Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/23/1976

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Die Sitzung ist eröffnet. Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen: Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat mit Schreiben vom 19. Januar 1976 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Burger, Maucher, Braun, Geisenhofer, Frau Pieser, Pfeffermann, Weber ({0}), Frau Hürland, Milz, Lenzer, Zink, Dr. Jenninger und Genossen betr. wachsende Sorge um schwerbehinderte Arbeitnehmer - Drucksache 7/4538 - beantwortet. Sein Skireiben wird als Drucksache 7/4608 verteilt. Der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 13. Januar 1976 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgenden, bereits verkündeten Vorlagen keine Bedenken erhoben hat: Verordnung ({1}) des Rates über den Pauschbetrag für nicht raffiniertes Olivenöl, das vollständig in Griechenland erzeugt wurde und aus diesem Land unmittelbar in die Gemeinschaft befördert wird ({2}) Verordnung ({3}) des Rates zur Festsetzung der monatlichen Zuschläge zum Marktrichtpreis, zum Interventionspreis und zum Schwellenpreis für Olivenöl für das Wirtschaftsjahr ({4}) Verordnung ({5}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({6}) Nr. 226/73 hinsichtlich des bei der Einfuhr von Butter und Käse aus Neuseeland in das Vereinigte Königreich einzuhaltenden cif-Preises ({7}) Verordnung ({8}) des Rates zur Festsetzung der Auslösungspreise für Tafelwein für die Zeit vom 16. Dezember 1975 bis 15. Dezember 1976 ({9}) Verordnung ({10}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({11}) Nr. 1411/71 hinsichtlich des Fettgehalts von Vollmilch ({12}) Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 14. Januar 1976 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgenden, bereits verkündeten Vorlagen keine Bedenken erhoben hat: Entschließung des Rates betreffend die Festlegung eines kurzfristigen Zieles im Bereich des Energieeinsparens 1976-1977 ({13}) Verordnung des Rates über die in der Gemeinschaft in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung geltende Zollbehandlung bei der Einfuhr bestimmter Waren aus den neuen Mitgliedstaaten ({14}) Verordnung ({15}) des Rates zur zeitweiligen Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für einige landwirtschaftliche Waren ({16}) Verordnung des Rates zur zeitweiligen und vollständigen Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für Pinene der Tarifstelle ex 29.01 C I zur zeitweiligen und vollständigen Aussetzung des autonomen Zollsatzes des Gemeinsamen Zolltarifs für gebrannten Bauxit ({17}) der Tarifstelle ex 38.19 T ({18}) Verordnung ({19}) des Rates zur Verlängerung der Verordnung ({20}) Nr. 346/75 über die Einfuhr bestimmter Fischereierzeugnisse mit Ursprung in Tunesien in die Gemeinschaft zur Verlängerung der Verordnung ({21}) Nr. 347/75 über die Einfuhr bestimmter Fischereierzeugnisse mit Ursprung in Marokko in die Gemeinschaft ({22}) Verordnung ({23}) des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Waren der Tarifstelle 22.09 C I des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in den mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft assoziierten überseeischen Ländern und Gebieten ({24}) Verordnung des Rates zur Verlängerung der Verordnung ({25}) Nr. 2107/75 zur Verlängerung der von der Gemeinschaft für den Warenverkehr mit Tunesien angewandten Regelung zur Verlängerung der Verordnung ({26}) Nr. 2108/75 zur Verlängerung der von der Gemeinschaft für den Warenverkehr mit Marokko angewandten Regelung ({27}) Verordnung ({28}) des Rates zur zeitweiligen Aussetzung von autonomen Zollsätzen des Gemeinsamen Zolltarifs für eine Reihe von industriellen Waren sowie den Vorschlag einer Verordnung ({29}) des Rates zur zeitweiligen und vollständigen Aussetzung der in der Gemeinschaft in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung anwendbaren Zollsätze für die Einfuhr von einigen chemischen Erzeugnissen aus den neuen Mitgliedstaaten ({30}) Verordnung ({31}) des Rates über den Nachweis des Warenursprungs, der zur Anwendung der Verordnung ({32}) Nr. 1598/75 und der Verordnung ({33}) Nr. 1957/75 gefordert wird ({34}) Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 22. Januar 1976 im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lenzer, Pfeffermann, Benz, Engelsberger, Dr. Franz, Dr. Köhler ({35}), Roser, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz und der Fraktion der CDU/CSU betr. Vergabe von Gutachten und Studien durch die Bundesregierung ({36}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/4623 verteilt. Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 22. Januar 1976 die Stellungnahme des Bundesrates und die Gegenäußerungen der Bundesregierung hierzu zum Haushaltsgesetz 1976 und zum Finanzplan des Bundes 1975 bis 1979 übersandt. Seine Schreiben werden als Drucksachen 7/4629 und 7/4630 verteilt. Überweisung von Zollvorlagen Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Aufhebbare verkündete Zweiundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - ({37}) überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig dem Plenum am 13. Mai 1976 Überweisung von EG-Vorlagen Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend das Inverkehrbringen von Ammoniumnitrat-Einnährungsstoffdüngemittel ({38}) Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung ({39}) des Rates über das System zur Stabilisierung der Erlöse aus der Ausfuhr bestimmter Rohstoffe zugunsten der AKP-Staaten und der mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft assoziierten überseeischen Länder und Gebiete ({40}) überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung ({41}) des Rates zur teilweisen und zeitweiligen Aussetzung des Gemeinsamen Zolltarifs für Asparagus plumosus Schnittgrün der Tarifstelle ex 06.04 B I zur zeitweiligen, vollständigen Aussetzung der in der Gemeinschaft in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung geltenden Zollsätze für die Einfuhr von Asparagus plumosus Schnittgrün der Tarifstelle ex 06.04 B I aus den neuen Mitgliedstaaten ({42}) überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung ({43}) des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Kolophonium, einschließlich „Brais résineux" der Tarifstelle 38.08 A, mit Ursprung in Osterreich, Finnland, Island, Norwegen, Portugal, Schweden und der Schweiz ({44}) überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gegestzes zum Schutze der arbeitenden Jugend ({45}) - Drucksache 7/2305 - aa) Bericht des Haushaltsausschusses ({46}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 7/4578 - Berichterstatter: Abgeordneter Krampe bb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({47}) - Drucksache 7/4544 Berichterstatter: Abgeordneter Urbaniak ({48}) b) Zweite Beratung des von den Abgeordneten Rollmann, Braun, Orgaß, Franke ({49}), Kroll-Schlüter, Frau Stommel, Josten, Nordlohne, Müller ({50}) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Gesetzes zum Schutze der arbeitenden Jugend ({51}) - Drucksache 7/615 Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({52}) - Drucksache 7/4544 Berichterstatter: Abgeordneter Urbaniak ({53}) Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Urbaniak wünscht eine Ergänzung des schriftlich vorgelegten Berichts. - Bitte!

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 26. September 1974 hat dieses Haus den Regierungsentwurf eines Gesetzes zum Schutze der arbeitenden Jugend an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - federführend - und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, den Innenausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie den Haushaltsausschuß zur Mitberatung überwiesen. Nach weniger als 16 Monaten liegt Ihnen jetzt die entsprechende Drucksache und der Schriftliche Bericht des federführenden Ausschusses vor. Er empfiehlt Ihnen, die nunmehr vorliegende Fassung anzunehmen. Der Regierungsentwurf eines neuen Jugendarbeitsschutzgesetzes ist in den Ausschüssen eingehend beraten worden. Er ist im Verlauf der Beratung in mehrfacher Hinsicht umgestaltet und erweitert worden, um ihn noch lebensnäher und praktikabler zu machen. Bei diesen Beratungen spielten die Stellungnahme des Bundesrates, Anregungen aus einer Anhörung von Sachverständigen und Vorstellungen und Initiativen der Fraktionen eine wichtige Rolle. Trotz zahlreicher Änderungen sind die Grundvorstellungen des Regierungsentwurfes von allen Fraktionen begrüßt worden. Ich nenne hierbei nur: Heraufsetzung des Mindestalters für die Beschäftigung auf 15 Jahre, Einführung der 40-Stunden- und 5Tage-Woche, Verbesserung der Freistellung an Berufsschultagen, Ausdehnung der Nachtruhe, Verlängerung des Urlaubs, Verbesserung des Gesundheits- und Gefahrenschutzes. Auch in zahlreichen anderen Punkten hat der Ausschuß einstimmig votiert. Bei unterschiedlichen Stimmenverhältnissen in den Abstimmungen über einzelne Vorschriften hat der Ausschuß in der Schlußabstimmung die vorliegende Fassung dem Plenum einmütig zur Annahme empfohlen. Damit hat er zugleich deutlich gemacht, daß er in dem Gesetz eine wesentliche Verbesserung des Schutzes der arbeitenden Jugend und einen wichtigen Beitrag zur Humanisierung des Arbeitslebens sieht. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den vorliegenden Schriftlichen Bericht. Lassen Sie mich noch einige Schwerpunkte nennen. Von besonderer Bedeutung war in den Ausschußberatungen die Frage der Altersbegrenzung für die Beschäftigung junger Menschen. Sie hatte auch in der öffentlichen Diskussion und in der Sachverständigenanhörung vor allem wegen des Austragens von Zeitungen und Zeitschriften einen breiten Raum eingenommen. Der Ausschuß hat sich um eine Lösung im Rahmen des Übereinkommens 138 der Internationalen Arbeitskonferenz und der Europäischen Sozialcharta bemüht und eine eng begrenzte Ausnahme für Kinder über 13 Jahre vorgesehen. Neben dem Arbeitsschutz spielte die Ausbildung der Jugendlichen eine wichtige Rolle. Auf der einen Seite hat sich der Ausschuß bemüht, den Schutz der Jugendlichen soweit wie möglich zu verbessern; auf der anderen Seite hat er wenige Ausnahmen dort vorgesehen, wo sie die Berufsbildung fordert. So hat er eine Beschäftigung auch in den frühen Morgenstunden, am späten Abend und am Wochenende zugelassen und weitere Ausnahmemöglichkeiten in Form einer Ordnungsermächtigung vorgesehen. Aus dem gleichen Grund wurde für das schon im Regierungsentwurf enthaltene Verbot der Beschäftigung Jugendlicher in Akkordgruppen Erwachsener eine Ausnahme zu Ausbildungszwecken und nach abgeschlossener Berufsausbildung vorgesehen. Allerdings wird durch diese Ausnahme eine Akkordarbeit irgendwelcher Art für die Jugendlichen nicht erlaubt. Die Beschäftigung in derartigen Bereichen ist zudem mit der Auflage versehen, daß der Schutz der Jugendlichen vor Akkordarbeit, tempoabhängigen Arbeiten und Fließarbeiten durch die Aufsicht eines Fachkundigen bzw. eines Ausbilders gewährleistet sein muß. An diesem Punkt hat sich der Ausschuß besonders mit der Situation der Ausbildungsplätze und Fragen der Jugendarbeitslosigkeit beschäftigt. Auf Seite 23 des Ausschußberichts - Drucksache 7/4544 - ist bei den Beschlüssen des 11. Ausschusses in § 25 Abs. 1 Nr. 3 hinter der Klammer aus der entsprechenden Vorschrift des Regierungsentwurfs die dort hinter der Klammer angefügte Passage „§§ 170d, 174 bis 184b, 223b des Strafgesetzbuches" anzufügen. Mit dem Gesetzentwurf zusammen legt der Ausschuß dem Hause eine Entschließung vor. In ihr wird die Bundesregierung aufgefordert, dem Deutschen Bundestag bis zum 30. April 1979 darüber zu berichten, wie sich die Neuregelung des Verbots der Beschäftigung von Kindern in den §§ 5 und 6 des Gesetzes in der Praxis bewährt hat. Auch dafür bittet der Ausschuß um Ihre Zustimmung. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Ich danke dem Herrn Berichterstatter und auch dem Herrn Abgeordneten Krampe für den vorgelegten Bericht. Ich schlage vor, daß wir zunächst die zweite Lesung durchführen und zu Beginn der dritten Beratung in die Aussprache eintreten. Ich rufe auf die §§ 1 bis 66, 66 a, 66b, 67, 67 a, 68, 69, Einleitung und Überschrift. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Zeichen. - Ich danke Ihnen. Wir treten in die dritte Beratung ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Blüm.

Dr. Norbert Blüm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000204, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gesetze werden nicht für die Ewigkeit gemacht, sondern sind Antworten auf die Anforderungen unserer Zeit. Doch die Zeit steht nicht still, und so müssen auch Gesetze weiterentwickelt werden. Mit den Bestimmungen über den Jugendarbeitsschutz, die wir heute verabschieden, bauen wir auf das Jugendarbeitsschutzgesetz von 1960 auf. Jedes Pathos einer Neuschöpfung ist also fehl am Platze. Dieses Gesetz legt viel eher Zeugnis ab für die Kärrnerarbeit des Parlaments. Ich sage dies, um vor der Versuchung sozialliberaler Kraftmeierei zu warnen, als sei wieder einmal in der Bundesrepublik Niedagewesenes aus dem Boden gestampft worden oder als sei das Vorhergehende ein stümperhaftes Anfängerstück gewesen gegenüber dem „vollendeten Meisterwerk", das jetzt geschaffen ist. Das Bekenntnis zur Weiterentwicklung mindert ja nicht die Bedeutung des jetzt Erreichten. Es ist klug, aus Erfahrung zu lernen und auf neue Fragen neue Antworten zu geben. Wir sind heute bei der Verabschiedung dieses Gesetzes ein Stück auf dem Wege zur Humanisierung der Arbeitswelt vorwärtsgekommen. Die Tatsache, daß dieses Gesetz die Zustimmung aller Fraktionen dieses Hauses findet, widerlegt auch die Wunschvorstellung, als sei dieses Haus so aufzuteilen: auf der einen Seite sitzt der Motor des Fortschritts und auf der anderen Seite die Bremse der Reaktion, ({0}) oder als seien die einen - um „Brandt-aktuell" zu bleiben - ein Sicherheitsrisiko und die anderen ein Garant der Stabilität. ({1}) Was hier zur Abstimmung steht, meine Damen und Herren, unterscheidet sich sowohl von dem, was die CDU/CSU ursprünglich eingebracht hat, wie von dem Gesetzentwurf, den die Regierung ein Jahr später nachgereicht hat. Wenn wir in dem jetzigen Gesetz auch nicht in allen Einzelheiten die bestmögliche Regelung sehen, so wollen wir dennoch anerkennen, daß die Mehrheit des Hauses sich uns in wichtigen Positionen angenähert oder unsere Positionen sogar übernommen hat. ({2}) Ebenso gern gebe ich zu, daß auch wir für die Argumente der Gegenseite offen waren. Insofern hat sich der Ausschuß für Arbeit in der Tat als ein arbeitsfähiger Ausschuß erwiesen. Es geht ja auch nicht darum, Recht zu behalten, sondern es geht darum, das Beste zum Schutz der arbeitenden Jugend Gesetz werden zu lassen. Ich glaube auch nicht, daß die Wähler übermäßig daran interessiert sind zu wissen, ob das zweite Wort im dritten Satz eines vierten Absatzes hinter dem fünften Komma ein CDU-Wort oder ein SPD/FDP-Wort ist. - Das letzte ist ja meistens dasselbe. ({3}) Überhaupt bedauere ich es, daß diejenigen, die die liberale Eigenständigkeit, die Individualität auf ihre Fahne geschrieben haben, sich offenbar außerstande sehen, in den parlamentarischen Beratungen auch nur einmal - und sei es nur in nebensächlichen Fragen - anders abzustimmen als ihr Koalitionspartner. ({4}) Für die parlamentarische Beratung stellt sich das Ganze als ein Großunternehmen dar: die SPD als die Muttergesellschaft und die FDP als die Zweigniederlassung. ({5}) - Wir wollen nicht im einzelnen ausführen, wer Zulieferant und wer Hauptproduzent ist. Meine Damen und Herren, in der Zielsetzung des Gesetzes - Verbesserung des Gesundheits- und Gefahrenschutzes, Verbesserung der Durchführung und der Wirksamkeit des Jugendarbeitsschutzes, Fünftagewoche, Vierzigstundenwoche - stimmen wir alle überein, wiewohl wir in der Methode nicht immer und nicht in allen Fragen einer Meinung sind. Wir haben und hatten nicht den Ehrgeiz, mit Ihnen in einen Wettbewerb um gesetzgeberischen Perfektionismus einzutreten. Ich gestehe, daß wir nicht nur den Ehrgeiz nicht haben, sondern auch nicht die Chance, Sie in diesem Perfektionismus zu übertreffen. Das Leben, die Praxis, ist meistens komplizierter, als es sich die perfektesten Komplikateure vorstellen können. Allzu spitz sticht nicht, und allzu scharf schneidet nicht. Auf diese Gesetzgebung übertragen, heißt das: Wer allzu detailliert Gesetzgebung vornimmt, schafft keine Regelung, an die die Detailfetischisten nicht gedacht haben. ({6}) Das Leben schafft immer einen Fall mehr, als die Katalogisierer sich ausdenken können. Deswegen schaffen die gesetzgeberischen Perfektionisten die Schlupflöcher der Gesetzgebung, nicht diejenigen, die die Balance zwischen einer möglichst umfassenden Allgemeinregelung und konkreten Kriterien, die sie für notwendig halten, halten wollen. Die Perfektionisten gefährden das Ansehen der Gesetzgebung noch auf eine andere Weise: Die Inflation von Einzelregelungen hat zur Folge, daß man zumindest in der Gefahr steht, vor lauter Paragraphenbäumen den Wald der Gesetzesabsicht nicht mehr zu erkennen. Wenn aber ein Gesetz bei denen, die es betreffen soll, nicht mehr ankommt, hat es sich, um den Wert gebracht, ist es nur von papiernem Wert. Das ist für den Jugendarbeitsschutz zu wenig. ({7}) Deshalb, meine Damen und Herren, wollten wir von der CDU/CSU bei der Regelung der Fünftagewoche, der Samstags-, Sonntags- und Feiertagsruhe mit einer Generalklausel arbeiten, die lebensnah genug ist und dennoch nicht der Willkür Tür und Tor öffnet. Die Sperre gegen willkürliche Interpretation und gegen Umgehung der Generalvorschriften sollten die Vereinbarungen der Tarifpartner, der Betriebsräte und der Arbeitgeber bilden. Eine freie Gesellschaft braucht die Tarif autonomie. Sie ist unverzichtbarer Bestandteil dieser unserer Gesellschaft, auch bei der Regelung der Arbeitsbedingungen. Wer will, daß der Staat alles an sich reißt, alles regelt, enthüllt eine Sehnsucht nach Obrigkeit. Das soll auch bei denen vorkommen, die sonst immer von der Emanzipation und der antiautoritären Gesellschaft sprechen. Wenn der Staat zuviel regelt, bleibt zuwenig übrig für Gewerkschaften, Betriebsräte, Arbeitgeber und die freie Initiative zur freien Vereinbarung. Unsere Absicht, dies durch eine Generalklausel zu regeln, entsprang nicht nur diesen grundsätzlichen Überlegungen, sondern auch der Einsicht, daß die Tarifpartner, Betriebsräte und Arbeitgeber die Ausnahmen Lebens- und praxisnäher bestimmen können als wir alle, der Gesetzgeber, zusammen. ({8}) Die Mehrheit des Hauses ist einen anderen Weg gegangen, den Weg der Katalogisierung, der Ausnahmen. Wir bedauern dies. Aber offenbar plagen auch Sie, meine Damen und Herren, die Zweifel, ob der Katalog vollständig sei oder auch nur sein könne; denn Sie haben für weitere Ausnahmen vom Beschäftigungsverbot die Rechtsverordnungen des Herrn Bundesarbeitsminister vorgesehen. Mit anderen Worten: Was Sie mit den Händen der Katalogisierung aufbauen, stoßen Sie mit einem anderen Körperteil durch die Rechtsvorschriften wieder um. Ich kann nur sagen: Warum soviel Gesetzesakrobatik! ({9}) Generalklausel und Inpflichtnahme der Tarifpartner hätten Ihnen diese Anstrengung erspart. Im Gesetz ist der Gesundheitsschutz der arbeitenden Jugend verbessert. Uns allen, meine Damen und Herren, muß der Gesundheitszustand der arbeitenden Jugend Sorge bereiten. Die Untersuchungen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen ha- ben gezeigt, daß jeder zehnte arbeitende Jugendliche gesundheitliche Schäden aufwies. 5 °/o mußten sich in ärztliche Behandlung begeben. Der Prozentsatz ist gestiegen. Wir appellieren deshalb an die jungen Arbeitnehmer, von den Möglichkeiten der Jugendarbeitsschutzuntersuchung vor Eintritt in das Berufsleben und ein Jahr nach Eintritt von den Nachuntersuchungen Gebrauch zu machen. Wir appellieren an Eltern und Arbeitgeber, diese Regelungen so zu verstehen, wie sie gemeint sind, nämlich nicht als ein unverbindliches Angebot, sondern als eine Pflicht. Es mußte und muß uns zu denken geben, daß die meisten Verstöße gegen das alte Jugendarbeitsschutzgesetz bei der Gesundheitsuntersuchung zu finden sind. Nur 80 °/o haben von der Chance des Gesetzes Gebrauch gemacht. Wir werden auch jetzt nicht weiterkommen, wenn dieses Gesetz nicht mehr genutzt wird. Ganz im Sinne unserer Sorge um die Gesundheit der arbeitenden Jugend stand der Antrag der CDU/CSU-Fraktion, den Urlaub auszudehnen. Wir wollten nicht eine nach Jahrgängen unterschiedliche, aber insgesamt niedrigere Urlaubsregelung, wie es die SPD/FDP will. Meine Damen und Herren, das beste Gesetz nützt nichts, wenn es nicht angewandt wird. Deshalb ist der beste Wunsch, den wir diesem Gesetz mit auf den Weg geben können, der Wunsch, daß es angewandt wird. Gewerkschaften, Arbeitgeber, Betriebsräte, staatliche Aufsicht und die Jugendlichen selber entscheiden über die Qualität dieses Gesetzes. Die Entscheidung fällt in der Praxis. Die Jugendarbeitsausschüsse werden dabei eine entscheidende Funktion haben. Sie sind sozusagen die Brücke zwischen Gesetz und Praxis. Wir haben darauf gedrungen, daß die Jugendarbeitsausschüsse keine unverbindlichen Stammtische sind, sondern daß ihre Aufgaben präzisiert werden; sie sollen so zusammengesetzt sein, daß der Sachverstand von Fachleuten mit dem Engagement der Betroffenen zusammentrifft. Meine Damen und Herren, man kann die guten Wünsche für den Jugendarbeitsschutz nicht ohne den Aufruf abschließen, daß der beste Jugendarbeitsschutz nichts nützt, wenn die Jugend nichts zu arbeiten hat. ({10}) Es gibt keine Humanisierung der Arbeit für denjenigen, der nicht arbeiten kann. Deshalb - und das, meine ich, muß im Zusammenhang mit dieser Beratung gesagt werden - ist die Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit die elementare Voraussetzung für die Verbesserung des Jugendarbeitsschutzes. ({11}) Wer den Geltungsbereich dieses Gesetzes ausdehnen will - den tatsächlichen Geltungsbereich, nicht nur den auf dem Papier stehenden -, der muß die Reichweite des Gesetzes auf jene 100 000 Jugendliche ausweiten, die vor den Türen der Betriebe stehen. Hier werden Sie in der CDU/CSU-Fraktion immer einen aktiven Mitstreiter haben! Wir danken allen denjenigen, die bei der Gesetzgebung mitgewirkt haben. Wir danken den interessierten Jugendverbänden. Wir wünschen diesem Gesetz eine engagierte Öffentlichkeit. Die CDU/CSU wird mit von der Partie sein, wenn es gilt, dem verbesserten Jugendarbeitsschutz eine bessere Praxis zu bereiten. ({12})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Urbaniak.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Blüm, die Frage der Jugendarbeitslosigkeit hat in den Beratungen eine entscheidende Rolle gespielt. Wir haben uns von diesem Gedanken bei der Konkretisierung von Vorschriften auch leiten lassen, um dieses Problem zu lösen. Sie wissen, daß die Bundesregierung eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet hat, um diese Problematik draußen in der Arbeitswelt zu lösen. Es ist also gar keine neue Aktivität, die Sie hier verbal an den Tag legen, sondern wir sind dabei, diese Probleme praktisch zu lösen. Da sollten Sie sich bereit erklären, praktikable Vorschläge, die Sie zum Jugendarbeitsschutz nicht gemacht haben, sehr schnell herbeizubringen, damit wir insgesamt alle vorankommen. ({0}) Mit der Verabschiedung des neuen Jugendarbeitsschutzgesetzes geht eine fast eineinhalbjährige Beratung zu Ende. Wir haben die Zeit seit der ersten Lesung des Gesetzentwurfs am 26. September 1974 genutzt, um in intensiven Gesprächen alle Möglichkeiten und Notwendigkeiten auszuloten. Das Ergebnis kann sich, nicht nur nach unserer Meinung, sehr gut sehen lassen. Die umfassende Reform des Jugendarbeitsschutzes ist ein wichtiger Baustein zur Humanisierung des Arbeitslebens. Nur in diesem Zusammenhang kann diese Reform wirklich gewertet werden. Anfang 1972 sind das neue Betriebsverfassungsgesetz und die Verordnung über gefährliche Arbeitsstoffe in Kraft getreten. Aus dieser Legislaturperiode erwähne ich nur das Arbeitssicherheitsgesetz, die Arbeitsstättenverordnung, den Kündigungsschutz für die Jugendvertreter - da hätten Sie, Kollege Blüm, einmal brauchbare Vorschläge machen können, aber Sie waren nicht dazu in der Lage, das zu konkretisieren -, ({1}) die Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung. Von Ihrem Gruppenantrag, Herr Rollmann, ist ja absolut nichts mehr übriggeblieben. ({2}) Ich will das hier nur erwähnen, weil Sie zur Konkretisierung und Lösung der Frage nichts Praktikables beitragen, meine Damen und Herren. Das steht fest und das kann aus den Beratungen und den Tatbeständen unserer Arbeit abgeleitet werden. Ich nenne außerdem die Lohnsicherung bei Konkursen und das Mitbestimmungsgesetz, das zur Absicherung der betrieblichen Mitbestimmungsrechte dringend erforderlich ist. Wenn Sie sagen, Kollege Blüm, die sozialliberale Aktivität habe sich an diesem Gesetz gezeigt ({3}) - ich habe es so verstanden - und Sie hätten nicht die Chance, ({4}) sich in Ihrer Fraktion auf diese Aktivität hin einzuspielen, dann wird das durch die Tatsache unterstützt, daß Sie lediglich in der Lage sind, zu solch einem wichtigen Vorhaben, wie Sie es hier genannt haben, zu einem bescheidenen Gruppenantrag zu kommen, daß Ihre Fraktion aber nicht in der Lage ist, einen Fraktionsantrag uns in diesem Hause vorzulegen. Der Jugendarbeitsschutz hat eine lange Geschichte. Mit einem preußischen „Regulativ" vom 9. März 1839 wurde die Fabrikarbeit für Jugendliche unter 16 Jahren auf zehn Stunden täglich beschränkt. Ich will an dieser Stelle nicht die einzelnen Etappen aufzeigen, die in den nächsten Jahrzehnten zu verzeichnen waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Entwicklung zunächst sehr verhalten. 1951 wurde die Bundesregierung vom Deutschen Bundestag aufgefordert, das Jugendarbeitsschutzrecht fortzuentwickeln. Im Jahre 1952 wurde vom damaligen Arbeitsminister Storch auch ein entsprechendes Gesetz angekündigt. 1956 brachte die SPD-Fraktion einen eigenen Entwurf ein. Nach längerer Diskussion wurde dann 1960 ein Jugendarbeitsschutzgesetz nach einer Vorlage der Bundesregierung verabschiedet. Dieses alte Jugendarbeitsschutzgesetz wurde schon seit einiger Zeit nicht mehr dem Anspruch gerecht, die mehr als 1,5 Millionen im Arbeitsleben stehenden Jugendlichen vor Überforderung und Überbeanspruchung zu schützen. Deshalb wurde von der Bundesregierung eine gründliche Modernisierung und Weiterentwicklung der Schutzvorschriften vorbereitet, um den Gesundheits- und Gefahrenschutz den heutigen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen anzupassen. Mit dem neuen Jugendarbeitsschutzgesetz wird ein einheitlicher Jugendarbeitsschutz für alle Jugendlichen eingeführt. Es werden zum Beispiel auch die jugendlichen Beamten einbezogen. Das, was in einigen Gesetzen verstreut war, wird zusammengefaßt. Dadurch wird ohne Zweifel die Anwendung der Schutzvorschriften erleichtert. Die Wochenarbeitszeit wird für alle Jugendlichen auf 40 Stunden begrenzt. Bis jetzt sind noch für Jugendliche über 16 Jahre 44 Stunden zulässig, im Familienhaushalt und in der Landwirtschaft sogar 48 Stunden. Für die Jugendlichen wird die Fünf-Tage-Woche eingeführt. An Wochenenden und gesetzlichen Feiertagen haben sie grundsätzlich frei; soweit Ausnahmen notwendig sind, ist die Freistellung an einem anderen Tag der Woche gesichert. Der Urlaub wird für die Jugendlichen je nach Alter zwischen 25 und 30 Werktagen gestaffelt. Im Bergbau gibt es zusätzlich drei Tage mehr. Damit werden wesentliche Verbesserungen erreicht. Die Nachtruhe wird um eine Stunde verlängert; Arbeitsbeginn wird also 7 Uhr sein. Ausnahmen sind dabei zum Zwecke der Berufsausbildung möglich. An Berufsschultagen mit einer Unterrichtsdauer von fünf Stunden sind die Jugendlichen von der Arbeit im Betrieb freizustellen; bisher lag die entsprechende Grenze bei sechs Stunden. Außerdem sind die Jugendlichen an dem Arbeitstag freizustellen, der der schriftlichen Abschlußprüfung unmittelbar vorausgeht. Die Schichtzeit wird mit dem Gesetz auf zehn Stunden - im Bergbau unter Tage auf acht Stunden - begrenzt. Das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung wird, einer allgemeinen Entwicklung entsprechend, von 14 auf 15 Jahre heraufgesetzt; Kinderarbeit ist nach dem neuen Gesetz grundsätzlich verboten. Die Umgehungsmöglichkeiten nach dem alten Jugendarbeitsschutzgesetz von 1960 werden abgeschafft. Eine leichte Beschäftigung wird für Kinder über 13 Jahre in der Landwirtschaft, beim Zeitungsaustragen und beim Sport zugelassen, soweit genaue Kriterien erfüllt sind. Die Beschäftigungsmöglichkeit ist genau begrenzt und darf das Fortkommen in der Schule nicht beeinträchtigen. Diese Regelung entspricht dem Internationalen Übereinkommen 138 und der Europäischen Sozialcharta. Der Gesundheits- und Gefahrenschutz für Jugendliche ist durch genau umschriebene Beschäftigungsverbote verbessert worden. Das Verbot der Akkordarbeit und der tempoabhängigen Arbeit wurde erweitert. Ausnahmen sind nur zum Zwecke der Berufsausbildung zugelassen, was aber nicht bedeutet, daß Jugendliche im Akkord-, Fließ- oder sonstigen tempoabhängigen System beschäftigt werden dürften. Nach dem neuen Gesetz sind jährliche Nachuntersuchungen vorgeschrieben. Die Aufgabenbereiche der Ausschüsse für Jugendarbeitsschutz bei den obersten Landesbehörden sind erweitert worden. Die Aufsichtsbehörde wird über die Ausstellung von Lohnsteuerkarten für Kinder unterrichtet, um bessere Kontrollmöglichkeiten zu haben. Um Verstöße in dem in der Vergangenheit zu beobachtenden Umfang zu verhindern, war es unseres Erachtens notwendig, den Bußgeldrahmen wesentlich zu erweitern, und zwar selbstverständlich, Herr Kollege Blüm, katalogisiert. Sie sagen, wir hätten uns an einen Perfektionismus gewagt. In Schutzgesetzen ist aber die Katalogisierung notwendig, weil genau überwacht, kontrolliert und eingehalten werden muß. Das können Sie im Arbeitsleben durch eine andere Methode nicht sicherstellen, es sei denn, Sie theoretisieren, wie Sie das in großen Teilen Ihrer Darstellung getan haben. Wir sind der Meinung, daß mit dem neuen Jugendarbeitsschutzgesetz eine gute Reform gelungen ist. Wir können diese Beurteilung auch aus der öffentlichen Anhörung beziehen, die der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung am 11. Juni letzten Jahres durchgeführt hat. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bekam damals von allen Seiten gute Noten. Schon während dieser Anhörung war deutlich, daß der Gruppenantrag der Opposition keine Rolle spielen würde. Ich darf hinzufügen, daß auch die Vertreter der Opposition schließlich einsehen mußten, daß ihr Änderungsvorschlag in einigen Punkten eine umfassende Reform nicht ersetzen konnte. ({5}) Ich darf daran erinnern, daß sich die Situation während der ersten Lesung noch völlig anders darstellte. Damals wurde vom Kollegen Rollmann behauptet, der Regierungsentwurf bleibe weit hinter den Erwartungen der arbeitenden Jugend zurück; bei den Gewerkschaften habe der Gruppenantrag der Opposition weitaus größere Zustimmung gefunden. Wir haben von Anfang an nie den Vergleich der höchst ungleichen Vorlagen gescheut. Den Gruppenantrag der Opposition kann man ohne große Anstrengung auf lediglich zwei Punkte reduzieren. Es besteht nicht der geringste Anlaß, einen Bildungsurlaub in einem Jugendarbeitsschutzgesetz zu regeln, weil dies keine Frage des Gesundheits- und Gefahrenschutzes ist. Insofern kann man nur von einer Alibifunktion sprechen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rollmann?

Dietrich Wilhelm Rollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001878, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist Ihnen nicht bekannt, Herr Kollege, daß die deutschen Gewerkschaften und speziell der DGB und die DAG selbst immer die Einführung eines Bildungsurlaubs in das Jugendarbeitsschutzgesetz verlangt und erst in dem Augenblick von ihrem Verlangen Abstand genommen haben, als die Bundesregierung in ihrem eigenen Entwurf bedauerlicherweise diesen Bildungsurlaub nicht vorgesehen hatte? ({0})

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Rollmann, soweit mir bekannt ist, haben die Gewerkschaften diesen ihren Anspruch auf Bildungsurlaub weiter aufrechterhalten als eine umfassende Frage für alle Arbeitnehmer und nicht gruppenbezogen. Diese Frage ist in einem Jugendarbeitsschutzgesetz auch nicht regelbar. Wir haben ja eine Reihe von Landesregelungen auf diesem Gebiet. Als zweiter und auch schon letzter Punkt, der sich zu nennen lohnt, wurde in dem Gruppenantrag der Opposition vorgeschlagen, daß statt der sogenannten ärztlichen Allgemeinuntersuchungen Eignungsuntersuchungen durch besonders ermächtigte Ärzte vorzunehmen seien. Während der Anhörung mußte sich Herr Rollmann schon von den sachverständigen Ärzten aufklären lassen, daß die allgemeinen Schutzuntersuchungen durch einen Arzt nach freier Wahl des Jugendlichen und der Eltern von Eignungsuntersuchungen klar zu unterscheiden sind. Auch dieser Vorschlag konnte deshalb in das Gesetz, das wir heute verabschieden, keinen Eingang finden. Das Problem der Kinderarbeit hat uns während der Beratungen besonders beschäftigt. Ich möchte in diesem Zusammenhang insbesondere die „Zeitungsjungen" nennen. Wir alle wissen, daß es in der Vergangenheit zahlreiche Umgehungen des Gesetzes gegeben hat. Wir bestreiten ganz entschieden, daß das Zeitungsaustragen ein erzieherischer Wert an sich ist. ({0}) Vertreter der Opposition haben zudem die schon nicht mehr lustige Scheinalternative aufgeboten, nach der für Kinder im entsprechenden Alter sonst nur noch das „Gammeln" in Frage käme. Wir haben während der Anhörung auch die Sachverständigen zu diesem Bereich befragt. Schließlich, meine ich, ist die Formulierung den Verhältnissen und den internationalen Übereinkommen entsprechend in einem tragfähigen Kompromiß herbeigeführt worden. Kinder über 13 Jahre dürfen danach an Werktagen bis zu zwei Stunden täglich nachmittags Zeitungen austragen. Außerdem darf durch diese leichte Beschäftigung das Fortkommen in der Schule nicht beeinträchtigt werden. Dabei handelt es sich insgesamt um klar kontrollierbare Ausnahmen. Gegenüber der bisherigen Praxis ist das als Fortschritt anzusehen. Wir werden in der Zukunft selbstverständlich genau beobachten, wie die neuen Bestimmungen tatsächlich ausgefüllt werden. Das gilt im übrigen auch über den zuletzt angesprochenen Bereich hinaus. In einem Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend steht der Gesundheits- und Gefahrenschutz im Vordergrund. Wir sind uns aber sicherlich einig, wenn ich feststelle, daß dabei die Ausbildung der Jugendlichen nicht beeinträchtigt werden darf. Deshalb sieht das Gesetz Ausnahmen dort vor, wo sie im Interesse der Berufsausbildung zwingend geboten sind. Wir haben uns während der Beratungen überzeugen lassen, daß im § 23 über den Regierungsentwurf hinaus eine Änderung notwendig war. Das Akkordverbot ist mit dem neuen § 23 ausgeweitet worden. Das Akkordverbot ist also, wie wir es verstehen, sehr scharf unter Kontrolle zu nehmen in jeder Beziehung und in jeder Art, in der es in den Betrieben auftritt. So dürfen Jugendliche in Zukunft grundsätzlich nicht mehr in Akkordgruppen mit Erwachsenen zusammenarbeiten, wenn die Arbeit tempobeeinflußt ist. Um aber die Ausbildung sicherzustellen - wir haben zirka 40 Bereiche feststellen können, in denen diese Verfahren gegeben sind -, mußten die Beschäftigungsmöglichkeiten jugendlicher Auszubildender zusammen mit den erwachsenen Arbeitnehmern in solchen Gruppen zugelassen werden, soweit dies zur Erreichung des Ausbildungszieles erforderlich ist. Dabei wird in jedem Fall - das möchte ich hier ausdrücklich betonen - der Schutz durch die Aufsicht eines Ausbilders, eines Fachkundigen gewährleistet. Wir werden auch in diesem Punkt sehr genau verfolgen, wie sich die neue Vorschrift in der Praxis bewährt. Am Ende der Beratung kann ich feststellen, daß wir an diesem Gesetz intensiv gearbeitet haben und eben diese Arbeit ohne Zeitverzögerung hinter uns gebracht haben. Dies liegt nicht zuletzt an der intensiven Unterstützung, die uns durch die Experten aus dem Arbeitsministerium zuteil wurde. Ihnen gilt deshalb unser aller Dank. Wenn das neue Jugendarbeitsschutzgesetz am 1. Mai in Kraft tritt, wird sich sehr schnell zeigen, meine Damen und Herren, daß wir die richtigen und vernünftigen Weichenstellungen vorgenommen haben. Im Interesse der jugendlichen Arbeitnehmer wird ein wichtiges und entscheidendes Stück zur Humanisierung des Arbeitslebens Wirklichkeit. ({1})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.

