Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 109. Sitzung des Deutschen Bundestags, die erste Sitzung des neuen Jahres. Ich tue es in der Hoffnung, daß es uns gegeben ist, im neuen Jahr mit unserer Arbeit der Wohlfahrt unseres Staates und der Einheit, der Freiheit und dem Frieden unseres ganzen Volkes zu dienen.
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Meine Damen und Herren! In der Zeit, in der keine Sitzungen stattfanden, hat der Herr Bundeskanzler seinen 75. Geburtstag gefeiert. Ich habe mit den beiden Herren Vizepräsidenten dieses Hauses dem Herrn Bundeskanzler die Glückwünsche des Deutschen Bundestags überbracht.
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Ich möchte das aber auch hier tun. - Herr Bundeskanzler, Sie sind nicht nur der im Alphabet erste Abgeordnete dieses Hauses, Sie sind auch das älteste stimmberechtigte Mitglied dieses Hauses und haben in diesen beiden Eigenschaften allein schon Anspruch auf besondere Achtung. Ich glaube aber, daß es kein gewöhnlicher Vorgang ist, daß das älteste stimmberechtigte Mitglied eines Parlaments in diesem Alter eine Verantwortung trägt, wie Sie sie für unser Volk zu tragen haben. Wir haben Ihnen in dieser Verantwortung und mit Rücksicht auf die Art, in der Sie diese Aufgabe ohne Rücksicht auf Ihre Person wahrnehmen, unseren Respekt zu bezeugen. Ich gebe unserer Hoffnung Ausdruck, daß Ihnen Kraft, Freudigkeit und Stärke für Ihre Aufgabe erhalten bleiben und daß wir mit Ihnen gemeinsam die Verantwortung für das deutsche Volk wahrnehmen dürfen.
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Der Herr Abgeordnete Dr. Köhler ist von seiner Erkrankung wiederhergestellt und nimmt wieder an der Arbeit des Deutschen Bundestages teil. Ich begrüße ihn in unseren Reihen.
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Der Herr Abgeordnete Dr. Baumgartner hat mir unter dem 19. Dezember 1950 mitgeteilt, daß er sich durch seine Wahl zum Fraktionsvorsitzenden der Bayernpartei im Bayerischen Landtag veranlaßt sehe, sein Bundestagsmandat mit Wirkung vom 1. Januar 1951 zur Verfügung zu stellen.
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Ich nehme diesen Beifall, meine Damen und Herren, als einen Ausdruck für die Beliebtheit, deren sich der Herr Kollege Dr. Baumgartner bei uns erfreute.
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Als Nachfolger des Herrn Kollegen Dr. Baumgartner ist der Herr Abgeordnete Eugen Fürst zu Oettingen-Wallerstein in unseren Kreis eingetreten.
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Ich begrüße den Herrn Abgeordneten in unserem Kreis und wünsche ihm, daß er in seiner Tätigkeit beim Deutschen Bundestag Befriedigung findet und eine erfolgreiche Arbeit mit uns leisten kann.
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Ich habe weiterhin bekanntzugeben, daß mir der Herr Abgeordnete Dr. Miessner mitgeteilt hat, daß
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er am 20. Dezember 1950 der Fraktion der FDP als Mitglied beigetreten sei, der er bisher als Hospitant angehörte.
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-Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, als ob sich alle Mitglieder dieses Hauses in den Ferien außerordentlich gestärkt haben. Das zeigt die Lebendigkeit dieses Hauses.
Ich bitte um Aufmerksamkeit für die weiteren Mitteilungen, die, da inzwischen viel Zeit vergangen ist, etwas umfangreich sind, die aber in dieser Form gemacht werden müssen. Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit. Erst die Entschuldigungen und dann die amtlichen Mitteilungen.
Der Präsident bat Urlaub erteilt für zwei Tage den Abgeordneten Keuning, Herrmann, Dr. Reif, Frau Thiele, Müller ({0}), Rische, Agatz, Niebergall, Lausen, Pannenbecker, Dr. Veit, für vier Tage dem Abgeordneten Gerns, für sechs Tage den Abgeordneten Dr. Semler, Zinn, Dr. Kather, Kalbitzer, Dirscherl, Brandt, Frau Schroeder ({1}), Feldmann, für sieben Tage dem Abgeordneten Schmitz. Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach die Abgeordneten Neumayer, Maier ({2}) und Dr. Dresbach für acht Tage wegen einer Auslandsreise im Auftrage des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung; die Abgeordneten Dr. Friedrich, Frau Niggemeyer, Weickert, Leonhard, Schuler, Schmidt ({3}) und Sander für vierzehn Tage wegen Krankheit, der Abgeordnete Dr. Kopf für drei Wochen wegen Krankheit, die Abgeordneten Graf von Spreti, Etzel ({4}), Fischer und Morgenthaler für vier Wochen wegen Krankheit.
Meine Damen und Herren! Soweit der Urlaub genehmigt ist, haben Sie das gehört. Soweit Urlaub über sieben Tage hinaus beantragt ist, nehme ich die Zustimmung des Hauses an, daß dieser Urlaub genehmigt ist. - Ich darf den Herren Abgeordneten, insbesondere auch dem Herrn Abgeordneten Etzel, dem Vorsitzenden des Ausschusses für Wirtschaftspolitik, der, wie ich hier auch einmal sagen muß, infolge der Überlast der Verantwortung seiner Arbeit zusammengebrochen ist, die besten Wünsche für ihre Genesung aussprechen. Die Frau des Herrn Abgeordneten Etzel hat mir gerade mitgeteilt, sie hoffe, daß das Schlimmste überwunden sei.
({0})
Meine Damen und Herren, ich möchte diese Gelegenheit benutzen, um hier einmal wieder auszusprechen, daß mir auch dieser Fall ein Beispiel dafür zu sein scheint, wie ernst die große, die größte Zahl der Abgeordneten ihre Aufgabe nehmen und daß die Angriffe, die gelegentlich in anonymen und anderen Briefen und Postkarten geführt werden - daß die Abgeordneten nur dazu da seien, ihre Diäten möglichst bequem zu verzehren -, weder von einer Einsicht in die Arbeit des Bundestags noch von irgendeinem Gefühl für persönliche Verantwortung getragen sind.
({1})
Ich bitte um Aufmerksamkeit für die weiteren Mitteilungen.
Entschuldigt sind die Abgeordneten Dr. Orth, Hedler, Freiherr von Aretin, Harig und von Thadden.
Amtliche Mitteilungen:
Der Deutsche Bundesrat hat mitgeteilt, daß er in seiner 43. Sitzung am 15. Dezember 1950 beschlossen habe, den nachfolgenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen:
Gesetz über die Vereinbarung über den Warenverkehr und das Protokoll vom 17. August 1950 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Brasilien;
Drittes Gesetz zur Verlängerung der Geltungsdauer des Bewirtschaftungsnotgesetzes; Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes
über die vorläufige Haushaltsführung der
Bundesverwaltung im Rechnungsjahr 1950
vom 23. Juni 1950;
Gesetz zur Änderung und Ergänzung des D-Mark-Bilanzgesetzes;
Gesetz zur Änderung der Vorschriften des Fideikommiss- und Stiftungsrechts;
Gesetz zur Wiedererhebung der Beförderungssteuer im Möbelfernverkehr und im Werkfernverkehr und zur Änderung von Beförderungssteuersätzen;
Gesetz über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Deutschen Bundespost;
Gesetz über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs;
Gesetz über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Deutschen Bundesbahn;
Heimarbeitsgesetz;
Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Erhebung einer Abgabe „Notopfer Berlin";
Gesetz zur Verlängerung der Geltungsdauer
von Anordnungen auf einzelnen Gebieten
der gewerblichen Wirtschaft.
Er hat gemäß Art. 80 Abs. 2 des Grundgesetzes der Zweiten Durchführungsverordnung zum ersten Teil des Soforthilfegesetzes zugestimmt.
Er hat ferner beschlossen, keinen Einspruch zu erheben zu dem
Gesetz über die Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiet der Sozialversicherung
und zu dem
Gesetz über die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes.
Dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes hat er nicht zugestimmt. Sein Schreiben ist als Drucksache Nr. 1718 vervielfältigt. Der Ältestenrat hat beschlossen, den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen zu bitten, darüber in eine Prüfung einzutreten, ob von seiten des Bundestages der Vermittlungsausschuß angerufen werden soll.
Hinsichtlich des
Gesetzes zur Verlängerung von Fristen auf dem Gebiet des Anwaltsrechts
und des
Allgemeinen Eisenbahngesetzes
hat der Bundesrat den Vermittlungsausschuß angerufen. Die diesbezüglichen Schreiben tragen die Drucksachennummern 1716 und 1717.
In seiner 44. Sitzung am 5. Januar hat der Deutsche Bundesrat beschlossen, den nachfolgenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 nicht zu stellen:
({0})
Gesetz zur Regelung der Besteuerung des Kleinpflanzertabaks;
Gesetz über das Allgemeine Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich über die Soziale Sicherheit nebst vier Zusatzvereinbarungen und drei Protokollen;
Gesetz betreffend die Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich über die Anwerbung von deutschen Arbeitskräften für Frankreich vom 10. Juli 1950;
Gesetz betreffend die Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich über Gastarbeitnehmer vom 10. Juli 1950;
Gesetz über den Verkehr mit Milch, Milcherzeugnissen und Fetten;
Zweites Gesetz zur Förderung der Wirtschaft von Groß-Berlin ({1}).
Hinsichtlich des
Gesetzes über die Umstellung der Renten- und Pensionsrentenversicherungen nach der Währungsreform
und des
Gesetzes über Sofortmaßnahmen zur Sicherung der Unterbringung der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen
hat der Bundesrat den Vermittlungsausschuß angerufen. Die diesbezüglichen Schreiben tragen die Drucksachennummern 1743 und 1744.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 20. Dezember 1950 die Anfrage Nr. 129 der Abgeordneten Spies, Loibl und Genossen betreffend Gesetzentwurf zur Besteuerung von Feuerzeugen oder Zündsteinen - Drucksache Nr. 1489 - beantwortet. Die Antwort trägt die Drucksachennummer 1747.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 20. Dezember 1950 die Anfrage Nr. 144 der Fraktion der KPD betreffend Bundesversorgungsgesetz - Drucksache Nr. 1645 - beantwortet. Die Antwort trägt die Drucksachennummer 1725.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 19. Dezember 1950 die Anfrage Nr. 145 der Fraktion der KPD betreffend Versteigerung von Möbeln durch das Besatzungskostenamt Offenbach - Drucksache Nr. 1661 - beantwortet. Die Antwort trägt die Drucksachennummer 1728.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 28. Dezember 1950 die Anfrage Nr. 147 der Abgeordneten Mensing und Genossen betreffend Importe mexikanischer Rindfleischkonserven - Drucksache Nr. 1706 - beantwortet. Die Antwort wird als Drucksache Nr. 1751 vervielfältigt.
Unter Drucksache Nr. 1723 ist der zweite Zwischenbericht des Haushaltsausschusses über die auf Grund des Gesetzes über die vorläufige Haushaltsführung der Bundesverwaltung im Rechnungsjahr 1950 vom 23. Juni 1950 beschlossenen Vorwegbewilligungen von Haushaltsmitteln erschienen, der am 29. September 1950 abgeschlossen ist.
Meine Damen und Herren! Ich habe zwar etwa zwanzig Abgeordnete beobachtet, die dieser Verlesung mit Interesse gefolgt sind. Darf ich mich vergewissern, ob Sie damit einverstanden sind, daß wir diese Mitteilungen künftig nicht mehr verlesen, sondern ohne Verlesung ins Protokoll aufnehmen? Ich glaube, daß das zur Beschleunigung unserer Arbeit beitragen könnte.
({0})
- Ich werde also demgemäß verfahren.
Zur heutigen Tagesordnung bitte ich folgendes zur Kenntnis zu nehmen. Mir ist von der Fraktion der CDU mitgeteilt worden, daß die Herren Abgeordneten Loibl, Strauß, Dr. Vogel und Genossen bitten, den Punkt 2 der Tagesordnung: Beratung der Interpellation betreffend Vertrieb politisch bedenklicher Schriften in Zügen der Deutschen Bundesbahn ({1}) heute nicht zu behandeln.
Weiterhin ist mir ein Antrag der Abgeordneten Hilbert und Genossen zugegangen, der inzwischen verteilt worden ist, betreffend Entwurf eines Gesetzes über die Neugliederung in dem die Länder Baden, Württemberg-Baden und WürttembergHohenzollern umfassenden Gebiete ({2}). Ich bitte das Haus, damit einverstanden zu sein, daß dieser Gesetzentwurf im Interesse der Beschleunigung zusammen mit Punkt 3 der Tagesordnung, dem Gesetzentwurf der FDP, behandelt wird. Ich glaube, daß wir damit unser aller Arbeit dienen und eine Beschleunigung dieser Arbeit erreichen. - Das Haus ist damit einverstanden.
Meine Damen und Herren! Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Beratung der Interpellation der Abgeordneten Dr. Horlacher und Genossen betreffend Tagung des Verbandes der europäischen Landwirtschaft ({3}) ({4}).
Meine Damen und Herren! Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, daß für die Begründung 30 Minuten, für die Aussprache 60 Minuten verwandt werden.
({5})
Zur Begründung der Interpellation Herr Abgeordneter Dr. Horlacher.
Dr. Horlacher ({6}), Interpellant: Herr Abgeordneter Seelos, Sie sind auf dem Gebiet nicht bewandert. Infolgedessen bitte ich, mir momentan nicht dreinzureden.
({7}) - Es tut mir außerordentlich leid;
({8})
wenn Sie Generalkonsul werden wollen, müssen Sie sich für internationale Verhältnisse interessieren.
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Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, „Mit des Geschickes Mächten ist kein ew'ger Bund zu flechten". - In der Demokratie hat jeder das Recht, so gescheit daherzureden, oder wie er sonst kann.
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Ich gehe nun zu dem Tagesordnungspunkt über und erlaube mir, meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihre Aufmerksamkeit auf eine Tagung hinzulenken, die in Straßburg stattgefunden hat, und zwar auf die Tagung des Verbandes der europäischen Landwirtschaft vom 25. bis 30. September.
({11})
Auf der Tagung wurden u. a. die wirtschaftliche Zusammenarbeit der europäischen Staaten und die wirtschaftlichen Folgen der angeregten Gründung der Vereinigten Staaten Europas auf die Landwirtschaft erörtert.
Ich darf einleitend noch bemerken, daß auf der Tagung auch der französische Landwirtschaftsminister Pierre Pflimlin eine ausgezeichnete Rede gehalten und damals ausgeführt hat, daß der Schuman-Plan eigentlich durch einen Landwirtschaftsplan ergänzt werden sollte - was die Herren von der SPD besonders interessieren wird -, durch einen Landwirtschaftsplan, damit hier eine Planung der Verhältnisse im europäischen Raum Platz greift. Aber es hat sich dort gezeigt, daß der französische Landwirtschaftsminister gleichzeitig auch die Grenzen abgesteckt hat, wieweit eine solche europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Landwirtschaft überhaupt möglich ist. Man ist sich dort darüber einig, daß das vielleicht auf dem Getreide- und Zuckermarkt, vielleicht noch auf dem Gebiete der Kartoffelversorgung geht, daß die Sache aber sofort schwieriger wird, wenn man zu den hochwertigen Spezialproduktionen der Landwirtschaft kommt wie Weinbau, Obst-, Gemüsebau usw. Er hat also auch schon angedeutet, daß hier gewisse Grenzen der Liberalisierung vorhanden sind, die insbesondere auch im Hinblick auf die Landwirtschaften der europäischen Staaten Berücksichtigung finden müßten.
Es geht so wie oft im Leben, daß dieser Tagesordnungspunkt mit einem Referat eingeleitet wurde, und zwar mit einem Referat des Vertreters der Europabewegung, des Herrn Grafen Coudenhove-Kalergi, der hier in begeisternden Worten von dem europäischen Zusammenschluß gesprochen hat. Es ist ja sehr richtig, daß Ideen zuerst vorwärtsgetragen werden müssen, bevor sich die entsprechenden Taten anschließen können. Aber seine Rede dürfte noch so ideenreich und begeisternd sein; sie hat keine Lösung der Agrarprobleme bringen können, sondern sie ist bei den Dingen stecken geblieben, die hier für die allgemeine Versorgung Europas mit Nahrungsmitteln, besonders in schwierigen Zeiten, von maßgebender Bedeutung sind. Er sagte: Diese Gefahren, die hier drohen können, müssen in Friedenszeiten vorausgesehen werden, und es müssen alle Vorsichtsmaßregeln getroffen werden. Darum darf die europäische Agrarfrage nicht als ein Problem betrachtet werden, das nur die Landwirtschaft interessiert, sondern als eine Lebensfrage für alle. Um unsere gemeinsame Zukunft zu sichern, müssen wir die Quellen unserer Ernährung schützen, auf daß sie uns in Kriegszeiten vor Hungersnot und Kapitulation retten können. Dann sagte er zum Schluß: So sind die Interessen und Ideale Europas identisch mit denen seiner Bauern: Frieden, Wohlstand und Freiheit. - Wunderbare Worte! Aber die Ideen bedürfen eben, wenn sie zur Tat werden sollen, der Untermauerung durch reale Möglichkeiten.
Dann kamen die einzelnen Referenten zu diesem Tagesordnungspunkt. Hier kam der landwirtschaftliche Berater Herr Halle von Paris, der die Reihe der Referate eröffnete und u. a. ausführte, daß der Gleichklang der Produktionsbedingungen und -lasten erst nötig ist, um eine vernichtende Konkurrenz auszuschalten. Es muß mit aller Eile alles unternommen werden, und es dürfen unter keinen Umständen gleichlaufend, gewissermaßen im Eilzugtempo, die Liberalisierungsmaßnahmen bezüglich der Landwirtschaft in Kraft gesetzt werden. Er führte dann u. a. weiter aus, es sei notwendig, daß endlich der Verband der europäischen Landwirtschaft seine Stimme zugunsten der Produktenabkommen gegen die Methode der Liberalisierung nach Prozentsätzen erhebe. Diese Methode der Produktenabkommen wurde schon in Innsbruck empfohlen und seit dem letzten September durch das europäische Komitee der IFAP - das ist der Bund der Weltlandwirtschaft - gegenüber der OEEC - das ist die europäische Organisation für Wiederaufbau - entschieden verteidigt.
Er führte dann zum Schluß aus: Die Verhandlungen über einzelne Produkte zu beeinflussen, um die Arbeit der Produktenkonferenzen über einige gemeinsame Begriffe zu regeln, sei notwendig. Da komme folgendes in Betracht: eine aufrichtige und vollständige Information über die Lage eines jeden Landes, die Prüfung der Maßnahmen zur Erzielung der notwendigen Übereinstimmung und der praktischen Mittel, um diese verwirklichen zu können; die Prüfung der Bedingungen für eine rentable Produktion und des wirtschaftlichen Systems der Märkte, das die Sicherheit der Absatzmöglichkeiten und der angemessenen Entschädigung der Produzenten mit dem Interesse des Konsumenten in Übereinstimmung bringt, und endlich konkrete Vorschläge für die allmähliche Liberalisierung des Austauschs und die Verwirklichung des allmählichen wirtschaftlichen Zusammenschlusses.
Dann kam der italienische Vertreter, Professor Dr. Visocchi, der ebenfalls erhebliche Bedenken gegen die Fortführung einer schematischen Liberalisierung auf dem Gebiete der Landwirtschaft erhob. Er führte da aus: Schon mit Rücksicht auf diese rein wirtschaftlichen Überlegungen, die später durch die nähere Untersuchung der Produktions- und Kostenverhältnisse in den einzelnen Ländern genauer belegt werden könnten, hat die Landwirtschaft in allen Ländern vollauf Grund, zu verlangen, daß die Liberalisierung des Warenaustauschs nicht rein schematisch vor sich gehe. Schon allein darum könnte eine Produktionsspezialisierung, die ohne gut abgewogenes und stufenweises Vorgehen beim Warenaustausch eingeführt würde, nur auf Kosten einer gerechten Lastenverteilung und zum Schaden der landwirtschaftlichen Kreise in den verschiedenen europäischen Ländern gehen. - Sie sehen auch aus den Ausführungen des italienischen Vertreters, daß hier erhebliche Bedenken gegen eine übereilte und schematische Liberalisierung in der Landwirtschaft erhoben werden.
Der deutsche Vertreter, Professor Dr. Niehaus, hat ebenfalls zu diesen Problemen Stellung genommen und unter anderem darauf hingewiesen, daß alle Länder Kontinentaleuropas eine bäuerliche Struktur besitzen und deshalb das Bestreben haben, die Bodennutzung und die Verarbeitung der Bodenprodukte intensiv zu gestalten. In der westdeutschen Bundesrepublik liegen 60,4% aller Betriebe mit landwirtschaftlichen Nutzflächen unter 5 ha, 33,2% haben 5 bis 20 ha, 6,3% bis 100 ha und nur 0,1% noch über 100 ha. Von der Fläche nehmen die Betriebe von 5 bis 100 ha 78% ein, während nur noch 4% der Fläche in rund 3000 Betrieben über 100 ha bewirtschaftet werden. Er wies ferner darauf hin, daß die Gestaltung der bäuerlichen, kleinbäuerlichen Gebiete bei uns in Westeuropa besonders berücksichtigt werden müsse.
Größere Schwierigkeiten für die deutsche Landwirtschaft - führte er dann aus - sind durch Abbau der Handelsschranken zunächst bei Obst, Gemüse und Wein und Vieherzeugnissen zu erwarten.
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Charakteristisch ist die Entwicklung im deutschen Gemüsebau. Während der katastrophalen Ernährungslage in den ersten Nachkriegsjahren hatte sich die Anbaufläche für Gemüse sehr stark erweitert, indem sehr viele Betriebe, die früher kein Gemüse gebaut hatten, auch unter normalen Bedingungen nie dazu gekommen wären, zu einem verstärkten Gemüsebau übergingen. Dieser Konjunkturgemüsebau ist unter dem Druck der ausländischen Einfuhren im Rahmen der Liberalisierung fast vollständig liquidiert. Aber es kommt darauf an, auf jene Spezialbetriebe in der Landwirtschaft, insbesondere diejenigen, die sich auf kleinsten Flächen entwickeln, die insbesondere auch im Rheingebiet von besonderer Bedeutung sind, Rücksicht zu nehmen und sie zu erhalten.
Dann kam der Direktor des Schweizerischen Bauernverbandes, Herr Dr. Ernst Jaggi,
({13})
der ja aus einem Lande stammt, das an sich an der Liberalisierung besonders interessiert ist, soweit es die industrielle Seite anlangt. Er wies mit aller Schärfe darauf hin, die Landwirtschaft müsse hier unter allen Umständen eine Sonderstellung einnehmen, und eine Erhöhung der Liberalisierungsquote auf 75%, so wie sie vom 1. Januar 1951 angestrebt ist, müsse in jedem Fall auf den Widerspruch der europäischen Landwirtschaft stoßen. Er hat darauf hingewiesen, daß für den schweizerischen Industriestaat, dessen Lebensraum die Welt darstellt, der Abbau der handeLs- und zahlungspolitischen Restriktionsmaßnahmen grundsätzlich nur begrüßt werden kann. Dabei muß allerdings die Landwirtschaft verlangen, daß Beschlüsse, die für industrielle Rohstoffe und Fabrikate richtig sind, nicht schablonenhaft auf sie übertragen werden. Er hat sich sodann im einzelnen mit der bäuerlichen Struktur der schweizerischen Landwirtschaft befaßt und hat darauf hingewiesen, daß die Liberalisierungsgrundsätze der Organisation für europäische Zusammenarbeit allerdings auch verschiedene Ausweichmöglichkeiten vorsehen, die aber zweifellos von der Schweiz kaum angerufen werden können. So können Länder von den Liberalisierungsmaßnahmen dispensiert werden, deren finanzielle und wirtschaftliche Lage dies rechtfertigt. Ebenso können Liberalisierungsmaßnahmen aufgehoben werden, wenn als Folge davon wirtschaftliche Störungen entstehen oder wenn die Verschuldung eines Landes gegenüber der Zahlungsunion in gefährlichem Grade zunimmt.
Auf den Sonderfall Griechenland und Österreich sowie auf die Ausnahmemöglichkeiten bezüglich Nichtdiskriminierung kann an dieser Stelle - sagte er weiter - nicht näher eingegangen werden.
Jetzt kommt noch ein wichtiges Zeugnis eines holländischen Vertreters, also eines Vertreters der Exportlandwirtschaft der an der See gelegenen nordischen Staaten. Er hat ebenfalls darauf hingewiesen, daß die Art der Landwirtschaft des Klimas, der Bevölkerungsdichte, die Fruchtbarkeit des Bodens, das Niveau der Betriebsführung, die Art des Bauernstandes selbst, das Ausmaß seiner organisatorischen Schulung, das Ausmaß der Sozialgesetzgebung und die Bedeutung seines politischen Einflusses ebenso viele Faktoren bilden, die das Streben nach Einswerdung der europäischen Staaten fördern, aber auch - und das ist die Regel - in starkem Maße hemmen können. Er hat ferner darauf hingewiesen, daß sowohl der Europarat als auch die Europäische Bewegung sich von allen diesen Faktoren bestimmt Rechenschaft geben müssen. Der Eindruck ist gerechtfertigt, daß man die Möglichkeiten, das Wünschenswerte einer größeren Einswerdung zu sichern, konsequent aus dem Gesichtswinkel der allgemeinen politischen, industriellen und Handelsbeziehungen und zu wenig aus dem der harten Wirklichkeit der agrarischen Verhältnisse beurteilt und betrachtet. Und er sagte zum Schluß: Bei der heutigen Lage ist es sehr unwahrscheinlich, daß es in Europa mehr Regierungen gibt, die es wagen dürften, gegen die direkten Interessen und den Willen der agrarischen Bevölkerung eine kräftige Politik in der Richtung auf eine größere Einheit auch auf agrarischem Gebiet durchzusetzen, oder diese würden durchführen können. Er hat dann darauf hingewiesen, daß zunächst gewisse Vorbereitungen stattfinden müssen, eine gewisse einheitliche Ausrichtung, eine gewisse einheitliche Schulung und ein gewisses Abstimmen auf die Produktionsverhältnisse in den einzelnen Ländern.
Sie sehen daraus, daß hier die Verhältnisse anders dargestellt werden, als es oft aus Regierungskreisen an die Ohren der Landwirtschaft heran-klingt. Der Verband der europäischen Landwirtschaft hat infolgedessen einstimmig folgenden Beschluß gefaßt:
Der Verband der europäischen Landwirtschaft betont erneut, daß ein zahlreicher, in seiner Existenz gesicherter, unabhängiger Bauernstand sowie die Erhaltung unabhängiger Bauernwirtschaften und freie landwirtschaftliche Genossenschaften die wichtigste Voraussetzung für eine gesicherte Zukunft und die Wohlfahrt der Völker sind.
Es geht daraus hervor, daß man unter Zusammenstellung einzelner besonderer Vorteile, die die Staaten mit Exportlandwirtschaft in Anspruch nehmen könnten, allgemein die Absicht zum Ausdruck gebracht hat, daß es angesichts der heutigen politischen Lage unter allen Umständen erforderlich ist, einen gesicherten freien Bauernstand auf eigener Scholle in allen europäischen Ländern zu erhalten.
({14})
Es ist darauf hingewiesen worden, daß man bei der europäischen Landwirtschaft gewisse Sonderstellungen anerkennen müsse. Bei unserer Landwirtschaft ist das zweifellos auch der Fall, denn ich kann die landwirtschaftlichen Verhältnisse nicht mit den industriellen Verhältnissen vergleichen. Ich stehe hier mit den europäischen Vertretern auf dem einheitlichen Standpunkt, daß das Brot, das wir in Europa selber erzeugen und uns selber erhalten, daß die Scholle, die wir selber in allen europäischen Staaten bewirtschaften, immer noch die sicherste Garantie ist, .daß wir alle Schwierigkeiten überwinden können.
Von diesen Gesichtspunkten müssen wir ausgehen, obwohl hier naturgemäß die überseeische Versorgung mit dem Massenartikel Getreide dazukommen muß. Der bäuerliche Veredlungsverkehr, die bodenständige Arbeit unseres Bauerntums muß unter allen Umständen erhalten bleiben. Wenn hier die Liberalisierung überspitzt und übertrieben wird, geht sie an die Existenzgrundlagen der Bauern und dieser zahlreichen kleinen Bauernfamilien heran. Das gilt insbesondere nicht nur für das Rheinland mit dem Wein-, dem Obst- und Gemüsebau - hier gibt es Hunderttausende von Existenzen, die davon leben -, sondern auch bei uns in Bayern, in der Pfalz und in allen anderen
({15})
schönen Ländern, wo auf kleinster Fläche unter intensivster Kultur große Familien leben und ihre Existenz erhalten müssen.
Darum geht es. Und glauben Sie mir, was ich hier ausspreche: Wenn die Liberalisierung an die Existenz dieser Familien rührt, dann bekommen Sie vom Lande her in verstärktem Maße eine Arbeiter- und soziale Frage, dann bekommen Sie vom Lande her - was wir jetzt unter keinen Umständen gebrauchen können, worauf schon manche spekulieren - eine radikale Bewegung, die vielleicht rascher um sich greift, als wir heute annehmen. Deshalb ist es notwendig, daß die Bundesregierung dieser Interpellation und den Beschlüssen des Verbandes der europäischen Landwirtschaft ihr Augenmerk schenkt und daß sie hier danach trachtet, mit dieser Führung der europäischen Landwirtschaft in Fühlung zu kommen, und daß sie weiter dafür sorgt, daß auch europäische wirkliche landwirtschaftliche Sachverständige zu all diesen Beratungen hinzugezogen werden, damit hier gesunde Verhältnisse geschaffen werden und damit der Lebensraum für unser deutsches und europäisches Bauerntum gegenseitig erhalten, gegeneinander abgewogen und abgestimmt wird.
Dazu bedarf es noch einer Reihe von Vorarbeiten.
Deswegen haben auch die Vertreter der verschiedenen europäischen Staaten wie folgt beschlossen:
Was die landwirtschaftlichen Erzeugnisse betrifft, muß die Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit in Europa die Lösung weniger
in einem weiteren schematischen Abbau der
quantitativen Beschränkungen als vielmehr in
der Anstellung besonderer Maßnahmen für die
einzelnen Erzeugnisse unter Berücksichtigung
ihrer Produktionskosten anstreben.
({16})
Meine Damen und Herren! Eine Einschränkung der Unterhaltungen würde es dem Herrn Redner ermöglichen, besser durchzudringen.
({0})
Dr. Horlacher ({1}), Interpellant:
Dabei wird Warenabkommen über einzelne Produkte eine besondere Bedeutung zukommen.
- Ich möchte mich etwas kürzer fassen? Wer hat das soeben gesagt? Ich möchte diesen landwirtschaftlichen „Sachverständigen" einmal sehen!
Herr Abgeordneter, Sie haben noch 12 Minuten Redezeit. Es beantragt niemand, daß Sie sich kurz fassen.
Dr. Horlacher ({0}), Interpellant: Ich glaube, ich brauche meistens meine Redezeit nicht einmal bis zu Ende; ich gebe allen ein gutes Beispiel.
({1})
Aber gewisse Dinge, die von Bedeutung sind -diese Auslandserzeugnisse -, kann ich nicht mehr abkürzen, als ich schon getan habe. Im übrigen gibt es immer ein paar, denen man es nicht rechtmachen kann. Wenn man auch fast allen gefällt, ein paar sind immer dabei, die unzufrieden sind. Aber ich bin denjenigen, die mir feindlich gesinnt sind, nicht feindlich gesinnt; ich bedaure sie höchstens wegen ihres Geisteszustandes.
({2})
Ich habe also ausgeführt, daß sich sämtliche europäischen Vertreter der Landwirtschaft unter Zurückstellung mancher Vorteile, die einzelne bei anderer Stellungnahme erwarten könnten, auf den Standpunkt gestellt haben, daß eine schematische Liberalisierung bei der Landwirtschaft nicht Platz greifen darf. Auch der französische Landwirtschaftsminister hat den gleichen Standpunkt vertreten. Es ist infolgedessen die Aufgabe der Bundesregierung, daß sie sich auch einschaltet, damit das Bauerntum erhalten werden kann. Glauben Sie mir: Es gibt zum Vorwärtskommen des deutschen Volkes zwei Grundsäulen; die eine ist die Landwirtschaft und das Bauerntum, die andere ist die Industrie und das Gewerbe mit den Millionenscharen der Arbeiterschaft. Beide Grundlagen gehören als gleichberechtigte Faktoren in das Wirtschaftsleben eingeschaltet. Glauben Sie mir: die sicherste Grundlage für unser Land heute ist ein ruhiges, arbeitsames und an der Scholle hängendes Bauerntum. Und dafür hat sich die europäische Konferenz der Bauern eingesetzt.
