Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 117. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Ich bitte Sie um Aufmerksamkeit für die Bekanntgabe der entschuldigten Abgeordneten.
Entschuldigt sind die Abgeordneten Dr. Dr. Nöll von der Nahmer, Dr. Dresbach, Dr. Bucerius, Gibbert, Hagge, Paul ({0}).
Der Präsident hat Urlaub erteilt für 2 Tage den Abgeordneten Dr. Jaeger, Dr. Dr. Müller ({1}), Dr. Schröder ({2}).
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach die Abgeordneten Dr. Köhler für 12 Tage; Raestrup, Schmitz, Graf von Spreti, Fürst Fugger von Glött für 14 Tage wegen Krankheit.
Meine Damen und Herren! Ein Widerspruch gegen die Beurlaubungen über eine Woche hinaus ist nicht erhoben. Die Beurlaubungen sind damit genehmigt.
Ich habe Ihnen weiter mitzuteilen, daß der Abgeordnete Wilhelm Rahn, bisher der Fraktion der Wirtschaftlichen Aufbauvereinigung angehörend,
({0})
der Landesgruppe der CSU beigetreten und damit
Mitglied der Fraktion der CDU/CSU geworden ist.
Ich bitte weiter um Aufmerksamkeit für folgende Mitteilung. In der 114. Sitzung des Deutschen Bundestages ist der Entwurf eines Gesetzes über die Freistellung von Abgeordneten des Deutschen Bundestages von Haftpflichtansprüchen - Drucksache Nr 1417 und Drucksache Nr. 1780 - zurückgestellt worden. Die antragstellenden Fraktionen haben ihren Antrag, den Entwurf dieses Gesetzes, zurückgezogen. Er ist damit erledigt.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden entsprechend der eingeführten Übung ohne Verlesung in das Protokoll aufgenommen werden.
Ich habe weiterhin mitzuteilen, daß der Antrag der Fraktion der SPD betreffend Ermittlungen über noch nicht heimgekehrte deutsche Kriegsgefangene, Drucksache Nr. 1823, und der dazu zu erstattende Bericht des zuständigen Ausschusses auf die Tagesordnung einer Sitzung der nächsten Woche, und zwar am Mittwoch, gesetzt werden soll, da eine Unterbringung auf der heutigen Tagesordnung aus geschäftsordnungsmäßigen Gründen nicht möglich war. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist.
Ich rufe auf - ({1})
- Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter von Thadden!
von Thadden ({2}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Geschäftsordnung bringe ich folgenden Antrag: Das Haus wolle seine heutige Sitzung um eine halbe Stunde vertagen, um damit seinem Protest sichtbaren Ausdruck zu verleihen, daß, nachdem die Todesstrafe in Deutschland seit langem abgeschafft ist, auf deutschem Boden Hinrichtungen stattfinden sollen.
Meine Damen und Herren! Sie haben den Antrag des Herrn Abgeordneten von Thadden zur Geschäftsordnung gehört. Wird gewünscht, dazu das Wort zu nehmen? - Das ist nicht der Fall. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. Ich bitte die Damen und Herren, die für den Antrag sind, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren! Wir kommen dann zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Unternehmen des Bergbaus sowie der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie ({0}).
Ich nehme an, daß der Herr Bundeskanzler zuerst zu dem Gesetzentwurf sprechen wird. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Meine Damen und Herren! Die besonderen Umstände, unter denen dieser Gesetzentwurf an das Hohe Haus gelangt ist, rechtfertigen es, daß ich einige allgemeine Bemerkungen dazu mache.
Sie wissen, daß in der Beratung der zuständigen Ausschüsse zur Zeit die drei Gesetzentwürfe sind, welche die gleiche Materie behandeln: der Gesetzentwurf der Bundesregierung und die Gesetzentwürfe der beiden Fraktionen der CDU/CSU und der SPD. Nur besondere Umstände können es rechtfertigen, daß während dieser parlamentarischen Beratung der Materie die Bundesregierung Ihnen einen Gesetzentwurf vorlegt, der die Materie für einen Teil der Industrie, für die Kohlenindustrie und die eisenschaffende Industrie, regeln soll. Die Gründe, die die Bundesregierung veranlaßt haben, diesen besonderen Schritt zu tun, sind Ihnen und der deutschen Öffentlichkeit zwar bekannt; aber
darf sie doch in Ihr Gedächtnis zurückrufen.
Auf dem Gebiet der eisenschaffenden Industrie ist unter der britischen Militärregierung eine Regelung bei der Besetzung der Aufsichtsräte erfolgt, die eine Vertretung der Arbeitnehmerschaft in diesen Aufsichtsräten sicherstellte. Diese alliierten Bestimmungen werden ja eines Tages der Vergangenheit angehören. Und nun ist in einem Gremium die Frage an den Herrn Bundeswirtschaftsminister gestellt worden, welche Regelung die Bundesregierung vorzunehmen gedenke, wenn jene alliierte Regelung ihr Ende gefunden habe. Über die Antwort, die der Herr Bundeswirtschaftsminister gegeben hat, ist eine Meinungsverschiedenheit entstanden. Auf seiten der Arbeitnehmerschaft, insbesondere der Gewerkschaften, war durch seine Antwort der Eindruck entstanden, daß die Bundesregierung beabsichtige, sobald diese Materie durch deutsches Gesetz geregelt werden könne, den Arbeitnehmern die Möglichkeiten, die sie jetzt haben, wieder zu nehmen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat entschieden in Abrede gestellt, daß seine Ausführungen in diesem
Kreise nach der von mir gekennzeichneten Richtung hin auszulegen seien. Immerhin: die Beunruhigung war entstanden, und diese Beunruhigung hat dann weiter um sich gegriffen und zu den Ihnen bekannten Kündigungen zunächst im Gebiet der eisenschaffenden Industrie und dann im Gebiet des Kohlenbergbaus geführt.
Ich habe von Anfang an - und ich möchte das hier mit allem Ernst betonen, meine Damen und Herren - in zwei Briefen, die ich an den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Herrn Dr. Böckler, gerichtet habe, keinen Zweifel darüber gelassen, daß ich es nicht für möglich hielte, so zu verfahren, wie von den Gewerkschaften verfahren worden ist. Ich verlese Ihnen am besten diesen Passus meines Briefes an Herrn Dr. Böckler vom 14. Dezember des vergangenen Jahres, weil sich daraus mein Standpunkt klar ergibt:
In einem demokratischen Staatswesen kann es einen Streik gegen die verfassungsmäßigen Gesetzgebungsorgane nicht geben. Das Koalitionsrecht, auf das Sie sich berufen, sichert nur das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden. Es kann keine Rede davon sein, daß die verfassungsgesetzlich gewährleistete Koalitionsfreiheit einer organisierten Minderheit, die die Gewerkschaften vom Ganzen aus gesehen sind, das Recht gibt, durch Niederlegung der Arbeit die Wirtschaft lahmzulegen, um dadurch bestimmte Akte der Gesetzgebung zu erzwingen.
Auch das Tarifvertragsgesetz kann zur Begründung Ihrer Auffassung schon deshalb nicht herangezogen werden, weil Streitigkeiten aus einem Tarifvertrag nicht vorliegen.
Ich habe
- so fahre ich fort wiederholt Gelegenheit gehabt anzuerkennen, daß die Haltung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in wichtigen wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen von einer maßvollen Besonnenheit und dem Bewußtsein der Verantwortung für die Allgemeinheit bestimmt war. Ich schöpfe daraus die Hoffnung, daß das verfassungsmäßige Gesetzgebungsverfahren im Bundestag über das Mitbestimmungsrecht von den Gewerkschaften nicht gestört werden wird. Es läge wahrhaft im Interesse aller Schichten der Bevölkerung, wenn ihr in dieser Zeit ernster, ja bedrohlicher Spannungen ein solcher Konflikt erspart bliebe. Ich bin überzeugt, daß Ihre Auffassung der Sorge um die soziale Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsordnung in der Bundesrepublik entspringt. Die Vorstellungen, wie dieses Ziel erreicht werden kann, mögen verschieden sein; die Entscheidung darüber steht allein den verfassungsmäßigen Trägern der politischen Willensbildung zu.
Meine Damen und Herren! Auf diesem Standpunkt, den ich, wie ich Ihnen eben sagte, in einem Brief an Herrn Dr. Böckler vom 14. Dezember des vergangenen Jahres vertreten habe, stehe ich nach wie vor. Ich halte es für unmöglich, daß in einem demokratischen Staat irgendwelche derartige Beeinflussungen des Parlaments stattfinden dürfen.
({0})
({1})
- Herr Renner, Sie sind nun doch derjenige, der zuletzt berufen ist, in einer solchen Sache etwas zu sagen.
({2})
Meine Damen und Herren, ich bin dann darum angegangen worden, zwischen den beiden Sozialpartnern eine Einigung herbeizuführen. Ich habe geglaubt, und ich glaube das auch jetzt noch, daß ich trotz der Kündigungen den Versuch machen sollte. Ich habe in verschiedenen Verhandlungen mit den Sozialpartnern zu meiner Freude - das möchte ich hier feststellen - auf beiden Seiten Verständnis und Hochachtung für den andern Verhandlungsteilnehmer gefunden. Weiter habe ich gefunden, daß beide verhandelnden Parteien von dem Bewußtsein ihrer Verantwortung für das Allgemeinwohl getragen waren.
Diese Sonderregelung, die nach dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf für Kohle und Eisen getroffen werden soll, begrenzt sich nach den geführten Verhandlungen auf diese beiden Gebiete. Es scheint mir auch - das möchte ich in der Öffentlichkeit ebenfalls betonen - richtig zu sein, wenn man bezüglich des Mitbestimmungsrechts der Arbeitnehmer Kohle und Eisen einer Sonderregelung unterwirft. Ich glaube, daß das in der geschichtlichen Entwicklung der ganzen Angelegenheit begründet ist, und zwar einmal in den Spannungen, die in den vergangenen Jahrzehnten in dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet - und um dieses handelt es sich ja in der Hauptsache - vorhanden gewesen sind; aber es erscheint mir auch deswegen begründet, weil unter der Herrschaft der Alliierten die Arbeitnehmer in der eisenschaffenden Industrie schon seit 1947 Rechte eingeräumt bekommen hatten, von denen sie im allgemeinen - auch das lassen Sie mich hier sagen - einen durchaus verständigen und maßvollen Gebrauch gemacht haben.
Man kann aber, wenn man durch ein deutsches Gesetz eine Regelung für die eisenschaffende Industrie trifft, nicht an der Kohle vorbeigehen. Kohlenbergbau und eisenschaffende Industrie stehen sowohl örtlich als auch wirtschaftlich und sozial in engstem Zusammenhang. Daher können nach meiner Auffassung die Regelungen nur für beide Zweige der Industrie gemeinsam erfolgen.
Die Einigung unter den Sozialpartnern, meine Damen und Herren, ist erfolgt. Ich habe es darauf übernommen - das hatte ich den Sozialpartnern vorher mitgeteilt -, das Kabinett zu fragen, ob es bereit sei, diese Einigung zur Grundlage, zum Inhalt eines Gesetzentwurfs zu machen, der dann dem Bundestag zuzuleiten sei. Das, meine Damen und Herren, ist die Vorgeschichte des heutigen Gesetzentwurfs.
Ich bin der Auffassung, daß trotz der Begleitumstände, die ich eben gekennzeichnet habe, dieser Gesetzentwurf ein großer Fortschritt auf dem Wege der sozialen Befriedung ist.
({3})
- Ich kann nur nochmals wiederholen: nach meiner Überzeugung ist dieser Gesetzentwurf ein großer Fortschritt auf dem Wege zur sozialen Befriedung des deutschen Volkes.
({4})
Ich bitte Sie, den Gesetzentwurf auch unter diesem Gesichtspunkte zu betrachten, zu beurteilen und zu kritisieren.
Ich möchte noch ein Wort hinzufügen, meine Damen und Herren. Ich bin der letzte, der verkennt, daß gerade im Wirtschaftsleben die persönliche Verantwortung und die unternehmerische Initiative von sehr großer Bedeutung sind. Aber ich setze auch das Vertrauen in diejenigen Arbeitnehmer, die demnächst in die Aufsichtsräte dieser Unternehmungen entsandt werden, daß sie sich dessen bewußt sind und bleiben, daß sie in ihrer Stellung in erster Linie das Wohl des Unternehmens zu wahren haben. Meine Damen und Herren, man sollte nicht von vornherein an alles mit denkbar größtem Mißtrauen herangehen.
({5}) Wenn auch diese verhängnisvolle Neigung der Deutschen, wie ich zugebe, durch alles das, was wir in den letzten Jahrzehnten erlebt haben, eine starke Fundamentierung erfahren hat, so meine ich trotzdem, man sollte nicht mit großem oder mit größtem Mißtrauen an alles und jedes, auch an fortschrittliche Beschlüsse, herangehen; man sollte vielmehr auch dem andern Teil, mag das nun heute dieser, morgen jener sein, das Vertrauen entgegenbringen, daß auch er das Beste will.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang möchte ich doch noch folgendes erklären; ich komme damit vorläufig zum Schluß meiner Ausführungen, weil Herr Bundesminister Storch nach mir noch sprechen wird. So sehr ich bedaure, daß diese Kündigungen ausgesprochen worden sind, so möchte ich doch diese Stunde benützen, um zu sagen, daß sowohl der Gewerkschaftsbund wie auch die Arbeitnehmer in den schweren Jahren seit 1945 ein außerordentlich großes Verständnis für das gezeigt haben, was dem gesamten deutschen Volke not tut.
({6})
Ich habe mit sehr vielen Arbeitnehmern aus Anlaß der Demontagen verhandelt. Ich möchte in dieser Stunde sagen, daß ich bei den vielen, vielen Verhandlungen, die ich mit vielen, vielen Arbeitnehmern gehabt habe, eine solche Anhänglichkeit, um nicht zu sagen Liebe zu dem Unternehmen, dem sie ihre Arbeitskraft gewidmet haben, gefunden habe, daß mir auch diese Anhänglichkeit an das Unternehmen, die zutage trat, das Vertrauen gibt, daß die Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten auch in der Zukunft in erster Linie das Interesse des Unternehmens zu wahren suchen werden, dem zu dienen sie verpflichtet sind.
({7})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts der großen Eile, mit der das vorliegende Gesetz von der Bundesregierung erstellt wurde,
({0})
konnte ihm entgegen der seitherigen Übung eine Begründung nicht beigegeben werden.
({1})
Es erscheint deshalb zweckmäßig, bei der Einbringung der Vorlage auf die einzelnen Vorschriften näher einzugehen.
Der Bundesrat hat am 2. Februar beschlossen, gegen die Grundgedanken des Entwurfs keine Ein({2})
Wendungen zu erheben, sich jedoch vorbehalten, nach Beratung der Vorlage in seinen Ausschüssen dem Bundestag weitere Vorschläge bzw. Abänderungsvorschläge zu unterbreiten. Auf Grund der Beschlüsse des Bundesrats hat die Bundesregierung den Gesetzentwurf unverzüglich dem Bundestag zugeleitet.
Inzwischen hat am 7. Februar eine Sitzung eines gemeinschaftlichen Ausschusses für Arbeit, Recht und Wirtschaft des Bundesrats stattgefunden. In dieser Sitzung, zu der Sachverständige des Deutschen Gewerkschaftsbundes und, soweit erreichbar, der Eigentümerseite herangezogen wurden, hat der gemischte Ausschuß Empfehlungen erarbeitet und dem Bundesrat zugeleitet, der diese Ergebnisse am 9. Februar dem Bundestag als Material übermittelt hat. Ferner haben die Sachverständigen des Deutschen Gewerkschafsbundes und der Eigentümerseite am 7. Februar Empfehlungen und Anregungen zu einigen Punkten des Gesetzes festgelegt und dem Herrn Bundeskanzler sowie dem Präsidenten des Bundesrats zugeleitet. Dieses Material werde ich, soweit es für den Inhalt des Gesetzes von Bedeutung ist, in meinen Ausführungen zu den einzelnen Vorschriften berücksichtigen.
Der vorliegende Gesetzentwurf umschreibt im § 1 zunächst den Geltungsbereich der Regelung. Dieser Geltungsbereich erstreckt sich nach dem Regierungsentwurf auf alle Unternehmungen des Steinkohlen-, Braunkohlen- und Eisenerzbergbaues, deren überwiegender Betriebszweck in der Förderung von Steinkohle, Braunkohle und Eisenerz liegt. Die Sachverständigen haben sich anläßlich der bereits erwähnten Sitzung der Koordinierungsausschüsse vom 7. Februar darauf geeinigt, daß sich der Geltungsbereich des Gesetzes auch auf solche Unternehmungen erstrecken solle, deren überwiegender Betriebszweck in der Verkokung und Brikettierung dieser Grundstoffe liegt. Auf dem Gebiete der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie erstreckt sich die Regelung nur auf solche Unternehmungen, deren Neuordnung durch Bildung einer Einheitsgesellschaft gemäß Gesetz Nr. 27 der' Alliierten Hohen Kommission oder durch eine an deren Stelle tretende andere Lösung erfolgte. Die Sachverständigen haben am 7. Februar übereinstimmend den Wunsch geäußert, daß klargestellt werden solle, daß Tochtergesellschaften dieser Unternehmungen, soweit sie nicht denselben Zweck verfolgen, nicht von dem Gesetz erfaßt werden sollen.
Eine Beschränkung des Geltungsbereichs des Gesetzes enthält der § 13. Danach sind alle Unternehmungen ausgenommen, die nicht mehr als 1000 Arbeitnehmer beschäftigen oder ein Nennkapital von nicht mehr als einer Million Deutsche Mark haben. Diese Vorschrift wurde in die Regierungsvorlage aufgenommen, weil es wirtschaftlich nicht tragbar erscheint, Mittelbetrieben und kleineren Betrieben mit weniger als 1000 Leuten Belegschaft einen Aufsichtsrat von elf Personen und einen Arbeitsdirektor zu geben. Dieser Arbeitsdirektor würde in einem Betriebe von etwa 500 Arbeitnehmern kein Arbeitsgebiet vorfinden, das ihn voll auslasten könnte.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat sich gegen die Mindestzahl von 1000 Arbeitnehmern gewandt. Beide Partner waren sich darüber einig, daß in den Richtlinien bestimmte Mindestgrößen nicht genannt waren. Der Bundesrat hat zwar im Grundsatz anerkannt, daß eine untere Grenze für den Geltungsbereich dieses Gesetzes mit Rücksicht auf kleinere Unternehmungen erforderlich ist, schlägt aber als unterste Grenze eine Beschäftigtenziffer von 300
Arbeitnehmern vor. Abgesehen von dieser festen unteren Grenze besteht noch die Möglichkeit, bestimmte Unternehmungen ganz oder teilweise aus der Regelung des Gesetzes durch eine Bestimmung in der Satzung, deren Aufnahme der Einwilligung der zuständigen Spitzenorganisationen bedarf, herauszunehmen.
Das Gesetz stellt in § 1 Abs. 2 sicher, daß die geltenden Vorschriften über die Betriebsverfassung, d. h. über die Bildung der Betriebsräte und deren Befugnisse insoweit nicht berührt werden, als sie dem Gesetz nicht widersprechen, d. h. als sie sich nicht mit der Zusammensetzung der Aufsichtsräte und der Bestellung der Vorstandsmitglieder befassen.
Die erste der Grundfragen, welche die neue Regelung behandelt, ist die der Bestellung der Aufsichtsräte. Durch § 2 ist sichergestellt, daß entgegen den allgemeinen Vorschriften über Gesellschaften mit beschränkter Haftung und bergrechtliche Gewerkschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit diese Unternehmungen einen obligatorischen Aufsichtsrat besitzen müssen, auf den die aktienrechtlichen Vorschriften über den Aufsichtsrat sinngemäß Anwendung finden, soweit das Gesetz nicht Sonderregelungen enthält. Die Rechte der Aufsichtsräte können durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung nicht beschränkt werden.
Die nach dem Gesetz zu bildenden Aufsichtsräte bestehen in der Regel aus elf Personen, und zwar zunächst aus vier Mitgliedern und einem unabhängigen Mitglied, welche durch das nach dem Gesetz oder nach der Satzung zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern berufene Organ, also in der Regel die Hauptversammlung, die Gesellschafterversammlung oder die Gewerkenversammlung, nach dessen freiem Ermessen nach Maßgabe der Satzung oder des Gesellschaftsvertrages gewählt werden. Von diesen Mitgliedern des Aufsichtsrats, welche grob gesagt die Vertreter der Eigentumsseite sind, muß eines eine unabhängige Person sein, d. h. es darf nicht Funktionär oder Angestellter einer gewerkschaftlichen oder einer ArbeitgeberOrganisation oder einer Spitzenorganisation sein, und es darf ferner nicht im Unternehmen als Arbeitnehmer oder Arbeitgeber bzw. als eine einem Arbeitgeber ähnliche Person tätig sein oder persönlich wesentliche Interessen an dem Unternehmen haben.
Ferner besteht der Aufsichtsrat aus vier Mitgliedern und einem unabhängigen Mitglied, die das zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern berufene Organ auf Vorschlag derjenigen Spitzenorganisation wählt, welcher die Gewerkschaft angehört, die überwiegend in den Betrieben des Unternehmens vertreten ist, d. h. nach der derzeitigen Lage der Arbeiterbewegung: des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Das Wahlorgan ist dabei an die Vorschläge dieser Spitzenorganisation gebunden. Es kann nur Personen wählen, die von dieser vorgeschlagen sind. Von den auf Vorschlag der Spitzenorganisation zu wählenden Mitgliedern muß eines jene Unabhängigkeit besitzen, welche auch das bereits erwähnte Mitglied der Eigentümerseite aufweisen soll. Ferner müssen sich unter diesen Mitgliedern der Arbeitnehmerseite ein Arbeiter und ein Angestellter befinden, die in einem zum Unternehmen gehörenden Betriebe beschäftigt sind, und zwar werden diese letzteren Mitglieder durch die Spitzenorganisation auf Antrag der Betriebsräte der zum Unternehmen gehörenden Betriebe vorgeschlagen. Die zuständige Spitzenorganisation kann allerdings Anträge der Betriebsräte
({3})
dann ablehnen, wenn der begründete Verdacht besteht, daß der Vorgeschlagene nicht die Gewähr bietet, zum Wohle des Unternehmens und der gesamten Volkswirtschaft verantwortlich im Aufsichtsrat mitzuwirken. Lehnt die Spitzenorganisation einen Vorschlag der Betriebsräte aus den oben erwähnten Gründen ab, so haben die Betriebsräte neue Vorschläge zu machen. Die zuständigen Spitzenorganisationen sollen bei ihren Vorschlägen die innerhalb der Belegschaft bestehenden Minderheiten billigerweise berücksichtigen. Die restlichen zwei Arbeitnehmer-Mitglieder des Aufsichtsrats werden von der Spitzenorganisation nach deren freiem Ermessen vorgeschlagen.
Außer diesen zehn Mitgliedern des Aufsichtsrates, welche je zur Hälfte in strenger Anwendung des Grundsatzes der Parität von Eigentümerseite und Arbeitnehmerseite vorgeschlagen werden, ist ein elftes Mitglied zu wählen, welches jene Unabhängigkeit besitzen muß, die eines der Mitglieder jeder Seite, wie bereits ausgeführt wurde, auszeichnen muß, die darüber hinaus aber allgemeines Vertrauen besitzen und sich im wirtschaftlichen Leben bewährt haben soll. Es soll möglichst besondere Erfahrungen in dem Wirtschaftszweig aufweisen und eine Persönlichkeit sein, die befähigt ist, bei Meinungsverschiedenheiten ausgleichend zu wirken. Die Wahl dieses Mitgliedes erfolgt auf Vorschlag der übrigen zehn Aufsichtsratsmitglieder, wobei sichergestellt wird, daß der Vorschlag mindestens von je drei Mitgliedern der Eigentümerseite und der Arbeitnehmerseite getragen wird.
Kommt ein solcher Vorschlag nicht zustande, so kann der zuständige Senat angerufen werden. Der Vorstand ist zur Anrufung verpflichtet. Der Senat 1 schlägt dem Wahlorgan drei Personen zur Wahl vor, aus denen dieses das elfte Aufsichtsratsmitglied wählen soll. Kommt auch auf diese Weise eine Wahl nicht zustande, so kann das Organ weitere Vorschläge des Senats erbitten.
Die Sachverständigen haben am 7. Februar beschlossen, vorzuschlagen, daß die Bezeichnung „unabhängiges Mitglied" für das fünfte Mitglied jeder Seite wegfallen soll und daß statt dessen dieses Mitglied als weiteres Mitglied jeder Seite im Gesetzestext genannt werden soll. Es handelt sich hier offenbar um einen Kompromiß, der dadurch erforderlich wurde, daß die Gewerkschaften, um die Paritätsrechte anschaulich zu machen, eine besondere Erwähnung dieses Mitglieds in dem Grundsatzparagraphen 3 überhaupt nicht wünschen, während die Sachverständigen der Eigentümerseite gerade auf die Herausstellung des unabhängigen Mitgliedes jeder Seite besonderen Wert gelegt haben.
Ferner haben die Sachverständigen angeregt, eine im Regierungsentwurf in § 3 Abs. 3 enthaltene Vorschrift zu streichen, nach der alle Ausschüsse des Aufsichtsrates paritätisch zusammengesetzt sein müssen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die Sachverständigen eine klarstellende Vorschrift angeregt haben, durch die ausgesprochen werden soll - was nach dem ganzen Sinn des Gesetzes bereits nicht zweifelhaft sein konnte -, daß ein Entsendungsrecht bestimmter Aktionäre, wie es § 88 des Aktiengesetzes vorsieht, nur hinsichtlich derjenigen fünf Aufsichtsratsmitglieder gegeben sein könne, die nach freiem Ermessen des Wahlorgans bestellt werden.
Auch bei der Klarstellung des Begriffes der Unabhängigkeit, die ein Mitglied jeder Seite aufweisen soll, haben die Sachverständigen angeregt, keine erschöpfende Aufzählung der Merkmale der Unabhängigkeit in das Gesetz aufzunehmen, sondern nur eine beispielhafte und an Stelle des im Regierungsentwurf gebrauchten Begriffs „Funktionär einer Gewerkschaft oder Arbeitgeberorganisation" den Begriff „Repräsentant" eines solchen Verbandes zu wählen.
In § 6 des Regierungsentwurfs wird, um sicherzustellen, daß der Aufsichtsrat sich stets paritätisch zusammensetzt, bestimmt, daß, falls dem Aufsichtsrat länger als drei Monate weniger als fünf Mitglieder einer Seite angehören, eine Ersatzbestellung durch das Gericht zu erfolgen habe. Diese Vorschrift weicht insbesondere insofern vom § 89 des Aktiengesetzes ab, als die Ersatzbestellung durch das Gericht unabhängig von der Unterschreitung der zur Beschlußfähigkeit erforderlichen Zahl von Aufsichtsratsmitgliedern erfolgt. Darüber hinaus sieht der Regierungsentwurf vor, daß die Ersatzbestellung. der Arbeitnehmermitglieder des Aufsichtsrats durch das Arbeitsgericht unter Anwendung der Verfahrensvorschriften für die freiwillige Gerichtsbarkeit vorzunehmen ist. Die bereits erwähnten Sachverständigen haben in ihrer Sitzung am 7. Februar angeregt, die Bestellung auch dieser Mitglieder des Aufsichtsrats dem Registergericht zu übertragen, um jede unterschiedliche Behandlung der Aufsichtsratsmitglieder auszuschließen.
Soll in Großunternehmungen der Aufsichtsrat aus mehr als elf Mitgliedern bestehen, so muß er sich stets aus einer ungeraden Zahl von Personen zusammensetzen, bei deren Zusammensetzung in diesem Fall die Grundsätze der Parität unter Berücksichtigung der unabhängigen Personen jeder Seite zu wahren sind. Bei Meinungsverschiedenheiten, insbesondere zwischen dem satzungsgebenden Organ und dem Deutschen Gewerkschaftsbund, kann der Senat zur Vermittlung angerufen werden.
Eine weitere wichtige Neuerung bringt das Gesetz hinsichtlich der Vorstände der Unternehmungen. Die Vorstandsmitglieder werden grundsätzlich durch den Aufsichtsrat bestellt und abberufen. Von diesem Grundsatz, der eine wesentliche Änderung des seitherigen Rechts der Gesellschaften mit beschränkter Haftung und der bergrechtlichen Gewerkschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit darstellt, wird nur in den Fällen abgewichen, in denen nach dem Gesellschaftsvertrag oder der Satzung der Aufsichtsrat nicht durch die Gesellschafter oder Gewerken bestellt wird, d. h. wenn die öffentliche Hand oder ein bestimmter Kreditgeber zu seiner Sicherung durch die Satzung das Recht erhalten hat, den Aufsichtsrat oder Teile desselben zu bestellen. Die Gesellschafter und Gewerken hätten in solchen Fällen keinerlei oder nur beschränkten Einfluß auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrates und damit auf die Bestellung des Vorstandes. Um diese Schwierigkeiten zu vermeiden, sieht der Regierungsentwurf im § 9 Abs. 2 vor, daß in solchen Fällen die Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder der Zustimmung der Gesellschafterversammlung oder der Gewerkenversammlung bedarf. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat eine Streichung dieser Sondervorschrift gewünscht. Die Sachverständigen der Unternehmerseite haben in der gemeinsamen Erklärung vom 7. Februar keine Bedenken gegen diese Streichung erhoben unter der Bedingung, daß festgelegt wird, daß die Eigentümer ausschließlich über die Frage bestimmen, ob der Aufsichtsrat durch ein anderes Organ als durch die Gesellschafterversammlung gewählt wird.
({4})
Um Schwierigkeiten bei der Neubildung der Vorstände zu vermeiden, ist in § 9 Abs. 3 vorgesehen, daß Bewerber, die noch keine praktische Bewährung in dem für sie vorgesehenen Aufgabenbereich nachweisen können, zunächst auf ein Jahr bestellt werden können. Hat sich ein solches auf Zeit bestelltes Vorstandsmitglied während des ersten Jahres bewährt, so ist es nach Maßgabe der allgemeinen Vorschriften des Aktiengesetzes endgültig zu bestellen, d. h. höchstens für eine Zeit von fünf Jahren.
Die bedeutsamste Neuerung in dem Gesetzentwurf ist wohl neben der neuartigen Zusammensetzung der Aufsichtsräte die Einführung des Arbeitsdirektors. Der Arbeitsdirektor kann nicht gegen die Stimmen der Mehrheit der Arbeitnehmermitglieder des Aufsichtsrats bestellt oder abberufen werden. Er übt in gleicher Weise wie alle übrigen Vorstandsmitglieder seine Aufgaben im engsten Einvernehmen mit dem Gesamtvorstand nach Maßgabe der Geschäftsordnung aus.
Das Tätigkeitsgebiet des Arbeitsdirektors wird im Regierungsentwurf § 10 Abs. 3 dahin allgemein umschrieben, daß er sich für die Wahrung der Menschenwürde aller im Betrieb beschäftigten Personen einsetzen und im Einvernehmen mit allen Beteiligten die Zusammenarbeit fördern und das Interesse am Betrieb wecken soll.
Meine Damen und Herren! Es ist in der Presse angezweifelt worden, daß das Hohe Haus die Kunst des Zuhörens beherrscht. Wir haben heute die Möglichkeit, zu beweisen, daß wir sie doch beherrschen.
({0})
- Ich habe keine Möglichkeit, die Redezeit des Herrn Ministers zu begrenzen, Herr Abgeordneter Dr. Schumacher.
({1})
Herr Abgeordneter! Ich möchte Ihnen folgendes sagen: Wenn es sich darum handelt, feste Begriffe aus irgendwelchen gesetzlichen Bestimmungen zu erwähnen, dann muß man sich natürlich an das halten, was man als Unterlagen dafür hat. Wenn es sich darum handelte, daß ich mich mit Ihnen in einer freien Rede über den Zweck oder den Unzweck des Gesetzes unterhalten sollte, brauchte ich dafür ganz bestimmt keine Unterlagen.
Es handelt sich also hier darum, daß dieser Arbeitsdirektor dieselben Rechte haben soll wie jedes andere Vorstandsmitglied auch. Die Sachverständigen der beiden Seiten haben zu diesen Bestimmungen des Gesetzes noch angeregt, daß man hier eine besondere Klausel in das Gesetz hineinbringen soll, wonach dieser Arbeitsdirektor eine besondere Persönlichkeit sein soll. Es wird Aufgabe des Hohen Hauses sein, sich über diese Wünsche noch schlüssig zu werden.
Der Vierte Teil dieses Gesetzes enthält die Bestimmungen über die Errichtung der Senate für die beiden hier in Frage kommenden Wirtschaftszweige. Es soll je ein Senat für die Kohle oder, besser gesagt, für den Bergbau und für das Eisen gebildet werden. Diese Senate sollen durch die Bundesregierung je zur Hälfte auf Grund von Vorschlägen ernannt werden, die von den beiden Seiten zu machen sind. Arbeitgeber und Arbeitnehmer, d. h. die Gewerkschaften und die Vereinigungen der Arbeitgeber oder die in Frage kommenden Körperschaften sollen der Bundesregierung die doppelte Anzahl von Personen nennen, die für die Senate vorgesehen sind. Die Auswahl erfolgt dann durch die Bundesregierung. Es wird die Aufgabe der Bundesregierung sein, die Zusammensetzung so zu gestalten, daß diese Senate in der Lage sind, der allgemeinen neuen Entwicklung eine besondere Stütze zu geben.
Diese Senate haben im Gesetz mit Ausnahme davon, daß sie Vorschläge für das elfte Vorstandsoder Aufsichtsratsmitglied machen sollen, keine bindenden Aufgaben bekommen. Es ist gesagt worden, sie sollen sich um die allgemeinen Angelegenheiten in dem betreffenden Industriezweig bekümmern. Sie sollen hier den Versuch machen, eine Koordinierung der Gesamtarbeit in dem betreffenden Industriezweig herbeizuführen.
Das ist im wesentlichen der Inhalt dieses Gesetzes. Es kommt nun darauf an, in der endgültigen Fassung des Gesetzes eine Regelung zu finden, die dazu angetan ist, den Grundstoffindustrien Kohle und Eisen eine Fundamentierung zu geben, die dazu führt, daß die letzten Impulse von Arbeitskraft und Arbeitsleistung zu Nutzen und Vorteil des deutschen Volkes entfaltet werden.
({0})
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, für die Aussprache der ersten Beratung 180 Minuten zu verwenden. Damit entfallen auf die beiden großen Fraktionen je 36 Minuten, auf die kleinen Fraktionen je 15 Minuten.
Als erster hat sich der Abgeordnete Imig zum Wort gemeldet. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Seiten der Öffentlichkeit haben zu dem vorliegenden Gesetzentwurf bereits seit Wochen Stellung genommen. Die Stellungnahmen erfolgten häufig in einer Art und Weise, die zeigte, daß man entweder das Problem überhaupt nicht erkannt oder aber in böswilliger Absicht nur nach Mitteln und Wegen gesucht hat, die Atmosphäre zu vergiften.
({0})
Man mußte sich letzten Endes doch im klaren darüber sein, daß die Industriegewerkschaft Metall im Zuge der Neuordnung nach dem Gesetz Nr. 27 niemals auf die bereits bestehenden Rechte verzichten würde und daß die Industriegewerkschaft Bergbau mit allen Mitteln versuchen würde, dieselben Rechte zu erreichen. Das waren Rechte, die zu einer gewissen Zeit gar nicht so strittig gewesen sind.
({1})
Denn im Jahre- 1947 befanden sich -die Gewerkschaften mit ihrem Willen zu einer weitgehenden Demokratisierung der Wirtschaft in Übereinstimmung mit sehr maßgeblichen Persönlichkeiten.
({2})
Die Stellungnahme dieser Herren sollte den heutigen Gegnern des Mitbestimmungsrechts in etwa zu denken geben. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat in seinem Gesetzesvorschlag zur Neuordnung der deutschen Wirtschaft diese Meinungen veröffentlicht. Ich darf mir wohl erlauben, dem Hohen Hause Auszüge daraus vorzutragen.
({3})
Am 18. Januar 1947 teilte Herr Dr. Jarres, der Vorsitzende des Aufsichtsrats der Klöckner-Werke AG., den Gewerkschaften schriftlich mit:
Wir sind bei Klöckner der Auffassung, daß eine Neuordnung der eisenschaffenden Industrie erfolgen muß, um den veränderten Zeitverhältnissen zu entsprechen,
({4})
und daß hierbei, vor allem die praktische Gleichstellung, d. h. Gleichberechtigung, aber auch Gleichverantwortung von Kapital und Arbeit verwirklicht werden sollte. Die Lösung, die zur Erreichung dieses Zieles in Angriff genommen wird, darf unter keinen Umständen scheitern, soll nicht das ohnehin drohende Chaos eintreten.
({5})
Der Aufsichtsrat der Klöckner-Werke wird nach dem Grundsatz der Gleichstellung von Kapital und Arbeit umgebildet.
Aber am gleichen Tage schrieben auch Herr Dr. Reusch und Herr Dr. Hilbert, die Vorstandsmitglieder der Gutehoffnungshütte AG:
Wir denken uns dies
- also die Neuordnung in der Weise, daß der Aufsichtsrat durch Zuwahl von Vertretern der Arbeitnehmerschaft bzw. der Gewerkschaften erweitert wird und daß von diesem Kreis die Vorschläge für eine zweckentsprechende Lösung ausgehen.
({6})
Unter dem 21. Januar 1947
({7})
- ich kann ja nichts dazu, daß Ihnen das unangenehm ist, aber ich muß es hier erwähnen -, ({8})
- unter dem 21. .Januar 1947 schrieben Herr Dr. Reusch, Herr Dr. Jarres und auch Herr Dr. Hillmann von der Firma Otto Wolf, Köln:
Schließlich erklären wir unsere aufrichtige Bereitwilligkeit, den Belegschaften und den Gewerkschaften volles Mitbestimmungsrecht einzuräumen.
({9})
Wir wollen uns den Forderungen einer neuen Zeit nicht verschließen
({10})
und stimmen einer Beteiligung auch der Arbeitnehmerschaft an der Planung und Lenkung sowie an den Aufsichtsorganen für die großen Erwerbsgesellschaften der Eisen- und Stahlindustrie voll und ganz zu.
({11})
- Ja, Herr von Rechenberg, ich bin nicht in dem
guten Glauben, daß ich Sie überzeugen kann. Das wäre ein Versuch - und so weiter!
({12})
Ich könnte hier auch noch den Vorstand der Vereinigten Stahlwerke zitieren; aber ich glaube, das
Bisherige hat genügt. Ich nehme auf Grund dieser
Äußerungen an, daß die genannten Herren die
außerordentlich großen sozialen Spannungen der
Nachkriegszeit erkannt hatten und bemüht waren,
zu ihrer Beseitigung beizutragen. Andernfalls
müßte ich, Herr Kollege von Rechenberg, zu dem
Ergebnis kommen, daß diese Haltung nur durch
die damaligen Verhältnisse konjunkturbedingt war.
({13})
- Besten Dank! Aber dann dürfte auch jeder, der heute noch diese Haltung einnimmt, in den Verdacht kommen, daß sie konjunkturbedingt ist. - Aber, wie gesagt, das war 1947!
In der Folgezeit ist von seiten der Gewerkschaften nichts unversucht geblieben, um zu einer Regelung zu kommen. Schriftwechsel mit maßgeblichen Persönlichkeiten ist reichlich gepflogen worden, und die Verhandlungen in Hattenheim. Bonn und Maria Laach zeigten im Endergebnis kaum noch den Willen, zur Verständigung zu kommen.
({14})
Aber von einer Ungeduld der Gewerkschaften kann doch wohl wahrhaftig nicht die Rede sein. Vielmehr mußten sie zwangsläufig zu der Einsicht kommen, daß ihre Geduld für die Gegenseite ein willkommener Faktor ist, sich zu restaurieren.
Der Ton und auch die Form, mit denen die Polemik gegen diese Entwicklung geführt wurde, bestätigen die Ansicht. Als die Lage ernster wurde, wurden dann auch die Angriffe massiver. So wird unter anderem gegen die Gewerkschaften der Vorwurf erhoben, daß sie danach strebten, die wirtschaftliche und damit die politische Macht in ihre Hand zu bekommen. Von wem wird denn dieser Vorwurf eigentlich erhoben? Doch nur von denjenigen, die bisher ungeteilt die Macht in ihren Händen hatten!
({15})
Ich will in diesem Zusammenbange nicht allzusehr darauf eingehen, zu welchen Zwecken diese ungeteilte Macht gebraucht oder auch mißbraucht worden ist.
({16})
Ich will auch nicht untersuchen, ob nicht mindestens der letzte Krieg hätte verhütet werden können, wenn das Problem, das heute zur Debatte steht, nach 1918 verwirklicht worden wäre.
({17})
Die Arbeiter haben noch nicht vergessen, daß mit den Werten, die sie erarbeitet haben, Banden großgezogen worden sind, von denen sie nachher in den KZ's gefoltert und ermordet worden sind.
({18})
Wenn heute die Gewerkschaften das Mitbestimmungsrecht fordern, dann nicht zum wenigsten aus dem Grunde, um eine Wiederholung ähnlicher Dinge zu verhüten.
({19})
Sie denken auch nicht daran, noch einmal auf dem alten Wege wie nach 1918 zu einem neuen Jahr 1933 zu kommen.
({20})
- Ach, meine Herren, eine geistige Umstellung erfordert immer eine gewisse Zeit; ich nehme es
({21})
Ihnen nicht übel, daß Sie da noch nicht mitkommen können.