Friedrich Hölscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte als dritter Redner nicht noch auf alle Einzelheiten des Gesetzentwurfs eingehen. Dies haben meine Vorredner getan. Im übrigen hat ja - interessanterweise - in der letzten Woche auch die Presse bereits darüber berichtet, was wir am letzten Freitag hier angeblich zum Jugendarbeitsschutz gesagt haben. Sie hat in allen Einzelheiten, zum Teil mit wörtlichen Zitaten, darüber berichtet. Hierin zeigt sich der bewährte Weitblick deutscher überregionaler Presseorgane. Ich bin gespannt auf die morgige Berichterstattung über das, was wir hier heute machen. Ich hoffe, daß das in der deutschen Presselandschaft dann nicht eine Phantomdebatte war. Meine Damen und Herren, ich darf für uns Freie Demokraten sagen, daß wir in diesem Gesetzentwurf ein berechtigtes Anliegen verwirklicht sehen. Durch den jetzt zur endgültigen Verabschiedung vorliegende Entwurf erhalten 1,5 Millionen jugendliche Arbeitnehmer einen wesentlich verbesserten Gesundheits- und Gefahrenschutz, eine bessere Freizeitregelung. Da es sich bei Verstößen gegen dieses Gesetz wahrhaftig nicht um Kavaliersdelikte handelt, werden die Sanktionen bei Verstößen gegen dieses Gesetz verschärft. Hierzu bekennen wir Liberalen uns ohne jeden Vorbehalt. Denn der gesundheitliche und arbeitsrechtliche Schutz der Kinder und Jugendlichen muß absoluten Vorrang vor etwa noch so verständlichen wirtschaftlichen Interessen und vor falsch verstandenen subjektiven Bedürfnissen junger Menschen haben, die hier und da - ohne Schutz vor sich selbst - nur wegen eines Anreizes, möglichst schnell Geld zu verdienen, auch Raubbau mit ihrer eigenen Gesundheit treiben könnten. Dennoch, meine Damen und Herren, gibt es neben diesen für uns selbstverständlichen sozialpolitischen Maßstäben ein wichtiges liberales Prinzip, welches ich einmal als Recht des Menschen auf Selbstverwirklichung bezeichnen möchte. Sozialer Schutz darf nicht zur Bevormundung führen, darf nicht durch die Aufpfropfung noch so gut gemeinter, aber starrer, perfekter Regelungen von oben Eigeninitiative beschneiden und damit die individuelle Entfaltung junger Menschen behindern, indem diese dann nicht, z. B. durch den Beweis ihrer eigenen Leistung, ihres eigenen Könnens, auch Selbstbestätigung finden können. Einige Einzelregelungen des ursprünglichen Entwurfs beinhalteten diese Gefahr und gingen zum Teil an den Realitäten unserer hochentwickelten und differenzierten Arbeitswelt vorbei. Diese Bedenken haben wir Freien Demokraten bei den Beratungen konsequent weiter vertreten. Die Ihnen heute vorliegenden Änderungen bringen die von der FDP geforderte größere Flexibilität. Hierbei lassen wir uns allerdings auch nicht unterstellen, bei den Änderungen hätten wirtschaftliche Interessen bestimmter Branchen den Ausschlag gegeben. ({0}) Uns ging es und geht es primär einerseits um den Schutz junger Menschen vor Ausbeutung und Gesundheitsgefährdung, andererseits aber auch um die Sicherstellung der freien persönlichen Entwicklung im Beruf, in der Schule und auch in der Freizeit. Hierbei stört es uns überhaupt nicht, daß die Neuregelungen auch die Belange der betrieblichen Praxis besser berücksichtigen. Die Arbeitsbedingungen und auch die Ausbildungsbedingungen in den einzelnen Berufen und Wirtschaftszweigen unserer modernen Arbeitswelt sind nun einmal verschieden, und es wäre lebensfremd, z. B. an den unterschiedlichen Bedingungen für Bergleute, Krankenschwestern, Bäcker, Gastronomen, Kaufleute und Büroangestellte vorbeizugehen. Es wäre auch völlig unpraktikabel, bei dieser Vielfalt für alle Bereiche inhaltsgleiche, starre Regelungen zu entwickeln. Unser Ziel, optimalen Schutz und einen größtmöglichen individuellen Freiheitsspielraum im Jugendarbeitsschutz zu schaffen, war auch die Ursache für unsere Kritik an der Konzeption des Regierungsentwurfs. Insofern kann ich mich über Ihren Beitrag, Herr Blüm, nur wundern. Wir können es Ihnen und der Opposition nie recht machen. Draußen werden wir als die Blockpartei bezeichnet. Wenn wir aber einmal zu einem Regierungsentwurf kritisch Stellung nehmen, paßt Ihnen das plötzlich auch nicht. ({1}) Das ist aber Ihr Problem. Ich glaube, wir haben trotz aller konstruktiven Zusammenarbeit, die in einer Koalition selbstverständlich ist, auch in diesem Falle in der praktischen Arbeit genug Eigenständigkeit bewiesen. ({2}) Wir haben in der ersten Lesung vorgeschlagen, das Gesetz möglichst weitgehend von Detailregelungen zu entlasten und die Genehmigung der im Interesse der Jugendlichen notwendigen Ausnahmen - je nach den regionalen und strukturellen Besonderheiten und natürlich auch nach den Besonderheiten der Ausbildung - den im Gesetz ja ohnehin vorgesehenen Jugendarbeitsschutzausschüssen zu überlassen. Eine solche Regelung hätte die Mitwirkung und auch die Mitverantwortung der Sozialpartner für den Jugendarbeitsschutz gestärkt. Die Jugendlichen hätten bei einer solchen Regelung selbst unmittelbar mit bestimmen können, wo Ausnahmen in ihrem eigenen Interesse zuzulassen sind. ({3}) Ich halte - das sage ich Ihnen in aller Offenheit - dieses Konzept auch heute noch für die bessere Lösung. Ich weiß aber auch, daß eine Regelung, die durch Bundesgesetz zwar einen verbindlichen Rahmen für den Arbeitsschutz schafft, aber die Ausfüllung den Betroffenen selbst überläßt, nicht gegen den Willen der Sozialpartner verwirklicht werden kann. Hier liegt der Haken. Hier haben auch Sie, Herr Blüm, als engagierter Gewerkschafter - etwa über diesen Weg - unseren Intentionen, die ich, wie Sie wissen, auch im Ausschuß sehr deutlich angesprochen habe, nicht geholfen. Sowohl Gewerkschaften als auch Arbeitgeber haben unseren liberalen Lösungsvorschlägen bei der Anhörung leider übereinstimmend Widerstand entgegengebracht. Beide haben sie abgelehnt. Der Ruf nach mehr Staat ist nicht ungehört verhallt. Auch die beiden anderen Fraktionen dieses Hauses haben sich unseren liberalen Vorstellungen verschlossen, was ja wohl auch deutlich zeigt, daß es einfacher ist, anläßlich bevorstehender Wahlen den Liberalismus zu entdecken, als ihn in die praktische Politik umzusetzen. Gewerkschaften und Arbeitgeber, aber auch manche Interessenvertreter im Parlament müssen sich die Frage gefallen lassen, ob ein solcher staatlicher Gesetzesperfektionismus unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung wirklich ) besser dient als die Ausfüllung bestimmter Einzelregelungen im Wege der Selbstverwaltung. ({4}) Im übrigen ist diese Selbstverwaltungslösung ja nun wirklich keine liberale Utopie. Ich möchte Ihnen gerade aus der Arbeit an diesem Gesetz ein Beispiel nennen. ({5}) - Herr Kollege Franke, es tut mir leid, ich glaube, Sie haben eben vor drei Minuten nicht zugehört. Ich habe gesagt: Wir sind in unseren Vorschlägen bei der Anhörung insbesondere bei den Sozialpartnern auf erheblichen Widerstand gestoßen. ({6}) Da wir nicht Gesetze im luftleeren Raum machen, haben wir von diesem Vorhaben Abstand nehmen müssen. ({7}) - Denn wir hatten, Herr Kollege Franke, vor, ({8}) die Ausfüllung eines Rahmengesetzes den Sozialpartnern zu überlassen. Wenn diese nicht wollen, dann sollte auch der Gesetzgeber den Sozialpartnern nicht von oben herab bestimmte Regelungen diktieren. ({9}) Aber das, was ich hier noch einmal kritisch vorgetragen habe, ist keine liberale Utopie. Gerade aus der bei diesem Gesetz bereits angewandten Praxis während der parlamentarischen Beratungen, Herr Kollege Blüm, darf ich Ihnen ein Beispiel nennen. Ich erinnere mich - und Sie werden sich auch daran erinnern -, daß wir im Rahmen der Beratungen über das Gaststättengewerbe eine Änderung des Regierungsentwurfs vorgenommen haben. Was war der Hintergrund für diese Änderung? Sie wissen es: Die Tarifpartner, die Gewerkschaft Nahrung - Genuß - Gaststätten und die DEHOGA, sind gemeinsam an uns mit einem Änderungsvorschlag herangetreten. Hier haben wir genau das erlebt, was wir Liberalen gern als generelle Lösung für diesen Gesetzentwurf vorgesehen hätten. Der Gesetzgeber brauchte diesen Vorschlag, den die Tarifpartner an uns herangetragen hatten - es handelte sich dabei um die Regelung der Schichtarbeitszeit und um die Regelung der Sonntagsruhe -, nur noch zu „beurkunden". Dieses Beispiel zeigt vielleicht, daß die Bereitschaft, die vom Gesetzgeber übertragenen Kompetenzen von den Sozialpartnern in eigener Verantwortung auszufüllen, auch in den übrigen Bereichen größer sein mag, als die Spitzenverbände der Sozialpartner dies in der Anhörung erklärt haben. Ich kann allerdings auch für meine Fraktion mit Befriedigung feststellen: Der Weg zu einem weiteren Fortschritt in dieser Richtung, der Weg zu einer stärkeren Mitwirkung und Mitverantwortung der unmittelbar Beteiligten wird in dieser Novelle nicht verbaut. Wir haben bei gleichzeitiger Sicherung eines ausreichenden Schutzes der Kinder und Jugendlichen mehr Flexibilität und Freiheitlichkeit in diesem Gesetz erreicht. Ich begrüße in diesem Zusammenhang ausdrücklich die vorgesehene Ermächtigung für die Bundesregierung, im Rahmen einer Rechtsverordnung immer dann, wenn es sich um die Verwirklichung von Interessen der Jugendlichen, in diesem Fall um das Erreichen der Ausbildungsziele, handelt, auch Ausnahmen zuzulassen. Aber, meine Damen und Herren, ich darf hier in aller Offenheit auch noch ein Wort zu der politischen Begleitmusik zu unseren Forderungen sagen. Hier und da hat es geheißen - nicht in diesem Hause, aber draußen -: Die FDP tritt für Kinderarbeit ein. Das ist allerdings keine Polemik mehr; dies ist Infamie. Wer von Kinderarbeit spricht, muß wissen, welchen Inhalt dieser Begriff hat. Die gesamte Sozialpolitik, meine ich, wäre unglaubwürdig, wenn bei den notwendigen, auch harten politischen Auseinandersetzungen mit solchen Schlagworten gearbeitet würde. Auch in Vorwahlzeiten darf es hier keine Ausnahmen geben. Wir wissen alle, in welchem Teil Europas die Kinderarbeit das soziale Problem über viele Jahrzehnte war. Wir wissen aber auch, daß es eine liberale Partei war, die Zug um Zug, Schritt für Schritt diese Kinderarbeit in schweren Kämpfen abgebaut hat. Vor dem Hintergrund dieser Tradition liberaler Sozialpolitik ist der Vorwurf der Kinderarbeit gegen die FDP doppelt töricht, doppelt infam. Wenn im politischen Grabenkampf von Kinderarbeit gesprochen wird, so ist in § 5 des Gesetzentwurfs nachzulesen, worum es sich hierbei konkret handelt. Danach können nämlich Kinder ab 13 Jahren lediglich mit leichten Tätigkeiten beschäftigt werden, die für Kinder geeignet sind. Voraussetzung dafür ist, daß das Fortkommen in der Schule nicht beeinträchtigt wird. Zwischen 18 und 8 Uhr dürfen Kinder überhaupt nicht beschäftigt werden. Wer hierfür den diskriminierenden Begriff der Kinderarbeit anwendet, wer wirklich der Meinung ist, daß ein Vierzehnjähriger Verständnis dafür aufbringt, daß ihm z. B. sogar Handreichungen beim Sport verboten werden sollen, auch wenn keine Gesundheitsgefährdung vorliegt, auch wenn das Fortkommen in der Schule nicht beeinträchtigt ist - dies gilt selbstverständlich auch für eine oder zwei Stunden Zeitungaustragen, die maximale Zeitgrenze, die wir für diese Tätigkeit eingeräumt haben -, der handelt nicht nur unrealistisch, sondern auch unverantwortlich, weil er nämlich an legitimen und auch verständlichen Interessen junger Menschen vorbeigeht. ({10}) - Ich sage das an die Adresse dieses Hauses, ich sage das auch an die Adresse der Öffentlichkeit, weil uns gerade dieser Vorwurf, der Kinderarbeit zu befürworten - das werden Sie sicherlich verstehen - sehr getroffen hat. Ich möchte - auch der Öffentlichkeit gegenüber - einmal in aller Deutlichkeit klarmachen, um was es sich eigentlich bei dieser Diskussion handelt. Ich sage das keineswegs in Richtung zur SPD; denn wir sind uns ja mit dein Koalitionspartner sehr schnell einig geworden - wie sich das für eine Koalition gehört - und haben flexible Regelungen gefunden. Ich glaube, gerade die 13- und 14jährigen werden mit dem zufrieden sein, was wir geschaffen haben. Im übrigen machen es sich aber auch die Kritiker dieses Gesetzentwurfs, die so schnell generell von einer Verschlechterung sprechen, die während der parlamentarischen Beratungen vorgenommen worden sei, mit ihrer Kritik etwas zu einfach. Auch dazu möchte ich ein Beispiel nennen. Nach § 23 des Regierungsentwurfs sollten Jugendliche nicht mit Arbeiten beschäftigt werden dürfen, bei denen die Höhe ihres Entgelts von dem Ergebnis ihrer Arbeit abhängt. Die Koalitionsfraktionen haben dieses Verbot nun dahin konkretisiert, daß Jugendliche nicht mit Akkordarbeit und sonstigen Arbeiten, bei denen durch ein gesteigertes Arbeitstempo ein höheres Entgelt erzielt werden kann, beschäftigt werden dürfen. Denn die alte Fassung hätte doch zur Konsequenz gehabt - auch da darf ein Beispiel anführen, einen Fall, der mir persönlich bekannt ist -, daß eine junge Modistin die von ihr selbst hergestellten Hüte dann nicht verkaufen darf, wenn sie pro verkauften Hut eine Prämie bekommt. Ich glaube, es wäre unsinnig, so etwas unter Jugendarbeitsschutz zu sehen mit der Folge, daß eine solche Beschäftigung, nur weil hier für eine Leistung eine Prämie gezahlt wird, die mit Arbeitstempo nicht zusammenhängt, auf Grund eines Verbots praktisch unmöglich wäre. Beliebige andere Beispiele ließen sich anfügen. Ich denke, wer sich gegen solche vernünftigen Änderungen des Gesetzes wendet - ich spreche hier bewußt einige Vertreter der Gewerkschaften draußen an, die gerade diesen Punkt, wie mir berichtet wurde, während der Beratungen und auch jetzt kürzlich noch kritisiert haben -, muß sich eigentlich sagen lassen, jugendliche Arbeitnehmer nicht nur zu bevormunden, sondern sie gegenüber älteren Arbeitnehmern auch zu diskriminieren. Warum sollte man denn ausgerechnet junge Menschen, für deren persönliche Entwicklung auch die materielle Bestätigung des eigenen Könnens, der eigenen Leistung wichtig ist, mit einem Arbeitsverbot belegen, auch wenn die Leistung eben nicht durch gesteigertes Arbeitstempo oder andere gesundheitsgefährdende Methoden erzielt wird? Von einer Verschlechterung des Entwurfs gegen die Interessen der Jugendlichen zu reden, ist daher - ich glaube, das hat auch das Beispiel gezeigt - absurd. Der Gesetzentwurf wurde, wie sich an vielen Beispielen darstellen läßt, gerade im Interesse der Jugendlichen verbessert. Trotz aller kritischen und, wie ich denke, aus liberaler Sicht wohl auch berechtigten Anmerkungen darf ich abschließend für meine Fraktion sagen: Dieses Gesetz war notwendig. Es stellt einen Fortschritt in der Sicherung des sozialen Schutzes von 1,5 Millionen jungen Menschen dar. Wir hoffen aber auch, daß die Erfahrungen der Praxis mit der Novelle die Einsicht verstärken, daß mehr Selbstverwaltung in diesem Bereich einen weiteren Fortschritt in Freiheit bedeutet. Die Fraktion der freien Demokraten stimmt dem neuen Jugendarbeitsschutzgesetz zu. ({11})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Rollmann.

Dietrich Wilhelm Rollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001878, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Urbaniak, es ist Ihnen all die vergangenen Jahre offensichtlich ein Alpdruck gewesen, daß die CDU/CSU mit einem eigenen Gesetzentwurf zur Reform des Jugendarbeitsschutzgesetzes der Bundesregierung zuvorgekommen ist. Von diesem Alpdruck sind Sie all die vergangenen Jahre nicht losgekommen. Sie haben heute, wie ich meine, in völlig unnötiger Weise einen Streit vom Zaune gebrochen über die Frage, was in unserem Entwurf und was in dem Entwurf der Bundesregierung stand. Sie haben in völlig unnötiger Weise, wie ich meine, den Versuch unternommen, unseren Entwurf aus dem Sommer 1973 madig zu machen. Lassen Sie mich hier noch einmal die Hauptpunkte festhalten, die in unserem Entwurf aus dem Jahre 1973 enthalten waren: die allgemeine Einführung einer Höchstarbeitszeit von 40 Stunden in der Woche, die Verbesserung der Dauer und Anrechenbarkeit von Ruhepausen, die uneingeschränkte Sicherung der 12-Stunden-Spanne zwischen Arbeitsende und Arbeits- oder Berufsschulbeginn, die Beschränkung der Ausnahmen vom Beschäftigungsverbot bei Akkord- und Fließarbeit, die Ausdehnung des Jugendarbeitsschutzgesetzes auf weitere Gruppen jugendlicher Arbeitnehmer, eine Neuformulierung der Vorschriften über die gesundheitliche Betreuung, die Einrichtung von regionalen Jugendarbeitsschutzausschüssen bei den lokalen Aufsichtsbehörden und schließlich vor allen Dingen die Einführung eines Bildungsurlaubs. Ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe, daß wir mit diesem Vorschlag der Einführung eines Bildungsurlaubs einen Vorschlag aufgegriffen haben, der vor allen Dingen von den deutschen Gewerkschaften in den vergangenen Jahren gemacht worden ist und den Sie dann bedauerlicherweise während der Referentenarbeiten im Arbeitsministerium und während der Beratungen dieses Gesetzes in den zuständigen Ausschüssen des Deutschen Bundestages nicht wieder aufgegriffen haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Hölscher hat hier eben den Gesetzentwurf, wie er nun verabschiedet wird, gefeiert und insbesondere den Beitrag der FDP zu diesem Gesetzentwurf herausgestellt. Ich glaube, man muß erst einmal daran erinnern, daß dieser Gesetzentwurf zum einen in jenem Gesetzentwurf wurzelt, den die Bundesregierung vorgelegt hat. Der Beitrag der FDP ist insofern bereits im Gesetzentwurf der Bundesregierung enthalten. Unsere Freunde im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung haben nichts von jener freiheitlichen Attitüde der FDP bemerkt, Herr Kollege Hölscher, die Sie hier heute für sich in Anspruch genommen haben. Wir sind im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung dafür eingetreten, eine vernünftig abgegrenzte Generalklausel bei der Samstags-, Sonntags- und Feiertagsruhe einzuführen und die praxisnahen örtlichen Ausnahmen den Tarifparteien zu überlassen. Wenn wir nicht darauf gedrängt hätten, Herr Kollege Hölscher, daß das Institut des Zeitungsjungen beispielsweise am Leben erhalten wird, wo doch im Entwurf der Regierung vorgesehen war, daß dieser in Zukunft verschwindet, dann, sehr verehrter Herr Kollege Hölscher, gäbe es ihn nicht mehr, und Sie hätten die junge Generation vollständig in einen Naturschutzpark gesteckt, wie es das Anliegen der Bundesregierung war.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hölscher? Im übrigen ist Ihre Redezeit abgelaufen. - Bitte!

Friedrich Hölscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Rollmann, würden Sie mir erklären, woher Sie das alles wissen, wie das in den Ausschüssen gegangen ist, nachdem Sie an den Beratungen dieses Gesetzentwurfs gar nicht teilgenommen haben? ({0})

Dietrich Wilhelm Rollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001878, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege Hölscher, ich bin Mitglied des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit und habe dort als Berichterstatter für das Jugendarbeitsschutzgesetz an allen Beratungen teilgenommen. ({0}) Was im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung beredet worden ist, habe ich von meinen Kollegen aus dem dortigen Ausschuß erfahren. Herr Kollege Hölscher, Sie sind sowohl im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung wie im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit nur Arm in Arm gleichsam als siamesischer Zwilling der Sozialdemokratischen Partei erschienen. Wir haben von einer eigenständigen Politik der FDP in bezug auf das Jugendarbeitsschutzgesetz leider überhaupt nichts bemerkt.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Rollmann, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hölscher?

Friedrich Hölscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, würden Sie mir dann bitte erklären, warum Ihre Kollegen aus dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung den Bildungsurlaub nicht nur nicht angesprochen, sondern in den Debatten auch keinen Änderungsantrag eingebracht haben?

Dietrich Wilhelm Rollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001878, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Daß der Bildungsurlaub nicht angespochen ist, stimmt einfach nicht. Ich habe selbst an dem Hearing des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum Jugendarbeitsschutzgesetz teilgenommen. Dort ist ausführlich über den Bildungsurlaub gesprochen worden, nicht zuletzt auf Grund von Fragen, die ich selbst an die Vertreter der Verbände gestellt habe. Nachher wurde dieses Thema im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung noch einmal erörtert. Wenn wir keinen konkreten Antrag mehr gestellt haben, dann aus dem Grunde, weil einfach keine Chance bestand und weil die Gewerkschaften in dieser Frage ihre ursprüngliche Position leider verlassen haben.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit, die Sie angemeldet haben, ist abgelaufen.

Johannes Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001554, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Rollmann, vielleicht

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege Müller, wenn Sie schon die Sache noch verlängern wollen, dann fragen Sie bitte!

Johannes Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001554, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Rollmann, vielleicht nehmen Sie zur Kenntnis, daß die FDP sehr häufig nur mit 50 % an den Sitzungen teilnimmt und ihr deshalb entgangen ist, daß wir den Bildungsurlaub angesprochen haben.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege Müller, das ist keine Frage im Sinne der Geschäftsordnung.

Dietrich Wilhelm Rollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001878, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich möchte hier noch eines sagen. Als wir unseren Entwurf im Sommer 1973 einbrachten, war das Erschrecken im ganzen Regierungslager so groß, daß der damalige Referentenentwurf des Bundesarbeitsministers wieder zurückgezogen wurde. Über ein Jahr hat es dann gedauert, bis die Bundesregierung hier im Bundestag mit einem eigenen Entwurf erschienen ist. ({0}) Ich glaube, daß damit deutlich geworden ist, wie bahnbrechend unser Entwurf im Sommer 1973 gewesen ist und wie befruchtend er auf die Vorlage der Bundesregierung gewirkt hat. Wir lassen uns von Ihnen das, was wir auf dem Sektor des Jugendarbeitsschutzgesetzes geleistet haben, wirklich in keiner Weise madig machen. ({1})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

Walter Arendt (Minister:in)

Politiker ID: 11000044

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, daß das Jugendarbeitsschutzgesetz heute verabschiedet werden kann. Damit wird der in den letzten beiden Legislaturperioden begonnene Ausbau des Arbeitsschutzes fortgesetzt. Der Arbeitnehmer ist in seinem Arbeitsleben vielen Belastungen ausgesetzt. Arbeitsschutzpolitik bedeutet, diese Belastungen soweit wie möglich abzubauen. Vieles, Herr Blüm, ist in den letzten Jahren auf diesem Gebiet geschehen. Ich erinnere z. B. an die Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes, an das Arbeitssicherheitsgesetz, das Betriebsärzte und Sicherheitsingenieure als Fachberater und Helfer in allen Arbeitsschutzfragen in die Betriebe und Verwaltungen unseres Landes einführt. Ich erinnere auch an die Arbeitsstättenverordnung, welche die Mindestanforderungen für die Errichtung und den Betrieb von Arbeitsplätzen festlegt. Ich erinnere schließlich an die Verordnung über gefährliche Arbeitsstoffe, welche die Anforderungen für den Umgang mit gesundheitsschädlichen Stoffen bei der Arbeit enthält. Meine Damen und Herren, neben diesen Schutzvorschriften, die allen Arbeitnehmern zugute kommen, stellt sich die Aufgabe, für bestimmte Gruppen einen besonderen Schutz zu garantieren. Dies gilt auch für die 1,5 Millionen jugendlichen Arbeitnehmer. Dabei geht es nicht darum, wie es manchmal etwas zynisch bei Diskussionen zu diesem Thema anklingt, daß der Jugendarbeitsschutz die Jugendlichen vor der Arbeit schützen solle; Jugendarbeitsschutz soll junge Menschen bei ihrem Start in das Arbeitsleben vor Belastungen und Überforderungen schützen. Das bisherige Jugendarbeitsschutzgesetz stammt aus dem Jahre 1960. Es ist veraltet, es ist durch die wirtschaftliche und soziale Änderung der letzten Jahre überholt. Die Arbeitsbedingungen haben sich insgesamt mit der technischen Entwicklung verändert. Die Bundesregierung hatte deshalb in ihrer Regierungserklärung vom Januar 1973 den Entwurf eines neuen Jugendarbeitsschutzgesetzes angekündigt. Herr Bahnbrecher, wenn ich an Ihre Adresse etwas sagen darf: Als wir die ersten Anhörungen nach der Regierungserklärung im Arbeitsministerium durchgeführt hatten, haben Sie auf die Schnelle Ihren Entwurf mit einigen Paragraphen vorgelegt. ({0}) - Aber Sie haben ganz schöne Anleihen gemacht, meine ich, Herr Rollmann. Unsere Pläne zur Reform des Jugendarbeitsschutzgesetzes haben in einer öffentlichen Anhörung die breite Zustimmung der Verbände, der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände sowie der unmittelbar betroffenen Jugendlichen gefunden, und auch die Arbeitsmediziner haben diesem Vorhaben ihre Zustimmung erteilt. Die Reform des Jugendarbeitsschutzgesetzes wird auch von den Ländern bejaht. ({1}) - Das haben wir ja aus Ihrem Munde gehört, Herr Blüm. - Im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung haben alle Fraktionen dafür gestimmt, die Ihnen heute vorliegende Fassung des neuen Jugendarbeitsschutzgesetzes zur Annahme zu empfehlen. Ich freue mich, daß die Schwerpunkte des vor über einem Jahr in diesem Hause eingebrachten Regierungsentwurfs bestehengeblieben sind, nämlich einheitlicher Jugendarbeitsschutz für alle Jugendlichen, Einführung der Fünftage- und Vierzigstundenwoche, Verlängerung der Nachtruhe, Verlängerung des Urlaubs, Verbesserung des Gesundheits- und Gefahrenschutzes. Auch in der Zielsetzung, das Gesetz lesbarer und verständlicher zu machen, ist der Regierungsentwurf in den Beratungen im Bundesrat, in der öffentlichen Anhörung vor dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und in den Ausschußberatungen bestätigt worden. In einer Reihe von Punkten hat der Regierungsentwurf Änderungen erfahren. Die Empfehlungen des Bundesrats sind zum größten Teil akzeptiert worden. Auch Anregungen, die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens, vor allem in der öffentlichen Anhörung des Ausschusses, vorgebracht worden sind, wurden in weitem Umfang berücksichtigt. Bei der Beratung des Gesetzentwurfs sind alle Beteiligten davon ausgegangen, daß unter keinen Umständen die Arbeits- und Ausbildungsplätze für Jugendliche gefährdet werden dürfen. Besonders ernst sind die Vorschläge genommen worden, die die Erhaltung der Ausbildungsmöglichkeiten der Jugendlichen betreffen. Voraussetzung für eine wirksame Ausbildung junger Menschen sind in vielen Einzelbestimmungen des neuen Jugendarbeitsschutzgesetzes enthalten. Gerade in der heutigen Zeit ist die Berufsausbildung ein wertvolles Startkapital für das ganze Leben. Ich begrüße es daher, daß der Ausschuß im Interesse der Berufsausbildung eine Reihe von Beschäftigungsbeschränkungen flexibel gestaltet hat. Ich begrüße es auch, daß der Ausschuß am grundsätzlichen Verbot der Kinderarbeit festgehalten hat. Zugelassen werden soll lediglich eine leichte Beschäftigung junger Menschen über 13 Jahre in der Landwirtschaft, beim Zeitungsaustragen und beim Sport. Diese begrenzten Ausnahmen, meine Damen und Herren, halten sich im Rahmen der internationalen Übereinkommen. Festgehalten hat der Ausschuß auch daran, den Arbeitsschutz für alle Jugendlichen einheitlich zu regeln. Im Zusammenhang mit der Einbeziehung der jugendlichen Beamten in den Geltungsbereich des Jugendarbeitsschutzgesetzes wurde von Fachleuten eine Ermächtigung für notwendig gehalten, mit der Ausnahmen vom Jugendarbeitsschutz für jugendliche Polizeivollzugsbeamte erlassen werden können. Die Diskussion über dieses Thema gibt mir Veranlassung, noch einmal klarzustellen, daß das neue Jugendarbeitsschutzgesetz auch die jugendlichen Polizeivollzugsbeamten in vollem Umfang und ohne Einschränkung in das Jugendarbeitsschutzgesetz einbezieht. Die vorgesehene Ermächtigung, bestimmte Ausnahmen durch Rechtsvorschriften zu regeln, sollte allerdings im Interesse eines wirksamen Jugendarbeitsschutzes von den dafür zuständigen Ministerien des Bundes und vor allem der Länder nach Möglichkeit nicht ausgeschöpft werden, wenn man einmal von sinnvollen Ausnahmeregelungen für Jugendliche im Interesse ihrer Ausbildung für die spätere Tätigkeit als Polizeibeamte absieht. Für den Ausbau des Arbeitsschutzes, den die Bundesregierung unter der Zielsetzung der Humanisierung des Arbeitslebens zu einem Programmpunkt ihrer Politik gemacht hat, wird der 1. Mai 1976 ein wichtiges Datum sein. An diesem Tag soll das neue Jugendarbeitsschutzgesetz in Kraft treten. Am gleichen Tag werden auch die von mir bereits erwähnten wichtigen Grundsatzvorschriften des Arbeitsschutzes, nämlich die Arbeitsstättenverordnung und die Arbeitsstoffverordnung, in Kraft gesetzt. Vom 1. Mai 1976 an stehen den Arbeitnehmern in unserem Land also überschaubare und moderne Arbeitsschutzbestimmungen zur Verfügung. Altes, zum Teil bis in das vorige Jahrhundert zurückreichendes Arbeitsschutzrecht wird dadurch abgelöst. Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, daß das Jugendarbeitsschutzgesetz erheblich dazu beitragen wird, den Schutz von 1,5 Millionen Jugendlichen am Arbeitsplatz zu verbessern. Ich möchte Sie alle herzlich bitten, dem Gesetzentwurf Ihre Zustimmung zu geben; denn Sie tragen damit zur Humanisierung des Arbeitslebens bei. ({2})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, entsprechend unserer interfraktionellen Vereinbarung schließe ich damit die Aussprache. Wer dem Gesetz in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Eine Gegenstimme. Stimmenthaltungen? - Das Gesetz ist in dritter Beratung gegen eine Stimme angenommen. Es liegt noch der Antrag II des Ausschusses vor, den Gesetzentwurf der Abgeordneten Rollmann und Genossen für erledigt zu erklären, sowie der Antrag III, die zu den Gesetzentwürfen eingegangenen Eingaben und Petitionen für erledigt zu erklären. Ich gehe davon aus, daß ich über diese beiden Anträge gemeinsam abstimmen lassen kann. Wer ihnen zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - So beschlossen. Unter IV hat der Ausschuß beantragt, eine Entschließung anzunehmen, in der die Bundesregierung aufgefordert wird, dem Deutschen Bundestag bis 30. April 1979 darüber zu berichten, wie sich die Neuregelung des Verbots der Beschäftigung von Kindern in den §§ 5 und 6 des vorliegenden Gesetzes in der Praxis bewährt hat. - Das Wort wird dazu nicht gewünscht. Wer dem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte bitte ich um das Zeichen. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? Ebenfalls einstimmig so beschlossen. Ich rufe nunmehr zur gemeinsamen Beratung die Punkte 10 und 11 auf: 10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes - Drucksache 7/4428 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({0}) Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß 11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes und des Gesetzes über das Branntweinmonopol - Drucksache 7/4518 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({1}) Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß Zur Begründung der beiden Vorlagen hat Herr Bundesminister Dr. Apel das Wort.

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie oft haben wir doch in den letzten Monaten, ja, man muß eigentlich sagen: in den letzten Jahren von der Opposition gehört, daß wir in ein abgrundtiefes Finanzchaos hineinliefen, an dessen Ende nur der Staatsbankrott stehen könne! Seit einiger Zeit spricht die Opposition davon nicht mehr, weil die Tatsachen einmal mehr das Gegenteil beweisen. Augenscheinlich hat die erfreuliche Bilanz, mit der wir den Bundeshaushalt 1975 abschließen konnten, der Opposition die Sprache verschlagen. Denn was Herr Leicht am Mittwoch zu den Minderausgaben und den Mehreinnahmen in 1975 in Höhe von 8 Milliarden DM gesagt hat - er hat das nämlich als „Skandal" bezeichnet -, ist ja wohl keine adäquate Antwort auf einen erfreulichen Tatbestand. Ihr Gerede vom Finanzchaos hat sich als das erwiesen, was es stets war: Suchen nach Wahlkampfmunition, unredliche Argumentation. Jetzt versucht man eine neue Masche. Sie ist aber auch nicht besser. Der Deutsche Bundestag hat unabhängig von Schlagworten und Verdrehung der Fakten einen Anspruch darauf, die Tatsachen zu erfahren. Herr Präsident, ich benutze gern diese Gelegenheit, den Bundestag gemäß § 10 der Bundeshaushaltsordnung über den vorläufigen Abschluß des Bundeshaushalts 1975 zu unterrichten. Der Bundeshaushalt 1975 schließt mit Minderausgaben in Höhe von 5,2 Milliarden DM ab. Er gibt uns gleichzeitig Mehreinnahmen in einer Größenordnung von 2,8 Milliarden DM. Insgesamt schließt der Bundeshaushalt 1975 also mit einem Ergebnis ab, das um rund 8 Milliarden DM günstiger ist als ursprünglich von uns erwartet. Sie können sich vorstellen, meine Damen und Herren, daß ich froh und glücklich darüber bin, daß ich Ihnen diese Bilanz vortragen kann. ({0}) - Darauf komme ich zu sprechen, hochverehrter Herr Kollege. Andererseits sollte aber auch niemand diesen günstigen Abschluß zum Anlaß nehmen, sich und andere darüber zu täuschen, daß vom Bund zur Finanzierung des Bundeshaushalts 1975 30 Milliarden DM aufgenommen werden mußten. Das waren dreimal mehr als 1974 und ein Vielfaches mehr als in den Jahren 1970 bis 1973. Damit hat sich - und dieses ist wichtig für uns - an den grundsätzlichen Problemen der Haushaltsfinanzierung bei Bund, bei Ländern und Gemeinden, wie im übrigen aber auch bei unseren westlichen Nachbarn, nichts geändert. Trotz einer Verringerung des Nettokreditbedarfs von 38 Milliarden DM - wie veranschlagt - auf 30 Milliarden DM hat die weltweite Rezession zu hohen Haushaltsdefiziten im Bundeshaushalt geführt. Sie im Laufe der wirtschaftlichen Wiederbelebung zu verringern bleibt eine vorrangige Aufgabe der Finanzpolitik in den nächsten Jahren. Die Gründe für die Verringerung der Neuverschuldung im Jahre 1975 sind erstens darin zu sehen, daß im Jahre 1975 erste Zeichen der Stabilisierung der Konjunktur positiv auf den Bundeshaushalt gewirkt haben. Zweitens hat sich die finanzielle Disziplin der Bundesregierung, aller Ressorts, und auch der von uns unterstützten Institutionen positiv ausgewirkt. Schließlich haben wir bei einigen Schätzansätzen Haushaltsreste zu verzeichnen. Lassen Sie mich Ihnen einige der wichtigsten Positionen bei den Minderausgaben darstellen - ich komme dann zu den Mehreinnahmen -: Die Bundesanstalt für Arbeit benötigte rund eine Milliarde DM weniger zur Finanzierung der Arbeitslosenversicherung. Ich darf daran erinnern, daß bei Vorlage des Nachtragshaushaltes im Bundesrat die von der CDU/CSU regierten Länder noch vor wenigen Wochen der Meinung waren, daß der Ansatz, den wir selbst veranschlagt hätten, nicht ausreichen würde. Jetzt ist er um eine Milliarde DM unterschritten worden. Hier kommt zum erstenmal eine geringere Zahl von Arbeitslosen und Kurzarbeitern, als von der Bundesanstalt selbst erwartet, zum Ausdruck. Zum anderen - und das muß hinzugefügt werden, weil das auch Teil dieser Ersparnis ist - liegt sie darin begründet, daß die Ausgangslöhne - die Berechnungsgrundlage für die Arbeitslosenunterstützung also - niedriger gewesen sind als in der Schätzung angenommen. Ein zweiter wichtiger Grund bei den Minderausgaben sind unsere Einsparungen bei den Zinskosten. Wir haben in den letzten Monaten die Möglichkeiten des Geld- und des Kapitalmarktes so virtuos wie möglich genutzt und konnten den hohen Kreditbedarf des Bundes zu Konditionen decken, die günstiger waren, als der vorsorgliche Haushälter erwartet hatte. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit eine Fußnote machen: Die kontinuierliche Schuldenpolitik des Bundes hat sich also auch in diesem Falle ausgezahlt. Wir werden deswegen auch, obwohl wir mit hohen Kassenreserven in das Jahr 1976 gegangen sind, diese Politik in 1976 fortsetzen, weil das günstig für die Konditionen ist, zu denen wir Geld bekommen, günstig aber auch für den Kapitalmarkt. Eine halbe Milliarde DM haben wir bei den Zuschüssen für die Knappschaftsversicherung gespart. Der Übergang von aktiven Beitragszahlern der Knappschaftsversicherung in das Rentenalter hat sich hinausgezögert. Mehr Menschen als erwartet haben im Kohlebergbau Arbeit gefunden. Schließlich sind die Löhne insbesondere durch Überstunden in der ersten Hälfte des Jahres 1975 stärker gestiegen als angenommen. Dieser Tatbestand und diese Aussage schließen sich wohl auch an die gestrige Energiedebatte an, machen allerdings deutlich, daß wir nicht damit rechnen können, daß wir in 1976 in diesem Bereich Ersparnisse in gleicher oder ähnlicher Größenordnung haben werden. Schließlich haben wir bei der Kriegsopferversorgung und Kriegsopferfürsorge 320 Millionen DM weniger ausgeben müssen. Bei einem Ansatz von 11 Milliarden DM für diesen Bereich liegt die Minderausgabe bei einer Schätzmarge von 3 % des Ansatzes. Beim Kindergeld sind 250 Millionen DM übriggeblieben, bei Ausgaben von 13 Milliarden DM eine Schätzmarge von 2 % zugunsten des Bundeshaushaltes. Lassen Sie mich diese Übersicht, die im übrigen detailliert im Haushaltsausschuß zu debattieren sein wird, mit drei weiteren Positionen abschließen. 400 Millionen DM - das ist ein beträchtlicher Betrag, das muß ich zugeben - sind beim Bundesausbildungsförderungsgesetz übriggeblieben. Diese hohen Ersparnisse sind einerseits darauf zurückzuführen, daß ein Rückgang der Anspruchsberechtigten zu verzeichnen war. Schließlich hat augenscheinlich die Einführung von Grunddarlehen zu dieser Entwicklung beigetragen. Unsere Ersparnisse beim Krankenhausfinanzierungsgesetz in einer Größenordnung von 170 Millionen DM beruhen im wesentlichen darauf, daß die Länder und Gemeinden, die zwei Drittel der Kosten für die Krankenhausfinanzierung zu bezahlen haben, augenscheinlich nicht in dem Maße Investitionen und Ersatzbeschaffung vorgenommen haben wie erwartet. Erfreulich ist eine letzte Position. Wir hatten, was die Bürgschaften anbelangt, nicht mit Einnahmen gerechnet. Wir haben jetzt Einnahmen in einer Größenordnung von 400 Millionen DM zu verzeichBundesminister Dr. Apel nen. Das ergibt sich nicht nur aus dem stark gestiegenen Bürgschaftsrahmen und den damit verbundenen Entgelten für die Bürgschaften des Bundes, sondern es sind auch nur in sehr begrenztem Maße Schadensfälle eingetreten. Dies hat im übrigen den Bundesfinanzminister und den Bundeswirtschaftsminister in den Stand gesetzt, die Bedingungen für Bürgschaften des Bundes, also für unsere Exportfähigkeit, zu verbessern. Mit diesen, wie ich zugebe, sehr summarischen Ausführungen haben wir den wesentlichen Teil der 5,2 Milliarden DM der Minderausgaben, nämlich rund 4 Milliarden DM, erklärt. Der Rest verteilt sich auf eine Vielzahl von Einnahmepositionen, die sicherlich im Haushaltsausschuß zu besprechen sein werden. Auf der Einnahmeseite kam es zu Mehreinnahmen von 2,2 Milliarden DM bei den Steuern. Ein Teil dieser Mehreinnahmen erklärt sich daraus, daß wir erhöhte und beschleunigte Abschluß- und Vorauszahlungen bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer hatten. Wir sollten dies nicht überbewerten. Wichtig ist die eine Milliarde Mehreinnahmen bei der Mehrwertsteuer. Hier wird in der Tat der Beginn der steigenden Verbrauchernachfrage sichtbar, wenn allerdings in dieser Position auch ein anderes Element steckt, nämlich das, daß der Exportüberschuß geringer war als erwartet, so daß die Erstattung der Mehrwertsteuer nicht in gleichem Maße stattfand. Zu diesen 2,2 Milliarden DM Steuermehreinnahmen kommen 0,4 Milliarden DM Verwaltungsmehreinnahmen und 200 Millionen DM zusätzlich von der Münze. Damit schließt also der Bundeshaushalt 1975 mit einer Nettokreditaufnahme von 30 Milliarden DM gegenüber geplanten 38 Milliarden DM ab. Wir konnten den Bundeshaushalt 1975 mit durchweg sinkenden Zinssätzen finanzieren. Ich bekenne mich zu dieser hohen Nettokreditaufnahme. Sie war Voraussetzung dafür, daß die Konjunktur nicht weiter durchgesackt ist. Sie ist Teil der Bekämpfung der Rezession in unserem Lande gewesen. ({1}) Auf Grund dieses günstigen Abschlusses gehen wir in das Jahr 1976 mit bereits im Jahre 1975 aufgenommenen Krediten in einer Größenordnung von 9,3 Milliarden DM hinein. Wir haben dabei die Kreditermächtigungen des Jahres 1975 ausgenutzt und auch auf Kreditermächtigungen aus dem Jahre 1974 zurückgegriffen. Zu diesen 9,3 Milliarden DM kommen die Erlöse aus der Silvesteranleihe in der Größenordnung von 660 Millionen DM. In den ersten 23, 24 Tagen dieses Jahres ist auch der Verkauf der Schuldscheine und der Bundesschatzbriefe gut weitergelaufen. Wir haben heute von der Nettokreditaufnahme des Bundes 1976 etwa 10,7 Milliarden DM gedeckt. Dies ist, ohne den Beratungen des Haushaltsausschusses und dem Beschluß des Deutschen Bundestages vorzugreifen, sicherlich mehr als 25 % dessen, was wir 1976 zur Finanzierung des Bundeshaushaltes brauchen. Damit gehen wir in das Haushaltsjahr 1976 mit der Gewißheit hinein, daß uns der Haushalt 1976 vor keine unüberwindbaren Finanzierungsprobleme stellen wird, obwohl die Nettokreditaufnahme für 1976 erneut sehr hoch sein wird. Und, meine Damen und Herren, sie muß sehr hoch sein; denn die Verantwortung für den Aufschwung in unserem Lande verlangt auch für 1976 von uns eine antizyklische Finanzpolitik zur Beschleunigung des jetzt leicht beginnenden Aufschwungs. ({2}) Im übrigen sind wir mit dieser kontinuierlichen Schuldenaufnahme dem Rat der Bundesbank, dem Rat der Sachverständigen, dem Rat vieler Experten - auch unabhängiger Journalisten - gefolgt, und ich werde diese Politik der kontinuierlichen Schuldenaufnahme auch in den vor mir liegenden Wochen fortsetzen. Dazu werde ich das Bundeskabinett um einen Beschluß nach Art. 111 Abs. 2 des Grundgesetzes bitten. Die Opposition und andere behaupten nun, daß sich aus dieser vorzeitigen Kreditaufnahme Zinsbelastungen für den Bund ergeben. Ich halte diese Betrachtung - und dies ist eine höfliche Formulierung - zumindest für oberflächlich. ({3}) Was träte wohl bei einer massiven Zusammenballung der Kapitalnachfrage der öffentlichen Hände in einem begrenzten Zeitraum, z. B. Mitte dieses Jahres, an Verteuerungen der Kredite auf - ganz zu schweigen davon, was dies für den Kapitalmarkt, für den privaten Kreditnehmer an Erhöhung der Kapitalkosten bedeuten würde? Ich fürchte, die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes selbst könnte in Frage gestellt werden. Das ist ja auch der Grund dafür, daß die Bundesbank und die Sachverständigen uns an unsere gesamtwirtschaftliche Verantwortung erinnert haben. Wir haben im übrigen - und das wird Sie beruhigen - die Milliarden, die wir nicht zur sofortigen Haushaltsfinanzierung benötigen, zinsbringend am Markt wieder angelegt und haben von hierher auch Zinserträge für einige Monate - natürlich nur für einige Monate, denn dieser Vorlauf an Kreditaufnahme bietet ja nur für einige Monate die Möglichkeit, Erträge zu erzielen. Für mich steht fest: Diese Operation ist für unsere gesamte Volkswirtschaft, aber auch für den Steuerzahler nur von Vorteil. Wir werden aus heutiger Sicht von den von mir immer noch erwarteten 38 Milliarden DM Nettokreditaufnahme für 1976 noch gut 27 Milliarden DM zu tätigen haben. Allein diese Zahl macht deutlich, daß wir durchaus auch noch Probleme für 1976 haben. Aber heute können wir sagen: wahrscheinlich erreichen wir die von uns angestrebte Konsolidierung der öffentlichen Finanzen früher als erwartet. Denn unsere Finanzpolitik hat sich bewährt; ({4}) unsere Sparsamkeit trägt ebenso Früchte wie die Bereitschaft, über den Haushalt die Konjunktur zu stützen und - ({5}) - Ja, Ihnen bleibt nicht mehr viel als Lachen. Ich weiß das. Ihre Argumente sind zerflossen, und jetzt bleibt Ihnen nur noch Lachen. ({6}) Sie lachen im wesentlichen über ihre eigenen Argumente, die Sie noch vor wenigen Wochen hier vorgetragen haben. ({7}) : So viel Arroganz und Selbstbeweihräucherung! Der große Schuldenmacher! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir haben die Konjunktur über den Haushalt stabilisiert. Wir haben die soziale Stabilität in unserem Lande abgesichert. Erste Früchte drücken sich auch im Haushaltsabschluß 1975 aus. Aber - dies habe ich bereits gesagt und sage es immer wieder -weder gibt es Grund, die Situation der öffentlichen Finanzen nicht ernst zu nehmen, noch können wir bereits wieder zum Geldausgeben im größeren Stil übergehen. Auch in den nächsten Jahren wird von uns äußerste Sparsamkeit und Zurückhaltung bei neuen teuren Projekten, die die öffentlichen Finanzen überfordern könnten, verlangt. Vor einem allerdings möchte ich in diesem Kreise auch warnen, nämlich vor der Vorstellung, wir dürften nur auf die Sparsamkeit, auf die Begrenzung der öffentlichen Ausgaben starren. Wir haben daneben auch stets die gesamtwirtschaftliche Entwicklung im Auge zu behalten. Sie werden fragen, was dieses Ergebnis 1975 an Konsequenzen für den Haushalt 1976 beinhalten könnte. Was die Einnahmeseite anlangt, will ich mich hier nicht äußern. Wir bekommen im März eine neue Steuerschätzung. Diese Steuerschätzung wird ebenso sehr die Basis für die Aufstellung des Bundeshaushalts 1976 sein, wie die Steuerschätzung vom August 1975, die jetzt positiv übertroffen wurde, für die Bundesregierung die Richtschnur zur Aufstellung ihres Haushaltsentwurfs und zur Vorlage des Nachtragshaushalts war. Was die Ausgabenminderungen anlangt, so muß dringend davor gewarnt werden, die von mir genannten 5,2 Milliarden DM Ausgabeverminderungen im Jahre 1975 unkritisch auf 1976 oder sogar auf 1977 zu übertragen. Eine ganze Reihe von Einsparungen waren einmaliger Natur. Wir können heute doch nicht behaupten, daß die Zuschüsse für die Bundesanstalt für Arbeit 1976 gegenüber den Ansätzen erneut stark zurückgehen würden. Ich kann auch nur davor warnen, anzunehmen, wir könnten im Jahre 1976 erneut Zinsen im gleichen Maße sparen, obwohl wir eine deutliche Zinssenkungstendenz haben. Was wir heute fest einkalkulieren können, ist die Tatsache, daß eine Reduzierung der Verschuldung um 8 Milliarden DM im Jahre 1975 in den nächsten Jahren natürlich zu Einsparungen bei Kapitalkosten zwischen 500 und 800 Millionen DM führen könnten. Alle anderen Positionen müssen wir kritisch überprüfen. Dies muß im Haushaltsausschuß geschehen. Was den Bundeshaushalt 1977 anbelangt, so sehe ich nur in sehr begrenztem Maße Möglichkeiten, Konsequenzen aus den Minderausgaben im Jahre 1975 für das Haushaltsjahr 1977 zu ziehen. Dies führt mich zu der Feststellung, daß das finanzpolitische Konzept der Bundesregierung insgesamt durch die Ersparnisse im Jahre 1975 nicht berührt wird und es deswegen auch überhaupt keinen Grund für uns gibt, einen neuen Finanzplan vorzulegen. Die Opposition muß in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, daß sie es doch war, die bezweifelt hat, daß wir 1976 und 1977 mit der von uns unseren Haushaltsansätzen zugrunde gelegten Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts von real 5 % rechnen können. Wenn Sie dies aber bestreiten, können Sie auf der Einnahmenseite nicht davon ausgehen - und ich gehe auch nicht davon aus -, daß plötzlich ein Sturzbach von zusätzlichen Steuereinnahmen uns aus den Schwierigkeiten herausbringen wird. Im Gegenteil, wir werden in möglichst kurzer Zeit den Verlustrücktrag beschließen. Er wird die Einnahmen der öffentlichen Hände, hier insbesondere des Bundes und der Länder, um einige hundert Millionen DM verringern. Ich denke auch nicht, daß wir 1977 bei den Zuschüssen für die Bundesanstalt für Arbeit eine Art Sparkasse sehen können; denn, meine Damen und Herren, insgesamt haben wir in unserer mittelfristigen Finanzplanung für 1977 für die Bundesanstalt nur noch Zuschüsse in einer Größenordnung von 400 Millionen DM gegenüber 6 Milliarden DM im Jahre 1976 vorgesehen. Begrenzte Möglichkeiten, aus dem Ergebnis von 1975 Ersparnisse für 1977 und auch für 1976 zu errechnen, sehe ich. Dem stehen auf der anderen Seite Haushaltsrisiken gegenüber. Wir wissen heute, daß allein die Europäische Gemeinschaft 1976 fast eine halbe Milliarde DM mehr kosten wird, als wir im August und September angenommen haben. Ich fürchte, diese Entwicklung wird sich auch 1977 fortsetzen. Ich darf Sie im übrigen daran erinnern, daß wir in unserer mittelfristigen Finanzplanung für 1977 eine globale Minderausgabe in Höhe von 1,8 Milliarden DM vorgesehen haben. Auch sie muß ja noch eingespielt und eingespart werden. Ich ziehe daraus die Konsequenz, daß zwar das Ergebnis für 1975 erfreulich ist. Es ist erfreulich, daß wir 8 Milliarden DM weniger an Krediten brauchten, um den Haushalt zu finanzieren. Das zeigt, daß die Konsolidierungsbemühungen der sozialliberalen Koalition von Erfolg gekrönt waren. Es ist erfreulich, daß wir mit über 10 Milliarden DM in das Haushaltsjahr 1976 hineingehen und damit den Kapitalmarkt im beginnenden Aufschwung nicht in dem Maße belasten müssen, wie es zu befürchten stand. Heute weiß die Privatwirtschaft, daß ausreichend Finanzierungsspielraum für ihre eigenen Investitionen zur Verfügung stehen wird. Dennoch stehen wir für 1977 vor einer sehr schwierigen Aufgabe der inflationsfreien Haushaltsfinanzierung. Es gibt Haushaltsrisiken, die ich heute noch nicht quantifizieren kann. Andererseits ist es vernünftig und klug, aus den Ergebnissen von 1975 nur in sehr begrenztem Maße - wenn überhaupt - für 1977 Konsequenzen zu ziehen. Wir sehen für 1977 eine Nettokreditaufnahme von 21,8 Milliarden DM vor. Sie liegt damit, meine Damen und Herren, direkt unter der zulässigen Kreditobergrenze des Art. 115 des Grundgesetzes. Denn außerhalb der Rezession dürfen wir nur Investitionen oder das, was wir als Investitionen definieren, mit Kreditaufnahme finanzieren. Dies ist für uns ein Verfassungsgebot und muß beachtet werden. Aber unabhängig von diesem Verfassungsgebot sollten wir uns wohl einig sein in der Überzeugung, daß es darauf ankommt, die Kreditaufnahme nach Überwindung der Rezession so schnell wie möglich auf erträgliche Größenordnungen zurückzuführen. Damit bleibt unser sozialliberales Konzept der Überwindung der wirtschaftlichen Probleme in der Finanzpolitik weiterhin gültig: Bewußte Hinnahme der Defizite in der Rezession, allmählicher Abbau der Defizite im beginnenden Aufschwung, massive Reduzierung der Neuverschuldung des Bundes nach Überwindung der Rezession. Ich gehe davon aus, daß wir 1977 in dieser dritten Phase, Überwindung der Rezession, sind und damit vor der Notwendigkeit der massiven Reduzierung der Haushaltsdefizite stehen. Ich darf Sie daran erinnern, daß wir für das Jahr 1977 bereits in 1975 beträchtliche Vorleistungen erbracht haben. Wir haben gegenüber dem letzten Finanzplan für 1977 Ausgaben in einer Größenordnung von 6,6 Milliarden DM gestrichen. Wir haben durch die Maßnahmen zur Verbesserung der Haushaltsstruktur die Situation des Bundes für 1977 um 12 Milliarden DM entlastet, insgesamt um mehr als 18 Milliarden DM. Ein wesentlicher Teil dieser Maßnahmen ist gesetzlich verankert, andere Maßnahmen müssen bei den Haushaltsberatungen durchgesetzt werden. Beide Maßnahmen reichen allerdings nicht für eine dauerhafte Haushaltskonsolidierung aus. Wir, meine Damen und Herren, haben dazu erklärt, daß es nicht möglich und sinnvoll ist, darüber hinaus weitere Eingriffe in die Ausgaben der öffentlichen Hände vorzunehmen. Möglich wäre das nur, wenn wir massiv in den Bereich der inneren und der äußeren Sicherheit und in den Bereich der Sozialleistungen eingreifen. Wir sehen keine Möglichkeiten, in diesen Bereichen zusätzliche massive Einsparungen durchzusetzen. Wir können und wir wollen die innere und die äußere Sicherheit nicht gefährden. Wir denken nicht daran, das Netz der sozialen Sicherheit, das sich in den letzten Monaten zur Überwindung der Rezession und zum Erhalt des sozialen Friedens in unserem Lande so hervorragend bewährt hat, zu zerstören. ({8}) Aus diesem Grunde gehen wir den Weg der Steuererhöhung, so unbequem dieser Weg auch ist. Ihnen liegen heute drei Gesetzentwürfe vor. Erstens die Erhöhung der Tabaksteuer um 18 %. Das wird zu einer Verteuerung der Normalzigarette um 2 Pfennig führen. Zweitens eine Anhebung der Branntweinmonopolabgabe um 20 %. Eine Flasche Korn wird dadurch, einschließlich der erhöhten Mehrwertsteuer, um 80 Pfennige teurer werden. Und schließlich schlagen wir Ihnen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 11 % auf 13 % bzw. - beim ermäßigten Steuersatz - von 5,5 % auf 6,5 % vor. Der Bundesrat hat in verschiedenen Debatten den Eindruck erweckt - ich muß genauer sagen: einige Länder des Bundesrates haben den Eindruck erweckt -, als könnten die Bundesländer auch ohne diese Mehreinnahmen - und sie erhalten ja immerhin 3,3 Milliarden DM aus diesen Steuererhöhungen - ihre Haushaltsprobleme lösen. Ich halte diese Darstellung für falsch. Wenn ich mir die Länderhaushalte anschaue, dann kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, wie die Landesfinanzminister ohne diese zusätzlichen Einnahmen in der Lage sein wollen, ihre Etats im gleichen Maße und in der gleichen Geschwindigkeit wieder in eine Normallage zu bringen, wie das der Bund vor hat und wie wir das alle nötig haben. Die Opposition argumentiert im übrigen gegen die geplante Mehrwertsteueranhebung auch damit, daß ihr positiver Effekt für die Einnahmen der öffentlichen Hände zu einem wesentlichen Teil dadurch beseitigt werde, daß die öffentlichen Hände selbst von der erhöhten Mehrwertsteuer betroffen würden. Dies ist eine Halbwahrheit, und zwar deswegen, weil die Berechnungen des Landes Rheinland-Pfalz - ich sehe, daß mein Kollege Gaddum anwesend ist - den Eindruck erwecken, als würden von der Mehrwertsteueranhebung fast 50 % wieder als Mehrausgaben auf die öffentlichen Kassen zurückkommen. Wenn dies so wäre, würde ich allerdings die Mehrwertsteuer als Steuer für eine ziemlich törichte Veranstaltung halten. Herr Kollege Gaddum, wir haben sehr genau nachgerechnet. Wir erkennen auf Grund von Rechnungen, die wir Ihnen gerne zugänglich machen, daß knapp 2 Milliarden DM - es sind genau 1,8 Milliarden DM - von den über 10 Milliarden DM Mehreinnahmen bei den öffentlichen Kassen wieder als Ausgaben ankommen. Auch die Gemeinden werden von der Mehrwertsteuer betroffen. Das weiß ich. Ich weiß auch, daß sie nicht direkt an den Erträgen der Mehrwertsteuer beteiligt sind. Andererseits erhalten die Gemeinden über den Steuerverbund zwischen Ländern und Gemeinden einen Anteil an der Einnahmenverbesserung. Wer wollte leugnen, meine Damen und Herren, daß die Mehrwertsteueranhebung dem Bürger Opfer abverlangt? Steuererhöhungen verlangen stets Opfer von allen, die davon betroffen werden. Die Mehrwertsteuererhöhung hat allerdings gegenüber anderen Steueranhebungen einen Vorteil: Alle Bürger des Landes tragen zur Überwindung der rezessionsbedingten Haushaltsdefizite bei. Die zusätzliche Belastung liegt rechnerisch zwischen 12 DM monatlich für einen 2-Personen-Rentnerhaushalt und 55 DM monatlich für einen 4-Personen-Unternehmerhaushalt mit hohem Einkommen. Das sind natürlich zusätzliche Belastungen. Ich halte sie aber für erträglich. Das gilt insbesondere für die Bürger im Erwerbsleben. Die Steuerreform hat ihnen Vorteile gebracht, die monatlich zwischen 80 und 120 DM liegen. Im übrigen hat sich inzwischen trotz allen Geschreis im Lande herumgesprochen, daß die Steuerreform eine gute Sache ist. ({9}) Ich will im übrigen nicht verschweigen, daß die Steuerreform auch Ungereimtheiten hat. Aber wen wundert das eigentlich, wenn CDU und CSU, Sozialdemokraten und Freie Demokraten hier einen Kompromiß geschlossen haben? Die Rentner erhalten zum 1. Juli dieses Jahres erneut eine Aufbesserung ihres Nettoeinkommens um 11 %, so daß auch die Rentner diese Steuer tragen können. Es wird in diesem Hause - vielleicht ist das auch nachher in der Debatte wieder so - immer gesagt, die Steuerquote in unserem Lande sei zu hoch und deswegen müsse man sich gegen diese Steueranhebung aussprechen. Im internationalen Vergleich liegt die Steuerquote unseres Landes eher in der unteren Hälfte. Die Steuerreform hat die Steuerbelastung der Bürger stark reduziert. Selbst die von uns geplanten Steueranhebungen lassen die Steuerbelastung immer noch sehr viel geringer sein, als sie im Jahre 1974 vor der Steuerreform war. Insofern - dies wird hier erneut deutlich - bleiben die Vorteile der Steuerreform insbesondere für die Familien mit Kindern - und die liegen uns natürlich besonders am Herzen - weitgehend erhalten. Wir müssen dem Bürger dieses zusätzliche Opfer abfordern, weil wir nur so die Lücke zwischen den weiter gestiegenen öffentlichen Ausgaben und den seit vielen Monaten wegen der weltweiten Rezession stagnierenden öffentlichen Einnahmen im Interesse unserer Gemeinschaft, im Interesse der Solidität der Finanzwirtschaft in unserem Lande schließen können. Die Opposition hat in den letzten Monaten immer wieder den Eindruck zu vermitteln versucht, sie sei in der Lage, an diesen Steuererhöhungen vorbeizukommen, indem sie zusätzlich zu dem, was die Bundesregierung an Sparmaßnahmen im Haushalt vorgeschlagen hat, weitere Sparmaßnahmen in einer Größenordnung von mehreren Milliarden vorschlagen würde. Heute kennen wir den Wahrheitsgehalt dieser großsprecherischen Ankündigungen. ({10}) Wir haben beim Haushaltsstrukturgesetz mit der Opposition um jede Mark, die wir sparen wollten, ringen müssen. Wir haben uns am Ende weitgehend durchgesetzt, auch wenn wir einige Konzessionen haben machen müssen. Diese Konzessionen sind uns im übrigen schwergefallen, nicht wegen der Summe, sondern deswegen, weil sich die soziale Ausgewogenheit des gesamten Pakets auf Grund der Forderungen der Opposition verschoben hat. Doch eines können wir heute feststellen, ohne Polemik, ganz nüchtern, ganz sachlich: von der Opposition ist kein einziger ernsthafter Vorschlag von Gewicht gekommen, zusätzlich öffentliche Ausgaben zu sparen. ({11}) Die Opposition weicht der unangenehmen Debatte über die Haushaltsführung nach den Bundestagswahlen und damit der Notwendigkeit, vor dem Wahltag dem Bürger in diesem wichtigen Bereich der Politik die Wahrheit zu sagen, aus. ({12}) Wir dagegen sagen dem Bürger, daß trotz bereits erreichter Fortschritte zur Konsolidierung der öffentlichen Finanzen noch ein hohes Maß an Arbeit vor uns liegt. Der Bundeshaushalt 1977 kann nur in einer dann hoffentlich wieder gut beschäftigten deutschen Volkswirtschaft konjunkturgerecht finanziert werden, wenn wir die von uns erbetenen Steuererhöhungen bekommen. Damit bleibt die Frage an die Opposition auf der Tagesordnung, was sie denn an die Stelle der von der Regierung geforderten Steuererhöhungen setzen wolle. ({13}) - Das sind die üblichen Phrasen, mit denen Sie nicht sehr weit kommen. Politik muß konkretisiert werden, damit der Bürger sie begreift. Überschriften zu liefern ist eines Bundestagsabgeordneten unwürdig. ({14}) - Herr Leicht, das müssen Sie nun schon uns überlassen. ({15}) Eine Wiederaufstockung der Kredite, Herr Kollege Leicht, über das von uns prognostizierte Maß hinaus widerspräche der Notwendigkeit eine schnellen Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Es widerspräche unter Umständen aber auch den Grenzen, die der Art. 115 des Grundgesetzes zieht. Zumindest widerspräche aber eine Wiederaufstokkung der Kredite unseren konjunkturellen Notwendigkeiten, die darauf angelegt sind, den Kapitalmarkt für die Privatinvestitionen offenzuhalten. Sicherlich werden Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, versuchen, bis zum Wahltag bei Ihrer Taktik zu bleiben, sich selbst nicht festzulegen, eine eigene Position nicht sichtbar zu machen, sich jedes Arguments am Wege zu bedienen, um der eigenen Konzeptionslosigkeit ein Mäntelchen umzuhängen. Damit machen Sie allerdings deutlich, daß Ihnen eine eigene finanzpolitische Konzeption fehlt. Die Opposition spricht davon, daß der öffentliche Konsum eingeschränkt werden soll. Wir haben das erreicht, wie die Abschlußzahlen von 1975 zeigen. Herr Leicht, Sie haben diese Abschlußzahlen, die eine wesentliche Reduktion des öffentlichen KonBundesminister Dr. Apel sums im Jahre 1975 darstellen, nur als Skandal bezeichnet. Auch dies reicht als Beitrag nicht aus. ({16}) - Dann kommen Sie bitte hierher und begründen Sie, wieso es ein Skandal ist, wenn wir in der Lage sind, 8 Milliarden DM zu sparen! Dies möchte ich dann allerdings gerne hören.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Bitte schön!

