Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die 12. Sitzung des Deutschen Bundestags ist eröffnet.
Ich habe zunächst einige Mitteilungen zu machen. Ich bitte den Herrn Schriftführer, die Liste der abwesenden Mitglieder zum Vortrag zu bringen.
'Gundelach, Schriftführer: Beurlaubt sind wegen Krankheit die Abgeordneten Maier, Gengler und Klinge; auf Grund von Entschuldigungen die Abgeordneten Heinz Meyer, Pohle, Steinhörster, Faßbender, Freudenberg für vormittags, Winkelheide, Albers, Frau Dr. Weber, Heix, Dr. Laforet, Morgenthaler, Frau Rösch, Klabunde, Frau Korspeter, Berlin, Dr. Friedrich, Dr. Hasemann, Reimann, Fisch, Dr. Holzapfel.
Meine Damen und Herren! Ich habe weiter folgende Mitteilungen zu machen. Die Herren Abgeordneten Minister Dr. Amelunxen und Dr. Hilpert haben mir mit Schreiben vom 7. bzw. 10. Oktober mitgeteilt, daß sie ihr Mandat niedergelegt haben. Die Landeswahlleiter des Landes Nordrhein-Westfalen und des Landes Hessen sind hiervon gemäß § 4 Absatz 2 der vorläufigen Geschäftsordnung benachrichtigt worden.
Ich habe weiter die Mitteilung zu machen, daß der Herr Abgeordnete Dr. Dorls mit Schreiben vom 5. Oktober mir mitgeteilt hat, daß er aus der Gruppe der Nationalen Rechten ausgeschieden ist und nunmehr als unabhängiger Abgeordneter dem Bundestag angehört.
Schließlich möchte ich darauf hinweisen, daß die Beschlüsse 11/1 bis 11/17 der 11. Sitzung des Bundestags wie üblich hier vorn auf dem Stenographentisch zur Einsichtnahme ausliegen.
Die Tagesordnung entspricht einer Vereinbarung
innerhalb des Ältestenrats. Da zu Punkt 1: Interfraktioneller Antrag, betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse ({0})
die Verteilung noch nicht vollständig erfolgt ist
- es wird voraussichtlich im Laufe der nächsten
halben Stunde oder Stunde geschehen -, darf ich das Einverständnis des Hauses damit annehmen, daß wir diesen Punkt zunächst zurückstellen und mit Punkt 2 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Amnestiegesetzes ({1})
beginnen. Darf ich fragen, wer von den Antragstellern das Wort haben will? - Der Herr Abgeordnete Dr. Reismann hat das Wort zum Antrag der Fraktion des Zentrums, betreffend den Erlaß eines Amnestiegesetzes.
Dr. Reismann ({2}), Antragsteller: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als die Zentrumsfraktion dem Hause den Antrag Nr. 17 vorgelegt hatte, hat der Herr Kanzler ohne Zusammenhang damit, aber aus den gleichen Empfindungen und aus dem gleichen Bedürfnis bei seiner Regierungserklärung zum Ausdruck gebracht, daß nach den aufgeregten Jahren und nach den schwierigen wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen der letzten Jahre die Situation einer gründlichen Bereinigung bedürfe und daß es sich dabei nicht nur um Bagatellen handele, sondern auch um solche an sich bedeutsamere Angelegenheiten, für die man nach all dem, was wir in den letzten Jahren erlebt haben, menschliches Verständnis aufbringen müßte. Diesen Grundgedanken, den der Herr Kanzler später zum Ausdruck brachte, hat auch die Fraktion des Zentrums bei der Vorlage Nr. 17, bei dem Antrag auf Erlaß eines Amnestiegesetzes durch den Bund bestimmend sein lassen.
Wir sind uns darüber klar, daß zunächst Zweifel über die Zuständigkeit des Bundes und der Länder in Betracht kommen können. Nachdem aber im Lande Nordrhein-Westfalen ein ähnlich lautender Antrag von uns deshalb zurückgestellt und abgelehnt wurde, weil man sagte, daß dafür der Bund zuständig sein dürfte, sehen wir uns veranlaßt, auf alle Fälle darauf zu dringen, daß in dieser Hinsicht etwas geschieht. Wir sind also der Ansicht, daß auf Grund der Zuständigkeit des Bundes in strafrechtlichen und insbesondere auch strafprozessualen Angelegenheiten die Zuständigkeit des Bundes gegeben ist.
Inzwischen ist nun in der Presse verlautbart, daß Besprechungen hierüber unter den Justizministern der Länder stattgefunden haben. Wir sind über die Einzelheiten nicht unterrichtet. Es wird interessant sein, im Zuge der Beratungen des Gesetzes Näheres darüber zu hören. Es ist schließlich auch weniger wichtig, ob das Gesetz durch den Bund im Bundestag beschlossen wird oder ob es später von den Ländern übereinstimmend beschlossen wird, wenn man sich für die Zuständigkeit der Länder entscheiden sollte. Wichtig ist jedenfalls, daß etwas geschieht.
Nun zu den Einzelheiten, die ich kurz umreißen will. Wir haben diese Amnestie zunächst auf die Straftaten beschränkt, die nach dem Zusammenbruch begangen worden sind. Warum? Ich habe in der Presse später gelesen, daß man daran Anstoß genommen hat und der Ansicht war, es sollten auch die Dinge au* der Zeit des Nationalsozialismus mit umfaßt werden. Wir sind der Ansicht, daß das nicht nötig ist, weil durch die ergangenen gesetzgeberischen und Verwaltungsmaßnahmen seit dem Zusammenbruch diese Dinge längst ihre Bereinigung gefunden haben. Wir haben aber auch keine Bedenken, wenn sich bei den
({3})
Beratungen ergeben sollte, daß es noch notwendig ist, sich um die vorvergangenen Angelegenheiten zu kümmern, das Gesetz zeitlich nach dieser Richtung auszudehnen.
Wir haben weiter ausdrücklich die strafbaren Handlungen erwähnt, die sich aus dem Eifer für die demokratische Idee und aus der Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus ergeben haben. Das scheint notwendig zu sein, obwohl es manchem in der Öffentlichkeit nicht bekannt ist und vielleicht auch in diesem Hause noch der Erörterung bedarf. Man überlege sich folgendes: Ich habe selbst in meiner Eigenschaft als Abgeordneter und als Vorsitzender des Justizausschusses im Lande Nordrhein-Westfalen sowie als Rechtsanwalt und Verteidiger wiederholt Gelegenheit gehabt, mich über den Eifer zu wundern, den gewisse Staatsanwaltschaften an den Tag legten, wenn es sich um die Verfolgung von Delikten handelte, die gegen Nationalsozialisten begangen sein sollten.
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Ich habe mich zum Beispiel über den Eifer gewundert, den man gegen Zeugen an den Tag legte, die sich angeblich einer Beledigung, einer üblen Nachrede oder einer Verleumdung schuldig gemacht haben sollten, wenn es sich um ein Verfahren gegen den Ortsgruppenleiter oder Kreisleiter Soundso handelte, der dafür in Frage kam, daß er in der Kristallnacht irgendwo mit Rat und Tat mitgewirkt hat.
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Angesichts solcher Dinge hat man feststellen können, daß sich dann geradezu Zusammenrottungen von früheren Nazis ergaben, die sich die Bälle zuwarfen und die Leute in Schwierigkeiten bringen wollten, welche nun gegen sie auszusagen gezwungen waren; denn es war ihre Pflicht.
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Wenn man berücksichtigt, wie sich die Situation für diese Zeugen damals gestaltet hat, muß man sagen, daß es in der Erregung des Augenblicks und nach so langen Jahren wirklich einmal vorgekommen sein mag, daß sie sich nicht richtig erinnert haben und daß sie die Dinge falsch beobachtet und falsch wiedergegeben haben. Viel wahrscheinlicher aber ist es, daß sie dabei jetzt einem Intrigenspiel ihrer früheren nationalsozialistischen Gegner zum Opfer fallen, die sich geradezu verschwören - diesen Ausdruck könnte man wirklich gebrauchen -, um sie jetzt nachträglich zur Strecke zu bringen. Diesen Dingen muß ein für allemal ein Ende gemacht werden, und die Beruhigung darf nicht nur auf der einen, sondern sie muß auch auf der anderen Seite eintreten. Deshalb halten wir es für notwendig, das ausdrücklich zu erwähnen.
Von dieser Amnestie müßten aber, wenngleich sie großzügig gedacht ist und sich auswirken soll, die Straftaten ausgenommen werden, die auf einem verbrecherischen Charakter beruhen, namentlich solche, die sich von vornherein dadurch als eigentliche Verbrechen charakterisieren, daß sie die Voraussetzungen des strafschärfenden Rückfalls aufweisen. Wenn es sich um eine Amnestie und eine großzügige Bereinigung der Vergangenheit handeln soll, so haben wir dabei in erster Linie an die gedacht, die infolge der Not der Zeit und der unsicheren Lage, der aufgeregten Zeiten und der Verführungen der Situation gestrauchelt sind, weil eben ihre eigene Notlage und die Versuchungen und Verführungen so groß waren. Aber das soll weder für die Vergangenheit noch für die
Zukunft jemandem einen Freibrief geben, seinen verbrecherischen Neigungen Auslauf zu lassen.
Wir haben dabei in erster Linie auch an die gedacht, welche durch die wirtschaftliche Not der Zeit zum Straucheln gekommen sind, nicht bloß an die, die selber alles verloren haben und sich nun, was dann auf der Grenze zwischen echtem Notstand und Vergehen lag, Dinge aneigneten, die sie zum Leben notwendig hatten, sondern auch an die wirtschaftlichen Vergehen, die mit den Verstößen gegen die allzu zahlreichen Kriegswirtschaftsbestimmungen zusammenhingen, die weiter gegolten haben, wenngleich der Krieg zu Ende war.
Es ist hier im Hause bei einer der Erwiderungen auf die Regierungserklärung das Wort gebraucht worden, es sei zu einer Volksbelustigung geworden, gegen die Gesetze zu verstoßen. Ich habe dieses Wort sehr bedauert; denn die Leute, die dagegen verstoßen haben, haben beileibe keine Belustigung darin gefunden, sondern es lag bei ihnen zum großen Teil an der bitteren Not. Und wenn man sich einmal überlegt, wie die Rationen damals gewesen sind, so muß man sagen, daß die Mehrheit des Volkes gar nicht am Leben geblieben wäre, wenn sie sich nicht, durch die Not veranlaßt, auch auf Abwege begeben hätte, die nach wie vor immer noch strafbar sind und die heute noch verfolgt werden können, wenn an diese Dinge gerührt wird. Auch dadurch muß ein Strich gemacht werden, und ein Abschluß dieses Kapitels muß herbeigeführt werden.
Wo soll man nun die Grenze gegenüber den Menschen, die die Notlage der anderen damals mißbraucht haben, ziehen? Diese Frage, wo man da die Grenze ziehen soll, hat uns veranlaßt, die Grenze dort zu suchen, wo die Ausbeutung der Notlage anderer ohne eigene Not beginnt und die gewinnsüchtige Absicht vorliegt.
Es muß ja nun irgendein äußerlicher Rahmen für alle diese Fragen vorhanden sein. Wir haben geglaubt, die oberste Grenze der in Aussicht zu nehmenden Strafe auf ein Jahr festsetzen zu sollen, so daß alles, was vermutlich mit mehr als einem Jahr Strafe geahndet werden würde, weiter verfolgt werden soll, daß alles andere, was darunter liegt, durch einen Generalpardon als erledigt angesehen werden soll.
Ich bitte Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, diesen Erwägungen und Vorschlägen der Zentrumsfraktion Gehör zu schenken und sich namentlich dem Grundgedanken nicht zu verschließen. Wir sind gerne bereit, in Einzelheiten mit uns reden zu lassen und Konzessionen zu machen, da es uns auf den wesentlichen Sinn der Dinge ankommt, der darin liegt, einen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen und die Vergangenheit nun auch bei denen erledigt sein zu lassen, die durch die Not der Zeit schuldig geworden sind, die aber keine verbrecherischen Neigungen haben und deswegen alle Unterstützung des deutschen Volkes finden müssen, um wieder in geregelte Bahnen zu kommen und den Weg in das ordentliche Leben zurückzufinden, auch wenn sie etwas begangen haben, was bei normaler Betrachtung und in einer gewöhnlichen Situation mißbilligt werden müßte. Ich erinnere hier an die Worte des Herrn Kanzlers in seiner Regierungserklärung, daß man gegenüber diesen Vorkommnissen menschliches Verständnis aufbringen müsse, und zwar erst recht jetzt, wo wir diese Ära hinter uns lassen und mit besseren Hoffnungen in eine Zukunft gehen, in welcher wir mit normalen Maß({7})
stäben rechnen und normale Situationen für all unsere Volksgenossen erwarten können.
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Meine Damen und Herren! Sie haben die Ausführungen des Herrn Antragstellers gehört. Nach § 37 der vorläufigen Geschäftsordnung kann die Besprechung eines Gesetzentwurfs in der ersten Beratung abteilungsweise erfolgen. Ich darf das Einverständnis des Hauses voraus,setzen, daß im Hinblick auf die Kürze des Gesetzentwurfs von diesem Verfahren abgesehen wird.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem das Wort dem Herrn Bundesjustizminister.
Meine Damen und Herren! Die Regierung hat von sich aus die Vorlage eines Straffreiheitsgesetzes gefertigt und wird sie umgehend dem Bundesrat zur Behandlung zuleiten. Es ist wohl zweckmäßig, daß die Anregungen, die aus dem Hohen Hause kommen - der Antrag des Zentrums, der soeben vertreten worden ist, sowie ein Antrag der WAV mit der Beratung der Vorlage der Regierung behandelt werden.
Ich habe Anlaß genommen, die Probleme, die sich mit -der Straffreiheit verknüpfen, noch mit den Vertretern der Länder im Justizkollegium zu besprechen. Merkwürdigerweise ist die Einstimmigkeit in allen entscheidenden Fragen nicht so vorhanden, wie sie mein Vorredner als selbstverständlich unterstellt hat. Wir haben uns im Justizkollegium am vergangenen Montag über einen einzigen Punkt geeinigt; das war der Punkt, daß unsere Besprechungen vertraulich sein sollen und nichts in die Presse kommen soll.
({0})
Die Folge war, daß am nächsten Tag in schreienden Schlagzeilen der genaue Inhalt unserer Besprechungen in den Zeitungen veröffentlicht wurde.
({1})
Wenn ich Ihnen gesagt habe, daß die Regierung eine Vorlage gefertigt hat, so ist damit eine der wesentlichen Vorfragen im Sinne des Antrags des Zentrums entschieden. Die Regierung hat sich damit auf den Standpunkt gestellt, daß die Frage der Straffreiheit unter die konkurrierende Gesetzgebung fällt und daß die Regierung für den Bund diese Zuständigkeit in Anspruch nehmen will.
Ich weiß nun nicht, ob es zweckmäßig ist, heute bei der Beratung des Antrags die Einzelheiten zu besprechen. Es will mir nicht tunlich erscheinen. Man kann über jede Frage verschiedener Meinung sein. Ich erwähne die Fragen: Welche subjektiven Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit Straffreiheit gewährt wird? Soll man generalisieren? Soll man es lediglich auf ein Strafmaß, nicht auf die Straftat, nicht auf die Gesinnung, nicht auf die Folgen, nicht auf politische Voraussetzungen oder Konsequenzen abstellen? Soll man bestimmte Kategorien ausnehmen?
Ich möchte dem Hohen Hause empfehlen, diese Dinge jetzt nicht in dem großen Rahmen zu erörtern, sondern sie der Ausschußbehandlung zu überlassen und dort die Vorlage der Regierung zugrunde zu legen. Das ist die Meinung, die ich namens der Regierung vertrete.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiesinger.
Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion des Zentrums scheint uns in dieser Form nicht dafür geeignet, ein an sich berechtigtes Anliegen durchzusetzen. Ich stimme den Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers zu, daß diese Angelegenheit einer sehr sorgfältigen Prüfung und Erwägung in einem Ausschuß bedürfen wird; denn es könnten sich zu den beiden Paragraphen eine ganze Menge von Einwänden und Bedenken vorbringen lassen. Ich will mich hier darauf beschränken, einmal darauf hinzuweisen, daß es sehr zweifelhaft ist, ob es der Bund auf dem Weg über die konkurrierende Zuständigkeit wirklich für sich in Anspruch nehmen kann, eine Amnestie zu erlassen.
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Das Zweite, worauf ich hinweisen möchte, ist folgendes. Meine Damen und Herren, es mag richtig sein - ich weiß es nicht -, was der Herr Redner der Zentrumspartei vorgetragen hat, daß da und dort bei Strafverfolgungsbehörden ein gewisser Übereifer vorhanden ist, wo er besser nicht bestehen sollte. Mich und meine Freunde erinnert aber diese Formulierung, daß Straffreiheit für strafbare Handlungen verlangt wird, die nach der Besetzung Deutschlands begangen wurden und auf dem Übereifer für die Demokratie oder auf Gegnerschaft zum überwundenen Nationalsozialismus beruhen, verdächtig an Methoden eines überwundenen Regimes.
({1}) Wir haben damals ja erlebt, daß auch auf diese Weise Straftaten der Verfolgung entzogen werden sollten. Ich glaube, wir sollten diese Methoden nicht nachzuahmen versuchen. Wenn strafbare Handlungen dieser Art vorgekommen sein sollten, wenn sich wirklich Scharen von Eiferern für die demokratische Idee in zahlreichen Fällen strafbar gemacht haben sollten, wie der Herr Redner annahm, dann wird ja die Behandlung dieser strafbaren Handlungen ohne Zweifel unter die allgemeine Amnestie fallen. Ich bitte, es doch nicht gering zu achten, ob man die strafbaren Handlungen einer bestimmten Gruppe derart ausnimmt. Ich verstehe wohl die Motive für einen derartigen Vorschlag, aber wenn man einmal anfängt, wenn man dem Teufel den kleinen Finger gibt, dann nimmt er die ganze Hand. Wir wollen uns darüber einig sein, daß es sich darum handelt, wacher und aufmerksamer als nach 1919 die offenen und heimlichen Angriffe auf die Verfassung zu beobachten und abzuwehren. Aber dann tue man es bitte anders und ahme nicht Methoden eines Regimes nach, die uns wahrhaftig nicht Vorbild sein können.
Wird das Wort weiter gewünscht? Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Arndt.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! An die Spitze meiner Ausführungen darf ich das Bedauern stellen, daß die Bundesregierung noch nicht von sich aus das erneut durch den Mund des Herrn Bundesjustizministers angekündigte Gesetz hier vorgelegt hat. Der Herr Bundeskanzler hat bereits in seiner Regierungserklärung davon gesprochen, daß die Bundesregierung die Vorlage eines Amnestiegesetzes beabsichtigt. Da dann allerdings der Herr Bundesfinanzminister in einer Presseveröffentlichung die
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Zuständigkeit des Bundes zu einem solchen Gesetz in Abrede gestellt hat, war eine gewisse Unklarheit darüber entstanden, wie man eigentlich innerhalb der Bundesregierung denkt. Um so mehr begrüße ich es, daß wir heute gehört haben, daß die Bundesregierung sich jetzt einig zu sein scheint. Denn im Gegensatz zu dem Herrn Antragsteller, dem Kollegen Dr. Reismann, stehen wir auf dem Standpunkt, daß es keineswegs gleichgültig ist, ob der Bund oder ob die Länder ein Amnestiegesetz oder Amnestiegesetze erlassen, weil gerade in dieser Frage Rechtseinheit in Deutschland ganz unbedingt erforderlich ist, so daß eine Zuständigkeit der Länder auf diesem Gebiet und eine Aufsplitterung in Länderamnestien geradezu ganz unerträglich wäre.
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Ich glaube, daß im übrigen alle Parteien sich darüber einig sind, daß der Erlaß des Grundgesetzes und die Konstituierung des ersten Bundestags und der ersten Bundesregierung Grund und Anlaß genug sind, um auf diesem Gebiete der strafrechtlichen Vergehen einen Strich unter die Vergangenheit zu machen und eine Amnestie zu erlassen. Aber wir müssen uns darüber klar sein, daß das eine Ausnahme ist und wir unter gar keinen Umständen in die Weimarer Mißbräuche wieder zurückkehren dürfen, daß Amnestien zur Regel wurden und dadurch eine schwere Erschütterung der Rechtssicherheit eintrat.
Nun, meine Damen und Herren, noch ein Wort zum Verfahren, gerade deshalb, weil dies die erste Lesung eines Gesetzes im Bundestag überhaupt ist. Der Herr Bundesjustizminister hat hier ausgeführt, es erscheine ihm unzweckmäßig, Fragen im einzelnen aus der Vorlage zu erörtern. Man möge die Vorlage dem Ausschuß überweisen. Die Bundesregierung würde dann ihrerseits ihre Vorlage dem Ausschuß unterbreiten, und danach würde im Ausschuß im einzelnen darüber verhandelt werden. So geht es nicht. Es ist ausgeschlossen, daß der Ausschuß späterhin über eine andere Vorlage verhandelt, als sie hier im Plenum besprochen worden ist. Die Vorlage auch der Bundesregierung muß durch die erste Lesung im Plenum. Die erste Lesung ist dazu da, daß die einzelnen Fraktionen und Parteien grundsätzlich Stellung nehmen und ihre Standpunkte beziehen, damit der Ausschuß für seine Arbeit überhaupt Richtlinien hat und weiß, wie er sich dazu stellen soll und darüber im Bilde ist, wie die einzelnen Fraktionen denken. Ich halte also ein solches Verfahren nicht nur für untunlich, sondern für geradezu unmöglich, wie es hier von dem Herrn Bundesminister vorgeschlagen worden ist. Da aber auch ich mit dem Herrn Vorredner, dem Kollegen Kiesinger, auf dem Standpunkt stehe, daß der Gesetzentwurf der Zentrumsfraktion im einzelnen mindestens undurchdacht ist und so die Rechtsprechung vor die größten Schwierigkeiten stellen würde und im übrigen tatsächlich bedauerliche Anklänge an die Gesetzgebungsart einer doch hoffentlich überwundenen Vergangenheit erkennen läßt, darf ich mir die Anregung oder den Antrag erlauben, daß wir die erste Lesung dieses Gesetzentwurfs aussetzen, abwarten, bis die Bundesregierung - hoffentlich unverzüglich - ihre Gesetzesvorlage einbringt, und dann die erste Lesung auch der Drucksache Nr. 17 fortsetzen, verbunden mit der ersten Lesung des Amnestiegesetzes der Bundesregierung, damit wir hier eine einheitliche und geschäftsordnungsmäßig richtige Linie herausbekommen und dann der Ausschuß an seine Arbeit gehen kann.
Herr Abgeordneter, ist dies ein Antrag zur Geschäftsordnung?
Ja, ein Antrag zur Geschäftsordnung, die erste Lesung auszusetzen und dann fortzufahren, wenn uns der Entwurf der Bundesregierung vorliegt.
Bevor wir fortfahren, darf ich zunächst diesen Antrag zur Geschäftsordnung zur Aussprache stellen. Wird das Wort zur Unterstützung des Antrags auf vorläufige Aussetzung der ersten Beratung der Drucksache Nr. 17 gewünscht? - Bitte, Herr Abgeordneter Kiesinger.
Wir möchten diesem Antrag zustimmen.
Weitere Wortmeldungen? - Dann lasse ich zunächst über diesen Antrag auf Aussetzung der ersten Beratung der Drucksache Nr. 17 abstimmen. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Das ist zweifelsfrei die Mehrheit. Damit ist die erste Beratung des Gesetzentwurfs Drucksache Nr. 17 ausgesetzt, und wir können zu Punkt 3 der Tagesordnung übergehen:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Bundesfarben und Bundesflagge ({0}).
Der Herr Abgeordnete Dr. Reismann hat das Wort als Antragsteller.
Dr. Reismann ({1}), Antragsteller: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Kiesinger sagte soeben während seiner Ausführungen zum Amnestiegesetz, wir müßten wachsamer und aufmerksamer sein, als wir es vor 1933 waren. Dieser Gedanke ist auch der Grundgedanke für den Antrag und den Entwurf der Zentrumsfraktion zum Schutze der Bundesfarben und der Bundesflagge, Drucksache Nr. 25.
Der Sinn dieses Antrags und sein Zweck ist, zu verhindern, daß wiederum, wie wir das schon einmal erlebt haben, ein Kampf um die Bundesfarben und die Bundesflagge entbrennt, der zum Objekt und zum Ziel von parteipolitischen Auseinandersetzungen und Agitationen gemacht wird, ohne Rücksicht auf die Würde der Nation. Die nationalen Symbole sind fast das einzige Einigende, was uns nach dem Zusammenbruch geblieben ist und was uns mit dem Osten Deutschlands einigt. Wer sie zum Kampf für parteipolitische Zwecke mißbraucht und sie dadurch herabsetzt und wer dadurch ihre Werbekraft und Wirkungskraft schädigt und die Würde der Nation nach außenhin schwächt, macht sich eines Verbrechens schuldig - darüber müssen wir uns klar sein -, das in der gegenwärtigen Zeit ganz besonders schwer wiegt. Es spielt dabei keine Rolle, für und gegen welche Farben und Symbole der Kampf geführt wird. Das, was nun einmal in der Verfassung festgelegt ist, muß den vollen Schutz des Bundes genießen. Darauf kommt es an. Daß es die Farben und. die Flagge Schwarz-WeißRot sind - oder Schwarz-Rot-Gold, gegen welche, und Schwarz-Weiß-Rot, f ü r welche man kämpft,
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- ja, man könnte es auch umdrehen, wenn Sie wollen: Schwarz-Weiß-Rot, für welche, und Schwarz-Rot-Gold, gegen welche man kämpft -, das ist dabei nur von nebensächlicher Bedeutung. Es sollte bei uns wie in andern Ländern doch eine Selbstverständlichkeit sein, daß man diese Symbole, die nun einmal da sind, respektiert.
Es hat sich schon jetzt, kaum daß der Beschluß des Parlamentarischen Rates vorliegt, kaum daß die Verfassung akzeptiert worden ist, ergeben, daß es wieder heftige Gegner nicht bloß dieser Symbole, sondern der Demokratie überhaupt gibt, die gar nicht daran denken, diesen alten Streit erledigt sein zu lassen. Es ist vielleicht von besonderer Bedeutung, dabei zu notieren, daß es ein Vertreter der Regierungspartei war, der dieses Thema angerührt hat.
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Gleichviel, von welcher Seite die Frage aufgeworfen wird, ob von rechts oder von links oder sonstwoher, dem Streit muß ein Ende gesetzt werden, und es können unter den gegenwärtigen Verhältnissen keine anderen als ziemlich drastische Mittel sein, die uns dazu helfen. Es ist zu bedenken, daß man nicht bloß gegen die Symbole kämpft und sie treffen will, sondern daß man damit die Demokratie meint.
Ich habe mich gewundert, in einigen Zeitungen zu lesen, man wolle wieder den „deutschen Blick" einführen. Wenn wir uns nicht gegen die Angriffe schützen, werden wir diejenigen sein, die mit dem deutschen Blick herumlaufen und sich gegen andere schützen müssen. Das ist gerade die Aggressivität, die sich hier zum erstenmal wieder äußert. Und wenn wir nicht gleich am Anfang dagegen auftreten, können wir sicher sein, daß wir einen ähnlichen Weg gehen werden wie die Weimarer Demokratie.
Der Herr Kollege Kiesinger hat eben mit Recht das Stichwort gebraucht: wir müssen aufmerksamer und wacher sein, als wir es das vorige Mal waren. Das, was nun einmal als nationales Symbol beschlossen und herausgestellt worden ist, muß den vollen Schutz des deutschen Staates finden.
Dann ist insbesondere der § 2 des von uns dem Bundestag vorgelegten Entwurfs in der Öffentlichkeit und ,in der Presse angefochten worden, wonach nicht bloß verboten sein soll, die Bundesfarben zu beschimpfen, sondern auch die Bundesfarben und die Bundesflagge außerhalb des Bundesparlaments zu dem Zweck zu erörtern, eine Änderung derselben herbeizuführen. Das ist deswegen notwendig - Ich möchte das ausdrücklich hervorheben -, weil man sonst lediglich auf eine andere Weise und auf einem Umweg zu dem gleichen Ergebnis, Ziel und Zweck kommen könnte, nämlich die Bundesfarben in ihrer Autorität herabzusetzen. Das kann man auf verschiedene Art und Weise tun. Man kann es dadurch tun, daß man sie beschimpft. Ich habe eine Zuschrift bekommen, worin gefragt wird, was eigentlich eine Beleidigung oder Beschimpfung der Bundesfarben sein solle; so wenig genau sei unser Antrag. Als ob es einer Definition der Beleidigung bedürfte! Die Herrschaften, die darauf ausgehen, die Farben und Symbole zu beleidigen und zu beschimpfen, wissen darüber sehr genau Bescheid. Aber damit kann man sich nicht begnügen; denn wir wissen, mit welcher Hartnäckigkeit vorgegangen wird, wobei man in der Vergangenheit meistens den Schutz der Gerichte gefunden hat. Es ist also notwendig, Vorsorge zu treffen, daß auch nicht auf andere Art und Weise die Würde
dieser Symbole angetastet wird. Da gibt es zweierlei: die eine Möglichkeit ist die Protegierung der entgegengesetzten Symbole, und die andere Möglichkeit besteht darin, daß man die Symbole für gewerblichen Wettbewerb, für parteipolitische Zwecke oder für privatgeschäftliche Zwecke mißbraucht. Ich könnte mir schlechterdings nicht vorstellen, daß in England oder Frankreich die nationalen Farben in einem Kabarett zum Lustigmachen der Leute benutzt werden. Aber in Deutschland ist es schon wieder so. Auch da muß ein Riegel vorgeschoben werden. Wir halten es für notwendig - und es ist kein Zufall, daß es sich um das zweite Gesetz handelt, das dem Bundestag zur Beratung vorliegt -, von Anfang an entsprechend vorzubeugen, und ich bitte daher um die Zustimmung des Hauses zu diesem Antrag.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Ausführungen des Antragstellers gehört. Ich eröffne die Beratung. Das Wort hat zunächst der Herr Abgeordnete Farke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Infolge der Erwähnung und der Art der Behandlung, die zu falschen Deutungen führen konnte, bei der Stellungnahme zur Regierungserklärung durch ein Mitglied meiner Fraktion, sah sich die Zentrumsfraktion veranlaßt, die Gesetzesvorlage, wie sie in der Drucksache Nr. 25 niedergelegt ist, einzubringen.
Die Begründung weist ausdrücklich darauf hin. Sie unterstellt sogar, daß diese Auslassung böswillig, im respektlosen Sinn gemeint gewesen sei. Die Auslassung selbst bietet aber kaum eine Handhabe dafür und, soweit ich meinen Kollegen kenne, ist diese Unterstellung ganz bestimmt nicht richtig. Ich habe vielmehr das Gefühl - und meine Freunde mit mir -, daß bei der Mißdeutung seiner Worte kein guter Wille Pate gestanden hat. Daß wir alle nach den bitteren Erfahrungen der Vergangenheit und der täglichen Gegenwart auf jede politische Äußerung feinfühlig reagieren, ist verständlich. Daß wir aber aus jener etwas unglücklich formulierten Äußerung eine nationale Gefahr konstruieren und damit den Teufel an die Wand malen, ist unklug, wenn nicht gar gefährlich.
({0})
Wir verfolgen beinahe jeden Tag mit Bitterkeit die Mißdeutung unserer berechtigten Proteste gegen Demontage und Zerstörungen im Westen im Ausland. Wir sollten uns im eigenen Hause hüten, dieselbe Praxis zu üben. Vollständig abwegig ist es aber, wenn mit dieser falschen Deutung der gemachten Ausführungen die Deutsche Partei identifiziert wird. Ihre Stellungnahme zur Flaggenfrage ist eindeutig.
({1})
- Sie ist genau so eindeutig wie bei Ihnen. Ich weiß nicht, was Sie sagen wollten, ich habe es nicht verstanden. Ich bitte, es etwas deutlicher zu sagen. - Die Deutsche Partei lehnt jeden Flaggenstreit ab. Ihr sind alle Symbole heilig, unter denen die deutsche Nation groß war, unter denen sie Achtung und Ansehen in der Welt genoß.
({2})
- Wenn Sie das Hakenkreuz so beurteilen, daß unter ihm die deutsche Nation Ansehen in der Welt hatte, ist das Ihre Sache.
({3})
({4})
Wir sind anderer Ansicht.
({5})
Die Deutsche Partei fühlt sich mit der ältesten politischen Gruppe in Deutschland, der Deutschen Partei von 1867, in nicht abgerissener Kette verbunden, die unter dem Symbol von Schwarz-RotGold alle deutschen Stämme damals vereinigt wissen wollte.
Der Anlaß zur Vorlage dieses Gesetzes ist also nach meinem Dafürhalten mehr als gesucht, der Text selbst aber geradezu bedenklich.
({6})
Die Fassung in § 1 läßt der Willkür jeden Spielraum, bietet aber andererseits auch alle Möglichkeiten zu geschickten Umgehungen. Drakonische Strafandrohungen wecken keine Liebe, Achtung und Verehrung; denn Liebe, Achtung und Verehrung werden niemals aus Zwang, sondern allein aus der freien Entscheidung des einzelnen Menschen geboren, und zu dieser positiven Entscheidung führt allein der Wert unserer Arbeit hier, Herr Professor Dr. Schmid, die wir für das neue Deutschland leisten.
({7})
Wer mit Zwang und Strafe Probleme lösen will, hat sich selbst das Zeugnis der Unfähigkeit ausgestellt.
({8})
Ganz unmöglich ist aber § 2.
({9})
Er verstößt gegen das vornehmste Recht der Demokratie, gegen das Recht der freien, unteilbaren Diskussion.
({10})
Wenn es noch Meinungsverschiedenheiten über die Farben Schwarz-Rot-Gold in unserem Volke gibt, so spielen dabei Erinnerungen an die Zeit von 1918 bis 1933 keine unwesentliche Rolle.
({11})
Ferner der nicht befriedigte Wunsch nach einer Volksabstimmung und. endlich die Tatsache, daß Schwarz-Rot-Gold auch das Symbol für das totalitäre volksdemokratische System in der Ostzone ist.
({12})
Unsere Handelsschiffahrt wünscht für sich aus technischen Gründen die schwarz-weiß-rote Flagge mit der schwarz-rot-goldenen Gösch, wie sie von 1918 bis 1933 geführt wurde. Durch Paragraphen und Verbote wie in dem vorliegenden Gesetz sind diese Wünsche und Meinungsverschiedenheiten nicht aus der Welt zu schaffen. Sie werden in dem Maße verstummen, wie es uns hier gelingt, die berechtigten Wünsche der Mehrheit unseres Volks in dieser Frage zu befriedigen, wie es uns gelingt, die Meinungsverschiedenheiten durch einen stetigen politischen und wirtschaftlichen Gesundungsprozeß zu überwinden, so daß Stolz und Achtung vor dem gesundenden Vaterlande auch Stolz und Achtung für seine Symbole in sich schließen. Westdeutschland hat die Freiheit gewählt. Wir in der Deutschen Partei nehmen diese Freiheit ernst und sind uns bewußt, daß das Wagnis und Verantwortung bedeutet. Verbote schaffen Märtyrer, auch für eine schlechte Sache. Wir lehnen Märtyrer ab. Wir können
darum dieser Vorlage unsere Zustimmung nicht geben.
({13})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Meine Damen und Herren! Die Regierung ist mit den Antragstellern der Überzeugung, daß die Symbole unseres Staates, daß die Bundesfarben und die Bundesflagge gegen böswilligen Mißbrauch auch des strafrechtlichen Schutzes bedürfen.
({0})
Sie stimmt also in der Tendenz mit dem Antrag überein, hat aber im einzelnen Bedenken. Sie hat es daher für richtig gehalten, von sich aus eine Vorlage an den Bundesrat und an dieses Hohe Haus zu leiten. Darüber ist bereits Beschluß gefaßt. Mein sehr verehrter Herr Kollege Dr. Arndt hat wohl recht, wenn er die bei dem vorausgegangenen Tagesordnungspunkt von mir angeregte Behandlung nicht billigt, sondern der Meinung ist, daß die neue Vorlage abgewartet werden muß und daß hier nur die Grundlinien der Beratung festgelegt werden sollen. Ich darf mir deswegen gestatten, die Vorlage, wie sie die Regierung bereits beschlossen hat, kurz zu erläutern und dabei zu dem Antrag des Zentrums kritisch Stellung zu nehmen.
Wir sind zunächst der Ansicht, daß es nicht zweckmäßig ist, ein Sondergesetz zu erlassen. Die Regierung hat beschlossen, eine Ergänzung des Strafgesetzbuchs zu beantragen, also die Bestimmungen, die den Schutz der Bundesflagge und Bundesfarben erstreben, in das Strafgesetzbuch einzufügen, damit das diskriminierte Verhalten schon äußerlich den gemeinen Delikten des allgemeinen Strafgesetzbuchs gleichgesetzt wird. Es soll nicht so kommen, daß Feinde des Staates wieder die Möglichkeit haben, den politischen Märtyrer zu spielen. Das wollen wir ausschließen.
({1})
Der Antrag des Zentrums scheint uns zum Teil über das richtige Maß hinauszugehen. Es kann nicht Sache des Gesetzes sein, jede private, in engem persönlichem Kreis fallende Äußerung vor den Strafrichter zu bringen. Das würde ja nur Schwäche verraten.
({2})
Es würde vielleicht dazu führen, daß eine viel gefährlichere Art des hinterhältigen Kampfes gegen den Staat wieder beginnen würde. Wir sind deswegen der Meinung, daß nur die öffentliche Verächtlichmachung der Bundesfarben und der Bundesflagge unter Strafe gestellt werden soll. Hingegen sind wir mit den Antragstellern der Auffassung, daß die Strafandrohung eine hohe, eine abschreckende sein soll, und akzeptieren daher den Antrag, daß die Mindeststrafe drei Monate betragen soll. Wir sind mit dem Herrn Vorredner aber durchaus der Meinung, daß es rechtlich und rechtspolitisch unmöglich erscheint, die Diskussion über die Bundesfarben und über die Bundesfragge auszuschließen oder gar unter Strafe zu stellen,
({3})
Dabei sind wir uns durchaus der Gefährlichkeit dieser Dinge bei böswilligen Menschen bewußt. Aber es ist doch unmöglich, eine politische Frage - und am Ende sind auch die Symbole eines Staates
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eine politische Frage - der Diskussion überhaupt zu entziehen.
({5})
- Wir wollen sie wahren und sind der Meinung, daß der § 2 - ({6})
- Der Herr Kollege Schmid darf nicht vergessen, daß ich als Bayer für die Grundrechte einstehe. Trotz der Distanz, die zwischen Herrn Seelos und mir in manchen anderen Dingen besteht, hoffe ich doch, dazu beizutragen, daß Bayern ein Hort der Grundrechte des Bundes wird.
({7})
- Wir wollen sie begründen. Wir haben eine alte bayrische liberale Tradition, die wir wieder fruchtbar machen wollen.
Eine andere Frage, über die man verschiedener Meinung sein kann, ist die, ob es verboten sein soll, Bundesfarben zu geschäftlichen Zwecken zu verwenden. Insoweit hatte ich mich ursprünglich auf den Boden des Antrags der Zentrumsfraktion gestellt. Wir wissen, daß die Übung in der Welt eine andere ist, daß demokratische Völker gern und mit einer gewissen Liebe ihre Symbole auch bei der geschäftlichen Werbung verwenden, besonders Nordamerika. Der Herr Bundeskanzler hat daran erinnert, daß wir bei der sehr eindrucksvollen Tagung des Europarats in Den Haag im Mai vorigen Jahres von der niederländischen Regierung mit kleinen Gebrauchsartikeln beschenkt worden sind, die die Farben des Staates trugen. Die Regierung ist der Meinung, man sollte sich da auf den Takt unseres Volkes und unserer Geschäftsleute verlassen und gesetzgeberisch keine Hemmungen einschalten. Besonders sollte man solche Dinge nicht unter Strafe stellen.
