Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/18/1951

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 163. Sitzung des Deutschen Bundestages. Vor Eintritt in die Tagesordnung bitte ich den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigt Abwesenden zu verlesen.

Peter Nellen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001587

Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach: Abgeordneter Wagner für drei Wochen wegen Krankheit, die Abgeordneten Dr. Nowack ({0}) und Paul ({1}) für vier Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Euler für sieben Wochen wegen Krankheit. Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Troppenz, Dr. Kreyssig, Dr. Kopf, Meyer ({2}), Wallner, Mensing, Junglas, Dr. Greve, Frau Albrecht, Brünen, Dr. Henle, Mayer ({3}), Strauß, Baureisen, Ribbeheger, Gockeln, Dr. Semler, Gerns, Bahlburg, Dr. Bucerius, Dr. Baur ({4}), Reimann, Frau Strohbach, Rische, Fisch, Agatz, Frau Strobel, Dr. Hoffmann ({5}), Raestrup, Pfender, Lücke, Muckermann, Dr. Weiß.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ich danke Ihnen. Ich darf annehmen, daß die Gesuche um Urlaub über eine Woche vom Hause genehmigt sind. Ich möchte nun den neu zu uns gekommenen Kollegen, den Abgeordneten Oscar Funcke, begrüßen, der an die Stelle des zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts gewählten Dr. HöpkerAschoff zum Bundestagsabgeordneten berufen wurde. Auf Wunsch der Antragsteller wird die Behandlung von Punkt 1 der heutigen Tagesordnung, die Beratung der Interpellation der Fraktion der FDP betreffend Verbilligung von Dieselkraftstoff - Nr. 2466 der Drucksachen -, auf einen späteren Zeitpunkt zurückgestellt. Ich bin weiter von den Antragstellern gebeten worden, Punkt 4 der Tagesordnung, die Beratung des Antrags betreffend Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland am Cultural Exchange Program der USA - Nr. 2487 der Drucksachen - heute abzusetzen. Ferner bin ich gebeten worden, Ziffer 3 der Tagesordnung, betreffend Sicherung des Kohlenbedarfs, erst nach Erledigung von Punkt 5 aufzurufen. - Das Haus ist damit einverstanden. ({0}) - Es wurde mir von den Antragstellern mitgeteilt, daß der Abgeordnete, der diesen Antrag begründen soll, noch nicht da sei. Der Ältestenrat hat beschlossen, den Mündlichen Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik über den Antrag der Fraktion der KPD betreffend einmalige Winterbeihilfe - Nrn. 2469 und 1470 der Drucksachen, Berichterstatter: Abgeordneter Schüttler - im Zusammenhang mit Punkt 15 der heutigen Tagesordnung zusätzlich zu behandeln. - Es erhebt sich kein Widerspruch; das Haus ist einverstanden. Ich rufe nunmehr als ersten Punkt die Ziffer 2 der gedruckten Tagesordnung auf, die Ihnen vorliegt: Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Behandlung Nordhessens als Notstandsgebiet ({1}). Das Wort hat der Abgeordnete Freidhof. -10 Minuten Redezeit haben Sie. Herr Abgeordneter, noch einen Augenblick! Ich habe vergessen, noch bekanntzugeben, daß der Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen unmittelbar nach Beendigung dieser Sitzung zusammentritt. Freidhof ({2}), Interpellant: Meine Damen und Herren! Nachdem der Ältestenausschuß die Redezeit für die Interpellanten auf 10 Minuten festgelegt hat, werde ich mich bemühen, im Telegrammstil einige grundsätzliche Bemerkungen zu unserer Interpellation auf Drucksache Nr. 2434 zu machen. Diese Interpellation hat folgenden Wortlaut: 1. Ist die Bundesregierung bereit, Nordhessen, insbesondere die Stadt Kassel und die Landkreise Eschwege, Rotenburg ({3}) und Wolf-hagen als Notstandsgebiet zu behandeln? 2. Welche Regelung wird die Bundesregierung hinsichtlich des Kupferschieferbergwerkes in Sontra treffen? Es unterliegt keinem Zweifel, daß der nordhessische Raum ein ausgesprochenes Notstandsgebiet ist, das in bezug auf Größe und Bedeutung den anderen Notstandsgebieten in Deutschland gleichkommt. Durch die Zonengrenze, die im Jahre 1945 gezogen worden ist, ist der mitteldeutsche Wirtschaftsraum, zu dem erhebliche Teile des nordhessischen Gebiets gehören, zerrissen worden, ein Gebiet, das 700 Jahre lang zusammengehört hat. Das ergibt sich auch daraus, daß die Industrie- und Handelskammer in Kassel vor 1945 nicht Industrie-und Handelskammer Kassel allein gewesen ist, sondern sich Industrie- und Handelskammer KasselMühlhausen genannt hat. Schon daraus ergibt sich, daß große Teile des thüringischen Gebiets, die jetzt ({4}) in der Ostzone liegen, damals mit dem nordhessischen Raum zu einem Wirtschaftsgebiet verbunden gewesen sind. Nordhessen gehört zu den Gebieten der Bundesrepublik, die die größte Arbeitslosigkeit aufzuweisen haben. Dabei handelt es sich nicht um eine saisonbedingte, sondern um eine strukturelle Arbeitslosigkeit. Eine große Anzahl von Arbeitslosen ist schon jahrelang ohne Beschäftigung; sie haben auch keine Aussicht, in der nächsten Zeit irgendwie Arbeit zu bekommen, wenn nicht für den nordhessischen Raum besondere Maßnahmen im Zusammenwirken des Bundes mit dem Land Hessen ergriffen werden. Diese Maßnahmen können nur im Zusammenwirken durchgeführt werden, und sie müssen auch in der nächsten Zeit durchgeführt werden, wenn dort nicht eine besonders schwierige politische Situation entstehen soll. Ich möchte zunächst bezüglich der Stadt Kassel eine Bemerkung machen. Die Stadt Kassel gehört zu den am schwersten zerstörten Städten in Deutschland. In einer Eingabe, die die Vereinigung industrieller Unternehmungen von Hessen unlängst an die Abgeordneten des nordhessischen Raums gemacht hat, wird darauf hingewiesen, daß allein in der Stadt Kassel zur Zeit etwa 4000 Bauarbeiter arbeitslos sind. ({5}) Das war im Juni dieses Jahres, also zur Zeit der Hauptkonjunktur des Wohnungsbaues. Das sind rund ein Drittel aller Bauarbeiter im Arbeitsamtsbezirk Kassel, die arbeitslos sind. Ganz besonders aber wirkt sich diese Situation für die Kreise aus, die unmittelbar an der Zonengrenze gelegen sind und durch die Zerreißung des mitteldeutschen Raumes am ersten und am stärksten in Mitleidenschaft gezogen sind. Im Landkreis Eschwege sind beispielsweise nach den letzten Feststellungen 24,8 Arbeitslose auf 100 gerechnet zu verzeichnen, während der Durchschnitt in der Bundesrepublik 11,4 beträgt; also im Kreis Eschwege mehr als das Doppelte. Dazu kommt, daß die Kreisgrenze ungefähr 65 km längs der Zonengrenze verläuft, dem Eisernen Vorhang, und daß auch deshalb durch die Zerreißung dieses Gebiets eine außerordentlich schwierige Situation entstanden ist. Ferner ist zu berücksichtigen, daß dieses Gebiet infolge seiner geographischen Lage und seiner Rohstoffquellen - Braunkohle, Kali und Kupfer - in den Jahren 1929 bis 1938 eine besondere wirtschaftliche Förderung erfahren hat, insbesondere durch die nationalsozialistische Regierung auf dem Gebiete der Rüstung. Eine Reihe von Rüstungsbetrieben sind dort entstanden. Von diesen Rüstungsbetrieben sind dann allein im Kammerbezirk Kassel 21 total demontiert worden. In derselben Zeit, von 1929 bis zum Jahre 1938, stieg die Zahl der Beschäftigten in diesem Gebiet um rund 40 000 Personen, die aus allen Teilen Deutschlands in dieses Gebiet hineingelegt worden sind, um dort für die Rüstung zu arbeiten. Der Landkreis Eschwege, der vor 1939 eine Einwohnerzahl von 51 000 hatte, hat jetzt eine Einwohnerzahl von 73 000, also eine Zunahme um fast 50 %. Die Stadt Eschwege, die sich ebenfalls in großer finanzieller Sorge wegen der großen Arbeitslosigkeit befindet, hat in demselben Zeitraum eine Zunahme von 15 000 auf 26 000 Einwohner zu verzeichnen. Dazu kommt, daß fast alle Verkehrswege, die von der Bundesrepublik in die Ostzone führen, stillgelegt worden sind; ich brauche bloß an den Zugverkehr zu erinnern, der von Leipzig über Eisenach, Erfurt nach dem Westen gegangen ist und umgekehrt. Zwei Hauptstrecken und vier Nebenstrecken der Eisenbahn sowie zwei Omnibuslinien sind stillgelegt worden. Die Reichsautobahn, die von Hersfeld abzweigt und nach Eisenach geht, ist zum größten Teil stillgelegt. Fünf Reichsstraßen und 15 Provinzialstraßen, die nach Thüringen oder nach dem Südharz geführt haben, werden von der Zonengrenze geschnitten und sind infolgedessen ebenfalls stillgelegt worden. Im ganzen nordhessischen Gebiet befindet sich nur noch eine einzige Bahnübergangsstelle; und was das für diesen Bezirk bedeutet, ist klar. Hinzu kommt, daß jetzt die Bundesstraße 27, die einzige Verkehrsstraße, die von Norden nach Süden führt, infolge der Zerstörung der großen Brücke über die Werra bei Laubach überlastet ist, wodurch dem Kreis erhebliche Sorgen bereitet werden. Nur durch Mittel des Bundes kann hier Abhilfe geschaffen werden. Am schlimmsten betroffen wird der Ringgau, der im Kreis Eschwege liegt und der früher fast ausschließlich nach Thüringen orientiert war. Durch die Grenzziehung sind Hunderte von Menschen, die früher in dem Gebiet, das jetzt in der Ostzone liegt, beschäftigt waren, arbeitslos geworden. Diesem Gebiet kann nur durch Umsiedlung oder durch erhebliche Mittel oder Schaffung neuer Arbeitsplätze geholfen werden. Es handelt sich bei den dort vorhandenen Arbeitslosen um ausgesprochene Dauerarbeitslose. Ferner kommt hinzu, daß der Zuzug aus der Ostzone in diese Gebiete außerordentlich stark ist und daß diese Bezirke und Kreise durch das ständige Herüberwechseln aus der Ostzone außerordentlich leiden. Der Abgeordnete Dr. Arndt, der jetzige hessische Ministerpräsident Zinn - als er noch hier als Bundestagsabgeordneter weilte - und ich haben seinerzeit an McCloy einen Brief gerichtet, in dem wir gebeten haben, dem nordhessischen Raum bei der Vergebung von Aufträgen durch die Besatzungsmächte besonders zu helfen. Es ist mir mitgeteilt worden, daß einige Aufträge dorthin gegangen sind, daß aber in letzter Zeit die Aufträge sehr spärlich fließen. Ich möchte auch von dieser Stelle aus an die Besatzungsmacht die Bitte richten, gerade diese Gebiete an der Ostzonengrenze bei der Vergebung von Aufträgen besonders zu berücksichtigen. Ähnliche Verhältnisse liegen im Kreise Rotenburg und in Wolfhagen und ganz besonders in der Stadt Kassel vor, wo ja während des Krieges die Rüstungsindustrie aufgebläht worden ist und wo auch heute die drei größten Werke auf Staatsaufträge angewiesen sind: die Lokomotiv- und die Waggonindustrie und ebenfalls die Schwerweberei. Nur bei Erteilung von Staatsaufträgen kann dort eine nennenswerte Industrie aufrechterhalten werden. Die hessische Regierung hat ihrerseits erhebliche Mittel, sogar Millionenbeträge zur Verfügung gestellt, um den Kupferschieferbergbau in Sontra, der ja nach 1945 stillgelegt gewesen ist und dessen Schächte zum größten Teil unter Wasser gesetzt worden sind, wieder in Gang zu bringen. Ebenso hat die hessische Regierung erhebliche Mittel für die nordhessische Industrie und für das Baugewerbe in Nordhessen zur Verfügung gestellt. Aber die Leistungsfähigkeit des hessischen Landes ist begrenzt. Deshalb muß der Bund hier eingreifen und die Möglichkeit schaffen, daß hier ein Wandel in der Struktur erfolgt. ({6}) r Es handelt sich bei unserem Antrag nicht nur darum, daß dem Arbeiter geholfen werden soll, sondern dieser Wunsch ist auch aus den Kreisen der Industrie, aus den Kreisen des Handels und aus den Kreisen des Gewerbes an uns herangetragen worden. Ich möchte deshalb die Bundesregierung um eine klare und eindeutige Antwort bitten, was sie tun will, um diesem Gebiet zu helfen. Ich bin nun gezwungen, am Schluß meiner Betrachtung noch ein anderes Problem anzusprechen, und ich bitte den Herrn Präsidenten, mir für diese Ausführungen noch einige Minuten Zeit zu gewähren. - Das Gebiet ist nicht nur wirtschaftlich auseinandergerissen, sondern auch - was die Eisenbahn betrifft - in zwei Eisenbahndirektionsbezirke, nämlich Kassel und Erfurt. Die Orte, die früher zum Eisenbahndirektionsbezirk Erfurt gehörten, sind zum größten Teil - bis auf zwei - dem Eisenbahndirektionsbezirk Kassel einverleibt worden. Nur die Eisenbahner der beiden Orte Herleshausen und Wommen unterstehen noch dem Eisenbahndirektionsbezirk Erfurt. Sie sind zunächst mit Ostgeld entlohnt worden. Die Verhandlungen, die ich und auch die Eisenbahnergewerkschaft mit dem Verkehrsministerium geführt haben, haben nach langwierigen Bemühungen eine einigermaßen befriedigende Lösung herbeigeführt. Es bestehen aber dort noch Verhältnisse, die umgehend geklärt werden müssen. Ich habe seinerzeit, als der Haushalt des Bundesverkehrsministers hier beraten wurde, aus politischen Gründen keine Ausführungen zu diesem Problem gemacht. Nachdem aber die Bundesregierung und das Verkehrsministerium anscheinend nicht gewillt sind, hier eine befriedigende Lösung herbeizuführen, bin ich gezwungen, diese Bemerkungen zu machen. Ich möchte es trotzdem aus politischen Gründen unterlassen, hier einige Dinge anzusprechen, die, wenn sie der Bundestag in seiner Gesamtheit wüßte, wahrscheinlich von niemandem gebilligt würden, nämlich darüber, wie sich einzelne Minister bei dieser Frage eingestellt haben .

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Kommen Sie bitte zum Schluß. Freidhof ({0}), Interpellant: Ja, ich komme zum Schluß. Ich bin bereit, das den einzelnen Fraktionen mitzuteilen. ({1}) Ein Minister kann sich in diesen Fragen gegenüber diesen Leuten nicht so verhalten; das geht aus politischen Gründen nicht. Zum Schluß meiner Betrachtungen möchte ich deshalb bitten, daß auch das Problem der Eisenbahner in diesem Grenzgebiet einmal einer befriedigenden Lösung zugeführt wird. Wir sind im übrigen darauf gespannt, welche Antwort die Regierung auf unsere Interpellation geben wird. ({2})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort zur Beantwortung der Interpellation hat der Bundesminister Dr. Erhard.

Dr. Ludwig Erhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000486

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Interpellation Drucksache Nr. 2434 betreffend Behandlung Nordhessens als Notstandsgebiet beantworte ich, wie folgt. Zu Punkt 1: Der unter Federführung des Bundeswirtschaftsministeriums stehende Interministerielle Ausschuß für Notstandsgebietsfragen hat nach eingehenden Untersuchungen, die gemeinsam mit der Landesregierung 'durchgeführt wurden, einen Teil Nordhessens, nämlich die Kreise Eschwege, Rotenburg und Ziegenhain, ganz sowie die Kreise Melsungen, Fritzlar-Homberg, Frankenberg und Marburg teilweise zum Sanierungsgebiet erklärt. Die Erklärung besagt, daß der Bund dieses Gebiet im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Mittel unterstützen wird. Die Berücksichtigung weiterer Teile Nordhessens war im Hinblick auf die mit Sicherheit zu erwartenden Berufungen nicht möglich. Im laufenden Rechnungsjahr konnten infolge der angespannten Finanzlage des Bundes für sämtliche Sanierungsgebiete der Bundesrepublik nur insgesamt 25 Millionen DM im Haushaltsplan vorgesehen werden. Der Interministerielle Ausschuß für Notstandsgebietsfragen beabsichtigt, von diesen 25 Millionen DM 1,4 Millionen DM dem genannten Gebiet in Nordhessen zur Verfügung zu stellen, und zwar 1,2 Millionen DM für gewerbliche und Verkehrsvorhaben und 0,2 Millionen DM für landwirtschaftliche Vorhaben. Die genannten Mittel sollen nach einem von der hessischen Landesregierung ausgearbeiteten und von dem Interministeriellen Ausschuß für Notstandsgebietsfragen gebilligten Sanierungsprogramm verwendet werden. Das Programm sieht in erster Linie die Schaffung zusätzlicher Dauerarbeitsplätze nebst den dazu erforderlichen Erschließungsmaßnahmen vor. Durch die neuerliche Verschärfung in der Finanzlage des Bundes steht leider noch nicht fest, zu welchem Zeitpunkt die 25 Millionen DM tatsächlich in voller Höhe bereitgestellt werden können. Die Bundesregierung wird jedoch versuchen, trotz aller Schwierigkeiten die Sanierungsaktion ehestens abzuwickeln. Bei dem strukturellen Charakter der Notlage Nordhessens wird ebenso wie in vielen anderen Gebieten der Bundesrepublik die endgültige Gesundung nur in einer langfristigen organischen Entwicklung erreicht werden können. ({0}) Diese Entwicklung muß über Jahre hinaus durch finanzielle Zuwendungen und therapeutische Maßnahmen der verschiedensten Art vom Bund gefördert werden. ({1}) Das oben genannte 25-Millionen-Programm ist insoweit also lediglich der erste bescheidene Anfang einer in Vorbereitung befindlichen langfristigen Gesundungsaktion. Trotz der Knappheit der zur Verfügung stehenden Bundesmittel kann bei richtigem Einsatz ein verhältnismäßig großer Effekt dadurch erzielt werden, daß alle Hilfsmaßnahmen des Bundes eine enge Koordinierung erfahren. Der Interministerielle Ausschuß für Notstandsgebietsfragen ist deshalb bemüht, seine Maßnahmen sowohl mit dem Sofortprogramm für Arbeitsbeschaffung mit dem Gesamteinsatz von 200 Millionen DM als auch mit der Gemeinschaftshilfe zur Schaffung von Dauerarbeitsplätzen gemäß dem Soforthilfegesetz abzustimmen. Eingehende Besprechungen haben bereits stattgefunden. Das Bundesarbeitsministerium und das Hauptamt für Soforthilfe, die für die Auswahl der Vorhaben im Rahmen der beiden Programme zuständig sind, haben zugesichert, bei der ({2}) Vergabe der Mittel die Sanierungsaktion des Bundes zu berücksichtigen, soweit es die Zweckbestimmung der Programme zuläßt. Die Zusammenarbeit ist dadurch gewährleistet, daß sowohl das Bundesarbeitsministerium als auch das Hauptamt für Soforthilfe im Interministeriellen Ausschuß für Notstandsgebietsfragen vertreten sind. Zu Punkt 2: Der Kupferschieferbergbau bei Sontra wurde in der Nordmulde - ReichenbergSchacht - und in der Südmulde - Wolfsberg-und Schnepfenbusch-Schacht - betrieben. Der Reichenberg-Schacht mit etwa einem Viertel des Kupfervorkommens ist im November 1950 ersoffen. Nach dem vorliegenden Gutachten kann seine Wiederinbetriebnahme nicht empfohlen werden; allein die Vorbereitung für die Aufnahme der Förderung würde fünf bis sechs Jahre in Anspruch nehmen, ohne daß bis dahin Kupfererz gewonnen würde. Für die Förderung aus dem Wolfsberg- und Schnepfenbusch-Schacht sind in den nächsten fünf Jahren, also bis zum Jahre 1956, Investitionen in Höhe von 8,9 Millionen DM erforderlich, um Vorräte zu erschließen, die die Förderung für etwa zwanzig Jahre sicherstellen. Ohne diese Investitionen ist ein Betrieb mit der in Aussicht genommenen Kupfergewinnung von 2000 bis 3000 Tonnen im Jahre nicht möglich. Das Bundesgebiet ist hinsichtlich der Versorgung mit Kupfer vom Weltmarkt außerordentlich stark abhängig. Nach Anlaufen des Verteidigungsprogramms ist dieses Metall einer der knappsten Rohstoffe geworden. Infolgedessen ist es erforderlich, daß auch in der Bundesrepublik alle Möglichkeiten zur Gewinnung von Kupfer ausgeschöpft werden. Das Kupferproblem der westlichen Welt ist so ' ernst, daß auf der International Material Conference in Washington Kupfer besonders behandelt und seine Verteilung auf internationaler Ebene erörtert wird. Dabei sind alle Staaten aufgefordert worden, ihre Anstrengungen zur Steigerung der Kupfergewinnung aus eigenen Vorkommen darzulegen. Von den eigenen Anstrengungen hängt letzten Endes auch die Höhe der dem Bundesgebiet zuzuteilenden Quote ab. Es ist daher notwendig, unter den heutigen Umständen das einzige Kupferbergwerk im Bundesgebiet aufrechtzuerhalten und die Förderung für die deutsche Versorgung nutzbar zu machen, auch wenn derjenige Teil des deutschen Bedarfs, der auf diese Weise gedeckt wird, im Vergleich zum deutschen Gesamtverbrauch nicht erheblich ist. Die Quote aus dem deutschen Aufkommen beträgt zur Zeit 2 bis 3 % der Kupfereinfuhr. Die jetzigen hohen Kupferpreise auf dem Weltmarkt und in Deutschland gestatten die Aufrechterhaltung des Betriebes, da die relativ hohen Gestehungskosten bei den derzeitigen Preisen weitgehend gedeckt werden. Es ist aber nicht zu verkennen, daß bei einer Entspannung der politischen Weltlage der Kupferpreis erheblich sinken wird, so daß die jetzige Möglichkeit, die hohen Gestehungskosten zu decken, dann nicht mehr besteht. Bei allen Überlegungen über die zu ergreifenden Maßnahmen muß man sich daher klar vor Augen halten, daß der Kupferschieferbergbau bei Sontra wohl immer ein Sorgenkind bleiben wird, namentlich wenn die heutige Konjunktur auf dem Weltmarkt abgeebbt ist. Das Bundeswirtschaftsministerium ist der Auffassung, daß die Wiederinbetriebnahme des Reichenberg-Schachtes nicht zweckmäßig ist. Dagegen soll mit allen Mitteln versucht werden, die Fortführung der Betriebe Wolfsberg- und Schnepfenbusch-Schacht sicherzustellen, zumal eine Stillegung in diesem Grenzbezirk, dessen Arbeitslosenziffer besonders hoch ist, sozialpolitische und unter Umständen auch politische Auswirkungen haben müßte. Die Bundesregierung verhandelt zur Zeit mit dem Land Hessen und der Salzdetfurth AG, in deren Eigentum sich die Anteile der Kurhessischen Kupferschieferbergbau GmbH Sontra befinden, über die Auseinandersetzung, die auf Grund des Optionsvertrages des Reiches mit der zu Salzdetfurth gehörenden Mansfeld AG stattfinden muß. Diese Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen. Nach dem Kriege hat das Land Hessen für die Wiederaufnahme und die Weiterführung des Werkes, das seinerzeit in Übereinstimmung mit der „Verwaltung für Wirtschaft" wieder in Betrieb genommen worden ist, Subventionen - bis 31. März 1951 in Höhe von 5,5 Millionen DM - geleistet. Der Investitionsbedarf für das laufende Haushaltsjahr ist mit 2,5 Millionen DM aus Mitteln des Landes Hessen gesichert. Nach der Aufhebung des Militärgesetzes Nr. 19 ist die hessische Landesregierung an den Bund wegen der Auseinandersetzung Sontra herangetreten. Der Bund beabsichtigt, die sich aus dem Optionsvertrag für ihn ergebenden Rechte geltend zu machen. Die Salzdetfurth AG ist bereit, ihre Anteile dem Bund und dem Lande Hessen zu überlassen. Inwieweit es möglich sein wird, die notwendigen Investitionen zum weiteren Ausbau der beiden Betriebe bereitzustellen, wird sich erst im Zusammenhang mit den schwebenden Verhandlungen endgültig klären lassen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ich bitte die Mitglieder des Hauses, die eine Besprechung der Interpellation wünschen, die Hand zu erheben. - Das sind ohne Frage mehr als 5u. Danach muß nach § 56 der Geschäftsordnung in die Besprechung eingetreten werden. Das Wort hat der Abgeordnete Leuchtgens.

Dr. Heinrich Leuchtgens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001333, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Interpellation der Sozialdemokratie berührt eine Angelegenheit, die auch die Deutsche Partei schon wiederholt mit Interpellationen und auf sonstige Weise in Fluß zu bringen versucht hat, nämlich die Frage, die Grenzlandgebiete, die heute in großer Not sind, in irgendeiner Weise wieder flottzumachen. Ich brauche das, was Herr Freidhof von der Sozialdemokratie über die Notlage des nordhessischen Raums gesagt hat, im einzelnen nicht zu wiederholen. Es liegt eine sehr gute Denkschrift der Handelskammer von Kassel, von Kurt Fürer verfaßt, vor, die alle diese Dinge in vorzüglicher Weise darstellt. Die Zonengrenze hat dort verwüstend gewirkt, sie hat die Zusammenhänge auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet, die zwischen Nordhessen und Thüringen bestanden, zerrissen. Dasselbe gilt aber auch für Niedersachsen, dasselbe gilt für Schleswig-Holstein und für Nordbayern. Die Errichtung der Zonengrenzen hat vor allen Dingen dahin geführt, daß die Verkehrswege verkümmerten und daß eine Reihe von Verkehrswegen, Eisenbahn und Straßen, zum Teil stillgelegt, zum Teil verlegt wurden und zum Teil überhaupt nicht mehr benutzt werden können. Die Wirtschaftsstruktur hat sich dort, im nordhessischen Raum wie auch in den übrigen Räumen, sehr stark verändert. Herr Freidhof hat schon hervorgehoben - das steht auch im Gutachten der ({0}) Handelskammer Kassel -, daß bereits 21 Rüstungs- betriebe dort demontiert wurden; das sind 75 % aller Betriebe, die dort überhaupt bestanden haben. Dazu kommt noch als weiteres Sorgenkind der ungeheure Flüchtlingszustrom in die landwirtschaftlichen Gebiete, die wir hier meistens haben. Während wir im Durchschnitt in Deutschland auf 100 Einwohner 16 Heimatvertriebene zählen, ist diese Zahl in Nordhessen bereits auf 20, 22, 23 und 24 gestiegen. Die Arbeitslosigkeit im nordhessischen Raum ist erheblich größer als in anderen Gebieten Deutschlands; sie beträgt über 40 %. Die Zahl der Konkurs- und Vergleichsverfahren steigt stetig. Ein Drittel der 461 Konkurse in Hessen fällt auf Nordhessen. Fürsorgeempfänger sind in Nordhessen in großer Zahl vorhanden; ihre Zahl übersteigt zum Teil sogar die der Fürsorgeempfänger in Schleswig-Holstein. Wir sehen daraus, daß der Notstand im nordhessischen Gebiet ungeheuerlich ist. Dasselbe gilt für die übrigen Notstandsgebiete. Es muß nun vor allen Dingen auf Abhilfe gesonnen werden. In dem von mir schon erwähnten Gutachten der Handelskammer Kassel wird gefordert: a) ein Flüchtlingsausgleich, b) Bekämpfung der strukturellen Arbeitslosigkeit, c) besondere Unterstützung durch Vergebung öffentlicher Aufträge nach Nordhessen und Verlegung bzw. Erhaltung von Behörden. Was der Herr Wirtschaftsminister über diese Angelegenheit zu sagen hatte, ist im großen und ganzen wenig befriedigend. Das waren Aufzählungen von Dingen, die wir schon wiederholt gehört haben. Was wir von dem Herrn Wirtschaftsminister verlangen, das ist endlich eine neue Wirtschaftskonzeption, ({1}) bezogen auf die Notstandsgebiete! ({2}) - Jawohl! das sage ich ausdrücklich. Diese Notstände in den Grenzgebieten können nicht mit allgemeinen Schlagwörtern wie „soziale Marktwirtschaft" oder ähnliche beseitigt werden, ({3}) sondern wir müssen vor allen Dingen einmal eine neue Auffassung des Wirtschaftslebens auf die Beine stellen und mit neuen Ideen und Gedanken kommen, die nun auch dort in der Grenzlandzone eine Änderung herbeiführen. Ich möchte den Herrn Wirtschaftsminister bitten, seine kostbare Zeit und die Arbeit seiner Beamten einmal auf diesen Punkt zu lenken und uns mit neuen Gedanken zu kommen, wie denn nun überhaupt in den Ostgebieten eine Änderung herbeigeführt werden kann. ({4}) Ich bitte, das zu beachten. Erst dann, wenn das geschieht, besteht überhaupt die Möglichkeit, etwas für die Grenzlandgebiete zu tun.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.

Anton Sabel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es besteht die Aussicht, daß mein sehr verehrter Herr Vorredner demnächst einmal auf der andern Seite sitzt. ({0}) Zum mindesten wird ihm der sehr starke Beifall dort sehr sympathisch gewesen sein. Zu der vorliegenden Interpellation möchte ich folgendes sagen. Wir haben hier wiederholt Debatten über besondere Notstandsgebiete gehabt, und wir haben schon gesehen: die Dinge wiederholen sich, die Verhältnisse sind ähnlich gelagert. Der nordhessische Raum, um den es geht, ist in weitem Maße Grenzland und hat eben mit all den Schwierigkeiten eines Grenzlandes zu kämpfen. Hinzu kommt noch, daß praktisch auch ein bestimmter Bezirk - Kollege Freidhof hat es angedeutet - im „Dritten Reich" infolge der Verlage- rung der Rüstungsproduktion, sagen wir ruhig: übervölkert wurde. Heute haben wir unsere liebe Not, den Menschen eine erträgliche Existenz zu geben. Um Ihnen aufzuzeigen, wie es aussieht, kann ich Ihnen nur die Arbeitslosenziffer nennen. Wir haben im Regierungsbezirk Kassel Ende Juli eine Durchschnittsarbeitslosigkeit von 12,4 % gehabt, während wir im Regierungsbezirk Wiesbaden, der auch zu Hessen gehört, nur eine Arbeitslosigkeit von 4,4 % hatten. Sie sehen also hier die gewaltige Differenzierung der Situation in einem Lande. Die Zahlen über die Arbeitslosigkeit, die Herr Kollege Leuchtgens angeführt hat, stimmen Gott sei Dank nicht. In Nordhessen ist auch der Vertriebenenanteil größer als im Bundesdurchschnitt und im Durchschnitt des Landes Hessen. Und dann die besondere Sorge durch das ständige Einströmen der Ostzonenflüchtlinge, das praktisch jede Erleichterung auf dem Arbeitsmarkt wieder illusorisch macht, weil immer wieder neue Bewerber um Arbeitsplätze in den Vordergrund treten. Ich darf darauf hinweisen, daß gerade das engere Grenzgebiet durch die Grenzziehung sehr starke wirtschaftliche Nachteile erlitten hat. Hier sind eben alte Wirtschaftsbeziehungen durchschnitten worden, und es ist sehr, sehr schwer, irgendeinen Ersatz zu schaffen. Nun könnte man aus den Darlegungen, die bereits zu dem Thema gemacht worden sind, entnehmen, es sei noch nichts geschehen. Ich möchte hier doch darauf hinweisen, daß wir im Frühjahr des vergangenen Jahres im Rahmen des großen Arbeitsbeschaffungsprogramms auch Nordhessen eingegliedert haben. Es war Gott sei Dank möglich, aus dem 300-Millionen-Fonds einen Betrag von 15 Millionen DM für Nordhessen zur Verfügung zu stellen, und es war weiter möglich, aus dem besonderen Kredit der Bundesbahn für Arbeitsbeschaffungszwecke im Bezirk Nordhessen rund 20 Millionen DM anzulegen. Es muß unbedingt dafür Sorge getragen werden, daß Nordhessen auch in dem augenblicklich anlaufenden Arbeitsbeschaffungsprogramm entsprechend berücksichtigt wird. Sie wissen, dem Bundestag lag in der vergangenen Woche die Vorlage zur Bereitstellung von 200 Millionen DM aus den Mitteln der Arbeitslosenversicherung vor. Sie wissen ferner, daß der Bundesfinanzminister hier schon einmal mit 50 Millionen DM in Vorlage gegangen ist. Von diesen 50 Millionen DM ist bereits ein Teil nach Hessen geflossen. Ich hätte den Wunsch, daß die hessische Regierung diesen für Hessen zur Verfügung gestellten Betrag im wesentlichen in den Notstandsgebieten Nordhessens anlegt. Von den 50 Millionen DM waren bis in der vorigen Woche etwa 2 Millionen DM für Hessen zugeteilt worden. Ich höre, daß auch heute morgen in einer Sitzung, in der man sich mit der Verteilung der restlichen Beträge befaßte, weitere Zuteilungen für Hessen erfolgt sind. Wenn der Einsatz der 200 Millionen DM aus ({1}) den Mitteln der Arbeitslosenversicherung erfolgt, muß auch dafür Sorge getragen werden, daß das im wesentlichen dort geschieht, wo wir eine überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit und dadurch eine überdurchschnittliche Not haben. Was ist im einzelnen notwendig, um hier zu helfen? Ich glaube, wir müssen gerade in den Grenzgebieten der Industrieansiedlung besondere Bedeutung beimessen und sie besonders schmackhaft machen, da die Grenznähe auf die Niederlassung von gewerblichen und industriellen Unternehmen etwas abschreckend wirkt, d. h. also, daß wir praktisch hier eine erhöhte öffentliche Hilfe benötigen. Ich möchte wünschen, daß diese Notstandsgebiete bei der Verteilung von öffentlichen Aufträgen besser als bisher berücksichtigt werden. Auch ich habe die Erfahrung gemacht, daß man aus irgendwelchen Gründen - manchmal sind es nur Gründe der Bequemlichkeit - nicht genügend Umschau hält, um solche öffentlichen Aufträge, die man in bestimmte Bezirke verlagern kann, nun auch dort anzusetzen, wo die größte Not ist. Ich möchte an ein anderes Problem erinnern: die Frage der Frachtgestaltung für bestimmte Massengüter. Ich darf da ein Beispiel anführen. Wir haben in der hessischen Rhön einige Basaltwerke, die früher fast ausschließlich nach Thüringen geliefert haben. Sie versorgten die Reichsbahn und die Straßenbauverwaltungen in Thüringen, weil sie dort sehr frachtgünstig lagen. Sie haben diesen Absatzraum verloren; und es ist nun sehr schwer, an den Aufträgen in anderen Bezirken teilzuhaben, weil immer wiederum die Frachtsituation eine wirkliche Mitbeteiligung verhindert. Die Betriebe sind in sehr starkem Maße konkurrenzunfähig, und man soll sich allen Ernstes überlegen, ob man hier nicht mit manchmal bescheidenen Mitteln doch eine sehr gute Hilfe leisten kann. Ich möchte auch noch an etwas anderes erinnern. Man sollte sich gerade bei der Ansetzung von Betrieben, von Unternehmen in solchen Bezirken auch einmal von gewissen bürokratischen Hemmungen freimachen. Auch hier wiederum ein Beispiel. Wir haben in einer Stadt in Nordhessen die Möglichkeit, ein großes Versicherungsunternehmen, das früher in der Ostzone war, anzusetzen, was zweifellos für die wirtschaftliche Belebung dieses Bezirks beachtlich wäre und was zweifellos wiederum Arbeitsmöglichkeiten für eine ganze Reihe insbesondere kaufmännischer Angestellter schaffen würde, die wir ja so schwerlich in anderen Arbeitsplätzen unterbringen können. Der Ansatz scheitert, weil die zuständige Behörde ein Grundstück, das zum Teil Bundeseigentum ist, nicht zur Verfügung stellen zu können glaubt, weil dort vielleicht ein-. mal ein Zollamt erstellt werden soll. Ich glaube, das sind Dinge, die wir vermeiden sollten. Wir sollten alles tun, was eben den Ansatz von solchen Unternehmen in diesem kritischen Raum fördern könnte. Nun sind wir uns alle darüber im klaren, daß die Hilfe nicht allein vom Bund erfolgen kann. Über dieses Problem - die Situation in Nordhessen - ist auch schon eindeutig im hessischen Landtag gesprochen worden; und da darf ich sagen, daß dort in sehr starkem Maße darauf hingewiesen wurde, daß man sich in Nordhessen oft als das Stiefkind von Hessen vorkommt. Man übt also dort Kritik an einer unzulänglichen Hilfe des Landes. Wir sind der Meinung, daß beide Teile in der Lage sind, zu helfen. Beide Teile sollten sich bemühen, eben dort zu einem entsprechenden Einsatz der notwendigen Mittel zu kommen. Es hat wohl keinen Sinn, die Hilfe nur von einer Seite zu erwarten und die Maßnahmen, die getroffen worden sind, nur zu kritisieren. Im übrigen ist es nicht gerade zweckmäßig und es dient auch nicht der Sache, wenn man demjenigen, der einem helfen soll, zuvor noch eine kräftige Ohrfeige gibt. Damit kommt man meistens nicht sehr weit; und es ist oft viel klüger, wenn man versucht, im stillen zu wirken und da und dort eine Hilfe durch Verhandlungen mit den entsprechenden Stellen zu erreichen. Ich glaube, wir müssen einmal in diesem Hause dazu kommen, die ganzen Probleme der Notstandsgebiete eingehender zu behandeln, und zwar von dem Gesichtspunkt aus, daß alle Maßnahmen, die zu treffen sind, nicht nur eine momentane Hilfe bedeuten dürfen. Das Ziel all der Maßnahmen muß doch sein, die Wirtschaftsstruktur in diesen Notstandsgebieten so zu verbessern, daß eine dauernde Unterstützung solcher Bezirke nicht notwendig ist. Damit möchte ich den Wunsch ausdrücken, daß man eben wirklich von diesem Gesichtspunkt aus in stärkerem Maße diesen ganzen Fragenkomplex behandelt. Im übrigen wünsche auch ich, daß Nordhessen weder ein Stiefkind des Bundes noch ein Stiefkind des Landes Hessen sein möge. ({2})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.

