Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 136. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Ich bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Der Präsident hat Urlaub erteilt für zwei Tage den Abgeordneten Dr. Pünder, Dr. Bergstraeßer, Dr. Orth, Paul ({0}), Brandt, Kohl ({1}), Rademacher wegen dienstlicher Inanspruchnahme, dem Abgeordneten Spies wegen Krankheit. Es sucht für längere Zeit um Urlaub nach der Abgeordnete Muckermann für zwei Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme.
Entschuldigt sind die Abgeordneten Henßler, Dr. Frey, Frommhold.
Die übrigen Mitteilungen, die zu machen sind, werden wie üblich ohne Verlesung in das Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Herr Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 17. bzw. 18. April 1951 die Verordnung über Verarbeitung, Lieferung, Bezug, Vorratshaltung und statistische Erfassung von Nichteisen-Metallen - Verordnung NEM I/51 - und die Verordnungen über die Verwendungsbeschränkungen von Kupfer und Kupferlegierungen - Verordnung NEM II/51 - und über die Verwendungsbeschränkungen von Zink und Zinklegierungen - Verordnung NEM III/51 - gemäß § 4 Abs. 2 des Gesetzes für Sicherungsmaßnahmen auf einzelnen Gebieten der gewerblichen Wirtschaft vom 9. März 1951 ({0}) dem Bundestag zur Kenntnisnahme zugeleitet. Die Verordnungsentwürfe sind zu gleicher Zeit dem Deutschen Bundesrat mit der Bitte um Zustimmung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 und § 2 Abs. 1 Nr. 2 des vorbezeichneten Gesetzes zugeleitet worden.
Die Entwürfe liegen im Archiv zur Einsichtnahme aus.
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Meine Damen und Herren! Im Ältestenrat ist eine Verständigung darüber erzielt worden, daß nach dem ersten Punkt der heutigen Tagesordnung - der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung einer Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung - die beiden gestern von der Tagesordnung abgesetzten Punkte eingeschoben werden sollen, und zwar zunächst die Fortsetzung der Aussprache der zweiten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Neugliederung in den Ländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern und dann die zweite Beratung über den Haushalt des Bundesministeriums für Vertriebene. Entsprechend einer gleichen Vereinbarung ist der Punkt 5 der heutigen Tagesordnung - Gesetz zur Änderung des Erbschaftssteuergesetzes - abgesetzt worden. Er soll in der nächsten Woche auf die Tagesordnung kommen.
Ich rufe also auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
über die Errichtung einer Bundesanstalt für
Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ({2}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Besprechungszeit von 60 Minuten vor in der Hoffnung, daß auch diese Zeit nicht voll ausgenutzt werden wird.
Zur Begründung des Gesetzentwurfs hat das Wort der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Verfolg einer sozialpolitischen Fortentwicklung wurde im Jahre 1927 das Gesetz über die Arbeitsvermittlung und die Arbeitslosenversicherung geschaffen. Dieses Gesetz hatte die Aufgabe, den arbeitenden Menschen, nachdem man ihnen vorher eine wirtschaftspolitische Sicherstellung für die Fälle von Krankheit, Unfall und Alter gegeben hatte, auch eine wirtschaftliche Sicherstellung für die Zeit einer eventuellen Arbeitslosigkeit zu geben. Als ausführendes Organ wurde die Reichsanstalt in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts errichtet. Dieses Organ wurde in seiner Spitze sowohl als auch in der mittleren und in der unteren Instanz in der Selbstverwaltung von je einem Drittel Vertretern der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der öffentlichen Körperschaften verwaltet. In dieser Ordnung hat sich - das kann man wirklich sagen - seit dem Jahre 1928 eine sehr gute Entwicklung auf diesem Gebiete durchgesetzt.
Diese Ordnung wurde dann im Jahre 1933 sehr stark unterbrochen. Man hat gleich zu Anfang des nationalsozialistischen Regimes die Selbstverwaltungsträger beseitigt und hat das autoritäre Staatssystem auch dort durchgeführt. Man hat dann im Jahre 1936 die sogenannte Arbeitsbuchabteilung in die Arbeitsämter eingebaut und damit den Arbeitsämtern einen ganz anderen Charakter gegeben. Sie wurden damit weitgehend die Bezirkskommandos für den Arbeitseinsatz für irgendwelche damals schon vorauszusehende Ziele. Dann kam im Jahre 1937 die völlige Beseitigung der Anstalt insofern, als man sie zu einem Reichsstock umgestaltete, den man als eine Abteilung des Arbeitsministeriums weiterwirken ließ.
Im Jahre 1945 haben dann die Besatzungsmächte insofern neues Recht geschaffen, als sie die Aufgaben der früheren Reichsanstalt den Arbeitsverwaltungen der Länder übertragen haben; und diesen Zustand haben wir im wesentlichen heute noch.
Es hat sich aber herausgestellt, daß auf dieser Ebene das Recht, das früher einheitlich war, sehr weit auseinandergelaufen ist. Alle Beteiligten sind heute wohl der Meinung, daß es notwendig ist, im wesentlichen das Recht, das vor 1933 auf diesen Gebieten bestand, wiederherzustellen. Nur so werden wir in der Lage sein, die Aufgaben bundeseinheitlich durchzuführen.
Dieses Gesetz hat ungefähr ein Jahr dauernde Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern und zwischen dem Bundesarbeitministerium auf der einen Seite und den Landesarbeitsministerien auf der anderen Seite hinter sich. Es ist hier der Versuch gemacht worden, eine einheitliche Auffassung über die kommende Bundesanstalt herbeizuführen. Der große Unterschied in den Auffassungen, der sich bei diesen Verhandlungen zeigte, war der, daß die Sozialpartner eine Zweigleisigkeit der Selbstverwaltung wünschten; sie sagten: das sind Angelegenheiten, die die Sozialpartner allein berühren. Nach den Verhandlungen, bei denen von uns darauf hingewiesen wurde, daß die Bundesanstalt neben ihren eigenen Aufgaben ja auch die Auftragsaufgaben des Bundes zu erfüllen habe, soweit die Arbeitslosenfürsorge in Frage kommt, waren die Sozialpartner mit uns der Meinung, daß man in der Spitze der kommenden Bundesanstalt die frühere Dreigleisigkeit wiederherstellen sollte. Der ursprünglich von meinem Ministerium fertiggestellte und auch vom Kabinett verabschiedete Gesetzentwurf sah diese Lösung auch vor. Der Bundesrat hat dann aber einen einstimmigen Beschluß gefaßt, wonach er wünscht, daß in den drei Stufen, also in der Spitze, bei den Landesarbeitsämtern und bei den Arbeitsämtern, die Dreigleisigkeit wieder eingeführt werden soll, und der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf sieht das auch vor.
Ich brauche auf die Einzelheiten nicht einzugehen. Die Begründungen zu dem Gesetz kennen Sie, und diejenigen von Ihnen, die sich mit diesen Fragen näher beschäftigt haben, sehen aus dem Gesetzentwurf, daß es sich im wesentlichen darum handelt, das Recht von 1933 wiederherzustellen.
Die Bundesregierung wäre dem Hohen Hause sehr zu Dank verpflichtet, wenn dieses Gesetz möglichst bald durch die Ausschüsse behandelt und endgültig verabschiedet werden könnte, weil es eine Voraussetzung dafür ist, daß wir das ganze AVAVG einer Überprüfung unterziehen können. Solange wir nicht wissen, wie das Organ aussieht, das dann dieses neue Gesetz zur Anwendung bringen soll, ist das sehr schwer. Die Voraussetzungen für die erweiterte Gesetzgebung auf diesem Gebiet sind in meinem Ministerium abgeschlossen, und wir würden uns sehr freuen, wenn es uns gelingen würde, das Ihnen heute vorliegende Gesetz bald mit dem weiteren Gesetz in einem einheitlichen Gesetz zum Nutzen unserer ganzen Volkswirtschaft zur Durchführung bringen zu können.
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Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung des Gesetzentwurfs durch den Herrn Minister gehört. Ich eröffne die Aussprache der ersten Beratung.
({0}) Wünscht jemand das Wort? - Herr Abgeordneter Sabel!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf trägt einem
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schon seit Jahren bestehenden Bedürfnis Rechnung, nun nach dem Vorbild der alten Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung für das Bundesgebiet eine Bundesanstalt zu errichten. Es besteht eine Notwendigkeit dazu aus den verschiedensten Gründen. Die Arbeitsvermittlung muß überbezirklich organisiert sein, um den rechten Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage bei den Arbeitskräften zu erreichen. Gerade die derzeitigen Verhältnisse erfordern diese überbezirkliche Organisation ganz besonders. Sie wissen, daß eine Riesenzahl von Menschen, auch von arbeitsfähigen Menschen, in das Bundesgebiet eingeströmt sind und daß ihre Verteilung nicht immer nach gegebenen Arbeitsmöglichkeiten erfolgen konnte. Hier ist ein Bedürfnis vorhanden, durch eine überbezirkliche Organisation den Ausgleich an Arbeitskräften zu erreichen. Es ist auch notwendig, um die Rechtseinheitlichkeit auf diesem Sachgebiet wieder zu erreichen. Das Recht hat sich weitgehend auseinanderentwickelt. Ich weiß, daß man in den Arbeitsministerien der Länder da und dort schon bemüht war, die gröbsten Unterschiede auszubügeln. Aber weitgehend ist noch eine Differenziertheit vorhanden, die nicht vertretbar ist. Und dann ist es so, daß die unterschiedliche Arbeitslosigkeit in den einzelnen Ländern des Bundesgebietes einen Ausgleich auch der materiellen Mittel erfordert. Das war bisher schwer möglich. Es ist aber unerläßlich, zu diesem Ausgleich, zu dieser, sagen wir ruhig einmal: Gesamthaftung, zu dieser Solidarität zu kommen, damit man in dem Gebiet mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit auf die Hilfe aus anderen Bezirken rechnen kann.
Dann ist dieses Gesetz verbunden mit der Wiedereinrichtung einer Selbstverwaltung. Seit Ende des Krieges hatte man schon versucht, die näher Interessierten mit in die Verwaltung einzuschalten: die Arbeitnehmer, die Arbeitgeber, aber auch die Gebietskörperschaften. Aber die beratenden Gremien, die man geschaffen hatte, waren eben nur beratende Gremien; sie hatten keine Entscheidungsbefugnis. Nun sollen durch das Gesetz weitgehende Entscheidungsbefugnisse auf die Gremien der Bundesanstalt verlagert werden.
Ich möchte wegen der Kürze der Zeit nur zu einigen Fragen Stellung nehmen, die in dem Entwurf behandelt werden. Zunächst ist die Frage des Sitzes der Bundesanstalt angeschnitten worden. Meine Freunde sind der Meinung, daß die endgültige Entscheidung hierüber erst fallen kann, wenn die notwendigen Feststellungen getroffen sind. Meine Freunde sind aber nicht der Auffassung des Bundesrats, der glaubt, die Entscheidung über den Sitz der Bundesanstalt dem Verwaltungsrat übertragen zu sollen. Im Rahmen des notwendigen Ausgleichs der Bundesdienststellen ist es notwendig, daß dies Problem vom Gesetzgeber geregelt wird. Aber es muß vorerst die Möglichkeit gegeben sein, die verschiedenen vorliegenden Vorschläge zu überprüfen.
Die entscheidendste Frage ist die, ob nun bei der Verwaltung der Bundesanstalt und ihrer Unterorgane die sogenannte Zweigleisigkeit oder die Dreigleisigkeit praktiziert werden soll. Darüber werden wohl die entscheidenden Diskussionen gepflogen werden. Ursprünglich hatte die Regierung in ihrem Entwurf vorgeschlagen, an der Spitze die Dreigleisigkeit vorzusehen - also Verwaltungsorgane, bestehend aus den Vertretern der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber und der Gebietskörperschaften -, während in den mittleren und unteren Instanzen nur die Zweigleisigkeit vorgesehen war.
Meine Freunde schließen sich der vom Bundesrat einstimmig vertretenen Auffassung an, die Dreigleisigkeit nun in allen Stufen durchzuführen, d. h neben den Arbeitnehmern und Arbeitgebern auch die Gebietskörperschaften an der Verwaltung zu beteiligen. Dazu scheint ein echtes Bedürfnis vorhanden zu sein.
Wir hatten schon in der alten Reichsanstalt diese Regelung. Dem Praktiker ist es bekannt, daß auf die Mitarbeit der Männer aus den Gebietskörperschaften schlechthin nicht verzichtet werden kann. Ich darf eine Reihe von Fällen erörtern, die deutlich machen, wie notwendig doch diese Zusammenarbeit ist und wie wichtig es auch ist, gerade diese Kräfte bei der Durchführung von Notstandsarbeiten, bei Maßnahmen zur Industrieförderung, bei der Zusammenarbeit der Arbeitsämter mit den Fürsorgebehörden, dann in der Frage der Berufsberatung und bei der Zusammenarbeit mit den Schulen auch in den Verwaltungsorganen zu haben. All das sind Fragen, die es deutlich machen, daß es doch äußerst wertvoll ist, bei ihrer Behandlung die Vertreter der Gebietskörperschaften mit einzuschalten. Wir sind also dafür, hier nach diesem Schema zu verfahren.
Ich glaube auch, daß hier diese echte Selbstverwaltung oder, sagen wir, diese hundertprozentige Selbstverwaltung, wie wir sie in der Krankenversicherung und in der Rentenversicherung haben, deswegen nicht praktiziert werden kann, weil ja die materiellen Leistungen doch nur zu einem Teil aus den Beiträgen der Arbeitnehmer und der Unternehmer bestritten werden. Im Augenblick kann man sagen, daß im Jahresdurchschnitt etwa zwei Fünftel der materiellen Leistungen aus den Beitragsleistungen stammen, während drei Fünftel der materiellen Leistungen, und zwar die Leistungen der Arbeitslosenfürsorge, aus allgemeinen Steuermitteln kommen. Daraus mögen Sie ersehen, daß man das Prinzip, das man in anderen Versicherungszweigen angewandt hat, hier zweckmäßigerweise doch nicht anwenden kann.
Dann ist noch die Frage der Bestellung der Leiter der Bundesanstalt, der Landesarbeitsämter und der Arbeitsämter strittig. Die Regierung hat vorgeschlagen, daß die Ernennung bei den Spitzenfunktionen durch den Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundesarbeitsministers nach Zustimmung der Bundesregierung erfolgt. In der unteren Ebene soll die Ernennung durch den Vorstand der Bundesanstalt erfolgen, in jedem Fall aber nach Anhörung der Verwaltungsorgane. Der Bundesrat empfiehlt die Wahl der Leiter dieser Dienststellen durch die entsprechenden Organe. Meine Freunde stimmen dem Vorschlag der Bundesregierung zu,
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und zwar aus dem Grund, weil sichergestellt ist, daß die Verwaltungsausschüsse gehört werden, daß also ihre Meinung schon berücksichtigt wird. Andererseits hat aber die Arbeitsverwaltung doch eine Unsumme von Hoheitsaufgaben zu erfüllen, und daher hat die Bundesregierung ein berechtigtes Interesse daran, bei der Bestellung dieser Funktionäre maßgeblich beteiligt zu sein.
Das sind einige Fragen, die ich kurz andeuten wollte. Es wird notwendig sein, im Ausschuß zu dem Gesetzentwurf eingehend Stellung zu nehmen. Ich möchte der Auffassung des Bundesarbeitsministers beipflichten, daß wir versuchen sollten, baldmöglichst die Beratung abzuschließen; denn es besteht ein echtes Bedürfnis, die Bundesanstalt bald zum Funktionieren zu bringen.
({2})
Namens meiner Freunde beantrage ich die Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Arbeit.
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Das Wort hat der Abgeordnete Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat bereits im Juli vorigen Jahres unter Drucksache Nr. 1127 beantragt, die Bundesregierung möge einen Gesetzentwurf vorlegen, der die umgehende Errichtung einer Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung zum Ziel hat. Des weiteren heißt es in diesem Antrag, dieser Gesetzentwurf solle auch die volle Selbstverwaltung verankern. Unser Antrag mit diesem Wortlaut wurde leider von der Mehrheit dieses Hauses abgelehnt. Es wurde der Antrag der CDU/CSU angenommen, in dem es heißt:
Die Bundesregierung wird beauftragt, alsbald einen Gesetzentwurf über die Errichtung einer Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vorzulegen und den Wiederaufbau einer Selbstverwaltung durchzuführen.
Was das Wort „alsbald" bedeutet, haben wir nun kennengelernt. Im Juli des vorigen Jahres hat sich das Hohe Haus mit der Frage beschäftigt, und Ende April dieses Jahres bekommen wir endlich den Gesetzentwurf zur ersten Lesung unterbreitet. Was den Wiederaufbau der Selbstverwaltung anlangt, haben wir eben aus dem Mund meines Herrn Vorredners, des Kollegen Sabel, vernommen. Ich werde
meinen Ausführungen noch darauf zu sprechen kommen.
Wir haben weiter beantragt, daß die drei berüchtigten „Führererlasse", auf die sich die Bundesregierung in ihren Maßnahmen gegenüber den Landesarbeitsämtern und der gesamten Arbeitsverwaltung stützte und die der Herr Bundesarbeitsminister in seinen Ausführungen gestreift hat, aufgehoben werden sollen. Wir begrüßen es, daß mit dem Gesetz nun endlich die Möglichkeit gegeben ist, diese Nazigesetze und -erlasse aufzuheben.
Wir sind auch damit einverstanden, daß die Gliederung der Bundesanstalt nach altem geltenden Recht erfolgt, wie es in diesem Gesetz vorgesehen ist. Ich brauche hierzu Einzelheiten nicht anzuführen, sie sind vom Herrn Bundesarbeitsminister bereits erwähnt worden.
Ich möchte aber, da wir jetzt bald an einem neuen Beginn stehen werden, es doch nicht unterlassen, von dieser Stelle aus denen die Anerkennung auszusprechen, die nun seit 1945 an der Lösung der schwierigen Aufgabe des Wiederaufbaus der Arbeitsverwaltung in den Gemeinden und Ländern arbeiten. Ich habe es außerordentlich bedauert, kürzlich einem Artikel in den „Lüdenscheider Nachrichten" entnehmen zu müssen - Herr Präsident, ich bitte, den einen Satz vorlesen zu dürfen -, daß ein hoher Beamter des Bundesarbeitsministeriums, und zwar der Leiter der Hauptabteilung für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, Herr Ministerialdirektor Scheuble, gesagt haben soll: „Wir hoffen, die Arbeitsvermittlung nach Errichtung der Bundesanstalt weitgehend entpolitisieren zu können."
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- Ich weiß nicht - Sie können nachher dazu sprechen, Herr Abgeordneter Euler, und das „Sehr richtig" etwas näher erläutern -, in welcher politischen Richtung Sie sich diese Dinge denken. Ich habe jedenfalls hier nur die Notiz stehen, daß Herr Scheuble, der Ministerialdirektor dieser Hauptabteilung, diese Äußerung getan haben soll. Herr Scheuble ist uns als Präsident des Amtes von Lemgo nicht unbekannt, wo er die Arbeitsverwaltung zu betreuen hatte, und wir alle, die wir dem Wirtschaftsrat angehört haben, wissen, daß in dieser Arbeitsverwaltung sehr viele ehemalige Pgs tätig waren. Ich weiß nicht, ob das jetzt bei den Arbeitsämtern und den jetzigen Landesarbeitsämtern auch der Fall ist und deshalb die Äußerung von Herrn Scheuble darauf zu beziehen ist.
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Wenn Herr Scheuble aber mit seinen Äußerungen etwa die Personen meinte, die seit 1945 unter den schwierigsten Verhältnissen im Intersese unserer gesamten Wirtschaft die Wiederaufbauarbeit geleistet haben, dann, kann ich Ihnen erklären, wird er sich äußerst enttäuscht fühlen. Denn dagegen werden sich die Organe der Selbstverwaltung - davon bin ich überzeugt -, ganz gleich aus welchen Gruppen, sie sich zusammensetzen, um der Gerechtigkeit willen, die hier verletzt werden würde, wehren.
Und nun zu den Grundzügen des Gesetzes. In dem Gesetz ist der Sitz der Bundesanstalt bestimmt. Der Bundesrat hat nun beschlossen, daß die Organe der Selbstverwaltung den Sitz der Bundesanstalt festlegen sollen. Was die zuständigen Ausschüsse und letzten Endes das Hohe Haus beschließen werden, wollen wir der Zukunft überlassen.
Wir sind auch mit der Gliederung der Bundesanstalt einverstanden, die nach altbewährtem System vorgenommen wird. Wir haben auch nichts dagegen einzuwenden, daß als Organe bei den einzelnen Gliedern der Bundesanstalt Ausschüsse gebildet werden. Wir sind aber der Meinung, daß zu überlegen ist, ob nicht neben dem Ausschuß bei den Arbeitsämtern und Landesarbeitsämtern auch noch ein vorstandsähnliches Gremium gebildet wird, wie es vor 1933 der geschäftsführende Ausschuß in den Arbeitsämtern und Landesarbeitsämtern war. Wir haben auch grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, daß in der Bundesanstalt selbst als der Hauptstelle ein Vorstand gebildet wird, der gerichtlich und außergerichtlich die Geschäfte zu führen und die Bundesanstalt zu vertreten hat.
Aber nun zur Zusammensetzung der Organe. Da sind wir weder mit dem Vorschlag der Bundesregierung in dem Gesetzentwurf noch mit dem des Bundesrats einverstanden. Wir bedauern außerordentlich, daß mein Herr Vorredner, Herr Kollege Sabel, als Sprecher der CDU erklärt hat, die Drittelung sei der Weisheit letzter Schluß und seine Fraktion werde dafür eintreten. Wenn Sie das unter voller Selbstverwaltung der Beteiligten verstehen, dann muß ich das bedauern und erklären, daß wir darunter etwas anderes verstehen.
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Wir sind der Meinung, daß dieses Institut, das sowohl die Arbeitslosenversicherung wie die Arbeitsvermittlung zu betreuen hat, in den Organen der Selbstverwaltung doch überwiegend von Arbeitnehmern repräsentiert und besetzt werden sollte.
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Wir erkennen an, soweit die Arbeitsvermittlung in Frage kommt, daß auch die Arbeitgeber hieran ein Interesse haben. Wir haben keinerlei Bedenken, einen Teil der Mitglieder dieser Organe aus den Kreisen der Arbeitgeber zu besetzen.
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Es gibt eine ganze Menge von Auftragsangelegenheiten, aber man darf die Auftragsangelegenheiten nicht mit Hoheitsaufgaben verwechseln, wie es mein Vorredner getan hat. Die Auftragsangelegenheiten, die die Arbeitsverwaltungen zu erledigen haben, sind gesetzlich zwingend vorgeschrieben, und daß sie nach dem Buchstaben des Gesetzes von den Arbeitsämtern auch erledigt werden, dafür sorgt die Aufsicht. Insofern stimmen wir der Bestimmung über die Dienstaufsicht, wahrgenommen durch das Bundesarbeitsministerium, voll und ganz zu, aber nicht mehr, vor allem nicht nach der Richtung, daß außer der Dienstaufsicht, wahrgenommen durch das Bundesarbeitsministerium - also durch die Bundesregierung -, nun noch andere Stellen Vertreter in die Organe der Bundesanstalt entsenden. Das ist des Guten zuviel. Das widerspricht dem Grundgedanken einer wahren Selbstverwaltung.
Was die Frage des Geschäftsführers anlangt, so haben wir durch den Abgeordneten Sabel erfahren, daß er bzw. seine Fraktion nicht dem Vorschlag des Bundesrates zustimmen würde, sondern daß er hier nur für die Anhörung der Selbstverwaltungsorgane ist. Wenn in einer der wichtigsten Funktionen der Organe der Selbstverwaltung, also bei der Wahl des Leiters oder des Geschäftsführers oder wie er sonst bezeichnet wird, nur eine Anhörung erfolgen soll, bitte, dann haben Sie doch das bißchen Mut und sprechen Sie nicht von Selbstverwaltung, sondern sagen Sie: wir bilden hier ein beratendes Organ, das wir ab und zu einladen und anhören, und dann sagen wir uns Lebewohl, und damit hat sich's. Dann haben wir den Geschäftsführer, den Vorsitzenden, der genau wie zu Hitlers Zeiten autoritär die Geschäfte durchzuführen hat. Den lehnen wir ab!
Hinsichtlich der Spruchbehörden können wir mit der Gesetzesvorlage nicht einverstanden sein. Die Spruchbehörden müssen von der Verwaltung vollständig losgelöst werden. Nach Art. 20 Abs. 2, 92 und 97 des Grundgesetzes sind Verwaltung und Rechtsprechung zu trennen, erfolgt die Rechtsprechung durch die Richter und müssen die Richter unabhängige Personen sein. Es kann nicht angehen, auch nicht in der untersten Instanz, daß die Beschwerde des Arbeitslosen an den Vorsitzenden des gleichen Arbeitsamtes gerichtet wird, gegen dessen Entscheidung sie sich richtet, daß also quasi der Vorsitzende des Arbeitsamtes in eigener Sache entscheidet, auch wenn er links und rechts neben sich einen Beisitzer hat. Die Beschwerde muß bei einem unabhängigen Gericht, bei der untersten Instanz des Arbeits- und Sozialgerichts, so wie nach Art. 96 des Grundgesetzes vorgesehen, anhängig gemacht werden.
Was die Frage der Aufhebung der Nazierlasse anlangt, so werden wir hierzu unsere volle Zustimmung geben. Ebenso sind wir mit der Aufsicht einverstanden. Wir sind aber der Meinung, daß das Personal, das von den Arbeitsämtern und Landesarbeitsämtern zu übernehmen ist, das jahrelang seine Pflicht und Schuldigkeit getan hat, auch übernommen werden sollte.
Wir sind der Auffassung, daß die Beratungen über die einzelnen Bestimmungen in den zuständigen Ausschüssen stattfinden sollten, und beantragen, als federführenden Ausschuß den Sozialpolitischen Ausschuß und des weiteren den Ausschuß für Arbeit damit zu betrauen.
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Das Wort hat der Abgegeordnete Seelos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist klar, daß auf dem Gebiete der Arbeitsvermittlung und der Arbeitslosenversicherung nicht ein wildes, zusammenhangloses Nebeneinander der einzelnen Landesverwaltungen, der Landesarbeitsämter bestehen kann, sondern daß hier eine vernünftige, organische Zusammenfassung stattfinden muß. Nun wird durch dieses Gesetz zwar klargemacht, daß es sich nicht etwa um eine neue Bundesoberbehörde nach Art. 87 Abs. 3 der Verfassung handelt, die sogar das Recht hätte, Mittel- und Unterbehörden zu errichten, sondern es handelt sich um eine echte Selbstverwaltungskörperschaft nach Art. 87 Abs. 2 der Bundesverfassung. Wir verfolgen trotzdem mit einer gewissen Sorge, wie man doch versucht, durch den Einbau immer neuer Stützen und Pfeiler Vorläufer von zentralen Ämtern zu schaffen, die eben die Zuständigkeiten der Länder immer mehr einengen sollen.
Wir haben in diesem Fall besondere Gründe zu einer solchen Besorgnis; denn alle Abänderungsanträge und Wünsche des Bundesrates zu den verschiedenen Bestimmungen des Gesetzes sind von der Bundesregierung systematisch abgelehnt worden. Das betrifft z. B. die wichtige Bestimmung, daß man bei der Abgrenzung der Bezirke der .Landesarbeitsämter und der Arbeitsämter mit den Ländern nur ins Benehmen tritt. Hier ist die Forderung des Bundesrates, daß diese nur im Einvernehmen mit den Ländern stattfinden kann, abgelehnt worden. Fernerhin ist der Wunsch des Bundesrates zu § 27, bei der Wahl der Präsidenten und der Stellvertreter der Landesarbeitsämter Gelegenheit zur Stellungnahme zu haben, von der Bundesregierung einfach abgelehnt worden. Zu § 30 hat der Bundesrat den Wunsch geäußert, daß die Satzung der Bundesanstalt nicht bloß der Genehmigung durch den Bundesarbeitsminister, sondern der Genehmigung der Bundesregierung und der Zustimmung des Bundesrates bedürfen
solle. Dieser Wunsch ist gleichfalls abgelehnt worden.
Ich könnte diese Beispiele noch vermehren. Ich will Ihnen aber nur die Tendenz aufzeigen, die aus dem ganzen Gesetz wieder einmal spricht, und wenn die Vorredner gesagt haben: es ist eine allgemein bekannte Tatsache, daß in einer Reihe von Ländern die Erwerbslosigkeit größer ist - das trifft ja besonders für Bayern zu - und daß quasi nur eine zentrale Bundesanstalt diese ausgleichen könnte, so muß man doch entgegnen: es handelt sich gar nicht um die Arbeitsvermittlung, sondern im wesentlichen um die Wohnungsfrage, wenn die strukturelle Arbeitslosigkeit, die wir haben, nicht beseitigt werden kann: Aber da muß man eben den engsten Kontakt mit den Länderregierungen haben, damit nicht auf irgendeiner Ebene ein Problem zentral geregelt wird und man es dann doch nicht lösen kann, weil auf der andern Seite die Länderzuständigkeiten bestehen, was natürlich, meine sehr verehrten Zentralisten, Ihnen sofort
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wieder die Möglichkeit gäbe zu sagen: ja, dann muß man das eben auch zentralisieren.
({1}) Wir beobachten also hier wieder einmal Tendenzen, die wir ablehnen. Wir werden auch dem Gesetzentwurf, solange er in dieser Form besteht und nicht in der Ausschußarbeit gründlich geändert wird, unsere Zustimmung versagen müssen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Willenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf, der die Errichtung einer Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vorsieht, wird von meiner Fraktion begrüßt. Der bisherige Zustand, daß Arbeitsämter bzw. Landesarbeitsämter mit den Landesregierungen einbezogen wurden, war ein Notbehelf. Die Ergebnisse dieses Notbehelfs, dieser Zusammenarbeit waren insgesamt gesehen neben erfreulichen doch manche unerfreulichen Resultate. Nach Durchsicht dieses Gesetzentwurfes darf ich namens meiner politischen Freunde unsere Anerkennung darüber zum Ausdruck bringen, daß die an und für sich bisher schon bewährte Dreiteilung in diesem Gesetz vorgesehen ist. Sicherlich haften diesem Gesetz noch manche Mängel an, und manche Wünsche und Beschwerden werden noch kommen. Ich bin der Auffassung, daß wir in gemeinsamer Beratung der Ausschüsse für Sozialpolitik und Arbeit diese Mängel, die dem Gesetz noch anhaften, beraten und nach Möglichkeit beheben werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Walter.
Meine Damen! Meine Herren! Wenn von .dem Herrn Kollegen Richter bemerkt wurde, daß der Präsident Herr Scheuble gesagt haben soll,
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daß die Entpolitisierung der Arbeitsämter vorgenommen werden müßte, dann, glaube ich, hat Herr Scheuble nicht ohne Grund diese Bemerkung gemacht.
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- Herr Kollege Richter, tun Sie nur nicht so unerfahren! Sie wissen schon, warum wir großen Wert darauf legen, daß in dieser Hinsicht etwas zu geschehen hat; wir haben nämlich sehr trübe Erfahrungen auf diesem Gebiete gemacht.
Nun aber zu der Fertigstellung des Gesetzes durch das Ministerium für Arbeit. Wir freuen uns, daß dieses Gesetz einmal ordentlich, und zwar in einer etwas längeren Zeit, als es sonst üblich war, zustande gekommen ist. Wir haben den Eindruck und es hat den Anschein, als ob aus diesem Gesetz in der Tat etwas Ordentliches geworden ist. Um nun die beschleunigte Verabschiedung in den Ausschüssen zu garantieren, sind meine Freunde und ich der Meinung, daß wir das Gesetz nur dem Ausschuß für Arbeit übergeben sollten.
({2})
Geben wir es auch dem zweiten Ausschuß, dem Ausschuß für Sozialpolitik, dann wird, so fürchte ich, das, was das Arbeitsministerium an Zeit erspart hat, bei den Ausschußberatungen wieder verloren gehen; denn wir wissen, lieber Herr Kollege Richter, daß gerade durch eine Bearbeitung in zwei Ausschüssen eine Verzögerung eintreten muß.
Ich beantrage daher für meine Freunde, daß der Ausschuß für Arbeit diesen Gesetzentwurf beschleunigt bekommt und ebenso beschleunigt zur endgültigen Verabschiedung fertigstellt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäfer.
Meine Damen und Herren! Auch meine Freunde begrüßen die endlich vollendete Vorlage dieses Gesetzentwurfs. Er hat zum Ziele, die Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitsvermittlung wieder zum Gegenstand einer einheitlichen Gesetzgebung des Bundes zu machen. Wir halten dies für um so notwendiger, weil es sich ja um eine Aufgabe handelt, die für außerordentlich viele Menschen von schicksalhafter Wirkung ist, für Menschen, die entweder vom Schicksal der Arbeitslosigkeit betroffen werden oder vor die Notwendigkeit gestellt sind, für ihr Leben andere Existenzgrundlagen zu finden. Und, meine Damen und Herren, beim Auffinden neuer Existenzgrundlagen sind Ländergrenzen doch etwas sehr Sekundäres. Wenn wir eine Wirtschaft entwickeln wollen, in der die Menschen nach ihrer Leistungsfähigkeit die immer bessere Möglichkeit bekommen sollen, nach Anlage und Neigung zu wirken, dann sind Ländergrenzen etwas Störendes.
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Wir begrüßen die Vereinheitlichung gerade auf diesem Gebiete, weil sie ein Mittel ist, auch auf dem Gebiete der Arbeitsvermittlung, der Arbeitsplatzsuche und des Arbeitsplatzwechsels, die wirkliche Freizügigkeit des deutschen Menschen, die durch mancherlei Dinge gestört ist und die auch insbesondere durch die ländermäßige Aufgliederung der gesamten Arbeitsvermittlung innerhalb des Bundesgebietes künstlich gestört ist, wiederherzustellen.
({1})
Das ist ein Beweggrund, der nach meiner Meinung wesentlich beachtet werden muß.
Eine weitere Erwägung kommt noch hinzu. Dies Gesetz - das hat der Herr Arbeitsminister ja hier eben dargelegt - beschränkt sich im wesentlichen darauf, zunächst einmal die Gesetzgebung aus der Zeit vor 1933, das alte AVAVG, wieder zu rekonstruieren. Ich glaube, daß man sich damit nicht begnügen kann. Die Rekonstruktionsabsicht ist zweifellos richtig. Wenn man aber schon diese zentralen Instanzen wiederherstellt und die Möglichkeit einer einheitlichen Gesetzgebung auf diesem Gebiete schafft - der Herr Arbeitsminister hat eben selbst gesagt, die Beratungen über eine Erneuerung des AVAVG setzten geradezu voraus, daß wir eine einheitliche bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts wiederherstellen -, so muß man sich, von diesen Überlegungen ausgehend, auf der andern Seite natürlich auch darüber klar sein, daß man sich nicht darauf beschränken kann, Einrichtungen wiederherzustellen, die gewesen sind, sondern man muß dabei auch überlegen, ob nicht diese oder jene Regelung einer Nachprüfung bedarf. Ich glaube, meine Damen und Herren, da werden wir z. B. bald wieder vor die Frage gestellt sein, ob es denn überhaupt eine Möglichkeit gibt, die Frage der
({2})
Vorsorge für Arbeitslose mit der bisherigen Fiktion der Versicherung überhaupt anzupacken. Trifft sie zu? - Ja, sie mag zutreffen gegenüber dem Vorgang struktureller Arbeitslosigkeit. Diese strukturelle Arbeitslosigkeit entsteht durch Wandlungen der technischen und wirtschaftlichen Grundlagen, durch Verschiebung der Standortverhältnisse, durch die Veränderung der Verwendbarkeit von Menschen in fortschreitenden oder rückläufigen Entwicklungen der Wirtschaft, die sich aus jedem wirtschaftlichen Fortschritt ergeben. Wir sind, glaube ich, alle einheitlich überzeugt, daß wir in dieser Hinsicht eine Humanisierung des Fortschritts zu betreiben haben, d. h. man muß Auffangstellungen machen und Auffangmöglichkeiten für diejenigen vorsehen, die das Unglück haben, an einer Stelle zu wirken, die durch neue wirtschaftliche Tatbestände, durch gewandelte Formen und Zwecke der Werktätigkeit ausgehöhlt oder zerstört wird.
Aber das ist nur die eine Seite der Sache; das mögen Versicherungswagnisse sein, die man versicherungstechnisch erfassen kann. Ich möchte bezweifeln, daß man auch mit einer auf bestimmte Zeiträume der Leistungsgewährung begrenzten Versicherung in der Lage ist, dem Wagnis der konjunkturellen Arbeitslosigkeit nachzugehen, selbst wenn man anerkennt, daß da stellenweise Möglichkeiten des Ausgleichs bestehen. Ich glaube, in allen Ländern der Welt und auf allen Seiten dieses Hauses wird zumindest anerkannt, daß man da Milderung und Vorbeugung durch wirtschaftliche ,Interventionsmaßnahmen durchzuführen hat. Selbst wenn man das alles gelten läßt, bleibt ein unübersehbarer Rest deswegen, weil die meisten Notstände, die sich aus konjunkturellen Veränderungen ergeben, durch politische Motive ausgelöst werden. Die Wandlungen der politischen Kräfteverhältnisse, die Spannungen zwischen den Völkern, die Strukturveränderungen aus verschiedenartiger geistiger Haltung der Menschen durch unaufhörlich veränderte Vorstellungen von dem, was gut oder böse ist in der Politik oder im gesellschaftlichen Geschehen, das bewirkt Wagnisse, die nicht voraus zu schätzen sind. Gerade die Arbeitslosigkeit und die Störungen der Wirtschaft sind in den letzten Jahrzehnten nicht so sehr aus der Wirtschaft selbst, sondern vorwiegend durch politische Einflüsse auf das wirtschaftliche Geschehen hervorgerufen worden. Solche Wagnisse mit Versicherungseinrichtungen abfangen zu wollen, scheint mir sehr fragwürdig zu sein.
Soweit man es aber tun zu können glaubt, muß man aus solcher Absicht die Folgerung ziehen und zumindest den Grundsatz anerkennen: diejenigen, die an der Aufbringung der Mittel beteiligt sind, können verlangen, daß diese von ihnen aufgebrachten Mittel nicht zweckentfremdet verwendet werden. Das ist nicht nur im Nazistaat, sondern sehr weitgehend auch nach 1945 geschehen. Ich will nicht von den Länderhaushalten sprechen, die zum Teil mit Mitteln der Arbeitslosenversicherung zum Ausgleich gebracht wurden; eine zumindest unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit sehr fragwürdige Angelegenheit, wenn man Beiträge, die nur von bestimmten Schichten aufgebracht werden, dazu verwendet, allgemeinen öffentlichen Aufgaben zu dienen.
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Es ist auch sehr fragwürdig, wenn man die Mittel
vielfach unter dem Vorwand der produktiven Arbeitslosenfürsorge so verwendet, daß die an der
Aufbringung dieser Beiträge Beteiligten nur zum geringsten Teil Nutznießer der Verteilung dieser Mittel gewesen sind. Diese Vorgänge sind zu beenden, und an sie sind ernste Überlegungen anzuknüpfen.
Eine zweite Folgerung ergibt sich daraus, daß man die Selbstverwaltung auf diesem Gebiete zu einem echten Ausdruck, zu einer erheblichen Unabhängigkeit und Eigenverantwortung bringt. Ich muß sagen, ich bin durchaus nicht frei von Bedenken gegenüber der Vermischung von staatlicher Administration und den Selbstverwaltungsorganen, wie sie in dem Gesetzentwurf vorgesehen sind. Ich bin eher geneigt - zumindest für den Bereich des Bundes und auch der Länder -, die Selbstverwaltung der Beteiligten, allerdings zum Unterschied von Herrn Kollegen Richter nach den Grundsätzen der Parität der bei der Aufbringung Beteiligten, nämlich der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, aufzubauen. Ich sehe durchaus nicht ein, daß aus der Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen den Ländern und dem Bund, zwischen den Administrationen auf der Länder- oder Bundesebene mit den Organen der Arbeitsvermittlung und der Arbeitslosenversicherung unbedingt gefolgert werden müßte, es müßte da so etwas wie eine Drittelung in der Zusammensetzung der Selbstverwaltungsträger bestehen. Bei deren Zusammensetzung wird überdies daran gedacht werden müssen, daß wir das wiederholen, was man bei der Selbstverwaltungsgesetzgebung für die übrigen Zweige der Sozialversicherung getan hat: eine echte Selbstverwaltung auch dadurch zu verwirklichen, daß man zu diesen Organen kein Benennungsrecht von Organisationen zuläßt, sondern eine echte Wahl durch die Beteiligten betreibt. Auch das scheint notwendig zu sein, um die Verwaltung zu verlebendigen und vor einer personellen Erstarrung zu bewahren.
Die kurze Redezeit erlaubt mir leider nur, diese Bemerkungen zu machen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Renner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch die kommunistische Fraktion ist nicht in der Lage, dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Form zuzustimmen.
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- Ich will versuchen, Ihnen klarzumachen, warum das schade ist. Dabei gehe ich von der vielleicht nicht berechtigten Annahme aus, daß Ihnen noch etwas beigebracht werden kann.
({1})
Ich beschränke mich - und ich darf das nach den Ausführungen des Herrn Kollegen Richter tun - aus Zeitmangel auf die wichtigsten Dinge, die von unserer Seite zu diesem Gesetz zu sagen sind.
Da ist zuerst einmal die Frage der Übereignung des Vermögens des Arbeitsstocks von den Ländern an den Bund. Wir sind der Auffassung: diese Übereignung, diese Auslieferung der Gelder des Arbeitsstocks an den Bundesfinanzminister bietet keineswegs eine Garantie dafür, daß diese Gelder nicht in derselben oder in einer noch übleren Art ihrem eigentlichen Zweck entfremdet werden, wie wir das in den Zeiten von 1945 bis zuletzt erlebt haben. Wir wissen doch z. B., daß die Länder aus diesem Arbeitsstock - ich denke da an ein Land in der
({2})
französischen Besatzungszone - gelegentlich sogar einmal die Besatzungskosten bezahlt haben. Wir sind der Auffassung: wenn wir diesem Hoheitsträger - Finanzminister des Bundes - diese Gelder ohne Kontrolle ausliefern, müssen wir damit rechnen, daß er sie für die Zwecke seiner Regierung einsetzt; und diese Zwecke heißen Aufrüstung und Kriegsvorbereitung.
({3})
Was nun die Zusammensetzung der Verwaltungsorgane angeht, so sind wir der Auffassung, daß der überwiegende und bestimmende Einfluß der versicherten Arbeiter und Angestellten sichergestellt werden muß. Die Dreigleisigkeit der Verwaltung, also die Einschaltung der Vertretungen der sogenannten Gebietskörperschaften in die Verwaltung, halten wir für untragbar. Wenn nur beabsichtigt ist, etwa die Probleme der produktiven Arbeitslosenhilfe, der Notstandsarbeiten oder der Zusammenarbeit mit den Wohlfahrtsämtern sachgemäß zu bearbeiten, dann ist eine direkte Einschaltung der Gebietskörperschaften überflüssig.
Lassen Sie mich noch ein letztes Wort sagen. Die Erwerbslosen haben nicht den geringsten Vorteil von dieser Regelung; denn auch in diesem Gesetz ist ja nicht vorgesehen, daß ihre Vertreter in den Verwaltungsorganen durch direkte Wahl bestellt werden, was wir Kommunisten primär fordern.
Aber was ist nun das Allergefährlichste an diesem Gesetzentwurf? Hier ist gesagt worden, daß ein führender Herr der Arbeitsverwaltung, der Herr Scheuble, geäußert habe, man müsse Schluß machen mit der Politisierung der Arbeitsvermittlung und der Arbeitsverwaltung. Ich bin der Meinung, daß mit dieser Regelung eine weitaus gefährlichere Politisierung eingeleitet werden soll: in der Periode der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung muß auch die Arbeitskraft zentral verwaltet werden, um sie zentral einsetzen zu können. Wenn diese Hoheitsverwaltung verlangt, daß ihr das Recht des zentralen Einsatzes der freien Arbeitskräfte zugestanden wird, dann steht dahinter nichts anderes als die Absicht, die Arbeitskräfte im Lande für die Zwecke der Rüstung und Kriegsvorbereitung ohne Behinderung durch Einflüsse aus der Arbeiterschaft, aus den Gewerkschaften oder von anderer Stelle einsetzen zu können. Darin liegt unseres Erachtens die Hauptgefahr. Nachdem wir vor wenigen Wochen erlebt haben, daß Sie die zentrale Erfassung und Verwaltung für den Einsatz der Rohstoffe und anderen Materials eingerichtet haben, um sicherzustellen, daß dieses Material für die Kriegsvorbereitung eingesetzt werden kann, haben wir die feste Überzeugung, daß dieser Gesetzentwurf nichts anderes als eine Ergänzung dieser damaligen Maßnahme darstellt, um nun auch die Arbeitskraft für die ungestörte Durchführung der Rüstung und Kriegsvorbereitung von diesem Hoheitsträger aus zentral einsetzen zu können.
({4})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Richter hat vorhin gesagt, daß Herr Präsident Scheuble, der Leiter unserer Hauptabteilung II, eine Äußerung über die Entpolitisierung der Arbeitsämter und der Arbeitsverwaltungen gemacht hat. Ich darf ihm erwidern, daß die Äußerung nicht in der Form erfolgt ist, wie es in der Zeitung geschrieben worden ist. Ich habe zufällig den Wortlaut der Ausführung vor mir, die Herr Scheuble vor der Presse gemacht hat. Er hat gesagt, daß die Politik der künftigen Bundesanstalt sich in erster Linie davon bestimmen lassen müsse, ob eine Person für die Besetzung einer Stelle geeignet sei.
({0})
Das ist das, was er gesagt hat.
({1})
- Nein, nein, Herr Kollege Renner!
({2})
Ich habe in meinem Ministerium eine ganze Reihe von sehr wertvollen Mitarbeitern, die der Sozialdemokratischen Partei angehören, und ich habe gar keine Veranlassung, einen Mann, der eine gute politische Meinung hat - sei es diese oder jene -, wegen seiner politischen Meinung zurückzusetzen. Wir haben auch gar keinen Grund, lauter farblose Leute heranzuziehen. Aber eines muß sein: wenn eine Verwaltung in Ordnung sein soll, muß sie in erster Linie von Leuten getragen sein, die auf ihrem Gebiete sachverständig sind, von Leuten, die die Dinge beherrschen.
({3})
Und dann, Herr Kollege Renner, haben Sie bei Ihren Ausführungen etwas übersehen. Sie haben aus dem Gesetzentwurf herausgelesen, daß der „böse" Finanzminister nun wieder Geld für die Aufrüstung suche und deshalb den Ländern die Gelder der Arbeitslosenversicherung wegnehmen wolle. Sie meinten, er wolle sie in den großen Fonds für die Aufrüstung, oder wie alle diese Schlagworte lauten, tun.
({4})
In dem Gesetzentwurf steht nur, daß die Vermögenssubstanz, die sich aus den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung entwickelt hat, in den Besitz der Bundesanstalt - nicht der Bundesregierung - überführt werden soll.
({5})
Ich glaube, Herr Kollege Renner, daß Sie wohl
nicht der Auffassung sein werden, daß wir in einem
demokratischen Staat eine Bundesanstalt aufbauen,
({6})
die sich verpflichtet fühlt, so etwas zu tun, wie es beispielsweise die Arbeitsverwaltung in der Ostzone tut.
({7})
Darin liegt der große Unterschied zwischen Ost und West!
({8})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Rehling.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Bei der Lektüre des vorliegenden Gesetzentwurfs fällt es auf, daß in keinem der Paragraphen, die sich mit der Zusammensetzung der Selbstverwaltungsorgane bzw. Verwaltungsausschüsse befassen, von einem entsprechenden Anteil der Frauen die Rede ist.
({0})
Sie werden mir vielleicht entgegenhalten, das sei
in Anbetracht der durch das Grundgesetz erfolgten
({1})
Anerkennung der Gleichberechtigung der Geschlechter nicht notwendig.
({2})
Aber da wir immer wieder die Erfahrung machen, daß das im entscheidenden Augenblick doch leicht vergessen wird, möchte ich hier schon den Anspruch anmelden, in diesen Ausschüssen - bei dem immerhin beachtlichen Prozentsatz weiblicher Arbeitnehmer - die Frauen entsprechend zu berücksichtigen. Im Ausschuß für Arbeit werden wir - und da bin ich der Unterstützung meiner übrigen Kolleginnen gewiß ({3})
die entsprechenden Formulierungen finden müssen, diese Beteiligung auch gesetzlich zu verankern.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Weiterbehandlung des von dem Herrn Arbeitsminister eingebrachten Gesetzentwurfes sind hier zwei Anträge gestellt worden. Der Herr Kollege Sabel hat den Antrag gestellt, dieses Gesetz dem Ausschuß für Arbeit zu überweisen, und der Herr Kollege Richter hat den Antrag gestellt, dieses Gesetz dem Ausschuß für Sozialpolitik federführend unter Beteiligung des Ausschusses für Arbeit zuzuleiten.
Herr Kollege Richter, ich bitte, es mir nicht übelzunehmen, wenn ich mich auch als Ihr Stellvertreter im Ausschuß für Sozialpolitik gegen Ihren Antrag wende. Denn es hat doch einen Sinn gehabt, als wir bei der Bildung der Ausschüsse des Bundestags zwei Ausschüsse bestellt haben, die sich mit sozialen Angelegenheiten beschäftigen. Der Sinn lag einmal darin, daß wir davon überzeugt waren, daß auf dieses Haus eine Fülle von sozialen Gesetzen zukommen, die in einem Ausschuß allein nicht verkraftet werden können. Zum zweiten ist der eine Ausschuß bewußt „Ausschuß für Arbeit" und der andere Ausschuß bewußt „Ausschuß für sozialpolitische Angelegenheiten" benannt worden. Bei Bildung dieser Ausschüsse war man eben der Auffassung, daß in dem Ausschuß für Arbeit alle Angelegenheiten, die die erwerbsfähigen Menschen betreffen, bearbeitet werden sollen, während der Ausschuß für Sozialpolitik sich mit den Angelegenheiten beschäftigen soll, die den Menschen dann betreffen, wenn er irgendwie der Fürsorge oder Vorsorge bedarf, d. h. im Falle der Krankheit, der Invalidität, im Falle des Alters usw. Nachdem schon durch die Wahl der Worte Abgrenzungen dieser Gebiete gezogen sind, bitte ich das Hohe Haus, den Antrag Richter abzulehnen und den Antrag Sabel anzunehmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Arndgen wird es mir nicht übelnehmen, wenn ich ihm seine Begründung nicht abnehme. Die Argumentation, daß die Gründung der beiden Ausschüsse unter dem von Herrn Kollegen Arndgen vorgetragenen Gesichtpunkt vorgenommen sei, ist mir, Herr Kollege Arndgen, heute zum erstenmal begegnet. Es ist aber auch völlig falsch, die Sozialpolitik nur etwa so zu verstehen, daß sie nichterwerbsfähige Menschen betrifft. Es gibt eine Fülle von sozialpolitischen Aufgaben, die den erwerbsfähigen Menschen genau so betreffen wie den nichterwerbsfähigen. Deshalb kann es gar nicht so gemeint gewesen sein. Es war eine echte Funktionsteilung zwischen Sozialpolitik und Arbeitsrecht, die ins Auge gefaßt wurde.
Lieber Herr Kollege Arndgen, nun muß ich aus der heutigen Sitzung des Ältestenrates etwas Indiskretes ausplaudern. Ich habe heute morgen im Ältestenrat den Herrn Arbeitsminister gerade bezüglich der Beratung dieser Vorlage im Plenum dezidiert gefragt, ob er der Meinung ist, daß es sich hier um eine das Arbeitsrecht betreffende Vorlage oder um eine die Sozialpolitik betreffende Vorlage handelt. Die Antwort des Herrn Ministers - ich bitte Sie, Herr Minister, mich zu widerlegen oder das zu bestätigen - war eindeutig: es handelt sich um eine sozialpolitische Vorlage. Deshalb kam der Ältestenrat zu genau dem gleichen Vorschlag, den der Herr Kollege Richter hier vorgetragen hat und der dahin geht, den Ausschuß für Sozialpolitik federführend und den Ausschuß für Arbeit mitberatend mit der Behandlung der Vorlage zu betrauen. Ich bitte Sie, dies e m Antrag zuzustimmen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich darf etwas berichtigen. Es ist bisher nicht die Regel gewesen, daß der Ältestenrat einen Vorschlag für die Ausschußüberweisung macht. Ich muß gestehen, diese Frage ist tatsächlich erörtert worden. Aber es besteht unter uns allen kein Zweifel darüber, insbesondere auch bei der Opposition, daß die Meinung der Herren Minister für das Haus nicht immer bindend zu sein braucht.
({0})
Herr Abgeordneter Seelos wünscht zu dem gleichen Thema das Wort zu nehmen.
Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie nur, diese Debatte nicht fortzusetzen. Es ist vergeudete Zeit; denn die Sozialpolitiker sind nicht darüber einig, ob das nun eine arbeitsrechtliche oder eine sozialpolitische Frage ist. Bitte, stimmen Sie einfach darüber ab, damit ein Ausschuß wenigstens zu arbeiten anfangen kann.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich vermute auch, es gibt keine Möglichkeit, daß die Herren sich durch weitere Debatten gegenseitig überzeugen. Es bleibt wirklich nichts anderes übrig, als abzustimmen. Darf ich die Meinung des Hauses dahin verstehen, daß Dissensus darüber besteht, welcher Ausschuß federführend sein soll. Oder besteht die Meinung, daß der Gesetzentwurf nur einem Ausschuß überwiesen werden soll?
({0})
Es liegt also der Antrag vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Arbeit zu überweisen, ferner der Antrag, ihn dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen.
({1})
({2})
Der zweite Antrag ist erweitert; er geht dahin: federführend der Ausschuß für Sozialpolitik, der Ausschuß für Arbeit mitbeteiligt.
Ich lasse zunächst über den Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Arbeit abstimmen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Arbeit zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Sitzungsvorstand ist sich über die Mehrheitsverhältnisse nicht einig. Es tut mir sehr leid, ich muß Sie bitten,
({3})
- Das erste war die Mehrheit, meint Herr Vizepräsident Dr. Schmid. Aber hier oben besteht keine Einigkeit darüber.
({4})
Wir müssen also den Hammelsprung durchführen. Ich darf Sie bitten, draußen nur eine halbe Zigarette zu rauchen, die „Hammelsprung-Zigarette". Darf ich Sie bitten, den Saal möglichst bald zu verlassen, damit wir zur Abstimmung kommen können.
({5})
Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen. ({6})
Darf ich bitten, mit der Abstimmung zum Schluß zu kommen. - Ich bitte, die Abstimmung zu beenden.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Abstimmungsergebnis bekannt. Für die Überweisung an den Ausschuß für Arbeit 162 Stimmen, dagegen 135 Stimmen, Enthaltungen 2.
Damit taucht die Frage auf, ob der Antrag des Herrn Abgeordneten Richter auf Mitbeteiligung des Ausschusses für Sozialpolitik aufrechterhalten wird.
({7})
- Sie wollen das also beantragen, Herr Abgeordneter Richter.
({8})
- Meine Damen und Herren, ich frage also, wer dem Antrag, den Ausschuß für Sozialpolitik mit der Mitarbeit in der Sache zu beauftragen, zustimmt. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit. Der Ausschuß für Sozialpolitik ist also mit der Mitarbeit beauftragt worden.