({22})
Wenn die Versprechungen, die auch in diesem Hohen Hause gemacht worden sind, in die Tat umgesetzt worden wären, dann wäre die heutige Debatte ebenfalls überflüssig. Aber die Arbeiter wünschen keine Versprechungen mehr, sondern jetzt nur noch absolute Sicherheiten.
({23})
- Ja, meine Herren, ich komme gleich noch auf den Funktionär zu sprechen; gedulden Sie sich einen Moment!
({24})
- Nein, das verwechseln wir auch nicht; keine Angst!
({25})
Nach 1945 ist unter den schwierigsten Verhältnissen mit dem Wiederaufbau aller Produktionsmittel begonnen worden, und im Kampfe gegen die Demontage der Werke haben die Gewerkschaften ihren ganzen Einfluß geltend gemacht, um die Arbeitsstätten zu erhalten. Ohne das verständnisvolle Verhalten des deutschen Arbeiters wäre die bisherige Entwicklung überhaupt nicht möglich gewesen.
({26})
Wenn es galt, deutsche Belange zu vertreten, haben die Gewerkschaften wohl immer die deutlichste Sprache geredet.
({27})
In Verfolg aller dieser Angelegenheiten haben sie häufig mehr als die Parität für sich in Anspruch genommen, ohne daß ihnen dieser Anspruch in diesen Fällen strittig gemacht worden wäre.
({28})
Glauben Sie wirklich, daß der deutsche Arbeiter das alles vergessen hätte und in dieser Wirtschaft, die er jetzt selber aufgebaut hat, ohne jeden Einfluß bleiben wollte? Ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß er heute die Einlösung der Wechsel fordert, die nach 1945 ausgestellt worden sind.
({29})
Dabei braucht man um die Kreditwürdigkeit in der Kohle- und Eisenindustrie keine Sorge zu haben. Wenn auch in Amerika in der Presse ablehnende Stimmen veröffentlicht werden, dann soll man sie nicht allzu ernst nehmen. Bei der Gewährung von Krediten wird auch für die Amerikaner die Zusammensetzung des Aufsichtsrats keine Rolle spielen, sondern die zu erwartende Rendite.
({30})
- Herr von Rechenberg, viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt!
({31})
Dabei spielen auch noch andere Gesichtspunkte eine ausschlaggebende Rolle. Entweder wird Deutschland in den Plan der westlichen Länder einbezogen, oder es wird nicht einbezogen. Nur danach wird es sich richten, ob der Dollar bei uns investiert wird oder nicht.
({32})
Außerdem: Warum sollten sie daran Anstoß nehmen, daß im Aufsichtsrat oder Vorstand der Gesellschaften auch die Arbeiter sitzen? Glauben Sie nicht, Herr von Rechenberg, daß dort eine Blutauffrischung durchaus von Nutzen sein könnte?
({33})
- Sie meinen also, daß Funktionäre nicht arbeiten?
({34})
- Na, Befürchtungen wegen Mangels an den notwendigen Kenntnissen dürften doch wohl auch fehl am Platze sein; denn diese Kenntnisse haben die Vertreter der Arbeiter in den Ausschüssen, die auf Grund des Gesetzes Nr. 75 und auch des Gesetzes Nr. 27 gebildet werden mußten, eindeutig unter Beweis gestellt.
({35})
Ich habe mich persönlich häufig mit führenden Männern in der Kohlewirtschaft über die Neuordnung und damit auch über das Mitbestimmungsrecht unterhalten können. Bei ihnen bestand durchaus keine Abneigung, mit den Gewerkschaften zusammenzuarbeiten. Aber das waren Männer, die bisher Hervorragendes geleistet hatten und die sich ihres Wertes durchaus bewußt waren. Gerade auf diese werden wir bei der Neuordnung angewiesen sein, und ich könnte mir denken, daß die Gegner des Mitbestimmungsrechts gerade dort zu suchen sind, wo Wissen und Können nur mittelmäßig zu verzeichnen sind.
({36}) Eventuell sind es auch glatte Nullen.
({37})
Sie dürfen auch annehmen, daß die Arbeiter um ihre Abhängigkeit vom Betrieb wissen. Die Arbeiter wissen auch, daß die Höhe des Sozialprodukts von der Leistung abhängig ist. Sie alle werden daher daran Interesse haben, daß die betrieblichen Belange nach allen Seiten gewahrt werden.
Man soll doch nicht versuchen, bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit eine Trennung zwischen Belegschaft und Gewerkschaft vorzunehmen. Wir sind im Bergbau zu über 90% organisiert. Ich darf mir daher wohl erlauben, hier im Namen der Bergarbeiter zu sprechen. Seien Sie davon überzeugt, daß in diesem Zusammenhang die Rolle der Gewerkschaften als nur Feuerwehr ausgespielt ist.
({38})
Über die Rechtsauffassungen in bezug auf die Anwendung gewerkschaftlicher Kampfmittel will ich mich hier nicht auslassen.
({39})
Wenn der Herr Bundeskanzler soeben den Brief verlesen hat, den er an den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes geschrieben hat, könnte ich jetzt hier die Antwort des Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes verlesen. Aber ich glaube, er ist allen Abgeordneten zugegangen; ich kann mir das ersparen.
({40})
({41})
Also Sie brauchen in diesem Zusammenhang nur in diesen Briefwechsel Einsicht zu nehmen.
Worüber wir Gewerkschaftler allerdings erstaunt sind, das ist das zweierlei Maß, mit dem gemessen wird. So weitgehende Ausführungen, wie sie z. B. der Herr Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Herr Reichsminister a. D. Dr. Hermes, auf der Kundgebung des Deutschen Bauernverbandes in Köln am 15. Juli vergangenen Jahres gemacht hat, haben sich die Gewerkschaften noch nicht erlaubt.
({42})
Ich darf sie Ihnen bei dieser Gelegenheit einmal wörtlich zur Kenntnis bringen. Herr Reichsminister a. D. Dr. Hermes hat geäußert:
Wir werden die Haltung der Bundesregierung und auch der politischen Parteien einer sachlichen, aber auch rückhaltlosen Kritik zu unterziehen und unsere Forderungen klarzustellen haben. Wir wollen und dürfen, wenn wir dazu gezwungen werden, über unsere Entschlossenheit, auch auf der politischen Ebene zur Selbsthilfe zu greifen, keinen Zweifel lassen.
({43})
- Es kommt darauf an, wer die Uhl ist. - Es heißt dort weiter:
Wenn wir im Raum der heutigen politischen
Parteien keine Gewähr mehr für die Erfüllung unserer berechtigten Lebensinteressen finden, dann ist es unsere Pflicht gegenüber dem Berufsstand, andere Wege zu gehen, und nichts, weder Drohung noch sonstige Vorstellungen, werden uns von diesern Wege abhalten, den uns die Pflicht vor unseren Bauern gebieterisch weist.
({44})
- Ich weiß nicht, ob Sie es waren, Herr Kollege
von Thadden. Ich darf Ihnen sagen, daß diese
Äußerungen am 15. Juli 1950 gemacht worden sind.
({45})
Nicht nur diese Äußerungen, sondern auch das Verhalten des Bauernverbandes ist ohne jede Kommentierung hingenommen worden.
({46})
Und inwieweit sie Einfluß ausgeübt haben, ich glaube, darüber könnte uns der Herr Ernährungsminister interessante Einzelheiten mitteilen.
Wenn der Herr Finanzminister zur Ankündigung neuer Steuern kommt, dann liest man in der Presse immer von vorsorglichen Kündigungen. Aber die sind alle ohne jede Kommentierung hingenommen.
Und nun ein Teil der Presse zum Vorgehen der Gewerkschaften: Die Gewerkschaften haben keine Bindungen mehr mit der alten Sozialdemokratie, sondern sie sind nationalfaschistisch! Die Gewerkschaften sind ein Staat im Staate! Vor allen Dingen Mißbrauch der Gewerkschaften zur Erreichung von Jobs für Gewerkschaftsfunktionäre! Sozialisierung in marxistischem Sinne! Aufhebung jeglicher Freiheit für den Arbeiter und daher Angebot von Streikbeträgen vorn FDGB der Ostzone! Vorgehen der Gewerkschaften grenzt an Hochverrat! Einheitsgewerkschaft Kampfgruppe des Sozialismus!
({47})
Gegen Terror hilft nur die Bildung der Einheitsfront!
Verlangen Sie nun doch nicht von mir, daß ich auf allen diesen Unsinn im einzelnen hier eingehe. Aber eines möchte ich hier bemerken: daß mit solchen Parolen die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, die SA und die SS aufgezogen worden sind.
({48})
- Ich glaube, in diesem Metier haben Sie allerlei Kenntnisse gesammelt.
({49})
Ich kann mir denken, daß zur Beschreitung dieses Weges die Einheitsgewerkschaft eben ein Hindernis ist.
({50})
Mit dieser offenen oder versteckten Hetze versucht man, in dieses Bollwerk eine Bresche zu schlagen. Ja, zu diesem Zwecke muß dann auch der nach einem Job suchende Gewerkschaftsfunktionär herhalten.
Meine Damen und Herren! Wenn von diesen Hetzern soviel für den Aufbau der jungen westdeutschen Bundesrepublik getan worden wäre wie von den Gewerkschaftsfunktionären, dann brauchten wir uns heute wahrscheinlich über diese Probleme auch nicht zu unterhalten.
({51})
Aber für den „jobsuchenden Gewerkschaftssekretär", für diese Klage haben wir im Grunde genomenen ein Verständnis. Es könnte nämlich möglich sein, daß die bisherigen Stellenvermittlungsbüros, die Anspruch darauf erhoben haben, allein dieses Privileg zu haben, in ihrer Tätigkeit ein klein wenig gestört werden. Das können wir verstehen. Aber um das vermeiden zu können, ist eben das Verbreiten von unsinnigen Hetzparolen gerade das geeignete Mittel.
Meine Damen und Herren, die wirtschaftliche Entwicklung in der allernächsten Zeit wird uns dazu zwingen, in gemeinsamer Arbeit der Schwierigkeiten Herr zu werden. Die Preis- und Lohnfragen werden wieder akut und werden auch geregelt werden müssen.
({52})
Es gilt, nach Mitteln und Wegen zu suchen, daß diese Regelungen ohne wirtschaftliche Erschütterungen erfolgen können. Soviel wird doch nun wohl auch der fanatischste Gegner erkannt haben, daß das ohne gewerkschaftliche Mitarbeit nicht erledigt werden kann.
({53}) Und ein Mitarbeiten an der Lösung all dieser Probleme ist für die Gewerkschaften nur möglich, wenn sie an entscheidender Stelle mit zu bestimmen und mit zu verantworten haben.
({54})
- Herr von Thadden, ich glaube, Sie wissen gar nicht, was arbeiten ist.
({55})
({56})
Der vorliegende Gesetzentwurf soll mit seinen Normen eben diese Pflicht und auch diese Verantwortung bestimmen. Er ist ein Kompromiß, und die Gewerkschaften haben durchaus keine Ursache, von einem Siege zu reden.
({57})
- Herr von Rechenberg, eher könnte man von einem Siege der beiderseitigen Vernunft reden.
({58})
Meine Damen und Herren, damit will ich durchaus nicht sagen, daß die jetzigen Gegner unvernünftig wären. Das wollte ich nicht betonen. Ich betone nochmals: auch eine geistige Umstellung und eine geistige Erneuerung braucht Zeit zu ihrer Entwicklung. Ich bin aber davon überzeugt, daß nach einigen Jahren diese ganze Regelung eine Selbstverständlichkeit ist und daß dann kein Mensch mehr darüber auch nur ein Wort verliert.
({59})
Ich darf daher im Namen meiner Fraktionsfreunde hier den Antrag stellen, den Gesetzentwurf mit den Abänderungsvorschlägen des Bundesrates den beiden Ausschüssen für Arbeit und Wirtschaftspolitik zu überweisen, wobei der Ausschuß für Arbeit federführend sein soll. Ich darf aber auch gleichzeitig dabei den Wunsch äußern, daß hier genau so schnell und mit demselben Tempo gearbeitet wird, mit dem dieser Gesetzentwurf fertiggestellt worden ist.
({60})
Wir dürfen dabei beantragen, daß im Laufe der nächsten Woche der Ausschuß Bericht erstattet. Denn, meine Damen und Herren, es geht um die Befriedung des Reviers, und wir haben keine Veranlassung, daß durch Verzögerungen irgendwelche Leistungsrückgänge festzustellen sein könnten.
({61})
- Wollen Sie mir jetzt noch etwas von Demokratie erzählen?
({62})
Ich glaube, daß dieser Wunsch durchaus berechtigt ist, und daß das gesamte Hohe Haus mit mir der Meinung ist, daß wir so schnell wie möglich diesen Gesetzentwurf auch in zweiter und dritter Lesung zur Abstimmung bringen.
({63})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Sabel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit Bestehen des Bundestages hat die Fraktion der CDU/CSU immer in aller Deutlichkeit zu erkennen gegeben, daß es ihr mit der baldigen Verwirklichung des Mitbestimmungsrechtes der deutschen Arbeitnehmer ernst sei. Ich darf Sie daran erinnern, daß wir bereits im Oktober des Jahres 1949 hier einen Antrag eingebracht haben, mit dem wir die Regierung ersuchten, baldmöglichst einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Neuregelung der Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Unternehmern beinhalten sollte.
Sie kennen die Entwicklung. Wir haben, nachdem bis zum Mai des vorigen Jahres der Regierungsentwurf noch nicht vorlag, dem Hohen Hause dann selbst einen Entwurf vorgelegt, weil wir sahen, daß die Verhandlungen unter den Sozialpartnern ins Stocken geraten waren und keinen baldigen Abschluß verhießen und daß gerade deshalb auch die Vorlage des Regierungsentwurfs auf sich warten ließ. Ich darf Ihnen sagen, daß dieser Entwurf der Fraktion der CDU/CSU von der gesamten Fraktion gebilligt wurde. Jeder, der von den Dingen etwas versteht, war sich auch darüber im klaren, daß es sich hierbei um einen sehr fortschrittlichen Vorschlag handelte. Der Entwurf ist dann mit anderen Entwürfen den zuständigen Ausschüssen überwiesen worden.
Außerhalb diese Hauses wurde nun manchmal der Eindruck erweckt, als seien die Beratungen in den Ausschüssen nicht so vorangetrieben worden, wie es der Bedeutung der Sache entsprochen hätte. Deshalb halte ich es für notwendig, hierzu etwas zu sagen. Die beteiligten Ausschüsse haben sich bisher in rund 30 Sitzungen mit den Entwürfen beschäftigt. Die Materie ist sehr eingehend behandelt, der größere Teil der Vorlagen in den Ausschüssen bereits erörtert worden. Im Augenblick wird die Frage der Mitbestimmung in wirtschaftlichen Fragen des Betriebes diskutiert, und ich darf betonen, daß sich alle sehr intensiv an den Verhandlungen beteiligt haben. Ich darf erfreulicherweise feststellen, daß diese Verhandlungen in einer sehr guten Atmosphäre stattgefunden haben, und darf weiterhin erfreulicherweise feststellen, daß auf weitesten Gebieten eine Verständigung möglich war. Ich bin nicht so optimistisch, zu glauben, daß wir allüberall eine Verständigung erzielen können, weil nun einmal die Meinungen in dieser Frage differenziert sind. Aber den ernsten Willen zur Verständigung habe ich bisher bei allen Beteiligten immer feststellen können.
Nun liegt uns die Sonderregelung für die eisenschaffende Industrie und für den Bergbau vor. Nach dem Entwurf der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union war ohne weiteres die Möglichkeit gegeben, die Regelung, die in der eisenschaffenden Industrie bestand, beizubehalten, da wir in der Bestimmung über die Aufsichtsräte gesagt hatten, daß diese mindestens zu einem Drittel aus Vertretern der Arbeitnehmer bestehen sollten. Diese Regelung war schon auf die Situation in der eisenschaffenden Industrie zugeschnitten. Angesichts dieser Sachlage gab es daher nach meinem Dafürhalten eigentlich keinen konkreten Tatbestand, der die in den letzten Monaten eingetretene Verschärfung rechtfertigte.
({0})
Vielmehr möchte ich meinen - und das entnehme ich auch den Ausführungen meines verehrten Herrn Vorredners -, daß die Aktionen der letzten Monate mehr auf mangelndes Vertrauen und - auch das können wir sagen - auf Mißverständnisse zurückzuführen sind. Ich freue mich, daß der Herr Bundeskanzler hier nun die Vermittlung übernommen und sich in dieser kritischen Situation bemüht hat, Mißverständnisse zu beseitigen und die Sozialpartner an den Verhandlungstisch zu bringen. Vor allem aber freuen wir uns darüber, daß diese Verhandlungen am Ende zu einem konkreten Ergebnis geführt haben. Dabei bin ich allerdings der Meinung, daß eine etwas positivere Wertung des
({1})
CDU/CSU-Entwurfs uns manche Schwierigkeiten erspart hätte; wir wären in der Bearbeitung der Materie wahrscheinlich schon ein Stück weiter.
Ich möchte auch kein Hehl daraus machen, daß meine Freunde wegen der Kündigungen und Streikdrohungen der letzten Wochen sehr starke Bedenken hatten. Das muß hier zum Ausdruck gebracht werden. Wir sind der Meinung, daß die Freiheit des Parlaments, über diese Frage zu entscheiden, nicht eingeschränkt werden sollte.
({2})
Es ist doch in der Tat so, daß eine Streikdrohung zur Erzwingung von Gesetzen die Staatsautorität untergräbt und den Aufbau einer echten Demokratie gefährdet.
({3})
Und wenn Herr Kollege Imig eben darauf verwiesen hat, daß auch andere Beispiele vorliegen, so ist das, glaube ich, keine Rechtfertigung.
({4})
Ich sage Ihnen in aller Offenheit: auch die anderen Dinge müssen genau so mit Entschiedenheit abgelehnt werden wie diese Versuche.
({5})
Ich möchte auch sagen, daß es doch für jeden erfreulich war, wie der Bundestag im vergangenen Jahr sich gegen die Druckmethoden seitens der Verkehrswirtschaft - ich darf Sie an die Benzinpreisgestaltung erinnern - gewehrt und es abgelehnt hat, unter Druck zu verhandeln.
({6})
Meine Damen und Herren! Zur Behandlung des Gesetzentwurfs hat eben Herr Kollege Imig zum Ausdruck gebracht, daß der Ausschuß oder die beteiligten Ausschüsse ihre Arbeiten schnellstens abschließen möchten, damit unter Umständen in der nächsten Woche schon hier die abschließenden Verhandlungen stattfinden könnten. Ich möchte dazu folgendes sagen. Ich habe als Vorsitzender des federführenden Ausschusses in der Erwartung, daß die Ausschußüberweisung heute erfolgt, schon für morgen eine Ausschußsitzung einberufen.
({7})
- Nein, das hat nicht hart genug gehalten, Herr Kollege Richter, sondern das haben wir ohne jede Beeinflussung getan, und Sie hätten es im Ausschuß ja niemals erzwingen können, wenn wir es nicht wollten.
({8})
Ich darf feststellen, daß der gesamte Ausschuß diesem Beschluß zugestimmt hat,
({9})
und ich darf versichern, daß wir uns bemühen werden, die Verhandlungen so schnell wie irgend möglich voranzutreiben; aber ich bitte Sie, keinen Termin von uns zu verlangen. Wir können nur die Versicherung geben: jawohl, die Dinge werden mit dem notwendigen Ernst behandelt, und wir hoffen, daß wir das Ergebnis unserer Arbeit schnellstens hier im Plenum vorlegen können.
({10})
Eine Stellungnahme der Ausschüsse ist auch aus folgendem Grunde notwendig. Sie wissen ja so gut wie ich, daß auch im Bundesrat Einwendungen gegen gewisse Bestimmungen erhoben worden sind.
Eine ernste Prüfung des Entwurfs ist also erforderlich. Ich möchte dazu namens meiner Fraktion folgendes sagen. Wir bejahen die Parität der Unternehmer und Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten, sind aber der Meinung, daß da und dort versucht werden muß, irgendwie eine Gestaltung des Gesetzes zu erreichen, damit in der Praxis keine Schwierigkeiten auftreten. Erinnern wir uns an das Zustandekommen des Gesetzes! Ich kann nur auf die etwas zaghafte Begründung von Herrn Minister Kubel im Bundesrat hinweisen, der ein bißchen schüchtern erklärte, daß das Gesetz auf eine etwas eigenartige Methode zustande gekommen sei. Mehr will ich dazu nicht sagen. Es ist halt so: je schneller die Dinge vorangetrieben werden, desto mehr Unschönheiten verbleiben, und ich glaube, wir alle haben ein Interesse daran, daß das Gesetz eine Form erhält, mit der wir uns in der Öffentlichkeit sehen lassen können.
Was haben wir zum Entwurf zu sagen? Ich will nur auf einige Dinge hinweisen. Es sind zum Teil Versäumnisse, Dinge, die im Entwurf nicht berücksichtigt worden sind; es sind zum Teil Meinungsverschiedenheiten über bestimmte Fragen. Es ist zu prüfen, ob gerade im Aufsichtsrat die Interessen der Allgemeinheit die rechte Vertretung gefunden haben. Ich sagte: wir sind für die Parität der Arbeitnehmer und der Unternehmer; aber ich glaube, Sie sind mit mir der Auffassung, daß die Frage Eisen und Kohle nicht nur eine solche der Produzenten, sondern weitestgehend auch eine Frage der Verbraucher ist,
({11})
und wir müssen uns j a überlegen, daß hier auch die Interessen der Verbraucher entsprechend zum Zuge kommen. Es ist zu überlegen, in welcher Form das am geschicktesten geschehen kann.
({12})
- Ich verstehe nicht!
({13})
- Also wenn schon Zwischenrufe, lieber Kollege Richter, dann so laut, daß ich sie verstehen kann; sonst reden wir nachher darüber. - Gut, einverstanden!
Eine andere Frage, die uns doch einer Überlegung würdig erscheint, ist die, ob man hier das Monopol einer bestimmten Organisation in einer so scharfen Form anerkennen soll, wie das im Entwurf geschehen ist. Ich darf daran erinnern, daß beispielsweise die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft gegen den Entwurf schon Protest eingelegt hat mit der Begründung, es sei keine ausreichende Möglichkeit gegeben, die Interessen der Angestellten entsprechend zu berücksichtigen - Dinge, über die wir zweifellos diskutieren müssen.
Eine meines Erachtens wesentlichere Frage ist die: Wer soll nun derjenige sein, der die Mitglieder in den Aufsichtsrat entsendet? In unserem Entwurf hatten wir es für richtig gehalten, der Belegschaft das Entscheidungsrecht darüber zuzugestehen, wer als Vertreter der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat tätig sein soll. Wir sind nicht der Meinung, daß man Betriebsfremde ausschalten soll; aber die Belegschaft selbst muß die Möglichkeit haben, auf die Entsendung der Arbeitnehmermitglieder in den Aufsichtsrat einen maßgeblicheren Einfluß auszuüben, als das bei dem vorliegenden Entwurf der Fall ist, und wir sollten hier nach einer Regelung suchen, die diese maßgeblichere Einflußnahme ermöglicht.
({14})
In der Frage der Betriebsgröße glauben wir, daß eine etwas variablere Regelung notwendig ist, die auf die Betriebsgröße etwas mehr Rücksicht nimmt, da es zweifellos ein Unterschied ist, ob ein Betrieb nur mit 300 oder 400 Beschäftigten arbeitet oder 10 000 und mehr umfaßt. Aber ich glaube, daß darüber eine Verständigung möglich sein wird.
Ich denke daran, daß auch die Rechte und Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder in diesem Gesetz geregelt sein müssen und daß auch eine Bestimmung über das Ausscheiden und die Neuwahl, also den Turnus eingebaut werden muß. Darüber sind keine Vorschriften enthalten. Es muß m. E. etwas darüber gesagt werden, wer nun in der Spitzenorganisation das Vorschlagsrecht hat, ob das der Vorstand oder irgendein anderes Gremium dieser Spitzenorganisation ist.
({15})
Man sollte auch prüfen, ob es nicht zweckmäßiger ist, vielleicht für den Braunkohlenbergbau und für den Eisenbergbau noch zusätzliche Senate zu schaffen, wie sie in § 11 vorgesehen sind.
Zur Frage der Kreditwürdigkeit hat Kollege Imig eben einiges ausgeführt, und ich möchte ihm nun folgendes sagen. Ich bin auch der Meinung, daß für die Kreditwürdigkeit die Produktivität eines Betriebes entscheidend ist, und ich bin mit meinen Freunden der Auffassung, daß die Produktivität durch das Mitbestimmungsrecht nicht zu leiden braucht. Eine vernünftige Anwendung des Mitbestimmungsrechtes kann, wie uns die Erfahrung gezeigt hat, eine Steigerung der Produktivität und damit eine Steigerung der Kreditwürdigkeit bedeuten.
({16})
Ich glaube, wir sollten das auch dem Auslande zur Kenntnis geben, damit hier nicht gerade diese Pressenotizen und diese Äußerungen bestimmter Organisationen Unheil anrichten. Ich darf daran erinnern, daß in der Vergangenheit - ich erinnere an das Beispiel der eisenschaffenden Industrie - die Anerkennung des Mitbestimmungsrechtes doch zu ganz beachtlichen Ergebnissen geführt hat und daß der Wiederaufbau und die Produktivität der Betriebe günstig beeinflußt worden sind.
Meine Damen und Herren! Ich möchte abschließend sagen: Ein gewisses Vertrauen unter den Sozialpartnern ist notwendig, ist auch notwendig bei der Anwendung des Mitbestimmungsgesetzes, das uns heute hier zur Behandlung vorliegt. Wir sind der Meinung, daß ein weiterer Fortschritt gerade bei der Gestaltung des Mitbestimmungsrechtes kein besonderes Risiko bedeutet. Wir sind der Meinung, eine rechte Anwendung wird dieses Risiko ausschließen. Ich möchte hier der Meinung des Herrn Bundeskanzlers beipflichten, der vor einigen Tagen einmal in einer Rundfunkansprache gesagt hat - gestatten Sie mir bitte, das vorzulesen, Herr Präsident -:
Die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften haben in den vergangenen Jahren beim Wiederaufbau der Unternehmungen und später bei den Demontageverhandlungen eine solche Liebe und Anhänglichkeit an ihre Unternehmungen, ein solches Verantwortungsgefühl gegenüber der gesamten Wirtschaft gezeigt, daß man ihrer Tätigkeit Vertrauen entgegenbringen kann.
Meine Damen und Herren! Die Ereignisse der letzten Wochen haben meine Freunde mit gewissen Bedenken erfüllt. Wir wünschen, daß wir - wiederum, wie das der Herr Bundeskanzler gerade in dieser Rundfunkansprache getan hat - zukünftig auch mit unserem Lob hier etwas großzügiger sein können. Wir wünschen, daß sich die Dinge, die sich abgespielt haben, nicht wiederholen. Wir wünschen es im Interesse der Staatsautorität, im Interesse einer wirklichen, echten Demokratie.
({17})
- Auch im Interesse einer echten Funktion der Gewerkschaften ist es notwendig, daß wir uns hier besinnen und Dinge vermeiden, die im Interesse aller vermieden werden sollten. Ich sage es noch einmal: Es geht uns darum, daß bei der berechtigten Durchsetzung von Wünschen der Arbeitnehmer dies nicht mit Mitteln geschieht, die geeignet sind, die Staatsautorität zu untergraben.
Zum Abschluß: zu einer gesunden Fortentwicklung des Betriebsverfassungsrechts sagen wir ein entschiedenes Ja. Der vorliegende Gesetzentwurf bedeutet einen weiteren Abschnitt, und wir sollten bei der kommenden Behandlung dieses Gesetzes versuchen, es so zu gestalten, daß wir uns mit diesem Gesetz draußen auch sehen lassen können.
({18})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker.
Meine Damen und Herren! Im Sommer des vergangenen Jahres haben wir uns hier ausführlich über das Mitbestimmungsrecht unterhalten. Es lag vor der Antrag der CDU/CSU, es lag vor der Antrag der SPD, es kam nachher der Regierungsentwurf. Seit jener Zeit finden Verhandlungen über die Gestaltung des Mitbestimmungsrechtes statt, Verhandlungen, die recht weit fortgeschritten sind, und mitten in diese Verhandlungen hinein platzt nun plötzlich für ein Teilgebiet der Industrie dieser neue Gesetzentwurf.
Die Begründung für diese neue Gesetzesvorlage ist ausgezeichnet; sie lautet: Die Vorgeschichte dieses Entwurfes ist bekannt. - Das ist alles!
({0})
Damals, im Sommer des vergangenen Jahres, haben wir von der FDP unseren Standpunkt zum Mitbestimmungsrecht klar zum Ausdruck gebracht. Wir bejahen die volle Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten. Wir bejahen die Mitwirkung bei Entlassungen, bei Kündigungen nach dem Kündigungsschutzgesetz, das ausgearbeitet werden müßte. Wir stimmen einer Mitberatung - nicht Mitbestimmung - bei Einstellungen und Beförderungen zu, und wir stimmen einer Mitberatung in wirtschaftlichen Fragen zu. Diese Mitberatung in wirtschaftlichen Fragen findet ihren Ausdruck z. B. in der vorgeschlagenen Entsendung von 30% der Mitglieder des Aufsichtsrates, d. h. 30 % der Arbeitnehmer des betreffenden Betriebes. Grundlage einer solchen Regelung ist aber, daß es sich um die wirklich echte Teilnahme der Arbeitnehmer des betreffenden Betriebes handelt und daß diese nicht sozusagen aus dem Betrieb, aus dieser Vertretung in ihrem Betrieb nahezu ausgeschlossen werden. Mitbestimmung in wirtschaftlichen Dingen, wie es von der SPD und teilweise von der CDU gewünscht wird, ist nur dann möglich, wenn gleichzeitig als Korrelat eine entsprechende Mitverantwortung vorhanden ist.
({1})
Deshalb glauben wir, daß das Endziel der Entwicklung der Beteiligung des Arbeitnehmers an
dem Betrieb, in dem er arbeitet, in dem er groß
({2})
geworden ist, darin zu sehen ist, daß er in einer Form finanziell mitbeteiligt wird und dadurch als Mitgesellschafter zu seinem kleinen Anteil Mitbestimmung, zusammen mit seinen anderen Arbeitskollegen, Mitbeteiligung am Gewinn hat, daß er natürlich auch Mitträger der Verantwortung ist. Eins ohne das andere ist nicht möglich.
Diese Verhandlungen sind also im Gange, und mitten hinein kommt dieses Gesetz. Dieses Gesetz enthält so viele Mängel, und sein Zustandekommen ist derart belastet, daß es, um es gleich von vornherein zu sagen, für uns in dieser Form unannehmbar ist.
({3})
Erstens. Nach dem Entwurf dieses Gesetzes kommen die Arbeitnehmer also solche praktisch ja überhaupt nicht zur Geltung. Von den elf Aufsichtsratsposten werden ganze zwei, nämlich einer mit einem Arbeiter und einer mit einem Angestellten, aus dem Betrieb besetzt. Die fünf insgesamt, die vorgesehen sind, abzüglich der genannten zwei, werden nach Vorschlagslisten der „zuständigen Spitzenorganisationen", wie es im Gesetz heißt, besetzt. Überhaupt kommt dieses Wort „Spitzenorganisation" in diesem Gesetz sechsmal vor, soweit ich gezählt habe. Wir haben hier die Besonderheit, daß plötzlich ein privater Verband als eine gesetzliche Institution in die Gesetzgebung eingeführt wird.
({4})
- Warten Sie erst mal ab! Es kommt noch mehr.
({5})
Auf diese Weise wird erreicht, daß die Arbeitnehmer des Betriebes selbst praktisch noch keine 20% Beteiligung im Aufsichtsrat haben, während sie nach unseren Vorschlägen 30% hätten haben können.
({6})
Auf der anderen Seite aber tritt die Spitzenorganisation in Funktion, die, wie es im Gesetz so schön heißt, für diesen Betrieb zuständig ist. Wer bestimmt die Zuständigkeit? Darüber findet sich nichts im Gesetz. Es steht also im Gesetz drin: die zuständige Spitzenorganisation besetzt ungefähr die Hälfte der zustehenden Aufsichtsratsposten, besetzt praktisch den Posten eines Vorstandsmitgliedes allein, nämlich den des Arbeitsdirektors, weil er ja ohne sie nicht gewählt, ohne ihre Zustimmung nicht abberufen werden kann, und sie wirkt bei der Besetzung der übrigen Vorstandsposten gleichberechtigt mit. Das bedeutet im Aufsichtsrat eine 50%ige, im Vorstand eine mehr als 50%ige Beteiligung der Gewerkschaft.
({7})
Das ist eine Mitbeteiligung der Gewerkschaften,
aber es ist keine Mitbeteiligung der Arbeitnehmer.
({8})
Zum zweiten folgt daraus, daß für diese Spitzenorganisation, die so oft im Gesetz erwähnt wird, praktisch ein Monopol geschaffen wird.
({9})
In einer Zeit, die monopolfeindlich ist, in der gerade von Ihrer Seite gegen die Monopole angegangen wird, werden hier für eine bestimmte Gewerkschaft Monopole geschaffen.
Es ist doch eine Farce, meine Damen und Herren, wenn die Generalversammlung einer Aktiengesellschaft die Hälfte der Aufsichtsratsposten auf Grund einer Liste wählen muß, die ihr vorgelegt ist, d. h. sie wählt nicht, sondern sie gibt nur Brief und Siegel zu einer Ernennung, die schon in der Vorschlagsliste stattgefunden hat.
({10})
Das ist eine Farce; das ist keine freie Wahl mehr. Das ist etwas, was uns an vergangene Zeiten und Möglichkeiten und an Vorgänge in der Ostzone erinnert.
({11})
Und nun weiter zur Frage des Monopols der Gewerkschaften! Wo bleiben denn die christlichen Gewerkschaften? Wo sind die Angestelltenvertretungen?
({12})
- Bitte sehr, die Angestelltengewerkschaft hat sich schon darüber beschwert, daß sie dabei zu kurz gekommen ist.
({13})
Meine Damen und Herren, ich höre aus den Reihen der sozialdemokratischen Fraktion den Ruf „Bundesnachtwächter". Ich nehme an, ich habe richtig verstanden. Ich kann nicht feststellen, von wem der Ausdruck kommt. Ich weise ihn zurück, wenn er sich auf den Redner bezogen haben sollte.
({0})
Herr Präsident, ich fühle mich dadurch nicht beleidigt. Aber ich habe den Wunsch an die Herren, die Zwischenrufe machen, wenn sie glauben, daß meine Ausführungen so leicht zu widerlegen sind, es dann doch zu tun und nicht durch Zwischenrufe zu stören.
({0})
Das Monopol der Gewerkschaften in dem Betrieb habe ich also geschildert. Es kommt hinzu, daß die gleiche Spitzenorganisation in sämtlichen Betrieben, auf die sich dieses Gesetz bezieht, nun überall das gleiche Monopol hat, so daß wir praktisch zu einer Kartellisierung der Aufsichtsratssitze in der Hand dieser monopolistischen Gewerkschaft kommen.
({1})
Wir haben damit in einer Zeit, die von Entflechtung und Kartellauflösung redet, praktisch das Kartell der Manager.
({2})
Man kann, wenn man dieses Gesetz betrachtet, nur zu dem Schluß kommen, daß es sich hier um ein planmäßiges Vorgehen, nämlich um eine Eroberung der Macht nicht für die Arbeitnehmer des einzelnen Betriebs, sondern für eine Organisation handelt.
({3})
Nun eine weitere Frage als dritter Punkt. Wenn ich recht unterrichtet bin - ich habe Sie ({4}) im Sommer schon einmal gefragt und habe keine Antwort bekommen -, vertreten
({5})
Sie neben dieser Forderung auf das Mitbestimmungsrecht in der Form, wie es hier im Gesetz festgelegt ist oder wie es in dem Entwurf der SPD gefordert war; immer noch den Gedanken der Kommandoplanwirtschaft und den Gedanken der Sozialisierung der Betriebe.
({6})
Darf ich bitten, mir zu sagen - ich habe diese Frage im Sommer schon einmal gestellt -, ob mit der Mitbestimmung die beiden anderen Punkte erledigt sind oder nicht.
({7})
Und wenn sie nicht erledigt sind, was ich annehme,
({8})
- Gott sei Dank, daß Sie es sagen, Sie werden gleich die Antwort bekommen -, wenn sie nicht erledigt sind, gilt dann in den sozialisierten Betrieben auch noch das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer?
({9})
Ja oder nein?
({10})
- Meine Herren, ich habe von Ihnen keine Antwort bekommen.
({11})
Ich will Ihnen die Antwort aus dem Bundesrat geben. Im Bundesrat hat die hessische Regierung, die j a nunmehr bekanntlich völlig sozialistisch ist, einen Antrag gestellt, in dieses Gesetz die Bestimmung aufzunehmen: Das Gesetz findet keine Anwendung auf die nach Art. 41 der hessischen Verfassung in Gemeineigentum überführten Unternehmen.
({12})
Die Begründung dieses Antrags ist klassisch.
({13})
Die Begründung lautet: erstens die sozialisierten Betriebe in Hessen seien keine Aktiengesellschaft oder keine GmbH.; infolgedessen könne das Gesetz keine Anwendung finden.
({14})
Ich weiß nicht, ob die hessische Regierung etwa über diesen Weg andern den Weg weisen wollte, wie man dieses Gesetz umgehen kann.
({15})
Nun komme ich zu der Frage, die ich an Sie gestellt habe, zurück. Es heißt in der Antragsbegründung nämlich weiter:
Nach der ratio legis erstreckt sich der Anwendungsbereich des Gesetzes nur auf privatwirtschaftliche Unternehmen, bei denen ein Mitbestimmungsrecht eingeführt werden soll, so daß auf die bereits in Gemeineigentum überführten Unternehmen diese Bestimmungen keine Anwendung finden können.
Das heißt also: das Mitbestimmungsrecht, das ein solches Glück oder ein solcher Fortschritt - auch der Herr Bundeskanzler gebrauchte den Ausdruck „Fortschritt" ({16})
sein sollte, dieses Mitbestimmungsrecht, um dessentwillen man einen Streik herbeizuführen gewillt ist, kommt für sozialisierte Betriebe nicht mehr in Frage. Das ist der Kern der Dinge, und das ist die Antwort darauf!
({17})
Und wenn Sie die kommandierte Planwirtschaft haben, was geschieht dann mit dem Mitbestimmungsrecht? Dann ist es ausgeschaltet; denn wenn der kommandierte Plan von oben über diese oder jene Investierung, über diese oder jene Betriebsumstellung kommt, dann kann, wenn überhaupt die Kommandoplanwirtschaft funktionieren soll, niemand mehr von unten her mitbestimmen. Sie schlagen sich also mit Ihren eigenen Programmpunkten, einem nach dem andern.
({18})
Und zum vierten: Mitbestimmung in dieser Form in wirtschaftlichen Dingen ist eine Teilenteignung. Eigentum besteht im wesentlichen aus dem praktischen Innehaben des Besitzes, aus der Fruchtziehung, d. h. dem Genuß des Einkommens daraus und aus der Verfügungsmacht. Wenn diese Verfügungsmacht, wie ich geschildert habe, im Vorstand zu mehr als 5%, im Aufsichtsrat zu mindestens 50% genommen ist, dann liegt darin eine Teilenteignung;
({19})
denn es ist nicht ein Gesetz, das sich auf jedes Eigentum im Lande, in der Bundesrepublik bezieht, sondern es ist ein Gesetz, das sich nur auf bestimmte Betriebe bezieht und daher in dieser Fassung den Charakter einer Teilenteignung hat. Nach Art. 14 Abs. 3 des Grundgesetzes ist eine Teilenteignung wie jede Enteignung jedoch nur im Interesse des Allgemeinwohls möglich und zulässig. Daß hier von Allgemeinwohl keine Rede sein kann, wenn zugunsten einer bestimmten Organisation Positionen geschaffen werden, ist klar.
({20})
Im Art. 14 Abs. 3 heißt es weiter, daß eine Entschädigung gezahlt werden muß, die im Gesetz festzulegen ist. Ich stelle fest, daß von einer derartigen Entschädigung im Gesetz keine Rede ist.
({21})
Ich stelle demgemäß fest, daß dieses Gesetz insofern gegen das Grundrecht des Art. 14 verstößt. Es ist demgemäß, wenn es angenommen wird, verfassungswidrig.
({22})
Fünftens ein grundsätzliches Wort zu den Interessentenverbänden. Wir sind nicht nur durchaus dafür - ich glaube, ich brauche kein Wort darüber zu verlieren: ganz gleich, von welcher Seite die Interessentenverbände kommen! -, daß sie da sind und ihre Tätigkeit ausüben; wir begrüßen genau wie jeder andere ihr Wirken. Wir sind auch damit einverstanden und freuen uns darüber, wenn ihre Vorschläge, ihre Anregungen, ihre Kritik an uns herangetragen werden. Aber eine Einigung zwischen zwei Interessentenverbänden ist nun nicht etwas, was der Bundestag einfach wie ein Notar mit Brief und Siegel zu versehen hätte!