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesfinanzminister, sind Sie so freundlich, zuzugeben, daß Ihre Zahl von 5,2 Milliarden DM, die Sie als Sparen bezeichnen, eine reine Fehlschätzung Ihres Hauses war? ({0})

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Herr Kollege Leicht, ist es eine Fehlschätzung, wenn die Konjunkturpolitik der Bundesregierung dazu führt, daß es weniger Arbeitslose gibt und wir auf diese Art und Weise 1 Milliarde DM weniger ausgeben müssen? ({0}) Herr Kollege Leicht, ist es eine Fehleinschätzung, wenn wir in der Lage sind, durch eine geschickte Ausnutzung des Kapitalmarktes dem Steuerzahler 1 Milliarde DM Zinsen zu ersparen? ({1}) Herr Kollege Leicht, ist es eine Fehleinschätzung, wenn in vielen Etatansätzen wenn auch nur kleine Millionenbeträge gespart werden können? Herr Kollege Leicht, ich habe darauf hingewiesen, daß hier auch Schätzansätze falsch liegen. Nur, die Schätzansätze sind kein Skandal; sie sind in jedem Haushaltsjahr eingetreten. ({2})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Aber natürlich!

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Geben Sie zu, Herr Bundesfinanzminister, daß es entweder Unfähigkeit oder Uninformiertheit von Ihnen oder bewußte Täuschung ist, wenn Sie sagen, daß die Arbeitslosenzahl abgenommen hat, obwohl die letzten Zahlen zeigen, daß sie um 100 000 zugenommen hat? ({0})

Dr. Hans Apel (Minister:in)

Politiker ID: 11000043

Herr Kollege Leicht, Sie müssen nicht, wenn Sie mit Ihrer ersten Zwischenfrage nicht zufriedenstellend angekommen sind, den Akzent mit einer anderen Zwischenfrage verschieben. ({0}) Hier wird nicht über Arbeitslosigkeit heute und jetzt gesprochen, sondern darüber, daß es uns gelungen ist, 40 000 Arbeitslose weniger als nach den Annahmen der Bundesanstalt zu haben. So ist es, meine Damen und Herren. ({1}) Aber ich kann aus diesen Zwischenfragen des Sprechers der Opposition, des Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, doch nur schließen, daß es immer noch unklar ist, worauf Sie mit Ihrer Argumentation eigentlich hinauswollen. ({2}) Dabei bleibe ich bei meiner Feststellung, daß Sie nicht bereit sind, mit uns hier und heute und in den nächsten Monaten in eine Sachdebatte darüber einzutreten, ob es eine Alternative zu unserer Haushaltspolitik gibt. Sie sprechen z. B. davon, daß wir weitere Kürzungen möglich machen sollten. Aber haben Sie nicht, Herr Kollege Leicht, noch vor wenigen Wochen durch die Beratungen des Vermittlungsausschusses, durch die Forderungen im Bundesrat, durch die Stellungnahme hier Kürzungen im Bereich der Subventionen in Milliardenhöhe verhindert? ({3}) - Aber natürlich! Wollen wir denn die Debatte über den Aufwertungsausgleich für die deutsche Landwirtschaft erneut aufgreifen? Ist es denn nicht so, daß das über eine Milliarde DM zusätzlicher Belastung gegenüber der Vorlage der sozialliberalen Koalition bringen wird? Ist das, was ich sage, falsch? Ist es falsch? - Es ist richtig. ({4}) - Jawohl, sonst hätten Sie sich wohl eben geäußert. Meine Damen und Herren, schauen wir uns die Haushaltsstruktur an. Wer z. B. bei der Verteidigung pro anno 3 Milliarden DM kürzen will, der müßte von den elf Divisionen des Heeres zwei völlig auflösen, der müßte auf modernes Gerät für die Bundeswehr verzichten. Ich halte derartige Vorstellungen für abenteuerlich. Ich stelle aber auch fest, daß die wehrpolitische Debatte am Ende der letzten Woche in diesem Hause das Gegenteil erbracht hat. Alle Fraktionen - alle; aber Sie wollen ja nicht zuhören - lehnen massive Eingriffe in den Wehretat ab. Sie haben im Gegenteil zusätzliche Ausgaben für den Wehretat gefordert. Ich nehme das gern zur Kenntnis. Nur, ich schließe daraus in Übereinstimmung mit allen politisch relevanten Kräften in unserem Lande, daß der Verteidigungsetat für massive Kürzungen nicht bereitsteht. Das gleiche gilt für die sozialliberale Koalition für den Bereich der inneren Sicherheit, insbesondere für den Sozialhaushalt. Wir geben im Sozialhaushalt - Bundeshaushalt 1977 - 24 Milliarden DM für die Rentenversicherung aus, 14 Milliarden DM für das Kindergeld, 12 Milliarden DM für die Kriegsopfer. Wenn die Opposition Steuererhöhungen ablehnt, den Verteidigungsetat nicht tangieren will - das wollen wir auch nicht -, die innere Sicherheit Gott sei Dank von niemandem in Frage gestellt wird, wir Beamte nicht entlassen wollen und nicht entlassen können, niemand, insbesondere Sie nicht, die Subventionsempfänger massiv tangieren will, dann muß ja wohl die Opposition, wenn Logik noch Logik ist, im sozialen Bereich zu Kürzungen greifen wollen. ({5}) Wir wiederum erklären eindeutig, ({6}) daß wir die 50 Milliarden DM, die in den drei genannten Positionen für den Sozialbereich in 1977 bereitstehen - Rentenversicherung, Kindergeld, Kriegsopferversorgung -, nicht kürzen. ({7}) - Ich bin fast am Ende. Sie können dann ja gleich etwas sagen. ({8}) - Man kann Sie, meine Damen und Herren - das spricht durchaus für Ihr Gemüt -, wirklich mit den kindlichsten Späßen unterhalten. Das spricht wirklich für Sie. ({9}) Insofern bin ich echt froh, daß ich das erreicht habe. ({10}) Wenn die Opposition konsistent argumentierte, müßte sie weniger Kindergeld, weniger Kriegsopferversorgung, einen geringeren Anstieg der Renten vorschlagen. ({11}) Ist das Ihre Alternative? Wir wollen das nicht. ({12}) Meine Damen und Herren, das Konzept der Opposition geht nicht auf. Sie wollen mehr ausgeben; ich denke an Herrn Stoltenberg, der noch vor einigen Tagen „mindestens 3 Milliarden DM" Steuerverzichte angeboten hat. ({13}) ({14}) Sie wollen den Haushalt schuldenfrei finanzieren. Ich sage Ihnen, das, was Sie uns bisher vorgetragen haben, ist Scharlatanerie im höchsten Grade, das ist unsolide. ({15}) Ich komme zum Fazit meiner Ausführungen. Meine Damen und Herren, die Ihnen vorgeschlagene Anhebung der Mehrwertsteuer, Branntweinsteuer und Tabaksteuer ist sicherlich unpopulär. ({16}) Daß wir Ihnen dies heute, 9 Monate vor den Bundestagswahlen, vorschlagen, ist ein Beweis dafür, daß wir davon überzeugt sind, daß die Wähler in unserem Lande auch vor Wahltagen nicht nur die Wahrheit ertragen, sondern Anspruch auf die Wahrheit haben und die Wahrheit hören wollen. Wir erklären den Wählern, daß wir diese Steuererhöhungen benötigen. Ein Ausweichen in eine höhere Neuverschuldung ist 1977 nicht möglich. Ein massives Kürzen der Ausgaben über das erreichte Maß hinaus - und es ist ein beträchtliches Maß - ist nicht möglich, konjunkturpolitisch gefährlich und gesellschaftspolitisch nicht zu verantworten. Wir sagen dem Bürger, daß die Anhebung der Mehrwertsteuer den Normalhaushalt in einem Maß belastet, das sozial verantwortbar ist. Die Vorteile der Steuerreform bleiben weiterhin erhalten. Alle Bürger sind an der Aufbringung dieser Mittel beteiligt. Es gibt keine einzelne Gruppe, die ungebührlich belastet würde. Schließlich müssen wir dem Bürger sagen, daß sich aus dem vergleichsweise günstigeren Ergebnis von 1975 keine leichtfertigen Schlußfolgerungen für die Zukunft ziehen lassen. Die Neuverschuldung ist 1975 mit 30 Milliarden DM sehr hoch gewesen. Sie muß abgebaut werden. Noch liegt ein schweres und dorniges Stück des Weges der Konsolidierung der Staatsfinanzen vor uns. Wir werden es, auch ohne Ihre Hilfe, so muß ich fürchten, bewältigen. ({17})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Die beiden Gesetzentwürfe sind begründet. Wir treten in die verbundene Vizepräsident Dr. Jaeger Debatte ein. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Häfele.

Dr. Hansjörg Häfele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000774, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag befaßt sich heute mit einem wichtigen Programmpunkt der Regierungserklärung von Bundeskanzler Helmut Schmidt vom 17. Mai 1974: Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Ein anderer Punkt dieser Regierungserklärung ist, wenigstens in einem ersten Schritt, gegen Ende des letzten Jahres von diesem Hohen Hause bewältigt worden. Ich darf wiederum zitieren: Wir schließen bei dieser Sparsamkeit, die notwendig wird, die Beschränkung von Leistungsansprüchen aus, die den Bürgern zugesichert sind. Meine Damen und Herren, angesichts der abenteuerlichen Staatsverschuldung, in die wir hineingeraten sind, die von Sachverständigen und der Opposition seit Jahren vorhergesagt wurde, kann jetzt auch die Bundesregierung nicht mehr bestreiten, daß da irgend etwas nicht mehr stimmt. Es ist verständlich, daß sie nach Lösungen ringt. Sie hat hauptsächlich folgende Lösung anzubieten: Der Staat braucht mehr Geld. Ich frage, ob diese Lösung richtig ist. Nun ist in den letzten Tagen durch die Bundesregierung selbst eine neue Verwirrung entstanden. Man hat es dem Herrn Bundesfinanzminister vorhin deutlich angemerkt, daß er nicht so richtig weiß: soll er jetzt eigentlich Sondermeldungen wegen des günstigen Abschlusses des Jahres 1975 verkünden, oder soll er mahnen, in den nächsten Jahren muß kräftig gespart werden? Er weiß noch nicht so richtig, welche Marschroute er in den nächsten Monaten einschlagen soll. Jetzt wird plötzlich von einem „Fettpolster" geredet, weil das Ergebnis des Jahres 1975 besser war, als man noch vor ein paar Monaten gemeint hat. ({0}) Am 26. September 1975 ist in diesem Hohen Hause der Nachtragshaushaltsplan 1975 verabschiedet worden, am 17. Oktober 1975 im Bundesrat. Damals meinte der Bundesfinanzminister, es bestehe überhaupt keine Chance, auch nur eine halbe Milliarde davon wegzustreichen. Zwei Monate später waren es zunächst drei, dann sechs Milliarden DM mehr, und am Schluß war das Gesamtergebnis rund acht Milliarden DM günstiger, als zwei Monate vorher geschätzt! ({1}) Entweder ist hier nicht solide gerechnet worden, oder die Öffentlichkeit und die Parlamente sind bewußt getäuscht worden. ({2}) Dies ist keine Politik der Haushaltswahrheit, dies ist keine Politik der Haushaltsklarheit. Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie vielleicht einmal zuhörten: Wie stellen Sie sich das eigentlich vor, daß die Öffentlichkeit noch Vertrauen in eine ruhige Hand der Finanzpolitik haben soll, wenn binnen zwei Monaten hier solche falschen oder richtigen Ergebnisse ausgetauscht werden? Wie wollen Sie im Grunde den Bürger davon überzeugen, daß er jetzt mehr Abgaben zu entrichten hat, wenn Sie auf der anderen Seite jetzt plötzlich Sondermeldungen fabrizieren wie „Fettpolster ist vorhanden"? Das paßt doch nicht zusammen, das nimmt Ihnen der Bürger doch nicht ab. ({3}) In Wirklichkeit ist es natürlich so - im zweiten Teil seiner Rede mußte der Finanzminister es auch einräumen , daß sich auf Jahre hinaus am Grundtatbestand der zerrütteten öffentlichen Finanzen durch dieses etwas günstigere Ergebnis des Jahres 1975 nichts geändert hat. Apel selbst muß einräumen, daß er in diesem Jahr 1976 brutto 50 bis 60 Milliarden DM Schulden aufnehmen und sich über 30 Milliarden DM netto verschulden muß. Er muß also rund 60 Milliarden DM aufnehmen, um rund 30 Milliarden DM zurückzubezahlen. ({4}) Das nennen Sie „Fettpolster"! In Wirklichkeit ist es nichts anderes als „Schulden auf Vorrat". Ich darf Ihnen einen persönlichen Vergleich bringen, damit jeder versteht, um was es im Grunde geht. Ich habe im letzten Jahr mein obligates alemannisches „Häusle" gebaut. Ich habe die zweite Hypothek mit 85 000 DM in das neue Jahr übernommen; 65 000 DM davon waren ausgeschöpft. Ich zahle für diese zweite Hypothek natürlich längst Zinsen. Meine Frau hat zu mir nicht gesagt „Gut, wir haben ein Fettpolster", sondern sie sagt nur eins: „Hoffentlich reicht es"; denn die Rechnungen laufen täglich ein. Genau das ist auch das Problem bei der Bundesregierung: Die Rechnungen werden in den nächsten Jahren einlaufen. Das sind Schulden auf Vorrat, das ist kein Fettpolster. ({5}) Die große Frage wird sein, ob die Rechnungen nicht viel größer sein werden, als Sie heute zuzugeben bereit sind. ({6}) Nein, Herr Finanzminister, Sie sollten die Bevölkerung nicht täuschen mit der völlig deplacierten Parole vom Fettpolster. So schaffen Sie kein Vertrauen. In meiner alemannischen Heimat sagt man nicht „Fettpolster", wenn man so Schulden hat wie Sie, sondern da sagt man: Der hat vielzuviel Geld „hinterefür" am Zins. Das ist der Tatbestand; es handelt sich nicht um ein Fettpolster.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Dr. Häfele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kirst?

Victor Kirst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001103, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, haben Sie eigentlich eine bescheidene Hoffnung, bei diesem Ansatz Ihrer Rede noch zu einer vernünftigen Begründung der Ablehnung der Steuererhöhungen zu kommen? ({0})

Dr. Hansjörg Häfele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000774, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kirst, ich würde Ihnen sehr empfehlen, genau zuzuhören. Ich bin gespannt, wie die FDP die laufenden Steuererhöhungen begründen will, nachdem sie draußen dauernd das Gegenteil davon verkündet. ({0}) Nein, Wahrheit bleibt: Der Staat - alle öffentlichen Hände - kann seine Ausgaben in den nächsten Jahren nicht mehr ordnungsgemäß finanzieren. Die Lösung der Bundesregierung besteht hauptsächlich darin, zu sagen, der Staat brauche mehr Geld, die Bürger müßten mehr bezahlen. Die entscheidende Frage ist, ob dies richtig ist. Die CDU/ CSU-Fraktion und die CDU/CSU insgesamt sehen in dieser Lösung mehr Nachteile als Vorteile. Ja, wir sind sogar davon überzeugt, daß das der grundsätzlich falsche Weg ist. Lassen Sie mich - Herr Kirst, jetzt kommen Sie auf Ihre Rechnung - die Hauptgründe für dieses Nein sagen. ({1}) - Darauf komme ich noch zu sprechen. ({2}) - Eine Partei, die Ludwig Erhard 1966 wegen kleiner Steuererhöhungen verlassen hat, macht jetzt Steuererhöhungen in diesem Umfang mit und will sich hier noch damit brüsten. ({3}) Erstens. Die Entlastungen der Steuerreform werden durch dieses Steuererhöhungskonzept mehr als rückgängig gemacht. Die Bundesregierung hat vor ein paar Wochen in einer Antwort auf unsere Kleine Anfrage die Entlastung der Bürger und der Wirtschaft insgesamt im Rechnungsjahr 1977 auf 14 Milliarden DM auf Grund der Steuerreform angesetzt. Die Mehrbelastung durch die Steuererhöhungen - Mehrwertsteuer, Tabak- und Branntweinsteuer -, die Abgabenerhöhungen nach dem Haushaltsstrukturgesetz - Erhöhung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags und andere Steuererhöhungen - beläuft sich im gleichen Rechnungsjahr 1977 auf rund 17 Milliarden DM. ({4}) Der Bürger und die Wirtschaft werden also stärker belastet, als sie durch die Steuerreform insgesamt entlastet worden sind. Der gute Kern der Steuerreform war der überfällige Teilabbau von jahrelangen heimlichen, inflations- und progressionsbedingten Steuererhöhungen, vor allem bei den kleineren und mittleren Lohnsteuerzahlern. Das wird jetzt durch dieses Programm, wenn man alle Abgabenerhöhungen in diesem Programm zusammenfaßt, mehr als rückgängig gemacht. Es trifft im Ergebnis - darüber müssen wir uns im klaren sein - weitgehend dieselben Burger, die breitesten Schichten der Arbeitnehmer, unmittelbar oder mittelbar, die einen mehr, die anderen weniger. Herr Finanzminister, Sie sollten keine falschen Zahlen in bezug auf die Belastung hier in die Welt setzen. Eine Zeitlang sprachen Sie von einer Durchschnittszahl von 20 DM. Heute sprachen Sie sogar davon, der einzelne Haushalt werde nur mit 12 DM zusätzlich belastet. Was ist die Wirklichkeit? - Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland etwa 24 Millionen Haushalte. Auf die Bürger und die Wirtschaft kommt eine Mehrbelastung von insgesamt 17 Milliarden DM zu. Wenn Sie diese Mehrbelastung auf die Haushalte verteilen, macht das monatlich 60 DM. Nun gibt es aber 6,5 Millionen Einpersonenhaushalte, die geringer belastet werden, so daß die Durchschnittshaushalte, die Haushalte mit drei Personen, wesentlich stärker belastet werden, nämlich mit rund, nehmen wir einmal an, 70 DM monatlich. Um so mehr aber werden die Mehrpersonenhaushalte belastet, vor allem die kinderreichen Haushalte. Das ist eine Rechnung, die niemand bestreiten kann. Das Ergebnis insgesamt ist also: Mit der einen Hand wird genommen und zwar mit steigender Tendenz, was mit der anderen, spät genug, bei der Steuerreform gegeben wurde. Wie sagte doch Finanzminister Apel Ende August 1974 in Wandsbek? - Es sei - jetzt wörtlich ausgeschlossen, daß wir zum Ausgleich für die Entlastung durch die Steuerreform andere Steuern, z. B. die Mehrwertsteuer, erhöhen. Für Sozialdemokraten wäre dies ein schlechter Witz, und schlechte Witze machen wir nicht. ({5}) Wir denken nicht daran, den Bürgern mit der einen Hand etwas zu geben und mit der anderen zu nehmen. Das wäre nicht nur unsozial, das wäre unseriös. ({6}) Herr Finanzminister, Sie wissen das genau. Das ist auch der tiefere Grund dafür, daß die Steuererhöhung auf das Jahr 1977 verschoben wird, damit der Bürger das nicht vor dem Wahltag am eigenen Leib spüren soll. Das ist die ganze Strategie. ({7}) Zweitens. Wir lehnen diese Mehrwertsteuererhöhung ab, weil sie der grundsätzlich falsche Weg zur Lösung des Problems ist, auf dem die zu hohe Staatsquote nicht abgebaut, sondern festgeschrieben wird. Staatsquote ist der Anteil dessen, was vom gesamten Sozialprodukt über öffentliche Kassen insgesamt ausgegeben wird. Diese Staatsquote belief sich im Jahre 1970 noch auf 37%. Sie ist im Jahre 1975 angestiegen auf mehr als 47 °/o. Sie ist in den letzten Jahren laufend gestiegen. Es gibt sogar neuere Berechnungen, wonach sie inzwischen schon bei mehr als 48 % angelangt ist. Jede zweite Mark unseres volkswirtschaftlichen Kuchens wird also über irgendeine öffentliche Kasse wieder ausgegeben. Selbst wenn ein Teil dieser zu hohen Staatsquote konjunkturbedingt sein mag - das mag durchaus sein -, ist dies doch ein tief eingefressener Strukturfehler, der auf jeden Fall, wenn nicht durchgreifende Änderungen erfolgen, bleiben wird. Dabei ist der Anteil der gesetzlich festgelegten, wiederkehrenden konsumtiven Ausgaben - und das ist das Besorgniserregende -, vor allem der Personalkosten, laufend gestiegen und der Anteil der investiven Ausgaben laufend gesunken. Dies ist die eigentliche Fehlentwicklung der Finanzpolitik in den letzten Jahren, seit diese Koalition hier die Verantwortung trägt. ({8}) Der zu hohe und zudem falsch zusammengesetzte Staatsanteil ist auch ein wichtiger Grund für das Erschlaffen der dynamischen Kräfte in Wirtschaft und Gesellschaft, für die Wirtschaftskrise. Wenn dies richtig ist - und es ist richtig -, dann muß das Übel an der Wurzel gepackt werden; daran führt kein Weg vorbei. Das Übel in der Finanzpolitik besteht nicht darin, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland zu wenig Abgaben haben, sondern darin, daß wir zuviel und falsch strukturierte öffentliche Ausgaben haben. ({9}) Das Finanzprogramm der Bundesregierung ist im Kern weniger ein Sparprogramm, sondern vor allem ein Abgabenerhöhungsprogramm. Im Jahr 1977 verschafft sich die Bundesregierung durch ihr Finanzprogramm für alle öffentlichen Hände Mehreinnahmen und damit Mehrbelastungen bei Bürger und Wirtschaft von rund 17 Milliarden DM. Die wirklichen Minderausgaben im Sinne von Einschränkung gesetzlich verbriefter Leistungen belaufen sich durch das Haushaltsstrukturgesetz im Jahre 1977 nur auf etwa 4,5 Milliarden DM. Im Vergleich zu dem, was tatsächlich gespart wird, werden die Bürger mit Mehrausgaben um das Vierfache belastet. Das ist der grundsätzlich falsche Weg. Meine Damen und Herren, wir brauchen in Deutschland nicht mehr Staat, wir brauchen weniger Staat. Das ist die Aufgabe der nächsten Jahre. ({10}) Durch dieses falsch angesetzte Finanzprogramm werden die Irrtümer der letzten Jahre fortgeschrieben. An der Wiege dieser Irrtümer standen nicht Ausrutscher. Es handelt sich vielmehr um eine sozialistische Strategie, die schon im Langzeitprogramm der SPD unter Leitung von Helmut Schmidt erarbeitet wurde. Auf dem SPD-Parteitag in Bonn 1971 sagte Helmut Schmidt, der Leiter der Kommission für das Langzeitprogramm: Der öffentliche Anteil am Sozialprodukt muß wachsen, wenn das öffentliche Wohl wachsen soll. ({11}) Am 20. September 1974 - da war er schon Bundeskanzler - bestätigte er diese Version vor dem Deutschen Bundestag mit folgenden Worten - er erklärte es für die Dauer der Wirtschaftskrise wörtlich -: So lange wird man ein bißchen kurztreten müssen mit der Wiederausweitung des öffentlichen Korridors . . . Das mag ein Jahr dauern, das mag zwei Jahre dauern. Es braucht sich niemand zu täuschen, daß wir etwa das, was wir uns vorgenommen hatten, dann nicht wieder auf den Tisch legen und voranbringen würden. Das wäre ein Irrtum. Deutlicher kann man das wirkliche Konzept nicht umschreiben. Zwar hat dann Bundeskanzler Helmut Schmidt am 23. Oktober 1975 vor dem Bundesverband des Groß- und Außenhandels etwas beruhigend auf die Unternehmer eingewirkt, indem er gesagt hat, die hohe Staatsquote von 1975 sei aus konjunkturellen Gründen notwendig. Das ist übrigens das Gegenteil der vorigen Aussage. Er sagte, auf Dauer solle und könne man sich aber eine so hohe Staatsquote nicht leisten. Nun, Worte entscheiden nicht, zumal die anderen deutlich genug waren. Entscheidend sind die Taten. Das Programm der Regierung ist in Wirklichkeit nicht ein Sparprogramm, sondern im Kern ein Abgabenerhöhungsprogramm. Der zu hohe Staatsanteil wird dadurch festgeschrieben. Die FDP - Herr Kirst, jetzt kommen Sie auf Ihre Rechnung - macht bei dieser grundlegend falschen Weichenstellung mit, die gleiche FDP, deren führende Leute bis in den Sommer letzten Jahres hinein vor jeder Steuerhöhung gewarnt haben und draußen auf den Festversammlungen überall verkünden, sie seien im Gegenteil für Steuersenkungen. Genscher am 5. Juni 1975: Wir brauchen „Ruhe an der Steuerfront". - Friderichs am 23. Juli 1975 vor seinem eigenen FDP-Parteivorstand: Die Staatsquote zu hoch. Wir bräuchten eine Steuerlastverminderung; sonst kämen wir aus der Wirtschaftskrise nicht heraus. - Mischnick und Graf Lambsdorff riefen bis Ende Juli gegen Steuererhöhung. Und plötzlich war es still um sie, und sie stimmten den Steuererhöhungen zu. Ein interessanter Beitrag zu dem Kapitel „Worte und Taten". ({12}) Zur gleichen Stunde, wo wir hier über Steuererhöhungspläne der SPD und der FDP beschließen müssen, ist Bundeswirtschaftsminister Friderichs in meinem Wahlkreis und redet vor Unternehmern, jetzt, um 11 Uhr. Er wird ihnen mit Sicherheit er14998 zählen, wie er für Steuersenkungen ist - wiederum ein Beitrag zu dem Thema: Worte und Taten! ({13}) Nun, Herr Kirst, zu den Alternativen. Was kann angesichts der beängstigenden Verschuldung nur der Ausweg sein? Es führt kein Weg an einer grundsätzlichen Wende der deutschen Finanzpolitik vorbei. ({14}) Der Staat - und zwar alle öffentlichen Hände - muß in den nächsten Jahren noch weit über das hinaus sparen, was er in einem ersten Schritt durch das Haushaltsstrukturgesetz eingeleitet hat. Der Staat - alle öffentlichen Hände - hat sich übernommen. Daraus muß die Schlußfolgerung gezogen werden. Der Staat hat jahrelang so getan, als ob wir ewig große Wachstumssprünge hätten und als ob ein „bißchen" Inflation - mit den heimlichen Steuererhöhungen - die Probleme lösen könnte. Das war ein großangelegter Irrtum. Hier muß eine grundlegende Wende einsetzen. Die eigentliche Frage wird in den nächsten Jahren sein - und das ist viel zu ernst, als daß Sie, gerade als vermeintliche Liberale, das bestreiten sollten -: Was ist denn eigentlich des Staates, und was ist des Bürgers? Was kann der Staat überhaupt noch leisten? Was kann der Staat nicht mehr leisten? Wir müssen die öffentlichen Ausgaben - sprich: die öffentlichen Aufgaben - mindestens im Zuwachs auf Jahre hinaus beschränken. Wir müssen von der Illusion der letzten Jahre Abschied nehmen, wonach die öffentlichen Hände alles und jedes auf dieser Welt lösen oder regeln könnten. Mehr Staat heißt im Ergebnis - und da schlittern wir in Deutschland ganz schön hinein - immer mehr Reglement, immer mehr Gesetze, immer mehr Bürokratie, immer mehr öffentliche Bedienstete. Das ist nicht die Schuld „der" Beamten, sondern gerade die tüchtigsten unter den Beamten sind Leidtragende dieser Entwicklung. Das ist die Schuld der Regierung. Das ist die Schuld der Politiker. Der Staat hat zu viele Aufgaben übernommen. Er hat zu viel versprochen. Er hat zu viele Ansprüche geweckt. Das ist eine Folge des Taumels der Reformlust und des Rausches der Versprechungen, ja Verheißungen aus dem Jahre 1969 und den Jahren danach. Jetzt bekommen Sie die Rechnung für das, was Sie damals dem Volk gesagt haben. ({15})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Häfele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kirst.

Dr. Hansjörg Häfele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000774, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Victor Kirst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001103, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Häfele, würden Sie in einer leichten Anwandlung von Selbsterkenntnis einräumen, daß Ihre Analyse zwar manches Richtige enthält, daß diese Politik aber das Ergebnis der Bemühungen des gesamten Hauses, insbesondere seiner Sozialpolitiker ist?