Meine Damen und Herren, dann rufe ich auf den eingeschobenen Punkt 2 der Tagesordnung, die
Fortsetzung der zweiten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Neugliederung in den Ländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern
({9}); Mündlicher Bericht des Ausschusses für innergebietliche Neuordnung ({10}) ({11}).
Ich erinnere daran, daß wir die Einzelbesprechung über § i gestern erledigt hatten und vor der Abstimmung zu § 1 standen. Ich stelle ausdrücklich fest, daß das Haus beschlußfähig ist,
({12})
und komme zur Abstimmung über § 1.
Ich bitte die Damen und Herren, die § 1 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen und einigen wenigen Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe auf § 2. Wünscht jemand das Wort zu nehmen? - Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung über § 2. Ich bitte die Damen und Herren, die dem § 2 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Gegen einige Stimmen bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf § 3 und weise darauf hin, daß zu § 3 Abs. 1 ein Abänderungsantrag auf Umdruck Nr. 154 vorliegt.
({13})
- Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Dr. Schmid!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich schlage vor, mit § 3 gleichzeitig den § 10 aufzurufen. Die beiden Paragraphen gehören bei der Beratung zusammen.
({0})
Der eine ist nur verständlich aus dem anderen heraus und nur sinnvoll vom andern her.
Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist. Ich hätte den gleichen Vorschlag zu machen gehabt, § 10 aufzurufen. Ich weise darauf hin, daß für § 10 auf dem Umdruck Nr. 154 ebenfalls ein Neufassungsantrag vorliegt. Wünscht jemand, zu den §§ 3 und 10 das Wort zu nehmen? - Herr Abgeordneter von Thadden! - Das Haus ist aber beschlußfähig, Herr Abgeordneter!
({0})
von Thadden ({1}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Vorlage des Ausschusses sowie dem Abänderungsantrag der Abgeordneten Dr. Kopf, Dr. Jaeger und Genossen kurz folgendes. Ich bin erstaunt, daß sowohl in der Vorlage des Ausschusses wie auch im Abänderungsantrag wiederum einschränkende Bestimmungen über das Stimmrecht enthalten sind. Ich meine, daß bei dieser Abstimmung Entnazifizierungsbestimmungen wirklich nichts mehr zu suchen haben, wie sie in der Ziffer 4 zum Ausdruck kommen.
({2})
Herr Abgeordneter von Thadden, Sie haben wohl nicht verstanden. Ich hatte die §§ 3 und 10 aufgerufen. Ich finde in beiden Paragraphen nicht das, was Sie beanstanden.
({0})
von Thadden ({1}): Ich bitte um Entschuldigung, Herr Präsident. - Der Vorschlag, nur zwei Abstimmungsbezirke zu bilden anstatt vier, wie es der Ausschuß vorgeschlagen hat, bedeutet, daß die Gesichtspunkte, die der Abgeordnete Farke als Mitberichterstatter gestern vorgetragen hat, hier zum Tragen kommen sollen. Wir sind der Auffassung, daß die Aufgliederung, die der Ausschuß für die Abstimmung gefunden hat, wesentlich zweckdienlicher ist als eine Aufgliederung in die alten Länder, wie sie in dem Abänderungsantrag gefordert wird. Der Abstimmungsvorgang wird dann wesentlich besser der Meinung der Bevölkerung
({2})
entsprechen, wenn die Abstimmung in vier Bezirken durchgeführt wird. Ich bitte daher, den Abänderungsantrag der Abgeordneten Dr. Kopf und Genossen unter Ziffer 1 des Umdrucks Nr. 154 abzulehnen und die Ausschußfassung anzunehmen.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kopf.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, das Hohe Haus hat Anlaß, sowohl dem Herrn Referenten als auch dem Herrn Korreferenten dafür dankbar zu sein, daß sie die außerordentlich schwierige Rechts- und Problemlage der Frage der Neugliederung im südwestdeutschen Raum uns in einer wohl erschöpfenden Weise dargelegt haben. Wir stehen heute in der zweiten Lesung dieser Vorlage, und die Geschäftsordnung verbietet uns, in einer Generaldebatte die Vorstellungsbilder zu entwickeln, die uns in dieser Frage führen und leiten, und auf der andern Seite die Wunschbilder vorzutragen, die den Initiatoren des Entwurfs und den Mitgliedern des Ausschusses vorgeschwebt haben. Wir können daher heute nur zu den Frageh Stellung nehmen, die sozusagen die Essenz des Gesetzentwurfs bilden. Die entscheidenden Schlüsselparagraphen sind die §§ 3 und 10, die wegen ihres sachlichen Zusammenhangs mit Recht gemeinsam behandelt werden.
Der Ausschuß hat vorgeschlagen, das Gesamtgebiet des südwestdeutschen Raumes in die vier Abstimmungsbezirke Württemberg-Nord, Württemberg-Süd, Baden-Nord und Baden-Süd aufzugliedern und nach § 10 den Südweststaat dann als gebildet anzusehen, wenn sich im Gesamtgebiet und in mindestens drei Abstimmungsbezirken Mehrheiten für die Bildung des Südweststaates ergeben. Gegen diese vorgeschlagene Lösung bestehen erhebliche Bedenken vom Standpunkt sowohl der Zweckmäßigkeit und Sachdienlichkeit als auch vom Standpunkt des Rechts, insbesondere des Verfassungsrechts. Ich habe Ihnen daher diese Bedenken vorzutragen und damit zugleich die Begründung für die Abänderungsanträge zu geben, die Ihnen von unserer Seite und von anderen Fraktionen vorgelegt worden sind.
Die Neugliederung im südwestdeutschen Raum ist in Art. 118 des Grundgesetzes vorgesehen. Der Herr Abgeordnete Farke hat gestern bereits dargelegt, daß diese Spezialbestimmung den Bestimmungen des Art. 29 vorgeht mit der einen Ausnahme, daß die einleitende Bestimmung des Art. 29 als allgemeines Neugliederungsprinzip auch gegenüber der Spezialbestimmung des Art. 118 durchdringt. Das bedeutet, daß die landsmannschaftliche Verbundenheit sowie die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge berücksichtigt werden müssen. Beide Faktoren sind begründet in den beiden historischen Ländern Württemberg und Baden. Wir schließen daher allein schon aus der Anwendbarkeit des ersten Absatzes des Art. 29, des Generalprinzips für jede Art der Neugliederung, daß diese beiden alten Länder zugrunde gelegt werden müssen sowohl bei der Bildung der Abstimmungsbezirke als auch bei der Auswertung des Abstimmungsergebnisses.
({0})
Es kommt aber das weitere Bedenken hinzu, ob die vom Ausschuß gemachten Vorschläge wirklich sachdienlich, d. h. geeignet sind, den wahren Willen der Bevölkerung zum Ausdruck zu bringen. Hier haben wir sehr große Bedenken. Es ist doch tatsächlich so, daß bei Zugrundelegung der Vorschläge des Ausschusses über den Ausgang dieser Volksabstimmung wenig Zweifel bestehen dürften. Es ist eine Probeabstimmung vorgenommen worden, und diese Probeabstimmung hat in Württemberg-Nord und -Süd eine Mehrheit von etwa 93 % der Stimmen, in Baden-Nord eine Mehrheit von 57 % für den Südweststaat und in Baden-Süd eine Minderheit von 40 % ergeben. Das bedeutet, daß, wenn der Ausschußentwurf Gesetzeskraft erlangen sollte, mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit mit dem Zustandekommen des Südweststaates gerechnet werden müßte.
({1})
Das heißt aber, meine Damen und Herren, daß hier eine Regelung gefunden worden ist, die das Abstimmungsergebnis, das festgestellt werden soll, bereits zwingend vorwegnimmt. Diese Art der Regelung erinnert an das, was man sonst immer mit dem Terminus „Wahlkreisgeometrie" belegt hat. Ich glaube, daß diese Wahlkreisgeometrie, d. h. die zweckmäßigste Anpassung der Abstimmungsgrenzen, um ein bestimmtes Abstimmungsergebnis zu erlangen, nicht den demokratischen Forderungen unseres Grundgesetzes entspricht. Vielmehr verlangen die Grundsätze unserer Verfassung, eine Form der Abstimmung zu finden, die eine wirklich freie, ungetrübte und unvoreingenommene Abstimmung ermöglicht. Das ist nur auf einem andern Wege möglich.
Auf welchem Wege ist es möglich? Der Sinn jeder Abstimmung ist doch der, daß der wahre Wille des Staatsvolkes erforscht werden soll.
({2})
Der Entwurf aber läßt diesen wahren Willen des Staatsvolkes unberücksichtigt. Sie werden vielleicht fragen: Was ist nun eigentlich das Staatsvolk? Dabei wollen wir zunächst einmal davon ausgehen, daß die Länder als solche zur Zeit existieren. Dann wäre das Staatsvolk das Volk, das die bestehenden drei Länder bewohnt. Hier wird nun vorausgesetzt, daß der Wille des badischen Staatsvolkes innerhalb der jetzigen Landesgrenzen von Südbaden dann unberücksichtigt bleiben soll, wenn in den drei anderen Abstimmungsbezirken sich eine Mehrheit ergibt. Wir wollen uns einmal einen Augenblick einen Grenzfall vorstellen, der theoretisch durchaus denkbar wäre. Wir wollen uns vorstellen, daß sich in Südbaden nicht, wie bei der Probeabstimmung, eine Majorität von 60 %, sondern eine solche von 90, ja von 100 % für die badische Lösung ergeben würde. Dann würde das Land Baden nach den Bestimmungen dieses Entwurfs trotz dieser einheitlichen Stimmabgabe von 100 % gezwungen sein, sich in den Südweststaat eingliedern zu lassen, obwohl der totale Wille des Volkes sich gerade gegen diese Lösung ausgesprochen hat. Schon aus diesem Grenzfall allein ist die Unbilligkeit dieser Bestimmung zu entnehmen.
Es kommt aber dann noch weiter hinzu: Die Neugliederung ist ja ein Akt, der nach deutschem Recht erfolgen sollte. Es ist ein wesentlicher Akt des Staatsaufbaus; und dieser Staatsaufbau, der uns erst jetzt, etwa sieben Jahre nach dem Ausgang des Krieges möglich wird, sollte nach deutschem Recht erfolgen. Ich glaube, daß darüber wohl keine Meinungsverschiedenheit bestehen dürfte. Das bedeutet aber, daß diejenigen Zufallsergebnisse, die nicht in unserem deutschen Rechte wurzeln, sondern die durch die Eingriffe der Besatzungsmächte zustande gekommen sind, nicht berücksichtigt werden sollten. Zu diesen Ergebnissen sind die Grenzzie({3})
hungen zu rechnen, die durch die Zoneneinteilung erfolgt sind. Die Länder Baden und Württemberg sind durch die Abgrenzung der französischen und der amerikanischen Zone jeweils in zwei Teile - je in einen südlichen und einen nördlichen - zerlegt worden. Das ist ohne einen deutschen Willensakt erfolgt. Es ist durch eine Anordnung der Besatzungsmächte erfolgt; und so ist es ja bis heute geblieben. Vor allem aber ist die Zerreißung der Länder damals erfolgt, ohne daß die früheren Gesamtländer Baden oder Württemberg ihre Zustimmung zur Abtrennung ihrer Gebietsteile gegeben haben. Ich glaube, wenn wir darangehen, das neue Deutschland nach unseren eigenen Gesichtspunkten und nach unserem eigenen Recht aufzubauen, dann dürfen wir nicht diese Eingriffe der Besatzungsmächte zugrunde legen, die unter ganz anderen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten erfolgt sind und die sich nicht den innerdeutschen Wünschen angepaßt haben und damals auch nicht anpassen konnten, sondern wir müssen von dem vorhandenen Bestand ausgehen und müssen die Grundlage für diese Neuregelung nach rein innerdeutschen Gesichtspunkten legen.
Es kommt nun noch etwas anderes hinzu, und hier trete ich in eine Erörterung ein, die vielleicht den Widerspruch vor allem der Herren Juristen unter den Kollegen herausfordern wird, die aber doch stattfinden muß. Es ist schon gesagt worden, daß die Abtrennung des nördlichen Gebietsteiles Badens aus dem badischen Staatsverband ohne Zustimmung des badischen Gesamtlandes und ohne Zustimmung des heutigen Badens erfolgt ist. Wir sind der Auffassung, daß eine rechtswirksame Abtrennung dieses nördlichen Gebietsteiles nach innerdeutschem Recht bis heute nicht erfolgen konnte und daß daher auch heute noch die alten Länder Württemberg und Baden wenigstens rechtlich als existent anerkannt werden müssen. Ich glaube, daß ich mich hier nicht sehr weit entfernt von den Ausführungen bewege, die neulich von Herrn Kollegen Arndt an dieser Stelle gemacht worden sind, als er die Unterscheidung machte zwischen dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland auf der einen Seite - das auch die abgetrennten Gebietsteile mitumfasse - und dem Restgebiet Westdeutschlands auf der andern Seite, das das. Geltungsgebiet der innerdeutschen Gesetzgebung ist. Wenn wir diesen Ausführungen Folge leisten, dann werden wir für das Gebiet Baden zu demselben Ergebnis kommen; dann müssen wir die alten Länder Württemberg und Baden als auch heute noch bestehend berücksichtigen, und nur sie können die Grundlage einer Abstimmung geben.
Meine Damen und Herren, wenn Sie mir bei dieser juristischen Ausführung nicht Folge leisten sollten, dann bleibt doch das eine bestehen, daß die Regelung, die in § 10 der Vorlage des Ausschusses vorgeschlagen worden ist, bedeuten würde, daß über den Kopf der badischen Bevölkerung Südbadens hinweg und gegen den ausgesprochenen Willen der Mehrheit des badischen Volkes eine Regelung aufgezwungen werden würde, die nicht dem Willen dieser Mehrheit entspricht. Ich glaube, daß dies verfassungsmäßig unzulässig wäre. Ich betrachte es deshalb als unzulässig, weil das Recht auf staatliches Leben, das Recht auf Weiterführung der staatlichen Existenz eines der Sonderrechte des Staates darstellt, auf die nur dann verzichtet werden kann, wenn der Staat selbst, das Staatsvolk in seiner Mehrheit damit einverstanden
ist.
({4})
Es ist wohl gestern von dem Herrn Referenten darauf hingewiesen worden, daß die Grundsätze des Völkerrechts, die nach Art. 25 unseres Grundgesetzes ja auch alle unsere Bürger unmittelbar verpflichten, nicht auf die Beziehungen der Länder untereinander Anwendung finden sollten. Ich kann diese Auffassung nicht teilen. Ich weiß mich da im Einklang mit einem großen Teil der Literatur und bin der Meinung, daß diese nach Art. 25 des Grundgesetzes verpflichtenden Normen des Völkerrechts nicht nur jeden einzelnen in Deutschland und den deutschen Staat binden, sondern daß sie auch mitbestimmend sind für und sinngemäß anzuwenden sind auf das Verhältnis der deutschen Länder untereinander. Auch der deutsche Bundesstaat ist ein Korporativsystem; er besteht aus Einzelstaaten, und diese Einzelstaaten haben Beziehungen untereinander, und diese Beziehungen bedürfen der Regelung. Für die Regelung gelten sinngemäß auch diese Grundsätze. Das bedeutet aber, daß der Grundsatz, der im ganzen Recht der Korporationen und besonders im privaten Vereinsrecht entwickelt ist - daß nämlich Sonderrechte nicht ohne die ausdrückliche Zustimmung des Berechtigten hergegeben werden können -, auch dann gelten muß, wenn es sich um das Sonderrecht auf Leben handelt, das einem dieser Staaten zusteht. Darum halte ich es nicht für möglich, daß das Land Baden der Vernichtung preisgegeben werden kann,
({5})
wenn das badische Staatsvolk in seiner Mehrheit dies nicht wünscht.
({6})
Ich halte daher eine Majorisierung nicht für zulässig. Ich bin vielmehr der Meinung, daß eine gerechte und verfassungsmäßige Lösung nur dann möglich ist, wenn Sie dem Antrag folgen, der von uns gestellt worden ist. Das bedeutet, daß die Abstimmung nicht in vier Abstimmungsbezirken, sondern nur im Rahmen der beiden alten Länder Württemberg und Baden erfolgen kann, ganz gleichgültig, ob Sie mir folgen und diese Länder heute noch als rechtlich bestehend anerkennen, oder ob Sie glauben, das nicht tun zu können. Denn auch wenn Sie das nicht tun können, bleibt doch das andere bestehen, daß die provisorische Lösung, die durch die Besatzungsmächte getroffen worden ist, die Zerspaltung dieser Länder in Zonen, auf eine Intervention zurückgeht und daß die Wirkungen dieser Intervention nicht berücksichtigt werden können, wenn es sich darum handelt, den deutschen Staat aus deutschem Recht neu zu gestalten und zu gliedern. Wir sind daher der Meinung, daß eine gerechte Lösung und eine verfassungsmäßige Lösung nur dann möglich ist, wenn dieses Sonderrecht des Landes Baden respektiert wird; und das ist nur möglich, wenn die Auszählung und Auswertung der Stimmen nicht innerhalb dieser vier Abstimmungsbezirke erfolgt - mit der Maßgabe, daß allein das Votum von drei Bezirken genügt -, sondern wenn die Auswertung der Stimmen innerhalb der alten Länder erfolgt.
Meine Damen und Herren, das sind die rechtlichen Ausführungen. Ich darf nur noch darauf hinweisen, daß unser Antrag vorsieht, daß der Südweststaat dann als gebildet angesehen werden soll, wenn in diesen beiden alten Ländern Württemberg und Baden sich eine Mehrheit für den Südweststaat ergibt. Ergibt sich dafür in den beiden Län({7})
dern und im Gesamtabstimmungsbereich keine Mehrheit, dann sollen die beiden alten Länder Baden und Württemberg als wiederhergestellt gelten.
Ich möchte aber, meine Damen und Herren, zum Schluß auch auf noch etwas anderes hinweisen, und das ist die mehr psychologische Auswirkung des Entwurfs, den der Ausschuß uns vorgelegt hat. Ich glaube, wir sollten einen Augenblick lang vergessen, daß verschiedene Leitbilder uns bei der Frage der Neugliederung vorschweben, Leitbilder, auf die vielleicht bei der Generaldebatte in der dritten Lesung nochmals einzugehen sein wird. Wir sollten dies einen Augenblick vergessen und sollten uns - ich möchte das vor allem auch den Kollegen und Kolleginnen aus Württemberg sagen - einen Augenblick vorstellen, daß der neue Staat, der erstrebt wird, ja voraussetzt, daß von beiden Seiten eine Partnerschaft für eine mögliche künftige staatliche Lebensgemeinschaft geschaffen wird. Wenn Sie und wir diesen Zweck im Auge haben - Sie insbesondere, die Sie ja diese Lösung erstreben -, dann sollte vermieden werden, daß der badische Bevölkerungsteil mit der Hypothek des Gefühls eines Unrechts belastet wird, das wir sehr lebhaft empfinden müßten, wenn dieser Entwurf Gesetz würde. Ich glaube, es müßte dann eine Lösung gefunden werden, die im badischen Volke das Gefühl hinterläßt, daß nach echten demokratischen Spielregeln und ohne einen vorbestimmten Zweck hier eine Abstimmungsmodalität gefunden worden ist, die den unverfälschten Willen des badischen Volkes zum Ausdruck kommen läßt. Darum, meine Damen und Herren, möchten wir Ihnen empfehlen, unseren Abänderungsanträgen zuzustimmen; und wir badischen Abgeordneten der CDU möchten Ihnen, den Gesetzgebern des deutschen Volkes, heute zurufen: Geben Sie uns Selbstbestimmung, aber die echte, die gerechte, die verfassungsmäßige Selbstbestimmung.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Farke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem uns vorliegenden Gesetzentwurf liegt der status quo zugrunde. Man ist also von den jetzt - seit 1945 - bestehenden drei Ländern ausgegangen. Die logische Konsequenz wäre gewesen, daß demgemäß in § 3 die Abstimmungsbezirke eingeteilt worden wären. Daß das nicht geschehen ist, habe ich vor allen Dingen einzuwenden. Es hätten drei Abstimmungsbezirke sein müssen. Nun hat man vier geschaffen, und zwar, wie Sie feststellen können, zwei Abstimmungsbezirke als volle Länder und zwei Abstimmungsbezirke als Bezirke an sich, als Nichtländer. Darin liegt keine Konsequenz mehr.
({0})
Es gibt, wenn ich logisch konsequent sein will, eben nur zwei Möglichkeiten: entweder daß ich drei Bezirke bilde oder aber, daß ich auf dem status quo ante stehend, zwei Bezirke herausstelle. Nur aus dieser logischen Konsequenz heraus kann ich die Dinge sehen, und ich muß daher dem Antrag auf Umdruck Nr. 154, der konsequent ist, zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Erler hat als Berichterstatter ausgeführt, daß die Regelung der Stimmbezirke und damit zusammenhängend der Frage des § 10 nicht streng nach den Gesetzen der Logik vollzogen werden könne. Ich stimme dieser Auffassung zu. Aber das Grundgesetz gibt dennoch eine gewisse Grundlinie, nach der verfahren werden sollte. Es sind zwei Prinzipien. Wenn man Art. 118 und Art. 29 in ihrer Grundtendenz einmal zusammen sieht, dann kann man zwei Grundsätze entwickeln, die bei einem Bundesstaat eine besondere Rolle spielen und die bei dieser schwierigen Frage Beachtung finden sollten. Das eine Prinzip ist, daß eine Neugliederung territorialer Art nicht gegen, sondern m i t dem Willen der Bevölkerung getroffen werden soll, wobei man sich darüber klar werden muß, was unter Volksbefragung im konkreten Fall zu verstehen ist, was hier „Volk" ist, das zur Abstimmung berufen ist. Das andere Prinzip ist, daß eine Majorisierung nicht stattfinden sollte. Beide Prinzipien sind vernünftig, und man braucht zu ihrer Begründung keine komplizierten Rechtskonstruktionen und Vergleiche mit anderen Rechtsgebieten anzustellen, sich etwa auf die sehr schwierige Frage einzulassen, ob hier irgendwie eine Fortexistenz der alten Staaten gegeben ist oder nicht. Diese Prinzipien sind aus dem geltenden Grundgesetz selbst abzuleiten.
({0})
Sie sind insofern vernünftig, als eine Entscheidung gefällt werden soll, die in der ganzen Frage für alle Zukunft Ruhe gibt, also eine Entscheidung, die nach den Prinzipien der Billigkeit und der Gerechtigkeit gefunden werden soll.
Wenn ich von meiner Seite aus zu dieser Frage Stellung nehmen soll, so kommt es mir auf eines an. Wir brauchen für dieses Gebiet eine Entscheidung, die für alle Zeiten so überzeugend wirkt, daß sie Bestand hat und Klarheit schafft,
({1})
eine Überzeugung also, die nur dann gefunden werden kann, wenn jeder Beteiligte die durch die Volksbefragung erzielte Entscheidung als gerecht und billig anerkennt und sich dabei nicht majorisiert fühlt.
({2})
Ich glaube, wir haben im gesamtdeutschen Interesse den besonderen Wunsch, daß diese rechtliche Überzeugung von sämtlichen Teilen der Bevölkerung auf diesem Gebiet geteilt wird. Aus diesem Grunde, und weil man eine dauerhafte, überzeugende Entscheidung wünscht, die von der Bevölkerung anerkannt wird, kann ich mich mit den Abstimmungsbezirken, wie sie der § 3 vorsieht, nicht einverstanden erklären.
Diese Bestimmung hat ihre Vorgeschichte. Wenn man sie auf einen kurzen Nenner zu bringen bemüht ist, so findet sich, daß nach dem Entwurf, wie ihn der Ausschuß vorgelegt hat, praktisch die Bevölkerung Nordbadens darüber entscheidet, was wird, und daß nach dem Entwurf, den der Herr Abgeordnete Hilbert vorgelegt hatte, die Entscheidung beim südlichen Teil Badens gelegen hätte. Beides entspricht nicht dem Prinzip der Billigkeit und der Gerechtigkeit und auch nicht dem anderen Prinzip, daß kein Teil sich majorisiert fühlen darf. Ich glaube, daß der Abänderungsantrag, der von den Kollegen Dr. Kopf und Dr. Jaeger vorgelegt wor({3})
den ist, eher den von mir dargelegten Prinzipien entspricht, indem als Volk, das befragt werden soll, die Bevölkerung der alten Länder vorgesehen ist, die auf einen langen gemeinschaftlichen politischen Zusammenhang zurückblicken, sowohl in Baden als auch in Württemberg. Die Entscheidung sollte in diesen beiden Volksteilen fallen, und die Mehrheiten, die sich da bilden, tragen die höchste Überzeugungskraft in sich.
({4})
Zugleich wird dabei das Ergebnis erzielt, daß sich kein Teil majorisiert fühlen kann. Die Gesamtentscheidung in dem Gebiet fällt dann in folgender Weise: wenn 'die Mehrheit in Württemberg und die Mehrheit im alten Baden den Südweststaat will, dann kommt der Südweststaat; will sie das nicht, dann muß man auf den alten Zusammenhang zurückgehen, dann werden die alten Länder wieder gebildet. Dies halte ich für gerecht und billig und für die Zukunft überzeugend. Bei einer solchen Lösung besteht keine Gefahr, daß sich irgendein Teil majorisiert fühlen könnte. Aus diesem Grunde werde ich dem Abänderungsantrag zustimmen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmid.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist in diesem Hause gegen den Antrag des Ausschusses viel Protest im Namen der Demokratie erhoben worden. Es ist immer gut, wenn man den Namen der Demokratie anruft, ehe man sich in diesem Hause an Beratungen macht. Aber man sollte nicht dann von Demokratie sprechen, Herr Kollege Kopf, wenn man in Wirklichkeit Restauration meint.
({0}) Demokratie ist eine recht komplexe Sache. Von Demokratie können wir dann sprechen, wenn wir alle bereit sind, uns dem Beschluß einer Mehrheit zu unterwerfen.
({1})
- Der Mehrheit des Ganzen der Bevölkerung, die in Frage steht! Wenn wir hierbei ganz logisch sein wollen, Herr Kollege Laforet, werden Sie mir nicht bestreiten, daß es die Prämisse aller Schlüsse sein muß, daß es sich letztlich immer nur um die Mehrheit des deutschen Volkes handeln könnte; denn die Gliederung Deutschlands im ganzen und im einzelnen ist eine Sache des ganzen deutschen Volkes und nicht in letzter Instanz eine Angelegenheit seiner Glieder.
({2})
So ist auch die Entscheidung über die Gliederung im Südwesten eine Angelegenheit des ganzen deutschen Volkes, und der Verfassungsgeber hat im Grundgesetz dieses Prinzip im Art. 29 und in dem Sonderfall des Art. 118 ausgesprochen.
Zur Demokratie gehört weiterhin, daß man sich darüber einig ist, daß Minderheiten Schutz genießen müssen. Wenn aber das Interesse der Minderheit mit einem Lebensinteresse des Ganzen kollidiert, dann geht das Lebensinteresse des Ganzen vor.
({3})
- Herr Kollege, ich habe schon viel intelligentere Zwischenrufe von Ihnen gehört. - Das Lebensinteresse des Ganzen ist also höher als das Interesse einer Minderheit zu bewerten, es sei denn, daß die in der Verfassung vorgesehenen Grundrechte und Sonderrechte entgegenstünden. Ob das der Fall ist oder nicht, wird untersucht werden müssen.
Ich glaube, zur Demokratie gehört noch ein weiteres. Es gehört nämlich dazu, daß man Auseinandersetzungen mit dem Willen betreibt, dem Fortschritt zu dienen und nicht dem Rückschritt,
({4})
und nicht demokratische Techniken anwendet, um einen Schritt nach rückwärts zu tun. Das wäre keine Demokratie, sondern eine Karikatur der Demokratie.
({5})
Die Einwände, die hier vorgebracht worden sind, sind mit Ausnahme eines Einwandes, auf den ich noch eingehen werde, wesentlich Einwände, die mit rückwärts gewandtem Antlitz vorgebracht worden sind.
Es wurde dabei im wesentlichen das Pathos der geistigen und seelischen Volkstumswerte angerufen, und der Herr Kollege Farke hat uns gestern in seinem Korreferat mitgeteilt, daß es die Auffassung der Minderheit sei, der Vorschlag des Ausschusses atme materialistischen Geist. Das ist eine merkwürdige Auffassung. Wenn ich mir die Argumente im einzelnen anschaue, die heute hier im Kampf um die geistig-seelischen Volkstumswerte vorgebracht worden sind, - Herr Kollege Farke, das war Blu-Bo in Bonner Prägung.
({6})
Und wenn von dem „Materialismus" des Antrags gesprochen wird, meine Damen und Herren: muß es denn immer Materialismus sein, wenn man versucht, vernünftig zu handeln?
({7})
- Das will ich Ihnen nachher zu sagen versuchen, Herr Kollege Hilbert. In der dritten Lesung werden wir darüber ausführlich sprechen, nicht unter dem Einfluß von Stimmungen, sondern an Hand von Ziffern - ({8})
-- Nein, gar nicht. Ich werde auch dazu einiges sagen müssen. Vielleicht können wir gleich damit anfangen.
Es wurde von geschichtlichen Zusammenhängen gesprochen, die man nicht zerreißen dürfe und die so ungeheuer wertvoll, ja die eigentlichen integrierenden Faktoren seien. Nun, wir können darauf eingehen. Wenn wir schon von der Ehrwürdigkeit geschichtlicher Zusammenhänge sprechen wollen, meine Damen und Herren: der Schwäbische Kreis, der einige Jahrhunderte länger gewährt hat als Baden und Württemberg von Napoleons Gnaden, umfaßte genau das Gebiet, das der Südweststaat von morgen umgrenzen wird. Und dieser Schwäbische Kreis war eine schöne Sache, ein schöner Teil des alten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, das sich doch sonst bei Ihnen, Herr Kollege Merkatz, so großer Beliebtheit erfreut,
({9})
das insbesondere Ihren politischen Kirchenvätern vorschwebte, wenn sie von Deutschland sprachen. Dieser Schwäbische Kreis war ein besonders schönes Stück dieses Heiligen Römischen Reiches
({10})
Deutscher Nation, und wenn Sie schon von Gefühlswerten reden wollen, meine Damen und Herren, dann müßten Sie eher an Dinge erinnern, die passierten, als der Schwäbische Kreis noch bestand. Dort wurden mehr Gefühlswerte erzeugt als nach 1803, wo man in Mannheim Maschinen gebaut hat und in Untertürkheim Automobile, Verhältnisse also, die mehr von der Vernunft her angefaßt werden müssen als von der Stimmung!
({11})
Den Reichsdeputationshauptschluß von 1803 in allen Ehren, - irgendwann scheint in Deutschland immer eine Besatzungsmacht eingreifen zu müssen, wenn es notwendig ist, etwas in Ordnung zu bringen!
({12})
Den einen ist eben der Eingriff von 1803 sympathischer als später erfolgte Eingriffe. Mir sind beide nicht sympathisch. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: mir wäre es lieber gewesen, wenn 1803 ein echter Staat mit dem Gebiet des Schwäbischen Kreises erstanden wäre.
Lassen Sie mich da zu einem bösen Wort, das gestern fiel, einiges sagen. Es wurde an dieser Stelle von einer badischen Irredenta gesprochen, die man im Falle der Annahme des Ausschußantrags zu fürchten haben werde. Ich sehe schon den neuen Defregger, der das Bild malen wird: „Das letzte Aufgebot" - mit gerade geschmiedeten Sensen, mit Dreschflegeln werden sie ausziehen, die Irredentisten, und wehe dann den Württembergern, wenn einmal der helle Haufe über die Schwarzwaldpässe gezogen kommt!
({13})
Nun, meine Damen und Herren, mit der Irredenta ist das auch so eine Sache. Aus wem wird sie bestehen? Dabei dürfen wir uns - vielleicht wird es mir von Herrn Renner, er ist nicht da, verziehen - an die beiden lateinischen Worte erinnern: Cui bono? Das ist doch dabei die Frage! Unzufriedene wird es geben, sicher, denn es wird sich ja immerhin einiges ändern, und manches Gewesene wird vielleicht für diesen oder jenen nicht wiederkommen.
({14})
- Herr Staatspräsident, es lag mir fern, an Ihre Person zu denken. - Es wird Interessenten geben, sogar solche, die ihre Interessen völlig mißverstehen werden; aber was das badische Volk betrifft, so glaube ich, daß es sich auch hier, mag die Entscheidung so oder so fallen, altbadischer Tradition entsprechend verhalten wird, und diese Tradition ist eine demokratische Tradition, d. h. es wird den Mehrheitswillen akzeptieren!
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- Das Wort „eigentlich" werden wir alsbald diskutieren.
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- Auch den „eigenen"! Es wurde nun gesagt, daß dieser Entwurf des Ausschusses gegen eine Reihe von Prinzipien des Grundgesetzes verstoße, die von Art. 118 nicht berührt werden. Er verstoße z. B. gegen die föderalistische Struktur. Ich möchte wirklich wissen, wie das begründet werden will. Hört denn die Bundesrepublik auf, ein Bundesstaat zu sein, wenn im Südwesten statt drei Ländern ein Land sein wird?
({17})
Man hat weiter gesagt; der Entwurf verstoße gegen den Geist dessen, was unter föderalistischer Struktur des Grundgesetzes gemeint gewesen sei, denn er bahne den Weg zum Zentralismus. Meine Damen und Herren, wenn ich ein Zentralist wäre, dann hätte ich am Südweststaat wenig Freude, dann würde ich mich darüber freuen, wenn wir 40 oder 50 Länder hätten, denn dann würde der Ruf nach einer starken Zentralgewalt sehr bald recht laut. Aber gerade weil ich möchte, daß wir einen funktionsfähigen Bundesstaat, einen echten, funktionsfähigen Föderalismus haben, deswegen möchte ich, daß wir leistungsfähige Länder bekommen, Länder wie Bayern zum Beispiel, ein ideales Land auch in dieser Hinsicht,
({18})
aber nicht Länder, die doch letzten Endes darauf angewiesen sind, daß die Nachbarn ihnen die Mittel zukommen lassen, die selber aufzubringen sie nicht in der Lage sind.
({19})
Wir meinen, daß man die Bundesrepublik am besten gliedert, wenn wir Länder schaffen, die imstande sind, zum mindesten den ersten Ausgleich in sich selber zu vollziehen, so daß der Finanzausgleich aus einer Regel zur Ausnahme wird,
({20})
und das können wir, was den Südwesten betrifft, nur leisten, wenn wir dort zu einem starken Land werden, eben zu dem, was man den Südweststaat nennt.
Nun wurde gesagt, es sei undemokratisch, daß man vier Stimmbezirke bildet statt nur zwei - die alten Länder -, und der Kollege Farke hat° uns mit subtiler Logik dargetan, daß wir, wenn wir bei der Logik hätten bleiben wollen, drei Abstimmungsbezirke hätten bilden müssen - wenn wir nicht schon die zwei alten Länder zu Abstimmungsbezirken machen wollten -, nämlich Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Baden. Darüber könnte man streiten. Aber wir haben im Ausschuß gemeint, gegen die Logik der badischen These entgegenkommen zu sollen, indem wir es für richtig anerkannten, einen besonderen Abstimmungsbezirk Nordbaden zu akzeptieren. Sie haben uns einen Vorwurf gemacht, Herr Kollege Farke, den wir nicht verdient zu haben glauben. An sich hätten Sie sich über unsere Abweichung von der Logik freuen sollen. Aber mit der Logik ist das so eine Sache.
({21})
Dann wird gesagt, mit der Bildung dieser Stimmbezirke stehe das Abstimmungsergebnis schon fest; es komme keine echte Wahl zustande. Aber, meine Damen und Herren, wie wollen Sie denn dann künftig mit dem Bewußtsein, daß Sie demokratisch handeln, wählen? Es gibt doch bei uns in Deutschland eine ganze Reihe von Abstimmungsbezirken, in denen das Ergebnis von vornherein feststeht.
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Zum Beispiel steht in meinem Land WürttembergHohenzollern in Oberschwaben das Abstimmungsergebnis von vornherein fest, einfach deswegen, weil die Bevölkerung dort in ihrer Mehrheit eine bestimmte Struktur und eine bestimmte weltanschauliche Prägung aufweist. Wenn man Ihnen folgte, würde es genügen, wenn die Partei, von der man weiß, daß ihr Kandidat gewählt wird, den anderen erklärte: verzichtet auf eine Wahl; es genügt, daß die Partei, von der man weiß, daß sie auf jeden
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Fall gewinnen wird, ihren Kandidaten nominiert und daß wir ihn für gewählt erklären. Aber so ist es doch nicht! Man kann doch nicht sagen, es liege keine echte Wahl dort vor, wo die Verhältnisse nun einmal so sind, daß ein bestimmtes Resultat der Wahl sehr viel wahrscheinlicher ist als ein anderes Resultat, ja wo diese Wahrscheinlichkeit in Gewißheit umschlägt.
Alles das sind keine rechtlichen Einwendungen gewesen. Ein ernster Einwand, ein Einwand, gegen den .zu diskutieren notwendig ist, ist aber jener, daß ein Land der Bundesrepublik nicht - wie gesagt wurde - „vernichtet" werden könne, wenn nicht seine obersten Organe oder seine Bevölkerung zustimmten. Nun, meine Damen und Herren, so seltsam das klingt, - wir müssen uns hier einmal über die Frage unterhalten: Was ist denn eigentlich ein „Land"? Es wurde hier von „eigentlichen" Ländern gesprochen. Ja, was ist denn ein „eigentliches" Land? Ein „eigentliches" Land ist doch offenbar ein Gebilde, das kein Land im Rechtssinne ist; sonst verstehe ich dieses Adjektiv nicht, Herr Kollege Jaeger.
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-- Aber Sie haben eben Ihr Haupt geschüttelt ({25})
und die Hände zweifelnd gen Himmel erhoben. Es wurde weiter eine Art von Symboltheorie entwickelt. Es komme nämlich bei dieser Abstimmung gar nicht auf die wirklichen Länder an, sondern auf Länder, die symbolisch vorhanden sind - das alte Baden symbolisch, ebenso das alte Württemberg -, und es wurde dabei auch von „Staatsvölkern" gesprochen. Meine Damen und Herren, ich glaube, darüber zu diskutieren verlohnt sich nicht. Es gibt nicht eigentliche Länder und uneigentliche Länder; es gibt schlicht die Länder des Grundgesetzes.
Es wurde gesagt, daß diese Länder an dem Makel litten, daß sie den Eingriffen von Besatzungsmächten ihre Entstehung verdankten. Meine Damen und Herren, darüber sollte man nicht zuviel reden: ich erinnere an 1803. Da war auch eine Besatzungsmacht sehr fleißig am Werke, und wenn der Herr Staatspräsident des Landes Baden das Glück hat, in Freiburg residieren zu dürfen, so doch nur deswegen, weil ein gewisser Napoleon die Vorderösterreicher, ohne sie zu fragen, zu Badenern gemacht hat.
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Ich will damit nichts beweisen; ich will damit nur zeigen, daß Argumenten dieser Art keine Beweiskraft innewohnt.
Was ein Land ist, bestimmt das Grundgesetz; man kann dies nicht auf der Grundlage volkskundlicher Erwägungen bestimmen. Wenn wir aber so vorgehen wollten, dann würden wir finden, daß die Bewohner des württembergischen Schramberg „volksmäßig" und was ihre Tradition und ihre Gebräuche betrifft mit den Menschen im badischen Villingen unendlich viel mehr gemeinsam haben als die Villinger etwa mit den Leuten von Tauberbischofsheim oben im Norden, die ihrerseits sehr viel mehr mit den württembergisch Mergentheimern gemeinsam haben als mit den Leuten in Rastatt.
({27})
Mit solchen Argumenten kommt man doch nicht auf
festen Grund! Was ein Land ist, kann man so nicht
bestimmen. Man kann es auch nicht durch Anwendung eines Naturrechtes ad hoc bestimmen. Wenn man sich auf solche Bahnen begibt, kommt man schließlich zu Elaboraten wie das Buch eines Mannes aus Südbaden, der 1945 - oder war es 1946?
- ein Buch herausgegeben hat, dessen Verbreitung sich die Besatzungsmacht hat angelegen sein lassen. Darin wird - auch auf Grund solcher Erwägungen
- der alemannische Staat verkündet. Ich habe nichts gegen solche Erwägungen; nur können solche Dinge doch höchstens de lege ferenda eine Bedeutung haben. Man kann von den Resultaten solcher Erwägungen nicht ausgehen, man kann auf sie vielleicht zugehen; sie sind heute keine Wirklichkeit, mit der man rechtens etwas anzufangen vermöchte.
Das Grundgesetz ist deutlich. Was die Länder der Bundesrepublik sind, sagen die Präambel und Art. 23, wo es heißt, daß dieses Grundgesetz „zunächst im Gebiet der Länder Baden usw., Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern gilt". Was hier aufgezählt ist, sind unsere Länder Alt-Baden und Alt-Württemberg; das waren einmal Länder, sind aber heute keine „Länder" mehr.
Wenn Sie sagen, an der Wurzel dieser Länder seien Eingriffe der Besatzungsmacht wirksam geworden gewiß, die Maßnahme der Besatzungsmacht war das Faktum, das am Ursprung all dieser Dinge stand. Aber genau wie nach dem Faktum von 1803 in dem neugeschaffenen Großherzogtum Baden eine rechtliche Ordnung entstand, die das Werk der Besatzungsmacht aus eigenem rechtsschöpferischen Willen zu einem Staate deutschen Rechts hat werden lassen, genau so hat 1949 das Grundgesetz den 1945 in Südwestdeutschland geschaffenen Tatbestand aufgenommen und zum Inhalt eigener Normen gemacht. Wer diesen Boden verläßt, der betritt ein recht sumpfiges Gebiet. Deutsches Recht hat bestimmt, welches unsere Länder sind, und nicht Besatzungsrecht! Wenn man sich hier ans Spekulieren macht, dann kann man auf sehr merkwürdige Dinge kommen. Ich werde nie vergessen, wie mir einmal jemand - es war Anfang 1946 - sagte, daß durch die Ereignisse von 1945 die Länder da unten in den rechtlichen Stand von 1870 zurückversetzt worden seien: sie seien wieder Staaten mit eigener Souveränität, also mit der rechtlichen Möglichkeit, mit anderen Staaten Verträge zu schließen.
({28})
Das war natürlich törichtes Gerede. Aber sobald man den sicheren Boden des Rechts verläßt, kommt man ins Spekulieren, und beim Spekulieren landet man notwendig beim Unsinn.
Nun wurde gesagt: es gebe rechtlich keine Möglichkeit der „Vernichtung" eines Landes gegen den Willen dieses Landes; es wurde weiter gesagt, daß nach dem Grundgesetz die allgemeinen Regeln des Völkerrechts deutsches Bundesrecht und so auf das Verhältnis der Länder zueinander anwendbar geworden seien. Aber, meine Damen und Herren, die Regeln des Völkerrechts wenden sich doch nur an die Subjekte des Völkerrechts, und ich glaube, daß niemand behaupten kann, daß irgendein deutsches Bundesland Subjekt des Völkerrechts sei. Wenn Sie sagen, im Völkerrecht seien einige allgemeine Rechtsgrundsätze Gestalt geworden, die auch für andere Rechtsbereiche gelten, so ist das richtig; aber keiner dieser Rechtsgrundsätze bestimmt irgend etwas in der Richtung, in der Sie Ihren Beweis führen wollen. Wenn Sie auf der These bestehen, daß die Regeln des Völkerrechts analog auf das Verhältnis der deutschen Länder
({29})
zueinander anzuwenden sind, - nun, dann müssen Sie Konsequenzen ziehen: dann werden Sie schließlich auch zwischen den deutschen Ländern etwas wie einen diplomatischen Verkehr einrichten müssen und was solcher abstrusen Dinge mehr sind. Denn nur dann hat das, was Sie sagten, einen Sinn. Man könnte von einer analogen Anwendung völkerrechtlicher Normen auf das Verhältnis der Glieder eines Bundesstaats nur dann sprechen, wenn die in Frage stehenden Tatbestände nicht durch die Normen einer übergeordneten Rechtsordnung gedeckt sind, und in unserem Falle gibt es diese übergeordnete Rechtsordnung: das Grundgesetz. Da hat doch keine völkerrechtliche Analogie mehr einen Platz.
Das Grundgesetz ist in diesem Punkt doch ganz deutlich. Es sagt in Art. 29, insbesondere in Art. 29 Abs. 4, daß ein Land durch eine gesamtdeutsche Volksabstimmung - also durch eine Willenserklärung des ganz en deutschen Volkes - „vernichtet" - in Ihrer Sprache - werden kann, - sei es, daß es mit anderen Ländern zusammengeschlossen, auf andere Länder aufgeteilt oder mit ihnen zu vollkommen verschiedenen Gebilden umgeschaffen werden kann, und zwar auch dann und gerade dann, wenn sich bei der Volksabstimmung in dem betroffenen Land keine Mehrheit für die vorgeschlagene Änderung gefunden hat. Ich glaube, deutlicher kann doch nicht gesagt werden, daß das Grundgesetz den Fall vorsieht, daß durch ein Bundesgesetz, durch eine Willenserklärung des ganzen deutschen Volkes - also nicht nur durch einen Entscheid des betroffenen Landes! - das Schicksal eines deutschen Landes bis zur - in Ihrer Sprache geredet - „Vernichtung" dieses Landes bestimmt werden kann.
({30})
- Auch Hamburg und Bremen;
({31})
natürlich, diese Länder haben kein Privileg. Darüber werden wir dann bei der Diskussion der Vorschläge, die uns die Bundesregierung zur Ausführung des Art. 29 einmal machen wird, ausführlich diskutieren müssen. Dann werden wir uns darüber aussprechen können, ob auch hier Veränderungen als zweckmäßig oder als nicht zweckmäßig, für im Interesse Gesamtdeutschlands liegend oder nicht liegend, angesehen werden können. Darüber werden die Meinungen sehr weit auseinander gehen, das ist ganz sicher;
({32})
Wir werden, Herr Kollege Hilbert, diese Dinge in der dritten Lesung erörtern, vielleicht wir beide zusammen.
({33})
Wenn Sie sich aber an der These festklammern wollen, daß man demokratisch unanfechtbaren Abstimmungen nur in den „eigentlichen" Ländern, in den alten Ländern, die symbolisch noch bestehen sollen, vornehmen könne - schade, daß der Kollege Wuermeling nicht da ist -, wie sollen wir dann einmal beim Lande Rheinland-Pfalz verfahren, in dem doch keine „eigentlichen" Länder stecken? Wir würden schrecklich in Verlegenheit kommen, wenn wir nach den Rezepten verführen, die uns- heute hier angeboten worden sind.
({34})
Alle diese Argumente, meine Damen und Herren, sind Zweckjurisprudenz; sie sind aus ehrenwertesten Motiven heraus geboren, aber mit Jurisprudenz haben sie nichts mehr zu tun. Ihre Vertreter wollen letzten Endes eine Form finden, die es ihnen erlaubt, mit rund 27 % der Stimmen das, was 73 % wollen könnten, gegenstandslos zu machen, weil sie glauben, es wäre besser und wertvoller, Dinge, die einmal waren, gar zu konservieren, als sich mutig auf den Weg des lebendigen Fortschritts zu begeben. Vielleicht nehmen sie auch gewisse lokale Gruppeninteressen wichtiger als aas gesamtdeutsche Interesse an dieser Frage.
({35})
- Ich mag Karlsruhe außerordentlich gern. Die Weinbrennerschen Bauten finde ich viel schöner, als was aus dieser Zeit in Stuttgart steht.
({36})
Die Art. 29 und 118 gehen davon aus, daß die Neugliederung Deutschlands eine Bundesangelegenheit ist; sie gehen damit weiter davon aus, daß das für die Art der Regelung entscheidende Interesse das Bundesinteresse zu sein hat.
Die Frage, vor der wir heute stehen, ist schlicht die: wollen wir durch Einführung gewisser Konstruktionen, die eine Minderheit privilegieren, verhindern, daß Deutschland vernünftig gegliedert wird, oder wollen wir durch Einführung normaler demokratischer Methoden der Vernunft eine Chance geben? Wenn Sie das letztere wollen, dann lehnen Sie die Abänderungsanträge ab.
({37})
Das Wort hat der Abgeordnete Freudenberg.
Meine Damen und Herren! Ich will mich an die Übung des Hauses halten und bei der zweiten Lesung nicht eine Generaldebatte auslösen, sondern lediglich zu dem aufgerufenen Paragraphen sprechen.
Man macht uns, die wir für die Lösung der Ausschußberatung eintreten, den Vorwurf, daß, wenn man unseren Vorschlägen folgt, die Abstimmung eine reine Farce sei. Dem muß ich widersprechen. Bei der Volksbefragung am 24. September 1950 haben sich in Nordbaden 60 % an der Abstimmung beteiligt, und 57 % der zur Abstimmung Gegangenen haben sich für die Südweststaatlösung ausgesprochen. Sie alle wissen, daß bei solchen Abstimmungsergebnissen durchaus nicht sicher ist, wie eine endgültige Abstimmung ausfallen würde. Wir, die wir uns in Nordbaden für die Südweststaatlösung einsetzen, wissen ganz genau, daß. wir auch bei der aus der Ausschußberatung hervorgegangenen Fassung „Alle Mann an Bord" sein müssen, um bei der Abstimmung die Lösung zu finden, die wir im Interesse unserer Heimat für die richtige halten.
Der zweite Vorwurf, der von den Gegnern der in der Ausschußberatung beschlossenen Regelung gemacht worden ist - Herr Kollege Farke hat das besonders unterstrichen -, lautet: Warum wird nicht in drei Abstimmungsbezirken abgestimmt, wenn man sich schon auf den Standpunkt stellt, daß die jetzt vorhandenen Länder die Grundlage unserer Entscheidung sein sollen? Herr Kollege Farke, daß wir von der Dreierlösung zu einer Viererlösung gekommen sind, geschah auf Wunsch von Nordbaden. Wenn wir der Dreierlösung unsere Zustimmung gegeben hätten, die vielleicht verfas({0})
sungsmäßig der Logik am meisten entsprochen hätte, so wären gerade die Vorwürfe, die von Südbaden nie aufhören, vielleicht mit Recht erhoben worden, daß der württembergische Volksteil den nordbadischen überstimmen könnte. Wir in Nordbaden sind 1945 mit Überzeugung in die Ländergemeinschaft mit Nordwürttemberg gegangen. Gerade weil wir mit Überzeugung in diese Ländergemeinschaft gegangen sind, wollen wir uns nicht den Vorwurf machen lassen, daß wir denen, die in Nordbaden anderer Meinung sind, die Möglichkeit geben, zu sagen, man hätte ihre Meinung bei der entscheidenden Abstimmung nicht hören wollen. Wir wollten und wollen eine Majorisierung von Württemberg in Nordbaden ablehnen. Wir lehnen aber mit der gleichen Entschiedenheit ab, daß wir von Südbaden aus majorisiert werden könnten. Zweimal hat sich Nordbaden in klarer Entscheidung für die Zusammenarbeit in der Ländergemeinschaft mit Württemberg entschieden. Wir sehen nicht ein, daß wir uns der Gefahr aussetzen, das, was wir für unser badisches Land für das Beste halten, zerschlagen zu bekommen, weil eine südbadische - ich will das böse Wort gebrauchen - Irredenta, die unserem badischen Wesen so abgrundtief fremd ist, in Südbaden vielleicht Stimmen aufbringt, die uns, die wir den Weg der Vernunft und des Verstandes gehen wollen, aufzubringen vielleicht schwer fällt.
Meine Damen und Herren, wer für das Interesse unseres badischen Volkes, für das Interesse von Südwestdeutschland, aber damit auch für die Interessen von ganz Deutschland seine Stimme abgeben will, der kann nur dem Ergebnis der Ausschußberatung und nicht dem Versuch zustimmen, uns von Südbaden her in irgendein Unheil zu stürzen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Etzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei lebensvolle, geschichtlich gewordene Staatskörper der deutschen Staatenwelt sind durch einen Federstrich der Besatzungsmacht im Jahre 1945 zerschnitten, man könnte auch sagen: durch einen Schwerthieb zerteilt worden. Auf einer solchen Grundlage, die durch einen Gewaltakt einer fremden, außerdeutschen Macht entstanden ist, kann nach unserer Auffassung eine große staatliche Neuschöpfung im deutschen Lebensraum nicht versucht werden.
Es ist in diesem Hohen Hause vor kurzem einmal gefordert worden, daß kein Deutscher das Recht und die Unwürde haben dürfe, sich auf eine Entscheidung, eine Maßnahme, eine Vorschrift oder sine sonstige Willensäußerung der Besatzungsmacht oder des Besatzungsrechts zu berufen, Nun, die Teilstücke, die als Abstimmungsbezirke im Sinne des § 3 vorgesehen sind, sind gerade die Trümmer, die der Hammer der Besatzungsmacht geschaffen hat.
Ich will mit den Vätern des Grundgesetzes nicht rechten, daß sie es unterlassen haben, die Bundesgesetze nach Art. 29 und 118 zu Zustimmungsgesetzen zu erklären, für die Beschlußfassungen im Bundestag und gegebenenfalls im Bundesrat sowie für die Abstimmungen im gesamten Volksbefragungsgebiet qualifizierte Mehrheiten vorzuschreiben. Ich will auch keine Anklage deswegen erheben, daß überhaupt in das Grundgesetz, bei dessen Zustandekommen doch sehr starke Einflüsse der Besatzungsmächte mitgewirkt haben und dessen Existenz nur eine vorläufige, nicht eine endgültige Entscheidung bedeuten sollte, die Frage einer gebietlichen Neugliederung hineingetragen wurde. Aber unbegreiflich ist es, daß es geschehen konnte.
Wir sind der Meinung, daß der Beruf unserer Zeit zu solchen umwälzenden Neuordnungen zu verneinen ist. Der vorliegende Gesetzentwurf ist der Versuch eines voreiligen Vorgriffs zwischen Tür und Angel einer großen geschichtlichen Gesamtentwicklung, deren heftiger Fahrwind uns alle anweht. Noch ist Deutschland nicht. Noch sind es nur geteilte Deutschländer. Beruf und Aufgabe einer gebietlichen Neuordnung, die geschichtliche Bedeutung im deutschen Lebensraum hat, können nur Gesamt- nicht Teildeutschland zustehen, auch wenn dieses Teildeutschland die Bundesrepublik ist. Die Gesetzesvorlage ist ein bezeichnender und aufschlußreicher Anwendungsfall zentralistischer Grundauffassungen, die nicht erkennen oder zugeben wollen, daß die Länder nicht einfach Provinzen und Objekte, sondern Träger des Bundes sind, der aus ihnen zustande gekommen ist.
Der vorliegende Gesetzentwurf wird von uns abgelehnt, weil er, mag es sich um die Bildung der Abstimmungsbezirke nach § 3, um die Regelung des Abstimmungsrechtes nach § 6 oder um die Auswertung der Abstimmungsergebnisse nach § 10 handeln, ganz offensichtlich darauf angelegt und dazu bestimmt ist, das von seinen Initiatoren gewollte Abstimmungs- und Neugliederungsergebnis zu erzielen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Donhauser.
Donhauser ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Dr. Schmid bedürfen meiner Meinung nach einer ganz kurzen Ergänzung.
Vor wenigen Tagen hat ein sehr prominentes Mitglied der Fraktion des Herrn Dr. Schmid mir gegenüber erklärt: Rosa Luxenburg war es, die in einer entscheidenden Stunde ihrer Partei ihren Genossen zurief: „Demokratie ist nicht so sehr Herrschaft der Mehrheit als vielmehr das Recht der Minderheit". Ich wollte, Herr Dr. Schmid, der Geist Rosa Luxenburgs hätte heute von hier aus gesprochen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Fisch.
