Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 172. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Ich bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach die Abgeordneten Wartner für zwei Wochen wegen Krankheit, Dr. Semler für zwei Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme.
Der Präsident hat Urlaub erteilt für zwei Tage den Abgeordneten Dr.-Ing. Decker, Freiherr von Fürstenberg, Böhm, Dr. Greve, Dr. Laforet, Günther und Gerns.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Dr. Nowack ({0}), Huth, Frau Thiele, Rische, Paul ({1}), Fisch, Müller ({2}), Vesper, Reimann, Agatz, Dr. Hoffmann ({3}), Dr. Orth und Hedler.
Ich danke schön. - Meine Damen und Herren, ich darf annehmen, daß Sie mit der Erteilung des Urlaubs für längere Zeit als eine Woche einverstanden sind. - Das ist der Fall.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden wie üblich ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen.
Der Deutsche Bundesrat hat in seiner Sitzung am 26. Oktober 1951 beschlossen, den nachfolgenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen:
Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau;
Gesetz zur Ergänzung und Abänderung des Gesetzes über den Verkehr mit Getreide und Futtermitteln;
Gesetz über das Handelsabkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Königlich Ägyptischen Regierung;
Gesetz über internationale Vereinbarungen
auf dem Gebiete des Zollwesens.
Zum Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit hat er beschlossen, keinen Einspruch einzulegen; dem Gesetz über die Errichtung einer Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung hat er nicht zugestimmt; und zum Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Besoldungsrechts hat er die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 29. Oktober 1951 die Anfrage Nr. 199 der Fraktion der FDP betreffend Besatzungsbauten - Drucksache Nr. 2361 - beantwortet. Die Antwort wird als Drucksache Nr. 2772 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 26. Oktober 1951 die Anfrage Nr.
209 der Fraktion der SPD betreffend Schwerbeschädigte und Arbeitslosenfürsorge - Drucksache Nr. 2624 - beantwortet. Die Antwort ist als Drucksache Nr. 2768 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 25. Oktober 1951 die Anfrage Nr.
210 der Fraktion des Zentrums betreffend
Verwendung von Nickel zur Prägung neuer
Zweimarkstücke - Drucksache Nr. 2635 - beantwortet. Die Antwort ist als Drucksache Nr. 2756 vervielfältigt.
Der Herr Bundeskanzler hat unter dem 25. Oktober 1951 die Anfrage Nr. 215 der Fraktion der Bayernpartei und der Abgeordneten Reindl und Genossen betreffend Entwendungen von Geheimakten aus dem Bundeskanzleramt - Drucksache Nr. 2646 - beantwortet. Die Antwort wird als Drucksache Nr. 2767 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 26. Oktober 1951 die Anfrage Nr.
216 der Fraktion der SPD betreffend Richtlinien für bereitgestellte Mittel zur Sicherung von Leistungen der Altersversorgung - Drucksache Nr. 2679 - beantwortet. Die Antwort wird als Drucksache Nr. 2769 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 27. Oktober 1951 die Anfrage Nr.
217 der Fraktion der Bayernpartei betreffend Stellenbesetzung beim Bundeskriminalamt - Drucksache Nr. 2681 - beantwortet. Die Antwort wird als Drucksache Nr. 2757 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 24. Oktober 1951 die Anfrage Nr. 219 der Fraktion des Zentrums betreffend Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche - Drucksache Nr. 2698 - beantwortet. Die Antwort wird als Drucksache Nr. 2755 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 3. November 1951 die Anfrage Nr. 220 der Fraktion der Bayernpartei betreffend Abgeltung von Besatzungsschäden - Drucksache Nr. 2710 - beantwortet. Die Antwort wird als Drucksache Nr. 2771 vervielfältigt.
Zur heutigen Tagesordnung weise ich darauf hin, daß auf Antrag der Fraktion der SPD die Interpellationen unter Punkt 1 a bis d, betreffend Visenzwang, Einreise- und Ausreisekartei, schwarze Listen und Abschaffung der Visen im gegenseitigen Reiseverkehr, von der Tagesordnung abgesetzt werden. Weiter schlage ich Ihnen auf Wunsch der Fraktion der SPD vor, Punkt 7 der Tagesordnung
- zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über öffentliche Versammlungen und Aufzüge ({0}) - heute abzusetzen, da die Fraktion noch keine Gelegenheit gehabt hat, dazu Stellung zu nehmen.
({1})
- Zur Tagesordnung möchte Herr Kollege Arndgen sprechen. Es handelt sich um Punkt 4 der Tagesordnung, betreffend Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen. Bitte, Herr Kollege Arndgen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens meiner Parteifreunde beantrage ich, Punkt 4 der Tagesordnung abzusetzen und die Sache an den Ausschuß für Arbeit zurückzuverweisen. Es hat sich herausgestellt, daß sich in dem Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen einige formale Unstimmigkeiten befinden. Im Benehmen mit einer Reihe Kollegen des Ausschusses für Arbeit sind wir übereingekommen, den Antrag auf Zurückverweisung zu stellen.
Meine Damen und Herren, ich darf annehmen, daß das Haus einverstanden ist, daß Punkt 4 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen ({0}),
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit ({1}) ({2}),
heute abgesetzt und die Gesetzesvorlage an den Ausschuß für Arbeit zurückverwiesen wird. - Das Haus ist damit einverstanden; die Rückverweisung ist erfolgt.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Leuchtgens macht mir nicht die Freude, im Augenblick anwesend zu sein. Ich habe mir gestattet, ihm namens des Hauses zu seinem 75. Geburtstag am 31. Oktober die Glückwünsche des Hauses auszusprechen, in Bewunderung für die Lebendigkeit und Frische, die die Herren über 75 Jahre in diesem Hause sämtlich haben.
({3})
- Über 75, Herr Kollege Schoettle! Sie haben es noch nicht ganz erreicht!
({4})
Zur Tagesordnung weitere Wünsche? - Nein.
Wir treten jetzt also in die Behandlung der außerordentlich verkürzten Tagesordnung ein. Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Handelsabkommen vom 20. Juli 1951 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Peru ({5}).
Ich muß annehmen, daß die Regierung auf eine
mündliche Begründung verzichtet, und darf Ihnen
vorschlagen, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß
für Außenhandelsfragen zu überweisen. - Das
Haus ist mit dieser Überweisung einverstanden.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der §§ 1274 ff. der Reichsversicherungsordnung ({6}).
({7})
- Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Horn. Darf ich bitten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin darüber unterrichtet, daß der Herr Bundesarbeitsminister zu diesem Punkt der Tagesordnung Stellung nehmen möchte. Darf ich das Haus bitten, diesen Punkt noch zurückzustellen.
Meine Damen und Herren, ich muß den Herrn Bundesarbeitsminister etwas entschuldigen. Er konnte nicht ohne weiteres wissen, daß Punkt 1 abgesetzt werden würde. Ich lasse ihn in diesem Augenblick unterrichten und nehme an, daß er in Kürze erscheint. Vielleicht haben wir die Möglichkeit, den Punkt etwas zurückzustellen, um dem Herrn Bundesarbeitsminister Gelegenheit zu geben, anwesend zu sein.
Ich rufe also zunächst auf den Punkt 5 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung ({0}); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit ({1}) ({2}).
({3})
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Kneipp.
({4})
- Darf ich Sie bitten, den Herrn Abgeordneten Dr. Kneipp unterrichten zu lassen, daß seine Anwesenheit erwünscht ist.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor - in der Hoffnung, daß einer der Herren inzwischen eintrifft -, Punkt 6 der Tagesordnung, den Gesetzentwurf über den Handelsvertrag mit Chile, vorwegzunehmen. Darf ich fragen, ob Herr Abgeordneter Freudenberg im Saal ist? - Ich bitte, auch Herrn Abgeordneten Freudenberg unterrichten zu lassen.
({5})
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir jetzt die Begründung des Gesetzentwurfs zu Punkt 3 der Tagesordnung hören:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der §§ 1274 ff. der Reichsversicherungsordnung ({6}).
Ich hoffe, daß der Herr Bundesminister für Arbeit, wenn er diesmal kein Fahrrad, sondern ein Auto benutzt, schnell eintreffen kann. Darf ich bitten, Herr Abgeordneter Meyer.
Meyer ({7}) ({8}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat den Antrag auf Drucksache Nr. 2693 eingebracht, um das Problem der Ruhensbestimmungen, also der §§ 1274, 1275, 1278 und 1279 der Reichsversicherungsordnung, einmal konkret anzupacken und die Dinge endlich in Fluß zu bringen. Das Hohe Haus hat über diese Frage schon verschiedentlich, beispielsweise beim Bundesversorgungsgesetz, gesprochen und hat diese Paragraphen dort nicht berücksichtigt. Wir haben die Frage schon bei der Verabschiedung des Rentenzulagengesetzes angesprochen. Seit über einem Jahr hatte sich die SPD-Fraktion um die Erhöhung dieser viel zu niedrigen Renten bemüht. Wir waren damals der Auffassung, daß die Frage der Erhöhung der Renten aus den Rentenversicherungen, die Frage der Erhöhung der Unfallrenten und das Problem der Ruhensbestimmungen als ein Ganzes behandelt werden müssen. Die tropfenweise Erledigung der Dinge führt zu Unerträglichkeiten und Komplikationen. Seinerzeit wurde z. B. gesagt, daß die Nichtbeachtung der Ruhensbestimmungen beim Rentenzulagegesetz nicht zu sehr großen Schwierigkeiten führe. Der Herr Bundesarbeitsminister trat damals selber in die Schranken und sagte, es sei nicht so, wie wir es dargestellt hätten. Heute ist die Situation im Zusammenhang mit dem Rentenzulagengesetz so, daß die Menschen, bei denen ein Doppelbezug von Unfallrente und Rente aus den Rentenversicherungen vorliegt, benachteiligt sind. Ich könnte Ihnen eine Reihe von Zahlenbeispielen*) dazu anführen. Diese Menschen würden lieber auf ihre Unfallrente ganz verzichten, weil sie dann in den Genuß einer viel höheren Rente kommen würden.