Dr. Hansjörg Häfele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000774, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kirst, Sie können aber doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß seit dem Herbst 1969 in Deutschland die Hauptverantwortung für die Finanzpolitik in der Hand der SPD und der FDP, in der Hand dieser Bundesregierung liegt. ({0}) Herr Kirst, wenn wir alle miteinander die Schlußfolgerungen daraus ziehen, dann ist das um so besser. Wir sind doch dazu bereit, die Schlußfolgerungen daraus zu ziehen. Aber, daß das eine mühsame Sache werden wird, darüber müssen wir uns im klaren sein. ({1}) Sicher ist eines: Wenn diese grundlegende Wende in den nächsten Jahren nicht beharrlich fortgesetzt wird, dann ersticken wir in Deutschland vollends vor lauter Bürokratie, Schwerfälligkeit, Abgabenbelastung und Schwund an Dynamik, Leistung, schöpferischer Kraft und Initiative. Genau diese private Dynamik aber, meine Damen und Herren, brauchen wir in den kommenden Jahren dringend, wenn wir die Wirtschafts- und Finanzkrise meistern wollen und wenn wir die Arbeitslosigkeit beseitigen wollen. Wir brauchen nicht mehr Staat, um das zu lösen. Wir brauchen eine neue private Dynamik. Wir brauchen neue Mehrleistungen. Wir brauchen neue Investitionen. Wir brauchen neues, und zwar dauerhaftes Wachstum. Das ist die Voraussetzung dafür, wenn wir die Grundlage unseres sozialen Sicherheitssystems in die Zukunft retten wollen. ({2}) - Ich möchte diesen Gedanken jetzt im Zusammenhang erläutern. Das ist überhaupt die Grundlage dafür, daß wir das retten können. Wir, die CDU/CSU, wollen die dynamische Rente erhalten, die schließlich wir 1957 in Deutschland geschaffen haben. Wir wollen, daß der, der ein Leben lang arbeitet, sich darauf verlassen kann - auch in Zukunft -, die Früchte seiner Arbeit ernten zu können und gegen die Wechselfälle des Lebens gesichert zu sein. Meine Damen und Herren von der Koalition, wenn Sie nur noch kurze Zeit so weitermachen, können Sie das dem Volk nicht mehr garantieren. Das nehmen sie ihm im Grunde heute schon weg. ({3}) Damit das vielgepriesene soziale Netz nicht auf den Boden fällt, ist Voraussetzung, daß die Tragpfeiler des Netzes nicht umstürzen. Die Tragpfeiler des sozialen Netzes sind aber private Dynamik, Investition, Leistung, Wachstum. Ohne diese können Sie das soziale Netz nicht halten. Es fällt sonst mit den Stützpfeilern auf den Boden. Die bisherigen Sparmaßnahmen der Bundesregierung, die spät genug gekommen sind, reichen bei weitem nicht aus, um diese Wende einzuleiten. Wir brauchen eine Umstellung bei allen öffentlichen Körperschaften, auf Jahre hinaus. Der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministers hat recht, wenn er sagt, Steuererhöhungen seien immer nur das allerletzte Mittel. Genau gegen diesen Grundsatz verstößt die Bundesregierung. Der Sachverständigenrat hat kürzlich in seiner grundsätzlichen ordnungspolitischen Ausführungen, die übrigens oft sehr bemerkenswert sind und einem mehr mitgeben können als die aktuellen Prognosen, die ja vielfach nicht sehr überzeugend sind, mit Recht festgestellt, die eigentliche Frage der Finanzpolitik der nächsten Jahre sei die Revision der Staatstätigkeit überhaupt; dies sei ein Dauerauftrag der Finanzpolitik. Es bestehe die Gefahr, daß die Revision der Staatstätigkeit aufgegeben werde, sobald der Druck nachlasse. Genau damit operieren Sie. Sie wollen einen scheinbar bequemen Weg durch die Mehrwertsteuererhöhung gehen und wählen einen Zeitpunkt nach der Wahl, um sich vor den eigentlichen Entscheidungen zu drücken. Nun fragen Sie, Herr Finanzminister, und auch Sie, Herr Kirst, die Opposition mit Recht, wo konkret gespart werden soll. ({4}) Die Bereitschaft der CDU/CSU, bei echten Sparmaßnahmen mitzuwirken, ist in aller Deutlichkeit bekundet worden. ({5}) Wir haben im Haushaltsausschuß die Vorschläge des Bundesrechnungshofs aufgegriffen. Es ist sehr bedauerlich, daß die Regierung dem nicht folgen will. Wir haben entgegen dem, was der Finanzminister vorhin gesagt hat, im Haushaltsausschuß eine fünfprozentige Kürzung der Subventionen vorgeschlagen. Wir haben auch andere Vorschläge gemacht. Wir haben uns bereit erklärt - ({6}) - Ich möchte diese Gedanken im Zusammenhang ausführen, Herr Kirst, es tut mir leid. Herr Finanzminister, zwei Monate vorher sagen Sie, es gehe nichts mehr, es könne auch nicht eine Milliarde mehr gespart werden. - Das wollte die Opposition ja im Haushaltsausschuß. - Zwei Monate später, als das Ergebnis des Jahres 1975 besser ist, sagen Sie, Sie hätten über 5 Milliarden DM mehr gespart, Sie hätten einen Sparhaushalt, Sie seien die besseren Sparer. So geht es nicht! Entweder ist das eine oder das andere richtig. Wenn Sie weiter so operieren, Herr Finanzminister, dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn Ihnen in Deutschland niemand mehr etwas glaubt und Ihnen niemand die Kasse anvertrauen will. ({7}) Wir haben unsere Bereitschaft beim Haushaltsstrukturgesetz, was den echten Sparteil anbelangt, deutlich bekundet, indem wir ihm zugestimmt haben. Wir haben uns völlig anders verhalten als die SPD-Opposition 1966. Wir waren eine konstruktive Opposition. Den Sparteil haben wir in diesem Hause und im Bundesrat mitgetragen. Den Abgabenerhöhungsteil haben wir allerdings mit Recht abgelehnt. Entscheidend ist aber, meine Damen und Herren, daß unser Kanzlerkandidat Helmut Kohl ({8}) ein umfassendes Angebot zu einer grundsätzlichen Kurskorrektur und auch zu unpopulären Entscheidungen beim Sparen wiederholt angeboten hat. In seiner großen Rede hier vor dem Deutschen Bundestag am 17. September letzten Jahres ({9}) hat er dieses umfassende Angebot in aller Deutlichkeit wiederholt. Was war die Antwort der Regierung? Am gleichen Tag hat Bundeskanzler Helmut Schmidt hier Herrn Poullain, den Präsidenten der Sparerschutzgemeinschaft, abgekanzelt, weil er Vorschläge zu noch mehr Sparen gemacht hat, und zwar gegen seine eigene Interessenlage. Anstatt einen solchen Mann zu loben, anstatt einen Wettbewerb der Sparvorschläge in der Bundesrepublik zu entfachen, wird ein Verbandsvertreter, wenn er Vorschläge macht, hier noch vom Bundeskanzler im Deutschen Bundestag abgekanzelt. Was macht die Regierung? Sie wartet im Grunde nur auf Sparvorschläge von uns, ({10}) um dann dem Bürger sagen zu können: Seht mal, die wollen euch etwas wegnehmen, die betreiben soziale Demontage. Genau diese Arbeitsteilung haben Sie vor. ({11}) Wie lauteten denn die Inserate im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf, diesem großangelegten Täuschungsmanöver im letzten Frühjahr? Was hat denn Heinz Kühn am 9. April 1975 in den Zeitungen veröffentlicht? Es hieß da wörtlich: „CDUPolitiker möchten den Ausbau der sozialen Leistungen stoppen." Stoppen! Drei Monate später haben Sie hier soziale Leistungen eingeschränkt. Dann ist es aber gut. Wenn wir jedoch nur die Frage aufgreifen, dann betreiben wir soziale Demontage. ({12}) So stellen Sie sich den Wahlkampf vor. Das ist Ihr Konzept. ({13}) Wie schleichende Tiger warten Sie auf jeden konkreten Vorschlag, um ihn abzulenken und um vor der Wahl zu sagen, wir wollten soziale Demontage treiben. Nach der Wahl denken Sie aber: Einsammeln kann man immer, wenn wir nur die Wahl gewonnen haben. Das ist Ihr Konzept, meine Damen und Herren! ({14}) Nein, die Verantwortlichkeiten müssen klar bleiben. Die Regierung hat die Führungspflicht. Das groß angelegte Angebot von unserem Kanzlerkandidaten ({15}) ist von der Regierung zurückgewiesen worden. Wir machen die Arbeitsteilung nicht mit, daß die Opposition vor der Wahl sagen soll, wo man kürzen soll, und daß Sie uns verketzern und erklären: Aber die Bahnsanierung, die machen wir nach der Wahl, die Rentensanierung, die machen wir nach der Wahl - so erklärt die FDP -, die Sanierung der Krankenversicherung, die machen wir nach der Wahl. Die Opposition soll es vor der Wahl beantragen; Sie lehnen das ab und sagen: Das ist alles unsozial, und: Wir selber aber machen alles erst nach der Wahl. Eine solche Arbeitsteilung macht die Opposition hier nicht mit! ({16}) Es war ein schwerwiegender Fehler des Bundeskanzlers Helmut Schmidt, daß er im Sommer letzten Jahres die ausgestreckte Hand der CDU/CSU zurückgewiesen hat, daß er vor allem die auch in weiten Teilen des Volkes vorhandene Bereitschaft noch mehr zu sparen, die deutlich spürbar war, nicht genutzt hat. Es könnte sein, daß er einen Kairos, einen günstigen Zeitpunkt, verpaßt hat und daß uns alle das in den nächsten Jahren teuer zu stehen kommen wird. Jetzt wird natürlich nicht mehr vom Sparen geredet, jetzt wird vorn „Aufschwung" geredet, jetzt wird vom „Fettpolster" geredet. So wollen Sie unser Volk in eine finanzielle Zukunft führen! Als hätten wir nur einen Schnupfen gehabt und wären kerngesund aus dieser Krise hervorgegangen und als wären die öffentlichen Finanzen in einem Zustand, wie es vor Beginn der Tätigkeit dieser Regierung der Fall war! Nein, die Verantwortlichkeit der Regierung muß klar bleiben. Die Regierung trägt die Verantwortung dafür, daß im letzten Jahr in Deutschland durchgreifende Sparbeschlüsse nicht zustande gekommen sind. ({17}) Drittens. Die Steuererhöhung zerstört Bewegungsraum für eine zukunftweisende Steuer- und Finanzpolitik. Trotz der sogenannten Steuerreform sind die Bürger und die Wirtschaft in Deutschland an den Grenzen der Abgabenbelastbarkeit angelangt, ja haben diese teilweise überschritten. Leistung und Aufstieg des Bürgers kann nicht unbegrenzt bestraft werden. Überbesteuerung beeinträchtigt die Investitionsfähigkeit der Wirtschaft - ein Grund für unsere Wirtschaftskrise. Deswegen hat die Fraktion der CDU/CSU am 21. Oktober letzten Jahres ein Programm zum schrittweisen Abbau dieser Überbesteuerung und zur Verbesserung der Investitionsfähigkeit und damit zur Sicherung der Arbeitsplätze beschlossen. Wir brauchen Leistung und Investitionen in den nächsten Jahren dringend, um ein dauerhaftes Wachstum zu sichern, um die Arbeitsplätze wieder sicher zu machen und, was dringend erforderlich ist, zusätzliche zu schaffen. Nun sagt der Herr Bundesfinanzminister auch heute wieder: Das mit dieser Abgabenbelastbarkeit stimmt ja gar nicht; schaut euch doch einmal die Steuerlastquote an, die war schon einmal - nämlich 1969 - höher, sie ist ja 1975 nicht so hoch gewesen wie 1969 mit 24 %. Dabei übersehen Sie einmal, daß Sie natürlich ein Ausnahmejahr herausgreifen. Jeder Finanzpolitiker weiß, daß das Jahr 1969 ein Ausnahmejahr war, weil vor allem durch die vorgezogenen Einnahmen der Gemeinden aus der Gewerbesteuer vor der Gemeindefinanzreform natürlich überhöhte Steuereinnahmen vorlagen. In den ganzen 60er Jahren sind diese 24 % nur noch einmal -1962 - erreicht worden; sonst waren es 22, ... oder 23, ... oder sogar auch 21, ... %. Und dann, Herr Finanzminister, machen Sie für das Jahr 1975 aus der Not eine Tugend. Sie wissen natürlich auch, daß die Wirtschaftskrise nicht spurlos an den Steuereinnahmen vorbeigegangen ist. Die Unterbeschäftigung und der Rückgang der ertragsabhängigen Steuern haben sich natürlich auch in der Steuerlastquote niedergeschlagen. Man kann also umgekehrt argumentieren: Wenn das schon - trotz Steuerreform - nicht stärker zurückgegangen ist, wie wird es erst dann sein, wenn - was hoffentlich bald der Fall sein wird - wieder normale Wachstumszeiten kommen? Welche Steuerlastquote werden wir dann in Deutschland trotz Steuerreform haben? Die Steuerlastquote ist zudem - das weiß jeder Finanzpolitiker - für den Vergleich problematisch. Besser zum Vergleich eignet sich die Zwangsabgabenquote insgesamt, und noch besser ist die Abgabenlastquote im internationalen Vergleich überhaupt. Im internationalen Vergleich sind auch freiwillige Sozialaufwendungen und andere Bestandteile enthalten; das ist international üblich. Dann kommen wir auf 2 bis 2,5 % mehr, als die Regierung immer angibt. Wenn wir diesen internationalen Vergleich bei der Abgabenlastquote nehmen, nähern wir uns in Deutschland zur Zeit der 40-%-Grenze; 40 % des Sozialprodukts werden schon durch Abgaben an öffentliche Kassen eingezogen! Über 48 % werden ausgegeben; die Differenz ist die Verschuldung des Staates. Auf jeden Fall ist sicher - das weiß auch jeder Finanzpolitiker -, daß die steuerliche Belastung und Belastbarkeit des einzelnen Steuerzahlers im Wert der volkswirtschaftlichen Steuerlast-quote kein geeignetes Meßinstrument findet. Viel wesentlicher ist die Abgabenlastquote insgesamt. Der Sachverständigenrat hat kürzlich mit Recht auf einige bedenkliche Beispiele hingewiesen. Er weist nach, daß trotz Steuerreform im Jahre 1975 die durchschnittliche Belastung des durchschnittlichen deutschen Arbeitnehmerhaushalts - keine Spitzenzahlen, sondern durchschnittliche Zahlen! - schon bei 40 % angelangt ist, allerdings unter Einschluß der indirekten Steuern und - das muß man sagen - unter Einschluß der Arbeitgeberbeiträge, die aber im Ergebnis natürlich personalbedingte Kosten für das Unternehmen sind. Er weist ferner nach, daß wir schon bald auf eine durchschnittliche Belastungsquote beim durchschnittlichen deutschen Arbeitnehmer von 45, ja 46 % kommen. Das betrifft nicht die Spitzenverdiener, das sind auch nicht die Spitzensätze, sondern das sind Durchschnittssätze. Von den berühmten 100 DM mehr, die einer bekommt, ist der Abzug noch unvergleichlich größer. „Vieles spricht dafür", sagt der Sachverständigenrat wörtlich, „daß wir uns Grenzen der Abgabenbelastung nähern." Wenn diese Gesetze zustande kommen, meine Damen und Herren, wird diese Grenze vollends überschritten. Entscheidend ist, daß die Lohnsteuerquote in den letzten Jahren laufend steigend war und auch künftig steigen wird, und entscheidend ist, daß wir gerade am Beginn dieses Jahres 1976 wieder andere Abgabenerhöhungen erlebt haben. Die Beitragsbemessungsgrenzen bei den Sozialversicherungen sind durchweg angehoben worden. Darüber hinaus mußten die Krankenversicherungsbeiträge draußen in der Selbstverantwortung erhöht werden. Jeder weiß: wiederum nur ein Schritt, weitere werden folgen. Der Arbeitslosenversicherungsbeitrag ist um 50 % von 2 auf 3 Prozentpunkte durch die Bundesregierung gegen unseren Widerstand angehoben worden. Andere Lohnnebenkosten steigen. Man rechnet in Deutschland schon mit Lohnnebenkosten von über 60 % - Spitzengruppe in der ganzen Welt! Alles Kosten, die von Bedeutung sind! Die Gemeinden ziehen zur Zeit - lesen Sie es nach! - bei den Gemeinderatssitzungen überall die Steuer- und Gebührenschraube an, notgedrungen, weil ihnen das Wasser am Hals steht, sie können gar nicht mehr anders. Die Bundesregierung beschließt Abgaben besonderer Art, weil sie nicht zugeben will, daß das im Ergebnis, in der Wirkung auch Steuern sind. Die Kohlepfennig-Erhöhung ist gestern hier eingebracht worden. In den Zeitungen liest man, daß ein neues Steuermonstrum zur Zeit von der Bundesregierung erfunden wird: eine Sonderabgabe für Erdöl- und Erdgasförderung in Deutschland. Die heimlichen Steuererhöhungen setzen sich in Deutschland auch nach der Steuerreform - teilweise verstärkt - fort. Es ist ausgerechnet worden - lesen Sie das in den Fachzeitschriften nach -, daß 1976 - ein wichtiger Gesichtspunkt für die Tarifvertragspartner - brutto 8 bis 12 % mehr ausgehandelt werden muß, um real den Stand von 1975 zu halten. Das ist die Wirklichkeit der Abgabenbelastung in Deutschland! Die Tarifvertragspartner, meine Damen und Herren, werden durch diese Abgabenerhöhungspolitik geradezu genötigt, das wirtschaftspolitisch Falsche zu tun. Das ist der Teufelskeis, in dem wir uns befinden. Wir dürfen die Fehler der letzten Jahre, die heimlichen Steuererhöhungen zu lange laufen zu lassen, nicht wiederholen. Wäre doch die Entlastungsinitiative der CDU/CSU-Fraktion vorn Sommer 1973 damals gleich zum Zug gekommen! Dann wäre früher der Schein der nicht gesicherten Finanzierung der Staatshaushalte zerrissen worden, und der Staat, die öffentlichen Körperschaften wären früher zu diesem Sparprozeß genötigt worden, der die Umkehr bedeuten muß. Deswegen bleibt es auch in den nächsten Jahren eine wichtige Aufgabe - sie ist durch die Steuerreform nicht gelöst -, den Abbau der Überbesteuerung der Bürger und der Wirtschaft fortzusetzen. Der Bürger muß von dem Würgegriff der leistungs- und aufstiegshemmenden Progression schon nach kurzem wieder befreit werden, die Wirtschaft muß von der Substanzbesteuerung befreit werden, und sie muß die EG-Wettbewerbsverfälschung so schnell wie möglich losbekommen, wenn wir wieder echte Investitionsfähigkeit und echte Investitionsbereitschaft auf Dauer in Deutschland haben wollen. Es ist leider zu befürchten, daß dieser Abbau der Überbesteuerung angesichts der zerrütteten öffentlichen Finanzen nicht, was an sich notwendig wäre, ohne Ausgleich auf anderem Gebiet möglich ist. Leider ist das die Lage. Wo anders kann man dann einen Bewegungsraum finden als bei der Mehrwertsteuer, um hier einen Ausgleich zu schaffen? Wer heute die Mehrwertsteuer zur bloßen Stopfung von Finanzlöchern erhöht, der macht genau diese zukunftsweisende Finanz- und Steuerpolitik unmöglich, und die Menschen werden immer mehr in den Würgegriff der Progression hineingelangen. ({18}) Wir werden durch diese isoliert vorgezogene Mehrwertsteuererhöhung, meine Damen und Herren, in der EG am Schluß in Mehrwertsteuersätzen landen, die weit über 20 °/o liegen mit allen unsozialen Folgen, mit allen Folgen auch für die sonstige Entwicklung. Daß eine isoliert vorgezogene Verbrauchsteuererhöhung steuerreformfeindlich ist, dafür haben wir in den letzten Jahren hier ein klassisches Beispiel erlebt. Seit Jahren fordern und beantragen wir die Kraftfahrzeugsteuerreform: Einführung eines einfachen Plakettenverfahrens, Ausgleich über die Mineralölsteuer. Zweimal haben Sie, seitdem Sie an der Regierung sind, die Mineralölsteuer gegen unseren Widerstand erhöht. Genau dies war der Spielraum, der Bewegungsspielraum, den Sie vorweg verzehrt haben mit der Folge, daß jetzt die Kraftfahrzeugsteuerreform gescheitert ist, mit der Folge, daß die Verwaltungsvereinfachung nicht durchgeführt wurde, mit der Folge, daß 3 000 Menschen bei den Finanzämtern, bei den Kassen, bei den Vollstrekkungsstellen, bei den Kraftfahrzeugsteuerstellen mit der Kraftfahrzeugsteuer beschäftigt sind, die gleichen 3 000 Menschen, die wir dringend bräuchten, um die erschreckend angewachsenen Steuerrückstände wenigstens zum Teil wieder hereinzubekommen und dadurch zu mehr Steuergerechtigkeit und auch zur Aufbesserung der öffentlichen Finanzen beizutragen. ({19}) Viertens. Die Mehrwertsteuererhöhung ist auch wirtschaftspolitisch falsch. Bei Fortdauer der Rezession wirkt sie rezessionsverstärkend. Als Beispiele können etwa andere Länder dienen, etwa Dänemark. Dort hat man den Mehrwertsteuersatz sogar gewaltig gesenkt, um in der Wirtschaftskrise gegenzusteuern. Sollte es sich gegen Ende des Jahres um einen anlaufenden Aufschwung handeln, so bedeutet diese Steuererhöhung ein Abwürgen des anlaufenden Aufschwungs, und zwar der anlaufenden Aufschwungkräfte in der Anfangsphase. Sollte aber der Aufschwung in vollem Gange sein, dann wird diese Mehrwertsteuererhöhung preis- und lohntreibend wirken. Mindestens 1,5 % Preissteigerung sind damit verbunden. Aber wenn es ein echter Aufschwung ist, wird das natürlich zum Anlaß genommen, um noch mehr zu kalkulieren, so daß die Preissteigerung voraussichtlich leider über 2 % hinausgehen wird. Nein, meine Damen und Herren, dies ist der falsche Weg. Mehr Staatseinnahmen erhalten Sie nur organisch, d. h. durch echtes Wirtschaftswachs-turn. 1 % mehr Wachstum bringt 2 bis 3 Milliarden DM mehr Steuereinnahmen. Der mechanistische Weg, den Sie gehen - immer mehr Drehen an der Abgabenschraube -, erreicht im Ergebnis nicht einmal seinen Zweck. Infolge der Preissteigerungen, die damit verknüpft sind, wird nicht einmal der fiskalische Zweck erreicht. Und, Herr Finanzminister: Die Saldierung ist ein Problem. Niemand kann sagen, wie schnell sich das bei den öffentlichen Haushalten auswirkt. Aber sicher ist, daß die Erhöhung der Mehrwertsteuer auch bei den öffentlichen Haushalten zu Mehrausgaben durch unmittelbare Preissteigerungen und mittelbar - vielleicht nach einer gewissen zeitlichen Verschiebung - zu Gehaltserhöhungen, zu Lohnforderungen führt und daß über kurz oder lang bis zu 50 % dessen, was Sie hereinbekommen, durch Preissteigerungen, durch Mehrausgaben, rein inflationär, wieder getilgt wird. Es bleibt entgegen dem, was Sie gesagt haben, dabei: Die Hauptleidtragenden dabei sind vor allen die Gemeinden - weil sie, unmittelbar sowieso nicht, am geringsten an der Mehrwertsteuer beteiligt sind -, die ohnedies schon schwer zu kämpfen haben. ({20}) Ich fasse zusammen. Meine Damen und Herren, die CDU/CSU sagt nein zu der Mehrwertsteuererhöhung, wie die Koalition sie vorhat. Erstens. Die Entlastungen der Steuerreform werden mehr als rückgängig gemacht. Zweitens. Dies ist der grundsätzlich falsche Weg. Die zu hohe Steuerlastquote wird nicht abgebaut, sondern festgeschrieben. Drittens. Bewegungsraum für eine zukunftsweisende Steuer- und Finanzpolitik wird zerstört. Viertens. Dies ist wirtschaftspolitisch falsch. Die CDU/CSU sagt ja zu echten Lösungen mit durchgreifenden Sparbeschlüssen. Die Regierung hat die von der CDU/CSU ausgestreckte Hand zum wirklichen Sparen leider zurückgewiesen. Das ist die Verantwortung der Bundesregierung. Die CDU/CSU ist, wenn die Regierung vorangeht, nach wie vor bereit, beim mehr Sparen zu helfen. Dieses Wort gilt bis zum Ende der Legislaturperiode. Wir sagen aber nein zu Scheinlösungen vor dem Wahltag. Mögen die SPD und die FDP in Deutschland den Marsch in den Abgaben- und Steuerstaat antreten, wir, die CDU/CSU, machen diesen Marsch nicht mit. ({21})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat Frau Abgeordnete Huber.

Antje Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000968, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Einbringung der beiden Gesetzentwürfe, die die Mehrwertsteuer und die zwei Verbrauchsteuern, nämlich die Branntwein- und Tabaksteuer, betreffen, möchte ich zunächst bemerken, daß die Zustimmung unserer Fraktion zu diesen Mehreinnahmen in Höhe von 11,5 Milliarden DM, gerechnet auf das Jahr 1977, bei uns natürlich keinen Jubel auslöst. Es gibt wohl niemanden hier in diesem Parlament, der sich freut, wenn eine Vorlage Steuererhöhungen betrifft. Die Frage ist ganz anders gestellt, und das ist eine sehr ernste Frage. Man muß die Gründe erwägen, weshalb dies notwendig ist. Diese Gründe muß man auch öffentlich vertreten. Wir - dies möchte ich vorausschicken - sagen auch jetzt, daß diese Steuererhöhung notwendig ist, weil die besseren Kasseneinnahmen aus dem Jahr 1975 zwar unsere Schulden verringern, aber eben doch nur weniger Schulden und nicht schon automatisch mehr Finanzspielraum bedeuten. Die Ausführungen des Finanzministers haben schon gezeigt, daß der Staat sich in der Schuldenfrage künftig zurückhalten muß und daß wir den privaten Investitionen mehr Spielraum geben müssen. Über die Ausführungen des Kollegen Häfele von der CDU/CSU bin ich sehr überrascht. ({0}) - Ja, in der Tat, sehr überrascht. Für die Ablehnung der Mehrwertsteuererhöhung bieten sich nur zwei Argumente an. Das erste Argument wäre: Jetzt sind mehr Mittel in der Kasse, und vielleicht gestaltet sich die Situation 1976 auch ganz günstig; dann brauchen wir die Mehrwertsteuererhöhung nicht. Das haben Sie aber nicht gesagt. Ich hatte damit gerechnet, daß Sie so argumentieren. ({1}) - Daß ich mich aber so täuschte, macht mich um so mehr besorgt über die Haltung der Opposition. ({2}) Hier gibt es doch nur ein Entweder-Oder. Wenn Sie sagen: „Es gibt ein dickes Schuldenpolster, diese Mehreinnahmen besagen gar nichts, und auch wir nehmen dies nicht als Begründung", dann müssen Sie doch zu Ihrer alten Argumentation zurückkehren: Sparen! Dann gibt es nur ein Entweder-Oder. Wo ist denn nun Ihr Oder? ({3}) Sie haben gesagt, Sie machten diese Arbeitsteilung nicht mit, wir sollten einmal Vorschläge machen; dies wäre ja ziemlich unpopulär. Auf der anderen Seite haben Sie gesagt, Sie hätten Vorschläge eingebracht. Wenn diese Subventionskürzungsvorschläge aber wirklich Gewicht haben sollen, greifen sie natürlich - das muß man wissen - in unsere Beiträge zur Sozialversicherung, zur Knappschaft, zur Landwirtschaft und auch bei der Subvention der Kohle ein. Erzählen Sie das bitte einmal in meiner Heimatstadt Essen. ({4}) Sie haben dem Finanzminister dann gesagt, entweder sei nicht solide gerechnet worden oder es sei bewußt getäuscht worden. Das klingt ja geradezu so, als sei weniger und nicht mehr in der Kasse. Der Finanzminister hat sicherlich vorsichtig gerechnet. Anfang des vorigen Jahres und auch noch im Herbst anläßlich des Nachtragshaushaltes gab es hier aber eine dicke Diskussion über die Steuerschätzungen. Ich habe phantastische Zitate aus dieser Diskussion vorliegen. Herr Höcherl sagte z. B., der Staat müsse ein Vergleichsverfahren anmelden, er sei schon am Ende. Mir liegt weiterhin ein Protokoll vor, dem zu entnehmen ist, daß Herr Leicht damals sagte: Das ist nicht vom Himmel gefallen. Diese schlechten Steuereinnahmen sind ein Zeichen Ihrer unsoliden Wirtschaft. - Nun sind 8 Milliarden DM mehr in der Kasse. Geben Sie nun zu, daß dies eine Zeichen einer besseren Wirtschaft ist und daß wir viel besser über die Runden gekommen sind, als Sie gedacht haben, oder nicht? ({5}) - Herr Leicht, Sie haben hier schon viele Unkenrufe gemacht. Anfang 1975 wurde von diesem Pult aus von Herrn Strauß der Staatsruin beschrien. Haben Sie ihn heute erwähnt? In die Kiste haben Sie ihn gesteckt! Jetzt sind sie wieder mit anderen Argumenten gekommen. ({6}) - Wir haben deutlich gesagt - auch durch den Mund des Bundeskanzlers - in welchem Jahr wir die Mehrwertsteuer nicht erhöhen wollen. Wenn Sie mit solchen Argumenten wie dem kommen: Fördern Sie das Wachstum, denn Wachstum bringt soundso viel Steuern!, so muß ich Ihnen sagen, gerade weil Wachstum nicht eine Steuerfrage ist und sich auf ganz anderen Komponenten aufbaut, können Sie hier nicht so argumentieren, als sei dies bloß eine Frage unserer Beschlüsse zur Mehrwertsteuer. Auch der Wissenschaftliche Beirat sagt - neben anderen -, daß die kalte Progression, d. h. die Flexibilität im Steuersystem kaum noch vorhanden sei. Auch von daher muß man, was die künftigen Jahre betrifft, ganz anders argumentieren, als Sie es getan haben. Zu solchen allgemeinen philosophischen Ausführungen wie „zuviel Staat, mehr Privatinitiative" will ich Ihnen dies sagen: Wir haben Gesetze gemacht, in denen wir weniger Staat eingebaut haben, und das war auch richtig so. Wir werden auch künftig Gesetze machen, in denen wir mehr Staat einbauen werden. Ich frage Sie: Kriegen Sie eigentlich keine Briefe von Bürgern, die mehr Leistung vom Staat verlangen - und dies ganz zu Recht? Es kommt doch ganz auf die Problematik an. Ich habe in diesem Hause nicht gehört, daß Sie die Unternehmer und die Wirtschaft aufgefordert haben, dies und das für die Konjunktur zu tun. Sie haben lediglich den Staat und den Finanzminister dazu aufgerufen. ({7}) So war es doch - oder nicht? ({8}) Sie haben hier des weiteren Zahlen vorgetragen und die Steuerreform zu der Mehrwertsteuererhöhung in Vergleich gesetzt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und das Statistische Bundesamt haben eine Statistik herausgebracht, wonach sich für das Jahr 1977 folgende Mehrwertsteuerbelastungen ergeben: für den 2-Personen-Rentnerhaushalt plus 12 DM. ({9}) - Ich addiere das. Aber nun sage ich Ihnen das erst einmal, weil Sie heute Mehrwertsteuer und Steuerreform verglichen haben. ({10}) - Herr Häfele, führen Sie doch nicht solche Vergleiche ein! Sie schämen sich wohl, wenn ich andere Zahlen bringe. Was soll denn das? ({11}) - Ich will Ihnen also sagen: der 2-Personen-Rentnerhaushalt wird mit 12 DM im Monat mehr belastet, der 4-Personen-Arbeitnehmerhaushalt bei mittlerem Einkommen mit 25 DM mehr; er erhält aber 85 DM Entlastung aus der Steuerreform. Der 4-Personen-Beamten- und -Angestelltenhaushalt - ({12}) - Das ist Ihre Rechnung! Ich habe mich ihr niemals angeschlossen. ({13}) - Bitte? ({14}) - Aber so, wie Sie das zusammengeschachtelt haben, stimmt es keineswegs: Es sind eben nicht alle Vorteile der Steuerreform aufgezehrt. Im übrigen, wenn Sie das noch genauer, im Detail, hören wollen, ist mein Kollege Bernd Bussmann bereit, Ihnen das näher zu erläutern. Ich will Ihnen nur folgendes sagen. Der Vergleich z. B. bei den mittleren Einkommen besagt, daß die Entlastung gerade von Familien mit Kindern durch die Steuerreform noch bedeutend höher ist, als hier durch die Mehrwertsteuer impliziert ist. Das Hauptargument, das Sie hier vorgebracht haben, lautete, wir, die SPD, die Koalition, seien zu feige, vor der Wahl zu sagen, wo wir sparen wol15004 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 216. Sitzung. Bonn. Freitag. den 23. Januar 1976 len. Aber wir sind doch nicht zu feige, hier zu sagen, daß wir die Mehrwertsteuer erhöhen wollen, und das ist mindestens so unpopulär, wie wenn wir sagten, wir wollten irgendwo etwas sparen. Das müssen Sie doch wohl zugeben, und das sagen wir auch vor der Wahl. ({15}) - Wer es dann spürt, das werden wir noch sehen, Herr Häfele. ({16}) - Ja, was die Bürger spüren, werden wir sehen. Sie werden am Wahltag sagen, wem sie in der Frage der Konjunkturpolitik, aber natürlich auch in der Frage der dazugehörenden Steuerpolitik, mehr vertrauen. Dies sind doch keine Steuererhöhungen ohne Sinn. Sie haben hier den Finanzminister geziehen, nicht genau gerechnet oder gar die Öffentlichkeit getäuscht zu haben. Dazu muß ich Ihnen sagen, daß ich eher einem Finanzminister glaube, der vorsichtig gerechnet hat und der Öffentlichkeit ein Kassenplus für dringend notwendige Aufgaben und Sanierungsprobleme anbieten kann, ({17}) als jemandem, der damals gesagt hat, wir stünden vor dem Staatsruin. Sie haben die Zahlen doch damals für zu niedrig gehalten. Diese Frage sollte man, übrigens unabhängig von jeder Ideologie behandeln. Das ist die Marge der Unsicherheit, die bei den Schätzungen tatsächlich vorhanden ist. Gleichgültig, wer geschätzt hat und wo geschätzt worden ist: so genau können keine Schätzungen sein, daß sie nicht in dieser Marge bleiben. Das hat sich auch in früheren Jahren gezeigt. Außerdem ist es sicher richtig, daß die hohen Abschlußzahlungen und die kräftigeren Vorauszahlungen vom Jahresende zur Vorsicht mahnen. Hier sind wir nicht übertrieben optimistisch. Deswegen auch sind wir eben nicht der Mehrwertsteuerproblematik enthoben. Eines verstehe ich aber in diesem Zusammenhang nicht; das muß ich ganz deutlich sagen. Sie haben hier eine Brandrede gehalten, wie verschuldet wir noch seien und wie schwer die Zeiten noch werden würden. ({18}) - Das ist ein uralter Witz! Mag er im Protokoll stehen, wenn Sie Spaß daran haben. Wenn Sie hier sagen, die Situation sei schlimm, wieso kommt dann eigentlich der Herr Stoltenberg dazu, schon wieder Morgenluft zu wittern und weitere Steuererhöhungen für die Unternehmen in Höhe von 3 Milliarden DM zu fordern? Das paßt doch nicht zusammen. Entweder haben wir kein Geld und alles ist nach wie vor schlimm, oder es läßt sich wieder besser an, und dann kann man auch mit solchen Forderungen kommen. Das haben Sie, Herr Häfele, natürlich klugerweise als Steuerpolitiker auch nicht erwähnt. ({19}) Im Herbst 1975 hieß es noch, der Staatsruin zeichne sich ab, im Januar 1976 ist nicht die Rede davon. Ohne Sparvorschläge sind Sie dennoch gegen die Mehrwertsteuer. Aber davor gab es Äußerungen von Herrn Strauß, von Ihnen und anderen, die gesagt haben: Die Mehrwertsteuererhöhung ist eigentlich ein ganz nützliches Instrument. So furchtbar unsozial ist sie ja auch gar nicht; vielleicht dachte er da, ({20}) daß er so etwas vielleicht auch einmal machen muß. Aber wenn er nun meint, sie könnte vielleicht vermieden werden, dann wird wieder umgekehrt argumentiert. Das ist Ihre Dynamik und Ihre Flexibilität. ({21}) Also kein Staatsbankrott mehr, aber auch keine Sparvorschläge; das ist doch wohl die Bilanz! Auf dem Argument, die Mehrwertsteuererhöhung sei unsozial, sind Sie zwar nicht sehr viel herumgeritten; aber ich will trotzdem noch etwas dazu sagen. Inzwischen gibt es vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Ausführungen darüber, daß die Verbrauchsteuerbelastung mit steigendem Einkommen nicht etwa sinkt, sondern ungefähr gleich-bleibt, in den mittleren Bereichen sogar ansteigt. Dies gilt mit Einschränkungen - das sage ich hier ganz offen - für die Mehrwertsteuer. Bei der Mehrwertsteuer gibt es eine gewisse Regressionswirkung. Das ist der Grund für meine Fraktion, zu prüfen, ob wir anläßlich der Beratung der Mehrwertsteuervorlage nicht beim unteren Steuersatz zu einer anderen Auffassung kommen, d. h. ihn etwas niedriger gestalten, als die Vorlage das jetzt ausweist. Das ist für meine Fraktion ein echter Denkansatz, und das wollen wir auch heute bei der Einbringung des Gesetzentwurfs zum Ausdruck bringen. Was die konjunkturelle Landschaft anbetrifft, so finden wir den Zeitpunkt eigentlich ganz günstig, weil die Preiserhöhungsspielräume sicherlich noch nicht so groß sind und andererseits genügend Belebung vorhanden ist, so daß man das viel besser als zu anderen Zeiten verkraften kann, Herr Häfele. Außerdem haben Sie das Problem der Gemeinden angesprochen. Dazu hat sich ja auch Herr Gaddum geäußert. Da möchte ich Ihnen sagen: Sehen Sie sich einmal das Beispiel Rheinland-Pfalz an: besonders hohes Finanzierungsdefizit und den Verbundsteuersatz zu Lasten der Gemeinden gekürzt. Ich sage Ihnen, daß andere Länder das auch tun müßten, wenn wir die Mehrwertsteuer nicht erhöhten. Man kann doch nicht mit ein und derselben Sache für und gegen die Gemeinden argumentieren. Da muß man doch langsam eine Linie hineinbringen. Wir verkennen ja nicht, daß die Mehrwertsteuer natürauch die Gemeinden betrifft. Das ist bei den Steuern Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode Frau Huber so. Aber man muß auch die andere Seite dieser Entwicklung sehen. In der EG - das haben Sie auch kurz angeführt - ist unser Steuersatz ja nun auch nicht gerade der höchste. Natürlich kann man nicht ganz genau sagen, wie die Belastung 4m Vergleich ist, weil dazu viele Komponenten mitgerechnet werden müßten. Aber mit 13 °/o bei Sätzen zwischen 15 und 23 % in anderen Ländern nehmen wir, möchte ich sagen, noch immer einen sehr günstigen Rang ein. Ich sage hier: Es ist nicht unsere Absicht, die Verbrauchsteuer, d. h. die Mehrwertsteuer in diesem Fall, extrem hoch zu gestalten. Aber es gab ja auch Oppositionspolitiker, die immer gesagt haben, daß eine Annäherung an die übrigen Länder der EG natürlich kommen müsse, daß hier die Bundesrepublik aufgefordert sei, zu handeln. Das haben Sie wohl nicht bestritten. ({22}) - Welche bitte? ({23}) - Ja, ja, ich höre das immer. Ist das sozial gerecht? Ich möchte noch ganz kurz anmerken, weil die beiden anderen Steuern - zusammengefaßt zu einer Vorlage - ja auch zur Rede stehen: Beim Branntwein - das interessiert ja all diejenigen, die aus dem Bereich heute zuhören - haben wir auch einen sehr niedrigen Steuersatz. Nur zwei Länder liegen darunter - Italien und Österreich -, aber drei Länder, z. B. Großbritannien und Dänemark, haben einen doppelt so hohen Satz. Hier wie bei der Tabaksteuer, die eine sehr differenzierte Steuer ist und bei der wir, auch bezüglich der Belastung innerhalb der EG, große Unterschiede bei Zigarren, Rauchtabak und Zigaretten haben, werden wir natürlich genaue Überlegungen anstellen und die Probleme im Detail sehr ernsthaft beraten müssen. Das haben wir beim vorigen Mal ja auch gemacht. Der Finanzausschuß wird alle diese Dinge natürlich prüfen, und der Haushaltsausschuß wird seinen Teil auch dazu beitragen. Nach den Erfahrungen, die wir bisher gemacht haben, werden die Verbrauchsteuererhöhungen in den einzelnen Bereichen recht gut verkraftet. Der Verbrauch hat sich im allgemeinen nachher immer ganz gut eingependelt. Sie sind natürlich nicht von der Steuerlastquote ausgegangen. Das verstehe ich sehr gut; denn das paßt nicht in Ihre Argumentation. Diese Steuerlastquote hat sich nämlich seit 1969 sehr günstig entwickelt. Sie betrug damals 24 % und ist 1975 auf 23,34 % gesunken. Sie wird nach den Berechnungen 1977 trotz Erhöhung der Mehrwertsteuer auch nur 23,4 % betragen. Ich muß sagen, daß die Staatsquote natürlich eine interessante Größenordnung ist. Aber hier rechnen Sie die Soziallasten ein. Es ist jedoch kein Geheimnis, daß sich die Soziallasten in angespannterer Lage besonders auswirken und daß man dann nicht soviel wie zu anderen Zeiten machen kann. Hier haben wir es natürlich mit der Steuerfrage zu tun, und die Steuerquote ist - nach dieser Rechnung - nicht gestiegen. Worum geht es nun eigentlich? Es geht um die Verbesserung der öffentlichen Haushalte. Ich weiß nicht, ob wir noch eine zweite Runde haben werden; in diesem Fall würde das auch von unserer Seite noch detailliert gebracht werden. Herr Minister Apel hat schon gesagt, daß auch der Haushalt 1977 nicht unproblematisch sei. Dem stimmen wir zu. Das ist ja der Grund für diese Mehrwertsteuererhöhung. Aber für die Erhöhung gibt es noch einen anderen Grund, und das ist der längerfristige Aspekt. Sie haben die Zukunft als gerade durch die Steuermaßnahmen bedroht an die Wand gemalt. Ich möchte Ihnen sagen: der Staat hat auch die Verpflichtung, zukunftsichernde Maßnahmen zu finanzieren. Er ist nicht nur der Verwalter von Vorhandenem und derjenige, der Appelle an die Unternehmen richtet. Steuern sind Gelder, die als Leistungen an den Bürger zurückfließen. Nur so können sie überhaupt begründet werden. Aber bei der Verwendung von Steuern sollen auch Bürgerwünsche berücksichtigt werden, und Steuern müssen dort eingesetzt werden, wo die Erfüllung solcher Bürgerwünsche dringend notwendig ist. Wir wollen hiermit unsere sozialen Errungenschaften sichern, die natürlich in der heutigen Welt viel kosten. Sie haben von den Löhnen und den Lohnnebenkosten gesprochen: Natürlich, darin spiegelt sich der hohe Lebensstandard, den wir haben. Steuern sind eine Last - das wird nicht bezweifelt -, aber sie dienen auch der sozialen Sicherheit, der konjunkturellen Absicherung, der zukunftssichernden Infrastruktur, der öffentlichen Sicherung usw., kurz, sie sind eine Investition für eine gemeinsame gute Zukunft. In diesem Sinne müssen wir, Herr Häfele, wenn Sie weiter so un-konkret bleiben, wie Sie es heute wieder gewesen sind, in unserer Marschrichtung vorgehen und entsprechend unserer Verantwortung handeln. Dazu kann ich nur wiederholen, was ich schon einmal gesagt habe: Ich bin froh, daß in dieser Stunde unsere Regierung die Verantwortung trägt. ({24})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.

Victor Kirst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001103, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundestag beginnt mit dieser Beratung heute seinerseits die letzte Etappe in der Beratung des Programms zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, das die Bundesregierung in Übereinstimmung mit den Koalitionsparteien Ende August, Anfang September beschlossen hat. Nun muß ich sagen, Herr Häfele, jedenfalls für den überwiegenden Teil Ihrer Rede: Sie haben in der Diskussion der vergangenen Monate nichts, aber auch überhaupt nichts dazugelernt. ({0}) Dieses Programm entspricht im übrigen - das muß einmal gesagt werden - genau der Kombination von Methoden und Mitteln, für die sich Ihr, heute nicht anwesender, nach Pressemeldungen irgendwo im Süden auf den Wahlkampf vorbereitender finanzpolitischer Sprecher, Strauß, in einem Interview im Juni ausgesprochen hat. ({1}) - Das habe ich doch gar nicht kritisiert, ich habe es festgestellt. Ich habe ja auch nicht nachgeforscht. So sehr interessiert mich das gar nicht. Es wird aber in die Zeitung gebracht, und dann kann man doch davon Notiz nehmen. Das gehört doch zu den Public Relations bei Ihnen, daß das jeder liest. Dann kann man doch auch Gebrauch davon machen. ({2}) Er hat damals auf Fragen in einem Interview erklärt, wenn er in der Situation, in der wir uns befinden, Finanzminister wäre, würde es zu einer Kombination von drei Möglichkeiten kommen müssen, erstens sparen, zweitens Kredite, drittens Einnahmeverbesserungen. Genau dies enthält das Programm, das wir seit August/September verwirklichen. Nun haben Sie, Herr Häfele, die Meinung vertreten, die FDP würde sich mit ihrer Zustimmung zu diesen Steuererhöhungen in Widerspruch zu eigenen Erklärungen setzen. Verehrter Herr Kollege Häfele, wenn Sie selbst richtig gelesen oder richtig zitiert hätten oder wenn diejenigen, die Ihnen die Zitate aufbereitet haben, Ihnen diese vollständig geliefert hätten, hätten Sie diesen Schluß nicht ziehen dürfen. Wir alle, ich selbst eingeschlossen, haben immer erklärt, daß wir unter den jeweils gegebenen Umständen für die überschaubare Zeit Steuererhöhungen nicht für erforderlich hielten. „Gegebene Umstände" bzw. „bekannte Daten", dies galt bis zu diesen Erklärungen, die etwa mit dem Beginn der Sommerpause 1975 aufgehört haben. Es hat auch bei der Interpretation nie einen Zweifel gegeben, daß „überschaubare Zeit" immer nur diese Legislaturperiode bedeuten konnte. Sie wissen ja selbst, daß die Steuererhöhungen, die wir heute hier beraten, erst in der nächsten Legislaturperiode in Kraft treten werden, was nicht ausschließt, daß wir sie aus Gründen, die auch Frau Huber soeben angesprochen hat, vor der Bundestagswahl verabschiedet haben möchten. ({3}) - Sicher, das ist gar nicht abzustreiten, aber immer auf dem Hintergrund der Erklärungen, der Interpretation. Das ist wörtlich von Mischnick und anderen so gesagt worden. Sie wollen das immer alles dreimal hören, Herr Häfele, es tut mir leid: unter den damals bekannten Daten für überschaubare Zeit. ({4}) - Herr von Bockelberg, die Redezeit ist begrenzt, und wir wollen alle die Diskussion nicht so furchtbar lang ausdehnen. Ich will Ihnen folgendes ganz persönlich sagen - Herr Häfele, wenn Sie so nett wären zuzuhören -: Für mich war der entscheidende Wendepunkt die Steuerschätzung vom 15. August 1975 und die daraus resultierende Entwicklung der Finanzplanung 1976 bis 1979. Als diese Zahlen vorlagen, die zu Kreditaufnahmen geführt hätten, wie sie ja bekannt sind, habe auch ich gesagt: So, leider geht es jetzt nicht mehr ohne Steuererhöhungen ab 1977. Sie wissen, daß wir dann nach langen und gründlichen Beratungen, wobei uns das sicherlich nicht leichtgefallen ist, diese Einsicht allgemein geteilt und dieser Konzeption der Steuererhöhungen ab 1977 zugestimmt haben. Dabei, Herr Häfele, muß man, weil Sie das auch alles vergessen wollen, zurückblenden auf die Ursachen dieser finanzpolitischen Entwicklung. Ich will das nur stichwortartig machen. Da ist zum einen die Steuerreform zu nennen; diesen Ausfall von rund 15 Milliarden DM - er mag jetzt etwas weniger geworden sein - haben wir gemeinsam zu vertreten, Sie haben, nicht zuletzt über den Bundesrat, dazu beigetragen, daß es noch teurer wurde, als es nötig war. Zum anderen ist die konjunkturelle Entwicklung zu nennen - auch das zur Erinnerung für Sie -, die dazu geführt hat, daß die Steuerschätzung für den Bund von Juni 1974 - Aufstellung des Haushalts 1975 - bis zu dem schon erwähnten 15. August 1975 - Grundlage für den Nachtragshaushalt 1975 - um rund 17 Milliarden DM zurückgegangen ist. Dann ist es ja auch gar nicht so bedeutungsvoll in der Tendenz, daß wir Ende des Jahres feststellen durften: Die Steuermindereinnahmen sind gegenüber Juni 1974 nicht 17 Milliarden DM, sondern 14,5 bis 15 Milliarden DM.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Eine Zwischenfrage, Herr von Bockelberg. von Bockelberg ({0}) : Herr Kollege Kirst, Sie haben vorhin das Argument der Überschaubarkeit in die Debatte geworfen. Ich darf es jetzt zurückgeben und Sie fragen: glauben Sie, da Sie die Überschaubarkeit von fünf Monaten bezweifeln, daß Sie heute überschauen können, ob der konjunkturell richtige Zeitpunkt für diese Steuererhöhungen der 1. Januar 1977 ist?