Der Antrag der Bundesregierung wird dahin gehen, in das Strafgesetzbuch eine Bestimmung folgenden Inhalts einzufügen:
Wer die Bundesfarben oder die Bundesflagge öffentlich verächtlich macht, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten, in besonders schweren Fällen mit Zuchthaus bestraft.
Das ist eine besonders schwere Strafandrohung; aber wir haben sie für nötig gehalten. In besonders leichten Fällen gibt das Strafgesetzbuch die Möglichkeit, die Gefängnisstrafe in eine Geldstrafe umzuwandeln.
Ich muß es dem Hohen Hause überlassen, wie es die Angelegenheit geschäftsordnungsmäßig behandeln will, ob hier wie beim Straffreiheitsgesetz der Eingang der Regierungsvorlage abgewartet werden soll.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiesinger.
Meine Damen und Herren! Der Herr Justizminister hat mir im' wesentlichen die Argumente vorweggenommen, die ich namens meiner Freunde zu dem Antrag der Zentrumsfraktion vorzubringen hatte. Es ist natürlich durchaus richtig, daß unser Staat darauf nicht wird verzichten können - und man wird hinzufügen müssen: leider nicht -, strafgesetzliche Bestimmungen über den Schutz der Bundesflagge und der Bundesfarben und vielleicht anderer Institutionen der Verfassung zu schaffen. Schwäche würde hier
wahrhaftig fehl am Platze sein. Auf der anderen Seite sind wir von der Auffassung durchdrungen, daß es durchaus richtig ist, wenn man sagt - und wenn man es ehrlich meint -, daß diese Verfassung und dieser demokratische Staat, der doch unser aller politische Heimat sein soll, endgültig nicht durch Strafgesetze, sondern durch das verteidigt werden wird, was jeder einzelne von uns, der in der politischen Verantwortung steht, und was die vielen draußen im Volk, die wissen, um was es geht, tun oder lassen.
Wir haben diese Dinge, bei denen es sich um den Schutz der Verfassung handelt, im Ausschuß schon gründlich besprochen. Wir werden alles tun, um in der positiven Richtung, die einer der Redner angedeutet hat, wachsam dafür zu kämpfen, daß nicht mehr durch offene oder versteckte Gegnerschaft dieser neue und dann vielleicht letzte Versuch, unser Volk in einem Staat der Freiheit und des Friedens zu einigen, noch einmal verunglückt.
Lassen Sie mich dazu sagen, daß gerade der Schutz der Bundesfarben hierbei eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Wir sind nicht der Meinung, daß die Bundesfarben etwas Gleichgültiges sind. Sie sind das Symbol des neuen Versuchs der Gründung eines demokratischen Staates. Wir wissen sehr wohl, daß man Bundesfarben nicht einfach dekretieren kann. Diese Bundesfarben werden eines Tages wirklich unsere Farben sein, wenn die Fahne am Mast emporsteigt und die Herzen der Menschen dabei höher schlagen.
({0})
Wir wollen das unsere dazu tun, daß dieser Zustand bald erreicht wird. Sie hat nicht viel Glück gehabt, diese Fahne, gewiß nicht! Aber diese Fahne ist begleitet und getragen gewesen von der Liebe bedeutender, ehrenhafter, unser Volk wahrhaft liebender Männer und Frauen.
({1})
Man mag zu dem Flaggenwechsel im Jahre 1918/19 stehen, wie man will: Auch diese Fahne SchwarzRot-Gold hat ihre Tradition. Und wenn man schon sagt, daß der Respekt und die Liebe einer Flagge gelte, die einmal in der Welt geweht hat, als es Deutschland gut ging, dann darf man auch hinzufügen, daß diese unsere Flagge nie verunehrt worden ist und daß diese Flagge niemals über einer deutschen Katastrophe geweht hat.
({2})
- 1933 ist die Katastrophe nicht deswegen gekommen, weil diese Flagge zu unseren Häupten geweht hat. Diejenigen, die damals für SchwarzWeiß-Rot gekämpft haben, haben nicht SchwarzWeiß-Rot, sondern das Hakenkreuz bekommen!
({3})
Aber wie dem auch sei, seien wir uns doch bewußt, daß hier ein Symbol für uns alle ist! Und wenn wir das wissen, dann wollen wir doch alles tun, um möglichst rasch in unserem Volke jene Herzenswärme für unsere Flagge und unsere Farben zu erwecken, die in allen Ländern der Welt für die Fahne der Nation eine Selbstverständlichkeit ist.
({4})
({5})
- Sicher, das weiß ich: nicht nur durch Strafgesetze!
({6})
- Mag sein. Die bayerischen Zustände in diesem Punkte mögen beneidenswert sein.
({7})
- Oder vorbildlich. In diesem Punkte gebe ich das Bestehen eines bayerischen Vorbildes ohne weiteres zu. Aber wir haben es ja erlebt! Haben Sie denn vergessen, was nach 1919 geschah? Und glauben Sie nicht, daß es ein Zeichen wirklicher Schwäche wäre, wenn man ganz und gar darauf verzichten würde, jenen dreisten Kräften, die schon wieder allzu begehrlich ihr Haupt erheben, auch durch ein Strafgesetz auf die Finger zu klopfen?
({8})
Ich glaube deutlich gemacht zu haben, und ich will es noch einmal ganz deutlich sagen, wenn Sie mich schon dazu herausfordern: Die Schlacht um diesen neuen demokratischen Staat wird nicht im parlamentarischen Raum gewonnen oder verloren. Draußen, im außerparlamentarischen Raum, im Volk, in den breiten Massen, wo über uns geredet wird, wo zu den Regierungserklärungen, wo über unsere gesetzgeberische Arbeit gesprochen wird, wo die Kräfte der Demagogie durch Flüsterpropaganda, und nicht einmal nur noch durch Flüsterpropaganda, sondern schon wieder in der Presse und anderswo gegen diesen neuen Staat zu wühlen beginnen: dort wird die Schlacht gewonnen oder verloren, und zwar gewiß nicht nur durch den Schutz von Strafgesetzen.
Schließen wir uns doch wenigstens in diesem einen zusammen: daß wir dieser Flagge, die bisher so wenig Glück gehabt hat, jenen Kredit gewähren, jenes Zutrauen entgegenbringen, das sie braucht; dieser armen, gefährdeten Flagge, die so arm und gefährdet ist wie unser ganzer Staat und unser ganzes Volk, damit sie wirklich und in Wahrheit die Flagge des Herzens der Deutschen werden kann! Dann werden wir uns auch hüten, über sie unvorsichtige Äußerungen zu tun-wenn wir unterstellen, daß es nur unvorsichtige Äußerungen gewesen sind. Ich will es gerne glauben, daß es nicht anders gemeint war.
Im einzelnen haben wir zu dem Gesetz etwa dasselbe zu bemerken wie der Herr Bundesminister der Justiz. Der Gesetzentwurf ist so, wie er uns vorliegt, nicht möglich. Vielleicht darf ich ergänzend zu dem, was der Herr Bundesjustizminister ausgeführt hat, noch sagen: Auch wir sind der Meinung, daß die Strafdrohungen zum Teil zu hoch sind. Auch wir glauben, daß der § 2 des Gesetzentwurfes eindeutig gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit verstößt und daß darüber gar nicht debattiert werden kann.
({9})
Auch wir sind der Meinung, daß man wegen der Fragen des geschäftlichen Wettbewerbs verschiedener Auffassung sein kann. Meine Auffassung dazu ist die, daß wir uns hüten sollten, unsere Farben für Zwecke des geschäftlichen Wettbewerbs freizugeben. Man kann das bei einer weniger gefährdeten Flagge tun; bei der unseren sollte man es, glaube ich, nicht tun.
Endlich scheint mir das geforderte Verbot der Verwendung der Bundesfarben für Zwecke der
parteipolitischen Werbung auch eine Angelegenheit zu sein, die so nicht beschlossen werden kann. Ich kann mir nicht denken, daß wir, die Parteien dieses demokratischen Staates, etwa die Bundesflagge Schwarz-Rot-Gold bei unseren Veranstaltungen nicht sollten verwenden dürfen.
({10})
Infolgedessen wird es aus praktischen Gründen doch auch hier wahrscheinlich so gemacht werden müssen, daß wir die Regierungsvorlage abwarten und die erste Lesung des uns vorliegenden Gesetzentwurfes aussetzen.
Im übrigen bedarf es einer Überlegung noch nach der Richtung, ob nicht auch die vorgeschlagene Einfügung eines Paragraphen in das Strafgesetzbuch eine Einzelmaßnahme ist, bei der man besser abwarten sollte, ob sie nicht im Zusammenhang mit noch anderen sicher kommenden Schutzbestimmungen geregelt werden sollte. Ich darf außerdem bemerken: ich könnte mir ein Gesetz über die Bundesfarben und die Bundesflagge vorstellen - das sei nur eine Anregung -, das nicht nur aus ein paar Verbotstafeln bestünde, sondern
das über die Verwendung der Bundesfarben und der Bundesflagge auch noch etwas Positives zu sagen vermöchte. Aber darüber könnte man sich im Ausschuß zum Schutz der Verfassung, der für dieses Gesetz wohl federführend sein wird, Gedanken machen und dem Hohen Hause dann einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten.
({11})
Habe ich Sie recht verstanden,. Herr Abgeordneter: Sie beantragen Aussetzung der ersten Beratung?
({0})
- Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag des Herrn Abgeordneten Kiesinger gehört, die erste Beratung des Antrags Drucksache Nr. 25 auszusetzen. Wird das Wort zu diesem Antrag zur Geschäftsordnung gewünscht? - Ich stelle fest: das ist nicht der Fall.
Wer für diesen Antrag zur Geschäftsordnung auf Aussetzung der ersten Beratung des Antrags Drucksache Nr. 25 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war zweifellos die Mehrheit; die erste Beratung der Drucksache Nr. 25 ist vorläufig ausgesetzt.
Ich habe inzwischen feststellen lassen, daß die zu Punkt 1 unserer Tagesordnung gehörende Drucksache Nr. 112 sich in den Händen aller Mitglieder des Hauses befindet. Ist das richtig?
({1}) - Noch nicht in allen Händen?
({2})
- Danke schön!
Meine Damen und Herren, dann setze ich Ihr Einverständnis voraus, daß wir zu Punkt 1 der Tagesordnung zurückkehren:
Interfraktioneller Antrag, betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse ({3}).
Es handelt sich hier um die Anträge der einzelnen Fraktionen, die ohne Aussprache an die zuständigen Ausschüsse verwiesen werden sollen. In der Drucksache ist genau angegeben, welche Ausschüsse jeweils für die Überweisung in Frage kom({4})
men, und zwar gemäß einer Absprache im Ältestenrat.
Ich stelle den interfraktionellen Antrag zur Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Ich stelle fest: das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den interfraktionellen Antrag Drucksache Nr. 112 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. - So beschlossen.
Damit kommen wir zu Punkt 4 unserer Tagesordnung:
Interfraktioneller Antrag, betreffend Ausschluß der Öffentlichkeit bei Ausschußberatungen ({5}).
({6})
- Ist der Antrag noch nicht verteilt?
({7})
- Darf ich feststellen, daß alle Mitglieder des Hauses die Drucksache Nr. 113 in Händen haben? - Ich höre keinen Widerspruch.
Das Wort zur Begründung des Antrages hat der Herr Abgeordnete Dr. von Brentano.
Dr. von Brentano ({8}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Die Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der DP, der BP, der WAV und des Zentrums haben dem Hohen Hause den Antrag Drucksache Nr. 113 unterbreitet. Er geht dahin, das Haus möge beschließen:
Gemäß § 34 der vorläufigen Geschäftsordnung wird bestimmt, daß die Teilnahme an den Sitzungen des Ausschusses für Besatzungsstatut und Auswärtiges, des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen, des ERP-Ausschusses und des Berlin-Ausschusses auf die stimmberechtigten Mitglieder dieser Ausschüsse und ihre Stellvertreter beschränkt wird. Mitgliedschaft und Stellvertretung sind an die Person der benannten Mitglieder gebunden.
Meine Damen und Herren, ich nehme an, daß der Antrag keiner eingehenden Begründung bedarf. Die hier in dem Antrag genannten Ausschüsse werden sich mit einer ganzen Reihe von Fragen zu beschäftigen haben, deren absolut vertrauliche Behandlung für die Bundesrepublik unerläßlich sein dürfte. Ein Bruch dieser Vertraulichkeit könnte darüber hinaus die Lebensinteressen Berlins und vielleicht die Lebensinteressen Gesamtdeutschlands berühren und beeinträchtigen.
Die Fraktionen, die diesen Antrag gestellt haben; sind daher der Auffassung, daß man in Ausführung des § 34 die Mitgliedschaft in diesen Ausschüssen an die Person binden und die vollkommene Vertraulichkeit durch den Ausschluß aller nicht den Ausschüssen angehörenden Mitglieder des Hauses garantieren sollte. Ich bitte, den Antrag in dieser Form anzunehmen.
Meine Damen und Herren! Sie haben die Ausführungen des Herrn Antragstellers gehört, der im Namen der beteiligten Fraktionen sprach.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Renner, bitte!
Meine Damen und Herren! Heute morgen sind in diesem Hause schon einige Feststellungen in der Richtung getroffen worden, daß man allen Versuchen, das Grundgesetz irgendwie zu erschüttern, Widerstand leisten, daß man sich an
die verfassungsrechtlichen Grundlagen des neuen Staates halten solle. Der Herr Begründer dieses Antrags hat heute hier die Katze, wie man bei uns, wo man ein deutsches Wort spricht, zu sagen pflegt, in tieferem Sinne nicht aus dem Sack gelassen.
({0})
Worauf kam es Ihnen an? Ihnen und den Fraktionen, die diesen Antrag unterzeichnet haben, also auch der sozialdemokratischen Fraktion, kam es darauf an, eine bestimmte Fraktion dieses Hauses von den Ausschußverhandlungen fernzuhalten. Sie wollen ein Sonderrecht schaffen, das dazu führt, diese eine Fraktion, und zwar die kommunistische Fraktion, auszuschalten!
Eine Begründung zu geben, haben Sie peinlich vermieden. Sie haben sich damit begnügt zu sagen: „Ich brauche wohl nicht zu begründen, warum dieser Antrag gestellt worden ist." - Richtiger und dankenswerter wäre es gewesen, wenn ein so wortgewandter Herr wie Sie, Herr Dr. von Brentano, eine Begründung gegeben hätte; das sollte Ihnen doch nicht schwer fallen, hier die Wahrheit zu sagen.
({1})
Die Wahrheit ist die, daß Sie vermeiden wollen, daß Dinge, die, um Gesetz zu werden, vom Plenum des Hauses gebilligt werden müssen, von allen hier ins Haus gewählten Fraktionen ordnungsgemäß behandelt werden. Sie schaffen ein Sonderrecht gegen die kommunistischen Abgeordneten.
({2})
- Warum wohl? - Weil Sie in diesen Ausschüssen Dinge zu verbergen haben, die die Öffentlichkeit nicht erfahren soll.
({3})
Das ist der Grund: weil Sie eine Geheimhaltung nötig haben in Fragen wie zum Beispiel ERP-Angelegenheiten, Marshallplanhilfe und nicht zuletzt auch Berlin. So liegen die Dinge!
({4})
- Gelernt von uns? Fauler Zauber!
({5})
Wenn Sie von uns etwas gelernt hätten, dann hätten Sie sich keine antideutsche Politik angewöhnt, dann hätten Sie eine deutsche Politik gemacht.
({6})
- Machen Sie nicht so billige Zwischenrufe! Sie sind doch ein geistsprühender Mann, wenigstens deklarieren Sie sich so vor der Öffentlichkeit.
Hier handelt es sich - das stelle ich ganz klar, ohne Überstürzung und Übersteigerung fest - darum: es kommt den Herren von der SPD bis rechts darauf an, die Möglichkeit zu schaffen, in Geheimkonventikeln politische Dinge - wie sage ich bloß - zu drehen unter Ausschaltung des Volkes! So liegen die Dinge! Wenn es Ihnen auf die Geheimhaltung gewisser Dinge angekommen wäre, die aus bestimmten, auch von uns anerkannten Gründen nicht vor der endgültigen Erledigung bekanntgegeben werden sollten, dann hätten Sie bloß das Recht einzuführen brauchen, das es schon in den Parlamenten vor 1933 wie überall gegeben hat, nämlich dann hätten Sie in die Geschäftsordnung nur die Verpflichtung einzubauen brauchen, daß Mitglieder bestimmter, genau zu benennender Ausschüsse an die Geheimhaltungspflicht gebunden sind. Nur das hätten Sie zu tun brauchen.
({7})
({8})
- Was haben Sie da drüben gesagt? Wollen Sie mit Ihren blöden Zwischenrufen behaupten, daß uns diese Geheimhaltungspflicht nicht zugetraut werden kann? Ich bitte um eine klare Antwort! Wir sind ja keine Minister, die es nicht fertigbringen, irgendeine Geschichte geheimzuhalten.
({9})
Wir haben aber in den letzten Wochen hier einige Erfahrungen gesammelt. Wenn hier über Ausschußdinge geplaudert worden ist, dann waren es immer die Leute auf Ihrer Seite, die ein Interesse daran hatten, die Geschichte aus parteiegoistischem oder agitatorischem Bedürfnis heraus bekanntzugeben. So liegen die Dinge!
({10})
Wenn man die Dinge demokratisch regeln wollte - und damit komme ich zum Schluß -, hätte man in die Geschäftsordnung eine Bestimmung einbauen können, die für bestimmte Fälle die Geheimhaltungspflicht vorschreibt, und man hätte einen Schritt weiter gehen können und die Mitglieder der Ausschüsse, die diese Geheimhaltungspflicht verletzt haben, ausschließen können, man hätte sie
zur Rechenschaft ziehen können. All das wäre durchaus möglich gewesen. Wir Kommunisten erkennen durchaus die Notwendigkeit an, derartige parlamentarische Regeln innezuhalten. Sie haben uns aber vorher gar nicht einmal die Frage gestellt, sondern Sie wollten - das kam schon durch die Art, wie Sie die Ausschüsse zusammengestellt haben, zum Ausdruck - durch diese Ausschaltung der kommunistischen Fraktion die Möglichkeit in die Hand bekommen, gewisse Ihnen unangenehme Dinge, das heißt Dinge, deren öffentliche Diskussion Ihnen unangenehm ist, zu vermeiden. Sie wollten unter anderem zudem nicht öffentlich bekannt werden lassen, daß nach Ihren eigenen Auffassungen die Marshallplanhilfe eine Pleite ist. Sie wollen nicht bekannt werden lassen, daß Ihre Pläne zur Sanierung West-Berlins scheitern müssen, weil es gar keinen Topf gibt, aus dem man die Mittel nehmen könnte, um dieses Loch auszufüllen. Alle diese Dinge sollen geheimgehalten werden, und darum machen Sie, Herr Dr. von Brentano, dieses undemokratische Manöver.
Wir wissen, daß wir hier nicht stark genug und deshalb nicht in der Lage sind, es abzuwehren. Aber wir werden in der Öffentlichkeit die Hintergründe dieses interfraktionellen Antrags von der SPD bis ganz rechts klar herausstellen.
Meine Damen und Herren, wird zu diesem Antrag das Wort weiter gewünscht?
- Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache über Drucksache Nr. 113.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Antrag Drucksache Nr. 113 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke; das ist die überwältigende Mehrheit.
({0})
- Ich habe abstimmen lassen!
({1})
- Ich habe festgestellt, daß die Mehrheit eindeutig war, und das genügt.
({2})
Meine Damen und Herren! Zu Punkt 5 der Tagesordnung habe ich folgendes mitzuteilen: Der Herr
Bundeskanzler hat mir sagen lassen, daß er um 12 Uhr mit den Herren Hohen Kommissaren die Frage Berlin bespricht. Er läßt deshalb bitten, daß wir diesen Punkt erst heute nachmittag behandeln. Ich habe vorhin bereits feststellen dürfen, daß die Herren Antragsteller mit der Zurückstellung dieses Punktes einverstanden sind.
({3})
Dann kommen wir nunmehr zu Punkt 6 der Tagesordnung:
Antrag der Fraktion der DP, betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Wiederherstellung der Selbstverwaltung in allen Zweigen der Sozialversicherung ({4}).
Wer von den Antragstellern wünscht das Wort?
- Frau Abgeordnete Kalinke hat das Wort.
Frau Kealinke ({5}), Antragstellerin: Meine Herren und Damen! Wenn die Grundlage zur Gewinnung echter demokratischer Lebensformen, die Selbstverwaltung als Hohe Schule der Demokratie. auf allen Gebieten des Lebens uns längst zur Selbstverständlichkeit geworden ist, so ist es geradezu unerträglich für uns, daß auf dem Gebiet der Sozialversicherung diese Selbstverwaltung noch immer nicht hergestellt worden ist. Ich habe nicht die Absicht, eine lange Rede über die Selbstverwaltung zu halten, sondern ich habe den Wunsch - und ich glaube, darin stimmen wir alle überein -, an die Regierung die Bitte zu richten, daß sie uns schnellstens ein Gesetz über eine endgültige und wirklich echte Selbstverwaltung vorlegen möge. Wir sind der Auffassung, daß gerade auf dem Gebiet der Sozialpolitik viele Auseinandersetzungen und Diskussionen über die Reform der Sozialversicherung - nicht von der Organisation, sondern von ihrem Wesen und Inhalt her - fruchtbarer geführt worden wären, wenn im Wege einer echten Selbstverwaltung diejenigen, die es am meisten angeht, nämlich die Versicherten, zu Wort gekommen wären. Das sollte schnellstens nachgeholt werden. Deshalb ist es unserer Meinung nach nicht notwendig, über diesen Punkt noch viel zu diskutieren. Ich würde mich freuen, wenn alle Fraktionen der gleichen Auffassung wären und wenn die Regierung diesen Wunsch unverzüglich erfüllen und uns die Möglichkeit einer Aussprache in dem zuständigen Ausschuß geben würde.
Sie haben die Ausführungen der Frau Antragstellerin gehört. Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht?
({0})
- Bitte schön, Herr Abgeordneter Richter!
Meine Damen und Herren! Es bedarf seitens der SPD keiner besonderen Erklärung, daß wir ein Gesetz über die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung dringend erwarten. Wir wünschen nicht nur die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, wir wünschen auch die umgehende Wiederherstellung der Selbstverwaltung in der Arbeitslosenversicherung und -vermittlung. Es war die SPD-Fraktion im Wirtschaftsrat, die im Dezember vorigen Jahres einen Initiativgesetzentwurf eingebracht hat dahingehend, daß eine echte, gerechte Selbstverwaltung in der Sozialversicherung durchgeführt werden müsse. Es waren aber gerade die Vertreter der Fraktionen, die dort drüben sitzen, die im Wirtschaftsrat keine volle
({0})
Selbstverwaltung akzeptierten, sondern die Vorlage des Ausschusses für Arbeit sehr stark verwässerten, ja verschlechterten. Sie haben die paritätische Zusammensetzung in den Organen des Vorstandes und der Vertreterversammlung auch in der Krankenversicherung beschlossen, was es niemals gegeben hat. In einer Selbstverwaltung müssen allein die Versicherten, die Mitglieder bei den Versicherungsträgern sind, darüber bestimmen, was mit ihnen und ihren Angelegenheiten geschieht.
In diesem Sinne wird, hoffe ich, der Bundesarbeitsminister uns eine Vorlage unterbreiten. Ich würde eine baldige Regelung dieser für die Demokratie wichtigen Angelegenheit sehr begrüßen.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Arndgen.
Meine Damen und Herren! Die Notwendigkeit, die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung wiederherzustellen, ist von allen, die seit 1945 mit der Sozialversicherung zu tun hatten, längst erkannt. Schon bei einem oberflächlichen Vergleich der Rechtsordnung aus der Zeit vor 1933 mit den durch die Aufbaugesetze geschaffenen Zuständen und mit dem augenblicklichen Status, der eine ungeordnete Kreuzung von altem und neuem Recht darstellt und damit auf der einen Seite Züge demokratischer Selbstverwaltung und auf der anderen Seite Merkmale des Führerprinzips der Aufbaugesetze trägt, ist zu erkennen, wie notwendig die Neuordnung der Selbstverwaltung geworden ist.
Die Träger der Sozialversicherung sind öffentlich-rechtliche Körperschaften und führen ihre Aufgaben im Rahmen des Selbstverwaltungsrechts durch. Diese Rechtsform hat sich im Lauf der Jahrzehnte eindeutig als die zweckmäßigste Verwaltungsform erwiesen, mit deren Hilfe die von der ganzen zivilisierten Welt anerkannte Beispielhaftigkeit der deutschen Sozialversicherung in der Zeit vor 1933 begründet worden ist. Zum andern hat die Selbstverwaltung als die von Eigenleben und Eigenverantwortung durchdrungene Form, die sich bewußt von der staatlichen Bürokratie abgewendet hat, durch Schnelligkeit in ihren Handlungen eine rasche Anpassung an veränderte wirtschaftliche, soziale und politische Gegebenheiten garantiert.
Aus allen diesen Gründen bitten auch wir von der CDU/CSU-Fraktion die Regierung und den Herrn Arbeitsminister, uns recht bald eine Gesetzesvorlage zu unterbreiten, die die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung wiederherstellt.
Wird das Wort weiter gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen!
Meine Damen und Herren! Es dürfte in diesem Hause wohl volle Einigkeit darüber bestehen, daß es ein schwer zu verantwortendes Versäumnis ist, daß die gesetzgebenden Körperschaften, also vor allem der Wirtschaftsrat für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet, die Versicherten ohne die von ihnen mit Recht beanspruchte Selbstverwaltung gelassen haben. Vor 1933 hat sich diese Selbstverwaltung in jeder Weise bewährt, und es bedarf wohl kaum, wie ich hoffe, des Antrags von Frau Kalinke, um die Regierung zu der Selbstverständlichkeit zu veranlassen, ein solches Gesetz nunmehr auch vorzulegen.
Nachdem mein Kollege Richter die Vorgänge im Wirtschaftsrat ein wenig angedeutet hat, möchte ich meinerseits darauf aufmerksam machen, daß in sehr wesentlichen Punkten alle Fraktionen über das Gesetz, das seinerzeit im Wirtschaftsrat beschlossen worden ist, einig gewesen sind. Es sind, wie ich gern anerkenne, nicht unerhebliche Verbesserungen aus der Arbeit des Ausschusses hervorgegangen; ich erinnere nur an die Institution der Versichertenältesten und an das Prüfungsverfahren. Wenn man aber einen, allerdings wichtigen Punkt, nämlich die Parität, hier betont, dann erfordern es die Gerechtigkeit und die Notwendigkeit, der Öffentlichkeit volle Aufklärung zu geben, daß man auch die positiven Seiten dieses Gesetzentwurfes hervorhebt, den wir ja so oder so wiedersehen werden. Das wollte ich mit diesen Worten getan haben.
Wird das Wort weiter gewünscht? - Meine Damen und Herren, ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache über den Antrag Drucksache Nr. 43.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag .ist so gut wie einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zu Punkt 7 der Tagesordnung:
Antrag der Fraktion der DP, betreffend Vorlage eines Kündigungsschutzgesetzes für ältere Angestellte ({0}).
Wer wünscht das Wort zur Begründung? - Frau Abgeordnete Kalinke!
Frau Kalinke ({1}), Antragstellerin: Bei der Stellung dieses Antrags schwebte meiner Fraktion die Schwierigkeit vor, die sich, wie in allen Krisenzeiten, so auch nach dem letzten Kriege wieder für einen besonderen Berufsstand ergeben hat, nämlich die Situation, daß bei beginnender Arbeitslosigkeit immer, wo es auch sei, die älteren Angestellten ganz besonders betroffen werden. Nun besitzen wir zwar ein Kündigungsschutzgesetz für die Angestellten vom 9. Juli 1926, ein Gesetz, das auf beiden Seiten nicht immer die Erwartungen erfüllt hat, die man an es gestellt hatte. Wir sind auch nicht der Auffassung, daß dieses Gesetz nun nicht mehr gut wäre. Aber wir sind der Meinung, daß es überprüft werden muß hinsichtlich der Vertriebenen und hinsichtlich der berufstätigen Frauen, die durch die Folgen des Krieges, durch den Frauenüberschuß und durch die Auflösung von Betrieben in den verlorenen Ostgebieten außerstande sind, ihre berufliche Tätigkeit in ihrem früheren Betrieb wieder aufzunehmen. Das gilt auch für diejenigen Frauen, die bisher überhaupt nicht berufstätig waren, und gilt besonders für die Kriegerwitwen, die nun gezwungen sind, in einem vorgeschrittenen Alter einen Beruf zu ergreifen, um aus eigener Kraft für ihre Familie und ihre Angehörigen sorgen zu können.
Aus diesen Gedankengängen heraus bitten wir die Regierung, sich bei der Vorlage eines allgemeinen Kündigungsgesetzes, das wir ohnehin von ihr erwarten und das wir nicht besonders beantragt haben, weil es ohnehin schon im Wirtschaftsrat beraten worden ist, des Kündigungsschutzes der älteren Angestellten besonders anzunehmen und entsprechend meinen Anregungen in einer besonderen Form die Bedürfnisse der Gegenwart zu berücksichtigen. Wir bitten sie insbesondere, ein solches
({2})
Gesetz dem Hohen Hause in absehbarer Zeit vorzulegen. I
Ich eröffne die Aussprache über die Ausführungen der Frau Antragstellerin. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Blank.
Blank CDU): Meine Damen und Herren! Meine verehrte Vorrednerin hat am Schluß ihrer Ausführungen gesagt, sie erwarte von der Bundesregierung, daß ihr Antrag in einem allgemeinen Kündigungsschutzgesetz Berücksichtigung finde. Das war das, was ich im wesentlichen hier ausführen wollte. Wir kennen die Lage der Angestellten und insbesondere der älteren Angestellten. Wir sind aber der Meinung, daß es eines Kündigungsschutzgesetzes nicht nur für die Angestellten, sondern für alle Arbeitnehmer schlechthin bedarf,
({0})
ähnlich wie wir das ja in dem Kündigungsschutzgesetz des Wirtschaftsrats niedergelegt hatten. Wir sind weiter der Meinung, daß man darüber noch hinausgehen und allgemeine Dinge des Kündigungsrechts in einem Gesetz niederlegen müßte. Wir sind also der Auffassung, daß die Bundesregierung uns nicht nur ein Kündigungsschutzgesetz für ältere Angestellte, sondern den Entwurf eines Gesetzes über das Kündigungsrecht schlechthin vorlegen sollte, in dem alle diese Punkte ihre Berücksichtigung finden.
Herr Abgeordneter Blank, ist das ein Ergänzungs- oder Abänderungsantrag zur Drucksache Nr. 37? Dann bitte ich, ihn zu formulieren.
Ich glaube, Herr Präsident, daß es deshalb kein Ergänzungsantrag zu sein braucht, weil ja die Antragstellerin selber gesagt hat, daß sie das, was in ihrem Antrag niedergelegt ist, in der Vorlage eines allgemeinen Kündigungsgesetzes wiederfinden möchte.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Richter.
Meine Damen und Herren! Ich habe mich zum Wort gemeldet, um die Einseitigkeit des Antrags hervorzuheben. Es ist für die gesamte Arbeitnehmerschaft und die Gewerkschaften einfach untragbar, daß nur für eine Gruppe von Arbeitnehmern ein Kündigungsschutz geschaffen werden soll. Ein altes Recht, das bereits im Betriebsrätegesetz von 1920 verankert war, ist der Kündigungsschutz für alle Arbeitnehmer, und dieser Schutz muß schleunigst wiederhergestellt werden. Man hat sich im Wirtschaftsrat damit befaßt, und dort ist auch ein Gesetz beschlossen worden, allerdings gegen die Stimmen der SPD, weil es allzusehr Tendenzen aufwies, die wir als Verschlechterung und als untragbar für die Arbeitnehmerschaft angesehen haben. Sie ersehen daraus aber, daß an sich das Problem erkannt ist. Ich glaube deshalb, die Antragstellerin und ihre Fraktion sollten damit einverstanden sein, daß dieser Antrag nicht nur für die älteren Angestellten gestellt wird, sondern daß man die Worte „ältere Angestellte" streicht und somit einen allgemeinen Antrag zur Beschlußfassung vorlegt, der von der Regierung die Vorlage eines Gesetzentwurfes über das Kündigungsrecht für alle Arbeitnehmer fordert, und zwar nicht nur die Regelung eines Kündigungsschutzes, sondern, wie der Herr Abgeordnete Blank auch gesagt hat, eines Kündigungsrechtes. Kaum ein Arbeitnehmer
ist noch in der Lage, die für ihn geltenden Bestimmungen des Arbeitsrechts zu kennen, weil sie so vielseitig, zerstreut und kompliziert sind und sich im Laufe der Jahrzehnte derart entwickelt haben, daß eine Vereinheitlichung des Kündigungsrechtes unter Einschluß des Kündigungsschutzes dringend erforderlich ist. Ich bitte das Hohe Haus, dementsprechend zu beschließen.
Das Wort hat der ständige Stellvertreter des Bundeskanzlers, Herr Bundesminister Blücher.
Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzlers: Meine Damen und Herren! Ich darf sehr kurz im Namen der Bundesregierung erklären: Es ist für uns selbstverständlich, daß die, wie schon der Herr Kollege Richter sagte, außerordentlich unübersichtlich gewordenen rechtlichen Bestimmungen zusammengefaßt werden und daß das Kündigungsrecht im ganzen, also nicht nur für einen Teil der Arbeitnehmer, einheitlich neu geregelt wird. Dem Hause wird darüber mit der möglichen Beschleunigung die Vorlage zugehen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schäfer.
Meine Damen und Herren! Ich bin dankbar für die Ausführungen, die der Vertreter des Herrn Bundeskanzlers soeben gemacht hat. Damit ist ausgesprochen, daß die Bereitschaft besteht, den Gesamtkomplex des Arbeitsrechts bzw. des Dienstvertragsrechts der in der Privatwirtschaft tätigen Arbeitnehmer neu zu regeln. In diesen Zusammenhang ist nämlich die Frage des Kündigungsschutzes zu stellen. Sie kann nicht von dem Gesamtproblem des ganzen Arbeitsverhältnisses gelöst behandelt werden. Sie wird mit den Rechtsnormen des Kollektivvertrages und des individuellen Dienstvertrages im Zusammenhang geregelt werden müssen. Je nach den sozialen Verhältnissen und der betriebswirtschaftlichen Verwendungsstufe wird es notwendig sein, diese Dinge zusammenhängend zu ordnen. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß der Kündigungsschutz eine selche Form gewinnen muß, daß er nicht zu einem Hindernis für die Wiedereinstellung von älteren Angestellten oder älteren Arbeitnehmern überhaupt wird. Daran ist sehr ernsthaft zu denken. Ich glaube aber, statt hier ausgedehnte Ausführungen über diesen Gegenstand zu machen, ist es notwendig, zunächst einmal dem zuständigen Ausschuß eine gründliche Beratungsmöglichkeit über den verwickelten Fragenkomplex zu geben.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Frau Kalinke ({0}), Antragstellerin: Ich glaube, wir sind nicht mißverstanden worden; denn dabei hatte ich ausdrücklich vorausgesetzt, was uns freundlicherweise der Herr Stellvertreter des Kanzlers mitgeteilt hat, daß uns die Regierung ohnehin ein solches Kündigungsschutzgesetz für alle entsprechend den sozialpolitischen Gegebenheiten von heute vorlegen wird. Ich bin im Namen meiner Fraktion mit einer Ergänzung unseres Antrages einverstanden, die lauten soll: „im Rahmen eines Kündigungsschutzgesetzes für alle".
Sie haben den Abänderungsantrag der Frau Antragstellerin gehört. Wird weiter das Wort gewünscht? - Ich stelle fest: das ist nicht der Fall.
({0})
Danach müßte der Antrag wohl so lauten: „Die Bundesregierung wird ersucht, den Entwurf eines allgemeinen Kündigungsschutzgesetzes für alle Arbeitnehmer vorzulegen."
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Frau Kalinke ({1}), Antragstellerin: Ich habe es anders gemeint. Der Antrag soll folgendermaßen lauten:
„Die Bundesregierung wird ersucht, den Entwurf eines neuen Kündigungsschutzgesetzes für ältere Angestellte im Rahmen eines allgemeinen Kündigungsschutzgesetzes für alle Arbeitnehmer vorzulegen."
({2})
Wird zu diesem Abänderungsantrag der Frau Abgeordneten Kalinke das Wort gewünscht? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Blank.
Meine Damen und Herren! Ich verkenne keineswegs die gute Absicht der Frau Abgeordneten Kalinke; aber so läßt sich der Antrag nicht formulieren. Wir können ja nicht ein Gesetz im Rahmen eines Gesetzes schaffen.
({0})
Ich schlage vor, den Antrag dahingehend zu formulieren: „Die Bundesregierung wird ersucht, ein Gesetz über das Kündigungsrecht vorzulegen." Darin würde all das enthalten sein, was wir wollen, also der Kündigungsschutz, dann aber auch die anderen rechtlichen Bestimmungen. die sich auf die Kündigung beziehen, wie etwa Kündigungsfristen usw.
Meine Damen und Herren, Sie haben den weiteren Abänderungsantrag des Herrn Abgeordneten Blank gehört. Darf ich die Antragstellerin fragen, ob sie mit diesem Antrag einverstanden ist?
Frau Kalinke ({0}), Antragstellerin: Wir sind damit einverstanden, da wir im Ausschuß ohnehin die Möglichkeit haben, die besonderen Wünsche der älteren Angestellten zu vertreten.
Danke schön! Dann darf
ich den Antrag endgültig wie, folgt formulieren: Die Bundesregierung wird ersucht, den Entwurf eines Gesetzes über das Kündigungsrecht vorzulegen.
Ist das Haus mit dieser Fassung einverstanden?
({0})
Nachdem die Aussprache darüber geschlossen ist, lasse ich über den Antrag in dieser neuen Fassung abstimmen. Wer für den Antrag Drucksache Nr. 37 in der soeben von mir verlesenen endgültigen Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. Ich danke! Das ist fast Einstimmigkeit.
Meine Damen und Herren! Wir kommen nunmehr zu Punkt 8 der Tagesordnung:
Antrag der Abgeordneten Ollenhauer und Genossen, betreffend Vorlage eines Heimarbeitsgesetzes ({1}).
Wer von den Antragstellern wünscht die Vorlage zu begründen? - Das Wort hat Frau Abgeordnete Döhring.
Frau Döhring ({2}), Antragstellerin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Mit dem Antrag Drucksache Nr. 75 verlangt die SPD-Fraktion von der Bundesregierung die Vorlage eines Entwurfs für ein Heimarbeitsgesetz. Weiter wird in dem Antrag zum Ausdruck gebracht, daß dem Gesetzentwurf grundsätzlich die Regelung zugrunde gelegt werden sollte, die in dem vom Wirtschaftsrat beschlossenen Heimarbeitsgesetz enthalten ist. Bekanntlich ist dieses Gesetz von der Militärregierung nicht genehmigt worden. Wir haben beantragt, in dem Gesetzentwurf grundsätzlich die Bestimmungen des vom Wirtschaftsrat beschlossenen Heimarbeitsgesetzes zu beachten. Aber ich möchte jetzt schon mit aller Deutlichkeit darauf hinweisen, daß einige wesentliche Änderungen notwendig sind.
Es dürfte bekannt sein, daß viele Flüchtlinge, und zwar insbesondere Frauen, bis heute noch keinen Arbeitsplatz gefunden haben. Diese Kreise sind mehr denn je auf Heimarbeit angewiesen, um so zu ihrem kärglichen Lebensunterhalt noch etwas hinzuzuverdienen. Sie wollen nicht der Fürsorge anheimfallen, sondern sind bestrebt, sich und ihre Familien selber zu ernähren. Zu diesem erwähnten Personenkreis kommen noch die vielen Frauen, die heute ohne Ernährer sind und für sich und ihre Kinder oder sonstige Familienangehörige selbst sorgen müssen. Viele von ihnen sind infolge häuslicher Versorgungspflichten nicht in der Lage, in einen Betrieb oder sonstwohin zur Arbeit zu gehen. Sie sind vorwiegend auf Heimarbeit angewiesen. Außerdem gilt es, jene Frauen zu schützen, die in Anbetracht des relativ geringen Lohnes ihrer Männer und der unverantwortlich hohen Preise für die notwendigsten Lebensgüter bemüht sind, durch Heimarbeit das Los ihrer Familien erträglicher zu gestalten. Es ist eine soziale Pflicht, durch gesetzliche Regelung diese bedrängten und sozial schwachen Schichten unseres Volkes vor Ausbeutung und vor Mißbrauch ihrer Not zu schützen.
