehenes Einspruchsrecht für den Fall des nicht zu erzielenden Einvernehmens geben wollte, hat der Vermittlungsausschuß eindeutig klargestellt, daß im Nichteinigungsfall die Entscheidung an die Bundesregierung übergehen soll. Auf der anderen Seite ist das Entscheidungsrecht der Bundesregierung an die verschiedenen Vorschläge des Verwaltungsrates und des Bundesministers für Verkehr gebunden. Die Bundesregierung hat also nur das Wahlrecht; sie kann sich für einen der beiden Vorschläge entscheiden. Sie kann aber nicht andere Kandidaten benennen, als sie in den Vorschlägen aufgeführt sind. Sollte es also - was wohl nur ein theoretischer Fall ist - dahin kommen, daß die Bundesregierung beide Vorschläge ablehnt, so muß der Bundesminister für Verkehr versuchen, andere Kandidaten mit dem Verwaltungsrat zu vereinbaren. Der Vermittlungsausschuß glaubt, mit seinem Änderungsvorschlag ein echtes Kompromiß gefunden zu haben, das den Bedürfnissen der Praxis gerecht werden wird und die Auffassungen des Bundestags und des Bundesrats weitgehend einander annähert.
Zu § 8 Abs. 1 hatte der Bundesrat eine gesetzlich eindeutige Unterstellung des Vorstandes unter die fachliche Aufsicht des Verwaltungsrats und seine Richtlinien und Einzelweisungen gewünscht. Diesem auch für die tägliche Arbeit der Bundesbahnorgane sehr weitgehenden Wunsch des Bundesrats hat der Vermittlungsausschuß nicht entsprochen. Er hatte Bedenken, ausdrücklich neben der Dienstaufsicht eine besondere Fachaufsicht zu bestimmen. Er hat sich daher darauf beschränkt, eine Ergänzung der bisherigen Bestimmungen dahin vorzuschlagen, daß der Vorstand an die Beschlüsse des Verwaltungsrats gebunden wird. Den Umfang dieser Beschlüsse an dieser Stelle zu bestimmen, hat der Vermittlungsausschuß bewußt unterlassen. Diese Frage ist in § 11 Abs. 2, auf den ich sogleich noch eingehen werde, anders als bisher geregelt worden.
Die Ergänzung des § 11 Abs. 1 und seines Katalogs von Beschlußzuständigkeiten des Verwaltungsrats, wie sie vom Bundesrat gewünscht worden ist, hat der Vermittlungsausschuß ohne längere Erörterungen vorgenommen, zumal der in der Sitzung anwesende Bundesminister für Verkehr einen Einspruch nicht erhoben hat.
Sehr eingehend erörtert wurden jedoch die Wünsche des Bundesrats zu dem Grundsatz des § 11, Erörterungen, die ihren Niederschlag in dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zu § 11 Abs. 2 gefunden haben. Der Bundesrat wollte auch hier eine grundsätzliche Erweiterung der Zuständigkeiten des Verwaltungsrats durch die Bestimmung seiner Kompetenz-Kompetenz, d. h. seines Rechtes, alle Angelegenheiten der Bundesbahn an sich zu ziehen und zuständigkeitshalber zu entscheiden. Gegenüber diesem Wunsche haben nicht nur Abgeordnete dieses Hohen Hauses, sondern hat auch der Bundesminister für Verkehr ernsthafte Bedenken erhoben. Sie sind von der Erwägung ausgegangen, daß die Erledigung aller laufenden Angelegenheiten eindeutig beim Vorstand liegen und der Verwaltungsrat auf die großen und für die Bundesbahn wichtigen Aufgaben beschränkt werden müsse. Demgegenüber wurde die Notwendigkeit betont, den Verwaltungsrat unter besonderen Umständen auch für Einzelfragen zuständig zu machen. Der Vermittlungsausschuß kam einstimmig zu dem dem Hohen Hause vorliegenden Vorschlag, den Verwaltungsrat über bestimmte Fragen von allgemeiner Bedeutung schlechthin, also unabhängig von einem Mehrheitsbeschluß, entscheiden zu lassen und ihm darüber hinaus das Recht zu geben, wichtige Einzelfragen dann an sich zu ziehen, wenn zwei Drittel seiner gesetzlichen Mitgliederzahl es verlangen. Als Ergebnis läßt sich also feststellen, daß der Verwaltungsrat die vom Bundesrat gewünschte Kompetenz-Kompetenz nicht, wohl aber die Beschlußzuständigkeit für bestimmte Fragen allgemeiner Bedeutung schlechthin und für wichtige Einzelfragen nach Mehrheitsbeschluß erhalten hat. Durch die gewählte Formulierung wird ausgeschlossen, daß der Verwaltungsrat mit allgemeinen Fragen unbestimmter Art und unbestimmten Umfanges befaßt wird und daß er sich nach dem Willen eines Mitgliedes oder weniger Mitglieder mit irgendwelchen Einzelfragen befassen muß. Diese Abgrenzung bedeutet im Hinblick auf
({0})
den vorhin erwähnten § 8 Abs. 1, daß der Vorstand an die Beschlüsse des Verwaltungsrats nur im Rahmen der Zuständigkeiten nach § 11 Abs. 2 gebunden ist.
Die bisherigen Änderungsvorschläge - es sind die Nrn. 1 bis 5 der genannten Drucksache - stehen nach der Auffassung des Vermittlungsausschusses untereinander in einem so engen Zusammenhang, daß über sie nur gemeinsam abgestimmt werden kann. Ich darf insoweit auf den Beschluß des Vermittlungsausschusses am Ende der erwähnten Drucksache hinweisen.
Zum Schluß noch ein paar Worte zu den beiden letzten Änderungsvorschlägen. Zu § 40 Abs. 2 hat sich der Vermittlungsausschuß nach eingehender Erörterung des Für und Wider im wesentlichen der Auffassung angeschlossen, die der Ausschuß für Verkehrswesen dieses Hohen Hauses' vertreten hat und die sich auch der Bundesrat zu eigen gemacht hat. Es handelt sich um die Verkaufsstellen auf den Bahnhöfen. Nach seinem in dritter Lesung gefaßten Beschluß wollte der Bundestag eine gegenüber dem ortsansässigen Einzelhandel abweichende Regelung für Bahnhofsverkaufsstätten nur insoweit zulassen, als diese Verkaufsstätten hinter der Sperre liegen. Diese Einteilung der Bahnhofsverkaufsstätten in solche vor und solche hinter der Sperre hält der Vermittlungsausschuß für sachwidrig. Einmal sind die örtlichen Verhältnisse seit jeher verschieden gewesen. Zum anderen ist die Errichtung von Verkaufsstätten vor und hinter der Sperre zufallsbedingt. Diese Verschiedenheiten und Zufälligkeiten sind durch die starken Kriegszerstörungen noch vermehrt worden, so daß von einer Regel nicht mehr gesprochen werden kann. Außerdem beabsichtigt die Bundesbahn, im Laufe der Zeit dem Beispiel der Schweiz und anderer Länder zu folgen und die Bahnhofssperren zunächst versuchsweise und dann vielleicht allgemein ganz oder teilweise aufzuheben. Damit würde die gesetzlich getroffene Regelung - vor oder hinter der Sperre - gegenstandslos und das Bundesbahngesetz lückenhaft.
Der Vermittlungsausschuß hält es daher mit den anderen genannten Gremien für zweckmäßig, eine allgemeine, unmittelbar im Gesetz niedergelegte Regelung zu vermeiden und den Erlaß der notwendigen Verwaltungsvorschriften den drei beteiligten Bundesministern zu überlassen. Diese weitere Regelung bietet dann auch die Möglichkeit, den erwähnten örtlichen Verschiedenheiten besser als durch Gesetz zu entsprechen. Durch diese Verordnungen können auch die berechtigten Beschwerden des Einzelhandels berücksichtigt werden. Auch das Hohe Haus hat immer die Möglichkeit, sich mit diesen Verordnungen zu befassen und Stellung zu ihnen zu nehmen.
Der letzte Änderungsvorschlag des Vermittlungsausschusses bezieht sich auf das Inkrafttreten des Gesetzes. Die Änderung erschien notwendig, weil kein Bedürfnis dafür besteht, das Gesetz mit Rückwirkung in Kraft zu setzen.
Um meinen Bericht vollständig zu erstatten, muß ich noch erwähnen, daß der Vermittlungsausschuß hinsichtlich zweier Bestimmungen auf die Wünsche des Bundesrats nicht eingegangen ist. Der Antrag, die Zusammensetzung des Vorstandes zu ändern - es handelt sich um die Bestimmung des § 7 Abs. 1 des Entwurfs -, ist mit 18 Stimmen abgelehnt worden. Mit dieser Beschlußfassung erübrigt es sich, auf gewisse Zweifel an der Wirksamkeit des seinerzeit vom Bundesrat gefaßten Beschlusses einzugehen.
Der andere Fall betrifft den § 9 Abs. 3. Hier glaubte der Vermittlungsausschuß der Anregung des Herrn Bundesverkehrsministers entsprechen zu sollen, die dahin ging, an dem Beschluß des Bundestages über die Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft im Verwaltungsrat der Bundesbahn mit der in Regierungen oder Verwaltungen des Bundes und der Länder festzuhalten. Es wurde aber im Vermittlungsausschuß auch von dem Herrn Bundesminister für Verkehr ausdrücklich betont, daß die Fassung des Abs. 3 des § 9 - es handelt sich nur um eine Soll-Vorschrift - es nicht ausschließt, daß der Bundesrat den einen oder andern besonders sachkundigen Angehörigen von Regierungen oder Verwaltungen der Länder doch als Mitglied des Verwaltungsrats vorschlägt.
Im übrigen sind die Änderungsvorschläge des Vermittlungsausschusses einstimmig beschlossen worden. Lediglich bei dem Beschluß zu § 40 Abs. 2 hat sich ein Mitglied des Ausschusses der Stimme enthalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beratungen des Entwurfs des Bundesbahngesetzes haben lange Zeit in Anspruch genommen. Schon am 9. Dezember 1949 hatte sich der Bundesrat mit dem Entwurf des Landes Nordrhein-Westfalen befaßt. Die beiden Entwürfe, der des Bundesrats und der der Bundesregierung, sind dann im Sommer 1950 diesem Hohen Hause vorgelegt worden. Sie sind eingehend beraten worden. Das endgültige Ergebnis liegt nun vor. Im Hinblick auf die Einmütigkeit im Vermittlungsausschuß, der eine Regelung gefunden hat, die nach seiner Auffassung alle Teile befriedigen kann, bitte ich Sie namens des Ausschusses, den Änderungsvorschlägen zuzustimmen und damit das Wort wahr zu machen: „Was lange währt, wird endlich gut"!
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Herr Abgeordneter Meyer wünscht, eine Erklärung abzugeben. Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten haben an dem, Zustandekommen eines Gesetzes, das die Organisation und die Betriebsverfassung dieses wichtigsten deutschen Betriebsvermögens regeln sollte, seit Jahren mitgearbeitet. Wir haben bereits im Vereinigten Wirtschaftsgebiet ernsthafte Versuche gemacht, zu einer Regelung dieses Fragen-komplexes zu kommen. Daß es im Vereinigten Wirtschaftsgebiet nicht mehr dazu kam, mag mit mannigfachen staatsrechtlichen Erwägungen zusammengehangen haben. Daß aber in der Folgezeit die Beratung dieses Gesetzes so große Schwierigkeiten - auch in zeitlicher Beziehung - gemacht hat, liegt bestimmt nicht daran, daß die Sozialdemokraten nicht in positivster Weise versucht haben, diesem Gesetz Inhalt und Form zu geben, sondern liegt daran, daß manche eben über die Verfassung der Bundesbahn eine besondere Auffassung hatten', die doch sehr wesentlich dahin neigte, daß die Bundesbahn mehr oder weniger ein von der Regierung geleitetes Institut werden sollte. Man wollte eben den Organen der Bundesbahn nur eine sehr eingeschränkte Kompetenz zugestehen.
Die Mehrheit dieses Hauses wollte nicht den Interessen dieses Betriebes folgen und wollte den Organen nur beratende Funktion und nur beratende Mitwirkung gestatten. Das hat schließlich
({0})
noch in der Endphase, die Anfang Juli dieses Jahres - vor den Parlamentsferien - in so besonderer Weise beschleunigt werden mußte, dazu geführt, daß das Gesetz entgegen den Absichten dieser Mehrheit nicht mehr zustande gekommen ist und daß es dann noch Wochen dauerte, bis wir es zur endgültigen Beratung in der Gestalt dieses Vermittlungsvorschlags vorgelegt bekamen.
Wir haben gegen dieses Gesetz bereits in der zweiten und dritten Lesung geltend gemacht, daß ein wesentliches Faktum seines Inhalts für uns die Tatsache sein muß, daß der Bundestag nicht auf eine unmittelbare Einflußnahme durch Mitwirkung im Verwaltungsrat verzichten kann. Das wollen wir bei dieser Gelegenheit noch einmal mit Nachdruck hervorheben. Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, daß die Mehrheit des Bundestags mit der Opposition bei einem solchen wirtschaftlichen Unternehmen der Bundesrepublik alle jene Sicherungen gewährleisten sollte, auf die man für den Bundestag bei nicht-haushaltsgebundener Betriebsführung nicht verzichten kann, jedenfalls nach unserer Vorstellung. Wir verkennen nicht, daß mit den Beschlüssen des Vermittlungsausschusses in einiger Hinsicht - was die Ernennung des Vorstandes und die Kompetenzen des Verwaltungsrats betrifft - gegenüber den Beschlüssen der Mehrheit dieses Hauses vom 6. Juli Verbesserungen herbeigeführt worden sind. Es verbleibt aber der Umstand, daß wir nicht zustimmen können, daß der Bundestag völlig ausgeschaltet wird.
Darüber hinaus ist für uns von wesentlicher Bedeutung, daß hinsichtlich der Zusammensetzung des Vorstandes und auch hinsichtlich der Erfüllung des Gedankens der Mitbestimmung der in diesem Betriebe arbeitenden Menschen auch im Verwaltungsrat keinem der tragenden Gedanken entsprochen wird, die wir für eine Neuordnung der Wirtschaftsverfassung und unserer Wirtschaftsorganisation als Voraussetzung für die bessere Gestaltung unserer Sozialordnung ansehen. Auf die Erfüllung der Forderung auf Einordnung des Arbeitsdirektors
({1})
als gleichberechtigtes Vorstandsmitglied ist für uns ebensowenig zu verzichten wie auf diejenige, daß die organisierte Arbeiterschaft gleichberechtigte Mitbestimmung durch paritätische Besetzung des Verwaltungsrats verlangen muß. Solange das nicht erfüllt ist - das trifft angesichts der Vorschläge des Vermittlungsausschusses für die dadurch entstehende geänderte Fassung des Bundesbahngesetzes nach wie vor zu -, ist eine Zustimmung der sozialdemokratischen Fraktion unmöglich. Wenn in einem öffentlichen Betriebe, dessen gemeinwirtschaftliche Aufgaben und Stellung in den Eingangsbestimmungen des Bundesbahngesetzes ausdrücklich anerkannt werden, keine privaten Interessen dem entgegenstehen, daß die Arbeiter, Angestellten und Beamten allzusehr in die Geheimnisse der kapitalistischen Gewinnproduktion eindringen,
({2})
dann ist es nicht möglich, eine bessere soziale Ordnung durch bessere Gestaltung der Betriebsverfassung und -organisation herbeizuführen. Wir Sozialdemokraten können dann einem solchen Gesetz nur mit Ablehnung begegnen.
Für diese Ablehnung ist aber auch nicht ohne Bedeutung, daß der Vermittlungsvorschlag des Bundesrats zu § 40, der die Ausnahmestellung für alle Verkaufsstände und dergleichen auf dem Bahngelände hinsichtlich des Ladenschlusses regelt, sowohl aus Wettbewerbsgründen als auch aus solchen sozialpolitischer Natur für uns unannehmbar ist. Ich kann dem Herrn Berichterstatter auch insoweit nicht folgen, als er für den Vermittlungsausschuß darstellte, daß nach der Fassung des § 40 Abs. 2, die der Bundestag beschlossen habe, alle Verkaufsstände, die vor der Sperre liegen, ausgeschlossen gewesen sein sollten. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß selbstverständlich alle Bahnhofswirtschaften, alle Gaststätten, der Zeitschriften- und Buchhandel von dieser Regelung ausgenommen waren, also das, was dem echten Reisebedarf dient. Ich darf weiterhin darauf aufmerksam machen, Herr Minister Renner, daß, wenn Sie in Ihrem Bericht sagen, daß dieses Problem nach dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses durch Verwaltungsvorschriften und Verwaltungsanordnungen geregelt werden soll, danach sowohl für den Bundesrat als auch für den Bundestag nach der vom Vermittlungsausschuß vorgelegten Fassung keinerlei Mitwirkungsmöglichkeit besteht.
Das sind die Gründe dafür, daß wir auch in dieser Hinsicht dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses nicht entsprechen können, besonders nachdem wir die Absichten des Herrn Bundesministers für Verkehr aus den Ausschußberatungen über den Inhalt dieser Verwaltungsanordnungen ja bereits kennen, die seinerzeit bei der Beratung des § 40 behandelt worden sind.
({3})
- Ich gebe eine Erklärung ab, und ich schließe jetzt damit, daß ich Ihnen sage
({4})
- beruhigen Sie sich doch, Herr Kollege Strauß, darüber "können Sie anderer Meinung sein als ich -: Wir werden aus den dargelegten Gründen sowohl die Ziffern 1 bis 5 als auch den Vermittlungsvorschlag zu Ziffer 6 ablehnen.
({5})
Meine Damen und Herren, es hat sich in den letzten Monaten eine Tendenz dahin geltend gemacht, die nach der Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses vorgesehenen Erklärungen zur Abstimmung zu Diskussionsreden auszuweiten.
({0}) Solange die Geschäftsordnung, die der Bundestag und der Bundesrat gemeinsam beschlossen haben, besteht, darf ich bitten, sich freundlichst an die vom Bundestag selbst beschlossene Regelung zu halten.
({1})
Erklärungen zur Abstimmung sind nach meiner Überzeugung mit Diskussionsreden nicht zu verwechseln.
({2})
- Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen zur Geschäftsordnung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich zum Wort gemeldet, ehe ich wußte, daß Sie, Herr Präsident, auf den Tatbestand eingehen würden, den auch ich zur Geschäftsordnung behandeln möchte. Ich bin der Meinung, der ich im Namen meiner Freunde unter
({0})
dem Beifall der andern Koalitionsparteien schon beim vorigen Male Ausdruck gegeben habe, daß es ein ausgesprochener Mißbrauch
({1})
auch unserer jetzigen Geschäftsordnung ist, wenn in einer noch weiter gehenden Weise, als es voriges Mal der Kollege Seuffert, glaube ich, getan hat, eine solche Erklärung zur Abstimmung abgegeben wird.
Ich gehe aber einen Schritt weiter und bedaure in etwa, daß der Herr Präsident in diesem Augenblick nicht eingegriffen hat; denn der Herr Vorredner hat sogar Ausführungen über Gegenstände gemacht, die überhaupt nicht im Vermittlungsausschuß behandelt worden sind,
({2})
weil nämlich der Bundesrat diese Punkte gar nicht angegriffen hat! Das ist nicht nur ein Mißbrauch unserer Geschäftsordnungsbestimmungen, sondern eine Verletzung.
({3})
Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen, ich habe nicht die Absicht, mich gegenüber dem Vorwurf, daß ich nicht eingegriffen hätte, jetzt ausdrücklich zu rechtfertigen. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß es sich im wesentlichen um Erklärungen von Fraktionen handelt, und ich möchte nichts anderes tun, als an die Fraktionen dieses Hohen Hauses zu appellieren, daß sie die von ihnen abzugebenden Erklärungen, die dann ein Abgeordneter vorträgt, so formulieren, daß sie als Erklärungen zur Abstimmung gelten können.
({0})
Weitere Wortmeldungen zu Erklärungen liegen nicht vor.
Ich komme zur Abstimmung über den Vorschlag des Vermittlungsausschusses Drucksache Nr. 2730, und zwar zunächst entsprechend dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses gemeinsam über die Ziffern 1 bis 5 dieses Vorschlags. Ich bitte die Damen und Herren, die den Ziffern 1 bis 5 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Die Ziffern 1 bis 5 der Drucksache Nr. 2730 sind angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über die Ziffern 6 und 7. Ich darf vorschlagen, über die Ziffern 6 und 7 getrennt abzustimmen. Ziffer 6. Ich litte die Damen und Herren, die Ziffer 6 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das ist die gleiche Mehrheit. Angenommen. - Ziffer '7. Ich bitte die Damen und Herren, die Ziffer 7 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. Enthaltungen? - Soweit ich sehe, mit der gleichen Mehrheit angenommen. Damit sind sämtliche Ziffern - 1 bis 7 - des Vorschlags des Vermittlungsausschusses angenommen.
