Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/23/1972

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Willy Brandt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000246

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der dritte Bericht dieser Bundesregierung über die Lage im geteilten Deutschland fällt zusammen mit der ersten Lesung der Verträge mit der Sowjetunion und Polen. Unser friedliches Streben nach deutscher Einheit und europäischer Einigung wird durch diese Verträge dem Vorwurf der Friedensstörung entzogen. Im September vergangenen Jahres ist es zur Berlin-Vereinbarung der Vier Mächte gekommen, und diese ist im Dezember durch Abmachungen der zuständigen deutschen Stellen ausgefüllt worden. Von den sechs Punkten, mit denen ich den vorjährigen Bericht zur Lage der Nation abschloß, haben sich die drei letzten erledigt. Die drei ersten will ich hier ausdrücklich bekräftigen. Erstens. Das in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegte Recht auf Selbstbestimmung muß im geschichtlichen Prozeß auch den Deutschen zustehen. Zweitens. Die deutsche Nation bleibt auch dann eine Realität, wenn sie in unterschiedliche staatliche und gesellschaftliche Ordnungen aufgeteilt ist. Drittens. Die auf Bewahrung des Friedens verpflichtete Politik der Bundesregierung erfordert eine vertragliche Regelung der Beziehungen auch zur DDR. Die in den 20 Punkten von Kassel niedergelegten Grundsätze und Vertragselemente bleiben die für uns gültige Grundlage für Verhandlungen. Die Erfahrung des zurückliegenden Jahres hat gezeigt, wie stark unsere Politik in den westlichen Gemeinschaften verankert ist und daß sie einen eigenen Beitrag zum Abbau von Spannungen zwischen Ost und West zu leisten vermag. Der amerikanische Präsident hat kürzlich davon gesprochen, daß 1971 eine Reihe von - ich darf ihn zitieren - „Durchbrüchen zum Frieden erzielt worden sind". Ähnlich wie die Vereinigten Staaten hat - so sieht es die Bundesregierung - auch die Bundesrepublik Deutschland aufgehört - ich darf wieder zitieren -, „auf Grundlage der Gewohnheiten von gestern zu reagieren, und damit begonnen, die Realitäten von heute und die Chancen von morgen zum Gegenstand ihres Handelns zu machen". Die Bundesregierung kann wie die Verbündeten darauf verweisen, daß ihre Erwartungen im zurückliegenden Jahr durch einige wichtige praktische Ergebnisse bestätigt worden sind. Das Berlin-Abkommen - und dies ist nicht nur unsere Wertung - hat den Frieden sicherer gemacht, weil es die Gefahr einer wirklich bedrohlichen Konfrontierung der Weltmächte reduziert, weil die zeitlich nicht begrenzte Anwesenheit der Drei Mächte in Berlin von der Sowjetunion nicht mehr in Frage gestellt wird, weil die Bindungen zwischen West-Berlin und dem Bund bestätigt sind und weil die Stadt zum erstenmal seit vielen Jahren wieder eine Perspektive der friedlichen Entfaltung bekommen wird. Manche Sorgen, die vor einem Jahr und in der Zwischenzeit geäußert wurden, sind gegenstandslos geworden. Den Berlin-Verhandlungen ist es gut bekommen, daß sie im wesentlichen aus dem Parteienstreit herausgehalten werden konnten. Die Bundesregierung würde es begrüßen, wenn dies auf anderen Gebieten der Entspannungspolitik fortgesetzt werden könnte. ({0}) Wenn das Berlin-Abkommen in Kraft tritt, wird es, meine Damen und Herren, mit einer Mehrzahl menschlicher Erleichterungen verbunden sein. Dies gilt vor allem für die Besuchsmöglichkeiten der Westberliner und für den Berlin-Verkehr. Im Vorfeld hat geregelt werden können, daß seit dem 1. Januar 1972 für die Benutzung der Transitwege keine individuellen Gebühren mehr entrichtet werden müssen. Außerdem haben zum Ende des vergangenen Jahres 150 Telefonleitungen zwischen West- und Ost-Berlin in Betrieb genommen werden können. Mit der DDR konnte eine Postvereinbarung geschlossen werden, die Verbesserungen und Beschleunigungen, auch im Päckchen- und Paketverkehr, gebracht hat. Telefon- und Telexleitungen wurden vermehrt. Als wichtiges Ereignis ist seit dem vorigen Bericht zur Lage der Nation aber vor allem das erste Abkommen festzuhalten, das Bundesregierung und Regierung der DDR geschlossen haben. Es geht in einer Reihe von Punkten über das hinaus, was zur bloßen Ausfüllung der Viermächtevereinbarung erforderlich gewesen wäre. Die Drei Mächte haben es uns gegenüber als konform mit der Vereinbarung bezeichnet, die sie mit der Sowjetunion getroffen haben. Die Berlin-Regelung - einschließlich dessen, was der Senat in eigener Zuständigkeit abgemacht hat - wird die Beteiligten von einem Krisendruck befreien, der in den zurückliegenden Jahren nicht hatte beseitigt werden können. Die Bundesregierung dankt allen, nicht zuletzt unseren alliierten Freunden, die zu diesem Ergebnis beigetragen haben. ({1}) Es ergibt sich aus der politischen Lage, daß die Berlin-Regelung insgesamt erst im Zusammenhang mit der Ratifizierung des Moskauer Vertrages in Kraft treten wird. Gestern ist in Ost-Berlin bekanntgegeben worden, daß - als Geste des guten Willens, wie man es nannte ({2}) neue Regelungen für den Reise- und Besucherverkehr zu Ostern und Pfingsten in Kraft gesetzt werden sollen. Ich möchte das positiv registrieren ({3}) und jetzt nur hinzufügen: Guter Wille dort wird gutem Willen hier begegnen. ({4}) Meine Damen und Herren! Gemessen an der Situation, die uns seit Jahren bedrückt, gemessen daran, daß die Verhältnisse nicht besser, sondern seit langem stetig schlechter geworden waren, ist heute die Chance einer partiellen Verbesserung gegeben. Trotz aller Gegensätze und Schwierigkeiten, die bleiben, können wir heute - anders als vor einem Jahr - feststellen, daß beide Regierungen in Deutschland große Anstrengungen unternommen haben, um ihre Berlin-Abmachungen zustande zu bringen. Gestützt auf diese Erfahrung sollte es möglich sein, auch in anderen Bereichen Fortschritte zu erzielen, die den beiderseitigen Interessen Rechnung tragen. Die Bundesregierung wird es auch weiterhin nicht an Bemühungen fehlen lassen, damit die Entspannung nicht um Deutschland herumgeht oder über es hinweggeht. ({5}) Bei jedem Abkommen zwischen Ost und West handelt es sich heute darum, ob - ohne Verwischen der grundlegenden Gegensätze - Konfrontation durch Verständigung über das praktisch Mögliche und Notwendige ersetzt werden kann. Die politisch Verantwortlichen in West und Ost stellen sich dieser Aufgabe. Wir dürfen uns ihr nicht entziehen. Von beiden Staaten in Deutschland wird erwartet, daß sie für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ihren Beitrag leisten. Inzwischen haben die beiden deutschen Regierungen in eigener Kompetenz und auf der Basis der Gleichberechtigung mit dem Versuch begonnen, einen praktisch wichtigen Sektor, nämlich den des Verkehrs, durch Vertrag zu regeln. Die Bundesregierung hat ihr Interesse an einem Verkehrsvertrag, der der parlamentarischen Zustimmung bedürfen wird, schon hier vor einem Jahr bekundet. Dabei geht es natürlich nicht nur um Eisenbahnen, um Autos und um Schiffe, sondern vor allem um die Menschen, die die Verkehrsmittel benutzen und die Möglichkeit bekommen sollen, sie umfassender und rascher zu benutzen. Die Bundesregierung muß auch heute wieder darauf hinweisen, daß solche Verhandlungen schwierig sind und daß positive Ergebnisse nur Schritt für Schritt erwartet werden können. Ich möchte - wie vor einem Jahr - vor übertriebenen Erwartungen warnen. Aber wir werden nichts unversucht lassen, um in den Bereichen, die dafür in Betracht kommen, Verbesserungen zu erreichen. Wir sind bereit - nach einem Verkehrsvertrag -, die Beziehungen zur DDR generell vertraglich zu regeln. Auch dabei wird es nicht nur um Formen gehen können, sondern es wird um das Interesse der Menschen gehen müssen. Es wird zu berücksichtigen sein, daß Verträge zwischen diesen beiden Staaten in gleicher Weise verbindlich sein müssen wie zwischen allen Staaten, daß die Rechte der Vier Mächte, die in dem Berlin-Abkommen gerade ihren Ausdruck gefunden haben, ihre Geltung behalten, denn es gibt bekanntlich keinen Friedensvertrag, und daß beide Staaten, bei all ihrer Unterschiedlichkeit und Gegensätzlichkeit, doch zur Nation in Beziehung stehen. Wir sind unserem Grundgesetz verpflichtet, und uns ist nichts davon bekannt, daß die Ausrichtung der DDR-Verfassung auf die Nation geändert werden soll. „Deutschland" und „deutsch" - das sind Begriffe, zu denen wir stehen und von den andere auch kaum weglaufen können. ({6}) Es hat nichts mit Juristerei zu tun und steht jedenfalls über der Kategorie des Völkerrechts, daß die Menschen in diesen beiden Staaten sich im Verhältnis zueinander nicht als Ausländer empfinden. Und die Regierungen in Deutschland sind gewiß gut beraten, auch diese Realität weder zu leugnen noch zu übersehen. Es ist wichtig, daß die Deutschen hüben und drüben mehr voneinander wissen. Dies ist auch der Grund dafür, daß wir zum zweitenmal Materialien über die gesellschaftliche Entwicklung in beiden Teilen vorgelegt haben. Herr Kollege Franke wird sich dazu morgen noch äußern. Ich will hier nur sagen: es handelt sich wiederum um eine Arbeit von Wissenschaftlern, die sich im Auftrag der Bundesregierung, aber in eigener Verantwortung, diesmal um eine sachliche Bestandsaufnahme auf wichtigen Rechtsgebieten bemüht haben. Die vorjährigen Materialien haben bei uns und im Ausland viel Beachtung gefunden. Die Behörden in der DDR haben hierin ganz zu Unrecht eine Einmischung gesehen. Uns liegt jede Störung fern. Wir würden es vielmehr begrüßen, wenn mehr Austausch und Zusammenarbeit der Wissenschaft auf beiden Seiten zugute kämen. In Ost-Berlin hat man es für erforderlich gehalten, sich von uns in der Bundesrepublik Deutschland politisch und ideologisch noch schärfer abzugrenzen. Wir müssen das hinnehmen und lassen uns unsererseits ja auch nicht davon abbringen, die Trennungslinie deutlich zu ziehen. Und das heißt, gerade die junge Generation auf die unersetzlichen Werte einer freiheitlich-demokratischen Staats- und Lebensform hinzuweisen. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf, daß die in der DDR Verantwortlichen es in der weiteren Entwicklung doch für möglich halten, einem Abbau der physischen Schranken zwischen den Menschen weniger furchtsam zu begegnen. Ich will hier noch einmal betonen: Der Gewaltverzicht der Bundesrepublik Deutschland schloß und schließt die Grenze zur DDR ein. Die Bundesregierung ist bereit, dies auch bilateral in aller Form und Verbindlichkeit festzulegen. Wir meinen, auf diese Weise dazu beitragen zu können, daß die Schrecken überwunden werden, durch die die härteste Grenze in Europa gekennzeichnet ist. Mauer, Minenfelder und Schießbefehl gab es bekanntlich, lange bevor diese Bundesregierung ihr Amt übernahm. Gemeinsam mit allen Kräften guten Willens wollen wir alle Beharrlichkeit und alle Zielstrebigkeit darauf verwenden, daß sich die Verhältnisse nach und nach zum Besseren wenden. Das heißt: Abbau der Spannungen, bessere Beziehungen zwischen Ost und West und dadurch bessere Bedingungen für das deutsche Volk in seiner Gesamtheit, freiere Bewegung für Menschen, Güter und geistige Werte nicht nur für die Deutschen in Deutschland, sondern für die Europäer in Europa. ({7}) Meine Damen und Herren! In unserer Regierungserklärung vom Oktober 1969 haben wir gesagt, daß die DDR für uns zwar ein Staat ist, zu dem wir unsere Beziehungen verträglich - gut, wenn es geht, jedenfalls durch Vertrag - gestalten wollen, daß sie aber Ausland für uns nicht sein kann. Als wir dies sagten, haben wir niemand diskriminiert, sondern nur eine schlichte, allen Deutschen vertraute Wahrheit ausgesprochen. Unsere Verhandlungspartner in Ost-Berlin vermeiden es, von den „beiden deutschen Staaten" zu sprechen, wie wir es tun. Aber aus dem Namen ihres Staates können sie - und wollen sie vermutlich - das Wort nicht entfernen. Bürger der DDR und unsere Landsleute aus der Bundesrepublik werden, wo immer sie außerhalb ihres Landes erscheinen, als das angesehen, was sie sind, nämlich als Deutsche. Wenn Touristen aus der DDR in einem Land, in das auch sie reisen dürfen, Touristen aus der Bundesrepublik treffen, dann erkennen sie sich und verhalten sie sich als Landsleute. Gegen diese elementare Tatsache hilft keine Formulierungskunst, denn sie ist das Werk, das Ergebnis eines guten Jahrtausends und nicht von bloßen 75 Jahren. ({8}) Die Deutschen in ihrer Gesamtheit sind in unseren Jahren keine Staatsnation, sie sind dennoch durch viel mehr als bloß die gemeinsame Sprache verbunden: im menschlichen Bereich noch immer durch unzählige familiäre Bande, im geistigen durch eine gemeinsame Geschichte und Literatur. Daß sich dies nicht ändert, bis in der Zukunft eine politische Verbindung möglich sein wird, dazu bedarf es jener Politik, die die Bewahrung der Nation erstrebt. Jede Politik, die der nationalen Einheit dienen will, muß jene Wirklichkeit erhalten helfen, die nicht erst 1871 anfing dazusein und die 1945 oder 1949 nicht aufhörte, dazusein. Sie ist auch heute noch da, jene Wirklichkeit der deutschen Nation, die auf dem Bewußtsein der Deutschen als einer geschichtlich gewordenen Gemeinschaft beruht. Dieses Bewußtsein und die auf ihm beruhende Wirklichkeit sind jedoch nicht ungefährdet. Deshalb kommt viel darauf an, der Jugend hüben und drüben das Gefühl für und das Wissen um das, was ihr trotz aller Teilung gemeinsam bleibt, zu erhalten oder wiederzugeben und damit ihr Verständnis dafür zu wecken, daß die gemeinsame Geschichte deutscher Leistungen, deutscher Irrungen und deutschen Leides mehr umfaßt, als irgendeine enge Doktrin auszuschöpfen vermag. Diese Geschichte hat die charakteristischen Eigenschaften unseres Volkes geprägt und wird unser aller Zukunft mitbestimmen. Ein geregeltes Verhältnis, einen vertraglich fixierten Modus vivendi zwischen den beiden deutschen Staaten herbeizuführen und dadurch die trennenden Schranken abzubauen, damit die Begegnung zwischen den Menschen einer Nation leichter wird, bleibt eine wichtige Aufgabe nationaler Politik. Sie hat auch europäische Bedeutung; sie ist jedenfalls nur europäisch zu lösen. Die Bundesregierung hat ihre deutsche Verantwortung. Dies kann jedoch nicht heißen, eine Außenpolitik mit Vorbehalten zu betreiben. Wir erkennen die Fakten in Europa an, und wir versichern unseren Freunden und Verbündeten, daß wir mit Klarheit und Entschiedenheit alle unsere politischen Schritte und Absichten an den Realitäten messen werden. Eine patriotische Politik in Deutschland kann heute nur eine europäische Politik sein. ({9}) Dabei arbeitet der geschichtliche Wandel heute schneller denn je, und er gräbt tief. Wir erleben alle, wie tief er das in Westeuropa und hier bei uns im letzten Vierteljahrhundert getan hat, wie er das Beschränkende und Feindliche verloren hat. Die Nationen bleiben, was sie sind, aber die Staaten nicht. Sie existieren in immer engerer Zusammenarbeit miteinander; reiner kann sich mehr wirklich unabhängig fühlen. Hier gibt es in gewissem Sinn Berührungen mit dem vornationalstaatlichen Zeitalter, als es beides gab, Nation und Staat, aber beide noch nicht dasselbe waren. Im übrigen: nicht auf allen Gebieten ist die DDR so weit von uns entfernt, wie wir es manchmal glauben. Ein Beispiel: Die Germanistik wird in der DDR sehr eifrig betrieben. Es entstehen Ausgaben deutscher Klassiker, die nach Auffassung der Kenner vollständiger und philologisch genauer überhaupt nicht sein können. ({10}) Eine Ausgabe der Werke Schillers liegt vor. Sie heißt „National-Ausgabe". An einer Sammlung der Werke, Briefe und Lebenszeugnisse Heinrich Heines wird gearbeitet. Das Institut, dem dieses auf 50 Bände berechnete Riesenunternehmen zu danken sein wird, trägt den Namen „Nationale Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur". Eine neue Heine-Ausgabe wird auch bei uns in Düsseldorf vorbereitet. Es wäre wohl sinnvoller und den beiden Seiten nicht abträglich, wenn sich beide gelehrte Arbeitskreise zusammengetan hätten. ({11}) Das konnte leider noch nicht sein. Bleibt die Hoffnung, in der Verdoppelung und der Konkurrenz und bei aller Gegensätzlichkeit der politischen Ordnungen dennoch dem zu dienen, was über Generationen und Richtungen hinweg Deutsche der europäischen Kultur gegeben haben. Zu unserer Deutschlandpolitik gehören gleichermaßen das Festhalten am Recht auf Selbstbestimmung, die Bewahrung der Nation, vertraglich geregelte Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Gleichzeitig mit diesem Bericht legt die Bundesregierung die Entscheidung über die Ostverträge in die Hände des Deutschen Bundestages. Diese Entscheidung wird für den großen Versuch dieser Jahre, das Verhältnis zwischen Ost und West zu verbessern und damit auch den Deutschen eine bessere Zukunft zu sichern, von ausschlaggebender Bedeutung sein. Die Politik, die wir hier, wenn es so weit ist, zu bestätigen und zu stützen bitten, dient Europa und dem Frieden; sie dient dem innerdeutschen Frieden und der Nation. ({12}) Präsident von Hassel: Ich danke dem Herrn Bundeskanzler für die Abgabe der Regierungserklärung. Das Wort hat nunmehr zur Einbringung der Ratifizierungsgesetze gemäß den Punkten 3 und 4 der Tagesordnung der Herr Bundesminister des Auswärtigen.

Walter Scheel (Minister:in)

Politiker ID: 11001949

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die allgemeine Lage der Welt, die den politischen Hintergrund für die Einbringung der Verträge von Moskau und Warschau bildet, ist ernst. Wir alle wissen, daß der zweite Weltkrieg Probleme hinterlassen hat, die ungleich gefährlicher sind als diejenigen, die zu den früheren Konflikten geführt haben. Ost und West in Europa, in Militärbündnissen zusammengefaßt, stehen einander hochaufgerüstet gegenüber. Die Trennlinie der Konfrontation verläuft mitten durch unser Land und teilt es gegen den Willen der Deutschen. Die BunBundesminister Scheel desrepublik und die DDR sind heute gegeneinander in stärkerem Maße abgeschlossen als gegenüber jedem anderen Land der Welt. Mauer und Stacheldraht, Mißtrauen und Ideologien trennen uns. Die nukleare Konfrontation der Weltmächte, zu denen China jetzt hinzugetreten ist, stellt die Menschheit vor ihre Existenzfrage wie nie zuvor in der Geschichte. Dies erklärt, warum der amerikanische Präsident sich in Peking aufhält und wenig gefragt hat nach protokollarischen oder formaljuristischen Bedenken gegen eine solche Reise. Er will nichts unversucht lassen, um noch einmal, bevor es zu spät ist, an die Stelle der Feindschaft die Vernunft und an die Stelle des Rüstungswettlaufs die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu setzen. Aus diesem selben Grunde wird er nach Moskau reisen. Bei seinen Moskauer Gesprächen wird er sich auf die ersten Ergebnisse der Verhandlungen stützen können, die seit Jahren zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten über die Begrenzung der strategischen Angriffswaffen geführt werden. Allenthalben in der Welt, meine Damen und Herren, sind Aggression und Gewalt im Vormarsch. Was Ortega y Gasset einmal den „vertikalen Einbruch der Barbarei" genannt hat, scheint sich in unseren Tagen abzuzeichnen. Die Kluft zwischen den industrialisierten Ländern und den Entwicklungsländern verbreitert sich. Das provozierende Gefälle zwischen reich und arm im Weltmaßstab könnte eines Tages den Nährboden für elementare Gewaltausbrüche bilden, deren Ausmaß wir uns heute noch gar nicht vorzustellen vermögen. Wenn der erste Weltkrieg noch 9 Millionen Tote, der zweite bereits 30 Millionen Tote gekostet hat, so wird ein neuer Weltkonflikt mit Sicherheit das Ende dieser unserer Zivilisation bedeuten, und niemand kann daran zweifeln, daß ein Konflikt zwischen Ost und West in Europa ein Weltkonflikt sein würde. Jedermann weiß, daß ein möglicher Konflikt in Europa dort seinen Ausgang nehmen würde, wo die Interessen und Armeen am dichtesten aufeinanderstoßen, nämlich entlang der Linie, die Deutschland in zwei deutsche Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung teilt. Diese Bundesregierung - so wie andere vor ihr - hätte ihre Verantwortung für das Wohl dieses Volkes auf das sträflichste mißachtet, wenn sie nicht versucht hätte, ihren Teil zur Entschärfung der Lage beizutragen. Sie weiß, daß es sich in der Lage, in der wir uns befinden, nicht nur um ungelöste Grenzfragen handelt, sondern daß die physische und biologische Erhaltung unseres Volkes auf dem Spiele steht. Das Friedensinteresse einer so arbeitsteiligen und hochindustrialisierten Gesellschaft wie der unsrigen muß noch größer sein als dasjenige anderer Staaten. Die geringste internationale Erschütterung ist geeignet, unseren anfälligen und gefährdeten Produktionsapparat in Unordnung zu bringen. Alle Krisen, sei es in Berlin, im Mittelmeer, im Mittleren oder Fernen Osten, haben eine direkte Auswirkung auf unsere Wirtschaft, die die Grundlage unserer Lebensverhältnisse bildet. Es liegt daher nahe, daß sich unser Staat, noch mehr als andere, um den Frieden bemüht und, wenn es sein muß, dafür auch Opfer bringt. Wenn ich „Staat" sage, meine Damen und Herren, dann meine ich nicht nur die Regierung, sondern alle, die politische Verantwortung tragen, in Regierung und Opposition. Die Bundesregierung bestreitet der Opposition nicht ihren Friedenswillen. Wie könnte sie das? Haben wir nicht alle die Schrecken des Krieges erlebt? Haben wir nicht alle gemeinsam, jeder auf seinen Wegen, es unternommen, nach 1945 nach innen und nach außen einen Staat aufzubauen, der für sich in Anspruch nehmen kann, aus der Geschichte gelernt zu haben? Es gibt keinen vernünftigen Grund, daß sich die demokratischen Kräfte in diesem Lande heute zerstreiten, wo sie gemeinsam eine Demokratie errichtet haben, die ihre Leistungen erbracht hat und die sich in der Welt sehen lassen kann. Die Fraktion der FDP, der ich angehöre, meine verehrten Kollegen, hat die Verwirklichung der Westverträge in den 50er Jahren mitgetragen und mitverantwortet, zusammen mit der heutigen Opposition. Das ist für uns nicht der Augenblick, die Leistungen der Vergangenheit, die darin liegen, zu verleugnen. Diese liberale Fraktion trägt und verantwortet heute zusammen mit der Opposition von gestern die Ostverträge, die die notwendige Ergänzung zu den Westverträgen darstellen. So wie die kleine Gruppe der Liberalen im englischen Unterhaus den Ausschlag für das englische Ja zu Europa gegeben hat, so schicken wir, die deutschen Liberalen uns an, das Ja zum Frieden und zur Entspannung in Europa zu sichern. ({0}) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn wir in fairer Grundeinstellung an die vor uns liegende Debatte herangehen, werden wir diesem Staat nach außen und nach innen einen großen, vielleicht einen entscheidenden Dienst erweisen. Nach außen, weil die Welt in diesen Tagen auf den Deutschen Bundestag blickt. Sie will nicht nur wissen, was für und was gegen die Verträge gesagt wird, die Welt wird vor allem auf die Halbtöne hören, die ihr vielleicht Rückschlüsse auf das innere, das tiefere Denken unseres Volkes ermöglichen. Noch wichtiger als die Frage, mit welcher Mehrheit die Verträge verabschiedet werden, wird sein, ob wir uns den Frieden nicht nur als Ziel gewählt haben, sondern ob wir auch eine Sprache des Friedens führen. Gelegentlich wird darauf hingewiesen, daß die Weimarer Republik zugrunde gegangen sei, weil die Mitte und die Rechte des Reichstags den braunen Faschismus unterschätzt hätten. Das mag zum Unheil beigetragen haben. Mit Sicherheit war es die Unfähigkeit jener Republik, die Spielregeln und die Würde des Parlaments zu achten. Sie hat jenen Weimarer Staat der Verachtung durch die eigenen Bürger preisgegeben. Dann erst, auf den Trümmern des Parlaments, konnte der braune Faschismus ins Kraut schießen. Meine Kollegen, dies ist eine große Stunde für unser Parlament und unseren Staat. Der Bundesrat hat mit seiner sachlichen und würdigen Debatte eine Norm gesetzt. Ich möchte wünschen, daß wir sie beachten. Die Art und Weise, wie wir diese Debatte führen, wird aber auch für die Zukunft unseres Landes von Bedeutung sein. Wollen wir sie so führen, daß der nationalen Teilung ein innerer Graben in der Bundesrepublik hinzugefügt wird? Soll nach der Annahme der Verträge, einer Annahme mit vielleicht geringer Mehrheit, der Kampf gegen die Verträge weitergehen, und sollen damit die in ihnen liegenden Chancen im Keim erstickt werden? Oder sollen die Objektivität und die Sachlichkeit der Debatte den Beweis erbringen, daß bei uns jenes Maß an disziplinierter Selbstkontrolle herrscht, das in dieser Welt heute und in Zukunft erforderlich ist? Gemeinsam wollen wir den Beweis der Zuverlässigkeit und der demokratischen Reife erbringen. Die Bundesregierung ist jedenfalls entschlossen, ihre Darlegungen in einem Geist und einem Ton zu machen, die den inneren Frieden für die Zukunft intakt lassen. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung steht vor der schwierigen Aufgabe, zu überzeugen, wo die Entscheidung schon getroffen worden ist. Auch das, was in den Ausschüssen von der Bundesregierung an Information und Argumenten noch geliefert werden wird, wird gegen den Beschluß der Oppositionsfraktion, zu den Verträgen nein zu sagen, wahrscheinlich wenig ausrichten. Gleichwohl würde diese Regierung ihrer Aufgabe und ihrer Verantwortung nicht gerecht, wenn sie nicht alles täte, um noch einmal in der eindringlichsten Weise die Bedeutung der Verträge für den Frieden und für die Zukunft dieses Landes vor aller Welt klarzumachen. Einen ersten Test haben die Verträge erfolgreich bestanden. Ohne sie würde es eine Berlin-Regelung nicht geben. ({1}) Das Viermächteabkommen über Berlin aber war der Prüfstein - nicht nur für uns -, ob die Sowjetunion bereit sein würde, über Entspannung nicht nur zu reden, sondern sie auf der Grundlage eines vertretbaren Kompromisses auch konkret zu vereinbaren. Daher sagte der amerikanische Präsident, daß diese Regelung ein Meilenstein gewesen ist, daß es dieses Berlin-Abkommen ihm ermöglicht habe, den Weg nach Moskau zu gehen. An die erwiesene Bereitschaft zum Kompromiß knüpfen sich die Erwartungen, auch auf anderen Gebieten zu Regelungen zu kommen. Das ist die Bedeutung dieser Abmachung. Meine Damen und Herren, der Kern unserer Ost-West-Politik, das Verhältnis zwischen den beiden Staaten in Deutschland, wird von diesen Verträgen natürlich beeinflußt. Sie haben ein Recht darauf, zu erfahren, ob die Perspektive der Einheit Deutschlands mit den Verträgen verbessert oder ob die Spaltung Deutschlands vertieft wird. Diese Debatte gibt Gelegenheit, darüber zu diskutieren. Nicht nur dieses Parlament, sondern das ganze deutsche Volk hat ein Recht auf diese Antwort; denn die deutsche Frage bleibt für uns - und ich meine, für uns alle - im Mittelpunkt unserer Entspannungsund Friedenspolitik. Diese Bundesregierung würde jedoch ihre Pflicht in bedenklicher Weise verletzen, wenn sie es unterlassen würde, auf die möglichen Folgen einer Ablehnung der Verträge hinzuweisen. Die Bundesregierung muß mit dem gebotenen Ernst die Frage nach der Alternative stellen - das ist eine Frage, die zu beantworten die Opposition uns schuldet. ({2}) Denn welches wäre der Wert eines ablehnenden Votums, wenn es nicht abgesichert wäre durch eine tragfähige und erfolgversprechende Alternative? ({3}) Lassen Sie mich zum Inhalt der Verträge Stellung nehmen. Erstens. Die Verträge enthalten einen umfassenden Gewaltverzicht. Danach ist nicht nur die Anwendung von Gewalt, sondern auch die Drohung mit Gewalt ausgeschlossen. Dieser Ausschluß gilt für alle Aspekte der gegenseitigen Beziehungen zwischen den Vertragspartnern. Er bedeutet, daß alle Streitfragen ausschließlich mit friedlichen Mitteln zu lösen sind. Worin liegt die politische Bedeutung dieses Gewaltverzichts? Die Sowjetunion kann sich jetzt nicht mehr wie noch 1969 auf ein angebliches Interventionsrecht aus den Artikeln 53 und 107 der Satzung der Vereinten Nationen berufen. Das wurde ausdrücklich durch den sowjetischen Außenminister bestätigt. ({4}) - Nun, das steht im Vertrag in Art. 2, man braucht ihn nur einmal durchzulesen. Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Wir können ihn doch auch lesen!) Zweitens. Diese Verträge enthalten eine Aussage über die Grenzen. Sie schaffen keine Rechtsgrundlagen für bestehende Grenzen und enthalten keine Stellungnahme zur Entstehung dieser Grenzen. Sie enthalten aber Verpflichtungen. Im deutschsowjetischen Vertrag verpflichten sich die Partner, die Grenzen als unverletzlich zu achten. Das bedeutet, sie können nicht mit Gewalt geändert werden. Eine friedliche und einvernehmliche Änderung der Grenzen ist damit natürlich nicht ausgeschlossen. Das hat der sowjetische Außenminister ebenfalls ausdrücklich bestätigt. Ferner haben in dem deutschsowjetischen Vertrag beide Seiten erklärt, daß sie keine Gebietsansprüche haben. Das entspricht unserer bisherigen Politik. Die Bundesrepublik hat auch in der Vergangenheit keine Gebietsansprüche geltend gemacht, weder auf die Gebiete jenseits von Oder und Neiße noch auf das Gebiet der DDR. Die Einheit Deutschlands wird nur dadurch erreicht, daß die Bundesrepublik das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes zur Grundlage einer solchen Entwicklung macht. ({5}) Daß eine Politik, die darauf abzielt, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt, nicht gegen diese Bestimmungen des Vertrages verstößt, ergibt sich - um das zu beantworten - aus dem Brief zur deutschen Einheit, den ich anläßlich der Unterzeichnung des Moskauer Vertrages an den sowjetischen Außenminister richtete. Dieser Brief wurde von der sowjetischen Seite ohne Widerspruch entgegengenommen. ({6}) Im deutsch-polnischen Vertrag ist die Aussage zur Grenze konkretisiert. Diese Aussage stellt klar, daß die Bundesrepublik die Oder-Neiße-Linie als Westgrenze Polens nicht mehr in Frage stellt. Dies bedeutet, daß die Gebiete jenseits dieser Grenze von der Bundesrepublik Deutschland für die Dauer ihrer Existenz als polnisches Staatsgebiet zu betrachten und zu respektieren sind, wenngleich eine friedensvertragliche Regelung für Deutschland noch nicht zustande gekommen ist und die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in bezug auf Deutschland als Ganzes fortbestehen. Diese Grenzregelung hat nichts mit den. Individualrechten der Deutschen, die in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße leben, zu tun. Diese Rechte waren nicht Gegenstand der Verträge. Ich habe, um das klarzustellen, in den Verhandlungen förmlich erklärt, daß niemand durch den Vertrag Rechte verliert, die ihm nach den Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland zustehen. Der deutsch-polnische Vertrag schafft allerdings kein Optionsrecht für die Deutschen jenseits von Oder und Neiße. Im Zuge der Verbesserung unserer Beziehungen zu Polen eröffnet er uns jedoch die Möglichkeit, uns für diese Deutschen zu verwenden. Drittens. Beide Verträge enthalten eine Bestimmung, in der klargestellt wird, daß früher geschlossene Verträge der Vertragspartner nicht berührt werden. Das gilt auch, wie unseren Vertragspartnern bekannt ist, für den Deutschland-Vertrag, den wir mit unseren drei westlichen Verbündeten abgeschlossen haben. Dort heißt es, daß sich die Unterzeichnerstaaten darüber einig sind, daß ein wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik eine frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland ist, und daß sie sich weiterhin darüber einig sind, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu dieser Regelung aufgeschoben werden muß. Damit ist klargestellt, daß die Bundesrepublik nur für sich, nicht für einen gesamtdeutschen Souverän sprechen kann. Ferner ist gesichert, daß die Rechte der Vier Mächte hinsichtlich Deutschland als Ganzes unberührt bleiben. Viertens. Beide Verträge enthalten schließlich als Ziel der Vertragspartner die Normalisierung der Beziehungen. Diese Normalisierung soll sich auf alle Bereiche in den gegenseitigen Beziehungen erstrecken. Sie ist das eigentliche politische Ziel der Verträge, das in die Zukunft weist. Die Rechte und Verpflichtungen aus den Verträgen sind eindeutig formuliert. Sie geben keinen Anlaß zu einem Dissens zwischen den Vertragspartnern. Völkerrechtliche Verträge sind grundsätzlich von ihrem Wortlaut her auszulegen; ihre Auslegung kann nicht über das hinausgehen, worüber zwischen den Vertragspartnern Einigung erzielt worden ist. Auch die Verpflichtungen hinsichtlich der Respektierung der Grenzen sind eindeutig. Entspannung und Normalisierung, meine Damen und Herren, sind die Grundpfeiler des politischen Prozesses in Europa, der von beiden Seiten in Europa getragen wird und dessen Ziel die Erhöhung der Sicherheit in Europa ist. Davon werden natürlich spezifische politische Zielvorstellungen, die die jeweiligen Vertragspartner haben mögen und die sie vielleicht auch mit den Verträgen verbinden, nicht berührt. Diese Zielvorstellungen sind ebensowenig in den beiden Verträgen wie in anderen völkerrechtlichen Verträgen Gegenstand der Regelung. Sie konnten es auch gar nicht sein. Es liegt in der Natur des Menschen begründet, daß er den Wunsch nach Entspannung und Frieden in ruhigen Zeiten nicht so deutlich bekundet wie in Augenblicken der Krise. Konrad Adenauer wußte, wovon er sprach, als am 20. November 1958, auf dem Höhepunkt der Berlin-Krise, zum sowjetischen Botschafter Smirnow sagte: Oberstes Ziel jeglicher Politik muß es sein, eine Entspannung der Weltlage anzustreben. Demgegenüber hat alles andere zurückzutreten! Wir, die Abgeordneten des Bundestages, sollten uns solcher Einsichten nicht nur entsinnen, wenn eine Krise vor der Tür steht oder sie schon ausgebrochen ist. ({7}) Diese Bundesregierung hat jedenfalls vom ersten Tage ihrer Regierungszeit an ihr Sinnen und Trachten auf die Verwirklichung einer Entspannung zwischen Ost und West in Europa gerichtet. Entspannung entsteht nicht dadurch, daß man von Entspannung redet und sich vielleicht auch einer gemäßigten Sprache bedient. Entspannung ist nur dort möglich, wo ein Minimum an Vertrauen entsteht, wo die Vernunft langsam die Oberhand über Vorurteile und Mißtrauen gewinnt. Aber da gibt es - so wird man einwenden - die ungelösten Probleme, die uns der zweite Weltkrieg beschert hat. Wie wollen wir zu Entspannung kommen, wenn sich die Probleme als unlösbar erweisen, wie ,die Erfahrung von mehr als 25 Nachkriegsjahren gezeigt hat? Meine Antwort ist einfach: Gerade weil wir es in unserem Verhältnis zu Osteuropa mit Fragen zu tun haben, die heute - heute - unlösbar sind, brauchen wir Entspannung und Zusammenarbeit. In der gefährlichen Welt, in der wir leben, können wir nicht immer sicher sein, daß sich die Entspannung einstellt, wenn wir sie gerade brauchen. ({8}) Auch angesichts der heute unlösbaren Fragen, die man das Deutschlandproblem nennt, ist die Entspannung und Zusammenarbeit zwischen Ost und West in Europa möglich, und zwar durch den gegenseitigen, vertraglich vereinbarten Gewaltverzicht auf der Grundlage des Status quo. Ohne einen solchen Gewaltverzicht, ohne eine klare und rückhaltlose Äußerung zum Status quo gibt es weder Entspannung noch Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Ländern. Hiervon müssen wir ausgehen, meine Damen und Herren, und hiervon muß auch jeder ausgehen, der zu einem besseren Verhältnis zu den Völkern Osteuropas kommen will. ({9}) Bereits 1966 hat der damalige amerikanische