Dr. Adolf Arndt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Herrn Kollegen Sabel darf ich doch entgegenhalten, daß Sie, Herr Kollege Sabel, die Frage wohl nicht ganz richtig sehen, wenn Sie meinen, es handle sich hier darum, Ohrfeigen zu verteilen. ({0}) Das liegt keinem von uns irgendwie im Sinn. Es handelt sich aber auch nicht darum, hier als Bittsteller aufzutreten! ({1}) Wir sind keine Bittsteller; wir sind die freigewählten Vertreter des deutschen Volkes, die von hier sprechen, auch der Bundesregierung gegenüber, ({2}) so daß es unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit ist, für die Wahlkreise, in denen wir gewählt sind - Sie sind direkt gewählt in Fulda, ich bin direkt in Hersfeld, Freidhof ist direkt in Eschwege gewählt -, nun hier einzutreten und doch der Bundesregierung nahezulegen, mehr für diese Gebiete zu tun, die sich in so besonderer Not befinden. Denn ich muß leider sagen, daß aus dem, was der Herr Bundeswirtschaftsminister hier vorgetragen hat, ermutigend doch bloß einmal das Anerkenntnis war, daß es notwendig sei, das Kupferschieferbergwerk Sontra als das einzige Kupferbergwerk im Westen Deutschlands - ich glaube, wohl sogar im Westen Europas, abgesehen von Jugoslawien - aufrechtzuerhalten, und daß zweitens der Bund beabsichtige, als Bundesrepublik Deutschland die Option gegenüber dem Mansfelder Kupferschieferbergbau geltend zu machen. Das sind schon zwei kleine Fortschritte. Im übrigen aber komme ich nicht umhin, doch zu gestehen, daß meine Fraktion und mich die Antwort des Herrn Bundeswirtschaftsministers leidei wiederum durchaus nicht hat befriedigen können ({3}) Herr Bundeswirtschaftsminister, es ist jetzt über ein Jahr her - es war, glaube ich, im Juni oder Juli 1950 -, daß wir schon einmal interpelliert, daß wir schon einmal gefragt haben, was mit Sontra wird. Damals hatte Ihr Vertreter, Herr Staatssekretär Dr. Schalfejew, geantwortet, es schwebten Verhandlungen darüber, wie es mit Sontra werden würde. Heute, nach 13 oder 14 Monaten, sagen Sie uns, die Verhandlungen seien immer noch nicht abgeschlossen. So kann man ein Problem, ein so brennendes Problem wie das Elendsgebiet Sontra, unmittelbar am Eisernen Vorhang, nicht behandeln! Ich muß deshalb doch dringend bitten, hier nun die erforderliche Beschleunigung walten zu lassen, die notwendig ist, damit eine soziale Beruhigung in dem Sontraer Gebiet eintritt. Ich habe auch mit großem Bedauern gehört, daß Ihr Haus, Ihr Ministerium, glaubt, nicht empfehlen zu können, den Reichenberg-Schacht wieder aufzumachen. Die Gründe dafür sind mir nicht hinreichend bekannt. Ich glaube nicht, daß es fünf bis sechs Jahre dauert, bis die Kupfererz-Produktion im Reichenberg-Schacht wieder anlaufen kann. Es ist immerhin zu bedenken, daß auch in dem ersoffenen Schacht für ungefähr eine halbe Million D-Mark Maschinen liegen, die noch gerettet werden können, und ich glaube, es sollte doch noch einmal erneut und mit großem Ernst geprüft werden, ob dieser besonders ertragreiche Schacht nicht doch wieder aufgemacht werden kann. Doch zu Ihren allgemeinen Ausführungen, Herr Kollege Sabel, die Sie hier gemacht haben, wo Sie so glätten wollen und sagen, das sei alles sehr schwierig und sehr traurig, das wüßten wir alle! Gewiß, das wissen wir alle. Aber ich will Ihnen ein präzises Beispiel dafür geben, daß wesentlich mehr geschehen kann, als bisher geschieht. Sehen Sie, am 15. September - jetzt vor ein paar Tagen - sollte die Kupferrohhütte in Betrieb genommen werden. Die Koksvorräte bis zum 1. Oktober - ich glaube, '700 Tonnen - sind gesichert. Für das vierte Quartal 1951, also für die Zeit vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember, sind 4000 Tonnen Grobkoks notwendig. um die Kupferrohhütte in Betrieb zu nehmen. Vier Tage vor dem Anblasen des Ofens telegraphierte Ihr Ministerium, die 4000 Tonnen Koks wären nicht da, ({4}) und dann gibt jede Stelle in Ihrem Ministerium eine andere Auskunft darüber, und es ist eine völlige Verwirrung! Niemand weiß in Sontra, ob der Koks kommt oder ob er nicht kommt. Das hat zur Folge, daß, wenn jetzt diese 4000 Tonnen Koks nicht kommen und die Kupferrohhütte nicht in Betrieb genommen werden kann, allein im vierten Quartal 1951 800 000 DM Einnahmeausfall zu Lasten der öffentlichen Hand entstehen, daß 130 Mann zwangsläufig entlassen werden müssen, die bisher damit beschäftigt waren, den Ofen Nr. 2 zu erstellen und die jetzt in der Kupferrohhütte beschäftigt werden sollten, j a, daß voraussichtlich sogar, da auch der Schacht Schnepfenbusch dann nicht mehr voll betrieben werden kann, weitere 220 Mann vom Schacht Schnepfenbusch entlassen werden müssen. 350 Mann von 1200 Mann Belegschaft im ganzen sind von Entlassung bedroht, weil in Ihrem Ministerium Verwirrung herrscht und man nicht klarkommen kann, ob diese 4000 Tonnen Grobkoks für das vierte Quartal 1951 nun beschafft werden können oder nicht. Das trägt Unruhe hinein, und das ist das, was der Bevölkerung das Gefühl oder die Unsicherheit gibt, von Bonn aus nicht genügend beachtet zu werden und daß nicht genug für die Arbeitsbeschaffung geschieht. Ich kann Sie deshalb öffentlich und von dieser Stelle aus nur dringend bitten, sofort dafür zu sorgen, daß der Koks nach Sontra kommt und daß die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Kupferbergwerks in befriedigender Weise geregelt werden. Nun noch ganz zum Schluß ein paar Worte über Ihre Bemerkung, daß Eschwege, Rotenburg und Ziegenhain zu Sanierungsgebieten erklärt seien und daß dafür etwa 1,4 Millionen DM aus den 25 Millionen DM für die Sanierungsgebiete zur Verfügung stünden. Zuerst bin ich der Auffassung, daß Nordhessen mit den 1,4 Millionen DM bei dem Kuchen von 25 Millionen DM zu kurz kommt. Ursprünglich war die Zahl auch höher angesetzt. Zweitens haben Sie selbst sagen müssen, daß der Zeitpunkt für die Verteilung der 25 Millionen überhaupt noch nicht feststehe. Ja, so kann man den Menschen, die teilweise seit vier und fünf Jahren arbeitslos sind, nicht helfen! Aber hier zeigt sich auch wieder, wie falsch es war, daß die Mehrheit dieses Hauses neulich das Arbeitsbeschaffungsprogramm oder die Frage dieses Programmes ohne Diskussion in den Ausschuß überwiesen hat; denn dann kann man ja hier gar keine Stellung dazu nehmen. ({5}) - Ja, im Ausschuß können Sie manches sagen! Hier ist der Bundestag, wo gesprochen werden muß, und nicht im Ausschuß. ({6}) Aber schließlich geht es j a auch nicht an, davon zu reden, daß hier über Jahre hinaus „therapeutische" Maßnahmen erforderlich und nützlich sein würden. Herr Bundeswirtschaftsminister, „therapeutische " Maßnahmen dieser Art haben doch für mich etwas den Geschmack nach wirtschaftspolitischer Naturheilkunde; ({7}) denn so geht es nicht, daß man den Menschen, die dort seit Jahren arbeitslos sind, die teilweise pro Kopf und Tag 50 Pfennig zum Leben haben, sagt: ja, wenn einmal die „soziale Marktwirtschaft" in Jahren eine Änderung in Deutschland herbeigeführt hat, dann wird auch für euch eine Stunde schlagen, wo ihr wieder in Arbeit kommt. Im übrigen: Mit Sanierungsgebiet ist es ja auch nicht getan. Wir haben j a Notstandsgebiete und anerkannte Notstandsgebiete in Deutschland. Aber zwei Beschlüsse der Bundesregierung sagen, daß diese notleidenden nordhessischen Kreise keine Notstandsgebiete sind, weil sie in ihrem Zusammenhang und in ihrer Bevölkerungszahl nicht groß genug sind, und infolgedessen ist auch Nordhessen nicht als notleidendes Gebiet im Sinne des § 24 der Verdingungsordnung anerkannt. Wenn es sich jetzt also um Aufträge handelt, z. B. um Polizeibekleidung oder ähnliches mehr, so wird immer den Betrieben dort im Landkreis Rotenburg, im Kreis Eschwege, im Landkreis Kassel usw. von den großen zentralen Beschaffungsstellen gesagt: ihr könnt nicht zum Zuge kommen; denn ihr seid zwar Sanierungs-, aber nicht Notstandsgebiet, und die Praxis ist, daß dann die Aufträge woandershin abschwimmen. So geht es nicht. Wir müssen dringend bitten, daß hier in einer anderen Weise Abhilfe geschaffen wird, als es bisher geschehen ist. ({8}) Ich beantrage, die Interpellation dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu überweisen, damit dort insbesondere das Problem Sontra noch eingehender behandelt werden kann. ({9})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker.

Dr. Max Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000130, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! Die Herren Kollegen Freidhof und Sabel haben über die Notwendigkeit, dieses Gebiet als Notstandsgebiet zu bezeichnen, schon genügend Ausführungen gemacht, so daß ich dazu Weiteres nicht zu sagen brauche. Es hat sich hier der Brauch eingeschlichen, daß die Interpellationen immer sehr kurz, in fertig formulierten Sätzen beantwortet werden. Das mag für die erste Beantwortung richtig sein. Aber es scheint mir doch nützlich zu sein, diesen Brauch dahin zu erweitern, daß nicht nur kurze Antworten gegeben, sondern die Dinge ausführlich besprochen werden. Herr Kollege Dr. Arndt hat den Antrag gestellt, die Angelegenheit dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu überweisen. Ich schließe mich diesem Antrag an, in der Hoffnung, daß dort das Nötige im einzelnen 'erörtert werden kann, was bei der beschränkten Redezeit hier nicht ausgeführt werden kann. Herr Kollege Leuchtgens hat der Meinung Ausdruck gegeben, daß der Herr Wirtschaftsminister seinerseits Ideen haben und zeigen müsse, was hier zu geschehen habe. Ich habe den Eindruck, daß es auch unsere Aufgabe mit ist - gerade von uns, die wir in den Gegenden zu Hause sind -, Mittel und Wege aufzuzeigen oder uns wenigsten zum Dolmetsch derjenigen Ideen zu machen, die mit neuen Vorschlägen und Initiativen an das Problem herangehen. Ich möchte nach dieser Richtung hin folgendes sagen. Zunächst einmal habe ich an den Herrn Verkehrsminister die Bitte, daß er in einem der nächsten Fahrpläne die Eisenbahnverbindungen in Hessen, die recht schlecht sind, zu bessern versucht. Wenn man gerade von der östlichen Ecke Hessens nach Bonn fahren will, ist dies ohne recht große Zwischenaufenthalte schlechterdings kaum möglich. Weiter genügt es nicht, daß irgendein Betrag von 1,5 Millionen DM, der gemessen an der ganzen Summe von 25 Millionen DM sehr gering zu sein scheint, nun einfach auf das Gebiet verstreut wird, sondern man muß auch auf andere Weise versuchen, den Dingen näherzukommen. Wenn z. B. - das richtet sich an den Herrn Finanzminister - in der Gemeinde Immenhausen ein früher leerstehendes Fabrikgebäude, das in der Nazizeit zufällig Bundeseigentum geworden ist, an eine Glasfabrik verkauft werden soll, die sich dort schon als Pächter installiert hat, und diese das, was von ihr als Verbesserung in den Betrieb hineingebracht wurde, als werterhöhend, d. h. als kaufpreiserhöhend vorgerechnet bekommt, dann scheint mir das eine fiskalische Betrachtungsweise, aber eine sehr kurzsichtige Methode zu sein. Denn sie erwägt nicht, wieviel Menschen dort Arbeit finden können und daß der Finanzminister indirekt auf dem Wege über Umsatzsteuer und Einkommensteuer und die Gemeinde auf dem Wege über die Gewerbesteuer wieder Einnahmen erzielen kann. Ich habe ferner den Wunsch auszusprechen, daß bei der Verteilung der Bundesbehörden die Stadt Kassel nicht zu kurz kommt. Sie ist bisher immer zu kurz gekommen. ({0}) Die gleiche Bitte habe ich aber auch an das Land Hessen zu richten. In der Nordecke von Hessen besteht durchaus die Empfindung der Zurücksetzung zugunsten des Südens. Die Wünsche, die hier an die Bundesregierung herangetragen werden, könnten in gleichem Maße und vielleicht mit größerer Zielsetzung noch im hessischen Landtag gegenüber der hessischen Landesregierung vorgebracht werden. ({1}) Ich bin der Meinung, Landesregierung und Bundesregierung sollten auf diesem Gebiet Hand in Hand arbeiten. Als ich im Januar 1950 zum ersten Male die Angelegenheit des Sontraer Kupferschieferbergbaus in die Hand nahm, haben wir zusammen mit den Vertretern des Bundeswirtschaftsministeriums und der hessischen Bergbauleitung eine Verhandlung gehabt. Wir sind allerdings auf meinen Wunsch dahin schlüssig geworden, nichts darüber in die Presse zu bringen, nicht etwa, weil wir befürchteten, daß die Dinge dadurch gestört würden, sondern weil uns mehr daran lag, daß etwas geschieht, als daß darüber geredet wird. Ich hoffe, daß, nachdem der Herr Bundeswirtschaftsminister heute erklärt hat, daß die Bundesregierung die Option von Salzdetfurth anzunehmen bereit ist, sie sich auch das Kalkül aufgemacht hat, daß sie dabei nach außenpolitischen, außenwirtschaftlichen Grundsätzen, aber auch nach sozialpolitischen Grundsätzen nicht schlecht fährt. Denn es ist klar: auch wenn es ein Zuschußgebiet ist, werden die Zuschüsse wahrscheinlich nicht so hoch sein, wie Arbeitslosenunterstützungen, die nunmehr völlig unproduktiv ausgegeben werden, gegebenenfalls sein würden. Außerdem würden die betroffenen Kommunen und die Gemeinden, an die man auch einmal denken muß und die unter der Zusammenballung arbeitsloser Menschen schwer leiden, auch ihren Vorteil finden, wenn dort mehr Arbeit geleistet werden könnte. Bedauerlich ist nun, daß in diesem Notstandsgebiet Hessen ausgerechnet versucht worden ist, das Gegenteil von Arbeitsbeschaffung zu tun, nämlich Streiks anzuzetteln. Zunächst im Sommer zur Erntezeit ein zusammengebrochener, aber frivol begonnener Landarbeiterstreik, jetzt ein Metallarbeiterstreik. Es ist das gute Recht jeder Seite, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, dabei ihren Vorteil zu suchen. Aber es kommt auf die Form an, in der das geschieht. Nach den Berichten, die wir aus Nordhessen bekommen haben, sind dort Terrorakte vorgekommen, die nun doch aller Beschreibung spotten und die den Erfolg haben können, daß gerade das, was hier erreicht werden soll, nämlich in der Allgemeinheit das Interesse für Nordhessen zu wecken, ins Gegenteil verkehrt wird. Wenn der hessische Innenminister selbst zwei Stunden lang vor einem bestreikten Werk verhandeln muß, damit den Arbeitswilligen von den Streikposten Zugang gewährt wird, wenn in Kassel Omnibusse, die mit Standarten versehen sind, herumfahren, um die Streikposten zu verstärken, wenn Stenotypistinnen, die in die Fabrik gekommen sind, wieder herausgeholt werden - ich zitiere nur wenige Fälle; ich könnte Ihnen mehr bringen -, dann ist das das Gegenteil von Arbeitsbeschaffung. ({2}) ({3}) V Wenn dann noch von einer führenden Stelle der Gewerkschaften der Vorschlag gemacht wird, man solle im Arbeitskampf junge unverheiratete Facharbeiter von Hessen weg ins Ausland bringen, dann hört sich doch alles auf. ({4})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist erschöpft. Es ist der Antrag gestellt worden, die Drucksache an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu überweisen. ({0}) - Wollen Sie zur Sache sprechen? - Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.

Dr. Ludwig Erhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000486

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Anfrage des Herrn Dr. Arndt kann ich mitteilen, daß die 4000 t Koks für Sontra sichergestellt sind. ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Meine Damen und Herren! Unsere britischen Gäste betreten den Saal. Ich unterbreche die Sitzung auf wenige Augenblicke. ({0})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Mylord! Meine sehr verehrten Herren! Namens des Deutschen Bundestages begrüße ich Sie als die Vertreter des britischen Parlaments herzlichst in unserer Mitte. ({0}) Es ist uns eine besondere Ehre und Freude, Sie bei uns zu sehen als die Vertreter des Parlaments eines Volkes, das mehr als alle anderen Völker in seiner politischen Geschichte Beiträge zur Entwicklung des parlamentarisch-demokratischen Gedankens geleistet hat. Man hat Ihr Parlament nicht ohne Grund die Mutter der Parlamente genannt. Als Volksvertretung der Bundesrepublik Deutschland sind wir glücklich, auf diese Weise noch unmittelbarer die Verbindung zu dem Parlament herstellen zu können, dessen Geschichte und dessen Arbeit auch wir für unsere Gestaltung des parlamentarischen Lebens Entscheidendes verdanken. ({1}) Mit der Einladung zum Besuch Deutschlands und Bonns, die anzunehmen Sie die Freundlichkeit hatten, beabsichtigt der Deutsche Bundestag, zunächst seinen Dank für die mancherlei Gelegenheiten auszusprechen, die von Ihrem Parlament und anderen Stellen Ihres Landes geschaffen worden sind, bei denen deutsche Parlamentarier und Politiker Einrichtungen des parlamentarischen und politischen Lebens Großbritanniens kennenlernen konnten. Die dabei gesammelten Eindrücke und Erfahrungen waren für den Aufbau unseres Staates und die Gestaltung unserer Arbeit von großer Bedeutung. Wir sind in den vergangenen Jahren oft genug davon bedrückt gewesen, daß wir als Deutsche immer wieder die Gastfreundschaft Ihres Landes und anderer Völker annehmen durften, aber nicht in der Lage waren, diese Gastfreundschaft in der Weise zu erwidern, die wir schon immer für notwendig gehalten hätten. Um so erfreuter sind wir darüber, daß sich jetzt für uns die Möglichkeit bietet, Sie als unsere Gäste bei uns zu sehen. ({2}) Aber unsere Gefühle in diesem Augenblick gehen über die Freude an Ihrem Besuch als solchem hinaus. Einige von Ihnen haben zum Teil an beiden Weltkriegen teilgenommen. Sie haben in den schweren Auseinandersetzungen unserer Völker im Kampf gegen Glieder unseres Volkes gestanden. Wir wissen um all das, was besonders im letzten Krieg mehr als in jedem früheren dazu geführt hat, daß die Kluft zwischen den Völkern scheinbar unüberbrücklich tief wurde. Wir möchten es als ein Zeichen nicht einer leichtfertigen Vergeßlichkeit auf der einen oder andern Seite, sondern als Ausdruck eines Willens zu neuer Begegnung und Gestaltung verstehen dürfen, daß Sie heute hier in diesem Hause sind. Eine Reihe von Mitgliedern des Deutschen Bundestages kommt von der Tagung der Interparlamentarischen Union in Istambul. Auch dort sind mancherlei fortwirkende Scheidungen der Völker sichtbar geworden. Wir haben aber mit großer Dankbarkeit zur Kenntnis genommen, daß es ein Mitglied Ihres Oberhauses, der Präsident der Interparlamentarischen Union, Lord Stansgate, war, der die aus den verschiedensten Völkern herkommenden Parlamentarier mahnte, nicht rückwärts, sondern vorwärts zu sehen. Wir verstehen unsere Arbeit in diesem Hause und in unserem Volke auch so, daß wir die bitteren Ereignisse der vergangenen Jahre zwar nicht vorschnell vergessen oder beiseiteschieben, daß wir aber mit der Bereitschaft zu etwas Neuem darangehen, aus den Trümmern, die uns ein unseliges System hinterlassen hat, etwas Neues und Dauerndes zu bauen. Wir wissen darum, in wie starkem Maße wir in dem Neubeginn unseres politischen Lebens mit den guten Überlieferungen der Demokratie, insbesondere Ihres Landes, verbunden sind. Auch wenn wir wissen, daß es für jedes Volk Ausprägungen politischer Formen geben muß, die seiner Geschichte und seinen Notwendigkeiten gemäß sind, spüren wir doch täglich die engen Verflechtungen, die im Interesse aller zwischen den Völkern bestehen und bestehen müssen, die die Grundprinzipien der Menschenwürde, des Rechts und der Freiheit zur unverrückbaren Grundlage ihrer Politik machen wollen. Einige von Ihnen haben Deutschland auch in den Jahren nach dem Kriege bereits gesehen. Sie werden sich aus diesen Erfahrungen ein Bild von den Schwierigkeiten machen können, denen jeder Versuch einer staatlichen Neuordnung in unserem Volk begegnet. Ich hoffe aber, daß Ihnen dieser Besuch und die Eindrücke, die Sie in den verschiedenen Teilen Deutschlands empfangen, auch einen Eindruck davon verschaffen, daß das deutsche Volk in diesen vergangenen wenigen Jahren seit dem Zusammenbruch nicht müßig gewesen ist. Es hat viel Kraft und Arbeit daran gewandt, die bitteren Folgen des Krieges und des Zusammenbruchs zu überwinden. Sie werden hoffentlich den Eindruck gewinnen, daß das nicht ohne Erfolg geschehen ist. Im gegenwärtigen Augenblick stehen wir an einer entscheidenden Wende nicht nur unserer, sondern der Weltpolitik. Wir hegen die Hoffnung, daß der Zeitpunkt gekommen ist, in dem in dem Maße, das von den gemeinsamen Interessen unseres Volkes und der anderen freien Völker bestimmt ist, die Unabhängigkeit unseres Staates hergestellt wird. Wir hegen diesen Wunsch nicht, weil wir wünschten, in alte nationale Abgrenzungen zurückzukehren, sondern weil wir meinen, daß angesichts der Bedrohungen, denen unser Kontinent und die freie Welt überhaupt unterliegen, alles getan wer({3}) den sollte, um den Beitrag jedes Volkes zu den gemeinsamen Bemühungen, Freiheit, Frieden und Wohlfahrt unserer Völker zu sichern, möglichst wirkungsvoll zu gestalten. Ich zweifle nicht daran, daß Sie als Angehörige eines Volkes, dessen Freiheitsliebe sprichwörtlich ist, Verständnis dafür haben werden, daß es unser Wunsch ist, den deutschen Beitrag zum Aufbau Europas und zur Sicherung des Friedens der Welt als ein unabhängiges Volk zu leisten. ({4}) Es ist unser fester Entschluß, das zu tun in einer engen Gemeinschaft mit den Völkern, mit denen wir uns in den gleichen Grundlagen unseres staatlichen Lebens verbunden wissen und mit tdenen wir in freier Vereinbarung die dazu erforderlichen Wege festlegen wollen. Wir verstehen Ihren Besuch als einen Ausdruck dieser wachsenden Gemeinsamkeit und wünschen Ihnen, daß alles, vas Sie bei uns sehen und hören, Ihnen die Gewißheit vermittelt, daß der Weg des deutschen Volkes ein für allemal bestimmt ist als der Weg eines freien, sein Geschick in den Formen demokratischen Lebens gestaltenden Volkes, das durch seine Arbeit zur gemeinsamen Wohlfahrt der freien und friedliebenden Völker beizutragen wünscht. ({5}) Mr. Woodburn ({6}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube im Namen aller meiner Kollegen zu sprechen, die verschiedenen Parteien unseres Landes angehören, wenn ich Ihnen, Herr Präsident, und den Mitgliedern Ihres Parlaments für die freundliche Aufnahme danke, die Sie uns zuteil werden ließen. Ich möchte Ihnen, Herr Präsident, auch danken für die freundlichen Begrüßungsworte, die Sie für uns in Ihrer Ansprache gefunden haben. Es ist eine große Ehre für mich, an diesem historischen Ereignis als Führer der ersten Delegation von britischen Parlamentsabgeordneten teilzunehmen, die das deutsche Parlament besuchen. Wir haben mit Freude festgestellt, daß Deutschland fähig gewesen ist, in so kurzer Zeit soviel zu erreichen. Wir haben den Eindruck von einem Volk bekommen, das entschlossen ist, aus den Trümmern der Vergangenheit ein neues Land zu bauen. In Großbritannien haben wir mit großem Interesse das Wachsen der deutschen Demokratie verfolgt. Wir sind davon überzeugt, daß der Wiederaufbau einer freien Regierung und eines freien Parlaments in Deutschland einen der wichtigen Faktoren für das Überleben der freien Welt darstellt. Als Vertreter der „Mutter der Parlamente" darf ich sagen, daß die Demokratie nicht von einem vorgefaßten Plan abhängt. Demokratie ist gewachsen aus einem Prozeß ständigen Versuchens und Irrtums, der sich . über Hunderte von Jahren hingezogen hat. Die Geschichte und die Erfahrungen unseres Parlaments sind ein offenes Buch, aus dem alle anderen lernen können. Der gegenseitige Besuch von Parlamentariern stellt auch einen Erfahrungsaustausch dar, von dem alle lernen können. Man hat mir gesagt, daß es daher vielleicht von Interesse für Sie ist, wenn ich Ihnen kurz über das berichte, was mir aus unserem parlamentarischen Verfahren wichtig erscheint. Ich bedaure jedoch, daß ich die deutsche Sprache nicht genügend beherrsche, und gestatte mir deshalb mit Ihrem Einverständnis in Englisch fortzufahren. ({7}) ({8}) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Fortschritt und das ganze Wachstum des britischen Parlaments beruhen meiner Ansicht nach darauf, daß die britische Öffentlichkeit, das britische Volk als solches, die Regierung überwacht. Und das scheint mir das Grundprinzip zu sein, daß die Regierung des Königs nur das durchführen und tun kann, was dem Volk angenehm ist und was von dem Volk gewollt wird. Das heißt also mit anderen Worten, die Regierung kann nur mit der Zustimmung des Volkes regieren und arbeiten. Diese Zustimmung des Volkes kann ihr auch leicht entzogen werden, und zwar in einer sehr drastischen Form, dadurch nämlich, daß der Regierung keine Gelder mehr zur Verfügung gestellt werden. ({9}) Infolgedessen hat das Volk tatsächlich die Möglichkeit und die Aufgabe, das Parlament und die Regierung zu überwachen und, wenn nötig, auch zum Rücktritt zu veranlassen. ({10}) Bei einer Wahl wählt das britische Volk nicht nur die Regierung, sondern gleichzeitig auch eine Opposition, die ihrerseits wieder die Regierung zu überwachen hat. Diese Opposition hat eine sehr wichtige und sehr bedeutungsvolle Aufgabe. Sie muß der Öffentlichkeit gegenüber alles darlegen und aufdecken, was eben mit der Regierung zusammenhängt, und ich stimme dem zu, daß diese Aufgabe der Opposition manchmal der Regierung sehr unangenehm und beschwerlich sein kann, vor allem, wenn man, wie es zur Zeit bei uns in England der Fall ist, an der Spitze dieser Opposition einen „jungen" Mann von 75 Jahren hat, der die Regierung nie zur Ruhe kommen läßt. Winston Churchill ist ein großer Parlamentarier, und wie groß auch immer die Unterschiede in den Auffassungen über spezifische Fragen sein mögen, so wird ihm doch von allen Angehörigen des britischen Parlaments Achtung und Ehrerbietung dargebracht. ({11}) Wir glauben daher an die Aufgabe der Opposition. Die Opposition ist in England zur Zeit sehr stark. Und um es vielleicht etwas besser verständlich zu machen: Genau so wie jede Firma, jeder Betrieb nichts dagegen haben, wenn ein Rechnungsprüfer kommt, um ihre Rechnungen und ihren ganzen Geschäftsbetrieb zu überprüfen, genau so wird die Regierung nichts gegen die Opposition haben. Die Aufgabe der Opposition kann mit der eines Rechnungsprüfers verglichen werden. ({12}) Es ist selbstverständlich von größter Wichtigkeit, daß die Öffentlichkeit weiß, was im Parlament und in der Politik überhaupt vorgeht. Es ist nicht genug, daß nur die Opposition darüber unterrichtet wird, sondern die Öffentlichkeit, der Mann auf der Straße muß darüber Bescheid wissen, was im Parlament vorgeht. Das geschieht zum Teil auch dadurch, daß die Zeitungen den Parlamentsberichten einen sehr großen Raum einräumen, ({13}) und es ist vielleicht nicht übertrieben, wenn ich hier feststellen darf, daß die Leser, wenn sie ihre Zeitung aufschlagen, zuerst die Parlamentsberichte lesen. ({14}) ({15}) Wir brauchen in England keine Beamten, die in der Öffentlichkeit ein besonderes Interesse an den Parlamentsberichten erwecken; denn diese Parlamentsnachrichten haben tatsächlich einen Neuigkeitswert für den Leser, den Mann auf der Straße, und er verfolgt die Vorgänge mit großem persönlichem Interesse. ({16}) Er verfolgt mit großer Aufgeschlossenheit die Debatten, die Aussprachen im Parlament. Wenn z. B. ein Gesetzesvorschlag eingebracht wird, so wird dieser zunächst genau überprüft; er wird kritisiert; die Vor- und die Nachteile werden erwogen, werden gegeneinander abgewogen. Es ist ähnlich wie in einem Gerichtshof, wo alle Seiten eines bestimmten Falles beleuchtet werden. Es ist genau, wie wenn der Mann auf der Straße einem Fußballspiel folgt. Es fasziniert ihn genau so, und darüber, was im Parlament vorgeht, debattiert er im Büro, an seinem Arbeitsplatz, in der Straßenbahn, im Zug. Deswegen ist das, was im Unterhaus vorgeht, nicht nur von Bedeutung und von Interesse für die Unterhausabgeordneten, sondern für die Gesamtheit des britischen Volkes. Die Mitglieder des britischen Unterhauses wissen das sehr wohl; denn wenn im Unterhaus einmal irgend etwas nicht gerade so geht wie es gehen sollte, dann können sie sich der Fluk von Zuschriften, von Briefen, von Petitionen und anderen Anregungen kaum erwehren, die ihnen von den Angehörigen ihres Wahlkreises auf den Tisch flattern. Die sogenannten privaten Abgeordneten spielen eine doppelte Rolle. Bei der Wahl wird ein Kandidat meistens von einer Partei aufgestellt, und er vertritt dann die Politik der Partei, für die er aufgestellt wird. Wenn er dann aber gewählt ist, gilt er als Vertreter aller Bewohner seines Wahlkreises ohne Rücksicht darauf, welcher Partei sie nun gerade angehören. Gewiß, diese Frage ist zum Teil sehr problematisch und hat zu manchen Auseinandersetzungen Anlaß gegeben; aber im allgemeinen gilt doch der Grundsatz, daß, wenn z. B. ein Parlamentsabgeordneter mit der Politik seiner Partei nicht übereinstimmt, er nicht das Unterhaus benützt, um nun darin seine persönlichen Gründe darzulegen und es für seine persönlichen Zwecke auszunützen, sondern im allgemeinen enthält er sich dann bei Abstimmungen in irgendwelchen Fragen, die er mit seinem Gewissen oder mit seiner religiösen Einstellung usw. nicht vereinbaren kann, der Stimme. Nach dem vorher Gesagten kann man also feststellen, daß die Abgeordneten des Unterhauses zunächst einmal allgemein ihre Partei und die von der Partei eingeschlagene Linie unterstützen. Aber darüber hinaus sind die Parlamentsabgeordneten auch Vertreter ihrer Wahlkreise, und in dieser Eigenschaft können sie auch ihre Regierung, ihre eigene Regierung herausfordern, Kritik üben und Aufklärung über alle Einzelheiten, die in ihren speziellen Aufgabenbereich fallen, fordern. Das kommt besonders in der sogenannten Fragezeit zum Ausdruck. Bei dieser Gelegenheit werden nicht nur von den Mitgliedern der Opposition Fragen an die Regierung gerichtet, sondern ebensosehr von Angehörigen der Regierungspartei an die Minister, so daß die Regierung manchmal gar nicht weiß, wo nun eigentlich die Opposition überhaupt ist. Ich hatte gestern Gelegenheit, mit einem Ihrer Abgeordneten zusammenzutreffen, der das britische Unterhaus besucht hatte, als ich Minister für Schottland war. Er war erstaunt, wie die Fragen nur so herausgeschossen kamen über alle möglichen Gebiete, die Schottland betrafen, nicht nur von der Opposition, sondern von schottischen Abgeordneten, von Abgeordneten der Regierungspartei, von Leuten, die eben Aufklärung über Schottland betreffende Fragen haben wollten. Ich glaube, daß die Fragezeit, die wir im britischen Parlament haben, eine der besten Vorkehrungen und Sicherheitsmaßnahmen für eine saubere Politik und ein sauberes Verfahren darstellt. Jeder Abgeordnete kann jeden Minister fragen, kann ihn um Auskunft darüber bitten, was er getan hat, was er unterlassen hat und was er getan haben müßte. Es handelt sich bei diesen Anfragen nicht nur um diejenigen Fragen, die dem Minister schriftlich vorgelegt werden, sondern auch - was noch viel wichtiger und zum Teil auch viel gefährlicher ist - um die sogenannten Zusatzfragen. Denn im Anschluß an die erste Frage kann der betreffende Abgeordnete, der diese Anfrage eingebracht hat, oder irgend ein anderer Abgeordneter noch Zusatzfragen stellen. Mir sind Fälle bekannt - wie wahrscheinlich auch allen anderen britischen Parlamentsabgeordneten -, in denen die Regierung ihre Politik auf Grund des Druckes geändert hat, der in dieser Fragezeit von den Mitgliedern des Hauses auf sie ausgeübt worden ist. Ich darf Ihnen hierfür ein Beispiel anführen. Als während der Kriegsjahre Amerikaner nach England kamen und einer Sitzung des Unterhauses beiwohnten, waren sie sehr überrascht und erstaunt, feststellen zu müssen, wie sich selbst Winston Churchill, der damalige Kriegspremier, diesen Anfragen gegenüber verteidigen, wie er sie beantworten und wie er den Abgeordneten des Unterhauses gegenüber seine Politik rechtfertigen mußte. Aber die Fragezeit, die Möglichkeit, Fragen zu stellen, hat auch noch einen anderen Aspekt, der vielleicht nicht so sehr bekannt, aber dennoch von äußerst wichtiger Bedeutung ist. Denn es handelt sich nicht nur darum, daß diese Fragen im Unterhaus gestellt und beantwortet werden, sondern es ist vor allem zu bedenken, daß sich jeder Beamte und jedes Mitglied der Regierung bei der Vorbereitung irgendwelcher Maßnahmen die Frage vorlegen muß: Kann ich diese Maßnahme vor dem Unterhaus rechtfertigen, wenn eine diesbezügliche Anfrage gestellt wird? Somit wird durch diese Fragezeit eine Kontrolle und Überwachung der Regierungspolitik durch die Öffentlichkeit gewährleistet. Und darin scheint meiner Ansicht nach der' große Vorteil, die große Bedeutung dieser Einrichtung zu bestehen. ({17}) Selbstverständlich bleibt es auch bei uns in Großbritannien nicht aus, daß man über irgendwelche Fragen einmal verärgert wird. Ich glaube aber, daß dann sehr oft der Witz und der Humor bei uns dazu beiträgt, die Spannung wieder zu lockern und über manche Klippe hinwegzuhelfen. Das galt besonders, solange noch die irischen Abgeordneten im Unterhaus waren; aber auch heute noch lassen sich viele Beispiele dafür geben. Ich darf hier ein Beispiel anführen. Als einmal die Frage einer humaneren Tötungsart für Tiere auftauchte - daß diese nicht mit dem Hammer getötet werden sollten, sondern daß man dazu gewisse Schießvorrichtungen benützen müsse -, brachte ein Parlamentsabgeordneter eine solche Vorrichtung mit und führte sie den Abgeordneten des Parlaments vor. ({18}) Er erklärte sie in allen Einzelheiten und setzte sie dann auch bei sich selbst am Kopfe an, wobei er sagte: „Diese Methode ist viel besser!" In dem Augenblick, als er abdrücken wollte, war natürlich die Spannung auf den Höhepunkt gestiegen. In diesem Augenblick rief plötzlich ein anderer Abgeordneter: „Um Gottes willen! Jetzt hat er doch daneben geschossen!" ({19}) Wie Sie vielleicht wissen, hat Mr. Churchill eine sehr große Vorliebe für Pferderennen. Er besitzt auch ein oder zwei Rennpferde, die auch schon mehrere Rennen gewonnen haben. Im allgemeinen - das wird Ihnen auch bekannt sein - ist Mr. Churchill immer sehr betrübt und besorgt um den Zustand unseres Landes. Und als er einmal eine sehr bewegte Rede gehalten hatte - wie sehr Großbritannien doch nun abgefallen, wie sehr Großbritannien ruiniert worden sei -, rief plötzlich einer der Unterhausabgeordneten dazwischen: „Du kannst ja dein Pferd verkaufen!" ({20}) Mr. Churchill war diesem Einwurf aber gewachsen und sagte: „Jawohl, das könnte ich schon tun, das würde mir vielleicht auch in diesem ruinierten Land helfen; aber nachdem ich nun meinen Sozialistischen Kollegen zugehört habe, bin ich doch so weit gekommen, das Profitmotiv von mir zu weisen!" . ({21}) Die britischen Parlamentsabgeordneten sind deswegen in der Anerkennung dieser Gegebenheiten aufrichtig. Sie versuchen auf ihre Weise, ihrem Land am besten zu dienen, auch wenn sie von verschiedenen Standpunkten an diese Aufgabe herangehen. Sie sind deswegen höflich. Die Versammlungen verlaufen in einer Atmosphäre der Würde; sie lassen Scharfe und persönliche Vorwürfe vermissen. Ich muß zugeben, daß sich diese Entwicklung selbstverständlich über Hunderte von Jahren erstreckt hat. Sie in Deutschland werden sich auch um eine Entwicklung bemühen müssen. Ich will nicht sagen, daß Sie unbedingt unsere Methoden übernehmen sollen. Vielleicht geht Deutschland mit den ihm eigenen Methoden einen ganz anderen Weg in seiner Entwicklung. Ich weiß, daß auch wir in unserer Entwicklung, in unserem Parlament Fehler gemacht haben; aber es ist möglich, heute aus den Fehlern der anderen zu lernen und diese Fehler zu vermeiden. Ich glaube, daß gerade die gegenseitigen Besuche von Parlamentsabordnungen sehr viel dazu beitragen werden, Erfahrungen auszutauschen und aus der Geschichte und Arbeit des andern zu lernen; denn auf die Dauer gesehen dienen wir doch alle derselben Aufgabe und verfolgen doch alle dasselbe Ziel. Die Welt ist heute eine wirtschaftliche Einheit geworden. Eines der wesentlichen Probleme besteht darin, für die Bevölkerung der Welt genügend Lebensmittel zu produzieren und diese auch zu verteilen. Einige Länder sind dabei in einer besseren Position, andere in einer schlechteren. Hierin liegt also eine der wesentlichsten Aufgaben. Ich bin davon überzeugt, daß wir, wenn wir dieses Problem lösen wollen, auf dem Wege zur Rettung und zum Weiterbestehen der Welt alles tun müssen, um auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet zusammenzuarbeiten. Alle Länder müssen in diesen Fragen auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet zusammenarbeiten. Auf politischem Gebiet hat unsere Regierung während der letzten Jahre versucht, die Zusammenarbeit in Europa und die Vereinten Nationen zu unterstützen, um auf diese Weise der Erhaltung des Friedens zu dienen, um es auf diese Weise der Welt zu ermöglichen, diejenigen Probleme zu lösen, die jedem Land eigen sind, um einen höheren Lebensstandard und einen höheren moralischen Standard zu erreichen. Deutschland hat jetzt eine historische Gelegenheit. Sie gehen daran, Ihr Land wieder aufzubauen, aber nicht nur Ihr Land, sondern auch eine neue Zivilisation. Sie sind sozusagen Sozialarchitekten. Sie haben die Möglichkeit, hier ein neues Experiment in der Demokratie zu wagen. Ich darf Ihnen hierzu vollen Erfolg wünschen und darf meiner Hoffnung Ausdruck geben, daß Sie Ihre Aufgabe voll und ganz erfüllen und in der Lage sein werden, zu unserem gemeinsamen Ziel, der Erhaltung des Weltfriedens und der Wahrung der Freiheit, beizutragen. ({22})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Ich danke dem Leiter der englischen Parlamentsdelegation Mr. Woodburn für seine Worte. Ich glaube, daß Sie, meine Damen und Herren, mit Interesse diese Worte gehört haben, die einen Einblick in die Praxis des englischen Parlaments vermittelt haben. Unsere Gäste werden der Sitzung noch weiter beiwohnen und in die Praxis des Deutschen Bundestages einen Einblick bekommen und, wie ich hoffe, einen guten Eindruck. Meine Damen und Herren, wir setzen die Behandlung des Punktes 2 der Tagesordnung, die wir unterbrochen hatten, fort: Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Behandlung Nordhessens als Notstandsgebiet ({0}). Das Wort hat der Abgeordnete Weickert.