({0})
Meine Damen und Herren! Die kommunistische Fraktion ist der Auffassung, daß einige grundsätzliche Feststellungen Ausgangspunkt der Entscheidung über die Frage der Regelung im Südwesten Deutschlands sein müssen: Erstens die Feststellung, daß die gegenwärtige Lage im Südwesten Deutschlands auf willkürliche Maßnahmen der Besatzungsmacht zurückzuführen ist, die aus machtpolitischen und militärischen Erwägungen getroffen worden sind,
({0})
({1})
Maßnahmen, die ohne Befragung der deutschen Bevölkerung wider jede Vernunft, wider alle wirtschaftlichen Interessen und wider jede gesunde und in der Bevölkerung verwurzelte Tradition getroffen worden sind. Die zweite Feststellung ist, daß eine Neuregelung dieser Verhältnisse, die ungesund sind, zweifellos erforderlich ist. Eine solche Neuregelung muß aber dem Willen der Bevölkerung entsprechen. Die dritte Feststellung ist: es darf keine Neuregelung geben, die den Wünschen der Bevölkerung ebenso widerspricht,
({2})
die ebenso fremd und künstlich ist wie die gegenwärtige, durch die Besatzungsmächte veranlaßte.
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Meine Fraktion ist der Meinung, daß die von der neuen Koalition der FDP und der SPD mit Gewalt versuchte Lösung des Südweststaatproblems ebenso eine fremde und künstliche Lösung der .verworrenen Verhältnisse darstellen würde wie die gegenwärtige.
In den uns vorliegenden Entwurf des Neugliederungsgesetzes hat die Mehrheit des Ausschusses einen Trick eingebaut, mit dem man nichts anderes bezweckt, als das Ergebnis einer kommenden Volksabstimmung vorwegzunehmen. Die Einteilung der Abstimmungsbezirke und die Feststellung des endgültigen Abstimmungsresultates, wie sie die Vorlage vorsieht, bedeuten zweifellos die Majorisierung eines Teiles der Bevölkerung. Dieser, der badische Teil der Bevölkerung, hat darum nicht weniger Anspruch, daß seine demokratisch erhobenen und vertretenen Wünsche beachtet werden, weil Baden über weniger Einwohner verfügt als Württemberg.
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Wir sind daher der Meinung, man soll die wirklichen Beweggründe dieser Vorlage doch etwas klarer formulieren, damit jeder weiß, was gemeint ist.
({5})
- Herr Mayer, Sie sind so klug, daß Sie nach mir noch eine ganz lange Rede halten können.
Ich meine, man hat vergessen, zu sagen, warum man diesen sonderbaren Trick in den §§ 3 und 10 eingebaut hat und was man unter Mißachtung demokratischer Grundsätze unter allen Umständen erreichen und erzwingen möchte. Der Herr Abg. Schmid war der Meinung, daß die Gegenvorschläge der Minderheit des Ausschusses ein Votum für den Rückschritt, für die „Restauration" seien. Er hat den Versuch gemacht, eine Parallele zwischen dem Eingriff von Besatzungsmächten im Jahre 1945 und „ähnlichen" Eingriffen einer anderen Besatzungsmacht im Jahre 1803 zu ziehen. Mir scheint, daß der Abgeordnete Schmid dabei zwei wesentliche Punkte übersehen hat. Erstens einmal: man kann die Entwicklung von 150 Jahren nicht einfach ungeschehen machen. In diesen 150 Jahren, seitdem die beiden Länder Württemberg und Baden in der Form von 1945 bestehen, ist eine entscheidende politische und wirtschaftliche Entwicklung vor sich gegangen. Die Industrialisierung des Landes, die ganze wirtschaftliche Struktur dieses Gebietes, die wir heute vor uns haben, ist der Entwicklung in diesen 150 Jahren zu verdanken. Eine solche Entwicklung einfach ungeschehen zu machen, würde heißen, einen natürlich gewachsenen Zustand vergewaltigen.
Zweitens: Es sollte einem Manne, der sich rühmt, die Geschichte gut zu kennen, nicht schwer fallen, den Unterschied zwischen den Maßnahmen des Jahres 1803 und des Jahres 1945 herauszufinden. Wenn Herr Carlo Schmid kein Neo-Sozialist wäre,
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dann könnte man von ihm erwarten, daß er die Geschichte Deutschlands auch mit der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und mit der Geschichte der fortschrittlichen Bewegungen auf deutschem Boden in Verbindung bringt. Wenn er also kein Neo-Sozialist wäre, dann würde er sich daran erinnern, daß die Regelung von 1803 nicht Regelungen irgendeiner „Besatzungsmacht" waren, etwa gleichzusetzen- den Regelungen der imperialistischen Besatzungsmacht der Vereinigten Staaten von 1945. Die Regelungen des Jahres 1803 verdanken ihre Existenz immerhin dem fortschrittlichen Wind der Französischen Revolution. Was damals im Südwesten Deutschlands geschah, war ja nicht bloß eine simple Neuziehung von Ländergrenzen, sondern das war - Herr Carlo Schmid, als Jurist sollten Sie das wissen - gleichzeitig auch die Einführung des Code civil, das war die Einführung einer demokratischen Bodenreform, die es in anderen Teilen Deutschlands nicht gegeben hat. Immerhin sollte man sich daran erinnern, daß auf dem Boden dieser mit Hilfe der französischen Revolution zustande gekommenen Neuregelung auch die Kämpfer des Jahres 1849 gewachsen sind,
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die Kämpfer von Rastatt, Waghäusel und an der Murg, jene, die damals für ein einheitliches demokratisches Deutschland gefochten und gelitten haben, jene, die auf dem Boden der fortschrittlichen Errungenschaften des Südwestens Deutschlands auch Vorkämpfer für das Kommunistische Manifest gewesen sind.
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Meine Damen und Herren! Diese Unterschiede sollte man nicht außer acht lassen. Darum ist es ein historischer Treppenwitz, die Entscheidung des Jahres 1803 mit derjenigen von 1945 einfach formal gleichzusetzen.
Um diese seine Krückenthese etwas glaubhafter zu machen, erklärt Herr Kollege Schmid, das, was er wünscht, nämlich die Erzwingung der südweststaatlichen Regelung, liege „im Lebensinteresse des Ganzen", es sei „eine Sache der Vernunft". Sie haben die Frage an unsere Fraktion gerichtet, wem denn die Sache nütze. Ich gebe Ihnen diese Frage zurück, Herr Kollege Schmid, und frage Sie: Wer war denn der Vater des Gedankens des Südweststaates? Waren es denn nicht die amerikanischen Gouverneure, waren es nicht die Interventionen des Generals Clay und des Militärgouverneurs von Württemberg-Baden, die sich immer wieder für eine südweststaatliche Regelung eingesetzt haben? Ich denke also, bei der Klärung dieser Frage wird auch entschieden, wem dieser ganze Südweststaatrummel zunutze ist. Wir erinnern uns doch, daß es vor einiger Zeit, als es noch keine so vollkommene militärpolitische Zusammenarbeit im Rahmen des Atlantikpaktes gab, auch eine Diskussion darüber gab, ob man nicht das ganze Land Baden unter der Aufsicht französischer Besatzungsbehörden und auf der anderen Seite das ganze Land Württemberg unter amerikanischer Oberhoheit zusammenschließen solle. Wir erinnern uns doch, daß sich auch damals eine amerikanische Intervention mit der ganzen Kraft ihrer Ellen({9})
bogen bemerkbar machte. Warum? Weil die amerikanische Besatzungsmacht ihre Überlegungen des Jahres 1945 unter allen Umständen beachtet wissen wollte, weil sie den Mannheimer Hafen, die strategisch so wichtige Autobahn Frankfurt-Stuttgart-München unter ihrem militärischen und politischen Kommando behalten wollte und diese wichtigen Objekte nicht, auch nicht zum Teil, an die Oberhoheit einer französischen Besatzungsbehörde abgeben wollte. Darum der Widerstand der amerikanischen Gouverneure gegen die Versuche, im Südwesten schon vor zwei Jahren eine halbwegs vernünftige Lösung herbeizuführen.
Man muß also sagen, um einer amerikanischen Erfindung willen möchte der Kollege Schmid „die demokratische Technik" verächtlich machen, wie er es hier getan hat. Er möchte sich für den Südweststaat einsetzen, damit die militärischen Erwägungen der amerikanischen Besatzungsmacht unter allen Umständen Vorrang genießen. Daß er hierbei ausgerechnet die Unterstützung des Herrn Euler und des Herrn Freudenberg findet, das sollte uns nicht wundern.
In der letzten Zeit hat es einige Veränderungen gegeben, die es verständlich machen, warum unsere amerikanischen Sicherheitshüter an einer schnellen Herbeiführung des Südweststaates interessiert sind. Seit dem 1. April gehen auf Grund der Beschlüsse der Brüsseler Konferenz bekanntlich einige militärische Verschiebungen im Westen Deutschlands vor sich. Entsprechend der amerikanischen Herrenmenschenauffassung werden die Franzosen in die vordere Frontlinie verschoben, etwa in die Gegend des Bayerischen Waldes, in die Gegend der Werra usw., während sich die amerikanischen Herrenmenschen die rückwärtigen Gebiete als Residenz vorbehalten. Sie beziehen deswegen jetzt einige Gebiete von Rheinland-Pfalz, die offiziell immer noch als französische Besatzungszone gelten. Sie möchten den Schwarzwald und das ganze Südwestgebiet ebenfalls als Zone der militärischen Bereitstellungen, als Zone der unterirdischen Flugplätze, als Zone der unterirdischen Panzerstationen parat halten. Darum sind sie daran interessiert, daß es einen einwandfrei und lückenlos amerikanisch gelenkten Südweststaat gibt.
({10})
Das, meine verehrten Kollegen, ist der wirkliche Grund für die Eile und für die Methode der Vergewaltigung elementarer demokratischer Rechte der Selbstbestimmung, die hier angewandt werden, um die amerikanische Lösung zu beschleunigen. Meine Fraktion hat bereits erklärt 'und wiederholt es hier: sie wird sich jedem Versuch widersetzen, auf offene oder versteckte Art die amerikanische Vorlage eines Südweststaates mit deutscher Rechtsprechung und Gesetzgebung zu legalisieren. Meine Fraktion ist dafür, daß die alten Länder Württemberg und Baden, so wie es der politischen und wirtschaftlichen Vernunft und den Traditionen entspricht, in einem geeinten Deutschland wieder hergestellt werden. Meine Fraktion wird gegen den vorliegenden Entwurf des Neugliederungsgesetzes stimmen, weil sie gegen die Vergewaltigung einer Minderheit ist,
({11})
die durch die Abstimmungstechnik der §§ 3 und 10 vorgenommen werden soll. Weil meine Fraktion will, daß die Meinung des Volkes an erster Stelle entscheidend ist,
({12})
wird sie für die Ziffer 1 des Abänderungsantrages auf Umdruck Nr. 154 stimmen. Das bedeutet nicht, daß wir der politischen Tendenz zustimmen, die auch dieser Vorlage zugrunde liegt, der Tendenz nämlich, heute schon die Lösung gewisser Fragen vorwegzunehmen, die erst einem geeinten und unabhängigen Deutschland zusteht.
({13})
Wir sind dafür, daß jede künstliche und vom amerikanischen Imperialismus gelenkte und gewünschte Lösung unterbleibt. Wir werden aber einer solchen Zwischenbefragung des Volkes nicht entgegenstehen, wenn die demokratischen Grundsätze gewahrt sind. Wir sagen aber: Die endgültige Entscheidung über das Schicksal der deutschen Länder, über ihre Verfassungen, über die Abgrenzung ihres Bereichs kann erst dann geschehen, wenn ganz Deutschland seine Freiheit und Unabhängigkeit zurückgewonnen hat, wenn alle Besatzungsmächte deutschen Boden verlassen haben.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehlers.
Meine Damen und Herren! Ich habe mich bisher immer darüber gefreut, daß ich nicht das Glück oder - wie Sie wollen - das Pech hatte, einem der Länder, die den Südweststaat bilden sollen, anzugehören, weil ich glaubte, daß ich dadurch davor bewahrt sei, in dieser Frage unmittelbar Stellung nehmen zu müssen. Ich muß aber sagen, daß mich die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Schmid sehr bedenklich gestimmt haben
({0})
und daß sie in mir jedenfalls die große Sorge hervorgerufen haben, daß hier mit dem § 3 und dem § 10 dieses Gesetzes eine Weichenstellung in einer zunächst zwar örtlich begrenzten Situation vollzogen wird, die aber ihre ausgesprochen starken und heute noch gar nicht übersehbaren Auswirkungen in der künftigen deutschen Politik haben kann.
({1})
Der Herr Kollege Dr. Schmid hat sich dagegen gewandt, daß diese Frage mit dem Pathos der geistigen und seelischen Volkstumswerte behandelt würde. Meine Damen und Herren, ich muß sagen, daß ich die gleiche Sorge davor habe, daß diese Frage mit dem Pathos des Fortschritts und der Vernunft behandelt wird.
({2})
Es geht hier einfach um die Frage - und das ist
richtig -: Was ist ein Land in der Bundesrepublik?
({3})
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Schmid hat gesagt: Was ein Land ist, bestimmt das Grundgesetz. Ich bin völlig der gleichen Meinung und weise nur darauf hin, daß im Art. 29 als der ersten, und zwar als zwingend anzusehenden Bestimmung gesagt ist:
Das Bundesgebiet ist unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges durch Bundesgesetz neu zu gliedern.
({4})
Und dann heißt es:
Die Neugliederung soll Länder schaffen, die nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können.
Meine Damen und Herren, ich weise noch einmal darauf hin: das erste ist eine zwingende und unausweichliche Vorschrift, und das zweite ist eine Sollbestimmung.
({5})
Ich wehre mich mit Nachdruck dagegen - ganz unabhängig davon, ob es sich hier um die Frage des Südweststaates handelt -, daß die wirtschaftlichen und sonstigen Leistungsfragen und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte den in erster Linie genannten Grundsätzen vorangestellt werden.
({6})
Ich habe dazu folgenden Anlaß. Herr Kollege
Schmid pflegt zwar die Zitierung dieser Grundsätze
„Blu-Bo in Bonner Prägung" zu nennen. Ich glaube,
daß man dann diesen Vorwurf gegenüber dem
Grundgesetz erheben müßte; denn eben diese Gesichtspunkte sind im Grundgesetz festgelegt. Ich
meine, daß wir uns davor schützen sollten, diese .
im Grundgesetz festgelegten Grundsätze aufzuheben, weil dadurch für die Gesamtheit des Volkes
und seine Gliederung Gefahren entstehen könnten,
die wir heute noch in gar keiner Weise übersehen.
({7})
Meine Damen und Herren! Es ist sicher richtig, daß die große Frage auftaucht, ob ein Land- wie Baden - und es geht ja ernsthaft um diese Frage hier - lebensfähig ist. Darüber kann man sprechen, und ich wünschte, hier würde eine Lösung gefunden, die allen Gesichtspunkten, auch dem der Lebensfähigkeit des Landes, gerecht wird. Aber ich muß sagen, die Geschichte, insbesondere des letzten Jahrhunderts, sollte uns davon überzeugt haben, daß dieser Gesichtspunkt nicht entscheidend ist.
({8})
Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Fisch hat die Französische Revolution und ihre positiven Ergebnisse zitiert. Er vermutet nicht, daß ich insofern mit ihm einig bin. Ich meine nur, daß auch der Glaube an die Vernunft und den Fortschritt ein unmittelbares Produkt der Französischen Revolution ist, und ich meine, daß es im vergangenen Jahrhundert und in den letzten zweihundert Jahren unserer Geschichte Kräfte gegeben hat, die sich dem auch damals vertretenen Fortschritt entgegengestemmt haben. Wenn mich meine historischen Kenntnisse nicht völlig im Stich lassen, befanden sich auch die Truppen des Schwäbischen Kreises unter den Truppen, die sich mit den Franzosen zusammen bei Roßbach dem Fortschritt entgegenstemmten.
({9})
Meine Damen und Herren, nun lassen Sie mich ein Weiteres sagen. Wenn gerade Herr Kollege Schmid als Vertreter seiner politischen Überzeugung heute hier den Fortschritt und die Vernunft zitiert, dann wundere ich mich als Niedersachse doch etwas darüber, daß der Kampf, der in Niedersachsen durch Jahrzehnte hindurch gegen den scheinbaren Fortschritt und die scheinbare Vernunft um des Rechtes willen geführt worden ist, von den Vertretern seiner Partei damals intensiv unterstützt worden ist.
({10})
Ich wundere mich weiter darüber, daß der Herr Kollege Schmid sich hier gegen die Maßnahmen der Besatzungsmacht wendet, daß aber die Vertreter seiner Partei in der niedersächsischen Regierung durchaus bereit gewesen sind, die Maßnahmen der gleichen Besatzungsmächte, die gegen den Willen der oldenburgischen Bevölkerung getroffen worden sind, anzuerkennen und durchzusetzen.
({11})
Wenn man schon Prinzipien aufstellt, meine Damen und Herren, dann sollte man sie in ganzer Breite vertreten und sollte sie so vertreten, daß sie überall Geltung haben; denn sonst könnte die Frage „cui bono?" eine etwas begrenzte und gefährliche sein.
({12})
Ich wehre mich ebenfalls und letztlich dagegen, daß diese Frage damit erledigt wird, daß man die Forderung nach der Demokratie, nämlich nach der Berücksichtigung des Willens des Volkes, heute - es helfen uns ja keine historischen Erwägungen über den Schwäbischen Kreis oder über Napoleon, sondern es geht um den Willen der Bevölkerung eines deutschen Landes - dadurch diskreditiert, daß man meint, das sei nicht Demokratie, sondern Restauration. Das kennen wir schon, daß heute alles, was nicht genehm ist, mit dem Wort „Restauration" belegt wird.
({13})
Ich meine, daß wir unsere Prinzipien verwirklichen sollten und daß wir das, was wir in den gesamtdeutschen Auseinandersetzungen immer wieder fordern, nämlich Einheit in der Freiheit, auch in der Gliederung unseres Bundes verwirklichen sollten.
({14})
Das Wort hat als Mitglied des Bundesrates Herr Staatspräsident Dr. Müller.
Dr. Müller, Staatspräsident von WürttembergHohenzollern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen von zwei der Herren Abgeordneten veranlassen mich, zu dem in Frage stehenden Problem kurz Stellung zu nehmen. Das erste ist das Bedauern des Herrn Abgeordneten Dr. Etzel, daß die Neugliederung des südwestdeutschen Raumes überhaupt im Grundgesetz ermöglicht worden ist. Meine Damen und Herren, bei den vielen Meinungsverschiedenheiten, die die Länder im südwestdeutschen Raum gehabt haben, waren sie sich immer darüber im klaren, daß glücklicherweise wenigstens das Grundgesetz die Neugliederung im südwestdeutschen Raum ermöglicht; denn wenn Art. 118 nicht im Grundgesetz stünde - Art. 29 ist noch suspendiert -, würde das maßlose Unglück, das dem südwestdeutschen Raum im Jahre 1945 durch die Besatzung geschehen ist, nicht wiedergutgemacht werden können, würden vor allem in den beiden südlichen Ländern, die abgeschnitten wurden, die dauernden wirtschaftlichen Nachteile nicht beseitigt werden können. Das wäre unheilvoll und zu bedauern.
Ich glaube, man übersieht völlig, daß die Neuregelung des südwestdeutschen Raumes von den beteiligten Ländern schon zu einer Zeit in Angriff genommen wurde, als es noch kein Grundgesetz gab, und daß wir schon ein Jahr vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes einen Vertrag abgeschlos({0})
sen haben, den sogenannten Karlsruher Vertrag, bei dem alle Beteiligten völlig einig waren. Wenn man überhaupt von einer Tragik in der Entwicklung der Frage der Neuregelung des südwestdeutschen Raumes sprechen kann, dann liegt sie darin, daß dieser vom föderalistischen Standpunkt wie auch vom Standpunkt der Interessen der beteiligten Länder her gesehen ausgezeichnete Vertrag an der Haltung Südbadens gescheitert ist.
({1})
Lassen Sie mich ein Zweites sagen - die Ausführungen des Herrn Albgeordneten Dr. Ehlers veranlassen mich dazu Ich glaube, man sollte in das Verfahren hinsichtlich der Neuregelung des südwestdeutschen Raumes nicht Gedanken hineintragen, die in den beteiligten Ländern jedenfalls nicht zum Ausdruck kommen. Wie Sie wissen, ist die Formulierung der §§ 3 und 10 weitgehend auf Vorschläge der Tübinger Staatsregierung zurückzuführen; deshalb bin ich vielleicht auch berechtigt, dazu zu reden. Ich glaube, man geheimnist in diese Vorschläge viel zuviel Dinge hinein, die damit gar nichts zu tun haben. Man steht im Gegenteil vor einer sehr, sehr schwierigen Entscheidung, der_ Entscheidung, wie man aus verschiedenen an sich irgendwie berechtigten Prinzipien eine gerechte Lösung finden kann.
Es sind drei Grundsätze, nach denen man verfahren könnte. Einmal stellt man auf das ganze einheitliche Gebiet ab und läßt nur die Mehrheit im künftigen Gebiet des Südweststaates gelten. Meine Damen und Herren, das hat sehr viel für sich von zwei Gesichtspunkten aus. Erstens ist es ja für die Zukunft letztlich entscheidend, ob dieses ganze Volk, das im Südweststaat zusammen leben muß oder will, sich in seiner Mehrheit mit dieser Neuregelung abfindet. Wer also an die Zukunft denkt, an das künftige Zusammenleben, kann durchaus die Meinung vertreten, die Mehrheit im ganzen Gebiet solle entscheiden. Ich gebe zu, daß die Regelung von 1803 etwas gefälligere Begleitumstände hatte. 1945 war ausschließlich die Autobahn Frankfurt-München maßgebend, 1803 waren es wenigstens 'die Wünsche einer schönen und intelligenten Frau, der Eugenie Beauharnais.
({2})
Aber, meine Damen und Herren, das scheint mir nicht das Maßgebende zu sein. Wer im südwestdeutschen Raum lebt, wer 'ihn kennt und wer mit seiner Bevölkerung zusammenlebt, weiß, daß die Gemeinsamkeit der Schicksale, wie sie sich in diesem Raum schon seit den Jahren 800, 900 und 1000 gestaltet haben, heute noch eine absolute Aktualität besitzt.
({3})
Deshalb sind meines Erachtens alle diese Fragen, ob nun 1945 Recht geschaffen hat oder ob es 1803 auch nicht ganz recht hergegangen ist, nicht von besonderer Bedeutung. Dazu darf ich nachher noch einige Worte sagen.
Bei dem Vorschlag, das neue Gesamtland nicht zu berücksichtigen, kann man - und das darf ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Kopf sagen - auch Beispiele konstruieren, die zu einem seltsamen Ergebnis führen. Dann ist es möglich, daß, obwohl sich in dem Gesamtgebiet des künftigen Südweststaates 80% für ihn aussprechen, der Südweststaat nicht zustande kommt, weil er im Lande Baden keine Mehrheit findet. Auch das scheint mir, meine Damen und Herren, keine demokratische Lösung zu sein.
({4})
Man kann auch nach einem anderen Gesichtspunkt vorgehen, und zwar nach dem Vorschlag des Herrn Abgeordneten Dr. Kopf, nur die alten Länder maßgebend sein zu lassen. Ich gebe zu, daß diese Regelung auch vom Standpunkt der Anhänger des Südweststaates aus vielleicht die große Geste der Versöhnung wäre.
({5})
Ich habe sie in den Verhandlungen der letzten drei Jahre immer und immer wieder vorgeschlagen, um eine Einigung zwischen den Ländern zu erzielen. Aber auch diese Geste hat zu keiner Einigung geführt; und ich fürchte, daß der Vorwurf der Vergewaltigung auch dann nach wie vor erhoben werden würde, wenn die Durchzählung nach alten Ländern zugebilligt werden würde.
({6})
Ein dritter Gesichtspunkt, der zwar nicht in den Gesetzesvorschlägen seinen Ausdruck gefunden hat, der aber sehr vieles für sich hat, wäre eigentlich der, daß man von 'den jetzigen Ländern ausginge. Auch das wäre eine Möglichkeit; sie würde aber dazu führen, daß unter Umständen keine Einigung zustande käme und ein ganzes Land vergewaltigt würde, je nachdem, wie man die Mehrheitsverhältnisse oder die Auswertung der Abstimmung bestimmt.
Alle diese Gründe haben uns veranlaßt, nun von Tübingen aus den Vorschlag zu machen, den sich der Ausschuß zu eigen gemacht hat. Er beruht auf folgendem, was zweifellos Tatsachen sind:
Wohl sind die drei Länder, die jetzt bestehen, 1945 durch Besatzungsdiktat entstanden; es ist aber nicht zu bestreiten, daß diese sechs Jahre der Zusammengehörigkeit - und es waren für die Länder der französischen Zone außerordentlich harte Jahre - vielleicht noch mehr zählen als gemeinsame Kriegsjahre. Jedenfalls haben sie eine Entwicklung eingeleitet und Zustände geschaffen, die man nicht einfach als Nichts betrachten kann. Es sind in diesen sechs Jahren in den drei jetzt bestehenden Ländern Tatsachen geschaffen worden, über die man nicht einfach hinweggehen kann. Ich weise auf folgendes hin: Es ist leider entgegen unserem Willen und entgegen unseren Bemühungen - aber es ist eben so gegangen - in diesen drei Ländern eine völlig verschiedene Rechtsentwicklung eingetreten, nämlich in den Ländern, die französisch besetzt waren, die Rechtsentwicklung, wie sie vom französischen Besatzungsrecht her bestimmt war, in Württemberg-Baden die amerikanisch bestimmte. Leider ist auch die innerstaatliche Rechtsentwicklung in diesen Ländern in einer ganzen Reihe von entscheidenden Fragen des öffentlichen Lebens getrennte Wege gegangen. Wir haben in Gesetzgebung und Verwaltung in diesen drei Ländern und vor allem im Gegensatz zu der Entwicklung in Württemberg-Baden zum Teil völlig verschiedene Gestaltungen. Das läßt sich nicht bestreiten. Es sind in diesen sechs Jahren auch eine Reihe von wirtschaftlichen Vereinigungen, Verbindungen, Querverbindungen, finanziellen Dingen entstanden, die man nicht einfach als Nichts erklären kann. Es ist bezeichnend - ich sage das nur, um es festzustellen, und nicht, um Vorwürfe zu erheben -, daß es, wenn wir bei den Vereinbarungen und Verhandlungen der Länder verschiedener Meinung waren, dann immer 'so war, daß ausgerechnet die nordbadischen Vertreter gegen die südbadischen Auffassungen aufgetreten sind, während es viel leichter gewesen wäre, eine Vereinbarung zwischen
({7})
den südbadischen, südwürttembergischen und nordwürttembergischen Auffassungen zu erzielen. Das ist auch ein Umstand, der zeigt, wie sich Nordbaden in diesen sechs Jahren von Südbaden wegentwickelt hat.
({8})
Das ist, meine Damen und Herren, ein Moment, das uns dazu veranlaßt hat, zu sagen: Man kann auch die Entwicklung seit 1945 bis heute nicht vollständig außer acht lassen. Sie ist auch bezüglich der Gestaltung der Verfassungen zum Ausdruck gekommen. Mit der Zustimmung aller badischen Abgeordneten ist in der württembergisch-badischen Verfassung bestimmt, daß durch einfaches Landesgesetz der Südweststaat geschaffen werden kann, während die Wiederherstellung des alten Landes Baden einer verfassungsändernden Mehrheit im Stuttgarter Landtag bedürfte. In Württemberg-Hohenzollern wollte man etwas Ähnliches in die Verfassung hineinnnehmen, war aber durch das Veto der Besatzung daran gehindert. Nur die südbadische Verfassung erschwert merkwürdigerweise rein verfassungsrechtlich die Änderung des auch dort als unglücklich empfundenen jetzigen Zustandes in außerordentlichem Maße.
Ein zweiter 'Gesichtspunkt, der meines Erachtens in der ganzen Debatte des Hohen Hauses völlig übersehen wurde: Es ist gar nicht so, daß sich nur die alten Länder Württemberg und Baden gegenüberstehen. Zu Württemberg-Hohenzollern gehören auch die Hohenzollernschen Lande, und die lehnen es ab, nun entweder zu Alt-Württemberg oder zu Alt-Baden gezählt zu werden.
({9})
- Nein, sondern die sind, wie Sie wissen, Herr Abgeordneter Hilbert, bei der Probeabstimmung zu ungefähr 99 % für den Südweststaat eingetreten; die handeln nach dem Grundsatz, daß sie nicht zum Vater Württemberg und nicht zur Mutter Baden, jeweils getrennt, zurückkehren wollen, sondern zu beiden Eltern. Das ist der Grund.
({10})
Wenn man nun schon so außerordentlich auf die Rechte der Minderheiten sieht, meine Damen und Herren, dann sollte man auch diese Rechte der Hohenzollern, die nicht einfach mit den Alt-Württembergern in einen Topf geworfen werden wollen, berücksichtigen, und zwar vor allem von der Seite her, die so sehr für die Beachtung der Rechte der Minderheit eintritt.
({11})
Dann noch etwas: Es ist richtig, daß dieser sogenannte Tübinger Entwurf sich an das Ergebnis der Probeabstimmung anschließt. Aber, meine Damen und Herren, das war ja gerade der Zweck dieser Probeabstimmung.
({12})
Sie sollte uns nämlich für das dann zu entwerfende Gesetz sagen, was die 'Bevölkerung eigentlich denkt.
({13})
Wenn wir uns deshalb in der Gestaltung dieses Entwurfs der Probeabstimmung angeglichen haben, so haben wir, glaube ich, nicht undemokratisch, sondern demokratisch gehandelt.
({14})
Ich glaube, 'das dürfte man doch nicht übersehen.
Und schließlich kommen Sie, wenn Sie es sich genau überlegen und durchrechnen, welches die Unterschiede zwischen dem Antrage Kopf und dem Antrage des Ausschusses sind, zu dem Ergebnis, daß in der großen Mehrzahl der Fälle der Ausschußantrag und der Antrag Kopf keinen praktischen Unterschied aufweisen, und zwar deshalb. weil ja Nordbaden, wie Sie wissen, rund 190 000 Abstimmungsberechtigte mehr hat als Südbaden, so daß es an sich schon immer in der Lage ist, Südbaden zu überstimmen. Der Unterschied besteht nur darin, daß nach dem Antrage des Ausschusses Nordbaden leichter in der Lage ist, Südbaden zu überstimmen, während nach dem Antrage Kopf Südbaden eher in der Lage ist, Nordbaden zu überstimmen. Aber das Entscheidende, meine Damen und Herren - darauf möchte ich hinweisen und das möchte ich vor allem meinen badischen Freunden sagen, die anderer Meinung sind als ich -, ist doch, daß nach idem Tübinger Vorschlage und nach dem Antrage, wie ihn der Ausschuß angenommen hat, eine Überstimmung Badens durch Württemberg ausgeschlossen ist. Auch wenn Württemberg 90 oder 100 % für den Südweststaat aufbringt, kommt es nicht zum Zuge, wenn nicht mindestens einer der beiden Landesteile, Südbaden oder Nordbaden, sich dieser Mehrheit anschließt. Damit ist die Überstimmung Badens ausgeschlossen, und ich bin der Meinung, daß gegenüber dem ursprünglichen FDP-Antrag, der einfach durchzählen wollte - dafür sprechen Gründe, wie ich ausführte -, der jetzige Tübinger Vorschlag einen absolut fairen Vorschlag bedeutet.
Schließlich - nehmen Sie mir's nicht übel, wenn ich das sage als ein Mann, der in 'diesem Gebiet geboren und in ihm groß geworden ist! -, schließlich sind die Gegensätze im südwestdeutschen Raum - trotz des Lärms der Wortführer - nicht so groß, wie es hier scheinen könnte.
({15})
Werten Sie doch einmal die Probeabstimmung vom 24. September 1950 richtig aus. Sie ist durch drei Dinge gekennzeichnet: Erstens, daß sämtliche Grenzkreise an der württembergbadischen Grenze für den Südweststaat gestimmt haben - das ist doch ein Zeichen, daß diese Bevölkerung sich versteht und zusammenfließt -;
({16})
zweitens, daß Nordbaden 58% für den Südweststaat erbracht hat, und drittens - was mir besonders bezeichnend war -, daß sogar die Stadt Freiburg nahezu 50% für den Südweststaat erbracht hat.
({17})
Meine badischen Freunde' sagen, das rühre daher, daß in Freiburg allzu viele Preußen seien.
({18})
Aber ich bin der Auffassung, daß das einen viel, viel tieferen Grund hat; denn dieses Freiburg war 600 Jahre 'lang die Hauptstadt eines Gebietes, zu dem ein großer Teil des jetzigen SüdwürttembergHohenzollern gehört hat. Auch hier zeigt sich diese Gemeinschaft. Mir ist in den letzten Tagen eine Schriftstelle zur Kenntnis gekommen, die mich einigermaßen erfreut und versöhnt hat. Der Abt Walafried Strabo von der Insel Reichenau hat im 9. Jahrhundert schon geschrieben:
({19})
({20})
Die Alemannen oder Schwaben sind zwei Namen für ein Volk. Alemannen nennen uns die benachbarten Völker, welche lateinisch reden; Schwaben nennen uns die Nichtlateiner,
- wie man damals sagte -die Barbaren.
({21})
Ich habe den Eindruck, daß dieser Abt Walafried Strabo nicht nur ein Gelehrter und ein Kenner des Volkes, sondern auch ein Prophet war; denn auch heute gibt es das, und einer der hervorragendsten Wortführer Altbadens ist ja ein ebenso hervorragender Kenner des Lateinischen, der erschrickt, wenn er den Namen Schwaben hört.
({22})
Im übrigen, meine Damen und Herren: wenn Sie sich wirklich einmal die Einheit dieses Gebietes vor Augen führen wollen, dann lesen Sie so unverdächtige Zeugen, wie sie in einem Abstand von 150 Jahren über diese Dinge geschrieben haben; lesen Sie einmal die „Einführung des Christentums" des berühmten Bischofs Hefele von Mottenburg, der sie als Kirchengeschichte des südwestdeutschen Raumes bezeichnet, und lesen Sie neuerdings die Geschichte des südwestdeutschen Raumes von einem so hervorragenden Gelehrten wie dem Freiburger Karl Siegfried Bader, dann wird Ihnen in der ganzen Wucht und Eindringlichkeit die Einheit dieses Raumes zum Bewußtsein kommen. Es ist nicht so, wie letzthin ,der Herr Abgeordnete Dr. Jaeger im „Rheinischen Merkur" geschrieben hat, daß die Württemberger deshalb so einmütig für den Südweststaat seien, weil er ihnen Vorteile bringe.
({23})
Sehr neutrale und völlig unverdächtige Stellen wie neuesten das Institut für die Landesplanung in Bonn haben ausgerechnet, wer die finanziellen Vorteile hat. Herr Kollege Dr. Jaeger, es gibt tatsächlich in meinem Volk solche Leute, so unwahrscheinlich es klingt. Aber die 'Schwaben sind solche Leute; wir würden sagen, solche Rindviecher,
({24})
die eine Sache 'deshalb erstreben, weil sie ideal und vernünftig ist, auch wenn sie keine Vorteile dabei haben.
({25})
Ich bin der Meinung, meine Damen und Herren: ob man Baden die Geste der Durchzählung nach alten Ländern machen soll oder nicht, das ist mir weniger wichtig; das Entscheidende scheint mir zu sein: nicht die vielen Teilungen in diesem südwestdeutschen Raum in all den Jahrhunderten, zuletzt durch Napoleon und dann 1945, sind maßgebend, sondern die Einheit dieses Raumes, der dem deutschen Volke seine größten Geschlechter - die Staufen, die Welfen, die Habsburger und die Zollern - geschenkt hat, und unser Wunsch ist, daß dieser Raum mit allen seinen guten Eigenschaften in der deutschen Bundesrepublik auch staatlich geeint wieder zur Geltung kommt. Das sage ich als ein Mann, der zutiefst davon überzeugt ist, daß ein Föderalismus nur dann bestehen kann, wenn er sich auf Länder stützt, die weder vom Bunde noch von anderen Ländern abhängig sind, sondern die auf sich gestellt, finanziell und wirtschaftlich kräftig, die Politik treiben, die ihre Bevölkerung wünscht.
({26})
Das Wort hat das Mitglied des Bundesrats Herr Staatspräsident Wohleb.
Wohieb, Staatspräsident des Landes Baden: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, als ob wiz homerische Wortschlachten aufführen wollten.
({0})
Ich will auch gar nicht auf die historischen Reminiszenzen zurückkommen, wenngleich ich schon für die Ehrenrettung der Stephanie Beauharnais - nicht der Eugenie! - eintreten muß, damit hier keine Verwechslungen bezüglich der Schönheit und ihrer Wirkungen eintreten,
({1})
wobei ich beifügen muß, daß der damalige württembergische Kurfürst es trotz seiner weit geringeren Schönheit erreicht hat, daß er ebensoviel bei der Angelegenheit profitierte.
({2})
Ich möchte jetzt nicht auf diese historischen Exkurse Bezug nehmen, bei denen man auch meist das Gegenteil von dem behaupten kann, was vorher gesagt wurde,
({3})
so z. B. bezüglich der Alemannen und ihres Verhältnisses zu den Schwaben. Darauf möchte ich aber jetzt nicht zu sprechen kommen, sondern mir liegt daran, daß nun einmal dem Begriff einer vernünftigen Neugliederung, der vorhin auch aufgestellt wurde, zu Leibe gegangen wird.
Ich habe nämlich nicht erfahren, inwiefern diese Neugliederung, die absolut den Südweststaat zur Folge haben soll, vernünftiger als die alte Gliederung der Länder Baden und Württemberg sein soll.
({4})
Man sagt mir, es handle sich darum, gerade wenn man Föderalist sei, funktionsfähige Staaten zu schaffen, Länder, die in sich selbst - damit hat mein Kollege noch geschlossen - bestehen könnten. Überlegen wir einmal, ob das der Fall sein wird. Auch wenn Sie die deutsche Bundesrepublik in fünf oder sechs Staaten zerlegen - wie Sie das anfangen wollen, das will ich gern der Kommission überlassen, die diese Aufgabe übernimmt; ich erinnere immer wieder daran, daß der Ausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz, der sich mit der Angelegenheit befassen sollte, über hundert Vorschläge bekommen hat -, auch wenn diese Kommission, sage ich, fünf oder sechs Länder schaffen wird, wird sie nicht vermeiden können, daß auch diese Länder sich in ihrer Leistungsfähigkeit unterscheiden. Wenn sie auch in der Lage sein sollten, sich selbst zu erhalten, so werden sie doch hinsichtlich der Steuerstärke nicht gleich sein.
({5})
Wenn das Land X sich gerade noch erhalten kann,
aber nur fünf Millionen für Wohnungsbauten ausgeben kann, während das Land Y nebendran, weil
es dank seiner wirtschaftlichen Verhältnisse steuerstärker ist, 50 Millionen ausgeben kann, dann wird
das Land X sich nie damit beruhigen, daß sein
Budget zwar ausgeglichen ist, sondern es wird von
dem Land Y verlangen - und das ist das Problem -: wenn wir schon einen Bund haben, bitte, du bist in besserer Lage als ich, teile mit mir;
denn wir brauchen auch Wohnungen so gut wie du!
({6})
({7})
Nun ist von der Funktionsfähigkeit gesprochen worden. Es ist doch merkwürdig, daß die auf einmal bei uns in Deutschland bei kleinen Staaten nicht möglich sein soll. In der Schweiz ist sie möglich!
({8})
Nun, meine Damen und Herren, eine Vision vom Jahr, sagen wir einmal, 1955; ich will absichtlich nicht weit hinausgreifen: Die Suspension des Art. 29 ist aufgehoben; der Südweststaat ist selbstverständlich gebildet. Man hat richtig mit der Wurst nach der Speckseite getroffen.
({9})
Nehmen wir an, es gibt eine bestimmte Situation im Jahre 1955. Es wird der Antrag gestellt, der dann als Gesetz durchkommt, daß dieser Südweststaat aus irgendwelchen Gründen, die dann maßgebend sind, wieder aufgeteilt wird.
({10})
Oder eine andere Möglichkeit: Bayern setzt sich durch und bringt das Gesetz ein: Der Südweststaat soll mit Bayern vereinigt werden.
({11})
Was dann? Dann stimmt man also im gesamten Raum ab! Man hat vorhin gesagt, es gäbe dafür durchaus Gründe. Selbstverständlich geht dann der Südweststaat in Bayern auf; denn „ich bin groß und du bist klein". So will man es mit uns Badenern machen.
({12})
Man wird sich aber täuschen. Wir kapitulieren nicht!
({13})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hamacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mehrere Redner haben darauf hingewiesen, daß sie ihre Hauptausführungen in der Generaldebatte bei der dritten Lesung machen würden.
({0})
Das scheint mir eine sehr vornehme Ermahnung zu sein, mich auf das Wichtigste zu beschränken, so gerne ich dem einen oder anderen, u." a. auch dem Herrn Professor Dr. Schmid auf seine historischen Ausführungen antworten möchte. Aber Herr Dr. Ehlers hat das ja schon in ausgezeichneter Weise getan,.
Wir wollen doch heute volle Klarheit darüber bekommen, wie es um den § 3 bzw. den Antrag Kopf steht. Bei diesem Antrag geht es doch darum, daß dem badischen Volk - denn diesen Begriff darf man wohl auf das Land Baden als eine organisch gewachsene und finanziell und wirtschaftlich gesunde Einheit prägen - die Möglichkeit gegeben wird, selbständig und ohne Vergewaltigung über seine Zukunft zu entscheiden. Das will der § 3. Diese Frage ist von so grundlegender Bedeutung auch für Gesamtdeutschland, für das Verhältnis von Bund und Ländern, daß wir der Beantwortung dieser Frage deshalb mit der größten Sorgfalt entgegengehen und sie nach allen Richtungen überdenken müssen.
Heute wollen wir uns darauf beschränken, zu diesem zur Entscheidung gestellten Antrag Kopf
eine kurze Erklärung abzugeben. Namens meiner politischen Freunde vom Zentrum möchte ich Ihnen sagen, daß wir aus den vorhin angedeuteten Gründen dem Antrag Kopf zustimmen und ihm die Mehrheit wünschen.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Mayer ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will die mit so viel Witz und Geist und unter Beteiligung von vier Präsidenten hier geführte, in die Einzelberatung verlegte Generaldebatte meinerseits nicht verlängern.
Nur zwei Sätze an die Adresse des Herrn Kollegen Fisch, in seiner Sprache etwa.
({0})
Einer der wärmsten Befürworter des Südweststaates war Herr Bundestagsabgeordneter Kohl, solange er Arbeitsminister in Württemberg-Baden war. Mit die wärmsten Verfechter Badens sind jetzt die südbadischen Feudalherrschaften, die sich über die Unterstützung des Herrn Abgeordneten Fisch sicherlich freuen werden.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmid.
Meine Damen und Herren! Die Ausführungen unseres verehrten Präsidenten nötigen mich zu einer kurzen Replik, die einiges richtigzustellen hat.
Es handelte sich in meiner Rede nicht darum, daß ich geistig-seelische Volkstumswerte ausschalten wollte; es handelte sich nur darum, die geographische Grenze richtig zu bestimmen, wo im Südwesten die Wasserscheide dieser Werte liegt, und diese Wasserscheide liegt nicht zwischen Württemberg und Baden, sondern, wenn man schon eine haben will, liegt sie zwischen Württemberg und Baden auf der einen und Bayern auf der anderen Seite. So ist es und man sollte konservatives Denken nicht mit antiquarischem Denken verwechseln. Das ist das eine.
Das zweite: Herr Kollege Ehlers hat die Befürchtung ausgesprochen, daß man dort unten so gewaltsam wie 1866 im alten Welfenlande verfahren könnte. Nun, da gibt es einen Unterschied. Nach 1866 wurde Hannover annektiert, d. h. man hat keinen Mann in Hannover gefragt, ob er Preuße werden wolle. Aber bei der Bildung des Südweststaates soll nicht annektiert werden - wer sollte schon wen annektieren? -, hier soll
({0})
die Bevölkerung auf- Grund eines vernünftigen Abstimmungsmodus gefragt werden, wie sie sich ihre staatliche Zukunft denkt. Ich glaube, das ist ein Unterschied.
Nun zu den Rechtsausführungen des Herrn Abgeordneten Dr. Ehlers. Ich glaube, daß er den Art. 29 ,des Grundgesetzes nicht mit der richtigen Betonung gelesen hat. Er sagte, Satz 1 enthalte eine Muß-Vorschrift, wobei er das „Muß" auslegt als verpflichtend, die landsmannschaftliche Verbundenheit, die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge den Ausschlag geben zu lassen;
({1})
Satz 2 aber enthalte nur eine Soll-Vorschrift. Meine Damen und Herren, der Abs. I heißt: „Das Bundesgebiet ist unter Berücksichtigung ... neu zu gliedern." Der Imperativ des Satzes betrifft die Neugliederung, d. h. das verpflichtet den Gesetzgeber der Bundesrepublik, eine Neugliederung des Bundesgebietes vorzunehmen. Das bedeutet das „ist"! Bei der Ausführung dieses Gebotes sind dann die landsmannschaftliche Verbundenheit, geschichtliche und kulturelle Zusammenhänge usw. zu berücksichtigen. So ist der Satz zu lesen. Was aber auf Grund dieses „Muß" herauskommen soll, das sollen vernünftige Länder sein. Ich hoffe, daß alle, die hier sind, insoweit wenigstens der Vernunft die Ehre geben wollen, als keiner von Ihnen sich den Vorwurf wird zuziehen mögen, daß er „unvernünftige" Länder gewollt haben könnte.
({2})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist danach geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Es liegt zunächst vor zu § 3 ein Abänderungsantrag auf Umdruck Nr. 154. Ich bitte diejenigen, die dem Abänderungsantrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit. Demnach ist der Antrag abgelehnt.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung - ({1})
- Wir sind jetzt mitten in der Abstimmung.
({2})
- Bei Ziffer 3?
({3})
- So weit sind wir ja noch gar nicht. - Wir sind jetzt bei § 3. Da ist zunächst der Abänderungsantrag auf Umdruck Nr. 154 abgelehnt.
Jetzt kommt die Abstimmung darüber, ob der § 3 in der Ausschußfassung angenommen wird. Ich bitte diejenigen, die dem § 3 in der Ausschußfassung zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. § 3 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über § 10. Wir stimmen zunächst ab über den Abänderungsantrag im Umdruck Nr. 154 Ziffer 3. Da hatten Sie, Herr Abgeordneter Fisch, getrennte Abstimmung gewünscht.
({4})
- Abs. 1 und 2!
({5})
- Es ist getrennte Abstimmung gewünscht.
({6})
Sind die Antragsteller damit einverstanden?
({7})
- Das ist der Fall. Also wird getrennt abgestimmt.
({8})
- Meine Damen und Herren, machen wir es uns doch nicht unnötig schwer! Es wird getrennte Abstimmung gewünscht. Der Antragsteller war damit einverstanden. Lassen wir uns doch getrennt abstimmen; das geht viel schneller, als wenn wir darüber eine lange Debatte machen.
Ich rufe also den Abänderungsantrag zu § 10 Abs. 1 auf. Ich bitte diejenigen, die für den Abänderungsantrag sind, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das letztere war zweifellos die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf den Abänderungsantrag zu Abs. 2 von § 10. Ich bitte diejenigen, die der Abänderung zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist zweifellos die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse nun abstimmen über § 10 in der Fassung der Ausschußvorlage. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. § 10 ist in der Fassung der Ausschußvorlage angenommen.
Ich rufe nun § 4 auf. Wortmeldungen liegen nicht vor. - Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem § 4 zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit. § 4 ist angenommen.
Ich rufe auf § 5. Ich bitte diejenigen, 'die § 5 zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit. Der Paragraph ist angenommen.
Ich rufe nun § 6 auf. Dazu liegt ein Abänderungsantrag auf Umdruck Nr. 154 Ziffer 2 vor. Das Wort dazu hat 'der Abgeordnete Ewers.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte nur einige ganz kurze Erklärungen abgeben.
Mein Fraktionsfreund Herr Farke hat gestern als Ausschußmitberichterstatter die Auffassung der Minderheit des Ausschusses vertreten. Um allen Irrtümern vorzubeugen, möchte ich betonen, daß er nicht etwa namens der Fraktion gesprochen hat, was er auch nicht gesagt hat. Die Fraktion der Deutschen Partei hat ihren Mitgliedern die Abstimmung zu allen Punkten freigestellt.
Wenn ich das Wort hier ergreife, so geschieht 'das deshalb, weil ich namens jener Mitglieder, die der Meinung sind, daß die großen für die Neugliederung maßgeblichen Grundsätze hier aus der Gesamterörterung unter Berücksichtigung namentlich der Ausführungen des Herrn Präsidenten Dr. Ehlers klar geworden sind, erklären möchte, daß wir jedenfalls mit einzelnen Ausführungen des Herrn Farke als Berichterstatter von Partei wegen nicht einverstanden sein können. Er hat - Herr Dr. Carlo Schmid hat darauf Bezug genommen - gesagt, daß nach völkerrechtlichen Grundsätzen hier gewisse Normen zu berücksichtigen seien. Wir stehen demgegenüber auf dem Standpunkt, daß bei dem Verhältnis deutscher Länder zueinander von Völkerrecht schlechterdings überhaupt nicht die Rede sein kann.
({0})
Die deutschen Länder haben ihre Grundsatznormen im Grundgesetz, und im übrigen ist auf sie deutsches Staats- und Verwaltungsrecht anzuwenden. Wir brauchen aus völkerrechtlichen Normen weder eine Analogie noch irgendeine sonstige Bezugnahme auf das internationale Recht.
({1})
({2})
Wir wissen: Wir sind Deutsche, wir sind ein Bundesstaat und wir regeln als Deutsche unsere innerstaatlichen Angelegenheiten nach eigenen Rechtsnormen.
({3})
Das vorweg.
Nun hat Herr Farke aber bedauerlicherweise in Durchführung seiner völkerrechtlichen Analogie auch schließlich auf eine etwa mögliche Auswirkung auf eine möglicherweise stattfindende Abstimmung in meinem Heimatland Schleswig-Holstein im Verhältnis zu den Dänen Bezug genommen.
({4})
Zu diesen Ausführungen habe ich zumindest namens des Landesverbandes meiner Partei in Schleswig-Holstein folgendes zu erklären: Eine Abstimmung über die Nordgrenze des deutschen Teils von Schleswig kommt überhaupt gar nicht in Frage. Man kann darüber nicht jedes Jahrzehnt einmal abstimmen. Diese Abstimmung hat im Jahre 1921 stattgefunden, und damit ist für die nächsten Jahrhunderte die Grenze endgültig festgelegt. Einen anderen deutschen Standpunkt kann es überhaupt nicht geben.
({5})
Wenn aber abgestimmt werden sollte, so kann es gar nicht in Frage kommen, daß bei einer Abstimmung eine Gefahr für eine dänische Mehrheit in einem wesentlichen Grenzstreifen bestehen könnte. Die Gefahr ist überhaupt nicht vorhanden, und daß eine solche Gefahr vorliege, darf von deutscher Seite hier im Bundestag auch nicht andeutungsweise ausgesprochen werden. Jedenfalls muß ich namens der Deutschen Partei des Landes Schleswig-Holstein erklären, daß wir eine solche Gefahr in gar keiner Weise als vorliegend betrachten.
({6})
. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kopf.
Meine Damen und Herren! Es ist meine Aufgabe, den Abänderungsantrag zu § 6 zu begründen.
Art. 118 des Grundgesetzes bestimmt, daß eine Volksbefragung stattzufinden hat. Es soll eine Volksbefragung sein; es soll nicht eine Bevölkerungsbefragung sein. Das bedeutet, daß diejenigen Kreise, die das wirkliche Volk, das wirkliche Staatsvolk eines Landes darstellen, instand gesetzt werden sollen, an der Abstimmung teilzunehmen. Dieses Volk ist nicht identisch mit der zufällig am Abstimmungstag anwesenden Wohnbevölkerung. Es geht nämlich zum Teil über sie hinaus, und dies ist der Anlaß dafür, daß wir in unserm Abänderungsantrag, und zwar mit einem neuen zweiten Absatz, die Anwendung des Geburtsprinzips gewünscht haben. Es ist doch so, daß diejenigen Menschen, die sich durch ihre Herkunft und Abstammung, durch ihre Tradition und auch durch die Geschichte mit ihren Heimatländern verbunden fühlen, dann nicht ausgeschlossen werden sollen, wenn es sich um das weitere Schicksal eben dieser Länder handelt. Jeder Mensch reicht ja mit den Wurzeln seines Seins in die Vergangenheit, er lebt in der Gegenwart, und er wächst in die Zukunft hinein. Es wäre aber verfehlt, wenn wir hier, wo es sich um das Schicksal der deutschen Länder handelt, den Blick in die Zukunft allein als ausschlaggebend ansehen wollten. Ebenso
wichtig ist es nämlich, daß wir dem ersten Absatz des Art. 29 des Grundgesetzes Rechnung tragen und die bestehenden geschichtlichen Verhältnisse und die landsmannschaftliche Verbundenheit hier mitsprechen lassen. Gerade das Land, das mit die älteste demokratische Tradition in Europa hat, die Schweiz, hat das Prinzip des Heimatrechts aufs stärkste ausgebildet. Dieses Heimatrecht vererbt sich von Generation zu Generation, sogar dann, wenn sein Träger nie den Boden der Schweiz betreten hat. In den internationalen Abstimmungen der letzten Jahrzehnte, vor allem auch in der Saarabstimmung, ist mit vollem Recht auf dieses Geburtsprinzip Rücksicht genommen worden. Ich glaube aber auch, daß, wenn wir heute dieses Gesetz schaffen, wir ja zugleich Präzedenzfälle und Präjudizien für künftige Abstimmungen vielleicht ganz anderer Art schaffen. Wenn wir den Modus der Abstimmungsberechtigung festlegen, ist es notwendig und wertvoll, daß wir nicht die Menschen, die sich durch ihre Herkunft mit ihrer Heimat am stärksten verbunden wissen, von der Abstimmung ausschließen. Das ist der Grund dafür, daß wir die Anerkennung des Geburtsprinzips mit in unseren Antrag aufgenommen haben. Es kann nicht entscheidend sein, wieweit der einzelne in der Lage sein wird, dieses Abstimmungsrecht praktisch auszuüben, sondern es kommt darauf an, daß wir dem Prinzip Rechnung tragen, und das tun wir durch die Aufnahme dieser Bestimmung.
Die zweite Abänderung betrifft die Frage der Wohnsitzdauer. Die beiden Anträge, die dem Ausschuß für innergebietliche Neuordnung überwiesen worden sind, gingen übereinstimmend von einer einjährigen Wohnsitzdauer aus. Der Ausschuß für innergebietliche Neuordnung hat diese Zeit von einem Jahr auf ein Vierteljahr herabgesetzt. Ich glaube, daß die Antragsteller beider Anträge zwingende und triftige Gründe dafür hatten, daß sie eine längere Aufenthaltsdauer für wünschenswert ansahen. Man hat sich gesagt, daß eine Entscheidung von dieser Tragweite nur von solchen Abstimmungsberechtigten getroffen werden kann, die nicht nur den Wohnsitz in einem neuen Land gewonnen haben, sondern die auch die Verhältnisse dieses Landes, die Tatsächlichkeiten, aber auch die Probleme dieses Landes kennengelernt haben. Wir möchten in unserem Antrag nicht so weit gehen, wie es die beiden Anträge, die dem Ausschuß vorgelegen haben, übereinstimmend getan haben. Wir möchten uns mit einem Minimum begnügen, und wir haben daher die Fassung gewählt, daß die Abstimmungsberechtigten im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Neugliederungsgesetzes ihren Wohnsitz ein Vierteljahr lang im Abstimmungsgebiet gehabt haben sollen. Diese Zeit ist relativ gering bemessen. Man kann Zweifel darüber haben, ob in dieser kurzen Frist bereits jemand mit den Lebensfragen dieses Gebietes wirklich so weit vertraut geworden ist. Dadurch aber, daß wir nur ein Minimum hier in Vorschlag bringen, möchten wir andererseits dem Umstand Rechnung tragen, daß möglichst weite Kreise der Bevölkerung, die am Abstimmungstage im Abstimmungsgebiet wohnhaft sind, auch die Möglichkeit haben, an dieser Abstimmung teilzunehmen und ihre Wünsche, wenn auch nicht im Hinblick auf die Vergangenheit, so doch im Hinblick auf die Zukunft geltend zu machen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Clausen.
