Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 8/18/1961

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Die Sitzung ist eröffnet. Einziger Punkt der Tagesordnung, meine Damen und Herren: Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung zur politischen Lage und Beratung über die Lage Berlins. Das Wort zu einer Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler.

Dr. Konrad Adenauer (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000009

Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Namens der Bundesregierung gebe ich folgende Erklärung ab: Die Machthaber in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands haben seit den frühen Morgenstunden des 13. August den Verkehr zwischen dem sowjetischen Sektor und den drei westlichen Sektoren Berlins fast völlig zum Erliegen gebracht. Entlang der Sektorengrenze wurden Stacheldrahtverhaue errichtet; starke Verbände der Volks- und Grenzpolizei bezogen ihre Stellungen an der Sektorengrenze, um die Abriegelung des Verkehrs zwischen Ost- und Westberlin durchzuführen. Gleichzeitig wurden Truppen der Nationalen Volksarmee in Ostberlin eingesetzt. Diese Abriegelungsmaßnahmen wurden auf Grund eines Beschlusses der Zonenmachthaber vom 12. August ergriffen. Mit ihrer Durchführung hat das Ulbricht-Regime gegenüber der gesamten Welt eine klare und unmißverständliche politische Bankrotterklärung einer 16jährigen Gewaltherrschaft abgegeben. ({0}) Mit diesen Maßnahmen hat das Ulbricht-Regime eingestehen müssen, daß es nicht vom freien Willen der in der Zone lebenden Deutschen getragen und gestützt wird. Mit diesen Maßnahmen hat das Ulbricht-Regime bestätigt, daß die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts durch das deutsche Volk zur Erhaltung des Weltfriedens unaufschiebbar geworden ist! ({1}) Diese widerrechtlichen Maßnahmen, die die Bundesregierung mit Sorge und mit Abscheu zur Kenntnis genommen hat, stehen in flagrantem Widerspruch zu den Viermächtevereinbarungen über die Bewegungsfreiheit innerhalb Groß-Berlins und denjenigen Viermächtevereinbarungen, die die Regelung des Verkehrs zwischen Berlin und ,der Zone zum Gegenstand haben. Mit der Abriegelung des Verkehrs zwischen Ost- und Westberlin hat das Zonenregime die bestehenden und von der Regierung der UdSSR bis auf den heutigen Tag anerkannten Viermächtevereinbarungen betreffend Berlin einseitig und mit brutaler Gewalt verletzt. Die Bundesregierung stellt mit großem Bedauern fest, daß dieser Willkürakt mit Billigung der Regierung der UdSSR als Führungsmacht des Warschauer Paktes erfolgt ist. Mit dieser Billigung hat sich die sowjetische Regierung in Gegensatz zu ihren ständigen Beteuerungen gestellt, die Deutschland- und Berlin-Frage auf dem Verhandlungswege zu lösen. Während der amerikanische Präsident in seiner letzten Pressekonferenz vom 10. August erneut die Bereitschaft der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika zum Ausdruck gebracht hat, über die Deutschland- und Berlin-Frage Verhandlungen zu führen, reagieren die Zonenmachthaber auf diesen westlichen Friedens- und Verhandlungswillen mit militärischen Maßnahmen. Diese Reaktion führt der gesamten Weltöffentlichkeit - mehr als Worte dies zu tun vermögen - vor Augen, daß die gegenwärtige Krise einzig und allein durch die sowjetische Deutschland- und Berlin-Politik ausgelöst wurde. ({2}) Die Regierung der Sowjetunion hat am 10. November 1958 durch ihre Erklärungen die Berlin-Krise ausgelöst. Sie hat in der Zwischenzeit in zahllosen Noten und Erklärungen darauf hingewiesen, daß sie, was auch sonst ihr Ziel sei, nicht daran denke, die Freiheit Westberlins anzutasten, die vielmehr von ihr feierlich garantiert werden solle. Wie lassen sich diese Erklärungen mit den Ereignissen der letzten Tage vereinbaren? Die Abmachungen der Sowjetunion mit ,den drei westlichen Mächten wurden zerrissen. Die Panzer der Volksarmee, die Volkspolizei und die