Auf Grund dieses sicherlich von Ihnen allen anerkannten Sachverhalts bitte ich Sie, dem Antrag der SPD-Fraktion einmütig zuzustimmen. Von dem Herrn Bundesarbeitsminister erwarte ich, daß dem Bundestag umgehend ein sozial fortschrittliches Heimarbeitsgesetz vorgelegt wird.
Ich eröffne die Aussprache zu den Ausführungen der Frau Antragstellerin. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Karpf.
Meine Damen und Herren! Meine Fraktion schließt sich diesem Antrag vollinhaltlich an. Die Heimarbeitergesetzgebung hat in Deutschland einen langen Leidensweg hinter sich. Dieser Leidensweg wurde um eine weitere Station verlängert, als das im Wirtschaftsrat - meines Wissens einstimmig - beschlossene Heimarbeitsgesetz auch unter die Gesetze fiel, die von der Militärregierung nicht genehmigt wurden. Da die Heimarbeiter im Augenblick fast jeden Schutzes entbehren und, wie es meine geschätzte Frau Vorrednerin schon anführte, durch die Not der Flüchtlinge die Heimarbeit nicht nur eine Ausweitung, sondern auch noch eine soziale Schlechterstellung gefunden hat. ist es dringend erforderlich, daß mit größter Beschleunigung diesem gesetzlosen Zustand ein Ende bereitet wird und diese verhältnismäßig große Arbeitergruppe einen entsprechenden Schutz erhält. Unsere Fraktion schließt sich deswegen dem Wunsch der Antragsteller an, daß die Regierung möglichst rasch ein Heimarbeitsgesetz zur Vorlage bringen möge, das sich im wesentlichen an die Grundsätze des in Frankfurt beschlossenen Gesetzes hält.
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Wird das Wort weiter gewünscht? - Ich stelle fest, daß das nicht der Fall ist. Ich schließe die Aussprache über Drucksache Nr. 75. Wer für den Antrag Drucksache Nr. 75 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Das ist fast einstimmig beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 9 der Tagesordnung:
Antrag der Abgeordneten Ollenhauer und Genossen, betreffend Vorlage eines Mutterschutzgesetzes ({0}).
Wer von den Antragstellern wünscht das Wort? - Bitte, Frau Abgeordnete Kipp-Kaule.
Frau Kipp-Kaule ({1}), Antragstellerin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Mit dem vorliegenden Antrag Drucksache Nr. 79 bitte ich im Namen meiner Fraktion, daß der Bundestag beschließen möge, die Bundesregierung zu beauftragen, schnellstens ein Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter vorzulegen. Zur Begründung dieses Antrags möchte ich besonders folgendes herausstellen.
Das Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter vom 17. Mai 1942 entspricht nicht den Auffassungen und Anforderungen unserer Zeit. Im Artikel 6 des Grundgesetzes steht: „Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft." Wir glauben, daß ein Gesetz geschaffen werden muß, wonach jede Mutter den im Bonner Grundgesetz zugrunde gelegten Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft in vollem Umfang genießt. Es ist auch für unsere Zeit heute nicht tragbar, ein Gesetz zu haben, in dem Personenkreise ausgeschlossen werden, die nach unserer Auffassung ein Recht haben, im Falle der Mutterschaft ebenso geschützt zu werden wie jede andere Frau auch.
Das neue Gesetz, welches vom Wirtschaftsrat verabschiedet wurde, erhielt nicht die Zustimmung der Militärregierung, und wir haben uns auf Bundesebene mit dieser Frage noch einmal zu befassen. Meine Fraktion wünscht, daß in dem neuen Gesetz gerechtere Kündigungsschutzbestimmungen verankert werden und daß der sachliche Geltungsbereich des Mutterschutzgesetzes auch auf die Personenkreise ausgedehnt wird, die bisher von diesem Gesetz ausgeschlossen waren, zum Beispiel die in der Hauswirtschaft und in der Landwirtschaft tätigen Frauen.
Ich bitte den Bundestag, unserm Antrag zuzustimmen. Namens meiner Fraktion spreche ich die Erwartung aus, daß die Regierung so schnell wie möglich ein Gesetz vorlegt, welches den Auffassungen und den Anforderungen der heutigen Zeit entspricht.
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Ich eröffne die Aussprache zu den Ausführungen der Frau Antragstellerin. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Niggemeyer.
Meine Herren und Damen! Die Fraktion der CDU stellt sich rückhaltlos hinter den Antrag meiner Vorrednerin. Die Tatsache, daß der Entwurf des Mutterschutzgesetzes im Wirtschaftsrat auch von meiner Fraktion einstimmig gebilligt wurde, beweist, daß wir gewillt sind, den Weg der richtigen sozialen Lösung zu gehen. Der Entwurf sah zunächst eine Änderung des § 6 vor, die notwendig geworden war, weil dieses Gesetz nationalsozialistische Tendenzen und Ausdrücke enthält, die wir ausmerzen wollen. Er
hat dann aber auch wirtschaftliche Verbesserungen erfahren, die allerdings nicht die Zustimmung der Finanzminister der Länder gefunden haben. Auch die Forderung, die meine Kollegin angeschnitten hat, den Kreis der in dieses Gesetz einzubeziehenden Frauen auf die in der Landwirtschaft und in der Hauswirtschaft beschäftigten Frauen zu erweitern, hat den Ausschuß für Arbeit bereits beschäftigt.
Ich weiß, diese Fragen werden in den kommenden Ausschußsitzungen erneut erörtert werden müssen. Ich kann im Namen meiner Freunde sagen: auch wir wünschen, daß der Herr Minister für Arbeit recht bald ein Mutterschutzgesetz vorlegt, und wir werden uns dafür einsetzen, daß es in einer für alle Kreise tragbaren Form verabschiedet wird.
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Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister Storch.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die in den Anträgen unter den Ziffern 8 und 9 von uns geforderten Gesetzentwürfe befinden sich im Ministerium zur Zeit in Bearbeitung und werden in allerkürzester Zeit vorgelegt werden. Wir gehen bei unserer Arbeit davon aus, daß es sich hier um wirkliche Notstände handelt, die baldigst überwunden werden müssen, und wir hoffen, daß die Vorlagen dem Hohen Hause so schnell zugeleitet werden können, daß eine baldige Erledigung der Angelegenheiten möglich ist.
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Das Wort hat die Frau Abgeordnete Thiele.
Meine Herren und Damen! Die kommunistische Fraktion sieht es als ihre besondere und vornehmste Aufgabe an, alles zu tun, was zur Verbesserung der Lage der erwerbstätigen Frau dient. Ich möchte darauf hinweisen, daß wir bereits im Landtag von Nordrhein-Westfalen ein Gesetz für einen freien bezahlten Hausarbeitstag eingebracht haben, und wir begrüßen es auch, daß als eine der ersten gesetzgeberischen Notwendigkeiten hier im Bundesparlament die Verbesserung und Ergänzung des Gesetzes zum Schutze der werktätigen Mutter anerkannt worden ist.
Wir sind der Auffassung, daß die Änderungen, die dieses Gesetz im Wirtschaftsrat erfahren hat, schon schwerste Nachteile für die erwerbstätige Mutter gebracht haben und daß es notwendig ist, in aller Kürze diese Nachteile zu beseitigen, und zwar rückwirkend. Meine Fraktion wird alle Bestrebungen unterstützen, die darauf abzielen, diesem Gesetz neue fortschrittliche Paragraphen zu geben. Sie wird weiterhin sowohl in den Ausschußberatungen als auch im Plenum eine neue Vorlage einbringen, die ganz konkret unsere Auffassung zu diesem Gesetz darlegt.
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Frau Abgeordnete Kalinke!
Meine Herren und Damen! Meine Vorrednerinnen haben in so überzeugender Weise das Anliegen des Mutterschutzes vertreten, daß dem hier im Plenum kaum etwas hinzuzufügen ist. Im Ausschuß wird es allerdings noch eine große Diskussion geben - davon bin ich überzeugt -, und da ist sie auch angebracht.
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Ich habe im Auftrag meiner Fraktion nur zu sagen, daß es eine selbstverständliche staatserhaltende Pflicht ist, für die Mütter unseres Volkes zu sorgen und in einem neuzeitlichen Gesetz auch der berufstätigen Frau die Möglichkeit zu geben, als Mutter ihre Aufgabe zu erfüllen. Sie muß in der Zeit der Schwangerschaft so geschützt werden, wie es unserer Fraktion und, wie ich überzeugt bin, wohl allen Fraktionen in diesem Hohen Hause vor: schwebt.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich lasse abstimmen.
Wer für den Antrag Drucksache Nr. 79 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich danke. Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf die Punkte 10, 11 und 12 der Tagesordnung:
Antrag der Fraktion der KPD, betreffend sozialen Wohnungsbau ({0});
Antrag der Fraktion der DP, betreffend sozialen Wohnungsbau ({1});
Antrag der Abgeordneten Ollenhauer und Genossen, betreffend sozialen Wohnungsbau ({2}).
Diese drei Punkte gehören sachlich zusammen, wenn es sich auch um drei verschiedene und von verschiedenen Fraktionen eingebrachte Anträge handelt.
Ich schlage vor, daß zunächst die einbringenden Fraktionen ihre Anträge begründen und daß dann die Aussprache zu allen drei aufgerufenen Punkten eröffnet wird. - Ich stelle Ihr Einverständnis fest.
Ich bitte den Herrn Abgeordneten Paul, den Antrag Drucksache Nr. 10 zu begründen.
Paul ({3}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! In den letzten Monaten sind in der Öffentlichkeit und auch in der Presse des langen und breiten das Wohnungsproblem und die Wohnungsnot erörtert worden. Wir sind der Auffassung, daß viele Erscheinungen der Not und der Kriminalität ein Ausdruck des Wohnungselends sind. Wir bedauern es, daß es bisher auf dem Boden der Länder nicht möglich war, jene Gesetzesmaßnahmen zu treffen, die in starkem Maße den sozialen Wohnungsbau garantieren. Statt eines sozialen Wohnungsbaus sehen wir in unseren Großstädten, daß in erhöhtem Maße Geld und Material für kostspielige Ladenbauten und für Prachtbauten der Verwaltung verwandt werden. Wir sind keineswegs dafür, daß die Geschäftswelt nicht ihre Läden wiederaufbauen soll, aber wenn man durch Düsseldorf und einige andere Städte des Landes Nordrhein-Westfalen geht, stehen doch diese Bauten und ihre Ausführungen in keinem Verhältnis zu jenen Erfordernissen, die auf dem Gebiete der Wohnungswirtschaft dringend geboten wären. Immer und immer wieder wurde darauf hingewiesen, daß es zur Verhütung der Verschwendung von Geld und Material keine Rechtsgrundlage gäbe. Ich denke, daß auch das im Zuge der gesamten Wohnungsgesetze berücksichtigt werden sollte.
In der Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler ebenfalls vom Wohnungsbau gesprochen. Er sagte, daß man die private Initiative in entscheidendem Maße organisieren und zur Auslösung bringen müsse. Wir sind dafür, daß die private Initiative in einer richtigen Weise gesteuert wird, nämlich um die Not der Obdachlosen, der Flüchtlinge und Ausgebombten zu lindern. Aber wir sind nicht der Auffassung, daß man der privaten Initiative nun einfach Raum geben soll und. daß sie sich austoben darf, wie sie will. Wir sind auch nicht der Auffassung, daß die private Initiative allein genügt. Wir erleben doch jetzt Tag für Tag, daß diejenigen, die über viel Geld und über ein hohes Einkommen verfügen, sehr schnell in den Besitz von guten Wohnungen gelangen.
Ich denke nur an die tollen Bauzuschüsse, die von den einzelnen Privatbesitzern verlangt und ausgehandelt werden. Ich möchte sagen, daß gerade auf diesem Gebiet ein direkter Wucher betrieben wird, daß man die Wohnungsuchenden veranlaßt, große Mittel aus ihrer privaten Tasche herzugeben, die weit über die eigentlichen Baukosten hinausgehen. Manchmal werden die Forderungen nicht einmal bekannt, die gestellt werden. Man scheut die Öffentlichkeit bei der Klarstellung dieses Problems.
Wir sind der Auffassung, daß man von Bundes wegen erhöhte Anstrengungen machen muß, um vor allem den sozialen Wohnungsbau vorwärtszutreiben. Die Werktätigen, die Ausgebombten und die Flüchtlinge sind nicht in der Lage, solche Mieten zu zahlen, wie sie jetzt zum Teil für Neubauwohnungen gefordert werden. Wiederum sind die kleinen Hausbesitzer auch nicht in der Lage, ihre Häuser wieder aufzubauen, weil die notwendige staatliche Unterstützung fehlt. Noch viel schlimmer macht sich das bei den gemeinnützigen Bau- und Wohnungsgesellschaften bemerkbar, die über keinerlei Mittel verfügen, die ihre Wohnungen, die sich in ihrem Besitz befinden, zu niedrigen Preisen abvermietet haben, so daß die Erlöse nicht sehr hoch sind. So sind sie bei der Durchführung vernünftiger Bauvorhaben gehandikapt. Wir denken, daß es notwendig ist, diesen gemeinnützigen Gesellschaften in stärkstem Maße beizuspringen. Wir sind aber der Meinung, daß man zugleich den kleinen Hausbesitzern helfen muß, damit sie ebenfalls ihre zerstörten Häuser aufbauen und die beschädigten wieder instandsetzen können.
In den letzten Tagen hat der Herr Arbeitsminister Storch erklärt, es soll die Möglichkeit geschaffen werden, daß im Frühjahr des nächsten Jahres weitere hunderttausend Bauarbeiter Arbeit und Brot im Wohnungsbau finden. Aber der Herr Arbeitsminister Storch hat zugleich gesagt: „wenn das nötige Geld dafür bereitgestellt werden kann". Ich las heute morgen eine dicke Blocküberschrift in der „Welt". Wenn man sich die Erklärung und den Artikel der .,Welt" näher ansieht, dann sieht man darin den Versuch, die Menschen zu täuschen. Man sagt nämlich nicht, woher die Mittel genommen werden sollen. Mit allgemeinen Erklärungen über die Notwendigkeit des Wohnungsbaus ist den Massen draußen nicht geholfen. Wir sind auch nicht der Auffassung, daß es genügt und daß es richtig ist, durch Betteltouren den Wohnungsbau vorwärtszubringen, wie das in verschiedenen Gemeinden jetzt gemacht wird, indem man auf Gas und Strom eine freiwillige Abgabe legt. Damit lindert man die Wohnungsnot nicht. Das sind nur Palliativmittelchen, die zu keinem nennenswerten Erfolg führen können.
Wir wünschen deshalb, daß sehr bald ein Gesetz zur Förderung des sozialen Wohnungsbaues von der Regierung vorgelegt wird. Wir glauben, in diesem Gesetz muß verankert werden, daß ein Großteil der Besatzungskosten für den Wohnungsbau verwandt wird. Es ist an der Zeit, daß die Besatzungsmächte Deutschland verlassen und daß der kostspielige Apparat auf einen kleinen Kontrollapparat reduziert wird, damit die Gel({4})
der, die bisher für die Besatzungskosten Verwendung finden, für soziale Zwecke, darunter für den Wohnungsbau, eingesetzt werden können.
Wir sind weiter der Meinung, daß man die Großverdiener und Großunternehmer durch eine Sonderabgabe zur Förderung des sozialen Wohnungsbaues heranholen muß. Außerdem haben wir in unserem Antrag beantragt, daß 5 % der Gesamteinnahmen des Bundes für diese Zwecke zur Verfügung gestellt werden. Ein besonderes Kapitel bilden die Einnahmen aus dem Zinsaufkommen aus der Staatsgrundschuld.
In der Vergangenheit war es so, daß die Gelder, die aus der Wohnungswirtschaft herausflossen, nicht wieder dem gemeinnützigen Wohnungsbau zugeführt wurden, sondern daß große Teile dieser Gelder im Staatshaushalt für die Unterhaltung der Reichswehr, der Polizei usw. verwandt wurden. Grundsätzlich sollte in dem Gesetzentwurf der Regierung festgelegt werden, daß alle Gelder, die aus der Wohnungswirtschaft durch Steuern oder sonstigen Zinsendienst herauskommen, zur Förderung des Wohnungsbaues eingesetzt werden müssen.
Ich glaube. daß es auch notwendig ist, von seiten des Wirtschaftsministers mit Hilfe der Gewerkschaften einmal zu überprüfen, in welchem Umfange das Material verwandt und wie es eingesetzt wird. Wenn nämlich ein großzügiger Wohnungsbau durchgeführt werden soll, wird die Kapazität unserer Zementwerke, unserer Dachziegeleien usw. kaum ausreichen, vor allem dann, wenn man zuläßt, daß mit Zement weiter in dem bisherigen Sinn umgegangen wird. Man sollte auch die Gewinne dieser Unternehmungen streng kontrollieren und alle Preisabsprachen auf diesem Gebiet unterbinden, um so auch von dieser Seite her die Garantie dafür zu schaffen, daß der Wohnungsbau vorwärtsgetrieben wird.
Ich glaube, daß auch noch viel auf dem Gebiet der Bereitstellung von Grundstücken und in bezug auf den Erlaß von Anliegerbeiträgen getan werden kann. In sehr vielen Ländern und Gemeinden wird heute ein Grundstückswucher betrieben. Nur in sehr geringem Umfange entscheidet man sich für die Bereitstellung von Grundstücken für verbilligtes Geld.
Ich glaube, daß alle diese Fragen in dem Gesetzentwurf mit behandelt werden sollten, um so ein Gesetz zu bekommen, welches in weitestem Maße der Förderung des Wohnungsbaues dient. Die Menschen draußen wünschen, daß das Wohnungselend gelindert wird, und sie wünschen Wohnungen, deren Miete auch ihrem Einkommen gemäß tragbar ist.
Wir sind keineswegs damit einverstanden - wir haben das auch in der Begründung zu diesem Antrag gesagt -, daß man nun den Mietpreisstop aufhebt, um damit dem Mietwucher Tür und Tor zu öffnen; wir sind im Gegenteil der Meinung - und da gehe ich mit dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion konform, in dem das ausdrücklich gesagt wird -, daß auch für Neubauwohnungen ein bestimmter Mietsatz festgesetzt werden muß, um ein für allemal dem Wucher und der Ausbeutung der Massen zu begegnen.
So möchte ich Sie im Auftrage meiner Fraktion bitten, unserm Antrag stattzugeben. Er ist geeignet, der Regierung Richtlinien an die Hand zu geben, die der Förderung des sozialen Wohnungsbaues dienen. Wenn Sie so im Sinne unseres Antrags handeln, dann werden wir in der Tat eine
Wendung in der Richtung einer verstärkten Beschaffung von Wohnungen für die Obdachlosen, die Ausgebombten und Flüchtlinge erreichen.
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Zur Begründung des Antrags Drucksache Nr. 39 hat das Wort Frau Abgeordnete Kalinke.
Frau Kalinke ({0}), Antragstellerin: Meine Herren und Damen! Ich hatte schon bei der Aussprache über die Regierungserklärung Gelegenheit, der Regierung im Namen meiner Fraktion für die Absicht zu danken, bei dem sozialen Wohnungsbau und bei allen übrigen Aufgaben besonders der berufstätigen Frauen zu gedenken, wobei ich wiederum an die vielen Frauen denke, die jetzt durch den Nachkriegszustand, durch die Kriegsereignisse und den Frauenüberschuß gezwungen sind, sich oft unter den schwierigsten Umständen im Lebenskampf zu behaupten. Ich habe den Wunsch, daß die Regierung das nicht nur de jure, sondern auch de facto tun wird und nicht etwa wie bisher in der Frage der Gleichberechtigung der Frau handelt, von der zwar unerhört viel gesprochen, aber für die in Wirklichkeit unerhört wenig getan wird.
Wir sind der Auffassung, daß bei dem sozialen Wohnungsbau nicht nur Kleinstwohnungen für Arbeiter, Angestellte und Beamte geschaffen werden sollten, sondern darüber hinaus auch wirklich vorzügliche Ledigenheime und Wohnungen, in denen Kriegerwitwen und Frauen mit Kindern die Möglichkeit haben, nicht nur eine Kochnische, sondern eine ausreichende Wohnung zu bekommen, und durch die gleichzeitig ein anderes großes soziales Problem gelöst werden kann, nämlich den vielen älteren Frauen, die keine Berufsausbildung haben, die Möglichkeit zu geben, in diesen Heimen die Betreuung der berufstätigen Frauen zu übernehmen. Gerade unter den Vertriebenen würden viele eine solche Möglichkeit der Betätigung außerordentlich begrüßen. Diese Arbeit könnte sich auf die Verpflegung der berufstätigen Frauen und auf das Wäschewaschen erstrecken. Es wäre aber auch für eine gute Pädagogin die Möglichkeit gegeben, sich der Kinder der berufstätigen Frauen anzunehmen, die nicht nur während der Jahre, in denen die Kinder einen Kindergarten besuchen, sondern auch während der Jahre, in denen sie die Schule besuchen, betreut werden müßten.
Das sind Probleme von solchem Ausmaß, daß sie einer sehr gründlichen und tiefgehenden Diskussion im Ausschuß bedürfen. Ich möchte die Regierung bitten, dies bei allen Planungen für den sozialen Wohnungsbau in weitgehendem Maße zu berücksichtigen und sich auch jene Maßnahmen für die berufstätige Frau als Vorbild zu nehmen, die in anderen Ländern - ich denke an die Schweiz, an Schweden usw. - in der Vergangenheit und in den Jahren, in denen sie glücklichere Zeiten hatten als wir in Deutschland, schon durchgeführt worden sind.
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Das Wort zur Begründung des Antrages Drucksache Nr. 73 hat der Abgeordnete Stierle.
Stierle ({0}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Meine Fraktion erstrebt mit dem Ihnen vorliegenden Antrag die Fixierung eines Termins,
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bis zu welchem die Regierung einen Gesetzentwurf zur Förderung und Ordnung des sozialen Wohnungsbaues vorlegen soll. Ich kann mir alle Ausführungen über die Größe der Wohnungsnot und die daraus erwachsenden Folgen ersparen. Auch Ihnen gehen ständig Eingaben von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen zu, die Ihnen diese Not mit bewegten Worten schildern. Auch Sie hören ständig die Hilferufe und Notschreie. Wir können uns dieser ernsten Lage gegenüber nicht passiv verhalten. Der Wohnungsbau muß heraus aus dem Stadium der Improvisationen. Es ist nicht länger möglich, daß fast ausschließlich für diejenigen gebaut wird, die - zum Teil erhebliche - Baukostenzuschüsse aufbringen können. Ich meine, daß ein solcher Zustand auch dem sozialen Charakter der Regierungspolitik auf das stärkste widerspricht.
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Eile tut not, meine Damen und Herren, um so mehr, als wir den beängstigenden widersinnigen Zustand zu verzeichnen haben, daß angesichts eines Riesenbedarfs an Millionen Wohnungen zur gleichen Zeit 160 000 Bauarbeiter feiern müssen. Das Ziel unseres Antrags ist, bis zum Beginn der Bausaison im kommenden Frühjahr alle Vorbereitungen zu treffen, damit dann auch wirklich großzügig und erfolgversprechend angefangen werden kann.
Hierfür steht uns ein knappes halbes Jahr zur Verfügung. Wir müssen also schnell vorankommen. Nach der Statistik fehlen rund 5 Millionen Wohnungen, ungerechnet den Bedarf, der durch die Neugründung von Haushaltungen hinzukommt. Daraus ergibt sich, daß nur großzügigster Wohnungsbau hier wirksam Abhilfe schaffen kann. Ich hoffe, daß Sie mit mir einig sind, wenn ich sage: man kann die Lösung dieser Aufgabe nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Wir haben kein Vertrauen zu den „Erfolgen" der sozialen Marktwirtschaft. Die besorgniserregende Entwicklung zum Beispiel der Kartoffelpreise und die noch vollkommen offene Frage, wie etwa der Arbeitslose oder der Empfänger von Sozialunterstützung in diesem Jahre seine Kohlen und Kartoffeln in den Keller bekommen soll, geben unserem Mißtrauen erneute Nahrung.
5 Millionen Wohnungen ist eine so große Zahl, daß das Ziel nur in verhältnismäßig langer Zeit erreicht werden kann. Wir müssen also Etappenziele ins Auge fassen. Unser Antrag sieht demgemäß vor, als Nahziel zu setzen, daß zumindest 250 000 Wohnungen im Jahre errichtet werden. Vielleicht gelingt es, in späteren Zeiten schneller voranzukommen. Wir glauben, daß dieses Ziel von 250 000 Wohnungen durchaus erreichbar ist. Nach der Statistik des Vereinigten Wirtschaftsgebietes befanden sich Anfang 1949 rund 190 000 Wohnungen im Bau. Rechnen Sie die französische Zone ein und die in der Zwischenzeit angelaufenen Maßnahmen, so kommen Sie auf etwa 220 000 Wohneinheiten. Daraus ergibt sich, daß die Kapazität der Bauwirtschaft und der Baustoffindustrie mit diesem Ziel von 250 000 Wohnungen durchaus zu vereinbaren ist, besonders wenn ich noch einmal daran erinnere, daß zu gleicher Zeit 160 000 Arbeiter des Baufachs feiern müssen.
Nun noch einige Bemerkungen zu dem, was wir bei dem geforderten Gesetz für notwendig halten. Zunächst ein Wort zu den Mietpreisen. Wir können nicht umhin, den Mietpreis in unlösbarem
Zusammenhang mit den Lebenshaltungskosten und den Einkommen zu sehen. Es wird teilweise verlangt, die Mieten für Neubauwohnungen freizugeben oder zumindest die sogenannte Kostenmiete anzuerkennen. Wir sind der Auffassung, daß bei den derzeitigen Herstellungskosten und den hohen Kapitalkosten Mieten herauskämen, die für den Bezieher eines durchschnittlichen Einkommens nicht mehr tragbar wären. Unsere Forderung geht daher dahin, daß die Mieten zumindest im sozialen Wohnungsbau weiterhin an die durchschnittlichen Mieten für Wohnungen gleicher Größe und Ausstattung wie in den letzten Jahren vor dem Krieg gebunden bleiben. Solange das Realeinkommen der Masse der Bezieher durchschnittlicher Einkommen sich nicht wesentlich bessert, kann an eine Veränderung der Mietpreise nach oben nicht gedacht werden.
Wir haben allerdings keine Bedenken, die Mieten freizugeben für Wohnungsbauten, die nicht öffentlich gefördert werden. Die Folge wird zwar ein sehr unterschiedliches Mietenniveau - unterschiedlich zwischen frei finanzierten und sozialen Wohnungsbauten - sein; dafür haben wir aber dann den Vorteil, die private Initiative eingeschaltet zu haben, und in gewisser Weise erreichen wir vielleicht eine Entlastung des Wohnungsmarktes, wenn diejenigen, die es sich leisten können, derart teuere Wohnungen beziehen. Vielleicht steckt in dieser Freigabe auch ein gewisses Risiko der Kapitalfehlleitung und der Zusammenbrüche, wenn dieser Kreis der Bessergestellten falsch geschätzt wird oder nicht konstant bleibt.
Über das, was unter sozialem Wohnungsbau verstanden werden soll, werden wir uns wohl sehr schnell verständigen können. Eine gute Basis hierfür bietet die Bekanntmachung der obersten Baubehörde im bayrischen Innenministerium vom Februar 1949. Dort werden als wesentliche Merkmale des sozialen Wohnungsbaues Art und Größe der Wohnung sowie der Mietpreis bezeichnet. Ich kann und will das jetzt hier nicht im einzelnen ausführen, es läßt sich auf die kurze Formel bringen: kleine und billige Wohnungen.
Wir sind uns wohl auch darüber einig, für wen ausschließlich der soziale Wohnungsbau betrieben werden muß. Dies ergibt sich eigentlich schon aus den Begriffsbestimmungen, die ich kurz angedeutet habe: für alle, die. der Sozialversicherungspflicht unterliegen oder diesem Personenkreis ihrem Einkommen nach gleichstehen. Wenn für diesen Kreis gebaut wird, dann kann es uns ganz einerlei sein, ob der Bauherr ein gemeinnütziges Wohnungsunternehmen oder ein privater Grundstücksbesitzer oder eine sonstige juristische Person ist. Die gemeinnützige Wohnungswirtschaft erstrebt keinen Monopolanspruch auf die öffentlichen Mittel oder auf sonstige Förderungsmaßnahmen. Wir müssen aber billigerweise fordern, daß dort, wo diese Mittel oder Förderungsmaßnahmen beansprucht werden, auch die noch in Gesetzesform zu bringenden Mindestbedingungen des sozialen Wohnungsbaus akzeptiert und eingehalten werden.
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Wir wären sehr befriedigt, wenn sich der soziale Charakter der Marktwirtschaft, die von der Regierung praktiziert wird, in der Weise manifestieren würde, daß sich auch unter den skizzierten Begriffsmerkmalen des sozialen Wohnungsbaus recht viel privates Kapital in diesem
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investieren würde. Ich muß Ihnen aber leider gestehen, daß ich in dieser Beziehung sehr skeptisch bin,
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weil meines Erachtens die Möglichkeit einer solchen Investierung privaten Kapitals im sozialen Wohnungsbau in der Vergangenheit bereits bestanden hat, aber wohl aus Gründen zu geringer Rendite nicht benutzt wurde.
In bezug auf die Finanzierung interessieren uns bei dem Gesetzentwurf, der uns vorschwebt, in der Hauptsache die Mittel, die dazu dienen müssen, den unrentierlichen Teil der Baukosten zu finanzieren. Wir fordern, daß diese öffentlichen Mittel als zinslose Tilgungsdarlehen gegeben werden. Es kann unter gar keinen Umständen in der Weise weitergehen, wie es einzelne Behörden oder öffentliche Kapitalgeber bereits getan haben, daß sie solche öffentlichen Mittel zu 6 bis 61/2 Prozent ausleihen mit der Begründung: wir haben keine Ursache, unser Geld zu verschenken! Sie passen sich also dem allgemeinen Kapitalmarkt an. So kann und darf es nicht gehen. Hier muß einheitlich durchgegriffen werden. Tragbar ist ein Tilgungssatz von 1 Prozent. Aber grundsätzlich muß gefordert werden, daß die öffentlichen Mittel, die zur Deckung der unrentierlichen Kosten dienen müssen, zinslos gegeben werden.
Es geht darum, meine Damen und Herren, durch eine rechtzeitige und langfristige Planung die Bereitstellung der Mittel zu sichern, die für die Durchführung eines so großen Vorhabens nötig sind. Ich weiß, daß manche von Ihnen das Wort „Planung" schreckt. Mir scheint der Streit weniger darum zu gehen, ob Planung oder Nichtplanung. Ich halte die Gegner unserer Auffassung für so gute und kluge Wirtschaftler, daß sie die Notwendigkeit der Planung durchaus einsehen und auch ständig die Planung praktizieren. Der Streit geht meines Erachtens mehr um die Frage: wer plant, und für wen wird geplant? Ich darf wohl hoffen, daß wir zumindest dieser großen Aufgabe gegenüber, die ein so großes Wohnungsbauprogramm mit so starken Auswirkungen auf unser ganzes Wirtschaftsleben beinhaltet, einig darüber sind, daß diese große Aufgabe geplant werden muß, worunter ich die Koordinierung der Wohnungspolitik mit der Kapitalmarkt- und Arbeitsmarktpolitik verstehe. Bliebe also zu klären: für wen wird geplant? Ich habe es bereits gesagt: für die Ärmsten, für diejenigen, die sich nicht selbst helfen können, die nicht in der Lage sind, Baukostenzuschüsse in nennenswertem Maße aufzubringen. Daraus ergibt sich meines Erachtens auch, wer plant. Nicht diejenigen, die im Wohnungsbau ein kommendes großes Geschäft wittern! Wir schlagen einen ständigen Beirat für den sozialen Wohnungsbau beim Wiederaufbauministerium vor, der alle an dieser Frage interessierten Kreise zusammenfaßt. Über die Einzelheiten wäre dann noch zu reden.
Planung bedeutet nicht Schaffung einer neuen Bürokratie. Planung bedeutet hier Schaffung einheitlicher Grundlagen, Schaffung einer Rahmenregelung für die ersten Maßnahmen der nächsten Jahre, schon damit baldigst Übereinstimmung auch der einzelnen Ländermaßnahmen erzielt wird. Planung bedeutet hier Konzentration aller den sozialen Wohnungsbau betreffenden Fragen an einer Stelle, sowohl beim Bund als auch bei den Ländern. Der Wirrwarr muß einmal aufhören, daß bei den Länderregierungen zwei, drei, ja zum Teil vier Ministerien und Stellen zuständig sind und sich der geplagte Bauinteressent durch diesen Wirrwarr überhaupt nicht mehr durchfindet. Planung bedeutet hier auch einheitliche Entwicklung aller Finanzierungsmöglichkeiten. Planung bedeutet hier die ehrenamtliche freiwillige Zusammenfassung aller an dieser Frage interessierten Kräfte.
Der Wohnungsbau ist eine wirtschaftspolitische Aufgabe allerersten Ranges geworden. Die Lage der breitesten Schichten der arbeitenden Bevölkerung macht es zur zwingenden Notwendigkeit, daß eine Form des Wohnungsbaus, nämlich der soziale Wohnungsbau, sowohl mengen- wie auch finanzierunsgmäßig den unbedingten Vorrang genießt. Die Lösung dieser großen Aufgabe kann man nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Die wirtschaftlich Schwächsten blieben auf der Strecke, wenn anders verfahren würde. Ich bitte Sie darum, unserm Antrag zuzustimmen, mit welchem die Regierung aufgefordert wird, bis zum Jahresschluß einen Gesetzentwurf zur Förderung und Ordnung des sozialen Wohnungsbaues vorzulegen.
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Meine Damen und Herren! Die drei Anträge sind eingebracht und begründet. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Wirths.
Meine Damen und Herren! Ich bin über zwei Punkte, die in der Begründung angeführt worden sind, außerordentlich befriedigt. Ich möchte das vorweg feststellen. Das, was der Herr Abgeordnete der SPD hier über den sozialen Wohnungsbau und insbesondere über die Definition des sozialen Wohnungsbaues erklärt hat, ist durchaus richtig; darüber bestanden aber bisher in der Öffentlichkeit und auch in den beteiligten Kreisen außerordentlich große Zweifel.
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- Richtig! Man dachte sich unter sozialem Wohnungsbau in der Öffentlichkeit und auch bei vielen Beteiligten die Herstellung dieser Wohnungen nur durch gemeinnützige Genossenschaften. Ich bin befriedigt, daß der Herr Begründer des Antrags erklärt hat, daß darunter die Art der Wohnung, eine bestimmte Größe und eine bestimmte Miete zu verstehen sind, wobei alle drei Punkte ein Höchstmaß nicht überschreiten sollen. Ich bin aber andererseits der Auffassung, daß früher, auch vor 1933, die private Wohnungswirtschaft in weitem Umfange gerade solche Wohnungen erstellt hat, und zwar mit tragbaren Mieten. Ich erinnere an die Ära der Hauszinssteuer, wo ja jeder Privatmann, der kleine Wohnungen bauen wollte und sie mit Hauszinssteuermitteln finanziert bekam, eine Mietberechnung einreichen mußte, und wenn die Miete zu hoch war, bekam er eben keine Mittel dafür. Insoweit ist das nicht richtig.
Wenn andererseits im Antrag der KPD erklärt worden ist, daß man nur 40 % der Besatzungskosten zu nehmen und eine Sonderabgabe auf Bar- und Sachvermögen sowie 5 % von den Gesamteinnahmen des Bundes zu erheben brauche, so kann ich dazu nur sagen: das wäre ja sehr einfach, und dann wären wir alle glücklich; denn dann könnten wir das von heute auf morgen machen. Aber so einfach ist es nicht.
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- Wo wollen Sie denn 40 % der Besatzungskosten herkriegen? Wie wollen Sie bestimmen, daß 5 % der Gesamteinnahmen des Bundes für den Wohnungsbau verwendet werden? Das sind ja, ich möchte sagen, Mätzchen. Und wenn Ihr Herr Paul darauf hingewiesen hat, daß hier in den Westzonen eine ganze Reihe von gewerblichen Bauten, luxuriösen Ladenbauten usw. errichtet worden ist, dann möchte ich ihn bitten, doch einmal zur Ostzone zu sehen und festzustellen, wieviel Parteibauten da entstehen. Wenn seit dem Winter des vergangenen Jahres diese gewerblichen Bauten hier nicht errichtet worden wären, wäre die Arbeitslosigkeit noch größer. Sie können doch von den Geschäftsleuten, die dringend einen Laden brauchen oder ihre Fabrik erweitern müssen, nicht verlangen, daß sie sich das Geld für den Wohnungsbau wegnehmen lassen. Mit demselben Recht und mit einem viel größeren Recht können Sie verlangen, daß die übergroßen Verwaltungen in allen Stufen, in den Gemeinden, den Ländern und im Bund, abgebaut werden; da werden Sie eher Mittel herausholen können!
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- Herr Renner, die Ministergehälter machen das nicht aus.
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Wenn Sie dagegen in einer Landesverwaltung feststellen, daß soviele Ressorts bei einem Landesministerium bestehen, und dort anfangen abzubauen, dann erbringt die Ersparnis nicht das bißchen Gehalt der oberen Beamten, sondern die Aufgaben, die den Gemeinden auferlegt werden, fallen weg, und die Ersparnis tritt in erster Linie auf der Ebene der Gemeinden ein. Das ist das Entscheidende.
Meine Damen und Herren, es dreht sich bei dem Problem letzten Endes um die Finanzierung. Ich bin mit dem Herrn Kollegen von der SPD durchaus der Meinung, daß die Kapazität der Bauwirtschaft für den Bau von 250 000 Wohnungen vorhanden ist bzw. erreicht werden kann. Ich weise nur darauf hin, daß wir in den Zementwerken relativ geringe Zerstörungen haben. Die Kapazität kann wesentlich gesteigert werden. Wir haben Schwierigkeiten, wir haben Engpässe - ich denke nur an Holz und ähnliche Stoffe -; aber die werden sich überbrücken lassen. Die Schwierigkeit liegt in der Beschaffung des Geldes. Und wieviel Projekte über Geldbeschaffung haben wir vorliegen! Deren Zahl ist ja Legion. Wir haben Wohnungsbauabgaben bereits in verschiedenen Ländern. Wir haben Wohnraumabgaben, wir haben einen Wohnbaugroschen, wir haben einen Sportgroschen. Wir haben Vorschläge über Lotterien; teils sind sie eingeführt, teils sind sie nicht bewilligt worden. Aber das bringt letzten Endes nicht viel. Es ist sehr zu überlegen, ob wir überhaupt die Finanzierung durchführen sollen, indem neue Zwecksteuern geschaffen werden, nachdem die Regierung versprochen hat, daß demnächst eine Steuerreform kommen soll.
Weiter ist der Vorschlag gemacht worden - ich weiß nicht, ob er in einzelnen Ländern verwirklicht worden ist -, die Altmiete, das heißt die Miete der Häuser, die vor 1924 gebaut worden sind, an die Neumiete, das heißt an die Miete in den Häusern, die nachher gebaut worden sind, anzugleichen.