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Unsere Aufgabe ist es, eine Wiederversöhnung mit dem Osten zu erreichen, einen Übergang von der engen Konzeption der Koexistenz zu der größeren Vision des friedlichen Engagements ... Hand in Hand mit diesen Maßnahmen - so sagte er zur Stärkung der Ost-West-Beziehungen müssen Maßnahmen zur Beseitigung der territorialen Grenzstreitigkeiten gehen, die eine Quelle von Spannungen und Reibungen in Europa bilden. Nun, meine Damen und Herren, die vorliegenden Verträge schaffen die Voraussetzung dafür, daß trotz der ungelösten Probleme eine genügend tragfähige Grundlage für den politischen Dialog mit dem Osten und eine für beide Seiten vorteilhafte wirtschaftliche, technologische, wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit zustande kommt. Auch hier gilt, daß man wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht erst dann herstellen kann, wenn sie am dringendsten gebraucht wird. Regieren heißt ja voraussehen, meine Damen und Herren. ({0}) Am 9. Februar dieses Jahres sagte Präsident Nixon in seinem Bericht an den Kongreß: Die Vier Mächte erzielten eine Übereinkunft über Berlin, die dazu bestimmt ist, die ständigen Krisen über dieser Stadt in der Nachkriegszeit zu beenden und die Lage der tapferen Bevölkerung West-Berlins in konkreter Weise zu verbessern. Zum erstenmal ergab sich die Aussicht auf konkrete Gespräche mit dem Osten über andere ungelöste Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Ich habe vorhin schon erwähnt, daß es ohne Gewaltverzicht und ohne Beachtung der Realitäten dieses Berlin-Abkommen nicht gegeben hätte. Und selbst der grimmigste Kritiker dieser Regierung wird ihr zugestehen müssen, daß während der Verhandlungen in Moskau die Sorge um die Lebensfähigkeit Berlins ihr Handeln und ihre Schritte täglich bestimmt hat. ({1}) Kein Mitglied der damaligen Verhandlungsdelegation, meine Damen und Herren, wird vergessen, wie in der letzten Nacht der Verhandlungen vor der Paraphierung alle Beteiligten innerlich auf das äußerste angespannt waren, als ich meinem sowjetischen Kollegen immer noch einmal wiederholte, daß es ohne eine befriedigende Berlin-Regelung keinen Vertragsabschluß geben könne. Ich habe Herrn Gromyko den Kabinettsbeschluß vom 23. Juli 1970, den ich auch hier noch einmal in Erinnerung bringen darf, wörtlich verlesen. Das Kabinett sagte damals: Der Rahmen, in dem sich die Verhandlungen halten werden, ist durch den Auftrag des Grundgesetzes zur Wahrung der Einheit der deutschen Nation, durch die Rechte und Verantwortlichkeiten der Drei Mächte für Deutschland als Ganzes und Berlin und durch die internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland gegeben. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß Fortschritte in der europäischen Entspannung untrennbar verbunden sind mit Fortschritten in Richtung auf eine befriedigende Regelung der Lage in und um Berlin. Ein Gewaltverzichtsvertrag wird daher erst dann in Kraft gesetzt werden können, wenn entsprechende Vereinbarungen vorliegen. Meine Damen und Herren, inzwischen liegt das Ergebnis der langwierigen und schwierigen Verhandlungen über Berlin vor uns. ({2}) Nie zuvor in der Geschichte der modernen Diplomatie hat es eine so enge Abstimmung, ein so enges Zusammenwirken verbündeter Staaten gegeben, wie dies in diesen Verhandlungen zwischen den drei Westmächten und uns der Fall war. Für die Solidarität, die sie uns gegenüber bewiesen haben, und für die mit den Verhandlungen verbundenen ungewöhnlichen Anstrengungen schulden wir den drei westlichen Verbündeten Dank, auch den Dank dieses Hohen Hauses. ({3}) Die Gerechtigkeit gebietet es, auch die Bereitschaft der Sowjetunion anzuerkennen, trotz aller Schwierigkeiten, trotz Zähigkeit zu einem positiven Abschluß beizutragen. ({4}) Und schließlich sollten wir nicht vergessen, daß auch die Mitwirkung der DDR notwendig war, um zu dem vorliegenden Ergebnis zu kommen. Die Opposition war zunächst ganz konsequent, wenn sie erklärte, die Berlin-Regelung werde der Prüfstein für die Qualität der Verträge sein; sie würde auch ein Test für die Bereitschaft der Sowjetunion, zur Entspannung beizutragen, sein. Jetzt, nachdem eine befriedigende Berlin-Regelung darauf wartet, in Kraft gesetzt zu werden, ({5}) ist bei Ihnen, meine Damen und Herren, davon allerdings weniger die Rede. ({6}) Die Berlin-Regelung - und ich nehme an, daß Sie mir da zustimmen werden - öffnet und sichert die Wege von und nach Berlin und von Berlin zu uns, sie öffnet den Berlinern eine Pforte zu Besuchen in der DDR, ({7}) sie bringt die Anerkennung der Bindungen WestBerlins an den Bund, ({8}) sie festigt die internationale Position Berlins und seine Vertretung durch die Bundesrepublik und bestätigt die Viermächteverantwortlichkeit für Berlin. Damit, meine Damen und Herren, ist ein hochempfindliches krisenträchtiges Problem vertraglich unter Kontrolle gebracht worden. ({9}) Es ist uns gelungen, darüber hinaus erhebliche praktische Verbesserungen zu erreichen. Die Visagebühren sind pauschaliert worden, die Fernmeldeund Fernschreibverkehrsverbindungen zwischen Berlin und der DDR sind ausgeweitet worden. Das klingt bescheiden, meine Damen und Herren, ({10}) das klingt für Sie vielleicht bescheiden; für einen Berliner, der seit zehn Jahren nur noch unter großen Schwierigkeiten mit seinen Verwandten und Bekannten in Ost-Berlin und der DDR telefonieren konnte, sieht sich die Sache anders an. ({11}) Niemand konnte erwarten, daß eine Berlin-Regelung die Mauer zum Verschwinden bringen würde. Aber mit dem Abkommen ist sicher eine Forderung auch der Opposition erfüllt worden: die Mauer ist mit dem Abkommen durchlässiger geworden. ({12}) - Ich warte auf Ihre Reaktionen, meine Damen und Herren. Wir brauchen diese Reaktion. Ich bin wirklich manchmal erstaunt. Die Bundesregierung bringt die beiden Verträge jedenfalls mit dem guten Gefühl ein, für die Lebensfähigkeit Berlins und für das Los seiner Bürger mehr erreicht zu haben, als viele von uns, wenn sie aufrichtig sind, vor einigen Jahren zu hoffen wagten. ({13}) Was sagte doch der damalige amerikanische Außenminister Dean Rusk 1968 auf der NATO-Konferenz: Wenn man die Pauschalierung der Zugangsgebühren erreichen könnte, so wäre dies wohl eine große Sache. Die Pauschalierung der Gebühren damals eine große Sache! Vergleichen Sie damit doch einmal den Inhalt des Viermächteabkommens über Berlin. Nun, meine verehrten Kollegen, es wird sich immer jemand finden, der die Dinge ins Gegenteil zu verkehren versteht. Er wird erklären, daß sich das Parlament mit der Berlin-Regelung nicht unter Druck setzen lasse. Darum kann es sich auch nach der Auffassung der Bundesregierung gewiß nicht handeln. Meine Damen und Herren, bedenken Sie aber, bevor Sie so etwas aussprechen, wie die Lage Berlins war und wie sie mit der Regelung sein wird. Handeln Sie im Sinne der Präambel des Grundgesetzes wenigstens für diejenigen, für die Sie jetzt wirklich handeln können, für die Berliner, ({14}) Ich darf nunmehr einmal an etwas erinnern, was der Kollege Barzel hier im Bundestag vor zwei Jahren gefragt hat: Was also, Herr Bundeskanzler, werden Sie erklären, oder was würden Sie erklären, falls die Sowjetunion Ihnen - wie 1968 uns zusammen -- er meinte: in der Regierungszusammenarbeit - die Frage anträgt: Seid ihr - die Deutschen bereit, nicht nur auf Gewalt, sondern auch auf friedliche Veränderung der deutschen Dinge mit dem Ziel der Selbstbestimmung des deutschen Volkes zu verzichten? Das ist der Kern, das ist die Frage. So die Frage von Herrn Barzel im Bundestag. Herr Dr. Barzel, ich kann Ihnen zu diesem Komplex sagen, was ich selbst dazu in den Verhandlungen in Moskau vorgetragen habe. Auf der Verhandlungssitzung am 30. Juli 1970, in der ersten Phase der Verhandlungen, habe ich folgendes dazu gesagt: Es muß volle Klarheit herrschen, wenn der Vertrag zur Grundlage besserer Beziehungen und schließlich hoffentlich freundschaftlicher Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern werden soll. Daher darf ich wiederholen: Für jede Bundesregierung, gleich wie sie aussieht, bleibt die Einheit der Deutschen ein unverzichtbares politisches Ziel. Ich sage das, um klarzumachen, daß eine friedliche Politik, die auf diesen Prinzipien - Gewaltverzicht, Achtung der territorialen Integrität, keine Verletzung der Grenzen - beruht und der Einheit der Deutschen im Rahmen einer europäischen Friedensordnung dient, keine Verletzung des Vertrages darstellt. ({15}) Ich weise noch einmal darauf hin, daß wir einer ausführlichen Erwähnung der Grenze - ich zitiere immer noch aus meinen damaligen Ausführungen in Moskau zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR in dem Artikel über die Achtung der territorialen Integrität zugestimmt haben. Was wir nicht aufgeben können, ist das Recht der Regierung und der Bevölkerung, die nationale Einheit im Rahmen einer europäischen Friedensordnung und auf ,der Grundlage der freien Selbstbestimmung mit friedlichen Mitteln anzustreben. Es wäre niemandem in Europa damit gedient, wenn man ein Volk dazu bringen wollte, seine Identität zu verleugnen. Deshalb haben wir mit großer Befriedigung Ihre Erklärung - Gromykos Erklärung über das Recht der Völker und Staaten, sich friedlich zu vereinigen, zur Kenntnis genommen. Herr Barzel, das ist die Antwort auf Ihre Frage gewesen. Das Ergebnis dieser Verhandlungen war der Brief zur deutschen Einheit. Er gehört zusammen mit den anderen begleitenden Dokumenten zu den Ratifizierungsunterlagen. Ich möchte seinen Inhalt, der von der sowjetischen Seite unwidersprochen entgegengenommen worden ist, hier noch einmal zitieren: Sehr geehrter Herr Minister, im Zusammenhang mit der heutigen Unterzeichnung des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken beehrt sich die Regierung der Bundesrepublik Deutschland festzustellen, daß dieser Vertrag nicht im Widerspruch zu dem politischen Ziel der Bundesrepublik Deutschland steht, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Genehmigen Sie, Herr Minister, die Versicherung meiner ausgezeichnetsten Hochachtung. Es folgt die Unterschrift. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist weder so illusionistisch, zu glauben, noch so unaufrichtig, andere glauben zu machen, als sei uns mit diesem Brief eine politische Waffe in die Hand gegeben, mit der wir die Wirklichkeit, die traurige Wirklichkeit der deutschen Teilung aus den Angeln heben könnten. Dieser Brief zur deutschen Einheit hält zusammen mit anderen Teilen des Vertragswerkes die deutsche Frage offen. Meine Damen und Herren, das ist schon etwas, und das war gar nicht so selbstverständlich, wie sich das heute vielleicht für manchen ansehen mag. Hätte die Opposition im Sommer 1970, der Einladung der Bundesregierung folgend, einen Vertreter ({16}) zu den Verhandlungen entsandt, dann hätte sie sich an Ort und Stelle ein Bild von der Härte der Verhandlungen, insbesondere in dieser Frage, machen können. ({17}) Nein, meine Damen und Herren, die Wirklichkeit der Teilung kann man nicht mit juristischen Vorbehalten wegzaubern. Sie ist die unmittelbare Folge des von Hitler angezettelten und von uns allen verlorenen Krieges. ({18}) Und jeder, der diese Teilung kennt, wie wir sie in Erfurt und Kassel erlebt haben, der weiß, daß die Teilung kaum noch vertieft werden kann, es sei denn durch eine Politik, die sich auf Deklamationen beschränken würde. ({19}) Nein, wenn es einen Weg zur Einheit der Nation gibt, dann nur über eine allgemeine Entspannung in Europa, die tragfähig genug ist, das Trennende zwischen uns und der DDR in den Hintergrund treten zu lassen. Nicht die friedliche Konkurrenz der beiden deutschen Staaten um den besten Beitrag zum Frieden und zur Zusammenarbeit vertieft die Spaltung weiter. Wenn etwas die beiden Teile noch weiter und endgültig voneinander entfernen kann, dann ist es die Indifferenz, die sich hinter unerfüllbaren Forderungen verbirgt. ({20}) Meine Damen und Herren, wenn auf der Grundlage dieser Vertrage Entspannung und Zusammenarbeit zwischen Ost und West in Europa in Gang kommen, dann wird auch das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander eingebettet sein in ein Klima, in dem es leichter sein wird, mehr Austausch, mehr Kommunikation und mehr Freizügigkeit zu erreichen. Wer aber Angst vor der eigenen Courage hat, ({21}) wer befürchtet, mehr Kommunikation und Freizügigkeit importiere bei uns den Kommunismus, ({22}) der erhebt doch indirekt die Forderung, die Regierung der DDR müsse erst kapitulieren, bevor es zu Kontakten mit der Bundesrepublik kommen darf. ({23}) Von beiden können wir nur eines haben: entweder wir folgen dem Beispiel Honeckers und grenzen uns ab aus Furcht vor Ansteckung, oder wir sind uns der Stärken der freiheitlichen Ordnung bewußt und trauen uns den friedlichen Wettbewerb mit der DDR überall dort, wo er möglich ist, zu. ({24}) Die Frage, ob der Kommunismus bei uns eine Chance hat, wird von uns, ganz allein von uns, entschieden, - und davon machen die Universitäten keine Ausnahme, meine Damen und Herren. ({25}) Die Verträge sind ein Kernstück der friedlichen Koexistenz zwischen West und Ost und der Sicherheit in Europa. Die Bundesrepublik Deutschland will mit ihnen nicht nur ihre eigene Lage verbessern, auch nicht nur die Lage Berlins verbessern. Wir sehen in den Verträgen einen wichtigen Beitrag zur Stabilität unseres Kontinents. Die Verträge fördern das, was die Europäer erhoffen: die Milderung der Spaltung des alten Weltteils durch friedlichen Austausch und Zusammenarbeit. 1815, auf dem Wiener Kongreß, war es noch die europäische Staatskunst, die die Folgeprobleme der napoleonischen Kriege löste. 1918, in Versailles, fehlte Rußland. Dann zog Amerika sich zurück. Es gelang nicht, ein Gleichgewicht zu schaffen. 1945, in Potsdam, hatte Westeuropa so gut wie kein Gewicht mehr. Diese Verträge, als Teil westeuropäischer Politik konzipiert, in ständigen Konsultationen mit den Bündnispartner erarbeitet, künden an: das wiedererstandene Westeuropa beginnt Herr seiner eigenen Probleme zu werden. Die Politik, die zu den Verträgen geführt hat, hat wesentlich zum Zusammenhalt des sich gestaltenden Westeuropas beigetragen. Es war kein leeres Wort, als wir vor den Verhandlungen sagten, unsere gesamte Osteuropapolitik baue auf der fortschreitenden Integration Westeuropas auf. In anderen Fragen mag es Nuancen und Meinungsverschiedenheiten unter Europäern geben; was unsere Osteuropapolitik angeht, bestehen keine. Präsident Pompidou sagte noch am 11. dieses Monats in Paris: In den Beziehungen zum Osten haben wir eine vollendete Übereinstimmung zwischen der Politik der Bundesrepublik und der französischen Politik festgestellt. Ich hatte Gelegenheit, - so sagte er dem Bundeskanzler erneut die vorbehaltlose Unterstützung zu bestätigen, die wir seiner Politik auf diesem Gebiete zollen. Soweit Pompidou! Der britische Außenminister Douglas-Home äußerte sich am 13. Februar noch: Die britische Regierung hat die Ostpolitik von Anfang an voll unterstützt und hat die Verträge von Moskau und Warschau als wichtige Beiträge zu den Beziehungen zwischen Ost und West begrüßt. Blicken wir doch einmal auf das, was seit Beginn unserer Regierungszeit in Westeuropa geschehen ist. Wir haben den inneren Ausbau der Gemeinschaften, wie er in den Römischen Verträgen vorgesehen ist, vollendet. Mit der Wirtschafts- und Währungsunion haben wir den ersten Schritt zu einem geschlossenen Binnenmarkt mit freiem Verkehr von Menschen, Gütern und Kapital getan. Die Erweiterung der Gemeinschaften ist gelungen. Damit ist der Stein aus dem Wege geräumt, der die Fortentwicklung Europas seit den sechziger Jahren blockierte. Die politischen Konsultationen erst der Sechs, dann der Zehn, sind in Gang gekommen. Was mit dem Fouchet-Plan 1962 endgültig gescheitert schien, konnte damit wieder auf den Weg gebracht werden. Unsere Ostpolitik, die europäische Ostpolitik, hat die Stagnation überwunden. Die Europäer haben sich zu einer gemeinsamen Standortbestimmung in dieser Politik aufgerafft. Sie haben daraus identische Konsequenzen gezogen. Hieraus sind die ersten Ansätze einer gemeinsamen Politik für die Zukunft erwachsen. Niemand auf der Welt verkennt dies, auch die Sowjetunion nicht. Das ist doch das Entscheidende. Es kommt doch nicht auf die förmliche Anerkennung der Europäischen Gemeinschaften an, von der uns die Juristen der Kommission in Brüssel noch letzte Woche sagten, so etwas gebe es überhaupt nicht. Es kommt doch darauf an, daß der dynamische Prozeß der europäischen Einigung, wirtschaftlich und politisch, von jedem als unabänderlich betrachtet wird und daß daraus die richtigen Folgerungen für Entspannung und für Zusammenarbeit gezogen werden. ({26}) Ich habe während der Verhandlungen in Moskau und danach bei jedem Gespräch mit sowjetischen Politikern darauf hingewiesen, daß auch diese Entwicklung Teil einer europäischen Realität sei. Lassen Sie mich hierzu aus einer Aufzeichnung über meine Gespräche in Moskau vom 28./29. November 1971 zitieren. Dort heißt es: Der Bundesminister des Auswärtigen wies auf die entscheidende Bedeutung der Gemeinschaft im Welthandel hin. Er schilderte ausführlich und eindringlich die Integrationsautomatik, insbesondere den Beginn der Übergangsphase der Gemeinschaften vom 1. Januar 1973 an. Er betonte auch die Bedeutung, die den Europäischen Gemeinschaften als Faktor für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zukommen werde. Der Außenminister erklärte unmißverständlich, daß eine Änderung unserer EWG-Politik völlig ausgeschlossen sei. Meine Damen und Herren, ich habe auch nie 'einen Zweifel daran gelassen, daß diese Verträge nur auf der Grundlage des bestehenden militärischen Gleichgewichts in Europa möglich sind. Schon in der Zeit, als ich Oppositionsführer im Deutschen Bundestag war, habe ich in einem Gespräch mit Ministerpräsident Kossygin betont, daß eine funktionierende Allianz mit intakter amerikanischer Truppenpräsenz die Grundlage für die Entspannung in Europa sei. Wir haben diese Politik im Bündnis und gegenüber unseren Vertragspartnern beharrlich weiterverfolgt. Es ist deshalb wiederum kein Zufall, daß es in dem Abschlußkommuniqué der NATO-Ministerratskonferenz vom 4. Dezember 1970 heißt: „Die Minister der NATO-Länder begrüßten diese Verträge als Beitrag zur Minderung der Spannung in Europa." Denn, meine Damen und Herren, in der Tat ist der Zusammenhalt der Allianz, seitdem wir unsere Osteuropapolitik begannen, besser geworden. Das, was im Harmel-Bericht 1967 vorgezeichnet wurde, ein Bündnis, dessen Sicherheit nicht nur auf der Abschrekkung, sondern auch auf der Entspannung aufbaut, wird jetzt Wirklichkeit. Allerdings: „Vor nicht allzu langer Zeit waren unsere Bündnisse ausschließlich auf die Eindämmung der Sowjetunon und der Volksrepublik China gerichtet. Jetzt aber muß mehr in unsere Allianz hineinkommen. Es ist relativ einfach, sich über das zu einigen, wogegen man ist; es ist sehr viel komplizierter, eine Allianz auf der Grundlage dessen zusammenzuhalten, wofür man ist." Ich habe jetzt Präsident Nixon zitiert. In den letzten Monaten hat die Opposition eine stets wachsende und auch stets wechselnde Argumentation gegen die Verträge ins Feld geführt. Dafür war vom Inhalt der Verträge immer weniger die Rede. Es handelt sich um Argumente von unterschiedlichem Gewicht. Allen ist gemeinsam, daß sie nicht auf dem Wortlaut der Verträge aufbauen, sondern daß sie das Produkt manchmal ganz unbegrenz9750 ter politischer Spekulationen darstellen. Aber, meine Damen und Herren, die Geschichte ist kein Produkt von Spekulationen. Sie setzt sich zusammen aus schwierigen Entwicklungen und mutigen Entscheidungen. Niemand in unserer jüngsten Geschichte hat dies besser gewußt als der Bundeskanzler, auf den Sie sich, meine Damen und Herren von der Opposition, gern berufen. In seinen Erinnerungen zum Jahr 1955, dem Jahr seiner Moskau-Reise, schrieb Konrad Adenauer in aller Nüchternheit: Es würde dies ein langer und mühseliger Weg schwierigster Verhandlungen sein, ein Weg, auf dem man manche Umwege in Kauf nehmen müßte, die zweifellos auch mit Gefahren verbunden sein würden. Es müßte versucht werden, einen Weg zu finden, der auch der Sowjetunion akzeptabel erschiene und bei dem sie hoffen könnte, ihre Zielsetzung gewahrt zu wissen. Meine verehrten Kollegen von der CDU/CSU, denken Sie doch einmal über diese Worte nach! ({27}) Fragen Sie sich, ob wir etwas anderes getan haben als das, was 1955 Konrad Adenauer als die Umrisse einer Verhandlung mit der Sowjetunion entworfen hat! An einer Behauptung kann die Bundesregierung allerdings nicht vorbeigehen, ohne ihr mit allem Nachdruck zu widersprechen. Weder in den Verträgen noch in den begleitenden Dokumenten gibt es einen Anhaltspunkt für die wirklich grob fahrlässige Behauptung, diese Verträge würden Forderungen auf Reparationsleistungen an die Bundesrepublik Deutschland begründen. ({28}) Wer unseren Steuerzahlern das Schreckgespenst der Reparationen an die Wand malt, handelt genauso unverantwortlich wie jener, der um jeden Preis eine Inflation herbeidiskutieren möchte. ({29}) Oder, meine Damen und Herren, wollen wir etwa dem Ausland suggerieren, bei uns gäbe es etwas zu holen? Ich hoffe, daß die Abgeordneten der Opposition selbst für die notwendigen Klarstellungen hier im Deutschen Bundestag sorgen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, als würde es die CDU/CSU zulassen, daß einzelne ihrer führenden Mitglieder mit diesen trüben Gerüchten weiter hausieren gehen. ({30}) Argumente lassen sich immer finden und ins Feld führen, wenn es sich darum handelt, die bereits getroffene Entscheidung, nein zu den Verträgen zu sagen, zu begründen. Argumente entstehen und Argumente verschwinden wieder. Aber noch so viele Argumente gegen eine Politik machen noch keine Alternative. ({31}) Und hier, meine Damen und Herren, liegt in der Tat die größte Schwäche der Opposition. Wie würde die Politik aussehen, die Sie an die Stelle derjenigen setzen wollen, die die Bundesregierung verfolgt? Wie soll eine Entspannungspolitik aussehen, wenn sie ohne die Grundlage des Status quo freischwebend in der Luft hängt? Verhandeln heißt doch nicht eigene Wunschzettel ausfüllen! ({32}) Oder glauben Sie gar, es seien die Zeit und die Gelegenheit gekommen, sich politisch einzugraben, wenn unsere Freunde und Verbündeten längst die Bewegung gewählt haben? Sollen wir die halbverfallenen Unterstände des kalten Krieges wieder beziehen, wenn sich unsere mächtigsten Verbündeten zur Entspannung und Zusammenarbeit entschieden haben? Macht es überhaupt keinen Eindruck auf die Opposition, wenn alle unsere Verbündeten geschlossen für diese Politik, die wir gemeinsam treiben, eintreten? Die Argumente der Opposition sind deswegen so wenig einleuchtend, weil keine brauchbare und keine machbare Alternative hinter ihnen steht. ({33}) Meine Damen und Herren, es gibt allerdings die möglichen Folgen einer Ablehnung der Verträge. Das ist aber etwas anderes als eine Alternative. ({34}) Mein französischer Kollege, Maurice Schumann, wurde in einem Interview, das in der „Welt" abgedruckt war, gefragt, wie sich die Lage nach einer möglichen Ablehnung der Ratifizierung darstellen könnte. Er antwortete, daß er sich weigere, diese Möglichkeit überhaupt ins Auge zu fassen. So sehr sind die Verträge heute schon Teil auch der Außenpolitik unserer Verbündeten, daß die Folgen einer Ablehnung in ihrer politischen Wirkung einfach unübersehbar sein würden. ({35}) Die Entspannungsmöglichkeiten im Osten wären auf unabsehbare Zeit verschüttet. Die Verbündeten im Westen empfänden die Ablehnung als ein Torpedo gegen ihre eigenen Entspannungspolitik. Wir Deutschen hätten in Europa die Vorhänge heruntergelassen, gerade als das erste Licht heraufzudämmern begann. Die Bundesregierung und die hinter ihr stehende Mehrheit, meine verehrten Kollegen, werden dafür sorgen, daß diese bedrückende Vorstellung, wir könnten in eine totale Isolierung geraten, nicht verwirklicht wird. Wir wollen der Opposition keine falsche Verantwortung aufbürden. Die Mehrheit bringen wir selbst auf, meine Damen und Herren. ({36}) Aber wir tun es in der festen staatspolitischen Hoffnung, daß auch die Opposition nach der Ratifizierung das als Grundlage ihres Handelns nimmt, daß Verträge, die abgeschlossen sind, zu halten sind. Meine Damen und Herren, es gibt in der Kette der Gegenargumente allerdings eines, das von grundBundesminister Scheel sätzlicher Bedeutung ist. Ich meine das Argument, mit kommunistischen Staaten könne man keine Verträge schließen, die Machtstrukturen und der Verhaltenskodex in Ost und West seien zu verschieden, der Westen zahle bei solchen Verträgen unweigerlich drauf. ({37}) Wenn dem so ist, meine Damen und Herren, dann lassen wir alle Hoffnung fahren, daß der Frieden und das physische Überleben dieser Welt durch Rüstungskontrolle und Rüstungsbegrenzung zwischen Ost und West gesichert werden können. ({38}) Dann sind alle internationalen Abkommen vom Teststoppvertrag 1963 über den Weltraumvertrag 1967, den Nichtverbreitungsvertrag 1968, den Meeresbodenvertrag 1971 bis zum Vertrag zwischen den Vereinigten Staaten und Rußland zur Verminderung des Risikos des Ausbruchs eines Nuklearkrieges ({39}) nur eine zynische Staffage für die heraufziehende und unvermeidliche nukleare Konfrontation. Dann, meine Damen und Herren, sind die Amerikaner, die sich seit Jahren um ein Abkommen mit der Sowjetunion über die Begrenzung strategischer Nuklearwaffen bemühen, ebenso naiv wie wir, die wir glauben, daß es möglich und notwendig ist, die Risiken des nuklearen Zeitalters Schritt für Schritt durch eine vertragliche Kodifizierung des Verhaltens der beiden Staaten einzuengen. Das ist doch, meine Damen und Herren, der Kern des Problems unserer Zeit, daß zwei Mächte zwei Mächte! - über die Mittel verfügen, unser aller Zivilisation zu zerstören. Eine dieser Mächte ist ein kommunistisches Land. Darin liegt der Zwang, daß sich die Verantwortung dieser beiden Mächte paart. Dazu gibt es keine Alternative auf der Welt, meine Damen und Herren! ({40}) Diese Dinge sind viel zu ernst, um sie in überkommene Schablonen des Antikommunismus hineinzuzwängen. Gewiß, die Sowjetunion ist eine Weltmacht, und jeder, der mit ihr verhandelt, bekommt den Druck des dahinterstehenden gewaltigen Potentials zu spüren. Die Sowjetunion macht keine Geschenke, wir haben solche auch nicht erwartet. Aber die Weltmacht Sowjetunion ist ebenso wie wir in den fatalen Mechanismus von nuklearer Bedrohung und Abschreckung eingebunden. Aus diesem Grunde - und zuallererst aus diesem Grunde - ist sie daran interessiert, den permanenten Krisenherd Zentraleuropa zu beseitigen. Daß dies so ist, ist unsere Chance. Nur auf dieser realistischen Grundlage konnten wir überhaupt zu einem Abkommen mit der Sowjetunion gelangen. Lassen Sie uns nicht übersehen, daß auch die Bewußtseinslage von Weltmächten einem Wandel unterworfen ist! Ein gewisser Pragmatismus in der Außenpolitik wird spürbar. Es wird erkannt, daß andere gesellschaftliche Systeme nicht kurz- oder mittelfristig zu ändern sind. Es wird mit längeren Zeiträumen gerechnet. Den Nachteil der anderen setzt man nicht mehr absolut mit dem eigenen Vorteil gleich. Eine begrenzte Interessenübereinstimmung entwickelt sich über die Systeme hinweg, im Verkehr, im Kulturaustausch, im Handel, in der Technologie. Lassen Sie mich einmal erwähnen, was Ministerpräsident Kossygin in seinem Bericht über den Plan am 6. April 1966 über ein Spezialgebiet der technologischen Zusammenarbeit sagte: Bis vor kurzem neigten wir dazu, die Bedeutung des Handels mit Patenten und Lizenzen zu unterschätzen. ... Wir können und müssen den uns gebührenden Platz auf dem Weltmarkt in Lizenzen einnehmen. ... Der Kauf von Patentrechten wird uns ermöglichen, Hunderte von Millionen Rubel an wissenschaftlichen Forschungskosten zu sparen. Vergleichen wir damit einmal das, was Stalin 1952 in „Wirtschaftliche Probleme des Sozialismus" an Einstellung zum Weltmarkt bekundete: Die Desintegration eines einzigen- allumfassenden Weltmarkts muß man als die wichtigste ökonomische Konsequenz des zweiten Weltkriegs betrachten. ... Dies hat auch zur Folge, daß sich die allgemeine Krise des kapitalistischen Systems vertieft. Deutlicher läßt sich der Wandel der Zeit doch kaum kenntlich machen: der Unterschied zwischen ideologisch bestimmtem Antagonismus und pragmatischer Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Wer glaubt, sich leisten zu können, auf eine Regelung mit der Sowjetunion zu verzichten, soll uns doch einmal erklären, wie und mit wem er über die Besserung der Verhältnisse in Zentraleuropa sprechen will. ({41}) Meine Damen und Herren, ich habe eigentlich schon immer darauf gewartet, und jetzt ist es so weit: Wer eine Ostpolitik machen will - so wird jetzt verkündet -, braucht vor allem eine Fernostpolitk. ({42}) - Entschuldigen Sie, lassen Sie mich das ganz offen sagen: Es ist etwas Wahres daran. Aber hüten wir uns vor der manchmal hier in Deutschland anzutreffenden Neigung zum politischen Eskapismus! Wer sich nicht in der Lage sieht, mit dem Problem des europäischen Ostens fertigzuwerden, weicht gern aus auf die etwas undeutlicheren Konturen der chinesischen Mauer. ({43}) Weil das Naheliegende und Dringende so unbequem ist, flieht man in die Ferne. Seien Sie beruhigt, die Bundesregierung hat eine Fernostpolitik. Sie wird sich allerdings von derjenigen des Jahres 1964 vielleicht etwas unterscheiden. ({44}) Wir wissen, daß die asiatischen Dinge behutsam angefaßt werden müssen. Wir wissen auch, daß es heute nicht mehr darum geht, die bestehenden guten Handelsbeziehungen auf rein privater Basis jetzt Schritt für Schritt allmählich weiterzuentwickeln, sondern es geht jetzt um diplomatische Beziehungen. Das wissen wir. Meine verehrten Kollegen, Sie mögen versichert sein: die Bundesregierung wird zum richtigen Zeitpunkt das Nötige tun. Meine verehrten Damen und Herren, erlauben Sie mir, zum Schluß ein paar persönliche Bemerkungen zu machen. Eine Politik schwebt nicht im luftleeren oder geschichtslosen Raum. Sie ist das Produkt vieler Faktoren, und nicht zuletzt stehen hinter ihr Menschen mit unterschiedlicher Erfahrung, mit unterschiedlicher Vergangenheit. Damit wir uns nicht mißverstehen, meine verehrten Kollegen; ich will damit nicht etwa sagen, daß wir die Ambition hätten, in der Politik nach dem Schlagwort vorzugehen: „Männer machen Geschichte". Nein, wir wollen lediglich jene Überzeugung vollziehen, die wir 41$ Männer einer ganz bestimmten Generation als Männer einer ganz bestimmten Generation aus dem Wahnsinn des zweiten Weltkrieges herübergerettet haben, ({45}) die Überzeugung nämlich, daß Grenzen, Gebietsansprüche, Gewalt und Krieg für uns ein für allemal ihren Sinn verloren haben. ({46}) Wenn ich heute schon wieder Flugblätter in die Hand gedrückt bekomme, in denen ein größerer Lebensraum für Rumpfdeutschland, wie es heißt, gegenüber Polen verlangt wird, dann schaudert mich, meine Damen und Herren. ({47}) Mich schaudert bei dem Gedanken, all die schreckliche Erfahrung könnte umsonst gewesen sein. Umsonst, weil die einen, die wissen, zu feige sein könnten, den Demagogen von Anfang an zu widerstehen, ({48}) und weil die, meine Kollegen, die heute wieder an Lebensraum und derlei Dinge denken, von unserer Erfahrung nichts wissen. ({49}) Diese Verträge mögen und werden die Voraussetzung und die Grundlage für Entspannung, Zusammenarbeit und Frieden in Europa bilden. Aber ebenso bedeutend sind sie in ihrer Wirkung nach innen. Über 25 Jahre nach dem Krieg machen diese Verträge deutlich, was unserem Vaterland durch Verblendung und Verbrechen angetan wurde. Wir können diese Wirklichkeit nicht wegwischen. ({50}) Sie werden aber auch deutlich machen, daß wir die Möglichkeit haben, aber auch die Verantwortung, von der Ausgangsposition eines freiheitlichen deutschen Staates aus die Lehren der Geschichte zu beherzigen. Wenn uns dies gelingt, so hat meine Generation, die man im Blick auf ihre vielen Toten im letzten Krieg die „geopferte" genannt hat, das Höchste erreicht, was sie erreichen konnte: den Frieden für sich und die Generation ihrer Kinder. ({51}) Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, mit der Rede des Herrn Außenministers, für die ich danke, sind die beiden Ratifizierungsgesetzentwürfe gemäß den Punkten 3 und 4 der Tagesordnung eingebracht. Wir treten nunmehr in die verbundene Aussprache aller aufgerufenen Tagesordnungspunkte - von 2 bis 6 enschließlich - ein. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000102, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entscheidung, die wir hier zu treffen haben werden, gehört zu den ernstesten und zu den folgenschwersten, die je im Deutschen Bundestag zu treffen waren. Ich scheue mich nicht, von einer geschichtlichen Entscheidung zu sprechen. Zur Entscheidung steht hier eine Politik. Es geht auch, aber nicht nur um Vertragstexte. Zu der Diskussion hier gehört auch das, was draußen im Lande zum Thema gesagt wird und - mehr noch - was eine raffinierte Propaganda unterschwellig als Bewußtseinslage und Druckkulisse zu erzeugen versucht. ({0}) Sie, Herr Kollege Scheel, können mit Ihrem Schlußappell und den Zitaten von verschwindenden Randerscheinungen der deutschen Gesellschaft niemanden hier in diesem Hause gemeint haben. ({1}) Was aber soll man draußen - gemeint ist jetzt jenseits der Grenzen und auch bei denen, die Deutsch hören und verstehen, die auf diese Weise im anderen Teil Deutschlands an dieser Debatte teilnehmen - eigentlich denken, wenn Sie trotzdem so sprechen, Herr Bundesaußenminister? ({2}) Was soll man dort davon halten, wenn Sie schließen mit dem Satz, Sie hätten den Frieden „erreicht"? Auch für die Berliner, wo noch geschossen wird? Auch für die Deutschen entlang der Zonengrenze? ({3}) Das, meine Damen und Herren, sollte hier nicht gesagt werden. Aus diesen Gründen beginnen wir mit zwei Feststellungen. Erstens. Deutsche Politik, die deutsche Demokraten betreiben, war immer Friedenspolitik, und das wird auch in Zukunft so sein. ({4}) Die Verantwortlichen der Weimarer Republik haben nichts anderes als Friedenspolitik betrieben, nur Nationalsozialisten und Kommunisten nicht beide keine Demokraten, beide gewalttätig auch in der innenpolitischen Auseinandersetzung; beide sahen in Gewalt ein Mittel der Politik. ({5}) Die Kommunisten tun das noch heute. Das lehrt der Schießbefehl ebenso wie der nicht vergessene Einmarsch in die Tschechoslowakei und die Gewalt, die kommunistische Kader in diesen Tagen an unseren Universitäten üben. ({6}) So müssen wir hier sagen: Die Außen- und die Deutschlandpolitik der Bundesrepublik Deutschland war vor dieser Bundesregierung Friedenspolitik, und sie wird es nach ihr bleiben. ({7}) Die Namen Konrad Adenauer - hier oft beschworen -, Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger stehen nicht nur für die längste Zeit der Demokratie in Deutschland, sondern auch für die längste Zeit des Nicht-Kriegs nach innen und nach außen. ({8}) In dieser Zeit wurde das einzige Stück realer Friedensordnung in Europa geschaffen: die Europäische Gemeinschaft. Wir sprachen rechtsverbindlich und uneingeschränkt Gewaltverzicht aus. Wir gliederten die ausschließlich zur Verteidigung geschaffene und geschulte Bundeswehr in die internationale und integrierte Struktur des Bündnisses ein. Wir verzichteten auf die Herstellung atomarer, biologischer und chemischer Waffen. Wir boten --genauso wie nach Westen, Norden und Süden - auch nach Osten Austausch, Aussöhnung und Ausgleich an. Wir erklärten uns bereit, alle Streitfragen friedlich zu regeln sowie Verträge darüber zu schließen, auch über Gewaltverzicht, auch mit dem anderen Teil Deutschlands. Und wir begannen, mit diesen Ländern Beziehungen aufzunehmen. Sie, Herr Bundeskanzler, wären gut beraten, wenn Sie dies ausdrücklich betonten, ({9}) anstatt draußen im Lande eine Kampagne führen zu lassen, die den Eindruck erwecken soll, hier sei der eine mehr für den Frieden als der andere. ({10}) Das ist nicht nur unwahr und beleidigend, sondern schädigt die Möglichkeiten Deutschlands im Ausland. Es wird auch, Herr Bundeskanzler, Ihnen selbst nicht gerecht. Denn Sie haben doch nicht nur als Regierender' Bürgermeister von Berlin am 10. Oktober 1963 die Ehrenbürgerrechte der deutschen Hauptstadt an Konrad Adenauer wegen dessen Verdienste um Berlin verliehen, sondern Sie haben am 27. Mai 1970 im Bundestag von dieser Stelle aus als Bundeskanzler gesagt, daß Sie nach dem Einblick in die geheimen Akten tief beeindruckt seien von dem Mut und dem Ernst, mit dem Kanzler Adenauer nach dem Vorbild der deutsch-französischen Aussöhnung auch die Verständigung mit der Sowjetunion gesucht habe. Damit haben Sie recht. Aber dann haben doch Ihre Helfer draußen im Lande unrecht, die erzählen, vor Ihrer Kanzlerschaft sei in Richtung Osten nichts geschehen. ({11}) Ich verwahre mich hier ganz besonders gegen den Sprecher der SPD, welcher den ernsthaften und besorgten Appell unseres leider verhinderten Kollegen von Guttenberg als „Brunnenvergiftung" bezeichnete, ({12}) Meine Damen und Herren, die zunehmende, ich sage: starrköpfige Rechthaberei und Empfindlichkeit der Koalition gegenüber ihren demokratischen Kritikern gibt doch zu Besorgnis Anlaß. ({13}) Keiner sollte, Herr Kollege Scheel, dem, der an seinen Grundsätzen aus Überzeugung festhält, „Unbeweglichkeit" vorwerfen, und keiner sollte Geduld und Augenmaß mit Nichtstun oder Betriebsamkeit mit Arbeit und Erfolg verwechseln. ({14}) Meine Damen und Herren, es ist doch auch in diesem Bereich nicht die Hauptsache, d a ß etwas geschieht, sondern das Richtige muß geschehen, ({15}) und das Nein zum Falschen bleibt dafür die Voraussetzung. ({16}) Ich sage dies alles, damit sich die Debatte hier wie die draußen im Lande hütet, die Geschäfte unserer gemeinsamen Feinde zu besorgen. Die wollen doch nur, daß sich die Demokraten gegenseitig den Bau der Mauer, die Schießerei dort wie die Ursachen und die Dauer der deutschen Spaltung vorwerfen. ({17}) Nichts davon ist doch wahr! Für Mauer Schießbefehl und Stacheldraht trägt doch in diesem Hause keiner die Verantwortung; die Verantwortung tragen allein unsere gemeinsamen Gegner. Darf man noch davon sprechen, daß dies unsere gemeinsamen Gegner sind? Das muß doch hier gesagt werden, meine Damen und Herren. ({18}) Und deshalb, Herr Bundeskanzler, war Ihr Hinweis darauf, daß die Mauer vor der Zeit Ihrer Regierung gebaut worden sei, völlig überflüssig. ({19}) Das ist doch ein Stil, als wenn wir fragten, wie damals eigentlich in Berlin die Mehrheits- und Regierungsverhältnisse gewesen sind. Nein, ich sage noch einmal: Keiner im Westen, sondern allein die jenigen tragen die Verantwortung, die unserem Volk mit Gewalt das Recht auf Freizügigkeit und Selbstbestimmung vorenthalten. Es ist auch unwahr - dies wird draußen behauptet, nicht von jemandem in diesem Hause in dieser bisherigen Debatte, aber das muß gesagt werden -, wenn man die deutsche Spaltung als die direkte Folge des Zweiten Weltkrieges darstellt. Wahr ist, daß Stalin und seine Helfer in ihrer Besatzungszone die Abspaltung dieses Teils nicht gegen Hitler, sondern gegen antifaschistische Demokraten ({20}) der SPD, CDU und LDP erzwungen haben. Das muß festgehalten werden. ({21}) Und das zweite: Unsere Sicherheit und unsere Freiheit hängen - mit diesem oder ohne dieses Vertragswerk - allein vom westlichen Bündnis ab. ({22}) Nur dieses Bündnis macht den Frieden sicher, und es ist anmaßend, zu behaupten, irgendetwas anderes als dieses Bündnis mache den Frieden „sicherer". ({23}) Das Bündnis und die Freundschaft gelten der Demokratie in Deutschland. Und zur Demokratie gehört das Recht, in Freiheit ja oder nein zu sagen. ({24}) Niemand wird draußen deutscher sein als die Deutschen selbst. Jeder wird respektieren, wie wir selbst uns entscheiden. Niemand im Westen mischt sich in unsere inneren Angelegenheiten ein; jeder sagt, dies zu entscheiden sei allein unsere Sache. ({25}) Wer gleichwohl - hier oder im Lande - anderes verbreitet, stellt seiner Wahrheitsliebe und seinem Demokratieverständnis ein schlechtes Zeugnis aus. ({26}) Meine Damen und Herren, der Kollege Scheel hat einige Punkte genannt, die gleich berichtigt werden müssen. ({27}) Zunächst sprach er davon, daß die Opposition nicht mit nach Moskau gefahren sei, obwohl er sie eingeladen habe. Sie wissen selbst, Herr Kollege Scheel - und dies hat in einer früheren Debatte, auf die ich Bezug nehme, eine Rolle gespielt-, daß der Brief, mit dem Sie uns einluden, ({28}) einer Ausladung näherkam als einer Einladung, ({29}) weil es darum ging, auf der Basis des Bahr-Papiers - das war doch der fertige Vertrag, und die Existenz dieses Papiers hatte man doch geleugnet - uns mitzunehmen, aber nicht einmal als Angehörige der Delegation. ({30}) Das, meine Damen und Herren, ist wohl nicht zumutbar. Aber das Wichtigere ist, daß Sie heute zweimal aus Verhandlungsprotokollen vorgelesen haben. Sie haben beide Male nur vorgelesen, was Sie ausgeführt haben. Wir bestreiten nicht, daß Sie das gesagt haben mögen. Aber was haben eigentlich Ihre Gesprächspartner darauf geantwortet? Das hätten wir doch gern gewußt. ({31}) Wenn Sie diese Teile vorlesen, warum geben Sie uns nicht Einsicht in das Ganze? Warum steht das nicht im Vertrag, was Sie hier sagen? Und warum sagen Sie mir, die wichtigste Frage hätte ich vor zwei Jahren gestellt, als ich fragte, ob die Sowjetunion bereit sei, die Politik der friedlichen Wiedervereinigung nicht mehr als „agressiv" Zu betrachten, sondern sie als eine Politik des Friedens zu betrachten; dies sei das Wichtige? Sie haben es eben noch einmal bestätigt. Nun, Herr Außenminister, können Sie das nach Ihren Verhandlungen wirklich sagen, wo Sie doch im Bundesrat gesagt haben, der Gewaltvorbehalt der Sowjetunion, den ich für eine illegale Anmaßung halte, sei nur „überlagert"? Für welchen Fall ist er überlagert? ({32}) Das ist doch die Frage, auf die hier nachher in der Debatte noch im einzelnen eingegangen werden muß. Herr Kollege Scheel, Sie haben die Gelegenheit benutzt, die Auffassung der Opposition in einer Weise darzustellen, die nicht zutreffend ist. Sie haben gesagt, für uns sei allein das Berlin-Abkommen der Maßstab, und daran hielten wir uns nun nicht. Darf ich dem Hause noch einmal mit Genehmigung des Herrn Präsidenten unsere Stellungnahme zum Vertragswerk vom 10. August 1970 wie folgt in Erinnerung rufen: Von Anfang an haben wir die Bemühungen um die schnellere und vollständigere Vereinigung des freien Europas und die um Ausgleich mit den Staaten Mittel- und Osteuropas als Einheit angesehen. Auch die Bemühungen der Bundesregierung um die Festigung des Freien Berlins, die Verbesserung der Lage in ganz Deutschland, die beabsichtigten Verträge mit der Sowjetunion, mit Polen und der Tschechoslowakei haben wir immer im Zusammenhang beurteilt. Auch daran halten wir fest. Deshalb hatten wir der Bundesregierung empfohlen, die Unterschrift unter einen paraphierten deutschsowjetischen Vertrag erst zu leisten, wenn in den anderen Bereichen, vor allem hinsichtlich Berlins und der innerdeutschen Probleme befriedigende Lösungen vorliegen. Wir bleiben bei „und der innerdeutschen Probleme", Sie nicht; wir kommen darauf zurück. ({33}) Der Bundeskanzler hat von Berlin gesprochen. Dieses Abkommen liegt hier nicht zur Zustimmung vor. Ob Ihre Hoffnungen, Herr Bundeskanzler, sich in diesem Zusammenhang bestätigen werden, wird man sehen. Dies ist. auch die Einstellung der Berliner. Daß Sie sich aber hier soeben zum Fürsprecher der sowjetischen Auffassung über den Zusammenhang zwischen einer Ratifizierung des Moskauer Vertrages und der Unterzeichnung des Berlin-Abkommens gemacht haben, Herr Bundeskanzler, wirft Lichter auf Ihre Politik, für die Sie allein die Verantwortung tragen. ({34}) Im Viermächteabkommen steht das anders. Und deshalb wird manch einer in den westlichen Hauptstädten kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen, was Sie hier heute sagten, zumal mir in westlichen Hauptstädten immer wieder versichert wird, das Berlin-Abkommen und das hier vorliegende Vertragswerk seien zwei getrennte Dinge, das eine sei die Sache der Vier Mächte, das andere sei die Sache der Deutschen; und darüber frei zu entscheiden, sei allein unsere Sache. Es sollte hier niemand ungeziemende Zusammenhänge zu erzeugen sich bemühen. Wenn der Herr Bundeskanzler im Bereich der innerdeutschen Beziehungen ebenso wie der Kollege Scheel einige Verbesserungen konkret bezeichnet hat, nämlich die Passierscheine, die 150 Telefonleitungen und die Postvereinbarungen, dann anerkennen wir das natürlich. Aber, Herr Bundeskanzler, glauben Sie nicht mit uns, daß dieser Bericht überzeugender wäre, wenn Sie neben diesem spärlichen Lichtschimmer den überwiegenden Schatten ebenso konkret in einem Lagebericht über die Nation im gespaltenen Deutschland bezeichnet hätten? ({35}) Herr Bundeskanzler, warum verschweigen Sie und Ihre Regierung diese Tatsachen, die ich nun in die Debatte einführen muß, weil sie sonst ja nicht eingeführt werden? Im Jahre 1969 waren 64 Grenzverletzungen durch DDR-Organe zu verzeichnen, 1971 waren es 87. Fünfmal schossen die Uniformierten 1969 über die Grenze auf unser Gebiet, 1970 und 1971 allein 26mal. ({36}) Die Zahl der Betonbunker an der Demarkationslinie mitten durch Deutschland hat sich seit 1969 fast vervierfacht. Sie stieg von 40 auf 154. Der Metallgitterzaun wurde um 200 km auf insgesamt 494 km verlängert. Von 1970 auf 1971 wurde die verminte Grenzstrecke von 747 auf 802 km verlängert. Im innerdeutschen Personenverkehr einschließlich des Berlin-Verkehrs gab es 1969 73 Verhaftungen. Die Zahl erhöhte sich 1970 auf 134, und 1971 wurden sogar 209 Menschen von DDR-Organen verhaftet. ({37}) Seit 1969 hat sich die Zahl also fast verdreifacht. Die Zahl der zeitweise Festgehaltenen im innerdeutschen Personenverkehr stieg von 46 im Jahre 1969 auf 115 im Jahre 1970 und erreichte 1971 die Höhe von 220. Das bedeutet also fast eine Verfünffachung gegenüber 1969. Schließlich läßt sich die grausame Tatsache nicht übersehen, daß die Zahl der Opfer des Schießbefehls wieder gestiegen ist. 1969 fielen dem Schießbefehl und den Minen zwei Menschen, 1970 drei Menschen und 1971 acht Menschen zum Opfer. Niemand wird die Schuld an dieser Mißachtung der Menschenrechte irgendeinem hier im Hause zuschieben wollen. Aber ein Bericht zur Lage der Nation im gespaltenen Deutschland kann doch an diesen unfriedlichen Tatbeständen nicht vorbeigehen. ({38}) Meine Damen und Herren, wir haben der Kaolition oftmals die gemeinsame Deutschlandpolitik angeboten und als deren Inhalt die sehr konkrete und substantielle gemeinsame Entschließung des Deutschen Bundestages vom 25. September 1968 bezeichnet, der die CDU/CSU und die SPD zugestimmt haben, die FDP damals in einem Punkt nicht. Diese gemeinsame Basis für die Deutschlandpolitik, die für uns - und wohl auch für die Sozialdemokratie -die Basis unserer Wahlkampfaussagen war, ist nach den Bundestagswahlen verlassen worden. Es hat niemanden befriedigt, als der Herr Bundeskanzler hier im Hause auf die Frage, warum er diese Basis verlassen habe, am 16. Januar 1970 erklärte, inzwischen seien doch Wahlen gewesen. Zu unserer ostpolitischen Alternative, nach der der Kollege Scheel gefragt hat, gehört also erstens - und dies hat, glaube ich, einen sehr guten Grund - das Bemühen um eine gemeinsame Deutschlandpolitik von Koalition und Opposition und zweitens unsere Bindung an das gegebene Wort. Wir gaben es durch unsere Zustimmung zu der gemeinsamen Entschließung, von der ich sprach. Nicht wer sein Wort hält, wer es verändert oder bricht, hat die Folgen zu verantworten. Herr Bundeskanzler, Sie haben diese Politik gegen unseren Rat betrieben und bewußt die mögliche Gemeinsamkeit nicht gewollt. Als Sie die Verträge unterschrieben, wußten Sie vorher, wie ungewiß und wie unsicher die parlamentarische Rückendeckung war. Ihr Beitrag, Herr Kollege Scheel, von eben hat diese Rückendeckung sicherlich nicht sicherer gemacht. ({39}) Also - so ist es das Gesetz der parlamentarischen Demokratie - stehen Sie nun dafür ein, allein mit denen in diesem Hause, die Ihnen auch hierbei noch folgen wollen. Wir gehen davon aus, daß die Sowjetunion -aus welchen Gründen auch immer - seit einiger Zeit auch der Bundesrepublik Deutschland gegenüber gesprächsbereiter ist. Diese Bereitschaft hat die gegenwärtige Bundesregierung schlecht genutzt, da sie sich, wie mein Kollege Schröder jüngst zutreffend betonte, „bei den Vertragsverhandlungen mehr vom Wunsch nach baldigem Abschluß als von der Entschlossenheit zur Wahrnehmung der deutschen Interessen" leiten ließ. ({40}) 9756 Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode - 171. Sitzung. Bonn,. Mittwoch, den 23 Februar 1972 Wir halten fest, daß die Gespräche über Berlin wie die mit der Sowjetunion zur Zeit der Regierung Kiesinger eingeleitet wurden. Deshalb, Herr Kollege Scheel, ist kein Raum für die Polemik, als sei hier jemand, der überhaupt nicht sprechen oder keine Verträge wolle. ({41}) Nur: wir hatten und haben auch dabei einige Grundsätze, die unsere Politik nach allen Himmelsrichtungen leiten, Grundsätze, von deren Qualität und Unverzichtbarkeit wir so überzeugt sind - und gerade mit dem Blick auf das Schicksal unserer Generation, Herr Kollege Scheel, und gerade mit dem Blick auf die Erfahrungen der 30er Jahre so überzeugt sind -, daß wir uns diese Grundsätze für keinen Preis abhandeln lassen. Der zentrale Maßstab, der unser Urteil zu allen Fragen der Politik bestimmt, lautet: Wir wollen Fortschritt, und der ist nur dort gegeben, wo die Menschen, nicht die Apparate, etwas davon haben, ({42}) wo also die Menschenrechte und ihre soziale Basis alltagswirksam gestärkt werden. ({43}) Also ist, um das auf dieses Gebiet anzuwenden, Entspannung - die wir wollen - nur dort, wo der Weg zum Selbstbestimmungsrecht erleichtert und Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Meinungen immer mehr zur greifbaren Wirklichkeit werden. Wir halten es - dies ist auch für uns prinzipiell - nicht für ausreichend, Politik mit dem Blick in die Vergangenheit zu machen. Bei der Aussöhnung nach Westen, Süden und Norden waren wir weder Gefangene der bösen Vergangenheit, noch waren wir zufrieden mit Formeln, gar noch mit zweideutigen. Wir haben gelernt, Verträge erst abzuschließen, nachdem man - hin und her - gelernt hatte, sich besser zu vertragen, und dann Verträge nur abzuschließen, in denen konstruktive Bauelemente für eine bessere Zukunft verbindlich niedergelegt sind. ({44}) So und nicht anders kam es zur deutsch-französischen Freundschaft, zur Lösung der Saarfrage, zu den Europäischen Gemeinschaften, zu konstruktiven zukunftsträchtigen Regelungen also, zu Lösungen - nicht zu Formeln, welche zwar immer die Vergangenheit kannten, aber eben deshalb darauf bestanden, Bauelemente einer besseren Zukunft verbindlich zum Vertragsinhalt zu machen, um allen den Rückfall in die Vergangenheit unmöglich werden zu lassen. ({45}) Unsere Generation hat auch gelernt - Sie haben das angesprochen, Herr Kollege Scheel -, daß Krieg und Gewalt am ehesten dort drohen, wo Volksverhetzung möglich ist. Deshalb muß nach unserer Überzeugung eine reale und solide Friedenspolitik eben Grenzen öffnen - nicht zementieren für den freien Austausch der Menschen und der Informationen und der - Meinungen. Denn wo diese Freizügigkeit besteht, wo man sich kennt, wo Grenzen offen sind, da hat nicht der Krieg, sondern da - und ich fürchte: nur da - hat der Frieden dauerhaft seine Chance. ({46}) Deshalb kann man vom Frieden nicht nur sprechen, sondern er muß real sein, greifbar für die Menschen, er darf nicht nur auf dem Papier stehen. ({47}) Gewaltverzicht auf dem Papier und bleibender Schießbefehl in der Wirklichkeit, das ist einer der Widersprüche und eine der Realitäten, die wir nicht mitmachen können und wollen. ({48}) Entspannung heißt doch, daß beide Seiten einander entgegenkommen. Ausgleich gibt es nur bei Geben u n d Nehmen. Dauerhaft ist doch nur, was die Zustimmung der Völker, vor allem aber die der getroffenen findet; das ist doch das Entscheidende! Das sind Gedanken, die auch in dem Entwurf der CSU, den der Kollege Außenminister versucht hat - ohne ihn zu nennen - etwas zu kritisieren, als Diskussionsgrundlage ihren Ausdruck linden. So muß Friedens- und Entspannungspolitik, die diesen Namen verdient; eben frei sein von Machtdenken und Hegemonie und muß aufbauen auf dem beiderseitigen Willen zur Aussöhnung wie auf der gegenseitigen Achtung der elementaren Rechte und Sicherheitsbedürfnisse aller Beteiligten. Dazu muß treten ein System bedingungsfreien Gewaltverzichts, gegenseitiger Rüstungskontrolle und ausgewogener Abrüstung sowie ein System der vermehrten und verbesserten Zusammenarbeit auf allen Gebieten der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Kultur und vor allem der unbehinderte menschliche Kontakt über alle Grenzen hinweg. Eine solche reale und solide Friedens- und Entspannungspolitik muß dann auch in eine Beziehung gesetzt werden zu der uns moralisch und verfassungsrechtlich gebotenen Forderung nach Wiederherstellung der deutschen Einheit auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts. Wir sehen, meine Damen und Herren, durchaus die Realität „DDR" und die wirkliche Lage. Nur: So, wie sie ist, ist sie für uns nicht annehmbar. ({49}) Wir wollen im anderen Teil Deutschlands keine Hoheitsrechte in Anspruch nehmen. Aber wir wollen, daß - auch für die Zeit der Teilung Deutschlands - Bedrohung und Behinderung der Freizügigkeit auf dem Wege von Deutschland nach Deutschland entfallen. Wir verstehen unter Lösung der deutschen Frage weder Anschluß noch Eingliederung der „DDR", sondern einen geschichtlichen Prozeß, an deren Ende das Recht zur Selbstbestimmung sich durchsetzt. Die einzelnen Stationen davon - das muß hier eigentlich jeder sagen - kann heute keiner absehen. Aber heute dürfen wir doch den Weg dahin nicht verbauen. Das tut dieses Vertragswerk! ({50}) Dabei ist für uns selbstverständlich, daß wir dabei immer - das braucht uns hier keiner zu sagen - an den europäischen Ansatz unserer Politik, auch an das Wohl und die Sicherheit unserer europäischen Nachbarn denken. Aber keinem Nachbarn wäre doch gedient, wenn Deutschland etwa krank würde, weil man ihm die Hoffnung und das natürliche Recht raubt, eines Tages als Volk geeint dem Frieden der Welt dienen zu können! Häufig haben wir hier erklärt, daß wir im Interesse der Versöhnung und des Friedens zu Leistungen, auch zu schmerzlichen Leistungen, bereit seien, ({51}) wenn die Grenzen für die Menschen erträglicher, die Systeme humaner und die Minderheiten geschützt werden, wenn alle Benachteiligungen der Menschen wegen Religion, Sprache, Nation oder Meinung durch eine europäische Charta verbannt würden. Wir haben Sie, Herr Bundeskanzler, bei der ersten Debatte über Ihre erste Regierungserklärung eingeladen, diesen Punkt aufzunehmen und ein europäisches Sicherheitssystem nicht leiten zu lassen von der Sicherheit von Staaten oder Generalstäben, sondern von der Sicherheit menschenwürdigen Lebens im Alltag. ({52}) Das, scheint mir, ist der richtige Bezugspunkt. Wir haben ebenso verbindlich erklärt - und das bleibt unsere Überzeugung -, daß wir den Status quo mit all seinen Behinderungen der Versöhnung und des Friedens, alles das also, unter dem die Menschen leiden - Zensur und Reiseverbot, Berufsbeschränkung, Informations-Manipulation und Meinungsterror, Unterdrückung der Arbeitnehmerrechte wie der religiösen und politischen Freiheit -, nie anerkennen oder zementieren würden, denn wir haben dies doch alle selbst unter Hitler erlebt, und einmal Hitler reicht für alle Zeiten. ({53}) Die herausragenden Punkte dieser Alternative, die hier noch einmal in Erinnerung zu rufen ja die Bitte der Regierung war, sind also sämtlich auf eine bessere Zukunft gerichtet. Sie heißen: Frieden durch Gewaltverzicht und durch Menschenrechte; wachsende Einheit Europas;-Selbstbestimmungsrecht und Freizügigkeit. Dabei wissen wir natürlich, daß Stufen nicht scheuen darf, wer das Ziel erreichen will, wie auch, daß Leistung und Gegenleistung ausgewogen sein müssen. Diese Alternative, die ich hier in groben Stücken in die Erinnerung gerufen habe, ist zugleich der Maßstab für unser Urteil über die Politik der Koalition. Allein diese Bundesregierung - ihre Fehler und ihre Unterlassungen. - ist Gegner in dieser Debatte; allein diese Bundesregierung, nicht die Verantwortlichen in den Hauptstädten des Auslands, ({54}) auch nicht in Moskau. Ich wiederhole deshalb aus gutem Grund von dieser Stelle aus, worin sich Mitglieder der sowjetischen Führung mit mir einig waren und was wir im Dezember 1971 in Moskau so festgestellt haben: Friede und Zusammenarbeit - so sagten beide sind Hauptaufgaben unserer Zeit. Gegenseitiger Gewaltverzicht ist notwendig. Der wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Austausch muß und kann verbessert werden. Wer - für den Fall der Ablehnung der Verträge - ein „Desaster" an die Wand malt - wie dies auch Herr Kollege Scheel soeben zu tun beliebte -, der unterstellt damit der Sowjetunion Absichten, welche diese selbst weit von sich weist. ({55}) Wir befürchten ein solches „Desaster" nicht - nicht nur, weil das Bündnis den Frieden sichert und die Demokratie, also das unbeeinflußte Recht, ja oder nein zu sagen, sondern ebenso, weil den sowjetischen Staatsmännern unsere Position im einzelnen genau bekannt ist und man es dort als Verleumdung zurückweist, uns etwa jetzt oder künftig zu bedrohen. Man weiß in Moskau - wie in Washington, London und Paris - sehr gut, daß das Vertragswerk für uns als ein Modus vivendi zustimmungsfähig werden könnte, und zwar durch drei Punkte: 1. durch eine positive Einstellung der Sowjetunion zur Europäischen Gemeinschaft, 2. durch die Aufnahme des Selbstbestimmungsrechts in das Vertragswerk sowie 3. durch die verbindlich vereinbarte Absicht, in Deutschland Freizügigkeit stufenweise herzustellen. ({56}) Diese drei Punkte gehören zusammen. Sie sind eine Einheit. Und man weiß, daß diese Position für uns auch morgen gelten wird, sei es, daß andere darauf zurückkommen wollen, sei es, daß die Seiten der demokratischen Verantwortung hier wechseln. ({57}) Die Bundesregierung legt, entgegen ihren eigenen früheren verbindlichen Erklärungen, ein Vertragswerk zur parlamentarischen Zustimmung vor, das unvollständig ist, weil es den Kern der Probleme, die Lage der Deutschen in Deutschland, weder regelt noch löst. Wer Grenzfragen beantworten will, muß die Grenzen für die Menschen erträglicher machen. Das geschieht durch dieses Vertragswerk nicht. In den Verträgen fehlt die Verpflichtung beider Seiten, die von ihnen beabsichtigte Politik, insbesondere den Gewaltverzicht, auch in eine Beziehung zum Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes zu setzen. Schließlich muß das Vertragswerk im Zusammenhang mit der Europapolitik und mit der Weigerung der Sowjetunion, die Europäischen Gemeinschaften zu akzeptieren, gesehen werden. Das Vertragswerk gefährdet angesichts dieser fortbestehenden Weigerung die Grundlagen unserer europäischen Politik. Es verändert das europäische Gleichgewicht zuungunsten des freien Europa. „Wenn die Wiedervereinigungspolitik nicht mehr vertreten wird, wird sich die Lage in Europa ändern, wird die Bundesrepublik Deutschland den Sowjets auf die Dauer keinen Widerstand leisten können." Dies ist ein Satz, gesprochen von Konrad Adenauer in seiner vorletzten Kabinettssitzung am 2. Oktober 1963. Und das stimmt heute noch. Wenn wir nämlich aufhören, wie es die Bundesregierung tut, von der Wiedervereinigung zu sprechen, die Kommunisten aber an diesem Ziel festhalten, wie sie es tun, dann wird sich der stärkere und konsequentere, der beharrlichere Wille durchsetzen. ({58}) Meine Damen und Herren, bevor ich zu diesen drei Punkten im einzelnen komme, möchte ich noch eine persönliche Bemerkung einschieben. Wir haben im Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg gesehen, daß die Sozialdemokraten dort in diesen Fragen eine Werbung betreiben, wie ich sie eingangs charakterisiert habe. Inzwischen wird gesagt, wer Christ sei, müsse diese Politik der Bundesregierung unterstützen. An vielen Stellen kommen zu den Diskussionen junge Menschen, die mit großem Ernst die gleiche Frage stellen. Die Frage lautet etwa so, und sie gehört, glaube ich, in diese Debatte: Deutschland, so sagen sie, habe den Krieg begonnen und verloren und anderen viel Unrecht zugefügt. Deshalb sei es eine moralische Pflicht, dies einzugestehen und eben deshalb ohne Vorbehalte und ohne Gegenleistungen die DDR anzuerkennen. So ungefähr lautet der Diskussionsbeitrag, den wir immer wieder hören. Beidem vermögen wir - und wir nehmen den Ernst ab, der in diesen Worten liegt - nicht zu folgen. Denn hier wird mit zu leichter Hand über anderer Menschen Schicksal geredet. ({59}) Hier wird entschieden, ohne daß die Menschen drüben selber - und die wären doch zunächst zuständig - dazu auch nur ihre Meinung haben sagen können. Ich glaube, die Tatsache, daß man verlangt, einige sollten wiedergutmachen, was wir alle zu verantworten haben, heißt doch: den Nächsten sitzen lassen oder aus anderer Tasche bezahlen. Das hat, wie ich meine, keinen Anspruch, geschichtlich oder moralisch als ernsthaftes Argument gewogen zu werden. Dies wollte ich hier als eine persönliche Bemerkung dazwischenschieben. Ich komme nun zu den drei Punkten unserer Stellungnahme im einzelnen, zunächst zu Europa. Wir müssen noch einmal betonen - das ist für dieses Haus nichts Neues, aber es muß noch einmal gesagt werden, weil der Herr Außenminister eine etwas merkwürdige Begründung in einem Punkt gegeben hat, in anderen auch, aber hier besonders -: Die politische und wirtschaftliche Vereinigung der freien Länder Europas ist für uns, für unsere Nachbarn, für den Frieden in Europa und in der Welt lebensnotwendig. Unser Fortschritt vom Wirtschaftswachstum über die Gesellschaftspolitik bis zur Bildungspolitik hängt ganz überwiegend davon ab, daß wir mit energischen Schritten das Ziel erreichen: die Europäische Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft ist gegen niemanden gerichtet. Es ist bekannt, daß wir und wie wir das Verhältnis der Europäischen Gemeinschaft zu den USA ordnen wollen, und in Mittel- und Osteuropa weiß man, daß wir bereit sind, mit diesen Ländern die wirtschaftliche und wissenschaftliche Zusammenarbeit zu vermehren, einen multilateralen Zahlungsausgleich einzurichten und einen Kooperationsausschuß zu bilden. Für uns ist Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland nicht anders denkbar und verantwortbar als in den Formen der Bündnispolitik und der Integration. Wir kennen keine moderne und friedlichere Form einer Außenpolitik als diese. Wir kennen keinen verständigeren und fortschrittlicheren Umgang mit der konkreten Souveränität. Wenn gleichwohl die amtliche Moskauer Politik das alles nicht nur ablehnt und eine bewußte Politik der Nichtanerkennung der EWG betreibt, sondern ausdrücklich den Zusammenschluß der freien Länder Europas bekämpft, dann können wir, weil das für uns so fundamental ist, weder an dieser Tatsache vorbeigehen noch sie bagatellisieren, wie es diese Bundesregierung tut. ({60}) Meine Damen und Herren, die feindselige - dieses Wort ist leider angebracht - Haltung der Sowjetunion gegenüber der EWG macht deutlich, daß man in Moskau keineswegs bereit ist, alle europäischen Realitäten anzuerkennen. Sie macht deutlich, daß man dort an der Uneinigkeit der freien Länder interessiert bleibt. Wir müssen hinzufügen: alle langfristigen Vorhaben, die wir wollen, zum Ausbau des Handels, zur wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit den Ländern Ost- und Mitteleuropas sind nur mit der EWG und nicht gegen sie möglich; denn diese Gemeinschaft hat bereits eigene Zuständigkeiten. Meine Damen und Herren, wer nun die von der Sowjetunion konzipierte und von ihr so sehr gewünschte gesamteuropäische Konferenz will, der muß sich eben darauf einrichten, dort entweder der EWG als Teilnehmerin zu begegnen oder konkrete Fragen der zivilen Zusammenarbeit dort nicht erörtern zu können oder diese Konferenz nicht stattfinden zu lassen. Denn an der EWG vorbei ist hier nichts mehr zu machen. Sollte die EWG dort nicht in Erscheinung treten dürfen, dann wäre ein Stück westlicher Solidarität zerstört zugunsten eines gesamteuropäischen Traumes. ({61}) Nun weigert sich die Sowjetunion nicht nur die EWG anzuerkennen, sie zu akzeptieren oder mit ihr zusammenzuarbeiten, sondern sie bekämpft die EWG, um sie durch eine gesamteuropäische Organisation zu ersetzen. Damit steht man in Moskau nicht nur weit hinter dem Realitätssinn der Chinesen zurück, sondern dem Wunsch aller Europäer im Wege, die mehr Austausch und Begegnung von Ost nach West wie von West nach Ost wollen. Meine Damen und Herren, auch wir gehen natürlich davon aus - um eine Kritik von draußen jetzt aufzunehmen , daß die Haltung der Sowjetunion gegenüber der Europäischen Gemeinschaft nicht Gegenstand dieser Vertragstexte sein kann. Aber die Bundesregierung hätte, so meinen wir, als eine der notwendigen Gegenleistungen, zumindest als eine den Vertrag begleitende politische Absichtserklärung - es gibt doch deren so viele -, die Zusage der Sowjetunion erstreben und erreichen müssen, mit der EWG zusammenarbeiten zu wollen. Ohne diese Zusage hätte die Bundesregierung, wie wir sehr nachdrücklich meinen, sich niemals verpflichten dürfen, dafür einzutreten, daß der sowjetische Plan einer gesamteuropäischen Konferenz beschleunigt verwirklicht wird. ({62}) Damit ist ein Stück des deutschen Gewichts in eine Waagschale geworfen, das wir in der Waagschale der Beschleunigung des Zusammenschlusses des freien Europa sehen wollen. Diese gesamteuropäische Konferenz ist doch nur dann nützlich und sinnvoll, wenn sie frei ist von allen Absichten, etwa die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft oder das Bündnis zu beeinträchtigen, zu zerstören oder zu ersetzen. Wir haben leider allen Anlaß, davon auszugehen, daß diese Absicht bei den Initiatoren der Konferenz verstärkt besteht. Deshalb sagen wir zu diesem Thema, das hier angesprochen ist: Eine gesamteuropäische Konferenz darf nicht Rivalität und Spaltung festigen, sondern muß konkret zur Versöhnung beitragen, die Zusammenarbeit verbessern und die freieren Begegnungen durch alle Grenzen ermöglichen. Bei Teilnahme der USA, Kanadas und der EWG, bei guter Vorbereitung und einer Tagesordnung mit konkreten Punkten wären wir bereit, eine europäische Sicherheitskonferenz zu unterstützen. Aber wir lehnen es ab, durch eine solche Konferenz etwa zu einer sachlich unbegründeten Euphorie der Entspannung beizutragen, an deren Ende es unmöglich wäre, die Verteidigungsbeiträge zu erbringen. Deshalb würde an deren Ende die Selbstaufgabe des Westens durch einseitige Abrüstung ebenso stehen wie die Möglichkeit der Sowjetunion, über einen europäischen Sicherheitsrat Veto gegen die Politik der Vereinigung des freien Europa einzulegen. ({63}) Meine Damen und Herren, wir werden also an der Haltung der Sowjetunion zur Frage der EWG feststellen können, ob sich bei ihr der Wille zur Zusammenarbeit so stark durchgesetzt hat, daß sie wenigstens an dieser Stelle dem Willen nach Vorherrschaft hier einmal nicht den Vorrang gibt. Der zweite Punkt betrifft das Selbstbestimmungsrecht. Die zentrale Frage dieses Vertragswerks ist, ob es nur beschreibt oder ob es festschreibt, ob es, wie man überall in der Welt hört, eine endgültige Regelung oder nur eine vorläufige Regelung, also einen Modus vivendi, enthält. Die Frage heißt, ob aktive Deutschlandpolitik möglich bleibt oder ob sie etwa aus dem Bereich der praktischen Politik in den der politischen Belletristik verschoben wird. Meine Damen und Herren, solche Fragen wären überhaupt nicht zu stellen, wenn im Vertragswerk selber das enthalten wäre, was ausdrücklich Inhalt des Abkommens mit der Sowjetunion vom 13. September 1955 war. Konrad Adenauer und Bulganin waren übereingekommen - ich zitiere, und zwar nicht aus einem Brief, der irgendwie das Tageslicht zu scheuen hat, sondern aus einem Abkommen, das von beiden ausdrücklich unterschrieben wurde -: daß die Herstellung und Entwicklung normaler Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion zur Lösung der ungeklärten Fragen, die das ganze Deutschland betreffen, beitragen wird und damit auch zur Lösung des gesamten nationalen Hauptproblems des deutschen Volkes - der Wiederherstellung eines deutschen demokratischen Staates - verhelfen wird. Der jetzt vorliegende Vertrag enthält nicht nur nichts zur Frage des Selbstbestimmungsrechts und der Wiedervereinigung, sondern er beendet ausdrücklich die eben zitierte vertragliche Verpflichtung. Zum Beispiel hier haben Sie, Herr Bundeskanzler, der Sie uns immer sagen, Sie hätten nichts aufgegeben, hier haben Sie konkret etwas aufgegeben, nämlich die gemeinsame Verpflichtung mit der Sowjetunion, Deutschlands Einheit herzustellen. ({64}) So fehlen - und bei dieser Vorgeschichte ist das Fehlen jetzt natürlich eine besonders bedeutende Tatsache - die Einbeziehung des Selbstbestimmungsrechts und das Ziel der Wiedervereinigung im Vertrag. Dieser Mangel wiegt schwer. Die vier Interpretationen, die dazu veröffentlicht wurden, heilen ihn nicht, sondern machen ihn noch schlimmer. Ich stimme dem früheren Generalsekretär der NATO, Brosio, zu, der kürzlich, am 20. September 1971 - da war er noch im Amt -, in London im Zusammenhang mit dieser Politik von einem „hohen Preis" sprach; denn es sei - so sind seine Worte - „kein Erfolg, wenn die Anwendung eines der Grundprinzipien der freien Welt, nämlich des Rechts auf Selbstbestimmung der Völker, auf unbestimmte Zeit verschoben wird". ({65}) Dies ist das Wort eines erfahrenen Diplomaten. Nun hat zwar die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage, die später eine Rolle spielen wird, dazu ein paar Worte gefunden, die, wenn sie im Vertrag stünden, uns erfreuen würden. Aber sie stehen eben nicht im Vertrag, ({66}) und es gibt dafür auch keine Bestätigung der Sowjetunion. Deshalb soll sich hier niemand darüber hinwegtäuschen, daß in diesem Vertragswerk nun nicht nur das eine herausoperiert ist, sondern daß eben jeder Hinweis auf die wirkliche Realität fehlt, nämlich die, daß es unverändert ein deutsches Volk gibt, das aus einer großen Kultur heraus lebt, das eine Sprache spricht, eine Vergangenheit hat und den Willen zu einer gemeinsamen Zukunft hat. Das fehlt. ({67}) Nun ist die Auffassung der Sowjetunion zu diesen Fragen klar und eindeutig; sie ist uns gut bekannt. Da ich mir aber diese Auffassung nicht zu eigen mache, da ich hier nichts gegen die Interessen einer künftigen Deutschlandpolitik interpretieren werde, verzichte ich darauf, hier dazu mehr auszuführen. In den vertraulichen Ausschüssen wird das freilich geschehen müssen. Wir werden dort, Herr Kollege Scheel, nicht nur mitteilen, was wir, sowjetischen Gesprächspartner gesagt haben, sondern auch, wenigstens dem Inhalt nach, die Antwort, die dann gegeben worden ist. Dort werden Sie, Herr Bundeskanzler und Herr Kollege Scheel, uns allen reinen Wein einschenken müssen; denn die Verniedlichung, des Vertragsinhalts, so wie sie der Herr Außenminister im Bundesrat vorgenommen hat, als er am 9. Februar 1972 diese Politik als „den vertraglichen Gewaltverzicht auf der Grundlage des territorialen Status quo, als Ausgangspunkt für Entspannung und Zusammenarbeit" charakterisierte, diese Verharmlosung grenzt an Verschleierung des Inhalts dieser Politik, die doch in der ganzen Welt völlig anders verstanden wird. ({68}) Wenn Sie dafür einen Zeugen brauchen, zitieren Sie auch dieses Wort des Herrn französischen Staatspräsidenten, Herr Kollege Scheel, damit hier alles auf dem Tisch liegt. Ginge es nämlich um einen gegenseitigen Gewaltverzichtsvertrag, um einen Gewaltverzichtsvertrag mit dem Inhalt: wir wollen als Deutsche friedlich und in Freiheit zusammenleben, und wir verzichten darauf, dieses Ziel mit Gewalt zu erreichen, so würden wir dem zustimmen, weil das unsere Politik ist. Einen solchen Vertrag haben doch frühere Regierungen vorgelegt. Aber die Politik dieser Regierung ist eben nicht nur, wie sie uns einzureden versucht, Gewaltverzichtspolitik, auch nur noch temporär „überlagerte", was die Sowjetunion betrifft, sondern sie ist etwas ganz anderes. Sie haben sich doch, Herr Bundeskanzler, verpflichtet - das sind andere Dinge als Gewaltverzicht die DDR als zweiten deutschen Staat in die UNO zu bringen. Sie sind doch die Verpflichtung eingegangen, die innere Souveränität der DDR anzuerkennen. Was heißt „innere Souveränität der DDR"? Das sind all jene Tatbestände, die wir vorher beklagten. Sie haben sich verpflichtet, das Moskauer Konzept der gesamteuropäischen Konferenz zu unterstützen. Dann haben Sie auf der Krim einem Kommuniqué zugestimmt, in dem von der deutschen Frage nicht mehr die Rede ist. Und als ich Sie wegen der Kasseler 20 Punkte ansprach, dort fehle das Selbstbestimmungsrecht, haben Sie dies zurückgewiesen, weil dort auf die Menschenrechte abgehoben sei. Wir haben gesagt: gut, wenn das so gemeint ist. Aber inzwischen haben Sie kein Kommuniqué mehr, in dem von den Menschenrechten und der ungelösten deutschen Frage die Rede ist, meine Damen und meine Herren. ({69}) Das sind eben die zwei Wahrheiten, mit denen hier gearbeitet wird: die eine für die Kommuniqués nach außen, die andere hier im Innern, wo man von der Nation spricht durch den gleichen Kanzler, der zu Beginn seiner Regierung sagte, von Wiedervereinigung zu sprechen habe er sich abgewöhnt. Sie haben Verträge geschlossen, in denen nur das das Recht auf Selbstbestimmung, sondern auch das Ziel der Wiedervereinigung weder genannt noch gewahrt ist, in denen der illegale Gewaltvorbehalt der Sowjetunion nicht beseitigt, sondern nur „überlagert" wird, in denen Sie der Sowjetunion gegenüber alle europäischen Grenzen garantieren - ein Ausflug in Großmannssucht mit ungeahnten Konsequenzen. ({70}) Mit den Einlassungen des Außenministers sind einige Fragen aufgeworfen, die vor der Schlußabstimmung sicher für jedes Mitglied dieses Hauses klar und unmißverständlich werden beantwortet sein müssen. Es sind dies vier Fragen, die zu diesem Punkt hier gehören. Erstens. Hat die Sowjetunion endgültig und ausschließlich darauf verzichtet, unsere Politik der friedlichen Wiedervereinigung auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts künftig nicht mehr als aggressiv zu bezeichnen? Zweitens. Ist etwa das Fehlen jeder Bezugnahme auf die Lösung der deutschen Frage - anders als in früheren Verträgen - die Geschäftsgrundlage dieses Vertragswerkes? Drittens. Regelt etwa der Vertrag die Beziehungen Bonn-Moskau abschließend und ausschließlich und so, daß dazu eben nun nichts mehr gehört, was mit Deutschland als Ganzem zu tun hat? Viertens. Regelt etwa das Vertragswerk alles so, daß ein späterer Friedensvertrag das lediglich zu „bestätigen" haben wird? Oder ist etwa diese Auffassung irgendwann im Laufe der Gespräche, Unterhaltungen oder Verhandlungen in - Moskau von einem Mitglied dieser Regierung oder einem ihrer Beauftragten erklärt worden? Die Antwort auf die letzte Frage bedeutet zugleich - damit Sie wissen, um was es hier geht - die Antwort zu Art. 79 des Grundgesetzes. Über den dritten Punkt, die Freizügigkeit, haben wir einiges gesagt, und wir haben einen Stufenplan vorgelegt, der sicher in der Debatte und in den Ausschüssen noch seine Rolle spielen wird. Wir glauben, in einem verbindlich vereinbarten. mehrjährigen Ablauf könnte Stufe um Stufe für Freizügigkeit hin und her festgelegt werden. So sollte z. B. die Altersgrenze für Ost-West-Reisende jährlich gesenkt werden, bis in einer absehbaren Zeit auch junge Menschen aus der- DDR in die Bundesrepublik Deutschland reisen können. Reisen in dringenden Familienangelegenheiten sollten in beiden Richtungen unbehindert sein. Der Heirat von Personen aus beiden Teilen Deutschlands sollten Hindernisse nicht mehr in den Weg gelegt werden. Und warum sollte es nicht möglich sein, in einer Form wie der der Berliner Passierscheine Wochenendbesuche Westdeutscher bei Verwandten in der DDR zu ermöglichen? Entsprechend der gesenkten Altersgrenze der Ost-West-Reisenden sollten, wie wir meinen, Wochenendbesuche von Besuchern aus Mitteldeutschland bei ihren Verwandten in der Bundesrepublik' Deutschland möglich gemacht werden. Ein derartiges zu vereinbarendes Stufenprogramm böte durch verbürgte und unwiderrufliche Erleichterungen die Gewähr für den Beginn eines innerdeutschen Ausgleichs, der das Wort „Modus vivendi" dann vertritt. ({71}) Ein Verkehrsvertrag dagegen - Sie haben davon gesprochen, Herr Bundeskanzler -, der die gegenwärtigen Rinnsale innerdeutschen Verkehrs lediglich in eine von der DDR gewünschten völkerrechtlichen Form brächte, so etwas würde auf den entschiedenen Widerstand der CDU/CSU treffen. Ich sage dies, weil Sie hier sagten, es gebe am Schluß die Notwendigkeit parlamentarischer Zustimmung. Ich sage dies also rechtzeitig. Meine Damen und Herren, an den Grenzen zum Ausland findet sich durchschnittlich alle 8 km ein allgemein zugänglicher Grenzübergang. An der innerdeutschen Demarkationslinie entfällt auf 112 km ein einziger Übergang, von der Zahl der Personen, die hier hinüber und herüber passieren dürfen, ganz zu schweigen. Dies darf nicht so bleiben. Denn selbst zur Tschechoslowakei gibt es doch, bezogen auf die Grenzkilometer, mehr als doppelt so viele Übergänge wie zum anderen Teil Deutschlands. Dies, Herr Bundeskanzler, ist wieder eine der deutschen Realitäten, die anzuerkennen oder mit denen uns abzufinden wir uns entschieden weigern. Damit nicht noch einmal im Laufe der Debatte hier Pappkameraden und Popanze aufgebaut werden, füge ich hinzu: Das Abkommen mit der DDR könnte in der gleichen verbindlichen Weise den Abschluß eines Grundvertrages über die beiderseitigen Beziehungen vorsehen, der freilich erst rechtskräftig gemacht wird, sobald bestimmte wesentliche Teile des vereinbarten Programms zunehmender Freizügigkeit in beiden Richtungen realisiert und damit gegenseitig und unwiderruflich gemacht worden sind. ({72}) Meine Damen und Herren, es muß, so glauben wir, der DDR zugemutet werden, der Realität der Einheit unseres Volkes in dem Maße Rechnung zu tragen, in dem wir jener Realität ins Auge sehen müssen, daß die staatliche Einheit in absehbarer Zeit wohl kaum wird verwirklicht werden können. Dieser Vorschlag - und ich meine, die Bundesregierung hätte es sich gewiß ersparen können, ihn abzulehnen - ist das Gegenteil von „alles oder nichts". Er mutet der DDR nicht zu, auf einen Schlag volle Freizügigkeit einzuräumen. Er verbindet den politischen Modus vivendi mit dem Recht auf Freizügigkeit und setzt realistisch Programmpunkte in eine realisierbare, zeitlich festgelegte Vertragspolitik um. Ich meine, meine Damen und Herren, es muß in Erinnerung gerufen werden, daß unsere Landsleute in Erfurt doch nicht einem Bundeskanzler zugerufen haben, um ihn etwa in seiner Zielsetzung zu beschränken. Wenn es richtig ist, daß die Sowjetunion eine Phase der Entspannung in Europa ernsthaft will, so bedarf es auf unserer Seite der Klarheit und der Beharrlichkeit in den eigenen Zielvorstellungen und einer nervenstarken Geduld, um auch mit der DDR über das, was innerdeutsch notwendig ist, ins reine zu kommen. Jeder Erfolgszwang, unter den man sich selbst setzt, jede Hektik verhindert hier den möglichen Erfolg, den Erfolg, der für den Frieden in Deutschland und für einen tragfähigen europäischen Frieden eine unentbehrliche Grundlage ist, nämlich Fortschritt durch Ausweitung von Menschenrechten. Manch einer wird nun fragen - und ich komme auf eine dieser Fragen nachher noch zurück -, wie alles dies erreicht werden könne. Meine Damen und Herren, zum Beispiel so, daß wir alle hier übereinkommen, dieses Vertragswerk liegen zu lassen, bis der befriedigende innerdeutsche Vertrag vorliegt, den ursprünglich die Regierung selbst verlangt hat. ({73}) Und wer von dem gestern gegebenen Zeichen aus Ost-Berlin spricht, der sollte doch sehen, daß hier bei Beharrlichkeit und Geduld ({74}) sicherlich mehr möglich ist. - Ja, glauben Sie, Herr Schäfer, durch Nachgiebigkeit noch mehr zu erreichen? ({75}) Ich verstehe an dieser Stelle, Herr Kollege Schäfer, Ihre - verglichen mit sonst geringe Unruhe ({76}) und möchte deshalb doch noch wiederholen: Die Regelung der innerdeutschen Probleme war doch - so sagten Sie wenigstens zu Anfang, und deshalb haben Ihnen viele in der Bevölkerung dieses Wort abgenommen und haben deshalb geglaubt, hier passiert etwas - der Kern und das Ziel dieser ganzen Ostpolitik. Und warum nun eigentlich - die Frage müssen Sie doch beantworten sollen wir alles regeln, was für die Sowjetunion interessant ist, uns aber mit der Hoffnung begnügen, irgendwann würden auch die deutschen Dinge schon ins Lot kommen? ({77}) Meine Damen und Herren, hält man nun ,unseren Vorstellungen und unseren Prinzipien das gegenüber, was hier in Vertragsform vorliegt, so ist unser Urteil wohlbegründet. Das Vertragswerk gibt den Sowjetrussen, den Polen und der DDR das meiste oder beinahe fast alles von dem, was sie wollen: Es bringt den Europäern und den Deutschen keinen Fortschritt - falls man, wie wir es tun, Fortschritt als reale Verbesserung für die Menschen, für ihre Rechte und deren soziale Basis im 'Alltag betrachtet. Zu diesem unvollständigen, in Leistung und Gegenleistung unausgewogenen, im Inhalt mißdeut9762 baren Vertragswerk sagen wir, die CDU/CSU, in aller Verantwortung: So nicht. ({78}) Unser Maßstab für das, was Entspannung konkret heißen soll, für das, was wir unter Entspannung in Deutschland verstehen, entspricht dem der freien Welt. Er ist derselbe, den inzwischen die NATO mehrmals beschlossen hat und der ja in Kommuniqués genannt wird: Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Meinungen als der Beweis und der Maßstab für Entspannung. Wer uns diesen Maßstab vorwirft, stellt sich also nicht nur gegen uns. Und wer uns deshalb unser „so nicht" vorwirft, wirft uns vor, daß wir an das glauben, was wir sagen. Bleibt noch, meine Damen und Herren, ({79}) - Herr Mattick -, der Einwand, ob man nicht zuerst alles anerkennen müsse, um hinterher zu erträglicheren Regelungen und Wirklichkeiten zu kommen. Das ist doch der Einwand, der eine Rolle spielt. - Nun, meine Damen und Herren, erfahrene und erfolgreiche Unterhändler mit den Moskauer Führern aus Ost und West - Unterhändler aus Ost u n d West! - lehren doch beharrlich, daß auf Gegenleistung und auf späteres Entgegenkommen vergeblich wartet, wer vorher alles selbst aus der Hand gab. ({80}) Meine Damen und Herren, auch die Bundesregierung hat das doch erfahren müssen. Oder ist es ein Gerücht, daß man in Warschau in humanitären Fragen zugeknöpfter ist, als man hier in der Koalition beim Abschluß des Vertrages erwartete? Ist es falsch, daß von den großen Geschäften, die uns im August 1970 an die Wand gemalt worden sind, nicht mehr die Rede ist? Ist es falsch, meine Damen und Herren, daß der wirtschaftliche Austausch mit der Sowjetunion stagniert, daß er, der sich von 1959 bis 1969 verdoppelt hatte, nun rückläufige Tendenz hat? Oder wird irgend jemand bestreiten, daß die DDR, wie der Bericht zur Lage der Nation selbst ausweist und wie der Zusatz über die Schrecklichkeiten von uns hinzufügt, trotz aller Verträge - oder vielleicht gar wegen der Verträge - den innerdeutschen Graben durch betonte „Abgrenzung" tiefer macht? Meine Damen und Herren, Sie können nicht leugnen, daß Sie mit den Unterschriften unter die Verträge große Hoffnungen und Erwartungen verbanden, daß Sie sie auch im Volk erzeugt haben. Ich versage es mir, die bombastischen Wortzeugen aus dem Koalitionslager aus der Zeit des Überschwangs im August 1970 hier auch nur zu zitieren. Was ist denn aus diesen Hoffnungen und Erwartungen geworden? ({81}) Was ist denn aus all dem geworden, was hier an Hoffnungen erzeugt worden ist? Was haben die Menschen davon? ({82}) Und nun knüpfen Sie, wie Sie zurufen, die Hoffnungen, die Sie ursprünglich an die Unterschrift banden, an die Ratifikation. Woher nehmen Sie den Mut zu dieser Hoffnung? ({83}) Sehen Sie, am Beginn dieser Politik wußten Sie noch, daß vergeblich hoffen wird, wer alles vorher weggibt. Es sind doch des Bundeskanzlers eigene Worte, ich nehme an, nicht leichthin gesprochene, sondern verantwortlich als Kanzler im Amt gesprochene Worte, daß das innerdeutsche Verhältnis geklärt sein müsse, bevor es eine Sicherheitskonferenz geben könne; daß die DDR - so immer noch der Kanzler - den Nachholbedarf an wechselseitigem Austausch wie an Zusammenarbeit erfüllen müsse, bevor es zu engen Beziehungen komme; daß die Bundesregierung nur dann über vieles mit sich reden lasse, wenn dabei gleichzeitig auch die Erleichterungen für die Menschen im geteilten Deutschland herauskämen; daß die Entspannung Deutschland nicht ausklammern dürfe und daß - so immer noch der Bundeskanzler - zur Normalisierung gehöre, daß die Menschen hüben und drüben etwas davon hätten: daß der innerdeutsche Vertrag auf der Grundlage der 20 Kasseler Punkte unverzichtbarer Bestandteil des Ganzen sei. Dies letztere ist sogar ein Leitsatz, den die ganze Regierung beschlossen hat. Nun legen Sie trotzdem ein Vertragswerk ohne die Regelungen vor, die Sie selbst verlangten, - ein unvollständiges Vertragswerk also, wenn man Ihren eigenen Worten glaubt. Wer Ihren ursprünglichen Maßstab zugrunde legt, Herr Bundeskanzler, muß dieses Vertragswerk schon deshalb als unvollständig und unzureichend vertagen oder ablehnen. ({84}) Was haben denn - so der eigene Maßstab des Urteils - die Menschen hüben und drüben von diesen Verträgen? Wo sind die gleichzeitigen Erleichterungen? Wo ist der befriedigte Nachholbedarf an Austausch und Zusammenarbeit? Sie selbst haben doch alle Verträge in verbindlicher Weise zur Einheit erklärt: Moskau, Warschau, Prag, innerdeutscher Vertrag, und der nur bei wesentlichem Durchsetzen Ihrer 20 Kasseler Punkte; und genau der fehlt. Wo, Herr Bundeskanzler, ist der innerdeutsche Vertrag? Das ist die Frage, die die Opposition jetzt hier stellen muß. ({85}) Wo ist der Vertrag, den zu erreichen Ihre erklärte Politik war und der der Kern der Entspannung sein sollte? Wo ist davon auch nur ein Stückchen? ({86}) Glauben Sie nach allen Erfahrungen, die Sie in den über zwei Jahren haben machen müssen, diesen Vertrag leichter zu bekommen, wenn Sie zuerst den Sowjets den Moskauer Vertrag geben? Das Ganze ist ein Torso, das Wichtigste fehlt. Wieder stecken Sie zurück. Wieder geben Sie Trümpfe für nichts als Hoffnungen aus der Hand. So will ich nicht verschweigen-Ministerpräsident Stoltenberg hat das im Bundesrat im einzelnen dargetan - daß unser Urteil auch von Mißtrauen bestimmt ist, das der Bundeskanzler selbst nährt, indem er seine Positionen ständig verändert. Die beharrlichste Konsequenz, die wir in diesen Fragen erleben, ist die Entschlossenheit, immer wieder nachzugeben. ({87}) Für dieses konsequente Nachgeben hat der Bundeskanzler selbst soeben wieder Beispiele geliefert. ({88}) Früher hieß es, die Menschen hüben und drüben könnten und würden für uns nicht und nie Ausland „sein". Heute heißt es, sie würden sich wohl nie so „empfinden". Da wird ein objektiver Sachverhalt in den Bereich einer politisch irrelevanten Gefühlswelt verschoben! ({89}) Früher war die Rede davon, daß menschliche Erleichterungen vor Inkrafttreten des Vertragswerkes greifbar sein müßten. Heute haben wir vom Kanzler gehört, daß er die Hoffnung nicht aufgebe, daß es zu diesen Erleichterungen irgendwann komme. ({90}) Meine Damen und Herren, wir gehen weiter. Wir fragen nach den Prinzipien einer Politik, die - wegen Verletzung der Menschenrechte - z. B. Griechenland, dessen innere Ordnung wir ablehnen, vom Europarat suspendieren will, aber gleichzeitig - trotz Verletzung der Menschenrechte - die DDR in die Vereinten Nationen hineinbringen will. ({91}) Herr Bundeskanzler, Sie sagen, durch Ihr Vertragswerk werde nichts verschenkt und gehe nichts verloren. Warum wohl haben dann die Führer des Ostblocks - konsequent und mit großem Einsatz, mit einem Einsatz bis zu internationalen Krisen um das gekämpft, was Sie „nichts" nennen? Warum rühmen sich die Führer des Ostblocks nun dieser Verträge als ihrer großen Siege? Doch wohl nicht, weil sie mit diesen Verträgen nichts bekommen haben. Und warum sieht sogar „Time" in New York - Ihnen gewiß zugetan - in dem Vertrag einen „diplomatischen Sieg der Sowjetunion"? Wer die deutschen Vorleistungen dieses Vertrages als „nichts" bezeichnet, hat zu Aussöhnung und Geschichte ein anderes Verhältnis als wir! ({92}) Sie sagen, Ihre Politik und diese Verträge machten „den Frieden sicherer". Wer wollte, wenn das real und solide mit Tatsachen begründet wäre, dem die Zustimmung versagen? Doch keiner! Aber wo sind die Tatsachen, die diese Aussage begründen? Sie argumentieren mit Hoffnungen, wo Tatsachen, und mit Perspektiven, wo Wirklichkeiten entscheidend sind. Die anderen bekommen konkret, was sie wollen: Tatsachen. Wir werden mit Hoffnungen abgespeist. Die Verteidigungsausgaben des Warschauer Paktes steigen. ({93}) Die DDR geht auf den Kurs betonter Feindseligkeit und Abgrenzung. Der Schießbefehl ist geblieben wie die Gewalt gegen 17 Millionen Deutsche. Die Sowjetunion verstärkt die Abhängigkeit der Mitgliedstaaten ihres Herrschaftsbereiches wie ihre Gegnerschaft zur Vereinigung des freien Europa. Polen zögert mit humanitären Maßnahmen und findet das nötige Wort der Aussöhnung nicht. Die Kommunisten im Lande fühlen sich sicherer und werden frecher. ({94}) Mehr junge Menschen fragen nach dem Sinn der Wehrpflicht, andere nach dem des Verteidigungshaushalts. Meine Damen und Herren, das kommt, wenn die amtliche Politik aufhört, die Dinge beim Namen zu nennen. ({95}) Dies ist keine wertfreie Ordnung, dies ist ein freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat mit Prinzipien, die zu niemandes Debatte stehen, auch nicht zur „wertfreien Schöpfung", meine Damen und Herren. ({96}) Manch einer glaubt - und er wird verwirrt gemacht -, daß mit der außenpolitischen Öffnung nach Osten notwendigerweise die innenpolitische Öffnung zum Sozialismus Hand in Hand gehen müsse. ({97}) So sehen wir allein die weitergreifenden Forderungen der Kommunisten „sicherer" geworden. Wir sehen, wie der Wille unserer Gegner - unser, als Demokraten, aller Gegner - stärker wird und wie zugleich der Wille schwächer wird, sich für unsere gute und gerechte Sache einzusetzen. Das kommt, wenn man die wirklichen Spannungsursachen mit den Forderungen der Kommunisten verwechselt. Die wirklichen Spannungsursachen: das ist die Verweigerung von Menschenrechten in Deutschland und in Europa und nichts anderes. Die Forderungen der anderen sind weitgehend ohne Gegenleistung erfüllt, und die Entspannung bleibt aus. Warum? Weil man eben die Spannungsursachen mit den wirklichen Spannungen verwechselt hat. Wer eigentlich verunsichert in Europa den Frieden? ({98}) Doch nicht die Deutschen, die Freizügigkeit wollen, oder etwa das Offensein der deutschen Frage bei gleichzeitiger Erklärung, diese Politik nur mit friedlichen Mitteln führen zu wollen. Wer verunsichert den Frieden in Europa? Etwa das Bündnis oder die deutsche Politik, die ein für allemal kontrolliert, verfassungskräftig und völkerrechtlich wirksam auf Ge9764 walt verzichtet hat? Oder etwa unsere Vertriebenen, die Ausgleich nicht nur zu ihrem Programm, sondern auch zu ihrer Praxis gemacht haben? Nein, hier in der freien Welt verunsichert keiner den Frieden, sondern der wird von anderswoher verunsichert. ({99}) Deshalb könnten allein Änderungen von Tatsachen den Frieden sicherer machen. Diese Tatsachen hat die Politik der Bundesregierung bisher nicht geschaffen. Von Aussöhnung spüren die Menschen nichts. Die Politik dieser Bundesregierung führt nicht zu mehr Freiheit, sondern zu mehr Abhängigkeit; ({100}) nicht zum Brückenschlag, sondern zur Verhärtung. Sie bringt nicht das innerdeutsche Miteinander, sondern sie organisiert und institutionalisiert die Rivalität und die Spannung. Wir wollen dauerhaften Frieden, wirksame Entspannung und Freiheit für die Menschen. Wir wollen, daß das freie Europa sich vereinigt und mit den anderen Staaten Europas zusammenarbeitet, daß Selbstbestimmungsrecht und Freizügigkeit - und die gehören zu unserer Überzeugung - zur dauerhaften Friedensordnung führen, der dann die Völker zustimmen, weil die Menschen greifbar und spürbar etwas davon haben. ({101}) Wer dies mit uns will, meine Freunde - meine Damen und Herren -({102}) - ich habe Sie damit sicherlich nicht gemeint, Herr Kollege Schäfer, ganz sicherlich nicht gemeint -, ({103}) wer diese Ziele will, der kann sich nicht damit begnügen, daß der Bundeskanzler zu ihm kommt und sagt: „Es wäre doch ganz schrecklich, wenn jetzt in der öffentlichen Meinung der Eindruck erweckt würde,. hier sei einer mehr für Europa als der andere, mehr für Freizügigkeit und Selbstbestimmung." Wodurch ist denn der. Eindruck entstanden? Dadurch, daß Sie dieses Vertragswerk gemacht haben, das diese drei Grundentscheidungen, für die wir aus Überzeugung stehen, gefährdet! ({104}) Deshalb sagen wir: So nicht! ({105})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren! Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein verehrter Herr Vorredner hat über vieles gesprochen. Es ist auch zuzugeben, daß bei einer solchen Entscheidung vieles bedacht und auch vieles von dem, was man bedacht hat, besprochen werden muß. Über eines allerdings hat Herr Dr. Barzel nicht gesprochen, was nämlich seinerseits, in der CDU/CSU, geschehen wird, wenn die Verträge ratifiziert sein werden. Ich gebe zu, Herr Dr. Barzel, daß Sie jetzt taktisch den Eindruck erwecken wollen und auch müssen, daß es gar nicht dazu kommt. Sie haben eine probate Möglichkeit, die sozusagen zwischen Ja und Nein liegen soll, Ihr Angebot nämlich, die Verträge liegenzulassen. ({0}) Das ist also die dritte Möglichkeit, weder Mann noch Frau, sondern eine dritte Möglichkeit. ({1}) Herr Dr. Barzel! Sie haben selbst von einer geschichtlichen Bedeutung gesprochen, die der Entscheidung zukomme, die hier zu treffen ist. Meinen Sie, daß das Liegenlassen von geschichtlicher Bedeutung wäre oder so definiert werden könnte? Sie haben hier eine Menge dessen, was veränderungsbedürftig und was anzupacken notwendig ist, gesagt, manchmal im Tone des Anklägers, so als ob das, was Sie da sagen - ein Teil dessen -, nicht auch von anderen als anzupacken für richtig gehalten wird. Aber natürlich muß die Pose des Anklägers bei dem Sprecher der Opposition auch vorhanden sein. Sie haben darüber, worum es hier geht, nämlich um diese konkreten Verträge und ihre Ratifikation, die wir mit dieser ersten Lesung eingeleitet haben, nachdem die andere 'Kammer, „das Herrenhaus", der Bundesrat, sie schon im ersten Durchgang behandelt hat, so gut wie nicht gesprochen. Sie haben das verdeckt durch Beteuerungen und durch - ich danke! - Belehrungen. ({2}) Was mich angeht, so bin ich mit dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen im Einklang, wenn er die große Bedeutung der Verträge für die friedliche Entwicklung Europas hervorgehoben hat und auch dargelegt hat, wieso dies so ist. Nach unserer Ansicht sind westeuropäische Integration und gesamteuropäische Notwendigkeiten etwas, was einander nicht ausschließen oder blockieren muß, sondern was in eine Beziehung zueinander' gebracht zu werden verdient. Unsere Überzeugung ist, daß die Konsequenz, die aus den Westverträgen gezogen werden muß, die Ostverträge sind, und zwar nicht, um sie dann liegenzulassen. Wenn allerdings zu den Ostverträgen sachlich so gut wie nichts gesagt wird - -({3}) - Keineswegs. Mir wäre wohler, verehrter Herr, wenn ich hätte schlafen können. Aber wie sollte ich denn das angesichts einer solchen Attraktion, die wir heute hier hatten! ({4}) Nein, nein, das ist es nicht. Ich nehme an, daß ein folgender Redner noch einen weiteren Stein, den er schon in der Tasche hat, werfen wird. Vielleicht ist das sogar der Herr Dr. Jaeger höchst selbst, der dieWehner ser Tage die Ostverträge - ich muß das zitieren, weil dieser Ausdruck bei Herrn Dr. Barzel allerdings fehlte - so qualifiziert hat: „Die Ostverträge drohen für das deutsche Volk nicht nur territorial, sondern auch finanziell zu einem Super-Versailles zu werden." ({5}) - Da würde ich gar nicht „Pfui" rufen. Dies sage ich an die Adresse meiner eigenen Richtung. - Das ist nämlich berechnet, das ist eine Spekulation auf Wirkungen, wie sie die Versailles-Legende der Deutschnationalen in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg gezeitigt hat. ({6}) - Das können Sie gern haben, Herr Rösing; wenn das in Ihre Zuständigkeit fällt, leihe ich Ihnen das. ({7}) Herr Dr. Barzel selbst hat von einer unterschwelligen Propaganda draußen gesprochen. Das ist sicher etwas, dem man zu Leibe gehen sollte. Ich denke, daß dann auch jene Flugblätter mit drankommen, von denen ich hier ein Mappe habe - ich mache sie im Augenblick nicht auf, Herr Barzel -, jene Mappe mit Flugblättern in der Lesart von „AKON" oder „GOG" oder wie diese eigentümlichen Splitter rechts draußen heißen, die von Ihnen angezogen werden, wie ein Magnet solche Splitter anzieht, und mit denen nun nicht nur eine unterschwellige, sondern eine direkte, hetzerische, eine Haßpropaganda betrieben wird. - Sicher, einige von Ihnen lachen darüber, weil sie ja auch bei Schlimmerem schon gelacht haben. ({8}) Ich wollte nur sagen, Herr Barzel: ich habe sehr gut verstanden, daß Sie vor dieser Debatte öffentlich zur Sachlichkeit gemahnt haben und daß Sie sich dieser sicher auch befleißigen. Da steht es mir nicht zu, Zensuren zu geben. ({9}) Aber glauben Sie bitte nicht, daß man es sich so einfach machen kann, daß man, weil man zur Sachlichkeit aufgerufen hat, sich nachher fast alles erlauben kann. ({10}) Das paßt auch nicht zueinander. ({11}) Ich bedauere z. B. sehr, daß auch eine Persönlichkeit - deren Integrität ich sehr hoch schätze und respektiere, ungeachtet völlig konträrer Auffassungen, die wir in Fragen der Politik haben - wie der. Freiherr von und zu Guttenberg - ({12}) - Ich bitte Sie; das kann ja sein, daß Sie neuerdings ganz intim sind, nachdem er seine Auffassungen über bestimmte Personen in der CSU offensichtlich ein wenig geändert hat. Aber das ist nicht meine Sache, darüber zu befinden. Ich habe da schon Worte -gehört, die ich jetzt auf andere angewandt höre, nämlich daß Gegner summarisch als „Faschisten" und das, was sie wollen, als „roter Faschismus" bezeichnet werden. Wenn man damit anfängt, verliert man insgesamt das Augenmaß für die konkrete Wirklichkeit. Ich will hier keine Retourkutsche fahren; ich warne Sie nur davor. Das haben andere schon gemacht, die dann jeden Gegner, besonders wenn er ihnen gewachsen zu sein schien, als „Faschisten" und das, was er wollte, als „Faschismus" bezeichnet haben. Das geht ganz schlimm aus. Im übrigen aber auch noch folgendes zu diesen Klagen. Ich unterstelle keinem, Herr Dr. Barzel - ich meine, keinem auf Ihrer Seite -, daß er Krieg wolle oder daß er mit einer Politik auf Krieg spekuliere. Das ist eine Sache, bei der wir auch im größten Zorn und in der höchsten Erregung keine Konzession machen sollten. ({13}) - Lassen Sie sich das doch einmal gesagt sein, verehrter Herr! Sie können sich, ich weiß nicht, wie viele Stunden - die Stunden sind ja ausgerechnet, in denen man sich austoben kann -, jedenfalls noch viele Stunden bis Freitagnachmittag hier produzieren, und es wird immer wunderbar sein. Nein, nein, wir machen das so lange, bis wir uns gegenseitig völlig zum Halse heraushängen werden. ({14}) Das ist auch eine Therapie. Ich möchte nur sagen: es wäre verhängnisvoll, wenn die deutsche Politik oder deutsche Politik überhaupt etwa in der Vorstellung betrieben würde, daß man zunächst damit beginnen könnte, sich sozusagen die Eskalation von Konflikten Dritter oder an anderen Stellen, möglichst weit weg, zunutze zu machen. Manche Begründungen für die Notwendigkeit, jetzt nicht nur eine Ost-, sondern auch eine Fernostpolitik zu machen, also uns sozusagen zu überspielen, was ich jedem gönne, sind nicht ganz frei von der Vorstellung, daß es, da es zwei recht bedeutende Mächte gibt, die miteinander zerstritten sind, gut wäre, doch einmal zu sehen, ob es nicht möglich ist, auch zu den anderen einen Faden zu bekommen. Ich sehe hier noch zwei Herren, die 1964 dafür verantwortlich waren; Sie nicht, der Sie gerade den Kopf schütteln; Sie waren damals bei der FDP, Sie sind jetzt bei der CDU. ({15}) Sie sind damals nach Washington gekommen, der eine etwas später als der andere, und da hatte der andere schon dem damaligen Präsidenten Johnson zugestanden, daß aus dem damals im Werden befindlichen und weitgehend unterzeichnungsreifen Abkommen mit Peking nichts würde. Sie kennen das. Jetzt wollen Sie, daß wir uns hier beeilen. 1964 haben Sie das stillschweigend begraben, weil jemand mit dem Finger drohte. Das waren damals die Amerikaner. Und weil diese nun nach Peking gegangen sind, müssen wir nicht unbedingt auch gleich dort sein. Wir wollen normale Beziehungen. Wir wollen da, wo es geht, auch freundliche Be9766 Deutscher Bundestag 6. Wahlperiode Wehner ziehungen, aber m i t jemandem und nicht mit jemandem gegen andere, z. B. mit den einen gegen jene und mit den anderen gegen andere. ({16}) Ich glaube, daß wir uns in dieser Beziehung auch noch finden werden. Außerdem haben Sie vorher, Herr Dr. Barzel, noch die Sache mit der CSU auszutragen, die bis jetzt die Verbindung zu Taiwan gepflegt hat, die ja keine offizielle diplomatische ist, sondern diese Verbindung haben die Herren, die hier sitzen, die freundlichen Reisenden, gepflegt, ({17}) und sie haben es sich gegönnt, auch einmal einen von der CDU mit den Haxen zu stoßen, ({18}) weil er in dieser Frage anderer Meinung war. ({19}) - Ach ja, aus jeder Fraktion! Sie erfahren allerdings am meisten, weil Sie die meiste Zeit beim Skatspielen verbringen. Darum beneide ich Sie so, ({20}) weil die anderen etwas profanere Arbeiten zu leisten haben. Nein, nein, das ist es nicht. Diese Beziehungen sind ein heikles Kapitel, und man sollte sehr behutsam damit umgehen. Ich glaube, daß die Regierung in dieser Beziehung keine Leichtfertigkeiten und auch keine Nachlässigkeiten dulden wird. Aber ich möchte an diesem Tage Ihnen, Herr Dr. Barzel, etwas zu treuen Händen zurückgeben, was mir am 30. Juni 1960 Ihr Mitvorsitzender im anderen Teil Ihrer CDU/CSU, nämlich der Herr Franz Josef Strauß, ein wenig verklausuliert gesagt hat. Da sagte er zu meinen damaligen konkreten Vorschlägen, die ich als Sprecher der Opposition in einer Lage, die schwierig war, machte: Es gibt eine normative Kraft des Faktischen - das haben wir erlebt -, aberes gibt keine faktenersetzende Kraft des Phraseologischen. Das, Herr Kollege Barzel, gebe ich Ihnen zu treuen Händen zurück. ({21}) Herr Strauß, der es mir damals geschenkt hat, wird mir nicht böse sein, daß es mir so teuer war, daß ich es jetzt einem, der ihm am nächsten steht, überreiche. ({22}) Wenn man so eine Weile lebt, hat man Gelegenheit, das, was in verschiedenen Zeiten, bei verschiedenen Zeitumständen kommt, ein wenig miteinander in Berührung zu bringen. Ich jedenfalls bin in dem entscheidenden Punkt anderer Meinung als Sie, Herr Dr. Barzel. Ich sage das als jemand, der sich viele Jahre bemüht hat, in der Opposition gegenüber einer Regierung und gegenüber Regierungsparteien stehend, die es mit der Opposition nicht immer gerade sehr fair trieben - ({23}) - Das sage ich doch ohne Bitterkeit. Das sehe ich sozusagen im Abendsonnenschein, meine verehrten jüngeren Kollegen, die Sie schon so alle mit den Hufen trappeln. ({24}) Wir haben uns immer bemüht, ein Viermächtedach für unsere Vorschläge zustande zu bringen. Ich denke noch an eine der Unterredungen, die mein leider verstorbener verehrter Freund Ollenhauer zusammen mit mir mit dem leider verstorbenen verehrten Kollegen von Brentano vor einer der bedeutenden Genfer Konferenzen hatte. Unsere Vorschläge, sagte Herr von Brentano, seien sehr, sehr wichtig und sehr gut, man könne vielleicht auch auf sie zurückkommen; man sollte sie jedenfalls gewissermaßen bewahren, vor allem weil wir damals immer ganz korrekt und sorgfältig, den Veränderungen gegenüber früheren Konferenzen entsprechend, weil ja immer weiter erudierte, was man die deutsche Frage nannte, ein für die Zeit noch passendes Viermächtedach oder eine Viermächtebezugsstelle geschaffen und, wenn es notwendig war, konstruiert haben. Immer ging es dabei um die Regelungen zwischen den Teilen Deutschlands. Jetzt, wo es endlich ein solches Dach gibt und Sie in der Opposition stehen, Herr Dr. Barzel, versagt sich die nunmehrige Opposition. Sie fragen: Wo ist der Vertrag? Sie haben schon einmal gesagt, erst müßten außer dem Moskauer und dem Warschauer Vertrag - wo Sie gesagt haben: Die sind schlecht - noch Verträge mit Prag und den anderen Ländern und ein unwiderruflicher innerer Vertrag vorliegen, dann würden Sie darüber befinden, w ie Sie zu dem Moskauer Vertrag Stellung nehmen. Das haben Sie auch schon einmal anders gesagt. Sie wollten es damals auch liegenlassen, bis weitere Verhandlungen mit anderen über andere Verträge gemacht worden seien. Nun fragen Sie heute: Wo ist denn der innerdeutsche Vertrag? Ich sage in dem Zusammenhang, es wäre an der Zeit, all denen zu danken, die das Viermächteabkommen über Berlin und auch die ergänzenden Vereinbarungen möglich gemacht und zustande gebracht haben. ({25}) Das sollte man nicht so beiseite tun. Was immer gegen den Moskauer Vertrag eingewandt werden mag, was immer seitens der Opposition dagegen eingewandt worden ist, daß die Verträge von Moskau und Warschau vor dem Zustandekommen einer Berlin-Regelung unterzeichnet worden seien, die Tatsache ist jedenfalls nicht mehr zu leugnen, daß das Berlin-Abkommen der Vier zustande gekommen ist und daß die zwischen den deutschen Seiten auszuhandelnden ergänzenden Vereinbarungen schließlich, wenn auch unter Knirschen, ebenfalls zustande gekommen sind. Da haben Sie etwas, was es bis dahin nie gegeben hat. Ich bin der Überzeugung, daß das ohne des Bundeskanzlers und des Außenministers Unterschriften unter den Moskauer Vertrag so nicht möglich geWehner worden wäre. Damit schmälere ich keine andere Initiative bzw. keinen anderen Beitrag, beispielsweise den von Präsident Nixon, der damals bei Siemens den Anstoß dazu gegeben hat, und anderer. Keineswegs! Nur haben auch ausländische Diplomaten, darunter einer, der kürzlich Bonn verlassen hat und dem ich einen dicken Dank für das mit nach Hause gegeben habe, was er geleistet hat ({26}) und was die Botschafter insgesamt geleistet haben, gesagt, daß man das nie hätte erwarten können. Ich meine Herrn Rush, der jetzt zu anderen Verrichtungen nach Washington zurückgegangen ist. Die Diplomaten waren also einsichtig und überzeugt, daß ohne des Bundeskanzlers und des Außenministers Unterschriften unter den Moskauer Vertrag das Abkommen so nicht möglich geworden wäre. Deswegen meine ich: Über das Berlin-Abkommen sollten alle froh sein. Es sollte auch niemand aus Gegnerschaft gegen unsere Bundesregierung - es ist ja erlaubt, gegen sie zu sein - die Freude über das Berlin-Abkommen verdrängen zu müssen meinen. Man kann doch das eine ablehnen und gleichzeitig sagen: Aber das hier ist eine gute Sache. Dabei können Sie ja ruhig sagen: Die ist nur zustande gekommen, weil die Vier so bedeutend daran gewirkt haben. Das würden wir Ihnen gar nicht übelnehmen. Nur fällt das Abkommen selber, Herr Dr. Barzel, eigentlich unter das, wovon Sie sagen, Sie redeten darüber nicht öffentlich, um nicht durch eine Interpretation, die Negatives ausdrückt, etwas zu schädigen. Wer das Abkommen - das wollte ich nämlich sagen - negativ bewertet oder interpretiert - ({27}) - Nun, nein, gar nicht! So schnell geht das bei uns nicht. In bezug auf inquisitorische Regeln - wie man das macht - sind Sie ja viel erfahrener, als wir es sein könnten. Da bin ich ein Amateur. Entschuldigen Sie mal! Wer es negativ bewertet ({28}) - Sie haben es wohl gemerkt; ich bin wohl auf eine lange Zehe getreten - oder interpretiert, daß nunmehr die Einwohner von Berlin-West ohne Behinderungen aus humanitären, familiären, religiösen, kulturellen oder kommerziellen Gründen oder als Touristen in die ihnen bisher verschlossen gewesenen Gebiete reisen und sie besuchen können, und zwar unter Bedingungen, die denen vergleichbar sind, die für andere in diese Gebiete einreisende Personen gelten, wer dies, aus welchen Gründen auch immer, negativ bewertet oder interpretiert, muß sich wohl sagen lassen, daß er damit, wenn vielleicht auch ungewollt, den Gegnern der Entspannung Wasser auf die Mühlen leitet. Es hat vor diesem Berlin-Abkommen kein vergleichbares Abkommen der Vier Mächte und keine entsprechenden ergänzenden Vereinbarungen der beiden Regierungen in Deutschland und des Senats von Berlin gegeben, durch die der Berlin-Verkehr von zivilen Personen und Gütern geregelt wurde. Aber es hat schlimme Zeiten, die viele von Ihnen sicher genauso sehen wie ich, und Unheil verkündende Abkommen auf der anderen Seite gegeben, die z. B. so weit geführt hatten, daß man deklarierte, Berlin-West gehöre geographisch und rechtlich zur DDR. Das ist ja nun nicht mehr so. Seien wir deshalb auch froh darüber, daß die Bindungen zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland ausdrücklich als aufrechtzuerhalten und als zu entwickeln anerkannt worden sind. Hier ist einmal etwas Vernünftiges anerkannt worden. Daß die Bundesrepublik die konsularische Betreuung für Personen mit ständigem Wohnsitz in den Westsektoren Berlins ausüben kann, daß völkerrechtliche Vereinbarungen und Abmachungen, die die Bundesrepublik schließt, auf die Westsektoren Berlins ausgedehnt werden können und daß die Bundesrepublik die Interessen der Westsektoren Berlins in internationalen Organisationen und auf internationalen Konferenzen vertreten kann. Das wäre nicht? Daraufhin könnte man fragen: Wo ist denn der Vertrag? Wir werden noch sehen, daß sich um dieses Abkommen und das ergänzende Abkommen eben das entwickelt, was Sie einen Vertrag nennen, der vorher da sein sollte. Es ist ja auch so, daß Personen mit ständigem Wohnsitz in den Westsektoren Berlins nunmehr gemeinsam mit Teilnehmern aus der Bundesrepublik am internationalen Austausch und an internationalen Ausstellungen teilnehmen können, daß Tagungen internationaler Organisationen und internationaler Konferenzen sowie Ausstellungen mit internationaler Beteiligung in den Westsektoren Berlins durchgeführt werden können. Dies und noch manches weitere löst Verhältnisse ab, die unleidlich und schmerzhaft gewesen sind. Dafür sollten wir denen danken, die das nun so geregelt haben. ({29}) Meine Damen und Herren, unterschätzen wir das doch, bitte, nicht! Das sind unbestreitbare Fortschritte. Das Berlin-Abkommen, welches ohne die Unterschriften unter den Moskauer und den Warschauer Vertrag nicht zustande gekommen wäre, bedeutet eine Wendemarke, sowohl für die Beteiligten, die es zustande gebracht haben, als auch für die von ihm Betroffenen - im übertragenen Sinn gemeint. Das Viermächteabkommen kennzeichnet zwar keine Stunde null - so etwas gibt es nicht mehr -, von der aus etwa alles neu beginnen könnte, aber es kennzeichnet die Bedingungen, unter denen es möglich ist, daß die an diesem Abkommen Beteiligten und die von ihm Betroffenen so miteinander auskommen, wie das in einer von Massenvernichtungswaffen starrenden und von Gegensätzen häufig geschüttelten Welt überhaupt möglich ist, allerdings nur, wenn die Beteiligten und Betroffenen auch in einem Punkt übereinstimmen - das gehört dazu -, nämlich darin, Berlin in Ruhe leben und arbeiten zu lassen und von Berlin aus nicht zusätzlich Zündstoff zu verheerender Wirkung kommen zu lassen. Ich gehe davon aus, daß es in diesem Punkt Übereinstimmung gibt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß Motive und Interessen nicht völlig übereinstimmen. Wenn das so wäre, brauchte 9768 Deutscher Bundestag -p6. Wahlperiode Wehner man keine Verträge. Entscheidend werden die Unbefangenheit und die Bestimmtheit sein, mit der Beteiligte und Betroffene sich dafür einsetzen, das, worin sie übereinstimmen, mit Hilfe der im Viermächteabkommen gefundenen Regeln wirksam werden zu lassen und festzuhalten. Insofern werden im Laufe der Zeit die am Viermächteabkommen unmittelbar Beteiligten und die von ihm Betroffenen gleichermaßen interessierte Beteiligte an der Realisierung des Abkommens sein. Natürlich kommt der Einwand: Da ist die Mauer, da ist der Schießbefehl. Die Mauer und was zu ihr an Abschreckungs- und Einschüchterungsversuchen gehört, werden sowohl unmittelbar als auch mittelbar störende Faktoren und Ärgernis bilden. Sie sind Attribute des kalten Krieges, die das Finden und das Praktizieren des Modus vivendi erschweren und wahrscheinlich auch oft in Frage stellen werden. Und dennoch erlanbe ich mir, zu sagen: Es wird nicht hilfreich sein, wenn sich etwa beide Seiten darin erschöpfen sollten, gegeneinander aufzurechnen, wessen Schwächen und wessen Aggressivität sich in der Mauer niedergeschlagen haben und sie aufrechterhalten. Nur in, dem Maße, in dem es gelingen kann, die Mauer durch die Regeln des Viermächteabkommens - wenn man das so sagen darf zunächst zu relativieren und das Dennoch-Miteinanderleben zu humanisieren, wird die Mauer mit ihren Begleiterscheinungen allmählich die Bedeutung verlieren, die sie als Denk- und Mahnmal des kalten Krieges im blutigen Sinne des Wortes noch immer wieder und manchmal gar über Nacht hat. Ich weiß, daß es eine ganz andere Betrachtungsweise gibt, nämlich die, solche Wunde immer brennend zu halten. Nur, ich halte sie nicht für die unserem geographischen Standort und den machtpolitischen Gegebenheiten entsprechende. Es wird sicher - das gestehe ich - prinzipielle Einwände gegen meine Vermutung und gegen die Erwartung geben, die ich soeben ausgesprochen habe. Es wird solche geben, die es für unsittlich und unmoralisch halten, weniger zu verlangen als das Verschwinden des Monstrums. Es gibt andere, die das Wort, von dem ich sprach, das bei aller Behutsamkeit leicht mißverstanden werden kann, relativieren, für gleichbedeutend halten mit dem Sichabfinden. Weitere wird es geben, die es für sinnvoll und für wirkungsvoll halten, die Mauer so schrill wie möglich als das Wahrzeichen des Systems auf der anderen Seite anzuprangern. Und nicht zu vergessen die Resignierenden. Ich nehme jeden dieser Einwände ernst. Aber ich halte die Überwindung des Mauerverhältnisses, zunächst gesagt, für das schwierigste Unterfangen, bin aber überzeugt, daß es möglich ist, durch die Anwendung der Regeln des Berlin-Abkommens zu einem humaneren Miteinanderleben zu gelangen. Niemand - sofern er nicht ein Katastrophe auslösen möchte - wird doch die Mauer ungeschehen machen können. Sonst mußte man uns sagen, wie es geschehen sollte. Immerhin war die Kehrseite der unmenschlichen Wirkung dieses Monstrums die Intensität, mit der ein Mann wie Willy Brandt darüber gedacht und daran gearbeitet hat, mindestens die Wirkungen allmählich mehr und mehr einzuschränken. Man sollte es jedenfalls ernsthaft versuchen. Sonst kommt man wohl in die Kategorie derer, von denen gesagt werden darf, sie wollten einfach Empörung wachhalten. Das ist aber für die vielen keine Lösung und bringt keine Lösung. Hier sind Störungsfaktoren, die dieses Abkommen sicher zeitweise hart angehen könnten. Es sind in der Regel Störungsfaktoren innenpolitischer Art. Sie können in jedem der Länder, die an der Entstehung beteiligt gewesen sind und die Garantien für die Ausführung des Berlin-Abkommens übernommen haben, vorkommen. Das ist sicherlich nicht auszuschließen. Wir haben hier also wahrscheinlich genügend zu tun, um das Austragen solcher Gegensätze sich nicht a conto dieses Abkommens entwickeln zu lassen und unsere eigenen Auseinandersetzungen darüber auch so zu führen. Alles ist schwierig. Auf der anderen Seite ist es anders als auf unserer. Hier auf unserer Seite können z. B. Kommunisten oder andersgeartete Parteigänger des Regimes von der anderen Seite ihre Auffassung aussprechen, geltend machen, sofern sie sich dabei und damit innerhalb der vom Grundgesetz gegebenen Regeln halten. Auf der anderen Seite dürfen Sozialdemokraten oder andersgeartete Parteigänger unserer Form politischen Miteinanderlebens ihre Auffassungen dort nicht unverblümt aussprechen oder gar geltend machen. Das bleibt ein wesentlicher Unterschied. Beide Seiten werden unter Beweis steilen müssen - und ich hoffe, sie werden es auch können -, daß sie sich dennoch imstande sehen, das Abkommen der Vier vom 3. September 1971 und die zusätzlichen Vereinbarungen vom Dezember 1971 in Wirkung zu setzen und zu halten - notfalls unter Zuhilfenahme der von den Vier Mächten unterschriftlich bekräftigen Konsultationsprozedur. Ich glaube, Fortschritte im Verhalten zueinander werden daran gemessen werden können, in welchem Ausmaß auf die Inanspruchnahme dieser Prozedur verzichtet werden kann. In dem Maße, in dem im jeweiligen Geltungsbereich der Verfassungen der beiden deutschen Staaten die spezielle Stellung Berlins praktisch respektiert wird und jede Seite das ihre dazu beiträgt, das Abkommen, Berlin betreffend, auch zu erfüllen, in dem Maße drückt sich aus, was es im getrennten Deutschland an Souveränität in der Tat gibt. Die Gleichberechtigung beider Staaten drückt sich aus im gemeinsamen Nenner, der im Berlin-Abkommen der Vier gesucht und gefunden worden ist. Die moralische und die politische Wertung der in den Geltungsbereichen der beiden Verfassungen herrschenden Verhältnisse muß und darf nicht die Fähigkeit zur Erfüllung des Abkommens über Berlin beeinträchtigen oder stören, es wäre denn, auf der einen oder auf der anderen Seite würden Kräfte die Oberhand gewinnen, die es darauf anlegen, innenpolitische Gegensätze in einer oder in jeder der Vier Mächte - ihren Ländern, meine ich damit - und außenpolitische Spannungen zwischen ihnen ungünstig auf die Entwicklung wirken zu lassen, die mit dem Berlin-Abkommen markiert worden ist. Meiner Meinung nach sollte das Viermächteabkommen über Berlin von den entspannungsbewußten Kräften auf beiden Seiten gehütet werden als ein Unterpfand und als ein Mittel, die deutschen Beiträge zum Frieden real wirken zu lassen, ungeachtet aller prinzipiellen und ideologischen Gegensätze und Ansprüche. Wir sind - das ist zuzugeben - in einer Situation, in der diejenigen, die in Deutschland nebeneinander zu leben haben, völlig unterschiedliche und miteinander nicht zu vereinbarende Zielvorstellungen über die Vereinigung Deutschlands haben. Die unsere paßt nicht zu der anderen, und deren paßt nicht zu der unseren. Keine Seite kann der anderen ihre Auffassung aufnötigen. Dafür wird immer zu sorgen sein. Abgrenzung sollten wir deshalb ein wenig versachlicht behandeln. Denn Abgrenzung vorzunehmen und staatliche Zusammenarbeit gleichzeitig nicht zu verweigern ist durchaus denkbar. Es wird längerer Zeit bedürfen, bis es ohne so viel Knirschen wie jetzt geht; aber es wird gehen. Bei aller Gegnerschaft zwischen uns und jenen, die jenseits der Mauer regieren - und auch umgekehrt -, wird durch die Erfüllung des Berlin-Abkommens und seiner Bestimmungen allmählich etwas zustande kommen, von dem man wohl sagen kann, daß nicht mehr völlige Ignoranz die Feder führen kann, wenn es sich um Regelungen des weiterführenden Verhältnisses zwischen den beiden deutschen Seiten handelt. In dieser Richtung sehe ich auch die Bedeutung des Berlin-Abkommens und seiner ergänzenden Bestimmungen für die Konferenz für die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, über die seit 1969 diskutiert wird, über die ,es unterschiedliche Meinungen gegeben hat und von der wir - diejenigen, für die ich hier spreche immer gesagt haben: Wir wollen nicht die sein, die eine solche Konferenz scheitern lassen oder an denen sie scheitert. Nur, sie soll einen Sinn haben: über Sicherheit und Zusammenarbeit tatsächlich zu sprechen. Wir haben keine Bedingungen gestellt, aber wir waren froh, als deutlich war, daß sich das westliche Bündnis die Auffassung zu eigen macht, daß nach dem In-Geltung-Treten des Berlin-Abkommens die Erörterungen über eine europäische Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit munter aufgehen könnten. Meine Damen und Herren, vom vorigen Bundeskanzler, dem Kollegen Kurt Georg Kiesinger, stammt das Wort von der Notwendigkeit des Bemühens um einen Interessenausgleich zwischen den Bündnissen von West und Ost, von der Notwendigkeit nämlich im Interesse des Friedens in der Welt und auch im Interesse des deutschen Volkes, von dem er, der Kollege Kiesinger, am 17. Juni 1967 in einer nachdenkenswerten Rede gesagt hat - und ich zitiere ihn -, daß Deutschland - nämlich ein wiedervereinigtes Deutschland - eine kritische Größenordnung habe, denn es sei zu groß, um in der Belance der Kräfte keine Rolle zu spielen, und zu klein, um die Kräfte um sich herum selbst im Gleichgewicht zu halten. Es ist daher in der Tat nur schwer vorstellbar, -so schrieb er weiter - daß sich ganz Deutschland bei einer Fortdauer der gegenwärtigen politischen Struktur in Europa der einen oder der anderen Seite ohne weiteres zugesellen könnte. Eben darum könne man das Zusammenwachsen der getrennten Teile Deutschlands nur eingebettet sehen in den Prozeß der Überwindung des Ost-West-Konflikts in Europa. Was der Kollege Kiesinger - in einer Beziehung jedenfalls Vorgänger Willy Brandts, als Bundeskanzler - in Worten als unvermeidlich erkannt hatte, was er aber - so sehe ich es mit seinem Konservieren des Alleinvertretungsanspruchs der Bundesrepublik nicht in praktische Politik umzusetzen vermochte - leider nicht , das hat der Bundeskanzler Willy Brandt mit den Erfahrungen als Regierender Bürgermeister von Berlin und als Bundesminister des Auswärtigen behutsam in konkrete politische Schritte gebracht. Das Berlin-Abkommen bekam seinen entscheidenden Impuls durch die Unterzeichnung des Vertrags mit der Sowjetunion am 12. August 1970 in Moskau durch Brandt und Scheel und durch die Unterzeichnung des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen in Warschau am 7. Dezember 1970, ebenso durch Brandt und Scheel. Das ist das, worüber nun zu befinden sein wird. Der Deutsche Bundestag steht tatsächlich vor einer grundlegenden Entscheidung. Sagt er nämlich ja zum Moskauer Vertrag, so eröffnet er die Möglichkeit zur Verbesserung der Beziehungen in Europa, ausgehend von der Lage der Staaten und Grenzen, wie sie heute sind; anders kann das nicht gemacht werden. Er sagt ja dazu, daß beide Staaten ihre Streitfragen ausschließlich mit friedlichen Mitteln lösen und die Verpflichtung erfüllen, sich in Fragen, die die Sicherheit in Europa und die internationale Sicherheit berühren, sowie in ihren gegenseitigen Beziehungen gemäß Art. 2 der Charta der Vereinten Nationen der Drohung mit Gewalt oder der Anwendung von Gewalt zu enthalten. Er sagt auch ja dazu, daß beide sich verpflichten, die territoriale Integrität aller Staaten in Europa in ihren heutigen Grenzen uneingeschränkt zu achten, daß sie keine Gebietsansprüche gegen irgend jemanden haben und solche in Zukunft auch nicht erheben werden. Und durch unser Ja, meine Damen und Herren, wird der 1954 in den Westverträgen verbriefte Verzicht auf Androhung und Anwendung von Gewalt auch gegenüber dem Osten vertraglich besiegelt. Unser Ja schließt auch ein, daß durch diesen Vertrag nicht die von beiden Partnern früher abgeschlossenen zweiseitigen und mehrseitigen Verträge und Vereinbarungen berührt werden. Und hier, sehr verehrter Herr Kollege Barzel, verstehe ich nicht, warum Sie immer wieder herumhämmern auf den Römischen Verträgen und darauf, daß die Sowjetunion dazu gebracht werden müßte, die EWG anzuerkennen. Ich bitte Sie: Manchmal kommt es mir - entschuldigen Sie - so vor, als spürten Sie, daß dort ja wohl, weil man diese Entwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft als eine Realität sieht und einschätzt, sowieso bald etwas positivere Töne kommen werden. Dann können Sie natürlich sagen, Sie hätten diese mit bewirken helfen. Das würde ich Ihnen auch gerne gönnen. Nur hat das mit unseren Verträgen nichts zu tun. Die sind außerhalb dessen. Wir sollten uns auch nicht, wenn auch nicht aus diesem Grunde, sondern aus einem anderen, den ich nicht für geringer halte, plötzlich für Frankreich, für Holland, für die anderen Beneluxländer, und ich weiß nicht, für wen noch, hinstellen und mit der Sowjetunion einen Streit darüber anfangen, daß sie nun endlich die EWG anzuerkennen hätte. Ich weiß nicht, ob wir dafür Prokura haben und ob wir sie ansuchen sollten. Ich nehme an, das wäre politisch nicht sehr gründlich überlegt. Meine Damen und Herren, wir ergänzen mit der Entscheidung, vor der wir stehen und über die in den Ausschüssen vieles gesagt werden wird, die Westverträge durch diesen Vertrag und durch den Warschauer Vertrag, der, richtig gesehen, eine Entwicklung unseres Verhältnisses zu Polen einleiten wird, das, historisch und moralisch betrachtet, dem Verhältnis entsprechen kann, das wir zu unserem westlichen Nachbarn Frankreich gefunden haben. Das ist eine gewisse Verwandtschaft zu der Kategorie der Bedeutung dieses Vertrages. Ich danke an dieser Stelle der Regierung für die Begründung, die sie zu dem Ratifikationsgesetz zum Warschauer Vertrag gegeben hat. Die war, auch was das Geschehene betraf, das früher zwischen diesen beiden Völkern stand, richtig getroffen. Die Bundesrepublik - und das liegt in der Natur unserer Grenzen - wird die Westgrenzen Polens, die Oder-Neiße-Linie, nicht in Frage stellen. Ich hoffe, vielleicht sollte ich auch sagen, ich wünsche, daß man auch einmal über die Frage der deutschen Selbstbestimmung wird sprechen können. Wer aber diese Diskussion mit der offenen Oder-Neiße-Linie belasten oder befrachten möchte oder es tut, schafft die negative Garantie, daß über Selbstbestimmung nie konkret gesprochen werden wird. ({30}) Da gibt es noch manches Schmerzliche, auch zu der Frage der Familienzusammenführung und der Gewährung von Ausreisegenehmigungen gibt es noch manches Schmerzliche, nur wissen diejenigen bei Ihnen, die nicht nur Negatives sammeln, sondern die auch versuchen, es zu heilen oder zumindest zu mildern oder den Ursachen zu Leibe zu gehen, daß immerhin im vergangenen Jahr 26 237 Menschen gekommen sind. Das ist die höchste Zahl seit dem Jahre 1959. Dazu kommen noch Ausreisen in die DDR, die nach demselben Verfahren erfolgen, aber nach dort, weil dort Familienangehörige sind. Es darf erwartet werden, daß die Schwierigkeiten, die mancherorts Ausreiseantragstellern bereitet worden sind, auszuräumen sind. Je beharrlicher, aber auch je weniger forsch wir in dieser Frage am Mann beiben, um so größer sind die Aussichten, daß vielen geholfen werden kann. Es darf aber auch erwartet werden, daß erweiterte Besuchsreisemögichkeiten eröffnet werden, so daß manche Härten zumindest gemildert werden können. Die Tatsache z. B., daß zu Beginn des Jahres 1972 infolge einer Vereinbarung der drei Staaten Polen, CSSR und DDR Besuchsreisen ohne Paß- und Visumvorschriften möglich geworden sind und von mehr als 1 Million Menschen genutzt wurden, ist in Polen sowohl wegen der großen Zahl derer, die davon Gebrauch gemacht haben, als auch deswegen, weil alles reibungslos und, wie sie sagten, ohne Inzident verlief, beachtet worden: Deutsche und Polen, so sagten sie, können also miteinander umgehen, ohne daß es zu Schwierigkeiten kommt. Das alles ist als ein gutes Omen für den sich schließlich auch mit uns, der Bundesrepublik, entwickelnden Reise- und Touristenverkehr gewertet worden. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns - bei aller Bescheidenheit dieses Punktes - auch unsererseits dazu unseren Beitrag leisten. Ich war froh, dieser Tage hören zu können, daß Professor Eckert aus Braunschweig, der sich ja bei dem in Übereinstimmung mit anderen vorgenommenen Säubern oder Entrümpeln von Schulbüchern und Unterrichtsmaterial, vor allen Dingen geschichtlicher Darstellungen, schon bei den Holländern und anderen einen guten Namen gemacht hat, sich jetzt mit einer Gruppe des Schulbuchinstituts nach Polen begeben hat. Hier ist also offenbar eine Verständigung darüber getroffen worden, daß man es auch einmal miteinander versuchen will. Über diese Dinge werden wir sicher häufig reden müssen, wenn die Verträge ratifiziert sind. Sie werden ratifiziert werden. Bis dahin wird auch unsere verehrte Opposition, die Christlich Demokratische und die Christlich Soziale Union, hinsichtlich dessen klarkommen, was sie politisch tun wird, wenn die Verträge in Kraft gesetzt sein werden. Das ist ja die einzige Frage, die sie bisher sowohl draußen als auch hier umgingen. Ich gebe zu, es ist eine schwierige Frage. Aber Verträge sind Verträge, auch für eine Opposition. Insofern können wir auf Grund von Erfahrungen, die wir gemacht haben, und auf Grund von Erfahrungen, die Sie zu sammeln beginnen, ja miteinander reden. Manches ist dabei schmerzlich, aber man sollte nichts unversucht lassen. Richten Sie sich bitte darauf ein, was Sie tun, wenn die Verträge in Kraft sein werden und Sie in der deutschen Politik und an der Gestaltung der Beziehungen zu anderen mitwirken wollen. Was die CSU auf diesem Gebiet getan hat, enthebt uns freilich der Befürchtung, daß etwa Herr Strauß oder ein anderer aus der ersten Reihe sagen könnte: Man darf mit solchen Leuten wie denjenigen, die dort regieren, überhaupt keine Verträge schließen. - Wir haben ja gesehen, daß man Verträge schließen soll. Wie sie entworfen worden sind oder entworfen werden, haben wir auch gesehen. Das ist so eine Art Milchreis mit Zucker und Zimt, Herr Strauß, den Sie da ausgeschenkt haben. ({31}) - Ich habe ja nichts dagegen, daß man einmal einen Scherz macht. Nur ist das natürlich ein Vertrag, den nicht einmal eine Seite, sondern lediglich eine GrupWehner pe aufgestellt hat. Und dann wird es ja erst deftig - das wissen Sie doch ganz genau -, und zwar sowohl innerunionsräumlich als auch dann, wenn es mit anderen Parteien und mit anderen Staaten weitergehen soll. Ich will hier nicht aus der Schule plaudern. Aber ich habe den Eindruck, daß die CSU manchmal zu solchen lehrhaften Darstellungen neigt, wie Politik eigentlich sein müßte. Dann schreibt sie ganze Hefte voll und schickt sie den amtlichen Politikern. Das war auch in der Zeit so, als sie noch mit in der Regierung war. ({32})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein und setzen die Sitzung um 14 Uhr mit der Fragestunde fort. Um 15 Uhr fahren wir in der Debatte über die aufgerufenen Tagesordnungspunkte fort. Die Sitzung ist unterbrochen. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren, die Sitzung wird fortgesetzt mit der Fragestunde - Drucksache VI/3165 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Ravens anwesend. Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Dr. Böhme auf: hält es die Bundesregierung mit den Prinzipien der Förderung des sozialen Wohnungsbaues für vereinbar und begrüßenswert, daß die von der Landeszentralbank Nordrhein-Westfalen aufgelegten Immobilienfonds die Aufnahme von Objekten, die mit öffentlichen Mitteln gefördert sind oder werden, ablehnen, da sie infolge der aus der Hingabe der öffentlichen Mittel entstehenden oder entstandenen Bindungen zu viele Verfügungsbeschränkungen hätten? Bitte sehr, Herr Staatssekretär. Ravens, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen: Herr Kollege Dr. Böhme, nach Auskunft der Landeszentralbank Nordrhein-Westfalen hat die Landeszentralbank keine Immobilienfonds aufgelegt, und sie betreut auch keine Immobilienfonds.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Böhme.