*) Ergänzung siehe Anlage Seite 7107
({9})
Es ist sehr interessant, daß bei den Beratungen des Rentenzulagengesetzes, nachdem die Anträge der sozialdemokratischen Fraktion bezüglich der Ruhensbestimmungen abgelehnt worden waren, ein Vermittlungsantrag der Regierung vorgelegt wurde, der folgenden Wortlaut hat:
Der § 2 Abs. 4 des Rentenzulagengesetzes erhält folgende Fassung:
Beim Zusammentreffen von Renten der Rentenversicherungen mit Renten der Unfallversicherung muß dem Berechtigten von der Rente einschließlich der Zulage aus der Rentenversicherung mindestens so viel verbleiben, daß er aus der Rentenversicherung und der Unfallversicherung zusammen ebensoviel erhält, wie er ohne Anwendung der §§ 1274 oder 1275 der Reichsversicherungsordnung allein aus der Rentenversicherung an Rente und Zulage erhalten hätte.
Ich stelle hier fest, daß dieser Antrag, der eine Milderung der Ruhensbestimmungen bedeutet hätte, seinerzeit im Sozialpolitischen Ausschuß des Bundestages mit 10 zu 8 Stimmen abgelehnt wurde. Die Mehrheit dieses Hauses war also nicht bereit, selbst einem solchen Vermittlungsvorschlag der Regierung eine Chance zu geben, obwohl sie selbst im Februar einem noch weitergehenden Antrag zur Annahme verholfen hat. So haben wir heute eine un- geheure Verbitterung. Ich darf sagen, daß unter diese Ruhensbestimmungen weit über eine Million Menschen mit den Familienangehörigen fallen, die an der heutigen Aussprache in diesem Hause lebhaft interessiert sind.
Auch in bezug auf die Erhöhung der Unfallrenten hat der Herr Bundesarbeitsminister damals sehr starke Worte gebraucht. Er hat die Parlamentsferien mit herangezogen, die eine schnelle Verabschiedung verhinderten. Die sozialdemokratische Fraktion hat seine damaligen Ausführungen - ich möchte keinen starken Ausdruck gebrauchen - als sehr ungehörig empfunden; denn bis heute liegt dem Hause das Gesetz zur Erhöhung der Unfallrenten noch nicht vor. Es liegt zwar, soweit ich unterrichtet bin, im Bundesrat. Dabei ist es wiederum sehr interessant, daß beispielsweise der § 6 des von der Regierung vorgelegten Entwurfs eines Gesetzes zur Erhöhung der Unfallrenten bestimmt, daß die Erhöhung aus diesem Gesetz nicht unter die Ruhensbestimmungen fällt und daß der Betreffende mindestens so viel an Rente beziehen muß, wie seine Rente aus einer der Rentenversicherungen ausmacht.
Im März dieses Jahres hat die Regierung im Zusammenhang mit der Auflage der allgemeinen Rentenerhöhung gewissermaßen den Auftrag bekommen, die Ruhensbestimmungen - ich glaube, es handelt sich hier um einen Antrag der CDU-Fraktion - wieder auf die Grundlagen des Jahres 1911 zurückzuführen. Diese Frage hat sowohl beim Rentenzulagegesetz wie auch überhaupt durch eine besondere Vorlage bis heute noch nicht ihre Erledigung gefunden. Nach wie vor gehen aus dem Bundesarbeitsministerium eine Reihe von Schreiben, die auch in meinen Besitz gelangt sind, heraus, die sich nicht auf den Status dieser Auflage stellen, sondern die stur weiter an den untragbaren Ruhensbestimmungen festhalten. Diese Frage muß endlich einmal aus der Gesamtheit der Dinge gelöst werden. In den Rentenfragen ist eine große Kompliziertheit vorhanden. Selbst ein so Kundiger der Rentenversorgung wie der Professor Muthesius hat auf dem letzten Fürsorgetag in
Recklinghausen festgestellt, daß es in Deutschland kaum noch ein Dutzend Menschen gibt, die über alle diese Dinge noch so im Bilde sind, daß man sich durchfindet. Also nicht nur diese Frage der Ruhensbestimmungen muß nun endlich gelöst werden, sondern eine Vereinfachung des ganzen Rentenverfahrens tut not.
({10})
Wir schlagen vor, § 1274 wie folgt zu ändern: Invalidenrente und Unfallrente dürfen zusammen keinen höheren Betrag erreichen als die jeweilige tarifliche Vergütung der Berufsgruppe, der der Rentner im Hauptberuf angehört hat. Um den übersteigenden Betrag mindert sich die Invalidenrente.
Die jeweilige tarifliche Vergütung der Berufsgruppe ist in den Rentenversicherungen ja nichts Neues. Die Unfallversicherung arbeitet schon jahrzehntelang erfolgreich mit diesem Begriff, und große Berufsgenossenschaften wie die des Bergbaues haben in Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft für die verschiedenen Berufsgruppen in diesem Arbeitsgebiet solche Höchstskalen des Einkommens aufgestellt. In der Hauptsache handelt es sich bei § 1274 um das Zusammentreffen von Renten aus den Rentenversicherungen mit einer Rente aus der Unfallversicherung. Für die Angestelltenversicherung gilt dabei § 40 und für die Knappschaftsversicherung § 50 entsprechend. Heute ist es so, daß die Hälfte der Rente aus einer der Renten der Rentenversicherungen beim Zusammentreffen mit einer Rente aus der Unfallversicherung ruht. Hierbei gelten Kinderzulagen nach § 559 a Abs. 2 und § 559 b als Teil der Verletztenrente und Kinderzuschüsse aus der Invalidenversicherung nach § 1268 RVO als Teil der Invalidenrente. Wird also ein Unfallverletzter, der eine Rente in Höhe von 60 DM bezieht, nach einiger Zeit invalide, und erhält er nach Aufrechnung seiner geklebten Marken eine Invalidenrente von 70 DM, so erfolgt durch Zusammenziehung in Anwendung von § 1274 eine Neuberechnung, die so aussieht, daß die Hälfte der Invalidenrente - das sind 35 DM - zum Ruhen gebracht wird. Die Unterstützung erreicht also nicht durch Zusammenziehen 130 DM, sondern beträgt nur 95 DM. Die Sätze, die auf diese Weise zustande kommen, liegen auf der ganzen Linie weit unter dem Existenzminimum, zu einem großen Teil, insbesondere bei den kleineren Renten, unter den Fürsorgerichtsätzen. Sie müssen deshalb durch die Fürsorgeunterstützung der Gemeinden wieder erhöht werden. Mein Fraktionskollege Professor Dr. Preller hat vollkommen recht gehabt, als er auf dem Fürsorgetag in Recklinghausen von einer Vereinfachung des Rentensystems, aber auch davon gesprochen hat, daß eine Rente so hoch sein muß, daß auf alle Nebenrenten verzichtet werden kann. Ich will die Beispiele, die ich noch durchgerechnet habe, nicht anführen; das würde zu weit führen und auch ermüden.
Die Ruhensbestimmungen sind im Laufe der Entwicklung wiederholt geändert worden. Sie gingen zunächst in § 34 des Invaliden- und Altersversicherungsgesetzes vom Jahre 1889 von der Festsetzung eines Jahreshöchstbetrages aus. Auf dieser Linie bewegt sich unser Vorschlag, einen solchen Höchstbetrag beim Zusammenfallen dieser beiden Rentenarten festzulegen, um alle schweren Härten zu vermeiden. Auf dieser Linie liegt auch unser Eintreten für eine Mindestrente. Wir haben diese Frage beim Rentenzulagengesetz angesprochen. Die Mehrheit des Hauses ist unseren Gedanken leider
({11})
nicht gefolgt, sondern hat die im Sozialversicherungsanpassungsgesetz erreichte Mindestrente wieder revidiert. Ich bedauere, sagen zu müssen, daß dieses Sozialversicherungsanpassungsgesetz auch in bezug auf die hier festgelegte Mindestrente keine Sicherungen bezüglich der Ruhensbestimmungen eingebaut hat. Damit fällt die Mindestrente des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes praktisch ebenfalls unter die Ruhensbestimmungen.
In diesem Zusammenhang wird die Formulierung, die bei der Einführung der Reichsversicherungsordnung im Jahre 1911 in den §§ 1311 bis 1318 geschaffen wurde, interessieren; denn das sind ja auch die Vorstellungen der Antragsteller, von denen ich jedoch den Eindruck habe, daß sie ihre Forderung fallen gelassen haben. Es wäre sehr interessant, in der Aussprache von ihnen zu hören, warum sie gerade die Ruhensbestimmungen des Jahres 1911 gewählt haben. In dem entscheidenden § 1311 heißt es:
Die Rente ruht neben einer reichsgesetzlichen Unfallrente, soweit beide zusammen übersteigen würden
1. bei Invaliden- und Altersrenten den siebeneinhalbfachen Grundbetrag der Invalidenrente,
2. bei Witwen- und Witwerrenten den dreieinhalbfachen, bei Waisenrenten den dreifachen Grundbetrag der Invalidenrente, die der Ernährer zur Zeit seines Todes bezog oder bei Invalidität bezogen hätte.
