Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 135. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Ich bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Der Präsident hat Urlaub erteilt für zwei Tage den Abgeordneten Bahlburg, Dr. Henle, Hagge, Frau Dr. Weber ({0}) wegen dienstlicher Inanspruchnahme; für drei Tage den Abgeordneten Henßler, Kunze, Dr. Brill, Gockeln, Stegner, Neumann, Wönner, Kemper, Kuhlemann, Mensing, Dr. Bucerius, Vesper, Rische, Agatz, Harig wegen dienstlicher Inanspruchnahme, Blachstein, Fürst zu Oettingen-Wallerstein wegen Krankheit. - Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach die Abgeordneten Böhm für eine Woche wegen dienstlicher Inanspruchnahme, Dr. Greve und Seuffert für eine Woche wegen Krankheit, Dr. Dorls für eine weitere Woche wegen Krankheit, Determann für eine Woche wegen dienstlicher Inanspruchnahme.
Entschuldigt sind die Abgeordneten Volkholz, Frau Döhring, Steinhörster, Frau Krahnstöver, Dr. Wenzel, Görlinger, Dr. Menzel, Dr. Nöll von der Nahmer.
Meine Damen und Herren! ({0})
- Herr Abgeordneter Dr. Doris hat wie die anderen erkrankten Abgeordneten ein Attest über die Erkrankung eingereicht. Ich habe keine Veranlassung gehabt, dieses Attest des Arztes in Zweifel zu ziehen.
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- Ich werde mir das Attest sofort beschaffen lassen und werde es Ihnen zur Kenntnis bringen.
Meine Damen und Herren! Vor Eintritt in die Tagesordnung
({2})
habe ich wiederum die Aufgabe, eines heimgegangenen Abgeordneten zu gedenken. Am 16. April verstarb im Krankenhaus in München der Abgeordnete der CDU/CSU Martin Loibl, Buchdruckereibesitzer und Zeitungsverleger aus Neuburg an der Donau, an den Folgen eines alten Leidens.
Herr Kollege Loibl ist 1896 in Neuburg an der Donau geboren, hat an der Technischen Hochschule in München studiert und das Technikum für Buchdrucker absolviert. Er hat sich dann als Leiter seiner Buchdruckerei in Neuburg betätigt, ebenfalls als Verleger einer Heimatzeitung. Um politischen Verfolgungen, denen er nach 1933 ständig ausgesetzt war, zu entgehen, ist er im Jahre 1935 in die Wehrmacht eingetreten. Nach Rückkehr aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft hat er im Jahre 1945 seine Buchdruckerei in Neuburg wiedereröffnet, und von 1948 an ist er auch wieder als Verleger seiner Neuburger Heimatzeitung tätig gewesen.
Er ist Mitglied des Deutschen Bundestages als Abgeordneter des bayerischen Wahlkreises 44 Donauwörth. Er hat seine Erfahrungen in den Ausschüssen für Geld und Kredit, für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films wirksam werden lassen, und ich glaube, daß sich keiner, der mit ihm in diesem Parlament und im politischen Leben zu tun hatte, dem starken Eindruck seiner ruhigen und feinen Persönlichkeit entziehen konnte. Er hat darüber hinaus sein besonderes Interesse dem Handwerk gewidmet, dem er sich besonders verbunden fühlte.
Meine Damen und Herren, wir sind sehr bewegt darüber, daß wieder einer unserer Kollegen im besten Mannesalter aus unserem Kreise abgerufen worden ist. - Sie haben sich zu seinen Ehren von den Plätzen erhoben. Ich stelle das fest und danke Ihnen.
Zur heutigen Tagesordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. Krone ums Wort gebeten. Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Krone!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Hohen Hause liegt der Antrag Drucksache Nr. 2167 vor. Er bezieht sich auf Punkt 2 der Tagesordnung: Sitz des Bundesverfassungsgerichts. Ich bitte darum, diesen Antrag der CDU/CSU, FDP, DP, BP und des Zentrums mit der Beratung des Punktes 2 der Tagesordnung zu verbinden.
Sodann habe ich die Aufgabe, namens der Fraktion der CDU/CSU zu Punkt 5 der Tagesordnung den Antrag zu stellen, diesen Punkt von der heutigen Tagesordnung abzusetzen. Es handelt sich um die zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Neugliederung in den Ländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollcrn. Meine Damen und Herren, das Hohe Haus ist sich einig, daß hier eine bedeutsame Materie vorliegt. Wir bezwecken mit unserem Antrag, eine Lösung zu finden, die den wahren Interessen der dortigen Bevölkerung in jeder Weise gerecht wird. Deshalb unser Wunsch, diesen Punkt heute abzusetzen.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Anträge des Herrn Abgeordneten Dr. Krone gehört; zunächst den Antrag, die Drucksache Nr. 2167 mit dem Punkt 2 der heutigen Tagesordnung zu verbinden. Darf ich fragen, ob das Haus damit einverstanden ist?
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- Das ist der Fall.
Zu dem weiteren Antrag Herr Abgeordneter Erler!
Den weiter gestellten Antrag, Punkt 5 von der Tagesordnung abzusetzen, bitte ich abzulehnen. Es handelt sich um eine Frage, die seit Jahren die Gemüter der betroffenen Bevölkerungskreise in außerordentlich hohem Maße erregt hat. Der Bundestag hat, nachdem eine Ländervereinbarung gescheitert ist, nun die Aufgabe, das angeschnittene Problem zu lösen. Beide Ausschüsse, die mit der Lösung betraut waren, haben ihre Aufgabe beendet. Es ist in den Ländern eine Rechtsunsicherheit auch über die Frage der Legislaturperiode der Landtage entstanden, die am einfachsten und wirksamsten dadurch beseitigt werden kann, daß jetzt der Bundestag in vollem Umfange von seiner Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch macht.
Ich spreche nicht zum Inhalt der Vorlage, sondern möchte lediglich bitten, daß wir jetzt nicht wiederum eine solche Vorlage, die lange genug verzögert worden ist, aufs neue hinausschieben. Ich bitte daher, den Antrag, der hier gestellt worden ist, den Punkt 5 abzusetzen, abzulehnen und es bei der heutigen Behandlung in zweiter Lesung bewenden zu lassen.
Zum gleichen Thema zur Geschäftsordnung der Abgeordnete Euler!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine politischen Freunde bedauern, den Antrag der CDU/CSU nicht unterstützen zu können. Ich will hier nicht von der langen Leidensgeschichte dieses Gesetzes sprechen, nicht davon sprechen, daß über einen Staatsvertrag langjährige Verhandlungen mit negativem Ergebnis geführt wurden, bis schließlich der Bundestag in die Lage kam, das Gesetz zu beraten. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß wir bereits im Sommer des vorigen Jahres einen Gesetzentwurf eingebracht hatten und auf Wunsch unserer Koalitionsfreunde immer wieder bereit gewesen sind, die Behandlung dieses Antrags zurückzustellen. Nun haben wochenlang die beiden Ausschüsse - zunächst der Ausschuß für innergebietliche Neuordnung, dann der Rechtsausschuß - die Materie in jeder Weise ausführlich geprüft, und ich glaube, es ist nicht zu rechtfertigen, nun erneut das Gesetz zu verzögern, nachdem folgende Lage besteht.
In den beiden Ländern Württemberg-Hohenzollern und Baden muß die Legislaturperiode verlängert
({0})
werden, wenn eine Landtagswahl vermieden werden soll. In Baden müßten die Landtagswahlen am 28. April durchgeführt werden, es sei denn, daß am 22. April die Volksabstimmung über -die Verlängerung der Legislaturperiode stattfinden würde. Wir haben das sogenannte Blitzgesetz über die Verlängerung der Legislaturperioden v erabschiedet. Die Verkündung dieses Gesetzes ist davon abhängig, daß das heute vorliegende Gesetz in dieser Woche in zweiter und dritter Lesung verabschiedet wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Hilbert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war in diesem Hohen Hause ungeschriebenes Gesetz, daß, wenn eine große Fraktion - wir haben es schon bei kleinen getan - den Wunsch äußerte, eine Vorlage, einen Tagesordnungspunkt zurückzustellen, dem vom Hause in loyaler Weise auch entsprochen worden ist. Es war nicht möglich, die Vorlage seit der Fertigstellung des Berichts des Ausschusses für innergebietliche Neuordnung und des Rechtsausschusses in den Fraktionen so durchzuarbeiten, wie es angesichts der Bedeutung dieses ersten Neugliederungsgesetzes notwendig wäre. Ich verstehe den Herrn Kollegen Euler nicht. Ich habe schon bedauert-ich will darauf nicht näher eingehen, es wird sich bei der Debatte Gelegenheit dazu ergeben -, daß das Gesetz - das erste Neugliederungsgesetz, das für die gesamte Neugliederung im Bundesgebiet präjudizierend wirken wird - im Ausschuß durchgepeitscht wurde, und verstehe nicht, daß nur wenige Tage Zeit für die Fraktionen und für jeden einzelnen Abgeordneten gelassen wurden, zu Rate zu gehen, um dann bei der Abstimmung entsprechend zu handeln.
Ich bitte das Hohe Haus dringend, entsprechend den früher gehandhabten Methoden dem Wunsche der großen Fraktion der CDU/CSU nachzukommen und diese Vorlage von der heutigen Tagesordnung abzusetzen.
Was die von Herrn Kollegen Euler hier zitierten Fristen anlangt, so möchte ich nur betonen, daß sowohl für das Land Baden wie für das Land Württemberg-Hohenzollern der letzte Termin für eine Volksabstimmung, die verfassungsmäßig zur Verlängerung der Landtagswahlperiode notwendig ist, der 6. Mai wäre und die Landtagswahlen spätestens am 20. Mai stattzufinden hätten, so daß wir, wenn wir heute noch vertagen, um die Möglichkeit einer genaueren Prüfung in den Fraktionen zu haben, wirklich nicht in Zeitnot kommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hamacher ebenfalls zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Ausführungen meines Herrn Vorredners kann ich mich kurz fassen. Namens meiner politischen Freunde vom Zentrum trete auch ich für die Vertagung ein. Ich bitte Sie, dieser Vertagung zuzustimmen.
({0})
Herr Abgeordneter Euler!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist wohl erforderlich, hier festzustellen, daß die Daten, die ich soeben hier angab, auf Mitteilungen beruhen, die noch in der letzten Woche im Ausschuß für innergebietliche Neuordnung von den Vertretern des Landes Baden gemacht wurden, allerdings mit dem Hinzufügen, daß eventuell eine Möglichkeit gegeben sei, die Landtagswahl bzw. die zu ihrer Verhinderung erforderliche Volksabstimmung Anfang Mai stattfinden zu lassen. Dabei entstehe aber ein Verfassungsnotstand, eine Lage, die für das Land Baden nicht angenehm sei. Es handelt sich ja gerade darum, verfassungsmäßig unangenehme, nicht völlig zweifelsfreie Lagen dadurch zu vermeiden, daß wir das Gesetz in dieser Woche noch verabschieden.
Das Wort hat der Vertreter des Landes Baden, Herr Staatspräsident Wohleb.
Wohleb, Staatspräsident von Baden: Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
({0})
Was die Abstimmungstermine für das Land Baden angeht, muß ich bestätigen, was der Herr Bundestagsabgeordnete Hilbert hier ausgeführt hat. Es ist nicht richtig, daß wir in Zeitnot kommen, wenn der Gegenstand von der heutigen Tagesordnung abgesetzt wird. Wir sind durchaus in der Lage, sowohl für den Volksentscheid als auch gegebenenfalls für die neuen Landtagswahlen innerhalb der Fristen abzustimmen. Im übrigen glaube ich, daß eine unmittelb are Verbindung zwischen dem sogenannten Blitzgesetz, wenn es auch als „erstes" Gesetz bezeichnet wird, und dem zweiten Gesetz, dem sogenannten Gesetz zur Regelung der Südweststaatfrage, nicht besteht. Verfassungsmäßig besteht eine solche Verbindung jedenfalls in keiner Weise.
({1})
Herr Abgeordneter Erler!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte in aller Bescheidenheit darauf aufmerksam machen, daß die gleiche Debatte, die sich jetzt auf dem Hintergrunde der Geschäftsordnung abspielt, doch in Südwestdeutschland seit drei Jahren im Gange ist.
({0})
In Wirklichkeit handelt es sich bei dem Vertagungsantrag um eine Entscheidung zur Sache, und die bitte ich das Hohe Haus jetzt zu fällen. Ich bitte, jetzt hier in die Sachberatung einzutreten, damit der Bundestag endlich Gelegenheit hat, das Problem zu lösen und damit genau das zu tun, was im Südwesten Deutschlands nun seit drei Jahren versucht wird zu verhindern.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zur Geschäftsordnung liegen nicht vor. Es liegt in der Hand des Bundestags, einen Punkt der Tagesordnung abzusetzen. Es ist beantragt worden, den Punkt 5 der Tagesordnung - zweite Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Neugliederung in den Ländern Baden, Württemberg-Baden und WürttembergHohenzollern - von der Tagesordnung abzusetzen. Ich bitte die Damen und Herren, die für die Absetzung sind, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. ({0})
({1})
Meine Damen und Herren, der Vorstand ist überfordert, wenn er in diesem Fall zählen sollte, wer die Mehrheit hat. Ich muß Sie bitten, diese Frage durch Hammelsprung zu entscheiden.
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- Meine Damen und Herren, ich wäre für eine Beschleunigung dankbar, damit wir nicht zuviel Zeit verlieren.
({3})
Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
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Darf ich um Beschleunigung der Abstimmung bitten. Ich bitte, die Abstimmung zu beenden.
({5})
Meine Damen und Herren! Das durch Auszählung ermittelte Ergebnis der Abstimmung über den Antrag auf Absetzung von der Tagesordnung ist folgendes: mit Ja haben 144 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 161, Enthaltungen 12. Damit ist der Antrag abgelehnt.
({6})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Krone.
Meine Damen und Herren! Ich bitte dann, Punkt 5 der Tagesordnung an den Schluß der Beratungen setzen zu wollen.
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Meine Damen und Herren! Darf ich annehmen, daß die Konzilianz so weit reicht, daß Sie mit einer Zurückstellung einverstanden sind?
({0})
- Meine Damen und Herren! Wollen wir über die Frage, ob wir einen Punkt der Tagesordnung etwas zurückstellen sollen, abstimmen oder nicht?
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Abstimmung erübrigt sich, weil die Fraktion der FDP mit dieser Verschiebung des Tagesordnungspunktes einverstanden ist.
Meine Damen und Herren! Darf ich unter diesen Umständen annehmen, daß wir von einer Abstimmung absehen können?
({0})
- Das ist der Fall.
Es ist mir weiter mitgeteilt worden, daß eine Vereinbarung darüber zustande gekommen ist, die Behandlung des Punktes 2 b der Tagesordnung: Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Wahl der Wahlmänner zur Wahl der Richter beim Bundesverfassungsgericht, Umdruck Nr. 152, auf morgen zu verschieben. - Ich darf annehmen, daß Sie damit einverstanden sind.
Weiterhin hat mir der Herr Vorsitzende des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität mitgeteilt, daß Punkt 6 heute von der Tagesordnung abgesetzt werden muß. Ich hoffe, daß wir damit mit den Korrekturen der Tagesordnung zunächst am Ende sind.
Meine Damen und Herren! Die übrigen Mitteilungen, die zu machen sind, werden wie üblich
ohne Verlesung in das Protokoll aufgenommen:
Der Herr Bundeskanzler hat unter dem 10. April 1951 die Anfrage Nr. 169 der Abgeordneten Goetzendorff und Genossen betreffend Vorbereitung von Brückensprengungen durch die amerikanische Besatzungsmacht - Drucksache Nr. 2023 - beantwortet. Die Antwort wird als Drucksache Nr. 2162 verteilt.
Der Herr Bundeskanzler hat weiter am 4. April 1951 die Anfrage Nr. 171 der Abgeordneten Strauß, Kemmer, Dr. Jaeger und Genossen betreffend Wohnungsbauprogramm für die Besatzungsmächte - Drucksache Nr. 2027 - beantwortet. Das Schreiben wird als Drucksache Nr. 2161 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat am 16. April 1951 die Anfrage Nr. 175 der Abgeordneten Dr. Wuermeling, Etzenbach, Siebel und Genossen betreffend Wiederherstellung des zweiten Gleises der Siegstrecke - Drucksache Nr. 2105 - beantwortet. Das Schreiben wird als Drucksache Nr. 2166 vervielfältigt.
Ich habe Ihnen zu Ihrer Kenntnisnahme ein Schreiben des Bundesvorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes betreffend die Äußerung des Herrn Abgeordneten Wönner gegenüber dem Herrn Bundesarbeitsminister zugeleitet. Ich darf unterstellen, daß die Damen und Herren von diesem Schreiben Kenntnis genommen haben.
Ich rufe nun auf Punkt 1 der Tagesordnung: Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Wahl der Vertreter und Stellvertreter der Bundesrepublik zur Beratenden Versammlung des Europarats.
Meine Damen und Herren! Ich rufe in Ihre Erinnerung, daß dieser Wahl das Gesetz betreffend die Wahl der Vertreter der Bundesrepublik zum Europarat zugrunde liegt, in dem steht:
Die Vertreter der Bundesrepublik werden vom
Bundestag aus seiner Mitte gewählt. Das Verfahren der Wahl bestimmt der Bundestag.
Im Ältestenrat hat eine Besprechung über diese Frage stattgefunden, und man ist dort dazu gelangt, Ihnen vorzuschlagen, daß die Wahl der Bundestagsmitglieder zur Beratenden Versammlung des Europarats nach dem System d'Hondt vorgenommen werden soll. Es ergeben sich daraus nun allerdings einige Schwierigkeiten, meine Damen und Herren. Von den Fraktionen sind unter Berücksichtigung dieser Vereinbarung, von der ich annehme, daß Sie ihr zustimmen, Namen vorgeschlagen worden. Nach der Stärke der Fraktionen, die zugrunde gelegt wird, würde sich ergeben, daß sieben Vertreter und Stellvertreter von der Fraktion der CDU/CSU, sieben Vertreter und Stellvertreter von der Fraktion der SPD, drei von der Fraktion der FDP und einer von der Fraktion der DP vorzuschlagen sind und gewählt werden könnten.
Inzwischen ist ein Schreiben der Fraktion der Bayernpartei eingegangen, in dem ebenfalls ein Vorschlag für die Wahl gemacht wird. In diesem Schreiben vom 11. April schlägt die Fraktion der Bayernpartei den Herrn Abgeordneten Dr. Seelos als Vertreter und den Abgeordneten Fürsten zu Oettingen-Wallerstein als Stellvertreter für die Beratende Versammlung des Europarats vor. Das bedeutet also, meine Damen und Herren, daß wir
({1})
nicht 18, sondern 19 Vorschläge haben. Nach dem System d'Hondt würde die Bayernpartei nicht zum Zuge kommen. Darf ich fragen, Herr Abgeordneter Dr. Seelos, ob unter diesen Umständen der Vorschlag aufrechterhalten bleibt?
Ja. Der Vorschlag bleibt aufrechterhalten, weil wir gegen dieses System sind.
Die Bayernpartei ist also gegen die Anwendung des Systems d'Hondt in diesem Fall und hält ihren Vorschlag aufrecht. Wir müssen nun, da der Bundestag das Verfahren selbst bestimmt, zu einem möglichst einfachen und zweckmäßigen Verfahren gelangen, aus 19 Vorschlägen 18 Vertreter auszuwählen.
({0})
- Meine Damen und Herren, darf ich Ihnen den Vorschlag machen, daß ich, nachdem ich die Vorschläge noch einmal bekanntgegeben habe, durch Handaufheben abstimmen lasse und daß ich mit dem letzten Vorschlag der Bayernpartei beginne. Ich glaube, dann kommen wir doch zu einem Ergebnis, das die Meinung des Hauses dokumentiert. Sind Sie damit einverstanden?
({1})
- Herr Abgeordneter Ritzel, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf darauf aufmerksam machen, daß das Verfahren wesentlich vereinfacht werden kann, wenn der Herr Präsident den Bundestag zunächst einmal darüber abstimmen läßt, ob das System d'Hondt als Wahlverfahren benutzt wird. Geschieht das, dann ist automatisch festgestellt, daß ein Anspruch der Bayernpartei nicht besteht.
Meine Damen und Herren! Ich vermag zwar nicht einzusehen, warum das schneller gehen soll - wir haben ebenfalls zwei Abstimmungen -; aber ich bin auch einverstanden, es so zu machen. Also, meine Damen und Herren, ich bitte diejenigen, die dafür sind, daß die Verteilung der Sitze im Europarat nach dem Verfahren d'Hondt vorgenommen wird, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Zweifellos ist dieser Antrag angenommen.
Wenn man dieses Verfahren anwendet, kommen nur die Vorschläge bis einschließlich der Deutschen Partei in Frage. Soll ich sie noch einmal vorlesen?
({0})
Als Vertreter im Europarat sind folgende Abgeordnete vorgeschlagen worden: von der CDU/CSU Dr. von Brentano, Fürst Fugger von Glött, Dr. Gerstenmaier, Kiesinger, Dr. Pünder, Frau Dr. Rehling, Schütz; als Stellvertreter Dr. Edert, Gerns, Höfler, Junglas, Dr. Semler, Dr. Tillmanns, Frau Dr. Weber ({1}); von der SPD Eichler, Dr. Lütkens, Dr. Mommer, Dr. Nölting, Ollenhauer, Dr. Schmid ({2}), Frau Schroeder ({3}); als Stellvertreter Altmeier, Birkelbach, Erler, Kalbitzer, Frau Krahnstöver, Paul ({4}), Roth; von der FDP Dr. Schäfer, Dr. Becker ({5}), Dr. Freiherr von Rechenberg; als Stellvertreter Dr. von Golitschek, Dr. Pfleiderer, Dr. Reif; von der DP Dr. von Campe und als Stellvertreter Dr. von Merkatz.
Meine Damen und Herren, darf ich Sie bitten, die Sie dieser Wahl von Vertretern und Stellvertretern - ({6})
- Herr Abgeordneter Seelos zur Abstimmung!
Meine Damen und Herren! Nach diesem Schema ist die Verteilung falsch berechnet. Danach bekommt nämlich die CDU 8, die SPD 7 und die FDP 3 Vertreter. Wenn die Deutsche Partei zum Zuge kommen will, dann kann sie nicht nach d'Hondt zum Zuge kommen, sondern nur dadurch, daß sie von der CDU einen Sitz abgetreten bekommt. Das muß man, meine ich, jedenfalls um der Korrektheit der Abstimmung willen, feststellen.
Nach dem Vorschlag, der der mir vorliegt, stellt die CDU/CSU 7, die Deutsche Partei 1 Vertreter. Darf ich annehmen, daß wir jetzt ohne weitere Verzögerung zu der Wahl kommen können.
({0})
- Herr Abgeordneter Renner, Sie würden j a auf keinen Fall zum Zuge kommen.
({1})
Meine Damen und Herren! Wenn Sie wünschen, dieser Liste von Vertretern und Stellvertretern zuzustimmen, bitte ich Sie, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Einige Gegenstimmen. Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist diese Liste angenommen.
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Mit dieser Wahl ist Punkt 1 der Tagesordnung er-ledigt.Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Sitz des Bundesverfassungsgerichts ({3}) in Verbindung mit der
Ersten Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP, BP und Z eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Sitz des Bundesverfassungsgerichts ({4}).
Meine Damen und Herren! Ich schlage Ihnen vor, daß wir entsprechend dem Vorschlag des Ältestenrats je 10 Minuten Begründungszeit und eine Aussprachezeit von 60 Minuten vorsehen. - Das wird gebilligt.
Zur Begründung des Antrags der Fraktion der SPD Herr Abgeordneter Mellies, bitte!
Mellies ({5}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! In § 1 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht ist festgelegt:
Der Sitz des Bundesverfassungsgerichts wird durch Gesetz bestimmt.
Die Verabschiedung dieses Gesetzes ist außerordentlich dringlich, und meine Fraktion hat Ihnen deshalb den Entwurf in der Drucksache Nr. 2108 vorgelegt. Die Bundesregierung hat zu dieser Frage in dem Vorschlag, der dem Bundestag in Drucksache Nr. 2045 - Sitz der Bundesbehörden - unterbreitet ist, bereits Stellung genommen. Sie hat in diesem Entwurf vorgeschlagen, daß der Sitz des Bundesverfassungsgerichts Karlsruhe sein solle.
Wir haben - und das muß ich bei dieser Gelegenheit hier zur Sprache bringen - im Haushaltsausschuß eine merkwürdige Einwirkung auf die Entscheidung in dieser Frage durch den Staatssekretär des Justizministeriums erlebt. Der Haushaltsausschuß hatte sich mit dem Haushalt des Bundesverfassungsgerichts zu befassen. Es ist allgemein üblich, daß Haushaltspläne in einer Form
({6})
vorgelegt werden, die den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen gerecht wird. In diesem Falle hat sich der Herr Staatssekretär nicht damit begnügt, einen Haushaltsplan vorzulegen, der davon ausgegangen wäre, daß der Sitz des Bundesverfassungsgerichts noch offen war, sondern der Herr Staatssekretär fühlte sich bemüßigt, zwei Haushaltspläne vorzulegen und dem Haushaltsausschuß nachzuweisen, daß gewisse Einsparungen im Haushaltsplan vorgenommen werden könnten, wenn Karlsruhe als Sitz gewählt würde. Wir haben den Herrn Staatssekretär bei der Beratung im Haushaltsausschuß schon energisch darauf hingewiesen, daß es nicht seine Aufgabe sei, eine derartige Stellung einzunehmen. Wir glauben, daß es Aufgabe des Hohen Hauses ist, die Ministerien immer wieder mit Nachdruck daran zu erinnern, daß sie sich nicht in irgendeiner Form in Entscheidungen einzumischen haben, die lediglich diesem Hohen Hause vorbehalten sind.
({7})
Meine Damen und Herren! Wir bedauern, daß die Vorschläge, die dem Bundestag über den Sitz der Bundesbehörden in Drucksache Nr. 2045 unterbreitet wurden, nach unserer Auffassung den politischen Notwendigkeiten nicht genügend Rechnung trugen. Gewiß ist es für jede Stadt im Bundesgebiet außerordentlich wichtig, Sitz einer Bundesbehörde zu sein; denn das ist selbstverständlich mit entsprechenden wirtschaftlichen Vorteilen verbunden. Niemand von uns wird es deshalb einer Stadt im Bundesgebiet verargen, wenn sie sich um den Sitz einer Bundesbehörde bemüht.
Diese Voraussetzungen treffen natürlich auch auf Berlin zu. Wir haben wiederholt hier im Bundestag feststellen können, daß Berlin auch in früheren Jahren nur zu etwa 43 % aus seiner gewerblichen Wirtschaft und zu weit über 50 % aus den anderen Dienstleistungen gelebt hat, die sich aus der Tatsache ergaben, daß es Hauptstadt des Deutschen Reiches und Preußens war, Sitz der beiden großen Parlamente und damit Sitz der entsprechenden Ministerien und sonstigen Behörden. Wir werden die Notlage Berlins nicht allein dadurch überwinden können, daß wir versuchen, das Wirtschaftsleben Berlins so blühend wie möglich zu gestalten. Wir werden immer davon ausgehen müssen, daß die Notlage Berlins erst dann voll und ganz überwunden ist, wenn es seine frühere Funktion wieder übernommen hat. Aus diesem Grunde hat die Verlegung von Behörden nach Berlin selbstverständlich auch ein besonderes Gewicht. Aber, meine Damen und Herren, für Berlin ist der Sitz einer oberen Bundesbehörde von noch viel größerer Bedeutung. Wenn Berlin als Sitz einer oberen Bundesbehörde bestimmt wird, dann ist das eine starke politische Manifestation, eine Manifestation, für die Einheit Deutschlands und ein Bekenntnis zu Berlin als der endgültigen Hauptstadt Deutschlands. Eine solche Sprache wird in der Welt und wird vor allen Dingen in der östlichen Welt verstanden werden.
Wir haben es deshalb, wie ich eben schon anführte, besonders bedauert, daß in der Drucksache Nr. 2045 diesen Gesichtspunkten nicht genügend Rechnung getragen ist. Inzwischen hat ja die Bundesregierung eine gewisse Revision dieses Beschlusses vorgenommen. Das Bundesaufsichtsamt für Versicherungs- und Bausparwesen war zunächst für Hamburg vorgesehen. Jetzt hat die Bundesregierung in einem zweiten Beschluß festgelegt, daß Berlin Sitz dieses Bundesaufsichtsamtes werden soll. Der Herr Minister Kaiser hat bei einer Gelegenheit zum Ausdruck gebracht, die Bundesregierung habe erwartet, sie werde für diesen zweiten Beschluß erheblichen Dank ernten. Statt dessen müsse er zu seinem Bedauern feststellen, daß man noch eine gewisse Kritik an diesen zwei Beschlüssen der Bundesregierung übe. Meine Damen und Herren, was war aber vorgegangen? Die Bundesregierung hatte zunächst in der Drucksache Nr. 2045 für das Bundesaufsichtsamt Hamburg bestimmt. Es bedurfte erst der sehr energischen Sprache aller Fraktionen im Berliner Landtag, um diesen Beschluß zu ändern. Darüber hinaus bedurfte es auch der hämischen Glossen in den Zeitungen der Sowjetzone, um die Bundesregierung zu veranlassen, sich nun einmal zu überlegen, ob dieser erste Beschluß haltbar war. Durch diese Tatsachen hat die Bundesregierung ihrem zweiten Beschluß viel von seiner ursprünglichen politischen Wirksamkeit genommen. Wäre in der Drucksache Nr. 2045 damals gleich Berlin als Sitz des Bundesaufsichtsamts festgelegt worden, so wäre das politisch viel wirksamer gewesen, als es jetzt nach den Vorgängen tatsächlich der Fall sein konnte.
Meine Damen und Herren! Nun hat der Bundestag erneut Gelegenheit, Berlin in jeder Beziehung einen wertvollen Dienst zu leisten: einmal durch die Vermehrung der Zahl der Bundesbehörden in Berlin und zweitens auch durch eine entsprechende politische Manifestation. Wenn wir Berlin als Sitz des Bundesverfassungsgerichts bestimmen, so hat das seine besondere Bedeutung. Aufgabe dieses Gerichtes ist es nämlich, die Freiheit und die demokratische Entwicklung in der Bundesrepublik zu sichern. Diese Werte sind in Berlin und für Berlin von besonderer Bedeutung. Die Berliner Bevölkerung hat in der Vergangenheit in harten und opfervollen Auseinandersetzungen dafür gesorgt, daß diese Worte in Berlin nicht leerer Schall und Rauch geworden sind. Wir glauben deshalb, daß es von besonderer Bedeutung ist, wenn gerade dieses Gericht, das über die Freiheit und die Entwicklung der Demokratie in Deutschland wachen soll, seinen Sitz in Berlin bekommt. Gerade die Berliner werden einen solchen Beschluß des Bundestages ganz besonders begrüßen.
Wir bitten Sie deshalb, unserem Antrage, den wir Ihnen in der Drucksache Nr. 2108 vorgelegt haben, Ihre Zustimmung zu geben. Wenn der Bundestag diesem Gesetz zustimmt, ist das gleichzeitig ein Bekenntnis zur Freiheit und zur Einheit Deutschlands. Es ist zugleich aber auch ein Dank an die Berliner für den harten, schweren Kampf, den sie für diese Werte bisher geführt haben und auch in Zukunft noch führen werden. Es ist ein Bekenntnis für die Freiheit, die Demokratie und die Menschlichkeit gegen die Unfreiheit, die Diktatur und die Unmenschlichkeit.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Tillmanns.
Dr. Tillmanns ({0}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag, der hier soeben eingebracht und begründet worden ist, bringt wieder einmal die Frage der Errichtung und Verlegung von Bundesbehörden in und nach Berlin zur Sprache.
Herr Abgeordneter, darf ich einen Augenblick unterbrechen. Wollen Sie den Antrag auf Drucksache Nr. 2167 begründen?
Dr. Tillmanns. ({0}), Antragsteller: Ja, das will ich bei dieser Gelegenheit tun. - Es handelt sich nicht nur um die isolierte Frage des Sitzes des Bundesverfassungsgerichts, sondern es handelt sich um die allgemeine Frage der Errichtung und Verlegung von Bundesbehörden. In diesem Hause ist wiederholt von allen Fraktionen zum Ausdruck gebracht worden, 'daß wir gewillt sind, durch Errichtung solcher Behörden in Berlin das zu vollziehen, was Herr Abgeordneter Mellies hier eben gefordert hat, nämlich Berlin in seinem Kampf für die Einheit und Freiheit Deutschlands zu stärken. Es erscheint mir bedauerlich, daß es bisher nicht gelungen ist, über diese Frage im Bundestag eine Gesamtvereinbarung herbeizuführen
({1})
und zu einem gemeinsamen Vorschlag der Regierung und des Bundestages zu kommen.
({2})
Wenn das der Fall wäre, würden wir darum herumkommen, jedesmal bei einer solchen Einzelfrage wieder diese Angelegenheit hier erörtern zu müssen. Der Stadt Berlin und der besonderen Aufgabe, die sie zu erfüllen hat, wäre ein großer Dienst erwiesen, wenn man endlich an einen solchen gemeinsamen Vorschlag für die Errichtung von Bundesbehörden kommen könnte.
({3})
So wie die Dinge heute liegen und so, wie diese Frage des Sitzes des Bundesverfassungsgerichts hier in den letzten Wochen verhandelt worden ist, steht aber die Frage des Sitzes des Bundesverfassungsgerichts in engem Zusammenhang mit der Frage des Sitzes des noch zu errichtenden Bundesaufsichtsamts für Privatversicherung. Die Verhandlungen, die darüber geführt worden sind, haben ein gewisses Junktim in dieser Frage herbeigeführt, und wir wissen, daß die Bundesregierung ihrerseits beschlossen hat, das Bundesaufsichtsamt für Privatversicherung in Berlin zu errichten. Das hat der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen in der Sitzung des Berlin-Ausschusses des Bundestages in Berlin bekanntgegeben, und dieser Beschluß ist von der Berliner Bevölkerung dankbar begrüßt worden. Deswegen hat die Fraktion der CDU/CSU einen Antrag gestellt, der, soviel ich weiß, in diesem Hause noch nicht verteilt ist
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- oder der gerade jetzt verteilt worden ist -, mit dem ein Gesetzentwurf vorgelegt wird, der als Sitz des Bundesaufsichtsamts für Privatversicherung Berlin vorsieht.
Damit, meine Damen und Herren, sind die im Interesse der Stadt Berlin zu stellenden Erfordernisse, von denen der Herr Abgeordnete Mellies hier eben gesprochen hat, keineswegs erfüllt. Vielmehr wird hier im Bundestag noch darüber zu beraten sein, wie man die Stellung Berlins auch durch die Verlegung weiterer Bundesbehörden stärken und dadurch vor allen Dingen dem politischen Bekenntnis zu Berlin verstärkten Ausdruck geben kann. Für Berlin ist aber wichtig, daß durch die Verlegung des Bundesaufsichtsamts für Privatversicherung zur Arbeitsbeschaffung für die große Zahl arbeitsloser Berliner Angestellten ein bedeutender Beitrag zur Erleichterung ihrer wirtschaftlichen Situation geleistet wird. Nach allen vorangegangenen Besprechungen führt diese Lösung dahin, daß wir das Bundesverfassungsgericht nicht nach Berlin legen. Daher haben die Fraktionen der CDU/CSU, der FDP, der DP, der Bayernpartei und des Zentrums Ihnen einen Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem das Bundesverfassungsgericht vorerst - d. h. vorläufig und bei der gegebenen Situation - seinen Sitz in Karlsruhe haben soll.
Ich darf Sie bitten, diesem Antrag der genannten Fraktionen zuzustimmen. Ich weiß, daß diese Regelung, die - ich wiederhole das - dahin geht, daß das Bundesaufsichtsamt für Privatversicherung seinen Sitz in Berlin bekommen und daß unter dieser Voraussetzung das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe errichtet werden soll, auch dem Willen und dem Wunsch des Senats der Stadt Berlin entspricht. Der Senat von Berlin hat gestern nachmittag beschlossen, einer solchen Regelung zuzustimmen.
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Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründungen zu den beiden Anträgen gehört. Ich eröffne die Aussprache im Rahmen der vorgesehenen Redezeit von 60 Minuten.
Das Wort hat der Abgeordnete Ewers.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu diesem Punkt der Tagesordnung beschäftigt uns allein - jedenfalls formell - die Frage: Wo soll der Sitz des Bundesverfassungsgerichts sein? Der Antrag, den Herr Kollege Dr. Tillmanns soeben begründet hat, ist von fünf Fraktionen, auch von der meinen, unterzeichnet. Für uns ist es ganz allgemein bedauerlich, daß man mit der Frage des Sitzes einer obersten Behörde immer wieder landsmannschaftliche, hochpolitische und Gott weiß welche sonstigen Nebenfragen verbindet. Das verhindert eine sachliche Lösung der Frage, welches im Interesse des Volksganzen der beste Sitz der entsprechenden Behörde ist.
In diesem Falle trifft das besonders ausgeprägt zu. Vom Standpunkt einer geordneten und dem Volke dienenden Justiz aus ist es eine völlige Unmöglichkeit, daß man den Sitz des Bundesverfassungsgerichts, das etwa zur Hälfte mit Richtern des obersten Bundesgerichtshofes besetzt sein soll, für das also der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht hat, daß er eine enge innere und äußere Verbindung mit dem obersten zivilen Gericht für erforderlich hält, nicht an denselben Ort legt, an dem der oberste Bundesgerichtshof schon sitzt. Mit der Entscheidung „Karlsruhe" - mag sie nun richtig oder falsch gewesen sein - sollte sachlich ohne weiteres entschieden gewesen sein, daß dann also auch der Verfassungsgerichtshof nach Karlsruhe gehört.
Als Jurist, als Rechtsbeflissener füge ich hinzu, daß es für jeden, der dem Recht eine höhere Funktion als eine rein äußerliche zumutet und zutraut, klar sein sollte, daß damit auch entschieden sein soll, daß das oberste Arbeitsgericht an demselben Ort zu tagen hat. So war es ja im alten Reich bei Leipzig auch der Fall. Nachdem man bedauerlicherweise die Arbeitsgerichtsbarkeit von der übrigen Gerichtsbarkeit getrennt hat - man hat es auch ressortmäßig getan -, als ob es zwei verschiedene Rechte gäbe, sollte man wenigstens dafür sorgen, daß in der obersten Spitze eine sehr starke innere Annäherung in Richtung auf ein gemeinsames Rechtsdenken herbeigeführt wird. Aber das ist eine Sache für sich. Jedenfalls sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, daß das Bundesverfassungsgericht an demselben Ort sitzen muß, an dem die Ziviljustiz ihre oberste Spitze hat.
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Aus diesem Grund sind wir der Ansicht, daß ein anderer Ort als Karlsruhe überhaupt nicht in Frage kommen kann.
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Wir unsrerseits aber lehnen in diesen Dingen jedes Junktim mit Berlin oder einem sonstigen Ort ab. Das gilt auch hinsichtlich des Bundesaufsichtsamts für Privatversicherung.
({2})
Darüber wird aber erst zu seiner Zeit etwas zu sagen sein. Heute habe ich dazu nichts auszuführen.
Berlin kommt als Sitz für ein oberstes Gericht nach allgemeinen demokratischen Meinungen jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn es jemals Bundeshauptstadt werden sollte; und das wollen wir doch hoffentlich alle. Wenn späterhin der Sitz der Bundesregierung dorthin kommen sollte, müßte man das Bundesverfassungsgericht bestimmt wieder wegverlegen; denn die enge Verbindung zwischen der Regierung des Bundes und den höchsten Richtern ist politisch bestimmt nicht erwünscht. Berlin muß in jeder Beziehung zum Bunde gezogen werden und das Gefühl bekommen, ein Teil des Bundes zu sein; und es muß die Möglichkeit haben, wenn es morgen hoffentlich zwölftes Land wird, daß es dann schon so eingegliedert ist, als wäre es schon seit langem Teil unsres Staates. Gerichtsbehörden aber gehören so lange nicht nach Berlin, als diese alte Hauptstadt auch wieder als neue Hauptstadt des Deutschen Reiches oder Bundes in Aussicht genommen ist.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Ewers sind weitgehend irrig und mit dem Gesetz über das Bundesverfassungsgericht nicht zu vereinbaren. Herr Kollege Ewers, es ist erstens nicht richtig, daß etwa die Hälfte der Bundesverfassungsrichter vom Obersten Bundesgericht kommen müsse. Richtig ist, daß genau ein Drittel der Richter aus Bundesgerichten kommen muß, d. h. nicht nur aus dem Obersten Bundesgericht, das noch gar nicht da ist, sondern auch aus dem Bundesgerichtshof, dem Bundesarbeitsgericht, dem Bundessozialgericht und dem Bundesfinanzhof. Diese Gerichte liegen heute schon teilweise an verschiedenen Orten. Der Bundesfinanzhof befindet sich z. B. in München.
Weiterhin ist es irrig, so zu argumentieren: da die Bundesverfassungsrichter teilweise aus den oberen Bundesgerichten kommen, ist eine örtliche Verbindung notwendig. Nach unserem Gesetz sind ja die Bundesverfassungsrichter hauptberuflich und vollamtlich tätig, kehren also praktisch bis zur Beendigung ihres Richteramts niemals wieder an das obere Bundesgericht oder das Oberste Bundesgericht zurück, so daß die Forderung nach einer örtlichen Verbindung mit unserem Gesetz nicht übereinstimmt.
Im übrigen aber ist zu sagen, Herr Kollege Ewers, daß alle Ihre Erwägungen auch auf 'das Bundesverwaltungsgericht anzuwenden wären, welches ja nach einem Beschluß der Bundesregierung gerade nach Berlin kommen soll. Mit solchen Erwägungen kann man also hier wohl nicht operieren. Ebenso halte ich die Auffassung nicht für richtig, daß eine enge örtliche Verbindung zwischen dem Sitz des Bundesverfassungsgerichts und dem Sitz der Bundesregierung unerwünscht sei. Das Bundesverfassungsgericht ist zwar ein echtes Gericht, aber seiner ganzen Struktur nach etwas durchaus anderes als ein Gericht für Zivil- oder Strafsachen, das man nach guter alter deutscher Tradition möglichst weit weg von der politischen Metropole setzen sollte. Das Bundesverfassungsgericht dagegen muß mit dieser sogar einen Kontakt haben, um auch die Arbeitsmöglichkeit zu besitzen und sich über die Einzelheiten der Gesetzesentstehung usw. jeweils ohne Schwierigkeiten unterrichten zu können. Ich glaube also nicht, daß einer Ihrer Gründe zutrifft.
