Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/23/1975

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir einige wenige Worte zum heutigen Tage. Den 23. Mai sollten wir in diesem Jahr und auch künftig nicht vorübergehen lassen, ohne der Gründung der Bundesrepublik Deutschland zu gedenken und unser Bekenntnis zu diesem Staat abzulegen, der die demokratische Kontinuität in Deutschland verkörpert. Gerade in diesen Tagen haben wir das Wort vom sozialen Rechtsstaat und von rechtsstaatlichen Maßnahmen oft gehört und gebraucht. Darin kam auch die Sorge zum Ausdruck, wir könnten einer schweren Belastung nicht gewachsen sein, mit neu auftretenden Widersprüchen unserer Zeit nicht fertig werden und vielleicht nicht fähig sein, die geeigneten Mittel und Wege zu ihrer Lösung und Überwindung zu finden. Rundfunk, Fernsehen, Presse und wir alle beschäftigen uns seit geraumer Zeit mit den Unrechtstaten von Menschen aus unserer Gesellschaft, ausgestattet mit Intelligenz und Privilegien, in Frieden und Sicherheit aufgewachsen und doch ausgezogen, um in Verblendung und Haß alles zu zerstören, was auf der Grundlage unserer Verfassung vom 23. Mai 1949 geschaffen worden ist, nämlich ein freies Gemeinwesen, das die Würde des Menschen achtet und ihm die Möglichkeit zu individueller Entfaltung gibt. Niemand hat es im Gedenken an den 23. Mai nötig, unseren Staat und unsere gesellschaftliche Ordnung zu verherrlichen. Aber unser Staat hat es verdient, daß wir gerade an diesem Tage seine Leistungen würdigen. Wir selbst sind diese Gesellschaft, und wir sind es, die dem Staat Aufgaben übertragen und seiner Macht Grenzen setzen. Wir haben neue ethische und sittliche Maßstäbe gesetzt, wie sie in den Grund- und Menschenrechten unserer Verfassung niedergelegt sind. Und entgegen all denen, die das als Phrase und nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmend ironisieren, sage ich, daß wir in unserem Land nicht nur das Recht und die Möglichkeit haben, als Bürger zu wählen und uns frei zu entwickeln, sondern vor allem auch die Möglichkeit, als Menschen zu leben. Allerdings, die Freiheit des Staatsbürgers in der Demokratie besteht zwar darin, mitentscheiden zu können, nicht aber darin, sich den gemeinsamen Gesetzen und Pflichten entziehen zu dürfen. Das seit der Jubiläumsfeier vergangene Jahr hat erneut gezeigt, wie notwendig es ist, daß die Bürger bereit sind, sich mit ihrem Staat zu identifizieren und für ihn einzutreten. Es hat aber auch gezeigt, daß sich in den Stunden besonderer Gefährdung die demokratischen Kräfte der verschiedenen politischen Richtungen auf dem Boden der Verfassung zusammenfinden können. Mit Genugtuung ist festzustellen, daß wir mit einer breiten Zustimmung zu diesem Staat in seiner demokratischen, rechtsstaatlichen und bundesstaatlichen Prägung rechnen können. Während gerade in den schweren Stunden der Weimarer Republik eine immer breiter werdende Schicht ihre Loyalität zum bestehenden Staat aufgab und dein Parlamentarismus ablehnend gegenüberstand, wird bei uns ganz fraglos diesem Staat Vertrauen entgegengebracht und von ihm Sicherheit erwartet. Heute ist die repräsentative parlamentarische Demokratie in unserem Volk - von kleinen Randgruppen abgesehen - voll anerkannt. Damit sollten wir uns aber nicht bescheiden. Wir brauchen Männer und Frauen, die jederzeit bereit sind, für unsere Demokratie einzustehen. Es wäre gut, wenn der jährliche Geburtstag unserer Verfassung dazu dienen könnte, unseren Bürgern und gerade auch den jungen Menschen das Bewußtsein zu vermitteln, einem Staat mit einer Verfassungsordnung anzugehören, dem man seine volle Zustimmung geben kann und dem man sich aus Überzeugung verpflichtet fühlt. Diese Verpflichtung schließt unseren Willen ein, auch für die Zukunft unsere nationale Einheit anzustreben und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen. - Ich danke Ihnen. ({0}) Meine Damen und Herren, Ihnen liegt eine Liste von Vorlagen vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen: Betr.: Bericht der Bundesregierung über die Integration in in den Europäischen Gemeinschaften ({1}) - Drucksache 7/3575 -zuständig: Auswärtiger Ausschuß ({2}), Haushaltsausschuß Betr.: Vierter Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" für den Zeitraum 1975 bis 1978 - Drucksache 7/3601 zuständig: Ausschuß für Wirtschaft ({3}), Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen, Haushaltsausschuß Betr.: Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Entwurf des Berichtigungs- und Nachtragshaushaltsplans Nr. 1 der Europäischen Gemeinschaften für das Haushaltsjahr 1975 - Drucksache 7/3621 zuständig: Haushaltsausschuß ({4}), Ausschuß für Wirtschaft Betr.: Bericht der Bundesregierung über die 29. Generalversammlung der Vereinten Nationen - Drucksache 7/3637 zuständig: Auswärtiger Ausschuß Erhebt sich gegen die vorgeschlagenen Überweisungen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall; es ist so beschlossen. Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen: Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung hat mit Schreiben vom 22. Mai 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Wörner, Handlos, Damm, Dr. Dregger, Biehle, Dr. Kraske, Rommerskirchen, de Terra, Pfeifer, Löher, Eilers ({5}), Dr. Wallmann, Lenzer, Graf Stauffenberg und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Hochschulen der Bundeswehr - Drucksache 7/3573 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/3676 verteilt. Überwelsung von EG-Vorlagen Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Richtlinie ({6}) des Rates betreffend die biologischen Normen von Blei und die Überwachung der Gefährdung der Bevölkerung durch Blei betreffend die Qualitätsnormen für den Bleigehalt in der Luft - Drucksache 7/3623 überwiesen an den Innenausschuß ({7}), Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung ({8}) des Rates zur Festsetzung des Orientierungspreises für Seehecht für das Fischwirtschaftsjahr 1975 - Drucksache 7/3633 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Beschluß des Rates betreffend die Beteiligung des Sozialfonds an strukturellen Anpassungsmaßnahmen - Drucksache 7/3634 überwiesen an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({9}), Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung ({10}) des Rates zur Einbeziehung von Frühkartoffeln in den Anwendungsbereich der Verordnung ({11}) Nr. 1035/72 über eine gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse - Drucksache 7/3635 -überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung ({12}) des Rates über die Regelung für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse und Verarbeitungserzeugnisse mit Ursprung in den Staaten Afrikas, der Karibischen See und des Pazifischen Ozeans ({13}) - Drucksache 7/3636 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Beschluß des Rates ({14}) betreffend das Programm von Modellvorhaben und Studien zur Bekämpfung der Armut - Drucksache 7/3645 überwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({15}), Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Beschluß des Rates ({16}) über gemeinsame und koordinierte Programme in den Bereichen Tierleukosen, Tierzuchtabfälle, Rindfleischerzeugung, Erzeugung von pflanzlichem Eiweiß - Drucksache 7/3646 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung ({17}) des Rates zur Festlegung bestimmter Maßnahmen zur Sanierung der Erzeugung von Unterglasgartenbauerzeugnissen - Drucksache 7/3659 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen ({18}) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Mitteilung der Kommission an den Rat über die weitere Entwicklung der gemeinsamen Verkehrspolitik - Drucksachen 7/1472, 7/3564 Berichterstatter: Abgeordneter Mursch ({19}) Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mursch als Berichterstatter.

Karl Heinz Mursch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001577, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Drucksache 7/3564 sind Ihnen ein Bericht über die weitere Entwicklung der gemeinsamen Verkehrspolitik der Europäischen Gemeinschaften und ein Entschließungsantrag des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zur Entscheidung vorgelegt worden. Ausgangspunkt hierfür war die „Mitteilung der Kommission an den Rat über die weitere Entwicklung der Verkehrspolitik vom 24. Oktober 1973". Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat sich zu diesem Schritt veranlaßt gesehen, weil es bisher nicht gelungen ist, den Vertrag von Rom durch Festlegung der Prinzipien der gemeinsamen Verkehrspolitik auszufüllen. Der in der Brüsseler Kommission für die Verkehrspolitik zuständige Kommissar, Vizepräsident Scarascia Mugnozza, hat dies vor dem Europäischen Parlament folgendermaßen formuliert - ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin -: Ohne die Bedeutung der bereits erzielten Fortschritte herabsetzen zu wollen - vor allem wenn man diese im Verhältnis zu den bestehenden Schwierigkeiten betrachtet -, muß man allerdings offen und objektiv zugeben, daß die Ziele der gemeinsamen Verkehrspolitik zum größten Teil noch nicht verwirklicht worden sind. Diese Feststellung ist richtig. Die in großem Maße vorhandenen Wettbewerbsverzerrungen und Verkehrsbeschränkungen sind aber mit dem Wesen und der Existenz eines gemeinsamen Marktes nicht vereinbar. Ein gemeinsames Verkehrssystem - dies Mursch ({0}) besteht aus einem gemeinsamen Verkehrsmarkt und einer gemeinsamen Verkehrsinfrastruktur - ist jedoch ein unentbehrlicher Bestandteil einer Wirtschaftsunion in Europa. ({1}) Es ist die Aufgabe der Verkehrspolitik, dieses gemeinsame Verkehrssystem zu schaffen. Die Brüsseler Kommission, das Europäische Parlament und seine Vorgängerin, die Gemeinsame Versammlung der EGKS, haben seit langem und immer wieder auf die Beschleunigung der Arbeiten auf dem Gebiet der Verkehrspolitik gedrängt. Ich darf Sie in diesem Zusammenhang nur an die bekannten „Kapteyn-Berichte" aus den Jahren 1957 und 1961 erinnern. Auf Grund dieser Berichte sind dann zwar eine Reihe von Einzelmaßnahmen getroffen worden, aber diese Einzelmaßnahmen verdienen nicht die Bezeichnung „Gemeinsame Verkehrspolitik". Vielmehr handelt es sich um eine „Politik der kleinen Schritte", die in der Praxis dazu führt, daß bei jedem kleinen Schritt, der gemacht werden soll, eine Grundsatzdebatte entsteht, und weil man sich über die Grundsätze nicht einig ist, kommt man auch in den kleinen Schritten nicht voran. Die europäische Politik der kleinen Schritte ist gescheitert. Zum Erfolg führen kann jetzt nur der umgekehrte Weg. Um eine gemeinsame Verkehrspolitik aus einem Guß zu erreichen, muß man sich zunächst über die Grundsätze und Prinzipien einig werden; denn nur dann kann ein Gesetzgebungswerk nach einem modernen Gesamtplan aus einem Guß für alle Verkehrsarten und für die Infrastruktur entstehen. ({2}) Die „Mitteilung der Kommission" spiegelt das anzuerkennende Bemühen der Brüsseler Kommission wider, auf dem Gebiet der Verkehrspolitik einen neuen Anlauf zu nehmen. Denn wir stehen heute in der Tat an einem Kreuzweg der europäischen Verkehrspolitik. Die „Mitteilung der Kommission" hat allerdings - das möchte ich unterstreichen - keinerlei Verbindlichkeit. Sie bringt lediglich das zum Ausdruck, was die Kommission sich unter einer gemeinsamen Verkehrspolitik vorstellt. Es kommt also jetzt darauf an, daß man hier endlich zu konkreten Beschlüssen kommt, und zwar zu Beschlüssen, die der Ministerrat zu fassen hat, um der Mitteilung der Kommission diese Unverbindlichkeit zu nehmen. ({3}) - Genau! Der Ministerrat hat die Mitteilung der Kommission dem Europäischen Parlament zur Stellungnahme zugeleitet. Sie ist dann vom Europäischen Parlament dem Ausschuß für Regionalpolitik und Verkehr des Europäischen Parlaments zugeleitet worden. Dieser Ausschuß hat die Mitteilung in zahlreichen Sitzungen über ein Jahr lang beraten, und zwar so gründlich, daß zu der umfassenden Mitteilung der Kornmission Satz für Satz Stellung genommen wurde, und zwar mit konkreten Vorschlägen zur weiteren Gestaltung. Der Ausschuß für Regionalpolitik und Verkehr ist hierbei - das möchte ich nachdrücklich unterstreichen - über die Vorstellungen der Kommission in ihrer Mitteilung weit hinausgegangen und hat dem Europäischen Parlament einen ganz konkreten Entschließungsantrag, der sehr umfangreich war - es waren über 100 Druckseiten - zugeleitet. Dieser Entschließungsantrag des Ausschusses ist im Europäischen Parlament von allen Fraktionen mit Ausnahme der Kommunisten einmütig gebilligt worden. Die Kommunisten bringen damit indirekt zum Ausdruck, daß wir anderen auf dem richtigen Wege sind. In der Entschließung wird die unverzügliche Einführung einer zusammenhängenden gemeinsamen Verkehrspolitik ebenso gefordert wie die Anwendung von Artikel 84 Absatz 2 des EWG-Vertrages, um auch die Seeschiffahrt und die Luftfahrt so weit wie notwendig - ich unterstreiche: nur so weit wie notwendig - in diese zusammenhängende Verkehrspolitik einzubeziehen. Für diese Einbeziehung sollen im wesentlichen folgende Prinzipien und Verfahren gelten: 1. Die Verkehrspolitik muß systemkonform sein, d. h. sie muß in das allgemeine System der Wirtschaftspolitik eingepaßt sein. Selbstverständlich werden hierbei gewisse Besonderheiten des Verkehrs Berücksichtigung finden müssen. 2. Die Verkehrspolitik muß durch Herstellung einer möglichst großen Freizügigkeit für den Austausch von Personen, Gütern und Nachrichten zu den Voraussetzungen beitragen, die für eine Wirtschaftsunion unerläßlich sind. 3. Die Verkehrspolitik muß auf die Erreichung der Ziele der gemeinsamen Regionalpolitik - ich erinnere nur an die Schaffung des Europäischen Regionalfonds, der mit großen Geburtswehen geschaffen worden ist - ausgerichtet sein, was insbesondere auf tarifarischem und infrastrukturellem Gebiet geschehen kann. 4. Die Verkehrspolitik muß den Verkehrsmarkt als eine Einheit betrachten und die europäischen Verkehrswege als ein einheitliches zusammenhängendes Netz mit ausreichender Verkehrsinfrastruktur für alle Räume, Kollege Köhler, der Gemeinschaft gestalten. 5. Der Wettbewerb zwischen den Verkehrsarten und innerhalb der Verkehrsarten zwischen den einzelnen Unternehmen soll der Motor des Fortschritts sein. Eingriffe, die die Kapazität und die Preise betreffen, sollen nur dann in Betracht kommen, wenn es gilt, Auswüchse - und hier ist in erster Linie an einen ruinösen Wettbewerb zu denken - zu verhindern. 6. Der Verkehrsnutzer muß - eines der Grundprinzipien - die freie Wahl des Verkehrsmittels haben, und zwar sowohl für Personen wie auch für Güter. 7. Alle künstlichen Kostenverzerrungen müssen beseitigt werden, weil sie den Wettbewerb beeinflussen. Insbesondere müssen die steuerlichen, sozialen und technischen Vorschriften von allen diskriminierenden Elementen befreit werden. Mursch ({4}) 8. Grundsätzlich soll auch im Verkehr das Rentabilitätsprinzip gelten, d. h. die Verkehrsunternehmen sollen ihre Kosten erwirtschaften. Sozialpolitische, regionalpolitische und andere übergeordnete Gesichtspunkte werden jedoch Ausnahmen erforderlich machen, aber solche Ausnahmen müssen nach den Vorschlägen des Europäischen Parlaments mit Vorschlägen über die Finanzierung aus öffentlichen Mitteln verbunden sein. ({5}) Das Europäische Parlament ist sich natürlich dessen bewußt gewesen, daß ein gemeinsames Verkehrssystem nicht in kurzer Zeit eingeführt werden kann und daß es einer Übergangsperiode bedarf. Es schlägt deshalb vor, die Durchführung in zwei Phasen stattfinden zu lassen. Die erste Phase erstreckt sich bis Ende des Jahres 1976, wird aber, Herr Kollege Seefeld, wegen des späteren Ingangkommens möglicherweise etwas gestreckt werden. Die zweite Phase soll 1977 beginnen und spätestens 1983 zu Ende gehen - oder auch früher, wenn es früher zu einer Währungs- und Wirtschaftsunion in Westeuropa kommen sollte, was aber - in dieser Hinsicht dürften wir uns einig sein - bei dem bisherigen Stand der Dinge wohl nicht zu erwarten ist. In der Entschließung fordert das Europäische Parlament konkret, zu welchen Zeitpunkten der Ministerrat diejenigen Beschlüsse fassen sollte, die in der ersten Phase durchzuführen sind. Hierbei handelt es sich in erster Linie um solche Fragen - wie z. B. die Festlegung der höchstzulässigen Abmessungen und Gewichte für Lastkraftwagen -, die schon seit langem auf dem Schreibtisch des Ministerrates schmoren und zu denen das Europäische Parlament bereits häufig Stellung genommen hat. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, für die zweite Phase kann selbstverständlich noch kein ins einzelne gehendes Aktionsprogramm vorgelegt werden. Es ist aber möglich, den Endzustand zu beschreiben, der bis zum Jahre 1983 erreicht werden soll. Nach Ablauf der zweiten Phase soll nach dem Beschluß des Europäischen Parlaments ein gemeinsamer Verkehrsmarkt bestehen, der durch folgende Charakteristika gekennzeichnet ist. 1. Für die Verkehrsunternehmen muß Niederlassungsfreiheit im ganzen Bereich der Gemeinschaft bestehen. 2. Für die in der Verkehrswirtschaft beschäftigten Menschen muß vollkommene Freizügigkeit bestehen. Wo für die Berufsausübung Prüfungen oder Diplome notwendig sind, müssen diese nach den gleichen Grundsätzen gestaltet und gegenseitig anerkannt sein. 3. Die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs in den Ländern der Gemeinschaft muß vollendet sein. 4. Die Beschränkungen, denen die Seeschiffahrt zwischen den Häfen eines Mitgliedstaates durch Schiffe unter der Flagge anderer Mitgliedstaaten unterliegt, müssen aufgehoben werden, d. h. der sogenannte Kabotage-Vorbehalt muß fallen. 5. Eine gemeinsame Luftverkehrspolitik muß die Multilateralisierung der Verhandlungen über Landerechte und Flugliniengestaltung herbeiführen. 