Ich bitte deshalb das Hohe Haus, die Bundesregierung zu beauftragen, sich für die gleichen Ziele einzusetzen; denn wir sind heute bei der Zusammendrängung unserer Bevölkerung auf den engsten Raum in den Westzonen leider darauf angewiesen, jedes Fleckchen Erde bewirtschaftet und unter Kultur zu halten. Wir sind besonders dazu verpflichtet, jene bäuerlichen Existenzen zu erhalten, die hier auf engstem Raum höchstwertige Kulturen betreiben. Deswegen ist der Schutz des Bauerntums die erste Frage, die auch im neuen Jahr an uns herantritt. Ich gehöre nicht zu denen, die draußen - es gibt ja schon gewisse Untergrundbewegungen - die Schwarzmalerei bis zum Äußersten treiben. Aber ich gehöre zu denen, die sagen: wir müssen dafür sorgen, daß unser Bauerntum seine Arbeit mit Zuversicht fortsetzen kann, daß das Bauerntum die Gewißheit hat, daß die Bundesregierung auf seine berechtigten Interessen Rücksicht nimmt, indem sie den Warenverkehr und die Handelsverträge so gestaltet, daß Tausende jener Kleinbauern leben können, die hochentwickelte Kulturen betreiben, von denen Hunderttausende von Familien auf kleinsten Flächen den höchsten Ertrag herauswirtschaften. Ich glaube, es ist ein guter Anfang für uns, daß ich gerade zu Beginn des neuen Jahres den ersten Bericht darüber erstatte. Es ist ein guter Anfang; er soll zeigen, daß die Grundlage für ein gesundes Staatswesen ein gesunder Bauernstand ist. Nur durch die Erhaltung des Landes unter dem Pflug können wir aus eigener Kraft das Höchste herauswirtschaften, damit wir von dieser Seite her eine gewisse Sicherung für unsere zukünftigen Verhältnisse haben und behalten.
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Zur Beantwortung der
Interpellation hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Interpellation wie folgt beantworten.
Erste Frage: Ist der Bundesregierung bekannt, daß vom 25. bis 30. September 1950 der Verband der Europäischen Landwirtschaft ({0}) in Straßburg getagt und u. a. in eingehenden Referaten von Vertretern der Beneluxstaaten, Frankreichs,
({1})
Italiens, der Schweiz und Deutschlands die wirtschaftliche Zusammenarbeit der europäischen Staaten und die wirtschaftlichen Folgen der angeregten Gründung der Vereinigten Staaten Europas auf die Landwirtschaft erörtert hat?
Antwort: Die Beschlüsse des Verbandes der Europäischen Landwirtschaft sind der Bundesregierung bekannt. Sie begrüßt es, daß der Verband der Europäischen Landwirtschaft die wirtschaftliche Zusammenarbeit der Staaten Europas grundsätzlich anerkannt hat.
Zweite Frage: Ist der Bundesregierung bekannt, daß im Anschluß an diese Referate einstimmig eine Entschließung angenommen wurde, in der es u. a. heißt: a) ein zahlreicher, in seiner Existenz gesicherter, unabhängiger Bauernstand und freie landwirtschaftliche Genossenschaften seien die wichtigste Voraussetzung für eine gesicherte Zukunft und die Wohlfahrt der Völker?
Antwort: Es entspricht durchaus der Auffassung der Bundesregierung, daß die von dem Verband der Europäischen Landwirtschaft geforderten internationalen Vereinbarungen den beteiligten Staaten die Sicherheit geben müssen, ihren Bauernstand gesund und leistungsfähig zu erhalten.
Frage 2 b: Ein weiterer Abbau der bestehenden Schutzmaßnahmen für die Landwirtschaft im Warenverkehr solle nicht schematisch erfolgen, sondern unter sorgfältigster Prüfung der Rückwirkungen auf die nationale Produktion, insbesondere auf die Landwirtschaft, durchgeführt werden.
Antwort: Es entspricht den bisherigen Bestrebungen der Bundesregierung, einen weiteren Abbau der bestehenden Schutzmaßnahmen im Warenverkehr nicht schematisch, sondern nur nach sorgfältiger Prüfung der Rückwirkungen auf die nationale Produktion, insbesondere die der Landwirtschaft, vorzunehmen.
Frage 2 c: Die Lösung dieser Frage für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse müsse die OEEC weniger in einem weiteren schematischen Abbau der quantitativen Beschränkungen, als vielmehr in der Aufstellung besonderer Maßnahmen für die einzelnen Erzeugnisse unter Berücksichtigung ihrer Produktionskosten anstreben.
Antwort: Die Bundesregierung ist ständig bemünt, sorgfältig zu prüfen, welche besondere Maßnahmen zum Schutze der einzelnen landwirtschaftlichen Erzeugnisse unter Berücksichtigung der Produktionskosten getroffen werden können.
Dritte Frage: Ist der Bundesregierung bekannt, daß diese Entschließung des Verbandes der Europäischen Landwirtschaft zum großen Teil im Einklang steht mit dem seinerzeit vom Deutschen Bundestag angenommenen Beschluß zum Schutz der deutschen Landwirtschaft?
Antwort: Der Bundesregierung ist diese Tatsache bekannt. Sie begrüßt es, daß die Stellungnahme des Deutschen Bundestags auch in der Entschließung des Verbandes der Europäischen Landwirtschaft ihren Niederschlag gefunden hat.
Vierte Frage: Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Internationale Vereinigung der landwirtschaftlichen Produzenten bei ihrer Tagung in Schweden sich ebenfalls gegen eine schematische Durchführung der Liberalisierung der Landwirtschaft ausgesprochen hat?
Antwort: Auch dieser Beschluß ist der Bundesregierung bekannt. Es kann darauf verwiesen werden, daß sie bei der bisherigen Durchführung der Liberalisierung nicht schematisch vorgegangen ist, sondern die Auswahl der zu liberalisierenden Produkte nach Anhörung des Ernährungsausschusses des Bundestags sowie nach Fühlungnahme mit den beteiligten Wirtschaftskreisen vorgenommen hat.
Fünfte Frage: Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Referenten bei der Straßburger Tagung des Verbandes der Europäischen Landwirtschaft sich einstimmig gegen die Hinaufsetzung auf eine 75%ige Liberalisierung bei der Landwirtschaft ausgesprochen haben?
Antwort: Auch hiervon hat die Bundesregierung Kenntnis genommen. Auf Einzelheiten darf ich bei der Beantwortung der folgenden Frage eingehen.
Sechste Frage: Ist der Bundesregierung bekannt, daß diese Fortführung der Liberalisierung bei der Landwirtschaft gerade die bäuerliche Wirtschaft, wie die Milch- und Viehwirtschaft, und insbesondere die Spezialkulturen der Landwirtschaft, wie Weinbau, Obstbau, Gemüsebau, Tabakbau usw., auf das schwerste treffen muß?
Antwort: Die Bundesregierung hatte zur Erfüllung der Verpflichtung, 60 % der im Jahre 1949 aus den Mitgliedstaaten der OEEC eingeführten Erzeugnisse zu liberalisieren, zunächst auf dem Agrarsektor den Satz von 60,77 % erreicht. Die OEEC überprüfte Ende Oktober 1950 die deutsche Freiliste und stellte hierbei fest, daß die in der Liste enthaltenen saisonalen Liberalisierungen - verschiedene Gartenbauerzeugnisse und frische Heringe - nicht dem Grundsatz der Liberalisierung genügen und daher in die 60 % nicht eingerechnet werden dürfen. Die Änderung der deutschen Freiliste war aber auch aus einem zweiten Grunde notwendig. Inzwischen war nämlich das Getreidegesetz in Kraft getreten und das Zuckergesetz vom Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden. Diese Gesetze stellen die Einfuhr bestimmter Agrarerzeugnisse unter die Kontrolle staatlicher Organe. Diese Agrarerzeugnisse gelten damit nicht mehr als Teil des privaten Handels, auf den allein sich die Liberalisierungsverpflichtung erstreckt. Infolgedessen mußte die deutsche Freiliste auf dem Agrarsektor neu berechnet werden. Es ergab sich, daß die bisher liberalisierten und von der OEEC als liberalisiert anerkannten Erzeugnisse nur einen Prozentsatz von 57,69 erreichten. Um die vorgeschriebenen 60 % zu erfüllen, beschloß die Bundesregierung mit Zustimmung des Ernährungsausschusses des Bundestages, die Einfuhr von Eiern aus den Mitgliedstaaten der OEEC zu liberalisieren. Damit erfüllte die Bundesregierung die Verpflichtung zur 60%igen Liberalisierung mit 60,84 %. Die deutsche Freiliste ist der OEEC in dieser Form vorgelegt worden.
Was nun die Besorgnis über die Auswirkung der Liberalisierung auf die Tierwirtschaft sowie die Spezialkulturen anlangt, so sei folgendes bemerkt. In der derzeitigen, 60 % umfassenden Liberalisierungsliste sind folgende von der deutschen Landwirtschaft erzeugten Veredlungsprodukte enthalten: erstens von den tierischen Veredlungserzeugnissen nur Eier; zweitens bei Obst, Gemüse und Wein: Wein lediglich zur Herstellung von Brennwein, Nüsse und getrocknete Früchte; drittens: vom Tabakbau: Tabakrippen und Tabaklaugen. Im weiteren Verlauf der Liberalisierung werden zunächst alle diejenigen Erzeugnisse, die den neuen Agrargesetzen unterliegen - Getreide-, Zucker-, Milch- und Fettgesetz; das Viehgesetz liegt dem Bundestag vor- -, nicht betroffen werden, da die Liberalisierung solche Erzeugnisse nicht erfaßt, welche unter Kontrolle staatlicher Organe eingeführt werden.
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Damit entfällt von vornherein die Befürchtung, daß von der Liberalisierung diejenigen Agrarprodukte betroffen werden, die etwa drei Viertel der Verkaufserlöse der deutschen Landwirtschaft ausmachen. Die Bundesregierung hat im übrigen im Augenblick noch nicht entschieden, welche von den sonst verbleibenden Erzeugnissen zur Errechnung der 75%igen Liberalisierung herangezogen werden sollen, falls diese in Kraft treten sollte; sie wird indessen bemüht sein, unter Berücksichtigung der dringendsten Versorgungsbedürfnisse die Liberalisierung so zu gestalten, daß Schädigungen für die landwirtschaftliche Erzeugung möglichst vermieden werden.
Außerdem wird wohl viel zu wenig beachtet, daß Liberalisierung nicht gleichbedeutend ist mit dem Wegfall des Zollschutzes.
Siebente Frage: Ist der Bundesregierung bekannt, daß gerade von der Erhaltung der Milchwirtschaft und dieser Spezialkulturen das Leben der bäuerlichen Bevölkerung abhängig ist?
Antwort: Die Bundesregierung ist sich dessen bewußt, daß aus der Milchwirtschaft und ihren Erzeugnissen über 30 % der Verkaufserlöse der deutschen Landwirtschaft fließen. Sie weiß ferner, daß die Milchwirtschaft gerade für die kleinen und kleinsten Betriebe das wirtschaftliche Rückgrat darstellt. Sie hat daher bisher alle Maßnahmen getroffen, um die Milchwirtschaft zu fördern, und es in diesem Zusammenhang sehr begrüßt, daß der Deutsche Bundestag am 14. Dezember 1950 das von ihr vorgelegte Milch- und Fettgesetz mit überwältigender Mehrheit angenommen hat. Hierdurch ist die Möglichkeit geschaffen worden, die Milchwirtschaft weiterhin stark zu fördern.
Achte Frage: Ist die Bundesregierung bereit, diesen Gesichtspunkten bei sich selbst und bei den europäischen Beratungen Rechnung zu tragen? Ist die Bundesregiernug insbesondere bereit, durch ihre Vertreter im Europarat und bei den europäischen Einrichtungen dahin zu wirken, daß den landwirtschaftlichen Organisationen die Stellung bei der Vorbereitung der Arbeiten eingeräumt wird, die sie gemäß der Bedeutung des Bauerntums und der Landwirtschaft für den Wiederaufbau Europas verlangen können? Ist endlich die Bundesregierung bereit, sich dafür einzusetzen, daß dem Verband der Europäischen Landwirtschaft und seinem leitenden Ausschuß das entsprechende Gehör bei der Vorbereitung europäischer Vereinbarungen verschafft wird?'
Antwort: Schon bisher hat mein Ministerium die landwirtschaftlichen Berufsorganisationen bei allen vorbereitenden Arbeiten für die europäische Zusammenarbeit weitestgehend herangezogen. Daß ich dies auch für die weitere Zukunft tun werde, ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Die Bundesregierung wird sich weiterhin gern bemühen, bei den Verhandlungen im Europarat dahin zu wirken, daß dem Verband der Europäischen Landwirtschaft und seinem leitenden Ausschuß entsprechendes Gehör bei der Beratung europäischer Vereinbarungen verschafft wird.
Ich glaube, abschließend behaupten zu dürfen, daß die von der Bundesregierung getroffenen Maßnahmen bisher den richtigen Mittelweg zwischen der dringend notwendigen Liberalisierung und dem erforderlichen Schutz der heimischen Erzeugung darstellen.
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Die Beantwortung der
Interpellation ist erfolgt. Meine Damen und Herren, ich frage, ob eine Besprechung der Interpellation gewünscht wird. Welche Damen und Herren wünschen eine Besprechung? - Ich sehe nur einen Herrn, der sich auch zum Wort gemeldet hat. Damit sind es keine 50 Abgeordnete, die eine Besprechung wünschen. Die Besprechung findet somit nicht statt; die Interpellation ist erledigt.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neugliederung der die Länder Baden, Württemberg-Baden und WürttembergHohenzollern umfassenden Gebiete ({0});
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hilbert und Genossen betreffend Entwurf eines Gesetzes über die Neugliederung in dem die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern umfassenden Gebiete ({1}).
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen für die Begründung der Drucksache Nr. 821 eine Redezeit von 40 Minuten vor. Ich nehme an, daß eine entsprechend angemessene Zeit auch für die Begründung des Gesetzentwurfes der Abgeordneten Hilbert und Genossen vorzusehen ist. Ferner schlägt der Ältestenrat eine Aussprachezeit von insgesamt 150 Minuten vor. Ich darf annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist.
Wer begründet den Gesetzentwurf der FDP?
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- Ist Herr Abgeordneter Mayer anwesend? - Dann würde ich vorschlagen, daß wir mit der Begründung des Gesetzentwurfes der Abgeordneten Hilbert und Genossen beginnen, und darf Herrn Abgeordneten Hilbert bitten, das Wort zu nehmen.
Hilbert : ({3}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Dr. Horlacher hat es vorhin als ein gutes Vorzeichen zu Beginn des neuen Jahres bezeichnet, daß wir hier zunächst eine Agrardebatte abgehalten haben. Ich möchte sagen, es ist angesichts der Situation in unserem gesamtdeutschen Vaterland, ein weniger guter Auftakt, daß wir uns mit einer Frage beschäftigen müssen, die bei einigermaßengutem Willen auf allen Seiten hätte erledigt werden können, ohne den Bundestag damit zu befassen. Aber es waren Kräfte am Werk, die ein historisch gewordenes, seit 150 Jahren bestehendes Gebilde entsprechend der Diktatur der Besatzung nunmehr anders gestalten wollen, als es dem bei der Volksbefragung am 24. September 1950 zutage getretenen Willen der Mehrheit der Bevölkerung entspricht.
Die Frage der Neugliederung der drei südwestdeutschen Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern ist seit etwa 2% Jahren Gegenstand heftigster politischer Auseinandersetzungen nicht nur in den unmittelbar betroffenen Gebieten, sondern auch weit darüber hinaus. Die jetzige Gestalt dieser Länder ist, wie ich eben schon darlegte, das Ergebnis der alliierten Zonenstrategie und reines Zufallsprodukt militärischbesatzungsmäßiger Erwägungen. Die alten Länder Paden und Württemberg, wie sie bis zum 8. Mai 1945 bestanden haben. wurden im Sommer desselben Jahres durch die französisch-amerikanische Zonengrenze willkürlich in zwei Teile aufgeteilt. Die nördlich der Zonengrenze gelegenen badischen und württembergischen Landesteile, die zur US({4})
Zone gehören, wurden durch die US-Proklamation Nr. 2 vom 19. September 1945 zu einem Land „Württemberg-Baden" vereinigt. Aus den südlich der Zonengrenze gelegenen Landesteilen, die der französischen Besatzungszone zugehören, wurden auf Anordnung der französischen Besatzungsmacht die Länder „Baden" und „Württemberg-Hohenzollern" gebildet. Der ehemals preußische Landesteil Hohenzollern wurde vorläufig durch diktatorische Maßnahme der Besatzungsmacht dem neuen Land Württemberg-Hohenzollern einfach angeschlossen. Meine Damen und Herren! Das Wissen um die Tatsache, daß fast 150 Jahre alte Länder durch ein Besatzungsdekret in zwei Hälften geteilt worden sind, ist leider, wie ich in verschiedenen Besprechungen während der letzten Wochen und Monate habe feststellen können, nicht Allgemeingut aller Deutschen, auch nicht aller Politiker. Es ist die Tatsache zu verzeichnen, daß wichtige staatliche Einrichtungen aus der Zeit vor 1945, obwohl die früheren Länder geteilt wurden, bis zum heutigen Tage entsprechend den früheren Ländergrenzen gemeinsam verwaltet werden; ich nenne hier nur die Landesversicherungsanstalt, die staatliche Gebäudeversicherungsanstalt, die Staatsbanker., die Domänenverwaltung und anderes mehr. Sie werden entsprechend den alten Ländergrenzen nach wie vor als gesamtbadische oder gesamtwürttembergische Institute betrachtet.
Von den neuen Ländern hatten nach dem Stand der letzten Volkszählung Württemberg-Baden etwas über 3,8 Millionen, davon etwa 1/3 in Nordbaden wohnhaft, Baden 1,35 Millionen und Württemberg-Hohenzollern 1,18 Millionen Einwohner.
In der aus besatzungspolitischen Gründen verfügten staatlichen Neuordnung der südwestdeutschen Gebiete sah die betroffene Bevölkerung von Anfang an nicht nur ein Unrecht, sondern auch ein staatliches, durch die Besatzungsmächte diktiertes Provisorium. Auch die Besatzungsmächte selbst erkannten die Notwendigkeit einer Korrektur ihrer sogenannten Staatenschöpfung an, als sie in Dokument II der Frankfurter Empfehlungen vom 1. Juli 1948 den Ministerpräsidenten der deutschen Länder den Auftrag gaben oder ihnen wenigstens empfahlen, Vorschläge zur Änderung der Ländergrenzen zu unterbreiten. Die darauf im damaligen Ländergrenzenausschuß vorbereiteten und von den _Ministerpräsidenten am 15. Oktober 1948 vorgelegten Vorschläge einer Neugliederung im südwestdeutschen Raum fanden indes nicht die Billigung der damaligen Generalgouverneure. In der Note vom 12. Mai 1949, mit der sie unter Vorbehalten das Grundgesetz genehmigten, verfügten sie die Zurückstellung dieser Angelegenheit bis zur Bildung der Bundesorgane.
Nun sind in Art. 29 GG die Vorschriften für die Neubildung des gesamten Bundesgebietes vorgesehen. Diese Vorschriften sind indes nach Ziffer 7 der Note der Generalgouverneure vom 12. Mai 1949 in ihrer Geltung vorläufig suspendiert. Nicht von diesem Aussetzungsgebot betroffen ist aber die Übergangsvorschrift des Art. 118 GG, die der Neugliederung der südwestdeutschen Länder Vorrang gibt und die Ihnen allen wohl bekannte Fassung enthält. Dieser Artikel des Grundgesetzes kann also sofort vollzogen werden. Demgemäß haben gleich nach Inkrafttreten des Grundgesetzes zwischen den derzeitigen provisorischen Ländern Baden, Württemberg-Baden und WürttembergHohenzollern Verhandlungen stattgefunden, um zu einer Neugliederung in ihrem Gebiete zu kommen. Ich möchte es Ihnen und mir ersparen, auf den vielfach unerquicklichen Verlauf dieser Verhandlungen näher einzugehen, sondern ich möchte hier nur feststellen, daB das einzige Ergebnis all der vielen Verhandlungen war, daß sie ergebnislos verlaufen sind.
Die Verhandlungen führten lediglich zu einer vorbereitenden Lösung, die, wenn man gewollt hätte, wenn man dem Willen der Mehrheit der badischen Bevölkerung hätte Rechnung tragen wollen, sehr wohl die von dieser Mehrheit gewünschte Lösung hätte bringen können. Es wurde nämlich in Vollzug dieser vorläufigen, vorbereitenden Lösung am 24. 9. 1950 eine in ihrer Wirkung sicherlich als Referendum zu bezeichnende informatorische Volksbefragung durchgeführt. Die dabei gestellte alternative Frage - Vereinigung der beiden Länder zu einem Südweststaat oder Wiederherstellung der alten Länder Baden und Württemberg? - wurde vom Volk im Gebiet des alten Landes Baden zugunsten der Wiederherstellung der alten Länder, im Gebiet des alten Landes Württemberg selbstverständlich zugunsten der Gebietserweiterung im Sinne eines Südweststaates beantwortet. Die Stimmbeteiligung betrug in Baden - das ist sehr bezeichnend - 70,2 %, in Südwürttemberg 48,7 % und in Nordwürttemberg gar nur 41,1 %. Für die Wiederherstellung der Länder stimmte immerhin die Mehrheit im Lande Baden, was eine Absage an die neue Institution des Südweststaats bedeutet.
Meine Damen und Herren! Es konnte nun nach alter, guter demokratischer Sitte erwartet werden, daß auf Grund dieses Volkswillens eine endgültige Vereinbarung zwischen den Regierungen der drei beteiligten Länder über die Neugliederung ihrer Gebiete zustande kommen werde, nämlich in dem Sinne, daß diesem Volkswillen Rechnung getragen werde und die alten Länder wieder hergestellt werden würden. Diese Vereinbarung scheiterte indes hauptsächlich an der mit verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten begründeten Weigerung des Landes Württemberg-Baden, die Stimmen nach den alten Ländern, wie sie bis zum 8. Mai 1945 bestanden, durchzuzählen und dementsprechned auszuwerten.
Nach erfolglosen Verhandlungen im Anschluß an die Volksbefragung hat der Staatspräsident des Landes Württemberg-Hohenzollern im Einverständnis mit den Regierungen der Länder Baden und Württemberg-Baden dem Herrn Bundeskanzler und den Herren Präsidenten des Bundestags und des Bundesrats mit Schreiben vom 28. 11. 1950 mitgeteilt, daß eine Vereinbarung über die Neugliederung der beteiligten Länder nicht zustande gekommen sei. Die Neugliederung kann nunmehr nach Art. 118 Satz 2 GG erfolgen. Daher ist dem Hohen Hause zu diesem Zweck der Entwurf eines Bundesgesetzes vorgelegt worden, den ich nun ganz kurz noch im einzelnen begründen möchte.
Der Gesetzesvorschlag zieht das Fazit aus den Verhandlungen zwischen den beteiligten Regierungen und aus dem Ergebnis der Volksbefragung. Er schlägt eine Lösung vor, die allein geeignet sein kann, diese den inneren Frieden nachhaltig störende politische Streitfrage in den beteiligten Ländern endgültig zu bereinigen. Er kommt der Forderung der Anhänger der alten Länder nach Wiedergutmachung des ihnen 1945 durch die Besatzungsmächte widerfahrenen Unrechts entgegen, und er gibt auch den Anhängern des Südweststaats alle Chancen, für diese ihre Lösung einzutreten. Er sichert der Bevölkerung, die 1945 nicht gehört worden ist, zunächst einmal das Recht, klar zu bekennen, was sie über jene willkürliche Grenzverän({5})
derungen denkt, und eröffnet ihr gleichzeitig den Weg, sich von der alten Ordnung loszusagen und sich dem größeren, bisher zwar noch namenlosen Staatsgebilde eines Südweststaates zuzuwenden. Der Gesetzesvorschlag geht daher nicht aus von der Willkür als einer Gegebenheit, die Bestand haben müsse, weil die Besatzung es aus rein strategisch-militärischen Gründen einmal so angeordnet hat, sondern ist der Auffassung, daß man auf einer Rechtsverletzung ein neues Staatswesen nicht solid aufbauen kann.
Der Gesetzentwurf setzt zunächst voraus, daß mit der in Art. 118 Satz 2 GG vorgeschriebenen „Volksbefragung" nur ein Volksentscheid gemeint sein kann. Da Art. 118 jede vernünftige Neugliederung zuläßt, ist auch die Wiederherstellung der alten Länder Baden und Württemberg möglich. Die Wiederherstellung der alten Länder Baden und Württemberg ist eine Lösung, die den Grundsätzen des Art. 29 Abs. 1 GG ebenfalls entspricht. Ein Volksentscheid über zwei zur Wahl gestellte Lösungsmöglichkeiten ist staatsrechtlich zulässig, obwohl es da und dort bestritten wird. Auch die Reichsstimmordnung des Weimarer Staates ließ Volksabstimmungen über Alternativfragen zu, lehnte aber solche über Eventualfragen ab.
Nach dem zitierten Art. 118 Satz 2 des Grundgesetzes bedarf ein Bundesgesetz über die Neugliederung des südwestdeutschen Raumes zu seiner Gültigkeit eines Volksentscheids. Der von uns vorgelegte Gesetzentwurf vermeidet die Festlegung einer einseitig dekretierten Lösung, sei es die Wiederherstellung der alten Länder oder sei es die Bildung des Südweststaates. Er überläßt dem Volk als dem eigentlichen Gesetzgeber die Entscheidung über die Norm, indem er die Anordnung des Volksentscheids an die Spitze stellt und nicht erst ein Faktum schafft, das nachher unter gänzlich falschen Voraussetzungen etwa dem Volk allein zur Abstimmung vorgelegt werden soll. Dies ist in Gestalt der alternativ gefaßten Fragestellung in den §§ 1, 2 des Entwurfs geschehen. Das Volk möge entscheiden, ob es zum alten Status zurückkehren oder zum Südweststaat übergehen will. Da der Frageinhalt im ersten Glied der Frage naturgemäß für Baden und Württemberg verschieden ist, war insoweit auch dieser erste Teil der Frage zu differenzieren.
Der Gesetzentwurf gewährt mit dieser Fragestellung und den übrigen Abstimmungsmodalitäten jeder Entscheidung die gleiche Erfolgsaussicht. Daß er die Grundentscheidung auf die beteiligten Stimmbürger überträgt, dient örtlich im besonderen Maße der politischen Befriedung, die eine von den gesetzgebenden Körperschaften verordnete einseitige Lösung wohl sehr schwer zum Gefolge haben würde. Mit dieser Konzeption wird aber auch gewährleistet, daß die gesetzgeberische Aktion in jedem Fall zu einem positiven Ergebnis führt, sei es die Wiederherstellung der alten Länder, sei es der Südweststaat.
Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die alten Lander Baden und Württemberg infolge besatzungsrechtlichen Zwangs und nicht durch demokratischen Spruch des Volkes ihrer früheren Staatlichkeit beraubt wurden und das stimmberechtigte Volk Badens und Württembergs daher ein Anrecht hat, als solches der alten Länder entscheidend zu Wort zu kommen, sieht der Gesetzentwurf in § 4 in Anwendung demokratischer Grundsätze beim Volksentscheid die Durchzählung und Auswertung der Stimmen getrennt nach dem Länderbestand am 8. Mai 1945 vor. Eine Durchzählung und Auswertung der Stimmen im gesamten Gebiet etwa des hier dekretierten Südweststaates oder auch schon in jedem der drei beteiligten Länder hieße die gesamtbadische Minderheit der Mehrheit Württembergs unterordnen.
Der vorgeschlagene Vorbehalt für den Landesteil Hohenzollern in § 7 des Entwurfs hat seine verfassungsrechtliche Grundlage auch in Art. 29 Abs. 2 GG. Er wird nicht entbehrt werden können, wenn die gebietliche Neuordnung im südwestdeutschen Raum abgeschlossen werden soll.
Es liegt an sich außerhalb meiner Aufgabe, mich in der Begründung dieses Gesetzentwurfs für die eine oder andere Lösung des südwestdeutschen Ländergrenzenproblems auszusprechen. Dieses Recht soll dem stimmberechtigten Volk vorbehalten bleiben. Ich möchte mich lediglich noch mit einigen Worten mit dem da und dort gehörten Einwand beschäftigen, die Wiederherstellung der alten Länder Baden und Württemberg sei keine Lösung, die mit den Grundsätzen des Art. 29 Abs. 1 GG zu vereinbaren sei. Nach dieser Vorschrift ist das Bundesgebiet
unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges durch Bundesgesetz neu zu gliedern. Die Neugliederung soll Länder schaffen, die nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Aufgaben wirksam erfüllen können.
Nun, die alten Länder Baden und Württemberg sind traditionell gewachsene, volkstumsmäßig gesondert entwickelte Gebiete, die sich in fast 150jähriger Geschichte als treue Glieder des früheren Deutschen Reiches und auch - seit Gründung der Bundesrepublik - als treue Glieder dieser Institution bewährt haben. Die Länder und die Völker, die dort wohnen, haben ein ausgeprägtes Eigenstaatsbewußtsein und sind leidenschaftliche Vertreter einer auf föderalistischer Grundlage wiedervereinten deutschen Staatlichkeit. Keines der in Art. 29 Abs. 1 GG aufgeführten Merkmale gesunder deutscher Länder ist ihnen abzusprechen, und keine innen- und außenpolitischen Gründe sprechen dafür, daß man nicht ihre früheren Grenzen wiederherstellen sollte.
Man kommt nun mit dem Einwand, um nicht zu sagen, mit einem billigen Schlagwort, Baden müsse sich doch aus Gründen seiner Finanzwirtschaft, einer gesunden Finanzwirtschaft, dem Südweststaat verschreiben; weder ein wiederhergestelltes Baden - sagt man - noch viel weniger Baden in seiner heutigen Grenzziehung sei auf die Dauer in der Lage, den bestehenden und neu an die einzelnen Länder - speziell an sie - herantretenden Aufgaben gerecht zu werden.
Es läßt sich nun einmal nicht leugnen, meine Damen und Herren, daß dieses alte Baden fast eineinhalb Jahrhunderte existiert und in all den Jahrzehnten seines Bestandes keine größeren finanziellen Sorgen und Schwierigkeiten gekannt hat als die anderen deutschen Länder. Auch Württemberg soll, wie ich in der Geschichte einmal gehört habe, von Napoleons Gnaden geschaffen worden sein. Wenn wir davon ausgehen wollten, daß früher irgendwie dynastische Interessen zur Neubildung des gesamten Deutschen Reiches bzw. seiner Gliedstaaten beigetragen haben, würden nach diesem Einwurf wohl wenige frühere oder jetzige deutsche Länder bestehen können. Es ist eben Tatsache, daß das Land Baden 150 Jahre existiert und in all diesen Jahren seines Bestehens keine größe({6})
ren und keine kleineren finanziellen Sorgen und Schwierigkeiten gehabt hat, als sie die meisten anderen deutschen Länder auch gekannt haben.
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Herr Abgeordneter Hilbert, ich wollte nicht S i e unterbrechen, sondern versuchte, Ihnen Ruhe zu schaffen. Ich bitte um Entschuldigung, daß ich Sie damit gestört habe.
Hilbert ({0}), Antragsteller: Badens Haushalt war, wie ich den mir zur Verfügung stehenden Unterlagen entnehmen kann, auch wenn man bis in die Jahre vor dem ersten Weltkrieg zurückgreift, regelmäßig ausgeglichen oder hat nur mit verhältnismäßig bescheidenen Fehlbeträgen abgeschlossen. Das war nur dank einem erfreulich konstanten Steueraufkommen möglich, das nur in den Krisenjahren 1931 bis 1934 wie in allen übrigen deutschen Ländern einen stärkeren Einbruch zeigte, und dank der systematischen Pflege des Grundsatzes eiserner, ja, hier im Bundesgebiet sprichwörtlich gewordener badischer Sparsamkeit und sparsamster Haushaltsgebarung möglich. Dabei wird auch das Hohe Haus die außerordentlich wichtige Tatsache interessieren, daß dieses Steueraufkommen mit einer beachtlichen Stetigkeit nur zu einem knappen Drittel aus dem heutigen Baden und demnach zu gut zwei Dritteln aus dem heutigen Landesbezirk Baden, der zum Land Württemberg gehört, floß, ein Umstand, der am besten kennzeichnet, wo der Schwerpunkt der badischen Wirtschaft damals lag und wo er auch heute noch liegen dürfte.
Auch die badische Verschuldung war bis zum Zusammenbruch 1945, auf den Kopf der Bevölkerung umgerechnet, nicht höher als der Durchschnitt aller Länder im übrigen Reichsgebiet, jedenfalls wesentlich niedriger als die Pro-Kopf-Verschuldung einzelner Länder wie Hessen, Thüringen, Sachsen usw. Die unselige Abgrenzung der Zonen als militärische Folge des Zusammenbruchs hat das natürliche Band, das den Norden und den Süden sowohl in Württemberg als auch in Baden vereinte, zerrissen und das Problem gezeitigt, vor dem wir heute stehen. Muß es aber nicht einigermaßen überraschen und zeugt es nicht von sehr kräftiger Lebensfähigkeit, daß die auf sich selbst gestellte südliche Hälfte in Baden, deren Einwohnerzahl sich mit der nördlichen in etwa deckt, die aber, wie erwähnt, wirtschaftlich nur halb so stark ist wie die nördliche, wenn man Steuerkraft und Wirtschaftskraft gleichsetzt, bis heute finanziell gut durchgehalten hat? Und dies trotz überdurchschnittlicher Betriebsentnahmen, Reparationsleistungen, Demontagen, trotz unverhältnismäßig hoher Besatzungslasten - das Land Baden trägt relativ die höchsten Besatzungslasten aller Länder des ganzen Bundesgebietes -, ohne daß durch diese Tatsache der Wiederaufbau in Baden hätte irgendwie gefährdet werden können.