Vor allen Dingen muß ich aber etwas gegenüber dem Herrn Kollegen Dr. Tillmanns sagen. Wenn der Berliner Senat den Beschluß gefaßt hat, mit dem Bundesaufsichtsamt für Privatversicherung zufrieden zu sein, so doch nur aus der Sorge heraus, überhaupt eine Bundesbehörde nach Berlin zu bekommen. Er läuft nämlich sonst Gefahr, daß sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch das Bundesaufsichtsamt nicht nach Berlin kommen, was ja erklärtermaßen die ursprüngliche Absicht der Bundesregierung gewesen ist. Das ist also der Grund, der dahintersteckt. Darüber hinaus hat selbstverständlich der Senat von Berlin das gute Recht, Landesinteressen zu vertreten und sich für die Bundesbehörde zu interessieren, die am meisten Arbeitskräfte, insbesondere Angehörige einer öffentlichen Verwaltung, zu beschäftigen in der Lage ist. Das ist beim Bundesaufsichtsamt mit einem großen Personalstab selbstverständlich ganz anders der Fall als bei dem Bundesverfassungsgericht, das aus 24 Richtern und einigen wenigen Beamten des gehobenen und mittleren Dienstes bestehen wird. Dieses regionale Interesse dabei zu vertreten, ist das gute Recht des Senates der Stadt Berlin, besonders dann, wenn er sonst Gefahr läuft, nach Berlin - entsprechend der ursprünglichen Absicht der Bundesregierung - überhaupt nichts zu bekommen.
Meine Damen und Herren, bitte bedenken Sie doch, was Sie hier tun. Das Bundesverfassungsgericht ist, wie es ja hier häufig ausgesprochen wurde, neben dem Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung eines der obersten Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland. Den Sitz dieser Organe kann man nicht in einer Weise bestimmen, daß man sagt: wenn irgendeine Bundesbehörde dorthin kommt, dann setzen wir dafür dieses oberste Verfassungsorgan woanders hin. Ein derartiges Junktim ist einfach nicht möglich und ist auch mit der Selbstachtung, die sich das deutsche Volk schuldet, nicht vereinbar. Wir können den Sitz des Bundestages oder der Bundesregierung oder des Bundesrats nicht davon abhängig machen, wohin irgendeine andere Bundesbehörde kommt; und davon können wir auch nicht den Sitz des Bundesverfassungsgerichts abhängig machen.
({0})
Das Bundesverfassungsgericht gehört an den Hauptort in Deutschland, an die Stelle, an der es - wie mein Kollege Mellies gesagt hat - weithin sichtbar wird im Kampf für Recht und Freiheit. Und das kann nur Berlin sein!
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete von Thadden.
von Thadden ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor einigen Tagen wurde hier anläßlich der Beratung des Haushalts des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen darüber gesprochen, daß man es lieber sehen würde, wenn an aktiver Propaganda und aktiver Haltung gegenüber dem Osten etwas mehr geschehen würde. Die Ostzone zeichnet sich dadurch aus, daß sie völlig verfassungslos einer Willkürherrschaft unterworfen ist. Wenn wir unsererseits das Bundesverfassungsgericht als die höchste Instanz der Hüterin der Freiheit mitten in diesen roten Kessel jetzt hineinlegen, würde dies auf die Bewohner der Ostzone, die sich nach dieser Freiheit sehnen, meines Erachtens eine durchaus positive Wirkung haben. Das Bundesverfassungsgericht tagt nicht so oft mit großem Aufwande, daß man die technischen Schwierigkeiten zu hoch bewerten sollte. '
Aus diesem Grunde, meine Damen und Herren: Setzen Sie sich über die Bedenken, die, ich möchte sagen, etwas mehr formaler Natur sind, hinweg. Legen Sie das Bundesverfassungsgericht nach Berlin als einen Anfang auf dem Wege einer Aktivierung unserer Politik in Richtung Osten!
({1})
Das Wort hat der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen.
Meine Damen und Herren! Die Frage der Verlegung von Dienststellen der Bundesrepublik nach Berlin hat den Bundestag, den Berlin-Ausschuß, aber auch das Bundeskabinett immer wieder beschäftigt. Es ist dem Hohen Hause bekannt, daß ich mich selbst immer wieder dafür eingesetzt habe, neu zu errichtende Behörden der Bundesrepublik nach Berlin zu legen, wo immer es angebracht und vertretbar erscheint.
({0}) Kein sachlicher Kritiker wird z. B. verkennen, daß die Entscheidung, das Bundesverwaltungsgericht in Berlin zu errichten, ein bedeutsamer Schritt in dieser Richtung war, Ich brauche auch nicht zu verhehlen, daß ich mich zunächst, und zwar aus politischen Gründen - wie sie eben von Herrn Arndt und wie sie auch von Herrn von Thadden berührt oder ausgesprochen worden sind -, dafür eingesetzt habe, daß das Bundesverfassungsgericht nach Berlin kommt. Aber gerade wenn man schon den in dem Antrag der Fraktion der SPD vom 14. September 1949 herausgestellten Gesichtspunkt zugrunde legt, daß Dienststellen der Bundesrepublik nur nach Berlin verlegt werden sollen, wenn dadurch der Ablauf des Geschäftsverkehrs nicht erschwert wird, kann man sich kaum den Einwendungen verschließen, die gegen die Errichtung des Bundesverfassungsgerichts in Berlin geltend gemacht werden.
({1}) - Man könnte dazu noch mehr sagen.
({2})
Das Bundeskabinett war sich darüber klar, daß der Verzicht auf die Errichtung des Bundesverfassungsgerichts in Berlin für Berlin selber besonders schmerzlich sein würde;
({3})
um so mehr aber weiß es die Bundesregierung zu würdigen, daß sich der Senat der Stadt Berlin unter ,
Würdigung der dafür vorliegenden Gründe in diesem Sinne entschieden hat. Ich könnte dazu mehr sagen, auch unter Berufung auf Persönlichkeiten, die an erster Stelle die Verantwortung für Berlin tragen. Das Kabinett hat sich, um Berlin einen Ausgleich zu bieten - ich darf das trotz Ihrer Ausführungen, Herr Dr. Arndt, sagen -, für die Errichtung des Bundesaufsichtsamts für Privatversicherung in Berlin statt in Hamburg eingesetzt. Ich war vor einigen Tagen in Hamburg und habe aus dem Munde von Herrn Brauer sehr bittere Worte über diese Korrektur eines früheren Beschlusses gehört. Ich glaube, daß in diesem Entschluß der Bundesregierung erneut zum Ausdruck kommt, wie sehr das Schicksal Berlins der Bundesregierung am Herzen liegt.
Wer sich bei der Beurteilung dieses Fragenkomplexes von wirklich objektiven Gesichtspunkten leiten läßt, wird die besonderen Schwierigkeiten, die hier im Falle des Bundesverfassungsgerichts vorliegen, zu würdigen wissen. Die Bundesregierung muß sich hier den praktischen Schwierigkeiten beugen, die auch manche andere Organisationen veranlaßt haben, ihre Zentralstelle trotz dringender dahingehender Wünsche nicht nach Berlin zu verlegen.
({4})
Ich habe daher den dringenden und wirklich aufrichtigen Wunsch, daß die Frage der Verlegung von Bundesbehörden nach Berlin nicht immer wieder zu neuen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition wird. Die Bundesregierung - das erkläre ich - wird, wo immer es möglich und vertretbar ist, den Anliegen und den Interessen der Stadt Berlin gerecht zu werden suchen,
({5})
und die Stadt Berlin wird mich immer als den wärmsten Befürworter ihrer Interessen im Bundeskabinett wissen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmid.
Meine Damen und Herren! Es handelt sich bei diesem Gesetzentwurf nicht um die Frage, ob man Interessen Berlins befriedigen will oder nicht. Wir haben hier eine gesamtdeutsche politische Frage auf Grund von gesamtdeutschen Argumenten zu entscheiden.
({0})
Man kann die Frage, ob Bundesbehörden nach Berlin verlegt werden sollen oder nicht, nach fiskalischen Gesichtspunkten beurteilen, etwa unter dem Gesichtspunkt, daß den Berlinern damit ein Bene zugefügt werden soll, daß mehr zahlungskräftige Verbraucher nach Berlin gebracht werden. Das ist ein durchaus legitimer Gesichtspunkt. Aber hier handelt es sich doch nicht darum! Bei der Frage nach dem Sitz des Bundesverfassungsgerichts kann es sich doch nie und nimmer darum handeln, den Ort danach auszusuchen, welcher Stadt die Bestimmung zum Sitz des Gerichtes am wohlsten täte! Das darf kein Gesichtspunkt sein! Der einzige Gesichtspunkt, der möglich ist, ist: durch welche Wahl wird das gesamtdeutsche Interesse am sichersten wahrgenommen? Und hier, meine Damen und Herren, gibt es nur eine Antwort, und diese Antwort heißt: Berlin!
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe damit die Besprechung der ersten Beratung.
Ein Antrag auf Überweisung an einen Ausschuß ist nicht gestellt worden.
({0})
- Es ist beantragt, obwohl heute nur die erste Beratung des Gesetzes und die Beratung .des interfraktionellen Antrags auf der Tagesordnung steht, alle drei Lesungen in einer Sitzung vorzunehmen. Das könnte nur geschehen, wenn nicht widersprochen wird. Wird widersprochen? - Das ist nicht der Fall. Es stehen also auch die zweite und dritte Beratung auf der Tagesordnung.
Ich eröffne die Einzelbesprechung der
zweiten Beratung
der beiden vorliegenden Gesetzentwürfe. Wünscht jemand das Wort zu nehmen? - Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Abstimmung über die beiden vorliegenden Gesetzentwürfe. Weitergehend ist der Gesetzentwurf der Fraktion der SPD, der den Sitz des Bundesverfassungsgerichts endgültig festlegt. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetzentwurf Drucksache Nr. 2108 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung in der zweiten Beratung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP, BP und des Zentrums auf Drucksache Nr. 2167. Ich bitte die Damen und Herren, die den §§ 1 und 2 sowie der Einleitung und Überschrift dieses Gesetzentwurfs zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Eine Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache Nr. 2108 erübrigt sich durch die Ablehnung in der zweiten Beratung. Wird das Wort zur allgemeinen und zur Einzelbesprechung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Abstimmung in der dritten Beratung über den Gesetzentwurf Drucksache Nr. 2167, § 1, - § 2, - Einleitung und Überschrift. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich komme zur Schlußabstimmung über das Gesetz betreffend den Sitz des Bundesverfassungsgerichts. Ich bitte die Damen und Herren. die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? -Bei wenigen Gegenstimmen und zahlreichen Enthaltungen ist das Gesetz in der Schlußabstimmung angenommen.
Ich bin gebeten worden, bekanntzugeben, daß der Untersuchungsausschuß Nr. 44 um 15 Uhr in Zimmer 104 Südflügel zu einer Sitzung zusammentritt.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Hessischen Verordnung über die einstweilige Regelung von Mietstreitigkeiten ({1}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, eine Begründungszeit von 10 Minuten und den Verzicht auf eine Aussprache vorzusehen. Soll eine mündliche Begründung des Gesetzentwurfs erfolgen? - Das ist offenbar nicht der Fall. Ich darf annehmen, daß eine Überweisung des Antrages an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen erfolgt. - Das Haus ist damit einverstanden.
({2}) Herr Abgeordneter Dr. Oellers, bitte!
Ich weiß nicht, ob die Abstimmung beendet ist; sonst möchte ich zusätzlich Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht beantragen. Es handelt sich ja insbesondere um eine Rechtsfrage.
Meine Damen und Herren! Sie haben den Antrag des Herrn Abgeordneten Oellers gehört. Es bestehen zweifellos keine Bedenken, eine weitere Überweisung vorzunehmen. Das würde heißen: federführend an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen und darüber hinaus an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht. Ist das Haus damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein.
Ich rufe jetzt auf Punkt 4 der Tagesordnung: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP, BP und des Zentrums eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
({0}).
Soll der Antrag von den antragstellenden Fraktionen begründet werden? - Herr Abgeordneter Dr. Schmid, bitte!
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auch in diesem Falle auf eine Aussprache zu verzichten.
Dr. Schmid ({1}) ({2}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der interfraktionelle Antrag, die Konvention zur Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu ratifizieren, soll in Abwesenheit des Kollegen, der zunächst dafür vorgesehen war, von mir in wenigen Sätzen begründet werden. Die antragstellenden Fraktionen empfehlen die Ratifikation aus folgenden Gründen.
Die Konvention, die der Europarat verabschiedet hat, stellt gegenüber dem bisher geltenden Recht einen außerordentlichen Fortschritt dar. Bisher war Völkerrecht nur so vorstellbar, daß ausschließlich Staaten Objekt und Subjekt der Normen des Völkerrechts sein konnten. Mit dieser Konvention wird zum erstenmal Rechtens, daß auch Individuen Adressaten von Völkerrechtsnormen sein können und sind. Damit Ist ein Schritt nach vorwärts getan, um den sich die Vorkämpfer für eine Fortentwicklung des Völkerrechts bisher seit Jahrzehnten vergeblich bemüht haben.
Eine Konvention zum Schutze der Rechte von Individuen wäre bisher nur möglich gewesen in der Form, daß zwei, drei oder vier Staaten miteinander aushandelten, in welcher Weise ihre Staatsangehörigen gegenseitig behandelt werden sollten, und die Durchführung der so vereinbarten Normen und die Kontrolle ihrer Anwendung wäre
({3})
ausschließlich Sache des jeweils betroffenen Staates gewesen.
Hier tritt nun ein grundlegender Wandel ein. Es wird nun nicht nur von einzelnen 'Staaten ausgehandelt, 'wie ihre Staatsangehörigen gegenseitig behanelt werden sollen, sondern sämtliche Staaten, die Mitglied des Europarats sind, beschließen mit der Ratifikation dieser Konvention, daß innerhalb ihres Staatsgebietes sämtliche Menschen ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit einen bestimmten Mindeststandard von Grundrechten genießen sollen, und darüber hinaus wird die Kontrolle über die Durchführung dieser Verpflichtung nicht ausschließlich den nationalen Gerichten anheimgegeben, sondern internationalen Instanzen.
Diese beiden Instanzen sind die Europäische Kommission für Menschenrechte und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Jedermann in jedem der angeschlossenen Staaten, der glaubt, eine Behandlung erfahren zu haben, die unterhalb des Rechtsstandards liegt, den die Konvention vorsieht, kann sich an diese Kommission für Menschenrechte wenden, und diese Kommission muß nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges seinen Fall aufnehmen und diskutieren. Wenn von der Kommission festgestellt wird, daß jemand der Konvention zuwider behandelt wurde, dann ist die Kommission verpflichtet, den Gerichtshof anzurufen, der den Fall unter Auschaltung von Opportunitätsgesichtspunkten ausschließlich unter strikter Anwendung des Rechts entscheidet. Dieser Gerichtshof kann außer von der Kommission noch von dem Staat angerufen werden, dem das Individuum angehört, das sich grundrechtswidrig behandelt fühlt, und von dem Staat, dem gegenüber behauptet wird, daß er jemanden grundrechtswidrig behandelt hätte.
Das ist ein ungeheurer Fortschritt gegenüber dem bisherigen Rechtszustand, und wenn sich auch die internationale Kontrolle staatlichen Tuns hier auf den schmalen Bereich der Garantie der Menschenrechte beschränkt, so ist doch damit ein Einbruch in ein Dogma geschehen, das 'bisher unbeschränkt regiert hat, in das Dogma nämlich, daß nur Staaten Adressaten von Völkerrechtsnormen sein könnten und daß nur Staaten sich an internationale Institutionen sollten wenden können, wenn einem Menschen Unrecht getan worden ist.
Was den Inhalt der Konvention betrifft, so brauche ich wohl den Inhalt der einzelnen Artikelnicht vorzutragen. Wir finden dort im wesentlichen die klassischen Menschenrechte, 'die seit der Deciaration of Rights in der Verfassung des Staates Virginia immer wieder - neu formuliert und ausgeweitet - in die staatlichen Verfassungen übernommen worden sind. Es sind nicht sämtliche Wünsche aller derer befriedigt worden, die Anträge an die Beratende Versammlung des Europarats gerichtet haben. Für die einen ist man zu weit gegangen, für die anderen ist man zuwenig weit gegangen. Aber was zu guter Letzt herausgekommen ist und was - mit Beschränkungen - vom Ministerrat akzeptiert wurde, ist etwas, was man beiahen kann. wenn man entschlossen ist. die Verteidigung der Sache der Freiheit indes Einzelmenschen aus der bloßen Sphäre der staatlichen Jurisdiktion herauszunehmen und zu einer internationalen Angelegenheit, zu einem Anliegen aller Völker zu machen.
({4})
Sie haben die Begründung
des Antrages gehört, meine Damen und Herren. Ich darf annehmen, daß Sie mit der Überweisung des Gesetzentwurfes an den Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten als federführenden Ausschuß und an den Rechtsausschuß einverstanden sind. - Gegen die Stimmen der kommunistischen Fraktion angenommen.
({0})
- Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, im Augenblick noch kein Sonderparlament einzurichten.
({1})
Daß das Thema der Menschenrechte dort besonders interessant ist, verstehe ich natürlich.
({2})
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ({3}) betreffend Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Dr. Dehler gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 28. Februar 1951 ({4}).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Weickert.
Weickert ({5}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Staatsanwaltschaft in Amberg hat auf Ersuchen des 1 Privatklägers Falb, des nachmaligen Abgeordneten im Bayerischen Landtag, Antrag auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Dr. Dehler gestellt. Der Vorgang ist kurz folgender:
Gelegentlich einer Versammlung, die am 15. Oktober 1950 in Amberg stattgefunden hat, fühlte sich der Privatkläger durch Äußerungen des Abgeordneten Dr. Dehler beleidigt. Der Privatkläger hat sich allerdings, wie aus den Akten hervorgeht, auch nicht so verhalten, wie es hätte sein müssen, um Dr. Dehler nicht zu diesen Äußerungen -zu veranlassen. Nach den im Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität entwickelten Grundsätzen sieht der Ausschuß keine Veranlassung, die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Dr. Dehler zu befürworten. Der Ausschuß schlägt Ihnen daher vor:
Der Bundestag wolle beschließen,
die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Dr. Dehler abzulehnen.
Meine Damen und Herren! Nachdem Sie den Bericht des Herrn Berichterstatters gehört haben, schlage ich Ihnen vor, auf eine Aussprache zu verzichten. - Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses, Drucksache Nr. 2135, die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Dr. Dehler abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Gegen eine Stimme bei keiner Enthaltung angenommen.
({0})
Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ({1}) betreffend Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Goetzendorff gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 28. Februar 1951 ({2}).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Bromme. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Bromme ({3}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Fall, der der Drucksache Nr. 2136 zugrunde liegt, verdient deshalb einige Beachtung, weil Vorkommnisse solcher Art geeignet sind, den so notwendigen Widerstandswillen der deutschen Bevölkerung gegen alle Formen totalitärer Infiltration systematisch zu untergraben. Der Bundesminister der Finanzen Fritz Schäffer hat gegen den Abgeordneten Goetzendorff Strafantrag gestellt mit der Begründung, daß dieser am 5. November vorigen Jahres in einer Wahlversammlung in Bogen an der Donau erklärt habe: Wenn es im West-Ost-Konflikt ernst werde, werde der Bundesfinanzminister Schäffer sich auf ein bereitstehendes amerikanisches Schiff setzen und abhauen.
({4})
Auf Zurechtweisung hin habe Goetzendorff betont, er sei sich der Tragweite seiner Behauptung bewußt und halte sie aufrecht.
Diese Äußerung ist von dem Abgeordneten Goetzendorff ohne Zweifel in der Absicht gemacht worden, das Ansehen des Bundesfinanzministers in der Öffentlichkeit herabzuwürdigen. Es ist möglich, daß der Abgeordnete Goetzendorff unter Berufung auf eine von der Hearst-Presse vor einigen Wochen veröffentlichte Information
({5})
glaubte, diese Unterstellung machen zu können. Aber aus seiner Kenntnis der Verhältnisse in Bonn mußte er wissen, daß dieser Hearst-Information die sachliche Grundlage fehlt. Jedenfalls hat der Abgeordnete Goetzendorff bisher keine Gelegenheit genommen, seine Behauptung durch Beweise zu erhärten.
Zwar handelt es sich im vorliegenden Falle um eine Beleidigung politischer Art; aber der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität war einmütig der Auffassung, daß der an sich geltende Grundsatz hier nicht zur Anwendung kommen könne, da die beleidigende Äußerung - ganz unabhängig von dem, was im Ernstfall geschehen wird und geschehen muß - wider besseres Wissen gemacht worden und damit möglicherweise der Tatbestand des § 187 des Strafgesetzbuchs erfüllt sei. Im Ausschuß wurde auch erwogen, ob nicht die Vierte Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutze des inneren Friedens vom 8. Dezember 1931, die ja nicht außer Kraft gesetzt ist, heranzuziehen ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang an die Worte erinnern: Es gilt, den Anfängen zu wehren! Aber vielleicht ist es angesichts dessen, was sich draußen im Lande tut, besonders in Schleswig-Holstein und in Niedersachsen, reichlich optimistisch, vom Anfang einer gefährlichen politischen Entwicklung zu sprechen.
Namens des Ausschusses habe ich die Ehre, das Hohe Haus zu bitten, entsprechend seinem Antrage zu verfahren, und die Immunität des Abgeordneten Goetzendorff aufzuheben.
Zum Wort hat sich der
Herr Abgeordnete Goetzendorff gemeldet.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Vermuten Sie nicht, daß es der Zweck meiner Ausführungen sein soll, die Ablehnung des Ausschußantrages zu erreichen.
({0})
Ich sehe, wie in allen anderen Fällen, der Aufhebung meiner Immunität mit Gelassenheit entgegen, mit der Gelassenheit, die ein gutes Gewissen verleiht.
({1})
Es ist lediglich meine Absicht, aus Anlaß dieses bezeichnenden Falles einige grundsätzliche Bemerkungen zu machen. Es handelt sich um die Praxis der Immunitätsaufhebung. Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, daß seinerzeit der Antrag gestellt wurde, die Immunität des Herrn Bundesfinanzministers Schäffer aufzuheben. Es war der Vorwurf erhoben worden, er habe einen BHELandtagsabgeordneten einen Gestapospitzel geheißen. Eine niederträchtige Verleumdung, wenn der Tatbestand nicht erfüllt sein sollte und wenn die Äußerung tatsächlich gefallen sein sollte! Doch prompt, wie aus der Pistole geschossen, wurde im Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität ein Brief des Herrn Bundesfinanzministers verlesen, wonach er ja gar nicht diesen Mann, den Dr. Gille, gemeint habe. Er habe mit dem Gestapoagenten mich gemeint. Den Wahrheitsbeweis ist Herr Fritz Schäffer dann -auf Grund meines Briefes - schuldig geblieben. Ich überlasse es dem Hohen Hause, festzustellen, ob das die Handlung eines Ehrenmannes ist. Jedenfalls hat der älteste Parlamentarier in diesem Hause seinerzeit das fragwürdige Bravourstück des Herrn Schäffer mit dem Ausdruck „Gangstertat" bedacht.
Meine Damen und Herren!
({2})
Im Wahlkampf fallen harte Worte. Ich aber bin in der Lage, in der nächsten Zeit der Öffentlichkeit einmal Kenntnis von einem Briefe zu geben - und das wird auch die SPD interessieren -, der von der Kreisgeschäftsstelle der CSU für den Bundestagswahlkreis Passau geschrieben worden ist. Hier sind von dem Kreisgeschäftsführer an den Herrn Bundesfinanzminister direkt pornographische Darstellungen über politische Persönlichkeiten und andere Personen geleistet worden, unterzeichnet „Mit Unionsgruß! Woesner, Geschäftsführer".
Meine Damen und Herren! Der Sinn meiner Ausführungen ist lediglich, darum zu bitten, daß vor dem Hohen Hause Gleichheit herrscht.
({3})
Es ist gleichgültig, ob die Angelegenheit eines kleinen Abgeordneten oder des Bundesfinanzministers hier zur Debatte steht. Es hat keinen Zweck, immer wieder mit Lautstärke 9 die Demokratie zu demonstrieren, wenn man deren obersten Grundsatz außer acht läßt; und der heißt doch wohl, daß Demokratie nicht nur das Recht der Mehrheit, sondern auch das Recht der Minderheit bedeutet. Professor Carlo Schmid hat einmal in einem anderen Zusammenhang das Wort von der Politik der via del mezzo gesprochen. Ich möchte
({4})
sagen, daß wir dieses Wort auch auf unsere Arbeit anwenden sollten. Wenn wir wie bisher verfahren, dann wird das nicht nur eine Politik der via del mezzo sein, sondern es wird eine via mala geben, die letzten Endes zum Teufel führt, von dem viele hoffen, daß er diese Demokratie hole.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Kahn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es eigenartig, daß der Herr Kollege Goetzendorff den Mut hat, hier in eigener Sache zu sprechen.
({0})
Als Mitglied des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität darf ich feststellen, daß in diesem Ausschuß alle Kollegen mit peinlicher Gewissenhaftigkeit und mit sachlicher Überlegung zu jedem einzelnen Fall Stellung genommen haben. Ich darf im Namen des Ausschusses und der Kollegen hier betonen, daß es der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität ablehnt, bei der Art und Weise, wie der Abgeordnete Goetzendorff in seiner Sache gesprochen hat, in eine sachliche Debatte einzutreten und hier Stellung zu nehmen.
({1})
Offenbar liegen weitere Wortmeldungen nicht vor. Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität auf Drucksache Nr. 2136, die Immunität des Abgeordneten Goetzendorff aufzuheben. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrage zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ({0}) betreffend Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Wirths gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 26. Februar 1951 ({1}).
Berichterstatter ist der Herr Abgeordnete Hoogen. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Hoogen ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Oberstaatsanwalt beim Landgericht in Wuppertal hat in seinem Bericht an den Herrn Präsidenten des Bundestages vom 15. 12. 50 vorgeschlagen, die Immunität des Abgeordneten Karl Wirths aus Wuppertal-Elberfeld zur Durchführung eines Strafverfahrens wegen Beleidigung des Ministerialdirigenten Dr. Frenkel aus Düsseldorf aufzuheben. Diesem Vorschlage liegt folgender Sachverhalt zugrunde.
Abgeordneter Wirths ist Herausgeber der „Westdeutschen Rundschau". In der Ausgabe vom 18. 10. 1950 veröffentlichte Abgeordneter Wirths unter der Überschrift „Wir fordern Rechenschaft, Herr Minister" einen Artikel, in welchem unter Anführung von Einzelheiten unter anderem dem Ministerialdirigenten Dr. Frenkel bei der ihm übertragenen Fürsorge für die politisch Geschädigten der Vorwurf der Korruption gemacht wurde.
Auf diesen Artikel erwiderte der Minister Dr. Amelunxen in der Ausgabe vom 2. 11. 1950 der „Westdeutschen Rundschau". In der gleichen Ausgabe veröffentlichte Abgeordneter Wirths unter der Überschrift „Verschiebung der Verantwortung" einen weiteren Artikel. In diesem Artikel heißt es wörtlich wie folgt:
Der Herr Frenkel hat sich inzwischen auch gemeldet. Er verlangte eine Berichtigung auf Grund des § 11 des Pressegesetzes. Wir sind dem nachgekommen und sind gespannt, ob Herr Frenkel gegen den Verfasser des Artikels
- den Abgeordneten Wirths Strafantrag stellen wird. Wir bleiben jedenfalls bei unserer Feststellung, daß die Art, wie Herr Frenkel seine Abteilung geführt hat, korrupt war.
Der Vorwurf der Korruption wird mit zahlreichen Einzelheiten und einem Bericht des Landesrechnungshofs in Düsseldorf erläutert. Darauf hat Dr. Frenkel am 13. 11. 1950 gegen den Abgeordneten Wirths Strafantrag wegen Beleidigung gestellt.
Bei diesem Sachverhalt empfiehlt der Ausschuß einstimmig, die Immunität des Abgeordneten Wirths zur Durchführung eines Strafverfahrens wegen Beleidigung des Dr. Frenkel aufzuheben. Vorweg sei bemerkt, daß hierin selbstverständlich keine Stellungnahme zu der Frage, ob eine Beleidigung vorliegt oder ob der Vorwurf der Korruption berechtigt ist, zu erblicken ist. Das festzustellen, ist ausschließlich Sache des ordentlichen Gerichts.
Bei seiner Empfehlung läßt sich der Ausschuß von folgenden Erwägungen leiten. Es ist nicht zu verkennen, daß der eben mitgeteilte Sachverhalt u. a. auch politischen Charakter hat. Das ergibt sich aus den politisch umstrittenen Problemen, mit denen sich die verschiedenen Artikel befassen, aus der Stellung der in den Artikeln angesprochenen Persönlichkeiten im öffentlichen Leben und aus ihrer Zugehörigkeit zu verschiedenen politischen Parteien. Der Sachverhalt ist also jedenfalls „politisch infiziert", wie es in diesem Hohen Hause einmal hieß. In solchen Fällen mit politischem Interesse oder Hintergrund hat das Haus bisher den Standpunkt vertreten, daß sie jedenfalls grundsätzlich nicht zur Aufhebung der Immunität führen sollten. Damit dürfte es Ausnahmen in besonders gelagerten Fällen für zulässig erachtet haben. Eine solche Ausnahme ist nach der einmütigen Auffassung des Immunitätsausschusses hier gegeben.
Bei seinen Überlegungen ist der Ausschuß vom Zweck des Immunitätsrechtes ausgegangen. Das Immunitätsrecht soll die Funktionsfähigkeit und das Ansehen des Parlamentes sicherstellen. Es war also gegeneinander abzuwägen, ob das Ansehen dieses Hohen Hauses durch die Aufhebung der Immunität oder durch die Verweigerung der Aufhebung der Immunität gefördert wird. Im vorliegenden Falle würde nach der Überzeugung des Ausschusses durch eine Verweigerung der Immunitätsaufhebung das Ansehen des Parlaments aber nicht gefördert, sondern sogar gefährdet werden. Denn es dürfte dem Ansehen des Bundestages und -wenn sich solche Fälle wiederholen sollten - auch seiner Funktionsfähigkeit nicht förderlich sein, wenn aus den Reihen seiner Abgeordneten Staatsbürgern schwerwiegende kriminelle Vorwürfe gemacht werden - ob zu Recht oder zu Unrecht, haben die Gerichte zu entscheiden -, diesen Staatsbürgern zur Widerlegung der Vorwürfe die Einleitung von gerichtlichen Verfahren anheimgestellt wird und der Bundestag als höchster rechtsetzender Repräsentant der Staatsgewalt die Durchführung dieser Verfahren für längere Zeit durch Ablehnen der Immunitätsaufhebung unmöglich macht.
({3})
Ich darf an dieser Stelle bemerken, daß der Abgeordnete Wirths selbst die Aufhebung seiner Immunität wünscht, um in dem gerichtlichen Verf ah-ren den Wahrheitsbeweis für seine Behauptungen antreten zu können.
({4})
Es dürfte bei der Behandlung dieses Falles, meine Damen und Herren, von Interesse sein, zu hören, daß die jetzt geltenden Verfassungen der Länder Bremen und Hessen die Immunität dann versagen, wenn ein Abgeordneter wegen einer Straftat verfolgt werden soll, die er als Schriftleiter begangen hat. Und weiterhin: Der Reichstag hat 1931 ein Gesetz beschlossen, wonach Schriftleiter nicht sein darf, wer nur mit besonderer Genehmigung verfolgt werden kann. Hierauf hat in den Beratungen des Immunitätsausschusses Herr Präsident Löbe besonders und zutreffend hingewiesen.
Aus den eben erwähnten gesetzlichen Bestimmungen und dem Art. 46 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes dürfte also eine die Immunität einengende Entwicklung in Fällen wie dem vorliegenden zu entnehmen sein. Im Zuge dieser Entwicklung liegt auch der Ihnen vom Ausschuß zur Annahme emnfohlene Antrag auf Drucksache Nr. 2137.
Zur Konkretisierung des Antrages darf ich jedoch vorschlagen, in dem Passus „die Immunität des Abgeordneten Wirths aufzuheben" vor dem Worte „aufzuheben" die Worte einzufügen: „im Rahmen und nach Maßgabe des Berichtes des Oberstaatsanwaltes in Wuppertal vom 15. 12. 1950." Namens des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität darf ich Sie bitten, dem Antrage zuzustimmen.
({5})
- Herr Abgeordneter Renner, weil das der Ausschuß nicht beschlossen hat!
({6})
Wünschen Sie das Wort zu nehmen, Herr Abgeordneter Renner?
({0})
Meine Damen und Herren, Sie haben den Bericht des Herrn Berichterstatters gehört. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Sie haben auch den Vorschlag des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität gehört, den Beschluß dadurch zu ergänzen, daß vor dem Wort „aufzuheben" eingefügt wird: „im Rahmen und nach Maßgabe des Berichtes des Oberstaatsanwalts beim Landgericht Wuppertal vom 15. 12. 1950", wenn ich recht verstanden habe, Herr Abgeordneter Hoogen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag des Ausschusses, Drucksache Nr. 2137, mit der Abänderung zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Meine Damen und Herren! Die Herren Antragsteller des unter Punkt 12 der Tagesordnung stehenden Antrages betreffend kleinen Grenzverkehr an der deutsch-schweizerischen Grenze haben mich gebeten, diesen Punkt von der Tagesordnung so lange abzusetzen, bis sie den Antrag von neuem aufgreifen. Darf ich annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist? - Das ist offenbar der Fall.
Ich rufe auf Punkt 10 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen über die Anträge der Fraktion der Bayernpartei und der Fraktion der Deutschen Partei betreffend Besteuerung von Kleinpflanzertabak ({1}).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Junglas. Es wird vorgeschlagen, eine Aussprachezeit von äußerstenfalls 60 Minuten vorzusehen. - Ich darf annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist.
Junglas ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen lagen zwei Anträge vor, der Antrag Nr. 1154 der Bayernpartei und der Antrag Nr. 1175 der Deutschen Partei. Beide Anträge befassen sich mit der Frage der Besteuerung des Kleinpflanzertabaks und der Lohnverarbeitung und des Umtausches selbstgezogenen Tabaks. Der Bundestag hat jedoch die in diesen Anträgen ausgesprochenen Fragen bereits erledigt; denn in seiner 107. Sitzung vom 14. Dezember 1950 ist das Gesetz zur Regelung der Besteuerung des Kleinpflanzertabaks im Erntejahr 1950 beschlossen worden. Aus der damals durch den Abgeordneten Herbig gegebenen Begründung ergibt sich klar und eindeutig, daß sowohl die Besteuerungsanträge wie auch der Antrag auf Umtausch und Lohnverarbeitung in diesem Gesetz, das am 2. März 1951 im Bundesgesetzblatt erschienen ist, geregelt sind. Der Ausschuß hat daher dem Hohen Hause vorzuschlagen, die beiden Anträge durch Verabschiedung des Gesetzes vom 2. März 1951 als erledigt zu betrachten.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter, insbesondere für die Kürze seines Berichts.
Ich eröffne die Aussprache. - Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses Drucksache Nr. 2060. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben.
- Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen?
- Offenbar einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung: Beratung des Antrags der Fraktion des Zentrums betreffend Freistellung landwirtschaftlichen Kleinbesitzes von der Grundsteuer ({0}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von zehn Minuten vor und für den Fall, daß sie in Anspruch genommen werden soll, eine Aussprachezeit von 40 Minuten. Wer wünscht den Antrag zu begründen? Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Glasmeyer.
Dr. Glasmeyer ({1}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Steuerberater meiner Fraktion, der eigentlich als Berichterstatter vorgesehen war, ist leider Gottes im Moment nicht im Saal. Infolgedessen will ich versuchen, diesen Antrag, so gut ich kann und so kurz wie möglich, zu begründen.
Wir wissen, daß der von uns gestellte Antrag in den Ausschüssen - in diesem Fall also im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
({2})
bezw. im Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen - höchstwahrscheinlich sehr heiße Debatten auslösen wird; denn es handelt sich nach dem, was mir der Steuerberater unserer Fraktion sagte, immerhin um eine Summe von etwa 40 bis 50 Millionen DM, die der Bund zu ergänzen hätte, wenn dieser Antrag angenommen würde.
In dem Antrag stehen die Worte: „insbesondere Besitz, der eine Ackernahrung nicht darstellt". Die Größenverhältnisse einer Ackernahrung sind selbstverständlich je nach Lage und Bodengüte verschieden. Es ist ebenso selbstverständlich, daß ein Kleinbesitz, der in der Nähe irgendeines Industriebezirkes gelegen ist, wo die Mitglieder der Familie neben der Nahrung aus dem Acker auch noch so ihr Geld verdienen können, besser gestellt ist als der Kleinbesitz, der in einer rein landwirtschaftlichen Gegend, in einer marktfernen Lage gelegen ist.
Der Kleinbesitz der marktfernen Lage leidet sehr stark an Kapitalnot. Diese Leute besitzen durchschnittlich nur einige Kühe, vielleicht einige Schweinchen und einige Hühner. Das Geld, das sie einnehmen, brauchen sie unbedingt für ihre eigene Lebensnahrung, für die Erhaltung ihrer Kinder und zur Bestreitung der Ausgaben für den unbedingt notwendigen Kunstdünger. Ich möchte noch hinzufügen, daß gerade diese einfachen Naturmenschen durchschnittlich sehr viel Kinder haben, weil gerade sie das Gebot unseres Herrn „Wachset und mehret euch" noch getreulich befolgen.
({3})
- Ja, Sie mögen darüber lachen, es ist aber so; und weil dies eben so ist und weil wir diesen Leuten helfen müssen, darum haben wir uns gesagt: Gut, wenn der Antrag auch Schwierigkeiten macht, wollen wir doch versuchen, das Augenmerk des ganzen Bundestages gerade auf diesen landwirtschaftlichen Kleinbesitz zu richten. Darum bitten wir Sie, Ihre Zustimmung dazu zu geben, daß der Antrag den zuständigen Ausschüssen für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und für Finanz-und Steuerfragen überwiesen wird.
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Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dresbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe das Vergnügen, in meinem Heimatdorf unter Leuten zu wohnen, die alle keine volle Ackernahrung haben. Wenn ich heute diesem Antrag des Zentrums zustimmte, hätte ich zumindest Aussicht, am Sonntag zu einem Glas Freibier eingeladen zu werden.
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Ich werde aber trotzdem dem Antrag nicht zustimmen, und zwar aus folgenden Gründen.
Die Leute, die auf gewerbliche Arbeit ausgehen, können die Grundsteuer im Zweifelsfall noch leichter aufbringen als die Landwirte, deren Grundbesitz gerade noch in die volle Ackernahrung hineinreicht, allerdings nicht im Sinne einer Objektsteuer, sondern aus sonstigem Einkommen. Es würde aber doch wohl sehr viel böses Blut erregen, wenn gerade diese Leute mit verhältnismäßig hohem gewerblichem Einkommen von der Grundsteuer freigestellt würden.
Besondere Mißlichkeiten sehe ich jedoch bei der Frage kommen, wie man den Begriff der vollen Ackernahrung abgrenzen soll. Das ist zeitlich verschieden. In der Zeit der Zwangswirtschaft haben wir in unserem Kreise tausend selbständige Landwirte mehr gehabt als zu normalen Zeiten. Sie sind jetzt nicht mehr da. Das ändert Sich also. In Monokulturen wie z. B. im Weinbau oder Gemüsebau kommen Sie schon mit sehr viel kleineren Flächen aus, um eine volle Ackernahrung herzustellen. Eine flächenmäßige Gleichmäßigkeit zwischen Monokulturen und gemischten Betrieben herzustellen, ist jedenfalls sehr schwer.
Nun hat sich das Zentrum mit seinem Antrag erfreulicherweise darauf eingestellt, daß dieser Ausfall gedeckt werden muß, und zwar schiebt es den Bund ein. Nach dem Grundgesetz ist ein Verkehr zwischen Bund und Gemeinden nicht möglich; denn der Art. 106, der hier maßgebend ist, sieht nur einen Verkehr zwischen Bund und Ländern vor. Die Frage der Realsteuerverteilung - nicht die des materiellen Steuerrechts - aber ist eine Angelegenheit des inneren Finanzausgleichs der Länder. Wenn Sie diese Dinge durchführen wollen, wenn Sie Ersatz dafür schaffen wollen, dann müssen Sie schon die Länder angehen. Tatsächlich, meine Herren vom Zentrum, gehen doch die Dinge in puncto Bund einerseits, Länder und Gemeinden andererseits, andere Wege. D. h. der Bund zapft infolge seines großen Finanzbedarfs seine Länder und vielleicht auch demnächst die Gemeinden an. Also, ich glaube, es heißt doch wohl die Zeichen der Zeit verkennen, wenn Sie noch einen Antrag stellen, daß der Bund Zahlungen an die Gemeinden leisten soll. Im übrigen stehen wir auf dem Standpunkt, daß diese hier angeschnittene Frage eine Angelegenheit des inneren Finanzausgleichs der Länder ist und lehnen deshalb den Antrag ab.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kneipp.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Dr. Glasmeyer hat den Ausfall an Grundsteuern, die seiner Auffassung nach durch den Bund zu ersetzen wären, auf 40 Millionen DM geschätzt. Ich glaube, mit dieser Schätzung haut er doch ganz wesentlich daneben. Es gibt ganze Landkreise, besonders im Gebirge, bei denen, wenn man den Begriff „Ackernahrung" besonders günstig - in diesem Falle zugunsten der Steuerpflichtigen -- auslegt, 40, 50 und mehr Prozent unter die Vergünstigung dieses Antrags fallen. Das Zentrum hat ja schon vor einiger Zeit in der Drucksache Nr. 1490 einen ähnlichen Antrag gestellt. Durch diesen Antrag sollte eine Änderung des Grundsteuergesetzes in der Art erreicht werden, daß jedem, der keine „Ackernahrung" hat, im Wege der Antragstellung die Möglichkeit gegeben wird, um die Grundsteuerbefreiung einzukommen. Der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen hat es bei der Beratung des Grundsteuergesetzes, das in einigen Tagen hier verkündet werden wird, abgelehnt, auf den Boden dieses Antrags zu treten.
Es ist der Begriff der Ackernahrung aufgeworfen worden. Kollege Dr. Glasmeyer hat sich bereits zu diesem Begriff geäußert. Wer soll denn nun eigentlich feststellen, wo eine Ackernahrung vorhanden ist? Man hat ja im Dritten Reich den Begriff Ackernahrung durch die Anerbengerichte, Erbhofgerichte und das Reichserbhofgericht schließlich feststellen lassen. Das waren Gerichte, denen ein gewisser Kreis von Sachverständigen zur Seite stand, um den Begriff Ackernahrung jeweils zu klären. Soll es jetzt nun so gemacht werden, daß die Finanzbehörden den Begriff Ackernahrung festlegen? Dazu sind sie gar nicht in der Lage, und man soll den
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sowieso übermäßig in Anspruch genommenen Finanzbehörden eine solche Aufgabe gar nicht zumuten. Damit kommen wir nicht weiter.
Schließlich würden auch bei Annahme dieses Antrages und der Gewährung einer solchen Vergünstigung an bäuerliche Betriebe Spannungen im dörflichen Leben entstehen, die wir lieber vermeiden möchten. Wenn diese kleinbäuerlichen Betriebe, denen es bestimmt nicht gut geht - da gebe ich Herrn Kollegen Glasmeyer recht -, von der Grundsteuer freigestellt würden und daneben Arbeiter oder Rentenempfänger oder Wohlfahrtsunterstützungsempfänger in ihren kleinen Häusern die Grundsteuer zahlen müßten, würde das für das dörfliche Leben einfach unerträglich sein.