Stephan Weickert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002446, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Meine Damen und Herren! Ich beantrage, die Interpellation Drucksache Nr. 2434 auch mit an den Ausschuß für Grenzland-fragen zur Bearbeitung zu überweisen.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es ist vorgeschlagen, die Interpellation Drucksache Nr. 2434 dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik und dem Ausschuß für Grenzlandfragen zu überweisen. Ich darf annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist. ({0}) - Mit der Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik ist das Haus einverstanden? ({1}) Ich frage: Wer ist auch für die Überweisung an den Ausschuß für Grenzlandfragen? - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit. Die Überweisung ist abgelehnt. Ich rufe entsprechend der vorhin getroffenen Vereinbarung zunächst Punkt 5 der heutigen Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Fraktion des Zentrums eingebrachten Entwurfs eines Bewahrungsgesetzes ({2}). Ich schlage Ihnen entsprechend dem Vorschlag des Ältestenrats vor, daß wir die Redezeit jetzt wieder begrenzen und sie auf 20 Minuten für die Begründung und 120 Minuten für die Aussprache festlegen. ({3}) ({4}) - Liegen andere Vorschläge vor? ({5}) - Es werden 60 Minuten vorgeschlagen. Ich bitte die Damen und Herren, die für 60 Minuten sind, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Die Redezeit ist auf 60 Minuten beschränkt. Zur Begründung des Antrags: Frau Abgeordnete Wessel! Frau Wessel ({6}), Antragstellerin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Forderung nach einem Bewahrungsgesetz ist von maßgebenden Fürsorgekreisen seit mehr als 30 Jahren gestellt worden. Vor allem war es die Gründerin des Katholischen Fürsorgevereins für Mädchen, Frauen und Kinder, Frau Agnes Neuhaus, die auch als Reichstagsabgeordnete um den Erlaß eines Bewahrungsgesetzes gekämpft hat. Auf Anregung von Frau Neuhaus sind die Vorarbeiten für ein Bewahrungsgesetz in den zwanziger Jahren hauptsächlich im Rahmen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge geleistet worden. Außerdem sind im Reichstage von fast allen damaligen politischen Parteien Anträge zu einem Bewahrungsgesetz gestellt worden. Die Gründe, die das Zustandekommen des Bewahrungsgesetzes im früheren Reichstag verhinderten, waren verschiedener Art. Vor allem zwei Gründe möchte ich erwähnen, da sie auch bei den Beratungen des vorliegenden Gesetzentwurfs der Zentrumsfraktion eine Rolle spielen werden: erstens die notwendige Beschränkung der persönlichen Freiheit der Bewahrungsbedürftigen und zweitens die Kostenfrage. Auf allen Arbeitsgebieten der Fürsorge findet man Gefährdete und Verwahrloste, die geistig oder seelisch anomal sind und deshalb für ihr Handeln nicht voll verantwortlich gemacht werden können. Es sind jene Menschen, die mit dem Leben nicht zurechtkommen, die unfähig sind, sich in die Gesellschaft einzuordnen, die trotz ihrer vom Gesetz anerkannten Großjährigkeit bezeichnenderweise die „großen Kinder" genannt werden. Diese Menschen verwahrlosen trotz besten Willens und guter Vorsätze, und immer wieder werden sie das Opfer ihrer Veranlagungen und oft der Gewissenlosigkeit anderer. Sie wissen ihre Freiheit nicht richtig zu gebrauchen. Gewiß, meine Herren und Damen, bringt ein Bewahrungsgesetz Eingriffe in die persönliche Freiheit des Bewahrungsbedürftigen, aber es handelt sich doch hier um Menschen, die ihre Freiheit zum eigenen Schaden und zum Schaden des Gemeinwohls mißbrauchen oder sie nicht richtig gebrauchen können. In der Auffassung, man dürfe einem Menschen nicht gegen seinen Willen helfen, zeigt sich eine übertriebene Humanität und ein falsch verstandener Freiheitsbegriff. So sehr persönliche Rechte und Freiheiten zu achten sind, sie haben, natürlich unter Beachtung des Sittengesetzes, dann zurückzutreten, wenn sie durch falschen Gebrauch das Gemeinwohl schädigen. In einem sozialen Gemeinschaftsleben ist eine notwendige Beschränkung der persönlichen Freiheit in bestimmten Fällen nicht zu umgehen, wie es z. B. heute schon bei der Straffälligkeit der Fall ist, in der Irrenpflege, bei Jugendlichen in der öffentlichen Fürsorgeerziehung. Ich möchte in keiner Weise die Einwände, die gegen eine Beschränkung der persönlichen Freiheit erhoben werden, geringachten, sie sind um so schwerwiegender, weil während der nationalsozialistischen Regierung in unverantwortlicher Weise Mißbrauch damit getrieben worden ist, aber ebenso ist es wahr, und es wird von allen bestätigt, die in der Fürsorgepraxis stehen, daß häufig ein Mißbrauch mit schwach begabten, mit labilen Menschen getrieben wird, und diese Menschen sind davon mehr bedroht, als wenn ihre persönliche Freiheit in den Grenzen des Notwendigen durch ein Bewahrungsgesetz eingeschränkt wird. Um die richtige Begrenzung der Freiheitsbeschränkung geht es beim Bewahrungsgesetz. Dazu scheint es mir notwendig zu sein, die richtige Erfassung des Personenkreises und soviel als möglich Sicherungen für den Bewahrungsbedürftigen in das Gesetz einzubauen, damit nicht während der Bewahrungsbedürftigkeit ein Mißbrauch über das unbedingt notwendige Maß der Freiheitsbeschränkung hinaus erfolgen kann. Beide Notwendigkeiten scheinen mir in dem vorliegenden Entwurf eines Bewahrungsgesetzes berücksichtigt zu sein. Schon bei den bisherigen Vorarbeiten für ein Bewahrungsgesetz hat die Abgrenzung des Personenkreises, der als bewahrungsbedürftig im Sinne des Gesetzes gelten soll, die größten Schwierigkeiten bereitet. Die darüber geführten Beratungen haben gezeigt, wie schwer die richtige Formulierung des Begriffs des bewahrungsbedürftigen Menschen ist und nach welcher Richtung hin die Grenzen zu den anderen Materien wie Irrenpflege, Strafrecht, Arbeitshaus, Fürsorgeerziehung gezogen werden müssen. Bei der Festsetzung des Personenkreises zu § 2 des vorliegenden Bewahrungsgesetzes ist von den Erfahrungen der Fürsorgearbeit ausgegangen worden, daß es einen Kreis von Personen gibt, die vorwiegend zu ihrem eigenen Schutz verwahrt werden müssen, weil sie so labil und willensschwach sind, daß sie ihr Leben nicht allein gestalten können und dadurch meistens ein Objekt der Ausnutzung oder Verführung werden. Das Kennzeichen für das Verhalten dieser Menschen ist die vorhandene oder drohende Verwahrlosung. Dementsprechend muß ein Bewahrungsgesetz von dem Ziel ausgehen, durch seine Maßnahmen eine bereits vorhandene Verwahrlosung zu beseitigen oder eine drohende zu verhüten. Es erhebt sich da die Frage: was ist unter Verwahrlosung zu verstehen? Nach einem Kammergerichtsbeschluß vom 2. AIai 1930 wird der Rechtsbegriff der Verwahrlosung dahin bestimmt: Unter Verwahrlosung ist jedes erhebliche Herabsinken des körperlichen, geistigen oder sittlichen Zustandes unter den Normalzustand zu verstehen. Dr. Hilde Eisenhardt bezeichnet die Verwahrlosung als einen Zustand der Lebensführung, der sich in einer körperlichen Vernachlässigung oder in einem hemmungslosen Vorherrschen einzelner Triebe äußert und auf der Unfähigkeit beruht, die eigenen Angelegenheiten zu besorgen und sich in geordnete Verhältnisse zu fügen. Mag die Verwahrlosung, meine Herren und Damen, mit ihren äußeren Merkmalen in der Praxis als Kennzeichen des der Bewahrung bedürftigen Menschen leicht festzustellen sein, in der begrifflichen Bestimmung für den Gesetzgeber reicht dieser Maßstab allein nicht aus, um danach den Personenkreis zu bestimmen. Es bedarf dazu noch weiterer Merkmale, nach denen der Be({7}) wahrungsbedürftige zu beurteilen ist. Man kann z. B. einen verbummelten Künstler, der in den Augen seiner Mitmenschen als verwahrlost gilt, nicht als anstaltsbedürftig unter ein künftiges Bewahrungsgesetz stellen. Auch jener Typ von geistig normalen, aber arbeitsscheuen und liederlichen Menschen, die Merkmale der Verwahrlosung tragen, soll nicht unter ein Bewahrungsgesetz fallen. Es wäre sinnlos, solche zwar verwahrloste, aber sonst geistig und körperlich normale Menschen in einer Bewahrungsanstalt unterzubringen. Von dieser Erkenntnis ausgehend, daß die Verwahrlosung nicht allein als Maßstab des für ein Bewahrungsgesetz zu erfassenden Personenkreises ausreichend ist, müssen zur Charakterisierung der bewahrungsbedürftigen Personen noch andere Merkmale eines anomalen geistigen, körperlichen oder sittlichen Zustandes hinzugenommen werden. Diese Merkmale werden im § 2 des Gesetzentwurfes dahingehend festgelegt, daß der Bewahrung Personen überwiesen werden, bei denen eine krankhafte oder außergewöhnliche Willensoder Verstandesschwäche oder Stumpfheit des sittlichen Empfindens vorhanden ist, wodurch ihre Verwahrlosung herbeigeführt wird oder droht. Unter dem Personenkreis der Bewahrungsbedürftigen befinden sich solche, bei denen auf Grund ihrer Veranlagung und ihres Verhaltens keine Hoffnung besteht, daß sie jemals an ein geordnetes Leben gewöhnt werden können. Für sie ist eine dauernde Anstaltsbewahrung notwendig. Aber es gibt auch einen Teil Bewahrungsbedürftiger, bei denen im Sinne einer guten Fürsorgeerziehung für Erwachsene durch die Bewahrung eine Festigung des Willens und Gewöhnung an eine geordnete und regelmäßige Arbeit erreicht werden sollen, um dadurch zu erreichen, daß sie sich im Leben behaupten, ohne der Verwahrlosung wieder zu verfallen. Bei diesem Personenkreis wird es sich insbesondere um solche Menschen handeln, die durch ihre schlechte Umwelt verwahrlost oder gefährdet sind, die sogenannten Milieu-Gefährdeten. Gerade unter ihnen ist ein Teil derjenigen zu finden, die wir in der Fürsorgearbeit als die Späterziehbaren bezeichnen. Wir leben, meine Herren und Damen, in einer Zeit, in der viel von schwer erziehbaren Kindern und Jugendlichen gesprochen wird, die in viel späteren Jahren als es früher der Fall war zur Reife gelangen. Während in früheren Zeiten der Mensch mit 18, spätestens mit 21 Jahren in seiner Erziehung abgeschlossen war, muß heute ein nicht kleiner Teil von Menschen über diese Zeit hinaus wegen seiner Willens- und Charakterschwäche und seiner Unausgereiftheit zu seinem eigenen Schutz noch erzogen und gehalten werden, um nicht kriminell zu werden oder infolge seiner unmoralischen Haltung die Allgemeinheit zu belasten. Diese sogenannten Spätreifen entwickeln sich gut, wenn ihre Reifezeit über 18 oder auch 21 Jahre hinaus noch gestaltet und gelenkt wird. Für sie genügt eine vorübergehende Anstaltsbehandlung oder Familienpflege, in der sie ganz straff unter einen fremden Willen gestellt werden. Aus diesen Merkmalen der Bewahrungsbedürftigen und .dem Ziel, ihnen zu helfen, ergibt sich ,die Zusammensetzung des Personenkreises, der durch das Gesetz erfaßt werden soll, aber auch die Sicherungen gegen einen Mißbrauch der Freiheitsbeschränkung durch den Gesetzgeber, wenn die Voraussetzungen der Bewahrungsbedürftigkeit nicht voll erfüllt oder bei Anstaltsbehandlung nicht mehr gegeben sind. So wird z. B. in § 3 des Gesetzentwurfes verlangt, daß neben dem Antrag und den übrigen Beweismitteln das Gutachten einer psychiatrischen Klinik oder eines anerkannten Psychiaters vorliegen muß, und nach § 5 kann das Vormundschaftsgericht vor Beschlußfassung die Unterbringung des zu Bewahrenden in einer psychiatrischen Klinik oder sonst geeigneten Anstalt zur Untersuchung oder Beobachtung für eine Dauer bis zu sechs Wochen anordnen. Eine weitere Garantie ist die im § 4 vorgesehene Zusammensetzung des Bewahrungsgerichts und die Gestaltung des Bewahrungsverfahrens. Das Bewahrungsgericht hat vor Beschlußfassung den Bewahrenden selbst zu hören. Außerdem ist bei Jugendlichen das Recht der Eltern absolut gewahrt insofern, als bei Minderjährigen der gesetzliche Vertreter zu hören ist, bei Volljährigen der bestellte Beistand. Allen diesen vorgenannten Personen steht auch das Beschwerderecht zu. Auch sind in den §§ 10 bis 13 des Gesetzentwurfs genügend Sicherungen für die gänzliche Aufhebung oder Unterbrechung der Bewahrung vorgesehen. Für die Durchführung des Bewahrungsverfahrens ist das Vormundschaftsgericht vorgesehen. Da nach § 1 des Entwurfs die Bewahrung eine Maßnahme der öffentlich-rechtlichen Fürsorge und keine Strafmaßnahme sein soll, kommt für die gerichtliche Anordnung das Vormundschaftsgericht in Frage, dem zweckmäßig eine Abteilung für Bewahrungssachen angegliedert wird, so daß der Vormundschaftsrichter als Bewahrungsrichter fungiert. Der Vormundschaftsrichter ist mit den Fragen der Fürsorge vertraut. Er kann infolgedessen die Tatbestände körperlicher und sittlicher Verwahrlosung zutreffender beurteilen als z. B. ein Amtsrichter. Zur Sicherung der echten Tatbestände, die als Voraussetzung der Bewahrung erforderlich sind, wird ferner für das Bewahrungsverfahren die Teilnahme von zwei Beisitzern - einem Mann und einer Frau - verlangt, die in der praktischen Gefährdetenfürsorge Erfahrung haben. Sehr wichtig für das Bewahrungsverfahren ist auch der Kreis derjenigen, die als antragsberechtigt gelten sollen. Dieser Kreis ist im § 3 des Entwurfs festgelegt. Die Durchführung der Bewahrung ist nach § 15 des Entwurfs Aufgabe der Länder. Diese bestimmen, welche Behörden oder sonstigen Stellen die Bewahrung durchzuführen haben. Für die Durchführung der Bewahrung ist die Unterbringung in einem Bewahrungsheim, in leichteren Fällen oder als Übergangsmaßnahme in geeigneten Familien oder sonstigen Stellen vorgesehen. Bei der Bedeutung der religiösen Einwirkung auf das seelische Leben der Bewahrungsbedürftigen ist bei der Unterbringung auf das religiöse Bekenntnis oder die Weltanschauung Rücksicht zu nehmen. Und nun noch als letztes zu den Kosten der Bewahrung. Jede neue Forderung nach Fürsorgemaßnahmen muß besonders in wirtschaftlich schweren Zeiten den Nachweis erbringen, daß die Vorschläge nicht eine Steigerung der Kostenlast verursachen, vielmehr eine Verminderung dieser Last erreichen wollen. Wichtig wäre für die Kostenschätzung die ungefähre Kenntnis der Zahl der bewahrungsbedürftigen Personen. Hierüber liegen statistische Unterlagen nicht vor. Solche Unterlagen müßten aber durch Erhebung der Länder zu erreichen sein. Aber eines ist ganz sicher und wird von jedem Praktiker in der Fürsorgearbeit bestätigt, daß die Bewahrungs({8}) bedürftigen heute schon der Allgemeinheit zur Last fallen und auf ihre Kosten versorgt werden müssen. Es ist tatsächlich so, daß die Bewahrungsbedürftigen infolge ihrer Anomalie den größten Teil ihres Lebens in Anstalten, Gefängnissen und Krankenhäusern verbringen. Die hohen Kosten und die mühevolle Arbeit, die sie dort verursachen, werden aber vielfach umsonst aufgewandt, sofern sie nicht freiwillig in Fürsorgeheimen mit durchgehalten werden. Die tatsächliche Dauerbelastung durch diese Menschen wird somit in Zukunft durch ein Bewahrungsgesetz nicht größer, sondern geringer sein, und zwar vor allen Dingen auch deshalb, weil dadurch die Möglichkeit ausgeschaltet wird, daß die Bewahrungsbedürftigen immer wieder ihren Anstaltsaufenthalt unterbrechen und dann nach einiger Zeit in völlig verwahrlostem Zustand, oft geschlechtskrank, zurückkommen, nachdem sie zwischendurch noch in Gefängnissen gesessen oder einem unehelichen Kind das Leben gegeben haben. Meine Damen und Herren! Ich glaube auch mit dieser wesentlichen Kostenersparnis ist die Notwendigkeit eines Bewahrungsgesetzes begründet. Wenn heute die gesunde Familie in schwerstem Kampf um ihre Existenz steht, müssen durch entsprechende Maßnahmen die materiellen Grundlagen dieser Familien gestützt werden, damit ihre Belastung durch - oftmals wenig sinnvolle - Ausgaben für fürsorgerische Zwecke, nicht jene Grenze überschreitet, die die Lebens- und Entwicklungsmöglichkeiten dieser Familien auf ein unerträgliches Maß herabdrückt. Ich glaube aus all diesen Gründen darum bitten zu dürfen, dem vorliegenden Gesetzentwurf des Zentrums die Beachtung zu schenken, deren er aus fürsorgerischen Gründen bedarf, und aus dieser Haltung heraus auch zu verstehen, daß wir uns von einem Bewahrungsgesetz eine wesentliche Verbesserung unserer Fürsorgearbeit versprechen.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.

Dr. Dr. Robert Lehr (Minister:in)

Politiker ID: 11001304

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Problem eines Bewahrungsgesetzes hat schon in den zwanziger Jahren den Reichstag beschäftigt, ohne daß es zur Verabschiedung einer Gesetzesvorlage gekommen ist. Ganz zweifellos auch handelt es sich hier um ein sehr schwieriges Problem, vor allem um die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Menschen, die - wie die Frau Vorrednerin hier ausgeführt hat - wegen ihrer geistigen oder körperlichen Defekte oder sonstigen Veranlagung sich selbst nicht halten können und dem freien Leben gegenüber wehrlos stehen. Die Fraktion der CDU/CSU hat bereits im Jahre 1949 einen Antrag eingebracht, wonach die Regierung ein solches Bewahrungsgesetz vorlegen sollte. Die Ausschüsse für Fragen der öffentlichen Fürsorge und für Jugendfürsorge haben sich mit diesem Problem befaßt. Sie haben Sachverständige gehört, sie haben Anstalten besichtigt, in denen eine Lösung des Problems in der Praxis versucht wird, und haben geprüft, ob überhaupt ein zwingendes praktisches Bedürfnis für ein solches Bewahrungsgesetz gegeben ist. Nunmehr war ein Beschluß des Hohen Hauses auf Grund der Vorarbeiten der beiden Ausschüsse zu erwarten. In diesem Augenblick ist dann der Initiativantrag des Zentrums gestellt worden. Das Bundesministerium des Innern hat die Materialien, die in den Arbeiten der von mir vorhin genannten Ausschüsse anfielen, sorgsam geprüft. Es hat auch weiteres Material zu Vorarbeiten gesammelt, ohne aber bis zur Stunde eine kabinettsreife Vorlage herzustellen. Man wollte naturgemäß das Ergebnis der Beratungen in den beiden Ausschüssen und die Beschlüsse des Hohen Hauses abwarten. Aber jedenfalls ist in meinem Ministerium ein Gesetzentwurf nahezu fertig, und es bedarf noch einer sorgfältigen Ausfeilung, insbesondere noch einmal einer Überprüfung der Frage, welche Stellen in Frage kommen, um ein solches Bewahrungsgesetz später auszuführen, und welche Stellen mit den Kosten zu belasten sind.. . Das wichtigste Problem des ganzen Bewahrungsgesetzes ist ja die Abgrenzung des Personenkreises. Sie wissen, meine Damen und Herren, aus unserem Grundgesetz, daß gerade der Frage der freien Entfaltung und des Schutzes der Persönlichkeit in unserer Verfassung ein hervorragender Rang eingeräumt ist. Darüber hinaus besteht auch noch eine europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte, welcher die Bundesregierung im November 1950 beigetreten und die maßgebend ist für die Bestimmung des für die Verwahrung in Betracht kommenden Personenkreises. Ich bin der Ansicht, daß das hier in Rede stehende Problem der zwangsweisen Bewahrung und vor allen Dingen der Abgrenzung des Personenkreises eine so weitgreifende Bedeutung hat, daß man der Bundesregierung die Möglichkeit geben sollte, ihren Gesetzentwurf, der nahezu vor der Vollendung steht, auch noch zu vollenden, ({0}) und dann diesen Entwurf mit dem Antrag der CDU und dem Initiativantrag des Zentrums zu verbinden zu einer gemeinsamen Behandlung und Beratung. ({1})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Ewers.

Hans Ewers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000505, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der uns heute vorliegende Entwurf löst auf den ersten Blick schwerstwiegende Bedenken aus, ob man auf diese Weise ein Fürsorgeproblem anpacken oder gar erledigen kann. Frau Wessel hat dankenswerterweise auseinandergesetzt, welche Bedenken gegen ihren Gesetzentwurf obwalten und hat gemeint, daß mit der Bestimmung des § 2 etwas Neues und Wesentliches gesagt sei. Ich als Diener des Rechts vermisse aber jede Abgrenzung sowohl zu den im Entmündigungsrecht vorgesehenen gesetzlichen Möglichkeiten als auch zu den im Strafrecht weitgehend vorgesehenen Sicherungsverwahrungen oder Bestimmungen über Unterbringung in einem Arbeitshaus bei den bekannten Übertretungen wie Landstreicherei, Bettelei usw. Diese Dinge müssen daher zunächst völlig geklärt werden, ({0}) und zwar aus folgendem Grunde. Hier ist ein Vormundschaftsverfahren vorgesehen, d. h. also die Vormundschaft über Erwachsene wird verhängt, und zwar ist nach diesem Entwurf die einzige Voraussetzung, daß der Betroffene über 18 Jahre alt zu sein hat. Über 18, weil bis dahin bekanntlich nach dem Jugendschutz({1}) Besetz Zwangsfürsorgeerziehung möglich ist, die Sicherungsverwahrung. Eine Altersgrenze nach oben ist in dem Entwurf nicht gesetzt. Vor allem ist es sicherlich notwendig, eine obere Altersbegrenzung in das Gesetz aufzunehmen; es sollte doch eine Bewahrung von insbesondere - was ja leicht vorkommt - „verwahrlosten" alten Witwern und Witwen, hauptsächlich Witwern, Männern im Greisenalter, bei denen doch von Erziehung von „Spätreifen" nicht mehr die Rede sein kann, sondern umgekehrt eher von Spätentreiften, von Senilen nämlich, überhaupt nicht zur Erörterung stehen. Ich glaube also, wenn dies eine verlängerte Jugendschutzbestimmung sein soll, dann gehört zunächst einmal eine obere Altersbegrenzung in das Gesetz hinein. Weiter aber ist in den außerordentlich dankenswerten Ausführungen des Herrn Sachverständigen - Oberregierungsrat Gotschick vom Innenministerium - vor dem Fachausschuß schon die Verwandtschaft der rechtlichen Bestimmungen sehr klar gekennzeichnet worden. Da muß ich nun hervorheben, daß die anderen Bestimmungen, insbesondere die über die vormundschaftsrichterliche Entmündigung und die strafrechtliche Freiheitsentziehung, einen viel besseren Rechtsschutz gewährleisten, wenn es sich um die Frage handelt, ob Verwahrung vorzunehmen ist, als das, was hier vorgesehen ist. Ein Mann, der von sich behauptet, daß er ein Genie, ein Künstler sei, der still sein Triebleben führt, aber beileibe- deshalb noch nicht verwahrlost sei im Sinne der bürgerlichen Gesellschaft, weil er seinem Triebe frönt; über den sollen „Kenner der Gefährdetenfürsorge" richten? Das lehne ich rundweg ab! Im Entmündigungsverfahren gibt es gegen den Beschluß die ordentliche Klage bis zum Bundesgerichtshof. In drei Instanzen wird das nachgeprüft, wenn einer von sich behauptet: „Ich bin ja nicht verrückt; das sagt ja höchstens mein lieber Verwandter, um mich nach Möglichkeit auszunutzen; ich leugne es entschieden". Hier ist eine einzige Tatsacheninstanz, eine einzige Beschwerdeinstanz beim Landgericht vorgesehen, das ohne mündliche Verhandlung in dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit vermutlich im wesentlichen über Rechtsfragen entscheiden wird. Das ist in keiner Weise der im Grundgesetz bestimmte Schutz der persönlichen Freiheit. Meine Fraktion kommt daher zu der Auffassung, daß dieser Gesetzentwurf, so wie er vorliegt, wegen der fehlenden Abgrenzung zu anderen Rechtsgebieten und wegen der Bestimmungen in § 2, die alle die Voraussetzungen der Entmündigung enthalten - Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Trunksucht und Verschwendung; das alles wäre nach den Bestimmungen des Entwurfs gedeckt; aber keine geniale Abseitigkeit soll vom Gesetz gemeint sein, nur: der Gesetzentwurf spricht das nicht klar aus -, nur als Material angesehen werden kann, wie der Herr Bundesinnenminister mit Recht gesagt hat. Ich stelle deshalb den Antrag, den Gesetzentwurf dem Bundesinnenministerium als Material zu überweisen. Wir werden ihn dann, wenn die Vorlage der Regierung kommen sollte, wieder heranziehen. Ich stelle also hiermit den Antrag - ob das in erster Lesung geht, Herr Präsident, ist mir persönlich zweifelhaft, aber in der zweiten Lesung, die wir ja morgen oder in der nächsten Woche abhalten können, wird das möglich sein -, den Gesetzentwurf der Regierung als Material zu überweisen. Wie er vorliegt, scheint mir der Gesetzentwurf im Bundestag noch nicht erörterungsreif zu sein. ({2})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Nachdem Frau Hütter ihre Wortmeldung zurückgezogen hat, erteile ich das Wort der Frau Abgeordneten Korspeter.

Lisa Korspeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001183, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir bedauern es, daß die Zentrumsfraktion uns schon heute den Entwurf eines Bewahrungsgesetzes vorgelegt hat, obwohl wir mit unseren Beratungen im Ausschuß für öffentliche Fürsorge auf Grund des Antrages der CDU noch nicht zu Ende gekommen waren und bei weitem noch nicht die Möglichkeiten sozialpädagogischer Behandlung gefährdeter Menschen entwickelt und den gesamten Problemkreis noch nicht genügend durchdacht hatten. Der vorliegende Gesetzentwurf rollt eine der allerschwierigsten Fragen der öffentlichen sozialen Fürsorge auf, nämlich die Frage, ob Recht und Pflicht des Staates zu erzieherischen Zwangsmaßnahmen - die heute bereits sehr fragwürdig geworden sind - über die bisherige Altersgrenze hinaus erweitert werden sollen. Es handelt sich also um nichts anderes als um die Erweiterung der Zwangserziehung für über 18 Jahre alte Menschen, für die die Öffentlichkeit sie als wünschenswert oder notwendig ansieht. Ich glaube, daß wir uns bei der Behandlung dieser Frage alle klar darüber sind - das hat die Diskussion bis jetzt gezeigt -, welche Verantwortung wir auf uns nehmen, wenn wir eine Gesetzgebung schaffen wollten, die einen Freiheitsentzug vorsieht. Wir verkennen in keiner Weise, daß ein ernstlicher Notstand der Anlaß zur Vorlage dieses Gesetzentwurfs gewesen ist. Im Gegenteil, wir sind uns darüber klar, daß in unserem Fürsorgewesen im Hinblick auf diese gefährdeten Menschen eine Lücke geschlossen werden muß. Es gibt eine große Zahl von Menschen, deren physische oder psychische Veranlagung sie so schwer benachteiligt, daß sie dem Mißbrauch durch andere ausgesetzt sind oder daß sie unfähig sind, sich in den Verhältnissen zurechtzufinden, in denen sie leben müssen. Sie verfallen rettungslos dem Elend. Sie gefährden sich und unter Umständen die Umwelt. Diese Menschen, die aus Veranlagung oder aus Milieuschäden heraus nicht die Kraft haben, sich im Leben zu behaupten, die nicht in der Lage sind, mit den Schwierigkeiten des Lebens fertig zu werden, bedürfen der Hilfe der gesellschaftlichen Organisation, nicht etwa, um die Allgemeinheit zu schützen, sondern vielmehr, um ihnen einen Schutz vor sich selber zu geben. Es ist untragbar, daß der Mensch nur dann erfaßt wird, wenn er gegen Gesetze oder gegen Polizeivorschriften verstößt, daß wir uns aber nicht genügend um ihn bemühen, wenn er aus seiner Lebensuntüchtigkeit heraus unserer Hilfe bedarf. Wir wenden uns also nicht dagegen, daß für dieses Fürsorgegebiet eine gesetzliche Lösung angestrebt wird. Wir wenden uns aber gegen den vorliegenden Gesetzentwurf, weil er in Grundhaltung und Wortlaut dem Gesetzentwurf, der bereits in den zwanziger Jahren im Reichstag abgelehnt worden ist, völlig entspricht und weil er keine genügende Rücksicht auf die Erkenntnisse nimmt, die inzwischen auf dem Gebiet der Soziologie, der Psychologie, der Psychotherapie und ({0}) der Sozialpädagogik gewonnen wurden. Gewiß sind wir durch die Isolierung und durch die Schwierigkeiten während des Zusammenbruchs gerade den anderen Ländern gegenüber in diesen Fragen sehr im Rückstand geblieben. Aber das verpflichtet uns um so mehr, bei einer solchen Gesetzgebung sorgfältigste Studien und wissenschaftliche Untersuchungen durchzuführen und die Erfahrungen des Auslandes heranzuziehen, um mit wirklich neuen Erkenntnissen und neuen Methoden an die Lösung dieser Frage heranzugehen. Es gibt unter uns wohl kaum eine Meinungsverschiedenheit darüber, daß unsere Fürsorgeerziehung, weil sie eine Zwangsmaßnahme ist, mit ihren oft rückständigen Methoden nicht die Erziehungserfolge gebracht hat, die für die Jugendlichen wünschenswert wären. Statt die jungen Menschen lebenstüchtig und gesellschaftstüchtig zu machen, hat man sie infolge veralteter Auffassungen in vielen Fällen lebensuntüchtig und widerstandsunfähiger gemacht. Weil es so ist, gehen alle Reformbestrebungen der Fürsorgeerziehung darauf hinaus, die Isolierung in einer Anstalt so weit wie möglich aufzuheben, den Zwang einzuschränken und auf der Grundlage eigener, wachsender Verantwortung die Kräfte zu entwickeln, die der junge Mensch im Leben braucht. Wir wissen, daß dieser Weg sehr mühsam ist, daß er sehr oft Rückschläge bringt. Aber wir könnten einem Gesetz im Hinblick auf diesen Personenkreis nur dann zustimmen, wenn es in der Richtung der Freiwilligkeit liegt, da wir der Ansicht sind, daß sich eine solche Tendenz in der gesamten deutschen Fürsorgegesetzgebung und Fürsorgepraxis durchsetzen muß. Es müßte deshalb seht sorgfältig geprüft werden, wieweit wir die Länder zu einer 3) Fürsorge für bewahrungsbedürftige Erwachsene auf der Grundlage der Freiwilligkeit verpflichten könnten. Das heißt, daß wir durch eine Gesetzgebung die Länder veranlassen sollten, für die Unterbringung und Erziehung dieses Personenkreises finanziell aufzukommen. Weiterhin müßte sehr sorgfältig, mit genauesten Untersuchungen und Studien, geprüft werden, wieweit für besonders schwierige Fälle andere Maßnahmen, die aber immer Fürsorge- und Erziehungscharakter zu tragen haben, getroffen werden müßten. Dabei möchten wir von vornherein betonen, daß dieser Kreis aufs äußerste eingeengt werden müßte, um jede Gefahr eines Mißbrauchs zu vermeiden. Wir sind also der Meinung, daß man an Stelle eines Bewahrungsgesetzes ein Fürsorgegesetz schaffen sollte, das die Bestimmungen der Fürsorgepflichtverordnung für den Kreis der seelisch und sozial nicht Intakten ähnlich regelt, wie es beispielsweise das Krüppelgesetz für die Körperbehinderten tut. Darüber hinaus sind wir der Meinung, daß eine Regelung dieses Problemkreises nur in engstem Zusammenhang mit der Gesetzgebung in bezug auf psychische Krankheiten, und zwar im Hinblick auf die Anstaltsunterbringung Geisteskranker, erfolgen kann, in dem die Fürsorgegesetzgebung für diesen bewahrungsbedürftigen Personenkreis nur als ein Teil der großen Gesetzgebung gelten kann. Es erscheint uns unmöglich, daß heute noch Geisteskranke auf Grund von Polizeiverordnungen in die Heil- und Pflegeanstalten eingewiesen werden können. Ebenso unmöglich erscheint es uns, daß bei dem Entmündigungsverfahren nicht genügend Sicherheiten für den Entmündigten eingebaut sind. Dieses Verfahren entspricht in keiner Weise mehr den sozialen Verhältnissen und den ärztlichen Erkenntnissen. Wir hoffen, daß der Herr Innenminister im Hinblick auf eine solche Gesetzgebung unserem Wunsch entspricht. Ich möchte betonen, es hat uns sehr angenehm berührt, daß der Herr Minister auf die Schwierigkeiten dieser Gesetzesmaterie hingewiesen hat. Wir wünschen also, daß die Regierung uns Gesetzentwürfe vorlegt, die den gesamten Problemkreis umfassen, damit wir zu einer umfassenden Gesetzgebung kommen, und daß die Beratung des Gesetzentwurfs der Zen-. trumsfraktion so lange ausgesetzt wird - wir treffen uns darin ja mit den anderen Fraktionen -, bis die Regierung mit der Vorlage eines solchen Gesetzes zu Rande gekommen ist. Daß wir mit unserem Vorschlag, die Länder zur Fürsorge für bewahrungsbedürftige Erwachsene auf der Grundlage der Freiwilligkeit zu veranlassen, auf dem richtigen Wege sind, beweisen auch die Ausführungen der Vertreterin des katholischen Frauen- und Mädchenfürsorgevereins, die sie im Ausschuß für öffentliche Fürsorge über diesen Problemkreis gemacht hat. Sie beklagte sich bitter über die Einsichtslosigkeit der Bezirksfürsorgeverbände, die nicht bereit seien, für Bewahrungsbedürftige, die in ihrem Heim untergebracht seien, und zwar auf freiwilliger Grundlage, zu zahlen. Sie erklärte wörtlich: „Es kann dann" - und sie meinte mit dem „dann" wenn die Bezirksfürsorgeverbände für die Kosten aufkommen würden - „sehr viel auf freiwilliger Basis" - also ohne Zwang - „geschehen". Ich darf allerdings nicht verschweigen, daß sie in ihren weiteren Ausführungen zum Schluß in direktem Gegensatz zu ihren ersten Worten erklärt hat: „Ohne Gesetz ist es nicht möglich, noch mehr Anstalten zu schaffen und in erheblichem Umfang zu helfen". Gerade diese sich widersprechenden Ausführungen beweisen die Problematik und die Schwierigkeiten dieser Materie und sollten uns veranlassen, in unseren Maßnahmen sehr sorgfältig zu sein. Der vorliegende Gesetzentwurf bietet uns nicht die Gewähr, daß eine Bewahrung, wie wir sie uns vorstellen, durchgeführt werden kann. Wir müssen den Gesetzentwurf deshalb als Diskussionsgrundlage ablehnen. Der Entwurf definiert weder den Begriff der Bewahrung noch den der Verwahrlosung. Das sind die beiden Begriffe, die schließlich die Grundpfeiler dieses Gesetzes sind. Gerade der Umstand, daß der Begriff der Verwahrlosung keine genügende Definition gefunden hat, läßt die Gefahr entstehen, daß ein viel zu großer Personenkreis davon betroffen wird. Das waren auch schon die Einwendungen in den zwanziger Jahren, die dazu geführt haben, daß der Entwurf nicht verabschiedet wurde. Diese Einwendungen gelten heute noch in vollem Umfang; sie sind sogar durch die inzwischen erfolgten Änderungen in der soziologischen Struktur noch viel schwerwiegender geworden. Es bedarf wohl keines Beweises, daß es sehr schwerfallen dürfte, für die Verwahrlosung im soziologischen Sinne feste Maßstäbe zu schaffen. Also besteht unsere Sorge absolut zu Recht, daß dem freien Ermessen viel zu viel Spielraum eingeräumt wird. Auch die Tatsache, daß für Personen, die bereits verwahrlost sind, und für solche, die zu verwahrlosen drohen, die gleichen Maßnahmen getroffen werden sollen, stimmt uns sehr bedenklich. Sie werden dem - sicher mit einem gewissen Recht - entgegenhalten, daß unsere ({1}) heutige gesellschaftliche Ordnung einen völligen Mißbrauch ausschließt, daß die Öffentlichkeit sich gegen einen Mißbrauch wehren würde. Aber wenn wir Gesetze machen, müssen sie von vornherein so abgefaßt sein, daß jede Gefahr eines Mißbrauchs ausgeschlossen ist. Ich brauche nicht zu betonen, daß wir in Deutschland dazu besonders verpflichtet sind, weil wir ein böses Erbe der Vergangenheit zu überwinden haben. Der Gesetzentwurf ist dem Entwurf der 20er Jahre gegenüber insofern verbessert, als er ein Gutachten eines Psychiaters fordert. Aber er läßt die Möglichkeit der Mitarbeit eines Psychiaters und eines Psychotherapeuten bei der Durchführung offen. In dem Gesetz sind keinerlei Möglichkeiten für eine solche ärztliche Behandlung und ärztliche Leitung vorgesehen. Ich glaube, das größte Bedürfnis für uns besteht darin, Heime zu schaffen, Heime mit differenziertem Charakter und wirklich ausreichendem und geschultem Personal. Keine Behörde witd uns heute diese Heime nennen können. Deshalb könnte man praktisch die Voraussetzung für eine echte Lösung dieses Problems nur dadurch schaffen, daß man zunächst einmal Mittel für die Errichtung solcher Heime bereitstellt. Meine Herren und Damen, wir hätten noch eine Menge an diesem Gesetzentwurf zu beanstanden. Insbesondere sind wir der Ansicht, daß die Fristen zu lang sind und daß nicht genügend Sicherheiten eingebaut sind. Aber auf einen Paragraphen muß ich noch eingehen. Das ist der § 6, der die vorläufige Bewahrung regelt. Er regelt sie in einer Weise, die die Gefahren dieses Gesetzes deutlich zeigt. Nach diesem Paragraphen kann eine Person ein halbes Jahr lang interniert werden, wenn die Wahrscheinlichkeit der Anordnung endgültiger Bewahrung besteht, ohne daß Sicherungsmaßnahmen gegen eine ungerechtfertigte vorläufige Bewahrung gegeben sind. Wir lehnen deshalb diesen Gesetzentwurf als Diskussionsgrundlage ab und wünschen, daß die Regierung uns einen Gesetzentwurf vorlegt, wie ich ihn vorhin dargestellt habe, einen Gesetzentwurf, der den ganzen Problemkreis umfaßt. ({2})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat Frau Abgeordnete Niggemeyer. - Meine Damen und Herren, ich empfehle, das Zeichen für Beginn und Schluß der Redezeit nicht mit Drucksachen zu belegen. Es ist dann schlecht zu erkennen, wann das Ende der Redezeit gekommen ist. ({0})