Betriebskampfgruppen, die in und um Ostberlin zusammengezogen wurden, um einen rechtswidrigen Angriff gegen den Status der Stadt Berlin militärisch zu unterstützen, geben eine Vor9770 ahnung dessen, wie die Garantie einer sogenannten Freien Stadt beschaffen sein würde. ({3}) Die Welt war am 13. August 1961 Zeuge des ersten Schrittes auf dem Wege zur Verwirklichung der angekündigten Ziele. Das nach den Regeln des Völkerrechts gültige Viermächtestatut der Stadt Berlin ist erneut .gebrochen worden. Die jüngste Maßnahme ist zugleich (die schwerwiegendste und ,die brutalste. Die von den ,Behörden der sowjetischen Besatzungszone auf Weisung ihrer Auftraggeber durchgeführten Absperrungsmaßnahmen innerhalb der Stadt Berlin und zwischen der Stadt und ,der sowjetisch besetzten Zone sollen offensichtlich der Auftakt sein für die Abschnürung des freien Teiles der deutschen Reichshauptstadt von der freien Welt. Das Marionettenregime in der Zone macht in seinem Beschluß vom 12. August den vergeblichen Versuch, die angebliche Notwendigkeit dieser Abriegelungsmaßnahmen zu begründen. Die Bundesregierung hält es für unter ihrer Würde, auf diese Verdrehungen und unwahren Behauptungen näher einzugehen. Diese Behauptungen werden von der Wirklichkeit selbst gerichtet. Die Bundesregierung möchte jedoch mit allem Nachdruck klarstellen, daß diese illegale Aktion der Zonenmachthaber ein für allemal der Weltöffentlichkeit zeigt, in welchem Teil Deutschlands „Militarismus und Aggression" praktiziert werden. ({4}) Noch in ihrer letzten Note vom 3. August 1961 hat die Sowjetunion erneut ihre Forderung nach Abschluß eines sogenannten Friedensvertrages und nach Umwandlung Ides geltenden Viermächtestatus der Stadt Berlin, und zwar nur des westlichen Teils von Berlin, in eine sogenannte freie Stadt mit der Behauptung begründet, ,daß diese Maßnahme notwendig sei, um dem angeblichen Militarismus und Revanchismus in der Bundesrepublik zu (begegnen. Sie hat erneut versucht, den Eindruck zu erwecken, als ob verantwortliche Kreise in der Bundesrepublik die Absicht hätten, gegen die Sowjetunion oder irgendeinen anderen Staat der Welt kriegerische Maßnahmen vorzubereiten. Jeder, der in die Bundesrepublik kommt, kann sich von dem Gegenteil überzeugen, und die überwältigende Mehrheit aller Staaten der Welt stimmt mit uns in ,der Bewertung unserer friedlichen und ausschließlich auf die Verteidigung unserer Lebensinteressen ausgerichteten Politik überein. ({5}) Jeder, der heute nach Ostberlin und in die Zone geht, kann sich durch Augenschein davon überzeugen, daß dort Maßnahmen getroffen worden sind, die im wahren Sinne des Wortes die Bezeichnung militaristisch verdienen. ({6}) Diese Maßnahmen sind zudem in einem Zeitpunkt ergriffen worden, in dem die ganze Welt nur von der einen Hoffnung erfüllt ist, daß es nicht zu einer kriegerischen Auseinandersetzung kommen möge. In einer solchen an und für sich schon sehr ernsten Situation treiben die Zonenmachthaber durch ihre militärischen Vorbereitungen ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. ({7}) Die Bundesregierung hält es für unerläßlich, die Weltöffentlichkeit auf die wahren Ursachen dieser Gewaltpolitik hinzuweisen. Nicht die angebliche militaristische und revanchistische Politik der Bundesrepublik hat die Zonenmachthaber veranlaßt, ihre wahren Absichten offenzulegen, sondern das Resultat ihrer ständigen Weigerung, den in der Zone lebenden Deutschen die Lebensordnung zu geben, die (diese Menschen halben wollen. ({8}) Es mutet wie eine makabre Groteske an, wenn sich die Vertreter des Ulbricht-Regimes heute hinstellen und erklären, daß die Deutschen in der Zone das Selbstbestimmungsrecht bereits ausgeübt hätten. Der ständige Flüchtlingsstrom der vergangenen Wochen und Jahre spricht eine andere Sprache, die Sprache der Wirklichkeit. Es ist aufschlußreich, sich in .das Gedächtnis zurückzurufen, wann dieser verstärkte Flüchtlingsstrom