Es gibt nur eine Lösung: man sollte auf dem Gebiet der Agrarpolitik solche umfassenden Maßnahmen treffen, daß es diesen kleinen Grundsteuerpflichtigen unter einer Ackernahrung so geht, daß sie nicht auf ein Almosen nach dieser Richtung angewiesen sind. Gewiß würden die Gemeinden ein Interesse daran haben, sich diese Steuer vom Bund oder von irgendeiner anderen Stelle ersetzen zu lassen. Auf die verfassungsrechtliche Frage im Sinne des Art. 106 Abs. 2 hat Herr Kollege Dr. Dresbach bereits hingewiesen. Die Gemeinden hätten schließlich ein Interesse daran, möglichst viele Vergünstigungen zu bewilligen, weil sie damit ihre eigenen kleinen Steuerpflichtigen entsprechend begünstigen würden. Meine politischen Freunde glauben, daß die Frage nur auf dem Wege der Schaffung einer vernünftigen Agrarpolitik gelöst werden kann. Ich darf namens meiner Freunde erklären, daß wir bereit sind, eine solche Agrarpolitik unter allen Umständen mit zu unterstützen, bei der auch die kleinen Landwirte entsprechend berücksichtigt werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Niebergall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits im Januar 1950 erklärte bei der Einbringung des sogenannten Steuerreformgesetzes der Herr Finanzminister Schäffer: „Wir melken die Kuh so stark, daß bereits Blut kommt." Ich habe auf Grund der Steuerpolitik des Herrn Finanzministers und vor allem hinsichtlich dessen, was er noch vorhat, den Eindruck, daß, wenn sich unsere Bauern und insbesondere unsere kleinen Bauern heute nicht zur Wehr setzen; der Bundesminister der Finanzen eines Tages vermelden kann: Operation gut verlaufen, Patient tot! Bundesernährungsminister Professor Niklas, dem man als dem zuständigen Ressortminister zubilligen darf, daß er mit den Verhältnissen in der westdeutschen Landwirtschaft vertraut ist, hat bereits am 14. Juni 1950 in der „Deutschen Bauernkorrespondenz"-erklärt: „Steuern und in der letzten Zeit die Soforthilfeabgabe haben eine Höhe erreicht, die sich ausgesprochen erzeugungshemmend auswirkt." Das ist nach unserer Auffassung sehr vornehm ausgedrückt. Wir sind sonst von den Bayern eine stärkere und härtere Sprache gewohnt.
Die Steuerschraube ist stark überdreht. Die Gesamtbelastung des deutschen Steuerzahlers einschließlich der Soforthilfeabgabe und des Notopfers Berlin betrug in der Vergangenheit bereits mehr als 25 Milliarden DM, d. h. rund 45 °/o des Volkseinkommens. Vergleicht man diese Belastung, die in der Geschichte der Völker buchstäblich kein Beispiel findet, mit der der früheren Jahre, so ergibt sich, daß die öffentlichen Abgaben gegenüber 1936 um 115 % gestiegen sind und sich im Vergleich zu I 1913 fast verneunfacht haben. In welchem Ausmaß diese Belastung zugenommen hat, darüber gibt eine Statistik Auskunft. In dieser Statistik heißt es: 1913/14 eine steuerliche Belastung von 4 Mark je Hektar, im Jahre 1949/50 ungefähr 120 DM. Der kommunistischen Fraktion liegen über die steuerliche Belastung Stöße von Briefen vor. Aber was geschieht seitens der Bundesregierung gegen diese unerhörte steuerliche Belastung? Nichts! Im Gegenteil, das Faß des Herrn Schäffer ist ein Faß ohne Boden. Die deutsche Landwirtschaft steht schon heute an der Spitze der steuerlichen Belastung in Europa. Deshalb stimmen wir dem Antrag des Zentrums zu.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Herr Abgeordneter Dr. Dresbach hat den Antrag gestellt, den Antrag der Fraktion des Zentrums sofort abzulehnen. Ein Antrag auf Ausschußüberweisung ist von Herrn Abgeordneten Dr. Glasmeyer gestellt worden. Ich darf annehmen, daß Herr Abgeordneter Dr. Glasmeyer beantragt hat, den Antrag dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen federführend und dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen. Ich bitte die Damen und Herren, die der Ausschußüberweisung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag auf Ausschußüberweisung ist angenommen.
Nachdem Punkt 12 der Tagesordnung abgesetzt worden ist, rufe ich Punkt 13 auf:
Zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1950 ({0});
Mündliche Berichte des Haushaltsausschusses ({1}):
Einzelplan X - Haushalt des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - ({2}) in Verbindung mit der
Beratung des Antrags der Fraktion der Deutschen Partei betreffend Einrichtung einer Abteilung „Fischwirtschaft" im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({3}).
Damit verbunden ist der Umdruck Nr. 153.
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, für die Begründung dieses Antrages eine Zeit von 5 Minuten und für die Gesamtaussprache über Haushalt und Antrag eine Zeit von 180 Minuten vorzusehen. - Das Haus ist offenbar damit einverstanden.
Ich bitte den Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Brese, das Wort zu nehmen.
Brese ({4}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Einzelplan X, über den ich Ihnen zu berichten habe, gliedert sich in den Haushalt des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und die ihm nachgeordneten Dienststellen auf. Zu diesen gehören einmal die Bundesforschungsanstalten auf den Gebieten der Ernährung, der Landwirtschaft und der Forsten, die zu wesentlichen Teilen die früher vom Deutschen Reich unterhaltenen For({5})
schungsstätten darstellen und Forschungsaufgaben durchführen, die für das Bundesgebiet von erheblicher Bedeutung sind, sowie die Außenhandelsstellen des Bundesministeriums und das Bundessortenamt für Nutzpflanzen, das in der Hauptsache den Sortenschutz der Nutzpflanzen zur Aufgabe hat. Eine besondere Einrichtung, über die noch gesprochen werden wird, ist die Landwirtschaftliche Forschungsanstalt in Braunschweig-Völkenrode, für die unter den allgemeinen Haushaltsausgaben ein Zuschuß ausgebracht ist. Den aufgegliederten Haushaltsplan finden Sie als Anlage zum Einzelplan X.
Der Vorgänger des Ministeriums ist die ehemalige Verwaltung für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Vereinigten Wirtschaftsgebietes. Diese Verwaltung wurde damals auf Veranlassung des Haushaltsausschusses des Wirtschaftsrates durch den Rechnungshof des Vereinigten Wirtschaftsgebietes einer eingehenden Prüfung unterzogen. Das Ergebnis dieser Prüfung war im wesentlichen zufriedenstellend. Soweit sich aus dem Gutachten für die Verwaltung Konsequenzen ergaben, wurden sie gezogen. Der dem Haushaltsausschuß vorgelegte Einzelplan X für 1950 kann im Verhältnis zu den Aufgaben, die dem Ministerium in der heutigen Zeit zufallen, im allgemeinen als sparsam und wirtschaftlich angesehen werden.
Die organisatorische Gliederung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten entspricht den Aufgabenbereichen. Der vom Ministerium vorgelegte Organisationsplan enthält sechs Abteilungen, nämlich a) für allgemeine Verwaltung, b) für landwirtschaftliche Erzeugung, c) für Außenhandel und Ernährungswirtschaft, d) für Agrarpolitik, e) für Forst- und Holzwirtschaft und f) für Planung und Statistik.
Die Abteilung für Forst- und Holzwirtschaft gliedert sich in zwei Unterabteilungen auf. Hierüber ist im Haushaltsausschuß eingehend gesprochen worden. Es wurde als ein Schönheitsfehler empfunden, daß bei dem ineinandergreifenden Gebiet eine Aufteilung in zwei Unterabteilungen, nämlich in eine Unterabteilung für Forstwirtschaft und eine Unterabteilung für Holzwirtschaft, erfolgt ist. Das Ministerium hat für den Haushalt 1951 eine Prüfung zugesichert, ob es möglich ist, ohne Unterabteilungen auszukommen.
Hinsichtlich der Abteilung für Planung und Statistik hat sich der Haushaltsausschuß nach eingehenden Darlegungen des Ministeriums überzeugt, daß Überschneidungen mit den Aufgaben des Statistischen Bundesamtes nicht vorliegen; es wurden demgemäß anfängliche Bedenken gegen die Errichtung dieser Abteilung fallengelassen.
Der dem Haushaltsausschuß vorgelegte Stellenplan ist mit besonderer Sorgfalt überprüft worden, und man kann sagen, daß er unter Berücksichtigung der vielen Aufgaben, die vom Ministerium zu lösen sind; als knapp bemessen und gerade ausreichend bezeichnet werden kann. In der Vorlage der Bundesregierung ist ein Personalbestand von 575 Personen vorgesehen, der sich aus 273 Beamten, 8 beamteten Hilfskräften und 294 Angestellten und Arbeitern einschließlich 6 Angestellten für die Vertretung in Berlin zusammensetzt. Gegenüber dem Haushalt des Vorjahres bedeutet dies eine Verminderung um 21 Stellen. Während der Beratung m Haushaltsausschuß sind noch 2 Stellen für Beimte und 8 Stellen für Angestellte hinzugetreten. Bei den ersteren handelt es sich um die Stellen, lie im Haushalt des Bundesministeriums des
Innern abgesetzt worden sind, weil der Haushaltsausschuß nach langen Erörterungen mit Mehrheit zu der Auffassung kam, daß das Veterinärwesen voll und ganz in das Aufgabengebiet des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gehört.
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- Nur mit Mehrheit, ganz richtig! -Inzwischen ist diese Frage zugunsten des Innenministeriums hier in zweiter Lesung entschieden worden.
Erlauben Sie mir ein Wort als Abgeordneter. Ich freue mich, daß heute - -
Herr Abgeordneter, wir sind noch nicht in der Aussprache. Darf ich Sie freundlichst bitten, sich auf die Berichterstattung beschränken zu wollen!
Brese ({0}), Berichterstatter: Ich dachte, es bestände die Möglichkeit, im Rahmen der Berichterstattung einige Worte als Abgeordneter zu sagen.
Nein, ich würde das für eine sehr gefährliche Praxis halten, Herr Abgeordneter. Ich würde bitten, diese Gefahren nicht heraufzubeschwören.
Brese ({0}), Berichterstatter: Also gut, warten wir bis nachher.
Bei den zusätzlich eingesetzten 8 Stellen für Angestellte handelt es sich um eine notwendige Verstärkung der Unterabteilung Außenhandel, um die Arbeitsfähigkeit dieser Unterabteilung mit Rücksieht auf den Umfang der Außenhandelsvertragsverhandlungen und der damit verbundenen Auslandsdienstreisen nicht in Frage zu stellen. Sie finden diese Stellen auf Seite 8 des Ihnen vorliegenden Materials aufgeführt.
Ein besonders akutes Problem ist infolge einer bei diesem Ministerium vorliegenden relativ großen Überalterung die Frage des Nachwuchses an geeigneten Arbeitskräften geworden. Der Ausschuß hat in dieser Frage die Auffassung vertreten, daß es eine besonders dringende Aufgabe des Ministeriums sei, rechtzeitig für einen ausreichenden Nachwuchs zu sorgen.
Besondere Bedeutung kommt den unter „Allgemeine Haushaltsausgaben" ausgebrachten Förderungsmitteln zu, die nach den Beschlüssen des Haushaltsausschusses nunmehr die Summe von rund 62,5 Millionen DM erreichen. Weitere Beträge für diese Zwecke finden Sie im außerordentlichen Haushalt mit einer Summe von 18 Millionen DM ausschließlich der eingesetzten ERP-Mittel in Höhe von 20 Millionen DM. Im allgemeinen haben diese Mittel den Zweck, eine Steigerung der eigenen landwirtschaftlichen Erzeugung herbeizuführen, die nun einmal zur weitgehenden Sicherstellung der Ernährung des deutschen Volkes und zur möglichsten Senkung der Einfuhrquote im Interesse unserer Devisenlage ein dringendes Gebot ist., Ich darf kurz auf die wichtigsten Punkte eingehen, die im Haushaltsausschuß besonders gewürdigt wurden, da es im Rahmen einer Berichterstattung zu weit führen dürfte, auf alle finanziellen Probleme der förderungswürdigen Gebiete einzugehen.
Der Tit. 31 des Haushaltsplans ist zunächst einiger Worte wert. Sie finden hier gegenüber der Regierungsvorlage im Betrage zwar keine Veränderungen, jedoch hat es der Haushaltsausschuß unter einem Ausgleich innerhalb der einzelnen
({1})
Förderungsbeträge gemäß den Erläuterungen für erforderlich gehalten, für die außerordentlich wichtige Aufgabe des Vogelschutzes einen Betrag von 20 000 DM als Zuschuß an den Deutschen Bund für Vogelschutz in Stuttgart einzusetzen. Sie finden die nähere Aufgliederung auf Seite 10 des vorliegenden Materials.
Besonders möchte ich auch auf die Aufgliederung der Ziffer 7 der Erläuterungen hingewiesen haben. Für die Durchführung des vom Wirtschaftsrat beschlossenen Flüchtlingssiedlungsgesetzes war bis her lediglich ein durchlaufender Posten von 35 Millionen DM im Haushalt enthalten, der aus Mitteln des Soforthilfefonds abgezweigt wird. Nach eingehenden Erörterungen kam der Ausschuß übereinstimmend zu dem Beschluß, für die finanzielle Förderung der allgemeinen ländlichen Siedlung durch den Bund Haushaltsmittel einzusetzen, da hier noch sehr vieles im argen liegt. Für das Rechnungsjahr 1950 ist zunächst ein Betrag von 5 Millionen DM eingesetzt worden, der mit Rücksicht auf die Tatsache, daß das Haushaltsjahr im Zeitpunkt der Beratung fast abgelaufen war, übertragbar gemacht worden ist. Darüber hinaus soll der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten dahingehend verhandeln, daß aus Mitteln der Soforthilfe weitere Beträge für die ländliche Siedlung zur Verfügung gestellt werden.
Vielleicht darf ich hierbei noch kurz auf die Frage der Bereitstellung von Mitteln für das landwirtschaftliche Bauwesen eingehen. In diesem Haushaltsjahr ist ein nur sehr bescheidener Betrag vorgesehen. Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat vorgeschlagen, für das nächste Haushaltsjahr einen Betrag von 500 000 DM vorzusehen. Der Haushaltsausschuß hat mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß im nächsten Haushaltsjahr mehr Mittel für das landwirtschaftliche Bauwesen vorgesehen werden sollen.
Ferner darf in diesem Zusammenhang auch auf die im außerordentlichen Haushalt für die Erschließung des Emslandes ausgebrachte Summe von 4 Millionen DM hingewiesen werden. Die Neufassung der Erläuterungen für diesen Ansatz, die Sie auf Seite 33 des Materials finden, gibt Ihnen einen Überblick über die Verwendung des Betrages.
Besondere Bedeutung hat der Haushaltsausschuß der Frage der Flurbereinigung beigemessen, da diese eine der wesentlichsten Voraussetzungen für die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion ist.
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Der Ausschuß ist nach eingehender Erörterung dieser Frage zu der Überzeugung gekommen, daß der veranschlagte Betrag von 1 Million DM viel zu gering ist, um eine wirklich positive finanzielle Förderung zu ermöglichen. Mit Rücksicht darauf, daß das Rechnungsjahr inzwischen abgelaufen ist,. hat man von einer Erhöhung des Ansatzes Abstand genommen, jedoch beschlossen, dem Hohen Hause vorzuschlagen, die Bundesregierung zu ersuchen, alsbald einen Gesetzentwurf über die Flurbereinigung vorzulegen, und im Haushaltsplan 1951 eine wesentlich höhere Summe für die Umlegung bereitzustellen als für das Haushaltsjahr 1950. Den Antrag des Ausschusses finden Sie auf der ersten Seite der Drucksache Nr. 1911.
In der Frage der Modernisierung der ländlichen Hauswirtschaft hat der Ausschuß eine andere Auffassung vertreten als der Bundesrat. Die beabsichtigte Errichtung einer hauswirtschaftlichen Forschungsanstalt ist begrüßt worden, da es gerade Aufgabe des Bundes sein müßte, durch eine verstärkte Forschungstätigkeit auf dem Gebiete der ländlichen Hauswirtschaft der zweifellos schwer arbeitenden Landfrau jede nur mögliche Erleichterung durch arbeitsparende Geräte usw. zu verschaffen.
Zur Bekämpfung pflanzlicher und tierischer Schädlinge sind in den Haushaltsplan 4,5 Millionen DM und für die Bekämpfung von Tierseuchen 1,23 Millionen DM eingesetzt warden. Bei der Tierseuchenbekämpfung ist durch eine Abänderung der Erläuterungen dafür Sorge getragen, daß ein ständiger Vorrat von 2 000 Litern Vakzinen vorhanden ist, um bei auftretenden Seuchen sofort wirksam eingreifen zu können. Näheres finden Sie auf Seite 17 ff des Materials.
Erwähnenswert sind noch die Zuschüsse für die Forschung auf dem Gebiete der Milchwirtschaft, des Weinbaues und der Lebensmitteltechnologie. Der Haushaltsausschuß hielt eine Erhöhung der Mittel unter dem Gesichtspunkt der durchzuführenden Forschungsaufgaben für angebracht. So wurde bei dem Forschungsinstitut für Rebenzüchtung Geilweilerhof der Ansatz von 30 000 DM auf 220 000 DM erhöht, wobei der Ausschuß jedoch der Auffassung war, daß dadurch den schwebenden Verhandlungen zwischen Bund und Ländern in der Frage der Übernahme des Instituts nicht vorgegriffen wird.
Bei der Süddeutschen Versuchs- und Forschungsanstalt für Milchwirtschaft in Weihenstephan wird vorgeschlagen, den Ansatz von 200 000 auf 300 000 DM zu erhöhen, und zwar unter Einbeziehung der staatlichen Milchwirtschaftlichen Lehr- und Versuchsanstalt Wangen im Allgäu. Die Neufassung der Erläuterung finden Sie auf Seite 15 des Materials.
Der für das Institut für Lebensmitteltechnologie in München vorgesehene Zuschuß ist auf 180 000 DM erhöht worden mit der Maßgabe, daß zunächst der Erhöhungsbetrag von 80 000 DM gesperrt bleibt. Diese Erhöhung entspricht der außerordentlichen Bedeutung, die der Lebensmitteltechnologie auf dem Gebiete des Konsums zukommt.
Bei Tit. 57 und damit im Zusammenhang Kap. 1 Tit. 1 des außerordentlichen Haushalts kam der Haushaltsausschuß, ohne für dieses Jahr die Mittel für wasserwirtschaftliche Vorhaben zu verstärken, zu der einmütigen Auffassung, daß im nachsten Haushaltsjahr erheblich mehr Mittel für wasserwirtschaftliche Maßnahmen bereitgestellt werden sollten, insbesondere auch für Wildbachregulierungen. Wichtig ist dies auch im Zusammenhang mit dem Problem der Arbeitslosigkeit.
Eine wertvolle, leider aber nur vorübergehende beachtliche Verstärkung erhalten die Förderungsmittel durch Zuschüsse aus dem ERP-Sondervermögen. Der im außerordentlichen Haushalt als erster Teilbetrag enthaltene Betrag von 20 Millionen DM ist, wie Sie aus den Erläuterungen ersehen können, für die verschiedensten Zwecke vorgesehen.
Zu erwähnen ist noch der ausgebrachte Zuschuß für die landwirtschaftliche Forschungsanstalt in Braunschweig-Völkenrode. Diese Einrichtung ist schon Gegenstand längerer Diskussionen im Wirtschaftsrat gewesen, und man ist über die Zweckmäßigkeit der Einrichtung auch noch heute geteilter Meinung. Der Haushaltsausschuß hat in seiner Mehrheit die Bedeutung der Forschungsanstalt nicht verkannt. Er hat jedoch den Wunsch ge({3})
äußert, sich diesen Komplex einmal an Ort und Stelle anzusehen. Die Mittel sind in der vorgesehenen Höhe bewilligt worden.
Bei der Beratung des Tit. 65 in Verbindung mit dem Tit. 11 des Kap. 1 der Einnahme hat der Haushaltsausschuß den Wunsch ausgesprochen, daß dem Bundestag alsbald ein Gesetz über das Vermögen des ehemaligen Reichsnährstandes vorgelegt werden möge. Der Bundesminister hat auf die besonderen Schwierigkeiten bei der Bearbeitung dieses Fragenkomplexes hingewiesen, jedoch der Hof fnung Ausdruck gegeben, daß eine Klärung im Zusammenhang mit der Frage der Einrichtung von Landwirtschaftskammern erfolgt.
Im Zusammenhang mit der Beratung der Förderungsmittel ist auch die Frage der Einrichtung einer Fakultät für Veterinärmedizin in Berlin erörtert worden. Der Ausschuß hat die Einrichtung einer solchen Fakultät in Berlin für dringlich und unbedingt erforderlich gehalten. Das Ministerium hat die Einrichtung einer veterinärmedizinischen Fakultät bejaht. Die Schwierigkeiten liegen jedoch in der Frage der Kosten, die durch die Einrichtung einer solchen Fakultät entstehen. Man hofft aber, hier in absehbarer Zeit eine Lösung zu finden.
Bei der Gesamthöhe des Zuschußbedarfs für diesen Haushalt sind die eingesetzten Mittel für die Vorratshaltung und für die Subventionierung von besonderer Bedeutung. Eine Vorratshaltung ist im Interesse der gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und auch im Interesse eines einigermaßen ausgeglichenen landwirtschaftlichen Marktes ohne Zweifel erforderlich. Diesem Erfordernis trägt auch der Bundestag durch die in letzter Zeit verabschiedeten Marktordnungsgesetze Rechnung. Der Betrag von 96,5 Millionen
DM, den Sie unter Kap. E 11 Tit. 5 finden, beruht auf dem Bevorratungsprogramm der Bundesregierung. Da nun aber das Programm infolge der Entwicklung auf den Märkten nicht in vollem Umfang erreicht werden konnte, wurde es entsprechend dem Vorschlag des Bundesrates für vertretbar gehalten, einen Betrag von 30 Millionen DM zu sperren. Auf die Neufassung der Erläuterung auf Seite 25 des Materials darf hingewiesen werden.
Die Subventionen erreichen im Haushalt die Höhe von 524,9 Millionen DM. Es handelt sich im wesentlichen um die Subventionierung der Einfuhr von Brot- und Futtergetreide und Zucker, um die für die Landwirtschaft wichtige Verbilligung von Düngemitteln sowie die Aufrechterhaltung des Konsumbrot- und neuerdings auch des Margarinepreises im Interesse der Verbraucher. Bei der schwer vorhersehbaren Entwicklung der Märkte und Preise handelt es sich um Schätzungen des Bedarfs, der naturgemäß erheblichen Änderungen unterworfen sein kann. Auf Antrag des Bundesministers der Finanzen und in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat der Haushaltsausschuß eine Sperre von 40 Millionen DM vorgeschlagen, jedoch hieran die Erwartung geknüpft, daß diese Sperre nicht zu Schwierigkeiten führt.
Zu den Bundesforschungsanstalten sind noch einige Worte zu sagen. Das Problem der Forschungsanstalten überhaupt hat schon in Frankfurt dem Haushaltsausschuß manche Sorgen bereitet. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß sich unsere Forschung sehr zersplittert hat und daß daher oft die Gefahr besteht, daß verschiedene Forschungsinstitute dasselbe tun. Die Abstimmung der Aufgaben einzelner Institute soll durch ein Verwaltungsabkommen mit den Ländern gewährleistet werden. Der Haushaltsausschuß hat auch beschlossen, nach Abschluß des Verwaltungsabkommens den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten um eine Überprüfung und entsprechende Stellungnahme zu bitten. Bei den hier etatisierten Instituten und Anstalten ist dies kaum der Fall.
Gegenüber dem Vorjahr waren nun in der Vorlage der Regierung zwei neue Forschungsanstalten vorgesehen; es sind die neu zu errichtende Bundesanstalt für Qualitätsforschung pflanzlicher Erzeugnisse und die Anstalt für Lebensmittelfrischhaltung in Karlsruhe, die als frühere Reichsanstalt seit dem Kriegsende von dem Land Württemberg-Baden finanziert worden ist und nunmehr auf den Bund übergehen soll. Bei der erstgenannten Anstalt hat der Bundesrat vorgeschlagen, die Mittel im vollen Umfang zu sperren, bis vom Bundesrechnungshof und der Studienkommission des Finanzausschusses des Bundesrats eine Überprüfung stattgefunden hat. Diese war zur Zeit der Beratungen des Haushaltsausschusses noch nicht erfolgt, und so entschloß sich der Ausschuß, die Mittel für diese Anstalt für 1950 zu streichen, ohne damit eine Entscheidung für das Jahr 1951 zu fällen. Der Ausschuß ging bei diesem Beschluß von dem Gesichtspunkt aus, daß die Errichtung dieser Anstalt im Haushaltsjahr 1950 sowieso nicht mehr möglich sein wird.
Hinsichtlich der Bundesanstalt für Lebensmittelforschung in Karlsruhe hatte der Bundesrat vorgeschlagen, die über einen Betrag von 200 000 DM hinausgehenden Mittel bis zum Vorliegen der Ergebnisse einer Überprüfung durch den Bundesrechnungshof und die bereits genannte Studienkommission zu sperren. Der Haushaltsausschuß hat hier beschlossen, diejenigen Mittel zu bewilligen, die das Land Württemberg-Baden im Rechnungsjahr 1950 tatsächlich aufgewendet hat, ohne damit hinsichtlich der Höhe der Ausgaben im Jahre 1951 die Entscheidung zu präjudizieren. Sobald auch hier das Gutachten des Rechnungshofes vorliegt, wird sich der Haushaltsausschuß erneut mit dieser Anstalt befassen. Auf die Anlage 1 zu Kap. 4 des Materials zur Drucksache Nr. 1911 darf ich noch verweisen.
Gestatten Sie mir noch ein Wort zur Bundesforschungsanstalt für Kleintierzucht in Celle. Der Haushaltsausschuß kann sich der vom Bundesrat vertretenen Auffassung nicht anschließen. Er hält diese Anstalt für so bedeutend, daß ihre Etatisierung im Haushaltsplan gerechtfertigt erscheint.'
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe Ihnen in großen Zügen die wichtigsten Fragen aufgezeigt, die im Rahmen der Beratung des Einzelplans X aufgetaucht sind. Soweit noch andere Änderungen und Ergänzungen gegenüber der Regierungsvorlage eingetreten sind, ersehen Sie diese aus der Ihnen vorliegenden Drucksache.
Namens des Haushaltsausschusses habe ich Sie um lie Annahme des Einzelplans X zu bitten.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort zur Begründung des mit der Beratung dieses Etats verbundenen Antrags der Fraktion der Deutschen Partei betreffend Einrichtung einer Abteilung „Fischwirtschaft" im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat Herr Abgeordneter Tobaben.
Tobaben ({0}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in Drucksache Nr. 2122 den Antrag gestellt, innerhalb des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten eine Abteilung „Fischwirtschaft" einzurichten. Wir gehen von der Auffassung aus, daß die deutsche Fischwirtschaft in ähnlicher Weise wie die Landwirtschaft zur Ernährung unseres Volkes erheblich beitragen kann, ohne daß Devisen erforderlich sind. Wenn aber dieser Zweig der deutschen Volkswirtschaft seine Aufgaben ganz erfüllen soll, muß unseres Erachtens innerhalb des zuständigen Ministeriums zwar nicht ein großer Apparat aufgezogen, aber doch eine Abteilung „Fischwirtschaft" eingerichtet werden, in der sachverständige Leute sitzen, die die Fischwirtschaft unterstützen und lenken, wie das auch im Ausland zum Teil in einer noch viel weitergehenden Form geschieht; denn unsere Fischwirtschaft muß ja mit der ausländischen irgendwie konkurrenzfähig sein.
Wir alle oder doch wenigstens die Mitglieder des Ernährungsausschusses haben davon gehört, daß vor kurzem die Entscheidung über den deutschen Fischfang auf des Messers Schneide gestanden hat. Wir hoffen und wünschen, daß wir bald auch über eine deutsche Walfangflotte verfügen, die zur Beschaffung von Rohstoffen für die Herstellung von Margarine und anderen Fetten erheblich beitragen könnte. Unter diesem Gesichtspunkt ist dieser Antrag zum mindesten zeitgemäß. Im Interesse der Ernährung und Versorgung des deutschen Volkes darf die Fischwirtschaft nicht weiter als Stiefkind behandelt werden. Darum haben wir diesen Antrag gestellt und bitten Sie, der Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zuzustimmen.
Damit hat auch die Begründung dieses Antrags stattgefunden.
Wir treten nunmehr in die Aussprache im Rahmen der bereits festgesetzten Redezeit ein.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ehe Ihnen mein Kollege Dr. Schmid einen sozialdemokratischen Antrag begründen wird, gestatten Sie mir ein paar allgemeine Bemerkungen zu den beiden Fragenkomplexen, die in die Zuständigkeit des heute zur Debatte stehenden Ministeriums fallen, zur Agrarpolitik und zur Ernährungspolitik.
Die Zusammenhänge zwischen diesen beiden Gebieten sind offensichtlich. Das eine kann nur durch das andere sinnvoll werden. Die Bedeutung der eigenen Landwirtschaft für die Ernährung ist vielleicht in keinem Volk so anschaulich geworden wie in unserem. Unser Anliegen, den Beitrag der Landwirtschaft zur Ernährung unseres Volkes soweit wie möglich zu steigern, hat selbstverständlich mit irgendwelchen Autarkiebestrebungen nichts zu tun. Immerhin liegt die Ausschöpfung aller Möglichkeiten der eigenen Erzeugung im Rahmen unserer Verpflichtungen. Diese Ausschöpfung gehört zu unserem vollen Beitrag zum Werden der europäischen Wirtschaftseinheit.
Die deutsche Landwirtschaft ist vielfältig daran gehindert, jetzt schon alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die in der Tüchtigkeit ihrer Menschen und in den natürlichen Voraussetzungen des deutschen Bodens und des deutschen Klimas liegen. Die Ursachen dafür sind bekannt. Sie sind historisch begründet. Wir alle kennen die verheerenden Auswirkungen einer falschen Agrarpolitik, die in Jahrzehnten betrieben wurde und nach ganz anderen Gesichtspunkten orientiert war als nach Gesichtspunkten, die eigentlich maßgebend sein sollten: Sicherung der Existenz, weitgehende Sicherung der Ernährung des Volkes und rentable Gestaltung der Arbeit, die auf dem Lande verrichtet werden muß. Der Fleiß der Menschen, die den deutschen Boden bebauen, und die Regenerationsfähigkeit der natürlichen Voraussetzungen für die Landwirtschaft reichen bei weitem nicht aus, die Handikaps, denen sich unsere Landwirtschaft treibende Bevölkerung und unsere Landwirtschaft als ein Teil unserer Volkswirtschaft gegenübersehen, so schnell auszugleichen, wie das unter allen Gesichtspunkten erwünscht erscheint. Diese Anstrengungen, diese Möglichkeiten müssen vielmehr durch eine konstruktive - das Wort ist vielleicht hier gerade recht am Platze -, durch eine schöpferische Agrarpolitik ergänzt und unterstützt werden. Öffentliche Maßnahmen und Hilfe müssen denen zu Hilfe kommen, die sich mit ihrer Hände Arbeit um die Lösung einer schweren Aufgabe bemühen.
Es fällt mir nicht leicht, das auszusprechen, und doch muß es in dieser Eindeutigkeit gesagt werden: in der Richtung auf eine positive Agrarpolitik hat das Ministerium in vollem Umfange versagt. Vielleicht gibt es kaum eine Zeit in der deutschen Geschichte, in der eine solche Abwesenheit von Maßnahmen konstatiert werden kann, wie das während der beinahe zweijährigen Tätigkeit dieses Ministeriums der Fall ist. Keine einzige Maßnahme ist über das allererste Stadium des Beredetwerdens hinausgegangen. Fangen wir an, wo immer Sie mögen. Von der Flurbereinigung ist hier schon gesprochen worden. Jedermann, der auch nur ein bißchen von den Dingen versteht, weiß, daß die Durchführung der Flurbereinigung in weiten Teilen unseres Vaterlandes die allererste Voraussetzung dafür ist, daß die dort aufgewendete Arbeit auch nur einigermaßen rentabel ist. Schon vor einem Jahr hat meine Fraktion dem Hause hier einen Antrag unterbreitet, der nach Beratung im Ernährungsausschuß sogar angenommen worden ist, der Antrag, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, das Flurbereinigungsgesetz endlich vorzulegen, das ihr schon aus der Frankfurter Periode fix und fertig übergeben worden ist und seinerzeit schon vom Wirtschaftsrat angenommen worden war, aber nur aus mehr technischen Gründen nicht mehr in Kraft gesetzt wurde. Zugleich damit haben wir verlangt, daß die Mittel in den Haushalt eingestellt werden, die zur Inangriffnahme dieser in ihrer Bedeutung gar nicht zu überschätzenden Angelegenheit erforderlich sind. Die Antwort darauf war: 1 Million DM - und kein Gesetz! Es gereicht uns nicht gerade zu Ansehen und Ruhm, wenn wir das Mißverhältnis zwischen dieser einen Million DM, zu der sich das Ministerium oder die Regierung aufgeschwungen hat, und den Beträgen sehen, die aus den ERP-Mitteln für diese Zwecke zur Verfügung gestellt werden. Denn es ist ja schließlich unsere Landwirtschaft, die neu geordnet werden soll. Alles Geschrei nach Unabhängigkeit und Souveränität hat wenig Sinn, wenn man nicht bereit ist, sich das auch etwas kosten zu lassen.
Wie es mit der Flurbereinigung ist, so ist es mit allen anderen Dingen. Keine einzige Maßnahme ist etwa in der Richtung der Verbilligung der Produktionsmittel, Dünger, Maschinen usw., ergriffen worden. Das sind Maßnahmen, die sich keineswegs nux
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in Subventionen erschöpfen, zu deren Bereitstellung man immer leicht sagen kann: Wir haben ja bekanntlich kein Geld! Man könnte sich auch einmal einen wirksamen Eingriff in den gesamten Wirtschaftsablauf vorstellen; man könnte sich auch eine Koordinierung der Wirtschaftspolitik, eine Verpflichtung gewisser industrieller Produktionszweige für den Dienst vorstellen, der der Landwirtschaft im Interesse der Volksernährung nun einmal auferlegt ist. Aber auf der einen Seite erlaubt es diese Wirtschaftspolitik, von der Fabrikation einiger weniger Gummiwagen ein nettes Fabrikantenleben zu führen, durch den Verkauf oder durch die Vermittlung einiger weniger Gummiwagen als Landmaschinenhändler auch ganz hübsch dazustehen. Die Landwirtschaft kostet das auf der anderen Seite allerdings die Versorgung mit Gummiwagen. So sehen wir denn immer wieder landauf, landab hinter dem Trecker, der endlich angeschafft worden ist, noch den alten Ackerwagen hängen, weil es zu einer wirklich durchgreifenden Modernisierung des Betriebes, zu einer Versorgung der Betriebe auch mit den notwendigsten Maschinen eben nicht gereicht hat. Aber von selber kommt das nicht. Irgend etwas Sinnvolles ist in der Richtung nicht unternommen worden. Nichts ist geschehen, um die diversen Benachteiligungen auszugleichen, denen sich unsere Fischer, unsere Bauern, insbesondere unsere Gemüsebauern aus den verschiedensten Gründen, aus politischen Gründen, aus Gründen der geographischen Lage, aus klimatischen und anderen natürlichen Gründen gegenübersehen.
Wir haben uns gerade in diesen Tagen mit einer Frage beschäftigt, die hier durchaus einmal angesprochen werden sollte. Durch ein sehr unvollkommenes Gesetz zur „Freiheit" in der Mineralölversorgung hat man nicht nur die Landwirtschaft, sondern die Fischer, und unter ihnen die kleinsten und diejenigen, die am härtesten um ihre Existenz ringen müssen, mit einem Federstrich aufs Trockene gesetzt. Nicht einmal die 600 000 DM bzw. die eine Million DM haben sich bisher von seiten der Regierung finden lassen, um diesen Menschen wenigstens die Möglichkeit zu geben, ihrer sehr mühseligen und recht wenig einträglichen Arbeit, z. B. des Krabbenfanges, nachzugehen.
Wir haben uns erst heute im Ernährungsausschuß wieder einmal über das Thema der Flachssubventionen unterhalten. Sie wissen, daß in den Ländern um uns herum, sehr erhebliche Beträge aufgebracht werden, um den Flachsanbau zu subventionieren. Trotz recht weitgehender Zusagen seitens maßgebender Vertreter der Regierung ist es in unserem Lande nicht möglich, insgesamt auch nur 21/2 Millionen DM dafür aufzubringen, obwohl es sich hier gar nicht einmal nur um ein Anliegen der Landwirtschaft handelt, sondern auch um ein Anliegen der Betriebe, die diesen Flachs aufbereiten, und insbesondere der Menschen, die in diesen Betrieben ein recht bescheidenes Dasein führen und für die ein Ersatz für die verlorengehenden Arbeitsplätze deswegen schwer zu beschaffen ist, weil es sich im wesentlichen um Heimatvertriebene und um ländliche Gebiete handelt, in denen andere Arbeitsplätze eben nicht vorhanden sind. Wir alle kennen die außerordentlichen Bedrohungen, die z. B. auf unseren Gemüsebau, diesen hochintensiven Teil der deutschen Landwirtschaft, zukommen, u. a. wegen der Veränderung in der Ernährungsgewohnheit, auf der anderen Seite selbstverständlich auch wegen der Handelsbeziehungen mit dem Ausland, auf die wir ja nicht verzichten können.
Bis auf den heutigen Tag, obwohl diese Schwierigkeiten schon seit mehreren Jahren in immer zunehmendem Maße vor uns stehen, ist nichts, aber auch nichts geschehen, um dem Erzeuger, der als einzelner die Dinge ja gar nicht übersehen kann, auch nur das Minimum an Sicherheit zu geben, auf das er nun einmal nicht verzichten kann, wenn seine Arbeit Sinn haben soll. Alles Geschimpfe über die Einfuhren und alle Versprechungen sind kein Ersatz für solche Maßnahmen, sind kein Ersatz für einen Rahmen, in dem der einzelne sich dann sicher bewegen kann.
Viel Wissenschaft wird aufgewendet. Wir haben gerade von dem Herrn Berichterstatter über den Haushalt gehört, was es alles an Instituten usw. gibt. In weitem Umfang fehlen aber die Anstrengungen, mit denen die Resultate dieser Wissenschaft an die Praxis herangebracht werden sollten. Diese Regierung hat keine wirksame Beratung geschaffen, sie hat sich nicht das Instrument geschaffen, mit dem sie jedem einzelnen Landwirt praktisch helfen könnte, sich in den Rahmen ihrer Agrarpolitik einzufügen.
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- Was heißt hier Sache der Länder? Das ist weder Sache der Länder noch Sache des Berufsstandes. Schieben wir die Dinge nicht von dem einen auf den andern. - Vielleicht hat sie auf diesen Apparat verzichtet, weil sie gar nicht weiß, welche Sorte von Agrarpolitik, welche agrarpolitischen Ziele sie denn durch die Beratung an die Bauern hätte heranbringen können.
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An Stelle der wirksamen Maßnahmen, die nun einmal notwendig sind und die durch nichts anderes ersetzt werden können, hat man hier mit viel Gerede über Programme etwas zu tun versucht oder wenigstens den Eindruck zu erwecken versucht, als ob man etwas täte. Ich glaube, daß in keiner früheren Zeit so viel von Agrarprogrammen und „neuen" Agrarprogrammen die Rede war wie jetzt, da sie sozusagen am laufenden Bande produziert werden. Im wesentlichen enthalten sie allerdings außer einer Reihe von platonischen Erklärungen - wenn überhaupt platonischer Erklärungen - immer nur einen einzigen Punkt: Erhöhung der Preise. Damit folgt man in einem allzu großen Umfange und allzu bereitwillig dem sehr bescheidenen Beitrag, den eine meinem Gefühl nach unglückselige Vertretung des Berufsstandes zu leisten in der Lage ist. Kein Wunder! Das ist eben uralte, allerälteste Agrarpolitik, mit der man hier versucht, die Bevölkerung, die die Landwirtschaft betreibt, abzuspeisen, mit der man hier versucht, die Probleme einer Zeit zu meistern, die überhaupt keinen Vergleich mit der Vergangenheit mehr zuläßt.
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Dabei hat diese Sorte von Programmatik, die, wie gesagt, mit Preiserhöhungen operiert, der Landwirtschaft in Wahrheit - und das muß ebenfalls gegenüber allen möglichen bewußten oder unbewußten
Mißverständnissen hier ganz offen ausgesprochen
werden - Mehreinnahmen überhaupt nicht
verschafft, jedenfalls, wenn überhaupt Mehreinnahmen, keine Mehreinnahmen, die nicht auf der
anderen Seite durch eine Steigerung der Kosten in
vollem Umfange ausgeglichen worden sind. Diese
Sorte von Agrarpolitik hat wirklich nur ein Resultat bewirkt, sie hat die Spannung zwischen Erzeugern und Verbrauchern noch weiter vertieft
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und hat die Landwirtschaft auf eine unglaublich fahrlässige Weise in die Position hineingedrängt, in der sie von außen gesehen die Verantwortung für alle die Erschwernisse der Lebenshaltung trägt, die heute auf die Menschen in unserem Lande, die man mit dem Begriff „Verbraucher" zusammenfaßt, zukommen. Denken Sie z. B. einmal an so etwas wie die letzte Getreidepreiserhöhung. Wenn die Landwirtschaft mit Recht behauptet, daß ihr die Mehreinnahmen daraus nicht zugekommen sind, dann müssen Sie auf der anderen Seite doch zugeben, daß ihr daraus in vollem Umfange die Entrüstung zugekommen ist, die diejenigen von sich geben mußten, die die Geschichte in Form eines höheren Brotpreises verkraften sollten.
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Wenn so in großem Umfange festgestellt werden muß, daß alle Maßnahmen unterblieben sind, dann scheint es mir notwendig zu sein, es wenigstens als meine Meinung auszusprechen, daß das nun nicht etwa im speziellen die Schuld dieses Ministeriums ist, über dessen Haushaltsplan heute geredet wird. Auf dem Gebiet dieses Ministeriums tritt höchstens am sichtbarsten in Erscheinung, was nichts anderes ist als die Folge einer Politik, die meine Freunde und ich glücklicherweise nicht, dafür aber Sie in den Regierungsparteien, in vollem Umfange zu verantworten haben. Es ist ja gar kein Geheimnis, wie 'man auf eine konstruktive, eine positive Weise der Landwirtschaft auch noch anders helfen könnte als durch eine Preiserhöhung, die immer wieder durch Preissteigerungen für landwirtschaftliche Produktionsmittel ausgeglichen wird. Das ist wahrlich kein Geheimnis, nicht einmal ein sozialdemokratisches Geheimnis. Aber diejenigen, die sich zu einem solchen Wirtschaftsminister bekennen, wie Sie das nun schon zwei- und dreimal getan haben, sind eben nicht in der Lage, einzugreifen und irgend etwas zu tun. Von allein aber geschehen die Dinge nicht. Die Folgen davon tragen mal die einen, mal die anderen; und alle zusammen werden zum Schluß davon betroffen.