Dr. Günter Böhme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000220, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, unterstellt, sie würde dennoch, und zwar über eine Unterbank, solche Immobilienfonds betreuen - was sie tut; darüber sind wir uns klar -, sind Sie mit mir dann der Auffassung, daß eine derartige Stellungnahme gerade den Anreiz für den sozialen Wohnungsbau, den die Regierung ja geben will, zunichte machen würde, insbesondere da bei der Fondsbildung sich noch am leichtesten die Möglichkeit ergibt, die erhöhten Baukosten heute abzufangen? Ravens, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen: Herr Kollege Böhme, ich muß noch einmal sagen: die Landeszentralbank als Bestandteil des Notenbanksystems hält weder noch betreut sie Fonds. Von daher ist eine hypothetische Antwort auf eine hypothetische Frage, glaube ich, für uns alle wertlos. Die Weltdeutsche Landesbank-Girozentrale jedoch hält solche Fonds. Wenn Sie die meinen, will ich darauf gerne antworten. - Die Westdeutsche Landesbank-Girozentrale hält 30 Fonds. Davon beinhalten 15 Fonds Anlagen im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau. Die Bundesregierung geht davon aus, daß Immobilienfonds mit Einlagen von Objekten des sozialen Wohnungsbaues zur Vermögensbildung beitragen können. Deshalb will die Bundesregierung ja auch diese Fonds durch entsprechende Maßnahmen besonders stützen und fördern.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Zweite Zusatzfrage.