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir als dem Vertreter der dänischen Minderheit in Südschleswig, zu den Ausführungen des Herrn Ewers einige Bemerkungen zu machen. Es ist mir an sich unverständlich, warum der Herr Abgeordnete Farke in seinen Ausführungen die Neugliederung im westdeutschen Raum mit einer etwaigen Abstimmung in einem Grenzgebiet - besonders in unserem Grenzgebiet - in Verbindung gebracht hat.
({0})
Es handelt sich doch hier bei der Neugliederung um eine rein innenpolitische westdeutsche Angelegenheit,
({1})
während eine Abstimmung in einem Grenzgebiet eine - na, ich möchte sagen: zum Teil außenpolitische Angelegenheit ist.
({2})
- Wäre! - Die Neugliederung des gesamten Bundesgebietes hat ja mit einer solchen Abstimmung absolut nichts zu tun.
({3})
Und daher, möchte ich sagen, ist die Erklärung von Herrn Ewers hier vollkommen unangebracht und überflüssig.
({4})
Denn eine Abstimmung bei uns würde doch nur zum zweiten Male stattfinden können, wenn Dänemark eine entsprechende staatspolitische Forderung gestellt hätte.
({5})
- Richtig, so daß diese Forderung eben als Nachspiel die Abstimmung hätte! Da eine solche Forderung niemals vorgelegen hat, ist die Erklärung von Herrn Ewers - ich wiederhole es noch einmal - vollkommen überflüssig und unangebracht.
({6})
Wann ein Volk in einem Grenzgebiet über seine staatliche Zugehörigkeit abstimmen soll, das sollte eigentlich das Volk selbst bestimmen. Für alle Parteien, die auf dem Boden des Selbstbestimmungsrechtes stehen, besteht darüber auch kein Zweifel.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Erler.
Ich bin außerordentlich glücklich darüber, daß uns eben von dem einzigen hier anwesenden Vertreter fremden Volkstums bescheinigt worden ist, daß es sich auch in Südwestdeutschland um Angehörige des gleichen Volkes handelt und nicht etwa um Angehörige verschiedener Völker.
({0})
Uns ist vorhin die Lehre vorgetragen worden, daß es sich bei diesem Gesetz um ein Gesetz über eine Volksabstimmung und nicht etwa um ein Gesetz über eine Bevölkerungsabstimmung handele. Ich darf Sie in aller Bescheidenheit darauf aufmerksam machen: solange es in Deutschland in den Landesverfassungen, in der Weimarer Verfassung, irgendwann einmal, Volksabstimmungen gegeben hat, ist immer dieser technische Begriff verwendet worden, und zwar für innenpolitische Entscheidungen, nicht nur für Entscheidungen völlig anderer Art, für Grenzabstimmungen, bei denen es sich um die Zugehörigkeit zu zwei verschiedenen Völkern, zu zwei verschiedenen Nationen, zu rechtlich verschiedenen
souveränen Staaten handelt; das ist ein völlig anderes Problem und hat mit dieser Sache nicht das Geringste zu tun.
Wir müssen also schon das Wort nehmen, wie es ist: Volksabstimmung. Wenn wir dem Kollegen Dr. Kopf folgen wollten, dann müßte die Überschrift lauten: Völkerabstimmung. Daß wir eine Völkerabstimmung machen zwischen zwei verschiedenen Völkern, ob die sich nun zu einem neuen Bund oder etwas Ähnlichem zusammentun wollen, davon ist doch gar keine Rede.
Wir wollen also festhalten, daß hier die Frage des Geburtsprinzips lediglich nach innerdeutschen Verhältnissen zu entscheiden ist und nach gar nichts anderem. Wie sieht es denn da aus? Das Geburtsprinzip findet in den überstaatlichen, in den internationalen Abstimmungen deshalb Anwendung, weil die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staate fortdauernde Rechtswirkungen mit sich bringt, auch wenn man sich von dem Staatsgebiet entfernt. Als Deutscher bleibe ich in Valparaiso deutscher Staatsangehöriger und habe selbstverständlich ein Interesse daran, was aus dieser meiner alten Heimat wird, mit der ich nicht nur moralisch und kulturell, sondern auch rechtlich verbunden bin und bleibe. Aber es ist nun einmal so - dieser Zustand wird sich voraussichtlich nicht wieder einstellen -: Wir haben in der Bundesrepublik keine Badener Staatsangehörigkeit mit besonderen Rechtswirkungen, wir haben keine württembergische Staatsangehörigkeit mit besonderer Rechtswirkung. Das gab es einmal. Aber selbst in dieser Bundesrepublik sind wir über den Zustand hinausgewachsen und haben die allgemeine, allumfassende deutsche Staatsangehörigkeit, die den deutschen Staatsangehörigen in allen Ländern, in denen sie wohnen, die gleichen staatsbürgerlichen Rechte auch in den innenpolitischen Fragen des betreffenden Bundeslandes gibt. Wenn man das akzeptiert - das ist der Lauf der Ereignisse gewesen, und wir können das Rad der Geschichte nicht rückwärts drehen -, dann kommt man zu der logischen Konsequenz, daß das Volk - wenn wir einmal den Begriff aufnehmen wollen -, das über das Schicksal eines bestimmten Gebietes zu entscheiden hat, eben derjenige Teil des deutschen Volkes ist, der dort wohnt und wahlberechtigt ist. Deshalb, aus diesen wohlfundierten Rechtsgründen bitten wir Sie, nicht dem Abänderungsantrag zuzustimmen.
Ich habe als Berichterstatter aber schon darauf hingewiesen, daß es noch einen Zweckmäßigkeitsgrund gibt, weil die Bestimmung sonst undurchführbar wäre. Wer das Geburtsprinzip jetzt hier einführt, stellt damit klar, daß die Volksabstimmung auf alle Fälle nachher einige hundert Mal angefochten wird und wir noch einige Dutzend Prozesse zu führen haben werden. Das wollen wir unter allen Umständen vermeiden. Wir wollen dafür sorgen, daß sehr klare Normen für die Abstimmungsberechtigung festgelegt werden, um alle Möglichkeiten irgendwelcher Widersprüche und Schwierigkeiten auszuschalten. Dieser zweite Grund ist genau so erheblich. Ich habe hier schon darauf hingewiesen, daß wir nach dem Geburtsprinzip einen Großteil von Deutschen, die in den beiden Gebieten geboren sind, an der Teilnahme verhindern würden, nämlich alle diejenigen, die in der Ostzone und in Berlin leben und praktisch an der Abstimmung nicht teilnehmen könnten. Es könnte sich also nur um die zufällig in den übrigen Ländern der Bundesrepublik wohnenden Deutschen aus Baden und Württemberg handeln.
({1})
Dann möchte ich noch ein kurzes Wort zu der Erweiterung der Wohnsitzzeit sagen, die für die Abstimmungsberechtigung gefordert wird. Aus guten Gründen hat sich der Ausschuß entschlossen, das Prinzip der Bundestagswahl zu übernehmen. Wahlberechtigt zum Bundestag ist, wer am Wahltage länger als drei Monate im Bundesgebiet gewohnt hat, Deutscher ist und die übrigen Voraussetzungen erfüllt. Wir wollen unter keinen Umständen - ich beschwöre Sie geradezu - in der jetzigen sehr explosiven innerpolitischen Atmosphäre auch nur in einer einzigen Frage den Eindruck erwecken, als wollten wir unsere Heimatvertriebenen bei einer wichtigen Abstimmung schlechter stellen, als sie bei der Bundestagswahl standen.
({2})
Das ist der Grund, weshalb ich Sie wirklich eindringlich bitte, hier doch nicht die geschlossene Front der Heimatvertriebenen gegen sich mobil zu machen. Auch wenn's gut gemeint ist: der Eindruck wird verheerend sein. In der Öffentlichkeit, in den Kreisen der Heimatvertriebenen wird es heißen: „Da seht ihr es wieder einmal; es wird von staatsbürgerlicher Gleichberechtigung geredet, aber in der Praxis versucht man, uns hier anders zu behandeln als bei der Bundestagswahl, bei der die allgemeinen Wahlrechtsvorschriften gegolten haben". In die französische Zone - das ist das Problem - werden die Menschen gerade jetzt umgesiedelt, damit wir sie dort in unsere Gemeinschaft aufnehmen. Wenn wir sie in diese Gemeinschaft aufnehmen, dann müssen wir ihnen die Chance geben, auch mit zu entscheiden, ob es sich, um zwei getrennte oder um eine einheitliche Gemeinschaft handeln soll. Diese Entscheidung muß allen denen offenstehen, die dort ihre neue Heimat finden werden. Das sind auch die Heimatvertriebenen, die bereits drei Monate vor dem Abstimmungstag in die Länder der französischen Zone umgesiedelt worden sind.
Aus diesem Grunde bitte ich Sie, den Abänderungsantrag in beiden Punkten abzulehnen.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Mayer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte auch namens meiner Freunde, den Abänderungsantrag abzulehnen, und zwar zu a) aus den vorhin schon sehr überzeugend und ausführlich erörterten Gründen, aber auch noch aus einer anderen Überlegung heraus. So sehr wir dagegen sind, daß aus der Geburt in einem der angegebenen Gebiete ein Abstimmungsrecht hergeleitet wird, so sehr sind wir auch dagegen, daß denjenigen Menschen, die mit oder gegen ihren Willen in eines der südwestdeutschen Länder eingewiesen worden sind, die Möglichkeit genommen wird, an der Gestaltung des Landes, das ihnen wieder Heimat sein soll, mitzuwirken.
Zu b): Bei allem Respekt vor der Treue der Badener und der Schwaben, die ausgewandert sind und irgendwo in Deutschland oder in Übersee ihre Vereine gegründet haben, müssen wir doch folgendes sagen: Die Treue gilt den Wäldern, gilt den Tälern der Heimat, gilt aber nicht der Verwaltung ihres Landes!
({0})
Im übrigen ist es auch so: Wer vor zwanzig oder
dreißig Jahren ausgewandert ist und irgendwo in
Hamburg oder in Spandau oder in Übersee eine
Fabrik gegründet hat, hat doch sein Schicksal von dem seiner Heimat gelöst.
Wir bitten also, auch schon im Hinblick auf die technische Undurchführbarkeit, diesen Teil des Antrags ebenfalls abzulehnen. Ich möchte nicht wissen, welch reizvolles Bild es vielleicht wäre, wenn so die Abstimmungsschiffe aus Übersee ankämen, etwa mit Spruchbändern mit von Herrn Joseph Wirth gedichteten Sprüchen. Ich glaube aber nicht an die technische Durchführbarkeit einer solchen Abstimmung.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Thadden.
von Thadden ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch uns scheint es abwegig, die Technik von Volksabstimmungen, die die ganze Nation berühren, auf eine Abstimmung von derartig begrenzter Bedeutung zu übertragen. Wie sollte es im Ernstfall mit der Reise all dieser Leute gemacht werden? Damals zahlte der preußische Staat oder sogar das Deutsche Reich die Kosten dafür, daß Tausende von Oberschlesiern nach Oberschlesien fuhren, um dort ihre Stimme dafür abzugeben, daß deutsches Land bei Deutschland blieb. In Nordschleswig und beim Saargebiet war es das gleiche. Wer soll das denn nun bezahlen? Es wird ein Wettrennen anheben: Wer bringt die meisten Leute dort hin? Es wird dann manch einer, der an sich gar keine Lust hat, sich an dieser Sache zu beteiligen,
({1})
plötzlich auf die Idee kommen, da mitzumachen, weil ihm auf Staatskosten eine nette Reise in das um diese Jahreszeit so besonders schöne Südwestdeutschland ermöglicht wird.
({2})
- Das Heimatrecht in hohen Ehren, Herr Abgeordneter Farke,
({3}) aber die Dinge in Südwestdeutschland, die die engere Heimat und nicht das gesamte Deutschland betreffen, sollen diejenigen regeln, die dort unten wohnen; und deren Zahl genügt auch, um eine Abstimmung durchzuführen, die auf einer guten und breiten Basis steht.
Meine Damen und Herren, ich habe es versäumt, einen Abänderungsantrag zu stellen; aber ich möchte jetzt auf etwas hinweisen, was ich für wichtig halte. In diesem Falle, in dem es nicht um eine politische Wahl zu irgendeiner Körperschaft geht, sollte man doch wirklich erstmals keinerlei Beschränkungen des Wahlrechts mehr in das Gesetz einbauen. Man sollte vom Wahlrecht nur diejenigen ausschließen, denen die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind; das müßte genügen.
({4}) - Der ehemalige „Nazi", Herr Dr. Jaeger,
({5})
kann genau so gut über die Neuordnung im Südwestraum abstimmen wie der, der zufällig nicht das Parteibuch gehabt hat.
({6})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Erler hat drei Einwände gegen den Abänderungsantrag geltend gemacht. Der eine war ein rein technischer. Er hat ausgeführt: wenn man das Geburtsprinzip anerkennen würde, könnte die Zahl der Anfechtungen und Prozesse sehr groß sein, so daß man mit einer unerfreulichen Verwirrung rechnen müßte, die das Wahlergebnis in Frage stellen könnte. Dieser technische Einwand ist ernst zu nehmen; aber ich glaube, daß sich technische Schwierigkeiten bei der Durchführung durchaus beseitigen lassen. Die Antragsteller waren sich über dieses technische Problem durchaus im klaren.
Der zweite Einwand des Herrn Abgeordneten Erler ging dahin, daß das Geburtsprinzip deshalb nicht Anwendung finden dürfe und könne, weil es sich um eine innerdeutsche Gebietsfrage handle; und er vertrat die Meinung, daß hier sozusagen ein Wohnsitzprinzip, ein Anwesenheitsprinzip gelten müsse. Diesen Einwand kann ich nicht als stichhaltig anerkennen. Allerdings stehe auch ich mit meinen politischen Freunden auf dem Standpunkt, daß irgendwelche aus dem Nationalitätenprinzip hergeholten Grundsätze noch nicht einmal in der Analogie Anwendung finden dürfen oder können; aber das landsmannschaftliche Prinzip - um das geht es hier -, das auch ein Geburtsprinzip ist, sollte Anwendung finden. Es ist konstitutiv für die Bildung eines organischen Raums nach Art. 29 Abs. 1. Dieses landsmannschaftliche Prinzip, das ich auch als Vertriebener vertrete, hat seinen Anknüpfungspunkt in der Geburt. Infolgedessen ist es nicht abwegig und stellt nicht eine Übertragung des Nationalitätenprinzips dar, wenn man hier nach einer Möglichkeit sucht, den im Lande Geborenen und mit diesem Land vielleicht durch Generationen hindurch und durch Gemütswerte Verbundenen bei dieser Frage, welches Schicksal das Land erleiden soll, ein Abstimmungsrecht zu geben.
({0})
Noch ein dritter Fragenkreis ist hier angeschnitten worden. Ich möchte davor warnen, daß hier Gefühle und Vorstellungen wachgerufen oder gar den Antragstellern unterstellt werden, die, sehr gefährlich und sehr abwegig wären. Ich stimme dem Abgeordneten Erler durchaus zu: es ist die große nationale gesamtdeutsche Aufgabe, daß der Prozeß der Eingliederung der Heimatvertriebenen vollzogen wird. Aber selbst das Bundestagswahlgesetz hat eine Dreimonatsfrist festgesetzt, nach deren Ablauf man abstimmungsberechtigt ist. Diese Begrenzung ist auch hier in die Vorlage aufgenommen. Ein gewisses Eingelebtsein, eine gewisse Beziehung, um Stellung nehmen zu können, sollte man doch unter allen Umständen fordern. Wenn die Vorlage bereits die Dreimonatsfrist vorsieht, dann ist nicht einzusehen, warum nicht auch der Vorschlag der Antragsteller vernünftig ist, die Frist so zu wählen, daß auf diesem Wege nicht - noch in letzter Minute - irgend etwas manipuliert werden kann. Darum geht es. Es ist kein Antrag, bei dessen vernünftiger und mit einigem Abstand und kühlem Kopf erfolgenden Durchführung etwa die Gefahr einer verschiedenen Bewertung der Staatsbürger zu befürchten wäre. Eine solche Auffassung würde ich von meinem Standpunkt aus mit großem Nachdruck ablehnen.
Andererseits muß man auch dem Bedürfnis einer Landschaft und einer Landsmannschaft Rechnung tragen; es muß genügend Zeit verflossen sein, man muß mit dieser Landsmannschaft und den Gesetzen und Notwendigkeiten des Raumes in ein näheres
Verhältnis gelangt sein, damit man über Dinge entscheiden kann, die für manche mehr bedeuten als nur die Bildung eines Verwaltungsbezirks.
Überhaupt ist in der heutigen Diskussion - das muß ich doch im Namen meiner politischen Freunde einmal feststellen - zur Frage des Föderalismus in einer Form Stellung genommen worden, als handle es sich lediglich um irgendwelche Verwaltungsbezirke, als seien diese Länder etwas sehr Schattenhaftes. Das sind sie nach unserem Grundgesetz nicht. Die Länder sollen organisch gebildet sein und im Rahmen des Bundes nicht nur eine Selbstverwaltung führen, sondern in vollem Sinne eine politisch-staatliche Entscheidung fällen können.
Im übrigen möchte ich mich auf diese Diskussion nicht weiter einlassen. Ich habe aber Anlaß, festzustellen, daß auf einigen Werten des Gemüts, der. Verbundenheit in der Landschaft, die nicht nur eine idyllische Romantik der Rückerinnerung an Täler, Wiesen und Wälder ist, sondern die etwas ist, das in Generationen gewachsen ist und einen Menschen in seinem Charakter bestimmt, herumgetrampelt worden ist, wie man es eigentlich nicht verantworten kann und nicht verantworten darf.
({1})
Unser Leben wird schon genügend nivelliert, vom Verstande, von der Zweckmäßigkeit regiert, so daß wir das bißchen Gewachsenes, die noch vorhandenen Gemütswerte pflegen, erhalten und verteidigen sollten gegen eine Welt, die ein verteufelt kaltes Klima bekommen hat.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jaeger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Haben Sie keine Angst, daß ich Sie bei dieser langen Debatte sehr lange aufhalten werden. Ich möchte mir nur in Ergänzung dessen, was mein Herr Vorredner gesagt hat, einige juristische und sachliche Bemerkungen erlauben.
Bei dem Antrag zu Punkt 2 handelt es sich um zwei Dinge: einen Antrag zu Abs. 1 und einen Antrag zu Abs. 2 des § 6. Was den Abs. 1 betrifft, so sehe ich nicht ein, wie man hier die Frage der Heimatvertriebenen überhaupt in die Diskussion werfen kann. Denn sie ist davon überhaupt nicht berührt. Im Ausschuß hat man sich eingehend damit befaßt, ob man in diesem Falle auch den Heimatvertriebenen das Stimmrecht in vollem Umfange und schon nach drei Monaten geben soll, das sie bei Landtagswahlen im allgemeinen erst nach einem Jahre haben. Es läßt sich dafür und dagegen einiges sagen. Es gibt sogar Heimatvertriebene, die selber erklären, sie seien gar nicht imstande, eine solche Frage in einem Land zu beantworten, in das sie gerade erst eingezogen sind. Aber es waren gerade die Vertreter Badens, die badischen Abgeordneten und auch die badische Regierung, die keinen Wert darauf gelegt haben, einen solchen Antrag hier im Plenum zu stellen. Wahrscheinlich sind sie der Meinung, daß die badische Lebensart so liebenswürdig ist, daß ein Fremder schon nach drei Monaten das Gefühl hat, ein vollberechtigter Bürger seines Landes zu sein, und sich deswegen für Baden entscheiden wird. Diese Fragen können Sie alle, da Sie nicht päpstlicher sein wollen als der Papst, ruhig auf sich beruhen lassen.
Es geht bei dem Antrag zu § 6 Abs. i nur darum, daß die Dreimonatsfrist nach rückwärts nicht vom Tage der Abstimmung berechnet wird,
({0})
sondern vom Tage des Inkrafttretens des Gesetzes an. Dahinter steht kein „heimtückischer" föderalistischer Gedanke, wie mancher von Ihnen vielleicht annimmt. Dahinter steht nur eine ganz praktische Überlegung. Die Abstimmung ist nach § 2 des Gesetzes, den Sie bereits angenommen haben, voraussichtlich am 16. September. Wenn Sie die Dreimonatsfrist von diesem Tage an rechnen, dann kann von heute ab, an dem Tage, an dem das hier beschlossen wird, noch der eine oder andere seinen Wohnsitz eigens beispielsweise nach Nordbaden verlegen. Ich will ja nicht annehmen, daß ein so prominenter Anhänger des Südweststaates wie der Herr Kollege Euler seinen Wohnsitz nach Weinheim verlegt. Aber weniger prominente Vertreter des Landes Baden und des Südweststaates - vielleicht ist gerade bei den Badenern die Gelegenheit besonders naheliegend - könnten ähnliches tun. Diesem Mißbrauch soll dadurch ein Riegel vorgeschoben werden, daß die drei Monate vom Tage des Inkrafttretens des Gesetzes an - was etwa in vier Wochen sein wird -gerechnet werden. Dann kann in dieser Hinsicht keinerlei Schiebung vorgenommen werden. Das ist das einzige, was zu diesem Punkt zu sagen ist. Das müßte allen vernünftig Denkenden einleuchten.
Dann darf ich zum zweiten Absatz, zum Geburtsprinzip etwas sagen. Wir sind uns völlig darüber klar, daß auch das Geburtsprinzip gewisse Ungenauigkeiten, die auf Zufällen beruhen, mit sich bringt. Es wäre richtig, wenn diejenigen abstimmen könnten, die in den Ländern Baden und Württemberg die Landeszugehörigkeit besitzen. Der Herr Kollege Erler hat zwar dem Sinne nach gesagt, daß es eine Staatsangehörigkeit heute nur noch im Bund und nicht in den Ländern gebe. Ich darf dazu auf das Grundgesetz hinweisen, das nach den Worten von Herrn Professor Schmid ja allein maßgebend ist, was den Landescharakter betrifft. Es heißt in Art. 73, Ziffer 2 des Grundgesetzes, daß der Bund die ausschließliche Gesetzgebung über die Staatsangehörigkeit im Bunde hat; und es heißt in Art. 74, Ziffer 8 des Grundgesetzes, daß der Bund die konkurrierende Gesetzgebung über die Staatsangehörigkeit in den Ländern hat. Daraus sehen Sie, daß es sowohl eine Staatsangehörigkeit im Bunde als auch eine solche in den Ländern gibt, genau so wie in den Zeiten der Weimarer Republik. Wenn wir trotzdem diese Staatsangehörigkeit nicht zur Grundlage des Gesetzes gemacht haben, so deswegen, weil uns der Vertreter des Bundesinnenministeriums im Ausschuß erklärt hat, nachdem vom Jahre 1934 bis zum Jahre 1945 diese Staatsangehörigkeit in den Ländern aufgehoben gewesen sei, sei es technisch nicht möglich, sich darauf einzustellen. Deshalb haben wir das Geburtsprinzip genommen, trotz gewisser Mängel, die es mit sich bringt.
Wir sind uns alle einig, daß diese Frage innerhalb Deutschlands politisch überhaupt nicht zu vergleichen ist oder jedenfalls nicht auf eine Ebene zu stellen ist mit einer Abstimmung, die allenfalls vielleicht in Schleswig stattfinden kann, von der wir alle wünschen, daß sie nicht stattfinden wird. Hierin sind wir uns doch alle, mit Ausnahme eines einzigen Abgeordneten, einig. Aber damit ist noch nicht gesagt, daß nicht auch gewisse allgemeine Rechtsgrundsätze aus dem Völkerrecht in die Beziehungen zwischen deutschen Ländern übernommen werden können. Von einem Professor des öffentlichen Rechts, der als solcher wissenschaftlich genau so ernst zu nehmen ist wie der verehrte Herr Kollege Professor Schmid, ist im Ausschuß
unwidersprochen festgestellt worden, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich in der Weimarer Republik die Grundsätze des Völkerrechts bei den Beziehungen zwischen den deutschen Ländern nicht nur analog, sondern unmittelbar angewendet worden sind. Dies wird also auch das Bundesverfassungsgericht tun. Es wird dies um so mehr tun, als in Art. 25 des Grundgesetzes steht, daß die Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind. Das gebe ich den Herren zu bedenken.
Ich darf aber unabhängig von der juristischen Frage, ob diese Regeln unmittelbar oder analog anzuwenden sind, doch auf folgendes hinweisen: Über das Verhältnis der Länder untereinander ist im Grundgesetz wenig gesagt. Es ist viel gesagt über das Verhältnis der Länder zum Bund und das Verhältnis des Bundes zu den Ländern. Das ist ein Verhältnis, das sich natürlich nicht völkerrechtlich, sondern eben allein nach dem Grundgesetz regelt. Aber in dem Verhältnis der Länder untereinander sind die Dinge doch so, daß dort, wo das Grundgesetz schweigt - und es schweigt meistens -, eben zumindest analog, wenn Sie es nicht unmittelbar wollen, andere Rechtsgrundsätze herangeholt werden müssen. Und wo. wollen Sie sie denn, wenn Sie das Verhältnis zweier deutscher Länder betrachten, anders hernehmen als aus dem Verhältnis zweier souveräner Staaten? Mutatis mutandis ist das eben zu tun. Wollen Sie es vielleicht aus dem bürgerlichen Recht nehmen, vielleicht aus dem Eherecht? Das läge ja wohl nahe, nachdem man von dem Vater Württemberg und von der Mutter Baden in bezug auf das Land Hohenzollern gesprochen hat. Aber wenn Sie es aus dem Eherecht nehmen wollen, dann muß ich sagen, bei dem vor uns liegenden Gesetzentwurf ist die Gleichberechtigung der Frau noch nicht bekannt gewesen!
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kopf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hat sich die Notwendigkeit ergeben, den Abänderungsantrag zu § 6 Abs. 2 zu ergänzen. Der Abs. 2 muß wie folgt lauten:
Ferner ist stimmberechtigt in seinem Geburtsland, wer im alten Lande Baden oder im alten
Lande Württemberg oder in Hohenzollern geboren ist, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 Ziffern 1, 2 und 4 auf ihn zutreffen. Der Grund dafür ist darin zu erblicken, daß in Abs. 1 bestimmte Voraussetzungen für die Abstimmungsberechtigung festgelegt worden sind, die auch dann gelten müssen, wenn das Geburtsprinzip zur Anwendung kommt. Diese Voraussetzungen bestehen darin, daß einmal nur Deutsche abstimmen können, daß sie zweitens das 21. Lebensjahr vollendet haben müssen und daß sie drittens am Abstimmungstag nach den in dem Abstimmungsland geltenden Vorschriften weder vom Stimmrecht ausgeschlossen noch in der Ausübung des Stimmrechts behindert sind. Diese Voraussetzungen gelten auch für diejenigen Personen, die auf Grund ihrer Abstammung aus dem Geburtsland nach unserem Abänderungsvorschlag die Stimmberechtigung erlangen können.
Der Herr Abgeordnete Erler hat mich wohl heute etwas mißverstanden. Wenn ich davon gesprochen habe, daß Art. 118 des Grundgesetzes eine Volksbefragung zwingend vorschreibt, dann wollte ich
({0})
bei meinen weiteren Ausführungen lediglich sagen, daß zu dem Volk im Sinne dieser Volksbefragung eben auch derjenige gehört, der sich durch Geburt und Abstammung mit diesem Volk verbunden weiß.
Schließlich möchte ich für den Fall der Ablehnung unseres Abänderungsantrages noch darauf hinweisen, daß § 6 Abs. 3 der Ausschußvorlage eine sprachliche Unmöglichkeit enthält. Hier heißt es nämlich:
Wer sein Stimmrecht mehr als einmal oder unter falschem Namen abgibt, wird mit Gefängnis .... bestraft ....
Man kann seine Stimme abgeben, man kann sein Stimmrecht ausüben, man kann aber nicht sein Stimmrecht „abgeben". Das ist sprachlich nicht möglich. Ich beantrage daher für den Fall der Ablehnung unseres Abänderungsantrages, den § 6 Abs. 3 dahingehend zu berichtigen, daß er lautet:
Wer sein Stimmrecht mehr als einmal oder
unter falschem Namen ausübt, ... .
Das Wort „ausübt" würde also an die Stelle des Wortes „abgibt" treten.
Herr Abgeordneter Dr. Kopf, Sie haben zu Ihrem eigenen Antrag soeben einen Abänderungsantrag bzw. einen Ergänzungsantrag vorgetragen. Ich nehme an, daß Sie Ihrem Antrag der auf Umdruck Nr. 154 vorliegt, durch die Einfügung eines bestimmten Konditionalsatzes eine andere Fassung geben wollen. Ich bitte Sie, mir den Text schriftlich herzugeben. Ich bin sonst nicht in der Lage, darüber abstimmen zu lassen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir können uns dann der Abstimmung zuwenden. Da zu den einzelnen Absätzen Abänderungsanträge vorliegen, werde ich absatzweise abstimmen lassen.
Wir stimmen zunächst über § 6 Abs. 1 ab. Dazu .liegt ein Abänderungsantrag auf Umdruck Nr. 154 unter Ziffer 2 a vor. Ich bitte diejenigen, die dem Abänderungsantrag unter Ziffer 2 a des Umdrucks Nr. 154 zuzustimmen beabsichtigen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das letztere war zweifellos die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir. kommen nunmehr zur Abstimmung über Ziffer 2 b des Umdrucks Nr. 154, und zwar mit der Abänderung, die Herr Abgeordneter Dr. Kopf vorgetragen hat. Ich bitte diejenigen, die diesem Abänderungsantrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Letzteres ist die Mehrheit. Der Abänderungsantrag ist abgelehnt.
Es liegt dann noch vor der Antrag, in Abs. 3 der Fassung des Ausschusses eine textliche Korrektur vorzunehmen. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist, wenn statt „Wer sein Stimmrecht . . . abgibt" gesagt wird „Wer sein Stimmrecht ... ausübt".
({0})
- Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich darf nunmehr über den § 6 in der Ausschußfassung abstimmen lassen und bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit. Der § 6 ist in der Ausschußfassung mit der vorhin festgestellten textlichen Änderung angenommen.
Ich rufe nun auf § 7. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem § 7 zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte
um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Soweit ich übersehen kann, einstimmig angenommen.
({1})
- Mit einigen Enthaltungen.
§ 8. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die § 8 zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der § 8 ist gegen wenige Stimmen angenommen.
§ 9. - Keine Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen. Ich bitte diejenigen, die § 9 zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Gegen wenige Stimmen angenommen.
§ 10 ist schon durch die voraufgegangenen Abstimmungen angenommen.
Ich rufe nun weiter auf die §§ 11, - 12, - 13, -14, -15, -16, -17, -18, -19, -20, -21,22, - 23, - 24, - 25, - 26. Wer den eben aufgerufenen Paragraphen zustimmt, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Gegen wenige Stimmen angenommen.
Ich rufe nun auf § 27. Dazu liegt vor ein Abänderungsantrag auf Umdruck Nr. 154 Ziffer 4. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kopf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! § 27 Abs. 2 sieht vor, daß der Bundesminister des Innern die zur Durchführung erforderlichen Rechtsverordnungen erläßt. Wir haben in unserem Abänderungsantrag die Streichung dieser Bestimmung beantragt. Wir haben das nicht deshalb getan, weil wir irgendwie nicht das Vertrauen zum Herrn Bundesinnenminister hätten, daß er bei dem Erlaß dieser Rechtsverordnungen die notwendigen Gesichtspunkte und die rechtlichen Bestimmungen zu berücksichtigen wüßte. In der Hinsicht haben wir volles Vertrauen. Wir haben diese Streichung vielmehr beantragt, weil uns einmal diese Bestimmung nicht notwendig und weil sie uns zweitens auch rechtlich nicht zulässig zu sein scheint. Nach Art. 80 des Grundgesetzes können Rechtsverordnungen nur erlassen werden, wenn ihre Aufgabe eng umschrieben ist. In dem hier vorgelegten Entwurf fehlt es an dieser engen Umschreibung des Zwecks, des Inhalts und des Umfangs der Ermächtigung. Wir halten diese Bestimmung aber auch nicht für notwendig, weil die Autonomie der Länder, die ja immer noch bestehen, bis zur Verschmelzung zum Gesamtstaat erhalten bleiben soll, soweit es irgendwie mit dem Neugliederungsinteresse noch vereinbar erscheint.
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fassung dieser Vorschrift, die Erstreckung auch auf Rechtsverordnungen, war deswegen erforderlich, weil es sich bei der Art der Vorschriften, die zur Durchführung dieses Gesetzes zu erlassen sind, möglicherweise nicht nur um Verwaltungsbestimmungen handelt. Es handelt sich in einzelnen Fällen, beispielsweise bei Ergänzungsvorschriften zur Durchführung der Wahl, um Rechtsvorschriften, die sich nicht nur an die Verwaltung, sondern auch an die Rechtsbürger wenden. Daß der Rahmen für diese Rechtsverordnungen, zu deren Erlaß der Bundesinnenminister zur Durchführung dieses Gesetzes ermächtigt sein muß, zu weit gesteckt sei, kann nicht behauptet werden, denn diese Vorschriften können ja nur zur Durchführung des konkreten Inhalts dieses Gesetzes erlassen werden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Streichungsantrag unter Ziffer 4 des Umdrucks Nr. 154. Ich bitte diejenigen, die diesem Antrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte nunmehr diejenigen, die dem § 27 in der Fassung der Ausschußvorlage zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; § 27 ist angenommen.
Ich rufe noch auf Einleitung und Überschrift und bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Angenommen. Damit, meine Damen und Herren, ist die zweite Lesung des Gesetzes über die innergebietliche Neuordnung abgeschlossen.
Wir kommen nunmehr zu dem folgenden Punkt der Tagesordnung:
Zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1950 ({0});
Mündliche Berichte des Haushaltsausschusses ({1}):
Einzelplan XV - Haushalt des Bundesministeriums für Vertriebene ({2}) in Verbindung mit der
Beratung des Antrags der Fraktion der Bayernpartei betreffend Errichtung einer Umsiedlungs-Ausgleichskasse für Heimatvertriebene, Flüchtlinge und Evakuierte ({3}).
Das Wort zur Berichterstattung über den Haushalt des Bundesministeriums für Angelegenheiten der Vertriebenen hat Frau Abgeordnete Dr. Probst.
Frau Dr. Probst ({4}), Berichterstatterin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mich in der Berichterstattung kurz fassen. Um aber den Beschluß des Haushaltsausschusses verständlich zu machen, muß ich doch in großen Linien auf die Aufgaben des Ministeriums hinweisen.
Das Bundesministerium für Angelegenheiten der Vertriebenen hat - neben den unmittelbaren legislativen Aufgaben - vor allem an der gesamten Gesetzgebung mitzuwirken, soweit diese sich auf die Frage der Heimatvertriebenen erstreckt. Das Ministerium hat ferner zu koordinieren einmal zwischen den Ministerien, dann aber auch zwischen den gesetzgebenden Körperschaften, zwischen Ländern und Bund. Es hat weiter Verbindung zu halten mit den Organisationen der Heimatvertriebenen und mit den karitativen Verbänden, auch des Auslandes. Das Ministerium hat darüber hinaus Aufgaben in der Koordinierung der kulturellen Bestrebungen der Heimatvertriebenen in den Ländern und hat sich ebenso der erzieherischen Jugendpflege anzunehmen. Außerdem erwachsen ihm Aufgaben finanzieller und wirtschaftlicher Art im Zusammenhang mit dem Marshall-Plan und sonstiger Hilfe des Auslandes. Eine besondere Aufgabe liegt auf dem Gebiete der Publizistik und der Dokumentation. Das Ministerium hat ferner ein eigenes Referat eingerichtet für die Betreuung von Kriegsgefangenen, Internierten und deren Familienangehörigen. Das Wesen dieser vielfältigen Aufgaben sowie der Umstand, daß das Ministerium keinen Unterbau hat, bringen es mit sich, daß ein Teil der Arbeit Exekutivaufgaben dient.
Der Haushalt des Jahres 1950/51 des Bundesministeriums für Angelegenheiten der Vertriebenen steht im Zeichen des Zugangs neuer Aufgaben und der Erweiterung schon bestehender Aufgabengebiete. Daraus resultiert eine Ausweitung des Stellenplans. Es sind zunächst 9 neue Referentenstellen im Haushalt 1950/51 geschaffen worden. Zunächst handelt es sich um die Errichtung einer Berliner Vertretung, die die Schaffung einer A 1 a- Stelle notwendig machte. Ferner mußte für die Errichtung eines Referats für Jugendpflege ebenfalls eine Ministerialratsstelle geschaffen werden, für das Referat für Fragen der Soforthilfe und des künftigen Lastenausgleichs die Stelle eines Regierungsdirektors und zwei weitere Regierungsdirektorenstellen in den Referaten für Wahrnehmung der Rechte der freien Berufe sowie für Eingliederung und Auswanderung. Schließlich wurden zwei TOA I-Stellen geschaffen in dem Referat für Bearbeitung der Existenzfragen der früheren Bediensteten der öffentlichen Verwaltung und in der Presseabteilung. Die Ausweitung des Referates Siedlungs- und Wohnungsbau im Zusammenhang mit der Räumung von Kasernen und der notwendigen Neuschaffung von Unterbringungsraum für die dadurch wohnungslos gewordenen Heimatvertriebenen bedingte eine Hilfsreferentenstelle nach A 2 c 2 und eine TOA III-Stelle für einen Hilfsreferenten beim Referat Bedienstete der öffentlichen Verwaltung.
Die schon vorhin erwähnte Ausweitung der Exekutivarbeit machte vor allem eine Ausweitung der Sachbearbeiterstellen notwendig. Es sind im Etat 1950/51 gegenüber 1949 12 neue Sachbearbeiterstellen geschaffen worden: im Hauptbüro, zugleich Prüfungsreferat, eine A 3 b-Stelle; in der Abteilung I, Koordinierung Bundestag und Bundesrat, eine A 2 d-Stelle; in der Zentralabteilung, Poststelle, Referat 2, eine TOA V b-Stelle; in der Berliner Vertretung eine A 3 b-Stelle; in der Abteilung II Referat 1 „Gesetzentwürfe" die Stelle eines Sachbearbeiters nach A 2 d; im Referat Abteilung III beim Abteilungsleiter selbst eine A 2 d- Stelle; in der Abteilung III, Referat 1 c „Freie Berufe", eine A 2 d-Stelle; im Wohnungsbau- und Siedlungswesen, Abteilung III, Referat 3, eine A 4 c 2-Stelle; in der Abteilung IV, Referat 1 c „Illegale Grenzgänger und DP's" eine TOA V b- Stelle; im Referat „Eingliederung und Auswanderung", Abteilung IV, Referat 2, eine TOA V b- Stelle; in der Abteilung III, Referat 4 „Soforthilfe" eine TOA V b-Stelle und schließlich in der Abteilung III, Referat 4, eine TOA V b-Stelle ebenfalls für einen neuen Sachbearbeiter. Das Ministerium hatte im Jahre 1949 insgesamt 46 Referentenstellen und 26 Sachbearbeiterstellen, während 1950 55 Referentenstellen und 38 Sachbearbeiterstellen ausgewiesen sind.
Die Ausweitung im Stellenplan für Registraturangestellte, Schreibkrafte und Fernsprechgehilfen um 16 weitere Stellen ergibt sich aus der Notwendigkeit der Durchführung eines reibungslosen Geschäftsbetriebes. Die starke Belastung des Ministeriums mit Exekutivaufgaben macht es erforderlich, eine Schreibkraft nicht, wie gewöhnlich, für vier Referenten, sondern nur für drei Referenten einzustellen. Die Zahl der Stellen in der Telefonzentrale mußte von vier auf acht erhöht werden. Neun weitere Stellen wurden notwendig dadurch, daß die Ermekeilkaserne vom Ministerium für Angelegenheiten der Vertriebenen hausverwaltungsmäßig betreut wird.
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Der Stellenplan im ganzen ist vom Ausschuß nach eingehender Beratung in dieser Form ohne Abänderung angenommen worden. Dabei wurde allerdings eine Aufgliederung der Referate im Haushalt für das Jahr 1951/52 empfohlen; insbesondere in bezug auf Referat 4 der Abteilung III wurde im Ausschuß vorgeschlagen, das Gebiet Lastenausgleich zu einem selbständigen Referat 5 innerhalb der Abteilung III zu machen. Zu Referat 2 der Abteilung IV wurde der Antrag vom Ausschuß angenommen, die Regierung zu ersuchen, die Sozialreferentin für Frauen- und Jugendfragen im Etat 1951/52 höher einzustufen.
Bei den Verwaltungseinnahmen ergibt sich in Abweichung von der Regierungsvorlage eine Mehreinnahme in Kap. 1 Tit. 1 - Einnahmen aus Dienstgrundstücken - von 2700 DM.
Bei den persönlichen Verwaltungsausgaben ergibt sich aus der Tatsache, daß die seinerzeit in Aussicht gestellte Anzahl von Wohnungen für die Bediensteten des Ministeriums nicht zugewiesen wurde, eine Erhöhung des ursprünglichen Ansatzes für den Tit. 7 a in Kap. 1 - Trennungsentschädigung an versetzte Beamte und Angestellte - von 90 000 DM auf 140 000 DM; ferner bei Tit. 7 b - Fahrtkosten für versetzte und auswärts beschäftigte Beamte und Angestellte zum Besuche der von ihnen getrennt lebenden Familien - eine Erhöhung von 9000 auf 14 000 DM. Dagegen vermindert sich der Ansatz bei Tit. 8 - Übergangsgelder an Angestellte und Lohnempfänger - von 5000 DM auf 1000 DM, ebenso bei Tit. 6 a - Unfallfürsorge - von 10 000 DM auf 1000 DM.
Bei den sächlichen Verwaltungsausgaben vermindert sich der Ansatz für Fernsprechgebühren in Tit. 14 von 90 000 DM auf 70 000 DM, der in Tit. 15 für die Unterhaltung der Dienstgebäude von 15 000 DM auf 10 000 DM und der in Tit. 16 - Bewirtschaftung von Dienstgrundstücken und Diensträumen - von 73 000 DM auf 66 000 DM. Ferner ist bei Tit. 19 a - Reisekosten - durch den Ausschuß eine Senkung von 95 000 DM auf 80 000' DM vorgenommen worden, bei den Kosten für Sachverständige, Tit. 20, von 70 000 DM auf 45 000 DM, bei den Gerichts- und ähnlichen Kosten, Tit. 22, von 2000 DM auf 1000 DM und bei den Vermischten Ausgaben, Tit. 23, von 5000 DM auf 1000 DM.
Bei den Einmaligen Ausgaben, Kap. E 11, Tit. 5, ermäßigt sich der Ansatz für die Erstanschaffung von Dienstkraftwagen von 15 000 auf 5 500 DM.
Bei den Allgemeinen Haushaltsausgaben sind einige wesentliche Positionen erhöht worden: Bei Tit. 36 sind die ursprünglich im Etat 1950 angesetzten 250 000 DM für Unterstützung von Kriegsgefangenen, Straf- und Untersuchungsgefangenen und Internierten im Ausland auf Antrag der Verwaltung auf 420 000 DM erhöht worden. Es handelt sich bei diesem Titel um Weihnachtssendungen von Lebensmittelpaketen und Medikamenten, Bekleidung und Wäsche an deutsche Kriegsgefangene im Ausland. Der Ausschuß hatte dieser Erhöhung ja bereits am 23. November 1950 vorweg zugestimmt. Ein neuer Zusatz in der Erläuterung besagt, daß aus diesen Mitteln auch persönliche Verwaltungsausgaben im Ausland bestritten werden können.
Bei Tit. 38 mußten die Kosten der Maßnahmen zur Rückführung der noch in Polen befindlichen Deutschen um 20 000 DM auf 76 800 DM erhöht werden, und zwar handelt es sich hier um etwa 86 000 Personen, die noch in den Gebieten ostwärts der Oder und Neiße und in der Tschechoslowakei verblieben waren. In diesem Sommer rechnet man mit etwa 50 000 Personen, die umgesiedelt werden. Eine Abänderung des Rückführungsverfahrens durch die polnischen Behörden, die sich nicht an die Abmachungen halten, die im Rahmen der Operation Link getroffen wurden, und nun sämtliche Transporte über die Ostzone leiten, macht eine stärkere Beanspruchung der Arbeitsgemeinschaft des Roten Kreuzes in Hamburg notwendig. Der Ausschuß hat daher dieser Erhöhung zugestimmt. - Im übrigen ist hier ein Druckfehler in der Drucksache Nr. 1916 enthalten. Hier muß eine Null gestrichen werden; es heißt 56 800 DM.
Der Ansatz für Transportkosten für aus Haft und Internierung entlassene Deutsche im Ausland, Tit. 33, konnte von 200 000 DM auf 100 000 DM gesenkt werden. Es handelt sich hier um Personen, die nicht den Status des Kriegsgefangenen haben; die Transportkosten müssen daher bezahlt werden. Es handelt sich um etwa 500 Deutsche aus China und der Mandschurei, 600 Deutsche aus Italien, 800 Deutsche aus Spanien.
Tit. 37, Dokumentarische Erfassung des Schicksals der Kriegsgefangenen ist höher dotiert worden, und zwar von 150 000 DM auf 270 000 DM, da den Vereinten Nationen bis Ende April ein Teilergebnis der Dokumentation über die deutschen Kriegsgefangenen vorgelegt werden soll. Dieser beschleunigte Abschluß erfordert den Mehraufwand.
Neu geschaffen wurde der Tit. 39, Dokumentation des Schicksals der Zivilverschleppten, mit 96 000 DM. Die Schaffung dieses neuen Titels hängt zusammen mit Verhandlungen vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen über die Zurückhaltung deutscher Kriegsgefangener in der Sowjetunion. Bei dieser Gelegenheit wurde auch die Verschleppung deutscher Zivilpersonen behandelt. Der Auswärtige Ausschuß des Bundestages hat daher die beschleunigte Beschaffung der erforderlichen Unterlagen über die Zivilverschleppten für die zu erwartende Kommission der Vereinten Nationen gefordert.
Der Tit. 31 im Kap. 1 - Herstellung und Verbreitung von Informationsmaterial - ist von 50 000 DM im Haushalt 1949 auf den seinerzeitigen Antrag des Haushaltsausschusses hin im Etat 1950 auf 500 000 DM erhöht worden, allerdings teilweise mit einem Sperrvermerk versehen. Der Ausschuß hat das Ministerium gebeten, eine Ubersicht über die bisherigen Publikationen zu geben. Das ist inzwischen geschehen.
Der Tit. 32 - kulturelle und sonstige Betreuung - hat im Ausschuß eine längere Debatte ausgelöst, und zwar einmal wegen der Bedeutung dieser Frage als solcher mit dem Ziele der Erhaltung des kulturellen Heimaterbes der Heimatvertriebenen und der Weitergabe an die junge Generation in den Schulen, um zu verhüten, daß Kulturschätze der Heimatvertriebenen in der Erinnerung der kommenden Generation verlorengehen könnten. Es kommt darauf an, die Bemühungen der Länder auf dem Gebiete der Sammlung des Kulturgutes der Heimatvertriebenen und der Vorbereitung für die Einarbeitung in die Lehrpläne der verschiedenen Länder zu koordinieren und ihnen neue Impulse zu geben.
Die Anregung, dieses Aufgabengebiet des Ministeriums auszuweiten, hat im Ausschuß keine allgemeine Zustimmung gefunden.
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Zum anderen ergab sich dann im Ausschuß eine längere Aussprache zu Tit. 32 über die Frage der Zuwendungen an Organisationen. Zur Behandlung dieser Frage ist ein Unterausschuß eingesetzt worden. Unbeschadet der Ergebnisse der Arbeit dieses Unterausschusses, von dem ich im übrigen gehört habe, daß er seine Arbeiten inzwischen in positivem Sinne abschließen konnte, hat der Ausschuß dem Ansatz zugestimmt. Diese Genehmigung befindet sich in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Vertriebenenausschusses, der mit der Einsetzung der Mittel in voller Höhe einverstanden gewesen ist. Im übrigen erfolgt die Verteilung nur nach klar umrissenen Richtlinien und unter Einhaltung bestimmter Auflagen in bezug auf den Verwendungsnachweis.
Eine Anregung für eine Höherdotierung der Westdeutschen Bibliothek in Marburg, deren Ziel die Sammlung des Schrifttums über die Heimatvertriebenen seit 1945 und dessen Verbreitung ist, hatte im Ausschuß zu keinem Antrag und zu keinem Beschluß geführt. An sich ist es dem Ministerium freigestellt, im Rahmen der Mittel des Tit. 32 eine solche Dotierung der Westdeutschen Bibliothek in Marburg von sich aus vorzunehmen.
Abschließend darf ich folgende Gesamtübersicht geben. Die Einnahmen und Ausgaben setzen sich nunmehr nach den Abänderungen wie folgt zusammen: Einnahmen Kap. 1: bisher 751 700 DM, jetzt 754 400 DM; Ausgaben Kap. 1: bisher 4 463 500 DM, nach dem Beschluß des Ausschusses 4 734 500 DM; Ausgaben Kap. E 11 - Einmalige Ausgaben -: bisher 178 000 DM, jetzt 168 500 DM; Summe des Zuschusses: bisher 3 889 800 DM, nach dem Ausschußbeschluß 4 148 600 DM.
Ich darf Sie, meine Herren und Damen, im Namen des Haushaltsausschusses bitten, dem Haushalt des Bundesministeriums für Vertriebene im Sinne der Vorlage des Haushaltsausschusses Ihre Zustimmung zu geben.
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Ich danke der Frau Berichterstatterin und eröffne die Aussprache. Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, eine Gesamtaussprachezeit von 120 Minuten anzusetzen; als Höchstzeit natürlich; dem Ältestenrat ist nicht eingefallen, etwa zu wünschen, daß diese 120 Minuten unbedingt auch ausgenutzt werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Reitzner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß es nützlich ist, die Problematik aufzuzeigen, die sich hinter den Ziffern des vorliegenden Haushalts verbirgt. Man kann die Strömungen unserer Zeit und auch die Ideologien unserer Tage nicht verstehen, wenn man nicht dem Problem der Heimatvertriebenen einen sehr breiten Raum widmet. Ich möchte nichts überdramatisieren und nichts überdimensionieren. Europa hat ja Gelegenheit gehabt, Katastrophen ähnlicher Art zu sehen, aber keine Katastrophe war so tiefwirkend wie die Katastrophe des Jahres 1945. Trotzdem ist die Bedeutung des Heimatvertriebenenproblems noch nicht in das Bewußtsein aller unserer Zeitgenossen eingedrungen, und es wird noch mancher Bemühungen bedürfen, um das Verständnis für die innerdeutsche und europäische Tragweite dieses Problems wachzurufen. Trotzdem möchte ich sagen, daß die Mehrheit des deutschen Volkes und auch die große Mehrheit des Hohen Hauses die Bedeutung dieses Problems erkannt hat. Ich würde, Kollege Schütz, die jetzige schwache Besetzung des Hauses nicht als unbedingten Maßstab für die Beurteilung anwenden. Ich glaube, es ist eine richtige Feststellung, wenn wir sagen, daß wir auf dem Wege aus der Epoche der theoretischen Anerkennung der Notlage der Heimatvertriebenen zu echten Ansätzen und Lösungsversuchen sind. Die Verabschiedung des Gesetzes nach Art. 131 in diesem Hause war ja dafür ein anschauliches Beispiel. Trotzdem bleibt das Heimatvertriebenenproblem immer noch eine Quelle sozialer Spannungen in Deutschland und im internationalen Feld die Ursache mancher Mißdeutung. Daher kann man auch in keinem Augenblick, auch nicht heute - es geht ja nicht um die Beantwortung eines Berichts eines Buchhalters oder einer Buchhalterin - das Problem von den sozialpolitischen Problemen Deutschlands und den politischen Aufgaben Europas loslösen.
Wir haben uns heute bei der Debatte um die Neuordnung des Südweststaates erinnert, daß vor uns noch eine große Aufgabe steht, nämlich die Neuordnung des europäischen Raumes.
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Auch im Feld der sozialen und Wirtschaftspolitik müssen wir natürlich feststellen, daß die Massenarbeitslosigkeit unter den Heimatvertriebenen nicht nur eine zusätzliche Erschwerung des Schicksals dieser Menschen ist, sondern daß meine Freunde die Überwindung der sozialen Marktwirtschaft als eine echte und wesentliche Aufgabe im Sinne der Lösung der Heimatvertriebenenprobleme betrachten.
Diese Erkenntnis ist schon in weite Kreise der deutschen Bevölkerung gedrungen. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich Ihnen einen kurzen Auszug aus dem Bericht des Deutschen Roten Kreuzes, vorgelegt der Internationalen Rote-Kreuz-Flüchtlingskonferenz in Hannover vom 9. bis 14. April 1951, mitteilen. Diesen Bericht sollte man in Deutschland plakatieren und ihn zur Kenntnis unserer Menschen bringen. Der Bericht sagt nämlich an dieser Stelle:
Allen verantwortlichen Deutschen ist bewußt, daß der Fremde, der zu kurzem Besuch in Deutschland weilt, im allgemeinen auf die äußeren Eindrücke angewiesen ist. Das Straßenbild einer Großstadt wie Hamburg oder München macht mit seinen reichen Schaufensterauslagen und den gepflegten Gaststätten den Eindruck eines Wohlstandes und bietet einen Eindruck, der in schroffem Gegensatz zur harten Wirklichkeit steht, da nur eine verschwindend geringe Schicht der Bevölkerung an diesem Überfluß teil hat. Diese Erkenntnis einer immer tiefer werdenden Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Fassade läßt alle jene, die in verantwortlicher sozialer Arbeit stehen, oft genug in einen Abgrund blicken. Wir sehen es als unsere Pflicht an, die Wirklichkeit, die sich besonders in dem Flüchtlingsproblem widerspiegelt, zu zeigen, um die Aufmerksamkeit der Welt und Deutschlands stärker auf diese Frage zu lenken. .
Diese Pflicht haben auch wir im Zusammenhang mit der Diskussion über den Haushalt des Ministeriums für Angelegenheiten der Vertriebenen. Ich glaube, die Erkenntnis der sich aus dem komplexen Problem ergebenden Aufgaben ist ja auch dem Herrn Minister und dem Ministerium nicht verborgen geblieben, weil nämlich im Vorwort, das die Kollegin Probst bereits zitiert hat, eine
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wesentliche Aufgabe umrissen ist, die Aufgabe nämlich, bei der gesamten Gesetzgebung, soweit sie die Belange der Vertriebenen berührt, mitzuarbeiten und die gesamte Planung in der Betreuung der Heimatvertriebenen in grundsätzlicher Beziehung vorwärtszutreiben.