erneut einsetzte. Er setzte ein, als die massiven Drohungen des sowjetischen Ministerpräsidenten, einen Friedensvertrag mit der Zone abzuschließen, den Menschen in der Zone die Hoffnungslosigkeit ihrer Situation vor Augen führten. Für diese Menschen wurde der angekündigte Separationsvertrag ein Alpdruck, dem sie unter allen Umständen entrinnen wollten. In ihrer seelischen Verzweiflung sahen diese Menschen keinen anderen Ausweg, als ihre Heimat in der Zone unter Aufgabe von Hab und Gut und unter Gefährdung ihres Lebens zu verlassen, um in der Bundesrepublik ein neues Leben in Freiheit zu beginnen und aufzubauen. Ihr freier Entschluß, ihre Heimat aufzugeben, war die einzige Form, in der sie das ihnen verbliebene persönliche Selbstbestimmungsrecht ausüben konnten. Es blieb ihnen nichts anderes übrig als die „Abstimmung mit den Füßen", um diesen Ausdruck Lenins zu gebrauchen. Mit dieser Abstimmung haben diese Menschen der Welt gezeigt, was sie wirklich wollen: Sie wollen die Freiheit und nicht die Unfreiheit. ({9}) Die Bundesregierung hat sichere Unterlagen dafür, daß trotz einer 16jährigen Terrorherrschaft kommunistischer Funktionäre in der Zone über 90 % der dort lebenden Deutschen das Regime, welches sie unterdrückt, ablehnen, den Sklavenstaat, den man ihnen aufgezwungen hat, verachten und nichts sehnlicher als die Vereinigung mit den in der Freiheit lebenden Deutschen wünschen. Die Sowjetunion, meine Damen und Herren, behauptet immer wieder, daß der jetzt gültige Status der Stadt Berlin eine der Ursachen für die bestehenden Spannungen sei. Es ist nicht nötig zu wiederholen, daß diese Behauptung unrichtig ist. Wohl aber ist es angebracht, nachdrücklich darauf hinzuBundeskanzler Dr. Adenauer weisen, daß eine Lösung des Deutschlandproblems auf der Grundlage der Selbstbestimmung der beste, ja der einzige Weg ist, um die Spannungen und Schwierigkeiten auszuräumen. ({10}) Eine solche Lösung wäre wirklich ein echter Beitrag zur Erhaltung und Sicherung des Friedens in der Welt. In dieser ernsten Lage, die durch die Zonenmachthaber heraufbeschworen worden ist, steht die Bundesiregierung mit ihren drei westlichen Verbündeten in engster Verbindung. Sie wird gemeinsam mit ihnen die erforderlichen Maßnahmen vorbereiten und durchführen. Die Bundesregierung und ihre Verbündeten sind sich in der Bewertung der der freien Welt drohenden Gefahren einig. Die Außenminister der drei Westmächte und der Bundesrepublik sind vor zwei Wochen in Paris zu Beratungen zusammengetreten. Ich kann, meine Damen und Herren, mit besonderer Genugtuung feststellen, daß diese Beratungen im Geiste vollen gegenseitigen Einvernehmens geführt wurden. Diese Beratungen wurden ergänzt und bestätigt durch eine ausführliche Konsultation zwischen den vier Mächten und allen NATO-Partnern. Auf diese Weise ist es möglich gewesen, über die Grundlage der weistlichen Haltung eine volle Übereinstimmung nicht nur zwischen den an der Lösung der Deutschlandfrage unmittelbar beteiligten Westmächten und uns, sondern auch zwischen allen NATO-Partnern zu erzielen. Der amerikanische Außenminister Rusk hat im Anschluß an die mit den Außenministern Frankreichs, Großbritanniens und der Bundesrepublik geführten Besprechungen den NATO-Rat unterrichtet, der bei dieser Gelegenheit erneut und unzweideutig die Entschlossenheit aller NATO-Staaten zum Ausdruck gebracht hat, die Freiheit Berlins aufrechtzuerhalten. ({11}) Zugleich hat der NATO-Rat wiederholt die Überzeugung ausgedrückt, daß eine friedliche und gerechte Lösung der deutschen Frage einschließlich Berlins nur auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechtes des gesamten deutschen Volkes herbeigeführt werden kann. ({12}) Wir werden diese engen Kontakte und die Zusammenarbeit in den nächsten Wochen und Monaten fortsetzen und werden im engsten Einvernehmen miteinander gemeinsam die Schritte ergreifen, die zur Abwehr etwaiger sowjetischer