Nehmen wir den 7 1/2fachen Grundbetrag nach § 1311. Auf die heutige Lage angewandt, würde bei einem Grundbetrag der Invalidenversicherung von 156 DM ein Jahreshöchstbetrag von 1170 DM, also monatlich ungefähr 98 DM, herauskommen, während bei den Witwen ein Höchstbetrag von 39 DM herauskommen würde. Das kann aber den heutigen Anforderungen in keiner Weise mehr gerecht werden. Ich weiß nicht, was die Antragsteller in bezug auf die Grundrente bei der Angestelltenversicherung vorhaben, die ja damals, als die Invalidenversicherung eingeführt wurde, noch nicht bestand; sie wurde bekanntlich erst im Dezember 1911 geschaffen. Hier beläuft sich der Grundbetrag auf 444 DM. Wollen die Antragsteller also diesen großen Unterschied hier zum Ausdruck bringen und verewigen?
({12})
- Jawohl? Das ist sehr interessant, und es wird
draußen sicher interessieren, daß Sie der einen
Gruppe den 7 1/2fachen Grundbetrag von 444 DM
({13})
und der anderen
({14})
bedeutend weniger zubilligen, immer ausgehend von Ihrer Forderung: Ruhensbestimmungen nach RVO 1911. Was würde beispielsweise bei der Knappschaftsversicherung der Fall sein, wo man praktisch keinen Grundbetrag kennt, sondern dieser Grundbetrag in den Steigerungsbeträgen liegt und bei der Knappschaftsvollrente 2,4 % beträgt? Daß die Präambel dieses Gesetzes von 1911 noch eingeleitet wird: „Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen" usw., dürfte nur am Rande interessieren.
Nach 1919 wurden die Ruhensbestimmungen, nachdem sie vorübergehend vollkommen ausgeschaltet waren, in den Jahren 1923, 1924 und 1926
neu formuliert und dann durch die 4. Notverordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutz des inneren Friedens vom 8. Dezember 1931 die jetzt von so vielen abgelehnte Fassung geschaffen. Man strebte seinerzeit durch diese Notverordnung - also durch „verordnete Not" - eine Sanierung auf Kosten der Betroffenen an. Ich glaube, es handelte sich damals um einen Betrag von ungefähr 20 Millionen Mark in der Invalidenversicherung, der aber bei weitem nicht ausreichte. Der damalige Bürgerblock - so darf ich wohl sagen - ging also einen ähnlichen Weg, möglichst alle Lasten auf die sozial Schwachen abzuwälzen. Es ist an der Zeit, mit den Notverordnungen, von denen die über die 6%ige Kürzung der Beamtengehälter usw. bereits aufgehoben worden ist, insbesondere auch mit dieser Notverordnung des Jahres 1931, endgültig Schluß zu machen.
Sie wissen, daß wir auch damals - seit 1930 - gegen diese Vorstellungen der Wirtschafts-, Sozial-und Steuerpolitik gekämpft haben. Besonders war es ein bedeutender Führer der Gewerkschaften, dessen Rat uns heute leider nicht mehr zur Verfügung steht, Fritz Tarnow, der mit einem sehr gut durchdachten Programm gegen diese Notverordnungspolitik unter der Losung „Warum arm sein?" aufgetreten ist und Wege zur Erhöhung des Sozialproduktes aufzeigte. Aber Sie sind stur den Weg der Notverordnungspolitik, der Verarmung großer Massen unseres Volkes gegangen und haben dann dafür alle die Dinge erleben müssen, die später über unser Volk gekommen sind und Trümmerdeutschland geschaffen haben.
Ich darf noch einige Beispiele aus der Praxis anführen, um Ihnen zu zeigen, wie ungeheuer die Auswirkungen dieser überholten Ruhensbestimmungen der Notverordnung vom Jahre 1931 sind. Ein Bergmann geriet beim Abhängen von Kohlenwagen zwischen die Puffer und brach sich an drei Stellen den Arm, der bis zum Schultergelenk steif blieb. Da er vor dem Unfall noch keine Knappschaftsrente bezog, erhielt er jahrelang bis heute nur die Hälfte dieser Rente in Höhe von 49,70 DM. Dieser Unfallverletzte galt nach seinem Unfall als zu 60 % erwerbsbeschränkt und wurde über Tage als Wächter beschäftigt, hatte dadurch also ein geringeres Einkommen und deshalb eine niedrigere Rente. Im März 1950 wurde er seiner kargen Rente wegen entlassen, und bis heute ist er arbeitslos.
Ich Werde mir gestatten, einige andere Beispiele noch zu Protokoll zu geben.*) Sie werden es mir nicht verargen, wenn ich, außerhalb des Rahmens der Gesamtbetrachtung, aus der Lage meines Wahlbezirkes, zweier Kohlenstädte im Ruhrgebiet, etwas anführe, was die Verschärfung dieser Ruhensbestimmungen kennzeichnet, die im Bergbau eingetreten ist. Diese Ruhensbestimmungen wurden auch nach 1945 praktisch noch verschärft, und zwar durch die britische Militärregierung durch die Sozialversicherungsdirektive Nr. 1 vom 28. August 1945, wonach die Sozialversicherungsrenten nur insoweit bezahlt werden durften, als sie die Unfallrente überstiegen. Erst die Sozialversicherungsdirektive Nr. 17 gestattet seit dem 1. 9. 1947 wieder die Anwendung des § 1274 der Reichsversicherungsordnung, der die Zahlung jetzt wenigstens bis zur Hälfte der Invalidenrente oder des Ruhegelds neben der Unfallrente zuläßt.
Wie sehr das Vertrauen der Versicherten in Gesetzgebung und Verwaltung bei der Anwendung
*) Ergänzung siehe Anlage Seite 7107
({15})
der Gesetzgebung getäuscht werden kann, sei an einem Beispiel aufgezeigt. Trotz gleichbleibender Rechtslage konnte durch eine verständnisvolle Auslegung der Ruhensbestimmungen ihre Auswirkung auf einem Teilgebiet der Sozialversicherung, gemildert werden. Nach dem 8. 5. 1945 ist dann, wie gesagt, eine erneute Verschlechterung erfolgt. Es handelt sich um die Anwendung der Ruhensbestimmungen bei den in der knappschaftlichen Rentenversicherung versicherten Bergleuten. Bei einem Teil der knappschaftlichen Renten wurde vor dem 8. 5. 1945 in wohlwollender Weise angenommen, daß der Beginn der Staublungenerkrankung, der Silikose, immer nach dem Eintritt der knappschaftlichen Berufsunfähigkeit lag und demzufolge der § 1274 nicht anzuwenden war. In diesen vielen Fällen konnten also die knappschaftlichen Leistungen wegen Berufsunfähigkeit oder Invalidität neben den Leistungen aus der Unfallversicherung ohne jede Kürzung in voller Höhe gewährt werden. Darüber sind seinerzeit auch rechtsmittelfähige Bescheide erteilt worden.*) Ich weiß - ohne diese Materie vertiefen zu wollen -, daß im Bundesarbeitsministerium wohlwollende Bestrebungen vorhanden sind, diese Bestimmungen wieder zu lockern. Die Hindernisse liegen auf einer anderen Ebene.
Ich will mir ersparen, konkrete Auswirkungen des Weiterbestehens der Ruhensbestimmungen in bezug auf das Rentenzulagengesetz hier noch anzuführen. Die Aufhebung des § 1274 der Reichsversicherungsordnung würde also für die Bergleute nur das alte Recht wiederherstellen, im allgemeinen die Notverordnung des Jahres 1931 beseitigen und auch dem in diesem Hause so oft an falscher Stelle angeführten Versicherungsprinzip wieder Geltung verschaffen.
Bei § 1275 ergibt sich die Lösung aus meinen Darlegungen von selbst.
Auch der § 1279 muß gestrichen werden. Es ist eine Ungerechtigkeit, die endlich beseitigt werden muß, daß man den Ehefrauen, die nach dem Aufhören ihrer Beschäftigung und ihrer Versicherungspflicht oft auf Zureden und unter Opfern Beiträge weitergezahlt haben, auf Grund dieser Bestimmung der Sozialversicherung dann keinerlei Bezüge gibt, wenn sie eine Teilrente aus der Hinterbliebenenrente ihres verstorbenen Ehemannes bekommen.
Die Frage muß nun im Sozialpolitischen Ausschuß eingehend durchgearbeitet, die Härtebeispiele müssen durchgerechnet werden. Das ganze Haus wie auch fast alle großen Organisationen - ich denke jetzt an den Beschluß der Kriegsopferorganisation - haben sich schon des öfteren für die Streichung dieser Ruhensbestimmungen eingesetzt. Wir und sie alle wünschen, daß diese Bestimmungen nun endlich verbessert werden, damit die Widerwärtigkeiten und die sehr großen Ungerechtigkeiten in dieser Frage endlich einmal beseitigt werden. Es handelt sich hierbei um einige Hunderttausend Menschen, die darauf warten, daß die seinerzeit durch die Notverordnung im Jahre 1931 verordnete Not, die sich ja inzwischen durch die gewaltigen Preissteigerungen ungeheuer verschärft hat, endlich beseitigt wird.
({16})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das,
*) Ergänzung siehe Anlage Seite 7108 was in den hier vorliegenden Anträgen gefordert wird, ist in der Nachkriegszeit zweimal grundsätzlich erörtert worden; einmal im Frankfurter Wirtschaftsrat bei der Verabschiedung des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes und erst vor einigen Monaten bei der Verabschiedung des Rentenzulagengesetzes. In beiden Fällen hatte man die Frage zu prüfen, was im Hinblick auf die vorhandenen Notstände in der Sozialversicherung zuerst getan werden müsse, weil ja letzten Endes für alle Ausgaben, die wir aus der sozialen Versicherung bestreiten sollen, auch die Deckung vorhanden sein muß.
({0})
- Ach, ich kann mich doch darüber mit Ihnen nicht unterhalten! Wer sich durch sein allgemeines Verhalten außerhalb der deutschen Volksgemeinschaft stellt,
({1})
hat kein Recht, über derartige Dinge zu sprechen!