Maria Niggemeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Meine Freunde und ich bejahen grundsätzlich den Gedanken eines Bewahrungsgesetzes. Das festzustellen ist eigentlich heute nicht notwendig, da ja die CDU-Fraktion im Einvernehmen mit der CSU, wie der Herr Innenminister heute schon gesagt hat, bereits im Jahre. 1949 den Initiativantrag gestellt hat, die Regierung möge den Entwurf eines Bewahrungsgesetzes vorlegen. ({0}) Das ist bedauerlicherweise bis heute nicht geschehen. Ich wiederhole jetzt nur schon Gesagtes, wenn ich noch einmal unterstreiche, daß die einschlägigen Ausschüsse Vorarbeiten zu diesem Gesetzentwurf geleistet haben, daß wir die Stellungnahme aller Verbände der freien Wohlfahrtspflege zu diesem Gesetzentwurf gehört haben, daß wir versucht haben, Anstalten kennenzulernen, die auf freiwilliger Grundlage im Sinne eines Bewahrungsgesetzes arbeiten. Es ist mir eine Freude, dabei sagen zu können, daß fast alle Verbände heute schon auf dieser Grundlage arbeiten. Es ist mir weiter eine Freude, in Ergänzung zu den Worten von Frau Wessel sagen zu können, daß es zwar in den zwanziger Jahren eine Frau Neuhaus war, die den Gedanken eines Bewahrungsgesetzes vorangetrieben hat, daß aber ein Herr von Bodelschwingh in seiner Arbeit das gleiche wollte. Vor einigen Monaten konnten wir in Hamburg hören, daß gerade diese Stadt, die j a, wie wir wissen, auf sozialem Gebiet so oft vorbildlich arbeitet, schon in den zwanziger Jahren ein Bewahrungsgesetz für notwendig hielt. Mit dem Entwurf der Zentrumspartei, der uns nun heute vorliegt, wird ein Schritt nach vorwärts getan, die Dinge werden vorangetrieben. Das ist begrüßenswert. Ich versage es mir schon wegen der vorgerückten Zeit und wegen des Arbeitspensums, das wir heute noch zu erledigen haben, auf die einzelnen Paragraphen des Gesetzes einzugehen. Die Diskussion, die wir hier jetzt schon um die Frage gehabt haben, hat uns die Schwierigkeiten vor Augen geführt, die einem solchen Gesetz in den Jahren von 1921 bis 1928 entgegengestanden haben, Schwierigkeiten, die auch uns in unseren Ausschußarbeiten begleiten werden. Aber ich freue mich doch, hier aus der Diskussion entnehmen zu können, daß bei der Mehrheit des Hauses empfunden wird, welche Lücke für die Jugendfürsorge sich in unserer Gesetzgebung befindet. Sie ist aber auch darüber hinaus fühlbar. Jeder, der in der praktischen Jugendfürsorgearbeit und in der Fürsorgearbeit überhaupt steht, hat gerade in den letzten Jahren verstärkt und vertieft gespürt, daß hier eine Lücke ist. Darum, meine ich, sollten wir hier auch diesen Schritt nach vorwärts begrüßen und bejahen. Wir sollten sagen: Ja, selbst wenn diesem Gesetzentwurf Mängel anhaften, und selbst wenn er sich an die letzten Entwürfe der Weimarer Zeit anlehnt, kann an ihm und mit ihm gearbeitet werden, und er kann mit Grundlage des Materials sein. Er kann dazu beitragen, daß unsere Regierung uns zumindest recht bald den erwarteten Gesetzentwurf vorlegt, damit wir weiterkommen. Auch wir sehen die Probleme. Es wird auch nach unserer Ansicht nicht leicht sein, den Begriff „Bewahrung" festzulegen. Auch wir wissen, daß die Umgrenzung des Personenkreises sehr schwierig sein wird, ebenso die Fragen des Verfahrens sowie der Sicherheit der Freiheit des einzelnen. Als Geringstes sollten wir vielleicht die Kostenfrage ansehen, wenn sie möglicherweise auch die schwierigste sein wird. Darum begrüße ich es, daß der Herr Innenminister betont hat, ehe er uns den Gesetzentwurf vorlege, wolle er in den Verhandlungen mit den Ländern so weit sein, daß wir nicht hinterher Enttäuschungen erlebten. Wir sind der Meinung, daß der vorgelegte Entwurf der Regieiung als Material dienen kann, und bringen erneut den Wunsch zum Ausdruck, daß der Herr Minister uns den Entwurf recht bald vorlegen möge. Frau Korspeter, ich kann es mir nicht versagen, auf einige Bemerkungen zurückzukommen, die die jetzige Leiterin des Katholischen Fürsorgevereins für Mädchen, Frauen und Kinder zum Bewahrungsgesetz gemacht haben soll. Gewiß hat sie betont: Wenn die Bezirksfürsorgeverbände heute schon auf freiwilliger Grundlage die Kosten übernehmen ({1}) würden, könnten wir mehr tun, könnten wir mehr Heime schaffen. Ihre Bemerkung „wir können die Heime heute nicht bauen" ist eben darauf zurückzuführen, daß heute für die Bezirksfürsorgeverbände noch kein gesetzlicher Zwang besteht. Auch der uns zugeleitete Entwurf der Landesjugendverbände der britischen Zone zum Bewahrungsgesetz wie überhaupt die Entwürfe fast aller Verbände und aller mit Fürsorgearbeit betrauten Stellen beweisen, wie dringend notwendig es ist, daß wir hier weiterkommen. Die Fachausschüsse müssen in Zusammenarbeit mit dem Rechtsausschuß ein Gesetz erarbeiten, das die Entwicklung von Fehlleitungen ausschließt, das der Freiheit des Menschen gerecht wird und verhindert, daß mit der Würde des Menschen Mißbrauch getrieben wird. Das sind unsere Wünsche zum Bewahrungsgesetz, mit dem wir recht bald, so hoffe ich, zu arbeiten in der Lage sein werden. ({2})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Thiele.

Grete Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002316, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es ist außerordentlich bedauerlich, daß die Zentrumsfraktion einen Gesetzentwurf eingereicht hat, der ein ausgesprochenes Kautschukgesetz ist und der Regierung überdies ein Instrument in die Hand gibt, Menschen mundtot zu machen, die unbequem sind. ({0}) Dieses Gesetz ist keineswegs eine Ausweitung des Jugendschutzgesetzes, sondern bedeutet nach § 2 eindeutig eine Legalisierung der Schutzhaftmethoden, die wir bereits kennengelernt haben. ({1}) Für wen soll das Gesetz gemacht werden? Für Schwachsinnige, für Verwahrloste usw. Dafür gibt es Anstalten, dafür gibt es Einrichtungen; der Staat hat die Aufgabe, weitere Maßnahmen dieser Art zu treffen. Was bedeutet Verwahrlosung? Was ist der Nährboden für eine solche Verwahrlosung? ({2}) Zwei Weltkriege haben Millionen von Familien zerstört, unnormale, ja unmenschliche Wohnverhältnisse geschaffen und viele, viele Menschen haltlos gemacht. Eine Regierung, die bereit ist, 24 Milliarden für 12 Divisionen auszugeben, gleichzeitig aber die Zuschüsse für Tuberkulosebekämpfung und für Jugendfürsorge sperrt, schafft den Nährboden für jene Verwahrlosung, die hier in diesem Gesetz angesprochen werden soll, aus dem man dann die Maßnahmen herleitet, um unbequeme Menschen zu beseitigen. ({3})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Frau Abgeordnete Thiele, 24 Milliarden? Das war wohl ein Irrtum. Sie hatten wahrscheinlich Ostmark gemeint. ({0})

Grete Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002316, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Nein, ich denke an die Abmachungen, die Herr Dr. Adenauer mit dem Sonderbotschafter Trumans, Harriman, getroffen hat! ({0}) Die Leiterin des Landesjugendamtes von Rheinland-Pfalz hat kürzlich vor Pressevertretern erklärt, daß rund 100 000 junge Menschen in Westdeutschland ohne Arbeit und ohne Heim auf der Straße liegen. Eine Million junger Menschen sind in Westdeutschland ohne Beruf und ohne Arbeit. Und da wagt man es noch, diesem sozialen Elend und seinen Auswirkungen auf die von ihm betroffenen Menschen mit einem Schutzhaftgesetz zu begegnen! Gleichzeitig erklärt diese Landesjugendleiterin noch - und das ist sehr interessant -, daß in Rheinland-Pfalz um diese auf freiwilliger Grundlage erstellten sogenannten Bewahrungsheime herum sich ganz offen die Werber für die französische Fremdenlegion und die französischen Arbeitskompanien bewegen und viele Jugendliche von den Heimen wegholen, wogegen die deutschen Stellen machtlos seien. Jeden Tag, so wird weiter erklärt, gingen zwei Transporte von 20 bis 25 jungen Menschen nach Frankreich. ({1}) In der Ausgabe der „Rhein-Zeitung" vom 24. Juli 1951 gibt es eine Diskussion um das Problem der streunenden Jugend. Darin wird aufgezeigt, daß es eine Million junger Menschen gebe, die man als streunende Jugend betrachte. Ich frage Sie: Wann ist der Zeitpunkt gekommen, daß diese streunende Jugend als verwahrlost bezeichnet wird? Ich glaube, von einer Bundesregierung, die mit diesem Problem nicht fertig wird, die das soziale Elend und die Not nicht beseitigt, kann man nicht erwarten, wie es die sozialdemokratische Fraktion tut, daß sie ein Bewahrungsgesetz schaffen wird, welches den sozialen Anforderungen entspricht, die die Vertreterin der sozialdemokratischen Fraktion hier dargelegt hat. Mit der Hetze gegen andere Völker, mit dem Bau von Kasernen, mit der Wiederherstellung des alten Militarismus wird man unserm Volk nur neues Elend bringen, wird man nur neue soziale Verelendung schaffen und wird man nachher um so mehr fordern, daß man ein solches Bewahrungsgesetz schaffen müsse, um diese verwahrlosten Menschen nunmehr in Heimen unterzubringen. Wir sind der Auffassung, daß man nicht mit solchen Gesetzen, mit solchen Polizeiverordnungen und Polizeimaßnahmen diese Not beseitigen und diesen Menschen helfen kann, die tatsächlich mit dem Leben nicht fertig werden, sondern daß man die sozialen Verhältnisse ändern muß, daß man nicht durch Kriegsvorbereitung die großen Mittel weggeben soll, sondern daß man den jungen Menschen und auch den sozial schwachen Menschen Existenzgrundlagen schaffen soll. Dann wird man nämlich ein solches Gesetz nicht mehr nötig haben, das nebenbei bemerkt in einer ganzen Reihe von Paragraphen dem Entmündigungsgesetz und auch einer Neuauflage des Euthanasiegesetzes gleichkommt, ({2}) wenigstens in einer bestimmten Frage, wenn Sie nämlich berücksichtigen, wie die Fragen der sozial Schwachsinnigen behandelt werden. Meine Fraktion lehnt dieses Gesetz ab, und wir werden bei der Behandlung einer Vorlage der Regierung, der wir kein Vertrauen schenken werden, auch zu den einzelnen Paragraphen noch unsern Standpunkt sagen. ({3})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammer.

Dr. Richard Hammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000795, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren, keine Angst! Ich werde nicht eine heilpädagogische ({0}) Frage oder die Moralinsanity mit der FDJ oder der Weltpolitik in Verbindung bringen. Dazu haben wir heute nachmittag keine Zeit. Dem Anliegen der Zentrumsfraktion, den Personenkreis in Pflege und Obhut zu nehmen, der nicht in der Lage ist, seine Angelegenheiten allein zu besorgen, durchaus unseren Respekt! Ich bitte aber, daran zu denken, daß in dem Gesetzentwurf das 18. Lebensjahr vorgesehen ist. Es dreht sich also um ein Gesetz, nach dem die Bewahrung zu einem Zeitpunkt, an dem die sogenannte Fürsorgeerziehung über diese Menschen in der Regel ohne Erfolg hinweggerollt ist, angeordnet werden soll. Frau Kollegin Korspeter hat vollkommen recht: man kommt mit diesem Personenkreis, der von dem Gesetz erfaßt werden soll, bereits in die Gruppe der Menschen hinein, die im allgemeinen von der Irrenpflege betreut werden. Man kann das ganze umfassende Gebiet der Heilpädagogik und der Sicherheitsverwahrung, der Pflege der Verwahrlosten nicht betrachten, ohne auch an ein Irrengesetz zu denken. Ich glaube, wir werden dem Antrag der Zentrumsfraktion am ehesten gerecht, wenn wir ihn in Zusammenhang mit dem angekündigten Regierungsentwurf behandeln werden. Der Antrag der DP, den Antrag des Zentrums der Regierung als Material zu überweisen, findet daher auch unsere Zustimmung.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Meine Damen und Herren, das klingt zwar gut, ist aber leider nicht möglich. Wir haben einen Gesetzentwurf vor uns. Frau Abgeordnete Korspeter hat erklärt, sie würde beantragen, diesen Antrag zurückzustellen, bis der Regierungsentwurf vorliege. Es ist die Frage, was beantragt werden soll. Es steht natürlich in der Zuständigkeit der in Frage kommenden AusSchüsse, die Behandlung zurückzustellen, bis ein Regierungsentwurf vorliegt. Frau Abgeordnete Wessel wünscht noch einmal das Wort zu nehmen.

Helene Wessel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002487, Fraktion: Deutsche Zentrumspartei (Z)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, der Vorschlag, diesen Gesetzentwurf der Regierung als Material zu überweisen, ist nicht möglich. Ich könnte mich durchaus nach den Ausführungen des Herrn Bundesministers damit einverstanden erklären, weil ich hoffe, daß die Regierung, nachdem der Antrag der CDU jetzt fast zwei Jahre vorliegt, ein Bewahrungsgesetz einzubringen, diesen Wunsch endlich erfüllt. Ich könnte auch hinsichtlich der Festlegung des Personenkreises durchaus damit einverstanden sein; denn ich glaube kaum, daß die Regierung andere Formulierungen finden wird, nachdem im Reichstag und in den Fürsorgeorganisationen jahrelang darüber beraten worden ist, wie der Personenkreis festgelegt werden soll. Ich habe den Eindruck, daß hier vielfach über ein Gesetz gesprochen wird, ohne daß die davon erfaßten Personen und die Materie genügend bekannt sind; sonst könnten Ausführungen, wie sie von Frau Thiele gemacht worden sind, in Zusammenhang mit diesem Bewahrungsgesetzentwurf in diesem Hause wahrhaftig nicht gemacht werden. ({0}) Deshalb, meine ich, wäre vielleicht die beste Lösung, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für öffentliche Fürsorge zu überweisen. Wir würden, nachdem uns die Regierung die Zusage gegeben hat, baldigst den Entwurf eines Bewahrungsgesetzes vorzulegen, bemüht sein, den Entwurf der Zentrumsfraktion so lange zurückzustellen, bis die C Regierung ihren Entwurf vorlegt. Ich hoffe, sie wird den vorliegenden Gesetzentwurf der Zentrumsfraktion insofern als Material verwenden, als sie möglichst bald ihren Entwurf dem Hohen Hause vorlegt. ({1})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Meine Damen und Herren, es ist also beantragt worden, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für Fragen der öffentlichen Fürsorge zu überweisen. - Ich darf annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist. Wird auch Überweisung an den Ausschuß für Jugendfürsorge gewünscht? ({0}) - Offenbar nicht. Es bleibt also bei der Überweisung an den Ausschuß für Fragen der öffentlichen Fürsorge. ({1}) - Ich glaube nicht, Frau Abgeordnete Korspeter, daß das Haus eine solche Weisung an den Ausschuß geben kann; ich vermute aber, daß der Ausschuß auf Grund der Beratung in diesem Hause diesen Weg von sich aus gehen wird. ({2}) - Das ist damit zu Protokoll genommen, Herr Abgeordneter Renner: gegen Ihre Stimmen. Ich rufe auf den Punkt 3 der Tagesordnung, der zurückgestellt war: Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend Sicherung des Kohlenbedarfs der Bevölkerung und der deutschen Friedensindustrie ({3}). Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 10 Minuten und eine Aussprachezeit von 60 Minuten vor. - Das Haus ist damit einverstanden. Zur Begründung Herr Abgeordneter Renner! Renner ({4}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Antrag zielt im ersten Teil darauf ab, einen Beschluß des gesamten Bundestages herbeizuführen, in dem festgestellt wird, daß die Höhe der derzeitigen Kohlenexportquote, die mit den Interessen des deutschen Volkes unvereinbar ist, auf einen Stand herabzusetzen ist, der die ausreichende Belieferung der Bevölkerung mit Winterhausbrand und den notwendigen Bedarf der deutschen Friedensindustrie, der öffentlichen Versorgungsbetriebe, der Schulen, Krankenhäuser, Alters- und Kinderheime, der Bundesbahn und aller übrigen Verkehrsmittel sicherstellt. Als in den ersten Augusttagen dieses Jahres bekannt wurde, daß die Ruhrbehörde die Kohlenexportquote für das vierte Quartal 1951 auf 6,2 Millionen Tonnen festgelegt hat, wurde diese Tatsache von der gesamten deutschen Öffentlichkeit heftig kritisiert und die Quote als untragbar bezeichnet. Da mir nur 10 Minuten Redezeit zur Verfügung stehen, kann ich leider weder auf die Hintergründe dieses Beschlusses eingehen noch kann ich die Grundsätzlichkeit und die Ehrlichkeit dieser offen geführten westdeutschen Kritik an diesem Tatbestand überprüfen. Halten wir nur eines fest: daß nach wie vor de] Exportpreis für unsere deutsche Kohle mit etwa ({5}) 12 Dollar pro Tonne um 10 Dollar unter dem 22 Dollar betragenden freien Weltmarktpreis liegt. Halten wir fest, daß wir also an jeder Tonne exportierter Kohle nach wie vor 10 Dollar verlieren. Wir Kommunisten glauben, daß es hohe Zeit ist, aus diesem Stadium der mehr oder minder negativen Kritik an den Auswirkungen der Politik der Ruhrbehörde herauszukommen, den Besatzungsbehörden klipp und klar zu erklären: Keine Tonne Kohle mehr an Kohlenexport, als mit den tatsächlichen Interessen des deutschen Volkes vereinbar ist. Wir fordern in unserem Antrag weiter, die Bundesregierung zu verpflichten, für jede Haushaltung 30 Zentner Hausbrandkohle zur Verfügung zu stellen. Wir erinnern den Herrn Bundeswirtschaftsminister Dr. Erhard an die Worte in seiner Eröffnungsrede anläßlich der Internationalen Ausstellung für Druck und Papier, in der er damals sagte: Es geht nicht an, daß die westdeutsche Bevölkerung auch in diesem Winter wieder frieren muß. Und weiter: Es ist nicht zu verantworten, daß Deutschland gezwungen wird, Kohle weiter unter dem Weltpreis abzugeben. Die Bevölkerung Westdeutschlands ist es - das kann nicht klar genug ausgesprochen werden - satt, dieses Hin und Her in der Diskussion um die Quote, die für den Hausbrand in diesem Winter zur Verfügung stehen soll, noch länger mitzumachen. Die Bevölkerung ist es aber auch leid, alle paar Tage aus dem Mund dieses oder jenes Parteivertreters, Parlamentariers oder gar Ministers widerspruchsvolle Zahlen über die beabsichtigte Hausbrandquote anzuhören. Nach der Erklärung, die der Herr Bundeswirtschaftsminister am vergangenen Samstag oder Sonntag herausgehen ließ, beabsichtigt er jetzt, eine Kohlenzuteilung von 22 Zentnern pro Haushalt durchzuführen. Er sagte weiter, er wolle der Bevölkerung bei der heutigen Sitzung endlich klaren Wein über die Pläne der Regierung in diesem Punkt einschenken. Ich freue mich darüber, daß diese Antwort durch unseren Antrag ausgelöst worden ist. Aber eine Bemerkung dazu. Unserer Überzeugung nach reichen diese 22 Zentner Kohle nicht aus. „Der Volkswirt" hat am 9. Mai geschrieben: Alle beteiligten Stellen sind sich darüber einig, daß die Planzahl von 20 Zentnern pro Haushalt und Jahr unzureichend ist. Im Krieg galt eine Menge von 30 bis 35 Zentnern als normal. England will in diesem Jahr den Süden mit 34, den Norden mit 50 Zentner Kohle versorgen. Die 30 Zentner Hausbrand, die wir in unserem Antrag für jeden Haushalt fordern, sind unserer Überzeugung nach und auch erfahrungsgemäß die Mindestmenge dessen, was der Durchschnittshaushalt braucht, um im Winter einen Wohnraum ausreichend beheizen zu können. Unser Volk hat ein Recht, von der Regierung zu fordern, daß diese Mindestmenge an Hausbrand unter allen Umständen garantiert wird. Wir haben ferner in unserem Antrag gefordert, daß nach Sicherung des Hausbrandkontingents die zur Verfügung stehenden Kohle- und Koksvorräte so eingesetzt werden, daß die öffentlichen Versorgungsbetriebe, die Schulen, die Krankenhäuser, die Altersheime und Kinderheime, die Verkehrseinrichtungen in erster Linie und die Betriebe der Friedensindustrie ausreichend versorgt sind. Das ist heute nicht der Fall. Wir fordern, daß keine Tonne Kohle den Betrieben der Kriegsrüstungswirtschaft und der Kriegsindustrie zugewiesen wird. Wir wollen, daß jede verfügbare Tonne Kohle nur zur Stärkung unserer Friedenswirtschaft eingesetzt wird, damit Stillegungen und Kurzarbeit auf ein Mindestmaß reduziert werden, was nur durch einen richtigen Einsatz unserer Kohle erreicht werden kann. Wie die Industrie selber den vom Bundeswirtschaftsminister für die Versorgung der Industrie ausgearbeiteten Plan beurteilt, dazu nur zwei Feststellungen, und zwar zunächst aus dem „Industriekurier" vom 25. August 1951: Eine der Gruppen, - so heißt es da die unter der ungenügenden Versorgung am stärksten zu leiden haben, ist die Textilindustrie. Während für sie im Juli noch 42 000 Tonnen Kohle bereitgestellt wurden, die den Bedarf mit etwa 25 % deckten, ist für die Monate August und September zusammen nur etwa die gleiche Menge verfügbar, so daß die Versorgung der Textilindustrie, selbst unter Anrechnung der zu höheren Preisen erworbenen Kohle - der sogenannten „freien" Kohle oder „Heimkehrkohle" oder „Wiedersehenskohle" unter 50 % des Verbrauchs sinkt. Die „Süddeutsche Zeitung" stellte am 6. September unter der Überschrift „Ziegeleien müssen schließen" fest, daß von einem Monatsbedarf von etwa 30 000 Tonnen Ruhrkohle die Ziegeleibetriebe im Augenblick nur etwa 30 % zur Verfügung gestellt erhalten. Diese Beispiele ließen sich am laufenden Bande vermehren. Wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard nach seiner Amerikareise uns als Scheintrost gesagt hat, daß die Möglichkeit bestehe, alle erforderlichen Kohlenmengen aus den USA zu beziehen und daß so die deutsche Kohlenfrage geregelt werden könne, so sagen wir ihm: Schluß mit der Verschleuderung unserer deutschen Kohle an die westeuropäische und die amerikanische Rüstungsindustrie zu einem Spottpreis, Schluß mit der Freigabe von deutscher Kohle für die Kriegsrüstung! Die deutsche Kohle muß dem Frieden dienen. Wir wollen Arbeit und Brot für unsere schaffenden Menschen Westdeutschlands aus einer Wirtschaft, die ausschließlich dem friedlichen Aufbau dient. Dafür arbeiten auch die Kumpel an der Ruhr - und für keinen anderen Zweck! Mit den im vorigen Jahr von ihnen geforderten Panzerschichten wird man bei ihnen in diesem Jahr bestimmt kein Glück haben. Fassen wir zusammen! Ziehen wir die Bilanz! 12,5 Millionen Menschen leben nach einer Feststellung der Sozialdemokraten heute in Westdeutschland unter dem Existenzminimum, sie leben bei unzureichenden Löhnen, bei ausgesprochenen Hungerrenten. Alles zusammengenommen stellen wir fest, daß diese Menschen also auch im kommenden Winter noch einmal dazu verurteilt sein sollen, in unzureichenden Wohnungen bei vollkommen ungenügender Bekleidung auch noch zu frieren. Die Schulen und Krankenhäuser der Gemein-. den sind außerstande, die notwendige Beheizung sicherzustellen. Den Betrieben der Friedensindustrie wird die notwendige Kohle vorenthalten. „Alle Kohle für den Krieg!", das ist der Sinn der Politik der Ruhrbehörde, das ist aber auch der ({6}) I Sinn der Politik der Adenauer-Regierung und ihres Wirtschaftsministers, des Herrn Professor Dr. Erhard. Wir machen Adenauer dafür verantwortlich, daß unser Volk auch in diesem Winter frieren muß, daß die verarbeitende Industrie, die Friedensbetriebe Arbeiter entlassen müssen und gezwungen sind, Kurzarbeit einzuführen, daß sie ihre Betriebe stillegen müssen, obwohl hier bei uns in Westdeutschland reichlich Kohle vorhanden ist. Das ist der Ausweg, den wir als Kommunisten der Bevölkerung Westdeutschlands zeigen: Kampf der Regierung Adenauer! Das ist auch der Ausweg in der Frage einer ausreichenden Kohleversorgung für unser Volk. Kampf gegen die Adenauer-Regierung, Kampf gegen alle Kräfte im Lande, die ihre Politik direkt stützen oder sie tolerieren. Die Bevölkerung Westdeutschlands fordert vom Bundestag in dieser lebenswichtigen Frage eine klare Entscheidung, und diese Entscheidung kann unserer Meinung nach nur in einem klaren und eindeutigen Ja zu unserem Antrag liegen. ({7})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.