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- Ja, es war dort angedeutet. Das ist ein Weg, den man gehen kann. Das hat aber zur Voraussetzung, daß das ganze Mietenproblem von A bis Z aufgerollt wird. Es ist nicht möglich, die Mieten ohne weiteres zu erhöhen, aus dem einfachen Grunde nicht, weil es heute einem großen Teil der Bevölkerung schwer wird, die Miete auch in Altwohnungen zu zahlen, während andererseits eine ganze Reihe von Mietern, die viel verdienen, in billigen Wohnungen lebt. Sie haben Hunderte und Tausende von vollkommen verarmten Hausbesitzern, deren Wohnungen von Mietern bewohnt sind, denen es wirtschaftlich viel besser geht. Es würde aber zu weit führen, das Problem im einzelnen zu besprechen. Allerdings glaube ich, daß es in die Gesamtberatungen einbezogen werden muß.
Es ist davon gesprochen worden, daß man den Sparern einen neuen Anreiz geben müsse. Vielleicht kommt der Anreiz dadurch, daß die Regierung nun eine etwas bessere Aufwertung der alten Sparguthaben herbeiführen will. Aber alle diese Dinge bedeuten ja letzten Endes nur, daß man aus dem Gesamtvolumen des verfügbaren Geldes bei irgendwelchen Ausgaben etwas abstreicht und dies dem Wohnungsbau zuteilt. Die große Frage ist, ob das in dem Umfange möglich ist, der gefordert werden muß.
Ich möchte nur andeutungsweise auf den neuen Weg hinweisen, der in einer Denkschrift der vorläufigen Hauptwirtschaftskammer des Landes Rheinland-Pfalz aufgezeigt ist. In dieser Wirtschaftskammer sitzen 13 Leute von der Arbeitnehmerseite, 13 von der Arbeitgeberseite und 3 wirtschaftliche Sachverständige, die sich einstimmig diese Denkschrift zu eigen gemacht haben. Der Vorschlag läuft darauf hinaus, eine Initialzündung der Bauwirtschaft dadurch zu erreichen, daß man die Bank deutscher Länder veranlaßt, in einem großzügigen Maße zur Kreditneuschöpfung zu kommen.
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Es ist zu überlegen, ob wir nicht diesen Weg mit allen anderen Möglichkeiten zusammenfassen müssen, ja vielleicht diesen Weg zuerst gehen müssen. Der Vorschlag geht auf der einen Seite dahin, daß man aus der Schattenquote die Beträge zur Verfügung stellt und vorfinanzieren läßt. Man kann es da auch so machen, daß die Leute, die ihr Guthaben verloren haben, einen Teil gutgeschrieben bekommen und daß man sie verpflichtet, dafür eine geringe verzinsliche Wohnungsbauanleihe zu zeichnen, die gesperrt ist. Die Leute haben dann die Möglichkeit, jährlich über Zinsen und Tilgung zu verfügen. Man kann auch den andern Weg gehen, der ebenfalls vorgeschlagen worden ist, daß die Bank deutscher Länder entweder für den Bund eine Bundesanleihe lombardiert oder daß man das den Landeszentralbanken im Bereiche der Länder überläßt. Wer das macht, ist ziemlich gleichgültig. Das Interessante an dieser Denkschrift ist zunächst einmal die Mitwirkung von bedeutenden Wissenschaftlern der Volkswirtschaft, insbesondere der Finanzwissenschaft, die deutlich erklären, man dürfe es nicht so machen, wie man es 1931/32 gemacht hat, als man es versäumte, die Arbeitslosigkeit anzupacken; man müsse feststellen, daß wir heute neue volkswirtschaftliche Erkenntnisse hätten und daß man die Fehler, die in der damaligen Theorie der Geldschöpfung steckten, einsehen müsse. Wenn sich diese Auffassung, die von der praktischen Bauwirtschaft durchaus geteilt wird, in den Kreisen, die sich damit zu beschäftigen haben, durchsetzen könnte, also
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beispielsweise hier in der Regierung und bei der Bank deutscher Länder, dann, glaube ich, würden wir einen erheblichen Schritt vorankommen. Damit hätte man auch das Problem der rentierlichen und unrentierlichen Baukosten einer Lösung entgegengebracht.
Meine Damen und Herren! Das zweite Problem ist der Zins. Die Miethöhe ist vom Zins abhängig. Es ist ein absoluter Unfug, zu glauben, man könnte heute erste Hypotheken auf die Dauer mit 61/2 Prozent begeben. Das ist nicht möglich, und ich bin der Meinung, daß die Pfandbriefanstalten, die diesen Weg gehen, sich allmählich das eigene Grab graben. Ebenso verwerflich ist, daß, wie es heute geschieht, Kündigungen von Versicherungsgesellschaften und auch von Sparkassen mit dem Ziel ausgesprochen werden, eine höhere Verzinsung zu kriegen. Wir müssen zwischen dem Zins für das Kapital und dem Zins für das Geld unterscheiden. Das sind zwei Dinge, die man trennen muß, und ich bin der Meinung, daß wir durch geeignete Maßnahmen dahin kommen müssen, daß der Zinssatz für die erste Hypothek nicht mehr als 4 Prozent beträgt. Das ist zu erreichen, und da hilft uns der Sparer, der heute sein Geld nicht zu den Sparinstituten bringt, um hohe Zinsen zu bekommen, sondern nur noch für einen bestimmten Zweck spart. Wir müssen das Zwecksparen für den Wohnungsbau fördern.
Dazu gehört natürlich auch, daß der Formularkrieg abgebaut und daß auch das Problem der Trümmerhypotheken gänzlich gelöst wird. Das Problem muß auch einmal nach der technischen Seite betrachtet werden. Wir haben, soviel ich weiß, einen Normenausschuß, der aus Beamten besteht. Wir haben den Normenausschuß vor 1933 gehabt, und er hat ganz gute Arbeit geleistet. Ich bin der Meinung, daß ein neuer Normenausschuß aus Sachverständigen und Praktikern der Bauwirtschaft und der Bauwissenschaft gebildet werden muß. Es hat keinen Zweck, diese Dinge in der Hand von Beamten zu lassen, und wir müssen dahin kommen, daß sich diese Arbeit des Normenausschusses nicht nur in Form von Empfehlungen für die beteiligten Kreise präsentiert, sondern unter Umständen in einem Normengesetz für den Kleinwohnungsbau, das absolut anzuwenden ist. Es ist ein Unfug, daß heute noch ein Dutzend und mehr Arten von Schlössern für Zimmertüren gemacht werden, daß wir heute noch 20 bis 30 verschiedene Sorten von Türdrückern haben. Der Geschmack der Bauherren und auch der Hausfrauen muß da etwas zurücktreten. Ich glaube, wenn wir da einmal die Kräfte aus der Bauwirtschaft einschalten, wird man sich sehr leicht verständigen. Das muß dann aber nachher auch gesetzlich in einem bestimmten Rahmen verankert werden.
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- Meine Herren, es ist eben von Planung gesprochen worden. Glauben Sie denn, wir stünden auf dem Standpunkt, daß jeder planlos wirtschaften soll?
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Jeder Gemüsehändler, jeder Milchvertreiber macht sich einen Plan über seine Kundschaft und über die Bedienung der Kundschaft.
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- Die machen es auch!
Wenn wir hier in dem großen Rahmen eine konstruktive Wohnungsbaupolitik machen, dann ist das Planung. Letztlich ist Politik ja weiter nichts als Planung.
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Wenn wir in diesem großen Rahmen der privaten Initiative den Weg freigeben, dann werden wir, wie ich glaube, alle Kräfte herausholen können. Ich glaube, daß nicht allein - ich bin auch in diesem Punkt über das befriedigt, was der Begründer des Antrags erklärt hat - die gemeinnützigen Genossenschaften die Aufgabe lösen können. Das können sie wirklich nicht.
Wir müssen - um hier noch zwei Gedanken in die Debatte zu werfen - ein Bundesaufbaugesetz, das heißt ein Rahmengesetz für den Aufbau der deutschen Gemeinden erhalten. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie die Grundstücksumlegungen vorgenommen werden sollen. Wir müssen die Grundlagen für die Planung überhaupt schaffen und, meine Damen und Herren, uns damit beschäftigen, daß wir auch neue Formen des Eigentums an Wohnungen bringen. Ich erinnere daran. daß seit 1946 die Diskussion über
eine erneuerte Form des früheren sogenannten Stockwerkseigentums - ich möchte es besser Wohnungseigentum nennen - nicht abgerissen ist. Ich bin persönlich ein Befürworter dieses Gedankens. Aber da sind Leute vom Zentraljustizamt in Hamburg nach Württemberg gefahren und haben sich diese mittelalterlichen Häuser angesehen. Sie glaubten, daß wir das so wollten. Das ist nicht der Fall. Die Leute haben vergessen, daß in den letzten zehn bis zwanzig Jahren nahezu sämtliche europäischen Staaten ein modernes Gesetzgebungswerk über dieses Problem geschaffen haben. Wenn Sie etwa nach Brüssel gehen, werden Sie feststellen, daß nahezu 90 Prozent aller Wohnungen, die von dem privaten Markt erstellt sind, mit Hilfe dieser Konstruktion errichtet worden sind. Das führt dazu, daß sich die Kräfte des einzelnen auf das Problem konzentrieren. Meine Damen und Herren, wenn wir nicht alle Quellen erschließen, wenn wir nicht alle materiellen und alle technischen und wissenschaftlichen Mittel einsetzen und alle Möglichkeiten der Bauträgerschaft, sowohl der gemeinnützigen als auch der privaten, ausnutzen, werden wir das Problem nicht meistern. Wenn irgend etwas zu tun ist, dann ist es hier die Zusammenfügung aller Kräfte.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Etzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag Drucksache Nr. 73 ist in einigen Punkten durchaus so, daß er unsere vollste Zustimmung findet. Er findet zunächst unsere Zustimmung wegen der Eilbedürftigkeit der Angelegenheit; denn wir sind mit den Antragstellern der Meinung, daß das Problem schnellstens gesetzgeberisch geregelt werden muß. Wir sind auch der Meinung, daß die Terminierung zum 31. Dezember 1949 schon deswegen notwendig ist, weil noch im Winter die notwendigen Vorbereitungsarbeiten getroffen werden müssen, damit im Frühjahr losgebaut werden kann. Wir sind der Meinung, daß diese schnelle Regelung auch aus einem allgemeinen wirtschaftspolitischen Grund notwendig ist; denn die Beschäftigungslage in der Wirtschaft hängt ja zu einem nicht kleinen Teil von der Beschäftigung in der Bauwirtschaft ab.
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Wir sind auch mit den Herren Antragstellern der Ansicht, daß eine Baukapazität von 250 000 Wohnungen eine durchaus erreichbare Größe für das erste Jahr darstellt und daß man deswegen diese Mindestgröße dem Ministerium sehr wohl mit auf den Weg geben soll. Ich glaube, daß zur Zeit wenigstens 200 000 Wohnungen im Bau sind, so daß also die Baukapazität eine Größenordnung von 250 000 in den nächsten Jahren erreichen kann.
Wir sind auch darin einig, daß das, was wir gesetzgeberisch hier machen wollen, im Schwerpunkt auf den sozialen Wohnungsbau konzentriert wird, wobei wir in Übereinstimmung mit den Herren Antragstellern unter sozialem Wohnungsbau das Bauen kleiner Wohnungen und von Wohnungen mit entsprechender Miete erblicken wollen.
Meine Damen und Herren, der Antrag Drucksache Nr. 73 bindet aber die Bundesregierung an bestimmte Richtlinien, die in den Ziffern 1 bis 7 des Antrags niedergelegt sind. Die Richtlinien sehen also einen bestimmten Weg vor. Es gibt nun aber über die Richtigkeit der Wege eine Fülle von Auffassungen. Schon die Tatsache, daß heute morgen zwei Anträge mit verschiedenen Gesichtspunkten zur Diskussion stehen, zeigt ganz deutlich, daß verschiedene Auffassungen möglich sind. Die Herren Diskussionsredner, besonders der Herr Vorredner, haben wieder neue Wege gezeigt. Ich habe eine andere Vorstellung. Wir sind deshalb der Meinung, daß man hier erst einmal im Ausschuß eine gewisse Klärung schaffen muß. Das ist notwendig und nicht zu umgehen. Der Antrag Ollenhauer und Fraktion läßt hier zwar zweifellos einen gewissen Spielraum; aber wir müssen doch die grundlegenden Spielregeln zunächst in einer Diskussion im Ausschuß klarlegen, weil sonst das Ministerium unseres Erachtens kaum in der Lage sein wird, einen guten gesetzgeberischen Entwurf auszuarbeiten und hier vorzulegen.
In der Frage des sozialen Wohnungsbaues sind zwei entscheidende Fragen zu lösen. Alle anderen Fragen sind nebenrangig und danach sehr einfach zu lösen. Die erste Frage ist die der Rentierlichkeit des Bauens, die zweite die der Aufbringung der Mittel. Wenn wir uns über diese beiden Fragen einig geworden sind, ist alles andere sehr einfach.
Heute morgen ist schon das Thema der sogenannten Kostenmiete angeschnitten worden. Dem steht in dem Antrag Nr. 73 die Forderung gegenüber, daß für künftige Neubauten der bisherige Neubaumietenstand nicht überschritten werden soll. Dabei liegt wohl, wie aus der Begründung heute morgen hervorging, die Auffassung vor, daß der derzeitige Baukostenindex noch so hoch sei, daß eine billige Miete mit den derzeitigen Mitteln nicht erreichbar wäre. Meine Damen und Herren, ich bin ganz anderer Meinung. Wir haben in einem Arbeitskreis, der über gute Studienmöglichkeiten verfügte, diese Frage in den letzten Tagen sehr eingehend untersucht und dabei festgestellt, daß es im deutschen Raum in ganz beachtlichen Gebieten schon gelungen ist, auf eine Produktionskostenhöhe von 180 zu kommen, gemessen an der Friedenshöhe von 1913, das heißt von 32 Mark pro Kubikmeter umbauten Raumes. Mit dieser Produktionskostenhöhe werden zur Zeit schon durchaus passable Wohnungen einschließlich Badeeinrichtungen und entsprechender moderner Installation in den Gebieten Weinheim, Frankfurt am Main und, wie ich glaube, sonst noch in einem Raum von Württemberg gebaut. Ich habe vor wenigen Tagen anläßlich einer eigenen beruflichen Prüfung, die ich machen mußte, festgestellt, daß man am Niederrhein beim Neuaufbau total zerbombter Städte, wo also en bloc mit entsprechender Normierung und Typisierung gebaut werden kann, schon auf Baupreise kommt, die ganz ähnlich aussehen. Wenn wir aber bei solchen Preisen angelangt sind, dann ist es möglich, den Quadratmeter zu vermietenden Raumes für eine Mark zu vermieten, natürlich bei entsprechender Zinshöhe, auf die ich gleich noch zurückkomme. Das würde bedeuten, daß wir uns hier in einer Größenordnung befinden, die schon für weite Volksschichten erträglich ist, und damit um ein Problem herumkommen, das immer die große Schwierigkeit darstellt: die Subventionierung.
Der Herr Vertreter der SPD, der heute morgen den Antrag Drucksache Nr. 73 begründet hat, hat mit vollem Recht gesagt: wenn wir den unrentierlichen Teil subventionieren wollen, dürfen wir dafür keine Zinsen erheben. Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung: wenn wir Subventionierung des unrentierlichen Teils betreiben wollen, dürfen wir nicht einmal eine Tilgung erheben; denn ich frage Sie, wo denn die Tilgung herkommen soll. Das Wesen der Unrentierlichkeit besteht doch gerade darin, daß die einkommenden Mieten einen bestimmten Prozentsatz der Baukosten nach Verzinsung und Tilgung nicht decken. Selbst wenn Sie nur mit einem Prozent tilgen wollen, müssen Sie dieses eine Prozent aus sonstigen Einkommensmitteln nehmen. Das muß man doch mit aller Klarheit und Deutlichkeit sehen. Das große Ziel des Wohnungsbaus sollte es sein, zu erreichen, daß wir auf eine solche Höhe kommen, die Subventionen unnötig macht. Wenn dann noch irgendwo etwas zu subventionieren ist - das kann es bei Einzelverdienern mit vier, fünf Kindern und kleinen Einkommensgruppen und Ostflüchtlingen durchaus geben -, dann soll man nicht die Baukosten, das heißt die Produktion subventionieren, denn eine solche Subventionierung trifft immer Reiche und Arme durcheinander, sondern sollte den Verbraucher, also den Mieter subventionieren. Damit erhält man endlich einmal klare volkswirtschaftliche Tatbestände in der Bauwirtschaft und kommt um das ganze Subventionierungsproblem herum. Man sollte sich in diesen Gedankengängen bewegen und sie einmal mit der notwendigen Klarheit untersuchen. Ich sehe hier jedenfalls Lösungsmöglichkeiten.
Wenn man um die Frage der Subventionierung so im wesentlichen herumgekommen ist, dann ergibt sich lediglich noch die Notwendigkeit der Aufbringung der Mittel. Wenn wir 250 000 Wohnungen bauen wollen, brauchen wir Mittel von insgesamt rund zweieinhalb Milliarden Mark, die wir aufbringen müssen. Die Zahl ist allerdings etwas hoch gegriffen. Ich glaube, daß man bei der von mir angegebenen Baukostenhöhe mit etwa rund zwei Milliarden auskommen könnte.
Ich bin nun nicht der Meinung, daß man unter allen Umständen versuchen müßte, diese Mittel ausschließlich aus Etatmitteln aufzubringen. Die Aufbringung aus Etatmitteln ist immer sehr gefährlich und meines Erachtens im ganzen gesehen auch höchst unerwünscht. Wenn Etatmittel zur Verfügung gestellt werden, besteht immer die Gefahr, daß irgendwelche anderen Aufgaben aus diesen Mitteln mit finanziert werden. Man sollte sich also überlegen, ob man hier nicht andere Wege gehen kann. Wir haben auch auf diesem Gebiet Überlegungen angestellt, die ich heute dem Hohen
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Hause nicht im einzelnen vortragen will, um die Diskussion nicht zu verlängern. Sie gehen aber von der Basis aus, daß man einen Teil der ja doch in Aussicht gestellten und geplanten Steuersenkungen für den Wohnungsbau heranziehen sollte, und zwar mit der Maßgabe, daß nach einer Anzahl von soundso viel Jahren diese Mittel zur Verfügung gestellt werden sollen. Wenn diese Mittel unverzinslich zur Verfügung gestellt werden, hat man die Möglichkeit, die zweitrangigen Hypotheken sehr billig zu geben und die Mittel, die für Verzinsung aufgebracht werden müßten, im wesentlichen für eine Tilgung aufzuwenden. Ich kann mir vorstellen, daß auf diese Art und Weise - wir haben das errechnet - etwa die Hälfte des notwendigen Finanzierungsbedarfs von 1 bis 1,25 Milliarden zur Verfügung gestellt werden könnte. Das würde bedeuten, daß das Problem der Steuersenkung hiermit gekoppelt wird und wir nicht irgendwelche sonstigen imaginären Finanzierungsmöglichkeiten suchen müssen. Wir haben darüber einmal mit der Aufbaubank verhandelt und die Frage untersucht, ob es notwendig und möglich sei, die andere Hälfte auf dem freien Kapitalmarkt aufzubringen. Der Herr Vizepräsident Abs, der sich mit uns über diese Frage unterhalten hat, war der Meinung, daß ganz sicher 500 Millionen - bei optimistischer Beurteilung auch etwas mehr - auf dem freien Kapitalmarkt zur Verfügung gestellt werden könnten. Die Differenz könnte dann vielleicht irgendwo aus Etatmitteln genommen werden.
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen. Wir haben die Möglichkeit, ohne eine Subventionierung der Produktion durch eine Verkoppelung mit dem Gedanken der Steuersenkung das Programm, das nach übereinstimmender Meinung realisiert werden soll, auf eine ganz einfache Formel zu bringen. Vorbedingung ist allerdings die Regelung der Preisfrage. Diese Frage ist meines Erachtens insofern relativ einfach zu lösen, als man Mittel für den sozialen Wohnungsbau nur bei entsprechender Preisgestaltung zur Verfügung stellt, das heißt also, daß man sagt: es werden Baumittel nur bei dieser Preisgröße von 180 gegeben. Ich bin der Meinung, daß die freie Wirtschaft so elastisch sein wird, daß sie dann dieses Problem lösen kann.
Wir brauchen hier allerdings auch einen gewissen Teil von Mitteln, um das Studium verbilligter Bauweisen zu fördern. Auch hierfür müssen nicht große Mittel zur Verfügung gestellt werden. Es ist da in jüngster Zeit eine Anzahl von Gedanken aufgetaucht, die es sogar vielleicht ermöglichen, den Baukostenindex auf den Stand von 1913 zu bringen. Das ist aber im Augenblick im Erwägungsstadium. Sie sehen, meine Damen und Herren, wir -haben hier ganz klare Vorstellungen über die Wege, die zu gehen sind.
Ich bin der Meinung, daß das Problem der Baustoffindustrie überhaupt kein diskutables Problem ist. Die Baustoffindustrie wird sehr leicht die notwendigen Mengen an Baustoffmitteln zur Verfügung stellen. Sie wird froh sein, wenn sie ihre Produktion absetzen kann.
Was der Herr Vorredner der KPD, Herr Paul, ausgeführt hat, war zum Teil überraschend, und zwar in meinem Sinne erfreulich überraschend; zum Teil muß ihm widersprochen werden. Ich stelle mit Genugtuung fest, daß Herr Paul hier erklärt hat, er stünde auf dem Standpunkt, daß nicht allein die öffentliche Initiative angekurbelt
werden soll, sondern auch die private Initiative. Ich erblicke in einem solchen Bekenntnis einen erfreulichen Fortschritt und sage dazu selbstverständlich ein Ja. Ich bin aber nicht der Meinung, wie gesagt worden ist, daß in der Vergangenheit die Privatinitiative versagt hätte. So liegen die Dinge nicht, und ,wir wollen ganz nüchtern wirtschaftlich feststellen, daß der hier so eifrig kritisierte Bau von gewerblichen Räumen ganz einfach darauf beruht, daß das Problem der Rentierlichkeit der Baukosten nicht gelöst war. Solange wir in dieser Situation sind, werden eben gewerbliche Räume und Läden gebaut und keine Wohnungen. Wir müssen daher das Problem der Rentierlichkeit ganz an den Anfang stellen.
Ich bin der Meinung, daß wir keine Betteltouren wünschen. Alle die Versuche, die im Wege der Selbsthilfe bei vielen Gemeinden gemacht worden sind, sind im Grunde genommen keine Lösung der Aufgabe. Eine Lösung ist aber auch nicht dadurch zu erwarten, daß Großverdiener und Großunternehmer mit mehr Sonderabgaben besteuert werden. Ich habe den Eindruck, daß der Herr Kollege Paul noch nie etwas von einem Steuerfiskus gehört hat. Hatte er das gehört, würde er wissen, daß die fiskalischen Möglichkeiten heute bereits reichlich ausgeschöpft sind.
Über das Problem der Besatzungskosten sich zu unterhalten, lohnt nicht. Es ist ja doch keine realisierbare Möglichkeit.
Ich bin mit Ihnen durchaus der Auffassung, daß man in der Baustoffindustrie, wenn die Dinge ins Wachsen kommen und die Bauproduktion losgeht, dafür sorgen muß, daß unter keinen Umständen Preisabreden zustande kommen. Wenn aber mein Vorschlag realisiert wird, nur dort Mittel hinzugeben, wo ein Baukostenindex von 180 erreicht wird, dann sind wir auf dem richtigen Weg; dann kann nur im Rahmen entsprechend billiger Preise abgesetzt werden. Das regelt sich dann ganz von selbst. Das ist das, was wir unter freier Wirtschaft verstehen und wo wir eben nicht besonders planen wollen. Wir wollen gesetzgeberisch durch eine Rahmengesetzgebung die Voraussetzungen schaffen, nach denen die Wirtschaft sich dann vernünftig einrichten muß.
Der Herr Vertreter der SPD hat weiter gesagt, daß die Privatinitiative in der Vergangenheit versagt hätte. Übersehen wir doch nicht, daß vor dem Kriege 95 Prozent des erforderlichen Wohnungsbaues von der privaten Hand und von der privaten Initiative geschafft worden sind.
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Ich bin durchaus der Meinung, daß gemeinnützige Unternehmungen und private Unternehmungen gleiche Startbedingungen haben sollten. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber ich darf in aller Bescheidenheit der Meinung sein, daß auch die jetzigen Finanzierungsmethoden den gemeinnützigen Unternehmungen gegenüber den privaten einen unerhörten Vorteil auf diesen Gebieten gegeben haben. In meinem Land ist es jedenfalls so, daß ein Großteil der Mittel ausschließlich an die Gemeinnützigen geflossen ist, weil man den Privaten keine Möglichkeit der Finanzierung gegeben hat. Daß dies grundlegend geändert werden muß, würde in den Vorstellungen, die ich habe, ohne weiteres eingeschlossen sein. Ich bin befriedigt zu hören, daß auch die SPD keine Planung im Sinne eines großen Behördenapparates will, sondern daß sie sich unter der Planung eine Rahmengesetz({3})
gebung vorstellt. Ja, das ist eine Selbstverständlichkeit; in allen diesen Fragen bekommen wir keine Schwierigkeiten.
Ich möchte in einem einzigen Punkt noch etwas gegen die Ausführungen des Herrn Vertreters der FDP sagen. Es ist hier die Notwendigkeit der Finanzierung auf dem Wege der Kreditschöpfung angedeutet worden. Ich will nicht bestreiten, daß hier vielleicht Möglichkeiten liegen. Ich möchte aber sehr ernst davor warnen, hier Wege zu gehen, wie sie weiland Herr Dr. Schacht gegangen ist, da bei jeder Kreditschöpfung die kreditschöpfenden Mittel sehr bald auf dem Konsumgütermarkt erscheinen und dort plötzlich eine zusätzliche Kaufkraft schaffen, die, wenn die Konsumgüterindustrie nicht genügend korrespondierend produziert hat, ganz zwangsläufig zu allgemeinen Preissteigerungen führen muß. Wir müssen hier sehr vorsichtig sein, auch im Interesse des allgemeinen Ansehens der Bank deutscher Länder.
Weil die Wege, welche wir beim Wohnungsbau gehen müssen, durchaus noch nicht geklärt sind, weil es verschiedene Meinungen gibt, beantrage ich hiermit, die Anträge Drucksachen Nr. 10, 39 und 73 an den zuständigen Ausschuß mit der Maßgabe zu verweisen, daß der Ausschuß gebeten wird, seine Arbeiten bis zum 1. Dezember 1949 zu beenden. Wir wollen ihn bewußt unter Zeitdruck stellen. Ich glaube, daß wir dann noch so zeitig fertig werden, daß das Ministerium in der Lage ist, bis zum 1. Januar 1950 einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen, der nochmals im Ausschuß und hier im Plenum beraten werden kann, so daß wir termingemäß zurechtkommen. Ich halte es nicht für möglich, die drei Anträge so, wie sie gestellt sind, mit bindenden Richtlinien in dieser Form an das Ministerium gehen zu lassen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Etzel.
Meine Damen und Herren! Wir haben vor wenigen Minuten, möchte ich sagen, eine sehr interessante Debatte erlebt, als es sich um die Frage des Schutzes der Symbole des neu geschaffenen Bundesstaats handelte. Es standen sich hier eine polizeistaatliche Auffassung und eine andere, organische Auffassung gegenüber, die besagt: Der Staat muß in den Herzen seiner Menschen gegründet sein; dann braucht es keine polizeistaatlichen Maßnahmen.
Um die Zustimmung der Massen zu einem Staatssystem zu erreichen, bedarf es auch der Schaffung menschenwürdiger Lebensmöglichkeiten, zu denen vor allem auch die Bereitstellung menschenwürdiger Unterkünfte gehört. Es ist also über die Frage der Notwendigkeit des sozialen Wohnungsbaues unter dem Gesichtspunkt der menschenwürdigen Unterbringung der Bevölkerung kein Wort zu verlieren. Uns interessiert der soziale Wohnungsbau vor allem auch nach der wirtschaftlichen Seite. Wir stehen nicht auf dem Standpunkt, daß der Staat sozusagen nur eine Nachtwächterrolle zu spielen hat, bei der er mit Hellebarde und Laterne die Stunde ansagt, sondern daß er sich auch maßgebend um gewisse Bezirke des menschlichen Daseins zu kümmern hat.
Als im Jahre 1932 die Weltwirtschaftskrise überwunden war, wurde von der damaligen verantwortlichen Regierung nicht erkannt, daß es notwendig wäre, im neuralgischen Punkt der Entwicklung, das heißt rechtzeitig ein ausreichendes öffentliches Investitionsprogramm zum Zwecke einer Initialzündung der Wirtschaft einzusetzen. Dadurch wäre die Lähmung der Wirtschaft, die dann zu der politischen Katastrophe geführt hat, zu überwinden gewesen. Als wir gegen Ende des letzten Jahres die ersten deflatorischen Anzeichen wahrnahmen, waren wir besorgt, es möchte von den verantwortlichen Stellen wiederum dieser neuralgische Punkt übersehen werden, wo es gilt, durch Investitionen der öffentlichen Hand sich einer ungünstigen, nicht bloß wirtschaftlichen, sondern politischen Entwicklung entgegenzuwerfen. Die Bank deutscher Länder hat in ihrem Mai-Bericht dieses Jahres ausdrücklich festgestellt, daß, wenn es nicht gelingt, in weitgehendem Maße Investitionen vorzunehmen, die Schrumpfung der deutschen Wirtschaft nicht aufzuhalten sei. Wir haben die vor dem 14. August dieses Jahres erfolgten wiederholten sehr optimistischen Ankündigungen - ich will hier keine Persönlichkeit nennen, sondern mich darauf beschränken, zu sagen: aus dem Schoße des Wirtschaftsministeriums - mit Mißtrauen und Zweifeln vernommen, weil wir der Meinung waren, daß es leider nicht möglich sein wird, auf den von dort bezeichneten Wegen die notwendigen finanziellen Voraussetzungen für eine solche Investitionstätigkeit zu schaffen.
Ein wesentlicher und wichtiger Sektor, auf dem nicht nur unerläßliche und unverzichtbare Forderungen der Bevölkerung erfüllt werden können, sondern zugleich eine wirtschaftliche Belebung erreicht werden kann, ist der soziale Wohnungsbau. Unter diesem Gesichtspunkt darf ich kurz noch einiges hinzufügen.
Auch wir sind durchaus mit den Herren Antragstellern der Meinung, daß es gelingen muß, die öffentlichen Haushalte von den auf ihnen ruhenden unproduktiven Lasten zu befreien oder doch wenigstens diese unproduktiven Teile der öffentlichen Haushalte wesentlich zu verringern. Dazu zähle ich auch - ich spreche das offen aus - die übermäßige Ausdehnung der Besatzungskosten. Es muß auf dem einen oder andern Wege gelingen, die Finanzierung des sozialen Wohnungsbaues sicherzustellen. Wenn diese Aufgabe nicht verwirklicht werden könnte, wäre alles andere umsonst.
Wir sind aber der Meinung, daß sich der Bund, wenn er diese Aufgabe in Angriff nimmt, auf das beschränken muß, was unbedingt zentral zu regeln ist. Wir stimmen dem Antrag Ollenhauer in seinen Ziffern 1 und 5 zu, worin er verlangt, daß das von ihm vorgeschlagene Gesetz Richtlinien zur wesentlichen Steigerung des sozialen Wohnungsbaus und Grundsätze über die Verwendung der Mittel in den Ländern enthalten soll. Man darf hier nicht von der Zentrale des Bundes aus einen neuen Panzer über die eigene lebendige Tätigkeit der Länder werfen, sondern muß sich darauf beschränken - wie das auch die Erklärung der Bundesregierung zum Ausdruck gebracht hat -, mit allen Mitteln den Wohnungsbau in der energischsten Weise zu fördern, und zwar nicht, indem der Bund selbst baut, sondern indem er die Gelder zur Verfügung stellt und darauf dringt, daß von den Ländern alle Möglichkeiten auf dem Gebiete des Wohnungsbaus ausgeschöpft werden. Aus den Erfahrungen, die früher mit dem sozialen Wohnungsbau gemacht worden sind - ich erinnere an das Streben des früheren Reichsarbeitsministeriums, bis in die letzten und kleinsten technischen und administrativen Einzelheiten die Gestaltung des
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sozialen Wohnungsbaus zu regeln -, warnen wir davor, ein Gleiches noch einmal zu beginnen.
Wir stimmen der Tendenz des vorliegenden Antrages durchaus zu, wir wünschen ihn, wir fördern ihn und wir unterstützen ihn mit allen Mitteln, soweit er sich darauf beschränkt, von der Bundesseite her die Mittel zur Verfügung zu stellen und die Grundsätze und Richtlinien für die Verwendung des Geldes durch die Länder festzulegen. Der Bund soll den Motor für die Länderregierungen bilden, damit dort das Erforderliche geschehe. Wir sind gegen eine detaillierte Reglementierung in den Ländern, sondern verlangen, daß der Bund die Länder in voller Freiheit, wenn auch unter seinem beobachtenden Auge, arbeiten läßt und nur dann hervortritt, wenn die Länder das ihnen Aufgegebene nicht erfüllen sollten.
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Wird weiter noch das Wort gewünscht? - Ich stelle fest, daß das nicht der Fall ist. Dann erteile ich dem Herrn Bundesminister für Wohnungsbau das Wort.
Meine Damen und Herren! Wir sind uns, glaube ich, vollkommen darüber einig, daß die gigantischste Bauaufgabe, die jemals einem Volk und einer Volkswirtschaft gestellt worden ist, die Schaffung des Wohnraums für unser Volk ist. Ich bitte Sie. auch überzeugt zu sein, daß ich die Verantwortung für diese Aufgabe, die ich übernommen habe, als eine sehr schwere fühle. Wir sind, glaube ich, weiter darüber einig, daß das Wort „Sozialer Wohnungsbau" dahin zu verstehen ist, daß es sich darum handelt, Wohnungen zu bauen, deren Miete die Masse der Bevölkerung - der Arbeiter, der Handwerker, der Angestellte, der Beamte - im Verhältnis zu ihrem Einkommen bezahlen kann. Wir haben ja rückblickend auf diesem Gebiet schon bedeutende Leistungen hinter uns. Ich erinnere daran, daß in der Zeit der Weimarer Republik - in den Jahren 1919 bis 1933, eigentlich in den Jahren 1923 bis 1933, also in zehn Jahren - 31/2 Millionen Wohnungen gebaut worden sind.
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Das ist eine gewaltige Leistung gewesen. Wir, die wir diese Dinge kennen, wissen, daß nicht alles befriedigend war, was damals geschaffen worden ist. Insbesondere ist bekannt, daß die Miethöhe nicht immer den Notwendigkeiten entsprochen hat. Aber wir können aus dem, was damals geschehen ist, lernen. Wir können weiter feststellen, daß auch im letzten Jahr die Leistungen im Wohnungsbau höher gewesen sind, als sie veranschlagt worden waren. Man hat, vorsichtig schätzend, geglaubt, etwa hunderttausend Wohnungen fertigstellen zu können, tatsächlich ist die Zahl bedeutend überschritten worden. Dabei haben vor allem zwei Faktoren zusammengewirkt: auf der einen Seite die starken Anstrengungen der öffentlichen Hand, der Länder und der Gemeinden und auf der anderen Seite eine viel weitergehende private Initiative, als man sie glaubte erwarten zu dürfen. Aber wenn wir diese Aufgaben jetzt anfassen und sie einer Lösung zuführen wollen, so müssen wir uns klar sein, daß das kühner Entschlüsse bedarf, aber kühner Entschlüsse, die sehr sorgfältig durchdacht und sehr sorgfältig vorbereitet sein müssen. Wir stehen auf der einen Seite unter dem Druck, daß das, was an gesetzgeberischen und finanziellen Maßnahmen notwendig ist, vor Beginn der Bausaison, also spätestens zum März des nächsten Jahres fertig sein muß. Aber ich bitte Sie trotzdem, die Regierung und wohl auch den Wohnungsausschuß nicht unter den Druck eines Datums, eines festgelegten Termins zu setzen. Das ist nicht vorauszusehen, ob man immer einen Termin auf den Tag genau einhalten kann.
Das Kernstück des Wohnungsbaus - das ist hier ganz deutlich zum Ausdruck gekommen - ist natürlich die Finanzierungsfrage. Wir müssen uns klar sein, daß der Bau von 250 000 Wohnungen eine Kapitalinvestierung von ungefähr 21/4 Milliarden verlangt und daß dabei noch Aufschließungskosten und andere Nebenkosten der öffentlichen Hand nicht in Rechnung gezogen sind. Ich kann Ihnen mitteilen, daß die Verhandlungen über die Baufinanzierung für das nächste Jahr sofort nach Bildung der Bundesregierung aufgenommmen worden und daß sie im Gange sind. Ich möchte über das Ergebnis erst berichten, wenn ich Ihnen mit abgegeschlossenen Dingen und vor allem mit bestimmten Zahlen kommen kann.
A11 Projekten für cien Wohnungsbau fehlt es ja nicht, sie häufen sich bei mir allmählich in Kubikmetern. Sie sind ungeheuer verschieden. Der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Im großen und ganzen fallen den Leuten nur zwei Dinge ein: zusätzliche neue Steuern, die man in der Regel nicht Steuern nennt, und neue Organisationen, die den Wohnungsbau durchführen sollen.
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Ich bin der Meinung, daß es so nicht geht. Zusätzliche Steuern ertragen wir nicht bei der steuerlichen Überbelastung, die alle Einkommen, die großen wie die kleinen, bei uns schon trifft. Auch der Vorschlag, von Bargeldmitteln Beträge abzuziehen, ist nach meiner Meinung gar nicht diskutabel. Die Herren von der KPD-Fraktion übersehen dabei, daß sie mit 4000 DMark, die sie dem Betrieb und dem Geldbesitzer entziehen, in der Regel einen Arbeitsplatz schließen und einen Mann zur Entlassung bringen würden.
Sehr wichtig ist selbstverständlich die Frage der Zinshöhe für langfristige Ausleihung. Die Regierung wird dieser Frage ihre besondere Aufmerksamkeit schenken. Wenn wir vorwärtskommen wollen, so müssen wir eine Ausgangslage schaffen, die alle Leute daran interessiert, möglichst billig zu bauen. Steuerliche Vergünstigungen für die Bildung von Sparkapital und für die Anlage von Sparkapital im Wohnungsbau werden dabei eine große Rolle zu spielen haben. Wir sind im Augenblick nicht in der Lage, im Wohnungsbau die Konkurrenz eines freien Marktes zu schaffen, die selber für ein reichliches und billiges Angebot sorgt, sondern wir müssen diese Voraussetzungen durch andere Maßnahmen schaffen. Ich bin der Auffassung, daß alles das, was an Vergünstigungen von seiten der öffentlichen Hand auf steuerlicher Seite oder durch Kapital- oder Zuschußhingabe in den Wohnungsbau gebracht wird, an niedrige Mieten gebunden wird. Wir sind hier, glaube ich, heute schon weiter, als man allgemein glaubt. Es sind vorhin sehr interessante Zahlen genannt worden, die ich nur bestätigen kann.
Das zweite, woran wir gehen müssen, ist das Problem der Baukosten. Ich habe es eben schon gestreift. Das Ziel ist, die Baukosten unter 200 Prozent von 1913 herunterzudrücken. Dazu sind
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zwei oder drei Voraussetzungen nötig. Die eine Voraussetzung ist die ausreichende Kapazität der Bauindustrie, der Baustoffindustrie und des Baugewerbes. Sie ist zweifellos gegeben. Wir werden schon viel bauen können, ehe wir an die Kapazitätsgrenze anstoßen. Das zweite - und hier sehe ich eine sehr wichtige Aufgabe vor mir - ist die Vereinfachung von all dem, was man Verfahren nennt. Ich habe den Eindruck - und ich bin ja in diesen Dingen nicht ganz fremd -, daß eine Fülle wohlgemeinter und wohldurchdachter Bestimmungen allmählich ein Dickicht geschaffen haben, in dem sich auch der Fachmann kaum noch auskennt.