Versuche, die Freiheit Berlins zu beeinträchtigen, erforderlich sind. Während aber die Westmächte und insbesondere die den freien Teil Deutschlands repräsentierende Bundesregierung bei dem Versuch, diese Probleme einer Regelung zuzuführen, eine geradezu unendliche Geduld bewiesen haben und allies vermeiden, was zu einer Verschärfung oder Zuspitzung der internationalen Lage führen könnte, glaubt die Sowjetunion, diese Probleme durch Billigung illegaler Aktionen der Zonenmachthaber in einer dem Recht und den Erfordernissen der politischen Vernunft widersprechenden Waise lösen zu können. In dieser Lage muß Europa, muß das Nordatlantische Verteidigungsbündnis die Maßnahmen vorbereiten, die zur Aufrechterhaltung unserer Sicherheit und Freiheit erforderlich sind. Die Bundesregierung hat mit großer Befriedigung von der ausgezeichneten Erklärung Kenntnis genommen, die der amerikanische Präsident Kennedy am 25. Juli an das amerikanische Volk gerichtet hat. Die Bundesregierung stimmt mit dieser Erklärung vollkommen überein. Auch sie ist der Meinung, daß der Westen sich auf die gegen ihn gerichtete Drohung vorbereiten muß, indem er seine militärischen Kräfte zusammenschließt. Wir wissen, und die Sowjetunion weiß es, daß das militärische Gesamtpotential des Westens demjenigen der Sowjetunion überlegen ist. Daher sind die Drohungen, die die sowjetische Regierung von Zeit zu Zeit gegen den einen oder anderen NATO-Partner ausspricht, sie würde sein Gebiet mit Atombomben vernichten, gefährlich. Die sowjetrussische Regierung muß wissen, daß sie durch einen solchen Schlag einen Gegenschlag auslösen würde, der sie selbst vernichten würde. Auch die Bundesrepublik Deutschland wird im Rahmen der Atlantischen Verteidigungsorganisation ihrerseits Maßnahmen zur Stärkung der militärischen Bereitschaft ergreifen müssen, um die Anstrengungen, die insbesondere durch die Vereinigten Staaten, aber in erheblichem Umfange auch von den anderen NATO-Partnern unternommen werden, zu unterstützen und zu ergänzen. Es ist für uns, meine Damen und Herren, ein Gebot der Selbsterhaltung, daß wir uns in diesem Augenblick, in dem es um Berlins Schicksal, um unser Schicksal, geht, mit unseren westlichen Verbündeten solidarisch erklären und mit ihnen gemeinsam die Anstrengungen unternehmen, die erforderlich sind, um der Gefahr zu begegnen. ({13}) Wir sind jedoch weit davon entfernt; in militärischen Maßnahmen eine Lösung der künstlich von der Sowjetunion erzeugten Krise zu erblicken. Die Bundesregierung ist nicht davon überzeugt, daß der sowjetische Ministerpräsident einen Krieg auslösen will, der auch ,sein Land vernichten würde. Die Bundesregierung glaubt, daß es nach wie vor möglich ist, aus der Lage, in der die Welt sich befindet, durch Verhandlungen einen Ausweg zu finden. ({14}) Sie ist bereit, jeden Ansatz für Verhandlungen zwischen den vier für Berlin und Deutschland als Ganzes zuständigen Mächten zu unterstützen. Die Bundesregierung erachtet es jedoch für unerläßlich, darauf hinzuweisen, daß das einseitige Vorgehen der Zonenmachthaber, das mit Zustimmung der Regierung der UdSSR erfolgt ist, eine Belastung der vom Westen gezeigten Verhandlungsbereitschaft darstellt. Die Bundesregierung wird aber die Hoffnung nicht aufgeben, daß alsbald Verhandlungen aufgenommen werden und daß durch .sie eine Lösung des Deutschlandproblems und damit der Berlin-Frage auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker ermöglicht wird. Das Prinzip, daß den Völkern das Recht gegeben werden muß, über ihre staatliche Ordnung selbst zu entscheiden, hat seinen Siegeszug über die ganze Welt angetreten. Die Bundesregierung vertraut darauf, daß es auch im Herzen Europas, wo zur Zeit immer noch 16 Millionen Deutschen dieses Recht verweigert wird, durchgesetzt werden kann. ({15}) Die Bundesregierung hat mehrfach erklärt und wiederholt es bei dieser Gelegenheit, daß sie bereit ist, an Plänen mitzuwirken, die für