Dr. Ludwig Erhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000486

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die KPD-Fraktion beantragt, die von der Internationalen Ruhrbehörde festgesetzte Kohlenexportquote so weit zu senken, daß eine ausreichende Belieferung der Bevölkerung mit Hausbrand gewährleistet und darüber hinaus der notwendige Bedarf der Versorgungsbetriebe, des Verkehrs und der Industrie gesichert ist. Für die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Hausbrand wird von dieser Seite eine Zuteilung von 30 Zentnern je Haushalt gefordert. Eine Senkung des Kohlenexports in dem Umfange, wie es zur Erfüllung dieser Forderungen notwendig wäre, läßt sich nicht durchführen. ({0}) Das ergibt sich aus folgenden Zahlen, die ich als Beispiel für das vierte Quartal heranziehe. Die durchschnittliche Tagesförderung an Steinkohle im vierten Quartal 1951 wird nach Schätzungen der Experten und der Deutschen Kohlenbergbauleitung auf 407 000 Tonnen geschätzt, einschließlich der Sonder- und Überschichten. Nach Abzug des Zechenselbstverbrauchs, der Deputate und der Umwandlungsverluste bei der Verkokung verbleibt eine verfügbare Menge von 24,07 Millionen Tonnen. Dazu kommen 4,1 Millionen Tonnen Braunkohlenbriketts und oberbayerische Pechkohle, so daß sich die Gesamtverfügbarkeit auf insgesamt 28,17 Millionen Tonnen beläuft. Die Exportquote beträgt bekanntlich 6,2 Millionen Tonnen. Hiervon entfallen 900 000 Tonnen auf den Austausch mit Saarkohle. Es handelt sich bei dieser Menge um eine aus Sortengründen notwendige und gerechtfertigte Ausfuhr, für die wir in gleicher Menge Saarkohle erhalten. Die eigentliche Exportmenge beträgt demnach 5,3 Millionen Tonnen. Diese von der Gesamtverfügbarkeit abgezogen, verbleibt für das Inland eine Menge von 22,8 Millionen Tonnen, immer für das vierte Quartal gerechnet. Der Verteilungsplan des Bundeswirtschaftsministeriums für das vierte Quartal 1951 sieht für Hausbrand und Kleinverbrauch eine Zuteilung von 6 Millionen Tonnen vor. In dieser Menge sind 6 Zentner je Haushalt im Quartal enthalten. Die Forderung der KPD-Fraktion würde für das vierte Quartal 1951 eine zusätzliche Lieferung von 5 Zentnern je Haushalt oder, bei 14,3 Millionen Haushaltungen, eine zusätzliche Gesamtmenge von 3,6 Millionen Tonnen im Quartal erfordern. Wenn dem Antrag in dieser Form stattgegeben würde, müßte die Exportmenge auf 1,7 Millionen Tonnen gesenkt werden. Das ist unmöglich. Die Kohlenausfuhr der Bundesrepublik muß in ihrem yolks- und weltwirtschaftlichen Zusammenhang betrachtet werden. Deutschland ist immer ein Kohlenausfuhrland gewesen. Die deutsche Kohlenausfuhr bildet die Voraussetzung für die Einfuhr wichtiger Rohstoffe und Nahrungsmittel. Es besteht z. B. kein Zweifel, daß ohne eine entsprechende Lieferung deutscher Kohle Frankreich seine Lieferzusagen für Brot- und Futtergetreide, Ölfrüchte, Zucker, Phosphate, Erze und Bauxit in den handelsvertraglich vorgesehenen bedeutenden Mengen nicht gegeben hätte. Ähnlich liegen die Verhältnisse hinsichtlich Schwedens, wo die deutsche Kohlenausfuhr einen Gegenposten für Erz- und Zellstofflieferungen darstellt, oder hinsichtlich Italiens, das an Deutschland Schwefel, Hanf, Quecksilber und Elba-Erze liefert. Ferner bildet die Kohlenausfuhr in vielen Fällen eine Vorbedingung für den Export von Fertigerzeugnissen, für die im Ausland sonst nur eine sehr begrenzte Aufnahmebereitschaft bestünde. Dadurch werden in Deutschland Beschäftigungsmöglichkeiten für eine große Zahl von Arbeitskräften erhalten. Ein Beispiel hierfür sind die unlimitierten Ausfuhren der Gablonzer Waren, von Erzeugnissen der Lederindustrie und zahlreicher anderer Luxuswaren. Obgleich sich die Bundesregierung der Bedeutung dieser Zusammenhänge stets bewußt ist, hat sie dennoch wiederholt erklärt, daß die Höhe des gegenwärtigen Kohlenexports mit der derzeitigen Versorgungslage des Inlandes nicht zu vereinbaren sei und einer Korrektur bedürfe. ({1}) Sie hält es daher für notwendig, erneut bei der Internationalen Ruhrbehörde eine Senkung der Kohlenexportquote für das vierte Quartal zu beantragen und gleichzeitig entsprechende Verhandlungen mit den Kohlenabnehmerländern aufzunehmen. Die Bundesregierung ist sich allerdings klar darüber, daß ein auf diesem Wege zu erzielender Erfolg nur in einer Größenordnung liegen kann, die keinesfalls ausreicht, um eine volle Versorgung der Hauptverbrauchergruppen, wie sie im Antrag der KPD-Fraktion genannt werden, zu ermöglichen. Die Schwierigkeiten, die sich hier ergeben, können aus den Verteilungsmaßnahmen ersehen werden, zu denen sich die Bundesregierung bereits im dritten Quartal veranlaßt sah. Im Rahmen einer Inlandsverfügbarkeit, die sich nach Abzug von 5,3 Millionen Tonnen für den Export auf 21,8 Millionen Tonnen belief, galt die erste Sorge der Sicherstellung einer einigermaßen hinreichenden Versorgung für Hausbrand und Kleinverbrauch. Hierfür wurden im dritten Quartal 6 Millionen Tonnen eingesetzt. Weiterhin hielt sich die Bundesregierung für verpflichtet, den Kohlenbedarf des Verkehrs und der öffentlichen Versorgungsbetriebe nicht nur für den laufenden Verbrauch, sondern auch mit Mindestmengen für die Winterbevorratung vorrangig zu decken. Die Bevorratungsziele in den Mindestgrenzen, die sich die Bundesregierung ({2}) setzen konnte, können als erreicht angesehen werden. Es ist gelungen, die Kohlenbestände der Gaswerke von 80 000 t Ende Juni auf bisher 200 000 t - das sind etwa 16 Tage Vorrat -, diejenigen der Kraftwerke von 285 000 t Ende Juni auf bisher 585 000 t - das sind etwa 16 Tage Vorrat -, die der Bundesbahn von 7 auf 17,3 Tage zu erhöhen. Diese Vorratsziffern liegen immer noch nahe der Gefahrengrenze. Es wird aller Anstrengungen bedürfen, um bei der immer schwieriger werdenden Gesamtversorgungslage diese Vorräte in den kommenden Wochen zu halten. Einschränkungsmaßnahmen im Verbrauch der genannten Gruppen werden sich hierbei nicht ganz vermeiden lassen. Im übrigen war die Bevorratung für Hausbrand und Kleinverbrauch ebenso wie die Bevorratung der Gruppen Verkehr und öffentliche Versorgungsbetriebe nur durch eine erhebliche Kürzung der Kohleversorgung der Industrie mit allen sich daraus ergebenden Schwierigkeiten zu erreichen. Der von der Bundesregierung zwangsläufig eingeschlagene Weg, amerikanische Kohle gegen Dollar oder im Kompensationswege gegen Hergabe wichtiger Grundstoffe zu beschaffen, ({3}) konnte zwar das seitherige, aber immer noch nicht ausreichende Produktionsniveau der eisenschaffenden Industrie halten, jedoch keine wesentliche Entlastung der Versorgungslage der übrigen Industrie herbeiführen, zumal die schwierige Beschaffung des erforderlichen Schiffsraums hemmend wirkte. Auf Grund der von der OEEC vorgenommenen Schiffsraumverteilung kann für das dritte und vierte Quartal zusammen bisher mit einem Import von 3,9 Millionen Tonnen amerikanischer Kohle gerechnet werden, während die Bundesregierung 4,8 Millionen Tonnen als Minimum betrachtet und bereits einen entsprechenden Antrag an die OEEC gerichtet hat. Für das vierte Quartal ergibt sich folgende Lage. Es wird mit einer Durchschnittsförderung von 407 000 t arbeitstäglich gerechnet gegenüber 379 000 t im dritten Quartal. Trotzdem ist die verfügbare Menge durch die hohe Zahl von Feiertagen nur um 800 000 t höher als im dritten Quartal. Nach Abzug der Exportmenge von wiederum 5,3 Millionen Tonnen verbleibt eine Inlandsverfügbarkeit von 22,8 Millionen Tonnen, für die das Bundeswirtschaftsministerium folgenden Verteilungsplan vorgesehen hat. Erstens: Für die Besatzungsmächte mußte eine Menge von 898 000 t eingesetzt werden. ({4}) Es mag darauf hingewiesen werden, daß damit die Besatzungsmächte für das Jahr 1951 insgesamt eine Brennstoffmenge von 3,461 Millionen Tonnen in Anspruch nehmen gegenüber 2,132 Millionen Tonnen im Jahre 1950. ({5}) Das ist ein Mehr von 1,33 Millionen Tonnen. ({6}) Zweitens: Für Berlin waren 600 000 t einzusetzen. Damit erhält Berlin im Jahre 1951 2,686 Millionen Tonnen gegenüber 1,667 Millionen Tonnen im Jahre 1950. Das ist ein Mehr von rund einer Million Tonnen. Drittens: Für Hausbrand und Kleinverbrauch wurden wiederum 6 Millionen Tonnen wie im dritten Quartal eingesetzt. Viertens: Für den Verkehr wurden 3,443 Millionen Tonnen vorgesehen. Diese Menge ist nur un- wesentlich höher als im dritten Quartal und dient nur zur Deckung des laufenden Bedarfs. Fünftens: Die Kraftwerke erhalten mit Rücksicht auf die saisonübliche Steigerung des Stromverbrauchs -2,8 Millionen Tonnen für den laufenden Verbrauch. Die Richtmenge für das dritte Quartal belief sich auf 2,35 Millionen Tonnen einschließlich der Mindestbevorratung. Sechstens: Die Gas- und Wasserwerke erhalten 1,289 Millionen Tonnen und damit 100 000 t weniger als im dritten Quartal, die damals für die Lagerbevorratung vorgesehen waren. Siebentens: Die eisenschaffende Industrie erhält aus deutscher Kohle 2,6 Millionen Tonnen. Das sind 0,1 Millionen Tonnen mehr als im dritten Quartal. Achtens: Für die Gruppe der übrigen Industrie verbleibt demnach eine Menge von rund 4,6 Millionen Tonnen gegenüber 4,2 Millionen Tonnen im dritten Quartal. Unter Berücksichtigung des klimatisch bedingten Mehrverbrauchs für Heizungszwecke im vierten Quartal bedeuten diese 4,4 Millionen Tonnen gegenüber den 4,2 Millionen Tonnen im dritten Quartal keine Erhöhung, sondern sogar eine Verminderung. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß sich die Bundesregierung bei der Aufstellung ihrer Kohleverteilungspläne sowohl für das dritte als auch für das vierte Quartal 1951 vor die Wahl gestellt sah, entweder die Kohleversorgung von Hausbrand und Kleinverbrauch, des Verkehrs und der öffentlichen Versorgungsbetriebe wenigstens mit einigermaßen hinreichenden Mindestmengen zu sichern oder aber erhebliche Abstriche bei diesen Verbrauchern zugunsten einer ausreichenden industriellen Kohleversorgung vorzusehen. Im Bewußtsein ihrer Verantwortung und der Tragweite der Entscheidung hat die Bundesregierung den ersten Weg gewählt, wobei insbesondere der Wunsch maßgebend war, die Bevölkerung im kommenden Winter nicht frieren zu lassen. Die Bundesregierung sieht sich jedoch nicht in der Lage, dem Antrag der KPD-Fraktion in der vorliegenden Form zu folgen. Meine Damen und Herren, ich möchte dazu noch einige weitere Ausführungen machen, die erkennen lassen, daß die Kohlezuteilung auf Grund des Zuteilungssolls bis zu diesem Augenblick richtig vorgenommen wurde. So wurde für das Bundesgebiet z. B. die Zuteilung an Hausbrandkohle - Stichtag ist der 5. September - nach dem Lieferungssoll zu 92,7 % erfüllt, ({7}) während die Zuteilung an Industriekohle nach dem Soll des Plans - natürlich nicht nach dem effektiven Bedarf - mit 112,6 % erfolgte. Was die Hausbrandkohle anlangt, so sind Bedenken erhoben worden, ob eine reibungslose Abwicklung möglich sei. Ich möchte deshalb darauf hinweisen dürfen, daß das Bundeswirtschaftsministerium bereits im Februar dieses Jahres die Sicherung der Hausbrandversorgung in die Hand genommen und den Kohle-Haushaltschein und die Haushaltslisten zur Einführung gebracht hat. ({8}) In der Kohlenanordnung Nr. I/51 wurde die rechtliche Grundlage dafür geschaffen, und zwar bereits am 22. März 1951. In der Zwischenzeit wurden in zehn Sitzungen mit den Kohlensachverständigen der Länder die Dinge fortlaufend durchberaten. ({9}) Sie wissen, daß das Bundeswirtschaftsministerium keinen eigenen Verwaltungsapparat besitzt, sondern sich auf den Verwaltungsapparat der Länder stützen muß. Im übrigen ist dieser Tatbestand durch das Gesetz eindeutig festgelegt. Die Technik geht dahin, daß die einzelnen Länder nach Maßgabe der Länderschlüssel, die gemeinsam erarbeitet wurden und die schon längere Zeit in Gültigkeit sind, über die Kreise die Kohle für den Hausbrand dem Kohlenhandel zur Verfügung stellen, und zwar nach Maßgabe der dort vorgenommenen Kundeneintragungen. Der Händler erhält diese Kohle also unmittelbar von der Zeche unter Umgehung des Großhandels, der nur über die fakturenmäßige Verrechnung eingeschaltet ist. Der Kohlenhandel selbst wieder ist gehalten, seinerseits Kundenlisten zu führen, denn er bekommt von den Zechen Kohle auf Grund einer Grundmengenbescheinigung in gerade der Menge, die den Eintragungen in die Kundenlisten entspricht. Die Kundenlisten sind so zu führen, daß jeder Kohlenhändler zu vermerken hat, welche Mengen er auf Grund der Eintragungen an die bei ihm verbuchten Haushaltungen geliefert hat, so daß die lückenlose Möglichkeit einer Kontrolle gegeben und jedweder Mißbrauch ausgeschlossen ist. Wenn diese Maßnahmen noch nicht in allen Ländern praktische Übung geworden sind, dann ist das, wie gesagt, nicht die Schuld des Bundeswirtschaftsministeriums, sondern es herrschen Versäumnisse der Länder vor. Das wird auch daraus deutlich, daß in einer Reihe von Ländern diese Kundenlisten bereits praktisch gehandhabt und die Zuteilungen auf Grund dieser Maßnahmen vorgenommen werden, während andere Länder - ich kann nicht darauf verzichten, hier auf NordrheinWestfalen und Niedersachsen zu verweisen - es bis heute trotz wiederholten Drucks des Bundeswirtschaftsministeriums und trotz 10 in der Zwischenzeit abgehaltener Sitzungen verabsäumt haben, diese Anordnung in ihren Ländern durchzuführen. Sie haben dazu, wie gesagt, seit dem 22. März die rechtliche Grundlage. ({10}) Was darüber hinaus die Beurteilung der Angemessenheit einer Kohlenzuteilung von 20 Zentner pro Haushalt anlangt, so darf ich darauf verweisen, daß diese Menge gegenüber dem Vorjahr eine Besserung der Hausbrandversorgung um rund 50 %, bedeutet. Ein Vergleich mit englischen Verhältnissen ist hier nicht ohne weiteres möglich, weil die Heizungsmöglichkeiten und die Heizungstechnik in diesem Lande ganz anders geartet sind. Im übrigen besteht ja völlige Übereinstimmung darüber, daß die Deutschland auferlegte Kohlenexportquote zu hoch ist und daß alle Anstrengungen unternommen werden müssen, um zu einer Korrektur zu gelangen. Vergleichsweise sei noch gesagt, daß im Kohlenwirtschaftsjahr 1950/51 die effektiven Lieferungen für den Hausbrand und für den Kleinverbrauch 17,7 Millionen Tonnen betragen haben, während hierfür im jetzigen Kohlenwirtschaftsjahr 1951/52 22 Millionen Tonnen vorgesehen sind, und davon werden bis zum 1. Oktober rund 10 Millionen Tonnen ausgeliefert sein. Aus diesen Darlegungen dürfte deutlich geworden sein, daß die Bundesregierung es als ihre erste Sorge betrachtet hat, unter Zurückstellung anderer, insbesondere industriewirtschaftlicher Interessen vor allen Dingen den Hausbrand ausreichend zu versorgen. Ich glaube auch, sagen zu können, daß sich die Bundesregierung um die Versorgung des Hausbrands mehr Sorge gemacht hat als die KPD. ({11})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat Herr Abgeordneter Imig.

Heinrich Imig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000993, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, nicht zu übertreiben, wenn ich behaupte, daß die Sorge des einzelnen Verbrauchers in der Bundesrepublik um die Zuteilung der Kohle sich allmählich zu der Sorge entwickelt, die er einmal wegen der Zuteilung von notwendigen Lebensmitteln hatte. Diese Sorge bezieht sich ja nicht nur auf seinen Haushalt, sondern auch auf seine Arbeitsstätte und so auf die Frage, ob Kurzarbeit oder Entlassung ihm drohen oder nicht. Daß diese Menschen sich in dieser Sorge an alle möglichen Stellen wenden, ist letzten Endes eine Selbstverständlichkeit. Namentlich die Gewerkschaften werden immer wieder von Leuten überlaufen, die fragen: Was wird mit unserem Arbeitsplatz, bekommen wir Kurzarbeit oder nicht? Die Industriegewerkschaft Textil hat sich an Sie gewandt, Herr Bundeswirtschaftsminister. Sie hat Ihnen - wenn ich nicht irre, unter dem 7. August - einen Brief geschrieben, den sie auch in der Fachpresse veröffentlicht hat. Die Industriegewerkschaft Textil ist nicht unhöflich gewesen. Sie hat bis zum 11. September gewartet und dann an die Beantwortung erinnert. Soviel mir bekannt ist, hat die Gewerkschaft bis heute noch keine Antwort auf ihren Brief bekommen. ({0}) Ich glaube nicht, daß die Industriegewerkschaft Textil angenommen hat, sie werde mit diesem Brief an Sie alle ihre Sorgen los. Es wäre aber zumindest ein Akt der Höflichkeit gewesen, ihr jetzt auf diesen Brief zu antworten, damit die Gewerkschaft die ewigen Fragen ihrer Mitglieder hätte beantworten können. Ich teile auch nicht, Herr Bundeswirtschaftsminister, Ihren Optimismus über unsere Versorgungslage. Sie haben dargelegt, wenn ich nicht irre, daß die Hausbrandversorgung zu 92 % sichergestellt sei. ({1}) - Erfüllt sei! Sehen Sie, Herr Etzel, ich bin noch nicht einmal so weit gegangen wie Sie. Ich habe hier einen Brief eines Kohlenhändlers aus Altenbeken. ({2}) Auf Grund der Eintragungen in die Kundenlisten hat der Händler eine Bezugsberechtigung für 4307 Zentner Steinkohle und 2755 Zentner Koks. Man hat ihm für den Monat September 3 t, also 60 Zentner Steinkohle und 3 t, also 60 Zentner Koks geliefert. ({3}) Ich möchte überhaupt vor allzugroßem Optimismus warnen, selbst wenn der Kohlenhändler die 20 Zentner pro Haushalt geliefert bekommt. Bei dem Verbraucher entsteht der Eindruck, als wenn er jetzt diese 20 Zentner zu bekommen hätte. ({4}) ({5}) - „Hat er auch", sagen Sie, Herr Kollege. Erkundigen Sie sich aber mal bei den Verbrauchern, was sie in Wirklichkeit bekommen. ({6}) - Ist das eine bequeme Angelegenheit, zu sagen: Ländersache! Es wird ganz bestimmt nicht Ländersache sein, Herr Kollege Etzel, wenn ein Kohlenhändler 3 t Steinkohle und 3 t Koks bekommt, die er jetzt nach einer Kundenliste verteilen muß, die 305 Haushaltungen umfaßt. ({7}) Aber ich möchte auf den vorliegenden Antrag selbst eingehen. Er geht davon aus, daß man zu besseren Ergebnissen käme, wenn man die zur Verfügung stehende Kohle anders verteilte. Eins ist mir allerdings dabei nicht klar, und das ist die Frage, daß Betriebe, die für die Kriegsproduktion arbeiten, von der Belieferung ausgeschlossen werden sollen. Es wäre also zu klären, welche Betriebe eigentlich unter den Begriff „Herstellung von Kriegsproduktion" fallen würden. Wir wissen doch aus Erfahrung, daß sich letzten Endes jede Fahrrad-, jede Textilfabrik oder jede Schneiderstube auf Kriegsproduktion umstellen kann. Wir können nicht alle diese Betriebe ausschließen. Das ist schon sehr deutlich dargestellt worden. Ich erinnere an den Weltfriedensrat, der im Februar und März in Berlin getagt hat. Da hat der Franzose Yves Farges genau ausgedrückt, was damit gemeint sein sollte. Er ist sogar so weit gegangen, daß er an Quebeck erinnerte, wo einmal der Morgenthauplan geboren wurde. Selbstverständlich sind diese Dinge für den Bundestag keine Diskussionsgrundlage, sondern wir müssen schon von den tatsächlichen Verhältnissen ausgehen. Meiner Meinung nach ist das gar nicht so sehr ein Verteilungsproblem als vielmehr ein Problem erhöhter Produktion. ({8}) Wir würden uns wahrscheinlich viel besser stehen, wenn wir uns darüber unterhielten: Wie können mehr Kohlen gefördert werden? ({9}) Ich will dabei nicht auf den Bergarbeiterwohnungsbau eingehen, der bei einer anderen Gelegenheit zur Debatte stehen wird; ich will auch nicht auf die fehlenden Investitionen im Bergbau eingehen. Das Gesetz liegt auch vor und wird bereits im Wirtschaftsausschuß beraten. Ich hätte aber einige andere Momente herauszustellen. Wir kranken in Westdeutschland zunächst einmal hauptsächlich daran, daß wir uns seit Jahren mit der Neuordnung in der Kohlewirtschaft befassen und bis heute noch kein Resultat haben. ({10}) - Ich weiß nicht, Herr Kollege, was Sie dazu zu sagen haben. Paßt Ihnen der Zustand, wie er heute ist, oder möchten Sie auch eine Änderung? Daß die Neuordnung in der Kohlewirtschaft ganz bestimmt eine Änderung schafft, wird jeder Kenner der Kohlewirtschaft behaupten müssen; denn es muß doch endlich einmal festgestellt werden, wer wem verantwortlich ist. ({11}) Solange wir diese Frage nicht klären, wird's wahrscheinlich auch nicht zu einer erhöhten Produktion kommen können. Wir kranken weiter im Bergbau daran, daß wir nicht genügend Arbeitskräfte zur Verfügung haben. Die Fluktuation, die wir im Bergbau haben, ist derart groß, daß sogar mehr Bergarbeiter abkehren, als angelegt werden. Jetzt gilt es, einmal zu untersuchen: Warum ist das so? Warum kehren mehr Bergarbeiter ab, als angelegt werden? In dieser Frage kann man auch nicht allein mit dem Wohnungsbau helfen; da sind ganz andere Dinge maßgebend. Diese Klagen hören wir in letzter Zeit sehr oft. Der Bergmann ist an und für sich einen rauhen und herzlichen Ton gewöhnt; aber das, was sich heute im Bergbau tut, spottet beinahe jeder Beschreibung. Wenn nun die frisch angelegten Kräfte mit dieser Behandlung nicht einverstanden sind, so ist das sehr wohl zu verstehen. Ich sprach eben von der Neuordnung in der Kohlewirtschaft und davon, wer wem verantwortlich ist. Diese Neuordnung haben wir unbedingt nötig, damit nachgeprüft wird, inwieweit die organisatorischen Betriebsaufgaben durchgeführt werden. Ich will Ihnen - in rohen Zahlen - als Beispiel zwei Schachtanlagen nennen - ich komme auf die Schichtenstruktur zu sprechen die dicht nebeneinander liegen. Bei der einen Schachtanlage sind 60% produktiv beschäftigt und 40 % unproduktiv. Bei der andern Schachtanlage sind 40 % produktiv beschäftigt und 60 % unproduktiv. Wir wären die letzten, die etwas dagegen sagen würden, daß Ausbau- und Vorrichtungsarbeiten betrieben werden. Ob sie aber gerade in der heutigen Zeit der Kohlennot derart intensiv betrieben werden müssen, das ist eine andere Frage. Ich glaube ganz bestimmt, daß auch da einmal nachgesehen werden müßte. ({12}) - Ach, wir von der Industriegewerkschaft Bergbau sind leider keine Zechenarbeiter, sondern wir können nur sagen, was wir darüber denken. ({13}) Es ist eine Tatsache, daß der Bergbau in der Schaffung bzw. Erhaltung günstiger Arbeits- und Lohnbedingungen immer noch nicht genügend hervorgehoben worden ist. Sie werden mir sagen: Das ist übertrieben; ihr verdient im Bergbau ganz gut! Aber, meine Damen und Herren, Sie vergessen dabei eines, und das gehört auch zu der großen Frage, warum die Leute im Bergbau nicht gehalten werden können. Sie müssen dabei immer berechnen, daß ein Bergmann mit 40 Jahren nahezu bergfertig ist. Denn augenblicklich - und lassen Sie sich die Ziffern von der Unfallberufsgenossenschaft einmal darüber geben - stehen die Dinge so, daß die Steinstaublunge nahezu überhand nimmt. Geeignete Mittel, um das zu verhüten, sind bis heute noch nicht erfunden worden. Sie können sich vorstellen, daß das ganz bestimmt kein Zugmittel ist, um jetzt in den Bergbau hineinzugehen. ({14}) - Wo liegt denn die größte Gefährdung? Ja, mein lieber Mann, wissen Sie denn, was Bergbau heißt? Glauben Sie, daß Sie im Bergbau in der Lage wären, den Staub jetzt herauszuschaffen? Es ist bis heute noch nicht möglich. ({15}) - Herr Kollege Renner, es kommt nicht auf das Mehrproduzieren durch physische Leistung an. Ich glaube, wir beide sind uns darüber einig. Diese physischen Kräfte sind beim Bergmann nicht mehr ({16}) da, um mehr einzusetzen. Es muß jetzt eben nach andern Mitteln gesucht werden. ({17}) Es ist auch bei der Kohleverteilung so - ich habe hier einen interessanten Zeitungsartikel, Herr Wirtschaftsminister! -, daß man da nicht von mehreren Verteilungsstellen ausgehen kann. Zum Beispiel habe ich hier eine Zeitungsnotiz vor mir liegen, die sagt, daß der Vorsitzende der CDU-Fraktion der Bremer Bürgerschaft, Müller-Hermann, erklärt habe, daß ihm auf Grund einer Unterredung, die er mit dem Herrn Bundeskanzler Dr. Adenauer gehabt habe, versprochen worden sein soll, 40 000 Tonnen Hausbrandkohle zusätzlich zu erhalten. ({18}) Das hat den Senator Wolters veranlaßt, einen offenen Brief an ihn zu richten, und auf diesen offenen Brief ist dann zugegeben worden, daß Bremen eine Aufstockungsquote von 40 000 Tonnen erhalten sollte. Diese 40 000 Tonnen sind ein Viermonatsbedarf von Bremen. Ich glaube kaum, daß man auf diese Art und Weise Kohlen verteilen kann; denn ich bin mir klar darüber, daß bei der Mangellage, in der wir sind, diese 40 000 Tonnen irgendwoanders weggenommen werden mußten, wo sie jetzt selbstverständlich fehlen. ({19}) Es wäre vielleicht auch zweckmäßig, diese Zahlen, die uns da genannt worden sind, einmal zu überprüfen. Ich beantrage daher, diesen Antrag dem Wirtschaftsausschuß zu überweisen. ({20})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Etzel.

Franz Etzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000497, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und meine Herren! Der Mangel an Kohle ist in deutschen Landen eine Angelegenheit echter Sorge und auch, wie wir heute wieder gesehen haben, ein beliebtes Agitationsmittel. Ich meine, wir in diesem Hause sollten uns mit der Frage der Kohleversorgung nur als eine Angelegenheit echter Sorge befassen. ({0}) Die Auskunft der Bundesregierung und das, was wir selbst über diese Dinge wissen, geben meines Erachtens ein eindeutiges Bild. Wir haben uns im Ausschuß für Wirtschaftspolitik, ohne einen ausdrücklichen Auftrag dieses Hohen Hauses zu haben, aber in einer Art Geschäftsführung ohne Auftrag, eben wegen dieser Sorge, vor den Ferien in drei Sitzungen - am 13. und 20. Juni und am 7. Juli 1951 - sehr eingehend mit diesem Problem befaßt, haben um Aufklärungen gebeten und diese Aufklärungen erhalten und gemeinsam mit den verantwortlichen Herren aus Bund und Ländern das gesamte Problem erörtert. Wir haben dabei erfahren, daß für das dritte Quartal bei einem Förderungssoll von 28,9 Millionen Tonnen - wobei eine Tagesförderung von 392 000 Tonnen zugrunde gelegt worden war - unter Berücksichtigung einer Exportquote von 6,2 Millionen Tonnen immer noch 3,3 Millionen Tonnen Kohlen gefehlt hätten, um dem heutigen, auf die jetzige Produktion abgestellten Bedarf nachzukommen. Wir haben inzwischen erfahren, daß diese Tagesförderung, die wir zugrunde gelegt hatten, mit 392 000 Tonnen zu hoch angesetzt gewesen ist. Wir haben einen Förderungsabfall auf durchschnittlich etwa 376 000 Tonnen gehabt, was gegenüber dem Zuwenig von schon 3,3 Millionen Tonnen ein weiteres Zuwenig von rund 1,2 Millionen Tonnen bedeutet hat. Das muß man sehen, und das muß man wissen. Wir haben uns nun vorgestellt, daß diese 3,3 Millionen Tonnen Fehlbetrag, die wir damals annahmen - die sich, wie gesagt, noch um weitere 1,2 Millionen Tonnen erhöht haben -, ausgeglichen werden könnten durch einen Rückgang des Exports um 1 Million Tonnen und eine Kohleneinfuhr von 2,3 Millionen Tonnen. Leider haben sich hier unsere Hoffnungen nicht erfüllt. Ich meine, daß die Ruhrbehörde insoweit keine gute Politik getrieben hat. Wir wissen - und darin sind wir mit der Bundesregierung einig -, daß Deutschland immer ein Kohleausfuhrland gewesen ist. Wir werden auch in den kommenden Jahren davon abhängig sein, daß wir Kohle ausführen können. Ich erinnere immer wieder daran, daß wir in Deutschland außerordentlich glückliche wirtschaftliche Verhältnisse hatten, als im Jahre 1926 infolge des großen Bergarbeiterstreiks die Engländer auf dem Markt nicht erscheinen konnten und wir in der Lage waren, unsere Kohle abzusetzen. Auch in den folgenden Jahren haben wir immer wieder Situationen gehabt, in denen es nicht leicht war, die Kohle abzusetzen, und wir haben daher ein Interesse an der Aufrechterhaltung der Märkte. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat schon mit vollem Recht darauf hingewiesen, daß wir ja doch auf eine entsprechende Ausfuhr von Kohle angewiesen sind und daß wir wertvolle Rohprodukte nur dann bekommen, wenn wir bereit sind, an die Länder, von denen wir solche Rohprodukte haben wollen, entsprechende Mengen Kohle zu liefern. Aber ich glaube, das deutsche Verlangen, die Kohlenexportquote um 1 Million Tonnen zu senken - und das Verlangen scheint mir maßvoll und bescheiden zu sein -, ist ein gerechtes Verlangen. Ich meine, wir sollten von dieser Tribüne aus die Berechtigung dieses Verlangens gegenüber der Ruhrbehörde und gegenüber den Alliierten noch einmal mit allem Nachdruck unterstreichen. ({1}) Meine Damen und Herren, um aber ein richtiges Urteil zu bekommen, scheint es mir notwendig zu sein, noch etwas anderes zu beachten. Wir haben unsere deutsche Arbeitskraft weitgehend dafür eingesetzt, im laufenden Vierteljahr die vorhandene Lücke in der Größe von 2,3 Millionen Tonnen mit freien Dollardevisen und teilweise mit einem Reexport von Stahl - den wir weiß Gott selbst brauchen könnten - zu schließen. Das ist in etwa gelungen; leider nicht ganz. Die Schwierigkeiten liegen hier im wesentlichen im Frachtenproblem. Auch hier haben wir an die alliierten Behörden, die dafür zuständig sind, berechtigte Forderungen, da die zugebilligten 3,9 Millionen Tonnen Frachtraum nicht ausreichen und wir größere Mengen brauchen. Nötig sind 5,2 Millionen Tonnen, die Mindestgröße aber, das Allerwenigste würden 4,2 Millionen Tonnen sein. Nun will ich mich auf den Weg begeben, den Herr Kollege Imig hier vorgezeichnet hat. Wir sollten einmal überlegen, wie man aus dieser Not überhaupt herauskommen kann. Ich stimme Herrn Kollegen Imig in vollem Umfange zu, wenn er sagte, das entscheidende Problem scheine darin zu liegen, uns Deutsche in die Lage zu versetzen, selbst hinreichend Kohle zu fördern, um auf diese Art und Weise nicht nur den echten Ausfuhrbedarf, ({2}) sondern auch den deutschen Inlandsbedarf zu decken. Wir haben die Hoffnung, daß wir in dem Vierteljahr, das am 1. Oktober beginnt, die Tagesförderung auf 396 000 Tonnen und, wenn in bescheidenem Maße Sonntags- und Überschichten gefahren werden, auf 407 000 Tonnen bringen könnten. Das würde bedeuten, daß sich von dorther bereits einige Möglichkeiten eröffnen. Weiter scheint mir wichtig und notwendig zu sein, daß wir die erforderlichen Kapitalien schnellstens zur Verfügung stellen, die Kapitalien, welche nun einmal aufgebracht werden müssen, um die zurückgebliebenen Investitionsbeträge im Bergbau nachzuziehen und so nicht nur Wohnungen zu schaffen, sondern auch Investierungen am Kohlenstoß selbst vorzunehmen und, auf die Länge gesehen, die notwendigen Abteufungen vorzunehmen, die nun einmal erforderlich sind, um unsere Kohlenförderung entsprechend in Ordnung zu bringen. Was das Problem im übrigen anbelangt, so habe ich bereits gesagt: die Mangellage ist gegeben. Wir haben eine Fehlmenge von mindestens 3,3 Millionen Tonnen auch im laufenden Vierteljahr zu erwarten, und in dieser Zeit können wir nur von dem Grundsatz ausgehen, daß die Armut von der Pauverté kommt. Diese Pauverté muß aber irgendwie gelenkt und gesteuert werden. Daran ist gar kein Zweifel. Das hat auch der Bund erkannt. Wir haben bereits, im Februar beginnend, im März durch eine entsprechende Verordnung dafür gesorgt, daß die vorhandenen Kohlen in der richtigen Weise aufgeteilt werden. Zu diesem Zweck ist nach der Kohlenverordnung vom 22. 3. 1951 mit den Ländern ein sogenannter Länderschlüssel vereinbart worden. Dieser Länderschlüssel sieht bestimmte Zuweisungen an die Länder vor, und der Länderschlüssel ist als berechtigt anerkannt worden. Nach diesem Länderschlüssel hat sich die Bundesregierung mit voller, einmütiger Zustimmung des Ausschusses für Wirtschaftspolitik dazu entschlossen, dem deutschen Hausbrand ein gewisses Primat gegenüber der Wirtschaft zuzubilligen, allerdings nicht ein solches Primat, daß der echte Haushaltsbedarf in vollem Umfange gedeckt werden könnte. Herr Kollege Renner hat schon gesagt, etwa 30 Zentner sei die Menge, die im Durchschnitt in Friedenszeiten auf den Haushalt umgerechnet worden sei. Wir haben uns entschlossen, jetzt 20 Zentner zuzubilligen, und diese 20 Zentner sollen auch unter allen Umständen verteilt werden. Da im übrigen gewisse Mengen festliegen - für Verkehr, Elektrizitäts-, Gas- und Wasserwerke -, kann das, was fehlt, dann nur noch dadurch ausgeglichen werden, daß die Industrie in der Tat entscheidend gekürzt wird. Diese entscheidenden Kürzungen machen uns Sorge genug, und ich glaube, es ist nicht sehr sinnvoll, wenn wir über eine erzwungene Ausfuhr dazu kommen, die deutsche Industriekapazität von 135, die wir schon einmal hatten, sagen wir: auf 120 oder, was weiß ich, auf 114 zurückzuführen. Das kann nicht im Interesse Europas liegen. Nun noch ein Wort zur Haushaltsfrage! Die Haushaltsmenge, sagte ich, beträgt 20 Zentner für dieses Kohlenwirtschaftsjahr, das am 1. April 1951 begonnen hat. Im ersten Vierteljahr sind nur zwei Zentner - der sommerlichen Wärme entsprechend - geliefert worden, für die letzten drei Vierteljahre müssen also pro Quartal nach den Richtmengen für den Haushalt sechs Zentner geliefert werden. Frage: Wer tut das? Für diese Dinge ist nicht allein der Bund zuständig, sondern dafür sind die Länder ebenso wichtig wie der Bund. Der Bund hat j a keinen eigenen Unterbau, und die entsprechenden Kontroll- und Lenkungsaufgaben müssen naturnotwendigerweise von den Ländern übernommen werden. Ich habe mich sehr dafür interessiert, festzustellen, was denn nun von den sechs Zentnern des laufenden Vierteljahres, das schon am 1. Juli begann, in der Tat geliefert worden ist. Es liegen nur Ziffern für die Zeit bis zum. 5. 9. vor. Aber der Herr Bundeswirtschaftsminister hat bereits darauf hingewiesen, daß im Durchschnitt für Hausbrand hier eine Zulieferung von 92,7 %, also in ungefähr entsprechender Relation erfolgt ist, daß also vom Bund her diese Dinge weitgehend erfüllt sind. Für die Industrie sind statt 100 % im Schnitt sogar 112,6 % geliefert und, da es noch nicht so kalt war, der Haushaltsbelieferung vorgezogen worden, was dann hinterher ausgeglichen werden kann. Ich meine, diese Feststellung genügt, um darzutun, daß der Bund als solcher in vollem Umfange seine Pflicht getan hat. Ich kann zu meinem Bedauern nicht feststellen, daß das bei den Ländern ebenso gelaufen ist. Nach den Vereinbarungen, die mit den Ländern bestanden haben, sollte die Verteilung auf die Haushaltungen über die Eintragungen in die Haushaltslisten erfolgen. Es waren dabei diejenigen Haushaltungen zugrunde gelegt worden, die bei der Volkszählung im vergangenen Jahr festgestellt wurden. Es waren rund 14,3 Millionen Haushalte. Leider sind bei vielen Ländern und bei vielen Kreisen und Kreisgemeinden die Haushaltungen anders und in größerer Zahl aufgeschlüsselt worden. Wenn es so ist, können die Dinge natürlich nicht funktionieren. Leider hat auch der Städtetag der Aufstellung der Haushaltslisten sehr lange Widerstand entgegengesetzt, so daß die Haushaltslisten zum Teil zu spät gekommen sind. Es ist aber so, daß in einzelnen Ländern - ich nenne besonders das Land Schleswig-Holstein - die Dinge durch einen tüchtigen Referenten in Ordnung gekommen sind. In anderen Ländern haben wir entschiedene Schwierigkeiten. Ich meine also, daß das, was an berechtigter Kritik und an echter Sorge da ist, in allererster Linie seinen Niederschlag in der Kritik an den Ländern finden muß. ({3}) Wir werden weiter dafür sorgen, daß die mit den Ländern vereinbarten Mengen nach dem Länderschlüssel in der Tat geliefert werden. Das ist uns allen ein persönliches Anliegen. Ich habe dem Hohen Hause schon sagen können, daß dieses persönliche Anliegen auch von unserem Wirtschaftspolitischen Ausschuß gewissermaßen in Geschäftsführung ohne Auftrag noch einmal für Sie alle wahrgenommen worden ist. Wir werden das auch in der weiteren Zukunft unter allen Umständen tun. Was jetzt noch zu tun ist, muß, wie gesagt, auf der anderen Ebene geschehen. Unter diesen Voraussetzungen können wir in dem Antrag der KPD keinen Sinn erblicken. Wir sind nicht in der Lage, die Kohlenmenge künstlich heraufzusetzen. Ich beantrage für meine Freunde, den Antrag der KPD abzulehnen, da das Übrige, was getan werden muß, nämlich die Senkung der Ausfuhrquote, von der Bundesregierung bereits vorgenommen worden ist. Ich bitte also, den Antrag der KPD abzulehnen. ({4})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Renner.