6. Die Zusammenarbeit der Eisenbahnen soll insbesondere durch Schaffung einer Dachorganisation der neun Staatsbahnen gefördert werden. Hierbei sollen eine weitgehende Harmonisierung der Tarife und Beförderungsbedingungen, eine Beseitigung des Frachtenbruchs an der Grenze, eine technische Harmonisierung, eine gemeinsame Planung der Materialbeschaffung, die Abschaffung aller Behinderungen beim Grenzübergang und manches andere mehr herbeigeführt werden. Hinsichtlich der Infrastrukturpolitik muß am Ende der zweiten Phase, also im Jahre 1983, ein gemeinsames System der Abgeltung der Wegekosten bestehen. Wir wissen alle, wie schwierig diese Problematik ist. Ziel muß sein, daß am Ende der zweiten Stufe ein gemeinsames Verkehrssystem besteht und damit das Gebäude der gemeinsamen europäischen Verkehrspolitik fertiggestellt ist. Meine Damen und Herren, der Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages hat die Leitgedanken der Mitteilung der Kommission und der Entschließung des Europäischen Parlaments einmütig gebilligt; er unterstützt sie. Der Verkehrsausschuß schlägt diesem Hohen Hause vor, den Ihnen vorliegenden entsprechenden Entschließungsantrag anzunehmen. In ihm wird die Bundesregierung darüber hinaus ersucht, im Ministerrat darauf hinzuwirken, Herr Minister Gscheidle, daß auch dieser sich die Leitgedanken zu eigen macht und die darauf beruhenden Vorschläge der Kommission zügig verabschiedet. So weit mein ergänzender Bericht als Berichterstatter dieses Hohen Hauses. Im Namen der Fraktion der CDU/CSU möchte ich hierzu folgendes erklären. Meine Fraktion wird dem Entschließungsantrag zustimmen. Sie ist der Auffassung, daß die Zeit zum Entscheiden und zum Handeln überreif ist. ({6}) Dies gilt insbesondere für den Ministerrat, der nun die Verantwortung dafür hat, daß die europäische Verkehrspolitik durch Festlegung richtungweisender Grundsätze einen neuen Schwung erhält. Es ist, meine Damen und Herren, ein unerträglicher Zustand, daß sich auf dem Schreibtisch des Ministerrats die Verordnungsentwürfe der Brüsseler Kommission und die Stellungnahmen des Europäischen Parlaments türmen und so gut wie nichts entschieden wird. Meine Damen und Herren, es ist ein unerträglicher Zustand, daß man sich in Einzelfragen zerredet, aber keine Grundsatzentscheidungen fällt. Wer Europa will, muß auch eine gemeinsame Verkehrspolitik wollen. Ohne sie ist eine Wirtschaftsunion überhaupt nicht denkbar. ({7}) Wir wissen, daß alle deutschen Bundesregierungen sich seit über 15 Jahren bemüht haben, Fortschritte zu erreichen. Vielleicht - ich sage: vielleicht - ist jetzt hier und da eine gewisse Resignation eingetreten. Wenn dem so ist, ist es um so notMursch ({8}) wendiger, daß durch die vorgeschlagene Entschließung des Deutschen Bundestages ein neuer, kräftiger Impuls gegeben wird. In den Gremien des Europäischen Parlaments haben wir einmütig, Herr Kollege Seefeld und ich, einen nachdrücklichen Appell an die anderen Parlamente der Gemeinschaft gerichtet, damit auch dort Entschließungen gefaßt werden, wie sie Ihnen heute zur Entscheidung vorliegen. Diese Entschließung soll den Regierungsvertretern im Ministerrat, Herr Minister Gscheidle, Mut machen, endlich Entschlußkraft zu zeigen und Entscheidungen - im Wege des Kompromisses selbstverständlich - herbeizuführen. Meine Fraktion begrüßt es, daß das Europäische Parlament in so gründlicher und so nachdrücklicher Weise sich der gemeinsamen Verkehrspolitik angenommen hat. Sie begrüßt es insbesondere, daß dies nicht, wie das häufig so üblich ist, mit allgemeinen Formulierungen geschehen ist, sondern daß ganz konkrete Grundsätze aufgestellt worden sind und daß die Verwirklichung dieser Grundsätze in einem exakten Zeitplan gefordert wird. ({9}) Danke schön, Herr Kollege Schulte! Wir haben mit großer Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß das Europäische Parlament darauf bestanden hat, selbst mit einer Delegation mit dem Präsidenten des Ministerrats der Verkehrsminister zu sprechen - das ist im Augenbilck der irische Verkehrsminister; wir werden in der ersten Juniwoche in Dublin sein , um diesem Präsidenten des Ministerrats zu sagen, was die Völker der Gemeinschaft erwarten, nämlich endlich echte Fortschritte und Entscheidungen. Die Verkehrspolitik, meine Damen und Herren, ist nicht ein Nebengebiet der europäischen Politik, das etwa nur ein paar Spezialisten angeht; man könnte das meinen, wenn man sich in diesem Saal umschaut. Rat und Kommission müssen nach soviel verlorener Zeit die gemeinsame Verkehrspolitik jetzt in Gang setzen, wenn sie verhindern wollen, daß die große Enttäuschung über die mangelnden Fortschritte der europäischen Politik auch auf diesem Gebiet zu zunehmender Abwendung von dem Gedanken der europäischen Zusammenarbeit überhaupt führt. ({10}) Die Betroffenen schließlich, meine Damen und Herren, müssen wissen, wohin die Reise geht. Die europäische Einigung erfordert selbstverständlich von allen bestimmte Opfer, aber diese Opfer sind nur zumutbar, wenn erkennbar wird, wie das Ziel, nämlich die politische und wirtschaftliche Union Europas, aussehen wird und in welchen konkreten Stufen dieses Ziel erreicht werden soll. Für eine verfahrene Sache, als welche sich gegenwärtig z. B. die gemeinsame Verkehrspolitik darstellt, wird niemand bereit sein Opfer zu bringen. Es ist deshalb die wichtigste Aufgabe des Ministerrats und der Kommission, das Vertrauen in das Zustandekommen der gemeinsamen europäischen Verkehrspolitik wiederherzustellen. Es muß auf jeden Fall verhindert werden, daß die „Mitteilung der Kommission" und die Entschließung des Europäischen Parlaments wieder zerredet werden, wie dies mit dem Memorandum von 1961 geschehen ist; auch dieses wurde zerredet. Es muß verhindert werden, daß der Rat diese Vorschläge und Forderungen wie üblich in der Schublade verschwinden läßt. Wir würden es als eine Katastrophe für die europäische Politik ansehen, wenn man es auch in diesem Jahre wiederum versäumt, die Zielrichtung zu fixieren, und zum Gerangel um Fahrtenschreiber, Rückleuchten für Fahrräder, Harmonisierung von Hupen und ähnlichen Kleinkram zurückkehrt, aber die großen Fragen, nämlich die Preispolitik, den Zugang zum Markt, die Kapazitätspolitik einschließlich der Lenkung der Kapazität durch Infrastrukturplanung, und die wirklich wichtigen Probleme der Harmonisierung, nämlich der Kraftfahrzeug- und der Mineralölsteuer, und die Frage der Maße und Gewichte offenläßt. ({11}) In dem Entschließungsantrag des Verkehrsausschusses dieses Hohen Hauses wird, wie bereits erwähnt, gefordert, daß sich die Bundesregierung im Ministerrat, wie ebenfalls bereits erwähnt, bemüht, daß die Vorschläge der Kommission und die Beschlüsse des Europäischen Parlaments nun auch verwirklicht werden. Die Fraktion der CDU/CSU ist der Auffassung, daß gerade dieser Punkt von entscheidender Bedeutung ist. Es scheint uns notwendig zu sein, daß auch der Ministerrat zu diesen Vorschlägen und zu der Entschließung des Parlaments ebenso ausführlich, sorgfältig und verbindlich Stellung nimmt, wie es das Europäische Parlament getan hat. Der Rat, meine Damen und Herren, sollte hierfür auch nicht mehr Zeit in Anspruch nehmen als das Parlament. Das heißt also: Wir erwarten, Herr Minister Gscheidle, daß der Ministerrat bis zum Oktober 1975, also zwei Jahre nach der Mitteilung der Kommission und ein Jahr nach der Stellungnahme des Europäischen Parlaments, endlich verbindlich, wie ich es gesagt habe, erklärt, wohin die Reise gehen soll. Insbesondere von Ihnen, Herr Bundesverkehrsminister, erwarten wir, daß Sie sich persönlich dieser Frage mit besonderem Nachdruck annehmen und im Ministerrat darauf drängen, daß hier nun endlich konkrete Beschlüsse gefaßt werden. Seien Sie versichert - Herr Kollege Seefeld und ich sind uns da einig -: Wir werden, wenn dies bis zum Herbst nicht geschehen ist, im Europäischen Parlament Monat für Monat Initiativen ergreifen, und zwar so lange, bis der Rat endlich zu der Einsicht kommt, daß wir, die Vertreter der Völker Europas, nicht bereit sind, dies länger hinzunehmen. ({12}) Der Rat muß jetzt erklären, daß etwa bis zum Jahre 1983 eine gemeinsame Verkehrspolitik da sein wird, durch die die Verantwortung für die Preisentwicklung auf den Verkehrsmärkten, für die Kapazitätsregelung und für die Infrastrukturplanung Mursch ({13}) zu einer gemeinsamen Verantwortung der Mitgliedstaaten, zu einer gemeinsamen Verantwortung der Gemeinschaftsinstitutionen wird. Der Rat, meine Damen und Herren, muß jetzt erklären, daß bis zu diesem Zeitpunkt die Kraftfahrzeug- und Mineralölsteuern harmonisiert sein werden; er muß jetzt erklären, daß ein nach gemeinsamen Grundsätzen angewendetes System der Abgeltung der Wegekosten eingeführt sein wird; er muß jetzt erklären, daß ein zwischen den Verkehrsarten wettbewerbsneutral ausgewogenes System der Sozialharmonisierung bestehen wird; er muß jetzt erklären, daß die wichtigsten technischen Vorschriften für den Verkehr - in erster Linie die höchstzulässigen Abmessungen und Gewichte der Lastkraftwagen - vereinheitlicht sein werden. Meine Damen und Herren, wenn auch der jetzt versuchte neue Anlauf zu einer gemeinsamen Verkehrspolitik keine wesentlichen Fortschritte bringen sollte, kommt auf die Gemeinschaft aus diesem Winkel eine nicht zu übersehende Gefahr zu. Wenn die zuständigen Fachminister wiederum kein Resultat zustande bringen, dann gehören nach Auffassung meiner Fraktion die Fragen der Verkehrspolitik auf die Tagesordnung einer der nächsten Sitzungen des Europäischen Rates, also der früheren Gipfelkonferenz. Meine Damen und Herren, alle Fraktionen des Europäischen Parlaments - mit Ausnahme der Kommunisten; ich sagte dies bereits - haben der neuen umfassenden Konzeption zugestimmt. Das Europäische Parlament vertritt die Völker der Gemeinschaft. Die Völker der Gemeinschaft aber wollen endlich Fortschritte und Entscheidungen. Hierzu soll die Entschließung beitragen, die diesem Hohen Hause heute vorliegt. ({14})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort in der Aussprache hat der Herr Abgeordnete Seefeld.

