Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 125. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Ich bitte, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Entschuldigt sind die Abgeordneten Kuhlemann, Agatz, Niebergall, Wittenburg, Kurlbaum, Meyer ({0}), Goetzendorff, Brese, Mensing, Dr. Mücke, Margulies.
Auf der Tagesordnung steht zunächst:
Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Meine Damen und meine Herren! Am vergangenen Montag hat in Paris die Vorkonferenz der stellvertretenden Außenminister begonnen. Sie soll die Tagesordnung für die kommende Konferenz der vier Außenminister festlegen. Wenngleich sich auf dieser Vorkonferenz starke Gegensätze geltend machen, erscheint es wahrscheinlich, daß die Konferenz der vier Außenminister doch zustande kommen wird. Da diese Außenministerkonferenz von außergewöhnlicher, ja lebenswichtiger Bedeutung für die Zukunft Deutschlands sein kann, habe ich am 6. Februar dieses Jahres den Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs und der Französischen Republik über die Alliierte Hohe Kommission den Wunsch der Bundesregierung übermittelt, über alle Phasen der Verhandlung des Deutschland-Problems sowohl auf der Vorkonferenz als auch auf der Hauptkonferenz unterrichtet zu werden. Darüber hinaus habe ich die drei westalliierten Regierungen gebeten, der Bundesregierung rechtzeitig vor jeder Entscheidung Gelegenheit zu geben, ihre Auffassung zu den deutschen Problemen darzulegen.
Der amerikanische Hohe Kommissar McCloy hat mir in seiner Eigenschaft als geschäftsführender Vorsitzender der Alliierten Hohen Kommission am 22. Februar dieses Jahres mitgeteilt, daß die in der Alliierten Hohen Kommission vertretenen drei Regierungen in voller Würdigung des deutschen Interesses an den in Rede stehenden Fragen die Hohe Kommission ermächtigt haben, die Bundesregierung in vollstem Ausmaß über die Verhandlungen sowohl der Vorkonferenz als auch der Hauptkonferenz zu unterrichten. Die Hohe Kommission hat sich ferner bereit erklärt, die Auffassungen der Bundesregierung an die drei Regierungen weiterzuleiten.
In Ausführung dieser Zusicherungen bin ich inzwischen davon unterrichtet worden, daß die drei westalliierten Mächte beabsichtigen, auf der Konferenz der vier Außenminister vor allem die Gründe zu untersuchen, die zu den gegenwärtigen internationalen Spannungen geführt haben. Die Bundesregierung begrüßt diese Absicht aufrichtig; denn sie ist der Überzeugung, daß nur durch die Erkenntnis und Beseitigung der wirklichen Ursachen dieser Spannungen die Grundlage für einen dauernden Frieden in Europa und der Welt geschaffen werden kann.
Es kann keine Rede davon sein, daß, wie die sowjetrussische Seite behauptet, die angebliche Remilitarisierung Deutschlands die Ursache dieser Spannungen ist. Eine der wesentlichsten Spannungen zwischen den vier Mächten ist vielmehr das Mißverhältnis zwischen dem Rüstungsstand des Ostblocks und der Atlantikpaktmächte. Die drei Westalliierten haben nach der Beendigung der Feindseligkeiten 1945 ihre bewaffneten Streitkräfte auf ein Mindestmaß reduziert und ihre Kriegsproduktion auf Friedensproduktion umgestellt. Die Entmilitarisierungsbestimmungen der Alliierten vom 5. 6. 1945 sind in der Bundesrepublik bis auf den letzten Buchstaben durchgeführt worden. Es gibt keine deutschen militärischen Verbände in der Bundesrepublik; es gibt auch keine deutsche Rü({0}) '
stungsproduktion. Nicht eine einzige zu militärischen Zwecken geeignete Waffe ist seit 1945 in der Bundesrepublik hergestellt worden. Alle in diese Richtung zielenden Behauptungen der sowjetischen Regierung und der ihr hörigen Regierung der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands entbehren jeder Grundlage.
({1})
- Das Ein- und Ausschalten geht aber nicht!
Ich bitte, die Scheinwerfer auszuschalten.
({0})
Sie werden gegen besseres Wissen erhoben. Demgegenüber aber hat die Sowjetunion ihre Rüstungsindustrie seit 1945 weiter ausgebaut und eine gewaltige Streitmacht neu aufgestellt. Allein in der Sowjetzone Deutschlands stehen an 30 voll ausgerüstete Divisionen. Darüber hinaus ist in der Sowjetzone in Gestalt der Volkspolizei eine Organisation geschaffen worden, die nach Größe, Aufbau und Art der Bewaffnung ein militärischer Verband ist.
Gestützt auf diese militärische Macht und die straffe Organisation der kommunistischen Parteien ist es Sowjetrußland seit 1945 gelungen, Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien völlig in seine Einflußsphäre einzubeziehen und einen Zustand der Spannung und der Furcht in ganz Europa und der Welt hervorzurufen. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Ost und West hat sich zwangsläufig auch auf Deutschland übertragen. Das deutsche Problem, die Spaltung Deutschlands in zwei Teile ist eine der Folgen, aber gleichzeitig auch eine der Ursachen der jetzigen gespannten Situation. Die Beseitigung der Spaltung, die Wiederherstellung eines geeinten Deutschlands in Freiheit - ich wiederhole und unterstreiche dieses Wort: Einheit in Freiheit - ist daher nicht nur ein Anliegen des deutschen Volkes, sondern auch eine wesentliche Voraussetzung für die Erhaltung des Friedens in der Welt.
({0})
Die Bundesrepublik hat auf diese Notwendigkeit schon wiederholt mit großem Ernst und mit großem Nachdruck hingewiesen, lange bevor die Machthaber der sowjetischen Zone den Versuch machten, sich durch eine laute und in ihren Zielen und Zwecken nur allzu durchsichtige Propaganda als die Rufer nach der deutschen Einheit dem deutschen Volke darzustellen. Bereits in den Erklärungen, die die Bundesregierung und der Bundestag vor einem Jahr, nämlich am 22. März 1950, und erneut am 14. September 1950 abgegeben haben, ist klar und eindeutig festgestellt worden, daß der Weg zur deutschen Einheit nur durch eine freie und unbeeinflußte Willensentscheidung des deutschen Volkes gefunden werden kann.
({1})
Der erste Schritt zur Einheit Deutschlands ist die Abhaltung freier, allgemeiner, gleicher, geheimer und direkter Wahlen in ganz Deutschland zu einem verfassunggebenden deutschen Parlament.
({2})
Diesem Parlament muß gleichzeitig die Aufgabe übertragen werden, bis zum Inkrafttreten einer freiheitlichen Verfassung die Wahrnehmung der gesamtdeutschen Regierungsgewalt zu regeln.
({3})
Die drei westalliierten Regierungen haben sich diesen Auffassungen und diesem Verlangen nach Wahlen angeschlossen. Ich stelle ausdrücklich fest, meine Damen und meine Herren, daß weder von seiten der Regierung der Sowjetunion noch von seiten der Regierung der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands jemals auf diese klar und eindeutig formulierten Vorschläge überhaupt eine Antwort eingegangen ist.
({4})
Ich stelle weiter fest, daß sich die sowjetzonale Regierung, die sich heute so national gebärdet, nicht gescheut hat, gleichzeitig, während sie zur Wiederherstellung der deutschen Einheit ruft und uns beschuldigt, diese Wiederherstellung zu verhindern, das Gebiet jenseits der Oder und Neiße, d. h. ein Drittel Deutschlands, widerrechtlich an Polen abzutreten.
({5})
Erst als von Sowjetrußland der Vorschlag der Einberufung einer Außenministerkonferenz gemacht wurde, änderte sich die Haltung der Sowietzonenregierung. Nunmehr kamen der Brief Grotewohls an den Bundeskanzler, der Brief der Volkskammer an den Bundestag, die Reden Grotewohls und Ulbrichts. Gleichzeitig ergoß sich eine Flut von Propagandaschriften und -briefen über die Bundesrepublik. Mit allen Mitteln wurde versucht, mit der Losung „Wiederherstellung der Einheit Deutschlands" in Verhandlungen mit Vertretern der Bundesrepublik zu kommen. Während in den ersten Verlautbarungen „Abhaltung von gesamtdeutschen Wahlen" in den Vordergrund gestellt wurde, verlagerte sich später die Propaganda auf „sofortige Bildung eines gesamtdeutschen Konstituierenden Rates", zu dem die Bundesrepublik mit ihren 47 Millionen Einwohnern die gleiche Zahl von Mitgliedern entsenden sollte wie die Sowjetzone mit ihren 18 Millionen.
({6})
Dieser Rat sollte in der Hauptsache die Funktionen einer Regierung Deutschlands im Verhältnis zu den vier Besatzungsmächten übernehmen.
Der Zweck des Ganzen ist klar.
({7}) Sowjetrußland wollte durch seinen Einfluß auf diesen Rat seine Stellung gegenüber den Westalliierten stärken. Jedem, dem die Verhältnisse auch nur einigermaßen bekannt sind, ist es klar, daß wirklich freie und geheime Wahlen in der Sowjetzone niemals beabsichtigt waren.
({8})
Wenn es aber noch eines endgültigen Beweises für die Unaufrichtigkeit der östlichen Machthaber bedurft hätte, dann ist er in den letzten Tagen geliefert worden. Der Propagandachef der Sowjetzone, Staatssekretär Eisler, erklärte in aller Offenheit, daß nach Ansicht der Sowjetzonenregierung die Ostzonenwahlen vom 15. Oktober 1950 als allgemeine, freie, geheime Lind direkte Wahlen
({9})
({10})
auch für die vorgesehenen gesamtdeutschen Wahlen vorbildlich sein müßten.
({11})
Bei diesen Wahlen vom 15. Oktober, meine Damen und Herren, waren die Sitze des Parlaments schon von vornherein unter den zugelassenen Parteien dadurch verteilt, daß nur eine Einheitsliste gewählt werden durfte. Die Wahl selbst vollzog sich nach dem durch die Wahlen in Sowjetrußland und seinen Satellitenstaaten bekannten Schema. Es ist dabei ein totalitärer Machtapparat in Funktion getreten, der sich in keiner Weise von dem des nationalsozialistischen Regimes unterscheidet,
({12})
ja, ihn an Grausamkeit und Härte noch übertrifft.
({13})
So also sollen nach der Erklärung des offiziellen Sprechers der Sowjetzonenregierung die gesamtdeutschen Wahlen gestaltet werden.
({14})
Nach dieser Erklärung Eislers ist es auch zu verstehen, daß Ulbricht die Besprechung gesamtdeutscher Wahlen auf der Viererkonferenz ausdrücklich ablehnt.
Das deutsche Volk, auch soweit es in der Sowjetzone wohnt, lehnt diese Vergewaltigung der Freiheit mit Empörung ab.
({15})
Wir fordern wirklich freie und geheime Wahlen, die mit allen Schutzmitteln versehen sein müssen, damit der wahre Wille der Wähler zum Ausdruck kommt für ganz Deutschland.
({16})
Die Bundesregierung wiederholt heute mit aller Entschiedenheit ihre schon zweimal in aller Form ausgesprochene Forderung nach Abhaltung solcher Wahlen. Sie fordert die Sowjetzonenregierung auf, sich zu diesem Vorschlag mit einem klaren Ja oder Nein zu äußern. Sie fordert als Voraussetzung für die Abhaltung gesamtdeutscher Wahlen, daß ebenso wie in der Bundesrepublik auch in der Sowjetzone die unerläßlichen Freiheiten vor, während und nach der Wahl sichergestellt sind.
({17})
Seit Jahr und Tag ist in der Sowjetzone die bürgerliche Freiheit unterdrückt und die Bevölkerung noch in jüngster Zeit durch das sogenannte Gesetz zum Schutze des Friedens unter einen besonders scharfen politischen Zwang gestellt worden. Diese Maßnahme, nicht zuletzt aber die völlige Beseitigung aller in demokratischen Staaten als Grundlage jeder bürgerlichen Freiheit angesehenen Garantien einer rechtsstaatlichen Ordnung, insbesondere einer wirklich unabhängigen Rechtspflege und eines ordentlichen Gerichtsverfahrens, haben in der Sowjetzone eine Atmosphäre der Unsicherheit und der Angst geschaffen, in der freie Wahlen unmöglich durchgeführt werden können.
({18})
Ich kann es mir ersparen, hier ein Gesamtbild der Zustände in der Sowjetzone und der Rechtlosigkeit ihrer Bewohner zu geben. Die erschreckende Gesamtwirkung ist hinlänglich bekannt. Nur einige Einzelheiten darf ich hervorheben. Jahrelang sind Hunderttausende von Häftlingen in Konzentrationslagern festgehalten worden, von denen auch heute noch entgegen allen anderslautenden Behauptungen mindestens zwei, nämlich ein Lager in Mansfeld und ein Lager im Zwangsarbeitsschacht Annaberg, bestehen. Die staatliche Sicherheitspolizei in der Sowjetzone unterhält eigene Gefängnisse, in denen Verhaftete ohne richterlichen Schutz eingekerkert und oftmals schweren Mißhandlungen ausgesetzt sind.
({19})
Die genaue Zahl dieser Gefangenen ist unbekannt; sie wird aber nach den vorliegenden Berichten auf mindestens 28 000 geschätzt.
({20})
Ebenso liegt auch kein genaues Zahlenmaterial über diejenigen Gefangenen vor, die nach außerhalb der Sowjetzone deportiert worden sind. Ein großer Teil der politischen Prozesse, wie z. B. die Verurteilung der 3500 aus sowjetischen Konzentrationslagern überstellten Gefangenen im Zuchthaus Waldheim, hat unter Ausschluß der Öffentlichkeit und vor politischen Sondergerichten stattgefunden, in denen weder eine ordnungsmäßige Verteidigung noch ein ordnungsmäßiges Verfahren sichergestellt waren.
Diese Zustände widersprechen nicht nur den Grundsätzen der zivilisierten Welt und stellen eine grauenhafte Wiederholung der nationalsozialistischen Methoden dar, sie stehen auch in flagrantem Widerspruch zu der sowjetzonalen Verfassung, insbesondere zu den Artikeln 8, 127, 133, 134 und 136, in denen die Grundsätze der persönlichen Freiheit, der Unverletzlichkeit der Wohnung, der Unabhängigkeit der Richter, der Öffentlichkeit der Gerichte, der Notwendigkeit eines richterlichen Haftbefehls mit Worten, meine Damen und Herren, garantiert sind.
({21})
Die durch diese Maßnahmen in der Sowjetzone geschaffene Unsicherheit und Angst schwinden nicht von heute auf morgen. Es genügt deshalb nicht, wenn hinsichtlich der Voraussetzungen für die Abhaltung freier Wahlen lediglich Erklärungen oder Zusicherungen gegeben werden.
({22})
Es ist vielmehr erforderlich, daß auch in der Sowjetzone und im Sowjetsektor von Berlin die rechtlichen und psychologischen Voraussetzungen für die Abhaltung freier Wahlen ohne Verzug geschaffen werden,
({23})
damit sie sich während eines angemessenen Zeitraumes auswirken können. Die zum Wesen eines demokratischen Staates gehörende staatsbürgerliche Freiheit muß in der sowjetischen Besatzungszone geraume Zeit wiederhergestellt sein, bevor dort überhaupt eine freie Wahl möglich ist.
({24})
Die Bundesregierung hält es für nötig, daß insbesondere folgende Maßnahmen in der Sowjetzone getroffen werden: Wiederherstellung der ordnungsgemäßen deutschen Rechtspflege, insbesondere unabhängiger Gerichte und eines ordentlichen Gerichtsverfahrens, Freilassung aller wegen ihrer Gegnerschaft gegen das herrschende Regime inhaftierten Personen, Rückführung aller Deportierten, Außerkraftsetzung des sogenannten Gesetzes zum Schutze des Friedens, Auflösung des „Staatssicherheitsdienstes" und ähnlicher Einrichtungen.
({25})
Nur durch baldigste Schaffung dieser Voraussetzungen kann die für Abhaltung freier Wahlen
({26})
notwendige Atmosphäre der Freiheit in der Sowjetzone geschaffen werden.
({27})
Nur aus solchen freien Wahlen kann ein gesamtdeutsches Parlament hervorgehen.
({28})
Dieses Parlament hätte, wie ich bereits erwähnt habe, eine gesamtdeutsche Verfassung und bis zu deren Inkrafttreten eine provisorische gesamtdeutsche Regierung zu bilden. Es ist selbstverständlich, daß sich diese Wahlen auch auf Berlin erstrecken müssen.
Nach alledem, was sich in den letzten Jahren in der Sowjetzone ereignet hat, müssen internationale Maßnahmen die Durchführung solcher Wahlen sichern.
({29})
Es muß weiter Vorsorge dafür getroffen werden, daß kein Deutscher nach der Wahl wegen seiner Abstimmung irgendwie zur Rechenschaft gezogen wird.
({30})
Falls das Hohe Haus mit diesen Grundsätzen einverstanden ist, werde ich im Auftrage der Bundesregierung eine sie enthaltende Note an die westalliierten Regierungen richten und sie bitten, auf der Viererkonferenz, falls sie stattfindet, die Beachtung dieser unserer Forderungen durchzusetzen, damit wir auf diese allein mögliche Weise zur deutschen Einheit in Freiheit kommen.
({31})
Lassen Sie mich noch mit allem Nachdruck folgendes erklären: Über lebenswichtige Interessen eines Volkes kann von keiner Konferenz ohne Zustimmung dieses Volkes selbst entschieden werden.