({23})
Ein derartiger Zustand ist völlig ausgeschlossen. Das ist die Aushöhlung der Demokratie
({24})
({25})
und ist die Wegnahme der Entschlußfreiheit des Parlaments;
({26})
denn das Parlament ist der Vertreter des gesamten Volkes, aller Schichten der Bevölkerung, auch der Verbraucher - und damit stimme ich meinem Herrn Vorredner zu -; der Verbraucher wird ja bei den Abkommen der Interessentenverbände meist zu kurz kommen. Es ist unmöglich, daß die Interessentenverbände, mögen sie so mächtig sein, wie sie wollen, durch ein Übereinkommen hier dem Parlament etwas diktieren wollen. Wir sind auf demokratische Weise gewählt, wir sind die Vertreter des gesamten Volkes. Wir sind nicht Vertreter, die an Instruktionen und Anweisungen gebunden sind,
({27})
und wir haben demgemäß darüber zu bestimmen im Interesse der Allgemeinheit und nach den Grundsätzen des Allgemeinwohls und nicht des Wohls einzelner Interessenten!
({28})
Und zum sechsten: Ich habe bereits einmal zitiert, daß die einzige Begründung dieser Gesetzesvorlage den Satz enthält: „Die Vorgeschichte darf ich als bekannt voraussetzen". Sie ist allerdings bekannt. Das Wesentliche dieser Vorgeschichte besteht in der Streikdrohung.
({29})
Einer der Herren Vorredner hat davon gesprochen, daß auch der Bauernverband einmal Drohungen ausgesprochen habe. Was ich für die Zukunft anschließend zu sagen habe, bezieht sich nicht nur auf die Streikdrohung, unter deren Druck dieses Parlament gesetzt worden ist und noch steht,
({30})
sondern es bezieht sich auf jeden Eingriff, den irgendein Interessentenverband einmal wagen wird, wobei ich aber hinzufüge,
({31})
daß die Äußerung des Vorsitzenden des Bauernverbandes auf etwas ganz anderes abzielte,
({32})
nämlich auf die Gründung einer besonderen Bauernpartei.
({33})
Ganz gleich also, was damit gemeint ist, die Streikdrohung liegt fest. Die Streikdrohung ist nicht nur wörtlich ausgesprochen, es haben Urabstimmungen und Kündigungen stattgefunden. Als die Einigung zwischen den sogenannten Interessentenvertretern - von seiten der Arbeitgeber waren ja überhaupt keine legitimierten Interessentenvertreter vorhanden -,
({34})
als diese sogenannte Einigung erfolgt war, wurde nach wie vor erklärt - ich glaube, es war der Herr Kollege Dr. Schumacher, der das tat -, daß man immer noch Gewehr bei Fuß stehe. Dieses Gewehrbei-Fuß-Stehen bedeutet, daß diese Streikdrohung aufrechterhalten wird und daß der Druck, der damit auf das Parlament ausgeübt wird, nach wie vor besteht. Ein Streik ist zur Durchsetzung politischer Maßnahmen unrechtmäßig. Als Staatsnotstandsakt kann ein Generalstreik rechtmäßig sein, wenn er
zum Schutz der Verfassung dient, aber dieser Streik, der hier proklamiert worden ist, dient nicht der Aufrechterhaltung der Verfassung, sondern er unterhöhlt die Verfassung, weil er dem Parlament die freie Willensentschließung nehmen will.
({35})
Der Herr Bundeskanzler hat in seinem an Herrn Dr. Böckler gerichteten Brief von Ende Dezember 1950, den er vorhin selbst zitierte, sehr mit Nachdruck auf diese Tatsache hingewiesen. Vielleicht darf ich darauf verweisen, daß in einem Gesetz auch eine derartige nachdrückliche Ahndung eines solchen Vorgehens enthalten ist. Ich verweise auf den § 105 des Strafgesetzbuches. Er besagt: Wer es unternimmt, eine gesetzgebende Versammlung des Reiches oder eines Bundesstaates zur Fassung oder Unterlassung von Beschlüssen zu nötigen usw., wird mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft.
({36})
Meine Damen und Herren! Ich kann zu meinem Bedauern
({37})
- ich kann zu meinem Bedauern nur konstatieren, daß Sie gegenüber einer Gesetzesbestimmung, die heute noch in Kraft ist, lachen. Die Rechtsprechung ist - ({38})
- Je mehr Sie brüllen, um so weniger ist der einzelne zu verstehen - von Ihnen, meine ich!
({39})
Mich interessiert die strafrechtliche Auslegung und
die Anwendung dieser Bestimmung keineswegs.
Mich interessiert nur die Feststellung der Tatsache,
daß eine gesetzliche Bestimmung vorliegt, die es
verbietet, ein Parlament in dieser Weise, wie es
geschehen ist und immer noch weiter geschieht,
unter Druck zu setzen. Dagegen verwahren wir uns.
({40})
Ein Gesetz, daß in dieser Weise, nämlich unter Druck zustande gekommen ist, ist verfassungswidrig und nach unserer Auffassung null und nichtig!
({41}) Jedenfalls lehnen wir es ab, unter einem solchen Druck ein Gesetz zu beschließen.
({42})
Es genügt vollkommen, wenn die bisher eingeleiteten, seit dem Sommer des vergangenen Jahres laufenden Verhandlungen über das Mitbestimmungsrecht weitergeführt werden.
Eine Ausschußberatung dieses Gesetzes lehnen wir ab. Sollte das Haus trotzdem eine Ausschußberatung beschließen, dann kommt angesichts der vorgetragenen Tatsachen in erster Linie eine Beratung durch den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht oder durch den Ausschuß zum Schutze der Verfassung in Frage.
({43})
Meine Damen und Herren! Ich kann mir vorstellen und habe es auch aus den Worten meines Vorredners entnommen, daß angesichts der Tatsache
({44})
des Drucks, den diese- Streikdrohung herbeigeführt hat, sehr viele ernstlich mit sich gerungen haben: Sollen wir dieser Drohung stattgeben und ihr folgen, oder sollen wir uns im Interesse der Aufrechterhaltung der Demokratie, im Interesse der Aufrechterhaltung der Entschlußfreiheit dieses Hauses dem widersetzen? - Es ist sicher bei ihnen allen die Frage aufgetaucht, auch bei der Regierung: Was kommt danach? - Ich möchte glauben, daß sich die SPD bei ihrer traditionellen Demokratie und bei ihrer Hochachtung der Werte des Parlaments diese Frage auch ernstlich überlegt hat;
({45})
denn ich habe noch die Worte in Erinnerung, die der Herr Kollege Carlo Schmid bei der Interpellation über das Verhalten des Herrn Ministers Erhard ausgesprochen hat und die ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten durch Vorlesen Ihnen in Erinnerung rufen darf. Er sagte:
Es geht darum, daß dieses Haus bei der Aussprache über diesen Antrag und bei der Abstimmung über ihn einmal zeigen kann, wie es sich selber einschätzt, welchen Begriff es von seinen Funktionen hat und wo es seinen politischen Ort im Koordinaten-System der Verfassung der Bundesrepublik sieht.
({46})
-Warten Sie doch ab! Wie wir gestimmt haben und was wir zum Ausdruck gebracht haben, können Sie jedenfalls aus der Rede des Herrn Euler von damals entnehmen. Es war unmißverständlich. Aber wer so bei dieser Gelegenheit über die Würde und die Autorität des Parlaments gesprochen hat, der muß auch in einem Augenblick, wo das Parlament durch Streikdrohung unter Druck gesetzt werden soll, darauf achten und mitwirken, daß die Autorität des Parlaments und seine Freiheit aufrechterhalten werden.
({47})
Und dann, meine Damen und Herren, wenn Sie glauben, sie seien nach dieser Streikdrohung schon um alles herum, meldet sich schon die Gruppe Chemie, meldet sich schon die Transportgewerkschaft, die Rheinschiffahrt und will das Gesetz auf sich ausgedehnt haben. Soll jedesmal eine Streikdrohung folgen? Wollen Sie jedesmal nachgeben? Wollen Sie provozieren, daß nun auch andere Interessentenverbände mit ähnlichen Druckmitteln vorgehen? - Nein, meine Damen und Herren, so geht es nicht. Wir dürften aus der vergangenen Zeit - wenn wir etwas gelernt haben - eines gelernt haben, nämlich daß Recht vor Macht und Recht vor Gewalt geht. Deshalb haben wir, die wir uns diese Dinge ernstlich überlegt haben, auch nach dem alten Spruch gehandelt, der da lautet:
({48})
Der eine fragt: Was kommt danach? Der andre fragt nur: Was ist recht?
Und also unterscheidet sich
Der Freie von dem Knecht!
({49})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Semler und nach ihm der Abgeordnete Dr. Henle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Freunde von der ChristlichSozialen Union haben mich gebeten, Ihnen einige wenige grundsätzliche Bemerkungen zu der Vorlage vorzutragen. Wir haben mit erheblicher Sorge und großem Bedauern die Begleitumstände vermerkt, unter denen dieses Gesetz zustande gekommen ist, mit um so größerem Bedauern, als meine Freunde durchaus geneigt sind, den Grundzügen dieses Gesetzes zuzustimmen. Diese Haltung datiert nicht von gestern oder heute. Wir haben vor Jahren, im Jahre 1946, in unserer bayerischen Verfassung einen Satz niedergelegt, der lautet:
Die Arbeitnehmer haben bei allen wirtschaftlichen Unternehmungen ein Mitbestimmungsrecht in den sie berührenden Angelegenheiten sowie in Unternehmungen von erheblicher Bedeutung einen unmittelbaren Einfluß auf die Leitung und die Verwaltung der Betriebe.
In Verfolg dieser Verfassungsbestimmung haben wir ein Betriebsrätegesetz verabschiedet, das dem Zweck dienen sollte, innerhalb des Betriebes das Verhältnis zwischen Unternehmer und Arbeitnehmern stabil auf eine gesunde Grundlage zu stellen.
Wenn nunmehr in dem Bereich von Stahl und Kohle als in zwei Industriegruppen von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung über das normale Mitbestimmungsrecht hinaus eine Sonderregelung für die Verwaltung vorgeschlagen ist, so könnten wir uns mit diesem Gedanken befreunden, wenn damit eine Vertretung der Arbeitnehmer dieser Betriebe klar zum Ausdruck gekommen wäre. Wir bedauern, daß den Gewerkschaften in dem vorliegenden Entwurf ein Einfluß auf die Besetzung der Posten in der Verwaltung eingeräumt ist, der uns nicht angemessen erscheint, nicht weil wir die Bedeutung der Gewerkschaften im Gebiete der Wirtschaft unterschätzen wollen. Auch da haben wir in Bayern im Rahmen des Senats sehr frühzeitig eine Regelung gefunden, die den Gewerkschaften volle Parität sichert. Aber hier liegt es anders. Auch in diesen Teilgebieten Kohle und Stahl scheint uns der maßgebende Gesichtspunkt der zu sein, daß die Arbeitnehmerschaft der Betriebe selbst zum Zuge kommen muß.
({0})
Wir räumen den Arbeitnehmern gern das Recht ein, sich mit der Gewerkschaft zu beraten. Wir haben auch Verständnis dafür, daß die Arbeitnehmerschaft im einen oder anderen Fall den Wunsch hat, eine nicht dem Betrieb zugehörige Person in den Aufsichtsrat zu entsenden. Aber das Maß, das hier der Gewerkschaft in der Bestimmung der Mitglieder der Verwaltung eingeräumt ist, scheint uns nicht angemessen, und wir werden den Ausschuß bitten, diese Frage einer Überprüfung zu unterziehen.
({1})
Unter den Aufgaben, die das Gesetz den Organen - dem Aufsichtsrat und dem Vorstand - zuweist, lesen wir, daß die Mitglieder des Aufsichtsrats unter Berücksichtigung des Gemeinwohls zum kann überhaupt nicht gedeihen, wenn nicht eng der zum Unternehmen gehörigen Betriebe zu handeln haben. Wir sind damit durchaus einverstanden. Aber wir vermissen, daß diese Organe in Betrieben, die sich noch in der Privatsphäre befinden, auch die Interessen der Besitzer wahrzunehmen haben. Wir bleiben unveränderlich auf dem Standpunkt des Schutzes des Privateigentums.
({2})
Wir wünschen, daß über dieses Gesetz weder direkt
noch indirekt, weder bewußt noch unbewußt, die
Besitzer der Unternehmungen - seien es private
({3})
Unternehmer, seien es die Aktionäre - mehr oder weniger enteignet werden könnten.
({4})
Wir gehen nicht so weit, daß wir, wie es mein Herr Vorredner tat, in diesem Gesetz ein verfassungsänderndes Gesetz erblicken. Dieser Auffassung vermögen wir uns nicht anzuschließen. Wir haben aber den Wunsch, daß bei der Aufgabenstellung an die Organe dieser Unternehmungen, gerade wenn hier die Parität zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern niedergelegt ist - die wir bejahen -, unmißverständlich zum Ausdruck kommt, daß die Verwaltung eines Unternehmens die Pflicht hat, genau so wie für die Arbeitnehmer auch für die Besitzer des Unternehmens zu sorgen. Wir werden diese Bemerkungen und noch einige andere im Ausschuß vorbringen. Im ganzen haben wir den Wunsch, daß dieses Gesetz in einer Form von diesem Hause verabschiedet wird, die uns gestattet, ohne Druck, aus freiem Herzen eine Regelung zu treffen, die sich in der Zukunft bewähren möge.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Henle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war an sich nicht meine Absicht, in diese Debatte einzugreifen, weil ich persönlich an den Verhandlungen mit den Vertretern der Gewerkschaften als Sachverständiger beteiligt gewesen bin. Es würde mir schlecht anstehen, nun nachträglich, sei es als Verteidiger, sei es als Kritiker des dabei erzielten Ergebnisses aufzutreten. Da mich meine Fraktionskollegen aber trotz Würdigung dieses Umstandes dringlich gebeten haben, zu dieser Frage als ein Mann zu sprechen, der um das Drum und Dran schließlich doch vielleicht etwas mehr Bescheid weiß als so mancher andere, will ich mich diesem Wunsche nicht verschließen, zumal ich finde, daß wir nicht nur unsere Aufmerksamkeit den uns vorliegenden Texten zuwenden sollten, sondern den Blick auch etwas in die Vergangenheit richten und an die Zukunft denken müssen. Unter diesen Gesichtspunkten kann ich vielleicht in der Tat einiges sagen, was für die Würdigung des uns beschäftigenden Entwurfs nützlich sein mag.
Zunächst also kein kurzer Blick in die ziemlich häufig, aber keineswegs immer zutreffend zitierte Vergangenheit. Schon zu Beginn des Jahres 1946 fanden unter dem Vorsitze des damaligen Oberpräsidenten, Herrn Dr. Lehr, mehrere vertrauliche Besprechungen zwischen bekannten Männern der Montanindustrie und namhaften Vertretern der Gewerkschaften statt, um eine gemeinschaftliche Linie zur Überwindung des damaligen Wirtschaftschaos zu finden. In diesen Verhandlungen spielte die Frage des Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechts der Arbeitnehmerseite im Bergbau und in der eisenschaffenden Industrie eine wichtige Rolle. Wenn auch die damaligen Verhandlungen zu einer Verständigung nicht geführt haben, so sind sie doch nicht nutzlos gewesen. Sie haben vielmehr führende Männer auf beiden Seiten persönlich einander nähergebracht und haben die gegenseitigen Auffassungen zu wichtigen wirtschaftlichen und sozialen Problemen klargelegt.
Auf diese Verhandlungen konnte zurückgegriffen werden, als im Herbst 1946 die britische North German Iron and Steel Control unter Mitwirkung der in ihrem Auftrage handelnden Treuhandverwaltung die große „Entflechtungsaktion" in der Eisenwirtschaft in die Wege leitete. Die betroffenen Unternehmungen der Eisenwirtschaft haben gegen diese Entflechtungsmaßnahmen, die sie für wirtschaftlich unzweckmäßig und ungeeignet hielten, nachdrücklich Stellung genommen. Sie hofften, in dieser Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften einig gehen zu können, um so zu einem besseren als dem eingeschlagenen Wege zu gelangen. Die zunächst betroffenen Unternehmungen: die Gutehoffnungshütte, die Firma Otto Wolff und die Klöcknerwerke, haben damals in einer gemeinsamen ausführlichen Eingabe vom 21. 1. 1947 an das Verwaltungsamt für Wirtschaft ihren Standpunkt dargelegt und dabei auch ihre Bereitwilligkeit zum Ausdruck gebracht, der Arbeitnehmerseite sehr weitgehende Mitwirkungsrechte bei der Neuordnung der eisenschaffenden Industrie einzuräumen. Vorher hatte u. a. bereits der Aufsichtsratsvorsitzer der Klöcknerwerke, Herr Dr. Jarres, am 18. Januar 1947 diese Bereitwilligkeit gegenüber der Einheitsgewerkschaft in Köln, zu Händen von Herrn Dr. Böckler, zum Ausdruck gebracht und dabei eine entsprechende Umbildung des Aufsichtsrats vorgeschlagen.
Wir hatten gehofft, auf diese Weise gemeinsam mit den Gewerkschaften die ganze Neuordnung auf zweckmäßiger Grundlage durchführen zu können. Wir bleiben der Auffassung, daß, wenn damals ein solches Zusammengehen zustande gekommen wäre, der deutschen Montanwirtschaft der kostspielige und nach unserer Meinung vermeidbare Leidensweg der Entflechtungen erspart worden wäre. Aus diesen Erwägungen ist damals von Unternehmerseite das weitgehende Angebot gemacht worden. Leider hat die Gewerkschaftsseite dieses Angebot abgelehnt, womit es hinfällig wurde, wie das übrigens von Gewerkschaftsseite auch anerkannt worden ist.
({0})
Trotz dieses Scheiterns des damaligen Verständigungsversuchs haben sich die alten Gesellschaften, obwohl in den Aufsichtsräten nunmehr in die Minderheit gedrängt, fast durchweg in den Organen der neugebildeten entflochtenen Werke in sachlicher Mitarbeit betätigt. Die Unternehmerseite stand auch weiterhin dem Gedanken der Mitwirkung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Grundindustrien durchaus positiv gegenüber. Dieser unserer grundsätzlichen Haltung habe z. B. auch ich in der Aufsichtsratssitzung des entflochtenen Hüttenwerks Haspe am 12. Februar 1947 Ausdruck gegeben und die Bereitschaft ausgesprochen, auf dem Gebiete der Beteiligung der Arbeitnehmer an der Leitung der Betriebe neue Wege zu beschreiten. Wie dieses Mitbestimmungsrecht im einzelnen aussehen sollte, mußte naturgemäß näheren Überlegungen und Verhandlungen vorbehalten bleiben, wobei dann auch die Erfahrungen zu berücksichtigen blieben. die zwischenzeitlich bei den entflochtenen Gesellschaften und Betrieben gemacht wurden.
Von seiten der eisenschaffenden Industrie ist auch weiterhin nach dem Fortgange der Entflechtungsaktionen der Versuch gemacht worden, zu einer Verständigung mit den Gewerkschaften zu gelangen. Insbesondere hat Herr Dr. Jarres in einem Schreiben vom 18. Juni 1947 an Herrn Dr. Böckler neue Anregungen gegeben und einen weiteren Meinungsaustausch vorgeschlagen. Auf diesen Brief ist trotz mehrfacher mündlicher Erinnerung
({1})
von meiner Seite keine Antwort erfolgt. In der allerneuesten Zeit haben weitere Besprechungen führender Herren der Kohle- und Eisenindustrie mit Beauftragten des Herrn Dr. Böckler stattgefunden, um entsprechende Verhandlungen vorzubereiten. Es wurde dabei ein Termin für eine gemeinsame Besprechung mit Herrn Dr. Böckler festgelegt; dieser Termin ist dann unter den Tisch gefallen, weil tags darauf die Streikankündigung der Gewerkschaften erfolgte,
({2})
und damit die ganze Angelegenheit auf eine andere Ebene geriet. Als dann kürzlich auf die Initiative des Herrn Bundeskanzlers hin Sachverständige von Kohle und Eisen aufgefordert wurden, mit der Gewerkschaftsseite unter der Führung der Bundesregierung in Besprechungen einzutreten, haben wir uns von der Unternehmerseite im Hinblick auf die ungemein kritische Lage solchen Verhandlungen nicht entzogen. Unserer Auffassung nach hätte es zur Erzielung einer Verständigung einer solchen Streikdrohung dabei bestimmt nicht bedurft. Das Ergebnis, das bei diesen Verhandlungen erzielt worden ist, hat dann zur Grundlage des Gesetzentwurfes gedient, der jetzt diesem Hause vorliegt.
So viel, meine Damen und Herren, möchte ich zur Vorgeschichte der ganzen Frage sagen. Daraus ergibt sich, glaube ich, daß die eisenschaffende Industrie in der Frage des Mitbestimmungsrechts die verflossenen Jahre hindurch eine folgerichtige Haltung bewahrt und immer wieder Verständigungsbereitschaft bekundet hat. Ihre Wortführer deshalb zu verunglimpfen, wie dies vielfach geschah und erst kürzlich noch z. B. im „Rhein-Echo" eine Spitzenleistung erreichte, dazu liegt deshalb wahrlich kein berechtigter Anlaß vor, und derartiges unterbliebe wohl besser, ebenso wie verunglückte Interviews gleicher Tendenz, noch dazu mit ausländischen Zeitungen.
({3})
Doch nun zu dem erzielten Ergebnis selbst. Es läßt sich natürlich kritisieren, und auch ich persönlich bin nicht über jede der Formulierungen glücklich, auf die man sich schließlich geeinigt hat. Aber das ist schließlich bei jedwedem erzielten Kompromiß so. Wenn ein Hinausgehen über bestimmte Grenzen zu einem Abbruch der Verhandlungen vor der einen oder anderen Seite mit allen schwerwiegenden Folgen führen muß, verständigt man sich besser; denn diese Folgen auf sich zu nehmen. hätte niemand verantworten können. Nachher Kritik zu üben, ist dann Sache der anderen. und kein Unterhändler wird diesen anderen das Recht dazu schmälern wollen; denn die Zeiten, in denen jede Kritik verboten war, sind hier hei uns jedenfalls Gott sei Dank vorüber. Ich will auch keineswegs sagen, daß ich die Kritik an den Begleitumständen. unter denen das Verhandlungsergebnis erzielt wurde, nicht auch meinerseits teilte. und die Gedanken, die hierzu unter anderem mein Fraktionskollege Herr Sabel vortrug. scheinen mir durchaus am Platze zu sein. Ich möchte jedoch zum Ausdruck bringen, daß das in den Besprechungen erzielte Ergebnis in seinen wesentlichen Zügen ein äußerstes Entgegenkommen der Unternehmerseite dargestellt hat, von dieser aber auch meines Erachtens verantwortet werden kann,
({4})
zumal dazu von allen Seiten eindeutig klargestellt
worden ist, daß die in Aussicht genommene Regelung des Mitbestimmungsrechts in dieser Weise sich
lediglich auf die eisenschaffende Industrie und den Kohlenbergbau bezieht und kein Präjudiz für die sonstige Wirtschaft bedeutet.
Nun noch einen Blick in die Zukunft! Es ist wohl klar, daß das vorgesehene neue Regime in den Gesellschaften der Grundindustrien nur dann ersprießlich arbeiten kann, wenn von der Unternehmer- wie von der Arbeitnehmerseite her auch der aufrichtige Wille zu einvernehmlicher Zusammenarbeit aufgebracht und betätigt wird.
({5})
Das ist die Voraussetzung, mit der dieses Regime steht oder fällt. Denn keine Gesetzesparagraphen vermögen die Lücken zu füllen, die fühlbar werden müssen, sobald das Erfordernis des guten Willens auf der einen oder anderen Seite fehlt. Meinungsverschiedenheiten können und werden sich immer wieder ergeben. Fortan aber sollen - und das ist ja vielleicht das Wichtigste auf dem neuen Wege, der nun beschritten werden soll - die Gesellschaftsorgane bei den Grundindustrien selbst so zusammengesetzt sein, daß schon in ihrem Schoße der Ausgleich erzielt werden kann, wo immer dies nötig ist, so daß es dann erst recht keiner Mobilisierung sogenannter Kampfmittel bedarf, die in den ernsten Zeiten, die wir durchleben, die Gesamtwirtschaft in Deutschland an den Rand des Verderbens bringen müssen, wenn sie wirklich je angewandt werden sollten. Gewiß ist das ganze ein neuartiger und kühner Versuch, und so faßt auch die Welt draußen die Sache auf. Sie steht dem Wagnis teils skeptisch, teils hoffnungsvoll gegenüber.
({6})
Aber die Erwartung kann doch wohl als berechtigt gelten, daß dieser Versuch glücken wird, womit sich dann die so beschlossene Neuregelung, sofern ihr der Bundestag die gesetzliche Untermauerung zuteil werden läßt, als ein Markstein erweisen würde, auf dem Wege zur Erreichung des Arbeitsfriedens, dessen wir in Deutschland so dringend bedürfen.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte meine Ausführungen in dem Sinne verstanden wissen, daß jede weitere Verschärfung dieser Frage vermieden wird.
({0})
Meine politischen Freunde können sich bei ihrer sozialpolitischen Konzeption auf eine alte Parteitradition berufen.
({1})
- Ja, eine alte Parteitradition. Die Deutsche Partei beruht auf einer Tradition, die alle sozialen Schichten umfaßte. Neben dem Grafen Bernstorff saß der einfache Landarbeiter.
({2})
- Jawohl, wir sind der Auffassung, daß Deutschland in einem gemäßigten Sinne zu regieren ist. Wir werden alles, was einer gesunden Evolution dienen kann, unterstützen. Gerade in unserer notvollen Gegenwart brauchen wir die Faktoren, die zur Integration beitragen. Unser soziales Konzept und unser Ziel ist der soziale Frieden. So-gemäßigt und ohne Aufregung wir diese Dinge betrachten möchten, so sind wir uns doch über die grundsätzliche Tragweite dessen, was hier geschehen ist und geschehen soll, vollkommen im klaren. Es hat in der Politik bei allem Willen zur Verständigung kei({3})
nen Sinn, mit seiner klaren Meinung hinter dem Berg zu halten. Ich habe den Auftrag, dieser Meinung im Namen meiner politischen Freunde hier Ausdruck zu geben.
Wir sind davon überzeugt, daß als Folge des letzten Krieges, dieser unerhörten Niederlage, ein Zusammenbruch unserer gesellschaftlichen Ordnung eingetreten ist. Unsere Demokratie und unser Staat sind in eine Vermassung hineingeraten. In dieser Vermassung liegt eine der wichtigsten Ursachen unserer nationalen Erkrankung. Es muß alles getan werden, um aus diesem Zustand herauszukommen. Der Weg, der von der Organisation der Gewerkschaft eingeschlagen worden ist, führt aber nach unserer Auffassung auf eine Bahn, die konsequent durchdacht, in einem totalitären Staatssystem enden muß.
({4})
Die Konzentration solcher Macht würde nicht nur auf wirtschaftlichem, nicht nur auf dem gesamten sozialen Gebiet, sondern auch auf dem politischen Gebiet ein Monopol ergeben, wie es die Geschichte bisher noch nicht gekannt hat; selbst die Massenorganisationen der Einheitsparteien totalitärer Staaten würden Waisenknaben gegenüber den Konsequenzen und Möglichkeiten sein, die in diesen Plänen stecken.
({5})
Das muß einmal klar und deutlich gesagt werden. Der Herr Vorredner, Herr Kollege Becker, hat mit klassischer Präzision die Punkte aufgezeigt, die hier kritisch zu erwähnen wären. Wir stimmen ihm in diesen Punkten zu.
Ich möchte nicht alle Einzelheiten wiederholen; aber das eine steht fest - und diese Frage haben wir uns vorgelegt -: Was hat denn nun eigentlich der Arbeiter in dem einzelnen Betrieb von dem, was hier organisiert werden soll? Eine vernünftige Betriebsleitung wird immer in allen technischen und auch in wirtschaftlichen Fragen sehr eng mit der Belegschaft zusammenarbeiten. Ein Betrieb kann überhaupt nicht gedeihen. wenn nicht eng zusammengearbeitet wird. Das Hineinregieren von großen Massenorganisationen in die Betriebe hat Konsequenzen, die unabsehbar sind. Der Einfluß der Arbeiter wird ja auf diese Weise beiseite geschoben, er hat keinerlei Kontakt mehr; es wird ein Ringen mit betriebsfremden Elementen einsetzen, das die gesamte Wirtschaft in ihrem Grundgefüge erschüttern kann. Dinge, bei denen Entschlüsse notwendig sind, die das Vertrauen des einen zum andern erfordern, die die Gesundheit der Beziehungen zwischen der Leitung des Betriebes und der Belegschaft voraussetzen, werden zerredet werden. Der Streitapfel wird in das Ganze hineingeworfen. Das sind Gefahren, die man klar erkennen muß. Hier findet eine Fernlenkung statt, die die Wirtschaftsverfassung in ihren Grundlagen verändert. Es ist mir fraglich, ob bei konsequenter Anwendung dieses Gesetzes dann noch eine freie Marktwirtschaft möglich ist.
Nun, ich will die Dinge nicht überspitzen; ich will nicht alles, was darin stecken kann, bis ins Letzte ausmalen. Gewiß, das alles hängt vom guten Willen, von der Vernunft ab; und letzthin muß Vernunft uns alle leiten. Aber wir haben uns von Anfang an - ich möchte das auch in dieser Stunde noch einmal sagen - mit aller Klarheit gegen das Funktionärtum ausgesprochen, ohne dabei kleinlich von einem Job zu sprechen, der dem einen oder anderen verschafft werden soll. Dazu sind diese Dinge viel zu ernst. Wenn es dabei bleibt, wird sich das Bild ergeben, daß manch ein Arbeitsdirektor mit den übrigen Vorstandsmitgliedern vollständig einverstanden ist, jedoch sagen wird: ja, meine Herren, es tut mir leid, aber ich habe die und die Anweisung und kann nicht nach meinem Verstande handeln! Diese Gefahren sind nicht zu leugnen.
Zur Monopolisierung zugunsten der Spitzenorganisation hat Herr Kollege Becker schon das Erforderliche gesagt. Ich kann mich darauf beziehen.
Ein weiterer Punkt ist die Frage der Größenordnung. Bei diesem Gesetz wird es sehr wesentlich darauf ankommen, in welcher Größenordnung man es Anwendung finden lassen will, ob der Maßstab von 1000 oder 300 oder einer sonstigen Zahl von Belegschaftsmitgliedern hier maßgebend sein kann oder ob ein anderes Verfahren der Bestimmung der Größenordnung gefunden werden muß. Das soll den Beratungen im Ausschuß vorbehalten bleiben.
Abschließend noch ein Wort über die Gründe dafür, daß wir mit großer Sorge diesem Gesetz gegenüberstehen! Das ist die Geschichte seines Zustandekommens. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn ich behaupte, daß die Streikandrohung, um durch dieses Gesetz eine völlige Änderung der Wirtschaftsverfassung zu erringen, eine politische Streikandrohung allergrößten Ausmaßes gewesen ist, daß es die Androhung eines Streiks mit dem Ziel war, geradezu den Staatsumsturz zu erreichen.
({6})
- Jawohl! Für die Regierung war hier ein Moment größter Verantwortung gekommen, und das Verfahren, das die Regierung angewandt hat, um die Reste der Autorität des Staates noch zu retten, die hier noch zu retten waren, kann nur gebilligt werden. Wir stehen auch heute noch in einer schweren Staatskrise. In Anbetracht der sonst von den Gewerkschaften in manchen kritischen Situationen unseres Landes gezeigten . Einsicht haben meine politischen Freunde es nicht verstanden, daß man ausgerechnet im gegenwärtig außen- und innenpolitisch so schwierigen Zeitpunkt zu diesem gefährlichen Mittel hat greifen wollen. Damit ist etwas in die Welt gesetzt worden, an dem diese Verfassung und diese erst werdende Demokratie scheitern kann. Herr Professor Schmid, der gegenwärtig amtierende Präsident, hat einmal gesagt, daß man den Zustand der Vermassung nur durch die großen Massenorganisationen wieder in eine Neuordnung hineinzubringen vermöge. Ich war erstaunt, von Herrn Kollegen Schmid diese sehr pessimistische Feststellung zu hören. Denn das, was er da gesagt hat, ist eigentlich genau dasselbe, was die Vertreter der sogenannten fortschrittlichen, der sogenannten Volksdemokratien auch immer behaupten. Der gesamte Vorgang, der sich hier abgespielt hat, hat für den Kenner der Verhältnisse ein ostzonales Odeur.
({7})
Wir haben nur die Hoffnung, daß man sich auch
innerhalb der Gewerkschaft über gewisse Kräfte
klar wird und ernsthaft versucht, diese Kräfte, soweit sie sich geltend machen sollten, los zu werden.
({8})
- Ich habe das Recht, hier die Meinung meiner
politischen Freunde - es ist nicht nur meine persönliche Meinung - darzulegen. Wir hören uns
auch geduldig das an, was Sie uns zu sagen haben.
({9})
({10})
Bei den Absprachen ist ausdrücklich gesagt worden, daß es sich um eine Ausnahmeregelung, um eine Begrenzung auf Kohle und Stahl handelt. Heute meldet sich die Chemie, morgen melden sich die anderen. Die Gewerkschaften selber - ich glaube, es war Dr. Grosse in seiner Rede Ende Dezember - haben gesagt: Dies alles ist nur ein Anfang, das Grundziel bleibt für uns die Sozialisierung. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Land gesund bleibt und zu einem wirklichen sozialen Frieden kommt, wenn man diese Fragen weiterhin in einer derartigen Kampfstimmung und Kampfsituation ablaufen läßt. Meine politischen Freunde werden darauf bestehen: das Rückgrat einer gesunden Demokratie ist die Unabhängigkeit des Parlaments, und die Interessentenhaufen - denn darauf läuft es doch hinaus
({11})
haben alle, wer es auch sei, vor den Toren es Parlaments die Bannmeile zu respektieren. Damit diese Fragen, die hier zu einem sehr ernsten Komplex geworden sind, gründlich untersucht werden, beantragen wir die Überweisung dieser Vorlage an den Ausschuß zum Schutze der Verfassung.
({12})
Wir sind nicht gewillt, diese Entwicklung weiterhin im Unklaren zu lassen. Hier muß eine Klärung der Auffassung über die Grenzen des politischen Streiks gefunden werden. So geht es jedenfalls nicht weiter. Wir haben keine Lust, uns mit der Verantwortung für eine Entwicklung zu pelasten, die dann mit Demokratie nichts mehr zu tun hat.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Seelos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierung hat sich .damit begnügt, bei der formalen Seite dieses Gesetzes zu bleiben. Wir hätten Wert darauf gelegt, über das, was der Herr Arbeitsminister Storch angedeutet hat, etwas zu hören, nämlich über den Zweck oder Unzweck dieses Gesetzes.
({0})
Einige Vorredner sind schon in die Materie dieses Gesetzes eingedrungen. Wir können die Gesetzesvorlage nicht ernst genug nehmen. Es ist ein Gesetz von einer historischen Bedeutung.
({1})
In den nächsten Monaten werden wir noch weitere Aktionen der Gewerkschaften erleben. Herr Dr. Henle hat angeführt, daß damit keine Präjudizierung künftiger Verhandlungen stattfinden solle. Nach dem Willen der Gewerkschaften ist dieses Gesetz aber nur der Anfang. Niemand anders als der Gewerkschaftsführer Herr Böckler selber hat angekündigt: „Die übrigen Wirtschaftszweige werden folgen müssen, das Erreichte ist nur eine erste Bresche." Also wir in Deutschland
({2})
nehmen im Gegensatz zu allen anderen Ländern
der Welt ohne Vorbereitung, ohne Erprobung eine
tiefgehende Änderung unserer Wirtschaftsverfassung vor, als ob wir uns das so leicht leisten können.
({3})
Es ist richtig, man könnte sagen, in Notzeiten sind schon immer Reformen geschehen; auch Stein hat in einer sehr bedrängten Zeit die Bauernbefreiung durchgeführt. Wir leben in ähnlichen schweren Notzeiten, wir stehen unter der Bedrohung des Kommunismus aus dem Osten.
({4})
Brauchen wir vielleicht jetzt auch eine Arbeiterbefreiung, von der doch in der Terminologie der Gewerkschaften so sehr die Rede ist? Man verwendet die Worte: „Man sollte die Arbeiter vom Objekt zum Subjekt machen!", „Wir wollen die Demokratisierung der Wirtschaft!" und ähnliche weitere Schlagworte.
({5})
Wir wollen prüfen, ob das Gesetz das enthält, was man angekündigt hat, nämlich den Fortschritt, oder ob es nicht den Fortschritt der Sozialisierung bedeutet.
Ist das Gesetz denn aus dem natürlichen Recht zu begründen? Die Gewerkschaften beziehen sich so gern auf die Entschließung des Katholikentages in Bochum, in der es heißt: Das Mitbestimmungsrecht gehört zu dem natürlichen Recht in gottgewollter Ordnung und ist zu bejahen wie das Recht auf Eigentum. Wir wissen aber, daß die obersten kirchlichen Stellen schon längst von dieser Fehlauslegung abgerückt sind.
({6})
Das widerspricht einem der ersten christlichen Grundsätze, daß nämlich der Eigentümer der Produktionsmittel der Herr seiner wirtschaftlichen Entschlüsse bleiben muß. Durch das vorliegende Gesetz wird die Freiheit der Entschlüsse des Eigentümers so weitgehend eingeengt, daß es eben auch gegen den Eigentumsbegriff verstößt.
Oder wird etwa der Lohn des Arbeiters durch diese Vorlage verbessert? Wir glauben, daß das in einer freien Wirtschaft - z. B. in der freien amerikanischen Wirtschaft, wo der Arbeiter gegenüber der Zeit vor dem Kriege eine Verbesserung seines Lohnes um 50 und 60 % erzielen konnte - eher zu erreichen ist als in einer Wirtschaft, deren Rendite durch Eingriffe von betriebsfremden Elementen herabgesetzt wird. Also das ist auch in dieser Beziehung nicht im Interesse der Arbeiter.
Oder ist denn der Arbeiter ein hilfloses Objekt der Wirtschaft? Ist er, wie hier in der Debatte gesagt worden ist, so ohne jeden Einfluß? Da müssen wir sachlich feststellen: Wir haben doch das Betriebsrätegesetz! Mein bayerischer Kollege hat eben schon festgestellt, daß wir in Bayern mit Zustimmung der Gewerkschaften ein ausgezeichnetes Betriebsrätegesetz haben,
({7})
das eine weitgehende, auch wirtschaftliche Mitwirkung der Arbeiter vorsieht.
({8})
- Brüllen Sie doch in der Ostzone, das wäre vielleicht eher verständlich!
Haben die Arbeiter nicht hundertfach in der obersten politischen Ebene ihr Wahlrecht und ihre Möglichkeiten, zu den Parlamenten ihre Stimme abzugeben? Sogar in hundertfacher Weise gegenüber den Montanunternehmern? Also auch hier keinerlei Benachteiligung. Es ist keine Beteiligung des Arbeiters in dem Sinne erforderlich.
({9})
Ist der Arbeitgeber etwa unsozial? Auch die Arbeitgeber haben zu 90 und 95 °Io die Zeichen der Zeit verstanden und verwenden energisch ihre ganze Energie darauf, ihre Betriebe zu sichern und für die Arbeiter ihrer Betriebe in einer Weise zu sorgen, daß sie gegen die Gefahren und Verlockungen des Kommunismus gefeit sind.
({10})
Oder lehnen etwa die Unternehmer die Mitbestimmung ab? Wir wissen doch alle - das ist hier aus berufenem Munde gesagt worden -: Sie stimmen dem sozialen Mitbestimmungsrecht und dem personellen Mitbestimmungsrecht zu. Allerdings sind bei dem wirtschaftlichen Mitbestimmungsrecht gewisse Einschränkungen gemacht, daß dies eben nur aus einer Mitwirkung bestehen soll. Fürwahr, es ist nötig, hier gewisse Entwicklungen und Erfahrungszeiten abzuwarten, und wenn sich eine Entwicklung erprobt, dann kann man auf evolutionärem Weg weitergehen.
Weiter fragt man sich: Hat die Unternehmerfunktion versagt, so daß die Arbeiter mit Recht versuchen, sich hier durchzusetzen? Wenn wir die Aufbauleistungen der Unternehmerschaft in den letzten vier Jahren sehen, dann kann man beim besten Willen das nicht als Grund angeben. Wenn es irgendwo nicht funktioniert oder wenn es zum Beispiel im Kohlenbergbau nicht so gut funktioniert hat, dann ist meines Erachtens der Treuhänder daran schuld und nicht der eigentliche Unternehmer, der Besitzer der Kohlengruben.
Ich muß allerdings sagen: Wenn die Unternehmerschaft von ihrem ureigensten Rechte so sehr überzeugt ist, wenn sie nun glauben mußte, daß durch dieses Gesetz ein entscheidender Eingriff in ihre Urrechte erfolgt, dann hätte man wirklich eine andere Abwehr und einen anderen Widerstand erwarten müssen, als bisher zu bemerken war. Vor allem haben aber die Industriellen bis auf wenige Ausnahmen keine persönlichen Konsequenzen gezogen. Es ist bedauerlich, daß die Unternehmerschaft keine starke eigene Initiative entwickelt hat und daß sie sich nicht viel konstruktiver durch Abmachungen mit der Arbeiterschaft in ihren eigenen Betrieben vorgewagt hat, um sie aus dieser Einheitsfront herauszubrechen. Sie hat sich vielfach nur mit der Abwehr des Gewerkschaftsvorstoßes begnügt.
Wir betrachten vor allen Dingen den Ausgangspunkt des Vorgehens der Gewerkschaften als so verhängnisvoll. Es haben sich eben gewisse nationalsozialistische Begriffe tief in das Bewußtsein des deutschen Volkes eingegraben;
({11})
so z. B., daß der Bauer gar nicht mehr Eigentümer seiner Scholle, sondern nur der Treuhänder für das Volk ist, und daß der Industrielle nicht mehr der Eigentümer seines Betriebes, sondern auch nur der Treuhänder gegenüber dem Volke ist. Aus dieser Denkart kommen wir aber auch zu einer Zerstörung der Grundlagen des Eigentums.