Victor Kirst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001103, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nach den derzeitigen Erkenntnissen: ja. Ich darf daran erinnern, daß die Bundesregierung selbst in ihrem Grundsatzbeschluß vom September eine gewisse Vorbehaltsklausel für unvorhergesehene konjunkturelle Entwicklungen eingebracht hat. - Der Finanzminister nickt; unser Gedächtnis ist gleichermaßen gut. Sie können also diese Frage so beantwortet hinnehmen. Man darf diese Vorlage - das sage ich nach der nötigen Klarstellung gegenüber den unbegründeten Behauptungen des Kollegen Häfele, was die Haltung der FDP anlangt - nicht isoliert sehen. Man muß sie als Teilstück des gesamten Konsolidierungsprogramms sehen. Ich möchte hier sehr deutlich sagen: Für uns jedenfalls, für die FDP, sind Zielsetzungen und Folge nicht die Ausweitung des Staatsanteils, sondern die Umfinanzierung, um es einmal so zu formulieren, die Verlagerung der Einnahmequellen für die unabdingbaren Staatsaufgaben von Krediten auf Steuern. Über die Notwendigkeit, die darüber hinaus entstehenden Kreditbelastungen in dem vorgesehenen Maße zu reduzieren, gibt es wohl gar keine Meinungsverschiedenheiten. Auch Sie können die Verfassungsbestimmung nicht außer Kraft setzen, daß wir unter normalen konjunkturellen Bedingungen nicht mehr Kredite aufnehmen können, als es den investiven Ausgaben entspricht. Deren Abgrenzung bleibt problematisch. Sie können nicht hinwegdiskutieren, daß wir die Kredite - daraus ergibt sich eine weitere Grenze - verzinsen und tilgen müssen. Sie haben selbst angesprochen, daß wir in den kommenden Jahren mit 20 Milliarden DM Tilgungen belastet sind, so daß die Bruttokreditaufnahme immer noch entsprechend höher sein wird. Und die dritte Grenze: Wir alle wissen, daß bei einer Wirtschaftsbelebung der Kapitalmarkt von der Wirtschaft wieder in stärkerem Maße in Anspruch genommen wird. Es wäre die Frage zu stellen, warum wir ausgerechnet die Mehrwertsteuer gewählt haben. Es gibt außer der Mehrwertsteuer nur einen Bereich von gleicher Größenordnung: den Bereich der Einkommen-, Lohn- und Körperschaftsteuer. Ich glaube, Sie sind sogar mit uns in der Auffassung einig, daß sich eine Erhöhung in diesem Sektor aus vielen, vielen Gründen, die ich hier nicht aufzählen will, verbieten würde. Aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten wäre sie nicht vertretbar. Im übrigen wird mein Kollege Vohrer in der wohl anstehenden zweiten Runde noch spezifische steuerpolitische Aspekte, wie sie von Frau Huber sowie von Herrn Häfele angesprochen worden sind, seinerseits ansprechen. Nun die Frage: Haben sich denn die Verhältnisse, von denen wir bei der Aufstellung des Nachtragshaushalts und des Programms ausgehen mußten, geändert? Da kommt das Stichwort vom Kassenüberschuß. Vielleicht ist das in der öffentlichen Diskussion nicht glücklich gelaufen; das will ich gern zugeben. Aber öffentliche Diskussionen entwickeln, sofern irgend etwas einmal bekannt ist, manchmal auch eine gewisse Eigengesetzlichkeit, die man gar nicht mehr im Griff hat. Das sollte man auch berücksichtigen. Ich glaube, wir müssen immer wieder deutlich machen, daß dieser reine Kassenüberschuß - und mehr ist das nicht - nur bedeutet, daß sich die Kreditaufnahme eben immerhin noch auf 30 Milliarden DM beläuft. Das ist doch immer noch fast das Doppelte dessen, was in den Jahren 1970 bis 1974 zusammen aufgenommen wurde. Ich erinnere im übrigen daran, daß es uns nur die zurückhaltende Kreditfinanzierungspolitik der Jahre 1970 und 1973 überhaupt ermöglicht hat, jetzt für zwei, drei Jahre so massiv Kredite aufzunehmen, ohne finanzpolitisch unsolide zu werden. Das sollten Sie nicht vergessen. Weiter kommt hinzu - ich habe es schon erwähnt -, daß wir eben einen etwas geringeren Steuerausfall gehabt haben, als im August 1975 geschätzt worden war. Man muß im übrigen noch einmal daran erinnern: Steuerschätzungen sind ja bei der Handhabung, die wir hier haben, keine politischen Willensakte - Herr Leicht, das wissen Sie genauso wie ich -, sondern werden von uns als Bundestag und Bundesregierung so übernommen, wie sie uns geliefert werden; sie werden aus dem politischen Streit herausgehalten. Ähnlich ist es bei der Nürnberger Anstalt, einem der Hauptpunkte, die uns in diesem Jahr eben „nur" 7 Milliarden DM statt 8 Milliarden DM gekostet hat. Dabei ist die Bundesregierung von dem Nachtragshaushalt der Bundesanstalt für das Jahr 1975 ausgegangen, wie diese ihn selber, glaube ich, Ende Juni aufgestellt hat. Im übrigen gehört natürlich diese hohe Leistung an die Bundesanstalt neben den von mir schon erwähnten Faktoren Steuerreform und Steuerausfall durch die Konjunktur zu den drei wesentlichen Ursachen für die Situation, von der wir auszugehen hatten. Ich sage zusammenfassend zu diesem Punkt: Das Ergebnis des Jahres 1975 ist eben etwas glimpflicher gewesen, als wir es nach den damals vorhandenen Daten erwarten mußten. Dies sagt nichts, aber auch gar nichts über die Entwicklung des Jahres 1976 und des Jahres 1977. Es läßt keine Rückschlüsse darauf zu, daß sich die Voraussetzungen, von denen wir bisher ausgegangen sind, geändert haben. Ich gehe davon aus - das ist meine Befürchtung -, daß sich an dieser Annahme nichts Grundlegendes ändern wird, wenn wir in wenigen Monaten folgende Daten haben werden: das vollständige Ergebnis der Steuereingänge des ersten Vierteljahres 1976 und die Steuerschätzung, die wir ja vor der abschließenden Beratung des Bundeshaushalts - zunächst im Haushaltsausschuß und dann im Bundestag - haben werden. Denn wir wissen ja alle, daß die Finanzplanung und der Haushalt 1976 nach der Entwicklung der letzten Jahre von nicht geringen Wachstumserwartungen ausgehen, die sich hoffentlich bestätigen werden. Aber nur soweit sie sich bestätigen, wird die Finanzplanung oder der Haushalt selbst bestätigt. Erfüllen sie sich nicht voll, entstehen im Gegenteil neue Schwierigkeiten für den Haushalt. Das hat ja die Opposition selber im Herbst bei der Haushaltsdebatte hier zum Ausdruck gebracht. Deshalb war ich wirklich überrascht über die Haltung, die die Opposition zwischenzeitlich, insbesondere um Silvester herum, durch Herrn Höcherl eingenommen hat, als sie meinte, ihre Ablehnung der Steuererhöhungen ohne Alternative könne sie nun letzten Endes damit rechtfertigen, daß sie nach dem Kassenüberschuß wie nach einem Strohhalm oder wie nach einem Alibi für die sonstige Einfallslosigkeit ihrer Finanzpolitik greift. Nun hat sich Herr Kollege Häfele auf Zwischenfrage und sonstige Bemerkungen auch heute nicht bereit gefunden, konkrete Vorschläge für Sparmaßnahmen der Opposition zu geben. Er hat das auch politisch begründet. Wir sind nicht bereit, diese Begründung zu akzeptieren; denn das ist ein politischer Offenbarungseid. Entweder wissen Sie nichts, oder Sie haben keinen Mut. Wahrscheinlich beides zusammen! ({0}) Um so ein kleines Alibi zu haben, haben Sie auf den Vorschlag der Opposition im Haushaltsausschuß verwiesen, die Subventionen um 5 % zu kürzen. Das war ein typischer CDU-Vorschlag. Ich habe ihn nur noch sinngemäß im Kopf. Aber so war es: Die Subventionen werden um 5 % gekürzt; die Einzelheiten legt die Bundesregierung fest. Typisch CDU! ({1}) - Wenn Sie nicht bereit sind, Alternativen zu liefern, haben Sie auch keine Rechtfertigung, diese Steuererhöhungen abzulehnen. Denn solange Sie dazu nicht bereit sind, müssen Sie gegen sich gelten lassen, daß Sie dazu auch nicht fähig sind. Das muß ich noch einmal ganz deutlich sagen. ({2}) Im Herbst 1975 haben Sie hier vom Finanzchaos geschwafelt, und jetzt tun Sie zum Teil so, als sei das alles nur ein Traum gewesen. Davor kann man nur warnen, auch andere, die dieser Meinung sein sollten. Was die Staatsquote und die Sozialquote angeht, Herr Häfele, so hat Frau Huber auf die Unterschiede hingewiesen. Ich sage Ihnen eines aber noch einmal sehr deutlich: Ich teile weitgehend Ihre Auffassung über das bedrohliche Anwachsen der gesamten Zwangsabgabenquote. Aber, verehrter Herr Häfele, dann seien Sie doch ehrlich - ich wiederhole, was ich durch eine Zwischenfrage deutlich gemacht habe -: Diese Entwicklung hat das gesamte Haus, nicht allein diese Regierung und diese Koalition zu verantworten. Sie geht auf Zeiten weit vor 1969 zurück. Mogeln Sie sich doch nicht immer aus Verantwortungen heraus! Ich darf Sie daran erinnern, welche unrühmliche Rolle Sie mit Ihrer Zufallsmehrheit an einem oder zwei Tagen im September 1972 auch in dieser Richtung gespielt haben, so daß wir das Schlimmste wieder korrigieren mußten, nachdem wir die Wahlen 1972 gewonnen hatten. Das rechtfertigt ja wohl nicht die Erwartung, daß Sie in der Lage wären, mit den Problemen, die zweifellos vorhanden sind - im Sozialversicherungsbereich haben wir noch nicht angefangen; das ist richtig -, fertigzuwerden. Daran habe ich nach den Erfahrungen meine Zweifel. Sie haben wieder viel zitiert. Ich kann mir das immer nur so erklären, daß Zitatenkrieg letzten Endes den Mangel an eigenen Gedanken kaschieren soll. Sie haben manches zitiert, was natürlich nur aus der Zeit heraus, in der es gesagt worden ist, zu verstehen und zu interpretieren wäre. Denn, meine Damen und Herren, die Opposition kann letzten Endes auch nicht abstreiten, daß wir in Entwicklungen stehen, die heute schneller Veränderungen bringen, als es früher der Fall gewesen ist. Im übrigen: Sie wollen keine Steuern erhöhen. Sie machen keine konkreten Vorschläge für Ausgabekürzungen. Aber Sie verkünden einiges da, wo es zweckmäßig ist. Ich darf an Herrn Wörners Erklärung nach dem Kongreß der CDU erinnern. Das ist eine Woche oder etwas länger her. Danach wollen Sie viele Milliarden DM mehr in den kommenden Jahren für die Verteidigung ansetzen. Vielleicht ist das sogar nötig. Aber dann müssen Sie finanzpolitische Konzeptionen haben. Die Opposition wird bei den Beratungen dieser Gesetze in den nächsten Monaten Farbe bekennen müssen. Für die FDP gibt es derzeit leider - ich unterstreiche das „leider" doppelt und dreifach - keinen Anlaß, ihre Haltung zu ändern, die sie im vergangenen Herbst eingenommen hat. Es handelt sich um eine bejahende Haltung nicht aus Begeisterung, nicht aus Ideologie, sondern aus Einsicht in die Notwendigkeit. ({3})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Wagner ({0}).

Dr. Carl Ludwig Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002404, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vorweg ein paar Bemerkungen zu dem Gesetzentwurf betreffend die Tabak- und die Branntweinsteuer. Diese Bereiche gehören zu den steuerpolitischen Lieblingskindern dieser Koalition. Sie werden erneut zum Lückenstopfen herangezogen. Ich sage sicherlich nicht zu viel, wenn ich hier erkläre, daß die betreffenden Unternehmungen und Wirtschaftsbereiche sehr froh wären, wenn sie dieses Übermaß von Zuneigung nicht immer wieder erführen. Die vorgeschlagenen Steuererhöhungen sind erheblich: 18 % für Tabak, 20 % für Branntwein. Das wird sich massiv in den Preisen auswirken. Die durchschnittliche Preislage für eine Zigarette wird sich von 11,5 auf 13,5 Pf erhöhen. Das ist ein stolzer Preis. Das ist eine Erhöhung von 40 Pf für eine 20-Stück-Packung. Das bedeutet, daß jede Zigarette künftig mit 8,26 Pf Tabaksteuer, nur Tabaksteuer, belegt sein soll. Beim Branntwein wird eine Preiserhöhung bis zu einer Mark für die Normalflasche zu erwarten sein. Wir haben in dem Zusammenhang auch öfter einmal etwas von Umwelt und Gesundheit gehört. Ich bin froh, daß das heute hier nicht mehr so sehr kam; denn diese Motive obwalten hier sicher nicht, sondern das Motiv ist sehr einfach: es soll Kasse gemacht werden. Es ist nicht beabsichtigt - und das wird der Herr Bundesfinanzminister nicht bestreiten wollen -, etwa den Konsum von Branntwein oder Zigaretten zurückzudrängen. Im Gegenteil hofft die Bundesregierung, daß dieser Konsum einigermaßen stabil bleibt, nicht zu sehr zurückgeht, weil sonst das Mehraufkommen, das sie erwartet, nicht einkäme. ({0}) Wir werden unsere Haltung zu diesen beiden Steuererhöhungen im Laufe der Beratungen fixieDr. Wagner ({1}) ren. Jetzt in dieser ersten Lesung nur folgende Anmerkungen, die Vorbehalte deutlich machen und die auch Sorgen deutlich machen: Vor allen Dingen fragen wir uns und haben wir die sehr ernste Sorge, daß zahlreiche mittelständische Unternehmen in den betroffenen Wirtschaftszweigen, die bereits in erheblicher Bedrängnis sind, noch mehr in Not geraten, bis hin zu dem Punkt, wo sie ihren Betrieb nicht fortführen können. Der Bundesrat hat das in seiner Stellungnahme zum Ausdruck gebracht, was die Zigarrenindustrie angeht. Diese Sorge gilt aber genauso auch für den Bereich der Spirituosenindustrie. Sie gilt auch für den Bereich Tabak. Darüber werden wir sehr ernsthaft sprechen müssen. Das werden wir nicht nur finanzpolitisch, sondern auch wirtschaftspolitisch und strukturpolitisch genauestens untersuchen müssen. Hier geht es um zahlreiche Unternehmen. Hier geht es um Tausende von Arbeitsplätzen, und es fügt sich so, daß diese Unternehmen zu einem sehr großen Teil in wirtschaftsschwachen, in strukturschwachen Regionen liegen, in denen für die möglicherweise verlorenen Arbeitsplätze kaum Ersatz geschaffen werden könnte. Weitere Bemerkungen: Es scheint uns fraglich, ob das Mehraufkommen, das die Bundesregierung aus diesen beiden Steuererhöhungen erwartet, nun wirklich realisiert wird. Erwartet werden eine Milliarde DM aus der Tabaksteuer und 300 Millionen DM aus der Branntweinsteuer. Die Regierung sagt: Wir gehen von einem gewissen Rückgang des Konsums aus. Aber ob der Konsum nur in dem Maße zurückgehen wird, wie die Regierung es sich vorstellt, das wissen wir nicht. Unser Eindruck ist - auch nach Gesprächen, die wir geführt haben -, daß das Mehraufkommen eher zu optimistisch eingeschätzt wird. Ich möchte insbesondere sagen - dieser Gedanke macht uns einige Sorgen -: Wir haben Zweifel, ob die Bundesregierung berücksichtigt hat, daß bei dieser Preisanhebung der legale und illegale Einkaufsverkehr über die Grenzen aller Voraussicht nach massiv zunehmen wird. Herr Bundesfinanzminister, das lohnt sich in Zukunft noch mehr. Alle unsere Nachbarländer haben ein niedrigeres Preisniveau. Wir laufen Gefahr, daß die Zahl der geschmuggelten oder auch legal im Rahmen der Möglichkeiten eingeführten Packungen massiv steigt, daß nicht nur in einem kleinen Grenzverkehr, sondern in einem weit ins Landesinnere hineinreichenden Grenzverkehr systematisch Tabakwaren in unseren Nachbarstaaten eingekauft werden. Das heißt, wir laufen Gefahr, daß wir hier eine Steuererhöhung machen, die insbesondere den Finanzministern unserer Nachbarländer zugute kommen könnte. Auch dieses wird Gegenstand der Erörterungen sein müssen. Zur Tabaksteuer noch zwei Hinweise: Es ist unter anderem auch vorgesehen - und das war im Zusammenhang mit dieser Steuererhöhung nicht zwingend -, das Verhältnis zwischen dem spezifischen und dem proportionalen Steueranteil zu verändern, von 75 : 25 auf 60 : 40. Das ist ein Schritt in Richtung EWG-Harmonisierung und daher auch grundsätzlich nicht zu beanstanden. Aber zu diesem Schritt waren wir jetzt noch nicht verpflichtet. Wir möchten insbesondere sicher sein, daß an dem grundsätzlichen Ziel der Bundesregierung, zu dem sie sich stets bekannt hat, nämlich am Ende der Harmonisierung zu einem vernünftigen und ausgewogenen Verhältnis von spezifischem und proportionalem Anteil zu kommen, festgehalten wird und daß wir uns nicht durch vorgezogene Schritte von diesem grundsätzlichen Ziel abbringen lassen.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Wagner, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Huber?

Antje Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000968, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dr. Wagner, da ich mich zu dem Problem gerade dieser beiden Verbrauchssteuern nicht noch einmal melden möchte, möchte ich Sie fragen, ob Sie mir zugeben, daß wir bei der letzten Erhöhung in diesem Bereich im Finanzausschuß gemeinsam eine sehr differenzierte und diese Probleme berücksichtigende Lösung gefunden haben?

Dr. Carl Ludwig Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002404, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Huber, ich gebe das gerne zu. Ich hoffe, daß wir die Beratungen auch diesmal mit dem Ziel führen werden, jedenfalls bei diesen Detailfragen zu vernünftigen Lösungen zu kommen. Das gilt insbesondere auch für den Punkt, den ich als nächsten ansprechen möchte. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, daß die Tabaksteuer bei Zigaretten und Zigarren um 18 v. H. erhöht wird, dagegen bei Rauchtabak und Feinschnitt um 26 bzw. 28 v. H. Überzeugende Gründe hierfür liegen nicht vor. Die Regierung hat zwar bestimmte Gründe vorgetragen, sie überzeugen uns aber nicht. Ich hoffe, daß das, was Sie gerade angeboten haben, insbesondere auf diesen Punkt hin gilt. Es ist aus unserer Sicht nicht einzusehen, warum gerade die im Durchschnitt sehr viel kleineren und sehr viel schwächeren Unternehmen, die Feinschnitt und Pfeifentabak herstellen, stärker belastet werden sollen als die großen Unternehmen. Es ist auch nicht einzusehen, warum derjenige, der seine Zigarette selbst dreht - er ist meist keiner von den Begütertsten -, mit einer stärkeren Steuererhöhung bedacht werden soll als der, der die Zigarette fertig kauft. Über diese Vorbehalte wird zu sprechen sein. Als das gewichtigste Argument sehen wir die Mittelstandsstruktur, die in Gefahr kommen könnte, und die Unternehmen, die erhalten werden müssen, an. Wir werden beantragen, über alle diese Fragen im Ausschuß eine Anhörung mit den Betroffenen durchzuführen. Ich hoffe, daß Sie diesem Antrag dann auch zustimmen. Ich möchte zu der Debatte, die bisher schon gelaufen ist, noch ein paar Bemerkungen allgemeiner Natur machen. Ich komme zunächst zu der Frage, inwieweit durch die jetzt geplanten Steuererhöhungen die Steuerreform teilweise oder ganz wieder rückgängig gemacht wird. Hier erleben wir ein son15010 Dr. Wagner ({0}) derbares Phänomen. Es handelt sich um etwa vergleichbare Finanzmassen, die hier bewegt werden. Die Entlastung durch die Steuerreform, Herr Bundesfinanzminister, ist nach Ihren eigenen Auskünften - Antwort auf unsere Kleine Anfrage, die kürzlich erfolgte - auf etwa 14 Milliarden DM veranschlagt. Jetzt kommen Mehrbelastungen, die man nach Ihren eigenen Angaben wie folgt addieren muß: Mehrwertsteuer 10,2 Milliarden DM, Tabaksteuer 1 Milliarde DM, Branntweinsteuer 0,3 Milliarden DM, Körperschaftsteuer ({1}) 0,5 Milliarden DM. Das sind Steuererhöhungen, die 12 Milliarden DM betragen. Dazu kommt der Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 4,6 Milliarden DM. Ich weiß, daß Sie den nicht gerne mit einbeziehen, weil Sie ihn lieber unter Ausgabeverminderungen verbuchen, Herr Bundesfinanzminister. Aber es handelt sich hier nun einmal unzweifelhaft um eine Erhöhung von Zwangsabgaben, so daß sich hier im Gesamtpaket eine Mehrbelastung von 16 bis 17 Milliarden DM ergibt. Selbst wenn die Erhöhung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages nicht eingerechnet würde, bewegten wir uns bei 12 Milliarden DM, und zwar nur im Steuerbereich. Es ist also richtig und absolut unbestreitbar, daß mehr oder weniger dieselben Größenordnungen, die bei der Steuerreform zugunsten der Bürger bewegt wurden, jetzt erneut, diesmal aber zu Lasten der Bürger bewegt werden, daß hier also im Endergebnis eine Umschichtung vorgenommen wird. Diese Umschichtung - das ist übrigens eine Delikatesse für den, der die steuerpolitischen Erörterungen der letzten Jahre verfolgt hat - erfolgt unter einem Finanzminister der SPD von direkten zu indirekten Steuern. Wer der SPD vor fünf oder sechs Jahren gesagt hätte, daß diese Art von Verlagerung das Ergebnis ihrer Finanzpolitik sein würde, der wäre verlacht und mit Sicherheit als Panikmacher beschimpft worden. ({2}) Aber jetzt kommt das Zauberkunststück. Die Finanzmassen sind gleich; trotzdem ist die Belastungswirkung, die durch die Steuererhöhungen eintritt, angeblich eine viel geringere. Der einzelne Haushalt wird mit 12 DM oder mit 20 DM, allenfalls mit 25 DM mehr belastet, je nachdem, was Sie gerade rechnen. Dagegen ist er um 80 oder 90 oder 120 DM entlastet worden, und das bei ungefähr gleichen Finanzmassen! Ich möchte wissen, wie Sie das machen; da wird nicht aus eins zwei gemacht, sondern aus eins wird drei oder vier gemacht. Es gibt - wenn überhaupt eine logische Erklärung gesucht werden kann - dafür nur eine Erklärung: Die Erklärung könnte nur darin liegen, daß nach Ihrer Annahme die geplante Mehrwertsteuererhöhung zum größeren Teil nicht auf die Haushalte, nicht auf die Endverbraucher abgewälzt wird, d. h., daß die Last, die Sie dort eben nicht rechnen wollen, bei den Unternehmen bleibt. Allerdings erzählt der Bundeswirtschaftsminister bei seinen Reisen landauf und landab genau das Gegenteil. Er versichert ununterbrochen, gerade die Mehrwertsteuer sei jetzt die geeignete Steuer, um den erhöhten Finanzbedarf zu decken, denn sie sei ihrer Natur nach dazu bestimmt, auf den Endverbraucher abgewälzt zu werden, und sie würde auch abgewälzt werden und würde deswegen die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und deren Kostenlage nicht verschlechtern. - Eines kann nur richtig sein. Was Sie hier machen, sind jedenfalls Tricks und Vortäuschungen. So ist das nicht richtig. Die Wahrheit ist, daß das, was durch die Steuerreform an Entlastung zustande kam - unter Einrechnung der Sozialabgaben sogar mehr als das -, jetzt im wesentlichen zurückgenommen wird. Ein letztes Wort zu einer Frage, die schon Gegenstand einer Auseinandersetzung zwischen Ihnen und Herrn Finanzminister Gaddum war, zur Frage der Mehrwertsteuererhöhung und der Gemeindefinanzen, die Sie und andere heute auch wieder angesprochen haben. Das läßt sich natürlich nicht auf den Pfennig errechnen. Aber zuerst muß man eine grundsätzliche Feststellung treffen. Es werden hier Finanzmassen ausgetauscht; es wird verlagert. Die Einkommen- und Lohnsteuer wurde gesenkt, was auch nötig war; das wird nun zurückgenommen, indem jetzt in indirekte Steuern gegangen wird. Bei der Einkommen- und Lohnsteuer hatten die Gemeinden einen Anteil von 14 %. Jetzt werden ersatzweise Steuern eingesetzt, an denen sie entweder gar nicht -- Branntwein- und Tabaksteuer - oder sehr viel geringer beteiligt sind. In welcher Form, in welcher Höhe sind die Gemeinden etwa an der Mehrwertsteuer beteiligt? Das ist von Land zu Land leicht verschieden, kommt aber ungefähr auf 6 % heraus. Wir haben 31 bis 32 % Länderanteil und davon für die Länder im Verbundsatz ungefähr 20 %. So entfallen ungefähr 6 % des Gesamtaufkommens auf die Gemeinden. Das sind ungefähr 660 Millionen DM. Nun ist leider ganz unbestreitbar, daß sich das bei den Gemeinden auf der Ausgabenseite massiv niederschlagen wird. Die Gesamtausgaben der Gemeinden betragen etwa 114 Milliarden. Wenn wir nur 1 % rechnen, sind wir bei 1,1 bis 1,2 Milliarden Mehrausgaben. - Sie haben dazu erklärt, das sei eine falsche Rechnung, denn bei den Personalausgaben wirke sich die Mehrwertsteuer nicht aus. Nur haben wir, Herr Bundesfinanzminister, leider allen Grund zu der Annahme, daß sich diese Mehrwertsteuererhöhung eben in einem zusätzlichen Preisauftrieb auswirken wird und daß dieser zusätzliche Preisauftrieb zu Tarifanhebungen führen wird und daß also indirekt selbstverständlich auch eine Auswirkung auf die Personalausgaben, die bei Ländern und Gemeinden bekanntlich ein besonderes Gewicht haben, gegeben sein wird. Daran kommen wir nicht vorbei, und es ist mit Sicherheit - ohne daß dies jetzt jemand auf die Mark genau sagen könnte - damit zu rechnen, daß die Gemeinden, wenn nicht ein zusätzlicher besonderer Ausgleich für sie vorgesehen wird, aus dieser Mehrwertsteuererhöhung keine Vorteile, sondern Nachteile haben, daß sie also im Endergebnis einen Teil dieser Zeche bezahlen. All das, Herr Bundesfinanzminister, sind Dinge, die in eine seriöse Erörterung derart weittragender Dr. Wagner ({3}) Gesetzesvorlagen auch hineingehören. All das sind Dinge, die im Grunde genommen auch in die Vorlage der Bundesregierung hineingehört hätten. Es ist selbstverständlich, daß dieses Haus und auch der Bundesrat, wenn er über eine solche weittragende Steuererhöhung beschließen soll, diese Fragen genauestens geprüft sehen will. Mit der schlichten Behauptung, das sei eine Milchmädchenrechnung, die hier aufgemacht worden ist, kommen Sie sicherlich nicht durch. In dieser Auseinandersetzung, die zwischen Ihnen und Herrn Finanzminister Gaddum in der Presse stattgefunden hat, hätte ich von der Sache her sogar gern gesehen, daß Sie recht gehabt hätten, hätte Ihnen also in dieser Sache - sicherlich ein ungewöhnlicher Tatbestand - gegen Herrn Gaddum recht gewünscht. Leider werden Sie aber nicht recht haben. Der Schaden für die Städte und Gemeinden wird mit Sicherheit eintreten. ({4})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort als Vertreter des Bundesrates hat der Herr Staatsminister der Finanzen des Landes Rheinland-Pfalz. Staatsminister Gaddum ({0}) : Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung betrachtet die Erhöhung der Mehrwertsteuer als ihren Beitrag zur Haushaltssanierung, und es gibt nach ihrer Meinung hierzu keine Alternative. Der Bundesfinanzminister wird nicht müde, die Haushaltsschwierigkeiten auf den Konjunktureinbruch zurückzuführen. Nur dieser allein ist die Ursache der Misere; so der Bundesfinanzminister, so der Bundeskanzler. Wenn dies so ist, können diese Schwierigkeiten aber letztlich auch nur über eine Konjunkturbelebung behoben werden, und zwar bei unverändertem Steuerrecht, denn eine Steuererhöhung zum Ausgleich der Steuerausfälle durch die sogenannte Steuerreform hat auch der Bundesfinanzminister bisher immer abgelehnt. Wenn die Bundesregierung nunmehr doch eine Steuererhöhung vorschlägt, ist zuerst einmal festzustellen, daß die Bundesregierung damit entgegen ihren früheren Einlassungen das durch die Finanzpolitik der vergangenen Jahre entstandene strukturelle Defizit zugibt. Ist aber die geplante Erhöhung der Umsatzsteuer jetzt ein geeignetes Mittel zur Beseitigung dieses Defizits? Steuererhöhungen zur Beseitigung struktureller Defizite der Haushalte sind nur dann sinnvoll, wenn durch sie - von allen anderen Bedenken einmal abgesehen - eine reale Verlagerung privater Einkommen inflationsfrei vom Bürger auf den Staat möglich wäre, ohne zugleich die konjunkturelle Entwicklung zu belasten. ({1}) Genau dies ist nicht der Fall. Lassen Sie mich das in einigen Punkten begründen. 1. Eine Steuererhöhung bleibt ohne durchschlagenden Erfolg im Hinblick auf das Ziel einer Sanierung der öffentlichen Finanzen, solange die Widersprüche in der Zielprojektion der Bundesregierung nicht ausgeräumt werden. Die für das Wachstum erforderlichen öffentlichen Investitionen sind danach angesichts der Limitierung der Gesamtausgabenentwicklung bei der strukturellen Fehlentwicklung der Haushalte nicht expansionsfähig, so daß die Voraussetzungen der öffentlichen Hand zur Verwirklichung des realen Wachstums und damit wiederum die daraus resultierenden Steueraufkommenschätzungen als nicht konsistent angesehen werden müssen. Ich habe darauf wiederholt hingewiesen und bisher keine schlüssige Antwort erhalten. Ich werde hier nicht weiter auf diese Frage eingehen. Sie bleibt als Problem. 2. Rechnerisch wird die von der Mehrwertsteuererhöhung von 11 auf 13 % und von 5,5 auf 6,5 % ausgehende Erhöhung des Preisindex für die Lebenshaltung vom Bundesfinanzminister auf 1,4 Prozentpunkte beziffert. Wenn der von der Bundesregierung schon so lange und so oft, wenn auch bisher nicht immer zu den geschätzten Zeitpunkten vorausgesagte Aufschwung endlich käme - wir hoffen dies ja alle - und nicht nur eine Scheinblüte bis zum Wahltermin wäre, dann bestünden zweifellos besonders gute Überwälzungsmöglichkeiten und damit die Gefahr des Inflationsanstoßes, der noch über diese Schätzung hinausgeht. 3. Auch der Staat hat, soweit er mehrwertsteuerbelastete Güter und Dienstleistungen in Anspruch nimmt, die höheren Preise zu entrichten. Der „Nettoeffekt" einer Mehrwertsteuererhöhung ist folglich weit unter dem zu veranschlagenden Mehraufkommen anzusetzen. Nach überschlägigen Berechnungen - dies ist hier bereits gesagt worden -, die ich angestellt habe, aber die auch die Hansestadt Hamburg angestellt hat, und zwar mit dem gleichen Ergebnis, ist etwa davon auszugehen, daß 50 % der Mehreinnahmen durch Mehrausgaben wieder verlorengehen. Es ist eine Illusion, davon auszugehen, daß sich hierbei eine Verteuerung nur bei den Sach- und Investitionsausgaben einstellen wird. Dies ist der eigentliche Punkt der Auseinandersetzung. Es ist zu befürchten - ich meine, dies ist realistisch -, daß eine stabilitätsgerechte Lohnpolitik durch eine Mehrwertsteuererhöhung negativ beeinflußt wird. ({2}) Diese Konsequenzen in den Überlegungen außer acht zu lassen, halte ich schlicht für fahrlässig. Solche Überlegungen anzustellen, hat gewiß nichts damit zu tun, die Tarifpartner auf der Arbeitnehmerseite zu einem bestimmten Handeln anzuspornen. Wenn gegenwärtig nicht vorhergesehen werden kann, in welchem Umfang die Tarifabschlüsse, z. B. im öffentlichen Dienst, einen Ausgleich für die durch die Steuererhöhung steigenden Lebenshaltungskosten darstellen, so ist doch von verantwortungsbewußt Handelnden die Tatsache an sich nicht zu negieren und muß in diese Rechnung mit einbezogen werden. Genau dies zu tun, weigert sich die Bundesregierung. Natürlich hängt die Überwälzungsmöglichkeit von der konjunkturellen Situation ab. Natürlich sind auch die von den erhöhten Einkommen eingehenden Staatsminister Gaddum Steuern zu berücksichtigen. Doch kann man sich nicht wegen fehlender Sicherheit in der Annahme nach dem Motto „Was nicht sein kann, das nicht sein darf" auf den Standpunkt stellen: Es gehen keine Lohnwirkungen von der Mehrwertsteuererhöhung aus. Es ist hier in diesem Zusammenhang bereits auf die Situation der Gemeinden als der in besonderer Weise Betroffenen hingewiesen worden. Es ist eben davon auszugehen - das, meine ich, muß insbesondere aus der Sicht des Bundesrates gesagt werden -, daß eine Erhöhung der Mehrwertsteuer wegen des unterschiedlichen Beteiligungssatzes den Bund stärker begünstigt als die Länder und daß für die Gemeinden, die nur über den Finanzausgleich an der Mehrwertsteuer partizipieren, bei der Mehrwertsteuer ein Minusbetrag herauskommt. Dies gilt selbst dann, wenn vom Bundesfinanzminister die Methode der Nichtbeachtung unwillkommener Wirkungen angewandt wird, immerhin in einer Größenordnung von 200 Millionen DM. Meine Damen und Herren, wenn Sie dies mir nicht glauben, wenn Sie dies der CDU/CSU nicht glauben, so glauben Sie es sicher dem Präsidenten des Deutschen Städtetages. Denn Herr Koschnick hat ja genau mit der Begründung der Umsatzsteuererhöhung gefordert, daß in diesem Fall der Anteil der Städte an der Einkommensteuer um einen Prozentpunkt erhöht werden müßte. Warum denn? Weil er nämlich sonst bei den städtischen Haushalten genau ins Minus kommt und er genau dafür diesen Ausgleich braucht. Dies ist also eine Rechnung, die vom Sachlichen her wohl unbestritten sein sollte und die man nicht einfach negieren kann. Wie die Städte und Gemeinden unter diesen Voraussetzungen in die Lage versetzt werden sollen, ihren Beitrag zum notwendigen Anstieg der öffentlichen Investitionen zu leisten - und dies ist ja ein konjunkturanregendes Problem erster Güte -, bleibt ein Rätsel. Auch darüber schweigt sich die Bundesregierung aus. Denn Sie unterstellen ja in Ihrem Finanzplan ein kräftiges Ansteigen der öffentlichen Investitionen. Das heißt, Sie unterstellen es in den wirtschaftlichen Grundannahmen, im Finanzplan selbst schon wieder nicht mehr. Um das zu erreichen, müssen Sie eben diese Investitionsfähigkeit schaffen und sie nicht noch zusätzlich behindern. 5. Die Mehrwertsteuererhöhung erscheint auch im Hinblick auf die konjunkturelle Lage äußerst problematisch. Ein leicht aufwärts gerichteter Trend in der tiefsten Rezession, die die Bundesrepublik in ihrer Geschichte durchgemacht hat, gibt Hoffnungen für die Zukunft, mehr aber noch nicht. Die weitere Entwicklung der konjunkturellen Lage bis zum nächsten Jahr kennen wir noch nicht. Wir können doch nicht davon ausgehen, wie es die Bundesregierung wie selbstverständlich tut, daß eine psychologische Belastung für den Aufschwung nicht zu befürchten ist. Eine Umsatzsteuererhöhung ist doch nicht deshalb konjunkturpolitisch unschädlich, weil es die Bundesregierung gern so hätte, wobei man jetzt hier dazu sagen muß: Der für diese Dinge eigentlich zuständige Minister, nämlich der Bundeswirtschaftsminister, ist auch etwas anderer Meinung. Denn er hat in seiner bekannten Rede vor dem Bundesvorstand der FDP vom 23. Juli 1975 ausdrücklich - ich darf dies hier mit Genehmigung des Herrn Präsidenten kurz zitieren - auf folgendes hingewiesen: Wichtiger als zusätzliche antizyklische Maßnahmen sind für eine allgemeine und nachhaltige Konjunkturbelebung jedoch . . . -- und dann kommt unter Punkt 2 das binnenwirtschaftliche Klima und die mittelfristigen Perspektiven, insbesondere hinsichtlich der öffentlichen Ausgaben, d. h. der Staatsquote, die ohne grundlegende Korrekturen weiter nach oben tendiert, und damit auch der Steuern und Sozialabgaben. Dann heißt es weiter: Da die Staats- und Lohnquoten kaum wesentlich reduziert werden können, muß zunächst wenigstens ihre weitere Ausdehnung gestoppt werden. Genau dies ist die Meinung des für diese Dinge wohl sachverständigen Mitglieds der Bundesregierung. Die Bundesregierung stellt die Sache hier und heute so dar, als bestünde dieses Problem überhaupt nicht. Ich meine, daß wir davon auszugehen haben, daß eine Mehrwertsteuererhöhung nicht in diese wirtschaftspolitische Situation, nicht in diese Lage der investitions- und beschäftigungspolitischen Ungewißheit paßt. Wir fürchten, daß ein neuer Preisschub, ausgelöst von einer Mehrwertsteuererhöhung, die vorrangige Beseitigung der Beschäftigungsprobleme behindert. Die Beseitigung der Beschäftigungsprobleme ist für uns das soziale Problem Nummer 1. Schließlich bringt die Mehrwertsteuererhöhung im Verlauf des Überwälzungsprozesses eine Kostenbelastung auch für die exportierende Wirtschaft, die doch zur Konjunkturstützung angeregt werden soll, nicht aber eine solche Konjunkturstützung behindern soll. ({3}) - Das will ich Ihnen gerne erläutern, Herr Kollege Apel.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Einen Augenblick! Herr Bundesminister, Sie haben nicht das Recht, von der Regierungsbank aus Zwischenrufe zu machen. Sie können sich aber zu Wort melden. Staatsminister Gaddum ({0}) : Ich möchte auf diese Frage hier aber doch eingehen. Es ist selbstverständlich davon auszugehen, daß die Mehrwertsteuer sich - wie alle anderen Steuern auch - in Überwälzungsprozessen befindet, d. h. daß damit zu rechnen ist, daß ein Teil der Umsatzsteuerbelastung sich in der Lohnbelastung der Unternehmen wiederfinden wird. Wenn Sie mir dies nicht glauben, bitte ich Sie, sich einmal die Entwicklung in den skandinavischen Ländern anzusehen. Wenn Ihre These stimmte, daß die Mehrwertsteuerbelastung für die exportorientierte Wirtschaft sozusagen neutral und ohne Belang sei, müßten die Länder der EWG mit außerordentlich hohen Staatsminister Gaddum Mehrwertsteuersätzen doch eigentlich enorme Kostenvorsprünge haben. Solche Vorsprünge haben sie aber offensichtlich nicht, weil nämlich diese Mehrwertsteuerbelastung selbstverständlich über den Überwälzungsprozeß in die Lohnkosten eingeht und von daher letztlich dem Unternehmen die Kostenbelastungen bringt. Irgend jemand muß es ja bezahlen.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Apel? Staatsminister Gaddum ({0}): Ja.

Dr. Hans Apel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, sind Sie nicht auch der Meinung, daß diese Argumentation sehr weit hergeholt ist? Wissen Sie nicht, daß beim Export eines Produktes aus unserem Lande die Mehrwertsteuerbelastung voll zurückerstattet wird? Insofern sehe ich überhaupt nicht, wie Sie diese Argumentation aufrechterhalten wollen. Sind Sie mit mir der Meinung, daß die unterschiedliche Wettbewerbs- und Exportkraft unseres Landes im Vergleich zu anderen Ländern im wesentlichen darauf zurückzuführen ist, daß in unserem Lande in den letzten Jahren eine bessere Wirtschafts- und Sozialpolitik als anderswo betrieben worden ist? Staatsminister Gaddum ({0}): Daß wir in diesem Lande eine im Grunde sehr gesunde und I gute Wirtschaftsordnung haben, ist ein Verdienst der Entscheidung für die Marktwirtschaft, die lange vor der Regierungszeit der SPD und gegen die SPD in diesem Lande getroffen worden ist. ({1}) Ich möchte aber auf den von Ihnen zuerst angesprochenen Punkt zurückkommen. Herr Abgeordneter Apel, es kann Ihnen doch nicht unbekannt sein, daß beim Export nur die direkte Belastung durch Vorsteuern erstattet wird. Wie steht es aber mit dem, was in den Kostenfaktoren - z. B. in den Lohnkosten - als übergewälzte Lohnsteuer enthalten ist? Ich wäre sehr dankbar, von Ihnen zu erfahren, wie Sie es praktizieren wollen, daß dieser Anteil der Mehrwertsteuer, der praktisch in die Lohnsteuer hineingeraten ist, erstattet wird. Er wird nicht erstattet. Genau dies ist ja der Punkt, um den es hier geht, daß sich nämlich durch die Mehrwertsteuererhöhung das gesamte Kostengefüge der Wirtschaft verändert. Dies führt natürlich dazu, daß auch in die in den Export gehenden Güter Kosten einfließen, die nicht mehr zurückerstattet werden. Dadurch werden diese Güter mehr belastet, denn die Steuer wird nicht erstattet. Dies ist von der Prozedur her unstreitig. ({2}) - Ja, das gilt für alle Steuern, die abwälzbar sind, Herr Kollege. Das ist genau der Punkt. Sie bestreiten schlicht und einfach die Abwälzbarkeit der Steuer. Wenn Sie die Abwälzbarkeit der Steuer bestreiten, muß ich Sie fragen: Wer soll die Steuer eigentlich bezahlen? Die Unternehmen sollen sie nicht bezahlen, so sagt es Herr Friderichs. Die exportierende Wirtschaft soll sie nicht bezahlen; das sagen Sie. Der Export wird auch gar nicht behindert; das Ausland bezahlt uns also für seine Güter auch nicht mehr. Wer bezahlt denn eigentlich diese Steuer? Ich habe den Eindruck, die Koalition ist der Meinung, sie habe die ideale Steuer gefunden, die von irgendwoher bezahlt wird und nur bei ihr in den Kassen klingelt. Eine solche Steuer gibt es aber noch nicht. ({3})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Apel? Staatsminister Gaddum ({0}): Ja.

Dr. Hans Apel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, könnten Sie sich vorstellen, daß unsere Exportkraft auch damit zusammenhängt, daß wir im internationalen Vergleich eine Kostenbelastung unserer Volkswirtschaft haben, die sich auch nach den geplanten Steuererhöhungen, über die wir hier debattieren, eher im unteren Drittel als im oberen Drittel des Konzerts vergleichbarer westlicher Industrienationen befindet, so daß von der Steuerbelastung her für unsere Exportwirtschaft keine Probleme entstehen? Staatsminister Gaddum ({0}) : Das, was Sie jetzt sagen, widerspricht meiner Behauptung, daß eine Verschiebung der Kostenbelastung entsteht, überhaupt nicht. Ich stelle fest, daß Sie jetzt offensichtlich nur noch der Meinung sind, daß diese Kostenverschiebung jedenfalls nicht problematisch sei. Sie bestreiten diese Kostenverschiebung im Prinzip also nicht mehr. Damit sind wir schon ein Stückchen weiter. ({1}) Wenn sie im Prinzip anerkannt wird, können wir uns über die Höhe unterhalten. Ob die Kostenbelastung der deutschen Exportwirtschaft erträglich ist, lassen Sie sich einmal von Leuten sagen, die die Auswirkungen der Steuererhöhung auszubaden haben. Wir haben im Augenblick sicherlich - aber nicht wegen einer besonders günstigen Kostenstruktur, sondern bedingt durch die Kursrelationen - eine etwas günstigere Situation, als wir sie vor einiger Zeit gehabt haben. Sie wissen ganz genau, daß sich das bei einer Veränderung des Dollarkurses sehr schnell wieder ändern kann. Wir sollten hier also ganz kleine Brötchen backen und uns nicht Dinge vormachen, die in der Wirklichkeit kaum begründet sind. Meine Damen und Herren, meine Skepsis wird aber auch von anderer Seite bestätigt. Ich erinnere hier an ein Gutachten, das der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium am 16. August 1975 erstattet hat. Darin wird - ich zitiere - „die von der Bundesregierung wiederholt geäußerte Auffassung bekräftigt, daß angesichts der rezessiven Staatsminister Gaddum Phase der wirtschaftlichen Entwicklung Steuererhöhungen nicht in Frage kommen". - Erlauben Sie mir hierzu nur eine kleine Anmerkung. Vorhin wurde in der Diskussion die Frage aufgeworfen, von welchem Zeitpunkt an sich die Prognosen der Vertreter der Bundesregierung oder der Koalitionsparteien zu der Frage, ob wir Abgabenerhöhungen brauchen oder nicht, verändert haben. Man kann dies - wenn man einige ausweichende Stellungnahmen außer acht läßt - ziemlich präzise sagen. Die Prognosen haben sich seit der Wahl in Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr verändert. Vorher hieß es: Wir brauchen Abgabenerhöhungen nicht. Hinterher hieß es: Wir brauchen sie. Genau dies sollte man, wie ich meine, jetzt verhindern, daß nämlich vor Wahlen über die Situation anders geredet wird als nach Wahlen. ({2}) - Nein, ich komme darauf noch einmal zurück. 6. Die Entscheidung über die Mehrwertsteuererhöhung kann auch nicht unabhängig von der Entwicklung der Abgabenlast der Bürger gesehen werden. Ich spreche ausdrücklich von der Abgabenlast; denn die Steuern allein geben eben keinen hinreichenden Maßstab. Während die Steuerquote - ich nehme jetzt das Jahr 1970, weil das realistischer ist, als das Jahr 1969 zugrunde zu legen; darauf wurde schon hingewiesen von 1970 „nur" von 22,4 % auf 24,3 % in 1973 gestiegen ist, ist die Abgabenquote von 33,1 % in 1970 auf 36,6 % in 1973 gestiegen. Mit dieser Abgabenquote liegen wir, abgesehen von den skandinavischen Ländern, in der Spitze aller europäischen und vergleichbaren Konkurrenzländer in der Weltwirtschaft, die USA mit eingerechnet. Die Gesamtabgabenquote ist doch eines der entscheidenden Probleme. Ich wehre mich dagegen, daß in diesem Zusammenhang immer nur die Steuerlastquote oder auch nur die Besteuerungsquote des einzelnen gesehen wird. Man muß doch - darauf ist heute schon hingewiesen worden -die Gesamtabgabenquote sehen, und zwar auch noch auf Grund eines weiteren Gesichtspunkts. Wir haben ja schließlich noch weitere Erhöhungen der Sozialabgaben vor uns. Ich meine, das muß man in diesem Zusammenhang mit sehen. Ab 1. Januar dieses Jahres wurden die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um 50 % erhöht. Die Beitragssätze der Krankenkassen wurden bzw. werden ebenfalls erhöht. Im Bereich der Sozialversicherung, insbesondere der Rentenversicherung, bahnen sich wahrscheinlich ähnliche Entwicklungen an, um es einmal ganz vorsichtig zu formulieren. Das alles kommt natürlich im nächsten Jahr kumuliert auf uns zu. Daneben sind auch verwirklichte oder geplante Erhöhungen der kommunalen Abgaben, des Strompfennigs, der Bahn-, Post- und Verkehrstarife zu berücksichtigen. Der Bundeskanzler hat zu Beginn dieses Jahres gesagt: An der Besteuerung der Unternehmen ändert sich nichts, weder nach oben noch nach unten. Ausgenommen hatte er den Verlustrücktrag und die Körperschaftsteuerreform. Nun, zum selben Zeitpunkt trat die Erhöhung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge in einer Größenordnung von jährlich 2 Milliarden DM für die Unternehmen in Kraft. Es erhöhen sich auch sonstige Abgaben. Die Steuern haben sich dagegen bisher nicht erhöht. Ich glaube, hier muß man fast schon von Zynismus sprechen, wenn auf der einen Seite der Eindruck erweckt wird, es ändere sich überhaupt nichts, und auf der anderen Seite die Gesamtabgabenquote lustig weiter erhöht wird. Aber selbst wenn die Bundesregierung die Mehrwertsteuererhöhung hinsichtlich der Belastung der Arbeitnehmereinkommen für vertretbar hält, darf sie meines Erachtens nicht die in der Kumulierung der Belastung liegende Gefahr übersehen. 7. Bei dieser Entwicklung der Gesamtbelastung ist es nur zu verständlich - wenn auch nicht zu billigen -, daß Arbeitnehmer versuchen, dieser Belastung durch Schwarzarbeit auszuweichen. Muß ich hier erläutern, welch mittelstandspolitisches Problem in der Schwarzarbeit liegt, das Sie mit der Erhöhung der direkten Abgabenquote noch weiter verschärfen? Mittelstandspolitik darf sich nicht darin erschöpfen, einen gewährten Inflationsausgleich durch Anhebung der Nullstufe und der ermäßigten Steuerstufen bei der Gewerbeertragsteuer - mit Zusatzbelastung bei anderen Steuern und Sozialabgaben -überzukompensieren. Schließlich war der Abbau der Gewerbesteuer im Rahmen der Steuerreform in Aussicht gestellt und sollte durch EG-notwendige Harmonisierungsschritte bei der Mehrwertsteuer ausgeglichen werden. Nun beabsichtigen Sie, durch Anhebung der Mehrwertsteuer die Ausgleichsmasse für die versprochene Gewerbesteuersenkung zu verbrauchen. Ich glaube, auch hieran sollten Sie sich erinnern, wenn Sie die Mehrwertsteuer bewegen. Und hat nicht gerade die FDP - Herr Kirst ist leider nicht mehr da - bei den Eckwerten zur Steuerreform für jede Erhöhung der Mehrwertsteuer über einen bestimmten Punkt hinaus den Abbau der Gewerbesteuer gefordert? ({3}) Wo bleibt denn das? Wer eine soziale Harmonisierung des europäischen Steuersystems will, muß diese Erhöhung ablehnen, weil hier Mittel verbraucht werden, die für diese Harmonisierung notwendig sind. Wenn wir die Arbeitsplätze sichern und vermehren, die soziale Sicherheit der Bürger gewährleisten, die beruflichen Chancen der Jugend verbessern wollen, dürfen wir mit Steuererhöhungen eben nicht eine Unsicherheit schaffen, sondern wir müssen uns auf die zentralen Ziele der nächsten Jahre konzentrieren. Besonderes Augenmerk ist dabei auf eine Verbesserung der Investitionstätigkeit zur Wiedergewinnung eines kontinuierlichen Wirtschaftswachstums zu legen. Der Staat leistet keinen positiven Beitrag, wenn er die ohnehin schon hohe Abgabenbelastung einer verdienten Mark noch zusätzlich erhöht. Unsere Haltung zu der Haushaltsanierung wird durch den Haushaltsabschluß 1975 bestätigt und bekräftigt. Der Bund schließt das Haushaltsjahr 1975 Staatsminister Gaddum mit bemerkenswerten Überschüssen ab. Ich weiß sehr wohl, daß ein Kassenüberschuß nicht überzubewerten ist. Doch für den Bundeshaushalt zu erwartende Betrag in einer Größenordnung von rund 8 Milliarden DM verdient, meine ich, durchaus besondere Beachtung; denn noch im Herbst hat sich die Bundesregierung mit einem Nachtrag zum Bundeshaushalt 1975 eine zusätzliche Verschuldungsermächtigung in einem Umfang verschafft, ({4}) der, wie sich zeigte, zur Finanzierung der Ausgaben nicht notwendig war, weil die Einnahmen nicht unbeträchtlich über dem Ansatz lagen und die Ausgaben zu hoch angesetzt waren. Ich will gar nicht bestreiten - das hat auch niemand bestritten, sehr verehrte Frau Huber -, daß es begrüßenswert ist, wenn eine Mark nicht ausgegeben wurde; lassen Sie mich das einmal so sagen. Aber das rechtfertigt noch lange nicht das Abweichen des Ergebnisses von der Planung. Lassen Sie mich auch das sagen: Schließlich sind diese Fehlschätzungen ja nicht in einem Turnus von, sagen wir einmal, 12 oder 14 Monaten erfolgt, wie das bei Haushalten sonst der Fall ist, sondern hier sind Abweichungen in ganz gravierendem Maße innerhalb von zwei Monaten zu verzeichnen gewesen. Das ist eigentlich der Punkt. Hier fragt sich schon, ob eben das, was vorher gesagt wurde, tatsächlich noch mit dem übereinstimmt, was dann eingetreten ist, und ob das nicht das Maß dessen übersteigt, was, meine ich, zumutbar ist.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Huber? Staatsminister Gaddum ({0}) : Gern.