({1})
- Meine Damen und Herren, ich halte eine Gesamtabstimmung nicht für erforderlich. Wir haben keine Schlußabstimmung über ein Gesetz vorzunehmen. Wenn die einzelnen Punkte des Vorschlags des Vermittlungsausschusses angenommen sind, sind sie damit endgültig angenommen.
({2})
- Ich bitte um Entschuldigung, Herr Abgeordneter
Ewers, Sie haben recht! Es steht im § 9 - es gibt
immer noch wieder etwas Neues in der Geschäftsordnung -:
({3})
Erfolgt eine Einzelabstimmung über mehrere Änderungen, so ist eine Schlußabstimmung über den Einigungsvorschlag im ganzen erforderlich.
({4})
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Einigungsvorschlag auf Drucksache Nr. 2730 in seiner Gesamtheit zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das ist die gleiche Mehrheit. Der Einigungsvorschlag ist in seiner Gesamtheit angenommen.
Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über eine Aufwandsteuer ({5}) ({6}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Aussprachezeit von 120 Minuten vor.
Zur Begründung hat der Herr Bundesminister der Ffnanzen das Wort.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, das
Hohe Haus auf die Drucksache Nr. 2701 aufmerksam machen zu dürfen. Sie entnehmen dieser
Drucksache, daß die Bundesregierung dem Bundesrat seinerzeit den Gesetzentwurf über die Aufwandsteuer vorgelegt hat und daß der Bundesrat
eine Ablehnung des Gesetzentwurfs - verbunden
mit folgender Erklärung - ausgesprochen hat: Der Bundesrat ist der Auffassung, daß nach der Ablehnung der Aufwandsteuer ein Ausgleich gesucht werden muß. Dieser Ausgleich kann nach Ansicht des Bundesrates bei der Umsatzsteuer gefunden werden, wobei zu untersuchen ist, ob entweder eine allgemeine Erhöhung der Umsatzsteuer um 0,25 % oder eine entsprechende ausreichende Erhöhung in der letzten Stufe ({0}) zweckmäßiger ist.
Damit schließt sich also der Bundesrat der Überzeugung der Bundesregierung an, daß der Finanzbedarf die Erschließung einer entsprechenden Steuerquelle erfordert. Er schlägt dafür eine andere Alternative als die Bundesregierung vor, nämlich nicht den Weg der Aufwandsteuer, sondern den Weg der allgemeinen Erhöhung der Umsatzsteuer.
Die Alternativfrage, die heute dem Deutschen Bundestag gestellt ist, ist also die: Will er sich für den Vorschlag der Bundesregierung entschließen, eine Aufwandsteuer einzuführen, oder für den Vorschlag des Bundesrats, eine allgemeine Erhöhung der Umsatzsteuer durchzuführen?
Zunächst darf ich einmal auf die grundsätzliche Frage eingehen, ob der Finanzbedarf des Bundeshaushalts überhaupt die Erschließung einer entsprechenden Einnahmequelle verlangt. In den letzten Wochen und Tagen ist in der Presse vielfach die Anschauung vertreten worden, daß die Finanzlagdes Bundes in den letzten Wochen eine ungeahnt günstige Entwicklung genommen habe. Hier scheint mir eine Verwechslung zugrunde zu liegen, eine Verwechslung zwischen der Haushaltslage des Bundes und der Kassenlage des Bundes. Die Kassenlage des Bundes ist Ende August, Anfang September ernst, ich darf wohl sagen: bedrohlich
({1})
gewesen. Sämtliche Kreditmöglichkeiten, die dem Bundesfinanzminister gesetzlich zur Verfügung stehen, sind damals bis auf einen kleinen Rest erschöpft gewesen. Inzwischen hat sich die Kassenlage des Bundes wesentlich gebessert. Das ist hauptsächlich auf folgende Maßnahmen zurückzuführen. Anfang September sind im Bundeshaushalt Ausgaben im Betrag von 400 Millionen DM gesperrt worden, was zum wenigsten für den Monat September zur Folge gehabt hat, daß die Ausgaben zeitlich verschoben worden und infolgedessen in geringerem Maße in Erscheinung getreten sind. Zweitens hat das Bundesfinanzministerium den Ländern, die bisher in einem Maße, das nach der Überzeugung des Bundesfinanzministers die gebotene Vorsicht in der Geldgebarung überstiegen hat, für Besatzungskosten Vorschußzahlungen geleistet haben, diese Vorschußzahlungen auf ein vertretbares Maß gemindert, wodurch ebenfalls eine zeitliche Verschiebung dieser Ausgaben und damit eine Entlastung des Monats September, vielleicht auch noch des Monats Oktober, eingetreten ist. Drittens ist der September derjenige Monat, in dem die Vierteljahrszahlung der Einkommen- und Körperschaftsteuer und damit ein erhöhter Bundesanteil fällig ist, und infolgedessen war im September aus diesem Gesichtspunkt heraus mit außergewöhnlichen Einnahmen zu rechnen. Es war daher möglich, die Kassenlage des Bundes im Monat September um etwa 200 Millionen zu entspannen. Außerdem ist es gelungen, die Liquidität, die auf dem Geldmarkt dadurch eingetreten ist, daß die sogenannten Bardepots aufgehoben worden sind, zugunsten des öffentlichen Haushalts und seiner Kassen insofern flüssig zu machen, als der Geldmarkt Schatzanweisungen des Bundes in einem entsprechenden Betrag - rund 400 Millionen DM - übernommen hat. Das sind alles Gesichtspunkte, die lediglich mit der Kassenlage des Bundes zu tun haben.
Was für den Gesetzentwurf und für die Frage des Finanzbedarfs entscheidend ist, ist die Haushaltslage des Bundes. Das Bundesfinanzministerium hat in den letzten Tagen bereits dem Bundesrat den ersten Nachtragshaushalt 1951/52 vorgelegt. Das ist geschehen, nachdem sich gewisse Voraussetzungen des ersten Nachtragshaushalts dadurch geändert haben, daß der Bundesanteil an Einkommen- und Körperschaftsteuer statt auf 31,3 % auf nur 27 % festgesetzt worden ist und durch Änderungen der Zollgesetzgebung Ausfälle bei den Einnahmen aus Zöllen eingetreten sind. Der Nachtragshaushalt wird auch Ihnen in kürzester Frist informativ bereits während der Dreiwochenfrist für die Beratungen im Bundesrat zugehen, und ich hoffe, dann, wenn dieser Nachtragshaushalt hier in erster Lesung beraten wird, ein genaues Bild über die Haushaltslage des Bundes, so wie sie sich heute gestaltet, geben zu können. Ich darf feststellen, daß die Bundesregierung in dem Nachtragshaushalt vorgeschlagen hat - abgesehen von der Frage der Änderung der Zolleinnahmen und der Minderung der Zolleinnahmen durch gesetzliche Änderungen -, die Schätzungen für die Steuereinnahmen des Bundes insgesamt um einen Betrag von 100 Millionen DM zu erhöhen. Unter dieser Voraussetzung ist der Nachtragshaushalt noch abgeglichen; er enthält allerdings auf der Einnahmenseite selbstverständlich noch die Beträge von je 100 Millionen DM aus Einnahmen auf Grund der Gesetzentwürfe betreffend die Aufwandsteuer und die Benützungsgebühr für Autobahnen. Also unter diesen drei Voraussetzungen, daß beide Gesetzentwürfe in Kraft treten, daß die Steuerschätzungen global um einen Betrag von 100 Millionen überstiegen werden und die Streichungen an Ausgaben, die im Nachtragshaushalt vorgesehen sind, Ihre Genehmigung finden, ist die Abgleichung des Haushalts noch gegeben; aber auch nur unter diesen Voraussetzungen.
Nun zu den Steuerschätzungen. Bei der Steuermehreinnahme von 100 Millionen DM handelt es sich um eine globale Schätzung, und zwar um einen Ausgleich zwischen den Mindereinnahmen, die zu erwarten sind, und den Mehreinkünften, die erhofft werden. Die Mindereinnahmen werden sich insbesondere ergeben: erstens bei dem Titel Zölle, der auch nach den gesetzlichen Änderungen nach dem Haushaltsvoranschlag noch einen Ertrag von 1040 Millionen bringen sollte und im ersten Halbjahr lediglich rund 350 Millionen gebracht hat; zweitens bei den rückständigen Beiträgen der Länder, die mit einem relativ sehr hohen Betrag als ordentliche Einnahme im Haushalt vorgesehen sind und sich in dem vorgesehenen Maße, gerade nachdem es sich um die weniger steuerkräftigen Länder handelt, nicht werden beitreiben lassen; drittens aus einem Mindererträgnis bei der Mineralölsteuer, das zu erwarten ist. All diese Posten zusammen werden voraussichtlich Mindereingänge von etwa 500 Millionen DM, also rund einer halben Milliarde bedeuten.
Das Bundesfinanzministerium schätzt die Mehreinnahmen, auf Grund deren die gesamte Mehrung von 100 Millionen DM berechnet ist, auf 600 Millionen DM. Diese 600 Millionen DM wurden bei der Aufstellung des Nachtragshaushalts als voraussichtlich zu erwartende Mehreinnahmen angenommen erstens aus dem Erträgnis der Umsatzsteuer und zweitens aus einem höheren Bundesanteil an Einkommen- und Körperschaftsteuer, weil gehofft werden kann, daß die Einkommen- und Körperschaftsteuer insgesamt ein höheres Erträgnis bringt, als bei Jahresbeginn vorauszusehen gewesen ist. Ich möchte aber betonen, daß eine Mehreinnahme aus diesen beiden Steuerquellen für den Rest des Jahres im Betrag von 600 Millionen DM schon eine günstige Vorausschätzung ist und daß man nicht in Versuchung geraten darf - wenn auch die Bundesregierung und insbesondere der Bundesfinanzminister die Verantwortung für eine solche günstige Mehreinschätzung übernehmen -, diese Mehreinschätzung nach Wunschbildern beliebig vergrößern zu wollen. Ich glaube, daß mit einer solchen Mehrschätzung von 600 Millionen DM aus Umsatzsteuer und Bundesanteil an Einkommen-und Körperschaftsteuer allein schon das geschehen ist, was nach menschlicher Voraussicht überhaupt noch vertreten werden kann. Das gilt zunächst einmal für die Einnahmeseite.
Ungünstiger steht das Bild noch auf der Ausgabenseite des Bundeshaushalts. Auf der Ausgabenseite des Bundeshaushalts ist bei den Sozialausgaben nach der bisherigen Entwicklung wenigstens mit einer Mehrausgabe von 200 Millionen DM zu rechnen. Auf der andern Seite wird man hoffen können, daß bei anderen Posten eine Einsparung eintreten kann. Es ist selbstverständlich das Bemühen der Bundesregierung und des Bundesfinanzministeriums, Ausgaben, die nicht notwendig sind, möglichst einzusparen. Das gilt auch von dem Posten „Subventionen", bei dem voraussichtlich eine Einsparung erzielt werden kann, aber eine Einsparung, die die Mehrausgaben in dem Titel „Sozialausgaben" nicht auszugleichen imstande ist.
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Weiter kommt dazu, daß sich die Bundesregierung im Benehmen mit dem zuständigen Ausschuß dieses Hauses bereits entschlossen hat, den Zuschuß aus dem Bundeshaushalt an die Stadt Berlin um einen Betrag von etwa 150 Millionen DM, für den im Haushalt noch keine Deckung enthalten ist, zu erhöhen. Diese Frage, die bei der Aufstellung des Nachtragshaushalts noch nicht zur Entscheidung gelangt war, wird Gegenstand eines zweiten Nachtragshaushaltes sein müssen.
Dieser zweite Nachtragshaushalt wird ein anderes Problem aufwerfen, ein Problem, das eine erfreuliche und eine unerfreuliche Seite hat. Ich darf mit der erfreulichen Seite beginnen. Wir haben in dem außerordentlichen Haushalt einen Betrag von 1 630 Millionen DM für Besatzungsausgaben eingesetzt. Es ist bekannt, daß die Bundesregierung und insbesondere das Bundesfinanzministerium die Besatzungsmächte seit Monaten darauf aufmerksam gemacht haben, daß dieser hohe Bedarf für Besatzungsausgaben die Bundeskasse in unmittelbare Schwierigkeiten bringen kann, die ja Ende August, Anfang September tatsächlich drohend vor der Tür standen. Die Bundesregierung hat deshalb Verhandlungen auf der Grundlage angesponnen, daß erstens einmal die Sachverständigen der deutschen Seite und der alliierten Seite die Besatzungsausgaben nach der Richtung einer wirklich zweckmäßigen Verwendung, einer Verwendung nach dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit, gemeinsam überprüfen. Sie hat zweitens die Anregung gegeben, diese Besatzungsausgaben, soweit es möglich ist, zeitlich zu strecken. Sie hat außerdem darum gebeten, für den Fall, daß Kassenschwierigkeiten eintreten sollten, eine gewisse Hilfe zu gewähren. Diese Verhandlungen haben nach der jetzigen Entwicklung voraussichtlich den Erfolg, daß der Betrag von 1630 Millionen DM im außerordentlichen Haushalt für Besatzungslasten nicht voll in Anspruch genommen zu werden braucht, daß infolgedessen der außerordentliche Haushalt und damit die Frage der kurzfristigen Verschuldung im Haushalt unter Vorbelastung des nächsten Jahres eine Erleichterung erfahren kann. - Das ist die erfreuliche Seite, über die ich berichten kann.
Die unerfreuliche Seite ist, daß es nichtmöglich gewesen ist, einen nennenswerten Betrag langoder mittelfristiger Anleihen für diesen Zweck auf dem Kapitalmarkt unterzubringen. Das, was an mittelfristigen Anleihen, soweit man sie noch als solche bezeichnen kann, auf dem Kapitalmarkt untergebracht werden konnte, wird kaum ausreichen, um die deutschen Investitionen für SeeSchiffahrt und ähnliche Dinge, die im außerordentlichen Haushalt enthalten sind, überhaupt zu decken. Es tritt also vermutlich die Zwangslage an uns heran, daß die Ausgaben - soweit sie geleistet werden müssen -, die aus Anleihen - was der eigentliche Weg und Sinn des außerordentlichen Haushalts ist - nicht gedeckt werden können, aus den laufenden Einnahmen der Bundeskasse gedeckt werden müssen. Es wird ein Problem des zweiten Nachtragshaushalts werden, ob dieser Tatsache um der Wahrheit des Haushalts willen nicht auch in der Gestaltung des Haushaltsplanes Rechnung getragen werden muß.
Kurz zusammengefaßt darf ich also folgendes feststellen. Der Nachtragshaushalt rechnet global mit einem gegenüber den Schätzungen des Haushaltsplans besseren Aufkommen an Steuern von 100 Millionen DM. Allein bei der Umsatzsteuer und dem Anteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer sind es rund 600 Millionen DM mehr. Zweitens: auf der Ausgabenseite ist eine Verschlechterung eingetreten. Der Bundeshaushalt muß sich für die neue Ausgabe erhöhter Zuschüsse an die Stadt Berlin im Betrag von 150 Millionen DM rüsten und muß unter Umständen auch mit dem Problem einer Bereinigung des Verhältnisses zwischen außerordentlichem und ordentlichem Haushalt rechnen. Unter diesem Gesichtspunkt muß ich feststellen, daß die Sorgen, denen sich die Bundesregierung gegenübersieht und die mit den Worten „Abgleichung des Haushalts und Aufrechterhaltung der Ordnung im Haushalt" zu umreißen sind, nach wie vor ernst sind. Ich darf schließlich daran erinnern, daß wir alle, Bundesregierung und gesetzgebende Körperschaften, gemeinsam die verfassungsmäßige Pflicht gemäß Art. 110 des Grundgesetzes haben.
({3})
Das gilt aber nicht nur für das laufende Haushaltsjahr. Wenn ich überhaupt Finanzpolitik treiben will, dann muß ich mit dem Wort „Politik" doch gleichzeitig die Vorausschau für die nächsten Jahre, ich will einmal sagen: für das nächste Jahr verbinden. Wir haben in diesem Jahr im deutschen Volke, genau so wie es in allen demokratischen Ländern der Welt geschehen ist, dem Steuerzahler schwere Lasten aufbürden müssen. Die Kriegsangst, die durch die Politik Stalins erzeugt worden ist, hat in allen demokratischen Ländern der Erde den Zwang geschaffen, den Weltfrieden auch mit materiellen Opfern des Steuerzahlers möglichst zu sichern. Dieses Schicksal ist auch an dem deutschen Volk nicht vorübergegangen.
({4})
Ich erinnere nur an die Reform der Einkommen-und Körperschaftsteuer und an die Erhöhung der Umsatzsteuer, die im Laufe dieses Jahres beschlossen worden ist und die in Bund und Ländern samt Mineralölsteuer eine Erhöhung der Steuerlasten um fast ein Drittel der Gesamtsteuern bedeutet.
({5})
Diese Erhöhung der Steuerlasten muß einen Sinn und Zweck haben. Sie muß, auch vorausschauend betrachtet, den Sinn und den Zweck haben, daß das deutsche Volk auf Grund dieser Leistungen, wenn es um die Festsetzung der Höhe des vom deutschen Volke zu leistenden Verteidigungsbeitrags geht, mit Fug und Recht sagen kann: Wir haben nicht nur für das gegenwärtige Jahr, sondern für die Zeit, in der wir als Mitglied des allgemeinen Verteidigungssystems einen Verteidigungsbeitrag leisten müssen,
({6})
vorausgebaut, und wir haben die deutsche Steuerkraft ausgeschöpft, aber auch wirklich in dem Sinne ausgeschöpft, daß eine Erhöhung der deutschen Steuerlast über das vorgesehene Maß hinaus nicht mehr möglich erscheint. Die Verhandlungen, die auf dem Wege der gleichberechtigten Aussprache erfolgen müssen, können nur von der Überzeugung ausgehen, daß das deutsche Volk seinen guten Willen bewiesen hat und daß deswegen ein Zweifel in den deutschen Leistungswillen nicht berechtigt ist. Diese Verhandlungen müssen weiter von der Tatsache ausgehen, daß das deutsche Volk seine Kraft bereits so angespannt hat, daß bei den ungeheuren Lasten, die auf dem deutschen Volk aus der Tatsache des verlorenen Krieges liegen, eine weitere Anspannung nicht mehr möglich ist, mit anderen Worten, daß eine
({7})
wesentliche Erhöhung der deutschen Steuern auch im nächsten Jahr, auch im Jahr des Verteidigungsbeitrags nicht in Frage kommen kann.
Ich bin der Überzeugung, daß wir nur unter der Voraussetzung - und das gilt für alle Steuerschätzungen, die überhaupt gemacht werden können -, daß wir in Deutschland die Ruhe, die relative Ruhe wenigstens auf dem Gebiet der Preis-und Lohnbewegung erhalten, daß wir damit im Innern den sozialen Frieden und eine Stabilisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse erhalten, weiter unter der Voraussetzung, daß die im Jahre 1951/52 erschlossenen Steuerquellen, die in diesem Jahre nur in einigen Monaten geflossen sind, im nächsten Jahr zwölf Monate fließen und das Volkseinkommen des deutschen Volkes sich trotz aller Engpaßschwierigkeiten im nächsten Jahr nicht nur auf der gleichen Höhe halten, sondern um einen angemessenen Prozentsatz steigern wird, und schließlich unter der Voraussetzung, daß das deutsche Volk das Letzte seiner Steuerkraft schon eingesetzt hat, daß wir nur unter diesen Vorraussetzungen Verhandlungen über einen Verteidigungsbeitrag führen können. Ich glaube, daß innerhalb dieses Rahmens die Ausgaben für die Aufgaben des neuen Jahres einschließlich der aus ordentlichen Einnahmen zu leistenden Beiträge für die allgemeine Sicherung des Weltfriedens getragen werden können.
Das ist der Sinn einer Finanzpolitik, die nicht nur an den heutigen Tag, sondern auch an die Aufgaben und Leistungen von morgen zu denken hat. Wenn es gelingen würde, das laufende Jahr so abzuschließen, daß die Größe des Finanzbedarfs in Bund und Ländern ungefähr feststeht und daß darüber hinaus ein Gleichgewicht in Einnahmen und Ausgaben als erreicht betrachtet werden kann, dann hätten die Opfer, die wir dem deutschen Steuerzahler zumuten mußten, noch einen Sinn und Zweck gehabt.
Unter diesen Voraussetzungen muß ich also die Frage nach dem Finanzbedarf überzeugungsgemäß mit einem Ja beantworten.
Ich komme nun zu der zweiten Frage, die der Beschluß des Bundesrats vom 5. Oktober an uns stellt. In Übereinstimmung mit der deutschen Bundesregierung muß ich die Frage, ob die Bundesregierung in der Lage sei, eine Erhöhung der allgemeinen Umsatzsteuer vorzuschlagen, mit einem ebenso klaren Nein beantworten.