Nun sagt man: Ja, das ist doch ein tatsächlich bestehender Zustand; die Militärregierung hat doch die Arbeiterschaft mit der Mitbestimmung in den Montanbetrieben beauftragt. - Glaubt man denn, daß vor vier Jahren die Militärregierungen um der deutschen Arbeiter willen das Mitbestimmungsrecht eingeführt haben? Nein, das haben sie getan, um die deutsche Unternehmerschaft der Montanindustrie zu schädigen, diese Industrie zu zerstören und wettbewerbsunfähig zu machen.
({12})
Das ist einer der Gründe, warum das geschehen ist. Und so kommen wir zu dem bedauernswerten Ergebnis, daß NS-Denken und Morgenthauideen bei diesem Gesetz Pate gestanden haben.
({13})
Die Gesetzesbestimmungen zeigen - das hat Herr Becker im einzelnen ausgeführt, das brauche ich also nicht auch noch zu erzählen -, daß es sich hier nicht um die Arbeiter, sondern um die Macht der Gewerkschaften handelt. Die Arbeiter haben aber nichts davon, wenn betriebsfremde Leute ihr Schicksal bestimmen und wenn die kenntnisreichen eigenen Manager durch betriebsfremde Manager der Gewerkschaften ersetzt werden.
({14})
Es ist doch eine bekannte Tatsache, wie schwer das Nachwuchsproblem der Unternehmerschaft ist und daß die Unternehmer sehr dankbar sind, wenn sie geeignete Manager finden, ganz gleichgültig, aus welcher Volksschicht sie kommen, um einen Betrieb ordnungsgemäß und gut zu führen. Glaubt man nun, daß die Gewerkschaften so aus dem Handgelenk Hunderte von Leuten hervorzaubern, die in diesen Betrieben wirklich sachverständig wirken können? Wir bezweifeln das. Es handelt sich - das ist schon wiederholt mit Nachdruck hier gesagt worden, und wir unterstreichen das - um eine unerhörte Machtanballung der Gewerkschaften,
({15})
die einen tiefgehenden Eingriff in die Wirtschaft bedeutet.
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Es ist interessant, daß gerade die frühere Machtanballung der Industrie angegriffen und gesagt wird: die geistige Anpassung dauert eben lange, und daß man bei Gott nichts anderes findet als nur wieder eine Machtanballung der Gewerkschaften, um durch sie die frühere Machtanballung der Unternehmer zu ersetzen.
({17})
Aber wir haben es doch schon erlebt, daß diese Machtanballungen der Gewerkschaften nicht immer so standfest waren, sagen wir, im Kapp-Putsch, sagen wir, bei der Machtergreifung des nationalsozialistischen Regimes 1933;
({18})
da haben sie sich nicht so bewährt. Wenn Sie nun bedenken, daß die Gefahr einer Neutralisierung Deutschlands drohen kann und daß die ostzonalen Einflüsse sich in einer zentralen Gewerkschaftsdiktatur viel stärker durchsetzen werden, dann können Sie sich vorstellen, wie leicht wir durch die einheitliche Umreißung der Kommandostelle wieder in einen Urgrund des Unheils versinken werden.
({19})
Es ist auch interessant festzustellen, daß die eigentliche Aufgabe der Gewerkschaften, nämlich die Arbeiterinteressen zu wahren, sehr gefährdet ist, wenn sie nun in die Betriebsverwaltung gehen und sich mit Planungsaufgaben, die zweifellos kommen werden, beschäftigen und mit irgendwelchen Eingriffen in die Wirtschaft, mit dem Vorgehen gegen mißliebige Wirtschaftler, die ihnen nicht zu Willen sind. Das eröffnet bittere Perspektiven!
({20})
Ich sehe aber eine besonders große Gefahr darin, daß die Gewerkschaften ganz offen angekündigt haben, sie inszenierten diesen Streik auch wegen seiner politischen Möglichkeiten. In dem Gewerkschaftsbrief vom 15. Dezember - ich bin ein eifriger Leser der Gewerkschaftsbriefe ({21})
heißt es:
Entscheidend sind für die Forderungen der Gewerkschaften in Deutschland aber auch die politischen Gründe.
Damit hat man die Katze aus dem Sack gelassen. Bald soll der Streik um die Vollbeschäftigung kommen, dann kommt der Streik um rein politische Forderungen. Mit diesen Streikdrohungen will man an die Macht.
Damit kommen wir zu der Art und Weise des Vorgehens der Gewerkschaften, auf die meine Vorredner schon eingegangen sind, so daß ich mir dazu fast jedes Wort ersparen kann. Jedenfalls, wenn man für dieses Gesetz um Vertrauen wirbt, so kann die Art und Weise, in der es hier eingeführt worden ist, nicht zu Vertrauen verlocken.
Mein Vorredner, Herr von Merkatz, hat schon darauf hingewiesen, daß die Streikdrohung in einem entscheidenden Augenblick unserer nationalen Existenz erfolgt ist. Bedenken Sie, gewissenlos hätte man es auf sich genommen, angesichts der nahezu 2 Millionen Erwerbslosen, die wir ohnehin schon haben, noch hunderttausende durch den Streik direkt und weitere hunderttausende indirekt durch die Folgen dieses Streikes auf die Straße zu jagen! Ferner hat man sich nicht gescheut, den Beifall des Ostens zu erzielen,
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dem diese Radikalisierung der Forderungen der Gewerkschaften nur sehr angenehm sein kann.
({23})
Die Sozialdemokratie ist hier gleich den Gewerkschaften, da sie den Beifall des Ostens in solcher Weise gefunden hat.
({24})
Ferner ist diese Streikdrohung vor der Viermächtekonferenz erfolgt, die über das Schicksal Deutschlands entscheiden soll, in einem Zeitpunkt, in dem es unter Umständen darum geht, daß Amerika seine Hilfe und Unterstützung für Westdeutschland zurückzieht.
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Ich will nicht auf die Verweigerung von Auslandskrediten eingehen. Da gebe ich dem Vorredner der SPD recht, der sagte: schließlich kommt es auf die Rendite an. Ich bezweifle allerdings, ob diese Rendite noch so attraktiv sein wird, daß Auslandskapital nach Deutschland strömt, was auch wiederum nur dem deutschen Arbeiter schaden wird.
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Schließlich kann man auch eine Gefährdung des Schumanplans in den Bereich der Möglichkeit rücken, wenn Sie dieses Mitbestimmungsrecht allmählich in allen Industriezweigen durchsetzen werden.
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Das Entscheidende aber ist der Eingriff in die demokratische Parlamentvertretung, die damit zu
Jasagern deklariert wird, wie wir sie aus der Vergangenheit kennen.
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Die SPD kann diese Methode nicht billigen, solange sie in ihrem Namen auch das Wort „demokratisch" hat.
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Die Gewerkschaften täuschen sich auch, und die SPD täuscht sich mit ihnen in der Beurteilung eines solchen möglichen Streikes durch die Bevölkerung. Bei entsprechenden psychologischen Gegenmaßnahmen wäre es bestimmt zu einer schweren Vertrauenskrise gegenüber den Gewerkschaften gekommen, und Sie können sich beim Herrn Bundeskanzler dafür bedanken, daß er Sie vor diesem Debakel bewahrt hat!
Hiermit kommen wir zum Verhalten der Regierung gegenüber den Forderungen der Gewerkschaften. Die Regierung geht allerdings bei ihrer Stellungnahme von einigen Fiktionen aus,
({30})
nämlich einmal von der Fiktion, daß das nur eine einmalige Vorlage sei. Nach den maßgebenden Äußerungen aus Gewerkschaftskreisen, die wir gehört haben, sind wir der Ansicht, daß das nur der Anfang einer Entwicklung ist, und deshalb wehren wir uns so sehr dagegen. Ferner geht die Regierung von der Fiktion aus, es habe sich hier um Gleichberechtigung bei den Besprechungen gehandelt, während in Wirklichkeit die Verhandlungen doch unter Druck stattgefunden haben. Herr Böckler hat in einer Rundfunkansprache am Abend des 30. Januar - dem denkwürdigen Tag der Machtübernahme ({31})
erklärt: Man kann überhaupt nicht von Siegern und Besiegten sprechen. Am gleichen Tage hat er allerdings vor der Bergbaugewerkschaft gesagt, zwar sei ein Kampf gewonnen, aber die Gewerkschaften würden weitere Kämpfe zu bestehen haben.
({32})
Welcher Herr Böckler hat nun recht? Und ist das noch eine ehrliche Wirtschaftspolitik?
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So muß man jedenfalls fragen, wenn Derartiges am gleichen Tage geschieht.
Trotzdem aber habe ich volles Verständnis für die Haltung der Regierung, denn sie muß schließlich abwägen, welche Folgen schlimmer gewesen wären,
({34})
wenn sie entweder dieses Gesetz vorlegte oder in den drei bis vier Wochen Streik ein weitgehendes Chaos heraufbeschwor.
({35}) Die Gewerkschaften waren in ihrem Vorgehen wahrhaft kühle, ich möchte sagen, diabolisch kühle Rechner. Sie konnten auf ein Nachgeben der Regierung rechnen, weil sie nicht annehmen konnten, daß die Regierung so verantwortungslos sein würde, die Folgen dieses gewissenlosen Streikes auf sich zu nehmen.
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Wir bedauern das Vorgehen der Gewerkschaften vor allem auch deshalb, weil es eine Ohrfeige für alle die Unternehmer ist, die sich mit ihrem ganzen
4452 Deutscher Bundestag - 1 1
({37})
Sein für die Existenz ihres Betriebes und für das Wohl und Wehe ihrer Arbeiter eingesetzt haben.
({38})
Es kann daher leicht schädlich wirken, wenn gerade solche Unternehmer nun so verärgert werden, daß sie dann nicht mehr so im Interesse ihres Betriebes arbeiten, der ja nun von außen her gelenkt wird, daß sie also nicht mehr alles für das Wohl der Arbeiter tun.
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Ich darf daher zusammenfassen: Wir können dieser Gesetzesvorlage nicht zustimmen, weil sie einen Angriff gegen das Eigentum bedeutet, weil sie eine Schädigung der echten Arbeiterinteressen ist, weil sie eine Machtanballung der Gewerkschaften zur Folge hat, weil sie die Autorität des Parlaments in entscheidender Weise schwächt,
({40})
weil sie ein Verstoß- gegen die Demokratie ist, weil sie eine staatspolitische Revolution ist.
({41})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wessel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zentrumsfraktion möchte zu dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Mitbestimmung der Arbeiter im Bergbau und in der Eisenindustrie nicht im einzelnen Stellung nehmen. Die grundsätzliche Haltung meiner Fraktion habe ich bereits bei der Frage der betrieblichen Mitbestimmung in der 80. Sitzung dieses Hohen Hauses dargelegt.
Aus der Auffassung der Achtung und der Sicherung der Personenwürde des gemeinschaftbezogenen Menschen halten wir eine echte Mitwirkung des Arbeiters in der Wirtschaft für eine der Voraussetzungen der Neugestaltung unserer Gesellschafts- und Sozialordnung. Das Wirtschaftsprogramm der Zentrumspartei enthält die Forderung, daß alle in der Wirtschaft beschäftigten Menschen in paritätischer Zusammenarbeit, ganz gleich, ob sie in leitender oder in ausführender Funktion arbeiten, an der Regelung der gemeinsamen Angelegenheiten mitwirken, in voller Verantwortung vor dem eigenen Berufsstand, vor der gesamten Wirtschaft und dem ganzen Volke. Aufgabe der öffentlichen Gewalt - und darum geht es jetzt in diesem Hohen Hause bei der Frage der Mitbestimmung - bleibt es, bei einer solchen Neugestaltung der wirtschaftlichen Funktionen allgemeine, für alle gültige Regelungen festzulegen und dafür zu sorgen, daß die Gerechtigkeit im gegenseitigen Verhältnis nicht verletzt wird und die Notwendigkeiten des Gemeinwohls stets gewahrt werden. Diese Notwendigkeiten des Gemeinwohls bestimmen auch Ordnung und Ablauf des Wirtschaftsgeschehens. Sie können deswegen nicht einseitig von den Leitern der Betriebe und Organisationen bestimmt werden. Aus der Anerkennung des Gemeinwohls, das auch oberstes Gesetz der Wirtschaft sein muß, ist dem Bundestag das Gesetz zur Mitbestimmung vorgelegt worden; andernfalls hätte es nur einer gemeinsamen Regelung der Sozialpartner bedurft.
Von dieser grundsätzlichen Einstellung zur Mitbestimmung aus bewerten meine politischen Freunde und ich den uns vorliegenden Gesetzentwurf. Wir stellen fest, daß es sich beim Bergbau und bei der Stahl- und Eisenindustrie vorwiegend um Betriebsformen handelt, von denen der größte Teil der Mitglieder dieses Hohen Hauses wohl der Auffassung ist, daß sie im Hinblick auf die Tatsache, daß die Anlage und der Betrieb dieser Grundstoffindustrien regelmäßig mit der Zusammenballung großer Kapitalien und mit unpersönlichen Betriebsformen verbunden ist, für die Durchführung der Mitbestimmung am ehesten reif sein dürften.
Ich möchte im Auftrag meiner politischen Freunde mit der gleichen Klarheit wiederholen, was ich in meiner Rede am 27. Juli 1950 gesagt habe: In allen überschaubaren Klein- und Mittelbetrieben, wo die menschliche Nähe von Meister und Geselle, von Unternehmer und Belegschaft eine tägliche Aussprache und Mitbestimmung darstellt, in all den Fällen also, in denen das Ich-und-DuVerhältnis in Ordnung ist, bedarf es nach der Überzeugung der Zentrumsfraktion keiner durch das Gesetz bestimmten Form der Mitbestimmung. Das gilt insbesondere auch für die Landwirtschaft. Nur dort, wo der Betrieb zu groß ist, wo er zu unübersichtlich ist, bedarf das Mitbestimmungsrecht einer gesetzlichen Regelung. - Ich möchte diese Auffassung meiner Fraktion bei der Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfs nochmals aussprechen, um damit Auffassungen zu begegnen, als ob das Mitbestimmungsrecht jetzt wahllos bis in den kleinsten Betrieb durchgeführt werden soll. Ich glaube, die Arbeiter und Gewerkschaften würden sieh bei einer solchen Auffassung vom Mitbestimmungsrecht selbst den schlechtesten Dienst erweisen.
({0})
Es ist eine alte Weisheit, daß ein richtiger Grundsatz durch eine falsche Anwendung eine andere als die beabsichtigte Wirkung erzielt. Und weil wir einen breiten und kräftigen Mittelstand für einen Stabilitätspfeiler der Gesellschaft halten, darum möchten wir ihn vor allen nicht notwendigen und nicht gerechtfertigten Eingriffen bewahren. Er bietet auch in gesellschaftlicher und volkswirtschaftlicher Hinsicht alle Möglichkeiten, unser Volk vor jener Verdichtung, Vermassung und Verproletarisierung zu bewahren, wie sie die großbetriebliche Konzentration mit sich gebracht hat.
Eine zweite Feststellung möchte ich zu den §§ 3 und 5 des vorliegenden Gesetzentwurfs machen. Die Zentrumsfraktion hat bei der Beratung der dem Hohen Hause von der CDU und der SPD vorgelegten Gesetzentwürfe zum Mitbestimmungsrecht den Standpunkt eingenommen, daß die Ausübung des Mitbestimmungsrechtes von seiten der Arbeitgeber nicht durch betriebsfremde Personen erfolgen sollte. Betriebseigentümer und Belegschaft sind die beiden Faktoren, die den Betrieb tragen. Sie müssen deshalb auch die Vollzieher des Mitbestimmungsrechts sein.
({1})
Die Voraussetzung für einen echten Erfolg des Mitbestimmungsrechtes ist doch das Zusammenwachsen von Unternehmer und Belegschaft zu einer auf gegenseitigem Vertrauen begründeten und vom Arbeitsfrieden bestimmten Leistungsgemeinschaft. Wir würden es für die Durchführung des Mitbestimmungsrechts für verhängnisvoll halten, wenn durch die im Gesetz vorgesehene Regelung nicht eine Entpolitisierung des Betriebes und damit eine Ausschaltung jeden Fremdeinflusses aus der betrieblichen Sphäre erfolgt. Es muß unter allen Umständen verhindert werden, daß der Betrieb zur
({2})
Plattform außerbetrieblicher Meinungskämpfe wird.
Damit komme ich zu einer weiteren Frage, die sich aus den §§ 3 und 5 ergibt. Es scheint uns notwendig zu sein, auch zu betonen, daß das Vorschlagsrecht der Spitzenorganisation der Gewerkschaften, auf Grund dessen die Arbeiter gewählt werden sollen, auch die Minderheiten, die durch andere Gewerkschaften, z. B. durch die Angestelltengewerkschaft, vertreten werden, berücksichtigen muß.
({3})
Hier sollte man eine Formulierung wählen, die etwa lauten könnte:
Die Gewerkschaften schlagen für den Aufsichtsrat die Vertreter in dem Verhältnis vor, in dem die einzelnen Gewerkschaften in dem Betrieb vertreten sind.
Meine Damen und Herren! Der Wunsch meiner politischen Freunde, daß das Mitbestimmungsrecht durch betriebsangehörige Personen ausgeübt werden sollte, resultiert auch aus der Auffassung, daß durch das Verschieben der Ebene, indem die Gewerkschaften nicht mehr die reine Funktion von Sozialpartnern gegenüber den Unternehmern ausüben, auch die Frage des Streiks und des Koalitionsrechts eine andere Basis bekommen könnte. Das möchte ich nur am Rande erwähnen, obwohl diese Frage von weitestgehender Bedeutung sein kann.
Damit komme ich zum Schluß. Aus diesen Darlegungen ersehen Sie, welche Bedenken meine politischen Freunde und ich zu dem vorliegenden Gesetzentwurf haben. Wenn wir trotz dieser Bedenken dem Entwurf im Grundprinzip zustimmen, so bedeutet das für uns auch eine politische Entscheidung, weil wir die von den Gesprächspartnern erreichte Einigung nicht zerschlagen möchten. Die in dem Entwurf vorgesehene Regelung bedeutet für uns aber keine Festlegung von Tatsachen hinsichtlich der Durchführung des Mitbestimmungsrechts in anderen Wirtschaftszweigen. Die heute noch ungeklärten Eigentumsverhältnisse bei Kohle und Eisen brachten es mit sich, daß keine echten Sozialpartner über die Mitbestimmung in diesen Wirtschaftszweigen verhandeln konnten. Auf der einen Seite waren die Gewerkschaften vertreten, auf der anderen Seite Persönlichkeiten, die vom Herrn Bundeskanzler vorgeschlagen worden sind, also nicht ausgesprochene Vertreter der Arbeitgeber oder der Arbeitgeberverbände. Auch diese Tatsache haben meine politischen Freunde in Anbetracht der politischen Bedeutung und Befriedung auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiete zurückgestellt, wenn sie für den Gesetzentwurf stimmen. Wie bei den bisherigen Beratungen über das Mitbestimmungsrecht lassen wir uns auch heute von dem Gedanken leiten, alles zur Erhaltung des Arbeitsfriedens im deutschen Volke zu tun, um damit zur wirtschaftlichen und sozialen Gerechtigkeit und zur Neuformung unserer Gesellschaftsordnung beizutragen. Damit hoffen wir, dem deutschen Volke wenigstens den inneren Frieden zu geben, nachdem uns der äußere Friede bis heute noch nicht gegeben worden ist.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ott.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Politische Reden, Debatten und darauf folgende Taten und Entscheidungen zwingen mich, eine Erklärung des Heiligen Vaters, Papst Pius XII., einleitend zu zitieren:
Was uns nicht nur als das größte Übel, sondern als die Quelle allen Übels erscheint, ist der Umstand, daß oftmals die Lüge die Wahrheit ersetzt und dann als Grundlage der Diskussion verwendet wird.
Wer anders spricht, als er innerlich denkt, ist so ein Lügner, auch auf politischem Gebiet.
({0})
Nichts wäre leichter, als Beispiele über Beispiele auf inner- und außenpolitischem Gebiete als Beweise für die Wahrheit dieses Ausspruches zu bringen. Dies sollte man ganz besonders bei der Diskussion unserer Gesetzesvorlage bedenken.
Je wichtiger ein Problem ist, desto mehr sollte man auch von den verschiedensten sachlichen Standpunkten ausgehen und das Problem beleuchten, um in gemeinsamer, verantwortungsbewußter, gewissenhafter Arbeit zu dem günstigsten Resultat zu kommen. Gerade unsere heutige Gesetzesvorlage dürfte nicht parteipolitisch gesehen werden, sondern nur von der Verantwortung für die Lebenserhaltung unseres ganzen Volkes. Nicht darf bei dieser Stellungnahme das Ohr des einen oder anderen Partners eine Rolle spielen, sondern das göttliche Recht für beide Teile.
Ich lehne den versklavenden Staatskapitalismus genau so entschieden ab wie den ausbeuterischen Privatkapitalismus. Dabei möchte ich aber vor den Schreiern gegen den Kapitalismus warnen; denn die meisten von ihnen haben es im Kampfe gegen den Kapitalismus zu Eigenkapital gebracht.
Der Monopolkapitalismus konzentriert den Reichtum in den Händen einiger weniger Kapitalisten, der Staatskapitalismus in den Händen einiger weniger Bürokraten. Das eine wie das andere läuft auf die Verproletarisierung der Massen hinaus, in der nicht mehr der einzelne Mensch gewertet wird und als einzelner Gewicht entsprechend seiner Leistung hat.
Der Sozialstaat dagegen in Wahrheit und Tat, durchdrungen von der christlichen Lebensauffassung, ist das Idealziel unseres politischen Wollens. Dieses Ziel schließt jeglichen Klassenkampf aus. Es sieht nicht eine Kaste der Arbeitgeber auf der einen Seite und der Arbeitnehmer auf der anderen. Allen Abgeordneten möchte ich das Studium der Enzykliken „Rerum novarum" und „Quadragesimo anno" als Grundlage für eine Stellungnahme zu dem heute behandelten Problem besonders empfehlen.
({1})
Jedem Menschen ist ein großer Reichtum von Gott geschenkt. Diesen Besitz soll er durch Fleiß und Tüchtigkeit vermehren. Dieses rechtmäßig erworbene Gut kann ihm niemand streitig machen. Das Privateigentum ist also ein göttliches Recht.
({2})
Dieses Recht ist allerdings beschränkt durch die Rücksicht auf das Gemeinwohl und die Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft. Die Eigentumsfreiheit muß ihre Ergänzung finden in der sozialen Gebundenheit.
Die Eigentumsvermehrung, die noch durch das Mittun anderer Menschen ermöglicht wird, kann aber eine derartige Größe erreichen, daß der Einzelne nicht mehr allein die ganze Verantwortung zur Erhaltung derselben tragen kann und darf. Je anonymer und unpersönlicher das Eigentum wird, desto weniger besteht ein Recht daran. Diese Mit({3})
arbeiter haben auch selbst zur Erhaltung ihrer eigenen Lebensexistenz das größte, unmittelbare Interesse an der Erhaltung und Weiterentwicklung dieses gemeinsam geschaffenen Besitztums.
({4}) Aus diesem Grunde müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Betriebsfamiliengemeinschaft als Schicksals- und Leistungsgemeinschaft bilden. Eine solche Betriebsfamiliengemeinschaft verhindert den ausbeuterischen Monopolkapitalismus ebenso wie das unmenschliche Kollektiv. Beides sind abzulehnende Wirtschaftssysteme, weil sie die Herabwürdigung des Individuums zum Leibeigenen oder Sklaven des einen oder anderen Partners bedeuten.
({5})
- Jawohl, Herr Renner. Konzentrierung des Reichtums in der angeführten Weise ist ein Unrecht, nicht nur an der Wolga, sondern auch am Hudson. Diese Gemeinschaft kann man aber nicht künstlich schaffen, am allerwenigsten unter dem Druck von Drohungen; denn damit erreicht man das Gegenteil. „Der Geist ist es, der lebendig macht", so heißt es schon in der Offenbarung.
({6})
Wenn die Arbeitgeber den Arbeitnehmern in den Verhandlungen in Hattenheim, Bonn und MariaLaach ihre Bereitschaft erklärt haben, den aktiv in den Betrieben tätigen Arbeitnehmern Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrecht auf sozialem, personellem und wirtschaftlichem Gebiet zu gewähren, so haben sie damit einen natürlichen, gesunden Weg zur Schaffung einer betrieblichen Familiengemeinschaft eingeschlagen, der nicht nur bei der eisen- und stahlschaffenden Industrie sowie im Bergbau, sondern in allen Betrieben gegangen werden möge.
Meine politischen Freunde und ich, die sich ganz besonders der Belange der Ärmsten der Armen annehmen, denen das Wohl der Arbeitnehmer Herzensangelegenheit ist, warnen vor einer Entwicklung, die diktatorisch mit Streikdrohungen Zustände herbeiführen möchte, die früher oder später zum Zusammenbruch der gesamten Volkswirtschaft führen werden. Man verweist so gerne auf die Vergangenheit und lehnt in Bausch und Bogen Gesundes und - hier mit Recht - Ungesundes ab, und auf der anderen Seite will man unter anderen Vorzeichen doch wieder erwiesene Gifte als Wein servieren.
Arbeitnehmer einer Betriebsgemeinschaft allein, aber niemals Funktionäre einer Organisation, die vielleicht gar keine Beziehungen zum Betrieb als solchem haben, können mitbestimmen. Daß sich die Arbeitnehmerschaft überparteilich zur Wahrung ihrer Rechte zusammenschließen darf, wird niemand bestreiten wollen; ja, wir empfehlen es sehr. Nun weiß aber auch der letzte objektiv urteilende Arbeiter, daß diese Organisation längst nicht mehr überparteilich ist. Für mich persönlich gibt es keinen Zweifel darüber, daß die heutige Arbeiterinteressenorganisation nicht mehr überparteilich und damit eine sehr gefährliche Angelegenheit für den demokratischen Staat ist. Ich habe den Mut, dies zu sagen, auch wenn ich morgen wieder ob meines Mutes angegriffen werden sollte.
({7})
Mitbestimmung bedeutet für mich und meine Freunde Mitverantwortung, Mittragen eines eventuellen Risikos, und es muß seine Krönung finden in der Mitbeteiligung am Gewinn, woran der Arbeiterschaft am meisten gelegen ist.
({8})
Den Arbeitgebern aber möchte ich den in diesem Hohen Hause ausgesprochenen Satz zurufen: „Habt Achtung vor dem Leben", indem ihr den Arbeitnehmern das gebt, worauf sie einen naturrechtlichen Anspruch haben, nämlich Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte auf sozialem, personellem und wirtschaftlichem Gebiet und Mitbeteiligung an jeglichem Reingewinn, der durch das Zusammenwirken von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Fleiß, Schweiß und Tüchtigkeit entstanden ist.
Zum Schluß zitiere ich aus der Denkschrift an die Gesetzgeber „Das Mitunternehmertum" von Gert Spindler den Satz: „Aufgabe des Gesetzgebers muß es sein, die Lösung zu suchen, die dem Zusammenwirken von Unternehmern und Arbeitnehmern im gleichen Betriebe gerecht wird und beide in einer Sozialordnung vereint, die alle an dem gemeinsam zustande gebrachten Wirtschaftsergebnis teilhaben läßt."
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Richter.
({0})
Meine Damen und Herren! Die Weltmachtgegensätze zwischen Moskau auf der einen Seite und Washington oder, wie man besser sagen würde, der Wallstreet auf der anderen Seite
({0}) haben sich wirtschaftlich gekennzeichnet durch den Kollektivismus auf der einen und durch den schrankenlosen Individualismus auf der andern Seite. Das hat sich mit aller Deutlichkeit in den Jahren 1945 bis 1948 in Deutschland ausgewirkt. Auf der einen Seite versuchte eine marxistisch geschulte Bürokratie
({1})
eine immer geringer werdende Produktion mit unwirtschaftlichen Mitteln zu verplanen und zu verreglementieren, d. h. also eigentlich, etwas zu verteilen, was schon gar nicht mehr da war,
({2})
und auf der andern Seite tobte sich der Schwarze Markt als reinste Form der individuellen Wirtschaftsgestaltung aus. Die Verplanung forderte förmlich dazu auf, die Ware, die noch vorhanden war, auf dem Schwarzen Markt verschwinden zu lassen; denn der Schwarze Markt nahm ja dem Arbeiter ebenso wie dem Unternehmer jegliches Interesse an einer Arbeitsleistung. Das einfachste war, vom Schwarzen Markt zu leben. Hundertprozentiger Marxismus
({3})
und eine Hydra an staatlicher Bürokratie können keinen Deut mehr verteilen, als vorhanden ist. Der Marxismus endet überall in einem Zwangssystem, schließlich mit der Todesstrafe als Antreibmittel.
Man darf die Verteilung auch nicht allein dem individuellen Egoismus überlassen, da er letzten Endes zum Kampf eines jeden gegen jeden führt
({4})
und der Unterlegene schließlich und endlich zum
Almosenempfänger wird. Es soll in keiner Weise
({5})
verurteilt werden, was der Staat und was die Kommunen an Sozialleistungen aufbringen, vorausgesetzt, daß diese Leistungen - wie bei Kriegs- und Arbeitsinvalidität - auf einer Leistung der Empfänger beruhen. Aber wenn die Sozialleistungen, die Renten heute zum Teil 50 bis 60 % erreichen, so ist es ein Zeichen dafür, daß die Wirtschaft nicht mehr in Ordnung ist.
Eine gesunde Wirtschafts- und Sozialpolitik muß deshalb zwei Forderungen stellen. Auf der einen Seite geht es darum, mehr zu produzieren, schon damit wir von außen her unabhängiger werden, und auf der anderen Seite handelt es sich darum, das, was geschaffen wird, auch gerecht zu verteilen.
({6})
Dem deutschen Volk muß beigebracht werden, und es muß auch in der Lage sein, es zu begreifen,
({7})
daß der eigene wirtschaftliche Aufstieg mit dem Aufstieg des ganzen Volkes auf wirtschaftlichem Gebiet identisch ist.
({8})
Deshalb sind unsere Forderungen hier, die wirtschaftliche Leistung des einzelnen rechtlich und in der Sozialordnung so zu gestalten, daß jeder einzelne als Träger einer Funktion in der Ganzheit steht. Diese Sozialisierung der Funktion beruht auf der rechtlichen Lösung der frage Gewinnbeteiligung und Mitbestimmung. Der rechtliche Anspruch an individueller Leistung ist an die sichtbare materielle Auswertung des Rechtsanspruchs in Form eines erhöhten Lohnes auf der einen Seite oder höherer Ausschüttung auf der andern Seite zu binden.
({9})
Es geht also in erster Linie darum, der menschlichen Arbeit in jeder Form die ihr zustehenden Rechte zu bewilligen.
({10})
Dazu ist aber notwendig, daß betriebsfremde Funktionäre ausgeschaltet werden, denn sie sind nur geeignet, die Verschärfung der Gegensätze herbeizuführen, die heute vorhanden sind.
Die Lösungsvorschläge, die die Gewerkschaften - bisher wenigstens - unterbreitet haben, gehen weitgehend von einer gewissen klassenkämpferischen Einstellung aus. Sie tragen den Stempel der Unternehmer- und Kapitalfeindlichkeit. Die Forderungen der Gewerkschaften führen somit zu einer kalten Sozialisierung. Die „New York Times"
({11})
brachte das kürzlich mit folgenden Worten zum Ausdruck:
Die deutschen Gewerkschaften haben die Bonner Regierung zu einer drastischen Neuordnung in der Industrie gezwungen, die im Namen der Wirtschaftsdemokratie als Heilmittel gegen Sozialismus und Kommunismus dargeboten wird, aber unzweifelhaft in die Richtung kalter Sozialisierung geht.
({12}) Das durch die Streikandrohung erzwungene neue Abkommen sichert den Gewerkschaftsführern einen fünfzigprozentigen Anteil an der industriellen Geschäftsführung zunächst bei Kohle, Eisen und Stahl, ohne daß sie oder ihre Verbände das finanzielle Risiko mittragen.
Dieses System, das die Produktionsmittel in privater Hand läßt, aber den Eigentümern die Kontrolle entzieht, nennt sich gewerkschaftliche Mitbestimmung. Es ist nicht eigentlich neu, aber nirgends bis zu jenem Punkt getrieben worden, der jetzt in Deutschland erwogen wird, und wenn es einmal dahin gebracht ist, könnten sich leicht ähnliche Bestrebungen in anderen westlichen Ländern verstärken. Bestenfalls könnte dieses System die Produktion steigern und den Arbeitsfrieden sichern. Es könnte aber auch zum Werkzeug werden, die Industriekontrolle in der Hand der Gewerkschaftsbürokratie zu zentralisieren. Dann würde nicht nur die Produktionsleistung sinken, es würde damit auch eine Minderheit zu politischer Mehrheit gelangen, die sich in den Wahlen nicht durchzusetzen vermag.
({13})
Genau so wie die eine Seite mit ihren unmäßigen Ansprüchen unsere Zustimmung nicht finden kann, so lehnen wir auch den aus starrem liberalistischen Denken stammenden Herr-im-Hause-Standpunkt als verwerflich ab; denn er verschärft ebenso die Gegensätze.
({14})
Das Eigentum ist bisher als etwas Beziehungsloses betrachtet worden, es hat aber eine Beziehung zur Gemeinschaft, und wenn es diese Beziehung zur Gemeinschaft nicht anerkennt, dann hat es keinen Rechtsanspruch mehr, den es heute noch maßgeblich anmeldet.
({15})
Hier kann meiner Überzeugung nach nur eines helfen: auf der einen Seite die Sicherung der Unternehmerinitiative und des Kapitalbesitzes und der Verantwortung und auf der andern Seite die vollberechtigte Wertung der menschlichen Arbeit. Diese Synthese kann nach meiner Überzeugung in der Betriebspartnerschaft gefunden werden. Die Anerkennung der Interessen der ersteren Gruppe führt zu einem Anspruch auf Sicherung des Kapitals, Gewinnbeteiligung durch Abschreibungen, Dividende usw.; auf der andern Seite aber bringt der Arbeitnehmer großes berufliches Können und betriebsnützliches Verhalten mit und verlangt daher auch eine ehrliche Bewertung dieses Kapitals. Damit ist von seinem Standpunkt aus zweifelsohne ein Recht auf Mitbestimmung vorhanden, aber dieses Mitbestimmungsrecht muß gipfeln in der Pflicht der Verantwortung für den Betrieb. Eine solche Anerkennung verlangt, daß das Arbeitsvermögen im Sinne einer ideellen Aktie ziffernmäßig bewertet und in seinen Rechten dem entsprechenden Kapitalanteil im Betrieb gleichgesetzt wird. Der Arbeitnehmer soll einen Grundlohn erhalten, den Dr. Holz einmal „Leistungsnahrung" nannte. Der Grundlohn zur Sicherung des Kapitals wurde von ihm „Kapitalnahrung" genannt. Darüber hinaus sollen Arbeiter wie Kapital
({16})
einen leistungsgerechten Ertragslohn erhalten. Die Leistungsnahrung muß sich nach den Lebenshaltungskosten richten.
Die Kosten für die Existenzsicherung der Arbeitskraft sowie für die Substanzsicherung des im Betriebe arbeitenden Kapitals kann man als Betriebskosten bezeichnen. Aus den Betriebsgewinnen aber sollen sich die Ertragslöhne für Arbeit und Kapital ergeben. So allein ist es möglich, die verderbliche Wirkung der Lohn-Preis-Spirale zu durchbrechen, denn der dem Arbeiter zuerkannte Ertragslohn
({17})
drückt jetzt nicht mehr auf die betriebliche Kostenrechnung. Diese Regelung sichert dem Arbeitnehmer vollen Anteil an allen Rationalisierungsmaßnahmen, technischen Verbesserungen, Erhöhung der Arbeitsleistung individueller und genereller Art, ohne daß man dazu klassenkämpferische Mittel verwenden muß.
({18})
So allein kann aber auch der Arbeiter sich als gleichberechtigtes Mitglied im Betriebe fühlen, der sich bewußt ist, daß letzten Endes von seinem Einsatz das Wohl seines Betriebes abhängt; and er sieht dann in dem Unternehmer nicht mehr den Ausbeuter, sondern den Chef, dessen Tüchtigkeit er anerkennt, dessen Können dem Arbeitnehmer die Möglichkeit gibt, sein Arbeitsvermögen praktisch einzusetzen und Nutzen davon zu ziehen. So ist meiner Überzeugung nach die Einheit des Betriebes möglich, wo Mitbestimmung aller Mitarbeiter nur nützlich sein kann.
Für das Mitbestimmungsrecht der Mitarbeiter aber gilt, zumal es aus dem Arbeitsvermögen resultiert, daß bisher im Aktienrecht ein recht guter Anhalt gegeben ist. Die Mitarbeiter des aus Arbeit resultierenden Anteils an der Produktion haben meiner Überzeugung nach die gleichen Ansprüche wie die Kapitalteilhaber. Die bisherigen Entwicklungen der Aktiengesellschaften zeigen, daß durch das aus Aktien herrührende Mitbestimmungsrecht weder die Initiative der Unternehmer noch die Verantwortungsfreudigkeit eingeschränkt wurde. Diese Art von Partnerschaft sichert sowohl dem Unternehmer und dem Kapital den ehrlichen Anteil und damit den Anreiz auf Betätigung im fortschrittlichen Sinne als auch dem Arbeiter die Gleichberechtigung durch Stimme und Teilhaberschaft, die nur als Gemeinschaftswerk aufzufassen ist.
Wenn wir uns heute überlegen, daß die Regierung doch mehr oder weniger durch einen Druck von der Straße her zu einer Gesetzesmaßnahme gezwungen wurde, dann, glaube ich, müssen wir uns nur einmal die Entwicklung der Wirtschaft und auch des Arbeitertums in Rußland vor Augen halten, um zu sehen, wohin der Weg auch hier geht, wenn diese Richtung weiterhin beibehalten wird.
({19})
1919 hieß es im kommunistischen Parteiprogramm: Die Gewerkschaften müssen dahin kommen, faktisch die gesamte Verwaltung der Volkswirtschaft als eines einzigen wirtschaftlichen Ganzen in ihren Händen .zu konzentrieren. Lenin sagte: Die Kontrolle über Arbeit und Verbrauch muß mit der Enteignung der Besitzenden beginnen, mit der Kontrolle der Arbeiter über die Besitzenden. Die Folge davon war ein Durcheinander in der Wirtschaft, keine geordnete Produktion, so daß man sich plötzlich umstellen mußte.
Lenin sagte später: Das Mitbestimmungsprinzip - so wie es damals gewerkschaftlich aufgefaßt wurde - führt bestenfalls zu einer enormen Kraftvergeudung und genügt in keiner Weise der Schnelligkeit und Präzision der Arbeit, die den Bedürfnissen einer zentralisierten Industrie entsprechend verlangt werden. Lenin sagt später: Diktatorische Gewalt und persönliche Leitung stehen nicht im Widerspruch zur sozialistischen Demokratie. In der Resolution des neunten KPR-Parteitages heißt es: Zum Zwecke einer einfacheren und präziseren Organisation der Verwaltung der Produktion sowie zum Zwecke einer Ersparnis an organisatorischen Kräften hält es der Parteitag für notwendig, die Verwaltung der Industrie mehr auf das Prinzip der persönlichen Leitung umzustellen, nämlich die volle und unbedingte persönliche Leitung in Werkstätten und Werkabteilungen einzuführen.
Und so ging es fort und fort. Stalin selbst sagt: Wir mußten die Abschaffung des FunktionärSystems, die Stärkung der persönlichen Verantwortung und die Liquidierung der kollegialen Leitung organisieren. Später sagte Stalin in der Zeitung „Trud" : - -({20})
- Ich rede, was i c h will. Ich lasse mir von Ihnen
nicht vorschreiben, was ich zu sagen habe!
Die Gewerkschaften sind die Stränge, die die Werktätigen vor die Troika des Staates schirren.
Das Mitbestimmungsrecht - so wie es der Marxismus auffaßt -, die Kontrolle der Produktion durch die Massen führt letzten Endes zu einer Entmündigung des Arbeitertums, zu einer staatlichen Wirtschaftsdiktatur, die wir ablehnen.
({21}) Wir sind dafür, daß das Eigentum sich der Gemeinschaft gegenüber verpflichtet. Wir sind für die Vertretung der Interessen der Arbeiterschaft durch eine Organisation. Aber wenn die Gewerkschaften heute Unternehmer werden, - wer soll denn dann überhaupt noch den Arbeitnehmer vertreten? Arbeitnehmer und Arbeitgeber gehören meiner Überzeugung nach zusammen.
({22})
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Zum Schluß darf ich noch eines sagen. Wenn dieser Weg so weiter beschritten wird - heute hat man sich nur auf wenige Gebiete beschränkt -, dann müssen wir uns darüber klar sein, daß morgen weitere Industriezweige hinzukommen, in die man ebenfalls von außen her diktatorisch eingreifen möchte, und daß es dann, wie es letzten Endes heute schon geschieht, später auf allen Gebieten der Fall sein wird und daß man in die letzten Belange der deutschen Nation seitens derartiger revolutionierender Bewegungen eingreift, daß man mit Hilfe von Aufputschung der Gasse versucht, dem deutschen Volke Dinge zu oktroyieren, die das deutsche Volk gar nicht wünscht.
({0})
Herr Abgeordneter, kommen Sie zum Schluß!