den Fall der Wiedervereinigung Deutschlands der Sowjetunion Sicherheitsgarantien geben. Zuletzt habe ich noch hier ,an dieser Stelle am 17. Juni dieses Jahres diese Bereitschaft bekräftigt. An dieser Absicht der Bundesregierung hat sich nichts geändert. Die Wiederherstellung der deutschen Einheit würde nicht nur dem Frieden, sondern auch dem richtig verstandenen Sicherheitsinteresse der Sowjetunion und allen anderen Völkern dienen. ({16}) Die drei westlichen Verbündeten, die im Rahmen der Viermächtevereinbarung eine besondere Verpflichtung für Berlin und für Deutschland übernommen halben, haben einen nachdrücklichen Protest und eine ernste Mahnung an die Sowjetunion gerichtet. Sie haben die ergriffenen Maßnahmen als illegal und als einen unverantwortlichen einseitigen Bruch der bestehenden Vereinbarungen bezeichnet. Sie haben mit Recht die verlogene Behauptung zurückgewiesen, die in der sogenannten Empfehlung der Staaten des Warschauer Paktes enthalten ist, daß nämlich diese Maßnahmen im eigenen Interesse des deutschen Volkes liegen; und sie haben betont, daß diese Behauptung nichts anderes darstellt als eine Einmischung in die inneren Verhältnisse des deutschen Volkes. ({17}) Wie das deutsche Volk über diese brutalen Maßnahmen denkt, wäre leicht zu ermitteln. Es würde genügen, alle Deutschen in der Bundsrepublik, in der sowjetisch besetzten Zone und in ganz Berlin darüber zu befragen. Die Antwort wäre eine leidenschaftliche Verurteilung durch die überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes. ({18}) Die Bundesregierung hat das Recht und hat die Pflicht, für das ganze deutsche Volk zu sprechen, also auch für diejenigen Deutschen, die durch die Gewaltmaßnahmen in der sowjetischen Besatzungszone zum Schweigen verurteilt sind. Sie appelliert eindringlich an die Sowjetunion, in diesem kritischen Augenblick zu einer realistischen Betrachtung der Dinge zurückzufinden. Es sollte unter der Würde eines großen Volkes sein, Kreaturen zu schützen, die vom eigenen Volke verachtet werden. ({19}) Die russische Regierung und das russische Volk sollten sich nicht dazu hergeben, daran mitzuwirken, daß ein Teil eines großen ihnen benachbarten Landes gegen den Willen der Bewohner in ein Konzentrationslager umgewandelt wird. ({20}) Man sollte in Moskau erkennen, daß alle Menschen der Welt, die sich zu dem mit der Charta der Vereinten Nationen anerkannten Selbstbestimmungsrecht der Völker. bekennen, nur eine tiefe Verachtung für ein Regime haben können, das dieses Selbstbestimmungsrecht mit Füßen tritt. Eine Neuordnung der 'Beziehungen zwischen dem rassischen Volk und dem deutschen Volk ist auf dem von den Behörden der Sowjetzone beschrittenen Wege nicht denkbar. ({21}) Die Deutschen in der Zone empfinden Haß und Verachtung gegenüber denen, die sie in unmenschlicher Weise vergewaltigen. Und sie müssen ähnliche Gefühle denen gegenüber tragen, die dieses System unterstützen. Die Schließung der Grenzen ist eine beispiellose 'Bankrotterklärung; sie zeigt, daß die Menschen, die in diesem Teil Deutschlands zu leben gezwungen sind, nur unter Anwendung physischen Zwanges daran gehindert werden können, dieses Paradies der Arbeiter und Bauern zu verlassen. ({22}) Es gibt nur eine Möglichkeit, die Beziehungen zwischen dem russischen und dem deutschen Volk auf eine neue Grundlage zu stellen: Dem deutschen Volk muß das Recht zurückgegeben werden, das man keinem Volk der Welt verweigert, durch freie und unbeeinflußte Willensentscheidung eine Regierung zu bilden, die dann den legitimen Auftrag besitzt, für das ganze deutsche Volk zu sprechen, zu handeln und zu entscheiden. ({23}) Die Bundesregierung appelliert aber auch an die Regierungen aller Nationen der Welt, die die Charta der Vereinten Nationen unterzeichnet oder anerkannt haben. Die Maßnahmen, die von den sowjetzonalen Behörden durchgeführt werden und angekündigt wurden, sind nichts anderes als ein flagranter