({2})
Ich möchte also dem Hause sagen: nach der Vorlage dieses Antrags haben wir im Arbeitsministerium selbstverständlich die Aufgabe gehabt, einmal zu fragen, welche Kosten diese Anträge verursachen, wer für die finanzielle Deckung zu sorgen hat und inwieweit überhaupt Möglichkeiten für die Deckung der hier notwendigen Ausgabenvermehrungen vorhanden sind.
({3})
Soweit die §§ 1274 und 1275 der Reichsversicherungsordnung in Frage kommen, ergibt sich eine Mehrausgabe für die Sozialversicherungsträger der Rentenversicherungen von ungefähr 60 Millionen DM. Nach den gesetzlichen Bestimmungen wären von diesen 60 Millionen allein 43 Millionen aus Steuermitteln zu decken; denn hier würde eine Erhöhung der Ausgaben der Versicherungsträger eintreten, die durch eine Rückvergütung aus dem Steuersektor ausgeglichen werden muß.
Wenn Sie dann den § 1279 ansehen, finden Sie, daß sich aus der hier erhobenen Forderung eine neue Belastung der Versicherungsträger um 85 Millionen DM ergibt. Davon müssen wiederum 38 Millionen DM aus Steuermitteln aufgebracht werden. Insgesamt hätten Sie also dafür zu sorgen, daß im Haushalt des Bundes für eine Mehrausgabe von 81 Millionen DM Deckung geschaffen wird. Aber auch bei den Versicherungsträgern sind die Dinge gar nicht so einfach. Sie wünschen mit diesen Anträgen insgesamt also eine Mehrausgabe von 145 Millionen DM. Wenn ich davon 81 Millionen DM abrechne, die den Versicherungsträgern vom Finanzminister wieder erstattet werden müssen, dann bleibt für die Versicherungsträger immer noch eine Mehrausgabe von 64 Millionen DM. Es ist leider Gottes bei diesem Antrag vergessen worden zu sagen, woher die Versicherungsträger die Deckung nehmen sollen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe vor einiger Zeit in meinem Ministerium Ihren besonderen Sachverständigen einmal einen großen Überblick über die versicherungsmathematische Grundlage unserer Rentenversicherungsträger geben lassen. Dabei ist ihnen ganz klar vor Augen geführt worden, daß man, wenn man die heutigen
({4})
Leistungen nach dem Anwartschafts- und Kapitaldeckungsverfahren beibehalten will, bereits heute die Beiträge zu den Rentenversicherungen von 10 auf 17 % erhöhen muß. Bei allem guten Willen, den wir zeigen, dürfen wir doch nicht die Notstände nur derjenigen sehen, die zur Zeit Renten bekommen, sondern wir müssen, ob wir wollen oder nicht, darüber hinaus denjenigen, die heute Beiträge zahlen, die Gewißheit geben, daß ihnen die Leistungen, die von uns heute beschlossen und die aus ihren Beiträgen finanziert werden, später, wenn sie selbst ins Rentenalter kommen, ebenfalls gewährt werden.
({5})
Wenn wir das nicht täten, würden wir meines Erachtens gegenüber den Leuten unverantwortlich handeln, die heute in gutem Glauben an die Regierung und an die Gesetzgebung treu und brav ihre Beiträge entrichten.
({6})
Jeden, gleichgültig auf welcher Seite des Hauses er sitzt, der sich darüber besonders informieren will, bitte ich darum, einmal zu uns zu kommen und sich die Unterlagen geben zu lassen. Ich kann sagen, daß die Versicherungsträger rein kassenmäßig die notwendigen Gelder in diesem Jahre vielleicht aufbringen könnten; aber schon im nächsten Jahre geht es nicht mehr. Das ist doch letztlich das Entscheidende! Die Kassenlage der Versicherungsträger ist nicht gerade so, daß man von einer Katastrophe sprechen müßte. Wenn man sich aber die Lage der Versicherungsträger einmal vom Standpunkt der Versicherung ansieht, muß es einem in Wirklichkeit angst und bange um die Zukunft werden.
Das Ministerium wird im Ausschuß natürlich gerne alle Unterlagen zur Verfügung stellen. Ich hoffe, daß dann in gemeinschaftlicher Arbeit ein Weg zur Lösung des Problems gesucht und gefunden wird, der nicht dazu führt, daß den Versicherungsträgern und auch dem Bundesfinanzminister Auflagen gemacht werden, für deren Durchführung zur Zeit keine Deckung vorhanden ist.
({7})
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen zu diesem Punkt der Tagesordnung eine Aussprachezeit von 90 Minuten vor. Ich darf annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist.
Bevor ich das Wort weiter erteile, weise ich darauf hin, daß die konstituierende Sitzung des Untersuchungsausschusses 45 - ich darf ihn vorläufig mit dem Namen Dokumentendiebstahl kennzeichnen - um 17 Uhr in Zimmer 10, Südflügel, und die ebenfalls konstituierende Sitzung des Untersuchungsausschusses 46 um 17 Uhr 15 in Zimmer 12, Südflügel, stattfindet. Ich darf bitten, die Mitglieder der Ausschüsse darüber zu unterrichten.
Das Wort hat der Abgeordnete Kohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben absolut Verständnis für die Nervosität des Herrn Bundesarbeitsministers,
({0})
wenn ihm peinliche Gesetzesvorlagen unterbreitet
werden. Er versucht dann, die Dinge mit einer
Handbewegung abzutun. So hat er es eben getan, indem er gesagt hat, daß wir außerhalb der Volksgemeinschaft stünden. Herr Bundesarbeitsminister, ich darf Ihnen sagen, daß dieser Satz in einer verflossenen Zeit zwölf Jahre lang ausgesprochen worden ist. Es spricht nicht für Sie, daß Ihre Nervosität in einem solchen Satz Ausdruck findet. Es wäre viel besser gewesen, Sie hätten sich mit der gesamten Problematik der in diesem Antrag angeschnittenen Fragen auseinandergesetzt. Dann hätten Sie den Empfängern der in Frage kommenden Renten einmal aufzeigen müssen, daß die Bundesregierung gar nicht gewillt ist, auf diesem Sektor irgend etwas Entscheidendes zu tun.
Wir bestreiten gar nicht, daß der Antrag Drucksache Nr. 2693 eine gewisse Verbesserung des bisherigen Zustandes bringen will, indem er den alten Zustand wieder herstellt, der vor der Brüningschen Hunger-Notverordnung des Jahres 1931 bestanden hat. Man sollte im Interesse der historischen Wahrheit aber auch feststellen, daß die damalige sozialdemokratische Reichstagsfraktion diese Brüningsche Notverordnung toleriert hat.
({1})
Ich glaube also, man sollte mit irgendwelchen Formulierungen sehr vorsichtig sein. Die Brüningsche Notverordnung brachte auch - und das bedarf ebenfalls einer Änderung - die Pflicht zur Tragung eines Anteils an den Arzneimittelkosten. Hierher gehört auch die Frage des Krankenscheins. Das sind alles Fragen, deren Lösung die Bundesregierung noch nicht in Angriff genommen hat. Der Weiterbestand dieser Verhältnisse wird also von der Bundesregierung absolut akzeptiert.
Wir sind grundsätzlich der Auffassung, daß es bei dem sozialdemokratischen Antrag um ein Teilproblem geht; das hat auch der Kollege Meyer bei der Begründung gesagt. Man kann das Problem aber nicht aus dem Gesamtrahmen der Sozialversicherung herauslösen. Es ist nicht uninteressant, auch zu diesem Gesamtfragenkomplex die Stellungnahme des Herrn Bundesarbeitsministers festzustellen, wie sie auf der Krankenkassentagung zum Ausdruck gekommen ist. Herr Minister Storch sollte dort zur Frage der Neuordnung der Sozialversicherung sprechen. Nach den Mitteilungen der „Neuen Zeitung" hat er eigentlich zu diesem Thema nicht in der Weise gesprochen, daß er konkrete Vorschläge seines Ministeriums entwickelt und zum besten gegeben hat, wie man sich dort die Dinge vorläufig denkt; sondern er hat - das ist, glaube ich, wert, festgehalten zu werden - gesagt, daß er sich gegen den anderen sozialdemokratischen Antrag wende, den Kreis der Versicherten zu erweitern. Er hat ausgeführt, dazu sei ein staatliches Gesundheitsgesetz ähnlich dem englischen erforderlich; aber dafür habe die Bundesregierung kein Geld. Er hat zum Schluß gesagt, geldliche Zuschüsse seien vom Bund nicht zu erwarten, denn der Bund sei arm und schwach.
Das klang auch bei seiner heutigen Rede durch, als er versuchte, den sozialdemokratischen Antrag mit versicherungsmathematischen Rechnereien zu erledigen, ohne dabei auf die grundsätzliche Seite dieser Dinge einzugehen. Es wäre besser gewesen, wenn der Herr Bundesarbeitsminister nun in Parallele zu der Rechnung, die er dem Bundestag vorgelegt hat, einmal die Rechnung des Herrn Bundesfinanzministers vorgelegt hätte, die in verschiedenen Pressemitteilungen abgedruckt wurde. Darin heißt es:
({2})
Die Anforderungen der Besatzungsmächte steigen,
({3})
wie das Finanzministerium mitteilt, laufend an. Sie haben im September erstmals den Jahresdurchschnitt von monatlich 600 Millionen erreicht. Die gewaltigen Bauausgaben der Besatzungsmächte für Flugplätze, Truppenübungslager, Kasernen und Depots kommen erst jetzt voll in Gang. Es wird deshalb in Bonn vermutet, daß die Anforderungen der Besatzungsmächte im Laufe der nächsten Monate sich um ein Bedeutendes steigern werden.