Es ist heute schon so, daß die Gewerkschaften in ihren Zeitungen, obwohl sie unpolitisch sein wollen, plötzlich politische Resolutionen gegen ihnen nicht passende Politiker oder politische Richtungen veröffentlichen, daß sie heute bereits, wie es in Herford geschehen ist, den Pöbel der Straße aufrufen ({0})
Herr Abgeordneter Dr. Richter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich entziehe Ihnen das Wort.
Ich stelle nur fest. Es gibt ein deutsches Sprichwort: „Ein getretener Hund bellt!"
({0})
Wir haben es -
Herr Abgeordneter, ich entziehe Ihnen das Wort.
Das Wort hat der Abgeordnete Agatz.
Meine Damen und meine Herren! Von dieser Stelle aus ist heute mehrfach behauptet worden, daß die Wirtschaft nur gedeihen könne, wenn sie das Primat der Unternehmer sei. Es ist behauptet worden, daß der Einbau von Gewerkschaftsvertretern, von Arbeitern, von Angestellten in die Führungsorgane der Wirtschaft unbedingt zum Chaos führen muß. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß die heute hier anstehende Frage, die Frage der Mitbestimmungsforderung der Arbeiter, Angestellten und Beamten, seit 1945 alle unsere Arbeiter und Angestellten erfaßt hat. Die Arbeiter und Angestellten mußten 1945 erkennen, daß das ganze unerhörte Leid, das da über unser Volk gebracht worden war, im wesentlichen die Schuld derer war, die die Wirtschaft geführt hatten.
({0})
Man kann nicht daran vorbeireden, daß die Herren der Monopole und Konzerne Hitler groß gemacht hatten und somit unser Volk in die Katastrophe führten. Man kann auch nicht daran vorbeireden, daß unser Volk in seiner überwältigenden Mehrheit nach 1945 die Bestrafung dieser Kriegsverbrecher gefordert hat.
({1})
Es hat auch eine neue demokratische Ordnung gefordert, in der die Mitbestimmung der Werktätigen ein wesentlicher Bestandteil sein sollte. Das ist auch in den Potsdamer Beschlüssen angesprochen, in denen von der Liquidierung übermäßiger Wirtschaftskraft, dargestellt durch Kartelle, Syndikate, Trusts und andere Monopolvereinigungen, die Rede ist. Die demokratische Neuordnung der Wirtschaft war damit auf die Tagesordnung gestellt.
Ich mache darauf aufmerksam, wie stark die Forderung nach der Sozialisierung nach 1945 gewesen ist. Ich mache darauf aufmerksam, daß selbst im Ahlener Programm, in der ersten Regierungserklärung des Herrn Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen diese Frage der Überwindung des Monopolkapitalismus ganz eindeutig gestellt und beantwortet wurde. Dort hieß es z. B. in der Rede des Herrn Ministerpräsidenten - ich besinne mich darauf -: Der Kapitalismus hat sich an seinen eigenen Gesetzen totgelaufen.
({2})
Nach 1945 traten unsere Arbeiter und Angestellten ohne die Konzern- und Monopolherren auf den Plan. Sie bewiesen durch ihren Einsatz beim Wiederaufbau der zerstörten Betriebe, daß es auch ohne Konzernherren in der Wirtschaft geht, ja daß es sogar sehr gut ohne Konzernherren geht.
({3})
Die Arbeiter und Angestellten vollbrachten große Leistungen, und die Betriebsräte führten damals diese Aktion des Wiederaufbaus ohne Konzernherren. Sie leiteten an, und sie sorgten dafür, daß die Betriebe in Ordnung gebracht und die Produktion wieder in Gang gesetzt wurde. Sie hatten damals tatsächliche und weitgehende Mitbestimmung. Von diesen damals erworbenen Positionen gibt es heute leider nur noch sehr wenige; denn es trat sehr bald die Reaktion auf den Plan. Sie wollte kein demokratisches Deutschland, sie wollte keine demokratisierte Wirtschaft. Dann schalteten sich die Besatzungsmächte ein. Sie sabotierten die mit demokratischen Mehrheiten in deutschen Parlamenten beschlossenen Gesetze nach Überführung der Grundstoffindustrien in den Besitz des Volkes.
({4})
So wurde auch das Gesetz sabotiert, das in Nordrhein-Westfalen beschlossen wurde, das Betriebsrätegesetz, das in Hessen beschlossen wurde, das die Rechte der Betriebsräte ganz eindeutig klarstellte, und auch das Gesetz von Württemberg und Baden. Das war die Rettung der Konzernherren. Die Besatzungsmächte, die amerikanischen Monopolisten sprangen den deutschen Konzernherren bei und stellten sie wieder auf die Füße.
({5})
Sie beschlagnahmten zwar die großen Vermögen. Was es damit auf sich hat, können wir jetzt an dem Vorgang Krupp sehr deutlich ermessen. Sie führten das Entflechtungsmanöver durch. Wir wissen, daß heute mit dem Schuman-Plan die Bildung eines allumfassenden Mammutkonzerns unter Oberherrschaft des amerikanischen Monopolkapitalismus angestrebt wird.
Wir erhielten den Marshall-Plan. Wir wissen, wie seine Folgen waren. Wir wurden auf den westlichen Kurs festgelegt: separate Währungsreform, die Spaltung Deutschlands, Besatzungsstatut, Ruhrstatut waren die Folgen, und Westdeutschland wurde eine amerikanische Kolonie.
({6})
Ich kann mich hier einer Kritik an der Politik der Gewerkschaftsführer nicht enthalten. Sie haben diese Entwicklung damals unterstützt. Ich besinne mich noch darauf, wie sie die Arbeitgeberverbände gefordert haben,
({7})
wie sie sich darum bemüht haben, daß wieder ein Verhandlungspartner auf der anderen Seite sein möge. Was aus dieser Forderung nach den Arbeitgeberverbänden inzwischen geworden ist, das haben wir heute hier an einigen Reden gewisser Herren erfahren können.
({8})
Ich muß auch kritisieren, daß die Gewerkschaftsführer den Boden der Interzonenkonferenzen und die Beschlüsse dieser Konferenzen verlassen haben, unter anderem auch die Beschlüsse der Badenweiler Konferenz, die sie selbst mit gefaßt haben und in denen das Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte in echtester und stärkster Form nieder({9})
gelegt war. Daraus haben sich sehr böse Folgen für die Werktätigen ergeben. Es kann heute nicht mehr bestritten werden, daß die ganzen Lasten des Wiederaufbaues auf die Schultern der Werktätigen abgewälzt worden sind, hingegen das Unternehmertum riesige Gewinne zu machen vermochte. Es kann nicht bestritten werden, daß das niedrige Realeinkommen durch die Preispolitik der AdenauerRegierung noch ständig weiter gedrückt wird, die dann als Folge der ganzen westlichen Orientierung hier etabliert wurde. Es kann nicht bestritten werden, daß die Ausbeutung in den Betrieben sich ständig steigerte und die Ausbeutungsschraube ständig angezogen wurde. Es kann auch nicht bestritten werden, daß die demokratischen Mitbestimmungsrechte, die die Arbeiter und Angestellten sich nach 1945 erworben hatten, systematisch eingeschränkt und abgebaut wurden. Daß diese betrieblichen Mitbestimmungspositionen ein Dorn im Auge der Unternehmer sind, ist selbstverständlich. Aber daß sie abgebaut werden konnten, ist nicht zuletzt auch eine Folge der Stillhaltepolitik der Gewerkschaften.
({10})
Dann gab es eine neue Lage. Es kamen die Washingtoner Konferenz, die Brüsseler Konferenz, die Westdeutschland in die Kriegsvorbereitungen mit einbezog. Jetzt entsteht eine ernste Frage. Hier hat Herr Dr. Adenauer, unser Bundeskanzler,
({11})
heute erklärt, daß er in dieser Regelung einen wesentlichen Fortschritt auf dem Wege zur Herstellung des Arbeitsfriedens erblicke. Ich stelle die Frage: Wird auch Herr McCloy mit der hier vorgesehenen Regelung einverstanden sein?
({12})
Ich bin der Meinung, er wird einverstanden sein mit der getroffenen Regelung. Warum? Herr McCloy hat die Aufgabe, die Kriegsvorbereitungspolitik der amerikanischen Monopolkapitalisten in Westdeutschland durchzuführen, und Herr McCloy wird versuchen, mit Hilfe dieser Regelung Maßnahmen zu treffen, die die westdeutsche Arbeiterschaft an den Kriegskarren der Amerikaner binden sollen.
({13})
Denn die „Rheinische Post" ließ die Katze aus dem Sack, indem dort geschrieben stand, daß mit dieser Regelung ihrer Rechte den Arbeitern und Angestellten nunmehr der Westen verteidigungswert gemacht worden sei.
({14})
Ich möchte hier sagen, daß die getroffene Regelung in keiner Weise den Vorstellungen entspricht, die die Arbeiter und Angestellten von der Mitbestimmung haben. Sie erleben alle Tage im Betrieb, wo sie der Schuh drückt. Sie wissen, daß es darauf ankommt, eine starke Vertretung im Betrieb zu haben, die in der Lage ist, der Politik des Unternehmertums, die auf Steigerung der Ausbeutung gerichtet ist, standzuhalten, Widerstand zu leisten, daß es darum geht, die Fragen des Lohnes, der Arbeitszeit, des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und all jene sozialen Fragen im Sinne der Arbeiter zu entscheiden, weil sie wissen, daß diese ihre Forderungen gerecht sind. Sie wollten die Verwirklichung der Badenweiler Beschlüsse, sie strebten eine echte demokratische Neuordnung an. Sie sind es eben satt, sich immer wieder vertrösten zu lassen, Entschließungen zu fassen. Sie wollen kämpfen, sie wollen ihre Forderungen durchsetzen; sie sind empört über die soziale Ungerechtigkeit, über das viel zu geringe Einkommen, über den Abbau ihrer demokratischen Rechte. Sie sind besorgt und empört darüber, daß ihnen jetzt schon wieder die Lasten eines neuen Krieges aufgebürdet werden.
({15})
Dagegen wehren sie sich. Sie wollen den Frieden, sie wollen soziale Sicherheit und ausreichenden Lohn. Sie wollen Menschen sein, die menschenwürdig leben und auch eine menschenwürdige Stellung im Betrieb haben.
({16})
Sie wollen das Recht haben, mitzubestimmen über die Stellung, die sie als Menschen in den Betrieben fordern. Darum haben sich die befragten Bergleute und Metallarbeiter zu 93 und 96% für den Kampf, für den Streik um die Mitbestimmung entschieden.
Die Arbeiter und Angestellten können nicht davon überzeugt werden, daß diese Regelung ein Erfolg ist. Sie haben zuviel Erfahrung; sie haben ein Recht, mißtrauisch zu sein, und sie werden, nachdem nun Herr Dr. Adenauer gesprochen hat, erst recht mißtrauisch werden. Was heißt schon Befriedung, sozialer Friede? Sozialer Friede - für was? Für die Politik der Kriegsvorbereitung,
({17})
für die Politik der freien Wirtschaft, die die Unternehmergewinne steigert und das Einkommen der Arbeiter systematisch und ständig drückt. Dafür stillehalten, dafür friedlich sein?, so werden sie fragen, und ich bin sicher, daß sie das nicht tun werden. Sie werden nicht stillehalten, sie werden weiterkämpfen, weil sie erkennen, daß mit dieser Regelung ihr Mitbestimmungsanspruch nicht erfüllt ist, und sie werden sich diesen Mitbestimmungsanspruch durch Weiterführung ihres Kampfes sichern. Sie haben auch die Erfahrung von vor 1933.
Wir können diese Regelung durchaus als eine Neuauflage der Arbeitsgemeinschaftspolitik betrachten, allerdings jetzt unter der Herrschaft amerikanischer Monopolkapitalisten, die sich hier auf die deutschen Konzernherren stützen. Aber die Arbeiterschaft Westdeutschlands und ganz Deutschlands weiß noch zu gut, daß die damalige Arbeitsgemeinschaftspolitik von Stufe zu Stufe abwärts geführt hat, bis zu Hitler, bis in die Katastrophe. Das ist es, was sie heute mißtrauisch macht.
Hinzu kommen die Erfahrungen, die sie heute in den entflochtenen Werken machen. Wodurch unterscheidet sich die Lage der Arbeiter und Angestellten dieser Werke? Ist sie besser als die in den anderen Betrieben? Keineswegs besser! Auch dort ist dieselbe betriebliche Situation gegeben, weil eben die ganze westdeutsche Wirtschaft unter dem Kommando amerikanischer Monopolkapitalisten nach den Plänen dieser Monopolkapitalisten arbeitet, geführt und dirigiert wird. Daran ist nicht vorbeizukommen.
Auch wird die Arbeiterschaft in dieser Regelung eine wesentliche Verschlechterung des Kontrollratsgesetzes Nr. 22 erblicken, das die bisherigen Mitbestimmungsansprüche der Betriebsräte regelte. Nach diesem Kontrollratsgesetz hatten sie das Recht zu betrieblichen Vereinbarungen, wie sie auch in den Badenweiler Beschlüssen festgelegt wurden. Diese betriebliche Vereinbarung setzte sie in den Stand, wirkliche betriebliche Mitbestimmungspositionen einzunehmen. Das wird mit dieser Regelung sicherlich flachfallen.
Unter den gegebenen Verhältnissen kann die Mitbestimmung nur durch die Rechte der Betriebs({18})
räte fundamentiert werden. Wenn man nicht auf diesen Fundamenten aufbaut, dann wird - das möchte ich alien Gewerkschaftskollegen sagen - die Mitbestimmung keine Mitbestimmung sein, sondern sie wird lediglich eine Farce oder - was noch schlimmer wäre - ein Betrug sein.
({19})
Die Konzernherren sind nicht mit dem einverstanden, was nun hier geregelt werden soll.
({20})
- Sie dürfen hinfahren und sich davon überzeugen! Sie werden bald erkennen, daß die Mitbestimmung weitgehend verwirklicht ist
({21})
und daß in der DDR all die Forderungen, die wir als Gewerkschaftler nach 1945 gestellt haben, erfüllt worden sind.
({22})
Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Zum Schluß möchte ich noch ganz kurz sagen: die Arbeiter und Angestellten werden aus ihrem gesunden Empfinden dieser Regelung mit Mißtrauen gegenübertreten und den Kampf fortsetzen. Es geht um ihre Position in den Betrieben, um ihre Stellung, um ihr Einkommen, um ihre Arbeitszeit, ihren Arbeits- und Gesundheitsschutz. Dafür zu kämpfen, dafür zunächst die Betriebsräte, ihre demokratisch gewählten Vertreter stark zu machen, ist die Aufgabe. Der Kampf muß weitergehen. Der Kampf um das Mitbestimmungsrecht muß durch die Kraft der Arbeiter- und Angestelltenschaft entschieden werden.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete von Thadden.
von Thadden ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem im Jahre 1945 ein autoritäres System zu Ende ging, bildete sich das Volk ein, nun selbst auf die Neugestaltung seines Lebens noch einen Einfluß ausüben zu können. Diese Hoffnung hat sich inzwischen als trügerisch erwiesen, und zwar erstens infolge der laufenden Eingriffe der Besatzungsmacht, und zweitens durch die Verfassung, die wir haben. An die Stelle eines autoritären Staates trat ein Nachtwächterstaat. Diese Situation hat der Gewerkschaftsbund mit sicherem Blick erkannt und hat nunmehr zum Frontalangriff gegen diesen Staat angesetzt. Millionen von zahlenden Gewerkschaftsmitgliedern sind die Grundlage für einen Angriff der Funktionäre auf den Staat schlechthin. Worum geht es? Um die Mitbestimmung des Arbeiters im Betrieb? Geht es darum, daß der Arbeiter mehr Geld, bessere Arbeitsverhältnisse bekommt? Nein, es geht darum, daß einige von der Gewerkschaftsspitze zu nominierende Funktionäre in Direktorenstellungen hineingebracht werden sollen.
({1})
Diese Gewerkschaften sind im Augenblick nichts anderes als der undemokratisch verlängerte Arm der SPD,
({2})
der überall dort in Aktion tritt, wo der demokratische Arm im Parlament nicht mehr weiterkommt. Wenn der demokratische Arm hier nicht mehr weiterkam, dann machte man Streiks. Denken Sie an den Generalstreik von 1948. Das war die erste Etappe. Da saß man im Wirtschaftsrat fest und sagte: Jetzt heizen wir den Brüdern von außen ein.
({3})
Die Rechte der Gewerkschaften würden nach diesem Gesetz über ihre Pflichten, die diese zweifelsohne haben, weit hinausgehen. Lassen Sie mich einen radikalen Mann aus Amerika, Herrn Lewis zitieren. Er sagte folgendes:
Die Bergarbeiter wünschen, daß die Verantwortlichkeit der Betriebsleitung dort liegt, wo sie immer gelegen hat. Der Bergbau ist ein schwieriger Zweig, eine technische Industrie, die unter hohem Wettbewerb und unter großen Risiken arbeitet und in der es unklug wäre, die Verantwortung der Betriebsleitung aufzuteilen.
Meine Damen und Herren, gerade dieser Mann hat sich mit wilden, sehr energischen Streiks zum Teil laufend dafür eingesetzt, damit es seinen Leuten in ihrer sozialen Stellung besser geht. Er hat manches für sie erreicht. Das ist das Feld, auf dem sich unsere Gewerkschaften ebenfalls tummeln sollten.
Wir wollen, daß der Arbeiter vom Objekt zum Subjekt wird: Mitbestimmung durch Mitunternehmertum. Das persönliche Streben jedes einzelnen nach Vermehrung seines Besitzes sollte viel wesentlicher in den Arbeitsprozeß eingeschaltet werden. Es kann hier nicht verheimlicht werden - und ich kann das, was vorhin Herr Dr. Seelos sagte, nur unterstützen -, daß gegenüber dem Druck der Gewerkschaften die Unternehmerschaft sich mit neuen konstruktiven Vorschlägen - von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen - bisher außerordentlich steril verhalten hat. Wiedereinrichtung von Sozialgerichten, höhere Löhne, bessere Wohnungen, Pensionskassen, das sind Dinge, mit denen die Gewerkschaften sich befassen sollten.
Die wahren Ziele des Gewerkschaftsbundes offenbart Herr Böckler, indem er sagte: Die Mitpartnerschaft ist nur die erste Etappe für die Sozialisierung der deutschen Grundindustrie. Er sagt weiter: Das Geld dürfe nicht zur Grundlage wirtschaftlicher Macht werden, um, gestützt auf seine Millionen Streikgelder, einen Generalangriff auf die Macht des Staates zu unternehmen. Das Echo aus dem Osten: Herr Roman Schwalek bekam von Grotewohl 500 Millionen zur Unterstützung des hiesigen Streiks.
({4})
- Meine Damen und Herren von der Linken, Sie freuen sich über die politische Niederlage, die Sie dem Kanzler zweifellos in dieser Frage beigebracht haben, und zwar dem Kanzler in seiner Eigenschaft als Hüter der Verfassung.
Sie haben noch eine Minute.
von Thadden ({0}): Aber ich glaube, Sie sollten sich vorsehen. Wer weiß, wie lange Sie die Ge({1})
werkschaften so kontrollieren können, wie Sie es heute noch können; wer weiß, wie lange es dauert, bis dieser Syndikalismus auch Ihnen eines Tages über den Kopf wächst. Der Beifall des Ostens beweist nur, daß man Sie auf einem Wege sieht, der den Interessen des Ostens günstig scheint.
Kommen Sie bitte zum Schluß.
von Thadden ({0}): Jawohl! Die Gewerkschaften sollten in die Verantwortung des Staates einbezogen werden. Wir haben immer eine korporativ zusammengesetzte Zweite Kammer verlangt, in der dann auch die Gewerkschaften Anteil an der Verantwortung für den Staat haben sollten. Meine Damen und Herren, wenn sich die Parteien und die Ländervertreter überwinden könnten, manches ihrer ihnen von den Alliierten gegebenen Macht zugunsten einer solchen zweiten korporativen Kammer, wie es sie z. B. in Bayern gibt, abzutreten, dann wären die Dinge zweifellos besser.
({1})
Herr Abgeordneter, ich entziehe Ihnen das Wort. Ihre Redezeit ist längst abgelaufen. Ich habe Sie zweimal darauf aufmerksam gemacht.
Die Rednerliste ist erschöpft. Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung.
Es ist eine Reihe von Anträgen auf Überweisung an Ausschüsse gestellt worden: ein Antrag Imig auf Überweisung an den Ausschuß für Arbeit und den Ausschuß für Wirtschaftspolitik; dazu ein Antrag Dr. Becker auf Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht und ein Antrag Dr. Merkatz auf Überweisung an den Ausschuß zum Schutz der Verfassung. Ich lasse einzeln in der Reihenfolge der gestellten Anträge abstimmen. Etwas anderes bleibt mir ja nicht übrig.
Wer für die Überweisung an den Ausschuß für Arbeit ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag ist angenommen.
Wer dazuhin für die Überweisung des Antrags an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag ist angenommen.
Wer dazuhin für die Überweisung des Antrags an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Letzteres ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wer weiterhin für die Überweisung des Antrags an den Ausschuß zum Schutze der Verfassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Damit ist die erste Lesung des Entwurfs abgeschlossen. Der Entwurf ist an den Ausschuß für Arbeit und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik überwiesen. Federführend ist der Ausschuß für Arbeit.
Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse des Reichsvermögens und der preußischen Beteiligungen ({0}).
({1})
- Meine Damen und Herren, ich bitte um geneigtes Gehör! - Ist das Haus damit einverstanden, daß dieser Gesetzentwurf als eingebracht gilt, ohne daß eine besondere Begründung stattfindet? - Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Der Gesetzentwurf soll an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen, an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht, an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik sowie an den Haushaltsausschuß überwiesen werden.
({2})
- Das Wort hat der Abgeordnete Dr. HöpkerAschoff.
Meine Damen und Herren, ich möchte im Interesse der Beschleunigung der Beratung darum bitten, diesen Entwurf nicht an vier Ausschüsse zu überweisen, sondern die Überweisung auf zwei Ausschüsse zu beschränken, und zwar den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen federführend und den Rechtsausschuß. Den Rechtsausschuß brauchen wir, weil in dem Gesetzentwurf einige schwierige Rechtsfragen aufgeworfen werden. Aber ich sehe nicht ein, warum der Entwurf auch noch dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik und dem Haushaltsausschuß überwiesen werden soll. Eine Beratung in vier Ausschüssen erfordert eine so unendliche Zeit, daß mir eine Beschränkung am Platze erscheint.
Herr Abgeordneter Dr. Höpker-Aschoff hat den Antrag gestellt, die Vorlage lediglich an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen und an den Rechtsausschuß zu überweisen und nicht darüber hinaus, wie es offenbar vorgesehen worden ist, an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik und an den Haushaltsausschuß. Ist das Haus mit der Überweisung an diese beiden Ausschüsse einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
betreffend die Industriekreditbank Aktiengesellschaft ({0}).
Es soll eine kurze Begründung durch die Regierung erfolgen. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf eine Aussprache zu verzichten. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
({1})
- Es wird auf die schriftliche Begründung Bezug genommen.
Ist das Haus für die Überweisung des Entwurfs an den Ausschuß für Geld und Kredit und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der Bayernpartei eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Änderung der §§ 2 und 4 des Handelsgesetzbuchs ({2}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen für die Begründung eine Redezeit von 5 Minuten und Verzicht auf eine Aussprache vor. Sind Sie damit einverstanden? - Es ist so beschlossen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Etzel.
Dr. Etzel ({3}) ({4}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Handelsgesetzbuch geht auf das Jahr 1897 zurück. Die in ihm gesetzgeberisch zum Ausdruck gekommenen Auffassungen über das Handwerk stammen also noch aus einer Zeit, in der dieses, zwischen der elegischen Rückschau auf die entschwundenen Zunftzeiten und der entschlossenen Anpassung an die jäh hereingebrochene technische und wirtschaftliche Umwälzung verzweifelt oder zaghaft schwankend, seine moderne Entwicklung noch nicht oder kaum begonnen hatte. Seine technische Ausrüstung und seine betriebswirtschaftliche Organisation waren vielfach rückständig. In der Vorstellung der Öffentlichkeit galt es weithin noch als der Berufsstand zurückgebliebenen, zünftlerischen Denkens. Die fabrikmäßige Arbeit und Fertigung schien das Handwerk entbehrlich zu machen. Nicht nur in diesem selbst, sondern auch im nationalökonomischen Schrifttum herrschte der Pessimismus hinsichtlich seiner Zukunft vor. Wissenschaftler von Rang sagten sein Ende voraus. Seine Bedeutung als wirtschaftlicher Faktor nicht nur, sondern auch seine gesellschaftliche Stellung war beträchtlich gemindert. Das Wort vom „biederen" Handwerk bekam einen peinlichen, statusmindernden Beigeschmack.
Aus solchen Verhältnissen und aus einer solchen Optik sind die §§ 2 und 4 entstanden und verständlich. Ein Schuß manchesterlichen Hochmuts war auch dabei im Spiele.
Nun, die Entwicklung ist ganz anders verlaufen, als viele, deren Voraussagen sich als falsche Prophetien erwiesen, angenommen haben. Das Handwerk ist in einer großen Wandlung seiner Denkweise wie seiner technischen und betriebsorganisatorischen Grundlagen, die geradezu als Mutation bezeichnet werden könnte, mit der Zeit gegangen. Sein Anteil an Produktion, Bedarfsdeckung, Bevölkerung und Verbrauch ist ständig gewachsen. Nicht wenige große Handwerksbetriebe müssen kaufmännisch geführt werden.
Der Berufsstand, dessen große Bedeutung in der amtlichen Zählung 1949 eindrucksvoll in Erscheinung trat, erblickt seit langem in der Beibehaltung und Aufrechterhaltung der auf völlig anderen Verhältnissen beruhenden Vorschriften der §§ 2 und 4 des Handelsgesetzbuchs eine Diskriminierung, deren Beseitigung es erwartet. Diese Bestimmungen gehen von einem überlebten, nicht mehr gültigen Handwerksbegriff aus. Meine Damen und Herren, kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Hier kann der Bundestag einem großen deutschen Berufstand, ohne sich in beträchtliche Unkosten zu stürzen, ein Entgegenkommen erweisen, das in Wahrheit nicht einmal ein Geschenk darstellen würde, sondern nichts anderes wäre als die Erfüllung eines berechtigten Anspruchs. Verkennen wir nicht die psychologische Wirkung des verständnisvollen Eingehens auf langjährige Wünsche und Bestrebungen weiter Bevölkerungskreise. Ihre leichtherzige Ignorierung, die hartnäckige Vorenthaltung oder Verweigerung ihrer Berücksichtigung haben, wie die vor 1933 gemachten Erfahrungen deutlich genug gezeigt haben, sehr unerwünschte, unter Umständen tiefgreifende politische Folgen. Die Demokratie hat Anlaß, diese Erwägungen und Erfahrungen nicht außer acht zu lassen. Der Bundestag ist - davon bin ich überzeugt - so klug, auf seine Volkstümlichkeit Bedacht zu nehmen. Mag es sich auch nur um eine Spezialfrage handeln, - die Art ihrer Behandlung wird draußen symptomatisch wirken. Das Handwerk will nichts anderes, als daß seine Unternehmungen, sofern sie einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordern, berechtigt sind, ihre Eintragung in das Handelsregister herbeizuführen.
Auf die mit dem Beratungsgegenstand zusammenhängenden Rechtsfragen einzugehen, darf ich mir versagen. Ich möchte nur noch erwähnen, daß die nach 1945 von den Ländern des Bundes rezipierten Vorschriften des Handelsgesetzbuchs inzwischen Bundesrecht geworden sind. Die Änderung der §§ 2 und 4 des Handelsgesetzbuchs fällt sowohl in die Gesetzgebungsgruppe der Ziffer 11 wie der Ziffer 1 des Art. 74 des Grundgesetzes. Da die mit dem Gesetzesvorschlag verbundenen Rechtsfragen gegenüber den Fragen der berufsständischen Organisation überwiegen, möchte ich die Bitte aussprechen und den Antrag stellen: Der Bundestag wolle den Gesetzesvorschlag dem 23. und dem 13. Ausschuß mit der Maßgabe überweisen, daß ersterer federführend ist.
({5})
Meine Damen und Herren! Das Haus hat vorhin beschlossen, von einer Aussprache abzusehen.
Wir kommen zur Abstimmung. Es ist beantragt, die Vorlage an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Vermittlung der Annahme an Kindes Statt ({0});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht ({1}).
({2})
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Dr. Weber.
Dr. Weber ({3}) ({4}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat sich in seiner 80. Sitzung am 27. Juli 1950 mit dem Entwurf des Gesetzes über die Annahme an Kindes Statt befaßt und den Entwurf nach erster Lesung an den Rechtsausschuß und an den Ausschuß für Jugendfürsorge überwiesen. Diese beiden Ausschüsse haben sich mehrfach mit dem Entwurf befaßt. Außerdem sind auf Veranlassung des Innenministeriums die Wohlfahrtsverbände und die Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und Jugendfürsorge, in der auch die Jugendbehörden der Länder vertreten sind, gehört worden. Sie haben ihre Vorschläge über das Innenministerium den Ausschüssen übermittelt. Die Ausschüsse haben dann einen gemeinsamen Unterausschuß gebildet, der das Gesetz beraten hat und zu einer Fassung gekommen ist, die Ihnen nunmehr in der Drucksache Nr. 1848 vorliegt.
Das Gesetz ist ein weiterer Akt der Flurbereinigung, einmal insofern, als ein Gesetz, das zum Teil typisch nationalsozialistische Bestimmungen sowie eine bewußte Diskriminierung und Ausschaltung Andersdenkender enthält, nunmehr beseitigt und, von seinen Schlacken befreit werden soll, wobei gleichzeitig die Gleichheit vor dem Gesetz wiederhergestellt werden soll, zum andern insofern, als auf einem Teilgebiet des bürgerlichen Rechts für das Gebiet der Bundesrepublik an Stelle ver4462
({5})
schiedenartiger Länderregelungen oder teilweise Nichtregelungen wieder eine einheitliche Regelung geschaffen wird.
Bis zum Jahre 1939 bestand auf diesem Gebiet keine gesetzliche Regelung. Das Jugendwohlfahrtsgesetz, das sich mit der Betreuung der Jugend befaßte, hat lediglich bezüglich der sogenannten Pflegekindschaft Vorschriften aufgenommen, nach denen zur Begründung eines Pflegekindschaftsverhältnisses die Zustimmung des Jugendamtes erforderlich gewesen ist und das Jugendamt während der Zeit, in der das Pflegekindschaftsverhältnis bestand, die Schutzaufsicht ausgeübt hat. Es zeigte sich aber, daß auf diesem Gebiete Mißstände auftraten, indem gewerbsmäßige Vermittler auftraten und es damit zu Zuständen kam, die das Eingreifen des Gesetzgebers dringend erforderten. So kam es zu dem Gesetz vom 19. April 1939 über die Vermittlung der Annahme an Kindes Statt, das aber gleichzeitig in echt nationalsozialistischer Weise auch noch etwas anderes mit bezweckte, nämlich die gesamten Verbände der freien Wohlfahrt von der Vermittlung der Annahme an Kindes Statt auszuschließen und diese den Landesjugendämtern, die damals aber auch unter nationalsozialistischer Leitung standen, und speziell auch der sogenannten Volkswohlfahrt zu übertragen, also eine Vermittlung anderer Verbände, die sich von jeher mit großem Erfolge auf diesem Gebiete betätigt hatten, auszuschließen. Es ist deshalb ein Gebot der Gerechtigkeit, daß diese Benachteiligung durch den Nationalsozialismus beseitigt und den Verbänden der freien Jugendhilfe und den Wohlfahrtsverbänden, die sich früher auf diesem Gebiet betätigt haben, ihre Betätigungsmöglichkeit auch gesetzlich wiedergegeben wird. Soweit es sich um spezielle nationalsozialistische Tatbestände handelte, sind diese ja wohl durch das Kontrollratsgesetz Nr. 1 beseitigt, und damit sind dem Gesetz von 1939 die Giftzähne ausgebrochen.
Aber das Gebiet ist dann nur in verschiedenen Ländern geregelt worden, so in Württemberg, in Rheinland-Pfalz und im Gebiet der britischen Zone. In weiteren Ländern bestanden keine Regelungen. Es wurde stillschweigend geduldet, daß die anderen Verbände sich wieder auf diesem Gebiete betätigten, obschon das eigentlich - insoweit bestand das Gesetz ja noch fort - verboten war.
Dem will nun der vorliegende Entwurf abhelfen, und insofern ist - das hat auch die Beratung der Ausschüsse ergeben - der Entwurf zu begrüßen und zu bejahen. Es ist eine notwendige Regelung, die vorgenommen worden ist.
Wenn Sie nun das Gesetz im einzelnen betrachten, so werden Sie finden, daß die Abänderungsvorschläge der Ausschüsse an sich nicht tiefgreifender Art sind. Es handelt sich meines Erachtens mehr oder weniger um redaktionelle Änderungen. Es sind zwar nunmehr die Verbände, die sich wieder mit der Vermittlung an Kindes Statt beschäftigen dürfen, ausdrücklich aufgeführt worden, was der Regierungsentwurf in seinem Text des Gesetzes nicht vorsah. Dafür hatte er das bereits in der Begründung eindeutig getan, wenn dort gesagt wird: Als solche Staatsorganisationen kommen nur die freien Vereinigungen der Wohlfahrtspflege, insbesondere die Landes- und Provinzialverbände der Inneren Mission, des Caritas-Verbandes und der Arbeiterwohlfahrt in Betracht.
Es war auch die Auffassung der Ausschüsse, daß sich diese Verbände in erster Linie auf diesem Gebiete betätigen sollten, und man vertrat demzufolge die Meinung, daß das, was gemeint sei, auch I im Gesetz klipp und klar gesagt werden könne. Deshalb der Abänderungsvorschlag zu § 1, wo gesagt wird, daß an Stelle der Worte:
Die Vermittlung ist auch denjenigen freien Vereinigungen der Wohlfahrtspflege gestattet, die im Verwaltungswege diese Ermächtigung erhalten haben,
nunmehr gesagt wird:
({6}) Die Vermittlung ist auch der Inneren Mission, dem Deutschen Caritas-Verband und der Arbeiterwohlfahrt gestattet.
({7}) Sie ist ferner gestattet den Fachverbänden, die im Verwaltungswege durch die zuständigen obersten Landesbehörden für geeignet erklärt werden.
Eine weitere Veränderung betrifft einen allerdings meines Erachtens wesentlicheren Punkt. Im Entwurf der Regierung ist im § 1 Abs. 2 gesagt:
Anderen ist die geschäftsmäßige sowie die gewerbsmäßige Vermittlung untersagt.
Gerade die vorhin erwähnten Wohlfahrtsverbände und die Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und Jugendfürsorge haben nun einen Vorschlag in dieser Hinsicht gemacht, der auf ihren speziellen Erfahrungen beruht und der meines Erachtens einen Fall faßt, der nach der Regierungsvorlage nicht erfaßt wurde. Wenn nämlich jetzt gesagt wird, daß verboten bleibt die gewerbsmäßige Vermittlung und auch die Vermittlung, die in einzelnen Fällen zur Erlangung eigener wirtschaftlicher Vorteile geschäftsmäßig betrieben wird, dann würde das meines Erachtens - das ist auch die Auffassung des Ausschusses - diesen Tatbestand nicht fassen. Insofern ist meines Erachtens die Änderung des Gesetzes insoweit zu begrüßen.
Daraus ergibt sich zwangsläufig die Änderung des § 2, wo der Bundesrat noch vorgeschlagen hat, das Wort „Kindesannahme" durch „Annahme an Kindes Statt" in dem dem Gesetz entsprechenden Text zu ersetzen. Dem wird meines Erachtens zuzustimmen sein.
Dann finden Sie noch geringfügige, aber auch nur textliche Änderungen in § 3, wo früher gesagt war, daß die Vorschriften über die Voraussetzungen im übrigen vom Bundesminister des Innern im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Justiz und mit Zustimmung des Bundesrates erlassen werden darüber, welche Voraussetzungen für die Vermittlung der Annahme an Kindes Statt im einzelnen zu fordern sind und von welchen Voraussetzungen dies abhängt. Statt dessen ist entsprechend der Änderung im § 1 nunmehr gesagt, daß vom Bundesminister des Innern bestimmt werden kann, welche Stellen der in § 1 Abs. 2 genannten Verbände den Voraussetzungen entsprechen und welche Voraussetzungen im übrigen an die Fachverbände, die in § 1 Abs. 3 erwähnt sind, zu stellen sind.
Man will damit erreichen, daß im ganzen Bundesgebiet dieselben Organisationen zugelassen werden, damit es nicht wieder ein buntscheckiges Bild gibt, daß die eine Organisation in dem einen Lande zugelassen ist, während ihr die Zulassung in dem. anderen Lande aber versagt wird.
Dieses Anliegen war dem Ausschuß so ernst, daß er glaubte, dieses im Gesetz klipp und klar und deutlich zum Ausdruck bringen zu sollen.
In § 4 ist, und zwar etwas abweichend von der sonstigen Regelung, der Tag des Inkrafttretens anderweitig geregelt. Das Gesetz soll nämlich nach den Vorschlägen der Ausschüsse jetzt erst drei
({8})
Monate nach der Verkündung in Kraft treten. Dazu hat der Regierungsvertreter vorgetragen, daß das Gesetz ja wohl erst dann wirksam werden kann, wenn gleichzeitig nach § 3 Ausführungsbestimmungen des Bundesministers des Innern erlassen worden sind, wozu noch das Einvernehmen mit dem Bundesjustizminister herzustellen und auch die Zustimmung des Bundesrates einzuholen ist. Aus diesem Grunde ist gebeten worden, den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes auf drei Monate nach seiner Verkündung zu bestimmen, damit gleichzeitig mit dem Inkrafttreten auch die Ausführungsbestimmungen zu dem Gesetz vorliegen.
Schließlich habe ich noch auf einen Punkt aufmerksam zu machen, und zwar auf die Einleitung des Gesetzes, in die die Worte „mit Zustimmung des Bundesrates" aufgenommen worden sind. Das war notwendig im Hinblick auf die Bestimmung des Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes, da den Ländern die Ausführung des Gesetzes obliegt und sie es in eigener Verwaltung durchführen. Wenn das Bundesgesetz nun Bestimmungen trifft, wie sie hier in § 3 stehen, so ist die Zustimmung des Bundesrates nach Art. 84 Abs. 1 notwendig.
Namens des Ausschusses für Jugendfürsorge und des Rechtsausschusses habe ich Sie abschließend zu bitten, dem Gesetz in der vorliegenden Fassung der Drucksache Nr. 1848 zuzustimmen.
({9})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Für die weitere Beratung, meine Damen und Herren, möchte ich im Hinblick auf die Kürze des Gesetzes und angesichts der Tatsache. daß nur ein Abänderungsantrag vorliegt, der sich zugleich auf drei Paragraphen bezieht, Ihnen vorschlagen, die Beratung nicht nach einzelnen Paragraphen durchzuführen, sondern das Gesetz im ganzen durchzuberaten und dann in der üblichen Weise abzustimmen. - Ich darf Ihre Zustimmung dazu feststellen.
Der Ältestenrat hat eine Gesamtredezeit von 40 Minuten vorgesehen. Weil auch hier nicht widersprochen wird, nehme ich auch dazu die Zustimmung des Hauses an.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schanzenbach.
Meine Damen und Herren! Mit der Drucksache Nr. 1173 hat die Regierung dem Bundestag den Entwurf eines Gesetzes über die Vermittlung der Annahme an Kindes Statt übersandt. Dieser Entwurf wurde im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht sowie im Ausschuß für Jugendfürsorge abgeändert und liegt Ihnen nun heute zur Beschlußfassung vor. Ich darf die Begründung der Regierung zu dieser Gesetzesvorlage als bekannt voraussetzen und deshalb zu § 1, der die wesentlichste Abänderung beinhaltet, folgendes bemerken.
Der Herr Berichterstatter hat bereits ausgeführt, daß wir vor 1933 kein Reichsgesetz über Adoptionsvermittlung hatten. Die erste gesetzliche Regelung dieser jugendfürsorgerischen Tätigkeit ist durch das Reichsgesetz vom 19. April 1939 erfolgt. Danach oblag die Vermittlung dem Landesjugendamt und dem Jugendamt sowie der Reichsadoptionsstelle im Hauptamt für Volkswohlfahrt und ihren Dienststellen. Allen anderen Stellen, also auch den früher auf diesem Gebiet tätigen Wohlfahrtsverbänden, war auf Grund des eben erwähnten Gesetzes die Adoptionsvermittlung untersagt. Diese nationalsozialistischen Bestimmungen sind 1945 hinfällig geworden.
In der Zwischenzeit haben die Länder Württemberg-Baden und Rheinland-Pfalz entsprechende Gesetze erlassen, die jeweils in ihrem Art. 1 festlegen, daß die Vermittlung von Annahmen an Kindes Statt Aufgabe des Landesjugendamtes und des Jugendamtes ist, aber auch von den vom Landesjugendamt für geeignet erklärten Organisationen vorgenommen werden kann. Die Regierungsvorlage stimmt im Prinzip mit diesen Auffassungen überein.
Im Jugendfürsorgeausschuß des Bundestages wurde der Antrag eingebracht, die für die Vermittlung in Frage kommenden Verbände im Gesetz namentlich festzulegen. Mit der Mehrheit von einer Stimme wurde dieser Antrag angenommen, der dann im Rechtsausschuß formuliert wurde und Ihnen nun in der Fassung des § 1 vorliegt.