Verstoß gegen dieses Grundgesetz, das für die innere Ordnung der Völker der Welt ebenso gültig sein soll wie für die Beziehungen zwischen den Nationen. Mit tiefer Bewegung gedenkt die Bundesregierung aber auch der persönlichen Schicksale von vielen Millionen, die ein Opfer dieser unmenschlichen Maßnahmen geworden sind. Nahezu dreieinhalb Millionen sind in den zurückliegenden Jahren aus der Zone und dem Ostsektor von Berlin geflohen, weil ihnen keine andere Möglichkeit blieb, ein Leben in Freiheit zu führen. Unter Aufgabe ihres Berufes, unter Zurücklassung von Hab und Gut haben sie sogar die menschlichen Beziehungen abgebrochen, die sie mit 'ihrer Familie, mit ihren Verwandten, mit ihren Freunden verbanden. Für unBundeskanzler Dr. Adenauer zählige Menschen, die den gleichen Weg gehen wollten, ist nun die Tür 'zugeschlagen worden. Die Bundesregierung gibt der Hoffnung, aber auch der Überzeugung Ausdruck, daß am Beginn der auch von ihr gewünschten Verhandlungen die Aufhebung dieser Maßnahmenstehen wird. ({24}) Nichts könnte das deutsche Volk besser davon überzeugen, daß solche Verhandlungen der Aufrechterhaltung des Friedens in der Welt und einer dauerhaften Neuordnung der Beziehungen zwischen den Völkern dienen, als eine solche Maßnahme. Es genügt nicht, meine Damen und Herren, von Frieden zu sprechen; dem mündlichen Bekenntnis müssen Taten folgen, ({25}) die erkennen lassen, daß der Friede nicht nur zwischen, sondern erst recht und ganz besonders in den Völkern bestehen muß. ({26}) Jeder einzelne hat ein Recht darauf, in Frieden zu leben. Die Unfreiheit ist die schauerlichste Form der Friedlosigkeit. Lassen Sie mich zum Schluß einige Sätze an die Bewohner des Ostsektors von Berlin und der Zone richten. Ihr Leid und Ihre Sorge ist unser Leid und unsere Sorge. ({27}) In Ihrer so besonders schweren Lage fanden Sie wenigstens in ,dem Gedanken Trost, daß Sie, wenn Ihr Los nicht mehr tragbar sei, ihm durch die Flucht entgehen könnten. Es sieht jetzt so aus, als wenn Ihnen auch dieser Trost genommen ist. Ich bitte unsere Brüder und Schwestern im Ostsektor von Berlin und in der Zone von Herzen: Geben Sie die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für Sie und Ihre Kinder nicht auf. ({28}) Wir sind überzeugt, daß es den Anstrengungen der freien Welt und insbesondere auch unseren Anstrengungen doch eines Tages gelingen wird, Ihnen die Freiheit wieder zu verschaffen. ({29}) Das Selbstbestimmungsrecht wird seinen Siegeszug durch die Welt fortsetzen und wird auch vor den Grenzen der Zone nicht haltmachen. Sie werden eines Tages - glauben Sie es mir - mit uns in Freiheit vereint sein. Wir stehen nicht allein in der Welt, das Recht steht auf unserer Seite, und auf unserer Seite stehen die Völker der Welt, die die Freiheit lieben. ({30})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat als Mitglied des Bundesrates der Herr Regierende Bürgermeister von Berlin. Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin ({0}) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kommt nicht häufig vor, daß vor diesem Hohen Hause von der Bundesratsbank aus das Wort ergriffen wird. Wenn ich heute namens des Landes Berlin vor Sie hintrete, dann spiegelt sich darin die außerordentliche Lage wider, in die wir gebracht wurden. Es geht nicht um Berlin allein. Es geht um das kalte Ungarn, das sich im anderen Teil Deutschlands und im Ostsektor meiner Stadt vollzogen hat: Sie alle kennen die Bilder vom Stacheldraht, von den Betonpfählen und Betonmauern, von den Panzern, von den spanischen Reitern und von den feldmarschmäßig ausgerüsteten Soldaten. Was geschehen ist, ist mehr als ein schreiendes Unrecht. Man muß die Unzahl menschlicher Tragödien im Auge haben, die ,sich in diesen Tagen abspielen. Mitten durch eine Stadt, in der es trotz der administrativen Teilung noch immer täglich vieltausendfache Verbindungen gab, sind die Betonpfähle einer Grenze eingerammt