Was die wirtschaftliche Seite des Problems anlangt, wird zwar dem früheren Baden gnädigst zugestanden, daß es damals - wie man sich auszudrücken beliebt - „dank ganz anders gearteter politischer und finanzieller Verhältnisse" noch einigermaßen habe bestehen können. Der erste Weltkrieg aber habe dies zu Ungunsten Badens grundlegend verändert. Das ist, was die Zeit bis 1914 betrifft, wie gesagt, sehr gnädig ausgedrückt für ein Land von der Größe Badens, das drei Hochschulen - kulturelle Mittelpunkte Deutschlands -, und zwar nicht schlecht, vollkommen aus eigenen Mitteln unterhalten hat und noch unterhält. Zugegeben, daß die allernächste Zukunft in dieser Richtung gewisse Sorgen machen wird.
Ich darf noch darauf hinweisen - ich werde mich viel kürzer fassen, als ursprünglich vorgesehen -, daß die Problemstellung eine andere wurde, daß eine Änderung zu Ungunsten des badischen Landes selbstverständlich nach 1918 eintrat, als die Länder Elsaß und Lothringen - westlich benachbart - wieder zu Frankreich zurückkamen. Baden wurde westliches Grenzland mit all den üblichen Folgen. Auch in der Aufrüstungszeit durfte kein Rüstungsauftrag nach Baden gegeben werden. Das hat auch in der Zeit der Hochkonjunktur in Deutschland zu einer gewissen wirtschaftlichen Stagnation in unserem badischen Lande geführt, die wir in der Nachkriegszeit, nach dem Zusammenbruch nicht nur in etwa, sondern ganz haben beseitigen können.
Meine Damen und Herren! Das Land Baden ist für sich allein und ohne Zusammenschluß lebensfähig, einmal, weil es die Rheinwasserstraße und die hoch leistungsfähige internationale Rheintallinie zur Seite hat und weil es wie kein anderes Land über ausgebaute und ausbaufähige Wasserkräfte verfügt. Die Versorgung mit weißer Kohle wird in den nächsten Jahren ein Problem werden, nachdem die schwarze Kohle nicht mehr in dem Umfang zur Verfügung steht, wie es im Interesse der deutschen Industrie und der deutschen Wirtschaft notwendig ist. Sieben Kraftwerke sind am Hochrhein bereits ausgebaut. Sie verfügen über eine Leistung von 377 000 kW. Noch harren weitere Wasserdarbietungen des Hochrheins mit einem Leistungsvermögen von 273 000 kW der Krafterschließung, und als Spitze fußen auch die gesammelten Zuflüsse aus dem Hochschwarzwald in dem technisch großartig angelegten Schluchseewerk und Badenwerk, das nach dem Ausbau der dritten Stufe allein etwa % Milliarden kW Strom - im vierten Vierteljahr 1953 wird das der Fall sein - zur Verfügung stellen wird. Dieser Energieerzeugung steht auch eine entsprechende industrielle und gewerbliche Entwicklung gegenüber.
Ich sagte also, daß das Land Baden, trotz der ungeheuren Opfer der badischen Wirtschaft, wirtschaftlich, politisch und finanziell lebensfähig ist. Durch die vorbezeichneten Maßnahmen wird trotz ungeheurer Besatzungskosten, die wir zu zahlen hatten und in Form einer Interessenquote noch zu zahlen haben, das Land Baden wirtschaftlich, politisch und finanziell absolut lebensfähig sein.
Meine Damen und Herren! So ist es alles in allem durchaus verständlich, daß Baden als freier Partner dastehen möchte. Wir wollen, wie gesagt, nicht in Württemberg aufgehen, sondern als selbständiger Staat verhandeln, wenn das Unrecht von 1945 wieder gutgemacht werden soll, und dann mit Württemberg gleichberechtigt aushandeln. Deshalb wollen wir in demokratischer Freiheit über die Wiederherstellung des alten Landes Baden in Gleichberechtigung mit der Südweststaatfrage entscheiden. Meine Damen und Herren, es liegt bei Ihnen, durch Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf den Glauben an die Gerechtigkeit und an das demokratische Selbstbestimmungsrecht der Völker - ein Glaube, der jetzt erschüttert ist - bei der badischen Bevölkerung und darüber hinaus wieder herzustellen.
Nun noch einige Worte zu der Gesetzesinitiative der FDP. Der Herr Kollege Euler ist wohl der Vater dieses Gedankens. Die badische Bevölkerung, Herr Kollege Euler, dankt Ihnen recht herzlich, daß Sie sich hier in Bonn in fürsorglicher Liebe
({1})
ihrer Interessen, wie sie nach Ihrer Auffassung bestehen, angenommen haben
({2})
- Sie wissen, Herr Kollege Euler, daß Sie in Ihrer Partei das Beiwort „demokratisch" führen. Nachdem die badische Bevölkerung eindeutig gesprochen hat, ist es eine Unmöglichkeit, daß Sie an diesem Ihrem vor etwa einem Dreivierteljahr formulierten Gesetzentwurf noch festhalten. Das badische Volk wird Ihnen auf diese Anmaßung - anders kann ich es nicht nennen - die Antwort geben.
({3})
Auch das württembergische Volk lehnt ein Dekret aus Bonn ab. Das hat der Staatspräsident Müller ganz klar ausgesprochen; das hat auch der Ministerpräsident Maier zum Ausdruck gebracht. Das Volk selbst soll entscheiden, falls die regierenden Herren da unten nicht einig werden können.
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Das Volk hat hier zuerst zu sprechen, und erst wenn das Volk gesprochen hat, kann hier in Bonn die Gesetzesmodalität entsprechend dem Willen des Volkes meinetwegen erledigt werden. Wenn Ihr Entwurf, Herr Kollege Euler, Gesetz würde, dann wäre die logische Konsequenz, daß künftig von der Zentrale Bonn aus die Neugliederung des gesamten Bundesgebietes bis zum vollendeten Einheitsstaat vorwärtsgetrieben wird.
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- Dann sind Sie eben ein ausgesprochener unbelehrbarer Zentralist, Herr Kollege Euler, und darin unterscheiden wir uns grundsätzlich.
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So haben wir auch unser Grundgesetz geschaffen.
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Wenn wir der Intention von Herrn Kollegen Euler folgen würden, wäre es möglich, daß jeweils das größere Land das kleinere Nachbarland schluckt, um dann im geeigneten Augenblick von dem inzwischen größer gewordenen Nachbarland wieder geschluckt zu werden.
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Es wäre nach Ihrer Intention möglich, daß zum Beispiel Hamburg, obwohl es hundertprozentig für seine Selbständigkeit eintreten wird - davon bin ich überzeugt -, von dem volkreichen SchleswigHolstein einfach einverleibt wird. Ich glaube, viele Damen und Herren in diesem Hause werden sich überlegen, ob sie diesen gefährlichen, rein zentralistischen und auf den zentralistischen Einheitsstaat hinzielenden Weg mit Ihnen gehen werden. Das hat mit Demokratie nichts mehr. zu tun. Was Sie wollen, widerspricht auch klar dem föderativen Charakter des Grundgesetzes. Hoffentlich finden sich in diesem ersten Deutschen Bundestag noch genügend Demokraten, die allein der obersten Legislative, nämlich dem Volk, das Recht zusprechen und lassen, über die staatliche Zugehörigkeit innerhalb des Bundesgebiets selbst zu entscheiden.
Ich beantrage, beide Gesetzentwürfe dem Rechtsausschuß und dem Ausschuß für innergebietliche Neuordnung zu überweisen.
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Zur Begründung des Antrags der FDP auf Drucksache Nr. 821 hat das Wort Herr Abgeordneter Mayer.
Mayer ({0}) ({1}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst einen kleinen Irrtum unseres Kollegen Hilbert richtigstellen: Es handelt sich nicht um einen Gesetzentwurf Euler, sondern es handelt sich um einen Gesetzentwurf, den die württembergischen und badischen Mitglieder der FDP-Fraktion einmütig unterschrieben haben. Herr Hilbert muß sich also mit uns als der Fraktion und vornehmlich mit uns, den Württembergern und den Badenern, statt mit Herrn August Euler auseinandersetzen.
Das Schicksal dieses unseres Initiativgesetzentwurfs ist irgendwie symptomatisch für das Schicksal der in ihm behandelten Frage. Unser Antrag blieb zehn Monate in der Schwebe. Die Frage der Neuordnung des deutschen Südwestens befindet sich seit Jahren in einem Schwebezustand, und die Bevölkerung befindet sich in einem Zustand,
({2})
der zwischen Hoffnung und Ärger schwankte und schwankt. Wir haben unseren Entwurf im März eingebracht, zu einem Zeitpunkt, als wir an den guten Willen aller Beteiligten für eine Lösung in unserem Sinne nicht mehr glauben konnten. Wir haben ihn zurückgestellt, als sich auf einmal wieder die Hoffnung und die Möglichkeit abzeichneten, auf dem Wege einer Volksbefragung zu einem Ergebnis zu kommen.
Ich will zur Begründung unseres Gesetzentwurfs kein geschichtliches Kolleg halten. Ich danke Herrn Kollegen Hilbert dafür, daß er einiges aus dem geschichtlichen Werden der letzten fünf Jahre aufgezeigt hat. Einiges sieht allerdings aus unserer Sicht etwas anders aus, als er es dargestellt hat. Ich will meinerseits auch keine Neuauflage der Reden aus dem Abstimmungskampf hier veranstalten. In ihnen wurde so viel echtes und falsches Pathos und so viel Leidenschaft investiert, daß es mir fürs erste zu genügen scheint. Ich will versuchen, unseren Gesetzentwurf sachlich zu begründen, obwohl ich aus Stuttgart und deswegen in den Augen unseres Freundes Hilbert reichlich verdächtig bin.
({3})
- Aber, lieber Herr Kollege Hilbert, ein Pfälzer, der sich nach einer langjährigen Tätigkeit in Baden freiwillig in die Tyrannei der Schwaben begeben hat, kann, glaube ich, wenigstens mit einigermaßen Sachkenntnis die Argumente beider Teile würdigen; er kann vielleicht auch in Kenntnis beider Länder die „tiefgreifenden Stammesunterschiede" erkennen. Er kann vielleicht aber auch die Notwendigkeit für eine Lösung in unserem Sinne besser erkennen als jemand, der in einer allzu engen, allzu starren landsmannschaftlichen Bindung befangen ist.
Was geschah denn vor fünf Jahren im deutschen Südwesten? Dort haben die Besatzungsmächte, ohne das Volk zu fragen, irgend etwas veranstaltet.
({4})
- Jawohl. Aber es wiederholte sich doch letztlich 1945, nur mit negativen Vorzeichen, etwas, was sich in diesen Bezirken dort schon einmal abgespielt hatte. In diesen Bezirken hatte damals ein fremder Eroberer aus strategisch-politischen Gründen, nach den Interessen seines Volkes ausgerichtet,
({5})
Länder sehr willkürlich zusammengefügt, und 150 Jahre später haben andere Besatzungsmächte wiederum aus strategisch-politischen Gründen und wiederum entgegen den deutschen Interessen diese Länder unsinnig und sinnlos auseinandergerissen.
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Die Beendigung der widernatürlichen Aufspaltung wollen wir - so möchte ich wenigstens hoffen - alle. Die einen wollen sie auf dem Weg der Restitution der napoleonischen Länder, die andern, und zwar in diesem Fall die Mehrheit in Nordbaden, die Mehrheit in Nordwürttemberg und die Mehrheit in Württemberg-Hohenzollern, möchten die Revision im Sinne eines Zusammenschlusses des deutschen Südwestens zu einem den anderen Ländern in etwa gleichgewichtigen, sozial ausgeglichenen, wirtschaftlich gesunden und finanziell lebensfähigen deutschen Bundesland. Die Mehrheit in den drei Landesteilen will, daß- zum ersten Mal in der Geschichte der süddeutschen Länder - die deutschen Interessen und der deutsche Wille für die Formgebung und Gestaltung dieser deutschen Länder maßgebend sind; und dieser Teil
({7})
wartet seit fünf Jahren auf diese Lösung. Wir haben zunächst auf Beschlüsse der Ministerpräsidenten unserer Länder, der Ministerpräsidenten der deutschen Länder, gewartet, die damals auf dem Rittersturz ihre historische Aufgabe, ihre historische Möglichkeit entweder nicht gesehen haben oder sie nicht haben sehen wollen. Wir haben das Ergebnis der langjährigen Verhandlungen abgewartet, die unsere Länderregierungen zweieinhalb Jahre hindurch führten. Das Ergebnis hat Kollege Hilbert bereits festgestellt. Ich will jetzt nicht den Versuch machen, die Schuld festzustellen. Letztlich war es so, daß immer zwei gezogen haben und einer gehalten hat.
({8})
Auch die Volksabstimmung, das Referendum, hat keine Entscheidung gebracht; mindestens haben es die Regierungen nicht zuwege gebracht, die vom Volk gewollte, die vom Volk gefällte Entscheidung einheitlich auszudeuten. Südbaden deutet sie aus als den Willen des Volkes auf die Wiederherstellung der alten Länder. Die anderen, einschließlich Nordbaden, deuten das Ergebnis der Volksabstimmung als ein Bekenntnis zum Südweststaat.
Fest steht nur das eine, daß die Länder gemäß Art. 118 des Grundgesetzes erklärt haben, daß sie nicht einig geworden sind. Damit steht fest, daß die Initiative auf den Bund übergegangen ist. Wir hier, der Deutsche Bundestag, müssen dieser Anforderung genügen. Dabei müssen wir einige Tatsachen, die der Herr Kollege Hilbert, glaube ich, vergessen hat, beachten, etwa die, daß die Gespräche um die Vereinigung der beiden südwestdeutschen Länder nicht erst nach 1945 begonnen haben, sondern daß man sich nach 1918 sehr ernsthaft und sehr intensiv auch über diese Frage unterhalten hat. Man muß etwa auch an die andere Tatsache denken, daß, ehe die beiden Nordhälften der Länder Württemberg und Baden 1945 von den Amerikanern zusammengeschlossen wurden, von nordbadischer Seite her, von den damals verantwortlichen Männern in Nordbaden an die Amerikaner bereits der Wille zu einem Zusammenschluß der Länder herangetragen worden war.
({9})
- Vielleicht ist der Kollege Freudenberg nachher so freundlich und sagt Ihnen Näheres darüber'
({10})
Im übrigen ist der Wille zur Zusammengehörigkeit der beiden Landesteile Nordwürttemberg und Nordbaden nicht nur durch die gemeinsam angenommene Verfassung bekräftigt, nicht nur durch die fünf Jahre lange, sehr erfolgreiche Zusammenarbeit - ({11})
- Ach, Druck! Herr Kollege Hilbert, lassen Sie sich doch nicht auslachen! - Sie ist auch in Nordbaden bestätigt worden durch die Volksabstimmung des letzten Herbstes. Im übrigen, Herr Kollege Hilbert, Sie haben vorhin schon angedeutet, man habe verfassungsrechtliche Bedenken vorgeschoben. Es ist aber so, daß es - ganz abgesehen von den wirtschaftlich-verwaltungsmäßigen Bildungen und Bindungen, die in den letzten fünf Jahren entstanden sind - ein Trugbild darstellt, wenn man der Bevölkerung etwa jetzt die Auffassung beibringen würde, daß durch eine Ablehnung des Südweststaates die alten Länder wiederhergestellt seien.
({12})
- So ist es nicht; denn inzwischen ist einiges geschehen. Eine neue Staatspersönlichkeit Nordwürttemberg-Nordbaden ist entstanden, mit der Sie sich irgendwie auseinandersetzen müssen.
({13})
- Lieber Herr Hilbert, ich habe Sie auch nicht gefragt, ob Sie sich zu Napoleon bekennen!
({14})
Dazwischen kamen die wiederholten Willensäußerungen der badischen und der württembergischen Städte und kamen die unzweideutigen Willensäußerungen der badischen und württembergischen Wirtschaftskreise und die unzweideutigen Willensäußerungen der Gewerkschaften, der einheitliche Wille der Parteien, der nur leider in Ihrer Partei nicht sehr einheitlich ist. Die anderen wollen alle das gleiche. Südwürttemberg hat nie einen Zweifel daran gelassen, wohin es will und was es will; und wenn ich mich recht erinnere, hat auch der Landtag von Südbaden vor etwa zwei Jahren seine Regierung beauftragt, Verhandlungen mit dem Ziele des Zusammenschlusses der südwestdeutschen Länder zu führen.
Wir wollen mit unserem Gesetzentwurf nicht, Herr Kollege Hilbert, wie Sie uns unterstellen, die Volksmeinung ausschalten. Wir wollen genau das Gegenteil. Wir wollen, daß der Volkswille endlich über die verschiedenen hemmenden Kräfte siegen kann.
({15})
Wir entsprechen mit unserem Gesetzentwurf dem Willen des Volkes, und zwar auch dem Willen des überwiegenden Teiles des badischen Volkes.
({16})
Im übrigen hat der Herr Kollege Hilbert gemeint, daß unser Antrag ein Ausfluß zentralistischer Gesinnung sei. Ich will jetzt hier keine Debatte über Zentralismus - und Föderalismus entfesseln. Ich selbst bin nicht das, was Herr Hilbert einen Zentralisten nennt, ebenso dürfte auch der
({17}):
Herr Bundesfinanzminister Schäffer nicht das sein, was man einen Zentralisten nennt. Wenn wir nämlich noch etwas zur Begründung unseres Antrags gebraucht hätten, dann brauchten wir Sie nur auf das zu verweisen, was der Herr Bundesfinanzminister Schäffer vor wenigen Wochen hier ausgeführt hat, als er sagte, daß der deutsche Föderalismus nicht lebensfähig bleiben kann, wenn wir nicht zu einer Revision unserer Ländergrenzen und der Größe unserer Länder kommen, - aus finanziellen, aber auch aus politischen Gründen.
Der Weg für diese Neuordnung ist im Grundgesetz gewiesen. Herr Kollege Hilbert hat in dankenswerter Weise den Passus zitiert. Entschuldigen Sie, daß ich Wert darauf- lege, ihn zu wiederholen; er ist für uns gültig, auch wenn er einstweilen durch die Besatzungsmächte für das gesamte Bundesgebiet noch suspendiert ist. Der Art. 29 des Grundgesetzes schreibt vor:
Das Bundesgebiet ist unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges durch Bundesgesetz neu zu gliedern. Die Neugliederung soll Länder schaffen, die nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können.
Sehr geehrter Herr Hollege Hilbert, jeder Satz und jedes Wort dieses Verfassungsartikels bestätigt die Richtigkeit unseres Wollens und den Sinn unseres Entwurfes und widerspricht Ihrem Entwurf. Ich bin sehr damit einverstanden, daß sie im Ausschuß miteinander behandelt werden. Ich bin auch sehr damit einverstanden, daß wir uns darüber Gedanken machen, wie man das Gute aus Ihrem und unserem Entwurf zusammenbringen kann. Ich habe dabei allerdings ein Bedenken. Wir hatten ja nur wenig Zeit, uns über Ihren sehr umfänglichen Entwurf zu orientieren, er ist vorhin erst verteilt worden; aber ich bin gerne bereit, alles zu prüfen. Ich bin deswegen skeptisch, weil Ihr Entwurf von dem Willen zum Nein und der unsere vom Willen zum Ja getragen ist. Dort werden die Grenzen einer Vereinigung beider Entwürfe liegen. Ich bin durchaus der Meinung, daß in unserem Entwurf vielleicht dieses oder jenes geändert werden kann. Ich habe vor allem den Willen - meine Freunde haben ihn wahrscheinlich grundsätzlich genau so -, daß nichts darin stehenbleibt, was je Veranlassung geben könnte, nachher zu behaupten, es sei ein Teil vom anderen Teil majorisiert worden. Wir verlangen aber auch Sicherung dagegen, daß der größere Teil des badischen Volkes, der nordbadische, vom kleineren Teil, dem südbadischen, durch Ausklügelung von irgendwelchen Auszählungsgeschichten majorisiert werden könnte.
({18})
Herr Kollege Hilbert, Sie haben uns vorhin die Lebensfähigkeit Badens zu beweisen und weiter zu beweisen geglaubt - ich weiß es, und meine politischen Freunde wissen es auch -, daß das Baden von vor 1945 etwas anderes war als das Südbaden von heute. Aber auch hier hat der Herr Kollege Freudenberg wahrscheinlich viel mehr zu sauen als ich. Ich will nur an einige Bundestagsdebatten der letzten Monate erinnern, etwa an den Versuch, Baden aus von uns anerkannten Gründen an der Berlin-Hilfe zu beteilig en. Ich erinnere Sie an die von Ihnen selbst sehr betonten Schwierigkeiten, die Südbaden mit seinem Aufbau hat; ich erinnere Sie an die Schwierigkeiten - die wir hier selbst festgestellt haben -, die Südbaden bei der Erfüllung seiner Bundespflicht bezüglich der Unterbringung der Flüchtlinge hat. Wir haben uns hier erst vor wenigen Wochen über 10 Millionen DM für die Stadt Kehl unterhalten. Herr Kollege Hilbert, die 10 Millionen für den Wiederaufbau der Stadt Kehl wären für den Etat eines Südweststaates eine Kleinigkeit.
({19})
Herr Kollege Hilbert, wir möchten, daß alle Länder
vom Wohlwollen der anderen unabhängig werden,
weil wir uns nur so einen föderativen Aufbau eines
Staates denken können. Wir möchten aber vor
allem, daß deutsche Länder aus dem peinlichen
Zwang befreit werden, sich weiterhin und noch
öfter bei einer ausländischen Besatzungsmacht für
Geldspenden zum Wiederaufbau etwa von Brücken
oder Schulhäusern oder Städten zu bedanken.
({20})
Wir denken auch nicht gering von der Geschichte der süddeutschen Länder. Ich bin als Pfälzer und als Adoptiv-Schwabe - wenn Sie so wollen - sehr stolz auf die Geschichte des deutschen Südens, wenn ich auch weiß, daß wir auf unsere Geschichte nicht so stolz sein dürfen wie etwa die bayerischen Kollegen auf die ihrige. Von der wissen wir nämlich aus authentischer Quelle schon seit längerem, daß Bayern bekanntlich bereits ein Kulturzentrum war, als diese „minderwertigen" Preußen da oben noch die Knochen der Missionare abgenagt haben.
({21})
Unsere württembergische, unsere badische, unsere Geschichte dort unten im Süden ist nicht so alt, das gebe ich zu. Aber wir wissen von ihr, daß unsere südwestdeutsche Kultur älter ist als die Grenzen, die man nachher über das Gebiet dieser Kultur geworfen hat, daß unsere Dome in Freiburg und in Ulm und unsere alten Städte von Menschen gebaut worden sind, die von Baden und Württemberg überhaupt noch nichts gewußt haben.
({22})
Wir wissen, daß dort unten eine kulturelle und volkliche Einheit war, lange bevor Napoleon die Notwendigkeit spürte, in einem Falle eine Morgengabe an Stephanie Beauharnais zu konstruieren und im anderen Falle ein Benefiz oder Trinkgeld für den Verrat am deutschen Reich zusammenzubauen.
Aber wir haben noch mehr Respekt vor der Aufgabe, die Zukunft sicherzustellen, die Zukunft unserer südwestdeutschen Länder und die Zukunft unseres gesamtdeutschen Vaterlandes; und die scheint uns in der Vereinsamung nicht gewährleistet, sie scheint uns nur in der Vereinigung gewährleistet. Meine Freunde haben hier vor mehr als einem Dreivierteljahr die Initiative ergriffen, weil sie mit uns der Meinung sind, daß es nicht eine badische Frage und nicht eine württembergische Frage zu lösen gilt, sondern daß das, was wir dort zu lösen haben, eine deutsche Aufgabe ist.
({23})
Meine Damen und Herren im Deutschen Bundestag: Lösen wir diese Aufgabe!
({24})
Meine Damen und Herren! Ich bin gebeten worden, bekanntzugeben, daß der wirtschaftspolitische Ausschuß um 16 Uhr 30 zusammentritt.
({0})
Im übrigen haben wir eine offenbar lebendige und interessante Aussprache vor uns. Es liegen bereits Wortmeldungen für 117 1/2 Minuten vor. - Zunächst der Abgeordnete Dr. Seelos.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bejahe durchaus das Schlußwort, das mein Vorredner geprägt hat: Es ist eine deutsche Aufgabe, eine glücklichere Länderregelung, eine Neuverteilung der Ländergebiete zu finden. Aber ich bedaure, daß diese Regelung trotz der jahrelangen Verhandlungen der drei betroffenen Länder nicht in einer direkten Fühlungnahme gelungen ist, sondern daß wir uns jetzt im Bundestag mit dieser Frage befassen müssen. Es ist auch viel zu spät zu einer Abstimmung gekommen, die sich aber doch mit Mehrheit für die Wiederschaffung des alten Landes oder Staates Baden ausgesprochen hat.
Wenn man einen Föderalismus in Deutschland will - und den will ja die Bonner Verfassung -, dann muß man auch Länder wollen, die organisch gewachsen sind und die in einer sicheren einzelstaatlichen Tradition ruhen. Da sowohl Baden wie Württemberg - das hat uns der Einbringer des CDU-Gesetzentwurfes eindeutig dargelegt - wirtschaftlich durchaus immer konsolidiert waren,
({0})
so sollte man jedenfalls das Volk, wie es der CDU-Entwurf vorsieht, durch eine Abstimmung entscheiden lassen, welchen Weg es wünscht. Wir sind deshalb gewillt, für den CDU-Entwurf zu stimmen und nicht etwa diese undemokratische Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes zu billigen, wie es der FDP-Entwurf vorsieht.
({1})
Wir kommen damit überhaupt zu der grundsätzlichen Frage der Neugliederung des Bundesgebiets, die nicht bloß von den Zentralisten, sondern noch viel starker von den echten, vernünftigen Föderalisten als notwendig erkannt worden ist, um überhaupt die Idee und den Sinn des Föderalismus zu erhalten. Die Alliierten haben mit der Schaffung des Bundes nicht bloß einen deutschen Torso hingestellt, sondern sie haben diesen Torso schon in der ersten Phase mit den schwierigsten, fast nicht lösbaren Aufgaben belastet, wie Lastenausgleich, Flüchtlingsfrage, und schließlich vor allem mit der Neugliederung des Bundesgebiets. Wenn man die Neugliederung des Bundesgebiets als eine partikularistische Auseinandersetzung oder als einen Interessenkonflikt zwischen benachbarten Gebietskörperschaften ansieht, dann wird diese Frage Jahre hindurch eine gesunde, echte, vernünftige Neuregelung verhindern und dem Gedanken des Föderalismus schwer schaden.
({2})
Meiner Ansicht nach ist es deshalb auch zu wenig, nur die Südweststaat-Frage vorwegnehmen zu wollen. Es ist vielmehr nötig, eine Gesamtlösung ins Auge zu fassen.
Wenn Art. 118 geschaffen worden ist, um die Neugliederung des Südwestgebietes vorwegzunehmen, so geschah das, weil man es in dem durch das Besatzungsstatut geschaffenen Zustande als besonders unnatürlich hielt und die willkürliche Zerschneidung von zwei historischen Ländern wie Baden und Württemberg abschaffen wollte und weil man annahm, daß eine Verständigung zwischen den beteiligten Ländern unschwer zu erreichen wäre. Nachdem dies aber nicht der Fall ist und bald zwei Jahre vergangen sind, sollte auch der Art. 29, der eine Neugliederung des gesamten Bundesgebietes drei Jahre nach der Verkündung des Grundgesetzes vorsieht, durchgeführt werden, wenn auch zur Zeit seine Anwendung noch durch die Besatzungsmächte ausgesetzt ist.
Der neue deutsche Staat ist auf dem föderalistischen Grundsatz aufgebaut. Der Föderalismus der Bonner Verfassung hat dadurch eine schwere Belastung erfahren, daß durch die laufenden Einwirkungen der Alliierten auf die Arbeiten des Parlamentarischen Rats und den hierbei zum Ausdruck gekommenen Wunsch nach einem weitgehend föderalistischen Aufbau der Verfassung der Anschein erweckt worden ist, als ob der Föderalismus eine Forderung der Besatzungsmächte und nicht vor allem auch ein eigener deutscher Wunsch wäre. Wie echt aber der föderalistische Wille in Süddeutschland immer noch zur Zeit der Abstimmung war, geht daraus hervor, daß die Bonner Verfassung vom bayerischen Landtag, dem damals die Bayernpartei noch nicht angehörte, ohne jede alliierte Einwirkung als zu wenig föderalistisch abgelehnt worden ist und daß sich auch in WürttembergHohenzollern und in Baden starke Minderheiten dagegen gefunden haben, die bei einer noch weniger föderalistischen Gestaltung der Bonner Verfassung zu Mehrheiten geworden wären und damit die Bonner Verfassung überhaupt gefährdet hätten. Wenn die Alliierten nun solchen Wert auf eine föderalistische Gestaltung dieses neuen Deutschlands legten, so taten sie es keineswegs aus Liebe zum Föderalismus, sondern um eine etwaige Machtzusammenballung eines zentralistischen Deutschlands unmöglich zu machen. Trotz dieser Absicht haben sie nichts getan, um den föderalistischen Aufbau des Bundes wirklich lebensfähig zu machen; denn ein Bund kann nur dann leben, wenn er von gesunden Gliedstaaten bzw. Ländern getragen wird, wenn sie, wie es in der Verfassung heißt, nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirklich erfüllen können.
({3})
Ich nenne gerade die Flüchtlingsfrage, in der die Länder gezwungen sind, besonders beim Flüchtlingsausgleich, die Zentrale als Instanz anzurufen, da eine Ländervereinbarung an dem Egoismus mancher Länder scheitert.
Die Alliierten haben aber auch so künstliche Ländergebilde geschaffen, daß sie niemals ein dauerndes Fundament für einen wahrhaft föderalistischen Bund sein können. Die Grenzen von Württemberg-Hohenzollern und Baden sind nach Norden hin durch den Verlauf der Autobahn bestimmt worden. Hessen - Groß-Hessen damals - verdankt seine Existenz in der jetzigen Form einer Addierung all der alten Gebiete, die nach der Festlegung von Bayern und Württemberg-Baden in der amerikanischen Zone noch übrig geblieben sind.
({4})
Bremen wurde nach monatelangem Streit, ob es zu Niedersachsen geschlagen oder ob es in seiner Eigenschaft als amerikanischer Hafen zum süddeutschen Staat befördert werden sollte, schließlich mit einer Ländereigenschaft beehrt. In der britischen Zone wollten die Engländer lange Zeit bekanntlich eine Zweiteilung vornehmen, um gegenüber Rheinland-Westfalen ein starkes Gegengewicht zu haben. Jedenfalls kann bei all diesen
({5})
künstlichen Gebilden niemals von dem Vorhandensein eines Staatsgefühls gesprochen werden, das eben zu einem Staat gehört.
Daß die Deutschen diese Ländereinteilung als Basis ihres Bundes so lange hingenommen haben, zeigt, wie sehr wir uns heute schon fürchten, Entscheidungen zu treffen, und wie phantasielos wir geworden sind. Wir sehen im Gegenteil jetzt schon überall in diesen Ländern, die oft nur fünf Jahre bestehen, Bestrebungen, diese Länderherrlichkeit wie ihr höchstes Gut, ihr Leben, zu verteidigen. In Wirklichkeit sind es aber Interessenbestrebungen, die für einen gesunden Föderalismus und einen gesunden föderalistischen Aufbau des Bundes nur verhängnisvoll sind. Niemals werden diese kleinen Länder in der Lage sein, die großen Nachkriegsaufgaben des Wiederaufbaues, der Eingliederung der Flüchtlinge, des horizontalen Finanzausgleichs zu lösen.
({6})
Die Bayernpartei hat deshalb schon vor etwa drei Jahren die Idee vertreten, daß gemäß einer natürlichen Schwergewichtsverteilung der Bund in etwa fünf bis sechs Länder aufgeteilt werden müsse.
({7})
Wenn wir die Frage der Neugliederung nur so anfassen würden, als ob dieser oder jener Gebietsstreifen zu dem einen oder anderen Land kommen
soll, dann werden wir hier viel schwerer zu einer
Lösung kommen, als wenn wir wirklich großzügig
und radikal an das Problem herangehen, und da
sehe ich vor allem nur die eine Möglichkeit, daß die
vier Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen,
Bremen und Hamburg untereinander möglichst zu
einer Lösung kommen, um eine Erleichterung ({8})
- Diese ganze Frage muß man in der grundsätzlichen ersten Debatte mitbehandeln; denn man kann darüber sehr verschiedener Auffassung sein, ob man einen Teil vorwegnehmen soll oder ob man die Frage im Gesamten einmal regeln soll, um nicht die ganzen kommenden Jahre hindurch den Bundestag immer wieder damit zu befassen.
({9})
Eine Vorwegnahme der Neugliederung des Bundes nur im Südwesten würde auch eine starke politische Gewichtsverlagerung im Bundesrat bedeuten. Man muß diese Folge klar erkennen und sie offen aussprechen. Durch einen Zusammenschluß der drei Südweststaaten im Rahmen der jetzigen Bundesorganisation würde Süddeutschland fünf bis sechs Stimmen verlieren, je nachdem, ob dieser neue Staat die Einwohnerzahl von 6 Millionen erreicht oder nicht.
({10})
Denn 15 1/5 Millionen in Süddeutschland mit neun bis zehn Stimmen im Bundesrat stehen also 25 Millionen Einwohner in Norddeutschland mit 20 Stimmen - das ist das Doppelte - gegenüber, wobei ich die Mittelländer Rheinland-Pfalz und Hessen mit acht Stimmen bei 7 Millionen Einwohnern hier nicht zähle.