Nun, meine Damen und Herren, haben Sie zwei Tatsachen: einmal die unerhörten Anforderungen der Besatzungsmächte für eine Politik, die zum Schaden des deutschen Volkes ist,
({4})
und zum andern das Unvermögen und das Nichtwollen der Regierung, den Ärmsten der Armen, nämlich den Sozialrentnern, etwas zu geben.
Wir berühren dabei ein grundsätzliches Problem, das von einem prominenten Vertreter der CDU in echt „christlicher" Verantwortung auf dem Krankenkassentag aufgegriffen worden ist. Es handelt sich um einen Professor Dr. med. Flesch-Thebesius, der bemängelt hat, daß die Menschen viel zu oft zum Arzt liefen, und der der Meinung war, daß man in der gesamten Sozialversicherung wieder auf die Prinzipien ihrer Gründungszeit zurückkommen müsse und daß man darüber hinaus die Frage der durch die Beitragszahlung wohlerworbenen Rechte ad acta legen und Renten und Unterstützungen nur dem Kreis der wirklich Bedürftigen zahlen solle.
) Was hier von diesem weisheitsvollen Herrn Professor zum besten gegeben worden ist, trifft, glaube ich, das Kernproblem, über das Sie sich zu entscheiden haben. Solange die Sozialversicherung besteht, wurde über die Frage der Einheitlichkeit und über die Höhe der Leistungen diskutiert. Solange die Sozialversicherung besteht, geht es um die Anrechnung von Doppelrenten. Wir können grundsätzlich keiner Politik zustimmen, die es gestattet, daß die sogenannten wohlerworbenen Rechte durch staatlich sanktionierten Betrug umgemünzt werden - das ist der richtige Ausdruck dafür -, indem eine Rente auf die andere angerechnet wird. Nehmen Sie das Beispiel der Unfallrente. Diese Frage wurde bei der Verabschiedung des Körperbeschädigten-Leistungsgesetzes, des Bundesversorgungsgesetzes, wie es heißt, diskutiert. Auch da ging es um die Anrechnung der Renten, und es hat sich im Laufe weniger Monate gezeigt, daß die Anrechnung der Leistungen aus der Invaliden-, Unfall- und Angestelltenrentenversicherung auf die Leistungen aus dem Bundesversorgungsgesetz zu unerhörten Härten führt, die einmal sachlich nicht gerechtfertigt, zum andern rechtlich nicht fundiert sind und die eine Durchbrechung des Versicherungsprinzips bedeuten. Wir sind deshalb der Auffassung, daß eine Rente auf die andere nicht angerechnet werden kann; denn der Versicherte hat einen durch Zahlung von Beiträgen erworbenen Rechtsanspruch auf die Zahlung der ihm zustehenden Rente.
({5})
Niemand wird das bestreiten können. - Herr Kollege Arndgen, Sie sind wirklich nicht prädestiniert, darüber zu sprechen.
({6})
- Allerdings.
({7})
Sie können versichert sein, daß Sie für eine solche Gesetzgebung auch bei den Unfallverletzten kein Verständnis finden werden. Dieselben Grundsätze, die bei der Behandlung beispielsweise des Körperbeschädigten-Leistungsgesetzes diskutiert worden sind, gelten für den Kreis der Unfallverletzten. Wenn dieser Antrag vorsieht, daß der Tariflohn zugrunde gelegt werden soll, dann bleibt dazu festzustellen - und das ist in diesem Hause sehr oft ausgesprochen worden -, daß der jetzt gezahlte Tariflohn bei weitem nicht als Existenzgrundlage bewertet werden kann, sondern daß die Löhne von 60 % aller in Arbeit Stehenden weit unter dem Existenzminimum liegen.
Wenn man diese Tatsachen bei der Betrachtung des vorliegenden Antrags zugrunde legt, muß man allerdings sagen, daß das von der Bundesregierung und auch von dem Herrn Bundesarbeitsminister Storch so warm empfohlene Stillhalteabkommen ein Schlag in das Gesicht dieser Kreise ist, die sich bestimmt gegen diese Gesetzgebung zur Wehr setzen werden.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Willenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die §§ 1274 und 1279 der RVO sind damals durch Notverordnungen zur Erhaltung der Wirtschaft eingeführt worden. Sie bilden unausgesetzt eine Quelle des Ärgers für die anspruchsberechtigten Doppelrentenempfänger. Die Ruhensvorschriften sind zwingendes Gesetz und müssen von den Versicherungsträgern durchgeführt werden, wenn die Erkrankung, für die die Unfallversicherung eintritt, vor dem Erkrankungsbeginn in der Invalidenversicherung liegt oder wenn beide Voraussetzungen am gleichen Tage eintreten. Dadurch entstehen Härtefälle, für die in der Sozialversicherung an und für sich kein Platz sein sollte.
Vor allen Dingen wirken sich diese Ruhensvorschriften bei Unfallrentnern mit der geringen Erwerbsminderung von 20 und 30 % aus. Ein Beispiel hierfür: Ein junger Bergmann erlitt vor zwanzig Jahren einen Betriebsunfall, der zu einer Erwerbsbehinderung von 30 % führte, für die er entsprechend entschädigt wird. Infolge der verbliebenen geringeren Erwerbsfähigkeit war es dem Verletzten nicht möglich, seine Hauerarbeiten fortzusetzen. Er verrichtete nur noch schlechter bezahlte Arbeiten und entrichtete auch seinem Arbeitslohn entsprechend die Beiträge zur Sozialversicherung. Bei Eintritt des Versicherungsfalles wird ihm nunmehr die Unfallrente auf die Hälfte der Knappschaftsrente angerechnet. Unfallrente und Knappschaftsrente erreichen nicht die Höhe der Knappschaftsrente, die er bekommen würde, wenn er, ohne den Unfall erlitten zu haben, weiterhin seiner Mauertätigkeit hätte nachgehen können.
Ein Beispiel, wie sich die Ruhensvorschrif ten auch in bezug auf den Zuschlag nach § 2 des Rentenzulagengesetzes auswirken: Ein Knappschaftsrentner hat Anspruch auf Knappschaftsrente in Höhe von 118,50 DM. Ferner bezieht er eine Unfallrente in Höhe von 50 DM. Die Unfallrente wird auf die Knappschaftsrente in Anrechnung gebracht, so daß der Rentner bisher an Gesamtrente bezieht: aus der knappschaftlichen Rentenversicherung 68,50 DM, aus der Unfallversicherung 50 DM, insgesamt 118,50 DM. - Nach dem Rentenzulagen({0})
gesetz ergibt sich folgende Rente: Rente aus der knappschaftlichen Versicherung 68,50 DM, Zuschlag nach § 2 des Rentenzulagengesetzes 17,50 DM, Unfallrente 50 DM, insgesamt 136 DM. - Würde diesem Rentner die Unfallrente entzogen, bezöge er also nur Knappschaftsrente, aber keine Unfallrente, so hätte er folgende Rente: Rente aus der knappschaftlichen Versicherung 118,50 DM, Zuschlag nach § 2 des Rentenzulagengesetzes 30 DM, insgesamt 148,50 DM. Der Bezugsberechtigte hat also infolge des Unfalles einmal den Schaden, daß er jahrelang weniger verdiente, und zum andern den Nachteil, daß er monatlich auch noch 12,50 DM weniger Gesamtrente erhält.
({1})
Herr Minister, auch diese Leute haben Beiträge gezahlt in dem guten Glauben, daß sie auf Grund ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Beitragszahlung nun auch in den Genuß der Rente kämen.
({2})
In diesem guten Glauben sind sie enttäuscht worden. Es ist Unrecht geschehen, und das Unrecht muß beseitigt werden. Die genannten Beispiele zeigen die ganze Unhaltbarkeit der Ruhensvorschriften in der Reichsversicherungsordnung. Es bleibt uns unverständlich, daß bei zwei Menschen, die dieselben Arbeiten verrichtet und dieselben Versicherungsbeiträge gezahlt haben, die Rente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung neben der Unfallrente einmal voll und zum andern nur zur Hälfte ausgezahlt wird. - Oder: Der betreffende Arbeiter erleidet in jüngeren Jahren einen Unfall; dann wird ihm zwar von der Berufsgenossenschaft entsprechend dem Grade seiner Erwerbsminderung eine Unfallrente gezahlt, aber sein Lohn sinkt auch dementsprechend. Die Rente aus der knappschaftlichen Versicherung wird nun, wie ich vorhin schon sagte, nach dem gesamten bergmännischen Verdienst, den der Versicherte während seiner Beschäftigung erreicht hat, berechnet. Seine Rente wird also jetzt niedriger sein, als wenn er unter normalen Umständen bis zum Eintritt der Invalidität gearbeitet hätte. Diese Ungerechtigkeiten können nicht weiter bestehen bleiben. Wer seine Gesundheit im Dienste des Betriebes und der gesamten Bevölkerung opfert, dem können wir nicht noch weitere finanzielle Opfer zumuten.
Die Fraktion des Zentrums ist der Meinung, daß hier Unrecht beseitigt und der alte Rechtszustand wiederhergestellt werden muß. Wir sind außerdem der Auffassung, daß der gestellte Antrag im sozialpolitischen Ausschuß noch durchgearbeitet werden muß.