({32})
Ich darf Ihnen nun, meine Damen und Herren,
den Wortlaut der Note bekanntgeben, die ich, wie
ich wohl annehmen darf, mit Ihrem Einverständnis
und Ihrer Zustimmung über die Hohe Kommission
an die westalliierten Regierungen richten würde:
Mit Schreiben vom 22. Februar 1951 haben Sie mir mitgeteilt, daß die in der Alliierten Hohen Kommission vertretenen Regierungen in voller Würdigung des deutschen Interesses an den auf der Vor- und Hauptkonferenz der vier Außenminister zu behandelnden Fragen bereit sind, die Bundesregierung in vollstem Umfange über die Verhandlungen zu unterrichten und die Auffassungen der Bundesregierung an ihre Regierungen entgegenzunehmen.
In Ausführung dieser Zusicherungen haben Sie ich darüber unterrichtet, daß die drei westliierten Mächte beabsichtigen, auf der Konferenz der vier Außenminister vor allem die Gründe zu untersuchen, die zu den gegenwärtigen internationalen Spannungen geführt haben.
Die Bundesregierung begrüßt diese Absicht aufrichtig, denn sie ist der Überzeugung, daß nur durch die Erkenntnis und Beseitigung der wirklichen Ursachen dieser Spannungen die Grundlage für einen dauerhaften Frieden in Europa und der Welt geschaffen werden kann. Sie teilt ferner die Auffassung der Westmächte, daß diese Ursachen sich keinesfalls auf das deutsche Problem beschränken. Das deutsche Problem ist vielmehr eine der Folgen der viel umfassenderen zwischen dem Westen und
Sowjetrußland bestehenden Spannungen.
Gleichzeitig ist es eine der Ursachen für das Fortbestehen dieser Spannungen. Die Regelung der deutschen Frage ist daher eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Erhaltung des Friedens.
Diese Regelung kann nicht ohne Zustimmung des deutschen Volkes erfolgen.
Ich beehre mich, Euerer Exzellenz nachstehend die Auffassung der Bundesregierung zur deutschen Frage mit der Bitte zu unterbreiten, sie an die Regierungen der drei in der Alliierten Hohen Kommission vertretenen Mächte weiterzuleiten.
Bereits in den Erklärungen der Bundesregierung vom 22. März und vom 14. September 1950 ist klar und eindeutig festgestellt worden, daß der Weg zur deutschen Einheit nur durch eine freie und unbeeinflußte Willensentscheidung des deutschen Volkes gefunden werden kann. Es wurde deshalb die Abhaltung freier, allgemeiner, gleicher, geheimer und direkter Wahlen in ganz Deutschland zu einem verfassunggebenden deutschen Parlament gefordert, dem gleichzeitig die Aufgabe übertragen werden muß, bis zum Inkrafttreten einer freiheitlichen Verfassung die Wahrnehmung der gesamtdeutschen Regierungsgewalt zu regeln. Zur Genugtuung des deutschen Volkes hat sich die Alliierte Hohe Kommission diese Forderung zu eigen gemacht und sie mit Schreiben vom 9. Oktober 1950 an den Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission für Deutschland empfehlend weitergeleitet.
Die Bundesregierung ist nach wie vor der Auffassung, daß die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands nur auf Grund wirklich freier gesamtdeutscher Wahlen erfolgen kann. Sie wiederholt daher ihre Forderung auf baldmöglichste Abhaltung dieser Wahlen mit aller Entschiedenheit.
Voraussetzung für die Durchführung wirklich freier Wahlen ist jedoch, daß ebenso wie in der Bundesrepublik auch in der Sowjetzone die unerläßlichen Freiheiten vor, während und nach der Wahl sichergestellt sind. Seit Jahr und Tag ist in der Sowjetzone die bürgerliche Freiheit unterdrückt und die Bevölkerung noch in jüngster Zeit durch das sogenannte „Gesetz zum Schutze des Friedens" unter einen besonders scharfen politischen Zwang gestellt wurden. Diese Maßnahme, nicht zuletzt aber die völlige Beseitigung aller in demokratischen Staaten als Grundlage aller bürgerlichen Freiheit angesehenen Garantien einer rechtsstaatlichen Ordnung, insbesondere einer wirklich unabhängigen Rechtspflege und eines ordentlichen Gerichtsverfahrens, hat in der Sowjetzone eine Atmosphäre der Unsicherheit und der Angst geschaffen, in der freie Wahlen unmöglich durchgeführt werden können.
Diese Unsicherheit und Angst schwinden nicht von heute auf morgen. Es genügt deshalb nicht, wenn hinsichtlich der Voraussetzungen für die Abhaltung freier Wahlen lediglich Erklärungen oder Zusicherungen abgegeben werden. Es ist vielmehr erforderlich, daß in ganz Deutschland die politischen und psychologischen Voraussetzungen für die Abhaltung freier Wahlen ohne Verzug geschaffen werden, damit sie sich während eines angemessenen Zeitraumes auswirken können. Die zum Wesen
({33})
eines demokratischen Staates gehörende staatsbürgerliche Freiheit muß also in der sowjetischen Besatzungszone in Angleichung an die Verfassung der Bundesrepublik und deren Handhabung während einer angemessenen Dauer wiederhergestellt sein, bevor eine freie Wahl dort stattfinden kann.
Die Bundesregierung glaubt nicht, daß mit
der Verwirklichung der vorstehend dargelegten, Deutschland allein betreffenden Maßnahmen die Ursachen der- bestehenden Spannungen in ihrer Gesamtheit beseitigt werden können. Sie ist aber überzeugt, daß diese Vorschläge denjenigen Beitrag darstellen, den sie
selbst im gegenwärtigen Augenblick auf Grund
ihres Anteils an der gemeinsamen Verantwortung zur Sicherung des Friedens zu leisten hat.
Meine Damen und Herren, nachdem die Bundesregierung dieser Note einstimmig zugestimmt hat, darf ich zum Schlusse nochmals folgendes feststellen: Wir in der Bundesrepublik Deutschland wollen und haben immer gewollt mit ganzer Kraft die deutsche Einheit, aber wir wollen eine Einheit in Freiheit,
({34})
und wir hoffen und wünschen, daß die Viererkonferenz dem deutschen Volke zur Einheit in Freiheit verhelfen möge.
({35})
Meine Damen und Herren, ich eröffne die
Aussprache über die Erklärung
der Bundesregierung
im Rahmen der Ihnen vom Ältestenrat vorgeschlagenen Gesamtredezeit von 4 Stunden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schumacher.
Meine Damen und Herren! Die Frage der deutschen Einheit ist für unser Volk ein zentrales Problem. Sie ist aber auch eine bedeutsame Frage für die Erhaltung der Freiheit in der Welt. Alle europäischen Probleme und Projekte werden nicht europäisch behandelt, wenn man aus der Teilung Deutschlands Nutzen ziehen will. Die Kosten für eine solche Politik zahlt nicht Deutschland allein, die Kosten zahlt die Sache der Freiheit in der ganzen Welt.
({0})
Jede Betrachtungsweise hat von der Tatsache auszugehen, daß es Sowjetrußland gewesen ist, das seine Zone separiert und isoliert hat.
({1})
Das ganze Kampfgeschrei der Kommunisten und ihrer Anhänger für die Einheit, wie sie sie verstehen, wäre völlig unnötig, wenn sich die kommunistische Praxis der Teilung Deutschlands dem angeblichen kommunistischen Wunsche der Einigung Deutschlands untergeordnet hätte.
({2})
Die Stärke der totalitären Position beruht weitgehend auf der Unkenntnis und der Unklarheit über das Wesen des Totalitarismus bei den westlichen Demokratien und erst recht bei großen Teilen des deutschen Volkes.
({3})
Die Uneinheitlichkeit und Unentschlossenheit der westlichen Demokratien in ihrer Deutschlandpolitik, die vielen Vorbehalte und Unklarheiten in der Behandlung und der Zusammenarbeit mit den Deutschen schwächen die Front der Freiheit, nehmen ihr die Geschlossenheit und bedrohen ihre letzte Gemeinsamkeit.
({4})
Wir haben einen Gegner, dessen Einheit und Konzentration seiner politischen Kräfte zentral dirigiert wird. Die deutsche Frage kann nicht für sich allein betrachtet werden; sie kann aber auch nicht vom Westen her mit Deutschland als Objekt gelöst werden.
({5}).
Wenn wir auf der Viererkonferenz nicht am Tisch sitzen, so gibt es doch in der Sache nur die eine große Möglichkeit: man darf nicht über Deutschland beraten, man muß letzten Endes mit Deutschland beraten.
({6})
Es dient der Sache der Demokratie nicht, wenn man in einer Hauptstadt der westlichen Welt kürzlich lesen konnte, die Aussichten für das Gelingen der Viererkonferenz würden davon abhängen, daß Westdeutschland ausgeschaltet bliebe.
({7})
Nein, das ist der falsche Weg! Auch das Mittel der gelegentlichen Information und Konsultation würde nicht genügen. Die Information der deutschen Politik vor, während und nach der Viererkonferenz bei der Behandlung des ganzen Komplexes muß permanent und vollständig sein. Die Deutschen sollten auch wirklich befragt werden, sie sollten auch wirklich die Möglichkeit haben, ihre Meinung zu äußern. Es liegt im Interesse einer großen gemeinsamen Sache, daß die Erkenntnisse und aktiven demokratischen Kräfte unseres Volkes mobilisiert werden.
({8})
Letzten Endes gibt es keinen Erfolg der kommenden Viererkonferenz, wenn nicht das Ergebnis der Beratungen vom deutschen Volk bejaht und darum als verbindlich angesehen wird.
({9})
Man hat in einem Teil der westlichen Presse sehr leichtfertig empfohlen, die deutsche Einheit nach dem österreichischen Vorbild zu organisieren. Man übersieht dabei, daß der Prozeß und die Methoden, die in Österreich 1945 begannen, etwas grundsätzlich Verschiedenes und Unvergleichbares sind, wenn sie auf das Deutschland von 1951 angewandt werden.
({10})
Hier in Deutschland sind in sechs Jahren durch die sowjetischen Besatzungsmethoden tatsächlich Machtpositionen des Kommunismus geschaffen worden. Angesichts dieser Tatsache wäre die Übertragung des österreichischen Beispiels die Auslieferung Deutschlands an den Kommunismus mit Privilegierung der kommunistischen Chancen.
({11})
Das deutsche Volk kann weder diesem noch einem
anderen Vorschlag zustimmen, der zur Viermächte({12})
kontrolle oder gar zur Viermächtekontrolle mit Vetorecht führt.
({13})
Die sowjetische Politik versucht jetzt, entgegen der Tatsache, daß sie die Deutschen als bloßes Material handhabt, bei denselben Deutschen das Gefühl zu erzeugen, als ob sie ein selbständiges, nach eigenem Willen handelndes, souveränes Subjekt seien. Tatsächlich ist die Ostzonenverwaltung nur der Bestandteil eines Satellitensystems, in dem es nur einen Willen gibt, nämlich den Willen des zentralen Auftraggebers und Herrschers, der Sowjetunion.
({14})
Das System von Pankow ist die völlige Entdeutschung und die völlige Sowjetisierung der Politik.
({15})
Die angebliche deutsche Initiative aus dem Osten für die Einheit ist ein Bestandteil der nationalrussischen Außenpolitik.
({16})
Sie dient der Stärkung der sowjetischen Position gegenüber den westlichen Alliierten. So war es vor jeder Viererkonferenz. So war es vor Moskau im März 1947, so war es vor London im November 1947, so war es vor Paris im Mai 1949, und so ist es auch heute wieder. Man will bei unserem Volk den Blick für die Realitäten der Macht und für die Motive der Machtpolitik vernebeln, und man will den Typen, die ausgesprochene Marionetten sind, einreden, aus eigenem freiem Willen handeln zu dürfen.
({17})
Nun ist Propaganda bei einem Volk mit den speziellen Erfahrungen des deutschen Volkes in ihrer Wirksamkeit doch recht beschränkt. Dafür haben wir ein großes Beispiel, das Beispiel Berlins. Der 20. Oktober 1946 wäre nicht möglich gewesen, wenn die Propadanda allmächtig wäre. Der 20. Oktober 1946 ist der Sieg des Willens zur Freiheit über die Propaganda der Totalitären.
({18})
Jetzt steigert sich die Intensität der Propaganda. Die vorsichtigste Schätzung über die Briefe und Postsachen, die wöchentlich in das Gebiet der Bundesrepublik kommen, beläuft sich auf mehr als 2 Millionen Stück wöchentlich!
({19})
An dieser Stelle ist es unsere Aufgabe, die Ahnungslosen, Wohlmeinenden in unserem Volk vor jeder Form der Gemeinsamkeit zu warnen, mag sie noch so freundlich angebahnt werden.
({20})
Es darf keine Unterschriften geben, es darf keine Gemeinsamkeit der Kundgebungen geben, es darf keine Aktionseinheiten geben.
({21})
Es ist Tatsache, daß die Sozialdemokratische Partei in der Bundesrepublik 8000 Ortsvereine hat. Kein einziger Ortsverein hat mit ihnen verhandelt.
({22})
Die agitatorische Betriebsamkeit kann uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß zwischen ihrem System und den Menschen in diesem Lande jede menschliche Beziehung fehlt.
({23})
Den Wohlmeinenden, den Redewütigen und Repräsentationshungrigen hier in diesem Lande möchte ich sagen: Man kann nicht mit den Peinigern verhandeln und die Gepeinigten ignorieren.
({24})
Die Opfer der Freiheit, die Eingekerkerten, die Verschleppten, die gesamten Bewohner der Ostzone, die Kriegsgefangenen, sie alle haben Anspruch auf unsere menschliche und nationale Solidarität.
({25})
In der Propaganda ist jetzt das soziale Moment etwas in den Hintergrund getreten. Es ist als Realität aber immer da. Die Bundesrepublik sollte in einer Periode der steigenden Preise, denen Löhne, Gehälter und Renten nicht nacheilen können, daran denken, diese Dinge mit letztem Ernst zu behandeln.
({26})
Gerade die demokratische Staatsverfassung ist stärker als jede andere auf die soziale Fundamentierung angewiesen.
({27})
Worte gegen den Kommunismus verlieren an Wirkung ohne Tate für die soziale Gerechtigkeit.
Die Kommunisten machen jetzt eine große Propagandaaktion mit angeblichen Preissenkungen, die in der Sowjetzone durchgeführt sein sollen. Man will damit die soziale Deklassierung der arbeitenden Menschen und das Aufhören jeder sozialen Gemeinschaft durch Ausbeutung und Herabdrücken auf ein Helotendasein verdecken. Man will den Blick ablenken von dem ungeheuren wirtschaftlichen Rückschritt in den Satellitenländern und in der sowjetischen Besatzungszone.
({28})
Man sollte bei uns nie vergessen: Wenn einmal das Wort galt: Die Gerechtigkeit ist die Grundlage der Staaten, dann heißt es heute: Die soziale Gerechtigkeit ist die Grundlage der Demokratie.
({29}).)
In den Mittelpunkt der östlichen Propaganda ist jetzt das nationale Moment getreten. Es wird dort das Problem gelöst, wie man nationalrussische Politik mit nationaldeutschen Phrasen macht.
({30})
Wenn ich diese nationale Agitation untersuche, dann ist das ins Auge springende Resultat: Diese nationalistische Agitation aus dem Osten hat keine einzige eigene Idee und keine einzige neue Idee. Alle Parolen sind Zwangsanleihen aus den diversen Mottenkisten des deutschen Nationalismus.
({31})
Sie sind alle so „angenehm" historisch; man trifft nur alte Bekannte wieder.
({32})
Die Satellitenparteien der sowjetischen Besatzungszone, die offiziell nicht auf das Programm des Leninismus-Stalinismus verschworen sind, haben dabei eine besondere Aufgabe. Sie haben die Aufgabe, in gewissen Schichten des deutschen Volkes in der Bundesrepublik dieses Geraune und Gewisper zu erzeugen, daß diesmal Sowjetrußland ganz besondere, für die Deutschen außerordentlich positive Maßnahmen plane. Wir kennen aber diese Methode aus den Perioden vor Beginn jeder der vergangenen Außenministerkonferenzen. Außerdem mögen viele Leute, die heute noch in der Ostzone
({33})
sind, sich einmal daran erinnern, daß auch sie einst Träger dieser Parolen waren. Wir haben seit 1945 viele deutsche Hirtenknaben kennengelernt, die das sowjetische Lämmlein hüten wollten.
({34})
Die Führungsschichten gewisser rechtsradikaler Gruppen glauben, die sowjetische Politik überspielen und für sich, die deutschen rechtsradikalen Gruppen, nutzen zu können. Es ist das alte Unglück in unserem Lande, daß gerade unser extremster Nationalismus in den Stunden der großen Gefahr nicht national genug im einfachen, anständigen Sinne des Wortes gewesen ist.
({35})
Der Hunger nach Macht für die eigene Clique und Richtung hat sie immer wieder verführt und droht, sie auch jetzt zu verführen, das Schicksal des Staates und Volkes ihrem Gruppenegoismus unterzuordnen.
Alle die Illusionisten und Spekulanten, sie sollten das eine wissen: Was sollen Verhandlungen, bei denen der kommunistische Partner seinen Auftraggeber nicht binden kann? Der große Auftraggeber im Hintergrund behält freie Hand; seine deutschen Beauftragten mögen tun und lassen, was sie wollen. Aus dem Mangel auch nur der Möglichkeit einer Vertragstreue sollte sich die Meinung unseres Volkes in der Behandlung dieser Personen und Komplexe bestimmen. Es ist eben jedem Totalitarismus strukturell unmöglich, sich mit einem anderen zu verständigen oder gar auszusöhnen.