Ich muß leider sagen, daß diese Aufgabe, die sich das Ministerium selbst gesetzt hat, nicht erfüllt wurde. Das Klassenziel ist nicht erreicht worden. Es fehlt heute noch der gesamtdeutsche Plan. Es mußte eine amerikanische Kommission - es war eine gemischte Kommission, ich weiß es - kommen, um uns zu zeigen, wie man es machen könnte. Meine Freunde hätten es sehr begrüßt, wenn der ansonsten schätzenswerte Bericht der Sonne-Kommission unter der Flagge des Bundesvertriebenenministeriums diskutiert worden wäre. Ich will gar kein rückwärts gerichteter Prophet sein, aber die sozialdemokratische Fraktion hat im September 1949 in Drucksache Nr. 33 sechs Fragen an die Bundesregierung und an das Bundesvertriebenenministerium gerichtet und hat ihnen sechs Aufgaben gestellt. Wenn wir diese sechs Fragen heute mit dem Sonneplan konfrontieren, finden wir sie in ihm beantwortet. Wieviel schöner wäre es gewesen, wenn uns vor dem Sonneplan ein solcher Plan von der deutschen Bundesregierung unter der Initiative des Bundesministeriums für Vertriebenenangelegenheiten vorgelegt worden wäre. Daher glaube ich, es handelt sich jetzt nicht allein um den ziffernmäßigen Bericht und um die zahlenmäßige Beurteilung der Zweckmäßigkeit im Voranschlag. Diese Zweckmäßigkeit bestreite ich in vielen Punkten nicht. Besonders begrüße ich den neuen Tit. 39, dessen Inhalt die Frau Kollegin Probst aufgezeigt hat. Man muß aber die Aufgaben und die Verantwortung des Ministeriums zentraler sehen. Dem Herrn Minister sollen natürlich - das ist meine persönliche Auffassung - seine guten und ehrlichen Absichten nicht bestritten werden und können ihm nicht bestritten werden; man muß aber, glaube ich, auch feststellen, daß sich der Herr Minister innerhalb der Regierung in eine Position hat hineindrängen lassen, die es ihm nicht mehr erlaubt, die Interessen der Heimatvertriebenen energisch genug zu vertreten. Ich möchte diese Position als die eines biederen Bettelmannes bezeichnen, der brav mit dem Hut in der Hand von Tür zu Tür geht.
Vor allem möchte ich feststellen, daß der Herr Minister keinen ausgiebigen Gebrauch von jenen Möglichkeiten und Vollmachten gemacht hat, die ihm das Grundgesetz geboten hätte. Der Flüchtlingsausgleich ist ja dafür ein klassischer Beweis. Es ist heute auch nicht das erstemal, daß das heute ausgesprochen wird; wir haben darüber schon diskutiert. Ich persönlich habe es dem Herrn Minister in einer Sitzung mitgeteilt. Es ist mir bitter, die folgende Feststellung zu treffen, und ich tue es nicht sehr gerne und nicht leichten Herzens, aber es muß in dieser Form ausgesprochen werden: Das Ministerium hat 'sich meiner Überzeugung nach an keiner wesentlichen Stelle des Heimatvertriebenenproblems führend und initiativ gezeigt.
Herr Minister, ich weiß selbst aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, sich in einem reinen Flüchtlingsamt eine eigene Stellung herauszuarbeiten, wobei uns die dominierende Rolle des Herrn Finanzministers als Herr des Haushalts wohl bekannt ist. Aber deswegen muß man sich ja auch nicht immer mit seinen Forderungen abdelegieren lassen, sagen wir, an das Hauptamt für Soforthilfe, wie es in der Frage der Kinderbeihilfe geschah. Das Kinderhilfswerk der UNO hat nämlich 20 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Es sollten dann für die Umarbeitungskosten 12 Millionen von der Bundesregierung zur Verfügung gestellt werden. Soweit ich informiert bin, hat aber der Herr Finanzminister die kalte Schulter gezeigt, und unser Bundesminister für die Angelegenheiten der Vertriebenen ist dann zum Hauptamt für Soforthilfe gegangen. Man muß schon manchmal auch dem Herrn Finanzminister gegenüber solche echten Interessen stàrker vertreten, daher frage ich mich, ob nicht doch der Herr Minister selbst aus den Erfahrungen seiner Amtstätigkeit in der letzten Zeit zu der Auffassung gekommen ist, daß die Koordinierung der Vertriebenenfragen und deren Lösung mit der jetzigen Konstruktion des Ministeriums überhaupt nicht möglich ist. Ich frage mich, ob der Herr Minister nicht ernstlich darüber einmal nachdenken könnte, ob diese Konstruktion des Ministeriums bei der Fülle und Problematik der Aufgaben nicht doch eine Fehlkonstruktion ist. Denn hier muß ja der Herr Minister auf eine stärkere zentrale Verantwortlichkeit hinsteuern
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und diese stärkere zentrale Verantwortlichkeit seines Ministeriums herausarbeiten. Ich möchte sehr dringend wünschen und ersuchen, dafür zu sorgen, daß diese zentrale Verantwortung jetzt bald sichtbar wird, beispielsweise in dem Entwurf zum Bundesvertriebenengesetz, den wir bald erwarten und dessen Vorlage wir hoffentlich bald diskutieren und verabschieden können.
Es scheint uns auch auf anderen Gebieten eine Klärung notwendig, z. B. eine Klärung der Zuständigkeit zwischen dem Vertriebenen-Ministerium und dem Ministerium für gesamtdeutsche Fragen in der Frage der Vereinfachung der Verwaltung in den großen Durchgangslagern und in der Frage der Behandlung der Aufnahme der Deutschen aus dem Ostgebiet, damit wir es hier nicht mit zwei oder drei Instanzen - Ministerium für Vertriebene, Ministerium für gesamtdeutsche Fragen und den Länderinstanzen - zu tun haben.
Vor allem gestatte ich mir, folgendes zu sagen. Es scheint uns unerläßlich, daß das Ministerium und der Herr Minister in der lebenswichtigsten Frage, die jetzt vor uns zur Entscheidung steht, nämlich in der Frage des Lastenausgleichs, die Gedanken, die er oder das Ministerium hat, und die berechtigten Forderungen, die von der Mehrheit der Heimatvertriebenen vorgetragen wurden, vorträgt und versucht, mit diesen Gedanken bis in die Regierung, in die Ressorts und natürlich auch in den Lastenausgleichsausschuß vorzustoßen. Es geht ja nicht allein darum, daß man dem Schäfferschen Entwurf stellenweise irgendwelche vagen Einwände und Proteste entgegenhält und dann irrtümlicherweise den Anschein erweckt - ohne Absicht natürlich -, als ob sich das Ministerium zum Puffer zwischen der Bundesregierung und den Ansprüchen der Heimatvertriebenen entwickeln könnte, und weiter gleichzeitig der Anschein erweckt wird, das Bundesvertriebenenministerium hat sich in der Regierung nicht energisch genug durchgesetzt oder konnte sich in der Regierung nicht energisch genug durchsetzen. Zur Frage des Lastenausgleichs glaube ich, müßte das Ministerium zum mindesten in den Ressorts und dem Lastenausgleichsausschuß seine eigenen Gedanken vortragen.
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Ich möchte mir in diesem Zusammenhang gestatten, einige Worte an den Herrn Minister zu richten und die Art seiner sogenannten Taktik und Strategie innerhalb dieses komplexen Sektors zu beurteilen. Ich bedaure, Herr Minister, daß wir nicht öfter - vielleicht eine Frage der Zeitnot, ich weiß es nicht - Gelegenheit hatten, im Heimatvertriebenenausschuß zu einem intensiveren Gedankenaustausch zu kommen. Der Herr Minister wird sagen, daß er sehr oft mit Repräsentanten dieses und jenes Verbandes Gespräche hatte. Das gebe ich offen zu. Aber mein persönlicher Eindruck ist - ich weiß nicht, von wem er geteilt wird -, daß das Schwergewicht der Aussprachen, Gespräche und Verhandlungen des Herrn Ministers außerhalb des zuständigen Ausschusses lag. Wir haben oft den Eindruck, daß er den Ratschlägen dieser Berater ein geneigteres Ohr leiht. Es ist nicht meine Aufgabe, dem Herrn Minister Vorschriften zu machen, wen er sich als Berater einlädt. Ich habe auch, um Mißverständnissen vorzubeugen, natürlich gar nichts dagegen - im Gegenteil -, wenn der Herr Minister sich mit Reprasentanten verschiedener Verbände, sei es VerbaOst, sei es ZvD oder seien es heimatvertriebene Handwerker oder heimatvertriebene Landwirte, unterhält. Wir können uns auch seine politische Sorge vorstellen, nämlich die Sorge, daß die Politik der Bundesregierung oder seine Politik von den radikalen Strömungen innerhalb der Heimatvertriebenen überspielt werden könnte und daß er in dieser Richtung vielleicht beruhigend wirken wollte. Ich kann das verstehen. Ob es immer wirksam ist, ist eine andere Frage. Die politische Verantwortung, glaube ich, liegt schließlich primär hier in diesem Hause und beim Ausschuß.
Aus der von mir erwähnten Sorge des Herrn Ministers erklärt sich auch die enge Zusammenarbeit insbesondere mit dem Zentralverband der vertriebenen Deutschen, die wir in den Haushaltsausgaben Kap. 1 Tit. 32 bestätigt sehen. Dort heißt es: Für kulturelle und sonstige Betreuung werden 250 000 DM vorgeschlagen. Niemand von uns, auch meine Freunde nicht, werden die Berechtigung dieser Ausgabe bezweifeln, ja, wir würden es sogar begrüßen, wenn diese Mittel erhöht werden könnten, wenn man damit ein lebendiges Bild der früheren Kultur und der früheren Wirtschaft der Gebiete östlich der Oder und der Neiße und des Sudetenlandes vermitteln könnte und wenn man gleichzeitig dadurch den Heimatvertriebenen manche besinnliche Stunde geben könnte, in der sie sich an ihre -Heimat wieder erinnern. Es wäre sicher eine dankenswerte Aufgabe, auch mit solchen Mitteln das Gefühl der Verbundenheit aller Deutschen mit den verlorenen Ostgebieten zu stärken und zu vertiefen.
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Dafür haben wir großes Verständnis. Ich sehe aber zu meiner Überraschung und zu meinem Bedauern, daß dort eine kulturelle Organisation, der StifterBund, mit 600 DM bedacht wurde. Das ist nämlich der Adalbert Stifter, der den „Witiko" geschrieben hat, das Werk, das heute für das Schicksal der Heimatvertriebenen symbolisch ist. Der Titel für diese Zuwendungen lautet nämlich nicht nur: „kulturelle Aufgaben", sondern auch „sonstige Betreuung", und ich möchte sagen, daß die sonstige Betreuung, wie wir feststellen konnten, einen breiten Raum einnimmt. Es handelt sich hier in der Hauptsache um Zuwendungen an den ZvD, VerbaOst, heimatvertriebene Wirtschaft, heimatvertriebene Landwirtschaft und heimatvertriebenes Handwerk, - wie mir scheint, eine etwas sehr lückenhafte ständische Gliederung, um es in aller Offenheit zu sagen.
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Wir bejahen auch diese Zuwendung, wenn die Zweckbestimmung geklärt wird, und dazu wird, glaube ich, der Unterausschuß in der nächsten Zeit Gelegenheit haben. Es wäre ja, Herr Minister, für Sie selber eine sehr peinliche Situation, wenn einer dieser subventionierten Verbände sich vielleicht im Laufe der innenpolitischen Entwicklung in Deutschland als eine Vorstufe oder ein Vorzimmer für die Gründung einer politischen Partei erweisen sollte. Wir müssen also die Aufmerksamkeit des Herrn Ministers doch auch auf diesen Umstand lenken.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Es geht uns nicht darum, hier an den Reisekosten oder an anderen Aufwendungen zu kritisieren; die sind sicher, was das Ausmaß der Aufgabe anlangt, berechtigt. Ich behaupte auch nicht, daß der Herr Minister faul war oder daß das Ministerium nicht gearbeitet hat. Ich bezweifle nur, ob die Hebel immer an der richtigen Stelle angesetzt wurden und ob man mit der nötigen Initiative gearbeitet hat. Ich habe dem Herrn Minister schon einmal gesagt: Philosophische Güte in unserer harten, schwerhörigen Zeit tut es nicht. Man muß ja auch nicht immer mit der Faust auf den Tisch hauen. So will ich es auch nicht sehen. Ich kann natürlich verstehen, daß der Mangel einer gesamtdeutschen Planung auf wirtschaftlichem Gebiet das Ministerium in eine ziemlich schwache Situation versetzt.
Die Frage ist nun die, ob es möglich ist, aus der Initiative des Vertriebenenministeriums heraus in Zusammenhang mit dem Sonne-Plan eine solche gesamtdeutsche wirtschaftliche Planung, in der natürlich die Heimatvertriebenen mit eines der Kernstücke sind, durchzuarbeiten. Ich habe etwas Zweifel; denn die Forderung der Heimatvertriebenen nach Arbeit und Wohnung und sozialer Sicherheit, nach dem Lastenausgleich und nach der Wiedergutmachung erfordert ja eine gerechte Verteilung der Lasten, des Besitzes und der Güter, ja eine strukturelle Veränderung unserer sozialen Ordnung. Ob das bei der jetzigen Konzeption der Bundesregierung möglich ist, wage ich zu bezweifeln. Es ist niemandem entgangen, wie schwierig die Probleme sind. Natürlich empfindet der Herr Minister das auch, und immer, wenn er sich in diesem Dilemma befindet, wendet er sich an das Ausland. Ich möchte sagen: Je energischer der Herr Minister die Interessen der Heimatvertriebenen in der Regierung vertritt und je mehr wir auch jedem Deutschen zum Bewußtsein bringen, daß dieses Problem der Heimatvertriebenen primär ein Problem der Gesamthaftung der ganzen deutschen Nation für den Hitler-Krieg und die Niederlage ist, um so eher können wir die Hilfe des Auslandes erhoffen und erwarten, aber nicht früher. Es muß ein Höchstmaß eigener Anstrengungen vorliegen, ehe wir uns berechtigt fühlen können, an das Ausland heranzutreten.
Ich möchte abschließend folgendes feststellen. Der Herr Minister ist ein Mitglied dieser Regierung; er ist ein Teil dieser Regierung als Person. Er trägt - sicher auch aus einem Gefühl der Solidarität - für alle Entscheidungen der Regierung die Mitverantwortung. Deswegen können wir nicht für den Haushalt des Ministeriums stimmen. Wir werden uns der Stimme enthalten, auch deswegen, weil wir
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nicht die Überzeugung haben, daß das Ministerium, geleitet vom Herrn Bundesminister Dr. Lukaschek, immer zur rechten Zeit und mit der notwendigen Initiative die Gesamtinteressen der Heimatvertriebenen vertreten hat.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schütz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann nicht zum Etat des Vertriebenenministeriums reden, ohne wenigstens mit ein paar Sätzen zu dem Vertriebenenproblem selber etwas zu sagen. Ach Gott, in diesem Hause ist über das Vertriebenenproblem schon sehr viel geredet worden - und in Deutschland auch. Aber, Hand aufs Herz: steht das Vertriebenenproblem wirklich im Mittelpunkt oder wenigstens so im Gesichtsfeld der deutschen Innenpolitik, wie es für die deutsche Innenpolitik notwendig wäre?
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Um Ihnen eine Vorstellung von diesem Problem zu geben, will ich Ihnen ein ganz schlichtes und einfaches Bild zeichnen. Als ich ein kleiner Junge war - ich hatte es immer ein bißchen mit der Romantik -, da hatte ich den Wunsch, die Alpen zu sehen. Und ich muß gestehen, als ich sie zum ersten Mal gesehen hab, war ich überwältigt. Wenn wir solch einen Alpenberg vor uns sehen, dann glaubt ein jeder, dies sei für die Ewigkeit gebaut. Und doch wissen wir, daß selbst diese Alpenberge wandern. Da haben wir z. B. gehört, daß im Jahre 1904 15 Millionen Kubikmeter Gestein vom Rigi heruntergefallen sind. Was gestern noch für die Ewigkeit gebaut zu sein schien, ist heute ein Haufen Schutt geworden.
Die Volksgruppen in den Landschaften von Ostpreußen bis hinunter zum Schwarzen Meer - hat nicht jede von ihnen geglaubt, sie würde bis zum jüngsten Tag dort bleiben können? Nun sind 12 Millionen weggejagt worden. 8 Millionen davon sind in der Deutschen Bundesrepublik. So wie der Erdrutsch die Gestalt des Berges, der ins Tal stürzte, total veränderte, so verändern die herabstürzenden Bergmassen auch die Landschaft, auf die sie gestürzt sind. Was gestern noch eine organisch gewachsene Volksgruppe war, was gestern noch Staatsvolk, Wirtschaftsvolk und Kulturvolk war, das ist heute ein atomisierter Haufen Menschenschutt geworden. Das ist das Schicksal, das ist das Heimatvertriebenenproblem: ein Haufen Menschenschutt, sich selbst und anderen im Wege. Das allein kann die Aufgabe echter Vertriebenenpolitik sein: aus diesem Haufen Menschenschutt wieder Staatsvolk, Wirtschaftsvolk und Kulturvolk zu machen.
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Als um die Errichtung des Bundesministeriums für die Vertriebenen diskutiert wurde, habe ich - wie so manchmal - zu den sogenannten Einzelgängern gehört. Ich habe damals die Meinung vertreten, es werde sehr schwer sein, in einem Bundesministerium dieses große Problem aufzufangen. Es gibt nämlich keinen Bereich des staatlichen und des ökonomischen Lebens, in den nicht das Vertriebenenproblem naturnotwendig hineingreift.
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Als mein lieber Freund, der sehr geschätzte Herr
Dr. Lukaschek, Minister wurde, habe ich ihm mit
folgendem Bild gratuliert. Ich habe gesagt, der
Vertriebenenminister komme mir vor wie der heilige Sebastian,
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splitternackt ausgezogen;
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die Hände und die Füße angebunden, während ein oder zwei Dutzend Bogenschützen giftige Pfeile auf den wehrlosen Leib jagen.
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Meine Damen und Herren, wenn wir die Situation betrachten, so müssen wir sagen, daß dieses Bild vom heiligen Sebastian die wirkliche Stellung unseres Bundesministers für Vertriebene sehr treffend kennzeichnet. Das Bundesministerium für Vertriebene hat - ich habe es im Bild zu zeichnen versucht - gigantische Aufgaben. Aber fragen wir doch einmal: Was hat der Minister denn für Vollmachten?
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Territorial sind die Länder, die Kreise und die Gemeinden zuständig. Wenn der Bürgermeister da unten sagt: „Nein, ich gebe keine Zuzugsgenehmigung", dann kann dieser Minister nicht einmal Mann und Frau zusammenführen. Sachlich ist für den Wohnungsbau der Wohnbauminister, für die materielle Eingliederung, für die Existenzgründung der Wirtschaftsminister, für die Renten der Sozialminister und für die Steuern und die Steuersenkungen der Finanzminister zuständig. Ich will nicht sagen, daß man das von heute auf morgen oder überhaupt ändern kann. Aber glauben wir, auf die Dauer mit .dem Vertriebenenschicksal fertig zu werden, ohne auch die anderen Ministerien an die Verantwortung für das Flüchtlingsschicksal zu binden?
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Als ich gestern darüber nachdachte, was ich zum Etat des Ministeriums sagen werde, habe ich zunächst den Kalender genommen, in dem alles steht, was das Ministerium im letzten Jahr gemacht hat.
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- Sehr genau! - Das Ministerium hat zunächst das Notaufnahmegesetz von sich aus gestartet. Das Ministerium hat ferner im Jahre 1950 die Verordnung über die Vertriebenenumsiedlung gestartet. Die Umsiedlung von 300 000 war geplant, 158 000 sind in geregelten Transporten umgesiedelt worden, und 81 000 wurden angerechnet. Das sind die, die in eigener Initiative umsiedelten. Von den vorgesehenen 300 000 sind rund 240 0000 umgesiedelt worden. Jeder muß anerkennen, daß das Ministerium beim Zustandekommen des Gesetzes nach Art. 131 die Interessen der von ihm betreuten Gruppe tapfer und treu vertreten hat. Von den 290 000 Betroffenen nach Art. 131 gehören etwa 110 000 zu dem Kreis, der unter die Betreuung des Vertriebenenministeriums fällt. Ich möchte dem Ministerium auch für die Initiative und die konkrete Arbeit in der Betreuung der Kriegsgefangenen und Internierten danken.
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Ich möchte dem Ministerium aber gleichzeitig die sehr herzliche Bitte nahelegen, einmal zu überlegen, ob man nicht für die Internierten in der Tschechoslowakei, in den Südoststaaten und auch in Schlesien noch manches tun könnte. Ich werde mir gestatten, in den nächsten Tagen zwei ganz
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konkrete Aufgaben im Ministerium persönlich vorzutragen, um Sie hier nicht zu langweilen.
Das Ministerium hat in den letzten Jahren an den Vorbereitungen zu einem einheitlichen Vertriebenengesetz gearbeitet. Ich kenne es nicht, ich habe nur gehört, daß dort sehr viel und sehr umfangreiches Material verarbeitet werden soll. Wir brauchten aber dringend im zweiten Jahr der Bundesrepublik endlich einen einheitlichen, für alle 11 Länder verbindlichen Flüchtlingsbegriff. Wenn das Vertriebenengesetz nicht mit allen Fragen fertig wird, die es gern regeln möchte, dann, bin ich der Meinung, sollte man wenigstens zunächst als Vorschuß eine knappere Fassung vor dieses Haus bringen, damit wir endlich einmal zu einem einheitlichen Vertriebenenbegriff kommen, mit dem wir auch bei der anderen Gesetzgebung etwas anfangen können. Ich registriere, daß die Arbeit des Ministeriums an der Vorbereitung der Vertriebenenbank und die Mitarbeit an der von meinem Vorredner, Kollege Reitzner, erwähnten Sonne-Kommission wertvoll war.
Ich möchte aber auch diese Diskussion einmal zum Anlaß nehmen, um festzustellen, daß bei allem Ausmaß der Vertriebenennot in unserem Lande der Bund und vor dem Bund die Länder weitgehend ihre Pflicht getan haben. Darüber hinaus möchte ich sagen: obwohl noch tausende Fragen ungelöst sind, dürfte es kaum ein Land in der Welt geben, das mit einer solchen Not wie der der Vertriebenen in Deutschland in ähnlicher Weise fertig würde, wie unser Deutschland bis jetzt damit fertig geworden ist.
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Ich möchte diesen Augenblick benutzen, um all den Bekannten und den Unbekannten, die unter persönlichen Opfern ihren Teil dazu beigetragen haben, im Namen der 8 Millionen Menschen. über dieses Haus hinaus ein recht herzliches und aufrichtiges Dankeswort zu sagen.
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Meine Damen und Herren, eine Fülle von Fragen bleibt noch ungelöst. Gestatten Sie, daß ich bei dieser Gelegenheit nur einige wenige anspreche. Dieses Haus hat ab und zu einmal eine große Stunde. Seine größte Stunde war, als es sich zur deutschen Einheit bekannte. Die deutsche Einheit, die Einheit der getrennten Brüder im Osten mit uns, ist die eine Einheit. Vergessen wir darüber hinaus die andere nicht! Wir müssen auch in unserem Lande selber leidenschaftlich dafür sorgen, daß die Einheimischen und die Vertriebenen eine große deutsche Einheit werden.
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Zum zweiten: Die Vertriebenen - das möchte ich auch einmal sagen - sind j a nicht nur eine Last, ja sie sind, davon bin ich überzeugt, nicht einmal primär eine Last. So arm, wie wir aussehen, sind wir auch wiederum nicht. Professor Wagemann, den Sie ja alle kennen, hat einmal in einer vorzüglichen Arbeit Schlesien die zweite Lunge Deutschlands genannt. Er wollte damit sagen, daß es ein reiches Land ist und daß die Menschen dort in der Lage sind, die notwendige ökonomische Luft in dieses Land hineinzupumpen.
Auch von meinem Land, dem Land, aus dem ich komme, möchte ich bei dieser Gelegenheit ein gutes Wort sagen. Dort, wo die drei Millionen Sudetendeutschen daheim waren, in Deutschböhmen, Mähren und Schlesien, waren ehedem 78 vom Hundert der Industrie eines 54-MillionenStaates daheim. Zwei Drittel dieser Menschen sind hier.
Ein einziges Beispiel möchte ich Ihnen sagen. Im Laufe der letzten Jahre haben die deutschen Länder Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und vielleicht noch ein anderes Land unseren Gablonzern zusammen 71/2 Millionen RM und DM zur Verfügung gestellt. Im Jahre 1950 hat die Gablonzer Industrie für 9 Millionen DM Waren ausgeführt. Unsere braven Gablonzer haben also in einem einzigen Jahr 120 Prozent des investierten Kapitals dem deutschen Bund als Export-Erlös eingebracht.
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Ich könnte noch viele solche Beispiele anführen. Ich weiß aber auch, daß nicht alles Gold ist, was glänzt. Ich bin jedoch davon überzeugt, daß wir mit den Vertriebenen aus dem Osten auf die Dauer gesehen in dem Europa von heute ein großes Aktivum in das deutsche Land hereingebracht haben und daß die, die diese Deutschen fortgejagt haben, heute schon Tränen der Reue weinen,
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weil sie damit echte Werte ihres Territoriums zerstört haben.
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Bei dieser Gelegenheit darf ich eine Sorge zum Ausdruck bringen. Ich habe schon vorhin gesagt, die Schwäche der Konstruktion liegt darin, daß keine echten Vollmachten vorhanden sind. Der Kollege Reitzner hat den Herrn Minister mit einem scharmanten Bettelmann verglichen, der einmal an die eine Türe und das andere Mal an die andere Türe klopfen muß. Es wird dem Herrn Minister für absehbare Zeit gar nichts anderes übrigbleiben. Wir bitten ihn aber, daß er bei den einzelnen Türen recht kräftig anklopft. Ich glaube, daß dieses Haus bereit ist, dieses Klopfen ab und zu auch einmal mit einem sehr scharmanten Sprechchor zu unterstützen.
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Ich möchte zunächst einmal bei dem Herrn Minister für den Marshallplan anklopfen. Die erste Tranche betrug 1360 Millionen DM. Für die Vertriebenen wurden 6 Millionen DM abgezweigt. Meine Damen und Herren, das ist zu wenig. Die zweite Tranche betrug 1200 Millionen DM. Abgezweigt wurden 70 Millionen DM. Das ist bedeutend besser. Die dritte Tranche beträgt 1350 Millionen DM; abgezweigt: bisher noch unbekannt.
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Herr Minister, klopfen Sie bei dem Herrn Vizekanzler an, und alle in diesem Hause, die guten Willens sind und einen besonderen Einfluß auf den Herrn Minister für den Marshallplan haben, mögen den Herrn Vertriebenenminister bei diesem Klopfen unterstützen.
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Vor ein paar Monaten haben wir uns eingehend darüber unterhalten, daß keine Vorräte und keine Devisen im Lande wären. Als das große Mittel - manchmal schien es mir zu stark im Vordergrund zu stehen -, als das Allheilmittel wurde die Einfuhrbeschränkung bezeichnet. Das ist nicht zutreffend, wenigstens nicht allein und in dem Maße, wie es viele glaubten. Wenn wir versuchen, den Export zu fördern, werden wir über diese Sorge leichter hinwegkommen.
Meine Damen und Herren, wie können wir denn den Export der Vertriebenenbetriebe fördern? Ich weiß sehr wohl, daß es ein armes Deutschland ist;
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aber es gibt da und dort Möglichkeiten, deren Auswertung nicht viel kostet. Schauen Sie: das alte Preußen hat in der Zeit der Religionskämpfe die dort gelandeten Salzburger aufgenommen und angesiedelt. Weil man in Preußen nicht jeden zu einem Bauern machen konnte, entstanden durch sie die ersten preußischen Manufakturen, und sie erhielten fünf Jahre Steuerfreiheit. Ähnlich hat es das Königreich Bayern mit den Hugenotten in Erlangen und Umgebung getan.
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- In Württemberg! Ich weiß, daß mir da oft die Geschichte vom gleichen Start entgegengehalten wird. Wenn Sie einen Radfahrer und einen Mercedes-Automobilisten zur gleichen Zeit abfahren lassen, dann haben sie zwar die gleiche Abfahrtszeit, aber nicht den gleichen Start. Nach Adam Riese wird dann der mit dem Mercedes auch bei aller Anstrengung des anderen früher dort sein.
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Meine Damen und Herren! Wenn wir den echten Vertriebenen-Unternehmen, vor allen Dingen denjenigen, von deren Wirtschaftlichkeit wir überzeugt sind, und denjenigen, von denen wir wissen, daß sie uns in den nächsten Jahren die so wichtigen Devisen einbringen, auch vom Finanzminister, von der Steuerseite her einen Start ermöglichen, dann ist das das zweite Klopfen. Und alle diejenigen, die ein besonderes Gehör bei dem Finanzminister finden, mögen mitklopfen.
Ich möchte aber auch bei dem Herrn Wohnungsbauminister anklopfen. Das „Sozialwissenschaftliche Institut der Zentralgemeinschaft für produktive Flüchtlingshilfe" hat im Auftrage einer Dienststelle der Hohen Kommission eine Untersuchung durchgeführt. Diese Untersuchung beruht darauf, daß man daran denkt, in Gebieten, in denen mehr als zehn Beschäftigungslose auf hundert Beschäftigte fallen, eine Umsiedlung vorzunehmen. Unter diesem Gesichtspunkt können innerhalb der deutschen Länder 30 000 Männer und 9 000 Frauen umgesiedelt werden. Über die einzelnen Ländergrenzen im Bundesgebiet hinaus können 268 000 Männer und 99 000 Frauen umgesiedelt werden. Nach den Untersuchungen dieses Instituts können nur 193 000 Männer und 85 000 Frauen umgesiedelt werden. Die Umsiedlung kann aber nur erfolgen, wenn der Vertriebenenminister seine Umsiedlungsplanung mit dem Wohnungsbauminister auf Grund dieser Untersuchungen abstimmt und wenn der Wohnungsbauminister sich dann die großen Stiefel anzieht und versucht, die Mittel zusammenzubringen, damit diese soziologisch wertvolle Umsiedlung auch durchgeführt werden kann.
Ich glaube, daß man auch an den Herrn Landwirtschaftsminister Wünsche herantragen sollte. Wir haben 220 000 Flüchtlingsbauern und 180 000 Flüchtlingsfamilien, die einmal Landarbeiterfamilien waren, zusammen also 400 000. Wir wissen, daß der Boden kein vermehrbares Gut ist. Die Möglichkeit, bäuerliche Unternehmen anzusetzen, ist von Haus aus beschränkt. Aber der Landvorrat aus Moor- und Ödlandgewinnung beträgt im Bundesgebiet immer noch 730 000 Hektar.
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Das ist mehr als das Doppelte dessen, was uns bei der optimistischsten Annahme aus der Bodenreform zur Verfügung gestellt werden könnte, nämlich 375 000 Hektar.
Man müßte auch einmal gemeinsam mit dem Arbeitsminister und dem Wohnungsbauminister ein
sehr eindringliches Wort reden. Lassen Sie mich das Thema nur ansprechen. Es ist die Sozialpolitik auf dem Lande. 80 v. H. der Vertriebenen wohnen in Gemeinden unter 3000 Einwohnern. Diese Gemeinden haben dadurch ein vollkommen anderes Gesicht bekommen. Wenn man in Deutschland bisher von Sozialpolitik geredet hat, dann hat man an die Stätten mit den Schloten, den Fördertürmen und den Hochöfen gedacht. Durch die Einschleusung der Vertriebenen in unsere Dörfer gibt es auf den Dörfern ein echtes soziales Problem.
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Wir kennen die Frage, wir wollen ihr nicht ausweichen. Wir wissen, daß unsere Bauern sagen: Ach, da sitzen die in unseren Wohnungen und bestellen nicht unsere Äcker! Wir wissen, was die Vertriebenen in ihrer Mehrheit darauf antworten. Wenn wir den Lastenausgleich machen wollen und dazu die Zustimmung des ganzen Volkes brauchen, müssen wir mit echter Sachlichkeit auch an das Problem gehen. Die Landarbeiternot, die uns, wenn wir für die Flüchtlinge etwas haben wollen, immer wieder entgegengehalten wird, ist ein echtes Problem.
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Es ist aber in seiner tiefsten Tiefe ein Problem des Mangels an Landarbeiterfamilien und daher des Mangels an Wohnraum auf dem flachen Lande. Wenn wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten den Wohnungsbau vom Staat her, mit öffentlichen Mitteln massiv fördern, dann müssen wir auch daran denken, dabei die Frage der echten sozialen Not des Landes, die Wohnraumfrage und in Verbindung damit die Frage der Dienstbotennot zu lösen.
Das Licht leuchtet hier auf; ich muß mir die anderen Dinge schenken. Lassen Sie mich zum Schluß nur ein einziges Wort hinzufügen. Es wird sehr oft gesagt: Ja, ist denn die ganze Arbeit für die Vertriebenen nicht eine Fehlinvestition, gehen denn die Leute nicht früher oder später doch wieder heim? Wenn ich meinen Leuten draußen auf diese Frage antworte, sage ich ihnen immer: Schaut, Leute, wenn es Winter ist, 30 cm Schnee über der Erde und 30 cm Frost drunter, und die Bäuerin zum Bauer sagt: Wann ernten wir denn den Weizen?, dann sagt der Bauer: Ja, siehst du denn nicht, daß es Winter ist? Ich sage den Vertriebenen, die vom Heimgehen reden, immer: Leute, seht ihr denn nicht, daß es Winter ist, echter politischer Winter, daß unsere große Sorge die Sorge um die 70 000 Sudetendeutschen in Böhmen und Mähren, die Sorge um die vielen Millionen ist, die noch im Reiche Titos und der Polen und der Russen stecken; deshalb gilt es heute, die winterliche Arbeit zu tun, die Arbeit dafür, daß wir, wie lange auch immer dieser politische Winter dauern mag, nicht verhungern und nicht erfrieren! Das heißt aber nicht, die Hoffnung aufgeben, daß es nach jedem Winter auch wieder einen Sommer gibt: in der Natur und in der Politik. Deshalb laßt uns gemeinsam mit dem Ministerium unseres Bundes, das dafür geschaffen ist, die winterliche Arbeit tun und an den Sommer glauben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Tichi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann leider nicht so viel Weihrauch auf das Haupt des Herrn Ministers streuen wie
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mein Freund und Vorredner; der Herr Abgeordnete Schütz. Ich werde mich aber sehr bemühen,
möglichst objektiv zu bleiben. Ich bedaure es lebhaft, daß ich zu dem Haushaltsplan des Bundesministeriums für Vertriebene nur in sehr gedrängter Form Stellung nehmen kann, obwohl dieses Ministerium für uns Heimatvertriebene eines der wichtigsten Ministerien ist. Wir legen Wert darauf, das der Minister und sein Ministerium mit unseren überparteilichen Gliederungen - das ist der ZvD, VerbaOst, die Landsmannschaften - in engster Fühlung bleiben
({1}) und daß sie auf sie hören, daß diese Institutionen unterstützt werden, ohne daß ich die Besorgnis habe, die der Kollege Reitzner hat, daß diese Unterstützung in andere Kanäle fließen könnte. Wir hören und sehen auch, daß der Bundeskanzler mit den Gewerkschaften wiederholt verhandelt, daß er die Bedeutung der Gewerkschaften hoch einschätzt. Wir wissen, wie wertvoll es war, daß er mit den Gewerkschaften die Frage der Mitbestimmung gelöst hat. Ich gehe noch weiter; ich würde es für notwendig halten - und da stimme ich dem Kollegen Reitzner bei -, daß der Herr Minister des öfteren die heimatvertriebenen Abgeordneten informiert.
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Wenn das geschehen würde, dann würde vielleicht so manches Mißverständnis aus der Welt geschafft und die Stellung des Ministers bedeutend gestärkt werden. Der Vertriebenenminister muß sich bewußt sein, daß er - und ich verstehe die Kritik des Kollegen Reitzner nach dieser Richtung - im Kabinett, im Bundesrat und bei wichtigen internationalen Tagungen unser Anwalt, der Dolmetsch unserer Forderungen ist. Es ist besonders notwendig, daß er genügend stark ist, wenn es sich darum handelt, das deutsche Flüchtlingsproblem zu lösen, ohne dessen Lösung eine soziale Ordnung in Europa undenkbar ist. Er kann bei dieser Gelegenheit den Westen nicht oft genug auf dessen Kollektivschuld an dem schweren Flüchtlingselend in Deutschland aufmerksam machen.
Ich halte es für notwendig, daß wir im Rahmen dieser Debatte zu dem Bericht der amerikanischen Kommission zum Studium des Vertriebenenproblems, dem sogenannten Sonne-Bericht, und auch zu den Ausführungen des Herrn Vertriebenenministers kritisch Stellung nehmen, die er unlängst in der Presse gemacht hat. Der Sonne-Bericht ist einer der wichtigsten Berichte, die ' wir von amerikanischer Seite seit dem sogenannten Walter-Bericht gehört haben. Der Bericht ist bis heute „reserved". Er umfaßt angeblich 500 Seiten und wurde am 21. 3. 1951 dem Bundeskanzler vorgelegt. Was bis heute in der Öffentlichkeit gesagt wurde, ist nur die positive Seite dieses amerikanischen Berichtes, nicht die negative Seite, die wir ebenso kennen. In dem Bericht heißt es wörtlich:
In den nächsten Jahren muß mehr als bisher
für die Vertriebenen getan werden; anderenfalls ist es nicht ausgeschlossen, daß die Vertriebenen zu einer politischen Gefahr für
Deutschland würden. Weder die politischen
Parteien noch der einheimische Mittelstand
würden dann ihre bisherige Stellung behalten.
Das sagt dieser Bericht ganz deutlich. Wenn der
Sonne-Bericht damit vielleicht die Frage des Lastenausgleichs meint, dann hat er vollständig recht.
Die Regierung, der Bundesrat und, auch die politischen Parteien müssen diesmal damit rechnen,
daß die Heimatvertriebenen, die Kriegsgeschädigten sich mit einem Linsengericht nicht werden abspeisen lassen. Das muß mit aller Deutlichkeit, gesagt werden.
Das Positive des Sonne-Berichts ist wohl die Feststellung, daß die Lösung der Flüchtlingsfrage nicht als eine ausschließlich deutsche, sondern als eine internationale und dringliche Angelegenheit bezeichnet wird. Es wird festgestellt, daß die notwendige Hilfe mit ausländischer Unterstützung schnell durchgeführt werden muß. Das hat ungleich mehr Gewicht, als die gleiche Feststellung aus deutschem Munde haben könnte. Das bedeutet aber nicht, daß wir von Fremden in eigener Sache mehr verlangen dürfen, als wir selber tun!
Wir erleben eine Enttäuschung nach der anderen. Wir wissen noch nicht, was der Bundesrat zum Gesetz nach Art. 131 sagen wird. Wir hören schon heute Stimmen, die über die Stimmung im Bundesrat nicht gerade Günstiges sagen. Die Frage der Umsiedlung der Heimatvertriebenen aus den mit Heimatvertriebenen überbelegten Ländern ist in ihrer Durchführung durch die Haltung der Aufnahmeländer geradezu ein Schandfleck geworden. Man darf nicht vergessen, daß es hier um eine ausgesprochen innerdeutsche Angelegenheit geht, mit der wir selber fertig werden müssen. Dies alles wird im Ausland ernst und kritisch beobachtet.
Wir betrachten das mit großer Aufmachung veröffentlichte sogenannte Blitzprogramm des Herrn Vertriebenenministers ungemein skeptisch und wollen nicht, daß es bei den Heimatvertriebenen allzu große Hoffnungen erweckt. Zur Durchführung eines so groß umrissenen Programms ist die derzeitige gefahrvolle außenpolitische Atmosphäre mit ihrer wirtschaftlichen Unsicherheit nicht geeignet. Wir lehnen jede Kompensation mit erhöhten Besatzungskosten, wie sie Sonne verlangt und verspricht, mit aller Entschiedenheit ab.
Zum Haushaltsplan des Bundesministeriums für Vertriebene muß gesagt werden, daß er im Verhältnis zu verschiedenen Ministerien, deren Bedeutung nicht annähernd mit jener des Vertriebenenministeriums verglichen werden kann, mehr als bescheiden ist. Im Vertriebenenministerium konzentrieren sich die Sorgen um die Forderungen und Wünsche von 9 Millionen deutschen Menschen, die zwangsläufig in Westdeutschland eine neue Heimat gefunden haben und die für Gleichberechtigung und soziale Befriedung kämpfen.
Wir bedauern, nach der Durchsicht des Haus- haltsplanes des Vertriebenenministeriums feststellen zu müssen, daß für ausgesprochen kulturelle Betreuung der Heimatvertriebenen wenig oder fast gar nichts vorgesehen ist. Das hat auch die Frau Berichterstatterin unterstrichen. Unsere Kultur in unserer Heimat stand auf einer sehr hohen Stufe, und wir wollen, daß unsere heimatlichen Sitten und Gebräuche auch hier gepflegt und erhalten werden, weil sie ja ein Kleinod unseres Volkstums sind. Diese Aufgabe müßte das Vertriebenenministerium durch die Schaffung einer eigenen kulturellen Abteilung ganz besonders unterstreichen.
Wir bedauern sehr, daß das Bundesvertriebenengesetz dem Bundestag erst im Spätherbst vorgelegt wird und daß verschiedene Ministerien, wie wir hören, heute schon Schwierigkeiten bereiten. Der jetzige Zustand - wer sich mit den Dingen befaßt, weiß es - ist unhaltbar. Die Judikatur der einzelnen Länder und einzelnen Behörden ist oft entgegengesetzt und schadet den Heimatvertriebenen in Wohnungsfragen, bei Wohlfahrtsunterstüt({3})
zungsgesuchen, bei Soforthilfe- und Kreditfragen aller Art. Unser Wunsch wäre, daß das Bundesflüchtlingsgesetz raschestens vorgelegt wird. Es war nach unserer Auffassung auch unrichtig, daß das Hauptamt für Soforthilfe zu einer Abteilung des Finanzministeriums gemacht und nicht als oberste Behörde mit einer selbständigen Kompetenz ausgestattet oder dem Vertriebenenministerium angegliedert wurde. In Bayern ist es uns gelungen, das Landesamt für Soforthilfe dem Staatssekretariat für das Flüchtlingswesen anzugliedern, und die Zusammenarbeit ist gut und ungemein wertvoll.
Das wäre alles, was ich zum Haushaltsplan des Vertriebenenministeriums zu sagen hätte. Wir können uns mit Rücksicht auf all das, was auch der Kollege Reitzner in seiner Kritik schon vorgebracht hat, die wir ja im großen teilen, nicht entschließen, für den Haushaltsplan zu stimmen, sondern werden uns der Stimme enthalten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Trischler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Ausführungen der Vorredner kann ich es mir ersparen, hier allgemeine Ausführungen über das Flüchtlingsproblem zu machen. Insbesondere schließe ich mich den diesbezüglichen Ausführungen des Vorredners Schütz vollinhaltlich an.
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Die Beratung dieses Etats gibt Gelegenheit, einen Rückblick zu tun auf das, was war, und eine Vorschau auf das, was an dringenden Aufgaben vor uns steht. Gewiß geben auch wir zu, daß so manches von den Ländern und seit Bestehen des Bundes insbesondere von diesem zur Lösung dieses Problems getan worden ist. Gelöst ist das Problem nicht. Es kann auch nicht in ein, zwei Jahren gelöst werden. Wir werden jedes Jahr feststellen können - noch lange Jahre -, daß es immer noch nicht ganz gelöst ist. Wir sind aber der Meinung, daß sicherlich manches hätte mehr geschehen können, und wir werden diesbezüglich wahrscheinlich aus dem Bericht der Sonne-Kommission auch so manches erfahren. Insbesondere aber sind wir der Meinung, daß manches, was geschehen ist, schneller 'hätte geschehen sollen, und da wollen auch wir selbst in diesem Bundestag uns die Frage vorlegen, ob wir immer das Nötige getan haben, um entsprechend schnell zur Verabschiedung von Gesetzen zu kommen,. die zur Lösung dieses Problems von besonderer Bedeutung waren.
Wir dürfen, wenn wir die Leistungen für die Flüchtlinge betrachten wollen, nicht nur an jene gesetzgeberischen Maßnahmen denken, die sich ausschließlich mit Flüchtlingsfragen befassen. In den bisherigen Reden, auch in dem Kalender von „unserem Schütz", sind eben doch manche Punkte weggelassen, die, wenn sie auch nicht ausdrücklich die Flüchtlinge betreffen, so doch für sie von größter Bedeutung sind und auf deren Gestaltung das Flüchtlingsministerium durch seine Mitwirkung bei der Gestaltung der entsprechenden Gesetze ganz entscheidenden Einfluß hatte.
Ich will einige Fragen anschneiden. Zunächst das Wohnungsbauproblem. Sicherlich haben die Tatsache, daß im Laufe des letzten Jahres über 350 000 Wohnungen gebaut wurden, ferner die Tatsache, daß im Wohnungsbaugesetz für die Flüchtlinge besondere Bestimmungen enthalten waren, und die
Tatsache, daß bei der Finanzierung gewisse Mittel hierfür zweckgebunden sind, dazu beigetragen, daß auch die Flüchtlinge entsprechend zum Zuge gekommen sind. Allerdings haben wir hier zu bemängeln - das will ich ganz offen sagen -, daß durch die Art der Durchführung heute nicht die Kontrollmöglichkeit gegeben ist, einwandfrei festzustellen, ob all die Mittel, die für den Flüchtlingswohnungsbau verwendet werden sollten, auch tatsächlich in diese Kanäle geflossen sind. Wir würden das Ministerium bitten, in der Zukunft - und dabei wird es unsere Unterstützung haben - dafür Sorge zu tragen, daß gerade bezüglich einwandfreier Statistiken mehr geschieht als bisher.
Wir haben das Bundesversorgungsgesetz verabschiedet und müssen zugeben, daß auch dieses Gesetz Millionen von Flüchtlingen zugute gekommen ist. Wenn es auch kein ausgesprochenes Gesetz für die Flüchtlinge ist, so sind doch sehr viele von ihnen davon betroffen; ja, ich glaube, daß sie im Verhältnis zu ihrer Zahl in wahrscheinlich größerem Maße davon betroffen werden als die einheimische Bevölkerung, weil eben sehr viele aus ihren Kreisen unter dieses Gesetz fallen.
Wir wollen dankbar anerkennen, daß durch die Soforthilfe bisher immerhin rund 21/2 Millarden Mark aufgekommen sind. Ich glaube nicht, daß es unter uns einen gegeben hat, der damals. beim Anlaufen dieses Gesetzes geglaubt hätte, daß wir in dieser Zeit wirklich zu solchen Zahlen kommen würden.
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Die Verwendungszwecke sind sehr vielseitig. Die Mittel sind zwar nicht ausschließlich, aber doch in großem Maße auch den Flüchtlingen zugute gekommen.
Durch die Arbeit des Ministeriums auf dem Gebiete der Betreuung der Heimkehrer und Kriegsgefangenen ist' sehr vielen geholfen worden, insbesondere auch denjenigen unter ihnen, die Heimatvertriebene sind. Besonders begrüßenswert ist es, daß in diesem Heimkehrergesetz auch alle Zivilverschleppten berücksichtigt wurden, die hauptsächlich aus jenen Ländern und Gegenden kommen, die nicht reines Reichsgebiet waren. Betreut worden sind auch alle die, die nachträglich aus anderen Ländern hereinkommen. Ich will hier insbesondere den speziellen Fall der aus Jugoslawien zurückgekommenen Kinder erwähnen. Hier haben wir den kleinen Fortschritt zu verzeichnen, daß wenigstens einige Transporte von dort herausgekommen sind. Wir wissen, daß es noch mehrere Tausende sind, die darauf warten. Aber es ist auf diesem Sektor entschieden etwas geschehen. Leider können wir ja die Entscheidung nicht selbst treffen.
Wir begrüßen die Verabschiedung des Gesetzes für heimatlose Ausländer, weil uns damit die Möglichkeit geboten war, dem Ausland zu beweisen, wie wir Angehörige anderer Nationen in unserem eigenen Staate zu behandeln gewillt sind, und weil wir uns von der Verabschiedung dieses Gesetzes erhoffen, daß sie wesentlich dazu beitragen wird, die Frage der Internationalisierung unseres Flüchtlingsproblems und des Zuflusses von Mitteln zur Lösung dieses Problems aus dem Ausland zu fördern. Zur Erreichung dieses Zieles hat gerade dieses Gesetz wesentliche Vorarbeit geleistet.
In den letzten Wochen war der schönste Erfolg die Verabschiedung des Gesetzes in Ausführung des Art. 131 des Grundgesetzes, das für die Heimatvertriebenen meines Erachtens durchaus zufriedenstellend ist. Man kann sich sogar auf den
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Standpunkt stellen, daß dieses Gesetz eine gewisse bevorzugte Behandlung der Betroffenen gegenüber anderen Gruppen von Heimatvertriebenen mit sich bringen wird, denn sicher wird der endgültige Lastenausgleich für all die anderen Gruppen von Berechtigten im Verhältnis nicht soviel bringen können, wie das nun verabschiedete Gesetz den 131ern tatsächlich geboten hat.
Über die Frage der Umsiedlung brauche ich nicht mehr zu reden. Es ist aber interessant, daß wir zum erstenmal in einem Gesetz dem Bundesminister für die Vertriebenen eine gewisse Kompetenz, ein gewisses Weisungsrecht gegeben haben. Das Fehlen eines solchen Weisungsrechtes haben wir bereits bei der Debatte im vorigen Jahr bemängelt, und wir werden es auch weiterhin bemängeln, daß das Ministerium der Natur seiner Aufgabenstellung nach nicht eine direkte Einflußmöglichkeit auf die Länder, nicht ein volles Weisungsrecht hat, denn leider ist auch das jetzt gegebene nur ein halbes Weisungsrecht. Wir sind uns im klaren darüber, daß die auch in diesem Jahr zur Umsiedlung vorgesehenen 300 000 Flüchtlinge nicht umgesiedelt werden können, weil die Aufnahmeländer erklären: Jawohl, wir sind zur Aufnahme bereit, aber nur dann, wenn uns die entsprechenden Wohnungsbauten finanziert werden. Wir wissen, daß ausreichende Mittel für diesen Zweck nicht zur Verfügung stehen. Daher wird dieses Weisungsrecht des Ministers wahrscheinlich auch nicht zur vollen Auswirkung kommen können.
Einen ganz besonderen Fortschritt bedeutet die Errichtung der Flüchtlingsbank. Damit ist endlich die Kreditierung von Flüchtlingsbetrieben in die Hand einer Zentralstelle gelegt worden. Allein schon die Tatsache, daß nun eine Zentralstelle in der Lage ist, die Vergebung dieser Kredite zu prüfen, ist ein gewaltiger Fortschritt. Auch hier gab es bei den Ländern manche Schwierigkeiten, weil die für diesen Zweck bewilligten Mittel nicht immer in die dafür bestimmten Kanäle geflossen sind. Aber auch heute sind wir leider noch in einer schwierigen Situation insofern, als die Mittel, die der Flüchtlingsbank zufließen, zu gering sind; die Entwicklung hat hier eher rückläufige als ansteigende Tendenz. Hoffen wir, daß es gelingen wird, auch hier entsprechend schnell voranzukommen!
Wir begrüßen es insbesondere, daß in diesem Haushalt die Mittel für Informationsmaterial wesentlich erhöht worden sind. Wir haben schon im vorigen Jahr den wohl einzig dastehenden Fall erlebt, daß die dafür vorgesehenen Mittel im Haushaltsausschuß von 1000 auf 50 000 DM erhöht worden sind, und in diesem Jahre ist der Ansatz sogar auf 500 000 DM gesteigert worden.
Ich komme zur Frage der Internationalisierung des Flüchtlingsproblems. In meinen Augen ist einer der schönsten Erfolge dieses Ministeriums darin zu sehen, daß es durch intensive Aufklärung aller möglichen ausländischen Staaten gelungen ist, dieses Problem allmählich zu einem internationalen Problem zu machen. Wir wissen, daß es noch vor 11/2 und 2 Jahren Amerikaner gegeben hat, die gesagt haben: Das deutsche Flüchtlingsproblem ist ein rein innerdeutsches Problem, Deutschland muß damit allein fertig werden! Das ist längst überwunden. Der Walter-Bericht war der erste wesentliche Schritt auf diesem Wege. Es war von besonderer Bedeutung, daß eine Kommission des amerikanischen Kongresses durch die eigene Staatsdruckerei die Weltöffentlichkeit über diesen Fragenkomplex aufgeklärt hat. Einen weiteren Fortschritt sehen wir in dem Bericht der Sonne-Kommission; wir
werden sicherlich Gelegenheit haben, uns über diesen Bericht einmal eingehend zu unterhalten.
Inzwischen ist auch bei der UNO ein Flüchtlingskommissariat für die europäische Flüchtlingsfrage eingerichtet worden. Auch hier bildet die deutsche Flüchtlingsfrage einen Bestandteil der gesamteuropäischen Flüchtlingsfrage. Wir haben es weiter erlebt, daß in Straßburg ein Sonderausschuß für Flüchtlingsfragen eingerichtet wurde, der allmählich zu einer Behörde ausgebaut werden soll. Auch auf diesem Sektor ist also ein gewaltiger Fortschritt erzielt worden. Wir sind dem Ministerium wirklich dankbar, weil es ihm mit dem ihm gebotenen entsprechenden Informationsmaterial und durch geschickte Verhandlungsführung an verschiedenen Stellen gelungen ist, diesen Fortschritt zu erzielen.
Zum Tit. 32, kulturelle Fragen und andere, geben wir ebenfalls unsere volle Zustimmung.
Nun zur Aufgabenstellung. Im kommenden Jahre ist wohl das Kernproblem der Lastenausgleich. Wir können nicht genug betonen, daß hier ein gerechter Ausgleich kommen soll. Auf diesem Gebiet hat das Ministerium die Möglichkeit, von sich aus viel zu tun. Allerdings wollen wir den Betroffenen sagen: Jetzt besonders zu drängen, wäre fehl am Platze. Ich glaube, wir können es von diesem Hause aus in Anspruch nehmen, zu sagen, daß alle wesentlichen großen sozialpolitischen Gesetze in ganz anderer Fassung verabschiedet wurden, als sie von der Regierung vorgelegt wurden, und zwar mit Änderungen immer zugunsten der jeweils betroffenen. Es wäre falsch, wenn man hier zu sehr beschleunigen wollte und dann bei der Behandlung dieser Frage nicht genügend Zeit hätte, sich mit dem Problem wirklich ernsthaft zu befassen. Ich bin der Überzeugung, daß hier ein, zwei Monate keine Rolle spielen sollten, weil eine so kurze Verzögerung sich wahrscheinlich zugunsten derer auswirken wird, die davon betroffen sind.
Das Vertriebenengesetz - das ist bereits erwähnt worden - ist außerordentlich wichtig. Es muß möglichst schnell kommen; denn es ist Tatsache, daß in den einzelnen Ländern die Bestimmung des Art. 116 des Grundgesetzes, nach dem alle Heimatvertriebenen den Einheimischen gleichgestellt sind, in der Praxis nicht so durchgeführt wird. Ich habe eine ganze Reihe von Landsleuten, die z. B. in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen als Volksdeutsche aus dem Südosten nicht als Heimatvertriebene und damit nicht als im Sinne des Art. 116 gleichgestellt anerkannt werden. Hier wird es sehr gut tun, wenn das Vertriebenengesetz kommt. Insbesondere wird dabei die Frage schwierig sein, den Begriff Ostzonenflüchtling zu klären und diese Gruppe von Flüchtlingen entsprechend einzubauen.