({11})
Das ist ein Grund! Die föderalistischen Kreise und, parteipolitisch gesehen, die föderalistischen Parteien würden durch den Ausfall der südbadischen und südwürttembergischen Stimmen einen sehr schweren Verlust erleiden.
({12})
Man muß das aussprechen, denn die Konsequenzen nachher erst zu erkennen, ist falsch.
({13})
Eine Gesamtregelung der Territorialverteilung des Bundesgebietes erscheint nötig, um einen gesunden Föderalismus im Bund zu erhalten. Wenn es auch im Bund nur ein Land gibt, nämlich Bayern, wo es in ungezwungener und glücklicher Weise möglich ist, neben einem deutschen auch ein bayerisches Staatsgefühl zu haben,
({14})
so sollen doch wenigstens die anderen Länder in einer Weise geschaffen werden, daß sie politisch und wirtschaftlich ausgeglichenere Gebietskörper sind, als es bisher der Fall ist. Sonst sehe ich eine schwere Gefährdung des Föderalismus, der für Deutschland historisch richtig erscheint und der ein notwendiges Gegengewicht gegen die gleichmacherischen, undemokratischen, zentralistischen Bestrebungen darstellt.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Farke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Vereinigung der willkürlich durch die Besatzungsmacht gebildeten Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern bzw. die Neugliederung dieser Länder gemäß Art. 118 Satz 1 des Grundgesetzes ist am 7. November 1950 in Baden-Baden endgültig gescheitert. Somit ist nun der Weg für ein Bundesgesetz nach Art. 118 Satz 2 des Grundgesetzes frei. Für ein solches Bundesgesetz liegt uns der Antrag Nr. 821 der Drucksachen vom 30. März 1950 der Freien Demokratischen Partei vor. Meine Fraktion hat gegen diesen Gesetzentwurf, und zwar gegen den § 2 und den § 3, ernstliche Bedenken und kann diesen Paragraphen nicht zustimmen.
Nun ist uns heute ein neuer Antrag auf den Tisch des Hauses gelegt worden, der in meiner Fraktion natürlich noch nicht besprochen werden konnte. Ich habe ihn flüchtig durchgelesen und halte ihn persönlich für besser als den anderen.
({0})
Ich möchte dem Wunsche meiner Fraktion entsprechend vorschlagen, daß beide Anträge dem Ausschuß für innergebietliche Neugliederung und dem Rechtsausschuß überwiesen werden und daß in eingehenden Beratungen die richtige Gesetzeslösung gefunden wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.
Meine Damen und Herren! Ich darf mich zur Abwechslung wieder einmal als ein Angehöriger des betroffenen Raumes zu dieser Frage zu Wort melden. Ich komme nicht aus Stuttgart, sondern aus Tübingen
({0})
({1})
und hoffe, daß ich die Vermittlerrolle, die Tübingen und insbesondere unser Staatspräsident, Gebhard Müller, in der Frage des Südweststaates bisher gespielt hat, auch hier im Bundestag an seiner Stelle weiterspielen darf.
Ich bin ein überzeugter Föderalist und dennoch ein Anhänger des Südweststaatgedankens.
({2})
- Vielleicht könnte man sogar sagen: deshalb!
({3})
Denn ich bin der Meinung, daß der Föderalismus eine so wichtige Sache ist, daß man es- sich überlegen muß, wie man ihn gegen seine oft allzu eifrigen Freunde schützt.
({4})
Ich bitte meine Freunde, die entgegengegesetzter Auffassung sind, doch einmal zu bedenken, ob es ihnen möglich sein wird, vor den heranwachsenden Jungen den Gedanken eines Föderalismus,
({5})
der sich lediglich in der Konservierung bestehender kleinstaatlicher Gebilde behagt, zu vertreten, und wie sie bei dieser heranwachsenden Generation den Gedanken des Föderalismus verteidigen wollen.
({6})
Wenn ich mich im Lande umhöre und wenn ich mit Jungen über Fragen des Föderalismus spreche, dann bemerke ich immer wieder zu meinem sehr großen Bedauern, daß in dieser jungen Generation für den Föderalismus sehr wenig Verständnis vorhanden ist.
({7})
Ich sehe, daß dort immer noch der Drang nach dem Zentralismus, nach dem Unitarismus, ja vielleicht nach dem Uniformismus sehr groß ist. Ich möchte keinen Zentralismus haben. Ich möchte in der Tat ein wohlgegliedertes Ganzes haben, und meine Freunde aus meiner Heimat wollen es genau so. Ich nehme durchaus die Heimatliebe der Badener ernst.
Wenn vorhin bei Herrn Seelos gelacht wurde, als er - wenn ich nachhelfen darf - das Wort Bismarcks zitierte, daß es nur in Bayern ein echtes Staatsgefühl gebe, so muß ich zugeben, daß die so oft verspotteten Staatsgebilde von Napoleons Gnaden ein echtes Staatsgefühl entwickelt haben. Ich will keine langen Ausführungen darüber machen, warum es so gekommen ist. Darüber ist schon viel gesagt worden. Es ist da, und man soll, wenn aus Liebe zum Angestammten, zur Tradition gekämpft wird, die Argumente des Gegners auch ernst nehmen, denn nur, wenn wir das tun, kommen wir zu einer echten Lösung.
Ich wünschte, daß man in Südbaden erkannt hätte, daß die Verschmelzung der beiden alten Länder Württemberg und Baden einschließlich Hohenzollerns keine Gewaltlösung, keine unorganische Lösung, sondern eine durchaus organische Lösung, eine Lösung im Sinne der besten Traditionen dieses Raumes wäre. Ich würde mich jedem anderen Versuch, mit Zirkel und Lineal willkürlich neue deutsche Länder zu bilden, widersetzen; aber ich weiß in deutschen Landen wirklich kein Gebiet, wo alles, aber auch alles aus unserer Geschichte dahin weist, daß diese beiden Länder zu einem neuen Gebilde zusammenwachsen, das wirklich jene Voraussetzung erfüllt, die wir an einen gesunden Föderalismus stellen wollen.
({8})
Nun, ich bin aber auch der Meinung, daß jeder Versuch gemacht werden sollte, um die Bevölkerung unseres Raumes über diese Frage entscheiden zu lassen. Ich bin daher grundsätzlich nach wie vor - meine Freunde sind es auch - für eine Abstimmung, für eine Volksbefragung. Allerdings habe ich gegen den von einigen meiner Freunde vorgelegten Entwurf ganz erhebliche Bedenken. Diese Bedenken wenden sich erst einmal dagegen, daß man statt der Eventualfrage die Alternativfrage gestellt hat, daß also die Bevölkerung nur die Wahl hat, zu sagen: entweder Südweststaat oder die alten Länder, während die dritte Möglichkeit, nämlich die Beibehaltung des bisherigen Zustandes - dafür scheint für den Fall, daß der Südweststaat nicht zustandekommt, ein großer Teil der Bevölkerung dieses Raumes zu stimmen -, der Bevölkerung gar nicht gegeben wird. Wir sind also der Meinung, daß man sie dann schon darüber entscheiden lassen müßte, ob eine der drei Möglichkeiten zustandekommen sollte.
Weiter haben wir natürlich erhebliche Bedenken dagegen, daß es nun bei einer Befragung auf die Mehrheit der Stimmberechtigten abgestellt wird; denn das würde nach meiner bescheidenen Auffassung ein durchaus undemokratisches Verfahren sein. Wir würden hier einen Abstimmungsfall erleben, wie ich ihn in der Geschichte demokratischer Abstimmungen noch nicht kennengelernt habe.
({9})
Ich hoffe, daß wir immer noch zu einer Lösung dieser Volksbefragung kommen werden und daß es möglich sein wird, im Laufe der Debatte in den Ausschüssen und vielleicht auch noch einmal durch Fühlungnahme der Regierungen der betreffenden Länder
({10})
zu einer echten, unmittelbaren, ursprünglichen Abstimmung aus dem Raume heraus zu kommen, so daß wir nicht vor der Notwendigkeit stehen, eine definitive Entscheidung durch dieses Parlament zu fällen.
In diesem Sinne stimme ich dem Vorschlag, die beiden Entwürfe zusammen dem Rechtsausschuß und dem Ausschuß für innergebietliche Neuordnung zuzuweisen, namens meiner Freunde aus Württemberg-Hohenzollern zu.
({11})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte über die beiden vorliegenden Gesetzentwürfe - soweit sie bisher von den Abgeordneten aus dem betroffenen Raume geführt worden ist - hat mich bedenklich an die Zeit des Abstimmungskampfes über den Südweststaat erinnert. Es war so viel Polemik und so viel, ich will nicht sagen: Geschichtsklitterung, aber etwas willkürliche Verbiegung des Geschichtsbildes in diesen Ausführungen, daß man versucht wäre, dagegen zu polemisieren. Ich will es nicht tun. Ich glaube, die Frage, die hier zum ersten Mal auf die Bundesebene gezogen worden ist, weil sie bedauerlicherweise nicht von den Beteiligten selbst entschieden werden konnte, ist nicht eine Spezialität des südwestdeutschen Raumes, sondern sie ist in der Tat ein Anfang der Aufgabe, die nach der Auffassung meiner Freunde dieser Generation der deutschen Politiker gestellt ist,
({0})
({1})
nämlich unter völlig veränderten historischen Bedingungen den uns gegebenen Raum so zu gliedern, daß er zweckmäßig und zum Nutzen aller verwaltet werden kann.
({2})
Das liegt jenseits der beliebten These oder Antithese: Föderalismus hie und Zentralismus da. Ich bekenne mich als einen Gegner des Zentralismus in dem Sinne, wie dieser Begriff gelegentlich als ein Popanz in die politische Debatte geworfen worden ist. Ich glaube, daß echte Demokratie überhaupt nur bestehen kann, wenn die Teile lebensfähig sind, d. h. wenn sie nicht nur aus der Historie, sondern auch aus der Aufgabe der Gegenwart heraus begriffen und gestaltet worden sind und wenn sie so viel Autonomie wie nur möglich haben, um in ihrem Bereich die ihnen zugewiesenen Aufgaben zu bewältigen, ohne die Hilfe des Zentrums der Staatsgewalt in jedem Falle in Anspruch nehmen zu müssen. Ich glaube, das ist eine Formel, auf die man sich sogar mit den Föderalisten einigen könnte, die den Föderalismus nicht als eine blutleere Theorie, sondern als einen Versuch betrachten, in der Praxis etwas für das Leben zu schaffen.
Meine Damen und Herren! Die Frage des Zusammenschlusses der Länder des südwestdeutschen Raumes wird seit langem debattiert. Sie ist nicht erst nach der willkürlichen Zerreißung der sogenannten alten Länder Baden und WürttembergBaden debattiert worden. Sie stand schon in früheren Zeiten zur Debatte. Das Bild des Südweststaates, der entstehen würde, wenn sich die beiden Länder wirklich organisch und aus freien Stücken, d. h. aus dem Willen ihrer Bürger, zusammenschließen würden, wäre in der deutschen Geschichte gar nicht so fremd wie die Staatsgründungen Napoleons. Das alte Herzogtum Schwaben und der Schwäbische Kreis haben schließlich auch ihre geschichtsbildende Kraft bewiesen und sind auch in die Tradition dieser Länder eingegangen. Man übersieht das gelegentlich, wenn man eine These beweisen will, deren Ursprung eben, wie Herr Kollege Hilbert sagte, 150 Jahre alt ist.
({3})
Wenn man schon in die Geschichte zurücksteigt, soll man das auch gründlich besorgen.
Aber, meine Damen und Herren, die Geschichte ist ein Gut, das wir verwalten, auf dem wir aber nicht sitzen bleiben sollten. Die Gegenwart hat uns auch Aufgaben gestellt, und es scheint mir eine große Illusion zu sein, wenn man etwa annehmen wollte, daß die Rückkehr zu den alten staatlichen Formen Württemberg und Baden die Probleme unserer Zeit lösen könnte. Es ist sehr nett, wenn man etwa die Wirtschaftszahlen aus der Zeit vor 1933 ausgräbt und beweist, daß das eine oder andere Land lebensfähig war. Aber was ist denn damit bewiesen, meine Damen und Herren?
Ist damit bewiesen etwa, daß die Stadt Mannheim und ihr Industriegebiet, die vor 1933 die Hauptsteuerquelle des badischen Landes war, das auch heute noch wäre?
({4})
Genau das Gegenteil kann man aus den Tatsachen beweisen.
Und, meine Damen und Herren, wenn man vom Volk spricht, das da in diesen beiden Ländern zusammengewachsen sei, dann sollte man die Dinge doch nicht allzusehr auf den Kopf stellen. Die Bevölkerung des badischen Baulandes hat mit der württembergischen Bevölkerung im Taubergebiet, im Fränkischen, im Hohenloheschen mindestens mehr Verwandtschaft als mit der Bevölkerung des Seekreises.
({5})
Ich glaube, hier handelt es sich gar nicht so sehr um Gegensätze des Volkstums; hier handelt es sich um verschiedene Ausformungen ein und derselben Stammeseigenart, und ich glaube, schon aus diesem Grunde könnte man sagen, daß dem Grundsatz des Grundgesetzes sehr wohl Rechnung getragen wäre, wenn diese beiden Teile, die in eineinhalb Jahrhunderten getrennt gewesen sind, sich nun organisch zusammenfügten.
Wenn man von den Aufgaben des Augenblicks und der nächsten Zukunft ausgeht, nämlich von einer stärkeren Entwicklung der wirtschaftlichen Hilfsquellen dieses Südwestraums, dann scheint es mir absolut schlüssig zu sein, daß der Zusammenschluß der beiden Länder zu einem gemeinschaftlichen Staatswesen die Ausschöpfung der wirtschaftlichen Hilfsquellen weit eher garantieren würde, als die Zersplitterung dieses Gebiets und die dauernde Inanspruchnahme der Hilfsquellen der übrigen Länder auf dem Wege über den Finanzausgleich.
({6})
Wir Sozialdemokraten im Südwestraum haben während der ganzen Debatte über diese Frage stets den Standpunkt vertreten, daß der Zusammenschluß der beiden Länder durch die Entscheidung ihrer Bürger herbeigeführt werden müsse. Aber wir haben auch immer den Standpunkt vertreten, daß dieser Zusammenschluß gegenüber dem jetzigen und gegenüber dem vorherigen Zustand ein historischer, ein wirtschaftlicher und ein politischer Fortschritt sei, für den wir uns einsetzen würden ohne Rücksicht auf unsere parteipolitischen Interessen. Ich sage das gerade hier in diesem Hause mit voller Betonung: ohne Rücksicht auf unsere parteipolitischen Interessen; denn, meine Damen und Herren, wer den Südwestraum und seine Zusammensetzung - konfessionell, bevölkerungsmäßig - kennt, der weiß, daß die Sozialdemokratie in diesem Gebiet in dem Augenblick, in dem der Südweststaat zustande kommt, politisch absolut in die Minderheit gedrängt ist. Wir hängen hier nicht an unseren speziellen Parteiinteressen, sondern wir sind der Meinung, daß der historische Fortschritt wichtiger ist als das Interesse einer einzelnen Partei.
({7})
Deshalb, meine Damen und Herren, stehen wir auf dem Boden des von der Fraktion der Freien Demokratischen Partei eingebrachten Entwurfs, den Sie in der Drucksache Nr. 821 finden. Wir sind nicht in allen Punkten mit der Formulierung dieses Entwurfs einig, aber da die beiden Entwürfe in die Ausschüsse gehen, werden wir genügend Gelegenheit haben, im einzelnen an der Formulierung der verschiedenen Bestimmungen des dann zu verabschiedenden Gesetzes mitzuwirken.
Wir glauben, daß es unmöglich ist, den Wählern im Südwestraum Alternativfragen zu unterbreiten, wie sie im Entwurf des Herrn Kollegen Hilbert enthalten sind, wobei ich übrigens sagen muß: Wenn ich mir die Unterschriften unter diesem Gesetzentwurf betrachte,
({8})
({9})
dann finde ich, daß nur Herr Kollege Hilbert aus dem betreffenden Raum kommt.
({10})
Man kann ja neckischerweise die Frage stellen, wieviele von den Unterschreibenden überhaupt den Inhalt des Entwurfs gekannt haben.
({11})
Ich habe den starken Verdacht, daß eine ganze Anzahl der Herren Kollegen den Inhalt erst zur Kenntnis genommen haben, als die Drucksache vorlag, und daß sie sich in diesem Punkt genau in derselben Verdammnis befinden wie ich und meine Freunde, die wir uns die einzelnen Bestimmungen dieses Entwurfs, da er ja auch sehr kompliziert ist, nur sehr langsam zu Gemüte führen konnten.
({12})
Wir glauben nicht, daß es möglich ist, solche Alternativfragen den Wählern zu unterbreiten, weil man die Wähler dadurch verwirrt und weil man dadurch die tatsächliche Entscheidung nur erschwert.
Wir glauben deshalb, daß die Formel, die der FDP-Entwurf enthält, durchaus den Bedürfnissen genügt und daß diese Formel dem Entwurf des Herrn Kollegen Hilbert vorzuziehen ist. Ebenso glauben wir, daß die Vorschriften, die der § 3 des FDP-Entwurfs über den Abstimmungs- und den Zählmodus enthält, keine besonderen Schwierigkeiten bieten. Man muß sich die Frage nochmals im einzelnen überlegen.
Man muß unter allen Umständen auch den Schein vermeiden, als ob irgendein Teil der Bevölkerung majorisiert werden sollte. In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, ist ja wohl darauf hinzuweisen, daß gerade der Entwurf des Herrn Kollegen Hilbert in verschiedenen Punkten genau das erreicht, nämlich die Majorisierung eines Teils der Bevölkerung durch einen anderen. Denken Sie nur an die Vorschriften der §§ 4, 5 und folgende, in denen praktisch durch die Zusammensetzung der Übergangskörperschaften in jedem Falle eine Majorisierung des nördlichen Teils des Gebiets durch die beiden südlichen Teile herbeigeführt würde.
({13})
Ich glaube, man kann hier nicht gerade von einer Ausgeburt demokratischer Gründlichkeit sprechen, und in diesem Punkte ziehen wir also, wie gesagt, den Vorschlag der FDP-Fraktion vor.
Was den § 4 des FDP-Entwurfs betrifft, so glauben wir, daß wir hier im Ausschuß Änderungen vorschlagen müssen. Wir sind der Meinung, daß die Bestimmungen über Wahlberechtigung, Wählbarkeit, Wahlverfahren usw., die hier angedeutet sind, sehr wohl aus dem Gesetz herausbleiben könnten und daß man gerade hier einer Vereinbarung der beteiligten Länder noch Raum geben sollte, zumal ja die Vorkehrung getroffen worden ist, daß im Nichteinigungsfalle doch die Bundesregierung einheitliche Bestimmungen für das Verfahren erläßt. Aber darüber kann man, wie gesagt, im Ausschuß reden, und ich glaube, da ist sehr wohl eine Verständigung möglich.
Wir sind auch der Meinung, daß die Versammlung, die aus dieser ersten Abstimmung hervorgeht, tatsächlich ein Landtag für das gesamte Land sein soll-vorausgesetzt, daß die Abstimmung positiv ausgeht, und das ist ja die Voraussetzung, auf der dieser Entwurf beruht - und daß dieser Landtag einen klaren Verfassungsauftrag haben soll. Ferner sind wir der Auffassung, daß der § 5 des FDP-Entwurfs in seiner jetzigen Fassung nicht ausreicht. Wir glauben, daß auch die Verfassung, die durch eine verfassunggebende Versammlung oder durch einen mit diesem Auftrag gewählten Landtag geschaffen wird, dem Volksentscheid unterliegen muß. Zu diesem Punkte werden wir im Ausschuß noch Vorschläge unterbreiten.
Im übrigen, meine Damen und Herren, möchte ich noch einmal sagen: Die sozialdemokratische Fraktion stellt sich im wesentlichen auf den Standpunkt des Antrages Drucksache Nr. 821. Ich darf nur noch eines hinzufügen: Es wäre vielleicht zweckmäßig, wenn von diesem Hause oder von irgendeiner anderen Körperschaft - aber ich glaube, daß doch dieses Haus der geeignete Autor einer solchen Empfehlung wäre - den beteiligten Ländern im Südwestraum - es sind ja nur die Länder der französischen Zone, nämlich Baden und Württemberg-Hohenzollern - empfohlen würde, die Landtagswahlen, die in diesem Frühjahr fällig sind, solange auszusetzen, bis die Entscheidung über das Zustandekommen des Südweststaates in diesem oder jenem Sinne gefallen ist. Es gibt eine Diskussion darüber, ob nicht der Bundestag bereits in einem Gesetz nach Artikel 118 GG eine derartige Vorschrift erlassen solle. Ich halte es aber nicht für möglich, daß der Bundestag den Ländern Vorschriften darüber macht, ob sie ihre Wahlen durchführen sollen oder nicht; wir sollten uns hier auf eine Empfehlung beschränken, und ich glaube auch, daß eine solche Empfehlung angesichts ihrer Zweckmäßigkeit bei keinem der Beteiligten auf taube Ohren stoßen wird. Diese Frage möchte ich gleich jetzt in der Debatte aufgeworfen haben; man wird sich nachher im Ausschuß noch im einzelnen damit zu beschäftigen haben.
Zum Schluß, meine Damen und Herren: Die sozialdemokratische Fraktion - ich glaube, ich habe das in meinen Ausführungen hinreichend dargetan - steht auf dem Boden des historischen Fortschritts. Sie ist der Meinung, daß die Schaffung des staatlichen Zusammenschlusses im südwestdeutschen Raum eine der Aufgaben ist, die wir im Zusammenhang mit der Neugliederung des deutschen Raumes überhaupt zu meistern haben, und sie wird sich für die positive Entscheidung dieser Frage einsetzen, weil sie glaubt, daß das einer der Aufträge ist, die der politischen Generation der Gegenwart gegeben sind.
({14})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Freudenberg.
Freudenberg ({0}): Meine Damen und Herren! Ich glaube, unsere Debatte wäre sehr einseitig, wenn nicht auch ein Abgeordneter von Nordbaden zu dem Problem sprechen würde. Auch ich will versuchen, die Frage, die uns heute beschäftigt, losgelöst von Polemik zu behandeln. Ich glaube, daß in den letzten zwei Jahren, insbesondere im letzten Jahr, unendlich viel Unglück dadurch geschehen ist, daß man, obwohl unser Land besetzt ist, so viel gegenseitige Gehässigkeit gezeigt hat. Schande soll auf die fallen, die diesen Ton in die Auseinandersetzung hineingebracht haben!
Wenn ich nun von Nordbaden aus zu dem Problem spreche, so will ich dabei nicht allzusehr in die Geschichte zurückgehen. Aber für den, der das badische Gefüge kennt, steht doch das eine fest, daß Baden, das vor 150 Jahren durch einen Willensakt Napoleons zustande gekommen ist, im letzten Grunde durch unser großherzogliches Haus zusammengehalten wurde. Nach 1918, als das groß({1})
herzogliche Haus verschwunden war, sind die Spannungen im badischen Land niemals zur Ruhe gekommen. Nord- und Südbaden - ich brauche nur an die Spannungen Mannheim-Karlsruhe usw. zu denken - haben keine einheitliche Sprache gesprochen. So waren schon 1918 und danach nicht die Schlechtesten im badischen Land in Nord und Süd der Meinung, daß es zweckmäßig wäre, die Länder Baden und Württemberg zu einer Verwaltung zusammenzuführen. Lassen Sie uns doch nicht immer das bombastische Wort „Länder" gebrauchen, sondern lassen Sie uns doch bedenken, daß das, was wir in Deutschland suchen müssen, eigentlich eine vernünftige Verwaltungsorganisation unseres deutschen Gebietes ist!
({2})
Die Stadt Pforzheim, auch das Bodenseegebiet, die
Gebiete in Nordbaden, das Bauland, aber auch das
Gebiet Mannheim, Heidelberg haben niemals Verständnis dafür gehabt, daß man eine Art badischer
Irredenta aufzieht. Das ist erst eine Errungenschaft
neuester Zeit, und ich glaube, die besten Badener
schämen sich dessen; denn schließlich war es die
Tradition Badens, daß wir immer in erster Linie
Deutsche und erst in zweiter Linie Badener waren.
({3})
Meine Damen und Herren, nach diesen Ausführungen darf ich nun auf einige Irrtümer hinweisen, die sich in die Darstellung des Kollegen Hilbert eingeschlichen haben. Herr Kollege Hilbert, es ist nicht richtig, daß die Zusammenfügung von Nordbaden und Nordwürttemberg nach 1945 ein Willensakt der Besatzungsmacht ist, sondern die erste Anregung, Nordbaden und Nordwürttemberg zu vereinigen, nachdem der Besatzungsstrich durch Württemberg-Baden gezogen worden ist, ist von dem damals verantwortlichen Leiter der nordbadischen Verwaltung ausgegangen, dem Professor Holl.
Und nicht nur mit Herrn Professor Holl, sondern auch mit anderen maßgebenden Leuten in Nordbaden, darunter auch mit mir, der ich damals Landrat und Bürgermeister in Nordbaden gewesen bin, hat die amerikanische Besatzungsmacht darüber gesprochen, was wir wollen. Ich kenne keine Stimme, die im Jahre 1945 auch nur einen Augenblick anders gedacht hätte, als daß es vernünftig wäre, Nordbaden und Nordwürttemberg zu einer Verwaltungseinheit zusammenzufügen.
({4})
Ich glaube, auch in Südbaden hat man im Grunde in der damaligen Zeit gar nicht anders gedacht; denn es ist doch bekannt, daß zwischen Südbaden und Südwürttemberg 1945/46 auch sehr lebhafte Unterhaltungen darüber im Gange waren, ob es nicht zweckmäßiger wäre, Südbaden und Südwürttemberg zu einer Verwaltungseinheit zusammenzuführen. Wenn aber die Württemberger in der damaligen Zeit nicht so schlechten Charakters waren, daß man sich in Südbaden mit ihnen zusammenfinden wollte, so verstehen wir in Nordbaden nicht, warum sie jetzt, zwei Jahre später, so furchtbar schlecht geworden sein sollten.
({5})
Die Zusammenlegung der Verwaltung von Südbaden und Südwürttemberg ist damals nicht zustande gekommen, und wir in Nordbaden machen uns Gedanken darüber. Ich glaube, daß sie deswegen nicht zustandegekommen ist, weil in Südbaden eine Linienrichtung von West nach Ost gesucht worden ist, während man in Südwürttemberg die Linie sehr stark von Süd nach Nord gesehen hat. Man wollte sich nicht von Stuttgart, von Nordwürttemberg lösen,
({6})
und ich glaube, man wäre in Südbaden klüger gewesen, wenn man sich an die Südnordrichtung gehalten und sich mit uns immer in Verbindung gehalten hätte. Es ist kein Zufall, daß der südbadische Landtag mit Einstimmigkeit seinen Staatspräsidenten Wohleb im Jahre 1948 beauftragt hat, die Verhandlungen mit dem ausschließlichen Ziel der Herbeiführung der Vereinigung
({7}) von Süd- und Nordbaden zu führen.
({8}) - Sie haben auch zugestimmt!
({9})
Der zweite Irrtum, der in die Zukunft weist und deswegen so ungeheuer ernst ist, ist der, daß man unter Hinweis auf irgendwelche Ziffern nun glaubt, das badische Land in seiner alten Form sei ein lebensfähiges Land und stark genug, um ein wirklicher Träger eines gesunden Föderalismus in Deutschland zu sein. Meine Damen und Herren; die Ziffern, die von Südbaden vorgelegt worden sind, hören beinahe sämtlich vor 1914 auf, also in der Zeit, als Baden kein Grenzland, sondern in andere deutsche Länder eingebettet war, weil damals Elsaß-Lothringen in deutscher Verwaltung war. Seit 1914 haben sich die Dinge aber zweimal grundsätzlich gewandelt. Nach 1918 ist es doch immer so gewesen, daß das badische Land in sich nicht mehr die Finanzkraft gehabt hat, die es vor 1914 hatte. Ich glaube daher, Herr Hilbert, daß Sie sich von Grund auf irren, wenn Sie glauben, daß Nordbaden heute noch die Finanzkraft hat, um in gleichem Maße die Verwaltung eines badischen Landes mitzutragen, wie das in früheren Jahrzehnten immer eine Selbstverständlichkeit gewesen ist. Ich weiß nicht, ob Sie oder andere Diskussionsredner schon darauf hingewiesen haben, daß von den Verwaltungskosten Nordbaden gut zwei Drittel getragen hat. Die Stadt Mannheim allein hat 35% des gesamten Gewerbesteueraufkommens des damaligen Landes Baden aufgebracht. Die Stadt Mannheim ist aber heute nicht mehr das, was sie gewesen ist; sie wird heute keinen höheren Prozentsatz mehr darstellen können als 15%.
Und wie ist es denn seit 1945 in unserer Ehe mit den Nordwürttembergern gewesen? Was hat denn die Abstimmung ergeben? Es ist doch immerhin merkwürdig, daß trotz der unerhört scharfen Agitation - wer die Versammlung in Karlsruhe miterlebt hat, kann sich nur schämen, wie es damals zugegangen ist - alle Grenzbezirke mit Ausnahme von Karlsruhe, das seinen Landeshauptstadtkomplex hat, sich mit einer absoluten Majorität für das Zusammengehen und das Zusammenbleiben mit Württemberg bekannt haben.
({10})
- Also, Herr Hilbert, - ({11})
- Der Terror der Großindustrie, Herr Hilbert, ist vielleicht doch etwas bescheidener als der starke Einfluß der Staatsverwaltung in Südbaden auf das Abstimmungsergebnis.
({12})
({13})
Im übrigen danke ich Ihnen, daß Sie mich so stark einschätzen.
({14})
Warum ist es denn Südbaden in der ersten Zeit einigermaßen erträglich gegangen? Weil Südbaden zwei Steuereinnahmen hatte: die Tabaksteuern und die Zölle. Diese haben nahezu 30% des steuerlichen Aufkommens von Südbaden erbracht. Seitdem diese Steuerquellen auf den Bund übergegangen sind, sind in Südbaden die Verhältnisse außerordentlich ernst geworden. Sie sind auch in Südwürttemberg sehr ernst. Deswegen, Herr Dr. Seelos, können wir die Dinge nicht mehr allzulange treiben lassen; denn schließlich haben wir doch die Verantwortung dafür, daß in unserem Südwestraum nicht irgendein Unglück geschieht.
Wie immer wir diese Dinge ansehen, möchte ich bitten, daß das Hohe Haus und seine Ausschüsse möglichst rasch an die Arbeit gehen.
({15})
Es scheint mir jetzt wirklich an der Zeit zu sein, daß dieser Froschmäusekrieg zu einem Ende kommt und daß wir uns dazu durchringen, mit einer vernünftigen Neugliederung Westdeutschlands bei uns im Südwesten den Anfang zu machen.
Meine Damen und Herren, wo liegt denn der alte Streitpunkt, über den wir uns in den letzten zwei Jahren nicht einig geworden sind? Er liegt darin, daß wir in Nordbaden - ich betone ausdrücklich: wir in Nordbaden - uns dagegen gewehrt haben, daß man die Stimmen durch das ganze Land Baden durchzählt. Denn wir waren uns darüber im klaren, daß in Nordbaden das Zusammenfügen unserer Länder eine so große Selbstverständlichkeit ist, daß sehr viele da waren die sich einfach auf den Standpunkt gestellt haben: warum soll man denn über eine solche Selbstverständlichkeit eigentlich abstimmen? -, während es uns bei der Agitation, wie sie in Südbaden entfaltet worden ist, ganz klar war, daß dort mindestens der letzte Badener auf den Trab gebracht worden ist. Wir haben uns dagegen gewehrt, daß wir in Nordbaden von Südbaden majorisiert werden. Wir haben uns auch dagegen gewehrt, daß wir von Württemberg aus majorisiert werden sollten.
Ich will in dem Zusammenhang sagen, daß auch wir - wie Sie, Herr Kiesinger, von Südwürttemberg -durchaus willens sind, einer Regelung zuzustimmen, die etwa in der Richtung gedacht sein kann, daß dann, wenn drei von den vier Landesbezirken sich für die Bildung des Südweststaates aussprechen, der Südweststaat gebildet ist. Man kann sogar darüber noch hinausgehen, Herr Hilbert, daß dann der Vierte, das Recht haben soll, sich zu entscheiden, ob er sich später anschließen will oder ob er das nicht will.
({16})
- Herr Hilbert, ich glaube, diese Abstimmungsmethoden sind unendlich viel demokratischer als die Fassung Ihres Artikel 4, und ich bedauere, Herr von Brentano, daß Sie den Artikel 4 unterschrieben haben. Ich bin überzeugt, wenn Sie den genauen Wortlaut lesen, dann sind Sie der erste der den Antrag auf Abänderung stellt.
({17})
- Herr von Brentano, ich kann mir nicht denken, daß Sie dem zustimmen können,
({18}) daß für den einen Fall festgelegt wird, daß die Mehrheit der Abstimmenden entscheiden soll und daß in dem anderen Fall nur die an der Abstimmung Beteiligten - -({19})
- Herr Hilbert, das kommt mir ungefähr so vor
({20})
wie das, was mir einmal ein neugebackener Minister' gesagt hat, ,der furchtbar bissige Reden gehalten hat. Es war in der nationalsozialistischen Zeit. Als ich dann zu ihm kam und mich mit ihm darüber auseinandersetzte, sagte er mir: Ja, Herr Freudenberg, das Volk will doch irgendwas haben.