({36})
Was er dem andern an Selbständigkeit läßt, soll immer nur dem Totalitarismus als Deckwand dienen und ihm nützen. Ob dieser Totalitarismus also eine politische Partei zertrümmert oder andere politische Parteien bestehen läßt, ist nur unter dem Gesichtspunkt des Nutzens eben für diesen Totalitarismus entschieden worden und wird in Zukunft so entschieden werden. Die Rolle, die der Kommunismus den deutschen Illusionären zugewiesen hat, ist doch eine sehr kurzfristige. Sie sollen die Aufgabe erfüllen, dem antidemokratischen, dem totalitären, dem diktatorischen Prinzip zur Macht zu verhelfen. Haben sie ihm dazu verholfen, dann werden sie überflüssig und als hinderlich zertreten und zerschlagen. Die Geschichte der Eroberung der Macht durch die Kommunisten in den Satellitenstaaten spricht eine eindeutige und unwiderlegbare Sprache.
({37})
Jetzt steht neben dem nationalen Moment im Vordergrund der angebliche Kampf für den Frieden, ausgerechnet durch die Partei der Kriegsrüstung in der ganzen Welt für die stärkte Militärmacht in der ganzen Welt!
({38})
Der Sinn dieser Propaganda ist nicht Krieg dem
Kriege, sondern in der kommunistischen Formulierung: Krieg dem imperialistischen Kriege, d. h.
für die Kriegspotenz der Sowjetunion und für die
Ohnmacht der demokratischen Länder einzutreten.
({39})
Was der Kommunismus wirklich denkt über den Frieden, seine Bedeutung, seine sittlichen Werte, seine Wohltaten für die Völker, das zeigt am besten eine Rede, die Stalin am 13. Juni 1928 vor der kommunistischen Parteiorganisation in Leningrad gehalten hat. Dort heißt es klar und eindeutig:
Das am weitesten verbreitete Mittel, um die Arbeiterklasse einzulullen und sie vom Kampf gegen die Kriegsgefahr abzulenken, ist der heutige Pazifismus mit seinem Völkerbund, seinen Friedenspredigten, mit dem Verbot des Krieges, mit seinem Abrüstungsgeschwätz.
Ich glaube, an dem Tage hat der spätere Generalissimus Stalin einen tiefen Blick in seinen Spiegel getan.
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- Ich bin doch nicht dazu da, Ihre Makulatur zu verlesen!
({41})
Die Behandlung der Abrüstungsfrage seit 1945 bringt Aufklärung genug. Die Abrüstung ist von den Angelsachsen, besonders den Amerikanern, weitgehend durchgeführt worden. Aber bis heute hat ein großes Land praktisch die Abrüstung verweigert: Sowjetrußland. Wenn die Viererkonferenz eine Aufgabe hat, dann ist es die, vor der Welt über diese Tatsache Klarheit zu schaffen.
({42})
Die Auslösung der großen Aufrüstungswelle in der ganzen Welt ist doch durch den sowjetischen Militarismus erfolgt.
({43})
Die Aufwendungen für die großen Militärlasten und damit die Verringerung des Anteils der arbeitenden Menschen am Sozialprodukt, die Senkung der Lebenshaltung ganzer Völker, sie sind doch im letzten Grunde das Ergebnis der sowjetischen Militär- und Rüstungspolitik.
({44})
Offen muß aber auch gegenüber dem Westen gesagt werden: Die uns im vergangenen Jahre von dort reichlich unbesonnen aufgezwungene Diskussion über einen deutschen militärischen Beitrag hat entscheidend daran gekrankt, daß sie ohne die Fixierung absolut fester Voraussetzungen und ohne Rücksicht auf die möglichen Gefahren für das deutsche Volk eingeleitet worden ist.
({45})
ist der alte Fehler des Westens, unser Volk gar zu sehr als Materie zu betrachten, die von fremdem Willen geformt werden könnte. Das hat praktisch und in der Propaganda nur der heuchlerischen Friedensattacke der östlichen Übermilitaristen gedient, ohne die Realitäten der Macht auf dem Kontinent zu verändern.
({46})
Es waren und es sind die Sowjets, die die internationale Kontrolle der Atombombe verhindert haben. Es waren und es sind die Sowjets, die die internationale Inspektion des Rüstungsstandes vereiteln. Sie haben es heute in der Hand, in der Frage der Atomkontrolle und der internationalen Rüstungsinspektion in der ganzen Welt, auch in Sowjetrußland selbst, den Völkern den Eindruck ihres Friedenswillens zu vermitteln.
({47})
Der Westen hat lange genug dem Osten die deutsche Einheit gütigst überlassen zur Ausnutzung als Schwindelparole. Er darf nicht denselben Fehler beim Ideenkampf um den Frieden begehen. Von der kommenden Viererkonferenz erwarten die Völker
({48})
die Erhaltung des Friedens und die Verbesserung der Aussichten seiner Bewahrung. Diese große Menschheitsfrage bewegt alle. Hier haben die Mächte Zeugnis abzulegen für ihre menschlichen und moralischen Werte.
({49})
Die Erkenntnis von der Gleichheit als der Grundlage eines von allen Teilen leidenschaftlich gewollten Europas ist zum großen Teil doch noch recht theoretisch. Die Behandlung des Besatzungsstatuts in diesen Tagen ist die Manier eines vorsichtigen Kaufmanns, allerdings, meine Damen und Herren, eines pfennigfuchsenden Kaufmanns,
({50})
der damit nie in das große politische Geschäft kommen kann.
({51})
Sie ist nicht geeignet, die moralischen Kräfte des
gutwilligen deutschen Volkes aufzurütteln und
wachzurufen. Dazu gehören beim Westen die Einmaligkeit und die Eindeutigkeit befreiender Taten.
({52})
Völlig ungeeignet aber erscheint uns ein System, eine Vereinigung Europas durch Maßnahmen auf Spezialgebieten, wie jetzt durch Pläne militärischer oder wirtschaftlicher Struktur, herbeizuführen, solange die grundlegende Ungleichheit im Politischen besteht.
({53})
Der Schaden, den das Bemühen um die Durchsetzung dieser Pläne unter den gegebenen Voraussetzungen anrichtet, ist in jedem Falle größer als ihr eventueller Nutzen. Außerdem tragen die jetzigen Projekte vielzusehr die Züge eines rein machtpolitischen, nationalistischen Egoismus.
({54})
Diese Politik bedeutet den Versuch, die sich zwangsläufig anbahnende politische Gleichheit durch eine Politik der vollendeten Tatsachen der Ungleichheit zu dämpfen.
({55}) Gemeinsamkeit aber mit der Konsequenz der Gleichheit auf den einzelnen besonderen Gebieten gibt es nur unter Gleichen.
({56})
Der politische und propagandistische Angriff der Totalitären soll den Angreifern das Gesetz des Handelns in der Frage der deutschen Einheit in die Hand spielen. Sie wollen die Themen bestimmen, die Reihenfolge und die Art ihrer Behandlung und die Umstände der Diskussion. Sie sind die alles bestimmenden Fragesteller. Derjenige verspielt die Sache der Freiheit, der sich als Antwortender in das System dieser Fragen hineindrängen läßt.
({57})
Sie wollen überall hineinreden und alles bestimmen. Sie selbst aber wollen sich in nichts hineinreden lassen und keinen anderen Wunsch respektieren. Zur gleichen Zeit, in der sie sich jetzt als kameradschaftliche Gesprächspartner aufführen, versuchen sie mit der Einheitsfront von unten dem Gesprächspartner der anderen Seite den festen politischen Boden unter den Füßen wegzuziehen. Je härter man aus unseren Reihen das Nein gegen das diktatorische Manöver ausspricht, desto mehr geht die heuchlerische Kameradschaftlichkeit in die Binsen. Wenn Sie in den letzten Wochen die SED-Presse in Berlin und in der Ostzone gelesen hätten, dann würde Ihnen grauen vor der letzten Unflätigkeit dieser Sprache und dieser Methoden gegenüber
denselben Leuten, mit denen man sich angeblich,
wie es so schön heißt, „an einen Tisch setzen" will.
({58})
Diesmal aber ist der Angriffsplan genauer durchdacht und enthält mehr Alternativen. Scheitert der eine Schritt, soll der andere Schritt getan werden. Ist der Brief Grotewohls an den Bundeskanzler ohne Erfolg geblieben, dann schreibt eben die Volkskammer an den Bundestag. Aber das sind ja alles nur noch Ersatzmaßnahmen ohne politische Bedeutsamkeit. Es gehört schon die schauerliche Talentlosigkeit in der Politik dazu, die leider bei vielen Menschen in unserem Lande vorhanden ist, wenn man gestern und heute im Rundfunk hören konnte: Der Bundestag versammelt sich heute, um den Brief der Volkskammer zu beantworten.
({59})
Es gab eine Stunde der politischen Entscheidung. Das war die Antwort, die der Bundeskanzler im Auftrag und im Einverständnis mit allen Parteien gegeben hat. Die Diskussion aber über die Ersatztaktiken ist völlig uninteressant und überflüssig.
({60})
Es ist die Entschlossenheit, Bewußtheit und Zielklarheit des demokratischen Widerstands, die in diesen letzten Wochen die Kommunisten gezwungen hat, viel von dem zu sagen, was sie erst nach Erreichung ihres ersten Ziels, nämlich des Konstituierenden Rates, hatten sagen wollen.
({61})
Jetzt haben sie erkennen lassen, daß sie die freien Wahlen mit den gleichen Chancen für alle Beteiligten mehr fürchten als der Teufel das Weihwasser.
({62})
Davon zeugen die Anweisungen, die zentral und in den einzelnen Ländern der sowjetischen Besatzungszone von der Führung der „Nationalen Front" an ihre sogenannten „Aufklärer" gegeben werden. Dort bekennt man sich zur Blockpolitik; dort erklärt man gegenüber den aufgeregten Anhängern, man wolle Konzessionen nur formal und vorübergehend machen und man habe alles für die Machtergreifung im Stile der Prager Vorgänge vorbereitet. Die Leute, die die Aufgabe haben, propagandistisch auch gegenüber den eigenen Anhängern die Taktik der Kommunisten abzudecken, haben sich gar dazu verleiten lassen, den Terrorakt des 15. Oktober und die Einheitslisten als demokratische Vorbilder für die zukünftige Gestaltung Deutschlands zu preisen.
Das oberste Ziel; auf das vom Osten her alle Kräfte konzentriert werden, ist also, um in der kommunistischen Sprache zu sprechen, die Errichtung eines Gesamtdeutschen Konstituierenden Rates. Dieser Konstituierende Rat ist das Stück im taktischen System, durch das alles bedingt ist. Von seiner Schaffung oder von seiner Verweigerung hängt das Gelingen oder Mißlingen der kommunistischen Politik ab. Der Konstituierende Rat soll, wie die Kommunisten sagen, die „Repräsentanz des deutschen Volkes" sein. Aber diese Repräsentanz des deutschen Volkes soll nicht gewählt werden, sie soll den Willen des deutschen Volkes nicht ausdrücken, weil eine solche Einrichtung dann für die sowjetische Besatzungsmacht gar zu schwer zu handhaben wäre. Es ist kein Zufall, daß in dem Brief Grotewohls an den Herrn Bundeskanzler der Passus bezüglich des Gesamtdeutschen Konstituierenden Rats wörtlich abgeschrieben ist aus dem Be({63})
schluß der Prager Außenministerkonferenz der Oststaaten vom 21. Oktober 1950.
({64})
- Wenn man das ganze Drum und Dran betrachtet, dann ist es nicht nur der Geist der Prager Außenministerkonferenz, sondern auch sogar der Geist des Warschauer Abkommens, der die kommunistischen Kräfte in ihrer Propaganda vorwärts-treibt.
Der Konstituierende Rat soll paritätisch zusammengesetzt sein. Die Parität zwischen zahlenmäßig ungleich Starken ist immer der Versuch, die Herrschaft der Minderheit über die große Mehrheit zu etablieren.
({65})
Dabei rechnen die Leute des Totalitarismus auf das Bündnis mit den Illusionären und den Rückversicherern der Bundesrepublik.
({66})
Dieser Konstituierende Rat ist die nationale Methode zur Erkämpfung der kommunistischen Diktatur in Deutschland. Viel zu wenig wird in unserem Lande die zur gleichen Zeit angewandte internationale Methode beachtet. Wenn die nationale Methode, der Kampf um die Etablierung des Konstituierenden Rates, eine propagandistische Aktion ist, bei der die Wahrheit unterdrückt werden muß, so ist die internationale Methode, die es auch mit anderen Kräften als den Deutschen zu tun hat, von dem Wunsche nach Klarheit und nach Ausdruck der wirklichen Absichten bestimmt. - Im Februar dieses Jahres fand in Berlin - ausgerechnet in Berlin! - eine internationale „Friedenskonferenz" statt, die aus 81 Ländern beschickt war. Dort wurde kein einziges versöhnliches Wort gegenüber dem deutschen Volke gesprochen.
({67})
Dort haben sich die Kommunisten, die überall in der Welt die rücksichtslosesten Feinde Deutschlands sind, und ihre deutschen Satelliten und Mitläufer mit den fremden Kommunisten geeinigt in dem Willen zur Unterdrückung und Entrechtung Deutschlands.
({68})
Dort verlangte man die Rückkehr zu den Abkommen, die die Alliierten während der härtesten Perioden des Krieges miteinander geschlossen haben.
({69})
Dort erklärte ausgerechnet der französische Kommunist Farge unter einmütigem Beifall der Versammlung etwas, das sich jeder Deutsche einprägen sollte: man müsse „eine Friedenssolidarität schaffen, die im Interesse der Völker die Solidarität des Krieges weiterzuführen" habe.
({70})
Man will also eine neue Welt mit den Mitteln der Kriegspsychose aufbauen. Daß Deutsche dazu ihre Zustimmung geben können, ist eine Warnung für die Ahnungslosen in unserem Lande. Daß ausgerechnet die Kommunisten in der Welt sich auf die Heiligkeit der Verträge besinnen, nämlich der Verträge mit sehr unheiligem Inhalt,
({71})
das ist um so überraschender, als doch die Kommunisten die Verträge mit einem heiligen Inhalt, nämlich die Friedensverträge, die den Balkanländern
Rumänien, Bulgarien und Ungarn die Freiheit und die Demokratie sichern sollten, rücksichtslos gebrochen haben.
({72})
Auf dem Berliner Friedenskongreß bekannten sich die Kommunisten der ganzen Welt zu dem Vernichtungswillen von Jalta und Quebec und all den anderen Konferenzen. Dort bekannte man sich ausdrücklich immer wieder zu Potsdam. Dort wurde nicht nur politische und militärische Abwehr gegen den Westen gepredigt und das deutsche Volk unter diesem Gesichtspunkt negativ behandelt; dort erklärte man dem Sinne nach jede deutsche Industrie zu einer Kriegsindustrie und deklarierte wörtlich den Passus der Forderung der Quebecer Konferenz vom September 1944: „Schließung oder Zerstörung aller metallurgischen, chemischen und elektrischen Industrien der Ruhr und der Saar."
({73})
- Lesen Sie nach, Sie Kenner der diplomatischen Akten!
({74})
Die beiden Hauptziele der kommunistischen Kampagne sind: erstens propagandistisch die Kompagne gegen die sogenannte Remilitarisierung.
({75})
Aber, meine Damen und Herren, diese sogenannte Remilitarisierung ist in diesem Munde ja wohl eine Lähmungsaktion ohne sachlichen Ernst. Die Diskussion, die jetzt auf einer kommenden, von der Weltfriedenskonferenz eingesetzten „Europäischen Arbeiterkonferenz gegen die Remilitarisierung Deutschlands" begonnen wird, hat ja tatsächlich ein anderes Ziel. Tatsächlich erstrebt man die Verlangsamung, wenn nicht gar das Abstoppen bei der Aufstellung der ungeheuren Produktionskaders der amerikanischen Rüstungsindustrie.
Neben dieser propangandistischen Attacke gibt es aber eine sehr realpolitische. Man will dem undemokratisch zustande gekommenen totalitären Konstituierenden Rat als Hauptaufgabe den Abschluß eines Friedensvertrages noch im Jahre 1951 zuweisen.
({76})
Was in einem solchen Friedensvertrag stehen soll, haben die Sowjets ja unvorsichtigerweise vor der Pariser Außenministerkonferenz 1949 erzählt. Sie forderten die Entnahme von Reparationen für die Sowjets aus der laufenden Produktion Westdeutschlands. Sie wollen die sowjetische Mitkontrolle und die Heranziehung ihrer Satellitenstaaten bei der Mitkontrolle des Ruhrgebiets. Sie erstreben die verstärkte politische Einwirkungsmöglichkeit auf die Gestaltung des deutschen Staatswesens. - Diese undemokratische Zweckeinrichtung des Konstituierenden Rates soll eine ebenso undemokratische Zweckregierung schaffen. Die Aufgabe dieser sogenannten Regierung wäre, die Politik der vollendeten Tatsachen im kommunistischen Sinne durchzuführen.
({77})
Alle Parteien sollen mit diesem Friedensvertrag, der eine Kapitulation vor den Sowjets unter Verleugnung der deutschen Lebensnotwendigkeiten zu sein hat, belastet werden. So will man den Weg zur Eroberung der Macht nach dem Vorbild der Satel({78})
litenstaaten gehen. Es ist eine Illustrierung der Leninschen Theorie von der provisorischen Regierung, die so viel Tatsachen zu schaffen hat, daß sie nachher durch demokratische Wahlen nicht mehr korrigiert oder gar aus der Welt geschafft werden können.
({79})
Der Hauptbestandteil eines Friedensvertrags noch 1951 wäre aber ein anderer. Er soll die Befreiung der Sowjets von ihrer größten europäischen und deutschen Sorge sein, die imstande ist, das ganze Satellitensystem zu schwächen und zu lähmen. Das Hauptziel dieses Friedensvertrages wäre, die deutsche Zustimmung zur Oder-NeißeLinie als der endgültigen Grenze zu erlangen.