Dr. Günter Böhme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000220, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, meine zweite Zusatzfrage lautet: Sind Sie nicht der Auffassung, daß durch leine so große Beschränkung sich eine Diskriminierung für den sozialen Wohnungsbau in dieser Richtung ergibt, die man möglichst abbauen sollte oder aber, wenn sich das nicht abbauen läßt, eben durch anderweitige Abschreibungen oder Risikoausgleiche ersetzen müßte? Ravens, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen: Ich sehe keine Beschränkung für die Anlage von Objekten des sozialen Wohnungsbaus im Immobilienfonds. Die Bindungen, die der soziale Wohnungsbau auf sich nimmt, sind Bindungen, die zugunsten des betroffenen Personenkreises eingegangen werden müssen und auf die auch nicht verzichtet werden kann.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage mehr. Damit ist die Frage aus Ihrem Geschäftsbereich, Herr Staatssekretär, beantwortet. Ich danke Ihnen. Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Finanzen, Abteilung Finanzen, auf. Zur Beantwortung ist der Herr Parlamentarische Staatssekretär Hermsdorf anwesend. Ich rufe Frage 56 des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider ({0}) auf: Hält die Bundesregierung die Verfahren und Methoden zur Preiserhebung für ausreichend, um möglichst zuverlässige Aussagewerte zu den fraglichen Indexziffern zu erreichen und Fehlerquellen zu vermeiden? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf Herr Kollege Dr. Schneider, die in der amtlichen Preisstatistik angewandten Verfahren und Methoden der Preiserhebung sind nach Auffassung der Bundesregierung angemessen, um hinreichend zuverlässige Indexziffern berechnen zu können. Um die Preisentwicklung zutreffender aufzuzeigen, wird streng darauf geachtet, daß die preisbestimmenden Merkmale wie Qualität, Mengeneinheit, Ausführung, Frachtlage usw. für einen längeren Zeitraum konstant beibehalten werden. Sofern jedoch erkennbare Änderungen in diesen Merkmalen eintreten, werden die darauf entfallenden Preisveränderungen nach international üblichen Verfahren ausgeschaltet. Auch die Auswahl repräsentativer Güter und Berichtsstellen erfolgt nach international üblichen Grundsätzen. Bei der Erhebung von Verbraucherpreisen in den Gemeinden könnte allerdings die Einschaltung von Preismittlern mit gründlichen Fachkenntnissen, die dann höher dotiert werden müssen, zu fundierteren Ausgangsdaten führen. Dies setzt jedoch voraus, daß von den Ländern entsprechende Mittel bereitgestellt werden. Es ist vorgesehen, mit den Ländern hierüber zu sprechen. Der aktuelle Aussagewert der amtlichen Preisindizes ist zur Zeit ganz allgemein dadurch 'etwas beeinträchtigt, daß bei der Gewichtung die Umsatzbzw. Ausgabenverhältnisse des Jahres 1962 zugrunde liegen, obwohl inzwischen auf Grund der wirtschaftlichen Entwicklung erhebliche Änderungen eingetreten sind. Eine Angleichung der Wägungsunterlagen an zeitnahe Verhältnisse - wie dies mehrfach in den letzten 20 Jahren geschehen ist - ist daher auch jetzt wieder dringend geboten. Die derzeit vom Statistischen Bundesamt vorbereitete Umstellung der Preisindizes erfolgt auf der neuen Basis 1970. Durch den nunmehr bereits weiten Abstand zum Basisjahr 1962 dürften die Preisindizes die tatsächliche Preisentwicklung erfahrungsgemäß eher etwas überhöht anzeigen. Dies gilt entgegen einer verbreiteten Meinung insbesondere für die Preisindizes der Lebenshaltung.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Dr. Oscar Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, gemeinsam mit den Ländern den Erhebungsgemeinden angemessene finanzielle Zuschüsse zu gewähren, um das Meldeverfahren zu verbessern und zu intensivieren? Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege Schneider, die Bundesregierung ist bereit, mit den Ländern darüber zu sprechen. Aber ich würde es nicht für glücklich halten, schon jetzt die finanziellen Auswirkungen hier im einzelnen zu beraten und damit bei der Verhandlungsgrundlage mit den Ländern wieder auf eine schiefe Ebene zu geraten.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine zweite Zusatzfrage.

Dr. Oscar Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, anzugeben, wie groß die möglichen Fehlerspannen bei dem jetzt geübten Verfahren sein können? Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminster für Wirtschaft und Finanzen: Dies kann ich aus dem Stegreif nicht. Ich bin auch ziemlich sicher, daß derartige Unterlagen im Wirtschafts- und Finanzministerium zur Zeit nicht vorhanden sind. Das müßte sich dann auch aus den Gesprächen ergeben.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 57 des Herrn Abgeordneten Ott auf: Angesichts der schriftlichen Antwort vom 26. Januar 1972, wonach Bundesminister Schiller sich schon vor einiger Zeit entschlossen habe, das fragliche bundeseigene Haus in Köln nicht zu mieten, frage ich die Bundesregierung: An welchem Tag hat Bundesminister Schiller diesen Entschluß kundgetan? Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Abgeordneter Ott, ein Entschluß, das Haus in Köln zu mieten, wurde nie gefaßt.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.

Anton Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, nach Ihrem Schreiben vom 26. Januar dieses Jahres hatte der Herr Minister Schiller „vor einigen Wochen" die fragliche Wohnung in Köln besichtigt. Zu welchem Zeitpunkt hatte der Minister sich entschlossen, diese Wohnung nicht zu mieten? Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminster für Wirtschaft und Finanzen: Als der Minister diese Wohnung besichtigte, war es - wie bei jedem Objekt, das man besichtigt - eine offene Frage, ob gemietet wird oder nicht. Diese Frage ist völlig offengeblieben, und es ist niemals irgendwie zu einer Mietabsprache gekommen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine zweite Zusatzfrage.

Anton Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sind Sie in der Lage, mir zu sagen, wann der Herr Minister den Entschluß gefaßt hat, die Wohnung nicht zu mieten? Lag dieser Zeitpunkt vor oder nach den ersten Presseveröffentlichungen? Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Abgeordneter Ott, es ist mir nicht erlaubt, eine Frage von Ihnen zu werten, obwohl ich natürlich hinzufügen muß, daß ein Minister, der fünf Jahre bereits Minister ist und über viele Jahre Abgeordneter, das Recht hat, sich nach einer Wohnung oder nach einem Haus umzusehen. Ich hoffe, daß das auch von Ihnen nicht bestritten wird.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hauser.

Alo Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000831, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß die Ehefrau des Herrn Bundeswirtschafts- und -finanzministers in ihrer Eigenschaft als Mitgesellschafterin eines Unternehmens sich zur Zeit in Düsseldorf um ein bundeseigenes Grundstück bemüht, das vom Finanzressort verwaltet wird? Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Ich kann mich hierzu nicht äußern. Was das Ressort „Finanzen" in der Rheindorfer Straße angeht, so ist mir ein solcher Vorgang weder von der Ehefrau des Ministers noch von der zuständigen Abteilung bisher bekanntgeworden.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfragen. Die Fragen 58 und 59 des Abgeordneten Kater werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Breidbach auf. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Das gleiche gilt für die Frage 61. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Dr. Becker ({0}) auf. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 63 des Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs auf: Ist die Bundesregierung bereit, angesichts der Arbeitslosenzahlen in den ostbayerischen Landkreisen, die z. T. über denen des Jahres 1966 liegen, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Infrastruktur zu verbessern und saisonunabhängige Dauerarbeitsplätze zu schaffen? Bitte schön! Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminster für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege Dr. Fuchs, seit dem 1. Januar 1972 wird die regionale Wirtschaftspolitik, deren wichtigstes Ziel die Schaffung neuer Arbeitsplätze in wirtschafts- und strukturschwachen Gebieten ist, nach dem ersten Rahmenplan für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" durchgeführt. Die Bundesregierung wirkt bei der Rahmenplanung und bei der Finanzierung der Gemeinschaftsaufgabe mit. Die Durchführung der Maßnahmen zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur, wozu auch die Schaffung saisonunabhängiger Arbeitsplätze gehört, ist Aufgabe der Länder, in diesem Fall also des Freistaates Bayern. Im Rahmenplan stehen den Ländern Mittel für den Ausbau der wirtschaftsnahen Infrastruktur zur Verfügung. Ich möchte ergänzend darauf hinweisen, daß im Bundesfernstraßenbau, der für die Infrastruktur von großer Bedeutung ist, die Erschließung von Ostbayern auch in diesem Jahr besonders berücksichtigt wird. Dort sind für 1972 Investitionen in Höhe von rund 100 Millionen DM vorgesehen, davon allein 77 Millionen DM für den Ausbau der Autobahnen, 38 Millionen DM z. B. für die Autobahn Deggendorf-Passau.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage, bitte!

Dr. Karl Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß bei einer Arbeitslosenquote in einzelnen Landkreisen von über 30 %und in mehreren Landkreisen von zwischen 20 und 30 %höchste Eile geboten ist, um nun tatsächlich dieses Problem endgültig zu beseitigen, und daß die Bundesregierung dabei eine ganz besondere Verpflichtung hat? Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege Dr. Fuchs, ich kann Ihnen nicht ganz zustimmen, daß dies nur ein Problem der Bundesregierung sei. Ich habe vorausgeschickt, daß hier eine Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern notwendig erscheint. Das Petitum, das Sie vortragen, wird von mir nur unter dem Aspekt einer Zusammenarbeit zwischen dem Bund und dem Freistaat Bayern anerkannt.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Zweite Zusatzfrage.

Dr. Karl Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, werden Sie von sich aus mit besonderem Nachdruck darauf drängen, daß die erforderlichen Maßnahmen wirklich umgehend getroffen werden, und zwar auch unter dem Gesichtspunkt einer Regionalisierung der Konjunkturpolitik und bei der Auflösung der Konjunkturrücklage? Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Wir werden selbstverständlich in der Konjunkturpolitik den Gesichtspunkt, den Sie hier vorgetragen haben, nicht nur in bezug auf Bayern, sondern generell regional sehr genau zu prüfen haben.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine weiteren Zusatzfragen? - Die Frage 64 wurde vom Fragesteller zurückgezogen. Die Fragen 65, 66, 67, 68, 69 und 70 werden auf Bitten der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 71 des Herrn Abgeordneten Löffler auf. - Der Herr Kollege ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Das gleiche gilt für die Frage 72. Die Fragen 73 und 74 werden auf Bitten des Fragestellers ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Vizepräsident Frau Funcke Ich rufe die Frage 75 des Herrn Abgeordneten Kiechle auf: Sieht die Bundesregierung in der Beseitigung der zehnjährigen Grundsteuerfreiheit der sogenannten Zweitwohnungen einen Beitrag, die Finanznot unserer Kommunen zu lindern und die Besitzer dieser Wohnungen zur Mitfinanzierung von durch die Gemeinden erbrachten Vorleistungen hinsichtlich der Infrastruktur heranzuziehen? Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege Kiechle, dürfte ich beide Fragen zusammen beantworten? ({0}) - Ich bedanke mich.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Bitte schön! Dann rufe ich noch die Frage 76 des Herrn Abgeordneten Kiechle auf: Wird die Bundesregierung in absehbarer Zeit eine derartige Initiative ergreifen und eine entsprechende Änderung des einschlägigen Gesetzes vorschlagen? Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Zur Beseitigung des Wohnungsfehlbestandes soll der frei finanzierte Wohnungsbau weiterhin auf breiter Grundlage, u. a. durch die zehnjährige Grundsteuervergünstigung nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz, gefördert werden. Bei dem objektbezogenen und nur an die Einhaltung bestimmter Wohnflächengrenzen geknüpften Charakter der Grundsteuervergünstigung spielt es dabei grundsätzlich keine Rolle, ob die Wohnung vom Eigentümer selbst genutzt oder vermietet wird und mit welcher Intensität Eigentümer oder Mieter die Wohnung nutzen. Im Rahmen dieser einfachen und dem Objektsteuercharakter der Grundsteuer angepaßten Konzeption der Grundsteuervergünstigung muß es als eine unerwünschte Nebenfolge in Kauf genommen werden, daß auch als Dauerwohnraum geeignete Zweitwohnungen in typischen Ferienorten an der allgemeinen Förderungsmaßnahme teilhaben, denn nicht förderungswürdige Zweitwohnungen lassen sich nicht von der objektiven Beschaffenheit her, insbesondere auch nicht auf Grund ihrer Lage, abgrenzen. Den Charakter als Zweitwohnung erhält eine Wohnung vielmehr erst dadurch, daß sie vom Eigentümer oder Mieter nicht dauernd genutzt wird. Das Problem der unerwünschten Begünstigung bestimmter Zweitwohnungen ließe sich daher nur durch eine allgemeine behördliche Kontrolle über die Art der Nutzung frei finanzierter Neubauwohnungen lösen, wobei sicherlich die Unterhaltung einer Zweitwohnung aus gesundheitlichen oder beruflichen Gründen nicht ohne weiteres als steuerschädlich angesehen werden könnte. Die Abgrenzungsschwierigkeiten und der Verwaltungsaufwand für die Überwachung der Nutzung würden, bezogen auf das Bundesgebiet, in keinem Verhältnis zu den erzielbaren Mehreinnahmen an Grundsteuer stehen. Wir werden trotzdem bei der Beratung der Zweiten Steuerreform dieses Problem im Auge behalten und sind gern bereit, geeignete Vorschläge von Ihnen zu prüfen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Ignaz Kiechle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001091, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß es insbesondere in schön gelegenen Ferienorten der Bundesrepublik eine Reihe von Wohnungen gibt, die von gutsituierten Kreisen unserer Bevölkerung nur deswegen gebaut wurden, um sich dort für vier oder sechs Wochen im Jahr aufzuhalten, und daß diese Wohnungen, besonders auf die Infrastruktur bezogen, den Gemeinden zusätzliche Lasten auferlegen, für die sie genauso wie für Hauptwohnsitze zehn Jahre lang keinerlei Grundsteuern einnehmen? Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Ich teile Ihre Auffassung nicht in jedem Punkt, obwohl ich zugebe, daß das Problem der Zweitwohnung, wie es von Ihnen hier aufgeworfen worden ist, die Bundesregierung wiederholt beschäftigt hat. Trotzdem sind wir nach Prüfung der Dinge bisher zu der Auffassung gekommen, die ich hier soeben vorgetragen habe. Ich würde bitten, uns noch Material zur Verfügung zu stellen und entsprechende Vorschläge zu machen, damit wir diese Frage bei der Steuerreform mit in Angriff nehmen können.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Zusatzfrage.

Ignaz Kiechle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001091, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie meiner Meinung, daß es bei Abwägung der betreffenden Rechtsgüter - um es einmal so zu nennen - den von mir angesprochenen Personenkreisen durchaus zuzumuten wäre, im Falle der Zweitwohnung auf die Vergünstigung der Steuerbestimmung zu verzichten, und sind Sie damit einverstanden, daß ich beispielsweise die Fremdenverkehrsverbände bitte, Ihnen geeignetes Material in dieser Sache zur Verfügung zu stellen? Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Ich bin mit dem letzten Punkt absolut einverstanden. Ihrem ersten Satz muß ich allerdings hinzufügen: dies ist nicht nur eine Frage der Grundsteuerfreiheit, sondern es gibt in unserer Steuergesetzgebung bestimmt noch eine Reihe von Steuervergünstigungen, die Personen zuteil werden, die es eigentlich gar nicht notwendig hätten. Dieses generelle Problem können wir hier nicht ausschließen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 77 des Herrn Abgeordneten Dichgans auf: Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, Künstler, die im Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland leben, dadurch zu fördern, daß öffentlich anerkannte, spendenfähige Museen, denen Spenden für den Erwerb von Werken solcher Künstler gewährt werden, die Kunstwerke den Spendern auf Lebenszeit leihweise überlassen dürfen, ohne dadurch die Abzugsfähigkeit der Spenden zu beseitigen, wobei Mißbräuchen dadurch vorgebeugt werden könnte, daß den einzelnen Museen ein jährlicher Höchstbetrag für Ankäufe dieser Art zur Verfügung gestellt wird? Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf Verehrter Herr Kollege Dichgans, nach den Bestimmungen ,des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes können Spenden zur Förderung gemeinnütziger Zwecke im Rahmen von Höchstbeträgen bei der Ermittlung des Einkommens abgezogen werden. Gemeinnützig sind solche Zwecke, durch deren Erfüllung ausschließlich und unmittelbar die Allgemeinheit gefördert wird. Da der Nutzen aus gekauften Kunstwerken in den von Ihnen genannten Fällen den Spendern auf Lebenszeit überlassen werden soll, wird mit ,den Spenden nicht ausschließlich die Allgemeinheit gefördert. Die Bundesregierung hält es deshalb nicht für gerechtfertigt, die Ausgaben für den Erwerb der Kunstwerke in solchen Fällen als steuerlich abzugsfähige Spenden anzuerkennen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Dr. Hans Dichgans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000380, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung bereit, zu untersuchen, wie sich ähnliche Vorschriften in den Vereinigten Staaten bewährt haben, und dann noch einmal zu prüfen, ob es nicht doch ein wirksamer Weg ist, gerade den lebenden Künstlern zu helfen, an denen wir ja stärker interessiert sind als an den toten? Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminster für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege Dichgans, natürlich können wir das Problem weiter untersuchen. Es muß aber festgestellt werden, daß der von Ihnen erwähnte Personenkreis bereits eine Reihe von Vergünstigungen hat. Auf steuerlichem Gebiet wird den Künstlern wie anderen freiberuflich Tätigen bei der Ermittlung des Einkommens ein Freibetrag bis zur Höhe von 1200 DM je Kalenderjahr gewährt. Außerdem können Künstler den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 5,5 v. H. in Anspruch nehmen. Schließlich sind bei Baumaßnahmen des Bundes bis zu 2 v. H. der Baukosten für Aufträge an lebende Künstler vorzusehen, soweit Zweck und Bedeutung der Baumaßnahme dies rechtfertigen. Sie sehen also, daß die Bundesregierung mit Hilfe dieser Maßnahmen schon versucht hat, den von Ihnen erwähnten Personenkreis zu begünstigen. Ich sehe im Agenblick keine weiteren Ausweitungsmöglichkeiten, obwohl ich gern Anregungen von Ihrer Seite im Namen der Bundesregierung zur Kenntnis nehmen und sie erneut überlegen würde.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Zweite Zusatzfrage.

Dr. Hans Dichgans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000380, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist sich die Bundesregierung darüber klar, daß die soeben von Ihnen angeführten Vergünstigungen nur für Steuerpflichtige in Betracht kommen, die ein Einkommen haben? Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Das trifft nicht in allen Fällen zu.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 78 des Herrn Abgeordneten Pfeifer auf: Ist die Bundesregierung bereit, mit der französischen Regierung bzw. den französischen Streitkräften erneut zu verhandeln mit dem Ziel, daß das Militärhospital der französischen Garnison in Tübingen, das - gemessen an der Gesamtzimmerzahl - kaum belegt ist, zur Errichtung eines großen Rehabilitationszentrums für Hirngeschädigte freigegeben wird? Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Abgeordneter Pfeifer, der West- und Mittelflügel des bundeseigenen ehemaligen Heeresstandortlazaretts in Tübingen wird von den französischen Streitkräften als Militärhospital benutzt, während der Ostflügel der Liegenschaft bereits heute vom Land Baden-Württemberg als Versorgungskrankenhaus für Hirnverletzte in Anspruch genommen ist. Nach langen Verhandlungen mit den französischen Streitkräften ist im April 1971 erreicht worden, daß weitere 27 Räume des Militärhospitals dem Versorgungskrankenhaus überlassen werden konnten. Die französischen Streitkräfte haben bei diesen Verhandlungen zu erkennen gegeben, daß sie das Militärhospital für Ernst- und Katastrophenfälle bereithalten müssen und einer Freigabe weiterer Räume nicht zustimmen können. Bei diesem Sachverhalt versprechen Bemühungen um völlige Freigabe nur dann Erfolg, wenn den Streitkräften entsprechender Ersatz angeboten wird. Die Kosten der Ersatzbauten hätten dann allerdings die Träger des Rehabilitationszentrums als Veranlasser zu tragen. In diesem Fall wird es wahrscheinlich wirtschaftlich sinnvoller sein, an Stelle von Ersatzbauten für die französischen Streitkräfte Neubauten für das Rehabilitationszentrum zu erstellen. Sollte in Zukunft eine Änderung der Haltung der französischen Streitkräfte erkennbar werden, ist die Bundesregierung selbstverständlich gern bereit, sich für eine Freigabe der restlichen Räume zugunsten des Versorgungskrankenhauses einzusetzen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Anton Pfeifer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001703, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich darf Sie zunächst fragen: Besteht nicht auch eine Möglichkeit, daß die Bundesregierung prüft, ob sie den französischen Streitkräften eine entsprechende Bettenzahl in geeigneten anderen Räumen, etwa im Schwarzwald, zur Verfügung stellen kann, zumal im Raum Baden-Baden in einer Reihe von Anstalten, z. B. für Lungenkranke, das Problem der Belegung in der Zukunft aufgetreten ist? Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Soweit ich es habe nachprüfen können, Herr Kollege Pfeifer, ist dies bereits versucht worden. Aber das, was wir den Franzosen angeboten haben, haben sie abgelehnt.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Zweite Zusatzfrage.

Anton Pfeifer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001703, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, meine zweite Zusatzfrage bezieht auf die Neubauten: Sol9776 len diese Neubauten für ein Rehabilitationszentrum nach Ihren Vorstellungen im Raum Tübingen entstehen oder irgendwoanders? Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wissenschaft und Finanzen: Dies kann ich aus dem Stegreif nicht beantworten. Ich muß mich, da es ein ganz neuer Tatbestand ist, mit der Sache erst noch einmal befassen. Wenn wir in dem Raum heute allerdings schon gewisse Zentren haben, würde es sich lohnen, die Maßnahmen dort fortzusetzen und nicht einen neuen Platz zu nehmen. Das setzt aber wieder eine Prüfung der Bedingungen und der Kosten der unterschiedlichen Plätze voraus. Da diese Frage einen ganz neuen Tatbestand aufwirft, bitte ich, die Sache jetzt nicht zu vertiefen. Ich würde aber in meinem Hause die Unterlagen noch einmal heraussuchen lassen, um festzustellen, ob eine Möglichkeit und welche besteht.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Maucher.

Eugen Maucher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001443, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß durch die Errichtung eines solchen Rehabilitationszentrums in Tübingen - in der Nähe einer Universität, wo erfahrene Fachkräfte vorhanden sind - die beste Voraussetzung dafür gegeben ist, bei den ständig zunehmenden Verkehrsunfällen auf die Dauer größeren Schaden durch eine sinnvolle Rehabilitation abzuwenden, und daß die Mittel, die hier benötigt werden, sich im Laufe der Jahre mehrfach bezahlt machen?

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, ich kann die Zusatzfrage nicht zulassen. Sie hängt mit der ursprünglichen Frage nicht mehr unmittelbar zusammen, sondern geht schon weit darüber hinaus. Die Frage davor hatte ich zwar noch zugelassen; es tut mir leid; aber wir kommen sonst zu weit ab. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen erledigt. Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Westphal zur Verfügung. Die Fragen 2 und 3 dies Herrn Abgeordneten Maucher werden zusammen mit den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung beantwortet. Die Fragen 4 und 5 der Abgeordneten Frau Brauksiepe werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Härzschel auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Situation der Rentner in Alters- und Pflegeheimen, nachdem die Pflegesätze im vergangenen Jahr um mehr als 10 % erhöht wurden, die Renten jedoch nur um 5,5 % gestiegen sind? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Härzschel, die Renten stiegen in den letzten Jahren, wenn man alles in allem nimmt, schneller als die Lebenshaltungskosten, wenn sie auch hinter der Entwicklung der Pflegesätze zurückgeblieben sind. Das hat seinen Grund darin, daß die Heime personalintensive Einrichtungen sind und deshalb Lohn- und Gehaltserhöhungen besonders stark zu Buche schlagen. Dennoch hat sich die Situation der Rentner in Alten- und Pflegeheimen, die Hilfen in besonderen Lebenslagen erhalten - also Sozialhilfe , eher verbessert als verschlechtert, wenn man berücksichtigt, daß die Rentenerhöhung nach den Rentenanpassungsgesetzen jeweils für die ersten fünf Monate nach der Anpassung nicht als Einkommen im Sinne dies Bundessozialhilfegesetzes berücksichtigt werden dürfen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Kurt Härzschel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000779, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, es besteht kein Zweifel, daß in den letzten zwei Jahren die Rentenerhöhungen relativ gering waren, die Pflegesatzerhöhungen aber sehr hoch. Ich möchte Sie deshalb fragen: Haben Sie Zahlenmaterial, mit dem Sie diese Aussage noch untermauern können? Bei meiner letzten Anfrage haben Sie bestritten, daß solches Material vorhanden ist. Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Härzschel, ich habe hier nicht auf Grund von Zahlenmaterial geantwortet, weil dies dem Bund nicht zur Verfügung steht. Es liegt nicht im Rahmen seiner Aufgabenstellung; dieses Gebiet ist verfassungsmäßig für andere Ebenen unseres Staates vorgesehen. Das, was ich hier beantwortet habe, ergibt sich aus der prinzipiellen Überlegung der Veränderungen bei Renten insgesamt, bei der Sozialhilfe andererseits und bei den Personalkosten in den Heimen und Einrichtungen. Darauf zielte ihre Frage; die habe ich beantwortet.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Zweite Zusatzfrage.

Kurt Härzschel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000779, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, was will die Regierung tun, um diese laufende Verschlechterung der Situation der Rentner in den Alten- und Pflegeheimen zu stoppen? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Härzschel, die Antwort, die ich Ihnen gegeben habe, besagt, daß es eine relative Verbesserung gegeben hat. Insofern kann ich zur Zeit keine Verschlechterung bekämpfen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage 7 des Herrn Abgeordneten Härzschel auf: Wie hoch ist prozentual der Anteil der Rentner in Alters- und Pflegeheimen, die neben der Rente Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen, und welche zusätzlichen Belastungen sind bei der zunehmenden Zahl von Alters- und Pflegeheimen für die Sozialhilfe zu erwarten? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Härzschel, Berechnungsgrundlagen für die Beantwortung Ihrer Fragen liegen aus dem Jahre 1969 vor. Danach wohnen in der Bundesrepublik 3,8 % der Gesamtbevölkerung in geschlossenen Alteneinrichtungen, und zwar 0,5 % in Altenwohnheimen, 2,4% in Altenheimen und 0,9 % in Altenpflegeheimen, zusammen 3,8 % der Bevölkerung. Von den in Alteneinrichtungen wohnenden Menschen sind Sozialhilfeempfänger 10 % in den Altenwohnheimen, 31% in den Altenheimen und 59 % in den Alten- und Pflegeheimen. Wollen Sie zusammengefaßt wissen, wie viele von den Einwohnern solcher Einrichtungen Sozialhilfeempfänger sind, müßte ich Ihnen antworten: Etwa 35 %! Nach vorläufigen, noch nicht abgeschlossenen Erhebungen haben sich diese Prozentzahlen in den letzten beiden Jahren nicht wesentlich verändert. In welchem Umfang in den nächsten Jahren durch den Zuwachs von Alten- und Pflegeheimen zusätzliche Belastungen auf die Sozialhilfe zukommen, ist nicht abzusehen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Kurt Härzschel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000779, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, das bezieht sich auch auf die Frage von vorhin: Wie erklären Sie sich dann, daß z. B. der Landkreistag in Baden-Württemberg von einer sehr starken Zunahme der Belastung der Kreise gerade durch die Sozialhilfe in Verbindung mit den Alten- und Pflegeheimen gesprochen hat? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich habe dies nicht bestritten! Ich habe Ihnen auf Grund Ihrer Frage die Relativität dieser Änderungen dargestellt. Es ist richtig, daß sich die Pflegesätze erheblich erhöht haben und daß dies auch Folgen für die Sozialhilfe hat. Insofern kann ich Ihnen nichts anderes antworten als das, was auf Ihre erste Frage geantwortet werden mußte.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Zweite Zusatzfrage.

Kurt Härzschel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000779, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, würden Sie nicht meinen, daß durch den Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Rentenniveauerhöhung eine Entlastung erfolgen könnte? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege, erstens fällt das nicht in das Ressort, von dem aus ich hier die Antwort zu geben habe. Zweitens ist das Problem, um das es hier geht, doch differenzierter zu sehen. Erstens geht es um mehr Menschen, die in Zukunft vielleicht in Heimen wohnen werden, in verschiedenen Arten der Alteneinrichtungen. Zweitens geht es um Veränderungen von Lohn- und Gehälterentwicklungen in den nächsten Jahren, die auch anders sein können als in den vergangenen Jahren. Und drittens geht es um Auswirkungen auf Pflegesätze. Alles in allem ist es richtig, daß das selbstverständlich auch Auswirkungen auf die Sozialhilfeleistungen gerade der Gemeinden hat. Daß dies kein leichtes Problem für die Gemeinden ist, ist auch klar. Aber eine zusammenfassende Antwort, wie sehr sich das in den nächsten Jahren steigern wird, kann Ihnen keiner geben.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage. Dann rufe ich auf die Frage 8 des Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein: Wie beurteilt die Bundesregierung die Mitteilung der Deutschen Krankenhausgesellschaft, daß bis 1975 rund 12,7 Milliarden DM aufgebracht werden müssen, um den bisherigen Standard der Krankenhausversorgung sicherzustellen? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich bitte, beide Fragen des Herrn Abgeordneten im Zusammenhang beantworten zu dürfen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Dann rufe ich auch die Frage 9 auf: Auf Grund welcher Erkenntnisse hält es die Bundesregierung für möglich, alle Leistungen nach dem vorgesehenen „Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze" einschließlich des Neubaus von Krankenhäusern mit jährlich 7300 Betten und der Befriedigung des Ergänzungsbedarfs von jährlich 14 700 Betten zu finanzieren, obwohl zwischen dem von der Deutschen Krankenhausgesellschaft bis 1975 für notwendig erachteten Betrag und den vorgesehenen Gesamtaufwendungen der öffentlichen Hand in Höhe von 8930 Millionen DM eine Differenz von 3,8 Milliarden DM besteht? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Die Bundesregierung kann sich die Berechnungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft nicht zu eigen machen. In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katzer, Dr. Götz, Dr. Schneider ({0}), Dr. Jungmann und der Fraktion der CDU/CSU betr. Krankenhausfinanzierung Drucksache VI/1141 - hat die Bundesregierung eingehend die für sie maßgebenden Gesichtspunkte bei der Berechnung des Ersatzbedarfs, Nachholbedarfs und Zusatzbedarfs dargelegt. Die grundsätzlichen Ausführungen in der Antwort auf die Frage 2 der Kleinen Anfrage gelten im wesentlichen auch heute unverändert fort, auch wenn es im Hinblick auf die Berechnungsdaten dort inzwischen Veränderungen gegeben hat. Die Bedarfsschätzungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft gehen von einem überhöhten Bettenzuwachs aus. Sie lassen insbesondere außer acht, daß den Krankenhäusern nach Inkrafttreten des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze für die Beschaffung von Parlamentarischer Staatssekretär Westphal kurzfristigen Anlagegütern und für die Instandhaltung und Instandsetzung pauschale Beträge aus öffentlichen Mitteln bewilligt werden, die über die gegenwärtig für die gleichen Zwecke zur Verfügung stehenden Mittel bei weitem hinausgehen. Damit werden die Krankenhäuser erstmals in die Lage versetzt, ihre Einrichtungen auf einen Stand zu bringen, der in medizinischer Hinsicht durchaus Neubauten entspricht. Die Stellungnahme der Krankenhausgesellschaft läßt auch unberücksichtigt, in welchem Umfang durch eine Umstrukturierung im Rahmen der Krankenhausbedarfsplanung eine bessere Nutzung der für den Krankenhausbau bereitgestellten Mittel und der vorhandenen Flächenkapazitäten ermöglicht wird. Die Bundesrepublik gehört der Zahl der Krankenhausbetten nach schon heute im internationalen Vergleich zu den am besten versorgten Staaten. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß der mit dem Gesetzentwurf verfolgte Zweck mit der vorgesehenen Finanzierung erreicht wird.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Botho Sayn-Wittgenstein-Hohenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001928, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, mir zuzugestehen, daß auf Grund der Entwicklung, seitdem die Kleine Anfrage der CDU/CSU beantwortet wurde, neue Werte und neue Überlegungen in die Diskussion eingeführt wurden, die für die neuen Berechnungen der Krankenhausgesellschaft Grundlage sein könnten? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege von Wittgenstein, die Bundesregierung selbst hat, nachdem eine Prüfung stattgefunden hatte davon wissen Sie -, ihre Werte, die zur Berechnung benutzt werden, verändert: 60 Jahre statt 50 Jahre Dauer der Nutzung und einen Bettenwert als Durchschnittsberechnungswert von 100 000 DM statt bisher 70 000 DM. Dazu kommen Steigerungsraten für die Zukunft. Sie hat daraus die Konsequenzen gezogen und im Bundeshaushalt für die Mobilisierung der dafür erforderlichen Mittel mehr Gelder bereitgestellt.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine zweite Zusatzfrage.

Botho Sayn-Wittgenstein-Hohenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001928, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß die Bundesregierung genau den entgegengesetzten Weg, nämlich den der Verlängerung der Nutzungs- und Abschreibungszeiten, gegangen ist, als man zwangsläufig auf Grund der Entwicklung im Bereich der medizinisch-technischen Entwicklung gehen sollte? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Sie haben mich gebeten, zur Kenntnis zu nehmen, was Sie gesagt haben. Dies muß ich tun; denn Sie haben es gesagt.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine weitere Zusatzfrage.

Botho Sayn-Wittgenstein-Hohenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001928, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Halten Sie es für realistisch, wenn die Bundesregierung bei der mittelfristigen Finanzplanung die Steigerungsraten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz mit 3 0/0 pro Jahr annimmt, während doch die tatsächlichen Steigerungsraten, insbesondere im Bereich des Hoch- und Tiefbaus, aber auch bei den Investitionsgütern, weitaus höher liegen? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege von Wittgenstein, wir haben zu dieser Frage im Zusammenhang mit allgemeinen und über längere Fristen laufenden Entwicklungen Berechnungen angestellt und sind von da aus bisher bei diesen Raten der Erhöhung geblieben und glauben, daß wir das auch zur Zeit tun können.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine weitere Zusatzfrage.

Botho Sayn-Wittgenstein-Hohenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001928, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, welche Mitteilungen hat die Bundesregierung, denen Sie entnehmen können, daß die Länder und die Gemeinden in der Lage sein werden, die zwei Drittel nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz schon in diesem und in den folgenden Jahren in vollem Umfang zu finanzieren? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich kann Ihnen dazu im Augenblick keine Antwort an Hand von Statistiken oder Unterlagen aus den Etats geben; darauf bin ich nicht vorbereitet. Aber ich darf Ihnen sagen, daß im Zuge der Vorbereitung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes die Länder ja beteiligt waren, sich also doch über eine längere Zeit darauf einstellen konnten, daß dieses Gesetz in Kraft treten soll. Sie wissen, daß die Verabschiedung durch dieses Hohe Haus eigentlich schon hätte erfolgen sollen. Nun verzögert sich das leider. Andererseits ist klar, daß das Datum für das Inkrafttreten dieses Gesetzes der 1. Januar 1972 ist und bleiben soll; die Länder haben sich also darauf einstellen könen. Daten aus den Länderhaushalten zu geben, darauf bin ich nicht vorbereitet.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs.

Dr. Karl Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die Tatsache, daß der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf des Krankenhausfinanzierungsgesetzes von einer wesentlich höheren Investitionssumme ausgeht, als Sie sie jetzt genannt haben und als sie auch im Regierungsentwurf steht? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Dr. Fuchs, die Beratungen im Bundesrat haben ja noch einmal eine ganze Fülle von Besprechungen ausgelöst und auch mit zur Wirkung gehabt, daß noch von unabhängiger Stelle Untersuchungen angestellt worden sind, deren Ergebnisse in Neuberechnungen und auch neue Bereitstellungen von Mitteln des Bundes eingegangen sind, so daß das, was der Bundesrat damals an Kritik äußerte, nach unserer Meinung nicht mehr geäußert werden wird, wenn er jetzt in der zweiten Runde wieder dran ist.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 10 des Herrn Abgeordneten Rollmann auf: Ist die Bundesregierung bereit, eine Studie darüber in Auftrag zu geben, inwieweit Gewalttätigkeit und Brutalität der Szenen im Fernsehen das Straßenspiel von Kindern beeinflussen? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Rollmann, das Deutsche Jugendinstitut in München hat im Auftrag des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Erarbeitung einer umfassenden Dokumentation und kritischen Analyse der international vorhandenen wissenschaftlichen Untersuchungen über Medienwirkung auf Kinder und Jugendliche begonnen. Erst nach Abschluß der Arbeiten des Deutschen Jugendinstituts - voraussichtlich Anfang 1973 - läßt sich überblicken, auf welchen Gebieten weitere Studien notwendig sind. Die Frage nach einer potentiellen Beeinflussung des Straßenspiels von Kindern durch Gewalttätigkeit und Brutalität der Szenen im Fernsehen könnte dabei als ein Teilaspekt unter vielen innerhalb des breit gefächerten Wirkungsprozesses berücksichtigt werden. Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit möchte hinzufügen, daß ihm bekanntgeworden ist, daß sich auch die von den Fernsehanstalten geplanten Forschungsvorhaben bezüglich der Medienwirkung u. a. mit diesem Thema beschäftigen wollen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Dietrich Wilhelm Rollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001878, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist es nicht möglich, Herr Staatssekretär, den Einfluß der Gewalttätigkeit und Brutalität im Fernsehen auf das Straßenspielen von Kindern bereits jetzt in den Auftrag an das Deutsche Jugendinstitut einzubeziehen? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Rollmann, der Auftrag an das Jugendinstitut ist der des Zusammenfassens und Auswertens aller vorhandenen Untersuchung. Falls sich solche auf diesem Gebiet schon als vorhanden zeigen, werden sie selbstverständlich einbezogen werden.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.

Karl Heinz Hansen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Untersuchung, um ein vollständiges Bild zu erhalten, nicht auf Straßenspiele beschränkt bleiben, sondern auch auf Spiele in Feld, Wald und Wiese, auf Schulhöfen und verbotenen Rasenflächen erstreckt werden sollte? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Frau Präsidentin, muß ich antworten?

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Nein, sie brauchen nicht zu antworten. Das steht Ihnen frei. An dieser Stelle haben wir aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes noch die Frage 123 des Herrn Abgeordneten Baier: Wurde anläßlich des Pariser Treffens von Bundeskanzler Brandt auch über die Fortführung und Aktivierung des Deutsch-Französischen Jugendwerks gesprochen mit dem Ziele, die gegenwärtigen finanziellen Leistungen der deutschen und der französischen Regierung von je 16,2 Millionen DM wieder auf die früheren Leistungen von je 20,0 Millionen DM im gegenseitigen Einvernehmen anzuheben? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Baier, bei dem Treffen Anfang Februar 1972 in Paris haben die Regierungschefs die Frage der weiteren Finanzierung des DeutschFranzösischen Jugendwerks nicht behandelt. Es fand jedoch zur gleichen Zeit ein Gespräch des Koordinators für die deutsch-französische Zusammenarbeit, Herrn Vizepräsidenten Professor Carlo Schmid, mit seinem französischen Kollegen statt, bei dem der Wille zum Ausdruck gebracht wurde, nachdrücklich darauf hinzuwirken, daß durch die Währungsbewegungen keine nachteiligen Folgen für die Arbeit des Deutsch-Französischen Jugendwerks entstehen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Fritz Baier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000081, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist aus der Tatsache, daß vom Zeitpunkt der Begründung des Deutsch-Französischen Jugendwerks im Jahre 1963 bis zum Jahre 1968 die Jugend- bzw. Erziehungsminister beider Länder siebenmal, und zwar außer im Jahre 1966 jährlich ein- bis zweimal, an diesen Konsultationstreffen der Regierungschefs teilgenommen haben, seitdem aber nicht mehr, etwa zu schließen, daß dem deutsch-französischen Jugendaustausch nicht mehr die ursprüngliche, hohe Bedeutung beigemessen wird, oder auf welche Gründe ist das zurückzuführen? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Dies, was Sie daraus schließen wollen, können Sie nicht daraus schließen, Herr Kollege Baier. Denn Tatsache ist, daß der für diesen Fragenbereich zuständige Bundesminister, Frau Bundesminister Strobel, mit seinem französischen Kollegen, dem Herrn Minister Comiti, laufend Konsultationen hat, also Parlamentarischer Staatssekretär Westphal sich nicht auf die Zeiten einzustellen braucht, die sich aus dem Zusammentreffen der Herren Regierungschefs ergeben. Insofern finden laufend, und zwar durchschnittlich zweimal im Jahr, solche Zusammenkünfte statt, die sich aus den Terminkalendern dieser beiden Minister leichter ergeben.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Zweite Zusatzfrage.

Fritz Baier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000081, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn ich akzeptiere, daß dem so ist, Herr Staatssekretär, dann will ich Sie doch fragen: Welche konkreten Schritte hat der Bundesfamilien- und -jugendminister unternommen, um diesen Betrag für das Deutsch-Französische Jugendwerk, der seit über zwei Jahren von 20 Millionen DM auf 16,2 Millionen DM abgesunken ist, durch gemeinsame Bemühungen wieder zu erhöhen? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Baier, es gibt keine Treffen in den letzten Jahren zwischen den für dieses Jugendwerk verantwortlichen Ministern, bei dem dieses Problem nicht eines derjenigen gewesen ist, um das die Minister sich bemüht haben, und bei dem von deutscher Seite nicht darauf gedrängt worden ist, daß auf französischer Seite eine Haltung eingenommen wird, die es ermöglichen würde, die nachteiligen Veränderungen, die sich aus dem Währungsgefüge für das Jugendwerk ergeben, aufzufangen. Beide Seiten sind der Ansicht, daß eine Änderung des Vertrages über das DFJW eine schwierige und problematische Sache ist. In ihm ist die sehr starre Gleichheitsformulierung enthalten, was die Einbringung finanzieller Mittel beider Seiten betrifft. Es muß sich also um einen Prozeß handeln, der im Rahmen des Vertrages herbeigeführt wird. Dazu bedarf es, so habe ich den Eindruck, vornehmlich der Einsicht - nicht der Fachminister, sondern der Finanzminister -, insbesondere auf französischer Seite. Auf unserer Seite, ist sie, glaube ich, vorhanden.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Rollmann.

Dietrich Wilhelm Rollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001878, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Was hat die Bundesregierung getan, um in dem direkten Kontakt zwischen dem Bundesfinanzminister und dem französischen Finanzminister darauf hinzuweisen, daß Qualität und Quantität des Deutsch-Französischen Jugendwerkes nicht mehr aufrechterhalten werden können, wenn in einer Zeit der steigenden Preise die Mittel für das Deutsch-Französische Jugendwerk sinken? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Rollmann, ich kann nicht für den Finanzminister antworten; den haben Sie in Ihrer Frage angesprochen. Aber die Bundesregierung bemüht sich durch ihren federführenden Minister laufend um die Regelung dieses Problems. Sie wissen, daß in der Beratung des Einzelplans 15 vor zwei Wochen im Haushaltsausschuß dieses Hohen Hauses diese Frage erneut zur Debatte stand, und wir auch dort wieder sagen mußten: Bitte, haltet das auf deutscher Seite zur Verfügung gestellte Geld, wenn auch gesperrt, zur Verfügung! Dem hat der Finanzminister zugestimmt, und der Haushaltsausschuß hat - -({0}) - Aber wir haben uns selbstverständlich darum bemüht, daß die 18 Millionen DM erhalten werden, und der Finanzminister hat dann zugestimmt. Es gibt keine Gegensätze in dieser Frage, habe ich den Eindruck. Wir müssen jetzt, Herr Kollege Rollmann, mit der französischen Seite erneut verhandeln, um auf französischer Seite eine Einsicht für die Möglichkeit der Verwendung der deutschen Gelder über die formale Gleichheit der Beträge hinaus zu erreichen, damit dem Jugendwerk und seiner Wirkung kein Schade entsteht.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs.

Dr. Karl Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die Aussichten, daß das Finanzvolumen des Deutsch-Französischen Jugendwerks wenigstens wieder auf die 20 Millionen DM erhöht werden kann? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminster für Jugend, Familie und Gesundheit: 20 Millionen DM liegen in weiter Ferne, Herr Dr. Fuchs. Wir wären froh, wenn die 18 Millionen DM auf beiden Seiten gleichermaßen zum Einsatz kämen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage. Damit sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich erledigt. Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Westphal! Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Bayerl anwesend. - Ich komme zuerst zu Frage 50 des Herrn Abgeordneten Lenzer. - Herr Kollege Lenzer ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, und die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Reddemann auf: Hält es die Bundesregierung für mit den gesetzlichen Bestimmungen zu vereinbaren, wenn das gesetzliche Zeugnisverweigerungsrecht für Redakteure durch die Vernehmung von Sekretärinnen ausgehöhlt werden soll? Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Frau Präsident, gestatten Sie, daß ich beide Fragen gemeinsam beantworte?

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Bitte! Dann rufe ich auch die Frage 52 des Herrn Abgeordneten Reddemann auf: Vizepräsident Frau Funcke Ist die Bundesregierung bejahendenfalls bereit, einer beabsichtigten oder unbeabsichtigten derartigen Aushöhlung des Zeugnisverweigerungsrechts für Redakteure dadurch für künftige Fälle entgegenzuwirken, daß sie dem Bundestag eine entsprechende Novellierung der StPO vorlegt? Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege Reddemann, nach § 53 Abs. 1 Nr. 5 der Strafprozeßordnung sind im Strafverfahren zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt Redakteure, Verleger, Herausgeber, Drucker und andere, die bei der Herstellung und Veröffentlichung einer periodischen Druckschrift mitgewirkt haben, über die Person des Verfassers, Einsenders oder Gewährsmannes einer Veröffentlichung strafbaren Inhalts, wenn ein Redakteur der Druckschrift wegen dieser Veröffentlichung bestraft ist oder seiner Bestrafung keine Hindernisse entgegenstehen. Das Zeugnisverweigerungsrecht steht nach dem Gesetz somit allen Personen zu, die kraft ihrer dienstlichen Stellung, die sie bei der Herstellung der Druckschrift einnehmen, in die Lage kommen, von der Person des Verfassers, Einsenders oder Gewährsmannes Kenntnis zu erhalten. Diesem Personenkreis sind auch Sekretärinnen zuzurechnen, welche bei einem Unternehmen beschäftigt sind, das Druckwerke herstellt. Dem bezeichneten Personenkreis steht somit ein Recht auf Vierweigerung des Zeugnisses zu. Macht der Zeuge von diesem Recht keinen Gebrauch, ist er also zur Aussage bereit, so steht einer Vernehmung nichts im Wege. Noch in dieser Legislaturperiode wird die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag den Entwurf eines Gesetzes über die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse vorlegen. Darin wird auch das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen der Presse umfassend neu geregelt werden.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß Journalisten und andere Mitarbeiter von Presseorganen in dem Verfahren nach § 353 c, das von der Bonner Staatsanwaltschaft angestrengt worden ist, der Bonner Staatsanwaltschaft Vorwürfe machen, daß sie in einer falschen Rechtsbelehrung darauf hingewiesen worden seien, kein Aussageverweigerungsrecht zu haben? Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege Reddemann, Sie werden Verständnis dafür haben, daß es von der Bundesregierung als ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit angesehen wird, sich zu schwebenden Verfahren nicht zu äußern.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Die zweite Zusatzfrage.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich stimme Ihnen darin zu, daß man sich zu schwebenden Verfahren nicht äußern sollte, möchte aber trotzdem die Frage stellen: Ist es nicht bedenklich, wenn die Bundesregierung bei einem Verfahren, bei dem sie mittelbar mitbeteiligt ist, zu möglichen Fehlentscheidungen einfach mit dem Satz Stellung nimmt, sie wolle auf Grund des schwebenden Verfahrens nichts dazu sagen? Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Es ist tatsächlich so: die Bundesregierung will und kann keine Bewertungen eines schwebenden Verfahrens vornehmen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Dritte Zusatzfrage.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, würde dann die Bundesregierung wenigstens über das in dieser Fragestunde Mögliche hinaus noch einmal in der Öffentlichkeit ganz deutlich Hinweise auf dieses Zeugnisweigerungsrecht geben, damit auch ganz sicher der Bonner Staatsanwaltschaft bekanntwird, daß ein solches Verweigerungsrecht besteht? Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege, ich habe hier mit Vorbedacht die entsprechende Stelle der StPO zitiert, und ich nehme an, daß Sie, aber auch die Presse den § 53 StPO publizieren werden.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine weitere Zusatzfrage. - Frage 53 des Abgeordneten Zander wird auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe Frage 54 des Herrn Abgeordneten Walkhoff auf: Betrachtet die Bundesregierung es als eine Umgehung des Gesetzes, wenn die nach Artikel 3 § 4 Abs. 8 Artikelgesetz ausgeschlossene Aufhebung des Mietverhältnisses dadurch erzielt wird, daß nicht der bestehende Wohnraum in Eigentumswohnungen umgewandelt werden soll, sondern durch Abbruch der Mietwohnungen und Neubau auf dem gleichen Grundstück Eigentumswohnungen, insbesondere frei finanzierte, erstellt werden? Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege Walkhoff, der besondere Kündigungsschutz des Mieters in Fällen einer Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen trägt der erhöhten Gefahr für den Bestandsschutz des Mieters bei Umwandlungen Rechnung. Darüber hinaus soll einer spekulativen Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen, wie sie zum Teil in der Bundesrepublik zu beobachten war, allgemein entgegengewirkt werden. Auch bei einer Umgehung dieser Regelung durch Abbruch von Mietwohnungen mit anschließendem Neubau ist der Mieter nach der Neuregelung nicht schutzlos. Hiernach kann der Vermieter das Mietverhältnis nur kündigen, wenn er berechtigte Interessen nachweist. Eine beabsichtigte anderweitige wirtschaftliche Verwertung des Grundstücks stellt aber nur dann einen Kündigungsgrund dar, wenn die vorgesehene Verwertung angemessen ist und der Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Bayerl Vermieter andernfalls erhebliche Nachteile erleiden würde.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Karl Heinz Walkhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002414, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist das Interesse des Mieters noch ausreichend gewahrt, wenn der Vermieter mit der Begründung, er wolle die Häuser abreißen, um Eigentumswohnungen zu bauen, Mietverhältnisse zum vorübergehenden Gebrauch mit vierzehntägiger Kündigungsfrist - Mietverhältnisse, die sich oft über Jahre erstrecken können - abschließt, wobei sich der Vermieter dann auf § 565 Abs. 2 Satz 2 BGB und auf das Gesetz über Kündigungsschutz - § 4 Abs. 2 - stützen kann, was bedeutet, daß der Mieter, der aus Not solche Mietverhältnisse eingeht, jeden Tag auf die Straße gesetzt werden kann? Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Bei dieser Begründung, wenn nicht andere qualifizierende Merkmale, die das besondere Interesse des Vermieters rechtfertigen, hinzukommen, würde ich Ihre Frage verneinen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage. Die Frage 55 des Abgeordneten Wagner ({0}) soll auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär! Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Die Fragen 82 und 83 des Abgeordneten Peiter sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 84 der Abgeordneten Frau Lauterbach auf: Kann die Bundesregierung bereits darüber berichten, inwieweit von der seit 1. Juli v. J. in Kraft getretenen Möglichkeit der Krebsvorsorgeuntersuchung als Pflichtleistung der Krankenkassen Gebrauch gemacht wurde - nach Männern und Frauen unterteilt -, welche Erfahrungen hinsichtlich ausreichend vorhandener Fachärzte und Laboreinrichtungen vorliegen? Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Frau Kollegin, der kurze Zeitraum seit Einführung der Krebsvorsorgeuntersuchungen im Juli des vergangenen Jahres läßt eine sichere Beurteilung noch nicht zu, in welchem Umfange Männer und Frauen von den ihnen gebotenen Möglichkeiten der Vorsorgeuntersuchungen Gebrauch gemacht haben. Das gleiche gilt hinsichtlich der Frage nach den Fachärzten und Laboreinrichtungen zur Durchführung dieser Aufgaben. Bisher sind jedoch Engpässe nicht mitgeteilt worden. Sie können aber sicher sein, daß sich unser Haus darum bemüht, sorgfältig die Erfahrungen mit den gesetzlich ermöglichten Vorsorgeuntersuchungen auszuwerten. Dabei werden die von Ihnen genannten Kriterien eine wichtige Rolle spielen. Die Auswertung wird dem Parlament vorgelegt. Die Bundesregierung wird - entsprechend der anläßlich der Verabschiedung des Zweiten Krankenversicherungsänderungsgesetzes vom Bundestag gefaßten Entschließung - den Bericht bis zum Ende dieses Jahres erstellen. Dieser Bericht steht im Zusammenhang mit unserem Interesse an einer hohen Inanspruchnahme der Vorsorgeuntersuchungen durch die Versicherten, ein Interesse, das auch in Ihrer Frage zum Ausdruck kommt.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Ellen Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001298, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, in welcher Weise informieren die Krankenkassen allgemein die Versicherten über die Vorsorgeuntersuchungen, und inwieweit lassen inzwischen auch die Pflichtkassen, z. B. die AOK und die Betriebskrankenkassen, ähnlich wie die Ersatzkassen ihren Versicherten den Berechtigungsschein für die Krebsvorsorgeuntersuchung per Post zugehen - ich darf auf meine Anregung in einer früheren Fragestunde hinweisen -, um dadurch den einzelnen auf die ihm gebotene Möglichkeit aufmerksam zu machen? Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Soweit es die Information angeht, Frau Kollegin, habe ich in einer der letzten Fragestunden darauf ausführlich geantwortet, wie sowohl durch individuelle Anschreiben, durch Merkblätter der verschiedensten Art als auch durch Presseinformationen das Interesse der Versicherten für diese Vorsorgeuntersuchungen geweckt und gestärkt wird. Zu der anderen Frage nach den Berechtigungsscheinen für die Früherkennungsuntersuchungen und ihrer Zusendung darf ich folgendes anmerken. Nach unserer Kenntnis machen insbesondere die Ortskrankenkassen von der Möglichkeit Gebrauch, sie mit der Post zuzustellen, wobei die Verfahrensweise je nach Zweckmäßigkeit im Einzelfalle unterschiedlich ist. So fordern die Ortskrankenkassen Versicherte in einem persönlich gehaltenen Schreiben, das über Sinn und Zweck der Untersuchung näher aufklärt, zur Inanspruchnahme auf. Dabei wird entweder eine Anmeldekarte für den Arzt oder ein Berechtigungsschein beigefügt. Vielfach werden auch Einladungen an Arbeitgeber zur Ausgabe an die versicherten Beschäftigten übersandt, oder Arbeitgeber werden durch die Krankenkasse gebeten, die Arbeitnehmer auf die Inanspruchnahmemöglichkeiten für die Untersuchungen besonders hinzuweisen. Den Land-, Innungs- und Betriebskrankenkassen ist durch ihre Verbände ebenfalls empfohlen worden, den Berechtigungsschein für die Inanspruchnahme durch die Post zuzusenden. Auch die Bundesknappschaft leitet dem berechtigten Personenkreis solche Berechtigungsscheine mit persönlichem Anschreiben zu.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Zweite Zusatzfrage.