Eine besondere Aufgabe des Bundesministeriums würde ich darin sehen, dafür zu sorgen, daß die Misere unter den Arbeitslosen, nämlich das zahlenmäßige Mißverhältnis der heimatvertriebenen zu den anderen Arbeitslosen, in irgendeiner Form beseitigt wird. Es wird sehr schwierig sein, aber man muß sich mit diesem Problem sehr eingehend befassen, und das Ministerium soll eben an den verschiedenen Türen klopfen, damit hier eine Besserung eintritt.
Ganz besonders aber glaube ich, daß im nächsten Jahre die Frage, die unser Freund Schütz angeschnitten hat, nämlich die Frage der ländlichen Siedlung, der landwirtschaftlichen Siedlung auch mehr als bisher behandelt werden muß. Wir müs({3})
sen zugeben, daß auch unser Bundestag sich erst in den letzten Wochen nach dem Antrage Frühwald entschlossen hat, sich überhaupt mit diesem Problem zu befassen. Im letzten Jahre hat noch niemand daran gedacht, im Etat des Landwirtschaftsministeriums für diesen Zweck irgendwelche Mittel zu bewilligen. In diesem vergangenen Jahre waren es nur fünf Millionen DM. Das ist auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Nach dem Entschließungsantrag der SPD - wir wollen hoffen, daß er durchgeht - sollen wenigstens im nächsten Jahre 60 Millionen für diesen Zweck bewilligt werden.
Es wird hier im Hause und auch überall immer wieder gesagt: Landarbeiterfrage, Landarbeitermangel. Ich behaupte: Überall, wohin ich komme, herrscht doch eine merkwürdige Situation. Von Woche zu Woche erleben wir, daß ausländische Kommissionen hier in das Bundesgebiet kommen und sich hier Landarbeiter und landwirtschaftliche Kolonisatoren suchen und sie tatsächlich mit hinausnehmen. Ich behaupte, daß die Bundesrepublik heute das Land in der Welt ist, das über das größte Reservoir erstklassiger landwirtschaftlicher Arbeiter und Facharbeiter verfügt, daß es uns aber nicht gelingt, diese Menschen tatsächlich in den Arbeitsprozeß einzuschalten. Das liegt an der gesamten Wirtschaftspolitik; denn man kann von einem Flüchtling, von dem Landarbeiter und von dem Bauern nicht verlangen, daß er vielleicht für 10 bis 12 DM in der Woche für sich und seine Familie zu einem Bauern arbeiten geht, weil er davon nicht einmal die Kleider kaufen kann, die er zerreißt. Die Landarbeiter sind da. Trachten wir danach, daß eine andere Politik kommt, und wir werden genügend erstklassige Arbeiter haben und werden es vor allen Dingen verhindern, daß uns das Ausland unsere besten Kräfte abzieht, was zur Zeit tatsächlich geschieht.
Mit der Landarbeiterfrage hängt auch ganz eng der Wohnungsbau zusammen. Wir müssen uns wirklich Gedanken darüber machen, im Zusammenhang mit der landwirtschaftlichen Siedlung auch diesen Fragenkomplex von der Flüchtlingsseite her aufzugreifen, und wir müssen versuchen, daß Landarbeiterwohnungen gebaut werden, genau so wie wir den Bergarbeiterwohnungsbau bevorzugt betreiben, damit die Landarbeiter hier zu einem Eigenheim kommen und schollenverbunden werden. Dann werden sie auch auf die Dauer zur Verfügung stehen.
Dabei möchte ich ausdrücklich betonen, daß es uns Heimatvertriebenen auch nicht gleichgültig ist, auf welchem Wege die Mittel für diese Zwecke eingesetzt werden. Wir werden in der nächsten Woche wahrscheinlich Debatten im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen über diese Frage zwischen verschiedenen Banken haben. Auch hier muß es, wenn schon Bundesanstalten da sind, die diese Aufgabe seit Jahrzehnten zentral gelöst haben und nach ihrer Zusammensetzung eine entsprechende Möglichkeit der Bundeskontrolle bieten, Grundsatz sein, daß wir möglichst diesen Weg und nicht einen anderen gehen, auf dem ganz andere Kreise ihre Interessen vertreten sehen und darüber entscheiden wollen, aber nicht unter entsprechender Einschaltung und Kontrolle auch der Heimatvertriebenen selbst.
Wenn ich mir nun noch in gewisser Hinsicht eine kleine Kritik am Ministerium erlauben darf, denn an der Personalpolitik. Wir hatten seinerzeit nach der Schaffung des Bundes unter uns im Heimatvertriebenen-Ausschuß einen Schlüssel ermittelt und hatten uns damals geeinigt, daß wir das Verhältnis der Ostvertriebenen zu den Sudetendeutschen und zu den ehemaligen Minderheiten entsprechend festlegen und uns an diese Schlüsselzahl halten wollen. Das wurde festgelegt, und wir hätten doch zumindest erwartet, daß unser eigenes Ministerium, das Flüchtlingsministerium, sich im wesentlichen an diese Schlüsselzahl hielte. Das ist nicht geschehen. Ich denke da an meine eigene Gruppe aus dem Südosten. Von all diesen Leuten haben wir heute nur zwei im Bundesministerium. Auch die Gruppe der anderen Auslandsdeutschen, die Reichsdeutschen, wurde bisher vernachlässigt. Wir haben hier im Bundesgebiet etwa 300 000 ehemalige Reichsdeutsche, die in allen möglichen Ländern der Welt, in Kolonien, z. B. den holländischen usw. gelebt haben. Sie bilden ein wertvolles Element, haben dort draußen sehr viel deutsches Vermögen verloren, über dessen Rechtsstellung zu verhandeln sich sicherlich lohnen würde. Auch diese Gruppe ist also nicht entsprechend zum Zuge gekommen.
Im übrigen geben wir unsere Zustimmung zu dem Etat und wünschen nur von Herzen, daß das Ministerium auch weiterhin und vielleicht mit noch mehr Druck sich dafür einsetzt, daß die Probleme schneller gelöst werden. Wenn es von uns abhinge, dann würden wir dafür Sorge tragen, daß die Kompetenz dieses Ministers eine stärkere und kräftigere wird, damit er sich insbesondere den Ländern gegenüber auch durchsetzen kann.
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Das Wort hat der Abgeordnete Wittmann. - Um unter Umständen die Anmarschwege zu kürzen, darf ich schon jetzt mitteilen: als nächster Herr Abgeordneter Willenberg.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Zwei Vorbemerkungen! In dem Bericht vom 20. September vorigen Jahres, den die Bundesregierung uns übermittelt hat, wurden Worte des Dankes ausgesprochen, so wie sie auch heute hier erwähnt wurden - Dank an alle für alles Gute, das gerade den Heimatvertriebenen erwiesen wurde. Diesem Danke schließe ich mich in größter Aufrichtigkeit und Herzlichkeit an, aus Selbstverständlichkeit und um nicht nachher - wie es unlängst geschah - gefragt zu werden, ob ich denn gar nichts anerkenne von dem, was an Hilfe geleistet wurde. Ich anerkenne es voll und ganz. Wir müssen aber das Problem in seiner Gesamtheit sehen: nicht nur, was geleistet und geschaffen wurde, was an Not verringert wurde, sondern auch, was an Not und Elend noch vorhanden ist, und vor allem, welche Gefahrenquellen aus der noch vorhandenen Not erstehen, nicht nur für unser Volk, sondern auch für die gesamte politische Entwicklung wie für die noch freien Völker.
Eine zweite Vorbemerkung. Es wurden hier im Hause auch heute, wie öfter schon und wie auch in der Presse, bestimmte Zahlen genannt: 12 Millionen Heimatvertriebene. Ich darf mir erlauben darauf hinzuweisen, daß ich selber aus amtlichen Sendungen des englischen und amerikanischen Rundfunks 1945 und 1946 - z. B. englischen Sendungen im Frühjahr 1946 - gehört habe: „24 Millionen Heimatvertriebene sind auf der Wanderung, werden wie das Tier nach dem Westen gejagt". Dann hat sich die Zahl in den Meldungen immer verringert: auf 20 Millionen, auf 18 Millionen. Viele sind in die Ewigkeit hinübergegangen; aber daß
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lie Zahlen geringer angesetzt wurden, war wohl auch daraus erklärlich, daß den Herrschaften, die dieses Problem verursacht haben, wahrscheinlich selbst gegraut hat vor dem, was sie angestellt haben; und so mußten die Zahlen niedriger gehalten werden. Amtliche Darlegungen sowohl der amerikanischen Bischöfe, die sich als erste zu diesem Problem amtlich geäußert haben, wie auch von weltlicher Seite - ich erinnere an Gustav Stolper, den Begleiter des Expräsidenten Hoover auf seiner Deutschlandreise - nennen 18 und 20 Millionen Heimatvertriebene.
Sehr verehrte Damen und Herren! Angesichts der Größe und des Umfanges der Aufgaben dieses Ministeriums erscheinen die finanziellen Mittel und Möglichkeiten wie ein sehr, sehr kleiner, ein ganz kleiner Tropfen auf einen sehr, sehr heißen Stein. Wahrhaftig, ein Bundesministerium mit einem spezifischen Titel ohne spezifische Mittel. Zuständig für die Gesamtfrage ist ja nicht nur der Bundesminister für die Heimatvertriebenen; zuständig ist wohl die gesamte Regierung, zuständig sind auch die Länderregierungen! Auch aus den heutigen Ausführungen haben wir gemerkt, daß da etwas nicht ganz in Ordnung ist. Die Gliederung des Ministeriums ist - da gibt es gar keine Einwendung! - völlig unorganisch, mit Kompetenzüberschneidungen und was sonst allem. Ich könnte da auf verschiedene Dinge hinweisen. Es wurde in einer Drucksache behauptet: „Aus der Zusammensetzung dieses Ministeriums erhellt der spezifische Wirkungskreis des Ministeriums." Nein, aus dem spezifischen Wirkungskreis, aus der Tatsache sollte die Zusammensetzung des Ministeriums erfolgen. Das wäre die organische Zusammensetzung. Zuständig für dieses Problem sind nicht nur die Bundesregierung und die Länderregierungen, zuständig, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist auch in einer gewissen Hinsicht die gesamte bis heute noch freie Welt. so sie die Freiheit wahrhaftig und wirklich liebt und auch erhalten will.
Dieses Problem ist, wie heute schon erwähnt wurde, nicht nur ein deutsches, sondern auch ein internationales Problem. Ich will versuchen, auszugsweise und andeutungsweise dieses Problem von dieser Seite her ein wenig zu beleuchten. Daß in den letzten Monaten das Ausland immer mehr das Problem erkennt und sich uns diesbezüglich zur Verfügung stellt, sei lobend anerkannt. Die Stellen aber, die zuständig sind, die dieses Problem verursacht haben, haben sich bis heute noch nicht geäußert. Und es ist sehr gefährlich, zu sagen: „Das Ausland hat jetzt die Sachlage erkannt und wird vielleicht mehr helfen". Hoffnungen zu wecken, für die man noch keine Beweise hat, daß sie sich erfüllen, ist sehr gefährlich. Wir hoffen, daß die erst seit kurzem teilweise vorhandene Erkenntnis durch Taten geistiger und vor allem materieller Werke der Hilfe wirksam wird, und zwar rechtzeitig und ausreichend.
Ich darf kurz auf die Eingabe des Länderrats hinweisen: das schwerwiegendste Problem, dem sich Deutschland in seiner ganzen Geschichte gegenübergestellt sieht. Kein Land der Welt, selbst keiner der mächtigsten und reichsten Siegerstaaten, wäre imstande, die vielfältigen Probleme der Aufnahme und Eingliederung dieser Millionen verarmter Menschen in seinem Territorium allein zu lösen. Der englische Außenminister Ernest Bevin charakterisierte die Auswirkungen der Potsdamer Beschlüsse nach der „Times" vom 5. November 1945 wie folgt:
Wahrhaftiger Gott, das ist die Höhe des menschlichen Wahnsinns. Es war ein fürchterliches Schauspiel!
Man muß die Zahlen in Parallele zu andern Ländern stellen, um das Ausmaß des Problems des, wie es von amerikanischer Seite auch genannt wird. Verbrechens von Potsdam zu erkennen. Die skandinavischen Länder, Dänemark, Schweden und Norwegen, haben zusammen eine Bevölkerungszahl von etwa 15 Millionen. Frankreich zählt 41, Italien 45 Millionen, die Schweiz hat nur 4,5 Millionen. Die „Potsdamer" haben also die Austreibung einer Bevölkerung im Ausmaß der Hälfte Frankreichs oder Italiens oder der Gesamtbevölkerung von Dänemark, Schweden, Norwegen und der Schweiz beschlossen!
Ein anderer Vergleich sagt uns das noch deutlicher. Die Austreibung von 18 Millionen bedeutet dasselbe, als wäre die gesamte Bevölkerung von 22 amerikanischen Staaten deportiert worden: Arizona, Colorado, Connecticut, Delaware, Idaho, Iowa, Maine, Montana, Nevada, New Hampshire, New Mexico, Nord-Dakota, Oregon, Rhode Island, Süd-Dakota, Utah, Vermount, Washington, West-Virginia und Wyoming oder etwa die Bevölkerung der Staaten New York und Kalifornien. Auch der Gedanke, daß man beispielsweise die gesamte Bevölkerung von Kanada - 12,8 Millionen Menschen- vertreiben und auf die Staaten Massachusetts, Connecticut, Rhode-Island, New Jersey und New York verteilen könnte, war dem Ausland unvorstellbar, genau so unvorstellbar wie etwa die Aussiedlung der Gesamtbevölkerung New Yorks mit 8 Millionen Menschen nach Kalifornien unter Zurücklassung der gesamten Habe.
Aus diesen Ausführungen geht klar hervor, daß die Bundesregierung und das Bundesvertriebenenministerium das auferlegte Maximum an Aufgaben und Pflichten mit dem Minimum an finanziellen Mitteln nur teilweise lösen kann. Notwendig und möglich aber hinsichtlich der Behandlung dieses Problems in der Gesamtschau erscheint mir folgendes: Notwendig ist unbedingt eine fachliche spezifische Planung, eine klare Zielsetzung als Nahziel und als Fernziel. Notwendig ist eine zweckdienliche Methodik und vor allem eine mutige und sachliche Beharrlichkeit. Nicht nur die finanziell-materielle, sondern auch die geistig-seelische und moralische Seite dieses Problems muß hier in Rechnung gestellt werden. Gerade der Herr Bundesminister für Vertriebene - auch der Herr Finanzminister ist angesprochen - sollte Hirn und Motor, Herz und Seele, Stütze, Angelpunkt und Stachel für das Ministerium und für die gesamte Bundesregierung sein!
Hilfsmittel ersten Ranges: Am notwendigsten erscheint mir weiter ein amtliches und offizielles Sprachorgan des Bundesministeriums als Mitteilungs- und Informationsblatt für die Heimatvertriebenen, für Volk und Welt, daß man sich eher durchsetzen kann, die Weckung des Interesses, des Verständnisses und des Willens zu den Werken der Mithilfe und damit zu ausreichenden Hilfeleistungen und zur rechtzeitigen Lösung, damit es nicht bald und plötzlich für alle noch freien Völker zu spät ist.
Das britische Verbrechen der Austreibung der Akadier z. B. im Jahre 1755 erfüllte die Welt mit Entsetzen, und gegen die seither begangenen Völkerverbrechen schrie die ganze Welt auf. Dieselbe Welt aber schwieg und zeigt teilweise heute noch kein Verständnis für das - an 18 Millionen deutscher Menschen und Christen begangene Verbrechen der Beraubung, Vergewaltigung, Schän({1})
dung und Vertreibung. Zu diesem Verbrechen der Heimatvertreibung gesellt sich auch das Verbrechen des Schweigekomplottes und der Versuch der Mundtotmachung der Heimatvertriebenen, das Verbot des Koalitionsrechts, Verbot der Zeitungen bis zum Herbst 1948. Der „Lichtblick" wurde verboten, weil er Schilderungen brachte, was an Grausamkeiten geschehen ist.
Es ist unfaßbar und ein lächerlich kleiner Betrag, der bezüglich der Presse im Haushalt eingesetzt wurde und zur Verfügung steht. Die Mittel, wie es dort heißt, für die Presse sind z. B. für Aufklärungsschriften über das Problem der Heimatvertriebenen bestimmt, die im Inland und Ausland verbreitet werden sollen. Das ist unfaßbar und unerträglich. Da muß sofort und radikal geholfen werden. Das muß anders gemacht werden. - Herr Minister, Sie werden von vielen als väterlicher Freund in Aufrichtigkeit und Herzlichkeit betrachtet. Sie sollen und müssen aber noch viel mehr für alle fachlicher und sachlicher Berater, amtlicher und furchtloser Sprecher sein, offizieller und mutiger Anwalt sämtlicher Heimatvertriebener in Volk und Welt. Folgen Sie doch den Spuren vorbildlicher Männer und Frauen in Volk und Welt! Ahmen Sie deren Beispiel nach und treten Sie für das Natur-, Menschen- und Völkerrecht ein, das jetzt geschändet und zertreten ist.
Ich weise nur ,kurz und andeutungsweise darauf
hin: Pius XII. war es, der als erster sagte:
Der Mensch hat ein Recht auf seine Heimat, und es ist ein Unrecht, ihn daraus zu vertreiben.
Und weiter sagte er an einer anderen Stelle: Was da geschehen ist, ist eine Tyrannei, daß anständige Menschen zur Schachfigur der Politik, zu einer Nummer der wirtschaftlichen Berechnung werden
usw. Oder die amerikanischen Bischöfe schrieben bereits im Jahre 1946:
In Europa ist etwas geschehen, was die Geschichte noch nicht kannte: eine Unmenschlichkeit der Vertreibung.
Sie weisen darauf hin, daß dieses Problem allein mit deutschen Mitteln nicht gelöst werden kann, sondern das Ausland muß mithelfen. Die endgültige Lösung ist aber nur möglich durch Rückgabe der Heimat.
Bischof Münch nennt die Austreibung eine kalte und berechnende Rachepolitik. Die bayerischen Bischöfe schreiben in Anlehnung an Darlegungen des gesamtdeutschen Episkopates:
Wenn das gottgewollte und heilige und unverletzliche Recht auf unsere jetzige Lage angewendet wird, dann kann kein Zweifel sein, daß den aus ihrer Heimat verstoßenen Menschen wenigstens soviel Heimat zurückgegeben werden muß, wie das Naturrecht verlangt.
Und ein Satz aus einem Brief von einem Mitglied
des amerikanischen Repräsentantenhauses, Mister
Armstrong, an General Lucius Clay lautet:
Ich sehe kein Mittel, diesen Menschen zu helfen. Ich werde aber darauf dringen, daß der Kongreß eine Sonderuntersuchung durchführt: erstens um die persönliche amerikanische Schuld an der Teilnahme an solchen ungeheuren Vergehen festzustellen, und zweitens, um Mittel und Wege zu finden, um diese unglücklichen Menschen zurückzuführen.
Hiermit will ich dieses Kapitel schließen.
Bitte, Herr Abgeordneter, nicht nur dieses Kapitel, sondern auch Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme sofort zum Schluß. Ich fasse zusammen: Herr Bundesminister, hinsichtlich dieser Notwendigkeit der Presse wäre es auch ungeheuer wichtig, im Ausland aufzuklären und dahin zu wirken, daß das Ausland jene, die Wegbereiter des Bolschewismus waren - seien sie nun dahingegangen wie Benesch oder Masaryk oder seien es jetzt noch wirkende wie Zenkl oder Ripka und andere-, nicht unterstützt oder auf den Schild erhebt. Herr Bundesminister, helfen Sie uns, den Kampf führen gegen die Lügenpropaganda dieser vormaligen Handlanger des Bolschewismus, die nachher dessen Opfer wurden, gegen jene, die damals wie heute der Welt einreden wollen, Ausschreitungen seien nicht vorgekommen, die Ausweisungen seien ein „Akt höchster Gerechtigkeit".
Es ist Pflicht aller noch Freien, der Wahrheit und Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen und mitzuhelfen, daß die falsche und verwerfliche Idee, als ob es zweierlei Recht und Moral gäbe, unwirksam gemacht werde. Recht, Gerechtigkeit und Moral sind unteilbar; es darf keine internationale und persönliche Moral in Anwendung kommen, eine für die Mächtigen und eine für die Schwachen. Die internationale Moral darf von der persönlichen nicht getrennt werden.
Wenn ich richtig gehört habe, wurde vom Kollegen Schütz erwähnt: „Wir sind ja nicht so arm, wie wir aussehen". Um des Auslandes willen muß darauf hingewiesen werden: einige, die sich wieder eine Existenzgrundlage, vielleicht gleichwertig der in ihrer Heimat, geschaffen haben, mögen wohl nicht so arm sein. Die anderen haben ihre Fähigkeiten als theoretischen Besitz. In der Gesamtheit aber sind die Heimatvertriebenen und auch viele der Geschädigten aus den Reihen der Stammbevölkerung viel ärmer, als sie ausschauen. Wir sind viel ärmer, als wir ausschauen, weil wir keine Arbeit haben, weil wir unsere Fähigkeiten nicht in den Dienst des Volkes und der Welt stellen können. Wir sind ärmer, als wir ausschauen, weil wir keine Heimat haben.
Zum anderen: Es ist selbstverständlich, daß alle gerade in unserem Volke mithelfen müssen, aber es ist sehr gefährlich, wie es heute hier zum zweiten Male geschehen ist - ich habe das erstemal bereits dagegen Stellung genommen -, nur aus der Gesamthaftung des deutschen Volkes für den verlorenen Hitlerkrieg - und nur so haben wir die Legitimation dem Ausland gegenüber - Hilfe zu erwarten. Gesamthaftung, jawohl! Alle müssen mithelfen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, es muß uns doch klar sein - und ein Teil der Welt hat es erkannt -: waren denn die Sieger verpflichtet, die Verbrechen, die Hitler begangen hat, mit neuen Verbrechen zu strafen und zu ahnden?
({0})
Dieses Verbrechen gegen das Naturrecht, gegen das Völkerrecht, gegen jedes Menschenrecht ist aus den Herzen und Hirnen dieser drei Großen hervorgegangen, wobei an erster oder letzter Stelle etwas gefehlt hat, nämlich die Moral, die nicht nur für die Einzelperson, sondern für alle Völker gilt.
({1})
- Der letzte Satz, Herr Präsident.
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Die Voraussetzung zur Schaffung eines gerechten Friedens, zur Erhaltung des Friedens, zur Lösung des Problems der Heimatvertriebenen - nicht nur 18 Millionen, sondern 60 Millionen im ganzen - ist die Wiederherstellung des zertretenen Rechts für Volk und Welt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Willenberg. - Als nächster folgt dann der Abgeordnete Seelos.
Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, über die Problematik der Vertriebenenfrage zu sprechen. Das ist in der Vergangenheit und auch am heutigen Tage genügend geschehen.
Aber wir haben heute wieder das Problem der Umsiedlung auf der Tagesordnung. Wir haben vor nicht allzu langer Zeit in diesem Hohen Hause über die Umsiedlung von 300 000 Heimatvertriebenen gesprochen. Diesen Menschen sollte ein fester Wohnplatz gegeben werden, und die Abgabeländer waren in der Angabe der Zahl der abzugebenden Heimatvertriebenen sehr großzügig. Wenn ich mich recht erinnere, war Bayern sogar bereit, 750 000 Heimatvertriebene abzugeben.
Damals berichtete uns der Berichterstatter des Ausschusses für Heimatvertriebene, der Kollege Pfender, daß zur Umsiedlung dieser Heimatvertriebenen 600 Millionen DM notwendig seien. Nun ist uns bekannt, daß von diesen Mitteln nur 155 Millionen DM zur Verfügung stehen; das ist ungefähr ein Viertel. Wir haben damit zu rechnen, daß wir nur einem Viertel der Umsiedler wirklich einen neuen Wohnplatz geben können. Die Folge ) dieser Entwicklung ist, daß wir den vielen Hunderttausenden von Menschen damals noch Hoffnungen gemacht haben und daß, wenn nicht alles trügt, diese Leute wieder eine neue Enttäuschung erleben. Das zu tun, davor sollte sich doch auch die Bundesregierung hüten. Ich darf hier den Herrn Bundesminister Lukaschek fragen, was das Ministerium oder was die Regierung zu tun gedenkt, daß die fehlende Summe möglichst schnell hereinkommt und mit der Arbeit angefangen werden kann, damit die Leute eine Wohnstätte bekommen und nicht eine neue Enttäuschung erleben. Die Heimatvertriebenen haben das wiederholt betont, und ich betone es heute nochmals: sie erwarten keine weiteren Versprechungen, sondern nur noch Taten, die ihnen helfen können.
Zum Etat selbst erkläre ich für meine politischen Freunde, daß wir ihm zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Seelos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte ursprünglich nicht die Absicht, zu dem Etat Stellung zu nehmen. Aber ich fühle mich dazu verpflichtet, nachdem von manchem meiner Vorredner der Dank der Flüchtlinge für das ausgesprochen worden ist, was alles die einheimische, die alteingesessene Bevölkerung getan hat. Denn es hat mich wirklich gefreut, daß man hier nicht bloß gesagt hat: wir haben einen selbstverständlichen Anspruch, sondern daß man die moralische Verpflichtung, die psychologische Notwendigkeit, aus der heraus wir gehandelt haben, anerkannt hat. Ich glaube, daß man auf diesem Wege sehr viel mehr erreichen kann, als wenn man uns immer sagt: die einheimische Bevölkerung tut nicht genug. Wir alle wissen: ohne internationale Hilfe können wir für die Beseitigung des grausamen Elends, das diese Millionen erlitten haben, nie genug tun. Aber wir wollen in dem Rahmen, in dem wir es können, alles uns nur Mögliche tun.
Ich meinerseits möchte an die Flüchtlinge den Dank für manches kostbare Gut aussprechen, das sie hereingebracht haben an Industrien, an neuen Industrien, auch an einer gewissen Blutauffrischung, die so manchem abgelegenen Gebiet gar nicht geschadet hat.
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Wogegen wir uns doch immer gewandt haben und wogegen unser Kampf ging, das war diese Überbelastung, diese Unausgeglichenheit in der Belegung mit Flüchtlingen, weil es z. B. für Bayern allein einfach unmöglich ist, 2,2 Millionen Flüchtlinge wirtschaftlich, in jeder Hinsicht zu verdauen. Nun aber marschieren wir mit den Flüchtlingen ziemlich Arm in Arm, die jetzt auch verstehen, daß der gerechte Flüchtlingsausgleich in Wahrheit die Lösung des Flüchtlingsproblems ist.
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Auch wir von der Bayernpartei haben uns hier wiederholt gegen einen falschen Länderegoismus gewandt, der diesen gesunden Ausgleich gerade auch im Interesse der Lebensfähigkeit aller Länder verhindert. Hier allzuviel Bedingungen zu stellen und gerade von den reichsten Ländern, etwa dahin, daß man vorher den Wohnungsbau voll finanziere, ist einfach zuviel verlangt und ist nur eine leere, nichtige Ausflucht.
Wir möchten unsererseits aber noch die Bitte an die Flüchtlinge richten, doch auch unsere Argumente zu verstehen, die wir für die im wesentlichen einheimischen Geschädigtengruppen des Krieges vorbringen, für die Bombengeschädigten und die Besatzungsgeschädigten, die zwar nicht die Wucht, den Nachdruck, die Intensität der Flüchtlingsorganisationen haben, die aber jetzt auch mit steigendem Nachdruck verlangen, daß sie zum mindesten nicht schlechter behandelt werden als die Flüchtlinge, wie es auf manchen Gebieten, insbesondere z. B. bei der Kreditgebung, tatsächlich geschieht. Das würde nur einen Riß bringen. Das würde diese Gefühle hochbringen, die wir alle nicht wollen, weil wir dieses Problem doch nur gemeinsam gut lösen können.
Ich möchte dann zu der internationalen Frage noch folgendes sagen. Wenn dem Ministerium der Dank ausgesprochen worden ist, wieviel es getan hat, um dieses Problem auf die internationale Ebene zu heben, so muß ich demgegenüber betonen: Es ist in dieser Hinsicht viel zu spät etwas geschehen, und es ist viel zu wenig geschehen. Als wir im April und Mai vorigen Jahres in Amerika waren - Herr Trischler und andere waren dabei -, da konnten wir noch feststellen. daß da drüben zwar das Problem der 250 000 DPs überall bekannt war, daß wir aber selbst bei Abgeordneten, bei den gewichtigsten Leuten, ein Unwissen, ein völliges Nichtwissen in bezug auf die Tatsache fanden, daß 8 Millionen Flüchtlinge in Deutschland sind,
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daß sie erschüttert waren, wenn man ihnen die Schwere des Problems der 8 Millionen Flüchtlinge in der Westrepublik darlegte. Ich glaube also, daß wir hier noch viel mehr tun können, und wir begrüßen es, daß die Entwicklung, die auch durch die verdienstvolle Arbeit von einigen Abgeordneten in
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Straßburg so gefördert worden ist, weitergeht und daß nun endlich das Problem auf die Ebene kommt, auf der allein es gelöst werden kann.
Ich möchte allerdings noch eine Randbemerkung anschließen. Gerade wir, die wir die Heimat so sehr lieben, haben vollstes Verständnis, wenn die Flüchtlinge für ihre Heimatkultur und ihre landsmannschaftlichen Gebräuche etwas tun wollen. Man soll nur nicht so weit gehen und nun gleich eine Kulturabteilung im Flüchtlingsministerium errichten und schließlich eine ganze Flüchtlingskultur ausbauen. Das würde die Einheit und den Einbau, den wir doch gerade wollen, wieder verhindern und zerschlagen.
({4})
Man muß also auch dies mit Maß und Ziel betreiben.
Im übrigen kann ich erklären, daß wir dem Etat in dieser Form zustimmen werden, wenn ich mir auch die Bemerkung erlauben möchte, daß es ein Witz ist, wenn die Partei, die für die Flüchtlinge eintritt, der BHE, sich der Stimme enthält und wir dem Etat zustimmen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Etzel.
({0})
- Herr Abgeordneter Dr. Etzel, bitte!
({1})
- Die Bayernpartei hat noch 5 Minuten Redezeit.
({2})
- Sie reden immer zwischendurch, Herr Abgeordneter Renner. Sie haben das besser!
({3})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hat sich gezeigt, daß die nach Art. 74 Ziffer 6 und Art. 119 des Grundgesetzes bislang getroffenen bundesgesetzlichen Maßnahmen zur gleichmäßigeren Verteilung der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge auf die Bundesländer nicht den erwarteten und zu erwartenden Erfolg haben. Gerade die wirtschaftlich stärksten und am wenigsten belegten Länder weigern sich, zum Gelingen des aus allgemeinen Gründen wie im Interesse der Heimatvertriebenen selbst notwendigen Ausgleichs beizutragen, oder wollen nur die beruflich und altersmäßig leistungsfähigen Gruppen übernehmen. So haben zu dem neuerlichen Gesetz, das der Bundestag am 8. März beschlossen hat, im Bundesrat die Länder Nordrhein-Westfalen, Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern mit Nein votiert. Diesen hartnäckigen Weigerungen unzugänglicher Bundesländer, sich an der Tragung der Lasten des gesamtdeutschen Schicksals gleichmäßig zu beteiligen, muß mit wirksameren Mitteln begegnet werden.
({0})
Der vorliegende Antrag, in dessen Fassung ich die Bezeichnung „Umsiedlungs-Ausgleichskasse" durch die Bezeichnung „Bundesumsiedlungs-Ausgleichskasse" zu ersetzen bitte, zielt auf ein solches Mittel ab. Seine Annahme würde zugleich für die Länder ,denen ein unausgeglichener Rest von beruflich, altersmäßig und physisch meist leistungsschwachen Heimatvertriebenen und Flüchtlingen verbleibt, eine Hilfe für die ihnen zugemutete Voraus- und Sonderbelastung, soweit sie nicht nach Art. 120 vom Bund übernommen wird oder ist, bedeuten. Die Fraktion der Bayernpartei schlägt vor, den Antrag auf Drucksache Nr. 2112 dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen - federführend - und dem Ausschuß für Heimatvertriebene sowie dem Haushaltsausschuß - mitbeteiligt - überweisen zu wollen.
Das Wort hat der Abgegeordneter Müller ({0}).
Meine Damen und Herren! Die grundsätzlich scharf ablehnende Stellungnahme der kommunistischen Fraktion gegenüber dieser Regierung
({0})
schließt naturgemäß ebenso unsere ablehnende
Stellungnahme gegenüber diesem Ministerium ein,
({1})
und zwar um so mehr, als einmal die Schaffung dieses Ministeriums schon nach außen hin eine Absonderung und Abkapselung der Umsiedler
({2})
gegenüber der übrigen Bevölkerung zum Ausdruck bringt und damit verhindert, daß die tatsächliche - nicht nur allein rechtliche - Eingliederung, die an und für sich unsre Aufgabe sein sollte, erreicht wird. Zum zweiten wird unsere Stellungnahme aber auch von der Frage bestimmt, inwieweit diese Regierung und dieses Ministerium überhaupt gewillt sind, die Umsiedlerfrage zu lösen.
({3})
Ich glaube, die Tatsache, daß heute diese Beschwerden vorgetragen worden sind und auch gestern hier vorgebracht wurden, ist ein Beweis dafür daß diese Regierung gar nicht die Absicht dazu hat. Die dritte Tatsache, die unsere ablehnende Stellungnahme begründet - wir haben das ja von vornherein schon zum Ausdruck gebracht ist die, daß dieses Ministerium zu einem wesentlichen Teil zu einem Propagandaministerium geworden ist. Ich beweise das gleich an einigen Zahlen. Es ist natürlich, daß die Methoden der Politik dieses Ministeriums auf einer Linie liegen, die das Umsiedlerproblem, im Bereich der Bundesrepublik,
({4})
das Problem einer tatsächlichen Eingliederung nicht der Lösung entgegenführen können.
Ich möchte auf einige wenige Tatsachen hinweisen. Es ist davon gesprochen worden, daß im Rahmen der Umsiedlung die Schaffung von Wohnungen notwendig würde. Es werden über eine Million Wohnungen benötigt. Aber was haben dieses Ministerium und die hinter dieser Regierung stehenden Parteien - und dazu gehören auch die Abgeordneten, die sich als die Vertreter der Umsiedler bezeichnen ({5})
({6})
getan, um das Wohnungsproblem einer endgültigen Lösung entgegenzuführen? Ich verstehe absolut, daß Herr Schütz im Zusammenhang mit seiner politischen Vergangenheit und vielleicht auch auf Grund von Orientierungen, die er drüben in England bekommen hat,
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besonders prononciert ist.
Eine andere Frage! Der Anteil der Umsiedler an der Bevölkerung in Westdeutschland beträgt 16 %, Herr Minister,
({8})
der Anteil der arbeitslosen Umsiedler an der Gesamtzahl dagegen beträgt 39 %.
({9})
Was ist also von dieser Regierung und von diesen Parteien geschehen, damit die Frage des Arbeitsplatzes für die Umsiedler gelöst wird?
({10})
Gestern, meine verehrten Anwesenden, sind Vertreter der Regierungsparteien bei der Behandlung des Etats des Ernährungsministeriums, ich möchte vielleicht sagen: sogar mit einer gewissen Dreistigkeit
({11})
so aufgetreten, als ob diese Parteien gegenüber der Regierung in Opposition ständen. Da wurde von der Flucht vom Lande gesprochen, von der Belastung der Landbevölkerung usw. Tatsache ist aber, daß im Rahmen der Politik dieser Regierung in Sonderheit wiederum in erster Linie die Umsiedler auf dem Lande betroffen werden.
({12})
400 000 - die Zahl wurde heute schon einmal genannt - Umsiedler-Bauern- und Landarbeiterfamilien warten auf Grund und Boden. Was ist seitens der Regierung geschehen, um darauf zu drücken, daß eine Agrarreform durchgeführt wird? Warum hat man z. B. im Lande Niedersachsen, wo die Möglichkeit besteht, 500 000 Hektar Boden urbar zu machen und damit für 50 000 Neubauern Stellen für Umsiedler und Landarbeiter zu schaffen, dies nicht seitens des Ministeriums oder mit seiner Unterstützung in Angriff genommen und dafür die Mittel bereitgestellt, die z. B. für die Autobahn und für sonstige Zwecke der Besatzungsmächte verwendet werden?
({13})
-- Ich verstehe schon Ihre Erregung! - Das sind nur wenige Tatsachen, die beweisen, dáß die Umsiedler von dieser Regierung die Lösung ihres Problems absolut nicht erwarten können.
({14})
Der Sonne-Plan! Da wird ein Blitz-Plan entwickelt, da wird ein langfristiger Plan entwickelt, da werden devote Verbeugungen vor der Hohen Kommission gemacht.
({15})
- Ich komme noch darauf!
({16})
Die Pläne zur Lösung dieses Problems, wie sie auch im Sonne-Plan angeschnitten worden ist, sind schöne Versprechungen! Die Taten, die folgen müßten, müßten so aussehen, daß von der Regierung mit Unterstützung dieser Parteien ein grundlegender Wandel in der gesamten Wirtschafts- und Finanzpolitik durchgeführt wird.
({17})
Von dieser Regierung können die Umsiedler das nicht erwarten.
({18})
Ich sprach vorhin davon, daß das Ministerium in seiner Entwicklung zu einem großen Teil zum Propagandaministerium geworden ist. In den Tit. 32 und 33 werden insgesamt 750 000 DM ausgewiesen. Im 22. Ausschuß ist ein Unterausschuß eingesetzt worden, der überprüfen soll, wie diese Mittel verwendet werden.
({19}) Herr Minister, die Mittel werden so verwendet - das wurde heute zum Teil schon kritisiert -, daß nur einige Organisationen davon bedacht werden. Zum Teil werden diese Mittel wahrscheinlich aber auch an Stellen gegeben wie die „Sudetendeutsche Zeitung", die auf ihrer ersten Seite keine andere Parole kennt als: „Die einzige Lösung ist die Heimkehr".
({20})
Ich möchte, sofern es mir meine Zeit gestattet,
({21}) eine Stelle des heute schon einmal zitierten Walterplanes, der dem amerikanischen Repräsentantenhaus vorgelegt worden ist, anführen. Ich glaube, daß damit die Grundlage auch für den Sonne-Plan und für einige, na sagen wir einmal taktische Wendungen sichtbar wird. Die Kommission legte bekanntlich am 24. März 1950 dem amerikanischen Kongreß die Resultate ihrer Untersuchungen vor. In diesem Plan heißt es auf Seite 94:
Die Rückkehr der deutschen Ausgewiesenen und Flüchtlinge in ihre früheren Anwesen liegt im Bereich der Illusion. Das amerikanische Volk, das für den Frieden betet und arbeitet, weist strikt alle Vorschläge, auch wenn sie mehr geflüstert als ausgesprochen werden, zurück, die Lösungen vorsehen, die ohne Gewaltanwendung nicht erreicht werden können. Ebenso erscheint die Rückkehr der deutschen Ausgesiedelten und Flüchtlinge in ihre früheren Wohnorte in Osteuropa auch nach einer Ablösung
- wie dieser Plan meint des Sowjetregimes, das sich jetzt in den früher unabhängigen Staaten gebildet hat, höchst unwahrscheinlich.
Das ist eine andere, Europa des öfteren unterstellte Idee.
Auch ein Wechsel des Regimes
- so meinen die Verfasser -würde kaum die Haltung der europäischen Völker gegenüber den Deutschen ändern, die früher in ihrer Mitte lebten. Die ängstigenden Erinnerungen an die Haltung einiger von ihnen während der Naziherrschaft und in manchen Fällen schon vor dieser tragischen Periode würde kein Anreiz sein, die Rückkehrenden friedlich aufzunehmen.
({22})
Dieser Kommissionsbericht ist dem Kongreß vorgelegt worden. Dazu kommen noch einige andere Tatsachen. Zweifellos dient die Propaganda, die durch die Mittel dieses Ministeriums finanziert wird, dazu, die Umsiedler
({23})
von ihrem Kampf um Arbeit und Brot abzuhalten.
Aber es ist da noch eine andere Frage - im Unterausschuß wird man da noch einiges zu klären haben -, nämlich die Frage, ob in den Organisationen die Mittel für andere Zwecke verwendet werden und auch keine Persönlichkeiten an der Spitze der Organisationen stehen, die vielleicht nicht die absolute Gewähr dafür bieten, nur den Aufgaben der Organisation zu dienen. Ich möchte an einen Antrag der sozialdemokratischen Fraktion erinnern,
({24})
der in Iserlohn im Zusammenhang mit den Hauskäufen des Abgeordneten Kather im Jahre 1943 behandelt worden ist.
({25})
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
({0})
Ich glaube, Herr Abgeordneter Kather wird wahrscheinlich Gelegenheit nehmen, sich zu dieser von der sozialdemokratischen Fraktion aufgeworfenen Frage zu äußern.
Wir haben zu dem vorgelegten Etat einen Antrag eingebracht.
({0})
Die ganze Auseinandersetzung in der Frage der Umsiedler wird insonderheit in Richtung des Kampfes gegen den Osten geführt. Die Frage der Auslandsdeutschen aber, die aus westlichen Ländern ausgewiesen worden sind, wird vorsichtiger- und zweckmäßigerweise weder vom Ministerium noch von den Parteien behandelt.
({1})
- Es sind einige Organisationen vorhanden, z. B. der Interessenverband Übersee, der Interessenverband der vertriebenen Luxemburg-Deutschen und der Interessenverband der vertriebenen HollandDeutschen.
({2})
Wir haben wiederholt den Vorschlag gemacht, daß auch diese Organisationen bei der Verteilung der Mittel berücksichtigt werden. Außerdem soll für sie im Ministerium eine besondere Referentenstelle zur Verfügung gestellt werden. Es ist nicht uninteressant, daß diese Organisationen, die sich an alle Fraktionen gewandt haben - keine Fraktion hat ihre Anträge und Wünsche aufgenommen nun verdächtigt werden, kommunistisch zu sein. Vertreter des Außenministeriums haben sogar einen Herrn dieser Organisation vorgeladen, um ihn zu fragen, was er eigentlich mit den Kommunisten zu tun habe. Wir haben die Wünsche dieser Organisation aufgenommen und unseren Antrag hierzu eingebracht.
({3})
Abschließend möchte ich feststellen: Die Umsiedler werden von dieser Regierung unmöglich die Lösung ihrer Fragen erwarten können. Es kommt darauf an, daß sie geschlossen und gemeinsam mit den übrigen den Kampf führen gegen die Bonner Regierung, um die Lösung ihrer Frage in einem einheitlichen Deutschland, so wie sie in der Deutschen Demokratischen Republik erfolgt ist, zu erreichen.
({4})
Herr Abgeordneter Müller, wir behandeln hier den Etat nicht eines Ministeriums für Angelegenheiten der Umsiedler, sondern für Angelegenheiten der Vertriebenen.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Farke. ({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte dem Herrn Müller nur sagen, daß es sich bei uns, bei diesen Millionen von Menschen, die durch Ihre asiatischen Freunde und durch Ihre Genossen hinausgetrieben worden sind,
({0})
niemals um Umsiedler handelt, sondern um Vertriebene, denen Sie Heimat, Haus und Hof und alles genommen haben!
({1}) Sie haben niemals das Recht, sich hinzustellen und überhaupt ein Wort darüber zu sagen.
({2})
Die Bedeutung des Vertriebenenministeriums für die Millionen unglücklicher Menschen, die ihre Heimat verloren haben, ist, glaube ich, von dem ganzen Hause anerkannt. Meine Freunde und ich haben im Lande Niedersachsen und auch im Bund ein Flüchtlingsministerium verlangt. Innerhalb der Bundesregierung hat es natürlich seine ganz besondere Bedeutung. Seine Arbeiten sind angelaufen, und es kann natürlich noch nicht alles, was wir von ihm erhoffen, erfüllt sein. Aber wir sehen doch hoffnungsvolle Anfänge, mit denen wir zufrieden sind. Wir verbinden damit die Erwartung, daß sich die Arbeiten steigern werden, um der Not allmählich Herr zu werden.
Im Vordergrund steht - vor allen Dingen vom Standpunkt der Flüchtlingsländer aus, in denen sich die Masse der Unglücklichen konzentriert - das Verteilungsproblem. Es mußte in Angriff genommen werden; es ist durch Verordnungen und Gesetz geschehen. Wir wissen allerdings, daß diese Maßnahmen nicht genügen. Ich stelle aber mit Genugtuung fest, daß das Flüchtlingsministerium bei der Schaffung anderer Gesetze eine große Initiative entwickelt hat, die Verteilung durch andere Mittel und Maßnahmen zu unterstützen, so bei dem Gesetz für die 131er. Man hat uns in unserer Auffassung unterstützt, daß diejenigen, die sich sträuben, die nicht gewillt sind, ihre Pflichten zu erfüllen, finanziell unter Druck gesetzt werden müssen; da werden sie empfindlich. Ich möchte wünschen, daß man auch beim Lastenausgleich einen Druck in dieser Hinsicht ausübt. Nur dadurch. daß wir eine einigermaßen gleichmäßige Verteilung der unglücklichen Menschen durchführen, werden wir der Not des einzelnen bei({3})
kommen. Dann werden sich auch andere Maßnahmen, vor allem Kreditmaßnahmen, segensreicher auswirken. In den Flüchtlingsländern haben wir ja die Erfahrung machen müssen, daß manches umsonst gewesen ist, weil es einfach nicht möglich war, rentable Betriebe zu entwickeln und seßhaft zu machen.
Aus dem Flüchtlingsland Niedersachsen habe ich nun noch eine besondere Bitte an das Flüchtlingsministerium zu richten. Das Emslandprojekt wird schon seit Jahren von uns erörtert und seine Durchführung verlangt. Die niedersächsische Regierung hat bisher nicht das Entscheidende zu seiner Förderung getan; ich muß sogar feststellen, daß sie sehr viel zur Verzögerung beigetragen hat. Wie wäre es sonst möglich, daß, nachdem das Projekt schon seit sechzehn Monaten in Angriff genommen ist, die Emsland-G. m. b. H. erst jetzt im März 1951 gegründet werden konnte und daß der Aufsichtsrat, dem Herr Dr. Schreiber angehören wird, wahrscheinlich erst im Mai konstituiert wird! Von der Bundesregierung sind im vorigen Jahre 40 Millionen DM gefordert und dann etwa 19 Millionen DM garantiert worden. Ich möchte den Herrn Flüchtlingsminister bitten, alles daran zu setzen, daß diese Mittel flüssig werden. Ich möchte auch darum bitten, daß sich die Bundesregierung in dieser Emsland-G. m. b. H. durchsetzt und alle Verzögerungstaktik der Landesregierung in Niedersachsen vereitelt; denn derjenige, der das Geld gibt, muß sich auch durchsetzen können. Dann wird es möglich sein, vor allen den unglücklichen Bauern, die von Haus und Hof vertrieben worden sind, zu helfen. Für diese unglücklichen Flüchtlinge können in wenigen Jahren Hunderttausende von Hektar urbar gemacht werden. Hier ist die Möglichkeit geboten, ihnen wieder Haus und Hof zu geben.
Wir erkennen die bisher geleistete Arbeit an, deren Vielschichtigkeit uns heute vor Augen geführt worden ist, und hoffen, daß sie im kommenden Jahr verstärkt fortgesetzt wird.
Es ist selbstverständlich, daß wir dem Etat zustimmen und mit vollem Herzen die Arbeit des Vertriebenenministeriums unterstützen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Goetzendorff.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Es ist mir ein Bedürfnis, vorweg dem Herrn Abgeordneten Dr. Seelos eine Aufklärung zu geben, der hier die Besorgnis ausgesprochen hat, die Vertriebenen wollten mit den Geldern für Kulturzwecke einen Staat im Staate bilden. Ich möchte dem Herrn Dr. Seelos sagen, daß gerade die Pflege des heimatlichen Brauchtums nicht nur bei den Erwachsenen, sondern gerade bei den Kindern der Vertriebenen sehr wichtig ist, damit sie den Willen zur Rückkehr haben, wenn diese Stunde eines Tages kommen mag. Ich glaube, damit ist auch einem „Herzenswunsch" der Bayernpartei entsprochen; denn was nutzt es, wenn eines Tages die Möglichkeit zur Rückkehr kommt, die jungen Heimatvertriebenen aber nicht mehr die starke Anhänglichkeit und Liebe zu ihrer Heimat haben!
Meine Damen und Herren, mich wundert die maßvolle Zurückhaltung, mit der heute alle Wünsche und Anregungen an den Herrn Bundesminister herangetragen worden sind. Ich denke,
er läßt sich davon nicht verleiten, zu glauben, er habe allen berechtigten Wünschen der Heimatvertriebenen draußen im Lande entsprochen.
Nach der maßvollen Rede des Abgeordneten Reitzner bleibt wenig zu sagen. Ich glaube, daß trotz dieses zurückhaltenden Tones der Herr Bundesvertriebenenminister sich einige Dinge zu eigen machen wird, die Herr Reitzner gefordert hat. Es ist gesagt worden, welch großen Personenkreis der Vertriebenenminister betreut, und wir haben im gleichen Atemzuge gehört, daß nicht einmal die Begriffsbestimmung dieses Personenkreises feststeht, weil das hierzu erforderliche Bundesvertriebenengesetz noch immer nicht erlassen worden ist. Ich habe mir erlaubt, vor eineinviertel Jahren die Anfrage an die Regierung zu richten, wann sie dieses Gesetz dem Hohen Hause vorzulegen gedenkt. Damals ließ Dr. Lukaschek das Hohe Haus wissen, man könnte etwa im April 1950 damit rechnen. Herr Bundesvertriebenenminister, Sie haben ein Jahr länger gebraucht, und Sie werden noch ein halbes Jahr brauchen, um uns dieses Gesetz vorzulegen.
Der Herr Abgeordnete Schütz hat vorhin ein schönes Wort in seinen Allegorien, in seiner bilderreichen Sprache gesprochen: Sie mögen an verschiedene Türen klopfen. Ich möchte hinzufügen: Klopfen Sie, klopfen Sie aber auch ein wenig auf die Finger Ihrer Referenten, damit sie sich beeilen. Ich möchte die Warnung des Abgeordneten Reitzner besonders unterstreichen, ein wachsames Auge auf die Verwendung der Gelder für kulturelle Zwecke zu haben. Die kulturellen Zwecke sind für die Vertriebenen von großer Wichtigkeit. Wenn es nicht gelingt, in den vertriebenen Menschen den Gedanken an die Heimat, in den jungen, aufwachsenden Menschen ein Vertrautsein mit dem heimatlichen Brauchtum zu erwecken und zu erhalten, dann sehen wir schwarz in die Zukunft bei einer Neubesiedlung des deutschen Ostens, die vielleicht unter härteren Bedingungen vor sich gehen wird, als einstmals die Ausweisung vor sich ging. Jeder Pfennig, der dieser großen Aufgabe entzogen wird, ist ein Verbrechen an den Heimatvertriebenen. Es stimmt uns sehr bedenklich, daß aus dem Fonds für kulturelle Aufgaben ein lächerlich geringer Betrag, ein Bettel geradezu für eine Institution ausgegeben worden ist, wie sie der AdalbertStifter-Verein darstellt, eine Institution, die Großes und vieles für die kulturellen Belange der Vertriebenen leistet. Es stimmt uns sehr besorgt, daß man den ZvD mit einer Summe bedacht hat, die zu denken gibt. Herr Bundesvertriebenenminister, prüfen Sie einmal, ob dieses Geld auch wirklich kulturellen Bedürfnissen zukommt, ob es nicht nur verwendet wird, um sich eine persönliche Hausund Streitmacht zu schaffen. Überlegen Sie in dem gleichen Zusammenhang einmal, daß Sie nur Ihre Aufsichtspflicht beweisen, wenn Sie die Kreditgebung der Vertriebenenbank untersuchen, von der man behauptet, man habe zur Stützung der Zeitung „Ost-West-Kurier" 50 000 DM freigemacht, und das nur auf Anraten gewisser Persönlichkeiten.
Herr Bundesvertriebenenminister, ich glaube, Sie sollten allen diesen Dingen, die ja in Ihrem Amtsbereich liegen, auf den Grund gehen. Es ist schon so, wie vorhin Herr Abgeordneter Reitzner andeutete, daß Sie sich mit einem Kreis von Menschen umgeben, denen der gute Wille, die Anständigkeit und die Zuverlässigkeit zwar nicht immer abgesprochen werden kann. Es wird aber oft nötig sein, zu untersuchen, welche Ziele diese Menschen im einzelnen verfolgen. Ich weiß nicht, ob der Herr
({0})
Abgeordnete Kather das Wort noch ergreifen wird. Ich sehe es aber als meine Pflicht an, hier für seine Ehre einzutreten, nachdem der kommunistische Abgeordnete Müller von seinen Häusern gesprochen hat. Ich glaube, das gehört nicht hierher. Die 15 Häuser, die der Abgeordnete Kather in Iserlohn, die zwei, die er in Ludwigsburg und die drei, die er in Kornwestheim haben soll, sind - so steht es wenigstens in der letzten Nummer der Zeitung „Die Stimme" - angeblich mit 150 % des Einheitswertes belastet.
({1})
Das Wort hat der Bundesminister für Vertriebene.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um das Problem der Heimatvertriebenen und damit die Aufgaben des Ministeriums für Vertriebene zu umreißen, brauche ich einige Stunden. Denn es ist ein Problem, das in alle Kreise des deutschen Volkes eingreift, seien es wirtschaftliche, seien es soziale Angelegenheiten. Ich bin dem Redner der Opposition, Herrn Reitzner, persönlich sehr dankbar, daß er die Dinge von der Problematik des Ministeriums aufgefaßt hat. Wenn Sie sich den Bericht des Ausschusses, in dem die Zahlen angegeben sind, ansehen, dann ersehen Sie daraus allein schon die ganze Problematik. In diesem Bericht ist nicht eine Zahl materieller Unterstützung zu finden. Es ist also nur ein Koordinierungs-Ministerium. Die materiellen Dinge, mit denen die Vertriebenen gefördert werden können, stecken alle in den Sachministerien,
({0})
und dorthin gehören sie auch. Aber das ist ja die Problematik des Ministeriums, die Herr Abgeordneter Schütz auch mit seinem schönen Bild vom Heiligen Sebastian so liebevoll geschildert hat. Ich bin Herrn Reitzner auch sehr dankbar, daß er mich einen Bettelmann genannt hat. Das bin ich, und ich bin stolz darauf, daß ich als Bettelmann auch persönlich das Schicksal mit allen meinen Heimatvertriebenen teilen kann.
({1})
- Jawohl! Ich kann Ihnen genau sagen, wieviel. Als mich die Russen aus dem Gefängnis befreiten, besaß ich eine Zahnbürste. Als ich aus Weimar wegging, bestand mein gesamter Umzug aus 23 Pappkartons. Machen Sie mir das bitte nach, was ich getan habe!
({2})
Heute vor sechs Jahren stand ich vor dem Volksgericht. Machen Sie mir meinen Weg nach, auch den Weg, den ich heute - mit Stolz als Bettelmann - gehe.
({3})
Aber wenn man Bettelmann ist, muß man auch den Mut haben, zu betteln.
({4})
- Arbeiten Sie soviel wie der armselige Minister? Aber darüber will ich mich mit Ihnen nicht unterhalten.
({5})
Das lohnt nicht! - Aber wenn man Bettelmann ist, dann muß man betteln und hat die Pflicht, als Bettelmann aufzutreten, nämlich mit dem Geist und der Aura des Armen, nicht mit dem Knüppel In der Hand.