Horst Seefeld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002138, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt Teilbereiche in der europäischen Politik, in denen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ein Vorankommen nur schwer zu erkennen ist. Die Verkehrspolitik zählt leider dazu. Deshalb begrüßen meine Freunde und ich es, daß der Deutsche Bundestag heute die Gelegenheit wahrnimmt, auf Grund einer Vorlage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften und eines dazu erarbeiteten Berichtes unseres Verkehrsausschusses das Thema gemeinschaftliche Verkehrspolitik aufzugreifen. Die Anregung dazu kommt von Kollegen unseres Hauses, die im Europäischen Parlament seit Jahren bemüht sind, Wege und Möglichkeiten zu suchen, um eine europäische Verkehrspolitik überhaupt erst einmal in Gang zu bringen; denn ohne Zweifel muß man davon ausgehen, daß es eine solche noch nicht gibt und trotz der Bemühungen vieler vermutlich auch in Kürze schwerlich geben wird. Im Europäischen Parlament war man sich einig, nicht mehr länger nur in diesem Parlament, das sowieso nicht über geeignete Kompetenzen verfügt, um auf die Politik direkt einwirken zu können, zu klagen, sondern in den nationalen Parlamenten mit dem jeweiligen Verkehrsminister in eine Aussprache zu treten. Im Deutschen Bundestag ist das heute der Fall, und ich hoffe, anderswo geschieht das auch. Dabei möchte ich gleich unterstreichen, daß den deutschen Verkehrsminister die kritischen Anmerkungen im Europäischen Parlament nur bedingt zu treffen brauchen; bedingt, weil er einer von neun Ministern ist, die im Rat der Verkehrsminister zu entscheiden haben. Nur bedingt aber vor allem deshalb, weil sowohl Herr Gscheidle wie auch seine Vorgänger im Amte, etwa Herr Lauritzen und Herr Leber, unterstützt von ihren jeweiligen Staatssekretären mehrere Anläufe zur Vereinheitlichung unternommen und auch Vorschläge zur Regelung einer europäischen Verkehrspolitik unterbreitet haben. Wenn trotzdem nichts oder fast nichts geschehen ist, liegen die Gründe anderswo, am wenigsten jedoch bei der deutschen Bundesregierung und bei ihrem Verkehrsminister. Das wollte ich ausdrücklich hervorheben. Christdemokratische Verkehrspolitiker in Europa teilen im übrigen diese Meinung; sie ist unbestritten. Woran liegt es also, daß wir einen Zustand haben, von dem der für Verkehrsfragen zuständige Kommissar in der Europäischen Kommission, Scarascia Mugnozza, schon im Jahre 1973 erklärte, daß es der Gemeinschaft in den ersten zwölf Jahren ihres Bestehens nicht gelungen sei, eine gemeinsame Verkehrspolitik zustande zu bringen? Nun, dafür gibt es bestimmt mehrere Gründe, und diese sind wiederum aus der Sicht eines jeden der neun Staaten natürlich unterschiedlich motiviert. Entscheidend dürfte jedoch sein, daß seit den Anfängen unserer Gemeinschaft bis heute nicht einmal eine Entscheidung über die Grundsätze einer gemeinsamen Verkehrspolitik gefällt worden ist. Was bisher von den Vorschlägen der Kommission über das Europäische Parlament den Ministerrat erreicht hat und dann auch dessen Zustimmung fand, ist Stückwerk. Dabei ist selbstverständlich manches an Verbesserungen herausgekommen. Doch wir können und dürfen uns ja wohl nicht mit Stückwerk zufrieden geben. Eine gemeinsame Verkehrspolitik kann nicht aus einem Flickwerk dessen bestehen, worüber man sich - weil problemlos - zu einigen bereit war. In dem vom Europäischen Parlament gebilligten Bericht seines Ausschusses für Regionalpolitik und Verkehr, der durch den Herrn Kollegen Mursch eingebracht wurde, heißt es dazu sehr deutlich: „Aus kleinen Schritten entsteht kein modernes System." Unterstreichen möchte ich auch einen anderen Grundgedanken dazu, nämlich: Eine moderne Verkehrspolitik muß den Verkehr in den Gesamtzusammenhang der Wirtschaft einordnen, und sie muß von Prinzipien ausgehen, die für alle VerkehrsSeefeld arten anwendbar sind. Das heißt, daß man keine Verkehrspolitik losgelöst von dem allgemeinen System der Wirtschaftspolitik betreiben kann. Im Gegenteil: Sie muß eingegliedert sein. Das war nun bislang wahrscheinlich nicht der Fall. Kommission und Europäisches Parlament haben, wie gesagt, Vorstellungen dazu entwickelt, z. B. in der „Mitteilung an den Rat über die weitere Entwicklung der gemeinsamen Verkehrspolitik", um die es hier geht. Auch in Detailbereichen, die für die Gesamtkonzeption wichtig sind, gibt es inzwischen klare Vorstellungen, bei denen das Europäische Parlament - ich stimme Ihnen zu, Herr Kollege Mursch - mit seinen Verkehrspolitikern aus den neun EG-Ländern bisweilen sogar über die Vorschläge der Kommission noch hinausgegangen ist oder von sich aus selbst initiativ wurde und Initiativberichte vorbereitete. Ich erinnere dabei an so bedeutende Themen wie die Luftverkehrspolitik, die Seeschiffahrtspolitik, die Seehafenpolitik oder die Versuche zur einheitlichen Abgeltung der Wegekosten, um nur einige der ungelösten Probleme zu nennen und etwas zu den Vorschlägen zu sagen, die zum Teil seit Jahren beim Ministerrat liegen. Ich könnte weiter die Einführung eines einheitlichen Führerscheins, die Vorschriften über das Verbundsicherheitsglas in Kraftfahrzeugen oder das große Problem der Maße und Gewichte erwähnen. Diese Liste, verehrte Kollegen, läßt sich beliebig erweitern. Da aber im Ministerrat noch immer nach dem Einstimmigkeitsprinzip verfahren wird, wird vermutlich noch lange zu warten sein, bis Entscheidungen zu den hier genannten Problemen fallen; denn irgend jemand ist bestimmt immer gegen irgend etwas, und der Stillstand ist somit leider für weitere Zeit garantiert. In der übernächsten Woche findet in Dublin die Zusammenkunft einer Delegation des Verkehrsausschusses des Europäischen Parlaments mit dem irischen Verkehrsminister als dem derzeitigen Ratsvorsitzenden statt. Dabei wollen die Verkehrspolitiker dem Minister erneut ihre Sorge und ihre Bedenken vortragen; denn Ratstagungen der Verkehrsminister haben inzwischen Seltenheitswert. Meist gelingt es in der sechsmonatigen Amtszeit eines Ratsvorsitzenden nur mit Mühe und Not, gerade einmal zusammenzutreten. Das erste Halbjahr des Jahres 1975 ist fast zu Ende, und es besteht der begründete Verdacht, daß die Minister auch dieses Mal keine Ratssitzung zustande bringen. Man trifft sich wenigstens gelegentlich inoffizell bei anderen Anlässen, z. B. bei der Zusammenkunft im Rahmen der Konferenz der europäischen Verkehrsminister, der CEMT, um auch dort über EG-Fragen Meinungen auszutauschen. Sehen Sie, so bescheiden sind wir alle geworden, daß wir uns schon freuen, daß sozusagen nebenbei noch Gespräche über die Verkehrspolitik in der Europäischen Gemeinschaft stattfinden. ({0}) Irlands Verkehrsminister wird in der übernächsten Woche die Schwierigkeiten aufzeigen und - um dies vorauszusagen, braucht man kein Prophet zu sein - versprechen, seinen ganzen Einfluß im Ministerrat geltend zu machen, damit die Vorschläge der Kommission und des Europäischen Parlaments angenommen werden. Nur: Er ist nur noch einen Monat Ratsvorsitzender, in dieser Zeit findet vermutlich kein Treffen mehr statt, dann verschwindet er in der Anonymität des Ministerrats, und ein anderer übernimmt den Vorsitz. Im Juli und August ist Sommerpause, dann arbeitet sich der Neue ein, und bis das geschehen ist, sind gut und gerne zwei Drittel seiner Amtszeit um. Ich nehme die Gelegenheit wahr, am Beispiel des Nichtfunktionierens der EG-Verkehrspolitik auch kritisch auf den Sechsmonateturnus im Ratsvorsitz ganz allgemein hinzuweisen. Ich finde, meine Damen und Herren, dieses hat sich in der Vergangenheit nicht bewährt. ({1}) Verehrte Kollegen, Verkehrswege sind Bindeglieder zwischen den Bürgern. Dies ist überall so und gilt natürlich auch besonders für uns in dieser Gemeinschaft, in der wir mehr und mehr zusammenwachsen. Denn gerade an Beispielen in der Verkehrspolitik kann der Bürger auch klar erkennen, ob es vorangeht oder nicht. Wenn wir über eine Wirtschafts- und Währungsunion reden und die Harmonisierung im Verkehrsbereich schreitet nicht voran und keine Vorteile sind für den Bürger erkennbar, dann wird mancher nur schwer verstehen, warum diese Europäische Gemeinschaft für ihn gut sein soll. Was nutzt ihm z. B. die Zusage, er könne sich innerhalb der Gemeinschaft frei bewegen, wenn er jetzt bei den bevorstehenden Sommerferien an den Binnengrenzen der Gemeinschaft stundenlang mit seinem Auto Schlange stehen und überflüssige Paß- oder Zollkontrollen an Grenzstationen über sich ergehen lassen muß, dazu an solchen Grenzstationen, die zum Teil in den letzten Jahren mit Riesenaufwand erst neu erbaut oder ausgebaut worden sind. Diese Bürger werden verärgert sein, und sie werden nicht an den Fortgang in der Europäischen Gemeinschaft glauben. Wie stehen auch jene deutschen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zur Gemeinschaft, welche die vorgeschriebenen Sozialvorschriften im Straßengüterverkehr begrüßen, die sie - ich sage: selbstverständlich - befolgen, zugleich aber sehen, wie die gleichen Vorschriften in anderen Ländern nicht befolgt werden und dadurch einerseits soziale und gesundheitliche Nachteile für die Arbeitnehmer in den anderen EG-Staaten und andererseits wirtschaftliche Beeinträchtigungen für die Arbeitgeber in der Bundesrepublik Deutschland entstehen? Wie kann auch an die Chancengleichheit geglaubt werden, wenn bestimmte Staaten in der Europäischen Gemeinschaft bestimmte Verkehre oder bestimmte Verkehrsarten subventionieren oder ihnen steuerliche Vergünstigungen gewähren und dadurch Ungleichheiten entstehen, weil andere das nicht tun wollen oder nicht tun können. Gewiß, Verkehrspolitik hat nicht in jedem Staat die gleiche Bedeutung. Die Voraussetzungen, aber auch die Zielsetzungen sind nicht gleich. Gerade deshalb müssen Formeln für die Zukunft gefunden werden. Die Kommission sagt in ihrer Mitteilung an den Rat, daß die Vertragsziele für den Verkehr noch nicht erreicht worden sind und deshalb die Maßnahmen der Gemeinschaft wie bisher die Hindernisse zu beseitigen haben, die der Freizügigkeit der Dienstleistungen im Verkehr entgegenstehen. Es sei auf eine Harmonisierung des Gesamtrahmens für die Tätigkeit der verschiedenen Verkehrsträger und der verschiedenen Verkehrsunternehmen hinzuwirken. Des weiteren seien die Instrumente zu schaffen, die für ein Eingreifen in das Marktgeschehen in dringenden Fällen erforderlich seien, z. B. durch Tarifsetzung und Kapazitätskontrolle. Besonders jedoch wird herausgehoben, daß im Rahmen einer engen Zusammenarbeit die heutigen Mängel zunächst zu beseitigen seien. Die vorliegende Mitteilung der Kommission, auf deren Einzelheiten ich nicht weiter eingehen will - der Herr Berichterstatter hat dies bereits getan -, gibt die Möglichkeit für einen neuen Beginn. Ausgehend von einer Bestandsaufnahme kann in den dort vorgezeichneten Stufen verfahren und danach gehandelt werden. Bei der Beratung der gleichen Vorlage im Europäischen Parlament durfte ich für meine Fraktion besonders jene Punkte herausstreichen, bei denen es um die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen geht, als da sind: Beseitigung aller künstlichen Kostenverzerrungen zwischen Unternehmen verschiedener Verkehrsarten und verschiedener Länder oder Erwirtschaftung der vollen gesamtwirtschaftlichen Kosten durch die Verkehrsunternehmen und Ausrichtung aller öffentlichen Investitionsentscheidungen auf dem Verkehrssektor oder Harmonisierung der Kraftfahrzeugsteuern oder ein System der Abgeltung der Wegekosten oder eine gemeinsame Regelung des finanziellen Verhältnisses zwischen Staaten und Eisenbahnen. Meine Fraktion im Deutschen Bundestag ist damit einverstanden, daß diese Forderungen hier heute übernommen werden. Ich füge hinzu, daß wir die Verkehrspolitik als einen wichtigen Teilbereich der europäischen Integration betrachten. Wir werden deshalb nicht nachlassen, auf ein Mehr in der EG-Verkehrspolitik zu drängen. Dabei wissen wir uns mit Ihnen, Herr Bundesverkehrsminister, einig. Sie haben erst kürzlich bestätigt, daß die in der Entschließung des Europäischen Parlaments zur weiteren Entwicklung der Verkehrspolitik enthaltenen Vorstellungen, die auch in der dem Bundestag heute vorliegenden Drucksache enthalten sind, von Ihnen gebilligt werden. Herr Bundesverkehrsminister, Sie werden in der SPD-Bundestagsfraktion einen tatkräftigen Mitstreiter bei Ihren Bemühungen um eine gemeinschaftliche Verkehrspolitik haben. Lassen Sie sich bitte nicht durch den derzeitigen Stillstand beeinflussen. Ergreifen Sie, wenn möglich, selbst neue Initiativen. ({2}) Bedrängen Sie bitte auch Ihre Kollegen im Ministerrat. Die Europäische Gemeinschaft braucht Erfolge. Sie braucht sie aber besonders in der europäischen Verkehrspolitik. Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt dem vorliegenden Bericht und dem Antrag des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Geldner.