worden, die zu einer Art chinesischer Mauer ausgebaut wird. Was zusammengehört, ist weiter auseinandergerissen, es wird brutal zerschlagen. Das Recht auf Freizügigkeit wurde zertrampelt. Dabei ist es primitives Menschenrecht, fliehen zu dürfen von einem Land in das andere. Um wieviel mehr gilt das erst, wenn es sich um die Flucht innerhalb eines Landes und innerhalb einer einzigen Stadt handelt. Deshalb ist es die Meinung Berlins, daß vor allem eine Initiative ergriffen werden müßte, um die flagrante Verletzung der Menschenrechte international zu brandmarken. Der Schutz der Menschenrechte ist eine ureigene Aufgabe der Vereinten Nationen. Den Weg vor das Weltforum kann man sich nicht aufheben für den Fall, daß eine Welt zu brennen beginnt. ({1}) Es ist schon heute ein Zustand eingetreten, der das Eingreifen internationaler Institutionen notwendig macht, zumal die unmittelbar Betroffenen nicht mehr glauben, die Akte des Rechtsbruchs und der Aggression ohne Gefährdung des Friedens wirksam zurückweisen zu können. Die Menschen in der von Ulbricht geknebelten und von sowjetischen Panzern in Schach gehaltenen Zone und in dem von Ulbricht besetzten und annektierten Ostberlin sind voll Haß und Verzweiflung. Sie befinden sich in einem Gefühl grenzenloser Verlassenheit. ({2}) Sie müssen ihre Empörung unterdrücken. Niemand von uns wird sie der Verzweiflung preisgeben wollen. Auch aus diesem Grund ist es gut, daß der Deutsche Bundestag zusammengetreten ist, und es ist erfreulich, daß sich in diesen Tagen manche Zeichen der Verbundenheit, der Solidarität gezeigt haben. Wir dürfen jetzt - das ist die Meinung Berlins - mit den Ulbricht-Leuten weder über Ge9774 Regierender Bürgermeister Brandt schäfte reden noch sonst so tun, als sei nichts Besonderes passiert. ({3}) Für die Stadt Berlin ist eine neue Lage entstanden. Als Stätte täglicher menschlicher Begegnungen zwischen West und Ost ist sie ausgeschaltet worden. Ausgeschaltet worden ist aber auch das Ventil, durch das bisher der Überdruck aus dem Ulbricht-Staat entweichen konnte. Meine Damen und Herren, mehr als 9 Millionen Karten für kulturelle Veranstaltungen sind im letzten Jahr an Ostberliner und Bewohner der Zonenrandgebiete ausgegeben warden. 60 000 Bürger meiner Stadt, die ihren Wohnsitz in Ostberlin haben, haben ihre Arbeit in Westberlin gefunden. Ich kenne aus diesen letzten Tagen Fälle, in denen Menschen nachts durch den Stacheldraht gekrochen sind, um sich von ihren Arbeitskollegen zu verabschieden, und mit Tränen in den Augen hinter den Stacheldraht zurückgingen, weil ihre Frauen, ihre Kinder und ihre Eltern drüben sind. Berlin ist nicht mehr der Ort, zu dem die Menschen kommen konnten, um die Luft der Freiheit zu atmen, um sich neue Kraft zu holen, bevor sie in ihren grauen Zonenalltag zurückkehrten. Der Senat von Berlin - und dieses möchte ich dem Hohen Hause in aller Form zur Kenntnis bringen - hat im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten getan oder eingeleitet, was die Lage erfordert. Er hat dafür gesorgt, daß die Ordnung tin der Stadt aufrechterhalten wurde und daß dass Wirtschaftsleben nicht in Unordnung geriet. Ich muß von dieser Stelle aus herzlich darum bitten, daß jetzt erst recht Aufträge nach Berlin gegeben werden. ({4}) Das freiheitliche Berlin kann nicht leben ohne sein eigenes und das Vertrauen seiner Freunde in seine Lebensfähigkeit und Lebenskraft. Es wird noch mehr als bisher ausgebaut werden müssen zu einer großen modernen Stadt wirtschaftlichen und kulturellen Schaffens. Meine Mitbürger haben Vertrauen in die für die Freiheit der Bevölkerung Westberlins, die Anwesenheit der alliierten Truppen in Westberlin und den Zugang von und nach Westberlin gegebenen alliierten Garantien. Ich bin nicht nur überzeugt, ich weiß es - und ich habe es meinen Mitbürgern auf einer großen Kundgebung dieser Tage gesagt -, daß das Überschreiten der dadurch gezogenen Linie mehr als ein