({6})
Die Vielgestaltigkeit meines Ministeriums besteht ja darin, daß ich die ungeheure Not der Heimatvertriebenen in die Herzen derer hämmern muß, die helfen können. Glauben Sie mir, mir wäre es manchmal unendlich viel lieber, ich könnte als der Anwalt oder der Führer der Heimatvertriebenen auftreten, die Not schildern und an die Gewissen anklopfen, während ich einen anderen Weg gehen muß, um das Verständnis zu erlangen. Denn wenn man den ersten Weg geht, wird der Riß zwischen der westdeutschen Bevölkerung und den Heimatvertriebenen größer. Er ist groß genug, und er darf nicht größer werden.
({7})
- Verzeihen Sie, „Apostolat des Wortes"! Mein Ministerium ist in alle Dinge eingeschaltet, es ist der ewige Mahner und der ewige Arbeiter. Ich besitze nicht den Mut, mich zu loben, weil ich die unerhörte Not und das Minus sehe, das zu leisten noch vor uns steht.
Ich möchte aber folgendes sagen. Wir sind in den anderthalb Jahren doch außerordentlich viel weitergekommen. In den anderthalb Jahren haben wir - vielleicht auch etwas durch unsere Mühe - Schritt für Schritt im Ausland die Anerkennung gewonnen. Nicht ohne Grund spricht man heute bei der UNO, im Europarat und beim Internationalen Roten Kreuz von der Not der Vertriebenen und der sich hieraus ergebenden Verpflichtung. Ein Stückchen ist das doch unsere Arbeit. Ich muß mich vor meine Beamten und Angestellten stellen, die mit verbissener Wut arbeiten und die keine Dienststunden kennen. Ich weise das Wort zurück, daß die Zusammensetzung der Beamtenschaft nicht den Erfordernissen entspricht. In meinem Hause wird weder Parteipolitik noch irgendeine andere Politik getrieben, sondern nur die Politik, der Armut zu steuern. Wir alle stehen unter dem schweren Druck der nicht genügenden Leistung, ich an allererster Stelle.
Ich bin ja nicht bloß Anwalt der Vertriebenen und Vater der Vertriebenen, wie man mich manchmal freundlicherweise nennt. Ich bin ja auch Kabinettsminister und muß das Problem in seinem ganzen Zusammenhang sehen. Es ist hier von der Umsiedlung gesprochen worden. Bisher sind umgesiedelt: im Jahre 1949 39 000 Personen, im Jahre 1950 bis heute von den 300 000 etwas über 250 000 Personen; im Mai wird der Überhang von 50 000 Personen umgesiedelt sein. Das ist eine gewaltige Leistung. Das läßt sich natürlich von Tag zu Tag schwerer durchführen - das gilt insbesondere von dem neuen Gesetz betreffend die Umsiedlung von 300 000 Personen -, da immer mehr die Notwendigkeit der Schaffung von Wohnungen und Arbeitsplätzen gegeben ist. Ich möchte dieses Problem einmal kurz erörtern. Die Umsiedlung von 300 000 Leuten macht es notwendig, im ganzen 75 000 Wohnungen zu schaffen. Die Schaffung von 75 000 Wohnungen bedeutet eine Finanzierung in Höhe von 750 Millionen DM. Die ersten Hypotheken müssen beschafft werden. Wir werden es - vielleicht nicht bis zum 31. Dezember - im großen
({8})
und ganzen schaffen und die Mittel dafür aufbringen.
Es wurde von dem Sonne-Plan gesprochen. Nun, Herr Sonne ist nicht aus eigenem Streben angereist gekommen, sondern daran hat unser Ministerium schon etwas getan. Wir haben die sieben Monate sehr, sehr schwer gearbeitet. Ich kann über dieses Zusammentragen und über die Kritik, die in dem Sonne-Plan steht, sehr glücklich sein, wie ich überhaupt für Kritik dankbar bin. Denn ich fasse die Kritik als Motiv auf, mir Kraft zu geben.
({9})
- Nach dem schönen Bericht wird der Bericht erstmal sofort gedruckt,
({10})
so daß der Bericht der Kritik der ganzen Öffentlichkeit offensteht. In der Zusammenfassung des Berichts wird für sechs Jahre die Aufbringung von 121/2 Milliarden DM vorgeschlagen.
({11})
In dem Bericht steht, daß das Vertriebenenproblem innerhalb der sechs Jahre im wesentlichen zu lösen ist, wenn die Finanzierung gelingt.
({12})
Herr Sonne hat nicht gesagt - ich möchte das zur Berichtigung sagen -, daß wir die 1 Milliarde DM, die wir sofort aufbringen wollen - nämlich für den Wohnungsbau, für die Umsiedlung an den Stellen, wo der Wohnungsbau gleichzeitig produktive Arbeit schafft, also in den Zentren der Industrie hauptsächlich mit kleinen Gaben für den Siedlungswohnungsbau -, von den Besatzungskosten abziehen müßten. Er hat vielmehr folgendes gesagt, und dem trete ich absolut bei: Wenn die deutsche Bundesrepublik eine Milliarde aufbringt, so kann sie mit Recht darauf hinweisen, daß auf diese Leistung die Forderung der Besatzungskosten Rücksicht zu nehmen hat; denn die soziale Befriedung der Heimatvertriebenen ist einem Verteidigungsbeitrag mindestens gleichrangig.
({13})
- Wir werden sie bekommen, wie wir innerhalb des letzten Jahres für die Vertriebenen insgesamt in Bund, Ländern und Gemeinden 3,2 Milliarden aufgebracht haben. Das ist immerhin eine beachtliche Leistung.
({14})
Schließlich ist die Aufbringung für das Soforthilfegesetz in Höhe von 1,8 Milliarden auch eine recht, recht beachtliche Leistung, und wir können in dieser Beziehung auch nur dankbar sein.
Also wenn wir die Umsiedlung als ein Beispiel hierfür sehen, dann können wir schon sagen: es ist eine gigantische Aufgabe, und sie wird allein systematisch diese eine Milliarde, die als das erste Programm in Aussicht genommen ist, in Anspruch nehmen. Wir können die Hoffnung haben, daß uns dazu vom Ausland ein Prozentsatz als Gabe dazugegeben wird. Ich hoffe das. Aber es ist das alles ein unendlich mühseliger Weg, das zusammenzubringen. Denn heute eine Milliarde aufzubringen in einem Augenblick, wo wir von Kreditrestriktionen sprechen müssen, - die Schwierigkeit dieser Aufgabe können Sie verstehen
Kreditrestriktionen - auch ein Wort! Das alles trifft uns Arme am allermeisten; und es ist eine große Arbeit erforderlich, damit sich diese Kreditrestriktionen auf dem Sektor der Vertriebenen nicht auswirken. Und ich glaube, das erreichen wir.
Und so geht es fort. Das Vertriebenengesetz wird in den allernächsten Tagen dem Kabinett zugehen. Es ist nämlich fertig, Gott sei Dank! Lange genug hat es gedauert, aber deshalb, weil wirklich die Materie unsagbar schwer ist, allein schon die Schaffung eines einheitlichen Vertriebenenbegriffes. In diesem Vertriebenengesetz werden auch die übrigen Vertriebenen, also die Holland-Vertriebenen, die Saarland-Vertriebenen
({15})
und Gott weiß was mit einbegriffen, und damit wird auch für diese Leute eine Zuständigkeit begründet werden. Ich will auf das Kapitel HollandVertriebene und Ihre Liebe dazu, Herr Müller, nicht eingehen.
({16})
Dann bitte, gehen Sie einmal nach Holland und fragen Sie dort. Ich habe die Nase voll von diesen Fragen, muß ich sagen.
({17})
- Nein, es hat keinen Sinn! Wir sind nämlich überparteilich. Aber ich würde bitten, dann nicht den Mund aufzumachen. Denn es würde Ihnen gesagt werden, daß die, die Sie betreuen, eigentlich von Ihnen gerade nicht betreut werden sollten. Das nur dazu.
({18})
Ich habe auch um sie die Sorge.
({19})
- Herr Renner, mir können Sie jedes Verbrechen vorwerfen, nur nicht das, daß ich Nazi gewesen sei. Da können Sie nicht mit; wirklich nicht!
({20})
Eins, meine Damen und Herren: Es handelt sich um das riesigste Problem, um ein gesamtdeutsches Problem, um ein Problem, das die Beheimateten hier beinahe mehr angeht als die Heimatvertriebenen. Denn wenn die hier in der Heimat Sitzenden es nicht als ihr Problem erkennen und es zu lösen mit allen Kräften bestrebt sind, dann gehen sie in diesem Problem unter. Und deshalb ist es so wichtig. Es ist aber auch wichtig, in der richtigen Form darauf hinzuweisen. Das hat mein Ministerium versucht, und es schaltet sich da überall-ein. Aber ich darf auch bitten: Verstehen Sie immer das Anklopfen an die Türen der westlichen Heimat, wenn es mit Liebe und mit Takt geschieht!
({21})
Meine Damen und Herren! Damit ist die Rednerliste erschöpft.
({0})
- Sie werden es ja noch erfahren, Herr Abgeordneter Renner! Herr Abgeordneter Kather hat sich
zu einer persönlichen Bemerkung zum Wort ge({1})
meldet. Aber da ich die Geschäftsordnung wahre, gebe ich ihm das Wort dazu erst nach Schluß der Beratung.
({2})
- Herr Abgeordneter Schütz, zu einer persönlichen Bemerkung oder zur Sache?
({3})
- Also zu einer persönlichen Bemerkung. Dann
bitte ich Sie, diese ebenfalls nach Schluß der Beratung nach dem Abgeordneten Kather zu machen.
Zum Haushalt des Bundesministeriums für Vertriebene liegt vor der Antrag der Fraktion der KPD, den der Abgeordnete Müller begründet hat. Darf ich annehmen, daß Ihnen der Antrag .bekannt ist?
({4})
- Ich lese ihn vor.
({5})
Es hat jedes Mitglied des Hauses das Recht, Anträge zu stellen. Ich lese den Antrag vor:
Der Bundestag wolle beschließen:
1. Bei der Zuweisung von Mitteln an Organisationen - Kapitel 1 Titel 32 - sind der Interessenverband Übersee in Wunstorf,
der Interessenverband der vertriebenen Luxemburg-Deutschen, Trier, und
der Interessenverband der vertriebenen Holland-Deutschen, Düsseldorf,
anteilgemäß zu berücksichtigen,
2. Im Haushalt des Bundesministeriums für Vertriebene für das Rechnungsjahr 1950 ist ein besonderes Referat für die Auslandsreichsdeutschen, die aus dem westlichen Ausland ausgewiesen worden sind, einzurichten.
Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben.
({6}) - Herr Abgeordneter Meyer bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bezweifle die Beschlußfähigkeit des Hauses.
({0})
Ich setze die Abstimmung für 5 Minuten aus, um festzustellen, ob das Haus beschlußfähig ist. Es ist jetzt 8 Uhr 53. Wir werden um 8 Uhr 58 feststellen, ob das Haus beschlußfähig ist.
({0})
Meine Damen und Herren! Der Sitzungsvorstand bejaht einmütig die Beschlußfähigkeit des Hauses.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der KPD. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Haushaltsausschusses, Drucksache Nr. 1916. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Haushaltsausschusses zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe.
- Enthaltungen? - Der Haushalt ist bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Es ist beantragt worden, den Antrag der Fraktion der Bayernpartei, Drucksache Nr. 2112, zu überweisen erstens dem Finanz- und Steuerausschuß als federführendem Ausschuß, zweitens dem Ausschuß für Heimatvertriebene und drittens dem Haushaltsausschuß. Darf ich annehmen, daß diese Überweisung genehmigt ist? - Das ist der Fall.
({1})
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre freundliche Mitarbeit, damit wir von der heutigen Tagesordnung noch soviel wie möglich erledigen können.
Zu einer persönlichen Bemerkung Herr Abgeordneter Kather.
Meine Damen und Herren! Weder der Abgeordnete Müller noch der Abgeordnete Goetzendorff gehören zu den Persönlichkeiten, denen gegenüber ich mich zu irgendeiner Rechenschaftslegung verpflichtet fühle.
({0})
Aber mit Rücksicht auf die Publizität, die diese Äußerungen gehabt haben, und mit Rücksicht auf das Hohe Haus gestatten Sie mir, ein paar kurze Erklärungen abzugeben. Es handelt sich um eine reine Privatangelegenheit. Sie werden deshalb Verständnis dafür haben, wenn ich mit der in eigener Sache gebotenen Zurückhaltung und auch mit der gebotenen Kürze das Erforderliche sage.
Es ist richtig, daß ich im Jahre 1943 zusammen mit meinem Bruder Grundstückskäufe vorgenommen habe, mit einem Bruder, Herr Abgeordneter Müller, der im Alter von fast 60 Jahren von Ihren Gesinnungsfreunden verschleppt worden ist und im Jahre 1945 den elenden Tod der Verschleppten in einem Gutskeller erlitten hat. Das nur zur Kennzeichnung des Rechtes, das Sie haben, derartige Dinge anzuschneiden.
({1})
Es war ein gesetzlich erlaubter Vorgang. Wir waren reine Privatleute, und man kann sich wahrscheinlich auch nicht auf den Standpunkt stellen, daß es unter irgendeinem noch so strengen moralischen Aspekt zu beanstanden ist, wenn ein Ostpreuße im Jahre 1943 versucht hat, einen Teil seines Vermögens dem Zugriff Ihrer Gesinnungsfreunde, Herr Müller, zu entziehen.
({2})
Meine Damen und Herren, der Versuch ist leider so
ziemlich mißlungen. Der Größenaspekt kann nicht
von der Zahl der Grundstücke abgeleitet werden.
({3})
Ich habe zum Erwerb meines Anteils an diesen Iserlohner Grundstücken im ganzen 50 000 RM aufgewendet. Ich habe noch nicht einen Pfennig daraus bezogen und habe der Stadt Iserlohn den Eintritt in den Vertrag vom ersten Tage an angeboten. Wenn sie allerdings das Angebot annähme, würde ich einen gewissen Erfolg gehabt haben. Aber ich fühle mich nicht verpflichtet, weitere Erklärungen abzugeben.
Meine Damen und Herren, ich stehe seit sechs Jahren in der organisatorischen und in der politischen Arbeit - in der Hamburger Bürgerschaft, im Zonenbeirat, im Bundestag. Es ist beschämend, daß man, weil man nicht einen einzigen Vorgang aus meinem politischen Leben anzugreifen vermag,
({4})
deshalb auf eine völlige private Angelegenheit zurückgeht, die jahrelang vor dem Zusammenbruch liegt. Ich habe nie behauptet - abgesehen davon, daß ich es behaupten könnte -, daß ich nichts habe oder nichts besitze oder arm sei oder daß ich den Lastenausgleich für mich zu einem Problem mache. Man soll es anerkennen, daß ich, gerade wenn ich Besitz hätte,
({5})
eine so entschiedene Haltung in der Frage des Lastenausgleichs einnehme.
({6})
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Goetzendorff ist weiß Gott derjenige, der dazu berufen ist, hier zur Nachprüfung bei der Vertriebenen-Bank und beim ZvD aufzurufen!
({7})
Es übersteigt offenbar das Vorstellungsvermögen eines Herrn Goetzendorff, daß man Vorsitzender des Aufsichtsrates der Vertriebenen-Bank und Vorsitzender einer Organisation sein kann, die 135 000 DM bekommen hat, ohne sich persönlich die Hände daran zu wärmen.
({8}) Der Abgeordnete Goetzendorff
({9})
hat schon vor Wochen an die Vertriebenen-Bank ein Schreiben geschickt, in dem er unter anderem anfragte, wieviel Tantieme die Mitglieder des Aufsichtsrates beziehen und wieviel Weihnachtsgratifikationen wir bekommen haben. Er hat wahrheitsgemäß die Antwort bekommen, daß wir noch nicht einen Pfennig bezogen haben, und ich persönlich kann hier erklären, daß ich noch nicht eine Briefmarke liquidiert habe, bis auf den heutigen Tag.
,({10})
Was den ZvD anlangt, so will ich nur eines sagen. Wir haben jetzt in Würzburg die Hauptversammlung gehabt. Drei Leute haben unsere Kassenführung revidiert und haben es uns schriftlich gegeben, daß wir allzu sparsam gewirtschaftet haben. Ich sehe dieser Nachprüfung also wirklich in voller Ruhe entgegen.
Es ist aber beschämend, daß man sich von einem Herrn Goetzendorff hier vor aller Öffentlichkeit überhaupt derartige Dinge vorhalten lassen muß.
({11})
Meine Damen und Herren, die Vertriebenen werden sich nicht irremachen lassen. Ich habe hier gerade ein Schreiben unserer Kreisvereinigung Iserlohn. In dem Schreiben wird mir bestätigt, daß die Vertriebenen völlig hinter mir stehen, daß sie mich einladen und sagen: Sie sind nach wie vor der Mann unseres Vertrauens. Ich habe weiß Gott auch keine Veranlassung gegeben, an diesem Vertrauen zu zweifeln.
Noch eins: Der Herr Abgeordnete Goetzendorff hat auch die Frage angesprochen, ob etwa die Vertriebenen-Bank einen Kredit an eine Zeitung gegeben habe. Ich bin nicht in der Lage, dazu irgendwelche Erklärungen abzugeben, weil das ja unter das Bankgeheimnis fällt.
({12})
Es wäre aber nach meiner Auffassung eine schwere Unterlassungssünde, wenn die Vertriebenen-Bank dann, wenn es wirtschaftlich irgendwie vertretbar ist, einen solchen Kredit einer Zeitung nicht geben würde.
({13})
Das ist ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit. Ich möchte gleich bemerken, daß weder ich selbst noch der Zvi) die leiseste wirtschaftliche oder sonstige finanzielle Beziehung zu diesem Blatt haben, das sie da genannt haben. Auch da sind Sie wieder einmal hundertprozentig auf dem Holzwege.
({14})
Meine Damen und Herren, ich will nur noch eins sagen und möchte damit schließen: Es sind heute doch auch gegenüber dem Zentralverband Töne angeklungen, die ich nicht als richtig ansehe. Es ist auch davon gesprochen worden - eventuell, ohne daß wir recht genannt wurden -, daß wir Vor-bereiter einer politischen Partei seien. Ich weise das mit aller Entschiedenheit zurück. Ich bin ein leidenschaftlicher Verfechter der Überparteilichkeit dieses Verbandes und werde mich in keiner politischen Situation dazu hergeben, ihn in irgendeine Partei, welche es auch immer sei, zu überführen. Man soll folgendes nicht übersehen: Wenn wir diese große geschlossene überparteiliche Organisation früher gehabt hätten, wenn sie nicht durch die Besatzungsmächte verboten gewesen wäre, dann hätten wir vielleicht heute keinen SHE, dann hätten wir vielleicht die politische Absonderung nicht. Vergessen sie nicht, was wir auch an Stimmung bei den Vertriebenen auffangen. Es ist meine ehrliche Überzeugung: Wenn man den überparteilichen Verband zerschlägt, dann fördert man die politische Absonderung, und das dient nicht dem Wohle unseres Vaterlandes.
({15})
Zu einer weiteren persönlichen Erklärung der Abgeordnete Schütz!
({0})
- Danke!
Ich rufe auf Punkt 2 der gedruckten Tagesordnung vom Donnerstag:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuerrechts ({1}).
Ich bin darauf aufmerksam gemacht worden, daß der Herr Bundesfinanzminister durch eine Erkrankung verhindert ist, hier zu sein. Der Herr Staatssekretär ist offenbar im Augenblick nicht zu erreichen gewesen. Darf ich Sie fragen, ob wir, da es sich um eine erste Beratung handelt, die Möglichkeit haben, ohne die Herren zu verhandeln?
({2})
- Ich habe den Herrn Staatssekretär bitten lassen, zu kommen. Ich hoffe, daß das Erfolg hat. - Darf ich annehmen, daß die Regierung sich auf die schriftliche Begründung des Gesetzes, Drucksache Nr. 2130, bezieht?
({3})
Meine Damen und Herren, darf ich die Aussprache der ersten Beratung eröffnen. - Herr Dr. Dresbach wünscht das Wort dazu zu nehmen.
({4})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß dem sozialdemokratischen Kollegen dafür dankbar sein, daß er die Beschlußfähigkeit des Hohen Hauses angezweifelt hat. So komme ich wenigstens zu etwas Zuhörerschaft, wenigstens vorläufig.
({0})
({1})
Als ich mich gestern auf mein heutiges Sprüchlein vorbereitete, stieß ich auf einen Aufsatz aus der Mitte der 20er Jahre. Verfasser war der damalige Stadtkämmerer von Essen, Herr Seippel. Herr Seippel hielt es damals noch nicht für notwendig, daß das materielle Gewerbesteuerrecht reichsgesetzlich geregelt würde. Er glaubte an eine Einengung der Gemeinden. Damals hatten die preußischen Gemeinden ja noch das Recht, besondere Gewerbesteuerordnungen zu erlassen. Ich glaube, meine Damen und Herren, wir sind jetzt doch der Meinung, daß die Gesetzgebung vom 1. Dezember 1936, auch wenn sie in nazistischer Zeit herauskam, ein Fortschritt war; und ich habe auch mit Freuden festgestellt, daß in der Begründung zum heutigen Gesetzesentwurf die Notwendigkeit eines einheitlichen Rechtszustandes ebenfalls hervorgehoben wird.
Wir sollen also den Art. 105 Ziffer 2 Abs. 3 unter den Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 handhaben, d. h.: Der Bund übt die konkurrierende Gesetzgebung aus, wenn es die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit erfordert.
Die Gewerbesteuer ist ein so bedeutender Faktor in der Wirtschaft geworden, daß man sie nicht mehr unter die Steuern mit örtlicher Wirkungskraft rechnen kann, wenn sie auch traditionell eine Kommunalsteuer ist. Ich möchte annehmen, daß auch die Herren vom ausgesprochen föderalistischen Flügel diesen Dingen zustimmen werden.
Nun findet sich allerdings im geltenden und auch im vergangenen Recht keine zwingende Bestimmung, daß die Gewerbesteuer nur eine Gemeindesteuer sei. In Art. 106 des Grundgesetzes heißt es, daß die Realsteuern den Ländern und nach Maßgabe der Landesgesetzgebung auch den Gemeinden zufließen. Die Möglichkeit ist also immerhin gegeben, daß auch die Länder Teile des Aufkommens, beispielsweise der Gewerbesteuer, an sich ziehen. Wir haben allerdings gehört - ich glaube sogar aus dem Munde des Herrn Bundesfinanzministers -, daß die Lander nicht mit dieser Absicht umgehen, auch dann nicht, wenn ihnen durch den Bund Teile der Einkommen- und Körperschaftssteuer weggezogen werden.
Aber nun kommt die Rolle des Bundes. Da ist in Art. 105 des Grundgesetzes auch vorgesehen, daß der Bund die Realsteuern ganz oder zum Teil zur Deckung der Bundesausgaben in Anspruch nehmen kann. Wir haben schon einmal, und zwar im letzten Kriege, einen Gewerbesteuer-Plafond erlebt, wo das Reich das Mehraufkommen an Gewerbesteuer von einem bestimmten Zeitpunkt an sich zog. Und wir stehen ja beim Bund vor immer neuen wachsenden Ausgaben: da ist die Kriegsliquidation, da sind die Kriegsfolgelasten, da sind die Besatzungslasten, die man neuerdings ja gern zum Verteidigungsbeitrag umtauft. Die Gefahr, daß es zu einem Bundes-Plafond für die Gewerbesteuer kommen könnte, scheint mir nicht ganz von der Hand zu weisen zu sein.
Nun will der Entwurf - damit komme ich auf Einzelheiten zu sprechen, die aber doch programmatischer Art sein dürften - die bereits in der Kriegszeit eingeführte Übereinstimmung des Bemessungszeitraums mit dem Erhebungszeitraum herstellen, d. h. die Gegenwartsbesteuerung, wie es schlagwortartig heißt, durchführen. Wir werden uns im Ausschuß wohl über die technischen Einzelheiten noch unterhalten müssen. Neu ist der Gedanke einer Mindeststeuer. Noch interessanter daran ist, daß in der Begründung die
Äquivalenztheorie Miquels aus den neunziger Jahren auftaucht, nämlich daß die Gewerbesteuer einen Ausgleich für die Lasten darstellen soll, die die Betriebe haben; das sind Polizeilasten, Schullasten, Wohlfahrtslasten, Wegebaulasten usw. Hier wird also der Grundsatz von Leistung und Gegenleistung gehandhabt. Das bedeutet ein gewisses Abgehen vom Wesen der Besteuerungshoheit und eine Annäherung an das Wesen der Gebühr. Selbstverständlich heißt der Grundsatz von Leistung und Gegenleistung hier nicht, daß in jedem Falle ganz genau abgewogen würde. Aus dieser Äquivalenztheorie d. h. dem Grundsatz von Leistung und Gegenleistung, also einem Abgehen vom Besteuerungshoheitscharakter, entspringt auch das Recht zu Steuervereinbarungen. Wir haben es seit dem § 5 des Einführungsgesetzes vom 1. Dezember 1936 wieder kodifiziert. Das ist schon fast ein Vorgang, der sich dem privatrechtlichen Vertrage nähert. Solche Gewerbesteuerverträge sind ein bekanntes Mittel, um Industrien anzulocken, d. h. also industrielle Standorte zu bestimmen. Vom Standpunkt des Landes, der Landgemeinden - ich glaube, Herr Kollege Mellies, ich spreche jetzt auch in Ihrem Namen - und auch der Landkreise haben wir an diesen Steuervereinbarungen kein großes Interesse, denn wir machen das Wettrennen mit den Großstädten doch nicht mit; die werden uns immer voran sein.
Noch eine Feststellung zu dem Kernstück der Gewerbesteuer, der Gewerbeertragssteuer. Sie ist in den letzten Jahrzehnten immer mehr vom Charakter einer Objektsteuer abgerückt und hat einen personalsteuerartigen Charakter angenommen. Sie ist jetzt in der Fassung, wie sie der Änderungsentwurf vorsieht, noch nicht eine vollständige zusätzliche Einkommensteuer auf das fundierte Einkommen. Aber bei der Betrachtung der Gewerbesteuer und insbesondere der Gewerbeertragssteuer sollte man doch beachten, daß es sich eigentlich um eine Einkommensteuerkumulation handelt. Das sollten vor allen Dingen die inländischen und die ausländischen Kritiker an unserer Einkommensteuer und an unseren Einkommensteuertarifen in Betracht ziehen..
Für die Gemeinden als Steuerberechtigte ist im Augenblick nicht so sehr das materielle Steuerrecht maßgeblich; problematisch ist hier vor allen Dingen der Standort im Finanzausgleich. Ich habe bereits auf die Gefahren hingewiesen, daß ein Bundes-Plafond kommen könnte. Nun aber, meine Damen und Herren: wenn wir auch alle möglichen Zwangsläufigkeiten für die Ausgabengestaltung des Bundes anerkennen müssen, so sollten wir es uns hier doch angelegen sein lassen, die Ausgaben des Bundes nicht unnötig zu vermehren, um nicht den Herrn Bundesfinanzminister in die Gefahr zu bringen, daß er diesen Bundes-Plafond bei der Gewerbesteuer einbauen muß. Diese Forderung darf ich auch an die sozialdemokratische Opposition richten, die sich ja, wie der Verlauf der Debatte über das 131er Gesetz gezeigt hat, so sehr der Interessen der Gemeinden angenommen hat.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Tenhagen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der zur Beratung anstehenden Vorlage unternimmt die Bundesregierung den Ver({0})
such, eine grundsätzliche Neufassung des Gewerbesteuerrechts vom 1.12.1936 durchzuführen. Der Herr Kollege Dr. Dresbach hat eben schon darauf hingewiesen, daß der Bund nach den Bestimmungen über die konkurrierende Gesetzgebung zweifellos das Recht hat, diese Neufassung vorzunehmen, die insbesondere notwendig geworden ist, um die Unsicherheit und die Unübersichtlichkeit der jetzigen Fassung, zu der ja verschiedene Verordnungen hinzugekommen sind - es sind insgesamt drei -, nunmehr durch ein einheitliches Gesetz wieder abzulösen. Es ist auch notwendig, um die Einheitlichkeit in den einzelnen Ländern wiederherzustellen, weil auch hier in der Zeit nach 1945 verschiedenartige Modifikationen dieses Gesetzes vorgenommen wurden. Insoweit begrüßen wir die Vorlage und sind selbstverständlich bereit, im Ausschuß an dem Gesetz weiter mitzuarbeiten.
Es sind dazu einige grundsätzliche Bemerkungen nach der Seite hin zu machen, die teilweise auch schon vom Kollegen Dresbach angesprochen wurde. Es handelt sich um die Fragen, die in den Begriffen Gegenwartsbesteuerung oder Vergangenheitsbesteuerung, wie das früher einmal war, zusammengefaßt werden können. Die Frage, ob so oder so, wird heute noch sehr heftig diskutiert. Auch in den kommunalen Spitzenverbänden herrscht darüber keineswegs eine einheitliche Auffassung. Ich glaube, daß es notwendig sein wird, im Ausschuß den ehrlichen Versuch zu machen, zu einer Lösung zu kommen, mit der alle Partner einverstanden sein können: einmal die Gemeinden als diejenigen, die zweifellos an diesem Gesetz sehr stark interessiert sind, weil die Gewerbesteuer nicht eine ihrer geringsten Finanzquellen darstellt, zum andern auch die Verwaltung, die naturgemäß daran interessiert ist, zu einer möglichst einfachen Handhabung zu kommen; dasselbe gilt für die Wirtschaft als dem Dritten in diesem Bunde. Ich könnte mir vorstellen, daß man vielleicht zu einer Lösung kommt, die, wenn man schon die Gegenwartsbesteuerung beibehalten will, zumindest beinhaltet, daß man zu einem gleichmäßigen Erhebungszeitraum mit dem Rechnungsjahr kommt. Ich glaube, daß man darüber einmal im Ausschuß reden sollte, weil hier meiner Ansicht nach noch einige Möglichkeiten der Vereinfachung gegeben sind.
Es ist bei der Kürze der Zeit, die mir zur Verfügung steht, wegen der vorgeschrittenen Zeit und in Anbetracht des Pensums, das noch vor uns liegt, nicht angebracht, in sämtliche Einzelheiten dieser Vorlage einzusteigen. Dazu ist sie auch viel zu weitschweifig, als daß das mit Erfolg heute noch gemacht werden könnte. Ich habe insbesondere auf eines hinzuweisen und darf in diesem Zusammenhang grundsätzliche Bedenken unserer Fraktion dagegen anmelden, daß die Regierung in ihrer jetzigen Vorlage die Absicht erkennen läßt, die im Jahre 1943 verordnete Einbeziehung der Lehrlingsvergütungen und der Löhne der Schwerbeschädigten und der über 60 Jahre alten Arbeiter in die Berechnung der Lohnsumme für die Lohnsummensteuer beizubehalten. Sie tut das in ihrer Begründung mit der sehr lakonischen Feststellung:
Diese Beträge durften nach § 12 der Gewerbesteuervereinfachungsverordnung schon vom 1. April 1943 ab nicht mehr von der Lohnsumme abgezogen werden.
Das ist die ganze Begründung für einen Tatbestand,
der unter den veränderten Verhältnissen, wie ich
mit Recht glaube sagen zu können, heute auch anders angesehen werden muß als zu der Zeit, als man diese Verordnung geschaffen hat.
Insbesondere vom Handwerk wird sehr nachdrücklich darauf hingewiesen, daß diese Bestimmung eine nicht zumutbare Belastung der Handwerksbetriebe mit sich bringt. Ich glaube, daß wir schon unter dem Gesichtspunkt, daß heute Zehntausende von jungen Menschen darauf warten, eine Lehrstelle zu bekommen, in der sie ein anständiges Handwerk und einen Beruf erlernen können, alles tun sollten, was auch dem Handwerk den Anreiz bietet, neue Lehrstellen zu schaffen und in größerem Umfang als bisher junge Menschen in die Ausbildung zu nehmen. Ich glaube, daß es auch nicht stichhaltig ist, wenn man vielleicht sagt, das sind keine so enorm hohen Beträge, daß sie einen besonderen Anreiz bieten könnten. Die psychologische Wirkung, die auch hier nicht unterschätzt werden darf, wird, glaube ich, auch noch ein Übriges dazu tun, die Leute vom Handwerk dazu zu bewegen, Lehrstellen zu schaffen. Ich glaube, daß auch die Eingabe, die der Zentralverband des deutschen Handwerks gemacht hat, der sich insbesondere auf diese Dinge stützt, schon ein Beweis dafür ist, daß man weitgehend auf diese Gegebenheiten Rücksicht nehmen will.
Meine Damen und Herren, wie ich eingangs schon sagte, werden wir uns an der Ausschußberatung dieses Gesetzentwurfs selbstverständlich wie bei jedem anderen Gesetz beteiligen. Wir werden auch zu diesen besonderen Fragen unsere Anträge zu stellen haben, und ich hoffe, daß wir sehr bald in die Beratung dieser sehr umfangreichen Materie einsteigen können.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Besold.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Fraktion der Bayernpartei möchte ich nur eine ganz kurze Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf bekanntgeben. Der Gesetzentwurf wird sorgfältig und genau zu prüfen sein, ob er nicht neue, nicht mehr zumutbare Belastungen des gewerblichen Mittelstandes bringt und ob nicht der Versuch unternommen wird, gerade wieder auf schwache Schultern neue Lasten zu legen. Diese Prüfung erscheint uns besonders notwendig wegen der Gefahr der Aufhebung der Freigrenze beim Gewerbeertrag bzw. des Freibetrags beim Gewerbekapital und der Einführung einer Mindeststeuer.
Wir können hier auch nicht der Stellungnahme des Bundesrats beipflichten, der eine Herabsetzung oder einen Verzicht auf eine beschlossene Mindeststeuer nicht für angängig hält. Wir werden für die uns berechtigt erscheinenden Wünsche des deutschen Handwerks und des sonstigen gewerblichen Mittelstands eintreten. Im gleichen Interesse werden wir uns gegen eine eventuell beabsichtigte Erhöhung der Steuerbelastung durch Herabsetzung des Freibetrags bei der Lohnsummensteuer und die Begrenzung der Abzugsfähigkeit auf die Hälfte wenden.
Zum Problem Gegenwarts- oder Vergangenheitsbesteuerung ist wohl der Standpunkt zu vertreten, daß die Entscheidung dieses Problems unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten nach praktischen Gesichtspunkten zu geschehen hat.
Im übrigen werden wir uns die Stellung von Anträgen in der Ausschußberatung vorbehalten.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache der ersten Beratung. Ich darf annehmen, daß das Haus mit der Überweisung dieses Gesetzentwurfes an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen einverstanden ist. - Das ist der Fall.
Ich rufe auf Punkt 3 der heutigen Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der WAV
betreffend Maßnahmen zur Sicherung deutschen Eigentums in Usterreich ({0}):
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 15 Minuten und eine Aussprachezeit von 60 Minuten vor.
Antragsteller ist Herr Dr. Richter, der in diesem Augenblick den Saal betritt. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.,
Dr. Richter ({1}) ({2}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben mit der Drucksache Nr. 2024 einen Antrag vorgelegt, durch den die Bundesregierung ersucht wird, unverzüglich dem Bundestag bekanntzugeben, welche Maßnahmen ergriffen wurden, um das deutsche Eigentum in Österreich zu sichern. Die Besprechung dieses Antrages erfordert, daß man sich überhaupt einmal über die Entwicklung hinsichtlich der Behandlung des gesamten deutschen Eigentums ein Bild macht. Ich möchte nur wünschen, daß dieser Antrag vielleicht eine Debatte über das Gesamtproblem in diesem Hohen Haus auslöst.
Wenn wir uns heute mit dieser Frage befassen, dann muß ich auf einen der ersten Beschlüsse der Alliierten zurückgreifen, die in dieser Richtung gefaßt wurden, nämlich auf einen in der Konferenz der Vereinten Nationen in Bretton Woods vom 22. Juli 1944 gefaßten Beschluß, der im Volksmunde im allgemeinen als Morgenthau-Plan bekannt ist und unter dessen Nr. 5 die Enteignung aller deutschen Auslandswerte festgelegt wurde. Nun ist aber heute noch Grundsatz des gesamten Völkerrechts die Unverletzbarkeit des privaten Eigentums. Ich darf in diesem Zusammenhange auf eine amtliche Stellungnahme der Schweizer Regierung hinweisen, die erklärt hat, daß den Alliierten für ihre Forderungen jede rechtliche Grundlage fehlt. Ich darf weiter darauf hinweisen, daß neutrale Staaten durch Druck gezwungen wurden, deutsches Eigentum zu enteignen, etwa dadurch, daß man in den USA ihre Guthaben blockierte. So ist die Schweiz, die ich eben erwähnte, beispielsweise im Abkommen von Washington vom 25. Mai 1946 dazu gezwungen worden. Daß selbst Schweizer Kreise diese Methode für vollkommen falsch, j a sogar für gefährlich halten, hat kein Geringerer als der Nationalrat Dr. Rohr betont, der erklärte, ohne die vollständige Entmachtung Deutschlands wäre das Abkommen undenkbar.
Es setzt sich über allgemein anerkannte Grundsätze des internationalen Rechts hinweg und hat dadurch das Vertrauen in die Schweiz als Rechtsstaat schwer erschüttert.
Dr. Rohr sagte weiter:
Ohne den Revolver auf der Brust würde die
Schweiz dieses Abkommen nie geschlossen
haben. Das ist auch der einzige Rechtfertigungsgrund. Ob man uns die Zustimmung zu diesem
Abkommen je vergessen und verzeihen wird?
Ich möchte an dieser Stelle eines gesagt haben:
weil gerade von Schweizer Seite her so klar und
eindeutig Stellung bezogen wurde, werden auch von der Tribüne dieses Hauses die Bedenken des Nationalrats zerstreut werden können und zerstreut werden müssen. Der Luzerner Rechtsanwalt Peter hat in seiner Schrift „Auslieferung deutschen Privateigentums?" festgestellt, der zunehmende internationale Rechtszynismus in bezug auf die Behandlung des feindlichen Privateigentums sei eines der beunruhigendsten Symptome der fortschreitenden Reb arb arisierung unserer Zivilisation.
Nun ist bekannt, daß nach der Haager Landkriegsordnung von 1907, Art. 46, das Privateigen-turn in keiner Weise angetastet werden darf. Auch die Vereinten Nationen haben in ihrer Deklaration der Menschenrechte erklärt, daß jedermann das Recht hat, Privateigentum zu besitzen, als einzelner wie als Organisation - und eine Organisation ist letzten Endes auch ein Staat -, und daß dieses Privateigentum nicht angetastet werden darf. Man hat in Nürnberg wegen der Verletzung oder der angeblichen Verletzung gerade der Haager Landkriegsordnung Menschen verurteilt. Um so notwendiger erscheint es mir aber, gerade diejenigen, die damals diese Urteile aussprachen, daran zu erinnern, daß auch sie verpflichtet sind, die Haager Landkriegsordnung bis zum letzten Punkt einzuhalten, weil sie sonst nicht das Recht haben, irgend
end
jemandem eine Anklage ins Gesicht zu schleurn.
Anlaß zu unserem Antrag gab ein Artikel der
„Wiener Zeitung" vom 18. Februar dieses Jahres.
({3})
- Entschuldigen Sie, ein Aufsatz in einer Zeitung, die als offiziös bezeichnet wird,
({4})
ein Aufsatz, von dem man behauptet, er ginge auf den Außenminister Gruber zurück. Darin verlangt man die Übergabe deutschen Eigentums in Österreich an die Wiener Regierung.
({5})
- Das ist in diesem Aufsatz klipp und klar erklärt worden, und man denkt auch in Wien daran, lassen Sie sich das gesagt sein.
({6})
Die Alliierten haben sich zu sogenannten Eigentümern deutschen Eigentums gemacht, d. h. unberechtigterweise haben sie sich deutsches Eigenturn angeeignet. Wenn nun in diesem Aufsatz, der, wie ich schon sagte, angeblich auf den Außenminister Gruber zurückgehen soll, betont wird, daß das Potsdamer Abkommen ja der Wiener Regierung eigentlich das Recht gibt, in dieser Richtung vorzustoßen, dann möchte ich erklären, daß es wohl niemanden in diesem Hohen Hause gibt, von ganz wenigen Ausnahmen vielleicht abgesehen, der das Potsdamer Abkommen überhaupt anerkennt, es als eine Völkerrechtsgrundlage oder etwa, wie von offiziöser Seite in diesem Blatt ausgeführt worden ist, gar als Grundlage eines künftigen Friedens ansehen möchte.
An sich bestand überhaupt kein direkter Anlaß zur Aufrollung dieser Frage, und ich glaube auch, daß das ganze Problem letztlich nur bei Friedensverhandlungen gelöst werden kann, die allerdings - das wollen wir hoffen - einen wirklichen Frieden auf der Grundlage von Recht und Gerechtigkeit herbeiführen müßten. Wien wollte sich meiner Überzeugung nach durch diesen Vorstoß nichts weiter verschaffen als eine gewisse „Ausgangsposition".
({7})
Ich fand es recht geschmacklos, daß in diesem Aufsatz von einer deutschen Besatzungszeit, die in Österreich geherrscht haben soll, die Rede ist; denn wir dürfen nicht verkennen, wie die deutschen Truppen damals in Österreich empfangen wurden, und wir dürfen darüber hinaus auch nicht vergessen, wie allerhöchste Stellen den Umschwung in Österreich begrüßt haben, darunter sogar namhafte Vertreter der Kirche. Die österreichische Wirtschaft war im Jahre 1938 nahezu am Ende. Das lag daran, daß man in St. Germain einen Staat geschaffen hat, der wirtschaftlich nicht lebensfähig war. Wenn die „Wiener Zeitung" dann erklärt, zum Teil sei zwangsweise deutsches Kapital in die österreichische Wirtschaft hineingepumpt worden, so stimmt das in keiner Weise. Es ist eine bewußte Irreführung der Öffentlichkeit; denn, wie ich schon sagte, war es, um die österreichische Wirtschaft zu retten, eine Notwendigkeit, deutsches Kapital hineinzuführen, um überhaupt den Menschen da drüben die Arbeitsstätten zu erhalten bzw. Arbeit zu schaffen.
({8})
Der Artikel in der „Wiener Zeitung" ist auch in österreichischen Kreisen sehr scharf kritisiert worden Insbesondere Wirtschaftler plädieren sehr für die Rückgabe deutschen Eigentums, da sie auf Giund direkten und indirekten wirtschaftlichen Verkehrs mit der Bundesrepublik meinen, daß man Bonn nicht vor den Kopf stoßen dürfe, da es, wie es in einer Zeitung wörtlich heißt, „am stärkeren Hebel" sitze. Ich verweise weiterhin auf die Stellungnahme des Nationalrats Brunner, der gegen eine Vergewaltigung des Rechts- und Eigentums) begriffs in diesem Zusammenhang gesprochen hat. Ich verweise auf eine Stellungnahme des Verbandes der Unabhängigen, der im österreichischen Parlament zwei Anfragen eingebracht hat und in einer dieser Anfragen davon spricht, daß Ressentiments keinen Platz mehr haben dürfen.
Man beruft sich bei der Anmeldung dieser unberechtigten Ansprüche auf das alliierte Gesetz Nr. 5, das als einseitige Maßnahme als völkerrechtswidrig zu bezeichnen und kein Gesetz ist. Alle Reparationen, die vor Friedensverhandlungen vorgenommen werden, sind nichts anderes als Raub und müssen, ob es sich um Deutschland oder auch um andere Teile von Europa handelt, auch als Raub bezeichnet werden. Das Wiener Kontrollrats-abkommen vom 28. Juni 1946 ist ebenfalls einseitig und verstößt gegen das Völkerrecht. Wien kann damit niemals ein Verfügungsrecht über das deutsche Eigentum beanspruchen, auch wenn es heute von den Alliierten im westlichen Teil als Treuhänder eingesetzt worden ist.
Nun ist allerdings der weitaus wichtigere Teil des deutschen Vermögens in der Ostzone, vor allem bedeutende Objekte der Metall-, Eisen- und Maschinenindustrie und weiter die Ölausbeutung. Dieses sämtliche Vermögen ist von den Russen beschlagnahmt, und die Russen verlangen von der österreichischen Regierung für die Rückgabe dieses gestohlenen deutschen Eigentums sogar noch 150 Millionen Dollar. Wenn nun die Wiener Regierung diese Last durch Beschlagnahme des in den Westgebieten Österreichs gelegenen deutschen Eigentums auf Deutschland abwälzen will, dann sagt der „Weser-Kurier", den ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten kurz zitieren darf, mit Recht folgendes:
Es hieße einen „Lastenausgleich" auf dem Rücken Dritter austragen, will man daraus das Recht ableiten, sich an dem deutschen Eigentum in Westösterreich für die Verluste in Ostösterreich schadlos zu halten. Auch die These, daß Österreich durch den Anschluß schwere materielle Verluste erlitten habe, steht auf schwachen Füßen. Es wird nämlich dabei vollkommen übersehen, daß nach 1938 ungeheure Summen aus dem Altreich in Österreich investiert wurden. Man braucht nur an die neu errichteten Linzer Stahlwerke, an die dortigen Stickstoffwerke und an den Ausbau der Alpine Montan und zahlreiche andere Industriebetriebe zu denken.
Darüber hinaus hat Rußland aber auch noch große Werte beschlagnahmt, etwa die Schiffe und das Eigentum der Donaudampfschiffahrtsgesellschaft sowie über 100 Fabriken, die man zu den sogenannten USIA-Betrieben zusammengefaßt hat. Alle diese Betriebe zahlen heute, obwohl ihre Erträge einer ausländischen Macht zukommen, weder Steuern noch Zölle, setzen sich über die österreichische Devisen- und die Sozialgesetzgebung hinweg und beachten die anderen Vorschriften der österreichischen Regierung in keiner Weise. Es ist dazu wie in jeder anderen Hinsicht, wie für Europa überhaupt nur eines zu sagen: daß die Russen und ihr System ein Fremdkörper sind. Die Verluste, die nich.t nur die deutsche, sondern auch die österreichische Wirtschaft dadurch erlitten hat, sind überhaupt nicht abzuschätzen. Was hätte allein Osterreich aus dem Ölexport gewinnen können!
Wenn sich nun aber heute Österreich auf Potsdam versteift und mit Potsdam seine ungerechtfertigten Ansprüche erhebt, dann möchte ich sagen, daß gerade Potsdam der Hinderungsgrund für den Abschluß des österreichischen Staatsvertrages ist, weil die Russen immer wieder eine andere Auslegung finden als die westlichen Alliierten. Auch nach Abschluß eines Staatsvertrages sollen noch beträchtliche Vermögenswerte in sowjetischem Besitz bleiben.
Wenn die österreichische Regierung die Haager Landkriegsordnung und die Deklaration der Menschenrechte der UNO nicht anerkennt und wenn die Alliierten, ohne dazu berechtigt zu sein, der österreichischen Regierung deutsches Eigentum übergeben, also diesen Schritt vollziehen würden, dann wäre das ein Rechtsbruch, der in der Zukunft jeden Glauben an das Recht zunichte machen würde. Potsdam kann nicht in einen Friedensvertrag aufgenommen werden, auch wenn man heute vielleicht damit die Absicht verbindet, uns Deutschen die Möglichkeit zu nehmen, Raub als Raub zu bezeichnen. Selbst die österreichische Presse hat ganz offen zugegeben, daß es sich zum allergrößten Teil um echtes deutsches Privateigentum handelt. Man wirft zwar die Frage auf, mit welchem Recht die Bundesrepublik sich heute für deutsches Eigenturn, das früher einmal Reichseigentum gewesen ist, interessieren kann. Hierzu möchte ich das eine sagen: Man kann die Bundesrepublik bis zu dem Augenblick, da Ost und West wieder vereinigt sind, als Treuhänder einsetzen. Die Bundesrepublik muß heute diese Aufgabe übernehmen, da sie die einzige rechtmäßige Institution ist, die Deutschland heute vertreten kann. Es ist auch möglich, daß man in diesem Zusammenhang beispielsweise im Augenblick vorhandene deutsche Privatbesitzer als Treuhänder einsetzt.
({9})
Die Normalisierung der Beziehungen zwischen Deutschland und Österreich,
({10})
die Herstellung guter Beziehungen - ({11})
- Herr Wuermeling, man ist sonst auch nicht so kleinlich! Machen Sie sich bitte hier nicht so lächerlich!
({12})
Herr Abgeordneter Richter, durch diese Bemerkungen wird Ihre Redezeit nur verringert. Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Dr. Richter ({0}) ({1}), Antragsteller:
- die Herstellung eines wirklich freundschaftlichen und gutnachbarlichen Verhältnisses zu Österreich macht es notwendig, daß man - ohne daß wir die österreichische Wirtschaft irgendwie schädigen oder etwas aus der österreichischen Wirtschaft herausziehen wollen - auf seiten von Österreich den Rechtsanspruch auf deutsches Eigen-turn anerkennt. Es geht hier nur um das Recht, und wenn man das Recht nicht anerkennt, dann - darüber muß man sich klar sein - wird es niemals zu einem Frieden kommen, der diese Bezeichnung wirklich verdient.
({2})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Mellies.
Meine Damen und Herren! Der Vorredner hat in seinen Ausführungen vom Geschmack gesprochen. Über den Geschmack läßt sich ja nun bekanntlich nicht streiten.
({0})
- Nein, es läßt sich eben nicht darüber streiten, Herr Kollege Hilbert, weil die Ansichten darüber sehr verschieden sind. - Er hat an den Einzug der deutschen Truppen in Österreich erinnert und hat ausgeführt, mit welch jubelnder Begeisterung die Truppen damals begrüßt worden seien. Meine Damen und Herren, er hätte der Ehrlichkeit halber hinzufügen müssen, daß dieser Einmarsch für Tausende und aber Tausende von Österreichern den Verlust der Freiheit, Mißhandlungen, Zuchthaus, Gefängnis und Tod bedeutet hat.
({1})
Ich glaube, man sollte sehr vorsichtig sein, wenn man die Dinge heute anrührt.
Im übrigen muß über die Frage, die in dem Antrag angeschnitten worden ist, noch im Bundestag gesprochen werden, und der Bundestag wird auch entsprechende Beschlüsse zu fassen haben. Aber ich glaube, diese Beschlüsse können erst nach sehr sorgfältiger Beratung gefaßt werden. Eine Debatte, in der nicht alle Probleme sorgfältig beachtet werden, könnte dazu führen, daß sehr viel Schaden angerichtet wird.
({2})
Ich beantrage deshalb, daß der Antrag ohne weitere Debatte dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten überwiesen wird.
({3})
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag gehört, daß der Antrag des Abgeordneten Dr. Richter ohne weitere Debatte dem Ausschuß für das Besatzungstatut und Auswärtige Angelegenheiten überwiesen werden soll. Darf ich Sie fragen, ob Sie mit diesem Antrag einverstanden sind? Ich bitte um ein Handzeichen. - Sie sind einverstanden; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe nunmehr auf Punkt 4 der Tagesordnung: Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend Anweisung auf Herausgabe der Brückenbaupläne im Bereich der Bundesstraßen und der Bundesbahn an die US-Armee zum Zwecke des Einbaues von Sprengkammern ({0}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 10 Minuten und eine Aussprachezeit von 60 Minuten vor.
({1})
Zur Begründung Herr Abgeordneter Fisch, bitte!
({2})
- Ich habe „stumm" verstanden, Herr Abgeordneter; das stimmt doch?
({3})
Fisch ({4}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Der Antrag meiner Fraktion bezieht sich auf einen Vorgang, der symbolisch ist für die Situation, in der sich unser Volk befindet,
({5}) symbolisch für seine Existenz zwischen Leben und Tod, für eine Situation, in der nicht nur das gesamte nationale Leben, sondern das Leben eines jeden einzelnen durch einen von fremder Seite heraufbeschworenen Krieg bedroht wird.
({6})
Meine Damen und Herren! Es ist bekannt geworden, daß nicht weniger als 630 Brücken im Bundesgebiet zur Sprengung vorbereitet werden sollen, und zwar auf Veranlassung amerikanischer militärischer Stellen. Ich möchte aus der Fülle von Vorgängen dieser Art einen bezeichnenden Fall herausgreifen, der sich in Bayern ereignet hat. Auf diesen Vorgang bezieht sich im Konkreten der Antrag meiner Fraktion. Ich halte mich dabei an eine amtliche Drucksache, an einen Brief des bayerischen Innenministers, Dr. Hoegner, datiert vom 23. Februar 1951, der in einer Drucksache des Bayerischen Landtags veröffentlicht ist: In dieser Drucksache wird erwähnt, daß bereits im Herbst 1950 vom Bundesverkehrministerium Pläne der Mainbrücken in Aschaffenburg, Marktheidenfeld, Lohr und Ochsenfurt angefordert worden sind, ohne daß mitgeteilt worden ist, für welche Zwecke die Pläne benötigt werden. Einige Monate später kam es zu Besprechungen bei den amerikanischen Militärdienststellen in Würzburg, die den Einbau von Sprengkammern an einer Reihe von Mainbrücken verlangt haben. Es kam zu Einwendungen bayerischer staatlicher Organe. Daraufhin erfolgte ein direkter Befehl des amerikanischen Hauptquartiers in Heidelberg mit dem Hinweis, wenn deutsche Behörden die Herausgabe der Pläne verweigerten, würden die Arbeiten auf direkte Veranlassung und unter unmittelbarer Anleitung amerikanischer Stellen aufgenommen. Als erste Handlung des
({7})
Widerstandes erfolgte die Weigerung der Stadtvertretung und Stadtverwaltung der Mainstadt Bamberg, die erklärten, daß sie auch auf Anforderung der amerikanischen Stellen nicht gewillt seien, die Pläne der Mainbrücken von Bamberg herauszugeben. Daraufhin wurde vom Bundesverkehrsministerium für den 29. 1. dieses Jahres eine „Beratung" vermittelt. Bei dieser „Beratung" wurde von amerikanischer Seite die Herausgabe von weiteren 54 Brückenplänen verlangt; dem Verlangen wurde entsprochen.
Wir stehen also vor einer für die ganze weitere Entwicklung
({8}) entscheidenden Situation, stehen vor der Frage, ob das Parlament der Bundesrepublik zulassen will, daß Organe der Bundesrepublik sich bereit finden, selbst gegen den Widerstand kommunaler Behörden, gegen den Willen der erdrückenden Mehrheit der Bevölkerung Handlangerdienste für die Zerstörung deutscher ziviler Bauten zu leisten.
({9})
Meine Damen und Herren! Nicht nur die Sinnlosigkeit dieser Maßnahmen ist zu vermerken. Jeder Mensch erinnert sich aus den Vorgängen im Jahre 1945, wie sinnlos es war, im letzten Moment die Brücken zu sprengen. Man weiß, daß diese Wahnsinnstaten den Ablauf der militärischen Ereignisse in keiner Weise aufgehalten haben. Aber es verbreitet sich in allen Schichten der Bevölkerung die Meinung, daß es sich hier um mehr als eine Wahnsinnstat handelt, um ein direktes Verbrechen nicht nur an den Gütern unseres Volkes, sondern am Leben von Millionen von Menschen, wenn man sich zur Hilfeleistung für derartige Handlungen, die vom amerikanischen Generalstab angeordnet wurden, bereitfindet.
Man erklärte, das geschähe aus Gründen der Sicherheit. Jeder Mensch weiß, daß die Vorbereitungen zu den Sprengungen zu einem Zeitpunkt in Westdeutschland begonnen haben, als es noch keine „Koreaprobleme" gab. Bereits vor einem Jahr haben wir auf die Maßnahmen im Rheintal hingewiesen, die getroffen wurden, um an der schmalsten Stelle des Rheintals die Berge zum Einsturz zu bringen und dadurch das ganze Mittel- und Oberrheintal in eine einzige Stätte der Verwüstung zu verwandeln.