Die zweite Aufgabe liegt auf rein technischem Gebiet. Es ist die Auswertung der Erfahrungen mit neuen Baumethoden, mit der Normung und Typisierung von Bauelementen. Es ist auch auf diesem Gebiet innerhalb und außerhalb Deutschlands sehr viel geleistet worden. Große Erfahrungen liegen vor; sie liegen zum Teil schon 20 Jahre zurück, zum Teil sind es auch Erfahrungen aus den letzten Jahren. Ich sehe es als, die Aufgabe meines Ministeriums an, all diese Erfahrungen zusammenzufassen, die Bauforschung zu koordinieren und dafür zu sorgen, daß die Ergebnisse möglichst publik gemacht werden.
Wir müssen darüber hinaus gesetzliche Voraussetzungen für einen starken Wohnungsbau schaffen. Vorhin ist das Problem der Trümmerhypotheken angeschnitten worden. Es sind eine Fülle von Problemen, die die Herren, deren Tätigkeit mit dem Bauwesen zusammenhängt, ja sehen.
Zusammenfassend möchte ich folgendes sagen: Patentlösungen gibt es auch für den Wohnungsbau nicht. Der Wohnungsbau ist ein Ausschnitt der allgemeinen Wirtschaftspolitik; heute ist er ganz sicher ein Kernstück der Wirtschaftspolitik, aber er kann auch nur im Zusammenhang mit der gesamten Wirtschaftspolitik gesehen werden. Das Ziel ist, Anreize dafür zu schaffen, daß es
ich möchte es ausdrücklich sagen - ein lohnendes Geschäft wird, möglichst viel und möglichst billig zu bauen. Deswegen bedarf es dazu von mir aus einer sehr engen Zusammenarbeit mit den Ländern und Gemeinden, einer sehr engen Zusammenarbeit mit den verschiedenen Gremien, die der Wohnungsbau zum Teil schon seit vielen Jahren geschaffen hat. Ich habe auch die Absicht, einen Beirat für Wohnungsbau in meinem Ministerium heranzuziehen, der aus Sachverständigen all der Gruppen und all der Kreise besteht, die mit den Aufgaben des Wohnungsbaues vertraut sind. Es soll jeder den gleichen Start haben.
Ich darf zum Schluß noch einmal sagen: Ich bin mir vollkommen bewußt, daß das Ministerium unter einem sehr starken Zeitdruck steht. Von meiner Seite soll alles geschehen, damit die Bestimmungen und die Anordnungen rechtzeitig herauskommen, die nötig sind. Ich bitte Sie aber, mich nicht unter Druck zu setzen und bestimmte kalendermäßig festgesetzte Termine zu nennen.
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Da keine Wortmeldungen vorliegen, darf ich die Aussprache über die Punkte 10, 11 und 12 der Tagesordnung als geschlossen betrachten und das Einverständnis des Hauses dafür annehmen, daß die unter den Punkten 10, 11 und 12 der Tagesordnung genannten Drucksachen Nr. 10, 39 und 73 als dem zuständigen Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen überwiesen gelten im Sinne des Vorschlages
-ich darf fragen, wie sich das Haus dazu stellt - des Abgeordneten Etzel, der dahin geht, daß der Ausschuß seine Arbeiten bezüglich dieser Anträge bis zum 1. Dezember 1949 beendet haben soll.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Etzel, nur zu dieser Frage!
Meine Damen und Herren! Ich habe eben mit Kollege Ollenhauer über die gleiche Frage gesprochen. Ich darf sagen, daß wir verabredet haben - und ich würde Sie darum bitten -, den Termin zunächst einmal bestehen zu lassen. Sollten sich Schwierigkeiten ergeben, dann könnte man über die Verlegung immer noch sprechen.
Darf ich das Einverständnis des Hauses zu dem Antrag des Abgeordneten Etzel als gegeben ansehen?
({0})
- Sie sind dagegen. Dann müssen wir darüber abstimmen.
Zunächst ist festgestellt, daß die Drucksachen Nr. 10, 39 und 73 als dem Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen überwiesen gelten. Ich muß dann über den zusätzlichen Antrag entscheiden lassen, daß der Ausschuß seine Arbeiten über diese Anträge bis zum 1. Dezember 1949 beendet. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Ich danke. Das erste war zweifelsfrei die Mehrheit. Der Antrag ist demnach angenommen.
Wir kommen zu Punkt 13 der Tagesordnung. Es ist mir mitgeteilt worden, daß der für die Einbringung des Antrags vorgesehene Redner der Fraktion zur Zeit nicht da ist und daß die antragstellende Fraktion bittet, den Antrag vorläufig zurückzustellen. Stimmt das?
({1})
- Ich danke.
Damit kommen wir zu einem Gesamtkomplex von Tagesordnungspunkten, die wir gemeinsam behandeln wollen, zu den Punkten 14, 15, 16 und 17 der Tagesordnung, betreffend Heimatvertriebene.
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß vorgesehen ist, um 13 Uhr die Mittagspause einzulegen und um 15 Uhr die Sitzung wieder fortzusetzen. Ist das Haus damit einverstanden?
({2})
Dann wollen wir mit der Behandlung der Tagesordnungspunkte 14, 15, 16 und 17 nach dem bisherigen Verfahren beginnen, das heißt, daß wir uns über die Anträge hintereinander berichten lassen und dann in die gemeinsame Aussprache eintreten.
Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Abgeordnete Ollenhauer.
Meine Damen und Herren! Ich möchte vorschlagen, daß wir in diese gemeinsame Diskussion auch den Antrag Drucksache Nr. 78 unter Punkt 23 der Tagesordnung einbeziehen.
({0})
Sie haben den geschäftsordnungsmäßigen Antrag des Herrn Abgeordneten Ollenhauer gehört. Erhebt sich Widerspruch? ({0})
Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Dann behandeln wir gemeinsam die Tagesordnungspunkte 14, 15, 16, 17 und 23.
Wir kommen zunächst zu Punkt 14 der Tagesordnung:
Antrag der Fraktion der CDU/CSU, betreffend Verteilung der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge innerhalb der Bundesrepublik Deutschland ({1}).
Wer von den Antragstellern wünscht das Wort? - Bitte, Herr Abgeordneter Kuntscher!
Kuntscher ({2}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Drucksache Nr. 61 beinhaltet einen Antrag, die Regierung zu ersuchen, ein Gesetz einzubringen, um eine gerechte Verteilung der Heimatvertriebenen in den elf Ländern der Bundesrepublik durchzuführen. Es liegen eine Anzahl von Anträgen vor, die diese Materie im gleichen Sinne behandelt haben möchten. Es ist Ihnen allen bekannt, daß seit Monaten ein Gespräch zwischen den Flüchtlingsverwaltungen der elf deutschen Länder geführt wird, um diesem Problem beizukommen Sie wisse daß seit Monaten eine Konferenz die andere jagt. Wir müssen aber feststellen, daß wir über das bisherige Ergebnis schwer enttäuscht sind. Man hat sich darauf geeinigt, die Umsiedlung von 120 000 Vertriebenen aus den drei überbesetzten Ländern: Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern nach einem Schlüssel 2 zu 1 zu 1 durchzuführen. Dieses Programm ist nach langen bürokratischen Komplikationen heute zu 20 Prozent erledigt. Die Umsiedlung ist lediglich abgeschlossen nach dem Land Württemberg-Hohenzollern; die Aktion nach dem Land Südbaden ist im Laufen, die Aktion nach dem Land RheinlandPfalz kann nicht in Fluß kommen. Dabei handelt es sich um eine derart brennende Frage für die überbelasteten und übersetzten Länder, daß tatsächlich so schnell wie möglich etwas geschehen muß.
Die Länder an der Grenze haben durch die Umsiedlung der vorher genannten 20 Prozent des ersten Umsiedlungsprogramms keine Entlastung erfahren. Das liegt daran, daß ja der laufende Zustrom aus der Ostzone viel größer ist als die mäßige Abgabe, die die Umsiedlungsaktion bisher gebracht hat. Meine Damen und Herren, ich spreche hier nicht aus der Peripherie, sondern ich stehe mitten drin in diesen Sorgen des Landes Niedersachsen. Lassen Sie mich aus der Kenntnis dieser Dinge einige Zahlen nennen. Das Land Niedersachsen ringt in seiner Landesverwaltung, im Flüchtlingsministerium, in den Kreisen und in den Gemeinden seit Monaten darum, wie es dieser ungeheuren Sorge Herr werden kann, die durch den dauernden Zustrom aus dem Osten erwächst. Das Land Niedersachsen hat im Juli d. J. zu einer harten und drastischen Maßnahme greifen müssen: zur zeitweisen Schließung des Übergangslagers Uelzen. Wir haben uns im Flüchtlingsausschuß des Landtags Niedersachsen und im Niedersächsischen Landtag nur schweren Herzens zu dieser Maßnahme entschlossen, aber wir mußten es tun, um dadurch die anderen Länder an ihre Solidaritätspflicht zu mahnen, ihnen zuzurufen, daß sie teilhaben müssen an dieser Not unserer deutschen Menschen, die aus dem Osten kommen, die an Leib und Seele gefährdet sind und im Westen eine Zuflucht suchen. Wir im Lande Niedersachsen waren nicht mehr in der Lage, sie unterzubringen.
Dann kam die Übernahme des Lagers Uelzen durch die Länderkommission. An dieser Kommission sollten alle Länder beteiligt sein, aber bis heute sind es erst acht von den elf Ländern. Man einigte sich schließlich darauf, daß monatlich 2800 Flüchtlinge aus der Ostzone aufgenommen werden sollen. Die Verteilung sollte wieder nach einem anderen Schlüssel erfolgen. Was aber hat sich inzwischen ergeben? Seit den Tagen, da der eigene Oststaat ausgerufen wurde, beträgt der tägliche Zustrom im Lager Uelzen zwischen 500 und 700 Personen. Die Not ist unerhört groß. Die Quote von 2800, die monatlich aufgenommen werden können, ist in wenigen Tagen erschöpft. Nun besteht die ungeheure Sorge, wo und wie die anderen Menschen, die da herüberkommen und nicht registriert werden oder nicht registriert werden können, untergebracht werden sollen. Sie gehen auch trotz Abweisung nicht mehr zurück und versickern zu Tausenden illegal in den Ländern an der Zonengrenze und werden durch diese Illegalität auch zu einer großen Gefahr.
Das sind Fragen, die alle Deutschen heute berühren. Es dürfen nicht Fragen und Sorgen des einen oder anderen Grenzlandes bleiben. Was sich in Uelzen abspielt, spielt sich in gleichem Maße im Durchgangslager Gießen, im Durchgangslager Moschendorf und auch im Lager Friedland in Niedersachsen ab. Wenn ich dann noch das Lager Poggenhagen erwähne, in dem Jugendliche unter 18 Jahren, die die 600 Kilometer lange Grenze Niedersachsens aus der Ostzone überschreiten, aufgenommen werden, die nicht überprüft werden, so können Sie ermessen, wie ungeheuer groß die Not ist, die zu einem Ausgleich der Vertriebenen und einer gerechten Verteilung auf alle Länder drängt.
Diese gerechte Verteilung ist aber noch aus einem anderen Grunde äußerst dringend und notwendig. Die Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen haben heute einen Vertriebenenanteil an der Gesamtbevölkerung, der im Landesdurchschnitt zwischen 38 Prozent - bei Schleswig-Holstein - und 33 Prozent - bei Niedersachsen - liegt. Die nördlich gelegenen Landkreise Niedersachsens sind aber zu 45 bis 50 und teilweise sogar über 50 Prozent mit Flüchtlingen belegt. Diese Gebiete waren in normalen Zeiten rein landwirtschaftliche Gebiete, wo 70 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebten und nur 30 Prozent in der gewerblichen und industriellen Wirtschaft beschäftigt waren. Die Industrie dieser Landstriche in Schleswig-Holstein und an der Wasserkante, also das Gebiet an der Küste von Emden über Wilhelmshaven, Cuxhaven bis Kiel, war zum großen Teil die Industrie des Schiffsbaus für die Kriegsmarine und Handelsschiffahrt, oder es waren Zubringer-Industrien für die Werften. Diese industriellen Bezirke sind heute zerstört, gesprengt, sie existieren nicht mehr. Was an Ersatzindustrien hingebracht wurde, reicht bei weitem nicht aus, um die Menschen, die in dieses Gebiet hineingepreßt wurden, auch nur zum Bruchteil zu beschäftigen. Es gibt nur die eine Möglichkeit: Umsiedlung, um die Not und die Verbitterung, die in diesen Gebieten herrschen, zu mildern.
Lassen Sie mich zum Schluß als Begründung unseres Antrags noch eines kurz berühren. Wir bemühen uns als Deutsche um die Lösung dieses Problems. In der Aussprache zur Regierungserklärung wurde von fast allen Rednern aller Parteien das Flüchtlingsproblem aufgegriffen, und bei({3})
nahe alle haben erklärt, daß dieses Problem nicht zur Gänze aus deutscher Kraft allein gelöst werden kann, sondern daß wir die Hilfe der Welt in Anspruch nehmen müssen. Tatsächlich haben Menschenfreunde aus allen Nationen dieses Problem auf der Weltbühne zur Sprache gebracht. Das Gespräch über diese Schicksalsfrage wird nicht mehr verstummen. Kirchliche Organisationen, Kirchenfürsten und Staatsmänner haben Großes getan, damit diese Frage in der westlichen Welt in ihrem vollen Ausmaß bekannt wird. Menschen, die zu den Stämmen der Vertriebenen gehören, haben draußen in der Welt von unserem Schicksal und dem bitteren Unrecht, das an uns begangen wurde, Kunde gegeben, und sie haben Gehör gefunden. Wir hoffen, daß diese Hilferufe nicht vergebens sind.
Aber haben oder hätten wir als Deutsche ein Recht,' die Hilfe der Welt in diesem Maße in Anspruch zu nehmen, wenn wir nicht aus eigener Kraft alles unternehmen, um die Not zu mildern? Wie können wir von den anderen Verständnis für unsere Sorgen fordern, wenn wir nicht in der Lage wären, die Solidarität aller deutschen Länder bei der Ordnung dieser brennenden Aufgabe zu schaffen? Ist wirklich der gute Wille, eine gleichmäßige Verteilung der Lasten unter den Ländern herbeizuführen, vorhanden, dann wollen wir nicht nur reden, sondern wir sollten so schnell wie möglich handeln. Dieses schnelle Handeln muß sich bei allen bezughabenden Instanzen durchsetzen.
Wie Sie aus unserem Antrag ersehen, stellen wir uns den Ausgleich auf der Grundlage der Freiwilligkeit vor, das heißt ohne Zwang. Wir sind hier mit einem ähnlichen Ausgleichsantrag, der von der Bayernpartei kommt, Drucksache Nr. 23, nicht einverstanden. Dieser Antrag möchte wieder eine Kategorisierung der umzusiedelnden Menschen einführen. Der BP-Antrag fordert: die Heimatvertriebenen, die aus dem Gebiet ostwärts der OderNeiße-Linie stammen, sollen nach Norddeutschland, diejenigen, die aus dem Sudetenland oder aus Südosteuropa kommen, sollen in die süddeutschen Länder eingewiesen und umgesiedelt werden. Ich brauche gar nicht darauf hinzuweisen, daß die Durchführung dieser Idee unmöglich ist; denn es wäre ja ein Wahnsinn, heute 1 Million Schlesier, Pommern oder Ostpreußen, die in Süddeutschland leben, nach Norddeutschland umzusetzen.
({4})
Dieser Antrag riecht mir etwas nach den einstigen
Rassegesetzen, die wir von Nürnberg kennen, steht
auch im Widerspruch mit den Bestimmungen des
Grundgesetzes über die Freiheit der Menschen,
({5})
und von diesen Dingen distanzieren wir uns, das
sei hier ganz offen ausgesprochen, denn wir sind
Deutsche unter Deutschen und wollen es bleiben!
({6}) Wir lehnen diese Kategorisierung absolut ab, dieses Auseinanderreissen der deutschen Stämme oder dieses Ausspielen der Stämme gegeneinander.
({7})
Wir wollen unter keinen Umständen, daß irgendwie noch einmal eine Verfemung gewisser deutscher Volksgenossen eintritt.
({8})
In diesem Sinne nehmen wir entschieden gegen den Antrag der Bayernpartei in dieser Fassung Stellung, der auch bei der Umsiedlung staatliche Zwangsmaßnahmen in Anwendung bringen möchte.
Er ist ja auch im einzelnen gar nicht durchführbar; aber er zeigt so recht, welche Schranken und Hürden man aufrichten möchte, um unser gemeinsam leidendes Volk auseinanderzumanöverieren.
Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen. Ich ersuche Sie weiter, alles daranzusetzen, daß diese Schicksalsfrage unseres Volkes einer wirklichen Lösung zugeführt wird. Im besondern richtet sich aber meine Bitte an die Vertreter jener Länder, die als Aufnahmeländer in Betracht kommen, nicht nur hier im Hause für den Antrag zu stimmen, sondern auch in ihren Heimatländern ihren Einfluß geltend zu machen, damit die Durchführung dieser zu schaffenden gesetzlichen Regelung so schnell wie möglich erfolgen kann.
({9})
Wir gehen über zur Einbringung der unter den Ziffern 15, 16 und 23 der Tagesordnung aufgeführten Anträge:
Antrag der Abgeordneten Ollenhauer und Genossen, betreffend Eingliederung der Heimatvertriebenen ({0}); Antrag der Abgeordneten Ollenhauer und Genossen, betreffend Arbeitsbeschaffung für
Heimatvertriebene ({1}); Antrag der Abgeordneten Ollenhauer und Genossen, betreffend Sonderreferat für in Polen und in der Tschechoslowakei lebende Deutsche ({2}).
Das -Wort als Antragsteller hat der Herr Abgeordnete Reitzner.
Reitzner ({3}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Es ist von dieser Stelle aus in der letzten Zeit mehrmals und recht ausführlich zu den Pro- a blemen der Heimatvertriebenen gesprochen worden, aber mehr von den außenpolitischen Aspekten her. Man hat sozusagen die Vision einer erstrebenswerten Zukunft in sich eingesaugt. Ich möchte hier an Hand der Ihnen vorliegenden Anträge - Drucksachen Nr. 74, 77 und 78 - den Versuch unternehmen, die Bedeutung der innerpolitischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme herauszuarbeiten mit dem Ziel, eine rasche Verwirklichung der Forderungen zu erreichen, und mit der Aufgabe, die Dringlichkeit der Verwirklichung besonders zu verdolmetschen.
Wir alle wissen, daß die Problematik dieser Frage brunnentief ist, und wir wissen, daß wir das Problem der Heimatvertriebenen nicht isoliert sehen können. Es ist ein Problem, das in den Mittelpunkt unseres innen- und außenpolitischen Denkens und Handelns gestellt werden muß. Deshalb werden Sie, meine Damen und Herren, auch Verständnis dafür haben, daß von dieser Stelle aus der Versuch gemacht wurde, im Zusammenhang mit der Diskussion über die Oder-NeißeLinie eine Oder-Neiße-Linie auch der Sudetendeutschen zu fixieren. Dieser Versuch ist nicht gelungen. Er konnte nicht gelingen, weil man heute, in diesem Augenblick, Beschlüsse auf Vorrat nach dieser Richtung nicht fassen kann. Aber ich möchte nur mit drei Sätzen, als eine Art Präambel, noch einmal betonen, daß die Forderung nach Wiedergutmachung des all diesen Menschen durch den Heimatraub angetanen Unrechts selbstverständlich auch jene Deutschen einbeziehen muß, die vor dem Jahre 1938 nicht in den Grenzen des Deutschen Reiches gelebt haben, und möchte gleichzeitig unserer Überzeugung dahin Ausdruck geben, daß der Wunsch nach Rückkehr in die Heimat nicht
({4})
zur Negierung unerläßlicher wirtschaftlicher, sozialer und innerpolitischer Maßnahmen für die Heimatvertriebenen führen darf. Daher, glaube ich, kommt diesen Anträgen eine besondere Bedeutung zu.
Selbstredend befinden wir uns in Übereinstimmung mit vielen Schicksalsfreunden, wenn immer wieder ausgesprochen wird, daß zur moralischen Gesundung der Welt nicht nur die innere und geistige Entnazifizierung der Deutschen, sondern auch die Entpotsdamisierung der Sieger notwendig ist.
({5})
Daher haben wir auch ein moralisches Recht, zu
sagen, daß ein berechtigter Protest keineswegs ein
Vorwand sein darf zu einer neuen nationalistischen
und chauvinistischen Haltung in unseren Kreisen.
({6})
Solange aber die außenpolitische Seite dieses Problems nicht geklärt werden kann, muß eine rasche und erträgliche Zwischenlösung auf deutschem Boden geschaffen werden, eine Zwischenlösung, die dem Verelendunsprozeß der Heimatvertriebenen eine Schranke setzt und ihren Glauben an die nationale und . menschliche Solidarität wiederherstellt.
({7})
.Zunächst besteht die reale Aufgabe der sogenannten Flüchtlingspolitik auf deutschem Boden darin, den Versuch zu unternehmen, die physischen, moralischen und geistigen Kräfte der Heimatvertriebenen, soweit sie noch vorhanden sind, zu retten und nicht verkümmern zu lassen.
({8})
Das ist der tiefere Sinn unserer Anträge. Aber. meine Damen und Herren, vor uns steht nicht nur das Millionenheer der Vertriebenen auf deutschem Boden. Vor uns stehen in unserer Erinnerung die Volksdeutschen, die heute noch in den polnisch verwalteten Gebieten Deutschlands sowie in Polen und in der Tschechoslowakei leben. Ihre Lage ist menschenunwürdig und trostlos. Wer ihre Briefe liest, wird lange Zeit die Bilder dieses Elends nicht los aus den Falten seines Gehirns. Sie leben mehr ein Sklavendasein. Sie sind nicht nur Staatsbürger zweiter oder dritter Klasse; das ist viel zu wenig. Noch viel schlimmer! Daher können wir die fortwährenden Fluten der SOS-Rufe unserer in diesen Gebieten zurückgebliebenen Deutschen nicht überhören. Ich glaube, es ist eine menschliche und nationale Verpflichtung der ganzen deutschen Nation, auch diesen bedrängten Brüdern und. Schwestern beizuspringen.
({9})
Das ist der Sinn des Antrages Nr. 78, und ich ersuche daher im Namen der sozialdemokratischen
Fraktion, diesem Antrag zuzustimmen, der besagt:
Die Bundesregierung wird ersucht,
1. im Ministerium für Angelegenheiten der Heimatvertriebenen ein besonderes Referat einzurichten, das die Hilfe für die noch in den polnisch verwalteten Gebieten Deutschlands sowie in Polen und der Tschechoslowakei lebenden Deutschen zur Aufgabe hat,
und der unter 2 d die Bundesregierung ersucht, dem Bundestag zu berichten, welche Verordnung die Bundesregierung nach Artikel 119 des Grundgesetzes zu erlassen beabsichtigt, um die Länder zu verpflichten, sofort für eine angemessene und gleichmäßige Eingliederung dieser Vertriebenen in die Bevölkerung des Bundesgebiets Sorge zu tragen.
Dieser Antrag steht in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Antrag Nr. 74 der sozialdemokratischen Fraktion. Der Kollege Kuntscher hat eben darüber gesprochen. Ich stimme ihm in seinen Schlußfolgerungen vollkommen bei, möchte aber hinzufügen, daß eine Entlastung der Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern vor allem auch deshalb erreicht werden muß, weil diese Länder durch ihre verhältnismäßig hohe Belegung mit Heimatvertriebenen die geringste Aussicht auf Arbeit und Wohnung bieten können. Ich bin sicher nicht der Anwalt bayrischer Interessen oder Belange. Aber ich lebe in Bayern, und ich weiß, was dieses Land infolge seines geographischen Mißgeschicks durch den Zustrom von Heimatvertriebenen, von Flüchtlingen heute noch zu leiden hat. Es besteht daher ein berechtigter Anspruch.
Wir wissen, daß diese Frage schon längere Zeit die Länder beschäftigt. Aber zu meinem Bedauern muß ich sagen daß man bisher bei unverbindliche Gespräche nicht hinausgekommen ist. Auch der Herr Bundesminister für die Angelegenheiten der Vertriebenen, Dr. Lukaschek, ist über unverbindliche Gespräche nicht hinausgekommen. Ich höre von ihm, daß er guten Willens ist und beabsichtigt, den notwendigen Spitzenausgleich ohne Rechtsverbindlichkeit für die Aufnahmeländer durchzuführen. Ich wünsche dem Herrn Bundesminister aufrichtig viel Glück, und ich hoffe, daß es ihm gelingen möge. Trotzdem möchte ich aber vor einer zu starken Aufspaltung der Verantwortlichkeit in dieser Frage warnen und dem Herrn Bundesminister empfehlen, den Artikel 119 nicht in den Abstellraum der Bundesregierung zu stellen.
({10})
In materieller Hinsicht ist der Antrag Drucksache Nr. 77 der weitestgehende. Er umfaßt vor allem das Problem der Arbeit und Wohnung, worüber heute gesprochen wurde. Wird das Problem. des sozialen Wohnungsbaus gelöst, so ist das Problem der Arbeitsbeschaffung vorwärtsgetrieben und auch den Heimatvertriebenen ein unerhörter Dienst erwiesen. Die sachliche Berechtigung dieses Antrags wird nach dem, was ich aus den Debatten von allen Seiten dieses Hohen Hauses vernommen habe, wohl von niemandem bestritten. Wir befinden uns hier sicher in guter Gesellschaft, und ich sehe, daß auch die CDU/CSU-Fraktion und- andere Fraktionen ähnliche oder gleichlautende Anträge gestellt haben. Ich kann mir daher, auch mit Rücksicht auf die Zeit - ich bin ersucht worden, um 1 Uhr zu beenden -, eine ausführliche Begründung ersparen. Nur einige unerläßliche Bemerkungen, insbesondere zum Lastenausgleich und zu den Auswirkungen des Soforthilfegesetzes.
Der Lastenausgleich ist stellenweise ein Tummelplatz geworden, aber auch ein Gegenstand heftiger Kritik und hoffnungsloser Betrachtungen der Heimatvertriebenen. Wenn im Kreise der Heimatvertriebenen das Wort „Lastenausgleich" fällt, sagt man: Laßt den Ausgleich! Wir glauben doch nicht mehr daran, daß es zu einem sozial gerechten Lastenausgleich kommt.
Vom psychologischen Standpunkt her glaube ich wiederholen zu müssen, daß auch unsere Soforthilfemaßnahmen geeignet sein müssen, den verlorengegangenen Glauben an die menschliche und nationale Solidarität wiederherzustellen. Dabei sind wir uns darüber klar, daß, wer
({11})
leistungsfähig ist, auch leistungsverpflichtet gemacht werden muß. Soll ein sozialer und gerechter Lastenausgleich möglich sein, dann muß man, glaube ich, auch die Substanz und nicht nur das Erträgnis zur Leistung heranziehen. Das Soforthilfegesetz ist, wie wir wissen, mit seinem zusätzlichen Hausratprogramm eine zwar gutgemeint, aber infolge der unerhörten Bedürfnisse unbefriedigende Maßnahme. Im Rahmen des Soforthilfegesetzes - das besagt § 45 - ist für Hausrathilfe gesorgt. Die Erfahrung zeigt heute, meine Damen und Herren, daß das Bedürfnis die Möglichkeit der Leistung weitaus übersteigt. Wir erhoffen von dem Herrn Minister für die Angelegenheiten der Heimatvertriebenen, daß er bald in der Lage sein wird, dem Hohen Hause über die bisherigen Auswirkungen des Soforthilfegesetzes zu berichten, damit wir dann zu klareren Vorstellungen über weitere Leistungen kommen können.
Abschließend möchte ich die Bundesregierung bitten, im Auge zu behalten, daß die Heimatvertriebenen sehr rasch und ausgiebig Hilfe erwarten und sie nötig haben. Ein Winter steht vor uns. Das Problem, das es zu lösen gilt, wird nicht nur ein Prüfstein für die moralische und soziale Regenerationsfähigkeit des deutschen Volkes sein. Es wird vor allem auch ein Prüfstein sein für die Zuverlässigkeit der Absichten der Regierung auf sozialem Gebiete. Daher muß ein Höchstmaß von Leistung in den Ländern und dem Bund angestrebt werden. Ich schließe mich den Ausführungen des Kollegen Kuntscher auch auf diesem Gebiete vollkommen an. Es ist ein Höchstmaß von Leistungen notwendig, denn vor uns steht die Aufgabe, die unumgängliche Planung ohne bürokratischen Leerlauf durchzuführen. Erst wenn wir diese Höchstleistung mobilisiert haben, werden wir die moralische Berechtigung gewinnen, uns um Hilfe an das Ausland zu wenden.
({12})
Es gibt, meine Damen und Herren, darüber hinaus noch ein politisches Moment. Es gilt, die Millionen der Heimatvertriebenen aus ihrer jetzigen Hoffnungslosigkeit herauszubringen. Diese entwurzelten Menschen können eine tödliche Gefahr, ja ich möchte sagen, der Mühlstein um den Hals der neuen deutschen Demokratie werden,
({13})
wenn wir nicht mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln dem Verelendungsprozeß und der leiblichen und seelischen Not ein Ende bereiten.
({14})
Meine Damen und Herren, die Mittagspause ist herangerückt. Wir werden nach Wiedereröffnung der Sitzung um 15 Uhr zunächst noch die Einbringung des Antrags unter Punkt 17 der Tagesordnung entgegennehmen und dann in eine gemeinsame Aussprache über die Punkte 14, 15, 16, 17 und 23 der Tagesordnung eintreten.
Ich darf darauf hinweisen, daß die Sitzung des Ausschusses für Arbeit um 14 Uhr 30 stattfindet. Ferner wird der Ausschuß für den Sitz der Bundesorgane ebenfalls um 14 Uhr 30 zusammentreten.
Die Sitzung ist unterbrochen und wird um 15 Uhr fortgesetzt.
({0})
Die Sitzung wird um 15 Uhr 9 Minuten wieder aufgenommen.
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist wieder eröffnet. Wir waren bei der Beratung der Punkte 14, 15, 16, 17 und 23 der Tagesordnung stehengeblieben.
Zur Geschäftsordnung hat zunächst der Herr Abgeordnete Dr. Ziegler das Wort.
Meine Damen und Herren! Ich schlage vor, den Antrag unter Ziffer 19 der Tagesordnung mit den derzeit in Behandlung stehenden Anträgen zu verbinden und im Zusammenhang mit diesen Anträgen zu behandeln, da er im Wesen das gleiche Thema zum Gegenstand hat.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag gehört, den unter Ziffer 19 der Tagesordnung aufgeführten Antrag zu der Aussprache über die Ziffern, die schon heute vormittag besprochen sind, hinzuzunehmen. Bestehen Einwendungen? - Das scheint nicht der Fall zu sein.
Mit den übrigen aufgerufenen Punkten wird also
Punkt 19 der Tagesordnung gemeinsam besprochen: Antrag der Fraktion der BP, betreffend Sofortmaßnahmen der Bundesregierung hinsichtlich der Verteilung der illegal über die Ostgrenzen kommenden Flüchtlinge ({0}).
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Trischler.
({1})
Sie sprechen zur Debatte?
({2})
Es haben bis jetzt noch nicht alle Antragsteller zur Begründung ihrer Anträge gesprochen. Zur Begründung des Antrags unter Punkt 17 der Tagesordnung hat zunächst der Herr Abgeordnete Goetzendorff das Wort.
Goetzendorff ({3}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Es ist bereits von dieser Stelle aus sehr viel von der sozialen Not der Heimatvertriebenen gesprochen worden, und die Aufgeschlossenheit des Hauses gegenüber dieser für uns so wichtigen Frage berechtigt uns zu der Hoffnung, daß viele der gehaltenen Reden auch in Taten umgewandelt werden. Es ist immer wieder betont worden, daß die Heimatvertriebenen ihren Anspruch auf die Rückkehr in die Heimat niemals aufgeben werden. Bis dahin aber kann noch eine lange Zeit vergehen. Kollege Reitzner hat sehr richtig betont, daß alles getan werden muß, um dem augenblicklichen Zustand der Verelendung der Flüchtlingsmassen wirksam begegnen zu können. Über den außenpolitischen Aspekten dürfen wir nicht vergessen, die Dinge zu regeln, die notwendig sind, um den Vertriebenen die Eingliederung in das Wirtschaftsleben zu ermöglichen. Es bedarf gesetzgeberischer Mittel, um zu verhindern, daß die Heimatvertriebenen als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Die Flüchtlinge sind überall im Lande gegenüber jeder Versprechung mißtrauisch geworden. Ich glaube, daß wir schon aus diesem Grunde alle berechtigten Forderungen der Heimatvertriebenen gesetzgeberisch untermauern müssen.
Auf die unterste Stufe der sozialen Rangordnung zurückgeworfen, gilt heute der Kampf der Heimatvertriebenen den primitivsten Dingen des menschlichen Daseins überhaupt: Kleidung, Nahrung, Arbeit und Wohnung. Unter den Erwerbslosen stellen die Flüchtlinge den größten Teil dar. Viele von ihnen, die über ausreichende Fähigkeiten ver({4})
fügen, wohnen auf Einödshöfen und in unwegsamen Dörfern. Diese Menschen sind verbittert, weil sie glauben, bei jeder Bewerbung, bei jedem Anspruch auf irgendeine Stellung von vornherein benachteiligt zu werden.
Es, ist der Sinn der Drucksache Nr. 88, diesen Heimatvertriebenen die Gewißheit zu geben, daß wir sie nicht weiterhin mit leeren Redensarten abspeisen wollen, sondern daß sie einen Rechtsanspruch darauf haben, in die Stellen, die die Bundesrepublik in ihren Ämtern zu vergeben hat, einbezogen zu werden. Diesem berechtigten Wunsch ist bereits durch einen Antrag der CDU/CSU- Fraktion Rechnung getragen worden. In ihm ist empfohlen worden, Heimatvertriebene in alle Behörden des Bundes bevorzugt einzustellen. Wir haben diesen Antrag begrüßt, halten ihn aber als eine unter Umständen wenig verbindliche Empfehlung nicht für ausreichend. Es könnte sein, daß dieser Antrag in der Praxis nur rhetorischen Wert behält. Wenn man den Heimatvertriebenen einen Stellenanteil gemäß ihrem Anteil an der Bevölkerungszahl zubilligt,
({5})
dann wird man ihnen von vornherein dasGefühl
nehmen, daß sie wieder nur mit Redensarten bedacht werden, und dann können sie auch gut und gern darauf verzichten, daß sie „bevorzugt" behandelt werden. Der Anteil der Vertriebenen in Westdeutschland beträgt nach unseren Ausrechnungen etwa 17 Prozent. Es ist also Rechtens, wenn man ihnen beim Aufbau der Bundesbehörden eine Quote von mindestens 15 Prozent zubilligt. Ich verspreche mir hiervon eine gewisse Beruhigung auf dem Flüchtlingssektor, da durch klare Bestimmungen jeder Verdacht beseitigt wird, als wolle man die Empfehlungen nur dazu benutzen, den Flüchtlingen Sand in die Augen zu streuen.
Der Einwand, durch eine festgelegte Quote würde man erreichen, daß weit weniger Heimatvertriebene bei den Behörden eingestellt werden, ist nicht stichhaltig, denn selbstverständlich ist dem sozialen Verständnis nach oben keine Grenze gesetzt. Allerdings kommt es nicht nur darauf an, daß die Quote eingehalten wird, sondern in erster Linie darauf, daß die Quote innerhalb der einzelnen Berufssparten, innerhalb der einzelnen Beamten und Angestellten überwacht wird; sonst könnte es sein, wie es in Bayern der Fall ist, daß in vielen Behörden zwar die Flüchtlingsquote erfüllt ist, daß sie sich aber meistens nur auf die Kategorie der Putzfrauen und kleinen Angestellten erstreckt. Ich glaube, daß auch sonst die Heimatvertriebenen bei einer Quotenfestlegung beruhigt sein würden. Wenn es möglich ist, daß in einem Land oder von einer Partei allen Ernstes vorgeschlagen wird, man möge die Heimatvertriebenen zum zweiten Mal vielleicht unter dem Schutz von Polizeibütteln austreiben, dann wird es noch viel eher vorkommen können, daß man sie aus nichtigen Gründen aus ihren Ämtern verjagt.
Wenn Sie der Drucksache Nr. 88 Ihre Zustimmung geben, dann bin ich überzeugt, daß wir dadurch einen wirksamen Beitrag zur Solidarität des deutschen Volkes überhaupt erzielen. Ich glaube die Kluft zwischen Einheimischen und Hinzugekommenen zu beseitigen und zu verengen, muß eine der vornehmsten Aufgaben dieses Hauses sein. Man sollte den Ausgewiesenen nicht vergessen, daß sie nicht - wie vielfach erwartet - ein Element der Unruhe, ein radikales Element in den deutschen Ländern geworden sind, trotz der ungeheuren leiblichen und seelischen Belastung, die sie ertragen haben; man sollte immer daran denken, daß gerade die Heimatvertriebenen trotz allen unermeßlichen Leids ihr Vaterland aus heißem Herzen lieben. Über ihnen steht das Wort des Arbeiterdichters Bröger, daß Deutschlands ärmster Sohn auch sein getreuester ist.
({6})
Das Wort als Antragsteller zu Ziffer 19 hat der Abgeordnete Dr. Ziegler.
Meine Damen und Herren! Es sind heute am Vormittag beredte Worte über die Tatsache gefunden worden, daß die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge verschieden verteilt sind, und zwar so verteilt, daß manche Länder übermäßig belastet sind und die Last nicht zu tragen vermögen. Diese Tatsache hat sich bei den Parteien des Hohen Hauses durchweg durchgerungen, und die Anträge, die hinsichtlich der Verteilung der Heimatvertriebenen auf die einzelnen Länder bereits eingebracht worden sind, und die Reden, die in Begleitung dieser Anträge gehalten worden sind, haben dies einwandfrei bewiesen. Darüber hinaus haben die Länder selbst von sich aus verschiedene Versuche unternommen, um einen tragbaren und vernünftigen Ausgleich der Heimatvertriebenen unter sich durchzuführen. Leider waren bisher alle diese Anregungen und Unternehmungen erfolglos. Wir wissen gerade aus dem Mund des Herrn Bundesministers für Heimatvertriebenenangelegenheiten, daß man im Länderrat noch zu keiner Einigung hat kommen können und daß man bis heute vergebens auf ein Ergebnis wartet.
Nun haben gerade heute vormittag verschiedene Herren darauf hingewiesen, daß in manchen Ländern die Dinge untragbar geworden sind. Zu diesen Ländern gehört auch, wie der Herr Kollege Reitzner bereits ausgeführt hat, Bayern. Bayern mußte auf Grund seiner geographischen Lage gleich von vornherein den oder wenigstens einen Hauptstrom der Flüchtlinge aufnehmen, und es hat darüber hinaus nicht nur die Heimatvertriebenen aufnehmen müssen, sondern dank dem Einfluß der Besatzungsmacht auch noch andere. Sie wissen, daß gerade die in Bayern regierende Besatzungsmacht ein ausgesprochen warmes Gefühl für die Angehörigen der ehemaligen Alliierten hat. Daher sind heute in Bayern nicht nur Tausende von Juden aus den ehemaligen polnischen und russischen Gebieten untergebracht, sondern auch die National-Tschechen, die diversen Flüchtlinge aus den Südost-Staaten, aus der Slowakei, Jugoslawien, aus Ungarn, aus Rumänien usw., und sie alle müssen - das ist Ihnen auch nicht unbekannt - bevorzugt untergebracht werden, das heißt: die Besatzungsmacht selbst beschlagnahmt einfach die entsprechenden Gebäude und Blocks und weist diese Alliierten, diese DP's ein. Dadurch ist der Zustand geschaffen, daß heute in Bayern noch etwa 50 000 Heimatvertriebene in Massenquartieren und Lagern untergebracht sind, ein Zustand, dem die Flüchtlingsverwaltung in Bayern einfach machtlos gegenübersteht. Machtlos deswegen, weil es keine Unterbringungsmöglichkeit für die Lagerinsassen gibt. Und diese Unterbringungsmöglichkeit ist in vielen Lagern, insbesondere in den Grenzlagern, eine Kulturschande! Nicht nur, daß die Leute nicht ein anständiges Dach über dem Kopf haben, auch moralisch und seelisch gehen sie dort unweigerlich zu Grunde. Und es gibt keine Möglichkeit, diese Lager freizumachen. Es gibt insbesondere jetzt keine Möglichkeit, wo Tag für Tag der Zustrom aus dem Osten anhält und die Lager neu auffüllt.