Karl Geldner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000657, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube feststellen zu können, daß sich im Verlauf der Debatte herauskristallisiert hat, wie wichtig eine gemeinsame europäische Verkehrspolitik wirklich ist. Ich glaube ferner feststellen zu können, daß die Verkehrspolitik in Europa deshalb so wichtig ist, weil von ihr abhängt, ob die gemeinsame Wirtschaftspolitik, aber auch die Regionalpolitik, die Sozialpolitik, die Industrie- und Umweltpolitik in Europa vorankommen oder ob auf Grund stagnierender Politik auf dem Verkehrssektor auch die Lösung aller anderen Probleme in Europa ins Stocken gerät. Lassen Sie mich eingangs die Bedeutung gerade der Probleme der Verkehrspolitik unterstreichen. Seit den Beschlüssen der Jahre 1965 und 1967, in denen die Orientierungsrichtlinien der Minister zu den Verkehrsproblemen festgelegt worden sind, hat sich eine Menge Veränderungen abgezeichnet, nicht nur hinsichtlich der Erweiterung der Gemeinschaft, sondern auch hinsichtlich einer neuen Lenkung der Verkehrsströme usw. Die Debattenbeiträge der beiden Europa-Parlamentarier, des Kollegen Mursch und des Kollegen Seefeld, haben eindeutig gezeigt, daß das Konzept jetzt vervollständigt werden muß. Ich möchte aber noch unterstreichen, welche Bedeutung die Verkehrswirtschaft in Europa schlechthin hat. Mit dem Verkehr der Personenkraftwagen und dem Werksverkehr werden insgesamt 15 v. H. des Bruttosozialprodukts durch die Verkehrswirtschaft erbracht. Schon diese Tatsache zeigt, wie wichtig ein Fortschritt auf diesem Gebiet ist. Außerdem sind allein 1,3 Millionen Menschen in Europa bei den europäischen Eisenbahnen tätig. Auch dieser Sachverhalt zeigt, daß man voranschreiten muß, wenn man eine erfolgreiche Europapolitik betreiben will. Wir Freien Demokraten begrüßen es, daß die Kommission in einer Mitteilung an den Rat vom 24. 10. 1973 zur Schaffung eines gemeinschaftlichen Verkehrssystems bis spätestens 1983 aufgerufen hat. Ich hoffe, daß auch das Europäische Parlament mit allem Nachdruck hinter diesem Aufruf steht. Wie ich aus den bisherigen Äußerungen entnehmen konnte, wird dieses Verkehrssystem ein Meilenstein sein und sein müssen. Denn die Erweiterung der bisherigen betriebswirtschatlichen Orientierung der EG-Verkehrspolitik durch die Erarbeitung einer umfassenden gesamtwirtschaftlichen Strukturpolitik ist ebenso eine Notwendigkeit wie die Gestaltung der Verkehrswege als einheitliches Netz einer ausreichenden Verkehrsinfrastruktur für alle Räume der Gemeinschaft. Diese Aussage gilt spezifisch für die strukturschwachen Räume in Europa. Das trifft ebenso zu für die Herstellung eines freien gemeinsamen Verkehrsmarktes unter möglichst gesunden Bedingungen, unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Kosten und unter dem Gesichtspunkt, daß bis heute noch keine ausreichende Harmonisierung verwirklicht worden ist. Dieser bis 1983 zu schaffende gemeinsame Verkehrsmarkt erfordert eine Gleichbehandlung z. B. des grenzüberschreitenden Verkehrs im Bereich der Kabotage in der Gemeinschaft mit dem nationalen Verkehr in bezug auf Kapazitätskontrollen, beinhaltet aber auf der anderen Seite auch die Freiheit der Schiffahrt auf den Binnenwasserstraßen für alle Unternehmen der Gemeinschaft und gegebenenfalls - im Wege der Gegenseitigkeit - auch für die Drittländer. Wir sollten auf das, was in der Gemeinschaft bisher erarbeitet wurde, aufbauen, auch wenn dies - wie es heute schon zum Ausdruck gekommen ist - relativ mager ist. Ich denke da z. B. an zusätzliche Forschungen im Bereich der Verkehrssicherheit. Auch hier muß in Zukunft auf europäischer Ebene eine Harminisierung herbeigeführt werden. Das gleiche gilt für die Initiativen in den Bereichen der Schiffahrt und der Hafenwirtschaft oder für die Harmonisierung der Arbeitsbedingungen bei der Binnenschiffahrt und den Eisenbahnen in der Gemeinschaft. Auch hier wird man, aufbauend auf den bisherigen Arbeiten im Zusammenhang mit der Regelung der Gemeinschaftskontingente für grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr, in Zukunft noch einiges tun müssen. Auch wird es notwendig sein, in der Frage der Festlegung der Maße und Gewichte für Lkw voranzukommen. Ein erster Schritt ist bereits zur Harmonisierung der Kraftfahrzeugsteuer getan worden. Ich hoffe, daß hier etwas geschieht, damit unsere nationalen Verkehrsträger in der Bundesrepublik nicht weiterhin eklatant benachteiligt sind. Ich glaube, daß auch die Bemühungen um das System für die Abgeltung der Wegekosten und den Ausbau der Infrastrukturkonsultationen genau wie die Lösung des Problems der Überwachung der Kraftfahrzeuge in Europa vorangetrieben werden müssen. Ich begrüße es, daß das Europäische Parlament die Stellungnahme der Kommission in seiner Grundhaltung zustimmend entgegengenommen hat. Es hat dazu allerdings einige abweichende Vorstellungen entwickelt, was aber zu unterstützen ist. Dieses Europäische Parlament hat einige Akzente gesetzt. Ich darf hier vielleicht nur einige aufgreifen. So heißt es: Der Wettbewerb ist durch regelnde Eingriffe der Verkehrspolitik, die die Kapazität und die Preise betreffen, vor Auswüchsen zu bewahren. Ich glaube, daß gerade wir in der Bundesrepublik Deutschland ein Lied davon singen können, was Auswüchse manchmal bedeuten. Ich möchte noch die Notwendigkeit betonen, daß die Verkehrsunternehmen ihre vollen gesamtwirtschaftlichen Kosten erwirtschaften sollten. Das muß auch für die anderen Partner in Europa gelten. In den Einzelbereichen gäbe es noch eine Vielzahl von Problemen zu nennen, in denen weitere Integrationsforderungen ansetzen müßten. Lassen Sie mich nur ein Wort zur Seeschiffahrt sagen. Hier geht es um die Freigabe der Kabotage. Bei der Luftfahrt geht es um die Multilateralisierung der Landerechte in Europa. Bei der Eisenbahn ist die Schaffung einer europäischen Dachorganisation erforderlich. Im Endeffekt bedarf es dann einer europäischen Straßenverkehrsordnung. Ich glaube, das sind Probleme, deren Lösung vorangetrieben werden muß, um in Zukunft - wie ich schon eingangs meiner Ausführungen sagte - eine fortschrittliche Europapolitik der Integration und des Zusammenführens zu gewährleisten. Wir begrüßen die Aktivitäten des Europäischen Parlaments. Man sollte den Europäern und dem Europäischen Parlament noch mehr den Rücken stärken, um hier im Sinne Gesamteuropas - nicht nur im Sinne der Wirtschaftsunion - voranzukommen und damit eine europäische Verkehrspolitik zu betreiben. ({0}) Wir fordern auch eine sofortige Verabschiedung der für die Jahre 1974 bis 1976 vorgesehenen Regelungen durch den Rat. Wir fordern ferner eine alsbaldige Aufstellung eines Zielkatalogs für die Zeit von 1977 bis 1983 durch den Ministerrat. Wir Freien Demokraten begrüßen deshalb vor allem die Initiativen des Europäischen Parlaments, die im Hinblick auf eine stärkere Verbindlichkeit der grundlegenden verkehrspolitischen Zielsetzungen von uns unterstützt werden. Ich hoffe, daß der Fortgang der Arbeiten im Europäischen Parlament dazu führt, daß dieser Zielpunkt 1983 nicht nur ein Fixpunkt bleibt. Die angestrebten Maßnahmen müssen eine Realität werden, um beim Aufbau eines gemeinsamen Europa voranzukommen. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werden Sie, bitte, nicht ungeduldig. Ich möchte nur eine kurze Bemerkung im Rahmen und aus Anlaß dieser Debatte machen. Bei Gelegenheit dieser Debatte liegt mir nämlich daran, zum Ausdruck zu bringen, daß ich es als Abgeordneter des Deutschen Bundestages ebenso wie als ehemaliges Mitglied der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl dankbar begrüße, wenn sich der Deutsche Bundestag nach dem heutigen konkreten Versuch einer Erörterung von Sorgen, Problemen und Notwendigkeiten auf einem lebenswichtigen Teilgebiet der Politik unserer europäischen Gemeinschaft in Zukunft häufiger zur Sache in europäischen Lebensnotwendigkeiten äußerte. ({0}) Ich sage das mit einem Hinweis auf zahlreiche Vorlagen aus Brüssel, die unser Parlament passieren, ohne daß Gelegenheit gegeben oder auch genommen wird, daß wir uns gemäß unseren parlamentarischen Pflichten zu der jeweiligen Sache äußern. ({1}) Indem wir diese Pflicht nicht ausüben, verringern wir als direkt gewählte Abgeordnete eines der Parlamente unserer Europäischen Gemeinschaft die Möglichkeit, dem Europäischen Parlament endlich ein Recht durchsetzen zu helfen, nämlich das Recht zu verbindlichen Äußerungen und Einwirkungen auf Entscheidungen, die unsere Europäische Gemeinschaft angehen. Das meine ich zugleich als eine Aufforderung an unsere eigene Regierung. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Bundesminister Gscheidle.