({8})
Das ergibt sich schon aus dem, was ich vorhin gesagt habe. Die deutsche Finanzpolitik kann nicht die Verantwortung dafür übernehmen oder auch nur etwas tun, was als Vorwand benutzt werden könnte, die relative Ruhe im Preis- und Lohngefüge neuerlich zu stören. Wir müssen deshalb die Erklärungen aufrechterhalten, die wir bisher abgegeben haben, daß die Bundesregierung an eine Erhöhung der Besteuerung des allgemeinen Verbrauchs nicht denkt. Wir können die Grenze, die durch die Gesetzgebung vom Juli dieses Jahres geschaffen ist, nicht Prozent- und stückweise überschreiten; andernfalls wird das allgemeine Vertrauen, daß diese Grenze eingehalten werde, erschüttert.
Ich darf noch bemerken: die Bundesregierung wendet sich auch dagegen, daß der Anschein erweckt wird, eine laute Agitation bestimmter propagandakräftigerer Wirtschaftskreise sei in der Lage, sachliche Argumente zu ersetzen.
({9})
Eine Bundesregierung ist sachlichen Argumenten jederzeit zugänglich, darf sich aber durch eine öffentliche Agitation nicht von der Linie des zielbewußten und in sich begründeten Handelns auf die Linie des geringsten Widerstandes
({10}) und auf die Linie der Belastung der breiten Massen, die vielleicht nicht in diesem Maße die Möglichkeit haben, eine Propoganda zu entwickeln, abdrängen lassen.
({11})
Infolgedessen ist die Bundesregierung der Überzeugung, daß sie dem Vorschlag einer allgemeinen Umsatzsteuererhöhung nicht zustimmen kann; sie kann Ihnen also die Annahme dieses Vorschlages nicht empfehlen. Es bleibt somit, wenn ich die Frage nach dem Finanzbedarf mit Ja beantworte und die Alternative der Umsatzsteuererhöhung ablehne, nur mehr die Annahme der Aufwandsteuer zu empfehlen.
Die Aufwandsteuer steht insofern unter einem ungünstigen Stern, als es leider - aber nicht mit Willen der Bundesregierung - nicht möglich gewesen ist, sie zu dem gleichen Zeitpunkt Gesetz werden zu lassen, in dem die Umsatzsteuererhöhung beschlossen worden ist. In der Zwischenzeit hat natürlich eine starke Agitation der Kreise eingesetzt, die sich betroffen fühlen.
({12})
Ich darf dieser Agitation gegenüber doch folgendes bemerken. Die Schlußfolgerung, daß ganze Wirtschaftskreise zusammenbrechen müßten, die Schlußfolgerung, daß auf ganzen Wirtschaftsgebieten eine Absatzstockung eintreten würde, und der Hinweis darauf, was für ein volkswirtschaftlicher Schaden das wäre, gehen von einer Voraussetzung aus, deren Vorhandensein in keiner Weise bewiesen ist; ja, im Gegenteil, die Behauptung wird durch den Gesetzentwurf selbst widerlegt.
({13})
Der Gesetzentwurf sieht aus steuertechnischen Gründen vor, daß die Steuer im allgemeinen beim Hersteller und regelmäßig mit einem Satz von 10 % erhoben wird. Wenn ich den 10%igen Zuschlag, der auf den Herstellerpreis kommt, auf den Einzelhandelspreis umrechne, bedeutet das in dem einzelnen Fall eine Verteuerung um etwa 6 %, und zwar bei Artikeln, die nicht zu dem täglichen Bedarf gehören, eine Verteuerung bei Artikeln, die heute - das möchte ich in allererster Linie sagen - in verschiedenen Preislagen angeboten werden, zwischen denen der einzelne Käufer auswählt, der doch regelmäßig Schichten angehört, die potenter, wirtschaftskräftiger sind als diejenigen Schichten, deren Einnahmen durch die Deckung des täglichen Bedarfs vollständig aufgebraucht werden. Ich will Beispiele jetzt gar nicht anführen, weil ich annehme, daß wir uns über die Einzelheiten dieses Gesetzentwurfes nicht in dieser grundsätzlichen Aussprache, sondern erst in den Beratungen des Ausschusses unterhalten werden und weil, wie ich weiter erklären möchte, eine Änderung in Einzelheiten, wenn der Gesetzentwurf vorgelegt wird, ohnehin jederzeit möglich ist. Ich habe gewissen Wirtschaftszweigen und Wirtschaftsvertretern, wenn sie nach dieser Richtung berechtigte Wünsche hatten, ausdrücklich zugesagt, daß bei den kommenden Verhandlungen diese Wünsche auch wohlwollend berücksichtigt werden. Ich möchte aber bemerken, daß der Satz, wie er hier vorgesehen ist, die Kassandrarufe, die über eine Absatzstockung,
({14})
Arbeitslosigkeit usw. gemacht worden sind, in keiner Weise rechtfertigen kann. Auf die Beispiele, die bei der Beratung im Bundesrat eine Rolle gespielt haben und die nicht gerade die ausschlaggebend gewählten gewesen sind, will ich hier gar nicht weiter eingehen, sondern nur noch auf einen Gesichtspunkt verweisen.
Ich betone ausdrücklich, daß die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf genau so wenig wie je irgendeinen anderen etwa aus optischen Gründen macht, und ich würde auch bitten, von etwaigen Erwägungen, die nur auf optische Gründe zurückgehen und eine große materielle Bedeutung überhaupt nicht haben können, grundsätzlich abzusehen. Die Bundesregierung läßt sich bei ihren Vorschlägen in keiner Weise - auch das darf ich besonders hervorheben - von Auslandswünschen beeinflussen. Aber es ist Pflicht der Regierung, darauf hinzuweisen, daß unter den gegebenen Umständen, in einer Zeit, in der die Länder über ein gemeinsames Aufbringen zur Sicherung des Weltfriedens beraten und nicht allein vor dem deutschen Steuerzahler, sondern vor den Steuerzahlern der gesamten demokratischen Welt das Problem der Aufbringung dieser Mittel steht, die einzelnen Länder sehr gern bereit sind, Vergleiche mit den anderen Ländern anzustellen. Es ist selbstverständlich, daß dabei in den einzelnen Ländern in erster Linie darauf hingewiesen wird, welche Steuerquellen im eigenen Land ausgeschöpft und welche Steuerquellen im anderen Land vielleicht überhaupt nicht ausgeschöpft sind. Ich darf dabei auf eine Aufstellung Bezug nehmen, die die Aufgliederung der gesamten Budgeteinnahmen in den großen außereuropäischen und europäischen Ländern miteinander vergleicht. Da sehen wir z. B., daß unter dem Titel „Steuer vom gehobenen Bedarf und Luxusaufwand" Deutschland mit 2,9 % seiner Gesamteinnahmen beteiligt ist - das sind hauptsächlich die gemeindlichen Vergnügungssteuern und die Kraftfahrzeugsteuer -, während dieser Anteil in Frankreich 5,5 %, in Norwegen 6,5 %, in Dänemark 8,1 %, in Großbritannien 10,5%, in den Vereinigten Staaten 13,1 % beträgt.
Der Gedanke der Aufwandsteuer ist ja nicht in Deutschland allein geboren. Er unterscheidet sich grundsätzlich von dem Gedanken der purchase tax und kann damit in gar keiner Weise verglichen werden. Er hat weder Lenkungsabsichten noch Lenkungsmöglichkeiten und muß im Satz darauf Rücksicht nehmen, daß er in Deutschland mit der Tatsache der allgemeinen All-Phasen-Umsatzsteuer zu rechnen hat, die in dieser Form und in diesem Maße in den anderen Ländern nicht gegeben ist, und daß sich die Belastung in Deutschland infolgedessen in einer Grenze halten muß, die unter der der anderen Länder liegt. Dabei ist die Belastung durch die allgemeine Umsatzsteuer in Deutschland mit einem Betrage von 12 bis 16 %, je nach dem Gegenstand, in Rechnung zu stellen. Aber es wird sich nicht vermeiden lassen, daß angesichts der gemeinsamen Last auch ein Vergleich bezüglich der Inanspruchnahme der Steuerquellen in den einzelnen Ländern gezogen wird.
Wenn wir - das ist die entscheidende Überlegung - dieses Jahr nicht mit einem Gleichgewicht der Einnahmen und Ausgaben abschließen, wenn wir in das nächste Jahr mit Fehlbeträgen hineingehen, wenn wir die Steigerung der Sozialausgaben im nächsten Jahr, den Zwang der Abdeckung - wenigstens der angemessenen Abdeckung - der in diesem Jahr. unvermeidbaren kurzfristigen Verschuldung und die voraussichtliche Mehrbelastung durch Ausgaben zur Sicherung des Weltfriedens in Rechnung stellen, kommen wir zu dem Schluß, daß das, was wir heute vermeiden, im nächsten Jahr, und zwar wahrscheinlich unter ungünstigeren Voraussetzungen, unter dem Druck der öffentlichen Meinung in der gesamten Welt auf das deutsche Volk zukommen würde. Ich glaube, zur rechten Zeit das Richtige getan, ist immer noch der Weg, der in solchen Zeiten am schmerzlosesten gegangen werden kann.
({15})
Meine Damen und Herren, ich darf zum Schluß, gerade wegen der Agitation, die in der Öffentlichkeit mit dieser Steuer getrieben worden ist, einmal auf einen Interessengegensatz und einen Aufgabengegensatz hinweisen. Der einzelne denkt in erster Linie wohl - dazu neigt jeder! - an das, was ihn umgibt. Er denkt - nehmen Sie es mir nicht übel, ich bin j a selbst Abgeordneter dieses Hauses - unter Umständen an parteipolitische Auswirkungen irgendeiner Maßnahme. Er denkt an Rückwirkungen in einem ihm nahestehenden Berufskreis und so fort. Aber all das, meine Damen und Herren, möchte ich mit einem lateinischen Wort als res privatae, als mehr private Angelegenheiten, bezeichnen. Ich erinnere mich an eine Stunde, in der ich einmal den österreichischen Staatsmann Seipel im Jahre 1932, vor der deutschen Erschütterung, reden hörte. Er sprach damals in einem engeren Kreis davon, daß das Wort „Republik" doch zurückgehe auf den Begriff der res publica, den Begriff der öffentlichen Sache, den Begriff des allgemeinen Interesses und des allgemeinen Wohls. Wir haben in den letzten Wochen sehr viel von den Privatinteressen, von den res privatae, reden hören. Ich möchte gerade aus diesem Anlaß an den Deutschen Bundestag appellieren, in diesem Hause immer einzig und allein zu denken an die res publica.
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Ich eröffne die Aussprache in der ersten Beratung, und zwar im Rahmen der Aussprachezeit von 120 Minuten.
Das Wort hat der Abgeordnete Scharnberg.
Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion ist mit dem Finanzminister einig, daß der Haushalt ausgeglichen sein muß. Wir gehen weiter mit ihm darin einig, daß die Verantwortung für die Ausgeglichenheit des Haushalts ebenso eine Verantwortung dieses Hohen Hauses wie die des Finanzministers selbst ist. Steuergesetze zu machen, wird daher immer eine harte und meist bittere Pflicht der die Regierung tragenden Parteien bleiben. Aber gerade deshalb müssen wir die Steuerfragen und die Steuergesetze besonders sorgfältig prüfen und sie genauestens auf ihre wirtschaftspolitische, steuerpolitische und sozialpolitische Auswirkung untersuchen. Die CDU/CSU-Fraktion beantragt demzufolge, die Gesetzesvorlage an den Finanz- und Steuerausschuß als federführenden Ausschuß und an den Wirtschaftspolitischen Ausschuß zu überweisen.
Ohne auf den Inhalt des Gesetzentwurfs hier im einzelnen einzugehen, muß ich allerdings namens meiner Parteifreunde schon jetzt ausdrücklich erklären, daß wir die Aufwandsteuer in der vorgeschlagenen Form keineswegs billigen können. Ob sich im Verlauf der Ausschußberatungen die Notwendigkeit oder die Möglichkeit ergeben wird, aus der Aufwandsteuer eine Luxussteuer im eigentlichen Sinne dieses Wortes zu machen, kann heute
({0})
unerörtert bleiben. Es kommt uns vor allem darauf an, daß in unserer Wirtschaft keine gefährlichen Strukturveränderungen hervorgerufen werden und daß nachteilige Auswirkungen auf die Beschäftigungslage und auf die Exportfähigkeit unserer Wirtschaft vermieden werden.
({1})
Sollten unsere diesbezüglichen Bedenken und Befürchtungen im Ausschuß nicht zerstreut werden können, so müssen wir uns trotz der Tatsache, daß es sich hier um eine Regierungsvorlage handelt, dazu entschließen, sie abzulehnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bertram.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner Fraktion stelle ich den Antrag, das vorliegende Gesetz heute hier in erster Lesung abzulehnen, die zweite und dritte Lesung anzuschließen und sofort in der zweiten und dritten Lesung endgültig über dieses Gesetz Beschluß zu fassen.
({0})
- Nach § 36 der Geschäftsordnung ist es ohne weiteres zulässig, daß der Gesetzentwurf in erster Lesung hier sofort abgelehnt wird. Bitte, überzeugen Sie sich!
({1})
- Das ist ein Irrtum.
Die Gründe für diesen unseren Antrag sind, glaube ich, zwingend. Der Bundesfinanzminister ist ein außerordentlich hartnäckiger Mann, der uns diese Gesetzesmaterie nunmehr zum viertenmal vorlegt. Sie ist jedesmal etwas umfrisiert worden, aber die Sache ist doch immer dieselbe geblieben. Es ist allmählich an der Zeit, daß die ständige Beunruhigung in der Öffentlichkeit aufhört. Es ist allmählich an der Zeit, daß die Plakate aus den Schaufenstern verschwinden: „Die Aufwandsteuer kommt! Kauft jetzt!". Alle diese Dinge, die durch die wiederholten Ankündigungen schon jetzt eine Verzerrung des ganzen volkswirtschaftlichen Gefüges mit sich gebracht haben, müssen jetzt definitiv erledigt werden. Sie alle, die nicht für diesen Gesetzentwurf sind, würden tatsächlich bei einer derartigen Abstimmung dem Volksganzen einen erheblichen Dienst leisten.
Daß es sich um eine sehr schwierige Materie handelt, ergibt sich daraus, daß der Bundesfinanzminister uns diese Dinge immer wieder in anderer Form nahezubringen versucht. Steuerpflichtiger und Steuerträger fallen hier auseinander. Der Bundesfinanzminister versucht, mit dem Begriff Luxus oder mit dem Begriff des besonderen Aufwandes indirekt, über den Weg der Belastung des Herstellers, letzten Endes doch den Einkommensbezieher zu belasten. Das ist aus grundsätzlichen Erwägungen nicht möglich, wie Sie schnell erkennen werden. Wenn beispielsweise ein Gewerbebetrieb einen Kraftwagen zu einem um 10 % höheren Preis ersteht, so können Sie bei dem Gewerbebetrieb ja nicht von einem besonderen Aufwand sprechen. Der Begriff des Luxus würde in diesem Zusammenhang ganz sinnlos sein. Die erhöhten Aufwendungen für diese Waren gehen in den Preis über und erhöhen das gesamte Preisniveau; sie wirken
nicht anders als eine allgemeine Umsatzsteuererhöhung auch. Sie können gar nicht anders wirken, weil das spezifische Luxuseinkommen, das man treffen will, beim Gewerbe gar nicht getroffen werden kann. Auch bei Bezügen, die unmittelbar vom Hersteller an den Endverbraucher gehen, ist die Erfassung der. Einkommensteile, die man eigentlich treffen will, nicht möglich. Umsatz an sich ist völlig neutral. Der Umsatz sagt nichts darüber aus, ob er aus Einkommensteilen bestritten wird, die über den notwendigen Einkommensgrenzen und über dem Existenzminimum liegen. Das ergibt sich ja ohne weiteres aus der Art der Warengattung. In unseren Breiten sind gewisse Dinge wesentlich, die in anderen Breitengraden als nicht wesentlich angesehen werden. Eine Waschmaschine wird man als ein wesentliches Gut für die Bedürfnisbefriedigung auch einfacher und nicht gehobener Lebensführung ohne weiteres anerkennen müssen. Trotzdem stehen derartige Dinge in dem Katalog drin. An Hand von Warengattungen kann man, den Begriff des gehobenen Aufwandes eben nicht festlegen.
Es kommt hinzu, daß die Steuerbelastung nach langjähriger Steuerfreiheit in einem Zeitpunkt eintreten soll, in dem sich zahlreiche Kreise unseres Volkes, die über ein besseres Einkommen verfügzten, mit den Gütern, die in der Liste aufgeführt sind, bereits eindecken konnten. Jetzt, wo langsam auch andere Kreise etwas zum Zuge kommen, wird eine Steuerbelastung eingeführt, die gerade die Ärmeren besonders hart treffen muß.
Eine entscheidende nachteilige Wirkung ist für den Kapitalmarkt vorauszusehen. Die Sonderumsatzsteuer trifft eine ganze Reihe von Gütern, die für den Preisspiegel absolut repräsentativ sind. Wenn diese Güter teurer werden, wird man vielfach annehmen, daß der Geldwert sich verringert habe, und man wird sich ferner sagen, daß das Sparen, das Geld-auf-die-hohe-Kante-Legen mal wieder verkehrt gewesen ist, daß dagegen diejenigen, die auf Pump gekauft und Schulden gemacht haben, die Klugen gewesen sind; denn diese haben ihre Waren billig bekommen. Diejenigen dagegen, die ihr Geld gespart haben, sehen, daß ihre Ersparnisse durch eine solche Steuer einen geringeren Wert haben, als man ihn bei einem stabilen Preisniveau hätte erwarten können. Die Bundesregierung hat uns immer wieder versprochen, daß sie den Preisspiegel stabil halten werde. Hier werden für den Preisspiegel ganz repräsentative Güter verteuert, und damit wird der langsam beginnende Sparprozeß empfindlich, entscheidend gestört. Diese Störung des Sparprozesses, die vorauszusehen ist, wiegt viel schwerer als der Vorteil, der durch das Stopfen etwaiger Löcher entstehen könnte.
Auf der anderen Seite kann man gewisse Warengattungen ohne weiteres als Luxus ansprechen, Warengattungen, die unmittelbar dem Schmuckbedürfnis dienen. Es ist aber in dem Gesetz keineswegs vorgesehen, daß nunmehr sämtliche Schmucksachen besteuert werden sollen, sondern es sind dort nur Schmucksachen aus Edelmetall genannt; die übrigen Schmucksachen werden nicht besteuert, obwohl man gerade bei ihnen den Luxussteuergedanken ohne weiteres bejahen könnte. Es ist so, daß - mit Ausnahme von ganz wenigen Warengattungen - die Luxusbesteuerung nur beim Einkommensbezieher möglich ist. Eine Luxusbesteuerung durch Erfassung von bestimmten Umsatzvorgängen ist auch theoretisch undenkbar. Beim Einkommensbezieher kann man feststellen, ob das Einkommen so hoch ist, daß es ausreicht, daß es neben der Befriedigung des lebensnotwendigen
({2})
Bedarfs und des echten Sparbedarfs noch einen Spielraum freiläßt, in dessen Bereich ein besonderer Aufwand besteuerungsfähig ist. Hier hätte der Hebel angesetzt werden können, und einem solchen Gedanken würden auch wir uns nicht verschließen. Statt dessen wird man mit diesem Gesetz gerade wieder die Kleinen treffen, die sich einige Pfennige erspart haben.
Neben diesen finanztechnischen Widersprüchen und begrifflichen Ungereimtheiten des Gesetzentwurfes ist eine zweite Frage die, ob die Steuer überhaupt notwendig ist. Der Herr Bundesfinanzminister operiert bei den Schätzungen, die er uns eben vorgetragen hat, mit großen Zahlen über Mehrausgaben, Mehreinnahmen, Minderausgaben in den einzelnen Posten, die schon höher sind als das gesamte vorauszusehende Steueraufkommen. Der gesamte Bundesetat bewegt sich in einer Größenordnung von 20 Milliarden DM. Diese Steuer soll mit der Autobahnsteuer zusammen 300 Millionen DM erbringen, eine Summe, die zwischen 1 und 2 % des gesamten Steueraufkommens liegt. Ich möchte den verantwortlichen Finanzpolitiker sehen, der sich anheischig macht, einen solchen Riesenetat mit einer Differenz von 2 % genau vorauszuschätzen. Das kann niemand, und das wird ja auch dadurch bewiesen, daß uns bereits in der Abrechnung des Bundesfinanzministers für das letzte halbe Jahr Mehreinnahmen bei einigen Steuerarten in Höhe von 600 Millionen DM angegeben worden sind. Gibt es aber solche Differenzmöglichkeiten, dann ist nicht dargetan und nicht nachgewiesen, daß diese Steuer zur Zeit überhaupt notwendig ist.
Der Bundesfinanzminister hat eben von seiner Kassenlage gesprochen. Es ist ganz richtig: die Kassenlage und die Haushaltslage haben nicht viel miteinander zu tun. Erfahrungsgemäß sind die Sommermonate immer die schlechtesten Monate für die Kassenlage. Der Bundesfinanzminister war aber in der Lage, die Schwierigkeit der Kassenlage ohne weiteres durch die Begebung von Bundesschätzen zu überbrücken. Die hier vorgesehene Größenordnung läßt sich ebenso mit Sicherheit durch die Begebung von Bundesschätzen oder die Beschreitung eines anderen Anleiheweges ohne weiteres überbrücken.