Ellen Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001298, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung meine Meinung, daß es bei der teilweise unzureichenden ärztlichen Versorgung auf dem Lande auch im Bereich der Vorsorgeuntersuchungen bei steigender Inanspruchnahme zu Engpässen personeller Art kommen könnte, und liegt der Bundesregierung über diese ärztliche Versorgung auf dem Lande bereits ein Ergebnis der Sachverständigenkommission zur Weiterentwicklung der von der Krankenversicherung durchgeführten Untersuchungen vor, das zu entsprechenden Maßnahmen führen sollte? Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Der für Fragen der kassenärztlichen Versorgung in den Landgebieten eingesetzte Ausschuß der Sachverständigenkommission zur Weiterentwicklung der Krankenversicherung hat seine Beratungen inzwischen weitgehend abgeschlossen. Der Ausschuß wird sein Beratungsergebnis der Kommission im Ganzen vorlegen, und das Plenum der Kommission wird sich in Kürze damit befassen. Sobald mir die Stellungnahme der Kommission unterbreitet worden ist, werde ich auch Sie gern darüber informieren.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfragen. Frau Kollegin Lauterbach, ich möchte Sie jetzt in folgender Hinsicht um Verständnis bitten. Herr Maucher hat die ganze Fragestunde abgewartet; seine Fragen waren ursprünglich für das Gesundheitsressort vorgesehen. Sie sollen aber hier unter diesem Geschäftsbereich beantwortet werden. Ich bitte Sie um Ihr Verständnis, daß ich jetzt die Fragen 2 und 3 von Herrn Maucher aufrufe. ({0}) - Sie kommt noch daran, wenn nicht heute, dann das nächste Mal. Herr Kollege Maucher hat sowohl von der „niedrigen Hausnummer" der Fragen her als auch unter dem Gesichtspunkt, daß seine Fragen früher unter einem anderen Ressort geführt wurden, den Anspruch, daß die Fragen jetzt beantwortet werden. Ich rufe also die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Maucher auf: Ist der Bundesregierung bekannt, wie groß die Zahl der jährlich durch Verkehrs- und andere Unfälle verursachten Dauerhirngeschädigten ist? Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Frau Präsident, ich würde die beiden Fragen wegen des sachlichen Zusammenhangs gern gemeinsam beantworten.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Bitte schön! Dann rufe ich auch noch die Frage 3 des Herrn Abgeordneten Maucher auf: Teilt die Bundesregierung die Meinung, daß ein medizinischneurologisches, berufsvorbereitendes Rehabilitationszentrum für erwachsene Hirngeschädigte dringend erforderlich ist? Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Genaue Angaben über die Zahl der jährlich zu verzeichnenden schweren Schädelhirnverletzungen liegen der Bundesregierung nicht vor. Es dürfte aber davon auszugehen sein, daß die Zahl der jährlich Schädelhirnverletzten bei etwa 25 000 liegt. Über den Anteil der Verletzten, die einen Dauerhirnschaden davontragen, können keine näheren Angaben gemacht werden. Herr Kollege, die Bundesregierung teilt die Auffassung, die in Ihrer zweiten Frage zum Ausdruck kommt. Sie hat im „Aktionsprogramm zur Förderung der Rehabilitation der Behinderten", das ein geschlossenes System von Einrichtungen für alle Teilbereiche der Rehabilitation anstrebt, bereits darauf hingewiesen, daß für Schädelhirnverletzte Rehabilitationszentren zu schaffen sind, in denen bereits am Krankenbett mit Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation begonnen wird. Ein erstes Projekt ist in Bonn bereits geplant. Nachdem die. dort aufgetretenen baulichen Fragen vor kurzem geklärt werden konnten, ist mit dem baldigen Abschluß der Planungsarbeiten zu rechnen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Eugen Maucher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001443, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß es dringend notwendig ist, dafür Sorge zu tragen, daß eine ausreichende fachgerechte Behandlung der Hirngeschädigten durch erfahrene Ärzte sichergestellt wird? Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Ja, Herr Kollege, das entspricht den Leitlinien, die wir im Aktionsprogramm für Rehabilitation niedergelegt haben.

Eugen Maucher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001443, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich Ihre Antwort auch so verstehen, daß Sie bereit sind, die Vorhaben in Tübingen zu unterstützen und unter Umständen auch dem Land Baden-Württemberg finanzielle Hilfe zu gewähren? Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege, die Bundesregierung ist schon seit längerer Zeit bemüht, die sich an das Versorgungskrankenhaus Tübingen anschließenden, zur Zeit den französischen Streitkräften zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten für Zwecke der Rehabilitation nutzbar zu machen. In jüngster Zeit wurden bereits einige zusätzliche Gebäudeteile für Zwecke des Versorgungskrankenhauses zur Verfügung gestellt. Die Bundesregierung wird sich bemühen, weitere Bereiche des Gebäudekomplexes Zwecken der Rehabilitation zuzuführen, insbesondere auch unter Berücksichtigung des in Ihren Fragen angesprochenen Personenkreises.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine weitere Zusatzfrage.

Eugen Maucher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001443, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kann ich davon ausgehen, daß Sie es begrüßen würden, wenn das ganze Gebäude in Tübingen, das dortige Militärhospital - das kam in einer Antwort des Finanzministeriums zum Ausdruck -, für diese Zwecke freigegeben würde? Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege, ich habe auf die Bemühungen der Bundesregierung hingewiesen. Es ergaben sich dabei Einzelfragen im Rahmen der Verhandlungen mit der französischen Seite. Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich mich dazu nicht bis ins letzte Detail äußern kann.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Dann rufe ich noch die Frage 85 der Frau Kollegin Lauterbach auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die in Fachkreisen zunehmende Meinung, daß Prämienzahlungen für nicht benutzte Krankenscheine nicht im Sinne der von ihr geförderten ärztlichen Vorsorgemaßnahmen sind und sie darüber hinaus auch einen erheblichen Verwaltungsaufwand bei den Kassen verursachen? Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Frau Kollegin, die Bundesregierung hat am 25. Januar dieses Jahres dem Bundesrat einen Bericht über die bisherigen Erfahrungen mit der neu eingeführten Prämienzahlung für nicht benutzte Krankenscheine vorgelegt. Darin sind auch die von Ihnen angesprochenen Probleme gewürdigt worden. Diesen Bericht wird die Sachverständigenkommission zur Weiterentwicklung der sozialen Krankenversicherung beraten. Sie wird sich dabei auch mit den von Ihnen aufgeworfenen Fragen befassen. Im übrigen werde ich Ihre Fragen der Kommission zuleiten. Sie werden sicherlich Verständnis dafür haben, Frau Kollegin, daß die Bundesregierung das Votum der Sachverständigenkommission bei ihrem Urteil berücksichtigen möchte. Sie wird abschließend Stellung nehmen, sobald dieses Votum vorliegt.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage. - Damit ist die Fragestunde beendet. Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rohde. Wir kehren zu den Tagesordnungspunkten 2 bis 6 zurück und setzen die Debatte fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kiesinger.

Dr. h. c. Kurt Georg Kiesinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001096, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Außenminister hat heute früh die Frage gestellt, ob es denn notwendig oder unvermeidlich sei, daß im Blick auf die anstehende Entscheidung in diesem Hohen Hause zu der deutschen Spaltung auch noch ein innerer Graben zwischen den Parteien gezogen werde. Ich habe nicht vor, durch Aufquirlen von Emotionen dazu beizutragen, sondern ich will in aller Nüchternheit, aber auch mit allem gebotenen Ernst das Meine zu dem zu sagen versuchen, was hier ansteht. Es ist ja in der Tat eine der wichtigsten, vielleicht die wichtigste Entscheidung, die dieser Bundestag seit seinem Bestehen zu treffen haben wird. Diese Entscheidung ist nicht nur die Entscheidung zu irgendwelchen Vertragstexten, wie Rainer Barzel mit Recht gesagt hat, sondern eine Entscheidung zu einer konkreten Politik: zu der Außenpolitik dieser Regierung - ich sage es bewußt so: zu der Außenpolitik dieser Regierung -, in welche ja ihre Ostpolitik eingebettet ist, zu den Zielsetzungen dieser Politik und zu ihren Auswirkungen, so wie sie gewollt sind oder so wie sie auch vielleicht nicht gewollt sind. Zu einer solchen Politik gehören ihre Zielsetzungen, gehört die Einschätzung der Realitäten durch diejenigen, die eine solche Politik machen, gehören die für diese Politik angewandten Methoden, gehört die Solidität oder auch Unsolidität der Bemühungen um die Politik, wozu Festigkeit, Ausdauer, Geduld und manches andere gehören, gehört die Verfassungstreue dieser Politik und gehört natürlich am Ende der politische Erfolg. Wir brauchen uns über die allgemeinen Zielvorstellungen und Zielsetzungen in diesem Hause, ich hoffe es, nicht zu streiten: daß wir den Frieden wollen, daß wir Verständigung und Entspannung wollen, und ich hoffe immer noch, daß wir gemeinsam die Wiederherstellung der deutschen Einheit - nicht nur die Bewahrung der deutschen Nation, sondern die deutsche Nation unter einem Dach -wollen. ({0}) Das alles ist unser gemeinsames Gut, unsere gemeinsame Auffassung gewesen bis zum Ende der Großen Koalition. Fürchten Sie nicht, daß ich der Versuchung nachgebe, davon zuviel zu sprechen. Aber eines erlauben Sie mir. Herr Kollege Wehner hatte heute die Freundlichkeit, mich wieder an die Rede vom 17. Juni zu erinnern. Ich weiß, daß er mir damals zugestimmt hat. Herr Wehner, ich kann Ihnen versichern: ich stehe zu dieser Rede heute noch Wort für Wort und Satz für Satz. ({1}) - Sie sagen, dann müsse ich auch den Punkt dahintersetzen. Ich will Ihnen gleich antworten. Sie sagten, die Ostverträge seien die Konsequenz der Westverträge. Man kann auch sagen, sie seien die Konsequenz der politischen Konzeption, daß sich die deutsche Einheit nur im Verlauf eines europäischen Entspannungs- und Friedensprozesses erreichen lasse, da Deutschland eben jene kritische Größe habe. Was ich Ihnen bestreite, ist aber dies: Wohl ist eine entsprechende Ostpolitik die Konsequenz der Westverträge und die Konsequenz dieser meiner Auffassung. Aber ich bestreite mit meinen politischen Freunden, daß diese Ostverträge, die Sie abgeschlossen haben, die notwendige Konsequenz sind. ({2}) Darauf möchte ich gern zu sprechen kommen. Durch Zufall habe ich heute ein nettes Heftchen in die Hand bekommen, das von Ihrem Ministerium während der Großen Koalition herausgegeben worDr. h. c. Kiesinger den ist. Es zeigt ein Friedensengelchen, und Willy Brandt und ich schaufeln gerade für die Friedenspalme, die uns dieses Friedensengelchen anbietet, ein Beet, in das sie hineingepflanzt werden soll, damit sie wachse und blühe. In diesem Heftchen Ihres Ministeriums lese ich: Der Minister für gesamtdeutsche Fragen stellt fest, wozu die Bundesregierung nicht bereit ist. Dann heißt es wörtlich: Wir werden aus freiem Willen nicht anerkennen, daß der Bereich, der sich „DDR" nennt, Ausland ist, ({3}) und wir können auch nicht anerkennen, daß die Repräsentanten dieses Gebildes übersetzt „Phänomen" den freien Willen der Bevölkerung verkörpern. Nun gibt es auch in der Bundesrepublik manche Kritiker, die behaupten, man könne erst nach einer formellen staatlichen Anerkennung der anderen Seite erfolgreiche Verhandlungen zur Überwindung der innerdeutschen Spannungen erwarten. Aber kann man die Teilung wirklich überwinden, indem man sie vorher als endgültig anerkennt? ({4}) - Alles beherzigenswerte Sätze! - Deutschland - so sagten Sie weiter ist nur deshalb ein Krisen- und Spannungsherd in Europa, weil dieses Land gegen den Willen seines Volkes geteilt ist. Man kann die Spannungen daher verringern, indem man die Teilung für das Volk erträglicher macht, nicht aber, indem man die Teilung auch noch von Westen her betoniert. ({5})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?

Dr. h. c. Kurt Georg Kiesinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001096, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, Herr Kollege Wehner!

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kiesinger, darf ich Sie fragen, ob Sie bei der Betonung dieses schönen Textes, der ja zeigt, daß ich mich damals an Ihre Kabinettsdisziplin zu halten verstand, ({0}) auch einmal auf die Verträge geguckt und dort das Wort „endgültig" gefunden haben - in den Verträgen nämlich -, oder ob Sie gefunden haben, was ja das gleiche wäre, daß unsere Verfassung außer Kraft gesetzt ist. Das wäre ja die Konsequenz.

Dr. h. c. Kurt Georg Kiesinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001096, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wehner, Sie haben mich unterbrochen; ich wollte eben folgenden Satz sagen: ({0}) Ich will es mir nun nicht etwa einfach machen und das nur so in den Raum hineinstellen, sondern ich will wirklich untersuchen, was Ihre damaligen Sätze mit der heutigen politischen Wirklichkeit und auch mit den Vertragstexten zu tun haben. Zunächst sprachen Sie nur von „staatlicher Anerkennung". Es geht jetzt nicht um die völkerrechtliche Anerkennung. Sie haben sich damals also gegen die staatliche Anerkennung gewehrt, die der Bundeskanzler als erstes in seiner Regierungserklärung vollzogen hat. ({1}) Man kann lernen, man kann sich wandeln, man kann auch eine Politik - ({2}) - Doch, die staatliche Anerkennung muß ich wohl nach den Worten des Bundeskanzlers als „endgültig" vollzogen ansehen. ({3}) - Ja, aber vorher ging es um die Ablehnung der staatlichen Anerkennung. Ich habe Ihnen einen Satz in die Erinnerung gerufen, der zeigt, daß wir uns damals weitgehend einig waren. Nun zu den Zielsetzungen. Nicht nur die eigenen sind wichtig für die Realität, in der diese Verträge stehen, sondern auch die Zielsetzungen des Partners oder Gegners, d. h. des einen, des übermächtigen, und seines Trabanten, des Regimes, das leider 17 Millionen Deutsche wider ihren Willen beherrscht. Der Herr Außenminister hat heute früh einen merkwürdigen Satz gesprochen. ({4}) Er hat den Satz gesprochen: „Entgegengesetzte politische Zielvorstellungen werden durch die Verträge nicht berührt." Herr Außenminister, jetzt drehe ich den Satz um: Aber die Verträge werden durch entgegengesetzte politische Zielvorstellungen berührt, qualifiziert, interpretiert, ausgebildet und in der Welt durchgesetzt. Dies ist doch die Wirklichkeit! ({5}) Deswegen sagen wir: es geht hier nicht nur um Vertragstexte, sondern es geht um das Ja und Nein zu einer ganz bestimmten Politik in einer ganz bestimmten Situation unserer Welt. Diese Vertragstexte schweben ja nicht in der Luft, sondern sie stehen in der Realität der politischen Macht, der politischen Ideologie, des politischen Willens und des politischen Handelns eines übermächtigen Verhandlungs- und Vertragspartners, dem gegenüber alle Behutsamkeit, alle Klugheit, alle Zähigkeit, alle Festigkeit am Platze wären. ({6}) Meine Damen und Herren, wir haben nicht umsonst von allem Anfang an die Hektik der Verhand9786 lungen kritisiert. Das gehört zur Methode, zur Solidität. Was in aller Welt hat diese Regierung gezwungen, die Verhandlungen über den Tisch zu jagen, so rasch wie möglich irgendeinen Erfolg oder Scheinerfolg vorzuweisen? Was hätte uns gedrängt, das zu tun und dabei möglicherweise erhebliche Verhandlungschancen zu versäumen? Wenn es, Herr Außenminister, wahr wäre, daß in den Vertragstexten selber keine Ungenauigkeiten, Unsicherheiten und Ansätze zum Dissens vorlägen - sie liegen auch in den Vertragstexten vor -, dann läge der Dissens eben gerade in den politischen Gegensätzen, und der ist doch für uns, der ist doch für Deutschland, der ist doch für Europa entscheidend. ({7})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schmid?

Dr. h. c. Kurt Georg Kiesinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001096, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr!

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001993, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kiesinger, würden Sie meiner Unwissenheit abhelfen und mir die Stellen nennen, über die Dissens besteht?

Dr. h. c. Kurt Georg Kiesinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001096, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich Sie z. B. daran erinnern, Herr Kollege Schmid, daß im Locarno-Vertrag ({0}) - ja, ich spreche über den Wortlaut, den man in völkerrechtlichen Verträgen anzuwenden pflegt - die Unverletzlichkeit der Grenzen ({1}) zwischen Deutschland und Frankreich und Deutschland und Belgien niedergelegt war, daß mit diesem Wort „Unverletzlichkeit" ganz einwandfrei die Anerkennung, die Endgültigkeit dieser Grenzen gemeint und gewollt war und daß dies der Grund war, warum sich Stresemann gegen eine entsprechende Regelung nach Osten gewandt hat. Dies ist z. B. ein Ausdruck, Her Kollege Schmid ({2}) - doch -, der eine Interpretation offenläßt. Und die unterschiedliche Interpretation haben Sie ja wohl gehört. Wie viele Male müssen sowjetrussische Politiker, Journalisten, führende Männer von drüben uns noch sagen, daß für sie diese Angelegenheit eine causa finita ist, daß die Grenzen endgültig seien? Wenn nur Herr Honecker dies triumphierend in seiner Rede verkündet hätte, nähme ich das noch nicht so ernst; aber maßgebliche Vertreter der Sowjetunion haben es getan. ({3}) Auch der Satz von Herrn Breschnew in seiner Rede in Alma-Ata, daß ,das Ergebnis dieser Verträge die Bestätigung der Ergebnisse des „großen vaterländischen Krieges" sei, kann doch gar nicht anders gedeutet werden, als daß er die Dinge für endgültig entschieden hält.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001993, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme auf die Locarno-Verträge zurück. Erinnern Sie sich nicht, wie ich es tue, daß das Motiv der Briten, sich nicht an eine Garantie für die polnische Westgrenze zu binden, war, daß man die Verhältnisse im Osten für zu unsicher und für zu konfliktreich hielt und man nicht in einen Konflikt hineingezogen werden wollte?

Dr. h. c. Kurt Georg Kiesinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001096, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Professor Schmid, ich kann jetzt nicht mit Ihnen in einen historischen Rückblick über jene schwierige Zeit eintreten. Aber ich glaube mit Sicherheit sagen zu können: Stresemann ließ sich nicht darauf ein, weil er die Dinge im Osten nicht endgültig so akzeptieren wollte, wie sie standen. ({0}) Das zu dieser Frage. Es ist eben das Schlimme: wenn es schon keinen Dissens oder keinen Ansatz zum Dissens, vor dem ja der Außenminister selbst gewarnt hat, in den Vertragstexten gäbe, dann war es doch eine ganz unverzeihliche Sünde dieser Regierung, daß sie nicht von Anfang an mit aller Energie gegen die Fehlinterpretation dieser Verträge nicht nur durch die Sowjetunion, sondern auch durch die westliche Welt angegangen ist. ({1}) Wir haben uns da keinen Vorwurf zu machen. ({2}) Vielleicht darf ich den Herrn Bundeskanzler bitten, mir einen Augenblick Aufmerksamkeit zu schenken. Ich habe zweimal in diesem Hause Ihnen, Herr Bundeskanzler, die Frage gestellt, ob die Interpretation Ihrer Politik richtig sei; einmal war es ein bekannter „Spiegel"-Artikel, ein anderes Mal war es ein Artikel im „Time Magazine". In beiden wurde Ihnen unterstellt, daß Sie den Status quo als das Ergebnis des zweiten Weltkrieges endgültig anerkannt hätten, nicht etwa unter Vorbehalten irgendwelcher Art. Ich habe Sie zweimal in diesem Hause gefragt, und zweimal sind Sie mir die Antwort leider schuldig geblieben. Nein, Herr Kollege Wehner, diese Ostverträge sind für uns nicht die Konsequenz auch unserer Einsicht, daß die deutsche Spaltung nur im Laufe der Entwicklung einer europäischen Friedensordnung überwunden werden kann. Sie haben viel Zeit auf Berlin verwandt. Ich werde gewiß nicht das, was für Berlin erreicht worden ist, in kleinlicher Weise herunterzumarkten versuchen. Da ist etwas erreicht worden, und hier hat die Bundesregierung durch das Festhalten daran, daß sie sagte, es wird keine Unterzeichnung des Vertrages geben, wenn es zu keiner befriedigenden Berlin-Lösung kommt, sich ein Verdienst erworben. Herr Bundeskanzler und Herr Wehner, aber so wunderschön, wie es geklungen hat, ist nun diese Berlin-Regelung natürlich auch nicht. Denn eines steht fest: auch Befürworter Ihrer Politik schreiben, daß nach diesen Berlin-Verhandlungen die Berliner Position - nicht Bestandteil der Bundesrepublik - festgeschrieben ist und daß die Diskriminierung der Berliner weitergeht. Sie haben schnell das Wort „vergleichbar", das ja auch in den Viermächteverhandlungen auftaucht, statt „gleich" genommen. In der Tat, die Berliner werden nicht gleich, sondern nur vergleichbar behandelt. Das Schlimmste, was man sagen muß: die DDR hat im Zuge dieser Verhandlungen durchgesetzt, daß mindestens de facto Ost-Berlin als Teil der DDR und als Hauptstadt der DDR hingenommen, wenn nicht gar anerkannt wird. ({3}) - Es war vorher eine einseitige Inanspruchnahme. ({4}) - Der amerikanische Botschafter Rush hat zwar ausdrücklich gesagt, daß sich die Vereinbarungen auf ganz Berlin bezögen, aber es läßt sich nun einmal nicht leugnen - ein Befürworter Ihrer Politik schrieb das dieser Tage -, daß das Regime der DDR, was Ost-Berlin betrifft, einen erheblichen Geländegewinn erzielt hat. Aber gut! Ich sagte, ich will nichts heruntermarkten. Wir wollen uns freuen, daß sich die Berliner in Zukunft möglicherweise etwas freier bewegen können, daß sie in Zukunft möglicherweise geschützter sind gegen die Schikanen von seiten der Machthaber der DDR, denen sie so viele Jahre ausgesetzt waren. Ich will auch hoffen, daß die internationalen Spannungen, die sich immer wieder an Berlin entzündet haben, durch die Vereinbarungen der Vier Mächte mindestens in größere Ferne gerückt sind. Es war aber nun nicht so, wie es heute früh Sie, Herr Außenminister, wieder einmal sagten - Herr Barzel hat es schon zurückgewiesen -, als hätten wir eine befriedigende Berlin-Regelung zum Testfall für die Annahme oder die Nichtannahme der Verträge gemacht. Wir sprachen vom ersten Augenblick an ganz klar. Wir haben unsere entscheidenden Bedenken publiziert, Ihnen erläutert und gesagt: wenn diese entscheidenden Bedenken nicht ausgeräumt werden, werden wir am Ende - auch das haben wir aus Verantwortungsbewußtsein getan -, wenn wir unser Votum fällen, eben gegen die Verträge stimmen. So war es. Dazu gehören nun natürlich bei allem Respekt und aller Anteilnahme am Schicksal der Berliner noch mehr Dinge, z. B. die Anteilnahme am Schicksal der 17 Millionen Deutschen, die drüben in der DDR leben. ({5}) Sie selber haben ja auch genau gespürt, um was es da geht. Sie haben ja selber den Versuch gemacht, die Unterzeichnung des Moskauer Vertrages von einer innerdeutschen oder gesamtdeutschen Vereinbarung abhängig zu machen. Sie haben nachgegeben. Sie haben genauso nachgegeben, wie Sie in der Frage des Selbstbestimmungsrechts, einer für uns wenigstens erträglichen Verankerung des Selbstbestimmungsrechts im Moskauer Vertrag nachgegeben haben. Sie haben dann eine weitere Voraussetzung dafür vorgetragen, daß die Verträge angenommen werden könnten. Sie haben nämlich gesagt: Wir machen unser Ja zu einer europäischen Sicherheitskonferenz, die die Sowjetunion wünscht, vom Zustandekommen des Grundvertrages abhängig. Meine Damen und Herren, auch hier hat die Regierung nachgegeben. Dies ist doch ein Zeichen dafür, daß es an jener Solidität gemangelt hat, an jener Zähigkeit, Festigkeit, Geduld und Ausdauer, von der ich als etwas zu Kritisierendem gesprochen habe. Was ist jetzt? Was haben Sie jetzt in der Hand, um nun jenes Wichtigste, für das eigentlich alles angelegt war, zu erreichen? Ich meine den sogenannten instrumentalen Charakter des Moskauer Vertrags. Was haben Sie nun in der Hand, um das Kernstück zu erreichen, nämlich jene innerdeutsche Vereinbarung, die das Leben der Menschen in Deutschland erleichtern und eine durch Selbstbestimmung zu erreichende Einigung der deutschen Nation anbahnen soll? Nichts mehr! Sie haben nur noch eine Hoffnung. Diese Hoffnung ist heute in allen Reden zum Ausdruck gekommen. ({6}) - Richtig, Herr Wehner! Das Schlimme ist nur, daß Ihnen der Zipfel entglitten ist. ({7}) Sie haben vielleicht die Hoffnung durch die Zusage, daß die Machthaber der DDR, wenn sie sich wohlverhielten, mit unserer Unterstützung in die Vereinten Nationen einziehen könnten, Herr Bundeskanzler, Herr Außenminister, darauf haben Sie bereits die Antwort bekommen, z. B. von Herrn Honecker. Höhnisch war diese Antwort! Sie lautete: Diesen Prozeß der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR und ihrer Aufnahme in die Vereinten Nationen kann die deutsche Regierung überhaupt nicht mehr verhindern, der ist ohnehin zwangsläufig. ({8}) Dies ist also ein sehr schwacher Trost, und daher eine vage Hoffnung, wenn nicht gar eine Illusion. Sie stehen also, was diese wichtigste aller Fragen betrifft, mit leeren Händen da. Der Fortgang der Dinge in den nächsten Monaten wird zeigen, ob für Ihre Hoffnung auch nur ein Quentchen übrigbleibt. Gleich sei es gesagt: Niemand komme uns und diesem Volk mit ein paar technischen Vereinbarungen, so wichtig sie als solche sein mögen, als Ersatz für jene politischen Vereinbarungen, die unter allen Umständen der Inhalt einer solchen innerdeutschen Vereinbarung sein müssen. ({9}) - Ich komme darauf! Herr Scheel hat heute früh gesagt: Die größte Schwäche der Opposition sei es, daß sie keine Alternative anzubieten habe. ({10}) Meine Damen und Herren, lassen Sie uns diesen Vorwurf untersuchen; Rainer Barzel hat es schon getan. ({11}) Ich will es nur noch einmal nachstoßen. Er hat gesagt, wir haben es immer gesagt und in jeder Diskussion draußen muß es gesagt werden: Wenn die Leute sagen: Was habt Ihr denn in 20 Jahren zustande gebracht? ({12}) - Was haben Sie in zwei Jahren zustande gebracht, meine Damen und Herren?! ({13}) - Ja! ({14}) - Herr Kollege Wehner, ich habe meine positive Bewertung des Berlin-Abkommens ({15}) schon ausgedrückt. Aber es steht nicht allein, und es ist bei weitem noch nicht das Wichtigste. Es kommt nicht darauf an, daß etwas getan wird, unter allen Umständen, in steriler Aufgeregtheit, sondern es kommt in der Tat - jawohl, Dr. Barzel sagte es bereits - darauf an, daß das Richtige getan wird. Nun kommen „die vollen Hände". Wenn die Zeit so ist, daß das Richtige, das Notwendige eben im Augenblick noch nicht getan werden kann, d. h. daß der politische Stoff, wie es Bismarck einmal ausgedrückt hat, noch nicht Bußbereit ist, dann allerdings, Herr Kollege Wehner, ist auch das Liegenlassen einer Frage eine politische Leistung, unter Umständen eine politische Leistung großen Ranges. ({16}) Weil wir schon bei Bismarck sind, den manche in diesem Lande nicht mögen, dessen politische Intelligenz und Durchstehkraft aber keiner bezweifeln kann, zitiere ich Ihnen auch seinen Satz, man könne den Lauf der Zeit nicht dadurch beschleunigen, daß man seine Uhren vorstelle. Sie, meine Damen und Herren, haben exakt dies zu tun versucht. ({17}) Aber es ist gar nicht so, daß wir einfach alles liegenlassen wollen. Wir haben ja eine politische Alternative. Sie ist heute noch einmal ausdrücklich von dem Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU dargelegt worden. Es geht um Selbstbestimmungsrecht in irgendeiner Weise im Vertragstext, - ({18}) - Dazu lachen Sie, meine Damen und Herren; das ist sehr bezeichnend! ({19}) Es geht um die Haltung der Sowjetunion zu Europa, und es geht um eine verbindlich geregelte, in Stufen zu verwirklichende Freizügigkeit innerhalb Deutschlands. Wenn Sie mir entgegenhalten, das sei deshalb keine Alternative, weil sich die Sowjetunion auf solche Bedingungen nicht einlassen würde, dann kann ich Ihnen nur sagen: warum haben Sie sich nicht zwei Jahre mehr Zeit genommen, um herauszubekommen, ob sich die Sowjetunion darauf einlassen würde oder nicht. ({20}) Natürlich geht es nicht darum - da hat Herr Kollege Wehner vollkommen recht -, daß wir heute etwa zur Sowjetunion laufen und sagen: du mußt nun in einer verbindlichen Weise die Europäische Gemeinschaft anerkennen! Wir wollen nur entgegen so vielen feindseligen Äußerungen bis herauf zu Herrn Kossygin von der Sowjetunion das hören, was in viel zu frühem Optimismus der Herr Außenminister aus Moskau mitgebracht ,hat, als er uns nämlich sagte, die Sowjetunion habe sich nun mit der europäischen Einigung abgefunden. Herr Außenminister, dann ist aber im kommunistischen Lager etwas Merkwürdiges geschehen. Dann ist zum erstenmal die Disziplin verlassen worden, und es redet zu dieser Frage offenbar jeder, wie er will; denn wie viele Äußerungen haben wir gehört, daß die Sowjetunion diese Einigung nicht will. Wenn sie schon vielleicht die wirtschaftliche Einigung Europas wollte, wie steht es dann mit der politischen und militärischen Einigung Europas, die unter allen Umständen erforderlich ist? Sie muß doch an dem Tag vollbracht sein, wo die Amerikaner Europa verlassen. Sind Sie auch so optimistisch zu glauben, daß die Sowjetunion sich mit dieser politischen Einigung Europas einverstanden erklärt? Oder glauben Sie nicht vielmehr mit uns, daß die Sowjetunion ihr Ziel, ihren Einfluß Stufe für Stufe über ganz Europa bis zur Hegemonialmacht auszudehnen, unverrückbar festhält? ({21}) Wenn Sie mit uns dieser Meinung sind, dann durften Sie diese überoptimistische Bemerkung nicht machen. Sie sagten, wir könnten uns, wo andere Entspannung und Zusammenarbeit betrieben, nicht ausschließen, und wir dürften nicht sagen, mit Kommunisten könne man keine Verträge schließen. Wer von uns hat je gesagt, mit Kommunisten könne man keine Verträge schließen? Wir haben es nicht nur nicht gesagt, sondern wir haben das Gegenteil getan, und meine eigenen ganzen Bemühungen, unterstützt von meiner Partei, meiner Fraktion und natürlich den damaligen Koalitionspartner, gingen ja darauf aus, solche Verträge abzuschließen. Aber meine Damen und Herren, wenn schon der Bundeskanzler gesagt hat: Entspannung nicht an uns vorbei und nicht über uns hinweg, dann setze ich dem, hoffentlich ohne in den Verruf eines Nationalisten zu kommen, den Satz hinzu: Entspannung auch nicht auf Kosten und unter Preisgabe der Lebensinteressen des deutschen Volkes. ({22}) Ob dies sein wird und wie dies sein wird, das werden wir bei der dritten Lesung dieses Vertragswerkes endgültig feststellen; denn Rainer Barzel hat ja gesagt, unter welchen Bedingungen für uns das Vertragswerk noch annehmbar erschiene. Sie rechnen, glaube ich, zu sehr mit einem pragmatisch denkenden und nicht mit einem ideologisch fixierten Gegner, sowohl in der Sowjetunion wie in der DDR. Das ist ja leider ein allgemein verbreiteter Fehler im Westen. Die Friedenssehnsucht der Menschen, die Sehnsucht nach Ruhe, um ungestört leben und arbeiten zu können und nicht dauernd von Sorgen geplagt zu werden, ist überall groß, und nur zu gern läßt man sich sagen, jetzt seien die Dinge in Ordnung, etwa: die Sowjetunion sei jetzt saturiert; sie begnüge sich mit dem Status quo. Ich kenne keine einzige Äußerung aus sowjetischem Munde, die uns dazu berechtigt, anzunehmen, die Sowjetunion sei mit dem Status quo - und das wäre für uns schon schlimm genug - zufrieden. Vielmehr deutet alles, was wir von drüben hören, darauf hin, daß ihre „friedliche Koexistenz" nach wie vor die Weltrevolution und in Europa die Hegemonie zum Ziel hat. ({23}) Dies ist, ich weiß es, eine sehr ernste Feststellung. Meine Damen und Herren, wenn wir freien Deutschen dabei nicht mit besonderer Sorge an die 17 Millionen denken, wer sonst sollte es tun? Wir machen es draußen vielen Menschen leicht, wenn wir ihnen die Sorge für dieses Problem abnehmen oder abzunehmen scheinen. Schlagen wir doch an die eigene Brust! Das ist doch bei jedem Volk gleich: jedem Volk ist seine eigene Problematik näher als die des anderen, und auch wir selber haben oft gewiß den Fehler gemacht, daß uns die Sorgen der anderen nicht so bedrückten, wie sie es eigentlich hätten tun sollen. Noch ist es bei allen Bemühungen um Entspannung und Verständigung, um Aussöhnung in dieser Welt schlimm genug bestellt. Und wer von einem Zeitalter der Entspannung spricht, der sehe sich doch die politische Landkarte an! Der Herr Außenminister hat es heute früh zur Einleitung seiner Rede getan. Wenn die anderen Verbündeten dieses Problem nicht haben: wir haben es! Und deswegen war es unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, es mit unseren Verbündeten zusammen zu lösen zu versuchen. Und die große Leistung Konrad Adenauers, die Friedensleistung Konrad Adenauers für unser Volk war es, daß ihm das bei unserem Eintritt. in das nordatlantische Bündnis gelungen ist. ({24}) Hier darf man sich eben nicht nur auf Hoffnungen verlassen, daß alles schon gutgehen werde, sondern hier muß man schon einiges Konkrete tun. Ich habe zahlreiche Gespräche mit führenden Repräsentanten des Westens und der Dritten Welt gehabt; ich habe niemals den Eindruck bekommen, daß mein Insistieren auf dieser unserer Pflicht nicht auf Verständnis gestoßen wäre. Und dazu, Herr Kollege Wehner, gehört auch, daß wir als die einzig frei Gewählten für die anderen drüben sprechen, so wie es uns im Deutschland-Vertrag als Recht zuerkannt ist. Ich habe mich ein wenig gewundert, daß Sie heute früh sagten, ich hätte die richtige Einsicht - die etwa in der Rede zum 17. Juni stak - eben nicht zur politischen Konsequenz gebracht durch mein Festhalten am Alleinvertretungsrecht. Wenn Sie dieses Heftchen, von dem ich eben sprach, nachlesen, dann werden Sie finden, daß ich in dem Heftchen, das Ihr Ministerium herausgegeben hat, dafür ausdrücklich gelobt werde. Jetzt verkündete - so heißt es da auf Seite 1 Bundeskanzler Kiesinger die Grundzüge einer neuen Deutschlandpolitik. Er gab die Rechtsansprüche nicht preis: Nur die frei gewählte Bundesregierung könne für das ganze deutsche Volk sprechen. Das ist ihre Gewissenspflicht. Das ist damals unsere Meinung gewesen, und das ist auch heute unsere Meinung. Ich kann deswegen Ihre Kritik nicht verstehen und muß Ihren Vorwurf zurückweisen. Wenn ich heute Äußerungen des französischen Staatspräsidenten mit denen seines Vorgängers vergleiche - erlauben Sie mir diese ganz kurze Rückschau -, dann erschrecke ich. In meinen Unterhaltungen mit Präsident de Gaulle war zwar immer klar, daß er mir die alte französische Forderung auf Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze vortrug, obwohl er mir entgegenkam, als ich ihm eines Tages sagte: „So einfach ist das nun wahrhaftig nicht; so einfach war es auch für Sie nicht, Algerien abzutrennen; das hat Frankreich bis in die Grundfesten erschüttert. Vielleicht waren Sie der einzige Franzose, der das konnte - auf Grund Ihrer großen Verdienste." Er sagte: Nun gut, lassen wir das dahingestellt, ob ich es allein konnte; aber auch ich hätte es nicht gekonnt, wenn nicht die französische Nation es bei sich selbst schon so beschlossen gehabt hätte, und anders kann es auch bei Ihnen nicht sein. - Dies war zur Oder-Neiße-Frage ein erstes Entgegenkommen in einer zähen Aussprache, die ich mit ihm darüber hatte. Was die Wiedervereinigung anlangt, hörte ich aus seinem Munde immer erneut - und ich mußte es ihm glauben durch die Art, wie er es vortrug -, daß wir uns in der Frage der Wiedervereinigung auf niemanden sicherer und fester verlassen könnten als auf Frankreich, da die Wiedervereinigung des deutschen Volkes auch im wohlverstandenen Interesse Frankreichs liege. ({25}) Wie anders klang die Bemerkung Herrn Pompidous in seiner Pressekonferenz, als er über den „Marsch zur Anerkennung" sprach und dabei be9790 merkte, Frankreich habe sich aus Freundschaft zur Bundesrepublik dabei zurückgehalten! Sein Vorgänger hat sich nicht zurückgehalten. Sein Vorgänger hat mir diese Versicherung abgegeben, und sein Vorgänger hat in Rußland den dortigen Machthabern klipp und klar die deutsche Spaltung als etwas Widernatürliches dargestellt. ({26}) Ich sage dies - und ich könnte noch manches andere nennen - einfach aus dem Grunde, weil mit Recht von einigen meiner Freunde gesagt worden ist, daß die Politik der Regierung die Gefahr in sich birgt, daß man draußen nicht deutscher als die Deutschen sein will und sein kann. Eine ganze Welt. eine ganze freie Welt 20 Jahre lang dabei zu halten, uns bei einem so schwierigen Problem wie dem deutschen durch dick und dünn zu unterstützen, das war eine große politische Leistung, meine Damen und Herren. ({27}) Wenn ich jetzt, Herr Kollege Wehner, so manches durchlese, was Sie damals gesagt haben und auch an manches denke, was wir damals besprochen haben - -({28}) - Nein, das Damals ist gar nicht so weit weg, es sei denn, Sie wollen mir sagen, die SPD habe eine Politik mit Mentalreservation gemacht. ({29}) Dies unterstelle ich meinem damaligen Koalitionspartner nicht. Wenn Sie also diesen Einwand nicht machen, dann fragt man sich doch folgendes, wenn man das alles durchliest, etwa Ihre Rede, Herr Kollege Wehner, vom 5. April 1968, einen Tag, bevor jener schwere Gang der Bevölkerung in der DDR zur Abstimmung anzutreten war. Da haben Sie auf Ulbricht, der am Vortag gesprochen hatte, Bezug genommen und haben gesagt: Der Mann sagte, man lebe jetzt schon in einer längeren Friedensperiode als je sonst im 20. Jahrhundert. Sie haben mit Recht hinzugefügt: Was für eine Friedensperiode! Sie haben den Finger auf die Wunde gelegt. Sie haben gesagt: das ist ein Friede, in welchem und durch welchen dem deutschen Volk verwehrt wird, mit sich selbst Frieden zu schließen. So war es, so ist es, und daran - so sieht es, Gott sei es geklagt, aus - werden auch diese Verträge, wird auch diese Politik nichts ändern. Nein, ich muß meinem Kollegen Schröder, ich muß meinem Fraktionsvorsitzenden zustimmen und Franz Josef Strauß. Diese Politik vertieft die deutsche Spaltung und macht die deutsche Einigung schwerer, als sie vor den Verträgen war. ({30}) Daß man nichts Vollkommenes verlangen kann, Herr Kollege Wehner, das ist klar. Sie wissen, daß ich nie Illusionen nachgejagt bin. Ich habe auch in meiner Rede zum 17. Juni gesagt: Diese Politik könne scheitern. Aber Sie wollten uns heute ein wenig trösten mit dem Hinweis, daß sich trotz des Antagonismus der Ideologie dort und unserer freiheitlicher Ideen hier Vereinbarungen denken ließen. Welche? Doch nur solche, die an den Kern des ideologischen und ideellen Gegensatzes nicht rühren. ({31}) Dazu gehört unter anderem die feste Theorie und die brutale Praxis der Breschnew-Doktrin, nach der eben keine Bevölkerung, die im sozialistischen Lager lebt, dieses Lager verlassen dürfe. ({32}) Und wir erinnern uns ja alle gut an das, was in Prag geschah. Das heißt, die möglichen Erleichterungen, die möglichen Abmachungen können nur ganz zweit- und drittrangigen Charakter haben, und es kann dabei nicht um das gehen, auf was es uns ankommt, ({33}) also um die Freizügigkeit, gegen die man sich drüben abgrenzt, ({34}) wo man behauptet, über die Frage einer einheitlichen Nation habe die Geschichte bereits entschieden, wo man uns - und auch Ihnen - vorwirft, wir seien eine heimtückische und aggressive imperialistische Macht. Meine Damen und Herren, es wird einmal einen Tag geben, da wird man einer späteren jungen deutschen Generation jene Szene vorspielen, die wir und viele Millionen mit uns im deutschen Fernsehen gesehen haben, als einer der Hauptpropagandisten der DDR, Herr von Schnitzler, am Tisch neben einem Journalisten aus der Bundesrepublik Deutschland sitzend, plötzlich erklärte: ich sitze hier überhaupt falsch; ich darf nicht neben diesem Deutschen hier sitzen, sondern mein Platz ist neben einem Mitglied des sozialistischen Lagers. Und dann wurde in dramatischer Weise ein Platzwechsel vorgenommen. ({35}) Das ist eine der übelsten Szenen, meine Damen und Herren, die sich abgespielt haben. Sie ist nur zu vergleichen mit dem, was an der Mauer vor sich geht. Dieser symbolische Vorgang bezeichnet genau das, was Herr Honecker in seiner berühmten Rede ausgedrückt hat. Nicht, Herr Kollege Wehner, daß ein Sozialdemokrat oder ein CDU-Mann drüben nicht seine freie Meinung sagen kann, ist der wirkliche Unterschied Das haben Sie einmal, viel schöner gesagt, und zwar eben in jener Rede zum 5. April. Mit Erlaubnis der Frau Präsidentin will ich die paar Sätze vorlesen. Sie sagten, das deutsche Volk werde verhindert, seinen Frieden mit sich selbst zu machen, und sagten dann: Wir haben die Erfahrung gemacht, daß Systeme, die Anspruch auf Alleingültigkeit erheben, den Frieden gefährden, auch wenn sie feierlich Frieden als ihr Ziel proklamieren. ({36}) Worauf es ankommt, ist, endlich die Menschen und ihre Sehnsucht, in Frieden zu leben, zu ihrem Recht kommen zu lassen. ({37}) Systeme müssen den Menschen dienen und nicht umgekehrt. ({38}) Das ist unser Kriterium. So sagten Sie damals. Und so sagen wir - ({39}) - Herr Kollege Wehner, ({40}) wenn Sie das heute noch so sagen, ({41}) dann dürfen Sie auch die Gegensätze nicht verniedlichen und nicht verharmlosen, wie es aus Ihren Worten klang, ({42}) sondern dann müssen Sie bei der realistischen Einschätzung des Möglichen bleiben. ({43}) Das ist unser Kriterium. ({44}) Und das, Herr Kollege Wehner, wird für die Zukunft das Kriterium der Union bleiben. Dies wollen wir verwirklichen helfen, diesen Frieden, nach dem sich die Menschen sehnen. Das werden wir tun, ob nun die Verträge fallen, oder ob sie ratifiziert werden. ({45})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Willy Brandt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000246

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kiesinger, für die Beurteilung der Ostverträge - und darum geht es heute ({0}) ist es entscheidend, daß sie und die ihnen zugrunde liegende Außenpolitik sich im Einklang mit der weltpolitischen Entwicklung befinden. Das ist das entscheidende Kriterium, um das es hier geht. ({1}) Das Bemühen um Entspannung besteht in dem Versuch, die Ursachen der Spannungen zu vermindern und den Ausbruch neuer Konflikte zu verhindern. Dies geschieht - das haben wir uns nicht ausgedacht, sondern das ist eine Überzeugung, wie sie in der atlantischen Gemeinschaft noch in den Jahren entwickelt worden ist, in denen ich Ihr Außenminister war, Herr Kollege Kiesinger-, indem man die Zusammenarbeit zwischen einander wesensverschiedenen Gesellschaftssystemen und sich feindlich gegenüberstehenden Blöcken trotz allem organisiert und versucht, durch Abmachungen über Rüstungsbegrenzungen den Frieden sicherer zu machen. ({2}) Selbstverständlich stehen dem weiterhin starke Spannungen und Spannungsursachen entgegen. Wir sind noch lange nicht aus den Gefahrenzonen heraus. Auch deshalb brauchen wir die solide Verankerung im Atlantischen Bündnis, und dies gehört ja wohl nach dem bisher Erörterten zu dem im wesentlichen nicht Umstrittenen, so wie, wenn ich es recht verstehe, zu dem nicht Umstrittenen gehört, daß wir hier miteinander Frieden wollen, daß wir die freiheitlich-demokratische Ordnung unseres Grundgesetzes wollen, daß wir den Anspruch auf deutsche Einheit nicht untergehen lassen wollen und daß wir Europa in seinen beiden Dimensionen, West-West und West-Ost, wollen. Das ist das, was man insoweit abhaken kann. ({3}) Kürzlich wurde behauptet - insoweit kommt Ihr Zuruf passend, Herr Kollege Stücklen -, ich hätte mit Generalsekretär Breschnew über die Wiederherstellung der deutschen Einheit um den Preis der Neutralisierung Deutschlands verhandelt. Dies ist eine zugleich dreiste und lächerliche Erfindung. Diejenigen, die sie ungeprüft verbreitet haben, mußten wissen, daß sie sich an einer Propagandaaktion beteiligen. Ein ungeteiltes und im Sinne des Grundgesetzes demokratisch regiertes Deutschland außerhalb der Militärblöcke hätte eine der wesentlichsten Spannungsursachen gar nicht erst entstehen lassen. Das ist wahr. Wir haben aber seit langem die Lage akzeptiert, wie sie sich aus der Nachkriegsentwicklung ergab und wie sie durch die Westverträge und für die DDR durch deren Ostverträge festgeschrieben wurde. Aus der Nachkriegsentwicklung folgt - dies ist für viele von uns keine neue Erkenntnis -, daß es Fortschritte im Sinne der deutschen Einheit nur in dem Maße geben kann, in dem sich die allgemeinen Ost-WestBeziehungen grundlegend verbessern. Ich fürchte, Herr Kollege Barzel hat Wunschvorstellungen, wenn er meint, man könne schon jetzt einen mehrjährigen Ablauf der Verbesserung der Freizügigkeit vereinbaren und ihn zur Vorbedingung für die Ratifizierung der Verträge machen. Die Lage erfordert meiner festen Überzeugung nach genau das umgekehrte Verfahren. ({4}) Zuerst müssen die Verträge in Kraft treten, ({5}) und dann besteht die Chance, daß Zug um Zug, Stufe um Stufe die künstlichen Schranken in Europa und in Deutschland niedriger gesetzt werden können. Wir stützen uns dabei - ich habe es heute morgen zu Beginn dieser Sitzung gesagt - auf die Realität der fortdauernden Einheit der deutschen Nation. Meine Damen und Herren, es gilt darauf zu achten, daß Deutschland von der Weltpolitik Nutzen hat und nicht unter ihre Räder kommt. Darum handelt es sich. ({6}) Mir wird vorgehalten - so erst kürzlich, ich glaube, in der vergangenen Woche, von dem Kollegen Strauß -, ich hätte 1962 gesagt, man könne einem Volk zwar die Teilung auferlegen, aber nicht verlangen, daß sie von diesem akzeptiert und unterschrieben werde. Bei dieser Meinung bin ich geblieben. ({7}) Ich weise es auch heute als unzumutbar zurück, nachträglich die Zustimmung zur Teilung Deutschlands zu geben. Dies wäre ein Verstoß gegen unsere Würde, gegen unsere Geschichte, gegen unsere Interessen. Niemand kann das von uns verlangen. ({8}) Aber die Hinnahme eines gegebenen Zustandes in dem Willen, ihn zu verbessern, ist etwas entscheidend anderes, Herr Kollege Kiesinger, als eine Tatenlosigkeit, die lediglich von beschwörenden Erklärungen begleitet wird. ({9}) Die Ostverträge sind der Ausdruck unseres Beitrags zur Entspannungspolitik. Sie sind aber auch noch etwas anderes. Sie sind, zusammen mit dem Berlin-Abkommen, der Ausgangspunkt für eine zeitgemäße Deutschlandpolitik. Diese Politik kann nicht ohne Verträge und Abkommen mit der DDR gemacht werden. Daran führte heute kein Weg vorbei, und es hat überhaupt keinen Sinn, den Kopf in den Sand zu stecken. ({10}) Wir haben - damit komme ich einen Augenblick auf einen Teil der Äußerungen von heute vormittag zurück - eindeutige und unwiderlegbare Zeugnisse dafür, daß sowohl unsere Hauptverbündeten als auch die meisten anderen Regierungen in aller Welt unsere Politik unterstützen. Ich kann der Opposition zuliebe die Lage nicht anders darstellen, als sie ist. Das Nein der Opposition zu den Ostverträgen wird unseren Interessen schon deshalb nicht gerecht, weil es den Interessen des atlantischen Bündnisses und der westeuropäischen Gemeinschaft widerspricht. ({11}) Seit langem ist klar, daß die innere Bindung der NATO auf ihrer doppelten Zielsetzung beruht, der Fähigkeit zur gemeinsamen Verteidigung und der gemeinsamen Bereitschaft zur Entspannung. Nur diese doppelte Zielsetzung ermöglicht das gemeinsame Handeln. Daß die westeuropäische Einigung parallel zu dem, was man unsere Ostpolitik nennt, Fortschritte gemacht hat, ist hier schon dargelegt worden. Ich weiß, manche Herren von der Opposition, ob sie es nun zugeben oder nicht, wären glücklich gewesen, wenn zu ihrer Regierungszeit die Erweiterung und die Vertiefung der Europäsischen Gemeinschaft vorangekommen wären. ({12}) Nebenbei, Herr Kollege Kiesinger, Sie sind einem ernsten Mißverständnis erlegen, was den Zusammenhang zwischen den Verträgen und einer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa angeht. Der Zusammenhang mit der multilateralen Vorbereitung einer solchen Konferenz ist durch die Allianz in bezug auf die Berlin-Vereinbarung hergestellt worden. Daran hat sich nichts geändert, und das ist der Grund, warum dieses Thema von der Dezember-Tagung in Brüssel auf die Tagesordnung der Mai-Tagung Ende Mai in Bonn verschoben worden ist. Einen Zusammenhang zwischen unserem Vertrag mit der Sowjetunion und einer solchen Konferenz haben wir aus guten Gründen nicht hergestellt, und keiner unserer Verbündeten hat uns hierzu geraten. Herr Barzel hat - vor dieser Debatte noch etwas stärker als jetzt in der Debatte - als eine Art Voraussetzung für die Zustimmung zu den Verträgen der Erwartung Ausdruck gegeben, daß die Sowjetunion die EWG anerkenne. Herr Kiesinger sagte: Es muß nicht im strengen Sinne „anerkennen" heißen, aber: sie solle ihre feindselige Haltung aufgeben. ({13}) Nun, die EWG bedarf in der Tat einer solchen Anerkennung nicht, denn sie ist eine Realität. Sie hat uns auch nicht gebeten, im europäischen Rahmen Kinderkrankheiten der deutschen Anerkennungspolitik nachzuvollziehen. ({14}) Zur Sache selbst kann ich hier sagen, meine Damen und Herren - und ich weiß, wovon ich spreche -: die Sowjetunion hat Sinn für Realitäten, und die EWG ist eine Realität. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich sage hier voraus: ({15}) Moskau wird, was dieses Gebiet angeht, bei dem wir jetzt sind, nicht so lange mit der Einsicht in die wirkliche Lage brauchen wie manche hierzulande oder auch in diesem Hause. ({16}) Wer sich mit den Verträgen im übrigen ernsthaft befaßt, der sieht, daß sie nur einen wirklichen Verzicht enthalten, und das ist der Verzicht auf Gewalt. Wer hier logisch argumentieren wollte, der müßte hinzufügen, daß der Verzicht des Stärkeren noch schwerer wiegt als der des Schwächeren. TraumverDeutscher Bundestag 6. Wahlperiode Bundeskanzler Brandt träge gibt es nicht, oder nur in einer eingebildeten Welt. Insgesamt beinhalten diese Verträge ein ausgewogenes Verhältnis von Leistung und Gegenleistung. ({17}) An erster Stelle steht hier die Berlin-Regelung. Herr Barzel hat uns heute morgen vorgeworfen - und Herr Kiesinger hat daran angeknüpft und sinngemäß dasselbe gesagt -, die Politik dieser Bundesregierung führe nicht zu mehr Freiheit, sondern zu mehr Abhängigkeit. ({18}) Ich sage dazu: diese Bundesregierung betreibt eine Politik der Vernunft und des Ausgleichs der Interessen. Der Außenminister hat bereits im Bundesrat dargestellt - es lohnt sich, dies nachzulesen -, auf welche Forderungen die Sowjetunion uns, der Bundesrepublik Deutschland gegenüber, verzichtet hat, um zu dem Vertrag zu kommen. Das Ergebnis der Verhandlungen mit Moskau war in der Tat eine Verständigung über einen beiderseitig akzeptablen Text. Der Vorwurf der Abhängigkeit ist leichtfertig. Begibt sich etwa der Präsident der Vereinigten Staaten in Abhängigkeit, wenn er über die Begrenzung strategischer Rüstungen verhandelt oder wenn er in Peking Verhandlungen führt? ({19}) Hat der Vertrag zwischen Frankreich und der Sowjetunion etwa eine Abhängigkeit Frankreichs begründet? ({20}) Hier liegt eine Verwechselung mit den Verpflichtungen vor, die selbstverständlich beide Seiten auf Grund vertraglicher Beziehungen übernehmen. Wie gesagt: der Verzicht auf Gewalt und der Verzicht auf Interventionsrechte sind Verpflichtungen, welche die Sowjetunion uns gegenüber eingeht und die unsere Abhängigkeit - hier greife ich das Wort „Abhängigkeit" auf - von den Folgen des zweiten Weltkrieges vermindern und damit unseren politischen Handlungsspielraum vergrößern. ({21}) Berlin und was damit zusammenhängt, das ist die Grundlage für menschliche Erleichterungen auch zwischen den beiden Teilen Deutschlands. Wer will und wer darf das, was dort schon jetzt anläuft, geringschätzen oder abwerten? Es ist Kritik daran geübt worden, daß ich auf den inneren Zusammenhang zwischen dem Inkrafttreten der Verträge, besonders des Moskauer Vertrages, und dem Inkrafttreten der Berlin-Regelung verwiesen habe. Herr Kollege Kiesinger hat die Regierung in dieser Frage nicht kritisiert, sondern hat sie bei seinen sonst kritischen Bemerkungen dafür gelobt, daß sie an der sachlichen Verbindung mit Berlin festgehalten habe. Aber haben nicht führende Sprecher der Opposition, an ihrer Spitze der Kollege Schröder, uns attackiert, weil wir das Berlin-Abkommen nicht vor die Verhandlungen über die Verträge hätten setzen lassen, doch offenbar in der Befürchtung, daß es nach Unterzeichnung der Verträge keine Berlin-Vereinbarung der Vier Mächte geben würde? Die Kritiker haben sich geirrt. Wir haben den Zusammenhang des Ganzen immer vor Augen gehabt. Er besteht auch heute noch, und aus ihm folgt zwangsläufig, daß wir hier über das Ganze zu beraten und politisch zu entscheiden haben. Schon heute kann doch niemand bestreiten, daß sich beispielsweise in praktischen Bereichen und durch den Abbau von Vorurteilen gegenüber der Bundesrepublik bemerkenswerte Veränderungen abzuzeichnen beginnen. „Kleinigkeiten", „drittrangige Dinge", mag man sagen, aber es sind wichtige Dinge, gemessen an der Entwicklung der voraufgegangenen Jahre. Man hat unser Volk auf diesem Gebiet doch nicht verwöhnt in den Jahren, die zurückliegen, und diejenigen, die in Berlin und anderswo besonders betroffen sind, wissen es zu schätzen, wenn es auch nur begrenzt Offnungen, Entwicklungen nach vorn gibt. Unsere Leistung besteht in erster Linie darin, daß wir Selbstverständliches tun, daß wir nicht die Augen davor verschließen, wie der zweite Weltkrieg ausgegangen ist und was ihm voraufgegangen war, ({22}) daß sich - ich sage dies unverblühmt, gerade weil wir zu so vielen sprechen - schmerzliche Grenzveränderungen vollzogen haben und daß wir das Entstehen zweier Staaten auf deutschem Boden nicht haben verhindern können. Herr Kollege Kiesinger hat eine früher schon zweimal gestellte Frage wieder aufgegriffen: die nach der Endgültigkeit der Erklärungen zur gegebenen Lage, zum Status quo. Meine Antwort ist diese: Anzuerkennen haben wir in der Tat, daß wir von den Realitäten ausgehen müssen, wie sie sind, wenn wir auf sie in unserem Sinne einwirken wollen. Auch der Schießbefehl verschwindet nicht dadurch, daß wir ihn anprangern, ({23}) sondern nur dadurch, daß wir eine neue Lage schaffen helfen, in der seine Anwendung entfallen kann. ({24}) Was die Einschätzung der sowjetischen Politik angeht: Ich kenne niemanden an verantwortlicher Stelle im westlichen Bündnis, der sich falsche Hoffnungen machen würde. ({25}) Wir alle wissen, wie schwer der Weg zur Entspannung ist und wie tief die Gegensätze in der Welt noch sind. Wir wissen auch, daß der Wind wieder umschlagen kann und daß neue Konflikte entstehen können. Ich bin gegen Schönfärberei, ({26}) gegen das Verwischen und Vermischen von gegensätzlichen Überzeugungen und Positionen. Vor Euphorie kann nicht deutlich genug gewarnt werden, ({27}) heute wie vor einem Jahr und vor zwei Jahren. Aber die Annahme ist doch wirklich absurd, daß die Führer des westlichen Bündnisses, an ihrer Spitze der Präsident der Vereinigten Staaten, eine Politik betreiben und unterstützen würden, die zielbewußt eine Schwächung des westlichen Bündnisses bewirkte. ({28}) Den Wunsch der Sowjetunion, ihre Machtposition zu festigen, kalkuliert der Westen selbstverständlich ein. ({29}) Wenn der Westen insgesamt und unser Verhältnis zu ihm geschwächt würden, so würden die Verbündeten dies merken, und sie würden dies sagen, denn sie sind nicht dumm; sie sind jedenfalls nicht alle zusammen dümmer als die Opposition im Deutschen Bundestag. ({30}) Natürlich hat der Kollege Kiesinger recht, wenn er erklärt, die Sowjetunion müsse nicht nur als ein pragmatischer, sondern auch als ein ideologischer Faktor in dieser Welt gewertet werden. Aber es gibt mittlerweile eine Reihe von Anzeichen dafür - es gäbe sie auch, wenn Konrad Adenauer in seinen letzten Jahren nicht darauf hingewiesen hätte -, daß auch die Sowjetunion auf der Suche nach den Möglichkeiten einer friedlichen Zusammenarbeit ist, daß sie ihren Wettbewerbsnachteil in wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht gegenüber dem Westen wettmachen möchte, daß sie den Frieden will und nicht den Krieg. Nur dann, wenn wir den vielfältigen Faktoren, die im Spiel sind, Rechnung tragen und wenn wir auf unsere eigenen Sicherheitsinteressen bedacht bleiben, können wir eine ausgewogene Ost-West-Politik betreiben.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kiesinger?