Kurt Gscheidle (Minister:in)

Politiker ID: 11000745

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das verkehrspolitische Memorandum war von der Europäischen Kommission als Grundlage für einen Dialog zwischen den Organen der EG unterbreitet worden. Es handelt sich also um Denkanstöße, die weiter aufgenommen werden müssen, und zwar insbesondere mit dem Ziel der Aktivierung. Der Verkehrsminister freut sich, daß er bei der heutigen Debatte das Gefühl einer breiten Unterstützung in diesem Bemühen haben darf, nicht nur in der Sicherheit einer verbalen Unterstützung, sondern auch in den sehr konkreten Anstößen, die gegeben wurden. Die Anregungen des Fraktionsvorsitzenden der SPD werde ich in meinem Bereich, aber, da sie an die Bundesregierung gerichtet waren, sicherlich auch in den dortigen Diskussionen gern zum Anlaß nehmen, zu überlegen, wie man das durch Aufbereitung des Materials, das hier in der nationalen Gesetzgebung und für die Verhandlungsführung von Bedeutung wäre, konkretisieren kann. Manchmal erscheint es mir in der Tat so, Herr Abgeordneter Mursch, daß die Vorzeichen für die europäische Verkehrspolitik schon einmal günstiger waren. Ich denke an das Jahr 1965 zurück. Damals formulierte die Kommission als Hauptaufgabe das Ziel, den Verkehrsunternehmern wie auch den Verkehrsnutzern die Vorteile des Wettbewerbs zuteil werden zu lassen. Wenn ich mich an meine eigene Tätigkeit im Ministerrat erinnere, dann kann ich nur bestätigen, was hier an kritischen Bemerkungen vorgetragen wurde. Natürlich hat man manchmal bei verbaler Übereinstimmung in den Grundsätzen, um ein Tagesergebnis vorweisen zu können, zuletzt nur noch - ich übertreibe - die Vereinheitlichung der Fahrradbeleuchtung erreicht. Allerdings ist nicht zu verkennen, mit welch unterschiedlichen Auffassungen man an die Ausfüllung der Ziele herangeht. Ich will aus naheliegenden Gründen nicht gerade die heutige Debatte benutzen, einmal einiges konkret an die Wand zu zeichnen. Aber im Grundsätzlichen ist nicht zu verkennen, daß unsere Position in diesem Spannungsfeld zwischen Harmonisierung und Liberalisierung natürlich die ungünstigere Position ist; denn eine Liberalisierung ist durch einen Beschluß an einem Tag mit verwaltungstechnisch verhältnismäßig leicht zu bewältigenden Folgen zu erreichen. Bezüglich der Harmonisierung sind hier beispielsweise folgende Punkte angesprochen worden: die Anlastung von Wegekosten, die Frage des Abbaus der Belastung eines 32-t-Fahrzeuges in der Spanne, die Sie der Antwort auf Ihre Kleine Anfrage entnehmen konnten - zwischen 6 800 und 325 DM im konkreten Fall -, die unterschiedliche Finanzierung über die Mineralölsteuer in einer Spanne von 8 bis 41 Pf pro Liter, die unterschiedlichen Regelungen der Arbeitsbedingungen. Hier sozusagen einen Harmonisierungsprozeß einzuleiten ist selbst dann, wenn im konkreten Fall eine Übereinstimmung besteht, ein langer Weg; denn die Belastungen, die hier entstanden sind, sind derart unterschiedlich, daß man nur in vielen Etappen vorgehen kann. Ich begrüße außerordentlich die nachhaltigen Appelle gerade auch an den deutschen Verkehrsminister, dies im Rat immer wieder kreativ, immer wieder mit neuen Versuchen und Denkanstößen zu tun. Ich halte die Kritik für richtig, die an der Tatsache geübt wurde, daß verhältnismäßig wenige Ratstagungen stattfinden. Dabei kann wohl nicht übersehen werden, daß im Jahre 1975 durch das britische Referendum eine gewisse Lähmung der Ratstätigkeit eingetreten ist. Ich hoffe nur, daß sich dies nunmehr löst und daß wir wieder zu mehreren Tagungen kommen. ({0}) Es wurde auch darauf hingewiesen, in welchem Zusammenhang die Ratstagungen mit dem Wechsel der Präsidentschaft zu sehen sind. Wir unsererseits nehmen deshalb in der Vertretung unserer Interessen in der EG jede internationale Tagung wahr, die uns Gelegenheit gibt, am Rande Dinge vorzubereiten und zu besprechen. Wir werden das bei der Verkehrsministerkonferenz in Kopenhagen tun, und wir werden das auch in bilateralen Gesprächen tun. Ich hatte in letzter Zeit mehrmals das Vergnügen, mit den Verkehrsministern der EG in bilateralen Gesprächen abzutasten, wie die unterschiedlichen Auffassungen sind, und dadurch das weitere Vorgehen vorzubereiten; in den nächsten Wochen werde ich wiederum Gelegenheit haben, dies mit drei Verkehrsministern zu tun. Aber gerade aus solchen Erklärungen wird dann immer deutlich, wie unterschiedlich doch die Auffassungen im Konkreten sind. Manche Verhandlungen im Rat leiden auch etwas unter der Perfektion, mit der die Kommission manchmal ihre Vorlagen präsentiert, und dann kommt man natürlich schon durch die Art der Formulierung der Vorlage bis in die kleinsten Details, und man verliert nach einigen Stunden fast den Bezug zu der Überschrift, unter der man an und für sich begonnen hat, die grundsätzliche Frage zunächst zu erörtern. Wir als Bundesrepublik haben natürlich eine besondere Situation; wir haben sie geographisch, und wir haben sie in unserer Infrastruktur. Auf unseren Straßen bewegen sich täglich im Durchschnitt 10 000 ausländische Lkw sowie 300 000 fremde Pkw und Omnibusse. Wir haben auf Grund der Mannheimer Akte die besondere Situation eines sozusagen abgabenfreien Wasserwegs; wir haben die besondere Situation, den Rhein/Main/Donau-Kanal auszubauen, und nach dieser Komplettierung unseres Binnenwassenstraßensystems wird dann die schwierige Frage der Auseinandersetzung mit den Staatshandelsländern und mit deren Vorstellungen hinsichtlich der Einstufung dieses Wasserweges auftauchen. Wir haben die schwierige Situation in der Seehafenpolitik; wir stehen, auf der Grundlage der schon in Deutschland nicht einfachen Konkurrenzsituation der Seehäfen, vor der Aufgabe, uns zunächst einmal - und dies wird ja versucht - darüber einigen zu müssen, mit welcher Konzeption und mit welchen Forderungen der Offenlegung der zur Zeit vorgenommenen direkten und indirekten Subventionen im Rahmen der Hafenpolitik der einzelnen Nationen wir dann aus einer Bestandsaufnahme zu einer internationalen, einer europäischen Praxis überleiten können. Ich begrüße auch, daß hier in der Frage der Regionalpolitik übereinstimmend Anstöße gegeben wurden. Ich glaube, die Folgerung für die nationale Gesetzgebung ist klar: Man muß eben in den einzelnen Bereichen immer wieder den Gedanken der Regionalpolitik mit einfließen lassen. Aber es kann natürlich auch nicht übersehen werden, daß man es sich dann, wenn man zu einer integrierten Regionalpolitik Europas kommen will, auf der anderen Seite im nationalen Bereich versagen muß, übertriebenen Anforderungen an regionale Maßnahmen zu entsprechen, damit nicht durch vorheriges eigenes Handeln eine spätere übereinstimmende Planung unmöglich gemacht wird oder nicht mehr reparable Entscheidungen getroffen werden. ({1}) - Richtig. Die Bundesregierung bleibt bei ihrer Auffassung, daß eine europäische Verkehrspolitik nicht nur möglich, sondern auch notwendig ist - in Übereinstimmung mit den hier gemachten Ausführungen. Sie wird ihrerseits alles unternehmen, was sie als Sachoder politischen Beitrag zu leisten in der Lage ist, um die Ziele, die hier übereinstimmend herausgestellt wurden, zu erreichen. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Ausschußantrag auf Drucksache 7/3564. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Bezeichnungen der Richter und ehrenamtlichen Richter - Drucksache 7/3550 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({0}) Innenausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Dazu hat der Herr Abgeordnete Erhard ({1}) das Wort. ({2}) - Keine Anmeldung zur Begründung.

Benno Erhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000485, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Potz Blitz, ({0}) ein bedeutender Gesetzentwurf liegt uns auf dem Tisch. Der Inhalt dieses Entwurfes, der ja auch jetzt nicht begründet wurde, erscheint winzig, unbedeutend und nur als eine Art Gesetzeskosmetik. Bei näherem Hinsehen aber entpuppt sich dieser Gesetzentwurf als ein Meilenstein, als ein Demonstrationsbeispiel für justizpolitische Fehlleistungen von Regierung und Koalition. ({1}) Kein Wunder, daß sich die Bundesregierung schämte, den von ihr erarbeiteten Gesetzentwurf als Regierungsvorlage einzubringen. Im Herbst des vorigen Jahres hatte der Herr Bundesjustizminister ganz verschämt dem Rechtsausschuß den Vorschlag unterbreitet, ein Gesetz mit diesem Inhalt an die Novelle für das Kostenrecht im Gerichtswesen, der Gerichtsvollzieher und der Rechtsanwälte anzuhängen: Richtertitel und Gebühren, so war das gedacht. Möglichst niemand sollte merken, was hier eigentlich nicht unbemerkt bleiben darf. Dieses heimlich gehegte Kind ist nun nach etwa acht Monaten zu sehen; wir können es heute besichtigen. Aber die Koalitionsfraktionen haben die Vaterschaft übernommen. Was ist dazu hier wohl zu bemerken? In der Regierungserklärung 1969 kündigte der Bundeskanzler an - ich zitiere mit gewissen Weglassungen -: Zunächst wollen wir unsere zersplitterte Rechtspflege für den rechtsuchenden Bürger durchschaubarer machen . . . Dem Bürger soll außerdem nicht nur ein gutes, sondern auch ein schnelleres Gerichtsverfahren zur Verfügung gestellt werden. Entscheidend ist, daß unsere Richter den ihnen gestellten Aufgaben gewachsen sind. Dazu müssen wir ... ihre Verantwortungsfreude ... stärken, ihre Mitwirkung in eigenen Angelegenheiten verbessern, ihnen eine ihrer verfassungsrechtlichen Stellung gemäße Besoldung geben ... usw. - Fürwahr, große Absichten. Doch was wurde daraus? 