({3})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte dem Herrn Kollegen Willenberg sagen, daß er bei seinen Beispielen zum Teil recht hat. Er weiß doch aber ganz genau, daß das Rentenzulagengesetz für die Unfallversicherung bei uns bereits fertiggestellt ist und zur Zeit beim Bundesrat liegt. In diesem Gesetz ist ausdrücklich vorgesehen, daß die Rentenzulagen für die Unfallrentner ebenso wie für die Renten aus den anderen Versicherungsträgern ab 1. Juni gezahlt werden sollen. Wenn nun diejenigen, die eine Doppelrente bekommen, zur Zeit bei ihrer Unfallrente noch nicht zu ihrem Recht kommen, dann muß man ihnen doch sagen:
ihr bekommt diese Beträge rückwirkend vom 1. Juni nachgezahlt.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ohne daß man in diesem Hause eine ganze Reihe von Beispielen aneinanderreihen müßte, sind sich wohl alle, die sich in der Sozialversicherung auskennen, darüber einig, daß die hier genannten Paragraphen der Reichsversicherungsordnung Härten enthalten, die irgendwie beseitigt werden müssen. Wir haben auch von der CDU-Fraktion aus schon im Februar dieses Jahres einen diesbezüglichen Antrag eingebracht.
Sie wissen weiter, daß wir bei der Beratung des Rentenzulagegesetzes auch die Härten der hier angezogenen Paragraphen diskutiert haben. Ihre Beseitigung ist - das ist bei den Beratungen um das Rentenzulagengesetz offen zugegeben worden - aus finanziellen Gründen zurückgestellt worden.
Nun steht hier heute ein neuer Antrag zur Debatte. Bei der Begründung dieses Antrags und bei den anderen Ausführungen, die bisher zu diesem Antrag gemacht worden sind, ist aber das Wesentlichste vergessen worden. Es ist mit keinem Wort untersucht worden, wie nun die Mittel beschafft werden können, die zur Realisierung der hier gestellten Forderung notwendig sind. Wir haben bei der Beratung des Rentenzulagengesetzes nur einmal anzutippen versucht, ob denn nicht die Rententräger, die Träger der Rentenversicherung, die Träger der Unfallversicherung, in der Lage seien, wenigstens einen Teil dieser Kosten aufzubringen. Da waren es gerade die Vertreter dieser Versicherungsträger, die warnend den Finger erhoben und darauf verwiesen haben, daß die Rentenversicherungsträger nicht in der Lage seien, diese Kosten aufzubringen. Nun handelt es sich um eine Versicherung, und eine Versicherung kann nur bis zu einem gewissen Grade vom Staat verlangen, daß ihr aus dem Staatssäckel Mittel zur Verfügung gestellt werden.
({0})
- Reine Theorie? Herr Kollege Renner, in einer Versicherung haben diejenigen, die Mitglied der Versicherung sind, dafür zu sorgen, daß die notwendigen Mittel beigeschafft werden.
Wenn wir uns die Belastung der Arbeitnehmer gerade aus der Sozialversicherung einmal ansehen, dann müssen wir feststellen, daß von dem Lohnoder Gehaltskonto eines jeden Arbeitnehmers 4 % in die Arbeitslosenversicherung, mindestens 6 % in die Krankenversicherung, 10 % in die Rentenversicherung und 3 % in die Unfallversicherung hineingehen, so daß das Lohnkonto eines Arbeitnehmers heute schon mit 23 % für die Sozialversicherung belastet ist. Und wenn ich genau unterrichtet bin, ist das Lohnkonto des Bergmannes sogar mit 39 % belastet. Daher bestehen hier kaum noch Möglichkeiten, wenn die Arbeit noch irgendeinen Reiz haben soll. Denn jede Belastung findet dort die natürliche Grenze, wo Arbeit keinen Reiz mehr hat.
({1})
Daher müssen wir auch bei diesem Antrag genau abwägen und versuchen, eine Synthese zu finden, d. h. das richtige Verhältnis zwischen Arbeitseinkommen und Abgaben herzustellen.
Deshalb bin ich der Auffassung, daß wir uns im Ausschuß für Sozialpolitik recht eingehend mit die({2})
sem Antrag beschäftigen müssen. Wenn man sich einmal die Paragraphen genau ansieht, muß man feststellen, daß sowohl in Art. I wie auch in Art. II Formulierungen enthalten sind, die genau überprüft und so gestaltet werden müssen, daß nicht letzten Endes derjenige, der arbeitet, schlechter gestellt ist als derjenige, der eine Rente empfängt.
({3})
Im Namen meiner Parteifreunde stelle ich den Antrag, den Entwurf dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen, damit die Formulierungen dort genau überprüft und durchdacht werden und zum zweiten ein Weg gesucht wird, auf dem die finanzielle Deckung gefunden werden kann, die bei Annahme dieses Antrags vorhanden sein muß. Den Kollegen Kohl möchte ich zu seinem Hinweis auf die Besatzungskosten einmal bitten, genau nachzurechnen, wieviel an Werten die Russen aus der Ostzone bisher herausgezogen haben und wieviel sie laufend aus der russischen Zone wegführen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Ich halte es für bedauerlich, daß uns eine so ernste Angelegenheit durch den Antragsteller in einer Form vorgetragen wurde, die eher geeignet ist, die Differenzen zu verschärfen, als zu einer ehrlichen Lösung des Problems zu führen, an der wir doch alle sehr stark interessiert sind. Wir haben hier in den letzten Monaten immer wieder zum Ausdruck gebracht, daß das System unserer Rentenversicherung einer grundsätzlichen Neuordnung bedarf. Die Ausführungen, die Herr Kollege Arndgen eben gemacht hat, haben deutlich bewiesen, daß wir uns von den bisherigen Methoden abwenden und zu einer neuen Form kommen müssen, die uns gestattet, zu dem Prinzip einer echten Versicherung zurückzukehren. Bei dem Hinweis auf § 1274 der Reichsversicherungsordnung beruft man sich zu Unrecht auf das Versicherungsprinzip; denn zur Zeit ist der Anspruch den Beitragsleistungen nicht äquivalent. In der Unfallversicherung wird von den Versicherten gar kein Beitrag gezahlt.
({0})
- Sie werden von dem Betrieb, von dem Unternehmer gezahlt. In der Rentenversicherung wird
nur ein Teil der aufzubringenden Mittel von den
Arbeitnehmern, von den Versicherten aufgebracht.
({1}) Wir müssen also zu einer neuen Form kommen.
In dem vorliegenden Fall sehen wir ebenso deutlich wie Sie die Notlage, in der sich ein gewisser Kreis von Versicherten befindet. Dieser Kreis ist aber bei weitem nicht so groß, wie ihn der Antragsteller hier dargestellt hat. In der Unfallversicherung z. B. ist ein großer Teil der Rentenbezieher nicht allein auf seine Rente angewiesen; vielmehr ist das übrige Einkommen häufig bei weitem größer. Wenn wir hier, bevor wir zu einer grundsätzlichen Neuordnung kommen, eine vorübergehende Lösung finden wollen, dann müssen wir diese Dinge berücksichtigen und müssen uns im Hinblick auf die Knappheit der zur Verfügung stehenden Mittel zunächst auf den Kreis der wirklich Notleidenden beschränken.
Nun zum Antrag der SPD. Bei seiner jetzigen Formulierung werden wir das Ziel nicht erreichen; denn in der Praxis können wir unmöglich für jeden Versicherungsnehmer den Tariflohn von der Verwaltungsbürokratie der Rentenversicherung feststellen lassen. Das können wir, die Tarifpartner - Arbeitnehmer und Arbeitgeber -, in vielen Fällen kaum. Wie soll ein auf einem Bürostuhl sitzender Beamter feststellen, in welche Tarifgruppe der Versicherungsnehmer einzureihen und nach welchem Schlüssel ein „gleichgearteter Arbeitsverdienst" zu bemessen ist? Wir müssen also zu ganz anderen Grundlagen kommen.
Für meine Fraktion schließe ich mich daher dem Antrag des Herrn Kollegen Arndgen an, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für Sozialpolitik zu verweisen. Wir werden dort mitarbeiten, damit wir zu einer Lösung kommen, die wenigstens den schlimmste Not Leidenden eine schnelle Hilfe gewährleistet.
({2})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schroeder.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich habe nicht die Absicht, der Begründung unseres Antrags, die mein Herr Kollege Meyer gab, noch sehr viel hinzuzufügen. Ich bin aber im Gegensatz zu den Ausführungen meines Vorredners der Ansicht, daß die Begründung unseres Antrags durch den Herrn Kollegen Meyer nicht etwa Differenzen aufgezeigt hat, sondern uns an Hand der gezeigten Beispiele den ganzen Ernst dieser Angelegenheit - des Ruhens eines Teiles der Renten - vor Augen geführt hat.
({0})
Ich wundere mich sehr, daß uns der Herr Arbeitsminister auseinandergesetzt hat, er habe nicht die für die Durchführung unseres Antrags erforderlichen Mittel und es sei, wenn dieser Antrag angenommen würde, auch keine Sicherheit dafür gegeben, daß die heutigen Beitragszahler in den Genuß der entsprechenden Rente kämen.
Ich möchte darauf hinweisen, Herr Kollege Arndgen, daß es - wie Sie schon selber gesagt haben - Ihre Fraktion gewesen ist, die im Februar dieses Jahres den Antrag Drucksache Nr. 1971 gestellt hat, in dem es unter Ziffer 3 heißt, daß die Vorschriften über das Ruhen von Renten der Rentenversicherungen neben Renten der Unfallversicherung wieder auf den Stand der Gesetzgebung des Jahres 1911 gebracht werden sollen.
({1})
Das ist zwar nicht ganz das, was wir heute beantragen; aber Sie wünschten ebenfalls eine Veränderung des heutigen Zustands, die unbedingt Kosten hervorruft.