Willy Brandt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000246

Bitte sehr!

Dr. h. c. Kurt Georg Kiesinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001096, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, sind Sie sich ebenso wie wir der Tatsache bewußt, daß es im Westen Regierende gibt, die die Welt sehr genau einzuschätzen wissen, etwa den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, denen wir keineswegs unterstellen können, daß sie eine Politik betreiben, die zu ihrer eigenen Gefährdung führen könnte? Sind Sie sich aber auch bewußt, daß im Westen Millionen und aber Millionen von Menschen leben, deren politische Informiertheit nicht so ist, daß sie nicht anfällig wären für den Irrtum, diese Ostpolitik der Bundesregierung habe tatsächlich die Spannungen aus der Welt geschafft? Und sind Sie sich bewußt, daß eine der Schwächen der Demokratie darin liegt, daß selbst einsichtige Staatsmänner mitunter Rücksicht nehmen müssen auf den sehr engen Tageshorizont ihrer Wähler? ({0})

Willy Brandt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000246

Lassen Sie mich dazu zweierlei sagen, Herr Kollege Kiesinger. Für die richtige Interpretation der deutschen Politik, um die wir uns bemühen, wäre es eine Hilfe, wenn die Opposition nicht durch ihre Darlegungen uns in der Welt Schwierigkeiten machte, statt die gemeinsamen Überzeugungen zu vertreten. ({0}) Im übrigen habe ich es mit Regierungen zu tun und sage hier: Präsident Pompidou hat vor 14 Tagen gesagt, Frankreich unterstütze die Politik der Bundesregierung vorbehaltlos. Der britische Außenminister hat gesagt, die britische Regierung habe von Anfang an die Ost-West-Politik der Bundesrepublik Deutschland unterstützt. Und Präsident Nixon hat in Key Biscayne zur Jahreswende und in seinen Äußerungen seitdem die Übereinstimmung der amerikanischen und der deutschen Politik dargestellt. Die Opposition sollte bei allem andern kein Interesse daran haben können, hiervon etwas abzustreichen, sondern sie sollte hier heraufgehen und sagen: Darüber freuen wir uns. ({1}) Der Gewaltverzicht und die Prinzipien des friedlichen Zusammenlebens sind im übrigen nicht mehr nur eine Sache zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Sowjetunion oder der Volksrepublik Polen, sondern sie sind eine Sache der europäischen und der internationalen Politik geworden. Meine Damen und Herren, nehmen Sie es so, wie ich es sage. Heute können wir noch zu den Schrittmachern einer neuen Politik gehören, morgen würden wir bestenfalls den Nachzüglern zugezählt werden. ({2}) Die Behauptung, die Chancen für die deutsche Einheit würden sich verschlechtern oder, wie es beim Kollegen Kiesinger zum Schluß seiner Rede hieß, die Spaltung würde vertieft werden, ist nicht zu beweisen. Aber es ist wahr, wir müssen neue Wege gehen und dürfen auch Umwege nicht scheuen. Wir wollen aber in Deutschland, in Europa jedenfalls eine Öffnung der Grenzen für Menschen, Ideen und Informationen erzielen. Nur dafür gibt es keine andere Chance als den Weg dieser Verträge und die Methode vertraglicher Abmachungen auch und gerade mit der DDR. Unsere Chancen können nicht verbessert werden, wenn man, Herr Kollege Barzel, die seltsame Auffassung vertritt, der deutschen Ostpolitik müsse eine Fernostpolitik vorausgehen. ({3}) Ich kann das nur so verstehen: wenn die Opposition nein zu den Verträgen sagt, dann will sie nicht die Ostverträge, die Ostpolitik ergänzen, sondern durch etwas Fernerliegendes ersetzen. Wer die Landkarte kennt, kann dies nicht realistisch nennen, sondern muß befürchten, daß uns dies auf Abwege bringen könnte. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein europäischer Staat. Hier in Europa entscheidet sich unser Schicksal zusammen mit dem unserer Verbündeten im Verhältnis zu den Staaten Osteuropas und der Sowjetunion. Ich möchte vor allen Illusionen warnen, ({4}) auf Wunder irgendwelcher Art zu setzen. ({5}) Für unsere Probleme, die hier zu lösen sind, gibt es keine Wunderwaffen; auch China ist keine. ({6}) Im übrigen, Herr Kollege Kiesinger, als Sie im letzten Bundestagswahlkampf ausriefen: „Ich sage nur China, China, China", ({7}) da hat Sie wohl niemand so verstanden, als hätten Sie damit die jüngste Forderung des CDU-Präsidiums vorwegnehmen wollen. ({8})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kiesinger?

Dr. h. c. Kurt Georg Kiesinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001096, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, darf ich Sie fragen: Haben Sie mich das ausrufen hören, oder haben Sie nicht vielmehr den „Spiegel" gelesen, der, wie üblich, falsch berichtet hat? ({0})

Willy Brandt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000246

Ich stütze mich nicht auf den „Spiegel", sondern auf mein eigenes Gedächtnis. ({0}) Denn ich hatte, Herr Kollege Kiesinger, auf dem Stuttgarter Rathausplatz damals, im September 1969, Veranlassung genommen, darauf hinzuweisen, daß Sie irrten, falls Sie meinten, hier stünde Mao zur Wahl, was ja wirklich nicht der Fall war. ({1}) Die Bundesregierung hat von ihrer Regierungserklärung gerade bezüglich des Punktes, über den ich jetzt spreche, nichts wegzunehmen und nichts hinzuzufügen. Sie will also normale Beziehungen mit allen, die dies auch wollen. ({2}) Sie will auch in der hier in Frage stehenden neuen Dimension keine Schaukelpolitik und schon gar nichts, was als Abenteurertum erscheinen könnte. Als Gegenargument der letzten Stunde hat man nun die Befürchtung geäußert, unsere Entspannungspolitik könne radikalen Kräften Auftrieb geben. Dies ist eine für meine Begriffe demagogische Vermischung außen- und innenpolitischer Fragen. ({3}) Ich zweifle übrigens keinen Augenblick daran, daß wir mit den kleinen Gruppen von Extremisten in unserem Land fertig werden. Was wären wir denn wert, wenn wir uns, worüber sonst immer gestritten werden mag, nicht einmal das zutrauen würden, meine Damen und Herren! ({4}) Man darf hier aber auch nicht alles durcheinanderbringen, und man muß zu differenzieren wissen. Natürlich dürfen die Probleme der inneren Sicherheit nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Aber um einen Staat, der wegen einer übersteigerten oder gar propagandistisch angeheizten Sorge um seine innere Sicherheit auf die für ihn notwendige Außenpolitik verzichten wollte, wäre es ganz schlecht bestellt. In dieser Lage sind wir nicht, und dazu werden wir es, bitte, auch nicht kommen lassen. ({5}) Niemand, der sauber argumentiert, kann übrigens die Bereitschaft zu gleichberechtigten Beziehungen mit der DDR ideologisch umdeuten in die Behauptung, wir sähen in der DDR einen gleichartigen Staat. Es bedarf hier keiner Belehrung über den grundsätzlichen Unterschied zwischen den beiden poliltischen Ordnungen, und es bedarf weder hier noch draußen anfeuernder Zurufe, um die Auseinandersetzung mit Rechts- und Linksradikalen zu bestehen. Davon verstehen wir in der Regierung und in der Koalition mindestens ebensoviel wie sonst irgendwer in diesem Hohen Hause. ({6}) Meine Damen und Herren, 27 Jahre nach Kriegsende ist nun endlich die Zeit gekommen, unsere Beziehungen zur Sowjetunion und zu Osteuropa auf eine neue Grundlage zu stellen. Niemand kann doch sagen, daß das zu früh sei. Auch wenn die Sowjetunion keine Siegermacht des zweiten Weltkrieges wäre, auch wenn sie keine besonderen Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Deutschland als Ganzes hätte, das politische und das wirtschaftliche Interesse der Bundesrepublik Deutschland würden eine Politik der Verständigung gebieten. Unser Mitspracherecht in den internationalen Angelegenheiten, die uns, die Westeuropa berühren, kann nur zur Geltung gebracht werden, wenn wir möglichst gute Beziehungen auch zur Sowjetunion und zu den osteuropäischen Staaten unterhalten. Unsere Außenpolitik kann, um den Kollegen Wehner zu zitieren, auf einem Bein stehen, aber nur auf zwei Beinen gehen. ({7}) Um so mehr gilt dies unter den veränderten weltpolitischen Bedingungen, mit denen wir es zu tun haben. Der Versuch, den wir jetzt machen, ent9796 spricht dem Gebot der politischen Vernunft. Würden wir ihn nicht unternehmen oder würden wir ihn scheitern lassen, so würde nicht nur eine große Chance vertan werden. Wir würden uns vielmehr isolieren. Wir würden unter dieser Isolierung leiden und deshalb ganz zwangsläufig schon sehr bald einen neuen Versuch machen müssen, dann allerdings unter wesentlich erschwerten Bedingungen. Ich kann verstehen, daß mancher in unserem Lande diesen Verträgen, die ich mir auch schöner hätte vorstellen können, mit Skepsis begegnet. Nach der langen Zeit des kalten Krieges und nach den vorhergegangenen schrecklichen Erfahrungen, welche die Völker miteinander haben machen müssen, ist ein großes Maß an negativen Gefühlen übriggeblieben. Wir alle zusammen müssen uns aber davon befreien, wenn wir gemeinsam eine friedliche Zukunft gestalten wollen. Es geht jetzt um unseren Beitrag dazu. Die Sorge um den Frieden und die Bemühungen für den Frieden sind gewiß nicht nur Sache einer Partei oder einer Koalition. Auch ich bezweifle nicht, daß alle Seiten dieses Hauses den Frieden wollen. Aber dann muß man wie auf anderen Gebieten, wo man grundsätzlich gar nicht auseinander ist, um das streiten, was der eine und was der andere für notwendig hält. Und ich sage, man muß auch, wenn man es für notwendig hält, für das einstehen, was viele heute noch für unpopulär halten. Ich glaube, man hilft unserem Volk, indem man auch dafür einsteht. Verständigung ist heute nicht mehr abstrakt, sondern nur konkret zu betreiben. Das wird eine konkrete Entscheidung in diesem Hohen Hause verlangen. Dies ist noch nicht der Tag der Abstimmung. Dies ist nach einer langen Zeit der Vorbereitung und 18 Monate nach Unterzeichnung des Vertrages mit der Sowjetunion, 14 Monate nach der Unterzeichnung des Vertrages mit Polen und sechs Monate nach Abschluß des Berlin-Abkommens die erste Lesung der Ratifizierungsgesetze. Ihr folgt die, wie ich überzeugt bin, gewissenhafte Beratung in den Ausschüssen. Niemand kann, wenn ich hier noch einmal an den zeitlichen Ablauf erinnere, unter diesen Umständen guten Gewissens behaupten, die Verträge seien hektisch behandelt worden oder sollten parlamentarisch durchgepeitscht werden. ({8}) Niemand wird auch nach diesen Beratungen behaupten können, er sei nicht informiert, und es wird niemandem etwas vorenthalten, jede Frage wird beantwortet werden. Die Bundesregierung respektiert die Haltung jedes ernsthaften Kritikers, aber es kann keinen Zweifel darüber geben, welche Verantwortung jeder von uns trägt. Es geht hier und in den kommenden Wochen und dann im Mai bei der endgültigen Abstimmung um unsere Interessen und um unseren spezifischen Beitrag in dieser weltpolitischen Situation zur Sicherung des Friedens. ({9})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000102, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie, Herr Bundeskanzler, haben eben gesagt, diese Opposition mache Ihnen Schwierigkeiten. Mit Verlaub, Herr Bundeskanzler, diese Opposition sagt ihre Meinung und kämpft für ihre verantwortlich erarbeitete Überzeugung. Das wird durch nichts in diesem Hause vom Tisch geschafft werden können und ganz sicherlich nicht von Ihnen, der Sie auszogen unter dem Motto, angeblich „mehr Demokratie" zu wagen. ({0}) Hier begann gerade erst - das wurde ja von dem Kollegen Wehner schon ein bißchen ins Lächerliche gezogen; das ist doch eine Koalitionstaktik dieser Debatte - ein mehrtägiger Streit über die Richtigkeit dieses Weges, und schon kommt der Bundeskanzler, der allein die Verantwortung dafür trägt, daß Gemeinsamkeit hier nicht zustande kam, ({1}) und beschwert sich über die Haltung der Opposition. ({2}) Ich hoffe, Herr Bundeskanzler, daß Sie im Laufe der Tage und Stunden dieser Debatte noch Gelegenheit nehmen, das, was wir bisher hier gesagt haben, vielleicht doch noch nachzulesen, um nicht, durch flüchtige Informanten belehrt, hier Einlassungen auf einige der Fragen zu machen. Auf sehr wesentliche Fragen sind Sie bisher überhaupt nicht eingegangen. Wir werden sie im Laufe dieser Zeit stellen, meine Damen und Herren. ({3}) Die Frage ist doch, woher Sie die Hoffnung nehmen, daß es in Deutschland besser werden könnte, wenn Sie vorher alles weggeben. ({4}) Die Frage lautet: Warum aus dem Vertragswerk eine früher von einer Vorgängerregierung verabredete Passage über die gemeinsame Verpflichtung der Wiederherstellung der deutschen Einheit entfernt worden ist? Die Frage lautet: Was mit dem Gewaltverzicht und seiner zeitlichen „Überlagerung" - dies sind doch die Erklärungen, die Sie im Bundesrat öffentlich abgegeben haben - hier sein soll? Auf diese und auf andere Fragen Antwort zu geben, werden wir Sie zwingen, meine Damen und Herren, und die Öffentlichkeit - ({5}) - Natürlich, meine Damen und Herren! Dies ist die Aufgabe einer Opposition, und wir werden hier unsere Pflicht tun. ({6}) Herr Bundeskanzler, Sie haben an zwei Stellen direkt zu den Einlassungen der Opposition heute morgen Stellung genommen, einmal zu dem Punkt Freizügigkeit. Sie haben geglaubt, sagen zu sollen, das, was ich hier vorgetragen habe, seien „Wunschvorstellungen" ; so Ihre Worte. Herr Bundeskanzler, haben Sie wirklich übersehen, daß ich das alles argumentiert und formuliert habe mit Ihren eigenen Worten, daß ich hier die Position aufgebaut habe, mit der Sie den Übergang zu dieser Ostpolitik hier im Hause und draußen im Lande begründet haben? ({7}) Wollen Sie mir vorwerfen, daß ich dieses Wort ernst nehme und ein Argument zu hören wünsche, warum heute für Sie nicht mehr gilt, was gestern verantwortlich von Ihnen hier gesagt worden ist? Das, Herr Bundeskanzler, kann doch nicht Ihre Absicht sein. Und wie ist es mit den Mitgliedern Ihrer Regierung? Sie haben doch am 7. Juni 1970 Richtlinien des Kabinetts beschlossen. Die Ziffer 5 habe ich heute zitiert. Waren das „Wunschvorstellungen", oder ist das das, was real möglich ist? Wir halten eben fest: Sie haben früher gesagt: es muß zuerst etwas für die Menschen herauskommen, dann können Verträge in Kraft treten; Sie sagen heute: ich mache erst Verträge und hoffe, daß dann für die Menschen etwas herauskommt. Das ist der Punkt, meine Damen und Herren. S i e haben Ihre Position verändert. ({8}) Der zweite Punkt betrifft - und ich werde nicht müde werden, davon zu sprechen den europäischen Akzent. Herr Bundeskanzler, Sie können doch nicht leugnen - wir haben darüber doch hier im Hause debattiert -, daß Sie in Ihrer Politik die Akzente anders verteilen, als es uns richtig erscheint. Sie verpflichten sich, das gesamteuropäische Konzept, an dem niemand so interessiert ist wie Moskau, zu beschleunigen, und erklären vorher, die politische Vereinigung des freien Europa sei Sache der nächsten Generationen. ({9}) Dies, meine Damen und Herren - Herr Kollege Wehner, Sie können ruhig rufen und brüllen -, am 2. März 1970 zu London. Das Zitat ist hier dem Bundeskanzler in einer Debatte des Jahres 1970 - im Juni, wenn ich mich recht erinnere - vorgetragen worden; wir haben ihm gesagt, ,er solle Gelegenheit nehmen, das in Ordnung zu bringen. Er dachte nicht daran. ({10}) Und dann, Herr Kollege Wehner, lesen Sie doch vielleicht einmal nach - wenn Sie hier schon dauernd mit auswärtigen Quellen arbeiten, um eine deutsche Politik hier im deutschen Parlament zu begründen - ({11}) - Ja, meine Damen und Herren, lesen Sie einmal nach, was in den Tischreden - ({12}) - Meine Damen und Herren, wir haben uns in Ruhe alle Reden des Bundeskanzlers angehört, und wir erwarten, daß Sie dies hier auch tun werden. ({13})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe. ({0})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000102, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, dann werde ich doch gleich den Kollegen Wehner an dieser Stelle, wenn das so interessiert, auf folgendes aufmerksam machen: Hier, Kollege Wehner, ist auf dem Bogen Ihrer Fraktion eine Erklärung von Ihnen selbst, datiert vom 1. Februar 1972, in der Sie behaupten: Das von Präsident Nixon und Bundeskanzler Brandt Ende Dezember in Key Biscane herausgegebene Kommuniqué enthält die volle Übereinstimmung in Fragen der Außen- und insbesondere der Ostpolitik. So weit Ihr Zitat. Etwas Ähnliches hat mit anderen Worten der Bundeskanzler eben gesagt. Hier, meine Damen und Herren, ist nun das Bulletin der Bundesregierung mit dem Kommuniqué von Key Biscane, und der Satz, Herr Kollege Wehner, den Sie daraus zitieren, hat eine einzige Eigenschaft: In dem Kommuniqué gibt es diesen Satz nicht! So wird hier eben eine falsche Informationspolitik betrieben - hoffentlich nicht auch gegenüber den Kollegen Ihrer Fraktion, meine Damen und Herren! ({0}) - Ich möchte das jetzt nicht, Herr Kollege. ({1}) Ich möchte wieder auf den europäischen Punkt zu sprechen kommen. Herr Bundeskanzler, Sie haben die Prognose abgegeben, die Sowjetunion werde das eines Tages tun: d. h. die Organisation ihrer Zusammenarbeit mit der Europäischen Gemeinschaft. Herr Bundeskanzler, diese Meinung verbreiten Sie im In- und Ausland seit geraumer Zeit. Ich räume Ihnen ein, daß ich angenommen hatte, zumal der Herr Außenminister ähnliches sagt, daß hier in der Tat die Sowjetunion dabei sei, sich in dieser Frage zu entwickeln, und daß man deshalb, wenn man das in verbindlichen Gesprächen zur Sprache bringt, etwa zur Antwort bekommt: Nun, warten Sie mal ab, da entwickelt sich etwas. Herr Bundeskanzler Sie wissen ganz genau, welche Antworten man von den verantwortlichen Führern der Sowjetunion bekommt. Und Sie sollten deshalb diese harten Antworten dann hier nirgendwo verniedlichen und hier nicht den Eindruck erwecken, es sei schon alles zum besten. Deshalb wiederhole ich noch einmal: Diese Europäische Gemeinschaft im Westen, auf die wir als Volk und für unsere Zukunft unsere Existenz gesetzt haben, diese Gemeinschaft steht nicht zur Disposition oder auch nur zur Erschütterung durch irgendeine Traumvorstellung gesamteuropäischer Institutionen. Das ist der Punkt, von dem hier gesprochen werden muß. ({2}) Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat davon gesprochen, daß man von Realitäten ausgehen müsse. Das ist sicherlich richtig. Aber von Realitäten ausgehen - ({3})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Dr. Apel, der Zuruf „Billiger Jakob" ist unparlamentarisch.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000102, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber lassen Sie ihn sich doch blamieren, wie er will, Herr Präsident. (Beifall bei der CDU/CSU. Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das ist doch ein typischer Apel! Das entspricht seinem Niveau! - Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU: ({0}) Herr Bundeskanzler, es ist etwas anderes, ob man Realitäten sieht, ob man sie erkennt, ob man von ihnen ausgeht - soweit ist doch alles klar - oder ob man sich bereit findet, sie aufzuschreiben und sie so aufzuschreiben, daß eine Chance der Veränderung nicht mehr besteht. Das ist doch die Frage, die hier gestellt werden muß, und auf diese Frage sind Sie bisher nicht eingegangen, schon gar nicht befriedigend. Herr Bundeskanzler, ich möchte auf den Vorwurf zurückkommen, den Sie gegen mich persönlich erhoben haben, als Sie meine Bemerkung - wohl am Schluß meiner Rede - kritisierten, daß dieses Vertragswerk nicht zu mehr Freiheit, sondern zu mehr Abhängigkeit führe. Ich möchte hierfür gern eine Begründung geben und diese Begründung zunächst wie folgt formulieren: Aber wir raten zur Vorsicht gegenüber jenen, die einst in berechtigter Sorge den Stillstand der deutschen Frage bedauerten, aber jetzt zu dem falschen Schluß kommen, man müsse die Spaltung erst zementieren, um sie dann besser überwinden zu können. Das wäre ein gefährlicher Trugschluß. Die Übernahme der von der sowjetischen Politik gepflanzten Formeln von der Anerkennung der Realitäten, womit von der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie über die völkerrechtliche Zementierung des Ulbricht-Regimes als eigenen unabhängigen deutschen Staat bis zum Herausbrechen des freien Berlin aus dem freien Westen die gesamte sowjetische Deutschlandpolitik gemeint ist, würde nicht zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in gesicherter Freiheit führen, sondern zur Festigung einer unter falscher Flagge segelnden Kolonialherrschaft auf deutschem Boden. ({1}) Das, meine Damen und Herren, ist dafür die Begründung, und dies ist ein Wort von Fritz Erler, gesprochen auf dem Karlsruher Parteitag der SPD 1964. ({2}) Bleibt darauf zurückzukommen, daß der Herr Außenminister ebenso wie der Bundeskanzler die Frage der Fernostpolitik bewußt oder unbewußt, auf jeden Fall unrichtig, hier zitiert hat. Wir haben nicht gesagt, eine Ostpolitik setze Fernostpolitik voraus, sondern wir haben gesagt, es müsse auch eine Fernostpolitik geben, um aus einer halben Sache eine ganze zu machen. Dies, glaube ich, ist etwas anderes. ({3}) Und wenn Sie sich hier, Herr Bundeskanzler, am Schluß zu der Frage des politischen Radikalismus geäußert haben, so möchte ich, meine Damen und Herren, Sie daran erinnern, daß wir im Oktober von dieser Stelle aus Ihnen den Vorschlag gemacht haben, in den Fragen des inneren Friedens, in der Frage der Bekämpfung des Radikalismus und der Kriminalität gemeinsam zu arbeiten. Es ist gar keine Frage, daß dies eine wichtige Sorge und eine berechtigte Sorge in unserer Bevölkerung ist. Hierzu, Herr Bundeskanzler, hören wir seitens Ihrer Regierung viele Worte, aber wir sehen wenig Taten. ({4}) Sie sollten z. B. auf das antworten, was Herr Professor Steinbuch in einem offenen Brief an Sie selbst gesagt hat. ({5}) Und Sie sollten, Herr Bundeskanzler, nicht den Eindruck erwecken - wie dies soeben geschah -, daß irgend jemand, der sich um die innere Sicherheit wegen der Radikalisierung in bestimmten Bereichen besondere Sorge macht, dies vielleicht übertreibe. Das, meine Damen und Herren, kann man doch wohl nicht sagen angesichts der Lage z. B. an manchen Universitäten und in manchen Bereichen dort, wo es doch darauf ankommt, daß dieser Staat die über 95 °/o hart arbeiten wollenden Studenten vor den Radikalinskis in Schutz nimmt, die sie daran hindern, die Leistung, die sie erbringen wollen, erbringen zu können, meine Damen und meine Herren. ({6}) Herr Bundeskanzler, Sie haben am Schluß noch einmal von der Gefahr gesprochen, in die sich angeblich die Opposition begebe, wenn sie bei ihrer Haltung zum Vertragswerk bliebe. Herr Bundeskanzler, lassen Sie dies unsere Sorge sein. Und wir wissen, daß wir mit einer Position, wie wir sie beziehen, die sagt: Selbstbestimmung, Freizügigkeit und Europa, niemals allein in der Welt stehen, denn die Position der Menschenrechte ist die der freien Welt. Und wenn wir die beziehen, meine Damen und Herren, gehen wir guten Gewissens auch in die nächste Runde dieser Debatte, auch in die Ausschüsse, auch in die zweite Lesung. Sie werden uns aber nicht daran hindern können, Herr Bundeskanzler - und wenn Sie noch ein paarmal hier heraufkommen -, ({7}) auch wenn Sie es als Schwierigkeit empfinden, was wir hier machen, hier das zu sagen, was wir denken. Sie werden diese Opposition weder mundtot machen noch von ihrer Überzeugung abbringen können. ({8})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick. ({0})

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt wieder einige Kollegen, die der Meinung sind, es sei besser, Gegenargumente nicht zu hören, damit ihre vorgefaßte Meinung nicht erschüttert wird. ({0}) Meine Damen und Herren! Herr Kollege Barzel hat eben davon gesprochen, die Opposition kämpfe für ihre Überzeugung. Das ist nicht nur ihr gutes Recht, das ist nicht nur ihre Pflicht, sondern wir geben ihr in der Verfahrensweise dieser Debatte auch jede Möglichkeit dazu. Ich wäre sehr froh gewesen, wenn es während unserer Oppositionszeit immer so selbstverständlich gewesen wäre, daß der Opposition - wie wir das heute Ihnen gegenüber getan haben - jedesmal die Antwortchance gegeben wurde. ({1}) Herr Kollege Barzel, Sie haben eben noch einmal die Notwendigkeit der Gemeinsamkeit beschworen. Wir geben Ihnen recht, daß es gut wäre, wenn wir hier wirklich gemeinsam die gemeinsamen Fragen behandeln könnten. Sie haben heute vormittag so in etwa die Behauptung aufgestellt, in dem Brief, den der Außenminister an die Fraktionsvorsitzenden gerichtet hat, Vertreter für die Teilnahme an den Verhandlungen in Moskau zu benennen, wäre so eine Art unterschwelliger Absage enthalten gewesen. Das ist nicht der Fall. ({2}) - Das steht weder genau darin noch unterschwellig, denn den gleichen Brief, den Sie, Herr Kollege Barzel, erhalten haben, haben der Kollege Wehner und ich erhalten. Allerdings steht ein Satz darin, der deutlich sagt, daß die Bundesregierung nicht davon ausgeht, daß eine Teilnahme der Opposition für sie etwa bedeute, damit auch verpflichtet zu sein, die Ergebnisse mittragen zu müssen. Das scheint mir eine sehr faire Art gewesen zu sein, das deutlich zu machen. ({3}) - Nicht in den letzten drei Minuten; das war bereits im Juli. ({4}) Herr Kollege Dr. Barzel, wenn Sie hier wieder davon sprechen, die gemeinsame Grundlage sei von Ihnen angeboten worden, kann ich nur sagen: wenn wir die Maßstäbe für die Voraussetzungen für eine gemeinsame Arbeit anwendeten, die ein Kollege von Ihnen dafür gesetzt hat, sähe das ganz anders aus. Er schrieb: In allen funktionierenden Demokratien der Erde gibt es eine parlamentarische Diskussion über die Wege der Außenpolitik. Sie wird hier schärfer und dort weniger erbittert geführt. Die Opposition sollte aber dabei niemals so weit gehen, der legitimen Vertretung ihrer Regierung bei der Vertretung ihrer Politik gegenüber anderen Mächten in den Arm zu fallen oder sie gar zu verdächtigen, in Wahrheit das Gegenteil von dem zu wollen, was sie erklärt, denn nach dem Grundgesetz ist der Kanzler der Vollstrekker der deutschen Politik. Alles Gerede über eine gemeinsame Außenpolitik bleibt daher so lange leer und unglaubwürdig, wie die Opposition dem ersten Bevollmächtigten der deutschen Demokratie das persönliche Vertrauen verweigert. So schrieb in der „Politischen Meinung" in Heft 5 im Jahre 1960 Herr Kollege von Guttenberg. ({5}) Wenn wir diese Maßstäbe zur Voraussetzung der Gemeinsamkeit gemacht hätten, wäre es überhaupt nicht zu einem Angebot gekommen. Wir gehen davon aus, daß Sie eigene Vorstellungen haben. Wenn Sie aber, Herr Kollege Barzel, immer davon sprechen, wir hofften jetzt, daß etwas kommt, nachdem alles weggegeben sei, dann ist genau diese Formulierung „alles weggegeben sei" das Gegenteil von dem, was sie selbst für diese Debatte gefordert haben, nämlich eine faire Diskussion zu führen. ({6}) Herr Kollege Barzel, Sie haben sich eben darüber beklagt, daß so viele ausländische Stimmen herangezogen würden, um die Richtigkeit unserer Politik zu unterstreichen oder um zu beweisen, daß wir in Übereinstimmung mit unseren Verbündeten sind. Das wäre doch gar nicht notwendig, wenn Sie nicht ständig hier und draußen im Lande die falsche Behauptung aufstellten, die europäische Politik, der Zusammenhalt im Bündnis würde durch die Verträge gefährdet. Das ist doch Ihre Behauptung, nicht unsere Behauptung. Wenn Sie eben davon sprachen, da sei falsch aus einem Kommuniqué zitiert worden oder das sei nicht enthalten, so möchte ich Ihnen einige Zitate aus der Rede des amerikanischen Präsidenten Nixon vortragen. Ich füge hinzu, die Übersetzung erfolgte durch den „Amerika-Dienst" der US-Botschaft, damit Sie nicht etwa wieder bezweifeln, ob das authentisch sei. Es sind Zitate gerade zu der Frage, wieweit die europäische Politik, wieweit das Bündnis gefestigt oder gefährdet sei. Präsident Nixon hat in seiner Erklärung im Januar 1972 zur Lage der Welt unter anderem gesagt: Die Einigung Westeuropas machte einen großen Fortschritt, als im vorigen Jahr die entscheidenden Schritte in Richtung auf eine Mitgliedschaft Großbritanniens, Irlands, Dänemarks und Norwegens in der Europäischen Gemeinschaft getan wurden. Mit den Verträgen und nicht gegen die Verträge ist das erreicht worden. Er sagte ferner: Unsere Verbündeten verstärkten ihren Truppenbeitrag zur gemeinsamen Verteidigung. Er fügte hinzu: Die Vier Mächte erzielten ein Abkommen über Berlin, das die ständigen Krisen der Nachkriegszeit bezüglich dieser Stadt beenden und die Situation der tapferen Bevölkerung West-Berlins auf konkrete Weise verbessern soll. Wenn der amerikanische Präsident das betont, sind doch Ihre Zweifel, daß das Bündnis gefährdet ist, wirklich völlig aus der Luft gegriffen. Sie haben keine anderen Argumente mehr gegen die Verträger und flüchten sich jetzt in Behauptungen, die Sie nicht beweisen können. ({7}) Natürlich werden in dieser Debatte, in der wir die Ostverträge diskutieren, Weichen für die Zukunft gestellt werden. Dies ist eine Stunde, in der vorentschieden wird, ob diese Bundesrepublik Deutschland im Fluß des weltpolitischen Geschehens mit eigenem, selbstsicherem und kraftvollem Handeln mitwirkt, ob diese Bundesrepublik Deutschland in der Lage ist, die Möglichkeiten, die ihr noch gegeben sind, zum Nutzen der Menschen in Deutschland und auch zur Sicherung des Friedens in Europa zu ergreifen. Es geht um mehr als um die Gewinnung des einen oder des anderen taktischen parteipolitischen Vorteils. Es geht - ich sage das bewußt so, nicht etwa, um pathetisch zu werden - um ganz Deutschland in dieser Frage. Ich wähle diesen Gesamtbegriff, weil eben zur Debatte steht: Wie steht ganz Deutschland, wie stehen die beiden deutschen Staaten zu dieser Entspannungspolitik in der Zukunft? Gleichzeitig steht die Frage vor uns: Können wir, wollen wir die Chance nutzen - ich meine, wir müssen es tun -, bewußt etwas zur Wahrung der deutschen Nation zu tun, und zwar dadurch, daß wir unseren Beitrag dazu leisten, die Klammer um Berlin jetzt auch vertragsmäßig festzulegen und zu verstärken, um ein Klima zu schaffen, das die Verhandlungen, die Gespräche zwischen den beiden Staaten in Deutschland möglich macht und fördert? Nur so lassen sich doch auf die Dauer sinnvolle Ergebnisse erzielen. Nur auf diesem Wege, nur auf dem Weg über Verhandlungen und Verträge können wir doch die Erleichterungen für die Menschen in Deutschland ermöglichen. Nur so kommen sich die Menschen in Deutschland wieder näher, bleiben die Bindungen und Verbindungen bestehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, alles formelle Bestehen auf vertraglichen Vereinbarungen nützt uns in dem Augenblick nichts mehr, da die Entfremdung zwischen den Menschen so weit fortgeschritten ist, daß sie gar nicht mehr verstehen, was ein ganzes Deutschland sein kann. Deshalb ist es notwendig, diesen freilich mühsamen Prozeß in Gang zu bringen und nach dem jahrelangen passiven Verharren, das uns keinen Schritt weitergebracht hat, aktiv zu werden und mit den Verträgen, mit den Vereinbarungen eine allmähliche Verbesserung unserer Lage zu erreichen. Herr Kollege Barzel hat schon davon gesprochen, daß es nicht nur um das geht, was hier im Deutschen Bundestag und was im Bundesrat gesagt wird, sondern daß es auch um das geht, was - leider oft mit gespaltener Zunge - draußen im Land gesagt wird. Da wird die Behauptung aufgestellt, diese Politik, die wir, diese Koalition heute treiben, sei nicht eine kontinuierliche Fortsetzung dessen, was die Freien Demokraten früher einmal verlangt haben. Das Gegenteil ist der Fall. Tatsache ist doch - das möchte ich hier einmal in die Erinnerung zurückrufen -, daß Pfleiderer als damaliger Bundestagsabgeordneter hier von diesem Pult aus bereits in den Jahren 1952 bis 1954 davon sprach, daß die weißen Flecken auf der Landkarte verschwinden müßten, daß diplomatische Beziehungen mit osteuropäischen Ländern aufgenommen werden müßten. Und wie schwer hat man sich getan, diesen Schritt dann endlich zu tun! Ich denke an die harte und tagelange Debatte 1958 über die Frage: ja oder nein zur atomaren Bewaffnung? Ich denke daran, wie damals ein entsprechender Dissens zwischen Regierung und Oppositionsparteien SPD und FDP über die Frage war: gibt es einen sowjetischen Vorschlag, einen einzigen FrieMischnick densvertrag mit ganz Deutschland abzuschließen? Aus dem Aide-mémoire der Sowjetunion ging hervor, daß sie zu diesem Zeitpunkt noch bereit war, einen einzigen Friedensvertrag mit ganz Deutschland abzuschließen. Sie haben zu diesen Vorschlägen Nein gesagt. Oder denken Sie daran, daß 1963 - Kollege Wehner sprach schon davon - im damaligen Kabinett Adenauer der Gedanke diskutiert und ein entsprechender Beschluß gefaßt wurde, unter dem Dach der Vier Mächte, im Auftrag der Vier Mächte oder mit ihrer Duldung - wie es später hieß - paritätisch besetzte gesamtdeutsche Kommissionen einzurichten. Das stieß auf Widerstand in Ihren Reihen. Allerdings, heute - obwohl es schon im Kabinett Adenauer beschlossen wurde - wollen Sie plötzlich von diesen paritätisch besetzten Kommissionen nichts mehr wissen. Wir können mit Befriedigung feststellen, daß seit Beginn dieser Regierungskoalition, seit diese Bundesregierung im Amt ist, unsere Forderungen, die wir vor der Bundestagswahl 1969 aufgestellt haben, nämlich einen Vertrag zwischen den beiden deutschen Staaten zustande zu bringen, für Berlin eine vertragliche Regelung zu finden und einen Gewaltverzichtsvertrag zu erreichen, mit den vorliegenden Verträgen in die Wirklichkeit umgesetzt werden. Wir stellen auch fest, daß unsere Forderung - auch hier ist die Kontinuität ebenfalls voll bewiesen -, daß europäische Lösungen an territorialen Fragen nicht scheitern dürfen, Eingang in die Vertragstexte gefunden hat. Nun hat der Kollege Kiesinger genauso wie andere aus der CDU/CSU-Fraktion davon gesprochen, die Verträge seien zu schnell ausgehandelt worden. Die tatsächliche Entwicklung sieht doch ganz anders aus. Vom Bundesaußenminister ist das nicht nur heute, sondern vielfach dargelegt worden. Ich möchte gerade Sie, die Kollegen von der CDU/CSU, an das Memorandum erinnern, das am 9. April 1968 von der damaligen Regierung dem sowjetischen Botschafter übergeben wurde. Darin waren folgende Punkte enthalten: Die Bundesrepublik Deutschland erhebt keine Gebietsansprüche gegen irgend jemand. Weite Schichten des deutschen Volkes begreifen heute besser als früher den Wunsch des polnischen Volkes, in gesicherten Grenzen zu leben. Die Grenzen eines wiedervereinigten Deutschland können nur in einer frei vereinbarten Regelung ({8}) mit einer gesamtdeutschen Regierung festgelegt werden. - In den Verträgen steht nichts anderes, Herr Kollege Barzel. Das unter Androhung von Gewalt zustande gekommene Münchner Abkommen ist nicht mehr gültig. Und die Feststellung: Die Bundesrepublik Deutschland respektiert den gegenwärtigen Status von Berlin, die Rechte und Pflichten der Vier Mächte. Alle diese Argumente, die damals von Ihnen gemeinsam mit getragen worden sind, haben heute Eingang in die Verträge gefunden. Ich habe wenig Verständnis dafür, daß Sie jetzt plötzlich, weil Sie nicht an der Regierung beteiligt sind, diese Elemente nicht mehr wahrhaben wollen. ({9}) Eines allerdings ist eine entscheidende Änderung: offensichtlich waren für Sie damals das alles nur verbale Ankündigungen, hinter denen nicht der Wille stand, das, was gesagt wurde, durch Verhandlungen auch in die Tat umzusetzen. Das unterscheidet uns ja gerade von Ihnen, daß wir das, was wir verkünden, jetzt auch in die Tat umsetzen. ({10}) In der Politik nützt es natürlich gar nichts auf die Dauer, wenn man, wie Sie es immer tun, richtige Prinzipien, über die wir gar nicht verschiedener Meinung sind, nur ständig wiederholt, sondern es gilt, praktische Konsequenzen daraus zu ziehen. Wenn wir das nicht getan hätten, wäre - darüber ist sich doch jeder, der die Situation nüchtern beurteilt, völlig im klaren - die Entwicklung in der Entspannnugspolitik längst über uns hinweggegangen. Herr Kollege Barzel, als Sie davon sprachen - ich zitiere wörtlich; Sie haben das heute wiederholt -: „Die DDR, wie sie ist, ist eine politische Realität", glaubte ich, das sei nun der gemeinsame Weg. - Wenn Sie in Zweifel sind, lesen Sie es in Ihrem Artikel vom 4. Januar 1972 im „DeutschlandUnion-Dienst" nach. ({11}) - Natürlich. Ich sage ja: die Hoffnung - jetzt kommt nämlich leider die Enttäuschung -, ,daß wir nun auf einen gemeinsamen Weg wären. Wie so oft haben Sie zwar diesen Satz gesagt und geschrieben, aber leider daraus nicht die Konsequenzen in Ihrem praktischen Handeln gezogen. ({12}) Das ist doch der entscheidende Punkt. Sie haben wieder einmal, wie so oft, Deklamation und nicht Handeln als das Wichtigere angesehen. Heute haben wir erneut in dieser Debatte gehört: Die Vertragsverhandlungen sind abgeschlossen, aber noch ist die Mauer nicht weg, noch ist der Schießbefehl nicht weg! Lieber Herr Kollege Barzel, in der Kritik an diesen Dingen überbieten Sie niemanden. Die Meinung darüber ist unter uns allen die gleiche. Nur eins: mit der Feststellung von 1961 bis 1969 „Die Mauer muß weg" sind wir keinen Schritt weitergekommen; ({13}) mit den heutigen Vereinbarungen haben wir wenigstens Teilerleichterungen erreicht, und ich bin fest überzeugt: das ist der Anfang von den menschlichen Erleichterungen, die wir auf die Dauer durchsetzen werden. Hier ist mehrfach betont worden, daß in der Frage des Gewaltverzichts selbstverständlich in diesem Hause eine einhellige Meinung bestehe. Natürlich ist heute, 27 Jahre nach Kriegsende, das Bewußtsein des einzelnen über die verheerenden Wirkungen des Krieges, über die Menschenverluste, über die Zerstörung der Städte nicht mehr so voll präsent. Aber eins hat sich doch gezeigt, nämlich daß alle Verantwortlichen in dieser Welt die Frage der gewaltsamen Auseinandersetzung, der gewaltsamen Lösung von Konflikten politisch, moralisch und völkerrechtlich inzwischen anders beurteilen und bewerten, als das früher der Fall war. Hier ist doch ein großer Fortschritt erzielt worden. Die Erkenntnis ist gewachsen, daß Gewalt und Gewaltandrohung keine Mittel der Politik sein können, da sie nur zur Zerstörung einer Nation führen würden. Wenn man bereit ist, Gewaltverzichtsverträge abzuschließen, aber dabei sagt, man müsse sich an das alte deutsche Sprichwort erinnern, Vorsicht sei die Mutter der Porzellankiste, so ist das völlig richtig, nur darf man dann nicht davon ausgehen, ,daß diese Vorsicht nur für einen selbst gilt, sondern muß auch den Verhandlungs-Partnern bei ihren Überlegungen genauso zugestehen, berechtigte Interessen wahrzunehmen, und sie nehmen sie natürlich auch wahr. Wir sehen in dieser Vereinbarung, in diesen Gewaltverzichtsverträgen den Versuch, auf beiden Seiten gleichberechtigt und ausgewogen eine Grundlage dafür zu legen, daß in Zukunft Gewalt und Gewaltandrohung ausgeschlossen werden. Nur auf diesem Wege können wir doch überhaupt hoffen, mit unseren anderen Forderungen zur Deutschlandpolitik weiterzukommen. Der Kern des Vertrages mit der UdSSR sind - das ist hier angesprochen worden - die Artikel über den Gewaltverzicht und die Unverletzlichkeit der Grenzen. Die CDU/CSU hat mehrfach behauptet, dieser Vertrag - das ist heute noch nicht in die Debatte eingeführt worden, wird aber voraussichtlich noch eingeführt werden - widerspreche insbesondere dem Art. 3 des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den drei Westmächten abgeschlossenen Deutschlandvertrags. Diese Behauptung ist falsch. Richtig ist es, daß der deutsch-sowjetische Vertrag keine friedensvertragliche Regelung der deutschen Grenzen vorwegnimmt. Er bestätigt vielmehr die uneingeschränkte Gültigkeit früher abgeschlossener Verträge. Die Attacken, die dagegen geritten werden, sind alles Scheinattacken, denn Sie haben hier tatsächlich keinen Gegner vor sich. Der Vertrag enthält nicht das, was Sie behaupten. Außerdem ist durch den Überleitungssatz in Art. 2 und durch den Art. 4, nämlich die Nichtverletzung bestehender Verträge, sichergestellt, daß der deutsch-sowjetische Vertrag eben keine friedensvertragliche Regelung vorwegnimmt. Ferner ist sichergestellt, daß die Verantwortung der Vier Mächte für ganz Deutschland nicht berührt wird und daß die Festlegung des Art. 3 ein eindeutiger Gewaltverzicht ist. Nun wird die Frage gestellt: Ist denn das Ganze für uns tragbar, wird damit nicht noch in irgendeiner Weise etwas endgültig festgelegt? Hier muß ich Sie daran erinnern, daß die Regierung Adenauer anläßlich des Beitritts der Bundesrepublik Deutschland zur NATO am 3. Oktober 1954 in einer offiziellen Note an die drei Westmächte folgendes festgestellt hat - ich zitiere wörtlich -: Insbesondere verpflichtet sich die Bundesrepublik Deutschland, die Wiedervereinigung Deutschlands oder die Änderung der gegenwärtigen Grenzen der Bundesrepublik niemals mit gewaltsamen Mitteln herbeizuführen und alle zwischen der Bundesrepublik und anderen Staaten gegebenenfalls entstehenden Streitfragen mit friedlichen Mitteln zu lasen. Das, was damals, 1954, von Adenauer erklärt worden ist, entspricht genau dem Inhalt der Verträge, die wir hier vorgelegt haben. ({14}) - Wenn Sie sagen, das sei nicht der Fall, kann ich nur feststellen, daß Sie die Verträge entweder nicht gelesen haben oder wider besseren Wissens bewußt immer wieder falsche Behauptungen aufstellen. ({15}) Was die Auslegung betrifft, wissen Sie ganz genau, daß der Verdacht, hier sei das Grundgesetz verletzt worden, von einer Reihe Staats- und Völkerrechtlern in aller Deutlichkeit zurückgewiesen worden ist. Ich erinnere nur an das, was Professor Kriele dazu gesagt hat, ohne das hier im einzelnen vorzulesen. Sie sagen immer, Unverletzlichkeit bedeute, daß die Grenzen nicht verändert werden könnten. Genau das ist falsch. Richtig ist vielmehr, daß die Sowjetunion solche Forderungen und eine Reihe anderer zwar früher aufgestellt hat, daß diese früheren Forderungen aber gerade durch diesen Vertrag vom Tisch gewischt sind. Die Sowjetunion hat einmal einen Katalog von 18 Einzelforderungen aufgestellt und ihre Erfüllung als Voraussetzung für einen Gewaltverzicht bezeichnet. Dazu zählten u. a. die bedingungslose Anerkennung der DDR, die Feststellung - so hatte sie gefordert - der Unveränderlichkeit der Grenzen und die Definition West-Berlins als besondere politische Einheit. Darüber hinaus hat sie noch am 21. November 1967 in einem Memorandum erklärt, daß die Feindstaatenklauseln ihr volle Gültigkeit behalten sollten. Alle diese ursprünglichen Forderungen der Sowjetunion sind in den Verhandlungen in Moskau durch Bahr und Scheel vom Tisch gebracht worden, und im Vertrag ist eben nicht von „Unveränderlichkeit", sondern von „Unverletzlichkeit" der Grenzen die Rede. Ich habe diesen Punkt deshalb so breit ausgeführt, weil Sie, meine Damen und Herren von der CDU/ CDU, draußen im Lande im Gegensatz zu dem, was hier gesagt wird, gerade die Frage der Unverletzlichkeit der Grenzen als einen der entscheidenden Punkte herausstellen und die Menschen immer wieder glauben machen wollen, daß mit dieser Bestimmung eine einvernehmliche Änderung der Grenzen, eine Veränderung der Grenzen durch gemeinsames Handeln zweier Staaten, ausgeschlossen sei. Gerade das ist nicht ausgeschlossen. Mit diesen Verträgen ist jede Grenzveränderung, die einvernehmlich geschieht, weiterhin möglich. ({16}) - Verehrter Herr Kollege Stücklen, wenn Sie sagen: so wie Gromyko mit Polen, ({17}) kann ich nur sagen: wenn Sie die politische Arbeit einer deutschen Bundesregierung so beurteilen, dann richten Sie sich damit selbst. ({18}) Meine Damen und Herren, es ist auch die Forderung aufgestellt worden, in dem Vertrag müsse die Selbstbestimmung aufgeführt werden. Es wird behauptet, diese Verträge ignorierten die Selbstbestimmung. Das trifft nicht zu. In diesem Vertrag ist durch den Bezug auf die Präambel der Charta der Vereinten Nationen und durch den Brief klargestellt worden, daß das Selbstbestimmungsrecht nicht eingeschränkt wird. Durch keinerlei materiellen Beweis können Sie hier der Behauptung Nahrung geben, daß wir mit diesen Verträgen das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes in Frage stellen. ({19}) - Verehrter Herr Kollege Kiesinger, Sie sagen, die Russen hätten die Breschnew-Doktrin nicht aufgegeben. ({20}) - Ich habe nicht gesagt, daß sie sie aufgegeben haben. Ich stelle nur fest, daß die Behauptung falsch ist, wir könnten unser Ziel, die deutsche Einheit zu erreichen, vertraglich nicht weiter verfolgen. Es wurde sogar behauptet, wenn wir das täten, wäre das vertragswidrig. Diese Behauptung ist falsch. Sie sagen dann, der Brief, den der Bundesaußenminister heute zitiert hat, habe keine rechtliche Bedeutung, er sei nicht relevant, er sei nicht ausreichend. Ich darf Sie daran erinnern, was Bundeskanzler Adenauer in der 101. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages am 22. September 1955 zur Wirksamkeit des Briefes sagte, den er damals überreichen ließ. Er hat damals im Deutschen Bundestag wörtlich gesagt: Bei den Vorbehalten handelt es sich um eine deutsche Rechtsverwahrung. Für eine solche ist eine einseitige Erklärung der Bundesregierung ausreichend. Diese Erklärung muß nur der anderen Seite zugegangen sein. Dies ist geschehen, und die deutschen Vorbehalte sind damit völkerrechtlich wirksam geworden. Die Erklärung muß nicht etwa, um völkerrechtlich wirksam zu sein, von der Gegenseite angenommen werden. So hat Adenauer zu dem damaligen Brief im Bundestag Stellung genommen. ({21}) - Sie sagen: Er hat damals nichts verhökert. Jetzt geht es um die Frage: Ist die Wirksamkeit eines solchen Briefes für Sie etwa davon abhängig, ob Sie selbst in der Regierung sitzen oder nicht? Die Auslegung kann doch nur die gleiche sein. ({22}) Meine Damen und Herren, auch bei dem deutschpolnischen Vertrag geht es nicht darum, Grenzen endgültig anzuerkennen oder, wie es manchmal in den öffentlichen Diskussionen gesagt wird, begangenes Unrecht, auch an den Vertriebenen, etwa zu legitimieren. Es geht doch nicht darum, eine Aufrechnung des Unrechts vorzunehmen. Es geht nur darum, mit diesen Verträgen den Versuch zu machen, die Lage in Europa zu verbessern. Die Regierung der Volksrepublik Polen ist sich auch bewußt, daß die Regierung der Bundesrepublik keine rechtsverbindlichen Erklärungen für einen möglichen gesamtdeutschen Souverän abgeben kann. Der damalige stellvertretende polnische Außenminister Winiewicz hat im November 1971 vor der Gesellschaft für auswärtige Politik in Bonn wörtlich gesagt - eine Reihe Kollegen haben daran teilgenommen -: Dieser Vertrag bindet nur die Bundesrepublik Deutschland. Ob wir jemals zu einer friedensvertraglichen Regelung für Gesamtdeutschland kommen, ist zur Zeit eine rein hypothetische Frage. Auf Befragen hat Herr Kollege Schröder dazu gesagt: „Das hat er sehr geschickt gesagt, und das können wir akzeptieren". Wenn Sie das akzeptieren, dann muß aber doch auch endlich Schluß sein mit der Behauptung, mit diesem Vertrag würden endgültige Grenzregelungen vorgenommen. Auch dieser Vertrag läßt Deutschen und Polen die Möglichkeit offen, über diese Frage zu verhandeln, wenn sich diese Möglichkeit aus der weiteren Entwicklung ergibt. Nun ist schon davon gesprochen worden, daß die Ausfüllung des deutsch-polnischen Vertrages von beiden Seiten bereits versucht worden sei, daß hier die Familienzusammenführung in Gang gesetzt worden ist, über deren Tempo man unterschiedlicher Meinung sein mag. ({23}) - Natürlich sind wir unterschiedlicher Meinung gegenüber Polen. Das ist doch wohl so. - Wir müssen selbstverständlich immer wieder um Verständnis für unser Drängen bitten, allen Ausreisewilligen möglichst schnell die erforderliche Genehmigung zu erteilen. Allerdings - und das gehört zur Beurteilung der Fakten - dürfen wir die Probleme nicht verkennen, die für Polen in manchem regionalen Bereich daraus entstehen. Wer aber heute den Vertrag mit der Volksrepublik Polen nicht will, muß sich doch wenigstens im klaren darüber sein, daß er die Fronten verhärtet und die Familienzusammenführung damit nicht erleichtert, sondern im Gegenteil behindert. Meine Damen und Herren, alles, was wir heute von der Opposition bisher gehört haben, macht deutlich, daß sie auf ihren alten Positionen beharrt. Ich bin nicht davon ausgegangen, daß die heutige Debatte oder vielleicht auch die Beratungen sie grundsätzlich von ihrem Standpunkt abbringen wird. Nur eines muß sich jeder selber als Frage vorlegen: ob er mit der Zustimmung zu den Verträgen den Status quo in Europa überwinden helfen will oder ob er mit der Ablehnung der Verträge, durch Zementierung des Status quo und damit durch den Rückfall in den kalten Krieg, wieder die wenigen Chancen, die sich jetzt bieten, endgültig begraben will. Nur mit Rechtsvorbehalten, wie sie hier von der CDU/CSU wiederum geäußert worden sind, kann man keine Politik machen. ({24}) Es geht heute darum, die Grenzen erträglicher zu machen. Das geschieht durch die Verträge. In diesem Sinne halten wir die Verträge für richtig, weil notwendig und unseren Interessen förderlich. Das gilt nach unserer festen Überzeugung nicht nur für die Bundesrepublik Deutschland, sondern das gilt für das ganze deutsche Volk. ({25})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Stücklen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Mischnick hat sehr viel Zeit seiner Ausführungen dafür aufgewandt, daß er uns klarmachen wollte, daß dieser Vertrag nur eine Interpretation hat, nur eine Auslegungsmöglichkeit erlaubt. Diese hat er hier in einzelnen Punkten dargelegt. Herr Kollege Mischnick, ich bezweifle gar nicht, daß das Ihre ehrliche Auffassung, Ihre Überzeugung ist. Aber der Vertragspartner, der bisher auch in der Öffentlichkeit eine unterschiedliche Auslegung zu erkennen gegeben hat, sind nicht Sie, Herr Mischnick, sondern ist die Sowjetunion. Und darauf kommt es an, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({0}) Der Herr Bundeskanzler und der Herr Außenminister haben heute morgen sehr viel von Frieden, Entspannung und Versöhnung gesprochen. Eine Politik dient nur dann dem Frieden, wenn sie darauf gerichtet ist, neben dem Ausschluß von Gewalt auch gleichzeitig das Recht zu wahren und die Freiheit zu sichern. Eine Politik dient nicht nur dann der Entspannung, wenn sie darauf gerichtet ist, die Ursachen der Spannung zu beseitigen. ({1}) Eine Politik dient nur dann der Versöhnung, wenn sie es den Menschen ermöglicht, zueinander zu finden, denn es sind die Menschen und nicht die Staaten, die die Versöhnung auf Dauer begründen. Ich kenne die Behauptung des Herrn Bundeskanzlers - ich kenne den Grund, warum er im Augenblick nicht anwesend sein kann, ich richte aber trotzdem meine Worte an ihn -, daß diese Verträge den Frieden sicherer machen. Das ist eine Behauptung, die durch nichts und schon gar nicht durch die geschichtliche Entwicklung erwiesen ist. ({2}) Ich habe die ernsthafte Befürchtung, daß diese Verträge nicht den Frieden sicherer machen, sondern daß unsere Sicherheit in Freiheit mit diesen Verträgen gefährdet wird. ({3}) Diese Politik führt auch nicht zur Entspannung, denn sie schreibt die Ursachen der Spannungen fest. Diese Ostverträge sind auch kein Beitrag zur Versöhnung, denn sie zementieren die Trennung der Menschen durch Mauer und Stacheldraht. Die Ostpolitik dieser Regierung ist illusionär, weil sie versucht, das Unvereinbare zu vereinen: Eine gesamteuropäische Friedensordnung mit Moskau als Hegemonialmacht, mehr Rechte für den Menschen ohne Achtung der Menschenrechte, mehr Freizügigkeit ohne Durchlässigkeit der Grenzen. Heute, wo sich uns die Frage stellt, wohin diese Politik führt, wo wir mit tiefer Sorge in die Zukunft blicken müssen, ist nicht der Tag, um die Vergangenheit zu beschwören. Dennoch ist es notwendig, eines hier festzuhalten: Es war die geschichtliche Leistung von Adenauer, der die Friedenspolitik in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa mitbegründet hat, es war die Leistung von 20 Jahren Politik der CDU/CSU, den Frieden für Deutschland zu sichern und die Freiheit für uns zu bewahren. ({4}) Ihre Haltung, Herr Bundeskanzler, die Haltung Ihrer Regierung und Ihrer Partei zu dieser von Konrad Adenauer begründeten Friedenspolitik der CDU/ CSU ist genauso zwiespältig wie Ihre heutige Politik. Einerseits behaupten Sie, Sie führten die Kontinuität jener Politik fort, also die Politik von Adenauer, Erhard und Kiesinger; auf der anderen Seite verketzern Sie diese Politik als Politik der Erstarrung, der Unbeweglichkeit und behaupten, Sie seien es, die Deutschland jetzt aus einer Sackgasse der Stagnation herausführen müßten. ({5}) Beides ist falsch, meine Damen und Herren! ({6}) Weder wahren Sie die Kontinuität unserer Friedenspolitik, noch hat diese Friedenspolitik der CDU/CSU je in eine Sackgasse der Stagnation geführt. ({7}) Geduld, meine sehr verehrten Damen und Herren und besonders Herr Bundeskanzler und jetzt stellvertretend Herr Außenminister, ist keine Stagnation! Eine Politik ist noch lange nicht schon deswegen gut, weil sie überhastet durchgeführt wird. ({8}) Nur wenn auf beiden Seiten-das ist eine der grundlegenden Fragen, die das gesamte Vertragswerk so schwierig machen, die auch die Verhandlungen so schwierig gestalten mußten - die gleichen Wertvorstellungen über die unverzichtbaren Grundrechte des Menschen und über das Zusammenleben der Völker bestehen, ist eine dauerhafte - ich betone: dauerhafte! - Ordnung in Frieden und Freiheit zu begründen. Ungeachtet der nicht vorhandenen Übereinstimmung in diesen Grundwerten sind wir von der CDU/CSU bereit, im Interesse der Menschen nach Mitteln und Wegen zu suchen, um wenigstens vorläufige Regelungen zu finden. ({9}) Solange aber die andere Seite ihre ideologisch untermauerte Machtpolitik beibehält, ist äußerste Vorsicht am Platze. Sicherheit ist nach wie vor das vordringliche Gebot der Stunde. Wer diese Notwendigkeit in den Hintergrund treten oder gar außer acht läßt, kann plötzlich vor einer verhängnisvollen Entwicklung stehen. Ich weiß, wer heute auf die bolschewistische Gefahr in Deutschland aufmerksam macht, kommt leicht in den Verdacht, ein kalter Krieger zu sein, und wird von bestimmter Seite verketzert und verdammt. ({10}) - Da ändern auch Sie, Herr Wehner, mit Ihrem Zwischenruf nichts an dieser Situation. ({11}) Dies wird mich aber nicht abhalten, den Kommunismus so zu sehen und so zu beurteilen, wie er sich verhält und wie er sich programmatisch offenbart. Die Weltrevolution ist nach wie vor das Ziel des Kommunismus. Die Nachkriegspolitik der Sowjetunion liefert dafür eine Reihe unwiderlegbarer Beweise. In all den heute kommunistischen Staaten im Bereich des Warschauer Paktes war die kommunistische Partei jeweils in der Minderheit, und heute ist sie mit sowjetrussischer Unterstützung die allein beherrschende Staatspartei geworden. Ich erinnere an die tragischen Schicksalstage, die wir in Europa erlebten. Ich denke an den 17. Juni 1953, an die Niederwerfung des Ungarnaufstandes 1956, den Mauerbau am 13. August 1961 und zuletzt an den 21. August 1968, den völkerrechtswidrigen Überfall auf die Tschechoslowakei. Der Überfall auf einen Verbündeten des Warschauer Paktes erfolgte, obwohl es im Art. 8 dieses Paktvertrages heißt: Die vertragschließenden Seiten erklären, daß sie im Geiste der Freundschaft, Zusammenarbeit für die Weiterentwicklung und Festigung der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen untereinander in Befolgung der Grundsätze der gegenseitigen Achtung ihrer Unabhängigkeit und Souveränität und der Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten handeln werden. ({12}) Herr Breschnew hat noch im Juni 1968 einer tschechoslowakischen Parlamentsdelegation unter Führung des tschechoslowakischen Parlamentspräsidenten Josef Smrkowski angeboten, ein internationaler Gerichtshof möge die Interventionsgelüste, die der Sowjetunion unterstellt werden, überprüfen. Niemals, so erklärte Herr Breschnew damals, habe die Sowjetunion auf die innere Politik ihrer Nachbarn Einfluß nehmen wollen. Sie habe das 1956 in Polen nicht getan. Warum sollte sie es jetzt gegenüber der Tschechoslowakei tun? ({13}) Zwei Monate später standen die sowjetischen Panzer in Prag. ({14}) - Herr Eppler, ob Sie die kommunistische Gefahr so sehen wie ich, ist völlig gleichgültig. Sie müssen mir nur gestatten, daß ich nicht blind über die historischen Daten der letzten 25 Jahre hinweggehe und so tue, als ob es überhaupt keine bolschewistische Gefahr in dieser Welt gäbe. ({15}) Nur dann, wenn wir die Situation richtig einschätzen, können wir Demokraten, die wir doch alle sind - ich mache keinem einzigen hier in diesem Hause einen Vorwurf -, können wir dieser Gefahr auch begegnen.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Stücklen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Matthöfer?