Die sozialdemokratische Fraktion kann sich dieser Abänderung aus folgenden Gründen nicht anschließen. Bei der Not und der Fürsorgebedürftigkeit unserer Jugend auf allen Gebieten sollten die Bestrebungen, die im Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922 verankert sind, nämlich daß das Jugendamt Mittelpunkt aller fürsorgerischen Bestrebungen sein soll und daß von da aus die freien Wohlfahrtsverbände zur Mitarbeit herangezogen werden sollen, nicht durchbrochen werden. Diese Art der Zusamenarbeit hat sich in der Praxis bewährt, zumal die Verbände der freien Wohlfahrtspflege in dem Jugendamtsausschuß vertreten sind.
Da der Staat im Reichsjugendwohlfahrtsgesetz jedem Kind programmatisch einen Anspruch auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit zusagt, muß er sich auch in allen Einzelheiten die Möglichkeit des Überblicks und des Eingreifens vorbehalten. Die Leistungen der freien Wohlfahrtspflege auf dem Gebiete der Jugendwohlfahrt sind groß und sollen keinesfalls unterschätzt werden. Aber es besteht auch keine Veranlassung, in diesem uns vorliegenden Gesetz drei Wohlfahrtsverbände namentlich zu erwähnen und noch besonders auf Fachverbände hinzuweisen, wenn schon in der Regierungsvorlage die Beteiligung der freien Vereinigung der Wohlfahrtspflege ganz klar ausgesprochen ist. Da die bisherige Praxis ein gutes Einvernehmen zwischen öffentlicher und freier Jugendhilfe zeigt, kann die Notwendigkeit einer Änderung der bisherigen Gepflogenheiten im Sinne der Fassung des Rechtsausschusses nicht vorliegen. Mir ist kein Gesetz in der Jugendfürsorge bekannt. in dem die Wohlfahrtsverbände teilweise namentlich genannt werden.
({0})
In den Diskussionen ist die Frage der Wiedergutmachung den Wohlfahrtsverbänden gegenüber erörtert worden. Ich meine, daß die Regierung in ihrer Vorlage diesem Gedanken Rechnung getragen hat.
Da wir im Jugendwohlfahrtsrecht keine Zersplitterung, sondern im Interesse unserer Jugend das Zusammenwirken aller in der Jugendwohlfahrt tätigen Kräfte im Jugendamt wollen. ist für die sozialdemokratische Fraktion die Fassung des § 1 in der Ausschußvorlage kaum annehmbar.
Die Abänderungen des § 3 stehen im Zusammenhang mit dem § 1. Die Fraktion der Sozialdemo({1})
kratischen Partei hat Ihnen auf Umdruck Nr. 76 den Antrag auf Wiederherstellung der Regierungsvorlage in den §§ 1 bis 3 vorgelegt. Aus den von mir vorgetragenen Gründen bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Niggemeyer.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es tut mir an sich leid, hier vor dem Hause zu einer Mitarbeiterin des Jugendfürsorgeausschusses im Gegensatz zu stehen, da wir doch sonst in diesem Ausschuß so gut zusammenarbeiten. Ich habe den Auftrag, nicht nur im Namen meiner Fraktion, sondern gleichzeitig im Namen der Freien Demokraten und auch der DP zu bitten, den Antrag der SPD-Fraktion abzulehnen.
Der Herr Berichterstatter hat nicht mit Unrecht gesagt, dieses Gesetz bedeute eine Flurbereinigung. Mit diesem Ausdruck ist eigentlich schon angedeutet, daß etwas abgeändert werden muß, was den freien Wohlfahrtsverbänden mit dem Gesetz von 1939 angetan worden ist. Weil wir auch die namentliche Einschaltung der freien Wohlfahrtsverbände in das Gesetz als eine, sagen wir, Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts ansehen, darum wünschen wir, daß die Verbände namentlich aufgeführt werden.
({0})
Aber das ist nicht der Hauptgrund. Jeder, der in jenen Jahren in der Arbeit der Jugendhilfe und speziell in der Arbeit der Verbände gestanden hat, weiß, daß die Mitarbeiter der freien Wohlfahrtsverbände auch nach dem Gesetz von 1939 oftmals unter dem Druck gestanden haben, jeden Augenblick in das Gefängnis oder das KZ zu wandern, wenn sie es trotz nationalsozialistischen Verbotes übernommen haben, in der Verpflichtung der Jugend gegenüber, in der Verpflichtung, dem heimatlosen, dem familienlosen Kind die echte Familie zu geben, an der Adoptionsvermittlung mitzuwirken. Dies ist der Grund, zu wünschen, daß die Mitarbeit der freien Wohlfahrtsverbände in der Adoptionsvermittlung gesichert ist.
Ich sehe keine Gefahr darin, daß entgegen früherem Brauch, etwa dem Brauch des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes, nun in diesem Gesetz die Verbände namentlich aufgeführt sind
({1})
und daß entgegen früherem Brauch auch noch die Fachverbände der freien Wohlfahrtsverbände mit genannt werden. Ich kann auch nicht einsehen, wieso die Benennung der freien Wohlfahrtsverbände und die Sicherung ihrer Mitarbeit in diesem Gesetz etwa die Belange eines Jugendamts stören könnten.
({2})
Es geht auch mir nicht darum, das Jugendamt, dessen Neugestaltung wir ja bei der Neubearbeitung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes anstreben wollen, in seinen Macht- und Arbeitsbefugnissen irgendwie zu schmälern.
({3})
In der Berichterstattung ist nun alles so grundlegend gesagt worden, daß es vor allem in Anbetracht der vorgerückten Zeit überflüssig ist, hier zu wiederholen, was sonst noch zu sagen wäre. Ich schließe darum meine kurzen Ausführungen mit dem nochmaligen Wunsch, den Antrag der SPD-Fraktion auf Wiederherstellung der Regierungsvorlage abzulehnen.
({4})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wessel.
Meine Damen und Herren! Die Stellungnahme der Zentrumsfraktion zu dem sozialdemokratischen Antrag ergibt sich aus der Tatsache, daß es sich in diesem Fall darum handelt, die Stellen in das Gesetz hereinzunehmen. die ja die eigentliche Vorarbeit bei der Vermittlung der Adoption durchzuführen haben. Es kommt hier nicht darauf an, zu fragen, welche Befugnisse das Jugendamt im einzelnen auszuüben hat. Wenn Frau Kollegin Schanzenbach das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz zur Begründung ihres Antrages angeführt hat, so möchte ich doch darauf hinweisen, daß dieses durchaus die Delegationsmöglichkeit vorsieht und deswegen auch bestimmte Funktionen den einzelnen Fach- und Wohlfahrtsorganisationen überträgt.
({0})
Angesichts der Tatsache, daß es sich hier um Menschen handelt, die durchweg vorher von den Wohlfahrtsorganisationen betreut worden sind. liegt es logisch im Sinne dieses Gesetzes und im Interesse der davon erfaßten Kinder, daß den Wohlfahrtsorganisationen, die die Adoptionsvermittlung einleiten, dann auch von Staats wegen das Recht der Durchführung zuerkannt wird.
({1})
Wir sollten darum dem Gesetz nicht mit formalen
Gründen gegenübertreten, sondern aus der tatsächlichen Erfahrung der Praxis in der Wohlfahrtsarbeit auch den Wohlfahrtsorganisationen gerade
im Interesse der Kinder dieses Recht zuerkennen.
({2})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe auf § 1. Dazu liegt der Abänderungsantrag auf Umdruck Nr. 76 vor. Ich .bitte diejenigen, die dem Abänderungsantrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Dieser Abänderungsantrag erstreckt sich auch auf die §§ 2 und 3. Ich darf wohl die Zustimmung der Antragsteller voraussetzen, daß ich nunmehr nicht mehr abstimmen lasse; denn im Grunde genommen würde es eine Wiederholung der vorhin beantragten Angelegenheit sein. Unter diesen Umständen rufe ich auf die §§ 2, - 3, - 4, - Einleitung und Überschrift. - Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Paragraphen, der Einleitung und Überschrift zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen! - Das erste war zweifellos die Mehrheit. Damit ist das Gesetz in zweiter Lesung verabschiedet.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf auf Drucksache Nr. 1848 in der soeben in zweiter Lesung beschlossenen Fassung in der Schlußabstimmung zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. Ent({0})
haltungen! - Das erste war zweifellos die Mehrheit. Damit ist das Gesetz in dritter Lesung verabschiedet.
Ich rufe nunmehr auf Punkt 6 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit ({1}) über den Antrag der Abgeordneten Hoogen, Dr. Schatz, Kahn und Genossen betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs über Diensterfindungen ({2}).
Das Wort hat zur Berichterstattung Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen.
Dr. Wellhausen ({3}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Es wird immerhin Zeit, daß ein sachlich sehr einfacher Antrag, datiert vom März 1950, nunmehr zur Erledigung kommt. Der Ausschuß für Arbeit und der Ausschuß für Patentwesen schlagen Ihnen vor, diesem Antrag zuzustimmen.
Nicht nur die in dem Antrag gegebene Begründung, daß das bisher geltende Gesetz alle möglichen Naziausdrücke enthalte und aufgelösten Organisationen eine Zuständigkeit gebe - was ja nicht gut möglich ist -, sondern auch sonstige Gründe geben Veranlassung, die Bundesregierung zu ersuchen, das Gesetz in neuer Fassung vorzulegen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch erwähnen, daß wir annehmen, das Gesetz wird auch eine Regelung darüber enthalten, wie die Vergütungen für Diensterfindungen steuerlich behandelt werden sollen. Es hat sich herumgesprochen. daß in zwei Ministerien diese letztere Frage schon seit langem behandelt wird. Aber ein Gesetzentwurf darüber ist an dieses Hohe Haus bisher nicht
gedrungen.
Ich bitte Sie also, den Antrag Hoogen, Drucksache Nr. 805, gemäß der Drucksache Nr. 1846, Mündlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit, anzunehmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Der Ältestenrat hat vorgesehen, daß im Hinblick auf die Ergebnisse im Ausschuß von einer weiteren Beratung im Plenum abgesehen wird. Ich nehme an, daß das Haus zustimmt. - Damit ist die Aussprache geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag auf Drucksache Nr. 1846 zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen! - Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe nunmehr auf Punkt 7 der Tagesordnung:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der
Bayernpartei betreffend Maßnahmen zugunsten der Wirtschaft bei Ausfall tschechoslowakischer Kohle ({0});
b) Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend Kohlelieferungen für Bayern aus der Tschechoslowakei ({1}).
Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Etzel.
Dr. Etzel ({2}) ({3}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die oberfränkische und oberpfälzische, teilweise auch die niederbayerische Wirtschaft verwenden seit vielen Jahrzehnten Kohle aus den böhmischen Revieren. Am 1. Dezember 1950 hat die tschechoslowakische Republik die Lieferung von Steinkohle nach Bayern eingestellt und jene von Braunkohle gekürzt. Schließlich hörte sie mit den Lieferungen ganz auf. Die Maßnahme der tschechischen Regierung ist dadurch ausgelöst worden, daß man deutscherseits mit den handelsvertraglich zugesicherten Gegenlieferungen infolge alliierter Behinderungen in Rückstand kam.
({4})
Er betrug allein in Eisen und Stahl einschließlich Schrott am 30. September 1950 nicht weniger als 5,272 Millionen Dollar, und am 31. Oktober vorigen Jahres hatte die Tschechoslowakei in der gesamten Außenhandelsbilanz mit Westdeutschland einen Haben-Saldo von 6,011 Millionen Dollar.
Von den Behinderungen durch die US-Besatzungsmacht wurden vielfach sogar ordnungsgemäß lizenzierte Ausfuhren betroffen. Es ist leider Tatsache, daß die gleichen Waren, deren Export den deutschen Firmen unmöglich gemacht wird, ungehindert die Grenze passieren können, wenn sie aus Ländern des Atlantikpakts kommen,
({5})
mag es sich um Eisenbahnschienen, Kugellager, Walzwerkmaterial oder feinmechanische und optische Instrumente, wie im Falle jenes Elektronenmikroskops, handeln. Ich glaube, die Besatzungsmacht hätte ein dringendes Interesse daran, dem Verdacht zu entgehen, daß sie durch ihre Maßnahmen das osteuropäische und südosteuropäische Geschäft deutscher Firmen lahmlegen möchte, ohne das aber die westdeutsche Wirtschaft - wenn einmal der Aufrüstungsboom zu Ende ist, wird sich das mit aller Schärfe herausstellen - auf die Dauer nicht bestehen kann.
Die für die Wirtschaft in Oberfranken. in der Oberpfalz und in Niederbayern entstandene Lage war um so ernster, als auch die Lieferungen von Braunkohlenbriketts aus dem Kölner Revier unzureichend wurden, die Braunkohlenbriketts aus der Ostzone ausfielen und früher zugesagte Nachlieferungen von Ruhrkohle ausblieben. Nun ist zwar, was anerkannt werden muß, der Herr Bundeswirtschaftsminister alsbald mit Ersatzlieferungen aus den westdeutschen Revieren eingesprungen. Aber diese Hilfsaktion leidet an zwei Mängeln. Sie reicht mengenmäßig nicht aus, und es sind schwere Schäden aus der Lieferung ganz ungeeigneter Sorten entstanden, Erst gestern ist von amtlicher bayerischer Seite mitgeteilt worden. daß in den Ersatzlieferungen fortschreitend Ausfälle zu verzeichnen seien. Für Januar seien 6000, im Februar bisher bereits 8000 Tonnen weniger als zugesagt, geliefert worden.
Vor allem darf nicht übersehen werden, daß viele oberfränkische und oberpfälzische Unternehmen der Fein- und Grobkeramik, der Glas- und Textilindustrie und der Industrie anderer Zweige, besonders auch die kontinuierlich arbeitenden Betriebe wie Stromversorgungen und Vergasungsanlagen, die Schamotte- und Tonwerke und die Hersteller feuerfester Erzeugnisse ihre Feuerungsanlagen, die Generatoren und Tunnelöfen auf. den Verbrauch von Tschechenkohle umgestellt haben. Für sie bedeutet die Einstellung dieser Lieferungen den Verlust einer von altersher bestehenden Kohlenbasis. Wenn nun aus dem Westen nicht verwendbare Sorten geschickt werden, dann müssen
({6})
ernste Ausfälle eintreten. So sind durch die plötzliche Lieferung völlig ungeeigneter Briketts in den großen Vergasungsanlagen des Detag-Werks, Weiden in der Oberpfalz, schwere Störungen hervorgerufen worden, die zu einem Bruch in der Ofenanlage führten und einen Schaden von rund einer Million DM verursachten. Auch bei Betrieben der Porzellanindustrie sind auf diese Weise sehr gefährliche technische Störungen und Arbeitsausfälle eingetreten.
Zu den bekannten großen Verkehrsschwierigkeiten und Vorausbelastungen der nordostbayerischen Wirtschaft treten nun auch Einschränkungen und Gefährdungen ihrer Kohlenbasis. Die Bedrohung dieses Grenz- und Flüchtlingsgebiets durch Arbeitslosigkeit und Betriebsabwanderungen verschärft sich. Die daraus entstehenden politischen-Gefahren dürfen nicht unterschätzt werden. Kein Betrieb kann dort bei der gegenwärtigen Unsicherheit der Kohlenversorgung irgendwelche Investitionen verantworten.
Die Wirkungen eines auch nur teilweise ersatzlosen Ausfalls der Tschechenkohle würden sich, da unter den in Mitleidenschaft gezogenen oberfränkischen und oberpfälzischen Betrieben viele Spezial- und Zulieferungsindustrien sind. nicht auf die dortige Produktion und Arbeitsmarktlage beschränken, sondern sich auch auf andere Wirtschaftszweige und Unternehmen des Bundesgebiets erstrecken. So wäre, um nur ein Beispiel von vielen zu nennen, durch den Ausfall des Farbwerks Marktleuthen, das der einzige Hersteller von Goldocker ist, die Produktion des größten deutschen Linoleumwerks, der Deutschen Linoleum AG, Bietigheim, gefährdet.
Es ist ein dringendes Gebot, den betroffenen Gebieten die seit alters bestehende Versorgung mit tschechischer Kohle zu sichern. Es sollte kein Handelsvertrag mit der Tschechoslowakei abgeschlossen werden, in dem nicht die Wiederaufnahme der Kohlenlieferungen in dem früheren Umfange festgelegt wird. Andererseits müssen alle Vorkehrungen getroffen werden, damit durch deutscherseits erfolgende Erfüllung des Handelsvertrags die Ausführung der tschechischen Kohlenlieferungen gesichert wird.
Ich darf die Aufmerksamkeit der Bundesregierung mit allem Nachdruck auf die im nordostbayerischen Industriegebiet sich herausbildende Lage und die Notwendigkeit lenken, rasch zu handeln. An den Bundestag richte ich die dringende Bitte, dem Antrag meiner Fraktion ohne Ausschußverweisung seine Zustimmung geben zu wollen.
({7})
Das Wort zur Begründung des nach Punkt 7 b der Tagesordnung zur Beratung stehenden Antrags hat Herr Abgeordneter Kohl.
Kohl ({0}) ({1}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in einer der letzten Sitzungen, als hier die Kohlendebatte stattgefunden hat. erklärt, daß es ein Leichtes für ihn gewesen sei, durch einen einfachen Telefonanruf den Ausfall der tschechischen Braunkohle in dem Gebiet des Bayerischen Waldes und in Oberfranken auszugleichen; er habe die Möglichkeit gehabt, an Stelle der ausgefallenen tschechischen Braunkohle nun Braunkohle aus dem westfälischen Gebiet hinzuschicken. Bei einer genauen Untersuchung der tatsächlichen
Verhältnisse - und diese liegen unserm Antrag Drucksache Nr. 1825 zugrunde - ergeben sich allerdings andere Perspektiven, weil man erstens einmal von dem Gedanken ausgehen muß, die Durchführung geschlossener Verträge zu sichern, und weil man zum andern darauf bestehen muß, daß das Eingreifen der Hohen Kommission bei der Durchführung dieser Verträge zu unterbleiben hat. Gerade die Tatsache, daß die Gegenwertlieferungen nach der Tschechoslowakei für die von dort nach dem bayerischen Grenzgebiet gelieferten Braunkohlenmengen von der Hohen Kommission verhindert worden sind, zeigt mit aller Deutlichkeit die Abhängigkeit, in der sich Westdeutschland bei der Durchführung abgeschlossener Handelsverträge befindet.
Ich empfinde es als etwas eigenartig, daß in. dem Antrag der Bayernpartei - obwohl ich die Argumentation des Herrn Kollegen Dr. Etzel hundertprozentig unterstütze - beispielsweise gerade diese Dinge zu vermissen sind, weil man der Hohen Kommission in keiner Form zu nahe treten will. Wir sind deshalb der Auffassung, daß der Antrag der Bayernpartei im wesentlichen von falschen Voraussetzungen ausgeht, wenn er sich nur auf die automatische Umlenkung der Braunkohle aus dem westfälischen Gebiet bei dem Ausfallen tschechoslowakischer Braunkohle stützt und kein Wort von der Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen aus einem abgeschlossenen Handelsvertrag sagt.
Bei einer genauen Untersuchung der tatsächlich vorhandenen Verhältnisse muß man feststellen, daß sich die westdeutsche Kohle für die Verarbeitung der vor allen Dingen in Glashütten vorhandenen Generatorenanlagen nicht eignet und, wie der Herr Kollege Etzel mit Recht feststellte, bereits eine Reihe von Unglücksfällen im Bayerischen Wald, nicht nur in Weiden. zu verzeichnen sind. Wir haben die Tatsache, daß allein in einem Betrieb in Weiden über 600 Menschen durch dieses große Unglück arbeitslos geworden sind, d. h. sie werden vorläufig noch mit Aufräumungsarbeiten in dem Betrieb beschäftigt. Der Betrieb wird nach Abschluß dieser Aufräumungsarbeiten nicht mehr in Gang gesetzt werden können. wenn nicht tschechoslowakische Braunkohle zur Verfügung steht.
Das Eingreifen der Hohen Kommission und die Verhinderung der Lieferung reiner Friedensprodukte an. die Tschechoslowakei hat einen Zustand geschaffen, der dort in diesem Gebiet nicht nur den schärfsten Widerstand der Arbeiterschaft, sondern auch der Vertreter der Wirtschaft und der Industrie ausgelöst hat. Nach den uns gewordenen Mitteilungen werden bei dem weiteren Fortfall - und diese Dinge soll man sehr ernst nehmen, wenn man das Gebiet kennt - der Braunkohlenlieferungen aus der Tschechoslowakei größere Betriebsstillegungen nicht zu vermeiden sein. von denen allein beispielsweise im Bayerischen Wald zirka 4- bis 5000 Arbeiter direkt und zirka 50 000 Menschen indirekt betroffen werden. Das Gebiet des Bayerischen Waldes verfügt bereits über eine außerordentlich hohe Arbeitslosenzahl. Die Menschen dort befinden sich in einem ungeheuer schweren Existenzkampfe, der durch die Maßnahme der Hohen Kommission noch um ein Bedeutendes verschärft wird. Wir sagen deshalb mit aller Deutlichkeit, daß die Abstoppung der Realisierung abgeschlossener Verträge den Gedanken nahelegt, daß im Zuge der Kriegsvorbereitungen die Schaffung einer toten Zone gerade in diesem Gebiet vor({2})
bereitet wird und die wirtschaftlichen Beziehungen der Tschechoslowakei mit Westdeutschland unterbunden werden sollen.
Es ist dabei nicht uninteressant, daß auch hohe amerikanische Beamte in diesem Gebiet in Besprechungen mit Vertretern der dortigen Industrie auf die Notwendigkeit des Opferbringens der Arbeiter und der Industrie hingewiesen haben, ohne allerdings dafür Verständnis zu finden. Wir glauben, daß der bayerische Wirtschaftsminister zweifelsohne recht hat, wenn er feststellt. daß die Lieferungen der Braunkohle aus der Tschechoslowakei in dem Moment wieder garantiert werden, in dem die unerhörten Eingriffe der Hohen Kommission unterbleiben und in dem man endlich auch hier die abgeschlossenen Handelsverträge einhält.
Wir wenden uns deshalb mit aller Schärfe gegen die auch hier wieder in Erscheinung tretende Diskriminierung des Ost-West-Handels und verlangen in unserem Antrag, daß die Bundesregierung mit eindeutiger Klarheit feststellt, daß so die Dinge nicht weitergehen können. Wir bitten Sie auch deshalb, diesen Antrag nicht in den Ausschuß zu verweisen, sondern als Willenskundgebung des Bundestags einmütig anzunehmen.
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Die Begründung ist damit gegeben. Wir kommen zur Aussprache. Dafür schlägt der Altestenrat eine Gesamtredezeit von 40 Minuten vor. - Ich stelle die Zustimmung des Hauses dazu fest.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Zawadil.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von dieser Stelle aus wurde wiederholt die wirtschaftliche und soziale Notlage des nord- und ostbayerischen Gebietes besprochen und vor allem auf die politischen Folgen hingewiesen, die aus der Vernachlässigung dieser Gebiete erwachsen. Was wirkt bei diesem heute zur Debatte stehenden Problem mit? Es sind zwei Komponenten, die zusammenwirken, erstens die Tatsache, daß auf Grund alliierter Eingriffe die Exportlieferungen und Exportverpflichtungen der Tschechoslowakei gegenüber nicht eingehalten wurden; darüber hinaus aber wirkt gleichzeitig eine zweite Komponente mit, und das ist die Tatsache, daß außer den Stahl- und Eisenlieferungen noch Einzelfabrikate, vor allem Chemikalien, nicht geliefert wurden, und zwar ohne Einfluß der Alliierten, sondern durch Verschulden unserer eigenen westdeutschen Wirtschaft.
({0})
Nachdem es sich um Zehntausende von Menschen handelt, die in Gefahr sind, arbeitslos zu werden, muß das offen ausgesprochen werden.
Die Verpflichtungen, die wir als -Ausgleich seitens der Bundesregierung versichert bekamen, sind nicht eingehalten worden. Es ist ein Rückstand zu verzeichnen an Industriekohle, Nuß I und II und Koks für Januar in Höhe von 6000 Tonnen und für Februar in Höhe von 8000 Tonnen. Das ist allein das Minus der Ausgleichslieferungen. Darüber hinaus können wir feststellen, daß nach dem Bericht der Regierung von Oberfranken mit dem 20. Januar ein Gesamtminus an Brennstoff in Höhe von 138 000 Tonnen angewachsen war.
Meine Damen und Herren! Die Auswirkungen dieser Kohlenknappheit sind heute schon festzustellen. Ich habe erst vor wenigen Stunden den letzten Bericht bekommen, wonach nicht nur, wie es gestern der Fall war die Firma Schaller in Schwarzenbach mit mehreren hundert Arbeitern den Betrieb einstellen mußte, sondern wonach vermutlich morgen und bis Ende dieser Woche auch die Textil-, Porzellan.- sowie Glasindustrien von Marktredtwitz und Wunsiedel stillgelegt werden müssen.
In Kronach sind bereits vorgestern Stillegungen erfolgt; außer den Glas-, Porzellan- und Textilfirmen sind auch noch die Tierkörper-Verwertungsanstalten in Gefahr. Die Folgen solcher Stillegungen lassen sich, meine Damen und Herren, leicht absehen, nicht allein hinsichtlich der Seuchengefahren, die daraus entstehen können.
Wir fordern daher, daß unbedingt jetzt vom Plenum aus Sofortmaßnahmen getroffen werden und daß die Angelegenheit nicht etwa einem Ausschuß überwiesen wird. Der Antrag stand schon vor drei Wochen auf der Tagesordnung, die Beratung ist aber leider Gottes verschoben worden. Unterdessen hat sich die Situation noch verschlechtert. Es darf in dieser Frage keinen Aufschub mehr geben, sondern es müssen Sofortmaßnahmen getroffen werden, nicht nur nach der Richtung, daß Ausgleichslieferungen geleistet werden.
({1})
Mit der Braunkohle allein, die von Westdeutschland geliefert wird, können die Betriebe nicht aufrechterhalten werden, da die Feuerungen nicht darauf eingestellt sind. Es müssen wie früher Sudetenkohlen aus der Tschechoslowakei eingeführt werden. Seit Jahrzehnten ist die Industrie Nord- und Ostbayerns auf diese Kohlen eingerichtet. Wir wissen - wie es vorgestern in Schwarzenbach der Fall war -, daß infolge der Verwendung ungeeigneter westdeutscher Kohle Vergiftungserscheinungen aufgetreten sind und Arbeiter bei den Brennöfen zusammengebrochen sind. In Weiden kam es zu einem ähnlichen Fall. Nur durch die Verwendung ungeeigneter Braunkohle aus Westdeutschland sind dort große Verluste an Schmelzglas eingetreten. Wir müssen also nicht nur darauf dringen, daß die Verpflichtungen zu Kohlenausgleichslieferungen aus Westdeutschland eingehalten werden, sondern wir müssen - um nämlich die Industrie davor zu bewahren, mangels Sudetenkohle überhaupt lahmgelegt zu werden - auch energisch fordern, daß die handelsvertraglichen Verpflichtungen unsererseits eingehalten werden und die notwendigen Kohlen aus der Tschechoslowakei weiterhin zur Einfuhr gelangen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wönner.
Meine Damen und Herren! Es scheint notwendig, bei diesem Problem zwei Fragen grundsätzlich voneinander zu unterscheiden. Die erste Tatsache ist die, daß die Kohlenversorgungslage ganz allgemein schon ungewöhnlich schwierig war, noch ehe das besondere Tschechenproblem für das hier in Frage stehende Gebiet auftrat. Die Schwierigkeiten, die jetzt tatsächlich bestehen, kommen nicht nur von dem Mangel an Tschechenkohle, sondern ganz allgemein aus der verschlechterten Kohlensituation. Wer so wie ich die Ehre hat, seit dem 29. Dezember täglich sich um diese Schwierigkeiten zu bemühen, kennt die Einzelheiten sicherlich sehr, sehr genau. Auch wir wußten natürlich, daß mit dem Ausfall der Tschechenkohle
({0})
insbesondere die keramische und die Glasindustrie und auch die spezifisch im oberfränkischen Raum massierte Textilindustrie großen Schaden erleiden würde, wenn es nicht g länge, entsprechende Ausgleichslieferungen dafür zu bewirken. Mir scheint es aber gefährlich zu sein, etwa ein Junktim in der Weise zu schaffen, daß man feststellt: Wenn wir nicht mehr in die Tschechoslowakei hineinliefern, dann muß der deutsche Kohlenexport in anderer Richtung entsprechend gekürzt werden. - Es ist eben von dem Herrn Vorredner schon darauf hingewiesen worden, daß damit das Problem an sich nicht gelöst wird, weil tatsächlich nicht alle der bisher mit Tschechenkohle belieferten Betriebe auf andere Kohle ausweichen können. Sie sind zu einem Teil - ich erinnere beispielsweise an das Elektrizitätswerk in Arzberg - in der Tat auf Tschechenkohle angewiesen und können andere Kohle gar nicht brennen. Insoweit ist es absolut richtig, daß alles versucht werden muß, damit die deutschen Gegenlieferungen wieder entsprechend rollen.
Neuerdings - ich bin seit vorgestern nur aus der Presse darüber informiert - ist ein Teil der bisher zurückgehaltenen Waren freigegeben worden. Es ist zu hoffen, daß auf dieser neuen Grundlage auch ein neues Handelsabkommen mit der Tschechoslowakei erreicht werden kann.
Außer auf diese Umstände ist auch darauf hinzuweisen, daß schon die bisherige Zurückhaltung deutscher Waren nicht den Gegegebenheiten entsprochen hat; denn wenn wir erst einmal zu prüfen in der Lage wären, was etwa aus anderen westalliierten Staaten an sogenanntem Rüstungsgut nach dem Osten geliefert wird, dann würde das, was bisher aus deutschem Raum dort hingegangen ist, als eine sehr bescheidene Angelegenheit in Erscheinung l treten.
Was aber die Situation da oben so besonders schwierig macht, ist etwas anderes. Meine Damen und Herren, ich bitte das, was ich jetzt sage, wörtlich zu nehmen. Über die Kohlenzuteilung wird zur Zeit die ganze Wirtschaftspolitik in Bayern von einem kleinen Angestellten des Kohlenkontors in Mannheim gemacht; denn der allein hat die Möglichkeit, die Kohle zu steuern, sonst niemand. Wir haben den Herrn Bundeswirtschaftsminister mit aller Eindringlichkeit darauf hingewiesen, daß dieser Zustand unter allen Umständen behoben werden muß. Mangels der Bereitschaft, überhaupt entfernt eine Planungsmaßnahme in dieser Richtung durchzuführen, ist der Zustand bis heute unverändert geblieben. Wir haben die Fälle, wie sie hier erwähnt worden sind, daß etwa ein Betrieb mit einigen hundert Arbeitern stillgelegt werden mußte, bisher immer in der Weise provisorisch behoben, daß wir eben bemüht waren, über Mannheim die erforderlichen Kohlenmengen wieder zu beschaffen, um gerade diesem Betrieb zu helfen. Es ist aber tatsächlich mehr als einmal geschehen, daß einige Tage später ein anderer Betriebsleiter zu uns kommen und uns mitteilen mußte: Der Betrieb muß in fünf Tagen stillgelegt werden, weil gerade ihm die Kohlen weggenommen werden mußten, die der andere gebraucht hat.
Das ist ein Zustand, der auf die Dauer einfach unhaltbar ist. Es ist doch unmöglich, daß Bayern erst am 20. Januar die Mitteilung darüber bekommen hat, welche Kohlenquoten überhaupt für den Januar zur Verfügung stehen. Aus dieser Mitteilung allein schon erhellt die Unhaltbarkeit des gegebenen Zustandes. Wir haben mehr als einmal darum gebeten, daß spätestens am 20. des Vormonats bekanntgemacht worden sollte, welche Mindestquoten zur Verteilung zur Verfügung stehen: denn nur auf einer solchen Grundlage kann vernünftig geplant werden. Geplant werden muß auf diesem Gebiet; dann werden wir auch diese Krise zu überwinden in der Lage sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Solleder.
Meine Damen und Herren! Wir haben in einem anderen Zusammenhang schon wiederholt die ernste wirtschaftliche Lage Ostbayerns erörtert. Wir haben darauf hingewiesen, daß dieses arme Land exponiert ist wie kein anderes im Bundesgebiet, abgeschnitten im Norden und Osten durch die Sowjetzone und durch den Eisernen Vorhang, überbelastet mit Flüchtlingen bis zu 50 und 60 % der einheimischen Bevölkerung, mit einer Arbeitslosenziffer, die heute schon wieder auf 34 und 36 % der arbeitsfähigen Bevölkerung hinaufschnellt. Wir haben gehört, daß das alles ein Ausfluß der politischen Strukturveränderung ist, wie sie uns durch die Schaffung der zwangsweise aufgedrängten Grenzen des neuen Bundesgebietes aufgezwungen wurde.
({0})
Wir haben hingewiesen auf den Ernst der Lage und auf die Notwendigkeit, die Verelendung dieses Gebietes durch Maßnahmen unserer Regierung alsbald entsprechend zu korrigieren. Wir haben festgestellt, daß ein Bundestagsbeschluß vorliegt, wonach vor allem die Frachtferne korrigiert werden soll und. der Verlust der Absatzgebiete durch die Schaffung der politischen Grenzen dadurch wiedergutgemacht wird, daß die Frachtferne durch entsprechende Frachtermäßigungen ausgeglichen wird.
Geschehen ist bis heute so gut wie nichts. Jetzt haben wir in diesem armen Grenzland einen weiteren Umstand zu verzeichnen, nämlich daß die Spannungen zwischen Ost und West, diese handelspolitischen Meinungsverschiedenheiten sich auf dem Rücken dieses armen, total verelendeten Landes auswirken. Die Tschechenkohle ist das Grundelement der ostbayerischen Wirtschaft. Die Porzellanindustrie ist mit ihren Öfen und Kalorieneinstellungen ausschließlich auf die Tschechenkohle angewiesen. Sie haben heute gehört, daß sich bereits schwerwiegende Unglücksfälle ereignet haben, weil andere Kohle verwendet werden mußte und die Glasmasse, die Wanne, ausgebrannt ist und ein Betrieb stillgelegt werden mußte. Dadurch wurden sowohl Unglücksfälle wie Arbeitslosigkeit herbeigeführt.
Mir wird hier ein Brief des bayerischen PortlandZementwerkes Burglengenfeld vorgelegt, einer Schlüsselindustrie. Aus diesem Brief geht hervor, daß dieses Werk stillgelegt hat und damit gleichzeitig weitere Betriebe, die an diesem Zementwerk interessiert und ihm angeschlossen sind, ausgeschaltet werden.
Die außerordentliche Arbeitslosigkeit wird zwangsweise noch weiter durch diese politischen Verhältnisse verstärkt. Die Verelendung schreitet fort, das Land verarmt weiter und das deutsche Element wird zwangsläufig dem Radikalismus in die Hände getrieben.
({1})
Hier ist es die Pflicht der Regierung und der Ministerien, rasch zu helfen.
({2})
({3})
- Ich bedaure es außerordentlich, daß der verantwortliche Wirtschaftsminister heute hier nicht vertreten ist und auch keinen Vertreter hier hat.
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- Also bitte, dann korrigiere ich mich insoweit. -Jedenfalls sind die Probleme so ernst, daß wir die Regierung mit Nachdruck darauf hinweisen müssen, daß hier unter allen Umständen gehandelt werden muß.
Ich erlaube mir daher, zu dem Antrag der Fraktion der Bayernpartei noch den Zusatzantrag zu stellen, sofort durch Verhandlungen mit der Tschechoslowakei die Lieferungen von tschechischer Kohle für die ostbayerischen Gebiete wieder zu sichern.
({5})
Das Wort hat der Staatssekretär Dr. Schalfejew.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich für den Herrn Bundeswirtschaftsminister Erhard sagen, daß er leider durch eine Kabinettsitzung am Erscheinen zu dieser Stunde verhindert ist. Über das Thema, das bezüglich der Tschechenkohle angeschnitten worden ist, meine Damen und Herren, sind wir sehr wohl orientiert. Wir sind seit Monaten bemüht, die Verhältnisse mit der Tschechoslowakei nach dieser Richtung zu verbessern. Gehindert wurden wir dadurch, daß eine große Anzahl Züge mit deutschen Waren, die für die Tschechoslowakei bestimmt waren, an der tschechischen Grenze durch amerikanische Beamte aufgehalten und nicht hinübergelassen wurden. Es sind meines Wissens etwa 60 oder 70 Züge dieser Vertragslieferungen, von denen mein Herr Vorredner eben gesprochen hat. Wir haben sehr eingehende Verhandlungen mit den amerikanischen Beamten gehabt. Diese waren sehr schwierig; denn es wurde zu jedem Gegenstand gesagt: ja, das wäre aber einer, der nach den und den Bestimmungen nicht über die Grenze geliefert werden dürfte usw. Darüber ist im Einzelfall großer Streit entstanden.
Inzwischen ist es uns aber gelungen, etwa 45 Züge freizubekommen; die sind geliefert worden. Außerdem ist eine weitere Menge von Waren, denen die Genehmigung versagt worden war, ebenfalls freigegeben worden, die jetzt also zur Lieferung kommen. Auf dieser Basis ist mit den Tschechen in Verhandlungen eingetreten worden, von denen ich hoffe, daß sie zu dem Ziele führen, das die Herren hier gewünscht haben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Im Laufe der Debatte hat sich ergeben, daß seitens der Antragsteller und auch anderer Sprecher der Fraktionen die unmittelbare Annahme der Anträge und keine Überweisung an die Ausschüsse gewünscht worden ist. Ich lasse dementsprechend also, da kein Überweisungsantrag vorliegt, abstimmen, und zwar zunächst über den Antrag der Fraktion der Bayernpartei. Dazu liegt ein Zusatzantrag Dr. Solleder vor, sofort durch Verhandlungen mit der Tschechoslowakei die Lieferung tschechischer Kohle wieder zu sichern. Das ist offenbar als Ergänzungsantrag gedacht?
({0})
- Ich muß allerdings fragen: Wird dieser Antrag von zehn Mitgliedern des Hauses unterstützt? - Das ist der Fall. Wir stimmen also jetzt darüber
ab. Ich bitte diejenigen, die dem Ergänzungsantrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das erste war zweifellos die Mehrheit. Der Ergänzungsantrag ist angenommen.
Ich bitte diejenigen, die nun dem Antrag auf Drucksache Nr. 1793 mit dem eben angenommenen Ergänzungsantrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist zweifellos die Mehrheit, anscheinend sogar Einstimmigkeit. Damit ist der Antrag angenommen.
Wir kommen nunmehr zu der Abstimmung über den Antrag auf Drucksache Nr. 1825. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Die Zahl der Gegenstimmen war zweifellos größer als die der Bejaher. Der Antrag ist damit abgelehnt.
Ich rufe nunmehr auf Punkt 8 der Tagesordnung: Beratung des Antrags der Fraktion des Zentrums betreffend Rückgabe der Insel Helgoland an ihre Bewohner ({1}).
Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Dr. Hamacher.
Dr. Hamacher ({2}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem Pflichtenkreis der deutschen Grenzlande, der dem Hohen Hause immer wieder ins Gedächtnis zurückgerufen werden muß, nimmt Helgoland eine ganz besondere und leider Gottes sehr schmerzhafte Stellung ein. Diese Insel ist zwar klein an Ausmaß, aber so tief durchsetzt mit Schmerz für die ehemaligen Bewohner Helgolands wie für das gesamte deutsche Volk, daß eine eingehende, und zwar doppelte Diagnose notwendig ist, um die Bedeutung dieser Frage für die Bewohner selbst, für Deutschland wie auch für das Verhältnis zwischen Deutschland und England, ja auch über England und Deutschland hinaus einer besonderen Betrachtung zu unterziehen. Darum möchte ich bei dem, was ich zu diesem Thema zu sagen habe, unterscheiden erstens nach außerdeutschen Gesichtspunkten und zweitens nach innerdeutschen Gesichtspunkten.
Vor einigen Wochen haben wir aus dem Munde des neuen Vertreters Englands, des Herrn Kirkpatrick, eine Rede an das deutsche Volk gehört, in der dem Thema Helgoland Sätze von besonders wohlwollender Natur für Deutschland gewidmet waren. Wir haben uns gefreut, daß der neue Kommissar sich in dieser Form in seine wahrhaft sehr bedeutsame Aufgabe für die Beziehungen zwischen England und Deutschland eingeführt hat. Um so schmerzlicher sind wir berührt, daß nun ein maßgebendes Mitglied des englischen Kabinetts, Herr Kriegsminister Henderson, darauf eine Antwort gegeben hat, die wir nicht schweigend hinnehmen können und nicht hinnehmen dürfen. Denn er hat inhaltlich eindeutig gesagt, dieses Bombenziel Helgoland könne von England und dem Kriegsministerium nicht zurückgestellt werden, man könne also der Anregung des Herrn Kirkpatrick nicht nachgeben - ein Zwiespalt zwischen den maßgebenden Kreisen der Regierung und dem maßgebenden Vertreter Englands in Deutschland.
Meine Damen und Herren! Wer diesen Zwiespalt auf sich wirken läßt, der denkt unwillkürlich an das widersinnige Verhältnis zwischen den Anhängern des Morgenthauplans und den Anhängern des Marshallplans, von dem die Kenner wissen, daß sie sich gegenseitig nicht nur stören, sondern auf jeden Fall in der ganzen Auswirkung auch hemmen.