Antje Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000968, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Finanzminister Gaddum, geben Sie zu, daß die besonders starken Steuereingänge, vor allem im Dezember des letzten Jahres, dadurch verursacht sein können - mindestens zum Teil -, daß in verschiedenen Ländern deutliche Empfehlungen gegeben worden sind, die Abschlußzahlungen und auch die Vorauszahlungen beschleunigt einzutreiben? Staatsminister Gaddum ({0}) : Ich kann jetzt weder im Positiven noch im Negativen bestätigen, ob diese Dinge einen Einfluß gehabt haben. Aber wenn wir heute morgen gehört haben, daß dieser Kassenüberschuß das Ergebnis erfolgreicher Politik ist, dann kann das eigentlich kaum etwas damit zu tun haben. Denn was Sie jetzt angeführt haben, betrifft ja ein ausgesprochenes verwaltungsmäßiges Handeln. Dagegen ist die Bundesregierung heute morgen nicht müde geworden, uns klarzumachen, daß dieser gute Abschluß ein Ergebnis besonderes guter Politik sei. Deshalb vermute ich, daß die Bundesregierung anderer Meinung ist als Sie. ({1}) Lassen Sie mich zu diesem Ergebnis noch eine Bemerkung anfügen. Ich meine, daß dieses Ergebnis des Haushalts 1975 des Bundes bestätigt, daß weitergehende als vom Haushaltsstrukturgesetz ausgehende Einsparungen möglich und nötig sind, die bisher als schlicht unmöglich und nicht erreichbar dargestellt wurden. Ich meine, daß hierbei ein wesentlicher Teil des Überschusses des Jahres 1975 durchaus in die folgenden Jahre weiterwirken wird, d. h., daß hier also Korrekturen der bisherigen Veranschlagungen möglich sind. ({2}) Ich muß dies hier auf dem Hintergrund der bisherigen Behauptungen der Bundesregierung bemerken, auf der Ausgabenseite des Haushalts sei überhaupt nichts zu bewegen. Es hat sich eben gezeigt, daß sich auf der Ausgabenseite des Haushalts einiges bewegt hat, und dies widerspricht allen bisherigen Behauptungen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier noch einmal daran erinnern, daß es doch schlicht und einfach für unmöglich erklärt wurde, etwa 7 Milliarden DM aus diesem Haushalt herauszuschneiden, ohne die Sozial- und Verteidigungspolitik anzugreifen. Dies haben wir verschiedentlich gehört. Jetzt hat sich bestätigt, daß diese 7 Milliarden DM ohne die entsprechenden einschneidenden Eingriffe, Planungsänderungen, wenn Sie so wollen, herauskommen. Es hat sich bestätigt, daß dies möglich war und möglich ist. Wieviel mehr ist dann erst möglich, wenn eine konsequent darauf gerichtete Politik betrieben wird?

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Huber? Staatsminister Gaddum ({0}) : Ja.

Antje Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000968, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Finanzminister Gaddum, die Sparmaßnahmen, die wir mit dem Haushaltsstrukturgesetz beschlossen haben, waren Gegenstand der Beratungen des Vermittlungsausschusses. Ich möchte Sie nun fragen, ob durch die Verhandlungen mit den Ländern im Vermittlungsausschuß das Sparvolumen größer oder kleiner geworden ist. Ich meine, man sei bis an den Rand der Verantwortung gegangen, aber eben nur bis an den Rand, weil dadurch, daß die Länder mit unseren Vorschlägen nicht einverstanden waren, 100 Millionen DM weniger gespart wurden. Staatsminister Gaddum ({0}) : Ich weiß sehr wohl, daß zum Schluß des Vermittlungsverfahrens der Bundesfinanzminister erklärt hat, daß das Ergebnis seinen Erwartungen entspricht. Mehr als das läßt sich kaum erreichen. Ich darf aber, Frau Kollegin Huber, noch eine Bemerkung anschließen. Wenn hier „Bundesrat" gesagt wird, dann wird das im Grunde genommen immer mit dem Akzent gesagt: „die CDU/CSU-regierten Länder". Lassen Sie mich hier doch darauf hinweisen - es ist wichtig, dies auch in diesem Hause Staatsminister Gaddum zu wissen -, daß wir in diesen Fragen, soweit wir uns gegen einige Dinge gewehrt haben, im zugestandenen und erklärten Auftrag auch der sozialdemokratisch regierten Länder gehandelt haben. ({1}) - Ich möchte Sie bitten, Herr Abgeordneter Apel, sich in dieser Hinsicht das Protokoll des Bundesrates einmal exakt durchzusehen. Dabei wird Ihnen auffallen, daß beim zweiten Vermittlungsverfahren Herr Günther als Vertreter des Landes Hessen ausdrücklich erklärt hat, daß er dem Gesetz nur deshalb zustimme, weil er davon ausgehe, daß im zweiten Vermittlungsverfahren, das er also im Grunde akzeptiert, eine Änderung erreicht werde. Das heißt, er verläßt sich implizite darauf, daß die CDU-regierten Länder für die sozialdemokratisch regierten Länder die Kohlen aus dem Feuer holen. Genau dies war die Voraussetzung. ({2}) - Nein, dies ist keine Unwahrheit, sondern dies ist im Protokoll nachzulesen. Lassen Sie mich noch auf eine Bemerkung eingehen, die mir besonders bezeichnend erscheint für die Diskussion. Heute vormittag und heute mittag ist wieder davon die Rede gewesen, daß das Netz der sozialen Sicherheit unbedingt gehalten werden sollte und daß die Gefahr bestünde, daß diese böse CDU/ CSU dieses Netz der sozialen Sicherheit angreifen wolle. Meine Damen und Herren, was geschieht denn hier? Wo wirkt sich denn die Mehrwertsteuererhöhung aus? Die Mehrwertsteuererhöhung wirkt sich doch natürlich bei allen aus. Es ist gar nicht bestritten worden, daß das erst einmal ohne soziale Differenzierung gilt. Sie wirkt sich bei allen belastend aus, auch, wenn Sie so wollen, gerade bei denen belastend, die sonst die sozialen Hilfen des Staates bekommen. Mit der Steuererhöhung holen Sie also gleichzeitig den Leuten etwas weg, denen Sie mit Stolz sagen: Wir erhalten das Netz der sozialen Sicherheit. ({3}) Ich meine, es ist eben nicht ehrlich, wenn Sie auf der einen Seite sagen: „Wir ändern in den Fragen der sozialen Sicherheit überhaupt nichts", und gleichzeitig durch die Hintertür doch ändern. Es ist eben nicht ehrlich, wenn Sie sagen: „Wir erhalten die sozialen Leistungen", und gehen etwa in Ihrer Finanzplanung davon aus, daß sich das Kindergeld in den nächsten vier bis fünf Jahre nicht erhöht, obwohl Sie gleichzeitig in Ihren Perspektiven von Preiserhöhungsraten von jährlich 4 bis 5 % ausgehen. Sie gehen also in Ihrer Finanzplanung von einem Abbau des Kindergeldes in dieser Zeit um real 20 % aus. Das ist doch die Tatsache. Wir wehren uns dagegen, daß Sie solch einen sozialen Abbau durch die Hintertür vollziehen und die Bundesregierung nicht den Mut hat, dies offen und ehrlich zu sagen. Genau dies ist die Frage, die hier gestellt ist. Die Frage, die politisch an die Bundesregierung gestellt ist, lautet, ob sie den Mut hat, auch vor dieser Bundestagswahl, und zwar in den Auswirkungen spürbar, die richtige Entscheidung zu treffen. Dazu ist diese Steuererhöhung jedenfalls der falsche Weg. Wir müssen aus der Sicht eines Landes, das diese Dinge letztlich auszubaden hat, uns entschieden hiergegen wehren. Ich kann Ihnen versichern, daß wir im Bundesrat dieser Mehrwertsteuererhöhung nicht zustimmen werden. ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Vohrer.

Dr. Manfred Vohrer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002385, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die starke Betonung der verteilungspolitischen Aspekte durch Herrn Gaddum macht es notwendig, daß die FDP ihre Position zu den Fragen nochmals darlegt. Herr Gaddum, Sie haben die Mehrwertsteuer in starkem Maße unter konjunkturpolitischen Aspekten analysiert. Ich möchte hierzu ganz deutlich machen, daß wir die Mehrwertsteuererhöhung nicht als konjunkturpolitisches Instrument sehen. Mein Kollege Kirst hat schon darauf hingewiesen, daß für uns lediglich der Zeitpunkt des Einsatzes konjunkturpolitisch relevant ist. Ansonsten sehen wir die Erhöhung der Mehrwertsteuer und auch die Änderungen bei der Tabaksteuer und beim Gesetz über das Branntweinmonopol als eine Maßnahme zur langfristigen Konsolidierung der öffentlichen Haushalte durch Erhöhung der Steuereinnahmen. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß bereits der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesminister der Finanzen in seinem Gutachten ein strukturelles Defizit von zirka 30 Milliarden DM festgestellt hat. Sie haben sich doch in Ihrer ganzen allgemeinen Argumentation darauf eingeschossen, daß gerade dieses strukturelle Defizit beseitigt werden sollte. Wenn wir den Versuch machen, dort anzusetzen, sollten Sie das nicht in der Weise kommentieren, wie Sie es tun. Strukturelles Defizit heißt nämlich, daß es eben nicht konjunkturell bedingt ist. Es bedarf deshalb einer Konsolidierung durch langfristig wirksame Einnahmeverbesserungen. Dieser Forderung entsprechen die drei vorliegenden Gesetzentwürfe der Bundesregierung. Sie erbringen geschätzte Steuereinnahmen 1977 in Höhe von 11 Milliarden DM, 1978 von 14 Milliarden DM und für 1979 15 Milliarden DM. Wenn die Opposition diese Vorschläge zur Verringerung der Haushaltslücken ablehnt, muß sie sich gefallen lassen, daß wir nach Alternativen fragen. Daß bisher von Oppositionsseite keine Vorschläge in dieser Richtung gemacht wurden, zeigt gerade, daß die Opposition dem Haushaltsdefizit hilflos gegenübersteht. Pauschale Erklärungen, wie sie Herr Häfele gebracht hat, führen nicht zum Ziel. An dieser Stelle möchte ich daran erinnern, daß von seiten der CDU/CSU von 1974 bis zum Oktober 1975 Steuersenkungsvorschläge im Parlament und in der Öffentlichkeit gemacht wurden, die auf MinDr. Vohrer dereinnahmen von insgesamt 32 Milliarden DM abzielten. Ich bin gern bereit - wir haben die Posten aufgegliedert -, Ihnen im Einzelfall, wenn Sie das nicht wahrhaben wollen, das vorzutragen. Herr Häfele, eines steht doch fest: Der Marsch in den Staat der Abgaben und Steuern steht uns doch nur bevor, wenn wir all Ihre opportunistischen Anträge hier annehmen. Ich frage Sie, meine verehrten Damen und Herren von der Opposition: Wo bleiben die Finanzierungsvorschläge für Ihre Anträge? Vor allen Dingen: Wo bleiben Ihre Einnahmeerhöhungen, die Sie, wenn Sie schon keine Alternativen bei der Kürzung vorlegen, hier vertreten? Wie Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, selbst wissen, sind die am Ende des Jahres 1975 entstandenen Kassenüberschüsse kein Ersatz für geplante Steuererhöhungen. Das Kassenguthaben, das vom Finanzminister aufgeschlüsselt und in Steuermehreinnahmen und Minderausgaben aufgegliedert wurde, ist nicht geeignet, langfristig die Staatsfinanzen ohne Steuererhöhungen zu sanieren. Diese Kassenmittel beseitigen nicht das strukturelle Defizit, und sie leisten keinen Beitrag zur Konsolidierung der Länder- und Gemeindehaushalte, die von den gleichen Problemen belastet sind. Für den Bund bilden sie zwar eine Finanzierungsreserve in bezug auf den Haushalt selbst, wodurch sich eine gewisse Entspannung ergibt; gerade die Länder und Gemeinden kommen aber nicht in den Genuß dieser Finanzierungsreserve. Insofern liegt die Ablehnung der Mehrwertsteuererhöhung durch den Bundesrat, die Herr Gaddum hier angekündigt hat, unserer Ansicht nach keineswegs im Interesse der Länder und Gemeinden und ist für uns völlig unverständlich. Wenn Sie, meine Damen und Herren, sich dieser Haltung im Bundesrat anschließen, dann bedenken Sie bitte, daß Sie den Ländern für 1977 3,3 Milliarden DM Steuereinnahmen vorenthalten. Die Länderfinanzminister betätigen sich besonders lautstark beim Absingen von Klageliedern und gehen für Kassenaufbesserungen manch unheilige Allianz ein. Ich denke nur an das Kindergeld. Sie sollten sich dann auch hier bemühen, über die Mehrwertsteueranhebung ihre Finanzsituation zu verbessern. ({0}) Wir haben hier deutlich gemacht, daß wir die Auswirkungen der geplanten Steuererhöhungen auf die Steuerpflichtigen sehen. Die Zahlen von Herrn Häfele allerdings möchte ich als weit überhöht und über den Daumen gepeilt zurückweisen. Die vom DIW vorliegenden Zahlen halten wir für wesentlich seriöser. Sie zeigen auch ganz deutlich, daß eine sehr differenzierte Wirkung bei den einzelnen Haushaltstypen eintreten wird. ({1}) - Herr Wagner, auf Ihre Rechnung komme ich noch. Wir wollen uns hier gar nicht herausmogeln, und wir können für unsere Überlegungen auch geradestehen: einerseits Steuerentlastungen, andererseits Steuermehrbelastungen. Die Mehrwertsteuer wirkt auch nicht regressiv. Wir haben hier Zahlen vorliegen, die zeigen, daß der Rentnerhaushalt mit 5,33 v. H. belastet wird, wohingegen Haushalte mit mittlerem Einkommen mit 5,69 v. H. belastet sind. Das trifft für die Verbrauchsausgaben ebenfalls zu, weil Rentnerhaushalte relativ mehr Güter mit ermäßigtem Mehrwertsteuersatz kaufen. An diesem Verhältnis ändert sich durch die vorgeschlagene Erhöhung der Mehrwertsteuer nichts. Eine Erhöhung des halben Steuersatzes um einen Prozentpunkt erscheint vertretbar, wobei ich ohne weiteres auch für meine Fraktion sagen kann, daß wir im Finanzausschuß die Anregungen, die hier von Frau Kollegin Huber vorgetragen wurden, diskutieren werden. Würden wir die Anhebung im unteren Mehrwertsteuerbereich um einen Prozentpunkt unterlassen, so wäre damit ein Finanzvolumen von immerhin 1 Milliarde DM zur Disposition gestellt. Wir können also nicht ganz großzügig darüber hinweggehen. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, diese Steuerbeträge, die Sie als unsozial kennzeichnen - Herr Gaddum hat das noch einmal in aller Ausführlichkeit getan -, von den leistungsfähigen Steuerzahlern hereinspielen wollten, hätten Sie ja der von uns bei der Einkommensteuerreform vorgeschlagenen Regelung der Abzugsfähigkeit von Sonderausgaben zustimmen können. Mit Ihrer Ablehnung haben Sie das Defizit immerhin um 4 Milliarden DM vergrößert. Ich möchte Sie fragen, ob Sie nicht vielleicht den Antrag wieder aufgreifen; denn dann treffen Sie die leistungsfähigen Steuerzahler. ({2}) Dann wäre es sicherlich möglich, die Mehrwertsteuer, wie wir es von Anfang an in unserem Konzept der Steuerreform den Bürgern vorgestellt haben, um lediglich einen Prozentpunkt anzuheben. 10 Milliarden DM Mehraufkommen durch Tarifänderungen bei. mittleren und hohen Einkommen hereinzuspielen - denn nur wenn Sie die höheren Einkommen in den Griff nehmen, wirken Sie nicht unsozial -, würde zu Spitzensteuersätzen im Bereich von 80 % führen. Wenn Sie zu solchen Spitzensätzen kämen, wären Sie, meine Damen und Herren, in diesem Lande die Systemveränderer. ({3}) - Wenn Sie, Herr Kollege, sich einmal die Mühe machen, durchzurechnen, wie 10 Milliarden DM im Bereich der oberen Einkommen durch Tarifänderungen hereingespielt werden können, werden Sie zu den gleichen Zahlen kommen. Sie sollten sich hier nicht mit Zwischenrufen bei einer Materie betätigen, in die sich tiefer hineinzuknien Sie sich sicher nicht die Mühe machen. Auch das Argument aus Ihren Reihen, meine Damen und Herren von der Opposition, die vorgeschlagenen Steuererhöhungen würden die Steuerreform rückgängig machen - Herr Wagner, Ihr Rechenexempel -, ist unzutreffend. Die Entlastungen durch Steuer- und Kindergeldreform belaufen sich auf 15 Milliarden DM pro Jahr - auch für 1976 -, und für 1977 ergibt sich zwischen der Steuerentlastung und der Mehrbelastung durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer ein Saldo von 6 Milliarden DM zugunsten der Bürger. ({4}) - Das ist eingerechnet. Es handelt sich um 6 Milliarden DM, die auf seiten der Steuerpflichtigen als Plus verbucht werden können. Wir arbeiten hier überhaupt nicht mit Tricks. Wir haben sehr seriöse Zahlen und können für den Arbeitnehmerhaushalt von vier Personen mit höherem Einkommen nachweisen, daß er durch die Steuerreform monatlich eine Entlastung von fast 180 DM erfährt, durch die Mehrwertsteuer um ca. 40 DM mehr belastet wird, durch die Tabaksteuer um 1,54 DM mehr, durch die Branntweinsteuer um 1,07 DM mehr, so daß insgesamt ein Positivsaldo für den Vier-Personen-Arbeitnehmerhaushalt von 136,57 DM herauskommt. Es handelt sich hier nicht um Tricks, Herr Wagner, sondern um Zahlen, die seriös durchgerechnet wurden.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wagner?

Dr. Carl Ludwig Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002404, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich dann fragen, Herr Kollege Vohrer, ob die Zahlen, die die Bundesregierung der Opposition auf ihre Kleine Anfrage gegeben hat - Drucksache 7/4517 -, nicht seriös sind, nachdem in der Antwort erklärt wurde, daß die Steuerentlastung durch die Steuerreform im Rechnungsjahr 1977 14 Milliarden DM betragen wird?

Dr. Manfred Vohrer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002385, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Wagner, ich habe hier von 15 Milliarden DM gesprochen. Sie wissen ganz genau, daß gerade jene Schätzzahlen um 14 oder 15 Milliarden DM oft nur in der Kommastelle differieren. ({0}) Das bedeutet für das generelle politische Bild keine wesentliche Veränderung. Was die Belastung der öffentlichen Haushalte durch die geplante Mehrwertsteuererhöhung angeht, so ist eine Mehrbelastung von 1,8 Milliarden DM zu erwarten. Der Betrag von 4,5 Milliarden DM, den Herr Finanzminister Gaddum aus Rheinland-Pfalz prophezeit, ist weit überzogen. Das liegt daran, daß er von unrealistischen Annahmen ausgeht, indem er mittelbare Auswirkungen einbezieht. Diese stehen unter vielfachen Vorbehalten und können sachlichen Argumenten nicht zwingend standhalten. Im übrigen wird die Bundesregierung - das hat sie hier auch ausdrücklich gesagt -, mit einer adäquaten Wirtschafts-, Einkommens- und Geldpolitik dafür sorgen, daß unerwünschte Sekundärwirkungen nicht eintreten. Meine Damen und Herren, die FDP hält an ihrer Forderung fest, im Zuge einer europäisdien Steuerharmonisierung die Gewerbesteuer abzuschaffen und den Ausgleich über die Mehrwertsteuer zu erreichen. Herr Gaddum, wir stehen zu dem Wort. Deshalb wäre es uns Freien Demokraten lieber, wenn sich die vorliegenden Gesetzentwürfe als überflüssig erwiesen. Eine solche Möglichkeit ist jedoch leider nicht in Sicht. Wer hier wie die CDU/CSU in Ablehnung verharrt und keine konkreten Vorschläge macht, wie das Defizit beseitigt werden könnte, leistet keinen Beitrag zur konstruktiven Kritik, wie ich es von der Opposition erwarte, sondern ist ohne Rücksicht auf das Wohl dieses Staates ausschließlich auf Publizitätswirkung bedacht. Herr Häfele sollte sich hier nicht in den Widerspruch verstricken, einerseits das Defizit im Haushalt polemisch anzuprangern, andererseits Steuererhöhungen abzulehnen. Ich erinnere da an den Augenblick, wo mein Kollege Kirst eine Zwischenfrage stellte. Herr Häfele, Sie haben die Kurve nur mit quietschenden Reifen genommen. Zu Ihrem Thema „Worte und Taten" kann man Ihnen auch entgegenhalten, daß Sie hier im Plenum zum globalen Sparen aufrufen und daß es genau Sie waren, der sich im Finanzausschuß wieder mit Subventionsanträgen in den Vordergrund schob. Sie alle wissen, daß Sie hier in ganz starkem Maße immer wieder Steuererleichterungen ins Gespräch bringen und gleichzeitig den Eindruck erwecken, als ob Sie Subventionen abbauen. Nachdem uns der Kollege Wörner hier mit seiner Anwesenheit beehrt, kann ich hier auch sagen, daß Herr Wörner in seinem Beitrag, den ich in der Verteidigungsdebatte sehr aufmerksam verfolgt habe, auch einige Ausführungen machte, die nicht geeignet sind, die Staatshaushalte zu verringern, sondern eher geeignet sind, sie zu vergrößern. Herr Häfele, wenn Sie den Eindruck erwecken, als ob Sie auf den Zug von Herrn Poullain aufgesprungen wären, um die Staatsfinanzen zu entlasten, dann sollten Sie sich auch die Pressekommentare ansehen, nach denen sich Ihre Partei von den Vorschlägen des Herrn Poullain distanziert hat. Ich habe es sehr interessiert verfolgt, daß Sie einmal einen konkreten Ansatz zum Einsparen gebracht haben, nämlich in Ihrem Interview mit der „Zeit", wonach Sie die Lehrer statt bei A 11 bei A 9 ansiedeln wollen. Leider fehlen auch bei den Worten die Taten; denn wo haben Sie bisher in Länderparlamenten die Anträge gestellt, um den Vorschlag, die Idee zu realisieren? Wenn Sie hier der Vereinfachung der Kraftfahrzeugsteuer das Wort reden, zu der wir uns auch bekennen, dann sollten Sie endlich einmal Anträge im Finanzausschuß stellen und Ihren Worten Taten folgen lassen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege Dr. Vohrer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bockelberg?

Dr. Manfred Vohrer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002385, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön! von Bockelberg ({0}) : Herr Kollege Vohrer, Sie haben eben angeregt, daß wir solche Anträge im Finanzausschuß stellen. Darf ich daraus schließen, daß die FDP dann mit uns stimmen würde?

Dr. Manfred Vohrer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002385, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr von Bockelberg, es ist üblich, daß Anträge, die Sie stellen, im Finanzausschuß diskutiert werden. Wir würden solchen Überlegungen keineswegs ablehnend gegenüberstehen, sondern ich bin ganz sicher, daß wir in diesem Bereich zu einer konstruktiven Diskussion kämen. Ich habe meinerseits auch den Eindruck, daß der Koalitionspartner eine solche Diskussion begrüßen würde. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Huber?

Dr. Manfred Vohrer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002385, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön!

Antje Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000968, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Vohrer, wir haben nichts gegen eine solche Diskussion, in der Tat nicht. Aber wie würden Sie die Frage beurteilen, ob die Länder hinsichtlich der Kraftfahrzeugsteuer mitstimmen würden?

Dr. Manfred Vohrer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002385, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Gaddum hat sich hier nicht geäußert. Das Kriterium für die Länder wird immer der Tatbestand sein, ob etwas mehr herauskommt. Insofern kommt es darauf an, mit welchen Anträgen die Opposition hier kommt. Ich komme zum Schluß und zu dem Ergebnis, daß Sie von der Opposition, wenn Sie ernsthaft damit rechneten, in diesem Lande ab Oktober 1976 die Regierung zu stellen, heute den wichtigen Schritt zur Sanierung der Staatsfinanzen mittragen müßten. Ich habe den Eindruck, daß Sie mit Ihrer ablehnenden Haltung schon jetzt zum Ausdruck bringen, daß Sie eigentlich gar nicht ernsthaft damit rechnen, 1976 die Wahlen in diesem Lande zu gewinnen, ({0}) und uns deshalb etwas tiefer mit Ihren Vorschlägen hineinreiten wollen. Aber der konstruktive Ansatz fehlt noch immer. Die FDP hält die vorliegende Anträge für einen konstruktiven Beitrag und wird die Vorschläge sehr zügig im Finanzausschuß beraten. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Minister Gaddum. ({0}) Staatsminister Gaddum ({1}) : Frau Präsidentin! Auch Ihnen, Herr Kollege Apel, kann ich nicht ersparen, daß Sie die Antwort auf die Frage bekommen, die Frau Huber gestellt hat und von der Herr Vohrer meinte, daß ich noch nicht zu ihr Stellung genommen hätte. Es geht um die Frage, was die Länder wohl sagten, wenn die Kraftfahrzeugsteuerreform käme. Ich darf daran erinnern - das ist offensichtlich etwas in Vergessenheit geraten -, daß seit langen Monaten ein Beschluß des Bundesrates zur Kraftfahrzeugsteuerreform bei der Bundesregierung vorliegt, aber die Bundesregierung - und dies ist bekannt - wegen der Nichteinigung mit der größten Koalitionsfraktion, der SPD, diesen Vorschlag, der auch mit Ihrem eigenen ursprünglichen Gesetzesvorschlag zusammenhängt, nicht weitergegeben hat. ({2}) - Völlig falsch, meint der Herr Apel. Aber Herr Apel, ich habe wie vorhin den Eindruck, Sie wissen nicht mehr so genau Bescheid. ({3}) Dieser Beschluß liegt der Bundesregierung vor. Der Vorsitzende der Länderfinanzministerkonferenz -um das zu vervollständigen - hat Sie angeschrieben und möchte von Ihnen erfahren, wie Sie dieses Gesetzgebungsvorhaben weiter zu behandeln gedenken. Ich rechne damit, Herr Apel, daß selbstverständlich Ihre Antwort sein wird: Wir machen das jetzt sofort. Dann kommen Sie sofort zu der Beratung. ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Dann kommen wir zur Überweisung. Nach den Vorschlägen des Ältestenrats ist die Überweisung an den Finanzausschuß - federführend - sowie an den Wirtschaftsausschuß und an den Haushaltsausschuß - mitberatend - vorgesehen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf: a) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gezetzes zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes - Drucksache 7/4574 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({0}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO b) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Programm zur Sicherung des Ausbildungsplatzangebotes - Drucksache 7/4571 15020

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({0}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß Zur Begründung Herr Abgeordneter Probst.

Dr. Albert Probst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001752, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hat in der vorigen Woche den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes und ein Programm zur Sicherung des Ausbildungsplatzangebots im Bundestag eingebracht. Diese Initiative für eine sinnvolle Weiterentwicklung des beruflichen Bildungswesens in der Bundesrepublik Deutschland wurde nötig, nachdem die Unzulänglichkeit des Regierungsentwurfs eines neuen Berufsbildungsgesetzes im Anhörungsverfahren des Bundestagsausschusses aufgedeckt wurde. Sachverständige von Handwerk, Handel und Industrie, von den Gewerkschaften und der Wissenschaft lehnten die Regierungsvorlage einhellig ab. Da sich die Bundesregierung weigerte, ihren verfehlten Entwurf zurückzuziehen, mußte die CDU/CSU das Problem in die Hand nehmen und lösen. In sorgfältiger Abstimmung mit allen betroffenen Gruppen haben CDU und CSU zusammen mit den unionsregierten Bundesländern ein Konzept erarbeitet und vorgelegt, das in der sachverständigen Öffentlichkeit eine positive Aufnahme gefunden hat. ({0}) Der Bildungsminister hatte jedoch nichts Eiligeres zu tun, als das ganze Konzept noch vor der offiziellen Einbringung im Bundestag global abzuwerten und mit der Bemerkung „Zu spät!" beiseitezuschieben. Was späte Reaktion wirklich ist, meine Damen und Herren, hat die Bundesregierung erst dieser Tage vorgeführt. Ihr angekündigtes Aktionsprogramm zur Behebung vor allem der Jugendarbeitslosigkeit kommt zu einem Zeitpunkt, wo die Zahl der jugendlichen Arbeitslosen bereits weit über 100 000 liegt. Vor genau einem Jahr, am 30. Januar 1975, hatte die CDU/CSU im Bundestag schon ein Dringlichkeitsprogramm eingebracht, um den Lehrstellenmangel zu dämmen. Die Bundesregierung hat diesen damaligen Antrag barsch zurückgewiesen und für überflüssig gehalten. Der Parlamentarische Staatssekretär Buschfort betonte am 23. April 1975 vor dem Wirtschaftsausschuß - ich zitiere -: . . . daß konkrete Maßnahmen für die Einrichtung eines Dringlichkeitsprogramms zur Überwindung des Lehrstellenmangels und zur Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit nicht notwendig seien. Er bittet, von einem Sonderprogramm Abstand zu nehmen. Soweit das Ausschußprotokoll. Nun verkündet dieser Tage die Bundesregierung stolz ein Millionenprogramm. Aus der Verantwortung für diese skandalöse Verzögerung kann sich die Bundesregierung jedoch nicht davonstehlen. Sie hat Tausenden von Jugendlichen schwer geschadet. ({1}) Die angekündigte Vorlage eines Aktionsprogramms der Bundesregierung bestätigt die CDU/ CSU noch in einem ganz anderen Punkt. Bisher hat die Bundesregierung immer die Meinung vertreten, ihr Entwurf eines neuen Berufsbildungsgesetzes sei das Allheilmittel für eine neue Struktur der beruflichen Bildung, für mehr und bessere Ausbildungsplätze und für eine Behebung der Jugendarbeitslosigkeit. Die CDU/CSU hat stets davor gewarnt, diese Fragen zu vermengen und auf dem Wege einer staatlichen Reglementierung lösen zu wollen. Insofern bedeutet ein Aktionsprogramm der Bundesregierung gegen Jugendarbeitslosigkeit ein Abrücken von dieser Irrlehre und eine Hinwendung zum vernünftigen Konzept der Union. Herr Minister Rohde, hier geht es Ihnen genauso wie beim Hochschulrechtsrahmengesetz. Sie beginnen, sich bereits Schritt um Schritt den Vorstellungen der Union anzunähern. Was das für Sie politisch bedeutet, mögen Sie selbst beurteilen. ({2}) - Ich bedrohe nicht, Herr Wehner. Ein Aktionsprogramm heißt im Prinzip eine Abkehr vom Finanzierungsmodell, dem die Bundesregierung selbst offenbar nichts mehr zutraut. ({3}) Wie sieht es denn mit der Ausbildung und der Jugendarbeitslosigkeit heute wirklich aus? Zuverlässiges Zahlenmaterial haben wir nur aus den vergangenen Jahren; alle prognostizierten Zahlen sind reine Sterndeuterei. Sie, Herr Minister, machen jetzt wieder in Panik; nach Ihren Angaben geht die Zahl der Ausbildungsplätze in diesem Jahr zurück. Sie nennen 5 °/o. Die Realität des Vorjahres sieht anders aus. Sie verfahren offenbar nach dem Motto, jetzt besonders schwarzzumalen, um später wieder den Aufschwung zu verkünden. ({4}) Die letzten exakten Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit sind vom November 1975. Damals gab es rund 116 000 jugendliche Arbeitslose. Davon wollten jedoch nur 7 700 eine berufliche Ausbildung absolvieren, ein Drittel hatte bereits eine Berufsausbildung abgeschlossen, und 70 300 - das sind 60 % - waren an einer Ausbildung nicht interessiert. Dieses Zahlenverhältnis ist für uns insofern von großer Bedeutung, als es uns zeigt, wo wir den Hebel bei der Jugendarbeitslosigkeit wirklich ansetzen müssen. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Josef Stingl, schrieb erst in der vergangenen Woche - in einem Artikel der „Welt" vom 15. Januar -: Die Jugendarbeitslosigkeit ist wesentlich konjunkturbedingt. Sie ist damit auch nur mit einer Belebung der Konjunktur zu beseitigen. Was die Zahl der Ausbildungsplätze angeht, so liegen ebenfalls konkrete Berechnungen vor. Im gleichen Artikel berichtet Stingl, daß die Zahl der geschlossenen Ausbildungsverträge im Jahre 1975 gegenüber dem Vorjahr um 5 % zugenommen hat. Die Hochrechnungen bei Industrie und Handel ergeben ebenfalls eine Steigerung, nämlich von 4,7 % für das Jahr 1975. In Bayern gab es allein beim Handwerk eine Zunahme von 6,5 %. Die Wirtschaft hat also trotz Rezession mit Erfolg zusätzliche Anstrengungen unternommen, das Angebot an Ausbildungsplätzen erheblich zu vergrößern. Dies hat auch der Bundeswirtschaftsminister im Dezember 1975 bestätigt, als er sagte - ich zitiere -, daß die Zahl der bestehenden Ausbildungsplätze bisher kontinuierlich angestiegen ist, von l,28 Millionen 1969 auf heute 1,33 Millionen. Ähnliches verkündet der Parlamentarische Staatssekretär Grüner. Im übrigen ist es wohl unbestritten, daß es für jeden Jugendlichen immer noch ungleich einfacher ist, einen Ausbildungsplatz in der freien Wirtschaft zu finden als an einer staatlichen Hochschule, wo eben in erster Linie staatliche Lenkung Platz greift. Das Problem der Ausbildungsplätze wird in den nächsten Jahren darin bestehen, den Schub an geburtenstarken Jahrgängen, der auf die Ausbildungsplätze zukommt, aufzufangen. An dieser Stelle muß deutlich gesagt werden, daß die freie Wirtschaft offensichtlich eher in der Lage ist, mit diesem Schub fertig zu werden, als der Staat in seinem eigenen Bereich. Bekanntlich haben Bundespost und Bundesbahn die Zahl ihrer Lehrstellen bereits 1975 drastisch reduziert; bei der Post ist die Zahl der Lehrstellen 1975 um 70 % zurückgegangen, ({5}) von 6 442 im Jahre 1973 auf 1 956 im vergangenen Jahr. ({6}) Die Ausbildungskapazitäten liegen brach oder werden gegen gutes Geld an die Wirtschaft vermietet. Die Deutsche Bundespost verweist darauf, daß sie nach ihren Personalbedarfsberechnungen 1975 gar keine Lehrlinge hätte einstellen dürfen; der Eigenbedarf sei praktisch Null gewesen. Welch ein Widersinn! Bei staatlichen Monopolunternehmen gelten betriebswirtschaftliche Gesetze, bei der freien Wirtschaft darf das nicht der Fall sein. ({7}) All diese Probleme hat die Bundesregierung bisher nicht in den Griff bekommen können. Die Sachverständigenanhörung im Bundestag im September läutete eine neue Runde in der Diskussion um die berufliche Bildung ein. Sie war eine einzige vernichtende Kritik an der Regierungsvorlage und für die CDU/CSU der letzte Anstoß, nach dem offensichtlichen Scheitern der Bundesregierung die Probleme der beruflichen Bildung selbst in Angriff zu nehmen. Wir haben dabei nicht den Versuch unternommen, völlig unterschiedliche Probleme in einer einzigen Vorlage zusammenzupressen, sondern sind differenziert vorgegangen. Grundlage war für uns das geltende Berufsbildungsgesetz von 1969. Bereits im Anhörungsverfahren ließen viele Sachverständige erkennen, daß sie diesen Weg der Union für den besseren Ansatz hielten. Die überwiegend positive Aufnahme des vorgelegten Novellierungsentwurfes in der sachverständigen Öffentlichkeit hat uns bestätigt, einen besseren Weg als die Bundesregierung gefunden zu haben. ({8}) Bis heute ist die Bundesregierung jeden Beweis dafür schuldig geblieben, warum das geltende Berufsbildungsgesetz von 1969 überhaupt total abzulehnen sei. Es wirft kein gutes Licht auf die bildungspolitische Kompetenz gerade der SPD, wenn sie erst ein Gesetz - noch in der Großen Koalition - verabschiedet, es im Bundestagswahlkampf 1969 als große Reform feiert und bereits wenige Zeit später wieder einen neuen Gesetzentwurf bastelt. Wie kurzlebig diese Eintagsfliegen der SPD sind, haben die berüchtigten „Markierungspunkte zur beruflichen Bildung" von Minister von Dohnanyi deutlich gezeigt. ({9}) Es ist ein grundlegender Fehler der SPD und hat sicher seinen Ursprung in einem kollektivistischen Denkansatz, alles und jedes in Gesetzen abfassen zu wollen. ({10}) Kaum treten irgendwo Schwierigkeiten auf, insbesondere im System unserer wirtschaftlichen Ordnung, so ist man schnell mit Reglementierungen und dem Staat zur Hand. Gerade in der beruflichen Bildung ist das der falsche Weg. Wir halten überdies sehr wenig davon, ein neues Gesetz auf die Reise zu schicken, wo das alte seine volle Wirksamkeit überhaupt noch nicht entfalten konnte. ({11}) Schon gar nicht geht es, eine temporäres Problem wie die geburtenstarken Jahrgänge in einem Gesetzentwurf fassen zu wollen. Die CDU/CSU ist der Meinung, daß unser Berufsbildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland in seinem Kern gesund ist. Seine Robustheit ließ es bisher auch die kurpfuscherischen Eingriffe der Bundesregierung überstehen. Die SPD/FDP-Koalition, die sonst in anderen Bereichen sehr gern Vergleiche mit dem Ausland zieht, sollte daran denken, daß das deutsche Handwerk und der deutsche Facharbeiter im internationalen Vergleich einen hervorragenden Ruf besitzen. ({12}) Der Begriff von „deutscher Wertarbeit" wäre wohl kaum entstanden, wenn unser Berufsbildungswesen so schlecht wäre, wie manche hierzulande behaupten. ({13}) Die CDU/CSU ist der Auffassung, daß sich das geltende Berufsbildungsgesetz von 1969 sehr wohl in der Praxis bewährt hat. Da dieses Gesetz damals Neuland betrat, ist es an der Zeit, die ersten Er15022 fahrungen zu einer Verbesserung des Gesetzes zu nutzen. Dies will die CDU/CSU durch eine Novellierung erreichen, und zwar ohne ideologische Scheuklappen. Wir haben uns dabei von dem Grundsatz leiten lassen: Fördern statt reglementieren! Dabei waren unsere Handlungsmaximen sehr einfach: ({14}) Was sich bewährt hat, bleibt; was versagt hat, wird verbessert; was fehlt, wird neu geschaffen. Damit hat das Novellierungskonzept der Union einen völlig anderen Ansatz als der Regierungsentwurf und ist mit diesem weder vergleichbar, noch kann es gar mit diesem vermengt werden. Kernstück unserer Vorlage ist die Errichtung einer gemeinsamen Zentralstelle des Bundes und der Länder zur Erarbeitung der Ausbildungsordnungen für die Betriebe und der Rahmenlehrpläne für die beruflichen Schulen von Anfang an. Hier wurde der verfassungsmäßig richtige Ansatz gefunden, der garantiert, daß Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrpläne von Anfang an gemeinsam erarbeitet werden können. ({15}) Dieser Vorschlag der CDU/CSU wurde bereits in einem Entschließungsantrag im Bundestag eingebracht und war mit Grundlage des Anhörungsverfahrens des Ausschusses. Nahezu alle Sachverständigen stimmten diesem Vorschlag zu. Professor Dr. Zabeck sprach für alle, als er ausführte - ich zitiere -: Wenn die Ziele des Berufsbildungsgesetzes auf dem Gebiet der Abstimmung von Ausbildungsordnungen und Lehrplänen erreicht werden sollen, kommt als Grundvoraussetzung für die ganze weitere institutionelle Ausdifferenzierung überhaupt nur eine Zentralstelle in Frage, in der die Länder und der Bund zusammengefaßt sind. Das von der Bundesregierung vorgeschlagene Bundesinstitut kann diese Aufgabe nicht lösen. Das hat selbst der Bundeskanzler erkannt, als er bei der ersten Lesung des Regierungsentwurfs sprach und ausdrücklich eine Verbeugung vor dem organisatorischen Konzept der Union machte. ({16}) - Lesen Sie es nach, Herr Kollege Engholm, in der ersten Lesung war das. Das Novellierungskonzept ist in engem Zusammenhang mit dem vorgelegten Programm zur Sicherung des Ausbildungsplatzangebotes zu sehen. Die gemeinsamen Ziele dieser Initiative der CDU/CSU sind: Erstens die Erhaltung und Stärkung der Ausbildungsbereitschaft der Betriebe und damit die Gewährleistung eines am steigenden Bedarf der kommenden Jahre orientierten Ausbildungsplatzangebots; zweitens eine Sicherung der Ausbildungsqualität, die auf den bisherigene Erfahrungen und Leistungen der Kammern aufbaut und auf neuen bürokratischen Aufwand verzichtet; drittens eine längst notwendige, umfassende und wirksame Regelung der Abstimmung zwischen Bund und Ländern, insbesondere der Abstimmung von Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrplänen durch die Errichtung einer von Bund und Ländern getragenen „Zentralstelle für berufliche Bildung"; ({17}) viertens eine zweckmäßige, der Praxis und den beruflichen Erfordernissen entsprechende Konzeption der Berufsausbildung, die Differenzierung in Grund-und Fachbildung, die Orientierung an Berufsfeldern; fünftens wichtige Verbesserungen des Prüfungswesens - die in der Berufsschule nachgewiesenen Leistungen werden in die Abschlußprüfungen der Ausbildung einbezogen -; sechstens enthält der Gesetzentwurf eingehende Vorschriften zur Ausbildung der Behinderten; erstmals soll die Berufsausbildung in der Erziehungshilfe und den Justizvollzugsanstalten gesetzlich geregelt werden; ({18}) siebentens eine Beschränkung der zusätzlichen Kosten für Wirtschaft und Staat auf das notwendige Minimum - ein paar Millionen statt 2,5 Milliarden DM wie im Regierungsentwurf. ({19}) Es ist die Hauptsorge der Union, daß jeder Jugendliche auch in Zukunft die Möglichkeit zu einer beruflichen Ausbildung erhält. Ideologie und staatliche Reglementierung sind hier keine Hilfe. Die Union hat alle Vorschläge, die es in den letzten Jahren zur beruflichen Bildung gab, sehr sorgfältig ausgewertet und sich ihre Entscheidung dabei nicht leichtgemacht. ({20}) Das gilt vor allem für die Frage einer staatlich verordneten Finanzierungsregelung für alle Betriebe. Höchst aufschlußreich ist es, nachzuvollziehen, wie die Finanzierungsdebatte in den letzten Jahren verlaufen ist und welche Argumente jeweils herangezogen wurden. ({21}) - Herr Engholm, hören Sie nur her, wie unterschiedlich Sie argumentiert haben. - Zuerst hieß es, die Ausbildungsbetriebe würden die Lehrlinge ausbeuten. Als dann die Edding-Kommission nachwies - und das ist ihr wirklich großes Verdienst -, daß die Betriebe beim Lehrling in der Regel nicht Geld verdienen, sondern Geld zuschießen müssen, verlagerte sich die Diskussion auf die Qualität der Ausbildung. Die Qualität der Ausbildung sollte durch ein Finanzierungsmodell gesichert werden. Nachdem dann schließlich das Wort vom „Lehrstellenmangel" in Umlauf kam und damit die Quantität im VorderDr. Probst grund stand, hieß es auf einmal, nur ein Finanzierungsmodell sichere eine ausreichende Zahl von Ausbildungsplätzen. Mit Panik wurde damals gesagt, nur 16 % der Betriebe - diese Zahl wurde regierungsamtlich in Umlauf gesetzt - würden ausbilden. Dabei wurde unterschlagen, daß in diesen 16 % der Betriebe 80 % der Beschäftigten untergekommen sind, so daß die eigentliche Ausbildungskapazität nicht 16 %, sondern 80 % beträgt. Wenn Qualität eine Rolle spielen soll, ist es doch selbstverständlich, daß ein Prozentsatz von einem Fünftel von der Ausbildung ferngehalten werden muß. Und jetzt wird wieder eine Legende geboren, nämlich die, daß im kommenden Jahr die Zahl der Ausbildungsplätze um 5 % zurückgehen werde. Der Herr Minister hat hier Schätzungen in die Zukunft anstellen lassen. Worauf sich diese Zahlen gründen, ist schleierhaft. Denn die Ist-Zahlen des vergangenen Jahres sagen etwas ganz anderes aus. Bei dieser Vielzahl von verschiedenen und zum Teil gegensätzlichen Argumenten muß man vorsichtig werden. Es verstärkt sich doch der Eindruck, daß es der Bundesregierung in erster Linie um eine Umfunktionierung in Richtung auf mehr Staats- und Funktionärsherrschaft geht. Noch niemand konnte bisher nachweisen, wie durch eine staatlich verordnete Umlagenfinanzierung eine einzige Lehrstelle mehr geschaffen wird. Alle ausländischen Erfahrungen zeigen, daß man bei einem Fonds auch erhebliche öffentliche Mittel einsetzen muß. Ich erinnere nur an das Modell in Frankreich. Es kann auch zu einem Rückgang der Ausbildungskapazitäten der Betriebe führen, wie das Beispiel Großbritannien zeigt. In der Frage der Finanzierung gab das Anhörungsverfahren ebenfalls interessante Aufschlüsse. Von allen Beteiligten wurde das Finanzierungssystem der Bundesregierung strikt abgelehnt. Die meisten Sachverständigen verwarfen ein Finanzierungskonzept grundsätzlich, bezeichneten es als „Prämie gegen den Strukturwandel" oder befürchteten einen „Freikaufeffekt". Lediglich branchenbezogenen Regelungen in Selbstverwaltung wurde eine Chance gegeben. Daß die Bundesregierung mit ihrem Vorschlag einer Umlagenfinanzierung selbst nicht glücklich ist, beweisen die Einlassungen der zuständigen Bundesminister. Während der Bildungsminister das Finanzierungssystem stolz als einen „Einstieg" bezeichnet - der ja dann logischerweise weitere Schritte nach sich ziehen müßte -, vertritt der Wirtschaftsminister eine ganz andere Position. Er rühmt sich, mit dem Regierungskonzept eine Umlagenfinanzierung verhindert zu haben. Diese widersprüchlichen Aussagen zweier Minister tragen nicht gerade zur Glaubwürdigkeit der Bundesregierung in dieser Frage bei. ({22}) Ich habe Zweifel an der Aufrichtigkeit des Bildungsministers, mit einem staatlich verordneten Finanzierungssystem lediglich die genügende Anzahl von Ausbildungsplätzen sichern zu wollen. Gerade dann müßte er Eigeninitiativen von Branchen, die ein Umlagensystem in eigener Regie durchführen wollen, voll unterstützen. Warum tut er das nicht? Weil dann nämlich offenkundig würde, daß sein Konzept sowohl überflüssig als auch schädlich ist. Die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes haben im September des vorigen Jahres einen Tarifvertrag abgeschlossen, der die Berufsbildung im Baugewerbe berücksichtigt. ({23}) - Herr Möllemann, hören Sie einmal zu, damit Sie hinterher wissen, worauf Sie argumentativ eingehen können. - Wesentlicher Teil dieses Tarifvertrages ist der Ausgleich der Kosten der beruflichen Bildung zwischen den Betrieben des Baugewerbes. Die Verbände der Bauindustrie und die Industriegewerkschaft Bau, Steine, Erde haben gefordert, daß in dem Regierungsentwurf, in Ihrem Entwurf, Herr Minister Rohde, eine Ausnahmeklausel verankert wird, die es ihnen ermöglicht, bei einer etwaigen Einführung des Finanzierungssystems der Bundesregierung statt dessen ihr eigenes, branchenbezogenes Modell beizubehalten. Diesen Wunsch haben die Koalitionsfraktionen, vor allem aber der Bildungsminister, bisher rigoros abgelehnt. Warum eigentlich, Herr Minister? Wir haben in der Bundesrepublik keine praktischen Erfahrungen mit einer Finanzierungsregelung. Man sollte einem ganzen Berufszweig, Arbeitnehmern und Arbeitgebern, dankbar sein, wenn sie bereit sind, solche Erfahrungen zu sammeln und die Probe aufs Exempel zu machen. Die Bundesregierung ist doch sonst im Bildungsbereich für möglichst viele Experimente. Herr Minister, seien Sie offen, lösen Sie sich von Ihrer ideologischen Fixierung, ({24}) suchen Sie praxisnahe Lösungen! Die Union läßt in ihrem Novellierungsentwurf den nötigen Spielraum. Wir sagen: Freie Fahrt für das Experiment in der Bauwirtschaft! Wenn es sich bewährt, kann es beispielhaft sein und von anderen Branchen übernommen werden. Ich fordere die Bundesregierung auf, dieses Modell nicht nur zu dulden, sondern darüber hinaus zu fördern und eine wissenschaftliche Begleituntersuchung zu veranlassen. Aus den Erfahrungen dieses Experiments der Praxis sind wesentlichere, konkretere Ergebnisse zu erwarten als von den ideologischen Trockenübungen blutarmer Theoretiker. ({25}) Worauf kommt es der CDU/CSU vorrangig an? ({26}) Wir wollen zuerst wieder ein Klima des Vertrauens schaffen, denn ohne gegenseitiges Vertrauen hilft die beste Organisation der beruflichen Bildung nichts. Wir wollen die Wirtschaft in der beruflichen Bildung zu zusätzlichen Anstrengungen bewegen und dem Lehrling eine gute Ausbildung garantieren. Wir wollen fördern statt reglementieren, denn die Vielfalt der beruflichen Bildung läßt sich nicht in eine Zwangsjacke pressen. Bei der Verwirklichung dieser Ziele erwartet die Union eine breite Unterstützung, auch die von Ihnen, Herr Kollege Möllemann. ({27})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Meinecke ({0}).