- Ich glaube, wir sollten uns mit einer solchen Leerlaufarbeit hier im Parlament nicht abgeben.
({21})
Wenn es aber wirklich dahin käme, daß das Land Baden in seiner alten Form wiedererstehen sollte, ja, meine Damen und Herren, abgesehen von seiner finanziellen Schwäche, die es als Grenzland hat, käme dann noch hinzu, daß weite Teile des badischen Landes sich gar nicht davon abhalten lassen werden, von dem Artikel 29 des Grundgesetzes Gebrauch zu machen.
({22})
Wir sind uns gar nicht darüber klar, ob sich nicht in dem Augenblick, in dem der Artikel 29 des Grundgesetzes in Kraft gesetzt wird - und daß er nicht in Kraft ist, ist ja lediglich eine Folge der Besetzung -, von Konstanz über den Schwarzwald rauf bis Wertheim manche Bezirke finden werden, die sagen, daß sie lieber zu den Nachbarländern stoßen würden.
Ich glaube also, wir würden unserer badischen Heimat einen sehr schlechten Dienst erweisen, wenn wir jetzt versuchen würden, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Ich kann das Hohe Haus nur mit allem Nachdruck bitten, sich erstens dafür einzusetzen, daß diese Dinge jetzt rasch zu einem Ende kommen, und zweitens nicht zu vergessen, daß wir letzten Endes eine deutsche Lösung zu suchen haben.
({23})
Das Wort hat der Abgeordnete Kohl.
Meine Damen und Herren! Die in den beiden Gesetzentwürfen behandelte Frage der Bildung eines Südweststaates oder der Wiederherstellung der alten Länder hat in den letzten Jahren im südwestdeutschen Raum eine entscheidende Rolle gespielt. Bereits Ende vorigen Jahres wurde die südwestdeutsche Bevölkerung zu einem sogenannten Volksentscheid aufgerufen, in dem es sich für oder gegen die Bildung eines Südweststaates aussprechen sollte. Man hat damals in den davon betroffenen Ländern in der Propaganda, die dabei betrieben worden ist, einen ungeheuren Aufwand getrieben und dabei vergessen, die wahren Hintergründe dieser Südweststaatfrage überhaupt einmal aufzuzeigen.
Die Bevölkerung selbst hat ihr Desinteresse an dieser Frage - darüber soll man sich nicht täuschen - sehr eindeutig dadurch zum Ausdruck gebracht, daß sie in ihrer übergroßen Mehrheit der Wahlurne ferngeblieben ist. So ist, wie bereits von einigen Rednern festgestellt wurde, in einigen
({0})
Stimmkreisen nur eine Beteiligung von 41% erreicht worden. Wenn man die riesigen finanziellen Mittel berücksichtigt, die hierbei aufgewendet, die Demagogie und die Intrigen, die angewendet wurden - für oder gegen den Südweststaat -, so kann man wirklich sagen, daß die Kraft, die dafür vergeudet worden ist, einer besseren Sache würdig gewesen wäre.
Man soll doch wirklich nicht versuchen, mit der Südweststaat-Frage eine so starke politische Propaganda zu entfesseln, als ginge es hierbei um das Schicksal Deutschlands. Die Grenzziehung im südwestdeutschen Raum erfolgte auf Befehl der Besatzungsmächte im Jahre 1945. Dabei wurden die alten Länder Württemberg und Baden in unsinniger Weise zerrissen. Die Besatzungsmächte dachten nicht daran, auf die politische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammengehörigkeit Rücksicht zu nehmen, sondern dieses Staatsgebilde wurde gegen den Willen der dortigen Bevölkerung geschaffen, weil die Besatzungsmächte ihren militärischen Interessen Rechnung tragen wollten. Entscheidend für diese Grenzziehung war die Tatsache, daß die amerikanische Besatzungsmacht ein starkes Interesse an dem Rheinhafen Mannheim und darüber hinaus an der Autobahn Frankfurt-München hatte, während die Bestrebungen Frankreichs darauf abgestellt waren, Karlsruhe und Mannheim zu bekommen. Die Gegensätze wollten auch im alliierten Lager niemals ruhen.
Die jetzigen 'Bestrebungen, einen Südweststaat zu schaffen, entspringen nach unserer festen Überzeugung viel mehr der politischen Konzeption der Alliierten als den Bedürfnissen der deutschen Bevölkerung.
({1}) Darüber können auch nicht die offiziellen Erklärungen hinwegtäuschen, die von alliierten Kreisen und deutschen Stellen abgegeben worden sind. Seit Jahren geht der Kampf um die Frage des Südweststaates. Ich hatte Gelegenheit, in einer Reihe von Monaten den Kampf um die SüdweststaatFrage in Württemberg-Baden persönlich zu erleben. Seit Jahren erklären aber auch wir Kommunisten - und wir haben das wiederholt im württembergbadischen Landtag zum Ausdruck gebracht -, daß mit der Bildung des Südweststaates irgendeine Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse der dortigen Bevölkerung in keiner Form in Erscheinung tritt.
({2})
- Das müßte nachgewiesen werden, Herr Kollege Kalbfell! - Dabei ist nicht uninteressant, daß bereits Staatsverträge abgeschlossen worden sind, die das Gegenteil von dem beweisen, was Sie zu bezweifeln wagen. Ich erinnere an den Staatsvertrag von Karlsruhe, der abgeschlossen worden ist und der wahrscheinlich auch durch die Annahme dieses Gesetzes keineswegs außer Kraft gesetzt wird. Dieser Staatsvertrag sieht vor, daß bei der Bildung des Südweststaates vorläufig einmal vier eigene Regierungsbezirke gebildet werden sollen: ein Regierungsbezirk für Nordbaden mit Karlsruhe, ein Regierungsbezirk für Südbaden mit Freiburg, ein Regierungsbezirk für Südwürttemberg mit Tübingen und ein Regierungsbezirk für Nordwürttemberg mit Ludwigsburg als Sitz der Bezirksregierung.
({3}) Als Krönung hätten wir dazu in Stuttgart die Regierung des Südweststaates.
Schon seit Jahren - und hier wende ich mich an die FDP - wird gerade von Ihrer Partei bei jeder Gelegenheit die Frage der Verwaltungsreform propagandistisch herausgestellt.
({4})
Man zitiert besonders stark die württembergische Sparsamkeit, die als Grundlage für die Verwaltungsreform zu gelten habe, und man vertritt gerade von dieser Seite aus die Meinung, daß die Verwaltungsreform sich in erster Linie einmal um die vorhandenen Ministerien gruppieren müsse, deren Zahl man auf die der fünf klassischen Ministerien beschränken solle. Man sollte vermeiden, den in allen südwestdeutschen Ländern stark übersetzten Ministerien-Apparat noch zu vergrößern.
({5})
Nun, wir haben die Tatsache zu verzeichnen - das dürfte auch von Ihrer Seite nicht abgestritten werden -, daß mit der Bildung des Südweststaates auf der Grundlage dieses noch bestehenden Staatsvertrages ein bürokratischer Apparat ins Leben gerufen wird, der zu einer ungeheuer starken Belastung der Bevölkerung dieses Kreises führen muß.
({6})
Nun gestatten Sie, Herr Kollege Mayer, noch ein Wort zu Ihrem Gesetzentwurf. In Ihrem Gesetzentwurf scheint mir ein gewisser Widerspruch vorhanden zu sein, der vor allen Dingen in § 2 zum Ausdruck kommt und der gegenüber der Fragestellung im vergangenen Jahr eigentlich insofern als etwas rückschrittlich anzusprechen ist, als man im vergangenen Jahr bei der Volksbefragung dem Volke wenigstens zwei Fragen vorlegte, während Sie in § 2 ganz konkret die Frage stellen: Sind Sie für oder gegen den Südweststaat? Dabei können Sie - und Sie sind ja die „Hüter der Demokratie" - nach meiner Auffassung von Demokratie nicht mehr reden,
({7})
wenn Sie in einer solchen aggressiven Form das Volk einfach vor die Frage stellen: Wollen Sie oder wollen Sie nicht?
({8})
Das Volk wird sich für diese Fragestellung zu bedanken wissen.
Hinzu kommt der § 3 Ihres Gesetzentwurfs,' der sehr konkret sagt: Wenn die Mehrheit des Volkes nicht damit einverstanden ist oder die Bildung des Südweststaates nicht wünscht, dann bleibt es bei dem alten Zustand; dann bleibt es bei einem Zustand - und das ist die Konsequenz, Herr Kollege Mayer -, der nach Ihrer Begründung und nach Ihrer Definition- unhaltbar ist, der auch nach unserer Meinung deshalb unhaltbar ist, weil dieses künstliche Ländergebilde im südwestdeutschen Raum auch staatsrechtlich gesehen eine Unmöglichkeit darstellt.
({9})
Ihr Gesetzentwurf scheint mir also in den entscheidenden §§ 2 und 3 etwas unlogisch zu sein; er kann uns deshalb in keiner Weise befriedigen.
({10})
({11})
- Ich werde nie zu Ihrer Zufriedenheit sprechen.
({12})
Wenn Sie so sehr die Volksbefragung herausstellen, sollten Sie doch konsequent sein und sollten die entscheidenden Lebensfragen, die das Volk angehen, beispielsweise die Frage 'des Friedens oder die Frage der Beantwortung des Briefes von Grotewohl, dem Volk ebenso offen zur Entscheidung vorlegen.
({13})
- Das ist eine andere Frage, richtig; aber es ist
für das Leben des Volkes eine entscheidende Frage.
({14})
Wir Kommunisten sind der Auffassung - das wollte ich zum Abschluß sagen -, daß die alten Lander Württemberg und Baden wiederhergestellt werden sollten und daß man über die Neuordnung im gesamtdeutschen Raum dann reden kann, wenn Sie einmal die Einheit Deutschlands hergestellt haben.
({15})
Das Wort hat Herr Dr. Hamacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin zwar ein Sohn des Niederrheins und kenne Baden wie Württemberg nur aus vielen Reisen und langjährigen Studien, aber ich glaube mir doch gerade auf Grund dieser Eindrücke aus der Distanz ein Urteil zu diesem Thema erlauben zu können. Aus dem Verlauf der Aussprache ist zu entnehmen, daß wir noch keine klare, einheitliche Auffassung haben und daß es notwendig ist, diese Vorlage den entsprechenden Ausschüssen zu überweisen. Lassen Sie mich dennoch zu einzelnen Punkten einige Äußerungen machen.
Die Befürworter des Südweststaates betonen seine Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit. Wollen wir doch bitte bedenken, daß eine Zusammenfassung und ein Zentralismus auch zur Unzweckmäßigkeit werden kann und daß er organisch gewachsene Gebilde in eine Zwangsjacke kleiden kann. Was die Länder Baden und Württemberg angeht, so haben wir es hier mit organisch gewachsenen, historisch gewordenen Gebilden zu tun. Württemberg ist der Staat des Neckargebietes, Baden das Land, das dem Rhein zugewandt ist. Beide Länder haben in den letzten Jahrhunderten bewiesen, daß sie lebensfähig sind, daß sie eine fleißige Bevölkerung, ein entwicklungsfähiges Volkstum haben und daß sie gar nicht daran denken, irgendwie von ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Höhe abzusteigen. Wir sollten in Deutschland - ich glaube da auch Ihres Urteils sicher zu sein - nicht mehr Zentralismus schaffen, als unbedingt notwendig ist.
({0})
Die organische Entwicklung der deutschen Landschaften hat - ich erinnere an die Ausführungen des letzten Vorredners - auch etwas Gutes für die gesamtdeutsche Entwicklung. Es ist falsch - und fast könnte man ,darin eine Beleidigung für die Befürworter der Selbständigkeit der beiden Länder sehen -, wenn einzelne Redner sagen: Ich bin für eine deutsche Lösung. Ich denke nicht
daran, ihnen den Vorwurf zu machen, daß die Befürworter der Selbständigkeit der Länder Baden und Württemberg als Antideutsche hingestellt werden sollen.
({1})
Die organische Gliederung und die Selbständigkeit der Länder läßt sich mit einer Zusammenfassung in allem Notwendigen vereinen. Es ist urdeutsch, gerade diese weitestgehende Gliederung beizubehalten, mit anderen Worten, den Zentralismus nicht zu übertreiben.
Einzelne Redner haben dann darauf hingewiesen, daß Baden nicht lebensfähig sei. Es wurden Zahlen aus der jüngsten Gegenwart genannt. Jedenfalls können wir über die Leistungsfähigkeit und die Leistungsmöglichkeit Badens noch kein abschließendes Urteil fällen, vor allen Dingen nicht hinsichtlich des Hafens Mannheim. Dieser ist durch die Kriegswirren so stark mitgenommen und weiter 'durch die Maßnahmen der Besatzungsbehörden so gelähmt worden, daß die im Hafenbecken Mannheim liegenden Möglichkeiten bei weitem noch nicht ausgeschöpft sind. Ja, wir können damit rechnen, daß, wenn die Verkehrsverhältnisse sich weiter so entwickeln und die wirtschaftliche und verkehrsmäßige Freiheit des deutschen Volkes weiter zugelassen wird, der Hafen Mannheim wieder zu dem wird, was er einstens war, nämlich der größte Hafen Süddeutschlands und einer der größten zum Nordseegebiete gehörenden Binnenhäfen. Sie werden diese Bemerkung verstehen, und deshalb halte ich diese Hinweise auf Mannheim und das dort weithin noch darniederliegende Wirtschaftsleben für nicht ganz objektiv.
({2})
- Ich bin nicht nur einmal dort gewesen, sondern mehrmals, und immer wieder zieht es mich nach diesem schönen Ländchen Baden hin, und zwar darum, weil ich dieses Volkstum so kennen und schätzen gelernt habe und weil wir es bei diesem alemannischen Volkstum nicht nur mit einem besinnlichen, sondern auch schöpferischen Volkstum zu tun haben. Deshalb versuche ich mich gerade für die Erhaltung der Selbständigkeit Badens einzusetzen.
Nun wird die Lebensfähigkeit Badens bestritten. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten darf ich Ihnen aus einer Niederschrift einige Sätze vorlesen. Da heißt es:
Württemberg ist ein wasserarmes Land, Baden ein wasserreiches Land, das noch auf Jahrzehnte hinaus die Voraussetzungen für die Ansiedlung von Menschen und neuen Industrien bietet, ohne daß Millionenbeträge für technische Kunstbauten für die Wasserbeschaffung investiert werden müßten.
Baden ist für sich allein und ohne Zusammenschluß lebensfähig, weil es die Rheinwasserstraße und die hochleistungsfähige internationale Rheintallinie zur Seite hat und weil es wie kein anderes Land über ausgebaute und ausbaufähige Wasserkräfte verfügt. Sieben Kraftwerke sind am Hochrhein bereits ausgebaut. Sie verfügen über eine mittlere Leistung von 377 000 kW. Noch harren weitere Wasserdarbietungen des Hochrheins mit einem Leistungsvermögen von ferneren 273 000 kW der Krafterschließung. Und es gibt wohl kein anderes Land in Deutschland, das
({3})
in der Ausschöpfung der Kleinwasserkräfte mehr getan hätte als Baden. Aber all das wäre nur Behelf geblieben, wenn der badische Staat nicht noch zu einer großzügigen Ausnützung der Gebirgsflüsse des Schwarzwaldes auf dem Boden des Ausbaues von Speicherwerken geschritten wäre. So sind im Badenwerk und im Schluchseewerk Speicherkraftanlagen im Sinne von Spitzenkraftwerken größten Stils entstanden, die in einer mit der rheinisch-westfälischen Elektrizitätsindustrie verkoppelten Verbundwirtschaft die täglichen und jahreszeitlichen Lücken der Stromdarbietung der Rhein-und Dampfkraftwerke ausfüllen. Nach Fertigstellung der dritten Baustufe des Schluchseewerkes im Jahre 1953
- ich erinnere den Redner, der Zahlenangaben bis 1950 brachte, daran, daß hier das Jahr 1953 genannt wird! wird in diesem Werk allein ein Leistungsvermögen von 450 000 kW zur Verfügung stehen.
({4})
- Gestatten Sie, daß ich mich nach den mir vorliegenden Tatsachen und Zahlen orientiere; ich sehe nicht, daß Sie mich nach dieser Seite hin besser orientieren.
Diese wenigen Angaben mögen Ihnen ein Beweis oder eine Begründung dafür sein, daß das Land Baden genau so lebensfähig ist wie hoffentlich auch das Land Württemberg. Aus dem Grundprinzip der deutschen Staats- und Volksentwicklung heraus möchte ich deshalb nochmals dafür plädieren, daß wir nicht mehr Zentralismus treiben, als notwendig ist, und daß wir alle die Länder, die lebensfähig sind, auch in ihrer Lebensfähigkeit erhalten. Deshalb stimme ich auch im Namen meiner Freunde vom Zentrum für den Vorschlag Hilbert und die Überweisung an die entsprechenden Ausschüsse.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jaeger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer nicht den Vorzug hat, aus dem Raume Württembergs und Badens zu stammen, wird ja manchmal etwas über das Temperament staunen, mit dem der Meinungsstreit hier ausgetragen wird, das uns ja vielleicht ansonsten an gewisse Reden erinnert, die etwa von den Herren der Bayernpartei in diesem Saale gehalten worden sind, wobei allerdings die Südweststaatler noch temperamentvoller zu sein scheinen als die Herren, die Altbaden vertreten. Für uns aber. glaube ich, ist hier nicht zu entscheiden, ob wir Baden und Württemberg wiederherstellen oder einen Südweststaat schaffen wollen. Das kann nicht Aufgabe des Deutschen Bundestags sein.
({0}) Das kann nur Aufgabe der Bevölkerung dieses Gebietes sein.
({1})
Für uns geht es hier darum, daß wir, nachdem wir
gemäß Artikel 118 des Grundgesetzes den ersten
Teil der Neugliederung - die ja ein viel größeres
Problem umfaßt - vorzunehmen haben, hier die
Prinzipien entwickeln, nach denen später, wenn
die Suspension des Artikels 29 des Grundgesetzes
wegfällt, in ganz Deutschland die Frage der Neugliederung in Angriff nehmen können.
({2})
Deshalb ist der erste Schritt so wichtig, weil er nicht nur über das Schicksal Badens und Württembergs und des Südweststaats, sondern über alle Fragen der Neugliederung Deutschlands befindet, Fragen, die für uns von besonderer Wichtigkeit sind, weil sie ja unsere Art des Lebens betreffen.
Der Bundestag wird also gut tun, in der Sache selbst Zurückhaltung zu wahren und ihre Erledigung der Bevölkerung von Württemberg und Baden zu überlassen. Vor allem wird er gut daran tun, nach Möglichkeit ein Gesetz zu schaffen, das eine klare Entscheidung herbeiführt; denn ich glaube, es wäre ein Unglück, wenn wir dereinst in Gesamtdeutschland oder wenigstens in dem Gebiete, das heute unter der Herrschaft des Grundgesetzes lebt, über eine solche Frage abstimmen müßten, da sowohl der bayerische Bauer wie der Fischer von der Waterkant die Fragen des Südwestraums wohl nicht allzu gut zu beurteilen versteht, so wie umgekehrt wir aus dem Süden nicht gerade über Oldenburg oder Niedersachsen abstimmen möchten. Das sollte man doch besser der dortigen Bevölkerung überlassen.
Die Frage der Neugliederung des Bundesgebiets auch im südwestdeutschen Raum ist nun vom Standpunkt der föderativen Ordnung, wie er trotz vieler Einschränkungen im Grundgesetz gilt, von großer Bedeutung; denn Föderalismus schwebt nicht im luftleeren Raum, er ist nicht nur eine Sache blutleerer Paragraphen und Zuständigkeiten, sondern er ist vor allem eine Sache gewachsener Ordnungen, die vom Leben und vom Willen der Bevölkerung erfüllt sind.
Was kann nun für die Neugliederung der Ausgangspunkt sein? Ich glaube, der Ausgangspunkt hierfür kann im Südwestraum wie auch im übrigen Deutschland zuerst einmal nur das deutsche Recht sein. Nicht das, was die Besatzungsmächte geschaffen haben, kann für uns maßgebend sein, sondern d e r Rechtszustand ist der Ausgangspunkt, der im Jahre 1933 bzw. 1945 vorhanden gewesen ist. Wir müssen damit also von den Ländern, die damals bestanden haben, bei der Abstimmung und bei der Zählung der Stimmen ausgehen, und wir müssen vor allem demokratisch denken. Es wäre undemokratisch, wenn man das eine Land mit dem anderen abstimmen läßt, dann die Stimmen in beiden zusammenzählt und dann vielleicht das zahlenschwächere durch das stärkere Land majorisieren läßt.
Wo kamen wir hin, wo wäre das Selbstbestimmungsrecht der Völker, soweit man überhaupt noch davon spricht, wenn wir in zwei Ländern abstimmen und das zahlenmaßig schwächere vom stärkeren majorisieren ließen? Deshalb ist die Durchzählung der Stimmen in den historischen Ländern Baden und Württemberg sowohl vom Standpunkt des deutschen Rechts als auch vom Standpunkt der deutschen Demokratie aus allein vertretbar und allein möglich, weil alles andere ein Beispiel gäbe, an dem die Bundesrepublik in den verschiedensten Teilen ihres Gebietes leiden würde.
Es ist auch richtig, wenn man bei der Abstimmung von der Bevölkerung ausgeht, die nicht mir gerade zufällig ihren Wohnsitz dort hat, sondern die dem Lande schon seit längerer Zeit verbunden ist. Wer zu den Ländern Württemberg und Baden
({3})
gehört - solange wir kein Staatsangehörigkeitsgesetz haben, meinetwegen, wer dort geboren ist -, der soll sein Stimmrecht auch dann behalten, wenn er etwa nach 1945 nach Bonn verzogen ist und es sonst nicht ausüben könnte. Man wird sich überlegen müssen, ob der Antrag Hilbert nicht zu schwach ist, ob nämlich nicht ein Jahr Wohnsitz zuwenig ist, um sich wirklich in die Verhältnisse eines Landes eingelebt zu haben und ein Urteil fällen zu können, ob man hier nicht zum Unterschied von den Landtagswahlen einen Wohnsitz von zwei oder drei Jahren vorschreiben sollte.
({4}) - Von mir aus vielleicht auch das! Es ist eine Frage, die man im Ausschuß noch erörtern kann. Dann aber, glaube ich, erfordert die Demokratie, daß der Wähler klar vor eine alternative Frage gestellt wird. Der Herr Kollege Schoettle hat zwar gemeint, es sei zu kompliziert. Offenbar hat er von der Intelligenz der Bevölkerung Württembergs und Badens eine schlechtere Meinung als ich,
({5})
er ist ja ein Württemberger, er müßte es besser wissen. Aber da wir gerade im Lande Bayern erst vor kurzem einen Landtagswahlkampf durchgeführt haben, bei dem in Oberbayern bei einem Zweistimmen-Wahlrecht ungefähr 12 Parteien mit jeweils bis zu 50 Kandidaten auftraten und wo der Wähler zwischen den Kandidaten entscheiden konnte und es auch verstanden hat - die Parteifreunde des Herrn Schoettle haben dabei sogar gute Geschäfte gemacht, sie haben gewonnen -, darf ich doch fragen: glauben Sie wirklich, daß die Württemberger unfähiger und demokratisch unreifer sind als die Bayern? Das glaube ich nicht.
({6})
- Ich rede nicht ins Blaue hinein. Ich bin nämlich im Lande dringewesen, und ich glaube, daß jeder Badener und Württemberger genau weiß, was die Lösung des Südweststaates und was die Lösung Altbaden oder Altwürttemberg bedeutet. Dazwischen kann man sich entscheiden. Ein Volksentscheid soll eine echte politische Entscheidung darstellen und keine Akklamation nach einem Stil, wie wir ihn leider in der vergangenen Zeit erlebt haben, bei dem man den Namen Demokratie nur noch zum Schein geführt hat. Geben Sie der Bevölkerung daher die Chance, sich zwischen zwei Möglichkeiten der Alternative entscheiden zu können!
Es ist hier sehr betont vom Rad der Geschichte gesprochen worden, das man nicht zurückdrehen soll. Überlassen wir das einmal der Bevölkerung von Baden und Württemberg! Für mich stellt ein Erlaß des Herrn Eisenhower noch nicht das Rad der Geschichte dar. Ob es das für die Bevölkerung von Baden und Württemberg tut, ,das wollen wir ihr überlassen.
Es wurden noch andere große Worte gesprochen. Der Herr Kollege Freudenberg hat gesagt, daß man in Nord- und Südbaden nicht eine einheitliche Sprache spreche, derweil ich in aller Bescheidenheit meine, daß man in Nord- und Südbaden die gleiche deutsche Sprache spricht, die auch bei uns in Bayern nicht ganz unbekannt ist.
({7})
Ob man Altbadener oder Südweststaatler ist - man soll die Dinge nicht übertreiben man soll nacht vom Lebensraum des Südweststaates sprechen, wenn doch für uns alle der Lebensraum nicht Südweststaat, Baden, Württemberg, Hamburg oder Nordrhein-Westfalen, sondern Deutschland heißt - und ich hoffe, daß der Tag nicht fern ist. an dem unser gemeinsamer Lebensraum Europa heißt. Aber in .dem Lebensraum Europa ist es dann gleichgültig, wie die Gliederung erfolgt, ob Württemberg und Baden selbständig sind oder staatlich zusammengehören.
80 Jahre im Deutschen Reich waren Württemberg und Baden Säulen dieses Reiches. Im heutigen, leider kleiner gewordenen Deutschland werden die beiden Länder wohl auch nicht zu klein sein. Stellen wir deshalb ein falsches Pathos und einen falschen Nationalismus zurück, und lassen wir nach den Gesetzen der Demokratie und des überlieferten deutschen Rechts die Bevölkerung dort nüchtern durch einen klaren Volksentscheid entscheiden. Hierzu scheint mir im großen und ganzen der Gesetzentwurf des Herrn Hilbert den richtigen Weg zu zeigen. Die Landesgruppe der Christlich-Sozialen Union gibt deshalb diesem Gesetzentwurf ihre Unterstützung.
({8})
Die Rednerliste ist erschöpft. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung darüber, ob und an welche Ausschüsse wir die beiden Gesetzentwürfe überweisen wollen. Es ist der Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für innergebietliche Neuordnung als federführenden Ausschuß und an den Rechtsausschuß gestellt worden. Ist das Haus damit einverstanden?
({0})
- Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe als nächsten Punkt der Tagesordnung auf:
4 a) Erste Beratung des von der Fraktion der KPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Sofortmaßnahmen für die schaffende, lernende und arbeitslose Jugend ({1});
b) Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Fragen der Jugendfürsorge ({2}) über den Antrag der Fraktion des Zentrums betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs zum Schutze der heimat- und berufslosen Jugend ({3}).
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, für die Begründung des Antrages unter Punkt 4 a der Tagesordnung und für die Berichterstattung zu Punkt 4 b) je 20 Minuten vorzusehen und für die Aussprache über 4 a) und 4 b) insgesamt 60 Minuten. Kein Widerspruch? - Es ist so beschlossen.
Das Wort zur Begründung des Antrags unter Punkt 4 a) der Tagesordnung hat der Herr Abgeordnete Paul.
Paul ({4}) ({5}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Die kommunistische Fraktion hat Ihnen in Anbetracht der Lage unserer Jugend eine Gesetzesvorlage über Sofortmaßnahmen für die schaffende, lernende und arbeitslose Jugend zur Beratung vorgelegt. Ich halte es für erforderlich, mich mit der Lage der Jugend in West- und Ostdeutschland zu beschäftigen, weil die Lage der Jugend in Westdeutschland eine durchgreifende Hilfe und Besserung dringend erforderlich macht. Nach den letzten Berichten des Bundesarbeits({6})
ministeriums haben wir in Westdeutschland bei den Jugendlichen eine Arbeitslosigkeit von rund 20 % der Gesamtarbeitslosenzahl. Nach der Dezemberausgabe des vergangenen Jahres, in der ein Bestand von rund 926 000 Arbeitslosen angegeben wurde, hatten wir unter den Jugendlichen von 14 bis 25 Jahren - gemessen an der Gesamtzahl der Arbeitslosen - eine Arbeitslosigkeit von rund 17 %. Bei den weiblichen Arbeitslosen im Alter von 14 bis 25 Jahren hatten wir, gemessen an der Gesamtzahl, eine Arbeitslosigkeit von 28 %. Inzwischen ist aber die Arbeitslosigkeit weiter gestiegen, und auch die Zahlen der arbeitslosen Jugendlichen haben zugenommen.
Die Kohlenknappheit, die Verknappung in unserer Wirtschaft bei wichtigen Rohstoffen bringt in diesen Tagen weitere Betriebsschließungen und Entlassungen mit sich. Von dieser Tatsache wird auch in starkem Maße die arbeitende Jugend betroffen. Es fehlt nicht nur an Lehrstellen, sondern aus der amtlichen Statistik ergibt sich sogar, daß auch sehr geringe Möglichkeiten für verstärkte Einstellungen von jungen Hilfsarbeitern gegeben sind. Ich möchte weiter auf die ungeheure Beteiligung der Jugend an der Arbeitslosigkeit in West-Berlin hinweisen. Rund 25 % aller Arbeitslosen West-Berlins sind junge Menschen unter 25 Jahren. Über 300 000 junge Menschen besitzen keinerlei Möglichkeit, eine Lehre durchzumachen. In einer Reihe von Städten Westfalens z. B. kamen auf eine Lehrstelle im vergangenen Jahr 7 Bewerber. - Ein anderes Beispiel: Im Arbeitsamtsbezirk Braunschweig waren Ostern 1948 noch insgesamt 3663 Lehrstellen gemeldet; Ostern 1949 konnten noch 2109 Lehrlinge untergebracht werden, aber 1950 gab es nur noch 700 Lehrstellen für 5700 Schulentlassene. Die Schulentlassungen werden aber in den nächsten Jahren nicht abnehmen, sondern sie werden zunehmen. 1949 wurden 559 303 junge Menschen aus der Schule entlassen, 1951 werden es bereits 632 531 sein, und 1955 werden 684 992 aus der Schule entlassen. Steigende Schulentlassungen bei absinkender Bereitstellung von Lehrstellen, das ist die Lage, wie wir sie hier in Westdeutschland vorfinden. 1950 standen z. B. in Niedersachsen nach amtlichen Berichten 33 000 Lehrstellen für 110 700 Jugendliche zur Verfügung.
Aber es fehlt nicht nur an Lehrstellen, sondern die Lehrlinge, die tätig sind, genießen keine genügende Facharbeiterausbildung. Wir hätten allen Grund, uns um eine bessere Ausbildung unserer jungen Facharbeiter zu kümmern. Massenweise sind gute Facharbeiter im Hitlerkrieg umgekommen, sie stehen der deutschen Wirtschaft jetzt nicht zur Verfügung. Führen wir uns an einigen Beispielen vor Augen, wie mangelhaft die Lehrausbildung heute ist. Mir liegen einige Ziffern aus dem Handelskammerbezirk der Stadt Solingen vor. Wir haben dort z. B. über die gewerblichen und kaufmännischen Lehrlinge, die sich einer Lehrabschlußprüfung unterzogen, festgestellt, daß der Leistungsrückgang bei einer geringen Beteiligung von Prüflingen 6% betrug. Von 338 gewerblichen und kaufmännischen Lehrlingen, die an den Lehrabschlußprüfungen teilnahmen, hatten nur 280 die Prüfung mit „gut" bestanden. Im Stadtkreis Solingen haben die gewerblichen Lehrlinge nur zu 69 % und in dem mir sehr bekannten RheinWupper-Kreis nur zu 82 % die Prüfung erfolgreich abgelegt. Das kommt auch auf das Konto des Fehlens an anständigen, gut organisierten Berufsschulen. Es wird z. B. aus Schleswig-Holstein gemeldet, daß von 107 000 Berufsschulpflichtigen im vergangenen Jahre 40 000 aus Mangel an Räumen nicht eingeschult werden konnten.
Besonders schlecht ist die Lage für die weiblichen Lehrlinge. In Essen z. B. standen 1950 für 4500 weibliche Lehrlinge nur 590 offene Lehrstellen zur Verfügung; und in Ahlen gab es für 1520 Bewerberinnen nur 120 Lehrstellen, d. h. auf 13 Bewerberinnen entfiel eine Lehrstelle.
Diese Lage wird auch durch die Tatsache gekennzeichnet, daß Zehntausende von Jugendlichen, zum Teil Kinder von Flüchtlingen, heute obdachlos umherirren, daß Zehntausende polizeilich nicht angemeldet sind und dem Vagabundenleben verfallen.
Der Gesundheitszustand unserer Jugend ist nach Berichten der berufenen Ärzte wirklich erschreckend. Die „Hannoversche Allgemeine Zeitung" z. B. schrieb vor einigen Monaten, daß in einem Regierungsbezirk Niedersachsens 30 000 Kinder kein eigenes Bett besitzen. 16 000 Mütter waren in diesem Regierungsbezirk gezwungen, tagsüber berufstätig zu sein, während die Kinder nur in geringer Zahl in Kinderhorten aufgenommen werden konnten. Nach amtlichen Erhebungen gibt es z. B. in Bayern 45 000 Schulkinder, die an Lungen-Tbc erkrankt sind, und weitere 6000 Kinder leiden an anderen tuberkulösen Erkrankungen. Die Wiesbadener Jugendzeitschrift „Für Alle" berichtet z. B., daß das Stadtjugendamt München eine Befragung durchgeführt hat, bei der 75 000 Kinder erfaßt wurden. 32 000 erklärten, daß sie kein eigenes Bett besäßen, bei 25 000 fehlte es an Bettwäsche und an Zudecken und 38 000 dieser Kinder lebten in mangelhaften und sehr schlechten Wohnverhältnissen.
Eine weitere wichtige Frage, die mit der Sorge um unsere Jugend in Verbindung steht, betrifft das Grassieren der Geschlechtskrankheiten. Wir wissen, daß nach jedem Krieg als Auswirkungen der kriegerischen Ereignisse zusätzliche Erkrankungen eintreten, aber der jetzige Stand der Geschlechtserkrankungen liegt weit über jener Quote nach dem ersten Weltkrieg. Herr Dr. Gerfeld, ein berufener Mediziner im Sozialministerium von Nordrhein-Westfalen, mußte auf einer Konferenz, in der er zur Gesundheitslage der Bevölkerung Stellung nahm, erklären, daß die heutige gesundheitspolitische und sozialkulturelle Ausnahme situation in Westdeutschland viel gefährlicher sei als die nach dem ersten Weltkrieg. In Niedersachsen z. B. haben die Geschlechtskrankheiten in den letzten drei Jahren um 200 000 Fälle zugenommen. Es gibt Städte, wo man ärztlicherseits festgestellt hat, daß die Zunahme 200 und 300 % beträgt. Ich brauche nicht auf jene Tatsache hinzuweisen, daß vor allen Dingen in den mit alliierten Truppen stark belegten Städten die Geschlechtskrankheiten ganz besonders zugenommen haben.
Die ganze Lage der Jugend hat es mit sich gebracht, daß die Jugendkriminalität nicht zurückgeht, sondern im Gegenteil sogar noch zunimmt. In den letzten Monaten haben sich in den Fällen der Schrottdiebstähle, in dem Falle des Diebstahls von Buntmetallen ganze Kolonnen schulpflichtiger Kinder beteiligt. Zahlreiche Jugendliche, die auf Grund dieser Lage von den Jugendämtern als „verwahrlost" angesprochen werden, werden in Zwangsfürsorgeanstalten überwiesen. In verschiedenen Ländern konnte aber ein großer Teil in Anstalten nicht aufgenommen werden, weil es an Betten und Unterkunft fehlte. Uns allen ist bekannt, daß Zehntausende von Jugendlichen durch
({7})
diese Situation in die Arme der Werber der französischen Fremdenlegion getrieben wurden. Selbst bürgerliche Zeitungen müssen zugeben, daß in dem schmutzigen Krieg für die französischen Monopolkapitalisten 40 000 junge Deutsche in Vietnam ihr Leben gelassen haben.
Aber nicht nur die arbeitende, sondern auch die akademische Jugend lebt in einer schlechten Situation. Wir als Bundestagsabgeordnete erleben doch sehr oft, daß wir in den Zugen von Studenten angesprochen, zum Kauf von Postkarten oder Rasierklingen zur Unterstützung der Studentenheime und der notleidenden Studenten aufgefordert werden. Wir wissen, daß es nach Beendigung des Krieges, nachdem die Universitäten ihre Horten wieder geöffnet hatten, einen starken Andrang zu den Universitäten gab. Dafür ein Beispiel, das der Universität Göttingen. Im Jahre 1945/46 waren in Göttingen 4513 Hörer, 1948 waren es bereits 5020. Wir hatten an dieser Universität gegenüber 1937/38 einen Anstieg um rund 270 %. Erlangen erfuhr sogar einen Hörerzustrom um 400 % gegenüber dem Jahre 1937/38. Viele sind sich daruber im klaren, daß es für sie nach Ablegung ihres Examens nur sehr geringe Berufsaussichten gibt. Wir sehen das ganz besonders bei der medizinstudierenden Jugend. Verschiedene Landtage haben sich schon mit dieser Lage beschäftigt. Ich habe hier einen Bericht aus Württemberg, der besagt, daß 60 % der Assistenzärzte in Heidelberg überhaupt keine Bezahlung erhalten. Verschiedene Länder haben die Stipendien und die Zuwendungen für die notleidenden Studenten rigoros gekürzt, so daß die monatlichen Zuwendungen z. B. in Bayern nur noch 25 Mark betragen.
Wie ist nun die Lage der Jugend in der Deutschen Demokratischen Republik? Vor kurzer Zeit wurde in der Deutschen Demokratischen Republik durch die Volkskammer ein Gesetz zur Förderung der Jugend angenommen. Dieses Gesetz
({8}) bedeutet wirklich eine wesentliche Verbesserung und Gleichstellung der Jugend auf allen Gebieten. Wir erleben dort, daß die Jugend auf allen Gebieten das volle Mitbestimmungsrecht hat. In zahlreichen Verwaltungspositionen, als Bürgermeister und Landräte sehen wir heute junge Menschen aus dem Arbeiterstand, aus den Bauernschichten, die treu und brav arbeiten und im Interesse des deutschen Volkes ihre Pflicht erfüllen. Während in Westdeutschland bis zur Verkündung des sogenannten Jugendplans herzlich wenig getan wurde, wurde in der Deutschen Demokratischen Republik ganz systematisch an der Verbesserung der Lage der Jugend gearbeitet. Allein von der Zentralregierung wurden im vergangenen Jahr 154,1 Millionen Mark für die verschiedensten Zwecke zur Förderung der Jugend bewilligt. Wir sehen zahlreiche Jugendheime und Jugendhäuser im Bau. Wir erleben, daß für die Kinder zahlreiche Kinderhorte gebaut werden, um so den Kindern die Möglichkeit zu geben, sich in einer guten Gemeinschaft zu erholen und zu bilden. Wir sehen einen Aufschwung in der Sportbewegung, ein wirklich aktives Eingreifen der jungen Sportler bei der Wiederherstellung ihrer Sporthallen und Sportplätze. Und erst recht nach dem großen Treffen der deutschen Jugend zu Pfingsten in Berlin sehen wir eine ungeheure Aktivität der Jugend. In den volkseigenen Betrieben, auf den staatlichen Gütern, kurz überall setzt sich die Jugend aktiv für den demokratischen Neuaufbau ein. Auf den Universitäten hat man wirklich jetzt - erstmalig in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung - für den erforderlichen prozentualen Anteil der arbeitenden Jugend aus der Arbeiterklasse und aus der Bauernschaft Platz gemacht.
Das ist der Unterschied gegenüber der Lage, wie wir sie hier in Westdeutschland haben.
({9})
Es ist bezeichnend und beschämend zugleich, daß man z. B. die Aufführung des Farbfilms über das Deutschlandtreffen vor der deutschen Jugend in Westdeutschland verboten hat. Aber die Herren Minister in Nordrhein-Westfalen und auch der Landtagspräsident Gockeln haben sich diesen Film im kleinen Kreise angesehen, und sie waren sehr stark beeindruckt.
Wir haben von dem Jugendplan der Regierung Kenntnis genommen. Wir sagen: dieser Plan ist absolut unzulänglich.
({10}) Er führt die Gefahr der Remilitarisierung und der Einführung des Arbeitsdienstes herauf.
Wir haben deshalb unseren Gesetzentwurf vorgelegt. Dieser Gesetzentwurf ist mit maßgeblichen Jugendorganisationen und mit Gewerkschaftsfunktionären besprochen worden. Wir sind der Meinung, daß er einer ernsten Beratung bedarf.
({11})
Wir wollen im ersten Abschnitt dieses Entwurfs die Herstellung des vollen Mitbestimmungsrechts der Jugend. Wir wollen, daß die Jugendlichen mit 18 Jahren das Wahlrecht erhalten und mit 21 Jahren
({12})
wählbar sind. Wir schlagen weiter eine Verbesserung der Schulbildung und der Berufsausbildung vor, indem man den Eltern, deren Bruttogehalt und Einkommen nur 300 Mark im Monat beträgt,
({13})
eine monatliche Ausbildungsbeihilfe von 30 Mark bewilligt.
Ich möchte bitten, zum Schluß zu kommen.
Paul ({0}) ({1}), Antragsteller: Ja, ich komme zum Schluß.
Wir haben ferner vorgeschlagen, wie man Lehrstellen für Jugendliche in den Großbetrieben schaffen soll. Wir schlagen weiter vor, wie man den Nachwuchs bei den kleinen Handwerkern durch Steuererlassungen für Handwerker usw. fördern kann.
({2})
Betrachten Sie unseren Gesetzentwurf als aufrichtig und echt. Er liegt im Interesse der westdeutschen Jugend.
({3})
Ich komme zum Schluß. Die Jugend wünscht, daß nicht nur ihre Lage materiell verbessert wird, sondern die Jugend hat sich in den letzten Wochen in starkem Maße auch für die Erhaltung des Friedens, gegen die Umtriebe der Remilitarisierung und der Einführung einer Wehrpflicht und eines Arbeitsdienstes ausgesprochen.
({4})
Ich bitte, zum Schluß zu kommen.
Paul ({0}) ({1}), Antragsteller: Hier ein Wort an Bundeskanzler Dr. Adenauer. Wir erwarten von ihm, daß er im Interesse unseres Volkes und unserer Jugend den Vorschlag des Ministerpräsidenten Grotewohl annimmt,
({2})
der für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands ist, damit nicht nur dem deutschen Volk im allgemeinen, sondern auch unserer Jugend im besonderen der Frieden erhalten bleibt.
Wir möchten Sie bitten, daß unser Gesetzentwurf in den zuständigen Ausschüssen ausführlich behandelt wird und daß er im Interesse der Jugend und unseres Volkes eine baldige Verabschiedung durch den Bundestag erfährt. Das deutsche Volk und seine Jugend wird Ihnen für die Annahme dieses Gesetzentwurfs und für die Behebung der materiellen Not und der politischen Zerrissenheit unserer Heimat, für die Sicherung des Friedens durch aktiven Einsatz zum Neuaufbau unseres Vaterlandes danken.
({3})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Ilk als Berichterstatterin.
Frau Dr. Ilk ({0}), Berichterstatterin: Herr
Präsident! Meine Herren und Damen! Die Fraktion des Zentrums hat in der Drucksache Nr. 572 einen Antrag betreffend Vorlegung eines Gesetzentwurfs zum Schutz der heimat- und berufslosen Jugend eingereicht und darin gebeten, daß der Bundestag beschließen wolle, die Bundesregierung zu ersuchen, dem Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zum Schutze der heimat- und berufslosen Jugend vorzulegen. Dieses Gesetz soll das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz vom 2. Juli 1922 insofern ergänzen, als es die Sorge für die heimat- und berufslose Jugend den Pflichtaufgaben der öffentlichen Jugendhilfe hinzufügt. Für die 21- bis 25jährigen Jugendlichen sind Sonderbestimmungen vorzusehen.
In diesem Hohen Hause ist schon oft und eindringlichst über die Notwendigkeit gesprochen worden, die Not der heimat- und berufslosen Jugend zu lindern, und die Regierung ist ersucht worden, entsprechende Gesetzesvorlagen zum Schutze dieser Jugend auszuarbeiten und vorzulegen bzw. entsprechende Bestimmungen zu erlassen. Unter diese erforderlichen Gesetze fällt auch das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz, das in seiner Fassung von 1922 nicht mehr den Erfordernissen der Gegenwart entspricht. Ein solches Bundesjugendwohlfahrtsgesetz ist in Vorbereitung. Dem Ausschuß für Jugendfürsorge, dem dieser Gesetzentwurf vorgelegt worden ist, erschien es nicht zweckmäßig, jetzt eine Sonderregelung im Sinne des Zentrums-Antrages vorzunehmen, sondern wir möchten das Hohe Haus bitten, diesen Gesetzentwurf der Regierung als Material für die Bearbeitung des neuen Bundesjugendwohlfahrtsgesetzes zu überweisen, also nicht eine Sonderregelung zu erlassen, sondern die Anregung an die zuständigen Regierungsstellen weiterzugeben.
Ich bitte das Hohe Haus, in diesem Sinne gemäß Drucksache Nr. 1681 zu beschließen.
({1})
Ich danke der Frau Berichterstatterin und eröffne die Aussprache. - Das Wort hat Herr Abgeordneter Strauß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Montag, dem 18. Dezember 1950, ist vom Herrn Bundeskanzler der Bundesjugendplan verkündet worden. Das Bundesinnenministerium ist zur Zeit mit den letzten Vorarbeiten für die Neufassung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes im Sinne eines Bundesjugendwohlfahrtsgesetzes, wie Frau Kollegin Dr. Ilk eben ausführte, beschäftigt. Außerdem steht die Neufassung eines Jugendarbeitsschutzgesetzes und ferner ein Berufsausbildungsgesetz für unsere Jugend durch das Arbeitsministerium bevor. Mit Rücksicht auf diese Gesetze, die bereits vorliegen, zum Teil im letzten Vorbereitungsstadium stehen, halten wir eine Beratung oder Annahme dieses Gesetzentwurfs für nicht vertretbar. Was an diesem Gesetz nicht Propaganda, sondern echt ist - und es ist ziemlich wenig! -,
({0})
das ist in den vorher genannten, entweder bereits erlassenen oder bevorstehenden Gesetzeswerken ohnehin verwirklicht. Im übrigen ist dieser Antrag Drucksache Nr. 1535 eine sehr schlechte Fleißarbeit, ein sehr schlechter Abklatsch des ostzonalen Gesetzes, weil er in keiner Weise den Verhältnissen und Notwendigkeiten, die bei uns gegeben sind, Rechnung trägt.
Wenn aber von einem Wunsch der deutschen Jugend die Rede ist, Herr Kollege von der KPD, so kann ich sagen, daß die deutsche Jugend nur den einen Wunsch hat, nämlich den, daß Sie und Ihre Freunde von der KPD dahin gehen, wohin Sie gehören, nämlich dorthin, wo der Pfeffer wächst!
({1})
Im Namen der Fraktionen der CDU/CSU, der Freien Demokraten, der Deutschen Partei und des Zentrums lehne ich eine Überweisung dieser Drucksache an den Ausschuß ab; wir lehnen das ganze Gesetz ab.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schanzenbach.
Meine Damen und Herren! Wir haben in diesem Hause ebenso wie im Jugendfürsorgeausschuß des öfteren ausführlich über die Jugendnot unserer Zeit gesprochen. Ich kann es mir deshalb ersparen, grundsätzliche Ausführungen darüber zu machen; ich möchte unmittelbar zu dem vorliegenden Gesetzentwurf der KPD etwas sagen.
Mir scheint, daß der Antrag eine recht oberflächliche Zusammenstellung von Forderungen für Sofortmaßnahmen für die schaffende, lernende und arbeitslose Jugend ist, die man unter keinen Umständen in einem Bundesgesetz erledigen kann. Es ist geradezu erstaunlich. daß in einem Antrag der Kommunistischen Partei das Recht der Jugend auf Arbeit nur deklamatorisch im § 8 angesprochen wird. Daß die Forderung und das Recht der Jugend auf Berufsausbildung und Arbeit nicht das Kernstück dieses Gesetzes sind, ist weit schlimmer als der Mangel, daß alle anderen mit einbezogenen Materien im Hinblick auf unser Grundgesetz nicht von der Bundesebene aus gelöst werden können.
Wer in diesem Haus ein Gesetz einbringt, von dem von vornherein feststeht, daß die Zuständigkeit nicht gegeben ist, der beweist damit ganz eindeutig, daß es ihm nicht im wesentlichen um Dinge geht, die die Jugendnot lindern oder abstellen sollen.
({0})
({1})
Es erweckt den Eindruck, als ob die KPD nur einen Propagandaantrag stellt; denn ganz abgesehen davon, daß. kein ausreichen der Deckungsvorschlag vorliegt, sind die einzelnen Paragraphen in ihrem materiellen Wert so unzulänglich, daß sie nicht einmal eine gute Diskussionsgrundlage bieten.
({2})
Einige Punkte dieser Gesetzesvorlage sind im Bundestag schon wesentlich gründlicher angesprochen worden, z. B. in dem Antrag der SPD auf Vollbeschäftigung, in dem Antrag der SPD auf Gewährung von Kinderbeihilfe und in dem Antrag auf Sofortmaßnahmen für die arbeits-, berufs- und heimatlose Jugend. Dieser letztgenannte Antrag wurde im Jugendfürsorgeausschuß eingehend beraten, und der Ausschußantrag ist in der Sitzung des Bundestages vom 4. 5. 1950 angenommen worden. Ebenso ist in der Sitzung am 21. Juli 1950 erneut mit aller Klarheit zur Frage der Jugendnot in diesem Hause Stellung genommen worden.
Der vorliegende Gesetzentwurf der kommunistischen Fraktion wäre vielleicht vor einem Jahre, als die Arbeit des Bundestages begonnen hatte, eine gute Anregung gewesen. Aber heute sind wir durch die Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und Jugendfürsorge, mit dem Deutschen Städtetag und anderen an der Jugendfrage interessierten Stellen nicht darauf angewiesen, auf eine so oberflächliche Gesetzesvorlage zurückgreifen zu müssen.
Obwohl im Bundestag die Frage der Jugendnot mehrmals angesprochen wurde, ist in der Zwischenzeit leider fast nichts geschehen.
({3})
Die Schuld daran trifft die Regierung und die Kreise, die die Wirtschaftspolitik dieser Regierung unterstützen.
({4})
Wir haben im Bundesjugendplan das erste Mal von einer positiven Maßnahme gehört, die die Regierung zur Behebung dieser Jugendnot ergreifen will.
Wenn ich mir nun die einzelnen Abschnitte des Gesetzentwurfs der KPD ansehe, dann muß ich zum ersten Abschnitt sagen: wenn der Jugend wesentliche Voraussetzungen zu einer gesunden Entwicklung fehlen, dann kann es unmöglich ihr größtes Verlangen sein, mit 18 Jahren schon als wahlberechtigt zu gelten.
({5})
In vielen Aussprachen haben Jugendliche mir versichert, daß sie daran gar nicht interessiert sind. Warum die Jugend mit einer Verantwortung belasten, die sie nicht tragen kann und zu einem ganz großen Teil auch noch nicht tragen will?
({6})
Zur politischen Meinungsbildung gehört eine Lebenserfahrung, die der heute Achtzehnjährige einfach noch nicht haben kann.
({7})
Im zweiten Teil wird von einer Verbesserung der Schulleistungen gesprochen. Nach dem Grundgesetz steht den Ländern die Gesetzgebung über das Schulwesen zu; sie wachen mit besonderer Sorgfalt über diese Hoheit. Es wäre allerdings sehr viel zu diesem Thema zu sagen. Nicht in allen Ländern der Bundesrepublik wird die Erziehung der Kinder und Jugendlichen als eine der wichtigsten sozialen Aufgaben betrachtet, für die die besten geistigen und materiellen Mittel des Volkes nutzbar gemacht werden sollten, und meist wird nicht anerkannt, daß die öffentlichen Ausgaben zur Sicherung des freien Schulbesuchs, für Lehr- und Lernmittel wohlbegründete und beste Kapitalanlagen für das Volk sind.
({8})
Es ist eine alte Forderung der Sozialdemokratischen Partei, die schon im Erfurter Programm von 1891 festgelegt ist, daß die SPD die Unentgeltlichkeit des Unterrichts, die Unentgeltlichkeit der Lehr- und Lernmittel in der Schule und die freie Verpflegung in den Schulen fordert. Und immer, wenn in den vergangenen Jahrzehnten die Sozialdemokratische Partei in einem Lande die Regierungsmehrheit besaß, sind diese Forderungen verwirklicht worden.
({9})
Leider haben die Regierungen der bürgerlichen Seite für diese wichtige staatspolitische Aufgabe nicht das erforderliche Verständnis, und sie haben immer dann bei ihrem Regierungsantritt nichts Eiligeres zu tun gehabt, als den jungen Menschen den gleichen Start zu einer geistigen Entwicklung zu nehmen.
({10})
Im dritten Abschnitt wird von der Verbesserung der Berufsausbildung gesprochen. Mit einer schwungvollen Deklamation ist der Jugend keineswegs geholfen. Was wir brauchen, ist ein gut durchgearbeitetes Berufsausbildungsgesetz. Und den weiblichen Jugendlichen ist keineswegs gedient, wenn nur von der Gleichberechtigung in einem Gesetz gesprochen wird. Wir haben ja die Gleichberechtigung bereits im Grundgesetz verankert, und wir wissen, wie diese Gleichberechtigung gerade im Erwerbsleben in der Praxis aussieht.
({11})
Wichtiger als eine Proklamation ist die Hilfe bei der Findung von neuen Frauenberufen, zu denen junge Mädchen Zugang finden können.
Der Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Fraktion, in dem die Forderung nach Kinderbeihilfen gestellt ist, scheint mir eine weit bessere Grundlage für die Ausbildung und Erziehung von Kindern aus Familien mit geringem Einkommen zu sein als die in § 10 dieses Gesetzes.
Reichlich unverständlich sind die Forderungen auf Lehrlingseinstellung nach den im Antrag aufgeführten Prozentsätzen. Ganz abgesehen davon, daß gewisse Betriebsarten gar nicht in der Lage sind, eine solche Zahl von Lehrlingen einzustellen, müssen wir von jeder Lehrstelle die Gewißheit haben, daß die Voraussetzungen für eine gute und ordentliche Lehre gegeben sind. An einer Lehrlingszüchterei haben wir keinerlei Interesse.
In diesem Zusammenhang muß ich wieder die Grundforderung der Sozialdemokratischen Partei nach einer Vollbeschäftigung herausstellen, denn nur dadurch kann die Not der berufs- und arbeitslosen Jugend wirklich behoben werden.
Es erübrigt sich, viel über den vierten Abschnitt der Gesetzesvorlage zu sagen. Die hier aufgestellten Forderungen sind zum Teil weit gründlicher in den gültigen Jugendarbeitsschutzgesetzen der Länder behandelt. Wir hoffen aber, daß in der nächsten Zeit ein vorbildliches Jugendarbeitsschutzgesetz dem Bundestag vorgelegt wird, in dem dem Jugendarbeitsschutz umfassend Rechnung getragen wird. Denn es liegt uns wirklich an einem echten Schutz der Jugend, und wir würden alles ablehnen, was z. B. einem Ausbeutersystem oder einem Antreibersystem gleichsehen würde, mag es Henneckesystem oder sonstwie heißen.
({12})
Genau so wie das Schulwesen sind auch die kulturellen Belange Sache der Länder, der Städte und der Gemeinden, und ein großer Teil unserer Jugendpflegearbeit wird in den Selbstverwaltungen geleistet. Die Städte und die Gemeinden waren seit Jahrzehnten der Jugendarbeit gegenüber immer ganz besonders aufgeschlossen. Dies kam auch bei der Tagung des Deutschen Städtetages in diesem Sommer wieder deutlich zum Ausdruck, als das Thema „Unsere Städte und ihre Jugend'' im Mittelpunkt aller Erörterungen stand.
Was wir aber vom Bunde aus tun müssen, um den Städten, Gemeinden und Kreisen die Möglichkeit zu einer noch intensiveren Jugendpflegearbeit zu geben, ist neben der Gewährung von Mitteln die Neugestaltung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes. Wir müssen unter anderem in diesem Gesetz den § 4 in eine echte Aufgabe umwandeln.
({13})
Damit wären dann die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen, um alle die im fünften Abschnitt dieser Gesetzesvorlage angeführten Maßnahmen durchzuführen.
Es berührt einen eigentlich eigenartig, wenn die kommunistische Fraktion in einer Gesetzesvorlage die Errichtung von Studentenheimen fordert. Warum eigentlich Studentenheime? ist es nicht viel zweckmäßiger, wenn die Studenten, so wie es heute tatsächlich praktiziert wird, in den Lehrlingswohnheimen mitaufgenommen werden, damit sich die jungen Menschen aller Berufe und aller Stände kennen und verstehen lernen?
({14})
Wir hätten es gar nicht nötig, uns mit dieser Gesetzesvorlage der kommunistischen Fraktion auseinanderzusetzen, wenn die Regierung den vom Bundestag erhaltenen klaren Auftrag schneller erfüllt hätte.
({15})
Man kann eine Sache, die einer dringenden Lösung bedarf, nicht nach einer althergebrachten ministeriellen Arbeitsweise erledigen. Das Ministerium muß ein sicheres Gefühl für die Belange der Jugend bekommen. Es muß wissen, wo die echten Nöte der Jugend liegen, und es sollte die größte und schönste Aufgabe der Regierung sein, für die Jugend sorgen zu dürfen. Es ist durchaus anerkennenswert, wenn der Herr Finanzminister sich für den Jugendpaß einsetzt. Aber seine tiefere Verpflichtung wäre es, sich Gedanken darüber zu machen, wie die Mittel zu beschaffen sind, mit denen der Jugend Heimat, Arbeit und Lebensfreude gesichert werden können. Wir freuen uns, daß die Regierung in dem Bundesjugendplan einen Ansatz zu einer Hilfe gemacht hat.
({16})
Mit Propagandaanträgen ist unserer Jugend gar nicht geholfen. Wir wollen eine sachliche, verantwortungsbewußte Arbeit für unsere Jugend in diesem Bundestag leisten. Wir Sozialdemokraten stellen immer wieder heraus, daß der Jugend in erster Linie dadurch geholfen werden kann, daß man für Arbeit, für einen Beruf und für Wohnraum für sie sorgt. Wir werden uns mit dem bisherigen Arbeitstempo der Regierung in Jugendfragen nicht mehr begnügen. Wir verlangen, daß dem Jugendfürsorgeausschuß in kurzen Zeitabständen ein Bericht der beteiligten Ministerien über den Fortgang und den Erfolg der Bemühungen vorgelegt wird, damit wir nachkontrollieren können, ob die Regierung den Auftrag, den sie vom Bundestag erhalten hat, auch erfüllt.
Den Antrag der kommunistischen Fraktion bitten wir dem Jugendfürsorgeausschuß zu überweisen.
({17})
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Meine Damen und Herren! Ich möchte nur ganz kurz zu der Vorlage Stellung nehmen. Der von der KPD eingebrachte Gesetzentwurf ist eine rein propagandistische Zusammenstellung von Programmsätzen und Einzelvorschlägen verschiedenster Art, die unter völliger Mißachtung der in der Bundesverfassung festgelegten Aufgaben des Bundes und der Länder und ohne jede Berücksichtigung der finanziellen Lage der Bundesrepublik aneinandergereiht sind.
({0})
Ich vermisse auch in den Ausführungen der Frau Vorrednerin die genügende Unterscheidung zwischen den Aufgaben des Bundes, der Bundesregierung, und denen der Länder. Diese Wohlfahrtsaufgaben gehören im wesentlichen in die Zuständigkeit der Länder. Der Bund hat sein Interesse dadurch bewiesen, daß er vor wenigen Wochen hier in diesem Saal das Bundesjugendwerk feierlich verkündet hat
({1})
und daß 53 Millionen Mark bereitgestellt worden sind für die koordinierende, antreibende und vorwärtsführende Arbeit, mit der die Bundesregierung die Bemühungen der Länderregierungen zu unterstützen gedenkt. Im übrigen zeigt sie durch die nahezu vor der Vollendung stehende Neufassung des ehemaligen Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes, daß sie durchaus gewillt ist, diese Dinge in fortschrittlichem Sinne zu bearbeiten.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Die Ausführungen des Herrn Ministers veranlassen mich zu einigen ganz kurzen Sätzen. Wenn wir uns in diesem Hause darüber unterhalten, daß irgendeine Vorlage, wie das öfter hier geschieht, etwas einseitig das Gesicht der Propaganda trage, dann müssen wir das auch nach beiden Seiten hin tun. Ich gehöre dem Haushaltsausschuß an. Wir haben am gleichen Tage, als in diesen Räumen der Bundesjugendplan verkündet wurde, auch zu diesem Thema einige Worte sagen müssen, und ich fühle mich verpflichtet, diese Dinge hier auch einmal deutlich und sehr offen auszusprechen. Es hat keinen Sinn, irgendeinen Plan zu verkünden und der Öffentlichkeit vorzulegen, ehe nicht die Grundlagen für diesen Plan, und das ist doch die Bereitstellung der dafür erforderlichen Mittel, auch nur mit einer einzigen parlamentarischen Körperschaft, die ein entscheidendes Wort zu reden hat, nämlich mit dem Haushaltsausschuß und vielleicht sogar mit dem Plenum dieses Hauses, besprochen sind. Wir begrüßen die Grundlagen des Bundesjugendplanes durchaus als ersten Schritt auf einem sehr vernünftigen Wege. Aber es wäre gut getan, auch hier, ehe man allzusehr auf die propagandistische Pauke haut einmal mit den verantwortlichen Gremien des Bundestages, nicht nur im Ausschuß für Fragen der Ju({0})
gendfürsorge, sondern gerade auch mit denen, die die finanziellen Konsequenzen zu übersehen haben, darüber einige Worte zu sprechen. Das haben wir sehr schmerzlich vermißt. Deshalb kommen die Ausführungen des Herrn Bundesministers des Innern leider auch in bedenkliche Nähe der Vorlagen, von denen man sagen muß, daß sie etwas mehr von der Propaganda und etwas weniger von der Wirklichkeit ausgehen.
Und ein letztes Wort! Ich habe sehr aufmerksam zugehört, und ich habe auch mit Befriedigung festgestellt, wie aufmerksam der Herr Innenminister den Ausführungen von Frau Schanzenbach gelauscht hat. Aber dann hätte er auch feststellen müssen, daß sie an mehreren Stellen sehr eindeutig darauf hingewiesen hat, wo die Grenzen der Befugnisse der Länder aufhören und die des Bundes anfangen. Den Vorwurf, daß sie das nicht zu scheiden gewußt habe, weise ich zurück und glaube, hier in ihrem Namen zu sprechen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Paul.
Meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß Redner der verschiedensten Parteien so oberflächlich und manchmal mit einer ihrer Gesinnung entsprechenden Haltung über diese Vorlage hinweggegangen sind.
({0})
- Herr Kollege Strauß, Sie, der Sie sich „christlich" und „sozial" nennen,
({1})
Sie sollten nicht mit Propagandamethoden wie z. B. dem Verweis auf den Osten usw. über die Not der westdeutschen Jugend hinwegzutäuschen versuchen.
({2})
Sie waren es, der nach dem Deutschlandtreffen der Jugend ganz besonders darauf hingewiesen hat, daß drüben in der Deutschen Demokratischen Republik viel mehr für die Jugend getan wird
({3}) als hier in. Westdeutschland. Das kann sogar das Protokoll ausweisen.
({4})
Es ist insbesondere bedauerlich, daß die Vertreterin der Sozialdemokratischen Partei glaubte, unsern Gesetzentwurf als Propagandavorschlag abtun zu müssen. Es dürfte doch der Frau Schanzenbach als alter Sozialdemokratin nicht unbekannt sein, daß wir in der Sozialistischen Arbeiterjugend nach dem ersten Weltkrieg und auch schon vor dem ersten Weltkrieg das Wahlrecht der Jugend auf de' Grundlage von 18 Jahren diskutiert haben.
({5})
Ich kann mich jener Diskussion während der Weimarer Zeit in der Arbeiterjugend sehr gut entsinnen. Wir können auch nicht verstehen, daß Frau Schanzenbach glaubt, der Forderung auf Unterstützung der minderbemittelten Jugendlichen zum Besuch der höheren Schulen und Fachschulen nicht entsprechen zu können. Wenn Sie
als Sozialdemokratin glauben, das mit dem Hinweis auf Propaganda abtun zu können, dann- verleugnen Sie die Grundsätze der alten Sozialdemokratie.
({6})
Es gehörte zum guten Ton der alten Sozialdemokraten, dafür einzutreten, daß auch Arbeiter- und Bauernkinder in genügendem Maße die Hochschulen besuchen können. Frau Schanzenbach hat selbst gesagt, daß die Regierung praktisch nichts getan hat. In letzter Stunde glaubte man erst, durch die Verkündung des sogenannten Jugendplanes dem sogenannten Sog aus dem Osten, Herr Strauß, entgegenwirken zu müssen.
({7})
Ich sage ganz deutlich: Mit Remilitarisierung und mit Empfehlungen
({8})
des Arbeitsdienstes kann man nicht einfach die Lage der Jugend lösen. Wir sind jedenfalls der Meinung, daß man in der breiten Öffentlichkeit mit aller Entschiedenheit für die Behebung der Jugendnot eintreten und kämpfen muß.
Wir müssen uns auch im Interesse der Jugend gegen jene Absichten mancher Politiker wehren, die jetzt auf dem Petersberg Geheimverhandlungen über die Beteiligung Westdeutschlands an den amerikanischen Kriegsvorbereitungen führen.
({9})
Wir wenden uns im Interesse des Friedens, der Vernunft und der Arbeit für unsere Jugend gegen diese Versuche, unsere Jugend mit dem Vorrecht, vor den Amerikanern zu sterben, nun in den Atlantikpakt eingliedern zu wollen. Wir werden nichts unterlassen, um mit der deutschen Jugend gegen die weitere Verelendung und gegen die kriegerischen Umtriebe zu kämpfen. Wir werden mit der deutschen Jugend weitermarschieren auf dem Wege des Friedens.
({10})
- Lachen Sie ruhig! Der Tag wird kommen, wo das deutsche Volk über alle diejenigen, die es in ein neues Unglück stürzen wollen, zur Tagesordnung übergehen wird. Das Volk wind die Einheit unseres Vaterlandes gegen alle Kriegstreiber durchsetzen. Dann wird der Weg frei, um auch in Westdeutschland der Jugend eine bessere und sichere Zukunft zu garantieren.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Strauß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Übergehen zur Tagesordnung wollen wir heute gleich den Anfang machen, indem wir über den Gesetzesantrag der KPD zur Tagesordnung übergehen.