Die andere Seite der Medaille, die Ernährungspolitik, bietet das gleiche traurige Bild. Es wird oft der Standpunkt vertreten, daß man über ernsthafte Schwierigkeiten in der Versorgung besser nicht reden sollte, weil die Leute sich dann nur noch panikartiger - noch schlechter, wie manche es nennen - benehmen und die Schwierigkeiten dadurch noch größer werden würden. Es läßt sich wahrscheinlich einiges dafür sagen. Eine solche Politik des Stillschweigens scheint mir aber nur dann vertretbar zu sein, wenn man weiß, daß hinter den Kulissen sowieso alles nur Mögliche getan wird, um mit den irgendwo herkommenden Schwierigkeiten fertig zu werden. Wenn man aber weiß, daß in Wirklichkeit nichts getan wird, hat man meinem Gefühl nach jedenfalls kein Recht, zu schweigen und sich dann mitschuldig zu machen an einer Katastrophe, die in ihren Auswirkungen fürchterlich ist und die ich hier im einzelnen nicht zu schildern brauche.
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Es ist kein Geheimnis, daß die Versorgung unserer Bevölkerung mit Brot, Fett und Zucker, teils der Menge nach, teils nach dem Preis, alles andere als gesichert ist. Ich glaube nicht, daß heute noch etwa, wie bei der Debatte, die wir hier über Brot und Brotpreise vor einigen Wochen hatten, viel Lust besteht, das zu bestreiten. Ich würde es auch nicht sehr begrüßen, denn es würde mich zwingen, dann sehr viel tiefer noch in die Kiste zu greifen, als ich es so beabsichtige.
Meine Damen und Herren! Wir haben, was die Ernährungslage angeht, erst vor wenigen Tagen wieder ein Memorandum der Bundesregierung bekommen, mit dem ich mich hier noch auseinandersetzen möchte. Lassen Sie mich bitte beim Brot anfangen, denn bier ist die Verwirrung ja eklatant. Man hat so oft - seitdem man damals den Versuch machte, der Bevölkerung einzureden, eine Getreidepreiserhöhung habe mit dem Brotpreis weiter nichts zu tun - erklärt, daß der Konsumbrotpreis bleibe, daß die Versorgung mit Konsumbrot gesichert sei, daß es nun offenbar selbst die vielen unglücklichen Leute glauben, die jetzt in den Wahlkämpfen draußen im Lande herumlaufen und den Versuch machen, die Politik dieser Regierung der Bevölkerung schmackhaft zu machen. Mir ist z. B. erst am Sonnabend oder Sonntag, als ich abends in einer Versammlung sprach, vorgehalten worden, im selben Ort habe am Nachmittag desselben Tages ein Mitglied dieses Hauses, allerdings aus den Reihen der Regierungsparteien, unter Berufung auf kürzlich erschienene Pressenotizen fest versichert, der Konsumbrotpreis bleibe. Da er inzwischen schon abgereist war, hat es dann einer seiner Freunde, der am Ort wohnt, übernommen, mir vorzuhalten, wie ich dazu komme, zu behaupten, daß der Konsumbrotpreis nicht bleibe.
Meine Damen und Herren! Ganz abgesehen davon, daß wir alle miteinander, die sich darum kümmern sollten und darum gekümmert haben, wissen, daß es immer eine sehr lückenhafte Versorgung mit Konsumbrot gegeben hat, daß es zu allen Zeiten breite Gebiete gab, in denen Konsumbrot auch für diejenigen nicht erreichbar war, die schon aus ihrer Kassenlage her gezwungen waren, nach dem allerbilligsten Brot zu fragen, ob es ihnen zusagt oder nicht - ich rede gar nicht von schmecken -, ob es meinetwegen ihren körperlichen Bedürfnissen zusagt oder nicht - ganz abgesehen davon wissen wir, daß der Konsumbrotpreis ab 1. Juni von 48 Pfennig je Kilo auf 64 Pfennig je Kilo steigen wird.
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Ich halte es einfach für nicht erlaubt, wenn man um diesen Tatbestand damit herumzureden versucht, daß man auf Seite 3 des von mir erwähnten Memorandums sagt, das Konsumbrot werde nun wesentlich verbessert und vorläufig zum alten Preise - hier heißt es sogar: von 49 Pfennig - zur Verfügung gestellt, während man auf Seite 4 schon sagen muß, es handele sich aber nur noch um einige wenige Wochen, dann werde es 64 Pfennig kosten.
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Außerdem scheint es mir nicht richtig zu sein, hier von einer wesentlichen Verbesserung des Konsumbrotes zu sprechen, weil man gezwungen ist, den Roggen in einem außerordentlich hohen Umfang durch Weizen zu ersëtzen. Wir haben früher immer Wert darauf gelegt, zu sagen, Weizenbrot sei keineswegs besser als Roggenbrot!
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Wir könnten das umgekehrte Argument auch jetzt also nicht ohne weiteres über uns ergehen lassen, und im übrigen ist das kein Trost für die breite Masse der Verbraucherschaft.
Die Zwangslage ist ja nicht so sehr durch Korea als durch die völlig verfehlte Getreidepolitik der Bundesregierung entstanden. Sie wissen, man hat sehr erhebliche Millionenbeträge dafür aufgewen({10})
det, Futtergetreide für die Landwirtschaft so zu verbilligen, daß sie dagegen den Roggen für die Brotherstellung hätte abliefern können.
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Weil man aber weiter nichts getan hat, als dieses Futtergetreide zu verbilligen, ist es eben dann nicht an die Landwirte gekommen, sondern hat andere interessante Wege gesucht.
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Und erst vor kurzem hat man die ganze Aktion aufgegeben, weil man nun die Tatsache länger nicht verheimlichen konnte, daß das auf solche Weise verbilligte Futtergetreide unter anderem in den Brennereien zu Schnaps verarbeitet worden ist. Wenn solche Pannen passieren - das Wort „Pannen" ist wahrscheinlich viel zu schwach -, dann muß man schon von einem absoluten Versagen sprechen. Und das sollte nicht auf solche Weise bemäntelt werden, daß man sagt: Wir geben dem Verbraucher jetzt ja auch ein weißeres Brot. Uns allen wäre sehr viel wohler, wenn wir den Verbrauchern Roggenbrot geben könnten und dabei unser Gesicht behielten, das wir vor uns und der Welt auf einem solchen Wege verlieren; denn schließlich merken auch die anderen etwas, auf deren Hilfe wir angewiesen sind.
Meine Damen und Herren! Ich möchte ein paar Bemerkungen zur Fettversorgung machen. Wir wissen, daß bei Aufrechterhaltung eines Teils der Subventionierung der Margarinepreis in wenigen Wochen um 20 Pfennig das Pfund steigen wird. Auch das ist eine Angelegenheit, die für breite Schichten unserer Bevölkerung, wenn für sie nicht in der einen oder anderen Form eine Erhöhung ihrer Einnahmen, d. h. also eine Erhöhung ihrer Renten oder ihrer Löhne und Gehälter eintritt, eine Verminderung der Fettversorgung bedeutet. Das muß ich mit allem Nachdruck aussprechen. Die Bundesregierung kann sich auch hier nicht auf Korea berufen. Kein vernünftiger Mensch kann bestreiten, daß in allen Ländern des Westens mindestens - im Osten sind sowieso die Schwierigkeiten am laufenden Bande vorhanden, und wir haben hier auch keine Absicht, etwas zu vergleichen - aus der Korea-Situation Schwierigkeiten entstanden sind. In keinem Lande aber wachsen sich die Schwierigkeiten zu einer solchen Katastrophe aus, wie das bei uns in der Margarineversorgung der Fall ist. Noch weiß niemand, wie wir mit unserer Fettversorgung über den Juni hinwegkommen sollen,
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und ich bin sehr gespannt, ob die Regierung dazu heute etwas Überzeugendes sagen kann. Das, was an anderer Stelle dazu gesagt worden ist, bietet auch nicht annähernd eine Garantie dafür, daß der Anschluß an die auslaufenden Vorräte rechtzeitig gefunden wird. Denn man braucht ja heute nicht nur Geld - vor allen Dingen braucht man das Geld in Form von Devisen -, man braucht auch die Einkaufsmöglichkeiten und zum Schluß den Transport.
Es ist eine bittere Tatsache, aber sie muß hier ausgesprochen werden, damit man nicht Gründe und Ursachen an einer falschen Stelle sucht und sich dadurch den Weg zur Erkenntnis und zum Bessermachen abschneidet: Durch das Zögern der Bundesregierung gegenüber der Preisentwicklung auf dem Weltmarkt sind uns Monate hindurch gute Einfuhrmöglichkeiten für Margarinerohstoffe verlorengegangen.
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Damals war unsere Devisensituation noch besser,
und auch die Einkaufsmöglichkeiten auf dem Weltmarkt waren sehr viel besser, als sie heute sind. Diese Tatsache ist es in weit höherem Maße als jede andere, die uns in eine so unglaubliche Enge bringt wie die, in der wir uns heute befinden, eine Enge, aus der uns auch der Hinweis auf die wegen des für die meisten Verbraucherschichten zu hohen Preises bisher unabsetzbaren Buttervorräte nicht herausbringen kann, weil das, was an Margarine auszufallen droht, in absehbarer Zeit jedenfalls aus der eigenen Buttererzeugung nicht ersetzt werden kann.
Die gleiche Schwierigkeit tut sich vor uns auf, auf dem Gebiete der Zuckerversorgung. Hier ist es besonders ärgerlich, daß von einer Versorgungsschwierigkeit, von einer Mangellage gesprochen werden muß. Der Fleiß unserer Menschen - und hier muß man von Fleiß reden, denn Zucker wird bekanntlich in die Rüben hineingehackt -, aber auch das Mithelfen der Natur haben uns eine außerordentlich gute Zuckerernte beschert; wir haben wohl seit langem nicht soviel Zucker zur Verfügung gehabt wie zu Beginn dieses Zuckerwirtschaftsjahres. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß aus Gründen, die die Regierung nicht zu vertreten hat, und aus anderen Gründen, die insbesondere das Ernährungsministerium nicht zu vertreten hat, erwartete Einfuhren ausgeblieben sind. Wenn man sich auch nur zu sehr bescheidenen, aber wirkungsvollen Lenkungsmaßnahmen entschlossen hätte, wäre es ohne Zweifel möglich gewesen, den Millionen Hausfrauen die Panik zu ersparen, der sie nun wieder ausgeliefert sind, wenn mal hier, mal da kein Zucker vorhanden ist oder in weiten Gebieten überhaupt nur Stückenzucker angeboten wird, offenbar, weil da der Preis interessanter ist.
Wir werden für den Rest dieses Jahres aus der Klemme nicht mehr herauskommen. Diese Klemme wird sogar zunehmen und in besonderer Schärfe vor allen in den Monaten in Erscheinung treten, in denen Zucker in größerer Menge vorhanden sein müßte, weil es gilt, die Obsternte usw. zu konservieren. Man hätte die Spekulationen mit dem Preis und mit dem Mangel wahrlich leicht unterbinden können, wenn man sich gerade auf diesem Gebiet, auf dem die Regierung dazu noch die Hand fest auf allen Vorräten hatte, zu wirkungsvollen Maßnahmen entschlossen hätte. Statt dessen wirft die Regierung jetzt in diesem Memorandum dem Groß-und Einzelhandel vor, daß er doch reichlich versorgt sei und es sozusagen nur von ihm abhänge, ob seine bisher offenbar festgehaltenen Vorräte nun der Bevölkerung zur Verfügung gestellt würden oder nicht. Die Regierung ermahnt diese Wirtschaftskreise dazu, das nun auch wirklich zu tun. Die Antwort darauf ist sehr prompt und sehr eindeutig erfolgt: Fehlanzeige! Die Leute haben sich mit Entrüstung gegen die Unterstellung verwahrt, daß sie in Erwartung eines höheren Preises Zucker gehortet hätten und nun bereit sein könnten, diesen Zucker freizugeben.
Wir erleben das nicht nur bei der Zuckerversorgung, wir erleben es auf allen Gebieten, wie die Regierung versucht, über die von ihr heraufbeschworenen Fehler und Mängel damit hinwegzukommen, daß sie einmal sagt: Die Bauern liefern das Getreide nicht ab, wir müssen also jetzt den Preis um 100 Mark die Tonne erhöhen, gleichzeitig aber erklärt: So, jetzt habt ihr aber die Einnahmen, aus denen ihr die Lohnforderungen endlich befriedigen könnt! Dabei weiß jedermann, daß die Landwirtschaft, von einigen wenigen Fällen abge({15})
sehen, zu diesem Zeitpunkt kein Getreide mehr in der Hand gehabt hat und haben konnte. Jedermann weiß, daß die Bauern nicht aus Böswilligkeit Roggen verfüttert haben, sondern aus einer Zwangslage heraus - ich will gar nicht einmal sagen, auf Grund einer sehr weit getriebenen Kalkulation - den Roggen haben verruttern missen. Aber die Regierung steht dann fein da und sagt: Die Bauern sind's! Wenn heute Landas beiter kommen und sagen: Warum sträubt ihr euch gegen unsere Lohn-. forderungen?, dann können sie sich auf den Herrn Bundeskanzler personlich berufen, der gesagt hat, daß diese Getreidepreiserhöhung der Landwirtschaft nur gegeben werde, um sie in die Lage zu versetzen, den Lohnforderungen entsprechen zu können. Wie steht dann die Landwirtschaft da, und wer hat sie so hingestellt?
Dann sind es wieder die Bäcker, die angeblich am Konsumbrot nicht genügend verdienen und sich deshalb weigern, dieses den armen Leuten von der Regierung so großzügig zu Verfügung gestellte Brot zu liefern, obwohl die Regierung es, ja subventioniert! Dann stellt sich bei der Vernehmung heraus, daß es mit der Subvention so seine Haken hat. Sie ist zwar oft zugesagt worden, aber über Höhe und Durchführung konnte man sich nicht einigen. Dann passieren so unglaubliche Geschichten wie etwa die folgende: als mit der zunehmenden Nachfrage nach Konsumbrot - und diese Nachfrage stieg natürlich, je teurer die sogenannten „freien" Brotsorten wurden - auch der Betrag stieg, mit dem die Bäcker in Vorlage zu treten hatten, weil sie ein immer teureres Mehl hereinnehmen mußten und aus diesem teureren Mehl immer dasselbe billige Brot herstellen sollten, hatte die Regierung versprochen: für den Marz werden wir einen Vorschuß in der und der Höhe auf die Subvention zahlen. Dieser Vorschuß sollte nach dem Durchschnittsumsatz im Januar und Februar berechnet werden. Als dann einer aufstand und sagte - das war Ende März, Anfang April -: Es sind ja noch nicht einmal die Formulare gedruckt, auf denen der Umsatz von Januar und Februar festgestellt werden soll, da waren es nicht mehr die Bäcker und ihr Unwille, die daran schuld waren, daß die Bevölkerung nicht genug Konsumbrot bekam, sondern da war es offenbar die Unfahigkeit und war es der Mangel an Tempo und Entschlußfreudigkeit auf seiten der Regierung, die das zu vertreten hatte. Und dann sind es mal die Müller und dann mal wieder die Verbraucher, und zum Schluß ist es dann Korea. Im großen und ganzen ist es aber eben doch die Bundesregierung, mit der wir uns hier auseinandersetzen müssen. Sie hat es zu vertreten, daß es an den Einrichtungen, an den Maßnahmen, an dem Willen zur Ordnung gefehlt hat, mit der man auch in unserer Lage die auf uns zukommenden Schwierigkeiten in einem erträglichen Umfange hätte halten können. Daran ändern auch alle die Zahlenkunststücke nichts, daß man sagt: In den anderen Ländern wird das Brot auch teurer. Und wenn man dann die Preise in den Ländern, wo das Brot teurer geworden ist, mit unseren Brotpreisen vergleicht, fehlen einem dafür die Worte.
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- Ich habe es gar nicht leicht, Herr Kollege. Ich mache es mir selbst nicht so leicht, wie es sich mancher auf Ihrer Seite macht, der sich sehr viel leichter trösten läßt, als ich mich trösten lasse.
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Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß nochmals zu einer anderen Seite der Sache etwas sagen.
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- Ich wünschte, daß das, was an unserer Kritik
konstruktiv ist, hätte rechtzeitig aufgefangen werden
können. Das hätte dann allerdings größerer Anstrengungen auf Ihrer Seite bedurft und auch des
Überbordwerfens mancher vorgefaßter Meinungen.
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Meine Damen und Herren, es ist der Vorschlag gemacht worden, nun das, was aus der Preiserhöhung - drei Pfennig für die Milch, zwanzig Pfennig für das Pfund Margarine und eine Brotpreissteigerung von 48 auf 64 Pfennig, das sind nochmals 16 Pfennig - auf die Menschen zukommt, durch ein System von Verbilligungsscheinen aufzufangen. Ganz abgesehen davon, meine Damen und Herren, daß die Verbilligungsscheine nur einen Personenkreis erfassen sollen, der ja nicht der einzige Personenkreis ist, für den diese Preissteigerungen unerträglich sind, erscheint es meinen Freunden und mir einfach unfaßbar, daß man auf eine solche Weise einen so großen Teil unserer Bevölkerung, der ja ohne seine eigene Schuld in eine so schwierige Lage gekommen ist, der nicht über genügend Einkommen verfügt - das sind die Alten, die Kranken, die Arbeitslosen, nicht zuletzt die Vertriebenen -, deswegen mit Verbilligungsscheinen in die Läden schicken will, weil man glaubt, daß man damit im ganzen etwas billiger wegkommen wird.
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- Und selbst wenn man erheblich billiger wegkommt, glaube ich , rechtiertigt das eine so unsuziale - von mir aus sage ich: unmenschliche Maßnahme nicht.
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Bitte, stellen Sie sich einmal vor, in welche Situation die Leute kommen werden, die mit einem Schein in der Hand mit Leuten konkurrieren sollen, die noch alles in bar bezahlen konnen, die aber dann um Waren konkurrieren sollen, die Mangelwaren sind:
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um das billige Brot, von dem kein Mensch glauben wird, daß es in dem Umtange angeboten werden wird, wie es gefragt wird, und um die Margarine! Meine Damen und Herren, wir werden dieses System der Verbilligungsscheine ablehnen.
Zum Schluß noch eine Bemerkung, zu der ich mich auf Grund einer Debatte veranlaßt fühle, die wir heute im Ernahrungsausschuß hatten. Da hat jemand die rhetorische Frage aufgeworfen: Wer ist denn eigentlich tür die Landwirtschaft? - und hat daran die Bemerkung geknüpft: die Sozialdemokraten ja doch wohl nicht! Denn immer, wenn es zum Schwur käme, wenn es darauf ankäme, der Landwirtschaft nun einmal die Preise zu geben, die sie braucht, dann machten ja die Sozialdemokraten nicht mit. Dabei wurde ausdrücklich auf die Getreidepreiserhöhung Bezug genommen. Ich wiederhole hier nur das, was ich heute schon im Ernährungsausschuß gesagt habe. Ich bin geradezu glücklich darüber - und nicht nur meinetwegen und nur wegen meiner Freunde, sondern, ich glaube, auch wegen der deutschen Landwirtschaft -, daß nicht alle an diesen - na, ich unterdrücke mit einiger Mühe einen Ausdruck, den man vielleicht nicht parlamentarisch nennen könnte
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daß nicht alle an diesen Maßnahmen, die keine Maßnahmen sind, mitgewirkt haben. Meine Damen und Herren, eine solche Politik wie z. B. die Erhöhung der Getreidepreise in einem Augenblick, in dem die Landwirtschaft kein Getreide mehr hat, in dem eine solche Getreidepreiserhöhung geradezu eine Backpfeife für diejenigen ist, die dumm genug waren, den Versprechungen der Regierung auf den Festpreis zu glauben, ist keine Politik; eine solche Maßnahme ist keine Maßnahme;
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und an ihr mitzuwirken, ist der Landwirtschaft gegenüber viel peinlicher, als sich rechtzeitig von einer solchen Maßnahme abzusetzen, die ja doch - und in diesem konkreten Falle ist das klar zu erkennen - zu nichts anderem gedient hat, als der Landwirtschaft sozusagen die Schuld dafür zuzuschieben, daß es eine Weile kein Getreide gab und deswegen Brotschwierigkeiten eintraten, obwohl jedermann wußte, daß es Angelegenheit der Regierung gewesen wäre, klarzustellen, wo denn die eigentlichen Ursachen dafür sind.
Meine Damen und Herren, der Etat dieses Ministeriums wird von uns aus Gründen abgelehnt werden, von denen ich hier einige genannt habe. Ich könnte sowohl in bezug auf das, was die agrarpolitische Seite angeht, als auch auf das, was die Ernährungsprobleme angeht, noch sehr viel mehr Einzelbeispiele dafür aufführen, daß es sich hier wirklich um ein Versagen in ganz großem Stil handelt. Ich möchte noch einmal zum Ausdruck brin-ken: Diese Kritik richtet sich gar nicht gegen das Ministerium. Ich vermag die Zusammenhänge zwischen der Gesamtpolitik der Regierung und ihren Auswirkungen auf dieses Gebiet und damit auf dieses Ministerium viel zu gut zu erkennen, als daß ich es mir zu billig machen würde, meinerseits nach der falschen Seite Stellung zu nehmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen meiner politischen Freunde, Herr Minister, habe ich Ihnen unseren Dank auszusprechen
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für die Arbeit, die Sie in opfervoller Hingabe im letzten Jahr geleistet haben,
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geleistet haben in einem Ausmaße, daß Sie heute mit stark erschütterter Gesundheit in Ihrem Amt stehen.
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Sie haben als Minister für Ernährung und Landwirtschaft wahrlich nicht das leichteste Amt im Kabinett. An Ihnen zerren die Verbraucher und die Erzeuger, und die Verarbeiter spielen auch noch mit; auch im Kabinett selbst haben Sie die schwierigste Situation, weil ja gerade vom Agrarsektor aus - das hat uns schon Herr Kriedemann in seinen Ausführungen bewiesen - am leichtesten politische Spannungen herzuholen sind.
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Aber, Herr Minister, wenn die Opposition sich
Ihnen versagt, dann nehmen Sie das nicht tragisch,
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und wenn man Ihnen sagt, daß Ihre Politik ein Versager gewesen sei, so ist das auch gar nicht so ernst gemeint.
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Meine Damen und Herren! Wenn Herr Kriedemann in diesem Zusammenhang von der Flurbereinigung spricht, so weiß er genau wie wir, daß die Flurbereinigung den Ländern zusteht, daß man da ruhig auf diesem Gebiet weiterarbeiten kann und daß es nur darauf ankommt, für den Bund einmal eine zusammenfassende Regelung zu finden. Aber Herr Kriedemann vergißt, daß man, wenn man eine Flurbereinigung auf Dauer durchführen will, gleichzeitig auch ein neues Agrarrecht schaffen muß, wenigstens für die Gebiete mit Naturalteilung, damit nicht nach wenigen Jahren das Resultat der ersten Flurbereinigung wieder aufgehoben ist.
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Wenn Herr Kriedemann weiter sagt, der Landwirtschaft sei auch noch anders zu helfen, und das sei gar kein Geheimnis, und wenn er sagt, daß im Gemüsebau nichts geschehen sei und daß da gehalfen werden könne, wenn er schließlich in dem Zusammenhang davon redet, daß ein halbes Dutzend Programme gemacht worden sei, dann muß ich ihm entgegenhalten: er hat eben hier drei Programme verzapft, bei denen man nicht erkennt, wohin der Weg geht.
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In dieser schwierigen Situation ist es leicht, mit
Redensarten die Dinge totzuschlagen zu versuchen.
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Wenn die Regierung in dem Memorandum, das sie herausgegeben hat, auf die Erhöhung der Getreidepreise und die Erhöhung der Zuckerrübenpreise und darauf hinweist, daß die Milchpreise folgen, so darf ich Herrn Kriedemann sagen, daß der Kanzler in Rhöndorf nicht die Erhöhung der Getreidepreise als die Grundlage bezeichnet hat, die der Landwirtschaft gegeben werden soll, um die Lohnerhöhungen durchzuführen; er hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß diese Erhöhung erst im Herbst zur Auswirkung kommen kann, und hat vor allem auf die Milchpreise hingewiesen als das, was für die bäuerliche Wirtschaft - und die Landwirtschaft der Bundesrepublik ist zum größten Teil bäuerliche Wirtschaft - das Ausschlaggebende ist und sein wird.
Meine Damen und Herren! Zur Ernährungspolitik muß man hier einige Bemerkungen machen. Wir haben Preiserhöhungen auf allen Gebieten. Aber diese Preiserhöhungen sind nicht von selbst gekommen!
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Ich glaube, auch wenn Sie, Herr Kriedemann, an der entscheidenden Stelle säßen, dann wäre die Teuerungswelle, die durch die Welt geht, nicht deshalb an Deutschland vorbeigegangen, weil dort zufällig der Herr Kriedemann säße.
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Sie hätten sich mit diesen Problemen genau so auseinanderzusetzen und Wege zu suchen, wie Sie diese Schwierigkeiten beheben können. ({11})
Wir haben uns geholfen mit Stützungsaktionen. Meine Damen und Herren! Wir haben Stützungen bei Brot und bei Margarine, und zwar Globalstützungen für alle Bevölkerungskreise, gleich wie({12})
ihre soziale Lage ist. Wenn wir die Stützungen durchführen wollen - und auf diesen Gebieten müssen wir sie durchführen -, dann wird man untersuchen müssen, wie man die Bevölkerungskreise, die der Stützungen nicht bedürfen, von der Stützung ausnimmt, sei es
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über Verbilligungsscheine, die Herr Kriedemann nicht liebt, sei es durch irgendeine Steuermaßnahme. Aber auf jeden Fall müssen wir angesichts' unserer ganzen Finanzlage versuchen, zu einer Individualstützung zu kommen, um eben das System der Stützungen durchzuhalten.
({14})
Ich gebe zu, daß wir gewisse Spannungen auf den verschiedensten Gebieten haben,
({15})
bei Brot, bei Fett, bei Zucker.
Es gibt einen Mann, Herrn von Rohr, Ihnen sattsam bekannt, der zu den Problemen immer wieder in einer Form Stellung nimmt, die man nicht als objektiv anerkennen kann. Er wendet sich gegen meine Auffassung, daß wir die Zuckerversorgung nicht restlos aus dem Boden der Bundesrepublik durchführen können. Das weiß jeder Klippschüler aus der Landwirtschaftsschule, daß das aus betriebswirtschaftlichen Gründen und weil zum Zuckerrübenanbau geeignete Böden nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind, nicht möglich ist. Dann erklärt Herr von Rohr, man müsse es beim Bau der neuen Zuckerfabriken so machen, daß man die Zuckersteuer streiche und den Bauern sogar das Aktienkapital schenke, damit diese Zuckerfabriken gebaut werden könnten. - Meine Damen und Heren, ich nehme an, daß Herr von Rohr mit seinen Gedanken noch in den seligen Zeiten der Osthilfe lebt, jenen Zeiten, in denen man die Osthilfe in die Tasche steckte und dann den Kanzler, der sie gegeben hatte, aus dem Amt warf und Herrn Hitler die Tür öffnete.
({16})
Gerade Herr von Rohr, der als einer der Gründer
der Harzburger Front und als der erste Staatssekretär unter Hugenberg im Kabinett Hitler
schwerste Schuld an dem Unglück Deutschlands
und der Welt auf sich geladen hat, hätte alle Veranlassung zu schweigen und sich zu verkriechen und sich nicht in der deutschen Öffentlichkeit zu produzieren.
({17})
Meine Damen und Herren! Wenn ich den Herrn von Rohr höre und sehe, dann denke ich immer an die Rohrdommel, einen sehr schönen Vogel. Die Wissenschaft schreibt von ihm: „Die Rohrdommel wird auch Moorochse genannt."
({18}) „Die Farbe ist dunkel- bis hellbraun."
({19})
„Er läßt vor allem in der Paarungszeit nachts einen brüllenden Ruf erschallen, und er lebt von Fröschen, Molchen und Wasserkäfern."
({20})
Ich sage das, meine Damen und Herren, weil von dieser Sorte Rohrdommeln noch einige in der deutschen Landwirtschaft herumgeistern.
({21})
Unserer Landwirtschaft möchte ich von hier aus in aller Deutlichkeit sagen,
({22})
daß sie sich von diesen Rohrdommeln nicht verführen lassen und endlich begreifen möge, daß die Zeit der Leibeigenschaft - auch der geistigen Leibeigenschaft - in Deutschland endgültig vorüber ist.
({23})
Meine Damen und Herren, daß Spannungen auf bestimmten Gebieten der Ernährungswirtschaft bestehen, ist nicht die Schuld des Ministers und seiner Mitarbeiter, und wir hoffen und dürfen der Zuversicht sein - und da unterscheide ich mich von Herrn Kriedemann -, daß wir über diese Spannungen hinwegkommen. Der Herr Minister darf versichert sein, daß wir ihm dabei helfen, soweit es uns möglich ist.
Wir müssen aber auch den Mut haben, wenn Mangelerscheinungen kommen, die Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, damit jeder auch seinen gerechten Anteil an der vorhandenen Ware bekommt. Es dürfen nicht breite Massen einen größeren Anteil an Mangel bekommen, als ihnen zusteht.
({24})
Wenn man den Markt nicht voll sättigen kann, muß man auch den Mut haben, für gewisse Zeit einmal unpopuläre Maßnahmen zu treffen.
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Ich bin der Auffassung, daß man die Versorgung der zuckerverarbeitenden Industrie - nach ihrer Wichtigkeit geordnet - für einige Zeit drosseln oder abschneiden kann. Ich bin der Überzeugung, daß wir, wenn auch nicht sofort, so doch in Zukunft eine Versorgung der Margarine-Industrie mit Rohstoffen aus dem Inlandsmarkt - durch entsprechende Gestaltung und Forderung des Rapsanbaus und der Fischverarbeitung - bis zu drei Monaten herbeiführen können.
Wir müssen aber auch auf eine Vorratswirtschaft hinarbeiten. Es muß unsere Aufgabe sein, bei den wichtigsten Ernährungsgütern der Ernährungswirtschaft so viel Vorräte zusammenzubringen, daß wir für die Dauer eines Wirtschaftsjahres die Preise so halten können, wie es im Interesse einer sozialen Gestaltung des Marktes erforderlich ist.
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Man kann sehr wohl die Preise für Getreide, für Zucker und für Fette im Inlande auf einer solchen Höhe halten, daß sie der Landwirtschaft ihre Existenz sichern. Die Preise auf dem Weltmarkt werden ja bei einer friedlicheren Entwicklung unter unsere Preise sinken. Dann müssen wir dafür sorgen, dem sehr „einnehmenden" Herrn Finanzminister die Möglichkeit abzuschneiden, daß er abschöpft. Das Geld, das dort verdient wird, muß benutzt werden, um die Preise der wichtigen Lebensmittel zu senken. Dieses System der Durchschnittspreise hat man in andern Ländern mit Erfolg eingeführt: die Landwirtschaft bleibt gesund, und trotzdem wird dem Verbraucher das Leben erleichtert.
({27})
Diese Vorratshaltung ist aber eine Frage der Devisen, d. h. es dreht sich darum, was wir einkaufen können. Es ist doch auch heute noch bei uns so, daß der oberste Ernährungsminister der Präsident der Bank der deutschen Länder ist.
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Wenn der- erklärt, die Devisen sind nicht da, dann
kann der Landwirtschaftsminister keine Einkäufe
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ausschreiben. Ich bin der Auffassung, daß das Parlament einen Anspruch darauf hat, einmal zu erfahren, wie die Devisenlage im einzelnen ist,
({30})
damit man sich ein Bild machen kann und Klarheit darüber bekommt, daß hier nicht nach Grundsätzen gearbeitet wird, die unserer heutigen wirtschaftlichen Lage nicht entsprechen. Wir müssen in der Devisenwirtschaft dahin kommen, daß die Devisen in erster Linie für die Ernährungswirtschaft und die notwendigsten Produktionsgüter in der Industrie benutzt werden und nicht für Einfuhren, die nicht unbedingt erforderlich sind.
Das zweite Hindernis aber neben der Bank der deutschen Länder ist ja die OEEC-Organisation in Paris. Wir hatten ein Notprogramm vorgelegt, und nach diesem Notprogramm sollten für 10 Millionen Dollar wichtige Lebensmittel - darunter allein für über 41/2 Millionen Dollar Margarinerohstoffe - eingeführt werden. Die OEEC hat uns diese 10 Millionen auf 5 zusammengestrichen. 900 000 Dollar sind erforderlich für die Bezahlung von schon schwimmendem Pakistan-Weizen. Es bleiben also 4,1 Millionen übrig. Damit können wir nicht einmal die Margarinerohstoffe hereinholen, die wir dafür hereinholen sollen. Und dann überreicht man uns eine Liste, was wir alles einführen müssen: allein Obst und Gemüse aus den Niederlanden, aus Italien, der Schweiz und Frankreich für 7,7 Millionen; für 1 Million Frühkartoffeln aus Italien! Meine Damen und Herren, das sind die Maltakartoffeln, die sogar in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg als Delikateßkartoffeln galten und niemals einen breiten Absatz hatten.
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Dann Wein aus Griechenland für 0,3 Millionen Dollar und Schokolade aus der Schweiz für 0,1 Millionen Dollar! Aber das Reizendste ist folgendes. Da wird uns vorgeschlagen, aus der Schweiz für 10 000 Dollar synthetische Edelsteine einzuführen. Ich weiß nicht, ob Maharadschas und ähnliche Leute in Deutschland vorhanden sind, die ihre Brust mit synthetischen Edelsteinen schmücken wollen!
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Dann sind in der Liste Glasschmucksteine aus Österreich für 110 000 Dollar, Brillen-Rohpreßlinge aus Österreich, 30 000 Sensen und Sicheln aus Österreich. Als ob hier im Lande nicht genügend Sensen und Sicheln hergestellt werden könnten! Dann noch Konservengläser aus Österreich.
Meine Damen und Herren, gewiß werden wir von diesen Ländern etwas kaufen müssen; aber in einer Zeit wie heute, in der es an allen Ecken brennt, ist es nicht notwendig, Dinge einzuführen, die wir im Inland in der Form herstellen, wie sie eingeführt werden.
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- Herr Mühlenfeld, man wird sich das für einige Monate abschaffen können, um zuerst einmal Ordnung im eigenen Haushalt zu machen und erst einmal dafür zu sorgen, daß wir in der Ernährung aus der Klemme herauskommen.
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Ich möchte gerne einmal wissen, ob die Regierung bereit ist, diesen Vorschlag der OEEC zu prüfen und eventuell abzulehnen, oder ob sie gezwungen ist, dazu Ja zu sagen.
Meine Damen und Herren, wir haben uns aber auch in dem Zusammenhang mit dem ganzen Einfuhrsystem zu beschäftigen. Das Einfuhrsystem, das sich aus der JEIA heraus entwickelt hat, mit termingebundenen Offerten, mit laufenden Offerten und mit dem Reihenverfahren, dem sogenannten Windhundverfahren, hat absolut versagt. Das Offertenverfahren hat zur Folge, daß die Nachfrage im Ausland viel zu groß ist und daß in dem Augenblick der Ausschreibung die Preise steigen. Ich kann den Nachweis führen, daß, wenn 30 000 Tonnen Kubazucker ausgeschrieben waren, die Preise am Weltmarkt bis zu 20 % anzogen, bis wir unsere Käufe getätigt hatten. Dann gingen sie sofort wieder auf den alten Stand zurück. Im Reihenverfahren wird ausgeschrieben. Da kommen dann die Meldungen. Es waren z. B. ausgeschrieben Zitrusfrüchte und Frühgemüse Italien für 1,5 Millionen. Es kamen Offerten für 856 Millionen, und jeder einzelne erhielt 0,17 % zugeteilt.
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Diese Dinge sind gemacht worden. Und der Erfolg? Wir atomisieren die Einfuhr und versorgen damit den schwarzen Markt. Es kann ja keiner kontrollieren, vor allem wenn es sich z. B. um Weißzucker handelt, wo diese geringen Mengen bleiben. Wir zerschlagen uns selbst gute Einfuhrmöglichkeiten. Eine solche Einfuhrpolitik kann man nicht Einfuhrpolitik, sondern die kann man nur noch Bauchladenpolitik nennen.
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Ich bin dem Minister dankbar dafür, daß er den Anregungen, die wir ihm gegeben haben, gefolgt ist und daß wir in einem kleinen Ausschuß aus dem Ernährungsausschuß dieses Hauses mit der Einfuhrstelle die Frage prüfen. Ich bin überzeugt, daß wir in dieser Frage zu einem positiven Ergebnis kommen werden.
Meine Damen und Herren, ich will damit meine Ausführungen schließen, weil mein Kollege Horlacher noch zu den übrigen landwirtschaftlichen Fragen sprechen will und zu sprechen hat. Ich darf zusammenfassend sagen, daß die Ernährungslage gewiß ernst ist, daß aber zu großen Besorgnissen keine Veranlassung gegeben ist und daß wir, Herr Minister, Sie wie in der Vergangenheit so auch in der Zukunft in Ihrer Arbeit unterstützen werden.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dannemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die zweite Lesung eines Haushaltsplanes ist geschäftsordnungsmäßig mit einer Generaldebatte verbunden und gibt Gelegenheit, alle das betreffende Ministerium berührenden Fragen einmal zu beleuchten. Wiederholt haben in diesem Hohen Hause Agrardebatten stattgefunden, und es war erfreulich festzustellen, wie jedesmal bei dieser Gelegenheit alle Fraktionen bemüht waren zu betonen, wie notwendig die deutsche Landwirtschaft sei
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und wie notwendig es sei, eine Ernährungssicherung aus eigenem Grund und Boden zu schaffen. Auch die Regierung, ja selbst der Bundeskanzler haben sich in ihren wiederholten Erklärungen ganz positiv zu diesem Grundsatz bekannt. Erst kürzlich hat der Herr Bundeskanzler auf einer Tagung in Rhöndorf dies mit allem Nachdruck unterstrichen und dabei darauf hingewiesen, daß mit allen Mitteln versucht werden müsse, das landwirtschaft({1})
liche Preisgefüge zu den gesamten Preisen der übrigen Wirtschaft in eine Relation zu bringen und dadurch insbesondere die Möglichkeit zu schaffen, auch die Löhne der Landwirtschaft den Löhnen der übrigen Wirtschaft anzupassen.
Aber, meine Damen und Herren, wie sieht die rauhe Wirklichkeit aus? Was sich in den letzten Jahren auf dem Gebiete der Agrarpolitik und der Ernährungssicherung abgespielt hat, war sicher nicht dazu angetan, die Landwirtschaft zu einer Erzeugungssteigerung im vollen Umfange anzureizen, und es war sicher auch nicht dazu angetan, die Versorgung des deutschen Volkes mit Nahrungsmitteln hundertprozentig zu sichern. Auf der andern Seite aber weiß jeder von uns, daß die Schwierigkeiten nicht einseitig beim Ministerium gelegen haben, sondern fast ausschließlich oder vorwiegend in äußeren Einflüssen zu suchen gewesen sind. Wir wissen auch alle, daß diese Schwierigkeiten nicht nur bei uns aufgetreten sind, sondern sogar auch in den Siegerstaaten. Gerade die Kollegen, die glauben, draußen im Lande - erst heute haben wir es wieder festgestellt - nur einseitig kritisieren zu müssen, und die verhältnismäßig laut ihre Stimme nur in der Kritik erheben, sollten doch etwas ruhiger sein, solange die Länder, die nach ihrer Ideologie regiert werden, uns bisher noch nichts Besseres vorgemacht haben.
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Meine Damen und Herren, wenn man noch vor Jahresfrist in Anbetracht gefüllter Läden und einer übertriebenen Einfuhr der Auffassung war, daß das Hungergespenst nun endgültig gewichen und die heimische Erzeugung nur noch so am Rande zu betrachten sei, dann haben uns die Ereignisse seit Korea eines anderen belehrt. Mit einem Male ist wohl jedem verantwortungsbewußten Politiker klar geworden, wohin ein Staat kommt, der nicht mehr seinen eigenen Brotkorb in der Hand hat. Ein Staat, der nicht selbst über seinen Brotkorb verfügt, kann auch auf allen anderen Gebieten, auf dem außenpolitischen und dem innenpolitischen, in seinen Entschlüssen nicht mehr frei sein und muß damit zum Spielball fremder Mächte werden. Es ist auf die Dauer ein unerträglicher Zustand, die Versorgung der deutschen Bevölkerung davon abhängig zu machen, ob nun ein fremdes Schiff rechtzeitig oder überhaupt nach Deutschland kommt, statt mit allen Mitteln dafür zu sorgen, daß der Ertrag der heimischen Landwirtschaft gesteigert und eine zweckentsprechende Vorratshaltung betrieben wird. Deutschland, im Jahre 1938 noch in der glücklichen Lage, 80 °/o der benötigten Nahrungsmittel der Bevölkerung aus eigenem Grund und Boden geben zu können, war leider Gottes 1945 durch den Verlust der Ostgebiete in der Bedarfsdeckung auf einen Satz von 50 % herabgedrückt worden. Wir können heute mit Befriedigung feststellen, daß es uns dank des Fleißes unserer Landwirtschaft gelungen ist, in den letzten Jahren diesen Bedarf wieder zu 65 % zu decken.
Aber wir haben immerhin noch 1949 nicht weniger als 51,2 % aller Devisen, die uns überhaupt zur Verfügung gestanden haben, ausgeben müssen, bloß um das deutsche Volk satt zu machen, Devisen, die wir zweifellos bei einer richtigen Agrarpolitik zweckmäßiger und vernünftiger hätten verwenden können, z. B. für die Einfuhr ebenso lebensnotwendiger Rohstoffe, um damit Hunderttausenden von deutschen Arbeitern Arbeit und Brot zu geben. Dank einer guten Witterung und dank der Anstrengungen der Landwirtschaft ist Gott sei Dank in- diesem Jahre die Deviseninanspruchnahme für die Nahrungsmitteleinfuhr auf 38,3 % zurückgegangen. Gelingt es uns nur, durch eine vernünftig gelenkte Agrarpolitik die deutsche Erzeugung um 10 % zu steigern, so entspricht das einer Einfuhrersparnis von einer Milliarde D-Mark. Heute sind wir - das wurde hier bereits angesprochen - in der Getreideversorgung noch zu etwa 35 %, ja bei der Brotgetreideversorgung fast bis zur Hälfte von der Einfuhr abhängig, bei der Margarineindustrie sogar bis zu 95 %, bei Butter und Fleisch zu 10 % und bei Zucker zu 39 %, um nur die allerwichtigsten Nahrungsmittel überhaupt zu nennen. Das sind Zahlen, meine Damen und Herren, die doch außerordentlich zu denken geben.
Seit Monaten wartet unsere Landwirtschaft auf das von der Regierung angekündigte Agrarprogramm, ohne daß bis zum heutigen Tage irgendwelche grundlegenden zusammenfassenden Maßnahmen ergriffen worden sind. Immer weiter steuert die Landwirtschaft einer zunehmenden Verschuldung entgegen. Bereits heute beträgt die Schuldenlast der Landwirtschaft bei einem Gesamteinheitswert von 24 Milliarden DM 3,5 Milliarden DM. Eine Lähmung der Liquidität macht sich in der Landwiraschtf breit, und die Landflucht nimmt ein Ausmaß an, das volkswirtschaftlich einfach nicht mehr zu verantworten ist. Statt einer anzustrebenden Intensivierung gehen wir einer Extensivierung entgegen.