({10})
Damals haben Sie hier gelacht. In der Zwischenzeit haben Sie sich davon überzeugen müssen, daß diese Handlungen auf Veranlassung des Generalstabs der Westmächte tatsächlich vollzogen worden sind.
Ich kann sagen, daß sich gegen diese verbrecherischen Handlungen eine breite Front des Widerstands im ganzen Westen Deutschlands erhoben hat. Dem Beispiel von Bamberg folgten die Stadträte von Bayreuth, die Bauarbeiter von Augsburg, die Stadtverwaltungen und Vertretungen von Lohr, München, Würzburg, Schweinfurt, Fürth und Regensburg, folgten Erklärungen der Stadtvertretungen in württembergischen Gemeinden, wo gleichfalls die Gefahr der Sprengung selbst kleinster Brücken gegeben war, folgten die Stadtverwaltungen von Bad Mergentheim, von Crailsheim usw. Aber darüber hinaus haben wir schon handfestere Beispiele des Widerstandes, etwa wenn in Frankfurt Freunde des Friedens darangegangen sind, die gerade erst gebohrten Sprenglöcher mit Zement zuzumauern; oder wenn in Hamburg Hunderte von Frauen aufmarschierten und die Arbeiter, die beauftragt waren, Sprengkammern in die Elbbrücken einzubauen, aufforderten, von ihrem Werk Abstand zu nehmen. Die Hamburger Frauen haben Erfolg gehabt. Die Arbeiter haben die Arbeit verweigert. Mit ihnen solidarisierte sich ein Teil der Unternehmer, denen diese Arbeit aufgetragen war, und eine ganze Woche lang konnte die Ausführung der Aufträge der amerikanisch-britischen Militärbehörden verzögert werden.
Ich sage, meine Damen und Herren, dies ist ein Anfang. Es mehren sich die Stimmen aufrechter Deutscher,
({11})
die erklären: Und wenn sie uns mit Gewalt drohen, wir lassen uns nicht zu solchen verbrecherischen Handlungen zwingen.
({12})
Lassen Sie mich die Äußerung des Kreisbaumeisters in Regen im Bayerischen Wald zitieren, der erklärte:
Ich lasse mich eher von meinem Amtsstuhl
weg verhaften, als daß ich einen Finger rühren
werde, um irgendwelche verbrecherische
Brückensprengungen zu begünstigen. Hinter
mir steht die gesamte Bevölkerung der Stadt.
Meine Damen und Herren! Wir haben eine Vorlage der Bundesregierung, mit der sie eine Antwort auf eine Anfrage erteilen möchte, die vor wenigen Tagen wegen der gleichen Angelegenheit an sie gerichtet wurde. In dieser Antwort des Bundeskanzlers wird erklärt, man . könne diese Arbeiten nicht verweigern. Es sei zwecklos, die Herausgabe der Pläne zu verhindern, weil dies sonst durch die Besatzungsmacht erzwungen werden könne. Die Bundesregierung stützt sich dabei auf den Art. 2 Buchstabe e des revidierten Besatzungstatuts. Was aber ist der Inhalt dieses Artikels? Es heißt dort, die Besatzungsmacht sei verantwortlich für die Wahrung des Schutzes,
({13})
des Ansehens und der Sicherheit der alliierten Streitkräfte und ihrer Familienangehörigen. Die Bundesregierung möge uns klarmachen, was die Vorbereitung der Zerstörung von Brücken über den Main, über die Tauber, über die Jagst, über die Fulda und Werra mit der Wahrung des Schutzes und des Ansehens der alliierten Streitkräfte und ihrer Familienangehörigen zu tun hat.
({14})
Meine Damen und Herren, es wird in der Erklärung des Bundeskanzlers weiter auf das Gesetz Nr. 14 der Alliierten Hohen Kommission verwiesen.
({15})
Dort heißt es, es könne, wenn einer Anweisung oder Anordnung der Besatzungsbehörde nicht Folge geleistet werde, eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren oder eine Geldstrafe bis zu 25 000 DM verhängt werden.
({16})
Nun möchte ich fragen: Wenn es sich um eine Verpflichtung handelt, den Frieden zu wahren und verbrecherischen Plänen einen Riegel vorzuschieben, lohnt es sich dann nicht, auch eine solche Bestrafung herauszufordern? Glauben Sie nicht,
({17})
wenn die Regierung den Minister Seebohm angewiesen hätte, die Herausgabe der Brückenpläne zu verweigern, daß sie sich um unser Volk, um das Leben unserer Menschen verdient gemacht hätte?
({18})
Meine Damen und Herren, Sie werden diese Dinge wahrscheinlich ebenso lächerlich zu machen versuchen, wie Sie es hinsichtlich der anderen Vorbereitungen zur Auslösung eines Krieges tun.
({19})
Sie können aber diese Dinge nicht mit einem billigen Antrag, zur Tagesordnung überzugehen, abtun.
({20})
Diese Handlungen, deren Zeugen wir sind, zeigen uns, was das deutsche Volk von der sogenannten Gleichberechtigung zu halten hat, von der gewisse prominente Leute dieses Hauses sprechen.
({21})
Das deutsche Volk weiß nun, was es von einem amerikanischen Krieg zu erwarten hat.
({22})
Es ist klar, daß uns im Zeichen dieser sogenannten Gleichberechtigung
({23})
die Politik der verbrannten Erde beschieden wäre, eine Politik, die Deutschland in ein Leichenfeld verwandeln würde. Darum muß man diesen Maßnahmen entgegentreten, muß den Mut und Willen zum Widerstand wecken.
({24})
Man muß diesen Widerstandswillen der um den Frieden unserer Heimat besorgten Menschen stärken. Deswegen sagen wir: jene Kräfte in der Regierung, die für die Zerstörung friedlicher Bauten Handlangerdienste geleistet haben, müssen von allen anständig denkenden Menschen verurteilt werden.
({25})
Sie müssen aber nicht nur verurteilt werden, sondern die Antwort muß sein, daß jeder Handlung,
die geeignet ist, den Frieden unserer Heimat zu
stören, einmütig Widerstand entgegengesetzt wird.
({26})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, mit dem Herrn Abgeordneten Fisch in nationaler Entrüstung zu wetteifern; sie steht ihm nicht besonders gut an, finde ich. Der Antrag der kommunistischen Fraktion hat aber nach Auffassung meiner politischen Freunde doch ein ernsthaftes Problem berührt. Die deutschen Behörden, die der Herr Kollege Fisch hier angeführt hat, würden sich sicher für seine Anwaltschaft bedanken; sie haben aus einem echten Gefühl der Sorge heraus gehandelt, gehören aber nicht in die „breite Friedensfront", von d er Herr Fisch fabuliert hat.
({0})
- Ich glaube, daß Sie von den betreffenden Behörden einen Tritt in einen bestimmten Körperteil
bekommen würden, wenn Sie sich zu ihrem Führer
aufschwingen wollten.
({1})
Meine Damen und Herren, da meine politischen Freunde und ich der Meinung sind, daß das Problem, das ja nicht von der Kommunistischen Partei entdeckt wurde, tatsächlich vorhanden ist, schlage ich vor, daß wir diesen Antrag und das ihm zugrunde liegende Problem einer ernsthaften Beratung im Ausschuß für Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten unterziehen und heute auf eine weitere Debatte verzichten.
({2})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
({0})
- Erstens einmal stimmen wir noch nicht ab, und eine Anzweiflung der Beschlußfähigkeit kann nur bei einer Abstimmung erfolgen, und zweitens gehört dazu eine Unterstützung von fünf Mitgliedern.
Meine Damen und Herren, es liegen also weitere Wortmeldungen nicht vor. Von dem Herrn Abgeordneten Schoettle ist beantragt worden, den vorliegenden Antrag an den Ausschuß für Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten zu überweisen. Ich bitte diejenigen, die diesem Antrag zustimmen, die Hand zu erheben.
({1})
- Natürlich geht das! Der Antrag ist gestellt, und über diesen Antrag wird abgestimmt. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Zweifellos ist die Mehrheit für die Überweisung an den Ausschuß.
Ich rufe nun, nachdem Punkt 5 der Tagesordnung abgesetzt ist, Punkt 6 auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit ({2}) über den Antrag der Abgeordneten Stücklen und Genossen betreffend Maßnahmen zur Behebung des Landarbeitermangels ({3}).
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Dr. Kneipp.
Dr. Kneipp ({4}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Es handelt sich hier um ein sehr ernstes Problem, und zwar um die Frage der Behebung des Mangels an Arbeitskräften auf dem Land. Die Antragsteller weisen in der Präambel ihres Antrages mit Recht darauf hin, daß alles Mögliche getan werden müsse, um dafür zu sorgen, daß die heute unbedingt erforderliche Ausweitung der Produktion nicht dadurch schachmatt gesetzt würde, daß sich nicht genügend Arbeitskräfte auf dem Lande finden.
Im Ausschuß ist dieses Problem eingehend behandelt worden. Es ist die Feststellung getroffen worden, daß die Landflucht sich tatsächlich, und zwar ungehindert, erheblich verstärkt hat. Dabei ist darauf hingewiesen worden, daß die Erscheinung der Landflucht auch auf die bäuerlichen Familienmitglieder übergegriffen hat und daß hier und da eine gewisse Abscheu vor landwirtschaftlichen Arbeiten besteht, wie überhaupt bei vielen Menschen eine Art Horror vor jeder manuellen Arbeit vorhanden ist.
({5})
Der Ausschuß hat dann zu den einzelnen vier Punkten des Antrags Stücklen und Genossen eingehend Stellung genommen. In dem Antrag wurde zunächst gefordert, daß die Arbeitsämter diese ihre Aufgabe als Organ zur Vermittlung von Arbeitskräften ganz besonders darin sehen sollten, für die freien Stellen in der Landwirtschaft entsprechende Arbeitskräfte zu vermitteln. Es wurde darauf hingewiesen, hier und da bestehe der Eindruck, daß die Arbeitsämter sich dieser Aufgabe nicht mit der nötigen Sorgfalt, mit dem nötigen Ernst und mit der nötigen Hingabe unterzögen und daß dadurch so manche dringend erforderliche Vermittlung unterbleibe. Im Ausschuß wurde dann besonders betont, daß die Arbeitsämter zwar vermitteln könnten, daß sie auch in vielen Fällen die Absicht hätten, freie Arbeitskräfte zu vermitteln, daß aber die Arbeitsämter weitere Maßnahmen, die über eine Vermittlung hinausgehen, kaum durchzuführen in der Lage seien; denn das Arbeitsvermittlungs- und Arbeitslosenversicherungsgesetz, das AVAVG, biete praktisch nur eine einzige Handhabe in seinem § 90, wonach das Arbeitsamt denjenigen Kräften, die Arbeit ablehnten, die Arbeitslosenunterstützung für vier Wochen sperren könne. Eine Möglichkeit für die Arbeitsämter, jemand zur Arbeitsaufnahme auf dem Land zu verpflichten, bestehe nicht, da die während des sogenannten Dritten Reiches erlassenen Verordnungen über Arbeitseinsatz und Arbeitseinsatzzwang heute nicht mehr bestünden. Von einem Vertreter im Ausschuß wurde besonders herausgestellt, daß vorwiegend Jugendliche die Aufnahme einer Arbeit in der Landwirtschaft ablehnten und sich lieber in der Registratur des Arbeitsamtes als Arbeitslose streichen ließen, nur um ja keine landwirtschaftliche Arbeit annehmen zu müssen.
In diesem Zusammenhang wurde auch auf die Löhne in der Landwirtschaft hingewiesen. Von verschiedenen Seiten wurde bemängelt, daß die wünschenswerte Angleichung dieser Löhne an die industriellen Löhne noch nicht erfolgt sei. Auf der anderen Seite wurde aber darauf hingewiesen, daß Voraussetzung für eine Angleichung dieser Löhne an die Löhne in der Industrie eine entsprechende Erhöhung der Agrarpreise sei, daß beides in einem ursächlichen Zusammenhang stehe, daß aber auch gewisse psychologische Voraussetzungen geschaffen werden müßten, um bei den Arbeitslosen auf dem Lande einen größeren Willen zur Arbeit in der Landwirtschaft hervorzurufen.
Zu Punkt 2 wurde dargelegt, daß es doch zweckmäßig sei, den Landarbeitern Aufstiegsmöglichkeiten zu geben. Solche Aufstiegsmöglichkeiten bestehen natürlich dann, wenn ein Landarbeiter sich im Wege der Siedlung eine selbständige Existenz zu schaffen in der Lage ist oder wenn er in irgendeinen landwirtschaftlichen Betrieb einheiraten kann und damit die Möglichkeit hat, selbst Bauer zu spielen. Das mit Ziffer 2 des Antrages Stücklen und Genossen erstrebte Vorhaben wurde als nicht zweckmäßig bezeichnet. Nach dem Antrag will man unter allen Umständen eine Art Versorgungsschein für die in landwirtschaftlichen Betrieben lange tätigen Arbeitskräfte, eine Art Versorgungsschein, wie wir sie früher ja bei den Militäranwärtern hatten. Der Antrag besagt ganz kurz, daß derjenige, der zehn Jahre in der Landwirtschaft treu gedient hat, einen solchen Schein bekommen soll, um in eine Stelle der Post, der Bahn, der Wegeverwaltung und dergleichen einspringen zu können. Mit Recht wurde im Ausschuß darauf hingewiesen, daß damit gerade dem Lande eine Reihe oft sehr wertvoller Arbeitskräfte wieder entzogen würden und daß man die Sache in der Weise praktisch nicht aufzäumen könne. Es wurde auch erklärt, es gehe doch nicht an, daß man eine Art Zivilversorgungsschein wieder einführe.
Ziffer 3 des Antrags geht darauf hinaus, den lange in der Landwirtschaft tätig gewesenen Arbeitskräften die Möglichkeit einer Zusatzversicherung einzuräumen. Eine solche Zusatzversicherung besteht ja schließlich heute schon, so daß eine besondere Einräumung dieser Möglichkeit nicht nötig ist. Es müssen dann eben höhere Beiträge zu den in Frage kommenden Versicherungen gezahlt werden.
Unter Ziffer 4 wird nun von den Antragstellern das Wohnungsbauprogramm in den Vordergrund gestellt und darauf hingewiesen, daß Wohnungen in erster Linie für die verheirateten Landarbeiter geschaffen oder vorhandene Wohnungen wieder Landarbeitern zur Verfügung gestellt werden müßten. Es ist eine nicht wegzuleugnende Tatsache, daß eine große Anzahl landwirtschaftlicher Werkwohnungen seit Jahren dieser ihrer Zweckbestimmung entfremdet worden sind und daß sie noch heute von anderen als landwirtschaftlich tätigen Kräften blockiert sind. Alle rechtlichen Möglichkeiten haben bisher nicht ausgereicht, irgend etwas an dieser Tatsache zu ändern. Im Ausschuß ist mit Recht von allen Seiten gefordert worden, dafür Sorge zu tragen, daß diese Wohnungen und Wohnräume so bald wie möglich wieder für Landarbeitskräfte zur Verfügung stehen.
Im vorigen Jahr ist im Anschluß an die Verabschiedung des Einkommensteuergesetzes und Körperschaftsteuergesetzes eine Verordnung der Bundesregierung über die Unterstützung beim Bau von Landarbeiterwohnungen erschienen. Leider hat dieser Plan des Baues von Landarbeiterwohnungen noch nicht die Ausweitung erfahren, wie sie die Verordnung damals vorgesehen hat. Es ist zu hoffen, daß nach dieser Richtung hin in diesem Jahr und in den nächsten Jahren wesentlich günstigere Verhältnisse Platz greifen.
Im Ausschuß standen sich die Vertreter aus Süddeutschland in ihrer Auffassung den Vertretern aus Norddeutschland etwas gegenüber. Gerade in Norddeutschland ist noch in viel größerem Umfange als in Süddeutschland ein seßhafter Landarbeiterstand vorhanden. In Süddeutschland ist die Fluktuation viel größer geworden. Das wurde mit Recht dahin erklärt, daß in Norddeutschland noch mehr und größere Agrargebiete vorhanden seien, in denen sich die seßhafte Landarbeiterschaft besser erhalte als da, wo, wie im südlichen und mittleren Deutschland, wesentlich größere Möglichkeiten des Einsatzes in der Industrie gegeben seien.
Der vorliegende Antrag wurde auch im Ernährungsausschuß behandelt. Der Ernährungsausschuß ist zu dem Vorschlag gekommen, den Antrag und die in ihm aufgeworfenen Probleme der Bundesregierung als Material zu überweisen. Auch der Arbeitsausschuß hat entsprechend beschlossen und seinen Beschluß damit begründet, daß zur Zeit ein neues Arbeitslosenversicherungs- und Arbeitsvermittlungsgesetz bearbeitet wird. Dieses neue AVAVG wird wohl schon in absehbarer Zeit dem Hohen .Hause zur Beschlußfassung unterbreitet werden. Ich darf Sie also namens des Ausschusses bitten, den Antrag Stücklen und Genossen auf Drucksache Nr. 1870 der Bundesregierung als Material für dieses Gesetz zu überweisen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Für diesen Punkt der Tagesordnung hat der Ältestenrat eine Gesamtredezeit von 40 Minuten vorgeschlagen. - Ich nehme die Zustimmung des Hauses an. Das Wort hat Herr Abgeordneter Glüsing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Berichterstatter hat soeben den Beschluß des 20. Ausschusses vorgetragen, den Antrag Stücklen und Genossen der Bundesregierung als Material zu überweisen. Damit dürfte nach altem parlamentarischem Brauch praktisch das Schicksal dieses Antrages besiegelt sein. Das bedauern wir sehr. Obwohl der Herr Berichterstatter schon die Fréundlichkeit hatte, manche Probleme zu berühren, die mit der Behebung der Not des Arbeiters auf dem Lande und überhaupt mit der Sorge der Landwirtschaft, einen Landarbeiter zu bekommen, zusammenhängen, gestatten Sie mir noch ein paar ergänzende Ausführungen dazu. Ich möchte schon jetzt, bevor ich die bestehenden Möglichkeiten aufzeige, an die Damen und Herren des Hauses, vor allen Dingen an diejenigen Damen und Herren, die noch auf Länder- oder Kreisebene tätig sind - denn gerade dort werden diese Dinge zum größten Teil bearbeitet und entschieden -, die Bitte richten, sich für diese Möglichkeiten stark zu machen.
Was hat nun im großen und ganzen gesehen der Antrag Stücklen und Genossen zur Grundlage? Er wollte vor allen Dingen die immer stärker werdende Landflucht bekämpfen und damit auch dem großen Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitskräften abhelfen. Wenn wir feststellen, daß in den übervölkerten Ländern Schleswig-Holstein, Bayern und Niedersachsen schon ein großer Landarbeitermangel vorhanden ist, wie mag es dann erst in den industrienahen Ländern aussehen! Es ist uns bekannt, daß die Arbeitsämter aus den Industriegegenden heute schon mit Kommissionen nach Schleswig-Holstein und Bayern kommen, um zu versuchen, von dort Landarbeitskräfte wegzuziehen. Wir wissen auf Grund von Erfahrungen ebenfalls, daß die Landarbeitskräfte, wenn sie von dort oben oder aus dem Süden in dem Industrieland angekommen sind, dies nur als ein Sprungbrett benutzen, um dann später zur Industrie überzuwechseln. In jedem Falle können wir feststellen, daß sich diese Entwicklung, daß eben die Landwirtschaft nicht genügend Landarbeitskräfte zur Verfügung hat, produktionshemmend auswirkt. Wenn wir uns an die gestrige Agrardebatte erinnern, müssen wir zugeben, daß das keinesfalls im Interesse der Gesamtheit unseres Volkes liegt.
Welche Möglichkeiten haben wir nun, diesem Notstand abzuhelfen? Es ist vor allen Dingen zunächst einmal die Freimachung des Werkwohnraums. Meines Erachtens ist es ein unmöglicher Zustand, daß Leute, die in dem landwirtschaftlichen Betrieb arbeiten, schlechter untergebracht sind als solche Leute, die auf dem Hofe wohnen, aber betriebsfremd arbeiten. Der Herr Berichterstatter hat das Problem des Landarbeiterwohnungsbaus schon angesprochen. Das ist eine sehr wichtige Angelegenheit. Hier und dort werden in den verschiedenen Ländern gute Fortschritte erzielt. In diesem Zusammenhang ist es vielleicht interessant, zu wissen, daß die Länder nach den Richtlinien für den sozialen Wohnungsbau durchaus Gelder für den verbilligten Landarbeiterwohnungsbau abzweigen können. Wir haben schon längst die Erfahrung gemacht, daß der Landarbeiter dort, wo man ihm zu einem Eigenheim, womöglich mit einem Stück Land dazu, verhilft, unter bestimmten anderen Voraussetzungen, deren Erfüllung noch hinzukommen müßte, gern bereit ist, in der Landwirtschaft zu bleiben. Zu diesen bestimmten Voraussetzungen, meine ich, gehört, daß es auch den Landarbeitersöhnen ebenso wie den Bauernsöhnen ermöglicht werden muß, sich für einen Aufstieg in qualifizierte Stellen vorzubereiten. Er muß auch die landwirtschaftliche Schule besuchen können, um später einen Inspektor-Verwalterposten zu übernehmen. Wir sind Gott sei Dank in der Bundesrepublik so weit, daß wir überall die landwirtschaftlichen Berufsschulen eingerichtet haben, die alle besuchen können. Es hat sich erwiesen, und zwar erfreulicherweise, daß der landwirtschaftliche Arbeiter am Besuch dieser landwirtschaftlichen Berufsschulen stärkstens interessiert ist.
Weiter sind es die ungeregelten Arbeitsverhältnisse, die noch einer Lösung harren, und schließlich sind es die Lohnverhältnisse. Es ist auch eine berechtigte Forderung der Landarbeiterschaft, die Löhne mehr und mehr den städtischen Löhnen anzugleichen. Diese Forderung wird auch von der Landwirtschaft akzeptiert. Allerdings sagt die Landwirtschaft zugleich - das wissen wir alle, und es ist schon wiederholt auch in diesem Hause darüber gesprochen worden -, sie kann nur dann höhere Löhne für den Landarbeiter zahlen, wenn verschiedene Forderungen, die die Landwirtschaft schon seit längerer Zeit angemeldet hat, endlich einmal realisiert werden.
Der Herr Berichterstatter hat weiter davon gesprochen - und es war, meine ich, unter Punkt 4 des Antrages Stücklen aufgeführt -, daß man für eine geregelte Altersversorgung sorgen müsse. Diese werden wir wahrscheinlich in dem Augenblick erreichen, in dem die Lohnangleichung erfolgt ist, weil dann ja sowieso die Invalidenversicherungsbeiträge steigen und dementsprechend auch höhere Beträge aus der Altersrentenversorgung ausgeworfen werden. Damit wäre für den Landarbeiter im Alter seine Lebenshaltung stärker gesichert!
Meine Damen und Herren, zum Schluß darf ich zusammenfassend feststellen, daß also noch genügend Möglichkeiten vorhanden sind, um für den Landarbeiter alles zu tun, damit er wie bisher der getreue Mitarbeiter des Bauern auf dem Lande bleibt. Ich darf nochmals an Sie alle die eine Bitte richten: Wir sollten alles tun, diese Möglichkeiten auszunutzen und auszuschöpfen im Interesse des Landarbeiters, im Interesse der Landwirtschaft und damit auch im Interesse des gesamten deutschen Volkes.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Strobel.
Meine Herren und Damen! Ich habe nicht die Absicht, allzuviel zu diesem Thema zu sagen. Aus den Reden der beiden Kollegen ist bereits hervorgegangen, daß sich zwei Ausschüsse mit diesem Antrag beschäftigt und ihn der Regierung als Material überwiesen haben, und zwar in erster Linie deswegen, weil gerade der Hauptinhalt dieses Antrages, der Landflucht auf dem Wege über den Versorgungsschein zu begegnen, in beiden Ausschüssen keine Gegenliebe gefunden hat. Ich möchte nicht auf all die Gründe eingehen, aus denen man einen solchen Vorschlag
({0})
unter allen Umständen ablehnen muß. Ich möchte vielmehr sagen: Es besteht gar nicht die Gefahr, daß dieser Antrag durch die Ausschußüberweisung begraben wird; denn der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat ja beschlossen, das Problem unabhängig von der Überweisung in einem Unterausschuß für Erzeugungsfragen eingehend zu behandeln.
({1})
Dieser Ausschuß hat sich zur Aufgabe gestellt, all die von den beiden Vorrednern angesprochenen Probleme, die ohne Zweifel vorhanden sind, nicht nur in einer eingehenden Debatte zu behandeln, sondern auch in entsprechenden praktischen Vorschlägen zu lösen.
Ich glaube, daß es deswegen richtiger ist, heute zu so vorgerückter Stunde nicht mehr auf diese Dinge einzugehen, sondern all das, was wir dazu zu sagen und an Vorschlägen vorzubringen haben, in diesem Erzeugungsausschuß vorzulegen, damit man dann dort wirklich zu konstruktiven Vorschlägen kommen kann.
Aber es gibt doch eine Sache, auf die einzugehen ich nicht verzichten kann. Das ist die Feststellung, daß in der Landwirtschaft Hunderttausende von Arbeitskräften fehlen, während auf der anderen Seite bei den Arbeitsämtern 120 000 Landarbeiter arbeitslos gemeldet sind.
({2})
Sehen Sie, so sehr ich auch mit Ihnen der Meinung bin, daß der Staat bzw. die Öffentlichkeit einiges tun kann auf dem Wege über den Wohnungsbau, auf dem Wege über die Freizeitgestaltung, auch auf dem Wege über eine Verkehrserschließung, über bessere Altersversorgung usw. -, so sehr bin ich auch der Meinung, daß sich die Landwirtschaft, der Berufsstand, in dieser Beziehung etwas mehr selbst helfen muß. Man kann einfach nicht, wenn es 120 000 arbeitslose Landarbeiter gibt, die allerdings über 35 Jahre alt sind, immer nur junge Arbeitskräfte zwischen 16 und 18 Jahren von den Arbeitsämtern anfordern, weil diese Arbeitskräfte billiger sind. Sie haben selbst davon gesprochen, daß es unbedingt notwendig ist, die Landarbeiterlöhne den Industrielöhnen anzugleichen. Man kann das nicht nur fordern, es ist richtig: man muß dafür auch die Voraussetzungen schaffen. Wir haben Ihnen mehr als einmal gesagt: Diese Voraussetzungen sind nicht einfach durch höhere Preise für die Agrarprodukte zu schaffen, sondern es muß auch eine Senkung der Produktionskosten für die Landwirtschaft auf dem Wege über eine andere Wirtschaftspolitik hinzutreten. Aber das alles sind Dinge, die so sehr zusammenspielen, daß es keinen Sinn hat, sie hier in Teillösungen anzusprechen.
Niemand kann leugnen, daß die Arbeit in der Landwirtschaft eine besonders schwere Arbeit ist, daß diese Arbeit den Menschen außerordentlich beansprucht, daß diese Arbeit einen größeren Verschleiß sowohl an Kleidung, an Schuhen als auch an Körperkraft bedeutet. Dann ist es eben notwendig, daß man für eine solche Arbeit auch einen größeren Anreiz schafft.
({3})
Solange z. B. die Landarbeiterfrau das geplagteste Geschöpf ist, das man sich denken kann, solange wird es niemanden geben, der freiwillig in die Landwirtschaft arbeiten geht, wenn er nicht der Not gehorchen muß, oder wenn man ihm entsprechenden Lohn, entsprechende Wohnungsmöglichkeiten und auch entsprechende Behandlung dafür bietet.
({4})
Ich möchte mich auf diese wenigen Hinweise beschränken und möchte sagen: All das, was gesagt worden ist, mit Ausnahme des Versorgungsscheins, würden wir hundertprozentig unterstreichen.
Gestatten Sie mir aber noch auf etwas hinzuweisen. Wir haben dem Hause bereits im Februar vorigen Jahres ein Gesetz über Mindestarbeitsbedingungen vorgelegt. Dieses Gesetz ist über ein Jahr lang im Ausschuß auf Eis gelegt worden.
({5})
Dieses Gesetz wäre ein Weg, auch in der Landwirtschaft zu Mindestarbeitsbedingungen zu kommen. Wenn es Ihnen ernst darum zu tun ist, dann bitte sorgen Sie in Ihren Fraktionen dafür, daß man dieses Gesetz endlich verabschiedet.
({6})
Wir haben außerdem im März vorigen Jahres ein Gesetz über Kinderbeihilfen vorgelegt. Sie werden doch zugeben müssen, daß gerade dem verheirateten Landarbeiter die Kinderbeihilfe eine wesentliche Verbesserung seiner sozialen Lage bedeuten würde. Warum sorgen Sie nicht dafür, daß dieses Gesetz endlich positiv verabschiedet wird? Sie haben doch die Möglichkeit dazu!
Wir haben Ihnen weiterhin vor langer Zeit ein Mutterschutzgesetz vorgelegt. Dieses Mutterschutzgesetz wartet auch noch auf die endgültige Verabschiedung. Das wäre auch eine Möglichkeit, der Landarbeiterfrau etwas mehr soziale Sicherheit zu geben.
({7})
Das ist das, worauf ich mich beschränken will. Ich würde Sie bitten, dafür zu sorgen, daß der Erzeugungsausschuß zu konstruktiven Vorschlägen kommt, die durchführbar sind und die das Los der Arbeiterschaft auf dem Lande leichter machen. Dann wird dieses Problem auch zu lösen sein.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Eichner.
Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag berührt ein Problem, das eigentlich dem ganzen Volke auf den Nägeln brennen sollte, denn es hängt ja mit der Ernährung des Volkes zusammen. Nun ist leider - das muß endlich einmal festgestellt werden - schon seit Jahrzehnten gerade auf diesem Gebiet gesündigt worden dadurch, daß die Landarbeiter und Landarbeiterinnen, überhaupt die Leute vom Land, zu oft dem Hohn und Spott der städtischen Bevölkerung ausgesetzt waren, weil sie, wenn sie in die Stadt kamen, vielleicht etwas unbeholfen waren.
({0})
- Ja, die Dinge sind so!
({1})
- Nein, die Dinge sind nicht überholt, sonst hätten sie sich gebessert!
({2})
Es muß das endlich einmal erwähnt werden.
Gott sei Dank leben wir jetzt wieder in einem freien demokratischen Staat, in dem man den Menschen nicht einfach zwingen darf, nur eine be({3})
stimmte Arbeit zu verrichten. Deshalb müssen wir eine Berufslenkung über das Lohn- und Preisgefüge durchführen. Wir müssen zusehen, daß wir gerade diesen Kräften die Lebensbedingungen auf jede mögliche Weise verbessern. Man spricht heute viel von Siedlung. Ich meine, man sollte diesen Leuten, wenn sie 10, 15 oder 20 Jahre in der Landwirtschaft tätig waren, zu einer Siedlerstelle verhelfen, die ihnen die Gelegenheit gibt, eine Familie zu gründen. Das dürfte ein gutes Mittel sein, diese Leute der Landwirtschaft zu erhalten.
Nun ist es leider Gottes so, daß gerade in der letzten Zeit - ich weiß nicht, ob das in anderen deutschen Ländern auch der Fall ist - in Bayern Amerika landwirtschaftliche Arbeitskräfte zu sehr günstigen Bedingungen anwirbt. Ich weiß von meiner Heimat, daß dort von der Gemeinde ein Fragebogen herausgegangen ist, wonach diejenigen Arbeitskräfte, welche sich verpflichten, nach Amerika zu gehen, die Überfahrt bezahlt bekommen, d. h. sie werden mit dem Flugzeug abgeholt, und wenn es ihnen drüben nicht passen sollte, bekommen sie wiederum freie Rückreise. Diesen Dingen muß man nachgehen, damit nicht die letzten Arbeitskräfte vom Lande weggeholt werden, während man auf der anderen Seite noch so viele Leute auf den Höfen sitzen hat, die letzten Endes nicht mehr arbeiten können.
Ich schließe mich dem Vorschlag der Frau Kollegin Strobel an, diesen Antrag einem Unterausschuß, und zwar dem Unterausschuß für Erzeugungsfragen, zu überweisen.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Preiß.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist von verschiedenen Vorrednern gesagt worden, mit diesem Antrag und seiner Behandlung sei ein Problem angeschnitten worden, das heute allerhöchste Bedeutung habe. Dem ist in der Tat so, und ich bedaure sehr, daß es vor einem so schlecht besetzten Hause überhaupt erörtert wird. Man kann, glaube ich, nicht die Auffassung vertreten, daß diese Angelegenheit eine Frage der paar landwirtschaftlichen Abgeordneten allein sei.
({0})
Vielmehr ist das eine Angelegenheit, die wahrscheinlich in aller Kürze mit einem sehr viel größeren Ernst auf Sie alle zukommen wird, als es heute vielleicht noch scheinen mag.
Mit Recht wird in diesem Hause soundso oft nicht nur von der Notwendigkeit der Erhaltung des heutigen Leistungsstandes in der Landwirtschaft, sondern auch von der Notwendigkeit einer Leistungssteigerung gesprochen. Diese Leistungssteigerung heißt in vieler Beziehung Mehrarbeitsleistung, die nicht von den schwachen Schultern der heute noch in der Landwirtschaft Tätigen getragen werden kann. Ich habe Verständnis dafür, wenn gerade die Frau Kollegin Strobel darauf hinwies, daß es auch nicht in allen Betrieben so ist, wie es sein sollte, daß es mit der Menschenführung und -behandlung und mit der wohnungsmäßigen Unterbringung nicht überall in Ordnung ist. Ich unterstreiche all das, was sie in diesem Zusammenhang erwähnte und -was neben dem Lohnproblem zu regeln notwendig ist, um die Neigung, in der Landwirtschaft tätig zu sein, wieder zu erhöhen.
Aber, sehr verehrte Frau Kollegin Strobel, darf ich einmal ganz kurz darauf verweisen, wie es heute draußen wirklich aussieht? Ich bin zeitlebens in der Landwirtschaft tätig gewesen und habe seit langem keine Landarbeiterfrau mehr gesehen, die bis wenige Tage vor ihrer Niederkunft noch mit in den Stall gegangen wäre oder Arbeiten auf dem Felde mit verrichtet hätte.
({1})
Aber ich sehe allenthalben die Notwendigkeit, daß die Bauersfrau selber in diesem körperlichen Zustand noch alle Arbeiten erledigt und wenige Tage nach diesem Ereignis schon wieder in den Betrieb eingespannt ist. Von ihr spricht man wenig. Man spricht hier auch nicht vom Mutterschutzgesetz, und auch bei familieneigenen Kindern, die man schon mit 11 und 12 Jahren zu schweren körperlichen Leistungen heranzieht, spricht man nicht von Mindestarbeitsbedingungen. Ich pflichte Ihnen ohne weiteres bei, daß die oben erwähnten Dinge in Angriff genommen und geregelt werden müssen. Aber solange nicht ein Mindestbesatz an Arbeitskräften da ist oder sich der Besatz wieder bessert, bestehen doch nicht günstigere, sondern schlechtere Voraussetzungen dafür, zu Mindestarbeitsbedingungen zu kommen.
Es ist heute mehrfach das Wort von der Landflucht gefallen. Ich glaube, wir haben allen Anlaß, dieses Wort zu korrigieren. Es handelt sich ja gar nicht mehr um eine Landflucht wie in den ersten Jahrzehnten der Industrialisierung. Es handelt sich lediglich um eine Flucht aus der Landarbeit;
({2})
denn die Dörfer da draußen waren noch nie so volkreich und die landwirtschaftlichen Betriebe noch nie so knapp mit Arbeitskräften besetzt wie zur Zeit. Das ist kein Wunder, wenn ich von Hilfskräften, von Mitarbeitern längere Arbeitszeiten, ungeregelte Arbeitszeiten, Arbeitsleistungen in Wind und Wetter und Schmutz verlangen muß, wenn sie obendrein nicht den Feierabend kennen wie ihre Kollegen in anderen Einsatzzweigen, wenn sie auch den Sonn- und Feiertag nicht in' dem gleichen Maße kennen und sich obendrein mit einem Lohn abfinden sollen, der heute nicht einmal den Stand der Unterstützung eines arbeitslosen Industriearbeiters ausmacht. Dann brauchen wir uns über die geringe Neigung, in der Landwirtschaft noch Mitarbeit zu verrichten, nicht zu wundern. Hier setzt nun der große Streit dieser Tage, möchte ich sagen, ein. Wie ist diesem Problem näherzukommen? Ich glaube, es wird heute niemand im Hause mehr auftreten und sagen wollen: Ja, die Landwirtschaft legt große Kapitalien zurück; sie ist ausreichend liquid, so daß es nur an dem guten Willen bei ihr mangelt, ihre Mitarbeiter besser und anständiger zu entlohnen. Dieser Nachweis gelingt keinem, mag er nun in diesem Hause sitzen, wo er will. Wohl aber ist es für jeden sehr einfach nachweisbar, wie die Illiquidität, die Schuldenbelastung und die Krediterschwerung heute schon aussieht. Diese Frage muß jetzt mit Entschiedenheit angegriffen werden. Ich lese in diesen Tagen sehr oft und nicht zuletzt in der gestern verbreiteten Denkschrift der Deutschen Angestelltengewerkschaft von rigorosen Preisforderungen der Landwirtschaft. - Meine Damen und Herren, wir haben gar kein Interesse an der absoluten Höhe irgendwelchér Preise. Wir haben
({3})
nur, wie jeder Produktionszweig, ein Interesse daran, daß bei Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben im Betriebe unter dem Strich ein -Betrag bleibt, der nicht ein Minuszeichen, sondern ein Pluszeichen hat. Sonst sind wir nicht in der Lage, die sozialen und arbeitsmäßigen Bedingungen für die eigene Familie und für die braven Mitarbeiter zu verbessern. Hier wird nun sicherlich in der allernächsten Zeit von jedem von uns eine ganz klare Entscheidung verlangt werden. Wir tun der Landwirtschaft und dem ganzen Volke einen Gefallen, wenn wir uns endlich ehrlich zu den Dingen bekennen, wenn wir, indem wir auf der einen Seite die Forderung auf Produktionssteigerung erheben, auf ,der anderen Seite auch nicht versagen, an der Durchführung dieser Forderung mitzuhelfen.
Meine Fraktion hat es eigentlich 'bedauert, daß aus diesem sehr wertvollen Antrag zur Zeit nicht mehr gemacht werden konnte. Wir wollen hoffen, daß die Überweisung als Material an die Regierung nicht gleichbedeutend mit dem ist, was mein Kollege von der CDU vorhin schon sagte, daß der Antrag nämlich damit beerdigt ist, sondern wir wollen hoffen, daß die Regierung zusammen mit der Weiterberatung im Ernährungsausschuß baldmöglichst Veranlassung nimmt, mit Vorschlägen, die irgendwie konstruktiv sind, zur Behebung und Lösung dieser Frage auf unszuzukommen. Wir werden uns dann noch einmal und hoffentlich unter Anteilnahme des ganzen Hauses mit diesem sehr wesentlichen, vielleicht schicksalhaften Problem unseres Volkes auseinandersetzen können.
({4})
Weitere Wortmeldungen sind nicht eingegangen. Es liegt zunächst der Antrag des Ausschusses vor. Dann hat allerdings Frau Abgeordnete Strobel einen Abänderungsantrag gestellt.
({0})
- Nicht gestellt; es ist also nicht so zu verstehen gewesen.
Dann bitte ich diejenigen, die dem Antrage des Ausschusses zustimmen, eine 'Hand zu erheben. - Das ist zweifellos die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Ich rufe nun auf Punkt 7 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit ({1}) über den Antrag der Abgeordneten Dr. Ott und Genossen betreffend Arbeitslosenfürsorgeunterstützung ({2}).
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Pelster.
Pelster ({3}), Berichterstatter: Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Die Herren Abgeordneten Dr. Ott und Genossen haben am 11. Januar
1951 mit Drucksache Nr. 1768 den Antrag gestellt: Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, die Arbeitslosenfiirsorgeunterstiitzung entsprechend der Verteuerung auf allen Gebieten zu erhöhen.
Der Antrag wurde in der 113. Plenarsitzung hier im Hohen Hause dem Ausschuß für Arbeit überwiesen. Inzwischen war man bereits seitens des
Ministeriums mit einer Ausarbeitung für die Umänderung der ArbeitslosenfürsorgeunterstützungsSätze beschäftigt, und in der 127. Sitzung vom 15. März 1951 hat dann das Hohe Haus auch die von der Regierung vorgelegte Gesetzesvorlage, Drucksache Nr. 2008, erörtert und nach eingehender Beratung die Bezüge in der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung um 10 % erhöht. Nach der Tabelle ist der Höchstsatz dieser Unterstützung, wie jeder nachlesen kann, entsprechend der Zahl der Familienangehörigen 60,90 DM. Nachdem das Gesetz in zweiter und dritter Lesung verabschiedet worden ist, hat dann der Ausschuß für Arbeit in seiner 61. Sitzung vom 30. 3. sich nochmals mit dem Antrage Drucksache Nr. 1768 der Herren Abgeordneten Dr. Ott und Genossen befaßt und hat laut Drucksache Nr. 2127 nach erneuter eingehender Beratung beschlossen, dem Hohen Hause vorzuschlagen, den Antrag durch die in der 127. Plenarsitzung am 15. März 1951 'erfolgte Beschlußfassung zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Bemessung und Höhe der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung - Nr. 2008 der Drucksachen - für erledigt zu erklären.
Ich habe den Auftrag, das Hohe Haus im Namen des Ausschusses zu bitten, diesem Antrage des Ausschusses zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat war vorgesehen, keine Aussprache mehr anzuschließen, sondern unmittelbar zur Beschlußfassung überzugehen. - Ich stelle die Zustimmung des Hauses dazu fest.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag des Ausschusses zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist zweifellos die Mehrheit.. Es ist so beschlossen.
Ich rufe nun auf Punkt 8 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit ({0}) über den Antrag der Fraktion der KPD betreffend Erhöhung von Unterstützungssätzen ({1}).
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Pelster.
Pelster ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich hier um die gleiche Materie, nur daß jetzt in diesem Antrag, der von der Fraktion der KPD unter Drucksache Nr. 1434 vom 13. Oktober 1950 eingebracht wurde, die Erhöhung der Unterstützungssätze in der Arbeitslosenunterstützung verlangt wird. Der Antrag lautete damals, daß die Unterstützungssätze des Gesetzes über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ab sofort um 30% erhöht werden sollten.
Das Hohe Haus hat in der 108. Sitzung den Antrag dem Ausschuß für Arbeit überwiesen. Inzwischen lag ebenfalls die Ausarbeitung seitens des Bundesministeriums für Arbeit in der Drucksache Nr. 2007 - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung - vor. Der Ausschuß hat sich dann in der 49. Sitzung mit dem Antrag befaßt, dessen Behandlung dann aber bis zur Vorlage des Gesetzentwurfs Drucksache Nr. 2007 zurückgestellt. Das Hohe Haus hat den angekündig({3})
ten Gesetzentwurf in der 127. ,Sitzung dem Ausschuß für Arbeit überwiesen und ihn später auf Grund des Ausschußberichtes in zweiter 'und dritter Lesung auch verabschiedet. Die Unterstützungssätze sind in ähnlicher Weise erhöht worden wie in der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung.
Nach Verabschiedung des Gesetzes ist der Antrag ,der KPD-Fraktion in der 61. Sitzung des Ausschusses weiter beraten worden. Der Ausschuß hat, nach erneuter eingehender Beratung, beschlossen, dem Hohen Hause vorzuschlagen, den Antrag durch die zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung - Nr. 2007 der Drucksachen - erfolgte Beschlußfassung für erledigt zu erklären.
Ich habe wiederum den Auftrag, Sie im Namen des Ausschusses für Arbeit zu bitten, diesem Antrage Ihre Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Da Wortmeldungen vorliegen, darf ich fragen, ob das Haus mit der vom Ältestenrat vorgeschlagenen Redezeit von 40 Minuten einverstanden ist. - Ich stelle das fest.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, in den letzten Tagen ist wohl von Rednern fast aller Fraktionen zum Ausdruck gebracht worden, ,daß die gesamte Entwicklung der Preise eine solche Situation geschaffen hat, die es den arbeitenden Menschen unmöglich macht, mit ihren Bezügen, sei es Lohn, sei es Gehalt, auszukommen. Um so schlimmer, um so schwieriger. und um so untragbarer ist die Lage für die Arbeitslosen, für die Sozialrentner usw. Daher ist es geradezu unverständlich, daß der Ausschuß beschlossen hat, den Antrag 'der kommunistischen Fraktion durch die Verabschiedung des Gesetzes, von dem bereits gesprochen worden ist, für erledigt zu erklären.
Es besteht doch 'gar kein Zweifel darüber, daß die weitere Entwicklung gerade im Zusammenhang mit den Preisen und den steuerlichen Belastungen eine entscheidende Aufbesserung der Bezüge der Arbeitslosen zwingend notwendig macht. Wenn vorhin davon gesprochen wurde, daß das vom Plenum verabschiedete Gesetz über die Bemessung und Höhe der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung eine generelle 10%ige Erhöhung dieser Sätze zur Folge gehabt habe, dann weise ich darauf hin, daß eine Reihe von bürgerlichen Zeitungen, ob in Niedersachsen oder in Hessen, den Nachweis erbracht haben, ,daß ein großer Teil der Arbeitslosen überhaupt nicht in den Genuß ,dieser geringfügigen Erhöhung der Unterstützungssätze um 10% gelangt ist. Um so wichtiger ist es, daß die Erhöhung der Unterstützungssätze für die Arbeitslosen zumindest in dem Rahmen, wie die kommunistische Fraktion es gefordert hat, durchgesetzt wird.
Wir beantragen infolgedessen, den Ausschußbericht abzulehnen und den Antrag der kommunistischen Fraktion anzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Keuning.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 1m Namen der sozialdemokratischen Fraktion kann ich hierzu erklären, daß wir dem Ausschußantrag nicht zustimmen können. Wir werden uns bei der Abstimmung der Stimme enthalten. Nicht darum, weil wir den KP-Antrag so sehr ernst nähmen; die -KPD nimmt ihre Anträge anscheinend selbst nicht ernst, denn sie ist bei keiner Beratung im Ausschuß vertreten. Von d i eser Stelle scheint es sich leichter zu arbeiten.
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- Kollege Renner, das, was Sie jetzt sagen, ist unwahr. Es läßt sich an Hand des Protokolls der Ausschußsitzungen leicht feststellen, daß von Ihnen niemand teilgenommen hat. - Wir werden uns also hier der Stimme enthalten und stellen erneut unsere Bedenken in den Vordergrund, die wir schon bei der Beratung der beiden Gesetze an dieser Stelle äußerten.
Mit der Verabschiedung der beiden Gesetze ist nicht das Äußerste getan, was getan werden muß, um ,der Not zu steuern. Wir haben schon damals erklärt, daß man nicht an die Grenze des Möglichen gegangen ist, und wir sehen unsere Forderungen, die wir bereits seit Juni vorigen Jahres erhoben haben, auch jetzt nicht als erfüllt an. Wir 'behalten uns vor, weitere Schritte zu unternehmen.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Zunächst hat der Herr Abgeordnete Müller beantragt, den ursprünglichen Antrag seiner Fraktion unmittelbar anzunehmen. Das ist ein Abänderungsantrag zur Ausschußvorlage. Ich bitte diejenigen, die diesem Antrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses. Ich bitte diejenigen, die diesem Antrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen ist der Antrag angenommen.
Meine Damen und Herren, zu den Punkten 9 und 10 der Tagesordnung habe ich folgendes mitzuteilen. Der Herr Staatssekretär im Bundesfinanzministerium hat mir mitgeteilt, daß der Herr Finanzminister den Wunsch hatte, bei der Beratung der Punkte 9 und 10 persönlich anwesend zu sein. Er ist aber wegen Erkrankung dazu nicht in der Lage. Ich glaube, daß es unter diesen Umständen richtiger ist, die Behandlung der Punkte zurückzustellen. Nun hat mir aber der Herr Bundesminister für Wohnungsbau mitgeteilt, daß er morgen nicht in der Lage ist, hierher zu kommen, weil er auswärts in Anspruch genommen ist. Ich würde Ihnen deshalb vorschlagen, die Beratung der Punkte 9 und 10 auf nächste Woche zu verschieben und sie auf die Tagsordnung eines der Sitzungstage der nächsten Woche zu setzen.
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- Nicht? Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob wir jetzt verhandeln sollen. Ich bin der Meinung, daß an sich, wenn von einem Mitglied der Bundesregierung gewünscht wird, an der Verhandlung teilzunehmen, und dies durch die Umgruppierung unserer Tagesordnungspunkte nicht möglich gewesen ist, eigentlich ,dem Wunsch Rechnung getragen werden sollte. Aber ich bin bereit, zu verhandeln.
Vielleicht können wir den Punkt 9, die Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP usw. betreffend Bereitstellung von Bundeshaushaltsmitteln für den sozialen Wohnungsbau im Haushaltsjahr 1951/52 zurückstellen. Ist das nicht möglich? Das läßt sich doch vielleicht mit der Beratung des Haushalts des Wohnungsbauministeriums verbinden. Besteht die Möglichkeit dazu nicht?
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- Ja, meine Damen und Herren, ich habe meinen Vorschlag gemacht. Wenn Sie weiter beraten wollen, ich persönlich bindazu bereit.
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- Bitte, Herr Abgeordneter Wirths zur Geschäftsordnung!
Meine Damen und Herren! Der Punkt 10 hat ja mit dem Bundesfinanzminister nichts zu tun. Ich möchte beantragen, den Punkt 9, mit dem er etwas zu tun hat, auf die nächste Woche zu vertagen. Den Punkt 10 können wir nach meinem Dafürhalten in wenigen Minuten erledigen. Wenn ich darum bitten darf, mir das Wort als Berichterstatter zu geben? Ich bin in drei Sätzen fertig.
Zunächst also, meine Damen und Herren, wollen wir die geschäftsordnungsmäßige Angelegenheit erledigen. Es ist vom Herrn Abgeordneten Wirths beantragt worden, den Punkt 9 zurückzustellen und mit der Beratung des Haushalts des Bundeswohnungsbauministeriums zu verbinden.
({0})
- Nicht zu verbinden?
({1})
- Also auf 'nächste Woche zu verschieben? ({2})
- Ich höre keinen Widerspruch, dann ist so beschlossen.
,({3})
- Das wird ja im einzelnen im Ältestenrat erledigt. Das können wir hier nicht machen. Es ist also so beschlossen: Punkt 9 wird abgesetzt.
Dann rufe ich auf Punkt 10 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen ({4}) über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Sicherungsmaßnahmen für den sozialen Wohnungsbau 1951 ({5}).
Das Wort hat als Berichterstatter Herr Abgeordneter Wirths.
Wirths ({6}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Der 18. Ausschuß hat sich am 11. April in Anwesenheit des Herrn Bundeswohnungsbauministers mit dem Antrag der SPD Drucksache Nr. 1970 beschäftigt. Er hat nach einem Weg gesucht, allen Fraktionen die Annahme des Antrags zu ermöglichen. Der Ausschuß hat sich darauf geeinigt, daß der Punkt 3 des SPD-Antrags geändert worden ist. Es ist nicht mehr von Preisbindung die Rede, sondern von Stabilisierung der Preise. Dann hat der Ausschuß im Punkt 4 c den Termin für die Berichterstattung der Regierung statt auf den 1. April auf den 1. Juni 1951 festgesetzt. Sie ersehen aus der Drucksache Nr. 2145 die einstimmige Stellungnahme des Ausschusses.
Der Ausschuß bittet Sie, dieser Vorlage zuzustimmen und den Antrag anzunehmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die der Ausschußvorlage zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe.
- Enthaltungen? - Der Ausschußantrag ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse ({0}).
Ich bitte diejenigen, die diesem Antrag zustimmen wollen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Damit ist die Tagesordnungerschöpft.
({1})
- Das Wort hat noch zu einer Erklärung Herr Abgeordneter Dr. Wuermeling.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre Nachsicht, wenn ich in so später Stunde noch zwei Minuten Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nehme, weil ich mich eine Erklärung zu einer früheren Debatte abzugeben habe.
Herr Abgeordneter Jacobs - SPD - hat in der 131. Plenarsitzung am 6. April 1951 laut amtlichem Protokoll die Behauptung aufgestellt, ich hätte mich „im Landtag von Rheinland-Pfalz als eines der prominenten Mitglieder meiner Fraktion geweigert, einem Gesetz über die Wiedergutmachung für die Opfer des Faschismus zuzustimmen", bzw. ich hätte es „abgelehnt, das Gesetz über die Wiedergutmachung für die Opfer des Faschismus gleichzeitig und mit gleicher Berechtigung wie das über die Regelung von Ausgleichs- und Pensionszahlungen für die Berufssoldaten anzunehmen".
Ich habe durch den protokollarisch festgelegten Zwischenruf: „Unerhört! Das Gegenteil ist wahr!" sofort gegen diese politische Verleumdung protestiert und Herrn Abgeordneten Jacobs im weiteren Verlauf der Sitzung aufgefordert, seine unwahre Behauptung an Hand der Landtagsprotokolle nachzuprüfen und in einer der nächsten Sitzungen zu widerrufen.
Nachdem Herr Jacobs es nicht für notwendig gehalten hat, dieses selbstverständliche Gebot politischer und menschlicher Fairneß zu befolgen, stelle ich den Sachverhalt hiermit wie folgt richtig:
({0})
1. Laut amtlichem Protokoll der Landtagssitzung in Koblenz vom 23. März 1949, Seite 1406, habe ich meinerseits vor Beginn der 1. Beratung des Landesgesetzes über Unterhaltsbeiträge für ehemalige Berufssoldaten einen überparteilichen Gesetzentwurf betreffend Entschädigung 'der Opfer des Nationalsozialismus eingebracht und mit dem einmütigen Willen des ganzen Hauses,begründet, die Beratung des Wiedergutmachungsgesetzes nicht hinter die Beratung des Gesetzes über Unterhaltsbeiträge für die Berufssoldaten zurückzustellen.
2. Nachdem daraufhin der Gesetzentwurf über die Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus dem zuständigen Ausschuß einmütig zur Beratung überwiesen war, widersprach die SPD-Fraktion trotzdem durch ihren Vorsitzenden - Protokoll Seite 1407 - der Beratung wie auch der Ausschußüberweisung des Gesetzentwurfes über die Unterhaltsbeiträge für Berufssoldaten; diese wurde aber gegen die Stimmen der SPD mit Mehrheit beschlossen.
3. Hiernach haben nicht ich oder irgendein Mitglied der CDU-Fraktion, sondern die gesamte SPD -Fraktion einschließlich des damals anwesenden Herrn Jacobs die gleichzeitige
Behandlung dieser beiden wichtigen Gesetze verweigert. An der 2. und 3. Beratung am 6. Oktober 1949 habe ich nicht teilgenommen, da ich im Bundestag sein mußte.
4. Die 'Behauptungen des Kollegen Jacobs sind hiernach nicht nur absolut unwahr, sondern das Gegenteil seiner Behauptungen ist richtig. Ich überlasse den Mitgliedern des Hohen Hauses das Urteil über solche politischen Kampfmethoden.
Meine Damen und Herren!
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- Herr Abgeordneter, ich mache darauf aufmerksam, eine Erklärung bedarf der vorherigen schriftlichen Unterbreitung. Wollen Sie das jetzt machen?
- Ich meine, Sie können Ihre Erklärung auch im Laufe einer späteren Sitzung abgeben.
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Damit, meine Damen und Herren, ist die Tagesordnung erschöpft.
Ich berufe die 137. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 20. April, 9 Uhr 30.
Die Sitzung ist geschlossen.