12190 Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode Erhard ({2}) Der Bundesminister der Justiz, Herr Jahn, kündigte noch im gleichen Jahr, und zwar im Jahresbericht der Regierung 1969, zum Richterrecht als erste Maßnahme an, die Amtsbezeichnungen der Richter zu verändern, wodurch die Tätigkeit und Stellung des Richters besser gekennzeichnet werden solle. Auch im Jahresbericht der Regierung 1970 wird unter der Überschrift „Richterrecht" die Änderung der Amtsbezeichnungen hervorgehoben und im übrigen auf die Veränderung der Präsidialverfassung der Gerichte verwiesen. Richtertitel sind also nach der damaligen Vorstellung der Regierung ein wichtiges Element rechtspolitischer Reformvorstellungen. Ende 1971 wurde dann das Gesetz zur Änderung der Bezeichnungen der Richter und ehrenamtlichen Richter hier verabschiedet. Über den Bundesrat und den Vermittlungsausschuß wurde der hier abgeschaffte „Schöffe" erhalten, nachdem ihn hier die Mehrheit für nicht mehr bestandsfähig gehalten hatte. Jetzt wird im Bereich der ehrenamtlichen Richter mit diesem Gesetzentwurf auch der „Handelsrichter" wiederentdeckt und soll wieder eingeführt werden. Das ist eine Auferstehung, nicht nach drei Tagen, meine Damen und Herren, sondern nach fast genau drei Jahren. Die Neuregelung der Richtertitel hatte der amtierende Justizminister Jahn hier im Plenum am 15. Dezember 1971 als Zeichen dafür gerühmt, daß die Richter nicht in dem hierarchischen Aufbau der Verwaltungsbehörden stünden und daß sie der 1 besonderen Stellung des Richters, die er durch das Grundgesetz erhalten habe, entspreche. Ja, er ging so weit, die Titelveränderung als wesentlichen Teil der Justizreform zu werten. Er sagte wörtlich: Ich verstehe unter Justizreform eine umfassende Verbesserung der Rechtspflege . . . Sie muß insbesondere auch eine Neuregelung der Stellung der in der Rechtspflege tätigen Organe einschließen, ... Und weiter: Die Bundesregierung hatte den Entwurf mit dem Ziel eingebracht, Autorität und Selbstverantwortung des Richters zu stärken, einen weiteren Schritt bei der Unterscheidung von Richtern und Beamten zu tun und insgesamt ... das Richterrecht zu vereinheitlichen und zu verbessern. Sehen Sie, meine Damen und Herren, durch die Veränderung des Titels, z. B. „Amtsrichter" in „Richter am Amtsgericht" oder „Finanzrichter" in „Richter am Finanzgericht", wird nach der Vorstellung der Regierung die Selbstverantwortung und die Autorität des Richters gestärkt, ja, sogar die Stellung des Richters innerhalb der Rechtspflege reformatorisch verbessert. So einfach ist das. ({3}) In der Debatte des Bundestages hatte der Kollege Dr. Arndt für die SPD breit und leidenschaftlich seine Auffassungen über die verfassungsrechtliche Stellung des Richters und seine Aufgaben dargestellt. Über weite Strecken stimmen wir völlig mit ihm überein. Er meinte, die Änderung der Amtsbezeichnungen der Richter sei der erste Schwerpunkt dieses damals verabschiedeten Gesetzes. Wörtlich sagte er: Wir wollen die Richter herausheben aus der Hierarchie der Beamtenbezeichnungen und wollen ihnen ... den Titel eines Richters verleihen, der ihre Funktion in dieser Verfassungsordnung kennzeichnet. Etwas später heißt es: Justizreform heißt in erster Linie, wenn wir dem Grundgesetz folgen, Reform der Stellung des Richters in diesem Lande, ... Es gehört damit zu Recht in die erste Etappe der Justizreform. Zum Abschluß seiner Rede sagte er: Ich sah es als meine Aufgabe an, ... hier darzulegen, ... daß es sich hier um eine verfassungsmäßige Grundentscheidung über das Richteramt und nicht um einen Streit um Titel handelt. Diesen angeblichen Verfassungsauftrag, der sich in Richtertiteln widerspiegeln sollte, hat nun ausgerechnet 'das Bundesverfassungsgericht zurechtgerückt. Das Titelgesetz wurde in verschiedenen Punkten für verfassungswidrig erklärt. In einer ganzen Reihe weiterer Punkte entging das Gesetz dem Urteil „verfassungswidrig" nur durch Stimmengleichheit der Bundesverfassungsrichter. Hier hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, von dem schon mancher bösartig und falsch meinte, ihn als den „Roten Senat" apostrophieren zu müssen. ({4}) So ist das, wenn irgendeine Ideologie die rechtspolitischen Vorstellungen beeinflußt und den Blick verstellt. Wenn der Titel zum Ausdruck bringen soll, daß Richter nicht Räte im Sinne des Obrigkeitsstaates sind, sondern Richter dieses demokratischen Staates, wie das der Kollege Arndt in seiner Erklärung zum Vorschlag des Vermittlungsausschusses hier gesagt hat, dann wird Wesentliches mit Unwesentlichem verwechselt und sogar, wie geschehen, die Verfassung verletzt, als ob beispielsweise die Bezeichnungen „Regierungsrat", „Ministerialrat", „Oberverwaltungsrat" in unserem Staat zum Ausdruck brächten, daß die Träger dieser Titel Beamte im Sinne des Obrigkeitstaates wären und nicht Beamte im demokratischen Rechtsstaat. ({5}) Am besten läßt sich diese ideologische Verklemmung aus den Leitsätzen zur Justizpolitik der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen aus dem Jahre 1967 entnehmen. Sie wurden unter dem Vorsitz von Herrn Wassermann erarbeitet. Dort heißt es unter anderem: Die Unabhängigkeit der Richter ist durch die Verfassung geschützt, aber durch den hierarErhard ({6}) chischen Aufbau der Justiz und das herrschende Laufbahnprinzip beeinträchtigt. Notwendige Schritte zum Ausbau der richterlichen Unabhängigkeit sind daher der Abbau der Richterhierarchie in Amtsrecht und Besoldung. Dann werden drei Punkte aufgeführt, mit denen man das zunächst erreichen sollte. Der erste Punkt lautet: Die Vielfalt der richterlichen Ämter, die großen Gehaltsunterschiede zwischen den Richtern und die diesen entsprechenden Amtsbezeichnungen sind zu beseitigen. Die nächsten Punkte brauche ich hier nicht zu erwähnen, obwohl sie für die ideologische Grundposition äußerst interessant sind. Die große Ähnlichkeit der regierungsamtlichen Erklärungen und der Äußerungen aus den Reihen der SPD mit diesen Leitsätzen ist unverkennbar. Das damalige Gesetz begleitete der viel schreibende Bundesrichter Dr. Woesner mit einem Aufsatz - rechtspolitisch hochinteressant im „Spiegel". Dort heißt es zur Titelfrage unter anderem: Dabei geht es nicht um zielstrebige Gleichmacherei, sondern um die Ausgangsbasis bei der Gestaltung der rechtsprechenden Gewalt. ({7}) An anderer Stelle heißt es: Die Forderung, die Kollegialgerichte durch Beseitigung der Machtstellung des Vorsitzenden zu demokratisieren, kommt nicht von ungefähr. An wieder anderer Stelle heißt es: Das Gesetz fordert nun einmal aus guten Gründen, daß in den Kollegialgerichten die Richter frei von allen hierarchischen Einflüssen über Menschenschicksale entscheiden sollen, und uni das sicherzustellen, müssen die Privilegien - also die Titel auch der Erfahrensten weichen. Herr Woesner war prominentes Mitglied der ASJ und ist in den letzten Tagen durch Nichterlaß des Haftbefehls gegen den inzwischen untergetauchten Rechtsanwalt Haag bekanntgeworden. ({8}) - Offensichtlich! Ich hatte geglaubt, Herr Wehner, Sie seien mir genau gefolgt, und ich habe mich auch kaum geirrt; sonst hätten Sie den Zwischenruf nicht gemacht. ({9}) Diese Zusammenhänge zwischen dem kleinen Gesetzgebungsmäuschen und der verfehlten, ideologisch überfrachteten sogenannten Justizreform müssen gesehen werden. Hat sich durch die Titelveränderung denn in den letzten Jahren an unseren Gerichten etwas geändert? Sind unsere Richter entscheidungsfreudiger geworden? Ist unser Gerichtssystem für den Bürger überschaubarer geworden? Meine Damen und Herren, der Praktiker weiß doch längst, daß die Flut von Gesetzen im Justizbereich weniger Überschaubarkeit und weniger Rechtssicherheit für die Bürger gebracht hat. Die Forderung aus der Regierungserklärung von 1969, wonach dem Bürger ein schnelleres Gerichtsverfahren zur Verfügung gestellt werden soll, ist doch hier im Bundestag erst kürzlich durch ein neues Revisionsrecht in Zivilsachen gekrönt worden. Nunmehr weiß niemand mehr, ob er Revision überhaupt wird einlegen können und, wenn er sie einlegt, ob die Sachentscheidung des Revisionsgerichts von ihm überhaupt erzwungen werden kann. Das alles ist in das weitgehende Ermessen des Gerichtes gestellt. Die Richtertitel haben und hatten ganz offensichtlich keinen Einfluß auf die Selbstverantwortung, das Selbstbewußtsein und die Entscheidungsfreude der Richter. Sie haben auch keinen Einfluß auf die Besoldung, wie wir aus dem vorliegenden Entwurf auch deutlich ablesen können, wenn wir es nicht ohnehin schon längst gewußt hätten. Die Titel aber so zu ändern, daß sie verfassungsgemäß sind, und darüber hinaus auch dort zu ändern, wo sie nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts höchst bedenklich erscheinen, sollte im weiteren Gesetzgebungsverfahren unser aller Aufgabe sein. Wir werden das Unsere dazu beitragen. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dürr.