Risiko wäre. Diese Garantien sind heute Garantien des Friedens. Sie sind die Basis unserer Existenz in Berlin. Aber das gilt auch für Westdeutschland und für den Westen überhaupt. Die Berliner haben seit mehr als zwölf Jahren bewiesen, daß sie lieber Entbehrungen auf sich nehmen, als ihren Nacken unter das Joch einer neuen Diktatur zu beugen. ({5}) Heute kommt es dort und anderswo trotz bitterer Enttäuschungen mehr denn je darauf an, daß wir fest und entschlossen an der Seite unserer Freunde stehen. ({6}) Gestern habe ich in einer Korrespondenz gelesen, was sich am Sonntag ereignet habe, sei „eine Maßnahme der Kommunisten in ihrem Machtbereich, nicht eine Maßnahme gegen die Freiheit im Bereich des Westens" gewesen. Ich halte diese Einschätzung für falsch. ({7}) Erstens werden die Interessen des freiheitlichen Berlin unmittelbar berührt, wie ich noch darlegen werde. Zweitens wird das Leben unseres gespaltenen Volkes tief berührt. Vor allem ,aber dürfte es keine Äußerung mehr geben, die indirekt den Akt der unrechtmäßigen Besetzung ides Ostsektors entschuldigt. ({8}) In diesen Tagen vollziehen sich nicht nur unzählige Einzelschicksale. In diesen Tagen geschieht etwas mit unserem Volk, und zwar in beiden Teilen unseres Landes. Die einen fragen die anderen, ob sie abgeschrieben werden. Die einen fragen die anderen, wie hoch wir, die wir frei sind, Rechtlichkeit und Solidarität achten. Es ist schon einmal namenloses Unglück über unser Volk und über die Menschheit gekommen, weil wir Gesetz und Moral gering geachtet haben, weil wir geglaubt haben, daß das Schicksal anderer uns wenig angehe, solange es uns nur gut gehe. ({9}) Der Regierende Bürgermeister von Berlin hat in diesen Tagen aus allen Teilen der Bevölkerung unzählige Beweise dafür erhalten, daß es falsch ist, zu glauben, die Menschen in der Bundesrepublik würden nicht verstehen, was seit idem Sonntag in Berlin und in der Zone passiert ist. Unser Volk ist nicht der Kühlschrank-Ideologie zum Opfer gefallen. Unser Volk hat sich den Sinn für die gemeinsame Verantwortung bewahrt. Und das ist für unsere Landsleute drüben in der Zone wichtig zu wissen. ({10}) Was in Ostberlin geschehen ist, das ist ,der Einmarsch einer Armee in ein Territorium, in dem sie nichts zu suchen hat. ({11}) Die sogenannte Volksarmee mit ihren Nebenorganisationen hat Ostberlin annektiert. Sie hat den Viermächtestatus unter ihren Panzerketten zermahlen. ({12}) Die Anordnungen, die dazu geführt haben, stammen vom sogenannten „Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik". Die Anordnungen, die den S- und U-Bahnverkehr unterbrochen haben, sind vom sogenannten „Minister für Verkehrswesen der Deutschen Demokratischen Republik" unterzeichnet. Die Anordnungen, die den Bewohnern Regierender Bürgermeister Brandt Ostberlins das Betreten Westberlins verboten haben, sind vom „Minister des Innern der Deutschen Demokratischen Republik" unterzeichnet. Die Erlaubnis für „friedliche Westberliner", den Ostsektor der Stadt zu betreten, stammt vom Innenminister der sogenannten „Deutschen Demokratischen Republik". Das gleiche gilt für die Anordnungen, die die Einwohner Westdeutschlands betreffen. Der Minister des Innern der sogenannten DDR hat den ausländischen Staatsangehörigen einschließlich der Angehörigen des Diplomatischen Corps und der Angehörigen der westlichen Besatzungsstreitkräfte gestattet, zunächst 13, im Augenblick 12 - ich weiß nicht, wie viele in Zukunft - Übergangsstellen in den Ostsektor zu benutzen. Für den Oberbürgermeister Ostberlins blieb die klägliche Aufforderung übrig, seinen Bürgern zu sagen, daß sie nicht mehr in Westberlin arbeiten dürfen, und sie aufzufordern, sich eine neue Arbeit zu suchen. Die Zonenregierung hat ihre quasi Souveränität voll auf Ostberlin ausgedehnt. Sie hat Ostberlin annektiert, und sie hat diese Souveränität ausgeübt über alle - ich wiederhole: über alle -, die in Frage kommen könnten, