Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 106. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Ich bitte den Herrn Schriftführer, die amtlichen Mitteilungen bekanntzugeben.
Der Präsident hat Urlaub erteilt für 3 Tage den Abgeordneten Knothe, Kemper, Frau Schroeder ({0}), Loibel, Neumann, Löbe, Vesper; für 7 Tage den Abgeordneten Dr. Köhler, Gockeln.
Entschuldigt sind die Abgeordneten Wönner, Keuning, v. Knoeringen, Dr. Pferdmenges, Dr. Menzel, Dr. Seebohm, Wittenburg, Frau Thiele und Rische.
Meine Damen und Herren! Ich habe weiter bekanntzugeben, daß der Herr Abgeordnete Schmidt ({0}) einen Unfall, eine Gehirnerschütterung, auf der Heimfahrt von Bonn bei Glatteis erlitten hat. Ich darf dem Herrn Abgeordneten unsere besten Wünsche zu seiner Wiederherstellung zum Ausdruck bringen.
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Weiter habe ich bekanntzugeben, daß die Herren Abgeordneten Dr. Dorls und Dr. Richter als Gäste der WAV-Fraktion beigetreten sind.
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Meine Damen und Herren, ferner habe ich folgendes zu erledigen. Der Herr Abgeordnete von Thadden hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß in der 105. Sitzung am Donnerstag, dem 7. Dezember 1950, ausweislich des stenographischen Protokolls der Herr Abgeordnete Mellies ihm zugerufen hat: „Sie sind ein Flegel!"
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Ich habe in dem Stimmengewirr des Hauses diese Bemerkung überhört;
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ich bitte deswegen um Entschuldigung. Der Herr Abgeordnete von Thadden hat mir geschrieben, daß er sie auch überhört habe. Ich entnehme allerdings dem Protokoll, daß er sie mit „Danke sehr!" quittiert hat.
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Meine Damen und Herren! Es steht jedem Abgeordneten frei, über andere Mitglieder des Hauses die Meinung zu haben, die er für richtig hält. Zum Ausdruck zu bringen ist sie in diesem Hause allerdings nur in einer Form, die sich innerhalb der parlamentarischen Gepflogenheiten hält. Da der Herr Abgeordnete Mellies' in diesem Falle diese Grenze überschritten hat, muß ich ihn nachträglich zur Ordnung rufen.
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Meine Damen und Herren! Ich bitte weiter um Aufmerksamkeit für die folgenden amtlichen Mitteilungen.
Der Deutsche Bundesrat hat in seiner 42. Sitzung am 8. Dezember beschlossen, zu dem
Gesetz zur weiteren Verlängerung der Geltungsdauer des Preisgesetzes
und zu dem
Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse der im Dienste des Bundes stehenden Personen vom 17. Mai 1950
einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen.
Die heutige Tagesordnung wird ergänzt um den für Freitag vorgesehenen Bericht des Untersuchungsausschusses Nr. 40 - Nr. 1596 der Drucksachen - entsprechend einem Wunsche der antragstellenden Fraktion.
Ich darf weiter darauf hinweisen, meine Damen und Herren, daß mich der Herr Bundeskanzler gebeten hat, den Punkt 13 der heutigen Tagesordnung, Beratung des Antrags der Fraktion des Zentrums betreffend Verhandlungen wegen Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die UN - Nr. 1583 der Drucksachen -, heute abzusetzen und auf Freitag anzusetzen. Ich habe mich mit der antragstellenden Fraktion in Verbindung gesetzt; sie hat keine Einwendungen erhoben. Der Herr Bundeskanzler wünscht zu dieser Frage selbst eine Erklärung abzugeben. - Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist und bitte, den Punkt 13 der heutigen Tagesordnung zu streichen.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
a) Interpellation der Abgeordneten Dr. Edert, Frau Krahnstöver, Dr. Oellers, Wittenburg und Genossen betreffend Umsiedlung von Heimatvertriebenen aus Schleswig-Holstein ({0});
b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsiedlung von Heimatvertriebenen aus den Ländern Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein ({1}).
Es ist eine Aussprachezeit von 90 Minuten vorgesehen. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist.
Zur Begründung der Interpellation hat das Wort der Abgeordnete Dr. Edert.
Dr. Edert ({2}), Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Interpellation, die zu begründen ich die Ehre habe, ist von allen deutschen Abgeordneten des Landes Schleswig-Holstein unterzeichnet. Sie ist unterstützt von unseren Freunden aus dem Nachbarland Niedersachsen. Wir hätten auch unsere Freunde aus Bayern um Unterstützung bitten können; denn im Grunde sind alle drei Länder - Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein - in ähnlicher Lage, nur daß die Not sich steigert, je mehr man von Süden nach Norden geht.
Daß hier ein gemeinsamer Schritt aller Fraktionen vorliegt, mag Ihnen ein Beweis dafür sein, wie ernst wir alle ohne Unterschied der Partei die Lage unseres Landes ansehen, das tatsächlich am Rande des Ruins steht, ein Land, das bis dahin eine wirklich gesunde Wirtschaft hatte und erst durch den Zusammenbruch von 1945 in diese schwere Notlage geraten ist. Bis dahin war es ein guter Steuerzahler und erfreute sich eines behäbigen Wohlstandes. Jetzt ist es ein Bettelland geworden, das in jedem Monat suchen muß, wo es Überbrückungskredite für die Zahlung der Gehälter seiner Beamten finden kann.
Der Bundesregierung sind die Ursachen dieser Notlage bekannt. Ich will sie hier nicht noch einmal aufzählen; ich will nicht noch einmal sprechen von der Insellage, von der Verkehrsferne, von dem Eisernen Vorhang, der den ganzen Ostseehandel lähmt, von der Demontage unserer Werften und von der Zerstörung unserer Kriegsindustrie, die ein Fünftel unseres Industriepotentials ausmachte. Die Hauptursache dieser Notlage kommt aus der ungeheuren Übervölkerung, die 73 % gegenüber dem Stand von 1939 - bei 17 % im Bundesdurchschnitt - beträgt. Das ist ein Bevölkerungszuwachs, den das industriearme, wesentlich landwirtschaftlich genutzte Land einfach nicht unterbringen kann.
Dabei hat sich das Land Schleswig-Holstein in allen seinen bisherigen Regierungen die erdenklichste Mühe gegeben, für die vertriebenen Brüder und Schwestern aus dem Osten zu sorgen. Aber heute ist es das steuerschwächste Land von allen, und auf die schwächsten Schultern hat man die schwersten Lasten gelegt. Um nur einiges herauszugreifen: Es hat für vertriebene Landwirte Hunderte von neuen Siedlungen geschaffen; im laufenden Jahr sind über tausend neue Siedlungen geplant. Es hat sich um neue Industrien bemüht, hie und da auch mit Erfolg, aber dieses verkehrsarme Land mit den teuren Kohlenpreisen lockt keine Unternehmer an. Es hat die Eingliederung in den
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Einzelhandel gefördert. Von den neu vorgelegten Anträgen sind nicht weniger als 44 % allein für Heimatvertriebene bewilligt worden. Bei der Anstellung von Beamten sind die Flüchtlinge über ihre Zahl hinaus berücksichtigt worden. In unseren Landkreisverwaltungen sind heute 42,2 % Heimatvertriebene, eine Tatsache, die von der dänischen Propaganda ausgenutzt wird. Auch die einheimische Bevölkerung beklagt sich nicht mit Unrecht, man höre auf den Landratsämtern überwiegend ostpreußisch, und das Plattdeutsche sei zur Seite gedrängt. Unter den Lehrern an den Schulen sind 51 % Heimatvertriebene, unter den vollbeschäftigten Richtern auch mehr als 50 %, unter der Polizei sogar 61 %; zweifellos eine Überfremdung, die Besorgnis erregt!
Aber all diese ehrlichen Bemühungen um Eingliederung der Heimatvertriebenen sind angesichts der ungeheuren Zahl vergeblich. Nach wie vor ist daher die Arbeitslosenzahl eine der höchsten im ganzen Bundesgebiet. Sie beträgt wieder im ganzen Land 27,3 %, unter den Heimatvertriebenen fast 60 0/0, bei gleichzeitiger Vollbeschäftigung in anderen Ländern. Die Lasten sind unerschwinglich. Allein die Schullasten haben sich verdoppelt. 35 000 Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren sind zur Zeit in unserem Lande ohne Lehrstellen., und für die künftigen Jahre bis 1956 wird sich diese Zahl wiederum in jedem Jahr um 20 000 vermehren.
Auch in der Beschaffung des Wohnraums hat sich das Land die redlichste Mühe gegeben. Es hat den vorhandenen Wohnraum restlos beschlagnahmt, eine Maßnahme, die von anderen Ländern als undurchführbar abgelehnt wird. Während in der Vorkriegszeit in Deutschland 1,3 Personen in einem I Wohnraum lebten, ist die Wohndichte in Schleswig-Holstein auf 2,0 bis 2,2 Personen auf den Wohnraum gestiegen. Nordrhein-Westfalen, das von Kriegseinwirkungen zweifellos am stärksten berührte Land, hat in den Jahren 1947/48 festgestellt, daß bei ihm die Wohndichte 1,53 Personen betrage und daß man, wenn sie auf 1,9 steige, nicht mehr von menschenwürdigen Unterbringungen reden könne. In Schleswig-Holstein ist die Zahl höher. Ja, wir können nach genauen Feststellungen sagen, daß 450 000 Menschen in unserem Lande in nicht menschenwürdigen Verhältnissen wohnen.
Nun wird uns von den Aufnahmeländern immer wieder entgegengehalten: wir haben auch nicht genügend Wohnraum, wir müssen erst bauen. Selbstverständlich, jeder, der mit der Umsiedlung zu tun hat, weiß, daß diese nur Sinn hat, wenn sie in Länder mit Arbeit und mit Wohnung erfolgt. Aber Arbeit ist ja vielfach vorhanden, und was den Wohnraum anlangt, so möchten wir in aller Bescheidenheit, aber auch in aller Deutlichkeit sagen: so rückt ihr doch auch einmal zusammen, wie wir zusammengerückt sind. Während bei uns Tausende von Familien je einen einzigen Wohnraum benutzen, hält zum Beispiel ein süddeutsches Land daran fest, daß jedes Kind über 14 Jahre sein eigenes Zimmer haben soll. Schafft doch wenigstens vorübergehend die notwendigen gesetzlichen Bestimmungen, um den vorhandenen Wohnraum auszunutzen!
Meine Damen und Herren, niemand von uns verkennt die Schwierigkeiten in den Aufnahmeländern. Eine Umsiedlung dieses Ausmaßes hat es ja in der Geschichte überhaupt noch nicht gegeben.
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Wir erkennen mit Dank die Fürsorge an, die einige
Länder - sowohl die Behörden wie die Bewohner - unseren Heimatvertriebenen gewährt haben. Aber leider sind an vielen Stellen nicht das gleiche Verständnis und die gleiche Bereitschaft vorhanden.
Nun hatte Schleswig-Holstein gehofft, daß mit der Errichtung der Bundesrepublik eine großzügige Umsiedlung in die Länder mit Arbeit und Brot einsetzen würde. Es sollten vom Juli 1949 bis zum Dezember 1950 aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern im ganzen 300 000 Menschen umgesiedelt werden, davon allein aus Schleswig-Holstein 150 000. Bis heute sind es rund 110 000. Die allerletzten Zahlen liegen mir nicht vor. Zur gleichen Zeit aber sind im Rahmen der Familienzusammenführung 17 500 Menschen dazugekommen. Nehmen Sie nun die zahlreichen illegal Eingewanderten dazu, so kommen Sie auf eine Entlastung von rund 90 000, etwas mehr als der Hälfte der geplanten Entlastung; ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn Sie bedenken, daß wir 1,2 Millionen Heimatvertriebene bei uns haben.
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Dieser erste Versuch ist eine Enttäuschung, und mit banger Sorge sehen wir den Umsiedlungsplänen für das nächste Jahr entgegen. Aber es ist eine ganz schwere Enttäuschung, meine Damen und Herren, wenn zugesagte Transporte wieder zurückgerufen werden. Ich weiß nicht, ob sich die Aufnahmeländer die psychologische Wirkung einer solchen Maßnahme klarmachen: seit Wochen und Monaten haben die Heimatvertriebenen auf den Transport gewartet, in ihren Baracken gepackt, sie haben ihre Arbeitsplätze aufgegeben, sie haben ihre Kinder aus der Lehre genommen, haben ihre Feuerung, ihre Kartoffeln verkauft, sie haben ihre Wohnung, so kümmerlich sie ist, anderen Leuten übergeben; und plötzlich hören sie: der Transport wird' gar nicht durchgeführt, oder die Vertriebenen müssen, falls er durchgeführt wird, wegen mangelnder Vorbereitung monatelang in den Lägern warten. Meine Damen und Herren, das tun wir den Menschen an, die schon einmal Haus und Hof haben verlassen müssen. Ich frage: Ist das Solidarität, ist das Gemeinschaft? Haben wir die Lehren von 1945 schon wieder vergessen, oder haben wir sie vielleicht gar nicht begriffen? Es gibt ein englisches Sprichwort: „Charity begins at home" - „Die Liebestätigkeit beginnt zu Hause".
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Was heißt „zu Hause"? Zu Hause heißt Deutschland!
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Was will es denn besagen, wenn wir in großen Reden in Straßburg oder in Konstanz von der Flüchtlingsfrage als einem europäischen Problem sprechen und im eigenen Lande, in Deutschland, nicht der Wille besteht, die schwerste Last des Krieges, die der Heimatvertriebenen, gemeinsam zu tragen?
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Jedenfalls: Schleswig-Holstein ist am Ende seiner Kraft. Seine Schuld hat in 21/2 Jahren die Höhe eines Jahreseinkommens an Landessteuern erreicht. Diese Notlage bringt aber nicht nur eine wirtschaftliche, sondern bei uns auch eine innenpolitische und eine außenpolitische Gefahr herauf. Die jahrelange Arbeitslosigkeit, die gesundheitliche, die moralische Schädigung, die Hoffnungslosigkeit führen bei den einen zum politischen Radikalismus und bei den anderen - im schleswig({9})
sehen Raum - zur Abwendung von Deutschland und der deutschen Bundesrepublik, zum Hinüberwechseln ins dänische Lager.
Was die innenpolitische Lage anlangt, so müssen Sie sich daran erinnern, daß der BHE bei der Landtagswahl vor einigen Monaten selbst 15 Mandate von 69 errungen 'hat. Da aber in den übrigen Fraktionen eine ganze Reihe Heimatvertriebener sitzen, beträgt ihre Vertretung nahezu die Hälfte der Abgeordneten. Nun sind - leider, sage ich - auf Wunsch des BHE die Kommunalwahlen auf die ersten Monate des nächsten Jahres 1951 vorverlegt worden. Bei diesen Kommunalwahlen werden voraussichtlich die Heimatvertriebenen die Mehrheit in allen 17 Landkreisen erhalten. Denn zahlenmäßig sind sie in 8 der Landkreise sowieso überlegen, in einigen kommen sogar 120 Heimatvertriebene auf 100 Einheimische, in den übrigen halten sie sich die Waage. Angesichts dieser drohenden Gefahr der Überfremdung ist es natürlich, wenn sich nun in den einheimischen Kreisen Bestrebungen zeigen, sich ihrerseits politisch zusammenzuschließen. Je radikaler der BHE auftritt, desto stärker wird der Widerstand der Einheimischen. Während bis dahin noch ein erträgliches Verhältnis zwischen den beiden Gruppen bestand, ist jetzt mit schweren innenpolitischen Auseinandersetzungen zu rechnen, deren Auswirkungen - meine Damen und Herren, seien Sie dessen sicher - weit in das Bundesgebiet hineinreichen werden.
Die außenpolitische Gefahr ist vielleicht noch größer. Denn im Landesteil Schleswig gewinnt die dänische Bewegung wieder an Boden; sie nutzt die durch den Flüchtlingsstrom hervorgerufene ungeheure Notlage aus, um für den Anschluß Schleswigs an Dänemark zu werben. Es gibt auch an anderen Landesgrenzen solche separatistische Neigungen, um aus dem Elend und der gemeinsamen Verantwortung herauszukommen; aber hier an der Nordgrenze wird diese separatistische Bewegung von der andern Seite der Grenze durch eine starke nationalistische unterstützt - unterstützt vom dänischen Volk und leider auch vom dänischen Staat. Nach den Worten des dänischen Ministers Frede Nielsen trägt Dänemark eine kulturelle Offensive gegen Schleswig vor, stützt sie mit staatlichen und privaten Mitteln von rund 20 Millionen Kronen jährlich, nicht allein um bestehendes dänisches Volkstum zu erhalten - niemand von uns würde dagegen ein Wort sagen -, sondern um deutsches Volk und Land zu gewinnen. Es mag dem Fernerstehenden fast unbegreiflich, ja wie ein seltsamer Anachronismus erscheinen, 'daß in einer Zeit, da wir uns um ein vereinigtes Europa bemühen, unser nördlicher Nachbar, mit dem wir gerne in Frieden und Freundschaft leben möchten, so stark von nationalistischer Denkungsart erfüllt ist, daß er einen romantischen Traum vergangener Zeiten „Schleswig bis zur Eider dänisch!" verfolgt. Tatsache ist aber, daß er diesem Ziel mit der ihm eigenen Zähigkeit und mit der gesammelten nationalen Kraft seines Volkes nachstrebt: dem Ziel, die deutsche Bevölkerung für eine neue Volksabstimmung zugunsten Dänemarks reif zu machen. Und diese Bestrebungen haben Erfolg, haben Erfolg bei einem kerndeutschen Volk, das noch vor 100 Jahren sein Deutschtum mit den Waffen in der Hand gegen Dänemark verteidigt hat, das 1920 bei der Volksabstimmung sich mit überwältigender Mehrheit für Deutschland erklärte, das noch 1932 bei den letzten freien Wahlen der Weimarer
Republik so deutsch stimmte, daß auf der andern Seite nur 1544 Stimmen gezählt wurden.
Das alles läßt sich nur aus der Hoffnungslosigkeit, der Arbeitslosigkeit, der unerträglichen Wohndichte, kurz aus dieser sinnlosen Übervölkerung begreifen. 1949 freilich, als die Bundesrepublik geschaffen wurde, als die Bundeswahlen stattfanden, da hofften die Bewohner des Grenzgebietes, daß ihnen nun endlich der Bund aus der verzweifelten Lage helfen würde. Da gingen die dänischen Stimmen von 99 000 auf 75 000 zurück. Damals wurde in Flensburg, der Hochburg des Dänentums, der Stadt, wo noch heute ein dänischer Oberbürgermeister regiert und eine dänische Stadtverwaltung sitzt, ein deutscher Kandidat gewählt. Aber schon bei den Landtagswahlen dieses Jahres haben die 'dänischen Kandidaten den Sieg davongetragen. Das gläubige Vertrauen von damals ist grausam 'enttäuscht worden.
Der Bund hat zwar einen Versuch gemacht, das Land von der übergroßen Last zu befreien, aber dieser Versuch ist auf halbem Wege liegen geblieben. Der Herr Bundesminister, dessen ehrliches Wollen für mich über jeden Zweifel erhaben ist, ordnet wohl an; aber es fehlt ihm an der zentralen Macht, die Verordnung durchzusetzen. Das Grundgesetz gibt ihm keine Handhabe. Wir benötigen zum wenigsten eine gesetzliche Regelung, wie sie dankenswerterweise von der SPD heute vorgeschlagen ist. Die 'dänische Flüsterpropaganda nützt das Versagen des Bundes aus. Es sind in diesen letzten 14 Tagen nicht weniger als 10 Massenversammlungen durch das Land Schleswig gegangen. Man sagt den Leuten: Man hat euch abgeschrieben, ihr habt von Bonn nichts mehr zu erwarten! Schließt euch an uns an, an Dänemark, das wird die Heimatvertriebenen später hinausbringen, wie Dänemark seinerseits auch die 220 000 Flüchtlinge aus Schleswig nach Westdeutschland evakuiert hat; dann seid ihr frei von den Kriegsfolgelasten, von den Vertriebenen aus Preußen, die im Begriff sind, die schleswigsche Heimat völlig zu beherrschen und euch an die Wand zu drücken. Das ist die grenzpolitische Auswirkung.
Ich fasse zusammen: Die Übervölkerung des Landes Schleswig-Holstein durch die Heimatvertriebenen hat das wirtschaftlich gesunde Land zugrunde gerichtet, an den Bettelstab gebracht. Die Übervölkerung bringt das Land in eine schwere innenpolitische Gefahr und treibt dessen Bewohner in die Reihen der Dänen.
Meine Damen und Herren, darf ich um etwas größere Aufmerksamkeit für den Herrn Redner bitten!
Dr. Edert ({0}), Interpellant: Wir dürfen nicht zulassen, daß die seelische Wiederstandskraft durch Arbeitslosigkeit, Armut und Hoffnungslosigkeit erlahmt. So richte ich an die Bundesregierung wie an alle Aufnahmeländer 'den dringenden Appell: Laßt uns doch die uns vom Schicksal auferlegte Last gemeinsam tragen! Wir tragen gerne unseren Anteil und mehr als das. Laßt es uns als eine Ehrensache betrachten, für die zu sorgen, die nicht nur Haus und Hof, sondern auch die Heimat verloren haben! Laßt uns den Länderegoismus überwinden, der seit Jahrhunderten wie ein Fluch über unserem Volke ruht und sich nach dem Spruche richtet: Verschone unsere Häuser, zünd' andrer ihre an! Ich meine, das ganze Deutschland soll es sein.
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Darf ich fragen, wer den Antrag der Fraktion der SPD begründet?
Ekstrand ({0}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Vor zirka einem halben Jahre wurde in diesem Hause beschlossen, daß 600 000 Flüchtlinge umgesiedelt werden sollen. Die Regierung hat eine Verordnung erlassen, nach der in diesem Jahre 300 000 Flüchtlinge zur Umsiedlung kommen sollen. Die Zahl ist nicht erreicht; zirka 220 000 Menschen sind umgesiedelt worden, und es fehlen noch 80 000. Heute morgen ging durch die Presse eine Notiz, daß das Kabinett gestern beschlossen habe, daß im nächsten Jahre nur 200 000 Flüchtlinge umgesiedelt werden sollen, also die Zahl des hier getroffenen Beschlusses bei weitem nicht erreicht wird. Auf eine Anfrage der Bayernpartei, die sich mit der Umsiedlung der Heimatvertriebenen aus den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern beschäftigte, antwortete der Minister, daß die Zahl nicht erreicht werden könne, weil die sogenannten Aufnahmeländer erheblichen Widerstand gegen die Aufnahme von Ostvertriebenen leisteten. Ich will gern zugeben, daß es für die Aufnahmeländer eine bedeutende Schwierigkeit ist, nun für eine Unterbringung zu sorgen, zumal dann, wenn sie selber die Tragik derjenigen nicht kennen, die in den überbelasteten Ländern unter so unendlichem seelischem wirtschaftlichem und moralischem Druck leiden, weil diese Länder einfach nicht das genügende Verständnis für eine derartige Notlage aufbringen können. Mir scheint aber, daß die Aufnahmeländer, wenn sie mit der nötigen Initiative an dieses Problem herangehen würden und wenn sie einmal versuchen würden, sich in die Mentalität der Flüchtlinge in den überbesetzten Ländern einzufühlen, es doch fertigbringen müßten, über das bisher Geleistete hinauszukommen. Aber eben weil die Regierung und besonders der Bundesminister für Vertriebenenfragen nur auf dem Verordnungswege Maßnahmen ergreifen kann, hielten wir es für notwendig, durch die Schaffung eines besonderen Gesetzes ihm bei seiner Arbeit das nötige Rückgrat zu schaffen, und haben wir Ihnen daher heute den Entwurf dieses Gesetzes vorgelegt.
Mein Kollege Edert hat hier ja schon in ausreichender Weise und mit genügendem Zahlenmaterial dargelegt, wie es im Lande SchleswigHolstein aussieht. Niedersachsen und Bayern sind in dem gleichen Maße betroffen, wie wir es sind. Das ganze Problem ist nicht nur ein Problem von Zahlen oder von wirtschaftlichen Erwägungen, sondern mir scheint, ,daß dabei doch einmal das Menschliche in den Vordergrund gerückt werden muß.
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Ich hatte kürzlich einmal ein Erlebnis. Auf der Straße passierte ein Unfall. Der Verletzte krümmte sich in Schmerzen, und die Zuschauer waren ihrer eigenen Mentalität nach verschiedener Auffassung. Einige interessierte der Unfall überhaupt nicht. Sie gingen achselzuckend davon. Andere waren der Auffassung, daß der Verletzte sich nur anstelle, und andere wieder hatten ein tiefes Mitleidsgefühl. Ein Beweis dafür, daß Schmerzen immer nur der empfindet, der tatsächlich Schmerzen hat. Diese überlasteten Flüchtlingsländer haben nicht nur als Länder Schmerzen, sondern die Menschen, die von dieser Überbelastung betroffen werden, haben die wirklichen Schmerzen und wissen nicht ein noch aus, wie sie von diesen Schmerzen befreit werden sollen.
Ich darf vielleicht einige Beispiele aus meinem Wahlkreise nennen. Auf 68 000 Einheimische kommen 78 000 Flüchtlinge, in einem Kreis rein ländlichen Charakters; in dem sich keine Großstadt befindet. Alle diese Menschen wohnen 'hoffnungslos auf Dörfern, haben keine Aussichten auf Arbeitsmöglichkeiten, haben keine Aussicht auf einen erweiterten Wohnraum. Sie sind praktisch sich selbst überlassen und hoffen nur auf die Aufnahmeländer, wenn sie bereit sind, ihre Last ihnen abzunehmen, damit ihr Los etwas leichter wird. Im Lande Schleswig-Holstein allein haben sich im Jahre 1949 aus dieser Überbelastung 11 740 Räumungsklagen ergeben. Jedem wird es einleuchten, daß in den fünf Jahren, in ,denen diese Länder verzweifelt um einen Flüchtlingsausgleich kämpfen, nicht nur die Familien durch die Familienzusammenführung gewachsen sind, sondern daß sich auch, durchaus verständlich, die Familien durch Neugeborene vergrößert haben. Die Folge davon ist, daß heute Menschen nicht nur in unzureichenden Wohnräumen untergebracht sind, sondern daß sie sogar in Geschirrkammern, auf Komböden, ja sogar in Kuhställen und Scheunen wohnen, weil diese überbelasteten Länder einfach nicht mehr in der Lage sind, dieses Problem noch einmal zu lösen.
Täglich, möchte ich sagen, sind Vertreter der Gemeinden oder der Kreise unterwegs, um zu versuchen, ,die größte Not zu lindern, fünf Jahre lang, Tag für Tag, und doch immer wieder abends praktisch mit leeren Händen 'dastehend und sich vergeblich bemühend, nur die dringendsten Fälle überhaupt einmal zu bereinigen. Ich möchte von dieser Stelle aus einmal diesen Menschen danken, die nun immer wieder bereit sind, Tag für Tag das gleiche zu tun, um die Not zu lindern. Ehepaare werden für absehbare Zeit nicht in einem eigenen Wohnraum wohnen können; sie leben nach wie vor getrennt bei ihren Eltern. In meinem Landkreis ist es schon zum Totschlag gekommen, weil Familien in Wohnräumen untergebracht sind, die nur durch den Wohnraum anderer Familien zugänglich sind.
Ich weiß, daß die Aufnahmeländer gute Gründe für die Verweigerung der Aufnahme von Flüchtlingen anführen; sie erklären, daß auch bei ihnen der nötige Wohnraum nicht zur Verfügung stehe, aber sie hätten nicht die Absicht, etwa den Flüchtlingen in ihren Ländern nun das gleiche Los zu bereiten, das sie jetzt in den überbesetzten Ländern getragen haben. Sie wollen beschleunigt Wohnraum beschaffen. Das ist schön und gut; und sicher wäre das die weitaus beste Lösung, wenn es möglich wäre, in absehbarer Zeit den benötigten neuen Wohnraum zu schaffen. Das wäre für die Flüchtlinge sicher die zweckmäßigste Lösung. Wenn aber die überbelasteten Länder diese Entwicklung abwarten wollten, wenn sie darauf warten wollten, daß in dem Tempo, wie es bisher üblich gewesen ist, neuer Wohnraum geschaffen wird, dann würde man den überbelasteten Ländern wahrscheinlich nur die neugeborenen Kinder abnehmen können. Das Problem selbst aber, vor das wir uns gestellt sehen, wäre damit nicht zu lösen.
Mir scheint, daß durch den vorgelegten Entwurf eines Flüchtlingsgesetzes doch die Grundlage dafür geschaffen werden 'kann, daß auf diesem Gebiete etwas mehr getan wird. Ich glaube auch, daß dieser Gesetzentwurf, der Ihnen heute von
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meiner Fraktion vorgelegt wird, noch ausbaufähig ist und daß er auch noch ausgebaut werden muß. Ich bin der Auffassung, daß dieser Gesetzentwurf, wenn er in der dritten Lesung dem Hause vorgelegt werden wird, durch die Beratungen im Ausschuß so vollkommen ausgestaltet sein muß, daß der Zweck, der damit erreicht werden soll, tatsächlich auch erreicht wird, nämlich die Not, die in den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern herrscht, nun auch tatkräftig zu lösen. Es kann nicht so weitergehen wie bisher, daß in diesen Ländern die Kinder und die Jugendlichen in Barackenlägern untergebracht sind und in einem Elend groß werden, das unter Garantie niemals die Grundlage dafür bieten kann, daß diese Jugendlichen einmal gute Staatsbürger Deutschlands werden. Wer die Barackenläger in diesen Ländern kennt, der weiß, daß die Familien seit Jahr und Tag zusammenhausen, getrennt nur durch dünne Wände, daß die Baracken verwanzt sind, ja daß sie, weil sie überaltert sind, zerfallen und langsam sich selbst auflösen. Wer diese Barackenläger kennt, der weiß, daß unter solchen Verhältnissen kein gesunder Nachwuchs gedeihen kann. Und wer die Zahlen 'der erwerbslosen Jugendlichen in den überbelasteten Ländern kennt, der weiß, daß diese Menschen, die schon in frühester Jugend ohne jede Hoffnung darauf, einmal einen Beruf ausüben zu können, leben müssen, von vornherein einer gesunden politischen Entwicklung Deutschlands verloren gehen werden.
Es sind viele Dinge organisiert worden. Es sind neue Organisationen gebildet worden, die sich mit dem moralischen Problem Deutschlands beschäftigen. Ich denke zum Beispiel an die Bewegung der moralischen Aufrüstung. Mir scheint, daß hier der erste und der notwendigste Schritt, der zu einer moralischen Aufrüstung führen kann, getan werden muß.
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Vor nicht allzu langer Zeit hat im Ruhrgebiet eine Kirchentagung stattgefunden, die unter dem Motto stand: Rettet den Menschen! Mir scheint, daß diese Menschen zuerst gerettet werden müssen. Wir brauchen diese Menschen für Deutschland; sie müssen in den Volkskörper eingegliedert und zu einem Volksganzen werden. Mir scheint, daß die Lösung dieses Problems nicht auf die lange Bank geschoben werden darf, sondern daß es eine dringende Notwendigkeit ist, an die Bearbeitung dieser Angelegenheit heranzugehen, damit wir endlich zu einem Ziele kommen.
Zu diesem Problem gehört auch ein gerechter Lastenausgleich, ein gerechter Ausgleich der menschlichen Not. Ich beantrage deshalb namens meiner Fraktion, diesen Antrag dem Ausschuß für Heimatvertriebene zu überweisen.
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Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister für Vertriebene hat mich gebeten, ihm zu gestatten, daß er die Interpellation erst am Schluß der Aussprache beantwortet, da er Wert darauf legt, die Gesichtspunkte, die noch vorgetragen werden, vorher kennenzulernen. Da wir die erste Lesung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für Umsiedlung von Heimatvertriebenen mit der Beantwortung der Interpellation verbunden haben, scheinen mir keine Bedenken dagegen zu bestehen, diesem Wunsch zu entsprechen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Dr. Bartram.
Dr. Bartram, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein möchte ich den Herren Bundestagsabgeordneten des Landes Schleswig-Holstein aller Fraktionen sowie den Herren Abgeordneten, die sich ihnen angeschlossen haben, meinen herzlichsten Dank aussprechen dafür, daß sie die Interpellation, die heute zur Beratung steht, im Bundestag eingebracht haben. Herr Dr. Edert hat in seiner Begründung bereits auf die große Notlage hingewiesen, in die das Land Schleswig-Holstein durch die Aufnahme des großen Flüchtlingsstroms gekommen ist. Gleichzeitig begrüße ich es, daß von der Fraktion der SPD der Entwurf eines Gesetzes zur Umsiedlung von Heimatvertriebenen aus den Ländern Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein eingebracht worden ist.
Ich möchte an dieser Stelle nicht noch einmal auf alle Einzelheiten eingehen. Es liegt mir nur am Herzen, daß diese Frage in ihrer ganzen Bedeutung, die sie für unser deutsches Volk hat, erkannt wird. Ich möchte aber besonders betonen, daß das Land Schleswig-Holstein sich nicht etwa irgendeiner Aufgabe, die ihm durch das Gebot der Stunde auferlegt wird, entziehen will.
Die Vertreibung von Millionen Deutscher aus ihrer Heimat, aus Gebieten, die seit tausend Jahren deutsch sind, ist ein großes Unrecht, das an der Menschheit begangen wurde. Diese Völkerwanderung kann zu unabsehbaren Folgen führen. Nach der Niederlage, mit der bedingungslosen Kapitulation wurde das deutsche Volk in seinem innersten Kern getroffen. Zonen, Länder wurden geschaffen, und ein eiserner Vorhang trennt Ost- und Westdeutschland. Die Länder wurden mit einer Eigenstaatlichkeit ausgestattet, die für eine Durchsetzung der einfachsten deutschen Lebensnotwendigkeiten ein großes Hindernis bildet. Diese Ländergrenzen sind politische Realitäten, mit denen wir zu rechnen haben. Aber es liegt in unserer Hand, ob wir über die Ländergrenzen hinweg wieder ein Volk werden, das gemeinsam mit aller Kraft sein hartes Los selbst in die Hand nimmt und die Not gemeinsam trägt.
Wir wissen alle, in welch unmenschlicher Weise die armen Flüchtlinge hierher gebracht wurden, und ich darf wohl von unserem Lande sagen, daß es nach besten Kräften und bestem Vermögen diese unglücklichen Menschen aufgenommen, untergebracht und ihnen geholfen hat. Ich möchte an dieser Stelle die Bemühungen und Erfolge unserer Vorgänger in der Regierung mit großem Dank anerkennen.
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Was die Heimatvertriebenen wirklich verloren, das können nur die ermessen, die davon betroffen wurden. Aber wir, die wir unsere Heimat behalten haben und sie lieben, können doch mitempfinden, was der Verlust der Heimat wirklich bedeutet. Deshalb gilt es nicht nur, diesen Unglücklichen materiell zu helfen, was eine Selbstverständlichkeit für uns alle sein muß, sondern es gilt auch, diese Menschen seelisch wieder aufzurichten, damit sie wissen: hier schlagen die deutschen Herzen mit ihnen zusammen, und damit ihnen der schwere Verlust der Heimat etwas erträglicher gemacht wird.
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Meine Forderung an die anderen Länder geht daher dahin, die Lösung dieser Frage auch mit dem Herzen vorzunehmen, da sie eine Lebensfrage des deutschen Volkes ist. Wir müssen mit der Lösung vor der Geschichte beweisen, ob wir als Volk weiterbestehen oder diesen Anspruch nicht verdienen. Wenn wir nicht den festen Willen in uns tragen, uns gegenseitig zu helfen, dann wird die Entwicklung über uns hinweggehen, auch wenn wir noch soviel Waffen haben. Die Voraussetzung zur Bezwingung jeder Not ist das Gefühl, in der Gemeinschaft unlöslich miteinander verbunden zu sein. Es ist die Stunde der Bewährung, in der sich erweisen muß, ob wir als Volk in Frieden, Freiheit und Menschenwürde bestehen oder ob wir als ein Haufen - vor lauter Selbstsucht blind - den Abgrund nicht sehen wollen und unweigerlich hineinstürzen. Ich glaube an unser Volk, an seine hohe moralische Kraft und Opferbereitschaft, die es so oft in harten Jahren beweisen mußte. Ich glaube, daß diese Kräfte für die friedliche Eroberung aller deutschen Herzen als Voraussetzung für die Bewältigung aller vielleicht noch kommenden Gefahren mobil gemacht werden können.
Die unverbrüchliche Gemeinschaft und die Kraft des Herzens sind Fundamente für den Frieden. Ich verweise hierbei nur auf das kleine Finnland und auf Berlin, das in seiner wunderbaren Haltung und in seinem Kampf für die Freiheit ein leuchtendes, glückverheißendes Symbol ist. Sorgen wir dafür, daß kein eiserner Vorhang durch unsere Herzen geht und daß wir uns der Größe der Aufgaben bewußt sind. Es liegt an uns selbst, unser Schicksal zu meistern. Ein Volk, das den Frieden und die Freiheit auf seine Fahne schreibt, muß über alle politischen Parteien hinweg ein unzerstörbarer Block der Gemeinschaft sein. Diese Erkenntnis entspringt nicht reinem Idealismus,
({2}) sondern sie gebietet in dieser Stunde der härteste Realismus, den man sich denken kann. Eine solche Notgemeinschaft ist auch eine der Grundlagen für eine kommende europäische Gemeinschaft.
Jeder Deutsche, insbesondere aber die deutsche Jugend, muß durch unsere Taten und nicht durch Worte allein die Gewißheit bekommen, daß wir keinen Deutschen im Stich lassen, besonders dann nicht, wenn er unverschuldet in große Not geraten ist. Wenn wir so handeln, dann ist mir um die Zukunft unseres Volkes nicht bange, insbesondere aber nicht um die Deutschen im Grenzland Schleswig.
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Das Wort hat der niedersächsische Flüchtlingsminister, Herr Minister Albertz.
Albertz, niedersächsischer Minister für Vertriebene: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe namens der niedersächsischen Staatsregierung nur einige sehr nüchterne Dinge zu sagen; die großen Worte sind uns im vergangenen Jahr angesichts der Bitterkeiten dieser Umsiedlung vergangen.
Ich möchte zunächst feststellen: es ist die Auffassung der niedersächsischen Regierung, daß, wenn eine Aufgabe vor uns steht, über deren Größe wir uns alle einig sind und die durchzuführen wir auch alle täglich versichern, die Mittel gefunden werden müssen, um diese Aufgabe zu lösen.
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Wir beobachten in der Frage der Umsiedlung seit Monaten mit großer Sorge eine Entwicklung, die sich etwa auf die Formel bringen läßt, daß zwar die Sache klar sei, aber die Mittel nicht zur Verfügung stünden, um der Sache gerecht zu werden, und daß insbesondere das Grundgesetz keine Möglichkeiten gebe, um die Umsiedlung so durchführen zu lassen, wie wir das alle wünschen. Es ist nicht ganz von der Hand zu weisen, daß in den Flüchtlingsländern und auch bei den Regierungen dieser Länder das Gefühl aufkommt, als ob erst durch die Interpellationen dieses Hohen Hauses und den vorgelegten Gesetzesantrag einer Fraktion dieses Hohen Hauses im Bundeskabinett eine neue Verordnung zustande gekommen sei, allerdings mit sehr viel geringeren Zahlen, als der Bundestag das bereits im Mai dieses Jahres wünschte. Ich muß dem Hohen Hause mitteilen, daß in dem zuständigen Ausschuß für Flüchtlingsfragen des Deutschen Bundesrates der Herr Vertreter der Bundesregierung weder für eine wirksame gesetzliche Grundlage der Umsiedlung noch für die notwendigen finanziellen Mittel, die die Durchführung der Umsiedlung sichern könnten, irgendwelche befriedigenden Erklärungen abgeben konnte.
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Das hat unter uns in den Flüchtlingsländern und bei den Regierungen dieser Länder große Beunruhigung hervorgerufen. Der niedersächsische Landtag wird sich morgen mit der Frage der Umsiedlung beschäftigen, und ich habe vom Flüchtlingsausschuß dieses Landtages den besonderen Auftrag, vor dem berufenen Parlament des Bundes als dem politisch verantwortlichen Gremium für die Bundesrepublik mit aller Deutlichkeit festzustellen, daß, wenn die bisherigen gesetzlichen Maßnahmen nicht ausreichten, eben andere und neue Mittel gefunden werden müssen. Sollte die Bundesregierung erklären, daß auch der von der SPD vorgelegte Gesetzentwurf hier nicht die volle Möglichkeit gibt, das durchzuführen, was sie für nötig hält, dann muß eben ein anderer Weg gefunden werden, entweder auf dem Wege über die Bundesauftragsverwaltung oder, falls das notwendig erscheint, sogar durch eine Verfassungsänderung.
Ich bin der Auffassung, daß das Problem so ernst ist, daß wir uns hier nicht' hinter irgendwelche Gesetzeslücken zurückziehen können.
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Es ist vor allen Dingen unmöglich - und ich habe das zu meinem Bedauern heute auch schon wieder aus einer Presseberichterstattung über eine Erklärung des Herrn Bundesvertriebenenministers zur Kenntnis genommen -, diese Frage immer weiter auf die Verhandlungen zwischen den einzelnen Ländern zu verweisen.
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Wir können auf diesem Wege nicht weiterkommen, und wir werden hier an dieser Stelle die Verantwortlichkeit des Bundes und der Bundesregierung in ganz anderem Maße einschalten müssen, als es bisher geschehen ist,
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und zwar weit über den Rahmen dieses Sachgebietes hinaus aus einer sehr ernsten Sorge, die wir aus unseren Ländern hier im Bundestag, glaube ich, doch einmal auch mit aller Deutlichkeit herausstellen sollten.
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Wir hatten für das vergangene Jahr eine Rechtsverordnung über die Umsiedlung, eine Rechtsverordnung nach Art. 119, eine Rechtsverordnung mit Gesetzeskraft. Wenn Gesetze und Verordnungen des Bundes mit so wenig Wirksamkeit durchgeführt werden wie diese, dann ist die Glaubwürdigkeit der Bundesgesetzgebung als ganze in Frage gestellt.
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- Man soll keine undurchführbaren Gesetze machen, sondern man soll dann nach Mitteln suchen, um sie durchführbar zu machen. Wir wünschten, Sie hätten ein Gefühl für die Bitterkeit, die in den Notstandsgebieten der Bundesrepublik an sich schon entstanden ist, als wir sahen, daß diese Länder seit Jahr und Tag - und das gilt für Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bayern und einen Teil Hessens ja in gleichem Maße - Heimatvertriebene und Flüchtlinge aufgenommen haben und immer wieder aufgenommen haben, ohne daß ein Mensch aus einer zentralen Verantwortung heraus danach fragte, wie wir die Mittel dafür aufbringen könnten.
Wenn nun mit Recht - und wir haben dieses Recht zugebilligt - den Aufnahmeländern erhebliche Mittel für den sozialen Wohnungsbau und zur Arbeitsbeschaffung für die Vertriebenen zur Verfügung gestellt wurden, dann müssen wir - ich habe den Auftrag, auch das nicht nur namens meiner Regierung, sondern namens sämtlicher Parteien, die im Flüchtlingsausschuß in Niedersachsen vertreten sind, auszusprechen - dabei aber einen Weg vermeiden, der auch nur von weitem so aussieht, als ob die Durchführung von Bundesgesetzen honoriert wird.
Wir müssen darum die Erklärungen, die hier von einzelnen Bundestagsabgeordneten und von dem Herrn Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein abgegeben worden sind, mit allem Nachdruck unterstreichen. Ich darf hier erklären, daß die niedersächsische Regierung und der niedersächsische Landtag in völliger Einmütigkeit in seinen Parteien sich vor dle Frage gestellt sehen, ob sie überhaupt noch die Verantwortung für eine Umsiedlung übernehmen können, wenn sie etwa auf demselben Gleise weiterlaufen sollte wie bisher. Wir müssen das Hohe Haus bitten, bei den Ausschußberatungen auf Mittel und Wege zu sinnen, um sowohl durch eine gesetzliche Fundamentierung wie durch die finanziellen Möglichkeiten uns einen Weg zu schaffen, der die Verantwortlichkeit des Bundes klar herausstellt und der uns in den Flüchtlingsländern 'einige Gewähr dafür gibt, daß wir - mögen wir politisch stehen, wo wir wollen - mit der Gesamtlage in diesen Ländern überhaupt noch fertig werden können.
Ich bitte das Hohe Haus, diese Frage so ernst zu nehmen, wie sie ist. Wenn der Herr Bundesminister des Innern glaubte, für das Land Niedersachsen von dieser Stelle aus die Erklärung abgeben zu können, daß in einigen Gebieten dieses Landes die Voraussetzungen des Art. 91 des Grundgesetzes gegeben seien, dann kann ich als Flüchtlingsminister und im Zusammenhang mit unserer 'heutigen Sachfrage nur sagen, daß solche Voraussetzungen in den Flüchtlingsländern allerdings eintreten können, wenn die sozialen Spannungen weiter so wachsen, wie sie zur Zeit vor uns stehen.
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Daraus ergibt sich die Verantwortung, vor der wir heute im Bund und in den Ländern gemeinsam stehen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Seelos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind schöne und gute Worte angesichts eines Problems gefallen, das für Deutschland wohl das entscheidende und das wichtigste ist und von dessen richtiger Lösung unsere ganze Zukunft mit abhängen mag. Es hat uns mit tiefer Befriedigung erfüllt, daß das Problem, das wir vom ersten Tage des Bestehens des Bundestages als schwerwiegend angesehen haben, heute nun durch alle Parteien hindurch und auch von den Ländervertretern richtig erkannt worden ist und daß vor allem die Lösung des Flüchtlingsproblems wiederum entscheidend in einer richtigen Lösung des Flüchtlingsausgleichs gesehen worden ist. Die Worte, die der Begründer der Interpellation gefunden hat, können wir auch für Bayern fast wörtlich übernehmen. Es hätte keinen Sinn, hier über die spezielle Not der Flüchtlinge in einem Lande besondere Worte zu finden. Die Not liegt in Schleswig-Holstein, in Niedersachsen und in Bayern, von gewissen Abtönungen abgesehen, vollkommen gleich oder ungefähr ähnlich. Ich möchte diese Länderunterschiede auch gar nicht so herausstellen, sondern ich möchte hier einige Worte ganz grundsätzlicher Art zu dem Flüchtlingsproblem sagen.
Wir feiern heute einen sehr denkwürdigen und ernsten Jahrestag. Heute vor fünf Jahren sind die Bevollmächtigten von Hessen, Württemberg und Bayern im Länderrat in Stuttgart zu dem obersten Amerikaner gebeten worden, und es ist ihnen mitgeteilt worden, daß drei Millionen Deutsche aus der Tschechoslowakei in sehr rascher Folge in den nächsten Monaten zu erwarten seien. Wir waren über diese Nachricht erschüttert und entsetzt und konnten sie zunächst nicht glauben. Drei Millionen sollten in diese zerstörten, vom Kriege heimgesuchten Länder hineingestopft werden. Auf Einwendungen wurde uns sofort gesagt: das hat alles keinen Sinn, das sind oberste Beschlüsse, das muß durchgeführt werden. Wir sagten schließlich, daß man doch die Leute mitten im Winter nicht auf die Straße legen kann, weil wir nicht einmal Baracken hatten. Das wurde dann einigermaßen honoriert, und die Umzüge begannen erst im Februar.
Nach jedem verlorenen Krieg gibt es Flüchtlingsströme. Damit muß man rechnen, und man muß die Verantwortung dafür tragen, so wie wir am Nazikrieg eben diese Verantwortung mit tragen müssen, auch wenn der einzelne nicht schuld daran ist. Aber es ist irgendwie nur tragbar, wenn es sich in gewissen Limiten hält, und nicht, wenn diese Zahl hier durch die Schuld der Alliierten auf eine achtstellige Zahl anwächst, die eben mit unseren Mitteln nicht mehr zu bewältigen ist. Dann nützt es auch nichts, wenn die Hilfe der Alliierten nur darauf hinausgeht, die doch im Verhältnis zu unseren Mitteln bewundernswerten Leistungen zu kritisieren, die die einzelnen Länder aufgebracht haben, oder wenn sie nur darauf hinausgeht, durch Militärbefehle einfach Anordnungen zu treffen. Hier können sie ihre große Schuld nur dadurch irgendwie ausgleichen, daß sie die internationale Hilfe etwas mehr in Bewegung setzen, weil wir das Problem allein einfach nicht lösen können.
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Diese Hoffnung auf eine internationale Hilfe entbindet uns aber in keiner Weise von der Verpflichtung, eine Lösung für dieses Problem mit den Mitteln zu suchen, die uns eben zur Verfügung stehen.
Das Flüchtlingsproblem ist gelöst, wenn jeder arbeitsfähige Flüchtling einen seiner Fähigkeiten einigermaßen entsprechenden Arbeitsplatz gefunden hat. Die Wohnraumfrage wird dann früher oder etwas später auch gelöst werden. Das ist eine Binsenwahrheit, die ich hier sage. Als die Flüchtlinge in das Land hineinströmten, mußte man gegen diese Binsenwahrheit verstoßen, weil einmal die angrenzenden Länder sie aufnahmen, weil vor allem die agrarisch eingestellten Länder sie aufnehmen mußten, also das flache Land und nicht die Stadt. Sie mußten dort eingesetzt und untergebracht werden, wo sie nur schwer Arbeit finden konnten. Man sollte nun meinen, heute würde diese Binsenwahrheit - auch bei der Neuverteilung der Flüchtlinge - jedenfalls erkannt werden; aber man setzt diesen falschen Weg fort, indem man z. B. sagt: Zuerst müssen die Wohnungen irgendwo geschaffen werden - selbst dem reichsten Lande gibt man 100 Millionen DM Wohnungsbaukredit -, und dann erst sollen die Flüchtlinge nachfolgen. Das ist der falsche Weg, den wir vor 5 Jahren unter dem Drang ,der Ereignisse einschlagen mußten. Er ist auch 'deswegen falsch, weil Einzelverpflichtungen für einzelstehende Arbeiter von Industrieländern eingegangen werden, diese Arbeiter aber irgendwo in Zimmern untergebracht werden. Dann stehen die Wohnungen, die mit Wohnungsbaukrediten errichtet worden sind, für ganz andere Zwecke zur Verfügung. Das ist nur ein Zwischengedanke.
) Zur Lösung dieses Flüchtlingsproblems müssen wir also kommen; das liegt sowohl im Interesse der Einheimischen wie der Flüchtlinge selbst. Als wir im Bundestag diese Idee von Anfang an vertreten haben, hat man uns immer völlig andere Motive unterschoben. Es liegt nun aber einmal im beiderseitigen Interesse, daß die Spannungen gelöst werden, die gerade durch diese I. berfülle in bestimmten Gebieten und Ländern entstehen. Von den Vorrednern ist dies bereits eingehend ausgeführt worden, und ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen. Jedenfalls wird der richtige Weg für die Eingliederung, die doch das Ziel ist, nur dann gefunden sein, wenn die Verteilung einigermaßen gleichmäßig ist; denn die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern haben eben zuviel Flüchtlinge, um für sie einen Beruf zu finden. Das sehen wir ja auch an den Arbeitslosenziffern in schlagender Weise. Deshalb freut es uns, daß gerade auch von der SPD der Vorschlag dieses Gesetzentwurfes gekommen ist, der auf eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge hinzielt.
Wir brauchen hier auf die Einzelheiten nicht einzugehen. Wenn hier z. B. .das Schema 3 zu 2 zu 1 für Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern entgegen dem bisherigen Schlüssel 2 zu 1 zu 1, der in eingehenden Beratungen der Experten gefunden worden ist, eingeschlagen wird, so muß ich dem entgegenhalten, daß man schließlich nicht bloß die relative Stärke der Belegung mit Flüchtlingen, sondern auch die absolute Stärke der Belegung beachten muß. Da ist es nun einmal so, daß z. B. das relativ am stärksten belegte Land Schleswig-Holstein nach dem Stand vom 1. Juli 1950 916 000 Flüchtlinge hat; dagegen hat Bayern 1 936 000 Flüchtlinge, wozu noch 190 000 DPs kommen. Also auch die absolute Zahl spielt eine gewisse Rolle, und man muß deshalb in den Ausschüssen eingehend darüber beraten, welcher gerechte Schlüssel hier in Frage kommt; ob man zu einer Anderung des bisherigen Schlüssels von 2 für Schleswig-Holstein, 1 für Niedersachsen, 1 für Bayern übergehen soll.
Jedenfalls liegt sowohl in der Interpellation wie in dem Gesetzesvorschlag der SPD eine schwere Kritik an der Bundesregierung, die von ihren Möglichkeiten nicht vollen Gebrauch gemacht hat. In Schleswig-Holstein sind immerhin 65 % von der Zahl von 150 000 umgesiedelt worden, in Bayern von 75 000 nicht einmal 40 %. Also wir sind in dieser Hinsicht sogar noch viel schlechter gestellt als Schleswig-Holstein. Es liegt hier - das ist auch unsere Überzeugung eine echte Bundesaufgabe vor, die von den Ländern nicht gelöst werden kann.
Wir unterstützen deshalb alle Maßnahmen, die eine Stärkung der Bundesexekutive herbeiführen sollen, weil wir nur darin eine Möglichkeit der Lösung sehen, die wir mit allen Mitteln fördern wollen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tichi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon der Aufmarsch so prominenter Redner des Bundesrats zeigt uns den Ernst und auch die Wichtigkeit des Umsiedlungsproblems. Ich unterstreiche vor allem jedes Wort, das der niedersächsische Flüchtlingsminister, Herr Pastor Albertz, offen und deutlich ausgesprochen hat und danke ihm dafür.
Meine sehr Verehrten! Gestern hat das Kabinett eine neue Verordnung über die Umsiedlung für das nächste Jahr verabschiedet. Sie hat keinen Sinn und auch keinen Zweck, wenn sie nicht gesetzlich untermauert ist. Wir begrüßen deshalb den Antrag der SPD, weil wir auf Grund der bisherigen traurigen Erfahrungen mit der Umsiedlung davon überzeugt sind, daß nur auf gesetzlichem Wege ein ordentlicher Flüchtlingsausgleich durchgeführt werden kann.
Wir haben uns mit der Frage der Umsiedlung auf Grund unzähliger Interpellationen in der vergangenen Zeit befaßt, und ich hatte immer den Eindruck, daß einige Interpellationen nicht den Sinn und den Zweck hatten, die Heimatvertriebenen in Schleswig-Holstein, in Niedersachsen und in Bayern aus Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit und sonstigem sozialen Elend zu befreien und ihnen ein besseres Schicksal zu sichern, sondern daß man in der Regel die Absicht hatte, diese „lästigen" Menschen einfach loszuwerden.
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- Herr Kollege Baumgartner, gerade im bayerischen Wahlkampf ist das von Ihren Rednern wiederholt unterstrichen worden.
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- Gerade Sie waren es, Herr Abgeordneter Dr. Baumgartner, der weiter erklärt hat, daß das bayerische Wahlresultat durch diese Fremdlinge und Nichtbayern verfälscht worden ist.
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Nein, Sie haben gesagt: „Leute, die nicht hierher gehören".
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Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Tichi! Ich bitte doch, keine innerbayerischen Gespräche zu führen.
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Man könnte sagen, Herr Kollege Dr. Baumgartner, daß Sie und Ihre Partei dafür gewesen wären, den Heimatvertriebenen das aktive und insbesondere das passive Wahlrecht abzuerkennen und sie auch politisch rechtlos zu machen.
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- Wir haben Ihnen in Bayern die richtige Antwort gegeben.
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- Wir haben mehr als eine Million der Stimmen in Bayern bekommen, und wir haben heute im bayerischen Landtag eine geschlossene Fraktion von 20 Menschen. Man will uns an der Regierungsbildung beteiligen.
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Herr Abgeordneter Dr. Baumgartner, ich muß in dieser Ihrer Erklärung eine Beleidigung aller Flüchtlinge Westdeutschlands sehen. Ich rufe Sie zur Ordnung.
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Das ist unerhört, und das will der künftige Innenminister von Bayern sein!
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Die zur Debatte stehende Umsiedlungsaktion ist ein trauriges Kapitel für die Lösung des Flüchtlingsproblems in den westdeutschen Ländern. Ich muß dabei auch dem Herrn Kollegen Edert etwas sagen. Auch er hat in seiner Rede wohl der Befürchtung Ausdruck gegeben, daß die Kommunalwahlen für Schleswig-Holstein eine Gefahr bedeuten würden, wenn die Heimatvertriebenen die Mehrheit bekommen würden. Auch das möchte ich zurückweisen. Wenn es ein demokratisches Wahlrecht gibt, dann muß es auch für alle gelten.
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Dann müssen sich die andern ganz einfach damit abfinden. Darüber kommen wir nicht hinweg. Das ist eine Frage, über die wir uns vollständig klar sein müssen. Es geht nicht, daß es Länder gibt, die sich ganz einfach der deutschen Schicksalsgemeinschaft entziehen und der Aufnahme von Flüchtlingen ungeheure Schwierigkeiten bereiten.
Wir haben aus den Ausführungen des Herrn Ministers Albertz gehört und wissen es auch selbst, welche Schwierigkeiten bestehen. Aber gerade wegen des Auslandes müssen diese Schwierigkeiten behoben werden; denn im Ausland verfolgt man die Verhältnisse bei uns und die Entwicklung des Flüchtlingsproblems auf das genaueste. Wenn wir selber nicht imstande sind, auf diesem Gebiet Ordnung zu schaffen, dann können wir auf ausländische Hilfe kaum rechnen. Die Ordnung durch uns selbst ist eine Voraussetzung für eine ausländische Hilfe.
Meine sehr Verehrten! Wenn wir uns einmal mit den Dingen so ernst befassen, dann sehen wir, daß das reiche Land Nordrhein-Westfalen, das bis zum Ende des Jahres 1950 90 000 Heimatvertriebene aufnehmen sollte, bis heute noch 51 400 Heimatvertriebene aufzunehmen hat. Nicht anders ist es im Lande Rheinland-Pfalz. In der vergangenen Woche war eine Abordnung meiner engeren Landsleute aus Bayern, die das Schicksal nach Rheinland-Pfalz verschlagen hat, hier, und sie haben bittere Klage darüber geführt, daß sie monatelang in Massenlagern sitzen müssen, keine Arbeit bekommen und daß sich niemand um diese Leute kümmert.
Wir haben einen weiteren Fall aus der Presse. ({2})
Wir haben einen 'gleichen Fall in Frankenthal. In Frankenthal sind die Flüchtlinge ebenfalls in einem Massenlager untergebracht. Der Oberbürgermeister der Stadt hat wiederholt erklärt: Es ist unmöglich, für die Flüchtlinge Wohnraum zu schaffen.
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Eine überörtliche Wohnungskommission hat festgestellt, daß in der Stadt Frankenthal 750 unterbelegte Wohnungen vorhanden sind.
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Und trotzdem diese Härte und Herzlosigkeit.
Meine sehr Verehrten! Es ist sehr richtig: man hat durch das Ministerium für Heimatvertriebene für die Umsiedlung ,den Aufnahmeländern Millionenbeträge zur Verfügung gestellt. Das Land Nordrhein-Westfalen hat 100 Millionen DM zur Schaffung von Wohnungen für die Umsiedler bekommen und hat bis heute von diesen Geldern nicht einen Pfennig beansprucht.
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Unter diesen Umständen ist es vollständig klar, daß die Lösung dieses Problems nur auf einem gesetzlichen Wege möglich ist. Wir begrüßen deshalb den Antrag der SPD und werden uns für ihn einsetzen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Farke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Umsiedlungsaktion im Jahre 1950 ist in Art und Ergebnis - das haben wir heute feststellen müssen - in höchstem Maße unbefriedigend. Und das, was für das Jahr 1951 vorgesehen ist, kann uns, von den Flüchtlingsländern aus gesehen, auch in keinem Falle befriedigen. Wir unterstützen den Gesetzesvorschlag der SPD und sehen in ihm einen Fortschritt. Besonders gut ist in ihm ,die Verpflichtung der Städte Hamburg und Bremen, endlich einmal ihre eigenen Einwohner, die evakuiert waren, zurückzunehmen. Wir wünschen, daß das auch auf die Evakuierten aus Nordrhein-Westfalen ausgedehnt wird, die noch zu Tausenden in Niedersachsen darauf warten, in ihre Heimat zurückkehren zu können.
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Aber auch der Gesetzentwurf der SPD bringt für die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern noch nicht die notwendige Entlastung. Meine Meinung und die Meinung meiner Freunde ist, es müssen andere, zusätzliche Wege der Entlastung für diese Länder gegangen werden. Diese zusätzlichen Wege sehen wir vor allen Dingen auf finanziellem Gebiet. Es ist notwendig, daß das System der Finanzierung, soweit es anteilige Belastungen der Länder erfordert, geändert wird. Es geht nicht, daß die Interessenquoten der Länder von allen Ländern im gleichen Prozentsatz erhoben werden. Die Überbrückungshilfe, die den Kreis der 131er betrifft, hat bisher vom Bunde aus ein finanzielles Erfordernis von 82 Millionen DM gebracht. An diesen 82 Millionen DM z. B. sind die Länder mit einer Interessenquote von 15 % beteiligt. Da sich aber der größte Teil dieser 131er in den Flüchtlingsländern konzentriert, bedeutet das, daß diese Länder zusätzlich auch hier eine Interessenquote in ungeheurer Höhe im Verhältnis zu den anderen Ländern aufbringen müssen. Hier müßte der Weg ein umgekehrter sein: diese Länder müßten von der Interessenquote befreit werden, sie wäre für sie zumindest zu ermäßigen und in erhöhtem Maße den Ländern zur Last zu stellen, die ihre Pflicht bisher noch nicht getan haben. Ich glaube, das würde - denn moralische Deklamationen haben, glaube ich, keinen Sinn mehr - einen Druck bedeuten, den man verstehen würde. Dieser Druck hätte so lange anzudauern, bis allmählich eine gleichmäßige Verteilung Platz gegriffen hat.
Wenn ich an die Soforthilfe und an den kommenden Lastenausgleich denke, so ist da dasselbe zu sagen. Denn ich muß feststellen, daß ein Lastenausgleich im Vorwege in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern sowie in Nordhessen durchgeführt worden ist und auch weiter durchgeführt wird, der in gar keinem Verhältnis zu den Belastungen steht, die die damit nicht belasteten Länder zu tragen haben. Es wäre, glaube ich, notwendig, bei dem kommenden Lastenausgleich daran zu denken, die Betroffenen in den Flüchtlingsländern prozentual zu entlasten und diese Last den anderen aufzubürden, die nicht durch Schullasten und Fürsorge in den Gemeinden und in den Kreisen die ungeheuren Mehrausgaben haben. Diese Mehrausgaben müssen trotz des vorliegenden Gesetzentwurfs, den wir begrüßen, auch weiter getragen werden. Ich glaube, auf diesem Wege würden wir für die Flüchtlingsländer eine zusätzliche Entlastung herbeiführen, die wirklich eine Entlastung bedeuten würde und die die anderen Tag für Tag ermahnen würde - und am Geldbeutel werden die Menschen erst empfindlich -, daß sie eine Pflicht haben, eine deutsche Pflicht, die Lasten gleichmäßig auf sich zu nehmen, die die anderen Länder tragen mußten und denen sie auch in Zukunft anscheinend noch aufgebürdet bleiben sollen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kuntscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenige Wochen nach der Konstituierung dieses Hohen Hauses im Vorjahr standen Anträge zur Verhandlung, die sich mit der unbedingt notwendigen und dringenden Umsiedlung von Vertriebenen in d i e Länder, die wenig oder schwach belegt sind, befaßt haben. Fachausschüsse des Parlaments haben sich eingehend mit dieser Frage beschäftigt. Das Ergebnis war, daß am 29. November 1949 im Wege einer Rechtsverordnung die Umsiedlung von 300 000 Vertriebenen aus den drei überbelegten Ländern SchleswigHolstein, Niedersachsen und Bayern verfügt wurde. Ein festgelegter Schlüssel sah vor, daß 150 000 Vertriebene aus Schleswig-Holstein und je 75 000 Vertriebene aus Niedersachsen und Bayern in die weniger belegten Länder umgesiedelt werden sollen. In ,dieser Verordnung war auch eine weitgehende Begünstigung für die Aufnahmeländer dahingehend enthalten, daß alle Personen, die ehemals ihren Wohnsitz in den Abgabeländern hatten und nach dem 1. April 1949 in die Aufnahmeländer umsiedelten, in die aufzunehmende Quote einzurechnen sind.
Wir stehen nun am Ende des Jahres 1950 und sind in der Lage, eine Bilanz zu ziehen, wie diese Verordnung erfüllt und ob das Soll eingehalten wurde, das durch diese Verordnung festgelegt war. Wir müssen mit Bedauern feststellen, daß Zahlen, die uns amtlich zur Verfügung stehen und die mit dem 10. Oktober abschließen, besagen, daß kaum zwei Drittel des Aufnahmesolls von den Aufnahmeländern erfüllt sind. Heutige Zeitungsberichte bringen uns die Nachricht aus einer gestrigen Pressekonferenz, wonach sich die Zahl von - zwei Dritteln des erfüllten Solls auf zirka 75 % erhöht hat. Die weiteren amtlichen Zahlen zeigen uns aber auch. daß ,die Aufnahmefreudigkeit der einzelnen Aufnahmeländer sehr, sehr verschieden ist. Wir müssen es ganz besonders bedauern, daß gerade Nordrhein-Westfalen, jenes Land, wo auch Arbeitsplätze vorhanden wären, mit der Erfüllung des Aufnahmesolls sehr weit im Rückstand ist. Diese unerfreuliche Bilanz ist um so bedauerlicher, wenn man bedenkt, daß der Arbeits- und der Kontrollausschuß des Soforthilfeamtes der Umsiedlung dahingehend Rechnung getragen haben, daß sie aus Soforthilfemitteln den Aufnahmeländern ansehnliche Beträge zur Verfügung stellen, um den sozialen Wohnungsbau in einem sehr starken Maße vorwärts zu treiben und um Wohnraum für diejenigen zu schaffen, die aus den überbelegten Ländern nach den schwachbelegten Ländern umgesiedelt werden sollen. Desgleichen wurden aus Haushaltsmitteln des Bundes für die gleichen Zwecke beachtliche Beträge bereitgestellt. Es wurden für diese Zwecke - es ist wichtig, das zu wissen - für den sozialen Wohnungsbau 100 Millionen DM aus Soforthilfemitteln, 70.9 Millionen DM aus Haushaltsmitteln des Bundes, 23,6 Millionen DM aus Erträgnissen der Umstellungsgrundschulden, weitere 30 Millionen DM aus Soforthilfemitteln für die Zwischenfinanzierung der ersten Hypotheken und nochmals 40 Millionen DM aus Soforthilfemitteln für die Ergänzung des Eigenkapitals im Umsiedlerwohnungsbau, also insgesamt 264,5 Millionen DM zur Verfügung gestellt.
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Meine Damen und Herren, ich bitte, den Abgeordneten in den hinteren Bankreihen das Verstehen des Redners nicht durch intensive Unterhaltungen in den vorderen Bankreihen unmöglich zu machen.
Die Annahme, daß zu diesen bereitgestellten Mitteln ja auch noch Landesmittel gekommen sind, Mittel aus kommunalen, privaten und genossenschaftlichen Geldinstituten, aus Bau({0})
sparkassen und Versicherungen, ist berechtigt. Hinzu kommen Eigenmittel, Selbsthilfe und erste Hypotheken. Die Rechnung ist deshalb nicht übertrieben, daß 500 Millionen DM für Schaffung neuen Wohnraumes im Rahmen des sozialen Wohnungsbaues für Umzusiedelnde zur Verfügung standen. Wenn wir annehmen, daß zur Erstellung einer Wohneinheit 10 000 DM benötigt werden, so waren es immerhin 50 000 Wohnungen, die von den bereitgestellten Mitteln erbaut werden konnten. Es wurde also seitens des Bundes und aller interessierten Kreise wahrhaftig viel getan, um diese Umsiedlung reibungslos durchzuführen.
Kollege Dr. Edert hat in der Begründung der zur Verhandlung stehenden Interpellation insbesondere auf die Verhältnisse in Schleswig-Holstein Bezug genommen. Die Verhältnisse in Schleswig-Holstein sind uns bekannt und es liegt mir ferne, seine Ausführungen abzuschwächen; aber ich kann und muß Ihnen sagen, daß die Verhältnisse im nördlichen Niedersachsen ganz gleich gelagert sind. Vor der „großen Völkerwanderung" war das nördliche Niedersachsen - das sind die Regierungsbezirke Stade, Oldenburg, Ostfriesland und Lüneburg - ein Gebiet, wo die Bevölkerung zu 75 % in der Landwirtschaft tätig war. Nur 25 % fanden ihren Erwerb in der industriellen und gewerblichen Wirtschaft. Die industrielle und gewerbliche Wirtschaft dieser Gebiete bestand aus dem Schiffbau, den Werften der Kriegsmarine und den Zubringerindustrien für die Kriegsmarine. Diese Industrien sind verschwunden. Neue Industrien sind trotz aller Bemühungen wenig dazugekommen.
Dazugekommen ist aber in diesen Gebieten eine zahlenmäßig ebensostarke Bevölkerung, wie ehedem vorhanden war. Die Bevölkerung hat sich nahezu verdoppelt. Im Regierungsbezirk Stade mit seinen 665 000 Einwohnern ist der Anteil der Alteingesessenen 59 %, der Anteil der Vertriebenen 41 %. Im Regierungsbezirk Lüneburg liegen die Verhältnisse ähnlich: 60,8 % Alteingesessene, 39,2 % Vertriebene. So liegen die Verhältnisse auch in Ostfriesland und in Oldenburg.
Aus der Struktur dieser Gebiete ergibt sich die Zahl der Arbeitslosen. Im Regierungsbezirk Stade ist die Zahl der Arbeitslosen bereits wieder über 40 000 gestiegen; d. h. an die 20 % aller Erwerbstätigen sind arbeitslos; dies bei einem Bundesdurchschnitt von 9 %. Der Anteil der Heimatvertriebenen an diesem ungeheuren Prozentsatz von Arbeitslosen beträgt 60 %.
Diese Zahlen beinhalten aber nicht nur unsägliche Not, unsägliches Leid und Elend, sondern sie werden auch immer mehr zu einer staatspolitischen Gefahr. Diese verbitterten und enttäuschten Menschen können es einfach nicht verstehen, wenn die Umsiedlung in einem derartigen Schneckentempo weiter vor sich geht. Die Radikalisierung nimmt zu. Nationalbolschewistische Propheten finden in diesem Lande, bei diesen verbitterten und aufgewühlten Menschen Zulauf und Gehör.
Bemerken möchte ich nur, daß die Umsiedlung der bisher wenigen tausend Menschen aus unserem Gebiet für uns absolut keine Entlastung bedeutet; denn ich will Ihnen sagen: wir sind eben einmal ein Land an der Grenze. In den Frühjahrs-, Sommer- und Herbstmonaten betrug der tägliche Zugang aus der Ostzone an die 400 Menschen. Ein Großteil dieser Menschen sind und bleiben in den Gebieten an der Grenze. Es ist statistisch nachgewiesen, daß die Regierungsbezirke Lüneburg und Stade trotz der Umsiedlung einiger tausend Menschen im Zuge der heurigen Umsiedlungsaktion an Bevölkerung nicht ab-, sondern zugenommen haben. Gliedert man die Bevölkerung in Vertriebene und Alteingesessene auf, so ergibt sich, daß der Prozentsatz der Vertriebenen nicht gefallen, sondern gestiegen ist.
Zusammenfassend möchte ich feststellen: der Bevölkerungsausgleich ist nicht nur eine der inner-politischen Verpflichtungen zur Lösung des Vertriebenenproblems, sondern ein wesentlicher Beitrag zur Erhaltung des sozialen Friedens. Sonderinteressen einzelner Länder müssen vor der Größe dieser deutschen Schicksalsfrage zurücktreten, und dem zuständigen Ministerium müssen seitens des Hohen Hauses auch die gesetzlichen Mittel in die Hand gegeben werden, um die fehlende Solidarität zu erzwingen. Aus diesem Grunde erachten es meine politischen Freunde und ich auch als richtig, daß auf dem Wege eines Gesetzes die weitere Umsiedlungsaktion durchgeführt werden kann, damit sie für die überbelegten Länder wirklich eine Entlastung bringt. Es geht in dieser Frage um lebendige Menschen. Wir stehen unter Zeitdruck und wir haben aus staatspolitischen Gründen wahrhaftig die Verpflichtung - das möchte ich noch einmal unterstreichen -, das Problem in der ganzen Größe zu erkennen und die Umsiedlung so schnell wie möglich und zahlenmäßig so hoch wie möglich zügiger und energischer durchzuführen.
({1})
Meine Damen und Herren! Ehe ich das Wort weitergebe, möchte ich eine kurze Mitteilung machen. Im Hause läuft um eine an die Mitglieder des Auschusses für Kulturpolitik gerichtete Einladung des Herrn Bundesministers des Innern vom 7. Dezember 1950 zur Teilnahme an der Eröffnung des Jugendwerkes, die am Montag in diesem Hause stattfinden soll. Es heißt in dieser Einladung, daß zu der Veranstaltung der Herr Bundespräsident, die Hohen Kommissare, der Herr Bundeskanzler, die Mitglieder der Bundesregierung, die Ministerpräsidenten der Länder, die Senatspräsidenten der Hansestädte, der Oberbürgermeister von Berlin usw. eingeladen seien. Ich bin von Abgeordneten, an die die Einladung ergangen ist, gefragt worden, ob das Präsidium des Deutschen Bundestags dazu nicht eingeladen sei.
({0})
- Und der Bundestag! Es sind hier nur die Mitglieder des Ausschusses für Kulturpolitik eingeladen. Ich kann sagen, daß ich gestern, am 12. Dezember, eine Einladung erhalten habe.
({1})
Ich möchte diese Gelegenheit dazu benutzen, meinem Wunsche Ausdruck zu geben, da es sich nicht um den ersten Vorgang dieser Art handelt, daß bei derartigen Veranstaltungen der Deutsche Bundestag und sein Präsidium in der ihnen verfassungsmäßig zustehenden Art eingeordnet werden.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Renner.
({3})
- Acht Minuten, Herr Abgeordneter.
Meine Damen und Herren! Die Tatsache, daß die CDU am 26. Oktober, also vor dem Stattfinden gewisser Wahlen, diese Inter({0})
pellation eingebracht hat, scheint mir ein eklatanter Beweis dafür zu sein, wohin uns der dem föderalistischen System eigene und angeborene Egoismus zu führen geeignet ist. Die Tatsache der Interpellation ist aber auch gleichzeitig eine eklatante Verurteilung der Politik der Bundesregierung, die ja - in diesem Punkt ganz offensichtlich - von zwei Mitgliedern der Fraktion der Interpellanten verantwortlich geführt wird.
Wir Kommunisten stehen auf dem Standpunkt, daß die Umsiedlung der Menschen aus den überstark belegten Ländern eine Notwendigkeit ist. Wir glauben, daß das Problem der Beschaffung von Arbeit für diesen Personenkreis unter dem kapitalistischen System nicht in der Form gelöst werden kann, daß man in den an und für sich industriearmen Ländern, die diese Übervölkerung aufweisen, künstlich neue Industrien anpflanzt, die ja doch nur lebens- und konkurrenzfähig wären, wenn sie dauernd verlorene Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln erhalten. Wir sind also der Auffassung, daß die Umsiedlung eine Notwendigkeit ist, und wir sind bereit, allem zuzustimmen, was diese Umsiedlung nach vernünftigen Prinzipien zu fördern geeignet ist.
Wenn hier der Sprecher der CDU das schöne, stolze und richtige Wort geprägt hat „Unser Haus ist deutsch", wenn er am Schluß gesagt hat „Das ganze Deutschland soll es sein", wie kann man dann, wenn das Herzensüberzeugung ist, gleichzeitig die Tatsache, daß sich die Vertriebenen, Flüchtlinge und Umsiedler, wie Sie sie bezeichnen, politisch zu Parteien zusammengeschlossen haben, als die Gefahr einer Überfremdung bezeichnen? Wie ist es zu erklären, daß man als CDU, wenn man an ganz Deutschland denkt, in Schleswig-Holstein eine Abwehrorganisation der Einheimischen gegen die Fremden gründen konnte?
({1})
- Wer denn sonst, wenn nicht die CDU? ({2})
Sehr erstaunlich war es auch für mich, daß der Sprecher der CDU den Begriff des Eisernen Vorhangs mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes Schleswig-Holstein in Verbindung gebracht hat.
({3})
- Natürlich stimmt es. Aber es stimmt auch, und kein Mensch wird mir widersprechen, wenn ich sage, daß z. B. die Fischereiprodukte in der DDR liebend gern abgenommen worden wären. Also zumindest in einem Punkt kann die DDR kein Interesse daran gehabt haben, den „Eisernen Vorhang", von dem nur Sie faseln, aufrechtzuerhalten.
({4})
Wie ist es zu erklären, daß eine der ersten Handlungen der neu eingesetzten CDU-Regierung in Schleswig-Holstein darin bestand, aus der Verfassung die Agrarreform herauszunehmen?
({5})
- Richtig, darauf gebe ich Ihnen auch eine Antwort! Sie geben mir direkt ein Stichwort.
({6})
Wenn man Mitglied der NSDAP war und heute
durch Zufall, unter der Hut der amerikanischen Demokratie, Chef einer Länderregierung werden konnte, dann soll man sich nicht hier hinstellen und von der Not dieses Personenkreises reden.
({7})
- Es gibt darum Vertriebene, weil es eine NSDAP, einen Hitler und einen totalen Krieg gab.
({8})
- Ich halte Sie für viel zu klug, als daß Sie diesen Witz, den Sie eben gemacht haben, glauben. ({9})
Prasident Dr. Ehlers: Herr Abgeordneter Renner, darf ich Sie bitten, etwas vorsichtiger zu formulieren. Es handelt sich hier um einen sehr blutigen Witz.
({10})
Wieso ist das ein blutiger Witz? Weil er ihn macht?
({0})
- Dieser Witz ist nicht blutig, sondern höchstens dumm. Wenn man hier sagt: „Das ganze Deutschland soll es sein", dann sollte man sich darüber klar sein, daß das Problem der Vertriebenen und der Umsiedlernot nur durch ein einheitliches Deutschland gelöst werden kann.
({1})
Man sollte sich darüber im klaren sein, daß man mit solchen provozierenden Bemerkungen keine Fakten schafft.
({2})
Man sollte sich darüber im klaren sein, daß alles getan werden muß, um den Handel und die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Westdeutschland und der DDR möglichst schnell und vollständig wieder in Gang zu bringen. Man sollte Arbeitsmöglichkeiten für die Umsiedler schaffen; so steht das Problem. Diese kann man ihnen aber nur geben, wenn man dem deutschen Handel den Weg nach dem Osten aufmacht.
({3})
- Ich lasse mich durch Ihre Zwischenrufe nicht abhalten, zur Sache zu sprechen.
Ein Wort noch zu dem Gesetzentwurf, den die SPD eingebracht hat. Wir halten diesen Gesetzentwurf für durchaus wünschenswert, sehen aber besonders im § 4 gewisse Mängel. Uns scheint die Freizügigkeit und Freiwilligkeit der Umsiedlung nicht genug gesichert zu sein, die ja die Voraussetzung für jede Umsiedlung sein müssen. Wir sind auch mit gewissen anderen Formulierungen nicht einverstanden; wir halten sie für zu eng. Wenn hier zum Beispiel erklärt wird, daß die. Umsiedler „entsprechend den allgemeinen Wohnverhältnissen der einheimischen Bevölkerung" unterzubringen sind, so ist zu sagen, daß diese einheimische Bevölkerung, die, sozial gesehen, auf derselben Basis lebt wie die Umsiedler, zum größten Teil auch in elenden Baracken und Notunterkünften lebt.
Noch ein anderes Wort: Voraussetzung jeder Umsiedlung muß unserer Meinung nach auch sein, daß das Aufnahmeland nicht nur verpflichtet wird,
({4})
um beschleunigte arbeitsmäßige Eingliederung bemüht zu sein; wir sind vielmehr der Auffassung, daß die Umsiedlung nur stattfinden kann, wenn im Aufnahmeland bzw. in der Aufnahmegemeinde ein Arbeitsplatz vorher tatsächlich gesichert ist.
Das sind die Bedingungen, die wir stellen werden, wenn es zu einer Beratung des Gesetzentwurfes in dem zuständigen Ausschuß und später im Plenum kommt.
({5})
- Ich siedle sie nicht nach Sibirien um, ich hätte für sie einen anderen Platz!
({6})
Als nächster Redner hat das Wort der Herr Abgeordnete Clausen.
Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Edert und die Angriffe - ich will sie so bezeichnen -, die er gegen die dänische Bewegung gestartet hat, veranlassen mich, einiges zu erwidern und richtigzustellen. Herr Dr. Edert hat davon gesprochen, daß die dänische Bewegung eine Flüsterpropaganda treibe. Ich weiß nicht, Herr Dr. Edert, ob das richtig ist. Ich möchte betonen, daß die dänische Bewegung und deren politische Organisation, der Südschleswigsche Wählerverband eine politische Partei ist, wenn Sie wollen; mit einem Parteiprogramm, das bekannt ist. Die Funktionäre des Wählerverbandes arbeiten für die Durchführung dieses Parteiprogramms, und ihnen zur Seite stehen zwei Zeitungen oben an der Grenze,
({0})
und zwar eine dänisch und eine deutsch geschriebene Zeitung: „Flensborg Avis" und „Südschleswigsche Heimatzeitung". Daneben müßte Herr Dr. Edert wissen, daß gerade wir in der letzten Zeit überall im Lande Protestversammlungen abgehalten haben, die von Tausenden von Personen besucht waren, und daß in diesen Versammlungen eine Resolution angenommen worden ist, die ich persönlich dem Herrn Bundeskanzler übersandt habe, in welcher die Nöte dieses Landes nochmals dargestellt werden. All das ist keine Flüsterpropaganda, alles das ist offene Arbeit!
Einiges zu der Bezeichnung „nationale Gefahr". Meine Damen und Herren, ich bin gefragt worden, warum ich als schleswig-holsteinischer Abgeordneter nicht unterschrieben habe. Ich muß darauf antworten: Das mit der „nationalen Gefahr" muß ich Herrn Dr. Edert überlassen. Wenn das wirklich zuträfe, müßte ich für das Verbleiben der Vertriebenen in unserem Lande sein. Fest steht aber, daß gerade wir von unserer Organisation aus von Anfang an - seit 1945 - mit aller Entschiedenheit für eine Umsiedlung eingetreten sind. Warum Herr Dr. Edert erst fünf Jahre später hier diese Forderung erhebt, darüber, Herr Dr. Edert, wollen wir uns in Schleswig-Holstein in dem kommenden kommunalen Wahlkampf unterhalten. Ich glaube, daß man dies auf die Parteienbildung in Schleswig-Holstein, auf den BHE, zurückführen kann. Fünf Jahre lang waren wir vom Südschleswigschen Wählerverband mit unserer Forderung auf eine gründliche Umsiedlung so ziemlich allein.
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- Doch, hier an dieser Stelle, meine Damen und
Herren, habe ich zu dieser Frage dreimal das Wort
genommen und die Not dieses Landes geschildert.
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Meine Damen und Herren, ich freue mich, daß wir jetzt in Schleswig-Holstein eine ganz einheitliche Front haben, und ich will gerne sagen, daß ich auch mit dieser Interpellation voll und ganz einverstanden bin, weil - ich wiederhole das noch einmal - der Südschleswigsche Wählerverband diese Forderung als Programmforderung schon seit fünf Jahren vertritt.
Nun einiges zu den nationalen Minderheiten.
Nationale Minderheiten hat es auf beiden Seiten
der Grenze gegeben, solange diese besteht, und
jede kommende Regierung muß sich damit abfinden, daß diesseits der Grenze eine dänische Minderheit besteht. Diese Minderheiten haben aber im
Verlauf der Jahrzehnte in ihrer Mitgliederzahl
ständig geschwankt. Die dänische Minderheit hat in
den letzten Jahrzehnten eine gute, ja teilweise eine
starke Entwicklung genommen, und gute Demokraten haben sich seit Jahrzehnten bemüht, diesen
Minderheiten die freiheitlichen Rechte zu geben.
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- Gewiß, diese freiheitlichen Rechte haben wir durch das Kieler Abkommen erhalten, und wir sind als politische Partei anerkannt worden. Darum geht es, meine Damen und Herren, das ist meines Erachtens das Wichtigste. Zu den freiheitlichen Rechten aber gehört das Recht des freien Bekenntnisses und das Elternrecht. Alles andere und alle anderen Abmachungen sind meines Erachtens Gesinnungszwang. Eine Minderheit kann nur mit dem freien Recht des Bekenntnisses leben.
Noch ein Wort zur Kulturoffensive. Meine Damen und Herren, freuen wir uns doch, daß wir heute nur noch Kulturoffensiven haben und keine blutigen mehr.
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Auch zu der Frage, ob es richtig ist, Menschen aus einer Hundertmillionen-Kulturgemeinschaft in eine Viermillionen-Kulturgemeinschaft umzusiedeln, ein Wort. In einem kommenden vereinten Europa werden die Kulturgemeinschaften bestehen bleiben, und in einem kommenden vereinten Europa müßten wir gute Europäer schaffen. Die besten Europäer aber werden wir haben, wenn sie sich freiwillig einer Kulturgemeinschaft anschlieBen, und niemals dann, wenn sie zwangsweise in eine große Kulturgemeinschaft hineingepreßt werden.
Abschließend möchte ich dann noch zu den Geldern, von denen so oft geredet wird, sagen: Tatsache ist, daß die Minderheiten auf beiden Seiten der Grenze - drüben mit deutschem Geld und auf dieser Seite mit dänischem Geld - unterstützt worden sind, solange sie bestehen. Wenn jetzt erhöhte Beträge verwendet werden, dann liegt es hauptsächlich daran, daß diese Beträge - in Flensburg und in Schleswig - für Schulneubauten gebraucht werden, die erforderlich geworden sind, weil eine schleswig-holsteinische Regierung die bestehenden Kommunalschulen aufgehoben hat. Früher waren die Gemeinden in Flensburg und Schleswig verpflichtet, Schulräume für dänische Kinder zur Verfügung zu stellen; heute müssen wir für die dänischen Kinder sorgen. und für sie Schulräume bauen. Dazu werden heute
({5})
in erster Linie die Gelder verwendet, und daher kommen die hohen Summen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend erklären: Wir wenden uns vor allen Dingen dagegen - das möchte ich dem Herrn Abgeordneten Tichi sagen - und sehen es als eine Ungerechtigkeit an, wenn wir in unserer gewerblichen Wirtschaft nahezu 80 °Io Heimatvertriebene unterbringen müssen,
({6}) die die Arbeitsplätze einnehmen. Wir sehen das als eine Ungerechtigkeit an. Es gibt in Westdeutschland noch unbelegte Länder, die diese Nachteile nicht haben. Daher, sagen wir, werden die kommenden Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein ein Bild geben, mit dem die Einheimischen in Schleswig-Holstein nicht zufrieden sein können.
({7})
Meine Damen und Herren, ich möchte nun abschließend sagen: Auch ich begrüße die Gesetzesvorlage. Ich begrüße es, daß die Frage der Umsiedlung nun, endlich gesetzmäßig geregelt wird. Wir haben auch hei uns den Widerstand in den unterbelegten Ländern gespürt. Wir können nicht so lange warten, bis sie in den unterbelegten Ländern Häuser gebaut haben. Es ist hier von dieser Stelle schon gesagt worden: auch sie müssen nun endlich einmal in den Wohnungen zusammenrücken. Wir haben schon im Winter 1945/46 jedes einzelne Zimmer hergeben und registrieren müssen, um unglücklichen Menschen Obdach zu geben. Es müßte auch in anderen Ländern durch Bewirtschaftung des Wohnraums möglich sein, noch mehr Menschen unterzubringen. Ich begrüße den Gesetzentwurf, ich halte allerdings die Zahl von 300 000 für 1951 nicht für ausreichend. Aber der Gesetzentwurf wird ja dem Ausschuß überwiesen werden, und ich will hoffen, daß er dem Lande Schleswig-Holstein endlich die Entlastung bringt, auf die es einen Anspruch hat.
Meine Damen und Herren, von der Gruppe der Deutschen Reichspartei haben sich die Abgeordneten Frommhold und Goetzendorff gemeldet. Die beiden Herren haben sich in 5 Minuten zu teilen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Frommhold.
Frommhold ({0}): Meine Damen und Herren! Herr Kollege Seelos hat zu Recht erwähnt, daß in der Flüchtlingsfrage das Verschulden der Alliierten nicht gering und deren Verpflichtung, zu helfen, groß sei. Mit dem gleichen Recht können aber die Alliierten Maßnahmen verlangen, um ihre Hilfe wirksam werden zu lassen, Voraussetzungen, die bis zum heutigen Tage von der deutschen Bundesrepublik leider nicht erfüllt worden sind. Denn eine Hilfe soll nach dem Verlangen der Alliierten erst dann einsetzen, wenn Deutschland alle Mittel erschöpft hat, die ihm zu Verfügung stehen. Ich darf feststellen, daß diese Voraussetzung bei weitem noch nicht erfüllt ist.
Es ist heute schon des öfteren erwähnt worden, daß seit Bestehen unseres Parlaments die Frage der Ostvertriebenen mehrfach auf der Tagesordnung gestanden hat und behandelt worden ist. Trotzdem haben wir doch heute das Fazit ziehen müssen, daß man eigentlich über schöne Worte und Ansätze nicht hinausgekommen ist.
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- Herr Kollege Kunze, ich bedauere, bei meiner Behauptung beharren zu müssen.
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Sehen Sie, meine Damen und Herren, Redner der verschiedensten Parteien haben klar herausgestellt, daß die Länder, die Vertriebene aufnehmen sollten, immer wieder Wege finden, sich in irgendeiner Form hinter dem Grundgesetz zu verschanzen. Und wenn mein zweifacher Landsmann, Herr Minister Albertz, vorhin davon gesprochen hat, man müsse eventuell darangehen, das Grundgesetz zu ändern, so möchte ich hier erklären: Ich bin der Meinung, daß es ohne eine Änderung des Grundgesetzes überhaupt nicht möglich sein wird, eine für das gesamte Bundesgebiet gültige Lösung der Umsiedlerfrage zu erreichen.
Meine Damen und Herren! Es ist die Sehnsucht der Vertriebenen, nicht nur der ostdeutschen, sondern der Vertriebenen der ganzen Welt, in ihre Heimat zurückzukommen. Es ist von den Astvertriebenen Deutschen als ihr Fernziel bezeichnet worden, auf friedlichem Wege, trotz ostzonaler Anerkennung der Oder-Neiße-Linie, wieder einmal in ihre Heimat zurückzukehren. Ihr Nahziel aber ist die berechtigte Forderung auf gleichberechtigte Eingliederung in die westdeutsche Wirtschaft, in das Leben Westdeutschlands. Und dieses Nahziel, es kann erreicht werden dadurch, daß man einen Anfang macht, indem man den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD, von dem der Einbringer selbst sagt, daß er noch sehr erweiterungsfähig sei, in den zuständigen Ausschüssen mit aller Gründlichkeit, aber auch aller Schnelligkeit bearbeitet, um so einen Ansatzpunkt zu bekommen für eine wirklich gerechte und alle Teile befriedigende Lösung des Problems der Umsiedlung.
Herr Abgeordneter Goetzendorff, noch zwei Minuten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur kurz einer Auffassung entgegentreten, die Staatsrat Seelos hier geäußert hat. Es ist immerhin erstaunlich, daß ein solcher Superföderalist eindeutiger Prägung sich immer dann an dem Problem der Flüchtlinge mit dem Herzen erwärmt, wenn es darum geht, sie loszuwerden. Herr Staatrat Seelos hat sinngemäß gesagt, es sei wichtig, die Flüchtlinge in anderen Ländern unterzubringen, es sei nicht wichtig, daß dort schon vorher Wohnraum zu schaffen sei. Ich möchte folgendes erklären: Ich warne vor einer Entwicklung nach dem Rezept meines Herrn Kollegen Dr. Seelos. Man kann von den Menschen, die in den Ländern schon wieder Wurzel gefaßt haben, nicht verlangen, daß sie jetzt wiederum auf die große Wanderung gehen. Man kann es nicht dem Zufall überlassen, ob in den Aufnahmeländern für Arbeitsplätze und für Wohnraum gesorgt ist.
Ich bitte daher das Hohe Haus, ganz besonders darauf zu achten, daß bei der Umsiedlungsaktion unter allen Umständen dafür gesorgt wird, daß die Länder nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch entsprechenden Wohnraum bereitstellen.
({0})
Ich nehme an, daß jetzt der Herr Bundesminister für Vertriebene die Interpellation beantworten will.
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- Ich bitte, Wortmeldungen schriftlich hierher zu
geben. Die Aussprache ist keineswegs geschlossen.
Dr: Lukaschek, Bundesminister für Angelegenheiten der Vertriebenen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße die Interpellation, und ich begrüße auch die Einbringung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD in der Frage der Umsiedlung. Ich begrüße die Interpellation deshalb, weil sie uns Veranlassung gegeben hat, die große Problematik und die ganze Schwere des Vertriebenenproblems einmal vor aller Öffentlichkeit aufzurollen.
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- Ich möchte darauf hinweisen, daß mein Ministerium über diese Dinge immer ganz offen gesprochen und die Dinge insbesondere mit den Ländervertretungen in vollstem Einvernehmen erörtert hat, denn die ganze Flüchtlingsfrage ist nach dem Grundgesetz eine Länderfrage, und der Bund ist nur koordinierend tätig. Ich sage das nicht, um hinsichtlich der Verpflichtung des Bundes zur Lösung dieses schwersten Problems der Bundesrepublik beizutragen, irgendwie abzuschwächen, etwa wegen mangelnder Zuständigkeit. Ich habe die bayerische Interpellation bereits schriftlich eingehend beantwortet, und dort ist sehr viel Material unterbreitet.
Ich will kurz zusammenfassen: Ich kann vollinhaltlich unterstreichen, was hier von Vertretern aller Parteien - abgesehen von den rein politischen Bemerkungen - gesagt worden ist. Das ist erfreulich, denn es zeigt, daß die Frage der Vertriebenen weit hinaus über das Niveau jeder Parteipolitik reicht. Ich möchte am Anfang meiner Ausführungen unterstreichen, daß den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern unbedingt geholfen werden muß, und ich darf hervorheben, daß der Bund bisher getan hat, was nur irgendwie in seinen Kräften stand, um die Dinge vorwärtszutreiben.
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Mit der Notverordnung auf Grund des Art. 119 haben wir es unternommen, in diesem Jahr 300 000 Flüchtlinge umzusiedeln. Diese Notverordnung ist Gesetz; sie hat Gesetzeskraft, völlig gleichgültig, ob der Bundestag sie beschlossen hat oder nicht. Jedes Land ist verpflichtet, diesem Gesetz Folge zu leisten. Von den 300 000 Flüchtlingen sind bis zum 15. November 220 000 umgesiedelt worden, davon in gelenkten Transporten 148 000. Wir werden bis zum Ende dieses Jahres noch weitere 30 000 Flüchtlinge umgesiedelt haben, so daß 250 000 umgesiedelt worden sind. Ein Überhang von 50 000 Flüchtlingen wird bis zum 1. April nächsten Jahres umgesiedelt sein. Daß dieser Rest nicht umgesiedelt worden ist, liegt daran, daß die Wohnungen nicht fertig geworden sind. Das ist der Grund dafür, daß diese sehr bedauerlichen Stockungen eingetreten sind, die auch zum plötzlichen Zurückrufen von Transporten geführt haben, wodurch ein sehr schwerer individueller Mißstand eingetreten ist. Es sind dabei auch Verschulden vorgekommen, Verschulden mancher Behörden. Sie wissen, daß der Sozialminister von Rheinland-Pfalz erklärt hat, er habe ein Disziplinarverfahren gegen den Oberbürgermeister von Frankenthal eröffnet, weil dieser seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei.
Ich habe es, ganz offen gesagt, bedauert, daß sich die Aufnahmeländer bei dieser Debatte nicht zum Wort gemeldet haben, denn die Aufnahmeländer weisen ja mit allem Nachdruck darauf hin, daß sie „nicht mehr können". Ich könnte Ihnen unzählige Schreiben vorlegen, worin mir erklärt wird: Wir können nicht mehr. Ich bin jedoch verpflichtet, in aller Objektivität auch für die Aufnahmeländer ein Wort zu sagen. Die Aufnahmeländer haben sich alle Mühe gegeben. Sie haben darauf hingewiesen, daß es keinen Sinn habe, Flüchtlinge aus einem Massenlager in Schleswig-Holstein in ein Massenlager nach Rheinland-Pfalz oder Baden zu überführen. Sie haben errechnet, daß die Aufnahmefähigkeit ihrer Länder soundso groß ist und daß die Möglichkeit, neue Flüchtlinge aufzunehmen, nur dann bestehe, wenn für die Vertriebenen Wohnungen gebaut werden und wenn ihnen die Gründung einer Existenz ermöglicht wird. Davon ist das richtig, daß das ganze Problem der Umsiedlung überhaupt nur gelöst werden kann im Zusammenhang mit der Lösung der Frage des Wohnungsbaues und der Schaffung einer Existenz für die Vertriebenen.
Aber ich möchte gleichzeitig auch ein Wort der Kritik sagen. Die mit Flüchtlingen überlasteten Länder weisen mit Recht darauf hin, daß sie seinerzeit nicht gefragt worden sind, sondern daß sie aus einer selbstverständlichen Haltung heraus die Vertriebenen haben aufnehmen müssen, und daß es deshalb nicht ganz begründet sei, wenn von den Aufnahmeländern jetzt diese Frage aufgeworfen wird. Ich möchte feststellen, daß die Rechnung der Aufnahmeländer wissenschaftlich begründet ist. Aber es handelt sich hier nicht darum, diese Dinge jetzt mit rein rechnerischen Maßnahmen zu lösen, sondern darum, daß man sie auch mit dem Herzen lösen muß, und daß man etwas mehr tun muß, als sich unter Anwendung nur des Rechenschiebers ergibt. Und die Aufnahmeländer haben ja auch fünf Jahre Zeit gehabt, sich einzurichten. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß die Länder der französischen Zone überhaupt keine Vertriebenen aufzunehmen brauchten, weil die französische Militärregierung erklärt hat, das Potsdamer Abkommen sei von ihr ja nicht mit unterzeichnet worden, und deshalb könne sie auch nicht verpflichtet sein, Vertriebene aufzunehmen. Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Belegung der Wohnungen in Rheinland-Pfalz und in Baden nicht so groß ist wie in 'den Flüchtlingsländern. Aber unterdessen ist ja die Wohnungsgesetzgebung gelockert worden. Es müßte da erst ein anderes Wohnungsgesetz erlassen werden.
Noch eines kommt hinzu: Wir- können die Umsiedlung natürlich nur vornehmen auf Grund von freiwilligen Meldungen. Derjenige aber; der sich freiwillig meldet, hat den verständlichen Wunsch, sein Leben nun etwas besser einzurichten. Er will also vor allen Dingen eine Wohnung haben, und er will eine Existenz haben. Er muß also, um eine Existenz zu finden, also um Arbeit zu finden, in der Nähe der Städte angesiedelt werden. Die Städte der Aufnahmeländer leiden aber auch stark unter den Kriegsverwüstungen. In solche Gegenden, in denen es zwar Wohnungen, aber keine Arbeit gibt, will der Heimatvertriebene nicht angesiedelt werden; er kann dort auch nicht angesiedelt werden. Im hohen Hunsrück und im hohen Schwarzwald können zwar Heimatvertriebene unterge({3})
bracht werden; sie finden dort aber niemals Arbeit, und sie passen nicht dorthin.
Die Gründe also, die die Aufnahmeländer für ihre Weigerung anführen, entbehren nicht der Berechtigung, wenn ich auch immer sage, ,daß eine rein rechnerische Begründung nicht genügt und daß man etwas mehr von ihnen verlangen muß. Das, was Herr Abgeordneter Dr. Edert so stark hervorgehoben hat, müßte auch hinzukommen. - Es ist also unsere Aufgabe, die Dinge zu koordinieren mit dem Wohnraum und mit der Schaffung einer Existenz.
Herr Abgeordneter Albers hat vorhin gesagt, er habe den Verdacht, daß die Notverordnung erst auf Grund der Interpellation erlassen worden sei. Lieber Herr Kollege Albers, das können Sie wohl nicht mit Recht behaupten, denn Sie waren ja seit Monaten an den vorbereitenden Arbeiten beteiligt. Wenn ich nicht vorige Woche darum hätte bitten müssen, die Beantwortung und Besprechung der Interpellation auf den heutigen Tag zu verschieben, dann wäre diese Interpellation in der vorigen Woche beantwortet worden, ohne daß die Notverordnung vorlag. Aber ich bin doch froh, diese Notverordnung jetzt zu haben.
Es ist Kritik daran geübt worden, daß wir nur 200 000 Heimatvertriebene umsiedeln wollen. Ich bitte aber zu bedenken, daß diese 200 000 Heimatvertriebenen bis zum 15. September umgesiedelt werden sollen, und wir werden dann zur gegebenen Zeit eine neue Verordnung erlassen. Wenn Sie mich fragen, warum wir nur 200 000 Heimatvertriebene umsiedeln, so will ich Ihnen ganz offen sagen, daß wir erst nach sehr mühevollen Erwägungen zu dieser Zahl gekommen sind, nachdem wir auch ein großes Gutachten des Instituts für Raumforschung beim Marshall-PlanMinisterium eingeholt haben, in dem uns gesagt wurde, daß nach dem Ergebnis der wissenschaftlichen Arbeiten, die dort durchgeführt worden sind, die Möglichkeit bestehe, in diesem Jahre, wenn eine intensive Koppelung mit Wohnungsbau und Existenzgründung erfolge, 200 000 Heimatvertriebene umzusiedeln.
Wir werden uns im Bundesrat über alle diese Dinge noch eingehend unterhalten müssen. Ich für meine Person kann erklären, daß ich in diesem Jahre lieber 600 000 als nur 200 000 Heimatvertriebene umsiedeln würde. Für mich ist selbstverständlich der Beschluß des Bundestages, wonach außer diesen 200 000 Heimatvertriebenen noch weitere 600 000 Heimatvertriebene umgesiedelt werden sollen, eine Verpflichtung. Nur kommt es darauf an, innerhalb welcher Zeit das geleistet werden soll. Mit der Nennung der Zahl von 200 000 umzusiedelnden Heimatvertriebenen soll also nicht etwa der Beschluß des Bundestags, der die Umsiedlung von weiteren 600 000 Heimatvertriebenen fordert, unter den Tisch fallen.
Ich darf aber noch etwas anführen, meine Damen und Herren, um Ihnen zu zeigen, wie schwer dieses Problem zu lösen ist. Wenn wir 200 000 Menschen umsiedeln, so müssen für sie 50 000 Wohnungen erstellt werden. 50 000 Wohnungen zu erstellen bedeutet aber, daß wir zu ihrer Finanzierung ein Kapital von 500 000 Millionen DM aufbringen müssen. Sie sehen also, daß es nicht so einfach ist, dieses Problem zu lösen. Und wir müssen alles tun, damit die Gelder, von denen Herr Abgeordneter Kuntscher vorhin gesprochen hat und für deren Nennung ich dankbar bin, so schnell wie möglich aufgebracht werden, damit die Umsiedlung überhaupt finanziert werden kann. Die Gelder müssen rechtzeitig kommen, damit wir nicht wie in diesem Jahre nachhinken. Von den in den Aufnahmeländern zu bauenden Wohnungen für Vertriebene sind in diesem Jahr bisher 25°/o fertig geworden, daher auch der Überhang, der tief bedauerlich ist. Alle diese Dinge sind wichtig.
Herr Kollege Albertz hat insbesondere auf die Frage der gesetzlichen Grundlage hingewiesen. Nach den Artikeln 83 und 84 des Grundgesetzes ist die Ausführung der Gesetze des Bundes, also auch der Notverordnung, ausschließlich Sache der Länder. Der Bund hat gesetzlich nicht die Möglichkeit, das durchzuführen. Wenn man das ändern will, braucht man ein verfassungänderndes Gesetz. Alle die Bedenken, die heute dagegen bestehen, die Verfassung zu ändern, sind auch Ihnen bekannt. Ich weiß nicht, ob ein Gesetz, mit dem die Verfassung geändert würde, indem nämlich in den Ländern Auftragsverwaltungen für das Flüchtlingswesen geschaffen würden, von allen Flüchtlingsländern, selbst Bayern, angenommen würde. Ich habe erhebliche Bedenken, ob nicht der Bundesrat diese Dinge ablehnen würde. Mir würde es natürlich recht sein, wenn es so wäre.
Nun zu dem Gesetzentwurf der SPD. Auch ich begrüße an sich diesen Gesetzentwurf, möchte aber erklären, ,daß er noch ganz erheblich der Ergänzung bedarf. Daher bitte ich, ihn außer dem Vertriebenenausschuß und dem Verfassungsausschuß auch dem Wohnungsbauausschuß zu überweisen; die Dinge sind nicht voneinander zu trennen. Der Entwurf muß insbesondere hinsichtlich der Kontingente ergänzt werden. Wir müssen zu festen Kontingenten kommen und fragen, was nach der soziologischen Struktur. aus den Ländern umgesiedelt werden soll. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß ja bisher die Aufnahme- und Abgabekommissionen ausgesucht haben und dabei die Arbeitsfähigen, möglichst die Facharbeiter, auszuwählen versuchten, die Sozialrentner, die Pensionäre aber zurückließen. Da besteht für die Flüchtlingsländer die Gefahr, daß sie Armenhaus und Altersheim werden.
Alle diese Dinge regelt nun die Notverordnung, die ich dem Bundesrat vorlege. Will der Bundesrat sie annehmen - und wir kommen ja mit dem Bundesrat schneller zum Ziel als über die gewöhnliche Gesetzgebungsmaschine -, dann ist es recht; hält er eine Gesetzgebung für richtiger wie zum Beispiel bei dem Notaufnahmegesetz, - nun, auch gut; mir ist es gleichgültig. Aber dann müssen wir diesen Gesetzesvorschlag der SPD ganz erheblich durcharbeiten, und da wird die Notverordnung, die das Kabinett gestern beschlossen hat, eine sehr gute Grundlage sein.
Sie wissen, wir haben vorgeschlagen, im nächsten Jahre aus Schleswig-Holstein 120 000, aus Niedersachsen 50 000 und aus Bayern 30 000 umzusiedeln. Diese Zahlen werden erheblicher Kritik unterliegen, und auch für mich besteht kein Zweifel, daß es zu wenig sind, wie ja überhaupt über der Vertriebenenpolitik das Wort „zu wenig" steht. Nur: es einzuordnen und das meiste herauszuholen, das ist die Schwierigkeit. An mir und der Bundesregierung soll es nicht fehlen. Ich kann auch nur betonen, daß die Vertriebenenfrage der Frage einer Verteidigung zum mindesten gleichwertig ist, weil ihre Lösung die Voraussetzung für die Möglichkeit einer Verteidigung ist.
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Meine Damen und Herren, Sie haben die Beantwortung der Interpellation gehört. Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Trischler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem das Problem eines gerechten Flüchtlingsausgleichs von den verschiedenen Vorrednern sehr eingehend erörtert worden ist, kann und will ich mich sehr kurz fassen.
Was war die Lehre dieses letzten Jahres? Wir haben vor einem Jahr beschlossen, 300 000 umzusiedeln. Wir haben uns im Flüchtlingsausschuß Gedanken darüber gemacht, ob man das auf dem Verordnungsweg oder durch Gesetz durchführen soll. Wir haben im Frühjahr dieses Jahres beschlossen, 600 000 umzusiedeln, allerdings ohne Zeitangabe. Das Ergebnis ist, daß die 300 000 noch nicht umgesiedelt sind, daß wir aber doch immerhin, wie wir gerade vom Herrn Minister gehört haben, bis Ende dieses Jahres bei 250 000 angekommen sein werden.
({0})
Im Laufe dieses Jahres haben wir aber erkannt, daß die Kompetenzen des Bundes auf diesem Gebiete zu gering sind. Bestimmt wäre mehr zu erreichen gewesen, wenn der Bundesflüchtlingsminister in diesen Fragen mit mehr Machtbefugnissen hätte vorangehen können.
Aus diesem Grunde begrüßen wir die Initiative der SPD und den Versuch, das Problem in Zukunft auf gesetzlicher Grundlage zu regeln. Wir würden es auch begrüßen, wenn - notfalls durch Änderung des Grundgesetzes - die Möglichkeit geschaffen werden würde, in dieser Frage schneller zum Ziele zu kommen, als es bis jetzt geschehen ist. Es ist nicht ganz so selbstverständlich, daß man - so ist es gehandhabt worden - bei Verteilung der Gelder, die man für den Flüchtlingswohnungsbau zur Verfügung stellt, in erster Linie jene Länder berücksichtigt, die jetzt Aufnahmeländer sind. Mit Recht können sich die Länder, die Abgabeländer sind, darüber beschweren; denn bei ihnen bleiben im Verhältnis zu den anderen immer noch viel mehr Flüchtlinge. Wenn man trotzdem zugestimmt hat, so hätte man erwarten können, daß wenigstens diese Anzahl in der vorgesehenen Zeit tatsächlich aufgenommen würde.
Wir begrüßen also diesen Gesetzesantrag und insbesondere die Tendenz, die in ihm steckt. Ich glaube, daß in diesem Fall auch ein Land wie Bayern froh wäre, wenn die Kompetenz in der Zentrale des Bundes, im Flüchtlingsministerium, größer wäre als jetzt.
Wir werden bei den Ausschußverhandlungen unsere entsprechende Stellungnahme zu den einzelnen Paragraphen des Gesetzes bekanntmachen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Reitzner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte hat nicht nur die objektiven Schwierigkeiten aufgezeigt, die das Problem Umsiedlung mit sich bringt; die Debatte zeigt ja auch die subjektiven Widerstände, mit denen wir zu rechnen haben, sei es in den Ländern oder sei es bei Personen, die bestimmte Parteien repräsentieren. Ohne Zweifel muß man feststellen, daß heute die rechtlichen und die psychologischen Voraussetzungen für eine raschere Umsiedlung schlechter und schlimmer sind, als sie im Jahre 1946 oder 1947 waren. Die psychologischen Voraussetzungen kann man schwerlich ändern; aber, Herr Minister Lukaschek, man kann die rechtlichen Voraussetzungen schaffen, und sei es auch durch eine Verfassungsänderung, die eine rasche und umgreifende Umsiedlung ermöglicht; und das muß geschehen.
Ich glaube daher, daß folgender Weg beschritten werden muß. Der Gesetzesantrag meiner Freunde, der SPD-Fraktion, soll dem federführenden Ausschuß, und zwar dem Ausschuß für die Angelegenheiten der Heimatvertriebenen, übergeben werden, da der Gesetzentwurf natürlich einer gründlichen Durcharbeitung bedarf. Dieser Antrag soll dann weiter dem Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung zugeleitet werden. Wenn der Heimatvertriebenenausschuß, Herr Minister Lukaschek, ein verfassungsrechtliches Gutachten braucht, so kann er es sich ja einholen. Aber ich würde Wert darauf legen, daß man den kürzesten und raschesten Weg beschreitet und nichts getan wird, was geeignet sein könnte - auch unbewußt -, die Gesetzesvorlage in ihrer Verabschiedung zu verzögern.
Nun gestatten Sie mir noch einige Bemerkungen, die ich im Namen meiner Freunde, besonders aber als Heimatvertriebener, machen möchte. Hier wurden heute Äußerungen getan, die zeigen, daß das Problem der Heimatvertriebenen ein Spiegel ist, aus dem sich die charakterliche, sittliche und soziale Haltung des einzelnen widerspiegelt.
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Ich möchte mich hier nicht mit den Ausweichmöglichkeiten beschäftigen, die auch der Herr Staatsrat. Dr. Seelos angedeutet hat. Natürlich, das Heimatvertriebenenproblem in seiner Auswirkung und in seinen Ursachen ist nicht loszulösen von der moralischen und materiellen Mitverantwortung der Alliierten. Aber, Herr Staatsrat Seelos, es bleibt doch primär die Frage der Gesamthaftung der ganzen deutschen Nation für den Hitlerismus und für den verlorenen Krieg.
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- Nein, eben nicht! Sie wollen immer in der Art, die alliierte Hilfe herabzuflehen, der eigenen Verpflichtung ausweichen.
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- Ihr Kollege Baumgartner hat heute Formen und Normen entwickelt, von denen ich glaube, daß sie sehr gefährlich sind.
({3})
Wenn wir auch nicht Urbayern sind, Herr Abgeordneter Baumgartner, so beherrschen wir, glaube ich, doch auch als Zugewanderte die deutsche Sprache.
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Ich habe Sie vollkommen klar verstanden, und meine Freunde verstehen Sie auch, und ich möchte sagen: das, was Sie hier geäußert haben, ist gefährlich. Es ist nicht nur gefährlich in der Richtung,
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daß man mit solchen Äußerungen die Probleme verschüttet, sondern Sie haben sich ja, Herr Abgeordneter Baumgartner, mit dieser Behauptung, nämlich mit der Behauptung, daß es mit dem Begriff eines Kulturlandes unvereinbar ist, wenn man Fremden gleiche bürgerliche Rechte gibt, ({6})
Diese Fremden sind Deutsche, und Sie äußern solche Worte angesichts eines unendlichen Berges von Leid, Elend und eines Leichenberges.
({7})
Das ist das Schwierige und das Gefährliche. Ich sage Ihnen, Herr Abgeordneter Baumgartner, Sie entfernen sich mit diesen Worten nicht nur von Ihrem christlichen Gewissen, mit dem Sie im bayerischen Wahlkampf hausieren gingen,
({8})
Sie begeben sich mit diesen Worten in eine Atmosphäre des Bürgerkrieges in Bayern; das ist der Zustand, den Sie heraufbeschwören.
({9})
- Das ist keine Verdrehung. Das ist der Tatbestand, den wir aus Ihren Worten ableiten.
({10})
- Herr Abgeordneter Baumgartner, es sind ja nicht nur Ihre heutigen Worte. Ich gehöre zu den aufmerksamen Lesern - es ist nicht immer ein Genuß - der „Bayerischen Landeszeitung",
({11})
und ich sehe den Geist, der in dieser Zeitung, in Ihrem Organ, entwickelt wird, und ich kenne Ihre Absichten, die darauf hinauslaufen, ein Ausnahmegesetz für die Heimatvertriebenen zu schaffen.
({12})
- Ich spreche zur Sache. Ist es richtig oder ist es nicht richtig, daß Sie ein eigenes Staatsbürgergesetz im Auge haben?
({13})
Die Bayernpartei - das gehört zur Sache, und ich wiederhole es noch einmal - will ein Ausnahmegesetz, einen Ausnahmezustand für die Heimatvertriebenen schaffen. Daher frage ich, Herr Abgeordneter Baumgartner: Wer gibt Ihnen die Legitimation, so zu sprechen?
({14})
Sie haben nicht die formale
({15})
und - das bestreite ich auch - die andere Legitimation. Das bayerische Volk ist nämlich besser als Dr. Baumgartner und die Aumers und die Aretins.
({16}) Das ist die Wahrheit.
Daher möchte ich sagen: s o kann man es nicht machen.
({17})
- Nein, nein, Sie haben diesen Ton begonnen! ({18})
- Sie haben den Ton begonnen, nicht ich!
({19})
Ich glaube, ich befinde mich in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit des deutschen Volkes und dieses Hauses, wenn ich so etwas ausspreche.
({20})
So können die Dinge nicht gelöst werden.
Ich bitte daher das Hohe Haus, dem Antrage zuzustimmen und den Antrag dem Ausschuß für Heimatvertriebene und dem für Angelegenheiten der inneren Verwaltung zu überweisen.
({21})
Meine Damen und Herren! Ich weise darauf hin, daß der Abgeordnete Baumgartner mich bereits vor längerer Zeit gebeten hat, ihm nach Schluß der Aussprache zu einer persönlichen Bemerkung das Wort zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Brookmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Begründung der Interpellation Dr. Edert und Genossen, die Herr Dr. Edert hier selbst vorgetragen hat, ist keines der schweren Probleme, die das Land Schleswig-Holstein betreffen, offen geblieben, so daß es sich an sich erübrigt, das Wort zu nehmen.
Jedoch die Ausführungen, die der Herr Abgeordnete Clausen gemacht hat, veranlassen mich, noch einiges zu sagen. Sie dürfen unter gar keinen Umständen unwidersprochen bleiben. Der Abgeordnete Clausen hat versucht, die Hergabe der 20 Millionen Dänische Kronen seitens des dänischen Staates als eine Bagatelle hinzustellen, und glaubte, Herrn Dr. Edert zurechtweisen zu müssen, indem er sagte, daß von einer Kulturoffensive überhaupt keine Rede sein könne. Meine Damen und Herren! Eine Vergleichszahl! In sogenannten normalen Zeiten, in Zeiten der Weimarer Republik, hat der damalige deutsche Staat für die deutsche Minderheit in Nordschleswig einen Betrag von 400 000 Mark für kulturelle Zwecke, für den Bau von Schulen usw., zur Verfügung gestellt. Für eine - ich spreche immer nur von der echten dänischen Minderheit, damit ich nicht mißverstanden werde - kleine Minderheit, die dänische Minderheit, im jetzigen südschleswigschen Landesteil werden 20 Millionen Dänische Kronen fast ausschließlich für den Bau dänischer Schulen zur Verfügung gestellt, obwohl dänische Schulen oder Schulraum genügend vorhanden ist. In der Stadt Flensburg z. B. ist genügend Schulraum vorhanden. Dort kann die dänische Stadtverwaltung - denn die Stadtverwaltung ist dort dänisch; der Oberbürgermeister ist ein Däne - genügend Schulraum zur Verfügung stellen. Die Logik des Abgeordneten Clausen ist deshalb nicht begreiflich, wenn er sagt, das wäre mit den 20 Millionen eigentlich so gar nichts, und das solle auch nicht etwa eine Kulturoffensive sein.
Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Clausen hat sowohl der Interpellation als auch dem Antrage der Sozialdemokratischen Partei zuge({0})
stimmt. Das ist gut, wenn aus dieser Erklärung die gleiche Gesinnung spräche, die uns veranlaßt, dem Antrage der Sozialdemokratischen Partei zuzustimmen. Auch der Abgeordnete Clausen will Flüchtlingsausgleich. Aber aus welchen Motiven heraus? Nicht einmal, sondern in den letzten Jahren wiederholt haben die Dänen und die Neudänen die Flüchtlinge als eine Bedrohung ihrer dänischen' Grenze betrachtet und bezeichnet.
Meine Damen und Herren! Es ist uns durchaus bekannt, daß die Neudänen oder die dänische Regierung der Meinung sind, daß bei einer vielleicht kommenden Abstimmung - wir halten das nicht für notwendig, denn 1920 ist abgestimmt worden - die Einheimischen leichter zu gewinnen wären, wenn man die Flüchtlinge inzwischen evakuiert hätte. Das ist die eigentliche Gesinnung.
Und nun noch etwas zur „nationalen Gefahr", von der Herr Dr. Edert sprach und die der Herr Abgeordnete Clausen zu bagatellisieren versuchte. Ich will mich längerer Ausführungen darüber enthalten. Ich will mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur einige Stimmen namhafter dänischer Politiker und Neudänen, Vertreter des Landesteiles Schleswig, zitieren: „Wir müssen unser Banner über die Heimat bis zum Ufer der Eider pflanzen". Die Eider ist der Grenzfluß zwischen Südschleswig und Holstein. So hat ein dänischer Journalist einmal geschrieben.
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Der Chefredakteur von „Flensborg Avis", Christensen, hat zum gleichen Thema folgendes geschrieben: Wir blicken voller Erwartung auf die 70 dänischen Vereine,
-- gemeint sind Jugendvereine die als eine gesunde, starke und willenskräftige Jugend geloben, daß sie mit dazu beitragen wollen,. Südschleswig vorwärts- und heimzuführen.
Samuel Münchow, Mitglied des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Abgeordneter des Südschleswigschen Wählerverbandes, hat einmal folgendes ausgeführt.
Herr Abgeordneter Brookmann, darf ich im Interesse der Förderung unserer Arbeit die Bitte aussprechen, nicht zu stark in die Grenzprobleme einzutreten. Es handelt sich ja um eine Flüchtlingsangelegenheit.
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Ich habe es für notwendig erachtet, auf die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Clausen auch die richtige Antwort zu erteilen.
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- Sie müssen es schon mir überlassen, ob ich das für richtig halte oder nicht. Da hier von einer nationalen Gefahr gesprochen worden ist - der Abgeordnete Clausen glaubte, sie mit einer Handbewegung zurückweisen zu können -, muß dazu schon etwas gesagt werden. Ich will nur eine einzige Stimme zitieren. Herr Samuel Münchow hat erklärt:
Noch sind wir nicht am Ende des Weges. Große Aufgaben warten auf ihre Lösung. Der Weg vorwärts ist steinig, aber das Ziel ist klar. Wir wollen heim!
Meine Damen und Herren, darin erblicken wir weiß Gott eine nationale Gefahr seitens einer dänischen Minderheit, die sich mehr Zurückhaltung auferlegen sollte, als das bisher der Fall gewesen ist. Ich möchte der dänischen Minderheit wünschen, daß sie sich mit derselben Bescheidenheit und derselben Zurückhaltung im südschleswigschen Raum bewegt wie unsere Deutschen im nordschleswigdänischen Gebiet.
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Das Wort hat der Abgeordnete Wittmann. Ich stelle fest, daß das die letzte Wortmeldung ist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will Ihre Geduld nur wenige Minuten in Anspruch nehmen und bitte um gütiges Gehör. Über die Dringlichkeit des Problems der Umsiedlung brauchen wir kein Wort . mehr zu verlieren. Ich darf aber kurz auf die Darlegungen des Herrn Flüchtlingsministers hinweisen, ohne ihm unlautere Absichten zu unterschieben oder an seinem guten Willen zu zweifeln. Ich bitte nur, daß er als Minister dieses Ressorts und die anderen Herren, wenn es auch wenig Kohlen gibt, trotzdem ein bissel mehr Dampf darauf zu lassen, damit zu dem guten Willen nun auch die guten Werke kommen und damit das, was versäumt wurde, nun beschleunigt durchgeführt wird.
Die Hemmungen, die der Umsiedlung entgegenstehen, sind nicht nur wirtschaftlicher Natur. Ich bringe ein Beispiel, nur um das geistige und seelische Hindernis, das hier an allen Orten herrscht, kurz aufzuzeigen und auf die Gefahr hinzuweisen, die von dem Herrn Kollegen Reitzner angeschnitten wurde und wobei sich von dieser Seite ({0}) großer Widerspruch ergab: auf ,die Verbitterung und Radikalisierung dieser Ärmsten und Notleidenden, die letzten Endes zur Revolution und zum Bürgerkrieg hinneigt. Ein Beispiel: In einem größeren Ort des mittelfränkischen Kreises Neustadt äußerte sich ein Gemeindeschreiber:
Wenn nur erst mal die Besatzungsmächte fort sind, dann werden wir die Zugereisten schon herausbringen;
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dann werden wir sie schon heraustreiben. Und dazu wurde damals von diesem Herrn ohne Wissen des Bürgermeisters ein Formblatt in Druck gegeben, deutsch und tschechisch, das die Heimatvertriebenen meines Kreises ausfüllen sollten. Ich bin gerade noch zur rechten Zeit dahinter gekommen und konnte diesem Mann das Handwerk legen. Ich will damit sagen: Wir müssen alles daran setzen, um eine weitere Radikalisierung zu verhindern, wir müssen die inneren Schwierigkeiten bei uns vermindern und dürfen sie für die Aufnahmeländer nicht vergrößern.
Ich will nicht hinweisen auf die Diffamierungen in dieser oder jener Form, von denen wir heute gehört haben und wie sie das Leben uns tausendfach bringt. Diffamiert darf niemand werden, nirgends und niemals.
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Wir Heimatvertriebenen wären dankbar, wenn alle Instanzen in dieser Hinsicht im Volke wirken würden. Wir Heimatvertriebenen, auch vom Sudetengebiete, fühlen uns als gleichberechtigte und auch als gleichwertige Staatsbürger des Bundes und verbitten es uns, irgendwie in dieser Form diffamiert zu werden.
Weiter wollen wir nicht immer nur darauf hinweisen, daß wir den Krieg verloren haben und daß das gesamte Volk für den verlorenen Krieg haftet. Praktisch haben wir uns ja darüber nicht zu unterhalten. Aber, sind denn die demokratischen Siegermächte nicht dafür verantwortlich, daß sie im Jahre 1945 nach der bedingungslosen Kapitulation, als sie begannen; uns umzuerziehen und zu bestrafen, selber neue, ähnliche und noch größere Verbrechen an ca. 18 Millionen Menschen begangen haben!
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Diese Gedanken müssen wir der Welt immer wieder vorhalten. Es wurde heute gleicherweise von der Seite ganz links angeschnitten, - auch die Besatzungsmächte des Westens weisen immer wieder darauf hin - das Flüchtlingsproblem sei eine Folge des verlorenen Hitler-Krieges. Hierin widerspreche ich! Nein! Es ist nicht nur eine Folge des verlorenen Hitlerkrieges, sondern auch ihrer undemokratischen, unchristlichen Haltung gegenüber 18 Millionen Heimatvertriebenen? Siegerdemokraten haben dieses veranlaßt, niemand hat sie hierzu gezwungen!
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Eine weitere Bemerkung: Herr Dr. Seelos hat erwähnt - ich will es nicht kleinlich auffassen und hoffe, es richtig verstanden zu haben -, wesentlich sei in der Frage der Umsiedlung, daß die Heimatvertriebenen alle einmal Arbeit bekämen und in zweiter Hinsicht handele es sich um die Wohnraumbeschaffung. In dieser Hinsicht wollten Sie, Herr Dr. Seelos, grundsätzliche Ausführungen machen, wenn ich es recht verstanden habe: wenn jeder Heimatvertriebene Arbeit habe und die Wohnraumbeschaffung annähernd oder ganz gelöst sei, dann sei das Flüchtlingsproblem gelöst. Nach meiner Auffassung ist das Flüchtlingsproblem damit noch nicht gelöst.
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Es ist nur sistiert. Es ist nur der Anfang zur Lösung gemacht. Es ist .dem Problem eine der gefährlichsten Spitzen genommen. Die Lösung des Problems als solches wird auch nicht nach der Umsiedlung beendet sein, sondern das Problem ist erst gelöst, wenn nach der Umsiedlung die Heimsiedlung durchgeführt wird. Wir wollen die geraubte Heimat wieder haben. Bis dahin müssen der Einzelne, die Länder und der Bund alles tun und dürfen nichts unversucht lassen, damit unsere Heimatvertriebenen am Körper gesund, arbeitsfähig und einsatzfähig bleiben. Dort ist alles verwüstet. Mit neuer, unvorstellbarer Arbeit werden wir beginnen müssen, die verwüstete, nun jahrelang brach liegengebliebene, verödete, verwilderte Heimat neu zu bebauen und wieder neu erstehen zu lassen. Ein Übermaß an Arbeit wartet dann in der zurückgegebenen Heimat auf uns. Wir erbitten und erwarten vom gesamten Volk und von der noch freien Welt rechtzeitige und ausreichende Hilfe, damit wir bis dorthin die geistige und seelische Spannkraft bewahren. Unsere Leute werden langsam müde und mürbe. Es gilt, rasch zu handeln; denn nur, wenn wir die geistige Spannkraft bewahren, werden wir auch die andern materiellen und wirtschaftlichen Aufgaben lösen.
Es kommt also nicht darauf an, wie der Herr Flüchtlingsminister zum Ausdruck gebracht hat, die Schwierigkeiten dadurch zu beheben, daß man 200 000 Umsiedlern 50 000 Wohnungen baut. Die Wohnungsgesetze wurden gelockert. Da gab es Hemmungen. Es ist erwiesen, daß Wohnraum vorhanden ist. Der vorhandene Wohnraum muß er. faßt und für die Umsiedlung sofort zur Verfügung gestellt werden. Da geht es schon etwas schneller, wenn man nicht immer nur den guten Willen betont, in Wirklichkeit aber nur aus taktischen Gründen die Sache verzögert, sondern indem man tatsächlich einheitlich durchgreift. Alle, insbesondere jene - ich erwähne das noch einmal -, denen die Not der Zeit nicht so sehr ans Herz gegriffen hat, die an dieser Not vorbeigegangen sind, müssen zuvor das beste Beispiel im Werke geben.
In diesem Sinne bitte ich die Regierung, bitte ich- die besitzenden Klassen und insbesondere die 100 neuen Millionäre des Westens, nicht nur theoretisch Verständnis für die Nöte der Heimatvertriebenen und der anderen Verarmten aufzubringen, sondern diese Nöte einmal praktisch ein wenig kennenzulernen. Es ist doch entsetzlich, nur daran zu denken, was damals geschehen ist und geduldet wurde, wo es hieß, es sei eine Kulturschande für Bayern, als man die Zustände in den Flüchtlingslagern entdeckte. Warum konnten die Zustände so lange Zeit andauern? Weil von den hohen Herrschaften niemand dorthin gegangen ist, weil niemand dort in den verwanzten Baracken geschlafen hat, wie wir es tun mußten, weil niemand die Suppe und das Geschlamm gegessen und gefressen hat, wie es Tausende wochen- und monatelang tun mußten. Wenn diese hohen Herrschaften die Nöte auch nur ein wenig miterlebt hätten, dann wären solche Zustände nicht so lange geduldet worden. Infolgedessen dürfen wir darum bitten, wenigstens einige Tage darauf zu verwenden, die Nöte dieser Menschen am eigenen Leibe kennenzulernen, indem man dorthin geht und sich das Leben anschaut.
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Herr Abgeordneter Wittmann, ich bitte, zum Schluß zu kommen.
Ich komme schon zum Schluß. Zum Weihnachtsfest werden wieder herrliche Ansprachen gehalten werden. Botschaften werden in die Welt hinausgehen, deutscherseits, von seiten der westlichen Demokratien, vielleicht auch von Seiten des Ostens; ich weiß es nicht. Es heißt ja, daß man die andern bekehren will, daß man nicht mehr nach den Divisionen des Papstes fragt, sondern nach den Grundsätzen eines wirklichen Friedens. Weihnachtsbotschaften werden ergehen, und Weihnachtsansprachen werden gehalten werden. Mir persönlich graut vor diesen Phrasen, voriges Jahr wie heuer. Es wäre besser, wenn weniger fromme Worte gesprochen und mehr demokratische und christliche Taten vollbracht würden.
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Nur dann hat dieses „Ehre sei Gott in der Höhe", das zu Weihnachten wieder erklingt, einen Sinn. Man wird dem Ernst des Lebens am besten gerecht, wenn man die armen und ärmsten Menschenkinder nicht verzweifeln läßt, sondern ihnen Tag für Tag mit ausreichenden Werken hilft.
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Meine Damen und Herren, damit ist die Rednerliste zur Sache erschöpft. Der
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Herr Abgeordnete Clausen hat noch ums Wort gebeten. Ich nehme an, daß es sich um eine persönliche Bemerkung nach Schluß der Aussprache handelt. Ich werde ihm nach dem Herrn Abgeordneten Dr. Baumgartner noch das Wort geben.
Zunächst darf ich feststellen, daß ein Antrag auf Überweisung der Interpellation an einen Ausschuß nicht vorliegt und auch nicht beabsichtigt ist.
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- Also stelle ich fest, daß die Interpellation damit erledigt ist und daß der Antrag der SPD auf Drucksache Nr. 1618 an die Ausschüsse überwiesen wird, und zwar ist vorgeschlagen worden: an den Ausschuß für Heimatvertriebene als federführenden Ausschuß, weiterhin wohl auch an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen.
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- Also an den Ausschuß für Wiederaufbau nicht, sondern an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung und an den Ausschuß für Heimatvertriebene als den federführenden Ausschuß. - Dann ist die Überweisung erfolgt.
Ich gebe nun das Wort zu einer persönlichen Bemerkung im Sinne des § 84 der Geschäftsordnung dem Herrn Abgeordneten Dr. Baumgartner.
Meine Damen und Herren! Vor 14 Monaten haben wir denselben Antrag gestellt, wie er heute hier behandelt wird. Gegenseitig haben wir uns doch alle den guten Willen zuerkannt, daß wir einen gerechten Flüchtlingsausgleich anstreben. Es ist bedauerlich, daß sowohl von unserem Kollegen Tichi als auch von unserem Kollegen Reitzner in scharfen Bemerkungen eine Sprache geführt wurde, die unserem allseitigen guten Wollen widerspricht. Sie müssen doch dem Antrag, den wir vor 14 Monaten gestellt haben, die gleiche gute Absicht zuerkennen.
({0})
Wenn ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten jetzt eine persönliche Bemerkung machen darf, so möchte ich folgendes sagen. Die Ausführungen des Herrn Bundesflüchtlingsministers bestätigen uns, Herr Kollege Reitzner, daß eine Strukturwandlung, eine andere Zusammensetzung der Bevölkerung der einzelnen Länder nach einem gerechten Flüchtlingsausgleich erreicht werden soll.
({1})
Herr Abgeordneter Dr. Baumgartner, darf ich um eine Begrenzung bitten. Sie haben nicht zur Sache zu sprechen, sondern Sie haben eigene Ausführungen richtigzustellen oder Angriffe zurückzuweisen. Nur dazu haben Sie das Wort!
Herr Präsident, ich komme jetzt dazu. Der Herr Abgeordnete Tichi erwähnte, daß nach seiner Ansicht die Bayernpartei das Wahlergebnis in Bayern für verfälscht halte. Die Strukturänderung, die durch einen Flüchtlingsausgleich gegeben ist, muß doch jeder anerkennen. Ich habe dann einen Zwischenruf gemacht: „Jawohl, gerechter Flüchtlingsausgleich!" Dieser Zwischenruf ist mißverstanden worden. Die Bayernpartei, Herr Kollege Reitzner - und Sie wissen das von Bayern, Herr Kollege -, hat noch niemals behauptet, daß unseren Flüchtlingen das Wahlrecht genommen werden soll. Sie wissen, Herr Kollege
Reitzner und Herr Kollege Tichi, daß die Bayernpartei immer auf dem Standpunkt gestanden ist, daß der Teil der Heimatvertriebenen, der zahlenmäßig nach einem gerechten Flüchtlingsausgleich in die Länder gehört, mit allen Rechten und Pflichten als vollwertige Staatsbürger aufgenommen werden müssen. Etwas anderes hat die Bayernpartei nie behauptet und haben wir niemals gesagt.
({0})
- Ich habe nur zu dem Stellung zu nehmen, was der Abgeordnete Tichi gesagt hat.
({1})
Ich komme zum Schluß. Ich erkläre noch einmal: wir haben das so aufgefaßt, daß in Bayern das Wahlergebnis nach einem gerechten Flüchtlingsausgleich vollständig anders ausgesehen hätte.
Herr Abgeordneter Baumgartner, wenn Sie nur dies gesagt hätten, hätte ich Sie nicht zur Ordnung gerufen.
({0})
Das Wort zu einer persönlichen Bemerkung hat der Herr Abgeordnete Clausen.
Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Brookmann hat erklärt, wir hätten als einziges Motiv für die Umsiedlung, daß wir durch die Umsiedlung für uns bei einer Abstimmung ein günstiges Verhältnis schaffen würden. Ich möchte darauf hinweisen, daß unsere Gründe für die Umsiedlung in Hunderten von Versammlungen und in unserer Presse immer wieder gesagt worden sind und daß diese Gründe jetzt auch von den deutschen Kreisen und von der Partei des Herrn Abgeordneten Brookmann bis in Holstein hinein übernommen worden sind. Wir sind uns über diese Gründe auch völlig einig. Ich möchte es also zurückweisen, wenn hier gesagt wird, daß wir den Grund betreffend die Abstimmung in den Vordergrund gestellt hätten. Darüber ist von uns niemals gesprochen worden.
Damit ist Punkt 1 a) und b) der Tagesordnung erledigt. Ich darf der Hoffnung Ausdruck geben, daß uns die nächsten Punkte der Tagesordnung nicht auch jeweils drei Stunden beschäftigen werden.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend das Abkommen über die Gründung einer Europäischen Zahlungsunion vom 19. September 1950 ({0}).
Zunächst hat der Abgeordnete Nöll von der Nahmer zur Geschäftsordnung um das Wort gebeten.
Meine Damen und Herren! Meine Fraktion will der Behandlung dieses Punktes der Tagesordnung bzw. der Ausschußüberweisung nach formeller erster Lesung nicht widersprechen, hält sich aber für verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß die Drucksache Nr. 1655 so, wie sie uns Abgeordneten zugegangen ist, nicht als eine ordnungsmäßige Drucksache im Sinne unserer Geschäftsordnung anerkannt werden kann.
({0})
Wenn die Herren sich die Drucksache ansehen, so werden Sie finden, daß das eigentliche Abkommen über die Europäische Zahlungsunion feh1t. Ich darf darauf verweisen, daß wir etwas Ähnliches schon einmal beim Zolltarif erlebt haben. Wir haben uns damals schon im Interesse der Würde und des Ansehens dieses Hauses entschieden dagegen aussprechen müssen, daß wir hier in die Beratung solcher Vorlagen eintreten, ohne daß vorher den Abgeordneten das vollständige Material vorliegt, das für eine sachgemäße Beratung erforderlich ist. Die Untersuchungen haben ergeben, daß das Kabinett keine Schuld hat. Der Text des Abkommens ist tatsächlich dem Bundestag zugegangen. Wir schätzen alle unseren verehrten Herrn Präsidenten aus seiner früheren Mitarbeit im Haushaltsausschuß als einen sparsamen Mann. Wir haben auch Verständnis dafür, daß unser verehrter Herr Präsident Bedenken hatte, dieses Abkommen, das nur in einer unzureichenden Menge von Exemplaren dem Bundestag zugegangen war, noch einmal besonders drucken zu lassen. Er wollte den Vertragstext aus Sparsamkeitsgründen nur den Ausschußmitgliedern übergeben. Auch gegenüber der Öffentlichkeit muß hervorgehoben werden, daß auch in diesem Falle wieder Bundestag und Präsident den Wunsch nach äußerster Sparsamkeit hatten. Wir können uns an sich nur darüber freuen, daß unser Präsident versucht, die Ausgaben so weit herunterzudrücken, wie es möglich ist. Ich glaube aber, daß wir uns bei aller gebotenen Sparsamkeit mit dieser Praxis nicht abfinden können. Wir müssen darauf bestehen, daß bei solchen Vorlagen die Abkommen in vollem Umfang jedem einzelnen Abgeordneten zugänglich gemacht werden, zumal diese Drucksachen ja schließlich auch noch für Zwecke außerhalb des Hauses Bedeutung haben: Will man andererseits die Kosten niedrig halten, so bitte ich, zu überlegen, ob nicht beim ersten Druck eines solchen Abkommens, das ja zunächst einmal dem Bundesrat zugeht, von vornherein die Auflage so hoch bemessen werden kann - was nicht eine allzugroße Kostenerhöhung bedeutet -, daß nachher auch für das Parlament ausreichend Drucksachen zur Verfügung stehen. Wir möchten jedenfalls in Zukunft nicht wieder eine Drucksache als Grundlage für eine erste Beratung haben, die dem einzelnen Abgeordneten gar nicht die Möglichkeit einer sachgemäßen Information bietet. Dies hier zum Ausdruck zu bringen, hat meine Fraktion im Interesse des Ansehens des Hauses für notwendig gehalten.
Das Haus hat davon Kenntnis genommen.
Zur Begründung der Vorlage hat das Wort der Stellvertreter des Bundeskanzlers, Herr Bundesminister Blücher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist für mich natürlich etwas mißlich, zur Einführung der Gesetzesvorlage etwas zu sagen, nachdem ich erst heute vormittag von dem durch den Herrn Abgeordneten Nöll von der Nahmer behandelten Zwischenfall erfuhr, daß Sie nämlich das eigentliche Abkommen zu einem großen Teil nicht in der Hand haben. Ich will gleichwohl versuchen, in aller Kürze zu der Gesetzesvorlage zu sprechen.
Das Gesetz, das von Ihnen verabschiedet werden soll und das den Zutritt der Bundesrepublik zu dem Abkommen über die Gründung einer Europäischen Zahlungsunion beantragt, ist nur ein konsequenter Schritt auf dem Wege zur europäischen Integration, wie er zuerst mit dem Marshallplan, wie er mit der allmählichen Auflockerung des Warenverkehrs, mit der Beseitigung der dem Warenverkehr entgegenstehenden administrativen Hindernisse beschritten wurde. Insofern handelt es sich tatsächlich nicht nur um ein Politikum schlechthin, sondern um eine wesentliche wirtschaftliche Maßnahme.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Tatsache macht uns nicht blind davor, daß diese Maßnahme ebenfalls nur ein Transitorium sein kann; denn sie soll ja nur in bescheidenem Maße jenen unglückseligen Zustand beenden, der nun schon sehr viele Jahre hindurch fast ohne Unterbrechung so verhängnisvoll das Wirtschaftsleben der Völker vergiftet: es ist der Zustand der fortgesetzten Veränderung von Währungswerten; es ist der Zustand, daß die europäischen und die Weltwährungen untereinander nicht austauschbar sind. Solange das aber nicht der Fall ist, kann nicht die Rede von einem geordneten und vor allen Dingen auch nicht von einem gesicherten Warenverkehr sein.
Hier bringt dieses Abkommen durch seinen Ihnen allen bekannten Inhalt den Versuch einer weitgehenden Hilfe. Aber dahinter bleiben die großen Fragen noch immer ungeklärt, vor allem die große Frage, ob die verschiedenen Währungen der miteinander im Wirtschaftsverkehr stehenden Länder ihren festen Wert, ihre gleiche Abrechnungsgrundlage behalten werden oder nicht. Denn die großen Krisen der letzten 20 Jahre sind ja fast alle unter anderem durch die Tatsache ausgelöst worden, daß jedes Land eine völlig autonome Währungspolitik betrieb. Ich brauche Sie nur an den September 1949 zu erinnern, um auf die hier ruhenden Gefahren sehr aufmerksam zu machen.
Aber immerhin: wenn auch Deutschland sich aus Überzeugung zur europäischen Integration auf wirtschaftlichem und hoffentlich auch auf politischem Gebiete entschlossen hat, dann ist der Beitritt zu diesem Abkommen nur ein konsequenter Schritt. Denn dahinter soll ja alles das folgen und wird zum Wohle der Völker folgen müssen, was sich zunächst einmal unter dem schlichten Wort „Zollfrage" verbirgt und was dann hinterher vielleicht auch in einer echten Währungsunion zum Abschluß kommen müßte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das zur allgemeinen Bedeutung dieses Gesetzes! Ich habe zu begründen, warum wir die Ratifikation durch das Parlament für notwendig halten. In der Ihnen vorliegenden Begründung des Gesetzentwurf es, Seite 3 der Drucksache Nr. 1655, Überschrift „Artikel I", ist dies zum Ausdruck gebracht. Das Abkommen beeinflußt die handelspolitischen Beziehungen der Bundesrepublik zu allen Teilnehmerländern der Union. Infolgedessen ist es nach unserer Auffassung gemäß Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes der Ratifizierung durch den Bundestag bedürftig. Im Ausschuß wird ausführlich über den von der Norm abweichenden Inhalt des Art. 3 des vorliegenden Gesetzentwurfs zu sprechen sein, in dem gesagt wird, daß das Gesetz mit dem Tage der Unterzeichnung des Protokolls, also mit dem 19. September 1950, in Kraft tritt. Ich darf mir hier zu dieser wichtigen Einzelfrage wohl nicht mehr als einen Hinweis gestatten.
Aber vielleicht wird zu der allgemeinen Frage neben der Begründung ihrer Bedeutung etwas anderes gefragt werden müssen: nämlich ob sich die
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Bundesregierung im Sommer dieses Jahres über jene Lage klar war, die ihren Niederschlag in den Ihnen bekannten Schwierigkeiten der Devisenbilanz gefunden hat, wie sie im September/Oktober dieses Jahres ganz deutlich zu Tage traten. Hierzu möchte ich auf den Wortlaut der Erklärung hinweisen, die ich als Vertreter der Bundesrepublik im Exekutivrat der OEEC am 7. Juli 1950 abgegeben habe. Wir haben dort auch begründet, weshalb wir es gleichwohl für richtig halten, an diesem Abkommen teilzunehmen, und wir haben es allerdings nicht unterlassen, auf alle die Bedenken hinzuweisen, die wir haben und die wir auch sehr deutlich aussprechen mußten.
Es ist weiter von manchen Stellen in den letzten Monaten die Frage laut geworden, warum es nicht möglich gewesen sei, wenn man schon Mitglied dieser Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit ist, auch tatsächlich zu einer europäischen Währung zu gelangen.
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Die europäische Währung muß - das ist wohl auch die Ansicht des überwiegenden Teiles dieses Hauses - eines Tages das Endziel sein. Aber - ich habe eben schon die Frage der Zölle angeschnitten - ich muß auf jene Verhältnisse hinweisen, die nach der schrittweisen Beseitigung der Zölle eintreten werden, auf jenen ganz grundsätzlichen Strukturwandel sehr vieler Nationalwirtschaften und auf die Überwindung dieser Zustände, die sicher Voraussetzung für eine stabile und einheitliche Arbeit einer solchen Währungsunion sind.
Jedenfalls haben wir die Vorteile des sofortigen Beitritts, der sich ja an sich auch aus unserer Mitgliedschaft in der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit ergab, für groß genug gegenüber irgendwelchen Bedenken gehalten.
Diese Vorteile bestanden zunächst einmal darin, daß Deutschland noch stärker als bisher in dieser europäischen Organisation mit gleichem Recht in Erscheinung trat, nachdem es schon nicht nur Mitglied der Organisation, sondern auch in seinem Vertreter Mitglied des Exekutivrates der Organisation war. Es war für uns auch sehr wesentlich, daß im Direktorium dieser Zahlungsunion ein Deutscher als Mitglied sitzt.
Dann haben wir aber neben diesen politischen Argumenten die wirtschaftlichen nicht für weniger durchschlagskräftig gehalten. Es ist doch zunächst einmal ein echter Beweis der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, daß es sich hier um Operationen handelt, bei denen die Gemeinschaft der beteiligten europäischen Länder denen, die es notwendig haben, Kredite gibt. Das ist ein Fortschritt des wirtschaftlichen Denkens, wie wir ihn vor zwei Jahren sicher noch nicht hätten erhoffen dürfen.
Dazu kommt noch ein weiteres. Es wird endlich nicht mehr auf die Dauer unsinnig eingekauft werden müssen, wie das beim Bilateralismus der Fall war, wo man einkaufte, um sich zu seinem Guthaben zu verhelfen. Man hat jetzt wieder die größere Möglichkeit der freien Auswahl des Lieferlandes, weil man nicht von vornherein auf die zweiseitige Abrechnung mit den Ländern angewiesen ist. Das bedeutet aber erfreulicherweise auch ein Anwachsen des Wettbewerbs, und dieses Anwachsen des Wettbewerbs bedeutet ferner, wenn nicht von verbrecherischer Hand irgendwo anders weltpolitische Krisen entfesselt werden, einen Druck auf die Preise.
Schließlich durften wir gerade im Rahmen dieses Abkommens für uns als ein Positivum buchen, daß innerhalb dieser Organisation eine geordnete und langfristige Abdeckung früher einmal entstandener Verpflichtungen gewährleistet ist. Es darf auch nicht vergessen werden, daß wir durch die Teilnahme an dieser Zahlungsunion auch der Marshallplanhilfe teilhaftig werden, die neben der Individualhilfe an die einzelnen Länder durch Beibringung des Kapitals dieser Union an Europa geht.
Dagegen kann man natürlich darauf hinweisen, daß auf die einzelnen Handelspartner nicht mehr der starke Druck ausgeübt würde, sich durch Warenbezüge sein Guthaben zu verschaffen, wie er bei zweiseitigen Abmachungen bestand. Man könnte also befürchten, der Export ginge in dem einen oder anderen Falle zurück. Aber die von mir aufgezeigten Vorteile sind sicherlich größer.
Es ist richtig, daß sich alle 19 Teilnehmerländer gemäß diesem Abkommen gewisser Rechte auf eigene Bestimmung aller Wirtschaftsvorgänge berauben. Ich darf aber darauf hinweisen, daß nicht Deutschland allein das tut, sondern alle Teilnehmerländer. Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich in diesem Abkommen einen erneuten Fortschritt auf dem Wege zur europäischen Einheit sehen.
Meine Damen und Herren, das ist kurz zusammengefaßt, was ich zu dem Grundsätzlichen sagen möchte, zu den Fragen, wie sie im großen Raume durch das Nachdenken über dieses Abkommen und seine Beratung aufgeworfen werden. Ich bitte Sie, uns in den zuständigen Ausschüssen dazu zu verhelfen, daß wir recht bald die Ratifikation mitteilen können, damit wir, auf einer festen Rechtsgrundlage stehend, mit dem Ziele mitarbeiten, das hier Begonnene im Sinne einer Verbesserung und Vertiefung eines Werkes fortzusetzen, das bisher das einzig solide ist, um Europa allmählich wirtschaftlich zusammenzubringen.
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Der Ältestenrat, meine Damen und Herren, hat bei diesem Punkt der Tagesordnung vorgesehen, auf eine Aussprache zunächst zu verzichten und unmittelbar im Anschluß an die Begründung die Überweisung an den Ausschuß vorzuschlagen.
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- Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist.
Ich bitte die Damen und Herren jetzt um ihren Beschluß, dieses Gesetz an den Ausschuß für ERP-Angelegenheiten als federführend und gleichzeitig an den Außenhandelsausschuß zur Mitbehandlung zu überweisen. Ich bitte diejenigen, die diesem Antrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Damit ist die Überweisung beschlossen.
Bevor ich den nächsten Punkt der Tagesordnung aufrufe, habe ich noch mitzuteilen, daß der Herr Präsident die Mitglieder des Ältestenrats auf 12 Uhr 50 zu einer kurzen Sitzung des Ältestenrats bittet.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Groß-Berlin ({1}) ({2}).
Das Wort zur Begründung hat der Herr Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Inhalt des Gesetzentwurfs zur Förderung der Wirtschaft von Groß-Berlin ist sämtlichen Mitgliedern des Hohen Hauses bereits bekannt. Diese Frage ist in den Ausschüssen schon grundsätzlich erörtert worden. Was der Gesetzentwurf vorsieht, ist lediglich die Ausführung dessen, was schon als Wille des Deutschen Bundestages hervorgetreten ist. Es ist lediglich der Vorschlag, eine Bürgschaft bis zu einem Höchstbetrag von insgesamt 20 Millionen D-Mark auf d'en Bund nach Richtlinien zu übernehmen, die von der Bundesregierung erlassen werden. Das Wesentliche ist in diesem Fall, daß diese 20 Millionen-DM-Bürgschaft für sogenannte Betriebskredite übernommen werden soll, während Bürgschaften bisher immer nur für Investitionskredite gegeben worden sind. Darin liegt eine Bevorzugung der Berliner Wirtschaft, der wir uns bewußt sind, die aber aus den besonderen Verhältnissen Berlins heraus gerechtfertigt erscheint.
({0})
Der Ältestenrat hat für die Aussprache über diesen Gegenstand eine Gesamtredezeit von 60 Minuten vorgesehen. Ich nehme die Zustimmung des Hauses dazu an. - Wortmeldungen liegen aber nicht vor. Unter diesen Umständen kann ich die Aussprache als geschlossen ansehen.
Es ist Überweisung an den Haushaltsausschuß und an den Ausschuß für Geld und Kredit vorgesehen, wobei der Haushaltsausschuß federführend ist. Ich bitte diejenigen, die der Überweisung zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich darf dann im Auftrag des Vorsitzenden des Ausschusses für Geld und Kredit mitteilen, daß als Sitzungssaal für die gemeinsame Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit und des Haushaltsausschusses am Donnerstag, dem 14. Dezember, 8 Uhr 30, das Zimmer 10 ({0}) vorgesehen ist. Ich bitte die Mitglieder der genannten Ausschüsse, von dieser Mitteilung Kenntnis zu nehmen.
Ich rufe nun auf Punkt 4 der Tagesordnung: Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur :nderung und Ergänzung des Wertpapierbereinigungsgesetzes ({1}).
Das Wort zur Begründung hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Verordnung über die Erstreckung von Recht der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes auf dem Gebiet der Wertpapierbereinigung und des Kapitalverkehrs vom 12. Mai 1950 auf die Länder der französischen Besatzungszone liegt Ihnen heute der Entwurf des Ersten Ergänzungsgesetzes zum Wertpapierbereinigungsgesetz zur Beratung vor. Diesen Anlaß möchte ich benutzen, Sie kurz über den derzeitigen Stand der Wertpapierbereinigung zu unterrichten, deren Verlauf in erster Linie wegen ihrer großen wirtschaftlichen Bedeutung, aber auch deshalb von Interesse ist, weil hier sowohl in tatsächlicher als in rechtlicher Hinsicht Neuland betreten wird. Ich darf daran erinnern, daß die Wertpapierbereinigung das durch die Kriegs-und Nachkriegsereignisse empfindlich in Mitleidenschaft gezogene Wertpapierwesen wieder ordnen un insbesondere dazu führen soll, daß rechtmäßigen
Wertpapiereigentümern, denen durch die Schließung der Banken in der Ostzone und in Ost-Berlin die Verfügung über ihre Wertpapiere entzogen worden ist, neue Urkunden über ihre Rechte in die Hand gegeben werden, so daß sie über ihr Wertpapiervermögen wieder verfügen können.
Der große Umfang der Arbeit, die zur Erreichung dieses Zieles geleistet werden muß, wird bezüglich des rein technischen Verfahrens der Ausstellung und Ausgabe der neuen Einzelurkunden gut veranschaulicht, wenn man sich vor Augen hält, daß diese technischen Vorgänge letzten Endes eine Wiederholung aller bisherigen WertpapierEmissionen westdeutscher und westberliner Emittenten bedeuten. Dazu kommt aber noch die eingehende Prüfung aller geltend gemachten Ansprüche. Diese Arbeiten sind nach Sachverständigenschätzungen einschließlich der in Berlin zu bereinigenden Wertpapiere für Werte mit einem Reichsmark-Nennbetrag von rund 40 Milliarden zu leisten; davon entfallen etwa 27 Milliarden auf Aktien, deren Wert durch das Umstellungsgesetz nicht berührt worden ist, der Rest auf Schuldverschreibungen. Die Gesamtstückzahl der zu bereinigenden Wertpapiere läßt sich wegen der verschiedenen Stückelung der einzelnen Wertpapierarten auch schätzungsweise schwer angeben; aber schon bei Zugrundelegung eines sicherlich zu hoch angenommenen Durchschnittsbetrages von 1000 RM käme man zu einer Zahl von 40 Millionen Stück.
Die Mehrzahl dieser Wertpapiere ist für die Berechtigten nicht greifbar, weil die großen Bestände des Giro-Sammeldepots überwiegend in Ost-Berlin verwaltet wurden und auch sehr erhebliche Streifband-Depots dort lagerten. Hieraus ergaben sich gleichzeitig besondere rechtliche Schwierigkeiten, weil diese Wertpapiere, obwohl sie die in ihnen verbrieften Rechte verkörpern und nach sachenrechtlichen Grundsätzen übertragen werden können, für kraftlos erklärt werden mußten.
Es ist erfreulich, daß alle sich aus diesen Umständen und der Neuartigkeit dieses Gebietes ergebenden Schwierigkeiten bisher bewältigt werden konnten und die Wertpapierbereinigung so fortschreitet, wie es im Gesetz vorgezeichnet ist.
Hiernach beginnt das Wertpapier-Bereinigungsverfahren für die einzelnen Wertpapierarten mit einer Feststellung der zuständigen Kammer für Wertpapierbereinigung, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bereinigung gegeben sind. Diese gerichtlichen Feststellungen sind inzwischen für rund 5500 verschiedene Wertpapierarten getroffen worden, so daß dieser Teil des Verfahrens als im wesentlichen abgeschlossen bezeichnet werden kann.
Das gleiche gilt für den zweiten Abschnitt der Wertpapierbereinigung, das Anmeldeverfahren. Wer Anspruch auf Eigentum oder Miteigentum an Wertpapieren einer zu bereinigenden Wertpapierart erhebt, muß sich einer Prüfung seines Rechts unterziehen. Inhaber effektiv vorhandener Stücke können die Ausstellung einer Lieferbarkeitsbescheinigung nach den „Richtlinien für die Bescheinigung der Lieferbarkeit von Wertpapieren" oder den entsprechenden Bestimmungen der Länder der französischen Besatzungszone beantragen und scheiden mit der Ausstellung der Lieferbarkeitsbescheinigung für das Prüfungsverfahren nach dem Wertpapierbereinigungsgesetz aus. Alle anderen Wertpapierbesitzer müssen ihre Rechte innerhalb einer Frist von sechs Monaten durch Vermittlung einer Anmeldestelle - im Bundesgebiet sind dies
({0})
sämtliche Kreditinstitute - anmelden. Befürchtungen, daß sich die Anmeldefrist, die im Interesse einer schnellen Abwicklung der Wertpapierbereinigung verhältnismäßig kurz bemessen worden ist, als unzureichend erweisen könnte, haben sich als unbegründet erwiesen; auch das Anmeldeverfahren ist planmäßig verlaufen und abgeschlossen.
Im Augenblick befindet sich die Wertpapierbereinigung in ihrem dritten Abschnitt, dem Prüfungsverfahren, vor dem Höhepunkt. Es handelt sich jetzt darum, daß die Entscheidungen über die Anmeldungen von den hierfür vorgesehenen Stellen möglichst schnell, aber doch der Sach- und Rechtslage entsprechend gefällt werden. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß die Anmeldungen erwartungsgemäß im allgemeinen den Betrag der Sammelurkunde nicht übersteigen, so daß in aller Regel also keine Kürzungen der anerkannten Rechte zu erwarten sein werden. In einzelnen Fällen haben sich zwar zunächst Überanmeldungen ergeben. Hier wird jedoch den Fehlerquellen nachgegangen, und das bisherige Ergebnis läßt hoffen, daß durch weitere Feststellungen irrtümlicher und unredlicher Anmeldungen auch diese Überanmeldungen beseitigt werden können.
In dem vorliegenden Gesetzentwurf wird zunächst die schon in der amtlichen Begründung zum Wertpapierbereinigungsgesetz angekündigte Einbeziehung der Wertpapiere solcher Aussteller, die ihren Sitz nach Inkrafttreten des Gesetzes in das Bundesgebiet verlegt haben, vollzogen.
In den §§ 3 und 4 ist zur Entlastung der Kammern für Wertpapierbereinigung die Entscheidungsbefugnis der Prüfstellen erweitert worden, soweit dies ohne Gefährdung des Prüfungsverfahrens geschehen konnte. Nach den zur Zeit geltenden Vorschriften müßten den Kammern für Wertpapierbereinigung im Bundesgebiet etwa 1 Million bis 1,2 Millionen Anmeldungen von den Prüfstellen zur Entscheidung vorgelegt werden. Selbst unter der Voraussetzung, daß die Zahl der Kammern im Bundesgebiet auf 50 erhöht wird, würden durchschnittlich immer noch über 20 000 Anmeldungen von jeder Kammer zu bearbeiten sein, was zu einer unerwünschten Verzögerung des Prüfungsverfahrens führen müßte. Die vorgeschlagene Erweiterung der Zuständigkeit der Prüfstellen wird demgegenüber eine Entlastung deß. Kammern von schätzungsweise 25 bis 30 % des Anfalls bringen und der Beschleunigung des Verfahrens dienen.
Im § 6 wird die in § 30 Abs. 3 des Gesetzes angekündigte Neuregelung der Entschädigung der Kammerbeisitzer durchgeführt. Dies muß jetzt geschehen, da die Beisitzer zur Durchführung des Prüfungsverfahrens für die Dauer von etwa zwei Jahren ihre Arbeitskraft fast ausschließlich ihrem Amt widmen müssen, und unter diesen Umständen geeignetes Personal sich gegen die bisher geringe Aufwandsentschädigung von höchstens 3 DM täglich nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stellen läßt.
Erwähnt seien noch die §§ 2 und 9, in denen die geltenden Bestimmungen den besonderen Verhältnissen in einigen ausländischen Staaten angepaßt werden. Die übrigen Bestimmungen sind rein technischer Art. Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen hier über eine, wie es klingt, trockene Materie berichtet, aber über eine Materie, die sehr Arbeit macht und höchste volkswirtschaftliche Bedeutung hat.
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Ich möchte das Hohe Haus bitten, auch solchen trockenen Materien seine Aufmerksamkeit zu widmen, wenn sie für die gesamte deutsche Wirtschaft von einer Bedeutung sind wie dieses Gesetz.
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Der Ältestenrat ist von der Auffassung ausgegangen, daß bei dieser ersten Beratung von einer Aussprache abgesehen werden kann. - Ich nehme die Zustimmung des Hauses an.
Wir kommen daher zur Abstimmung. Es ist vorgeschlagen Überweisung an den Ausschuß für Geld und Kredit als federführend und zur Ergänzung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht. Ich bitte diejenigen, die mit diesem Antrag einverstanden sind, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Ich rufe dann auf Punkt 5 der Tagesordnung: Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Finanzausgleich unter den Ländern im Rechnungsjahr 1950 ({0}).
Das Wort zur Begründung hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Schäffer. Bundesminister der Finanzen: Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht eigentlich das Gesetz begründen und über den Inhalt des Gesetzestextes, über die manchmal recht seltsamen Fachausdrücke des Gesetzestextes und über die Methode des Finanzausgleichs mit Ihnen reden, sondern ich halte mich für verpflichtet, in dieser Stunde über die grundsätzliche Bedeutung dieses Gesetzes einige Worte frei und offen zu Ihnen und zur deutschen Öffentlichkeit zu sprechen.
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Dieses Gesetz regelt die Finanzverfassung des Bundes, es regelt also das finanzielle Verhältnis zwischen Bund und Ländern, aber letzten Endes auch zwischen Ländern und Gemeinden. Es ist das dritte Gesetz, das wir auf dem Gebiet der deutschen Finanzverfassung in diesem Jahr geschaffen haben. Das erste Gesetz ist das Gesetz über die Finanzverwaltung gewesen. Ein Gesetz von rein administrativer Bedeutung. Das zweite Gesetz ist das Gesetz über die Überleitung gewesen, das von höchster materieller Bedeutung für Bund und Länder gewesen ist. Das dritte Gesetz, das uns heute vorliegt, das Gesetz über den Finanzausgleich unter den Ländern, ist ein Gesetz, das, aus der föderativen Staatsidee geboren, aus dem föderativen Charakter des Bundes heraus notwendig geworden ist und nur in der Gedankenwelt der föderativen Staatsidee leben kann.
({2})
Wir sind e i n deutsches Volk und e i n deutscher Wirtschaftsraum;
({3})
wir leben in einem Gesamtstaat und gleichzeitig in elf Ländern und der Stadt Berlin und in 25 000 deutschen Gemeinden und Gemeindeverbänden. Wir haben kleine Gemeinwesen, wir haben größere Gemeinwesen, wir haben den Gesamtstaat. Alles zieht seine Kraft aus der deutschen Volkswirtschaft, alles dient dem einen Gedanken: dem Wohl der Gesamtheit des deutschen Volkes in den Grenzen des Bundesgebietes. Um die Größenordnungen zu sehen: Bund, Länder und Gemeinden ziehen aus der deutschen Volkswirtschaft an Steuern und Abgaben einen Betrag von jährlich 27 Milliarden DM.
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Das sind etwa 40 % des gesamten deutschen Volkseinkommens. Das sind, wenn wir auf das BruttoSozialprodukt abstellen, 30 % des Bruttosozialprodukts. Diesen Betrag unter den Gemeinden und Gemeindeverbänden, den Ländern und der Stadt Berlin gerecht zu verteilen, ihn dann so nutzbar zu machen, daß er wieder der Gesamtheit des deutschen Volkes ohne Unterschied - ich möchte sagen - der Regio zugute kommt, das ist Aufgabe der deutschen Finanzpolitik, und dem dient auch der Finanzausgleich. Der Finanzausgleich geht aus von der Vielfalt der Entwicklung des Lebens in unserem deutschen Staat und hat zum Ziel, die Einheit der deutschen Finanzpolitik zu schaffen und zu garantieren.
Man braucht in dem Worte „Einheit in der deutschen Finanzpolitik" in keiner Weise einen Gegensatz zur föderativen Staatsidee zu sehen. Im Gegenteil, ich möchte feststellen: Das Grundgesetz hat die föderative Staatsidee übernommen. Wir alle, die wir im öffentlichen Leben ein Amt bekleiden, üben es mit der Verpflichtung aus, dem Grundgesetz und seinen grundlegenden Ideen zu dienen.
({5})
Wir sind eine Demokratie. Eine Demokratie kann nicht leben, wenn etwa Kräfte der Demokratie selbst gegenüber der Verfassung der Demokratie in der Bevölkerung Unverständnis, Abneigung, Ablehnung erzeugen würden.
({6})
Wir können unser Amt nicht ausüben, wenn wir nicht an die Verpflichtung, die wir mit der Schaffung des Grundgesetzes übernommen haben, ehrlich glauben. Es gibt keine schlechtere Politik und keine Politik, die sich im Staatsleben schlechter belohnt macht, als im Gegensatz zu dem Gesetz, auf das man geschworen hat, ein Gesetz unvernünftig zu handhaben und so, da man es politisch nicht wünscht, ad absurdum zu führen. Das würde in einer Demokratie bedeuten, daß man das Vertrauen des Volkes in den Gesetzgeber und in den, der den Gesetzgeber im Einzelfall verkörpert, grundlegend erschüttert.
({7})
Nachdem wir nun einmal ein Grundgesetz haben, das auf der föderativen Staatsideee aufgebaut ist, halte ich es für die Pflicht jedes einzelnen Mitglieds der gesetzgebenden Körperschaft eines deutschen Staatswesens, zu versuchen, der föderativen Staatsidee des Grundgesetzes die Möglichkeit einer fruchtbaren Auswirkung zu geben und das Amt so zu führen, wie es diesem Grundgedanken des Grundgesetzes entspricht. Allerdings, die föderative Staatsidee ist eine Idee, die aus sittlichen Überlegungen geboren ist und die in sich selbst einen sittlichen Wert darstellt.
({8})
- Ich werde gleich darüber reden. Ich muß über das ganze Problem im Zusammenhang sprechen,
({9})
ich kann nicht zwischen Kopf und Fuß immer abwechseln. Ich bitte, mich meine Rede organisch entwickeln zu lassen.
Ich sage: Der Föderalismus ist eine Idee, geboren aus sittlichen Überlegungen. Er stellt einen sittlichen Wert dar, verlangt aber zum Verständnis auch, daß alle in erster Linie an ihre sittlichen Verpflichtungen und erst in zweiter Linie an ihre materiellen Rechte denken. Es gibt keine Staatsidee und kein Gesetz, es gibt keine Rangordnung in Staat und Gesellschaft, wenn die Verpflichtungen, aus denen heraus sie geboren worden sind, von den Trägern dieser Rangordnung nicht mehr gehandhabt und nicht mehr verstanden werden.
({10})
Es sterben Gesetze und Rechte daran, daß die Verpflichtungen daraus nicht mehr gehalten werden.
({11})
Auch hier gilt es, grundsätzlich davon auszugehen, daß auch die föderative Staatsidee in erster Linie eine Verpflichtung ist - ihrem Worte nach - gegenüber dem Foedus, dem Bund als der Gemeinschaft, der alle Gemeinwesen dienen. Aber es ist das Wesen der föderativen Staatsidee, daß ein höheres Staatswesen, das sich aus kleinen, natürlich gewordenen Familien, Gemeinden, Gemeindeverbänden, geschichtlich gewordenen Ländern bildet, nicht das zu töten braucht, aus dem es entstanden ist, sondern die kleinen Gemeinwesen, deren Summe es bildet, bestehen und leben läßt, um sich die sittlichen Werte, die in diesen kleinen Gemeinwesen liegen, selbst nutzbar zu machen. Warum sollen wir die Liebe und Treue zu unserer Heimat, in der wir groß geworden, in deren Umgebung unser Charakter und unsere Persönlichkeit sich geformt haben, nicht behalten und einer größeren, umspannenden Idee von Volk und Staat dienstbar machen können?
({12})
Warum soll das eine das andere töten? Warum ist nicht die Kunst des Menschenlebens die Kunst der Natur? Gehen Sie durch den deutschen Wald, in dem alles, was gewachsen ist, vom Moos bis zum größten Baumstamm, nebeneinander eine neue Organisation geschaffen hat.
({13})
Warum soll es nicht möglich sein, auch im Staats-und Volksleben diese Synthese zu finden? Man denke nicht so sehr technisch! Wer technisch und rationalistisch denkt, wird den Rationalismus immer als das technisch Einfachere und infolgedessen Zweckmäßigere empfinden. Wir hatten schon einmal ein solches technisches Denken, und wir hatten schon einmal einen solchen Staat, der technisch, rationell sehr einfach und sehr wirksam aufgebaut war, einen Staat, in dem die gesamte Macht, die überhaupt in einem Staate und in einem Volke vorhanden ist, lenkend und leitend an einer Stelle konzentriert war. Das war der Staat, in dem Spruchbänder über die Straßen mit der Aufschrift gespannt waren: „Führer befiehl, wir folgen!" Das ist der technisch einfachste Staat, und das ist das Rationellste und, wenn Sie so sagen wollen, das Lebensfeindlichste, was es überhaupt geben kann. Denn es ist lebensfeindlich, das Leben, aus dem man geboren ist, zu töten und nur sich selbst ein Lebensrecht zuzuerkennen. Jener Staat war nur möglich, weil der einzelne Staatsbürger blind und taub gewesen ist; blind dafür, was es für ein Volk bedeutet, wenn nicht mehr der Bürger die Verantwortung für das Schicksal des Volkes trägt, wenn nicht von Gemeinwesen zu Gemeinwesen eine Rangordnung der Verantwortung besteht, sondern wenn alle Macht und alle Verantwortung in einer Zentrale vereinigt sind. Und taub war der Staatsbürger, der seine sittliche Verpflichtung verkannt hat, die Verpflichtung, ich will einmal sagen: Gott mehr zu dienen und ihn mehr zu fürchten als den Menschen; die Verpflichtung, auch einem Diktator gegenüber die Verantwortung für das Wohl
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der Allgemeinheit auch als einzelner Staatsbürger zu beanspruchen.
({15}) All das mag rationell gedacht sein, und der totale Staat kann gewiß die Technik und die ratio für sich in Anspruch nehmen; aber er tötet das, was lebenswert ist, was uns Menschen innerlich kräftigt und was in die Seele des Menschen eingeht. Der Staat ist keine Maschine, von einem Ingenieur ersonnen. Das merken wir hier im Grunde doch sehr genau. Der Staat, Bund, Länder und Gemeinwesen sind keine Kompanien, die von einem Mann durch einen Befehl aufgestellt und dirigiert werden.
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Wir haben die Vielfalt der Entwicklung, die Viel-fait des Lebens und die sittliche Verantwortung aus dieser Vielfalt des Lebens als einen Reichtum zu sehen und diesen Reichtum im Gedanken der Verpflichtung der Einheit dem Gesamten gegenüber nutzbar zu machen. Es ist eine alte Idee, die in dem Subsidiaritätsprinzip ausgesprochen worden ist, daß der kleinere Kreis das tun soll, was ihm von Natur aus als Zuständigkeit zugefallen ist, und daß jeweils der größere Kreis das tun soll, was der kleinere Kreis seiner Natur nach überhaupt nicht erfüllen kann,
({17}) aber beides: nicht nur mit Recht, sondern - und das ist nun einmal das Entscheidende - auch mit Verpflichtung.
Man spricht heute manchmal von einer Krise des Föderalismus und der föderativen Idee. Wenn man davon spricht, dann kann man davon sprechen, weil zwei Denkungsarten diese Idee gefährden. Das eine das sei hier erwähnt - ist das rationalistische, technische Staatsdenken, das alles möglichst einfach, aber auch alles möglichst seelenlos gestaltet haben will. Und das zweite ist dies, daß man den Föderalismus verwechselt mit einem Egoismus der einzelnen Glieder,
({18}) daß man nicht so sehr daran denkt, daß der Föderalismus ein Zusammenarbeiten aller Gemeinwesen im Staats erfordert, genau so wie auch der Körper nur gesund ist, wenn alle seine Organe zusammenarbeiten, und daß seine innere Berechtigung gerade in dieser Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit liegt.
Eine besondere Erschwernis der deutschen Situation liegt darin, daß nicht alle diese Organe gleichmäßig geschichtlich geworden sind. Wir haben deutsche Länder, wie zum Beispiel meines Heimat, die nun einmal auf eine lange Geschichte zurückblicken kann. Man kann über sie sagen, was man will: niemand wird bestreiten können, daß es sich bei Bayern um ein Land mit Staatsgefühl handelt. Ich kann aber von einem früheren Verwaltungsbezirk, den der Zufall der Katastrophe des Jahres 1945, der Zufall einer Zonengrenze mit einer Autobahn als Demarkationslinie geschaffen hat, natürlich nicht erwarten, daß in ihm in der kurzen Zeit von drei Jahren ein Staatsgefühl erwächst. Das wäre wirklich zuviel verlangt. Infolgedessen ist die Schwierigkeit offen zuzugeben, die darin liegt, daß die deutschen Länder in ihrem ganzen inneren Gefühl, in dem Verhältnis Land - Bevölkerung, Land - Bund verschieden zu bewerten sind: Die früheren Verwaltungsbezirke ohne eigene staatliche Geschichte und vielleicht auch ohne die wirtschaftliche Abrundung, die an sich erforderlich
wäre, und die anderen alten Staaten, in denen heute noch die Landesfarben mehr gelten und mehr gesehen werden als vielleicht die Farben des Bundes. Man soll sich keine Vorwürfe machen. Man soll die geschichtliche Entwicklung sehen und sie verstehen. Und das ist die Kunst von Gesetzgebern, die die Gesetze ihrem Sinne nach ausüben wollen: über diese Verschiedenheiten hinweg nicht an die Schwierigkeiten zu denken, sondern an die Aufgabe. Und diese Aufgabe heißt: Den Reichturn, der in der Vielfalt liegt, zu bewahren, aber der Allgemeinheit nutzbar zu machen. Peccatur intra muros et extra. Gesündigt wird im Lager derer, die das Wort Föderalismus für sich in Anspruch nehmen, und gesündigt wird im Lager derer, die ihn nicht für sich in Anspruch nehmen, die es aber ihrer Aufgabe nach eigentlich tun sollten.
Es ist eine Sünde, wenn man sich an die Zuständigkeiten und die Aufteilung der Verwaltungsaufgaben, die das Grundgesetz vorsieht, prinzipiell nicht hält, wenn der Kompetenzhunger vielleicht dazu führt, aus rein bürokratischer Überlegung heraus Aufgaben, die nun einmal nicht Aufgaben des Bundes sind, den Ländern zu entwinden, ohne daß man die sachliche Berechtigung vorbringen könnte, daß die Länder nicht in der Lage wären oder sich nicht in der Lage gezeigt hätten, diese Aufgaben auch wirklich zum deutschen Wohl durchzuführen. Selbstverständlich ist es auch eine Versündigung gegen diesen Geist, wenn z. B. der Deutsche Bundestag die Praxis einführen sollte, durch seine Gesetzgebungsgewalt den Ländern das finanzielle Leben unmöglich zu machen,
({19}) in diesem Hause Gesetze zu beschließen, die den Ländern unmittelbare Ausgaben aufbürden, was meiner Überzeugung nach dem Sinn, dem Geist und dem Wortlaut der Verfassung widerspricht. Wenn er bei allen Beschlüssen, die er faßt, um so rascher faßt, als nicht er sie haushaltsmäßig zu decken hat, sondern die Länder, die finanzielle Verantwortung dem überläßt, der an der Gesetzgebung nicht beteiligt ist, dann ist das kein redliches Spiel. Wenn wir uns in allen Fällen an die Spielregeln des redlichen Spiels halten würden, dann würden wir auch den Verpflichtungen, die durch das Verhältnis zwischen Bund und Ländern gegeben sind, mehr Achtung zollen.
Die Regelung, die das Grundgesetz vorsieht, die sogenannten nichtgedeckten Ausgaben des Bundes einfach durch Anteile der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer der Länder zu decken, ist nicht ganz durchdacht. Sie ist wieder an eine Voraussetzung geknüpft, die ja zum Konflikt führen muß, nämlich an die Voraussetzung der Zustimmung dessen, dem man die Steuerquellen wegnimmt. Wenn dieser aber bei den vorausgehenden Gesetzen, die die Ausgaben geschaffen haben und die jetzt auf seine Kosten gedeckt werden sollen, nicht das Zustimmungsrecht hatte, dann muß die Anwendung solcher Bestimmungen fast unvermeidlich zu einem Konflikt und damit zu einer Störung des Staatslebens führen.
Es wird aber nicht nur gesündigt extra muros, sondern es wird auch intra muros gesündigt.
({20}) Ein Beispiel ist gerade das vorliegende Gesetz.
Sie erinnern sich, daß beim ersten Überleitungsgesetz die sogenannten steuerschwachen Länder ihre Zustimmung dazu gegeben haben, die Interessenquoten einzuführen und diese auf den Bedarf
({21})
aufzubauen, der im einzelnen Lande anfällt, statt sie nach der Steuerkraft auszurechnen. Sie erinnern sich, daß die steuerschwachen Länder diese Zustimmung gegeben haben, weil die steuerstarken Länder ihnen das feierliche Versprechen gaben, den horizontalen Finanzausgleich möglichst rasch durchzuführen und die Interessenquoten als Moment der Rechnung mit einzuschalten. Der Finanzausgleich geht den üblichen Weg aller Gesetze und braucht infolgedessen lange Zeit. Das Finanzbedürfnis der steuerschwachen Länder ist gerade durch die Interessenquote ein dringendes geworden. Ich bedaure es sehr, daß die steuerstarken Länder, nicht weil sie nicht können, sondern weil ihnen einzelne Lieblingsbestimmungen, die sie im Kopf hatten, nicht genehmigt worden sind, sich nunmehr weigern, zu erfüllen, was sie früher versprochen hatten, nämlich den steuerschwachen Ländern schon im Vorgriff auf das Gesetz über den horizontalen Finanzausgleich durch Verwaltungsvereinbarungen den Ausgleich dafür zu geben, daß diese bei Abschluß des ersten Überleitungsgesetzes an die Redlichkeit der steuerstarken Länder geglaubt haben.
Wenn Finanzausgleich in dem Sinne verstanden wird, daß jedes Land sich bei dieser Gesetzgebung nur ausrechnet, ob der materielle Vorteil, den es erhält, 50 Mark mehr oder weniger beträgt, wovon es seine Zustimmung abhängig macht, und wenn der Finanzausgleich nicht verstanden wird im Sinne eines brüderlichen Zusammenarbeitens aller Länder untereinander, um sich gegenseitig und der Allgemeinheit zu helfen, dann ist das ein peccatum intra muros.
Genau das gleiche gilt bei der Steuerpolitik. Auch hier muß ich sagen: die Steuerpolitik der Länder muß davon ausgehen, daß wir alle letzten Endes eine gemeifisame Aufgabe haben und nicht nur ein Haufen von Konkurrenten sind,
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die sich um Wirtschaftsbetriebe bewerben. Ich möchte die Länder davor warnen, in diesem Konkurrenzstreben dazu überzugehen, Wirtschaftsbetrieben, die sich in ihrem Gebiet niederlassen, besondere Steuervorteile auf kürzere oder längere Zeit zu gewähren, wie sie häufig nicht intra legem, sondern contra legem gegeben werden können, um dadurch ihre Wirtschaftskraft zu stärken. Das gilt im Einzelfall immer als ein großer Vorzug. Aber wenn wir insgesamt denken, ist dieses Konkurrenzstreben aller elf Länder und Berlins der Allgemeinheit gegenüber nur schädlich und gefährlich.
Auch auf dem Gebiet der Staatsverwaltung möchte ich den dringenden Wunsch aussprechen, daß es da, wo die Gesetzgebung in der Hand des Bundes liegt, als selbstverständlich betrachtet werden müßte, daß der Gesetzgeber die Möglichkeit hat, sich die Erfahrungen der Staatsverwaltung nutzbar zu machen, und daß man, wenn z. B. der Bundesfinanzminister mit den Oberfinanzpräsidenten über ihre Verwaltungserfahrungen auch auf Gebieten spricht, die zur Zeit nicht unmittelbar Gegenstand der Bundesgesetzgebung sind, darin den guten Willen zur Zusammenarbeit und nicht eifersüchtig einen Streit um Kompetenzen sehen sollte.
({23})
Die föderative Idee ist eine Idee der Brüderlichkeit, wie die Demokratie eine Idee der Gleichheit ist. Brüderlichkeit und Gleichheit sollten sich in unserem Staatsleben ergänzen, um das dritte Gemeinsame, die wirkliche, innere, wahre Freiheit des Staatslebens, zu schaffen.
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Wenn wir das Wesen dieser Staatsidee in dem sittlichen Gedanken sehen und an unser Staatsleben auch mit sittlicher Pflichterfüllung herantreten, dann werden wir aus dem Gemüt heraus alle von selbst in diesen schwierigen Fragen den rechten Weg finden.
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Nun kommt in der gegenwärtigen Verfassungssituation die dritte Frage: Sind die Voraussetzungen für das Funktionieren dieser Staatsidee allseits gegeben? Und nun gebe ich offen zu und habe zugegeben: Wenn wir in ganz Deutschland geschichtlich gewordene Staaten als Länder hätten, wäre das Zusammenspiel wesentlich einfacher. Sie können einem geschichtlich gewordenen Staat, wie es das Land Bayern ist, nie das Staatsgefühl nehmen, und jeder, der es ihm nehmen wollte, würde es sich in seinem ganzen Gefühl, seinem ganzen Temperament und in seiner inneren Einstellung unnötig zum Gegner machen,
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ungeachtet aller parteipolitischen Bilder. Denn auch die Parteien, die im Bunde unitarisch-zentralistisch sind, sprechen in Bayern in den Wahlversammlungen stark föderalistisch und müssen so sprechen.
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Das ist Volkscharakter, und das muß man verstehen. Wenn man dieses Land gesehen hat und seine Geschichte kennt - und Sie brauchen nur eine Postkarte anzusehen, auf der irgendein Dorfbild wiedergegeben ist -, dann sehen Sie es aus der Bauart und allem von vornherein: das ist bodengebunden, das ist bodenverwachsen, das ist entweder ein oberbayerisches, ein niederbayerisches, oberpfälzisches, fränkisches oder schwäbisches Haus und schwäbische Heimat. Das läßt sich nicht verwischen. Da täte man besser, diese Imponderabilien des Volkslebens zu erkennen, einzuschätzen und nicht mit dem Schema und mit dem Lineal über das wirkliche Leben seelenlos hinwegzugehen. Aber ich gebe zu, daß andere Länder als Verwaltungs-Distrikte entstanden sind und ihre Grenzen dem Zufall des Jahres 1945 weitgehend zu verdanken haben.
Ich darf aber darauf hinweisen, daß man auch die Neugliederung nicht in erster Linie nach dem Schema betreiben darf. Ich will einmal ein ganz heikles Thema aufwerfen. Wenn man in der Frage Südweststaat ruhig nicht bloß wirtschaftlich, sondern auch an gewisse innere Gemütsbindungen von vornherein gedacht hätte, dann wäre die Frage vielleicht nicht so unbefriedigend verlaufen, wie es geschehen ist
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und nun als schwere Aufgabe vor dem Bunde steht.
Dieses Thema steht im Zusammenhang mit dem Finanzausgleich. Wenn Sie die Seite 29 der Begründung nachlesen, dann sehen Sie, daß der Finanzausgleich das Bestmögliche geleistet hat, in dem die Finanzkraft und die finanzielle Belastung der Steuerstarken und der Steuerschwachen sich möglichst angenähert haben, und in dem die Reihenfolge der Länder nach ihrer Finanzkraft auch nach Durchführung des Finanzausgleichs die gleiche bleibt. Wer der Reichste war, bleibt auch hernach der Reichste, aber er ist nicht mehr in einem so großen Abstand der Reichste, wie er es
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vorher war. Wer der Schwächste war, bleibt der Schwächste, aber er ist es nicht in einem so weiten Abstand, wie er es vorher gewesen ist.
Nur ein Problem und ein Land ist in diesem Finanzausgleich auch mit allen Methoden der Wissenschaft nicht zu lösen, und das heißt Schleswig-Holstein. Schleswig-Holstein erhält im Finanzausgleich das Doppelte dessen, was die gesamten Steuereinnahmen dieses Landes ausmacht,
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mehr als 100%. Und trotzdem ist die Bundesregierung der Überzeugung, daß auch das nicht ausreicht, um das Staatsleben in Schleswig-Holstein zu gewährleisten.
Der Finanzausgleich soll keine Neugliederung bedeuten und keine Neugliederung vorbereiten. Aber er soll zum Denken anregen. Wir haben uns bei dem Finanzausgleich wahrscheinlich auch über die sogenannte Hanseatenklausel zu unterhalten. Ich schätze die jahrhundertealte Bürgertradition der Hansastädte, und ich schätze ihren Ehrgeiz, ihre Häfen, ihren Handel und ihr Wirtschaftsleben möglichst aus eigener Kraft zu erhalten. Aber keine Stadt darf vergessen, daß sie allein nie leben kann, daß sie ihre Lebenskraft, rein menschlich gesprochen, letzten Endes immer aus dem umgebenden flachen Lande zieht. Bremen und Hamburg sollten daran denken, daß die Arbeitskräfte, die in ihren Häfen, in ihren Kontoren und in ihren Büros stehen, in der Jugend in einer schleswigschen oder niedersächsischen Volksschule gewesen sind, und daß sie, wenn sie alt geworden sind und nicht reüssiert haben - diejenigen, die reüssiert haben, werden in der Stadt bleiben - vielleicht wieder in ihr Dorf zurückkehren und infolgedessen in der Jugend und im Alter der armen Heimat zur Last fallen, in den Jahren ihrer Arbeitskraft aber in der Stadt bleiben.
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Man sollte diese Zusammenhänge sehen, und ich glaube, es wäre gut, wenn wir in Achtung vor dem selbständigen Denken der Hansastädte doch wenigstens versuchen würden, innerhalb des großen Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern unter den Ländern, die einen stärkeren wirtschaftlichen Nachbarschaftssinn als andere haben, mehr eine Symbiose sehen als andere, und auch an die Möglichkeit eines regionalen Finanzausgleiches gerade auf den Gebieten der Schule und der öffentlichen Fürsorge zu denken.
Ich glaube, daß das eine Konsequenz wäre, die sich ergeben könnte, und die uns die Regelung unserer Angelegenheiten in Deutschland ohne verfassungsrechtliche Schwierigkeiten rein nach dem Prinzip von Vernunft und Gerechtigkeit wesentlich erleichtern würde.
Das System des Finanzausgleichs, bei dem hier eine Diskrepanz insofern festzustellen ist, als für das eine nun einmal wirtschaftlich nicht lebensfähige Land Schleswig-Holstein ganz außerordentliche Bestimmungen geschaffen werden müssen, die dann dazu führen, daß in manchen Ländern die dort vorhandene Wirtschaftskraft vielleicht mehr geschmälert wird, als gut ist, bedarf einer Verbesserung durch vernünftige Entwicklung; eine vernünftige Haltung der Männer der Politik und des Staatslebens muß daneben stehen, nicht der Egoismus der Stadt und nicht der Egoismus des Landes, sondern die Erkenntnis von der Notwendigkeit des Zusammenlebens zwischen Stadt und umgebendem Land.
Man darf überhaupt nicht glauben, daß das Schwergewicht des Ausgleichs immer in den Gesetzen liegt, die den Namen Finanzausgleich tragen. Sie haben sich heute morgen über den Flüchtlingsausgleich unterhalten. Der Flüchtlingsausgleich ist eine der ganz wesentlichen Fragen, die hinzukommen. Denn der Finanzausgleich kann nur ein Stückwerk und kann nur ein kleiner Teil sein, wenn nicht die gesamte Gesetzgebung sich bemüht, die Ursachen für den Notstand einzelner Gebiete überhaupt zu beseitigen.
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Die drei Ländernamen - Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern - sagen ja schon, wo eine der Hauptursachen und -schwierigkeiten in dem finanziellen Verhältnis zwischen Bund und Ländern und der Länder untereinander liegen. Der wesentliche Ausgleich würde hier geschaffen werden, wenn es endlich gelänge, aus der - entschuldigen Sie das Wort - Tragödie des Flüchtlingsausgleichs zu einem wirklich fruchtbaren Flüchtlingsausgleich zu kommen,
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der leicht zu erreichen wäre, wenn die Frage Flüchtlingsausgleich nicht vom Standpunkt des Egoismus - aufnehmendes und ablehnendes Land - betrachtet würde, sondern von der sittlichen Verpflichtung aus, die alle Länder, auch die aufnehmenden Länder, der Allgemeinheit und dem deutschen Flüchtlingselend gegenüber haben.
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Das zweite, woran ich immer zu denken bitte, ist, daß der Ausgleich nicht bloß ein Ausgleich der Kassen und Haushalte ist, sondern daß auch unsere gesamte Investitionspolitik unter diesem Gesichtspunkt stehen muß. Es ist selbstverständlich - und es muß so sein -, daß die Investitionsmittel in erster Linie dahin fließen müssen, wo sie am besten' und zweckmäßigsten verwendet werden, d. h. mit anderen Worten, daß durch die Gunst des Standortes auch die Höhe der aus öffentlicher Hand fließenden Investitionsmittel bestimmt wird. Wenn ich die Verteilung der Investitionsmittel des deutschen Bundes, das Wohnungsbauprogramm, die ERP-Mittel und all das, die im letzten Jahr ungefähr 3,1 Milliarden betrugen, betrachte, so muß ich ganz offen zugestehen, daß der größere Teil davon in die sogenannten steuerstarken, d. h. wirtschaftlich und industriell stark begünstigten Gebiete fließen muß. Es wäre meinem lieben bayerischen Wald nicht geholfen, wenn ich ihm künstlich eine Industrie aufzwänge, die dort nie lebenskräftig wäre. Es wäre meinem lieben bayerischen Wald mit seinen Bewohnern geholfen, wenn die deutschen Investitionen neue Arbeitskapazitäten irgendwo schaffen würden, aber dann der Flüchtlingsausgleich auch wirklich erfolgen würde, um die Überbevölkerung im Gebiet des bayerischen Waldes zu beseitigen und die Menschen zu einer entsprechenden Arbeitsstätte zu bringen. Nicht in einem Gesetz, in der gesamten Politik des Bundes muß der Ausgleich und die Beseitigung der Ursachen für die Not in einzelnen Gebieten und Ländern gesucht werden.
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Ich habe hier viel von den Ländern gesprochen. Aber ich möchte Ihre Aufmerksamkeit ausdrücklich dahin lenken, daß die Frage des Finanzausgleichs wesentlich auch eine kommunalpolitische Frage ist. In die Berechnungen über den horizontalen Finanzausgleich ist deswegen absichtlich ein Faktor eingebaut worden, der den seltsamen Na({36})
men .,veredelte Einwohnerzahl" hat. Es ist also eine Rücksichtnahme auf die Gliederung der deutsehen Gemeinden und Gemeindeverbände in den Ländern, zumal ja diese Gliederung im Wege des inneren Finanzausgleichs zwischen Land und Gemeinden zum Teil wieder für die Lasten mitbestimmend ist, die die Länder zu tragen haben. Wenn der Bund sich auch nicht unmittelbar mit den Kommunalfinanzen und mit Kommunalpolitik zu beschäftigen hat, so hat er doch der Gemeinden als der Glieder des gesamten deutschen Wirt schaftsraumes und des gesamten deutschen Wirtschaftsgefüges und ihrer Aufgaben für das gesamte deutsche Volk auch beim Finanzausgleich gedacht und ihrer gedenken müssen.
Ein Einwand, der manchmal gegen das System des Finanzausgleichs erhoben wird, ist der, daß alle subventionierten Gemeinwesen dazu neigen, den inneren Trieb zur Sparsamkeit und zweckmäßigen Verwendung der Mittel zu verlieren.
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Das können Sie hier bei diesem Finanzausgleich nicht einwenden. Denn dieser Finanzausgleich kümmert sich in gar keiner Weise um die Höhe der einzelnen Haushaltsaufwendungen, die Land oder Gemeinde machen. Er kümmert sich um bestimmte volkswirtschaftliche Faktoren und geht von ihnen aus. Einer dieser Faktoren ist die Beseitigung der Dauerarbeitslosigkeit, die - obwohl im Bundesrat bestritten worden ist, daß diese Beseitigung möglich sei - von der Bundesregierung vorgeschlagen wurde, weil gerade diese Dauerarbeitslosigkeit eine Erscheinung der Notstandsgebiete ist, die nicht allein mit der Zahl der Flüchtlinge begründet werden kann, sondern die weitere wirtschaftliche Wirkungen hat. Wir sehen ja, daß durch Arbeitslosigkeit und Übervölkerung das Gesamteinkommen des einzelnen im ganzen Landesgebiet stark zu sinken pflegt, wie auf der anderen Seite der Zufluß von Investitionen und Betriebsmitteln das gesamte Einkommen über den Zuschuß selbst hinaus zu steigern pflegt, weil ja eine Hand wieder die andere beschäftigt, eine Ware von dem einen zu dem anderen Faktor des Wirtschaftslebens geht. So ist es umgekehrt auch. Infolgedessen haben wir uns für verpflichtet gehalten, auf die Berücksichtigung gerade dieser Notstandsgebiete hinzuweisen.
Über die Frage Schleswig-Holstein und Berlin habe ich schon gesprochen. Die Stadt Berlin kann heute in einen Finanzausgleich natürlich noch nicht einbezogen werden. Denn das würde ja zur Voraussetzung haben, daß ihre Steuern unter denselben Bedingungen eingehoben und an den Bund abgeführt würden wie bei den anderen Ländern. Die Voraussetzung wäre also, daß die Steuerverteilung genau dieselbe wäre wie bei den übrigen elf Ländern. Soweit sind wir noch nicht. Wenn wir soweit sind, und wenn Berlin ein zwölftes Land ist, ist Berlin selbstverständlich auch in den Finanzausgleich einzubeziehen wie alle anderen westdeutschen Länder.
Ich will einen Überblick darüber, wie der Schicksalsweg dieses Gesetzentwurfs verlaufen wird, noch nicht geben. Der Bundesrat hat sich zu einer Einigung bisher nicht durchringen können. Der Bundesrat hat über den Regierungsentwurf, der Ihnen in seiner unveränderten Fassung vorliegt, nicht abgestimmt. Er hat über Abänderungsanträge abgestimmt, die mit wechselnden Mehrheiten angenommen wurden, die aber das Bild dann so veränderten, daß der abgeänderte Entwurf die Zustimmung der Mehrheit des Bundesrats nicht gefunden hat. Die Bemühungen, im Bundesrat noch zu einer Einigung unter den elf Ländern zu kommen, laufen weiter. Was die Bundesregierung tun kann, um unter den elf Ländern eine Einigung über diesen Gesetzentwurf zu erreichen, wird sie tun, weil sie diesen Gesetzentwurf als einen Prüfstein dafür betrachtet, ob unter den elf deutschen Ländern eine Zusammenarbeit für die gemeinsamen Aufgaben der elf Länder und damit für das gesamte deutsche Volk zu finden und zu erreichen ist. Ich habe das Vertrauen, daß es gelingt, und ich hoffe, daß wir, die wir in all den vergangenen Jahren zwischen den Länderfinanzministern und dem Bundesfinanzminister, zwischen Bund und Ländern eine Finanzpolitik in bestem Einvernehmen treiben konnten, auch hier über alle Schwierigkeiten hinweg zur Erfüllung der föderativen Staatsidee unseres Grundgesetzes kommen. Denn dieses Gesetz zu erfüllen, ist für uns alle Pflicht und Aufgabe.
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Für die nun folgende Aussprache hat der Ältestenrat eine Gesamtdauer von 60 Minuten vorgesehen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich die Zustimmung des Hauses fest.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lausen.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat ein Kompliment des ganzen Hauses verdient. Er hat es verstanden, einschmeichelnd und betörend das Haus aufzurufen obgleich dieses Haus in erster Linie das unitarische Prinzip zu vertreten hat -, das offenbar aus den Fugen geratene föderative Prinzip jenes anderen Gremiums wieder in Ordnung zu bringen. Der Herr Bundesfinanzminister hat es ebenso verstanden, uns die hohen sittlichen Qualitäten des Föderalismus zu entwickeln. Wenn er bei Einbringung und Begründung seiner Vorlage über die Einkommensteuer die gleichen sittlichen Qualitäten ins Treffen geführt hätte, dann wäre es ihm entweder gelungen, die sozialdemokratische Opposition in die Knie zu zwingen, oder, was ich eher vermute, er hätte die Vorlage damals gar nicht einbringen können.
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Und nun, meine Damen und Herren, einige Bemerkungen zum sachlichen Teil. Notwendig scheint uns bei jedem Finanzausgleich zu sein, daß eine laxe Steuererfassung in den einzelnen Ländern vermieden und daß eine laxe Finanzpolitik in den einzelnen Ländern verhindert wird.
Ein anderes Argument, das wir in der Diskussion sehr oft gehört haben, daß man nämlich verhindern müsse, daß lebensunfähige Länder durch einen Finanzausgleich gestützt würden, halte ich für sehr billig. Die Diskussion über dieses Thema ist rein akademisch. Ich lasse mich nicht eher von der Ehrlichkeit dieser Argumentation überzeugen, als bis man einmal endlich irgendwo in Deutschland - und zwar gilt das für alle politischen Gruppen - den Mut besitzt, zu einer vernünftigen Neuordnung der Länder zu kommen. Davon sind wir heute - sehen wir uns nur die Südweststaat-Tragikomödie an - noch sehr weit entfernt. Notwendig scheint uns bei einem Finanzausgleich zu sein die Ausschöpfung der Steuerquellen, die Schaffung gleicher Voraussetzungen, wobei ich etwa an die verschiedene Höhe der Einheitswerte in den verschiedenen Ländern denke,
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wobei ich an jenes Faktum denke, daß z. B. in einem Lande wie Schleswig-Holstein der steuerliche Ertrag pro ha 13 DM, in einem Lande wie Württ.emberg-Baden 27 DM ausmacht.
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Das ist eine Diskrepanz, die unbedingt der Aufklärung bedürfte.
Notwendig scheint uns auch zu sein, daß das System der Steuerstundungen in den einzelnen Ländern einmal kritisch unter die Lupe genommen wird. Ebenso notwendig ist nach unserer Meinung eine vernünftige Aufteilung der Lasten zwischen Land und Gemeinden, wobei ich darauf hinweise, daß auch hier eine erhebliche Diskrepanz in den einzelnen Ländern besteht, beispielsweise bei den Aufwendungen für die Polizei oder bei den Aufwendungen für die Schule.
Wie weit kommt nun die heutige Vorlage diesen Anforderungen entgegen? Selbstverständlich fehlt es bei dem Versuch, zu objektiven Maßstäben zu kommen, an einer Reihe von Voraussetzungen, die wahrscheinlich nie erfüllt werden können. Jedem Versuch, einen objektiven Maßstab zu geben, sind Grenzen allein durch die Tatsache gesetzt, daß die Struktur der historisch gewordenen Länder einfach statistisch nicht bis zum letzten erfaßbar ist. Insofern wird also die Schaffung objektiver Maßstäbe immer ihre Grenze finden. Grundsätzlich aber halten wir den Versuch, wie er vorliegt, für durchaus richtig und folgerichtig, und wir meinen, daß die Vorlage, wenn sie entsprechend verfeinert wird, tragbar ist. Es wird dadurch ein peinliches Aushandeln, womöglich sogar nach politischen Gesichtspunkten, verhindert. Es wird dadurch in Zukunft jene Agitation verhindert, die jeder von uns in den Ländern immer wieder erlebt, vor allen Dingen in den gebenden Ländern, wo es heißt: „Wir haben eine sparsame Verwaltung und geben unser Geld denen, die sich trotz ihrer Armut Luxusausgaben leisten." Wir sehen in diesem Versuch das Bemühen, die politische Selbständigkeit der Länder, soweit es möglich ist, zu erhalten, ohne diese Länder peinlichen Kontrollen auszusetzen.
Wie weit die Steuerkraft als der geeignete objektive Maßstab angesehen werden kann, steht zur Diskussion. Zweifellos haben tendenziell die Leute recht, die sagen, daß die Steuerkraft ihr Korrelat in dem Finanzbedarf finde. Was aber ernstlich zu prüfen wäre, ist die Frage, wieweit man der Berechnung der Steuerkraft das Sollaufkommen zugrunde legen kann, und zwar gegenüber dem Istaufkommen, wie das in dieser Vorlage geschieht, obgleich wir uns der Grenzen dieses Verfahrens bewußt sind.
Ich will noch zwei Bemerkungen über das Thema der Interessenquoten machen. Sie wissen, daß die sozialdemokratische Fraktion bei der Diskussion über das Überleitungsgesetz Bedenken insbesondere zum Thema der Interessenquoten hatte. Die Interessenquote ist jetzt, wie der Herr Bundesfinanzminister versprochen hat, als Element in die Vorlage eingebaut worden. Aber wenn man sich die Angaben der Vorlage durchrechnet, dann zeigt sich, und die Praxis beweist es, daß hier eine Entwicklung eingetreten ist, die nicht sehr erfreulich ist. Ich nehme zwei Länder als Beispiel. In Nordrhein-Westfalen werden 10 % der Steuerkraft für die Interessenquote verbraucht, in Niedersachsen 20 %. Aber durch den Finanzausgleich erhält, theoretisch gesprochen und wenn meine Zahlen richtig sind, Nordrhein-Westfalen 20 % der Interessenquote zurück, Niedersachsen dagegen nur 8 %. Hier zeigt sich, daß die Einordnung der Interessenquoten in diese Methode offenbar doch den Verhältnissen nicht ganz gerecht wird.
Die Vorlage ist, wie uns der Herr Finanzminister vorgetragen hat und wie wir ja alle wissen, in der abgeänderten Form vorn Bundesrat abgelehnt worden. Der Bundesrat, der sich sonst so sehr als ein sachliches, ruhiges gewissenhaftes Gremium darstellt, kommt immer dann in Verlegenheit, wenn sich seine Finanz-Interessenten zu Worte melden. Dem Bundestag ist wieder einmal die etwas undankbare Aufgabe zugefallen, den ehrlichen Makler bei diesen Beratungen zu spielen. Für die sozialdemokratische Fraktion darf ich erklären, daß wir den guten Willen haben, zu unserem Teil mit dazu beizutragen, einen leidlich erträglichen Finanzausgleich unter den Ländern herbeizuführen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Höpker-Aschoff.
Meine Damen und Herren! Zu unserer Überraschung - aber ich will gleich sagen: zu unserer freudigen Überraschung - hat der Herr Bundesfinanzminister die Begründung der Vorlage zu einigen grundsätzlichen Ausführungen über Unitarismus und Föderalismus benutzt. Meine Erinnerungen gehen hierbei an unsere Tätigkeit im Parlamentarischen Rat zurück, wo ja gerade auf dem Gebiet des Finanzwesens die Frage Unitarismus oder Föderalismus eine so ungewöhnlich große Rolle gespielt hat. Ich glaube, Herr Finanzminister, wenn Ihre bayerischen Landsleute damals etwas mehr auf meiner Linie bei den Beratungen des Grundgesetzes gelegen hätten, dann würden Ihnen heute manche Schwierigkeiten erspart sein.
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Immerhin wollen wir von den Arbeiten des Parlamentarischen Rates doch eines als einen großen Gewinn buchen, nämlich daß die Gesetzgebung für alle wichtigen Steuern dem Bund übertragen worden ist. Wohin wir gekommen wären, wenn wir nach manchen föderalistischen Wünschen die Gesetzgebung für wichtige Steuern, etwa die Einkommen- und Körperschaftssteuer, den Ländern überlassen hätten und wenn infolgedessen 12 verschiedene Einkommensteuergesetze in Deutschland beschlossen worden wären, kann man sich nur mit Schrecken ausdenken.
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Aber, Herr Minister, ich habe den Eindruck, daß das, was uns auf dem Gebiete der Finanzverwaltung durch die Besatzungsmächte aufgezwungen worden ist - denn so kann man ja sagen -, die Aufteilung der Finanzverwaltung, bei der ein Teil der Finanzverwaltung heute Landesverwaltung ist, Sie selbst heute nicht mehr befriedigt. Ich habe aus Ihren Ausführungen den Eindruck gewonnen, daß Sie es heute freudig begrüßen würden, wenn Sie auf dem Gebiete, auf dem heute die Landes-finanzverwaltung tätig ist, einen stärkeren Einfluß hätten.
Ich darf dabei das Augenmerk des Hauses auf einen merkwürdigen Vorgang richten. Vor einiger Zeit haben wir gehört, daß die Bayern Steuergutscheine herausgeben. Solche Steuergutscheine bedeuten natürlich eine Vergünstigung für den Steuerzahler, für die Zukunft, und schmälern das Aufkommen aus der Steuer, das dem Lande Bayern
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zufließen muß. Gleichwohl wird das Land Bayern im Rahmen eines Finanzausgleichs eine Unterstützung von der Allgemeinheit fordern.
Es wird auch darauf hingewiesen, daß in einigen Ländern - nennen wir als Musterbeispiel Württemberg-Baden - die Verwaltung der Einkommensteuer mit großer Sorgfalt durchgeführt wird, daß aber in andern Ländern diese Sorgfalt vermißt wird und daß, wenn nachher der Vergleich zwischen dem einen und dem andern Land angestellt wird, um zu einem Finanzausgleich zu kommen, dasjenige Land, das in der Führung seiner Verwaltung nachlässiger ist als das andere, dafür im Finanzausgleich noch belohnt wird. Wir werden da doch noch einmal zu grundlegenden Änderungen kommen müssen.
Nun aber zu dem dritten Gebiet, das uns im Parlamentarischen Rat im Rahmen des Finanzwesens soviel beschäftigt hat, zur Frage des Finanzausgleichs. Wenn wir heute noch den preußischen Staat hätten, dann würde uns der Finanzausgleich in Norddeutschland kein Kopfzerbrechen machen.
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Denn das war von großer Bedeutung im preußischen Staat, daß in ihm reiche und arme Provinzen zusammengeschlossen waren. Mit den Überschüssen, die ihm die reichen Provinzen - Rheinland, Westfalen, die Stadt Berlin und Schlesien - einbrachten, konnte er die schwächeren Provinzen mit durchziehen, so daß also hier innerhalb der Staatsverwaltung selber der große Finanzausgleich herbeigeführt wurde. Wenn wir gerade jetzt in diesem norddeutschen Raum - denken wir an Länder wie Schleswig-Holstein, Niedersachsen, aber auch Rheinland-Pfalz, diese steuerschwachen Länder - so große Schwierigkeiten hatten, dann eben deshalb, weil dieser große Ausgleich durch den preußischen Staat nicht mehr herbeigeführt werden kann.
Wir hatten darüber hinaus seinerzeit, als der preußische Staat noch bestand, auch im Reich selber einen Finanzausgleich. Wir hatten damals das System der Überweisungen. Der Ausgleich wurde dadurch herbeigeführt, daß die großen Überweisungssteuern, Umsatzsteuer und Einkommensteuer, soweit sie den Ländern zuflossen, nicht nach dem örtlichen Aufkommen auf die Länder verteilt wurden, sondern nach der Bevölkerungszahl. Auch dadurch wurde natürlich ein starker Ausgleich zwischen den starken und schwachen Ländern herbeigeführt. Diese Möglichkeiten fehlen uns bei dem heutigen System, und man muß daher nach kunstvollen Wegen suchen, wie der Gesetzentwurf sie vorschlägt.
Ich habe soeben auf das Beispiel des preußischen Staates hingewiesen. Es leuchtet wohl ohne weiteres ein, welche Bedeutung für die künftige Gestaltung eines Finanzausgleichs die notwendige Neugliederung der deutschen Länder haben müßte.
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Ein Südweststaat in der Südwestecke des Bundesgebietes würde die Frage des Finanzausgleichs
für drei Länder erledigen. Der Finanzausgleich
würde innerhalb des neu erstehenden Südweststaates gelingen. Auch hier in unserem benachbarten Gebiet - denken Sie an das Land RheinlandPfalz - würde eine vernünftige Neugliederung
der Länder manche Probleme des Finanzausgleichs
ohne weiteres wegfallen lassen. Also die Neugliederung der Länder - eine Frage, die der Herr Finanzminister dankenswerterweise hier angeschnitten hat - steht in engstem Zusammenhang mit
dieser Frage, und die Schwierigkeiten, die sich bei der Erörterung des Finanzausgleichs gezeigt haben, werden uns ein neuer Ansporn sein müssen, so schnell wie möglich an eine vernünftige Neugliederung der Länder heranzugehen.
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Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf über diesen Finanzausgleich - es ist gut, wenn man auch einmal ein Wort des Lobes für die fleißigen Mitarbeiter des Herrn Finanzministers sagt - ist meiner Meinung nach eine technische Meisterleistung sowohl in der Formulierung des Gesetzes als auch in der geradezu elegant geschriebenen Begründung. Aber die Schwierigkeiten des Problems werden dadurch natürlich nicht beseitigt; mein Herr Vorredner hat soeben schon daruf hingewiesen; denn es entsteht nun die paradoxe Situation, daß die unitarische Institution des Bundes, der Bundestag, der föderalistischen Institution des Bundes, dem Bundesrat, Hilfestellung leisten muß, um diesen Finanzausgleich, der doch in erster Linie eine materielle Frage der Länder wäre, erfolgreich zum Abschluß zu bringen.
Wir werden so prozedieren müssen, wie wir schon öfter prozediert haben, bei dem Überleitungsgesetz, bei dem Einkommensteuergesetz, bei dem Gesetz über die Hilfe für Schleswig-Holstein. Der Finanz- und Steuerausschuß des Bundestages wird zu gemeinsamer Beratung mit dem Finanzausschuß des Bundesrates zusammentreten müssen. Mein Herr Vorredner hat schon mit Recht darauf hingewiesen, daß es dann wieder unsere Aufgabe sein wird, den ehrlichen Makler zu spielen. Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß es in diesen gemeinsamen Beratungen gelingen wird, im Einvernehmen mit dem Bundesrat einen solchen Finanzausgleich doch noch zustande zu bringen. Aber das wäre dann wieder nur eine Arbeit für ein Jahr, für das abgelaufene Jahr. Im nächsten Jahr werden wir wieder vor der großen Frage stehen. So schieben wir die Dinge stückweise vor uns her. Das ist ein Zustand, der wenig erfreulich ist.
Wir müssen die Gründe zu erkennen versuchen. Der entscheidende Grund liegt in der falschen Gliederung des Bundes in seine Länder und auch in einer falschen Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern. Mit der Frage des Finanzausgleichs wird die Frage Unitarismus oder Föderalismus an der Wurzel gepackt, und wir werden der Entscheidung in der Zukunft nicht aus dem Wege gehen können.
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Das Wort hat der Abgeordnete Neuburger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wäre dem föderalistischen Geist zweifellos sehr zugute gekommen, wenn es den Ländern gelungen wäre, eine Materie, die sie nur selbst betrifft, im Geiste guter Zusammenarbeit zu lösen,
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und wenn wir hier im Bundestag und als Bundestag nur dazu berufen gewesen wären, formell noch unsere Zustimmung zu dem zu geben, was die Länder uns als einheitlichen Gesetzentwurf vorgelegt hätten. Leider ist dies aber nicht geschehen. Es ist sogar so, daß die Länder den vorliegenden Gesetzentwurf überhaupt abgelehnt ha({1})
ben, aber darüber hinaus selbst nicht zu einem eigenen Gesetzentwurf gekommen sind. Wir können daher im Bundestag nicht in der Rolle des Mittlers oder des ehrlichen Maklers auftreten, sondern wir müssen diese schwierige Materie selbst materiell lösen.
Als ich als Außenstehender seinerzeit die Verhandlungen - bei der Beratung des Grundgesetzes - über die Regelung der Finanzverantwortung zwischen Bund und Ländern verfolgte und dann schließlich hörte, auf welcher Basis man sich - mehr oder weniger unter dem Druck der Besatzungsmächte - einigte, fragte ich mich, ob es wohl je möglich sein werde, mit diesem Kuckucksei fertigzuwerden.
Aber diese Überlegungen helfen uns nicht über die Tatsache hinweg, daß diese Materie geregelt werden werden muß. Denn wir können unsere politische und staatsrechtliche und damit auch unsere Wirtschaftliche und soziale Zukunft nur sichern, wenn wir die finanziellen Verhältnisse nicht allein des Bundes, sondern auch der Länder und der Gemeinden in Ordnung bringen und in Ordnung halten. Der Herr Bundesfinanzminister hat zur grundsätzlichen Seite dieser Angelegenheit ausgezeichnete Ausführungen gemacht. Wir haben andererseits - und auch das möchte ich besonders betonen - einen Gesetzentwurf vor uns liegen, von dem man sagen kann, daß er wirklich mit Fleiß, mit großer Sorgfalt und Einfühlungsvermögen ausgearbeitet worden ist.
Wir haben weiter die Forderungen gehört, die bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs zwangsläufig mit zur Debatte gestellt werden müssen: die Grundforderung nach der Frage, ob das derzeitige System der Länder in dieser Form überhaupt aufrechterhalten werden kann, d. h. ob die Länder, die alle mehr oder weniger auf Grund eines Besatzungsdiktats geschaffen wurden, in sich lebensfähig sind, oder ob es nicht unsere Aufgabe ist, hier zuerst einmal die Lebensfähigkeit zu schaffen und damit ein wesentliches Hindernis für einen vernünftigen jährlichen Finanzausgleich zu beseitigen. Andererseits müssen die Fragen berücksichtigt werden: Erfolgt die Steuerveranlagung nach gleichen Grundsätzen? Erfolgt die Steuereinziehung nach gleichen Grundsätzen?
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Sind die Voraussetzungen für die Ansätze der Steuern im wesentlichen gleich, und wie ist die Verteilung der Finanzkraft bzw. die Verteilung der Lasten zwischen den Ländern und den Gemeinden? Mit allen diesen Fragen werden wir uns bei der Beratung des Gesetzentwurfs mit Sorgfalt und Hingabe beschäftigen müssen.
Aber eines kann ich schon sagen: wir können nicht nivellieren, d. h. wir können keinen Finanzausgleich schaffen, der sozusagen auf der Basis der Gleichheit allen finanzstarken Ländern zur Auflage macht, so viel abzuführen, daß sie bis zur Mittellinie herabkommen und die finanzschwachen Länder so viel bekommen, daß sie mit ihrer Finanzlage die Mittellinie erreichen. Der Gesetzentwurf wird vielmehr auch nach seiner Verabschiedung finanzschwache und finanzstarke Länder hinterlassen und hinterlassen müssen.
Ich möchte schließen, indem ich an alle Beteiligten den Appell richte: Ohne guten Willen geht es nicht!
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Eickhoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion begrüßt ohne weiteres die Vorlage eines Gesetzentwurfs über den Finanzausgleich. Alle, die diesen Gesetzentwurf durchgearbeitet haben, werden die Überzeugung bekommen haben, daß tatsächlich, wie vorhin schon erwähnt worden ist, eine einwandfreie Arbeit geleistet worden ist.
Im § 2 lese ich zum ersten Mal das schöne Wort: „Finanzkraftmeßzahl eines Landes". Bis § 13 wird dann festgelegt, was bei dieser Finanzkraftmeßzahl berücksichtigt, d. h. abgezogen oder hinzugerechnet wird. Im Endergebnis muß man aber dazu kommen, daß wirklich ein sehr gutes Resultat erzielt worden ist. Grundsätzlich müssen wir uns zu diesem Gesetzentwurf bekennen; denn nur auf diese Weise ist ein vernünftiger und gerechter Finanzausgleich zwischen den Ländern möglich.
Der Widerstand des Bundesrats ist uns nicht ganz verständlich. Der Föderalismus, der uns auf Grund des Grundgesetzes vorgeschrieben ist-nicht der überspitzte Föderalismus -, muß sich an diesem Problem bewähren. Echter Föderalismus bedeutet doch ganz einfach, den freiwilligen Gemeinsinn bei erhaltener Eigenständigkeit bewahren. Wenn sich unsere elf deutschen Länder nicht von persönlichen Bedürfnissen und Forderungen freimachen können, dann wird die Idee eines alle landschaftlichen Unterschiede plattwalzenden Unitarismus zwangsläufig großgezogen, und damit würden alle in der deutschen Geschichte begründeten traditionellen Sonderheiten der deutschen Stämme beseitigt. Ich glaube nicht, daß irgendeiner von uns daran ein Interesse haben könnte.
Meine Damen und Herren, wir schließen uns diesem Entwurf voll und ganz an, und ich hoffe, daß etwa auftretende Unstimmigkeiten im Ausschuß glattgebügelt werden können.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Es ist Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen beantragt. Ich bitte diejenigen, die dieser Überweisung zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Damit ist die Überweisung beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
a) Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes ({0});
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Belastung des Straßenverkehrs ({1}).
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen.
Meine Damen und Herren! Ich beantrage namens meiner Fraktion, den Punkt 6 a von der heutigen Tagesordnung abzusetzen und für die morgige Sitzung vorzumerken. Wir geben der Hoffnung Ausdruck, daß wir nicht genötigt sein werden, morgen erneut eine Vertagung zu beantragen.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Absetzungsantrag gehört. Das Wort dazu hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Meine Damen und Herren! Ich darf aus diesem Anlaß eine Vorbemerkung machen. Sie wissen, daß sich in sämtlichen Ländern des europäischen Kontinents und auch außerhalb Europas zur Zeit die Parlamente mit der Frage der Deckung neu erwachsener Unkosten beschäftigen. Ich habe neulich gelesen, wie z. B. Dänemark dieses Problem bewältigt hat. In Dänemark traten die Parteiführer an einem Samstag zusammen und haben nach Ladenschluß am Samstag nachmittag ihr Programm veröffentlicht. Am nächsten Montag in der Frühe hat der dänische Reichstag die gesamten Gesetzentwürfe beschlossen. Das ist dann von größtem Vorteil, wenn man weiß, wie die vielen Gespräche über kommende Steuern und Steuermöglichkeiten leider Gottes darauf einwirken, nicht nur die Gesetzgebungsarbeit sehr zu erschweren, sondern auch das kommende erwünschte Aufkommen an Steuern nicht zu erreichen. Ich verrate Ihnen nichts Neues, wenn ich sage, daß auch der Gesetzentwurf für die Mineralölsteuer ({0})
- ich will nicht zur Sache reden - sehr eilbedürftig ist; denn er sieht eine Einnahme vor, die vom 1. Januar ab fließen muß, wenn die Abgleichung des Haushalts erreicht sein soll. Die Abgleichung des Haushalts - Sie werden in diesen Tagen vielleicht einen Brief lesen, den ich in der Presse veröffentlichen will und der vom Kommissar des OEEC an mich gerichtet worden ist - ist heute eine Lebensfrage. Ich möchte deshalb zu dem Antrag erklären: Wenn ich die bestimmte Erwartung haben kann, daß es sich tatsächlich nur um eine Verschiebung von einem halben Tag handelt und morgen über den Gesetzentwurf in erster Lesung abgestimmt werden kann, daß ferner die Beratungen im Ausschuß sofort einsetzen können, dann brauche ich gegen den Rückstellungsantrag keine Einwendungen zu erheben. Aber ich tue das, wie gesagt, nur, wenn ich damit rechnen kann, daß damit über das Inkrafttreten des Gesetzes keine letzte Entscheidung getroffen wird.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Ausführungen zur Geschäftsordnung gehört. Es ist der Antrag gestellt, die Punkte 6a und b heute abzusetzen und in die Tagesordnung der morgigen Sitzung aufzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Absetzungsantrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Damit ist die Absetzung beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Fideikommiß- und Stiftungsrechts
({0});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht ({1}) ({2}).
({3})
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Dr. Greve.
Dr. Greve ({4}), Berichterstatter: Meine Damen and Herren! Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Fideikommiß- und Stiftungsrechtes liegt in Drucksache Nr. 1674 vor. tn dieser Drucksache ist eine eingehende Begründung zu dem Gesetzentwurf enthalten. Der Rechtsausschuß hat sich in seiner Beratung und
Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf auf den Standpunkt gestellt, der in der Begründung zu die sem Gesetzentwurf gegeben ist, und das Gesetz reit den in der Drucksache Nr. 1698 enthaltenen Änderungen gebilligt.
Die vorgenommene Änderung in § 3 betrifft die Bezeichnung „Fideikommißgericht", die hinzugefügt worden ist, weil im Lande Hessen ein besonderes Gericht diejenigen Funktionen wahrnimmt, die sonst von den bei den Oberlandesgerichten gebildeten Fideikommißsenaten wahrgenommen werden.
In § 4 ist eine redaktionelle Änderung vorgenommen worden, in § 5 gleichfalls.
Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht empfiehlt dem Bundestag die Annahme des vorgelegten Gesetzes mit den von ihm vorgenommenen Änderungen und gleichzeitig, den Antrag der Deutschen Partei in Drucksache Nr. 1544 durch diese Beschlußfassung für erledigt zu erklären.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Eine Aussprache ist vom Ältestenrat an sich nicht vorgesehen. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe auf § 1, § 2, - § 3, - § 4, - § 5; - Einleitung und Überschrift. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Paragraphen und der Einleitung und der Überschrift zustimmen wollen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Damit ist so beschlossen und die Behandlung des Entwurfs in der zweiten Beratung erledigt.
Ich rufe den Gesetzentwurf zur
dritten Beratung
auf. Ich bitte diejenigen, die dem in zweiter Beratung angenommenen Gesetz zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Damit ist das Gesetz auf Drucksachen Nrn. 1698 und 1674 mit den Änderungen des Ausschusses in dritter Beratung angenommen.
Wir haben noch die Abstimmung über die Ziffer 2 der Drucksache Nr. 1698 anzuschließen. Ziffer 1 dieser Drucksache ist durch den eben gefaßten Beschluß erledigt. Ich bitte diejenigen, die dem Ausschußantrag unter Ziffer 2 zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr auf Punkt 8 der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Wiedererhebung der Beförderungssteuer im Möbelfernverkehr und im Werkfernverkehr und zur Änderung von Beförderungssteuersätzen ({0});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen ({1}) ({2}).
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Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Junglas.
Junglas ({4}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Drucksachen Nrn. 1214, 1420 und 1616 befassen sich mit dem Gesetz zur Wiedererhebung der Beförderungssteuer im Möbelfern- und im Werkfernverkehr und zur Änderung von Beförderungssteuersätzen. Der vorliegende Gesetzentwurf bezweckt in seinem § 1 die Wiedererhebung der Beförderungssteuer im Möbel-und im Werkfernverkehr, welche durch die Steuer({5})
vereinfachungsverordnung vom 14. September 1944 weggefallen war. Der Finanz- und Steuerausschuß war der Auffassung, daß die Gründe, die die Bundesregierung veranlaßt haben, den genannten Gesetzentwurf einzubringen, in vollem Umfang anerkannt werden müssen. Die auf Grund der Steuervereinfachungsverordnung vom 14. September 1944 hervorgerufenen Ungleichmäßigkeiten der Beförderungsteuer im Fernverkehr sind unerwünscht und auf die Dauer gegenüber den übrigen Fernverkehrsunternehmungen auch ungerecht. Nachdem das Land Rheinland-Pfalz seit dem 21. Juni 1949 die Steuer wieder erhoben hat, ist es zweckmäßig, diese Maßnahme auf das ganze Bundesgebiet auszudehnen.
Die im Entwurf vorgesehenen §§ 2 und 3, die die Verhältnisse des Verkehrs behandeln, sollen nach Meinung des Finanz- und Steuerausschusses nicht im Gesetz verbleiben. Aus diesem Grunde wurde der § 2 geändert und der § 3 gestrichen. Die rein verkehrsrechtlichen Vorschriften sollen gesondert behandelt werden und. nicht in dieses reine Steuergesetz aufgenommen werden.
Bezüglich des § 2 hat der Ausschuß für Verkehrswesen, dem das Gesetz zur Begutachtung übergeben worden war, gebeten, eine redaktionelle Änderung vorzunehmen. Der Satz 2 des § 2 lautet: „Das gleiche gilt für die Begriffe der sonstigen Verkehre und der Verkehrsmittel." Die Worte „Begriffe der sonstigen Verkehre" sollen geändert werden in „Begriffe des sonstigen Verkehrs". Der Verkehrsausschuß hat im übrigen der Vorlage Nr. 1420 zugestimmt. Ich bin gebeten worden, dem Hohen Hause zu empfehlen, den Vorschlag des Verkehrsausschusses anzunehmen.
Der § 4 des Gesetzes erhöht die Beförderungssteuer für Beförderungen im Ortslinienverkehr. Diese Beförderungsteuer entsprach früher der Höhe der Umsatzsteuer; sie ist aber bei der allgemeinen Erhöhung der Umsatzsteuer von 2 auf 3 % nicht miterhöht worden. § 4 sieht vor, daß diese Beförderungsteuer, die eine Umsatzsteuer ist, nach diesein Gesetz von 2 auf 3 % erhöht werden soll.
Zu diesem Paragraphen hat der Finanz- und Steuerausschuß seine Zustimmung gegeben, desgleichen zu dem § 5, der unverändert übernommen worden ist. Zum § 5 hatte der Bundesrat vorgeschlagen, in der Zeile 7 vor dem Worte „Rechtsverordnungen" einzufügen: „mit Zustimmung des Deutschen Bundesrats". Nach diesem Vorschlag sollen die von der Bundesregierung zu erlassenden Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Deutschen Bundesrats erlassen werden. Der Finanz-und Steuerausschuß war jedoch der Meinung, daß im vorliegenden Fall eine Zuständigkeit des Bundesrats nicht gegeben ist, auch kein erhebliches Interesse der Länder vorliegt, und schlägt vor, den § 5 in der Vorlage der Regierung, wie er auch in der Drucksache Nr. 1420 wiedergegeben ist, anzunehmen.
In § 6 ist die Inkraftsetzung des Gesetzes festgelegt. Hier ist gegenüber dem Regierungsvorschlag insofern eine Änderung eingetreten, als die außer Kraft zu setzenden Bestimmungen sowohl hinsichtlich der Steuervereinfachungsverordnung als auch des Gesetzes des Landes Rheinland-Pfalz bereits in § 1 übernommen sind.
Meine Damen und Herren, dieser Vorschlag hat dem Plenum dieses Hauses bereits in seiner 93. Sitzung vorgelegen. Damals wurde die Vorlage an den Ausschuß für Steuern und Finanzen zurückverwiesen. Es sollte geprüft werden, ob der Werkfernverkehr nicht ganz aus dem Gesetz herausgenommen werden solle. Daß im Werkfernverkehr durch die Wiedereinführung der Beförderungsteuer finanzielle und büromäßige Belastungen entstehen, ist nicht zu bestreiten. Aus diesem Grund ist aber auch schon im § 5 der Vorlage gesagt, daß die Bundesregierung Durchführungsverordnungen zu erlassen habe, nach denen die Berechnung der Steuer im Werkfernverkehr in Form eines Durchschnittsbeförderungsentgelts zu erfolgen habe. Im Werkfernverkehr soll also nicht der Einzelfall, sondern ein Durchschnittsbeförderungsentgelt berechnet werden. Es war der Wunsch des Ausschusses, daß einige seiner Mitglieder bei der Aufstellung dieser Richtlinien mitwirken sollen, damit der bürokratische Arbeitsanfall so gering wie möglich bleibt und die Steuer so festgesetzt wird, daß alle Erfordernisse des Werkfernverkehrs, dessen Bedeutung und Umfang sehr erheblich ist, berücksichtigt werden; denn von 42 000 laufenden Lastwagen sind 26 000 im Werkfernverkehr beschäftigt. Dieser Werkfernverkehr soll durch die Festsetzung der Steuer nicht behindert werden. Das Finanzministerium hat zugesagt, daß die vom Finanzausschuß vorgeschlagenen Mitglieder bei der Abfassung der Rechtsverordnungen zugezogen werden sollen.
Der Ausschuß für Finanzen und Steuern hat deshalb in einer zweiten Sitzung erneut vorgeschlagen, das Gesetz gemäß seinem Beschluß, wie er in Drucksache Nr. 1420 festgelegt ist, anzunehmen, ebenso auch die Empfehlung des Verkehrsausschusses, die lediglich eine redaktionelle Änderung vorsieht.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Für die Aussprache hat der Ältestenrat eine Gesamtredezeit von 40 Minuten vorgeschlagen. Da nicht widersprochen ist, stelle ich die Zustimmung des Hauses fest.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bertram.
Meine Damen und Herren! Im Ausschuß ist über diese Frage anläßlich der Rückverweisung eine heftige Debatte entbrannt, und die Abstimmung war keineswegs einstimmig, wenn auch eine Mehrheit sich für den von dem Berichterstatter vorgetragenen Gesetzestext gefunden hat.
Ich möchte auf einige wenige Gesichtspunkte hinweisen, die meiner Ansicht nach doch das Plenum veranlassen sollte, dem Ausschußbericht nicht beizutreten. Da ist zunächst die Tatsache, daß die Einbeziehung des Werkfernverkehrs in die Beförderungssteuer in systemwidriger Weise im Jahre 1936 aus lediglich verkehrspolitischen Gründen vorgenommen worden ist. Im alten Beförderungssteuergesetz von 1926 war der Werkfernverkehr nicht aufgenommen. Es ist also nicht ganz richtig, wenn der Herr Berichterstatter sagt, vorübergehend sei der Werkfernverkehr herausgenommen worden. Richtig ist, daß die Beförderungsleistung ursprünglich, wenn sie im Werkfernverkehr erbracht wurde, nicht zur Steuer herangezogen wurde. Denn die Beförderungssteuer betrifft die gewerbliche Hauptleistung eines Unternehmers, der eine Beförderungsleistung vollbringt. Beim Werkfernverkehr ist es aber doch so, daß der Unternehmer nur innerbetriebliche Aufgaben mit seinen Transportmitteln erledigt, so daß die Begriffsbestimmung des Beförderungsgesetzes an sich auf den Werkfernverkehr
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gar nicht paßt und deshalb sinngemäß das Beförderungsteuergesetz früher auch niemals auf den Werkfernverkehr angewendet worden ist.
Es kommt hinzu, daß tatsächlich diese Steuer zu den zahlreichen anderen Belastungen, die jetzt schon der Kraftverkehr hat auf sich. nehmen müssen und noch auf sich nehmen soll, hinzutreten wird. Wir werden also den Werkfernverkehr zu all den anderen Lasten, die er zu tragen hat, noch zusätzlich belasten.
Das weitere Argument, das für unseren Abänderungsantrag, den ich Ihnen vorgelegt habe, spricht, ist die Tatsache, daß die Kontrolle außerordentlich schwierig ist. Die Kontrolle bei der Beförderungssteuer ist leicht für den gewerblichen Verkehr. Denn dort liegen eindeutige Unterlagen, nämlich die Erlöse, vor. Das Beförderungssteuergesetz sieht auch vor, daß 7% der vereinbarten Erlöse zur Steuer herangezogen werden. Beim Werkfernverkehr liegt aber die Besteuerungsgrundlage eines entsprechend vereinbarten Erlöses überhaupt nicht vor. Deshalb ist ein kompliziertes Umrechnungssystem notwendig, um zu fingierten Erlösen zu kommen, die in Wirklichkeit von niemandem gezahlt werden und die eine künstliche Berechnungsgrundlage für diese Steuer erst bilden sollen. Aus diesen Gründen ist die Berechnung auf außerordentliche Schwierigkeiten gestoßen. Wenn jetzt der Herr Bundesfinanzminister eine Durchführungs-, eine Rechtsverordnung erlassen soll, in der diese Bestimmung aufzunehmen ist, dann ist damit die Kompliziertheit der Bestimmungen an sich noch keineswegs beseitigt, und - das scheint mir von besonderer Bedeutung zu sein - der Steuersatz als solcher muß ja doch auch in dieser Bestimmung erst festgelegt werden. Er ist jetzt gar nicht festgelegt worden, sondern man versucht, einen Durchschnittssatz zu berechnen. Dieser Durchschnittssatz ist für hoch . tarifierte Güter zu niedrig, für niedrig tarifierte Massengüter zu hoch, so daß hier also eine völlig neue Steuer auf Grund von fingierten Erlösen geschaffen wird. Das würde meines Erachtens aus rechtlichen Gründen nicht zulässig sein.
Ich bitte deshalb das Hohe Haus, den Abänderungsanträgen der Zentrumspartei - sie liegen vor
zuzustimmen, die sich erstens darauf beziehen, daß der Werkfernverkehr aus diesem Gesetz herausgenommen wird, weil er keine Beförderungsleistung im eigentlichen Sinne des Beförderungssteuergesetzes darstellt, und zweitens, daß in den Durchführungsverordnungen die Zustimmung des zuständigen Ausschusses des Bundestages aufgenommen wird, um auch für den Möbelfernverkehr eine Handhabe zu haben, die unnötige bürokratische Schwierigkeiten vermeidet.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Rademacher.
Meine Damen und Herren! Da sich die Auffassung meiner Fraktion mit dem mündlichen Bericht des Ausschusses für Finanz-und Steuerfragen, aber auch mit der Stellungnahme des Ausschusses für Verkehrswesen deckt, kann ich mich darauf beschränken, auf den Abänderungsantrag einzugehen, den der Abgeordnete Dr. Bertram hier eben vorgetragen und begründet hat. Ob die Beförderungssteuer für den Werkfernverkehr früher einmal in dem Gesetz enthalten war oder nicht oder wieder herausgenommen wurde, ist für unsere Entscheidung belanglos. Entscheidend ist für uns, daß alle Verkehrsträger - und in diesem Falle alle Beteiligten am Straßenverkehr - steuerlich gleichmäßig behandelt werden. Der Werkverkehr ist, wie der Berichterstatter richtig gesagt hat, bei den insgesamt 42 000 Wagen mit ungefähr 26 000 Wagen beteiligt. Er stellt also einen wichtigen Faktor im gesamten Straßenverkehr dar, der unmöglich von einer Beförderungssteuer ausgenommen werden kann.
Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß es in der Steuergesetzgebung ja durchaus üblich ist, den Eigenverbrauch ebenfalls zu besteuern, und weiter geschieht hier auf diesem Gebiet nichts.
Die Argumentation des Abgeordneten Bertram, daß die Steuer nicht festliege, stimmt in dieser Form nicht. Der Prozentsatz, der im Gesetz vorgesehen ist, ist selbstverständlich auf den Werkfernverkehr analog anzuwenden. Wir sind uns der Schwierigkeit bewußt, die Dinge etwa so zu berechnen, wie es der gewerbliche Straßenverkehr machen kann. Infolgedessen haben wir absolutes Vertrauen zu dem Bundesfinanzministerium, daß es eine Regelung finden wird, die eine allzugroße Bürokratie vermeidet, auf der andern Seite aber eine einigermaßen gerechte Durchschnittsbelastung bei der Beförderungssteuer erzielt.
Ich bitte Sie also im Namen meiner Fraktion, den ersten Teil des Abänderungsantrages abzulehnen, ebenso auch den zweiten Teil, da ja der Herr Berichterstatter schon deutlich darauf hingewiesen hat, daß es nicht Angelegenheit des Bundesrates sein kann, an dieser Rechtsverordnung mitzuwirken, um so weniger also Angelegenheit des Bundestages.
Das Wort hat der' Herr Bundesminister der Finanzen Schäffer.
Meine Damen und Herren! Ich will nur eine kurze Bemerkung zu dem Antrag Bertram machen und an das anknüpfen, was der Herr Vorredner gesagt hat. Zunächst möchte ich eines feststellen: Durch den § 7 des alten Beförderungssteuergesetzes ist von Anfang an auch der Eigenverbrauch - um diesen Ausdruck zu wiederholen -, also der Verkehr im eigenen Betrieb, mit zur Steuer herangezogen worden. Das alte Beförderungssteuergesetz hat sich überhaupt nur auf den Schienenverkehr erstreckt. Vom
Jahre 1936 an hat es sich auch auf den Kraftwagenverkehr erstreckt, und von demselben Jahre an war der Werkfernverkehr, um den es sich handelt, Gegenstand der Beförderungssteuer. Es ist also nicht so, daß eine Systemwidrigkeit vorliege, sondern es liegt umgekehrt im System, auch den Werkfernverkehr heranzuziehen. Er kann unmöglich freigestellt bleiben, weil sonst die Wettbewerbsverhältnisse unter den Unternehmen verschieden sein würden. Der Unternehmer, der das Beförderungsgewerbe zum Transport seiner Waren benützt, müßte die Beförderungsteuer zahlen, und derjenige, der innerhalb seines eigenen Betriebs mit eigenen Fahrzeugen fährt, würde von dieser Beförderungssteuer ausgenommen sein. Es muß Sinn jeder Steuergesetzgebung sein, so ausgebaut zu werden, daß die Wettbewerbsverhältnisse möglichst unberührt bleiben. Und gerade unter diesem Gesichtspunkt möchte ich dringend bitten, davon abzusehen, dem Antrag Bertrag zu entsprechen und die Freistellung des Werkfernverkehrs zu verfügen. Es wurde schon betont, daß der Anteil des Werkfernverkehrs etwa
({0})
65% des gesamten Güterfernverkehrs beträgt. Es handelt sich also um eine Frage von wesentlicher wirtschaftlicher Bedeutung.
Ich bitte, auch den Punkt 2 des Antrags abzulehnen. Ich darf an das anknüpfen, was mein Herr Vorredner gesag hat. Sie können wirklich das Vertrauen haben, daß das Bundesministerium der Finanzen diese Dinge unbürokratisch behandeln wird, daß es mit den Wirtschaftsverbänden in Fühlung treten wird und daß es da, wo es sich um wichtige Entscheidungen handelt, selbstverständlich auch mit den Ausschüssen des Bundestages Rücksprache nehmen wird. Die Formulierung, die hier vorgeschiagen wird, ist in sich widterspruchsvoil und, möchte ich sagen, gegen jede Kleiderordnung Nach den geltenden Bestimmungen ist im Werkfernverkehr eine Steuer in Höhe von 0,6 Pfennig je Tonne und Kilometer und im Gelegenheitsverkehr uni grenzüberschreitenden Verkehr in Höhe von 0,3 Pfenn g je Person find Kilometer vorgesehen. Dabei ist seinerzeit bei der Festsetzung der Steuer von 0,6 PfennIg von einem Durchschnittsbeförderungsentgelt je Tonne und Kilometer im Güterverkehr von 8,5 Pfennig und bei Festsetzung der Steuer von 0,3 Pfennig von einem Durchschnittsbeförderungsent.gelt von 2,5 Pfennig je Person und Kilometer im Personenbeförderungsverkehr ausgegangen worden. Die im Jahre 1936 ermittelten Durchschnittsbeförderungsentgelte entsprechen nicht mehr den heutigen Durchschnittsbeförderungsentgelten. Es muß infolgedessen eine Anpassung erfolgen, und ich bitte, es bei den gesestzlichen Bestimmungen zu belassen.
Herr Dr. Bertram, Sie haben sich noch einmal zum Wort gemeldet. Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bin aber bereit, Ihnen doch Wort zu erteilen, wenn das Haus damit einverstanden ist.
({0})
Der Ältestenrat hatte die Redezeit ungewöhnlich knapp bemessen. - Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Bertram.
Der Gesichtspunkt der Gleichmälligkeit der Besteuerung ist nicht ganz zutreffend geschildert worden. Es ist so, daß der Werkfernverkehrsunternehmer auch anderen Beschränkungen unterliegt. Er ist insbesondere nicht berechtigt, Rückfracht zu befördern. Er ist also wirtschaftlich gesehen schlechter gestellt als der gewerbliche Güterfernverkehrsunternehmer. Die Gleichmäßigkeit der Besteuerung ist - auch rechtlich gesehen
- auch insofern nicht gewährleistet, als man hier nicht einen effektiven Erlös besteuert, sondern tatsächlich von rein fiktiven Durchschnittssätzen ausgeht, die bei dem einen eine wesentlich höhere Belastung als bei dem gewerblichen Güterfernverkehr hervorrufen können und bei dem andern eine wesentlich niedrigere Belastung, weil eben die Art der beförderten Güter bei dem Werkfernverkehr durchaus schwanken kann und durch den Durchschnittssatz eine ungleichmäßige Besteuerung in zahlreichen Fällen -- in allen den Fällen. in denen der Tar'f niedriger liegt als der Durchschnittssatz
- hervorgerufen wird. Der Weg, den der Gesetzentwurf gehen will, um einen sogenannten Selbstverbrauch zu besteuern, ist meines Erachtens nicht gangbar; er verstößt gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung.
Es kommt hinzu, daß die Tonnage, die dem Werkfernverkehr zur Verfügung steht, in ihrer Verkehrsspitze notwendigerweise außerordentlich gering ist. Gerade in diesem Herbst haben wir es erlebt, wie dringend notwendig die zahlreichen'Lastkraftwagen gewesen sind, um die Waren und Güter befördern zu können, die im gewerblichen Verkehr von der Bundesbahn. nicht befördert werden konnten. Wir sind also auch wirtschaftspolitisch daran interessiert, den Werkfernverkehr nicht unnötig zu belasten und dahin zu kommen, daß der Werkfernverkehr künstlich eingeschränkt wird.
Das letzte Argument, das der Herr Bundesfinanzminis vorbrachte, ist nicht ganz zutreffend. In § 1 des Beföruerungssteuergesetzes vom Jahre 1926 ist ganz allgemein von der Beförderung von Personen und Gütern die Rede. Im Jahre 1936 bei der Ausdehnung auf den Werkfernverkehr hat man dann eben diesen Umweg eingeschlagen, daß man von einem solchen fingierten Durchschnittserlös bei der Durenführungsverordnung ausgegangen ist. Aber im dritten Reich ist man ja nicht besonders wählerisch in der Form der Gesetzgebung gewesen; man hat es sich damals sehr leicht gemacht. Wir sollten es uns heute nicht so leicht machen. Wir sollten uns ernstlich überlegen, ob wir hier einen Weg einschiagen wollen, der meines Erachtens aus wirtschaftspolitischen, aber auch aus steuerrechtlichen Gründen nicht beschritten werden kann.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung.
({0})
- Es lagen mir keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich habe die Aussprache geschlossen. Ich kann nur auf Wortmeldungen reagieren, die mir vorliegen.
({1})
- Da war die Aussprache noch nicht geschlossen. Deshalb habe ich diese Ausnahme zugelassen. Aber ich kann nicht neue Wortmeldungen zulassen, nachdem die Aussprache geschlossen ist.
Wir kommen also zur Abstimmung. Ich rufe auf den § 1. Dazu liegt ein Abänderungsantrag der Fraktion des Zentrums, Ziffer 1 des Umdrucks Nr. 36, vor. Ich bitte die Damen und Herren, die für diesen Abänderungsantrag stimmen wollen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte nunmehr die Damen und Herren, die für den § 1 mit den vom Ausschuß vorgeschlagenen Änderungen stimmen wollen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. § 1 ist angenommen.
Ich rufe auf § 2. Vom Berichterstatter ist vorgeschlagen worden, eine kleine redaktionelle Änderung vorzunehmen. Im zweiten Satz soll an Stelle der Worte: „der sonstigen Verkehre und Verkehrsmittel" gesagt werden: „des sonstigen Verkehrs und der Verkehrsmittel". Ich nehme an, daß das Haus mit dieser redaktionellen Änderung einverstanden ist. Ich bitte die Damen und Herren, die mit dieser Änderung für den § 2 nach der Ausschußvorlage stimmen wollen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
§ 4 der Ausschußbeschlüsse. - Angenommen.
Ich rufe auf § 5: Dazu liegt der Abänderungsantrag der Fraktion des Zentrums auf Umdruck
({2})
Nr. 36 Ziffer 2 vor. Ich bitte die Damen und Herren, die für diesen Abänderungsantrag stimmen wollen, eine Hand zu erheben. - Das ist zweifellos die Minderheit.
({3})
Der Antrag ist abgelehnt. Ich glaube, ich brauche da keine Gegenprobe vornehmen zu lassen.
Ich lasse nunmehr über § 5 in der Fassung der Ausschußvorlage abstimmen und bitte die Damen und Herren, die dafür stimmen wollen, eine Hand zu erheben. - Das ist zweifellos die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
§ 6, - Einleitung und Überschrift. Ich bitte die Damen und Herren, die dafür stimmen wollen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Es ist so beschlossen. Damit ist das Gesetz in zweiter Beratung angenommen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz in der in der zweiten Beratung angenommenen Fassung zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. -- Gegen eine kleine Minderheit ist das Gesetz damit in dritter Beratung angenommen.
Meine Damen und Herren, ich bin gebeten worden, bekanntzugeben, daß der Ausschuß für Beamtenrecht um 15 Uhr 30 im Zimmer 10 zusammentritt.
Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen ({4}) über den Antrag der Fraktion der KPD betreffend Vorschußzahlungen auf das Bundesversorgungsgesetz ({5}).
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Arndgen.
Arndgen ({6}), Berichterstatter: Schon bevor der Antrag Drucksache Nr. 1646 dem Hause zugeleitet wurde, hatte sich das Bundesarbeitsministerium mit der Frage beschäftigt, ob und wie Vorauszahlungen aus dem Bundesversorgungsgesetz an die Berechtigten erfolgen können. Diese Frage ist dann von den Vertretern des Bundesarbeitsministeriums mit Vertretern der Länder und auch mit dem Beirat, den sich das Bundesarbeitsministerium für Kriegsopferfragen zugeordnet hat, eingehend beraten worden. Bei diesen Beratungen kam man zu der Auffassung, daß eine Vorauszahlung im jetzigen Moment nicht möglich sei, und zwar einmal aus rechtlichen Gründen, denn aus einem Gesetz, das an sich noch nicht rechtens ist, kann schlechterdings nicht irgendwie eine Vorauszahllung geleistet werden. Des weiteren war man in diesen Gremien der Auffassung, daß auch die Verwaltungsaufgaben, die notwendig sind, um diese Vorauszahlung zu leisten, derartig umfangreich seien, daß es kaum möglich wäre, vor Weihnachten noch irgendwie Vorauszahlungen durchzuführen. Obwohl die Kriegsopferorganisationen recht gerne damit einverstanden gewesen wären, wenn noch vor Weihnachten Vorschußzahlungen aus dem Versorgungsgesetz erfolgt wären, haben sie doch eingesehen, daß diese rechtlichen und Verwaltungsschwierigkeiten derart sind, daß es vielleicht besser wäre, wenn alles getan und wenn alles vorbereitet würde, damit die endgültigen Bescheide aus dem Recht des Versorgungsgesetzes so schnell wie möglich ausgestellt würden und damit die Berechtigten endgültig in den Genuß ihrer Renten kommen. Diesen Auffassungen, die uns im Ausschuß mitgeteilt wurden, hat sich auch der Ausschuß angeschlossen.
Allerdings darf nicht verkannt werden, daß in den letzten Wochen unter den Kriegsopfern und denjenigen, für die dieses Versorgungsgesetz geschaffen wurde, eine gewisse Unruhe eingerissen ist, eine Unruhe deswegen, weil Gerüchte im Umlauf sind, daß die Bundesregierung auch dann, wenn die Hohe Kommission diesem Gesetz zustimmen würde, von ihrem Einspruchsrecht, das ihr auf Grund des Art. 113 des Grundgesetzes zustehe, Gebrauch machen würde. Diese Gerüchte haben auch in der Presse ihren Niederschlag gefunden.
Um nun hier Klarheit zu bekommen, hat der Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen den Herrn Bundesarbeitsminister zu der 41. Sitzung gebeten, um eine Erklärung zu der Frage, die gerüchtweise durch die Lande geht, zu erhalten. Der Herr Bundesarbeitsminister hat in dieser Sitzung sinngemäß folgendes erklärt. Die Bundesregierung sei gewillt, gleich nach Ablauf der Einspruchsfrist, die der Hohen Alliierten Kommission gegeben sei, alles zu tun, damit dieses Gesetz auch verkündet und verabschiedet werde. Mit dieser Erklärung sind dann auch die Besorgnisse, die im Kriegsopferausschuß herrschten, beseitigt worden. Der Kriegsopferausschuß kam zu der Auffassung, daß, wie ich eingangs schon sagte, von der Regierung verlangt werden muß, daß nun aber auch alle Hebel angesetzt werden, damit die Vorbereitungen, die notwendig sind, um die Kriegsopfer recht bald in den Genuß der Leistungen zu bringen, in Angriff genommen werden.
Der Kriegsopferausschuß hat daher zunächst einmal seinen Vorsitzenden beauftragt, mit dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses Verbindung aufzunehmen, damit die Anträge, die seitens der Regierung und seitens des Bundesfinanzministers dem Haushaltsausschuß vorgelegt werden, um die Stellenpläne und die Einrichtungen, die notwendig sind, das Versorgungsgesetz praktisch durchzuführen, auf dem Wege der Vorwegbewilligung verabschiedet werden.
Des weiteren hat der Ausschuß beschlossen, den Antrag der KPD-Fraktion auf Drucksache Nr. 1646 umzuformen und Ihnen folgende Empfehlung zu unterbreiten. Diese Empfehlung ist in einen Beschluß gefaßt, dem auch der Haushaltsausschuß in seiner Sitzung, die heute morgen stattfand, zustimmte. Sie hat folgenden Wortlaut:
Nachdem die Bundesregierung in der 41. Sitzung des Ausschusses für Kriegsopfer-und Kriegsgefangenenfragen die verbindliche Erklärung abgegeben hat, das Bundesversorgungsgesetz nach Rückgabe durch die Hohen Alliierten Kommissare sofort in Kraft zu setzen, wird die Bundesregierung beauftragt, unverzüglich alle Maßnahmen zu ergreifen, um eine schnelle Auszahlung der neuen Rentenbezüge sicherzustellen, eventuell durch Abschlagszahlungen an diejenigen Kreise der Kriegsopfer, die ganz oder überwiegend auf die Bezüge aus dem Bundesversorgungsgesetz angewiesen sind.
Ich habe seitens des Ausschusses für Kriegsopfer-und Kriegsgefangenenfragen den Auftrag, Ihnen zu
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empfehlen, diesen Beschluß als Beschluß des Bundestages zu erklären.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir kommen zur Aussprache. Der Ältestenrat hat eine Gesamtredezeit von 60 Minuten vorgeschlagen. -- Da nicht widersprochen wird, stelle ich die Zustimmung des Hauses dazu fest.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Arnold.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem uns vorliegenden Antrag der KPD Drucksache Nr. 1646 liest man, daß die Regierung verpflichtet werden soll, bis spätestens 15. Dezember allen rentenberechtigten Kriegsversehrten des Bundesgebietes Vorschüsse auf ihre Renten zu leisten. So ganz unbekümmert um das Wie und Was und Wann sind dann hier Pflichtzahlen aus dem Ärmel geschüttelt, so daß man doch sehr den Eindruck gewinnen kann, daß dieser Antrag nur aus dem Fenster herausgesprochen ist. Die KPD dürfte wissen, daß gerade das Kriegsopfergesetz wegen der großen Differenzierung der Betroffenen eines der schwierigsten und kompliziertesten Gesetze ist, die wir haben, daß wir, um es auszuführen, einen ganz eingespielten und geschulten Beamtenstab haben müssen, der nicht nur die 90 Paragraphen des Gesetzes kennt, sondern ein großes psychologisches Einfühlungsvermögen besitzt und ein Talent zu einer gütigen Betreuung der versehrten Menschen. Das macht die Durchführung des Gesetzes natürlich nicht leichter. Also so einfach, wie die KPD sich dies vorgestellt hat, geht es nicht.
Nun hat der Herr Arbeitsminister uns im Ausschuß feierlich erklärt, daß sich das Kabinett schon bei seiner Beratung einig war, daß das Kriegsopfergesetz so ausgeführt werde, wie es am 19. Oktober vom Bundestag einstimmig angenommen wurde. Wenn es infolge fremdsprachlicher Schwierigkeiten mit Verzögerung den Hohen Kommissaren in der vorigen Woche eingereicht wurde, so geschah es, wie der Herr Arbeitsminister sagte, mit dem Wunsche, daß die Renten baldmöglichst ausgezahlt werden sollten. Durch eine Verzögerung würde der Regierung ja auch gar kein Vorteil erwachsen, denn die Verpflichtung zur rückwirkenden Zahlung bis zum 1. Oktober würde der Regierung ja doch bleiben.
Sehr erfreulich war dann auch die Erklärung, daß die finanzielle Deckung für das Gesetz vorhanden sei, und ich glaube, daß wir diesen feierlichen Erklärungen des Herrn Bundesarbeitsministers doch Vertrauen entgegenbringen können. Ich nehme auch an, daß die Kriegsversehrten selber diese korrekte Lösung lieber sehen, als daß ihnen unnötige Laufereien aufgebürdet werden, die bei all den Ab- und Aufrechnungen in einer Teilzahlung der Rentenbezüge wohl unvermeidlich sind.
Die Zentrumsfraktion ist nun der Meinung, daß die volle Rente laut Versorgungsgesetz so schnell wie eben möglich nach der Verabschiedung des Gesetzes durch die Hohe Kommission ausgezahlt wird. Sollte aber wider Erwarten dennoch aus irgendeinem Grunde eine Verzögerung eintreten müssen, dann allerdings muß der großen Not der Kriegsversehrten und ihrer Hinterbliebenen gedacht werden; dann müssen durch irgendwelche Teilzahlung oder durch andere Beschlüsse die den Kriegsrentenempfängern zustehenden Summen sofort gezahlt werden. Die Zentrumspartei bittet die Regierung,
dieser Sache ihre vollste Aufmerksamkeit zuzuwenden und alles daranzusetzen, daß die Kriegsversehrten sehr bald in den Genuß ihrer Bezüge kommen.
Den Antrag der KPD lehnt die Zentrumsfraktion in dieser Form ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Renner. - Ich darf aber, meine Damen und Herren, noch darauf hinweisen, daß die Mitglieder des Unterausschusses „Wohnungseigentumsgesetz" gebeten werden, sich um 15 Uhr im Zimmer 13, Nordflügel, zu einer Sitzung einzufinden.
Meine Damen und Herren! Die kommunistische Fraktion hat diesen Antrag am 24. November 1950 aus zwei Gründen eingebracht. Der eine Grund war der, den hungernden Kriegsopfern in etwa wenigstens zu Weihnachten eine kleine Beihilfe zu geben.
({0}) - Nein, den bei uns hungernden. Oder wollen Sie das bestreiten? Dann sind Sie ein weißer Rabe selbst in diesem Hause. Das wagt Ihre eigene Fraktion nicht öffentlich zu bestreiten. ({1})
Und zweitens, um zu klären, welche Gründe hinter der eigenartigen Behandlung dieses Gesetzentwurfs durch den Herrn Finanzminister stecken.
Ich fange bei der letzteren Geschichte an. Am 19. Oktober ist das Gesetz hier in diesem Hause verabschiedet worden. Am 25. November, also einen Tag nachdem wir diesen Antrag und eine dazugehörige Anfrage gestellt hatten, ist es von dem Herrn Finanzminister - bzw. von dem Herrn Arbeitsminister, die Frage ist offen - an die Hohe Kommission weitergeleitet worden. Nicht nur wir Kommunisten haben uns Gedanken gemacht, wie diese lange Verschleppung zu erklären ist. Eine große Organisation der Kriegsopfer, die Organisation, die sich sonst gern rühmt, die größte zu sein, hat auf einer offiziellen Tagung, an der ihr Sozialpolitischer Ausschuß und ihr Vorstand teil- genommen haben, in Koblenz ausdrücklich darauf hingewiesen, wie unerklärlich es sei, daß dieses Gesetz so lange in der Schublade des Herrn Bundesfinanzministers liegt, und gefragt, welche Gründe dahinter steckten. Ich sage das an die Adresse der Kreise, die mir nachher in der Diskussion eventuell vorhalten werden, daß nur agitatorische Gründe diesen Antrag veranlaßt hätten. Sie, Herr Kollege Leddin, haben gestern einen Versuch in dieser Richtung gemacht.
({2})
- Ja, das war intern, und da kann man manches erzählen.
Am 19. Oktober ist das Gesetz verabschiedet; wenige Tage später hat es der Bundesrat verabschiedet. Dann lag es in der Schublade des Herrn Finanzministers. Gestern ist uns durch den Herrn Arbeitsminister Storch gesagt worden, wie das zu erklären sei. Er sagte wörtlich: Wir haben uns dann, nachdem es vom Bundesrat zurückkam und nachdem wir die schriftliche Bestätigung der Annahme hatten, noch einmal im Kabinett mit dem Gesetzentwurf und der Deckungsfrage beschäftigt, und. nachdem sich in der Zwischenzeit ergeben hatte, daß die Deckung vorhanden ist, haben wir uns entschlossen, das Gesetz in Kraft zu setzen. - So war es doch wohl, Herr Kollege Leddin?
({3})
Nun ist der springende Punkt: Was hat die Frage der Deckung mit der Zurückhaltung des Gesetzes zu tun? Hinterher wurde uns die kleine Zeitspanne zwischen dem 25. November und der Klärung der Deckungsfrage so erklärt, daß man in dem Ministerium - man bedenke: in jedem Ministerium gibt es einen Stab von Übersetzern - Schwierigkeiten gehabt habe, diesen Gesetzentwurf in die zwei vorgeschriebenen Fremdsprachen zu übersetzen. Das ist nur ein Grund mehr, zu wünschen, daß die Besatzungsmächte uns bald verlassen.
({4})
- Nun, russisch ist schwerer. Es ist immerhin nur eine Fremdsprache, während wir uns mit drei oder vier herumzuschlagen haben. Aber es ist immerhin nicht so schwer, daß auch Sie vielleicht es nicht noch lernen könnten.
({5})
Nun zur Sache. Als das Gesetz hier verabschiedet wurde, hat der Herr Bundesfinanzminister erklärt, daß die Frage der Deckung noch zu klären sei. Er hat ein offizielles Veto nach dem Recht, das ihm das Grundgesetz bedauerlicherweise zugesteht, nicht eingelegt. Aber für jeden, der Ohren hat zu hören, war es ganz klar: er war der Auffassung, daß das Gesetz erst dann weitergeht und dann in Kraft tritt, wenn er seine Deckung hat.
({6})
- Wieso natürlich? Die Deckung haben Sie ihm heute mit der Erhöhung der Mineralölsteuer bewilligt, und bei der Begründung der Erhöhung dieser Mineralölsteuer wird ganz klar das Junktim sichtbar, also die Verbindung der Bewilligung dieser einseitigen Belastung eines Teils der Bevölkerung mit dem Bundesversorgungsgesetz. Hier heißt es:
Mangels jeglicher Reserven im Bundeshaushalt 1950/51 war nach der Verabschiedung des Bundesversorgungsgesetzes die Gefahr entstanden, daß entgegen der zwingenden Vorschrift .... der bis dahin ausgeglichene Haushaltsplan 1950/51 nicht mehr abgeglichen werden könnte.
Also hier liegt das Junktim. Die ganze Last der Erhöhung der Versorgungsaufwendungen wird hier auf einen Teil der Bevölkerung abgewälzt
({7})
mit dem Ergebnis, das dieser Teil der Bevölkerung auf die Kriegsopfer automatisch gehetzt wird. So liegen die Dinge.
Ich stelle hier fest, daß dieser Teil unserer Anfrage und unseres Antrages immerhin dazu geführt hat, daß der Herr Bundesarbeitsminister und auch sein Kollege, der Herr Bundesfinanzminister, persönlich in den Ausschuß geladen wurden.
In einem Punkt hat der Bundesarbeitsminister dem Ausschuß eine gewisse Beruhigung gegeben, indem er sagte: Kommt. das Gesetz jetzt vom Petersberg herunter, dann wird der Herr Bundeskanzler es unterschreiben und in Kraft setzen. Damit ist eine Sorge aus der Welt geschafft, aber nicht die andere mindestens ebenso große Sorge, die Sorge nämlich, wann der letzte Kriegsbeschädigte in den Genuß der zum Teil wenigstens erhöhten Rente kommen wird und was in der Zwischenzeit mit denen wird, die auf Grund der derzeitigen Hungerrenten nicht leben und nicht sterben können. Da hat sich gestern in der Aussprache einiges sehr Erstaunliche herausgestellt. Die Herren Landesarbeitsminister sind für Januar kommenden Jahres nach Bonn geladen. Man will mit ihnen weitere Besprechungen wegen der Durchführung dieses neuen Gesetzes in den einzelnen Ländern führen. Die Formulare für die Neuanträge liegen nach wie vor ich hatte wenigstens so den Eindruck, und ich bitte mich zu korrigieren, wenn ich mich irre - noch bei uns in Bonn. Sie sind nicht einmal an die Länder hinausgegangen.
Die zweite Frage: Wie lange dauert die Durchführung dieses neuen Gesetzes bei dem derzeitigen Stab der Beamten, die es zu praktizieren haben? Als das Reichsversorgungsgesetz im Jahre 1920 durchgeführt wurde, dauerte es fast viereinhalb Jahre, bis der letzte Rentenberechtigte seinen endgültigen Bescheid in der Tasche hatte. Heute bei dem zersplitterten Versorgungsapparat, bei den nach förderalistischen Prinzipien ländermäßig aufgezogenen Versorgungsapparaten, in denen es an Fachmännern fehlt, denen zum Teil sogar nicht einmal die baulichen Voraussetzungen für die Unterbringung der Behörden gegeben sind, darf man, ohne irgendwie an der Wahrheit vorbeizureden, feststellen, daß die Durchführung der neuen Rentenversorgungsgesetzgebung drei oder vier Jahre in Anspruch nehmen wird.
Was soll in der Zwischenzeit geschehen? In der Zwischenzeit muß doch irgendwie weiter gezahlt werden. Sollen die derzeitigen Renten weiter gezahlt werden, sollen Teile der derzeitigen Renten gezahlt werden? Was soll in der französischen Zone gezahlt werden, wo in einer großen Anzahl der Fälle die alten Renten höher sind als die neuen? Das sind alles ungeklärte Dinge. Darum waren wir der Meinung, daß zur Klärung all dieser Fragen, ob das Gesetz Rechtskraft hat, und der Frage, in welcher Form die Kriegsopfer ihre neuen Bezüge oder Teile ihrer neuen Bezüge in die Hand bekommen sollen, eine gründliche Aussprache stattfinden muß. Und die hat stattgefunden und hat mit der Feststellung geendet, daß man auch die Zuschüsse für den Ausbau des Versorgungsapparates in etwa erhöhen sollte. Der Herr Berichterstatter hat davon gesprochen. Aber das, was in dem derzeitigen Etat für diesen Zweck vorgesehen ist, wird, soweit es nicht von Bayern absorbiert wird, das in diesem Fall einmal sehr wachsam gewesen ist, so gering sein, daß auch nicht ein Bruchteil der notwendigen baulichen Veränderungen und personellen Verstärkungen in den Versorgungsbehörden der Länder erzielt werden kann. So lingen doch wohl die Dinge.
Hinzu kommt noch ein dritter Tatbestand. Im Haushalts-Voranschlag 1950/51, mit dem sich jetzt der Haushaltsausschuß beschäftigt, steht unter „Soziale Kriegslasten" ein Betrag für die Rentenversorgung. Dieser Betrag lautet auf 2,3 Milliarden DM.
({8})
- Diese Berichtigung war Schwindel. Ich habe mir in der Zwischenzeit den Etat noch einmal angesehen und festgestellt, daß ich recht hatte. 2,3 Milliarden stehen da für die eigentliche Rentenversorgung. Diese Zahl muß uns aber irgendwie bekannt vorkommen. Das ist die Zahl, die in der ganzen Periode der Vorbesprechung dieses Gesetzes hier immer weder als die Zahl genannt wurde, die heute schon fällig ist oder fällig wird durch die Rentenleistungen der Länder auf Grund der bisher noch geltenden differenzierten Rentenversorgungsgesetze und auf Grund des im Früh({9})
fahr dieses Jahres hier beschlossenen sogenannten Rentenverbesserungsgesetzes. Im Etat steht also nur der Betrag, der damals hier als Gegenwert für die damaligen Verpflichtungen angemeldet worden war. Wie kommt es denn, daß in dem Etat nicht die Mehrausgabe steht? Warum steht hier im Etat nicht die Summe, die man uns damals als angebliche Gesamtkosten für die Finanzierung des Bundesversorgungsgesetzes genannt hatte? Damals sprach man doch von über mehr als 3 Milliarden DM. Wo ist denn die Differenz? Sehen Sie, weil diese Frage sogar nicht einmal im Haushaltsvoranschlag geklärt ist, werden Sie verstehen können, daß die Kriegsopfer draußen mit einer gewissen Sorge die Entwicklung dieser Angelegenheit verfolgt haben.
Nun zu dem Beschluß des zuständigen Ausschusses. Der Herr Berichterstatter, der Herr Kollege Arndgen, hat gesagt, der KPD-Antrag sei „umgeformt" worden. Das stimmt zwar nicht ganz, aber ich freue mich insofern, als er damit zugegeben hat, daß ein Prinzip, das in unserem Antrag gefordert wird, in diesem Antrag zum Teil wenigstens realisiert ist, nämlich die Anerkennung der Notwendigkeit, Rentenvorschüsse zu zahlen.
({10})
Das ist anerkannt.
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Über die Frage, was blind ist, sind sich sogar die Gelehrten nicht einig. Und, Herr Kollege Arndgen, noch weniger ist man sich einig über den Begriff soziales Empfinden. Man kann christlich-sozial sein und bar jeder Spur von sozialem Mitgefühl.
Nun das Schlußwort, damit Sie gleich drankommen, Herr Kollege Arndgen! Wir haben mit unserem Antrag nicht das erreicht, was wir wollten. Wir haben nur erreicht, daß klargestellt ist, daß der Herr Bundeskanzler endlich gezwungen ist, das Gesetz durch seine Unterschriftvollziehung zur Rechtswirksamkeit zu bringen. Wir haben ferner erreicht, daß durch einen einstimmigen Beschluß der beiden Ausschüsse anerkannt ist, daß Rentenberechtigte aus diesem neuen Bundesversorgungsgesetz einen Anspruch auf Zahlung von Vorschüssen haben. Das ist kein voler Erfolg, aber wir freuen uns dieses Teilerfolges, und wir sind der Überzeugung, daß die Kriegsopfer uns dankbar sind, daß wir diese Klarheit geschaffen haben.
({12})
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es freut uns immer, wenn jemand wie der Herr Abgeordnete Renner mit einer derartigen Herzenswärme sich für die Kriegsbeschädigten einsetzt. Er ist ja auch sehr oft in der Ostzone, und ich wünschte nur, er würde dort einmal dieselben Forderungen für die Kriegsbeschädigten stellen.
({0})
Ich glaube, es würde ihm dann sehr bald Gelegenheit gegeben sein, mit seinem Kollegen Müller zusammen zu sein.
({1})
Aber zur Sache selbst möchte ich noch folgendes sagen. Das Kriegsopferversorgungsgesetz ist am 27. 10. 1950 vom Bundesrat verabschiedet worden. Nehmen Sie an, daß die schriftliche Übermittlung der Beschlüsse des Bundesrats 5 oder 6 Tage später bei der Bundesregierung eingegangen ist, dann finden Sie, da$ für alle anderen Maßnahmen, die die Bundesregierung treffen mußte, im allerhöchsten Fall 3 Wochen zur Verfügung standen. Es ist nach der ganz klaren Erklärung, die der Herr Bundesfinanzminister vor der Verabschiedung des Gesetzes hier abgegeben hat, völlig unverständlich, wie man die Kriegsbeschädigten wieder in die Unruhe bringen konnte, als wenn die Bundesregierung nun in der einen oder anderen Form der Durchführung dieses Gesetzes Schwierigkeiten machen wollte. Die Dinge liegen genau umgekehrt. Der Herr Bundesfinanzminister hat sofort, nachdem dieses Hohe Haus das Gesetz verabschiedet hat, sich um die Deckungsvorlage gekümmert. Sie ist zum Bundesrat gegangen. Nach den Erklärungen, die nachher auch von den maßgeblichen Parteien dieses Hohen Hauses gegeben worden sind, lag kein Grund für die Bundesregierung vor, noch irgendwelche Schwierigkeiten zu machen.
Wenn nun der Herr Abgeordnete Renner hier noch große Zahlenspiele aufführt und sagt, daß ja bei all diesen Fragen immer noch die alten Ziffern im Haushaltvoranschlag gestanden hätten, dann darf ich doch den Herrn Abgeordneten Renner darauf aufmerksam machen, daß das Haushaltsjahr des Bundes am 1. April beginnt. Für das erste halbe Jahr hatten wir also in den Haushalt das einzusetzen, was tatsächlich nach den alten Rechten an die Kriegsbeschädigten zu zahlen war, und wir hatten nur für das zweite Halbjahr die erhöhten Beträge einzusetzen. Im Haushalt des Bundes ist für die Durchführung der Kriegsheschädigtenrenten ein Betrag von 2,6 Milliarden DM enthalten.
({2})
Dazu kommen nunmehr die Mehrbeträge, die durch die Beschlüsse dieses Hohen Hauses zustande gekommen sind. Sie werden in einem Nachtragshaushaltsentwurf enthalten sein, und die Deckung dafür wird gegeben sein.
Ich möchte also zusammenfassend folgendes sagen. Wir werden alles tun, damit die Kriegsbeschädigten so schnell wie möglich in den Besitz der neuen Renten kommen. Dabei will ich allerdings nicht verhehlen, daß es noch allerlei Schwierigkeiten geben wird, weil wir selbstverständlich verpflichtet sind, vorher die Behörden zu schaffen. Der Herr Bundesfinanzminister hat gestern an den Haushaltsausschuß die Eingabe gerichtet, die hierfür notwendigen Mittel vorweg zu bewilligen. Ich habe gestern im Ausschuß für Kriegsbeschädigte gesagt: „Ich werde Anfang nächsten Jahres mit den Arbeitsministern oder den zuständigen Stellen der Länder zusammenkommen und habe die Absicht, mit ihnen die Wege zu besprechen, die uns in die Lage versetzen, den Kriegsbeschädigten ihre Renten so schnell wie möglich zuteil werden lassen". Es ist mir unverständlich, woher Herr Renner die Grundlage für seine Berechnung nimmt, die ihn dazu kommen läßt, daß die Kriegsbeschädigten erst in drei oder vier Jahren zur Befriedigung ihrer Rentenansprüche kommen könnten. So liegen ja die Dinge nicht. Zur Zeit laufen 3,8 Millionen Renten. Für sie sind alle Vorbereitungen gegeben, die nach dem ersten Weltkrieg und nach der damaligen Gesetzesschaffung durchgeführt werden mußten. Wir brauchen also rein büromäßig nur die Umrechnungen vorzunehmen und haben nur für einen Kreis von 620 000 Men({3})
schen, deren Rentenanträge heute noch laufen, die grundsätzlichen Arbeiten vorzunehmen.
({4})
- Selbstverständlich gibt es ärztliche Nachuntersuchungen. Aber es gibt sie nicht für alle. Es gibt sie beispielsweise für Leute, Herr Renner, die in der ersten Zeit nach dem Kriege, als die amerikanische Besatzungsmacht sagte: „Wer 50 % kriegsbeschädigt ist, braucht kein Entnazifizierungsverfahren durchzumachen", zum Arzt gegangen sind. Wenn jemand von diesen Kriegsbeschädigten zu einem Arzt ging und ihm sagte „Bitte, bestätigen Sie mir doch, daß ich 50 % kriegsbeschädigt bin, dann brauche ich diesen Entnazifizierungsrummel nicht durchzumachen", dann hat er in vielen Fällen diese Bescheinigung bekommen. Wenn er aber auf Grund dieser Bescheinigung nachher einen Antrag auf Kriegsrente gestellt hat, dann ist das meines Erachtens etwas ganz anderes. Die Kriegsbeschädigten haben selbst das allergrößte Interesse daran, daß die Kriegsopferversorgung auf den Kreis der Menschen beschränkt wird, die auf Grund des Gesetzes diese Versorgung erhalten sollen.
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So liegen die Dinge. Es denkt niemand daran, durch die ärztlichen Nachuntersuchungen, die hier oder da vorgenommen werden müssen, die endgültige Durchführung der Versorgung auch nur im entferntesten aufzuhalten.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bazille.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zweifelsohne kann der Bundesregierung nicht der Vorwurf erspart werden, daß sie durch eine psychologisch sehr ungeschickte Behandlung des Kriegsopferproblems die heutige Aussprache heraufbeschworen hat.
({0})
Zunächst war es die sehr unglückliche Verbindung der Kriegsopferversorgung mit Steuerabsichten auf einem der problematischen Gebiete, nämlich dem der Verkehrssteuern. Zum andern war es das Schweigen der Bundesregierung zu den Gerüchten im Lande, daß das Bundesversorgungsgesetz von der Bundesregierung unabdingbar mit diesen Steuerabsichten verknüpft worden sei, daß es nicht verkündet und in Kraft gesetzt werden könne, ehe nicht der Bundestag neue Steuern beschlossen habe.
({1})
Es war notwendig, eine Behandlung des gesamten Komplexes im Kriegsopferausschuß durchzuführen, um diese offenen Fragen zu klären, weil der soziale Frieden, der durch die Verabschiedung des Bundesversorgungsgesetzes erzielt werden sollte, empfindlich gestört war.
Es ist mir, der ich selbst Kriegsbeschädigter bin, als Vertreter einer großen deutschen Kriegsopferorganisation ein aufrichtiges Bedürfnis, hier zu erklären, daß die nunmehrige Behandlung des Komplexes im Kriegsopferausschuß und die Erklärungen, die der Herr Bundesarbeitsminister seitens der Regierung dort abgegeben hat, den Tatbestand sehr günstig beeinflußt und eine Wendung in der öffentlichen Diskussion des Problems herbeigeführt haben.
Auf der andern Seite müssen die Fragen, die mit der Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zusammenhängen, denkbar nüchtern und sachlich und losgelöst von der Atmosphäre der parteipolitischen Spannungen diskutiert werden. Das Bundesversorgungsgesetz ist nicht vergleichbar mit dem früheren Reichsversorgungsgesetz und auch nicht mit den Gesetzen, die zur Zeit noch in den Ländern gelten. Es ist wesentlich differenzierter und wird an die Durchführungsbehörden sehr hohe Anforderungen stellen, wenn befriedigende Ergebnisse erzielt werden sollen. Ich bin deshalb der Überzeugung, daß es notwendig sein wird, zunächst einmal auf dem Weg über Abschlagszahlungen die geldlichen Leistungen dieses Gesetzes dem von sozialen Gefahren besonders bedrohten Personenkreis zugänglich zu machen und in der Zwischenzeit die Versorgungsstellen aufzubauen sowie das Personal zu schulen, um dann Zug um Zug an die endgültige Erteilung von Bescheiden heranzugehen. Wenn wir bedenken, daß ein großer Teil der Versorgungsbeamten der alten Zeit entweder aus Gründen der Entnazifizierung oder altershalber ausgeschieden ist, daß auf der anderen Seite die Behandlung der vier Millionen Anträge wenig Spielraum für eine Personalschulung ließ, kommen wir zu dem Ergebnis, daß hier eine Reform an Haupt und Gliedern durchgeführt werden muß. Ich möchte mich hier über die Frage einer Reform bei den Gliedern nicht auslassen. Dazu ist heute nicht der Zeitpunkt. Man wird allerdings bei der Beratung des sogenannten Organisationsgesetzes darüber sehr viel sagen müssen. Was das Haupt angeht, so glaube ich dem Herrn Bundesarbeitsminister doch sagen zu müssen, daß auch hier einiges grundsätzlich geändert werden muß. Es ist ausgeschlossen, daß die beiden riesigen Komplexe Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung von einem Herrn seines Ministeriums leitend bearbeitet werden. Dazu reicht nun einmal die rein physische Arbeitskraft eines Menschen nicht aus, um sich mit diesem wohl größten sozialen Problem unserer Gegenwart ständig auseinanderzusetzen und dabei die wichtigsten Gesichtspunkte nicht miteinander zu vermischen bzw. durch diese Behandlung nicht das eine hinter das andere treten zu lassen. Das Ministerium muß gestützt auf die zu erwartenden Beschlüsse des Haushaltsausschusses danach streben, rein personell für den Komplex der Kriegsopferversorgung einen Personalstand zu erreichen, der in der Lage ist, wesentlich schneller zu arbeiten, als das seither der Fall war. Ich will damit den Herren im Ministerium des Herrn Arbeitsministers keinen Vorwurf machen; denn für sie hat der Tag auch nur 24 Stunden. Immerhin wäre es bei Berücksichtigung der von mir dargestellten Sachlage schon zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt möglich gewesen, das Bundesversorgungsgesetz in das Haus zu bringen und zu verabschieden sowie auch die notwendigen Durchführungsverordnungen so rechtzeitig vorzubereiten, daß wir uns nicht wieder zum Weihnachtsfest mit einem Antrag der Kommunisten auseinanderzusetzen haben.
Zu dem Antrag der Kommunisten selber möchte ich folgendes sagen. Durch die ständige Wiederholung dieser Anträge fällt es einem langsam schwer, überhaupt sachlich zu ihnen noch Stellung zu nehmen. Ich glaube, man muß diese Dinge langsam humoristisch betrachten.
({2})
Herr Kollege Renner, es steht mir an sich auf
({3})
Grund meiner Jahre nicht an, Ihnen in puncto Lebenserfahrung in irgendeiner Form etwas zu sagen. Aber wenn ich sehe, wie verzweifelt Sie Ihre Liebesbezeugungen den Kriegsopfern gegenüber in diesem Hause machen, dann glaube ich, daß auf dem Gebiet der Liebeserklärungen mein Lebensalter mich mit diesen Dingen vielleicht vertrauter macht als das Ihre.
({4})
Wissen Sie, Herr Kollege Renner, wenn man nämlich spürt - und ich glaube, die letzten Wahlen hätten Ihnen das zeigen müssen -, daß auf der andern Seite
({5})
so wenig Gegenliebe zu verspüren ist, dann bewirkt eine Forcierung dieser Gefühle genau das Gegenteil von dem, was man beabsichtigt.
({6})
- Herr Kollege Renner, ich darf Ihnen versichern,
({7})
daß das draußen bei den Kriegsbeschädigten genau so ist wie bei den gewöhnlichen Beziehungen der Menschen untereinander. Wenn Sie Ihre Liebesbeteuerungen hier noch so feurig gestalten, sie wirken langsam auf die Kriegsopfer nur lächerlich. Und das, Herr Kollege Renner, beruhigt uns so, daß wir es gar nicht notwendig haben, uns immer wieder hier mit Ihnen auseinanderzusetzen.
({8})
Die Kriegsopfer haben nämlich selber ein sehr feines Gefühl dafür, wem es sachlich ernst ist mit ihren Anliegen
({9})
und wer dieses Anliegen nur als einen geschickten Köder benutzt, um damit propagandistische Erfolge zu erzielen.
({10})
Wenn Sie am 24. November einen Antrag einbringen, daß man den Kriegsopfern nach dem Bundesversorgungsgesetz Vorschußzahlungen leisten solle, und zwar einer Zahl von 4 Millionen Versorgungsberechtigten - und diese Zahl ist in dieser Höhe zum Teil auch durch das Verhalten Ihrer Freunde jenseits des Eisernen Vorhangs, durch die Behandlung unserer Kameraden in der Gefangenschaft, so hoch angestiegen -,
({11})
Herr Kollege Renner, dann müßte Ihnen eigentlich Ihr nüchterner Menschenverstand sagen, daß man bis zum 24. Dezember - auch nach Ihrem scheinbar so einfachen Modos - nicht Zahlungen leisten kann. Sie haben damit Ihren Antrag selbst ad absurdum geführt und bewiesen, daß es Ihnen nicht um das konkrete Anliegen der Kriegsopfer geht, sondern lediglich darum, hier im Hause wieder einmal den Anschein zu erwecken, als hätten die Kriegsopfer lediglich in den Kommunisten die eigentlichen und wahren Vertreter ihrer Interessen in der Bundesrepublik.
({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Arndgen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Abgeordneten der Regierungskoalition hatten an sich nicht die Absicht, zu diesem Antrag zu sprechen, weil der Vorschlag des Ausschusses für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen bereits so deutlich das Wollen des Hauses unterstrichen hat, daß sie glaubten, zu diesem Thema nichts mehr sagen zu müssen. Nachdem aber der Herr Abgeordnete Renner im Brustton der Überzeugung hier klarzumachen versucht hat, daß allein das kommunistische, das sowjetische System soziale Gesinnung in Erbpacht genommen habe, ist es doch notwendig, hierzu etwas zu sagen.
Meine Damen und Herren! Es ist festgestellt worden, daß in den Gebieten, wo dieses System die Macht in Händen hat, diese „soziale Gesinnung" noch keinen Niederschlag in der Gesetzgebung gefunden hat.
({0})
Ich habe die Verordnung der Sowjetzone über Zahlung von Renten an Kriegsinvaliden vor mir liegen. In § 2 dieses Gesetzes ist gesagt, daß nur derjenige Anspruch auf eine Kriegsbeschädigtenrente hat, der zu 662/3% erwerbsunfähig ist.
({1})
Nach unseren bisherigen Bestimmungen hier im Westen und nach dem Bundesversorgungsgesetz bekommt schon derjenige eine Rente, der mindestens 30 % erwerbsgemindert ist.
Der Herr Abgeordnete Renner hat vom „Hunger der Kriegsopfer" gesprochen.
({2})
Diesen Ausspruch, Herr Abgeordneter Renner, hätten Sie so laut in die Welt hineinschreien müssen, daß er drüben in der Ostzone gehört worden wäre. Denn die Renten, die an Kriegsopfer in der Ostzone nach § 5 Abs. 3 dieses Ostzonen-Kriegsbeschädigtengesetzes, gezahlt werden dürfen, - ({3})
- Herr Renner, das klingt Ihnen offenbar sehr unangenehm in den Ohren. Es gibt ein OstzonenKriegsbeschädigtengesetz. Die Renten dürfen einschließlich aller Kinderzuschläge 90 Mark im Monat nicht übersteigen!
({4})
Herr Abgeordneter Arndgen, darf ich Sie bitten, in die Mikrophone zu sprechen! Es legt nicht nur der Herr Abgeordnete Renner Wert darauf, zuzuhören.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus diesen ganz kurzen Auszügen aus dem Kriegsbeschädigtengesetz, das in der Ostzone Rechtens ist, geht klar und deutlich hervor, wo die soziale Gesinnung vorhanden ist,
({0})
keineswegs in dem System, als dessen Vertreter Sie sich aufspielen.
({1})
Meine Damen und Herren Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache und komme zur Abstimmung über die Drucksache Nr. 1699, den Antrag des Ausschusses für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen, der Ihnen vorliegt. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Niemand hat dagegen gestimmt, und niemand hat sich der Stimme enthalten. Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 10 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen ({0}) über den Antrag der Fraktion der KPD betreffend Steuersatz für Ärzte, Zahnärzte und Dentisten ({1}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, diesen Punkt der 'Tagesordnung nach der Berichterstattung ohne Aussprache zu erledigen.
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Bertram. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Dr. Bertram ({2}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Die Arbeitsgemeinschaft der Landes-stellen der kassenärztlichen Vereinigung hat am 20. Januar 1950 an den Herrn Bundesminister der Finanzen einen Antrag gerichtet, den die KPD inhaltlich aufgenommen und zu ihrem eigenen Antrag verarbeitet hat. In dem Antrag der Arbeitsgemeinschaft heißt es fast wörtlich mit dem Antrag der KP, daß die Einkünfte der Ärzte, Zahnärzte und Dentisten ails der RVO-Kassenpraxis als außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 des Einkommensteuergesetzes behandelt, also nur mit dem durchschnittlichen Steuersatz erfaßt werden, der auch auf die übrigen Einkünfte entfällt.
Mit diesem Antrag hat sich der Ausschuß für Finanzen und Steuern des Bundestags beschäftigt. Der Antrag hätte bereits in den Beratungen zur Einkommensteuernovelle miterledigt werden müssen. Das ist durch ein Versehen unterblieben. In den Beratungen ist festgestellt worden, daß dieser Antrag steuersystematisch keine Aussicht auf Verwirklichung hat. § 34 des Einkommensteuergesetzes befaßt sich mit den Steuersätzen der außerordentlichen Einkünfte. Bei außerordentlichen Einkünften kommen aber nur bestimmte Einkunftsarten wie Veräußerungsgewinne, Entschädigungen und Zinsen in Betracht. Die Einkünfte, die in dem Antrag der Kassenärzte gemeint sind, sind solche außerordentlichen Einkünfte nicht. Unter diesen Umständen ist der Antrag schon steuersystematisch nicht zu verwirklichen.
Es kommt hinzu, daß die gleiche Angelegenheit auch den Ausschuß für Sozialpolitik beschäftigt hat. Die Ärzte haben ausgeführt, daß es ihnen zugemutet würde, durch vermehrte Arbeitsleistung bei verringertem Entgelt die gesetzliche Krankenversicherung aufrechtzuerhalten, die finanziell zusammenbrechen müßte, wenn die Ärzte entsprechend ihren Leistungen angemessen honoriert würden. Das Problem liegt also, selbst wenn man der eigenen Begründung der Ärzte folgt, nicht auf dem steuerlichen Gebiet, sondern bei der Frage der Leistungsfähigkeit der Sozialversicherung. Das heißt also, daß es sich in erster Linie um ein sozialpolitisches Problem handelt.
Demgemäß hat der Ausschuß die Erklärung des Arbeitsministeriums zur Kenntnis genommen:
Nach der für absehbare Zeit zu erwartenden bundesrechtlichen Regelung des Rechts der Kassenärzte usw. werden auch wieder Schieds- und Schlichtungsstellen gebildet. Der. Arbeitsminister gibt der Hoffnung Ausdruck, daß die Neuregelung des Kassenrechts den berechtigten Forderungen der Ärzteschaft Rechnung trägt.
Das weitere Argument, das in der Debatte des Ausschusses noch vorgetragen wurde, war die Tatsache, daß eine einseitige Steuerbegünstigung nur der Ärzte eine zu hohe Begünstigung gerade der Ärzte ermöglichen würde. Es war deshalb der Antrag gestellt worden, in Zukunft irgendwelche Vergünstigungen für Einkommen bis 6000 DM DM jährlich zu gewähren. Der Vertreter der antragstellenden Fraktion, Abgeordneter Kohl; hat sich aber damit einverstanden erklärt, daß der Antrag nach der Beratung im Ausschuß für Sozialpolitik als erledigt erklärt wird. Aus diesem Grunde hat der Ausschuß für Finanz- und Steuerwesen den Beschluß schon vor der Beratung der Einkommensteuernovelle gefaßt, dem Bundestag vorzuschlagen:
Der Antrag der KPD Nr. 455 der Drucksachen wird in Anbetracht der Erklärung des Bundesarbeitsministeriums über die in absehbarer Zeit zu erwartende Regelung des Rechts der Kassenärzte für erledigt erklärt.
Die Erklärung des Bundesarbeitsministeriums habe ich Ihnen eben vorgetragen. Ich bitte daher, den Ausschußantrag anzunehmen.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf eine Aussprache zu verzichten. - Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist, und komme zur Abstimmung über den Antrag der Drucksache Nr. 1496. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({0}) über den Antrag der Abgeordneten Dr. Richter ({1}) und Genossen betreffend Notstandsgebiet Wilhelmshaven ({2}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Aussprachezeit von 60 Minuten für diesen Punkt vor. - Das Haus ist damit einverstanden.
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Schoettle. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Schoettle ({3}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushaltsausschuß hatte sich mit der Drucksache Nr. 584, Antrag der Abgeordneten Dr. Richter und Genossen, zu beschäftigen, der vorschlägt:
Der Stadtkreis Wilhelmshaven wird als Notstandsgebiet erklärt. Die Bundesregierung wird beauftragt, unverzüglich, im Zusammenwirken mit der Landesregierung Niedersachsen, ein durchgreifendes Hilfsprogramm aufzustellen, um dieser deutschen Stadt, die die Höchstzahl Arbeitsloser aufzuweisen hat, durchgreifende Hilfe zu leisten.
Meine Damen und Herren, der Haushaltsausschuß sah sich vor folgende Lage gestellt. Der Antrag war am 17. Februar dieses Jahres beim Präsidium eingereicht; wenigstens trägt er dieses Da({4})
turn. Die Bundesregierung hat am 28. März dieses Jahres einen Hilfsplan über die Behebung der außerordentlichen Notstände im Raume Wilhelmshaven beschlossen und im Rahmen dieses Hilfsprogramms in den Haushalt 1950 eine Reihe von Beträgen eingesetzt, die insgesamt die Summe von 2 994 000 DM ausmachen. Die Mittel für die Durchführung der vorgesehenen Maßnahmen sind im Wirtschaftsplan für das Sondervermögen, ehemaliges Reichsvermögen in der britischen Zone, veranschlagt, der dem Einzelplan 23 - allgemeine Finanzverwaltung - als Anlage beigefügt ist.
Der Haushaltsausschuß wurde in seiner 61. Sitzung vom Bundesfinanzministerium mit einer Vorlage begrüßt, in der das Bundesfinanzministerium die Vorwegbewilligung von 1,5 Millionen aus dem eben erwähnten Wirtschaftsplan für den Raum Wilhelmshaven vorschlug. Der Haushaltsausschuß hat der Vorwegbewilligung dieser 1,5 Millionen zugestimmt. Bei einer weiteren Beratung der Drucksache Nr. 584 kam der Haushaltsausschuß
angesichts der bereits vom Bundeskabinett getroffenen Maßnahmen und der vom Haushaltsausschuß beschlossenen materiellen Vorkehrungen für den Raum Wilhelmshaven zu dem Ergebnis, dem Hohen Hause vorzuschlagen, die Drucksache Nr. 584 als erledigt zu betrachten.
Man muß hinzufügen: Selbstverständlich ist damit das Problem des Raumes Wilhelmshaven noch nicht endgültig gelöst. Die Haushaltsansätze sind zwar noch nicht aufgebraucht, sie werden aber im Laufe dieses Jahres zweifellos in vollem Umfang in Anspruch genommen werden. Man wird sich überlegen müssen, wie man über diese bereits getroffenen Maßnahmen hinaus der Stadt Wilhelmshaven. die ja durch ihre ganze Entwicklung, durch die Kriegsereignisse und Kriegsfolgen in eine außerordentlich schwierige Lage gekommen ist, helfen kann. Es wird Sache der Bundesregierung und des Parlamentes sein, in dieser Richtung weiter vorzugehen. Für heute habe ich Ihnen vorzuschlagen, dem Antrag des Haushaltsausschusses zuzustimmen und die Drucksache Nr. 584 für erledigt zu erklären.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Cramer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mir selbstverständlich bekannt, daß Wilhelmshaven nicht den Anspruch erheben kann, das einzige Notstandsgebiet im Bundesgebiet zu sein. Es gibt eine ganze Reihe solcher Gebiete und Bezirke, die diesen Anspruch erheben können; ja, wir haben heute vormittag erneut gehört, daß es ganze Länder gibt, die als Notstandsländer angesprochen werden müssen. Man muß aber differenzieren. Es gibt Gebiete, die besonders hart angeschlagen sind. Eine solche Stadt ist Wilhelmshaven mit dem umliegenden Bezirk, mit dem angrenzenden Kreis Friesland.
Ich möchte nicht mit allzuvielen Zahlen operieren, aber doch wenigstens einige Zahlen anführen. Die Erwerbslosigkeit im Bundesgebiet beträgt im Durchschnitt 8 %, gerechnet nach der Zahl der unselbständigen Erwerbslosen. Die Zahl der Erwerbslosen in Schleswig-Holstein, also in dein Lande, das am ehesten noch als Notstandsgebiet angesprochen werden kann, beträgt 21,5 %; die entsprechende Zahl für Niedersachsen ist 14 %. In Wilhelmshaven beträgt die Zahl der Erwerbslosen 28,9 %, die Zahl der männlichen Erwerbslosen sogar 31,4 %. Diese Zahlen beziehen sich auf den 30. September. Inzwischen ist die Zahl der Erwerbslosen gestiegen, so daß man ruhig sagen kann, die Zahl der Erwerbslosen betrage heute 30 % aller erwerbsfähigen Menschen in Wilhelmshaven. Von diesen Erwerbslosen waren 39 %, also rund 40 %, seit über einem Jahr erwerbslos, und das schlimmste ist, daß sie keine Aussicht haben, in absehbarer Zeit in ein angemessenes Arbeits- verhältnis zu kommen.
Selbstverständlich sind auch die Steuereinnahmen der Stadt Wilhelshaven im Vergleich zu den Einnahmen anderer Städte sehr viel niedriger. Wir haben uns die Mühe gemacht, einmal Vergleiche mit Städten etwa derselben Größe anzustellen. Im Jahre 1949 erbrachte die Gewerbesteuer in Osnabrück 5 600 000, in Remscheid 4 300 000, in Flensburg 2 900 000 und in Wilhelmshaven nur 1 000 000 DM. Der Ertrag an Gewerbesteuer war sogar geringer als der in Watenstedt-Salzgitter, wo 1,2 Millionen an Gewerbesteuer eingenommen werden konnten.
Ich könnte diese Beispiele erweitern, meine Damen und Herren, aber ich glaube, die genannten Zahlen genügen, um die schwere wirtschaftliche Lage dieser Stadt am Jadebusen aufzuzeigen. Ich glaube, diese Zahlen genügen auch, um ihrem Anspruch, als Notstandsgebiet anerkannt zu werden, Berechtigung zu verleihen.
Über die Ursachen dieser schwierigen wirtschaftlichen Lage auch ein paar Worte: Wilhelshaven ist ein Kind des Reiches. Es war die Rüstungswerkstatt der Kriegsmarine. Der größte Arbeitgeber waren die Werft und die Marine. Selbstverständlich wurden alle Einrichtungen und Anlagen innerhalb der Stadt auf die Bedürfnisse von Werft und Marine abgestellt. Nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 fielen diese beiden größten Arbeitgeber der Stadt weg. Nicht nur das: die Einrichtungen, die einmal als Arbeitsstätten gedient hatten, wurden demontiert. Bekanntlich kam die Werft nach Rußland. Alle Anlagen und Gebäude, die nicht demontiert oder wegtransportiert werden konnten, wurden demoliert, wurden gesprengt und zerstört. Ja, es war bei den Alliierten sogar die Absicht vorhanden, die Stadt Wilhelmshaven ganz von der Landkarte verschwinden zu lassen. Man wollte einen Damm um die Stadt herumziehen und Wasser über das Stadtgebiet laufen lassen, so daß von Wilhelmshaven nichts mehr übrig geblieben wäre. Dagegen haben sich alle vernünftigen Menschen gewandt - insbesondere die Stadtverwaltung - und haben damit erreicht, daß aus diesem scheußlichen Plan nichts geworden ist.
Die Stadtverwaltung war aber auch nicht passiv in der Beschaffung von neuen Arbeitsmöglichkeiten. Seit 1945 wurden in Wilhelmshaven rund 130 neue Betriebe gegründet, mehr als 100 Betriebe von Flüchtlingen oder Vertriebenen. 8000 bis 10 000 neue Arbeitsplätze wurden dadurch geschaffen, aber die Kraft der Stadt ist selbstverständlich einmal am Ende, und dieser Zustand ist seit einiger Zeit erreicht. Die Stadt kann nun nicht mehr weiter, wenn sie nicht die Hilfe des Bundes bekommt. Deshalb hat sich die Stadtverwaltung auch rechtzeitig mit der Bitte an die Bundesregierung gewandt, das Gebiet dort am Jadebusen als Notstandsgebiet anzuerkennen und - was für uns viel wichtiger ist - entsprechend zu behandeln.
Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß - zu erklären aus der Entstehungsgeschichte Wilhelmshavens - mehr als die Hälfte des städtischen Grund und Bodens Eigentum des Bundes ist und daß schon dadurch ein Interesse des
({0})
Bundes vorhanden sein sollte, sich um Wilhelmshaven zu kümmern.
Auf Grund der Bemühungen der Stadtverwaltung hat die Bundesregierung am 28. März ds. Js. beschlossen, Wilhelmshaven als Notstandsgebiet zu behandeln. Damit ist zunächst das erreicht, was die Stadtverwaltung Wilhelmshavens als die verantwortliche Körperschaft erreichen konnte. Bei den Verhandlungen über die Bereitstellung von Mitteln zur Arbeitsbeschaffung wurde Wilhelmshaven besonders berücksichtigt. Von den 90 Millionen, die Niedersachsen bekommen sollte, wurden Wilhelmshavener Betrieben 20 Millionen zur Verfügung gestellt. Leider, muß ich allerdings sagen, meine Damen und Herren, ist der erhoffte Erfolg ausgeblieben, weil - Sie wissen das alle - bei der Ausgabe des Geldes wegen der von den Banken geforderten Sicherheiten Schwierigkeiten aufgetreten sind. Die 20 Millionen, die uns im Frühjahr vielleicht eine Abnahme der Zahl der Arbeitslosen um 6000 bis 7000 gebracht hätten, haben sich bis heute kaum ausgewirkt, so daß man von einer nennenswerten Erleichterung durch diese Mittel nicht sprechen kann. Die Maßnahmen sind eben zu langsam durchgeführt worden. Es ist selbstverständlich, daß die Stadtverwaltung das Entgegenkommen der Bundesregierung, das Gebiet Wilhelmshaven als Notstandsgebiet zu behandeln, auch in der Praxis ausnutzt und ständig mit Vorschlägen, mit gut durchdachten und exakt ausgearbeiteten Plänen an die Bundesregierung herantritt, und ich muß zugeben, daß in einzelnen Fällen auch einige Erfolge erzielt worden sind. Aber wir sind damit noch lange nicht am Ende dessen, was geschehen muß, um aus dem Zustand der überdurchschnittlichen Arbeitslosigkeit herauszukommen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß Wilhelmshaven, ähnlich wie Watenstedt-Salzgitter, über keinerlei kommunaleigene Verkehrsmittel, über kein eigenes Wasserwerk verfügt. Das alles befindet sich heute noch im Besitz des ehemaligen Reichs, ist also Bundesvermögen. Wir müssen demnächst mit der Bundesregierung darüber verhandeln, ob es möglich ist, diese Einrichtungen auf die Stadt zu übernehmen, oder ob es notwendig ist, die Stadt Wilhelmshaven, ähnlich wie Watenstedt-Salzgitter, mit einer kommunalen Erstausstattung zu versehen. Das sind aber alles Dinge, die wir heute nicht entscheiden können; dazu sind langwierige Verhandlungen zwischen der Stadtverwaltung und der Liegenschaftsverwaltung des Bundes erforderlich. Diese Verhandlungen sind aber auch schon zum Teil eingeleitet.
Die Bereitwilligkeit der Bundesregierung, Wilhelmshaven zu helfen, muß aber auch im Etat selber ihren Niederschlag finden. Im Etat für 1950/51 sind einige erhebliche Mittel vorgesehen, um die vorhandenen bundeseigenen Gebäude und Anlagen in einen entsprechenden Zustand zu versetzen, daß sie weiterhin als Wohn- oder Betriebsräume verwendet werden können. Wir haben nur den Wunsch, Herr Bundesfinanzminister, daß die in diesem Voranschlag vorgesehenen Mittel nicht gekürzt werden und daß in den kommenden Jahren neue, nach Möglichkeit noch erheblichere Mittel dafür eingesetzt werden.
Wenn man zu der Auffassung kommen sollte, daß in Anbetracht der Entwicklung in anderen Teilen Westdeutschlands allgemeine Arbeitsbeschaffungsmittel nicht mehr notwendig sind, dann möchte ich doch darauf hinweisen, daß diese Auffassung für Wilhelmshaven keinesfalls zutreffen darf und kann, sondern daß man nach wie vor zur Arbeitsbeschaffung, zur Schaffung von Dauerarbeitsplätzen Mittel bereitstellen muß. Mit vorübergehenden Maßnahmen ist uns nicht gedient. Es muß das Ziel aller unserer Politik sein, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen, um damit gleichzeitig zu verhindern, daß sich in diesem Elendsgebiet etwa politische Kräfte auswirken, die nachher nicht zum Nutzen dieses Gebietes tätig sein würden. Es kommt darauf an, den Menschen am Jadebusen neuen Lebensmut zu geben.
Meine Damen und Herren, der Antrag des Haushaltsausschusses geht allerdings an den Dingen etwas vorbei, indem er durch die Vorwegbewilligung von 1,5 Millionen den Antrag Drucksache Nr. 584 für erledigt ansieht. Wie der Berichterstatter schon gesagt hat, ist damit das Problem Wilhelmshaven nicht erledigt. Ich möchte vorschlagen, die Fassung in dem Antrag des Ausschusses wie folgt zu ändern:
Der Bundestag wolle beschließen, den Antrag Nr. 584 der Drucksachen mit Rücksicht auf die inzwischen von der Bundesregierung beschlossenen
- ich meine damit den Beschluß vom 28. März und noch geplanten Maßnahmen für das Gebiet Wilhelmshaven für erledigt zu erklären.
Mit dieser Änderung erkläre ich mich mit der Annahme des Antrags des Haushaltsausschusses einverstanden und bitte um Ihre Zustimmung.
Ich bitte allerdings die Bundesregierung, das Problem Wilhelmshaven damit nicht als erledigt zu betrachten. .
({1})
Meine Damen und Herren! Bisher liegen zu diesem Punkt, bei dem mir allgemein Einmütigkeit über das Ergebnis der Verhandlungen zu bestehen scheint, weitere vier Wortmeldungen vor. Ich darf mit Rücksicht auf den vorliegenden Antrag an die Damen und Herren appellieren, sich möglichst kurz zu fassen. Ich meine, daß das Haus bereit ist, auch allen Abgeordneten, die nicht gesprochen haben oder die sich kurz fassen, zu konzedieren, daß sie ebenfalls für Wilhelmshaven eintreten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Thadden.
von Thadden ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß der Abgeordnete Cramer bereits mancherlei Dinge gesagt hat, die ich hier auf meinem Konzept stehen habe. Der Antrag des Haushaltsausschusses - ich möchte an das anknüpfen, was der Kollege Cramer sagte - geht an den Dingen, die in Wilhelmshaven auf der Tagesordnung stehen, wirklich vorbei. Es ist doch nicht damit getan, daß man für die Ausführung von Dachreparaturen, für einige Reparaturen an Kasernen sowie für die Reparatur eines Deiches und für die Reparatur einiger Dinge im Werftgelände Mittel zur Verfügung stellt, um dann zu erklären, daß damit der Antrag, in dem die Erklärung zum Notstandsgebiet gefordert wird, hinfällig wird. Selbstverständlich sind diese Maßnahmen, die mit diesen Mitteln durchgeführt werden können, dringend erforderlich. Sie führen aber nur dazu, daß einige Bauarbeiter kurzfristig Arbeit bekommen, daß aber eines nicht geschaffen wird, nämlich Dauerarbeitsplätze, und die fehlen in Wilhelmshaven. Die Werft, die dem ganzen Stadtleben ihren Stempel aufdrückte, ist zur Ankurbelung der russischen Friedenswirtschaft nach Rußland überführt wor({1})
den. Die Belegschaft von ehemals 30 000 Mann konnte nur zu einem ganz geringen Teil in Nachfolgeindustrien untergebracht werden. Darüber hinaus darf man nicht vergessen, daß die Pläne, Wilhelmshaven totzumachen, auch insofern realisiert wurden, als man dazu überging, das zweite Gleis der Reichsbahn, das nach Wilhelmshaven hinführte, abzuwracken. Halten Sie sich bitte vor Augen, daß in Wilhelmshaven Tausende von Menschen wohnen, die 500, 600, 700 ja bis zu 800 DM Mietrückstände haben, daß dort Tausende von Menschen sind, die sich seit der Währungsreform, wie mir einer sagte, nicht mehr anschaffen konnten als einen Schlips, einen Kragen oder ein Paar Strümpfe. Die Menschen sind seit 1945 arbeitslos. Was das für die Familien bedeutet, welche Familienzerrüttung es zur Folge hat, brauche ich nicht zu erläutern.
Das Schicksal von Wilhelmshaven, so wurde kürzlich auf einer großen Versammlung in Wilhelmshaven, auf der Kollege Cramer und ich sprachen, erklärt, entscheide sich hier in Bonn. Das Schicksal dieser Stadt kann sich nur dann zum Guten wenden, wenn das Parlament unserm Antrag, Wilhelmshaven zum Notstandsgebiet zu erklären, folgt. Es ist nicht allein damit getan, daß die Bundesregierung Wilhelmshaven Zusagen macht. Wir verlangen, daß die Bundesregierung den Auftrag vom Parlament in der entsprechenden Form erhält.
Meine Damen und Herren, obwohl ich als Antragsteller gehofft hatte, meinen Antrag etwas begründen zu können, ist meine Redezeit bereits abgelaufen, und ich muß mich auf das bisher Gesagte beschränken. Den Abänderungsantrag, den die Fraktion der SDP eingebracht hat, können wir nicht unterstützen. Wir verlangen vielmehr, daß, unabhängig davon, was der Haushaltsausschuß beschlossen hat, unser alter Antrag angenommen wird, nämlich Wilhelmshaven zum Notstandsgebiet zu erklären, damit die Regierung dann die Maßnahmen trifft, die sie treffen muß, wenn der Beschluß hier gefaßt ist.
Das Wort. hat Herr Abgeordneter Gundelach.
Seit Bestehen des Bundestages stand die Frage der Behebung des Elends in den sogenannten Notstandsgebieten von Westdeutschland hier im Bundestag wiederholt zur Beratung. Aber ich glaube, wir sind uns alle darüber einig, daß etwas Entscheidendes zur Behebung der sehr großen Not in diesen Gebieten, mit denen wir uns wiederholt beschäftigt haben, bis zum heutigen Tage nicht getan worden ist. Ich bestreite nicht, daß der Versuch unternommen wurde, gewisse Mittel zur Verfügung zu stellen, aber eine Überprüfung in diesen Notstandsgebieten ergibt, daß die Erwerbslosigkeit, genau so wie in Wilhelmshaven, nicht gesunken, sondern fast überall trotz dieser Hilfe noch angewachsen ist.
({0})
Ich brauche nur zu erinnern an die Lage in Schleswig-Holstein, an das Gebiet Watenstedt-Salzgitter, mit dem wir uns wiederholt beschäftigt haben. Ich darf erinnern an die Verhältnisse des Bayerischen Waldes, zu denen hier vor kurzem Stellung genommen worden ist.
Heute beschäftigen wir uns erneut mit dem Notstandsgebiet Wilhelmshaven. Auch hier sind - das muß jeder, der offenen Auges ist, zugeben - keinerlei Voraussetzung für eine baldige Beseitigung der großen Not der Bewohnerschaft von Wilhelmshaven und Umgebung gegeben. In Wilhelmshaven selbst gibt es über 12 000 Arbeitslose, und mit der Umgebung von Wilhelmshaven zusammen sind es annähernd 18 000 Arbeitlose. Dort gibt es eine sehr große Zahl von qualifizierten Arbeitskräften des Schiffbaus. Es gibt Ingenieure, Techniker und sehr qualifizierte Metallarbeiter sowie Angehörige anderer Berufe, die mit dem Schiffbau aufs engste verbunden sind. Es handelt sich um jene qualifizierten Arbeitskräfte, die früher jahrelang auf der dortigen Marinewerft beschäftigt waren. Es ist bereits von dem Herrn Kollegen Cramer zum Ausdruck gebracht worden, daß die Anlagen der ehemaligen Marinewerft demontiert und zum Teil zerstört worden sind. Auf Anordnung der Besatzungsmacht darf in Wilhelmshaven bis zum heutigen Tage auch keinerlei Schiffbau mehr betrieben werden. Wir sagen: Bleiben die Besatzungsmächte weiter auf diesem Standpunkt stehen, dann kann un- serer Meinung nach - und das muß jeder zugeben, der die Dinge kennt - Wilhelmshaven niemals wieder gesunden. Die Stadt- und Hafenanlagen von Wilhelshaven sind so gestaltet, daß Wilhelmshaven wieder Schiffbau treiben muß. Selbstverständlich sind wir der Meinung, daß es sich nur um den Bau von Handelsschiffen, Passagierschiffen, Küstenfahrzeugen usw. handeln sollte.
Der Versuch, andere Industrien in Wilhelmshaven aufzubauen, hat nur zu einem Teilerfolg geführt. Nach den Berichten aus Wilhelmshaven sind in diesen neu angesiedelten Betrieben überwiegend Frauen beschäftigt. Aber gerade die qualifizierten Techniker, Ingenieure und Metallarbeiter haben noch wenig Arbeitsmöglichkeiten gefunden; sie sind zu einem großen Teil, wie schon erwähnt worden ist, seit drei und vier Jahren arbeitslos und haben keinerlei Aussicht, bei einem Weiterbestehen dieses Zustandes dort jemals wieder Arbeit zu finden.
Der vorliegende Bericht des Haushaltsausschusses besagt, wenn man ihn genauer beurteilt, gar nichts. Damit ist der Bevölkerung Wilhelmshavens in keiner Weise gedient. Er enthält nichts Positives, um der Bevölkerung Wilhelmshavens eine Linderung der Not in der allernächsten Zeit und für die Zukunft zu bringen.
Eine teilweise Besserung wäre nach unserer Meinung zu erreichen, wenn die Bestrebungen interessierter Wirtschaftskreise der Stadt Wilhelmshaven den Handel mit der Deutschen Demokratischen Republik auszubauen, in jeder Weise unterstützt würden. Nach Informationen, die vorliegen, sind hier sehr reale Möglichkeiten gegeben, zumindest einen Teil der Not abzustellen.
Trotzdem bringe ich zum Schluß nochmals zum Ausdruck: Wilhelmshaven braucht wieder einen entsprechenden Schiffbau, damit die in Wilhelmshaven ansässigen qualifizierten Arbeitskräfte für die Zukunft wieder eine sichere Existenz haben. Das aber hat zur Voraussetzung, daß das heute noch bestehende Verbot eines Schiffbaus in jeder Form, des Schiffbaus für den eigenen Handel und für den Export, völlig aufgehoben wird. Wenn diese Bestimmungen beseitigt werden und wenn dann seitens der verantwortlichen Stellen die für den Aufbau einer neuen Schiffswerft notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, . dann wird damit der Bevölkerung Wilhelmshavens am besten gedient sein.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Bahlburg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer Wilhelmshaven einmal erlebt hat, der wird festgestellt haben, daß diese Stadt,
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in der eine große Not herrscht, mit allen Mitteln und nach allen Kräften bemüht ist, sich am Leben zu erhalten. Und es trifft auch zu, daß viele Deutsche sich bemühen, der Stadt Wilhelmshaven helfend an die Seite zu treten. Die Not, die in Wilhelmshaven herrscht, wird an uns durch diejenigen herangetragen, die zu uns kommen und um Hilfe bitten. Erst vor kurzem haben sich Freunde aus Wilhelmshaven hierher begeben und haben angefragt, ob es nicht möglich sei, ihnen eine Hilfe wenigstens dergestalt zuteil werden zu lassen, daß man sie mit Naturalien unterstütze. Sie baten nur um ein paar Kohlen und Kartoffeln. Man wird kaum glauben können, daß sämtliche Bewohner von Wilhelmshaven lebend über Weihnachten hinauskommen. Die Verzweiflung vieler Familienväter ist außergewöhnlich groß; sie haben kaum noch die Hoffnung, weiter am Leben zu bleiben.
Wir haben davon gesprochen, daß man in Wilhelmshaven die Arbeitsplätze vernichtet hat. Man hat der Stadt Wilhelmshaven den Lebensnerv genommen. Es sind außerdem noch viele Menschen zusätzlich nach Wilhelmshaven mit dem Flüchtlingsstrom gekommen. Die Not ist auch deswegen so groß, weil viele von denen, die während des Krieges arbeitsverpflichtet wurden, nicht wieder in ihre Heimat zurückkehren konnten. So haben wir nun die Tatsache zu verzeichnen, daß es in Wilhelmshaven mehr als 12 000 Arbeitslose gibt.
Ich möchte anregen, doch einmal zu erwägen, ob es nicht möglich ist, eine Benörde, die man im Jahre 1945 aus Gründen, die uns nicht klar sind, nach Brunsbüttelkoog verlegt hat, nämlich das Seezeichenamt, wieder nach Wilhelmshaven zu verlegen. Das Seezeichenamt war früher in Wilhelmshaven stationiert, und bei diesem Amt waren immer einige Dutzende von Beamten und Angestellten beschäftigt. Man sollte versuchen, nicht nur aus Gründen der Beschäftigungsmöglichkeit, sondern auch aus Sparsamkeitsgründen das Seezeichenamt wieder nach Wilhelmshaven zurückzuverlegen. Denn es ist jetzt so, daß die Beamten und Angestellten täglich von Wilhelmshaven nach Brunsbüttelkoog fahren müssen, um dort ihren Dienst zu tun. Außerdem hat jedes Schiff, das die Seezeichen zu beobachten und zu legen hat, einen weiteren Anmarschweg zurückzulegen, so daß ein Schiff immer eine Reise von 2400 Seemeilen im Jahre mehr zurückzulegen hat; das bedeutet für ein Motorfahrzeug einen Aufwand von 4300 DM und für ein Dampffahrzeug 7500 DM. Es sollte einmal überlegt werden, ob nicht die Möglichkeit besteht, das Seezeichenamt wieder nach Wilhelmshaven zu verlegen. Ich hoffe, daß die Bundesregierung Veranlassung nehmen wird, das Amt nach Wilhelmshaven zurückzuverlegen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kuntscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Stadt Wilhelmshaven ist wohl einer jener Plätze, die wirtschaftlich am schwersten betroffen wurden. Die Stadt Wilhelmshaven ist neben Watenstedt-Salzgitter das Schmerzenskind des Landes Niedersachsen. Es ist selbstverständlich, daß auch wir uns dafür einsetzen, damit alles getan wird, um der Stadt Wilhelmshaven, die unter deri schwersten Notständen leidet, zu helfen.
Ich möchte hier aber doch auch einiges richtigstellen. Herr Kollege von Thadden hat vorhin gesagt, die Bundesregierung dürfe es nicht bei vagen Versprechungen bewenden lassen, während sie in
Wirklichkeit der Stadt Wilhelmshaven keine Hilfe gewähre. Dazu ist zu sagen, daß die Bundesregierung in den letzten Monaten alles getan hat, was nur menschenmöglich war, um der Stadt Wilhelmshaven zu helfen, und es wurde vorhin schon von dem Herrn Kollegen Cramer darauf hingewiesen, daß der Bund bedeutende Mittel zur Behebung des in Wilhelmshaven herrschenden Notstandes bereitgestellt hat. Aus dem 300-Millionen-Arbeitsbeschaffungsprogramm für die drei Länder Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bayern - ein kleiner Teil entfiel auf Nordhessen - sind aus dem anfallenden Landesanteil für Niedersachsen von einigen neunzig Millionen in das Gebiet von Wilhelmshaven und den die Stadt umschließenden Landkreis Friesland 13,6 Millionen geflossen. Eines muß hier allerdings noch mit besonderer Betonung gesagt werden, daß nämlich die volle Auswirkung dieser Zuschüsse oder dieser Zuwendungen für die Arbeitsbeschaffung und für die Behebung des sozialen Notstandes nicht wirksam werden konnte, weil, wie uns allen bekannt ist, Schwierigkeiten bei der Auszahlung und Flüssigmachung dieser bewilligten und gewährten Beträge bestehen. Von diesen bewilligten Beträgen sind durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau 90 % der Gesamtsumme bestätigt, aber leider erst 40 % an die Kreditnehmer geflossen. Der Abruf der noch bewilligten Kredite geht wohl laufend, aber immerhin zu schleppend vor sich, weil es immer und immer wieder auf diese zehnprozentige Bürgschaft der Hausbanken ankommt. Bei der Erstellung von über hundert verschiedenen Flüchtlingsbetrieben in Wilhelshaven wird diese zehnprozentige Bürgschaft der Hausbank nur zögernd übernommen. Diese Flüchtlingsbetriebe sind überbelastet und nicht in der Lage, irgendwelche Bürgschaften und von den Banken anerkannte Sicherheit zu bieten.
Durch die vom Bund gewährte Hilfe ist die Zahl der Arbeitslosen in Wilhelmshaven und im Landkreis Friesland um rund 5000 Personen gesunken. Im Februar d. J. betrug die Zahl der Arbeitslosen 34,4% aller Erwerbstätigen. Bis zum 31. Oktober ist ein Fallen auf 27,5 % zu verzeichnen. Allerdings ein erschreckend hoher Prozentsatz bei 9 % Bundesdurchschnitt. Hier muß ich der Wahrheit zuliebe auch meinen Herrn Vorredner von der KPD korrigieren, da er behauptete, daß trotz der vom Bund bereitgestellten Mittel die Zahl der Arbeitslosen in Wilhelmshaven gestiegen ist. Das stimmt nicht; denn die amtlichen Zahlen zeigen uns das wahre Bild.
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Ich will mit meinen Ausführungen nicht sagen, daß bereits genug getan wurde. Wir wissen, es muß noch mehr getan werden, um diesen Notstand zu beheben. Aber eines geht aus diesen Zahlen hervor: daß der Bund und diejenigen, die die Verantwortung für dieses und alle anderen Notstandsgebiete tragen, sich dessen bewußt sind, daß mit allen Kräften geholfen werden muß.
Das Problem Wilhelmshaven bleibt bestehen, und ich nehme an, daß ich für meine Freunde und für mich die Versicherung abgeben kann, auch weiterhin alles zu tun, um Wilhelmshaven zu helfen, und daß wir auch dem geänderten Ausschußantrag des Kollegen Cramer zustimmen werden.
Für die Antragsteller zu einem kurzen Schlußwort Herr Abgeordneter von Thadden.
von Thadden ({0}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Die Zahlen über die Wilhelmshaven geleistete Hilfe sind zweifelsohne anerkannt, und niemand wird ihre Bedeutung verkleinern wollen, ganz bestimmt nicht die Bevölkerung von Wilhelmshaven. Aber ich kann Ihnen nur empfehlen: Fahren Sie einmal hin in diese Stadt und sehen Sie sie sich an
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- einen Augenblick! - und lassen Sie sich einmal von den Menschen, wie sie dort leben, eine derartige Woge des - ich möchte fast sagen - Hasses entgegenschlagen, wie dies dem Abgeordneten Cramer und mir vor zwei Wochen geschah. Sie würden staunen. Es war erschütternd, wie dort in Wilhelmshaven ein Bolschewik sein Süppchen kochen konnte und wie ein Bolschewik
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mit der Not in Wilhelmshaven herumoperieren konnte.
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Meine Damen und Herren! Der Antrag, der seinerzeit von uns gestellt worden ist, muß in der vorliegenden Form aufrechterhalten werden. Der Abänderungsantrag des Kollegen Cramer trifft unseres Erachtens das Problem nicht so, wie es sein sollte. Ich kann Sie nur noch einmal wirklich darum bitten, sich dieses Problems mit ewas mehr Ernst anzunehmen, als das bisher getan wurde. Es entwickelt sich dort ein Sprengstoff, wie wir ihn, glaube ich, in der Bundesrepublik sonst nicht mehr haben. Dieser kann nur beseitigt werden, indem Wilhelmshaven zum Notstandsgebiet erklärt wird und der Bund seinerseits für diese reichsunmittelbare Stadt die Maßnahmen anlaufen läßt, die unbedingt anlaufen müssen.
Meine Damen und Herren, damit ist die Aussprache geschlossen. Es liegt vor der Abänderungsantrag des Herrn Abgeordneten Cramer. Ich lese ihn noch einmal vor:
Der Bundestag wolle beschließen:
den Antrag Nr. 584 der Drucksachen mit Rücksicht auf die inzwischen von der Bundesregierung beschlossenen und noch geplanten Maßnahmen für das Gebiet Wilhelmshaven für erledigt zu erklären.
Weiter liegt der Antrag des Ausschusses Drucksache Nr. 1523 vor.
Ich lasse zunächst über den Antrag des Herrn Abgeordneten Cramer abstimmen. Ich bitte diejenigen Damen und Herren, die diesem Antrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag ist angenommen. Damit sind die übrigen Anträge erledigt.
Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({0}) über den Antrag der Fraktion der FDP betreffend Vorlage eines Gesetzes zur Beschäftigung und Fachausbildung der schulentlassenen Jugend ({1}).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Blachstein. Der Ältestenrat schlägt Ihnen für die Berichterstattung eine Zeit von 10 Minuten und für die Aussprache von 40 Minuten vor. - Das Haus ist damit einverstanden.
Ich bitte den Herrn Berichterstatter, das Wort zu nehmen.
Blachstein ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushaltsausschuß hat sich mehrfach mit der Drucksache Nr. 900 beschäftigt. Es war zunächst notwendig, die Form der Drucksache zu behandeln. Den Antragstellern mußte bekannt sein, daß bei einem Antrag, mit dem finanzielle Aufwendungen verbunden sind, eine Deckungsvorlage eingereicht werden muß. Die antragstellende Fraktion hat in ihrem Antrag keine solche Deckungsvorlage vorgelegt. Der Haushaltsausschuß hat sich dennoch mit dem Antrag beschäftigt, weil er der Meinung war, daß die Forderung auf Vorlage eines Gesetzes zur Beschäftigung und Fachausbildung der schulentlassenen Jugend so wichtig ist, daß er den Antrag nicht aus formalen Gründen zurückweisen wollte. Es war notwendig, Unterlagen des Bundesarbeitsministeriums und des Bundesfinanzministeriums zur Behandlung dieses Antrages heranzuziehen.
Nach gewissenhafter Prüfung ist der Ausschuß zu der Meinung gelangt, den Abs. 1 des Antrages der FDP nicht zu behandeln. Für Abs. 2 schlägt der Haushaltsausschuß vor, diesen Absatz der Regierung als Material für die Beratung und Durchführung des Deutschen Jugendwerkes zu überweisen. Es wurde im Ausschuß berichtet, daß im Rahmen des Deutschen Bundesjugendplanes 20 Millionen DM für die Schaffung neuer Lehrstellen angefordert werden sollen. Die geforderten Steuervergünstigungen für neue Lehrstellen in der Wirtschaft sind grundsätzlich nicht unbedenklich. Der Bundesminister der Finanzen hat im Falle einer Durchführung des Antrages einen Steuerausfall von ungefähr 70 Millionen DM berechnet. Er ist hei dieser Berechnung davon ausgegangen, daß von etwa 700 000 Jugendlichen etwa ein Drittel in eine begünstigte Lehrstelle eingewiesen werden soll. Die Zahl von 70 Millionen DM zeigt am besten die außerordentliche Verantwortung, die hier übernommen werden muß. Es kommt hinzu, daß die Steuerausfälle in erster Linie die Länder treffen würden, in deren Befugnis, Abschläge von Steuerverpflichtungen zu bewilligen, eingegriffen werden müßte.
Der Haushaltsausschuß hat aus diesen Erwägungen beschlossen, dem Hohen Hause vorzuschlagen, den zweiten Absatz des Antrages der FDP der Bundesregierung zur Beratung und Beschlußfassung bei der Ausarbeitung des Bundesjugendplanes zu empfehlen. Der Haushaltsausschuß wünscht darüber hinaus, hier vor dem Hohen Hause besonders darauf hinzuweisen, wie dringlich notwendig es ist, für die arbeitslose, berufslose und ausbildungslose Jugend Maßnahmen zu ergreifen, um diesen Notständen abzuhelfen. Er erwartet, daß die Bundesregierung die notwendigen Maßnahmen zur Behebung dieser Mißstände und Notstände ergreifen wird.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort hat zur Aussprache Herr Abgeordneter Berlin. - 8 Minuten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem Antrag, den der Haushaltsausschuß heute dem Hohen Hause vorlegt, handelt es sich um eine Materie, die bereits im Frühjahr dieses Jahres hier zur Debatte stand; und es scheint fast so, als wenn es ein Nachzügler wäre. Das ist in der Tat auch so, weil inzwischen durch die erfolgten Arbeiten und die in Angriff genommenen und im
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Plan vorgesehenen Maßnahmen der Kernpunkt dieses Antrages der FDP zu einem gewissen Teil seinen Niederschlag gefunden hat. Ich möchte aber kurz daran erinnern, daß vor etwa einem Jahre schon von der SPD der Antrag auf Durchführung von Sofortmaßnahmen zur Behebung der Not der arbeitslosen, heimatlosen und berufslosen Jugend gestellt wurde und nun nach einem Jahre endlich ein Stück Hilfe sichtbar geworden ist, das wir durchaus würdigen und anerkennen.
Über die Details des gesamten Komplexes, der die Jugend betrifft, haben wir im Mai hier gesprochen, und der Antrag der FDP, der etwa zu derselben Zeit gestellt wurde, sollte eine weitere Betonung dieser unserer Wünsche bedeuten. Ich habe nie die Auffassung vertreten, daß durch diesen Antrag etwa so etwas Ähnliches wie ein Rennen um die Jugend oder die gute Beurteilung bei der Jugend stattgefunden hat. Aus diesem Gesichtspunkt heraus können wir auch nur verstehen, was inzwischen durch die Bundesregierung auf Grund des Antrages der SPD im vorigen Herbst geschehen ist. In dem demnächst zu veröffentlichenden Bundesjugendplan sind Dinge vorgesehen, die der Antrag der FDP wollte und will. Es handelt sich dabei allerdings nur um eine schmale Brücke, die in das weite Feld hineinragt, auf dem letztlich allein das Problem der gesamten Jugendnot gelöst werden kann. Die 20 Millionen DM sind ja nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Ohne mich darüber im Augenblick weiter zu verbreiten, möchte ich nur wünschen, daß mit diesem Antrag des Haushaltsausschusses die Regierung einsehen möge, daß bei der jetzt im kommenden Jahre zur Schulentlassung anstehenden Zahl von 149 000 neuen Jugendlichen das begonnene Werk mit um so mehr Kraft und um so mehr gutem Willen fortgesetzt werden muß. Wir haben es auch heute noch trotz der Erleichterungen und Lockerungen im vergangenen Jahr mit einer außerordentlichen Not zu tun. Das Handwerk hat nicht zuletzt in teilweise sehr vorbildlicher Art dieses Problem mit zu lösen und zu erleichtern geholfen. Das trifft auch zum Teil für die Industrie zu. Es muß aber gerade in diesem Augenblick erkannt werden, daß wir nicht hintankommen dürfen und daß es notwendig ist, im kommenden Haushaltsplan umfangreichere Mittel, als bis jetzt in dem zur Debatte stehenden Fall zur Verfügung gestellt worden sind, einzusetzen.