Endlich weist der Bundesfinanzminister darauf hin, man müsse doch berücksichtigen, daß auch das Ausland derartige Steuerquellen ausschöpfe. Dies ist unzutreffend. Wenn wir in Deutschland 2 % Luxussteuer, Vergnügungssteuer usw. haben und rechnen hinzu die Belastung durch die Allphasenumsatzsteuer in Höhe von 12 %, so liegen wir mit 14 % Belastung all dieser Güter, die jetzt noch zusätzlich mit 10 % besteuert werden sollen, bereits an der Spitze aller vergleichbaren Nationen.
({3})
- Natürlich ist das wahr. Das ist wahr nach den eigenen Zahlen des Bundesfinanzministers. 2 % ist die allgemeine Belastung des besonderen Aufwandes; dazu kommt die Belastung durch die Allphasenumsatzsteuer mit 12 %. Das sind zusammen also 14 %. Demgegenüber schöpfen die USA die entsprechenden Steuerquellen nur mit 13,1 % aus. Wenn wir also noch 10 % dazulegen würden, würden wir weit über dem liegen, was alle anderen Länder haben.
Man darf eben nicht nur bestimmte Steuerarten miteinander vergleichen, sondern muß die ganzen Steuersysteme miteinander vergleichen. Man muß insbesondere einmal berücksichtigen, ob in den einzelnen Ländern das Existenzminimum steuerfrei ist. Wenn wir einen solchen internationalen Steuervergleich durchführen würden - ({4})
- Ich bitte noch um eine Minute. - Wenn wir einen internationalen Steuervergleich auf der Basis durchführen würden, daß wir nicht die Steuerbelastung pro Kopf der Bevölkerung berechnen würden, sondern die Steuerbelastung pro Kopf der Bevölkerung nach vorherigem Abzug des Existenzminimums, dann würde sich ergeben, daß die Steuerbelastung in Deutschland wesentlich höher ist als in allen vergleichbaren europäischen Ländern. Das ist eine Erfahrung, die der Bundesfinanzminister beim internationalen Steuervergleich schon gemacht haben wird und die bisher nur noch nicht genügend in die Öffentlichkeit hinausgedrungen ist.
Unter Zugrundelegung der Freistellung des Existenzminimums ist die Belastung des dann übrigbleibenden Einkommenteils wesentlich höher als in allen anderen Ländern der Welt. Und das ist das Entscheidende bei einem solchen internationalen Steuervergleich. Wenn wir schon auf das Ausland sehen wollen, dann sollten wir den Steuervergleich auch richtig durchführen und überzeugende Zahlen bringen. Ich bin der Überzeugung, daß wir uns dann auch bezüglich der Verhandlungen über den Verteidigungsbeitrag leichter tun würden.
Ein anderer Gesichtspunkt ist aber vom Bundesfinanzminister nicht erwähnt worden, ein Gesichtspunkt, den vor einigen Tagen Staatssekretär Hartmann angedeutet hat. Staatssekretär Hartmann hat erklärt, daß wir in Deutschland noch Steueroasen hätten, die beseitigt werden müßten, und darauf hingewiesen, daß diese Steueroasen nicht in der Zuständigkeit des Bundesfinanzministeriums, sondern in der der Länderfinanzverwaltung lägen. Immerhin werden Sie mir zugeben müssen, daß dieser Gesichtspunkt für den Steuerzahler wenig überzeugend ist, wenn ihm klargemacht werden soll, daß er neue Steuern nur deshalb zahlen muß, weil in der gesamten Behördenorganisation Lücken sind, die solche Steueroasen haben entstehen lassen.
Wenn wir deshalb hier erst einmal eingreifen und dafür sorgen würden, daß der Anteil des Bundes beispielsweise an Einkommen- und Körperschaftsteuer die vom Finanzminister selbst für notwendig erachtete Höhe erreicht, würden wir in diese Kalamität gar nicht hineinkommen. Wie Sie sich erinnern werden, habe ich damals bei der Beratung des Gesetzes über den Anteil des Bundes an der Einkommen- und Körperschaftsteuer der Länder ausgeführt, daß dieses Gesetz erst dann verabschiedet werden dürfe, wenn man sich zuvor mit den Ländern einig sei. Der Bundesfinanzminister hat damals erklärt, mit den Ländern sei er einig oder so gut wie einig. Jetzt aber stellt sich heraus, daß er statt 31,3 % nur 27 % bekommt, und das alles soll nun der Steuerzahler ausbaden.
Sie werden mir zugeben, daß diese Art von Finanzpolitik keineswegs überzeugend ist.
({5})
-Bitte? Ich habe nicht verstanden!
({6})
Ich glaube jedenfalls, man darf mit Recht sagen, daß nach dem, was der Bundesfinanzminister uns hier vorträgt, eine Notlage keineswegs nachgewie({7})
sen ist, und zweitens, daß er, soweit er in einer Klemme sein sollte, in den wesentlichsten Punkten selber daran schuld ist.
({8})
Herr Abgeordneter Dr. Bertram, Sie haben beantragt, den Gesetzentwurf in der ersten Beratung abzulehnen. Ich bitte Sie, Ihre Lektüre der Geschäftsordnung bis zum § 43 Abs. 2 fortzusetzen. Dann wird sich ergeben, daß das nicht möglich ist.
({0})
Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ausmaß der Unruhe, die seit Monaten in der Angelegenheit, zu der ich spreche, das deutsche Volk durchzieht, die Quantität und die Qualität der bisherigen Diskussion - nicht in diesem Hause - machen es mir nicht möglich, mich so kurz zu fassen wie bisher meine Freunde von der CDU. - Ich glaube nicht, daß die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers diesem Hause etwas Neues gebracht haben. Eine Etatrede haben wir ja schon bei der Beratung des Haushalts gehört. Ich glaube aber, daß ich doch versuchen müßte, einen positiven Beitrag zu dieser Diskussion zu leisten, womit mich meine Freunde beauftragt haben, und erlaube mir daher, einige allgemeine Ausführungen vorauszuschicken.
Die Diskussion hat in oft erschreckender Weise gezeigt, daß die Einstellung des deutschen Volkes zu der unumgänglichen Notwendigkeit, Steuern zu zahlen, schlecht ist und vielleicht noch immer schlechter wird. Woraus ist das zu erklären? Es gibt eine Fülle von Gründen. Auch wenn ich nicht bis zu den seligen Zeiten der preußischen Einkommensteuer zurückgehe - und das will ich nicht -, so muß ich doch mindestens bei 1933 anfangen und Sie daran erinnern, welche Erfahrungen jeder Steuerzahler in Deutschland, vom kleinsten bis zum größten, mit dem ebenso grandiosen wie verbrecherischen Mißbrauch der Steuereinnahmen gemacht hat. Als wir am Ende des „tausendjährigen" Reiches darüber hinweggekommen waren, kamen die Alliierten mit ihrem Kontrollratsgesetz und verschlechterten, wie wir uns alle erinnern werden, das Bild noch mehr. Diese Methode der Alliierten, die leider zu einigen anderen damaligen Methoden der Alliierten paßte, haben wir in übelster Erinnerung.
Von der Zeit an, als das heutige Gebiet der Bundesrepublik zum erstenmal im Wirtschaftsrat ein wenig zu Worte kam, insbesondere aber vom Tage der Währungsreform an ist es unsere erste Pflicht gewesen, hier zu bessern. Aber Sie werden mich fragen: Was hat denn dies der erwähnten Einstellung des Deutschen zum Steuerzahlen geholfen? Ich muß Ihnen offen bekennen: es hat sehr wenig geholfen. Ich glaube nicht, daß solche Gefühle, wie sie das Dritte Reich mit seinem unerhörten Mißbrauch erzeugt hat, so schnell aus den Tapeten wieder verschwinden. Wir haben zudem seit dem Zusammentritt dieses Bundestages sehr häufig Überraschungen durch die Alliierten erlebt, die ebenfalls nicht dazu angetan waren, die Steuermoral - ein etwas abgegriffenes Schlagwort - zu heben. Das gehört auch in das Gespräch mit den Alliierten über die Notwendigkeit, die Stärke dieses Staates zu erhöhen.
Von den Einflüssen des Weltmarktes und vieler weltpolitischer Ereignisse will ich in diesem Zusammenhang gar nicht sprechen. Aber ich möchte, daß wir uns an die eigene Brust schlagen und uns daran erinnern - und zwar nicht nur in dieser Stunde -, daß wir selbst in unserer Interessentenpolitik viel zu weit gehen.
({0})
Sehen Sie, in Gegenwart des höchsten Repräsentanten dieser Republik . hat vor wenigen Tagen
in einer Nachbarstadt eine Feierstunde eines
Berufsverbandes stattgefunden, eines sehr ehrenwerten und in seinen Zielen von mir durchaus bejahten Berufsverbandes. Der Vorstand hatte das
Wagnis unternommen, einen Professor des Steuerrechts als zweiten Redner - das war schon vorsichtig - sprechen zu lassen. Dieser Redner hat darauf hingewiesen, daß nicht alle Wünsche eines solchen Fachverbandes in Erfüllung gehen könnten, und sehr bald hat in Gegenwart des höchsten Repräsentanten dieser Republik ein erhebliches Scharren angefangen. Ich möchte glauben, daß dies zumindest ein schlechter Stil ist; es ist aber doch wohl mehr als das: es ist der Ausfluß der übertriebenen Interessentenpolitik. Wenn wir diese Überinteressenten also in geeigneter Form und bei geeigneter Gelegenheit an die Hammelbeine kriegen könnten, so wäre ich damit durchaus einverstanden.
({1}) - Das ist zu einfach, Herr Renner.
Was können wir aber sonst tun, um die Steuermoral
({2})
zu heben? Zunächst einmal hat ja nun dieser Bundestag mehr getan, als meistens der breiten Öffentlichkeit mitgeteilt oder bekannt wird. Er hat doch durch wesentliche Gesetzgebung die Zahl der Verneiner dieses Staates nicht unwesentlich verringert. Denken Sie an die Kriegsopferversorgung, denken Sie an das Gesetz zu Art. 131. Ich gehöre zu den Optimisten, die annehmen, daß sich das auch einmal in den Dingen auswirkt, von denen ich jetzt spreche, nämlich in der Steuermoral, nicht nur im Steuerertrag.
Dann haben meine Freunde, um in das Steuerwesen eine Ordnung, eine einheitliche Linie zu bringen, einen Vorschlag gemacht, den man als Föderalist nun nicht so einfach - das ist wirklich zu einfach - als hoffnungslosen Fall ansehen kann. Ich meine unseren Antrag zur Bundesfinanzverwaltung. Besonders wenig passend finde ich es, wenn jemand neulich diesen als eine politische Sonntagsjägerei bezeichnet hat.
({3}) Steuermoral ist ja nicht einseitig, sondern es ist nötig, daß auch der Staat in seinen Gesetzen moralischen Begriffen zum Durchbruch verhilft.
({4})
Nicht nur in der Gesetzgebung, sondern auch in der Steuereintreibung fehlt es hieran, glaube ich, nicht selten. Ich könnte darüber sehr ausführlich sprechen, aber Sie würden dann wahrscheinlich sagen, er kommt nicht zum Thema.
Wir haben mit unserem Vorschlag über die Bundesfinanzverwaltung Wege aufgezeigt und werden sie in der Ausschußberatung weiter aufzeigen, die zu einer besseren Verwaltung, zu einer besseren Erfassung, zu einer einheitlicheren Handhabung des ganzen Steuerwesens führen. Auch die Wirtschaft braucht, wenn sie steuerehrlich ist, vor einer besseren Überprüfung der Steuern nicht zu erschrecken.
({5})
({6})
Denn in dieser Beziehung fehlt es absolut. Es fehlt aus einem Sondergrund, meine Damen und Herren, der, glaube ich, in diesem Hause noch nicht hervorgehoben worden ist: die Fachleute dieser Buch- und Betriebsprüfer haben fast alle - wie nennt man das? - ein anderes Hemd angezogen. Sie sind nämlich nicht mehr beim Staate. Herr Reinhardt hatte sie in irgendwelchen Kursen, z. T: auf Ordensburgen geschult; infolgedessen flogen sie beim Zusammenbruch hinaus. Sie sind heute bei den Steuerpflichtigen tätig. Es ist ein miserables Geschäft, das der Staat in dieser Beziehung gemacht hat.
({7})
Unser Finanzminister war, glaube ich, nicht beteiligt. Den hatten inzwischen die Amerikaner als bayerischen Ministerpräsidenten schon wieder nach Hause geschickt.
({8})
Er ist also davon nicht betroffen. Es ist aber ein miserables Geschäft, und ich empfehle Ihnen, solche Schulungskurse - nicht auf Ordensburgen, wenn es irgend geht - so schnell und so gut wie möglich wieder einzuführen.
({9})
Ich bitte Sie, es mir zu erlassen, diese Dinge noch weiter auszuführen, denn ich habe mich erst vor kurzem in einer Rede zum Etat über das, was uns, generell gesprochen, an dem Herrn Finanzminister nicht gefällt, sehr ausführlich geäußert. Seine Reaktion war schwach, sagen wir mal höflich. Er hat sich auf die Unvollkommenheit des Menschen zurückgezogen und dann gesagt: Je unvollkommener ich bin, desto vollkommener muß dieses Haus sein. Das war, glaube ich, eine Retourkutsche, wenn ich mich so ausdrücken darf.
Statt nun auf dem Wege, den ich versucht habe, wieder ein wenig anzutönen, voranzuschreiten, wird uns heute die Aufwandsteuer vorgelegt, keineswegs zum erstenmal, wie Herr Bertram auch schon sagte.
Der selige Wirtschaftsrat hat am 3. Februar 1949 - wir nähern uns also dem dreijährigen Jubiläum der ganzen Angelegenheit - ein Gesetz zur Besteuerung besonderen Aufwands vorgelegt, das an der Zusammenstellung eines Katalogs gescheitert ist. Nach eineinhalb Jahren hat der Bundesrat von der Bundesregierung im Juli 1950 ein Gesetz zur Besteuerung besonderen Aufwands - also wörtlich genau so - bekommen. Das hat der Bundesrat angenommen. Die Bundesregierung hat es mit Änderungen hier eingebracht, und hier fand am 5. Oktober 1950 eine erste Lesung statt. Ich könnte fast wörtlich jetzt im weiteren das hier erzählen, was mein Freund Hoepker-Aschoff - nachzulesen im Protokoll - damals gesagt hat. Das will ich aber nicht tun, damit es Ihnen nicht langweilig wird.
Am 12. Oktober 1950 hat sich dann der Finanzausschuß mit der Sache beschäftigt. Er hat die Aufwandsteuer kurzerhand abgelehnt. Von der berühmten und berüchtigten Spesenabgabe - das war der zweite Teil des damaligen Gesetzes - hat er gesagt, sie solle in das Einkommensteuergesetz eingearbeitet werden. Gott hat es leider gefügt, daß es inzwischen in einer schildbürgerlichen Weise auch dazu gekommen ist. Sie kennen das ja alles. Die Witzblätter, leider auch diese komischen Conférenciers, werden sicherlich Gelegenheit nehmen, sich ausführlich damit zu beschäftigen. Das können wir ja abwarten.
Damit aber nicht genug. Im Februar 1951 hat dann die Bundesregierung ein Gesetz verabschiedet, das nunmehr hieß: Sonderumsatzsteuer auf
Süßwaren und andere Gegenstände des entbehr- lichen Verbrauchs. Das ist aber dem Bundesrat schon gar nicht mehr vorgelegt worden. Ich weiß nicht, ob die massiven Bedarfsträger der Süßwaren das verhindert haben oder wie das damals gekommen ist.
Die Bundesregierung hat dann im Mai 1951 dem Bundesrat ein Sonderumsatzsteuergesetz vorgelegt, und das hat der Bundesrat am 8. Juni 1951 wieder abgelehnt. Schließlich hat sich die Bundesregierung am" 28. Juni 1951- Sie sehen, es ist schon eine ziemliche Leidensgeschichte - noch einmal auf diesen Entwurf zurückgezogen und hat versucht, den Finanzausschuß dafür zu gewinnen. Der Finanzausschuß hat aber die Beratung abgelehnt.
({10})
Herr Abgeordneter Wellhausen, die vereinbarte Gesamtredezeit beträgt 120 Minuten. Auf Ihre Fraktion entfallen 15 Minuten.
Mir ist gesagt worden: 26 Minuten. Das ist mir höchst peinlich; denn dann hätte ich mich anders eingerichtet. Darf ich bitten, ein wenig darauf Rücksicht zu nehmen? Es ist kein schlechter Wille, sondern im Gegenteil ein guter.
Die Bundesregierung hat dann den regulären Weg über den Bundesrat gewählt und hat ein Bundesgesetz über eine Aufwandsteuer vorgelegt. Das ist das, was wir nun hier behandeln. Am 5. Oktober 1951 ist dieses Gesetz vom Bundesrat abgelehnt worden, und die Zeitungen haben einen klaren Begriff darüber gegeben, welche Parteien dieses Hauses geneigt sind, dieses Gesetz ebenfalls abzulehnen. Aber nun ist unser in so vielem vorbildlicher Bundesfinanzminister mit diesem - ja, wie sage ich es - etwas müden und traurigen, mit diesem abgenützten und unansehnlichen Kinde unter Benützung eines - sagen wir einmal - nicht aufwandsteuerpflichtigen Kinderwagens doch hier in den Bundesplenarsaal hereingefahren.
({0})
Das ist sehr schade. Dieses Kind ist skrofulös und bleibt skrofulös, es hat meines Erachtens sogar die englische Krankheit.
({1})
Darf ich bei dem Stichwort mit der englischen Krankheit, das ich mir selbst gegeben habe, bleiben? Der Bundesfinanzminister hat uns gesagt, die Rücksicht auf das Ausland spiele keine Rolle. Aber entschuldigen Sie, auch wenn ich ihm das glaube, so bin ich doch nicht seiner Meinung.
({2})
Ich möchte doch meinen, daß wir schon. Veranlassung haben, ein wenig den Eindruck zu beachten
- ich verlange das übrigens auch vom Auslande uns gegenüber -, den die Gesetzgebung eines zivilisierten Staates auf das Ausland macht. Wir haben daher unseren Tribut mit der Spesenabgabe-Verordnung, von der ich schon gesprochen habe, entrichtet. Wir haben es dabei geschmackvoll gefunden, die Ausländer, die bei uns bewirtet werden, sogar bis zu einem dreifachen Betrage
- einen Magen hat ja jeder bloß - gegenüber dem bei Inländern bewirten zu können. Aber ich will darauf nicht eingehen; wir haben unseren Tribut teilweise schon entrichtet.
Fehlt es sonst an der Ausschöpfung der Steuermöglichkeiten? Der Bundesfinanzminister hat selbst dargelegt, daß die drei Gesetze dieses Sommers,
({3})
nämlich Verschärfung der Einkommensteuer, Erhöhung der Körperschaftsteuer von 50 auf 60 % und schließlich der Umsatzsteuer von 3 auf 4 %, das Aufkommen - an direkten Steuern, hat er wohl gemeint, wie ich annehme - um ein Drittel erhöht haben. Das ist doch ein Wort.
Nun möchte ich Sie zur Aufwandsteuer fragen: wo gibt es denn im Auslande die kumulative Umsatzsteuer der Bundesrepublik? Nur ein solches Land ist mit uns vergleichbar, andere nicht. Und auch dann gilt noch: Omme simile claudicat!
Wir wissen, daß der Weg von der Rheindorfer Straße nach Duisdorf und umgekehrt genau so leider ein ziemlich weiter ist. Aber sollten wir nicht doch meinen: Produzieren, produzieren, exportieren, den schwarzen Markt bekämpfen, das sind unsere Hauptaufgaben?
({4})
Stehen diese Hauptaufgaben und diese Steuervorlage in Einklang? Nun, ich glaube, ich brauche nicht auszuführen, daß sie im ausgesprochenen Gegensatz zueinander stehen.
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Man kann auch in der Bundesregierung nur eine Marschroute einhalten, auch zwischen der Rheindorfer Straße und Duisdorf, Kaserne, in Klammern gesetzt.
({6})
- In Duisdorf wohnen auch noch andere Leute,
Herr Renner; das wissen Sie wahrscheinlich nicht.