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- Ich komme gleich darauf! - Allein 650 000 fremde Arbeitskräfte sind seit dem I. Januar 1948 aus der Landwirtschaft abgewandert, dazu 150 000 familieneigene Kräfte. Heute haben wir in der Landwirtschaft einen nachweisbaren Kräftebedarf von rund 300 000 Menschen. Auf der einen Seite Arbeitslosigkeit, auf der andern Seite dieser gewaltige Bedarf an Arbeitskräften. Hier kann doch irgend etwas nicht stimmen!
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Ja, meine Damen und Herren, bei einem durchschnittlichen Arbeitslohn in der Landwirtschaft von 74 Pfennig im Bundesgebiet - und wir haben Betriebe und Gebiete, insbesondere bei den leichten Bodenarten, wo nicht einmal dieser Stundenlohn erreicht wird -, da müssen ja die Menschen gewaltsam vom platten Land in die Städte und in andere Berufe getrieben werden, und es muß der Zustand eintreten, daß die Landwirtschaft wegen Mangels an Arbeitskräften einfach nicht mehr in der Lage ist, intensive Maßnahmen durchzuführen.
Alle Hinweise, die Landwirtschaft sei rückständig, sie müsse rationalisieren, sie müsse modern werden, sie müsse mehr Maschinen verwenden, sind so lange sinnlos und zwecklos, solange man dafür nicht die einfachsten Voraussetzungen schafft. Man kann nicht in der Wirtschaft auf der einen Seite eine Preispolitik betreiben, die sich den jeweiligen Gegebenheiten des Weltmarkts anpaßt, und auf der andern Seite immer mit dem Hinweis - und da komme ich auf Ihren Einwand zurück -, daß es sich um politische Preise handle, nicht gewillt sein, auch der Landwirtschaft dasselbe Recht zuzugestehen. Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß die nicht abzustreitenden Erfolge der Wirtschaftspolitik der letzten Jahre zu einem großen Teil auf dem Rücken der Landwirtschaft ausgetragen worden sind. Zweifellos ist eine gesunde Exportpolitik notwendig und erstrebenswert, und man sollte auch mit allen Mitteln versuchen, den Export von Industrieerzeugnissen auszudehnen und zu för({5})
dern. Aber Export um jeden Preis, den selbst einige namhafte Wirtschaftspolitiker glauben vertreten zu müssen, ist dann falsch und gefährlich, wenn dieser Export auf Grund des Binnenmarktes vorgenommen wird und wenn eine Liberalisierungspolitik betrieben wird, die auf die heimische Erzeugung allzu wenig Rücksicht nimmt.
Es ist doch geradezu ein Wahnsinn, bei Nahrungsmitteln Handelsverträge über ein Maß hinaus abzuschließen, das den echten Bedarf bei weitem deckt. Ich brauche in diesem Zusammenhang nur einmal auf die Ereignisse hinzuweisen, die wir im letzten Jahre auf dem Gebiet des Obst- und Gemüsebaues erlebt haben. Wenn selbst der Bundesernährungsminister und sein Ministerium der Auffassung waren, daß im Jahre 1950 zur Deckung des echten Bedarfs an Gemüse und Obst höchstens eine Einfuhr von 190 000 t Gemüse und 275 000 t Obst notwendig gewesen wäre, und es werden nachher Handesverträge allein an Südfrüchten für fiber 390 000 t abgeschlossen - Sie sehen es in jeder Stadt -, dann wird doch keiner behaupten können, daß eine derartige Handels- und Wirtschaftspolitik. die uns zum Tel von außen her aufgezwungen worden ist. noch als gesund zu bezeichnen ist und als zweckmäßig angesehen werden kann.
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Ähnliche Erscheinungen haben wir auch auf anderen Gebieten feststellen müssen. Wir sind der Auffassung, daß wir eine Vorratshaltung betreiben sollten, die nicht, wie es uns die letzten Tage gezeigt haben, bei Getreide nur für eine kurze Zeit und bei Fett für eine noch geringere Zeitspanne einen Vorrat sichert, sondern wir meinen, daß Mittel und Wege gefunden werden müssen, damit auch seitens des Bundesfinanzministers bzw. des Bundesernährungsministers mehr als bisher die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden.
Die Freie Demokratische Partei muß mit allem Nachdruck verlangen - und sie hat das in der Vergangenheit hier wiederholt zum Ausdruck gebracht -, daß in Zukunft eine Agrarpolitik betrieben wird, die nicht nur für morgen Gültigkeit hat, sondern auf der einen Seite die Erzeugungssteigerung der Landwirtschaft ermöglicht, auf der andern Seite aber auch dem Verbraucher das absolut sichere Gefühl gibt, daß er mit seiner Familie auch in Zukunft laufend und zu stabilen Preisen versorgt werden kann.
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In diesem Zusammenhang einige Worte zur Subventionspolitik überhaupt. Subventionen sind an sich etwas Unvernünftiges und sollten im großen und ganzen abgelehnt werden. Sie haben nur da eine Berechtigung, wo es sich um die . Verbilligung der Betriebsmittel handelt wie etwa bei der Verbilligung der Rohphosphate für die Landwirtschaft oder bei der Verbilligung des Dieselkraftstoffs für die Landwirtschaft und die Fischerei, oder sie könnte gegebenenfalls dort eine Berechtigung haben, wo es sich darum handelt, einer bestimmten Volksschicht mit geringem Einkommen bestimmte Nahrungsmittel zu Preisen zur Verfügung zu stellen, bei denen sich gewisse Preissteigerungen ungünstig auswirken.
Wenn sich vorhin hier Herr Kollege Kriedemann den Verbilligungsscheinen gegenüber ablehnend ausgesprochen hat, so muß ich dazu sagen: Wir sind allerdings der Auffassung, daß man diesen Weg eher beschreiten sollte als den bisher beschrittenen Weg einseitiger Subventionspolitik bei der Margarine, wo Steuergelder in Form von Subverrtionen generell zur Verbilligung von Nahrungsmitteln zur Verfügung gestellt worden sind - auch für Bevölkerungsschichten mit hohem Einkommen-, also Steuergroschen, die wirklich den Ärmsten der Armen zur Verfügung gestellt werden sollten. Man sollte solche Maßnahmen zumindest so lange nicht ablehnen - ich meine die vorgeschlagenen Verbilligungsscheine -, solange man selbst nicht andere geeignete oder zweckmäßigere Vorschläge zu machen hat.
Ich will es mir versagen, bereits in der zweiten Lesung auf die Einzelheiten des Haushaltsplans einzugehen. Dazu werden wir bei der dritten Lesung noch Gelegenheit haben. Ich möchte aber zum Schluß einige Dinge herausstellen, die im Rahmen einer gesunden Agrarpolitik keinen Aufschub mehr vertragen. Da ist erstens die Sicherung der Milch-und Fetterzeugung durch einen gerechten Milchpreis. Die Erträge aus der Milchviehhaltung der Tandwirtschaft des Bundesgebiets stellen mit drei Milliarden 30 % aller landwirtschaftlichen Einnahmen dar. Besonders im klein- und mittelbäuerlichen Betrieb erbringt die Milchwirtschaft 50 bis 52 % aller Einnahmen überhaupt; mit anderen Worten: mit einem gerechten Milchpreis steht und fällt unsere Landwirtschaft. Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß die heutigen Erzeugerpreise für Milch nicht einmal mehr die Gestehungskosten decken, so daß hier eine Revision vorgenommen werden muß. Ohne die Erhöhung der Milchpreise ist auch das ebenso dringende Problem der Angleichung der Landarbeiterlöhne praktisch nicht zu verwirklichen, weil - wie eben bereits herausgestellt - die Erhöhung der Getreidepreise der Landwirtschaft praktisch kaum Mehreinnahmen erbracht hat. Denn in der Landwirtschaft des Bundesgebietes verkaufen wir nicht nur Getreide, sondern wir müssen dieselbe Menge an Futtergetreide wieder dazukaufen. die wir auf der anderen Seite an Brotgetreide verkaufen.
Ich habe eben schon gesagt: die einseitige Subventionierung der Margarine in der Fettversorgung lehnen wir ab. Wir werden bereits in Kürze in viel stärkerem Umfange, als wir das vielleicht im Augenblick noch glauben, die Butter zwangsläufig mit in die ganze Verbilligungsaktion einbeziehen müssen, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, daß durch die Verknappung der Rohstoffe für die Margarineindustrie die gesamte Fettversorgung des deutschen Volkes gefährdet wird. Das Endergebnis würde sein, daß die Ärmsten der Armen dann auf dem Schwarzmarkt ganz andere Preise bezahlen müßten. Man sollte deshalb vernünftigerweise und schnell versuchen, auch die Butter mit in diese Verbilligungsaktion einzubeziehen. Jeder Tag, der bei der Lösung dieser Probleme ungenutzt verstreicht, gefährdet die Versorgung der Bevölkerung mit dem wichtigsten aller Nahrungsmittel.
Zweitens müssen wir verlangen, daß die Verbilligung der Rohphosphate und Düngemittel nicht mit dem 30. Juni aufhört. Es ist geradezu sinnlos, bei den Betriebsmitteln mit Verteuerungsaktionen einzusetzen. Man sollte vielmehr ernsthaft die Frage aufwerfen, ob nicht generell der Weg beschritten werden sollte, die Produktionskosten herabzusetzen. Stattdessen erleben wir hier im Bundestag jedesmal das Palaver, daß wir, wenn gerechte Preise in der Landwirtschaft beschlossen werden sollen, immer durch die Mehrheit dieses Hauses' oder zumindest durch gewisse Kreise dieses
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Hauses niedergeschrien und unsere Vorschläge abgelehnt werden, eine Methode, die außerordentlich billig, aber keineswegs dazu angetan ist, die heimische Erzeugung entsprechend zu fördern.
Wir ,sind weiter der Auffassung, daß auch die Verbilligung von Treibstoffen für die Landwirtschaft und für die Fischerei wiederherkommen muß. Fällt diese Verbilligung weg - ein altes Privilegium, das seit Jahrzehnten in der Landwirtschaft bestanden hat -, so macht das allein eine zusätzliche Belastung von jährlich 54 Millionen DM aus. In der Fischerei sind die Verhältnisse noch viel krasser. So betrug z. B. in der Hochseefischerei bis vor kurzem der Treibstoffpreis je 100 kg 12 DM; er soll jetzt auf 22 DM erhöht werden. In der Küsten- und Binnenfischerei haben wir sogar Preissteigerungen von 13,80 DM auf 45 DM erlebt, Preissteigerungen, die einfach untragbar sind und zum Ruin dieser Sparten führen müssen.
Drittens muß verlangt werden, daß in Zukunft beim Abschluß von Handelsverträgen nur der echte Bedarf berücksichtigt wird. Wir müssen besonders zum Schutze des deutschen Obst- und Gemüsebaues verlangen, daß vorübergehend Sperrfristen eingelegt werden, um den heimischen Obst- und Gemüsebau nicht noch weiter zu ruinieren, wie es doch in der Vergangenheit leider geschehen ist.
Dasselbe trifft auch für ein verwandtes Gebiet, für den Weinbau, zu, der auf einer Fläche von 62 000 ha für rund 120 000 Kleinstbetriebe, von denen allein 65 % in Rheinland-Pfalz liegen, die Existenzgrundlage darstellt.
Ferner dürfte wohl gar kein Zweifel darüber bestehen, daß in steuerlicher Hinsicht in Zukunft mehr als bisher auf die Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft Rücksicht genommen werden muß, wenn der Verschuldung Einhalt geboten und wenn einer weiteren Extensivierung und damit einer noch weiteren Abhängigkeit auf dem Ernährungssektor entgegengetreten werden soll.
Ich möchte unterstreichen, was vorhin schon ein Kollege von mir gesagt hat: Wir warten seit längerem auf die Vorlage eines Flurbereinigungsgesetzes. Solange das Flurbereinigungsgesetz uns nicht vorgelegt ist, sind alle Vorschläge bezüglich einer Technisierung der Landwirtschaft graue Theorie und können nicht verwirklicht werden; so lange wird auch die Kultivierung in großem Umfange einschließlich der Aufforstung praktisch nicht verwirklicht werden können.
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Ferner, meine Damen und Herren, möchte ich den Herrn Bundesernährungsminister auch dringend bitten, uns in Kürze das ebenfalls seit Monaten erwartete Saatgutgesetz vorzulegen, damit auch auf diesem Gebiete eine Bereinigung erfolgt.
Schließlich möchte ich mit besonderem Nachdruck darauf hinweisen, daß wir auch in der Landwirtschaft in Zukunft, wie das auf anderen Gebieten der Fall gewesen ist, Kredite zur Verfügung haben müssen, um der großen Zahl von nachgeborenen Bauernsöhnen, von Landarbeitern, Heuerlingen und der noch größeren Zahl vertriebener Bauern des Ostens wieder eine Möglichkeit der Ansiedlung zu geben, nachdem der Boden jetzt vorhanden ist, sei es infolge der Bodenreformgesetze oder sei es durch zusätzliche Kultivierungsmaßnahmen; die im Bundesgebiet in großem Umfang angelaufen sind und in Zukunft anlaufen werden.
Zum Schluß möchte ich bitten, das Beratungswesen in der Landwirtschaft einschließlich unserer Institute und der Hochschulen stärkstens zu fördern, damit man mit allen diesen Maßnahmen zum Zuge kommt, damit aber auch die Erkenntnisse der Wissenschaft dann in die Praxis übertragen werden können. Ein besonderes Kapitel wird dabei die Erleichterung der Frauenarbeit sein. Denn man darf wohl mit Recht herausstellen, daß die Bauersfrau zum geplagtesten aller Menschen, ja ich darf wohl sagen, zur Sklavin geworden ist. Wir müssen auch auf diesem Gebiet das nachholen, was wir technisch auf dem Gebiete der Feldarbeit in den letzten Jahrzehnten mindestens zum Teil erreicht haben.
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Ich darf namens unserer Fraktion erklären, daß wir dem jetzigen Haushaltsplan zustimmen. Ich möchte aber den Herrn Minister darum bitten, daß bei der Vorlage des neuen Haushaltsplanes die von mir hier angedeuteten Forderungen verwirklicht werden. Ich möchte vor allen Dingen darum bitten, daß auch auf dem Gebiete der Agrarpolitik in erster Linie die Maßnahmen getroffen werden, die uns mehr als bisher vom Auslande unabhängig machen und die auch der Landwirtschaft, die bisher als rückständig bezeichnet worden ist, die Möglichkeit geben, auf technischem Gebiete das durchzuführen, was von ihr verlangt wird.
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Das Wort hat der Abgeordnete Tobaben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir hier den Etat des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beraten und naturnotwendig damit Rechenschaft und Kritik an unserer Agrarpolitik verbinden, dann will mir scheinen, daß das eigentlich nicht ganz richtig ist. Wir sollten von der Ernährungspolitik ausgehen. Denn unsere Agrarpolitik ist wie unsere Bauernarbeit eine Dienerin in einer großen Gesamtaufgabe, der Ernährung unseres Volkes. Nur von dieser Warte aus gesehen wird es uns möglich sein, für die unverzichtbaren Forderungen unserer Landwirtschaft das nötige Verständnis im gesamten Volke zu finden. Oft und grausam genug hat das Schicksal uns in seine Schule genommen. Wir haben es durch 'eine harte Erfahrung gelernt, wie wertvoll eine möglichst weitgehende Eigenproduktion- für die Ernährung unseres Volkes ist. Es ist eine tragische Folge des Krieges, daß unser Volk auf einem so engen Raum zusammengedrängt wurde. Wir können unseren Lebensraum nicht erweitern, aber wir können ihn durch eine intensive Wirtschaft vertiefen.
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Wenn dadurch - und das ist durchaus möglich - eine erhebliche Produktionssteigerung erreicht würde, dann würde das im größten Interesse unseres gesamten Volkes liegen. Dieses Interesse ist so groß, daß wir dafür notfalls sogar Unannehmlichkeiten oder gewisse Opfer auf anderen Gebieten tragen sollten. Eine Intensivierung unserer landwirtschaftlichen Produktion, auf die wir als Gesamtvolk nicht verzichten können, ist aber nur möglich, wenn durch eine vernünftige Agrarpolitik die Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Man sollte es nun endlich glauben, daß die maßvollen Forderungen unserer Landwirtschaft nicht gestellt werden, um ein bequemes Leben auf dem Lande zu ermöglichen, sondern um durch gerechte Löhne und Preise die Arbeitskräfte und das Handwerkszeug zu erhalten, ohne die auch auf dem Acker
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licht produziert werden kann. Wenn sich die Landflucht in der Weise weiterentwickelt wie bisbisher, werden wir eines Tages vor der Tatsache stehen, daß nicht mehr genug Kräfte vorhanden sind, um überhaupt noch die eigene Scholle zu bearbeiten.
Wenn man betont, daß ein gerechter Lohn und Preis für den Bauern, aber auch in gleicher Weise für den Landarbeiter nur durch eine Beschränkung unserer Einfuhr auf den tatsächlichen Bedarf zu verwirklichen ist, die Landwirtschaft also aus dem allzu freien Spiel der Kräfte, der Liberalisierung herausgehalten werden muß, dann muß man, wenn man der Wahrheit die Ehre geben und nicht nur aus agitatorischen Gründen kritisieren will,
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auch einmal anerkennen, daß gerade in dieser Richtung einiges geleistet worden ist. Richtig gehandhabt, meine ich, sind die Marktordnungsgesetze durchaus ein Instrument, mit dem man in einer sinnvollen Lenkung, durch Einfuhr- und Marktregelung den Preis so regulieren kann, daß er vom Verbraucher und auch vom Erzeuger in gleicher Weise anerkannt wird. Ich meine, es wäre wirklich an der Zeit und wir würden es begrüßen, wenn unserer alten Forderung, den bisherigen Marktordnungsgesetzen noch ein weiteres Marktordnungsgesetz für Obst und Gemüse anzuschließen, möglichst bald Genüge getan würde.
Meine Damen und Herren, wir haben aber auch gerade in dieser Richtung hier ein ernstes Wort zu sagen. Denn durch die langsame Entwicklung auf diesem Gebiet in der Zeit der allzu weitgehenden Liberalisierung - und das ist ja gerade von meinem Herrn Vorredner zum Ausdruck gebracht worden - sind eine ganze Reihe überflüssiger Einfuhren getätigt worden, die bereits in erheblichem Maße die eigene Produktion geschädigt haben. Der Weg aber - das muß wiederum zur Steuer der Wahrheit hier zum Ausdruck gebracht werden - vom Fordern zum Vollbringen ist nicht immer ganz einfach gewesen. Es galt da erhebliche Hindernisse und Schwierigkeiten zu überwinden, um die Marktordnungsgesetze unter Dach zu bringen und wirksam werden zu lassen. Ich erinnere mich noch recht lebhaft, wie zu dem Einbau der Einfuhrschleuse, des Embargos, in das letzte Marktordnungsgesetz beim Vieh- und Fleischgesetz hier von gewisser Seite ganz entschieden nein gesagt wurde. Ich glaube, daß gerade diese Kreise heute mit ihrer Kritik ein bißchen zurückhalten sollten. Wenn man nämlich eine Lenkung der Einfuhr und des Marktes erstrebt und dabei die Freiheit erhalten will, dann ist ein solches Marktordnungsgesetz mit Einfuhrschleuse und Vorratsstelle unerläßlich, es sei denn, daß man noch etwas mehr will, daß man die Dinge überhaupt in die Hand des Staates legen und mit einer restlosen Bewirtschaftung wieder alle Nebenerscheinungen, die im Schwarzen Markt usw. zum Ausdruck kommen, in Kauf nehmen will.
Meine Damen .und Herren, außer der Einfuhr-und Marktregelung, die für eine vernünftige Ernährungs- und Agrarpolitik unerläßlich ist, gibt es noch zahlreiche Aufgaben, deren wir uns mehr als bisher erinnern und denen wir unsere Aufmerksamkeit schenken sollten. Ich bin der Meinung, daß mit einer großzügigen und zentralen, zusammengefaßten Agrarwerbung unter aktiver Teilnahme der berufsständischen Organisationen, die einer solchen Sache erst das Leben geben, der eigenen Überproduktion in einzelnen Sparten abzuhelfen wie auch der Verbrauch zu lenken wäre. Gerade für Milch, Obst und Gemüse, aber auch für Fisch und Fleisch sehe ich hier ein weites Feld noch unbeackert.
Auf diesem Wege müssen wir in der Landwirtschaft auch zu einer sinnvollen Arbeitsteilung zwischen Groß und Klein kommen, die den naturgegebenen Verhältnissen Rechnung trägt. Ich bin der Meinung, daß eine in dieser Weise gelenkte und geplante Arbeitsteilung auf der Grundlage einer europäischen Agrarproduktion auch einmal zur Teilung der bäuerlichen Arbeit in Europa führen muß.
Meine Damen und Herren, ich weiß sehr wohl, daß die wasserwirtschaftliche Gesetzgebung zur konkurrierenden Gesetzgebung gehört. Wenn wir aber die Bedeutung der Wasserwirtschaft für die landwirtschaftliche Produktion richtig würdigen wollen, müssen wir unser Augenmerk auch einmal auf diese Dinge richten. Insbesondere die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben für den Küstenchutz und die Uferbefestigung sehr erhebliche Mittel aufzuwenden, und die dann noch übrigbleibenden Mittel für die Erfüllung binnenländischer wasserwirtschaftlicher Aufgaben sind so außerordentlich beschränkt, daß bisher Maßnahmen von wesentlicher Bedeutung nicht durchgeführt werden konnten. Ich weiß aus meiner engeren Heimat, daß bei einer richtigen Bewässerung des Bodens, der sonst durch die Natur systematisch, wenn auch langsam, so doch unabwendbar demontiert wird, Ertragssteigerungen bis 7i1 50 % denkbar wären. Ich bin der Meinung, daß wir für Hilfsmaßnahmen des Bundes in den Länele rn. die die Aufwendungen für den Schutz der Küste bisher zum weitaus größten Teil allein getragen haben. obwohl das, letzten Endes für das ganze Rundesgebiet von Bedeutung ist, in Zukunft erheblich größere Mittel aufwenden sollten.
Eine bedeutsame und besondere Sorge - das ist hier bereits zum Ausdruck gekommen - ist der Landarbeitermangel. Zu seiner Behebung sind eine Reihe guter Vorschläge gemacht warden. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Landarbeit mit der Arbeit in anderen Berufen und Ständen gleichbewertet werden muß. Darüber hinaus muß im Interesse von Aufstiegsmöglichkeiten auf dem Lande durch eine großzügige Förderung der ländlichen Siedlung weitaus mehr getan werden als in den hinter uns liegenden Jahren. Meines Erachtens muß auch für den Bau von Landarbeiterwohnungen wesentlich mehr geschehen als in der Vergangenheit, um verheiratete Arbeiter auf dem Lande unterzubringen. Hier müssen wir auch ein ernstes Wort an die Bürokratie der Wohnungsämter richten, damit sie dem ländlichen Werkswohnraum diejenige Beachtung schenkt, die die Eigenart der auf dem Dorf nun einmal vorhandenen Verhältnisse erfordert.
Meine Damen und Herren, ich habe hier noch zu einem andern Punkt etwas zu sagen. Es handelt sich um das Schicksal unseres früheren Antrags auf Steuerrückvergütung für Bienenzucker, den wir bereits gesichert glaubten, Ich habe dieserhalb mit den Freunden meiner Fraktion und mit Kollegen aus verschiedenen anderen Fraktionen gesprochen. Wir werden dem Herrn Präsidenten gleich einen Antrag übergeben, in dem wir das Haus bitten, den seinerzeit vorgesehenen Betrag wieder einzusetzen. Es ist eine verhältnismäßig kleine Summe. Wir müssen uns über folgendes klar sein. Wenn die Bienenzucht weiter zurückgeht, bedeutet das nicht
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nur einen Verlust der Produktion von Honig und Wachs, sondern es bedeutet auch, daß unser Obstbau und die Samenerzeugung in Deutschland einen Schlag bekommen, den wir uns unter keinen Umständen leisten können. Diese geringen Aufwendungen, die wir hier vorsehen, stehen in keinem Verhältnis zu dem Verlust, der dann entstehen würde. Ich bitte Sie deshalb, meine Damen und Herren, diesem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Lassen Sie mich abschließend noch auf eines hinweisen, was zwar vielleicht nicht direkt hierher gehört, aber doch auch einmal gesagt werden muß. Eine noch so positive Ernährungs- und Agrarpolitik des Ministeriums, über dessen Etat wir beraten, müßte wirkungslos werden, wenn, wie das in der letzten Zeit der Fall gewesen ist, durch Steigerung der Ausgaben alle Einnahmen wieder verlorengehen, so daß man damit nicht durchkommt: Wir müssen deswegen unsere alte Forderung heute hier wiederholen, die steuerliche Belastung und vor allen Dingen die ungeheuere Kompliziertheit unseres Steuersystems durch eine vernünftige Regelung endlich zu beseitigen.
Meine Damen und Herren, damit bin ich am Schluß meiner Ausführungen, um die Dinge, die hier zum Teil schon gesagt worden sind und zu denen heute noch verschiedene Kollegen sprechen werden, nicht ins Endlose zu ziehen. Eines möchte ich aber noch abschließend sagen. Mit einer verantwortungsbewußten und positiven Ernährungspolitik werden wir nicht nur unserem Bauerntum und unserem gesamten Volke einen außerordentlich großen und unerläßlichen Dienst erweisen, sondern wir werden damit auch einen Wall gegen jenen Radikalismus bauen, der auf dem Wege über 1 die Not des deutschen Landvolkes zur Herrschaft strebt und die Demokratie durch eine neue Diktatur wieder ablösen will.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Lampl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist zweifellos richtig, daß zweierlei Möglichkeiten bestehen, die Ernährung unserer Bevölkerung zu sichern. Die eine ist die Einfuhr, die andere ist die entsprechend gesteigerte Erzeugung im eigenen Land. Immer wieder und gerade in der allerletzten Zeit hat sich herausgestellt, daß die Erzeugung im eigenen Lande die im wesentlichen sicherste und vor allen Dingen auch volkswirtschaftlich gesündeste Möglichkeit der Versorgung unserer Ernährungswirtschaft darstellt. Die Gründe, die gegen die Einfuhr sprechen, liegen in der Abhängigkeit überhaupt, in der Devisenlast, die uns die Einfuhr aufbürdet, zum Teil auch in den Subventionen - es ist also auch eine finanzielle Frage - für die eingeführten Güter.
Ich darf hier kurz auf das Schulbeispiel Fett eingehen. Es ist Tatsache, daß zur Zeit doppelt soviel Margarine verbraucht wird wie Butter, obwohl zur Herstellung dieser Margarine, wie wir heute schon wiederholt gehört haben, 95 % ausländische Rohstoffe eingeführt werden müssen. Trotzdem geben wir in hohem Maße Subventionen zur Verbilligung der zu 95 % aus ausländischen Rohstoffen hergestellten Margarine. Und trotzdem eine immer stärkere Ausweitung des Verbrauchs. Abgesehen davon, daß die Frage der Heranbringung dieses Rohstoffes für die Herstellung der Margarine durchaus offen ist - im Augenblick mögen sich die Verhältnisse etwas gebessert haben, aber vielleicht nur für den Augenblick -, ist es auch widersinnig, einzuführen, da wir ja auch eine stärkere Erzeugung von Butter haben können. Das würde durchaus möglich sein.
Infolgedessen ist es meines Erachtens notwendig, den Verbrauch an Butter mehr in den Vordergrund zu stellen. Es würde dies auch eine Steigerung der Kaufkraft unserer Landwirtschaft mit den Auswirkungen auf die ganze Volkswirtschaft bedeuten. Ich weiß, was draußen darauf erwidert werden kann. Ich darf aber doch sagen, daß es auch möglich sein müßte, die Butter wirtschaftlich Schwächeren finanziell tragbarer zur Verfügung zu stellen dann, wenn die Subventionen nicht nur für so einfuhrabhängige Fette wie Margarine - ich habe es vorhin schon ausgeführt - gegeben werden.
Ein weiteres Beispiel eines nicht folgerichtigen Vorgehens: Auch zur Einfuhr von Brotgetreide werden nicht nur Devisbn benötigt, sondern zur Verbilligung dieser Einfuhren auch Subventionen. Was hier not tut, ist die Steigerung der heimischen Getreideernte mit allen Mitteln, auch unter Anwendung von verbilligtem künstlichem Dünger. Bei anderen Erzeugnissen wiederum - es wurde schon darauf hingewiesen - wurde der richtige Weg beschritten, z. B. bei Zucker, folgerichtig: Preiserhöhung, mehr Anbaufläche, also auch Ausbau der Zuckerfabrikation, der Zuckerfabriken.
Meine Damen und Herren, das ist die eine Seite zur Sicherung der Ernährung: ausreichende Preise für die Erzeugnisse unserer Landwirtschaft - wobei, nebenbei bemerkt, bei den Preisen für landwirtschaftliche Erzeugnisse der Ernährungsminister federführend sein muß -, ausgewogene Einnahme- und Ausgabeverhältnisse für den landwirtschaftlichen Betrieb, wobei die Ausgaben einschließlich Steuern und Abgaben eine entsprechende Rentabilität ermöglichen müssen, wie sie zur Zeit leider nicht gegeben ist. Was wir schließlich noch brauchen, sind gesicherte Absatzverhältnisse.
Gestatten Sie mir, daß, ich damit auf das Problem der Einfuhr komme. Wir brauchen eine vernünftige Einfuhr, d. h. Einfuhr von Waren, die - das wurde schon zum Ausdruck gebracht - unbedingt notwendig sind, nicht z. B. die Einfuhr von Waren wie Gemüse und Obst, um nur ein Beispiel zu sagen. Wir brauchen Einfuhrschleusen, wie wir sie nach mühevollen Verhandlungen glücklicherweise jetzt auch bei Vieh und Fleisch haben. Dabei kommt es darauf an, daß man diese Beschränkungsmöglichkeit der Einfuhr auch vernünftig anwendet. Man hat manchmal den Eindruck gehabt, daß Handelsverträge Selbstzweck sind. Man konnte den Eindruck haben, daß sich Verbrauch und Erzeugung nach Handelsverträgen richten sollten. Es muß selbstverständlich s o sein, daß die Handelsverträge sich nach dem, was notwendig ist, richten müssen, was aber im eigenen Land nicht erzeugt wird und nicht vorhanden ist. Jede andere Handhabung der Einfuhr ist volkswirtschaftlich ungesund und wirtschaftlich ganz allgemein nicht vertretbar.
Ich komme zum Schluß. Wir haben zu dem Herrn Ernährungsminister und seinem Ministerium das Vertrauen, daß zukünftig nach diesen unerläßlichen volkswirtschaftlichen Voraussetzungen verfahren und geplant wird. Meine Fraktion wird daher den Entwurf des vorgelegten Haushaltsplans billigen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Horlacher.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gehöre sicher zu denen, die gern Kritik üben, wenn es mir notwendig erscheint. Aber die Kritik muß auch Maß und Ziel haben.
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Sie darf nicht bloß die Schattenseiten sehen, sondern muß auch die Lichtseiten sehen. Wenn wir einmal von der Teuerungswelle, die durch die Korea-Krise und durch die Weltlage aufgetreten ist, absehen und unsere Gesamtlage betrachten, so haben wir seit dem Jahre 1948 in steigendem Maße gerade in Westdeutschland einen wirtschaftlichen Aufstieg erlebt, der vom Ausland gesehen, von unserem Volk aber nicht anerkannt wird.
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Ich möchte empfehlen, daß alle unsere Herren Kollegen einmal die ERP-Fibel lesen. Hier steht vieles drin, was die deutsche Bevölkerung wissen müßte. Mit der Inkraftsetzung des Marshallplans haben wir unsere Wirtschaft, sowohl die landwirtschaftliche Produktion als auch die gewerbliche Gütererzeugung, in steigendem Maße aufgebaut. In die Amtsperio de des Herrn Bundeslandwirtschaftsministers fällt auch - und das übersieht unsere Bevölkerung -die Aufhebung der Rationierung, die Beseitigung des Schwarzmarktes. Wie hat unsere ganze Bevölkerung aufgeatmet, als die Zwangswirtschaft allmählich im Hintergrund verschwand! Man muß auch einmal das anerkennen, was gut war!
Gut war auf jeden Fall, daß es bis zum heutigen Tage gelungen ist, die Nahrungsmittelversorgung des deutschen Volkes in den Westzonen auf einer Höhe zu halten, wie es in keinem anderen europäischen Lande der Fall ist.
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Die Labour Party in England - ich mache ihr keinen Vorwurf - hat mit ungeheuren Schwierigkeiten zu kämpfen, um der Teuerungswelle dort Herr zu werden.
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- Das können Sie nicht abstreiten. Ich erinnere an die Verhältnisse in Frankreich, wo die Sozialisten maßgebend an der Regierung beteiligt sind.
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- Ich kann den Zwischenruf nicht verstehen. - Ich erinnere an die Verhältnisse in Dänemark und Schweden. Wir müssen unsere Lage im ganzen sehen und dürfen sie nicht nur einzeln betrachten.
Ich möchte hier ein paar Ziffern geben. Ich bin sonst kein Freund von Ziffern. Wenn ich mir das Außenhandelsvolumen in den letzten Jahren anschaue, so hatten wir im Jahre 1945 ein Außenhandelsvolumen, also Einfuhr und Ausfuhr zusammengerechnet, von 100 Millionen Mark, im ersten Halbjahr 1948 ein solches von 5,40 Millionen Mark, im Januar/Juni 1950 von 1332 Millionen DM, im Juli 1950 von 1678 Millionen DM, im Dezember 1950 von 2332 Millionen DM und in) Januar und Februar 1951 ein solches zwischen 2,1 bis 2,2 Milliarden DM. Das ist also ein gewaltiger wirtschaftlicher Aufstieg, der sich hier unter Einschaltung der ausländischen Hilfe vollzogen hat. Erst die Marshall-Plan-Hilfe hat es uns ermöglicht, unsere Lebenshaltung auf die Höhe zu bringen, auf der wir heute stehen. In der Zeit vom 3. April 1948 bis zum 31. Juni .1950 hatten wir Einfuhren in Höhe von 892 Millionen Dollar. Insgesamt wurden in dieser Zeit Nahrungsmittel für rund 350 Millionen Dollar eingeführt. Was sich hier vollzogen hat, muß man auch anerkennen, die Aufbesserung des Außenhandelsvolumens unserer Wirtschaft, die Aufbesserung der Leistungsfähigkeit des deutschen Volkes durch die bessere Ernährung, die Erreichung eines höheren Produktionsindexes, das Bemühen, die ungeheure Menschenzahl, die nach den Westzonen hereingewandert ist, in Brot und Beschäftigung zu bringen, so daß die Zahl der Beschäftigten ständig steigt. Leider Gottes ist es so, daß die zusammengedrängte Bevölkerung sich nicht in vollem Umfange so unterbringen läßt, daß wir, was ich wünschen würde, keine Arbeitslosigkeit mehr haben.
Die Landwirtschaft hat aufgebaut. Mit Hilfe des Auslandes hat der deutsche Bauer wieder die Höchstleistungen aus seinem Betrieb herausgebracht. Wir haben die Getreidewirtschaft sowie die Vieh- und Fleischwirtschaft in einem Ausmaß aufgebaut, wie wir es uns vor zwei Jahren noch nicht hätten träumen lassen. Wir haben uns wieder eine Lebenshaltung geschaffen, bei der der Fleischverzehr der Friedensmenge schon sehr stark genähert ist. Die Verhältnisse sind ganz anders, als sie im Jahre 1948 und im Jahre 1949 gewesen sind. Das muß anerkannt werden.
Mir wäre es auch lieber, die Regierung würde ihr Gesamtwirtschaftsprogramm auf einen Sitz und einen Schlag herausbringen, damit unsere Bevölkerung sich auskennt, sie würde nicht alles so trümmerweis und zipfelweis, so zögernd und zagend bringen, sondern die Verhältnisse mit einem Schnitt in Ordnung bringen. Die widersprechenden Pressenachrichten beunruhigen unser Volk am meisten. Einmal steht das drin; dann steht jenes drin. Einmal steht Sparprogramm drin, einmal steht diese Steuer, einmal jene Steuer drin. Das ist nicht gut. Es wäre wünschenswert, daß ein Gesamtprogramm da ist, nach dem man sich richten kann. Dieses Gesamtprogramm müßte naturgemäß auch bei der Landwirtschaft vorhanden sein. Das ist ein schwerer Schönheitsfehler. Ich weiß die Schwierigkeiten, die da zu überwinden waren.
Lassen Sie mich jetzt die Kritik an dem Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft objektiv behandeln. Er hat die Schwierigkeiten mit den Besatzungsmächten. Der Minister war in den Jahren 1949 und 1950 bezüglich seiner Verhandlungen mit den Besatzungsmächten nicht zu beneiden. Ich erinnere nur an die Frage der Liberalisierung, ich erinnere an die Marktordnungsgesetze. Es muß auch anerkannt werden, daß die Marktordnungsgesetze deswegen nicht rechtzeitig in Kraft treten konnten, weil die Schwierigkeiten auf der amerikanischen Seite vorhanden gewesen sind.
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- Ja, bitte, das ist Tatsache. Das kann Ihnen doch der Minister nachweisen. Die Marktordnungsgesetze sind durch den ständigen Einspruch der Amerikaner hinausgezögert worden. Wir müssen auch anerkennen, was wir an Schwierigkeiten haben.
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- Gehen's zu! Das weiß beinahe jedes Kind, das den Petersberg hinaufgeht, daß uns da droben die Schwierigkeiten gemacht werden. Das braucht man doch nicht extra zu erzählen.
Aber notwendig ist - der Herr Minister wird es bestätigen - darauf hinzuweisen, wie es beim Getreidegesetz war. Wie lange hat es gedauert,
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bis das erste Marktordnungsgesetz die Genehmigung fand und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden konnte! Es war eine hübsch lange Zeit. Deswegen lassen Sie mich schon bestätigen, daß es mir lieber gewesen wäre, die Marktordnungsgesetze wären vor dem Erntejahr 1950/51, vor Beginn der Ernte, erledigt gewesen. Aber es war leider nicht möglich.
Dann können Sie den Minister doch nicht für die Koreakrise und die weltpolitischen Auswirkungen verantwortlich machen. Es handelt sich um eine Katastrophe, die in Form der außenpolitischen Spannungen über die ganze Welt hereingebrochen ist und die Teuerungswelle mit sich gebracht hat.
Weiter ist der Herr Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft bezüglich der Verhandlungen mit seinen anderen Kollegen nicht zu beneiden. Das ist auch so ein Kapitel. Es muß ja erst die Harmonie, der Zusammenklang zwischen den Ministerien hergestellt werden,
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und der Herr Bundesernährungs- und -landwirtschaftsminister hat hier keinen leichten Stand. Er muß die andere Seite von den Notwendigkeiten überzeugen, die bei der Landwirtschaft vorliegen, und er muß auf der andern Seite die Notwendigkeiten anhören, die für die Verbraucherschaft bestehen. Und hier den Mittelweg zu finden, damit alle befriedigt sind, ist eine sehr schwere Angelegenheit.
Als besonderer Exponent kommt dabei der Herr Wirtschaftsminister in Frage. Der Herr Wirtschaftsminister hat eine so gute äußere Konstitution, aber auch inwendig, daß er mit einer gewissen Zähigkeit seine Sachen immer durchsetzt. Und wenn ihm einer gegenübersteht, der ein bißchen höflicher ist, dann sind wir von seiten der Landwirtschaft und auch von seiten der Verbraucher gezwungen, unserem Minister nicht ständig Vorwürfe zu machen, sondern ihn tatkräftig zu unterstützen. Er braucht da unsere Stütze, und wenn ich ihn oft kritisiert habe, so ist das nicht geschehen, um ihm wehzutun, sondern aus dem Grunde, um ihn zu unterstützen, damit er darauf hinweisen kann, welche Schwierigkeiten er hat. Und wenn er eine solche Rede einmal im Bundestag wünscht, - ich bin gern bereit, eine zu halten,
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die die Rede des Kollegen Kriedemann weit in den Schatten stellt;
({10}) denn ich habe mir da an dem, was zu rügen wäre, soviel zusammengestellt, daß das ein ganz schönes Aktenmaterial darstellt. Wunderbar! Aber naturgemäß, menschlich betrachtet, kann man nicht eine einzelne Person für all das verantwortlich machen.
Dann kommt der Wirtschaftsminister daher. Mit dem muß er verhandeln. Dahin gehört der Punkt, daß für die Landwirtschaft und Fischerei Ausnahmen in der Treibstofffrage vorgesehen werden müssen. Das kann aber nur gemacht werden, wenn der Finanzminister zustimmt und wenn er mit ihm auf eine Linie hinkommt.
Ein wichtiges Kapitel der Agrarpolitik ist die Steuerfrage und der Lastenausgleich. Da kann der Landwirtschaftsminister höchstens ein Gutachten abgeben, aber die Entscheidung liegt beim Finanzministerium.
Sie sehen also, daß erst der Zusammenklang mit den übrigen Ministerien hergestellt werden muß und daß man nicht alles dem Herrn Bundesernährungsminister in die Schuhe schieben kann, weil er nicht für alle Ressorts, die für die Agrarpolitik in Frage kommen, zuständig ist.
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- Bitte, das ist notwendig!
Ferner hat der Bundesernährungsminister noch eine wichtige Hürde zu überspringen, nämlich Kollisionen mit den Länderministern zu vermeiden; aber, Herr Bundesminister, da müssen sich Ihre Beamten eines abgewöhnen: wenn Schwierigkeiten entstehen, die Länder verantwortlich zu machen. Das sollen sie gefälligst unterlassen, denn die Verhältnisse gegenüber früher haben sich geändert, und eine vernünftige Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiet der Landwirtschaft und der Ernährung ist eine absolute Notwendigkeit. Ich sage: eine vernünftige Zusammenarbeit, damit der Gleichklang der Verhältnisse auf einem so diffizilen Gebiet wie dem Ernährungswesen hergestellt ist. Da fehlt noch manches, und da muß man sich von den Vorstellungen der früheren Zwangswirtschaft entfernen. Da müssen Sie auch den Bayern soviel Auslandsgetreide geben, wie Sie den anderen rechtmäßig zukommen lassen. Da ist es notwendig, daß unsere bayerischen Mühlen genau über denselben Prozentsatz von Auslandsgetreide verfügen wie die rheinischen Mühlen. Dieser Ausgleich ist absolut notwendig, der Ausgleich des mittleren Gewerbes gegenüber dem größeren Gewerbe auf dem Gebiete der Getreidewirtschaft. Herr Minister, ich kann Ihnen nachfühlen, daß es auf dem Gebiete der Getreidewirtschaft für Sie nicht leicht war, die Verhältnisse zu ordnen. Denn was soll man machen, wenn man zwar ein sogenanntes Getreidegesetz hat, aber plötzlich keine genügenden Vorräte mehr in dem Umfang hat, wie man sich's gewünscht hat. Dabei muß man vorsichtig sein und darf nicht sagen. daß wir überhaupt keine Vorräte haben. Das stimmt nicht. Wir sind Gott sei Dank immer so schlecht und recht durchgekommen. Hoffentlich gelingt es in den kommenden Monaten auch. Wir sollen unsere Lage nicht schwärzer malen, als sie in Wirklichkeit ist. Denn wir leisten bloß Hilfsstellung für diejenigen, die von der Spekulation leben wollen,
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und solche laufen in Deutschland genug herum.