Heinz Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001823, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zahlenakrobatik, die uns der Herr Bundeswirtschaftsminister heute wieder vorgeführt hat, ändert - das scheint mir klar zu sein - nichts an dem Tatbestand, daß es bei den von den Koalitionsparteien sowie der Regierung vorgesehenen 20 Zentnern Hausbrandkohle bleiben soll und daß auch der Verteilungsschlüssel keinerlei Änderung im Sinne einer Besserstellung der ausgesprochenen Friedensindustrie erfahren soll. Gestatten Sie mir einige Worte der Antwort an die Adresse des Herrn Kollegen Imig und des Herrn Kollegen Etzel. Beide reden einer Steigerung der Kohlenproduktion das Wort. Der Herr Kollege Imig weist darauf hin, wie ungeheuerlich sich der Gesundheitszustand der Bergarbeiterschaft im Untertagebetrieb verschlechtert hat. Man könnte die Feststellung von der Überalterung des Bergmannes hinzufügen. Man könnte auf die Auswirkungen des systematischen, bereits in der Nazizeit begonnenen Raubbaus an den Bergarbeitern verweisen. Aber der Herr Kollege Imig hat auch von der Notwendigkeit des Bergarbeiterwohnungsbaus und von den Stockungen gesprochen, die auf diesem Gebiet eingetreten sind. In seiner eigenen Essener Zeitung war vor einigen Monaten ein Artikel mit der Überschrift „Die Neubergarbeiter laufen uns davon" zu lesen. Das Problem so anzufassen, daß man wahllos Neubergarbeiter in die Betriebe hineinpumpt, ist sinnlos. Für diese Neubergarbeiter gibt es keine Unterbringungsmöglichkeiten. Hinzu kommen die absolut ungenügenden Entlohnungsbedingungen für diesen Kreis von Arbeitern, so daß also damit meines Erachtens nichts geschafft ist. Dann hat der Herr Kollege Imig mir die Frage vorgelegt, wie wir es uns denn vorstellten, die Exportquote in dieser Weise zu senken und die vorhandenen Kohlenmengen nur der Friedensproduktion zuzuführen. Ja, Herr Kollege Imig, Herr Etzel hat Ihnen eine Antwort darauf gegeben. Er hat Ihnen gesagt, daß man leider gezwungen war, die Produktion an Stahl- und Eisenerzeugnissen in einem das Maß des Erträglichen übersteigenden Umfang ins Ausland zu schicken, um dafür wieder Kohle und andere Dinge, wie Lebensmittel und dergleichen, hereinzuholen. Aber er und auch der Herr Minister haben sich nicht zu der Frage geäußert, wie es mit dem „Kampf" der Regierung um die notwendige Erhöhung des Kohlenexportpreises steht. Sie haben auch kein Wort über die Differenz zwischen dem Preis für Importkohle, der ja um 10 Dollar pro Tonne höher liegt, und dem Preis, den wir für die Exportkohle erzielen, verloren. Niemand hat auch von dem Problem der Schwarzkohle gesprochen. Wie ist es denn möglich, daß kleine und mittlere Unternehmer an der Ruhr, im Bergischen Land gezwungenermaßen, wie ich zugebe, um überhaupt ihre Betriebe noch am Leben zu erhalten, Kohle in jeder Menge schwarz zu einem unverschämten Preis kaufen können? Wo kommt diese Kohle denn eigentlich her? Wo ist denn das Loch im Sieb des Herrn Ministers, durch das sie hindurchschlüpft? Dann noch ein anderes Wort! Der Herr Kollege Etzel hat gesagt, daß die Schuld für die Fehlleitung der Kohle seiner Meinung nach bei den Ländern liege. Er hat davon gesprochen, daß die Belange der Kommunen, was die Versorgungsbetriebe angehe, absolut gesichert seien. Vor mir liegt die Äußerung des Herrn CDU-Oberstadtdirektors von Düsseldorf. Er wohnt ja nur wenige Kilometer von Herrn Etzel entfernt, der in Duisburg zu Hause ist. Ich empfehle Ihnen, das, was Ihr Fraktionskollege zu diesen Dingen sagt, zu lesen, der ausspricht, daß Ihre „konstruierten Zahlen" nur auf dem Papier stehen, daß der Stadt an Hausbrandkohle nur 13,5 Zentner zur Verfügung stehen, daß die Schulbetriebe vor der Gefahr stehen, geschlossen zu werden, und daß keine Kohle für die Krankenhäuser und die Altersheime, auch keine Kohle für die kleinen und mittleren Betriebe da ist. Er stellt fest, daß statt der 80 Zentner Normalverbrauch an Kohle für Hausbrand, für Kleinindustrie, Mittelstand und Kleingewerbe nur 13,5 Zentner zur Verfügung stehen. ({0}) Wer treibt denn nun die Agitation, wer treibt nun die Propaganda, Sie oder Ihr Kollege von der CDU in Düsseldorf? ({1}) - Das ist Ihre ewige Entschuldigung. Wenn hier etwas vorgebracht wird, wogegen Sie mit Sachlichkeit nicht mehr angehen können, reden Sie von Agitation und von dem Bedürfnis, Agitation zu treiben. Hier handelt es sich um einen echten Notstand unseres Volkes, um eine Frage, die hier im Bundestag geklärt werden müßte, wenn Sie Ihre Pflicht gegenüber dem Volk tun wollen. Aber nun ein letztes Wort, nur noch ein paar Minuten! Wie steht es denn eigentlich mit dem mit so großem Aplomb angekündigten Austritt des Herrn Blücher aus der Ruhrbehörde? Welche Konsequenzen hat man gezogen? Was hat man getan, um die Exportquotensenkung durchzusetzen? Was hat man seitens der Regierung getan, um den normalen, den richtigen, den üblichen Exportkohlenpreis, den Weltkohlenpreis herauszuholen? Nichts hat man unternommen! Immer und immer wieder nur erzählt man uns von dem entschlossenen Willen, dagegen anzugehen, und immer und immer wieder unterwirft man sich der Diktatur des Petersbergs. Das muß doch einmal klar ausgesprochen werden. Der Herr Blücher spricht auf dem Parteitag der FDP von Nordrhein-Westfalen in Münster davon, die Bundesregierung müsse erreichen, daß in nächster Zeit ein neuer Kohlepreis festgesetzt werde, daß zur Unterbindung von Korruption der Kohlemarkt an einer einzigen Stelle abgewickelt werden und daß ein höherer Kohleexportpreis erzielt werden müsse. Der Herr Schumacher hat diesen Beschluß der Ruhrbehörde seinerzeit als einen „Rückfall in die MorgenthauAtmosphäre" bezeichnet. Der Herr Blücher hat seinen angeblichen Austritt aus der Ruhrbehörde so begründet, daß diese Ruhrbehörde ein Anachronismus sei, der verschwinden müsse. Die Ruhrbehörde ist noch da, der Herr Blücher ist noch da, der Vertreter des DGB in der Ruhrbehörde ist noch da, und wir haben diesen Winter keine Kohlen, um die Wohnungen der schaffenden Menschen an der Ruhr, die über der Kohle wohnen und frieren müssen, zu beheizen. Das alles ist eine Folge Ihrer Politik der Verbeugung und der Unterwerfung unter die Pläne des ausländischen und des deutschen Monopol- und kriegshetzerischen Kapitals. So liegen die Dinge, und so müssen sie gesehen werden. ({2}) Nun noch ein Wort an den DGB, an die sozialdemokratischen Kollegen. Im vorigen Jahr haben Sie das Verfahren von Panzerschichten gefordert. In diesem Jahr reden Sie, wobei Sie gleichzeitig die wachsende Unsicherheit in den Betrieben, die gesundheitsgefährdende Arbeit herausstellen, wieder der Steigerung der Produktion das Wort. Warum eigentlich machen Sie nicht von der großen, großen Kraft Gebrauch, die in den Gewerkschaften, in der organisierten Arbeiterschaft vorhanden ist? Warum setzen Sie gegen diese Regierung, die Sie als Partei doch öffentlich, in Ihren Zeitungen und in Ihren Wahlversammlungen für diesen Notstand unseres Volkes verantwortlich machen, gegen diese Regierung des Hungers, gegen diese Regierung der Kriegsvorbereitung nicht die Kraft der geeinten Arbeiterschaft? Nun ja, ich habe es vorhin gesagt: weil Sie zu den Kräften gehören, die diesen Herrn Adenauer samt seinem Wirtschaftsminister, der sich um das Wohlergehen der Menschen in Westdeutschland so „große Sorge" macht, stützen. Warum setzen Sie diese Regierung nicht außer Kurs? Sie hätten die Kraft dazu, wenn Sie sich auf die Kraft der Arbeiterklasse und auf die Kräfte der in den Gewerkschaften zusammengeballten Menschen stützen würden, die nur auf ein Signal warten, um mit dieser Regierung Schluß zu machen. ({3})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Preusker. ({0})

Dr. Victor Emanuel Preusker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001749, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Renner, ich darf Ihnen zunächst einmal sagen, daß unsere Fraktion - und wahrscheinlich nicht unsere Fraktion allein - der Meinung ist, daß diese Ruhrbehörde tatsächlich ein Anachronismus ist und daß der Geist, aus welchem sie die Entscheidung über die Exportquote für das vierte Quartal 1951 gefällt hat, wirklich einen Rückfall in gewisse Erscheinungen der letzten Jahre darstellt, von denen wir gehofft hatten, daß sie längst der Vergangenheit angehören. Ich möchte die Bundesregierung im Namen meiner Fraktion bitten, sich weiterhin mit allen Mitteln für eine vernünftige Senkung der Kohlenexportquote einzusetzen. Auf der andern Seite möchte ich aber auch hier klar zum Ausdruck bringen - und ich unterstreiche, was der Herr Bundeswirtschaftsminister schon gesagt hat -, daß es eine gewisse Menge von Kohle gibt, die wir einfach exportieren müssen und auch exportieren wollen, weil es in unserem Interesse liegt, dafür Nahrungsmittel und Rohstoffe, die wir nur gegen diese Exportkohle zu erhalten in der Lage sind, hereinzubekommen. Das muß aber eine bestimmte Grenze haben. Man darf, wenn man zu einem gemeinsamen Europa kommen will, nicht nur zugunsten der einen und zu Lasten der anderen entscheiden. Ich möchte hier einmal, an die Adresse der Alliierten gerichtet, sagen: ich glaube, sie handeln obendrein auch in ihrem vermeintlichen Interesse sehr kurzsichtig: Denn welchen Eindruck muß denn ihre Hartnäckigkeit gegenüber den deutschen Lebensbedürfnissen bei den deutschen Bergarbeitern auf die Dauer hervorrufen, wenn diese immer wieder sehen, daß jede Mehranstrengung, zu der sie bereit sind, jedes Opfer, das sie im vergangenen Winter durch die Mehrschichten gebracht haben, nicht auch dem deutschen Volke zugute kommt, sondern daß man sich darüber hinwegsetzt? Ich glaube, die Ruhrbehörde wäre besser beraten, wenn sie daran denken würde, daß die deutschen Bergarbeiter wahrscheinlich viel leichter den Entschluß zu einem nochmaligen erheblichen zusätzlichen Arbeitseinsatz finden würden, wenn man hier Deutschland endlich einmal entgegenkäme. Es ist im Frühjahr ein schwerer Entschluß gewesen, als man angesichts der Kohlenknappheit zwischen der Beschäftigung der Industrie, d. h. der Sicherung der Arbeitsplätze, und dem Hausbrand in gewisser Weise zu wählen hatte, wenn man den Hausbrand in sehr starkem Umfange vorzog. Wir haben diesen Entschluß ganz bewußt gefaßt und stehen nach wie vor in vollem Umfang dazu. Um so mehr müssen wir nun auch verlangen, daß die Richtlinien, die das Bundeswirtschaftsministerium am 22. März 1951 zur Durchführung der Verteilung des Hausbrandes im Winter 1951/52 an die hierfür zuständigen Länderministerien erlassen hat, von den Ländern durchgeführt und voll zur Wirksamkeit gebracht werden. Ich muß noch einmal unterstreichen: wenn in den Ländern Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, die in der Ausführung dieser Richtlinien hier als besonders säumig angeführt wurden, bis jetzt die sich aus der Zuteilung von sechs Zentnern pro Haushalt ergebenden Gesamtmengen nur so verteilt werden können, daß die einzelnen Kohlenhändler auf Grund der vorjährigen Bezugsmengen beliefert werden, ja, dann müssen sich doch die größten Verklemmungen ergeben. Der eine Kohlenhändler hat inzwischen erheblich weniger Eintragungen, der andere die doppelte Zahl an Eintragungen bekommen, und trotzdem erhalten beide, einfach weil das Land bis jetzt nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, die gleichen Mengen zugeteilt wie im Vorjahr. Da-. durch hat der eine zuwenig, um seine Kunden beliefern zu können, der andere hat zuviel. Wenn die Länder nicht in der Lage sind, solche Anordnungen, die im Interesse des ganzen Volkes notwendig sind, auszuführen, dann - das möchte ich im Namen meiner Fraktion erklären - ist es notwendig, in ähnlicher Weise wie etwa in der Frage der Finanzverwaltung dafür zu sorgen, daß das Wirtschaftsministerium durch eine gesetzliche oder verfassungsmäßige Änderung Kontroll- und Aufsichtsbefugnisse gegenüber den Ländern bekommt, die nicht in der Lage sind, wie etwa Schleswig-Holstein, innerhalb einer Zeit von jetzt immerhin einem halben oder einem Dreivierteljahr bestimmte Anordnungen auszuführen. ({0}) Ich möchte etwas Weiteres sagen, und darin stimme ich mit dem Kollegen Imig völlig überein: Die entscheidende Wandlung kann natürlich nur durch Maßnahmen zur Fördersteigerung erfolgen. Wir hoffen, daß wir durch eine größere Einsicht, durch das baldige Verschwinden des Anachronismus der Ruhrbehörde zu einer geminderten Exportmenge kommen. Wir haben ferner das Anliegen an die Bundesregierung, daß sie mit den Besatzungsbehörden darüber Verhandlungen führt, ob es angesichts des großen Mangels in Deutschland tatsächlich notwendig ist, daß die Besatzungsbehörden ihre Bezüge an Kohle hier in Deutschland von 2,13 auf 3,46 Millionen Tonnen steigern, während ({1}) wir gleichzeitig den notwendigsten Industriebedarf kürzen müssen. Aber diese Dinge würden ja - das hat Professor Erhard vorhin schon dargelegt - gar nicht die entscheidende Besserung der Versorgungslage erbringen. Wir haben ohne die anderen Versorgungsgruppen allein bei der Industrie eine Lücke von 4 Millionen Tonnen und beim Hausbrand eine Lücke von mindestens 2 Millionen Tonnen im Quartal. Es muß also noch einiges mehr geschehen, und hier möchte ich Herrn Kollegen Imig sagen: Wir sind auch dafür, daß endlich wieder klare Rechtsträger im Bereich des Kohlenbergbaues sowie der Eisen- und Stahlindustrie geschaffen werden, und zwar so schnell wie möglich. Aber wir sind aufs äußerste und entschiedenste dagegen, daß man versucht, noch wieder durch weitere Experimente diese klare Rechtsordnung hinauszuschieben, so daß auch weiterhin in diese Bereiche der deutschen Wirtschaft einfach nicht das Kapital hineinströmen kann, das hier unbedingt notwendig ist. ({2}) Zum zweiten muß man auch den Mut haben - und das haben wir der Bundesregierung bereits mehrfach gesagt -, auf die Dauer nicht an Preisbindungen festzuhalten, die durch die Wirklichkeit längst überholt sind. Es ist wohl nicht zuviel gesagt, daß heutzutage bereits eine Freigabe der Kohlenpreise, für die ich in vollem Umfange noch gar nicht einmal plädieren möchte - der Hausbrand soll zunächst ausgeklammert bleiben -, im ganzen gesehen das Preisniveau senken würde. Wir haben ein Beispiel bei der Treibstoffbewirtschaftung. Wir würden dasselbe bei der Kohle erleben. Die Erträge dieser Mehrpreise würden nicht Schwarzhändlern und Schiebern zugute kommen, sondern ' sie würden dem Kohlenbergbau und auch dem Bergmann zugute kommen. Das ist die zweite Forderung. Die dritte Forderung geht dahin, daß wirklich Anstrengungen unternommen werden, die Kapitalmarktpolitik in Ordnung zu bringen, damit dann in die neu geschaffenen klaren Rechtsträger auch wirklich die 1,5 Milliarden DM, die erforderlich sind, um die Förderung um 50 000 Tagestonnen zu steigern, mit größter Beschleunigung hineingelangen können. Dies ist eine Aufgabe, auf die sich die Anstrengungen der Bundesregierung und des ganzen deutschen Volkes zu konzentrieren haben. Es soll nicht mehr nur von Kohle gesprochen werden, sondern es soll sich alles zusammenfinden, um dafür zu sorgen, daß das Produktionsproblem auf dem Wege der Neuinvestitionen, auf dem Wege einer klaren Preispolitik und auf dem Wege der offenen Aufklärung der Bevölkerung über die Situation gelöst wird. ({3})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bertram.

Dr. Helmut Bertram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000164, Fraktion: Deutsche Zentrumspartei (Z)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will hier keine Rede halten, sondern nur einige Fragen wiederholen, die mir im Laufe der letzten Wochen oft und oft vorgelegt worden sind und auf die ich bisher von dem Herrn Minister und meinen Vorrednern, glaube ich, noch keine zureichende Antwort bekommen habe. Da ist zunächst die Frage, wie die Bundesregierung den Weg der Marktpreisspaltung volkswirtschaftlich rechtfertigt. Ist das etwa Marktwirtschaft? Oder rechtlich: Sind diese ({0}) - ich frage ja nur - sind diese Preisfestsetzungen ohne Zustimmung des Bundestages überhaupt gesetzmäßig? Sind sie nicht ungesetzlich? Wieviel Preisspiegel gibt es überhaupt in Deutschland? Weiß die Bundesregierung das? Weiß die Bundesregierung von der Existenz eines ausgedehnten schwarzen Marktes mit exorbitanten Überpreisen? Wer verdient daran? Weiß die Bundesregierung von sonstigen Mißbräuchen, insbesondere einer unterschiedlichen Versorgung von kleinen Verbrauchern und privilegierten Großverbrauchern, ({1}) insbesondere von einer Unterversorgung des Handwerks, der Büros der freien Berufe beispielsweise? Ist die Bundesregierung berechtigt, bei Erhöhung der Inlandspreise auch entsprechend höhere Exportpreise zu verlangen? Kennt die Bundesregierung Zahlen über die Höhe der Haldenbestände in dem von Deutschland belieferten Ausland? Hat die Bundesregierung die Auswirkung ihrer Kohlepreispolitik auf den Schumanplan bedacht? Besteht nicht bei der Fortsetzung der derzeitigen Kohlepreispolitik die Gefahr einer Festsetzung auf das niedrigste deutsche Inlandspreisniveau für die Dauer von 50 Jahren? Welche Kosten würde die offene Subventionierung für den Haushaltsbedarf erfordern? Hat die Bundesregierung auch diese Fragen geprüft? ({2})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Es sind keine weiteren Redner vorgemerkt. ({0}) - Meine Damen und Herren, ich kann das Wort nur erteilen, wenn darum gebeten worden ist. ({1}) Wir kommen zur Abstimmung. Es sind zwei Anträge gestellt. Ein Antrag geht auf Überweisung an den Ausschuß, der andere Antrag auf Ablehnung des von der KPD gestellten Antrags. Den Vorrang hat der Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit. Der Antrag ist an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik überwiesen. Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung ({2}). Das Wort hat Frau Abgeordnete Kipp-Kaule. Frau Kipp-Kaule ({3}), Antragstellerin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der von meiner Fraktion vorgelegte Antrag Drucksache Nr. 2494 ist insofern von besonderer Bedeutung, als durch ihn ein seit langem bestehendes Recht abgeschafft werden soll. § 127 a Abs. 2 der Gewerbeordnung besagt, daß übermäßige und unanständige Züchtigungen sowie jede die Gesundheit des Lehrlings gefährdende Behandlung verboten sind. Wenn es hierin also heißt, daß die Züchtigung eines Lehrlings nicht übermäßig und unanständig sein darf, so muß dazu gesagt werden, daß bis zum heutigen Tage allgemein nicht feststellbar ist, in welchem Fall das Gericht z. B. annimmt, daß das ({4}) Züchtigungsrecht überschritten worden ist. Die Vergangenheit hat gezeigt, daß es Gerichte gab, die sehr erhebliche Ausschreitungen noch als zulässige Züchtigungen anerkannt haben. Der Lehrherr, der das Züchtigungsrecht überschreitet, kann zwar nach § 148 Ziffer 9 mit Geldstrafe bis zu 100 Mark und im Unvermögensfalle mit Gefängnis bis zu 4 Wochen bestraft werden. Wenn die Züchtigung in eine Körperverletzung ausartet, kommt eine Bestrafung nach § 230 des Strafgesetzbuches in Betracht. Wie ist heute die Wirklichkeit? Noch vor einem Dreivierteljahr hatten wir im Bielefelder Raum des Kreisausschusses des Deutschen Gewerkschaftsbundes, in Herford, folgenden Fall: In einer Autoreparaturwerkstatt, die Lehrlinge ausbildete, mußten diese erhebliche Züchtigungen über sich ergehen lassen. Gelegentlich einer Unterhaltung kamen die Dinge ans Tageslicht. Die Eltern hatten in der Befürchtung, die Jungens könnten ihre Lehre nicht zu Ende führen, wenn man Anzeige erstattete, davon Abstand genommen, dem Lehrherrn zu sagen, daß sie mit derartigen körperlichen Züchtigungen nicht einverstanden sind. Gerade weil im Augenblick die große Arbeitslosigkeit unter unserer Jugend besteht, werden die Eltern naturgemäß bemüht sein, die Lehrzeit des Jungen oder des Mädels zu Ende zu bringen, und gehen deshalb darüber hinweg, wenn der Junge oder das Mädel tatsächlich einmal nach Hause kommt und sagt: ich bin heute erheblich geschlagen worden. Dieser Fall aus Herford konnte dadurch bereinigt werden, daß der Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Kreisausschuß Bielefeld, persönlich bei dem Lehrherrn erschien und ihn darauf aufmerksam machte, daß bei Fortdauer dieser Zustände die Gewerkschaften einschreiten würden. Seitdem sind, wie wir erfreulicherweise feststellen konnten, derartige Dinge nicht mehr vorgekommen. ({5}) Auch die Jugendorganisationen haben in dieser Frage eine eindeutige Haltung eingenommen. Meine Herren und Damen, wir wünschen nicht, daß unser Nachwuchs an Facharbeitern heute mit erhobenem Zeigefinger und mit Züchtigungen herangebildet wird, ({6}) sondern wünschen, daß § 127 a Abs. 2 der Gewerbeordnung entsprechend unserem Antrag Drucksache Nr. 2494 dahin abgeändert wird, daß es heißt: Körperliche Züchtigung sowie jede die Gesundheit des Lehrlings gefährdende Behandlung sind verboten. Es tut einer jungen Demokratie nicht gut, wenn in ihrer Gesetzgebung Formulierungen wie die des jetzt noch gültigen Abs. 2 des § 127 a enthalten sind. ({7}) Ich glaube, wir sollten uns dem Fortschritt zuwenden und sollten auch den jungen Menschen, den wir für die Industrie, für das Handwerk, für die Wirtschaft schlechthin als Nachwuchs dringend benötigen, nach dem Grundsatz ausbilden: So frei wie möglich und so gebunden wie nötig! ({8}) Das letztere wird der Schaffung eines Gesetzes über das Jugendarbeitsschutzrecht vorbehalten bleiben. Ich bitte darum, dieser unserer Vorlage Ihre Zustimmung nicht zu versagen; denn heute sollte in Deutschland der Grundsatz nicht mehr gelten, daß ein Lehrherr aus irgendwelchen Gründen heraus, selbst aus Anomalität heraus, seine Jungs oder Mädels mißhandelt; denn wir wünschen uns den Lehrherrn, der unseren jungen Menschen Freund und Helfer ist. Ich bitte Sie nochmals, unserer Vorlage Ihre Zustimmung zu geben. ({9})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Der Antrag ist eingebracht und begründet. Wir treten in die erste Beratung ein. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Gesamtaussprachezeit auf 40 Minuten zu begrenzen. - Kein Widerspruch; das Haus ist einverstanden. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Etzel.

Dr. Hermann Etzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000498, Fraktion: Bayernpartei (BP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind mit dem Gesetzentwurf und seiner menschlichen und erzieherischen Absicht einverstanden. Diese Zustimmung können wir in der Annahme erklären, daß auch dann, wenn dem Meister einmal die Hand ausrutscht, um dem Lehrling, ohne daß eine übermäßige Züchtigung oder eine gesundheitsgefährdende oder unanständige Behandlung vorliegt, eine zu schmieren, weil er in der Wallung das für die wirksamste Verfahrensart hält, um tiefenpsychologische Irrläufe, Faulheit, Unachtsamkeit oder Böswilligkeit des Herrn Lehrlings zu korrigieren, aus solchem Vorgehen nicht eine Haupt- und Staatsaktion gemacht wird, sondern der Staatsanwalt die Strafverfolgung wegen Geringfügigkeit ablehnt nach dem alten bewährten Grundsatz: Minima non curat praetor. Wir sind, wie ich erklärte, durchaus für die humanitäre Absicht des Gesetzesvorschlages; wir möchten aber keine Umkehrung des Erziehungsverhältnisses auf die Frage an die Kinder: Seid ihr mit euren Eltern - und an die Lehrlinge: Seid ihr mit euren Meistern zufrieden? statt die urtümliche Frage aufrechtzuerhalten: Seid ihr mit euren Lehrlingen, seid ihr mit euren Kindern zufrieden? ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat .der Abgeordnete Becker.

Josef Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000128, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem mit diesem Antrag hauptsächlich das Handwerk angesprochen ist, erlauben Sie mir, daß ich als Handwerksmeister, der sowohl Lehrling war wie auch Lehrlinge ausgebildet hat, zu diesem Problem einige Worte sage. Ich werde bestimmt nicht in die Versuchung kommen, den Antrag der SPD zu bagatellisieren; ich glaube sogar sagen zu müssen, daß mir wie auch dem gesamten Handwerk dieser Antrag wohl sympathisch sein könnte. Andererseits möchte ich jedoch davor warnen, daß man Einzelfälle verallgemeinert und übertreibt. Immerhin bildet das Handwerk im Augenblick 540 000 Lehrlinge aus, und ich glaube, daß man verhältnismäßig wenig Fälle anführen kann, in denen ein Lehrmeister seine Befugnisse überschritten hat. Ich bin mit den Antragstellern durchaus der Meinung, daß eine körperliche Züchtigung für den Regelfall kein Erziehungsmittel sein kann, weder in der Werkstatt noch in der Schule, und ich möchte sogar hinzufügen: nicht einmal in der Familie. Ich möchte aber, was ich schon des öfteren getan habe, davor warnen, von der Wiege bis zur Bahre alles staatlich zu reglementieren. Alle diejenigen, die schon mit Jugendarbeit oder Jugenderziehung etwas zu tun gehabt haben, wissen, daß es auch ({0}) Fälle gibt, in denen die Erziehung Schwierigkeiten macht. Ich kann Ihnen als Handwerksmeister ruhig sagen, daß im Laufe der Jahre schon manche Mutter zu mir gekommen ist und erklärt hat: Ich pack meinen Jungen nicht mehr; helfen Sie doch etwas nach! Meine sehr verehrten Damen und Herren, fassen Sie es bitte nicht falsch auf, wenn ich jetzt sage: Eine Ohrfeige zur rechten Zeit hat schon manchen wieder auf den richtigen Weg zurückgeführt. ({1}) Ich weiß, daß das nicht allen gefällt; aber ich darf vielleicht in diesem Moment einmal nach dieser Seite herüber sagen, daß mir gerade die Problematik, die Herr Kollege Richter in seinem Zuruf eben hervorgehoben hat, vor einigen Wochen bestätigt wurde, als ein prominentes Mitglied der SPD irgendeine Geschichte vorbrachte, die genau dasselbe besagte, was ich jetzt angedeutet habe. Aber, wie gesagt, ich bin im Grunde genommen mit Ihnen einer Meinung, und wir sind gern bereit, diese Frage im Ausschuß gemeinsam zu beraten. Ich möchte allerdings heute schon sagen, daß bisher durchaus die Möglichkeit bestanden hat, gegen Übergriffe auch gesetzlich vorzugehen. Um hier keine falschen Vorstellungen bei den Unbefangenen zu erwecken, die die einzelnen Paragraphen der Gewerbeordnung nicht kennen, möchte ich doch sagen, daß dieser Antrag, der von der SPD gestellt wurde, mit Ausnahme der zwei ersten Worte bereits seit 1900 in der Gewerbeordnung enthalten ist. ({2}) - Wenn Sie sagen „na also!", Herr Kollege, warum muß man das dann noch einmal extra in den Antrag hineinbringen? ({3}) - Ich weiß! Ich sagte: mit Ausnahme der ersten beiden Worte. ({4}) - Ich habe gesagt, ich bin mit Ihmen der Meinung, daß wir über die Sache im Ausschuß sachlich beraten wollen. Ich glaube, wir werden hier schon eine Einigung finden, ohne daß wir uns gegenseitig wehtun. Ich beantrage, daß dieser Gesetzentwurf dem Ausschuß für Arbeit und - wenn Sie wollen - auch noch dem Ausschuß für Jugendfürsorge überwiesen wird. ({5})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete von Thadden. von Thadden ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich in der Sexta in die Oberschule kam, brachte uns unser Deutschlehrer die Rechtschreibung bei. Das ging folgendermaßen vor sich: Wir mußten aus einem Wörterbuch mit jedem dort im Alphabet stehenden Wort einen Satz bilden. Für jeden Fehler, den wir schrieben - gleichgültig, ob Junge oder Mädchen -, gab es sofort in der nächsten Stunde mit einem kurzen Stock einen hinten drauf, und für jeden fünften Fehler einen mit dem langen Stock. ({1}) Ich kann wohl sagen, die Klasse, in der ich damals war, beherrschte die deutsche Rechtschreibung in der Quarta so, daß kaum noch Fehler vorkamen. Ich will diese Erziehungsmethode nicht auf das - ({2}) -- Schade um jeden Streich, der daneben gegangen ist? - Jeder Streich hat uns getroffen; der konnte gut zielen. ({3}) Ich glaube, daß die Ausführungen, die mein Herr Vorredner eben machte, das richtige bedeuten. Ein Handwerksmeister, der nicht in der Lage ist, einem Lehrling gelegentlich eine runterzuhauen, wird bald resignieren. Ich glaube, daß eine Abänderung dieses Vorschlages möglich ist, indem wir einfach sagen: Über ein erzieherisch notwendiges Maß hinausgehende Züchtigung sowie jede die Gesundheit des Lehrlings gefährdende Handlung sind verboten. Damit sind alle Möglichkeiten geschaffen. Ich glaube, das wäre die kürzeste Formel, um hier eine gute Regelung zu finden.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es ist beantragt, den Antrag an den Ausschuß für Arbeit und an den Ausschuß für Jugendfürsorge zu überweisen; federführend der Ausschuß für Arbeit. - Es erhebt sich kein Widerspruch; das Haus hat so beschlossen. Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abänderung des Gesetzes über die Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiete der Sozialversicherung ({0}). Wer begründet diesen Entwurf von seiten des Bundesrats? - Herr Abgeordneter Arndgen zur Geschäftsordnung!

Josef Arndgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000046, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens meiner politischen Freunde stelle ich den Antrag, den Entwurf eines Gesetzes zur Abänderung des Gesetzes über die Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiete der Sozialversicherung - Drucksache Nr. 2513 - dem Sozialpolitischen Ausschuß zu überweisen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ist das Haus einverstanden, daß dieser Entwurf ohne Begründung und ohne Durchberatung in erster Lesung an den genannten Ausschuß überwiesen wird?-({0}) - Das Haus ist einverstanden; es ist so beschlossen. Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen ({1}). Hier schlägt Ihnen der Ältestenrat vor, auf eine Begründung durch den Bundesrat zu verzichten, ebenso auf eine Aussprache zu verzichten und den Entwurf unmittelbar an den Ausschuß für Beamtenrecht zu überweisen. Ist das Haus einverstanden? - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen. ({2}) Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung: Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Abwicklung der landwirtschaftlichen Entschuldung ({3}). Auch hier schlägt Ihnen der Ältestenrat vor, auf die Begründung durch die Regierung zu verzichten - die Regierung hat selbst erklärt, daß sie auf die Begründung verzichtet -, auf die Aussprache zu verzichten und den Entwurf unmittelbar an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten -- als federführenden Ausschuß - und an den Ausschuß für Geld und Kredit zu überweisen. Ist das Haus einverstanden? ({4}) --- Dann ist so beschlossen. Ich rufe auf Punkt 10 der Tagesordnung: Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Außenhandelsstelle für Erzeugnisse der Ernährung und Landwirtschaft ({5}). Die Regierung verzichtet auf Begründung. Der Ältestenrat schlägt dem Hause vor, ebenfalls auf eine Aussprache zu verzichten und den Entwurf an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen. Ist das Haus einverstanden? ({6}) - Dann ist so beschlossen. Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung und Abänderung des Gesetzes über den Verkehr mit Zucker ({7}) ({8}); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({9}) ({10}). ({11}). Ich erteile das Wort dem' Abgeordneten Schill als Berichterstatter. Schill ({12}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich lenke Ihre Aufmerksamkeit auf Drucksache Nr. 2559, Mündlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung und Abänderung des Gesetzes über den Verkehr mit Zucker ({13}). Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat den Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung und Abänderung des Gesetzes über den Verkehr mit Zucker eingehend beraten. Bei der Erörterung diente das bereits vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Ergänzung und Abänderung des Gesetzes über den Verkehr mit Getreide und Futtermitteln - Getreidegesetz - vom 5. August 1951 als Grundlage. Über die allgemeine Aussprache im Ausschuß möchte ich dem Hohen Hause folgende Grundsätze herausstellen. Die Anbaufläche für Zuckerrüben ist in diesem Wirtschaftsjahr wiederum um 26 000 Hektar gestiegen. Auf Grund der gesteigerten Anbaufläche schätzt man einen Ertrag an Weißzucker von etwa 960 000 Tonnen gegenüber einem Ertrag von 915 000 Tonnen im vergangenen Wirtschaftsjahr. Der Zuckerverbrauch ist steigend. Wir werden in diesem Wirtschaftsjahr einen Verbrauch an Zucker von zirka 1,6 Millionen Tonnen haben. Wenn man die Eigenerzeugung auf 900 000 Tonnen Weißzucker berechnet, so ergibt sich hieraus eine Versorgung von 1,5 kg pro Kopf und Monat. Es ist selbstverständlich, daß man mit dieser Menge nicht auskommt, so daß eine Einfuhrnotwendigkeit von mindestens 600 000 Tonnen besteht. Es muß dabei bemerkt werden, daß der Zucker im Ausland teurer ist als im Inland. Von seiten des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wurde die Meinung vertreten, daß man einen genauen Versorgungsplan aufstellen müsse, daß aber dann auch die Devisen bereitgestellt werden müßten, um - was bisher nicht der Fall war - im Ausland günstig einzukaufen. Im Ausschuß haben verschiedene Abgeordnete vorgeschlagen, man solle bei Zucker einen gespaltenen Markt einführen, eventuell sogar wieder die Kartenwirtschaft, und zwar mit folgender Begründung. Es kommt für uns in der Hauptsache darauf an, daß die Hausfrau mit Mundzucker billig versorgt wird. Man will die Inlandernte an Zucker als Mundzucker billig herausgeben; der Auslandszucker, also der teure Zucker, soll dann an die zuckerverarbeitenden Betriebe gehen. Diese Vorschläge bezüglich eines gespaltenen Marktes wurden von der Mehrheit des Ausschusses abgelehnt. Die Vertreter des Ministeriums und auch Abgeordnete haben davon gesprochen, daß es nicht mehr vorkommen dürfe, daß man, wenn die Zuckerversorgung nicht funktioniere, immer nur wie bisher das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten dafür verantwortlich mache. Das Ministerium kann auch nur d i e Mengen Zucker im Ausland kaufen, für die es Geld zur Verfügung hat. Das Gesetz, über das wir beraten, berührt nicht den Zuckerrübenbau und auch nicht die Zuckerrübenverarbeitung, sondern lediglich den Verbraucher, also den Preis, und steht in enger Beziehung mit dem Preis für Auslandszucker, mit der Zuckersteuer und mit dem Zuckerzoll. Das Gesetz wird vom Ernährungsausschuß als dringlich bezeichnet. Die Zuckerrübenfabriken müssen zu Beginn der Kampagne wissen, welche Preise sie für den Weißzucker bekommen und was sie an die Landwirte auszahlen können. Das Gesetz sieht ursprünglich vor, daß es am Tage nach seiner Verkündung in Kraft tritt. Es wäre vielleicht erwägenswert, als Termin für das Inkrafttreten schon den 1. Oktober festzusetzen. Wie bei Getreide und Futtermitteln im Getreidegesetz, so hat sich auch bei Zucker seit dem Inkrafttreten des Zuckergesetzes vom 5. August 1951 aus der Praxis heraus die Notwendigkeit der Abänderung des Gesetzes ergeben. In erster Linie dreht es sich um die Preisregelung. Das bisher in § 6 des Zuckergesetzes vorgesehene Verfahren, wonach für die Preisfestsetzung bei Zucker jedesmal die Bundesregierung tätig sein mußte, hat sich insbesondere bei der Festsetzung der Übernahme-und Abgabepreise für Auslandszucker als zu schwerfällig und als in der Praxis nicht durchführbar erwiesen. Deshalb sollen die Übernahme- und Abgabepreise für den von der Einfuhrstelle zu übernehmenden Zucker von der Einfuhr- und Vorratsstelle festgesetzt werden und der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft generelle Bestimmungen über diese Preisfestsetzung treffen. Der Ernährungsausschuß hat die im Gesetzentwurf auch vorgesehene Beteiligung des Bundesministers der Finanzen für nicht erforderlich gehalten und im Gesetz in § 6 Abs. 2 und 4 eine entsprechende Streichung vorgenommen. Entsprechend der Regelung im Ergänzungs- und Abänderungsgesetz zum Getreide({14}) gesetz muß auch hier in § 9 Abs. 4 die Bestimmung über die Beteiligung des Bundesministers der Finanzen gestrichen werden. Der Ernährungsausschuß hat bei der Beratung des Gesetzentwurfes seine Auffassung dahin bekanntgegeben, daß auch hier wie beim Ergänzungs- und Abänderungsgesetz zum Getreidegesetz die Beteiligung des Bundesministers der Finanzen nicht erforderlich sei. Ich bitte den Herrn Präsidenten, bei der Abstimmung über § 9 Abs. 4 hierauf zu achten. Hervorzuheben ist, daß nach § 6 Abs. 4 zur Erzielung eines einheitlichen Verbraucherpreises Ausgleichsabgaben erhoben werden können. Die Ausgleichsabgaben sollen einerseits zur Durchführung eines Frachtausgleichs für Zuckerrüben aus frachtungünstig gelegenen Anbaugebieten verwendet werden; andererseits sollen sie einen Preisausgleich zwischen inländischem Zucker und aus dem Ausland eingeführtem Zucker ermöglichen. Bei der Ihnen bekannten Versorgungs- und Finanzlage sind diese beiden Maßnahmen als durchaus notwendig und zweckentsprechend anzusehen und vom Ernährungsausschuß auch anerkannt worden. Schließlich darf ich auf die in § 13 erfolgte Erweiterung der Meldepflicht hinweisen. Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfiehlt dem Hohen Hause die Annahme des Gesetzes in der von diesem Ausschuß vorgeschlagenen Fassung. Hierbei sind alle Änderungsvorschläge des Bundesrats in der Ihnen vorliegenden Drucksache Nr. 2559 berücksichtigt worden.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir treten in die zweite Beratung des Gesetzentwurfes ein. Ich rufe die Vorlage nach den Beschlüssen des Ausschusses artikel- und ziffernweise auf und weise darauf hin, daß die allgemeine Aussprache erst in der dritten Beratung stattfinden kann. Art. 1 Ziffer 1. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer für die Annahme dieser Ziffer ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! Gegen einige Stimmen angenommen. Ziffer 2, - Ziffer 3, - Ziffer 4 mit der vom Herrn Berichterstatter angekündigten Änderung, daß die drei Worte „und der Finanzen" zu streichen sind. ({0}) - Dann lasse ich zunächst nur über die Ziffern 2 und 3 abstimmen. Wer für die Annahme dieser Ziffern ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! -- Angenommen. Ich rufe Ziffer 4 auf. Zu Ziffer 4 hat das Wort Frau Abgeordnete Keilhack.

Irma Keilhack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001076, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Abs. 4 der Ziffer 1 haben wir zu bemerken, daß die Bundesregierung durch diese Formulierung die Möglichkeit erhalten soll, Ausgleichsabgaben bei Zuckerfabriken und Zuckerraffinerien zu erheben.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Darf ich darauf aufmerksam machen, daß wir in der Abstimmung schon weiter sind. Ich habe artikel- und ziffernweise aufgerufen, und wir sind bei Ziffer 4 des Art. 1.

Irma Keilhack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001076, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich spreche ja zu Abs. 4.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Sie sprechen zu Abs. 4 des § 6 im Rahmen der Ziffer 1. Über die Ziffer 1 ist aber schon abgestimmt.