Dr. Rolf Meinecke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001456, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Vorsitzender des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft! Ich will gar nicht bezweifeln, daß sich die CDU/CSU mit der Vorlage dieses Gesetzentwurfs, über den wir hier eine erste Lesung veranstalten wollen - ich dachte eigentlich nicht daran, hier die erste Lesung eines Gesetzentwurfes, der bereits in der parlamentarischen Behandlung ist, vom Juni vergangenen Jahres zu wiederholen -, um das Vaterland verdient gemacht hat; denn die Öffentlichkeit kann nun sehr klar erkennen, wo die Alternativen stehen, welche Regelungen angeboten werden. Es wird noch einige Wochen dauern, bis insbesondere die Betroffenen, diejenigen, die ausgebildet werden sollen, diese Gesetzestexte nebeneinander sehen. In den kommenden Monaten wird man dann erkennen, welches Gesetz das bessere ist. Eines allerdings steht dem Herrn Minister und der Bundesregierung nicht mehr frei, nämlich sich von seinem „ideologisch geprägten" Gesetzentwurf zu trennen. Diesen Entwurf beraten wir nämlich bereits seit einem halben Jahr. Hier gibt es nichts mehr zurückzuziehen, Herr Kollege Probst, auch nicht, wenn Sie als Ausschußvorsitzender dies dem Minister nahelegen. Ich möchte jetzt versuchen, auf einige Probleme des Gesetzentwurfs der CDU/CSU und des Programms zur Sicherung der Ausbildungsplätze im Verbund miteinander einzugehen, wobei ich mich sehr streng an die Richtlinien einer ersten Lesung halten will. Zum Abschluß wären dann noch einige Worte darüber zu sagen, mit welcher Absicht Sie eigentlich diese beiden Themen heute in einer verbundenen Debatte behandeln. Dahinter muß ja irgendeine Absicht stehen. Dies scheint mir sehr offensichtlich zu sein. In fünf wesentlichen Punkten ist das, was Sie mit Ihrem Gesetzentwurf vorschlagen, für uns nicht ausreichend. Erstens. Sie können sagen, die Finanzierungsregelungen in dem Gesetz der Bundesregierung sind unzulänglich. Sie können fragen: Wann tritt das in Kraft, wann liegen die genauen statistischen Werte vor, wann kann mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlichkeit gesagt werden, ein Überangebot von 12,5 % angebotener Stellen werde unterschritten werden. Im Text steht dann auch noch: „Wenn zu erwarten ist, daß das so bleibt ..." Das alles ist für die Berechnung des Termins zu unsicher. Wann tritt die Rechtsverordnung in Kraft? Das kann zu spät sein. Das geben wir zu. Wir können daran arbeiten und prüfen, ob sich eine Möglichkeit finden läßt - wenn man die genauen Herbstzahlen kennt und weiß, daß das Angebot zu niedrig ist -, das mit einem anderen Mechnismus schneller in Gang zu bringen. Sie können das kritisieren. Aber eines können Sie nicht: Sie können nicht sagen: weil in dem Anhörverfahren alle der Meinung waren, dieses Finanzierungsverfahren sei falsch, verzichten wir zur Zeit überhaupt auf eine finanzielle Regelung. ({0}) - Das ist nicht richtig. - Sie sagen in einer Pressemeldung: Im Augenblick gibt es kein Modell, das seine Praktikabilität erweist. Natürlich, wenn man ein neues Instrument für die Finanzierung von Ausbildungsplätzen und der beruflichen Bildung gesetzlich fixieren will, wird sich die Praktikabilität eben noch erweisen müssen. Das muß dann einfach theoretisch an Hand des Gesetzestextes entwickelt werden. Den Verzicht auf jegliche Regelung insbesondere mit dem Hinweis auf die katastrophale ökonomische Situation zu begründen - die sich in den letzten fünf, sechs Monaten ja auch schon wieder ein wenig anders entwickelt hat - halten wir nicht für ausreichend. Zweitens. Einer der wichtigsten Punkte des Gesetzentwurfs der Bundesregierung ist zweifellos die Erarbeitung von vernünftigen Ausbildungsordnungen, von Ausbildereignungsordnung. Was darüber hinaus außerordentlich wichtig ist, ist jedenfalls ein erster Schritt zu einer Art von Gleichberechtigung von Abschlüssen in Ausbildungsberufen und von schulischen Abschlüssen. Dazu sind entsprechende Rechtsverordnungen erforderlich, die dann ermöglichen, daß die betreffenden Jugendlichen eine staatliche Prüfung ablegen und ein staatliches Prüfungszertifikat erhalten. Dazu gehört natürlich, daß die Prüfungsausschüsse vom Staat berufen werden. Bei Ihnen ist dieses Problem außer acht gelassen worden. Sie machen keinen Schritt in diese Richtung, obwohl Sie vor Monaten und vor Jahren auch schon gesagt haben, daß man zu einer Gleichstellung und Gleichberechtigung der Bildung in allgemeinbildenden und in Berufsschulen kommen müsse. Nicht einmal ein Schritt in diese Richtung wird von Ihnen versucht. ({1}) - Das ist keine Verstaatlichung, Herr Kollege Probst. Seien Sie mir einmal nicht böse. Im Jahre 1973 hat Ihr Kollege Gölter gesagt - das habe ich gerade zugesteckt bekommen -: „Wir sagen ja zu einer klaren staatlichen Kontrolle." Sie haben diese Position also auch schon einmal innegehabt. Jetzt haben Sie nur eine Art Trend- oder Tendenzwende aufgefangen - das haben wir ja in der Debatte gehört -; im Augenblick scheint es in der Offentlichkeit gut anzukommen, zu sagen: So wenig Staat wie möglich, keine staatlichen Befugnisse. Klar, wenn Steuererhöhungen ins Haus stehen, macht sich das immer gut. Den Jugendlichen nützt das bei der beruflichen Bildung nichts. Dr. Meinecke ({2}) Sie haben doch total unterschlagen oder vergessen, welches die Problematik war, die uns vor drei Jahren dazu gebracht hat, eine Verbesserung des Berufsbildungsgesetzes in Angriff zu nehmen. Nun können Sie doch nicht behaupten, daß all die Studien, Erhebungen - z. B. die Hamburger Lehrlingsstudie und die Versuche in Rheinland-Pfalz - und Untersuchungen von seriösen Instituten nur Unfug erbracht haben. Es war doch völlig klar, daß die berufliche Bildung vor Ort in sehr vieler Beziehung unzulänglich war. Das hat mit Klassenhaß und mit Klassenkampf überhaupt nichts zu tun. Sie wissen, ich bin der allerletzte, der nach Klassenkampf aussieht, leider. ({3}) Ich komme nachher noch auf diese Problematik zu sprechen. Aus diesem Grunde scheint mir auch dieser Weg, den Sie gehen wollen, unzulänglich zu sein. Nun hat der Herr Kultusminister Vogel - unser einstmals verehrter Kollege - bei der Pressekonferenz gesagt: Dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung ist an Haupt und Gliedern unzulänglich. - Großartig! ({4}) Das hat Sie aber nicht daran gehindert, einige Glieder abzuschneiden und Ihrem Gesetzentwurf einzufügen - was ich ja großartig finde -, wobei Sie an einigen kleinen Punkten Veränderungen vorgenommen haben. Das Kapitel über die Behinderten - ich habe das gestern noch ganz genau Wort für Wort geprüft - ist fast wörtlich abgeschrieben. In einigen Punkten ist es natürlich nicht abgeschrieben. Das konnten Sie ja gar nicht machen; weil es kein Bundesinstitut für Berufsbildung geben soll, kann dieses nicht die Aufsicht über die Behindertenausbildung übernehmen. Vollkommen klar. Das machen dann also die Landesbehörden. Aber eine interessante Angelegenheit habe ich dabei entdeckt. Aus allen Paragraphen des Regierungsentwurfs, die Sie ganz oder teilweise abgeschrieben haben und in denen steht: zum Zwecke der Ordnung und der Planung, der Weiterentwicklung dieser oder jener Angelegenheit, haben Sie vom ersten bis zum letzten Satz rigoros immer das Wort Planung gestrichen. Planung und Ordnung gibt es bei Ihnen nicht. Es gibt Weiterentwicklung und Fortentwicklung. Ich glaube, diese Ihre Handlungsweise muß man einmal nach Freud analysieren. Sie haben immer noch nicht begriffen, daß Planung nicht allein eine sozialistische Staatsangelegenheit ist, sondern daß wir auf dem Weg der beruflichen Bildung ohne Planung überhaupt nicht weiterkommen können. So erklärt sich dann auch Ihr ebenfalls halb amputiertes, überpflanztes oder transplantiertes Glied der Berufsbildungsstatistik. Da wird Statistik gemacht, und das wird festgesetzt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats. Was heißt das? Im Bundesrat werden Anträge gestellt und wird darüber abgestimmt, was nun eigentlich statistisch erhoben werden soll. Aus vielen Debatten wissen wir doch nun, daß es schon einmal dieses oder jenes Bundesland geben kann, das in dieser oder jener Beziehung an irgendeiner Statistik nicht so sehr interessiert ist. Dann kommt das eben durch Beschluß der Mehrheit des Bundesrates aus der Erhebung heraus. ({5}) - Aber Herr Kollege Probst, dann haben wir in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren doch wieder die Kaffeesatzaussagen. Außerdem sind das in Ihrem Gesetzentwurf alles Kann-Bestimmungen. In dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ist das ein klares Muß. Jährlich wird ein Bericht vorgelegt. Auf Grund dieses Berichtes können wir einen Beschluß fassen, und die Regierung muß dann tätig werden. Wir können die Regierung am Schlips nehmen, wenn sie nichts unternimmt. Das scheint mir im Regierungsentwurf auch vernünftiger und umfassender geregelt zu sein. Nun komme ich zum letzten Kapitel. Jetzt wird es meiner Meinung nach tatsächlich abenteuerlich. Jetzt komme ich nämlich zur Erfindung Ihrer sogenannten Zentralstelle, von der Sie behauptet haben, die ganze Welt habe ihr schon begeistert zugestimmt. ({6}) - Der Herr Bundeskanzler hat Ihre Zentralstelle damals allenfalls Ihrem Entschließungsantrag entnehmen können, in dem einige Elemente Ihres Gesetzentwurfs schon enthalten waren. ({7}) - Ich bin gleich fertig, Herr Kollege; Sie werden sich noch wundern. - Im übrigen war daraus zu entnehmen, daß im Grunde genommen das Prinzip Ihres Entwurfs bereits im Juni des vergangenen Jahres feststand - dann wäre das nämlich kein Siebenmonatskind, sondern beinahe ein Neunmonatskind geworden -, Sie Ihren Gesetzentwurf aber gleichwohl erst im Januar dieses Jahres eingebracht haben. Wann in der Geschichte dieses Parlamentes wird bei schon absehbarem Schluß der Legislaturperiode, wo die Wochen schon bis zum Juni verplant sind, noch jemand ein Gesetz einbringen und ernsthaft meinen, dieses Gesetz dann auch noch mit allen Schikanen, die damit verbunden sind, über die Bühne zu bringen? Nein, Sie wissen ganz genau und Sie verlassen sich darauf, daß wir so fair sind und Ihr Gesetz noch mitberaten, wenn Sie es parallel einbringen. Aber es war doch ein starkes Stück, in dieser Ausschußsitzung zu behaupten, es müsse das Pferd gewechselt werden und Beratungsgrundlage solle Ihr Gesetzentwurf sein, den Sie erst einbringen, weil der nämlich - und das ist klar - von dem ursprünglich geltenden Recht ausgeht. Sie können Ihre Paragraphen vorlegen. Wir werden sie mitberaten, wie es sich gehört, anständig, parlamentarisch, aber umsatteln kommt nicht in Frage. Nun zu dieser zentralen Stelle. Lesen Sie einmal über die Aufgabe dieser zentralen Stelle nach, und Sie werden hören und staunen. Das hat der Herr Dr. Meinecke ({8}) Bundeskanzler im vergangenen Jahr natürlich noch gar nicht wissen können und noch gar nicht beachten können, sonst wäre ihm die Zustimmung wahrscheinlich sehr rasch vergangen. Da heißt es: Die Bundesregierung und die Regierungen der Länder arbeiten im Rahmen der Zentralstelle unter Wahrung ihrer Zuständigkeiten im Bereich der beruflichen Bildung zusammen. - O.k., das ist eine gute Proklamation. Die Zusammenarbeit hat das Ziel, insbesondere die Ausbildungs- und Fortbildungsordnung des Bundes und die Rahmenlehrpläne der Länder aufeinander abgestimmt zu entwickeln. Sie kann sich auch noch mit einigen anderen Dingen beschäftigen. Die Mehrheitsverhältnisse dieser Zentralstelle sind so, daß in diesem Bund-Länder-Ausschuß die elf Bundesländer je eine Stimme haben. Die Bundesregierung hat dort drei Vertreter, die aber gemeinsam nur eine Stimme haben. Dies ist ein Stimmenverhältnis von 11 : 1. ({9}) Nun sagen Sie, das sei doch großartig, denn wenn der Bundesregierung etwas nicht passe, könne sie nicht überstimmt werden, weil nämlich Beschlüsse nur dann zustande kommen, wenn die Vertreter der Bundesregierung den Beschlüssen zustimmen. Was heißt das? Wenn die Bundesregierung auf Grund ihrer Verantwortung für die berufliche Bildung - und die hat sie nach dem Grundgesetz - nicht zustimmen kann, kommen keine Beschlüsse zustande. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist die, daß die Bundesregierung, wenn Beschlüsse zustande kommen, so frei ist und so freundlich sein darf, diese im Bundesrat einzubringen. Die werden dann im Bundesrat erneut zur Diskussion gestellt. Nun gibt es nach Ihrem Gesetzentwurf keine Rechtsverordnung mehr, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Im Bundesrat kann das, was dort erarbeitet worden ist, durch Mehrheitsbeschluß wieder umgestellt werden, wie es die Bundesregierung nicht wollte, bevor sie zugestimmt hat. Das ist die eine Möglichkeit. Die andere Möglichkeit ist die, daß sich in dieser zentralen Stelle - das steht auch im Gesetz - jedes Bundesland einem Beschluß entziehen kann, und wenn sich ein Land einem Beschluß entzieht, ist es daran auch nicht gebunden. Damit hätten wir tatsächlich den Föderalismus in Reinkultur. Da möchte ich tatsächlich, wenn heute nicht Freitag wäre - Frau Präsidentin, entschuldigen Sie -, Föderasmus sagen. Das ist doch grotesk, was Sie machen! Wir bekommen dadurch nicht nur kein einheitliches Schulwesen, sondern bekommen auch noch eine Veruneinheitlichung, eine Atomisierung -, um einmal Ihre Worte zu gebrauchen, Herr Kollege Probst -, der Berufsbildungsordnung. Wir halten diese Konstruktion für abenteuerlich. ({10}) Meine Damen und Herren, es gibt keine Institution, ob es die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung ist, ob es der Deutsche Bildungsrat war, ob es der Wissenschaftsrat ist, mit einem so abenteuerlichen Stimmenverhältnis. Im Wissenschaftsrat betrug das Stimmenverhältnis in der Regierungskommission 11 : 11. Das sind vernünftige Regelungen. Bei diesem Phänomen „zentrale Stelle", für diese Mißgeburt des Föderalismus, die Sie da konstruiert haben, sagen Sie schlicht: „Die §§ 51 bis 53 entfallen". Das ist der Bundesausschuß für Berufsbildung, in dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer jetzt immerhin einige Mitsprache- und Mitbestimmungsrechte haben. Das haben Sie mit folgender Motivation erläutert - Sie haben das vorhin auch getan, Herr Kollege Probst -: Was schlecht ist, muß weg. Das wird dann also neu gemacht. Sagen Sie doch einmal selbst: Wem wollen sie diese abenteuerliche Konstruktion einer zentralen Stelle in der deutschen Offentlichkeit verkaufen? Sagen Sie in der nächsten Woche den Kollegen im Bundesausschuß, daß das, was Sie gemacht haben, Mist gewesen ist. Es tut mir leid, dies ist keine Anregung. Meine Damen und Herren, so sieht das eben leider aus mit diesem Gesetzentwurf. Es mögen Passagen darin sein, die man durchaus akzeptieren kann. Wenn wir den nächsten Punkt hier noch in aller Kürze besprechen, möchte ich Ihnen sagen: ein Programm zur Sicherung des Ausbildungsplatzangebotes - ein Gesetz zur Sicherung eines solchen gibt es ja leider nicht -- halten wir durchaus für gerechtfertigt, auch daß die Regierung immer wieder gezwungen wird, darüber nachzudenken. Das hat sie jedoch getan, und wir haben darüber ein ganzes Jahr lang diskutiert. Sie hat nicht alle Ihre Vorschläge aufgenommen, nur einige, und Sie sind darüber etwas böse: Ich halte das nicht für gerechtfertigt. Ich möchte darauf hinweisen, daß die Bundesregierung im Dezember 1974 mit einem umfassenden Programm begonnen hat. Wir haben im Ausschuß Anregungen gegeben. Einige davon sind aufgenommen worden. Die Bundesregierung hat auch unverzüglich mit den Ministerpräsidenten der Länder gesprochen. Die Ministerpräsidenten haben auf Anregung der Freien und Hansestadt Hamburg im September vergangenen Jahres einen umfassenden Katalog von Maßnahmen in Angriff genommen und werden, wie ich glaube, im Februar darüber erneut beschließen. Dies alles hat doch zur Folge gehabt, daß die meisten Auszubildenden jedenfalls in diesem Jahr einen Ausbildungsplatz bekommen haben. Bei denjenigen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben oder jugendarbeitslos sind, handelt es sich, wie wir alle wissen, zu einem großen Teil um Schüler und Schülerinnen ohne einen ausreichenden Hauptschulabschluß oder eine entsprechende Schulqualifikation. Insofern ist die Jugendarbeitslosigkeit im Grunde genommen - jedenfalls zur Zeit - nicht eine Angelegenheit ausschließlich der Berufsbildungspolitik, wie Sie in Ihrem Programm auf der ersten Seite sagen, sondern vorwiegend eine Angelegenheit der Bundesländer, diese Restschule - gleich Hauptschule - schnellstens zu reformieren und die Menschen dazu zu motivieren, Abschlüsse zu machen. ({11}) Dr. Meinecke ({12}) Wenn sie das nicht können, ist ihnen die Möglichkeit zu geben, ein oder zwei Jahre länger in entsprechenden berufsbildenden vorbereitenden Kursen diese Bildung zu vervollständigen. Einige Punkte, die Sie hier angeführt haben, sind - das wissen Sie sehr genau - von der Bundesregierung längst in Angriff genommen worden. Großartig finde ich, daß Sie nun offenbar Ihre innere Einstellung und Aversion gegen überbetriebliche Ausbildungsstätten ein klein wenig revidiert haben. War es denn nicht so, meine Damen und Herren, daß in den Ausschußsitzungen immer, wenn es darauf ankam, die überbetriebliche Ausbildungsstätte im Gesetzestext selbst auch einmal zu rechtfertigen, einige von Ihnen - zumindest der Kollege Gölter - sich verhalten haben wie ein Club von Feministinnen, in die zufällig ein nackter Mann hineingerät, der da gar nicht hingehört? Das war doch ein aufgeregtes Geschrei bezüglich der überbetrieblichen Ausbildungsstätten; das war sozusagen ideologischer Verrat am dualen System. ({13}) Hier haben Sie sich revidiert. Auch Sie wollen die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" ändern; da bin ich mit Ihnen einer Meinung. Allerdings muß man dann das Gesetz ändern, wenn man die Personalkosten ersetzen will. Nach dem jetzigen Gesetz kann man hier nur investieren. Meine Damen und Herren, wir beraten diesen Antrag natürlich in allem Ernst. Ich nehme an, daß die Bundesregierung - entweder heute kurz oder in der nächsten Woche - sagen wird, was sie mit dem 300-Millionen-Programm vorhat. Die Bundesregierung hat schnell reagiert, und Sie sagen, sie habe auf Grund Ihres Antrags reagiert. Im Grunde genommen kann das aber nicht so sein, weil nämlich Ihr Antrag das, was die Bundesregierung tun wird, nicht enthält. Aber wenn das ein Anstoß war, ziehe ich meinen Hut vor Ihnen. Hier haben Sie zum richtigen Zeitpunkt eine richtige Initiative noch einmal wiederholt. Was uns ärgert, ist nicht so sehr der Gesetzentwurf - darüber kann man sachlich reden -, sondern ist Ihre Begleitmusik, sind die schrillen Töne. Dazu möchte ich einige wenige Takte sagen. Sie haben den Erguß eines Journalisten in irgendeiner süddeutschen Zeitung - nicht in der „Süddeutschen Zeitung" -, der sich ausgedacht hat, daß der Herr Bundesminister nunmehr aus dem Kabinett ausscheiden möchte, zum Anlaß genommen, von seiten der CDU/CSU ein seitenlanges Pamphlet herauszubringen mit der Begründung „Ein weiteres Zeichen für die Amtsmüdigkeit von Minister Rohde ist seine Pressemitteilung vom 9. Januar 1976". ({14}) Das ist doch nun langsam wirklich grotesk. Die Pressemitteilung enthält den Ernst der Situation; sie beinhaltet die statistischen Daten der nächsten zehn Jahre mit der Zahl der Jugendlichen und der Schulabgänger. Sie stellt dar, was gemacht werden kann, was gemacht werden muß und was eingeleitet wird. Dies zum Anlaß zu nehmen, erneut das seit Monaten erhobene Geschrei gegen den zuständigen Bundesminister zu wiederholen, halte ich nicht für gut. Ich finde, Sie benehmen sich hier wie das berühmte Pistenpublikum, welches jeden Samstag und Sonntag im Fernsehen irgendeinen Skiläufer, der einen vernünftigen Slalom versucht, mit dem ewigen „He! He! He!" begleitet, wobei diese „sportliebenden" Zuschauer keinen guten Lauf und keine gute Zeit sehen wollen, sondern lieber den Sturz des Läufers. So scheint mir das zu sein. Ich finde diese Methode nicht gut, Herr Kollege Pfeifer. Seien Sie mir nicht böse: Hören Sie doch mit diesem Papierkrieg endlich auf! Dasselbe gilt für die Stellungnahme vom 22. Januar. Ewig und erneut wird der Minister aufgefordert, seinen Entwurf zurückzuziehen. Was haben Sie denn für ein Parlamentsverständnis? ({15}) Nun haben Sie, nachdem der Gesetzentwurf heute eingebracht und morgen der überraschten Offentlichkeit dargestellt wird, gestern oder heute gewissermaßen Ihre Mannen zusammengerufen, und das Schlachtfeld ist geordnet. Also: großartige Zustimmung. Ich selbst erschauere in Ehrfurcht vor soviel geballter wirtschaftlicher, ökonomischer und natürlich auch zelebraler Macht: Bundesverband der Lehrer an beruflichen Schulen, Deutscher Lehrerverband, Bundesverband der Freien Berufe, Christlicher Gewerkschaftsbund, Zentralverband des Deutschen Handwerks, Deutscher Industrie- und Handelstag sowie die weiteren Mitglieder des Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft - das waren diejenigen, die den berühmten Brief vom 13. Januar, also vor ungefähr einem Jahr, geschrieben haben und die 40 000 Ausbildungsplätze sofort aus der Tasche zogen, wenn die Bundesregierung so pariert hätte, wie die Herren sich das damals vorgestellt haben -; die haben alle gesagt: Ihr Entwurf ist großartig. Nun gut, das werden wir sehen. Ich will unsere Truppen nicht aufmarschieren lassen, denn wir haben keine. Ich bin aber sicher, wenn die Truppen, die dazu berechtigt sind und die insbesondere auch im Interesse der 1,5 Millionen Jugendlichen denken und handeln müssen, aufmarschierten, würden Sie, auf der anderen Seite oder denen gegenüberstehend - ich hoffe natürlich: im intellektuellen Gespräch; ich dachte nicht an Schlacht -, den Deutschen Gewerkschaftsbund sehen. Die Stellungnahme haben Sie doch auch von Ihrer Frau Weber schon bekommen. Sie werden auf der Seite auch die Deutsche Angestelltengewerkschaft sehen; da bin ich ganz sicher. ({16}) - Ich habe ja keine Männer genannt. Ich nenne Verbände, große Gruppen. ({17}) Ich habe, wenn ich die Empfehlung der UNESCO betr. Überarbeitung der Empfehlungen zur beruflichen Bildung richtig begriffen habe, auch gesehen, Dr. Meinecke ({18}) daß diesen in der UNESCO erarbeiteten internationalen Grundsätzen unser Gesetzentwurf zumindest mehr entspricht als Ihrer. Ich habe mir die Stellungnahme des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands für das gesamte Bildungs- und Schulwesen angeguckt. Wenn ich das Kapitel „Berufliche Bildung" richtig begriffen habe, kommt der Regierungsentwurf dem ein wenig näher als Ihrer. Ich habe ein sehr ausführliches Forschungsgutachten, diesmal nicht von der UNESCO, sondern von der OECD - die ist ja im allgemeinen ökonomisch ganz vernünftig programmiert - mit fünf oder sechs internationalen Größen aus der ganzen Welt, die sich Gedanken gemacht haben über neue Wege für Bildung und Arbeitsmarkt und über die schwierigen Probleme, die in der ganzen westlichen Welt in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren zu lösen sind. Wenn die hier vorgeschlagenen Grundthesen, die nicht in jedem Land und auch bei uns nicht vollständig vollzogen werden können, in der Tendenz von uns aber anvisiert werden müssen, überhaupt zu ersten Schritten durch den Gesetzgeber in dieser Tendenz führen sollen, ist die OECD auch hier auf unserer Seite, so leid es mir tut, meine Damen und Herren. ({19})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt.

Helga Schuchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002090, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daran, wer von seiten der CDU/CSU diesen Antrag begründet und wer dann in der ersten Runde der Fraktionen dazu spricht, zeigt sich, daß der Einfluß von Bayern und Baden-Württemberg offenbar größer ist als der von Rheinland-Pfalz. ({0}) Herr Probst hat zu Beginn wieder einmal - wie schon vor einigen Monaten - den Versuch gemacht, die Probleme Jugendarbeitslosigkeit und Ausbildungsplatzangebot zu vermengen. Ich glaube, das trägt nicht besonders zur Klarheit bei. Ich möchte noch eines korrigieren. Herr Probst hat hier behauptet, die Regierungskoalition und die Regierung selbst hätten das Berufsbildungsgesetz von 1969 total kritisiert. Dafür, meine ich, sollten Sie uns erst einmal den Nachweis erbringen. Wir waren uns am Anfang dieser Legislaturperiode darüber einig, daß wir gemeinsam ein neues Gesetz haben wollten, weil die ersten Erfahrungen mit dem Berufsbildungsgesetz 1969 dies nötig gemacht hatten. Lassen Sie mich noch auf die Wissenschaftler eingehen, die beim Anhörverfahren anwesend waren. Diese Wissenschaftler wurden natürlich von den jeweiligen Fraktionen vorgeschlagen. Natürlich hatten wir hier nicht Wissenschaft als objektives Datum eingeladen, sondern parteiliche Wissenschaftler. Ich glaube, dies sollte man hier noch richtigstellen. ({1}) - Natürlich, das gilt für alle Wissenschaftler, die anwesend waren. Selbstverständlich hatte man die Wissenschaftler eingeladen, von denen man wußte, daß die in ihren wissenschaftlichen Untersuchungen die eigene Position stützen würden. Dies ist legitim. Man sollte hier nur nicht den Eindruck der totalen Unparteilichkeit erwecken wollen. ({2}) - Mein Gott, beruhigen Sie sich doch, Herr Pfeifer! Das ist ja schrecklich. Sie kommen ja nachher hier auch noch dran; dann können Sie das alles noch nachholen. Meine Damen und Herren, am Anfang dieser Legislaturperiode waren wir uns darüber einig, daß die berufliche Bildung innerhalb des Gesamtbildungsbereichs in der Vergangenheit sehr vernachlässigt war und ihr eine besondere Priorität zukommt. Wenn die qualitativen Gesichtspunkte der Reform beruflicher Bildung zu Anfang noch im Vordergrund standen, weil man trotz Rückgangs an Ausbildungsplatzangebot noch nicht diesen Mangel verspürte, so haben wir uns im Grunde genommen in den letzten Monaten manchmal vorrangig oder sogar ausschließlich auf die quantitativen Aspekte beschränkt. Natürlich muß sich Politik immer auf die jeweiligen Probleme beziehen und dafür Lösungen aufzeigen. Aber man sollte daran erinnern, daß dieses Gesetz, das wir noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden beabsichtigen, zweierlei leisten muß. Einmal muß es den Mangel an Ausbildungsplätzen Ende der 70er Jahre möglichst verhindern. Zweitens muß es inhaltlich in das nächste Jahrzehnt hineinragen. Das heißt, die Debatte über berufliche Bildung muß insoweit unter quantitativen und qualitativen Gesichtspunkten geführt werden. Ich darf nur daran erinnern, daß der Regierungsentwurf diesen Anforderungen entspricht. Er trifft für die Finanzierung Regelungen im Hinblick auf Mangelsituationen. Er schafft ein Instrumentarium, mit dem ich überhaupt künftige Entwicklungen beurteilen kann. ({3}) Letzten Endes schafft er bessere Voraussetzungen für die inhaltliche Verbesserung der Ausbildung selbst. Ich möchte zunächst einmal auf das eingehen, was im CDU/CSU-Entwurf nicht steht, was aber ganz ohne Frage auch in der Öffentlichkeit und bei den Betroffenen immer mehr zur zentralen Frage wird, nämlich auf die Finanzierung. ({4}) Wir wissen doch alle, daß dieses Haus infolge des Berufsbildungsgesetzes 1969 beschlossen hatte, eine unabhängige Sachverständigenkommission zur Untersuchung der Finanzierung beruflicher Bildung einzusetzen, die auch gebeten wurde, einen Vorschlag zu erarbeiten. Dies ist geschehen. Natürlich war es auch die CDU, die sich dann mit diesem Vorschlag kritisch auseinandersetzte. Sie kam beim Bundesparteitag 1973 in Hamburg zu folgendem Beschluß: Die jetzige Form der Finanzierung der außerschulischen Berufsbildung durch die ausbildenden Betriebe führt zu Ungerechtigkeiten und Strukturverzerrungen. - Diese Ungerechtigkeiten und Strukturverzerrungen will die CDU jetzt also weiterhin aufrechterhalten. - Sie beschloß weiter: Die jetzige Form der Finanzierung ist durch ein Finanzierungsverfahren zu ersetzen, das die Verbesserung der Ausbildung durch eine gerechte Verteilung der Ausbildungslasten gewährleistet. Im März 1975 wurde dies auf dem Berufsbildungskongreß der CDU in Saarbrücken noch einmal mehrheitlich unterstützt. Schließlich hat der Bundesvorsitzende Kohl gemeint: Reform der beruflichen Bildung verlangt ein neues Finanzierungssystem; Verteilung der Kosten der Berufsausbildung auf alle privaten und öffentlichen Betriebe durch eine allgemeine Bildungsabgabe der Betriebe. Ich weiß zwar nicht, wie groß der Einfluß des Vorsitzenden in seiner eigenen Partei oder gar dem Fraktionsverband der CDU/CSU in diesem Bundestag ist; jedenfalls kann er, gemessen an diesem Gesetzentwurf, nicht groß sein. Dennoch, meine Damen und Herren, sollte man nicht verschweigen

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Probst? - Bitte!

Dr. Albert Probst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001752, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Schuchardt, meinen Sie nicht, daß es zweckmäßig wäre - man hat in diesen Fragen ja keine Erfahrung; wir haben ähnliche Probleme in allen Hochschulbereichen -, Modelle auszuprobieren, bevor man generelle Lösungen sucht? Und wären Sie unter diesem Gesichtspunkt bereit, den Bereich Bau, Steine, Erden in seinem Bemühen um Erhellung gerade dieses Problems voll zu unterstützen?