Wir kennen die Schwierigkeiten, und Sie können den Minister nicht verantwortlich machen, wenn Schiffe aus dem Ausland ausbleiben. Ist er auch dafür verantwortlich? Dann müßten wir ihn zum Schiffbaudirektor bei den Alliierten benennen, um das Problem vielleicht aus eigener Kraft meistern zu können. So muß er immer warten, bis die Verhältnisse an ihn herankommen, und er muß in tatsächlichen Verhandlungen versuchen, das Größtmögliche herauszuholen und die Dollars freizubekommen, um die notwendigen Einfuhren tätigen zu können. Das ist keine leichte Aufgabe. Wir vergessen immer, daß wir manches nicht aus eigener Kraft regeln können, sondern die Hilfe der anderen für die Regelung unserer Verhältnisse unbedingt benötigen.
Herr Minister, zu dem, was hier über die Getreidelage gesagt worden ist, lassen Sie mich nur einen Satz sagen. Wir haben noch von Januar bis zum heutigen Tage Getreide hereingebracht, wenn es auch nicht mehr so „dickflüssig" gewesen ist. Aber die Neuordnung der Getreidepreise war eine zwingende Notwendigkeit, um sich wieder auszukennen und damit der Bauer ungefähr weiß, was im neuen' Wirtschaftsjahr gelten soll. Da müssen
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wir zusammenstehen, damit diese Regelung auch wirklich Gütagkeit hat und damit der Spekulation mit aller Schärfe entgegengetreten wird. Ich habe es gewagt, als Landwirtschaftsvertreter im bayerischen Rundfunk ernstlich meine Meinung zu sagen, denn ich stehe durchaus auf dem Standpunkt, daß die Verhältnisse so bleiben müssen, um Erzeuger sowohl wie Verbraucher in gerechter Weise Rechnung zu tragen.
Daß das Konsumbrot aufrechterhalten werden muß, ist schon betont worden; das brauche ich nicht weiter auszuführen. Es gibt aber da Schwierigkeiten, weil wir Roggen erst wieder-in genügendem Umfang zur Verfügung haben, wenn die neue Ernte zur Auswirkung kommt; und wenn sie in der Ernährungswirtschaft wieder eine Rolle spielt, wird sich manches erleichtern.
Daß die Agrarpolitik als Ganzes betrachtet werden muß, ist schon in allen Reden zum Ausdruck gekommen. Deshalb muß man auch die Frage der Milchwirtschaft als eine Frage betrachten. die sowohl Erzeuger wie Verbraucher angeht. Ich sehe leider Gottes die ausländischen Zufuhren bei den Margarinerohstoffen sinken. Wenn ich das sehe, muß ich eine vorsorgliche Politik treiben und die Landwirtschaft dazu anhalten, das Höchstmögliche aus der Milchwirtschaft herauszuholen, indem ich ihr die Produktionskosten ersetze. Das ist unsere Aufgabe, und das dient sowohl dem Bauern wie dem Verbraucher. Ein solches Programm darf man allerdings nicht auf kurze Sicht aufstellen. sondern das muß auf weite Sicht aufgestellt werden. Deshalb ist es auch notwendig, gewisse Subventionsmittel für Butter zur Verfügung zu halten. Das ist auch eine Frage, die mit dem Bundesfinanzminister in Ordnung gebracht werden muß.
Bei Vieh und Fleisch - darauf ist schon hingewiesen worden - sind die Verhältnisse so geregelt, daß der Bundesernährungsminister hier das erforderliche Instrument in der Hand hat. um die Dinge auf dem Markt in Ordnung zu halten. Ich wünschte nur, daß die Einfuhren und die Vorräte so aufeinander abgestimmt sind, daß der Minister richtig disponieren kann.
Meine Fraktion, die CDU/CSU, wünscht ferner, daß die Förderung und Unterstützung des Obst-und Gemüse- sowie des Weinbaues nicht aus den Augen verloren wird. Hier ist eine Vorlage angekündigt, hoffentlich kommt sie möglichst bald.
Was die Flurbereinigung anlangt, meine sehr verehrten Damen und Herren, so kann ich hier wieder nur als Abgeordneter der CSU reden.
(Hört! Hört! links.
Das ist hier leider Gottes notwendig, denn meine Kollegen von der CDU haben in diesen Dingen nicht immer die gleiche Meinung wie wir von der CSU, aber die gleiche Weltanschauung. Beinahe hätte ich noch etwas dazugesagt, aber das will ich unterlassen;
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da sind wir uns völlig einig. Aber es gibt schon wirtschaftliche Fragen, in denen man eine andere Meinung haben kann. Jedenfalls würde ich wünschen, daß die anderen Länder das gute bayerische Flurbereinigungsgesetz nachmachten, dann brauchten sie sich nicht mehr mit dem Bundesernährungsminister herumzustreiten, dann könnten sie das selber erledigen. Wir sind jedenfalls nicht gesonnen, unser gutes bayerisches Flurbereinigungsgesetz, das wir jetzt modernisiert haben - und die Flurbereinigung geht bei uns in Ordnung -, zugunsten eines schlechteren Bundesgesetzes zurückzuziehen. Hier kann also nur ein Rahmengesetz in Frage kommen, sonst nichts.
Jetzt ermahnt mich das Licht, zum Schluß zu kommen. Das passiert mir zum erstenmal, denn sonst habe ich immer kürzer gesprochen. Aber einige Gesichtspunkte mußte ich doch herausheben. Ich möchte zum Schluß nur das eine sagen: Tragen wir in unserem Herzen, wir hier wie unser gesamtes Volk, folgende Gedanken: Möge der Herrgott es verhüten, daß die außenpolitische Lage in der Welt sich weiter verschlechtert! Möge im Gegenteil eine Besserung dieser außenpolitischen Lage es ermöglichen, den wirtschaftlichen Fortschritt Deutschlands weiter voranzutreiben und damit auch unsere deutsche Landwirtschaft immer mehr in den Stand zu setzen, für die eigene Produktion so viel zu tun, wie ihr nur möglich ist, damit wir auf der einen Seite weitere Devisen ersparen, um diese dann auf der andern Seite ausgeben zu können für den notwendigen gewerblichen Aufbau, den unsere Wirtschaft so dringend benötigt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Niebergall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was wir auf dem Ernährungs- und Landwirtschaftssektor in Westdeutschland gegenwärtig sehen und erleben, ist alles andere als rosig. Die heutige Lage der Landwirtschaft in Westdeutschland wird bestimmt durch die amerikanischen Kriegsvorbereitungen,
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durch die Politik des Marshall-Plans und durch die damit verbundene Liberalisierung der Wirtschaft und des HandeLs.
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Nach der jahrzehntelangen bauernfeindlichen Palitik der herrschenden Schichten im Kaiserreich, in der Zeit der Weimarer Republik, insbesondere dann unter Hitler und nicht zuletzt im Zeichen der amerikanischen Kriegspolitik ist es leider eine Binsenwahrheit, daß die Ernährung der westdeutschen Bevölkerung nur zu etwa 600/0 aus der eigenen Scholle sichergestellt ist. Trotzdem hat sich an der bauernfeindlichen Politik auch nach 1945 nichts geändert. Im Gegenteil, stärdig wurde und wird wertvolles Ackerland für militärische Zwecke verwendet und damit der Landwirtschaft entzogen.
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Es ist eine bekannte Tatsache, daß Hitler mehrere hunderttausend Hektar fruchtbares Acker- und Weideland für militärische Zwecke verwendet und damit dem Bauern, d. h. der Erzeugung, weggenommen hat. Dieses Land wurde auch 1945 auf Grund der amerikanischen Kriegspolitik nicht für die Landwirtschaft und die Steigerung der Erzeugung freigegeben. Hier wäre eine günstige Gelegenheit gewesen, dem Umsiedler und dem landarmen Bauern Land zu geben.
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Heute erleben wir in Westdeutschland, obwohl wir jeden Quadratmeter Boden für die Ernährung brauchen, daß erneut wertvolles Acker- und Weideland für die Erweiterung und Neuanlage von Flugplätzen und Exerzierplätzen sowie für
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sonstige militärische Zwecke der Landwirtschaft brutal genommen wird. Bisher handelt es sich dabei bereits um mehr als 137 000 ha Land,
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und noch ist in dieser Hinsicht kein Ende abzusehen. Besonders schwer werden hiervon Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen betroffen. In der Roten Zone in Rheinland-Pfalz erschienen in diesen Tagen, ohne daß man die Bevölkerung gefragt hat, Landvermesser unter dem Schutz von Militärpersonen auf den Feldern, um für militärische Zwecke Land zu vermessen.
Vor mir liegt die „Trierische Volkszeitung", also keine kommunistische Zeitung. Sie schreibt:
Unverständliche Methoden der Landwegnahme in Wasserliesch. Neun Zehntel der Einwohner verlieren wertvolles Ackerland, aber niemand ist vorher benachrichtigt worden. Bestürzung bei den Betroffenen.
Das ist nur eines von hundert Beispielen in Westdeutschland. Im Kreise Fallingbostel in der Lüneburger Heide wird rund ein Fünftel der gesamten Wirtschaftsfläche des Kreises von der britischen Besatzungsmacht für militärische Zwecke benutzt. Die für Flugplätze und Truppenübungsplätze beanspruchte Fläche des Kreises beträgt allein mehr als 14 000 ha Land. Im Kreise Baumholder. Rheinland-Pfalz, sieht es in dieser Hinsicht nicht besser aus. Aus dem südlichen Teile des Kreises Harburg liegen uns ähnliche Berichte vor. Nicht anders sieht es im Vorharz aus. Auch dort wurde ein großes Gelände für die Errichtung eines Flughafens beschlagnahmt. Kriegsübungen finden nicht nur in Niedersachsen statt, sondern im ganzen Westen und besonders im Wesergebiet. Außer den Panzerübungen, dem Bau von Panzerstraßen und Drehplatten im Gebiete von Soltau und Lüneburg wurde Mitte März der Plan bekannt, das Steinhuder Meer zu beschlagnahmen und als Raketenabschußbasis und -ziel zu benutzen. Das Steinhuder Meer umfaßt mehr als 33 000 qkm.
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- Entschuldigen Sie, wir sind hier im Westen, und im Westen vollzieht sich das und nicht im Osten! Ich lade Sie ein, mit mir nach dem Osten zu fahren und dort den Nachweis zu erbringen.
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Panzer wühlen den Boden metertief auf und kehren das unterste nach oben. Das ist eine Tatsache. Die Entschädigung für die angerichteten Schäden läßt oft anderthalb Jahre auf sich warten und entspricht nie der Höhe des Schadens, da der Boden durchschnittlich auf vier b is fünf Jahre unbrauchbar gemacht ist.
Das sind nur einige Beispiele von vielen in Westdeutschland, wo wertvolles Ackerland, Weide und Forst der Kriegsvorbereitung des amerikanischen Imperialismus zum Opfer fällt. Hinzu kommt die fortgesetzte Bedrohung der bäuerlichen Bevölkerung durch Maschinengewehr- und Artilleriebeschuß. Von vielen Beispielen nur ein einziges aus der Jüngstzeit. Das können Sie genau verfolgen, denn in dem Dorfe sitzt gerade die CDU ziemlich stark verankert. Vor einigen Wochen wurde ein Granattreffer mitten in ein bewohntes Dorf bei Baumholder gesetzt, und das alles angesichts des sogenannten Petersberger Abkommens. in diesem Abkommen wird folgendes gesagt:
Die Bundesregierung erklärt ferner ihre Entschlossenheit, die Entmilitarisierung des Bundesgebiets aufrechtzuerhalten.
Dies ist aber nur die eine Seite der Bedrohung unserer Landwirtschaft. Hinzu kommt eine Reihe von Erscheinungen, die unmittelbar mit den Kriegsvorbereitungen zusammenhängen. So fügt die Kohlenverknappung als Folge der Kriegsvorbereitungen ,der Landwirtschaft schwere Schäden zu. Die Preisschere zwischen den landwirtschaftlichen und den industriellen Erzeugnissen wird zunehmend größer. Sie erhöhte sich ab Januar 1948 bis Januar 1950 von 52,1 auf 57% und hat sich im Jahre 1950 bedeutend weiter erhöht. Die Preisschere wird sich auch in diesem Jahre nicht zum Besseren für die Landwirtschaft, sondern im Gegenteil zum Schlechteren entwickeln. Ich erinnere daran, daß laut Bericht des Herrn Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom März 1951 die Preise für Landmaschinen und technische Betriebsmittel um 10 bis 24 % gestiegen sind und die für Gummibereifung noch höher. Allein durch die Dieselkraftstoff-Preiserhöhung wird der Landwirtschaft eine Mehrbelastung von mehr als 54 Millionen DM aufgebürdet.
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Die Kosten für Neubauten haben sich um 25 bis 30 % erhöht und ziehen nach wie vor weiter an.
Hinzu kommt die unerträgliche Besteuerung, wie sie sich aus der Adenauerschen, aus der amerikanischen Kriegspolitik hier im Westen ergibt. Es ist doch eine Tatsache, daß die steuerliche Belastung der Landwirtschaft gegenüber 1913/14 bis zum Jahre 1948 um mehr als das 22fache gestiegen ist.
Und wie sieht es auf anderen Gebieten aus? - Die Mittel zur Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche, die besonders in Niedersachsen, Schleswig-Holstein tobt, sind mehr als unzureichend. Die Bauern hätten ja nichts dagegen einzuwenden, wenn der Petersberg von dieser Seuche betroffen wäre. Aber leider ist es so, daß unsere Landwirtschaft davon betroffen ist. Der Maul- und Klauenseuche könnte Einhalt geboten werden durch die Einführung des wissenschaftlich hochentwickelten Impfstoffes des Herrn Professors Röhrer aus der DDR. Aber der Koller bestimmter Herrschaften gegen die DDR hält sie anscheinend zum Schaden der Landwirtschaft davon ab.
Zu den vielen Sorgen der westdeutschen Landwirtschaft kommt noch eine Hauptsorge hinzu. Das ist der Marshallplan und die sogenannte Liberalisierung. Liberalisierung der Wirtschaft und des Handels hat für Hunderttausende westdeutscher Bauern und Gärtner einen mehr als üblen Klang. Müßten die Herren Bundesminister für Landwirtschaft und Wirtschaft alle Flüche und Verwünschungen über die Liberalisierung sammeln, sie kämen bestimmt außer Atem. Das ist verständlich; denn sowohl Herr Professor Erhard als auch Herr Professor Dr. Niklas können sich der Verantwortung für diese Politik nicht entziehen. So erklärte der Bundeswirtschaftsminister Dr. Erhard auf dem Wirtschaftstage in Köln am 24. Februar 1951:
Die Bundesregierung ist fest entschlossen, jedes Opfer zu bringen, um das System der Liberalisierung aufrechtzuerhalten.
Die Bauern hätten wahrscheinlich nichts dagegen,
wenn Herr Erhard diese Opfer bringen müßte. Sie
wären dann die Liberalisierung los, aber auch die({9})
sen Wirtschaftsminister. - Nur ein Beispiel von vielen: Wahrend 1950 eine Jahreseinfuhr von 190 000 Tonnen Gemüse, 275 000 Tonnen Obst und 600 000 Tonnen Südfrüchte zu erwarten waren, trafen bereits in den ersten elf Monaten des Jahres 1950 ein: 392 000 Tonnen Südfrüchte, 600 000 Tonnen Obst und Gemüse und darunter mehr Zwiebeln, als ganz Deutschland an Inlandsbedarf hat.
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Hinsichtlich des Weins ist es doch auch nicht anders. Wir haben doch gegenwärtig eine regelrechte Weinschwemme zuungunsten unserer Winzer in Westdeutschland zu verzeichnen. Wir gestatten uns deshalb die Frage an die Verantwortlichen: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, und zwar nicht nur gegen die Liberalisierung, sondern auch gegen die schwarze Liberalisierung, die von bestimmten Stellen betrieben wird, indem Weine und Obst mit gefälschten Einfuhrscheinen und mit anderen Mitteln eingeführt werden, wie wir das bereits vor einigen Tagen und Wochen festgestellt haben.
Diese Lage unserer Landwirtschaft, die sich aus dieser Politik des Krieges, des Marshallplanes und der Liberalisierung ergibt, hat eine starke Landfiucht und in zunehmendem Maße Bankrotte zur Folge. Am 1. Oktober 1950 betrug die Zahl der Beschäftigten in der westdeutschen Land- und Forstwirtschaft nur noch rund 1 129 000 gegenüber rund 1 245 000 im Vorjahr und rund 1 448 000 am 1. Oktober 1948. Allein 283 000 Personen wechselten im vergangenen Jahre von der Landwirtschaft zur Industrie uber.
Die volle Verantwortung für diese Lage in der Landwirtschaft tragen die Adenauer-Regierung und die Regierungsparteien, die dieser Politik ihre Zustimmung geben. Ihre Politik trifft die Landwirtschaft und die Verbraucher. Alle Versuche. dies zu bestreiten, sind vergebliche Liebesmühe, denn die Beweise dafür sind eindeutig. Durch die amerikanische Kriegspolitik ist eine sehr ernste Lage in der Versorgung unserer Bevölkerung eingetreten. Die ganze Weisheit der Regierung besteht darin, das Preisgefüge auf Kosten der Armen zu regulieren. Wir ersuchen alle westdeutschen Bauern, angesichts dieser Zustände nüchtern- die Bilanz hinsichtlich der Politik der Adenauer-Regierung zu ziehen. Wir fordern alle Werktätigen auf, ohne Illusionen diese Dinge zu sehen.
Wie will die Regierung Adenauer eine Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung herbeiführen, wenn sie zuläßt, daß wertvolles Ackerland für Flugplätze, Truppenübungsplätze und Kasernen entzogen wird? Wie will diese Regierung eine Steigerung der Erzeugung erzielen, wenn sie zuläßt und fördert, daß die Düngemittelindustrie erneut far Kriegszwecke dienstbar gemacht wird? Wie will 'diese Regierung den Bauern 'helfen, wenn sie die Liberalisierung des Handels fördert und verantwortlich dafür ist, daß unser Obst-, Wein-und Gemüsebau vor die Hunde geht? Wie kann die Adenauer-Regierung der Landwirtschaft helfen, wenn sie Milliarden für Besatzungskosten zahlt und Millionen für die Aufrüstung verpulvert, anstatt den Bauern billige Kredite zu geben und dem Winzer im Kampf gegen die Reblaus zu helfen? Wie kann der Landwirtschaft durch die Regierung geholfen werden, wenn für den Kampf gegen die Krafte des Fortschritts, für den Kampf gegen die Krafte des Friedens Dutzende von Millionen durch das Ministerium Kaiser verpulvert werden, an-. statt daß man dies Geld- für Steuersenkungen benutzt?
Diese Politik, die Preispolitik, zielt ab auf die Vertiefung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land, Wir wenden uns mit allen Mitteln gegen den Versuch, den Bauern gegen den Landarbeiter, den Landarbeiter gegen den Bauern und den Städter gegen den Bauern auszuspielen.
({11})
Wir sind der Meinung, daß die Verantwortlichen auf der Regierungsbank und bei den Regierungsparteien sitzen.
Aus dieser Misere gibt es einen Ausweg. Eine Hilfe dabei ist uns die Landwirtschaftspolitik der DDR. Sie zeigt die Wege und Möglichkeiten auf. Wir haben vor Monaten einen Antrag eingereicht, die Regierung möge ein Gesetz zum Schutz unserer Landwirtschaft erlassen. Wir haben diese Vorschläge in acht Punkten zusammengefaßt. Man hat damals erklärt: „Zur Tagesordnung übergehen!" Unsere Bauern sind nicht zur Tagesordnung übergegangen; denn alles, was da angesprochen war, steht auch heute noch.
({12})
Wir haben auch Bauern, damit Sie sich nicht irren, und morgen werden wir mehr haben; denn es ist noch nicht aller Tage Abend.
({13})
- Ja, die müssen Sie uns schenken! Wir schenken sie Ihnen zum Namenstag!
Hinzufügen muß man, daß Schluß gemacht werden muß mit der Politik der Kriegstreiberei, des Marshallplans und der Liberalisierung. Was wir brauchen, ist eine einheitliche, unabhängige deutsche Wirtschaftspolitik. Was wir brauchen, ist ein Fri?densvertrag im Jahre 1951 und der Abzug der Besatzungstruppen. Was wir brauchen, das ist ein Zusâmmengchen der Bauern mit den Werktätigen im gemeinsamen Kampf zur Lösung all dieser Probleme. Das ist ein Ausweg, und nicht der Versuch, hier irgend jemanden verantwortlich zu machen, um am Ende bei den Radfahrern zu landen.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Wilhelm Schmidt, Fraktion der WAV.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind mit all den Vorschlagen von Ihnen zur Verbesserung der Lage der Landwirtschaft und der Sicherstellung der Lebensmittelversorgung der Bevölkerung unserer Bundesrepublik einverstanden. Darüber brauche ich gar nicht lange zu reden. Herr Minister Niklas, wir kennen uns seit langen Jahren. Der Herr Minister Niklas weiß, daß ich nicht auf die Tribüne gegangen bin, um ihn vielleicht in irgendeiner Weise zu kritisieren, denn ich muß auch das anerkennen, was von den Vorrednern in dieser Hinsicht gesagt wurde: daß er in allen diesen Dingen seine Pflicht erfüllt hat. Wir machen ihm deshalb. keinen Vorwurf und können ihm keinen Vorwurf machen. Er hat genau wie Ihr Vertrauen auch das unsere.
({0})
({1})
Ich muß Ihnen sagen, daß vielleicht zwischen mir und Herrn Loritz in dieser Hinsicht eine Differenz besteht.
({2})
Aber, Herr Kriedemann, weil Sie gerade den Zwischenruf machen: Sie haben angeführt, daß die Getreidepreiserhöhung nicht ganz angebracht war. Und weil ich gerade auch in der Hinsicht zu denen gehört habe, die für diese Getreidepreiserhöhung waren - ich will eigentlich nicht sagen: Getreidepreiserhöhung, sondern, Herr Kriedemann. es war ein In-Ordnung-Bringen der Getreidepreise -, so werden Sie mir zugeben, daß damals vor der Er te, als wir die Getreidepreise festsetzten, ganz andere Verhältnisse waren, und Sie wissen, Herr Kriedemann, wie schwer es einem damals schon war, diese Preise festzusetzen, weil man damals glaubte, daß man auf die Erzeugnisse des deutschen Bauern bald verzichten könne, weil man vom Ausland alles billiger kaufen könnte.
({3})
- Aber, Herr Kriedemann, wir unterhalten uns jetzt darüber!
Mit den Getreidepreisen, die man damals festsetzte, wäre der deutsche Bauer zufrieden gewesen, wenn nicht andere Verhältnisse eingetreten wären. Ich muß bedauern, daß da verschiedene Fehler gemacht wurden, und zwar bedaure ich besonders, daß man die Preise für Futtergetreide und Brotgetreide so unterschiedlich festgesetzt hat. Da war , es doch nicht verwunderlich, daß der Bauer sein Brotgetreide, das er nicht teurer verkaufen konnte, dann als Futtergetreide verfüttert hat.
Dann kam aber noch etwas anderes, wofür ich aber nicht den Herrn Landwirtschaftsminister verantwortlich mache. Von einer gewissen Seite des Wirtschaftsministeriums ist die Forderung nach einer Liberalisierung gekommen, und durch ihre Durchsetzung hat man in vielen Dingen die Preise freigelassen, während man die der landwirtschaftlichen Erzeugnisse gebunden hat. Dadurch ist eigentlich die Spirale der Preissteigerung und alles, was damit zusammenhängt, gekommen, und ich habe mich gewundert, daß die Bevölkerung es so widerspruchslos hingenommen hat. Damals sind die Lohnforderungen in die Höhe getrieben worden, und danach sind dann auch die Bauern gezwungen gewesen, zu verlangen, daß die Getreidepreise den Verhältnissen angepaßt 'wurden. Ich glaube, daß gerade von Ihrer Seite diesem Verlangen nicht hätte entgegengearbeitet werden sollen; denn der Bauer war doch bisher ein' Hauptabnehmer der von der Arbeiterschaft hergestellten Erzeugnisse, und so sind die Arbeiterschaft und der deutsche Bauer auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden.
Die Regierung hätte aber zu der Zeit, als noch Gelegenheit dazu war, unbedingt dafür Sorge , tragen müssen, die Vorräte, die notwendig waren, um die Lebenshaltung der Bevölkerung im Bundesgebiet sicherzustellen, zu beschaffen. In _dieser Hinsicht ist also ein gewisses Verschulden der Regierung vorgekommen.
Zu der späteren Erhöhung der Getreidepreise, über die ich vorhin schon gesprochen habe, wiederhole ich noch einmal, daß' es sich nicht um eine Getreidepreiserhöhung, sondern um ein In-OrdnungBringen des Getreidepreises gehandelt hat. Wenn man dies als einen Fehler kritisieren will, dann haben die Bauern auf der andern Seite auch uns einen Vorwurf gemacht, und zwar sagen sie: Jetzt, wo die Vorräte aus unseren Händen sind, erhöht man die Getreidepreise. Wir haben aber die Getreidepreise damals aus einem anderen Grunde erhöht, ich habe ihn in der Frage ausgedrückt: Was gibt es Wichtigeres, und müssen wir nicht alles tun, um die Ernährung des deutschen Volkes sicherzustellen?
({4})
Aus diesem Grunde haben wir dann auch den Getreidepreiserhöhungen zugestimmt. - Herr Kriedemann, die Richtigkeit dieses Beschlusses hat sich, wie ich Ihnen sagen muß, erwiesen. Zum Beispiel kann ich Ihnen aus meinem Kreis berichten, daß viele kleine Bauern einen oder zwei Zentner Getreide und auch noch mehr gegeben haben, wenn man sich nicht bloß über die geldliche Seite mit ihnen auseinandersetzt, sondern ihnen auch klargemacht hat, in welcher Gefahr die Ernährung des deutschen Volkes sei. Aus diesem Grunde habe sie dann auch Getreide gegeben.
({5})
- Darauf kämme ich jetzt, Herr Kriedemann. ({6})
Es trat noch etwas anderes ein, das ich leider sehr bedauern muß. Ich sagte vorhin schon, daß die Bauern mit den Getreidepreisen, wie wir sie damals festsetzten, einverstanden waren. Dann kamen aber von anderer Seite Preisangebote, die über die festgesetzten Getreidepreise hinausgingen. Das hätte von der Regierung unbedingt verhindert werden müssen; denn dadurch wurde die Festsetzung der Preise wieder hinfällig, und die Ablieferung geriet wieder ins Stocken. Ich sage das alles nur deshalb, um den Vorwurf zu entkräften, daß wir aus gewissen Gründen bei der Festsetzung der Getreidepreise einen Fehler gemacht hätten.
Darf ich nun ganz kurz zu einigen anderen Dingen kommen. Ich will nicht lange darüber reden. Von meinem Vorredner wurde die Sorge zum Ausdruck gebracht, daß die Regierung oder das Bundesernährungsministerium in der Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche etwas versäumt hätten. Dazu muß ich Ihnen sagen, daß ich diesen Vorwurf zurückweisen kann. Kein Land wurde stärker von der Maul- und Klauenseuche befallen als gerade Bayern; und ich muß feststellen, in dem Augenblick, in dem ich die Meldung bekam, daß diese Seuche zu einer großen Gefahr für unser Gebiet auszuwachsen drohte, hat das Bundesernährungsministerium alles getan, damit sie so schnell wie möglich eingedämmt werden konnte, und sie ist auch eingedämmt worden. Ich erwähne das aber nur nebenbei.
Ich komme noch einmal auf den vorhin besprochenen Punkt zurück. Sie haben recht, Herr Kriedemann, wenn Sie sagen: Ja, die Bauern haben das Getreide abgeliefert, aber wo liegen die Vorräte? Zu dieser Angelegenheit möchte ich dem Bundesernährungsministerium sagen, daß es schließlich nicht ganz recht sein kann, daß die Getreidevorräte irgendwo in den Lagerhäusern liegen, und man denjenigen, die sie erarbeitet haben, den Verdienst nicht gibt, den sie verdient hätten. In dieser Beziehung hätten wir schon das Ersuchen an das Bundesernährungsministerium zu richten, daß
({7})
da einmal nachgesehen- wird, und zwar unnachsichtlich! Es dürfen nicht diejenigen aus solchen vorhandenen Vorräten Vorteile ziehen, die an der Arbeit nicht beteiligt waren.
Zusammenfassend möchte ich sagen, daß wir im großen und ganzen mit der Politik des Ernährungsministers und seiner Beamten zufrieden sind. Wir werden sie wie bisher weiter unterstützen, wenn sie es verdienen. Wenn es notwendig ist, werden wir auch Kritik üben. Wir wollen alle miteinander ohne Unterschied zusammenhalten, damit es uns gelingt, über die traurigen Verhältnisse, in denen wir heute sind, hinwegzukommen. Ich habe die feste Hoffnung auf unseren Herrgott, daß er uns dann, wenn wir alles tun, auch helfen wird. Das gebe Gott!
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Glasmeyer.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem so viele gute Sachverständige zum Problem Landwirtschaft und Landvolk gesprochen haben, kann ich mich wohl ziemlich kurz und innig fassen.
({0})
Die Zentrumspartei wird dem Antrag des Ausschusses in Drucksache Nr. 1911 zustimmen, obwohl sie gewisse Wünsche hat, die vielleicht nicht in allen Teilen zu erfüllen sind. Allerdings, das möchte ich doch betonen: so weit, wie mein Kollege Dr. Müller geht, daß er unserem Landwirtschaftsminister nun ein volles Lob ausspricht, kann ich als Oppositioneller ja nicht gehen.
({1})
- Bitte schön, meine Damen und Herren, ich bin einverstanden mit dem, was Dr. Horlacher gesagt hat. Wir wollen ihn unterstützen, ihm aber auch gelegentlich Rippenstöße versetzen.
Abg. Loritz: Sehr gut!)
Da ist die Situation so: Herr Landwirtschaftsminister, wir wissen, daß Sie ein sehr guter und lieber Mensch sind, aber, wissen Sie, wir haben im Münsterland einen schönen Spruch, der heißt: „Ein lieber Mann, ein netter Mann, setz' ihn auf den Tisch und iß davon!" Das letzte scheint uns das Wichtigste zu sein. Wenn Sie diesen unseren Wunsch erfüllen, bitte schön, dann ist es gut. Aber es scheint mir, Herr Landwirtschaftsminister, daß in Ihrem Kabinett gewisse Leute sind, die vielleicht etwas stärker sind als Sie. Da wir nun beide noch verhältnismäßig jung und schön sind, möchte ich Sie jetzt im beginnenden Mai an ein schönes Liedchen erinnern: „Der Finkenhahn, der singt jetzt bald", - ({2})
Vorsicht!
({0})
Da sang der kleine Finkenhahn,
Mein Schatz, nun rück' mal näher ran!
Sehen Sie, wenn Sie dieses schöne Liedchen dann
Ihren Ministerkollegen, Herrn Erhard und Herrn
Schäffer, und Ihrem Chef, Herrn Adenauer vorsingen, er möchte sich bestreben, der Landwirtschaft allmählich von allen Seiten näherzurücken,
dann wird es vielleicht glücken. Sonst bin ich der
Ansicht - besonders wenn ich die Stimmung des
Volkes beobachte, wie sie heute bei den Wahlkämpfen in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz ist -: Wehe der heutigen Regierung!
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Etat selber: Wir freuen uns, daß im Bundeshaushaltsplan des nächsten Jahres für die Flurbereinigung eine verhältnismäßig hohe Summe vorgesehen werden soll. Wir möchten aber zu Seite 6, Tit. 55, Förderung des ländlichen Siedlungsbaues, noch folgendes sagen: 5 Millionen DM, Herr Minister, das scheint uns doch etwas sehr wenig zu sein. Wir haben im Unterausschuß für ländliche Siedlungen neulich vorgeschlagen, daß in Zukunft für diese außerordentlich wichtige Sache wenigstens 200 Millionen DM angesetzt werden sollen. Wir haben doch ein Flüchtlingssiedlungsgesetz, und das ist wichtig. Wir haben aber auch viele einheimische Kötter, Heuerlinge und nachgeborene Bauernsöhne, die auch unterkommen wollen.
Weiterhin: Seite 14, Tit. 20. Dort findet sich ein Ansatz von 524 900 000 DM. Damit kein Irrtum entsteht, möchte ich dazu bemerken, daß die Mittel, die hier ausgeworfen sind, am allerwenigsten der Landwirtschaft zufließen, sondern zum großen Teil zur Stärkung des Konsums verwandt werden.
Seite 15, Tit. 2, Erschließung des Emslandes: 4 Millionen DM. Ich glaube, wenn wir in den nächsten Jahren nicht wenigstens zehnmal so viel für diesen Zweck anwenden, werden wir auf die Erschließung des Emslandes - des Bourtanger Moores, des Hümmelings usw. - und auch auf die Erfüllung der Wünsche, die wir im Münsterland bezüglich der Eindeichung und Schiffbarmachung der Ems haben, noch jahrzehntelang warten können.
Vom Gemüsebau usw. möchte ich gar nicht sprechen. Wir wissen ganz genau, wie hier im Rheinlande die Lage ist, wir kennen die Klagen der kleinen Gemüsebauern. In diesem Punkte kann ich mich voll und ganz dem anschließen, was mein Vorredner, der Oppositionelle Kriedemann, gesagt hat.
Zur allgemeinen Politik. Wir haben uns neulich gefreut, als wir etwas von der Rhöndorfer Tagung hörten. Ja, da schlug uns das Herz doch einmal wieder freudig, da haben wir uns gesagt: Der gute Onkel Konrad beweist mal wieder, daß er ein Herz für die Landwirtschaft hat. Als wir jetzt vor wenigen Tagen in der Nacht zum 11. auf einmal dar n durch den Rundfunk gewahr wurden, daß die Fragen, die der Herr Bundeskanzler angeschnitten hat, vom Herrn Vizekanzler ganz anders ausgelegt wurden, da waren wir enttäuscht. Ich möchte daher offen zum Ausdruck bringen, daß die Zentrumspartei heute voll und ganz hinter den Forderungen und Entschließungen steht, die nicht nur vom Bauernverband, sondern auch vom Niedersächsischen Landvolkverband gestellt werden, die Forderungen nämlich auf Erhöhung der Milch-und Butterpreise, auf Subventionierung der Butterpreise; sie steht aber auch zu den Forderungen des Winzerverbandes bezüglich der Senkung der Weinsteuer. Man soll die guten Gaben, die unser Herrgott auf unserem kargen Boden wachsen läßt, um Gottes willen nicht als Luxus bezeichnen. Ein guter Wein, das ist die Milch des Alters, und ein guter Schaumwein, das ist die Spritzigkeit und das Feuer der Jugend. Das wollen wir anerkennen.
({1})
({2})
I Ich glaube, ich kann noch ein paar Minuten sprechen. - Etwas zum Getreidepreis: Mein Vorredner, Herr Schmidt, hat vorhin gesagt, es wäre gleichsam so etwas wie ein Berichtigungspreis gewesen. Das mag sein. Leider haben wir Bauern davon bis heute nichts gehabt. Wir haben nur den zweifelhaften Vorteil, daß man mit Fingern auf uns zeigt und uns sagt: Seht mal an, die Landwirtschaft hat so viel verdient, jetzt kann sie auch höhere Löhne bezahlen. Wir haben nur den zweifelhaften Vorteil, daß wir unser Saatgut und andere Dinge teurer bezahlen können, wenn derartige Entwicklungen eintreten. Ich habe damals selber dafür gestimmt, weil ich für den Fall, daß die Erhöhung nicht kam, für unsere Bauern einen Rattenschwanz von Prozessen vorausgesehen habe. Aber wenn solche Erhöhungen kommen müssen und kommen sollen, dann sollten sie zu Beginn der Ernte kommen. Etwa 5 % der Bauern hatten die Möglichkeit, ihr Getreide zu horten, weil sie vielleicht noch über ein großes Portemonnaie verfügten. Die anderen - auch wir - haben längst vorher verkaufen müssen, und das, was wir darüber hinaus an Getreide hatten, mußten wir an unser Vieh verfüttern. Es ist grundfalsch, wenn Zeitungen geschrieben haben: Der Bauer hat sein Korn verfüttert, weil er am Vieh mehr verdienen wollte. Nein, nicht weil er mehr verdienen wollte, sondern weil er sich bewußt war, daß das Vieh, daß die Schweine und auch die Kühe zur Erhaltung des Lebensstandards des deutschen Volkes unbedingt notwendig sind, und weil der deutsche Bauer genau weiß, daß es viel billiger ist, Futtergetreide und auch Brotgetreide vom Ausland einzuführen als die Veredlungsprodukte Fleisch, Milch und Fett.
Nun zum Fett! Wir haben im vorigen Jahre durchschnittlich 40 000 t Margarine monatlich verbraucht. Wir verbrauchen heuer monatlich 50- bis 55 000 t Margarine. Wir unterstützen die Margarineindustrie heute monatlich mit durchschnittlich 20 Millionen DM Subventionen. Dabei hat, wie ich höre, diese Industrie rund 25 Millionen DM für Propaganda ausgegeben, anscheinend mit Mitteln, die der Staat ihr gegeben hat. Bitte schön, meine Damen und Herren, bitte schön, Hoher Bundestag: Wenn du, Regierung, die Margarine-industrie unterstützen kannst, dann unterstütze bitte auch den einheimischen Bauern!
({3})
Wenn die Vorräte schwinden, wenn wir damals zu Beginn des Korea-Konflikts für 8 Monate Vorräte gehabt haben und heute nur noch vielleicht bis Ende Mai, dann soll man sorgen, daß die Landwirtschaft entsprechend unterstützt wird. Sie ist durchaus in der Lage, wenigstens 20 % mehr als im vergangenen Jahre zu erzeugen.
Wo drückt uns denn der Schuh? Drei Jahre lang warten wir jetzt schon auf den Lastenausgleich. Immer noch Soforthilfe! Immer Landwirtschaft, immer nur Besitz, und diejenigen, die zur Miete wohnen, die wertvolles Mobiliar haben, die überhaupt keinen Grundbesitz haben, aber vielleicht im Jahre 100 000 DM verdienen, die zahlen gar nichts. Der kleine Besitzer dagegen, der landwirtschaftliche Arbeiter und der Fabrikarbeiter mit einem kleinen Häuschen und einem Morgen Land, der muß bezahlen. Ich frage mich immer: wozu diese Ungerechtigkeit?
Trotz allem sage ich mir eines: In der deutschen Landwirtschaft steckt ein guter Kern, und die deutsche Landwirtschaft weiß, mögen wir auch von allen Seiten angegriffen werden, daß einer ihr helfen wird. Dieser eine ist der, von dem ein alter Spruch in „Großmutters heimlichem Liedergarten" singt:
Gott wird machen,
daß die Sachen
gehen, wie sie heilsam sind.
Drum laß die Wellen
ruhig schwellen;
sorg du, daß du mit deinem Kind
sicher bist.
({4})
Das Wort zur Begründung des Antrags Umdruck Nr. 153 hat der Abgeordnete Dr. Schmidt ({0}).
Meine Damen und Herren. Ich habe den Auftrag meiner Fraktion, den Entschließungsantrag auf Umdruck Nr. 153 kurz zu begründen. Dabei muß ich an zwei Beschlösse von zwei Ausschüssen erinnern, und zwar einmal an den einstimmigen Beschluß des Haushaltsausschusses, für den Haushalt 1950 5 Millionen für die Siedlung bereitzustellen, und zum andern darf ich an den Beschluß des Unterausschusses für die ländliche Siedlung erinnern, der den Antrag Frühwald in der Weise verabschiedet hat, daß er zur Förderung der ländlichen Siedlung ausreichende Mittel im Haushalt des Bundesernährungsministeriums fordert. Unser Antrag ist praktisch gesehen nur die logische Folge. Er erschien uns notwendig, daß der Bundestag einen ganz konkreten Vorschlag annimmt, der den tatsächlichen Verhältnissen entspricht und zum andern der Regierung die Entscheidung erleichtert.
Über die Bedeutung der Siedlung brauche ich hier wohl kein Wort zu verlieren. Ich nehme an, daß wir uns darin alle einig sein werden. Die bisherige Finanzierung der Siedlung seit der Währungsreform erfolgte einmal durch ERP-Mittel in Höhe von 15 Millionen, durch das Schwerpunktprogramm in Höhe von 44 Millionen, durch die Soforthilfemittel in Höhe von 75 Millionen, und darüber hinaus kamen aus Ländermitteln ca. 40 bis 45 Millionen. Die ersten beiden Positionen werden in Zukunft wegfallen. Es bleiben also praktisch gesehen nur noch die Ländermittel übrig. Aber die Länder werden zur Lösung des gesamten Siedlungswerks allein kaum in der Lage sein. Hier muß also der Bund einspringen. Der Bund steht heute vor genau derselben Situation, vor der das Reich im Jahre 1925 gestanden hat. Damals wurden auf Antrag Treviranus und Genossen den Ländern trotz der schlechten Lage des Reiches für 5 Jahre je 50 Millionen für die Siedlung zur Verfügung gestellt. In späteren Jahren wurde die Siedlung sogar alleinige Reichsangelegenheit.
Die Meldungen der Länder über das anfallende Siedlungsland besagen, daß wir in den nächsten zehn Jahren ca. 580 000 ha Land aus den Bodenreformmaßnahmen und aus Landgewinnungsmaßnahmen zur Verfügung haben. Davon sollen nach den großen Planungen 120 000 ha für die Anliegersiedlung und ca. 460 000 ha für die Neusiedlung zur Verfügung gestellt werden. Wenn dieses große Siedlungswerk als eine Politik auf lange Sicht nicht versacken soll, dann können wir nicht umhin, hier im Bundestag die Bereitstellung entsprechender Mittel zu beschließen. Im Unterausschuß Siedlung werden wir uns darüber hinaus vor allen Dingen über Richtlinien für die Verteilung dieser Mittel eingehend zu unterhalten haben. Wir werden vor allen Dingen nicht umhin können, auf die Er({0})
fahrungen der Zeit nach 1925 zurückzugreifen, und wir werden nicht auf die Arbeitsergebnisse und Erkenntnisse der speziellen Siedlungsinstitute verzichten können.