Wir als Sozialdemokraten sind nach wie vor der Meinung, daß, wenn wir grundsätzlich an die Behebung der Not der Jugend gehen wollen, wir in erster Linie die Gestaltung unserer Wirtschaftspolitik so vornehmen müssen, daß über den Weg einer allgemeinen Vollbeschäftigung auch der Weg für die Jugend frei wird und ihr ein Arbeitsfeld gegeben werden kann.
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Ein Zweites ist zweifellos die Notwendigkeit der Schaffung eines Berufsausbildungsgesetzes, in dem die Gedanken ihren Niederschlag finden können, die zum Teil auch hier in dem Antrag der FDP ausgesprochen worden 'sind. In Verbindung damit muß bei der Problematik um den Jugendarbeitsschutz auch zu gleicher Zeit eine Jugendarbeitsschutzgesetzgebung vom Hause verabschiedet werden. Beide Dinge brauchen wir, wenn wir neben dem guten Willen und dem Verständnis der gesamten Wirtschaft einen breiten Weg finden wollen.
Ich möchte wünschen, daß mit der Überweisung des FDP-Antrages an die Bundesregierung nicht etwas erfolgt, was wie ein Begräbnis erster Klasse aussieht. Ich möchte wünschen, daß die Bundesregierung den jetzt beschrittenen Weg mit aller Energie fortsetzt. Wir werden als Sozialdemokraten den denkbar größten Beitrag dazu leisten und möchten hoffen, daß durch die Verwirklichung dieser gemeinsamen Arbeit auf die Trümmer, die wir in Deutschland vorfinden, jener Mutterboden getragen werden möge, in dem die Jugend durch die Arbeit neue starke Wurzeln zu schlagen in der Lage ist. Wenn das geschieht, dann können wir überzeugt sein, daß die Überweisung des Antrages an die Regierung eines Tages auch positive Früchte tragen wird. Mein Appell an Sie alle, meine Damen und Herren, geht erneut dahin, hier nicht etwas leichtfertig zu nehmen, sondern diese die Jugend angehende Frage mit allem Ernst im Auge zu behalten und der Jugend den Boden ebnen zu helfen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mende. Fünf Minuten, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Jugend wird das Parlament und die einzelnen Fraktionen des Parlaments nicht nach den Anträgen beurteilen, die hier gestellt werden, auch nicht nach den Daten, die die einzelnen Anträge tragen, sondern lediglich nach den praktischen Ergebnissen unserer Bemühungen hier im Hause, in der Regierung und draußen im Lande_ Ich glaube, es ist daher müßig, zu versuchen, hier einen Primat und eine Priorität der Initiative irgendwie herauszufinden. Ich glaube, die Fraktionen dieses Hauses - von einer abgesehen, und bei der ist ja die Qualifikation als Fraktion durchaus bestritten - sind sich einig in dem Bemühen, alles zu tun, damit das, was bisher in diesem Hause an theorethischen Erörterungen über das Jugendproblem geführt wurde, endlich realisiert werden kann.
Unser Antrag betreffs Schaffung von vermehrten Lehrstellen ist in einer Zeit geboren worden, als die Lehrstellennot besonders akut war. Wir hatten 750 000, also eine Dreiviertelmillion, Lehrstellensucher. Inzwischen ist gottlob eine Besserung eingetreten, insbesondere im Land Nordrhein-Westfalen. Wir können mit Freude feststellen, daß der Aufruf um vermehrte Schaffung von Lehrstellen, den die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände und die Spitzen von Staat und Parteien an die Öffentlichkeit gerichtet haben, einen großen Erfolg gezeitigt hat. Das ist wiederum ein Beweis dafür, daß der Appell an die Freiwilligkeit wesentlich effektiver werden kann, wenn er richtig durchgeführt wird, als irgendwelche Zwangs- und Planungsmaßnahmen. Wir wollen hoffen, daß dieser Appell, möglichst viel Lehrlinge freiwillig einzustellen, auch im kommenden Frühjahr, wenn die schulentlassenen Menschen in das Berufsleben eintreten wollen, Früchte tragen wird und daß dann die gleiche gute Zusammenarbeit zwischen den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden, den politischen Parteien und den Behörden auf Bundes- und Landesebene stattfindet, wie sie beim letzten gemeinsamen Aufruf zu beobachten war.
Wir dürfen bei der Lehrstellenfrage eines nicht vergessen: Wir haben bis zum Jahre 1955 eine Entlassung von zahlenmäßig starken Jahrgängen zu erwarten. Nachher tritt ein Vakuum ein. Daher ist es zweckmäßig, in dieser Zeit bis zum Jahre 1955 vermehrte Lehrstellen zu schaffen, vermehrte
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Fachkräfte auszubilden, um nachher in den kommenden Jahren des Minderangebots an Lehrlingen und Fachkräften den Ausgleich zu haben.
Ich glaube, es ist nicht der Sinn des Berichts, heute in eine Grundsatzdebatte um das Jugendwerk einzutreten. Das Deutsche Jugendwerk wird ja in Kürze nach vielen Beratungen in einzelnen Verbänden und in Arbeitsgemeinschaften endlich verkündet werden. Wir sehen mit großer Genugtuung dem 18. Dezember entgegen, wo sich hier in Bonn unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten das Deutsche Jugendwerk konstituieren soll. Wir wollen hoffen, daß damit eine neue Periode praktischer Erfolge im Dienste der Jugend beginnt und daß die gute Zusammenarbeit aller Teile dieses Hauses f ü r die Jugend auch von der Jugend richtig gewürdigt wird.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich komme zur Abstimmung über die Drucksache Nr. 1641. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrage Drucksache Nr. 1641 zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Er ist mit großer Mehrheit angenommen. Damit ist Punkt 12 der Tagesordnung erledigt.
Punkt 13 der Tagesordnung ist abgesetzt.
Ich rufe auf Punkt 14 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion des Zentrums betreffend Dotationen aus der Nazizeit ({0}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen für die Einbringung des Antrages 10 Minuten, für die Aussprache ) 40 Minuten vor. - Das Haus ist damit einverstanden.
Das Wort zur Begründung des Antrages hat der Abgeordnete Dr. Reismann.
Dr. Reismann ({1}), Antragsteller: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, ich kann die Begründung dieses Antrages kurz machen. Denn es vergeht keine Sitzung in diesem Hohen Hause, in der wir uns nicht mit der Not unserer Mitbürger zu befassen haben, die auf die Nazis und namentlich ihre Führer zurückzuführen ist. In der Zeit, als die Nazis, angefangen bei Hitler, der sich selbst reichlich segnete, bis herunter zu den kleinen SS-, SA- und sonstigen Führern das Geld des deutschen Steuerzahlers mit vollen Händen ausstreuten, haben sich gerade die Leute tüchtig gesegnet, die das Unheil verschuldet haben, an dem wir jetzt tragen müssen. Diese Leute haben es im allgemeinen sogar verstanden, sich wunderbar durch die Kriegs- und Nachkriegszeit hindurchzusteuern. Nur in einem Teil von Westdeutschland, nämlich in der amerikanischen Zone, haben ein allgemeines Wiedergutmachungsgesetz und die Bestimmungen über die Entnazifizierung einiges dazu beigetragen, ihnen diese ungerechtfertigten Bereicherungen aus der Nazizeit wieder abzujagen. Dagegen ist in der britischen Zone eine große Zahl gerade von diesen Leuten immer noch im Besitz der Vermögenswerte, die ganz erheblich sind, und erfreuen sich in einer Zeit, in der die Opfer des Krieges darben, noch in Saus und Braus ihrer Gewinne aus der Zeit ihrer verflossenen Herrlichkeit.
Daß ich nicht übertreibe, will ich nur an einem einzigen Beispiel erläutern; ich will es mir versagen, auf die zahlreichen Fälle gleicher Art einzugehen. Aber dieses Beispiel ist so flagrant, daß die Empörung darüber weite Kreise im südlichen und südwestlichen Hannover und im nördlichen Westfalen immer wieder dazu getrieben hat, darauf hinzuweisen, daß hier dringend etwas geschehen muß. Da ist die Witwe des früheren Stabschefs der SA, Paula Lutze, die zur Zeit auf den zwei Gütern, die der Stabschef für seine „verdienstvolle" Tätigkeit in den kurzen Jahren nach seiner Tätigkeit als Postangestellter in Bevergern oder Rheine an Land gezogen hat, und erfreut sich mit Reitpferden, Kaffeebesuchen und großen Empfängen
({2})
nach wie vor des Vermögens, das ihr Mann an Land gezogen hat. Der Saltenhof, ein Gut von ungefähr 300 Morgen, und der Luisenhof in einer Größe von ungefähr 60 Morgen oder umgekehrt - ich weiß nicht, ob die Morgenzahl zu dem einen oder zu dem andern gehört - sind vollständig neu hergerichtet worden. In der Zeit, als das geschah, verkündete Viktor Lutze den Leuten, wenn der Führer nicht durch einen Scheck von 100 000 RM ausgeholfen hätte, wäre er nicht in der Lage gewesen, weiter zu bauen und den Besitz völlig mit neuem Inventar und neuen Gebäuden zu versehen. Diese Güter befinden sich nach wie vor im ungeschmälerten Eigentum und Besitz der Witwe Lutze. In der ersten Zeit der Besatzung wurde ein Verwalter eingesetzt. Heute bemüht sich Frau Lutze darum, samt ihrem Sohn entnazifiziert und den Verwalter loszuwerden, da sie selbst ja nicht gerade zu der Führerschaft der NSDAP gehört hat, damit sie völlig ungestört sich dieser Güter erfreuen kann. Jetzt hat sie - diese arme Frau - eine Schadensanmeldung beim Landkreis eingereicht. Sie meldet sich als Besatzungsgeschädigte zu Wort.
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Denn diese armen Leute sind ja wirklich zu bedauern: es ist nicht geradezu alles, was sie an Land gezogen hatten, erhalten geblieben. Sie hat 32 834 DM als Besatzungsschäden angemeldet.
Damit sich nun die übrigen, die hier um die Pfennige ringen müssen, die bitter notwendig sind und die ihnen wirklich zustehen, trösten können - es geht auch bedeutenden Personen aus dem Dritten Reich so -, will ich einige der Einzelheiten bekanntgeben. Es ist der ehrenwerten Dame ein Pelzmantel abhanden gekommen, der 2400 DM kosten soll und in Rechnung gestellt ist. Es sind Tageskleider im Werte von 1000 DM und Leib-und Bettwäsche im Werte von 3000 DM und Gesellschaftskleider im Werte von 2690 DM abhanden gekommen.
({4})
Es sind Kunstgegenstände, Gemälde und Porzellan im Werte von 3000 DM abhanden gekommen. Ich könnte so weiter aufzählen.
Das sind nun alles die wertvollen, in Generationen ersparten Besitztümer der Familie Lutze! Der Vater war ein kleiner ehrenwerter, ehrsamer Handwerker, der es aber in seinem Leben nicht zu Ersparnissen über 1000 Mark hinaus gebracht hat. Und die Unterschlagungen des Herrn Lutze an der Post in Rheine, Bevergern oder wo es gewesen ist - ich weiß es nicht genau - haben diese großen Beträge auch nicht sicherstellen können. Er hat sie aber sicher nicht von seinen Einnahmen als Stabschef allein erübrigen können. Es ist ganz offenbar so gewesen, daß es namhafte Dotationen aus Mitteln der deutschen Steuerzahler gewesen sind. Sie
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erinnern sich sicher noch an den damals in der Bevölkerung kolportierten Witz. Man hatte in seiner außerdem noch vorhandenen Villa in Berlin erhebliche Mengen Silber gestohlen. In einem Anschlag wurden dem 1000 Mark versprochen, der die gestohlenen Werte im Gesamtbetrage von 20 000 RM wieder beschafft. Es erschien dann ein Anschlag, in dem es hieß: Viktor Lutze, woher hast Du die 20 000 Mark? - Hinterher war eine Belohnung ausgeschrieben für den, der den Täter dieser Anschläge ausfindig machen würde, und zwar von 1000 RM.
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Danach stand dann an der Wand geschrieben: Viktor Lutze, wo hast Du die 21 000 RM her?
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Also, meine Damen und Herren, Scherz beiseite! Diese Forderung dieser Witwe des früheren Stabschefs ist grotesk. Dieser Zustand, daß die Vertriebenen, Ausgebombten, die Opfer des Krieges, die Hinterbliebenen wie die Versehrten kaum notdürftig zufriedengestellt werden können, daß das deutsche Volk unter den Lasten und Folgen dieses Krieges noch auf Generationen seufzen, darunter leiden wird und daß gleichzeitig die, die den Krieg veranstaltet haben, im ungeschmälerten Besitz aller Güter bleiben sollen, die sie sich ungerechtfertigterweise damals zugeschrieben haben. Dieser Zustand ist unerträglich, und ihm muß ein Ende gemacht werden.
Diesem Zweck dient der Antrag Drucksache. Nr. 1592. Ich bitte, ihm Ihre Zustimmung zu geben.
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Meine Damen und Herren, 1 es ist eine Redezeit von 40 Minuten vorgesehen. Ich würde vorschlagen, angesichts der einmütigen Zustimmung des Hauses auf diese Redezeit zu verzichten.
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Darf ich also vorschlagen, keine Aussprache stattfinden zu lassen und den Antrag ohne Aussprache an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen. - Das Haus ist damit einverstanden; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe auf Punkt 15 der Tagesordnung: Beratung des Antrags der Fraktion der DP betreffend Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ({1}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Einbringungszeit von 15 Minuten und eine Redezeit von 60 Minuten für die Aussprache vor.
Zur Begründung hat das Wort Frau Abgeordnete Kalinke.
Frau Kalinke ({2}), Antragstellerin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Im Rahmen der deutschen Sozialpolitik sind die Rentenversicherung und die deutsche Angestelltenversicherung ein Kernstück. Die Deutsche Partei hat deshalb schon einen ihrer ersten Anträge - er trägt die Nr. 44 - am 27. September 1949 zu diesem Thema gestellt und mit diesem Antrag die Wiedererrichtung bzw. die Wiederherstellung der Geschäftsfähigkeit der Angestelltenversicherung gefordert. Freiheit und Sicherheit sollten auch in der Sozialpolitik die Grundlage jeder Entwicklung sein. Für die in der Angestelltenversicherung versicherten Rentner ist diese Freiheit und Sicherheit durch die Gesetzgebung der Militärregierung und durch die Gesetzgebung des Magistrats der Stadt Berlin nicht mehr gewährleistet gewesen. 3,8 Millionen Angestellte und Handwerker sind in der deutschen Angestelltenversicherung versichert. Davon erhalten schon heute 400 000 Rentner, 300 000 Witwen und 140 000 Waisen Renten.
Es ist Ihnen bekannt, daß die Angestelltenversicherung, deren Hauptgebäude und Verwaltung sich in Berlin befanden, durch einen Befehl der russischen Militärregierung nicht mehr geschäftsfähig war und daß durch die Anordnung des Magistrats von Berlin vom 14. Juli 1945 dieser Befehl fortbestand, daß die Versicherungsanstalt für Angestellte, deren Träger sich in Berlin befand, nun auch für das gesamte Gebiet des Bundes ihrer Geschäftsfähigkeit beraubt wurde. Das bedeutet aber, daß die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, die frühere Reichsversicherungsanstalt, de jure noch besteht, daß sie dem Recht nach von keiner Stelle aufgelöst worden ist, da auch die Reichsversicherungsordnung und das Angestelltenversicherungsgesetz, die die Grundlagen für die Gesetzgebung sind, noch in Kraft sind und durch eine Verordnung des Magistrats der Stadt Berlin auch nicht aufgehoben werden konnten.
Unser Antrag vom September vorigen Jahres ist im Ausschuß deshalb nicht zur Erledigung gekommen, weil die Bundesregierung, und zwar in diesem Falle das Bundesarbeitsministerium, uns gebeten hatte, die Erledigung bis zur Erstellung einer versicherungsmathematischen Bilanz zurückzustellen.
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- Ich meine den Antrag Nr. 44, Herr Richter.
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- Es handelt sich um den Antrag zur Wiedererrichtung der Anstalt, und dieser Antrag ist nicht erledigt, weil die Anstalt nicht geschäftsfähig gemacht worden ist. Es ist außerdem der zweite Teil unseres Antrages auf Drucksache Nr. 44 nicht erledigt, in dem wir gefordert haben, die kriegsbedingte Treuhänderschaft der Landesversicherungsanstalten aufzuheben. Diese Aufhebung hat deshalb unter Schwierigkeiten gestanden, weil für die britische Zone eine treuhänderische Anordnung noch von der RfA ergangen war, weil aber in den übrigen Ländern Landesgesetze geschaffen waren, auf Grund deren die Geschäfte der Angestelltenversicherung durch die Landesversicherungsanstalten treuhänderisch wahrgenommen worden sind. Die Bundesregierung hätte also diese treuhänderischen Anweisungen durch Bestimmungen mit Gesetzeskraft inzwischen aufheben müssen.
Die Behauptung, daß die mathematischen Grundlagen nicht vorhanden waren, entbehrt in der augenblicklichen Situation jeder Begründung, da auch dem Arbeitsministerium im Augenblick bekannt ist, daß die Vermutungen, die in der Öffentlichkeit so oft genährt wurden, die Angestelltenversicherung sei pleite oder sie sei mehr pleite als die Invalidenversicherung, nicht zutreffen. Es ist ja bekannt, daß die Angestelltenversicherung auch heute noch in der Lage ist, 79,7 % ihrer Leistungen aus Beiträgen zu decken, während die Invalidenversicherung nur 52,8 % ihrer Leistungen aus Bei-. trägen decken kann. Wenn man das verlorengegangene Vermögen der Angestelltenversicherung im Rahmen einer Regelung der Kriegsfolgelasten erstatten würde, würde die Angestelltenversicherung durchaus in der Lage sein, einen Überschuß von 6,4 % auszuweisen, während die Invalidenversicherung noch ein Minus von 21,4 % hätte. Soviel
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nur zu dem Argument, daß eine versicherungsmathematische Bilanz die Grundlage sein muß!
Rechtlich ist aber inzwischen durch das Selbstverwaltungsgesetz, das von Bundestag und Bundesrat mit Mehrheit beschlossen wurde, auch die Geschäftsfähigkeit schon wiederhergestellt worden, indem nämlich die Einsetzung von Organen für die Angestelltenversicherung beschlossen worden ist. Diese Organe werden, wenn sie zusammengetreten sind, die alleinigen Träger der Selbstverwaltung und in der Lage sein, die Angestelltenversicherung wieder in ihre treuhänderische Verwaltung zu nehmen.
Auf unsere verschiedenen Bitten an die Bundesregierung, die treuhänderische Verwaltung der Angestelltenversicherung in die Hände der Regierung zu legen und auch den Treuhänder in Berlin abzuberufen, hat uns der Herr Bundesminister für Arbeit mitgeteilt, daß er den Antrag bei den Hohen Kommissaren bereits seit Monaten gestellt hat, die Bundesregierung mit der treuhänderischen Verwaltung zu betrauen. Er hat mir aber gleichzeitig mitgeteilt, daß bei der treuhänderischen Verwaltung auch so etwas wie eine Kommission eingesetzt werden soll, bei der dann denjenigen Organisationen, die daran beteiligt sind, ein Auftrag gegeben werden soll.
Meine Freunde und ich halten eine solche treuhänderische Kommission nicht mehr für notwendig, da durch das Selbstverwaltungsgesetz ja die Angestellten selbst durch ihre Organe wieder die Verwaltung ihrer Versicherung übernehmen können und das auch zweifelsohne tun werden.
Was nun die Vermögensverwaltung der alten Sozialversicherungsträger angeht, so ist in diesem unserem Antrage zwar von allen Sozialversicherungsträgern gesprochen, die Vermögensverwaltung in Berlin betrifft aber, was die Höhe des Vermögens angeht, in der Hauptsache die Angestelltenversicherung. Daneben werden auch noch die Restvermögen der Krankenversicherung und der Unfallversicherung in Berlin durch einen Treuhänder, den die britische Militärregierung eingesetzt hat, verwaltet. Es ist bemerkenswert, daß dieser Treuhänder weder dem Bundesarbeitsministerium noch dem Verband der Rentenversicherungsträger im Bundesgebiet bisher eine Auskunft über die Vermögensverhältnisse gegeben hat.
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Es ist außerdem bemerkenswert, daß deswegen die Grundlagen, wie sie das Arbeitsministerium über das Vermögen der Angestelltenversicherung erstellen kann, wahrscheinlich nicht vollständig sein können, da ihnen ein klarer Überblick über das Vermögen fehlt, das treuhänderisch verwaltet wird.
Der Herr Arbeitsminister hat bei einer Gelegenheit gesagt, daß dieser Treuhänder eine Einnahme hat, die sicher weit über der unseres Bundespräsidenten liegt. Ich möchte dem beipflichten, halte das für möglich. Wir glauben aber, es ist nicht mehr an der Zeit, daß irgendeine militärische Dienststelle in einer Stadt darüber verfügen kann, was mit dem Vermögen von Sozialversicherungsträgern geschieht, das von allen deutschen Angestellten im ganzen Bundesgebiet aufgebracht worden ist und ihnen gehört, auch den Vertriebenen aus der Ostzone, die hier durch unsere Landesversicherungsanstalten jetzt treuhänderisch die Renten bekommen. Aus diesem Grunde fordern wir erneut, daß endlich die Regierung auch bei den Hohen Kommissaren alles tut, um die Erledigung ihres Antrages zu beschleunigen.
Wenn wir mit unserem Antrag weiter Fragen gestellt haben, die die finanziellen Verhältnisse der Angestelltenversicherung betreffen, so deshalb, weil wir bisher leider auf unseren Antrag sowohl zum Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz wie zur Angestelltenversicherung noch kein klares Bild über die echten Verhältnisse in der Angestelltenversicherung und Invalidenversicherung bekommen haben. Die mir zur Verfügung stehenden Zahlen weisen ganz eindeutig aus, daß sowohl in der Invalidenversicherung wie in der Angestelltenversicherung zwar die Grundbeträge der Länder gezahlt worden sind, daß aber zweifelhaft ist, ob die Zahlung nach § 168 a AVG auch aus Mitteln der Länder erfolgt ist. Es ist außerdem zweifelhaft, ob das stimmt, was hier von der Tribüne des Hauses gesagt worden ist, daß die Invalidenversicherung weitgehend die Angestelltenversicherung finanziert hat. Es ist möglich, daß die Invalidenversicherung im Jahre 1945 vorübergehend in Vorlage getreten ist. Es steht aber auch fest - und das ist sehr bemerkenswert -, daß durch das Vorhandensein der treuhänderischen Verwaltung in den Landesversicherungsanstalten nur vier Landesversicherungsanstalten - und das sind diejenigen, die besonders unter der Flüchtlingsnot leiden, nämlich Schleswig- Holstein, Hannover, Oldenburg und Braunschweig nicht in der Lage waren, im Jahre 1949 Vermögensanlagen zu machen. Diese vier Landesversicherungsanstalten mußten Kredite aufnehmen, für die sie sehr hohe Zinsen zahlen. Dagegen haben die übrigen Landesversicherungsanstalten eine wesentliche, in die Millionen gehende Summe als Neuanlagen den Wohnungsbaugesellschaften, besonders dem sozialen Wohnungsbau, für einen viel geringeren Zinssatz zur Verfügung gestellt. Hätten wir eine einheitliche Anstalt für die Angestelltenversicherung gehabt, wäre der Lastenausgleich innerhalb dieser Angestelltenversicherung so gewesen, daß niemals höhere Zinsen ausgegeben worden wären. Der Lastenausgleich, der jetzt laut Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz zwischen den Landesversicherungsanstalten besteht, beschränkt sich nämlich nur auf die Rentenausgaben.
Es ist außerdem wichtig und nicht uninteressant, daß der Verband der Rentenversicherungsträger sich restlos in Widerspruch zu der Tatsache gestellt hat, daß er zwar die Restanstalt der RfA in Berlin laufend in Anspruch genommen hat, daß er von ihr Auskünfte und Kontoauszüge angefordert hat, daß er sich aber andererseits in keiner Weise verpflichtet hat, das Zusammengehörigkeitsgefühl auch mit den Angestellten und Beamten der alten RfA nicht nur zu pflegen, sondern zu verteidigen. Es wird in der Geschichte der Sozialversicherung ein dunkler Fleck sein, daß der Betriebsrat der Angestelltenversicherung mir in zwei Fällen mit einem Hilfeschrei hier nach Bonn melden mußte, daß der Verband der Rentenversicherungsträger die Restanstalt in Berlin zu prüfen versucht hat, daß er versucht hat, die Gehälter und Löhne dort zu drücken, und daß der Betriebsrat mir schreiben mußte:
Wenn wir auch Grobheiten und Mißverständnisse gewohnt sind, so möchten wir doch in diesem Fall mit aller Energie darauf hinweisen, daß wir, die Angestellten und Beamten der RfA, die heute noch hier tätig sind und die den Herren vom Verband deutscher Rentenversicherungsträger jetzt zu teuer werden, es waren, die unter der Drohung der sowjetischen Bajonette und der kommunistischen Politik das Eigentum der ver({7})
sicherten Angestellten in der Reichsversicherungsanstalt gerettet und bis heute verwahrt haben.
Es ist mir peinlich, daß ich so etwas hier von der Tribüne des Hauses sagen muß. Aber es ist zur Ehrenrettung jener aufrechten Männer und Frauen notwendig, die unter sehr turbulenten Verhältnissen in Berlin die Angestelltenversicherung verteidigt haben. Es ist für mich unverständlich, daß der Verband der Rentenversicherungsträger die dann später in einem Übereinkommen - er hat in Berlin ein Büro der Rentenversicherungsträger errichtet - zugesagte monatliche Unterstützung von 45 000 Mark für die Führung der für die britische, amerikanische und französische Zone arbeitenden Büros in Berlin nicht mehr überwiesen hat, so daß nach einem Bericht vom November heute schon ein Rückstand von über 300 000 DM angelaufen ist. Es ist außerdem in der Öffentlichkeit, in Zeitschriften und auch hier von der Tribüne des Hauses behauptet worden, daß das Vermögen der Sozialversicherungsträger und der Angestelltenversicherung im besonderen durch die britische Militärregierung oder andere Militärregierungen genommen sei. Das trifft bei weitem nicht zu. Ich besitze Auszüge, wonach die Konten sowohl bei der Deutschen Bank, Filiale Hannover, an die Niedersächsische Landesversicherungsanstalt als auch bei der Bayerischen Landeskulturrentenbank an die Landesversicherungsanstalt Oberbayern, Darlehensrückzahlungen der Bayernwerk A.-G. und viele Hypothekenbriefe und Effektenbestände den Landesversicherungsanstalten laufend übergeben worden sind. Seit einiger Zeit werden auch die Hypothekenbriefe und Effekten, die hier im Bundesgebiet von der Restanstalt in Berlin zur Einziehung gegeben werden, nicht der ) Restanstalt und der Vermögensverwaltung, sondern den Landesversicherungsanstalten zur Verfügung gestellt.
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Wir hoffen, daß es uns nun bald möglich ist, über das Arbeitsministerium zu erfahren, wie die Abrechnung der Landesversicherungsanstalten wirklich aussieht, und wir hoffen, daß dieser Bericht dann erweist, daß nicht die Arbeiter mit ihren Groschen etwa die Renten für die Angestellten und Handwerker aufbringen mußten.
Ich bedaure, daß bei dieser so wichtigen Materie die Redezeit auch für die Begründung so begrenzt ist.
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Der Herr Arbeitsminister hat die Forderung erhoben, daß die Kapitaldeckung in der Rentenversicherung, in der Angestellten- und Invalidenversicherung, die vordringlichste Aufgabe des neuen Jahres ist. Diese Kapitaldeckung, so wie sie heute laut einem Bericht in der „Welt" auch als Forderung des Bundesarbeitsministers veröffentlicht worden ist, muß nun wirklich die Grundlagen für die Wiederherstellung einer sicheren Angestelltenversicherung geben, in der Angestellte und Handwerker nach den Prinzipien der Freiheit wieder die Möglichkeit haben, über ihre eigene Versicherung in echter Selbstverantwortung zu bestimmen.
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Ich eröffne die Aussprache über den Antrag der Fraktion der Deutschen Partei. Zunächst hat der Herr Bundesminister für Arbeit das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es freut mich, daß es mir auf Grund des vorliegenden Antrages möglich ist, etwas über die Fragen der Rentenversicherungsträger sagen zu können. Ich verstehe Frau Kalinke nicht ganz, wenn sie sagt, es sei hier von diesem Pult aus die Behauptung aufgestellt worden, die Invalidenversicherung hätte in der Vergangenheit Gelder für die Rentenversicherung der Angestellten aufbringen müssen. Ich weiß wirklich nicht, wer zu einer derartigen Schlußfolgerung gekommen ist. Sie entspricht nicht der Wahrheit. Sie wissen, daß wir in der ersten Zeit nach dem Krieg durch das Recht, das die Besatzungsmächte aufgestellt haben, nicht mehr in der Lage waren, die Träger unserer Sozialversicherung, vor allen Dingen die Angestelltenversicherung, in der alten Form weiterarbeiten zu lassen. Sie war eine zentrale Organisation für das ganze frühere Reichsgebiet und hatte ihren Träger nicht im heutigen Bundesgebiet, sondern in Berlin. Sie war nicht in der Lage, ihre Aufgaben fortzuführen, und deshalb war es gar nicht anders möglich, als' daß man für die Übergangszeit bestimmte, daß die Träger der Invalidenversicherung auch die Belange der Angestelltenversicherung mit wahrzunehmen hatten. Dabei ist es doch, seitdem wir das Sozialversicherungsanpassungsgesetz in Frankfurt geschaffen haben, so daß wir die eingehenden Gelder für die beiden Sozialversicherungsträger getrennt verwalten lassen. Was vordem war, sollte man zwar geschichtlich gesehen sich noch einmal ansehen, eine wirkliche Bedeutung hat die ganze Sache nicht mehr.
In Berlin hat man auf Grund der gegebenen Verhältnisse eine ganz andere Art der Versicherung für alle Menschen aufgebaut. Wir haben auf Grund des Besatzungsrechtes in der englischen Zone das Verhältnis gehabt, daß die Versicherungsträger gezwungen waren, die bei ihnen einlaufenden Beträge zur Abdeckung der alten Verpflichtungen gemeinschaftlich zu verwenden, und nur das darüber hinaus Notwendige mußte damals von den Ländern aufgebracht werden. Ich wäre Frau Kalinke wirklich sehr denkbar, wenn sie mir sagen würde, wo in der Zeit Gelder als Rücklagen von Landesverasicherungsanstalten geschaffen werden konnten. Mir ist von derartigen Rücklagen nichts bekannt; ich weiß nur. daß alle Landesversicherungsanstalten in der Zeit bis zum Sozialversicherungsanpassungsgesetz Zuschüsse von den Ländern bekommen mußten, um die Rentenverpflichtungen abzudecken.
Wenn ich mir nun das jetzige Verhältnis ansehe, dann frage ich mich: Kommt es dem Versicherten darauf an, daß er einen Versicherungsträger in dieser oder jener Form bekommt. oder ist es wichtig, daß dem Versicherten seine Rechtsansprüche gewährleistet werden. Das Letztere scheint mir im jetzigen Moment das Notwendigste zu sein!
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In welcher Intensität bei uns im Bundesarbeitsministerium an den Dingen gearbeitet wird, ist den sezialversicherungsinteressierten Mitgliedern dieses Hohen Hauses wohl bekannt. Ich habe vor einiger Zeit die Herren aus den Regierungsparteien gebeten, zu mir zu kommen, um ihnen im groben gesehen einen Überblick über den jetzigen Stand der Sozialversicherungsträger zu geben. Heute abend wollten die Herren von der Sozialdemokratischen Partei zu mir kommen. Sie werden wahrscheinlich morgen abend bei mir sein. Die Überblicke, die Sie
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dort bekommen, zeigen Ihnen, daß sich unsere Sozialversicherungsträger, soweit die Rentenversicherungen in Frage kommen, bestimmt in einer sehr ernsten Situation befinden.
Ich habe hier schon mehrfach angedeutet, daß es vielleicht die größte Aufgabe der nächsten Zeit ist, daß die Bundesregierung und mit ihr das Hohe Haus durch geeignete Gesetze dafür sorgen, daß die Rentenversicherungsträger unserer Sozialversicherung finanziell gesichert werden. Neben der Angestelltenversicherung waren eine ganze Reihe von Berufgenossenschaften in Berlin ansässig, die ihr Tätigkeitsgebiet weit über die Grenzen Berlins hinaus hatten. Nach 1945 hat man in Berlin alle Versicherungsträger stillgelegt. Man hat ihnen die Fortsetzung ihrer Tätigkeit verboten und auch die Vermögen beschlagnahmt. Später ist man dazu übergegangen und hat von der englischen Besatzungsmacht in Berlin einen Treuhänder eingesetzt, der die vorhandene Vermögenssubstanz, auch soweit sie über das Gebiet der Stadt Berlin hinausging, zu verwalten hat. Als die Bundesregierung gebildet war, habe ich den Herrn Bundeskanzler veranlaßt, den englischen Hohen Kommissar zu bitten, man möge uns - der Bundesregierung - die treuhänderische Verwaltung dieser Vermögen übertragen. Das war angeblich nicht möglich. Man hat sich auf dem Petersberg auf den Standpunkt gestellt, das seien Berliner Angelegenheiten, und sagte, der Magistrat von Berlin sei damit nicht einverstanden. Darüber hinaus sagte man, daß die Arbeitgeber und Arbeitnehmer ebenfalls nicht damit einverstanden wären.
Ich habe später den Herrn Bundeskanzler gebeten, in einer Eingabe an die Hohen Kommissare noch einmal auf die Notwendigkeit hinzuweisen, daß die Vermögensverwaltung der Sozialversicherungsträger in deutsche Hände übergeben werden müßte. Als ich vor 14 Tagen in Berlin war, habe ich über die Angelegenheit auch mit dem Herrn Oberbürgermeister Reuter und mit dem zuständigen Vertreter im Magistrat gesprochen. Sie waren mit mir hundertprozentig darüber einig, daß man diese Übertragung von seiten der Besatzungsmächte vornehmen müsse. Es handelt sich meines Erachtens um sehr große Wertsubstanzen, die dort verwaltet werden, und sie sind keinerlei deutscher Kontrolle unterstellt. Der Mann, der die treuhänderische Verwaltung hat, bekommt aus den Einnahmen 2% als persönliche Vergütung. Der Herr Oberbürgermeister von Berlin sagte, als ich mit ihm vor der Presse über diese Dinge sprach: „Hier handelt es sich um etwas, was man als einen Skandal bezeichnen kann", denn der führende Mann, der die Kontrolle ausübt, wird wahrscheinlich das Doppelte an Einnahmen haben, was er als Oberbürgermeister und ich als Minister zusammen an jährlichem Einkommen beziehen.
Wenn man überhaupt dazu kommen will, eine ehrliche Sozialversicherungsbilanz aufzustellen, dann muß man die Möglichkeit haben, festzustellen, was von dem früheren Vermögen der Sozialversicherungsträger überhaupt noch vorhanden ist. Es handelt sich ja nicht allein um die Verwaltung der Gelder, die die Angestelltenversicherung oder die Invalidenversicherung in Berlin als Hypotheken herausgegeben haben. Es handelt sich auch darum, daß die in die GAGFAH und ähnliche Tochtergesellschaften der Sozialversicherungsträger gesteckten Vermögen einer geordneten Verwaltung unterstellt und die Nutznießung aus diesen Kapitalsubstanzen den Versicherungsträgern zugeleitet werden, die heute die Renten dieser Versicherungsträger bezahlen müssen.
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Das ist meines Erachtens das Allerwichtigste.
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- Wir kennen gar nicht die Wertsubstanzen, die heute über die GAGFAH auch bei uns noch vorhanden sind.
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- Na, ich versichere Ihnen, daß mir die Vertreter der.Landesversicherungsanstalten etwas anderes darüber sagen. Die Leute, die in Berlin in die Verwaltung etwas hineingesehen haben, sagen, es würden dort sehr groß e Teile einer Wertsubstanz verwaltet, die nicht in Berlin, sondern im Bundesgebiet oder in der russischen Zone lägen.
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Wir müssen uns darüber klar sein, daß derjenige, der die Verwaltung dieser Wertsubstanzen übernimmt, die Verpflichtung hat, für alle früheren Beteiligten auch den Teil sicherzustellen, der auf sie entfällt. Ich bin der Meinung, daß, nachdem nunmehr eine klare Erklärung des Berliner Magistrats und auch der Angestelltengewerkschaft auf dem Petersberg vorliegt, man sich entschließen muß, auf diesem Gebiet endlich Ordnung zu schaffen. Das ist nur möglich, indem man der Regierung, die von den Hohen Kommissaren bzw. von den westlichen Alliierten als die einzig wirklich demokratische Regierung des deutschen Volkes angesprochen wird, auch diese Dinge überträgt. Wir denken nicht daran - das möchte ich auch in diesem Hohen Hause sagen -, für die Verwaltung dieser Wertsubstanzen einen neuen bürokratischen Apparat aufzubauen. Ich kann mir vorstellen, daß man aus meinem Ministerium zwei Leute abkommandiert, die Beamte des Ministeriums bleiben und auch von uns ihr Gehalt bekommen, und daneben der Magistrat von Berlin einen seiner fähigsten Männer für diese Aufgabe zur Verfügung stellt und daß man, solange die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung noch nicht durchgeführt ist, auch den Arbeitgebern und den Gewerkschaften die Möglichkeit gibt, an der Verwaltung dieser Wertsubstanzen mitzuwirken. Es ist unerläßlich, diese Vermögen so bald wie möglich wieder ihrem ureigensten Zweck zuzuführen, nämlich den Versicherungsträgern, die wir heute als Nachfolger der früheren Versicherungsanstalten oder der Einrichtungen, die wir dort gehabt haben, anzusehen haben. Es ist ein unmögliche Zustand, daß wir heute aus den verschiedensten Gebieten Deutschlands Rentenverpflichtungen aus Beiträgen der bei uns Versicherten abdecken, die letzten Endes zum Teil noch in diesen Wertsubstanzen ihre Deckung finden können.
Ich bin also der Meinung, wir sollten diese Frage jetzt nicht überstürzen. Wir sollten in diesem Hohen Hause in Verbindung mit meinem Ministerium die Voraussetzungen dafür schaffen, damit wir recht bald durch eine ausgiebige Gesetzgebung dafür sorgen können, daß unsere Sozialversicherungsträger gesund gestaltet werden, damit unsere arbeitenden Menschen darin wieder die Lebenssicherung für ihren Lebensabend sehen können.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Degener.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister für Arbeit hat eben auf die Tatsache hingewiesen, daß es noch vor kurzem nötig gewesen ist, eine Eingabe an die Hohen Kommissare zu richten, um zu erreichen, daß das Vermögen der Rentenversicherungsträger in deutsche Verwaltung übergeführt wird. Ich möchte dazu sagen, daß für den Tatbestand, daß fünf Jahre nach dem Kriege ein solches Vermögen, für solche Zwecke geschaffen, noch nicht in deutsche Hände übergeführt worden ist, wohl niemand im deutschen Volke noch irgendein Verständnis aufbringen kann.
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Es scheint dringend notwendig, daß hier Wandel geschaffen wird.
Meine Fraktion wird dem Antrag Drucksache Nr. 1609 vorbehaltlos zustimmen.
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Der Antrag hat ja schließlich nur den einen Zweck, die Geschäftsfähigkeit der zentralen Behörde wiederherzustellen, indem das Vermögen zusammengeführt wird und die Organisationsvoraussetzungen für eine echte Selbstverwaltung geschaffen werden. Nachdem im kürzlich vom Hause verabschiedeten Selbstverwaltungsgesetz ausdrücklich gesagt ist, daß für das gesamte Bundesgebiet nur eine Vertreterversammlung und e i n Vorstand geschaffen werden sollen, nachdem bei den Vorberatungen im Ausschuß ausdrücklich allgemein versichert wurde, daß niemand daran denke, die Angestelltenversicherung etwa mit der Invalidenversicherung zu fusionieren, daß vielmehr ihre Selbständigkeit erhalten bleiben solle, bin ich der Meinung, es könnte und dürfte im Hohen Hause keinen Streit mehr über den Antrag geben.
Der Antrag will die Arbeitsbasis für die Selbstverwaltungskörperschaft schaffen. Deshalb verstehe ich es auch nicht ganz, wenn der Herr Bundesminister für Arbeit jetzt sagt, wir sollten diese Dinge nicht überstürzen. Ich glaube, daß wir keine Zeit mit der Einführung der Selbstverwaltung und mit der Durchführung aller damit zusammenhängenden Aufgaben zu verlieren haben. Ich möchte aber auch keinen Zweifel daran lassen - das ist der einmütige Standpunkt meiner Fraktion. -, daß wir eine dezentralisierte Verwaltung, wie sie in der Übergangszeit durch die treuhänderische Tätigkeit der Landesversicherungsanstalten bestanden hat, nicht beizuhalten wünschen.
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Die Deutsche Angestelltenversicherung hat in der Vergangenheit mit dem geringsten Verwaltungskostensatz gearbeitet. Sie hat es in vorbildlicher Wëise verstanden, durch die Einrichtung der Vertrauensmänner einen sehr zuverlässigen, arbeits- willigen ehrenamtlichen Beratungs- und Betreuungsstab für die Versicherten zu schaffen, und ich zweifle nicht daran, daß die Vertreterversammlung, wenn sie sich ihre Satzung nach dem Selbstverwaltungsgesetz schafft, zuerst daran gehen wird, die Voraussetzungen für die Schaffung eines solchen Vertrauensmännerstabes wieder zu sichern.
Aber nun ist mir gesagt worden, daß die Ziffer 5, Frau Kollegin Kalinke, noch einer Ergänzung bedürfe. Mir ist mitgeteilt worden, daß auch von der Arbeitsverwaltung in einer gewissen Zeit Beträge für die A. V. zur Verfügung gestellt wurden. Man müßte also unter Ziffer 5 noch den Buchstaben c) von der Arbeitsverwaltung anfügen, oder aber noch praktischer könnte man - ich überlasse es gern Ihnen als der Antragstellerin, das im Schlußwort vorzuschlagen - unter I sagen „über die Zuschüsse, die der Angestelltenversicherung gegeben wurden, unter getrennter Angabe nach den Quellen." Dann wäre alles erfaßt.
Ich möchte also wünschen, daß hier nicht etwa wieder eine grundsätzliche Streitfrage über die selbständige Versicherungsanstalt für eine wertvolle Berufsschicht entsteht und auch nicht etwa eine Debatte über die Zweckmäßigkeit einer dezentralen oder einer zentralen Verwaltung einsetzt. Die Vergangenheit hat bewiesen, daß in der Angestelltenversicherung die Rentenversicherungsaufgabe zuverlässig, billig und mit Erfolg für diese Berufsschicht durchgeführt worden ist. Deshalb werden wir dem Antrag zustimmen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn in der Frage der Organisation auch die Leistungen für die Rentenempfänger enthalten wären, dann könnten wir uns über die zweckmäßigste Organisationsform mit Recht streiten. Ich bedaure sehr, daß man sich über die Frage, ob zentrale Organisationsform oder dezentrale Organisationsform bei der Rentenversicherung noch unterhält. So gut wie mein Vorredner behauptet, daß die zentrale Organisationsform in der Angestelltenversicherung sich in der Vergangenheit bewährt hat, so gut kann ich behaupten und an Hand der statistischen Unterlagen beweisen, daß sich die dezentrale Organisationsform bei der Arbeiterrentenversicherung, der Invalidenversicherung bewährt hat. Es ist eine Frage der Zweckmäßigkeit. Ich persönlich stehe auf dem Standpunkt, daß es zweckmäßiger ist, wenn man in dieser Frage dezentralisiert. Das hat in der Vergangenheit das Jahr 1945 bewiesen. Die Landesversicherungsanstalten für die Invalidenversicherungen haben über den 8. Mai hinaus ohne Unterbrechungen innerhalb des westdeutschen Gebietes die Renten weiterzahlen können. Die Reichsanstalt für Angestelltenversicherung war nicht mehr da. Die Mittel waren in Berlin blockiert. Es waren die Landesversicherungsanstalten der Arbeiter - das möchte ich doch hier in aller Deutlichkeit betonen, und ich bin stolz darauf, daß sie es gemacht haben -, die damals die Mittel zur Verfügung gestellt haben, bis die Länder intakt waren und bis sich alles Weitere entwickelt hatte. Deshalb heiße ich es nicht gut, wenn man jetzt bei der Frage, ob wieder eine neue Anstalt für die Angestelltenversicherung in Funktion treten soll, eine gewisse Tendenz gegen die Landesversicherungsanstalten entwickelt, wie dies unzweifelhaft in dieser Drucksache Nr. 1609 Ziffer 5 durch die Fragen zum Ausdruck kommt und wie dies viel deutlicher und in sehr bedauerlicher Form durch die Ausführungen der Frau Kalinke hier geschehen ist.
Hier in Ziffer 1 heißt es: die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte unverzüglich wieder geschäftsfähig zu machen. Ich kenne noch keine Bundesanstalt, ich kenne nur die Reichsanstalt, und ich stimme der Frau Kalinke zu, wenn sie sagt, die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte bestehe de jure noch. Eine Bundesanstalt ist noch von keinem Organ des Bundes beschlossen worden. Es ist auch sehr eingehend zu überlegen, ob das klug wäre. Denn in der Ostzone sind Tausende von Ren({0})
tenempfängern, die gegenüber der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte auf Grund jahrelanger Beitragsleistungen berechtigte Ansprüche haben; es sind Tausende von Angestellten, die jahrelang Mitglieder waren und die die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben, eines Tages Renten aus der Angestelltenversicherung, auf die sie einen Anspruch haben, zu bekommen. Gründen Sie jetzt eine Bundesanstalt an Stelle der auch nach Ihrer Ansicht de jure noch bestehenden Reichsanstalt für Angestelltenversicherung, dann gefährden Sie meiner Ansicht nach mancherlei. - Ich möchte Ihnen jedenfalls empfehlen, sich das eingehend zu überlegen. - Meine Fraktion wird dies im Interesse aller Angestellten nicht tun.
Zu der weiteren Frage: „die Verwaltung der Restanstalt in Berlin zu erweitern". Eine Restanstalt in Berlin ist mir auch nicht bekannt. In Berlin ist der Sitz der Reichsanstalt für Angestelltenversicherung. Dort sind etwa 300 Angestellte oder Beamte noch beschäftigt; dort wird das Gros dieser Beamten und Angestellten von den Landesversicherungsanstalten, die treuhänderisch die Aufgaben für die Angestelltenversicherung für ihren Bezirk seit 1945 mustergültig und vorbildlich durchführen, bezahlt.
Nun hat sich Frau Kalinke - darüber habe ich mich gefreut - für die Interessen des Betriebsrates bzw. der Angestellten und der Gewerkschaften eingesetzt und sie hier zur Sprache gebracht. Es ist richtig: der Treuhänder muß - das wissen Sie alle, meine Herren, besonders die Herren, die zu den Arbeitgebern zählen oder sonstwie dahin tendieren - eben wie ein ordentlicher Kaufmann die Geschäfte wahrnehmen. In diesem Falle war der Verband der Rentenversicherungsträger Arbeitgeber. Da haben wir doch alle unsere Erfahrungen. Das sind eben so die Tendenzen und Praktiken der Arbeitgeber schlechthin.
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Zu Ziffer 3: „den Ort zu bestimmen, an dem die Selbstverwaltungsorgane der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte zusammentreten sollen". Da bin ich der Meinung, daß, nachdem im § 10 als Selbstverwaltungsorgane ein Vorstand und eine Vertreterversammlung für die gesamte Angestelltenversicherung gebildet und in diesem § 10 des Selbstverwaltungsgesetzes festgelegt wurde, daß auch eine Geschäftsführung gebildet wird, der Sitz derselben dort ist, wo der Sitz der Reichsanstalt für Angestellte ist, also in Berlin. Warum also die Ziffer 3?
Nun kommt Ziffer 4: die Vermögensverwaltung der Sozialversicherungsträger durch den von der Militärregierung bestellten Treuhänder und die Abberufung desselben. Herr Bundesarbeitsminister Storch hat sich sehr stark gemacht und das ist mir nicht neu -, daß er an Stelle des Treuhänders eingesetzt werden will, daß die Bundesregierung - vertreten durch sein Ministerium, durch seine Beamten - an diese Stelle treten soll. Ich bin der Meinung, wir müssen - die Gewerkschaften haben das schon vor über einem Jahr gefordert gegenüber den Militärregierungen, der Hohen Kommission, verlangen, daß der Treuhänder abberufen wird. Ich bin der Meinung, daß die Verwaltung schon längst hätte in deutsche Hände übergehen müssen. Ich bin weiter der Meinung, daß, nachdem jetzt das Gesetz über die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung im Bundestag verabschiedet wurde, die Organe der Selbstverwaltung, die Sie in § 10 mitbeschlossen haben, - der Vorstand die Vertreterversammlung -, daß die
Organe der Angestelltenversicherung, der Berufsgenossenschaften oder der Krankenkassen und was sonst in Frage kommt, die Geschäfte zu übernehmen haben und ergo auch die Mittel übertragen erhalten müssen. Und da die Dinge jetzt so weit gediehen sind, sehe ich keinen Grund mehr, daß nun noch der Bundesarbeitsminister an die Stelle des Treuhänders tritt, dort noch einige Beamte hinschickt und derartiges mehr. Das können die Organe der Selbstverwaltung, die die entsprechenden Fachleute in den Trägern haben, meiner Ansicht nach ebensogut, vielleicht noch besser.
Und nun zu den Ziffern 5 und 6. In Ziffer 6 heißt es: das Vermögen der früheren Reichsanstalt für Angestellte an Grundstücken, Hypotheken usw. sicherzustellen. Ich habe schon durch Zwischenruf den Herrn Bundesarbeitsminister darauf hingewiesen, und ich weiß von den Präsidenten des Verbandes der Rentenversicherungsträger, daß alle Werte in der Bundesrepublik schon jahrelang erfaßt sind und entsprechend den Verpflichtungen des Darlehensnehmers Hypothekenzinsen usw. gezahlt werden und daß die Mittel; die hier eingehen, genau so wie die Beiträge für die Angestelltenversicherung vollständig von den Mitteln für die Invalidenversicherung der Arbeiter getrennt werden. Die Sicherstellung ist im Gebiet der Bundesrepublik nach den Zusicherungen, die uns die Präsidenten der Landesversicherungsanstalten und die uns der Präsident der Träger der Rentenversicherung gegeben haben, erfolgt. Mit dem ganzen Antrag scheint man den Eindruck erwecken zu wollen, als wenn Großes versäumt worden wäre, als wenn die Angestellten benachteiligt worden wären. Nach meiner Überzeugung und Kenntnis der Dinge trifft dies nicht zu, sondern die Rechte der Angestellten und Arbeiter in beiden Versicherungszweigen wurden gewahrt.
Nun hat Frau Kalinke behauptet, daß ihr Antrag bzw. der Antrag ihrer Fraktion in Drucksache Nr. 44 noch der Erledigung harren würde. Dieser Antrag, verehrte Frau Kalinke, ist bereits durch die Drucksache Nr. 1354 zum Gesetz über die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung erledigt. Da heißt es - und Sie haben es mit beschlossen, und ich kann nicht annehmen, daß Sie es vergessen haben sollten -:
2. Die Anträge der Fraktion der Deutschen Partei betreffend die Reichsanstalt für Angestellte und die Rentenversicherungsanstalten - Nr. 44 der Drucksachen - für erledigt zu erklären.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. ({0})
Frau Kalinke möchte noch einmal zum Schluß sprechen; ich bitte darum.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich muß, wenn ich die Debatte überschaue, bedauern, daß der Herr Bundesarbeitsminister zu wenig klare Worte zur Frage der Angestelltenversicherung gefunden hat. Ich kann das wohl verstehen, und ich kann deshalb auch begreifen, daß er in dieser Frage ein wenig zurückhaltend war. Ich muß aber bedauern, daß der Herr Bundesarbeitsminister zu den präzisen Fragen nichts sagen konnte, was nun über seine Gespräche in Berlin vor vierzehn Tagen hinaus geschehen soll, um wirklich das Vermögen der Angestelltenversicherung in Berlin sicherzustellen. Es trifft ja nicht zu, daß es nicht in Gefahr ist, wie hier gesagt wurde,
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sondern aus dem Prüfungsbericht der Versicherungsanstalt Berlin und vielen anderen Dingen ist erkennbar, wer Wert darauf legt, dieses Vermögen der Angestelltenversicherung und das Vermögen der übrigen Sozialversicherungsträger in die Hand zu bekommen. Ich glaube, es wird eine hohe Aufgabe der neuen Berliner Stadtverordnetenversammlung sein, gemäß der Verfassung der Stadt Berlin so Beschluß zu fassen, daß die Gesetze der Bundesrepublik auch in Berlin gelten und keinerlei Aufträge, die von irgendeiner Besatzungsmacht gekommen sind, von deutschen Parlamenten beachtet werden.
Es geht aber nicht nur um das Barvermögen, nicht nur um die GAGFAH, nicht nur um Zinsen und Darlehen, es geht auch darum, daß die Grundstücke, die in Berlin noch erhalten sind, nicht gepflegt werden und verrotten. Mir ist ein Fall bekannt, in dem ein Versicherungsträger des Bundesgebietes einen Mietvertrag in Berlin mit einem Mieter abschließen wollte, der bereit war, das Dach zu decken und das Grundstück in Ordnung zu halten. Der Treuhänder hat aber die Genehmigung nicht gegeben, weil er kein Interesse daran hatte, daß dieses Grundstück erhalten wurde.
Es ist außerdem notwendig - und ich hoffe, daß der Herr Bundesarbeitsminister uns demnächst doch noch etwas darüber sagen wird -, nicht nur über die Grundlagen zu sprechen, sondern auch darüber, daß das, was mit dem Sozialversicherungsanpassungsgesetz geschehen ist, eine vollkommene Lösung nicht gebracht hat, weil man Angestellte und Handwerker einseitig durch erhöhte Beiträge belastet hat. Wenn der Herr Bundesarbeitsminister die echte Bilanz des Vermögens der Angestelltenversicherung nicht kennt, so hat er von dem Herrn Kollegen Richter gehört - und ich will ihm auch dabei behilflich sein -, daß wir ihm hinsichtlich der GAGFAH und anderer Werte das Material zur Verfügung stellen können.