({3})
Von England und vom Standpunkt des Herrn Kriegsministers her gesehen möchten wir ihm sagen: Wenn er nach einem Bombenziel suchen muß, nach einem Exerzier- oder Experimentierbombenfeld, dann könnte ihm jeder durchschnittsbegabte deutsche Volksschüler sagen: England hat im Norden seines Landes eine große Zahl von unbewohnten und unbewohnbaren Inseln, die ebenfalls für diese Exerzier- und Experimentierbomben in Frage kämen. Wenn er dies berücksichtigte, würde er auf keinen Fall das deutsche Land und das deutsche Volk mit diesen Bombenwürfen so verletzen, daß diese Bombenwürfe nicht nur als Bomben auf Helgoland, sondern als Bomben auf das deutsche Land und das deutsche Volk empfunden werden müssen.
({4})
Und hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir als Vertretung des deutschen Volkes die Pflicht, auf die ernsten Bedenken, ja die ernsten Folgen aufmerksam zu machen, die aus der Durchführung des Plans des Herrn Kriegsministers schließlich entstehen könnten.
Damit komme ich auf die innerdeutsche Seite und die innerdeutsche Beobachtung dieser Angelegenheit. Es ist ja nicht unbekannt geblieben, daß junge Studenten aus einem inneren Antrieb heraus nach Helgoland gefahren sind. Studenten sind immer unberechenbar und spielen nicht nur ab und zu ihren Professoren einen Schabernack, sondern sie spielen ab und zu auch in der Politik eine Rolle, die weittragende Folgen haben kann.
({5})
Man denke z. B. an die Studenten, die dem damals allmächtigen Minister Metternich in dem ersten Jahrzehnt nach den Freiheitskriegen das Konzept so gründlich verdorben haben, daß er vom Deutschen Bunde die Karlsbader Beschlüsse gegen diese Studenten fassen ließ.
Nun haben hier wiederum deutsche Studenten eine Initiative ergriffen, die von weittragenden Folgen war und die in der Öffentlichkeit jedenfalls mit großer Aufmerksamkeit aufgenommen worden ist. Es ist interessant zu hören, daß diese Studenten mittellos waren, aber an der Küste, an der Wasserkante sofort mit Geld ausgerüstet wurden, Überfahrtsmöglichkeiten nach Helgoland erhielten und daß sie dort einen Aufenthalt nahmen, von dem die breiteste Öffentlichkeit hat Kenntnis nehmen können. Ich stelle mit Genugtuung fest, daß gerade die Studenten, die da genannt worden sind, wußten, welche Folgen ihre Aktion haben würde. Ich stelle mit Genugtuung fest, daß ein Prinz zu Löwenstein es verstanden hat, durch sein kluges, besonnenes, abgemessenes Wort zu verhüten, daß irgendwelche nationalistischen Kreise dieses Beginnen in ein falsches Fahrwasser lenkten. Ich stelle mit Genugtuung fest, daß auch der deutsche Kapitän von Blank, der Kapitän eines ehemaligen deutschen Zollkreuzers unter englischem Kommando ist, sich nach seinem Gewissen geweigert hat, Befehle auszuführen, die ihm von dem englischen Kommandanten gegeben wurden.
Meine Damen und Herren! Inzwischen aber hat ja der Kriegsminister bekanntgegeben, daß Helgoland auch weiter als Exerzierfeld für die Bombenwürfe benutzt würde. Diese Tatsache ist nun auch von der jungen Generation mit großer Aufmerksamkeit verfolgt worden. Ich glaube sagen zu können, daß diese wenigen Vertreter der jungen Generation weit über Deutschland hinaus, nicht nur in den europäischen Ländern, sondern auch in den asiatischen Ländern - z. B. in Indien - eine so große Anteilnahme gefunden haben, daß die junge Generation in diesen Ländern sich an die Seite der jungen deutschen Studenten zu stellen bereit ist. Die Aktion, die die junge Generation unternimmt, wird nicht nur von deutscher und europäischer Bedeutung, sondern auch von internationaler Bedeutung sein. Sie ist eine Mahnung an den englischen Kriegsminister. Auch wir richten von uns aus - ich erlaube mir, das hier zu erwähnen - eine Mahnung an das englische Parlament. Wenn wir von dieser Stelle aus, wo wir im Namen des deutschen Volkes sprechen, für die Helgoländer und ihre Rückkehr eintreten, glaube ich annehmen zu dürfen, daß das Hohe Haus dem Gedanken zustimmen wird, an das englische Unterhaus die dringende Bitte zu richten, nun von seiner legislatorischen, von seiner gesetzgebenden Gewalt Gebrauch zu machen und zu verhindern, daß Helgoland wieder als Exerzierfeld für die Bombenabwürfe benutzt wird. Ich gehe noch weiter und stelle die Frage, ob es nicht möglich ist, in der öffentlichen Meinung Englands eine Reaktion gegen diese Pläne entstehen zu lassen, die dazu führt, daß nicht nur die Bombenabwürfe auf Helgoland aufhören, sondern daß das englische Volk einen Ölzweig des Friedens nach Deutschland reicht und sieh bereit erklärt, zu seinem Teil dazu beizutragen, daß die Insel Helgoland wieder der Besiedlung zugeführt werden kann. Daher möchte ich sagen: Hört auf mit diesem grausamen Spiel! Denn Bomben auf Helgoland sind Bomben auf deutsches Land und auf das deutsche Volk! Diese Bomben können dann eine Reaktion in der jungen Generation auslösen, die eine so große Weiterung haben kann und haben wird, wie ich sie vorhin angedeutet habe.
Ich habe darum die Bitte an das Hohe Haus, sich mit dem Antrag des Zentrums einverstanden zu erklären, die Bundesregierung zu ersuchen, an den Hohen Kommissar mit dem Ersuchen heranzutreten, dahin zu wirken, daß die Bombenflüge auf Helgoland ein Ende haben.
({6})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Insel Helgoland ist schon während des Krieges das Ziel furchtbarer Bombenangriffe gewesen. Sie ist am 12. Mai 1945 von den Resten der Bevölkerung, die schon vorher, während des Krieges, überwiegend evakuiert war, geräumt worden. Die für Helgoland zuständige Kreisverwaltung Pinneberg hat sich damals vergeblich bemüht, wenigstens auch die Bergung des zurückgelassenen Privateigentums zu erreichen. Dies war nicht möglich. Im September 1946 erklärten britische Stellen, daß die Insel durch Sprengung der militärischen Anlagen und Vernichtung der dort untergebrachten erheblichen Munitionsmengen so zerstört werden würde, daß sie voraussichtlich nicht wieder benutzbar sein würde. Im Frühjahr und im Herbst 1947 sind die auf Helgoland in den unterirdischen Stollen lagernden Munitionsmengen gesprengt worden. Die Sprengungen haben an dem Felsenmassiv der Insel auch furchtbare und schwere Schäden angerichtet, ohne jedoch die Möglichkeit der Wiederbesiedlung der Insel erheblich zu beeinträchtigen.
({0})
Nun dient die Insel seit 1948 der britischen und amerikanischen Luftwaffe als Übungsfeld für Bombardierungen, und die öffentliche Meinung hat sich namentlich dagegen gewandt, daß auch der Friedhof der Insel von diesen Bombardierungen nicht verschont worden ist. So haben sich neuerdings Bemühungen mit Erfolg geltend gemacht, den Friedhof von den Sprengungen und Bombenabwürfen auszunehmen, und es ist ein Umkreis von etwa 900 Metern um den Friedhof für Zielwürfe gesperrt worden.
Die Bundesregierung selber hat auf Grund einer Entschließung des Bundestags vom 1. Dezember 1949 die Alliierte Hohe Kommission gebeten, der Bevölkerung Helgolands die Rückkehr in ihre Heimat zu gestatten und ihr auch den Wiederaufbau ihrer Wohnstätten zu ermöglichen. Dabei ist darauf hingewiesen worden, daß die Benutzung der Insel als Bombenziel eine schwere Beeinträchtigung der Heimatrechte der 2500 Helgoländer sei und gegen anerkannte Grundsätze des Völkerrechts verstoße. Am 9. Mai 1950 hat die Bundesregierung die Alliierte Hohe Kommission nochmals darauf hingewiesen, daß die Bevölkerung nun schon seit Jahren in Notquartiere evakuiert sei. Sie hat erneut auf alle die Fragen, die mit Helgoland verbunden sind, und insbesondere auf die Wichtigkeit Helgolands als Nothafen für die Schiffahrt, insbesondere die Fischerei, auf das Fehlen der Leuchtfeuer und auf die Beeinträchtigung der Sicherheit des Seeverkehrs aufmerksam gemacht.
Am 31. Mai 1950 hat uns die Hohe Kommission mitgeteilt, daß die Operationsbedürfnisse der alliierten Luftstreitkräfte die Freigabe der Insel unmöglich machten. Die Operationskraft der alliierten Luftstreitkräfte sei für ganz Westeuropa von höchstem Interesse, und die militärischen Erfordernisse müßten gegenüber menschlichen Erwägungen, denen sich die Alliierte Hohe Kommission nicht verschließe, den Vorrang haben.
({1})
Die Möglichkeit der Rückgabe der Insel wurde - allerdings ohne Angabe eines Termins - in Aussicht gestellt.
Trotz dieser wenig befriedigenden Auskunft hat die Bundesregierung die Helgolandfrage nicht aus den Augen gelassen. Sie hat noch in jüngster Zeit der Hohen Kommission ihren Standpunkt umfassend schriftlich dargelegt. Die Haltung der maßgeblichen militärischen Autoritäten hat sich aber nicht geändert. Am 7. Februar 1951 hat der britische Luftfahrtminister im Unterhaus eine Erklärung abgegeben, die uns tief enttäuscht hat. Er sagte, die britische Luftwaffe sei zwar bereit, andere Übungsziele zu suchen, er könne aber nicht viel Hoffnung machen, daß ein so geeignetes Ziel wie Helgoland gefunden werden könne.
({2})
Meine Damen und Herren, die Gründe, die von britischer Seite gegen unsere Wünsche und gegen die Freigabe der Insel ins Feld geführt werden, sind ausschließlich militärischer Natur und haben in dieser Eigenschaft natürlich das ganze Gewicht hinter sich, das solche militärischen Verteidigungsvorbereitungen nun einmal haben und das ihnen insbesondere heute zukommt. Aber die Bundesregierung wird trotzdem ihre Bemühungen fortsetzen, zu einer besseren, zu einer befriedigenden Lösung des Helgoland-Problems zu gelangen. Ich mache darauf aufmerksam, daß auf der Oberfläche der Insel doch nur noch ein kleiner Teil als Bombenziel übrigbleibt, da man nun in 900 Metern
Umkreis um den Friedhof sowieso keine Bomben mehr wirft, so daß sich doch vielleicht für die militärischen Stellen ein anderes, geeigneteres Ziel für Bombenabwürfe finden lassen dürfte.
({3})
Wir erkennen dabei durchaus an, daß sich an manchen Stellen auch ernsthafte Bemühungen um einen Ausgleich gezeigt haben, insbesondere hier beim britischen Hohen Kommissar. Wenn man aber in England vielleicht der Meinung ist, daß eine so schauderhaft verwüstete Insel nun doch in absehbarer Zeit nicht wiederhergestellt werden könne und daß es deshalb nicht darauf ankomme, die Wiederherstellung etwas früher oder später vorzunehmen, dann möchten wir noch einmal mit allem Nachdruck auf den Zustand hinweisen, der dort in der Helgoländer Bucht, in der stürmischen Nordsee andauert, in der kein Leuchtfeuer brennt, kein Nothafen für die bedrängte Schiffahrt vorhanden ist, kein Rettungsboot mehr auslaufen kann. Für die Sicherheit der Schiffahrt in der Helgoländer Bucht und für unsere ganze deutsche Hochseefischerei spielt nun einmal Helgoland eine unersetzliche Rolle.
Ich habe hier über wirtschaftliche, über soziale, über schiffahrtstechnische Gründe gesprochen, die für die Rückgabe maßgebend sein dürften. Ich möchte mich Herrn Dr. Hamacher anschließen, der auch auf die psychologische Seite für unser ganzes Volk und namentlich für unsere Jugend hingewiesen hat. Diese fortgesetzten Bombenabwürfe werden in weiten Kreisen unseres Volkes als eine Demütigung empfunden, die man um so weniger versteht, als doch Bemühungen im Gange sind, unseren staatspolitischen und unseren völkerrechtlichen Status auf eine neue Basis zu stellen, und als man vom deutschen Volke selbst erwartet, daß es seine völkerrechtlichen Beziehungen in Westeuropa aktiv neu gestaltet. Ich bin überzeugt, daß die einhellige Stellungnahme dieses Hohen Hauses mit dazu beitragen wird, endlich eine befriedigende Lösung zu erreichen.
Ich kann im Namen der Bundesregierung versichern, daß sie in ihren Bemühungen nicht nachlassen und nichts unversucht lassen wird, um den berechtigten Wünschen der örtlichen Bevölkerung und unseres Volkes Gehör zu verschaffen.
({4})
Das Wort hat als Bundesratsmitglied für Schleswig-Holstein Herr Landesminister Kraft.
Kraft, Minister für Finanzen des Landes Schleswig-Holstein: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die schleswig-holsteinische Landesregierung ist in den letzten Monaten seitens der Organe der britischen Besatzungsmacht mit dem HelgolandProblem intensiv befaßt worden. Sie war daher zu einer Stellungnahme gezwungen, die mir als Mitglied der schleswig-holsteinischen Landesregierung Veranlassung gibt, den Standpunkt, den die Landesregierung eingenommen hat und weiter einzunehmen gedenkt, heute hier zum Ausdruck zu bringen.
Helgoland ist ein Bestandteil des Landes Schleswig-Holstein und damit der Bundesrepublik. Auch in der Ordonnanz Nr. 224 des britischen Hohen Kommissars vom 29. Dezember 1950, der sogenannten Helgoland-Verordnung, kommt dies erneut in einer rechtlich unbezweifelbaren Form zum Ausdruck, wie man auch sonst zu ihrem Inhalt stehen
({0})
mag. Die Insel wird ihren rechtmäßigen Bewohnern ohne zwingenden Grund vorenthalten. Das Interesse aller Teile des deutschen Volkes daran, daß das unveräußerliche Recht der vertriebenen Helgoländer auf ihre Heimat verwirklicht werde, ist in den letzten Wochen einwandfrei deutlich geworden. Bei Durchführung und Liquidation der sich auf die Zeit über Weihnachten und Neujahr erstreckenden sogenannten Helgoland-Aktion haben alle Beteiligten Besonnenheit und Maß walten lassen und damit ihr Verantwortungsbewußtsein unter Beweis gestellt. Einer leidenschaftslosen weiteren Behandlung der Frage mit dem Ziel der alsbaldigen Freigabe der Insel zur Wiederbesiedlung durch ihre alten Bewohner sind damit alle Wege geebnet, ohne daß hierbei Prestigefragen aufzukommen brauchten. Die Hoffnung des deutschen Volkes auf eine endliche glückliche Bereinigung der Angelegenheit darf nicht enttäuscht werden, wenn nicht der Glaube vieler Deutscher an die von der westlichen Welt proklamierten Grundsätze, wie zum Beispiel die der Atlantik-Charta, erschüttert werden soll.
Die Bombardierung der Insel Helgoland wird mit militärischen Notwendigkeiten begründet. Wir befinden uns aber nicht im Kriege, sondern de facto im Friedenszustand, in dem militärische Übungsgrunde bei einer politisch so diffizilen Frage keine Überzeugungskraft besitzen. Es wäre wünschenswert, wenn statt dessen seitens der britischen Regierung in Betracht gezogen würde, daß viele Deutsche - insbesondere die aus dem Osten Deutschlands vertriebenen -, die ja einen besonders hohen Anteil der Gesamtbevölkerung Schleswig-Holsteins ausmachen, versucht sind, ihre Erwartungen hinsichtlich der dem Friedensvertrag vorbehaltenen Grenzregelung durch das Beispiel Helgoland beeinflussen zu lassen. Die möglichen psychologischen und politischen Folgen der Helgoland-Frage sind dringendster Beachtung wert.
Deshalb glauben Regierung und Bevölkerung Schleswig-Holsteins, daß der Zeitpunkt gekommen ist, den die britische Regierung wahrzunehmen nicht versäumen dürfte, durch eine sich über alle kleinlichen Bedenken erhebende Tat ihren Wunsch zur Herstellung und Festigung eines europäischen Gemeinsamkeitsbewußtseins zu erkennen zu geben. Sie würde damit dem deutschen Volke und vor allem seiner nach einem festen politischen Halt suchenden Jugend am wirksamsten zu empfehlen vermögen, wo sein und seiner Jugend Platz in der großen geistigen Auseinandersetzung zwischen Ost und West zu sein hat. In diesem Sinne wird die schleswig-holsteinische Landesregierung, die volles Verständnis für die Motive der wahrhaft europäisch gesonnenen und handelnden Teilnehmer der Helgoland-Aktion hat, ihre Mitwirkung an einer Bereinigung des Helgoland-Problems auch weiterhin nicht versagen.
({1})
Für die folgende Aussprache schlägt der Ältestenrat eine Gesamtredezeit von 90 Minuten vor. Da nicht widersprochen wird, nehme ich die Zustimmung des Hauses an.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schröter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenige Tage nach der kampflosen Besetzung der Insel Helgoland durch die Engländer mußte die deutsche Besatzung und mußten die letzten Reste der deutschen Zivilbevölkerung die
Insel verlassen. Erst im September 1946 durfte zum erstenmal unter der Führung des zuständigen Landrats, des Landrats von Pinneberg, eine deutsche Delegation die Insel besichtigen. Als diese Delegation von der Besichtigungsreise zurückkehrte, erklärte der britische Marinekommandant in Cuxhaven diesem deutschen Landrat, daß die Gemeinde Helgoland zu bestehen aufgehört habe, daß die Insel nunmehr der britischen Marine unterstehe und jetzt so zerstört werden würde, daß sie von der Erdoberfläche verschwinde. Seitdem ist ein ununterbrochener Bombenhagel auf die Insel niedergeprasselt. Fortgesetzt haben Sprengungen stattgefunden. Die größte, wie sie die Welt kaum gesehen hat, fand am 18. April 1947 statt. Aber allen diesen Sprengungen und allen diesen Bomben hat die Insel bis jetzt widerstanden. Zum erstenmal in der Geschichte, aber auch zum erstenmal in der Geschichte des Völkerrechts wird hier eine Insel, wird ein Stück Erde systematisch zerstört.
Diese systematische Zerstörung der Insel widerspricht dem Völkerrecht. Die Siegernationen haben es nach Einstellung der Feindseligkeiten als ihre Absicht erklärt, Deutschland zu entwaffnen. Damit hatten sie das Recht, die Befestigungsanlagen auf der Insel Helgoland zu beseitigen. Aber sie hatten nicht das Recht, die Insel selbst zu zerstören.
({0})
Die britische Marine hat erklärt, daß sie die Insel Helgoland zu militärischen Zwecken requiriere und als Bombenabwurfziel benutze. Meine Damen und Herren, die internationalen Völkerrechtslehrer sind sich darüber einig, daß das nur für unbewohnte Plätze
({1})
und für unbewohnte Flächen gilt.
Die Auffassung des britischen Marinekommandanten, daß es sich um eine unbewohnte Insel handelt, ist aber nicht richtig. Die Helgoländer Gemeinde besteht nach wie vor, und die Insel gilt infolgedessen als bewohnt. Die Erklärung des britischen Marinekommandanten ist nur ein einseitiger Akt, der vor dem Völkerrecht nicht zu Recht besteht. Meine Damen und Herren, hier handelt es sich um eine systematische Devastation einer Ortschaft auf fremdem Boden. Nach modernem Rechtsbewußtsein kann eine derartige Devastation nur zur Zeit des Krieges in Frage kommen und wenn eine militärische Notwendigkeit vorliegt. Wir befinden uns nicht mehr im Zustande des Krieges; wir haben die Feindseligkeiten eingestellt; es liegt keine militärische Notwendigkeit vor.
({2})
- Ich weiß nicht, warum man hier lachen kann. ({3})
- Meine Damen und Herren, trotzdem wird hier eine systematische Devastation der Insel vorgenommen.
Meine Damen und Herren, wie ist die Situation? Wir setzen uns im gegenwärtigen Augenblick für die Anerkennung und Durchsetzung der Menschenrechte ein. Aber nach modernem Rechtsbewußtsein ist das Recht auf die Wohnstätte, das Recht auf die angestammte Heimat ebenfalls ein Menschenrecht.
Ein englischer konservativer Abgeordneter hat kürzlich erklärt, man verstände die Aufregung der Deutschen um Helgoland nicht, denn Helgoland sei ja gar nicht deutsch, sondern Helgoland gehöre zu Dänemark. Meine Damen und Herren, es ist wahr, daß bis 1807 - ich glaube von 1714 an - die Insel zu Dänemark gehört hat.
({4})
({5})
- Das kommt noch! Aber nachdem im Jahre 1807 zwischen England und Dänemark ein Krieg ausbrach, hat England im Jahre 1807 die Insel annektiert und sie bis 1890 besessen und dann an Deutschland ausgetauscht.
({6}) Meine Damen und Herren, keinem Herrschervolk ist es gelungen, die Bevölkerung der Insel Helgoland aufzusaugen. Die Bevölkerung der Insel Helgoland ist friesischer Abstammung. Der Stamm der Friesen aber ist ein deutscher Stamm, und so sind die Helgoländer deutsch geblieben, und sie haben ihre friesische Stammesreinheit durch die Jahrhunderte erhalten.
({7})
- Meine Damen und Herren, die Sache ist zu ernsthaft, als daß ich auf Ihre Zurufe eingehe. ({8})
Noch zu einer anderen Sache lassen Sie mich Stellung nehmen. Kürzlich hat im deutschen Rundfunk ein französischer Professor in der Sendung „Freiheit des Geistes" zu der Frage Helgoland Stellung genommen, und ich bitte den Herrn Präsidenten um die Erlaubnis, einige wenige Sätze aus seinen Ausführungen vorlesen zu dürfen. Er hat damals in diesem Rundfunkvortrag mit Bezug auf die jungen Leute, die sich neulich kurze Zeit auf der Insel Helgoland aufgehalten haben, erklärt, daß sich diese jungen Leute als Nazis gebärdet hätten, und sie hätten dennoch geglaubt, sie handelten liberal und sie trügen zum Aufbau eines demokratischen Europa bei. Und an einer anderen Stelle hat er gesagt, daß diese deutschen Jungen, diese deutschen Studenten einfach die Methoden der Kraftproben eines Wilhelm II. und eines Hitler wieder aufgenommen hätten, die darin bestünden, daß man das Recht verkennt und die Welt vor das Fait accompli stellt. Wenn sie Waffen gehabt hätten, dann hätten sie in Helgoland den Krieg entzündet.
({9})
- Meine Damen und Herren! Es ist sehr schwer, angesichts einer solchen Unterstellung sachlich zu bleiben. Ich will es trotzdem tun und will nur soviel sagen, daß eine derartige Feststellung vollkommen an den wahren Motiven, die diese jungen Studenten beseelt haben, vorbeigeht. Was haben denn diese jungen Studenten für ein Ziel gehabt? Sie haben das Ziel gehabt, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf das Problem Helgoland hinzulenken.
({10})
Ich glaube, daß ihnen dies gelungen ist. Hier handelt es sich um einen lauteren und reinen Willen. Das hat nichts mit Nazismus zu tun, und infolgedessen möchte ich mich im gegenwärtigen Augenblick - und mit mir auch meine politischen Freunde - zu diesen jungen Studenten bekennen, die damals nach Helgoland gegangen sind.
Meine Damen und Herren, ich bedaure es, daß ein französischer Professor geglaubt hat, sich in dieses Problem einmischen zu sollen. Ich bin der Auffassung, daß er die Lösung des Problems damit nicht erleichtert hat.
Meine Damen und Herren! Die Insel Helgoland ist im Bewußtsein und in der Liebe des deutschen
Volkes verankert. Infolgedessen erscheint den Deutschen nach Einstellung der Feindseligkeiten, nach der bedingungslosen Kapitulation, nachdem 5 1/2 Jahre nach Einstellung der Feindseligkeiten vergangen sind, die Devastierung und Zerstörung der Insel Helgoland als ein Unrecht. Alle Deutschen vereinigen sich daher in der Bitte, daß der Devastierung der Insel Helgoland Einhalt geboten wird und daß die Insel sobald wie möglich den Bewohnern wieder zurückgegeben wird. Wir werden infolgedessen für den Antrag des Zentrums stimmen.
({11})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Krahnstöver.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Insel Helgoland ist ein ganz kleines Fleckchen Erde,
({0}) ein Felseneiland an der Nordseeküste, so groß wie etwa zwei Bauernhöfe. Auf diesem Fleckchen Erde haben 2500 Menschen gelebt von Fischerei, von Seefahrt, von Hilfe für Schiffbrüchige, von Hilfe für Lotsen, von Fremdenverkehr und dergleichen mehr. Aber man wundert sich doch, was auf diesem kleinen Raum von 150 ha Größe eigentlich alles für die Kultur getan worden ist. Ich möchte in dem Reigen der Gespräche, die hier bisher geführt worden sind, auch einmal auf diese Werte aufmerksam machen, weil ich glaube, daß es notwendig ist, über den Wert der Insel Helgoland für die Kultur einiges zu sagen.
({1})
Es waren nämlich auf Helgoland eine biologische Anstalt für Fischerei, eine biologische Anstalt für Vogelkunde, wo jährlich etwa 6000 bis 9000 Zugvögel beringt wurden, eine Erdbebenstation, ein botanischer Versuchsgarten, ein Laboratorium für Universitätskunde, die Biologische Anstalt, das Nordseemuseum, eine Vielzahl von Laboratorien für bakteriologische und meeresbotanische Züchtungen. Allein im Jahre 1937 haben 66 500 Menschen die Insel besucht und nahmen 360 Gäste an wissenschaftlichen Arbeiten teil. Das Seebad wurde vor allen Dingen von Heufieberkranken aufgesucht, und junge Menschen, die über wenig Geldmittel verfügten, haben gern ihre Ferien dort verbracht.
Aber es darf auch nicht verschwiegen werden, daß die Insel Helgoland in zwei Kriegen als Stützpunkt gedient hat.
({2})
Ich glaube, das müßten wir auch mit aller Deutlichkeit erkennen, um zu wissen, welche Bedeutung diese Insel für den Krieg gehabt hat. 2 500 Menschen haben aber hier ihre Heimat infolge des Krieges verloren, eines Krieges - auch das sollten wir eindeutig feststellen -, den wir j a Hitler zu verdanken hatten und der so viele Millionen Menschen heimatlos gemacht hat. Er hat auch diese 2500 Helgoländer heimatlos gemacht, nur unter sehr viel unangenehmeren Umständen. Sie leben nämlich heute im Küstengebiet, 150 km von ihrer Heimatinsel entfernt. Als die gewählte Abgeordnete des Kreises Pinneberg habe ich in meinem Wahlkreis sehr häufig mit Helgoländern gesprochen, und in diese Gespräche hinein tönte das Herabrauschen der Bomben, ertönten die Detonationen, und das fünf Jahre nach Einstellung der Feindseligkeiten. Herr Kollege Schröter, das war bei meinen Kollegen etwas unangenehm vermerkt worden, daß
({3})
Sie erklärten, w i r hätten die Feindseligkeiten eingestellt.
({4})
Ich glaube, die Helgoländer begreifen, wenn die Bomben herunterrauschen, daß wir den Krieg verloren haben. Das sollten wir nicht allzusehr vergessen.
({5})
- Aber diese Menschen, Herr Kollege Hilbert, leben in Massenlagern, in einem Elend, von dem sich sehr viele Menschen gar keine Vorstellung machen.
({6})
Deshalb ist für uns die Rückgabe der Insel Helgoland an seine Bewohner vor allen Dingen ein menschliches Problem.
({7})
Wir wollen, daß diese Menschen wieder auf ihre Insel zurückkehren können. Sie gehen in einen Trümmerhaufen zurück, aber sie sind dazu bereit. Sie sind bereit, alle Opfer auf sich zu nehmen und den schwierigen Wiederaufbau zu vollbringen, und ich bin davon überzeugt, dieses Hohe Haus wird die Helgoländer bei diesem Wiederaufbau auch unterstützen.
Aber wir wollen doch nicht so tun, als ob in den vergangenen Jahren nicht von allen Seiten immer wieder versucht worden wäre, die Freigabe der Insel Helgoland zu erwirken. Beide Landräte des Kreises Pinneberg, sowohl der Landrat Damm wie auch der Landrat Schinkel haben immer und immer wieder darauf hingewiesen, wie notwendig es sei, daß diese Menschen zurückkehren. Delegationen des Schleswig-Holsteinischen Landtages haben in England versucht, Sympathie für die Rückgabe zu wecken.
Wir wollen auch über die Debatte, die im englischen Unterhaus stattgefunden hat, nicht schweigen. Auch dabei ist eine Menge Verständnis zutage getreten, allerdings auch eine sehr unmißverständliche Haltung erkennbar geworden. Herr Kollege Schröter wies bereits auf die Rede des konservativen Abgeordneten hin. Ich darf daran erinnern, daß auf diese Rede der Abgeordnete Paget
von der Labour Party - ich bitte mir zu gestatten,
daß ich das zitiere - folgendes erwidert hat:
Mr. Lindsay's Rede zeigt eine Überzeugung auf, die die Verteidigung Westeuropas völlig unmöglich machen wird. Bleibt diese Einstellung wilden Hasses, der Verachtung für deutsche Interessen bestehen, so kann ich dazu nur bemerken, daß dieses Gedankengut nicht dazu geeignet ist, Westeuropa verteidigungsbereit zu machen. Diese Einstellung macht jede Möglichkeit einer freien Mitarbeit an der Verteidigung Europas unmöglich. Wir können nicht erwarten, mit den Deutschen unter anderen Bedingungen zusammenzuarbeiten als denen der Gleichberechtigung. Diese Gleichberechtigung drückt sich nicht allein in rein praktischen Erwägungen aus, sie drückt sich aus in den Gefühlen und in der Achtung für die Gefühle anderer Menschen. Vermutlich wird durch die Bombardierung Helgolands zur Zeit nicht viel Eigentum zerstört, sie beeinträchtigt aber die Möglichkeit des guten Willens und sollte aus diesem Grunde eingestellt werden.
So Mr. Paget am 28. Juli 1950 vor dem britischen
Unterhaus, und ich glaube, wir alle schließen uns
dieser Auffassung an. Wir sind der Meinung, die Alliierten sollten endlich einmal freiwillig etwas tun, um den guten Willen zu dokumentieren, statt es sich abtrotzen zu lassen.
Nach unserer Auffassung ist es aber auch politisch unverständlich, daß man auf diese Weise nationalistischen Bestrebungen Tür und Tor öffnet.
({8})
Wir möchten deshalb auch auf diese Gefahr hinweisen, die besonders in den mit Heimatvertriebenen überfüllten Grenzgebieten gegeben ist.
({9})
Ich erinnere mich noch sehr deutlich daran, daß nach dem Zusammenbruch 1945 ein damals 17 jähriger junger Mensch mir sagte: Ihr Älteren wißt ja, daß man in einer Demokratie leben kann, wir wissen es noch nicht! Ich glaube, wir haben den jungen Menschen noch_ nicht gezeigt, daß es sich lohnt, in dieser Demokratie zu leben, und Maßnahmen wie die der fortgesetzten Bombardierung Helgolands sind sicher nicht geeignet, bei der deutschen Jugend Verständnis für die Demokratie zu wecken.
({10})
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, bekanntlich deckt man einen Brunnen zu, wenn das Kind hineingefallen ist. Im Raum von Helgoland sind im Juni vorigen Jahres 16 junge Menschen mit dem Segelschiff Ormen Friske ums Leben gekommen. Daraufhin haben sich zahlreiche seefahrende Leute zusammengetan und haben gebeten, man möge endlich wieder Helgolands Not- und Schutzhafen für Fahrzeuge aller Nationen freigeben, man möge die Funkstelle auf der Insel wieder errichten, eine einwandfreie Beleuchtung durch den Leuchtturm erfolgen lassen, die Nebelstation wieder einrichten und auch die Wetterwarte für den allgemeinen See- und Wetterdienst auf Helgoland wiederherstellen. Nichts ist geschehen, und wir fragen uns: Wieviel Unglück muß erst noch geschehen, damit die bessere Einsicht über die sogenannten militärischen Notwendigkeiten siegt?
({11})
Ich bin auch der Meinung, daß es uns nicht ansteht, in einem solchen Augenblick Warnungen und Drohungen auszusprechen,
({12})
und ich glaube, daß wir das vor allen Dingen im Interesse der Helgoländer nicht tun sollten;
({13}) denn die Helgoländer sind sehr nüchterne oder real denkende Menschen, die auch immer wieder vor Einzelaktionen gewarnt haben. Ich weiß, daß junge Menschen den Wunsch haben, ihnen zu helfen, und das ist anerkennenswert. Aber manchmal war die Begleitmusik doch nicht so ganz, wie wir sie wünschen,
({14})
und wir möchten hoffen, daß sich das nicht wiederholt.
Ich darf namens der SPD, die schon auf ihrem vorjährigen Parteitag in Hamburg die Hilfe für Helgoland in einer einstimmigen Entschließung zugesichert hat, erklären, daß wir dem Antrag zustimmen werden. Möge die Intervention bei den Oberkommissaren Erfolg haben. Die Alliierten könnten hier einmal unter Beweis stellen, daß es ihnen mit dem Kampf gegen die Unmenschlichkeit
({15})
so ernst ist, daß sie gegenüber den Helgoländern menschlich handeln.
({16})
Das Wort hat der Abgeordnete Walter.
Meine Damen! Meine Herren! Lassen Sie mich zuerst ein paar Worte an den Nordwestdeutschen Rundfunk richten.
({0})
Der Nordwestdeutsche Rundfunk hat in seiner Berichterstattung, als der Antrag des Zentrums den Abgeordneten ausgehändigt wurde, behauptet, es sei das erste Mal, daß sich der Deutsche Bundestag mit der Helgoland-Frage beschäftige.
({1})
Nun, es wäre für unser Bundesparlament sehr beschämend, wenn es jetzt zum ersten Male geschähe, daß wir uns mit Helgoland befassen. Ich darf aber darauf hinweisen, daß meine Fraktion bereits im September 1949 den gleichen Antrag, wie ihn das Zentrum jetzt eingebracht hat, dem Bundestag vorlegte. Wir dürfen also - und das möchte ich in Zusammenhang mit der Berichterstattung des Nordwestdeutschen Rundfunks sagen - die deutsche Bevölkerung wissen lassen, daß sich der Deutsche Bundestag seit dem Tage seines Bestehens sehr ernste Sorge um das Schicksal Helgolands gemacht hat.
Nun zur Sache selbst! Seit ungefähr 6 Jahren ist der Kriegszustand beendet
({2})
- das ist hier schon ausgeführt worden -, und immer noch fallen Bomben auf deutsches Land. Es ist auch bereits dargelegt worden, daß der Besatzungsmacht ein internationales Recht zugestanden werden kann, Kriegsanlagen und militärische Anlagen auf Helgoland zu zerstören. Das hat man in ausreichendem Maße getan. Die Insel Helgoland ist ja nicht etwa zu aggressiven Maßnahmen für einen Krieg hergerichtet worden, sondern jedem, der ein wenig von Helgoland und seinen Befestigungen kennt, wird doch klar sein, daß diese Insel für Verteidigungszwecke armiert worden ist.
({3})
Diese Verteidigungsanlagen sind zerstört worden. Dazu hatten die Siegermächte ein Recht. Aber kein Recht haben sie - das internationale Völkerrecht verbietet es ihnen -, die Insel zu zerstören, die friedlichen Anlagen der Insel mit Bomben zu belegen, mit Bomben der Zerstörung - so lange Zeit nach Beendigung des Krieges. Dazu fehlt ihnen jede Berechtigung, und es muß im Hinblick auf die Entwicklung und die Auslegung des internationalen Rechtes für die Zukunft sehr bedenklich erscheinen, wenn sich eine Macht so lange nach Kriegsende noch das Recht herausnimmt, eine friedliche Insel mit Sprengbomben zu belegen, wie es die Besatzungsmacht mit Helgoland tut.
({4})
Nun die Ausreden, daß man Helgoland für die Bombenabwürfe der englischen und amerikanischen Bomber unbedingt benötige! Ich habe bereits bei der ersten Beratung unseres Antrages darauf hingewiesen, daß es gar keine Schwierigkeit macht, den Herren in London zu beweisen, daß die
Shetlands und die Orkney-Inseln ausgezeichnete Objekte für Bombenziele sind.
({5}) Von den Orkney-Inseln, einer Inselgruppe mit 67 Inseln, sind ganze 30 bewohnt. 37 dieser Inseln wären ausgezeichnete Ziele für die britischen und amerikanischen Bombengeschwader. Warum benutzt man diese nichtbewohnten Inseln nicht und läßt Helgoland in Ruhe?!
Wenn dann noch das Argument angeführt wird, Helgoland sei nahe genug bei den Flugplätzen der britischen und amerikanischen Luftwaffe gelegen, dann ist auch darauf zu erwidern, daß die Orkneys 100 km näher an den Flugplätzen der englischen Bombengeschwader liegen. Die Shetlands, eine andere Inselgruppe von über 100 Inseln, von denen ganze 27 bewohnt sind und ein Teil sogar nur von Schafen und Shetlandponys belebt ist, bieten eine große Zahl von ausgezeichneten Objekten, die für die Bombengeschwader zum Abladen ihrer Bombenlasten geeignet wären.
Man soll uns nicht mit solchen Ausreden und Argumenten kommen, daß kein besseres und geeigneteres Ziel zu finden sei als Helgoland, die Insel, nach der sich 2500 deutsche Menschen täglich zurücksehnen, um sie wieder zu bebauen und in einen bewohnbaren Zustand zu bringen, wenn ihnen nur die Möglichkeit gegeben wird, auf ihre Insel zurückzukehren. Doch das verwehrt man ihnen mit nichtssagenden Begründungen.
Nun zu den Bemerkungen, die von führenden englischen Staatsmännern gemacht wurden. Mr. Davies, ein Vertreter der englischen Regierung, zumindest der britischen Labour Party, erklärte in Gesprächen in Hamburg und anderswo, daß es wahrscheinlich zu einer gütlichen Lösung der Helgolandfrage kommen werde. Der High Commissioner Sir Ivone Kirkpatrick hat die gleichen Worte ausgesprochen. Er hat gesagt, daß sich schon eine Lösung finden werde. Aber gleich nach seinen etwas beruhigenden Worten hat Mr. Henderson, der Luftfahrtminister, das Gegenteil erklärt und behauptet, Helgoland bleibe weiter Zerstörungsobjekt, man sei fest entschlossen, von dem einmal beschrittenen Wege nicht abzugehen. Er begründete das mit den fadenscheinigen Behauptungen, die ich schon angeführt habe.
Ich möchte hierzu etwas zu Beachtendes bemerken: Verantwortlich für das, was auf und mit Helgoland und seinen Bewohnern geschieht, sind das britische Kriegsministerium und das Verteidigungsministerium. Der Kriegsminister Seiner Britischen Majestät ist Mr. Strachey und der Verteidigungsminister ist jetzt Mr. Shinwell.
({6})
Diese beiden sehr ehrenwerten Gentlemen sind Vertreter des linken Flügels der britischen Labour Party, und die britische Labour Party maßt sich an, einen ausschlaggebenden Einfluß in der internationalen Sozialistenbewegung zu besitzen.
({7})
Jetzt stelle ich in allem Ernst die Frage: Wenn so etwas in der internationalen sozialistischen Bewegung geschehen kann, vom linken Flügel der Labour Party aus, was sollen dann die Massen der Anhänger der sozialistischen Internationale von solchen Vertretern halten? Sollte nicht diese Erwägung ein wenig dazu beitragen, die verantwortlichen Herren in London endlich begreifen zu lassen, daß in der Frage der Bombardierung Helgolands Entscheidendes zu einer Änderung zu ge({8})
schehen hat? Dieses Entscheidende kann in nichts anderem bestehen als darin, daß man nicht nur die Bewohner zurückkehren läßt, sondern daß man auch das Leuchtfeuer von Helgoland wieder errichtet. Nicht nur unsere deutschen Schiffe, sondern die der gesamten Schiffahrt warten darauf, daß das Blinkfeuer von Helgoland die Schiffe wieder in unsere Flußmündungen hineinlotst. Schließlich ist die Rettungsstation wieder zu errichten, die für unsere Hochseefischkutter von außerordentlicher Bedeutung ist. Von der Kollegin Krahnstöver ist bereits angeführt worden, daß der Verlust des „Ormen Friske" nicht von ungefähr kam.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß für Sie im Augenblick auch ein Leuchtfeuer aufgeleuchtet ist.
({0})
Jawohl, ich danke für den Hinweis, Herr Präsident. Ich bin sofort fertig.
Der Verlust des Ormen Friske hätte zu denken geben müssen. Aber die Verantwortlichen in London haben sich nichts dabei gedacht. Sie sind zur Tagesordnung übergegangen und glauben, daß auch unser Bundesparlament eines Tages Helgoland und dessen laufende Zerstörung vergessen könnte. Das darf nicht geschehen, und das werden wir nicht zugeben. Wir wollen dem ceterum censeo gemäß immer wieder darauf hinweisen, daß wir der Meinung sind, die Zerstörung Helgolands hat aufzuhören.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rademacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir uns am 1. Dezember 1949 in diesem Hause mit dem gleichen Thema befaßten, konnte ich in den letzten Worten eine einheitliche Auffassung zu diesem Thema von rechts bis links feststellen. Wir konnten auch feststellen, daß die Debatte in einer einheitlichen, sachlichen und ruhigen Form geführt wurde, ohne etwa besondere Tendenzen in parteipolitischer, nationalistischer oder gar chauvinistischer Richtung durchklingen zu lassen. Es scheint mir unbedingt notwendig zu sein, diese sachliche Einstellung zu dieser wirklich deutschen Frage beizubehalten, wenn wir je hoffen wollen, einen Erfolg unserer Bemühungen zu erreichen.