({2})
Herr Kollege Arndgen, wenn Sie gemeint haben, es würden hier Beispiele aneinandergereiht, ohne daß man auch nachweisen könne, wie sich denn das, was wir fordern, in die Tat umsetzen ließe, dann gestatten Sie mir die Frage: Haben Sie sich denn überlegt, wie Sie Ihren Antrag in die Tat umsetzen wollen und können? Ich möchte darauf hinweisen, daß dieser Antrag einstimmig von diesem Hause angenommen worden ist; auch die Regierung hat sich nicht gegen ihn gewehrt. Um so mehr wundere ich mich, daß der Herr Arbeitsminister, der leider inzwischen verschwunden ist,
({3})
({4})
- ach nein, Verzeihung, da sitzt er; ich bitte um Entschuldigung -, heute das große Geschütz auffährt und sagt: Wenn ihr solche Anträge stellt und annehmt, dann schädigt ihr die heutigen Beitragszahler. Ich glaube, Herr Minister, Sie hätten das schon bei der Einbringung des Antrags Drucksache Nr. 1971 sagen müssen!
({5})
Im übrigen ist meine Fraktion selbstverständlich damit einverstanden, daß unser Antrag im Ausschuß beraten wird. Ich bitte aber um Entschuldigung, wenn ich den mit vollem Recht angeführten vielen Beispielen über das Unrecht, das gerade denen geschieht, die sich durch doppelte Beitragszahlung für ihr Alter oder ihre Invalidität eine Sicherung verschaffen wollen, um nicht der Allgemeinheit zur Last zu fallen, doch noch eins hinzufüge; denn es geht nicht nur die Sozialpolitiker dieses Hauses, sondern ganz besonders uns Frauen an. Ich glaube, es trifft für uns alle zu, daß wir, solange wir sozialpolitisch arbeiten, den Frauen gesagt haben: Wenn ihr euch verheiratet, so haltet eure Versicherung aufrecht, damit ihr im Alter geschützt seid.
({6})
Ich habe in diesen Tagen ein Schreiben einer Frau bekommen, das vom 24. Oktober dieses Jahres datiert ist. Diese Frau hat als frühere Bankangestellte nach ihrer Eheschließung Jahrzehnte hindurch den Beitrag für ihre eigene Versicherung gezahlt, neben dem Beitrag, den der Mann für seine Versicherung gezahlt hat. Jetzt ist der Mann gestorben, und wie sieht es nun aus? Nach dem Gesetz über die Angestelltenversicherung erhält sie als Witwenrente fünf Zehntel des Ruhegeldes des Mannes, also die Hälfte der Rente, die bisher der Mann erhalten i hat. Sie erhält aber auf Grund der Ruhensvorschriften nun nicht etwa ihre eigene Rente weiter, deren Anwartschaft sie mühsam erworben hat, sondern sie erhält als kranke 57jährige Frau, die nicht mehr arbeitsfähig ist, wiederum infolge der Ruhensvorschriften nur die Hälfte der ihr auf Grund freiwillig weitergezahlter Beiträge zustehenden eigenen Rente. Was bedeutet das? Eine solche Frau im Alter von 57 Jahren, die krank und invalide ist, muß sich allein im Leben durchschlagen. Sie kann ihre Wohnung nicht mehr halten und hat auch sonst die größten Schwierigkeiten. Ich glaube, so etwas können gerade wir Frauen nicht mitmachen, gerade wir, die wir hier zum großen Teil Frauen vertreten und die wir ihnen immer wieder sagen: Sorgt selbst für Alter und Invalidität. Gerade wir, glaube ich, haben das größte Anrecht darauf und auch die größte Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß einem solchen Unrecht, wie es durch die Ruhensvorschriften geschaffen worden ist, ein Ende gemacht wird.
Ich bin also einverstanden, daß wir unsern Antrag noch einmal eingehend im Ausschuß durchberaten.
({7})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kalinke.
({0})
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es ist kein Verdienst der Sozialdemokratischen Partei, nun hier initiativ geworden zu sein,
({0}) und ich glaube, sie ist mit uns einig, daß diese Frage hier in diesem Hause so ernsthaft - -({1})
- Ich weiß nicht, was dabei zu lachen ist, meine Herren und Damen von der SPD.
({2})
Sie haben durchaus die Möglichkeit, diese ernste Frage mit Gelächter zu beantworten. Wir bedauern, daß Sie das tun, und ich bedaure, daß Sie diese Frage immer wieder dazu benutzen, parteipolitisch eine Diskussion einzuleiten, meine Herren, bei der Sie etwas anderes meinen als nur nur das Wohl der Versicherten, bei der Sie zuerst die Organisationsform meinen!
({3})
Ich bitte doch, mir zuzuhören. Sie können ja antworten; Sie haben die Gelegenheit dazu. Setzen Sie sich doch nicht ins Unrecht durch das Geschrei, das Sie immer erheben, und hören Sie doch zu.
({4})
Auch ich habe dem Unfug zugehört, der oft genug hier von der Linken des Hauses vertreten wird, wenn es nur um eine sachliche Diskussion gehen sollte!
({5})
Wenn wir über die Reform der Rentenversicherung diskutieren, dann wollen wir hier - und das ist die Auffassung meiner politischen Freunde, die wir seit zwei Jahren an diesem Pulte immer wiederholen - endlich aufhören mit dem Weg zu einer Staatsbürgerversorgung, indem wir Versprechungen machen, die wir nicht halten können, und beginnen mit einer Reform unserer Sozialversicherung, einer Reform an Haupt und Gliedern, von der S i e zwar die Einheitsorganisation meinen, w i r aber die Wiederherstellung der Versicherungsgerechtigkeit.
Deshalb fordern wir wiederholt mit Ihnen die Beseitigung der einschränkenden Bestimmungen bei Doppelrenten. Wir fordern die Wiederherstellung des Anspruchs desjenigen, der, wie Frau Schroeder es richtig dargestellt hat, aus eigener Verantwortung Beiträge geleistet hat, und wir fordern weiter, daß die Rentenversicherung an die Situation der beschäftigten Frauen in Deutschland angepaßt wird, die in keinem Verhältnis mehr zu dem steht, was 1911 einmal Grundlage der Gesetzgebung war. Über ein Drittel aller neuen Arbeitsplätze, die die Bundesregierung geschaffen hat, sind von Frauen eingenommen, und über die Hälfte aller Versicherten in der Krankenversicherung sind Frauen; über ein Drittel in der Rentenversicherung ebenfalls. Und weil das so ist, wollen wir nicht, daß von dem Beitrag, den der männliche Versicherte zahlt, seine Frau und seine Kinder und sogar seine geschiedene Frau Renten bekommen, wenn von demselben Beitrag, den die weibliche Versicherte sogar freiwillig als Weiterversicherung zahlt, ihr dann die erworbene Rente gekürzt wird. Wenn es auch ein hartes Wort war, das der Herr Kollege Kohl gesprochen hat - nämlich der „Versicherungsbetrug" -, so müssen wir uns doch zu dieser Erkenntnis hier bekennen, wenn wir die Versicherungsgerechtigkeit wahrhaft wollen.
Aber, meine Herren von der Opposition, wenn Sie solche Dinge sachlich bei der Reform der Reichsversicherungsordnung begründen, werden wir im Ausschuß immer einig sein! In diesen Fragen sollten Sie doch darauf verzichten, gemeinsam mit der KPD immer dieselben Ausführungen über das „Ziel der Einheitsrentenversicherung" zu machen. Ich möchte nur das Beispiel herausgreifen,
({6})
das mich auch zu dem Zwischenruf vom „Grundbetrag in der Invalidenversicherung und in der Angestelltenversicherung" veranlaßte. Sie, die Inner der Materie, wissen, daß der Grundbetrag in der Invalidenversicherung vom Staat getragen wird, und Sie wissen, daß in der Angestelltenversicherung die Entwicklung deshalb eine andere war, weil hier nicht der Staat der Garant einer Staatsbürgerversorgung ist, sondern weil es sich hier um eine echte Versicherung handelt.
({7})
Die Angestelltenversicherung erhält nur Erstattungen für Auftragsangelegenheiten. Sehen Sie, darin unterscheidet sich unsere Auffassung ganz wesentlich von der Ihren. Auch Sie sollten heute nicht mehr die Erfahrungen Englands und Frankreichs übersehen. Sie sollten nicht mehr in öffentlichen Diskussionen, in öffentlichen Organisationen darüber sprechen, daß man in einem verarmten Volke ein Beispiel nachahmen sollte, das uns zu einem noch größeren Ruin führen würde, als es in Frankreich und England bereits geführt hat.
({8})
Das Experiment Berlin hat uns ebenfalls genügend praktische Lehren gegeben, um zu wissen, daß wir bei der Reform der Rentenversicherung alles tun müssen, um denjenigen, die Beiträge zahlen, auch wieder das Vertrauen zu geben, daß sie im Alter eine Rente erhalten.
Ich bin der Auffassung, daß der Weg des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes nicht richtig war. Wir haben dem Gesetz damals auch nicht nur nicht zugestimmt, sondern haben in jeder Auseinandersetzung immer wieder erklärt, wie falsch dieser Weg war. Es ist nicht richtig, Mindestrenten zu geben, die heute zum Leben und zum Sterben nicht ausreichen, und den Menschen dann doch zur Fürsorge zu schicken. Es ist auch nicht richtig, die Fürsorgelasten von den Gemeinden auf die Sozialversicherungsträger abzuwälzen. Es ist ferner nicht richtig - und ich will Ihnen sehr gern diese wenig positiven Dinge sagen -, die großen gesundheitspolitischen Aufgaben des Volkes, wofür alle Steuerzahler die Mittel aufzubringen haben, auf die Sozialversicherungsträger abzuwälzen, und es ist ebenfalls nicht richtig, Einrichtungen zu schaffen, die nicht übersichtlich und klar genug sind, um die Mittel der Sozialversicherung so zu verwalten, wie wir uns das vorstellen. Ich brauche nur darauf hinzuweisen, daß wir als eine Leistung der Rentenversicherung die „Krankenversicherung der Rentner" haben, die bisher noch pauschal erstattet wird ohne Kontrolle, ob für den pauschal gezahlten Beitrag durch die Rentenversicherung auch wirklich die Versicherung in Anspruch genommen wurde,
({9})
und weiter, daß in den großen Auseinandersetzungen zwischen der Sozialversicherung und den Ärzten, in dem Kampf um die Neuordnung der Sozialpolitik heute noch kein ernsthaftes Wort über die Reform vom Wesen und Inhalt her gesprochen worden ist, sondern immer nur Schlagworte, die nichts weiter meinen als die Organisation.