({80})
Zur gleichen Zeit, in der man hier wilhelminisch, hitlerisch und in allen anderen Sprachen des Nationalismus unserem Volk propagandistisch kommt, verhandelt der sogenannte Ministerpräsident von Pankow mit Polen! Dieser Monat März ist der Monat der deutsch-polnischen Freundschaft.
({81})
Wir wollen die Freundschaft mit dem polnischen Volk, - aber nicht um den Preis des deutschen Selbstmords.
({82})
Die Kommunisten haben nicht das Recht, auf Menschen und Gebiete Deutschlands zu verzichten, die ihnen doch nicht gehören, diese kommunistische Partei, eine Funktion einer Besatzungsmacht!
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Dabei ist wichtig, daß bei den Erklärungen und gemeinsamen Aufrufen im Osten die Oder-Neiße-Linie nicht mehr die bloße Grenze ist. Im Stil der Agitation des vorigen Jahres ist sie nicht einmal nur die berühmte „Friedensgrenze" und die „Friedensgrundlage". Jetzt ist sie noch mehr! Es heißt in dem gemeinsamen großen Aufruf der „Blockparteien" wörtlich: „Die Oder-Neiße-Grenze ist ein Bindeglied beider Völker geworden."
({84})
Man schwärmt in diesen Erklärungen davon - ich zitiere wieder wörtlich -, „daß sowjetisches Erz und polnische Kohle zu deutschem Friedensstahl verarbeitet werden".
({85})
Bloß wie die Kommunisten zu anständigen Deutschen gemacht werden, dafür ist kein Programm vorgesehen.
({86})
Die „Nationalzeitung", das Blatt des organisierten Rechtsradikalismus im Dienste Sowjetrußlands,
({87})
das Organ des früheren Generals Vinzenz Müller, schreibt sogar: „Die Friedensgrenze an der OderNeiße ist heute für beide Völker zur begünstigenden Brücke geworden."
({88})
So weit - und das mögen sich viele Leute in Westdeutschland zur Lehre dienen lassen - sinken die
Vertreter des alten Nationalismus, wenn sie mit
dem sowjetischen Totalitarismus zusammenarbeiten.
({89})
Von dieser Stelle aus ist es unsere Aufgabe, die Offiziere und Mannschaften der Volkspolizei in der sowjetischen Besatzungszone zu fragen, wie lange sie noch den Weg unter den Fahnen des Kommunismus gegen ihr eigenes Vaterland weitermarschieren wollen.
({90})
Alle Bemühungen der östlichen Politik haben nur das eine Ziel, den Konstituierenden Rat zu schaffen und ihm die Funktion der Gesetzgebung und der Regierungsbildung zu überlassen. Demgegenüber haben wir Sozialdemokraten schon seit 1946 immer wieder gleiche und freie Wahlen unter den gleichen Chancen für alle Beteiligten als den Schritt Nr. 1 angesehen. Wenn die kommunistische Taktik siegen oder auch nur auf dem Wege des Kompromisses gewisse Erfolge haben würde, dann, meine Damen und Herren, wäre nicht nur eine Schlacht, dann wäre der Feldzug um die Freiheit in Deutschland, vielleicht in Europa verloren.
({91})
Alles steht und fällt damit, daß die freien Wahlen unter den gleichen Bedingungen und Voraussetzungen für alle politischen Richtungen der Demokratie der Schritt Nr. 1 sind.
({92})
Die deutsche Frage auf der Außenministerkonferenz ist die Frage nach den freien Wahlen und damit die Frage nach einer freien und starken Regierung.
({93})
- Nein; wir werden unsere Bundesgenossen aber auch nicht aus der Kirgisensteppe holen.
({94})
Das ist politischer Sinn und Inhalt des Briefes der Sozialdemokratischen Partei vom 31. Januar an den Herrn Bundeskanzler. Ich hoffe, die Befriedigung von vielen außerhalb der Regierungskoalition auszudrücken, wenn ich sage, daß das auch der entscheidende Punkt der Note und der Erklärung der Bundesregierung gewesen ist.
({95})
Ein frei gewähltes und freies Parlament hat nicht nur eine Verfassung zu schaffen, es hat die ganze Gesetzgebung zu bewältigen und es hat die oberste Aufgabe der Bildung einer demokratischen Regierung, einer starken Zentralgewalt. Diese Zentralgewalt und das sie tragende Parlament haben nicht nur Recht zu setzen, sondern sie haben Tatsachen zu schaffen. Diese Tatsachen haben übereinzustimmen mit den Tatsachen, die vor, während und nach den Wahlen durch die demokratischen Kräfte der ganzen Welt gestaltet und organisiert werden sollen.
Die propagandistische Welle der Kommunisten wird weitergehen. Aber die politische Aktion ist für diese Situation gescheitert. Die politische Eroberung der Deutschen Bundesrepublik durch den Kommunismus findet nicht statt.
({96})
Sie findet wenigstens legal nicht statt.
({97})
({98})
Sie dürfen aber nicht übersehen, daß die Kommunisten das, was sie legal nicht erreichen, in der Illegalität einer durch nichts gehemmten Propaganda zu erreichen versuchen werden.
({99})
Das heißt: die Gefahr bleibt vorn Propagandistischen her, und die Gefahr steigert sich. Die Gegenseite erreicht ihren Konstituierenden Rat nicht, weil sich die Bundesrepublik im Interesse der Notwendigkeiten des deutschen Volkes und der Notwendigkeiten der Freiheit in der Welt verweigert. Darum werden die Kommunisten den Versuch machen, ein Schattenparlament, ein Scheinparlament, auch Konstituierender Rat genannt, zu schaffen und dabei die Vertreter aus dem Westen nach ihrer kommunistisch-sowjetischen Einsicht benennen.
({100})
Bei dieser Gelegenheit werden wir einmal die ganze trojanische Kavallerie hier vorbeigaloppieren sehen,
({101})
und wir werden dann die Möglichkeit haben, uns politisch, moralisch und juristisch mit den Leuten auseinanderzusetzen, die Deutschland im Stich lassen, um Sowjetrußland zu dienen.
({102})
Dieses Schattenparlament hätte dann die Aufgabe, eine Schattenregierung zu bilden.
({103})
- Ja, das höre ich gerade.
({104})
Genau wie dieses Schattenparlament wäre diese Schattenregierung auch ein Propagandainstrument der Sowjets. Diese Tatsache legt dem deutschen Volk, soweit es das Glück hat, seinen politischen Willen frei bilden und frei vertreten zu können, eine große Aufgabe für die deutsche und für die Demokratie der Welt auf.
Die Viererkonferenz mag ausgehen, wie sie will: Wir können nicht in einem Zustand der Passivität, des Sichabfindens mit den Dingen verharren.
({105})
Die Teilung Deutschlands kann man nicht in dem Stil behandeln, als sei sie eine hoffentlich vorübergehende Angelegenheit. Das Resignieren ist eine Chance für die Diktatur.
({106})
Die westdeutsche Bundesrepublik muß bei jedem Ausgang der Viererkonferenz und bei jedem Verhalten der Propagandamaschinerie der Kommunisten immer wieder von dem einen Gebot ausgehen: Wir freien, wir demokratischen Deutschen haben die Aufgabe, politisch und propagandistisch für die deutsche Einheit aktiv und kämpferisch zu bleiben und diese Aktivität um dieses Zieles willen weiterzuentwickeln.
({107})
Wir haben dabei drei große Komplexe zu behandeln. Wir haben eine starke soziale Ordnung zu schaffen, die den weltweiten Unterschied im Sozialen zwischen den Ländern der Demokratie und den Ländern der Diktatur auch den Menschen im Osten, auch den Bewohnern der Satellitenstaaten klarmacht.
({108})
Wir haben zum anderen eine demokratische Praxis
im eigenen Lande und eine demokratische Praxis
der Außenpolitik zu entwickeln, die die Gleichberechtigung zum idealen Vorbild für die Völker des Ostens macht, die Gleichberechtigung, die aus der Vernunft und der natürlichen Solidarität der Demokratie allen Völkern gegeben ist.
({109})
Wir haben schließlich ein System praktischer Maßnahmen zu schaffen, wie sie von den Kräften der Demokratie bei der Rückgewinnung der sowjetischen Besatzungszone nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich für die Eroberung und Sicherung der Freiheit durchgeführt werden sollen.
Meine Damen und Herren! Mit dem Kampf für die deutsche Einheit dienen wir unserem eigenen Volk. Mit dem Kampf für die deutsche Einheit dienen wir aber auch der Sache der Freiheit und der Menschlichkeit in der ganzen Welt!
({110})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Auftrag, für die Fraktionen der Christlich-Demokratischen Union, der Freien Demokratischen Partei und der Deutschen Partei unsere Auffassungen zu der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers darzulegen. Ich möchte an den Anfang meiner Ausführungen stellen, daß wir dieser Erklärung und dem Verfahren, das der Herr Bundeskanzler vorsieht, voll und ganz zustimmen. Wir stimmen sowohl der grundsätzlichen Betrachtung, die in der Erklärung der Bundesregierung zum Ausdruck gekommen ist, als auch insbesondere der Tatsache zu, daß sich die Bundesregierung entschlossen hat, in dieser entscheidenden, vielleicht der entscheidendsten Stunde in der Geschichte unseres Volkes nach 1945 eine Note abzusenden. Wir stimmen dem Inhalt dieser Note und den in ihr zum Ausdruck gebrachten Forderungen zu. Wir unterstreichen das Verlangen der Bundesregierung, daß letzthin für alle Entscheidungen, die über unser Volk getroffen werden, die deutsche Zustimmung erforderlich ist. Wir unterstreichen von ganzem Herzen das große Ziel, die Einheit unseres Vaterlandes in der Freiheit zu erreichen. Dieses Ziel und seine Verwirklichung wird nicht nur über die Geschicke unseres eigenen Vaterlandes entscheiden, sondern über das Geschick ganz Europas und damit der Welt. Es wird mitbestimmend dafür sein, nach welchem nomos, nach welchem Gesetz die Menschheit künftig leben wird. Darum bedeutet die Forderung, unsere Einheit aus der innersten Freiheit, aus der tatsächlichen Freiheit herzustellen, viel mehr als nur die Entscheidung einer politischen Form; sie bedeutet die große Entscheidung, sich einzugliedern, daran mitzuhelfen, daß dieser alte, aus dem Abendland entstandene freie Bereich der Kultur bestehen bleibt und sich verwirklicht. Die Forderung auf eine demokratische Entscheidung, d. h. auf eine wirklich freie, aus dem innersten Entschluß des deutschen Volkes zu fällende Entscheidung bedeutet ein Stück Verwirklichung des innersten Wesens unserer Kultur.
Ich darf mich im Anschluß hieran den Ausführungen des Führers der Opposition zuwenden und feststellen, daß in diesen grundsätzlichen Fragen der nationalen Solidarität bis in die tieferen Bezirke der Betrachtung hinein kein Unterschied besteht, daß damit in dieser Stunde und in diesem Hause ein großes Faktum geschaffen worden ist,
({0})
wie wir unser Schicksal angesichts der großen Bedrohung, die von allen Seiten auf uns eindringt, zu gestalten haben, und daß wir auf diesem Weg der Wahrung unserer wahren nationalen Interessen mit allen, die da guten Willens sind, von der Passivität zur Aktivität gelangen. Ich möchte diesen Satz in der Rede des Führers der Opposition, der eine aktive Politik gefordert hat, ganz nachdrücklich unterstreichen. Uns reift und wächst nichts zu. Wenn, wir auch geduldig sein müssen, wenn wir auch die Fähigkeit des Abwartens besitzen müssen, so glaube ich doch, daß im Kern und in der Substanz das deutsche Schicksal aus unserem eigenen Entschluß und daraus zu schaffen ist, wieviel wirklich politische Kraft wir in der Gestaltung unserer inneren und äußeren Verhältnisse aufzubringen vermögen, wieweit es uns gelingt, die Lähmung und Ohnmacht, die auch in den seelischen Bezirken als eine Folge unserer Niederlage zurückgeblieben ist, zu überwinden und damit zu einer aus dem Innersten heraus wachsenden Kraft zu gelangen, die die Welt von dem Wesen unseres Daseins überzeugt.
Der Führer der Opposition hat auf den grundlegenden Unterschied in den Verhältnissen Österreichs und Deutschlands hingewiesen. Auch diese Feststellung möchte ich unterstreichen. In Österreich ist es nicht zu dem Aufbau eines kommunistischen Machtapparats gekommen. Damals hat die sowjetische Besatzungsmacht offenbar in dem Schwung ihres Sieges darauf vertraut, daß durch freie Wahlen eine kommunistische Entscheidung gefällt werden könnte. Diese freien Wahlen haben aber seinerzeit die Grundlage dafür gelegt, daß in Österreich das österreichische Volk über seine inneren Verhältnisse zu entscheiden hat.
Ich stimme auch den Ausführungen des Führers der Opposition hinsichtlich der Tatsache zu, daß eine soziale Fundamentierung ein richtiges Mittel dafür ist, unser Dasein zu erhalten und zu verteidigen.
({1})
Aber ich darf in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, daß durch die Korea-Krise in der ganzen Welt eine Mangellage hervorgerufen worden ist. Diese Krise wiederum beweist, daß es den totalitären Systemen angelegen ist, den Aufbau und die Befriedung der Welt zu stören und zu verhindern, um dadurch die Ursachen für die sozialen Krisen zu setzen und zu erweitern.
Zweck meiner Ausführungen soll sein, den Versuch einer Analyse unserer Situation zu unternehmen, eine Antwort auf die Frage zu finden; was man mit uns vorhat, und dann unsere Konzeption zu entwickeln, die wir der Bedrohung im Sinne einer Aktivierung unserer Kräfte entgegenzusetzen haben.
Es ist der kommunistischen Propaganda gelungen, nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen westlichen Welt ein Klima der Angst und der Unrast zu erzeugen. Deshalb möchte ich an den Anfang meiner Betrachtungen den Menschen stellen, den abendländischen Menschen unserer Zeit. Lebensmut und Lebenswille sind die Voraussetzungen für die Freiheit. Nihilismus und Defaitismus bedrohen uns mehr als die, Atombombe; sie schwächen unsere Kultur und ihren Behauptungswillen. Unsere Zeit ist eine Zeit der Krisen. Martin Luther hat einmal gesagt: Wenn die Menschen vom Weltuntergang reden, dann ist es Zeit, ein Apfelbäumchen zu pflanzen.
Wenn wir das Unheil abwenden wollen, müssen wir den nötigen Mut aufbringen, uns ganz für das Ziel eines wahrhaften, auf die Achtung der Freiheit und Menschenwürde gegründeten dauerhaften Friedens einzusetzen. Das kann nicht in der Methode des Ausweichens vor und des Paktierens mit einem unversöhnlichen Gegner geschehen. Von uns werden Entscheidungen gefordert, die immer eine charakterliche Bewährungsprobe sind.
Lassen Sie mich in dieser Stunde an das Beispiel Berlins erinnern. Ohne die mutige und entschiedene Haltung der Bevölkerung wäre es niemals zur Luftbrücke gekommen. Dieses Beispiel sollte Richtschnur für das Verhalten in ganz Deutschland sein.
({2})
Wir bereiten uns unsere Zukunft selbst je nach dem Maß an politischer Kraft oder Ohnmacht, das man bei uns findet.
({3})
Ich fordere auch namens der Fraktionen, für die zu sprechen ich die Ehre habe, eine aktive Politik, die unseren politischen Sinn mit Entschlossenheit und Impulsen zur Freiheit bis in die Tiefenbezirke durchdringt, also einen Mut und Lebenswillen, der nichts anderes ist als das Gottvertrauen gereifter Menschen und eines unter den Schlägen der Geschichte gereiften Volkes, das seinen Standort erkennt und an seine Zukunft glaubt.
({4})
Ein Volk, das an seine Zukunft nicht zu glauben vermag, dem der große geschichtliche Sinn verlorengegangen ist, das sich nur als ein Objekt fühlt, ist zum Untergang verdammt. Wir aber wollen leben!
({5})
Wir begrüßen die Absicht der Westmächte, die Ursachen der Spannungen aufzuspüren, um eine Lösung zu ihrer Beseitigung zu finden. An dieser Stelle dürfen wir nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß die vergangene deutsche politische Führung, die das eigene Volk und fast die ganze Welt in die Katastrophe eines Krieges verwickelt hat, damit die Ursache dafür gesetzt hat, daß die mittel- und osteuropäische Ordnung zusammengebrochen ist und so der Gegensatz zwischen der bolschewistischen und der nichtbolschewistischen Welt in solcher Unmittelbarkeit in Erscheinung treten konnte.
Die geschichtlichen Konsequenzen sind unerbittlich. Der Trennungsstrich dieses Gegensatzes geht mitten durch unser Land. Deutschlands Schicksal ist ein Gleichnis für den Zustand Mitteleuropas, ja für den ganz Europas und so für das politische Gefüge in der ganzen Welt. Darum muß eine echte Lösung gefunden werden, die diese Zerstörung der Struktur Europas beseitigt und die Struktur wieder in ein Gleichgewicht bringt. Wir als Deutsche sollten unseren Beitrag vor allem darin sehen, daß wir in unserer Konzeption unser nationales Bedürfnis nicht in der Engstirnigkeit eines nationalen Egoismus erfassen, sondern aus europäischer Sicht zu verstehen vermögen. Deutschland steht stellvertretend für Europa, und wenn wir auch erkennen, daß die deutsche Frage nur ein Ausschnitt aus den weltweiten Spannungen ist, so sollten wir doch die Übersicht darüber behalten, daß die Lösung unserer nationalen Bedürfnisse in einem Geist erfolgt, der sich mitverantwortlich fühlt für die Bedürfnisse ganz Europas und aller Völker, die nach dem Gesetz der Freiheit
({6})
leben. Ich meine damit ein neues Solidaritätsgefühl, das über die nationale Gemeinschaft hinausgeht.