Irma Keilhack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001076, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich spreche zu Ziffer 4 im Rahmen des § 6.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ich bitte um Vergebung! Ich habe ziffernweise aufgerufen, und wir haben über die Ziffern 1, 2 und 3 schon abgestimmt.

Irma Keilhack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001076, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich spreche zu Ziffer 4, d. h. zu Abs. 4.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Sie haben sich zu spät gemeldet.

Irma Keilhack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001076, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darüber ist noch nicht abgestimmt.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Wir haben darüber schon abgestimmt. ({0}) - Sie müssen bei der dritten Lesung sprechen und Ihre Anträge stellen. Ich lasse über Ziffer 4 abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! -- Das erste war die Mehrheit. Das ist angenommen. Ziffer 5, - Ziffer 6, - Ziffer 7, - Ziffer 8. -. Wer für diese Ziffern ist, den bitte ich, die Hand zu erheben, - Gegenprobe! - Gegen einige Stimmen angenommen. Ich rufe Art. 2 auf. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Gegen einige Stimmen angenommen. Ich rufe Einleitung und Überschrift auf. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! ({1}) - Ja, gegen einige Stimmen angenommen. Damit ist die zweite Beratung beendet. Ich rufe zur dritten Beratung auf und eröffne die allgemeine Aussprache. Wird zur allgemeinen Aussprache das Wort gewünscht? Das Wort hat Frau Abgeordnete Keilhack.

Irma Keilhack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001076, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben dem Abs. 4 der Ziffer 1 unsere Zustimmung versagt, weil wir der Meinung sind, daß die Frachtausgleichsabgaben und Abschöpfungsmöglichkeiten, wie sie hier festgelegt worden sind, der Bundesregierung die Möglichkeit geben sollen, den Zuckerpreis zu fundieren, den sie durch eine Verordnung über den Bundesrat erzielen will. Wir meinen, daß der Zuckerpreis, so wie er von der Regierung gefordert wird, unberechtigt ist und daß man die Kosten nicht akzeptieren kann, die man für eine Erhöhung des Preises anführt. Wir sind der Ansicht, daß die Formulierung über den Fracht- und Preisausgleich dem Verlangen des Finanzministers Rechnung tragen soll, außer den nachzuweisenden höheren Kosten für Zuckerrübenfabrikation, -erzeugung und -verarbeitung und außer der Handelsspanne auch noch den Betrag in den Zuckerpreis hineinzunehmen, ({0}) der nur zum kleinen Teil als Frachtausgleich zwischen den weiter entfernt liegenden und den den Zuckerfabriken näherliegenden Anbaugebieten dienen, aber zum größeren Teil die Subventionsspitzen auffangen soll, nachdem durch die sonstigen Preisaufschläge schon fast keine Subventionsmittel mehr im Haushaltsplan vorgesehen sind. Dieser Betrag von 8,69 DM für 100 kg Zucker, um den es dabei geht, belastet den Verbraucher über die 9 Pfennige pro Pfund Zucker hinaus, die kalkulatorisch nachgewiesen werden müssen, noch um weitere 4 Pfennige pro Pfund, die Herr Minister Schäffer als Risikobetrag in seinem Haushalt behalten möchte. Zum Frachtausgleich ist sachlich zu sagen, daß es sehr bedenklich ist, den Zuckerverbraucher dafür büßen zu lassen, daß es der Investitionspolitik der Bundesregierung nicht gelungen ist, so viel Kreditmittel freizumachen, daß man die unbedingt nötigen Zuckerfabriken in den Rübenanbaugebieten bauen konnte. Man verließ sich lediglich auf Marshallplanmittel, mit deren Ausbleiben der Zuckerfabrikbau abgestoppt oder so verlangsamt werden mußte, daß man heute große Transportwege in Kauf nehmen muß und damit die Frachtbelastung bekommt, die nun über den erhöhten Zuckerpreis aufgefangen werden soll. Man kann eben, wie auch dieses Beispiel zeigt, fast keine finanz- oder wirtschaftspolitische Maßnahme ohne Zusammenhang mit der Gesamtpolitik, in diesem Falle mit der Investitionspolitik, betrachten. Nun sollen diese Mängel durch die Belastung eines Grundnahrungsmittels, das von der großen Masse der Klein- und Mittelverdiener gekauft wird, ausgeglichen werden. Aus diesem Grunde haben wir gegen den Abs. 4 gestimmt. Deshalb stimmen wir auch gegen das Zuckergesetz im ganzen als eine der Voraussetzungen für die beabsichtigte Erhöhung des Zuckerpreises, die wir im ganzen für undurchführbar halten. Sie haben, wie zu erwarten war, ,dem Gesetzentwurf auf Drucksache Nr. 2559 zugestimmt und damit unsere Haltung abgelehnt. Sie haben dafür die Verantwortung zu tragen und nicht wir. Wir halten es aber bei dieser Gelegenheit für unerläßlich, den Bundestag darauf hinzuweisen, daß eine sich hieraus ergebende Forderung des Finanzministers auf Erhöhung des Zuckerpreises nicht mehr angenommen werden darf, weil angesichts der laufenden Preiserhöhungen für die wichtigen Nahrungsmittel des täglichen Bedarfs in den letzten Monaten eine abermalige Verminderung des Lebensstandards der breiten Verbraucherschichten nicht verständlich ist. Wenn die nachweislich gestiegenen Erzeuger-, Be- und Verarbeitungskosten für Zucker so weit gestiegen sind, daß sie in diesen Produktionsstufen nicht mehr aufgefangen werden können, dann müssen die Kosten eben durch eine Senkung der Zuckersteuer, d. h. ohne eine erneute Belastung des Verbraucherpreises, aufgefangen werden. Die jetzige Kostenerhöhung und Kostenberechnung für Zucker soll ausschließlich aus der fiskalischen Sicht und nicht aus kalkulatorischen Notwendigkeiten erfolgen. Mit der Preiserhöhung will der Herr Finanzminister den Inlandspreis heraufschrauben, um die Mittel für die Herunterschleusung des Auslandszuckers auf das Inlandspreisniveau zu vermindern. Schon bei der ersten Senkung der Zuckersteuer zugunsten der Zuckerrübenanbauer ist im Bundestag die Forderung erhoben worden, baldmöglichst eine zweite Senkung - und dann zur Verbilligung des Verbraucherpreises - vorzunehmen. Denn welches Grundnahrungsmittel ist schon wie der Zucker von vornherein in Höhe von fast, einem Drittel seines Preises mit Sondersteuern belastet! Bei der Bestätigung der Erhöhung des Rübenpreises durch den Bundesrat im März dieses Jahres ist in einer einstimmig beschlossenen Resolution des Bundesrats die Auffassung gebilligt worden, daß keine Erhöhung des Zuckerpreises eintreten darf und daß diese im Eventualfall durch eine Senkung der Zuckersteuer ausgeglichen werden muß. Dieser Auffassung hat sich Herr Minister Niklas vorbehaltlos angeschlossen. Es wäre für uns sehr nötig, zu wissen, ob der Herr Minister für die Ernährung und Landwirtschaft seine Auffassung hierüber etwa geändert hat. Die Zuckersteuer bringt dem Fiskus rund 488 Millionen DM ein. Die Umsatzsteuer aus dem Zuckerverkauf beträgt abermals 142 700 000 DM. Zusammen nimmt also Minister Schäffer in seinem Haushalt allein durch den Zuckerverbrauch rund 631 Millionen DM ein. Der bisher benötigte Subventionsbetrag für den gesamten importierten Zucker lag um 153 Millionen DM. Laut Angaben des Ernährungsministeriums rechnet man bei den derzeitigen Preisen, die durchaus gut gegriffen sind und eher fallen als steigen können, mit rund 179 Millionen DM Subventionen. Das geht auch aus der Darstellung in dem Memorandum hervor, das jetzt an die Länderminister gegangen ist. Dieser importierte Zucker, den man, wenn der alte Zuckerpreis bleibt, im Bundeshaushalt mit 179 Millionen DM glaubt subventionieren zu müssen, bringt dem Finanzminister an Zuckersteuer allein rund 195 Millionen DM ein. Hierbei handelt es sich um die 640 0000 t Auslandszucker. Er nimmt also zunächst einmal 195 Millionen DM Zuckersteuer ein, und da er den importierten Zucker durch den Zuckeraufschlag auf den Importpreis im Preis höher setzt, muß er ihn selbstverständlich wieder auf den Inlandspreis heruntersubventionieren. Er gibt also quasi nur seine vereinnahmte Zuckersteuer für die Subventionsausgaben wieder her. Es ist doch völlig klar, daß diese Subventionen gar keine echten Ausgaben sind, denn er vereinnahmt ja vorher einen größeren Betrag in Form der Zuckersteuer. Wenn er also für den Importzucker keine Zuckersteuer mehr verbucht, wird er auch keine Subventionen mehr in seinem Haushalt finden, j a er wird sogar darüber hinaus noch 15 bis 30 Millionen DM, je nach dem Weltmarktpreis, Einnahmen aus Steuern für diesen Auslandszucker erhalten. Dazu kommen noch aus der Umsatzsteuer für die Menge von 640 000 t importierten Zucker abermals 48 Millionen DM. Dafür also, daß wir in der Bundesrepublik diese 640 000 t Auslandszucker verbrauchen, hat Herr Minister Schäffer noch Steuereinnahmen von rund 60 bis 75 Millionen DM, ohne daß er hierfür einen Pfennig Subvention zu zahlen braucht. Alle anderen Berechnungen sind doch nur Methoden der Haushaltsführung und kein echter Kostenaufwand für diese Importe. Unser deutscher Zuckerpreis ist durch die hohe Steuerbelastung schon jetzt viel zu hoch. Es gibt keine Berechtigung für eine neue Preiserhöhung wegen Kostensteigerung bei Preisfaktoren. Ich habe das vorhin eingehend begründet. Es gibt aber erst recht keine Berechtigung für diese Zuckerpreiserhöhung mit der Begründung, der Bundeshaushalt brauche zusätzliche Einnahmen. Diese sollen nicht durch eine weitere Erhöhung des Zuckerpreises, der sowieso schon unglaublich hoch ({1}) ist, hereingeholt werden. Denn dadurch würde wiederum der Prozentsatz an indirekten Steuern erhöht, an Steuern, die den Rentner wie den Kriegsinvaliden, den Großverdiener wie sogar die Millionäre, von denen wir in Deutschland auch schon wieder einige haben, in gleicher Weise, den einen schwer, den anderen leicht, treffen. Die Bundesregierung möge sich den Kopf darüber zerbrechen, wie eine gerechtere Belastung in Deutschland zu finden ist, und nicht den Weg des schwächsten Widerstandes wählen. ({2}) Wir protestieren an dieser Stelle nachdrücklich gegen die Absicht der Vermehrung von Bundeseinnahmen über den Zuckerpreis, wodurch Herrn Schäffer bei 26 Pfennig Verteuerung je Kilo zusätzlich rund 416 Millionen DM in seinen Etat fließen würden, die selbstverständlich wiederum dem Verbraucher genommen werden. Wir werden einen Antrag einbringen, der die Bundesregierung auffordern wird, dem Parlament mitzuteilen, was sie zu tun gedenkt, um den jetzigen Zucker-Verbraucherpreis auf jeden Fall zu halten. Der Finanzminister hat weiter die Absicht, die bisherige Zollfreiheit für Zucker ab 1. Oktober in eine Zollbelastung von 32 DM pro 100 kg umzuändern, die ihm wiederum 205 Millionen DM Mehreinnahme bringen und die angeblich zu Lasten des Zuckerpreises für die Industrie gehen würde. Das heißt, es würde in diesem Falle für Zucker ein gespaltener Preismarkt eintreten. Wir wissen - die Verhältnisse auf dem Eisen- und Kohlenmarkt und die heutige Kohlendebatte haben das erneut bewiesen -, daß gespaltene Preise bedeuten, daß eine Ware nur noch zum höchsten Preis zu haben ist. Das würde auch bei Zucker so kommen. Abgesehen davon stehen wir auf dem Standpunkt, daß selbst bei Funktionieren der Marktspaltung eine Verteuerung sehr vieler Produkte des Industriesektors nicht zu verantworten ist, von Produkten wie Marmelade, Honig und sonstigem Brotaufstrich; denn Sie wissen so gut wie wir, daß es eine absolute Relation zwischen dem Fett- und dem Zuckerverbrauch gibt und daß bei der Fettverteuerung, besonders bei der Butterpreissteigerung der letzten Zeit, eine Abwanderung vom Fett zum Süßwarenaufstrich erfolgen wird, die wir nicht durch eine künstliche Verteuerung dieses Aufstriches hindern wollen. Wir werden also auch in der Frage der Zollsatzes den Antrag stellen, daß der Zucker als eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel zollfrei bleibt und dieses Grundnahrungsmittel nicht noch mehr eine der Haupteinnahmeguellen des Fiskus wird. weil ihm einfach nichts Besseres einfällt. Zu der Drucksache Nr. 2559, die wir behandelt haben, erklären wir noch einmal - nachdem der Abs. 4 von Ihnen angenommen und nicht gestrichen worden ist -, daß wir sie im ganzen ablehnen werden. ({3})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Niebergall.

Otto Niebergall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001604, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Meine Damen und Herren! Das vorliegende Gesetz zur Ergänzung und Abänderung des Gesetzes über den Verkehr mit Zucker dient weder den nationalen Interessen unserer Landwirtschaft noch denen unseres Volkes. Die Annahme dieses Gesetzes bedeutet, dem Steuerfaß der Bundesregierung, dem Faß ohne Boden, einen neuen Beitrag zu leisten; denn der Bundesregierung geht es bei diesem Gesetz darum, die bisher geleisteten Subventionen zu vermindern und mit Hilfe der Ausgleichsabgabe, die nichts anderes als eine sogenannte Sondersteuer ist, neue Mittel für die Wiederaufrüstung zu bekommen. Kein Wort ist weder in dem bereits erlassenen Gesetz noch in diesem Gesetz von heute von einer Mitbestimmung oder Mitkontrolle bei der Preisgestaltung oder der Verarbeitung, der Handelsspannen oder Lieferungsbedingungen zu finden. ({0}) Wir sind dafür, daß die Landwirte für ihre Produkte anständige und angemessene Preise erhalten, aber wir sind dagegen, daß das ausschließlich auf Kosten der Verbraucher geht. Die ganze Preispolitik der Bundesregierung geht auf nichts anderes aus als darauf, die Preise zu erhöhen, neue Steuern zu erfinden und die Masse unserer Bevölkerung so oder so zu belasten, um neue Mittel für die Wiederaufrüstung in die Hände zu bekommen und diese Mittel den Besatzungsmächten in den Rachen zu werfen. Wir sind dagegen, daß der Bundesregierung das Recht der Preisgestaltung gegeben wird. Wohin die Preisgestaltungspolitik der Bundesregierung geführt hat, das sehen wir auf allen Gebieten unseres Wirtschaftslebens. Wir fordern, daß Schluß gemacht wird mit den fast ausschließlich dollargebundenen Handelsverträgen, die unserem Volke diktiert werden und die allem anderen als den nationalen Interessen unseres Volkes dienen. Wir sind überzeugt: Diese „Dollaritis" ist eine gefährliche Krankheit, deren Kosten unser Volk bezahlen muß. Wir fordern Ausbau und Entwicklung des innerdeutschen Handels, Verstärkung des Handels mit dem Osten. Solche Handelsverträge und -vereinbarungen entsprechen unserem nationalen Interesse und sind nicht gebunden an irgendwelche einseitigen Interessen, wie wir es bei den Handelsverträgen mit dem Westen sehen. Weil dieses Ergänzungsgesetz weder dem wirklichen Interesse der Landwirtschaft noch dem der Verbraucher entspricht, wird die KPD-Fraktion dagegen stimmen.

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller.

Dr. Dr. h. c. Karl Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001557, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren! Ehe ich in die Behandlung der Materie eintrete, darf ich ein paar Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Niebergall machen. Er erklärte, daß sie - d. h. die Herren von der äußersten Linken - zwar die Interessen der Landwirtschaft fördern, es aber ablehnen, daß über die Zuckerpreise neue Mittel für die Wiederaufrüstung gefunden werden. Ich meine, dieses Märchen kennen wir längst. Ich würde Ihnen raten, Herr Niebergall, sich einmal um die Zuckerwirtschaft in der Ostzone zu kümmern. ({0}) Aus der Ostzone verschwindet der meiste Zucker nach Rußland, obwohl Rußland einen ausgedehnten Rübenanbau und eine eigene Zuckerindustrie hat. Sie werden es mir nicht verübeln, wenn ich annehme, daß dieser Zucker zu Sprengstoff verarbeitet wird; denn Sprengstoff ist ja das Lebenselixier Ihrer Weltanschauung. ({1}) Und dann, Herr Niebergall, begeben Sie sich einmal in die HO-Läden. Die breite Masse der Bevölkerung in der Ostzone kennt den Zucker nur mehr ({2}) noch aus Bilderbüchern; und in den HO-Läden wird er verkloppt, wie mir mitgeteilt worden ist, für 3,50 Ostmark pro Pfund! Also kümmern Sie sich dort mal um die Zuckerwirtschaft, und wenn Sie die in Ordnung gebracht haben, können Sie hier mitreden. ({3}) Nun, meine Damen und Herren, zu dem Gesetz, das hier zur Debatte steht. In diesem Gesetz soll die Preisregelung für Zucker neu getroffen werden, und zwar in der Form, daß nicht mehr die Bundesregierung, sondern der Wirtschaftsminister und der Ernährungsminister mit dem Bundesrat die Entscheidungen treffen, wie es auch im Preisgesetz vorgesehen ist. Denn man kann der Bundesregierung nicht zumuten, bei jeder Einfuhr einen Beschluß zu fassen und - je nachdem, wie der Preis in den einzelnen Einfuhrländern liegt - den Preis festzusetzen. Ich glaube, daß niemand etwas gegen die neue Regelung einzuwenden hat. Der springende Punkt bei diesem Gesetz ist Abs.. 4, den auch die Kollegin Keilhack beanstandet hat. Mit dieser Bestimmung wird der Regierung die Möglichkeit gegeben, Abschöpfungen vorzunehmen. Meine Damen und Herren, wie liegen die Dinge? Rübenbau und Zuckerindustrie haben Kalkulationen eingereicht: nachdem der Rübenpreis. auf 6 Mark festgesetzt worden ist und Erhöhungen der Löhne, der Frachten, der Kohle und all dessen, was dazu gehört, eingetreten sind, müssen diese Mehrkosten durch den Zuckerpreis abgedeckt werden. Durch den Rübenpreis von 6 Mark würde sich ein Preis von 46,20 DM gegen bisher 38,42 DM ergeben. Die Industrie soll 5 Mark mehr erhalten, obwohl ihre Kalkulation über diesen Preis hinausging. Aber die von mir geleitete Wirtschaftsvereinigung Zucker hat der Regierung erklärt: Wir finden uns also mit 5 Mark ab; wir sind nicht dazu da, Betriebe, die technisch nicht auf der Höhe sind, zu erhalten, sondern wollen gerade durch eine solche Preisfestsetzung diese Betriebe zwingen, sich technisch entsprechend auszugestalten. Dann sind die Spannen für den Handel erhöht worden. Der Großhandel erhält statt 4,98 5,76 Mark und kommt damit auf einen Gewinn von 4,2% beim Umsatz von Zucker; der Einzelhandel kommt auf einen Gewinn von 7,2%. So niedrige Spannen gibt es im Lebensmittelhandel bei keiner anderen Ware. Ich darf hier unterstreichen, daß die gesamte Wirtschaft, die am Rübenbau und an der Zuckerwirtschaft interessiert ist, absolutes Maß gezeigt hat in ihren Forderungen hinsichtlich dessen, was nun geschehen muß. Man kann aber der Wirtschaft nicht zumuten, zum Schluß des Jahres ein großes Defizit unter dem Strich erscheinen zu lassen, und ich glaube, dafür haben auch die Konsumenten Verständnis. Die Situation ist bei uns so, daß wir rund 600 000 tons Zucker einführen müssen, wenn wir den vorhandenen Bedarf decken wollen. Die Kurve für den Bedarf an Zucker steigt an. Wir sind das Land, das im Zuckerverbrauch noch am tiefsten steht, und man kann diesen Bedarf nicht künstlich abdrosseln. Zucker ist eines der wichtigsten Nahrungsmittel, und deshalb brauchen wir die Einfuhr. Nun erklärt der Finanzminister - weil wir ja für diese Einfuhr Subventionen brauchen, da der Weltmarktpreis über dem Inlandpreis liegt -, daß er im Etat keine Mittel für die Subventionen hat und daß die Mittel irgendwo anders herkommen müssen. Es bestand *die Absicht, für den eingeführten Zucker einen Zuckerzoll mit 32 Mark pro Doppelzentner zu erheben und diesen Zucker nur in die industrielle Verarbeitung zu geben. Ja, meine Damen und Herren, das ist sehr schön gesagt, aber die industrielle Verarbeitung umfaßt ja nur zum geringsten Teil Produkte, die man eventuell als Luxus ansprechen kann. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß auch nicht alle Schokolade Luxus ist. Wir haben aber die Marmeladenindustrie, die Kunsthonigindustrie, Bäckereien, Konditoreien, Obstkonservenfabriken usw. usw.. Tatsächlich werden, wenn ich den Luxusbedarf großzügig bemesse, vielleicht 15% unseres gesamten Zuckerverbrauchs in diesen Sektor der industriellen Verwertung hineingehen. Das würde bedeuten, daß - wenn ich den Zoll dazu nehme - hier eine starke Verteuerung eintritt. Dann, meine Damen und Herren, komme ich zur These vom gespaltenen Markt. Mit dieser These geht mein verehrter Freund von Rohr schon seit Jahr und Tag in unseren deutschen Landen hausieren. Aber, meine Damen und Herren, man kann den Zucker weder schwarz, rot, blau noch grün färben, und wer garantiert mir, - ({4}) - Sie würden ihn ja lieber rot färben, ({5}) aber seien Sie beruhigt: es gibt einen. gewissen rot gefärbten Zucker; den können Sie sich holen, um Ihre Einmachtöpfe damit zu färben! ({6}) Meine Damen und Herren, wer garantiert mir dafür, daß nicht auch deutscher Zucker in den Sektor „Auslandszucker" hineinfließt? Man kann das nachher auch chemisch nicht mehr unterscheiden. Ich bin der Überzeugung, daß der gespaltene Markt zu einem Schwarzhandel führen wird, dessen wir nicht mehr Herr werden. Und nun die andere Seite. Gibt es keine Subventionen, können wir auch keinen Zucker mehr einführen. Der Berichterstatter hat schon darauf hingewiesen, daß mit der deutschen Produktion ein Kopfbedarf von 1,5 kg pro Monat gedeckt werden kann. Das ist der Verbrauch an Mundzucker. Wenn nicht mehr Zucker zur Verfügung steht, dann werden wir auch wieder zu einem Schwarzmarkt auf Kosten des Mundverbrauchs kommen. Ich glaube, dem wird keiner von uns das Wort reden. Deshalb müssen Mittel und Wege gesucht werden, über diese Schwierigkeiten hinwegzukommen. Meine Damen und Herren! Das Gesetz, das uns vorliegt, bestimmt ja keine Preise, und der Bundestag hat mit der Preisfestsetzung auch gesetzlich nichts zu tun. Aber wir haben ein großes Interesse daran, zu wissen, wie die Dinge laufen werden. Ich erkläre nochmals, daß Rübenbau und Industrie mit einer Preisgestaltung über 132 DM nichts zu tun haben, daß aber im Interesse der Gesamtversorgung ein Weg gefunden werden muß, der die Einfuhr ermöglicht. Ich bin der Auffassung. daß wir dem Gesetz zustimmen können und müssen, um der Regierung eine Möglichkeit zu geben, die Dinge in ihrer Verantwortung zu regeln. Aber ich habe hier im Namen meiner Freunde zu erklären, daß wir vor der Regelung gehört werden wollen und daß wir ein ernstes Wort darüber mitreden möchten, wie die Dinge gestaltet werden; denn die letzte Regelung allein der Regierung zu überlassen, erachten wir angesichts der Gesamtsituation, in der sich die breiten Massen der Konsumenten befinden, für unerträglich und unmöglich. Ich bin auch der Meinung, daß fiskalische Gründe so weit als mög({7}) lieh zurückzutreten haben und daß unter allen Umständen vermieden werden muß, irgendein Lebensmittel zu verteuern über das Maß dessen hinaus, was wirtschaftlich unbedingt notwendig und erträglich ist. ({8}) Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie deshalb, diesem Gesetzentwurf, der die Preisfrage nicht präjudiziert, zuzustimmen mit der Maßgabe, daß das Gesetz nicht, wie vorgesehen ist, am Tage der Verkündung, sondern am 1. Oktober in Kraft tritt. Ich stelle den Antrag, daß der 1. Oktober genommen wird. Es ist mir gelungen, die Zuckerindustrie zu veranlassen, schon am 24./25. September mit der Arbeit zu beginnen, obwohl die Rüben dann noch nicht ausgereift sind, eben damit in der Zuckerversorgung keine Pannen auftreten. Die Preisanordnung für Zuckerrüben ist da, und in dem Augenblick, in dem ich die Zuckerrüben abnehme, bin ich verpflichtet, den Preis zu zahlen, ohne daß ich weiß, ob ich ihn aus dem Erlös für den Zucker zahlen kann. Deshalb muß eine Preisregelung zum 1. Oktober gefunden werden, damit es hier nicht zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Spannungen kommt. Deshalb die Bitte, dem Gesetz zuzustimmen ({9}) unter der Voraussetzung, die ich eben genannt habe, daß seitens der Regierung mit den Fraktionen dieses Hauses über die Preisfrage eingehend verhandelt wird und daß das Gesetz am 1. Oktober in Kraft tritt.

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat der Abgeordnete Dannemann.

Robert Dannemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000356, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Berichterstatter hat bereits in seinem Bericht zum Ausdruck gebracht, daß der Anbau von Zuckerrüben im Bundesgebiet in den letzten Jahren erfreulicherweise von Jahr zu Jahr erheblich gesteigert werden konnte. Er hat darauf hingewiesen, dab wir im Jahre 1949 insgesamt etwa 750 000 Tonnen Inlandszucker erzeugt haben, daß wir im letzten Jahr eine Erzeugung von 915 000 Tonnen hatten und in diesem Jahr annähernd die Eine-Million-TonnenGrenze erreichen werden. Er hat aber auch mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, daß wir immerhin noch einen Fehlbedarf von jährlich etwa 500 000 bis 600 000 Tonnen haben, die zu einem Preis eingeführt werden müssen, der wesentlich höher liegt als der deutsche Zuckerpreis. Ich stimme der Abgeordneten Frau Keilhack zu, wenn sie sagt, daß in Anbetracht dieser Tatsachen mit allen Mitteln versucht werden sollte, die bereits vor Jahresfrist geplanten drei fehlenden Zuckerfabriken schnellstens in den Gebieten zu errichten, die bisher hoch nicht in der Lage waren, sie aufzubauen. Ich brauche nur auf Schleswig-Holstein hinzuweisen, auf Niedersachsen und insbesondere auf den Raum Weser-Ems. Es wird eine der vordringlichsten Aufgaben sein, das Geld für die Errichtung dieser Fabriken zur Verfügung zu stellen. Solange das aber nicht geschehen ist, muß, damit wir zu einem einheitlichen Erzeugerpreis, aber auch zu einem einheitlichen Verbraucherpreis kommen, ein Frachtenausgleich durchgeführt werden. Aus diesem Grunde muß zwangsläufig eine Ausgleichsabgabe von den verarbeitenden Industrien und Raffinerien erhoben werden. Dieser Frachtenausgleich ist aber auch deswegen notwendig, um einen Preisausgleich zwischen dem teuren Auslandszucker und dem billigen Inlandszucker herbeizuführen, wenn man schon nicht bereit ist - damit stimme ich den Ausführungen meiner Vorredner nicht ganz zu -, einen gespaltenen Markt durchzuführen. Ich könnte mir vorstellen, daß bei richtiger Anpassung und bei richtiger Handhabung die Möglichkeit gegeben ist, den etwas teureren Auslandszucker gewissen verarbeitenden Industrien zuzuführen, die ihn verkraften können. Man wird das nicht verallgemeinern und keineswegs die Marmeladenindustrie und andere Industrien belasten können. Aber immerhin dürfte die Möglichkeit gegeben sein, hier mit einem gespaltenen Markt zu arbeiten. Wenn man das aber aus grundsätzlichen Erwägungen nicht will - der Ausschuß hat sich in der Mehrheit gegen eine solche Spaltung des Marktes ausgesprochen -, dann bleibt, um die Versorgung der Bevölkerung mit Zucker durchzuführen, gar nichts anderes übrig, als der Vorlage zuzustimmen. Namens meiner Fraktion möchte ich die Erklärung abgeben, daß wir nicht nur der Vorlage zustimmen, sondern daß wir auch größtes Gewicht darauf legen, daß das Gesetz spätestens am 1. Oktober in Kraft tritt.

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Loritz. Loritz: Meine Damen und Herren! Jeder, der es mit unserer Volkswirtschaft gut meint, muß sich gegen Preiserhöhungen für lebenswichtige Waren wehren. Wir haben schon einmal den Weg gezeigt, auf dem man eine Erhöhung des Preises auch für Zucker verhindern kann: indem man nämlich die unerhört hohen Steuern abbaut, die auf diesem wichtigen Lebensmittel liegen. Das wurde schon von einer Vorrednerin sehr gut ausgeführt. Vor allem aber ist eines zu solchen Gesetzen zu sagen: Es muß endlich einmal davor gewarnt werden, der Regierung unbeschränkte Machtbefugnisse zu geben, indem man ihr erlaubt, durch Rechtsverordnungen Preise festzusetzen und damit die ganze Wirtschaft zu deroutieren. ({0}) - Ja, wir haben das bereits an verschiedenen Ecken. Man sollte aber endlich einmal stoppen und nicht bei weiteren Gelegenheiten diese Vollmachten an die Regierung noch vermehren, Herr Zwischenrufer! ({1}) Man kommt nämlich sonst mit Sicherheit in kurzer Zeit zu einem Blankoermächtigungsgesetz für die Regierung, zuerst in wirtschaftlicher Beziehung; und bald wird das politische Ermächtigungsgesetz folgen. Mancher hat es schon bös bedauern müssen, daß er früher einmal sein Ja zu einem Ermächtigungsgesetz geben hat. Wir möchten vor einer solchen Entwicklung warnen. ({2}) Wir müßten als Bundestag ohne Rücksicht auf Fraktionen und Parteien schon aus Selbstachtung alles tun, um die Abgeordneten bei der Bemessung der Preise für die wichtigsten Lebensmittel nicht ausschalten zu lassen. Stimmen Sie, Herr Zwischenrufer, nur weiterhin solchen Ermächtigungsverordnungen zu, und bald werden selbst Sie von den ({3}) Regierungsparteien auch nichts mehr zu sagen haben! Das wird dann die verdiente Strafe für Sie sein. ({4})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schuster.

Johann Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002117, Fraktion: Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV)

Nachdem Herr Loritz soeben von „wir" gesprochen hat, möchte ich nur erklären, daß er lediglich in seinem eigenen Namen, nicht aber im Namen der WAV-Gruppe oder der WAVPartei gesprochen hat. ({0})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; die allgemeine Aussprache ist geschlossen. Ich rufe in der Einzelberatung auf Art. 1 Ziffer 1, - Ziffer 2, - Ziffer 3. - Angenommen. Zu Ziffer 4 des Art. 1 liegt zunächst der Abänderungsantrag vor, die Worte „und der Finanzen" zu streichen. Ich bitte diejenigen, die dieser Abänderung zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; der Abänderungsantrag ist angenommen. Wir stimmen nun ab über Art. 1 Ziffer 4 mit der soeben beschlossenen Änderung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; Art. 1 Ziffer 4 ist angenommen. Nun rufe ich weiter auf Ziffer 5, - Ziffer 6, - Ziffer 7, - Ziffer 8. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Ziffern des Art. 1 zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; angenommen. Ich rufe auf Art. 2. - Hierzu liegt vor der Abänderungsantrag des Herrn Abgeordneten Dr. Müller ({0}) und Fraktion, Art. 2 folgende Formulierung zu geben: Dieses Gesetz tritt am 1. Oktober 1951 in Kraft. Ich bitte diejenigen, die diesem Abänderungsantrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; der Abänderungsantrag ist angenommen. Jetzt rufe ich auf Einleitung und Überschrift. - Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in seiner Gesamtheit zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; das Gesetz ist damit in dritter Beratung verabschiedet. Wir haben nun noch über den Ausschußantrag auf Drucksache Nr. 2559 Ziffer 2 abzustimmen. Es handelt sich darum, den Antrag der Abgeordneten Dr. Dr. Müller ({1}), Dr. Horlacher und Genossen betreffend Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über den Verkehr mit Zucker - Nr. 2107 der Drucksachen - für erledigt zu erklären. Ich bitte diejenigen, die diesen Antrag als durch die Annahme des Gesetzes erledigt erklären wollen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag ist angenommen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt. Ich rufe nunmehr auf Punkt 12 der Tagesordnung: Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Tarifvertragsgesetzes ({2}). ({3}) Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sabel.

Anton Sabel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner Fraktion und nach Rücksprache mit anderen Fraktionen beantrage ich die Zurückverweisung der Drucksache Nr. 2396 mit allen dazugehörigen Anlagen an den Ausschuß für Arbeit, damit der Umdruck Nr. 308, der Ihnen heute vorgelegt worden ist, im Ausschuß noch beraten werden kann. Ich bitte, diesem Antrage zuzustimmen.

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Zu dem Überweisungsantrag wird das Wort nicht gewünscht. Ich lasse darüber abstimmen und bitte diejenigen, die der Zurückverweisung zustimmen wollen, die Hand zu erheben. - Das ist zweifellos die Mehrheit; der Antrag ist angenommen. Ich rufe nun auf Punkt 13 der Tagesordnung: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP, BP und des Zentrums betreffend Manöverschäden ({0}). Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Matthes. Matthes ({1}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Bereits in der 77. und in der 139. Sitzung des Deutschen Bundestages haben wir uns mit den Manöverschäden vornehmlich im norddeutschen Raum, und hier wiederum besonders im Bezirk der Lüneburger Heide, unterhalten müssen. Nachdem auch die Presse nicht nur des norddeutschen Raumes, sondern darüber hinaus des gesamten Bundesgebietes sich eingehend mit den im Manövergebiet entstandenen Schäden befaßt hat, darf ich es mir wohl versagen, heute noch einmal auf diese Dinge einzugehen. Und doch sind am heutigen Abend einige Worte am Platz. Ich habe mich selber, auch während der Ferientage, auf die ,Notrufe hin, die aus dem Manövergebiet der Lüneburger Heide kamen, einige Male in dieses Gebiet begeben. Wenn ich Ihnen sage, daß ich abends bei Regenwetter mitten in einem Dorf mit meinem Wagen bis über die Achsen versackt bin und mich von einem Trecker herausziehen lassen mußte, dann mag Ihnen das zeigen, wie selbst auf den befestigten Straßen der Dörfer des Lüneburger Landes die schweren 50 t-Panzer ihre Spuren hinterlassen haben. Das war erst in den jüngsten Tagen. Darüber hinaus muß ich erwähnen - die Manöver und die Fahrübungen gehen dort oben seit zwei Jahren und seit dem Frühjahr ununterbrochen vor sich -, daß die im Frühjahr angerichteten Schäden auf den Feldern, auf den Wiesen und in den Wäldern noch lange nicht vernarbt sind. Die Erregung der Bevölkerung dort oben ist gar zu verständlich. Niemand, und wenn er Laie auf militärischem Gebiet ist, weiß das Verständnis dafür aufzubringen, daß Panzer nun ausgerechnet über ganze Reihen Roggenstiegen hinwegfahren müssen, statt neben den Stiegen zu fahren. Wenn ich Einheitsführer wäre, hätte ich ({2}) dem Panzerkommandanten erklärt: Unter jeder Roggenstiege liegt ein Maschinengewehr; wer darüber fährt, ist außer Gefecht gesetzt! Es ist hier mutwillig Schaden angerichtet worden. Dagegen richtet sich die Erregung der Bevölkerung. Ich muß zum Lobe der großen Masse der an den Manövern teilnehmenden Männer sagen: Die Bevölkerung dort oben erkennt an, daß sie sich mit Fahrzeugen und Panzern anständig, zurückhaltend und vorsichtig bewegt haben. Aber die Klagen werden um so lauter über die mutwillig angerichteten Verwüstungen. Ich habe in der vorvergangenen Woche eine Fahrt durch die Raubkammer gemacht und bin viele Kilometer an Truppenübungsplätzen entlanggefahren, den größten in der Lüneburger Heide, die wir überhaupt haben, mit über 80 000 ha, also 830 qkm, und habe kilometerlang nicht eine einzige Einfuhrschneise der schweren Panzer gesehen. Auf der anderen Seite, in den Privat- und staatlichen Forsten, die zum Teil 20-, 30-, 40jährigen Kiefernbestand haben, reichten die tiefen Spuren nahezu 100 m hinein. Dieser Anblick erinnerte mich an die Luftminen, die während des Krieges in meinem Heimatbezirk in rauhen Mengen heruntergegangen sind. Für derartige Verwüstungen hat die Bevölkerung dort oben keinerlei Verständnis. Ich möchte Sie daran erinnern, daß das einzigartige Monument, das wir im Bereich der Lüneburger Heide haben, die Totenstadt im Bezirk Lüneburg, dieses wunderbare Kulturdenkmal, nicht verschont geblieben ist, daß sechs Riesenwarnschilder aufgestellt waren und daß diese Warnschilder mit umgewalzt wurden. Da kann man nur noch von Mutwillen reden. Alle Fraktionen des Hauses sind sich darin einig, daß die Regierung, gerade auch aus politischen Rücksichten, alles unternehmen sollte, damit derartige Schäden für die Zukunft vermieden werden. Damit würde sich die Regierung, glaube ich, große Verdienste bei der Bevölkerung erwerben. In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß die Mitarbeiter des Herrn Bundesfinanzministers und des Herrn Bundesernährungsministers, vornehmlich aber die Herren der Dienststelle Blank nichts unversucht gelassen haben, in der Angelegenheit vorstellig zu werden, soweit ihnen die Möglichkeit dazu gegeben war. Ich bekam aber gestern auf wiederholte Vorstellungen hin von der Dienststelle Blank ein Schreiben des Inhalts, daß nunmehr bei all den Schäden, die aus dem Frühjahr noch nicht beglichen sind, die deutschen Feststellungsbehörden wieder sehr schnell, von Tag zu Tag arbeiten, daß aber nun plötzlich die Zahlungen ausbleiben. Von der Dienststelle Blank wird uns mitgeteilt: Hinsichtlich der Abfindung der Manöverschäden hat eine fernmündliche Rücksprache mit dem niedersächsischen Finanzministerium ergeben, daß das britische Hauptquartier leider seit kurzer Zeit Änderungen in dem Entschädigungsverfahren verfügt hat, die sich sehr zum Nachteil der Betroffenen auswirken. Während bisher die Manöverschäden durch die deutschen Behörden selbständig festgestellt, geschätzt und entschädigt werden konnten, hat das britische Hauptquartier angeordnet, daß nun jeder Schaden durch die britische Dienststelle in Herford sachlich festgestellt werden muß. Erst dann kann die deutsche Feststellungsbehörde die zahlenmäßige Höhe des Schadens schätzen. Die Zahlungsanweisungen müssen jedoch vor der Auszahlung zunächst von der englischen Dienststelle gegengezeichnet werden. Hier liegt der Hase im Pfeffer. Man hat das Konto der Besatzungskosten überzogen. Darunter hat die betroffene Bevölkerung nunmehr gleichfalls zu leiden. Wir bitten die Regierung dringend, in dieser Hinsicht schnellstens bei der Alliierten Hohen Kommission vorstellig zu werden. Auf vieles ist bereits in der 77. und der 139. Sitzung des Deutschen Bundestages hingewiesen worden. Wir hoffen, daß nunmehr, da wir uns zum drittenmal mit diesen Schäden befaßt haben, endlich ein Einsehen erfolgt und der gute Wille sichtbar wird, für die Zukunft - ich denke an das kommende Jahr - die Schäden auf ein geringes Maß herabzudrücken. Wir hoffen - das ist das Wesentliche -, daß die Vorschläge, die wir zusammen mit den genannten drei Ministerien bereits in den letzten Wochen unter Hinzuziehung der betreffenden Landräte und des betreffenden Regierungspräsidenten gemacht haben, nun auch bei den englischen Dienststellen nicht nur diskutiert, sondern auch beherzigt werden. Ich sage: Nur der gute Wille vermag das zustande zu bringen. Wir hoffen, daß dieser gute Wille auch in der Wahner Heide einziehen wird. Ich hatte, als ich mit einer Bauerndeputation des Lüneburger Landes, die während der Ferien hilfesuchend hierher kam, in der Wahner Heide einen Besuch machte, ganz und gar nicht den Eindruck, als sei dieser gute Wille in jenen Tagen schon zum Durchbruch gekommen. ({3})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Für die Aussprache zu diesem Punkt 13 hat der Altestenrat eine Gesamtredezeit von 40 Minuten vorgesehen. Ich nehme die Zustimmung des Hauses dazu an. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Nowack.