Meine Freunde glauben an die Möglichkeit des deutschen Volkes, sich aus eigener Kraft verantwortungsbewußt zu reformieren und sich Versicherungsträger zu schaffen, in denen das höchste Ziel die Belohnung desjenigen ist, der aus der „Kraft der Persönlichkeit" freiwillig Beiträge leistet und Beiträge erspart,
({10}) von denen er auch etwas haben will. Wir glauben, 8 daß auf dem Wege zur Reform der Sozialversicherung mit einer „Psychose unserer Zeit", nämlich dem „Versprechen der totalen Sicherheit", endlich Schluß gemacht werden soll,
({11})
damit wir das beseitigen können, was in der Sozialversicherung ungerecht und unbillig ist. Wir werden für die Beseitigung der Paragraphen, die die Gewährung von Doppelrenten und den durch Beiträge erworbenen Rechtsanspruch einschränken wollen, im Ausschuß zusammen mit der Opposition kämpfen. Wir glauben auch nicht, daß die Gesetzgebung von 1911 die Grundlage sein kann, und wir sind überzeugt, daß wir einen Weg finden werden! Wir können uns aber nicht immer damit trösten lassen - das sei dem Herrn Arbeitsminister gesagt -, daß die mathematische Bilanz nach zwei Jahren noch nicht fertig ist, sondern wir müssen einen Weg finden, die Leistungen zu revidieren, die unverantwortbar sind, und Leistungen dort zu geben, wo sie aus Gründen der Beitragszahlung und der Gerechtigkeit gegeben werden müssen.
({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen der Frau Kollegin Schroeder veranlassen mich zu einer kurzen Klarstellung. Frau Kollegin Schroeder hat gemeint, zwischen der damaligen Debatte um den Antrag der CDU/CSU vom Februar dieses Jahres, den seinerzeitigen Erklärungen des Herrn Bundesarbeitsministers und dem, was heute von der Regierung und von meinem Fraktionskollegen Arndgen hier gesagt wurde, seien Widersprüche festzustellen. Ich darf deshalb, um auch vor der Öffentlichkeit darzutun, daß es sich nicht um Widersprüche handelt, noch einmal ganz kurz folgendes in Ihr Gedächtnis zurückrufen.
Dem damaligen Antrag der CDU/CSU hat sich das Haus einmütig angeschlossen. Dieser Beschluß hat dann die Grundlage für die Vorlage des Rentenzulagengesetzes gebildet. Wir gingen seinerzeit von der Forderung aus, die gesamten Aufwendungen, die durch das Rentenzulagengesetz bedingt wurden, aus dem Bundeshaushalt zu bestreiten. Sie alle erinnern sich der Schwierigkeiten, die zur Sicherstellung der Deckung zu überwinden waren. Zu unserer eigenen, sehr großen Betrübnis haben wir uns schließlich mit der Erklärung des Herrn Bundesfinanzministers abfinden müssen, daß zusätzliche Aufwendungen, die bei Fortfall der §§ 1274 ff. RVO entstehen würden, aus dem Bundeshaushalt nicht mehr gedeckt werden könnten und deshalb diese Vorlage gefährden würden. Aus diesem und keinem anderen Grunde haben wir seinerzeit auf die Realisierung unserer Forderung verzichten müssen.
Nun ist heute im Zusammenhang mit diesem Antrag von der Regierung und von unserem Fraktionssprecher erklärt worden, auch jetzt gehe es ernsthaft um die Deckungsvorlage. Dazu ist zunächst einmal festzustellen, daß die Finanzlage des Bundes heute im Verhältnis zu damals sicherlich nicht besser, im Gegenteil, wohl noch schwieriger geworden ist. Wir würden also, wenn wir mit dieser Forderung heute erneut an den Bundesfinanzminister heranträten, vor mindestens derselben Schwierigkeit stehen.
({0})
Was zweitens zur Lage der Sozialversicherungsträger zu sagen ist, hat der Herr Bundesarbeitsminister schon gesagt. Lassen wir doch einmal die Millionensummen auf uns wirken, die er uns genannt hat! Machen wir uns doch einmal klar, was die Verwirklichung dieses Antrages kosten würde! Dann werden wir erkennen, daß wir wiederum vor einem sehr ernsten Problem stehen. So sehr wir im Grundsatz alle miteinander in dieser Frage einig sein mögen, wir kommen doch an der Tatsache nicht vorbei, daß wir auch die Verantwortung für die Deckung dieser Forderung tragen. Das wollte ich noch einmal klargestellt haben.
Wir werden uns im Ausschuß in allem Ernst darüber unterhalten. Dabei werden wir uns aber darüber klar werden müssen - und darum möchte ich auch die Opposition bitten -, wie die Mittel aufgebracht werden sollen. Sollten die Verhandlungen zu der Erkenntnis führen, daß die Forderung im Augenblick nicht realisierbar ist - ich will hoffen, daß sich doch ein Weg findet -, hätten wir gemeinsam die Pflicht, dem Volke draußen wahrheitsgemäß zu sagen, wie die Dinge in Wirklichkeit liegen.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. - Meine Damen und Herren, es hat sich nun doch einmütig der Wunsch herauskristallisiert, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen. - Das Haus ist damit einverstanden; die Überweisung ist erfolgt.
Darf ich fragen, ob Herr Abgeordneter Dr. Kneipp jetzt hier ist?
({0})
- Dann rufe ich auf Punkt 5 der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung ({1}); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit ({2}) ({3}).
({4}). Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Kneipp. Bitte, Herr Abgeordneter!
Dr. Kneipp ({5}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als der von der SPD-Fraktion eingebrachte Gesetzentwurf in erster Lesung in diesem Hause behandelt wurde, war praktisch alles bereit, ihm zuzustimmen. Diese einheitliche Auffassung trat auch in den beiden Ausschüssen zutage, in denen der Gesetzentwurf behandelt wurde, im Arbeitsrechtsausschuß und im Ausschuß für Jugendfürsorge. Gewiß wurden auch in diesen Ausschüssen geringfügige Bedenken laut, die in erster Linie von Kollegen geltend gemacht wurden, die dem Handwerk angehören. Auch dort wurde erklärt, wenn einem Meister einmal in berechtigter Erregung die Hand ausrutsche, dann solle man daraus nicht eine Staatsaktion machen, sondern diesen Fall als eine Bagatellsache ansehen. Neu war, daß der Vertreter des Bundesarbeitsministeriums im Arbeitsausschuß erklärte, auch sein Minister stimme diesem Gesetzentwurf zu, und neu war ebenso, daß der Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums im Jugendfürsorgeausschuß erklärte, auch der Bundeswirtschaftsminister stimme dem Gesetzentwurf zu.
Ich darf Sie demgemäß namens der beiden Ausschüsse bitten, dem Gesetzentwurf Ihre Zustimmung zu erteilen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe den Einzigen Paragraphen des Gesetzes sowie Einleitung und Überschrift auf. Liegen Wortmeldungen vor? - Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Abstimmung über den Einzigen Paragraphen, Einleitung und Überschrift. Ich bitte die Damen und Herren, die zustimmen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung im übrigen einstimmig angenommen.
Damit ist die zweite Beratung beendet. Ich komme zur
dritten Beratung.
Zur allgemeinen Aussprache wünscht niemand das Wort. Ich rufe den Einzigen Paragraphen, Einleitung und Überschrift auf. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Diesmal gegen zwei Stimmen bei einer Enthaltung angenommen.
Ich rufe den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung in der Schlußabstimmung auf. Ich bitte die Damen und Herren, die dem
Gesetz in seiner Gesamtheit zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die
Gegenprobe. - Enthaltungen? - Gegen zwei
Stimmen bei einer Enthaltung angenommen.
Ich komme zu Punkt 6 der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Handelsvertrag vorn 2. Februar 1951 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Chile ({0}); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen ({1}) ({2}).
({3}).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Freudenberg.
({4})
- Er wird geholt. Darf ich fragen, ob eine mündliche Berichterstattung erforderlich ist.
({5})
- Das Haus ist offenbar bereit, auf eine Berichterstattung zu verzichten.
Ich darf Art. I, - Art. II, - Art. III, - Art. IV,
- Einleitung und Überschrift aufrufen. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich bitte die Damen und Herren, die den aufgerufenen Artikeln und Einleitung und Überschrift des Gesetzes zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Zur allgemeinen Aussprache liegen ebenfalls keine Wortmeldungen vor. In der Einzelberatung rufe ich die soeben bereits genannten Artikel, Einleitung und Überschrift auf. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben.
- Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich komme zur Schlußabstimmung über den Entwurf eines Gesetzes über den Handelsvertrag vom 2. Februar 1951 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung
I der Republik Chile. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz in seiner Gesamtheit zuzu({6})
stimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Darf ich fragen: ist jemand dagegen? - Enthält sich jemand?
({7}) - Bei einer Enthaltung angenommen.
Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste, die 173. Sitzung des Deutschen Bundestages, auf Donnerstag, den 8. November 1951, 13 Uhr 30, ein.
Ich darf Ihnen den Vorschlag machen, die konstituierenden Sitzungen der beiden Untersuchungsausschüsse vorzuverlegenund die Sitzung des 45. Ausschusses um 15 Uhr 15 und die Sitzung des 46. Ausschusses um 15 Uhr 25 stattfinden zu lassen.
({8})
Damit schließe ich die 172. Sitzung des Deutschen Bundestages.