Ist nun diese Umsatzsteuer für den Haushalt nötig? Seit Mai dieses Jahres bemüht sich die Fraktion der Freien Demokratischen Partei, dem Herrn Bundesfinanzminister zu beweisen, daß diese Steuer für den Haushalt nicht nötig ist. Und gerade, als wenn das verabredet wäre, ist der Monatsbericht September der Bank deutscher Länder in diesen Tagen erschienen. Was die Zeitungen in den letzten Tagen - wie sie das gelegentlich tun: ein bißchen falsch - über die Wende in der Höhe der Einnahmen, vor allem, Herr Minister, über die Wende in der Kassenlage gebracht haben, das steht hier auf den Seiten 20 bis 22. Bitte nachlesen! Wer war es denn, der im August erklärte: Wir kommen am 1. November in eine prekäre Kassenlage? Dieser Termin war vor wenigen Tagen! Wie sieht es in Wirklichkeit aus? Der Herr Minister hat das ja sehr offenherzig zugegeben. Aber nun komme ich zu den wirklichen Einnahmen. Damit ich die Geduld des Herrn Präsidenten nicht zu lange in Anspruch nehme, will ich nur ein Wort sagen: Herr Minister, die Schätzungen der FDP kommen langsam - es wird sogar jeden Tag besser - in die Reichweite des Wahrscheinlichen, nicht nur des Möglichen,
({7})
- mein Freund Preusker würde sich noch viel massiver ausdrücken - ich sage: in die Reichweite des Wahrscheinlichen.
Außerdem: Wie ist es mit der Zusatzsteuer? Wir haben Ihnen in unserer Großzügigkeit die Zusatzsteuer nach § 8 des Umsatzsteuergesetzes zugestanden. Sie haben bereits einen nicht unerheblichen Gebrauch davon gemacht. Ich prophezeie, in diesem Fall möchte ich wetten - wenn Sie, Herr Minister, mir natürlich die richtigen Zahlen zeigen! -,
({8})
ich möchte wetten, daß der Ertrag der Zusatzsteuer weit über die hundert Millionen hinausgeht, die der Bundesfinanzminister aus dieser Aufwandsteuer, über die wir hier unsere Zeit vertun, erwartet.
({9})
Was soll ich eigentlich noch sagen, um höflich zu bleiben? Der Herr Bundesfinanzminister ist nicht überbeschäftigt; denn sonst hätte er nicht die Möglichkeit gehabt, in den letzten Tagen in gewissen Kreisen so weitgehend für die Aufwandsteuer zu werben, und zwar entgegen der Meinung des Bundesrats und entgegen der ihm auch schon bekannten Meinung des Bundestags.
Aber seine Fröhlichkeit bezaubert uns immer wieder, und als er vorhin ein lateinisches Wort gebrauchte, habe ich an Horaz gedacht - und das kann immer nur eine Freundlichkeit sein -, der eine seiner Oden - ich weiß nicht aus dem Kopf, welche - mit den Worten beginnt:
Aequam memento rebus in arduis
servare mentem, non secus in bonis
ab insolenti temperatam
laetitia, moriture Delli.
({10})
Deutsch:
Lieber Dellius, du wirst eines Tages sterben müssen,
- das trifft auf uns alle zu schaffe dir ein Herz voller Gleichmut
und ein wollenes Untergewand an;
dann wirst du durch alle Fährnisse
und auch durch alle guten Zeiten
immer hindurchkommen.
Das ist eine herrliche Linie des Bundesfinanzministers, und das wollene Untergewand ist nützlich in jeder Situation!
({11})
Aber wie man damit auf eine Aufwandsteuer kommen kann - ich meine: mit diesem Gleichmut -, das verstehe ich nicht und werde ich auch niemals verstehen!
({12})
Meine Damen und Herren, ich möchte mich dem Antrag des Kollegen Scharnberg anschließen: Verweisung an den Finanzausschuß und an den Wirtschaftspolitischen Ausschuß.
({13})
Ich gebe der Hoffnung Ausdruck, daß dieser Ausschuß eine nützliche Arbeit leistet und daß er vielleicht auch zu einer notwendigen Luxussteuer kommt. Ich möchte gleich hinzufügen - damit Sie nicht sagen: Sie wollen ja vielleicht nur ausweichen -: zu einer Luxussteuer mit einem Maximalertrag von 30 bis 50 Millionen im Jahr. Ich halte das politisch nicht nur für eine Zweckmäßigkeit, sondern für eine Notwendigkeit, und ich sage das nicht bloß deswegen, damit man nicht am Schlusse dieser ganzen Angelegenheit das sagen muß, was man heute ein wenig sagen müßte, wenn Schluß wäre, nämlich mit einem Wortspiel: Ein großer Aufwand nutzlos ist vertan!
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Koch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Herren Vorredner haben schon darauf hingewiesen, daß es länger als ein Jahr her ist, daß uns der Herr Bundesfinanzminister ein Ge({0})
setz zur Besteuerung besonderen Aufwandes vorgelegt
hat. Dieser Gesetzentwurf schlummert noch im Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen des Bundestags; er hat dort, wenn ich so sagen darf, ein Begräbnis erster Klasse gefunden. Trotzdem müssen wir uns heute - wir wissen ja, daß der Herr Bundesfinanzminister außerordentlich hartnäckig ist - wieder mit einem ähnlichen Gesetz beschäftigen.
Wir können also im wesentlichen auf die Begründung verweisen, die wir im letzten Jahre unserer ablehnenden Haltung gegeben hatten. Wir haben damals gesagt, daß eine Aufwandsteuer in diesem breiten Rahmen nichts anderes ist als eine typische Verbrauchsteuer, die in jedem Falle wieder an den letzten Verbraucher weitergegeben wird, der sie aus einer Tasche bezahlen muß, in die der Herr Bundesfinanzminister seine Finger sowieso schon tief genug - insbesondere über die Umsatzsteuer - hineingesteckt hat. Wenn wir in der Begründung zu dem vorliegenden Gesetz lesen, die Aufwandsteuer solle „Aufwendungen nicht lebensnotwendiger Art treffen, die im allgemeinen von den bemittelten Schichten der Bevölkerung gemacht werden", so glaube ich, daß schon aus diesen beiden Wörtchen „im allgemeinen" hervorgeht, daß eine Aufwandsteuer geschaffen werden soll, die weit über den Rahmen einer reinen Luxussteuer hinausgeht.
Herr Abgeordneter Koch, darf ich einen Augenblick unterbrechen! Ich habe übersehen, bekanntzugeben, daß der Lastenausgleichsausschuß nicht jetzt, sondern morgen früh um 8 Uhr tagt. Da er um 15 Uhr beginnen wollte, möchte ich das bekanntgeben.
({0})
- Eben wurde mir 8 Uhr gesagt. Ich kann ja nicht darüber abstimmen lassen, wann der Lastenausgleichsausschuß tagen soll.
({1})
Ich bitte um Entschuldigung wegen der Unterbrechung, Herr Abgeordneter Koch!
Wir haben im vergangenen Jahr die Befürchtung ausgesprochen, daß durch eine derartige neue unsoziale und indirekte Steuer die Lohn-Preis-Spirale wieder in Bewegung gerate. Wir glauben nicht an den Optimismus des Herrn Bundesfinanzministers, der uns heute von einer „relativen Ruhe dieser Lohn-Preis-Spirale" gesprochen hat. Wir haben im letzten Jahr weiter darauf hingewiesen - und auch in der Zwischenzeit immer wieder -, daß diese Steuer geeignet sei, insbesondere die exportintensiven Industrien zu treffen. Zur Begründung verweise ich auf die Äußerungen der Gesellschaft zur Förderung des deutschamerikanischen Handels und auf die Äußerungen weiterer Verbände, die sich mit Recht für diese exportintensiven Industrien einsetzen. Ich denke an die Offenbacher Lederwarenindustrie, an die Pforzheimer und an die Hanauer Industrien, überhaupt an unsere ganze Exportwirtschaft. Ich glaube, es ist nicht nötig, in diesem Zusammenhang und an diesem Orte darüber noch etwas zu sagen.
Die heute vorgesehene Aufwandsteuer geht nun noch weiter als die Aufwandsteuer vom vergangenen Jahr. Der Katalog umfaßt - auch das sollte einmal angesprochen werden - auch Rundfunkgeräte - anscheinend nach dem Motto: Wer hören will, muß fühlen ({0})
Waschmaschinen, Heizgeräte, Elektrogeräte, sogar 4 Feuerzeuge! Ich möchte sagen, es handelt sich hier nicht um ein Gesetz zur Besteuerung besonderen Aufwands, sondern um ein Gesetz zur Besteuerung besonderen Fortschrittes.
Ganz besonders peinlich berührt es uns, daß mit diesem Gesetz versucht wird, die Süßwaren und die Kakaoerzeugnisse aller Art wieder durch eine Hintertür in ein Steuergesetz hineinzuschmuggeln, nachdem nicht etwa nur Interessentenverbände, Herr Bundesfinanzminister, gegen die Süßwarensteuer und gegen die Besteuerung der Kakaoerzeugnisse Stellung genommen hatten, und nicht etwa nur die Wirtschaft, sondern auch das gesamte deutsche Volk.
Wir wollen uns auch an folgendes erinnern. Wenn unsere Arbeiten so fortschreiten wie in der letzten Zeit, dürfen wir in der nächsten Zeit damit rechnen, daß endlich Lastenausgleichsbeträge an Hunderttausende von Berechtigten gezahlt werden. Es ist unmöglich, daß wir jetzt, unmittelbar bevor den Berechtigten die Beträge, auf die sie jahrelang warten, ausgezahlt werden, einen großen Teil der Konsumgüter mit einer zusätzlichen Steuer belasten und diese Konsumgüter verteuern, so daß die „Lastenausgleichsmark" nach einigen Monaten nur noch einen Teil dessen wert ist, was sie vor einem Jahr wert gewesen ist.
Für uns Sozialdemokraten sind ein Staubsauger für die geplagte Hausfrau und ein Elektroofen kein Luxus; wir betrachten den Teller mit dem Goldrand nicht als einen besonderen Aufwand. Sie können aber im Aufwandsteuergesetz nachlesen, daß das ein besonderer Aufwand ist. Wir haben in diesem. Hohen Hause ganz andere Arten von Aufwand je und je bekämpft. Ich denke an den unverantwortlichen Aufwand, der meinetwegen darin gelegen hat, daß wir von Frankfurt nach Bonn herübergezogen sind.
({1})
Ich denke auch an den Luxus, der darin liegt, daß wir uns einige überflüssige Ministerien halten.
({2})
Ich denke vor allen Dingen an den Luxus, den sich ein geschlagenes Volk nun bestimmt nicht leisten darf: das ist der Luxus einer Wirtschaftspolitik mit anderthalb Millionen Arbeitslosen in guten Monaten,
({3})
einer Wirtschaftspolitik mit jährlichen Kohlenkrisen, die doch im wesentlichen auf eine ratlose Politik der Planlosigkeit zurückzuführen sind. Ich denke an den Luxus, der darin liegt, daß wir uns zu jedem Winter wieder wegen derartiger Kohlenkrisen Arbeiterentlassungen gefallen lassen müssen. Ich glaube weiter, der Herr Bundesfinanzminister täte gut daran, wenn er sich statt mit dem Luxus, den er in diesem Aufwandsteuergesetz aufführt, mit dem Luxus beschäftigte, der darin liegt, daß sich die meisten seiner Finanzbeamten damit beschäftigen, die Einkommensteuer und die Lohnsteuer in Pfennigbeträgen - wir haben darüber häufig gesprochen - von den kleinsten Steuerpflichtigen einzubehalten, und so ihre Arbeitskraft vertun. Ich glaube, wir sollten es als einen Luxus bezeichnen, daß wir jetzt schon länger als zwei Jahre auf eine umfassende und organische Steuerreform warten.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat uns davor gewarnt, davon zu sprechen, daß er uns ein Gesetz vorlege, das aus({4})
schließlich der „Optik" diene. Ich möchte auf eine der vielen Reden hinweisen, die der Herr Professor Erhard in der vergangenen Zeit gehalten hat, auf seine Rede bei der Eröffnung der Kölner Möbelmesse, in der er gesagt hat - ich zitiere jetzt nach dem „Handelsblatt" -: er halte von der Luxussteuer gar nichts; abgesehen davon, daß in Deutschland mit solchen Experimenten immer schlechte Erfahrungen gemacht worden seien, sei er der Meinung, wir sollten nicht mehr Steuerpolitik aus Optik betreiben, sondern wir sollten auf diesem Gebiet ehrlich werden. Ich weiß nicht, an welche Adresse Herr Professor Erhard diese Äußerungen gerichtet hat; sie passen aber sehr gut in diesen Zusammenhang, in dem uns der Herr Bundesfinanzminister von Optik spricht.
Ich könnte noch sehr viel aus diesen Sonntagsreden der Herren Minister - des Herrn Minister Schäffer und des Herrn Minister Erhard - zitieren, wo es einmal heißt, die Luxussteuer dürfe nur Waren treffen, bei denen wirklicher Luxus vorliege. So gesagt in Offenbach, wo man derartige Dinge ganz besonders gerne hört. Ich könnte aber auch auf Reden des Herrn Professor Erhard an einer anderen Stelle - ich erinnere an sein Memorandum - hinweisen, wo er erklärt, daß eine derartige Luxussteuer aus wirtschaftspolitischen Gründen abzulehnen sei. Herr Kollege Wellhausen hat schon ganz recht, wenn er sagt, wir sollten uns diesen Aufwand nicht leisten und uns in diesem Parlament nicht immer wieder mit Gesetzesvorlagen beschäftigen, die bereits von einem Teil der Koalitionsparteien und vom Bundesrat abgelehnt worden sind und die auch hier gar kein anderes Schicksal erfahren können, als abgelehnt zu werden.
Wir müssen auch - das ist schon von dem Herrn Vorredner angesprochen worden - den oft gebrauchten Vergleich mit der purchase tax ablehnen, und zwar aus den verschiedensten Gründen. Die Engländer haben ein sehr soziales Steuersystem mit sehr hohen Freibeträgen. Die Steuersysteme sind miteinander unvergleichbar. In England gibt es keine allgemeine Umsatzsteuer, während in Deutschland jede Ware - es gibt nur ganz geringe Ausnahmen - von der Umsatzsteuer, dieser Allphasensteuer so betroffen wird, daß in jedem Verkaufspreis mindestens 10 bis 15 % Umsatzsteuer stecken. Die Engländer haben ein umfassendes Utility Program in demselben Augenblick eingeführt, in dem sie die purchase tax eingeführt haben. Das ist besonders wichtig. Als wir kürzlich englischen Besuch hatten, sagte mir einer der Abgeordneten des Unterhauses, daß alles, was er am Körper trage - Anzug, Schlips, Schuhe - keiner einzigen Verbrauchsteuer unterliege. Und das waren schon alles anständige und billige UtilityWaren.
({5})
Ein ähnliches Programm in Deutschland einzuführen, dazu wäre diese Bundesregierung bei ihrer Wirtschaftspolitik nicht in der Lage.
({6})
Wenn wir weiter in einem englischen Brief, der uns jetzt bekannt geworden ist, lesen, daß „das deutsche Volk noch nicht die volle Tragweite seiner Forderung nach Souveränität für die Bundesrepublik erkannt" habe, weil es nämlich im Bundesrat die Aufwandsteuer abgelehnt hat, dann ist das nur
ein Beweis dafür, daß der Briefschreiber von den I deutschen Steuerverhältnissen sehr wenig Ahnung hat.
({7})
Millionen und aber Millionen kleiner Lohn- und Einkommensbezieher in Deutschland zahlen Lohn-, Umsatz- und Verbrauchsteuern sowie in den meisten Preisen Zölle in einem Umfange, von dem der englische Steuerzahler, glaube ich, sich nichts träumen läßt.
Wir müssen mit Rücksicht auf die Ausführungen des Bundesfinanzministers, der davon gesprochen hat, wir hätten lediglich die Wahl zwischen dieser Aufwandsteuer und einer Erhöhung der Umsatzsteuer, wieder auf die grundsätzlichen Fragen der Steuerpolitik eingehen. Daß uns der Herr Bundesfinanzminister jetzt zum zweiten oder dritten Male dieses Steuergesetz vorlegt, zeugt nicht nur von seiner Hartnäckigkeit, die wir an sich jedem Bundesfinanzminister wünschen, sondern zeugt auch von der Sterilität der Steuerpolitik, die hier getrieben wird. Ich glaube, wir sollten endlich einmal aus dem Barackenlager unseres Steuersystems herauskommen und nicht versuchen, immer wieder neue Baracken in dieses Barackenlager zu setzen.
Meine Damen und Herren! Wir haben seit Jahr und Tag gegen eine Erhöhung der indirekten Steuern gekämpft und haben das insbesondere in dem Augenblick getan, als Sie mit Ihrer Mehrheit die Umsatzsteuer von 3 auf 4 % erhöhten. Weiter haben wir immer wieder auf die Diskrepanz zwischen der Höhe der Einkommensteuer und der Höhe der Umsatzsteuer hingewiesen. Im Rechnungsjahre 1949/50 - und diese Zahlen müssen immer wieder vorgetragen werden, wenn wir uns über ein Steuergesetz unterhalten - hat die Einkommensteuer 4 1/2 Milliarden DM gebracht. Dann begann sich Ihre Einkommensteuerreform vom Frühjahr 1950, gegen die wir gekämpft haben, auszuwirken, und das Aufkommen im Rechnungsjahre 1951/52 hat dann nur mehr 3 1/2 Milliarden DM betragen. Der Betrag, um den sich das Aufkommen der Einkommensteuer auf Grund Ihrer Steuerreform vermindert hat, hat also im letzten Rechnungsjahre fast eine Milliarde DM betragen. Bezeichnenderweise entfällt von dieser einen Milliarde der allergrößte Teil auf die veranlagten Einkommensbezieher und nur ein kleinerer Teil auf die Lohnempfänger. Wir haben Ihnen immer wieder das eine Beispiel von den 100 000 Steuerpflichtigen gebracht, die mehr als 25 000 DM verdienen, im Durchschnitt etwa 7000 DM an Steuern sparten und so an dieser Steuersenkung mit 700 bis 800 Millionen DM beteiligt sind.
({8})
- Hartnäckig muß man sein, wenn man sich mit Finanzpolitik beschäftigt, Herr Kollege Pelster!
Wir möchten in diesem Zusammenhang auf den Sonne-Bericht hinweisen, der das Licht der Öffentlichkeit bedauerlicherweise nicht hinreichend erblickt hat. Ich möchte daran erinnern, daß dieser Bericht von Mr. Sonne am 21. März 1951 dem Bundeskanzler mit einem Begleitschreiben überreicht worden ist, in dem zu lesen steht, daß der Bericht „auf Grund des von der Bundesrepublik Deutschland an die Regierung der Vereinigten Staaten gerichteten Ersuchens um Ernennung einer Gruppe von Fachleuten entstanden ist, die Vorschläge zur Eingliederung der Flüchtlinge in das wirtschaftliche, soziale und politische Leben Westdeutschlands machen sollte". Auf Grund dieses Ersuchens unserer Bundesregierung hat eine „kleine Gruppe
({9})
von Fachleuten in monatelanger Tätigkeit" die Unterlagen des Berichts erarbeitet. Was sagen, Herr Bundesfinanzminister, diese Fachleute nun zu Ihrer Steuerpolitik? Auf Seite 16 heißt es:
Die Verteilung der Steuern innerhalb Westdeutschlands ist tatsächlich weniger progressiv
als in vielen Demokratien.
({10})
Die geringeren Einkommen zahlen relativ
einen zu hohen Anteil an allen Steuern. Auf Seite 61:
Das bedeutet aber, daß die tatsächlich bezahlten höchsten Steuersätze ungefähr 50 % betragen. Große Vermögen haben sich gebildet. Die hohen Einkommensgruppen haben relativ weniger zu dem Steueraufkommen beigetragen als ähnliche Gruppen in anderen Demokratien.
({11})
Dann heißt es weiter:
Drei aufeinanderfolgende Ermäßigungen haben mit der Währungsreform 1948 ernsthaft die persönliche Einkommensteuer als verläßliche Einnahmequelle unterhöhlt.
Und auf Seite 283:
Gegenwärtig scheint die Belastung der hohen Einkommensgruppen unverantwortlich gering zu sein.
Das ist das Ergebnis dieses Sonne-Gutachtens.
({12})
- Wir sprechen jetzt nicht von der Körperschaftsteuer, sondern von der Einkommensteuer, Kollege Preusker!
Zur Umsatzsteuer sagt das Gutachten auf Seite 284 - also vor nunmehr 6 Monaten -:
Jede Erhöhung der Umsatzsteuer würde aus
allgemeinen Prinzipien unheilvoll sein.
Etwas Ähnliches haben wir schon in der Drucksache Nr. 1000 des Herrn Bundesfinanzministers Mitte des vergangenen Jahres gelesen. Da hat der Herr Bundesfinanzminister gesagt:
Der Anteil der Steuern vom Umsatz und Verbrauch am Gesamtsteueraufkommen . . . wird 1950 nach den Vorschätzungen 50 v. H. übersteigen.
Das haben Sie sehr elegant erreicht, Herr Bundesfinanzminister. Sie haben aber damals weiter gesagt:
Eine Erhöhung der Steuern vom Umsatz, Verbrauch und Aufwand ist somit ausgeschlossen.
Das war im Sommer 1950. Darf ich Sie daran erinnern, in welchem Umfange inzwischen die Verbrauchsteuern einschließlich der Umsatzsteuer gestiegen sind und in welchem Verhältnis heute das Aufkommen an Umsatzsteuer zu dem Aufkommen an Einkommensteuern steht. Das sind oft genannte Ziffern.