Ich habe mich sehr gefreut, daß der Herr Kollege Degener von der Fraktion der CDU sich in so großer Klarheit zu unserem Antrag bekannt hat. Ich glaube mit ihm, daß es nicht notwendig ist, sich etwa noch über die Zweckmäßigkeit der einen oder anderen Form zu unterhalten. Notwendig ist aber - und da stimme ich ihm zu -, unseren Antrag noch insofern zu erweitern, als wir unter Punkt 5 hineinsetzen: „und sonstige Zuschüsse getrennt nach Quellen", wie es Kollege Degener beantragt hat. Ich habe allerdings aus der Übung der Praxis die Auffassung vertreten - und die hat auch meine Fraktion geteilt -, daß die Zuschüsse aus dem AVG bisher immer unter Zuschüssen der Länder in den Statistiken geführt werden. Es macht aber die statistischen Unterlagen für das Arbeitsministerium klarer, wenn wie diesen Zusatz noch besonders hinzufügen.
Ich habe sehr bedauert, daß der Kollege Richter nichts Positiveres und nichts Neues zu diesem Antrag gesagt hat. Wenn der Herr Minister sich über die Behauptung gewundert hat, „daß die Invalidenversicherung die Groschen aufgebracht haben soll", so hat er aus den Ausführungen des Kollegen Richter heute die Bestätigung über ein Protokoll bekommen, das ich ihn nachzulesen bitte und das in Zusammenhang mit der Drucksache Nr. 1328, dem Antrag der SPD-Fraktion, hier von der Tribüne des Hauses vertreten wurde. Diese Auffassung wird auch von dem Verbande der Rentenversicherungsträger vertreten, die leider nicht, wie Herr Kollege Richter hier behauptet hat, sich für die Beamten und Angestellten der früheren Reichsversicherungsanstalt eingesetzt haben. Ich würde es sonst nicht notwendig haben, mich hier mit den Auffassungen des Betriebsrats der RfA so weitgehend zu identifizieren.
Zum Schluß möchte ich noch sagen, daß ich mit großer Freude festgestellt habe, daß Herr Kollege Richter so besonderen Wert auf die Dezentralisation der Sozialversicherungsorganisation gelegt hat. Ich hoffe, daß er seine Erkenntnis auch auf die übrigen Gespräche, die damit zusammenhängen, übertragen wird, wenn es in der Frage der Gesamtorganisation der Sozialversicherung um das Problem geht, ob eine große oder eine kleine, ob eine dezentralisierte oder eine zentralisierte Organisation besser ist. Sein Freund, der Präsident des Verbandes der Rentenversicherungsträger, wird ihm allerdings bestätigen, daß in der Rentenversicherung eine Organisation über ein Land nicht gut möglich ist und daß man in dieser Frage wahrscheinlich seiner Ansicht nicht wird folgen können. Auch die Landesversicherungsanstalten sind gezwungen, nach den Grundsätzen eines vernünftigen Lastenausgleichs zu entscheiden.
Die letzte Frage, die von dem Herrn Bundesarbeitsminister noch gestellt worden ist, möchte ich dahin beantworten, daß ich nicht über Rücklagen gesprochen habe, sondern über Neuanlagen, die im Laufe des Jahres 1949 gemacht worden sind. Über den Zinsendienst, der sich daraus ergeben hat, daß man diese Neuanlagen dem sozialen Wohnungsbau zu geringem Zinssatz zur Verfügung gestellt hat und andererseits Kapitalien zu hohem Zinssatz hat aufnehmen müssen, habe ich mich, glaube ich, für alle verständlich ausgedrückt.
Meine Damen und Herren, der Herr Abgeordnete Richter hat mir mitgeteilt, daß von seiner Fraktion beantragt wird, den Antrag Nr. 1609 der Drucksachen dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen. Ich nehme an, daß die antragstellende Fraktion damit einverstan den ist.
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- Dann bitte ich zunächst festzustellen, welcher Ergänzungsantrag zu dem Antrag gestellt wird; er ist mir nicht schriftlich mitgeteilt worden. Ich habe es so verstanden, daß in Ziffer 5I als Buchstabe c) eingefügt werden soll: „über sonstige Zuschüsse getrennt nach den „Quellen".
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Ich bitte zur Kenntnis zu nehmen, daß Frau Abgeordnete Kalinke den Antrag des Herrn Abgeordneten Degener aufgenommen hat, in Ziffer 5 I c, den Satz einzufügen: „über sonstige Zuschüsse getrennt nach den Quellen".
Ich habe zunächst abstimmen zu lassen über den Antrag auf Verweisung des Antrags Nr. 1609 der Drucksachen an den Ausschuß für Sozialpolitik. Ich bitte die Damen und Herren, die dafür stimmen wollen, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe!
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- Meine Damen und Herren, auch dieser energische Zuruf kann mich nicht zu der Meinung bekehren, daß das Ergebnis der Abstimmung zweifelsfrei wäre. Ich muß darum bitten, daß über diese wesentliche Frage durch Hammelsprung entschieden wird. Ich sehe keine andere Möglichkeit. Ich bitte die Damen und Herren, im Interesse einer beschleunigten Erledigung der Tagesordnung den Saal möglichst schnell zu räumen und in der üblichen Form abzustimmen.
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({4})
Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
({5})
Darf ich um Beschleunigung der Stimmabgabe bitten, damit ich die Türen schließen lassen kann.
Ich bitte, die Auszählung zu beenden und die Türen zu schließen.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt.
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- Ich unterstelle, daß einige Damen und Herren kein Interesse an meinen Ausführungen haben. Ich bitte, das aber nicht so deutlich zu zeigen.
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Mit Ja, d. h. für die Überweisung an den Ausschuß haben gestimmt 131 Damen und Herren, dagegen 151, Enthaltungen keine. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Abänderungsantrag der Abgeordneten Degener und Frau Kalinke, in dem Antrag Drucksache Nr. 1609 unter Ziffer 5 I als Buchstaben c den Satz „über sonstige Zuschüsse getrennt nach den Quellen" einzufügen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zustimmen, ihre Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das erste ist zweifellos die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über die Drucksache Nr. 1609 unter Berücksichtigung der eben beschlossenen Abänderung. Ich bitte die Damen und Herren, die für die Drucksache Nr. 1609 sind, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag ist zweifellos angenommen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf den eingeschobenen Punkt der Tagesordnung:
Bericht des Untersuchungsausschusses Nr. 40 über den Antrag der Fraktion der Bayernpartei betreffend Überprüfung der bisherigen Einfuhren in das Vereinigte Wirtschaftsgebiet und in das Gebiet der Bundesrepublik ({8}).
Es wird eine Berichterstattungszeit von 20 Minuten und eine Aussprachezeit von 60 Minuten vorgeschlagen. - Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist.
Ich bitte den Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Kriedemann, das Wort zu nehmen, und bitte Sie, meine Damen und Herren, ihm Ihr Gehör zu schenken.
Kriedemann ({9}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Ich kann mich angesichts der Tatsache, daß Ihnen der schriftliche Bericht über die Arbeit des Untersuchungsausschusses vorliegt, mit der Berichterstattung kurz fassen. Es hat in der Arbeit des Ausschusses seinen Grund, daß wir eine schriftliche Berichterstattung für zweckmäßig hielten. Dieser Bericht ist einstimmig gefaßt worden, einstimmig mit der Maßgabe, daß ein Mitglied des Ausschusses, der Herr Abgeordnete Baumgartner, nach einigen Sitzungstagen sein Mandat im Ausschuß niedergelegt hat und sich am Rest der Arbeit nicht mehr beteiligte.
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Meine Damen und Herren, da es der erste Untersuchungsausschuß ist, über cl en in diesem Hause berichtet wird, möchte ich doch einige allgemeine Bemerkungen machen. Wir konnten uns in unserer Arbeit an keiner Tradition orientieren, weil es eben der erste Untersuchungsausschuß war. Ich bin sehr froh, hier feststellen zu können, daß nicht nur die dem Ausschuß angehörenden Abgeordneten, sondern auch alle anderen, deren Mitwirkung zur Durchführung der dem Ausschuß gestellten Aufgabe erforderlich war - ich denke dabei insbesondere an die Vertreter der beteiligten Wirtschaftskreise -, ihre Mitarbeit bereitwillig und geduldig zur Verfügung gestellt haben. Ich bin froh, hier als meinen persönlichen Eindruck sagen zu können, daß die Arbeit des Untersuchungsausschusses ganz zweifellos mit dazu beigetragen hat, Verständnis für den Sinn und Wert eines Parlaments und der parlamentarischen Kontrolle in die Öffentlichkeit zu tragen.
Zweifellos ist nicht jeder, der vom Untersuchungsausschuß verhört worden ist, zufrieden nach Hause gegangen, weil nicht jeder recht bekam. Aber es hat sicherlich niemand den Saal verlassen ohne den Eindruck, daß der Ausschuß weder Mühe noch Zeit noch Kosten gescheut hat, um die ihm gestellte Aufgabe zu lösen. Es ist sehr bald herausgekommen - und ein recht großer Kreis von Zeugen aus der Verwaltung und aus den beteiligten Wirtschaftskreisen hat zu dieser Erkenntnis mit beigetragen -, daß die obiektiven Gründe für die meisten der Beschwerden in unserer damals noch sehr viel größeren Abhängigkeit von den Vorschriften der Besatzungsmächte bezüglich unserer Verfahren im Außenhandel gegeben waren, Mängel im Verfahren, die abzuändern wir nicht ohne weiteres in der Lage waren. Gerade weil sich inzwischen die Verhältnisse wesentlich geändert haben, ist es notwendig, auf diese Tatsache hinzuweisen; denn allzu schnell wird vergessen, wie es früher einmal gewesen ist. Die Feststellung dieser Tatsache allein war aber schon sehr wertvoll. Denn selbst alte und im Außenhandel erfahrene Leute haben doch häufig erkennen lassen, daß ihnen die uns alle bindenden Vorschriften nicht bekannt waren und daß ihnen die Ursachen dafür nicht bekannt waren, warum die Verwaltung zu dieser oder jener Maßnahme greifen mußte. Noch viel weniger waren diejenigen darüber im Bilde, die als Neulinge in recht großer Zahl und - wie der Ausschuß meinte - in zu großer Zahl den Versuch gemacht haben, im Exporthandel ihr Auskommen zu finden. Ich denke in erster Linie an alle diejenigen, die in dem allerersten Anfang, als es sich nur noch um Globalimporte handelte, Importeure wurden, weil es sich da um ein weitgehend müheloses Geschäft handelte. Und in dem Maße, in dem die Verhältnisse sich wieder normalisierten, d. h. in dem man auch im Außenhandelsverfahren zu üblichen Formen zurückkehren konnte, wuchsen gerade für diese Neulinge die Schwierigkeiten und Unbequemlichkeiten, und die Klagen der sogenannten Sofa-Importeure haben deshalb auch den Ausschuß ganz erheblich beschäftigt.
Der Ausschuß hat weiter die Aufgabe gehabt, sich mit . den Behauptungen auseinanderzusetzen, daß sehr erhebliche Beschwerden der Landwirtschaft ihre Ursache in sinnlosen, unverantwortlichen Einfuhren haben, und er hat die Möglichkeit gehabt, die richtigen Verhältnisse zwischen der Einfuhr und dem Gesamtverbrauch oder der heimischen Erzeugung auf wesentlichen Gebieten festzustellen. Dadurch und durch die anderen Untersuchungen, die, wie gesagt, vorwiegend durch die Einvernahme von Zeugen und ihre Gegenüberstellung mit den angegriffenen oder ange({11})
schuldigten oder jedenfalls zuständigen Vertretern der Verwaltung durchgeführt worden sind, sind die Anklagen, die wir damals hier in diesem Hause gehört haben, sehr schnell ihres sensationellen Charakters entkleidet worden.
Die Schlußfolgerungen, die der Ausschuß auf der letzten Seite seines Berichts wegen der Durchführung des Verfahrens zieht, sollten von niemandem so verstanden werden, als gehe es dabei um eine Beschneidung der Kritik oder etwa gar um eine Beschränkung der Zuständigkeiten und der Rechte des Parlaments, solche Dinge zu untersuchen. Alle, die mit gutem Willen an dem Untersuchungsausschuß mitgewirkt haben, werden viel zu sehr davon überzeugt sein, daß diese Arbeit nützlich war, als daß sie in den Verdacht kommen könnten, die Arbeit von Untersuchungsausschüssen einschränken zu wollen. Es ist aber ganz ohne Zweifel nicht im Interesse des Gewichtes der Arbeit eines solchen parlamentarischen Untersuchungsausschusses, wenn allzu leichtsinnig jede Behauptung, die irgendwo in der Öffentlichkeit auftaucht, gleich im Parlament zum Gegenstand einer Auseinandersetzung oder gar zum Anlaß für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gemacht wird.
({12})
Wir haben es doch mitunter als recht peinlich empfunden, daß die Zeugen - und wir haben Wert darauf gelegt, jeden Zeugen zu vernehmen, der uns benannt worden war - zum Teil mit Entrüstung von den Behauptungen abrückten, die zu beweisen sie vorgeladen worden waren. Den Vogel hat ja wohl der Kronzeuge abgeschossen, der mehrmals erklärte, daß er keine Zeit habe, um seine eigene . Angelegenheit vor dem Ausschuß zu vertreten, der uns dadurch zu mehreren Vertagungen zwang, weil der Ausschuß auch in diesem Falle Wert darauf legte, diesen Mann selbst zu hören und seine Klage in Anwesenheit derjenigen, die durch ihn beschuldigt worden waren, gründlich zu untersuchen, der uns dann schließlich mitteilte, daß er sich auch nicht den Kostenvorschuß für die Reise nach Bonn leisten könne - selbstverständlich sind allen, die der Ausschuß hierher geladen hat, ihre Auslagen ersetzt worden -,
({13})
und der, als der Ausschuß ihm dann sein Reisegeld im voraus geschickt hat, trotzdem nicht gekommen ist. Hoffentlich hat er inzwischen wenigstens das Reisegeld zurückgeschickt. Ein solcher Zeuge ist zweifellos nicht geeignet, vor einem solchen Untersuchungsausschuß aufzutreten, und Behauptungen, die sich auf solche Zeugen stützen, sind, wie gesagt, meiner Ansicht nach auch geeignet, höchstens das ganze Verfahren in Mißkredit zu bringen, während wir alles Interesse daran haben, die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Ordnung zu halten und wirkungsvoll zu gestalten.
({14})
Meine Damen und Herren! Jedem von uns werden täglich eine Fülle von Beschwerden auf den Tisch gelegt. Ich möchte meinen, daß jeder ordentliche Abgeordnete sich für verpflichtet hält, allen diesen Dingen nachzugehen. Wir haben j a dazu die Möglichkeit und die Mittel, und wenn wir die nötige Zeit aufwenden, dann können wir die meisten dieser Dinge durch Befragen der Verwaltung - und das kann eine sehr eingehende sein - erledigen oder dadurch, daß wir sie in den zuständigen Ausschüssen gegenüber der Verwaltung zur Sprache bringen. Wenn das auch in diesem Fall geschehen wäre, dann würde das Ergebnis der Arbeit des Untersuchungsausschusses anders aussehen, als Sie es hier in diesem Bericht finden.
({15})
Dann wären nicht soundso viele Fälle Gegenstand einer tagelangen Untersuchung gewesen, weil sie sich nämlich leicht durch eine Rückfrage und durch eine sachdienliche Belehrung hätten aus der Welt schaffen lassen können. Weil es der erste Untersuchungsausschuß ist und weil ich glaube, daß sich die aufgewendete Arbeit der Abgeordneten und derjenigen, die als außerhalb des Hauses Stehende mitgewirkt haben, auch gelohnt hat, darum habe ich auch die Gelegenheit benutzt, auf diesen Teil der Schlußfolgerungen des Untersuchungsausschusses noch einmal nachträglich hinzuweisen.
Ich bitte Sie, dem Antrag des Untersuchungsausschusses, den Sie eingesetzt haben, zuzustimmen und den Bericht so, wie er Ihnen mit der Drucksache Nr. 1596 vorliegt, zu akzeptieren.
Im übrigen verweise ich noch einmal ausdrücklich auf diesen Bericht, der alle Einzelheiten enthält, Einzelheiten, die auf Grund des Stenographischen Protokolls zusammengestellt sind, das während aller Sitzungstage über alle Aussagen usw. selbstverständlich angefertigt worden ist.
({16})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die Aussprache. Der Herr Abgeordnete Dr. Baumgartner hat sich zum Wort gemeldet; ich erteile ihm das Wort.
({0})
Sie haben an sich nur fünf Minuten Redezeit, Herr Abgeordneter. Ist das Haus damit einverstanden, daß der Herr Abgeordnete an Stelle von fünf Minuten zehn Minuten Redezeit erhält?
({1})
Meine Damen und Herren! Ich darf Sie herzlich bitten, mir die kurze Zeit zu gewähren, weil in diesem Bericht doch schwere Vorwürfe gegen einen Abgeordneten erhoben sind.
({0})
- Ich muß doch dazu Stellung nehmen können.
Meine Damen und Herren! Zu dem Schlußbericht des Untersuchungsausschusses Nr. 40 gebe ich im eigenen Namen und im Namen meiner Fraktion folgende Erklärung ab.
Der am 2. Februar gestellte Antrag der Fraktion der Bayernpartei, Drucksache Nr. 381, lautet auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Überprüfung der bisherigen Einfuhr in das Vereinigte Wirtschaftsgebiet und in das Gebiet der Bundesrepublik.
({1})
({2})
Er wurde vom Bundestag am 2. Februar einstimmig angenommen. Erst 7 Wochen später, am 22. März 1950, konstituierte sich der Untersuchungsausschuß. Erst weitere 4 Wochen später nahm der Ausschuß, wie der Schlußbericht selbst zugibt, seine Arbeit auf. Von der Einsetzung des Ausschusses bis zur Arbeitsaufnahme waren also elf Wochen verstrichen; eine offensichtliche Verschleppungstaktik, um der Bürokratie Gelegenheit zu geben, ihre Akten in Ordnung zu bringen.
({3})
Herr Abgeordneter, ich weise den Ausdruck, daß ein Ausschuß dieses Hauses eine Verschleppungstaktik begangen hat, als ungehörig zurück.
({0})
Meine Damen und Herren, elf Wochen sind verstrichen, bis die Arbeit gonnen wurde!
({0})
Zweitens: Die Aufgabe des Untersuchungsausschusses, die ihm vom Bundestag gestellt worden ist, lautet klar und deutlich, die Einfuhren in das Vereinigte Wirtschaftsgebiet und in das Gebiet der Bundesrepublik zu untersuchen. Diese Feststellung ist deshalb von Bedeutung, weil sowohl während des Verfahrens als auch im Schlußbericht mir der Vorwurf gemacht wird, ich hätte leichtfertig Behauptungen erhoben
({1})
und die Bürokratie sei zu Unrecht angegriffen und in ihrer Ehre verletzt worden.
({2})
Bereits in der dritten Sitzung des Untersuchungsausschusses stellte ich laut Protokoll den Antrag, der Ausschuß möge dem Auftrage des Bundestages gemäß die ganzen Importe untersuchen. Das war doch der Auftrag. Der Abgeordnete Scharnberg von der CDU wandte sich scharf gegen diesen meinen Antrag und verlangte lediglich, daß ich selbst konkrete Vorwürfe erheben sollte.
({3})
Die übrigen Mitglieder traten der Auffassung Scharnbergs bei, wodurch eine völlige Verschiebung des Auftrages an den Untersuchungsausschuß vorgenommen wurde.
({4})
In der vierten Sitzung, am 9. Mai 1950, stellte Abgeordneter Scharnberg von der CDU den offiziellen Antrag, der Ausschuß möge jetzt Schluß machen, weil schon der 9. Mai sei und die Anklage schon am 2. Februar erhoben worden sei. Untersucht war bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nichts.
({5})
Vom ersten Tage an war auf beiden Seiten des Untersuchungsausschusses das Bestreben erkennbar, entgegen dem Auftrage des Bundestages eine gesamte Untersuchung der Importe abzulehnen und dem Vertreter der Bayernpartei die Beweislast für konkrete Fälle zuzuschieben, die nicht in Ordnung gingen.
({6})
Hier lag von Anfang an eine völlige Verkennung
der Aufgaben des Untersuchungsausschusses vor,
({7})
wie sie sich auch während der Tätigkeit des Ausschusses ergeben hat.
({8})
Meine Damen und Herren, zu diesen Schlußäußerungen über angeblich leichtfertige Behauptungen des Abgeordneten Dr. Baumgartner darf ich folgendes feststellen.
({9}) Gegen diese Feststellung des Untersuchungsausschusses - ({10})
- warten Sie nur, was Ihre Abgeordneten gesagt haben - erhebt die Fraktion der Bayernpartei Protest, weil sie dem Prinzip der Kontrolle des Parlaments
({11})
gegenüber der Exekutive
({12})
und sachlich den Tatsachen widerspricht.
({13})
Nicht die Fraktion der Bayernpartei hat erst diese Dinge aufgegriffen, sondern der Wirtschaftsrat in Frankfurt selbst hat schon einen Untersuchungsausschuß eingesetzt. Er wurde dann durch die Errichtung der Bundesrepublik an seinen Arbeiten gehindert. Dieser vom Wirtschaftsrat in Frankfurt eingesetzte Ausschuß kam ja gar nicht mehr richtig zur Arbeit.
Die Beweise - sowohl bei der Begründung des Antrages als auch im Laufe der Verhandlungen - sind in zahlreichen Unterlagen durch mich vorgebracht worden,
({14})
sowohl was über Beschwerden von seiten der Importeure, der Wirtschaftskreise, wie der Presse, des Einzelhandels vorgebracht worden ist. Nun frage ich Sie, meine Herren Kollegen: Hat ein Abgeordneter das Recht, Beschwerden der Wirtschaft vorzubringen oder hat er es nicht?
({15})
Wenn mir vorgeworfen wird, leichtfertigerweise die Bürokratie beschuldigt zu haben,
({16})
so muß wohl eine Untersuchung möglich sein, und ich muß dieses Recht als Abgeordneter haben.
Nun werde ich Ihnen zeigen, daß ich nicht allein diese Dinge dem Parlament und dem Untersuchungsausschuß vorgetragen habe, sondern daß auch Abgeordnete aus Ihren Reihen während der Untersuchungen die schwersten Vorwürfe vorgetragen haben.
Der Herr Abgeordnete Schmitz von der CDU erklärte schon in der 2. Sitzung am 21. 4. 1950 wörtlich laut Protokoll:
({17})
Die Leute haben schon Grund gehabt, sich zu beschweren. Das Reihenfolgeverfahren, das sogenannte Windhundverfahren, ist ein Ding, das zum Himmel stinkt.
Der Abgeordnete Kriedemann sagt laut Protokoll vom 21. 4. 1950:
Daß der Beirat zu einem Teil aus Interessenten bestand, ist mit der Objektivität nicht vereinbar gewesen.
- Gemeint war der Beirat bei der Außenhandelsstelle.
({18})
Dann Herr Abgeordneter Schmitz am 21. 4. laut Protokoll:
Diese Importeure haben dann, obwohl sie meines Erachtens keinen Anspruch auf Beteiligung an derart leichtfertigen Geschäften hatten, auf diese Weise ein Job bekommen und die Möglichkeit, sich an den Importen zu beteiligen und Geschäfte zu machen.
Der Sachverständige Töpfer am 21. 4.: Einzelheiten seien oft zu beanstanden. Wenige Firmen seien zu einer Monopolstellung gekommen im Importwesen.
Abgeordneter Schmitz am 21. 4. wörtlich laut Protokoll:
Schmitz weist Töpfer darauf hin, daß er gesagt habe, der Abschluß sei ohne Importeure vollzogen worden. Das stehe im Gegensatz zu den Ausführungen, die er jetzt gehört habe. Es sei weiter gesagt worden, daß alle Importeure, also auch die mit Anführungsstrichen, beteiligt worden seien. Das würde bedeuten, daß nicht ernsthaft verfahren worden sei.
Und Fleischberger selbst, der Leiter der Außenhandelsstelle, hat in der gleichen Sitzung erklärt:
Es wurde noch gesagt: das System ist falsch. Das stimmt vollständig!
Damit hat der Leiter der Außenhandelsstelle selbst zugegeben, daß das ganze System, das ja von der Bayernpartei angegriffen worden ist, falsch sei.
Der Sachverständige Strauß hat am 21. 4. laut Protokoll erklärt, die Ausschreibungen und Offertannahmen seien in einer Weise von der Außenhandelsstelle vollzogen worden, die einer normalen Submission und einer normalen Ausschreibung vollständig widersprechen. Es wurde im Untersuchungsausschuß durch Zeugen einwandfrei festgestellt, daß Offerten für Importe bei der Außenhandelsstelle schon vor Schluß des Abgabetermins und vor der offiziellen Sitzung geöffnet wurden. Es wurde festgestellt, daß dies geschehen ist, obwohl noch neue Offerten erwartet wurden. Ich erklärte: Wenn Offerten vorzeitig geöffnet werden, so sei das keine Geheimhaltung und diese Dinge müßten untersucht werden. Der Ausschuß gab sich aber mit den Erklärungen der Außenhandelsstelle zufrieden, ohne diese Dinge zu untersuchen.
Abgeordneter Schmitz am 20. 6. laut Protokoll: Das Einfuhrverfahren auf dem gewerblichen Sektor stinkt zum Himmel und muß vernünftig geregelt werden.
Man wirft mir vor, ich hätte ungereche Dinge behauptet, und der Abgeordnete Schmitz erklärt selbst, daß die Dinge zum Himmel stinken.
({19})
- Abgeordneter Schmitz am 20. 6. wörtlich laut Protokoll.
Abgeordneter Schmitz sieht den eigentlichen Sinn der Arbeit dieses Ausschusses darin, zu erreichen, daß das jetzige Verfahren verbessert wird, um zu ermöglichen, daß die Außenhandelsstelle mit der Wirtschaft besser zusammenarbeitet. Der jetzige Zustand - so hat der Kollege Schmitz erklärt - ist unerträglich. Man könne nicht sagen, daß das Offertverfahren ein sauberes und tadelloses Verfahren sei. Das Offertverfahren, so hat er erklärt, sei stärkstens angefochten.
({20})
Ich bitte Sie um Gerechigkeit, meine Herren Kollegen! Wie kann man Dr. Baumgartner vorwerfen, leichtfertige Behauptungen aufgestellt zu haben, wenn ein maßgebender Mann der CDU, ein Praktiker aus der Wirtschaft, schwerste Vorwürfe im Ausschuß selbst erhebt?
({21})
Der Abgeordnete Schmitz erklärte weiter am 20. 6.:
({22})
- Vielleicht ist es Ihnen unangenehm, das zu hören. Ich lege Wert auf die Rechtferigung. Ich bitte, mich noch ein paar Minuten anzuhören.
({23})
Herr Abgeordneter Baumgartner, Sie haben eine Redezeit von 10 Minuten statt der Ihnen zustehenden 5 Minuten erhalten. Wenn ich mir Ihre Blätter ansehe, dann brauchen Sie 20 Minuten. Ich fürchte, daß das Haus diese Geduld nicht aufbringen wird.
Herr Präsident, ich greife nur die wesentlichsten Dinge heraus, damit das Hohe Haus selbst sieht,
({0})
wie im Ausschuß gearbeitet worden ist.
Der Vertreter der Firma Grundt, eine Flüchtlingsfirma aus Frankfurt, erklärte laut Protokoll - das sage ich, weil der Herr Kollege Kriedemann gesagt hat, man hätte sich an die Verwaltungsstellen wenden sollen -: Niemals sei eine Beschwerde von der Außenhandelsstelle erledigt worden. Fünf Briefe und zwei Einschreibebriefe seitens der Firma an die Außenhandelsstelle seien überhaupt niemals beantwortet worden.
({1})
Eine große Rolle spielte in diesem Zusammenhang mit dieser Firma die Frage der Unterschrift wegen einer Gewährung von 400 000 Dollar zu Einfuhrzwecken. Der zuständige Abteilungsleiter Dr. May von der Außenhandelsstelle hatte die Unterschrift abgelehnt. Ein Fräulein Lierke, das als Sachbearbeiterin unterschriftsberechtigt war, hat die Unterschrift abgelehnt. Daraufhin beauftragte Herr Fleischberger, der Leiter der Außenhandelsstelle, einen Herrn der Statistischen Abteilung, die Unterschrift zu leisten. Dieser er({2})
klärte: Wenn der Chef es befiehlt, unterschreibe ich. Obwohl im Untersuchungsausschuß sich einander widersprechende Angaben gemacht wurden, hat sich der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses mit den vagen Erklärungen der Beamten zufriedengegeben. Der Vorsitzende erklärte dann selbst, daß es sich hier um ein Kompensationsgeschäft handle, bei dem die Unterschrift berechtigt war, obwohl im Ausschuß selbst die wider-sprechendsten Angaben gemacht wurden.
Herr Abgeordneter Dr. Baumgartner, ich gebe Ihnen noch eine Minute Redezeit, damit Sie mit Ihren Ausführungen zum Schluß kommen können.
Meine Damen und Herren! Wenn Sie mich nicht hier weitersprechen lassen, dann werde ich in einer Pressekonferenz
({0})
die weiteren Erklärungen abgeben. Ich werde die Beweise dafür führen, daß im Untersuchungsausschuß selbst die schwersten Vorwürfe erhoben wurden.
Ich möchte damit das .Problem der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse überhaupt aufrollen.
({1})
Es ist im vorliegenden Falle, meine Damen und Herren, höchst fragwürdig, wenn sich die maßgebenden Parteien während des ganzen Untersuchungsausschusses mit den vagen und unbestimmten Erklärungen der Beamten zufriedengeben und sich in keinem einzigen Falle einer Akteneinsicht und einem Quellenstudium an Ort und Stelle unterziehen. Wird weiter so verfahren, dann wird die Exekutive der Bundesrepublik ein leichtes Spiel haben, sich laufend der parlamentarischen Kontrolle zu entziehen. Wenn einem Abgeordneten nicht mehr möglich ist, auf Grund berechtiger Beschwerden der Wirtschaft, des Importhandels, der Presse und der Berufsstände Untersuchungen anzuregen, um berechtigte Beschwerden abzustellen,
({2})
dann können wir mit der parlamentarischen Kontrolle überhaupt aufhören und brauchen nicht mehr von ihr zu sprechen.
Die Bayernpartei sieht sich daher leider nicht in der Lage, dem Bericht ihre Zustimmung zu geben.
({3})
Sie lehnt den Bericht ab.
({4})
Das Wort hat noch einmal der Herr Abgeordnete Kriedemann als Berichterstatter.
({0})
Kriedemann ({1}), Berichterstatter: Ja, es kommt jetzt! Ich habe mit Vergnügen gesehen, wie dankbar die Kommunisten an einem Knochen genagt haben, den ihnen die Bayernpartei hingeworfen hat. Aber so ist es . nun einmal.
Etwas anderes bleibt Ihnen ({2}) ja gar nicht übrig. Es geht hier nicht um die Bayernpartei.
({3})
- In der Sache habt Ihr ja sowieso hier nicht mitzureden. Das ist das einzige Erfreuliche dabei.
({4})
Meine Damen und Herren! Wenn ich mich als Person mit Herrn Dr. Baumgartner auseinandersetzen müßte, dann würde ich zu dieser vorgerückten Stunde lieber darauf verzichten. Da ich aber als Vorsitzender und als Berichterstatter eines Untersuchungsausschusses eine Verantwortung fühle, will ich noch einiges zu dem sagen, was Herr Abgeordneter Dr. Baumgartner hier eben vorgebracht hat.
({5})
- Ich möchte vorschlagen, daß wir uns an das Wesentliche halten, und das ist offenbar nicht diese Auseinandersetzung, sind nicht die Randbemerkungen.
Herr Dr. Baumgartner hat hier in dem Stil gesprochen, in dem er an dem Tag redete, an dem der Untersuchungsausschuß eingesetzt wurde. Zunächst möchte ich mit aller Schärfe die Behauptung zurückweisen, daß man die Arbeit dieses Ausschusses so lange verzögert hat, bis die Verwaltung ihre Akten in Ordnung bringen konnte. Ich weiß im übrigen nicht, was es für einen Sinn gehabt hätte, die Akten in Ordnung zu bringen, wenn der Untersuchungsausschuß sich nach seiner Meinung sowieso nicht auf die Akten bezogen haben würde. Der Untersuchungsausschuß ist vom Präsidenten konstituiert worden. Zwischen der Konstituierung und dem ersten Arbeitstag lagen die Osterferien. Ich weiß nicht, ob Herr Baumgartner die von ihm vorgetragenen Anklagen für so wesentlich gehalten hat, daß er meinte, wir hätten auch während der Ostertage hier arbeiten sollen. Es gibt genügend Leute, die in diesem Ausschuß ernsthaft mitgearbeitet haben - zum Unterschied vom Herrn Kollegen Baumgartner - und denen es leid tut, sich dieser weitgehend über- flüssigen Arbeit gewidmet zu haben, um den schlechten Eindruck auszuräumen, der in der Öffentlichkeit durch die Art und Weise entstanden ist, mit der der Herr Abgeordnete Baumgartner seine Behauptungen hier vorgetragen hat.
({6})
Der Untersuchungsausschuß hat zunächst einmal den Herrn Abgeordneten Baumgartner wie jeden andern Abgeordneten eingeladen, an den Sitzungen teilzunehmen. Er ist zu den zwei ersten Sitzungen nicht erschienen.
({7})
Als wir uns dann ohne ihn an die Arbeit machen mußten, hatten wir das Vergnügen, ihn in einer dritten Sitzung unter uns zu sehen. Wir haben ihn dann gefragt, was er denn von den Behauptungen,
({8})
die er ja aufgestellt hatte, im einzelnen zur Untersuchung beisteuern könne. Erst in der vierten Sitzung war es so weit, daß wir uns über die von ihm aufgestellten Behauptungen im einzelnen bezüglich der zu untersuchenden Komplexe mit ihm verständigen konnten. Ich stelle fest, daß jeder einzelne der Fälle, die er behauptet hat, Gegenstand der Untersuchung gewesen ist. Sie ersehen das im einzelnen aus mehreren Nummern, die auf den Seiten 5 ff. des Berichts aufgeführt werden.
Herr Baumgartner hat zunächst den Antrag gestellt, der Untersuchungsausschuß solle sich eine vollständige Liste über alle durchgeführten Einfuhren besorgen. Er hat also offenbar die Idee gehabt, es sei irgendeinem Ausschuß möglich, alle durchgeführten Einfuhren zu untersuchen.
({9})
Er ist der einzige gewesen, der solche Vorstellungen hatte. Alle anderen haben übereinstimmend diesen Vorschlag für völlig unsinnig gehalten und haben ihn abgelehnt.
({10})
In Wahrheit hätte nämlich ein solcher Vorschlag,
hätten wir ihn angenommen, eine endlose Verschleppung der Arbeiten des Ausschusses bedeutet.
({11})
Herr Baumgartner hat ja hier den Eindruck erweckt, als verfüge er über ganz bestimmte Unterlagen, über sehr konkrete Unterlagen. Er hat Einrichtungen und Personen mit Namen genannt und sie nicht unerheblicher Dinge beschuldigt.
Jeden einzelnen der von ihm angesprochenen Fälle hat der Untersuchungsausschuß vorgenommen. Sie finden die Einzelheiten auf den Seiten, die ich Ihnen eben zitiert habe. Selbstverständlich ist im Untersuchungsausschuß immer wieder festgestellt worden, daß das System, das sich aber weder die Außenhandelsstelle noch irgendein Ministerium oder sonstwer ausgesucht hat, einfach die zwangsweise Folge der Tatsache war, daß es damals die JEIA gab und alle diese Bevormundungen des deutschen Außenhandels, die wir ja kennen. Diese Tatsache ist in aller Schärfe angesprochen worden, und eine Reihe von Unzuträglichkeiten, von Dingen, die im normalen Geschäft absolut nicht üblich sind, die sich aber aus dem System ergeben, sind mit aller Deutlichkeit und sehr ausführlich angesprochen worden.
Der Ausschuß hat es deswegen auch für seine Pflicht gehalten an dem System Kritik zu üben und nicht etwa nur festzustellen: wir haben untersucht, haben aber nichts finden können. Vielleicht ist der Herr Kollege Baumgartner . gelegentlich so freundlich und betrachtet auch einmal diesen Teil der Arbeiten des Ausschusses.
({12})
Herr Baumgartner hat hier aus den Protokollen einzelne Sätze zitiert, die ganz offenbar den Eindruck erwecken sollen, als seien diese Sätze das Resultat der Untersuchung.
({13})
Da ist jemand gekommen und hat gesagt: „Ich
habe morgens eine Offerte abgegeben und habe
mir im Laufe des Vormittags das Geschäft noch
einmal überlegt; als ich die Offerte noch einmal
zurückgeholt habe, um sie mit einem neuen Preis
wieder einzureichen, da war sie geöffnet; und der
Termin der Ausschreibung war noch nicht abgelaufen". Es war eine Kleinigkeit, festzustellen, daß nicht nur diese Offerte, sondern alle Offerten geöffnet waren, soweit sie überhaupt verschlossen eingereicht waren. Denn in dem System, das in diesem Fall zur Anwendung kam, war es überhaupt überflüssig, irgendeine Offerte verschlossen einzureichen, weil es um ganz andere Dinge ging als um den billigsten Preis.
Hier war von der Unterschrift die Rede, die der verantwortliche Abteilungsleiter nicht geben wollte, die - so war es wohl - auch eine Sekretärin nicht geben wollte und die dann irgendein Herr aus einer statistischen Abteilung, den der Herr Fleischberger dazu sozusagen gezwungen hat, erteilt hat. Die Damen und Herren, die an der ausführlichen Untersuchung dieses Komplexes teilgenommen haben, wissen, daß auch dieser Komplex - unter Anwesenheit aller Beteiligten - absolut aufgeklärt worden ist.
({14})
- Das können Sie ja im Stenogramm nachlesen. Sie sind ja nie dabeigewesen, wenn wir anderen uns die Mühe gemacht haben, in Rede und Gegenrede festzustellen, was wahr ist.
({15})
Dann hat sich herausgestellt, daß von niemandem, auch von dem Herrn, der angeblich zunächst die Unterschrift nicht hat leisten wollen, die Rechtmäßigkeit dieser Unterschrift oder die korrekte Abwicklung dieses speziellen Geschäfts bestritten worden ist.
Warum haben Sie nicht die anderen Dinge vorgelesen, Herr Kollege Baumgartner, wo Sie z. B. behauptet haben, da sei ein Mann, der etwas wisse und der, weil er etwas wisse, entlassen worden sei? Sie hätten im Ausschuß erleben sollen, wie überrascht der Mann war, der erst im Ausschuß plötzlich erfuhr, zu welchem Zweck er hier als Zeuge geladen war. Er dachte nicht daran, entlassen zu sein. Er war nach wie vor im Dienste der Verwaltung
({16})
und nach seiner eigenen Angabe keineswegs in einer untergeordneten Stellung. Er bestritt in vollem Umfange, irgend etwas von den Dingen zu wissen, die Sie ihm zu wissen unterstellt haben.
Herr Baumgartner, ich glaube nicht, daß es im Interesse des Hauses ist, wenn ich hier etwa in der gleichen Weise verfahre wie Sie und alle diese Dinge heraushole.
({17})
- Jawohl, Ihnen sind Vorwürfe gemacht worden,
({18})
und ich stehe nicht an, zu sagen, daß die Vorwürfe, die Ihnen hier in diesem Bericht gemacht werden, in vollem Umfange zu Recht gemacht werden.
(Hört! ({19})
Sie haben hier Behauptungen aufgestellt, die in keinemeinzelnen Fall zu erweisen waren, Herr Baumgartner.
({20})
Sie sind in jedem Falle den Beweis schuldig geblieben, und als die Sache zu komisch wurde, als von ihren Zeugen einer nach dem anderen versagte,
({21})
({22})
haben Sie das Lokal unter Protest verlassen. Das war vielleicht das Gescheiteste, was Sie tun konnten.
Herr Kollege Baumgartner, alle Mitglieder des Ausschusses wissen, daß wir Aktenberge von der Verwaltung hierhergeholt und unter uns verteilt haben, daß die Abgeordneten diese Berge von Akten, worin jedes einzelne Verfahren behandelt worden ist, durchgesehen haben. Wir haben uns nicht auf die Bürokratie verlassen. Wie können Sie uns unterstellen, daß wir uns auf die Bürokratie verlassen haben?
Herr Baumgartner, ich glaube, die Entrüstung wäre wesentlich größer, wenn in diesem Bericht auch noch die Kosten aufgeführt worden wären, die dadurch entstanden sind, daß Sie hier Tatsachen angeprangert haben - oder so getan haben, als wollten Sie sie anprangern -, die keiner Nachprüfung standgehalten haben.
({23})
Mit aller Energie möchte ich mich gegen den Vorwurf verwahren, der Ausschuß habe sich sein Geschäft leicht gemacht, er habe darauf verzichtet, irgend jemand zu hören, der eine sachdienliche Auskunft hätte geben können. Wir haben uns keineswegs
({24})
- Herr Baumgartner, jetzt spreche ich einmal - mit den Erklärungen der Verwaltung begnügt. Wir haben die Herren in recht unangenehme Verlegenheiten gebracht, indem wir sie in jedem Falle gegenübergestellt haben. Wir haben die einen wie die anderen herausgeschickt und sie konfrontiert. Wir haben alles getan, um jeden Widerspruch aufzuklären.
({25})
- Herr Baumgartner muß es wissen; denn er ist der einzige Abgeordnete von denen, die den Auftrag hatten, andieser Arbeit teilzunehmen, der diesen Auftrag nicht erfüllt hat.
({26})
-Herr Baumgartner, ich kann mir vollkommen
vorstellen, wie unangenehm es für Sie ist, daß das
Ergebnis so dürftig war. Sie wollten gern der
Landwirtschaft nachweisen, daß hier die Verwaltung ruinöse Einfuhren gemacht hat. Das ist Ihnen
nicht gelungen. Sie wollten wenigstens nachweisen,
daß diese Verwaltungsbeamten korrupt sind und
daß in der Wirtschaft alles drunter und drüber
geht. Das ist Ihnen auch nicht gelungen. Sie sind
einfach das Opfer derjenigen, die geglaubt haben,
Sie wären der richtige Mann, mit der nötigen Lautstärke diese Dinge hier voranzutragen. Die einzigen in diesem Hause, die an der Geschichte Spaß
haben, sind offenbar die Herren von ganz links.
Und denen ist ja ein kleiner Spaß auch gegönnt.
({27})
Meine Damen und Herren! Ich hoffe, daß nicht jeder Bericht eines Untersuchungsausschusses zu solchen Auseinandersetzungen Anlaß geben wird. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß ich es für richtig gehalten habe, diesen Bericht in diesem Umfang zuzulassen, damit nicht der Eindruck entsteht - was in der Öffentlichkeit gelegentlich der Fall ist -, als ob dieses Haus mit der Arbeit seiner Untersuchungsausschüsse die Absicht hätte,irgend etwas
zu vertuschen oder nicht aufzuklären.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Horlacher.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist im Leben oft merkwürdig eingerichtet. Mein alter Freund Baumgartner hat heute einen schwarzen Tag,
({0})
und das ist das letzte Stück des schwarzen Tages.
({1})
Als alter Freund muß ich ihm sagen: wenn ich eine Sache ins Rollen bringe, habe ich die Aufgabe, mitzuarbeiten,
({2})
und zwar bis zum letzten Augenblick, von Anfang an, oder, wie . man in Bayern sagt - ich glaube, da Bayern sehr gut zu vertreten -: wenn einer Dreck ins Haus wirft, ist er auch verpflichtet, den Dreck selber mit wegzuräumen. Der Herr Baumgartner hat sich um die Aufräumungsarbeiten verflucht wenig gekümmert,
({3})
und es oblag den Mitgliedern des Ausschusses, das zu tun.
Ich glaube, es ist hier selten ein so mustergültiger Bericht vorgelegt worden wie dieser, der unter Aufzählung der einzelnen Fälle genau nachweist, wie alles erledigt worden ist. Aber es entfällt auch ein Stück der Verantwortung auf den Abgeordneten, nicht gleich eine große parlamentarische Maschine in Gang zu setzen, die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu veranlassen, wenn hier Beschwerden an Mitglieder des Hauses in einzelnen Fällen vorgebracht worden sind. Gewiß ist es das gute Recht des Abgeordneten; aber die einzelnen Beschwerden können noch lange nicht Veranlassung geben, in aller Form einen Untersuchungsausschuß ins Leben zu rufen, der ungeheure Kosten verursacht. Und, Herr Abgeordneter Baumgartner, eines sage ich Ihnen noch: wenn man einen Untersuchungsausschuß einrichtet, um in seinem eigenen Hause nachzusehen, dann muß man daran denken, daß, wenn ich mit dem Finger auf einen anderen zeige und die Hand herumdrehe, drei Finger auf mich selber zurückweisen.
({4})
Das stammt nicht von mir - so überheblich bin ich
gar nicht -, sondern das stammt von einer internationalen Vereinigung, deren Hauptmerkmal und
bestandteil unter anderem die Ehrlichkeit ist.
Man soll immer sehr vorsichtig mit Vorwürfen
gegen andere sein, solange man nicht gewißt ist,
({5})
daß sonst alles in Ordnung ist. - Das hat mit
Mehrheit gar nichts zu tun. Wir müssen als Abgeordnete insofern gewissenhaft verfahren, als wir
bei allen Beschwerden, die herangetragen werden,
immer genau überlegen müssen, welche besonderen
Interessen da vorliegen, ob etwa das Interesse des
({6})
einen gegen einen anderen steht. ' Das zu untersuchen und den Tatbestand festzustellen, ist die Pflicht des Abgeordneten.
Ich glaube, der Ausschuß hat in seinen abschließenden Feststellungen das genau geschildert, worauf es ankommt. Der Abgeordnete soll nicht gleich eine Maschine in Bewegung setzen, wenn er nicht weiß, ob sich die Sache auch rentiert; er soll sich von vornherein sagen: es muß auch die Kosten dafür lohnen.
Zum Schluß sage ich Ihnen noch - ich will mich mit Einzelheiten nicht aufhalten -: ich habe deswegen das Wort ergriffen, damit das Hohe Haus sieht, daß zwischen Bayern und Bayern ein Unterschied besteht, und Wir von der CDU/CSU nehmen für uns in Anspruch, daß wir dendeutschen und bayerischen Standpunkt zu vertreten in der Lage sind.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Strauß.
({0})
Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Dr. Baumgartner hat im Jahre 1947 ein Riesenglück gehabt, daß er damals Direktor für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Frankfurt geworden ist; denn ursprünglich bestand ja wohl einmal, Herr Kollege Baumgartner, dieser Plan. Dann wäre das Ergebnis dieses Untersuchungsausschusses für ihn doch denkbar angenehm, so unangenehm es sich jetzt für ihn erweist.
Es handelt sich hier aber um etwas anderes, Herr Kollege Dr. Baumgartner. Nach den Ausführungen der Vorredner bleibt nur noch eines festzustellen: Die gleichen Vorwürfe, die gleichen Verdächtigungen, die gleichen Behauptungen, die Sie in der 34. Sitzung des Bundestages und in den Sitzungen dieses 'Untersuchungsausschusses erhoben haben, haben Sie auch zum Inhalt Ihrer Wahlreden gemacht und mit nachweisbar unwahren Dingen ein parteipolitisches Geschäft bei den letzten Wahlkämpfen in Bayern getrieben.
({0})
Sie werden nicht bestreiten, daß Sie mit den Vorwürfen gegen Frankfurt und gegen Bonn, hauptsächlich im Zusammenhang mit der angeblichen Benachteiligung Bayerns, ein ungerechtes Bild über unsere Arbeit entworfen und damit für sich einen kleinen, niedrigen Profit haben herausschlagen wollen.
({1})
Herr Kollege Dr. Baumgartner, Sie haben sich in jüngster Zeit den Titel Professor erworben. Es wäre Ihre Aufgabe, wenn Sie einen Lehrauftrag für Agrarpolitik haben, gerade auf diesem Gebiete in Lehre, Forschung u n d Politik der objektiven Wahrheit und nicht dem subjektiven Parteiprofit zu dienen.
({2})
Soll ich Sie daran erinnern, daß Sie bei den Bundestagswahlen in dem gleichen Sachzusammenhang,
in dem heute dieser Untersuchungsausschuß sein
Ende gefunden hat, folgendes behauptet haben:
Von den gesamten Ausfuhren der Bizone im Jahre
1948 hat Bayern allein einen Anteil von 51 % bestritten, während es an Importen nur 10 % erhalten hat?
({3})
- Das kann ich Ihnen schwarz auf weiß geben. Sie haben es in unserer Korrespondenz nie bestritten. Damals habe ich gesagt: Ein Hochschullehren soll das, was er wirklich glaubt, auch in der Öffentlichkeit sagen, und wenn er das glaubt, was er in diesem Falle gesagt hat, soll er abtreten.
({4})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Lange. 12 Minuten, Herr Abgeordneter.
Meine Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, ein Beispiel dafür zu geben, daß es in diesem Zusammenhang nicht unbedingt notwendig ist, die gesamte, den Parteien zur Verfügung stehende Redezeit auszunutzen. Ich kann auch in diesem Zusammenhang keinen Beitrag zu der innerbayerischen Auseinandersetzung leisten.
({0})
- Schön, ich akzeptiere all das, was sachlich von den Kollegen Strauß und Horlacher hier vorgebracht worden ist. Ich habe aber den Eindruck, daß Kollege Baumgartner heute versucht hat, nachträglich anzubringen, was er im Untersuchungsausschuß nicht losgeworden ist. Weiter habe ich den Eindruck, daß er hier noch einmal dasselbe gesagt hat wie in der 34. Sitzung, als ob sich überhaupt kein Untersuchungsausschuß mit diesen Dingen befaßt hätte und als ob überhaupt kein Untersuchungsergebnis in sehr spezifizierter Form zustande gekommen wäre. Ich glaube, Kollege Baumgartner hat sich den Bericht, der uns hier vorliegt, nicht sehr genau angesehen. Ich habe als Sprecher meiner Fraktion dem, was der Berichterstatter vorgetragen hat, sachlich nichts hinzuzufügen. Wir stimmen diesem Bericht zu.
Aber ich kann nicht umhin, eine Bemerkung zu machen, die in derselben Richtung liegt wie die Bemerkungen der Kollegen Strauß und Horlacher. Und da verweise ich mit aller Entschiedenheit, Herr Kollege Baumgartner, auf Abschnitt 4 Punkt 6 dieses Berichtes. Auch ich glaube, daß das, was Sie uns heute hier gezeigt haben, nicht von sehr großem Verantwortungsbewußtsein gezeugt hat. Wenn sich alles so abgespielt hat, wie es die Kollegen Horlacher und Strauß vorgetragen haben, dann, Herr Kollege Baumgartner, trifft das, was unter Punkt 6 Abschnitt 4 gesagt ist, erst recht zu, daß Sie nämlich mehr als leichtfertig einen Untersuchungsausschuß in Gang gebracht haben, ohne sich darum zu kümmern, wieweit Ihre Zeugen wirklich in der Lage waren, für die von Ihnen aufgestellten Behauptungen geradezustehen.
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- Sie geben doch zu, daß das nicht der Auftrag dieses Ausschusses war, Kollege Baumgartner. Damit wäre doch nur das erreicht worden, was auch Kollege Kriedemann hier zum Ausdruck brachte, nämlich eine endlose Verschleppung und vermutlich nie eine Klärung der von Ihnen konkret erhobenen, allerdings nicht bewiesenen und wahrscheinlich auch nicht beweisbaren Vorwürfe.
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- Nein, das war nicht der Auftrag, sondern der Auftrag des Ausschusses war der, das, was Sie an konkreten Vorwürfen hier zum Ausdruck gebracht haben, zu untersuchen, und das ist auch in diesem Ausschuß so behandelt und im Bericht als Untersuchungsergebnis niedergelegt worden. Sie sollten doch nicht die Sitzung, in der der mündliche Bericht dieses Ausschusses vorgetragen wird, dazu benutzen, so zu tun, als ob in dieser Angelegenheit nichts geschehen wäre! Man kann doch wirklich sagen, daß die Dinge so geklärt sind, wie zu klären notwendig war.
Außerdem ist noch einmal festzustellen, daß man sich als Abgeordneter in etwas verantwortungsbewußterer Weise um die Dinge kümmern soll, die einem von außen zugetragen werden. Man soll so verfahren, wie es Kollege Kriedemann dargelegt hat, nämlich sich zuerst einmal mit den zuständigen Behörden in Verbindung setzen, um festzustellen, was daran ist. Wenn man dann keine befriedigende Auskunft von dieser Behörde bekommt oder eine Auskunft, die darauf schließen läßt, daß irgend etwas an der Sache faul ist, dann erst hätte man Veranlassung, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen. Das ist die Auffassung, die ich auch im Namen meiner Fraktion zum Ausdruck bringen möchte.
Wir stimmen dem Bericht des Untersuchungsausschusses so, wie er uns vorliegt, zu. Der Außenhandelsstelle bleibt, wie aus dem dritten Teil hervorgeht, nur eine Aufgabe: sich die Kritik an den angewandten Importverfahren, an den Offertsystemen, zu Gemüte zu führen und Mittel und Wege zu finden, die zur Abstellung gewisser Klagen führen, die zu diesem Importverfahren geäußert worden sind. Ich glaube, in diesem Zusammenhang sollte man keine weiteren Schlußfolgerungen aus diesem Bericht ziehen und nicht so tun, als ob in der Zwischenzeit der Untersuchungsausschuß nicht gearbeitet hätte.
Ich bitte also für alle Zukunft, Kollege Baumgartner, nicht zu versuchen, mit bloßem Stimmaufwand das auszugleichen, was in Ihren Darlegungen an materieller Substanz fehlt.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache Nr. 1596, dem vom Untersuchungsausschuß vorgelegten Abschlußbericht zuzustimmen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag zuzustimmen wünschen, ihre Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Gegen wenige Stimmen angenommen.
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- Stimmenthaltungen? - Einer: Herr Abgeordneter Renner.
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Ich rufe den letzten Punkt der Tagesordnung auf:
Interfraktioneller Antrag betreffend Über-Weisung von Anträgen an die Ausschüsse ({2}).
Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. - Das ist angenommen. Die Anträge sind überwiesen.
Meine Damen und Herren, ich bitte noch für einen Augenblick um Gehör. Der Jugendfürsorgeausschuß soll sofort nach dem Plenum zusammentreten. Außerdem bitte ich die Damen und Herren, die Unterlagen zu den heute abgesetzten Punkten Drucksachen Nr. 1680 und 1588 - Mineralölgesetz - in ihren Pulten zu belassen, da sie aus technischen Gründen morgen nicht noch einmal ausgelegt werden können.
Wir sind am Schluß der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Donnerstag, den 14. Dezember 1950, 9 Uhr 30 Minuten.
Ich schließe die 106. Sitzung des Deutschen Bundestags.