({0})
Aus diesen Erwägungen heraus ist der Antrag Nr. 92 entstanden, einen Ausgleich unter den Heimatvertriebenen vorzunehmen. Darüber sind wir uns alle einig. In Form einer Sofortmaßnahme sollen aber die Heimatvertriebenen, die nunmehr und in Zukunft über die Grenze einströmen, sofort verteilt werden, weil eine Möglichkeit, sie in den bestehenden Lagern unterzubringen, nicht vorhanden ist. Zweitens sollen die in den Lagern befindlichen Heimatvertriebenen schnellstens, und zwar vor Eintritt der kalten Jahreszeit auf die einzelnen Länder verteilt werden. Hierbei handelt es sich um eine Sofortmaßnahme, die vorwegzunehmen ist, natürlich unter Anrechnung auf die noch zu errechnende Ausgleichsquote. Sie ist notwendig im Interesse der Heimatvertriebenen selbst, weil sie in diesen Lagern unweigerlich zugrunde gehen. Ganz abgesehen davon ist ein Großteil dieser Lager derartig schlecht beschaffen, daß man es den Leuten unmöglich zumuten kann, noch einen Winter -- wenigstens noch einen Winter -in diesen Lagern zu verbringen. Der Antrag, den die Bayernpartei dem Hohen Hause unterbreitet, betrifft einen Teil des Gesamtproblems, er ist der Vorschlag zur Erledigung in Form einer Sofortmaßnahme, die dann entsprechend ausgeglichen werden soll, wenn die Länder bzw. die Bundesregierung selbst zur Festsetzung eines Verteilungsschlüssels gelangen sollten.
Und nun ein Wort zu den Ausführungen von heute vormittag über den Antrag der Bayernpartei, betreffend die Verteilung der Flüchtlinge auf die einzelnen Länder überhaupt. Wir stehen genau so wie Sie auf dem Standpunkt, daß der Ausgleich zunächst in Form der Freiwilligkeit erfolgen soll, ) und zwar auf Grund der Freiwilligkeit sowohl unter den Ländern wie auch unter den davon betroffenen Heimatvertriebenen. Aber wie es mit dieser Freiwilligkeit steht, darüber wissen wir schon ungefähr Bescheid. Freiwillig konnten bisher die Länder zu keiner Einigung kommen. Freiwillig haben sich bisher die Länder, die keine oder nur recht wenige Heimatvertriebene aufgenommen haben, zu keiner Aufnahme entschlossen. Es wird also hier auf dem Wege der Freiwilligkeit recht wenig zu erreichen sein.
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- Herr Schütz, da hin ich nicht so optimistisch wie Sie. Lassen wir es darauf ankommen und fragen wir unter den Heimatvertriebenen, wer sich freiwillig meldet! Es hat sich leider eine Tatsache als richtig erwiesen: daß der Mensch allmählich sich seiner Umgebung anpaßt. Wer so in den Flüchtlingslagern herumgekommen ist wie ich, muß mit Bedauern feststellen, daß selbst Menschen, die in einer hohen sozialen Stellung waren, sich recht bald mit der trostlosen Umgebung verwachsen fühlen und zum Teil gar nicht mehr aus diesen Schandlagern heraus wollen. Wenn hier nicht zu einem gewissen Zwang gegriffen werden soll, so weiß ich nicht, wie die Sache auf freiwilliger Basis durchgeführt werden kann. Doch vorweg die Freiwilligkeit! Wir stehen ebenso wie alle übrigen Parteien auf dem Standpunkt, daß ein Zwang nicht angewandt werden soll. Wenn aber die Freiwilligkeit nicht zu dem gewünschten Ergebnis führt und wenn wir trotzdem zum Ziel kommen wollen, so haben wir für diesen Fall in unserem Antrag vorgesehen, daß dann - und nur dann - ein gewisser Druck soll ausgeübt werden können. Man kommt
bei derartigen Dingen um eine Regelung nicht herum, und man kann, 'wenn die Freiwilligkeit nicht zum Ziel führt, auf eine staatliche Maßnahme einfach nicht verzichten. Es sind nun einmal Dinge, die weit über den Rahmen einer normalen Entwicklung hinausgehen, und ich weiß nicht, ob wir nicht doch, wenn die Sache nicht die Wege gehen sollte, die ich durchaus will und durchaus liebe, genötigt werden könnten, uns zu irgendeiner Maßnahme zu entschließen. Aber wie gesagt: auch wir gehen von dem Standpunkt aus, daß die Frage zunächst auf rein freiwilliger Grundlage sowohl unter den Ländern wie auch unter den Heimatvertriebenen gelöst werden soll.
Wir haben noch wegen eines anderen Absatzes in unserem Antrag den Unwillen des einen oder anderen Mitglieds des Hohen Hauses erregt, und zwar deswegen, weil wir die Auffassung vertreten haben, daß die Sudetendeutschen bzw. Südostdeutschen zunächst in dem süddeutschen Raum und die übrigen im norddeutschen Raum untergebracht werden sollen. Wir verkennen nicht und leugnen nicht die Tatsache der Einheit des deutschen Volkes in seiner geschichtlichen, kulturellen und speziell sprachlichen Entwicklung, und wir sehen keinen Grund, hier eine Zweiteilung nach der einen oder anderen Seite zu machen. Desgleichen fehlt uns jede Absicht, irgend jemanden zu diskriminieren. Wenn wir diesen Gedankengang aufgegriffen haben, so aus der Erkenntnis heraus, daß es trotz so vieler Gemeinschaft im deutschen Volk doch auch verschiedene Nuancierungen gibt, daß es verschiedene Gruppen gibt, und diese lassen sich nicht immer erschöpfen in dem Ausdruck „Ideologie". Wenn hier die Behauptung aufgestellt wird, daß die Sudetendeutschen - nicht alle, aber in der Hauptsache - und die Südostdeutschen dem süddeutschen, also dem bayerischen Kulturkreis am nächsten stehen, so ist damit lediglich eine Tatsache aufgezeigt. Wenn wir von dem Gedankengang ausgegangen sind, die aus dem Sudetenland bzw. aus Südosteuropa kommenden Deutschen zunächst in Süddeutschland zusammenzufassen, so geschah es aus der Erwägung, daß die Eingliederung dieser Menschen dort schneller und reibungsloser vor sich gehen kann als vielleicht anderswo. Wir wissen ja nicht, wie weit die Eingliederung vor sich gehen muß und ob sie nicht unter Umständen eine ewige sein wird. Wenn wir schon mit dieser Tatsache rechnen - und wir müssen damit rechnen -, wollen wir im Interesse des einheimischen Volkes wie auch der Heimatvertriebenen nicht Schwierigkeiten schaffen, wo Schwierigkeiten nicht überwunden werden müssen, und nicht Gräben aufreißen, wo solche nicht vorhanden sind. Das hat mit Rassentheorie oder mit Verfolgung gar nichts zu tun, sondern ist eine rein nüchterne Überlegung der Möglichkeit der Verschmelzung und der Eingliederung, die sich aus der Erkenntnis des Volkes und der Volksstämme selbst ergibt. Doch dieser Antrag Nr. 23 steht ja heute nicht zur Debatte; er ist bereits dem Ausschuß zugewiesen, und im Ausschuß wird die Möglichkeit geboten sein, das Für und Wider der Meinungen zu erörtern. Ich bitte Sie nur, meine Damen und Herren, dem Antrag Nr. 92 zuzustimmen und der Regierung damit den entsprechenden Auftrag erteilen zu wollen.
Weitere Wortmeldungen zur Begründung der Anträge liegen nicht vor.
In der Aussprache erteile ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Trischler.
Meine Damen und Herren! Ich möchte von vornherein als einer der Flüchtlingsvertreter in diesem Hause meiner Freude darüber Ausdruck verleihen, daß die Anträge zur Linderung der Not der Flüchtlinge aus allen Parteien kommen, daß sich hier Regierung und Opposition anscheinend einig in der Auffassung sind, daß dieses Problem ein allgemeines ist, daß wir alle gemeinsam zusammenarbeiten müssen. Weil ich weiß, daß hier das nötige Verständnis vorhanden ist, will ich mich auch aller Ausführungen enthalten, die irgendwie allgemeiner Natur sind. Ich will nicht über die Notwendigkeit der Linderung der Not usw. sprechen, sondern ich will zu einzelnen Fragen, die in diesen verschiedenen Anträgen angeschnitten sind, kurz Stellung nehmen.
Die Frage des gerechten Ausgleichs. Auch meine Fraktion ist hier selbstverständlich für einen gerechten, gleichmäßigen Ausgleich über alle Länder hinweg. Auch wir lehnen wie die Mehrheit in diesem Hause es ab, daß man unter den Flüchtlingen irgendwelche Gruppierungen macht und daß für die einzelnen Gegenden die oder jene bevorzugt behandelt werden sollen
Zur Frage der Freiwilligkeit: Ich habe das Gefühl, daß mein Vorredner von zweierlei Freiwilligkeit gesprochen hat. Einmal sehe ich die Frage der Freiwilligkeit vom Standpunkt der Heimatvertriebenen aus. In dieser Frage sind wir der Meinung, daß keinerlei Zwang angewendet werden darf. Wir kennen aus der Vergangenheit auch verschiedenen „freiwilligen" Zwang; auch dies würden wir ablehnen. Wir können es den Menschen nicht zumuten, daß sie noch einmal gezwungen werden, von dort wieder wegzugehen, wo sie bereits o einigermaßen eine neue Heimstätte gefunden haben. - Die zweite Freiwilligkeit ist die Frage der Freiwilligkeit der Länder, wieweit sie diesen Ausgleich für sich wollen oder nicht. Hier können wir nun vorerst ruhig abwarten, wie weit die eigene Bereitwilligkeit gehen wird und wieweit es notwendig sein müßte, den Artikel 119 des Grundgesetzes in Anwendung zu bringen. Jedenfalls nehmen wir zu diesem Ausgleich den Standpunkt ein, daß es notwendig ist, daß der Ausgleich erfolgt und ausreichend durchgeführt wird. Das, was wir jetzt hören, es sei geplant, bis Ende 1950 300 000 umzusiedeln, ist bestimmt keine Lösung. Denn wir haben von den Vorrednern zu diesem Thema bereits gehört, daß soundso viele Flüchtlinge wieder neu zuströmen, so daß es Ende 1950 wahrscheinlich so aussehen wird, daß sich praktisch gar nichts geändert hat, weil dieselben Länder, die Flüchtlinge abgeben, sehr bald wieder mindestens ebenso viele aufgenommen haben werden.
Zu einer anderen Frage. Auch meine Fraktion steht positiv zur Frage der Gleichberechtigung im Sinne der Drucksache Nr. 77 Punkt b, insbesondere bezüglich der Staatsbürgerschaft, des Pensionswesens, der Sozial- und Kriegsbeschädigtenrenten sowie der Sparkonten usw., vielleicht auch noch darüber hinausgehend. Es wird notwendig sein, daß wir wirklich gleichmäßige Verhältnisse schaffen. Denn zur Zeit ist die Situation so, daß in den verschiedenen Ländern diese Frage ganz verschieden behandelt worden ist. Wenn aus der alten Heimat drei gleichberechtigte Beamte aus irgendeiner Gruppe nun in drei verschiedene Länder gekommen sind, so erhalten sie jetzt dreierlei verschiedene Renten, je nachdem, wie das betreffende Land das geregelt hat. Das kann nicht gerecht sein, und es ist selbstverständlich notwendig, daß hier eine für alle Gebiete einheitliche Regelung getroffen wird.
Eine der wesentlichsten Fragen für die Heimatvertriebenen ist die Frage, die auch hier in diesem Antrag angeschnitten ist: Wohnung und Arbeit. Sie scheint mir wesentlich wichtiger zu sein als der Lastenausgleich. Dabei will ich die Wichtigkeit des Lastenausgleichs in keiner Weise mindern. Aber hier ist das Primäre, hier haben wir die Möglichkeit, wenn wir schnell helfen, daß wir auch wirksam helfen; denn eine schnelle Hilfe ist bekanntlich doppelt soviel wert.
Zur Frage der Wohnung möchte ich im Gegensatz zu manchen Ausführungen, die im Zusammenhang mit dem sozialen Wohnungsbau heute hier vorgebracht 'wurden, einen eigenen Standpunkt einnehmen, der vielleicht für manche etwas ketzerisch aussieht. Ich sage mir, daß wir mit den Geldern, die aus der öffentlichen Hand für den Wohnungsbau gegeben werden, die Möglichkeit haben, mehr Wohnungen zu schaffen. Ich glaube und bin der festen Überzeugung, daß es Möglichkeiten gibt, daß man nicht 10 000 Mark pro Wohnung zu rechnen braucht, sondern daß mit 10 000 Mark auch zwei Wohnungen und mehr gebaut werden können. Gerade die Heimatvertriebenen haben es in ihrer Vergangenheit in ihrer alten Heimat bewiesen, in der sie als ehemalige Minderheit gelebt haben, was sie aus dem Gedanken der Selbsthilfe auf organisatorischer Grundlage zu leisten vermögen. Hier sehe ich in der Solidarität, in der Verwirklichung des Gedankens der Selbsthilfe auch auf dem Gebiete des Wohnungsbaus Möglichkeiten, wesentlich billiger und ,schneller zu bauen, als es heute allgemein üblich ist. Wenn ich heute in den Lagern herumfahre, wenn ich sehr viele Flüchtlinge in den verschiedensten Gegenden besuche, so heißt es immer wieder: Gebt uns einige Tausend Mark, und wir bauen uns die Wohnungen selbst, wir brauchen gar keine weitere Hilfe dazu usw. Ich sehe die Möglichkeit darin, daß sich gewisse Gruppen von Heimatvertriebenen zu einer kleineren Siedlergemeinschaft in Form einer Genossenschaft zusammenschließen und die Aufgabe übernehmen, alle Arbeiten, die mit dem Bau verbunden sind, selbst zu leisten. Dem steht gar nichts im Wege. Wir haben in den Kreisen der Heimatvertriebenen genügend Fachleute von allen Gruppen, die zum Wohnungsbau notwendig sind. Da kann man sich ausrechnen, wenn ich meinetwegen eine Siedlergemeinschaft für hundert Wohnungen bilde, wieviel Maurer, wieviel Tischler, wieviel Installateure, wieviel andere Fachkräfte ich dazu brauche. Die nehme ich dann hinzu und andere als Hilfskräfte. Die werden nicht acht Stunden am Tage, sondern die werden von früh morgens bis spät abends arbeiten, wenn man ihnen das nötige Gelände zur Verfügung stellt, ihnen die entsprechenden Baumaterialien oder das Geld dazu gibt. So werden sie in Gemeinschaftsarbeit wesentlich mehr leisten, als wir das sonst heute bei diesen Bauten sehen. In diesem Falle wäre das Geld, das wir dafür aufnehmen, praktisch nur als Kredit anzusehen. Wir hätten die Möglichkeit, daß diese Heimatvertriebenen sich ihr Heim selbst bauen, daß es allmählich ihr Eigentum wird. Wenn wir nur normale Mietsätze verrechnen und das Kapital ohne Zinsen oder zu geringen Zinssätzen verzinsen lassen, so wäre in wenigen, spätestens 15 Jahren, dieses Haus durch Zahlung von normalen Mietsätzen Eigentum des Betreffenden.
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) Wir würden dadurch noch einen Vorteil haben. Die neu erstandenen Häuser könnten vorerst Eigentum der Genossenschaft bleiben und zur Sicherung des Kredites gegenüber dem Geldgeber hypothekarisch belastet werden. Wenn aber dem einzelnen der Anreiz gegeben wird, daß das Haus sein Eigentum wird, sofern entsprechende Rückzahlungen geleistet sind - man könnte sich noch darüber unterhalten, welcher Prozentsatz als Rückzahlung geleistet sein müßte, bis das Haus in sein Eigentum übergeht -, würde er von selbst trachten, die Gelder schnell zurückzuzahlen, und wir könnten sie wieder für Neubauten verwenden. Sie würden sich in einem kurzen Zeitraum umsetzen, und wir kämen auf diesem Gebiet schneller vorwärts. Wenn wir diese Frage im Ausschuß anschneiden, werden wir darüber zu reden haben, daß solche Siedlergemeinschaften, die die Verpflichtung übernehmen, alle Arbeiten selbst zu leisten, bevorzugt zu behandeln sind.
Eine andere Frage ist die der Arbeit. Es ist mit die allerentscheidendste Frage. Hierin sehe ich zur Zeit leider nicht die Möglichkeit, daß wir alle in den Arbeitsprozeß einschalten. Es ist außerordentlich bedauerlich, daß wir, wenn wir die Arbeitslosenziffern uns ansehen, feststellen müssen, daß die Zahl der arbeitslosen Heimatvertriebenen dreibis viermal so groß ist wie die Zahl der arbeitslosen Einheimischen, im Verhältnis gerechnet. Es ist leider so, daß die Heimatvertriebenen in erster Linie abgebaut werden. Ich bin überzeugt, daß die Zeit kommen wird, in der wir - vielleicht nach 10, 15 oder 20 Jahren -, wenn wir diese Aufgabe richtig lösen, wenn es uns gelingt, im Laufe der nächsten Jahre die heimatvertriebenen Arbeitskräfte fachlich an den Stellen einzusetzen, wo sie voll zur Auswirkung kommen, über das Heimatvertriebenenproblem anders reden als heute. Wir werden es dann nicht als Negativum, sondern als Positivum erkennen. Wir wissen, daß in diesen. neuen Menschen, in ihrem unbändigen Arbeitswillen, in ihrer Arbeitsfähigkeit und ihrer fachlichen Ausbildung ein ungeheures Kapital steckt.
Es wird selbstverständlich notwendig sein - und das ist richtig in dem Antrag Nr. 77 zum Ausdruck gebracht -, daß man den Wohnungsbau mit der Möglichkeit des Arbeitseinsatzes koppelt. Deshalb kommen vorerst dafür in erster Reihe nur Siedlungen in der Nähe von größeren Städten in Frage.
Ich komme noch einmal auf die Wohnungsfrage zurück. Bei der Wohnungsfrage ist noch ein Problem von besonderer Bedeutung. Es kommt darauf an, was für Wohnungen wir für die Heimatvertriebenen schaffen. Wir wollen bedenken, daß wir bei ihnen gegenüber den Kriegsbeschädigten, den Ausgebombten und Heimkehrern das Seelische als das Schwierigste zu betrachten haben. Es ist der Verlust der Heimat, die ihnen kein Mensch ersetzen kann. Es ist das Herausgerissensein aus der ehemaligen heimischen Umgebung.
Wenn wir uns ferner überlegen, daß der größte Teil der Heimatvertriebenen aus ländlichen Gegenden kommt, müssen wir die absolut notwendige Konsequenz ziehen, diesen Menschen da eine Wohnung zu schaffen, wo sie wirklich ein „Heim" haben, und zwar ein ländliches Heim. Es ist falsch, diese Menschen in die Wohnkasernen, in die Städte hineinzustecken. Es wird notwendig sein, daß man ihnen einen kleinen Garten gibt, wo sie die Möglichkeit einer Geflügelhaltung haben, wo sie sich ein Schwein, eine Ziege, eine Kuh halten können, Wir erreichen dadurch Wesentliches.
Der Heimatvertriebene findet dadurch wenigstens zum Teil Ersatz für seine ehemalige Heimat. Er wird sich in dieser Wohnung wohler fühlen als irgendwo anders. Es werden ferner diejenigen Familienmitglieder, die sonst in der Arbeit nicht unterkommen, im Gartenbau, in der Tierhaltung usw. Beschäftigung finden, und die Familie wird so Krisenzeiten leichter überstehen.
In diesem Hause ist öfter darauf hingewiesen worden, daß auf dem landwirtschaftlichen Sektor bereits ein Arbeitermangel zu verzeichnen ist. Es ist tragikomisch, diesen Ausdruck zu hören oder zu hören: wir könnten deswegen keine arbeitsintensiven Kulturen auf dem Lande einführen, weil wir keine Arbeitskräfte hätten. Auf der anderen Seite haben wir aber Hunderttausende bäuerliche Flüchtlinge, die keine Arbeit finden. Das ist unnatürlich und außerordentlich bedauerlich.
Wenn wir uns ferner überlegen, daß gerade diese bäuerlichen Kräfte selbständige Bauern in den verschiedensten Ländern zwischen der Ostsee und der Adria bis hinüber zum Schwarzen Meer gewesen sind, also unter den verschiedensten klimatischen und Bodenverhältnissen gestanden haben und erstklassige Kulturpionierarbeit auf dem bäuerlichen Sektor leisteten, so ist es bedauerlich, daß diese Menschen mit dieser Kenntnis hier nicht entsprechend eingesetzt werden.
Wir sind alle davon überzeugt, daß es notwendig ist, hier mit einer Neuorientierung der deutschen Agrarpolitik zu beginnen. Wir wissen, daß wir den größten Wert gerade auf Produktionssteigerung legen, auf neue Kulturen usw. Hierfür wären das die gegebenen Menschen. Wir müßten daher versuchen, sie entsprechend einzubauen. Es liegt also nicht daran, daß wir keine Arbeitskräfte haben. Hier stimmt etwas in der Agrarpolitik nicht. Selbstverständlich arbeiten diese ehemaligen selbständigen Bauern nicht für 8 bis 12 Mark in der Woche neben Verköstigung, weil sie damit nicht einmal das verdienen, was sie für den Ersatz der heruntergerissenen Kleider brauchen. Es wird notwendig sein, die ganze Agrarpolitk entsprechend anders zu gestalten und Mittel und Wege zu finden, um diese reichlich vorhandenen Kräfte entsprechend einzuschalten.
Zu einer weiteren Frage muß ich noch grundsätzlich Stellung nehmen. Aus den verschiedenen uns jetzt vorliegenden Anträgen, aber auch aus vorhergehenden, ebenso wie aus verschiedenen gesetzlichen Regelungen und Verordnungen der verschiedenen Länder hat sich eine Situation ergeben, die meines Erachtens für manche Heimatvertriebene sehr gefährlich und ungerecht ist, und zwar deswegen, weil man nicht genau Rücksicht nimmt auf alle Gruppen der Heimatvertriebenen. In den Anträgen, wie sie uns vorliegen, ist z. B. einmal nur von Heimatvertriebenen nach dem Potsdamer Abkommen die Rede, in einem anderen von in der Tschechoslowakei und in Polen noch lebenden Deutschen. Wenn man nur auf einzelne Gruppen Rücksicht nehmen wollte, würde etwas ganz Entscheidendes fehlen.
Ich halte es deshalb für notwendig, in Ergänzung zu allen bisherigen Ausführungen in diesem Hause einschließlich der Debatte über die Heimatvertriebenenfrage im Anschluß an die Regierungserklärung einmal darauf hinzuweisen: es gibt eine Gruppe von Heimatvertriebenen, die weder Ostvertriebene noch Sudetendeutsche sind. Es handelt sich hier um die Gruppen der ehemaligen deutschen Minderheiten aus etwa zehn Staaten
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von der Ostsee bis zur Adria hinunter. Die Stärke dieser Gruppen im Gebiet der westdeutschen Republik beträgt etwa 1,1 bis 1,2 Millionen. Ich darf Ihnen ferner sagen, daß diese deutschen Minderheitengruppen in diesen zehn Staaten zusammen immer etwa 30 bis 50 parlamentarische Vertreter in ihren Heimatstaaten hatten. Wenn diese gesamte Gruppe in diesem Hause nur durch einen einzigen Abgeordneten vertreten ist, so sehen wir, daß auch hier etwas geschehen ist, was nicht ganz gerecht ist. Es hat sich das so ergeben, weil diese ehemaligen Minderheiten auch hier nur ganz kleine Gruppen bilden, sehr verstreut leben und dementsprechend nicht richtig zum Zuge gekommen sind.
Wir müssen also bei all unseren zukünftigen Planungen immer wieder darauf hinweisen: es gibt auch solche Flüchtlinge, die nicht wegen Potsdam hierhergekommen sind! Denken Sie an all die Deutschen aus Jugoslawien, aus Rumänien bis hinunter zum Schwarzen Meer, Bessarabien und so weiter. All das hat mit Potsdam gar nichts zu tun. Zum größten Teil haben diese Deutschen ein noch schwereres Schicksal gehabt als die von Potsdam betroffenen Ich behaupte, daß keine Gruppe des gesamten Deutschtums in den letzten zehn Jahren so viel Blut verloren hat wie gerade die Deutschen aus Jugoslawien; die nicht herausgekommen sind, sind zum großen Teil umgekommen, entweder umgebracht oder in den verschiedenen Lagern verhungert, oder sie sind nach Rußland verschleppt worden. Von den JugoslawienDeutschen leben heute über ein Drittel nicht mehr; wenn wir eine genaue Statistik hätten, würde sich wahrscheinlich ergeben, daß zwischen 40 und 45 Prozent der ehemals deutschen Bevölkerung nicht mehr am Leben sind.
Jetzt hat sich in den einzelnen Ländern ein merkwürdiges Bild ergeben, weil man eben auf diese Gruppen keine Rücksicht nimmt. Ich verweise da auf die Bestimmungen in den einzelnen Ländern darüber, wer Flüchtling oder wer Heimatvertriebener ist. In den letzten Tagen wurden mir Fälle genannt, wonach zum Beispiel Kriegsgefangene aus England oder Rußland hierhergekommen sind, weil ihre Angehörigen hier sind, und nun nicht als Flüchtlinge oder Heimatvertriebene anerkannt oder aufgenommen werden. Jeder Bürgermeister, jedes Land macht da, was es will! Wir müssen also in Zukunft Wert darauf legen, daß wir das in der Gesetzgebung genau formulieren. Wenn wir jetzt nach der Formulierung „Potsdam" gehen, nehmen wir meinetwegen Belgrad und Bukarest hinzu. Im Zusammenhang mit den Anträgen, die da fordern, man solle sich auch um die Deutschen kümmern, die in Polen oder in der Tschechoslowakei leben, möchte ich noch darauf hinweisen: es gibt noch einige hunderttausend Deutsche im südosteuropäischen Raum, in Jugoslawien, Rumänien, in Ungarn, von denen auch ein sehr großer Teil gern herauskommen möchte. Sie leben dort jetzt noch unter äußerst schwierigen Verhältnissen. Es gibt darunter sogar noch eine Gruppe von mehreren Tausenden, die deutsche Staatsbürger sind, zum Beispiel die Gruppe der Buchenländer; ich darf die einmal herausgreifen. Die waren nach dem Abkommen zwischen dem Dritten Reich und Rußland deutsche Staatsbürger geworden. Ihr Vermögen wurde ihnen weggenommen; das Reich hat für das hinterlassene Vermögen entsprechende andere Werte übernommen. Diese Leute sind zu deutschen Staatsbürgern geworden. Sie sind heute zum Teil in Rumänien und können nicht heraus.
Was sind sie nun? - Also wenn wir uns hier mit derartigen Problemen befassen, müssen wir immer wieder auch an all diese Gruppen denken!
Es gäbe noch mehr derartige Fragen. Ich will aber zum Schluß kommen und möchte bitten, daß man sich auch dieser ehemaligen Minderheitengruppen erinnert, die sich bewußt, was unser gemeinsames Schicksal hier in der deutschen Heimat anlangt, zur geschlossenen Gemeinschaft der Heimatvertriebenen bekennen. Wir wollen hier keinen Unterschied. Unser Schicksal ist gemeinsam. Wir wollen es gemeinsam tragen, und wir legen Wert darauf, daß die Regelung dieses Problems gemeinsam mit den Einheimischen erfolgt. Wir wollen aber bei all unseren Planungen in Zukunft auch auf diese Gruppen Rücksicht nehmen.
In den hier vorliegenden Anträgen ist noch eine ganze Reihe von Fragen angeschnitten worden. Wir werden Gelegenheit haben, dazu in den Ausschüssen noch eingehend Stellung zu nehmen. Ich möchte nur von meiner Fraktion aus dazu sagen, daß wir es grundsätzlich auch für richtig halten, diese Fragen aufzuwerfen, und daß wir zu ihnen positiv eingestellt sind. Wieweit wir uns dabei
denen begegnen, die im "einzelnen andere Wege gehen wollen, wird sich in den Ausschußsitzungen ergeben.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Oskar Müller.
Meine Damen und Herren! Mit der auf Vorschlag der britischen Regierung in Yalta und Potsdam gemachten Empfehlung, die in den betroffenen Ländern bis dahin wohnenden Volksdeutschen umzusiedeln, wurde eine Frage zur Entscheidung gestellt, die in den Jahren 1945 und 1946 eine Reihe von Aufgaben mit sich brachte, deren ad-hoc-Entscheidungen nicht eine Regelung bedeuteten, wie sie im Interesse der Flüchtlinge zweifellos hätte getroffen werden müssen. Mein Herr Vorredner hat davon gesprochen, daß wir in vielleicht 10 oder 20 Jahren bei richtigem Einsatz der Flüchtlinge dankbar für sie sein würden, weil sie eine wertvolle Hilfe beim Aufbau darstellten. Nun, von 1945 bis heute ist sehr viel über die tatsächlich bestehende Not der Flüchtlinge gesprochen worden. Wenn diesen Worten auch die Taten gefolgt wären, so hätte, glaube ich, eine ganze Reihe von Fragen, die auch in den verschiedenen Anträgen angeschnitten sind, bereits ihre Erledigung gefunden.
Es wurde schon sehr richtig darauf hingewiesen, daß es sich nicht allein um die Wohnraumfrage handelt. In den vergangenen Jahren hätte absolut die Möglichkeit bestanden, die Wohnraumfrage für die Flüchtlinge so zu lösen, daß die Wohnungsnot weitestgehend hätte beseitigt werden können. Wenn man vor allen Dingen in den Ländern wirklich ernsthaft an das Problem herangegangen wäre, und zwar unter Berücksichtigung der Ausgaben in den einzelnen Ländern, die in diesem Umfange - ich erinnere nur an die Besatzungskosten - nicht notwendig waren, und wenn ein entscheidender Teil dieser Mittel für die Wohnraumbeschaffung eingesetzt worden wäre, dann hätte auf diesem Gebiet zweifellos eine wesentliche Besserung eintreten können.
Weiter ist die Frage der Arbeitslosigkeit unter den Flüchtlingen angeschnitten worden. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß der Anteil der Flüchtlinge in einzelnen Ländern
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zum Teil 40, ja sogar bis zu 60 Prozent beträgt. Diese Tatsache ist mit darauf zurückzuführen, daß sich die gesamte Politik in Westdeutschland eben entscheidend auch auf die Lage der Flüchtlinge und ihren Arbeitseinsatz auswirkt. Auch die Jugend unter den Flüchtlingen ist dadurch sehr stark in Mitleidenschaft gezogen, die Möglichkeiten ihrer beruflichen Ausbildung sind wesentlich eingeschränkt worden.
Mein Herr Vorredner hat weiter davon gesprochen, daß Tausende und aber Tausende von Flüchtlingsbauernfamilien darauf warten, seßhaft gemacht zu werden, wieder Grund und Boden unter die Füße zu bekommen. Ich werfe hier die Frage auf, was die einzelnen Länderregierungen und Länderparlamente in dieser Frage bisher getan haben. Was ist geschehen, um eine großzügige und entscheidende Bodenreform durchzuführen, um den Flüchtlingsbauernfamilien durch die Bodenreform Siedlungsland zur Verfügung zu stellen? Allein die Lösung dieser drei Fragen hätte in den vergangenen Jahren die Möglichkeit geboten, der Not der Flüchtlinge zu steuern und ihnen damit nicht nur einen inneren Halt, sondern, was auch in einem Antrag hier verlangt wird, die absolute Gleichberechtigung mit den alteingesessenen Bewohnern zu geben, und zwar nicht nur mit Worten und Buchstaben, sondern in der Tat. Die kommunistische Fraktion wird jedenfalls alle Maßnahmen unterstützen - wir haben das auch bisher schon in den Länderparlamenten getan -, die geeignet sind, diese Not zu lindern.
In diesem Zusammenhang möchte ich an Herrn Minister Dr. Lukaschek eine Frage richten. Da in den letzten Tagen in einem Presseinterview die Beantwortung der Frage nach der Realisierbarkeit eines Programms der Eingliederung der Flüchtlinge auf die Frage der Finanzierung abgestellt wurde, möchte ich mir die Frage erlauben, inwieweit von der Bundesregierung Maßnahmen ergriffen werden, um nicht nur die Wohnraumfrage und damit zusammenhängend die Frage des Arbeitsplatzes einer Lösung näherzubringen, sondern auch Maßnahmen zur Seßhaftmachung bäuerlicher Flüchtlingsfamilien auf dem Lande durchzuführen.
Meine Damen und Herren, da die Anträge, die hier vorliegen, dem Ausschuß überwiesen werden, kann ich es mir ersparen, auf Einzelheiten dieser Anträge einzugehen. Ich möchte nur einige Bemerkungen machen. Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion Nr. 61 fordert, in die Aufgliederung und Umsiedlung der Flüchtlinge auch die seit Kriegsende aus der Ostzone Geflüchteten einzubeziehen. Dagegen haben wir sehr ernste und erhebliche Bedenken, und zwar aus dem Grunde, weil - und das ist nicht nur in einem Lande geschehen - sehr starke Berichtigungen notwendig geworden sind und die Anerkennung dieser aus der Ostzone sogenannten Geflüchteten an Hand einer ganzen Reihe von Tatsachen umstritten ist. Wir werden uns dagegen wenden, daß solche Elemente, die zum Teil als Kriminelle oder Asoziale hierhergekommen sind, zum Teil aber auch um in Westdeutschland das Lager der Reaktion zu stärken, als Flüchtlinge anerkannt werden.
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Eine andere Frage ist die der sogenannten DPs. Die Kollegen aus Bayern, aber auch die Kollegen aus Hessen und anderen Ländern werden mir zweifellos bestätigen können, daß in den sogenannten DP-Lagern - abgesehen von einigen,
die man als solche anerkennen kann - sich doch in der Mehrzahl solche befinden, die als ehemalige Angehörige der SS aus den sogenannten baltischen Ländern heute hier in Westdeutschland die Fünfte Kolonne bilden und durch ihr Auftreten in München und in anderen Städten bewiesen haben, welche Funktion sie hier erfüllen.
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- Es bleibt Ihnen überlassen, sich Seite an Seite mit solchen Elementen zu stellen.
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Ich glaube weiter, daß auf Grund der Unterlagen, die uns vom Ministerium zur Verfügung gestellt werden müssen, die Frage des Ausgleichs in ihrer Gesamtheit sehr eingehend überprüft und geregelt werden muß.
Ich möchte aber noch auf den Antrag Nr. 78 der sozialdemokratischen Fraktion eingehen, in dem ein Sonderreferat für die in Polen und der Tschechoslowakei lebenden Deutschen gefordert wird. Ich glaube nicht, daß dieser Antrag entworfen wurde, ohne sich über seine weittragende Bedeutung im klaren zu sein, und ich möchte doch, nachdem in diesem Hause seit seinem Bestehen nicht ganz unwesentliche - ich will mich sehr vorsichtig ausdrücken - Fehlgriffe in der Behandlung von Problemen, die zu einem Teil in die Außenpolitik hineingreifen, gemacht worden sind, die Frage aufwerfen, ob nicht mit diesem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion ein weiterer Fehlgriff geschieht. Meine Damen und Herren, wir kennen ja wohl alle aus der nicht sehr rühmlichen Vergangenheit jene Einrichtung, die als „Amt für Auslandsdeutsche" unter dem damaligen Gauleiter Bohle geschaffen wurde und den Zweck hatte, soweit sich Volksdeutsche in den anderen Ländern dazu hergaben, dort im Interesse der Außenpolitik des Hitlerreiches die sogenannte Fünfte Kolonne zu organisieren.
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Ich glaube, es ist nicht ratsam, wenn durch die Einsetzung eines solchen Sonderreferats dem Ausland und den Völkern, mit denen wir in Frieden leben wollen und die wir für unsere eigene wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung und unseren Aufbau, die wir vor allen Dingen als Ergänzung für unsere wirtschaftliche Entwicklung brauchen, mit einem solchen Antrag Gelegenheit gegeben wird, zumindest zu mutmaßen, daß das, was sich in der Vergangenheit so unheilvoll ausgewirkt hat, erneut in anderer Form wieder praktiziert werden soll.
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Ich glaube, meine Damen und Herren, über diesen Antrag wird noch sehr ernsthaft zu sprechen sein. Ich möchte für meine Fraktion jetzt schon die Befürchtung zum Ausdruck bringen, daß mit einem solchen Sonderreferat, das ja bekanntlich auch andere Tätigkeiten an sich zieht, den Volksdeutschen in diesen Ländern nicht nur nicht geholfen, sondern geschadet und auch uns selbst erheblicher Schaden zugefügt werden wird. Von diesem Gesichtspunkt aus werden und müssen wir an die Behandlung der vorliegenden Anträge herangehen. Ich möchte noch einmal sagen: Meine Fraktion wird alles tun und unterstützen, damit den Flüchtlingen, ohne viele Worte zu machen, in ihrer Not konkret geholfen werden kann, vor allen Dingen auf den drei Gebieten, die bereits angeschnitten worden sind. Ich glaube, daß damit aber auch die
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Brücken zwischen Flüchtlingen und Alteingesessenen geschlagen und die Grenzen überwunden werden können.
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Das Wort hat das Mitglied des Bundesrats Staatsminister Albertz ({0}).
Albertz, Niedersächsischer Minister für Flüchtlingswesen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn hier - soweit ich unterrichtet bin, zum ersten Male - ein Mitglied des Bundesrats im Plenum des Bundestags das Wort nimmt, dann wollen Sie daraus erkennen, daß wir bei der Frage, die jetzt besprochen wird, alle Kräfte auf der Bundesebene zusammenfassen müssen, um so schnell wie möglich das zu erreichen, was erreicht werden muß. Ich habe namens der niedersächsischen Staatsregierung und in Vollmacht für die schleswig-holsteinische Landesregierung hier das folgende zu erklären.
Die Diskussion des Hohen Hauses geht im wesentlichen auch um den Bevölkerungsausgleich unter den Heimatvertriebenen, und es scheint uns, daß hier eine divergierende Anschauung herrscht, die ebenso in der Sitzung des Bundesrats zum Ausdruck gekommen ist. Der Herr Bundesflüchtlingsminister hat zum Ausdruck gebracht, daß die Flüchtlingsangelegenheiten zunächst Sache der Länder der Bundesrepublik seien.
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Ich glaube, daß gerade wir von den mit Flüchtlingen am meisten belasteten Ländern sagen müssen, daß diese Länder auf den Amtsantritt der Bundesregierung gewartet haben wie ein Schwimmer, der mit letzter Kraft auf eine rettende Küste zuschwimmt. Das Grundgesetz hat in dieser Frage auch eine völlig eindeutige Haltung, indem es in den Übergangsbestimmungen in Artikel 119 der Bundesregierung ein Werkzeug in die Hand gegeben hat, um den Bevölkerungsausgleich durch eine Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats vorzunehmen. Auf dem Gebiet dieser Frage ist praktisch eine Art Ausnahmerecht gegenüber einem unerhörten Notstand geschaffen worden. Darum sind die Landesregierungen von Schleswig-Holstein und Niedersachsen von Anfang an der Auffassung gewesen, daß dieses Werkzeug nun auch wirklich benutzt werden muß. Das Land Niedersachsen hat in Übereinstimmung mit dem Land Schleswig-Holstein heute im Bundesrat den Antrag gestellt, die Bundesregierung zu ersuchen, eine Rechtsverordnung über den Bevölkerungsausgleich auf Grund des Artikel 119 des Grundgesetzes zu erlassen. Dieser Antrag ist mit einer Stimmenmehrheit von 23 zu 19 Stimmen angenommen worden. Damit hat jedenfalls der Bundesrat zum Ausdruck gebracht, daß die Bundesregierung das Werkzeug des Artikel 119 benutzen möge.