Ich möchte, wenn ich auf diese grundsätzlichen Fragen zurückkomme, darauf hinweisen - und ich möchte ja einen Beweis antreten -, daß es nicht etwa nur diese Alternative des Herrn Bundesfinanzministers gibt: entweder Aufwandsteuer oder Umsatzsteuererhöhung. Es gibt noch viele andere Möglichkeiten.
({13})
Wir haben vor uns eine sehr verdienstvolle Arbeit
und sehr verdienstvolle Berechnungen des Herrn
Abgeordneten Bodensteiner von der CDU liegen,
veröffentlicht in den „Gewerkschaftlichen Monatsheften" - er gehört zu Ihrer Fraktion, Kollege Pelster -, „über die sozialen Auswirkungen der Schäfferschen Steuerpolitik". Er hätte besser geschrieben: über die unsozialen Auswirkungen. Er hat dort für verschiedene Einkommensteuerpflichtige berechnet, daß bei einem Einkommen von 2200 DM im Jahre die gesamte Steuermehrbelastung durch die Umsatzsteuer und durch die Verbrauchsteuern 65 % beträgt, verglichen mit dem Jahre 1949, so daß die lächerlich kleinen Lohnsteuerermäßigungen bei diesen Einkommen und Löhnen überhaupt keine Rolle mehr spielen.
Die Finanzpolitik, die ich hier gestreift habe, hat es als ein getreues Äquivalent zu der Wirtschaftspolitik des Herrn Professor Erhard glänzend verstanden, über die Einkommensteuer die Gewinne in der deutschen Wirtschaft zu kapitalisieren und über die Umsatzsteuer die Verluste zu sozialisieren.
Wir haben über die Grundsätze unserer Finanzpolitik niemals einen Zweifel gelassen. Sie sind unsere Gegenvorschläge wider die beiden einzigen Vorschläge, die Sie im Augenblick kennen, Herr Bundesfinanzminister. Wir wünschen erstens die Beseitigung der unheilvollen Tarifsenkung von 1950; denn mit diesen Tarifsenkungen - soweit sie Einkommen über etwa 10 000 DM im Jahre betreffen - haben Sie ja den Luxuskonsum, den Sie jetzt treffen wollen, selber erst entfesselt!
({14})
Zweitens wünschen wir eine wesentliche Erhöhung der Freibeträge zur Entlastung der kleinen Einkommen und zur Hebung des Massenverbrauchs. Drittens lehnen wir die Erhöhung indirekter Steuern ab. Sodann verlangen wir - wie es auch der Herr Kollege Wellhausen getan hat; wir haben es in diesem Hause als erste getan - die Bundesfinanzverwaltung. Und da wir gerade von Aufwand und Luxus sprechen, sagen wir: Weg mit dem Luxus von elf Länderfinanzverwaltungen!
({15})
Wir fordern schließlich die schärfere Erfassung der Steuersünder und können darauf hinweisen, daß sich auch in diesem Punkte die Hoffnungen der Steuerreform von 1950 nicht erfüllt haben. Kurzum, wir verlangen eine umfassende Steuerreform und bitten den Herrn Bundesfinanzminister, sich den Luxus nun nicht mehr lange zu leisten, uns auf diese Steuerreform warten zu lassen.
Wir, die sozialdemokratische Fraktion, sind es gewesen, die im Frühjahr dieses Jahres, am 7. März anläßlich Ihrer Vorlage zur Einkommensteuer die Investitionsanleihe vorgeschlagen haben. Das ist, glaube ich, der einzige konstruktive Gedanke, der in diesem Jahr in die Wirtschafts- und Finanzpolitik eingegangen ist. Die Regierung hat sich den Luxus geleistet, monatelang zuzusehen, wie sich die Spitzenverbände der Wirtschaft - als Opferring sozusagen - zusammenrauften, um uns letzten Endes ein unbrauchbares Gesetz vorzulegen. Damals haben wir weiter eine Mehrverbrauchsteuer angeregt, die volkswirtschaftlich unerwünschten Überkonsum gebunden und gleichzeitig dem Kapitalmarkt gedient hätte, da man durch sie das Sparen sehr hätte begünstigen und fördern können. Sie wäre eine soziale direkte Verbrauchsteuer gewesen. Sie mußte dem Luxus dieser Luxussteuer weichen.
Heute nun schlagen wir zusätzlich vor: beseitigen Sie den § 32 b des Einkommensteuergesetzes, den Sie im Frühjahr mit. Ihrer kompakten Mehrheit
({16})
angenommen haben! Beseitigen Sie also das Wahlrecht der höchsten Einkommenbezieher, statt der Einkommensteuer Körperschaftsteuer zu zahlen. Eine solche Änderung bringt etwa 100 Millionen DM im Jahre ein und trifft nur etwa 700 bis 800 Steuerpflichtige. Ich erinnere an das, was der Herr Staatssekretär Ringelmann im Auftrag des Bundesrats seinerzeit an dieser Stelle gesagt hat: Es wird sehr schwer sein, dem Volke klarzumachen, daß es sich bei dem § 32 b nicht um eine unsoziale Steuermaßnahme handle.
Wir schlagen die Beseitigung der steuerlichen Exportförderung vor.
({17})
Etwa 60 % dieser Exportförderung
({18})
- ich darf das eben einmal zu Ende führen - begünstigen reine Rüstungskonjunkturgewinne. Ich glaube, es ist das erste Mal in der Finanzgeschichte, daß man derartige Gewinne nicht hundertprozentig wegsteuert, sondern auch noch steuerlich begünstigt. Denn es gibt viele Sorten von Export
- ich brauche mich nicht zu verbreiten -, die unter den Begriff fallen, den ich Ihnen eben nannte. Die restlichen 40 % des Exports - da denke ich an die Nachfolgebetriebe von Gablonz, an Hanau, Offenbach, an die Frankfurter Pelzwarenindustrie und an viele andere Wirtschaftszweige - können Sie auf eine ganz andere Weise, meinetwegen über das Wirtschaftsministerium, fördern. Diese Gedanken haben wir schon zum Ausdruck gebracht, als wir über die Exportförderung im Ausschuß und in diesem Hohen Hause sprachen. Auch hierbei handelt es sich um Hunderte von Millionen Mark, die ein großer Teil der Wirtschaft als reine Geschenke hingenommen hat.
({19})
Herr Finanzminister, die Opposition ist bisher nicht so weit gegangen, Ihre Finanzpolitik als verantwortungslos zu bezeichnen, weil darin nämlich neben der starken objektiven Kritik eine subjektive Bewertung läge. Wir wären beinahe versucht, es zu tun, weil wir das sture Beharren auf einem falschen Weg trotz aller Warnungen und trotz aller, Tatsachen kaum anders bezeichnen können. Ich möchte Sie aber auf eine Kritik aus Ihren eigenen Reihen hinweisen. Der Herr Abgeordnete Euler ist es gewesen, der auf dem hessischen Parteitag der FDP von der „verantwortungslosen Steuerpolitik des Bundesfinanzministers" gesprochen hat.
({20}) Das ist wenige Wochen her. Ich glaube, er wollte sich dort als das legitimieren, was er unter „Opposition innerhalb der Koalition" versteht.
({21})
Wir meinen aber: wenn sich ein Fraktionsvorsitzender, dessen Fraktion seit Jahr und Tag die Politik des Herrn Bundesfinanzministers stützt und mit ihm durch dick und dünn geht, auf einem Parteitag vor sein Volk stellt und dort diese selbe Politik als verantwortungslos bezeichnet, dann können wir auch das nur als verantwortungslos bezeichnen.
({22})
Sie sehen, Herr Bundesfinanzminister, es hat Ihnen nichts geholfen, daß Sie in diesem Frühjahr irgendwo in Bayern an der schönen blauen Donau, in Plattling, von den „gemeinsamen Sünden" gesprochen haben, die Sie mit der FDP und die FDP mit Ihnen verbänden. Wie wäre es, wenn Sie einmal versuchten, nicht „über gemeinsame Sünden", sondern über gemeinsame gute Taten im Bundestag Finanzpolitik zu betreiben?
Ich möchte schließen mit den letzten Sätzen
unserer Ausführungen vom 7. März dieses Jahres
und bitte, mir zu erlauben, sie zu zitieren. Mit
diesen Ausführungen haben wir die Investitionsanleihe und die Mehrverbrauchsteuer vorgeschlagen. Diese Sätze enthalten unsere steuerpolitischen
Vorstellungen, die wir in diesem Hohen Hause seit
dem Tage seines Bestehens vorgetragen haben: Die sozialdemokratische Fraktion wird auch in diesem Jahre wieder alles daransetzen, daß unser Steuersystem diese vier Forderungen erfüllt: Vereinfachung der Verwaltung und damit die sparsamste Erhebung der Steuern, die Belastung des einzelnen nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, dann vor allem auch die unerbittliche Erfassung aller Steuerpflichtigen um der steuerlichen Gerechtigkeit willen und schließlich und nicht zuletzt auch ein Steuersystem der unbedingten sozialen Gerechtigkeit.
Wir werden an jeder Steuervorlage mitarbeiten, die diesen Forderungen gerecht wird; aber jeder Steuervorlage, die diesen Forderungen widerspricht, sagen wir unseren schärfsten Kampf an.
({23})
Das Wort hat der Abgeordnete Leonhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich die uns heute zur Beratung vorliegende Drucksache Nr. 2701 mit der Drucksache Nr. 1345 vergleiche, dann werde ich an das alte Sprichwort erinnert: „Es kommt selten etwas Besseres nach!"
({0})
Dieses Gesetz wäre geeignet, eine Entwicklung einzuleiten, die man etwa so umschreiben könnte: „Vom Vierfarbstift zurück zum Gänsekiel!" Vergleichen Sie, meine Damen und Herren, bitte den Katalog dieser beiden Drucksachen einmal miteinander, dann werden Sie mir bestimmt recht geben. Übrigens ging uns heute eine Stellungnahme des Zentralverbandes gewerblicher Einkaufsvereinigungen des Handels zu. Diese Stellungnahme ist außerordentlich interessant und bringt alles Wesentliche zum Ausdruck, was wir beachten sollten. Nur rein fiskalisches Denken konnte übersehen, wie wirtschaftschädigend die Einführung dieser Steuer bei der labilen Lage unserer Wirtschaft wirken müßte.
Einer, der sehr viel von wirtschaftlichen Dingen versteht, bezeichnete die geplante Steuer als eine für die Wirtschaft mörderische Steuer, und diesem Ausspruch möchte ich nichts hinzufügen.
Es scheint mir nun dringend notwendig zu sein, einige unterbelichtete Stellen dieses Gesetzentwurfs etwas deutlicher zu beleuchten, um sie besser sichtbar zu machen. Nach Abs. 2 der Begründung soll die Aufwandsteuer „Aufwendungen nicht lebensnotwendiger Art treffen, die im allgemeinen von den bemittelteren Schichten der Bevölkerung gemacht werden". Ich frage Sie, meine Damen und Herren: werden Haushaltsporzellan, Fotoapparate, Strickwaren, Kugelschreiber und ähnliches nur von den bemittelteren Schichten der Bevölkerung gekauft?
({1})
({2})
Sehen Sie bitte den Katalog unter diesen Gesichtspunkten einmal erneut an! Wen träfe denn diese Steuer? Doch vor allen Dingen die Ausgebombten, die Vertriebenen, die allmählich wieder aus ihren Trümmerbehausungen und Barackenlagern herauskommen und sich jetzt die Dinge anschaffen müssen, die andere, welche nicht so hart vom Schicksal getroffen wurden, noch besitzen. Ich erinnere an die Beleuchtungskörper, an die Waschmaschinen, die Staubsauger, Elektrogeräte, Rundfunkgeräte, Glas, Porzellan, Keramik, Textil- und Lederwaren, Teppiche usw.
Dabei darf nicht übersehen werden, daß die Menschen, welche jetzt wieder in Neubauwohnungen kommen - und dazu gehört auch die Mehrzahl der Jung- oder Neuvermählten -, ihr Leben lang eine bedeutend höhere Miete zu zahlen haben, die ihre sonstige Lebenshaltung für dauernd sehr herabdrückt.
Wie will man eine solch einseitige Belastung rechtfertigen? Soweit Qualitätsbegriffe eine Rolle spielen, wie z. B. bei der Gewichtsbegrenzung für Möbelstoffe, würde die Einführung dieser Steuer zu einer Qualitätsverschlechterung führen; und diese muß unter allen Umständen vermieden werden. Ramsch gibt es - bei Gott - mehr als genug, und das deutsche Volk ist wirklich zu arm, um sein Geld für minderwertiges Zeug hinauszuwerfen.
Viele Dinge, die früher nicht jedem zugänglich waren, sind heute tatsächlich zu Gegenständen des täglichen Bedarfs für jedermann geworden. Diese Entwicklung kann und darf unter keinen Umständen mehr zurückgeschraubt werden. Mir fiel dieser Tage die altbekannte Waschmaschinen-Reklame ein: „Wenn Vater waschen müßte . . .!" Sie alle kennen diese Reklame. In Abwandlung dieses Reklamewortes möchte ich heute sagen: Wenn Schäffer waschen müßte,
({3})
dann würde er bestimmt die Waschmaschinen nicht sonderbesteuern!
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Sollen denn unsere Frauen wieder so waschen, wie die entführte Gudrun am Meeresstrand der Normandie zu tun gezwungen wurde?
Soviel Porzellan, wie durch die laufende Nr. 8 Buchstabe f des Entwurfs, durch welche das Haushaltsporzellan erfaßt werden soll, zerschlagen würde, wurde wohl noch selten durch ein Steuergesetz zerschlagen.
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Und wenn man in Nr. 19 Buchstaben c und d liest, daß die reinen oder mindestens 80 %igen Wollwaren ebenfalls zu dieser Steuer herangezogen werden sollen, dann könnte man wirklich in die Wolle geraten, und zwar selbst auf die Gefahr hin, dafür sonderbesteuert zu werden.
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Sollte diese Steuer je eingeführt werden, dann möchte man am liebsten betrübt und traurig auf leisen Kreppsohlen davonschleichen. Doch auch für diese Kreppsohlen wäre wieder die Sondersteuer fällig. Und wenn einer vor Wut darüber seinen Leder- oder auch Nicht-Lederkoffer packen wollte, dann hätte er wieder für diesen Koffer die Sondersteuer zu berappen.
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Und wollen wir tatsächlich die Neujahrslebkuchen und die Bonbons der Kinder sonderbesteuern und der Bevölkerung die Dauerbackwaren verteuern? Wir wissen doch, wie sauer das Volk auf die geplante Süßwarensteuer reagierte. Und jetzt steckt diese Süßwarensteuer wieder in dem Entwurf.
Herr Bundesfinanzminister, die Mehrheit des Bundestages hat erkannt, was alles an Gefahren für unsere Wirtschaft im Bauch dieses trojanischen Pferdes versteckt ist.
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Dieses trojanische Pferd wollen wir dem Lebensbereiche unseres Volkes lieber fernhalten.
In dem Katalog wird auch eine ganze Anzahl größerer oder kleinerer Geschenkartikel erfaßt, mit denen viele Menschen bislang anderen eine Freude bereitet haben. Soll denn nun das bißchen Freudebereiten auch noch sonderbesteuert werden? Was man in anderen Ländern macht, kann uns mehr oder weniger gleichgültig sein. Der Bundesfinanzminister legt ja auch keinen Wert darauf, wie er uns erklärte. Wir haben die Interessen unserer Bevölkerung zu vertreten.
Als Vertreter Pforzheims - ich spreche hier auch für die Schwäbisch-Gmünder und Hanauer Industrie - möchte ich nur wünschen, Sie alle hätten mit mir vergangene Woche die Gelegenheit gehabt, der Eröffnung der Ständigen Musterausstellung Pforzheim beizuwohnen. Wie viele künstlerische Ideen sah man da in die Wirklichkeit umgesetzt! Wahrlich eine imposante Schau, welche Zeugnis ablegte von dem Aufbauwillen der gesamten Uhren-und Schmuckwarenindustrie, dem Unternehmungsgeist der Fabrikanten, den künstlerischen Leistungen und dem Fleiß der Arbeiter und Angestellten, der vielen Tausend Frauen und Männer, für welche die Herstellung dieser Gegenstände Broterwerb bedeutet. Pforzheim mit seinen heute wieder 55 000 Einwohnern bedeutet für unsere Volkswirtschaft mehr, als man auf Grund seiner Bevölkerungszahl annehmen könnte. Pforzheim ist, wie Ihnen allen bekannt ist, wohl eine der am meisten zerstörten Städte, die in den schauerlichen Abendstunden des 23. Februar 1945 in einem Inferno von Bomben und Phosphor unterging und von seinen fleißigen 80 000 Bewohnern in wenigen Minuten nahezu 18 000 Menschen verlor und deren Industrie so gut wie restlos vernichtet wurde. Diese Stadt erzielte 1949 18 Millionen DM, 1950 45 Millionen DM und 1951 etwa 70 Millionen DM Export. Dies entspricht einer Exportziffer von über 1260 DM pro Kopf der Pforzheimer Bevölkerung. Entfiele auf alle 48 Millionen Bewohner unseres Bundesgebietes der gleichhohe Exportbetrag, so entspräche dies im Jahre 1951 einem Gesamtexport von über 60 Milliarden DM. Ohne gesicherten Inlandsmarkt ist aber ein solcher Export niemals zu erzielen; dies muß jedem Einsichtigen klar sein.
Als Vertreter des südwestdeutschen Raums mit seiner vielfältigen Veredelungsindustrie muß ich diese Steuer ablehnen; denn gerade unser südwestdeutscher Raum würde von den verheerenden Folgen einer solchen Steuer ungleich schwer getroffen werden.
Daß auch wieder in diesem Gesetzentwurf das mir so verhaßte Wort „ermächtigt" zweimal vorkommt, möchte ich nur kurz erwähnen. Wieviele Klagen hören wir immer wieder über die Gesetzesauslegung und Gesetzeshandhabung durch die Bürokratie, und zwar durch den Erlaß von Durchführungsbestimmungen und ähnlichem.
„Aufwand" steuer scheint mir allerdings wie auch einigen meiner Herren Vorredner der richtige Name für das zu sein, was hier geplant wird. Es
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gibt Besitzsteuern, es gibt Ertragsteuern; dies hier wäre nur eine Aufwandsteuer, bei welcher der Ertrag in keinem Verhältnis zum Aufwand und den wirtschaftschädigenden Folgen stünde.
Auf eine Luxussteuer, von der man jetzt auch wieder spricht, trifft, wie die Erfahrung lehrt, genau dasselbe zu. Ich wende mich deshalb vorsichtshalber schon jetzt gegen eine solche Luxussteuer, bei der das Aufkommen eben auch in keinem Verhältnis zu den Aufwendungen stände.
Es sollte nicht immer in erster Linie nach neuen Steuerquellen gesucht werden, sondern wir sollten alle Haushalte und Verwaltungseinrichtungen des Bundes, der Länder, der Kreise, der Gemeinden und sonstigen Körperschaften auf ihre Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit überprüfen. Dies würde bestimmt Ersparnisse bringen, mehr an Ersparnissen, als durch eine Aufwandsteuer an Einnahmen je erzielt werden könnte.
Ich hoffe, daß sich der Bundestag seiner hohen Verantwortung bewußt ist und diesen Weg einschlägt.
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Meine Damen und Herren! Eine schreckliche Nachricht veranlaßt mich, diese Beratung kurz zu unterbrechen.
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Die Eisenbahndirektion Offenbach teilt soeben mit, daß heute früh der Personenzug MünchenMühldorf bei Walpertskirchen verunglückt ist. Es sind 15 Tote, 8 Schwerverletzte rund 2 Leichtverletzte zu beklagen. Der Deutsche Bundestag spricht den Hinterbliebenen der Verunglückten und den überlebenden Opfern des Unglücksfalles sein inniges Beileid aus. - Sie haben sich von Ihren Sitzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Besold.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Gesetzesvorlage ist in der Öffentlichkeit und im Bundesrat schon so zerpflückt und bearbeitet worden, daß es sich eigentlich erübrigen würde, hier eine weitere Stellungnahme abzugeben, nachdem die Vorlage nicht einmal von der Regierungskoalition getragen wird; aber die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers veranlassen mich, eine kurze Erklärung abzugeben.