Zusammenfassend möchte ich sagen, daß der Bundestag diesen Problemen mehr Aufmerksamkeit widmen und daß er daraus auch die Konsequenzen ziehen sollte.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Glüsing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entschließung, die dem Bundestag von der Fraktion der SPD vorgelegt wird, hat, wie der Kollege Dr. Schmidt schon sagte, denselben Inhalt, den die Vorlage der Kollegen Frühwald und Genossen uns seinerzeit brachte, nämlich stärkere Mittel für die ländliche Siedlung bereitzustellen, nur mit dem Unterschied, daß der Kollege Frühwald die Mittel aus dem Etat des Bundeswohnungsbauministeriums haben wollte, während jetzt der Kollege Schmidt die Mittel aus dem Haushalt des Bundesernährungsministeriums eingesetzt sehen will. Ich meine, es liegt nur im Interesse der ländlichen Siedlung, wenn auf jeden Fall in verstärktem Maße Mittel bereitgestellt werden. Wir von der Fraktion der CDU/CSU werden deshalb dieser Entschließung der SPD zustimmen, möchten allerdings dabei erklären - das darf ich auf Grund der heute sehr lebhaft verlaufenden Agrardebatte, vielleicht in allererster Linie im Namen meiner Freunde von der Landwirtschaft sagen -, daß eine Siedlungspolitik nur dann Sinn hat, wenn wir zunächst alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die schon bestehenden landwirtschaftlichen Familienbetriebe rentabel zu gestalten.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Anträge sind begründet. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Die Entschließung Umdruck Nr. 153 kann erst in dritter Lesung zur Abstimmung gestellt werden.
Ein echter Abänderungsantrag ist der Antrag der Deutschen Partei.
({0})
- Doch, dieser Antrag sieht eine Abänderung des jetzigen Haushalts vor, nicht erst eine des künftigen wie die Resolution der SPD. - Ich lasse abstimmen über den Antrag der Deutschen Partei.
({1})
- Darin ist dieser Antrag falsch formuliert.
({2})
- Gut, dann ist es auch eine Entschließung für den nächsten Haushalt.
({3})
- Über den Antrag kann erst bei der dritten Lesung beschlossen werden.
Über den Antrag der Deutschen Partei betreffend Einrichtung einer Abteilung „Fischwirtschaft" im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten kann jetzt schon abgestimmt werden; er enthält ja keine Entschließung. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! Ich muß die Abstimmung wiederholen. Es wird abgestimmt über den Antrag auf Drucksache Nr. 2122. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Der Antrag ist angenommen.
Ferner muß noch abgestimmt werden über den Antrag des Ausschusses, Drucksache Nr. 1911 Ziffer 1. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Angenommen.
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
({4})
- Die Entschließung kommt nach der Geschäftsordnung doch erst nach der dritten Lesung zur Abstimmung.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Ernst Mayer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute mittag wurde mit Recht die Wichtigkeit des Gesetzes über die Neuordnung der südwestdeutschen Länder betont. Ich darf Sie daher um Verständnis für unsere Bitte ersuchen, die zweite Lesung jetzt vorzunehmen und nicht erst nach Verabschiedung des noch anstehenden Etats. Ich glaube, es liegt im Interesse keiner Fraktion, daß wir dieses als wichtig bezeichnete Gesetz etwa in später Nachtstunde bei mangelhafter Besetzung erledigen.
({0})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Hilbert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, das Hohe Haus hat heute nachmittag einem Antrage zugestimmt, wonach das zweite Neuordnungsgesetz erst am Schluß der, heutigen Tagesordnung behandelt werden soll. Man sollte soviel Loyalität aufbringen,
({0})
Rücksicht darauf zu nehmen, daß unsere Redner mit ihren Manuskripten noch nicht fertig sind.
({1})
Uns, meine Damen und Herren, ist die Sache viel wichtiger als Ihnen! Sie haben nämlich nur ein Ziel: so schnell wie möglich zum Zentralismus zu marschieren, während wir gegenteiliger Auffassung sind. Ich widerspreche also gemäß der Geschäftsordnung einer Umstellung der Tagesordnung, die vom Haus zu Beginn der heutigen Sitzung beschlossen worden ist.
({2})
- Nein, es gibt keine Abstimmung! Widerspruch genügt!
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Hilbert ist im Recht. Das Haus hat die Tagesordnung, wie dargestellt wurde, beschlossen, wonach das Gesetz über die Neugliederung als letzter Punkt aufgerufen werden soll.
({0})
- Es ist beschlossen worden.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Erler.
Unter diesen Umständen möchte ich doch bitten, daß im Protokoll nachgelesen wird, ob sich aus den Ausführungen des Antragstellers ergeben hat, daß unbedingt beschlossen worden ist,
({0})
dies als letzten Punkt der Tagesordnung zu behandeln, oder ob eine Verschiebung schlechthin beschlossen ist. Denn wir haben uns jedenfalls nur unter der Voraussetzung einverstanden erklärt, daß dieser Punkt verschoben wird, bis innerhalb der Fraktion der christlichen Demokraten Gelegenheit gegeben ist, - ({1})
- Wir wünschen aber nicht, daß dies als letzter Punkt der Tagesordnung behandelt wird.
({2})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage die Absetzung des Punktes 13 b von der Tagesordnung.
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Namens der sozialdemokratischen Fraktion stimme ich diesem Antrag zu.
({0})
Wir müssen abstimmen, meine Damen und Herren.
({0})
- Der Absetzung von der Tagesordnung? Das können Sie nicht! Nach der Geschäftsordnung kann dieses Haus jeden, Punkt von der Tagesordnung absetzen. Es kann nur, wenn ein Mitglied widerspricht, nicht einen Antrag auf die Tagesordnung setzen, der nicht daraufstand. Das steht in der Geschäftsordnung.
({1})
Für den Fall, daß Damen und Herren des Hauses die Geschäftsordnung nicht ganz gegenwärtig haben sollten, erlaube ich mir, § 72 vorzulesen:
Von der Tagesordnung kann der Bundestag einen Gegenstand absetzen. Wird der von einem Ausschuß angekündigte mündliche Bericht nicht erstattet, so kann der Gegenstand von der Tagesordnung abgesetzt oder zurückgestellt werden.
Der Bundestag kann also absetzen, d. h. durch einen Mehrheitsbeschluß des Hauses.
Wer für den Antrag der Absetzung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Meine Damen und Herren, das amtierende Präsidium kann sich nicht einig werden. Wir müssen daher durch Hammelsprung entscheiden.
({2})
Meine Damen und Herren, ich bitte, die Türen zu schließen. Ich bitte die Herren Schriftführer, sich an die Türen zu begeben. Ich bitte, mit der Abstimmung zu beginnen. ({3})
Meine Damen und Herren, ich bitte, die Abstimmung zu beschleunigen.
Ich bitte, die Türen zu schließen. - Die Abstimmung ist geschlossen.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis der Abstimmung ist: Ja 157, Nein 124, 2 Enthaltungen. ({4})
Damit ist der Haushalt des Bundesministeriums für Vertriebene von der Tagesordnung abgesetzt.
Ich rufe entsprechend der beschlossenen Tagesordnung auf die
Zweite Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Neugliederung in den Ländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern ({5});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für innergebietliche Neuordnung ({6}) ({7}).
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Erler zur Berichterstattung.
Eder ({8}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute einen Auftrag zu erfüllen, den uns das Grundgesetz gegeben hat. Art. 118 des Grundgesetzes bestimmt:
Die Neugliederung in dem die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern umfassenden Gebiete kann abweichend von den Vorschriften des Artikels 29 durch Vereinbarung der beteiligten Länder erfolgen. Kommt eine Vereinbarung nicht zustande, so wird die Neugliederung durch Bundesgesetz geregelt, das eine Volksbefragung vorsehen muß.
Dieser Zustand ist eingetreten. Wir sind von den beteiligten Ländern dahin unterrichtet worden, daß eine solche Vereinbarung unter den Ländern nicht zustande gekommen ist. Infolgedessen kann das Gebiet, um das es sich handelt, der Südwesten der Bundesrepublik, bestehend aus den Ländern Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Baden, nunmehr durch ein Bundesgesetz neu gegliedert werden. Das Bundesgesetz muß eine Volksabstimmung vorsehen. Das ist die entscheidende Bestimmung, die uns das Grundgesetz mit auf den Weg gegeben hat.
Wir haben noch zu prüfen, wieweit der Art. 29 des Grundgesetzes hier einschlägt. Art. 29 des Grundgesetzes lautet in seinem Abs. 1:
Das Bundesgebiet ist unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges durch Bundesgesetz neu zu gliedern. Die Neugliederung soll Länder schaffen, die nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können.
Die weiteren Absätze des Art. 29 des Grundgesetzes enthalten dann die Vorschriften darüber,
wie eine solche Neugliederung im einzelnen vor
sich zu gehen habe.
({9})
Beim Art. 29 handelt es sich um jene ursprünglich von den Militärgouverneuren suspendierte Bestimmung des Grundgesetzes, die die Neugliedeung des Bundesgebiets im ganzen vorgesehen hätte. Art. 118 regelt bewußt die Verhältnisse für den südwestdeutschen Raum anders. Das Gesetz, das wir hier jetzt zu machen haben, ist ein Sondergesetz für den südwestdeutschen Raum auf Grund des Art. 118 des Grundgesetzes. Es steht in keiner Beziehung zu der allgemeinen Neugliederung nach Art. 29 des Grundgesetzes.
({10})
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie doch, dem Herrn Berichterstatter nicht durch Unruhe die Arbeit schwer zu machen.
Erler ({0}), Berichterstatter: Diese Feststellung, der sich die Mehrheit der beiden mit der Beratung der Vorlage befaßten Ausschüsse, sowohl des Ausschusses für die innergebietliche Neuordnung als auch des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht, angeschlossen hat, deckt sich mit einer Bemerkung, die Herr Professor Laforet in der Ausschußsitzung vom 28. März 1950 gemacht hatte und die sich gar nicht auf die jetzt vorliegenden konkreten Vorlagen um das Problem des Südweststaates bezog, sondern die allgemein das Verhältnis eines Neugliederungsgesetzes zu den Art. 29 und 118 des Grundgesetzes zum Gegenstand hatte. Wir können also festhalten, daß das, was wir jetzt tun, in keiner Weise und in keiner einzigen Bestimmung die Neugliederung im übrigen deutschen Bundesgebiet präjudiziert. Es handelt sich - ich wiederhole es noch einmal - um ein Spezialgesetz für den südwestdeutschen Raum.
Der Bund ist mit der Materie befaßt, weil die jahrelangen Verhandlungen zwischen den drei südwestdeutschen Ländern gescheitert sind. Es war nicht Aufgabe der beteiligten Ausschüsse, die Ursache des Scheiterns näher zu untersuchen. Wir sind in den Ausschüssen mehrfach darauf hingewiesen worden, daß man häufig am Rande des Abschlusses von konkreten Vereinbarungen unter den Ländern stand, die zu einem Zusammenschluß zwischen den drei Südweststaaten auf vertraglicher Ebene geführt hätten, daß diese Vereinbarungen aber in letzter Stunde an erneuten Einwänden der badischen Landesregierung dann schließlich gescheitert sind. Für unsere Arbeiten können wir jedenfalls festhalten, daß die Voraussetzung des Art. 118 des Grundgesetzes erfüllt ist. Die Verhandlungen sind gescheitert. Der Bund ist mit der Angelegenheit befaßt.
Auch bei der Neugliederung im Südwesten handelt es sich um eine gesamtdeutsche Aufgabe. Zu wiederholten Malen wurde in beiden Ausschüssen darauf hingewiesen, daß nur das Vorhandensein ausgewogener lebenskräftiger Länder das Funktionieren eines echten Föderalismus in der Bundesrepublik gewährleiste. Trotz der ursprünglich im Ausschuß vertretenen Meinung der Bundesregierung, die für eine Verzögerung der Entscheidung eintrat, haben sich die Ausschüsse für die sofortige Behandlung dieser konkreten Aufgabe entschieden. Herr Innenminister Lehr hat in der Ausschußsitzung vom 16. Februar 1951 die dem Ausschuß ursprünglich bekanntgegebene anders lautende Einwendung der Bundesregierung berichtigt. Im Ausschußprotokoll über diese Sitzung heißt es wörtlich:
Vor Eintritt in die Generalaussprache bittet Abg. Maier ({1}) den anwesenden Herrn Bundesinnenminister im Hinblick auf Pressemeldungen um eine Erklärung über die Auffassung der Bundesregierung zum Südweststaatproblem. Er bittet um Beantwortung folgender zwei Fragen:
1. Hat die Bundesregierung zur Frage der Neugliederung im Südwestraum einen Beschluß gefaßt?
2. Hält die Bundesregierung die Lösung des
Südweststaatproblems für präjudizierend? Bundesinnenminister Dr. Dr. Lehr erklärt hierzu, daß das Kabinett davon Kenntnis genommen habe, daß drei Initiativanträge vorliegen, und die Bundesregierung angesichts dieses Umstandes keine Veranlassung sieht, von sich aus gleichfalls einen Gesetzentwurf einzubringen.
Zur Frage 2, nämlich der Frage, ob die Bundesregierung die Lösung des Südweststaatproblems für präjudizierend für die Lösung im übrigen Bundesgebiet halte, erklärte der Minister, daß hierüber im Kabinett nicht gesprochen worden sei.
Ich gebe diese Auszüge aus dem Protokoll ausdrücklich bekannt, damit klar wird, daß die Bundesregierung darauf verzichtet hat, irgendeine abweichende Meinung in der Grundsatzfrage der Behandlung des Südweststaatproblems den Ausschüssen zur Kenntnis zu bringen.
Es muß nun entschieden werden. Auch im Ausschuß zeigten sich deutlich Bemühungen, durch unaufhörlich wiederholte Anträge, deren Sachgehalt im Ausschuß längst geklärt und über die durch Abstimmung entschieden war, zu einer weiteren Verzögerung zu kommen. Auch im Bundestag - diese Bemerkung sei auch dem Berichterstatter gestattet; denn es gibt einen Mitberichterstatter, der die Meinung der Ausschußminderheit vertritt - ist ja dieses Bemühen um Verzögerung der materiellen Behandlung der Sache bis auf den heutigen Tag und in die heutige Sitzung hinein sichtbar geworden. Der Ausschuß für innergebietliche Neuordnung hatte sich entschlossen, das ihm gestellte Problem in rascher Arbeit nun endlich einer Lösung zuzuführen. Seit der Einbringung der ersten Vorlage der , Freien Demokratischen Partei auf Drucksache Nr. 821, Entwurf eines Gesetzes zur Neugliederung der die Länder Baden, WürttembergBaden und Württemberg-Hohenzollern umfassenden Gebiete, hat sich der Ausschuß für innergebietliche Neuordnung in einer ganzen Reihe von Sitzungen mit dem Gesamtproblem befaßt. Nach dem vorläufigen Abschluß seiner Beratungen wurde dem Rechtsausschuß die erarbeitete Lösung zur Begutachtung unterbreitet. Der Rechtsausschuß hat eine in der Sache nicht sehr erhebliche Änderung vorgeschlagen, über die ich Ihnen nachher vorzutragen die Ehre haben werde. Er hat aber im übrigen keinerlei rechtliche, insbesondere verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Lösungsvorschlag des Ausschusses für innergebietliche Neuordnung erhoben. Der Ausschuß hat als Beratungsgrundlagen die in der jetzigen Drucksache Nr. 2160 gleichfalls aufgeführten weiteren, hier eingebrachten Vorlagen zur Verfügung gehabt. Zum zweiten handelt es sich um die Drucksache Nr. 1752, den Gesetzentwurf der Abgeordneten Hilbert u. a. über die Neugliederung in dem die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern umfassenden Gebiete, und weiter um einen Entwurf der Abgeordneten Gengler, Kiesinger u. a. auf Drucksache Nr. 1849, der sich materiell mit dem gleichen Problem beschäftigt. Darüber hinaus standen dem Ausschuß eingehende Ausarbeitungen der Regierungen von Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern für seine Arbeit zur Verfügung, die vergleichsweise herangezogen und zum Teil in der Form von Anträgen durch Ausschußmitglieder bei den weiteren Beratungen aufgenommen wurden.
Das gesamte Material ist schließlich vom Ausschuß zu der Ihnen jetzt vorliegenden einheitlichen Drucksache Nr. 2160 verarbeitet worden, die sich bemüht, den Gesamtkomplex der Neugliederung in Südwestdeutschland nach diesem Vorschlag zu regeln. Schon am 1. März wurde mit einer damals außerordentlich knappen Mehrheit von 8 zu 7 Stimmen beschlossen, die Drucksache Nr. 1849, d. h. den Entwurf der Abgeordneten Gengler u. a., zur Grundlage der Beratungen zu machen, dabei aber selbstverständlich alle anderen Entwürfe mit zu Rate zu
({2})
ziehen. Eine so knappe Mehrheit hat sich im Verlauf der Beratungen und Abstimmungen kaum noch einmal ergeben. Im allgemeinen sind später die Entscheidungen - solche waren sehr oft erforderlich - mit Mehrheiten von 9 zu 6 Stimmen gefallen. Gelegentlich kamen auch andere Mehrheitsverhältnisse vor.
In der Zeit zwischen den Beratungen dieses Gesetzes hat der Ausschuß für innergebietliche Neuordnung eine Vorlage vorab verabschieden müssen, die Ihnen bekannt ist, das sogenannte Blitzgesetz, dem wir in der letzten Beschlußfassung hierüber in diesem Hause den Namen „Erstes Gesetz über die Neugliederung in den Ländern Baden, WürttembergBaden und Württemberg-Hohenzollern" gegeben haben. Es ist daher logisch, daß das dem sogenannten Blitzgesetz folgende Gesetz mit der gleichen Aufgabe jetzt die Überschrift „Entwurf eines Zweiten Gesetzes" usw. bekommen hat.
Der Ausschuß hatte sich eine ganz konkrete Aufgabe gestellt. Er hatte nicht zu untersuchen, ob es richtiger ist, den Südweststaat zu bilden, oder ob es umgekehrt richtiger ist, die alten Länder wiederherzustellen. Eventuell hätte auch die dritte Lösung zur Frage gestanden, ob es vielleicht richtiger ist, den bisherigen Zustand aufrechtzuerhalten. Diese Fragen standen außerhalb des Zuständigkeitsbereiches des Ausschusses. Der Ausschuß wollte die Volksabstimmung bewußt so gestalten, daß die Frage, ob die Vereinigung zu einem einheitlichen Staatsgebilde erfolgen soll oder nicht, der Entscheidung der betroffenen Bevölkerung selber überlassen bleibt. Die Aufgabe des Ausschusses lag nur in der Schaffung einer einwandfreien Grundlage für ein Ausführungsgesetz zu Art. 118 des Grundgesetzes und die darin vorgesehene Volksentscheidung. Die Volksbefragung soll konstitutive Wirkung haben. Das heißt, sie muß das Problem entscheiden. Das Volk soll nicht nur um seine Meinung gefragt werden, von der nachher in späteren Verhandlungen unter Umständen doch wieder abgewichen werden könnte. Eine solche rein informatorische Volksbefragung hat ja bereits stattgefunden. Deshalb soll es sich jetzt um einen echten Volksentscheid handeln.
Das Gesetz muß infolgedessen auch Bestimmungen darüber vorsehen, wie die Entscheidung des deutschen Volkes in den drei südwestdeutschen Ländern anschließend an den Volksentscheid verwirklicht wird. Ganz gleich, wie die Entscheidung fällt, ob für die Vereinigung oder für die Wiederherstellung der alten Länder, muß daher der Gesetzentwurf eingehende Bestimmungen darüber enthalten, wie die neuen Staaten - denn weder das frühere Land Württemberg noch das alte Land Baden sind augenblicklich ja existent - nach der Entscheidung ins Leben zu treten haben, mit welchen Organen sie auszustatten sind, um zunächst einmal ins Leben treten, ihre Tätigkeit aufnehmen zu können und sich dann selber in freier Wahl eine eigene Verfassung zu geben. Alle diese Dinge finden Sie in den erheblich weniger umkämpften Abschnitten II und III des Gesetzes, die Ausführungsbestimmungen zu dem ersten Teil des Gesetzes sind, also darüber, was je nach dem Ausgang der Volksabstimmung zu geschehen hat.
Der Ausschuß hat ungeachtet dieser seiner Aufgabenstellung längere Zeit auch die Argumente für oder gegen den Südweststaat zur Kenntnis genommen. Die Regierungen aller drei beteiligten Länder hatten Gelegenheit, dem Ausschuß ihre eigene Stellungnahme sehr ausführlich darzulegen. Die Regierungen waren durch ihre Regierungschefs oder durch deren Stellvertreter an den Ausschußberatungen tatkräftig beteiligt. Der Standpunkt der Regierung des Landes Baden wurde durch Herrn Staatspräsidenten Wohleb, der des Landes Württemberg-Hohenzollern durch Herrn Staatspräsidenten Müller und Herrn Innenminister Renner, der des Landes Württemberg-Baden durch Herrn Ministerpräsidenten Maier vertreten. Außerdem waren selbstverständlich für den Fall der Abwesenheit der Regierungsmitglieder die Regierungen durch sachkundige Vertreter an den Ausschußberatungen beteiligt, mit Ausnahme einer kurzen Pause, in der das Land Baden sich im Ausschuß für innergebietliche Neuordnung nicht vertreten ließ.
Die Argumente, die wir für oder gegen den Südweststaat vorgetragen bekommen haben, werden sicher auch nach der Meinung des Ausschusses bei den Plenarberatungen dieses Hauses eine große Rolle spielen. Den Ausschuß selber haben sie in seiner Stellungnahme und in seiner Arbeit nicht beeinflußt. Ich wiederhole noch einmal, daß es nicht unsere Aufgabe war, zu prüfen, ob es zweckmäßiger ist und zu einer billigeren Verwaltung führt, wenn an die Stelle von drei Regierungen und drei Landtagen eine einheitliche Regierung und ein einheitlicher Landtag treten, ob es dem deutschen Föderalismus dienlicher ist, wenn ein großes, lebenskräftiges südwestdeutsches Land vorhanden ist oder wenn zwei etwas weniger große Länder an die Stelle der augenblicklich vorhandenen drei Länder in Südwestdeutschland treten oder ob umgekehrt die Volksverbundenheit der Badener in ihrer Heimatliebe und in ihrer Liebe zu dem nun doch immerhin über eine 150jährige Tradition verfügenden badischen Staatswesen ein solch schwerwiegender Faktor ist, daß der Wiederherstellung des alten Landes Baden und infolgedessen auch der Wiederherstellung des alten Landes Württemberg der Vorzug gegeben werden muß. Diese Fragen sind im Ausschuß von beiden Seiten vorgetragen worden, aber sowohl die Mehrheit als auch die Minderheit des Ausschusses haben eindeutig erklärt, daß sie bei ihren Lösungsversuchen davon absähen, durch die Form des gewählten Entscheides bereits die Sache dem Inhalt nach zu entscheiden. Das soll Sache der beteiligten Bevölkerung in ihrer Abstimmung selbst sein.
Die Streitfragen, die im Ausschuß auftauchten und zu sehr langwierigen und zum Teil außerordentlich temperamentvollen Auseinandersetzungen führten, lassen sich am besten nach der Vorlage selbst darstellen. Ich gehe daher jetzt auf die einzelnen Paragraphen ein, wie sie die Drucksache Nr. 2160 enthält.
Schon zum § 1 wäre eine Anmerkung zu machen. Danach stellen wir uns die Aufgabe, eine Volksabstimmung darüber stattfinden zu lassen, ob die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern zu einem Bundeslande, zum Südweststaat, vereinigt werden sollen oder aber, ob die alten Länder Baden und Württemberg, einschließlich Hohenzollern, wiederhergestellt werden sollten. Schon diese Art der Formulierung des § 1 läßt eine dritte Möglichkeit außer acht. Einhellig, mit einer einzigen Ausnahme, die sich bei einer bestimmten Stelle, nämlich zu dem § 10, dann zu einem Antrag verdichtete, war der Ausschuß der Meinung, daß die Frage nur so zu stellen sei: ob man in der Bevölkerung den Südweststaat wolle oder die alten Länder. Eine dritte Möglichkeit, nämlich die der Beibehaltung des bisherigen Zustandes, wurde von keiner Seite im Ausschuß ver({3})
treten, wohl aber kam eine andere Möglichkeit zur Erörterung: Im Landtag von Württemberg-Hohenzollern lag ein Antrag der dortigen Freien Demokratischen Partei vor, daß Verhandlungen mit dem Ziele aufgenommen werden sollten, das Land Württemberg-Hohenzollern an das Land Württemberg-Baden anzuschließen. Diese Bestrebungen haben in der Öffentlichkeit ihre Bezeichnung unter dem Stichwort „kleiner Südweststaat" gefunden.
Bei den Beratungen zu § 10 des Gesetzes hat sich diese Auffassung, unter Umständen zum kleinen Südweststaat kommen zu können, zu einem Antrag verdichtet, den der Abgeordnete Farke dem Ausschuß vorgelegt hat. Er ging von der Vorstellung aus, auch bei den jetzigen Stimmbezirken - ich werde nachher zu den Stimmbezirken im einzelnen noch zu sprechen haben - müsse man vermeiden, daß ein bestehendes Bundesland - und .das Land Baden sei ein solches Bundesland -, wenn die Mehrheit der Bevölkerung den Zusammenschluß mit den anderen Bundesländern nicht wolle, einfach überstimmt werden könne. Infolgedessen solle man dann die Entscheidung nur für diejenigen Länder gültig machen, die dem Zusammenschluß zustimmten. Das eine Bundesland, das nicht zustimmte, bliebe eben draußen. Der Antrag Farke zu § 10 lautet wörtlich:
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- Ich muß das aber vortragen, Herr Abgeordneter
Bausch; als Berichterstatter ist das meine Pflicht.
({5})
Es ist, glaube ich, doch wichtig, daß man ungefähr weiß, von wem die verschiedenen Anträge eigentlich gestellt worden sind.
({6})
- Das war bisher auch in diesem Hause durchaus Sitte, und es ist, meine Damen und Herren, sogar von bestimmten Antragstellern verlangt worden, zu sagen, von wem der Antrag kommt. Einen Antrag zu stellen und zu erwarten, daß er nachher, wenn er abgelehnt wird, unbedingt mit Verschwiegenheit und Diskretion behandelt werde, eine solche Praxis ist bisher im Parlament nicht üblich gewesen.
Doch nun zur Sache selbst. Der Antrag lautet: Spricht sich jedoch ein. Abstimmungsbezirk, der gleichzeitig ein Land im Sinne des Grundgesetzes ist, gegen die- Bildung des neuen Bundeslandes aus, so bleibt dieser Abstimmungsbezirk außerhalb des neuen Bundeslandes. Das neue Bundesland wird in diesem Falle von den drei zustimmenden Abstimmungsbezirken gebildet.
Dieser Antrag wurde, was für den weiteren Verlauf der Verhandlungen sehr wichtig war, von den anwesenden Vertretern aus Südbaden nicht akzeptiert und dann mit 3 zu 7 Stimmen abgelehnt. Das ist wichtig für die Behandlung der Frage der Abstimmungsbezirke und des Abstimmungsmodus bei den folgenden Paragraphen.
Nun hat sich eine weitere Frage zu § 2 ergeben. Es kam darauf an, für den Abstimmungstag einen Zeitpunkt festzusetzen, an dem nicht durch irgendwelche äußeren Ereignisse - Erntearbeiten oder andere Umstände - ein großer Teil der Bevölkerung tatsächlich an der Ausübung des Stimmrechts verhindert worden wäre. Im Ausschuß hat sich keine einheitliche Linie dafür finden lassen, welcher Abstimmungstag unter diesen Umständen der günstigste sei. Wir haben daraufhin dem Hohen Hause vorgeschlagen, daß die Festsetzung des Abstimmungstages dem Herrn Bundesminister des Innern zu überlassen sei, weil er die Möglichkeit habe, sich zunächst ein genaues Bild über die tatsächlichen Verhältnisse zu machen, und weil er als eine gewissermaßen neutrale Stelle auch wahrscheinlich nicht in dem Geruche steht, durch die Festsetzung des Abstimmungstages die eine oder andere Seite zu begünstigen.
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Der Ausschuß legte aber Wert darauf, daß diese Ermächtigung an den Herrn Bundesinnenminister nicht zu einer weiteren Verschiebung in der Sache selbst führe, und hat daher in das Gesetz die Vorschrift aufgenommen, daß die Abstimmung spätestens am 16. September 1951 stattfinden müsse. Das würde bedeuten - beachten Sie bitte die weiteren Bestimmungen des Gesetzes über das Zustandekommen der verfassunggebenden Landesversammlungen -, daß wir dann auf alle Fälle noch vor Weihnachten dieses Jahres bereits die verfassunggebenden Landesversammlungen hätten. Das hätte außerdem gewisse Konsequenzen für das Zusammenfallen der späteren Wahlen zum ersten Landtag - nach Ablauf der Legislaturperiode der verfassunggebenden Landesversammlunge die auch zwei Jahre als Landtag ihres Amtes walten soll - mit den nächsten Bundestagswahlen, um einen weiteren Wahlgang zu vermeiden.
Die §§ 3 und 10 müssen im Zusammenhang gesehen werden. § 3 handelt von der Abgrenzung der Stimmbezirke, § 10 von der Ermittlung des Ergebnisses je nachdem, wie die Mehrheit in dem ganzen Abstimmungsgebiet gezählt wird. Schon über die Zahl der Stimmbezirke gab es sehr lebhafte Meinungsverschiedenheiten. Sie lassen sich auf eine einzige Frage reduzieren: Soll es vier Abstimmungsbezirke geben oder zwei? Es gab auch noch die theoretische Möglichkeit - sie wurde auch in einem Antrag aufgegriffen, aber von einer überwältigenden Mehrheit abgelehnt -, an drei Abstimmungsbezirke zu denken. Wir haben uns für vier Abstimmungsbezirke entschieden, und zwar in der Weise, daß jedes der alten Länder zwei Abstimmungsbezirke bildet. Die Abstimmungsbezirke entstehen durch die Tatsache der jetzigen Zugehörigkeit zu verschiedenen Bundesländern. - Infolgedessen besteht das Land Württemberg-Baden aus den beiden Abstimmungsbezirken Nordbaden und Nordwürttemberg. Die beiden weiteren Abstimmungsbezirke werden gebildet vom Land Baden einerseits und vom Lande Württemberg-Hohenzollern einschließlich Hohenzollern andererseits.
Die Frage der Abstimmungsbezirke ist wichtig. Das Prinzip, nur zwei Bezirke zu bilden und dann in § 10 zu sagen, es ,werde je eine Mehrheit in beiden Abstimmungsbezirken verlangt, wurde in den Ausschüssen verschiedentlich verfochten. Daher bedeutete die Entscheidung über die Abstimmungsbezirke natürlich auch eine wesentliche Vorentscheidung zur Frage der Art der Ermittlung des Abstimmungsergebnisses. Die entscheidende Mehrheit für die vier Abstimmungsbezirke fand sich in der Abstimmung vom 23. Februar 1951 mit 9 : 6 Stimmen.
Die Forderung nach den zwei Abstimmungsbezirken wurde vor allem verfochten mit dem Hinweis darauf, den auch Herr Staatspräsident Wohleb im Ausschuß gab, daß die alten Länder rechtlich noch bestünden. Der Ausschuß konnte sich dieser Lehre
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von dem rechtlichen Fortbestand der alten Länder nicht anschließen.
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Auch wenn der Bundestag neulich festgestellt hat - auch dieses Argument wurde in den Ausschußberatungen vorgetragen -, daß rechtlich der Bund das Gebiet des Deutschen Reiches vom Jahre 1937 umfasse, so konnte der Ausschuß daraus keinen Schluß ziehen auf die tatsächlichen Verhältnisse und die Rechtsnatur der augenblicklich im Bundesgebiet bestehenden Länder. Wenn wir diesen Schluß nämlich ziehen wollten, daß die alten Länder noch bestünden, dann wäre mit dieser Erkenntnis die Tätigkeit des Bundestages sofort beendet; denn der Bundestag selbst ist zustande gekommen durch die Annahme des Grundgesetzes in den neuen Landtagen und nicht etwa durch Volksvertretungen des früheren Landes Preußen und der früheren anderen Länder. Unsere eigene Grundlage, auf der wir stehen, meine Damen und Herren, ist die Existenz der jetzigen Länder und nicht die der alten Länder. Von dieser Position muß man auch bei dieser Frage ausgehen.
({10})
Eine weitere Frage, die zu Beginn der Ausschußberatungen eine gewisse Rolle spielte, war die der Rechtsnatur des Landes Württemberg-Baden und der Möglichkeit seiner Auflösung. Wenn es bei einer Abstimmung zur Auflösung des Landes Württemberg-Baden und zur Wiederherstellung der alten Länder kommt, erhebt sich die Frage, wieweit dieser Akt mit der bestehenden Verfassung des Landes Württemberg-Baden vereinbart werden kann. Der Ausschuß hat diese Frage dahingestellt sein lassen, weil er allgemein der Meinung ist, daß Art. 118 des Grundgesetzes uns die Befugnis gibt, in allen Fällen, auch im Falle des Landes Württemberg-Baden, über die bestehenden Landesverfassungen zum Zweck der Neugliederung des Bundesgebietes hinauszugehen.
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Bei der Lehre vom weiteren Fortbestehen der alten Länder ist ein Argument vorgetragen worden, das Gegenstand sehr eingehender Betrachtungen war. Es wurde mehrfach darauf hingewiesen, daß das alte Land Baden als Träger eines Stückes eigener Souveränität nach völkerrechtlichen Normen nicht durch die Bevölkerung anderer Länder überstimmt werden könne
({12})
und daß das rechtlich vor allen Dingen auch auf das neue Land Baden in seiner jetzigen Struktur zutreffe; das Land Baden sei eine eigene Rechtspersänlichkeit und könne nicht gegen seinen Willen untergehen. Wenn also die Mehrheit der Bevölkerung des Landes Baden das Aufgehen im Südweststaat nicht wolle, dann könne auch eine Mehrheit in den anderen Landesteilen des deutschen Südwestens die Bevölkerung des Landes Baden nicht dazu zwingen, ihre jetzige Staatlichkeit aufzugeben.
Beide Ausschüsse haben sich dieser rechtlichen Darlegung nicht angeschlossen. Sie sind der Auffassung, daß die Beziehungen unter den deutschen Bundesländern nicht völkerrechtlicher, sondern verfassungsrechtlicher Art sind, daß die Bundesrepublik kein Staatenbund, sondern ein Bundesstaat ist.
({13})
Nach der Meinung der Mehrheit würde es zur Lehre
von der Bundesrepublik als Staatenbund führen,
wenn wir uns auf den Standpunkt der Nichtüberstimmbarkeit souveräner Länder innerhalb der Bundesrepublik stellen würden.
({14})
Es handelt sich also hier nur um die Frage: Wie ermöglichen wir es der deutschen Bevölkerung im südwestdeutschen Raum, in dieser Abstimmung die Frage ihrer staatlichen Zugehörigkeit für die Zukunft selbst zu entscheiden? Dabei hat sich allerdings der Ausschuß einschränkend davon leiten lassen, daß die logische Folge aus politischen Gründen nicht anwendbar ist. Die logische Folge wäre die gewesen, daß die Mehrheit aller deutschen stimmberechtigten Bürger in diesem Staatsgebiet dort unten zu entscheiden hätte, wie die Zukunft auszusehen habe. Von dieser logischen Konsequenz ist man abgegangen, um den durchaus berechtigten Interessen und Gefühlen der Bevölkerung des alten Landes Baden nicht durch das Überstimmtwerden durch die Majorität, durch die stärkere Bevölkerungszahl des alten Landes Württemberg Gewalt anzutun. Es hat sich die Frage ergeben, ob durch das Abstimmungsverfahren in vier Stimmbezirken, wie es § 3 in Verbindung mit § 10 vorsieht, dem Abstimmungsergebnis in Wahrheit bereits vorgegriffen würde. Der Ausschuß ist der Überzeugung, daß die hier vorgetragene Lösung am ehesten zu einer echten Entscheidung der Mehrheit der in den drei südwestdeutschen Ländern lebenden Bevölkerung führen kann.
Kommen wir zu der Lösung, wie sie von den Vertretern der Minderheit vorgeschlagen worden ist, z. B. etwa in jenem Antrag des Kollegen Hilbert, der da lautet:
Ergibt die Volksabstimmung in allen nach § 3 gebildeten Abstimmungsbezirken eine Mehrheit für die Vereinigung der Länder zu einem Bundesland, so ist dieses Land nach Maßgabe der §6 10 bis 18 dieses Gesetzes zu bilden.
- so hätte ein Eingehen auf diese Vorstellung zur logischen Folge, daß die Mehrheit der 1,3 Millionen Einwohner des Landes Baden allein der überwältigenden Mehrheit der übrigen 6 Millionen Einwohner des gesamten Gebietes ihren Willen aufzwingt. Die Entscheidung war also hier nicht danach zu treffen, wie man es erreichen kann, daß der Mehrheit der Bevölkerung, wenn sie den Südweststaat will, trotzdem die alten Länder aufgezwungen werden, sondern man mußte sich zu der Konsequenz durchringen, daß dann eben einer Minderheit, wenn sie den Südweststaat nicht will, nach demokratischen Gepflogenheiten der Südweststaat gebracht wird, wenn die Mehrheit es wünscht. Der Ausschuß ließ sich davon leiten, daß es eine demokratische Gepflogenheit sei, daß die Mehrheit über die Minderheit entscheide und nicht die Minderheit über die Mehrheit.
Zu § 4 stand die Frage zur Erörterung, ob der Stimmzettel eine oder zwei Fragen zu enthalten hätte. Innenminister Renner gab die Anregung, es bei nur einer einzigen Abstimmungsfrage zu belassen, urn die Gemüter nicht unnötig zu verwirren. Die Verneinung der Frage nach der Bildung des neuen Bundeslandes hätte doch rechtlich die gleiche Bedeutung, dann eben zur Wiederherstellung der alten Länder zu kommen. Um der Klarheit der Entscheidung willen hat sich der Ausschuß trotz mancher Bedenken dem Antrage des Kollegen Dr. Jaeger angeschlossen und die jetzt in § 4 vorgesehene Fassung gewählt, die also auf einem Stimmzettel beide Fragen enthält, nämlich die Frage nach dem Wunsch auf Vereinigung der drei Länder
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Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern zu einem Bundesland und die zweite Frage nach dem Wunsch auf Wiederherstellung des alten Landes - nun je nachdem - Baden oder Württemberg. Die Stimmzettel lauten in den beiden alten Ländern verschieden.
§ 5 enthält eine Selbstverständlichkeit, daß jeder Stimmberechtigte nur eine der beiden Fragen beantworten kann.
Ich komme zu einem weiteren strittigen Paragraphen; das ist der § 6. Hier hat den Ausschüssen eine ganze Reihe von Abänderungswünschen vorgelegen. Es handelt sich um die Stimmberechtigung. Zunächst ging es um die Frage des Wohnsitzprinzips. Es handelte sich darum, wie lange ein Stimmberechtigter, der die übrigen Voraussetzungen des aktiven Wahlrechtes erfüllt -daß er Deutscher ist, daß er das 21. Lebensjahr vollendet hat usw. -, nun in einem der genannten Stimmbezirke gewohnt haben müsse, bevor er sein Stimmrecht ausüben dürfe. Der Ausschuß schlägt Ihnen eine Wohnsitzdauer von drei Monaten vor. Er hat damit das Beispiel des Bundestagswahlgesetzes aufgenommen und glaubt, damit ein gutes Beispiel gewählt zu haben. Es wurden Anträge auf Verlängerung dieser Frist auf ein Jahr und einmal sogar auf fünf Jahre gebracht.
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Der Antrag des Kollegen Dr. Jaeger, die Verlängerung auf fünf Jahre auszusprechen, wurde mit zehn zu zwei Stimmen abgelehnt.
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Der Antrag des Kollegen Dr. Jaeger wurde damit begründet, daß über die Zukunft eines solchen gewachsenen Landes nur diejenigen Menschen zu entscheiden hätten, die dort eine gewisse Verwurzelung und innere Verbundenheit bereits mitbrächten. Das sei mit einem dreimonatigen oder auch selbst mit einem einjährigen Aufenthalt noch nicht erreicht. Die Mehrheit stellte sich auf den Standpunkt, daß die Entscheidung über die Vereinigung der drei südwestdeutschen Länder nicht eine Entscheidung für die Vergangenheit, sondern eine Entscheidung für die Zukunft sei, daß also gerade die große Masse der Heimatvertriebenen, die doch erst jetzt in die französische Zone - denn um das Problem handelt es sich -- umgesiedelt wird, die Möglichkeit haben müsse, über die staatliche Zukunft ihrer eigenen neuen Heimat mitzuentscheiden. Der Hinweis darauf, daß die Heimatvertriebenen an dieser Frage erheblich weniger interessiert seien als daran, daß sie durch ihre Abstimmung ja eigentlich nicht bekunden wollten, nun dort für ständig ihre neue Heimat gefunden zu haben, sondern daß sie sich eigentlich nach der Rückkehr in die alte Heimat sehnten, wurde von der Mehrheit des Ausschusses in dieser Form nicht als durchschlagend angesehen. Sie meinte, daß es politisch außerordentlich unklug gewesen wäre, hier nach außen hin den Eindruck zu erwecken, als ob man einem großen Teil unserer Bevölkerung, nämlich dem heimatvertriebenen Teil der Bevölkerung, der in diese Länder zugewandert ist, auf diese Weise ein sehr wichtiges staatsbürgerliches Recht nehmen wolle; das müsse unter allen Umständen vermieden werden.
Die zweite Frage, die aufgeworfen wurde, war die nach dem Geburtsprinzip. Es wurde der Antrag gestellt, daß außer den eine bestimmte Zeit dort wohnenden Angehörigen dieser Länder auch noch alle diejenigen Personen stimmberechtigt sein sollten, die in diesen Ländern geboren seien.
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Die Mehrheit des Ausschusses hat sich gegen das Geburtsprinzip entschieden wegen der nahezu unüberwindlichen Schwierigkeiten in der technischen Durchführung und wegen der Tatsache, daß ein großer Teil derjenigen Badener und Württemberger, die heute in der deutschen Ostzone und in Berlin leben, tatsächlich damit von der Teilnahme an der Abstimmung ausgeschlossen werden, während diejenigen, die zufällig in der Bundesrepublik ihren neuen Wohnsitz gewählt haben, an der Abstimmung teilnehmen können. Mit dieser Begründung wurden die Anträge, das Geburtsprinzip einzuführen, abgelehnt.
Das Geburtsprinzip wurde auch mit gewissen Analogien zu eventuell stattfindenden außenpolitischen Entscheidungen begründet. Es ging um Volksabstimmungen über die Zugehörigkeit oder die Nichtzugehörigkeit zu Deutschland. Der Ausschuß hat es abgelehnt, sich diese Analogieschlüsse zu eigen zu machen, weil er der Überzeugung ist, daß die Frage der Zugehörigkeit eines strittigen Gebietes zur Bundesrepublik eine Frage völlig anderer Ordnung ist als die Frage der inneren Gestaltung und des Zusammenschlusses von Ländern innerhalb der Bundesrepublik.