Hermann Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war allein die Fraktion der CDU/CSU, die darauf bestand, daß zu diesem Tagesordnungspunkt eine Aussprache stattfindet, und der Herr Kollege Erhard ({0}) hat - potz Blitz! - dazu eine so bedeutende Rede gehalten, daß er die Zahl der Zuhörer aus seiner Fraktion während seiner Rede von fünf auf acht zu steigern in der Lage war. ({1}) Das unterstreicht die bedeutende Unterstützung des echten Anliegens der Opposition, zu diesem Tagesordnungspunkt unbedingt sprechen zu wollen. ({2}) Was der Herr Kollege Erhard ({3}) gemacht hat, war im wesentlichen ein Nachtarocken, das an Stammtischen gängig und üblich ist, im Parlament aber nicht unbedingt die Regel sein sollte. ({4}) Ein paar ganz wenige Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Erhard. Die Bundesregierung hat sich nicht geschämt, einen eigenen Entwurf einzubringen; aber der Mechanismus mit Referentenentwurf, Kabinettsbeschluß, Zuleitung an den Bundesrat für den ersten Durchgang, Rückleitungen an die Bundesregierung, Gegenäußerung der Bundesregierung, dann Zuleitung an den Bundestag und danach erste Lesung schien der Sache nicht angemessen zu sein und hätte auch viel zuviel Zeit gekostet. Denn um was geht es hier? Es geht hier um nichts anderes als um eine uns vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verordnete Korrektur, nicht in einem Zentral-, sondern in einem Nebenpunkt dieses Gesetzes. Dieses Gesetz hätte sich mit zwei Paragraphen, einer Bestimmung über das Inkrafttreten und der Berlin-Klausel begnügen können, wenn nicht inzwischen das Zweite Gesetz zur Vereinheitlichung und Neuordnung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern von uns beschlossen worden wäre, was die Einfügung eines Art. 2 in diesen Gesetzentwurf erforderlich gemacht hat, der viele Zeilen beinhaltet, aber nur zur Koordination nötig ist und in der Sache nichts ändert. Meine Damen und Herren, es ist hier nicht nötig, die Sache auf ein so hohes Podest zu stellen, wie es der Herr Kollege Erhard ({5}) getan hat. Aber dessen Rede war noch gar nichts gegen die des Kollegen Dr. Richard Jaeger bei der Verabschiedung des Gesetzes überhaupt, wo er in die Leier griff und Worte wie „Egalitätswahn", „Gleichmacherei, die in ein sozialistisches Konzept paßt", sprach und - potz Blitz! - selbst vor dem Wort „Revolution" nicht zurückscheute. ({6}) Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Erhard hat gefragt: Was hat sich an unseren Gerichten geändert? Ich möchte auf etwas hinweisen, was sich nicht bei unseren Gerichten, aber bei den Rechtsuchenden geändert hat. Herr Kollege Erhard, Sie und ich wissen als Rechtsanwälte gut genug, wie oft uns Mandanten beim Beginn des Durchsprechens einer bevorstehenden Verhandlung in Straf oder Zivilsachen etwas knieschlotternd und mit beklommenem Herzen gefragt haben: Wie redet man denn die Herren eigentlich an? Und das mit so viel Sorge in der Stimme, als ob sie meinen würden, von der richtigen Anrede hinge Gewinn oder Verlust des Prozesses sehr wesentlich ab. Wir haben ihnen im allgemeinen gar nicht die volle Wahrheit gesagt; denn wenn wir ihnen gesagt hätten: „Der in der Mitte ist der Herr Landgerichtsdirektor, auf der einen Seite sitzt die Frau Landgerichtsrätin und auf der anderen Seite ein junger Herr, der ist Gerichtsassessor", dann hätten sie das so lange memoriert, bis sie am Schluß den Vorsitzenden einer solchen Kammer mit „Herr Gerichtsassessor" angeredet hätten, was wahrscheinlich auch nicht das allervorteilhafteste gewesen wäre. ({7}) Diese Sorge sind unsere Rechtsuchenden jetzt los. Sie wissen, wenn sie „Herr Richter" sagen oder, wenn es mehrere sind, zu dem in der Mitte „Herr Vorsitzender", dann begehen sie keinen Fauxpas, und sie brauchen keine Angst zu haben, daß das Nachteile für sie bringt. Nachteile hat es auch bisher für sie nicht gebracht, aber allein die Tatsache, daß jemand mit weniger Angst und damit mit mehr Vertrauen an das Gericht herangeht, ist ein Vorteil, den es zu erwähnen lohnt. ({8}) Meine Damen und Herren, wir werden diesen Gesetzentwurf in den Ausschüssen zügig behandeln. Ich bin einigermaßen gespannt, ob die Oppositionsfraktion auch noch bei der zweiten und dritten Lesung auf einer ausführlichen Debatte bestehen wird. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Eine gewissen Übereinstimmung in der Beurteilung des Sachverhalts und auch in der Art, zu solchen Sachverhalten dann zu solcher Stunde mit dem Kollegen Dürr Stellung zu nehmen, bereitet mir besonders Schwierigkeiten, weil der Kollege Dürr tatsächlich eine Fülle grundlegender und wegweisender Betrachtungen hier soeben schon vorgenommen hat, so wie es dem Rang dieses Problems in etwa entsprechen dürfte. Wir haben nun dieses durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts notwendig gewordene Gesetz, weil es sich mit der Neuregelung im Besoldungsbereich überschnitten hat, etwas ausführlicher bekommen; da sieht das alles ganz gewaltig aus. Sie können z. B. feststellen, daß dort u. a. nunmehr die Vizepräsidenten der Amtsgerichte aufgeführt sind, die vorher der Reform zum Opfer gefallen waren. Das Bundesverfassungsgericht hat herausgefunden, daß es nicht angehe, die Vizepräsidenten bedeutender Amtsgerichte nicht mehr als Vizepräsidenten, sondern lediglich als Richter am Amtsgericht zu bezeichnen, ({0}) und hat uns nach längeren Untersuchungen zu dieser Frage aufgegeben, die Vizepräsidenten wieder einzuführen. Da das alles sehr abstrakt im Gesetzentwurf steht, darf ich das für die Kollegen, die aus den betroffenen Gerichtssprengeln kommen sollten, in Klartext übersetzen. Es handelt sich darum, daß die Stellung der Vizepräsidenten beim Amtsgericht Tiergarten und beim Amtsgericht Hamburg als solche im Hinblick auf den Titel wiederhergestellt ist. Weitere Gerichte sind hiervon nicht betroffen. ({1}) Am Anfang, möchte ich sagen, stand der Deutsche Richterbund und standen nicht die ASJ und nicht irgendwelche geheimnisvollen Verschwörungen gegen den Rechtsstaat oder revolutionäre Untriebe, Herr Kollege Erhard. ({2}) Der Deutsche Richterbund hatte nämlich - das gar nicht allein und gar nicht unverständlicherweise - den klugen Gedanken gefaßt: Wenn wir die Titulaturen etwas mehr angleichen oder am besten sogar abschaffen und damit eine Assoziation etwa zu der Stellung des englischen Richters hervorrufen, dann könnten wir uns unter Umständen besoldungsmäßig in ähnliche Höhen emporschwingen. Das ist menschlich überaus verständlich, haushaltsmäßig aber einfach nicht zu verkraften. Denn wir haben viel mehr Richter als die Engländer, und von einer Abschaffung irgendwelcher Richterpositionen war bei dem Reformbestreben nicht die Rede. Ich sage: menschlich verständlich. Wir haben den Vorgang im Erziehungs- und Bildungsbereich ja vielfach erlebt. Aus wieviel Seminaren sind nicht inzwischen stolze Hochschulen oder Universitäten, aus wieviel Seminarleitern Professoren geworden! Der Input konnte sich nach der Natur der Sache nicht wesentlich ändern; demzufolge hat sich auch der Output nicht erheblich geändert. Aber auf diesem Gebiet waren die Dinge besoldungsmäßig etwas leichter nachzuvollziehen, weil die Zahl der Betreffenden nicht so groß war wie hier in diesem Bereich, in dem die große Zahl der Richter, die an unseren Gerichten tätig sind, und zwar trefflich tätig sind, mit ihrer Besoldung angesiedelt sind. Nun hat sich seinerzeit etwas ereignet, das die ganze Geschichte in Unordnung gebracht hat. Auch das liegt viel mehr im menschlichen als im grundsätzlich theoretischen und ideologischen Bereich. Wir haben gemeint, früheren Andeutungen des Bundesverfassungsgerichts rechtzeitig folgen zu sollen und im übrigen auch Anreize im Hinblick auf die personalpolitische Situation der Justiz geben zu sollen, und haben vom Bundestag aus die Richterbesoldung durch die Einführung der Durchstufungsregelungen nicht unerheblich verbessert. Damit war der zweite Schritt vor dem zu diesem Zweck ursprünglich ins Auge gefaßten ersten Schritt getan. Nun stellte sich allerdings auch heraus, daß in Kreisen des Deutschen Richterbundes auf den ersten Schritt nicht mehr der Wert gelegt wurde, den man vorher darauf gelegt hatte. An dieser Stelle setzte die Humorlosigkeit in gewissen Kreisen des Deutschen Bundestages ein. Man hat gesagt: Wenn nun schon einmal von den Betroffenen diese Reform verlangt worden war, sie obendrein mit Sicherheit keinen finanziellen Aufwand mit sich bringt, dann könnte man ja einmal - u. a. aus ganz schlichten Gründen, die Herr Dürr dargestellt hat - versuchen, es so zu machen, wie es von Richterseite vorgeschlagen worden ist; vielleicht kommen wir zu einem etwas entspannteren Verhältnis zu den Titeln in diesem Bereich, wo das für die rechtsuchende Bevölkerung tatsächlich sehr wichtig ist. So ist dann seinerzeit das Gesetz zustande gekommen. ({3}) Wir alle haben geglaubt, nachdem im Vermittlungsausschuß noch einige Korrekturen vorgenommen worden waren, es bliebe uns nun Weiteres erspart und wir könnten einmal abwarten, was sich entwickelt. Dann haben die auf den ersten vier oder fünf Seiten aufgeführten Richter der verschiedensten Gerichte allerdings das Bundesverfassungsgericht angerufen. Daraufhin haben wir ein Urteil bekommen, das in mancher Hinsicht mehr zu denken gibt als Urteile, über die man sich aus der einen oder anderen Sicht in diesen Tagen mit großem Engagement - sagen wir - unterhält. Denn wie man aus unserer Verfassung die feinsinnigen Schlüsse auf die konkrete Bezeichnung einzelner Richterpositionen ziehen konnte, die dort schließlich als Ergebnis herausgefiltert worden sind, kann derjenige, der die Verfassung als einen Inbegriff, als eine Grundlage unserer gesamten Ordnung versteht, nur sehr schwer nachvollziehen. ({4}) Wie man aus einer so breit und so grundsätzlich angelegten Sache wie unserer Verfassung so penible Schlüsse auf die Vizepräsidenten der Amtsgerichte Tiergarten und Hamburg ziehen kann, ist etwas, über das man in einigem Abstand vielleicht auch in Karlsruhe noch einmal nachdenken sollte. ({5}) - Es scheint so, daß es einigen sehr auf den Unterschied ankommt. Bei dem Urteil fällt im übrigen noch auf, daß im Grundsatz gefordert worden ist, es müßten anredefähige Bezeichnungen geschaffen werden. ({6}) Und in der Ausführung jener Gedanken ist festgestellt worden - wenn auch nur mit Mehrheit -, daß das bei dem im Vermittlungsausschuß zustande gekommenen monströsen Titel „Vorsitzender Richter am ..." und dergleichen mehr der Fall wäre. Es wäre zwar etwas mühsam, hat das Verfassungsgericht gesagt, aber es wäre noch möglich, die Herren in dieser Form anzureden. Deshalb seien eben die so geschaffenen Titel verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Wir sind dankbar dafür, daß die Arbeit dadurch nicht vergrößert worden ist. Aber - damit möchte ich zum Schluß kommen - wir bleiben der Hoffnung treu, die wir schon seinerzeit gehabt haben: daß eben doch die Kompliziertheit dieser vom Bundesverfassungsgericht nach wie vor für anredefähig gehaltenen Titel dazu führt, daß sich immer mehr Richter ganz schlicht als „Richter" und nicht mit irgendeinem anderen Titel anreden lassen, daß sie sich dabei sehr wohl und sehr geehrt fühlen und daß das Publikum zu einem so anzuredenden Richter mindestens das Vertrauen hat - mehr will ich gar nicht erwarten - wie zu den vielen Präsidenten und Vizepräsidenten, mit denen wir es früher zu tun hatten. Ich glaube, diese Hoffnung ist nicht unberechtigt. Ich meine in den letzten Jahren in zunehmenden Maße festgesellt zu haben, daß immer mehr Richter dazu übergehen, sich auch „Richter" zu nennen und nicht „Vorsitzender am..." ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es ist vorgeschlagen, den Antrag an den Rechtsausschuß - federführend - sowie an den Innenausschuß und den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - mitberatend - zu überweisen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen. Damit sind wir am Ende der Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 4. Juni 1975, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.