({0})
Zweitens können Sie, Herr Kollege Paul, mit der
deutschen Jugend, d. h. mit den 0,5 Promille der
({1})
FDJ, ruhig weitermarschieren, bis alles in Scherben fällt, wie es schon einmal geschehen ist.
({2})
Drittens habe ich den Ausführungen des Kollegen Erler noch einiges sachlich entgegenzuhalten. Der Deutsche Bundesjugendplan der Regierung ist in Ausführung eines Auftrages des Bundestages entstanden. Ein Bundesjugendplan, der kein Geld kostet, taugt nichts. Es ist ganz klar, daß der Bundesjugendplan 'Geld kosten muß. Wenn man der Regierung einen Vorwurf machen kann, dann höchstens den, daß sie nicht noch mehr dafür eingesetzt hat. Es liegt jetzt beim Haushaltsausschuß, die Summe, die die Regierung vorgesehen hat, als zu gering anzusehen und dementsprechend zu erhöhen. Wir haben bestimmt nichts dagegen einzuwenden.
({3})
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung. Es ist der Antrag gestellt, über den Antrag auf Drucksache Nr. 1535 zur Tagesordnung überzugehen. Nach § 76 der Geschäftsordnung hat dieser Antrag den Vorrang vor allen anderen Anträgen. Wer für den Übergang zur Tagesordnung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Es ist gegen einige wenige Stimmen angenommen.
Nunmehr Punkt 4 b der Tagesordnung. Antrag des Ausschusses: den Antrag der Zentrumsfraktion Nr. 572 der Drucksachen der Bundesregierung als Material zu überweisen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Nunmehr rufe ich auf Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung ({0}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, nach der Begründung durch den Vertreter der Regierung keine Aussprache stattfinden zu lassen, sondern unmittelbar Überweisung an den zuständigen Ausschuß vorzunehmen. Ist das Haus einverstanden? - Es ist so beschlossen.
Das Wort hat der Herr Staatssekretär Sauerborn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor dem Zusammenbruch war die Versorgung der Kriegsopfer ausschließlich Angelegenheit des Reiches. Zur Durchführung des Reichsversorgungsgesetzes bestanden Hauptversorgungsämter und Versorgungsämter. Die bezirkliche Eine teileng entsprach den damaligen politischen Grenzen. Aus dem ersten Weltkrieg war damals noch über eine Million Versorgungsberechtigter zu betreuen. Hinzu kamen die Opfer des neuen Krieges. Die besondere Kriegsopferorganisation hatte sich durchaus bewährt. Sie war die den Bedürfnissen der Kriegsopferversorgung zweckentsprechende Verwaltungsform.
Nach dem Zusammenbruch wurden in der amerikanischen und britischen Zo e in Zusammenhang mit der Beseitigung der besonderen Kriegsopferversorgung auch die selbständigen Versorgungsbehörden aufgelöst. Die Kriegsopfer wurden im wesentlichen auf die gleichen Versorgungsgrundsätze verwiesen wie die Versicherten. Die Leistungen an sie sollten im wesentlichen nicht die Leistungen der Sozialversicherung übersteigen. Die Durchführung der Kriegsopferversorgung wurde durch Anordnung der Militärregierung den Trägern der Rentenversicherung übertragen.
Die Sozialversicherungsträger haben diese neue Aufgabe zusätzlich übernommen, obwohl sie durch ihre eigenen Aufgaben der Betreuung der Sozialversicherten mehr als genug beansprucht waren. Man kann den Versicherungsträgern die Anerkennung nicht versagen, daß sie alles getan haben, was im Bereich des Möglichen lag, um die ihnen neu übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Die Kriegsopfer selbst haben diese Regelung immer nur als eine Notlösung angesehen. Sie haben naturgemäß nicht immer die Betreuung erfahren können, auf die sie als Kriegsopfer Anspruch erheben zu können glaubten. Es war nicht immer möglich, insbesondere den versorgungsärztlichen und orthopädischen Bedürfnissen Genüge zu leisten. Das Arbeiten wurde den Versicherungsträgern zusätzlich durch Raum- und Platzmangel erschwert.
Inzwischen ist die Zahl der Kriegsopfer auf über vier Millionen angestiegen. Nach dem Stichtag vom 31. Dezember 1950 liefen bereits über vier Millionen bewilligte Renten. Über eine halbe Million Anträge liegen noch vor, und monatlich kommen neue Anträge hinzu. Etwas günstiger liegen die Verhältnisse in den Ländern der französischen Zone, wo die Versorgungsbehörden der ehemaligen Reichsversorgung nicht beseitigt worden waren, sondern auch nach dem Zusammenbruch ihre Arbeit fortsetzen konnten.
Alle Verbände der Kriegsopfer haben bei der Bundesregierung Vorstellungen erhoben, um wieder eine eigene Versorgungsverwaltung zu erhalten. Auch die Länder sind im gleichen Sinne vorstellig geworden. Bayern hat inzwischen durch ein Gesetz vom April 1950 bereits wieder selbständige Versorgungsbehörden unter Lostrennung von der Rentenversicherung geschaffen. Ähnliche Wünsche sind der 'Bundesregierung auch von anderen Ländern mitgeteilt worden. Die Bundesregierung hat bei aller Würdigung der anerkennenswerten Arbeit der Träger der Rentenversicherung die Berechtigung dieser Wünsche anerkannt.
Nach der Verabschiedung des Bundesversorgungsgesetzes sind haushaltsmäßig über drei Milliarden DM jährlich für die Versorgung der Kriegsopfer aufzuwenden. Dieser Betrag steht an zweiter Stelle der Bundesaufgaben. Er kann nur vertreten werden, wenn bei der Durchführung der Kriegsopferversorgung die Gewähr gegeben ist, daß allen Anforderungen nach sachgemäßer und sozialer Durchführung Rechnung getragen wird. Dies ist aber nur möglich, wenn der Versorgung der Kriegsopfer ein Verwaltungsapparat zur Verfügung steht, der mit den 'besten Fachkräften ausgestattet ist, und wenn ausreichender Raum zur Verfügung gestellt wird.
Der Umfang der Arbeit für die Betreuung der Kriegsopfer ist zur Zeit und noch für die nächsten Jahrzehnte so groß, daß sie nicht nebenher in einer anderen Verwaltung durchgeführt werden kann. Die Bundesregierung hat deshalb den gesetzgebenden Körperschaften den Gesetzentwurf über die Errichtung von Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung vorgelegt. Dieser Entwurf sieht wieder eine Versorgungsverwaltung vor, die von bewährten Grundsätzen des alten Reichsversorgungsgesetzes ausgeht, allerdings in dem durch das
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Grundgesetz vorgeschriebenen Rahmen, das ja die Errichtung dieser Behörden als Bundesbehörden ausschließt und die Durchführung dieser bundeseigenen Aufgaben nur durch die Länder ermöglicht. Dementsprechend sieht das Gesetz die Errichtung von Versorgungs- und Landesversorgungsämtern im Einvernehmen mit dem Bundesarbeitsminister vor. Hinzu treten weiter nach Maßgabe des Bedürfnisses und der Zweckmäßigkeit orthopädische Versorgungsstellen, versorgungsärtzliche Untersuchungsstellen, Beschaffungsstellen für Heil- und Hilfsmittel, Versorgungskuranstalten und Heilstätten, Versorgungskrankenhäuser und Krankenbuchlager. Der gesamte Verwaltungsapparat untersteht in jedem Lande der zuständigen obersten Landesbehörde. Die notwendigen Verwaltungsvorschriften für ihre Organisation werden von der Bundesregierung mit Zustimmug des Bundesrats erlassen.
Dieser Gesetzentwurf bewegt sich nach Auffassung des Bundeskabinetts durchaus im föderativen Rahmen und trägt den Bedürfnissen der Länder weitgehend Rechnung. Der Bund selbst aber kann bei der großen Verantwortung, die er trägt, und bei den erheblichen Beträgen, die aus seinem Haushalt zur Verfügung zu stellen sind, nicht darauf verzichten, daß ihm eine gewisse Mitwirkung und Mitbestimmung bei der Organisation eingeräumt wird. Dieser Verteilung der Veranwortlichkeit hat der Bundesrat allerdings nicht entsprechen zu sollen geglaubt. Er hat in seiner Sitzung vom 1. Dezember 1950 beschlossen, das Mitwirkungsrecht der Bundesregierung bei der Errichtung der Versorgungsdienststellen, insbesondere bei der Festsetzung der Zahl der Versorgungsbehörden, zu beseitigen. Der Bundesregierung würde nach diesem Beschluß keine ausreichende und verantwortliche Mitwirkung eingeräumt werden. Der Bundesrat begründet seine Auffassung mit den Vorschriften des Grundgesetzes. Die Bundesregierung hält demgegenüber an ihren Vorschlägen fest und bittet den Bundestag, ihrem Vorschlag beizutreten.
Nach Art. 84 des Grundgesetzes bedarf dieses Gesetz der Zustimmung des Bundesrates. Ich habe die Zuversicht, daß sich der Bundesrat in seiner zweiten Beratung den von der Bundesregierung vorgebrachten Erwägungen nicht verschließen wird. Für die rasche Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes, das inzwischen verkündet worden ist und für dessen Verwirklichung seitens des Bundesarbeitsministeriums alle Vorbereitungen in den Ländern getroffen worden sind, bedarf es einer einheitlichen Organisation. Die Frage ist außerordentlich vordringlich, und ich bitte den Bundestag, dieses Gesetz beschleunigt zu behandeln.
Außer diesem Gesetz sind im Bundesarbeitsministerium vorbereitet die Verwaltungsvorschriften, die in diesen Tagen dem Kabinett und dann dem Bundesrat vorgelegt werden, und ferner die Verfahrensordnung und die für die Versorgungsgerichtsbarkeit erforderlichen Gesetze.
({1})
Das Haus hat auf Aussprache verzichtet. Es wird Überweisung an den zuständigen Ausschuß, an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen beantragt. Ist das Haus damit einverstanden? - Es ist so beschlossen.
Dann rufe ich auf Punkt 6 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ({0}) betreffend Aufhebung der Immunität in Amnestiefällen ({1}).
Hier schlägt der Ältestenrat ebenfalls vor, keine Aussprache vorzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt als Berichterstatter.
Dr. Arndt ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwischen dem Herrn Bundesjustizminister und dem Bundestagsausschuß für Geschäftsordnung und Immunität sind Unstimmigkeiten darüber entstanden, wie zu verfahren ist, wenn auf einen Abgeordneten das Amnestiegesetz Anwendung finden kann, also ob es der Aufhebung der Immunität bedarf, um das Amnestiegesetz anwenden zu können, oder aber ob eine voraussichtliche Anwendung des Amnestiegesetzes eine Aufhebung der Immunität nicht entbehrlich machen soll. Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat sich der Rechtsauffassung des Herrn Bundesjustizministers einhellig nicht anschließen können, da sie eine gewisse Verquickung von rechtlichen und praktischen Elementen enthält und er eine Unterscheidung zwischen sogenannten klaren Amnestiefällen und solchen Fällen machen wollte, bei denen es erst der Ermittlung und Aufklärung bedarf, ob das Amnestiegesetz zur Anwendung kommen könne oder nicht. Der Ausschuß 'hat sich umgekehrt einhellig auf den Standpunkt gestellt, daß auch schon jede Untersuchung, ob überhaupt die Möglichkeit einer strafbaren Handlung bestehe und daher die Amnestie als Verfahrenshindernis eingetreten sei oder nicht, ein Zur-Verantwortung-Ziehen im Sinne des Grundgesetzes ist und infolgedessen ohne Genehmigung des Parlaments .nicht stattfinden darf.
Wir haben uns aber bemüht, zu einem praktischen Ergebnis zu kommen, und schlagen Ihnen deshalb vor, den Bundestagsausschuß für Geschäftsordnung und Immunität zu ermächtigen, daß er an Stelle des Plenums durch Beschluß dahingehend entscheiden kann, daß seitens des Bundestages keine Einwendungen gegen die Anwendung der Amnestie dann zu erheben sind, wenn ein Gericht ein gegen einen Bundestagsabgeordneten anhängiges Verfahren auf Grund der Amnestie einstellen will.
Wir glauben, daß diese Art der Regelung allen rechtlichen und allen praktischen Gesichtspunkten vollauf Rechnung trägt, und bitten Sie daher, den Ihnen vorgelegten Antrag anzunehmen.
Das Wort hat der Bundesjustizminister.
Meine Damen und Herren! Die Frage wird praktisch kaum mehr eine Rolle spielen. Daß nämlich jetzt noch Verfahren gegen Abgeordnete mit der Konsequenz anhängig werden, in denen möglicherweise das Bundesamnestiegesetz, das Straffreiheitsgesetz anzuwenden ist, kann ich mir nicht vorstellen. Deswegen will ich auch die von dein Herrn Berichterstatter aufgeworfene Frage gar nicht mehr ventilieren.
Aber ich bin der Meinung, daß der vorliegende Antrag des Ausschusses noch rechtlichen Bedenken unterliegt. Das gilt einmal von der Anregung, daß
({0})
an Stelle des Bundestages der Ausschuß entscheiden soll. Ich halte eine solche Delegation nicht für möglich.
Dann noch ein weiterer Punkt, der rechtlichen Bedenken unterliegt. Es ist die Rede davon, daß in Fällen, in denen eine gerichtliche Strafverfolgung infolge der Amnestie nicht erfolgen darf, die gerichtliche Einstellung des Verfahrens dadurch ermöglicht werden soll, daß der Ausschuß sich einverstanden erklärt. Wenn eine gerichtliche Einstellung in Frage kommt, dann ist aber ein Verfahren schon anhängig; dann hat die Staatsanwaltschaft bereits Anklage erhoben. Der Bundestag muß also dann schon die Strafverfolgung gegen den Abgeordneten genehmigt haben.
Meine Anregung geht, wenn das Haus diesem Antrag wirklich entsprechen will, dahin, ihn auf jeden Fall umzuformulieren. Ich bitte aus diesem Grunde, die Sache noch einmal an den Ausschuß zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Brentano.
Meine Damen und Herren! Meine Ausführungen stehen mit dem, was der Herr Berichterstatter vorgetragen hat, nur in einem mittelbaren Zusammenhang. Obwohl ich die verfassungsrechtlichen Bedenken, die der Herr Bundesjustizminister geäußert hat, auch habe, glaube ich doch, daß hier eine Zweckmäßigkeit dafür spricht, dem Ausschuß im Sinne des Berichts eine Vollmacht zu geben.
Es ist ein anderes, das mich veranlaßt hat, hier zu sprechen. Es ist die grundsätzliche Frage, wie das Parlament in der letzten Zeit zur Frage der Aufhebung oder Verweigerung der Aufhebung der Immunität Stellung genommen hat. Der Ausschuß hat über diese Frage ja einige grundsätzliche Beschlüsse gefaßt, und ich stelle gleich fest - um jeden Einwand vorwegzunehmen -, daß diese Beschlüsse, wie ich wohl weiß, auch mit den Stimmen meiner Freunde gefaßt worden sind. Die maßgeblichen Beschlüsse sind enthalten in dem Protokoll über die 55. Sitzung des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität vom 16. Oktober 1950. Ich erspare es mir, auf diese Beschlüsse im einzelnen einzugehen. Wir sind aber der Meinung - und ich spreche hier auch für meine politischen Freunde -, daß wir uns von dieser Praxis, die das Parlament hier herausbildet und mit guten Gründen zunächst auszubilden versucht hat, wieder entfernen müssen.
Was ist die Immunität? In der ersten Debatte über diese Frage - es war die 14. Sitzung vom 3. November 1949 - ist in sehr grundsätzlichen Ausführungen sowohl von dem damaligen Berichterstatter Herrn Kollegen Dr. von Merkatz wie auch von dem Herrn Kollegen Prof. Dr. Schmid dazu Stellung genommen worden. Beide haben damals zutreffend und mit Recht betont, daß die Immunität des Abgeordneten kein persönliches Vorrecht des Abgeordneten sei, das ihn besser stellen solle und dürfe als einen anderen, sondern daß die Immunität eine echte Prärogative des Parlaments sei, also ein Vorrecht des Parlaments, durch das es instand gesetzt wird, ein Mitglied des Parlaments vor einer Strafverfolgung zu schützen, die in ihren Auswirkungen die politische Tätigkeit des Abgeordneten behindern könnte. Das ist ja auch der geschichtliche Hergang, der zu dem Begriff Immunität geführt hat. Die Immunität ist als eine echte Reaktion des beginnenden Konstitutionalismus gegen die Kräfte des Absolutismus, als eine Reaktion gegen mögliche Übergriffe der damals nicht parlamentarisch kontrollierten Exekutive eingeführt worden. Es waren Einzelfälle, die dazu geführt haben, Einzelfälle, in denen die Exekutive auf Grund ihrer absolutistischen Befugnisse und unter Mißbrauch ihres Rechts den Abgeordneten mundtot zu machen versuchte, indem sie ihn unveranlaßt in ein Strafverfahren verwickelte.
Meine Damen und Herren! Man kann schon die grundsätzliche Frage stellen, ob nicht die Entwicklung zur parlamentarischen Demokratie, bei der auch die Exekutive der parlamentarischen Kontrolle unterliegt, die Voraussetzungen für die Institution als solche beseitigt hat, ob also überhaupt noch ein echtes Bedürfnis nach Immunität besteht;
({0})
denn die Instanzen, gegen die der Abgeordnete geschützt werden soll, sind ja Instanzen des parlamentarischen Staates. Wir sind in unserem Grundgesetz sogar so weit gegangen, daß wir mit gutem Grund - ich habe das begrüßt - auch den Richter in einem gewissen Sinne der parlamentarischen Kontrolle unterstellt haben, indem wir die Institution der Richteranklage eingeführt haben. Wir haben also hier eine sehr weitgehende parlamentarische Kontrolle auch der Exekutive und sogar des Gerichts.
Ich will nicht die Frage stellen, ob jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, etwa Artikel 46 des Grundgesetzes zu ändern. Ich möchte mich vielmehr auf eine Feststellung beschränken. Ich bin der Meinung, daß wir, wenn wir die bisherige Praxis beibehalten, den Sinn der Immunität in einer verhängnisvollen Weise verkehren und aus den Abgeordneten dieses Hohen Hauses eine Art Kaste machen, die Gesetzesprivilegien für sich in Anspruch nimmt, die in Anspruch zu nehmen sie meiner Überzeugung nach nicht berechtigt ist.
({1})
Ich bin der Meinung, daß es in jedem Fall, in dem ein begründeter Tatverdacht gegen einen Abgeordneten vorliegt,
({2}) im Interesse des Abgeordneten selbst und ebenso im Interesse dieses Hohen Hauses liegen sollte, dem Verfahren freien Lauf zu lassen.
({3})
Ich finde es vor allem in den Auswirkungen bedenklich, wenn der Immunitätsausschuß seinerzeit - sicherlich nach einer sehr reiflichen Überlegung; ich habe die Protokolle des Unterausschusses gelesen und ich möchte daran nicht mäkeln - den Beschluß gefaßt hat: Beleidigungen sollen, wenn sie politischen Charakters sind, nicht zur Aufhebung der Immunität führen. Hier entfernen wir uns, glaube ich, wirklich in einer bedenklichen Form von der Auffassung unserer Wähler. Wir haben im Gegensatz zu der Auffassung, wie sie hier zum Ausdruck kommt, die Absicht, den Ehrenschutz noch viel stärker 'auszubauen, als er bisher nach dem Strafgesetz gegeben war. Meine Freunde und ich sind der Meinung, daß der Grundsatz des Ehrenschutzes, den der Abgeordnete in Anspruch nehmen will, von ihm in gleicher Weise beachtet werden muß. Ich glaube, daß wir uns sonst auf eine gefährliche Bahn begeben, daß wir vielleicht auch in einer gefährlichen Weise der Verwilderung politischer Sitten Vorschub leisten, was sicherlich nicht die Absicht dieses Beschlusses war.
({4})
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Meine Freunde und ich bitten den Ausschuß, die bisherigen Beschlüsse noch einmal zu überprüfen. Meine Freunde und ich sind entschlossen, in Zukunft in jedem einzelnen Fall, in dem der Tatbestand einer strafbaren Handlung gegeben ist, die Immunität aufzuheben
({5})
- ich komme darauf zurück - und von der Verweigerung der Aufhebung der Immunität nur dann Gebrauch zu machen, wenn wirklich begründeter Anlaß besteht, daß die Strafverfolgung im Einzelfall den Abgeordneten an der ordnungsgemäßen Ausübung seiner Abgeordnetenfunktion hindern könnte. Lassen Sie mich ein Wort zitieren, das seinerzeit Herr Kollege Schmid in der Sitzung vom 3. November 1949 gebraucht hat. Er hat damals einen Ausspruch des vorsokratischen Philosophen Heraklit zitiert und hat gesagt, die Immunität der Abgeordneten sei der Nomos des Parlaments, und nach dem Worte Heraklits solle das Volk um seinen Nomos kämpfen wie um seine Mauer. Ich halte diese Feststellung für sehr gut. Ich glaube, wir alle sollten um den Nomos, um das Recht und um das Gesetz kämpfen. Das können wir als Abgeordnete nicht besser tun als dadurch, daß wir uns auch selber unter das Gesetz stellen, das für die anderen gilt.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich zunächst einige kurze Bemerkungen
({0})
gegen die Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers mache. Um was handelt es sich denn bei der Drucksache Nr. 1732? Es handelt sich darum, daß der Abgeordnete unter kein schlechteres Recht gestellt werden soll als das, das für jeden anderen Staatsbürger gilt. Um was handelt es sich konkret? Wenn dem Abgeordneten ein Delikt vorgeworfen wird, das bei einem anderen Staatsbürger auf Grund des Straffreiheitsgesetzes ohne weiteres zur Einstellung des Verfahrens führen würde, so kann die Einstellung des Verfahrens, also die Amnestie, bei einem Abgeordneten nicht angeordnet werden, weil dem die Bestimmungen über den Schutz der Immunität entgegenstehen. Wir haben uns in dem Ausschuß mit dieser Frage eingehend beschäftigt, und ich darf Ihnen sagen, wir haben uns die Arbeit nicht leicht gemacht. Wenn wir nicht zu der Auffassung des Herrn Bundesjustizministers gekommen sind, so nicht etwa deshalb nicht, weil wir die Gründe, die den Herrn Bundesjustizminister zu seiner schriftlich geäußerten Auffassung bewogen haben mißachtet hätten. Nein, wir sind - und ich glaube, es sind keine schlechteren Juristen in dem Ausschuß vertreten, als in dem Bundesjustizministerium vorhanden sind ({1})
einstimmig, Herr Minister, zu der Überzeugung
gekommen, daß der in der Drucksache Nr. 1732
vorgeschlagene Weg der richtige, der vernünftige, der praktische Weg ist, der den zweckmäßigen Ausweg ermöglicht. Ich darf aber in diesem Zusammenhang, Herr Minister, auch feststellen, daß die Entscheidung über diesen Punkt, der den Ausschuß in mehreren Sitzungen beschäftigt hat, in der Sitzung, in der die Entscheidung des Ausschusses gefallen ist, ausgerechnet in Abwesenheit eines Vertreters des Bundesjustizministeriums gefällt werden mußte.
({2})
Wenn das Bundesjustizministerium so großen Wert darauf legt, sogar hier das Plenum mit seiner Meinung zu behelligen, wäre es für das Bundesjustizministerium zweckmäßig gewesen, zunächst einmal im Ausschuß bis zum Schluß seinen Standpunkt zu vertreten.
Zu den Bemerkungen des Herrn Kollegen Dr. von Brentano, der den Wunsch geäußert hat, daß von der bisherigen Praxis abgegangen werden soll, darf ich sagen, daß Herr von Brentano, obwohl er offensichtlich gerade das entscheidende Protokoll vom 16. Oktober durchgelesen hat, sich doch die Begründung relativ leicht gemacht hat.
({3})
Wenn Herr von Brentano die ganzen Protokolle, die auch in Unterausschußsitzungen in heißem Bemühn um die Klärung des Problems der Immunität zustande gekommen sind, auf ihren inneren Gehalt würdigen würde
({4}) - sehr freundlich! -, dann würde er doch nach meiner Meinung zwangsläufig zu einer anderen Auffassung kommen müssen, etwa zu der Auffassung, Herr von Brentano, die ein Herr, der Ihnen nicht fernsteht, nämlich der Herr Justizminister Dr. Süsterhenn, in dem „Rheinischen Merkur" vom 25. November 1950 geäußert hat. Ich darf Ihnen vielleicht zwei, drei gravierende Sätze aus diesem Artikel des Herrn Justizministers von RheinlandPfalz in Erinnerung rufen. Da heißt es einmal:
Die Ablehnung der Aufhebung der Immunität sollte grundsätzlich auf die Fälle beschränkt werden, in denen es sich um Delikte handelt, die einen politischen Charakter tragen.
Darf ich gleich daran anschließend einen Hinweis auf Ihre Bemerkung anfügen, daß Beleidigungen politischen Charakters nach Auffassung des Ausschusses nicht zur Aufhebung der Immunität führen sollten, nach Ihrer Auffassung aber in jedem Falle zur Aufhebung der Immunität führen sollten. Wir haben dieses Prinzip, daß Beleidigungen politischen Charakters nicht zur Aufhebung der Immunität führen sollten, hier im Plenum dieses Hauses bei konkreten Fällen besprochen und in der Praxis dabei die Billigung des Hauses gefunden. Wenn Sie sich nun einmal vor Augen halten, wie sehr die Flut der Beleidigungen politischen Charakters angestiegen ist, Herr Kollege von Brentano, dann werden Sie zugeben, daß daraus eine nicht absehbare Flut von Anträgen emporsteigen kann.
({5})
- Auch Kommunisten haben sich des Schutzes des Ausschusses und der gleichen Liebe zu erfreuen wie die anderen Mitglieder des Hauses.
({6})
Wenn Sie diese Dinge in der Praxis genau verfolgen, dann werden Sie finden, daß auf die Dauer
in unseren Zeitläuften eine solche Fülle von Im({7})
munitätsaufhebungen fällig wird - ich brauche nur an den bayrischen Wahlkampf zu erinnern, und ich brauche nur an die Zusammenhänge zu erinnern, die mit dem „Spiegel"-Ausschuß verbunden sind, über die wir demnächst noch zu befinden haben werden.
({8})
- Auch der Herr Justizminister ist eifrig bemüht, uns zu beschäftigen. Er findet eine ganze Reihe von Fällen. Wir werden heute noch Gelegenheit haben, darauf zu sprechen zu kommen. Er sucht und findet, wie Goethe in dem schönen Gedicht sagt: „Er ging im Walde so für sich hin" und siehe da, er fand wieder einen neuen Fall, in dem er die Möglichkeit sah, sich beleidigt zu fühlen.
({9})
Es handelt sich wahrhaftig nicht darum, ein Ausnahmerecht oder, wie Sie meinten, Herr Kollege von Brentano, die Abgeordneten in bezug auf die Immunitätswahrung zu einer Kaste zu machen, die ein anderes Recht habe. Nein, es handelt sich darum, dem zu genügen, was wir seinerzeit auch mit Billigung des Hohen Hauses festgestellt haben. In diesem Protokoll vom 16. Oktober heißt es ausdrücklich:
Die Immuniät ist ein Recht des Parlaments, das zu schützen ist. Ausnahmen können in den Fällen gemacht werden, in denen das Interesse der Rechtspflege an der Strafverfolgung den Vorrang vor der Arbeitsfähigkeit des Parlaments hat.
Darum und um gar nichts anderes handelt es sich bei der Prüfung jeder einzelnen Frage. Daß wir im übrigen im Ausschuß wahrhaftig nicht gesonnen waren und auch das Hohe Haus nicht gesonnen war, aus dieser Immunität des Parlaments, übertragen auf den einzelnen Abgeordneten, ein Privileg zu machen, mag Ihnen die Fortsetzung dieses Beschlusses vom 16. Oktober 1950 beweisen, in dem festgestellt wird, daß zum Beispiel bei Verkehrsdelikten aller Art dies Recht auf Immunität nicht in Anspruch genommen werden kann.
Wir haben dann ausdrücklich festgestellt, daß Beleidigungen, wenn sie politischen Charakter haben, nicht zur Aufhebung der Immunität führen sollen. Wenn wir davon abgehen, meine Damen und Herren, dann werden wir mit Sicherheit eines erreichen: Wir werden die Arbeitsfähigkeit des Parlaments in erheblichem Maße gefährden mid beschränken.
Gestatten Sie bitte, daß ich noch zwei Sätze sage zu dem bemerkenswerten Artikel des Justizministers Süsterhenn, der in anderem Zusammenhang einmal meinte, daß die Immunität auch in einem wesentlichen Zusammenhang mit der Ausübung des Abgeordnetenmandats geschützt werden soll, wenn daraus ein strafbares Delikt entstanden sei. Wir haben derartige Fälle bis jetzt relativ selten gehabt. Ich glaube aber, daß im Hohen Hause Übereinstimmung darüber besteht, daß in solchen Fällen, wenn es sich nicht um andere Tatbestände handelt, die so schwerwiegend und gravierend sind, daß sie zu einer Ausnahme von der Regel führen müßten, die Bestimmungen auch im Sinne der Ausführungen des Herrn Süsterhenn gehandhabt werden sollen.
Schließlich meint Herr Justizminister Süsterhenn, daß die Immunität auch zu wahren sei bei Einleitung von Strafverfolgungen seitens der Exekutive unter Mißbrauch formaler Rechtsbefugnisse aus politischen Gründen und zu politischen Zwecken. Meine Damen und Herren, wenn Sie einzelne Anzeigen, die gegen Abgeordnete gerichtet werden- und ein Teil solcher Fälle wird auch heute noch das Hohe Haus beschäftigen -, auf ihren inneren Gehalt untersuchen, dann finden Sie, daß politische Tendenzen, den oder jenen mißliebigen Abgeordneten dadurch zu erledigen, daß man ihn, wie der Volksmund sagt, madig macht - bei einzelnen Verfolgungen kommen sie von privater Seite oder werden sie über einen Staatsanwalt vorangetragen -, unzweifelhaft vorhanden sind. Ich glaube, wir sollten uns darin einig sein, daß die Abgeordneten nicht Freiwild werden dürfen. Es ist schon schlimm genug, wenn es, da die Öffentlichkeit sonst kaum Kenntnis von irgendwelchen Auseinandersetzungen vor Gericht nimmt, bei einem Abgeordneten jedesmal auf der Tagesordnung des Plenums dieses Hohen Hauses heißt: „Antrag auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten X Y".
Wir werden uns demnächst, wenn ich Ihnen das zum Schluß sagen darf, mit einem ganz markanten Fall beschäftigen müssen, der das illustriert. Ein Mitglied dieses Hohen Hauses, von Beruf Landwirt - Herr Kollege Horlacher, das geht Sie an! ({10})
hat folgende Sünde begangen. Er hat einen Knecht. Es muß irgendeine eilige Arbeit verrichtet werden. Der Knecht kann den Traktor fahren, aber er hat nicht den Traktor-Führerschein oder wie das Ding heißt. Da hat er gesagt: „Mal los! Fahr nun mal!" Er wurde natürlich von der Gendarmerie erwischt. Der Knecht wurde mit 12 Mark Geldstrafe belegt. Die hat das Mitglied dieses Hohen Hauses bezahlt. Jetzt haben wir in Kürze über den Fall zu entscheiden: Antrag auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Dr. X Y Warum? Wegen Anstiftung.
({11})
- Bitte, meine Herren, wegen Anstiftung des Knechtes, daß er ohne Führerschein den Traktor gefahren hat.
Ich glaube, man kann auch etwas bis zur Lächerlichkeit übertreiben, man kann auch etwas ad absurdum führen. Ich bitte Sie, versichert zu sein, daß die Arbeiten sowohl des Ausschusses als auch seines Unterausschusses in der Frage der Ausarbeitung und Herausstellung von Grundsätzen über eine vernünftige Interpretation des Immunitätsrechts des Parlaments und der einzelnen Abgeordneten von jenem Geist der Verantwortung getragen sind, der allein uns vorwärts zu helfen vermag. Ich warne davor, die Dinge in bezug auf die Lockerung der auch bisher vom Hohen Haus gebilligten Praxis allzu leicht zu nehmen.
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Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Abgeordnete Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So wichtig die Frage sein mag, die der Herr Kollege von Brentano hier aufgeworfen hat und auf die der Herr Vorsitzende des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität eingegangen ist, so möchte ich doch das Hohe Haus dringend davor warnen, diese ad-hoc-Debatte fortzusetzen. Ich glaube, die Frage ist zu ernst und hat solche
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Konsequenzen, daß wir uns nicht den Luxus gestatten können, uns jetzt in eine Debatte zu stürzen, deren Ergebnis wir nicht absehen können. Ein zweckmäßiges Ergebnis kann wirklich nur dann erreicht werden, wenn sich alle Fraktionen und vor allem die zuständigen Ausschüsse ohne die Atmosphäre der öffentlichen Auseinandersetzung mit diesen Fragen beschäftigen.
Ich möchte keinen Antrag stellen. Ich glaube, das ist in diesem Zusammenhang gar nicht möglich, weil man keinem Abgeordneten, der jetzt das Wort ergreift, verbieten kann, die Frage aufzunehmen. Ich möchte aber zur Geschäftsordnung dringend bitten, daß wir diese Debatte nicht weiter führen, sondern uns auf die vorliegenden Anträge beschränken.