Friedrich Nowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001627, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Schäden, die durch die Übungen der Besatzungstruppen entstanden sind, haben von Jahr zu Jahr an Umfang zugenommen. Während die Schäden in der Lüneburger Heide im Jahre 1949 152 000 DM betrugen, stiegen sie im Jahre 1950 auf 1 227 000 DM und erreichten im laufenden Jahr bis zum 15. August die Summe von 3 800 000 DM. ({0}) Sie werden sich noch weiter erhöhen, denn die Übungen sind ja noch nicht abgeschlossen. Allein in den Landkreisen Soltau, Lüneburg und Harburg sind 585 ha landwirtschaftlich genutzte Fläche, 279 ha forstwirtschaftlich genutzte Fläche und 255 km Straßen, Feld- und Gemeindewege zerstört bzw. so beschädigt, daß es erheblicher Mittel bedarf, um diese wieder instand zu setzen. Die schwersten Schäden sind bei den Straßen und Wegen entstanden. Zu ihrer Wiederherstellung sind nach amtlichen Schätzungen mindestens 2 200 00 DM erforderlich. Die erhebliche Zunahme der Straßenschäden ist einmal auf den vermehrten Einsatz von Fahrzeugen, insbesondere von Panzern, zum andern aber vor allem auf die Verwendung schwerer Panzer zurückzuführen. Kreis- und Gemeindestraßen haben besonders an Straßenbiegungen oftmals derartige Schäden erlitten, daß die Straßen selbst für bäuerliche Fahrzeuge nicht mehr befahrbar sind und dadurch Schwierigkeiten in der Milchabfuhr sowie bei den Erntearbeiten eintraten. ({1}) Schwere Schäden erlitten auch die Brücken und hier vor allen Dingen die mit geringerer Tragfähigkeit. Manche Brücken wurden von den Truppen in der Weise verstärkt, daß sie unter Verwendung der alten Fundamente mit einer Behelfsbrücke überbaut wurden. Jedoch sind selbst in diesen Fällen Schäden entstanden, da die vorhandenen Fundamente diese zusätzliche Belastung nicht aufnehmen konnten. Oftmals wurden neben der Brücke besondere Brücken bzw. Panzerfurten angelegt. So führte die in Oldendorf angelegte Panzerfurt zu einer Erhöhung der Flußsohle um etwa 1 m. Aber auch die Schäden, die in den Forsten angerichtet wurden, sind nicht unerheblich. Zahlreiche Schneisen wurden gefahren, die zur Vernichtung des betreffenden Baumbestandes führten. Die Bäume wurden nicht nur abgeknickt, sondern auch zerfahren, so daß sie durchweg nur als Abfallholz verwendet werden können. Der Schaden ist gerade in diesen gefahrenen Schneisen deshalb so groß, weil eine Aufforstung erst nach Abholzung des gesamten Bestandes möglich ist und daher die betreffenden Flächen in vielen Fällen auf Jahrzehnte hinaus brach liegen bleiben müssen. Schonungen wurden ebenfalls niedergewalzt. Aber auch die Schäden an landwirtschaftlich genutzten Flächen sind recht erheblich. Diese Schäden hätten bestimmt vermieden werden können, wenn die berechtigten Belange der betroffenen Gebiete eine zulängliche Berücksichtigung erfahren hätten. Bestellte Flächen wurden nicht geschont, obwohl dies durchaus möglich gewesen wäre, da angrenzende bzw. in der Nähe gelegene Straßen und Wege sowie Ödlandflächen hätten befahren werden können. Getreide- und Kartoffelfelder wurden selbst kurz vor der Ernte kreuz und quer befahren. Sie wurden vielfach nicht nur durchquert, sondern in ihnen wurden auch Änderungen der Fahrtrichtung sowie Wendeübungen durchgeführt, wodurch besonders schwere Schäden, insbesondere durch Vertiefungen, entstanden. So konnten allein in einem etwa 1 ha großen Getreidefeld 74 Panzerspuren gezählt werden. Bestellte Felder, Wiesen und Weiden wurden zum Teil in einer Breite bis 14 m als Panzerrollbahnen in Anspruch genommen. Hier sind nicht nur tiefe Fahrspuren, sondern auch größere Vertiefungen entstanden, die zum Teil den Umfang von Panzerdeckungslöchern angenommen haben. Der Boden ist dadurch metertief festgewalzt worden. Die Einebnung verursacht erhebliche Kosten. Die Auflockerung des verdichteten Bodens war mit sehr großen Schwierigkeiten verbunden. Hierdurch treten wesentliche Wirtschaftserschwernisse sowie Mindererträge auf diesen Flächen auf Jahre hinaus ein. Bestellte Felder wurden als Lagerplätze benutzt. Die Aberntung der von Panzern befahrenen Felder gestaltete sich außerordentlich schwierig. Dadurch, daß Furchen zum Teil bis zu Knietiefe entstanden sind, war und ist der Einsatz von Erntemaschinen nicht oder nur unter erschwerten Verhältnissen möglich. Das Abmähen des Getreides mußte teilweise mit der Hand geschehen. Erntewagen konnten nicht voll beladen werden. Sie sackten oft in eingeebnete Spuren ein und kippten dann um. Größere Schäden sind auch an Kartoffelfeldern und im Landkreis Lüneburg gerade an Saatkartoffelfeldern entstanden. Die Kartoffeln von diesen Feldern können nicht mehr als einwandfreies Saatgut verkauft werden, zumal die Druckschäden von außen vielfach nicht zu erkennen sind. Da ein großer Teil dieser Kartoffeln sonst als Saatgut ins Ausland geht, tritt durch die Verwüstung dieser Saatgutfelder eine Minderung der Deviseneinnahme ein. Nicht unerwähnt darf in diesem Zusammenhange bleiben, daß oftmals kulturhistorisch wertvolle Anlagen wie Minengräber, Steinmale, Haine, Gerichtsbäume und besondere Naturdenkmäler trotz Kennzeichnung nicht verschont geblieben sind. ({2}) Unverständlich ist und bleibt es für die deutsche Bevölkerung, daß die Übungen in dieser Art und Weise abgewickelt werden. Die Hauptschäden sind nämlich nicht durch großräumige Übungen entstanden, sondern in erster Linie durch sogenannte Fahrübungen einzelner Panzer bzw. durch Verbandsfahrübungen kleinerer Einheiten sowie durch gelegentliche Einsatzübungen dieser kleinen Einheiten, die ohne jede Berücksichtigung der wirtschaftlichen Belange der Bevölkerung durchgeführt wurden. In Einzelfällen mußte leider auch ein rücksichtsloses Vorgehen von Einheiten bzw. einzelnen Fahrern festgestellt werden, die begründete Vorstellungen von deutscher Seite unbeachtet ließen wie z. B. die Bitte um Nichtbefahrung von Hofräumen sowie Schonung besonders wertvoller Kulturen. Dieses Verhalten vereinzelter Besatzungsangehöriger hat zu Verbitterung und Mißstimmung geführt und dürfte die Beziehungen zwischen Besatzungsmacht und Bevölkerung belasten. Es darf aber in diesem Zusammenhang auch nicht unerwähnt bleiben, daß der Verbindungsoffizier des Claims Office in Rheinsehlen sich energisch für Abstellung derartiger Auswüchse eingesetzt hat, daß seine Bemühungen aber infolge des ständigen Wechsels der übenden Einheiten bisher nicht zu einem vollen Erfolg geführt haben. Kein Verständnis bringt die Bevölkerung auch dafür auf, daß Übungen in verstärktem Umfange kurz vor der Ernte durchgeführt wurden und nicht auf einen späteren Termin verlegt werden konnten. Bei Betrachtung des Schadens, der dem einzelnen Betroffenen und der gesamten Volkswirtschaft entstanden ist, erhebt sich die Frage: Mußte das sein? Nun, wir wissen, Soldaten müssen üben, wenn sie ihr Handwerk im Ernstfalle richtig verstehen sollen. Aber nach unserer Auffassung hätten die gleichen Übungen mit dem gleichen militärischen Erfolg auch ohne weitgehende Schädigung der land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen unter Inanspruchnahme von Straßen, Wegen und Ödland durchgeführt werden können. So ist z. B. in vielen Fällen eine Panzerfahrschneise über landwirtschaftlich genutzte Flächen gelegt worden, die unmittelbar neben der Landstraße verläuft. Daß man manchmal auch anders konnte, dafür folgendes Beispiel: An der Stelle. wo der britische Marschall Montgomery im Mai 1945 die Kapitulation des deutschen Heeres entgegennahm, ist, soweit das Auge sehen kann, keine Panzersnur zu erkennen, obwohl sich dieses Gelände für Panzerübungen besonders gut eignet und in der Heide wenig Schaden angerichtet werden konnte. Trotzdem wurden hier keine Panzerübungen abgehalten. Aber dort an dieser Stelle. wo die Heide aufhört und die bestellten Äcker beginnen, wurden diese von den Panzern zerwühlt. Meine Freunde und ich werden dem Antrag Drucksache Nr. 2560 ihre Zustimmung geben. Wir erwarten aber. daß die Bundesregierung nicht nur mit den zuständigen alliierten Stellen in Verbindung tritt, um zu erreichen, daß derartige ({3}) Schäden, wie sie bei den diesjährigen Manövern der alliierten Truppen entstanden sind, in Zukunft vermieden werden, sondern auch den geschädigten Ländern, Kreisen, Gemeinden und ebenso der geschädigten Bevölkerung den entstandenen Schaden baldmöglichst ersetzt. ({4})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat Herr Abgeordneter Niebergall.

Otto Niebergall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001604, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Meine Damen und Herren! Der Antrag Drucksache Nr. 2560 berührt nur einen Teil der wahren Lage, die durch Manöverschäden in Westdeutschland herbeigeführt wurde. Was heißt „vermeidbare Schäden" verhindern, wie in diesem Antrag gesagt wird? Das ist doch ein mehr als dehnbarer Begriff. Es geht um mehr als um die Verminderung dieser Schäden. Was sagen unsere Bauern? Was sagen unsere Landwirte? Die deutschen Bauern fordern: Schluß mit jedem Manöver auf deutschen Äckern, Wiesen und Wäldern! ({0}) Die deutsche Landwirtschaft fordert darüber hinaus den sofortigen vollwertigen Ersatz für alle bisherigen Schäden. - Sie rufen: „Auch in der Ostzone". Der Ministerpräsident Grotewohl hat Ihnen in seiner letzten Erklärung vor der Volkskammer der DDR eine dankenswerte Gelegenheit gegeben, auch auf diese Frage eine Antwort zu erhalten. Er hat Ihnen angeboten, zusammenzutreten und gemeinsam über die Herstellung der deutschen Einheit zu beraten, damit alle vier aus Deutschland gehen. Durch Ihre Forderung nach Erhöhung der Zahl der Okkupationstruppen in Westdeutschland wird der Schaden in Westdeutschland in der nächsten Zeit sogar noch bedeutend erhöht. Der deutsche Bauer, das deutsche Volk, haben eine Lösung für diese Manöverschäden. Diese Lösung heißt: Ami, go home! ({1})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat Herr Abgeordneter Brese.

Wilhelm Brese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Berichterstatter und der Herr Abgeordnete Nowack haben beide schon anschaulich die Schäden geschildert, die meiner Heimat durch die Übungen der Besatzungsmächte entstanden sind. Ich bin Bauer in der Lüneburger Heide, und Ihnen, Herr Niebergall, muß ich sagen: Den Übungen stehen wir durchaus nicht feindlich gegenüber, denn wir wissen ganz genau, daß sie dringend erforderlich sind. ({0}) Und ich kann Ihnen nur noch einmal sagen: Wir freuen uns, daß der Westen endlich begriffen hat, welche Gefahr aus dem Osten droht! ({1}) Ich weiß aber als Bauer aus dem betroffenen Gebiet, welch großer Ärger gerade bei meinen Berufskollegen sehr häufig durch Beschädigung von Äckern, Wiesen und Wegen hervorgerufen wurde. ({2}) Wir haben kein Verständnis dafür, daß Manöver im Sommer durchgeführt werden, in einer Zeit, in der die Ernte auf dem Felde steht. Wir haben kein Verständnis dafür, daß die Arbeit der Bauern häufig mutwillig vernichtet wird. Ich denke dabei an die Übungen, die vorhin geschildert und die Anfang August im Raum von Paderborn und in der Lüneburger Heide durchgeführt worden sind. Wir wollen gern feststellen, daß die nachherigen Verhandlungen mit der Besatzungsmacht in gegenseitigem Verständnis geführt wurden und daß sich auch bei den jetzigen Manövern, die in ganz großem Stil bei uns durchgeführt werden, schon Ansätze guten Willens zeigten. Leider kommen noch immer wieder mutwillige Übergriffe vor. Deswegen kann ich die Anträge, die vorhin gestellt worden sind, nur wärmstens befürworten. Ich möchte die Bundesregierung bitten, sich ganz entschieden dafür einzusetzen, daß Manöver nicht im Sommer durchgeführt werden und daß bei den jetzigen Übungen auf die Interessen der Bewohner der betreffenden Gebiete größte Rücksicht genommen wird. ({3})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat Herr Abgeordnete Stegner.

Artur Stegner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002228, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich kann mich auf ein paar ganz kurze Sätze beschränken, nachdem der Herr Kollege Niebergall glaubte, das Haus davon überzeugen zu müssen, daß er perfekt englisch sprechen kann. Ich habe Ihnen mitzuteilen, daß sich mit dieser Frage in seiner vorigen Sitzung auch der niedersächsische Landtag sehr ausgiebig beschäftigt hat. Sie haben den Berichten der Vorredner entnommen, welche tiefgreifenden Schäden bei den letzten Manövern entstanden sind. Ich möchte dem Landwirtschaftsausschuß dieses Hauses, der in dieser Frage ja besonders sachverständig ist, empfehlen, sich einmal das Bildmaterial der niedersächsischen Staatsregierung kommen zu lassen, weil man auf Grund dieses Materials die ganze Angelegenheit viel plastischer sehen kann als nach den vorgetragenen Zahlen, die naturgemäß nicht so einprägsam sein können wie die Bilder, welche die Bauernschaft und das Landwirtschaftsministerium aufgenommen haben. Der Hauptgrund, weswegen ich mich zum Wort gemeldet habe, ist folgender. Die Schäden sind wirklich schwer und sollten nach der geldlichen Seite hin schnellstens reguliert werden. Ich hatte nun gestern Gelegenheit, durch das Manövergebiet zu fahren, in dem die Übungen zur Zeit stattfinden, und mit sehr vielen Bauern von Hameln bis herauf nach Lüneburg zu sprechen. Dabei habe ich durchweg feststellen können, daß die Durchführung der derzeitigen Manöver sehr sorgfältig überwacht wird und nennenswerte Schäden bisher nicht zu beobachten sind; im Gegenteil, die bisherigen Vorstellungen der niedersächsischen Staatsregierung und der Organisationen haben zweifellos schon gute Früchte getragen. Wenn die Bundesregierung unserem Antrag noch den nötigen Nachdruck verleiht, werden, glaube ich, die Manöverschäden in Zukunft auf das notwendige Maß beschränkt werden. Die augenblicklichen Manöver haben gezeigt, daß es geht und daß auch der gute Wille vorhanden ist.

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache Nr. 2560. Ich bitte diejenigen, die ({0}) zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen. Ich rufe nun auf Punkt 14 der Tagesordnung: Beratung des Antrags der Abgeordneten Goetzendorff und Genossen betreffend Anklage gegen Kroupa ({1}). Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Tichi.

Hans Tichi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002323, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine sudetendeutschen Freunde in fast allen Parteien des Deutschen Bundestages sind der einmütigen Auffassung, daß es hier um eine ernste sudetendeutsche Angelegenheit geht, der der Antrag Goetzendorff keinesfalls entspricht. Die sudetendeutschen Abgeordneten werden in einem gemeinsam begründeten Antrag zu dieser Frage Stellung nehmen. Wir bitten deshalb, Punkt 14 von der heutigen Tagesordnung abzusetzen. ({0})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Langsam! Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Richter; er hatte sich zuerst gemeldet.

Dr. Franz Richter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001833, Fraktion: Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht das erste Mal, daß in diesem Hohen Hause der Name Kroupa fällt. Es ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden, daß die Bundesregierung ihre Aufgabe auch darin sehen sollte, dafür zu sorgen, daß nun endlich einer der übelsten Mordbanditen aus der Tschecho-Slowakei, die sich heute noch in Deutschland herumtreiben können, vor ein Gericht gestellt wird, vor das er gehört. Wir sehen in dem Antrag des Abgeordneten Tichi nur ein Verschleppungsmanöver zugunsten der Tschechen und bitten daher, daß der Antrag Goetzendorff heute abend behandelt wird. ({0})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat zur Geschäftsordnung der Abgeordnete Goetzendorff.

Günter Goetzendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000706, Fraktion: Deutsche Reformpartei (DRP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag bezweckt lediglich, daß die Angelegenheit Kroupa bald und gründlich aufgerollt wird. Wenn sudetendeutsche Kollegen des Hauses glauben, daß sie in dieser Angelegenheit einen zweckdienlicheren Antrag stellen können, so ist ihnen dies unbenommen. Es ist vielleicht ihr besseres Recht, als Sudetendeutsche die Dinge zu sühnen, die an ihren Volksgenossen drüben begangen wurden. ({0}) Ich widerspreche aber dem Antrag des Abgeordneten Tichi aus einem anderen Grunde. Es wird dem Hohen Hause nicht bekannt sein, daß der Frantisek Kroupa mit unbekanntem Ziel aus Murnau am Staffelsee abgereist ist, daß er die Behörden getäuscht und angegeben hat, er befinde sich in dem Auswanderungslager in Augsburg. Erst heute ist es - ({1})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Herr Abgeordneter, Sie sprechen zur Geschäftsordnung, nicht zur Begründung Ihres Antrages. Das ist eine andere Frage!

Günter Goetzendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000706, Fraktion: Deutsche Reformpartei (DRP)

Herr Präsident, ich will damit begründen, was ich jetzt sage. Kroupa hat versucht, sich verborgen zu halten, und erst heute ist es der deutschen Kriminalpolizei gelungen, seinen Aufenthaltsort festzustellen. Er befindet sich laut Fernschreiben der Fahndungsstelle der Kriminalpolizei in Augsburg zur Zeit in dem Ausländerlager Schleißheim bei München. Es ist damit zu rechnen, daß Frantisek Kroupa in den nächsten Tagen nach Amerika auswandert. Ich bitte das Hohe Haus zu entscheiden, ob es unter diesen Gesichtspunkten gerechtfertigt ist, die Behandlung des Antrags zu vertagen oder nicht.

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Weitere Wortmeldungen zur Geschäftsordnung liegen nicht vor. Meine Damen und Herren, von dem Herrn Abgeordneten Tichi ist der Antrag gestellt worden, den Punkt 14 von der Tagesordnung abzusetzen. Ich bitte diejenigen, die diesem Absetzungsantrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Minderheit; der Antrag ist angenommen. Ich rufe nun auf Punkt 15 der Tagesordnung: Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend einmalige Winterbeihilfe ({0}) in Verbindung mit dem Mündlichen Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik über den Antrag der Fraktion der KPD betreffend einmalige Winterbeihilfen ({1}). Der Ältestenrat hat für die Begründung 15 Minuten und für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Ich nehme die Zustimmung des Hauses an. Wer begründet den Antrag? - Das Wort hat Herr Abgeordneter Kohl. ({2}) Kohl ({3}) ({4}), Antragsteller: Darüber ist schon berichtet! ({5}) - Das ist gleichgültig!

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Wir haben es allerdings im allgemeinen so gemacht, daß wir bei einem vorhergehenden Antrag den Berichterstatter zuerst haben sprechen lassen. - Dann hat also das Wort zunächst der Herr Berichterstatter. Schüttler ({0}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der 108. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember 1950 wurde der Antrag der Fraktion der KPD dem, Ausschuß für Sozialpolitik - federführend - und gleichzeitig auch den Ausschüssen für Arbeit, für Fragen der öffentlichen Fürsorge und dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung überwiesen. In dem Antrag wird gefordert, an alle in Unterstützung stehenden Personen eine einmalige größere Unterstützung als Winterbeihilfe zu gewähren, und zwar für den Winter 1950/51. Der Sozialpolitische Ausschuß befaßte sich in seiner 68. Sitzung am 18. Januar 1951 mit diesem Antrag. Die Notlage dieses Personenkreises wurde allgemein anerkannt, doch wurde darauf hingewiesen, daß bereits durch eine Verfügung des Bundesinnenministeriums vom 3. November 1950, also 4 Wochen bevor der Antrag der KPD gestellt wurde, ({1}) eine Beihilfe aus Bundesmitteln bewilligt worden war. Des weiteren wurde berichtet, daß auch von den Ländern und Gemeinden bereits größere Beträge zur Linderung der Not dieses Personenkreises ausgezahlt worden seien. Die Gesamthilfe bewegte sich je nach Größe der Familie zwischen 25 und 50 DM. Aus diesem Grunde wurde im Ausschuß der Antrag gestellt, den vorliegenden Antrag als durch die bereits getroffenen Maßnahmen erledigt zu betrachten. Es wurde weiter angeregt, sich im Frühherbst 1951, also jetzt, erneut mit dieser ernsten Frage zu befassen, damit dann eine für das gesamte Bundesgebiet einheitliche Regelung, die ausreichende Beträge vorsehe, getroffen werden könne. Der Ausschuß faßte daraufhin folgende Entschließung: Der Bundestag wolle beschließen, den vorliegenden Antrag - Nr.1470 der Drucksachen - durch die von den Gemeinden in Verfolg des Erlasses des Bundesministers des Innern vom 3. November 1950 bereits gewährten Zuwendungen als erledigt zu betrachten. Der Bundestag ist ferner der Ansicht, daß eine Reform der Sozialversicherung mit dem Ziel einer Anpassung der Renten an das bestehende Preisniveau dringlich ist und auch am ehesten eine bundeseinheitliche Regelung im Sinne des Antrages sichern würde. Die Bundesregierung wird ersucht, die bereits in Angriff genommenen Reform-Entwürfe baldigst vorzulegen. Die Ausschüsse für Arbeit und Fragen der öffentlichen Fürsorge sowie der Haushaltsausschuß sind diesem Antrag mit Mehrheit beigetreten. Ich bitte als Berichterstatter das Hohe Haus, diesem Antrag des Sozialpolitischen Ausschusses, der durch die getroffenen Maßnahmen bereits übeholt ist, ebenfalls zuzustimmen.

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat nunmehr zur Begründung des mit der Behandlung dieses Punktes verbundenen Antrags Herr Abgeordneter Kohl. Kohl ({0}) ({1}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Die Fraktion der KPD unterbreitet in der Drucksache Nr. 2539 dem Bundestag einen Antrag auf Gewährung einer einmaligen Winterbeihilfe an einen bestimmten Personenkreis. Da in der gesamten Sozialpolitik und ihren Leistungen an die Sozialberechtigten in den letzten Jahren eine fühlbare Verbesserung nicht eingetreten ist, war es für uns eine Verpflichtung, auch in diesem Jahre wieder zu versuchen, ihnen durch die Einbringung eines entsprechenden Antrages Hilfe in bescheidenem Maße zukommen zu lassen. Wir sind der Meinung, daß diesen Menschen außer mit einer bescheidenen finanziellen Beihilfe auch bei der Beschaffung des notwendigen Hausbrands und der notwendigen Einkellerungskartoffeln geholfen werden muß. Niemand wird behaupten wollen, daß die von uns aufgestellten drei Forderungen nicht realisierbar seien und daß aus diesem Grunde die Bundesregierung sich ihrer selbstverständlichen Pflicht gegenüber diesem Personenkreis entziehen dürfe. Bereits im vergangenen Jahr haben wir einen ähnlichen Antrag eingereicht, über den der Herr Berichterstatter soeben referiert hat. Er wurde allerdings erst im März 1951 in den Ausschüssen beraten und dann mit der Feststellung abgelehnt, der Winter sei vorbei, dieser Antrag der kommunistischen Fraktion sei durch die „tatkräftige Hilfe" des Bundes, der Länder und Gemeinden überholt. Meine Damen und Herren, der Antrag vom vorigen Jahre wurde dem Plenum des Bundestages am 5. Juli 1951. vorgelegt und hat durch die verschleppte Entscheidung praktisch seinen Sinn verloren. Obwohl der Ausschuß für Sozialpolitik und der Ausschuß für Arbeit die Meinung vertreten haben, eine Reform der Sozialversicherung sei eine zwingende Notwendigkeit, obwohl sie die Bundesregierung aufgefordert haben, recht bald diese Reformpläne vorzulegen, die - so hat wenigstens der Vertreter des Bundesarbeitsministeriums versichert - im Bundesarbeitsministerium bereits bis zu einem gewissen Abschluß gediehen seien, warten wir heute immer noch auf diese dringend notwendige Reform. Ich bin der Überzeugung, daß wir noch einige Zeit auf diese „Reform" warten müssen, und deswegen ist unser Antrag absolut berechtigt. Die Hilfe des Bundes, der Länder und der Gemeinden bestand in einer kleinen, ungenügenden Beihilfe, die nicht im entferntesten dazu beigetragen hat, die Not in dem von uns genannten Personenkreis auch nur zu mildern. Nach den vorliegenden amtlichen statistischen Berichten liegen 60 % aller Einkommen unter 300 DM, und nach den Berechnungen aus derselben Quelle beträgt der monatlich notwendige Aufwand für Unterhalt allein weit über 320 DM. Das durchschnittliche Einkommen bei Männern, die in Arbeit stehen, liegt um 268 DM, bei Frauen um 162 DM. Vergleicht man damit das Einkommen des Personenkreises, der von uns in unserem Antrag angesprochen worden ist, so muß man feststellen, daß beispielsweise - um nur einige Zahlen zu nennen - der erwerbslose Ernährer einer vierköpfigen Familie bei einem monatlichen Bruttolohn von 375 DM von der Arbeitslosenversicherung 40,20 DM, in der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung 33,30 DM erhält. Bei einem monatlichen Bruttolohn von 175 DM erhält der Unterstützungsempfänger in der Arbeitslosenversicherung 30 DM, in der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung 27,60 DM. Vergleicht man diesen Betrag mit den vom Statistischen Bundesamt errechneten und inzwischen ständig weiter gestiegenen Kosten eines Haushalts dieser Größe, so ergibt sich eine klaffende Divergenz, die zu beseitigen die Pflicht. der Regierung sein sollte. Das vom Statistischen Bundesamt unter dem 3. 9. 1951 herausgegebene Material über die Preisentwicklung in den Großstädten des Bundesgebiets orakelt allerdings, daß eine Senkung der Preisindexziffer für die Lebenshaltungskosten um zirka 1 °/o zu erwarten sei. Dabei dürfte auch für die Herren des Statistischen Bundesamtes feststehen, daß durch die geplante Verteuerung des Zuckers um 17 Pfennig je Pfund, durch die Erhöhung der Preise für Milch und Butter und nicht zuletzt auch durch die Freigabe der Margarinepreise trotz aller gegenteiligen Erklärungen eine weitere Erhöhung der Lebenshaltungskosten eintritt. Die Erhöhung der Tarife bei der Eisenbahn und der Post wird zwangsläufig auch die Lebenshaltung der westdeutschen Bevölkerung beeinflussen. Man kann sich nicht einfach auf den Standpunkt stellen, daß mit der sogenannten Erhöhung der Renten und der Unterstützungssätze um „durchschnittlich 25 %" eine fühlbare Erleichterung für diesen Personenkreis eingetreten sei. Der Herr Bundesarbeitsminister wird bestätigen müssen, daß gerade bei den Arbeitslosen die sogenannte Erhöhung der Arbeitslosenunterstützungssätze praktisch nur bei ({2}) einem geringen Teil der Erwerbslosen im Durchschnitt 90 Pfennig bis 1,50 DM beträgt und demnach wirklich nicht als Ausgleich gerechnet werden kann. Man kann einfach dem von uns angesprochenen Personenkreis nicht zumuten, aus seinen bescheidenen Renten und sonstigen Einkommen auch noch den für den Winter notwendigen Hausbrand zu bezahlen. Wir sind deshalb der Auffassung, daß es Pflicht des Bundestages ist, durch die Annahme unseres Antrages die Lieferung von Hausbrand sicherzustellen, um schwerste gesundheitliche Schäden bei diesen Menschen zu vermeiden. Wir haben bewußt die Tuberkulosehilfe in diesen Antrag mit einbezogen, weil der Bundesfinanzminister durch die Sperrung des Bundeszuschusses von 450 Millionen DM an die Länder sich mitschuldig gemacht hat, daß auch auf diesem Sektor die bereits bestehende soziale Notlage noch um ein Bedeutendes verschärft wird. Uns interessiert nicht die Differenz des Herrn Schäffer mit den Länderfinanzministern, sondern die soziale Auswirkung einer solchen Politik, die ja nicht nur eine Angelegenheit des Bundesministers allein, sondern eine Angelegenheit des ganzen Kabinetts ist. Selbstverständlich denkt der Bundesfinanzminister nicht daran, die Zahlung der Besatzungskosten einzustellen. ({3}) Dieses Gebiet ist für ihn tabu. Durch die Ausschöpfung der letzten steuerlichen Möglichkeiten versucht er, die Deckung der dafür notwendigen Mittel zu sichern. So viel Initiative, wie der Herr Bundesfinanzminister auf diesem Gebiet entwickelt, wünschen wir bei der Hilfe für den Personenkreis, der in unserem Antrag umrissen ist. Die Zahl der langfristig Erwerbslosen ist in den letzten Berichtsmonaten um ein Bedeutendes gestiegen. ({4}) - 15 Minuten, Herr Dr. Mühlenfeld! ({5}) Es ist mit Sicherheit damit zu rechnen, daß die sich aufwärts bewegende Kurve in den nächsten Wochen noch weiter ansteigt. Es wird an anderer Stelle Gelegenheit sein, auf die Ursachen dieser Entwicklung einzugehen. Es ist aber ein schwacher Trost, wenn man die Behauptung hört, daß durch eine neue Wirtschaftspolitik die Arbeitslosen in Arbeit gebracht werden sollen und den Forderungen der Gerechtigkeit Genüge getan werde. Der Herr Bundesarbeitsminister hat in einem Interview in den letzten Tagen die Behauptung aufgestellt, daß der Sozialetat des Bundes um zirka eineinhalb Milliarden gestiegen sei. Er vergißt aber, zur gleichen Zeit mitzuteilen, daß parallel mit der Steigerung des Sozialetats eine weitere Steigerung der Lebenshaltungskosten läuft, und zwar in einem bedeutend höheren Maße, als der Sozialetat gestiegen ist. Wenn Sie also auf Grund Ihrer Politik nicht in der Lage sind, den Arbeitslosen Arbeit, den Rentnern eine ausreichende Unterstützung und den Körperbeschädigten der beiden Weltkriege das zum Leben Notwendige zu geben, dann sollen Sie nicht von einer sozialen Politik reden. Die Lage in Westdeutschland wird nach einem Bericht der Frankfurter Börse besonders grell durch die Tatsache beleuchtet, daß kurz nach Abschluß der Washingtoner Konferenz die Kurse der Aktien der Rüstungskonzerne schlagartig nach oben gehen. Parallel mit dem Steigen der Aktien geht das Steigen der Preise für den notwendigen. Lebensbedarf. Wir sind deshalb der Meinung, daß unser Antrag so beschleunigt behandelt werden muß, wie es notwendig ist, um bereits in einer der nächsten Ausschußsitzungen zu einer Entscheidung zu kommen. Wir haben kein Verständnis für die Bezahlung der unerhört hohen Besatzungskosten, die sich nach Pressemitteilungen noch um ein Bedeutendes vermehren werden. Wir haben ferner kein Verständnis für die weitere Verstärkung des Grenzschutzes und der Polizei. Sorgen Sie, meine Damen und Herren, zuerst für die Beseitigung der dringendsten Not. Ich bitte Sie, unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Schüttler.

Josef Schüttler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002092, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich beantrage, diesen Antrag der Fraktion der KPD Drucksache Nr. 2539 ohne Debatte dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen. Dann kommt er schnellstens zur Beratung. ({0})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Es liegt also zunächst der Antrag vor, den Antrag der Fraktion der KPD Drucksache Nr. 2539 dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Es ist so beschlossen. Wir kommen dann weiter zur Abstimmung über den mit diesem Punkt der Tagesordnung verbundenen Mündlichen Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik über den Antrag der Fraktion der KPD Nr. 1470 der Drucksachen betreffend einmalige Winterbeihilfe, Drucksache Nr. 2469. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag des Ausschusses zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Es ist so beschlossen. - Damit ist Punkt 15 der Tagesordnung erledigt. Das Wort zu einer persönlichen Bemerkung hat Herr Abgeordneter Loritz. ({0}) Loritz: Da ich nicht gewillt bin, unwahre Erklärungen irgendeines Abgeordneten stillschweigend hinzunehmen, möchte ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten noch kurz zu einer persönlichen Erklärung das Wort nehmen. Herr Schuster hat eben erklärt, ich sei nicht berechtigt, namens der Partei der WAV zu sprechen. ({1}) - Da täuschen Sie sich! Ja, Sie möchten, daß es sie nicht gäbe; aber sie ist da und wird Ihnen noch manches Kopfzerbrechen machen. ({2}) - Auf den Zwischenruf muß ich antworten können!

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Nein, das geht über den Rahmen einer persönlichen Bemerkung hinaus. Eine persönliche Bemerkung ist keine Polemik! Loritz: Auf Zwischenrufe muß man wohl antworten können. Ich möchte fortfahren und sagen, daß ich im Besitze einer Urkunde des Amtsgerichts München vom 8. September 1951 bin. ({0}) - die können Sie einsehen, wenn Sie mögen -, aus der klar hervorgeht, daß ich als Landesvorsitzender der WAV selbstverständlich namens der WAV zu sprechen berechtigt bin. Ebenso existieren in dieser Hinsicht auch gerichtliche Verfügungen, in denen dem Herrn Abgeordneten Schuster verboten wird, weiterhin unwahre Behauptungen gegen mich vorzubringen. ({1}) Das möchte ich Ihnen sagen, damit Sie nicht vielleicht meinen, ich würde hier nicht im Namen der WAV sprechen. Ich spreche nach wie vor im Namen der WAV - auch wenn es manchem von Ihnen nicht angenehm ist -, ({2}) weil das die Wähler verlangen, die uns und mich gewählt haben. ({3})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Meine Damen und Herren! Ich kann jetzt nicht mehr das Wort geben. Wozu wollen Sie sprechen? ({0}) - Nein, nein, wir können hier keine Diskussionen führen; Sie haben sich nicht rechtzeitig zu einer persönlichen Bemerkung gemeldet. Jetzt kann ich das Wort nicht mehr erteilen. Die Tagesordnung ist erschöpft. Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Schluß der heutigen, der 163. Sitzung des Deutschen Bundestags angelangt. Die nächste Sitzung findet am Mittwoch, dem 26. September 1951, 9 Uhr, statt. Ich darf dann noch mitteilen, daß eine halbe Stunde nach Schluß der Plenarsitzung der Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen zusammentritt. Die Sitzung ist geschlossen.