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Zu § 6 war weiter noch zu entscheiden, wie die doppelte Stimmabgabe verhindert werden könne. Mancher von Ihnen wird sich wundern, daß dieses Gesetz eine ganze Reihe von Sicherungsklauseln enthält: Sie sind eigentlich nur demjenigen so ganz verständlich, der den Kampf für oder gegen den Südweststaat in den letzten drei Jahren im Südwesten unseres Heimatlandes erlebt hat. Es ist ein derartiges Mißtrauen zwischen den Verfechtern der verschiedenen einzelnen Meinungen vorhanden, daß auch aus diesem Mißtrauen - Sie werden das nachher bei anderen Stellen noch sehen - eine ganze Reihe von Sicherungsvorschriften geboren sind. Der Ausschuß hat sich sehr einfach dahin entschieden, die doppelte Stimmabgabe unter Strafe zu stellen. Jeder Weg einer verwaltungsmäßigen Kontrolle würde zu unabsehbaren Schwierigkeiten und damit zu der Möglichkeit einer Wahlanfechtung führen, und es sollte bewußt davon abgesehen werden, das Gesetz so kompliziert zu machen, daß man später die gefallene Entscheidung des Volkes auf dem Wege von Anfechtungen des Abstimmungsaktes selbst noch einmal aufrollen könnte.
Eine weitere Frage hat in § 6 keine Lösung gefunden, und zwar ist bewußt davon abgesehen worden. Es wurde vom Kollegen Hilbert der Antrag gestellt:
Personen, die nach dem 8. Mai 1945 aus Gesamtwürttemberg einschließlich Hohenzollern in Gesamtbaden zugezogen sind, sind nur im Gesamtwürttemberg einschließlich Hohenzollern stimmberechtigt. Personen, die nach dem 8. Mai 1945 aus Gesamtbaden in Gesamtwürttemberg einschließlich Hohenzollern zugezogen sind, sind nur in Gesamtbaden stimmberechtigt.
Das bedeutete, die gegenseitige Unterwanderung rückgängig zu machen. - Der Ausschuß hat nicht angenommen, daß hier bewußte Bevölkerungsverschiebungen mit dem Ziel der Beeinflussung des Abstimmungsergebnisses stattgefunden haben, daß
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etwa die Badener größere Abteilungen nach Württemberg entsandt oder die Württemberger größere Abteilungen zum Aufnehmen ihres Wohnsitzes nach Baden geschickt hätten, um auf diese Weise das Abstimmungsergebnis an schwierigen Punkten zu korrigieren. Der Ausschuß war vielmehr der Meinung, daß die Wanderungen in den drei betroffenen Ländern sich gegenseitig ungefähr die Waage halten und daß es aus diesem Grunde keiner besonderen Bestimmung bedarf. Außerdem handelt es sich bei Württembergern und Badenern nicht um zwei verschiedene Nationalitäten,
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die etwa gemessen werden müßten wie Angehörige zweier verschiedener Völker. Mit neun zu fünf Stimmen verfiel daher dieser Antrag der Ablehnung.
§ 7 enthält eine auf den ersten Blick schwer verständliche Bestimmung. Wenn ich Ihnen den Hintergrund schildere, wird Ihnen völlig klar, was gemeint ist. Es handelt sich im wesentlichen um die Frage des Stimmrechts der mit ihren Familien in Basel, also außerhalb des Bundesgebietes, wohnhaften deutschen Eisenbahner, die bei der Deutschen Bundesbahn bedienstet sind, und gleichzeitig um denselben Personenkreis - wahrscheinlich kommen noch einige Zollbeamte und ihre Angehörigen dazu - an der deutschen Eisenbahnstrecke von Basel nach Schaffhausen, die durch Schweizer Gebiet führt. Um eventuell ähnliche Fälle nicht vom Stimmrecht auszuschließen, ist daher diese Lösung des § 7, die einer bewährten, in Baden auch bei früheren Abstimmungen angewandten Praxis entspricht, in das Gesetz aufgenommen worden.
3) § 8 ist eine Sicherheitsvorschrift. Das ist nun wirklich das Verbot der gegenseitigen Delegation. Wer in Württemberg wohnt und dort stimmberechtigt ist, kann auch auf Stimmschein nur in Württemberg abstimmen, weil sonst sein Stimmzettel ja das Ergebnis in Baden beeinflussen würde, also in einem anderen Stimmbezirk; und das gleiche gilt auch für den umgekehrten Fall. Jeder muß in demjenigen der vier Stimmbezirke, in dem er stimmberechtigt ist, das Stimmrecht tatsächlich ausüben, auch wenn es nicht der eigene Wohnort ist, auch wenn er sich am Abstimmungstage außerhalb seines Wohnortes befindet. Dann muß er eben an einem anderen Ort des gleichen Abstimmungsbezirks abstimmen.
§ 10 regelt all die wichtigen Streitfragen, die ich Ihnen zu § 3 bereits ausführlich erläutert habe. Ich brauche daher in diesem Zusammenhange auf den § 10 nicht im einzelnen einzugehen. Ich möchte Sie lediglich davon unterrichten, daß eine Minderheit des Rechtsausschusses von sieben Abgeordneten dem Ausschuß nach Abschluß der Beratungen eine Erklärung abgegeben hat, wonach aus einer Reihe von Gründen, die voraussichtlich mein Mitberichterstatter Ihnen nachher vortragen wird, diese Minderheit der Meinung ist, daß § 10 des Gesetzentwurfes gegen wichtige Grundsätze des Grundgesetzes verstößt. Die Mehrheit des Ausschusses hat sich dieser Überzeugung in keinem einzigen Punkte anschließen können. Die dort formulierte Überzeugung der Minderheit beruht im wesentlichen auch auf der Lehre vom Fortbestehen der alten Länder und von der Souveränität des nicht überstimm-baren Landes Baden. Beides sind Gründe, die sich die Mehrheit des Ausschusses nicht zu eigen machen kann.
Nun komme ich - verhältnismäßig kurz - zu den beiden anderen Abschnitten dieses Gesetzentwurfs, über das Verfahren entweder bei der Vereinigung der drei Länder oder bei der Wiedererrichtung der beiden alten Länder. Es handelt sich darum, daß man den Südweststaat oder die alten Länder mit den erforderlichen Staatsorganen ausstatten muß, damit sie leben können. Grundlage für die Beratungen hierüber war der vom Ausschußvorsitzenden den Mitgliedern unterbreitete Entwurf, der die verschiedenen Möglichkeiten, die in den anderen Entwürfen verstreut waren, zusammenfaßte und etwas umgruppierte.
Eine besondere Schwierigkeit, die ihre Lösung in diesem Entwurf gefunden hat und die wir bei keiner anderen Lösungsmöglichkeit behoben gesehen hätten, war die sofortige Vertretung der neuen Länder im Bundesrat. Es darf keine Lücke in der Vertretung entstehen. Entweder müssen die neuen Länder im Bundesrat vertreten sein, oder es müssen die jetzt bestehenden drei Länder noch eine Weile im Bundesrat vertreten bleiben und zu diesem Zweck bestimmte Organe behalten. Es darf aber keine Rechtslücke in der Vertretung eines großen Teiles der deutschen Bevölkerung im Bundesrat auftreten.
Außerdem haben wir uns bei der Bearbeitung dieser beiden Abschnitte davon leiten lassen, der Bevölkerung nicht in unnötig kurzer Zeit eine Reihe von Abstimmungen und Wahlen zuzumuten. Deshalb soll - das wird nachher noch in einer Bestimmung zu zeigen sein - die verfassunggebende Landesversammlung auf die Dauer von zwei Jahren auch die Aufgaben des ersten Landtags wahrnehmen.
Zu § 11 darf ich bemerken, daß hier die Frage geklärt wird, wann eigentlich der neue Staat geboren ist. Er entsteht nicht unmittelbar mit der Abstimmung. Die Abstimmung verpflichtet nur, ihn entstehen zu lassen, und setzt den Lauf der Ereignisse, die zwangsläufig zum Entstehen des neuen Staates führen, in Gang. Mit der Bildung der vorläufigen Regierung, die sich innerhalb der Fristen des Gesetzes aus der Bestimmung der Wahl der verfassunggebenden Landesversammlung und der von dieser vorzunehmenden Wahl des Ministerpräsidenten, der seinerseits die Minister ernennt, vollzieht, ist dann der neue Staat tatsächlich lebensfähig und mit eigenen Organen ausgestattet rechtlich existent. Der Vollzug des in der Abstimmung sich ausdrückenden Volkswillens kann also nach der Abstimmung nicht mehr durch Verhandlungen über Verträge, Verfassungen und ähnliche Dinge aufgehalten werden. Das war ein sehr wesentliches Anliegen des Ausschusses, daß die Abstimmung auf alle Fälle selbst Recht schafft und dafür sorgt, daß nun zwangsläufig dem Willen des Volkes entsprechend entweder der Südweststaat entsteht oder die alten Länder ebenso zwangsläufig in ihrer Rechtspersönlichkeit wiederhergestellt werden.
Als Übergangslösung sieht der § 12 einen Ministerrat aus Vertretern der jetzt bestehenden drei Länder mit den dort näher angegebenen Befugnissen vor. Die Zusammensetzung dieses Ministerrates erklärt sich aus den Bevölkerungszahlen. Die beiden nördlichen Landesteile, das jetzige Land Württemberg-Baden, haben zusammen 3 884 000 Einwohner, von denen 2 416 000 auf Württemberg und rund 1 467 000 auf Baden entfallen. Das Land Baden hat 1 321 000 Einwohner und das Land Württemberg-Hohenzollern 1 173 000 Einwohner.
({22})
Es lag also nahe, den Ministerrat so zusammenzusetzen, daß die Bevölkerung dort annähernd ihrer Zahl nach vertreten ist. Es wurde vorgesehen, daß der Ministerrat aus vier Mitgliedern oder Vertretern der Regierung des Landes Württemberg-Baden und je zweien der beiden südlichen Landesteile Baden und Württemberg-Hohenzollern besteht. Von den Vertretern Badens ist im Ausschuß verlangt worden, die Vertretung Württemberg-Badens auf drei Vertreter zu begrenzen, dann würden die zusammen 2 500 000 Einwohner der beiden südlichen Landesteile einen Vertreter mehr im Ministerrat gehabt haben als die zusammen rund 3 900 000 Einwohner der beiden nördlichen Landesteile. Dieses Verlangen schien dem Ausschuß unbillig. Er hat es daher bei der jetzigen Regelung 4, 2 und 2 belassen, zumal sogar noch die mangelnde Vertretung Württemberg-Badens zu Lasten Nordbadens gegangen wäre; denn selbstverständlich hätte nach dem Bevölkerungsschlüssel Württemberg zwei Vertreter und Nordbaden nur einen bekommen. Der Antrag wäre also zu Lasten Gesamtbadens gegangen.
Zu § 13 Abs. 2 darf ich noch eine Bestimmung erläutern, die im Hause etwas Verwirrung hervorgerufen hat. Es handelt sich um die Zahl der Abgeordneten in der verfassunggebenden Landesversammlung. Es ist davon die Rede, daß sie aus mindestens 120 Abgeordneten bestehen müsse, von denen Württemberg-Baden mindestens 73, Baden mindestens 25 und Württemberg-Hohenzollern mindestens 22 zu stellen habe. Diese Zahlen entsprechen dem Bevölkerungsschlüssel, aber das Wort „mindestens" muß erklärt werden. Damit ist gemeint, daß nicht etwa die Zahl dieser Abgeordneten nun beliebig im gleichen Schlüssel vervielfacht werden könne, sondern das Wort „mindestens" erklärt sich einfach aus der Anwendung des Bundestagswahlrechts. Wenn eine Partei in den Wahlkreisen so starke Erfolge erzielt - und das ist in Baden und Württemberg-Hohenzollern ja voraussichtlich zu erwarten -, daß sie mehr Wahlkreise erobert, als ihr insgesamt nach dem Verhältniswahlrecht zuständen, dann geht sie bei der Verteilung der Landesliste zwar leer aus, behält aber die überschießenden Mandate aus den Kreisen bei. So hat ja auch der Bundestag nicht 400 Abgeordnete, sondern 402. Deshalb ist das Wort „mindestens" hier begründet und mit Recht in die Bestimmung aufgenommen worden.
In Abs. 3 ist festgelegt, daß für die Wahl der verfassunggebenden Landesversammlung sinngemäß das Gesetz über die Wahl zum ersten Bundestag anzuwenden ist. Das später in dem neuen Lande oder den Ländern geltende Wahlrecht wird selbstverständlich in der zu beschließenden Landesverfassung von den eigenen Organen des neuen Landes selbst festgelegt.
§ 14 Abs. 3 ist wichtig. Das ist eine der zahlreichen auch später noch auftauchenden Bremsen. Es soll sowohl dafür gesorgt werden, daß von der verfassunggebenden Versammlung über den Rahmen der Verfassunggebung hinaus positive Maßnahmen im Interesse des neuen Landes beschlossen werden können, als auch soll durch eine Reihe anderer Bestimmungen verhindert werden, daß die noch bestehenden Organe der jetzigen drei Bundesländer zu Lasten des neuen vereinten Landes oder der neuen beiden Länder irgendwelche Hypotheken aufnehmen. Man kann sich das vorstellen bei der Frage von Beamtenernennungen, von Verfügungen über Landeseigentum, bei Stiftungen und beim Eingehen anderer Verbindlichkeiten. Alle diese
Sicherungsbestimmungen sind in dem Abschnitt II und sinnentsprechend in dem Abschnitt III des Gesetzes eingebaut.
In § 14 Abs. 5 findet sich eine Empfehlung des Rechtsausschusses verwirklicht. Der Rechtsausschuß hatte empfohlen, die Befugnisse der verfassunggebenden Landesversammlung als Landtag auf zwei Jahre zu begrenzen. Diese Begrenzung war ursprünglich in dem Entwurf nicht vorgesehen. Der Ausschuß hat sich dieser Empfehlung des Rechtsausschusses angeschlossen. Dann könnte die nächste Landtagswahl mit der Bundestagswahl zusammenfallen, um eine Häufung von Wahlen zu vermeiden. Außerdem wäre der Nachteil behoben, daß sonst auf zu lange Zeit das gleiche Organ die Gesetzgebung handhabt, das seinerzeit die Verfassung beschlossen hat. Das würde auf die Dauer ein ungesunder Zustand sein.
§ 15 sichert die Dienste der Ministerien der bisherigen Länder mit der gesamten vorhandenen Bürokratie für eine sachgemäße Arbeit der verfassunggebenden Landesversammlung; damit sie nicht, völlig ins Nichts gestellt, ihre Tätigkeit neu anfangen muß, kann sie sich auf den vorhandenen Apparat der jetzt vorhandenen Länder stützen.
§ 20 schließlich stellt fest, wann die bisher geltenden Verfassungen außer Kraft treten, nämlich dann, wenn das neue Land mit seiner Verfassung selbst in seine neue Haut endgültig hineingewachsen ist.
Abschnitt III enthält sinngemäß die gleichen Vorschriften, wie ich sie Ihnen im Abschnitt II vorgetragen habe, nur eben für den Fall der Wiederherstellung der beiden alten Länder, während Abschnitt II sich mit der Zusammenfassung zum Südweststaat befaßte. Tatsächlich sind ja auch in den alten Ländern heute keine Regierungseinrichtungen vorhanden, also muß man auch den Apparat dafür vorsehen.
§ 26 sieht vermögensrechtliche Bestimmungen für die Auflösung des Landes Württemberg-Baden bei der Wiederherstellung der alten Länder vor.
In § 27 Abs. 2 ist, einer Anregung folgend, in der letzten Stunde noch das Wort „Vorschriften" der Klarheit halber durch das Wort „Rechtsverordnungen" ersetzt worden.
Damit ist Ihnen diese komplizierte Vorlage jetzt von beiden Ausschüssen nach reiflicher Prüfung übergeben worden. Ich darf mit dem Antrag der Mehrheit beider Ausschüsse schließen, dem Entwurf eines Gesetzes über die Neugliederung in den Ländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern in der Fassung der Drucksache Nr. 2160 zuzustimmen.
({23})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Als Mitberichterstatter hat das Wort Herr Abgeordneter Farke.
Farke ({0}), Mitberichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Beratung eines Gesetzes über die Neugliederung in den Ländern Baden, Württemberg-Baden und WürttembergHohenzollern lagen dem 30. Ausschuß drei Gesetzentwürfe vor. Der Gesetzentwurf der FDP wurde zugunsten des Entwurfes Gengler zurückgezogen. Mit einer Mehrheit von einer Stimme wurde nach zum Teil leidenschaftlichen Auseinandersetzungen der Gesetzentwurf Hilbert abgelehnt und der Gesetzentwurf Gengler zur Verhandlungsgrundlage
({1})
bestimmt. Dieser Entwurf liegt nun in seiner Grundkonzeption als Ausschußentwurf dem Hohen Hause zur Entscheidung vor.
Die Minderheit im Ausschuß, deren Stellungnahme ich als Berichterstatter vertrete, trat bei den Abstimmungen über die einzelnen Paragraphen unterschiedlich in Erscheinung, war aber bei der Grundsatzentscheidung der Mehrheit nur um eine Stimme unterlegen.
Die Minderheit verwahrte sich in der allgemeinen Grundsatzdebatte gegen die Anerkennung der durch Besatzungswillkür geschaffenen drei Länder, von deren Status aus die Abstimmungsbezirke nach
3 des Entwurfs Gengler gebildet werden sollen. Sie erkennt nur den Status quo ante an: die alten Länder Baden und Württemberg, die bis zum Jahre 1945 bestanden, die in dem Bewußtsein des gesamten deutschen Volkes weiter bestehen, die nur als diese alten Länder, also in zwei Abstimmungsbezirken, zu entscheiden haben, ob sie wieder selbständig bestehen oder sich zum Südweststaat zusammenschließen wollen.
Die Minderheit verwahrte sich weiter dagegen, daß rein materielle Zweckmäßigkeitserwägungen aus einer gegenwärtig unnormalen wirtschaftlichen und sozialen Zwangslage zu einer Negierung geistig-seelischer Volkstumswerte und landsmannschaftlich gebundener Staatszugehörigkeitsgefühle führen sollen und die Begründung für das Abstimmungsverfahren beim Antrag Gengler bildeten. Die Minderheit verwahrte sich weiter dagegen, daß dieses Abstimmungsverfahren mit der Auszählungsund Majorisierungsklausel in § 10 die Entscheidung vorwegnimmt und damit einen echten Volksentscheid verhindert. Sie konnte nicht der Ansicht der Mehrheit des Ausschusses stattgeben, daß ein ) Abstimmungsverfahren im inneren deutschen Raum ein anderes sein dürfe als in Grenzgebieten oder dem Auslande gegenüber. Für sie ist das Verfahren der Abstimmung unteilbar. Für sie verlangt auch der Begriff Demokratie ein eindeutiges Verfahren, das zur Feststellung des Volkswillens keine Variationen kennt, um nicht den Begriff Demokratie ad absurdum zu führen. Wenn der Herr Vorberichterstatter in seinem Bericht soeben gesagt hat, die Lösung des Ausschusses lege die Entscheidung in die Hand Nordbadens und der Entwurf Hilbert lege die Entscheidung in die Hand von Südbaden, so möchte ich hier im Namen der Minderheit erklären, daß beide Folgerungen nicht gerecht sind, sondern für die Minderheit nur die Abstimmung gerecht ist, bei der in den beiden alten Ländern die Entscheidung in die Hand der Mehrheit gelegt wird.
Im einzelnen nahm nun die Minderheit in den Ausschußverhandlungen folgende Stellung ein.
Art. 118 GG gibt keine Generalermächtigung, alles zu tun, was dem Bundesgesetzgeber für die Neugliederung der drei südwestdeutschen Länder zweckmäßig erscheint. Vielmehr geht Art. 118 als lex specialis nur dem Art. 29 vor, nicht den übrigen Artikeln des Grundgesetzes und vor allem nicht den Strukturprinzipien des Grundgesetzes. Daher sind auch beim Vollzug des Art. 118 die Artikel 23, 25, 28, 72, 79- und 80 GG zu beachten.
Art. 118 durchbricht also als lex specialis das Grundgesetz nur in Art. 29, nicht dagegen in den anderen genannten Artikeln. Der Charakter seiner Spezialität ist in seiner Wortfassung abweichend von den Vorschriften des Art. 29 ausdrücklich festgehalten. Aber das Verhältnis seiner Spezialität erstreckt sich nur auf Art. 29 Abs. 2 bis 7. Art. 118 tritt somit an die Stelle von Art. 29 Abs. 2 bis 7 GG, wogegen die Vorschrift des Art. 29 Abs. 1 GG als generelles Neugliederungsprinzip durch Art. 118 niemals verdrängt werden kann. Dieses Generalprinzip gilt also auch für die Neugliederung der drei südwestdeutschen Länder, die nach Art. 118 erfolgen soll.
Daraus ergeben sich weitreichende staatsrechtliche Folgerungen. Eine dieser Folgerungen z. B. war nach dem Abgeordneten von Merkatz die These, daß bei der Festlegung der Abstimmungsprozedur zwingend auf die landsmannschaftliche Verbundenheit, die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge Rücksicht zu nehmen ist. Schon danach ist also die Einteilung des Abstimmungsgebietes in vier Stimmbezirke und die Majorisierung eines Stimmbezirks durch die drei anderen grundgesetzwidrig. Die richtige, Art. 118 Abs. 1 entsprechende Lösung wäre die Abstimmung in den früheren Ländern Baden und Württemberg. Die Einteilung des Abstimmungsgebietes in vier Stimmbezirke nach § 3 des Entwurfs kann also für die Abstimmung nur technische Bedeutung beanspruchen.
({2})
Die natürlich gegebenen Abstimmungsbezirke sind die alten Länder selbst.
({3})
Art. 118 unterwirft das Bundesgesetz einer Volksbefragung und nicht einer Bevölkerungsbefragung. Daher ist die Einschränkung der Stimmberechtigung auf die Wohnbevölkerung bei nur dreimonatigem Wohnsitz und wegen der gefährlichen Präjudizierung späterer Volksabstimmungen - Saargebiet, Nordschleswig usw. - verfassungsrechtlich bedenklich und nationalpolitisch geradezu gefährlich.
({4})
In dieser Beschränkung des Stimmrechts wird das demokratische Selbstbestimmungsrecht der den einzelnen Ländern verbundenen Staatsvölker verletzt, da es sich bei der Volksbefragung des Art. 118 nicht um eine Bundesgebietsabstimmung, sondern um eine örtliche, den Prinzipien des Art. 29 Abs. 1 GG verpflichtete Willenskundgebung der beteiligten Staatsvölker handelt. Ein dreimonatiger Aufenthalt zugewanderter Personen reicht unmöglich aus, sich mit den örtlichen Verhältnissen vertraut zu machen und in die Lage versetzt zu werden, sein Votum vernünftig zu begründen. Die Stimmberechtigung muß daher nach der Meinung der Minderheit mindestens an einen Wohnsitz von der Dauer eines Jahres geknüpft werden. Das Wohnsitzprinzip in dieser Beschränkung muß durch das Geburtsprinzip ergänzt werden. Stimmberechtigt müssen alle jene sein, die in den einzelnen Ländern geboren sind, aber infolge ihrer persönlichen Umstände zur Zeit der Abstimmung außerhalb ihres Geburtslandes wohnen. Die DiplomatenJuristen unserer Gegenspieler bei den künftigen Friedensverhandlungen würden sonst bei künftig fällig werdenden Abstimmungen - Saargebiet, Nordschleswig usw. - mit Freuden auf diesen bundesgesetzlich geschaffenen Präzedenzfall einer Beschränkung der Stimmberechtigung abheben.
({5})
Eine verantwortliche deutsche Staatsführung kann bei gebietsregelnden Volksabstimmungen aus deutschen und nationalen Gründen niemals auf die Berücksichtigung des Geburtsprinzips bei Feststellung der Stimmberechtigung verzichten. Deshalb wies im innergebietlichen Ausschuß ein Ausschußmitglied aus Schleswig-Holstein recht ein({6})
dringlich auf diese nationalpolitischen Gefahren
hin, indem es ausführte, daß bei einer etwa in
Nordschleswig unter Ausschluß des Geburtsprinzips
stattfindenden Volksabstimmung, an der sich nur
die Wohnsitzer beteiligen, eine Mehrheit für den
Anschluß Nordschleswigs an Dänemark sicher sei.
({7})
Man kann nicht einwenden, daß die Berücksichtigung, eben weil es gefährlich ist, - ({8})
- Sie ist nicht falsch. Es gibt ein unteilbares Verfahren, Herr Professor! ({9})
Man kann nicht einwenden, daß die Berücksichtigung des Geburtsprinzips nur bei internationalen
Gebietsabstimmungen üblich sei, damit der die
Territorialgewalt im Abstimmungsgebiet gerade
ausübende Staat nicht den Zusammenhang der Bevölkerung ändern könne, z. B. durch Ausweisungen
großen Stils. Dieser Schutzgedanke trifft auch
hier zu, wenn auch nicht mit Bezug auf Ausweisungen der erwähnten Art, sondern auf Zuweisungen
stimmberechtigter Bevölkerungsteile in die Abstimmungsgebiete, also durch zweckbestimmte
Lenkung von Bevölkerungsbewegungen. Damit
wird die klare Ermittlung des Volkswillens beeinträchtigt und das Selbstbestimmungsrecht verletzt.
Nach der Fassung des § 7 sind die in Bonn wohnhaften badischen und württembergischen Funktionäre bei den Bundesbehörden nicht stimmberechtigt. Wird das Geburtsprinzip nicht beachtet - und das ist es nicht -, so würde die Minderheit es als gerechte Lösung angesehen haben, wenn man in § 7 wenigstens diese Personengruppe miterfaßt hätte.
Der Ausschußentwurf bestimmt in § 10, daß in den vier Stimmbezirken gemäß § 3 die Volksbefragung stattfindet und daß der Südweststaat, wenn für ihn in drei Stimmbezirken unter Majorisierung des vierten Stimmbezirkes eine Mehrheit zustande kommt, als gebildet gilt. Andernfalls seien die alten Länder Baden und Württemberg wiederherzustellen. Nach der Meinung der Minderheit wird man sich nun darüber klar sein müssen, daß sich in beiden württembergischen Stimmbezirken eine überwiegende Mehrheit für den Südweststaat finden wird und daß auch im nordbadischen Stimmbezirk, der schon bei der informatorischen Volksbefragung vom 24. September 1950 mit 57 % seiner Stimmen für den Südweststaat stimmte, eine sichere Mehrheit für den Südweststaat zu erwarten ist. Es kann also kein Zweifel bestehen, daß der überstimmbare Stimmbezirk das heutige Land Baden sein wird, das sich bei der informatorischen Volksbefragung vom 29. September 1950 mit 60 % der abgegebenen Stimmen für die Wiederherstellung der alten Länder aussprach. Die nord- und südbadischen Stimmen bei der informatorischen Volksbefragung vom 24. September 1950 zusammengerechnet ergaben nur eine Mehrheit von 51 % zugunsten der Wiederherstellung des alten Landes.
Zu der vorgeschlagenen Regelung des § 10 des Entwurfs ergaben sich für die Minderheit folgende staatsrechtliche und politische Bedenken. Zunächst wäre gegen die Aufteilung des Abstimmungsgebietes in 4 Stimmbezirke - § 3 - nichts einzuwenden gewesen, wenn diese Einteilung nur abstimmungstechnischen Charakter gehabt hätte. Besser wäre es aber dann abstimmungstechnisch noch gewesen, wenn in den derzeitigen Ländern als Stimmbezirken abgestimmt würde. § 10 normiert nun den Grundsatz, daß ein Bundesland dadurch, daß es durch die größeren Nachbarländer majorisiert wird, beseitigt werden kann. Art. 118 des Grundgesetzes greift indessen nicht so weit und gestattet nicht, ohne Grundgesetzänderung ein Bundesland aufzuheben. Demgemäß hatte ich den vom Vorberichterstatter zitierten Antrag gestellt. Art. 118 vermag nicht die Präambel und die Artikel 23 und 25 des Grundgesetzes zu durchbrechen. Allgemeine Grundsätze des Völkerrechts sind nach Art. 25 des Grundgesetzes direkt anwendbares innerdeutsches Recht geworden. Allgemeiner Grundsatz des Völkerrechts ist aber das Grundrecht jedes Staates auf seine Existenz. Gerade dieses wird dem Land Baden in § 10 des Entwurfs nun abgesprochen. Eine solche Regelung wäre auf Art. 118 nur zu gründen, wenn durch dieses Gesetz gleichzeitig der Wortlaut des Grundgesetzes geändert würde. Dann aber ist das Neugliederungsgesetz ein solches, das der Zustimmung und nicht nur dem Veto des Bundesrates unterliegt. Die Anerkennung der Majorisierungsklausel im Bereiche des innerstaatlichen Rechtes würde bedeuten, daß bei Eingemeindungen die einzugliedernde von der aufnehmenden Gemeinde ebenfalls überstimmt werden kann.
Die alten Länder Baden und Württemberg - für Hohenzollern als ehemaligen preußischen Gebietsteil gilt besonderes Recht - sind mit Beginn der Ausübung der Besatzungsgewalt in diesen Gebieten rechtlich wieder existent geworden. Das Hitlergesetz von 1934, das alle deutschen Länder zu Reichsprovinzen degradierte, ist als nationalsozialistische Regelung als außer Kraft getreten anzusehen. Die drei derzeitigen Länder aber gründen ihre Existenz auf besatzungsrechtliche Willkür.
({10})
Sie sind nie vom gesamtbadischen oder gesamtwürttembergischen Volke demokratisch bestätigt worden. Sie sind kraft des Rechtes der Sieger geschaffen. Der Schöpfungsakt ist weder völkerrechtlich noch durch den Besatzungsauftrag zu rechtfertigen.
({11})
- Die vom Volk angenommenen Länderverfassungen und das Grundgesetz sind expressis verbis nur Provisorien. Die Volksabstimmung ist rechtlich wirksam nur nach alten Ländern möglich, und das bedeutet die Durchzählung der Stimmen nach alten Ländern, die wenigstens symbolisch für die Abstimmung auf alle Fälle als existent zu behandeln sind.
Die Geometrie der vier Stimmbezirke nimmt die südweststaatliche Entscheidung vorweg, da nach dem Volksbefragungsergebnis vom 24. 9. 1950 eine Südweststaat-Mehrheit in den zwei württembergischen Stimmbezirken und dem nordbadischen Stimmbezirk von vornherein feststeht. Die Abgrenzung der beiden badischen Stimmbezirke ist daher nach Auffassung der Minderheit reine Willkür und gewährleistet keine demokratische Abstimmung. Sie verstößt gegen Art. 20 des Grundgesetzes, der als Grundprinzip demokratische Abstimmung und Wahlen fordert. Die Auffassung der Mehrheit, daß § 10 des Entwurfes in seiner jetzigen Fassung grundgesetzgemäß sei, da Art. 118 die Generalermächtigung hier({12})
für biete, wurde von der Minderheit widerlegt. Auch die weitere Auffassung, daß eine Volksbefragung nach Art. 118 des Grundgesetzes nur die Durchzählung im gesamten Abstimmungsgebiet zulasse und die zusätzlich festgesetzte Mehrheit für den Südweststaat in drei Abstimmungsbezirken grundgesetzwidrig sei, ist nicht haltbar. Dadurch würde die Volksabstimmung zu einer scheindemokratischen Akklamation, die mit dem Erfordernis des Art. 20 und mit den allgemeinen demokratischen Prinzipien unvereinbar ist. Die dem § 10 des Entwurfs innewohnende Anerkennung besatzungsrechtlicher Zwangsgrenzen, die man zur Grundlage einer Neugliederung, insbesondere eines Südweststaates machen will, und die darin liegende Vergewaltigung des gesamtbadischen Volkes würden nach der Auffassung der Minderheit die Entstehung einer innerdeutschen Irredenta begünstigen
({13})
und im Südwesten der Bundesrepublik ein innerdeutsches Minderheitenproblem schaffen, das für die nächsten zwanzig oder dreißig Jahre nicht zur Ruhe käme und keineswegs erwünscht wäre.
Bei unveränderter Beibehaltung des Abschnittes I des Entwurfs wäre mindestens Abschnitt III überflüssig und daher zu streichen, da bei dieser Verfahrensregelung sich als sicheres Abstimmungsergebnis der Südweststaat ergäbe.
({14})
Der Entwurf verletzt also wesentliche Grundsätze des Art. 28 des Grundgesetzes. Die Schiedsgerichtsklausel in § 26 verweigert den alten Ländern den Rechtsschutz durch das Bundesverfassungsgericht und widerstreitet dem unverzichtbaren Grundsatz des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes.
({15})
Die in § 27 Abs. 2 des Entwurfs dem Bundesminister des Innern übertragene Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen verstößt gegen Art. 80 des Grundgesetzes, weil sie nicht spezifiziert und begrenzt ist und weil sie in dieser allgemeinen Fassung in die Länderautonomie eingreift.
Die Minderheit im Ausschuß Nr. 30 mußte den vorliegenden Gesetzentwurf aus den dargelegten Gründen ablehnen.
Der Abgeordnete Dr. Kopf gab für die Minderheit in der Schlußsitzung des Ausschusses Nr. 30 darum folgende Erklärung ab:
§ 10 des vom Ausschuß für innergebietliche Neuordnung vorgelegten Entwurfs eines Neugliederungsgesetzes verstößt gegen Grundsätze des Grundgesetzes
1. weil die durch die Intervention der Besatzungsmacht geschaffene provisorische Ländereinteilung der Auswertung des Abstimmungsergebnisses zugrunde gelegt wird;
2. weil der rechtliche Fortbestand der alten Länder Württemberg und Baden, aus dem sich die Notwendigkeit der Auswertung der Stimmen innerhalb der Gesamtländer ergibt, nicht berücksichtigt wird;
3. weil durch die vorgesehene Majorisierung das Sonderrecht des badischen Volkes auf Weiterführung seines staatlichen Lebens gegen seinen Willen und ohne seine Zustimmung verletzt wird;
4. weil durch die Zugrundelegung des durch Besatzungsrecht geschaffenen Status quo zum erstenmal besatzungsrechtliche Zwangsgrenzen als Ausgangspunkt der rechtlichen Neugliederung anerkannt . und bestätigt
werden und damit die deutschen Grenzen in verhängnisvoller Weise präjudiziert werden können.
Die Minderheit des Ausschusses bittet das Hohe Haus, ihre Einwände gewissenhaft zu prüfen und demgemäß seine Entscheidung zu treffen.
({16})
Meine Damen und Herren, Sie haben den Herrn Berichterstatter und den Herrn Mitberichterstatter gehört.
Wir kommen zur Einzelbesprechung in der zweiten Beratung. Ich rufe auf Abschnitt I, Überschrift des Abschnittes I, - § 1 des Gesetzes. Wünscht jemand das Wort zu nehmen?
({0}) Herr Abgeordneter Dr. Jaeger zur Geschäftsordnung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Mehrheit des Hauses hat entgegen altem parlamentarischen Brauch dem Wunsch der stärksten Fraktion auf Absetzung dieses Punktes von der Tagesordnung nicht entsprochen. Dies wiegt um so schwerer, als der Punkt erst im letzten Augenblick auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Die Beratung des Etats des Bundesministeriums für Vertriebene, an dem die Öffentlichkeit besonderes Interesse hat, wurde abgesetzt.
({0})
Dies gibt uns zu unserem Bedauern Veranlassung, die Beschlußfähigkeit des Hauses zu bezweifeln.
({1})
Meine Damen und Herren, es bedarf keiner lärmenden Auseinandersetzung. Ich darf bitten, die Ruhe zu bewahren.
Zur Geschäftsordnung hat sich Herr Abgeordneter Dr. Schmid gemeldet. Ich weise darauf hin, daß ich zunächst zur Einzelbesprechung des § 1 aufgerufen hatte und noch nicht zur Abstimmung geschritten war.
Wird jetzt nicht über den Geschäftsordnungsantrag abgestimmt?
Ich lasse nicht über den Geschäftsordnungsantrag abstimmen, sondern ich hatte zur Einzelbesprechung des § 1 aufgerufen und um Wortmeldungen gebeten.
Dann ziehe ich meine Wortmeldung zurück.
Wünscht jemand das Wort zu nehmen? - Herr Abgeordneter von Thadden!
von Thadden ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich angesichts des anlaufenden niedersächsischen Wahlkampfes zunächst meiner Freude über den großen Topf Kakao Ausdruck geben, den der Abgeordnete Farke für die NDU hier geliefert hat und durch den ihn nicht nur meine Partei, sondern wahrscheinlich auch andere Parteien ziehen werden.
({1})
- Nein, nein, das werden wir ja sehen.
({2})
Meine Damen und Herren, zu § 1 möchte ich sagen: wir begrüßen es, daß der jetzige Zustand außer acht gelassen worden ist. Überhaupt begrüßen wir es, daß jetzt endlich die Schaffung des Südweststaates in Angriff genommen werden soll. Wir können es nicht verstehen, daß sich Menschen finden, die dieser dringend notwendigen Regelung dadurch aus dem Wege gehen wollen, daß sie hier Anträge stellen, deren Inhalt, wie ich sagen möchte, für die breite Masse der Öffentlichkeit zumindest sehr schwer verständlich ist.
Bei aller Hochachtung vor dem Föderalismus und den ihm innewohnenden guten Kräften - meine Damen und Herren, wir werden langsam beschlußfähig -,
({3})
müssen wir doch sagen, daß es uns wirklich nicht zweckmäßig erscheint, diese Probleme vom lokalen, in diesem Fall vom südwestdeutschen Gesichtspunkt aus zu betrachten. Man muß dieses Problem vielmehr allgemein sehen, und ich hoffe, daß dieses Gesetz ein erfolgversprechender Start für im deutschen Raum noch weiter fällige Neuordnungen sein wird.
Meine Damen und Herren, ich betrachte meine Aufgabe, die Zeit auszunützen, bis sich das Haus wieder füllt, als erledigt.
({4})
Der Antrag der Abgeordneten Jaeger und Genossen, der die Beschlußfähigkeit des Hauses bezweifelt, dürfte jetzt nicht mehr zum Ziele führen.
({5})
Meine Damen und Herren, wünscht jemand weiterhin das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache zu § 1.
Von dem Herrn Abgeordneten Jaeger ist die Beschlußfähigkeit des Hauses bezweifelt worden.
({0})
- Herr Abgeordneter Dr. Schmid.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will die hier gebrauchte Methode nicht weiter werten, sondern lediglich auf Abs. 2 des § 99 der Geschäftsordnung hinweisen, wonach der Präsident die Möglichkeit hat, die Abstimmung für kurze Zeit auszusetzen.
({0})
Zur Abstimmung hat das Wort Herr Dr. Becker.
Ich beantrage namentliche Abstimmung.
({0})
Darf ich zunächst über die geschäftsordnungsmäßige Lage eine Einigkeit herbeiführen. Ich hätte selbstverständlich - auch ohne den Hinweis des Herrn Abgeordneten Dr. Schmid - entsprechend der hier sonst gepflogenen Übung die Abstimmung für fünf Minuten ausgesetzt.
Nach § 99 der Geschäftsordnung muß, wenn ein Zweifel über die Anwesenheit besteht - und ich nehme an, daß der Sitzungsvorstand sich nicht darüber einig ist, ob 202 Abgeordnete anwesend sind -, die Feststellung, ob der Bundestag beschlußfähig ist, durch namentliche Abstimmung mittels weißer Namenskarte erfolgen. Ich darf also feststellen, daß wir über das Verfahren einig sind und daß es eines zweiten Antrages nicht bedurfte.
({0})
- Herr Abgeordneter Dr. Becker, bitte!
Ich habe nicht beantragt, bei der Auszählung namentlich abstimmen zu lassen, sondern mein Antrag bezog sich auf die Abstimmung über § 1.
({0})
Herr Abgeordneter .Dr. Becker, ich muß zunächst die Beschlußfähigkeit feststellen; erst dann könnte ich entsprechend der Übung über den von 50 Mitgliedern zu unterstützenden Antrag auf namentliche Abstimmung abstimmen lassen.
Ich habe zunächst die Aufgabe, durch namentliche Abstimmung mittels weißer Namenskarten, die sich in Ihren Pulten befinden, feststellen zu lassen, ob 202 Abgeordnete anwesend sind.
Es ist jetzt 20 Uhr 27. Ich werde die Abstimmung darüber, ob das Haus beschlußfähig ist, um 20 Uhr 32 vornehmen.
Ich unterbreche die Sitzung bis 20 Uhr 32.
({0})
Die Sitzung wird um 20 Uhr 32 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich auf Ihre Plätze begeben und zur Erleichterung des Verfahrens die Unterhaltung einen Augenblick unterbrechen würden.
Ich weise ausdrücklich darauf hin, daß nach § 99 der Geschäftsordnung durch namentliche Abstimmung mittels weißer Namenskarten festzustellen ist, ob der Bundestag beschlußfähig ist. Im Interesse der Gleichmäßigkeit bitte ich Sie, die in Ihrem Pult befindlichen mit Ihrem Namen bedruckten weißen Karten zur Hand zu nehmen und völlig davon abzusehen, daß auf diesen weißen Karten die Worte „Enthalte mich" stehen. Diese Worte haben in diesem Augenblick nicht die geringste Bedeutung. Besteht Einmütigkeit darüber, daß zur Abstimmung die mit Namen bedruckten weißen Abstimmungskarten benutzt werden unter Absehen davon, daß „Enthalte mich" draufsteht?
({0})
- Herr Kollege Mayer, bitte!
Herr Präsident, ich kann bei mir nur Karten ohne Druck feststellen. Man müßte also den Namen draufschreiben können.
Ich weiß nicht, Herr Kollege Mayer, wem Sie die Karten verschenkt haben.
({0})
Sie müßten in Ihrem Pult sein. Soweit es nicht gelingt, solche Karten in Ihrem Pult zu ermitteln,
bitte ich Sie, eine unbedruckte weiße Karte zu neh({1})
men und freundlicherweise Ihren Namen darauf-zuschreiben und sie zu benutzen. Wir erzielen ja damit das gleiche Ergebnis.
Wir rufen die Namen einzeln auf. Daß die gesetzlichen Bestimmungen, die in dem Entwurf des Gesetzes für die Abstimmung über den Südweststaat vorgesehen sind, hier angewendet werden müssen, glaube ich nicht.
Ich bitte die Herren Schriftführer, die Namen aufzurufen.
({2})
Meine Damen und Herren, darf ich fragen, ob noch Abgeordnete im Hause sind, die nicht aufgerufen worden sind?
({3})
Ich frage, ob Abgeordnete nicht aufgerufen sind, die wünschten, ihre Stimme abzugeben. - Frau Abgeordnete Wessel!
({4})
Nachdem Frau Abgeordnete Wessel ihre Stimme abgegeben hat, ist kein Abgeordneter mehr da, der seine Stimme abzugeben wünscht. Ich schließe damit die Abgabe der Abstimmungskarten und bitte die Herren Schriftführer, die Auszählung der Karten vorzunehmen.
({5})
Meine Damen und Herren! Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Es sind abgegeben worden 189
({6})
weiße Namenskarten. Damit ist die Beschlußunfähigkeit des Hauses festgestellt.
Ich habe gemäß § 100 der Geschäftsordnung daraufhin die Sitzung aufzuheben und Zeit und Tagesordnung der nächsten Sitzung zu verkünden. Ich tue das, indem ich die neue Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen 13 Uhr 30 Minuten berufe mit der Tagesordnung, die für morgen angekündigt ist, zusätzlich der Fortsetzung der zweiten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Neugliederung in den Ländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern und, wie ich mit Ihrer Zustimmung annehmen darf, auch des heute abgesetzten Haushalts des Bundesministeriums für Vertriebene.
Ich schließe die 135. Sitzung des Deutschen Bundestages.