Der Herr Bundesfinanzminister hat in seinen Ausführungen und in seinen Begründungen der Gesetzesvorlage dem „Finanzbedarf" sehr breiten Raum gegeben, aber der Zweckmäßigkeit dieses Gesetzes über die Aufwandsteuer nur wenige Sätze gewidmet und dabei eine recht unglückliche Formulierung gefunden. Er hat nämlich gesagt, wir, die Abgeordneten dieses Hauses, sollten uns durch die „öffentliche Agitation der Betroffenen" nicht beirren lassen. Ich glaube, diese Formulierung kann im vorliegenden Falle doch nicht gebraucht werden; denn aus allen Zweigen, von Wirtschaft, Handel und Gewerbe sind gerade gegen diese Gesetzesvorlage wegen der ernsten Gefahren volkswirtschaftlicher, arbeitsmarktpolitischer und sozialer Natur so viele echte und wohlbegründete Bedenken vorgetragen worden, daß der Herr Bundesfinanzminister eine solche Formulierung besser unterlassen hätte, zumal ja auch der Bundesrat sich die Einwendungen aus der Wirtschaft zu eigen gemacht hat. Ich habe das Vorbringen, das uns allen aus den Wirtschaftskreisen zugeleitet worden ist, mit dem Vortrag der einzelnen Herren im Bundesrat verglichen und festgestellt, daß 15 Einwände aus dem Vorbringen der Öffentlichkeit vom Bundesrat bei der Ablehnung dieses Gesetzentwurfes übernommen worden sind. Ich möchte daher diese Einwände nicht wiederholen.
Das Gesetz ist nach all dem, was wir wissen, nach den begründeten Einwendungen, die uns zugeleitet wurden, in seiner Grundanlage, im Aufbau und in seiner Zielsetzung so verfehlt, daß jedem Verantwortlichen die Notwendigkeit klar geworden ist, die Wirtschaft vor weiteren störenden Einflüssen durch verfehlte Steuerexperimente zu bewahren, zumal wir wissen, daß die Wirtschaft in allen ihren Zweigen bei jeder Störung wie ein empfindliches Barometer reagiert. Ich erinnere nur an die Auslösung von Vorkaufspaniken, an die Störung der rationellen Gestaltung der Produktion und die Störung der Dispositionen des Handels.
Diese Umstände - die lange Zeit, in der über dieses Gesetz debattiert worden ist, und die Unruhe, die in der Wirtschaft ausgelöst worden ist - verpflichten uns, diese völlig verfehlte Gesetzesvorlage so rasch als möglich abzulehnen. Herr Kollege Wellhausen hat davon gesprochen, daß dieses Gesetz mit einem kranken Kind zu vergleichen sei, mit dem der Herr Finanzminister in dieses Haus gekommen sei, einem Kind, das die englische Krankheit habe. Ich glaube, man kann nicht nur von einer Mißgeburt, sondern von einer Fehlgeburt sprechen.
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Unsere Fraktion lehnt diesen Gesetzentwurf ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mühlenfeld.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Ausführungen unseres Kollegen Leonhard widerstrebt es mir im Innersten meines Herzens, zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Ich möchte mich deshalb auch sehr kurz fassen. Ich bin aber der Auffassung, daß man angesichts der Arbeit unserer Regierung und der Finanznöte, in die der Bundestag den Herrn Finanzminister hineingebracht hat, nicht so reagieren kann, wie das Herr Leonhard getan hat.
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Daß diese Gesetzesvorlage berechtigt sei, ist mit der Behauptung begründet werden, die Aufwandsteuer belaste in erster Linie die Kreise, die über einen gewissen Kaufkraftspielraum verfügen. Meine Damen und . Herren, wenn dem so wäre, dann könnte die Fraktion der Deutschen Partei die Vorlage im Ausschuß auf dieser Grundlage diskutieren. Dem ist aber nicht so. Was heißt Aufwand? Herr Bundesfinanzminister, ich befürchte, daß in der Liste B Ziffer 19 der Textilgruppe sogar gewisse Schnürsenkel steuerbelastet werden. Wenn ich mir den ganzen Katalog dessen ansehe, was hier als Aufwand - sogar als gehobener Aufwand - bezeichnet wird, dann habe ich den Eindruck, als wenn das eine Aufwandsteuervorlage für die sowjetrussischen Völker wäre; ihrem Lebensstandard mag eine derartige Liste von Artikeln angemessen sein.
Ich weiß nicht, wie wir im Ausschuß dieses Problem läsen sollen. Meine Fraktion und ich haben wenig Hoffnung, daß das möglich ist. Vielleicht ist ein grundsätzlicher Schnitt quer durch alle Warengruppen Ihres Katalogs, Herr Finanzminister, möglich, so daß die Erzeugnisse der unteren Preisstufen steuerfrei blieben. Einige Waren werden vielleicht ganz herausgenommen werden müssen. Vielleicht ist eine echte Luxussteuer, die wir unter Abwägung
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aller wirtschaftlichen und exportpolitischen Bedenken diskutieren müßten, noch möglich; vielleicht sind auch andere Warengruppen hineinzunehmen. Es ist meinen politischen Freunden schlechterdings unverständlich, warum man beispielsweise diese unselige Inflation zahlloser Broschüren, Zeitschriften, Illustrierten und Magazine und dergleichen mehr, die auf minderwertige, ja zum großen Teil auf niedrigste Instinkte einer gewissen Leserschaft spekulieren, nicht in diesen Katalog mit hineinnimmt.
Herr Bundesfinanzminister, wir können uns auch nicht darauf berufen, daß für einzelne Artikel dieses Katalogs die Besteuerung oft nur einen geringen Betrag, ja nur Pfennigbeträge ausmacht. Sicher, einen Radioapparat kauft man sich nicht in jedem Jahr, und es gibt eine ganze Reihe Artikel, die eine lange Lebensdauer haben. Aber wir wollen doch bedenken, daß der tägliche Bedarf unserer Familien, unserer Haushaltungen eine Anschaffung nach der anderen notwendig macht und daß der Nachholbedarf, der als Folge des Verschleißes in den Jahren 1939 bis 1948 zu verzeichnen ist, immer noch nicht befriedigt werden konnte. Dieser Nachholbedarf besteht bei fast allen unseren Haushaltungen, vor allen denjenigen, die nicht über den Kaufkraftspielraum verfügen, den Sie generaliter unterstellt haben. Heimatvertriebene und Fliegergeschädigte haben ihren Haushalt und den Hausrat zu ergänzen oder neu anzuschaffen. Bei den nach Kriegsende neu gegründeten Haushaltungen ist der Bedarf selbst an primitivstem Hausrat noch längst nicht befriedigt. Man kann also auch nicht der Absicht zustimmen, beispielsweise Beleuchtungskörper, die aus Metall hergestellt sind, auf wandsteuerpflichtig zu machen. Dadurch würden die aus Holz hergestellten Beleuchtungskörper einen Preisaufschwung erleben.
Meine Fraktion kann auch den Vergleich mit. anderen Ländern nicht als stichhaltig anerkennen. Das deutsche Volk wäre glücklich, wenn es bei gleicher sozialer und steuerlicher Situation die Aufwandsteuer in den Ländern, die der Herr Bundesfinanzminister aufgeführt hat, hinnehmen könnte. Wir sind gern bereit, mit diesen Ländern in Europa und in Übersee zu tauschen und dafür deren Aufwandsteuersätze auf uns zu nehmen.
Wie sehr die Steuerschraube in inserer Wirtschaft bereits überdreht ist, so daß eine weitere Anspannung nicht ertragen werden kann, möchte ich an einem Beispiel zeigen. Das Handwerk im Bundesgebiet ist trotz eines hohen Auftragsbestandes, trotz einer anhaltenden, ja sogar noch steigenden Konjunktur zum größten Teil nicht mehr gewillt, neue Hilfskräfte einzustellen, die erforderlich sind, um die Aufträge auszuführen. Warum nicht? Es ist dem Handwerkerstand wegen der damit verbundenen progressiven Steuerlast einfach nicht mehr zuzumuten, bei gleichbleibendem bzw. gestiegenem Risiko die zusätzlichen Umsätze zu tätigen; dabei ist für den Handwerker kein Geschäft mehr zu machen.
Herr Bundesfinanzminister, ich muß zu meinem Bedauern hier erklären, daß wir aus wirtschaftlichen und sozialpolitischen Gründen nicht in der Lage sind, dieser Vorlage unsere Zustimmung zu geben. Wir sind bereit, im Ausschuß mitzuarbeiten - wenn das noch für nötig gehalten wird -, um das Bestmögliche aus dieser an sich unerträglichen Gesetzesvorlage herauszuholen.
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Meine Damen und Herren, ehe ich weiter das Wort gebe, habe ich eine
Mitteilung zu machen. Der Ausschuß für den Lastenausgleich wird morgen nicht um 8 Uhr, sondern um 9 Uhr zusammentreten.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller.
Meine Damen und Herren! Die mehr oder weniger humorvolle, satirisch aufgemachte Kritik einiger Mitglieder der Koalition an der Finanzpolitik des Bundesfinanzministers ist bewußt an der Tatsache vorbeigegangen, die der Herr Bundesfinanzminister bei der Begründung dieser Vorlage hier dem Hause dargelegt hat, an den eigentlichen Hintergründen seiner gesamten Finanz- und Steuerpolitik. Auch der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion ist auf diese Frage nicht eingegangen. Aber ich glaube, es ist notwendig, davon auszugehen, uni überhaupt zu verstehen, warum der Herr Bundesfinanzminister mit dieser Vorlage an das Haus kommt, uni weitere 100 Millionen DM hereinzuholen, die er für die Abdeckung seines Etats benötigt. Ich möchte in diesem Zusammenhang zunächst nicht auf seine optimistische Einschätzung der Steuereingänge ein- gehen. Es ist klar, daß die Höhe der Steuereingänge zum Teil von der Entwicklung der Wirtschaft abhängt. Man wird aber wohl kaum der Meinung sein können, daß die optimistischen Schätzungen, die der Herr Bundesfinanzminister gegeben hat, der Realität entsprechen.
Wesentlich ist, daß die Vorlage betreffend die Aufwandsteuer, entgegen den Interessen der deutschen Steuerzahler, durch diejenige Stelle bestimmt worden ist, die den Herrn Bundesfinanzminister nicht nur berät, sondern ihm die entsprechenden Weisungen erteilt. Der Herr Bundesfinanzminister hat doch bei jeder Steuervorlage, die er eingebracht hat, zur Begründung der von ihm vorgeschlagenen Steuererhöhungen erklärt, daß die geforderten Mittel im Interesse der Leistung eines Verteidigungsbeitrages von der Bevölkerung aufgebracht werden müßten. Auch heute hat der Herr Bundesfinanzminister wieder dieselbe Begründung gebracht. Entgegen der historischen Tatsache glaubte er noch einmal die wahrheitswidrige Behauptung auftischen zu müssen,
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daß dieser sogenannte Verteidigungsbeitrag aufgebracht werden müsse, weil eine Gefahr aus dem Osten drohe. Es hat sich allmählich herumgesprochen, daß eine solche Bedrohung aus dem Osten nicht vorhanden ist. Man will mit dieser Behauptung die tatsächlichen Aggressionsabsichten der amerikanischen Milliardäre verdecken und unser Volk für Aufrüstungsleistungen bereit machen. Wäre die Annahme des Herrn Bundesfinanzministers richtig, dann dürfte doch der Herr Bundesfinanzminister heute nicht mehr hier sitzen, genau so wie wahrscheinlich auch dieses Haus nicht bestehen würde.
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Daß wir hier sind, haben wir allein dem Friedenswillen der Sowjetunion zu verdanken.
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Wenn der Herr Bundesfinanzminister, im Gegensatz zum Bundesrat, auf dieser Aufwandsteuer beharrt, tut er es ja nicht deswegen, weil er die anderen Steuervorschläge nicht auch durchbringen möchte. Ihre Taktik, Herr Bundesfinanzminister, ist doch vielmehr die, daß Sie die Aufwandsteuer jetzt durchbringen wollen, weil Sie in dem nächsten Jahre, wenn entsprechend den Washingtoner Beschlüssen die Aufstellung der deutschen Divisionen akut geworden ist, die anderen Steuervorschläge,
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die im Bundesrat auch erwogen werden, aufgreifen wollen, um die erforderlichen neuen Milliarden für die deutschen Divisionen in der sogenannten Europa-Armee für Ihren Angriffskrieg gegen den Osten aufbringen zu können.
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Deswegen beharren Sie auf dieser Steuervorlage.
Ich brauche auf Einzelheiten dieser Aufwandsteuer nicht einzugehen. Ob es sich um Fotoapparate, um Filme oder Rundfunkapparate, um Beleuchtungskörper aus Metall, Drehbleistifte, Feuerzeuge oder Motorräder über 100 ccm handelt, ob es sich weiter um Decken und Schläuche, um Aktentaschen, um Kakaoerzeugnisse oder Süßwaren handelt, - gleichgültig, was in diesem Katalog steht: Sie werden nicht begründen und beweisen können, Herr Finanzminister, daß die hier aufgeführten und in Ihrem Katalog enthaltenen Erzeugnisse als Gegenstände des gehobenen Bedarfs zu bezeichnen sind.
Wir lehnen diese Aufwandsteuer in ihrer Gesamtheit ab, und zwar vor allen Dingen deswegen, weil diese 100 Millionen dazu dienen sollen, dieses Loch, das insbesondere durch die wahnsinnigen Besatzungskosten in Ihrem Haushalt entstanden ist, zu stopfen.
Es wurde von der Frage der Steuermoral gesprochen. Nun, Herr Kollege Dr. Wellhausen, warum stimmen Sie nicht der alten Forderung auf Offenlegung der Steuerlisten zu? Das ist der beste Weg, um zur Hebung der Steuermoral einen positiven Beitrag zu leisten.
Aber gestatten Sie mir, aus der Fülle der Zuschriften von den in Frage kommenden Kreisen ganz kurz auf einige einzugehen. Der Herr Bundeskanzler hat auf dem Parteitag der CDU davon gesprochen, daß er die Interessen des Mittelstandes mehr berücksichtigen und besser wahrnehmen wolle. Diese Vorlage ist aber ein ausgesprochener Schlag gegen den Mittelstand. Ich glaube, man braucht aus der Erklärung der Zentralarbeitsgemeinschaft für das Verkehrsgewerbe nur eine Stelle herauszugreifen. Es heißt dort in der Entschließung:
Die Vernichtung Zehntausender von Existenzen des Mittelstandes und eine Vermehrung der Arbeitslosigkeit würden die Folgen solch einer Besteuerung sein.
Das trifft absolut zu. Ich führe weiter die Stellungnahme des Betriebsrates der Agfa-Kamera-Werke in München an, der sich mit aller Entschiedenheit gegen diese Aufwandsteuer wendet und darauf hinweist, daß die Folgen für das Werk die Einschränkung des Absatzes und eine daraus resultierende Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit sein würden. Ferner hat die Gewerkschaft Leder in einem Schreiben zum Ausdruck gebracht:
Die Krisenlage in der Schuh- und Lederindustrie ist nach unserer Auffassung in erster Linie dem Mangel 4n Kaufkraft bei der werktätigen Bevölkerung zuzuschreiben, und die von Ihnen geplante Steuer beschneidet diesen Kaufkraftmangel in einer unseres Erachtens nicht zu verantwortenden Weise.
Ich glaube, man braucht diesen Worten nichts hinzuzufügen. Diese Steuervorlage würde, wenn sie Wirklichkeit würde, zu einer weiteren Verschärfung der Lage des Mittelstandes und aller Verbraucher führen. Sie werden mir bestätigen müssen, daß die Umsätze im Einzelhandel seit März dieses Jahres ständig sinken. Die Folge dieser Entwicklung werden zunehmende Kurzarbeit und
Arbeitslosigkeit vor allen Dingen in diesen Konsumgüterindustrien sein.
Ich glaube, meine Damen und Herren, die Frage, wie dieser Politik und ihren Auswirkungen allein eine Wendung gegeben werden könnte, hat die Fachgruppe Rundfunk der Elektro-Innung Bremerhaven in einem Telegramm an alle Fraktionen beantwortet, in dem sie sich nicht nur gegen diese Aufwandsteuer wendet, sondern zugleich auch sagt und zeigt, wie ihr entgegengetreten werden kann, wie diese Belastung unseres Volkes verhindert und eine Politik durchgeführt werden kann,
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die den Interessen unseres Volkes wirklich dient.
Kommen Sie bitte zum Schluß!
Uns ist doch vom Präsidenten eine längere Redezeit gegeben worden.
Nicht von mir!
Von Ihrem Vorgänger! - Meine Damen und Herren, in diesem Telegramm wird die Forderung nachdrücklichst zum Ausdruck gebracht, daß sich die Vertreter Ost- und Westdeutschlands zusammensetzen sollen, um die deutsche Einheit herzustellen.
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Ich weiß, meine Damen und Herren, daß bis in die Kreise der Wirtschaft hinein diese Forderung gestellt wird.
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Herr Abgeordneter Müller, kommen Sie bitte zum Schluß!
Die Entwicklung der deutschen Politik und der deutschen Wirtschaft und damit auch die Frage der steuerlichen Entlastung ist in erster Linie von einer gesamtdeutschen Regelung abhängig. Das ist die Aufgabe, die vor uns steht, damit diese Belastungen mit ihren Folgeerscheinungen von dem deutschen Volke genommen werden und seine Friedenswirtschaft zur Entwicklung gelangen kann.
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Meine Damen und Herren, ehe ich das Wort weitergebe, eine Mitteilung: Der Fraktionsvorstand der FDP wird sofort nach Schluß der Plenarsitzung im Zimmer des Herrn Vizepräsidenten Schäfer zusammentreten.
Das Wort hat der Abgeordnete Schuster.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Herr Bundesminister der Finanzen hier ein Gesetz vorgelegt hätte, wonach nur ausgesprochener Luxus, also übertriebener Aufwand besteuert werden solle, so hätte man dazu ja sagen können. Was in diesem Katalog steht, sind aber doch in der Hauptsache Dinge des täglichen Lebens, die zudem nicht nur von einer begrenzten Schicht, sondern von der Masse des Volkes gebraucht werden. Diesen täglichen Bedarf nochmals zu besteuern, erscheint uns undenkbar. Es erscheint uns überhaupt unverständlich, daß die Regierung einerseits bestrebt ist, die Lohn- und Preisbewegung langsam zum Stillstand zu bringen, andererseits aber zugleich die täglichen Bedarfsartikel mit einer Sondersteuer belegen will, die doch automatisch wieder nur eine Preiserhöhung mit sich bringt.
({0})
Wir konnten heute in dieser Frage eine seltene Einmütigkeit des Hohen Hauses hinsichtlich der Ablehnung dieses Gesetzes feststellen. Deshalb sind wir der Ansicht, daß es gar nicht notwendig, ja geradezu überflüssig ist, diesen Gesetzentwurf noch dem Ausschuß zu überweisen, und wir schließen uns dem Antrag des Zentrums an, das Gesetz heute endgültig abzulehnen. Mag es dann dem Herrn Bundesminister der Finanzen, wenn er statt dessen eine ausgesprochene Luxussteuer einführen will, überlassen bleiben, dafür einen neuen Gesetzentwurf vorzulegen!
({1})
Weitere Wortmeldungen zur Sache liegen nicht vor. Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Bertram.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte zur Geschäftsordnung den Antrag gestellt, den Gesetzentwurf heute abzulehnen. Der Herr Präsident hat mir dazu in seiner liebenswürdigen Art gesagt, ich möchte doch einmal den § 43 Abs. 2 der Geschäftsordnung durchlesen; dann würde ich erkennen, daß eine Ablehnung des Gesetzentwurfes in der ersten Lesung nicht möglich sei. Ich habe inzwischen die Lektüre des § 43 Abs. 2 vorgenommen und möchte Ihnen den Inhalt dieses Absatzes kurz zur Kenntnis bringen.
({0}) Dort steht:
Die Beschlüsse der zweiten Beratung bilden die Grundlage der dritten. Sind in der zweiten Beratung alle Teile einer Vorlage abgelehnt worden, so unterbleibt jede weitere Beratung und Abstimmung.
Es steht also nichts davon drin, daß das Gesetz nicht bereits in erster Lesung abgelehnt werden könnte. Die Ausführungen des Herrn Präsidenten zu § 43 Abs. 2 scheinen mir daher auf einem Irrtum zu beruhen.
Ich möchte deshalb den von mir gestellten Antrag wiederholen, ihn aber insofern umformulieren, als ich beantrage, den Gesetzentwurf den Ausschüssen nicht zu überweisen. Der Beschluß der Nichtüberweisung beinhaltet gleichzeitig die Ablehnung in der ersten Lesung. Es kann dann - und das ist mein weiterer Antrag - eine zweite Lesung anberaumt werden bzw. stattfinden, wenn nicht 10 der anwesenden Mitglieder widersprechen.
Die Überweisung an den Ausschuß mit der von verschiedenen Rednern gegebenen Begründung, der Ausschuß könne aus diesem Entwurf eine echte Luxussteuervorlage machen, scheint mir nicht stichhaltig zu sein. Nach § 38 Abs. 1 letzter Satz ist der Ausschuß dazu weder in der Lage noch berechtigt, denn diese Bestimmung besagt:
Der Ausschuß hat sich nur mit dem ihm überwiesenen Gegenstande zu beschäftigen.
Der Ausschuß ist also nicht in der Lage, ein abgelehntes Aufwandsteuergesetz völlig umzubauen zu einem Gesetz über die Besteuerung von Luxus, Aufwand bei den Einkommensbeziehern, entsprechend dem bisherigen Begriff von Aufwand im Einkommensteuergesetz. Aus diesem Grunde ist die Überweisung an den Ausschuß meiner Ansicht nach jedenfalls nicht mit dem Ziel möglich, diesen Gesetzentwurf im Ausschuß zu einem echten Luxussteuergesetzentwurf umzugestalten.