Hans Matthöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001439, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Können Sie mir sagen, warum auch die CSU mit solchen Leuten einen Vertrag abschließen will?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Matthöfer, wir werden und würden auch einen Vertrag abschließen. Auf den komme ich gleich zu sprechen. Ich sage nur, wir dürfen nicht die Augen vor den tatsächlichen Verhältnissen und Zielsetzungen des Bolschewismus verschließen. ({0}) Die Bundesregierung glaubt mit ihrer Verhandlungspolitik, diese in wenigen Beispielen angeführten, leider auch bestehenden Realitäten überspielen zu können. Wir befürchten - und dies ist eine unserer großen Sorgen -, daß diese Politik der Bundesregierung uns nach ihrem inneren Gesetz, nach ihrer eigenen Logik mit zwingender geschichtlicher Automatik aus dem Verband des freien Westens lösen wird. Die Frage ist nicht, ob Herr Brandt und Herr Scheel das wollen, die Frage ist, wohin die Gleise führen, auf die Sie unseren Zug gesetzt haben. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht der deutsch-sowjetische Vertrag sichert uns den Frieden, sondern Frieden, Freiheit und Sicherheit garantiert jenes Bündnis, das trotz des erbitterten Widerstandes der SPD von Adenauer mit der CDU/ CSU geschaffen wurde. ({2})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Stücklen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Eppler?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Eppler, wenn Sie mich zu häufig mit Zwischenrufen unterbrechen oder Zwischenfragen stellen, würde ich doch bitten, daß Sie mir das rechtzeitig anzeigen, damit ich einen Absatz zu Ende bringen kann. - Bitte schön!

Dr. Dr. h. c. Erhard Eppler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000484, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Stücklen, angenommen, es wäre so, daß diese Politik den Zusammenhalt des Westens und des Bündnisses schwächen würde, wie erklären Sie es sich dann, daß das keiner unserer Verbündeten bisher gemerkt hat? ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Wehner, wenn ich diesen Zwischenruf so auffaßte, wie er von Ihnen gemeint wird, wäre ich durchaus in der Lage, zu sagen - ohne überaus bösartig zu sein -: Sie müssen das ja wissen. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum die Verbündeten noch nicht auf diese Idee gekommen sind? Heute früh waren Sie ja auch wieder von Ihrem Nachrichtendienst falsch informiert. Warum die westlichen Alliierten - Sie meinen die Amerikaner, die Engländer und Franzosen, als die drei Großen - noch nicht auf diese Idee gekommen sind? Ich nehme an, daß Sie - da sie nicht Skatspieler sind und keine Zeit für diesen Sport aufwenden müssen in der Lage sind, sehr viel von dem zu lesen, was sehr gewichtige Staatsmänner und was vor allen Dingen der Generalsekretär der NATO, Herr Brosio, ebenso wie Herr Luns in den letzten Wochen an Warnungen bezüglich der Sicherheit in Europa ausgesprochen haben. ({1}) Ich wiederhole, nicht dieser Vertrag gibt uns die Sicherheit, gibt uns mehr Frieden und sichert unsere Freiheit, sondern das ist das Bündnis mit der freien Welt in der NATO. Die Regierungspropaganda - und jetzt komme ich auf den Kernpunkt, der in den vergangenen Wochen und Monaten wie ein roter Faden durch die Aktionen der Regierung und der Koalition gegangen ist ({2}) die Regierungspropaganda und die Koalitionsparteien versuchen in massiver Weise, der Öffentlichkeit zu suggerieren, die Regierungsseite sei für eine Friedenspolitik und die CDU/CSU sei dagegen. In ganz infamer Weise - ich weiß wohl, welchen Ausdruck ich hier benutze ({3}) ist dies jetzt im baden-württembergischen Wahlkampf geschehen. Da behauptet die SPD in großen Zeitungsanzeigen, ({4}) die CDU wolle nicht den Frieden, und stellt noch die Frage - und jetzt bekommen Sie eine anständige Antwort -: Was hat die CDU mit Deutschland vor? Das ist die Frage, die in dieser Zeitungsanzeige in Baden-Württemberg veröffentlicht worden ist: Was hat die CDU mit Deutschland vor? ({5})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Stücklen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mattick?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich wäre sehr dankbar, wenn ich wenigstens immer einen Gedanken zu Ende führen könnte. ({0}) - Herr Wehner, das liegt doch nicht an mir, das liegt doch vielleicht an Ihnen - um wiederum höflich zu sein. - Aber Herr Mattick, bitte!

Kurt Mattick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Stücklen, kann es denn etwas Infameres geben, als der Bundesregierung und der Bundestagsmehrheit zu unterstellen, daß sie entweder beabsichtige oder nicht übersehe, daß ihre Politik die Bundesrepublik dem Bolschewismus ausliefere?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darauf komme ich jetzt. Sie haben ein Manuskript, das der Presse gegeben worden ist, schon vorher eingesehen und sind schon um drei, vier Sätze vorweg. ({0}) Ich werde das wiederholen, was ich dazu zu sagen habe. Ich hätte gedacht, Herr Mattick, Sie würden hier vor diesem Haus erklären, daß Sie solche Anzeigen, wie sie hier gemacht worden sind, z. B.: „Die Welt sagt ja zur Friedenspolitik - Die CDU ist dagegen" - -({1}) - Was? Moment, wir werden Ihnen schon Bescheid sagen, meine Herren. - „Was hat die CDU mit Deutschland vor?" ({2}) Diese Ungeheuerlichkeit, diese Unterstellung bedarf keines Kommentars und disqualifiziert ihre Urheber. Die Frage aber, die hier von der SPD gestellt wird, will ich gern von dieser Stelle aus einmal hart und unmißverständlich beantworten. Sie lautet: Wohin führt die CDU Deutschland? Die CDU und CSU wird Deutschland weder in den Sozialismus noch in den Bolschewismus führen. ({3}) Wir werden uns allen Kräften widersetzen, die darauf abzielen, die freiheitlich-demokratische Ordnung unserer Gesellschaft auszuhöhlen oder gar zu zerstören. ({4}) Wir werden wie in den zwei Jahrzehnten zuvor dafür sorgen, ({5}) daß die persönliche Freiheit des einzelnen nicht eingeengt wird und daß der Bürger unsere Landes in Ruhe und Frieden und in einem geordneten, modernen Staat leben kann. ({6}) Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die von Ihnen, von der SPD, provozierte Antwort auf Ihre Anzeige in Baden-Württemberg.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Stücklen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe nichts dagegen. Ich kann dann einmal einen Schluck Wasser nehmen. - Bitte schön.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. Herr Kollege Stücklen, darf ich Sie dann so verstehen, daß Sie Deutschland wieder zurück nach Preußen führen wollen, da Sie die letzten Preußen sowieso schon da haben? ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrter Herr Kollege, da ich nicht die Gouvernante meines Landesvorsitzenden bin und mir bewußt ist, wie wortgewaltig er ist, und ich weiß, daß er morgen zur richtigen Zeit hier an dieser Stelle stehen wird, kann ich Ihnen nur sagen, daß er Ihnen dann vermutlich auf Ihre Frage eine authentische, unmittelbare Antwort geben wird. ({0}) Meine Damen und Herren, der Verleumdungskampagne, die CDU/CSU sei gegen eine Friedenspolitik, stellen wir die geschichtlichen Fakten gegenüber. Wir von der CDU/CSU haben schon eine aktive Ostpolitik betrieben, als die SPD noch nein zu Adenauers Westpolitik sagte und zu Beginn der fünfziger Jahre die Straße gegen unsere Bündnispolitik mit dem Westen mobilisierte, ({1}) gegen ein Westbündnis, von dem selbst diese Regierung eingestehen muß - und das hat der Herr Bundesaußenminister wiederholt getan, der Bundeskanzler ebenfalls -, daß es die Grundlage einer Ostpolitik überhaupt ist. Vor 17 Jahren hat sich Bundeskanzler Adenauer in Zusammenhang mit dem Abschluß der Pariser Verträge zu einer Politik des Gewaltverzichts einschließlich des Verzichts auf die ABC-Waffen, also auf die Massenvernichtungswaffen, Atomwaffen und andere, verpflichtet. Viele Jahre, bevor von einem Atomwaffensperrvertrag überhaupt die Rede war, hat die CDU/CSU unter Adenauer bereits auf diese Massenvernichtungswaffen für Deutschland verzichtet. Ich bin überzeugt, daß dies ein ganz entscheidender Beitrag zur Friedenspolitik in Europa nicht nur nach dem Westen, sondern nach dem Osten ebenfalls war. Diese Politik hat die CDU/CSU stets bekräftigt bis hin zu Erhards Friedensnote von 1966 und bis zu Kiesingers Vorschlägen für den Austausch von Gewaltverzichtserklärungen. Es war die Politik der CDU/CSU, die mit unseren östlichen Nachbarstaaten die wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Bindungen angebahnt und entwickelt hat. Es war Konrad Adenauer, der 1955 die diplomatischen Beziehungen zu Moskau herstellte, ohne einen Preis zu bezahlen, der dafür aber 10 000 deutsche Kriegsgefangene in die Heimat zurückführte. ({2}) Konrad Adenauer und die Ostpolitik der CDU/CSU haben dabei stets die Freiheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland gewahrt, das Selbstbestimmungsrecht für alle Deutschen gesichert ({3}) und die deutsche Frage offengehalten. Einen solchen Vertrag mit Moskau, wie ihn die Bundesregierung heute diesem Hohen Hause vorlegt, hätte Konrad Adenauer schon vor 17 Jahren haben können. ({4}) Aber ein Bundeskanzler Konrad Adenauer hätte niemals seine Unterschrift unter einen solchen Vertrag gesetzt, der die Forderungen der Sowjets erfüllt und für die nationalen Anliegen des deutschen Volkes nur wenig bis nichts bringt. ({5}) Die CDU und die CSU wissen durchaus, wie eine Gewaltverzichtspolitik aussehen muß, die die gerade Linie der Friedenspolitik Adenauer/Erhard/Kiesinger fortsetzt. Wir von der CSU, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben darum den Entwurf zu einem echten Gewaltverzichtsvertrag vorgelegt, während sich der von Ihnen, Herr Bundeskanzler und Herr Außenminister, abgeschlossene Moskauer Vertrag nicht einmal mehr in der Überschrift „Gewaltverzichtsvertrag" nennen darf, zumal da die Sowjetunion in diesem Vertrag nicht auf ihre auf die Feindstaatenklausel der UN-Charta gestützten Interventionsansprüche verzichtet. In Übereinstimmung mit dem NATO-Kommuniqué vom Dezember 1971 geht es uns um eine Entspannung durch Beseitigung der Ursachen der Spannung. Uns geht es im Gegensatz zum Moskauer Vertrag nicht nur um die friedliche Zusammenarbeit zwischen den Staaten, sondern um die Zusammenarbeit in ganz Europa. Hier ist auch die von der CDU/CSU angestrebte politische Union des freien Europa mit eingeschlossen. Unser Vertragsentwurf bezieht sich auch ausdrücklich auf die Ergebnisse der Verhandlungen, die Bundeskanzler Adenauer 1955 in Moskau geführt hat. Und da ist eine Richtigstellung dessen am Platze, was vom Kollegen Mischnick in etwas unklarer Form behandelt worden ist, was aber als eine klagende Anfrage vom Außenminister heute morgen vorgetragen worden ist. Der Herr Außenminister hat hier mitgeteilt, daß die CDU/CSU zu den Verhandlungen nach Moskau bzw. später dann nach Warschau eingeladen worden sei. - Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich lese Ihnen den entscheidenden Passus des betreffenden Briefes vor: ({6}) Die Vertreter der Fraktionen werden nicht Mitglieder der offiziellen Verhandlungsdelegation sein. ({7}) Das ist der wahre Tatbestand der Einladung zu den Verhandlungen nach Moskau und später nach Warschau. ({8}) Im übrigen war, meine Damen und Herren, als Herr Außenminister Scheel nach Moskau fuhr, um die Verhandlungen abzuschließen und um zu paraphieren, materiell von dem Verhandlungsvorläufer, Herrn Bahr, bereits alles restlos geregelt. ({9}) Das, was Herrn Außenminister Scheel übrigblieb, war, noch etwas Kosmetik in diesen Vertrag hineinzubringen. ({10}) Materiell und inhaltlich konnte er nichts mehr ändern. ({11}) Nun, meine Damen und Herren, will ich Ihnen einmal sagen, wie sich die Regierung Adenauer bei einer ähnlichen Siuation im Jahre 1955 verhalten hat. Ich sehe meinen verehrten Kollegen Professor Carlo Schmid unter uns. Adenauer hatte auch hervorragende Mitglieder aus allen Fraktionen zu den Verhandlungen eingeladen. Herr Professor Carlo Schmid, Sie saßen mit am Verhandlungstisch. ({12}) Ich weiß - und das rechne ich Ihnen als Verdienst an -, daß Sie in einer sehr kritischen Situation dem Bundeskanzler zur Seite gestanden und die Verhandlungen erfolgreich mit zum Abschluß gebracht haben. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat als Einladung an eine Fraktion, an den Verhandlungen über einen Vertrag mit der Sowjetunion teilzunehmen, einen Sinn. ({13})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001993, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Stücklen, wenn Sie Ihr Gedächtnis anstrengen - wollen Sie das tun? -, ({0}) wird Ihnen vielleicht einfallen Stücklen ({1}) : Ja, bitte, ich bin ja in permanentem Training.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001993, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- ich muß ja eine Frage stellen -, daß der Herr Kollege Kiesinger und ich nicht nach Fraktionsproporz eingeladen wurden, sondern er als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, ich als sein Stellvertreter, ({0}) und daß die Teilnahme an den Verhandlungen darin bestand, daß wir manchmal mit zu Tisch saßen. Was Sie freundlicherweise in Erinnerung gebracht haben, nämlich meine Intervention für die Kriegsgefangenen, erfolgte nicht etwa auf Grund einer Tagesordnung, sondern da habe ich mich, als die Konferenz zu platzen drohte, schlicht erhoben und gesprochen. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Professor Carlo Schmid, ich bedanke mich, daß Sie den Kern meiner Ausführungen bestätigen. Selbstverständlich hätte ich nie daran gedacht, daß Sie sich wie ein Hinterbänkler an den Verhandlungstisch setzen und nicht zum richtigen Augenblick, ob gefragt oder nicht gefragt, das sagen, was Sie für richtig halten. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Stücklen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg? ({0}) Stücklen ({1}): Ja, bitte sehr!

Dr. Max Schulze-Vorberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002112, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Stücklen, ist Ihnen bekannt, daß Bundeskanzler Adenauer in seinen „Erinnerungen" die Ausführungen von Professor Carlo Schmid in Moskau, zu denen nach Adenauers „Erinnerungen" er, der Bundeskanzler, ihn aufgefordert hatte, er möchte auch sein Wort dazu sagen, für so wichtig gehalten hat, daß er sie im vollen Wortlaut in seinen „Erinnerungen" abdruckt, daß aus dieser Einlassung von Professor Carlo Schmid hervorgeht: „Wir sprechen hier bei allen parteipolitischen Verschiedenheiten für das ganze deutsche Volk", und daß diese bedeutende Rede von Professor Carlo Schmid in dem tausendseitigen Band über die Auswärtige Politik der Bundesrepublik Deutschland, den das Auswärtige Amt gerade herausgegeben hat, mit keinem Wort erwähnt ist? ({0}) Der Band wurde gerade jetzt von Herrn Scheel herausgegeben. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schulze-Vorberg, ich kann Ihre Frage bejahen, ich kann aber noch hinzufügen, daß diese Regierung zwar sehr viel von Demokratie spricht, daß aber andere Regierungen Demokratie praktisch durchgeführt haben. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Vertragsentwurf - das ist der Vertragsentwurf, den die CSU erarbeitet hat und der allen Abgeordneten zugegangen ist - bezieht sich ausdrücklich auch auf die Ergebnisse der Verhandlungen, die Bundeskanzler Adenauer 1955 in Moskau geführt hat. Adenauer hatte am 14. September 1955 gegenüber Bulganin erklärt: 1. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Sowjetunion stellt keine Anerkennung des derzeitigen beiderseitigen territorialen Besitzstandes dar. Die endgültige Festsetzung der Grenzen Deutschlands bleibt dem Friedensvertrag vorbehalten. 2. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Regierung der Sowjetunion bedeutet keine Änderung des Rechtsstandpunktes der Bundesregierung in bezug auf ihre Befugnisse zur Vertretung des deutschen Volkes in internationalen Angelegenheiten und in bezug auf die politischen Verhältnisse in denjenigen deutschen Gebieten, die gegenwärtig außerhalb ihrer effektiven Hoheitsgewalt liegen. ({1}) In unserem Vertragsentwurf haben wir auf diese Erklärung Adenauers gegenüber Bulganin Bezug genommen, und zwar in der Präambel. Herr Außenminister Scheel, der entscheidende Unterschied zwischen Ihrem Brief, den Sie an den Außenminister Gromyko gerichtet haben und in dem es um das geht, was in dem zweiten Punkt des AdenauerBriefes angesprochen ist, und dem Brief Adenauers an Bulganin ist folgender: Der Brief ist Ihnen nicht vor die Füße geworfen worden, er ist also angenommen worden und sicherlich irgendwo abgelegt, und dabei hat es sich mit Ihrem Brief! Der Brief Adenauers an Bulganin dagegen ist ausdrücklich von Bulganin bestätigt und beantwortet worden; Bulganin bezieht sich insbesondere auf den Absatz, in dem von dem Recht des deutschen Volkes auf die staatliche Einheit die Rede ist. Meine Damen und Herren, so stellt sich auch der Unterschied zwischen dem Vertrag, den Sie uns zur Ratifizierung vorgelegt haben, und unserem Vertragsentwurf dar. Der Herr Außenminister hat hier heute morgen provokatorisch erklärt: Wo ist eure Alternative, wo habt ihr eure Ostpolitik? Wir haben diese Alternative auf den Tisch gelegt. Der Text unseres Vertragsentwurfes ist staats- und völkerrechtlich so einwandfrei, daß er bisher von keiner Seite - weder von der Regierung noch von der Koalition, von SPD oder FDP - irgendeine Beanstandung erfahren hat. Lediglich Polemik haben wir gegen diesen unseren Vertragsentwurf erfahren. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit Polemik kommen wir aber bei einer so schwerwiegenden, weittragenden und schicksalhaften Entscheidung wie der über diese Verträge nicht zurecht. ({2})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Stücklen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mattick?

Kurt Mattick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Stücklen, können Sie sich daran erinnern, daß die deutsche Bundesregierung auf Grund dieses Verfahrens mit der Sowjetunion einen Konsularvertrag abgeschlossen hat? Und erinnern Sie sich auch an die klassischen Worte Ihres Staatssekretärs, des Herrn Lahr, damals im Auswärtigen Ausschuß, daß es den Berlinern wohl zuzumuten ist, auch in Zukunft auf die Konsularverträge der deutschen Bundesregierung zu verzichten? ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Mattick, ich hätte es gern gesehen, wenn wir die Debatte jetzt auf den Bereich beschränkt hätten, den ich angeführt habe. Den anderen Bereich, auf den Sie sich jetzt beziehen, habe ich nicht angeführt. Ich habe auch die entsprechenden Unterlagen nicht mit. Ich höre aber mit großer Befriedigung, daß mein Kollege Marx morgen auch auf diese Frage eingehen wird. Ich möchte eine Ausführung, die heute unser Fraktionsvorsitzender, Herr Dr. Barzel, hier gemacht hat, noch einmal unterstreichen und mit besonderem Nachdruck vortragen: In jenem Brief Bulganins ist uns von sowjetischer Seite das Recht auf staatliche Einheit, auf Wiedervereinigung zugestanden worden. Diese Position, die Adenauer gegenüber der Sowjetunion errungen hat, ist von dieser Regierung leichtfertig wieder preisgegeben worden. ({0}) Der CSU-Vertragsentwurf stellt eindeutig fest, daß es zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion strittige und unterschiedlich bewertete Fragen gibt, zu deren späterer friedlicher Lösung der erklärte Ausschluß der Gewaltanwendung beitragen soll. Hier zeigt sich deutlich die Kontinuität des CSU-Vertragsentwurfes mit der deutschen Friedenspolitik von Adenauer, Erhard und Kiesinger. Ich möchte mich hier noch auf eine Erklärung des damaligen Außenministers Willy Brandt vom 13. Dezember 1967 vor dem Deutschen Bundestag beziehen. Da der Bundeskanzler nicht dasein kann, möchte ich es mir ersparen, hier zu zitieren. Ich möchte die Erklärung nur inhaltlich wiedergeben. Willy Brandt war der Meinung, daß die strittigen Fragen nicht präjudiziert werden dürften und daß ein Klima geschaffen werden sollte, daß der Lösung der eigentlichen Sachprobleme dienlich sei. Diese Politik hat der Außenminister Willy Brandt in der letzten Legislaturperiode vertreten, aber in dieser Legislaturperiode als Kanzler aufgegeben. Die Sowjetunion sieht in dem Moskauer Vertrag eine endgültige Lösung von Sachfragen. Dafür gibt es Stimmen aus der Sowjetunion und aus dem kommunistischen Machtbereich, aus dem Machtbereich des Warschauer Paktes. Es ist eben nicht interessant genug, daß Herr Mischnick hier eine andere eindeutige Auslegung vertritt. Ich versage es mir, hier Zitate anzuführen, angefangen vom Bundeskanzler und von Kurt Schumacher, der in einer Erklärung zum Ausdruck gebracht hat: „Die Sozialdemokraten haben als erste erklärt, daß sie niemals die OderNeiße-Linie anerkennen." Ich verzichte auch darauf, in vollem Umfange das Zitat zu bringen, in dem Herr Brandt, Herr Wehner und Herr Ollenhauer anläßlich des Schlesier-Treffens erklärt haben, Verzicht sei Verrat. Ich möchte auch nicht das Zitat von Ihnen bringen, Herr Kollege Wehner, in dem Sie gesagt haben, wer auf diese Gebiete verzichte, sei ein Strolch. ({1}) Ich möchte aber ein Zitat hier vortragen - und das muß ich wörtlich bringen - über die Grenzfrage. So sagte Bundeskanzler Brandt, damals Parteivorsitzender, noch nicht Außenminister: „Über die Grenzfrage wird sich eine von der SPD gebildete Bundesregierung nicht äußern und auch keinen Verzicht anbieten." Und das in Pirmasens am 23. Mai 1965. Ich frage mich nur: Wenn die Versicherungen von gestern so schnell vergessen sind bei diesem Bundeskanzler, wie lange gelten dann seine Beteuerungen von heute? ({2}) In dem Vertragsentwurf der CSU heißt es jedenfalls in Übereinstimmung mit der bisher auch von Ihnen - von der Regierung und von der SPD - vertretenen Politik, daß die spätere Lösung strittiger Fragen zu einer Verwirklichung des Rechtes auf Selbstbestimmung der geteilten deutschen Nation führen muß. Die Gewaltverzichtsklausel bezieht sich in unserem Entwurf ausdrücklich auf alle strittigen Fragen einschließlich der Fragen, die Grenzen und Demarkationslinien betreffen. Im Moskauer Vertrag fehlt eine solche Formel, da er von der durch die Stalinsche Expansionspolitik geschaffenen, in diesem Raum bestehenden wirklichen Lage ausgeht. Damit sanktioniert der Moskauer Vertrag die Kriegsbeute Stalins. Dem von der CDU/CSU-Fraktion einstimmig gebilligten Vertragsentwurf geht es bei dem Bestreben, friedliche Beziehungen zwischen den europäischen Staaten zu entwickeln, um den zügigen Ausbau der Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem, wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet sowie um die Öffnung aller Grenzen für einen ungehinderten Reiseverkehr. Auch diese Formel fehlt in dem von der Regierung ausgehandelten Moskauer Vertrag. Auch hier hat diese Bundesregierung die Linie einer Politik der Freiheit zum mindesten fahrlässig verlassen. ({3}) Im Moskauer Vertrag sind demgegenüber Begriffe enthalten, die wörtlich aus sowjetischen Noten, Reden und Memoranden abgeschrieben sind. Ich erwähne z. B. „Normalisierung der Lage in Europa". Dieser Begriff ist wörtlich abgeschrieben aus dem sowjetischen Memorandum an Bonn vom 12. Oktober 1967. ({4}) Das bedeutet nach Moskauer Urteil die Beseitigung alles dessen, was den Normen des Potsdamer Abkommens in der bekannten sowjetischen Auslegung noch nicht entspricht und was der Breschnew-Doktrin und dem uneingeschränkten russischen Kontrollanspruch zuwiderläuft. Weiter heißt es im Moskauer Vertrag, daß man „von der in diesem Raume bestehenden wirklichen Lage" ausgehen wolle. Dies ist wörtlich abgeschrieben aus dem sowjetischen Memorandum vorn 21. November 1967. In sowjetischer Auslegung deckt dieser Begriff alle sowjetischen Thesen und Forderungen, die auf eine rechtsgültige Stabilisierung des gegenwärtigen russischen Herrschaftsraumes sowie auf die Ausweitung des sowjetischen Einflusses auf West-Berlin und Westdeutschland abzielen. Weiter heißt es im Moskauer Vertrag: „Wenn niemand die gegenwärtigen Grenzen antastet". Dies ist wörtlich abgeschrieben aus der Rede Breschnews in Moskau vom 12. Juni 1970. Im Moskauer Vertrag werden durch diese und andere Formulierungen in Artikel 3 insbesondere auch diejenigen Grenzen als unverletzlich sanktioniert, die 1939 über die Köpfe der betroffenen Völker hinweg im Hitler-Stalin-Pakt festgelegt wurden. ({5}) Ich frage: Ist es Aufgabe der Bundesregierung, auch Grenzen von Gebieten für unverletzlich zu erklären, die während oder nach dem Kriege von der Sowjetunion annektiert wurden und in keiner unmittelbaren Verbindung zur Bundesrepublik Deutschland standen oder stehen? ({6}) Ich frage weiter: Kann es Aufgabe der Bundesrepublik sein, den Hitler-Stalin-Pakt von 1939 zumindest moralisch nachträglich noch zu sanktionieren? ({7}) Während man gleichzeitig von östlicher Seite die Forderung hört, das Münchener Abkommen von Anfang an für ungültig zu erklären, höre ich keine Forderungen, diesen völkerrechtswidrigen Vertrag mit dem Geheimabkommen vom August 1939 zwischen Hitler und Stalin für ungültig zu erklären. Ferner verlangt der Moskauer Vertrag „die territoriale Integrität" aller Staaten „in ihren heutigen Grenzen" zu achten. Auch dies ist wörtlich aus dem sowjetischen Memorandum vom Oktober 1967 abgeschrieben. Weiter heißt es: ,,... keine Gebietsansprüche" zu erheben. Dies ist wörtlich aus dem Memorandum vom November abgeschrieben. Schließlich betrachten die Unterzeichner des Moskauer Vertrages „heute und künftig" die Grenzen als „unverletzlich". Dies ist wieder wörtlich aus dem Vertrag zwischen der Sowjetunion und der Tschechoslowakei vom 8. Mai 1970 abgeschrieben. Damit ist wohl hinlänglich bewiesen: dieser Vertrag trägt die Handschrift Moskaus. ({8}) Im Moskauer Vertrag ist im Gegensatz zum CSU- Vertragsentwurf kein Verzicht auf die sowjetische Interventionsanmaßung gemäß Artikel 53 und 107 der Charta der Vereinten Nationen enthalten. Wir haben es für notwendig gehalten, daß die Bundesrepublik Deutschland die von ihr verfolgte Politik der Herstellung eines politisch geeinten Europas bekräftigt. In unserem Vertragsentwurf versichert sie dabei zugleich der Sowjetunion, daß dies ein politisch geeintes unabhängiges Europa sein soll und daß die deutsche Politik zur Herstellung des politisch geeinten Europas gegen niemanden gerichtet ist, da dieses freie politisch geeinte Europa der friedlichen Zusammenarbeit mit allen anderen Staaten der Welt dienen soll. Im Moskauer Vertrag fehlt eine entsprechende Bestimmung oder ein Hinweis auf die Möglichkeit der europäischen Integration völlig. Das Moskauer Vertragswerk soll nach erklärter sowjetischer Überzeugung ein Werk-. zeug sein, um die politische Einigung des freien Europas zu verhindern. Das ist hier von verschiedenen Vertretern der Koalition und auch von seiten der Regierung bestritten worden. Es gibt ganz offizielle Erklärungen. TASS, die amtliche Nachrichtenagentur der Sowjetunion, sagt am 22. Februar 1971: Gegenwärtig erhält die Idee der Einberufung eines gesamteuropäischen Forums zu Problemen der Sicherheit und Zusammenarbeit eine immer größere Unterstützung. Die Abhaltung eines solchen Forums würde zweifellos zur Verbesserung des politischen Klimas beitragen und weitgehend Möglichkeiten für eine gleichberechtigte Zusammenarbeit aller Staaten eröffnen. Doch einer solchen Entwicklung widerspricht unbestreitbar eine Politik, die auf die Festigung geschlossener politischer und wirtschaftlicher Blöcke, wie es die EWG ist, gerichtet ist. Damit ist klar und unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, was auch der Fraktionsvorsitzende Dr. Barzel in Moskau aus dem Munde der verantwortlichen Vertreter der sowjetrussischen Regierung selbst gehört hat. Ähnlich lautet die Erklärung des Vorsitzenden des Außenpolitischen Ausschusses des Obersten Sowjets, Jurij Schukow, vom 22. September 1970. Leider gibt es auch eine Erklärung des Herrn Bundeskanzlers, die besagt, daß die politische Einigung Europas eine Aufgabe kommender Generationen sein soll. Meine sehr verehrten Damen und Herren, im CSU-Vertragsentwurf erklärt die Bundesrepublik Deutschland im Gegensatz zum Moskauer Vertrag, daß sie weiterhin in vollem Umfang das von ihr vertretene und ausgeübte Recht, Selbstbestimmung und Einheit der deutschen Nation als Ziel ihrer Politik mit friedlichen Mitteln zu verfolgen, ausüben wird. Ein solcher Passus fehlt im Moskauer Vertrag vollständig. Die Bundesregierung verzichtet darauf, dieses Recht des deutschen Volkes auf Selbstbestimmung und auch das Recht auf Einigung der geteilten Nation in den Vertragstext aufzunehmen. Sie begnügt sich mit einem Brief an Gromyko, der nicht Bestandteil des Vertrages ist, obwohl sie gerade in dieser Frage bei der Sowjetunion auf Verständnis hätte stoßen müssen, da die Sowjetunion in den letzten Jahren ein glühender Verfechter des Selbstbestimmungsrechts der neuen afrikanischen Staaten und zuletzt von Bangla Desh war. Wir sind der Meinung, daß das, was den afrikanischen und asiatischen Staaten an Selbstbestimmungsrecht zusteht, auch für das deutsche Volk und die deutsche Nation gelten muß. ({9}) Aber die Sowjetunion will das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen verhindern, weil seine Verwirklichung gleichbedeutend mit dem Ende der kommunistischen Gewaltherrschaft im anderen Teil Deutschlands wäre. ({10}) Deshalb hat die Sowjetunion die Aufnahme des Selbstbestimmungsrechts in den Vertragstext verhindert, und die Bundesregierung hat sich ihr, ich sage, in unverantwortlicher Weise gefügt. Unser Vertragsentwurf enthält gegenüber dem Moskauer Vertrag keinerlei Festschreibungen von Grenzen, sondern die Bekräftigung, daß der Friede in Europa nur erhalten werden kann, wenn die Grundsätze des Völkerrechts, der Gleichberechtigung, des Selbstbestimmungsrechts der Völker, der Nichteinmischung sowie der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, insbesondere des Rechts auf Freizügigkeit für Menschen und Ideen, überall beachtet werden. Während sich auch hier der Moskauer Vertrag den sowjetischen Forderungen beugt, führt der CSU-Vertragsentwurf die Friedenspolitik nicht nur der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch seiner westlichen Alliierten fort. Ich möchte hier nur an das Kommuniqué der letzten NATO- Ministerratstagung vom vergangenen Dezember erinnern, in dem das Recht auf Freizügigkeit für Menschen und Ideen als Grundlage jener europäischen Friedenspolitik über die bestehenden Blöcke hinweg bezeichnet worden ist. Eine der schwerwiegendsten Unterlassungen, deren sich die Bundesregierung bei der Abfassung des deutsch-sowjetischen Vertrags schuldig gemacht hat, besteht darin, daß ein Friedensvertragsvorbehalt fehlt. Der von uns vorgelegte Vertragsentwurf stellt fest, daß eine endgültige Regelung der deutschen Frage einschließlich der Grenzen einem Friedensvertrag mit ganz Deutschland vorbehalten bleiben muß. Auch hier befinden wir uns in Übereinstimmung mit nach wie vor gültigem deutschen Vertragsrecht, nämlich mit dem Deutschland-Vertrag. Der CSU-Vertragsentwurf stellt abschließend fest, daß durch diesen Vertrag die von den Partnern früher abgeschlossenen zweiseitigen und mehrseitigen Verträge und Vereinbarungen in ihrer Geltung nicht beeinträchtigt werden. Hierdurch ist die volle Fortgeltung früherer Vertragsrechte, wie z. B. des Deutschland-Vertrags, eindeutig gesichert. Das ist beim Moskauer Vertrag nicht der Fall. Auch hier haben wir es wieder mit einer mehrdeutigen Auslegung zu tun. Diese Gegenüberstellung des Moskauer Vertrags und des von der CDU/CSU-Fraktion einstimmig verabschiedeten Vertragsentwurfs zeigt mit aller Deutlichkeit, daß die Bundesregierung einen Vertrag nach den Vorstellungen Moskaus unterzeichnet hat, während unser Entwurf einen wirklichen Gewaltverzichtsvertrag zum Inhalt hat. Ich weiß, meine Damen und Herren, was mir von der Regierungsseite hierauf entgegnet wird: das sei ein Traumvertrag, sei Wunschträumerei, ({11}) für einen Vertrag bedürfe es auch eines Partners, der gewillt sei, ihn zu unterzeichnen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist kein Traumvertrag. Ein Traumvertrag wäre es dann, wenn in diesen Vertrag der Art. 7 des Deutschland-Vertrages im Wortlaut mit aufgenommen worden wäre, d. h. wenn auch die Sowjetunion für die Wiedervereinigung Deutschlands eintreten würde ({12}) und eine freiheitliche Verfassung die Verfassung für Gesamtdeutschland sein sollte. Ich gebe zu, natürlich wird man einen so ausgewogenen Vertrag nicht unter Dach und Fach bringen, wenn man wie diese Bundesregierung sich ohne Not selbst unter Zeitdruck setzt und in wenigen Monaten in Moskau eine überhastete Vereinbarung schließt. Um einen ausgewogenen, wirklichen Gewaltverzichtsvertrag zu unterzeichnen, bedarf es zäher Verhandlungen. Dazu braucht man Geduld und langen Atem. Vor kurzem hat uns gerade Japan eine Lektion erteilt und gezeigt, daß zähes Vertreten von nationalen Interessen und Beharrlichkeit zu einem Nachgeben Moskaus führen können. Nachdem Tokio 27 Jahre auf einen Friedensvertrag mit Moskau gewartet hat, hat der Kreml jetzt endlich seine Bereitschaft zum Abschluß eines Friedensvertrages zu erkennen gegeben. Und dies, seitdem Japan sich anschickt, sein Verhältnis zu Peking zu normalisieren. Unseren früheren Bundeskanzler Kiesinger haben Sie hier mit „Peking, Peking" attackiert; Bundeskanzler Brandt hat es getan. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn die uns befreundete größte Macht im Westen, die Vereinigten Staaten, ein so hohes Interesse an China entwickelt, dann war es eine weise Voraussicht von Kanzler Kiesinger damals, daß er diese Frage rechtzeitig - ({13}) Wie sehr wir mit unseren Befürchtungen wegen der verschiedenartigen Auslegungen dieses Vertrages recht haben, zeigen die Ausführungen im „Forum" - ich würde Ihnen dringend empfehlen, sie einmal zu lesen -, die von Ihrem Fraktionskollegen MdB Claus Arndt verfaßt worden sind. Hier steht: Selten ist in einem völkerrechtlichen Dokument so deutlich zum Ausdruck gekommen, daß die beiden vertragschließenden Parteien in fast allen wichtigen Fragen des Völker- und Staatsrechts, die sie betreffen, dissentieren und dennoch ungeachtet dessen miteinander praktische Politik betreiben. Hier wird bestätigt, daß die Sowjetunion eine andere Interpretation gibt, als sie hier von der Regierung und anderen vertreten worden ist. Nichts zeigt im übrigen deutlicher als die Reaktion des Ostblocks, wo die wahren Unterschiede zwischen unserem Entwurf und dem von der Regierung ausgehandelten Moskauer Vertrag liegen. Radio Prag - Sie können nicht sagen: Was interessiert uns Radio Prag? Sie wissen alle, daß in den kommunistischen Staaten der Rundfunk ein staatskontrollierter Rundfunk ist ({14}) - Das ist hochinteressant. Bisher hat uns die SPD insbesondere in Bayern immer vorgehalten, der Bayerische Rundfunk sei ein „schwarzer" Rundfunk. Jetzt sagen Sie plötzlich: Die CSU will sich des Rundfunks bemächtigen. Wenn wir ihn doch schon in der Hand haben, brauchen wir ihn doch nicht mehr eigens mit einer Gesetzesnovelle zu erobern. ({15}) Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die Doppelzüngigkeit, die manchmal von Ihrer Seite zu hören ist. Radio Prag erklärte am 1. Februar - ich zitiere, und ich würde sehr bitten, wenigstens jetzt einmal aufmerksam zuzuhören -: Seinen - d. h. StraußVorstellungen zufolge sollte ein Vertrag mit der Sowjetunion bestätigen, daß die deutsche Bundesrepublik auf das sogenannte Recht auf Selbstbestimmung und Einheit der Nation nicht verzichtet, was lediglich eine andere Formulierung der revanchistischen Ansprüche auf eine Revision der Ergebnisse des zweiten Weltkriegs darstellt. Wer sich also auf das Selbstbestimmungsrecht beruft, wer das Recht auf Wiedervereinigung verkündet, ist in den Augen zumindest des kommunistischen Senders Radio Prag ein Revanchist. Da ich der Auffassung bin, daß alle Damen und Herren Abgeordneten in diesem Hause das Selbstbestimmungsrecht bejahen, die Wiedervereinigung wollen, sind Sie alle, meine sehr verehrten Damen und Herren, miteinander Revanchisten. ({16}) - Von Radio Prag, nicht von mir! - Wer sich also auf das Selbstbestimmungsrecht beruft, ist ein Revanchist. Im Gegensatz zu den Beteuerungen der Bundesregierung wird uns hier vom Osten klar gesagt, was eben nicht im Moskauer Vertrag gesichert ist. Ich zitiere jetzt aus der „Prawda" vom 2. Februar dieses Jahres: Der Clou des Straußschen Programms ist die Nichtanerkennung der gegenwärtigen Staatsgrenzen in Europa und daß ihre Festlegung angeblich nicht endgültig sein soll. Meine sehr verehrten Damen und Herren, belassen wir es in dieser Stunde bei diesen Zitaten bedeutender Stimmen aus dem Osten! Ich möchte zum Schluß kommen. ({17}) - Sehen Sie, so geteilt ist Ihre Fraktion: Die einen bedauern es, die anderen freuen sich. ({18}) Wie man es hier als Oppositionsredner macht, man kann es der SPD einfach nicht recht machen. Ich darf noch eine Frage anschneiden, die wir sehr ernst nehmen. Ich sehe nämlich nicht ein, warum man hier nicht eine andere Haltung einnehmen kann: Ich habe von dem Dissens, von den verschiedenartigen Interpretationen, von den unterschiedlichen Auslegungen auf sowjetischer und unserer Seite gesprochen. Nun berufen sich die Staatsmänner des Ostens nicht nur auf den Vertrag, sondern auch auf die Verhandlungen. Deshalb sind Kollege Dr. Barzel und ich wiederholt beim Bundeskanzler und beim Außenminister vorstellig geworden und haben gebeten, Einsicht in die Protokolle bzw. in die Verhandlungsniederschriften zu erhalten. Ich möchte nicht auf das Bahr-Papier eingehen, das es überhaupt nicht gibt, und wenn es das gibt, dann ist es höchstens eine „Notiz". Und wenn „Notiz" nicht mehr ausreicht., dann finden wir im offiziellen Weißbuch der Bundesregierung dieses Papier als Bahr-Papier deklariert. Ich will nicht darauf eingehen, daß man ursprünglich keine Einwendungen dagegen erhoben hat, daß wir diese Notizen als Protokoll bezeichnet haben. Es hat eine Zeit gedauert, bis irgendwo jemand auf die Idee gekommen ist, zu sagen: Wir haben ja gar kein Protokoll. - Also wir wollen uns nicht darauf festlegen, ob wir das „Protokoll" nennen oder ob wir das „Aufzeichnungen über die Verhandlungen" nennen, nur müssen wir es nach wie vor bedauern, daß wir bisher keinen Erfolg mit unseren Anliegen gehabt haben. Dies ist genauso unannehmbar, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie die Tatsache, daß der Parlamentarische Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Herr Moersch, uns einzelne für die Regierung günstige Teile aus den Protokollen selektiv anzudienen versucht, ohne daß wir kontrollieren können, was vor, zwischen und nach den Zitaten steht. ({19}) Es geht auch nicht nur, verehrter Herr Außenminister, um Protokolle oder Niederschriften über die Verhandlungen zwischen Ihnen und Gromyko, sondern es geht in viel entscheidenderer Weise um die Protokolle und Niederschriften über die Verhandlungen, die Herr Bahr mit Herrn Gromyko geführt hat. ({20}) Hier hoffen wir endgültig Aufklärung zu finden, ob die sowjetrussische Seite aus Böswilligkeit eine andere Interpretation gibt oder ob aus den Protokollen zu erkennen ist, daß diese Interpretation tatsächlich in den Verhandlungen ermöglicht wurde. Wir bedauern die Ablehnung auch deshalb, weil diese Regierung mehr Demokratie, mehr Transparenz versprochen hat. Was erleben wir? Das Gegenteil! Diese Haltung der Regierung ist eine Zumutung für die parlamentarische Opposition, für die stärkste Fraktion dieses Deutschen Bundestages! ({21}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir fragen uns, und die Öffentlichkeit wird mit uns die Frage stellen: Was hat denn die Regierung zu verbergen, daß sie sich weigert, uns Einsicht in die Protokolle zu geben? ({22}) Meine Damen und Herren, mit einem Satz wende ich mich noch an den Bundeskanzler. Da er aber nicht da ist, - ({23}) - Entschuldigung, Herr Bundeskanzler! ({24}) - Herr Wehner, wissen Sie: So etwas - ({25}) - Herr Wehner, Ihre vornehme Zurückhaltung hier im Bundestag ({26}) ist nicht nur uns von der CDU/CSU bekannt, sondern auch die Fernsehzuschauer wissen, daß Sie sich hier in ganz besonderer Weise produzieren, nicht immer im Stile eines Gentleman. ({27}) - Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie mich durch Zwischenrufe nun etwas anheizen, dann entschuldigen Sie bitte: Ich bin noch nicht so alt, daß mein Temparement so weit unten in der Skala liegt, daß ich nicht auch einmal explodieren könnte. Aber eines können Sie bei mir doch immer annehmen, das dürfen Sie mir abnehmen: Ich will persönlich niemandem zu nahe treten. ({28}) Ich sage meine Auffassung mit aller Deutlichkeit, insbesondere auch, nachdem der Herr Bundeskanzler hier, was mich auch etwas überrascht hat, nicht gerade mit Samthandschuhen mit uns umgegangen ist. ({29}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Bundeskanzler, noch ein Wort an Sie. Ich möchte ganz kurz einen Griff in die Geschichte machen mit einem einzigen Satz, weil hier so viel von Realitäten und Anerkennung der Realitäten die Rede war: Nach der Machtergreifung der NSDAP am 30. Januar 1933 waren auch ein Reichskanzler Hitler und das Dritte Reich Realität. Sie, Herr Brandt ich sage jetzt: Herr Brandt -, haben sich damals nicht dieser Realität gebeugt. ({30}) - Warten Sie doch erst einmal ab, Herr Matthöfer! ({31}) Sie haben sich dieser Realität nicht gebeugt. Sie sind emigriert und haben diesen Unrechtsstaat, dieses Unrechtsregime bekämpft. Ich frage Sie: Stimmen Sie mit mir überein, wenn ich sage: die Machthaber im anderen Teil Deutschlands haben keine demokratische Legitimation. Stimmen Sie mit mir überein, wenn ich feststelle, daß diese Regierung im anderen Teil Deutschlands nicht vom freien Willen der 17 Millionen Deutschen getragen ist? Und stimmen Sie mit mir überein, wenn ich feststelle, daß die Menschenrechte mit Füßen getreten werden ({32}) - das geht doch nicht gegen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren! - daß ideologischer Zwang an Stelle der Freiheit, daß Stacheldraht und Minenfelder an Stelle der Freizügigkeit stehen? Warum, Herr Bundeskanzler, legen Sie heute andere Maßstäbe an als 1933? Doch nicht deshalb, weil das von der oder von jener Seite kommt. Lassen Sie mich mit dem Satz schließen: wenn Unrecht nicht mehr Unrecht ist, ganz gleich von welcher politischen Richtung dieses Unrecht zu verantworten ist, wenn brutale Macht Realitäten schafft, die anerkannt werden müssen, so ist das das Ende des Rechts insgesamt. ({33}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Willy Brandt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000246

Ich weiß nicht, was das zum Schluß sollte. Ich bin Kanzler der Bundesrepublik Deutschland und stehe in der Pflicht, in dieser Bundesrepublik Deutschland für die Demokratie zu sorgen - das tue ich mit allen, die das auch wollen - und außerdem dafür zu sorgen, daß es den Deutschen auch darüber hinaus besser geht. Alles, was daran im übrigen geknüpft wird, Herr Stücklen, ist pure Heuchelei. ({0}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000102, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir glauben, daß die Reaktion des Herrn Bundeskanzlers ebenso unbegründet wie unberechtigt war, ({0}) daß Sie sich im Ausdruck vergriffen haben, Herr Bundeskanzler, durch ein Wort, das nicht parlamentsfähig ist. ({1}) Wenn der Kollege Stücklen hier dargetan hat, daß diese Bundesregierung mit anderen Worten hier als draußen und jetzt als früher arbeitet, ist das der Vorwurf, Herr Bundeskanzler, mit dem Sie sich in der Sache und nicht durch Empfindlichkeit auseinandersetzen sollten. ({2}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Bundesminister Ehmke. ({3})

Dr. Horst Ehmke (Minister:in)

Politiker ID: 11000440

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben erneut einen nicht unbekannten Auftritt von Ihnen, Herr Barzel, erlebt, in dem Sie - man könnte den Zuruf des Kanzlers auch darauf anwenden - versuchen, die Regierung hier ins Unrecht zu setzen, wenn sie sich gegen Unterstellungen wehrt. Der Vergleich von Herrn Kollegen Stücklen wäre ja nur dann sinnvoll, wenn es für den Bundeskanzler um die Frage ginge, aus der DDR zu emigrieren. Was der Vergleich wirklich sollte, weiß ich nicht. ({0}) - Vielleicht kann Herr Kollege Stücklen es hier erklären. Aber Herr Dr. Barzel, ich wollte etwas zu Ihnen sagen. Sie haben hier vorhin etwas gesagt, was ich als ungeheuerlich empfunden habe, als eine - vielleicht können Sie es mir anders erklären - jedenfalls prima facie sehr nationalistische Aussage. ({1}) - Lassen Sie mich doch einmal erklären! - Sie haben Herrn Kollegen Wehner zugerufen, er solle hier nicht reden - ich habe es im Protokoll noch nicht nachlesen können -, solange er hier in diesem deutschen Parlament aus auswärtigen Quellen zitiere. ({2}) - Gut, solche Mißverständnisse können entstehen. Dann ist die richtige Art, miteinander umzugehen - da Sie doch nach draußen immer für Sachlichkeit sind -, hier eine Richtigstellung zu bringen. Ich bitte Sie darum, richtigzustellen, was Sie vorhin gemeint haben, und ich bitte auch Herrn Kollegen Stücklen hier um Richtigstellung. Aber hier so zu operieren, das einerseits unklar zu lassen und dann andererseits in oberlehrerhaftem Ton moralische Belehrungen zu erteilen, ({3}) das ist nicht der Stil der Sachlichkeit, der allein dieser Sache angemessen ist. ({4}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000102, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ehmke hat es soeben für notwendig gefunden, auf die Stelle zurückzukommen, die während meiner Intervention nach der Rede des Herrn Bundeskanzlers zu Unruhe auf dieser Seite des Hauses führte. Ich habe während der letzten Rede das Protokoll bekommen, und es ist unverändert. Ich lese jetzt die Sätze vor, die zu der Unruhe führten. Die Sätze heißen: Und dann, Herr Kollege Wehner, lesen Sie doch vielleicht einmal nach - wenn Sie hier schon dauernd mit auswärtigen Quellen arbeiten, um eine deutsche Politik hier im deutschen Parlament zu begründen - Das ist der ganze Satz. Auf Grund dieses Satzes gab es diese Unruhe. Sie zeigt, daß Nervosität bei Ihnen ist, meine Damen und Herren. ({0}) Präsident von Hassel: Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Borm.