Helga Schuchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002090, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Probst, zunächst einmal zu den Versuchen. Der Regierungsentwurf ist flexibel gehalten, so daß man von Jahr zu Jahr Maßnahmen, die sich im letzten Jahr als nicht hinreichend erwiesen haben, insoweit erproben und in einer weiteren Rechtsverordnung verbessern kann. Das heißt, der Regierungsentwurf beinhaltet bereits die Möglichkeit von Versuchen. Das ist selbstverständlich. ({0}) Nur - und das, Herr Probst, ist der Unterschied zwischen uns -, wir möchten diese Versuche nicht der Willkür von Tarifpartnern überlassen, sondern wir wollen die Versuche politisch fördern. Das ist das Entscheidende. ({1}) Meine Damen und Herren, die CDU hat allerdings hin und wieder doch noch den Begriff Finanzierung im Munde. Dann ruft sie allerdings ({2}) - Natürlich, Sie werden doch von Branche zu Branche zu völlig unterschiedlichen Modellen kommen. ({3}) Sie werden zu Strukturverzerrungen allergrößten Ausmaßes kommen. Sie werden unter Umständen nicht einmal die Möglichkeit haben, regionale Unterschiede politisch zu steuern. Ich meine, hier kann es ein Parlament doch nicht einfach den Tarifparteien überlassen, Modelle für uns zu erproben, wo wir ganz genau wissen, daß wir in den nächsten drei Jahren in die Mangelenge kommen werden, uns also gar nicht so lange mehr Versuche leisten können. Zugegebenermaßen - insoweit stimme ich Ihnen zu - sollte man den Tarifparteien, die sich auf ein solches Finanzierungsmodell geeinigt haben, sehr danken, da sie damit die Ansätze der Bundesregierung eindeutig unterstützen, und zwar unsere Ansätze, nicht die der Opposition, die gar nichts machen will. ({4}) Meine Damen und Herren, natürlich soll nach dem CDU/CSU-Entwurf die berufliche Bildung finanziert werden, aber aus Steuermitteln. Wir haben hier gerade eine Diskussion hinter uns, die wieder einmal deutlich gemacht hat, daß Sie mit dem Ausgeben zwar sehr fix bei der Hand sind, aber nicht bereit sind, Maßnahmen hinsichtlich der Einnahmeseite mitzutragen. Natürlich ist das unpopulär. Ich kann nur hoffen, daß die Öffentlichkeit dieses durchsichtige Spiel erkennt. In dem Antrag der Opposition zur Sicherung des Ausbildungsplatzangebots handelt es sich u. a. im wesentlichen um einen Appell sowohl an die öffentlichen Hände als auch an die Wirtschaft. Ich meine, wir müssen uns hier diesem Appell anschließen und uns darauf wohl auch gemeinsam verständigen. Ich stimme auch insoweit zu, Herr Probst, als es außerordentlich unglücklich ist, wenn wir von der Wirtschaft erwarten: „Nun stellt mal mehr Ausbildungsplätze, als es eurem prognostizierten Bedarf entspricht, zur Verfügung", aber die öffentliche Hand das gleiche nicht tut. ({5}) Wenn Sie hier allerdings die Post erwähnen, für die das sicherlich auch zutreffen muß, glaube ich, muß man zwischen solchen Ausbildungsplätzen differenzieren, wo die Post später allein als Arbeitgeber in Frage kommt, und anderen Ausbildungsplätzen, wo der Auszubildende nach Abschluß seiner Ausbildung Möglichkeiten hat, auch in die Wirtschaft zu gehen. Sie alle erwarten, daß die Post effektiver arbeitet. Das bedeutet, daß wir sie heute nicht mit der Ausbildung derer belasten können, die anschließend nur sie allein übernehmen könnte und doch aus wirtschaftlichen Gründen nicht übernehmen kann. ({6}) Wir sollten darüber hinaus auch an die Gewerkschaften appellieren, daß es nicht gut wäre, wenn sie darauf bestünden, daß die Auszubildenden anschließend auch ein Recht auf Weiterbildung hätten. Wenn sich diese Auffassung durchsetzte, würde man das wohl eher als Ausbildungsverhinderungsmaßnahme ansehen. Die Wirtschaft wird Ende der 80er Jahre im wesentlichen von den starken Jahrgängen getragen werden, die jetzt auf uns zukommen. Ich meine, daß sie deshalb interessiert sein sollte - auch wenn heute ihr prognostizierter Bedarf für die nächsten Jahre nicht so aussieht -, doch diese Ausbildung verantwortlich zu gestalten. Darüber hinaus muß man der Wirtschaft wohl sagen, daß, wenn viele Jugendliche keinen Ausbildungsplatz bekommen, sie natürlich auf den Staat zukommen und von ihm erwarten werden, daß er schulische Ausbildungsmöglichkeiten bietet. Das wäre eine Möglichkeit - und die will die Wirtschaft, genau wie wir, nicht -, einer Verschulung der Berufsausbildung Vorschub zu leisten. Wir nehmen dankbar zur Kenntnis, daß das Gewicht der überbetrieblichen Ausbildungsstätten in dem Oppositionsantrag betont wird. Sie zu finanzieren, ist aber schon lange Politik dieser Bundesregierung und natürlich auch Bestandteil des Entwurfs eines Berufsbildungsgesetzes, genauso wie Maßnahmen, die die Fortführung der Ausbildung von Jugendlichen sicherstellen, wenn sie Betriebsstillegung zum Opfer fallen. Die Opposition hat ihre Vorschläge zur Milderung des Mangels an Ausbildungsplätzen als Entschließungsantrag eingebracht. Der Unterschied zur Auffassung der Koalition liegt darin, daß Sie es per Gesetz sichern wollen. Daß wir uns darüber einig sind, für leistungsschwache und behinderte Jugendliche in allererster Linie etwas tun zu müssen, darüber besteht überhaupt kein Zweifel. Wenn ich es richtig verstanden habe, bezieht sich dieses 300-Millionen-Programm auch gerade auf diesen Kreis von Jugendlichen. Die Opposition hat nun den Regierungsfraktionen den Vorwurf gemacht, wir seien nicht bereit, an dem Regierungsentwurf etwas zu ändern. Diejenigen, die im Ausschuß sitzen, wissen, daß wir uns sinnvollen Änderungen gegenüber aufgeschlossen zeigen. Das wird natürlich auch in besonderem Maße für den hier vorgelegten Gesetzentwurf der Opposition gelten. Ich glaube, man sollte in diesem Zusammenhang noch einmal die Statistik anführen, die dem Regierungsentwurf als Grundlage für weitere Planung diente. Diese Planungsgrundlage kann eigentlich nur die kontinuierliche, stetige und dynamische Entwicklung von Daten zur Folge haben. Wir sind offen, was Praktikabilität und Effektivität der Daten betrifft, hier etwas zu ändern. Ich meine aber, daß die Opposition noch einmal ihre Auffassung überprüfen und sich fragen sollte, ob es eigentlich sinnvoll ist, bei der Statistik davon auszugehen, daß jede neue Erhebung von Jahr zu Jahr der Zustimmung des Bundesrats unterliegt. Ich glaube, daß hier allzusehr die Gefahr besteht, daß politischer Opportunismus unter Umständen ein Frühwarnsystem verhindern könnte. Daran können wir alle nicht interessiert sein. Lassen Sie mich noch einiges zur Organisation sagen. Wir waren uns alle darüber einig, daß eine bessere Qualität der beruflichen Bildung im wesentlichen von der Verzahnung schulischer und betrieblicher Bildung abhängt. Wir haben die Situation, daß wir wegen der Kompetenzverteilung - der Bund ist für die betriebliche, die Länder sind für die schulische Ausbildung zuständig - auf die Kooperationsbereitschaft von Bund und Ländern angewiesen sind. Im Anhörverfahren ist deutlich geworden, wie sehr alle anwesenden Sachverständigen und Interessenvertreter eine Kompetenz des Bundes auch für den schulischen Bereich vorziehen würden. Diese Verfassungslage haben wir aber heute nicht. Ich meine, wir werden uns hier mit den Ländern arrangieren müssen. Wir sind nach wie vor der Auffassung, daß das Bundesinstitut eine geeignete Grundlage ist, mit wenig Bürokratie das Effektivste zu bringen. Wir sollten dies aber eingehend prüfen, da, wie gesagt, die Länder mitziehen müssen, wenn wir zu einer wirklich guten Entscheidung kommen wollen. ({7}) Der Vorschlag, den Sie gemacht haben und der besagte, daß auch die Ausbildungsordnungen der Zustimmung des Bundesrats bedürften und sie nicht allein in der Kompetenz des Bundes erarbeitet werden sollten, bedeutet eine Bescheidung der Bundeskompetenzen und läuft also den Wünschen, die wir im Hearing entgegengenommen haben, zuwider. Es geht darum, sicherzustellen, daß der Bund seine Kompetenzen nicht verliert und einen entsprechenden Einfluß behält. ({8}) - Herr Probst, es war für mich außerordentlich interessant, Ihren Zwischenruf zu hören, der besagte, daß Sie selber gar nicht zur Kenntnis genommen haben, daß der Bund nur eine Stimme hat. Vielleicht sollten Sie das noch einmal mit Ihren Kollegen durcharbeiten. Es geht also darum, den betrieblichen Einfluß bei der Ausbildung zu stärken, indem auch der Bund entsprechend vertreten ist. Wir können uns nicht weiter auf die Grauzonen stützen, die wir im Bildungsbereich haben. Ich meine, wir alle als Parlamentarier sollten ein Interesse daran haben, mitzuentscheiden. Der Entwurf der Opposition scheint mir allzu stark von der Kultusbürokratie der Länder beeinflußt zu sein. Dies kann eigentlich nicht im Interesse der Wirtschaft und der Gewerkschaften sein. Zum Schluß nur noch eine Bitte, sicherlich an uns alle. Ich würde es sehr bedauern, wenn dieses Gesetz im Gerangel zwischen Bundestag und Bundesrat draufginge. Ich bedauere weiterhin, daß Herr Kohl meint, die berufliche Bildung sei vor allem ein zentrales Wahlkampfthema. Ich meine, daß sich alle diejenigen, die sich lange mit diesem Bereich befaßt haben, darauf verständigen sollten, daß dieses Gesetz für die Jugendlichen und nicht für den Wahlkampf gemacht ist. ({9})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Bundesminister Rohde. ({0})

Helmut Rohde (Minister:in)

Politiker ID: 11001876

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man hätte eigentlich erwarten können, daß der Sprecher der Opposition bei der Einbringung seiner Vorlage konkret dargelegt hätte, in welcher Weise sie dazu beiträgt, die konkreten Probleme zu bewältigen, denen wir heute auf dem Felde der beruflichen Bildung gegenüberstehen. Das Auffälligste an seinem Beitrag aber war, daß er den Inhalt seiner eigenen Vorlage nur am Rande behandelt hat und dann wieder in den Stil der Berufsbildungsdebatte der vergangenen Jahre zurückgefallen ist. Wir müssen uns fragen, ob tatsächlich aus diesen Debatten nur ein rhetorisches Schlachtfeld werden soll oder ob wir von den Herausforderungen ausgehen wollen, denen wir uns heute im beruflichen Bildungswesen gegenübersehen. In der Bundesrepublik wie in anderen Industrieländern muß damit gerechnet werden, daß nicht nur für einige Jahre, sondern im gesamten nächsten Jahrzehnt geburtenstarke Jahrgänge die Schulen verlassen und überwiegend nach beruflichen Ausbildungsmöglichkeiten fragen werden. Ab 1977 erwarten jährlich Zehntausende mehr, daß ihnen ein Ausbildungsplatz angeboten wird, 1980 kommen rund 140 000 Schulabgänger ohne Hochschulreife mehr auf uns zu, die zusätzlich Anforderungen an das berufliche Bildungssystem stellen werden. Was die Schulabgänger mit Hochschulreife angeht, wird sich der Zuwachs der Zahlen bis 1984 auf rund 127 000 hinbewegen. In dieser Lage ist die Mobilisierung aller Ausbildungsreserven und -kapazitäten notwendig. ({0}) Mit Blick auf die Gesamtlage gibt es keinen Anlaß zur Sorglosigkeit, im Gegenteil. Als ich vor einem Jahr in einer ähnlichen Debatte wie dieser auf die Beziehungen zwischen Berufsausbildung auf der einen und Jugendarbeitslosigkeit auf der anderen Seite aufmerksam gemacht hatte, war mancher noch geneigt, das als eine abwegige Beziehung hinzustellen. Angesichts der heutigen Zahlen und der zukünftigen Größenordnungen, die in unsere Planungen einberechnet werden müssen, haben sich in der Bildungspolitik und auch in der öffentlichen Meinung das Bild und die Einschätzung der Notwendigkeiten verändert. Sicherlich, Herr Kollege Probst, sind die Zahlen über die gegenwärtige Entwicklung des Berufsbildungsangebots umstritten. Das hängt mit den Unzulänglichkeiten in der Statistik zusammen, die wir durch unser Gesetz beseitigen wollen. ({1}) Auf der anderen Seite aber treffen die von Ihnen gemachten Angaben - 7000 Jugendliche, die eine Ausbildungsstelle gesucht haben - auch nicht zu. ({2}) Das sind nur jene Zahlen, die sich auf diejenigen Jugendlichen bezogen haben, die unter den Arbeitslosen des Jahres 1975 gewesen sind. ({3}) Nicht berücksichtigt haben sie dabei jene Jugendlichen, die nach der Schulentlassung im Spätherbst vergangenen Jahres noch keine Ausbildungsstelle gefunden haben. Ich warne also davor, allzu selbstzufrieden mit Zahlen umzugehen, und empfehle, sich mehr den konkreten Sorgen zuzuwenden. Zu diesen Sorgen gehört, daß das Angebot an Ausbildungsplätzen, insgesamt gesehen, nicht erst kurzfristig, sondern bereits seit anderthalb Jahrzehnten rückläufig ist. Es besteht doch gar kein Zweifel daran, daß dieser Trend gewendet werden muß, ({4}) wenn angesichts der geburtenstarken Jahrgänge der nächsten Jahre bessere Verhältnisse erreicht werden sollen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Probst?

Helmut Rohde (Minister:in)

Politiker ID: 11001876

Bitte sehr!

Dr. Albert Probst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001752, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister Rohde, ist Ihnen nicht bekannt, daß die große Lücke in der Lehrstellenstatistik durch den Einbruch von etwa 100 000 im kaufmännischen Bereich zustande kam und daß das zwei wesentliche Ursachen hat, nämlich erstens das Überangebot an Ausbildung in einem damaligen Modeberuf und zweitens den Erlaß einer neuen Ausbildungsordnung, die die Breite der Ausbildung nicht mehr zuließ?

Helmut Rohde (Minister:in)

Politiker ID: 11001876

Herr Kollege Probst, es gibt sehr viel weitergehende Gründe für die Entwicklung des Ausbildungsplätzeangebots in den letzten anderthalb Jahrzehnten. ({0}) Aber wenn Sie schon die Frage aufwerfen, daß - aus welchen Gründen auch immer - in einigen Branchen das Angebot von Ausbildungsplätzen zurückgegangen ist, dann müssen Sie sich doch auch der Frage stellen, warum denn nicht neue Betätigungsfelder in Wirtschaft und Verwaltung in dem letzten Jahrzehnt durch neue Ausbildungsordnungen durchstrukturiert und damit Mangelerscheinungen auf der einen Seite durch neue Ausbildungsangebote auf der anderen Seite aufgewogen worden sind. Dies ist also ein sehr viel komplexerer Vorgang, als er sich aus Ihrer Frage ergibt. Im übrigen, Herr Kollege Probst, ist es auch völlig unzulässig, die Entwicklung der schulischen Bildungsangebote in Widerspruch zu bringen zu der Entwicklung des Angebots von betrieblichen Ausbildungsplätzen oder gar beides gegeneinander auszuspielen. Ich sage Ihnen dazu offen: Wenn in den letzten Jahren nicht durch erhebliche öffentliche Anstrengungen das Angebot von schulischen Bildungsplätzen und Bildungsmöglichkeiten bis in den Hochschulbereich verstärkt worden wäre, dann wäre das Minus im Angebot von betrieblichen Ausbildungsplätzen schon sehr viel früher zutage getreten. ({1}) Wir müssen mithin Zusammenhänge beachten und können nicht die einzelnen Bildungsbereiche voneinander abgekapselt betrachten. Im ganzen gesehen wäre es leichtsinnig, in dieser Lage behaupten zu wollen, alles könne beim alten bleiben, und es würde sich gleichsam alles am Markt von selbst - begleitet von Appellen an alle Beteiligten - lösen lassen. Wenn die gegenwärtigen Rechtsgrundlagen und Handlungsinstrumente in der beruflichen Bildung wirklich ausreichend wären, dann hätten wir heute eine Reihe von Problemen weniger. Darüber, Herr Kollege Probst, hat es noch vor anderthalb Jahren offensichtlich eine größere Übereinstimmung zwischen Opposition und Regierung gegeben, ({2}) denn in der Debatte im Juni 1974 erklärte einer Ihrer Sprecher: Wer in der beruflichen Bildung alles beim alten lassen will, wer nicht bereit ist, den Mängeln in der betrieblichen und schulischen Berufsbildung durch gesetzliche Maßnahmen zu begegnen, der hat die CDU/CSU als Gegner gegen sich. Er ließ erkennen, wer nur von „Reform" rede, aber in Wahrheit nur so tue als ob, der würde mit dem Widerstand der CDU/CSU rechnen müssen. ({3}) Damals war doch offensichtlich bei Ihnen noch die Vorstellung verbreitet, daß man nicht nur einige Paragraphen - gleichsam als Alibi - neu zum geltenden Recht einbringen müsse, sondern daß man wirklich das betreiben sollte, was auch die Sprecher Ihrer Fraktion seinerzeit die „Reform der beruflichen Bildung" genannt haben. ({4}) Die Bundesregierung hat in den letzten anderthalb Jahren, ergänzend dazu auch die Bund-LänderKommission für Bildungsplanung, ein in sich geschlossenes Konzept entwickelt, das im Blick auf die heutigen Verhältnisse aus drei wesentlichen Punkten besteht: Erstens müssen wir die Reform der beruflichen Bildung durchführen und den Stufenplan für die berufliche Bildung verwirklichen, nämlich jenen Stufenplan, der von der Bund-Länder-Kommission beraten und von den Regierungschefs unterschrieben worden ist und der einen wesentlichen Ausbau des beruflichen Schulwesens vorsieht. Dieser Stufenplan hat genauso Priorität wie die Reform der gesetzlichen Grundlagen der beruflichen Bildung. Wenn wir uns vornehmen - und das müssen wir -, in den nächsten Jahren das Angebot von betrieblichen Ausbildungsplätzen auszuweiten, dann müssen dazu auch die Länder einen wesentlichen Beitrag durch den Ausbau des beruflichen Schulwesens leisten. Sonst würde diese Berufsbildungspolitik Schlagseite bekommen, allein schon aus quantitativen Gründen. Verwirklichung des Stufenplanes heißt auf der einen Seite: Ausbau des Berufsgrundbildungsjahres und ({5}) Verbesserung des Teilzeitunterrichts. Auf der anderen Seite bedeutet es: Ausbau von Berufsfachschulen, vor allem in den Gebieten, in denen sonst keine befriedigenden Verhältnisse erreicht werden können. ({6}) Ich hoffe nur, daß die Länder diesen Stufenplan in ihrer Schul- und Bildungspolitik ernst nehmen ({7}) und daß das nicht ein Plan ohne Vollzug bleibt. Ich weiß sehr wohl - und würdige das auch -, daß das für die Länder unter den konkreten Haushaltsbedingungen ({8}) erhebliche Anstrengungen erfordert. ({9}) Aber auf der anderen Seite füge ich offen hinzu: Die Länder müssen die Courage für Prioritäten zugunsten der beruflichen Bildung haben, nachdem in den vergangenen Jahren der Ausbau der Hochschulen im Investitions- und Personalbereich Priorität vor anderen Aufgaben gehabt hat. ({10}) - Das haben wir damals auch als einen ausgewogenen Weg und eine ausgewogene Entwicklung des Bildungssystems im Ganzen bezeichnet. ({11}) Ein zweiter Punkt - das will ich auch sagen - kommt hinzu: ({12}) wir können nicht allein mit der Entwicklung der betrieblichen Bildung alle Probleme lösen. In dieser Debatte ist schon deutlich geworden, daß die HauptBundesminister Rohde schule sowohl in ihrem Gewicht im Gesamtbildungssystem aufgewertet als auch in ihren Inhalten weiterentwickelt werden muß. ({13}) Dazu gehört auch eine bessere Vorbereitung auf die Berufsbildung und auf das Berufs- und Arbeitsleben. Also: Berufsbildungsgesetz und Stufenplan für die berufliche Bildung mit dem Ziel eines Ausbaus des beruflichen Bildungswesens gehören zusammen. Der dritte Punkt ist, daß wir mit dem Blick auf die nächste Zeit, also kurzfristig, besondere Maßnahmen der Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik zum Abbau von Jugendarbeitslosigkeit durchführen müssen. ({14}) Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat schon vor einem Jahr zum Ausdruck gebracht, daß keiner dieser drei Punkte durch den anderen ersetzbar ist. Wir können weder darauf verzichten, die konjunkturellen Auswirkungen von Jugendarbeitslosigkeit in der konkreten Situation abzubauen, noch würde es unserer politischen Verantwortung entsprechen, für die Jahre ab 1977 keine Vorsorge zu treffen, also etwa die betriebliche Ausbildung oder die Berufsschule zu vernachlässigen. Was nun die Berufsbildungsvorlage der Opposition, die, wie gesagt, hier kaum begründet worden ist, angeht, will ich dazu wenigstens einige Anmerkungen machen. Tm ganzen gesehen kommt dieser Entwurf nicht nur spät; er hat auch noch den Nachteil, daß er zu den entscheidenden Fragen nichts sagt. Die Kritik daran reicht von den Sozialausschüssen über die Junge Union bis zu den Arbeitnehmerorganisationen und den Stellungnahmen der auszubildenden Jugend. Natürlich, meine Damen und Herren - und damit will ich auf einige Bemerkungen zurückkommen, die Sie gemacht haben, Herr Kollege Probst -, hat man mit Auseinandersetzungen auf dem Felde der beruflichen Bildung zu rechnen, ({15}) wenn man tatsächlich Reformen will und betreibt. Dann geht es um Einzelheiten und wichtige Inhalte, bei denen - das wissen Sie so gut wie ich ({16}) die Auffassungen der Beteiligten oftmals extrem auseinandergehen. Wenn man nichts zur Sache sagt, dann hat man natürlich nicht die Sorge, daß man sich mit sachlicher Kritik in Einzelfragen auseinandersetzen muß. Aber dann bleibt die große Enttäuschung derjenigen, die mit ihren Problemen alleingelassen werden. Meine Auffassung ist, daß Parlament und Regierung nicht deshalb auf Reform und Veränderung verzichten können, weil Verbände und Organisationen in Einzelfragen unterschiedlicher Auffassung sind. Dann würde der Staat vor den Notwendigkeiten aus rein opportunistischen Erwägungen und Gründen kapitulieren. Es ist besser, um die Sache zu ringen, als die Probleme auszuklammern, wie das bei Ihrer Vorlage weithin der Fall ist, und sie somit ungelöst von der Tagesordnung abzusetzen. In dieser Debatte ist schon dargelegt worden, wie der völlige Verzicht der Opposition auf jede Finanzierungsregelung der Berufsausbildung die Unsicherheit im Ausbildungsplätzeangebot verlängern würde. Die Opposition will es in dieser Hinsicht allein mit Appellen bewenden lassen. Meine Damen und Herren, wir ignorieren im Entwurf der Bundesregierung die eigenen Ausbildungsanstrengungen der Wirtschaft auch nicht. Aber wir erklären, daß dann, wenn diese Ausbildungsanstrengungen der Wirtschaft angesichts der wachsenden Nachfrage nach Berufsbildungsangeboten nicht zu einem befriedigenden Ergebnis führen, in Zukunft der Staat handlungsfähig sein soll. Staat und Beteiligte sòllen nicht - wie nach dem geltenden Recht - einen solchen Zustand nur zur Kenntnis nehmen können. Was im geltenden Recht angelegt ist, kann niemandem mehr zugemutet werden. Wenn die Opposition der Meinung ist, daß das Finanzierungsinstrumentarium des Regierungsentwurfs nicht ausreichend und nicht wirkungsvoll genug sei, erforderte es doch eigentlich die Logik, daß Sie sich der Mühe unterziehen - zumal Sie dies auch angekündigt haben -, ein eigenes Konzept vorzulegen. Aber jetzt nichts zu sagen und nur die Politik des Ausklammerns zu betreiben, ist Kapitulation in der Sache. ({17}) Die Debatte hat auch gezeigt, zu welchen Verirrungen und außerordentlichen Schwierigkeiten es führte, wenn Sie die Organisation der Berufsbildung auf Bundesebene, also dort, wo z. B. die Ausbildungsinhalte festgelegt werden müssen, wo Vorausschau für die nächsten Jahre betrieben werden muß, am Gesetzgeber vorbei regeln und auf den schwankenden Boden eines Verwaltungsabkommens zwischen Bund und Ländern stellen wollen, ({18}) eines Abkommens, das zudem noch mit der Möglichkeit der Kündbarkeit belastet ist. ({19}) - Aber nur für das Abstimmungsverfahren und nicht für die Organisation der beruflichen Bildung auf Bundesebene. Das wissen Sie genau, und brauche ich Ihnen im einzelnen nicht zu erklären. ({20}) Meine Damen und Herren, es muß auch bedenklich stimmen, wenn Sie die gegenwärtigen Rechte des Bundesausschusses für berufliche Bildung zu reinen Beratungsfunktionen herabmindern wollen. Damit würden im Grunde genommen die Träger der betrieblichen Bildung zu Zaungästen des beruf15034 lichen Bildungssystems gemacht. So kann ein duales berufliches Bildungssystem nicht funktionieren. Was Ihren Beitrag zum Inhalt der beruflichen Bildung angeht, so ist er in dem Entwurf rein zufälligen und fragmentarischen Charakters. Man kann überhaupt nicht erkennen, nach welchen Gesichtspunkten Sie Ihre Paragraphen ausgewählt haben. In einigen Punkten haben Sie sich an die Regierungsvorlage angelehnt. Über diese Punkte braucht man hier dann auch nicht weiter zu streiten. Zu anderen wichtigen Fragen der Berufsausbildung haben Sie sich aber überhaupt nicht geäußert. Meine Damen und Herren, es ist zu beklagen - auch auf dem Hintergrund der Debatten in den letzten Jahren -, daß Sie in Ihrer Vorlage jede Chance versäumt haben, die berufliche Bildung inhaltlich zu einem gleichwertigen Bestandteil des Gesamtbildungssystems weiterzuentwickeln. ({21}) Zusammenfassend muß gesagt werden, daß der Beitrag der Opposition über weite Strecken enttäuscht ist. Er kann das Parlament nicht der Verpflichtung und der Verantwortung entheben, die Sache im ganzen und nicht nur nach den Bruchstücken der CDU/CSU-Vorlage zu behandeln. Die Koalition hat auch heute in dieser Debatte deutlich gemacht, daß sie jeden konstruktiven Beitrag zur Entwicklung der beruflichen Bildung aufnehmen wird, daß sie sich aber energisch dort zu Worte meldet, wo Weichen in die falsche Richtung gestellt werden sollen, und daß sie auch dort ihre Vorstellungen präzisiert, wo die CDU/CSU schweigt. Zuletzt ein Wort zu dem dritten Punkt unseres Konzepts, zu den kurzfristig angelegten Maßnahmen. Meine Damen und Herren, wir haben in Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern und auch mit der Bundesanstalt für Arbeit im Jahre 1975 eine Reihe von arbeitsmarkt- und bildungspolitischen Maßnahmen auf den Weg gebracht. Herr Kollege Probst, Sie haben in sehr anklägerischer Weise die Auswirkungen der Konjunktur auf die Beschäftigungslage behandelt. Ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß die Bundesregierung der Bundesanstalt für Arbeit im letzten Jahr Milliardenbeträge überwiesen hat und daß sie in ihrem Konjunkturprogramm Hunderte von Millionen DM für Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung gestellt hat, damit die Bundesanstalt die nach dem Arbeitsförderungsgesetz vorgesehenen Maßnahmen der strukturellen und sozialen Beschäftigungspolitik erfüllen kann? Das ist doch ein in Milliardenbeträgen sich dokumentierender Beitrag gegen die Arbeitslosigkeit im Jahr 1975 gewesen. ({22}) Es kommt hinzu, daß wir 1975 das Programm der überbetrieblichen Ausbildungsstätten in einer Weise entwickelt haben, die zu einer neuen Dimension, gemessen an früheren Jahren, führt. Im letzten Jahr sind für überbetriebliche Ausbildungsstätten 166 Millionen DM bewilligt worden. Ich will hier mit Genugtuung unterstreichen, daß sich jetzt offensichtlich auch bei der Opposition inzwischen eine realistischere Betrachtungsweise hinsichtlich der Bedeutung überbetrieblicher Ausbildungskapazitäten für die Absicherung des Ausbildungsplätzeangebotes entwickelt hat. Diese Politik der konkreten Hilfen will die Bundesregierung auch 1976 fortsetzen. Sie hat, wie Sie wissen, ein 300-Millionen-Programm vorgelegt, das arbeitsmarktpolitische und berufsbildungspolitische Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und zur Verbesserung der Berufsausbildungsverhältnisse enthält. Mit zusätzlichen Mitteln sollen die Möglichkeiten der strukturellen Beschäftigungspolitik nach dem Arbeitsförderungsgesetz ausgenutzt werden. Ich will die Maßnahmen nicht im einzelnen aufzählen, weil sie Ihnen in den Grundzügen geläufig sind. Außerdem wollen wir im öffentlichen Dienst und z. B. in den überbetrieblichen Ausbildungsstätten Kapazitäten mit besonderem Blick auf regional schwierige Situationen und auf besondere Probleme von Jugendlichen - nehmen Sie beispielsweise den Abbruch der Lehre bei Konkurs eines Unternehmens - nutzen. Schließlich ist es meine Absicht, in der Bund-Länder-Kommission die Minderung der Beschäftigungsrisiken von Jugendlichen zu einem gemeinsamen Thema von Bund und Ländern und dem Bundesausschuß für Berufsbildung zu machen. Was Sie in Anträgen und an anderer Stelle über die Zusammenarbeit aller Beteiligten auf diesem Felde gesagt haben, entspricht auch meiner Auffassung. Insofern betrachte ich Auslassungen dieser Art als Unterstützung unserer Politik. Es wird hier also nichts versäumt, was notwendig ist. ({23}) Ich hoffe dabei nur auf die aufgeschlossene Mitarbeit der Beteiligten und darauf, daß endlich Polemik und Taktik beiseite gelegt werden und die Sache behandelt wird. Die Berufsbildungsdebatte darf nicht zu einem Fortsetzungsroman und Lehrstück für Polemik ohne Handeln werden. Nach meiner Auffassung kommt es erstens darauf an, das Berufsbildungsgesetz unter Dach und Fach zu bringen, zweitens darauf, daß die Länder sichtbare Fortschritte im Ausbau des beruflichen Schulwesens erreichen, und drittens darauf, daß das von der Bundesregierung vorgelegte 300-MillionenAngebot für die arbeitslosen Jugendlichen von den Beteiligten in Staat und Wirtschaft zügig zugunsten dieser Jugendlichen verwandt wird. Meine Damen und Herren, nach diesem Konzept - wie es sich in den drei genannten Schwerpunkten ausdrückt -, kann nach unserer Auffassung gehandelt werden. ({24})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Hauser ({0}).

Hansheinz Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000833, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst der Hauser ({0}) verehrten Frau Kollegin Schuchardt sagen, daß ich weder aus Bayern noch aus Baden-Württemberg bin. ({1}) Sie können daher aus dem Auftreten der CDU/CSURedner keine Rückschlüsse auf die Ursprünge dieses Gesetzentwurfes ableiten. ({2}) - Es gibt noch einen aus Baden-Württemberg, ja, aber das bin ich nicht. Der Herr Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat zum Jahresbeginn in einer Pressekonferenz dazu aufgerufen, das Jahr 1976 zu einem Jahr handfester und praktischer Arbeit in der Bildungspolitik werden zu lassen. Dabei haben Sie, Herr Minister, Zweifel daran geäußert, ob tatsächlich alle Beteiligten den Ernst der bildungspolitischen Herausforderung der kommenden Jahre in vollem Umfange verstanden haben. Wenn ich mir einmal ansehe, was in den letzten Jahren an Vorschlägen, Markierungspunkten, Referentenentwürfen und anderen mehr oder weniger konstruktiven Beiträgen aus den Reihen der Koalition besonders zum Problemkreis der beruflichen Bildung beigetragen wurde, so kann ich mich dieser Auffassung des Herrn Bundesministers mit gutem Gewissen anschließen. Mit der Verabschiedung des Berufsbildungsgesetzes im August 1969 wurde ein erster gewichtiger Schritt in die richtige Richtung getan. ({3}) Aber wenn damals ein grundlegend neues Gesetz geschaffen wurde, so bedeutet das natürlich gleichzeitig, daß ein solches Gesetz an der Praxis weiterentwickelt werden muß. ({4}) Jeder, der ideologisch unbefangen und ebenso klar an diese Weiterentwicklung herangeht, ({5}) muß verhindern, daß diese Weiterentwicklung als Vehikel dazu benutzt wird, unser bewährtes Ausbildungssystem, um das wir in der ganzen Welt beneidet werden, dem Grunde nach zu sprengen. ({6}) Herr Minister, Sie haben eben gesagt, daß die Lage sehr ernst sei, weil die geburtenstarken Jahrgänge kämen, die uns alle Sorgen bereiten. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß die Bundestagsfraktion der CDU/CSU zu dieser Erkenntnis nicht erst im Januar 1976, sondern bereits im Januar 1975 gekommen ist, als wir nämlich dazu Initiativanträge vorlegten, die von Ihnen aber mehr oder weniger höhnisch abgelehnt und in die Ecke verwiesen wurden. ({7}) Ich darf daran erinnern, daß wir sogar einen Sonderausschuß im Deutschen Bundestag einsetzen wollten, weil uns dieses Problem so sehr am Herzen liegt. Auch dieser Antrag ist von Ihnen mit dem Hinweis darauf abgelehnt worden, die Bundesregierung würde das schon alles besorgen. ({8}) Nun legen wir Ihnen einen Antrag und einen Gesetzentwurf vor, und dann werden vom Kabinett flink 300 Millionen DM bewilligt, damit Sie heute wenigstens sagen können, Sie hätten ein Aktionsprogramm, obwohl Sie selbst offenbar noch gar nicht wissen, in welcher Weise Sie dieses Geld verwenden wollen. ({9}) Diese unterschiedliche Ausgangsposition scheint mir auch die Ursache dafür zu sein, daß die Koalition uns dauernd nach sogenannten Alternativen zu ihren eigenen Vorstellungen fragt. Der Regierung müßte doch eigentlich selber klar sein, daß ihr Entwurf zum Teil unsinnige, zum Teil schädliche und teils auch zu teure Änderungsvorschläge enthält, ohne das Bestehende an der Praxis sinnvoll weiterzuentwickeln. Die Bereitschaft dazu hat die Union bereits am 21. Dezember 1971 unter Beweis gestellt, als sie ein Sofortprogramm zur Verbesserung der beruflichen Bildung im Bundestag einbrachte, das u. a. den Ausbau überbetrieblicher Einrichtungen mit 75 000 Plätzen vorsah. Der Antrag blieb in den Ausschüssen unerledigt liegen, weil Sie sich, meine Damen und Herren von der Koalition, mit dem Hinweis darauf, die Bundesregierung wolle selbst initiativ werden, um die weitere parlamentarische Behandlung herumgedrückt haben. ({10}) Im März 1974 hat die Unionsfraktion wiederum einen Antrag zur Novellierung des Berufsbildungsgesetzes eingebracht, dem das gleiche Schicksal widerfuhr. Im Juni 1974 endlich hatte die Regierung ihren Entwurf auf den Tisch gelegt und damit der Union erneut Gelegenheit gegeben, ihre Position in einem weiteren Antrag zur Reform der beruflichen Bildung zu präzisieren. Aus diesen Daten geht wohl eindeutig hervor, wer die zahlreichen und teilweise nicht wiedergutzumachenden Versäumnisse auf dem Gebiet der beruflichen Bildung hier in Wahrheit zu vertreten hat. Die Union hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß .ihr dieses Problem außerordentlich ernst ist. Insofern kann ich nur das unterstreichen, was Sie eben von einem Kollegen zitiert haben: Wer meint, hier alles beim alten lassen zu können, ist auf einem Irrweg. Wir sind weit davon entfernt, diesen falschen Weg zu gehen. ({11}) Herr Minister, wir haben Sie doch in diesen Fragen zum Jagen tragen müssen, weil von Ihnen nichts kam und weil die Koalition nicht in der Lage war, Hauser ({12}) etwas zu präzisieren, nachdem von uns schon mehrere präzise Anträge auf dem Tisch lagen. ({13}) Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie verwenden häufig öffentlich als Begründung für die rasche Verabschiedung des von der Regierung vorgelegten Gesetzentwurfs das Argument, nur so sei die besorgniserregende Jugendarbeitslosigkeit zu beseitigen. Wir haben heute morgen gehört, daß die Verbindung dieser Probleme nur sehr bedingt richtig ist, daß natürlich die Schaffung von Ausbildungsplätzen auch ein Beitrag zur Behebung der Jugendarbeitslosigkeit ist. Aber Sie selbst, Herr Minister, haben am 14. März hier erklärt, daß die größte Zahl derjenigen, die statistisch als jugendliche Arbeitslose erfaßt werden, einen Arbeitsplatz und nicht einen Ausbildungsplatz sucht. Insofern ist das Problem der Jugendarbeitslosigkeit hier zwar mit berührt; das Berufsbildungsgesetz allein löst dieses Problem aber nicht. Viel wichtiger wäre es gewesen, rechtzeitig die notwendigen konjunkturpolitischen Maßnahmen zu treffen, die neben einem allgemeinen Rückgang der Arbeitslosigkeit natürlich auch zu einer Verminderung der Zahl der jugendlichen Arbeitslosen geführt hätte. Auch für dieses Versäumnis fällt Ihnen, meine Damen und Herren, die Verantwortung zu. Aber selbst wenn man das Argument vom größeren Ausbildungsplatzangebot zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit für den Teil anerkennt, für den es zutrifft, so ist auch hier in einem Teilbereich für Sie wiederum die Verantwortung zu tragen, nämlich beim Lehrstellenangebot der öffentlichen Hand. Hier ist eben schon darauf aufmerksam gemacht worden, und ich möchte das noch einmal unterstreichen: Das Lehrstellenangebot der öffentlichen Hand ist um 14 % zurückgegangen, während das Handwerk zur gleichen Zeit ein Lehrstellenangebot von plus 4 % nachweisen konnte. ({14}) Hier wird also deutlich, wo in der Tat die neuralgischen Punkte sind, wenn man sich danach fragt, warum wir heute ein geringeres Lehrstellenangebot haben als vorher. Ich glaube, daß man auch dieses hier einmal mit allem Nachdruck vortragen muß. An dieser traurigen Situation ändert sich auch nichts, wenn Sie, Herr Minister, in Ihrer Presseerklärung feststellen, daß die Bundespost 1 800 Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt hat. Wenn vorher über 5 000 Plätze beseitigt worden sind, ist das erneute Bereitstellen von 1 800 Ausbildungsplätzen keine Sondermeldung wert. ({15}) Der Widerspruch bleibt auch bestehen, wenn die Regierungskoalition einerseits kein gutes Haar an der Privatwirtschaft läßt, weil diese Überlegungen anstellt, wie sie das Lehrstellenangebot in der von der Bundesregierung verschuldeten konjunkturellen Krisensituation sichern kann ({16}) und wenn sich andererseits die Bundesregierung in ihrem Einflußbereich gerade so verhält, wie sie es den anderen vorwirft, nämlich das Lehrstellenangebot reduziert. ({17}) Dies gilt für den gesamten öffentlichen Bereich. Meine Damen und Herren, der Kollege Probst ist in seinen Ausführungen im wesentlichen auf die Unterschiede in den Bestimmungen zwischen dem Entwurf der Bundesregierung und der Fraktion der CDU/CSU eingegangen, so daß ich mir die Details ersparen kann. Nur verstehe ich nicht, Herr Minister, wie Sie dazu kommen können, zu sagen, daß unser Gesetzentwurf die aktuellen Probleme nicht berücksichtige, und wie Sie vor allen Dingen zu der Auffassung kommen können, daß dieser Gesetzentwurf die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung nicht wolle. Ich muß fast annehmen, daß Sie diesen Gesetzentwurf nicht aufmerksam gelesen haben. ({18}) Lassen Sie mich deshalb hier noch auf ein anderes Problem zu sprechen kommen. Es ist vorhin schon angesprochen worden; da es aber in der Öffentlichkeit auf außerordentlich große Resonanz trifft, scheint es mir notwendig, hier noch ein Wort dazu zu sagen. Es geht um die Frage der Finanzierung. Uns wird vorgeworfen das ist auch heute morgen mehrmals geschehen -, wir hätten uns um eine Antwort auf eine wesentliche oder sogar auf die wesentlichste Frage herumgedrückt. Wir haben uns aber nicht um eine Antwort herumgedrückt, sondern wir sind gemeinsam zu der Auffassung gelangt, daß es besser ist, eine Frage nicht zu beantworten und dieses Thema weiterhin ernsthaft zu prüfen und für einen Lösungsvorschlag zu sorgen, als daß man hier eine schlechte Antwort gibt, welche keine Lösung des Problems bringt. Es haben nämlich Erfahrungen und auch wissenschaftliche Untersuchungen über ähnliche Regelungen in anderen Ländern gezeigt, daß überhaupt kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Qualität und dem quantitativen Angebot der Ausbildung eines Betriebs und seiner finanziellen Ausstattung nachzuweisen ist. Die Erfahrungen im Ausland haben gezeigt, daß die Finanzierungsmodelle, die dort praktiziert werden, in aller Regel nicht den erwarteten Erfolg gebracht haben. Wir haben bei der Anhörung hier im Deutschen Bundestag nicht nur von, wie Herr Kollege Möllemann eben meinte, bestellten Wissenschaftlern, sondern auch von Leuten, die aus der Praxis kommen, erfahren müssen, daß diese hier vorgesehenen Regelungen die Gefahr in sich tragen, das Lehrstellenangebot nicht nur nicht zu vermehren, sondern unter Umständen sogar zu verringern. Dieses Risiko, meine Hauser ({19}) Damen und Herren, möchten wir nicht eingehen. Wenn wir hier eine Finanzierungsregelung einführen - ich gebe zu, daß wir auf diesem Feld alle noch dazulernen müssen -, muß wenigstens einigermaßen der Erfolg eines solchen Unternehmens gesichert sein, als daß man hier etwas beginnt, was hinterher zum Scheitern des Ganzen führt. ({20}) In der Regierungsvorlage ist ein Finanzierungsmodell angeboten, das davon ausgeht, daß ein Überangebot an Ausbildungsplätzen von 12,5 % vorhanden sein muß, wenn nicht die Berufsbildungsabgabe erhoben werden soll. Da wir heute morgen erfahren haben - an diesen Zahlen braucht niemand Zweifel zu hegen -, daß wir in den nächsten Jahren auf Grund der geburtenstarken Jahrgänge nicht in der Lage sind, das Ausbildungsplatzangebot zu schaffen, das tatsächlich erforderlich ist, frage ich mich: Warum will man im Zusammenhang mit dieser Finanzierungsregelung ein 12,5%iges Überangebot im Gesetz vorsehen? Sie fordern damit nur heraus, daß Ausbildungsplätze geschaffen werden, obwohl man genau weiß, daß sie nicht benötigt werden. Im Augenblick haben wir doch erst einmal das Problem, daß wir dafür sorgen müssen, genug Plätze für den wirklichen Bedarf zu bekommen. Deshalb sollten wir doch nicht versuchen, über den Bedarf hinaus 12,5 % mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Die Berufsbildungsabgabe hat nach unserer Auffassung den Charakter einer Sondersteuer, die im Handwerk Betriebe betrifft, die 40 % aller Beschäftigten umfassen. Dabei ist auch im Gesetzentwurf völlig unklar - ich habe bisher auch von niemandem etwas dazu gehört -, wie denn dieses Geld nachher eingesetzt und wie dieses Geld verwendet werden soll, um tatsächlich mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. Daß man zunächst einmal in einem Fonds Geld ansammelt, ist überhaupt kein Ausgangspunkt dafür, daß tatsächlich Ausbildungsplätze geschaffen werden, die man in der Wirtschaft braucht und die wir alle gern zusätzlich hätten. Dieses System müssen wir ablehnen, weil der zentrale Fonds als finanzielles Steuerungssystem unser gesamtes Berufsbildungssystem in Frage stellen könnte. Am Vorabend der Bundestagswahl erweist sich einmal mehr die Richtigkeit des Satzes, daß staatliche Lenkung ein verhängnisvoller Ersatz für marktwirtschaftliche Orientierungsdaten ist; denn durch die einseitige Festlegung der Forderung einzelner Berufe entsteht die Gefahr, daß in einigen Bereichen zuviel und in anderen Bereichen, vornehmlich in handwerklichen Bereichen, zuwenig Nachwuchs ausgebildet wird. Vorhin ist folgende Frage auch schon angesprochen worden. Tatsache ist doch, daß wir in den verschiedenen Ausbildungsberufen völlig unterschiedliche Situationen haben. Wir haben Berufe, in denen auch heute noch das Lehrstellenangebot größer ist als die Nachfrage, während wir in Modeberufen - nicht erst heute - eine Zahl von Ausbildungswilligen haben, die weit über das hinausgeht, was wirtschaftlich und damit auch bildungspolitisch vernünftig ist, weil nämlich diese jungen Menschen hinterher gar nicht in dem Beruf bleiben können, in dem sie zunächst ausgebildet werden. Ein solches zentral gesteuertes Finanzierungssystem führt also am eigentlichen Problem vorbei. Es schafft nur noch mehr Schwierigkeiten und führt dazu, daß die Betriebe zusätzlich belastet werden und in die Wirtschaft neue Unsicherheit hineingetragen wird, wo doch Vertrauen so außerordentlich notwendig ist. ({21}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier eines abschließend feststellen. Wir haben in Deutschland eine berufliche Bildung, die über eine lange Tradition verfügt. Wir haben eine berufliche Bildung, die ihre Leistungsfähigkeit erwiesen hat. Keiner wird bestreiten, daß in manchen Bereichen Verbesserungen erforderlich sind, gerade auch in der Abstimmung zwischen Betrieb und Schule, einem ganz neuralgischen Punkt unseres derzeitigen Berufsbildungssystems. Wer aber auch für die Zukunft eine leistungsfähige Berufsausbildung junger Menschen sichern will, wer gleichzeitig verhindern will, daß sich die Beteiligten, statt miteinander um den besten Weg zu ringen, gegeneinanderstellen und ihren Streit letztlich auf dem Rücken unserer Jugendlichen austragen, der muß auch in Zukunft dafür sorgen, daß die Betriebe in vollem Umfang in die Überlegungen einbezogen werden und daß nicht gegen die Betriebe, sondern partnerschaftlich unter Berücksichtigung aller an der beruflichen Bildung Beteiligten eine Lösung gefunden wird, die notwendig und tragfähig ist. Herr Minister, lassen Sie mich mit einem Satz schließen: Alle, die für die Entwicklung der Jugend Verantwortung tragen, sind dies den Jugendlichen schuldig, wie Sie es selbst gesagt haben. Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion hat in der Vergangenheit nachgewiesen, daß ihr dieses Anliegen ernst ist. Sie wird auch in Zukunft an seiner Befriedigung mitarbeiten und um den besten Weg ringen. Ich bin dankbar, Frau Kollegin Schuchardt, daß Sie nicht -- wie der Kollege Meinecke - unseren Gesetzentwurf und unseren Antrag abgetan und versucht haben, sie lächerlich zu machen, sondern bereit sind, mit uns ernsthaft über die Realisierung des besten Weges zu diskutieren. Ich hoffe, daß unser Vorschlag dazu einen Fingerzeig gibt. ({22})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht. Sie ersehen die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats aus der Tagesordnung. ({0}) - Bei uns ist das schon berichtigt. Für den Punkt 12 b soll ebenso wie für Punkt 12 a auch der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft federführend sein. Vielen Dank für den Hinweis, Frau Kollegin. - Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen. Vizepräsident Frau Funcke Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Erklärung vom 9. August 1973 über den vorläufigen Beitritt der Philippinen zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen - Drucksache 7/4176 Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft ({1}) - Drucksache 7/4468 Berichterstatter: Abgeordneter Wolfram ({2}) ({3}) Wird vom Berichterstatter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Einzelberatung: Art. 1, 2, 3, 4 sowie Einleitung und Überschrift. - Wir verbinden die Abstimmung mit der Schlußabstimmung. Wer dem Vertrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? ({4}) Es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Feingehalt der Gold- und Silberwaren - Drucksache 7/4177 Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft ({5}) - Drucksache 7/4467 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Stavenhagen ({6}) Der Berichterstatter wünscht das Wort nicht. - Das Wort zur Beratung wird ebenfalls nicht gewünscht. Ich rufe in zweiter Beratung Art. 1, 2, 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. - Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Wir kommen zur dritten Beratung. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Entwurf in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Ich rufe die Punkte 15 bis 23 der Tagesordnung auf: 15. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - Drucksache 7/4452 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({7}) Ausschuß für Wirtschaft 16. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ersten Gesetzes über Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung - Drucksache 7/4484 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({8}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung 17. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Beamtenrechtsrahmengesetzes - Drucksache 7/4568 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({9}) Ausschuß für Bildung und Wissenschaft 18. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen - Drucksache 7/4552 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß 19. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes - Drucksache 7/3658 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({10}) Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß §96 GO 20. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes ({11}) - Drucksache 7/3900 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({12}) Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO 21. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1976 ({13}) -Drucksache 7/4513 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({14}) Haushaltsausschuß 22. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 113 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 19. Juni 1959 über die ärztliche Untersuchung der Fischer - Drucksache 7/4511 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({15}) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Vizepräsident Frau Funcke 23. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 73 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 29. Juni 1946 über die ärztliche Untersuchung der Schiffsleute - Drucksache 7/4512 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Es handelt sich um von der Bundesregierung oder aus der Mitte des Hauses oder vom Bundesrat vorgelegte Gesetzentwürfe. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats ersehen Sie aus der Tagesordnung. Sind Sie damit einverstanden, daß wir die Überweisung geschlossen vornehmen? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 24 der Tagesordnung auf: Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({16}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Städtebaubericht 1975 - Drucksachen 7/3583, 7/4465 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Klein ({17}) Abgeordneter Vahlberg Wünscht einer der Herren Berichterstatter des Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Beratung gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall. Vom Ausschuß liegen die Anträge Nr. 1 und 2 vor, die Sie aus Drucksache 7/4465 ersehen. Ich glaube, wir können über beide Anträge gemeinsam abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen. Ich rufe Punkt 25 der Tagesordnung auf: Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({18}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Bericht über die Auswirkung der Aufhebung des Grundsatzes, daß Arbeitsvermittlung und Arbeitsberatung von Frauen nur durch Frauen auszuüben ist - Drucksache 7/3026, 7/4532 - Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Verhülsdonk Wünscht die Frau Berichterstatterin das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? - Ebenfalls nicht der Fall. Sie ersehen den Antrag des Ausschusses aus Drucksache 7/4532. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ist so beschlossen. Ich rufe als letzten Punkt den Punkt 26 auf: Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({19}) zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eine Verordnung ({20}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({21}) Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern Verordnung ({22}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({23}) Nr. 1612/68 des Rates über die Ausweitung der gewerkschaftlichen Rechte zugunsten der Arbeitnehmer, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern - Drucksachen 7/4113, 7/4115, 7/4533 Berichterstatter: Abgeordneter Lutz Wird das Wort seitens des Berichterstatters gewünscht? - Das ist nicht der Fall. - Das Wort zur Beratung wird ebenfalls nicht gewünscht. Sie ersehen den Antrag des Ausschusses, bestehend aus Nr. I und II, aus der Drucksache 7/4533. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Gegenstimme, sonst einmütig angenommen. Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe das Haus auf Mittwoch, den 28. Januar 1976, 13 Uhr zu einer Fragestunde. Die Sitzung ist geschlossen.