Damit rede ich nicht von Utopien, sondern von Realitäten. Die geschichtlichen Strömungen, die eine neue Weltordnung aus den Leiden, Krisen und Katastrophen der Gegenwart emporzuheben trachten, zielen, wenn nicht alle Zeichen trügerisch sind, auf die Bildung großräumiger Zusammenschlüsse hin, die dem Stand unserer Wirtschaft in Technik und Verkehr, dem wachsenden Bedürfnis des Warenaustausches und der menschenwürdigen Existenz der Massen entsprechen. Wenn wir genauer hinsehen, dann ist das sowjetische Imperium bereits ein solcher Großraum, der nahezu vollendet steht und fast ein Viertel der Welt umschließt, während die westliche Welt über das Stadium der Konferenzen noch nicht wesentlich hinausgekommen zu sein scheint.
Davon aber fühlen wir uns auch bedroht. Wenn wir von Spannungen sprechen, von Krisen, ja von Katastrophen, dann dürfen wir nicht vergessen, daß sich die totalitären Bewegungen unseres Jahrhunderts diese katastrophische Betrachtung zu eigen gemacht haben. Ein Hauptdogma des Kommunismus ist, daß die kapitalistische Welt an ihren eigenen Krisen zugrunde gehen muß. Darum ist der Kommunismus bemüht, in seiner Strategie des Untergrundes Krisen zu erzeugen, wo er nur kann. Der müde Geist des Kompromisses, der Verharmlosung und der intellektuellen Eselei leistet ihm hierbei ebenso Vorschub wie die Täuschung, daß alles normal sei und mit normalen Mitteln gemeistert werden könne.
({7})
Dazu kommt noch die Flucht in das Private, die bei gröberen Naturen ein brutales Überwechseln in die nackte Selbstsucht ist. Ich stehe nicht an, auch festzustellen, daß Deutschland zur Zeit - abgesehen von den Ohne-mich-Aposteln - durch einen Hang mancher Menschen zur Selbstsucht in seiner Gemeinschaft und damit in seiner staatlichen Ordnung schwer bedroht wird.
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Welches sind die Ursachen der Spannungen unserer Zeit? Ich möchte hier nur einige typische Beispiele einblenden: zwei Weltkriege innerhalb einer Generation, in denen zwischen 50 und 100 Millionen Menschen sowie Güter im Werte von mehreren Billionen vernichtet worden sind. Ich kann hierbei den Frevel der Massenvernichtung, der im letzten Krieg geschehen ist, nicht unerwähnt lassen. An 30 Millionen Menschen wurden und werden in Sklavenlager gesperrt, Millionen aus ihrer angestammten Heimat vertrieben. Hunderttausende wurden in politischen Säuberungsprozessen beseitigt. Die Flut der Revolutionen ist seit 1917 nicht mehr geschwunden. Städte liegen in Trümmern, und in den Zentren der Großstädte wuchert das Unkraut. Vollgestopfte Güterwagen rollten von der Ostzone nach Sibirien. Die Teilurig Deutschlands, die Entwicklung furchtbarster Waffen der Massenvernichtung, alles das sind die Ursachen der Spannungen in dieser Zeit. Der Hintergrund und die Folgen dieser Tatsachen sind eine gefährliche, auch für das Gemeinschaftsleben gefährliche Neurasthenie der Menschen, die alle das Gepräge der Zeit eines Überganges tragen, in der wir uns aber zu behaupten haben. Um diese Ursachen zu überwinden, brauchen wir eine offensive, tatkräftige und selbstlose Politik und ein wirkliches Format verantwortungsbewußter Menschen, die gewillt sind, in die Freiheit voranzumarschieren.
({9})
Den Weg in die Freiheit zu finden, das Fazit aus
dieser Zeit der Krisen und Katastrophen gerade in
unserem Lande zu ziehen, ist die deutsche Aufgabe.
({10})
Weil sich bei uns alles das ausgetobt hat, was die anderen erst bedroht, deshalb sind wir so hellhörig geworden.
({11})
So wächst bei uns der Mut vor der Realität der Aufgabe, die uns gestellt worden ist, indem wir als Volk mit den furchtbaren Gewalten konfrontiert sind, die aus diesem Massenzeitalter hervorzubrechen vermögen. Wir als Volk können einen wichtigen Beitrag zur Bildung der Gesetze einer freien Gesellschaft leisten,
({12})
indem wir mit unserem Schicksal fertigwerden und damit ein Beispiel geben; denn wir haben die Impulse zu bestimmen, die die Hilfe der größeren Gemeinschaft der freien Völker auslösen.
Damit bin ich bei dem deutschen Beitrag zur Überwindung der Spaltung unseres Staates. Diese Spaltung hat eine Vergangenheit in den wechselnden Konzeptionen der Siegermächte, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte. Ich will nur andeuten, daß Jalta und Potsdam Höhepunkte in der manifestierten Absicht von Konzeptionen darstellten, die eine Zerstörung gewachsener politischer Ordnungen zur Folge hatten. Das heißt, daß auf diesen von den Kommunisten beherrschten Konferenzen Ursachen gesetzt worden sind, die nun das Weltgefüge in seinen Grundlagen bedrohen. Ich denke hierbei an den Dreiklang der Begriffe Neutralisierung, Pastoralisierung - damit meine ich den Morgenthau-Plan, der die Hauptgebiete der industriellen Produktion Deutschlands in eine Ziegenweide umzuwandeln trachtete - und Dismembration Deutschlands, worunter die einen die Auflösung Deutschlands in einen uferlosen Separatismus, die andern die praktische Aufteilung Deutschlands unter die Machtbereiche der Siegerstaaten verstanden. Mit der Byrnes-Rede in Stuttgart 1946 hat diese destruktive Aera der Siegerpolitik ihr Ende gefunden,
({13})
wenn auch heute noch manche sturen und gehässigen Geister aus solchen Ideen kriegserhitzter Rachsucht ihre Auffassungen ableiten.
Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, daß heute wieder hinter der Kulisse mit den Plänen der Sowjetzone die Tendenz verfolgt wird, diese Haßgefühle und das Mißtrauen gegenüber Deutschland zu mobilisieren, indem man von kommunistischer Seite auf angebliche Rechtstitel aus der Potsdamer Übereinkunft über die wirtschaftliche und politische Verstümmelung Deutschlands hinweist. Damit entschleiert sich ein entscheidendes Ziel kommunistischer Politik, in Deutschland und, wenn möglich, in ganz Westeuropa ein Vakuum zu schaffen, das dann dem kommunistischen Zugriff risikolos offenliegt.
({14})
Die Neutralisierung Deutschlands bedeutete ein
solches Vakuum, d. h. die Schaffung der Voraussetzungen für die Gewinnung der Macht in einem
solchen Raum der vollkommenen politischen Impotenz, ohne damit irgendwie ein Risiko kriege({15})
rischer Verwicklungen einzugehen. Die VakuumPolitik der Kommunisten wurde wesentlich durch das Potsdamer Abkommen erleichtert, das die Handhabe bot, ohne Verletzung des Wortlautes eine Sowjetisierung der deutschen Mittelzone durchzuführen, während man im Kontrollrat durch das Veto jede aufbauende Politik der Westmächte zu durchkreuzen bestrebt war.
Damit komme ich zu einer Analyse der kommunistischen Strategie, die in der Ausnutzung der in Jalta und Potsdam gewonnenen Positionen so erfolgreich gewesen ist. Der Kommunismus hat das Ziel der Weltherrschaft. Er ist von seinem Ziel und der Logik seiner Erreichbarkeit nicht abzubringen. Seine Stellungswechsel beruhen immer nur auf taktischen Erwägungen. Unter diesem Aspekt ist die bolschewistische Diplomatie überhaupt eine neue, bisher kaum begriffene Form der Diplomatie, die nicht auf die Reaktion der fremden Staatsorgane berechnet ist, sondern auf die Psychologie der Massen, die sich der Kommunismus zur Erreichung seiner weltweiten Pläne gewinnen will.
Ich stelle fest, daß der Kommunismus Konferenzen als ein Forum benutzt, um zu den Massen zu sprechen und die Weltmeinung in der Richtung der kommunistischen Weltpolitik beeinflussen zu können.
({16}) Durch Appelle an die Massen sucht er die nichtkommunistischen Regierungen in ihrem Verhältnis zu deren Staatsbürgern zu unterminieren und zu schwächen und zugleich innerhalb der nichtkommunistischen Regierungen zu spalten, zu verbittern und von einer selbständigen antikommunistischen Politik abzulenken bzw. eine solche Politik zu blockieren.
({17})
So werden diese Konferenzen zur Tarnung für die Behinderung einer antikommunistischen Politik und klaren Erkenntnis der Notwendigkeit einer Abwehr. Für den Kommunisten ist der Nichtkommunist der Klassenfeind, der vernichtet werden muß, um die Absolutheit der kommunistischen Vorherrschaft und Ideologie durchzusetzen.
Wenn man diese Zusammenhänge einsieht, dann wird deutlich, warum eine verantwortungsbewußte deutsche Politik sich nicht auf ein Gespräch am runden Tisch einlassen kann. Es ist dies auch eine Frage der inneren Würde. Ich unterstreiche auch hier das Wort meines Herrn Vorredners: Man kann sich nicht mit dem Peiniger an einen Tisch setzen.
({18})
James Burnham, der bekannte amerikanische Soziologe, hat seinem Buch über die Strategie des Kalten Krieges das Motto vorangesetzt: Wer A sagt, muß auch B sagen.
({19})
- Bis zum Z! - Ein solches Gespräch mit den Handlangern des Kreml in der sowjetisch besetzten Zone hätte große Ähnlichkeit mit dem Gespräch zwischen Faust und Mephisto, das mit der Unterzeichnung des Blutpaktes enden mußte, nachdem sich Faust darauf überhaupt eingelassen hatte, mit Mephisto zu sprechen.
In den Mittelpunkt der Vorschläge ist der Konstituierende Rat gerückt worden. Darin verlangt man die Parität zwischen der sowjetisch besetzten Zone mit rund 18 Millionen Einwohnern und der rund 45 Millionen Einwohner umfassenden Bundesrepublik. Nicht legitimierte Repräsentanten eines Drittels wollen also in Parität mit reichlich zwei
Dritteln der deutschen Bevölkerung verhandeln und so schon in den Präliminarien ein Präjudiz für ein Übergewicht der Minderheit schaffen. Diese Minderheit wird wiederum von einer ganz kleinen Minorität von Usurpatoren und gekauften Leuten drangsaliert und in einer Weise repräsentiert, die in gar keinem Verhältnis zur Vertretungsvollmacht der gesamten deutschen Bevölkerung steht.
({20})
Was ist denn überhaupt der Unterschied zwischen einer Demokratie und einem totalitären System? In der Demokratie wird der Herrschaftswille aus der Mehrheit gebildet. Im totalitären System herrscht eine Minderheit, die sich auf einen Machtapparat stützt, der die Massen gefesselt und gelähmt hält wie unter einem Netz, dessen Maschen aus Terror und Propaganda im Sinne einer organisierten Massenbeeinflussung gewebt sind.
Der uns vorgeschlagene Konstituierende Rat ist ein Gremium, das ohne demokratische Legitimation ernannt werden soll. Damit soll ein Gremium geschaffen werden, das ähnlich wie die Lubliner Regierung, diese „Lubliner Junta", darauf abzielt, nichtkommunistische Vertreter in einem ungleichen Kräfteverhältnis der nur auf der Macht basierenden kommunistischen Minderheit auszuliefern und ihrer Verhandlungstaktik zu unterwerfen. Die Forderung dieser demokratisch nicht legitimierten Parität, unterstützt durch einen Machtapparat - Staatssicherheitsdienst, Volkspolizei, Denunzianten und Spitzel -, ist der Anfang einer Blockpolitik mit ihren auf nationale Phrasen gegründeten Einheitslisten, die nicht durch Wahl, sondern durch manipuliertes Plebiszit bestätigt werden soll. Mit diesem Bruch mit den demokratischen Grundvoraussetzungen ist man entschlossen, die Gutgläubigkeit zu überfahren und durch die Mittel des Terrors einen Willen herzustellen, der eine kommunistische Entscheidung hervorbringt. Nach kommunistischer Gesinnung ist mit dem Klassenfeind ein Vertrag überhaupt nur als Vorwand zu schließen, um ihn zu überlisten.
Hinter diesem System steht das, was nachher alles das „begradigt", was in verspäteter Erkenntnis dieses dolosen Verfahrens sich zur Wehr setzt, nämlich der Machtapparat, der vor keinem Mittel und vor keiner Maßnahme der Vernichtung zurückschreckt. Man benutzt die Gutgläubigkeit all derer, die den Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen versuchen. Das Endziel kommunistischer Strategie steht fest: die Einheit Deutschlands unter kommunistischer Herrschaft. Und diesem Endziele dient ein organisiertes Gespräch um die Bildung eines Gremiums, dessen Hauptaufgabe die Sowjetisierung ganz Deutschlands und in Ausführung der Warschauer und der Prager Beschlüsse die Schaffung eines Friedens ist, der Deutschland dem sowjetischen Machtbereich einverleibt. Wer diese Taktik nicht begreift, ist hoffnungslos dem kommunistischen Machtstreben ausgeliefert.
Vielleicht ist es nützlich, sich einmal die Sprachregelung für die Aufklärer der Nationalen Front über das gesamtdeutsche Gespräch anzusehen. Sie lautet:
Bei einer ganzen Reihe wirklich fortschrittlicher Demokraten und Patrioten ist teilweise Bestürzung und Verwirrung darüber entstanden, daß es den Anschein hat, als wollten wir hier in der Deutschen Demokratischen Republik unsere stolzen Errungenschaften wie die Blockpolitik an Stelle des parlamentarischen Kuhhandels der Koalitionspolitik, weiterhin die
({21})
erstmals am 15. Oktober erreichte Art von wirklich freien demokratischen Wahlen und unter Umständen noch weitere mühsam erkämpfte Errungenschaften unserer wahren Demokratie zugunsten der gesamtdeutschen Einheit aufgeben.
Mit dieser Erklärung werden die vom Landesausschuß Brandenburg der kommunistischen Natioonalen Front an die sogenannten Aufklärer herausgegebenen Propagandaanweisungen eingeleitet, die dem Informationsbüro West vorliegen.
Tatsächlich sind wir bereit,
- heißt es in den Propagandaanweisungen weiter - einen Teil dieser unserer stolzen Errungenschaften der DDR vorübergehend formal aufzugeben.
In diesen Anweisungen wird wörtlich und klipp und klar dargelegt, was beabsichtigt und wie es beabsichtigt ist. Die Aufklärer der Nationalen Front werden dann in der Propagandaanweisung aufgefordert, in ihrer Diskussion zu betonen, daß nach der marxistischen Definition der Staat das Machtmittel der jeweils herrschenden Klasse fest und seine Macht niemals in der parlamentarischen Kulisse, sondern in dem tatsächlichen, realen ökonomisch-politischen Machtverhältnis liegt. Von hier ausgehend wird das eigentliche Ziel angedeutet: Nur weil die Deutsche Demokratische Republik Westdeutschland aus wirtschaftlichen Gründen und mit Rücksicht auf das politische Endziel dringend brauche, quäle man sich noch mit dem Klotz der bürgerlichen Parteien und müsse auch bereit sein, im Interesse der Erreichung des Zieles eine Veränderung in der Form der parlamentarischen Kulisse vorzuspielen.
Alles dies ist also eine List, wie sie auf dem Hintergrund der Ihnen dargelegten bolschewistischen Taktik von jeher ausgeübt und gespielt worden ist. Diesem Verfahren haben wir unsere eigene Konzeption der Freiheit gegenüberzustellen. Alle Überlegungen im Zusammenhang mit der Wiedergewinnung der deutschen Einheit sollten von zwei Tatsachen ausgehen: erstens, daß Deutschland de jure nicht aufgehört hat, als Staat in den Grenzen des 31. Dezember 1937 zu bestehen,
({22})
und daß jede Änderung dieser Grenzen der deutschen Zustimmung bedarf und einem Friedensvertrage nicht vorweggenommen werden darf;
({23})
zweitens, daß alle Maßnahmen, die unter dem Namen „Eiserner Vorhang" zusammengefaßt werden,
gegen die Einheit Europas gerichtet sind, damit ein
im öffentlichen Bewußtsein bestehendes und durch
den Vertrag über den Europarat geschütztes Rechtsgut verletzen und daher als widerrechtlich und als
Angriff auf die Einheit Europas zu betrachten sind.
({24})
Wenn wir von dieser grundsätzlichen und - wie ich behaupten möchte - konstruktiven Konzeption ausgehen, ergeben sich alle weiteren Maßnahmen mit einer zwingenden Logik gewissermaßen von selbst. Wir begrüßen daher - ich möchte die Darlegungen, die der Herr Bundeskanzler gemacht hat, nicht wiederholen - die offensive Forderung nach wirklich freien Wahlen und - das ist das Entscheidende - die daran geknüpfte Forderung, ein Klima der Freiheit als Voraussetzung dieser Wahlen zu schaffen.
({25})
Die einzelnen Voraussetzungen möchte ich hier nicht noch einmal darlegen, um nicht in die Gefahr zu geraten, daß diese so wichtigen und wohl zu überlegenden Dinge zerredet werden. Aber ich Lin der Überzeugung daß die Offensive gegenüber den
Aggressionsabsichten der kommunistischen Strategie, eine Offensive mit der Forderung freier Wahlen und der Forderung, die Voraussetzungen dazu zu schaffen, die andere Seite in die Lage versetzen sollte, nun Farbe zu bekennen, Antwort zu geben, ob ja oder nein, ob man also das, was man sagt, wirklich will oder nicht.