Dr. h. c. William Borm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000235, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir fahren in der Aussprache fort. Ich habe mit großem Interesse, Herr Kollege Stücklen, Ihre Ausführungen über den Vertragsentwurf der CDU/CSU gelesen, und ich frage mich, ob es möglich ist, daß Sie annehmen, die so schreckliche Sowjetunion würde Ihren schönen Vertrag annehmen. Ich glaube, wir folgen in diesem Fall besser der Anregung des Kollegen Kiesinger, der es als eine politisch richtige Tat hingestellt hat, zuzuwarten. Ich glaube, wir legen diesen Vertragsentwurf beiseite; realisierbar ist er ohnehin nicht. Nur das wollte ich zu Ihren Ausführungen sagen. Nun möchte ich zu dem Thema Berlin kommen, einem Thema, bei dem die Leidenschaften wahrscheinlich nicht so hochgehen werden; denn hier gibt es sicherlich weniger grundsätzliche Gegensätze, wie die Vergangenheit bewiesen hat. Diese Stadt Berlin steht wieder einmal mittem im Weltgeschehen. Um das zu illustrieren, gestatten Sie mir bitte, zu Anfang das darzulegen, was Präsident Nixon am 2. Januar 1972 über das Berlin-Abkommen gesagt hat. Er hielt dieses Abkommen für einen Durchbruch hin zu einem Gipfeltreffen mit Moskau. Dieses Abkommen, so sagte er, lasse erkennen, daß die USA und die Sowjetunion, wenn es möglich sei, sich über dieses kritische, dieses dauernd umstrittene Gebiet zu einigen, vielleicht auch eine Möglichkeit finden könnten, sich über andere Probleme zu einigen und möglicherweise über den Nahen Osten, möglicherweise auch über eine Rüstungsbegrenzung. Das zeigt, wie sehr diese Stadt Berlin, meine Kollegen, mit der Weltgeschichte verflochten ist. Dieses Abkommen ist in der Tat nicht nur ein besonders wichtiger Teil der Europapolitik unserer Tage, es ist auch ein historisches Abkommen von weltpolitischer Bedeutung. Dieses Gewicht aber konnte dieses Abkommen nur erreichen, weil es im Berlin-Abkommen und den Ostverträgen erstmalig gelungen ist, die Ziele, in denen wir gemeinsam sind, mit den Möglichkeiten, die die Regierung gewahrt hat, in Einklang zu bringen. Dazu gehörte in erster Linie Ehrlichkeit vor uns selbst, und dazu gehörte Sinn für Realität. Wir haben doch erlebt, gerade wir in Berlin, wohin es gekommen ist, als die früheren Bundesregierungen sich dazu nicht fähig zeigten, als sie nämlich mit der Forderung „alles oder nichts" die tiefe Weisheit des Begriffs Kompromiß mißachteten, ohne den Entspannung nun einmal nicht denkbar ist. Nachdem die Bundesregierung nun endlich in zähen Verhandlungen einen Kompromiß erreicht hat, versuchen Sie nun, meine Damen und Herren von der Opposition, diesen Kompromiß dadurch zu entwerten, daß Sie Leistungen und Gegenleistungen in einer Art gegeneinander aufrechnen, die der Wirklichkeit des Erreichten nicht gerecht wird. So achten Sie z. B. die für uns positiven Auswirkungen im politisch-psychologischen Bereich - da ist es bei uns Deutschen manchmal sehr schlecht bestellt - gering, und sie überbewerten als Eigenleistung oder, wie Sie es nennen, als Vorleistung die nachträgliche Respektierung längst bestehender und von der gesamten übrigen Welt zur Kenntnis genommener politischer Tatsachen. Wir haben mit diesem Kompromiß, der nach seiner Definition auch dem Gegenspieler Pluspunkte zugestehen muß, mit den Berlin-Verträgen praktische Ergebnisse erzielt, die weitgehend - das freue ich mich feststellen zu können - auch den Vorstellungen der Opposition entsprechen. 25 Jahre lang war der westliche Teil dieser Stadt bedroht. Der Osten wollte mit Blockade, mit Ultimatum die Schutzmächte aus Berlin hinausdrängen. Er wollte sich diese Stadt einverleiben oder ohne jede Bindung an den Bund vogelfrei machen. 25 Jahre lang hing Berlin in der Luft, ohne sicheres Fundament, stets Willkürmaßnahmen ausgesetzt, ein willkommener Hebel, über den Moskau zu jeder Zeit - und das hat es getan - Druck auf die Westmächte ausüben oder unser Verhältnis zu den Verbündeten stören konnte. Ich erinnere nur daran, daß nach dem Bau der Mauer die Ansichten darüber, was daraufhin zu geschehen habe, zwischen der Bundesregierung und den Westmächten weit auseinandergingen. Diese Situation stellte einen Gefahrenpunkt erster Ordnung dar, für Deutschland, für Europa, für den Frieden der Welt und nicht zuletzt für Berlin selbst. Wer würde ohne Entspannung in West-Berlin noch langfristig investieren? Wie sollte der Prozeß der Überalterung auf die Dauer gestoppt werden? Wie wäre die Funktion, wenn derzeit schon nicht einer deutschen Hauptstadt, so doch einer deutschen Weltstadt unter diesen Umständen aufrechtzuerhalten gewesen? Wie sollte diese Stadt je eine europäische Bedeutung erlangen können? Aus solchen Überlegungen ergaben sich die Forderungen, die die Bundesregierung an ein Berlin-Abkommen stellen mußte. Dabei war uns ebenso wie unseren Verbündeten von Anfang an klar, daß diese Forderungen nur in einem engen politischen Zusammenhang mit den Ostverträgen, mit dem gegenseitigen Gewaltverzicht und nur bei Respektierung des Status quo in einem befriedigenden Umfang durchzusetzen waren und nicht anders. ({0}) Präsident von Hassel: Darf ich Sie um etwas mehr Ruhe bitten und die Kollegen, die dringend Rücksprache zu erledigen haben, bitten, das draußen in der Lobby zu tun.

Dr. h. c. William Borm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000235, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dies geschah in geduldigen Verhandlungen und beispielhafter Zusammenarbeit mit den drei Westmächten. Was wurde bis jetzt erreicht? Ich nenne nur vier Hauptpunkte. Erstens. Seit 1948 hat die Sowjetunion erstmals wieder die Viermächteverantwortung für Berlin als Ganzes anerkannt; lesen Sie die Präambel des Berlin-Abkommens. Damit sind die Rechte der Drei Mächte für West-Berlin nicht mehr bestritten, und diese Rechte waren einstmals Anlaß für die Berlin-Blockade und für das Chruschtschow-Ultimatum. Zweitens. Die Bindung Berlins an den Bund, die 20 Jahre lang umstritten war, ist vertraglich festgelegt worden. Die Vertretung der Interessen West-Berlins und seiner Bewohner wird künftig durch die Bundesregierung auch in den Ländern des Ostens übernommen. Die Einbeziehung in die internationalen Verträge der Bundesrepublik ist gesichert. Drittens. Erstmals überhaupt wurde von den Vier Mächten die vertragliche Grundlage für den zivilen Personen- und Güterverkehr von und nach West-Berlin geschaffen und zwischen Bonn und Ost-Berlin im einzelnen ausgehandelt. 25 Jahre - prüfen wir uns doch - schien eine solche politische Übereinkunft zwischen beiden deutschen Staaten undenkbar. Undenkbar schien es auch, daß der Osten jemals das Druckmittel eines nicht geregelten zivilen Verkehrs aus der Hand geben würde. Und endlich viertens: Erstmals seit 20 Jahren besteht für die Westberliner wieder die vertraglich gesicherte Möglichkeit, Ost-Berlin und die DDR zu besuchen. - Nun wissen wir, daß die DDR gestern einseitig die Möglichkeit eröffnet hat, daß die Westberliner den Ostteil ihrer Stadt besuchen. Und, meine Damen und Herren, ich habe gestern im Fernsehen gesehen, daß ein prominentes Mitglied der Opposition erklärte, das sei eine Folge der Härte. Meine Damen und Herren, das ist eine Folge der geschlossenen Verträge! ({0}) Diese Verträge haben nach Jahren die Mauer endlich wieder einmal von West nach Ost durchlässig gemacht. ({1}) Aber in diesem Zusammenhang gestatten Sie mir bitte, zu sagen: wir alle wollen die Mauer weghaben, aber wir bekommen sie niemals von West nach Ost, sondern nur von Ost nach West weg. Und darüber müssen wir mit ihnen reden. ({2}) Das alles ist - der Bundesaußenminister sagte es - gewiß noch keine Berlin-Lösung, aber es ist eine Berlin-Regelung, die die Lebensfähigkeit dieser Stadt wiederherstellt und uns eine Atempause sichert, daß wir in Ruhe bis zur endgültigen Entscheidung warten können. Das ist gewiß kein Grund zum Jubeln - das will man uns fälschlich unterstellen -, aber es ist ein Ausgangspunkt geschaffen worden, eine Chance für weitere positive Entwicklungen. Natürlich wünschen wir uns mehr, natürlich wünschen wir den freien Verkehr nach beiden Richtungen. Aber was wir erreichten, war das heute möglich Gebliebene, und es ist sehr viel mehr, als viele zu hoffen wagten. Wer das Gegenteil behauptet, tut es wider besseres Wissen oder weil er sich niemals richtig informiert hat. Wir freuen uns - ich sagte es -, daß manche unserer Argumente auch von der Opposition Borm wenigstens zum Teil - anerkannt und gewürdigt werden. So Kollege Dr. Schröder im Deutschlandfunk am 5. September: Er sieht reale Lebenserleichterungen für die Berliner; er sieht die Verantwortlichkeit der drei Westmächte für das freie Berlin gesichert; er begrüßt, daß keine Bundesbediensteten aus Berlin abgezogen werden; er sieht die enge Bindung zwischen Bund und West-Berlin gesichert; er begrüßt, daß wir Berliner nach wie vor hierbleiben können, was bekanntlich oft genug umstritten war; er hält die gesamte Berlin-Regelung für akzeptabel, wenn die innerdeutschen Gespräche mit vernünftigen Lösungen enden. Meine Damen und Herren, sie haben mit vernünftigen Lösungen geendet, und so haben wir gehandelt. Herr Kollege von Wrangel in der „Welt" vom 11. September 1931: Die Außenvertretung entspricht den CDU-Vorstellungen. Der Vorsitzende der CSU sieht den Personen- und Warenverkehr ohne menschliche und bürokratische Schikanen sowie gleichberechtigte Behandlung der Berliner als seiner Zustimmung würdig. Kollege Marx hält Transitverkehr mit plombierten Wagen und durchgehenden Zügen, Personenverkehr und die Einrichtung von Rastmöglichkeiten für vernünftige Regelungen. Und nicht zuletzt der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin, Herr Lummer, der die Dinge sicherlich sehr eingehend geprüft hat! Er sagt, es stehe ganz außer Frage, daß eine Reihe von Verbesserungen erreicht werde, wenn die Praxis dem Buchstaben entspreche. Hier, meine Damen und Herren, muß ich allerdings Herrn Lummer beipflichten: wenn die Praxis dem Buchstaben entspricht. Im Gegensatz zu manchem tun wir, tut die Regierung alles, was in ihren Kräften steht, um diese Übereinstimmung nicht zu behindern. Herr Lummer sagt, er könne diese Berlin-Verträge fast als befriedigend ansehen. Nun ist es das Wesen einer Opposition, daß ihre Vertreter jeweils behaupten, sie hätten mehr erreichen können, und die Gegenseite sei mit weniger zufrieden gewesen. Aber gerade diese Opposition hier in diesem Hohen Haus dürfte es schwer haben, die deutsche und die internationale Öffentlichkeit von ihren Fähigkeiten gerade in diesem Bereich zu überzeugen. Sie haben doch in 20 Jahren Regierungsverantwortung nicht verhindern können, daß sich die politische Lage Berlins laufend verschlechterte. Auch die wirtschaftliche Lage blieb trotz aller Hilfsmaßnahmen ständig bedroht und labil. Nun spricht man von den steigenden Investitionen, von denen Sie sicher auch noch einen Teil zu Ihrem Vorteil abbuchen möchten - warum auch nicht -, aber sie waren doch nur möglich, weil sich bereits seit Jahren 'ein Klima der Entspannung anzubahnen anfing. De facto wurde von Ihnen doch stets nur an den Symptomen herumkuriert. Das Übel an der Wurzel haben Sie niemals angepackt. Sie haben reagiert, Sie haben nie versucht, das Gesetz des Handelns an sich zu reißen. Das hat aber die Regierung jetzt getan. ({3}) Selbstverständlich weiß auch ich um die internationale Verflechtung des Berlin-Problems. Das ist nun einmal nicht jederzeit und nicht isoliert anzupacken. Schon zu Ihrer Regierungszeit war aber der weltweite Wunsch nach Entspannung deutlich sichtbar geworden. Die darauf schon seit Jahren basierende Politik der Weltmächte hätte Berlin auch schon früher eine Chance, zu einer grundsätzlichen Regelung zu kommen, gegeben. Das hätte möglicherweise - ich greife einige Vorwürfe auf, die Sie hier heute erhoben haben - in der Tat sogar unter besseren Voraussetzungen von Ihnen, meine Herren Kollegen, genutzt werden können, wenn es nur rechtzeitig, wenn es methodisch richtig und wenn es konsequent betrieben worden wäre. Das aber haben Sie nicht getan. Unser Kollege Professor Erhard hat zwar einen Versuch in dieser Richtung gemacht, 'es blieb aber bei einer anerkennenswerten Absichtserklärung. Dieser blieb auch in der Erweiterung durch den Kollegen Kiesinger, der bereit war, die DDR als gleichberechtigten Gesprächspartner zu akzeptieren, der Erfolg versagt, weil man die Konsequenzen dieser Absicht scheute, nämlich den Weg über Moskau und den schmerzlichen Prozeß, unserem Volk seine wahre Lage darzulegen. Man hat die verbliebenen Möglichkeiten und Grenzen deutscher Politik frei von Illusionen und frei von trügerischen Hoffnungen nicht genutzt. Diese sozialliberale Koalition hat diesen Mut gehabt, und sie hat zugleich die Chance genutzt, die uns die weltpolitische Entwicklung jetzt noch - ich wiederhole: jetzt noch - bietet. Das könnte sich aber sehr schnell ändern, und die Entwicklung könnte an uns vorbei- oder über uns hinweggehen. Es ist wenig überzeugend, wenn Herr Ministerpräsident Filbinger darauf hinweist, daß die neue Entwicklung in Ostasien zu späterer Zeit bessere Chancen bieten müsse. Auch Kollege Dr. Barzel - er ist jetzt nicht hier - will die China-Karte, und zwar schon jetzt, ins Spiel gebracht wissen. Meine Damen und Herren, natürlich wird die Regierung das Verhältnis zu China, das Verhältnis zur dritten Weltmacht normalisieren, ({4}) aber nicht mit vordergründigen Aspekten. Können wir uns denn wirklich vorstellen, daß die von uns allen so sehr gewünschte dauerhafte und friedliche Neuordnung Europas aus dem Spannungsverhältnis zwischen zwei Weltmächten auf dieser so klein gewordenen Erde erwachsen könnte? Können wir wirklich erwarten, daß man dann uns als lachendem Dritten das Geschenk der Wiedervereinigung - in welchen Grenzen auch immer - präsentieren würde? Können wir erwarten, daß dieses Abwarten und dieses politische Kalkül der Interessenlage unserer Verbündeten entsprechen? Das sind doch Denkkategorien aus einer Geschichtsepoche, die hinter dem Atompilz über dem BikiniAtoll untergegangen ist. Das sind doch sehr gefähr9818 liche Spekulationen! Vor ihnen können wir nicht genug warnen. Leider tragen viele kritische Bemerkungen der Opposition zum Berlin-Vertrag lediglich polemischen Charakter und haben keinen substantiellen Bezug, so z. B. wenn Kollege Marx sagt „Auch in Berlin wird nur sowjetische Westpolitik getrieben" oder: „Die Einschränkungen für die Westberliner sind unerträglich.". ({5}) Dabei sollten Sie doch alle wissen, daß nach dem Wortlaut - ({6}) - Ich sage es Ihnen nachher, Herr Kollege. ({7}) - Sie haben gesagt: Auch in Berlin wird sowjetische Westpolitik getrieben. Das habe ich selber in der Zeitung gelesen. ({8}) - Ich habe gesagt: Auch in Berlin wird nur sowjetische Westpolitik getrieben. ({9}) - Ich habe des weiteren gesagt, daß Sie gesagt hätten, die Einschränkungen für die Westberliner seien unerträglich - und dies, Herr Kollege Marx, obgleich Sie genau wissen, daß, wenn das Abkommen verifiziert ist und in Kraft tritt, die Bedingungen, unter denen die Westberliner in die DDR und nach Ost-Berlin einreisen können, zwar nicht befriedigend sind, obwohl aber noch besser als die Bedingungen für die übrigen Bundesbürger. Kollege Wohlrabe geht so weit, von einer „doppelt unbefriedigenden Blamage" zu sprechen, da für die Westberliner weniger erreicht worden sei, als von den Alliierten, von der Bundesregierung und vom Senat vorausgesetzt worden wäre. Meine Damen und Herren, das ist objektiv nicht richtig; es ist unwahr. Der subjektive Informationsstand des Kollegen Wohlrabe ist mir allerdings unbekannt. Herr Kollege von Guttenberg will glauben machen, daß die Sowjets nunmehr erstmals eine vertragliche Grundlage gewonnen hätten, die politische Trennung West-Berlins vom Bund weiter zu betreiben. Meine Kollegen, dem steht doch der klare, ausdrückliche Text des Viermächteabkommens entgegen. Dieser spricht nämlich davon, daß die bestehenden Bindungen ausgebaut werden können. Solche polemischen Äußerungen sind doch letztlich von überholten Vorstellungen geprägt. Thomas Mann sprach vom Antikommunismus - er meinte damit diesen als Prinzip und als Maxime politischen Handelns - als der Grundtorheit unseres Jahrhundert, die keine Chance mehr habe. Die Welt hat dann auch längst die Konsequenzen daraus gezogen. Präsident Nixon ist heute in Peking und in Binger Zeit in Moskau, und dort wohnen bekanntlich ja Kommunisten. Ebenso falsch wird auch der Sachzusammenhang zwischen dem Moskauer Vertrag und den Berlin-Vereinbarungen dargestellt. Die drei verbündeten Westmächte und die Bundesregierung trugen diesem Sachverhalt Rechnung, um ein für uns positives Berlin-Abkommen zu erreichen. Denn zweifellos konnte erst auf dieser Basis die Einigung zwischen den drei Westmächten und der Sowjetunion erfolgen. Im übrigen ging Kollege Barzel von den gleichen Gedankengängen aus, als er am 27. Mai vor diesem Hohen Hause ausführte: Sollte die Bundesregierung beabsichtigen, den Vertrag mit der Sowjetunion abzuschließen, bevor die Gespräche der Alliierten in Berlin zu greifbaren positiven Ergebnissen geführt haben, so würde dies die Zukunft Berlins gefährden. Also auch er erkannte den ursächlichen Zusammenhang. Die Opposition oder doch Kräfte in ihr möchten nun die UdSSR von vornherein für vertragsbrüchig erklären, weil sie ihrerseits - notabene: erst nachträglich, als die Opposition aus allen Rohren gegen die Verträge zu schießen begonnen hatte - angeblich ein Junktim herstellte, um die Bundesregierung zu bewegen, den Moskauer Vertrag ratifizieren zu lassen, wie es heute eingeleitet worden ist. Wir sollten die Interessenlage der Sowjetunion begreifen. Vielleicht geschah es auch, um die DDR zu beruhigen, die das Berlin-Abkommen intern für sich negativ interpretiert. Die Chinesen sprachen sogar davon - diesmal die Chinesen auch von mir ins Feld geführt -, daß die Sowjetunion die DDR an die Bundesrepublik ausgeliefert habe. Die CSU hält nach den Worten ihres Vorsitzenden dagegen das Berlin-Abkommen für so einseitig im Interesse der Sowjetunion gelegen, daß er am 17. Oktober 1971 auf dem CSU-Parteitag feststellte, die Sowjetunion werde dieses Abkommen auch dann nicht aufs Spiel setzen, wenn die Verträge nicht ratifiziert würden. Was soll das? Kann das jemand im Ernst wirklich glauben. Der Fraktionsvorsitzende der Berliner CDU, Herr Lummer - ich sagte das bereits -, hält die Verträge für fast befriedigend und stößt sich lediglich an der Verbindung mit dem Moskauer Vertrag. Welche Anhäufung widersprüchlicher Aussagen! Wie stark muß der durch keine Argumente zu erschütternde Wille der Opposition sein, nein und nur nein zu den Verträgen zu sagen, wenn auch widersprüchlichste Argumente immer nur zum vorgeplanten Nein führen können! Das erinnert doch fatal an die Haltung des Abtes in „Nathan der Weise", dem es kompromißlos nur auf Nathans Tod ankam. Hier drängt sich ebenso wie bei dem sogenannten Alternativentwurf der CDU/CSU der Eindruck auf, daß außen- und innenpolitischen Motivationen in gefährlicher Weise vermischt werden. Jeder von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, wird sich fragen müssen, ob er das mitmachen kann angesichts unserer Verantwortung aus der geographiBorm schen Lage unseres Landes, angesichts unseres wirtschaftlichen und politischen Gewichts und angesichts unserer Bedeutung für das westliche Bündnissystem. Jeder wird sich fragen müssen, ob er das mitmachen kann in einer Phase weltpolitischer Entwicklung, die von uns sicher schwere, aber klare und eindeutig motivierte sachbezogene, nur sachbezogene Entscheidungen fordert. Kritische Äußerungen der Opposition sprechen im Hinblick auf Berlin von einem Status quo minus. Dafür werden hauptsächlich zwei Argumente ins Feld geführt, mit denen ich mich auseinanderzusetzen habe. Erstens. Es sei die folgenschwerste Bestimmung des Viermächteabkommens, daß die Berliner Westsektoren kein Land, kein konstitutiver Teil der Bundesrepublik seien und daß diese von den Alliierten gewünschte Formel - so Kollege Marx in der „Welt" vom 6. September 1971 - jetzt in ein internationales Abkommen eingeführt sei; diese Formel habe bisher nur intern zwischen uns und den Westalliierten existiert. Ebenfalls Kollege Marx am 19. Februar 1972 im ZDF-Hearing. - Wollen Sie im Ernst behaupten, wir hätten diese von den Alliierten gewünschte Formel mitsamt den ursprünglichen Vorstellungen. der UdSSR über Berlin als einem dritten deutschen Staat überspielen und West-Berlin vertraglich als ein Land der Bundesrepublik deklarieren lassen können? Glaubt die Oppositin etwa im Ernst, daß die Alliierten, wenn es nicht zum Abschluß des Viermächteabkommens gekommen wäre und wenn die Spannungen in Berlin fortbestehen würden, jemals bereit wären, einer vollen Einbeziehung West-Berlins als elftes Bundesland in die Bundesrepublik zuzustimmen? Eine solche Annahme kann doch nur illusionär sein. Insoweit ist also keine Änderung der realen Lage durch das Viermächteabkommen erfolgt. Nach dem Viermächteabkommen können die Bindungen zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik nicht nur aufrechterhalten, sondern weiterentwickelt werden. Es bleibt die Bundespräsenz mit den Ausschußsitzungen des Bundestages und des Bundesrates sowie den Sitzungen der Fraktionen. Kein Bundesbediensteter wird aus Berlin abgezogen. Wir bleiben hier. Zudem wird die Bundesrepublik nunmehr West-Berlin außenpolitisch auch gegenüber dem Osten vertreten. Das alles läßt zwar noch Wünsche übrig, aber man kann doch dann gegenüber der jetzigen Lage nicht von einem Status quo minus sprechen. Sie wissen genau, daß die vertraglichen Festlegungen, die das Abkommen enthält, von der Sowjetunion bisher als mit dem sogenannten internationalen Status Berlins nicht vereinbar bezeichnet wurden. Jetzt ist die Sowjetunion zur Unterschrift bereit. Das hat bisher keine andere Politik erreicht. Zweitens. Die Opposition führt das vorgesehene sowjetische Generalkonsulat in Berlin als weiteren Beweis für den Status quo minus an. Sie wissen genau, daß dieses Generalkonsulat das Äquivalent dafür ist, daß die Sowjetunion die Vertretung und Betreuung der West-Berliner durch die entsprechenden Institutionen der Bundesregierung in den osteuropäischen Staaten nicht mehr in Frage stellt. Sie wissen, daß damit West-Berlin aus der Zuständigkeit der sowjetischen Botschaft bei der DDR herausgenommen wird. Das ist das Entscheidende. Sie wissen, daß dieses Generalkonsulat bei den drei Westmächten akkreditiert werden soll. Das unterstreicht doch wohl deutlich die Tatsache, daß die Sowjetunion die alleinige Oberhoheit der drei Westmächte für West-Berlin ausdrücklich anerkennt, unbeschadet der weiter bestehenden Vier-MächteVerantwortung für ganz Berlin. Schließlich ist ein sowjetisches Generalkonsulat, das noch dazu in seinem Personalbestand vertraglich begrenzt ist, nicht als ein Minus für eine Stadt anzusehen, die nach unser aller Wunsch gerade durch die Vertragswerke in eine neue zukunftsträchtige Funktion zwischen West und Ost hineinwachsen soll. Oder wollen Sie z. B. in einem sowjetischen Generalkonsulat in Hamburg auch einen sowjetischen Machtzuwachs sehen? Noch eins: Uns wird gelegentlich vorgeworfen, wir würden Positionen und Ansprüche für ein Linsengericht aufgeben. Ich darf daran erinnern, daß der frühere Bundeskanzler Kollege Kiesinger bereit war, auf die Bundesversammlung im Jahre 1969 in Berlin zu verzichten, wenn dafür seitens Ost-Berlins Passierscheine gewährt worden wären. Er motivierte am 3. März 1969 in der ZDF-Sendung „Bonner Perspektiven" diese Bereitschaft so: „Es ist kein Tauschmittel, sondern es ist einfach die Frage: was ist besser für Berlin und die Berliner, daß wir als ein Symbol der politischen Zusammenarbeit die Bundesversammlung dort abhalten oder daß wir etwas für sie herausholen, was für die Dauer ihre Position verbessert? Das ist die ganze Frage." In der Tat, das ist die Frage. So handeln wir. Meine Damen und Herren, niemand von uns wäre bereit, diese - zur Zeit ruhende - Funktion, den Anspruch Berlins als deutscher Hauptstadt, aufzugeben. Aber dieser Anspruch ist durch die Verträge ebensowenig berührt wie alle anderen Fragen, die für eine friedensvertragliche Regelung ausdrücklich offengehalten sind. Es liegt jetzt an uns und an niemand anderem, aus West-Berlin eine attraktive Weststadt zu machen, solange es noch nicht wieder deutsche Hauptstadt sein kann. Herr Dr. Barzel, Sie befürchten, daß West-Berlin durch die ständige Aufwertung - das sind Ihre Worte - Ost-Berlins mehr und mehr verkümmern müsse. In der Tat, ohne diese Ostverträge würde ich diese Befürchtung nach den Erfahrungen der Vergangenheit vielleicht sogar teilen. Jetzt aber, da die Verträge die Lebens- und Entwicklungsfähigkeit der Stadt sichern sollen, wird mit deren Ratifizierung neuer Raum für neues Denken und Handeln geschaffen. Sie, Herr Kollege Barzel, wetteifern doch geradezu - erfreulicherweise, darf ich sagen -mit der Bundesregierung, dem Westberliner Senat und seinem Regierenden Bürgermeister in bezug auf Vorschläge, wie man diese Stadt Berlin für uns alle und für seine Bewohner attraktiver machen könnte. Nur, Herr Kollege, die Schlüsselfrage, die Conditio sine qua non, sollten Sie nicht übersehen: Realisierbar werden alle diese Gedanken erst durch ein Ja zu den Ostverträgen. Ein Nein würde Berlin nicht nur wieder in den Zustand latenter Spannungen und stets möglicher Krisen zurückwerfen, die jede Bemühung um seine Lebensfähigkeit und seine innere Ruhe in Frage stellen. Ein Nein würde nicht nur das Klima der Entspannung, in dem wir jetzt schon leben und von dem wir schon profitieren, wieder zerstören. Ein Nein würde auch - und das wiegt am schwersten - die weltweite Politik unserer Verbündeten, die wie noch nie in der Nachkriegszeit auch in der Berlin-Frage mit der Bundesregierung konform läuft, empfindlich stören. Ein Nein würde jenen Kräften in der DDR, die den Entspannungsverträgen inneren Widerstand entgegensetzen, neuen Auftrieb geben. Die Folgen eines Nein wären unabsehbar. Es wäre einfach apolitisch, wenn man glauben wollte, daß ein Nein nur eine vorübergehende, leichte internationale Unruhe auslösen würde, für die dann die jetzige Bundesregierung und ihre Verbündeten allein verantwortlich wären. So leicht macht es die Geschichte an einem Kreuzweg, am möglichen Beginn einer neuen Epoche, niemandem, auch nicht der Partei, die jetzt in der Opposition steht. Vergessen Sie auch nicht, daß es die vier Alliierten waren, die das Abkommen über Berlin abgeschlossen haben, das durch interdeutsche Verhandlungen lediglich ergänzt worden ist. Wollen Sie unsere Verbündeten desavouieren? Glauben Sie im Ernst, daß Sie, wenn Sie in der Regierungsverantwortung gestanden hätten, mehr hätten erreichen können als die USA, Großbritannien und Frankreich zusammen? Diese Frage sollten Sie sich vorlegen. Wir alle, meine Kollegen, tragen vor unserem Volk und vor der europäischen Geschichte eine schwere Verantwortung. Meine Entscheidung basiert auf den Erfahrungen eines langen Lebens. Sie basiert auf den Lehren aus zwei Weltkriegen. Sie basiert auf schweren persönlichen Erlebnissen. Nicht jeder von Ihnen, Gott sei Dank, brauchte dies alles zu durchleben. Das aber enthebt niemanden der Verantwortung. Hier ist der einzelne gefordert. Daran sollten Sie denken, meine Kollegen von der Opposition. ({10}) Präsident von Hassel: Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gerhard Schröder.

Dr. Gerhard Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002077, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich zunächst ein Wort an die Adresse des Kollegen Borm sagen. Seine Ausführungen über Berlin, das Viermächteabkommen und die damit zusammenhängenden Probleme bedürfen einer eingehenden Kommentierung und Behandlung. Sie wird morgen von meinen beiden Berliner Kollegen vorgenommen werden. Ich möchte mich damit jetzt im Augenblick nicht im einzelnen beschäftigen. Erlauben Sie mir in der kurzen Zeit, die bleibt, noch einmal die Gesamtthematik zu behandeln. Ich möchte mit dem Punkt beginnen, von dem ich annehme, daß er für uns alle hier unsere tiefste Sorge bedeutet, nämlich die Teilung unseres Landes. Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hatte die Freundlichkeit, sich am 9. Februar im Bundesrat mit den Sorgen zu beschäftigen, die ich kürzlich zur Ost- und Deutschlandpolitik der Bundesregierung dargelegt habe. Sie haben, Herr Bundesminister, Bezug genommen auf meine Feststellung, unser schwerstes Bedenken gegen den Moskauer Vertrag sei es, daß durch ihn die Teilung Deutschlands vertieft werde. Sie haben dazu bemerkt - mich hat das etwas erstaunt -, die Teilung Deutschlands hänge doch nicht davon ab, ob die Zentralafrikanische Republik die DDR anerkenne oder nicht. Sie werden doch nicht im Ernst annehmen, daß das von Ihnen erwähnte Beispiel den Kern unserer Sorge trifft. ({0}) Die Frage, Herr Bundesminister, um die es hier geht und die nicht mit so leichter Hand vom Tisch gewischt werden darf, ist doch die: Wie wird sich die staatliche Aufwertung, die internationale Etablierung der DDR auf die Teilung Deutschlands auswirken? ({1}) Welche Folgen wird es haben, wenn beide Teile Deutschlands Mitglieder der Vereinten Nationen werden? Welche Konsequenzen werden sich ergeben, wenn die DDR weltweit völkerrechtlich anerkannt sein wird? Was wird sein, wenn unsere Partner beim Deutschlandvertrag, wenn Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten von Amerika in Ost-Berlin Botschaften errichten werden? Welchen politischen Wert werden dann die feingesponnenen rechtlichen Vorbehalte der Bundesregierung noch haben, einer Bundesregierung übrigens, die den Wert anderer, von uns aufrechterhaltener und wesentlich kräftigerer Rechtspositionen ja sehr gering veranschlagt hat? Auf diese Fragen kommt es an. Die Regierung, so fürchte ich, geht bei ihrer Beantwortung einen Weg, der mit Illusionen gepflastert ist. ({2}) Meine Damen und Herren, die harte und langwierige Auseinandersetzung um die deutsche Ostpolitik und um die Ostverträge ist ein Vorgang, der für ein demokratisches System normal ist. Die Debatte verlangt von uns allen große Klarheit. Sie braucht sachliche und nicht persönliche Härte. Sie muß der anderen Seite den guten Willen zubilligen, und „andere Seite" heißt natürlich: vice versa. Wir sollten unter der Voraussetzung sprechen, daß auf beiden Seiten Patrioten stehen, die unter den gegebenen Bedingungen das Beste für unser Land und Volk wollen. Niemand sollte in dieser Diskussion verteufelt werden. Diese Kontroverse darf nicht in einen Glaubenskrieg ausarten. Dabei sollte Klarheit darüber bestehen, daß eine besonders große Verantwortung vor allem die Regierung selbst und die sie tragenden parlamentarischen Kräfte haben, eine besonders große Verantwortung einfach deswegen, Dr. Schröder ({3}) weil die Regierung und die sie tragenden parlamentarischen Kräfte die größeren Aktionsmöglichkeiten haben. Das sind aber nicht nur größere Aktionsmöglichkeiten, sondern ist auch eine weitaus größere Verantwortung. Wir haben, meine Damen und Herren, häufiger gesagt - und möchten es wiederholen -, daß der Versuch der Lösung so schwieriger Probleme besser auf eine gemeinsame Grundlage gestellt worden wäre. Es mag sein, daß die Regierung ursprünglich einmal etwas Derartiges geplant hat. Der Herr Bundeskanzler hat in der Aussprache über die Regierungserklärung 1969 gesagt: Diese Regierung wird in allen Lebensfragen der Nation die Meinung der Opposition nicht nur hören, sondern sie auch in ihre Politik einbeziehen. Nun, meine Damen und Herren, was ist aus solchen Ankündigungen geworden?! ({4}) Leider - ich sage: leider - gab es keine ausreichenden Bemühungen der Bundesregierung um Gemeinsamkeit. Offenbar war die Bundesregierung entschlossen, ihren eigenen Weg zu gehen. Im Grunde hatte sie diesen eigenen Weg bereits in der Regierungserklärung von 1969 mit der Formulierung von den „zwei Staaten in Deutschland" beschritten. Die entscheidende Veränderung der deutschen Politik in der jüngeren Zeit liegt also bereits vor der oder in der Regierungserklärung selbst. Wir wollen heute hier mit Klarheit und Nachdruck aussprechen, daß die bis 1969 gemeinsam verfolgte Linie der Ost- und Deutschlandpolitik von der Regierung ohne eine Fühlungnahme und ohne Übereinstimmung mit der Opposition verlassen worden ist. ({5}) Meine Damen und Herren, ich weiß, daß das ein harter Vorwurf ist. Wenn der Außenminister gegenüber diesem Vorwurf darauf verweist, er habe doch auch die Opposition eingeladen, Vertreter zu den Abschlußbesprechungen mit nach Moskau und Warschau zu entsenden, so fällt es bei aller Zurückhaltung, so muß ich sagen, schwer, dieses Argument ernst zu nehmen. ({6}) Als diese Einladung erging, waren alle entscheidenden Festlegungen bereits getroffen. Aber einen Teil der Dekoration oder ein Stück der Statisterie bei den Schlußakten zu bilden war sicherlich nicht das, was unter gemeinsamer Grundlage und gemeinsamem Handeln verstanden werden sollte. ({7}) Wir haben also als erstes festzustellen, daß die Bundesregierung eine neue Ost- und Deutschlandpolitik eingeschlagen hat. Sie selbst verfährt dabei in ihrer Argumentation allerdings nicht einheitlich. Je nach Bedarf hebt sie hervor, daß die frühere Politik in eine Sackgasse geführt habe oder - so sagt sie noch gröber 20 Jahre lang nichts geschehen sei; erst jetzt werde aktive deutsche Politik nach Osten betrieben. Oder aber sie nimmt für sich in Anspruch, ihre Politik stehe in der Kontinuität und sei die Fortsetzung der früher unter unserer Führung verfolgten Linie. Nun, meine Damen und Herren, von Kontinuität kann sicherlich nicht gesprochen werden. ({8}) Die Politik dieser Bundesregierung hat wesentliche Teile und wesentliche Positionen der früheren Politik aufgegeben oder hat sie auf Formalien reduziert. ({9}) Es gibt trotzdem eine Übereinstimmung, die im Interesse unseres Landes sowohl nach draußen wie nach drinnen betrachtet nachdrücklich unterstrichen werden muß. Diese Gemeinsamkeit besteht und muß bestehen bleiben trotz aller Fehler, die gemacht worden sein mögen. Es besteht eine Gemeinsamkeit im Ziel der Ost- und Deutschlandpolitik, wenn man darunter dreierlei verstehen will: Das Festhalten am Selbstbestimmungsrecht aller Deutschen, friedliche Beziehungen, Verständigung, Zusammenarbeit auch mit den Staaten Osteuropas einschließlich der Sowjetunion und schließlich - das ist der dritte Punkt - den Verzicht auf Androhung und Anwendung von Gewalt. Dies alles sind Elemente einer Politik, die wir über viele Jahre verfolgt haben. Als Außenminister der Jahre 1961 bis 1966 möchte ich hier mit allein Nachdruck feststellen, daß die genannten drei Ziele, von denen ich hoffe, daß wir nach wie vor in ihnen einig sind, in den Jahren unserer Regierungsführung gegolten haben. Ich möchte gleichzeitig sagen, daß sie nach unserer Meinung weiter gelten und gelten müssen und daß wir im deutschen Interesse alles Erdenkliche tun müssen, diese Überzeugung als eine gemeinsame Überzeugung von Opposition mit Regierung nach drinnen und draußen festzuhalten. ({10}) Meine Damen und Herren, wenn ich das nachdrücklich unterstreiche, möchte ich ebenso klar Bemerkungen zurückweisen - es sind Bemerkungen, die im Bundesrat gefallen sind - wie z. B. die, daß wir in erstarrten Denkkategorien, in einer Art „Maginot-Denken" - so hat es der Außenminister formuliert - befangen gewesen seien. Derlei Unterstellungen und Bemerkungen tragen zur Sachlichkeit der Auseinandersetzung nicht bei. ({11}) Die Bundesregierung mag für sich in Anspruch nehmen, daß ihre heutige Politik richtig sei. Das ist ihr gutes und von uns nicht bestrittenes Recht. Aber wir wehren uns gegen jede Schwarz-Weiß-Malerei, etwa in dem Stile: hier eine neue Ostpolitik, dort alter Immobilismus! ({12}) Diese Schwarz-Weiß-Malerei dient weder den Interessen unseres Landes noch trägt sie zu einem guten Stil der Diskussion bei. ({13}) Dr. Schröder ({14}) Aber lassen Sie mich zu einem etwas heiteren Bild übergehen: Der Herr Bundesaußenminister hat im Bundesrat in Antwort auf Ausführungen von Ministerpräsident Filbinger lange über das Verhalten des Weines gesprochen. Mit dem Zeitfaktor, so meinte er, bei diplomatischen Verhandlungen sei es wie mit dem Wein: Auch da sei die Zeit ein wichtiger Faktor. Es gebe Rotweine - die Verantwortung für diese Feststellung trägt er -, ({15}) die immer besser würden, je älter sie seien, und die immer besser würden, je länger man damit warte, sie zu trinken. Aber der Bundesaußenminister spricht dann von einem Zeitpunkt des Umschlagens der Weine, wenn man zu lange warte, und kommt dann mit diesem Bild wieder zu den diplomatischen Verhandlungen; wenn man nämlich den rechten Zeitpunkt, die Chance zu verhandeln, nicht nutze, sei sie unwiderbringlich dahin. Nach seiner Behauptung hat die Bundesregierung in den Verhandlungen mit der Sowjetunion und mit Polen genau den Zeitpunkt gewählt, ({16}) der der geeignetste gewesen sei, um ein Ergebnis zu erreichen, das für beide Seiten akzeptabel sei und auch von beiden Seiten getragen werde. ({17}) - Das war der Zipfel, über den heute schon gesprochen wurde. Der frühere Bundeskanzler meinte, er sei auf Ihrer Seite nicht erwischt worden. Aber vertiefen wir diese Kontroverse nicht. Das ist in der Tat ein wichtiger Gedanke, der dort ausgesprochen worden ist, Herr Bundesminister. Dieser Gedanke leitet zum Kern der Divergenz hin. War dies der richtige Zeitpunkt, so weitgehende Verträge zu schließen? Wir sagen klipp und klar, daß, wenn wir solche Verträge hätten schließen wollen, das schon Jahre vorher möglich gewesen wäre. ({18}) Meine Damen und Herren, wir sprechen aus unserer Beurteilung der künftigen weltpolitischen Entwicklung unsere Überzeugung aus, daß auch zu einem späteren Zeitpunkt ein Vertragsabschluß nicht nur dieser Art, sondern besserer Art möglich geworden wäre. ({19}) Ich habe die Einigkeit im Ziel unterstrichen, aber dieser Einigkeit im Ziel entspricht weder eine Einigkeit über den Weg noch über die Gangart auf diesem Weg. Wie war die Gangart, und durch was war sie charakterisiert? Die Antwort lautet: sie war charakterisiert durch unangemessene Eile, durch den Eindruck von Hektik und durch die Erzeugung von Erfolgszwang. Der Weg ist gekennzeichnet durch die beiden Verträge, und ich stelle nun die Frage: wie sind die Verträge zu bewerten? Die Regierung erklärt ihre Motive an verschiedenen Stellen in folgender Weise. Erstens: Es habe eine Bereitschaft der Sowjetunion zum Arrangement mit uns und zu mehr Zusammenarbeit mit dem Westen überhaupt gegeben, aus Gründen teils inneupolitischer Natur, teils außenpolitischer Art. Die Gründe innenpolitischer Natur werden zurückgeführt auf die Entwicklung der sowjetischen Industriegesellschaft und ihr natürliches Bedürfnis, einen höheren Lebensstandard zu erzielen und sich dafür der möglichen Hilfsquellen des Westens zu bedienen. Unter den Gründen außenpolitischer Art wird häufig das Stichwort China genannt. Übrigens nicht so sehr von uns - daran denke ich jetzt weniger - als von Regierungsseite. Die Regierung sagt weiter das ist der zweite Punkt -, daß die Bundesrepublik Deutschland ihren Beitrag zu den weltweiten, insbesondere auch von der NATO verfolgten Entspannungsbemühungen leisten müsse. Zu diesen beiden Argumenten möchte ich sagen: Beide sind als Bewertung wahrscheinlich zutreffend. Als Kommentar muß aber folgendes dazu festgestellt und der Regierung entgegengehalten werden. Erstens: Die Bereitschaft der Sowjetunion zu Abmachungen mit uns war vor, sagen wir, fünf oder sechs Jahren sicherlich geringer als jetzt, ihre Sorgen waren nämlich damals geringer. Wenn also eine gewachsene Bereitschaft der Sowjetunion ihrer veränderten Interessenlage entspricht oder entsprach, so konnte auf unserer Seite mit mehr Geduld, mit mehr Festigkeit und mehr Ausdauer verhandelt werden, statt hastig zuzugreifen, obwohl noch sehr wenig aus dem Tisch lag. ({20}) Meine Damen und Herren, es ist nicht strittig, daß auch die Bundesrepublik Deutschland einen Beitrag zur Entspannung leisten soll. Daraus ergibt sich aber keineswegs, daß dieser Beitrag so auszusehen hat, wie dies bei den Ostverträgen der Fall ist. ({21}) Es ist also nicht angängig, daß die Bundesregierung versucht, den Eindruck zu erwecken, als habe sie mit dem Abschluß des Moskauer Vertrages eine einmalige, sozusagen nicht wiederkehrende Gelegenheit genutzt, als seien Verträge des Inhalts, wie sie jetzt vorliegen, der einzig mögliche Entspannungsbeitrag der Bundesrepublik Deutschland. Nach Auffassung der Bundesregierung hat die Sowjetunion, hat aber auch Polen uns gegenüber wichtige Konzessionen gemacht. Sie bestehen oder sollen bestehen in dem Verzicht auf eine formelle völkerrechtliche Anerkennung der DDR, sie sollen bestehen im Verzicht auf eine Anerkennung WestBerlins als selbständiger politischer Einheit, sie sollen bestehen - nach Meinung der Regierung ist das eine Konzession - im Verzicht auf Anwendung der sogenannten Interventionsartikel der UN-Charta gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, worüber heute schon ein paarmal gesprochen wurde. Als wichtige Konzession werden angeführt die Anerkennung des Fortbestehens der Viermächte-Verantwortung für Deutschland als Ganzes und schließlich der Verzicht auf die völkerrechtliche Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als endgültiger Westgrenze Polens. Dr. Schröder ({22}) Nun, meine Damen und Herren, hier muß klar gesagt oder klargemacht werden, daß die Erfüllung fast aller dieser sowjetischen bzw. polnischen Forderungen der Bundesregierung aus rechtlichen Gründen, d. h. nach der grundgesetzlichen Lage, gar nicht möglich war und ist. Die Bundesregierung hat also nicht etwa der Gegenseite durch geschickte Verhandlungsführung etwas nicht gegeben oder nicht gewährt, was sie hätte leisten können; sie wäre in all diesen Fragen, die ich gerade aufgeführt habe, mit Sicherheit auf die Schranken des Grundgesetzes gestoßen. Dem mußte sie zu entgehen versuchen. ({23}) Als Vorteile, die weiterhin mit den Verträgen verbunden seien, stellt die Bundesregierung dar: Die Grundlage für den weiteren Ausbau der Beziehungen in politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht, die Aussöhnung mit dem Osten, die Entkrampfung der Beziehungen; sie werde im Laufe der Zeit zur Verwirklichung der Grundrechte in ganz Europa, also auch in ganz Deutschland, führen, z. B. zur Wiederherstellung der Freizügigkeit; aus einem geregelten Nebeneinander werde es zu einem Miteinander der beiden Teile Deutschlands kommen; es seien keine endgültigen Grenzregelungen erfolgt, da die Bundesrepublik Deutschland nur sich, nicht aber einen zukünftigen gesamtdeutschen Souverän binden könne; für den weiteren, insbesondere politischen Zusammenschluß Europas sei Voraussetzung, daß die Bundesrepublik Deutschland keine Grenzprobleme im Osten mehr habe. Die Widersprüchlichkeit der beiden letztgenannten Argumente liegt doch wohl klar zutage. ({24}) Das ändert aber nichts daran, daß sie geläufig wiederholt werden. Bei Würdigung dieser Argumentation der Bundesregierung möchte ich auf einige Punkte hinweisen, die ich für besonders wichtig halte. Die sowjetischen Konzessionen oder die Abwehr sowjetischer Forderungen waren kein Erfolg der Verhandlungsführung, sondern ergaben sich zwingend aus der Rechtslage. Ich denke dabei an die unter anderem von der Regierung in die Materialien eingeführte Bemerkung des sowjetischen Außenministers Gromyko: Wir könnten einen Vertrag machen, der das Kreuz über alle Pläne zur Wiedervereinigung Deutschlands setzen würde. Wir haben nicht die Antwort, die daraufhin von deutscher Seite gegeben worden ist. War dies eine zynische Bemerkung, oder welche Art von Bemerkung war es? Sie können sie in der ersten Drucksache, die vor Ihnen liegt, nachlesen. Ich möchte mit allem Nachdruck betonen, daß ein solcher Vertrag - „Wir könnten einen Vertrag machen" - mit keiner Regierung der Bundesrepublik Deutschland hätte abgeschlossen werden können, solange das Grundgesetz gilt. ({25}) Meine Damen und Herren, zu den Interventionsartikeln der UN-Charta ist zu sagen, und zwar schon seit langem: Die Sicherheit unseres Landes beruht nicht auf dem guten Willen der Sowjetunion, sondern auf der Kraft des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses, ({26}) dem wir angehören dank der Politik, die wir seit vielen Jahren, so darf ich doch wohl sagen, gemeinsam hier betrieben haben. ({27}) - Ja, ich weiß, Herr Strauß, aber gemeinsam - das andere stimmt schon - für viele Jahre. Die Bundesregierung arbeitet ganz überwiegend mit Hoffnungen und Erwartungen auf die Zukunft. Wir wissen alle, meine Damen und Herren, daß ohne diese Elemente Politik sicherlich nicht möglich ist, da der Politik ihrem Wesen nach etwas Spekulatives innewohnt im Gegensatz zu den exakten Naturwissenschaften, bei denen es sich um berechenbare, meßbare Größen handelt oder handeln soll; lassen wir das offen. Aber Verträge, die einen wirklichen Interessenausgleich bringen sollen, müssen aus ihrem Text heraus klar und eindeutig für beide Seiten in ausgewogener Weise Vorteile bringen. ({28}) Zu der optimistischen Betrachtungsweise der Bundesregierung in dieser Beziehung gibt es ein bemerkenswertes Zitat, eine Äußerung, die der Herr Bundesminister des Auswärtigen im Bundesrat am 9. Februar gemacht hat. Ich zitiere: Ist die Perspektive eines guten und konstruktiven Verhältnisses auch zur Sowjetunion für die Bundesrepublik nicht auch eine Gegenleistung? Dazu ist zu sagen: Ein gutes und konstruktives Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion, wie wir alle es wünschen, sollte nach unserer Auffassung für beide Seiten vorteilhaft sein. Eine Gegenleistung der Sowjetunion kann ich in der Inaussichtstellung solcher für sie wie für uns nützlichen Beziehungen nicht erblikken. ({29}) Meine Damen und Herren, dieses Beispiel - Sie können das im Protokoll selber nachlesen, und Sie werden darüber nachdenklich werden - ist aber typisch für die Art und Weise, wie die Bundesregierung zugunsten der Verträge argumentiert. Es bleibt also die Feststellung, daß es schwere Bedenken erwecken muß, wenn die Vorteile von Verträgen weniger auf den Vertragstext als auf Hoffnungen und Erwartungen gegründet werden. ({30}) Dies, meine Damen und Herren, ist um so bedenklicher, als offenbar - und dies hat die Bundesregierung durch ihre eher lapidar klingenden als überzeugenden Erklärungen in keiner Weise widerlegen können - zwischen ihrer Interpretation der Ver9824 Dr. Schröder ({31}) träge und der Interpretation und Anwendung durch ihre Vertragspartner nicht nur Unterschiede, sondern Gegensätze bestehen. ({32}) Wo liegen die Gegensätze nun wirklich? Die Bundesregierung sagt wieder und wieder, die Verträge sollten zu einem Modus vivendi - oder sagen wir besser: zu einem erträglichen Modus vivendi - führen, sie seien eine Beschreibung der bestehenden Realitäten, eine Beschreibung des Status quo. Das Echo im Osten, teilweise auch im Westen und teilweise auch in der Dritten Welt aber lautet: In Wirklichkeit handelt es sich um eine Anerkennung des Status quo und damit auch der Teilung Deutschlands; es sei eine endgültige Fixierung des Status quo, der sogenannten Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges. Nun, meine Damen und Herren, damit kein Mißverständnis aufkommt: Ich will hier gleich einfügen, daß ich absolut den Standpunkt vertrete, daß wir Deutschen keine Auslegung der Verträge zu unseren Ungunsten vornehmen sollten, ({33}) uns also nicht einer Argumentationslinie der Gegenseite bedienen dürfen. Das ändert aber doch gar nichts daran, daß wir diese Argumentationslinie Tag für Tag vorgesetzt bekommen, ohne daß das auf den energischen Widerstand der Bundesregierung stieße. ({34}) Meine Damen und Herren, ich verstehe sehr wohl, daß die Bundesregierung in dieser Frage Zurückhaltung übt. Auf der anderen Seite - und davor kann und darf sie die Augen nicht verschließen - muß sie aber erkennen, daß die Gefahr des Auseinanderklaffens der Auffassungen, also des Dissenses, der Nichtübereinstimmung damit in gefährliche Größenordnungen wächst. ({35}) Ich möchte mich hier auf ganz wenige Beispiele beschränken und zunächst eine Stimme aus dem Westen zitieren, nämlich die Schlagzeile einer angesehenen französischen Zeitung, des „Figaro", schon vom 4. Juni 1970. Dort heißt es kurz und bündig: Der deutsch-sowjetische Vertrag wird die Teilung Deutschlands feierlich festlegen. ({36}) Was den Warschauer Vertrag angeht, so war die Stimme von Gomulka selbst am 3. Dezember 1970 in Hindenburg zu hören: In diesem Vertrag erkennt die Bundesrepublik Deutschland den endgültigen Charakter unserer westlichen Grenze an Oder und Neiße an. Ich verzichte hier darauf, aus der Rede Breschnews vom August 1970 in Alma-Ata zu zitieren; sie lautet auf Anerkennung, nicht Beschreibung. Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Arndt ({37})?

Dr. Gerhard Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002077, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr!

Prof. Dr. Claus Arndt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000048, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schröder, würden Sie das Haus freundlicherweise deutlich darauf hinweisen, daß beide Zitate, die Sie eben gebracht haben, vor der endgültigen Festlegung der Vertragstexte liegen?

Dr. Gerhard Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002077, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nur das erste! Ich will mich wegen des Zeitablaufs nicht unnötig lange aufhalten, aber das erste Zitat liegt vor dem Abschluß und ist deswegen im Grunde noch gefährlicher, weil es in diese Richtung gewiesen hat. ({0}) Das zweite Zitat läuft parallel zur Unterzeichnung. ({1}) - Natürlich wußte er, wovon er redet, denn die Sache war ihm ja nahe genug. Die Bundesregierung verweist demgegenüber darauf, daß das Wort Anerkennung in den Verträgen nicht vorkommt. Sie kann aber nicht bestreiten, daß die dort verwendeten Formulierungen von der östlichen Seite als Ersatzvokabeln gewertet werden. ({2}) Die Vorbehalte der Regierung sind also zwar formal richtig, aber die politische Wirkung der Abmachungen ist, wie ich das gezeigt habe, dem weithin entgegengesetzt. Es besteht hier ganz offensichtlich die Gefahr - jetzt spreche ich einmal nur von der Gefahr -, daß die formalen Vorbehalte der Regierung als verbale Pflichtübung entwertet werden. ({3}) Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Gerhard Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002077, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, nicht jetzt. Das ist nicht nur eine Gefahr, meine Damen und Herren, sondern es ist - leider, sage ich - schon Wirklichkeit. Unsere Kritik an den Verträgen beruht daher auf der Befürchtung, daß die Teilung Deutschlands vertieft, die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts für alle Deutschen erschwert wird; daß das im Deutschland-Vertrag niedergelegte Engagement unserer drei großen westlichen Verbündeten, zu einer freiheitlichen Lösung der deutschen Frage beizutragen, mit Sicherheit durch diese Verträge nicht gestärkt, sondern vermindert wird. ({0}) Dafür ist heute hier schon das eine oder andere Mal die Redewendung gebraucht worden, niemand könne erwarten, daß unsere westlichen VerDr. Schröder ({1}) bündeten etwa deutscher sein würden als die Deutschen selbst und - das ist noch wichtiger - daß sie etwa noch Interessen wahrnehmen würden, die von der Bundesregierung selbst kleiner geschrieben werden. ({2}) Wie gespenstisch das ist, sehen Sie, wenn Sie sich eine etwas zurückliegende Äußerung der drei Westmächte anhören. Die Deutschland-Erklärung der drei Westmächte vom 26. Juni 1964 war zum Abschluß des Vertrages zwischen der Sowjetunion und der DDR verfaßt worden. Dort heißt es: Die drei Regierungen erkennen weder das ostdeutsche Regime noch die Existenz eines Staates in Ostdeutschland an. Was die Bestimmungen über die Grenzen dieses sogenannten Staates betrifft, wiederholen die drei Regierungen, daß es innerhalb Deutschlands und Berlins keine Staatsgrenzen, vielmehr nur eine „Demarkationslinie" und die „Sektorengrenzen" gibt und daß auf Grund eben der Abkommen, auf welche in dem Vertrag vom 12. Juni Bezug genommen wird, die endgültige Festlegung der Staatsgrenzen Deutschlands einer Friedensregelung für Gesamtdeutschland vorbehalten bleibt. ({3}) Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Gerhard Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002077, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte zu Ende kommen. Wir befürchten, daß die Ostpolitik langfristig den Zusammenhalt des Westens, das empfindliche Machtgleichgewicht in Europa und damit unsere Sicherheit gefährdet. Wir haben insbesondere die ernste Sorge, daß die Bindungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten eben nicht intensiviert, sondern daß sie gelockert werden und daß damit die Funktionsfähigkeit der NATO beeinträchtigt wird. Wir befürchten, daß es auf die Dauer gesehen zu einer Machtverschiebung in Europa zugunsten der Sowjetunion kommt. Wir befürchten, daß sie aus dieser veränderten Situation heraus dem ihr äußerst unbequemen westeuropäischen Zusammenschluß nach Kräftén Steine in den Weg legen wird. Von Regierungsseite wird nun gesagt, wir arbeiteten mit Befürchtungen, während wir ihr gleichzeitig vorwürfen, sie stütze sich auf Hoffnungen und Erwartungen. Dann bezögen sich doch beide auf die Zukunft. Meine Damen und Herren, das mag im ersten Augenblick ganz gut klingen; es ist aber durchaus nicht überzeugend. Die Ausgangspositionen von Regierung und Opposition sind sehr verschieden. Die Regierung hat, wenn wir den Moskauer Vertrag als das Hauptinstrument ansehen, einen Vertrag geschlossen, dessen Vorteile sich für beide Seiten, wie ich vorhin sagte, normalerweise aus dem Vertragstext ergeben sollten. Das heißt also, Leistungen und Gegenleistungen sollten erkennbar in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. In Wirklichkeit hat die Regierung sowjetischen Forderungen, die jahrelang erhoben worden sind, entsprochen. ({0}) Die Vertretung der deutschen Interessen ist dadurch nicht leichter geworden. Die Vertretung der deutschen Interessen wird in Zukunft sehr viel mehr Festigkeit, sehr viel mehr Mut und Entschlossenheit erfordern, als die Bundesregierung beim Zustandekommen dieses Vertrages bewiesen hat. ({1}) Da sich nun aus dem Vertragstext sicher keine Vorteile, nach seiner östlichen Interpretation sogar schwerwiegende Nachteile für die deutschen Interessen ergeben, versucht die Regierung, den Vertragsabschluß mit Verweisungen auf künftig zu erwartende Entwicklungen zu rechtfertigen. Es tut mir leid, meine Damen und Herren, aber in unseren Augen ist das keine solide Außenpolitik. ({2}) Meine Damen und Herren, es ist die Pflicht der Opposition, auf die Mängel, auf die Unausgewogenheit der Verträge und auf die Gefahren, die sich daraus ergeben können, hinzuweisen. Bei Würdigung aller Argumente erscheinen die Risiken, die mit der Ostpolitik der Bundesregierung und mit den Verträgen von Moskau und Warschau verbunden sind, bei weitem größer als die Chancen, die sie bieten können. Zum Schluß nur noch ein Wort zu einer Frage, die viel Unruhe verursacht hat und noch verursacht und auf die wir eine ganz nüchterne Antwort dringend geben müssen. Von Regierungsseite wie auch von östlicher Seite wird immer wieder mehr oder weniger deutlich auf die angeblich schwerwiegenden Folgen hingewiesen, die mit einem Scheitern dieser Verträge für die Bundesrepublik Deutschland verbunden sein würden. Es sind Ausdrücke wie „Desaster" und „totale Isolierung", die uns dann angeblich drohten, verwendet worden. Der Bundesregierung muß deutlich gesagt werden, daß sie allein es ist, welche die Verantwortung für eine Politik trägt, die sie allein betrieben hat und betreibt. ({3}) Die Bundesregierung nimmt die Chance des Erfolgs für sich in Anspruch. Sie muß auch das Risiko des Scheiterns tragen. ({4}) Wir jedenfalls werden uns von Pressionen nicht beeindrucken lassen. ({5}) Ein Scheitern der Verträge ist ein Desaster nur für die Bundesregierung, die sie abgeschlossen hat. ({6}) Ich bin der Überzeugung, daß die Interessen Deutschlands ohne diese Verträge besser wahrgenommen werden können. ({7}) Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat beschlossen, die heutige Debatte bis 20 Uhr fortzusetzen und sie morgen früh um 9 Uhr wiederaufzunehmen. Nach dem Stand von gegenwärtig 20 Uhr ist morgen früh als erster Redner der Herr Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen vorgesehen. Ich schließe die heutige Sitzung und berufe die nächste Sitzung auf morgen, Donnerstag, den 24. Februar, 9 Uhr ein.