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Es ist kein Antrag gestellt worden; so bin ich auch nicht in der Lage, eine Abstimmung vorzunehmen.
Herr Dr. von Merkatz, Sie wollten verzichten?
Die Ausführungen meines Herrn Vorredners sind absolut zutreffend. Ich verzichte aufs Wort, weil ich es auch für richtig halte, daß wir diese Debatte nicht fortsetzen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gengler.
Auch ich möchte die Debatte nicht fortführen, sondern mich lediglich auf den vorliegenden Punkt der Tagesordnung beschränken.
Dazu möchte ich auch meine Verwunderung über das aussprechen, was vorhin der Herr Bundesjustizminister zu dem Antrag des Auschusses in der Drucksache Nr. 1732 angeführt hat. Ich darf feststellen: Der Antrag will keine Bevorzugung eines Abgeordneten, sondern er will vielmehr die Gleichstellung des Abgeordneten mit jedem anderen Staatsbürger in dieser Angelegenheit.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich darf Sie bitten, wieder auf die Drucksache Nr. 1732 zurückzukommen. Wir stimmen über den Antrag des Ausschusses ab. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Einstimmig angenommen.
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Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ({1}) betreffend Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Hedler gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 31. Oktober 1950 ({2}).
Zur Berichterstattung hat das Wort der Herr Abgeordnete Gengler.
Gengler ({3}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Angelegenheit der Immunität des Abgeordneten Hedler liegt dem Bundestag ein neues Ersuchen des Oberstaatsanwalts in Kiel vom 25. Oktober 1950 vor, das über den Justizminister von Schleswig-Holstein und den Bundesjustizminister an den Präsidenten des Deutschen Bundestages weitergeleitet wurde. Es handelt sich um die weitere Durchführung des Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Hedler wegen Beleidigung, übler Nachrede und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener.
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Das Hohe Haus hat sich in der Sitzung vom 16. Dezember 1949 mit der Angelegenheit beschäftigt und beschlossen, wegen der aus der Einfelder Rede vom 26. November 1949 bekannt gewordenen Äußerungen des Abgeordneten Hedler dessen Immunität aufzuheben. Das freisprechende Urteil des Landgerichts Kiel vom 15. Februar 1950 war dann Gegenstand einer heftigen Debatte hier im Bundestag. Ich hoffe, daß wir heute diesen Punkt der Tagesordnung ganz leidenschaftslos erledigen, allein schon deswegen, um die politische Bedeutung der in Betracht kommenden Person nicht unnötigerweise zu unterstreichen.
Das Landgericht Kiel hatte mit Urteil vom 15. Februar 1950 nach Abtrennung eines Verfahrensteils den Abgeordneten Hedler in einem Falle wegen erwiesener Unschuld, in vier Punkten mangels Beweises freigesprochen. Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein hat am 12. Juli 1950 für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger Dr. Schumacher, Altmaier, Boller, Bincer, Dr. Goerdeler und Meier wird das angefochtene Urteil mit den tatsächlichen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an das Landgericht Kiel zurückverwiesen.
In der sehr umfangreichen Begründung des Urteils des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 12. Juli 1950 wird u. a. gesagt:
Den Revisionen ist ferner darin zu folgen, daß die Strafkammer ihre Aufklärungspflicht auch insoweit verletzt hat, als sie den Inhalt der Westenseer Rede des Angeklagten nicht näher aufgeklärt hat.
Abgehoben wird damit auf die noch bekannt gewordene Rede des Abgeordneten Hedler in Westensee, die im wesentlichen den gleichen Tatbestand enthält wie die Rede in Einfeld, für die der Bundestag die Aufhebung der Immunität bereits beschlossen hat.
({5})
Im Hinblick auf die gleichen Gedankengänge der beiden Reden und die erforderliche Beweiserhebung kam es zu dem neuen Antrag des Oberstaatsanwaltes in Kiel vom 25. Oktober 1950. In dem Antrag des Oberstaatsanwalts wird im wesentlichen ausgeführt - ich muß das vortragen, um den Tatbestand als solchen dem Hohen Hause bekanntzumachen -:
Nachdem die Immunität des Bundestagsabgeordneten Wolfgang Hedler am 25. Dezember 1949 in der 25. Sitzung des Deutschen Bundestages wegen angeblicher beleidigender Äußerungen des Abgeordneten in seiner Einfelder Rede vom 26. November 1949 über Widerstandskämpfer, Juden und führende politische Persönlichkeiten aufgehoben worden war, hat die Staatsanwaltschaft in Kiel am 4. Januar 1950 gegen Hedler bei der Strafkammer des Landgerichts Kiel in Neumünster Anklage
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wegen Beleidigung, übler Nachrede und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener erhoben. Die Strafkammer hat den Angeklagten am 15. Februar 1950 nach Abtrennung eines Verfahrensteiles, der die Beleidigung des Bundestagsabgeordneten Waldemar von Knoeringen zum Gegenstand hat, in allen übrigen Punkten der Anklage freigesprochen, und zwar in einem Falle wegen erwiesener Unschuld, im übrigen mangels Beweises. Auf die von der Staatsanwaltschaft und den Nebenklägern gegen dieses Urteil eingelegte Revision hat das Oberlandesgericht in Schleswig am 12. Juli 1950 das freisprechende Urteil mit den tatsächlichen Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht in Kiel zurückverwiesen.
Im Verlaufe der Hauptverhandlung vor der Strafkammer hatte sich herausgestellt, daß der Angeklagte am 29. Juli 1949 in Westensee eine weitere politische Rede gehalten hat, die nach der Bekundung eines Zeugen beleidigende Äußerungen des Angeklagten über die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 enthält, die im wesentlichen den angeblichen Äußerungen der Einfelder Rede entsprechen.
In dem mit der Anlage beigefügten Revisionsurteil, auf dessen Inhalt ich im übrigen bitte Bezug nehmen zu dürfen, wird die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils in erster Linie damit begründet, daß die Strafkammer unter Verletzung ihrer Aufklärungspflicht den angeblichen Äußerungen des Angeklagten in der Westenseer Rede nicht genügend Beachtung geschenkt habe. Das Oberlandesgericht hat dabei die Frage offengelassen, ob die angeblichen Äußerungen Hedlers in der Westenseer Rede strafrechtlich eine selbständige Handlung bilden oder mit den angeblichen Erklärungen in der Einfelder Rede - soweit diese etwa den gleichen Inhalt haben - im Fortsetzungszusammenhange stehen.
Was den Inhalt der am 29. Juli 1949 in Westensee gehaltenen Rede Hedlers angeht, so hat der Zeuge Dr. Willi Schmidt aus Neumünster, der der Versammlung beiwohnte, während der Rede wesentliche Teile ihres Inhalts stenographisch aufgezeichnet. In der Übertragung der stenographischen Niederschrift, die schon den Gegenstand der Beweisaufnahme in dem erstinstanzlichen Verfahren gebildet hat, heißt es u. a.
- nun kommt das Zitat über die Ausführungen der Rede Hedlers -:
„Wenn Sie alles miterlebt haben von 1918 bis 1933, so sahen sie ein völliges Versagen der demokratischen Parteien. Eins muß man dabei anerkennen, daß der Nationalsozialismus Unerhörtes für unser Volk getan hat. Es haben Lumpen und Deserteure versagt und nicht deutsche Männer. Lesen Sie Gisevius, lesen Sie Schlabrendorf, was sie vom 20. Juli schreiben. Der Deutsche hat am wenigsten Nationalstolz, alle anderen Völker haben mehr. Die KZ's sollen beweisen, was Nazis waren? - Sind Flausen! Wir haben das Recht, die Menschen, die den Staat unterminieren, sicherzustellen! Kaiser Wilhelm II. war der größte Friedensfürst, den die Welt gesehen hat. Der Krieg ist auch für Hitler zu früh gekommen. Wenn er noch 5 bis 7 Jahre Zeit gehabt hätte,
hätte kein Staat uns angreifen können. Zusammengebrochen ist Deutschland nicht durch die Männer, die an der Front ihre Pflicht getan haben, sondern weil Deutschland von anderen Männern unterminiert wurde. Die Bücher von Gisevius usw. beweisen es."
Der Zeuge Dr. Schmidt hat in der Hauptverhandlung vor der Strafkammer in Neumünster bekundet, daß seine Niederschrift eine im wesentlichen wortgetreue Wiedergabe inhaltlich zusammenhängender Teile der Rede Hedlers sei und daß insbesondere hinsichtlich der Äußerungen Hedlers über die Widerstandskämpfer des 20. Juli ein Irrtum ausgeschlossen sei. Diese Angaben hat der Zeuge bei einer erneuten eingehenden Vernehmung durch den Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft wiederholt. Verschiedene andere Teilnehmer an der Versammlung in Westensee haben als Zeugen im ,Ermittlungsverfahren die Angaben des Zeugen Dr. Schmidt hinsichtlich der die Widerstandskämpfer des 20. Juli betreffenden Äußerungen Hedlers in vollem Umfang bestätigt. Es besteht hiernach der dringende Verdacht, daß Hedler sich auch in seiner Westenseer Rede der Beleidigung und üblen Nachrede zum Nachteil der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 und der Verunglimpfung des Andenkens verstorbener Angehöriger dieser
Widerstandsgruppe schuldig gemacht hat.
Da mit der Möglichkeit gerechnet werden muß, daß die Strafkammer die Äußerungen Hedlers in seiner Westenseer Rede als eine selbständige Handlung ansieht, beabsichtige ich, gegen Hedler vorsorglich Nachtragsanklage wegen dieser beleidigenden Äußerungen zu erheben. Voraussetzung für die Strafverfolgung Hedlers wegen seiner angeblichen Äußerungen in Westensee ist, daß seine Immunität .als Bundestagsabgeordneter auch insoweit aufgehoben wird. Ich beantrage daher die Aufhebung der Immunität Hedlers auch für seine angeblichen Äußerungen in der Westenseer Rede.
Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität war einstimmig der Auffassung, daß dem Ersuchen des Oberstaatsanwalts in Kiel entsprochen
werden solle und stellt daher folgenden Antrag: Der Bundestag wolle beschließen, die durch Beschluß des Bundestages vom 16. Dezember 1949 aufgehobene Immunität des Abgeordneten Hedler auch zur Durchführung des Verfahrens gemäß Ersuchen des Oberstaatsanwalts in Kiel vom 20. Oktober 1950 aufzuheben.
Ich bitte die verehrten Abgeordneten, den Text in der vorliegenden Drucksache Nr. 1733 redaktionell nach dem von mir eben vorgetragenen Wortlaut zu berichtigen.
Ich stelle weiterhin den Antrag, dem Antrage des Ausschusses zuzustimmen.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich lasse abstimmen über den Antrag des Ausschusses in der soeben vom Herrn Berichterstatter vorgetragenen abgeänderten Form. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag ist einstimmig angenommen.
({0})
({1})
- Bei einzelnen Stimmenthaltungen angenommen.
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Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ({3}) betreffend Aufhebung der Immunität der Abgeordneten Frau Thiele gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 2. Dezember 1950 ({4}).
Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Dr. von Merkatz ({5}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich um einen Antrag des Oberstaatsanwalts in Düsseldorf, der mit Schreiben vom 26. Oktober 1950 auf dem Dienstwege über den Bundesjustizminister das Ersuchen auf Aufhebung der Immunität der Abgeordneten Frau Thiele gestellt hat. Ursprünglich ist dieses Verfahren gegen Unbekannt gerichtet. Der Herr Bundesjustizminister hat das Schreiben des Oberstaatsanwalts in Düsseldorf aber als das Nachsuchen um die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen die Bundestagsabgeordnete Thiele behandelt, um nicht nur ihre Vernehmung in einem Strafverfahren gegen Unbekannt, sondern auch, da sie als Täterin oder als Mittäterin in Frage kommt, das Verfahren gegen sie selbst zu ermöglichen.
Der Ausschuß hat daher den Sachverhalt unter Berücksichtigung des vom Bundesjustizminister gestellten Antrags beraten müssen, d. h. unter dem Gesichtspunkt der Herbeiführung einer Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen die Abgeordnete Frau Thiele.
Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde. Der Herr Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Herr Dr. Adenauer, hat durch Schreiben vom 7. Juli 1950, das am 12. Juli bei der Staatsanwaltschaft in Düsseldorf eingegangen ist, Strafantrag gestellt gegen Verfasser, Verbreiter und Drucker der Flugschrift „Was ist mit den Kriegsgefangenen los?" wegen der in ihr enthaltenen Beleidigungen seiner Person sowie wegen der herabwürdigenden unwahren Tatsachenbehauptungen. Als Herausgeber der Flugschrift ist der Landesvorstand der Kommunistischen Partei in Nordrhein-Westfalen und als Hersteller die „Alsterdruck-G.m.b.H." in Hamburg festgestellt worden.
In dieser Druckschrift finden sich außerordentlich diffamierende Äußerungen und Tatsachenbehauptungen, die insgesamt in Tateinheit Delikte der Verleumdung- - § 187 Strafgesetzbuch - darstellen oder, falls der Nachweis, daß die angeführten Tatsachen wider besseres Wissen behauptet worden sind, nicht gelingt, den. Tatbestand der üblen Nachrede - § 186 Strafgesetzbuch - erfüllen.
Ferner sind in dieser Druckschrift Beleidigungen enthalten, die nach § 185 des Strafgesetzbuches strafbar sind. Da der Verletzte im öffentlichen Leben steht und die öffentlich behaupteten und verbreiteten ehrenrührigen Tatsachen geeignet sind, den Verletzten des Vertrauens unwürdig erscheinen zu lassen, dessen er zu seinem öffentlichen Wirken bedarf, greifen auch die verschärften Strafbestimmungen des § 2 und des § 1 der Vierten Notverordnung zum Schutze des inneren Friedens, erster Teil Kap. 3 vom 8. Dezember 1931 Platz. Wie erwähnt, sind diese Verleumdungen oder üblen Nachreden und Beleidigungen in Tateinheit begangen worden, da sie alle in derselben Druckschrift enthalten sind.
Der Herr Bundeskanzler hat von dem Inhalt der Flugschrift erstmalig am 22. Juni 1950 Kenntnis erhalten. Der nach § 194 des Strafgesetzbuches erforderliche Strafantrag ist rechtzeitig gestellt worden. Der Vorschrift des § 61 des Strafgesetzbuches ist damit genügt. Die formellen Voraussetzungen sind also gegeben. Als Mitglied des als Herausgeber auf der Flugschrift angegebenen Landesvorstandes der Kommunistischen Partei in Nordrhein-Westfalen ist unter anderem auch die Bundestagsabgeordnete Frau Grete Thiele ermittelt worden.
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Bei der sehr sorgfältigen Prüfung des Sachverhalts haben sich im Ausschuß zwei fast gleich starke, sich gegenüberstehende Meinungen gebildet. Es handelt sich bei der Frage der Immunität um eine politische Ermessensentscheidung, indem das Privileg des Parlaments auf die ungestörte Arbeit gegenüber den Interessen der Rechtspflege abgewogen werden muß.
Nach den vom Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität entwickelten Grundsätzen war zu prüfen, ob es sich hier um eine Beleidigung, eine verleumderische Beleidigung oder gar eine Verleumdung handelte, die im Ursprung und nach dem Ergebnis politischen Charakters war. Die Meinungen sind in diesem Fall sehr nahe und sehr scharf auf der Grenze gewesen. Auf der einen Seite war die Möglichkeit eines politisch infizierten Verfahrens zu erwägen, andererseits, daß bei Frau Thiele, wenn sie als Täterin in Frage kam, unter Umständen nur eine fiktive Täterschaft vorlag. Diese Gesichtspunkte stützten die Meinung, daß der vorliegende Fall, obwohl an der Grenze stehend, nicht geeignet sei, zu einer Aufhebung der Immunität zu führen. Die Mehrheit des Ausschusses hat demgegenüber andere Momente ins Feld geführt. Insbesondere ist darauf hingewiesen worden, daß immerhin die Möglichkeit einer Verleumdung und nicht nur eine politische Beleidigung vorlag. Mit Rücksicht auf den ersten Absatz des Art. 46 des Grundgesetzes, in dem die verleumderische Beleidigung selbst dann, wenn sie im Plenum des Bundestags erfolgt, entgegen dem traditionellen Recht als strafbar erklärt wird, kam die Mehrheit des Ausschusses zu dem Ergebnis, daß hier die Grenze für die Aufrechterhaltung der Immunität überschritten sei und unter allen Umständen dem Interesse der Rechtspflege Raum gegeben werden müsse.
Auf Grund dieser sorgfältigen Abwägung aller Umstände kam der Ausschuß Zu dem Antrag, dem Plenum des Hauses zu empfehlen, die Immunität der Frau Abgeordneten Thiele gemäß dem durch den Bundesjustizminister weitergeleiteten Antrag des Herrn Oberstaatsanwalts in Düsseldorf aufzuheben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. - Ums Wort hat der Abgeordnete Paul gebeten. Meine Damen und Herren, es ist dies eine Abweichung von der Annahme des Ältestenrats, daß eine Debatte zu diesem Punkt der Tagesordnung in der bei Immunitätsangelegenheiten üblichen Weise nicht stattfinden würde. Ich halte es nicht für zweckmäßig, die Aussprache abzuschneiden. Ich schlage Ihnen daher vor, im Hinblick auf den Stand unserer Beratungen eine Begren({0})
zung der Redezeit vorzunehmen, und bringe eine Gesamtredezeit von 40 Minuten in Vorschlag.
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Die Gesamtredezeit soll 40 Minuten betragen.
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- Da nicht widersprochen wird, nehme ich die Zustimmung des Hauses an.
Das Wort hat der Abgeordnete Paul.
Meine Damen und Herren! Bei diesem Antrag, der mit 10 gegen 9 Stimmen im Immunitätsausschuß angenommen worden ist, handelt es sich um eine offensichtlich politische Straftat, wenn man in diesem Falle überhaupt von einer Straftat reden kann. Die ganze Angelegenheit ist den Abgeordneten ja bekannt. Es handelt sich um jene schmutzige Provokation, die hier mit zwei Hochstaplern gegen den Abgeordneten Reimann anläßlich der damaligen Debatte über die Regierungserklärung gestartet wurde. Es ist nicht erwiesen, daß die Abgeordnete Thiele mit diesem Flugblatt etwas zu tun hat. Wir haben es erstmalig mit einer Kollektivanklage gegen eine ganze politische Körperschaft zu tun.
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Damit ist erkenntlich, daß man die Kommunistische Partei und die kommunistischen Abgeordneten, wenn Sie dem Antrag der Mehrheit des Ausschusses folgen würden, unter Ausnahmemaßnahmen stellen will. Ich möchte Sie deshalb bitten, weil hier wirklich das Kernproblem der Wahrung der Immunität angesprochen wird, dem Mehrheitsbeschluß dieses Ausschusses nicht zu folgen und dem Antrag auf Aufhebung der Immunität der Abgeordneten Thiele zu widersprechen. Wenn sich der Bundeskanzler Adenauer in diesem Falle beleidigt fühlt, dann sollte er sich nicht hinter Richter verschanzen, die im Dritten Reich gegen die Arbeiterbewegung und gegen alle, die gegen Hitler waren, vorgegangen sind, sondern er sollte diese Frage auf der politischen Bühne vor der Öffentlichkeit austragen. Aber weil er sich zu schwach fühlt,
({1}) deswegen verkriecht er sich hinter dem Staatsanwalt.
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Würde die Mehrheit des Bundestags dem Mehrheitsbeschluß des Ausschusses folgen, so würde damit erneut unter Beweis gestellt, wie undemokratisch hier verfahren wird und was die Abgeordneten, die diesem Antrag zustimmen würden, unter Demokratie verstehen.
({3})
Wenn in diesem Falle die Immunität der Abgeordneten Thiele aufgehoben wird, wird damit deutlich sichtbar, daß man nur im Interesse einer ganz bestimmten volksfeindlichen Politik gegen die Wortführer der Arbeiterbewegung und der nationalen Interessen unseres Volkes vorgehen will, um diese Wortführer mundtot zu machen. Ich möchte die verantwortungsbewußten Abgeordneten bitten, dem Mehrheitsantrag des Ausschusses nicht stattzugeben und die Immunität der Abgeordneten Thiele zu erhalten.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag des
Ausschusses auf Drucksache Nr. 1734 zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. ({0})
- Ich bitte noch einmal diejenigen, die dem Antrag zustimmen, die Hand zu erheben. ({1})
Meine Damen und Herren! Ich bin nicht in der Lage, zu entscheiden, was die Mehrheit ist.
({2})
Ich glaube, wir müssen die Auszählung durch Hammelsprung vornehmen.
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- Ich will die Abstimmung noch einmal wiederholen. Ich bitte diejenigen, die dagegen sind, die Hand zu erheben. ({4})
- Was die Mehrheit ist, hat der Vorstand der Sitzung zu entscheiden. Meine Damen und Herren, auch die Herren Schriftführer sind der Ansicht, daß das Abstimmungsergebnis zweifelhaft ist. Wir müssen die- Auszählung durch Hammelsprung vornehmen. Diejenigen, die für den Ausschußantrag sind, bitte ich, durch die Ja-Tür, diejenigen, die ihn ablehnen, bitte ich, durch die Nein-Tür den Saal zu betreten. Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, ihre Plätze an den Türen einzunehmen, und die übrigen Damen und Herren, den Saal zu verlassen.
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Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen, darf ich Sie bitten, das Amt eines Schriftführers zu übernehmen? - Sind jetzt genügend Schriftführer an den Türen?
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- Darf ich die beiden Herren Abgeordneten, die noch im Saal sind, bitten, das Amt eines Schriftführers zu übernehmen? Herr Abgeordneter Luchtenberg, bitte an der Tür drüben, und Herr Abgeordneter Wellhausen an dieser Tür.
Ich bitte, die Türen zu schließen. - Ich bitte, die Türen wieder zu öffnen. Die Abstimmung beginnt.
({7})
Ich bitte, die Abstimmung zu beschleunigen.
Ich bitte, die Türen zu schließen. - Die Abstimmung ist beendet. Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer um Mitteilung des Zahlergebnisses.
Meine Damen und Herren, die Abstimmung war beendet. Ich kann es nicht mehr anerkennen, daß nachträglich die Tür geöffnet wird. Ich habe ausdrücklich gesagt: Die Türen sind zu schließen. Ich bitte, dies zu berücksichtigen.
({8})
Ich bitte, Platz zu nehmen. Meine Damen und Herren! das Ergebnis der Abstimmung ist folgendes: 105 Ja, 129 Nein und 22 Enthaltungen. Der Antrag des Ausschusses ist abgelehnt.
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Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immuni,({10})
tät ({11}) betreffend Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Wönner gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 18. Juni 1950 ({12}).
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Dr. Mende. - Ich bitte, doch die Unterhaltungen einzuschränken, meine Damen und Herren, damit die Verhandlungen in geordneter Weise fortgesetzt werden können.
Dr. Mende ({13}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das bayerische Staatsministerium der Justiz hat mit Schreiben vom 16. Januar 1950 über den Herrn Bundesjustizminister den Bundestag um Aufhebung der Immunität des Herrn Abgeordneten Max Wönner ersucht. Nach Klärung verschiedener Streitfragen über den Verfahrensmodus bei Vorlage von Immunitätsaufhebungsanträgen, die eine Zurückstellung zahlreicher Anträge erforderlich machten, hat die Sache am 18. Dezember 1950 dem Geschäftsordnungsausschuß vorgelegen.
Dem Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde. Nach einem Bericht des Generalstaatsanwalts bei dem Oberlandesgericht München vom 7. Januar 1950 soll der Bundestagsabgeordnete Max Wönner als Inhaber einer Schreibmaterialienhandlung im Jahre 1947, jedenfalls vor der Währungsreform, mit der Lieferung von Schreibmaschinen an den Bayerischen Gewerkschaftsbund betraut worden sein. Der Bayerische Gewerkschaftsbund soll Bezugsscheine für die Schreibmaschinen vom Landeswirtschaftsamt erhalten und an Wönner zum Bezug der Schreibmaschinen weitergegeben haben. Nach der Währungsreform soll Wönner die Schreibmaschinen - die Anzahl ist nicht bekannt - geliefert und dafür den DM-Preis erhalten haben. Bei der Lieferung soll er erklärt haben, daß er jetzt seine schon seit 1939 aufbewahrten Maschinen geliefert habe, da er auf die Bezugscheine keine Maschinen erhalten habe.
Der Generalstaatsanwalt schreibt, daß das in der Anzeige behauptete Verhalten des Bundestagsabgeordneten Max Wönner den Tatbestand eines Vergehens der Untreue gemäß § 266 StGB, möglicherweise auch den Tatbestand eines Vergehens des Betrugs gemäß § 263 StGB erfüllen würde.
Die Anzeige erfolgte von einem früheren Mitarbeiter namens Krause, der vom Herrn Bundestagsabgeordneten Max Wönner eingestellt und später wegen Unfähigkeit entlassen wurde. Der Anzeigende hat dann Anschluß bei der Kommunistischen Partei gesucht, und es hat den Anschein, daß die Anzeige auf persönlichen Rachemotiven und auf politischen, Motiven beruht. Der Ausschuß glaubte daher, Ihnen die Nichtaufhebung der Immunität des Abgeordneten Max Wönner vorschlagen zu müssen.
Der Vollständigkeit halber darf ich aus den vorliegenden Akten noch erwähnen, daß der Abgeordnete Wönner von sich aus versucht hat, den Fall zu klären, und selbst Anzeige gegen den anzeigenden Krause wegen Verleumdung erstattet hat.
Es liegt den Akten eine eidesstattliche Versicherung des Herrn Guttenberger bei, die folgenden Wortlaut hat:
In der Zeit vom 1. Mai 1947 bis Ende 1949 war ich Vorstandssekretär im damaligen Ortsausschuß München des Bayerischen Gewerkschaftsbundes, dessen 1. Vorsitzender Herr Max Wönner damals war und heute noch ist.
Es heißt dann weiter:
Sämtliche Bezugscheine erhielt ich persönlich zur weiteren Bearbeitung direkt von den Verteilungsstellen. Herr Wönner hatte mit diesen Bezugscheinen persönlich nie etwas zu tun Nach meiner sicheren Kenntnis und absolut eindeutigen Erinnerung hat Herr Wönner nicht einen einzigen in der vorstehend geschilderten Form zugeteilten Bezugschein überhaupt in die Hand bekommen, noch viel weniger hätte er die Möglichkeit gehabt, einen solchen Bezugschein zu verwerten, ganz abgesehen davon, daß es nie seine Absicht war, es zu tun.
So weit die eidesstattliche Erklärung.
Weiter liegt eine Mitteilung der Firma Royal, Schreibmaschinen G. m. b. H., Nürnberg, Karolinenstraße 51, bei den Akten. Aus dieser Mitteilung geht einwandfrei hervor, daß die drei mit einer Nummer bezeichneten Schreibmaschinen im Juli 1939 durch die Fabrik verkauft wurden. Die Erklärung hat folgenden Wortlaut:
In Beantwortung Ihres obigen Schreibens teilen wir Ihnen höflich mit, daß die 3 Orga-Schreibmaschinen Nr. 220 851, 220 886, 220 843 von uns im Juli 1939 verkauft wurden. Bezugsrechte für Schreibmaschinen gab es erst ab 1946.
Royal-Schreibmaschinen G. m. b. H.
Unterschrift.
Es ist nicht Sache des Immunitätsausschusses, in eine materielle Würdigung des Sachverhalts einzutreten, sondern lediglich, abzuwägen, was bei dem Dualismus Rechtspflege auf der einen Seite, Funktionsfähigkeit des Parlaments auf der andern Seite den Vorzug verdient, und danach den Fall zu entscheiden.
Der eben berichtete Fall beweist die Richtigkeit des bisher im Geschäftsordnungsausschuß angewandten Grundsatzes, daß bei politisch tendenziöser Verfolgung eines Abgeordneten die Immunität grundsätzlich aufrechterhalten werden soll. Dementsprechend auch der Vorschlag des Ausschusses, den Antrag auf Aufhebung der Immunität abzulehnen.
Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ausschußantrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegen. probe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 10 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ({0}) betreffend Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Marx gemäß Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 4. Dezember 1950 ({1}).
Zur Berichterstattung hat das Wort der Herr Abgeordnete Muckermann.
Muckermann ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Oberstaatsanwalt von München hat unter dem 23. November 1950 an den Präsidenten des Deutschen Bundestages in Bonn folgendes Schreiben gerichtet:
Der Bundestagsabgeordnete Franz Marx hat in dem von ihm als Herausgeber gezeichneten Extrablatt, das zur Wahl des bayerischen Landtages in München erschienen ist, sowie i einer Wahlversammlung den Bundesjustiz({3})
minister und Bundestagsabgeordneten Dr. Dehler als Agenten der deutschen. Industrie und als Lakai derselben bezeichnet.
({4})
Dr. Dehler hat gegen Franz Marx Strafantrag bei der Staatsanwaltschaft München gestellt. Ich gebe. hiervon Kenntnis mit der Bitte, Beschluß über die Genehmigung der Strafverfolgung des Abgeordneten Franz Marx herbeizuführen.
Der Ausschuß hat sich eingehend mit diesem Fall beschäftigt und ist einstimmig zu dem Beschluß gekommen, dem Hohen Hause die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Marx nicht zu empfehlen, und zwar mit folgender Begründung. Es handelt sich in diesem Falle um eine Beleidigung, die man in der Atmosphäre des bayerischen Wahlkampfes sehen muß. Der Ausschuß hat sich dieser Auffassung einstimmig angeschlosssen. Ich empfehle deshalb dem Hohen Hause, der Meinung des Ausschusses beizutreten.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ausschußantrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Gegen eine Minderheit abgelehnt.
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- Der Antrag ist angenommen, die Aufhebung abgelehnt.
Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ({1}) betreffend Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Brünen gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 27. Oktober 1950 ({2}).
Das Wort hat zur Berichterstattung Herr Abgeordneter Muckermann.
Muckermann ({3}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat in seiner Sitzung vom 15. Dezember 1950 einstimmig beschlosssen, dem Bundestag zu empfehlen, die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Brünen abzulehnen. Es liegt folgender Tatbestand zugrunde.
Am 28. Februar 1950 und am 13. März 1950 liefen von sich betroffen fühlender Seite zwei Anzeigen beim Obergericht der Kontrollkommission in Düsseldorf gegen den damaligen Landtagsabgeordneten, heutigen Bundestagsabgeordneten Brünen wegen Verletzung der §§ 43 und 240 StGB ein. Der Justizminister von Nordrhein-Westfalen hat im Schreiben vom 10. Oktober 1950 um eine Entscheidung über die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Brünen ersucht. Der Bundesjustizminister hat mit Schreiben vom 27. Oktober 1950 dieses Schreiben an den Deutschen Bundestag weitergeleitet. Der Justizminister von Nordrhein-Westfalen schreibt, daß gegen den Abgeordneten Brünen der Verdacht einer versuchten Nötigung und der Verdacht der Anstiftung gemäß § 353 b und § 353 c erhoben wird. Der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf hat ausgeführt, daß die Entscheidung darüber, ob das Verfahren auf 'Grund des § 3
Abs. 1 des Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit einzustellen ist, erst nach Aufklärung des Sachverhalts getroffen werden könne.
Aus dem dem Ausschuß vorliegenden Material geht einwandfrei hervor, daß das Grundmotiv bei dem Vorgehen des Abgeordneten Brünen rein politischer Natur ist und keineswegs der Beweis einer objektiven Nötigung erbracht worden ist. Nach sorgfältiger Prüfung hat der Ausschuß festgestellt, daß in diesem Fall nach den Richtlinien zu verfahren sei, d. h. daß dieser politisch infizierte Fall nicht geeignet ist, dem Bundestag die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten zu empfehlen. Ich bitte deshalb das Hohe Haus, in diesem Sinne zu verfahren und sich der einstimmigen Auffassung des Ausschusses anzuschließen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über Drucksache Nr. 1737. Wer dem Ausschußantrag zustimmt, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Gegen eine Minderheit und bei einer kleinen Zahl von Enthaltungen angenommen.
Ich rufe nun auf Punkt 12 der Tagesordnung:
Beratung des Interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die
Ausschüsse ({0}).
Zum Wort hat sich Herr Abgeordneter Margulies
gemeldet. Bitte, Herr Abgeordneter!
Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich Sie eine Minute aufhalte. Der Antrag auf Drucksache Nr. 1664 soll nach dem interfraktionellen Antrag an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten überwiesen werden. Soweit ich den Tatbestand kenne, der dem Antrag der Fraktion der DP zugrunde liegt, handelt es sich hier um eine reine Frage des Einfuhrverfahrens. Zuständig wäre daher der Ausschuß für Außenhandelsfragen. Ich stelle den Antrag, diesen Antrag auf Drucksache Nr. 1664 zur Bearbeitung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen zu überweisen.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse zunächst abstimmen über den Abänderungsantrag des Herrn Abgeordneten Margulies, bei Drucksache Nr. 1664 die Überweisung nicht an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vorzunehmen, sondern an den Ausschuß für Außenhandelsfragen. Ich bitte diejenigen, die dem Abänderungsantrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Gegen wenige Stimmen angenommen.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Antrag auf Drucksache Nr. 1741 in der abgeänderten Form zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Demnach ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich darf darauf aufmerksam machen, daß der Vorstand des Bundestages unmittelbar nach der Sitzung zu einer Beratung zusammentritt.
Die nächste Sitzung findet statt am Donnerstag, dem 11. Januar 1951, 13 Uhr 30.
Die heutige Sitzung des Bundestages ist ,geschlossen.