({26})
Das Wort hat der Abgeordnete Loritz.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der WAV gestatte ich mir, Ihnen folgende Erklärung zur Kenntnis zu bringen:
Die WAV-Fraktion hat seit jeher mit aller Entschiedenheit die Einigung des deutschen Volkes über alle Zonengrenzen hinweg gefordert. Wir wissen, daß dies auch das Ziel der überwältigenden Mehrheit des deutschen Volkes ist. Das deutsche Volk gehört zusammen! Die unnatürlichen Zonen- und Gewaltgrenzen, die uns von den Siegermächten in völliger Verkennung ihrer moralischen Verpflichtungen gegenüber der ganzen Welt auferlegt wurden, müssen so rasch als möglich verschwinden. Wir berufen uns in diesem Zusammenhang auch auf die Erklärungen führender alliierter Staatsmänner, so z. B. des britischen Premierministers Chamberlain vom 4. September 1939, der ausdrücklich erklärt hat: „In diesem Kriege kämpfen wir nicht gegen euch Deutsche, nicht gegen das deutsche Volk, gegen das wir keine feindlichen Gefühle hegen". Wir berufen uns ebenso auf die Atlantik-Charta, die, von den Alliierten selbst unterzeichnet, folgende Sätze enthält:
Die Alliierten streben keine Bereicherung an,
weder in territorialer noch in anderer Hinsicht.
. . . . Sie wünschen keine territorialen Veränderungen zu sehen, die nicht im Einklang
stehen mit dem in Freiheit ausgedrückten
Willen der betreffenden Völker selbst.
Wir erinnern ferner an die vier Freiheiten Roosevelts und an seine Botschaft an die amerikanischen Bischöfe, wo es heißt:
Im Siege werden wir nicht Rache suchen, sondern die Errichtung einer internationalen Ordnung, in welcher der Geist Christi die Herzen der Menschen und Völker regieren soll.
Und Truman schrieb an den Papst:
Wir glauben an den Sieg der Wahrheit und Sittlichkeit. Unser gemeinsames Ziel ist es, diesen Glauben der Menschen aufzurufen und zu stärken, um die ewigen Werte für unser Geschlecht zu sichern.
Die Alliierten - ich wiederhole: die Alliierten selber - haben mit diesen Erklärungen das Recht auf Zusammengehörigkeit aller Deutschen feierlich zuerkannt.
Um diese Einigung des deutschen Volkes herbeizuführen, muß alles versucht werden, wenigstens ein Gespräch über die gesamtdeutschen Fragen zustande zu bringen, zu welchem auch die Vertreter aller politischen Parteien zuzuziehen sind. Wir in Westdeutschland können es zu einem Zeitpunkt, in dem sogar die amerikanische, britische und fran({0})
zösische Regierung ein Gespräch mit den russischen Kommunisten eingeleitet haben, nicht ablehnen, eine Aussprache mit Deutschen aus der Ostzone herbeizuführen.
({1})
Wenn wir ein Gespräch mit Deutschen aus der Ostzone ablehnen, geben wir lediglich den Kommunisten die Propagandawaffe gegen uns in die Hand, die sie brauchen und suchen.
({2})
Wir wissen, genau wie die Westmächte, daß Gespräche mit Kommunisten mit allergrößter Vorsicht geführt werden müssen. Wir verlangen, daß bei diesen Gesprächen von seiten der Bundesregierung mit aller Klarheit gefordert wird: freie Wahlen in Gesamtdeutschland, und zwar unter Aufsicht nicht alliierter, neutraler Staaten; freie Zulassung und Wirkungsmöglichkeit aller politischen Parteien auch in der Ostzone, Aufhebung jeder Art von politischer Justiz, ganz egal ob in der Ostzone oder in Westdeutschland, und - als allerwichtigste Forderung - die Erklärung, daß keine deutsche Regierung befugt war oder ist, irgendeinen Verzicht auf die deutschen Gebiete im Osten oder im Westen oder einen Verzicht auch nur auf deutsche Hoheitsrechte in diesen Gebieten zu erklären. Die Welt muß einsehen, daß ein wiedervereinigtes, in seinen alten Grenzen wiederhergestelltes Deutschland für den Westen wie für den Osten ein besserer Garant des Friedens ist als ein durch unnatürliche Grenzen entzweigerissenes, blutendes Land und vergewaltigtes Volk. Frieden und Freiheit für Deutschland bedeuten zugleich Frieden und Freiheit für die ganze Welt! Bei einem kommenden Gespräch wird es die Hauptaufgabe der westdeutschen Regierung und aller westdeutschen Parteien sein, den ostzonalen Vertretern klar und deutlich die Frage zu stellen: Wollt ihr mit uns in Westdeutschland diesen deutschen Standpunkt nach jeder Seite hin eindeutig vertreten oder nicht?
({3})
Gerade und allein schon um eine klare Beantwortung dieser Frage durch die Vertreter der ostzonalen Regierung zu erzwingen, ist die Aufnahme der Besprechungen mit den ostdeutschen Vertretern das Gebot der Stunde für jeden Deutschen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Mittelpunkt unseres ganzen Denkens
({4})
muß eines stehen: das deutsche Volk und das deutsche Vaterland!
({5})
Für die kommunistische Fraktion hat das Wort Herr Abgeordneter Fisch.
({0})
Meine Damen und Herren! Der bisherige Verlauf der heutigen Sitzung
({0})
hat erwiesen, daß dieser Debatte die Aufgabe zugeteilt ist, den amerikanischen Standpunkt zur kommenden Viererkonferenz der Großmächte im deutschen Volke zu propagieren.
({1})
Man muß feststellen, daß der Vertreter der sozialdemokratischen Fraktion, Herr Dr. Schumacher, sich dieser Aufgabe der Propagierung des amerikanischen Standpunktes mit besonderer Vehemenz, mit größerer Demagogie entledigt hat als selbst Herr Bundeskanzler Adenauer.
({2})
Herr Abgeordneter Fisch, der Ausdruck Demagogie ist in diesem Hause nicht üblich. Ich rufe Sie zur Ordnung!
Meine Damen und Herren! Am 30. November 1950 hat der Ministerpräsident der Deutschen Demokratischen Republik, Otto Grotewohl, ein Schreiben an den Bundeskanzler Dr. Adenauer gerichtet, in dem er ihm vorschlug, gemeinsame Besprechungen über die Bildung eines gesamtdeutschen Konstituierenden Rates einzuleiten. Der Vorschlag Otto Grotewohls war ein Versuch, den Zustand der Spaltung Deutschlands zu überwinden,
({0})
der herbeigeführt worden ist durch den Bruch des Potsdamer Abkommens durch die Westmächte und durch die Errichtung eines separaten westdeutschen Staatsgebildes.
({1})
Im Osten und im Westen Deutschlands ist damals
({2})
dieser großzügige und an keine Bedingungen geknüpfte Schritt Grotewohls aus allen Schichten der Bevölkerung aufrichtig begrüßt worden.
({3})
Herr Adenauer hat damals sieben Wochen gebraucht, um sich zu dem Grotewohl-Vorschlag auch nur zu äußern. Er tat das schließlich in einer Form, die offensichtlich erkennen ließ, daß er mit den Menschen im Osten Deutschlands überhaupt kein Gespräch will. Herr Adenauer hat gezeigt, daß ihm das Vertrauensverhältnis zu Herrn McCloy wichtiger ist als die Wiederherstellung eines Vertrauensverhältnisses zu den Deutschen diesseits und jenseits der künstlich gezogenen Zonengrenze.
({4})
Es ging Herrn Adenauer bei seinem Nein zum Vorschlag Grotewohls aber um mehr noch als um besagtes Vertrauensverhältnis zu Mr. McCloy. Es ging ihm darum, in der Hauptfrage der amerikanischen Politik in Westdeutschland fertige Tatsachen schaffen zu können, die er durch keinerlei gesamtdeutsche Gespräche stören lassen wollte.
Er wollte die Remilitarisierung, er wollte die totale Eingliederung Westdeutschlands in den Rüstungsplan der Atlantikpaktmächte so schnell wie möglich vollziehen. Das beweisen seine Handlungen. Er schickte ehemalige Nazigenerale auf den Petersberg, die dort Geheimverhandlungen über die Aufstellung deutscher Brigaden unter amerikanischem Kommando führen. Er beschleunigte
({5})
0 gemäß den Direktiven der New Yorker Außenministerkonferenz die Aufstellung einer motorisierten Bürgerkriegsarmee unter dem irreführenden Namen einer Grenzschutzbehörde.
({6})
Herr Abgeordneter Fisch, Sie behaupten, daß unter dem Namen Grenzschutzpolizei eine Bürgerkriegsarmee aufgestellt wurde. Es handelt sich um einen Beschluß des Deutschen Bundestages, den Sie in einer unmöglichen Weise kritisieren. Ich rufe Sie zum zweitenmal zur Ordnung und mache Sie auf die Folgen eines dritten Ordnungsrufes aufmerksam.
({0})
Herr Präsident, ich darf mir doch wohl eine politische Kommentierung eines Gesetzes erlauben.
Ich habe keine Veranlassung, Herr Abgeordneter Fisch, mich mit Ihnen in Debatten einzulassen. Sie haben die Möglichkeit, im Rahmen der Geschäftsordnung gegen einen Ordnungsruf Einspruch zu erheben.
Der Bundeskanzler besorgte sich ein Ermächtigungsgesetz für die Überleitung der gewerblichen Wirtschaft in die Kriegswirtschaft. Sein Verkehrsminister gab die Anweisung, dafür Sorge zu tragen - so wenigstens haben wir es in der Presse gelesen -, daß den Amerikanern die Baupläne der bayerischen Mainbrücken ausgeliefert werden, damit alle Vorbereitungen zur Sprengung dieser Brücken getroffen werden können.
Der Herr Bundeskanzler verpflichtete sich in 0 seinem Schreiben vom 6. März, ohne den Bundestag zu fragen, alle Wünsche nach Lieferung von Rohstoffen und anderen Wirtschaftsgütern, die für die Kriegsrüstung der Westmächte von Bedeutung sind, zu befriedigen, ohne Rücksicht darauf, ob diese mit einer rigorosen Einschränkung des zivilen Verbrauchs der deutschen Bevölkerung erzwungen wird. Ebenfalls ohne das Haus zu fragen, fand er sich zur Anerkennung einer ungeheuerlichen Milliardenlast von Auslandsschulden bereit, wodurch den amerikanischen Konzernherren Tür und Tor für die Aneignung wirtschaftlicher Schlüsselpositionen in Westdeutschland geöffnet wurde.
Es ist klar, daß, wer eine solche Politik betreibt, allem abgeneigt ist, was geeignet ist, die Remilitarisierung Westdeutschlands zu verhindern und eine Verständigung der Deutschen in Ost und West herbeizuführen. Das, meine Damen und Herren, ist der Grund, weshalb sich Dr. Adenauer zusammen mit Herrn Ollenhauer mit Herrn Eisenhower in geheimen Besprechungen unterhielt,
({0})
um dort Fragen im Zusammenhang mit
({1})
der Bereitstellung von Hunderttausenden junger Deutscher für fremde Kriegsdienste zu erörtern. Er tat das lieber, als sich auch nur einmal mit Vertretern der Deutschen Demokratischen Republik an einen Tisch zu setzen.
({2})
Ein solches Verhalten aber widerspricht zutiefst den Lebensinteressen unseres Volkes. Ein solches Verhalten wird von allen Deutschen, die den Frieden wollen und die Remilitarisierung ablehnen, verurteilt.
Um alle Möglichkeiten einer Verständigung in dieser ernsten Stunde auszuschöpfen, hat sich die Volkskammer am 30. Januar 1951
({3})
erneut mit einem eindringlichen Appell an dieses Haus, den Bundestag der Bundesrepublik Deutschland, gewandt: Wiederum wird der Vorschlag gemacht, gemeinsam einen gesamtdeutschen Konstituierenden Rat zu schaffen. Herr Dr. Schumacher hat es in seiner Rede für angebracht gehalten, diesem Konstituierenden Rat Funktionen und Kompetenzen zu unterschieben,
({4})
die ihm von keiner Seite der Deutschen Demokratischen Republik jemals zugeschrieben worden sind. Er sprach davon, daß beabsichtigt sei, dem Konstituierenden Rat das Recht, als regierendes Organ zu fungieren, einzuräumen, das Recht der Gesetzgebung und der Regierungsbildung.
({5})
Ich zitiere daher wörtlich, welche Funktion im Vorschlag Otto Grotewohls dem Konstituierenden Rat zugewiesen worden ist:
({6})
1. die Bildung einer gesamtdeutschen souveränen, demokratischen, friedliebenden, provisorischen Regierung vorbereiten;
2. den Regierungen der USSR, der USA, Großbritanniens und Frankreichs die entsprechenden Vorschläge zur Bestätigung unterbreiten;
3. die genannten Regierungen bis zur Bildung einer gesamtdeutschen Regierung
- bis zur Bildung einer gesamtdeutschen Regierung, ich unterstreiche das! ({7}) bei der Ausarbeitung eines Friedensvertrages konsultieren;
4. die Bedingungen zur Durchführung freier gesamtdeutscher Wahlen für eine Nationalversammlung vorbereiten.
({8})
Ich glaube, daß dieser Text etwas anderes besagt als die willkürlichen Erfindungen des Herrn Dr. Schumacher, die er in bezug auf den Konstituierenden Rat in seiner Rede vorgetragen hat.
({9})
Worum handelt es sich also, meine Damen und Herren? Darum, die Verständigung zwischen den Deutschen herbeizuführen, um die Remilitarisierung und damit Tod und Vernichtung für Millionen von Deutschen zu verhindern.
({10})
Das Volk hat mit großer Sorge beobachtet, wie in den letzten Wochen eine Kriegsmaßnahme nach der der anderen abrollt,
({11})
die die Bevölkerung in äußerste Unruhe versetzen.
({12})
Wir hören von der bevorstehenden Steigerung der Besatzungskosten auf 10,7 Milliarden DM, auf über zwei Drittel der gegenwärtigen Einnahmen des Bundes. Wir registrieren die geplante Schaffung von zunächst 20 bis 25 westdeutschen Kampfverbänden, die einen weiteren Mehraufwand von 12 bis 15 Milliarden DM erfordern würden. Wir erlebten die Bewilligung der ersten Rate in Höhe
({13})
von 350 Millionen DM zur Finanzierung einer westdeutschen Bürgerkriegsarmee.
({14})
Wir verzeichnen die rigorose Verschleuderung lebenswichtiger deutscher Rohstoffe für die Rüstungsbedürfnisse des Westblocks. Wir erleben die Verknappung der Waren des friedlichen Bedarfs und das ständige Ansteigen der Preise und sehen nun, wie die Bundesregierung beabsichtigt, zur Sicherung dieser Wirtschaftspolitik sich sogar ein Ermächtigungsgesetz zu verschaffen, wie es nach dem Art. 48 der Weimarer Verfassung von Brüning und Papen, den Wegbereitern des Faschismus, gehandhabt wurde. Wir erleben das Heranrollen einer ungeheuerlichen Steuerlawine, die das Volk zu erdrücken droht, und wir erleben schließlich die Drosselung bzw. Einstellung aller Ausgaben, die für den zivilen Wohlstand unseres Volkes erforderlich wären.
Jawohl, Herr Dr. Schumacher, Sie sprachen davon, man müsse die Bedürfnisse einer sozialen Politik in Rechnung stellen, das unterstreiche die Stärke Deutschlands. Aber ich frage: Woher sollen die Mittel für den Wohnungsbau, für den Lastenausgleich, für die Erhöhung der Renten, für soziale und kulturelle Zwecke denn eigentlich genommen werden, wenn Sie sich durch Ihre Politik verpflichten, die Steuergelder, das Nationalvermögen unseres Volkes, für die amerikanische Kriegsrüstung, für Besatzungskosten und für deutsche Divisionen bereitzustellen?
({15})
Wir werfen vor dem ganzen deutschen Volk die Frage auf: Wie kann dieser verhängnisvollen Entwicklung Einhalt geboten werden? Darum hat sich die Kommunistische Partei anläßlich der Vorschläge der Volkskammer die Frage vorgelegt, was sie ihrerseits tun kann, um das Zustandekommen einer gesamtdeutschen Verständigung zu erleichtern, um die Remilitarisierung zu verhindern und unserem Volk noch in diesem Jahr zu einem Friedensvertrag zu verhelfen. Meine Damen und Herren! Die Kommunistische Partei ist der Meinung, daß der in dem Brief Otto Grotewohls und in dem Appell der Volkskammer vorgeschlagene gesamtdeutsche Konstituierende Rat eine einheitliche, den Interessen des ganzen deutschen Volkes entsprechende Linie in allen wesentlichen, noch offenstehenden Fragen beraten und erarbeiten kann.
In den Erklärungen des Bundeskanzlers spielt immer wieder die Frage der Schaffung einer rechtsstaatlichen Ordnung eine Rolle, auch heute wieder. Nun wohl, Herr Bundeskanzler, man kann darüber streiten, was unter einer rechtsstaatlichen Ordnung zu verstehen ist. Man kann z. B. verschiedener Meinung darüber sein, ob es einer rechtsstaatlichen Ordnung entspricht, wenn, wie es vorgestern in diesem Hause geschah, die Regierung über eine Abstimmungsniederlage im Parlament einfach zur Tagesordnung übergeht, als ob nichts geschehen sei.