Ich möchte als Mitglied des Bundesrats und namens der Regierungen der beiden Länder, die in der Flüchtlingsbelastung und Flüchtlingsnot an der Spitze liegen, und sicher auch - es ist aber formal nicht darüber gesprochen worden - des Landes Bayern dringend darum bitten, daß sich auch das Parlament auf den Standpunkt stellt, durch die Initiative der Bundesregierung über das Gespräch der Länder hinaus unter Benutzung des Artikel 119 des Grundgesetzes den Bevölkerungsausgleich zu beginnen. Wenn wir weiterhin auf der Ebene unverbindlicher Gespräche bleiben, kommen wir ebensowenig weiter wie in den vergangenen dreieinhalb Jahren.
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Dann tritt in den mit Flüchtlingen am meisten belasteten Ländern, die, wie Sie wissen, jetzt auch noch unter dem furchtbaren Bevölkerungsdruck aus der Ostzone stehen, in absehbarer Zeit - das ist eine nüchterne Feststellung - eine soziale Katastroph ersten Ranges ein, die außerdem noch politische Folgen hat, die überhaupt nicht zu übersehen sind.
Ich möchte noch besonders darauf hinweisen, daß dieser erste Spitzenausgleich nichts mit langwierigen statistischen Erhebungen zu tun hat. Daß die Länder sehr ungleichmäßig belastet sind, sieht jeder, der mit offenen Augen durch Westdeutschland fährt. Dazu brauchen wir keine statistischen Vorarbeiten mehr. Für den endgültigen Bevölkerungsausgleich werden aber diese Vorarbeiten zu leisten sein. Dagegen sind sie für das, was jetzt, und zwar innerhalb der nächsten Wochen, als Rechtsverordnung erarbeitet werden muß, nicht nötig. Wir werden sie praktisch bis zum Ende dieses Jahres brauchen, um die Monate Januar bis März dazu benutzen zu können, die Vorbereitungen für die Umsiedlung im nächsten Frühjahr zu treffen.
Ich darf Sie abschließend darum bitten, in Ihren Ausschußberatungen und auch im Plenum nicht bloß allgemeine Erörterungen über den Bevölkerungsausgleich anzustellen, sondern das ganze Problem auf die verbindliche Ebene des Artikels 119 des Grundgesetzes zu stellen.
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Der Herr Abgeordnete Renner hat das Wort zur Geschäftsordnung.
Meine Damen und Herren! Wir haben soeben etwas erlebt, was uns zu größter Aufmerksamkeit verpflichten sollte. Wir haben hier erlebt, daß ein Mitglied des Bundesrats im Bundestag das Wort ergriffen hat. Ich frage den Herrn Präsidenten, auf welchen Artikel des Grundgesetzes und auf welchen Paragraphen der Geschäftsordnung er sich stützt, wenn er zugelassen hat, daß ein Mitglied des Bundesrats hier ohne vorherige Befragung des Bundestags zu Wort kommt.
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Ich stelle diese Frage mit der ausdrücklichen Bemerkung, daß ich gegen die Ausführungen des Herrn Ministers keine Einwendungen zu erheben habe.
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Ich frage aber diejenigen, die das Grundgesetz geschaffen haben,
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ich frage Sie, Herr Professor Carlo Schmid: wie kommen wir zu dem, was sich hier abgespielt hat? Ist das Parlament der Auffassung, daß das mit den Bestimmungen des Grundgesetzes und der Geschäftsordnung übereinstimmt?
({3}) - Es steht nicht drin.
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Herr Abgeordneter Renner! Sie legen doch Wert auf Aufklärung. Ich darf um Ihr Gehör bitten.
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- Herr Abgeordneter Renner, ich darf auf Ihre Frage folgendes antworten. § 96 der vorläufig gültigen Geschäftsordnung lautet wie folgt:
Die Mitglieder des Bundesrats und, der Bundesregierung sowie ihre Beauftragten müssen
auf ihr Verlangen jederzeit gehört werden.
({1})
- Ich nehme an, Herr Abgeordneter Renner, daß damit Ihre Anfrage als erledigt anzusehen ist.
({2})
- Das tut mir sehr leid. Meines Erachtens und nach Ansicht des Hauses ist damit die Frage des Abgeordneten Renner erschöpfend beantwortet worden.
({3}) Meine Damen und Herren, das Wort hat nunmehr der Herr Abgeordnete Krause.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die sachliche Debatte des heutigen Tages, die beinahe den Eindruck zuläßt, daß der Bundestag seinen etwas in Verruf geratenen politischen Ruf wieder hergestellt hat, ist immerhin ein Beweis dafür, daß es diesem Hohen Hause mit dem Vertriebenenproblem ernst ist, beweist aber auch, wie unrecht gewisse Kreise hatten, die uns Ostvertriebenen vor den Wahlen prophezeien zu müssen glaubten, die Parteien und Abgeordneten willden versagen. Inzwischen hat man eingesehen, daß keiner Fraktion und keiner Gruppe des Bundestags der gute Wille abzusprechen ist, uns Ostvertriebenen weitestgehend zu helfen. Die vorliegenden Anträge sprechen von dem Ernst der Lage, und Sie alle, meine Damen und Herren, erhalten sicherlich tagtäglich Briefe aus allen Ländern des Bundesgebiets, aus denen sich ergibt, in welcher verzweifelten Stimmung meine Landsleute draußen sind. Man erwartet jetzt draußen im Volk keine langen Reden, sondern man erwartet praktische Taten. Man muß an die Dinge mit ganz klarer, nüchterner Überlegung herangehen und darf dabei nicht in den Fehler der Demagogie verfallen, der draußen im Land von gewissen Leuten in Vertriebenenversammlungen leider noch immer begangen wird. Der Verlauf der heutigen Debatte hat uns einwandfrei gezeigt, daß der Bundestag sehr wohl erkannt hat, daß die Ostvertriebenen einer zur Zeit noch stillstehenden Kugel gleichen. Von den Arbeiten des Bundestags wird es abhängen, nach welcher Seite diese Kugel eines Tages rollen wird. An unserer sachlichen Arbeit also wird es liegen, den Vertriebenen endlich das Gefühl zu nehmen, Staatsbürger nur zweiter Klasse zu sein. An uns wird es liegen, die grundsätzlich von keiner Seite bestrittene Gleichberechtigung endlich Wirklichkeit werden zu lassen, damit der fünfte Stand wieder verschwindet. Wir Heimatlosen laus Ostdeutschland sind genau so gute Deutsche wie unsere Brüder und Schwestern im übrigen Deutschland. Wir haben nur die Postleitzahl geändert, und das auch noch nicht einmal durch unser Zutun. Die Behandlung, die wir hier im Westen erfuhren, entsprach nach unseren bitteren Erfahrungen weiß Gott nicht immer den Prinzipien der christlichen Nächstenliebe, aber auch nicht dem Grundsatz vom Sozialismus der Tat; wenn
wir auch gerne anerkennen, daß gerade die Kirchen, die Verbände der freien Wohlfahrtspflege und das Ausland viel, sehr viel für uns getan haben, jedenfalls mehr als der Vater Staat, der uns, seine ostdeutschen Kinder, anfangs und zum Teil auch heute noch oft genug schmählich im Stich gelassen hat. Wenn der Staat durch die mahnende Stimme erfreulicherweise auch der westdeutschen Volksvertreter nun endlich an seine Pflicht gegenüber den Heimatberaubten erinnert wird, so ist das nur dankbar zu begrüßen. Bei der Entscheidung über die vorliegenden Anträge wie überhaupt über alle Fragen, bei denen es um Recht für Bedrängte und Verdrängte und um Linderung sozialer Notstände geht, sollte für alle Abgeordneten der Absatz 2 des Artikels 16 des Grundgesetzes Richtschnur ihres Handelns sein: „Eigentum verpflichtet".
Gestatten Sie mir, daß ich nach diesen grundsätzlichen Ausführungen namens der Zentrumsfraktion zu den vorliegenden Anträgen Stellung nehme. Die Zentrumsfraktion stimmt dem Antrag der Deutschen Partei zu, daß bei der Finanzierung privater Wohnvorhaben aus öffentlichen Mitteln für jede neu erbaute Wohnung eine zweite Wohnung für vertriebene Familien bereitgestellt werden muß. Die Zentrumsfraktion bittet allerdings, bei der bevorstehenden Ausschußberatung darauf zu achten, daß dabei kinderreiche Familien bevorzugt behandelt werden. Der vorliegende Antrag gibt uns aber auch Veranlassung, das Hohe Haus auf einen Plan hinzuweisen, den unsere politischen Freunde schon im Wirtschaftsrat eingebracht haben, nämlich den sogenannten Stricker-Plan. Dieser Plan geht darauf hinaus, Ostvertriebenensiedlungen zu schaffen, in denen die Heimatvertriebenen landsmannschaftlich zusammengeschlossen werden und dort je nach ihrem Beruf tätig sein können. Er entspricht auch dem Programm, das die Zentrumspartei für die Bundestagswahl aufgestellt und in dem sie die Errichtung von Vertriebenensiedlungen mit eigenen industriellen und gewerblichen Betrieben gefordert hat, wo die Vertriebenen wieder in ihrem alten Beruf eingesetzt werden können. Dieser Plan ist, sollte er im Bundestag verwirklicht werden, nach unserer Überzeugung durchaus geeignet, auch die einheimische Bevölkerung, die uns hat aufnehmen müssen, zu entlasten. Im großen und ganzen gesehen würde der Stricker-Plan nach seiner Verwirklichung dazu beitragen, der Wahrung des sozialen Friedens zu dienen.
Mit den Vorrednern sind auch wir der Meinung, daß es wirklich nicht angebracht ist, in so großen Notzeiten, in denen wir leben müssen, statt Wohnungsbauten Vergnügungsstätten zu errichten. Die Zentrumsfraktion legt gesteigerten Wert darauf, daß endlich einmal die Massenlager und Flüchtlingslager verschwinden, weil sie diese menschenunwürdigen Unterkünfte als eine weiß Gott nicht empfehlenswerte Visitenkarte der neugebildeten Bundesrepublik betrachten muß.
Auch der zweite Antrag, der die Verteilung der Flüchtlinge auf die einzelnen Länder betrifft und der sowohl von der CDU/CSU als auch von der SPD eingebracht worden ist, findet unsere Zustimmung. Nur bitten wir, dabei bedenken zu wollen, ob es nicht zweckmäßig erscheint, nicht nur nach wirtschaftlichen, beruflichen oder sozialen Gründen, sondern auch nach konfessionellen Gesichtspunkten vorzugehen. Diese Anregung entspricht nicht allein unserer grundsätzlichen Auffassung, sondern basiert auch auf einer dreijähri({0})
gen Erfahrung. Es wird im Ausschuß Gelegenheit sein, darauf noch näher zurückzukommen. Im übrigen sind wir der Meinung - und nun wende ich mich an diejenigen unter Ihnen, die in der französischen Zone oder überhaupt in den Ländern sind, die bisher noch nicht in dem notwendigen Maße Flüchtlinge aufgenommen haben -, daß die Leute, die dazu besonders berufen sind, bei der Aufnahme von Ostvertriebenen mit gutem Beispiel vorangehen müssen, damit sich solche peinlichen Zwischenfälle, wie sie sich nach einem Bericht in der Nummer 237 der „Frankfurter Neuen Presse" vom 11. Oktober 1949 im südbadischen Landkreis Freiburg im Breisgau abgespielt haben, nicht wiederholen.
Als Ostvertriebener, der für seine Landsleute hier im größten trizonalen Bundesland, in Nordrhein-Westfalen, ehrenamtlich tätig ist, muß ich allerdings folgende Überlegung zur Diskussion stellen. Ich bitte, bei den kommenden Ausschußberatungen im Interesse beider Seiten, sowohl der Einheimischen als auch der Ostvertriebenen, zu erwägen, ob es zweckmäßig wäre, das Land Nordrhein-Westfalen noch einmal zu sehr mit Ostvertriebenen zu belegen. Die in den Bombennächten des vorgangenen Weltkrieges stark angeschlagene britische Zone - in ihr prozentual am stärksten die ehemalige Provinz Westfalen, besonders der Regierungsbezirk Arnsberg - ist mit dem schon in normalen Zeiten stark bevölkerten Ruhrgebiet, das über eine Million Ostvertriebene hat, das am dichtesten besiedelte Land der ganzen Erde. Hier in Nordrhein-Westfalen kommen noch keine vier Quadratmeter Wohnraum auf eine Person. Das ist weniger, als in den modernst ausgestatteten Strafanstalten Amerikas dem ) Zuchthäusler zur Verfügung steht. Diese Feststellung soll nun nicht etwa heißen, daß in Nordrhein-Westfalen aller verfügbare Wohnraum zur Linderung der Wohnungsnot erfaßt wäre. Im Gegenteil, bei gutem Willen könnte noch immer Wohnraum erfaßt werden, der dann aber den noch zu Zehntausenden menschenunwürdig hausenden Ostvertriebenen und Westevakuierten zur Verfügung gestellt werden müßte.
Daß die Umsiedlung freiwillig geschehen soll, ist wiederholt betont worden. Wir bekennen uns selbstverständlich gleichfalls zu diesem Grundsatz. Ich möchte nur hinzufügen: Mit den Vertretern der Ostvertriebenen in Bayern stehen wir auf dem Standpunkt, daß zum Beispiel die Annahme des Antrags Nr. 23 der Bayernpartei, der eine Androhung von Rechtsnachteilen für die Ostvertriebenen vorsieht, praktisch einer zweiten Ausweisung gleichkommen würde.
Im Antrag Nr. 77 begrüßt das Zentrum alle Maßnahmen, die geeignet sind, ein umfassendes Wiederaufbauprogramm durchzuführen und im Rahmen einer großzügigen Arbeitsbeschaffung die Voraussetzungen für den produktiven Einsatz der Vertriebenen zu schaffen. Dazu aber ist es nach unserer Auffassung nötig, den Vertriebenen individuell dort anzusiedeln, wo er, um mit den Worten des Artikels 2 des Grundgesetzes zu sprechen, zu seinem „Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit" kommt. Das ist nur dann möglich - und ich darf mich erneut auf das Grundgesetz, diesmal auf Artikel 12 berufen -, wenn alle Deutschen, also auch wir Ostvertriebenen, tatsächlich das Recht erhalten, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen, das heißt, wenn man endlich die Zuzugssperre aufhebt. Andernfalls würde nach wie vor der heimatvertriebene Beamte auf einem weltabgeschiedenen Dörfchen und der heimatvertriebene Bauer vom Lande in der Stadt leben müssen und nie zu dem mit Recht geforderten produktiven Einsatz kommen. Schon daraus ergibt sich, daß dabei besonderes Gewicht auf eine kombinierte Lösung der Wohnungs- und Arbeitsstättenfrage der Kriegsgeschädigten aller Gruppen gelegt werden muß.
Bei der Gelegenheit würde es das Zentrum begrüßen, wenn die kommenden Ausschußarbeiten sich der Frage zuwenden würden, wie man am zweckmäßigsten Jugendwohnheime für Lehrlinge und Studenten schafft, die wegen der Wohnraumverhältnisse nicht bei ihren Angehörigen wohnen können oder deren Angehörige abseits ihrer Ausbildungsstätte untergebracht sind. Ich darf dem Ausschuß empfehlen, sich mit der Sozialverwaltung der Stadt Frankfurt am Main, Stadtrat Dr. Prestel, in Verbindung zu setzen. Er hat, soviel ich weiß, als erster und bisher einziger mit der Schaffung von Jugendwohnheimen einen vorbildlichen Anfang gemacht.
Wir sind auch der Meinung, daß man bei der Ausbildung unserer ostdeutschen Jugend unseren
Studenten und Abiturienten endlich Gelegenheit
geben sollte, die Universität zu beziehen. Nach statistischen Erhebungen steht fest, daß von den Studenten auf den Universitäten des trizonalen Bundesgebiets nur 3 Prozent Ostvertriebene sind.
Besonderen Wert aber legen wir darauf, daß sich die Ausschußarbeit wie überhaupt die kommende Sozialarbeit den Heimkehrern aller Gattungen zuwendet. Ich darf dem Hohen Haus schon jetzt die Mitteilung machen, daß die Zentrumsfraktion einen Antrag eingebracht hat, der verlangt, daß die Vorlage des Heimkehrergesetzes endlich und beschleunigt erfolgt, jenes Gesetzes, dessen Beratung in der 39. Vollversammlung des Wirtschaftsrats im Juli 1949 vertagt wurde, um es dem Bundestag zu überweisen.
In der Forderung nach praktischer Gleichberechtigung, wie sie in der Drucksache Nr. 78 erhoben wird, erblicken wir, soweit sie die Staatsbürgerschaft betrifft, eine Formulierung, die eigentlich gar nicht notwendig sein sollte oder, wenn sie aus gewissen formalrechtlichen Gründen notwendig wäre, zum mindesten sehr befremden müßte. Ich sagte schon, daß wir unsere Staatsbürgerschaft nicht geändert haben. Wir waren, ob im Memelland, in Masuren, unten in den Bergen Niederschlesiens oder im Industriegebiet Oberschlesiens, genau so gute Staatsbürger wie hier im westdeutschen Bundesgebiet. Wir sprechen dieselbe deutsche Sprache wie Sie, meine Damen und Herren, und haben nie eine andere Sprache gesprochen, eben weil wir diese genau so wenig reden können wie Sie.
Die Forderung nach der Gleichberechtigung im Pensionswesen haben wir schon in unserem Antrag Drucksache Nr. 20 erhoben. Zahlreiche Zuschriften haben uns bewiesen, daß wir damit Hunderttausenden von ostvertriebenen Beamten und Pensionären aus der Seele gesprochen haben. Ich möchte von dieser Stelle aus an den Bundestag die Bitte richten, die Frage der ostvertriebenen Beamten beschleunigt in Arbeit zu nehmen, weil das Elend, das in diesen Kreisen herrscht, praktisch schon so weit vorgeschritten ist, daß aus zahlreichen Briefen immer wieder herausklingt: Wenn das nicht bald geändert wird, weiß ich nicht mehr, wie ich mit meinen Angehörigen noch weiterleben soll. Wenn man hört, daß im Kreise Leer ein Beamter mit 4 Personen 23 D-Mark die Woche
({1})
l bekommt, so mag das als Beispiel dafür dienen. Erst heute mittag habe ich mit der Post einen Brief aus Bayern bekommen - ich habe ihn hier im Original und stelle das Original den Interessenten zur Verfügung -, in dem es heißt, daß nach dem Gesetz über die Zahlung von Zuwendungen an nichtbayrische Pensionäre vom 3. Mai 1948 - GVBl. Seite 95 - Zuwendungen nur an dauernd dienstunfähige Beamte gewährt werden dürfen. Das sind Zustände, meine Herren, die mit sozialer Gerechtigkeit weiß Gott nichts zu tun haben.
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-- Der Brief liegt im Original vor; ich bitte, ihn einzusehen. Der Fall, der sich in Kiel abgespielt hat, wo ein ostpreußischer Beamter in seiner Verzweiflung Selbstmord verübt und seine vier Kinder in den Tod mitgenommen hat, sollte ein Fanal, eine mahnende Stimme sein, auf diesem Gebiet endlich einmal zur sozialen Gerechtigkeit zu kommen.
Wir verlangen weiter einen gerechten Ausgleich bei der jetzt angewandten Dritten Sparverordnung vom 19. März 1949 und sind der Meinung, daß es bei der Ausschußberatung darauf ankommen müßte, diesen gerechten Ausgleich zu schaffen. Denn fest steht doch, daß die einheimischen Beamten seit Mitte Mai 1945 ihre volle Pension bekommen haben, während in Nordrhein-Westfalen und vielleicht auch in einigen anderen Ländern erst jetzt die Auszahlung von höchstens 100 D-Mark an ostvertriebene Beamte erfolgt ist.
Ich möchte bei der Gelegenheit an das Bundesministerium für Angelegenheiten der Vertriebenen die Bitte richten - und bei der Besetzung dieses Ministeriums ist diese Bitte ganz bestimmt nicht umsonst ausgesprochen -, sich auch der fast 1/4 Million ostvertriebener Handwerker und Handwerksmeister anzunehmen. Ich empfehle dem Herrn Minister, soweit das noch nicht geschehen sein sollte, mit der Betreuungsstelle ostdeutscher Handwerker in Hamburg, Holstenwall 12, in Verbindung zu treten. Wir begrüßen die Anregung, die neulich auf dem Weltkirchentag gemacht worden ist und die die Einrichtung eines eigenen Kreditinstituts für die ostvertriebene Wirtschaft betrifft. Wir würden es begrüßen, wenn es dem Ausschuß für Heimatvertriebene gelänge, diese Anregungen, die in der Mainzer „Allgemeinen Zeitung" Nr. 236 vom 11. Oktober 1949 nachzulesen sind, zu verwirklichen. Wir legen weiter Wert darauf, daß das Ministerium die engste Verbindung zu dem Verband der Beamten und Angestellten der öffentlichen Verwaltungen aus dem Sudetengebiet und aus dem ostdeutschen Gebiet herstellt, und bitten, wenn möglich, eine Hauptbetreuungsstelle zu schaffen und so vom Ministerium aus eine volksnahe Verbindung zu den Millionenmassen der ostvertriebenen Beamten herzustellen.
Die gerechte Lösung des Lastenausgleichs liegt dem Zentrum aufrichtig am Herzen. Die Bundesregierung, die nach den Worten des Herrn Bundeskanzlers Adenauer ja „so sozial wie möglich" zu handeln versprochen hat, wird bei der Lösung dieser zukunftsentscheidenden Frage ihre soziale Bewährungsprobe zu bestehen haben. Aber nicht nur die Bundesregierung, sondern auch der Bundestag.
Die Ostvertriebenen mit ihren 5 Millionen Toten in der Heimat, ihren auf Milliarden geschätzten
Sachwertverlusten, mit ihrem wohl nie wieder gutzumachenden Verlust der Heimat haben nach unserer Auffassung schon einen wesentlichen Teil an Reparationsleistungen getragen. Wir sind aber vernünftig genug, um einzusehen, daß man beim Lastenausgleich, der ja kommen wird, weil er kommen muß, wenn auch viele den Glauben an ihn schon verloren haben, den Bogen nicht überspannen darf. Wenn diese Frage ganz sachlich, klar und nüchtern von allen Beteiligten nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit gesehen wird, kann und wird sie auch gelöst werden, ohne den wirtschaftlichen Bestand und die politische Zukunft unseres Vaterlandes zu gefährden. Beim Lastenausgleich werden sich die Geister scheiden. Da wird es heißen, Farbe zu bekennen. Das Zentrum darf dieser Entscheidung mit Ruhe entgegensehen. Denn es hat die Abdeckung der Verpflichtungen wie gegenüber den Ausgebombten, den Nazigeschädigten usw. auch gegenüber den Heimatvertriebenen in seinem Aufruf vor der Wahl
({3})
zum Bundestag in seinem Programm zur Sozialreform als eine staatspolitische Notwendigkeit feierlich anerkannt.
Daß die Vorschüsse zur Hausratbeschaffung für Heimatvertriebene und alle Geschädigten in hinreichendem Maße erhöht werden sollen, um den vorliegenden Anträgen bis Ende 1949 entsprechen zu können, ist angesichts der furchtbaren Not dieser Volkskreise nur zu begrüßen.
({4})
Es ist schon so, wie es in dem Leitartikel der „Rheinischen Post" vom 28. September 1949 heißt - ({5})
- Ja, der Herr Kollege Kuntscher hat erklärt, die sogenannte Soforthilfe stelle praktisch nicht mehr als eine „ergänzende Anordnung zu den allgemeinen Fürsorgebestimmungen" dar.
({6})
- Ich komme gleich zur Sache, meine Herren, beruhigen Sie sich!
({7})
Wir verlangen jedenfalls, daß die Hausrathilfe ebenso wie die Ausbildungshilfe bei den kommenden Ausschußberatungen entsprechend gewürdigt werden.
Ich habe nur den einen Wunsch, daß die heutige Debatte den Grundstein legen möge zu einem einheitlichen Gesetz im ganzen Bundesgebiet, bei dem es darum geht, uns Ostvertriebenen zu helfen.
({8})
Ehe ich das Wort weiter erteile, darf ich mir einen Hinweis erlauben. Wir haben gestern im Ältestenrat von einer Begrenzung der Redezeit für die Behandlung der auf der Tagesordnung stehenden Beratungspunkte abgesehen. Der Verlauf ist bisher auch insoweit befriedigend. Da wir aber zweifellos alle den Wunsch haben, bis heute abend gegen 7 Uhr die Tagesordnung zu beenden, darf ich an die folgenden Redner appellieren, sich für die Diskussion entsprechend einzurichten.
Ich erteile nunmehr das Wort dem Herrn Abgeordneten Clausen.
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir ganz kurz einige Worte in dieser Diskussion. Bei der Debatte über die Regierungserklärung habe ich von dieser Stelle zu der Regierung gesagt: neben dem Lastenausgleich ist der Bevölkerungsausgleich ebenso wichtig, ja vielleicht noch wichtiger. Ich begrüße es außerordentlich, daß der Ältestenrat des Bundestags diese wichtige Frage so schnell behandelt hat. Ich begrüße auch die Anträge, die in dieser Richtung gestellt worden sind. Ich begrüße auch, daß der Bundesrat heute einen Beschluß gefaßt hat, so daß wir die Hoffnung haben können, in dieser Frage endlich einmal über die Diskussion hinauszukommen. Der Antrag Drucksache Nr. 61 und der Antrag Drucksache Nr. 92 bezwecken doch, den meistbelegten Ländern eine Entlastung zu bringen. Ich möchte darauf hinweisen, daß der Antrag Drucksache Nr. 92, den die Fraktion der Bayernpartei gestellt hat, für die drei Länder von außerordentlicher Wichtigkeit ist. Ich möchte dem Ausschuß, der diese Anträge in Zukunft behandeln wird, mit anheimgeben, die Voraussetzungen für eine Entlastung dieser drei Länder dadurch zu schaffen,
daß der Zuzug zu diesen Ländern, der dauernd
anhält, gestoppt wird. Ich weise nur darauf hin, daß in dem Kreis Schleswig in einem Zeitraum von sieben Monaten weitere 1145 Personen zugezogen sind und daß schon bis jetzt in den Häusern des Landes Schleswig-Holstein, zum Beispiel in Nord-Dithmarschen, 2,8 Personen auf den Wohnraum kommen, durchschnittlich also drei Personen. Man kann sich ausrechnen, wie in diesen Kreisen die Höchstbelegung aussieht. In den Kreisen SüdTondern, Eckernförde, Segeberg und Steinburg ist die Belastung ebenso hoch. Sie schwankt zwischen 2,6 und 2,8 Personen. In den Kreisen Rendsburg, Husum, Eiderstedt und Stormarn beträgt die Belegungsstärke 2,4 bis 2,6 also durchschnittlich 21/2 Personen je Wohnraum.
Daraus geht mit Deutlichkeit hervor, daß es dem Land und den Kreisen unmöglich ist, weitere Menschen aufzunehmen. Daher begrüßen wir den Antrag Drucksache Nr. 92, der dahin geht, daß diese Länder keine Flüchtlinge mehr aufnehmen sollen, die jetzt illegal über die Grenze kommen. Wenn das Land weitere Flüchtlinge aufnehmen müßte, würde das bedeuten, daß, weil wir Menschen in die Wohnungen nicht mehr hineinpressen können, die Lager weiter belegt werden müßten. Die Lager vertragen aber ebenfalls keine weitere Belegung mehr, denn sie sind jetzt schon menschenunwürdig. Daher müssen wir versuchen, in allererster Linie in diesen Gebieten die Lager möglichst aufzulösen, statt sie noch weiter zu belegen.
Ich wiederhole noch einmal: ich begrüße die Anträge und wünsche, daß sie bei der Beratung im Ausschuß endlich auch ein praktisches Ergebnis zeigen mögen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Donhauser.
Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Zentrumsabgeordneten von vorhin und die Verlesung des Briefes rufen mich kurz auf den Plan. Daß Menschen, die mit den geltenden Bestimmungen kaum vertraut sind, darüber hinaus vielfach in den Zuschriften, die an uns Abgeordnete gerichtet werden, nicht die restlose, eindeutige Wahrheit angeben, das ist doch wohl allgemein bekannt. Unsere Erfahrungen gehen dahin, daß wir täglich mit einer Flut von Briefen überschüttet werden, die bei genauer Nachprüfung ganz andere Tatbestände ergeben. Herr Abgeordneter von der Zentrumspartei, darf ich Ihnen kurz nur drei Zeilen aus einem Brief verlesen, der mir heute zugegangen ist und der die Antwort auf Ihre Ausführungen darstellt. Sie lauten:
Herr Franz Manz, Lehrer in Holzkirchen in Oberbayern, ausgewiesen aus Schlesien, könnte mit seiner verheirateten Tochter in allernächster Zeit in die Gegend von Bremen verziehen. Da er aber nicht weiß, ob er auch dort die von Bayern ausgeworfene freiwillige Zuwendung in Höhe der halben Pension - zirka 180 DM - erhalten wird, bleibt er lieber dort, wo er jetzt ist.
({0})
Meine Damen und Herren! Darf ich mir noch kurz einige Bemerkungen zum Verlauf der heutigen Debatte gestatten. Im ganzen genommen hat sich das Haus heute ungewöhnlich einhellig gezeigt. Über die Tatsache, daß wir alle samt und sunders nicht nur verpflichtet, sondern auch lens sind, den Heimatvertriebenen zu helfen, dürfte wohl keinerlei Mißverständnis mehr aufkommen. Es geht aber doch darum, das gleichfalls anerkannt einseitige Verteilungssystem der Bevölkerungsmassen möglichst bald einigermaßen erträglich zu gestalten. Sie wissen doch alle, gleichgültig von welchen politischen Parteien oder Ideologien Sie herkommen mögen, daß wir nun einmal unter ganz außergewöhnlich ungünstigen und einmaligen Umständen leben, die wohl auch einmalige harte Maßnahmen erfordern werden. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, der politischen Fairneß zu entsprechen und den heute schon mehrmals zitierten Antrag der Bayernpartei laut Drucksache Nr. 23 im ganzen zu lesen und auch im ganzen zu würdigen. Wir haben da eindeutig kundgetan, daß auch wir der Meinung sind, daß der Flüchtlingsausgleich zunächst und in erster Linie durch Freiwilligkeit erfolgen muß. Aber Sie sind sich doch auf Grund Ihrer öffentlichen Tätigkeit ebensosehr wie wir dessen bewußt, daß leider Gottes heute Aufrufe, die an die Freiwilligkeit der betroffenen Bevölkerungskreise appellieren, nur zu leicht verhallen.
Es geht doch darum, eine unerhört einseitige Belastung dreier deutscher Länder sobald wie möglich auszugleichen. Sie fürchten sich davor, meine Damen und Herren, Rechtsnachteile anzudrohen, um einen wirksamen Flüchtlingsausgleich durchzusetzen. Fürchten Sie sich nicht auch davor, daß Sie auf Jahre und Jahrzehnte hinaus drei deutschen Ländern unerhörte einseitige Wirtschaftsbenachteiligungen zufügen werden, wenn dieser Flüchtlingsausgleich nicht wirksam durchgeführt wird? Sie sind sich doch darüber klar, daß einige Rechtsnachteile nichts bedeuten gegenüber den ungeheuren Benachteiligungen auf dem Fürsorge- und Wohlfahrtssektor, den gewaltigen Benachteiligungen auf dem Wohnungssektor und den ebenso gewaltigen Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt, denen diese drei deutschen Länder auf Jahre und Jahrzehnte hinaus noch ausgesetzt sein werden, wenn es uns nicht gelingt, einen wirklich durchgreifenden, wirksamen Flüchtlingsausgleich durchzusetzen. Wir glauben, daß unser Antrag nicht etwa nur im Interesse der Alteingesessenen, sondern darüber hinaus ganz besonders gerade im Interesse der Flüchtlinge selbst liegt. Denn es ist
({1})
nicht von ungefähr, daß beispielsweise im Land Bayern etwa zwei Drittel unserer gesamten Arbeitslosen sich aus dem Lager der Heimatvertriebenen rekrutieren. Glauben Sie etwa, daß diese Heimatvertriebenen, die im Süden oder im äußersten Norden Deutschlands noch keine menschenwürdige Bleibe, aber auch noch keinen befriedigenden Beruf gefunden haben, allzu große Widerstände machen werden, um wirklich in eine bessere Position gebracht zu werden?
Meine Damen und Herren, Sie können den Antrag, den wir mit Drucksache Nr. 23 zugestellt haben, nur im Zusammenhang mit der Drucksache Nr. 92 sehen. Sie haben mit dem Antrag der Drucksache Nr. 92 eindeutig Gelegenheit zu beweisen, ob Sie willens sind, wenigstens ab sofort aus dem Gerede herauszukommen und zur Tat zu schreiten, ob Sie willens sind, Sofortmaßnahmen zu ergreifen, die bestimmt nicht etwa in die Sphäre der persönlichen Freizügigkeit eingreifen; denn es ist dem Heimatvertriebenen, der jetzt gerade die grüne Grenze im Norden oder Nordosten Bayerns überschreitet, völlig gleichgültig, ob er in ein Auffang- oder Durchgangslager in Nordbayern kommt oder ob er noch 70, 80 oder 120 Kilometer weiter nach Südwesten fahren muß.
Wir wissen alle, daß es nicht sehr viel praktischen Sinn hat, hier über diese Dinge lange Reden zu halten. Ich möchte Ihnen aber und vor allem unseren politischen Gegnern, die meinen politischen Freunden und mir in der Vergangenheit, vor allem aber im Wahlkampf bei jeder politischen Diskussion immer und immer wieder den wunderbaren Satz entgegengehalten haben: „Wir sind doch alle Deutsche", heute diesen Satz auch entgegenhalten und Ihnen sagen: Bitte, hier haben Sie Gelegenheit, zu beweisen, daß wir alle Deutsche sind, zu beweisen, daß Sie willens sind, die größte gesamtdeutsche Nachkriegslast einigermaßen gleichmäßig auf alle deutschen Schultern zu verteilen!
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Wird das Wort aus dem Hause noch gewünscht? - Ich stelle fest, daß das nicht der Fall ist. Dann erteile ich dem Herrn Bundesminister für Angelegenheiten der Vertriebenen das Wort.
Hohes Haus, meine Damen und Herren! Ich will nicht große Ausführungen zur Sache machen. Das ist auch nicht notwendig, nachdem die heutige Diskussion in so großer Einmütigkeit verlaufen ist. Ich darf meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, daß das ungeheuerliche Problem der Heimatvertriebenen hier so einhellig behandelt wird. Ich will nur einiges zu der Stellungnahme des Herrn Staatsministers Albertz sagen, der hier erklärt hat, daß der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert hat, eine Verordnung nach Artikel 119 des Grundgesetzes betreffend den Austausch der Heimatvertriebenen aus den schwer belegten Ländern in die aufnahmefähigen Länder vorzulegen. Ich darf dazu meinen grundsätzlichen Standpunkt mitteilen.
Bei Antritt meines Amtes habe ich diesen Vertriebenenausgleich als das schwerste, wichtigste und eiligste Problem angesehen. Ich bin mir auch bewußt gewesen, daß der Artikel 119 des Grundgesetzes der Bundesregierung nun die Gesetzesklinke in die Hand gibt. Aber ebenso bin ich mir darüber klar, daß von dieser Gesetzesklinke nicht sofort Gebrauch gemacht werden sollte, sondern
daß es viel besser war, erst einmal den Weg der Freiwilligkeit zu gehen: Ich habe im Verlauf der vorigen Woche mit den Vertretern der Länderflüchtlingsverwaltungen verhandelt und habe dabei ein hohes Maß der Bereitschaft für die Freiwilligkeit vorgefunden. Ich darf mit Freude feststellen, daß insbesondere die Länder der früheren französischen Zone sich grundsätzlich, und zwar freiwillig, zur Aufnahme von Vertriebenen bereit erklärt haben. Wenn nunmehr der Bundesrat den Beschluß gefaßt hat, die Vorlegung einer Verordnung nach Artikel 119 des Grundgesetzes zu fordern, so kann ich das wieder nur begrüßen. Denn jetzt ist der Weg bereitet. Es kommt doch bei Gott nicht auf das formale Dasein eines Gesetzes an, sondern darauf, daß der Inhalt des Gesetzes vom sittlichen Willen getragen wird. Durch die Erklärung, daß man freiwillig tun wolle, was jetzt das Gesetz noch aussprechen soll, wird ja die Wirkung unserer Arbeit für die Heimatvertriebenen um so stärker. Denn jetzt ist sie von sittlichem Willen getragen. Die ganze Aufgabe im Interesse der Heimatvertriebenen ist doch nur zu lösen, wenn das deutsche Volk diese Aufgabe als eine gesamtdeutsche Aufgabe und als sittliche Notwendigkeit auffaßt. Dann haben wir Wirkung im innern und haben, was vielleicht noch wichtiger ist, den ersten Schritt getan, damit die internationale Welt das Problem immer mehr erkennt und auch erkennt, daß wir das Problem allein nicht lösen können, sondern daß uns geholfen werden muß.
Die Bundesregierung wird also die Verordnung vorlegen. Die Bundesregierung wird insbesondere, was Herr Staatsminister Albertz, glaube ich, nicht gesagt hat, eine zweite Verordnung über den Fall Ostzonenflüchtlinge, Lager Uelzen usw. vorlegen. Die Dinge liegen parallel. Ich will mich darüber nicht näher aussprechen.
Ich brauche zu der Diskussion nichts zu sagen, ich kann vielmehr jedes Wort auch der Opposition und insbesondere des Oppositionsredners Reitzner wörtlich und vollinhaltlich unterstreichen. Der Antrag Nr. 33 der SPD gibt ja einfach das Riesenprogramm, das Höchstprogramm wieder, das ein Flüchtlingsministerium überhaupt erfüllen kann. Ich will deshalb nicht im einzelnen darauf eingehen.
Wenn der verehrte Abgeordnete der KPD zwei Fragen angeschnitten und mich gefragt hat, was ich in einem Interview über die finanzielle Frage gesagt habe, so weiß ich es nicht genau. Ich weiß nicht, welches Interview er gemeint hat. Leider muß ich aber auch an die Finanzen denken. Das ist eine harte Tatsache. Ich muß mich in dieser Beziehung natürlich sehr schwer auseinandersetzen und nach dem strecken, was wir vermögen.
Wenn der Vertreter der Kommunisten weiter gerügt hat, daß in dem Antrag Nr. 78 ein Sonderreferat für die noch in Polen und in der Tschechei befindlichen Deutschen gefordert wird, so möchte ich keinen Irrtum aufkommen lassen. Ich glaube, er hat die Dinge irrtümlich angesehen. Es handelt sich wohl auch nicht darum, daß ein Sonderreferat eingerichtet werden muß, dem er solche gefährlichen Hintergedanken unterschiebt oder von dem er sie jedenfalls befürchtet. Es handelt sich vielmehr ganz einfach darum, daß sich in Polen und in der Tschechoslowakei noch etwa 300 000 Deutsche befinden, die auf den Abtransport warten. Der Abtransport ist durch das Internationale Rote Kreuz vorbereitet und sollte in den letzten Monaten erfolgen. Er hat aber durch den Einspruch der Militärregierung einen Stop erlitten. Die
(Bundesminister Dr. Lukaschek
Dinge sind Gegenstand von Verhandlungen. Der Herr Bundeskanzler hat sich eingeschaltet. Das Internationale Rote Kreuz hat erst vorgestern bei einem Besuch seine Bereitwilligkeit zu helfen erklärt. Wir nehmen an, daß diese leidige Frage innerhalb der nächsten Monate erledigt sein wird. An ein Sonderreferat etwa mit Absenkern nach dem Ausland oder nach der Ostzone hat bisher noch kein Mensch gedacht, ich glaube, auch die Fraktion der SPD bei ihrem Antrag nicht.
Ich möchte abschließend nur noch einmal betonen, daß es mir lieber ist, wenn die Aufgaben freiwillig gelöst werden, damit der alte Satz des Tacitus in Deutschland wieder Geltung hat, daß gute Sitten mehr gelten als die besten Gesetze, hinter denen keine Sitten stehen.
({0})
Meine Damen und Herren, damit ist die Aussprache über die Punkte 14, 15, 16, 17, 19 und 23 der Tagesordnung geschlossen. Ich darf das Einverständnis des Hauses damit annehmen, daß die einschlägigen Drucksachen Nr. 61, 74, 77, 88, 92 und 78 ais dem Ausschuß für Heimatvertriebene überwiesen gelten. - Ich stelle das fest.
Damit kommen wir zu Punkt 18 der Tagesordnung:
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Heimatvertriebene über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU, betreffend bevorzugte Einstellung von Heimatvertriebenen beim Aufbau der Bundesbehörden ({0}).
Als Berichterstatter hat das Wort der Herr Abgeordnete Höfler.
Höfler ({1}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Der Antrag Drucksache Nr. 93 geht zurück auf den CDU-Antrag Drucksache Nr. 29 Ziffer 4. Jener Antrag besagt, mit Zustimmung des Bundesrats möge die bevorzugte Unterbringung der heimatvertriebenen Beamten und Angestellten beim Bunde, in den Ländern und Körperschaften des öffentlichen Rechts geregelt werden.
Der Ausschuß hat sich mit diesen Dingen befaßt und hat es vorgezogen, die engere Form zu wählen, die jetzt vorliegt, und zwar in Rücksicht auf die Aktualität des Behördenaufbaues beim Bunde. Dieser Aufbau verträgt jetzt selbstverständlich keinen Aufschub, wenn das Unterkommen der Heimatvertriebenen gewährleistet werden soll. Der Antrag des Ausschusses lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, bei dem Aufbau der Bundesbehörden Heimatvertriebene bevorzugt zu berücksichtigen.
Im Gegensatz zu dem Befürworter des Antrags Drucksache Nr. 88 ist der Ausschuß der Meinung gewesen, man solle von der Festlegung eines bestimmten Prozentsatzes absehen, weil nämlich die Fixierung eines solchen Prozentsatzes, wie bei solchen Dingen leicht, große Gefahren in sich birgt: sie könnte leicht zu einer Grenze nach unten werden, so daß man das verhinderte, was eigentlich erreicht werden soll. Wir glaubten, daß die Anführung eines solchen Prozentsatzes ausschließend wirke für viele, die bei einer allgemeineren Fassung, wie wir sie vorgezogen haben, noch zum Zuge kommen würden. Darum eben sollte die Grenze elastisch gehalten sein.
Außerdem interpretiert der Ausschuß den Antrag dahin, daß auch diejenigen Beamten eingeschlossen sein sollen, die nicht aus dem Reichsgebiet kommen, ebenso wie die Beamten der Nichtgebietskörperschaften; Kommunalbeamte und Büroangestellte sollten von der gleichen Regelung mit erfaßt werden.
Zu dem Wort „bevorzugt", das in unserem Antrag steht und das bei der Bearbeitung berücksichtigt wurde, möchte ich sagen, daß damit nicht irgendein übertriebener Vorzug angedeutet sein soll, also eine Art Privileg. Ich möchte vielmehr im Namen des Ausschusses dieses Wort dahin interpretieren: wir meinen es so, daß man jemand aus der größeren Liebe heraus ein Recht gibt, weil er mehr gelitten hat.
Herrn Minister Lukaschek möchten wir als Garanten dafür ansehen, daß der Antrag im Schoße der Bundesregierung seine entsprechend energische Vertretung findet.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen. Wird das
dazu gewünscht? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Seelos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch die ganzen Verhandlungen über die Heimatvertriebenen ist heute der Gedanke geklungen, es solle möglichst vermieden werden, Menschen zweiter Klasse zu schaffen, besondere Gruppen oder Klassen neu zu bilden. Ich glaube, daß wir alle einig waren, dem solle entsprochen werden. Nur sehe ich allerdings in dem Antrag der CDU/CSU und in der Formulierung des Ausschußantrages Drucksache Nr. 93 nicht ganz den Weg, auf dem das erreicht werden kann. Der Bund besitzt bisher noch keinen Stellenplan. Wenn nun so formuliert wird wie in der Drucksache Nr. 93, wonach die Bundesregierung ersucht wird, bei dem Aufbau der Bundesbehörden Heimatvertriebene bevorzugt zu berücksichtigen, und wenn wir hören, daß etwa 3500 Beamte gebraucht werden, dann heißt das doch diesem Wortlaut nach: es kommen nicht etwa zusätzlich zu schon vorhandenen Beamten neue hinzu, die vor allem aus den Heimatvertriebenen genommen werden sollen, sondern daß sämtliche Beamte, die jetzt neu eingestellt werden, den Heimatvertriebenen entnommen werden sollen. In dieser Form kann man den Antrag meiner Ansicht nach nicht annehmen.
Wenn in dem Antrag der CDU, Drucksache Nr. 29, außerdem die bevorzugte Unterbringung der heimatvertriebenen Beamten in den Ländern verlangt wird, so muß ich darauf hinweisen, daß doch der Flüchtlingsausgleich vorangehen muß. Ganz abgesehen von Zuständigkeitsfragen kann man nicht verlangen, daß nunmehr bei Einstellung in den Ländern zunächst Flüchtlinge genommen werden, so daß ein etwaiger späterer allgemeiner Ausgleich unmöglich wird. Also ich kann mir nicht denken, daß der Antrag in dieser Form akzeptabel ist.
Ferner ist in dem Antrag nichts gesagt, daß etwa auch Heimkehrer, Spätheimkehrer oder Entnazifizierte, die völlig zu Unrecht noch keine Anstellung gefunden haben, auch entsprechend behandelt werden sollen. Nach diesem Wortlaut müßten Spätheimkehrer zurückgestellt werden.
({0})
- Ich sage: wir müßten das neu formulieren und
in den Ausschuß zurückverweisen. Wir verstehen
({1})
zum Beispiel durchaus eine Maßnahme, wie sie Herr Goetzendorff vorgeschlagen hat, daß 15 Prozent der Beamten in den neuen Bundesverwaltungen aus den Flüchtlingen genommen werden sollen. Wir betrachten das als eine geradezu selbstverständliche Minimalforderung. Aber in der Form des Antrags scheint mir das praktisch nicht realisierbar zu sein. Man muß hier auch - wenn alle Parteien sich schon darin einig sind, für die Flüchtlinge etwas zu tun - ein Wort sagen zugunsten der alteingesessenen Bevölkerung, deren Beamte und deren Heimkehrer noch auf der Straße liegen und die durch eine solche Formulierung vor den Kopf gestoßen wird.
Also wir wollen alles tun, um die Flüchtlinge verhältnismäßig gleichberechtigt mit der alteingesessenen Bevölkerung zu behandeln. Aber diese Formulierung „bevorzugt" halte ich nicht für richtig. Gleichberechtigt! Verhältnismäßig! Gerecht!
Deshalb bitte ich, den Antrag erneut an den Ausschuß zu verweisen, um eine bessere Formulierung zu finden.
Darf ich fragen, Herr Abgeordneter Dr. Seelos, ob Sie nach Ihren Ausführungen irgendeinen Abänderungsantrag stellen wollen?
({0})
Sie haben nur allgemeine Bedenken?
({1})
- Schön! - Wer wünscht weiter das Wort? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Kather!
Meine Damen und Herren! Meiner Auffassung nach hat der Herr Vorredner dem Beschluß des Ausschusses für die Heimatvertriebenen eine Deutung gegeben, die zwangsläufig daraus nicht entnommen werden kann.
({0}) Wenn wir gesagt haben, daß beim Aufbau der Bundesbehörden die Heimatvertriebenen bevorzugt berücksichtigt werden sollen, so besagt das selbstverständlich nichts für denjenigen Personenkreis, der heute schon zu den Bundesbehörden gehört oder von Frankfurt aus übernommen wird. Das bezieht sich ganz selbstverständlich - eine andere Deutung läßt der Wortlaut nicht zu - auf die neu einzustellenden Kräfte.
({1})
- Nein, das verlangen wir unter gar keinen Umständen. Dann hätten wir doch sagen müssen: Wir ersuchen die Regierung, sämtliche neu einzustellenden Kräfte aus den Heimatvertriebenen zu entnehmen.
({2})
Wenn wir sagen: „bevorzugt zu berücksichtigen", dann sagt doch der Sprachgebrauch, daß sie nicht allein berücksichtigt werden sollen, sondern daß auch andere Berücksichtigung finden müssen, und unser Berichterstatter hat, glaube ich, auch sehr klar zum Ausdruck gebracht, in welchem Sinne das gemeint war. Wir wollten diese Bestimmung gerade elastisch halten. Wir wollten damit nur zum Ausdruck bringen, daß unsere Schicksalsgefährten bisher doch weitgehend in der Hinterhand geblieben sind. Dies für die Zukunft zu vermeiden, daß war die Bitte, die wir an die Bundesregierung richten wollten. Wir wollten damit auch nicht etwa sagen, daß es nicht
andere Kreise gibt, die ebenfalls Anspruch auf eine bevorzugte Berücksichtigung haben können, wie zum Beispiel die Heimkehrer. Ich glaube, es liegt sogar schon ein solcher Antrag vor. Deshalb besteht keine Notwendigkeit, diesen Beschluß noch einmal an den Flüchtlingsausschuß zurückzuverweisen, und ich bitte, dem Beschluß zuzustimmen.
Wird weiter das Wort gewünscht? - Ich stelle fest: dies ist nicht der Fall. Dann erkläre ich die Aussprache über den Antrag Drucksache Nr. 93 für geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Antrag Drucksache Nr. 93 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. Zweifelsfrei mit Mehrheit beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir kommen damit zu Punkt 20 der Tagesordnung:
Antrag der Fraktion der KPD, betreffend Ruhrstatut ({0}).
Wer von den Herren Antragstellern wünscht das Wort? - Herr Abgeordneter Rische, bitte.
Rische ({1}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat sich zu Anfang dieser Woche in sehr großzügiger Weise zum Ruhrstatut geäußert. Er versprach nicht weniger als - wie es heißt - die Anerkennung des Ruhrstatuts zu gegebener Zeit. Zu gegebener Zeit will der Herr Bundeskanzler auch die „Europäisierung der Schwerindustrie in Westdeutschland" durchführen. So großzügig, meine Damen und Herren, ist der Herr Bundeskanzler beim Zustimmen und beim Geben. Europäisierung der Ruhrindustrie, das klingt irgendwie nach Preisgabe deutscher Interessen.
({2})
Worum, meine Damen und Herren, geht es beim Ruhrstatut? Das am 28. Dezember 1948 veröffentlichte Ruhrstatut greift in wesentliche Rechte der Selbstbestimmung der deutschen Nation in der Wirtschaft ein.
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Die nach dem Ruhrstatut schon geschaffene Ruhrbehörde hat auf unabsehbare Zeit das Recht erhalten, Preise, Quoten und Zölle der Produkte des Ruhrgebietes zu bestimmen und auch Wirtschaftsmethoden der Ruhrwirtschaft zu prüfen. Meine Damen und Herren, bei dem gegenwärtigen Zustand der deutschen Betriebe Wirtschaftsmethoden zu prüfen, scheint uns mehr als nur Kontrolle über Bedeutung und Ausmaß der Produktion, scheint uns ein Eingriff in ursächliche deutsche Souveränitätsrechte zu sein.
Die Ruhrbehörde hat laut Statut ferner das Recht, ihre Kontrolle auch auf, wie es heißt, „andere Regierungsmaßnahmen oder wirtschaftliche Anordnungen, die Kohle, den Koks oder den Stahl der Ruhr berühren", auszudehnen. Damit dürfte zweifellos gemeint sein, daß auch die Lohnpolitik und der Arbeitseinsatz zukünftig von der Ruhrbehörde überwacht werden sollen.
Durch die Anwendung des Statuts kann somit jede Möglichkeit auch einer Einflußnahme auf die Gestaltung der Produktion und somit einer Einflußnahme auf deutsche Außenhandelsinteressen erfolgen. Wir alle wissen, daß unser Volk einen schweren Kampf um die Rückeroberung von Absatzmärkten führen muß, daß dieser Kampf unter den erschwerten Verhältnissen der gegenwärtigen
({4})
Wirtschaftskrise stattfindet, unter Verhältnissen, die gekennzeichnet sied durch verstopfte Absatzmärkte. Wir müssen diesen Kampf führen, obwohl wir kaum noch eine Möglichkeit haben - dank des Zwangskurses der D-Mark -, die auswärtigen Absatzmärkte von ehemals für die deutsche Industrie zurückzugewinnen.
Nun bestehen als Hindernisse für die Entfaltung des Exports die Bestimmungen des Ruhrstatuts, nach denen - mit den Vorschriften über Quotierungen und Preisfestsetzungen - weitgehend in deutsche Souveränitätsrechte in der Wirtschaft eingegriffen werden kann. So heißt es in Artikel 8 des Statuts:
Eine grundsätzliche Aufgabe der Ruhrbehörde ist die Aufteilung von Ruhrkoks und Stahl zwischen dem deutschen Verbrauch und dem Export, um den Ländern, die nach einem gemeinsamen Wirtschaftsplan arbeiten, angemessenen Zutritt zur Belieferung mit diesen Produkten zu verschaffen,
- „angemessenen Zutritt zur Belieferung mit diesen Produkten zu verschaffen", meine Damen und
Herren, ohne daß dabei im wesentlichen nach
deutschen Interessen gefragt wird.
Sofern es sich um Zuteilungen handelt, sollen ferner Mindestmengen, Qualitäten bzw. Typen festgelegt werden.
Die Ruhrbehörde wird somit jederzeit in der Lage sein, die deutsche Exportindustrie durch Abschnürung der Kohle- und Stahlzuteilungen abzudrosseln. Stellen Sie sich irgendeinen Fertigungsbetrieb im Ruhrgebiet, in Bochum oder Essen oder Dortmund vor. Dort kann, wenn die Ruhrbehörde es will, willkürlich eingegriffen werden, dort können die Typen, die Preise, die Fertigungen von der Ruhrbehörde festgelegt werden. Und nun denken Sie einmal an die augenblickliche Weltwirtschaftslage: einen verzweifelten Kampf aller Interessenten um den größtmöglichen Absatz werden Sie feststellen müssen! Was, meine Damen und Herren, bleibt bei solchen Bestimmungen noch vom deutschen Export, von der deutschen Souveränität übrig?
In diesem Zusammenhang ein Wort zur angeblichen Auflösung der JEIA. Man hat die JEIA formal aufgelöst; ihre Rechte sind an die Hohe Kommission übergegangen. Aber die JEIA lebt weiter in den Bestimmungen des Ruhrstatuts, j a man kann mit den Konkurrenzklauseln des Ruhrstatuts die Anweisungen der JEIA weit wirksamer zur Anwendung bringen als jemals!
Ein hoher englischer Beamter in der Ruhrbehörde hat sich nach der ersten Sitzung in Düsseldorf einmal in aller Ausführlichkeit über den wahren Sinn und Zweck dieser Behörde ausgesprochen. Er erklärte unumwunden, diese Behörde habe das Recht, über die deutsche Industrie zu wachen, und sie habe ferner das Recht, die deutsche Konkurrenz auszuschalten. Eine SPD-Zeitung schloß daran die Bemerkung, bei der Ruhrbehörde handele es sich augenscheinlich um eine Konkurrenzbehörde gegen die deutsche Wirtschaft. Meine Damen und Herren, bei diesem Lichte besehen, muß man davon sprechen, daß die Industrie des Ruhrgebiets gemäß dem Ruhrstatut in eine Zwangsjacke gesteckt werden soll und daß sie angesichts dieser Praxis nicht mehr als deutsches Eigentum anzusehen ist. Dies geht auch aus der Abstimmungsprozedur innerhalb der Ruhrbehörde hervor. Von den fünfzehn. Stimmen der Ruhrbehörde gehören nur drei Deutschland. Der
Hauptbeteiligte, das deutsche Volk, ist somit in jeder Hinsicht an der Wahrnehmung seiner Interessen behindert. Die drei deutschen Stimmen werden aber nun nicht von deutschen Vertretern, sondern sie werden in der Ruhrbehörde gemeinsam von dem Vertreter der Besatzungsmächte wahrgenommen. Das einseitige Stimmen- oder Kräfteverhältnis gibt somit den Kreisen, die in der Ruhrbehörde dank ihrer wirtschaftlichen Überlegenheit die Führung haben, noch mehr Macht, alle Maßnahmen zu bestimmen, um die Ruhrindustrie dem deutschen Volke zu entfremden. Westdeutschland besitzt damit keinerlei Sicherungen mehr im Hinblick auf eine wirksame Interessenwahrnehmung. Da die drei deutschen Stimmen vorerst von den Besatzungsmächten vertreten werden, sind auf diese Weise unmittelbare deutsche Beschwerden in der Ruhrbehörde ausgeschlossen. So kann es dann auch kommen, daß in Zukunft die Preise für Kohle, Koks, Stahl usw. durch die Ruhrbehörde einseitig unter Nichtbeachtung deutscher Wünsche und Interessen festgelegt werden können.
Der Herr Bundeskanzler hat zu Beginn dieser Woche - wahrscheinlich auf höhere Weisung hin - einen sogenannten deutschen Beobachter bei der Ruhrbehörde ernannt. Seine Aufmerksamkeit wurde dabei auf den bisherigen Beauftragten der amerikanischen Militärregierung für die Entflechtung der Kohlenindustrie, Herrn Dr. Walter Bauer, hingelenkt, wahrscheinlich auch von einer bestimmten höheren Stelle. Dabei, meine Damen und Herren, ergeben sich recht eigentümliche Verhältnisse. Es ist dies überhaupt eine recht eigentümliche Praxis, so scheint es uns. Bei der Ruhrbehörde handelt es sich um eine Einrichtung, die über die deutsche Wirtschaft wacht, die das Recht des Eingreifens in wichtige Fragen der deutschen Wirtschaft hat, und ich denke, es wäre Aufgabe der Regierung gewesen, bei der Auswahl des sogenannten deutschen Beobachters auch einmal das Parlament zu befragen.
Ferner ist es für uns recht eigentümlich, daß man nicht einen deutschen Vertrauensmann, sondern den Vertrauensmann der Amerikaner zur Ausübung dieser wichtigen beobachtenden Funktion in der Ruhrbehörde hinzugezogen hat.
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Sie haben anscheinend sehr viel Angst vor diesen Russen. Wir sprechen doch hier von deutschen Interessen und von der Wahrnehmung deutscher Interessen.
({6})
Unterlassen Sie doch endlich diesen billigen und wirklich abgeschmackten Ausruf: „die Russen!" Gewöhnen Sie sich endlich einmal daran, die Dinge realer zu sehen. Hier handelt es sich um deutsche Interessen.
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Ich stelle ferner die Frage: warum wurden nicht, wie im Statut vorgesehen ist, drei deutsche Vertreter für die Wahrnehmung der deutschen Interessen in der Ruhrbehörde ernannt, und zwar mit Stimmrecht? Meine Damen und Herren, darauf ist nun sehr schnell eine Antwort gegeben: das Ruhrstatut ist kein Statut, das den deutschen Kreisen in der Wirtschaft, den deutschen Parlamenten und der deutschen Regierung das Recht zur Mitbestimmung in den wichtigsten Fragen gibt, sondern das Ruhrstatut ist ein Diktat, das des Besatzungsstatuts würdig ist.
({8})
Die Ernennung des Vertrauensmannes der Amerikaner ist deshalb noch besonders interessant, weil der Herr Bundeskanzler bei der Bekanntgabe der Ernennung zur gleichen Zeit auch noch die gefährliche Forderung nach der „Europäisierung der westdeutschen Schwerindustrie" erhoben hat. Was bedeutet denn nun letztlich die sogenannte Europäisierung der Schwerindustrie des Ruhrgebiets? Sie bedeutet erstens nichts anderes als die Preisgabe souveräner Rechte des deutschen Volkes, zweitens die Einfügung der Wirtschaft und der Schwerindustrie des Ruhrgebiets in das Atlantikpakt-Kriegspotential und drittens nichts weniger und nichts anderes als die Verschacherung der deutschen Arbeitskraft, der Arbeitsleistung des Ruhrarbeiters an die Interessen der amerikanischen und englischen Rüstungsspezialisten.
({9})
Schon 1947 hat ein führender amerikanischer Politiker, John Foster Dulles, einen von den amerikanischen Monopolisten wärmstens begrüßten sogenannten Ruhrplan entwickelt und diesen der amerikanischen Regierung unterbreitet. Nach diesem Ruhrplan sollte die westdeutsche Schwerindustrie als Herzstück einer WesteuropaUnion organisiert werden. Ferner dachte schon damals dieser prominente Amerikaner daran, nach der Einordnung der westdeutschen Schwerindustrie in die sogenannte Westeuropa-Union auch noch die Gebiete Lothringens, Luxemburgs und Belgiens folgen zu lassen, damit dann die Amerikaner völlig souverän über die gesamte westeuropäische Schwerindustrie bestimmen können.
Das Konzept des außenpolitischen Beraters von Präsident Truman, John Foster Dulles, hat nunmehr auch in Westdeutschland die gewünschten deutschen Fürsprecher gefunden. Die Amerikaner vermögen nun ihr europäisches Empire mit der Ruhrindustrie als Mittelpunkt aufzubauen, das heißt natürlich nur dann, wenn diese Pläne des Herrn Bundeskanzlers verwirklicht werden. Das deutsche Volk, das seine nationalen Interessen in der Wirtschaft verteidigt, wird dieser Konzeption der amerikanischen Monopole und jetzt auch der Herren Adenauer und Arnold niemals zustimmen können. Wenn sich das deutsche Volk dem Ruhrstatut beugen würde, würden damit die Vertreter der ausländischen Monopolinteressen auf unabsehbare Zeit exterritoriale Rechte in der deutschen Wirtschaft genießen, die mit der Würde des deutschen Volkes unvereinbar sind. Meine Damen und Herren, wenn Buchstabe und Geist des Ruhrstatuts zur Anwendung kommen sollten, würden wir nicht mehr von souveränen Rechten des deutschen Volkes in der Wirtschaft sprechen können. Wir müßten dann um der Wahrheit willen von kolonialen Zuständen sprechen. Gott sei Dank, kann man sagen, ist das Ruhrgebiet und ist Westdeutschland nicht Shanghai! Gott sei Dank, kann man hinzufügen, mußten die Imperialisten inzwischen in Shanghai ihre Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen aufgeben. Ich bin davon überzeugt, daß auch das deutsche Volk genügend politischen Instinkt besitzen wird, um alle Angriffe auf die Wirtschaftskraft des Ruhrgebiets und die Schwerindustrie Westdeutschlands abzuwehren. Das Ruhrgebiet ist Herzstück der deutschen Wirtschaft, ist Kraftquelle des deutschen Wiederaufbaus und muß für alle Ewigkeit Eigentum des deutschen Volkes sein und bleiben.
({10})
- Reden Sie doch nicht immer von anderen Dingen, reden Sie doch von dem, was uns hier hinsichtlich des Ruhrgebiets droht!
({11})
Jede Regierung oder jede Wirtschaftsgruppe, die es wagen sollte, dieses Eigentum des deutschen Volkes dem internationalen Schacher preiszugeben, muß sich sagen lassen, daß sie damit deutsche Interessen preisgibt.
Meine Damen und Herren, es ist eine Frage der Vernunft, aber auch eine Frage der Zukunft unseres Volkes und der deutschen Wirtschaft, daß alle Parteien des Hauses und das deutsche Volk selbst klare Stellung zum Ruhrstatut beziehen müssen. Es ist die Auffassung fast aller deutschen Menschen, daß wir mit den Statuten in Deutschland endlich einmal Schluß machen müssen, daß wir statt des Ruhrstatuts oder auch des Besatzungsstatuts einen Friedensvertrag erhalten müssen. Wir müssen auch volle Souveränität über unsere Wirtschaft haben. Wir brauchen ferner einen Rechtszustand in Deutschland, der es gestattet, daß sich die deutsche Wirtschaft frei und ungehindert von unberechtigten Kontrollen und Eingriffen durch Bestimmungen irgendeines Statuts entwickelt. Im Interesse der Entwicklung der deutschen Wirtschaft muß auch mit jeglicher Diskriminierung und jeglicher einseitigen, aus Konkurrenzgründen herrührenden Überwachung der deutschen Wirtschaft Schluß sein.
Nach dem Ruhrstatut gibt es jedoch eine sogenannte Sicherheitsbehörde, deren erste Praxis schon zeigt, daß diese Sicherheitsbehörde sehr wenig Wert darauf zu legen scheint, wirkliche Erscheinungen einer echten Kriegsproduktion aufzuspüren, sondern daß sie viel mehr Wert darauf legt, bestimmte Produktionsmethoden der westdeutschen Industrie zu ergründen, um über diese angebliche „Kontrolle aus Sicherheitsgründen" der deutschen Wirtschaft ernsthaften Schaden zuzufügen. Wir fordern daher die Regierung auf, im nationalen Interesse zu handeln und das Ruhrstatut nicht anzuerkennen.
Die Frage der Anerkennung des Ruhrstatuts wird über kurz oder lang auch hier in diesem Hause zur Debatte stehen. Dann müssen alle Parteien und dann muß auch die Regierung Farbe bekennen. Solche Ausflüchte: Wir werden das Ruhrstatut nur dann anerkennen, wenn zugleich die westdeutsche Industrie europäisiert wird, führen uns nicht dahin, wohin wir kommen müssen: zur vollen Souveränität für die deutsche Wirtschaft. Wir bitten Sie darum, unserem Antrag Nr. 5 Ihre Zustimmung zu geben.
({12})
Wird das Wort gewünscht? - Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache und nehme das Einverständnis des Hauses an, daß die Drucksache Nr. 5 an den Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten überwiesen wird.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 21:
Antrag der Fraktion der KPD, betreffend
Besatzungskosten ({0}).
Wer von den Antragstellern wünscht das Wort? -- Herr Abgeordneter Rische, bitte!
Rische ({1}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Anläßlich der Regierungserklärung und
({2})
auch in der heutigen Debatte zum Flüchtlingsproblem wurden viele Worte über eine sinnvolle, den sozialen Belangen entsprechende Verwendung öffentlicher Mittel gesprochen. Di e Regierung gab in ihrem Programm zu verstehen, daß sie eine verantwortungsbewußte Sozialpolitik durchzuführen gedenke. Sie hat die Flüchtlingshilfe, den Wohnungsbau, die Verbesserung der sozialen Leistungen - vorsichtshalber allerdings - „in Aussicht gestellt". Wir aber stellen die Frage, und sie scheint uns berechtigt: wie will das Kabinett Adenauer - wenn wir einmal unterstellen, daß es wirklich ernst gemeint ist - diese unerhört großen Aufgaben bei der gegenwärtigen Notlage des deutschen Volkes finanziell lösen? Bisher, kann man sagen, gibt es zu dieser Frage nur ein allgemeines betretenes Schweigen. Aus der Länderpraxis wissen wir jedoch, daß selbst die höchsten Steuersätze der Welt, die wir ja hinnehmen müssen, bei weitem nicht ausreichen, um diese Sozialausgaben im verarmten Deutschland zu decken. Im Bund wird es weit schlimmer sein. Es gibt schon in der Öffentlichkeit und in der Presse Diskussionen über die Gestaltung des Bundesetats. Allgemein - ob es stimmt oder nicht, sei dahingestellt - wird von einem Defizit gesprochen. Das müßte uns eigentlich einmal der Herr Finanzminister in aller Deutlichkeit klarlegen. Es gibt eine Auffassung, daß wir schon jetzt ein Defizit von etwa 2 Milliarden D-Mark allein im Bereich des Bundes haben. Die Regierung muß uns ebenfalls möglichst schnell über diese Frage Auskunft erteilen.
Was kann nun unternommen werden, um den Bundesetat, der die wichtigen sozialen Ausgaben in sich einschließt, zu sichern? Man hört hier sehr viel von der notwendigen - politisch sehr gut vertretenen - Steuersenkung zugunsten der deutschen Wirtschaft. Mit der Senkung der Steuersätze fehlen nur noch mehr Mittel, um den Sozialetat zu sichern
Bei den unerhörten Belastungen, die nun einmal das System des Besatzungsstatuts - mit Anhang selbstverständlich - für die deutsche Wirtschaft und für die Etats der Länder und Gemeinden mit sich bringt, wagen wir zu bezweifeln, daß es überhaupt möglich sein wird, die unerhörten Ausgaben zu decken. In erster Linie drücken uns die großen Kosten zum Unterhalt der Besatzungstruppen. Es besteht sicherlich im Hause kein Zweifel darüber, daß eine Senkung der Besatzungskosten dringend notwendig ist. Allerdings hat ein Herr Kollege heute gesagt: Über Besatzungskosten zu sprechen, ist doch zwecklos. Und wenn irgendwann einmal ein konkreter Hinweis in dieser Linie erfolgt, dann spricht man gefälligerweise von sogenannten „Mätzchen". Ich denke aber, daß es sich hier um Milliarden handelt, und wenn es darum geht, müssen wir sehr ernsthaft darüber diskutieren und müssen einen Ausweg suchen, um mit diesem wichtigsten aller deutschen Probleme fertig zu werden. Eine Minderung der Besatzungsausgaben erscheint uns darum dringend notwendig.
Ohne besondere Leistungen, und zwar Bereitstellung von Möbeln, Kleidung, Gebrauchsgegenständen und sonstigen Dingen, geht es nun einmal bei der Aufrechterhaltung der Besatzung in Westdeutschland nicht. Westdeutschland wird nach Äußerungen der Experten allein im Jahre 1949 rund 5 Milliarden D-Mark für den Unterhalt der Besatzungstruppen über Besatzungskosten bereitstellen müssen. Meine Damen und Herren, dafür könnten wir in Westdeutschland 80- bis 90 000 Sechs-Familien-Häuser bauen. In vier Jahren machen diese Kosten soviel aus, wie beispielsweise auf einer Konferenz der Außenminister an Reparationsleistungen zugunsten der Sowjet-Union und Polens vom deutschen Volk gefordert wurde, nämlich 10 Milliarden Dollar. Daran mögen Sie den gesamten Umfang der unerhörten Belastung des deutschen Volkes durch den Besatzungsetat ermessen.
Interessant und aufschlußreich ist ein Vergleich der Besatzungskosten zu den übrigen Ausgaben der Länder. In allen Ländern stehen heute die Ausgaben für Besatzungskosten und Besatzungsfolgekosten weitaus voran und rangieren an erster Stelle, und erst in weitem Abstand kommen die Ausgaben für den Sozialetat, den Wohnungsbau, die Flüchtlingshilfe usw.
Auch über die Verwendung der Besatzungskosten gibt es im eigentlichen Sinn heute im Bundesgebiet noch keinerlei Kontrolle. Besonders in der britischen Zone fehlt es an jeder Kontrollfunktion zur Überwachung der Ausgaben über den Besatzungsetat. Nach wie vor fehlt eine laufende Prüfung des Besatzungsbedarfs und aller Ausgaben durch die deutschen Behörden. Die britische Militärstelle beispielsweise wickelt ihre Bestellungen immer noch in direktem Verkehr mit den deutschen Lieferanten ab, und dies ist, - die Praxis beweist es - eine stete Quelle der Korruption und der Veruntreuung. Was der deutsche Lieferant bei derartigen Lieferungen in Rechnung stellt, unterliegt nach wie vor keinerlei Kontrolle, besonders nicht in Preisfragen. Die Besatzungsämter haben nur nach den Empfehlungen der Besatzungsmächte die Empfangsbestätigung hinzunehmen und haben das Geld zur Verfügung zu stellen. Durch eine entsprechende sinnvolle Kontrolle könnten hier sehr hohe Beträge eingespart werden. Wir fordern eine solche Kontrolle, wir fordern eine genaue Aufstellung aller Ausgaben für die Besatzungsmacht.
Dabei gibt es in Deutschland immer noch nicht eine genaue Umschreibung des Begriffs Besatzungsbedarf. Wir müssen endlich zu einer klaren Unterscheidung zwischen Besatzungskosten und sogenannten offenen und stillen Reparationen kommen. Herr Bevin sprach uns gelegentlich davon, daß das deutsche Volk in Westdeutschland von allen Reparationsleistungen befreit ist. Aber die Praxis zeigt uns doch etwas anderes. Hier wird uns jedenfalls allerlei zugemutet. Ein Beispiel sei genannt. Kürzlich erhielt die hessische Regierung von der US-Militärregierung den Befehl, bei der Firma Opel, Rüsselsheim, einen Betrag von 20 Millionen D-Mark für den Bezug von 2 000 Automobilen vom Typ „Opel Kapitän" zu bezahlen. Weiterhin gibt es eine sehr denkwürdige Denkschrift des Finanzministers Weitz von Nordrhein-Westfalen über Besatzungskosten. Sie zählt bedeutende Mengen von Gebrauchsgegenständen auf, die über Besatzungskosten verrechnet wurden. Das sind nichts anderes als stille Reparationen, die hier aus der laufenden Produktion der deutschen Wirtschaft entnommen werden.
Die Last der Besatzungskosten wird außerdem durch die zweite Besatzungsmacht, die fünfte Kolonne der Faschisten in Westdeutschland bedeutend erhöht.
({3})
Ich erinnere an die sogenannten DPs oder verschleppten Personen. Die Kosten für den Unterhalt dieser DPs betragen für jede Person im Jahre fast 2 000 D-Mark. Darunter sind nicht, wie immer wieder erzählt wird, in erster Linie verschleppte
({4})
Juden, sondern in der Mehrzahl handelt es sich
bei diesen Dauerpensionären um ehemalige faschistische Mitläufer und Angehörige der Waffen-SS.
({5})
Es ist natürlich unmöglich, obwohl es sehr wichtig wäre, alle einschlägigen Fragen anzuschneiden. Diese wenigen Beispiele beweisen jedoch, daß es sich bei den Besatzungskosten wahrscheinlich um den größten Finanzskandal unserer Geschichte handelt. Bei der Betrachtung darf auch nicht vergessen werden, daß deutsche Politiker die Verewigung dieser Zustände geradezu wünschen. Es war der Herr Bundeskanzler, der 1945 eine langandauernde Besatzung von 45 Jahren forderte. Auch der prominente Führer einer anderen großen Partei wünschte, daß man die Besatzung möglichst lange in Westdeutschland behält. Dabei bedeuten die Kosten für den Unterhalt der Besatzungsmächte letzten Endes nichts anderes als das Wegsteuern von Geldern an Stelle von Reparationen. Das müssen wir hinnehmen, weil der Friede mit Deutschland immer noch nicht geschlossen ist. Die Besatzungskosten sind daher der Maßstab für die Politik des verhinderten Friedens. Wenn wir schon keinen Friedensvertrag bekommen - und es sieht so aus, als ob die westdeutschen Politiker sich nicht sehr darum bemühten -, dann verlangen wir wenigstens, daß uns von der Militärregierung klare Rechnungen aufgemacht werden. Wir gehen nicht davon ab, daß diese Frage schnellstens gelöst wird. Wir wollen wissen, welche Verpflichtungen wir haben, wir wollen wissen, wie lange die Besatzungsmächte in Westdeutschland noch zu bleiben gedenken. Nur so wird es möglich sein, unseren inneren Aufbau gesund und zukunftsfroh zu beginnen.
Bei den gegenwärtigen Besatzungskosten muß alles, was wir uns vornehmen, scheitern. Wir müssen im Bundesgebiet 1,3 Millionen Arbeitslose in Arbeit bringen, wir haben 1,4 Millionen Kriegsbeschädigte zu versorgen. 22,7 vom Hundert des deutschen Volkes sind heute auf Pensionen, Renten und Unterstützungen angewiesen; früher waren es nur 4,7 vom Hundert des deutschen Volkes. Über 7 Millionen, ja fast 8 Millionen Flüchtlinge müssen durch uns versorgt werden. Es gibt Länder, die heute schon bis zu 50 Prozent ihrer Einnahmen für Besatzungskosten verausgaben müssen. Allein das Bergarbeiter-Wohnungsbauprogramm im Ruhrgebiet würde uns bis zum Jahre 1952 etwa 1,7 Milliarden D-Mark kosten, um 100 000 Bergarbeiterwohnungen zu erstellen. Ich denke in diesem Zusammenhang an den langwierigen Streit im Wirtschaftsrat um die Sozialausgaben, um das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz usw. Ich darf hier auch an die Auswirkungen der Demontage erinnern und an die Subventionen für Lebensmittel, die wir ebenfalls jetzt auf Länder- oder auf Bundesbasis aufbringen müssen. Ohne radikale Senkung der Besatzungskosten ist darum eine Aufrechterhaltung der hohen Ausgaben für den Sozialetat im verarmten Deutschland nicht möglich. Meine Fraktion hatte bekanntlich den Antrag gestellt, der hier allerdings sehr robust zurückgewiesen wurde, den Besatzungsmächten eine 50prozentige Senkung der Besatzungskosten vorzuschlagen. Uns erscheint diese Forderung mehr als nur gerecht. Wir wissen, daß eine endgültige Lösung nur durch den Abschluß eines Friedensvertrages und den Abzug der Besatzungstruppen möglich sein wird. Solange uns dies durch einen Friedensvertrag nicht garantiert wird, ist eine radikale Senkung der Besatzungskosten unerläßlich!
Alle Fraktionen haben eine Senkung der Besatzungskosten verlangt, nun müssen den Worten Taten folgen! Eine solche Möglichkeit ist gegeben. Wir müssen zu einem gemeinsamen deutschen Standpunkt kommen und von der Militärregierung eine wirkliche, echte Reduzierung der Besatzungskosten verlangen. Ich möchte darum zum Schluß die Begründung unseres Antrages verlesen, die folgendermaßen lautet:
Nach Artikel 120 des Grundgesetzes übernimmt der Bund die Aufwendungen für die Besatzungskosten. Die besondere wirtschaftliche und soziale Not in Westdeutschland, die nicht zuletzt eine Auswirkung der Wirtschafts- und Handelspolitik der Besatzungsmächte, der durchgeführten Demontagen und der unerträglich hohen Besatzungskosten ist, zwingt den Bundestag, eine Einsparung von Steuermitteln dort vorzunehmen, wo es sich um unproduktive und mit den Interessen der deutschen Bevölkerung unvereinbare Ausgaben handelt.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, auch diesen Antrag der kommunistischen Fraktion zu unterstützen.
Wird das Wort gewünscht? - Ich stelle fest: das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Aussprache und darf das Einverständnis des Hauses feststellen, daß die Drucksache Nr. 8 als dem zuständigen Ausschuß, dem Ausschuß für Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten, überwiesen gilt.
Wir kommen zu Punkt 22 der Tagesordnung:
Antrag der Fraktion der CDU/CSU, betreffend Maßnahmen für im Ausland zurückgehaltene Deutsche ({0}).
Wer von den Antragstellern wünscht das Wort? Es ist niemand da.
({1})
- Dann darf ich das Einverständnis des Hauses damit annehmen, daß der Antrag dem zuständigen Ausschuß, und zwar dem Ausschuß für Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten überwiesen wird.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende unserer Tagesordnung. Nicht erledigt ist der Punkt 5, der im Einverständnis mit den Antragstellern auf morgen verschoben wird. Ferner ist der Punkt 13 nicht erledigt, weil für die Begründung des Antrags ein Redner der antragstellenden Fraktion nicht vorhanden war.
Morgen wird seitens der Bundesregierung wohl eine Regierungserklärung abgegeben werden, so daß auf unserer Tagesordnung stehen: Regierungserklärung und die Punkte 5 und 13 der heutigen Tagesordnung. Beginn der Sitzung morgen nachmittag, 15 Uhr.
Die Damen und Herren, die dem Ältestenrat angehören, bitte ich, sich morgen früh 9 Uhr 30 zur Sitzung in dem üblichen Sitzungszimmer einfinden zu wollen.
Die Sitzung ist geschlossen.