Damals, am 1. Dezember, sind die gesamten sachlichen, völkerrechtlichen und auch die politischen Gründe zum Ausdruck gekommen, die heute von den einzelnen Vorrednern wiederholt wurden. Damals, im Dezember 1949, hatten wir gehofft, daß sich die Besatzungspolitik fünf Jahre nach Ende des Krieges in gewissen Dingen ändern würde, und dazu hatten wir auch die Bombardierung der Insel Helgoland gerechnet, die nicht nur im norddeutschen Raum, sondern bis in den Süden und Südwesten hinunter ihre Bedeutung hat.
Meine Damen und Herren, die englischen Strategen sind der Ansicht und haben das mehr als einmal gesagt, Helgoland sei ein ideales Ziel für Bomben. Mir scheint, das Bombardieren Helgolands ist gleichzeitig ein „ideales Ziel" zur Vernichtung der Entwicklung der Demokratie in Deutschland 0 und zur Vernichtung einer europäischen Verständigung.
({0})
So gesehen ist die immer noch andauernde Bombardierung von Helgoland, deren Ende noch nicht abzusehen ist, vielleicht ein Musterbeispiel dafür, wie eine Besatzungspolitik nicht sein sollte. Ich habe die feste Überzeugung, daß diese sogenannte strategische Erwägung nicht von der Mehrheit des englischen Kabinetts und schon gar nicht von der Mehrheit des englischen Volkes gebilligt wird, sondern daß hier die Entscheidungen von Generalen, Admiralen und Luftmarschällen maßgebend sind, die sich bekanntlich in der ganzen Welt den Teufel um politische Auswirkungen kümmern.
({1})
Es sei an dieser Stelle auch einmal folgendes gesagt. Angenommen, England hätte das Unglück gehabt, in diesem Krieg zu unterliegen. Was würde das englische Volk sagen, wenn man in der gleichen Weise die Isle of Wight mit dem Ziel bombardieren würde, diese Insel, mit der das Herz des englischen Volkes ebenso verwachsen ist wie das Herz des deutschen mit Helgoland, so zu vernichten, daß sie niemals wieder bewohnbar sein möge?
Meine Damen und Herren, vielleicht versteht man nun auch jenseits des Kanals - früher sprach man ja von unseren Vettern jenseits des Kanals - die psychologische Wirkung auf diejenigen Männer und Frauen in der deutschen Bundesrepublik, die gegenüber dem nationalsozialistischen System und überhaupt gegenüber jedem totalitären System eine klare und einwandfreie Haltung eingenommen haben und denen man es so unendlich schwer macht, in Deutschland für den Aufbau und für die Entwicklung der jungen Demokratie zu arbeiten. So mag man auch manche Rede, manche Äußerung eines Politikers verstehen, wenn er allmählich die Nerven verliert über gewissen Methoden, die manchmal nur Imponderabilien sind. Die helgoländische Angelegenheit aber kann man nicht als eine Imponderabilie bezeichnen. Zusammengenommen kann man manchmal zweifeln an dem guten Willen der anderen Seite, uns die Arbeit an der Entwicklung einer deutschen Demokratie zu erleichtern, eine Arbeit, die ohnehin nach dieser großen Katastrophe sehr schwer ist.
Und ein Letztes, meine Damen und Herren! Einmal wird auch die Geschichte dieser Tage geschrieben. Das englische Volk muß sich darüber klar sein, mit welcher Beurteilung der Methoden die Besatzungspolitik in die Geschichte eingehen soll. Ich bin davon überzeugt, daß das fortgesetzte Bombardieren Helgolands eines der schlechtesten Beispiele einer Besatzungspolitik ist und daß man damit in der Geschichte nicht bestehen kann.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Gundelach.
Meine Damen und Herren! Bei der Behandlung der Frage, was aus Helgoland wird, ist es angebracht, kurz an den Ausspruch des englischen Marineoffiziers in Cuxhaven gegenüber dem Landrat von Pinneberg zu erinnern, der schon angeführt worden ist. Dieser englische Marineoffizier sagte im September 1946: Es ist beabsichtigt, die Insel so weit zu zerstören, daß das Meer nur noch das übrige zu tun hat. Weiter erklärte dieser
({0})
englische Offizier: Die Gemeinde Helgoland hat aufgehört zu existieren. Seitdem sind fünf Jahre vergangen, und wir haben die Tatsache zu verzeichnen, wie von den Vorrednern bereits festgestellt worden ist, daß die englischen Strategen immer noch damit beschäftigt sind, die in dieser Äußerung von 1946 zum Ausdruck gebrachten Zerstörungsabsichten durchzuführen, nämlich die Ausradierung der Insel Helgoland zu vollenden.
Und noch etwas anderes, was hier noch nicht gesagt worden ist! Wir Kommunisten sind der festen Überzeugung, daß die fortgesetzten Bombardierungen sechs Jahre nach Beendigung des Krieges nichts anderes sind als Übungen zur Vorbereitung eines neuen Krieges.
({1})
Es gehört offenbar mit zur Verteidigung der sogenannten abendländischen Kultur, daß dieses kleine Stückchen Erde völlig zerstört werden muß.
Nimmt man weiter von der Tatsache Kenntnis, daß es die besondere Lage Helgolands gestattete, dort wissenschaftliche Forschungen zu betreiben, wie bereits von einer Vorrednerin im einzelnen aufgezeigt worden ist - ich kann auf eine Wiederholung verzichten -, dann kommt einem die ganze Abscheulichkeit der fortgesetzten Bombardements mit aller Klarheit zum Bewußtsein. Es ist bereits im einzelnen darauf hingewiesen worden, welche wissenschaftlichen Einrichtungen, die im Dienste der Menschheit standen, dort vernichtet wurden.
Aber noch eine weitere Tatsache, die schon von den Vorrednern angeführt worden ist, ist zu erwähnen. Helgoland gewährte einen bedeutenden Schutz der internationalen Schiffahrt. Die Insel Helgoland war außerdem ein sehr wichtiger Stützpunkt der deutschen Gesellschaft für Rettung Schiffbrüchiger. Das geht aus einer einzigen Tatsache hervor: daß allein einer dieser Rettungsmänner mit seinem Boote und seiner Mannschaft in der Zeit, in der er im Dienst stand, 416 Seeleuten das Leben gerettet hat. Das ist sicher überzeugend dafür, daß gerade die Insel Helgoland eine besondere Möglichkeit für Rettungsaktionen in der Schiffahrt bietet.
Diese wenigen Hinweise, meine Damen und Herren, zeigen in aller Deutlichkeit den hohen Wert der Insel Helgoland im Dienst einer friedlichen Entwicklung. Von den Einrichtungen, die im Dienste der Wissenschaft standen und den Interessen der Menschheit dienten, ist zur Zeit nichts mehr vorhanden, weil alles durch englische Bombardements zerstört worden ist. Mitten im Frieden wurden diese kulturellen Einrichtungen rücksichtslos vernichtet, eben im Willen, diese Bombardements auch weiter fortzusetzen in Verbindung mit dem großen Kriegsplan, der in Vorbereitung ist.
Das ist die eine Seite des Helgoland-Problems. Die andere nicht weniger bedeutungsvolle ist die der Menschen, die in früheren Jahren auf Helgoland ihre Heimat und ihre Existenz gehabt haben. Das sind die Helgoländer Fischer und jene Bewohner der Insel, die im Fremdenverkehrsgewerbe tätig waren oder in Verbindung mit der Fischerei, mit den wissenschaftlichen Einrichtungen und mit dem Fremdendienst eine Existenz fanden. Alle diese Menschen leben heute zumeist in sehr schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen, sowohl in Schleswig-Holstein als auch zum Teil im Lande Niedersachsen. Sie erheben, unterstützt von allen Deutschen, die berechtigte Forderung auf sofortige Einstellung der Bombardierungen ihrer Heimat, der Insel Helgoland und auf baldige Rückkehr auf diesen ihren Heimatboden.
Meine Fraktion hat sich angesichts der sehr ernsten Frage, für die jeder Deutsche einzutreten hat, entschlossen, dem Antrag der Zentrumsfraktion ihre Zustimmung zu geben. Es ist höchste Zeit, daß Schluß gemacht wird mit dem Zerstörungswerk, das zur Zeit noch auf höheren Befehl verantwortlicher englischer Regierungsstellen fortgesetzt wird. Es muß - das ist auch unsere Überzeugung - alles getan werden, um den früheren Bewohnern der Insel baldigst ihre Rückkehr auf die Insel zu ermöglichen, damit Helgoland wieder eine Stätte kultureller Einrichtungen werden kann.
({2})
Als letzter Redner hat sich Herr Abgeordneter Dr: Richter gemeldet. Ich sehe ihn nicht bei seiner Fraktion.
({0})
- Ach, Sie kommen aus der alten Richtung, Herr Kollege!
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit dem Helgoland-Antrag der Zentrumsfraktion möchte ich auf folgendes hinweisen. Es ist an sich etwas ganz Ungewöhnliches, was jeder, der einigermaßen die neuere Geschichte kennt, feststellen kann, daß nach Waffenniederlegung nach wie vor bewohntes, besiedeltes Gebiet bombardiert und in Schutt und Asche geworfen wird - ich glaube mich zu erinnern, daß Herr Kollege Schröter heute abend sagte: aus militärischen Notwendigkeiten. Es stimmt doch wohl, Herr Kollege Schröter? Ich möchte dazu feststellen, es gibt zahllose Plätze in Europa oder auf der ganzen Erde, die man weiß Gott besser dazu verwenden könnte. Es handelt sich meiner Überzeugung nach hier um gar nichts anderes als um die Anwendung jener „Taktik der verbrannten Erde", deretwegen heute noch deutsche Soldaten, Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften auch von den Engländern in Werl und anderswo eingesperrt werden, deretwegen man so manchem schweren Schaden nur deshalb zugefügt hat, weil er etwas getan haben soll, was damals im Zuge der Kriegsentwicklung militärisch notwendig war und was heute General MacArthur in Korea zu tun gezwungen ist.
({0})
Dies wurde bei Deutschen bestraft, andere gehen aber straffrei aus. Wir sehen nicht ein, weshalb man hier mit zweierlei Recht arbeiten will und glaubt arbeiten zu können. Wir sind vielmehr der Meinung wenn man auf der einen Seite den deutschen Soldaten, Offizieren und Mannschaften, den Vorwurf macht, daß sie einmal in der Verteidigung deutscher Lebensinteressen im Osten diese Taktik angewandt haben,
({1})
ist es ungerechtfertigt, daß sie deswegen bestraft werden - ja, das, was jetzt kommt, ist unerhört! - und daß auf der andern Seite dieselbe Anwendung der „Taktik der verbrannten Erde" straffrei ausgeht.
Wenn davon die Rede war, eigentlich sei ja die Insel Helgoland gar nicht so urdeutsches Gebiet, einmal hätten sie die Dänen gehabt, dann bin ich
({2})
der Meinung, daß auch einmal die Angeln und Sachsen von der Unterweser und der Unterelbe nach den englischen Inseln hinübergegangen sind und daß infolgedessen die Angeln und Sachsen, in erster Linie also die Sachsen, heute einen Anspruch hätten auf die englischen Inseln; und wenn man mit der Begründung, Helgoland sei ja also eigentlich gar nicht urdeutsch,
({3})
diese Insel bombardiert, könnte man mit derselben Begründung, England sei nicht urenglisch, England bombardieren.
({4})
Wir haben kürzlich einen Antrag gestellt, und dieser Antrag sollte eigentlich gar nichts anderes als eine Kundgebung dieses Hohen Hauses für Helgoland bezwecken.
({5}) Helgoland ist ein deutsches Gebiet, das von entscheidender Wichtigkeit ist. Sich zu Helgoland zu bekennen, ist unbedingt notwendig. Ich war mit meinen Kollegen der Meinung, daß das, was deutsche Studenten, deutsche Seefahrer, deutsche Fischer für möglich hielten, auch für den Bundestag möglich sein müßte, sich nämlich durch eine Tat zu dem deutschen Helgoland zu bekennen. Ich bedaure, daß der Präsident diese Tat nicht für möglich gehalten hat.
({6})
Herr Abgeordneter Dr. Richter, ich möchte nur klarstellen: Ich habe nicht zu einer Tat, sondern zu einem Antrag Stellung genommen.
({0})
- Herr Abgeordneter Dr. Richter, der Ältestenrat hat mein Verhalten gebilligt. Ich beabsichtige nicht, mich mit Ihnen in Unterhaltungen über die Korrektheit meiner Geschäftsführung einzulassen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich darf Ihnen vorschlagen, daß der Antrag an den Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten überwiesen wird. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist.
Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Wettbewerbsverhältnisse Schiene -Straße ({1}).
Ich bin darüber unterrichtet worden, daß dieser Antrag nicht mündlich begründet werden soll. Trifft das zu? - Ich darf unterstellen, daß auch eine Aussprache nicht stattfinden soll, sondern daß die Überweisung an den Ausschuß für Verkehrswesen ohne Aussprache erfolgt.
({2})
- Ich stelle also fest, es erfolgt die Überweisung an den Ausschuß für Verkehrswesen als den federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik.
Ich rufe auf Punkt 10 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend Behandlung politischer Gefangener ({3}).
Es ist vorgeschlagen worden, daß für die Begründung 10 Minuten, für die Aussprache höchstens 60 Minuten in Anspruch genommen werden.
Ich bitte zur Begründung Herrn Abgeordneten Renner.
({4})
- Gar nicht!
Meine Damen und Herren!
({0})
- Verzeihung! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! - Ich habe mich durch den Zwischenruf etwas irritieren lassen.
Wir stehen vor der Tatsache, daß in Westdeutschland im Augenblick Hunderte von Menschen auf Grund von Verurteilungen wegen Vergehen inhaftiert sind, die ihrer politischen Überzeugung entspringen,
({1})
der politischen Überzeugung des Verurteilten.
({2})
- Das entzieht sich meiner Kenntnis.
({3})
- Aber ich gebe Ihnen eine Antwort darauf, die Sie sicherlich beruhigen wird. Wir setzen uns hier für Überzeugungstäter ein, und zwar für solche Menschen, die aus einer ehrbaren politischen oder religiösen Überzeugung heraus gegen Gesetze verstoßen haben.
({4})
- Aus einer politisch ehrbaren Überzeugung und nicht aus einer ehrlosen oder schändlichen politischen Überzeugung heraus! Das ist der kleine, aber entscheidende Unterschied. Ich brauche mich deshalb nicht einzusetzen für die Agenten, die Naziverbrecher, die eventuell in der DDR inhaftiert worden sind.
({5})
- Doch, das ist eine Antwort. - Ich hatte die Absicht, auf die Tatsache hinzuweisen, daß es in der Weimarer Republik bekanntlich für Überzeugungstäter einen besonderen Strafvollzug gab, und ich hatte die Absicht, auf die Tatsache hinzuweisen, daß diese Sonderstellung im Strafvollzug hier in Westdeutschland unmöglich gemacht worden ist, weil die Besatzungsmächte eine Sonderbehandlung der Überzeugungstäter verboten haben.
({6})
Mein Antrag geht also nur darauf hinaus, einen Zustand wieder aufleben zu lassen, der zur Weimarer Zeit eine Selbstverständlichkeit war.
({7})
- Sie haben ja nachher Zeit, Ihre Meinung hier
({8})
zum Ausdruck zu bringen, also unterbrechen Sie mich bitte nicht.
({9})
Eigenartigerweise haben Ihre Freunde im Landtag von Nordrhein-Westfalen sich zu diesem Gedanken bekannt. Dort ist in dem zuständigen Ausschuß einstimmig beschlossen worden, an die Regierung heranzutreten, sich im Sinne dieser Anregung bei der Bundesregierung einzusetzen. Es ist bedauerlich, daß Sie hier diese ernste Angelegenheit dazu benutzen, um Ihre längst abgelaufene politische Hetzplatte gegen die DDR und gegen uns loszuwerden. So liegen die Dinge.
({10})
Wir verlangen in unserem Antrage nichts anderes als die Wiederherstellung eines alten, früher als selbstverständlich anerkannten Zustandes, daß den Menschen, die aus einer ehrbaren politischen oder religiösen Überzeugung heraus gegen bestehende Gesetze verstoßen haben und deshalb verurteilt wurden, im Strafvollzug eine ehrenhafte Sonderbehandlung zuteil wird.
({11})
- Ich halte Sie für klug genug, um selbst zwischen politisch ehrbarer und politisch schändlicher Überzeugung zu unterscheiden.
({12})
- Nein, unehrenhaft sind die Menschen, die sich unter dem Titel Bibelforscher als Agenten für die amerikanische und englische Besatzungsmacht hergegeben haben. Das sind unehrenhafte Menschen. Ebenso unehrenhaft sind die von Ihnen bezahlten Agenten, die drüben das Werk des demokratischen Aufbaues sabotieren. Das sind ebenso schändliche Burschen.
({13})
- Unsere Agenten existieren nur in der Phantasie des Herrn Innenministers. Unsere Agenten existieren nur in den Gesprächen, die er im Industrieklub in Düsseldorf führt, wo er davon spricht, daß hier nach Westdeutschland sogar Polizeiuniformen illegal eingeführt, also eingeschmuggelt werden.
({14})
- Es ist sehr charakteristisch, daß Sie als Sozialdemokrat diese unbegründeten Redensarten nachsprechen.
({15})
- Ich bin gar nicht bescheiden; ich mute Ihnen nur etwas zu, was Ihnen der politische Anstand auch anempfehlen sollte. Ich mute Ihnen zu, das zu tun, was Ihre Kollegen im Landtag von NordrheinWestfalen, wie ich schon sagte, auch getan haben, mehr nicht. Und wenn Ihnen das hier untragbar erscheint, dann, bitte, kommen Sie herauf und sagen Sie es offen und klar heraus; aber bringen Sie Ihre tatsächlichen Argumente und nicht die an den Haaren herbeigezogenen verlogenen Phrasen über angebliche Mißstände im Strafvollzug in der DDR.
Ich bitte, dem Antrag zuzustimmen. Wir sind damit einverstanden, daß er dem zuständigen Ausschuß, dem Rechtsausschuß, überwiesen wird.
({16})
Auf Ihren Dank hatte ich nicht gerechnet!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Tillmanns.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben es hier mit einem der vielen Anträge der kommunistischen Fraktion zu tun, in denen versucht wird, durch die menschliche Sprache nicht das auszudrücken, was man meint, sondern das Gegenteil, und damit politische Taschenspielerei zu betreiben. Es hat meines Erachtens keinen Sinn, über einen solchen Antrag zu diskutieren.
({0})
Ich habe mich auch nicht zum Wort gemeldet, um mit dem Herrn Antragsteller zu diskutieren, sondern aus einem anderen Grunde. Wir sind es den Zehntausenden politischer Gefangener in der Sowjetzone schuldig, die in den Zuchthäusern in Waldheim, in Brandenburg, in Bautzen, in Torgau oder in anderen Zuchthäusern sitzen und dort unter unwürdigsten Verhältnissen vegetieren, dem Hunger preisgegeben sind und zu vielen Tausenden an Tbc und anderen Krankheiten dahinsiechen, wir sind es den Scharen deutscher politischer Gefangener schuldig, die in den Arbeitslagern der Sowjetzone 15, 20 oder 25 Jahre Zwangsarbeit abbüßen,
({1})
daß wir im Deutschen Bundestag in aller Öffentlichkeit über ihr Schicksal sprechen, Verwahrung einlegen und Anklage erheben
({2}) gegen die Machthaber der Sowjetzone, die diesen Terror ausüben und sich in der Vernichtung Andersdenkender täglich gegen Recht und Gerechtigkeit vergehen und die primitivsten Gebote der Menschlichkeit mit Füßen treten.
Es ist für uns zwar nichts Neues, zu hören, daß es in der Sowjetzone politische oder religiöse Überzeugungstäter nicht gebe. Nach dem dortigen Sprachgebrauch heißen solche Leute nämlich Saboteure, Schieber, Staatsfeinde, Wucherer, Agenten, Naziverbrecher, Neofaschisten und was es sonst noch für Bezeichnungen für ein und denselben Tatbestand gibt,
({3})
nämlich zur Kennzeichnung von Menschen, deren einziges Verbrechen ist, daß sie keine Kommunisten sind und die vermeintlich oder wirklich drüben dem Herschaftsanspruch der KP entgegentreten, ihr deswegen unbequem sind und darum durch ihren allmächtigen Staatssicherheitsdienst, der keinem Minister und keiner parlamentarischen Kontrolle untersteht, beseitigt werden.
Meine Damen und Herren, für den, der dem SSD verfallen ist, gibt es keinen Rechtsschutz. Verhaftungen erfolgen grundsätzlich ohne richterlichen Haftbefehl, die zuständigen Organe werden von den Verhaftungen nicht einmal benachrichtigt, Anfragen nach dem Verbleib bleiben unbeantwortet, selbst wenn solche Anfragen von Staatsanwaltschaften ausgehen. In der sogenannten Untersuchungshaft wird dann die beliebte Zermürbungs({4})
taktik angewandt, wochenlange Einsperrung, ohne daß der Grund der Verhaftung mitgeteilt wird, keine Möglichkeit, die Angehörigen zu benachrichtigen oder Verteidiger zu bestellen. Politische Verbrecher sind drüben eben schlimmer als Schwerverbrecher, sie sind Staatsverbrecher. Wenn dann die „vernehmungsfähig" Gemachten nicht gleich das gewünschte Geständnis ablegen, gibt es mannigfache Prozeduren, körperliche Mißhandlungen, Lichtbestrahlungen, Einweisung in Wasserzellen, bis sie „geständnisreif" sind.
({5})
Bei diesen Unglücklichen ist dann in der Regel, wenn nicht die Todesstrafe, so zumindest eine Strafe von 20 oder 25 Jahren Arbeitslager das Ergebnis. Erst vom Zuchthaus aus können sie - nach Monaten oder oft erst nach Jahren - ihre Angehörigen, für die sie verschwunden waren, zum ersten Male benachrichtigen; unzählige bleiben überhaupt verschwunden.
Der Strafvollzug für politische Gefangene, Herr Kollege Renner, ist besonders hart, anders als bei Kriminellen. Abgesehen davon, daß Kriminelle, zumal wenn es sich um Eigentumsvergehen handelt, überhaupt sehr milde bestraft werden und häufig durch Begnadigungen freigesetzt werden, um in den überfüllten Strafanstalten Platz zu schaffen, verbüßen die Kriminellen kürzere Freiheitsstrafen im allgemeinen im Arbeitsbewährungseinsatz, d. h. sie arbeiten an der Arbeitsstelle in völliger Freiheit, erhalten Zusatzkarten und ordnungsmäßige Bezahlung, leben also unter denselben Arbeitsbedingungen wie der normale Arbeiter in der Sowjetzone, der ja auch ständig der Dienstverpflichtung ausgesetzt ist. Der politische Strafgefangene dagegen verbüßt strenge Haft, erhält keine Stärkungsmittel und sonstige Unterstützung. Soweit es sich um Angehörige der Intelligenzschicht handelt. dürfen sie - um sie seelisch zu zermürben - in den Zuchthäusern nicht einmal körperliche Arbeit verrichten; lediglich das Aufknoten von Bindfäden, das Stricheziehen zur Herstellung von Formularbüchern usw. ist ihnen erlaubt.
Meine Damen und Herren, so sieht die „Ehrenhaft" politischer Gefangener in den Gefängnissen des Kommunismus in der deutschen Sowjetzone aus. Es wäre gegenüber diesen unglücklichen Opfern kommunistischen Terrors nicht zu verantworten, wenn wir einen Antrag, wie er hier gestellt ist, sachlich behandeln würden. Ich beantrage daher namens der Fraktion der Christlich-Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union Übergang zur Tagesordnung.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mommer.
({0})
Warten Sie, Herr Renner! - Zunächst einmal irren Sie, wenn Sie glauben, daß die SPD dem Grundgedanken dieses Antrags feindlich gegenübersteht.
({0})
- Nein, Herr Renner, Menschlichkeit in der Behandlung von Gefangenen ist für einen Sozialdemokraten selbstverständlich, und zwar unabhängig davon, ob er selbst Gefangener ist oder ob ein
politischer Gegner unter sozialdemokratischer Herrschaft ein Gefangener ist. Das ist ja der große Unterschied zu Ihnen, daß Sie immer doppelte Moral haben. Wenn Sie selbst Gefangener sind, dann besinnen Sie sich auf Menschlichkeit, und wenn Ihre politischen Gegner zu Gefangenen gemacht werden, dann ist jedes Mittel, auch das barbarischste, recht, um den Gegner zu vernichten.
({1})
Es ist eine große Gemeinheit, meine Damen und Herren ({2})
- warten Sie, ich werde Ihnen das schon erzählen - es ist eine große Gemeinheit im Dritten Reich gewesen, wenn man z. B. den politischen Gegner einsperrte, ihn gerade, mit Absicht, mit kriminellen Verbrechern jeder Art in eine Zelle steckte und wenn man ihn in jeder Beziehung schlechter behandelte als den gemeinen Verbrecher.
Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß ein Kulturstaat sein gesamtes kulturelles Niveau gerade im Strafvollzug beweisen muß, und gerade auch im Strafvollzug an politischen Verbrechern. Aber wir wollen da gleich eine Ausnahme machen.
({3})
Sehen Sie, Sie sind ja mit mir einig darin: Wenn sich die SS-Leute aus dem KZ, die die Menschen in die Gaskammern steckten usw., Überzeugungstäter nennen, dann werden Sie mit mir einer Meinung sein, daß wir denen das nicht zubilligen wollen, was Sie in Ihrem Antrag beabsichtigen. Wo politische Überzeugung sich so auswirkt, daß man gleichzeitig Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht, da sind wir nicht gewillt, die Überzeugung als einen mildernden Umstand anzuerkennen.
({4})
Aber was wollen Sie eigentlich mit Ihrem Antrag? Ich habe mich erkundigt, wie es in unserer Bundesrepublik ist. Es gab im Sommer vorigen Jahres insgesamt etwa 27 500 Gefangene, Inhaftierte, in unserer Bundesrepublik, und, Herr Renner, Sie könnten nicht hundert darunter zusammenbringen, die politische Gefangene der KP wären. Ich muß Ihnen allerdings sagen, daß eigentlich welche nicht darunter sind, die hingehörten.
Es ist ein unerträglicher Zustand in der Bundesrepublik, daß Kommunisten hier Deutsche, die das Unglück haben, jenseits der Zonengrenze zu wohnen, ungestraft denunzieren können.
({5})
Wenn sie von jemand wissen, daß er drüben westliche Zeitungen liest, Radio hört, daß er Verbindung zu westlichen Politikern hat, dann können sie einen Brief nach drüben schreiben, und der Betreffende wird verhaftet und zu der gängigsten Strafe von 25 Jahren Arbeitslager verurteilt. Der Denunziant kann hier nicht zur Verantwortung gezogen werden. Herr Renner, ich kann Ihnen sagen, daß wir das Nötige tun werden, um da Abhilfe zu schaffen, und vielleicht wird sich alsdann die Zahl von höchstens hundert politischen Gefangenen, die es hier gibt in Ihrem Sinne, um einige erhöhen.
({6})
Nein, dazu sagen wir nicht pfui. Den Denunzianten
({7})
und denen, Herr Renner, die dazu mithelfen, Menschen zu verschleppen,
({8})
z. B. unseren Kollegen Kurt Müller hier, denen werden wir das Handwerk legen.
({9})
Was hier gebrandmarkt werden muß, meine Damen und Herren, das ist die bodenlose Heuchelei dieses Antrags,
({10})
das ist die doppelte Moral, die immer ein verschiedenes Maß hat, je nachdem, ob man an der Macht ist oder ob man die Macht bekämpft.
Wir haben nur einen Maßstab, Herr Renner, gleichviel, wo wir sind, ob in der Opposition oder in der Regierung. In jedem Falle verlangen wir Menschlichkeit. Sie bringen diesen Antrag hier ein. Können Sie die Drucksache aus der Volkskammer vorweisen, in der Ihre Freunde aus der SED das da beantragen? Das unterlassen sie höchst bezeichnenderweise.
({11})
Reden wir doch mal kurz darüber, wie das drüben geht.
({12})
- Da werden sie geköpft; überall die doppelte Moral!
Die Kommunisten haben gelegentlich auch humanitäre Anwandlungen. Im Strafvollzug haben sie z. B. 1945 drüben versucht, zunächst eine menschliche Methode anzuwenden. Aber, sehen Sie, Menschlichkeit ist nun einmal mit der Diktatur völlig unverträglich. Sie werden hier immer sagen, alles, was wir über die Wasserzellen sagen, über die Zahl der Gefangenen und über ihre Behandlung, sei gelogen. Ja, Herr Renner, wie kann es denn anders sein, wenn man nur über ein paar Prozent der Bevölkerung verfügt und seine politische Herrschaft begründen und aufrechterhalten will? Dann kann man nur mit Terror, mit KZ regieren, dann braucht man 25 Jahre Strafe für ein Flugblatt. Sonst ist doch die politische Herrschaft dieser kleinen Minderheit nicht möglich.
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Wenn Ihnen dieser deduktive Beweis nicht genügt, dann kann ich Ihnen an dieser Stelle vielleicht etwas ankündigen. Wir werden Ihnen auch einen Beweis aus den Tatsachen liefern. Die Sozialdemokratische Partei hat die Absicht, demnächst hier einen Antrag auf Einsetzung eines Enqueteausschusses einzubringen. Dieser Enqueteausschuß soll die Aufgabe haben, zu untersuchen, wie es in Deutschland ist, und zwar hüben und drüben, mit' folgenden Verhältnissen: Was wird politisch bestraft? Wie wird der politische Häftling bei der Polizei und bei der Justiz behandelt, also wie sind die Untersuchungsmethoden? Und dann: Wie ist das Strafmaß für politische Straftaten, und wie ist der Strafvollzug? Herr Renner, da werden wir uns bemühen, mit den besten Mitteln, die es für solche Untersuchungsausschüsse geben kann, die Wahrheit zu finden, die Wahrheit hier in der Bundesrepublik und die Wahrheit drüben, da, wo Sie an der Macht sind. Und ich hoffe, daß Sie uns dabei helfen werden, die Wahrheit zu finden.
Vielleicht, Herr Renner, können wir dann einmal einen Lokaltermin in Bautzen oder in Halle machen, wo es diese Wasserzelle gibt. Meine Damen und Herren, um ein Beispiel zu zitieren: in der Wasserzelle sitzt ein Häftling, der nicht geständig ist. Da wird kaltes Wasser eingelassen, und dieses kalte Wasser steigt binnen 24 Stunden bis zum Munde. Alle sechs Stunden wird er einmal herausgeholt und gefragt, ob er jetzt aussagen will.
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Machen wir Lokaltermin! Wir werden das untersuchen, und wir werden Ihnen beweisen, daß der Terror, der drüben bei Ihnen herrscht, den noch bei weitem übertrifft, den wir im Dritten Reich gekannt haben.
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Da wird Ihnen Hören und Sehen vergehen, wenn wir da einmal hineinleuchten.
({16})
Meine Damen und Herren! Ich will keine weiteren Ausführungen dazu machen. In diesem Enqueteausschuß werden wir dem Problem einmal gründauf den Leib rücken.
Inzwischen bitte ich, den Antrag dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen. So haben Sie auch ein wenig Zeit, Herr Renner, das Vergessene nachzuholen und den gleich-lautenden Antrag in Ihrer Volkskammer einzubringen.
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Meine Damen und Herren, es ist - es war mir keineswegs entgangen! - Übergang zur Tagesordnung beantragt. - Ich frage, ob dem Antrag widersprochen wird.
({0})
- Ich frage zunächst, ob widersprochen wird. Ich wüßte nicht, Herr Renner, daß in der Geschäftsordnung vor der Abstimmung über einen Antrag auf Übergang zur Tagesordnung ein Schlußwort vorgesehen ist. Ich muß über den Antrag abstimmen lassen. Es besteht die Möglichkeit, gegen den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung zu sprechen. Wünschen Sie das zu tun?
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- Nein, Herr Kollege Renner. Sie haben mir letzthin in freundlicher Weise bestätigt, daß ich korrekt verfahren sei. Ich bemühe mich auch hier darum. Wünschen Sie das Wort?
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- Ich stelle das fest. Wünschen Sie zum Antrag auf Übergang zur Tagesordnung zu sprechen? - Ich erteile Ihnen das Wort.
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- Zweifellos ist im Stenogramm enthalten, daß Sie, Herr Renner, widersprochen haben. Ich glaube, Sie brauchen nicht mehr das Wort zu nehmen. Wollen Sie doch dazu sprechen?
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-- Bitte!
Ich widerspreche dem hier gestellten Antrag aus einem meines Erachtens sehr verständlichen Grund.
({0})
Unser Antrag hat hier die Folge gehabt, daß ein Sprecher der CDU und ein Sprecher der SPD sich gegen den sachlichen Inhalt dieses Antrages gestellt haben, und zwar mit den uns seit zwei, drei Jahren geläufigen und nicht zu beweisenden
({1})
Anschuldigungen gegen das Strafsystem in der DDR.
({2})
- Lassen Sie mich doch bitte ausreden! - Daß Sie die Absicht haben, Herr Mommer, die Einsetzung eines Enquete-Ausschusses zu beantragen, ist für uns keine Überraschung. Das ist bereits Sonntag vor acht Tagen in Berlin durch Ihren Kollegen, Herrn Wehner, angekündigt worden. Ich habe Ihnen an der betreffenden Stelle den Zuruf gemacht, Sie möchten dafür sorgen, daß in diesen Enquete-Ausschuß Leute hineinkommen, die saubere Papiere haben. Ich greife eine Feststellung von Ihnen auf: Unser Kollege Kurt Müller, „Ihr Kollege" Kurt Müller war ein Agent der Engländer
({3})
und ist als Agent der Engländer inhaftiert. Es ist bezeichnend, daß Sie einen englischen Agenten als Ihren Kollegen ansprechen.
({4})
Herr Abgeordneter Renner, Sie sprechen gegen den Antrag auf Übergang 1) zur Tagesordnung. Ich bitte Sie geschäftsordnungsmäßig, sich darauf zu beschränken.
Ich stelle also fest, daß Sie versuchen, einen ernstgemeinten und berechtigten Antrag mit derartigen Methoden niederzuknüppeln.
({0})
- Nein, ich habe nichts zu verbergen! Ich darf Sie aber z. B. an ein Urteil erinnern, das gestern in Süddeutschland gefällt worden ist. Ein junger Mann, der einen Abdruck des Angebots der Volkskammer an den Bundestag verteilt hat, wurde von einem französischen Besatzungsgericht zu drei Monaten Gefängnis wegen Gefährdung der Sicherheit der Besatzungsmacht verurteilt.
({1})
- Weil er einen Mord begangen hat, ({2}) weil er einen Mordversuch gemacht hat!
Herr Abgeordneter Renner, ich bitte Sie, nur zu dem Thema zu sprechen, zu dem Sie zu sprechen wünschen.
Ich bemühe mich fortgesetzt, dazu zu sprechen; aber wenn ich durch Zwischenrufe dauernd unterbrochen werde, ist das nicht meine Schuld.
({0})
Ich möchte zum Abschluß Herrn Mommer etwas sagen. Herr Mommer, ich greife Ihre Anregung auf. Schicken wir einen Enquete-Ausschuß, in dem aber keine Agenten, sondern die Wahrheit suchende Menschen aller Parteien sitzen, nach drüben, um die Wahrheit zu ergründen.
({1})
Schreiben Sie in Ihrer Antwort an die Volkskammer das als eine Ihrer Anregungen hinein, und wir wollen sehen, wie die Regierung der DDR darauf reagiert. Ich mache in allem Ernst den Vorschlag: bitte, benutzen Sie die hoffentlich kommende Aussprache über das Schreiben der Volkskammer, um diese Ihre Anregung fundiert in Ihre Antwort hineinzuarbeiten, und ich bin sicher, daß, wenn Sie saubere Menschen und keine Agenten nach drüben schicken, Ihrer Anregung stattgegeben wird.
({2})
Ich eröffne die Abstimmung über den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung. Ich bitte die Damen und Herren, die für diesen Antrag sind, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend Wahrung der Interessen der aus dem westlichen Ausland ausgewiesenen Deutschen ({0}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 5 Minuten und Verzicht auf eine Aussprache vor.
Herr Abgeordneter Müller!
Antragsteller: Meine Damen und Herren! Am vergangenen Sonntag fand in Düsseldorf eine Kundgebung des Interessenverbandes der vertriebenen Hollanddeutschen statt. Auf dieser Kundgebung wurde ein Komplex von Fragen angesprochen, der im Bundestag bisher so gut wie überhaupt noch keine Beachtung, der aber auch bei der Regierung noch wenig Beachtung gefunden hat. Wir dürfen dabei nicht vergessen, daß es sich hierbei um einen Menschenkreis handelt, der nach vorsichtigen Schätzungen der zuständigen Organisationen mindestens 300 000 Auslandsdeutsche umfaßt, davon allein aus Holland etwa 100 000, aus Luxemburg 20 000, aus Belgien 20 000, die durch ihre Ausweisung aus den 25 westlichen Ländern sowohl in ihrer wirtschaftlichen wie auch in ihrer sozialen Lage aufs schwerste betroffen sind.
Es würde zu weit führen, auf den gesamten Bereich der Fragen, die mit diesen Ausweisungen aus den westlichen Ländern zusammenhängen, näher einzugehen und hier in diesen fünf Minuten die materiellen und sonstigen Fragen anzuführen, die einer Entscheidung entgegendrängen. Mir scheint nur wesentlich zu sein, daß die Fragen, die sofort einer Erledigung entgegengeführt werden können, unter allen Umständen schnellstens in Angriff genommen werden müssen. Das war der Ausgangspunkt unseres Antrags. Dabei möchte ich insbesondere darauf hinweisen, daß sich dieser Menschenkreis aus Arbeitern, Facharbeitern, aus Ingenieuren, Technikern, Wissenschaftlern usw. zusammensetzt, die nach ihrer Ausweisung und nach ihrer Rückkehr zwar den Flüchtlingsausweis A erhalten haben, aber bei weitem nicht in den vollen Genuß derjenigen Bezüge gekommen sind, die sich aus dem Besitz dieses Flüchtlingsausweises A ergeben.
Andere Fragen kommen hinzu, z. B. die Ansprüche gegenüber der Sozialversicherung, die diese Auslandsdeutschen, die jetzt nach der Ausweisung hier
({0})
im Bundesgebiet keine Pensionen, Renten usw. bekommen, auf Grund ihrer Leistungen in Holland zu stellen hätten. Das ist also eine Frage, die einen sehr großen Teil dieser Menschen betrifft. Allein unter der großen Zahl von 72 000 aus Holland Ausgewiesenen befinden sich 3 000 Bergarbeiter, die hier keinerlei Bezüge und keine Renten mehr bekommen.
Es wird notwendig sein, in diesem Zusammenhang auch die Methoden der Ausweisung z. B. aus Holland einer eingehenden Überprüfung zu unterziehen, insbesondere das sogenannte Entfeindungsverfahren mit besonderen Fragebogen, die nach einer ganz raffinierten Methode aufgestellt sind, um zu verhindern, daß irgendwelche Ansprüche gegenüber Holland geltend gemacht werden können. Es handelt sich um andere Fragen, so um die Frage, daß alte Leute auf Grund ihrer sozialen Lage unter allen Umständen in den Besitz von Zuwendungen aus der Soforthilfe und von Renten kommen müssen. Es handelt sich um die Fragen der Existenzsicherung, um Beihilfen zum Wiederaufbau usw. Ich kann nur andeutungsweise anführen, was dieser große Personenkreis nach der Ausweisung, um seine eigene Existenz aufbauen bzw. erhalten zu können, berechtigterweise an Forderungen zu stellen hat.
Deswegen bitte ich darum und beantrage, daß dieser unser Antrag dem Flüchtlingsausschuß überwiesen wird, damit dieser unter Hinzuziehung von Vertretern der in Frage kommenden Organisationen die Materie behandelt und entsprechend den Forderungen Entscheidungen zur Lösung der Sofortfragen herbeiführt, um diesen Menschen zu helfen.
Ich darf annehmen, daß das Haus mit der Überweisung des Antrags an den Ausschuß für Heimatvertriebene einverstanden ist. Damit ist die Überweisung erfolgt.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Beratung der Übersichten Nrn. 17 und 18 über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages über Petitionen ({0}).
Ich darf unterstellen, daß den von den Ausschüssen in diesen Umdrucken gestellten Anträgen stattgegeben wird.
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Ich rufe weiter Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse ({2}).
Ich bin darauf aufmerksam gemacht worden, daß es sich empfiehlt, den Antrag der SPD auf Drucksache Nr. 1869 betreffend Krüppelfürsorge nicht nur an den Ausschuß für Fragen der öffentlichen Fürsorge - dieser soll federführend sein -, sondern auch an den Ausschuß für Fragen des Gesundheitswesens zu überweisen. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist.
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Damit sind wir am Ende der Tagesordnung. Ich berufe die nächste, die 118. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 15. Februar 1951, 13 Uhr 30, und schließe die 117. Sitzung des Deutschen Bundestages.