({16})
Man kann darüber streiten, ob die Verordnung des Bundeskabinetts vom 19. September 1950, wonach alle Menschen mit nicht petersbergischer Gesinnung aus dem öffentlichen Dienst zu entlassen sind, einer rechtsstaatlichen Ordnung entspricht. Offensichtlich sind selbst die westdeutschen Gerichte in dieser Frage anderer Auffassung als Sie, Herr Bundeskanzler. Man kann auch darüber streiten, ob die
Zulassung der zügellosen Betätigung kriegstreiberischer Elemente, ob die Einkerkerung von Hunderten von Kämpfern für den Frieden, ob die gesetzwidrige Entlassung Dutzender von Betriebsräten, die sich für die Interessen ihrer Kollegen und für den Frieden einsetzen,
({17}) oder ob etwa die Aufstellung einer Proskriptionsliste von 30 000 Menschen in Westdeutschland, denen nach Weisung des Petersberges die deutschen Behörden keine Pässe ausstellen dürfen,
({18})
etwas mit einer rechtsstaatlichen Ordnung zu tun haben. Herr Adenauer und auch Herr Euler verlangen vom Osten die sogenannte Informationsfreiheit, die Freiheit der Parteibildung etc.
Ich muß Herrn Euler in Schutz nehmen. Er hat heute noch nicht gesprochen.
Aber er hat das in seiner Erklärung anläßlich des Volkskammerappells getan. Ich habe das gelesen. - Ich frage Sie darum, meine Damen und Herren, sind diese Grundsätze, deren Anwendung man als Bedingung für den Osten stellt, hier in-1 Westen eingehalten worden, hier, wo man der Kommunistischen Partei ihr Parteihaus wegnahm, wo man ihr sämtliche Zeitungen verbot, wo man Druckerzeugnisse aus dem Osten beschlagnahmt und wo man für den großen Patrioten unseres Volkes Max Reimann
({0})
ein Ausnahmerecht geschaffen hat, um ihn aus dem politischen Leben auszuschalten?
({1})
Wir glauben, daß man sich im Gesamtdeutschen Konstituierenden Rat wohl darüber verständigen kann, welches die einfachsten Grundsätze einer rechtsstaatlichen Ordnung und einer freiheitlichen Regierungsform sein sollen, die in ganz Deutschland anwendbar sind.
Herr Adenauer hat heute erklärt, daß ihn die Existenz der Volkspolizei in der Deutschen Demokratischen Republik an der Aufnahme des gesamtdeutschen Gesprächs hindere. Wir sind der Meinung, daß der Gesamtdeutsche Konstituierende Rat darüber beraten und beschließen kann, wie die Stärke, die Bewaffnung und Verteilung der Polizei in ganz Deutschland sein soll
({2})
und welche Möglichkeiten der Verringerung des ziffernmäßigen Bestandes der Polizei in beiden Teilen Deutschlands nach gemeinsam vereinbarten einheitlichen Grundsätzen bestehen.
({3})
Herr Adenauer und Herr Schumacher gebärden sich empört über das in der Deutschen Demokratischen Republik beschlossene Gesetz zum Schutz des Friedens. Sie haben, Herr Bundeskanzler, offensichtlich dabei vergessen, daß sich zur selben Zeit, in der Sie sich darüber beklagen, der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht des Deutschen Bundestags mit dem strafrechtlichen Delikt des Friedensverrats befaßt und gerade dabei ist, entsprechend Art. 26 des Grundgesetzes gesetzliche Grundlagen für die Bestrafung der Propagierung eines Angriffskrieges auszuarbeiten. Wir sind deshalb der Meinung, daß man sehr wohl über ein Gesetz zum Schutz des Friedens beraten kann,
({4})
das einheitlich in ganz Deutschland in Kraft gesetzt werden könnte.
Nun zu den politischen Gefangenen. Ich bin davon überzeugt, daß, wenn Herr Kaiser und das Ostbüro der SPD aufhören werden, ihre sogenannten Selbstschutzleute und Agenten in das Gebiet der DDR zu schicken, um dort Unfrieden und Sabotage zu stiften, es keine Verhaftungen mehr geben wird.
({5})
Die Kommunistische Partei erklärt im übrigen, daß der Gesamtdeutsche Rat auch Maßnahmen zur Sicherung der Rechtseinheit und im besonderen zur Sicherung einheitlicher Grundsätze im Strafrecht beraten und beschließen kann.
({6})
Auch über die Ausarbeitung einer provisorischen Verfassung eines einheitlichen, demokratischen und unabhängigen Deutschlands könnte man sich im Konstituierenden Rat verständigen, wobei die beiden bestehenden Verfassungen im Osten und im Westen Deutschlands als Grundlage benutzt werden könnten.
({7})
Meine Damen und Herren! Ebenso kann und sollte sich nach Meinung der Kommunistischen Partei der Gesamtdeutsche Konstituierende Rat befassen mit der Ausarbeitung gemeinsamer Grundsätze für die Verhinderung der Remilitarisierung, für eine einheitliche Außenpolitik, für die Erweiterung des deutschen Binnenhandels und die Entwicklung eines freien ungehinderten Außenhandels, über Maßnahmen zur Herstellung der Einheit auf finanziellem Gebiet, insbesondere zur Wiederherstellung einer einheitlichen Währung, auch über die Verteilung der Arbeitsplätze mit dem Ziel, allen Werktätigen ganz Deutschlands Arbeit zu sichern, über gleichartige Arbeitsbedingungen und Löhne
({8})
sowie gleichartige Grundsätze der Besteuerung. Schließlich hält es die Kommunistische Partei für notwendig, sich über gemeinsame Grundsätze für die Durchführung allgemeiner, gleicher, freier, geheimer und direkter Wahlen zu einer gesamtdeutschen Nationalversammlung zu verständigen.
({9})
Allerdings sind wir dabei hinsichtlich des Verfahrens anderer Auffassung als Herr Schumacher.
({10})
Herr Schumacher betrachtet die Frage der gesamtdeutschen Wahlen als eine Angelegenheit, die unter dem Protektorat der Besatzungsmächte durchgeführt werden soll. Offensichtlich gehört er zu den Menschen, die sich das Leben ohne Besatzungsmächte überhaupt nicht mehr vorstellen können.
({11})
Wir sind der Meinung, daß es nicht Sache der Viermächtekonferenz ist, über die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen zu beschließen. Von der Viermächtekonferenz erwarten wir, daß sie sich hinsichtlich der Vorbereitungen des Abschlusses eines Friedensvertrags noch im Jahre 1951 einigt und daß sie dafür sorgt, daß die Besatzungsmächte möglichst bald verschwinden. Aber die Schaffung eines demokratischen Wahlgesetzes und die Durchführung demokratischer Wahlen sind Sache der Deutschen selbst. Wir sind der Meinung, daß beispielsweise -
Herr Abgeordneter, ich bitte zum Schluß zu kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich bitte um noch eine Minute. - Ich kann mir vorstellen, daß beispielsweise die Wahlordnung, mit der die Berliner Wahlen vom Jahre 1946 durchgeführt wurden, eine brauchbare Grundlage für ein demokratisches Wahlgesetz für ganz Deutschland darstellt.
({0})
- Im Vorschlag der Volkskammer, Herr Kollege Neumann, den Sie vielleicht doch einmal lesen sollten, heißt es darüber:
Die Vertreter der Deutschen Demokratischen Republik im Gesamtdeutschen Konstituierenden Rat werden bevollmächtigt sein, gemeinsam mit den Vertretern der Bundesrepublik die Bedingungen für die Durchführung freier, allgemeiner, gleicher, geheimer und direkter Wahlen in ganz Deutschland zu beraten, wobei
- und nun, Herr Neumann, bitte, schreiben Sie mit, falls Sie es noch nicht gelesen haben! sowohl die Vorschläge der Bonner Regierung wie auch die Vorschläge, die von den Vertretern der DDR gemacht werden, berücksichtigt werden sollen.
Ich glaube, Sie müssen mir recht geben, wenn ich sage, daß das, was ich hier aus dokumentarischen Belegen zitiere, in schroffem Widerspruch zu den Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Dr. Schumacher steht.
({1})
Im übrigen möchte ich dem Herrn Bundeskanzler den Vorschlag machen,
({2})
sein Prinzip der freien, geheimen Wahlen in der entscheidenden Frage anzuwenden, um deren Lösung heute unser Volk bangt. Er möge eine freie Volksabstimmung über die Remilitarisierung durchführen!
({3})
Das ist eine demokratische Abstimmung.
({4})
Herr Abgeordneter, bringen Sie mich nicht in die Lage, Ihnen das Wort entziehen zu müssen.
Ich bin sofort fertig.
({0})
Ich. möchte mich also kurz fassen und zum Schluß kommen. Meine Damen und Herren, ich möchte hier mit aller Deutlichkeit sagen: Heute zeigen die Menschen draußen
({1})
ihren Unwillen gegen Bonn, ihren Unwillen gegen eine Regierung, die sich, statt Wege der Verständigung zu suchen, bedingungslos dem Kurs vom Petersberg verschrieben hat.
({2})
({3})
Aber schon entsteht aus dem Unwillen des Volkes etwas ganz anderes: Wenn sich erst die Arbeiterschaft in der Aktionseinheit zum gemeinsamen Handeln findet, wenn sich unser Volk erst der fürchterlichen drohenden Gefahren des Krieges und des Bruderkrieges bewußt wird,
({4})
dann wird es seine ganze Kraft aufwenden, um diejenigen zu beseitigen, die sich dem Willen des Volkes widersetzen.
({5})
Herr Bundeskanzler, Sie glauben ({6})
Herr Abgeordneter Fisch, ich entziehe Ihnen das Wort. Sie sprechen jetzt bereits 5 Minuten über die Zeit.
Herr Präsident, ich erinnere daran, - ({0})
Ich habe Ihnen das Wort entzogen, Herr Abgeordneter Fisch.
Ich möchte noch eine Entschließung verlesen.
({0})
Ich entscheide, Sie beschränken sich darauf, einen Antrag, den Sie vor sich haben, zu verlesen. Daran hindere ich Sie nicht.
({0})
- Herr Abgeordneter Rische, dieser Zwischenruf könnte mich dazu verführen, das nächste Mal anders zu verfahren.
Ich verlese hiermit den Antrag meiner Fraktion:
In Sorge um den Frieden und die Zukunft unseres Vaterlandes, im Wunsche, dem Willen des Volkes Rechnung zu tragen, das sich gegen die Remilitarisierung ausgesprochen hat, im Bewußtsein der Verantwortung um die nationale Existenz und den sozialen Wohlstand unseres Volkes beschließt der Bundestag:
1. Der Vorschlag der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik vom 30. Januar 1951 wird angenommen.
({0})
2. Der Bundestag richtet an die Vorkonferenz der Stellvertreter der Außenminister der vier Mächte in Paris den Vorschlag, auf die Tagesordnung der Konferenz der Außenminister die Frage der Vorbereitung und des Abschlusses eines Friedensvertrages mit Deutschland noch im Jahre 1951 zu setzen. Der Friedensvertrag sollte auf folgenden Grundlagen beruhen:
Entmilitarisierung und Demokratisierung Deutschlands, Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, Gewährung eines freien Außenhandels und einer freien Entwicklung der Produktion für friedliche Zwecke, Abzug der Besatzungstruppen ein Jahr nach Unterzeichnung des Friedensvertrages.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Tichi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für uns bedeutet die heutige Erklärung des Herrn Bundeskanzlers, die er im Namen der Bundesregierung abgegeben hat, mehr, als man annimmt. Drüben in der Sowjetzone leben und tragen ihr Schicksal schwer 5 Millionen Heimatvertriebene, Menschen, die die heiße Sehnsucht haben, mit ihren 9 Millionen Schicksalsgefährten in den westdeutschen Ländern vereinigt zu sein. Diese seelische Verbundenheit ist nicht nur durch landsmannschaftliche, sondern oft auch durch familiäre Bande bedingt. Tausende dieser Schicksalsgenossen aus dem Osten strömen seit Jahren illegal nach Westdeutschland, um hier eine ruhigere Heimat zu finden. Auch wir in den westdeutschen Ländern, die wir etwas glücklicher leben als unsere Brüder jenseits des Eisernen Vorhangs, haben die gleiche und ebenso heiße Sehnsucht, mit unseren Schicksalsgefährten aus dem Osten vereinigt zu sein. Dies wollte ich in dieser entscheidensten Stunde unseren Brüdern drüben in der Sowjetzone und auch in Berlin sagen. Wir sind mit ihnen untrennbar verbunden und werden einst mit ihnen in einem Staat der Freiheit in Schicksalsverbundenheit zusammenleben, auch jenseits der Oder-Neiße-Linie und im Sudetenland.
({0})
Meine Damen und Herren! Wenn man die Stimmen zur Pariser Vorkonferenz verfolgt, so ergibt sich, daß es der Wunsch der Mehrheit der beteiligten Mächte zu sein scheint, über eine zu schaffende Einheit Deutschlands als Vorbedingung des Friedensvertrages mit Deutschland zu verhandeln. Ich unterstreiche mit aller Deutlichkeit die Forderung des Herrn Dr. Schumacher in seiner heutigen glänzenden Rede: Man kann nicht ohne Deutschland, man muß mit Deutschland beraten!
Wir glauben deshalb, daß die Entscheidung über die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands nicht allein in die Hände der Viermächtekonferenz gelegt werden darf. Wir müssen selbst alles tun und nichts unversucht lassen, daß an den Verhandlungen über den Friedensvertrag mit Deutschland die Deutschen durch ihre legitimen Vertreter teilnehmen. Es wäre für das deutsche Volk beschämend, wenn die Vertreter Deutschlands bei den Friedensverhandlungen die gleiche traurige Rolle spielen müßten wie bei den Friedensverhandlungen in Versailles, wo sie nur stumme Befehlsempfänger waren. Mit Rücksicht auf die derzeitige außenpolitische Lage sind heute die Bedingungen für die Deutschen wesentlich günstiger, als sie im Jahre 1919 waren.
Wir wünschen deshalb ehrlich und aufrichtig freie, allgemeine, gleiche gesamtdeutsche Wahlen aus freiem Entschluß des deutschen Volkes, natürlich unter Voraussetzungen, die erst geschaffen werden müßten und die die Freiheit dieser Wahlen sichern müßten.
Wir begrüßen die Erklärung der Bundesregierung und werden ihr zustimmen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Seelos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es würde den Sinn und den Eindruck dieser Kundgebung vor der deutschen und vor der Weltöffentlichkeit mindern, wenn man die ein({0})
deutige Erklärung der Bundesregierung zerreden würde. Die Bayernpartei hat sich nie gesamtdeutschen Notwendigkeiten verschlossen. Die erste gesamtdeutsche Notwendigkeit ist die Vereinigung mit unseren deutschen Brüdern im Osten, ist die deutsche Einheit in Freiheit. Die Bayernpartei stellt sich daher ohne einschränkenden Vorbehalt hinter die Erklärungen der Bundesregierung.
({1})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wessel.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich möchte an den Schluß der Rede anknüpfen, die Herr Kollege Dr. Schumacher gehalten hat, denn unter den Fragen, die heute das deutsche Volk bewegen und sein politisches Interesse wachhalten, stehen ohne Zweifel die Frage nach der Wiedergewinnung der deutschen Einheit und die Frage nach den Möglichkeiten ihrer Verwirklichung im Vordergrund unserer Betrachtungen in diesem Hohen Hause. Von der deutschen Einheit hängt nicht nur die nationale, kulturelle und geistige Verbundenheit der Deutschen in allen vier Besatzungszonen ab, mit ihr würden auch die gemeinsamen wirtschaftlichen Kräfte wirksam werden können - und wer würde das bei den wirtschaftlichen Schwierigkeiten, denen sich die Bundesregierung und in weit größerem Maße auch die Menschen in der sowjetisch besetzten Zone gegenübersehen, nicht wünschen -, die uns eine, wenn auch bescheidene, aber doch einigermaßen ausreichende Existenzgrundlage bieten.
Die Zentrumsfraktion begrüßt es deshalb, daß sich die Bundesregierung mit ihrer heutigen Erklärung in so positiver Weise zur deutschen Einheit bekannt und in der Forderung nach gesamtdeutschen freien Wahlen auch den Weg dazu gezeigt hat. In diesem Bemühen werden meine politischen Freunde und ich die Bundesregierung jederzeit unterstützen, weil wir der Auffassung sind, daß die Wiedergewinnung der deutschen Einheit eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür ist, daß das Spannungsfeld Europa endlich zur Ruhe kommt, im Kampf um den Frieden der Kalte Krieg besiegt und den Völkern die Angst vor einem neuen „heißen Krieg" in Europa, wie es in der Sprache der Diplomaten heute heißt, genommen wird.
Aus dieser Haltung heraus hat die Zentrumsfraktion an der Beratung der uns vorliegenden gemeinsamen Erklärung der Parteien dieses Hohen Hauses teilgenommen, und sie stimmt ihr auch zu, weil sie der Auffassung ist, daß wir über die Zonengrenzen hinweg vor aller Welt deutlich machen müssen, daß es in der Frage des Willens zur deutschen Einheit unter Deutschen keine Meinungsverschiedenheiten gibt.
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Auch die Bundesregierung wird sich darüber nicht täuschen dürfen, daß ihre Tätigkeit wesentlich danach beurteilt wird, ob sie unter Ausschöpfung der vorhandenen Möglichkeiten und durch ihre Maßnahmen bewiesen hat, daß ihr Streben nach der gesamtdeutschen Einheit ein unverrückbares Ziel ihrer politischen Handlungen ist.
Trotz ihrer positiven Haltung zu der Ost-WestFrage gibt sich die Zentrumsfraktion nicht der Täuschung hin, daß es allein von uns Deutschen
abhängen würde, ob und wann wir die deutsche Einheit erreichen werden. Das sei auch den Menschen in der Ostzone gesagt, die da glauben, es hänge nur vom guten Willen der Bundesregierung und des Bundestags ab, diese deutsche Einheit herbeizuführen. - Von meinen Vorrednern ist eine Reihe von Gründen dargelegt worden, die die dabei zu überwindenden Schwierigkeiten aufzeigten.