Ich bitte deshalb, unseren Anträgen zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, geschäftsordnungsmäßig scheint mir die Lage doch recht klar zu sein. Man kann nicht gut den Antrag stellen, einen Gesetzentwurf einem Ausschuß nicht zu überweisen.
({0})
Wer nicht will, daß ein Entwurf einem Ausschuß überwiesen wird, der muß eben gegen den Antrag auf Überweisung stimmen. Ich glaube, daß darüber kaum ein Zweifel bestehen dürfte.
({1})
- Herr Abgeordneter Horlacher, wollen Sie das Wort zur Geschäftsordnung? Oder wozu wollen Sie das Wort?
({2})
- Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Abgeordnete Horlacher.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe das Wort zur Geschäftsordnung erbeten, um für künftige Fälle dieser Art Klarheit zu schaffen. In der ersten Lesung können gemäß der Geschäftsordnung lediglich die Grundsätze einer Vorlage besprochen werden, dann ist die erste Lesung vorbei. Danach kann beantragt werden, den Gesetzentwurf dem Ausschuß zu überweisen. Wird die Ausschußüberweisung abgelehnt, dann ist der Gesetzentwurf fristgemäß zur zweiten Lesung auf die Tagesordnung zu setzen, und in dieser zweiten Lesung kann dann über den Gesetzentwurf entschieden werden. So ist die Lage.
({0})
Keine weiteren Wortmeldungen? - Dann ist die Beratung geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung.
({0})
- Zur Abstimmung Herr Abgeordneter Schoettle!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zur Abstimmung über den Überweisungsantrag folgende Erklärung abzugeben. Die sozialdemokratische Fraktion sieht keinen Nutzen in der Überweisung einer Vorlage an den zuständigen Fachausschuß, die vom ganzen Hause so einmütig abgelehnt worden ist, wie das heute geschah. Sie hält es für einen überflüssigen Aufwand - Aufwand im echten Sinne -, Aufwand an Zeit, zu versuchen, diese Vorlage in Ausschuß umzubauen, ganz abgesehen davon, daß es schließlich nicht Sache der Fachausschüsse des Hauses ist, dem Herrn Bundesfinanzminister die Aufgabe abzunehmen, Entwürfe einzubringen, von denen er hoffen kann, daß sie in diesem Hause eine Mehrheit finden.
({0})
Wir werden also dem Überweisungsantrag nicht zustimmen und hoffen, daß das Haus diesem Beispiel folgt, damit der Herr Bundesfinanzminister Gelegenheit hat, über die Situation, die jetzt geschaffen ist, noch einmal nachzudenken.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Es ist beantragt, die Vorlage dem zuständigen Fachausschuß zu
({0})
überweisen. Wer für die Überweisung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. ({1}) Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Es ist weiter der Antrag gestellt, alsbald in die zweite Beratung einzutreten. Diesem Antrag muß stattgegeben werden, wenn nicht mindestens 10 Mitglieder des Hauses widersprechen. Wer widerspricht?
({2})
- Es widersprechen mehr als 10 Mitglieder dieses Hauses. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung für heute erledigt. Es wird Sache des Herrn Präsidenten sein, die zweite Lesung anzusetzen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend Landrückgabe an die Bauern der Gemeinde Schweigen ({3}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Gesamtaussprache auf 40 Minuten zu begrenzen. - Kein Widerspruch.
({4})
- Meine Damen und Herren, es ist sehr schwer, sich verständlich zu machen. Wer begründet diesen Antrag? - Das Wort hat Abgeordneter Niebergall.
Niebergall ({5}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit unserem Antrag Drucksache Nr. 2696 wollen wir ein Problem ansprechen, das Tausende von Menschen längs der deutsch-französischen Grenze beschäftigt und belastet. Worum handelt es sich? Ich möchte das an dem Bekspiel von Schweigen umreißen.
Schweigen ist ein kleines Dorf in RheinlandPfalz, hart an der deutsch-französischen Grenze. Seit Jahrzehnten haben die Bauern, Handwerker und Arbeiter von Schweigen Land in Elsaß-Lothringen. Es handelt sich dabei um Ackerland, um Wesen, um Wald und Weinberge. 1945 wurde dieses Land beschlagnahmt und unter Sequester gestellt. Jahrelang war eine Benutzung dieses Landes durch die Bauern und Bewohner von Schweigen nicht möglich. Seit einiger Zeit ist eine Lockerung eingetreten, ohne daß dadurch am Kern der Sache etwas geändert wurde, und zwar an der Beschlagnahme des Landes und an den Folgen, die sich daraus ergeben. Heute dürfen die deutschen Bauern und Bewohner des Dorfes Schweigen, soweit das ihnen gehörende Kulturland nicht verpachtet ist, ihr Land selber bebauen. Im übrigen ist die Sache meist so, daß ein Interessent aus dem Elsaß, der an einem Grundstück oder Weinberg interessiert ist, auf das Katasteramt in Schweigen geht. Dort wird ihm dann das betreffende Grundstück verpachtet. Allerdings geht die Pachtsumme nicht an den Verpächter, sondern an die Sequester-Verwaltung.
In der letzten Zeit hat sich in diesem Dorfe eingebürgert, daß eine Absprache zwischen dem deutschen Eigentümer und dem interessierten elsässischen Bauern getroffen wird.
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Meine Damen und Herren! Ich bitte um Ruhe.
Niebergall ({0}), Antragsteller: Der elsässische Interessent pachtet das Grundstück, und der deutsche Bauer aus Schweigen oder aus der Umgebung bearbeitet sein eigenes Grundstück. Dabei muß der Bauer, also der Eigentümer bzw. Verpächter des Landes, alle Kosten für Dünger, Binden und Schneiden usw. restlos tragen. Der Ertrag der Ernten aber geht dann bei diesem Handel halb zu halb, d. h. der französische Pächter steckt die eine Hälfte ein und der deutsche Eigentümer bzw. Verpächter muß sich mit der anderen Hälfte begnügen.
Nun kommt hinzu, daß der Sous-Präfekt von Weißenburg vor kurzem erklärte, daß 71 dieser deutschen Grundstücke auf elsässisch-lothringischem Gebiet zur Versteigerung kämen. Mit keinem Wort wurde aber erwähnt, wohin die Summe aus der Versteigerung geht. Es ist damit zu rechnen, daß diese Summe auch in die Sequester-Kasse fließt.
Eng mit diesem Problem ist ein anderes Problem verbunden, und zwar das der sogenannten Abrißhöfe, ein Problem, das nicht nur in Schweigen, sondern in einer Reihe von Orten im Grenzgebiet Elsaß-Lothringens besteht. In Schweigen und vielen anderen Orten an der Grenze von Elsaß-Lothringen wurden im Jahre 1939 die Bewohner ausgesiedelt. Nach 1939 konnten sie wieder zurückkehren. Allerdings befand dann die Nazibürokratie darüber, wer im Dorf verbleiben durfte und wer das Dorf verlassen mußte. Die Häuser der Ausgewiesenen wurden abgerissen oder niedergebrannt. Auf diese Weise sind Hunderte von Familien von Haus und Hof vertrieben worden. Diese Familien sind zwiefach betroffen, einmal dadurch, daß sie von Haus und Hof vertrieben wurden, und zum andern dadurch, daß ihr Land jenseits der Grenze in ElsaßLothringen nach 1945 beschlagnahmt wurde.
Wir wollen mit unserem Antrag erreichen, 1. daß die Frage der Landbeschlagnahme durch die französischen Behörden grundsätzlich aufgegriffen wird, 2. daß den Bauern von Schweigen und anderwärts ermöglicht wird, über ihr Land jenseits der Grenze frei zu verfügen, 3. daß den Betroffenen die ihnen zustehenden Pachtgelder ausgezahlt werden und daß 4. endlich den Abrißgeschädigten zu ihrem Recht verholfen wird.
Wir bitten Sie, diesem unserem Antrag, der im Interesse Tausender an der deutsch-französischen Grenze liegt, zuzustimmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Odenthal.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schweigen - zur Klarstellung im Sinne der Drucksache Nr. 2696 - ist nicht das Schweigen der Opposition gegenüber einer Staatsgewalt, die von außen gestützt wird und sich gegen das eigene Volk wendet. Schweigen, meine Damen und Herren,
({0}) ist nicht das Schweigen jenseits einer Grenze, die wir nicht anerkennen, Schweigen ist in diesem Falle ein Dorf - das ist schon gesagt worden - an der deutsch-französischen Grenze, an einer echten Grenze, die zwar nicht natürlich ist, die aber zwischen den beiden Völkern vertraglich festgelegt wurde, an einer Grenze, die wir anerkennen.
Aber dieses Schweigen liegt auf dem Wege nach Straßburg, dieses Schweigen liegt am Wege nach Europa. Die Bauern dieses kriegszerstörten Dorfes
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sehen, daß die Delegierten durch Schweigen nach Straßburg fahren. Sie machen sich wohl Gedanken über dieses kommende Europa, an das sie nicht mehr zu glauben vermögen nach all dem, was sie als Beispiel erlebt und seit sechs Jahren durchgemacht haben. Sie wissen, daß die Nation, die so laut von der europäischen Gemeinschaft spricht, in Wirklichkeit an der eigenen Grenze bisher so wenig tat, um diesen Weg wenigstens im kleinsten Raume zu gehen.
Die Grenze bei Schweigen ist nicht natürlich. Hüben und drüben sprechen die Menschen die gleiche Sprache. Der Besitz verteilt sich diesseits und jenseits der Grenze, bedingt durch Erbschaften, durch Heiraten und Verwandtschaften. Der französische Bauer hat immer seinen Besitz diesseits der Grenze bestellt, wie auch der deutsche Bauer seinen Besitz jenseits der Grenze beackert hat und wie er dort geerntet hat. Das war immer so; aber seit 1945 hat sich das gewandelt. Der französische Bauer bewirtschaftet zwar seinen Besitz diesseits der Grenze auf deutschem Boden nach wie vor, aber er beackert auch noch den deutschen Besitz jenseits der Grenze.
Meine Damen und Herren! Das ist ja nicht nur in Schweigen so. Es ist in unzähligen Orten an anderen Grenzen genau so. Wir haben auch an der luxemburgisch-deutschen Grenze erlebt, daß deutscher Boden, deutscher Privatbesitz beschlagnahmt wurde. Man hat aber kein Recht, deutschen Privatbesitz zu beschlagnahmen, um ihn zu veräußern. Man kann auch nicht den Erlös aus dem Verkauf oder den Ertrag aus der Benutzung dieses Bodens gegen deutsche Auslandsschulden aufrechnen, wie das nun geschehen soll.
Wie es hier ist, so ist es an anderen Stellen der deutschen Grenze auch. Der Antrag der Kommunisten rennt insoweit offene Türen ein, als er verwaltungsmäßige Bemühungen fordert, die bereits seit vier Jahren laufen. Seit vier Jahren sind auf Veranlassung des Regierungspräsidenten der Pfalz Bemühungen der beiden Regierungen im Gange.
Allein bei der Gemeinde Schweigen liegen 265 ha jenseits der Grenze. Von diesen 265 ha sind bisher den Schweigener Bauern 50 ha zur Nutzung zurückgegeben worden. 2 1/2 ha sind aber versteigert, sind verkauft worden, und der Erlös ist in die französische Kasse geflossen. Es ist vorgesehen - das ist beachtlich -, in den nächsten Wochen weitere 6 ha zu versteigern. Nach Rückgabe von 50 ha bleiben noch etwa 215 ha, von denen man sagt, daß sie nach Beendigung des Kriegszustandes den Schweigener Bauern zurückgegeben werden sollen. Der kleine Grenzverkehr ist zwar wiederhergestellt, aber die Möglichkeit, den eigenen Besitz zu bewirtschaften, ist deshalb noch nicht gegeben, weil für viele Familien der volle Besitz jenseits der Grenze liegt.
Nun glaube ich nicht, daß man mit der Annahme des Antrages den Leuten dienen kann, weil wir ja über Schweigen hinaus an die Orte und Grenzen denken müssen, die unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen leiden. Wir beantragen deshalb, den Antrag auf Drucksache Nr. 2696 dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten zu überweisen. Dort soll er eingehend bearbeitet werden. Dann könnte sich die Bundesregierung in Verhandlungen mit den anderen Ländern beweisen lassen, daß sie bereit sind, einen Weg mitzugehen, den zu gehen in der europäischen Gemeinschaft notwendig ist. Sonst müßten wir befürchten, daß der Weg nach Europa bereits in Schweigen endet.
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Das Wort hat der Abgeordnete Becker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das in dem Antrag der KPD angesprochene Problem ist nicht ein Problem der Gemeinde Schweigen allein,
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sondern es handelt sich hier um ein echtes Grenzlandproblem.
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Obwohl die Gemeinde Schweigen hier mit am stärksten beteiligt ist, ist diese Angelegenheit besonders akut in den südpfälzischen Grenzkreisen Bergzabern, Germersheim, Pirmasens und Zweibrücken, darüber hinaus insbesondere noch in einigen Kreisen an der luxemburgischen Grenze.
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Nach einer Aufstellung der Landwirtschaftskammer Pfalz gibt es in den vorhin genannten vier Grenzkreisen in 23 Grenzgemeinden 452 Betriebe, die insgesamt etwa 522 ha Eigentum, unterteilt in Ackerland, Rebland und Wald, hart jenseits der Landesgrenze in Elsaß-Lothringen besitzen. Es war nach 1945, wie schon gesagt, nicht möglich, dieses Eigentum zu bewirtschaften. Noch in diesem Sommer waren etwa 247 ha der Nutzung durch deutsche Eigentümer entzogen und standen unter Sequester-Verwaltung, die diese Grundstücke und Ländereien anderweitig verpachtet hat. Eine starke Unsicherheit und Unruhe entstand bei unseren Grenzbauern durch die Bekanntmachung der Alliierten, das deutsche Auslandsvermögen zu liquidieren. Es ist bekannt, daß auch das jenseits der Grenze gelegene bäuerliche Eigentum als deutsches Eigentum im Auslande gilt. Dieses Eigentum ist nach dem von den Alliierten beschlossenen Potsdamer Abkommen und nach dem Reparationsabkommen vom 14. Januar 1946 zu liquidieren. Wenn ich mich nicht ganz täusche, war bei diesen Abkommen auch die Sowjetrepublik mit tätig, und ich glaube, sie hat von diesen Abkommen wohl schon recht deutlich und merklich Gebrauch gemacht.
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Soweit die Rechtslage, die uns eindeutig erkennen läßt, wie wenig Einfluß deutsche Stellen in dieser Frage haben. Und doch kann man hier sagen, daß sowohl die Landesregierung von RheinlandPfalz als auch die Provinzialregierung der Pfalz und die unteren Verwaltungsbehörden seit Jahren mit gutem Erfolg mit den französischen Behörden verhandelt haben. Diese Verhandlungen sind noch im Fluß, und sie versprechen meines Erachtens viel mehr Erfolg als große öffentliche Aktionen, die eher störend als fördernd wirken.
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Von großer Bedeutung sind bei der Lösung dieser Probleme die gutnachbarlichen Beziehungen der Grenzbevölkerung von diesseits und jenseits der Grenze, die seit Generationen recht eng und zum Teil sogar verwandtschaftlicher Natur sind. Nur ein Beispiel! Die erste Landversteigerung, die vor einiger Zeit auf Grund des vorhin genannten Reparationsabkommens vorgenommen wurde, fand in der Gemeinde Schweigen statt. Bei 22 von 28 ausgebotenen Losen verlief die Versteigerung ergebnislos; die 6 versteigerten Lose gehörten Leuten, die nicht bzw. nicht mehr im Grenzgebiet wohnen. Es besteht auf Grund entsprechender Zusagen die begründete Hoffnung, daß keinerlei Grundbesitz mehr versteigert wird, dessen Eigentümer innerhalb der 10-km-Grenzzone wohnen.
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Der Verlauf der bisherigen Verhandlungen :und ihre Ergebnisse lassen erkennen, wie durch friedliche Vereinbarungen, gestützt auf den beiderseitigen guten Willen der Grenzbevölkerung, auch schwierige Probleme gemeistert werden können.
Meine Damen und Herren! Das Weintor in Schweigen liegt hart an der Grenze zwischen Deutschland und Frankreich, und vom Weintor aus beginnt die deutsche Weinstraße, die quer durch die Pfalz zieht. Vom Weintor aus sehen Sie die Umrisse des Straßburger Münsters, und in den Räumen des Weintors trifft sich die Bevölkerung von diesseits und jenseits der Grenze zu ernsten Gesprächen. Auch amtliche Beratungen und Besprechungen haben hier schon stattgefunden, und wir hegen deshalb die Hoffnung, daß die im Augenblick noch in Gang befindlichen und in Sichtweite des Straßburger Münsters stattfindenden Verhandlungen über diese Grenzlandprobleme in europäischem Geiste verlaufen und zu engerer Zusammenarbeit auch auf der großen europäischen Ebene beitragen.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Hütter.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es ist erstaunlich, daß sich die Fraktion der KPD mit diesem Antrag gegen ein alliiertes Abkommen aus den Jahren unmittelbar nach dem Kriege wendet, nämlich gegen das Pariser Reparationsabkommen vom 14. Januar 1946.
Dieses Abkommen bezieht sich auf die Beschlagnahme deutschen Vermögens im Ausland, eine Maßnahme, die die KPD, sofern es sich um Beschlagnahmen durch die Sowjetunion handelt, bis jetzt immer befürwortet hat. Keiner von uns kanndie Wegnahme deutschen Vermögens im Ausland billigen.
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Aber es ist nicht angebracht, heute aus polemischen Gründen
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einen Einzelfall zu behandeln. Dieser Antrag gehört
in das große Kapitel des Auslandvermögens, das
zur Zeit im Auswärtigen Ausschuß behandelt wird.
Ich beantrage deshalb im Namen meiner Fraktion Überweisung an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. - Das Wort hat der Abgeordnete Niebergall. Ich bitte um Entschuldigung; ich hatte die Wortmeldung nicht bemerkt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht bei Schweigen um Ackerland, um Wiesen und Weinberge, nicht um ein billiges Ablenkungsmanöver;
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denn mit einem solchen Ablenkungsmanöver ist den Bauern und den Bewohnern in Schweigen und längs der ganzen Grenze nicht geholfen.
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Sie sagen, Herr Kollege Odenthal, seit vier Jahren wird verhandelt. Ich stelle an Sie die einfache Frage: was ist denn das Ergebnis der vierjährigen Verhandlung?
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Was ist mit den Pachtgeldern? Bekommen die 1 Bauern die Pachtgelder, oder fließen sie nach wie vor in die Sequesterverwaltung? Herr Kollege Becker, Sie sagen hier, daß in der Zehnkilometerzone nicht mehr versteigert wird. Das bestimmen nicht wir, sondern die französischen Behörden.
Vor mir liegt die „Rheinpfälzische Zeitung".
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Darin wird durch den Herrn Sous-Präfekten von Weißenburg gesagt, daß demnächst 71 Grundstücke versteigert werden. Wie vereinbart sich das mit dem, was Sie hier im Plenum erzählen?
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Herr Kollege Becker, ich habe ausdrücklich betont, daß es nicht nur um Schweigen geht, sondern daß es um eine ganze Reihe von Orten in diesem Grenzgebiet geht.
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Weil es dort um die Interessen der Bauern und anderen Bewohner geht, sind wir der Meinung, daß die Forderungen - die nicht nur unsere Forderungen sind, sondern von der dortigen Bevölkerung gestellt werden - berechtigt sind. An Ihnen lag es vier Jahre lang, solche Anträge zu stellen, mindestens aber beim Zusammentritt des Bundesparlaments. Sie haben bisher geschwiegen, weil Ihnen das Problem zu heiß ist.
({6}) Deshalb haben wir das Problem aufgegriffen, also nicht zu Agitationszwecken, sondern um den Menschen zu helfen.
Die Aussprache ist
geschlossen.
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- Meine Damen und Herren, setzen Sie bitte diese Kontroverse draußen fort, aber nicht hier!
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Wir kommen zur Abstimmung. Es ist der Antrag gestellt, den Antrag auf Drucksache Nr. 2696 dem Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten zu überweisen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse ({2}).
Erhebt sich ein Widerspruch, die in dieser Sammelliste der interfraktionellen Anträge - Umdruck Nr. 347 - verzeichneten Anträge den zuständigen Ausschüssen zu überweisen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Punkt 5 der Tagesordnung:
Beratung der Ubersicht Nr. 41 über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages über Petitionen ({3}).
Erhebt sich ein Widerspruch gegen diese Ausschußanträge über Petitionen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist gemäß diesen Anträgen beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit ist die Tagesordnung erledigt. Ich berufe die nächste, die 174. Sitzung des Deutschen Bundestags ein auf Mittwoch, den 14. November 1951, 13 Uhr 30, und schließe die 173. Sitzung des Deutschen Bundestags.