Die Frage der deutschen Einheit ist heute eine der Fragen, die im Spannungsfeld der europäischen und Weltpolitik liegen. Die Entscheidung darüber ist nicht ohne oder gar gegen den Willen der Besatzungsmächte möglich, aber es ist das Recht und die Pflicht der Deutschen, den Besatzungsmächten gegenüber auszusprechen, daß es ihre Verpflichtung ist, auch dem deutschen Volk gegenüber jene Grundsätze durchzuführen, die sie während des Krieges als ihre Kriegs- und Friedensziele der Welt bekanntgegeben haben, nämlich den Völkern ein staatlich selbständiges, unabhängiges und friedliches Leben zu ermöglichen, das frei von Furcht, frei von Not und frei von Bedrückung ist. Sogar noch auf der Konferenz von Jalta am 11. Februar 1945 haben sich die drei an der Konferenz teilnehmenden Regierungen, nämlich die Amerikas, Englands und Sowjetrußlands, verpflichtet, auf Grund der Ergebnisse freier Wahlen Regierungen in Europa einzusetzen, die sich nach dem Willen des Volkes richten und, wo dies notwendig sein sollte, Beistand in der Abhaltung solcher freien Wahlen zu leisten. Bundesregierung und Bundestag stehen somit mit ihren Forderungen nach freien gesamtdeutschen Wahlen ganz auf dem Boden dessen, was die Besatzungsmächte als ihre Grundlage für den politischen Aufbau Europas und Deutschlands dargelegt haben.
Nun scheint es meinen politischen Freunden und mir notwendig zu sein, den Besatzungsmächten gegenüber - wie es auch von den Vorrednern schon geschehen ist - nochmals hervorzuheben, was ein wesentliches Merkmal der Friedensziele der Vereinten Nationen ist, nämlich die Voraussetzungen für gesamtdeutsche Wahlen zu schaffen und dafür, daß insbesondere auch in der Ostzone nach den Wahlen die Sicherheit gegeben ist, daß jeder Wähler ein Leben ohne Furcht und frei von Bedrückung führen kann ohne Rücksicht darauf, welcher Partei er seine Stimme gegeben hat. Das gleiche Recht und die gleiche Freiheit für alle Parteien und ihre Anhänger vor und nach den Wahlen muß unter allen Umständen von allen Besatzungsmächten garantiert werden. Ferner scheint es uns notwendig zu sein, daß eine nach den Wahlen sich bildende Regierung ebenfalls unabhängig und frei in ihren Entschlüssen sein muß.
Wenn wir dies aussprechen, so wollen wir damit jene Klarheit schaffen, daß wir uns jeder Beeinflussung unseres nationalen Eigenlebens oder gar der Bolschewisierung unseres Landes mit allen Mitteln widersetzen werden. Auch darüber muß völlige Klarheit bestehen, daß es keinerlei Kompromiß hinsichtlich der Freiheit und Beachtung der Menschenrechte und unserer Zugehörigkeit zur westlichen Welt und zum abendländischen Kulturkreis geben kann.
Wohl aber sollten unsere Bemühungen darauf gerichtet sein, eben um dieser Klarheit willen, von der aus Deutschland seinen Standort und seine Aufgaben im politischen Spannungsfeld der Weltpolitik heute sehen muß, für jene Freiheiten sich einzusetzen und sie zu erhalten, die wesentlich im
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Selbstbestimmungsrecht der Menschen und Völker ihre Grundlage haben. Vor Jahresfrist schrieb ein angesehener amerikanischer Journalist in einer Schweizer Zeitung, die Amerikaner hätten viel mehr Interesse an einem Deutschland, das sich kräftig regt und auch auf die Gefahr des Nichtverstandenwerdens hin sein Selbstbewußtsein und eine geachtete Stellung wiedergewinnt.
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Meine Damen und Herren! Wenn das deutsche Volk durch seine Abgeordneten im Bundestag heute in dieser denkwürdigen Sitzung die Forderung nach Einheit erhebt und zur Herbeiführung derselben die vier Alliierten darum bittet, die notwendigen Voraussetzungen dafür durch gesamtdeutsche, freie Wahlen zu schaffen, so glauben wir, damit zu einer Befriedung Deutschlands, aber auch zu einer Entspannung in der Weltpolitik beizutragen.
Gegenwärtig bemühen sich in Paris die stellvertretenden Außenminister dieser vier Nationen, die Grundlagen zu untersuchen, die eine gemeinsame, erfolgversprechende Außenministerkonferenz ermöglichen, um die Spannungen in der Welt zu beseitigen, die die Völker immer stärker in Angst und Sorge um die Erhaltung des Weltfriedens gebracht haben. Gewiß gilt es heute, die nüchternen und harten Tatsachen zu sehen, in der sich die Weltpolitik befindet. Bedenklicher noch als die militärische Schwäche Westeuropas scheint für die Menschen auf dem westeuropäischen Kontinent der Mangel an Führungskunst der Politiker des Westens zu sein. Der Verstand und die Logik des einfachen Mannes führen zu der Meinung, daß in der Geschichte der letzten Dekade schwerwiegende Fehlhandlungen zu verzeichnen sind.
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Denn wenn die Welt nach den furchtbaren Jahren des Krieges, nach fast sechs Nachkriegsjahren noch nicht wieder zur Ruhe und Ordnung gekommen ist, dann sollte man sich gerade heute wieder jener Grundsätze erinnern, die auch in den Ausführungen eines meiner Vorredner angeklungen sind. Es sind die in der Atlantik-Charta der Vereinigten Nationen - Amerika, England, Frankreich und Sowjetrußland - mit Zustimmung von 36 Regierungen als ihre Kriegs- und Friedensziele am 1. Januar 1942 niedergelegten Grundsätze, die der Welt als d i e Politik bekanntgegeben worden sind, auf der diese Staaten glauben, eine bessere Zukunft aufbauen zu können.
Mit Zustimmung des Herrn Präsidenten möchte ich diese acht Grundsätze der Atlantik-Charta vorlesen, weil ich glaube, daß sie so instruktiv für die großen Grundformen des Menschseins und der Völker sind - Formen, um die es heute in der Welt geht -, für die Zivilisierung sowohl als auch für die deformative Entwicklung der Welt, daß sie tatsächlich bei ihrer echten Durchführung - das ist die wichtigste Aufgabe und das bedeutsamste Anliegen der Welt - aus der dunklen Stunde der Gegenwart, aus der Resignation und der Angst der Völker und den Mißerfolgen der Politik zu einer wahrhaften und konstruktiven Neugestaltung der Welt und der Gemeinschaft der Völker führen könnten.
Die acht Grundsätze der Atlantik-Charta lauten:
1. Ihre Länder suchen keinen Gewinn, weder territorialer noch anderer Natur.
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2. Sie streben keine territorialen Veränderungen an, die nicht mit den frei zum Ausdruck gebrachten Wünschen der beteiligten Länder übereinstimmen.
3. Sie respektieren das Recht aller Völker, die Regierungsform zu wählen, unter der sie leben wollen, und es ist ihr Wunsch, daß souveräne Rechte und eine autonome Regierung allen denen zurückgegeben werden, denen sie entrissen worden sind.
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4. Sie werden sich bemühen, unter voller Beachtung ihrer bestehenden Verpflichtungen für alle Staaten, groß oder klein, Sieger oder Besiegte, zu gleichen Bedingungen besseren Zugang zum Handel und zu den Rohstoffen der Welt zu schaffen, die zum wirtschaftlichen Wohlstand der Staaten benötigt werden.
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5. Es ist ihr Bestreben, auf wirtschaftlichem Gebiet die Zusammenarbeit aller Nationen herbeizuführen, um verbesserte Arbeitsbedingungen, wirtschaftlichen Aufschwung und soziale Sicherheit zu gewährleisten.
6. Nach der endgültigen Vernichtung der nationalsozialistischen Tyrannei hoffen sie, daß ein Friede geschlossen werde, in dessen Rahmen allen Nationen die Möglichkeit gegeben wird, innerhalb ihrer Grenzen in Sicherheit zu leben, und der die Gewähr dafür bieten wird, daß alle Menschen in allen Ländern ihr Leben frei von Furcht und Not führen können.
7. Ein solcher Friede soll alle in die Lage versetzen, die Meere ungehindert befahren zu können.
8. Sie glauben, alle Völker der Welt müssen aus realpolitischen und aus geistigen Gründen auf die Anwendung von Gewalt verzichten. Da kein künftiger Frieden gewahrt werden kann, wenn die Völker über ihre Grenze hinaus durch ständige Aufrüstung zu Wasser, zu Lande und in der Luft mit Angriffen drohen, so glauben sie, daß die Entwaffnung solcher Länder bis zur Feststellung eines breiter gefaßten und dauernden Systems allgemeiner Sicherheit wesentlich ist. Sie werden ebenso alle übrigen praktischen Maßnahmen unterstützen, die den friedensliebenden Völkern die drückende Rüstungslast erleichtern.
Meine Damen und Herren! Wer wollte es leugnen, daß hier wirklich die Grundsätze niedergelegt sind, die die Welt nicht auf ein fixiertes Schema der Politik festlegen wollen, die anerkennen, daß der geschichtliche Prozeß nicht verläuft nur zwischen Alternativen und Extremen, in dem Entweder-Oder, sondern die zum Ausdruck bringen, daß Ziel aller Politik der Mensch und sein Wohlergehen sein muß. Die Erkenntnis dieses Zieles ist heute um so wichtiger, als man gerade im Totalitären die größte Gefahr für den Menschen, für die Erhaltung des Friedens erkennt. In der Atlantik-Charta ist nichts von jenem Geist der Verrechnung und des politischen Schuldurteils zu spüren, der ein Kind des Totalitarismus ist. Wohl aber spüren wir darin jenen Geist echter Humanität, der in Wirklichkeit zur Behebung der Skepsis in der Welt beitragen könnte und viele zur Aktivi({7})
tät und zum Mittun aufrufen und ermuntern würde, die heute in Verzweiflung, Fatalismus oder Resignation abseits stehen.
Man kann deshalb - und mit diesen Gedanken, meine Damen und Herren, möchte ich schließen - die Staatsmänner, die heute in Paris um die Entgiftung der Weltspannung bemüht sein wollen, auf diese ihre eigenen Grundsätze nicht eindringlich genug hinweisen. Sie würden die besten Punkte einer Tagesordnung abgeben, die man heute aufstellen kann. Auf diesem Niveau und in dieser Gesinnung würden sich dann auch die konkreten Wege jener Politik finden lassen, die wahrhaft dem Frieden dient, der nach einem Wort Immanuel Kants das Meisterstück der Vernunft ist.
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Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung.
Es liegt Ihnen ein interfraktioneller Antrag Drucksache Nr. 2028 vor. Weiterhin ist ein Antrag der kommunistischen Fraktion eingegangen, den der Abgeordnete Fisch verlesen hat. Ich fasse diesen Antrag als einen Abänderungsantrag auf und stimme zunächst darüber ab. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag der kommunistischen Fraktion zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Dieser Antrag ist gegen die 7 Stimmen der anwesenden Vertreter der kommunistischen Fraktion abgelehnt.
Meine Damen und Herren! Ich habe Ihnen im Auftrage der antragstellenden Fraktionen, nämlich der Fraktionen der Christlich-Demokratischen Union, der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der Freien Demokratischen Partei, der Deutschen Partei, der Bayernpartei, des Zentrums und der Gruppe BHE-DG einen Antrag zu verlesen, folgende Entschließung anzunehmen:
Die geplante Konferenz der vier Besatzungsmächte wird sich auch mit der Frage Deutschland befassen. Das veranlaßt den Bundestag, vor dem deutschen Volk und der Welt zu erklären:
Das deutsche Volk bekennt sich zu den unveräußerlichen und unverzichtbaren Grundsätzen der Menschheit und der Menschlichkeit. Aus den bitteren Erfahrungen der Vergangenheit und angesichts der weiter bestehenden totalitären Bedrohungen in der Welt hat sich das deutsche Volk eindeutig für die freiheitliche Ordnung des Staates und gegen jeden totalitären Zwang entschieden.
Freiheitliche Ordnung kann nur im Frieden mit allen Völkern gedeihen. Wir wollen diesen Frieden. Wir lehnen den Krieg und jede Kriegsvorbereitung ab. Wir wollen aber keinen Scheinfrieden, mit dem der Kommunismus seine Angriffsabsichten und Unterdrückungen verschleiert und die Welt in dauernder Unrast und Spannung hält. Ein dauerhafter Friede kann nur geschaffen werden, wenn es gelingt, die Ursachen der Spannungen, die die Welt belasten, zu beseitigen. Wir begrüßen daher die von den Westmächten erklärte Absicht, daß die Prüfung dieser Spannungen und der Möglichkeiten zur Herbeiführung wirklicher und dauernder Verbesserungen in den Beziehungen zwischen den Mächten zum ersten Gegenstand
der geplanten Konferenz der Außenminister gemacht werden soll.
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Eine wesentliche Ursache für die Störung der europäischen Ordnung und damit des Weltfriedens liegt in der Spaltung Deutschlands. Die Überwindung dieser Spaltung dient dem Frieden. In diesem Geiste bekundet der Deutsche Bundestag seinen Willen, die staatliche Einheit des deutschen Volkes als unverzichtbares nationales Recht zu verwirklichen.
Grundlage dieser Einheit ist der Aufbau des Rechtsstaates in freier Selbstbestimmung, der jedem Einwohner Deutschlands die volle persönliche staatsbürgerliche Freiheit und Gleichheit sichert. Wir wollen, daß ganz Deutschland ein Rechtsstaat ist, in dem freie Menschen ohne Furcht in Verantwortlichkeit füreinander leben, kein Zwangsstaat einer allein herrschenden Partei
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mit ihrem politischen, wirtschaftlichen und geistigen Terror.
Der Deutsche Bundestag als das freigewählte Parlament der Bundesrepublik Deutschland fordert die Bundesregierung auf, den vier Besatzungsmächten zugleich im Namen derjenigen Deutschen, denen bis jetzt das Recht der freien Wahl versagt ist, als dringendes Anliegen des ganzen deutschen Volkes das Ersuchen zu unterbreiten:
1. Die Viermächte-Konferenz möge die Voraussetzungen dafür schaffen, daß sobald wie möglich freie, allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlen zu einem Parlament für ganz Deutschland durchgeführt werden können.
2. Die Durchführung dieser Wahlen unter gleichen Bedingungen in allen Zonen setzt voraus, daß durch internationale Sicherungsmaßnahmen vor, während und nach den Wahlen die volle persönliche und staatsbürgerliche Freiheit und Gleichheit für alle Personen und politischen Parteien rechtlich und tatsächlich gewährleistet wird.
3. Das aus solchen Wahlen hervorgegangene Parlament hat als echte Volksvertretung allein die Vollmachten einer verfassungund gesetzgebenden Versammlung. Es ist allein befugt, eine Regierung zu bilden und zu kontrollieren.
4. Die so gebildete Regierungsgewalt muß durch geeignete Vorkehrungen gegen unbefugte und rechtswidrige Eingriffe wirksam geschützt werden.
Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf, die Regierungen der Besatzungsmächte zu ersuchen, die Bundesregierung über alle Deutschland berührenden Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Viermächte-Konferenz ergeben, vollständig zu informieren, zu konsultieren und keinen Deutschland berührenden Beschluß ohne Zustimmung des deutschen Volkes zu fassen.
Der Bundestag stimmt den Darlegungen der Regierungserklärung zu und ersucht die Regierung, die Verwirklichung der aufgestellten Forderungen nachdrücklich zu betreiben.
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Der Deutsche Bundestag will dem Ziel der Wiedervereinigung Deutschlands mit allen Kräften dienen. Mit diesem Gelöbnis grüßen wir alle Deutschen. Wir begrüßen besonders die Deutschen in den Ländern der sowjetischen Besatzungszone und in Berlin. Wir sind mit ihnen untrennbar verbunden und erstreben wie sie den gemeinsamen Staat, in dem wir in Freiheit und sozialer Gerechtigkeit zusammen leben. So werden wir als gleichberechtigtes Glied in einem freien und vereinten Europa. dem Frieden der Welt dienen.
Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, die Sie dieser Erklärung und Entschließung zustimmen wollen, sich von Ihren Plätzen zu erheben. - Ich stelle fest, daß der Deutsche Bundestag - mit ganz wenigen Ausnahmen - dieser Erklärung zugestimmt hat.
Meine Damen und Herren! Die Annahme der Entschließung mit überwältigender Mehrheit läßt erkennen, daß das deutsche Volk, dessen Sprecher der Deutsche Bundestag ist, in den entscheidenden
Fragen seines nationalen Lebens einmütig ist. Das deutsche Volk, auch soweit es noch unter Bedrückung und Gewalt leben muß, soll dessen gewiß sein, daß die in der eben angenommenen Entschließung niedergelegten Grundsätze die unverrückbare Grundlage unserer Politik sind.
Ich hoffe weiter, daß alle Völker der Welt unsere Entschließung verstehen als die Manifestation des Willens des deutschen Volkes, in seiner Politik und in seinem ganzen Leben einen Beitrag zu einer in Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit lebenden Welt zu leisten. Nur wenn unserem Willen zur Einheit in der Freiheit dieses Verständnis der anderen Völker begegnet, wird daraus ein Fundament für den Frieden Europas und der Welt wachsen.
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Ich berufe die 126. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 14. März 1951, 13 Uhr 30 ein und schließe die 125. Sitzung des Deutschen Bundestages.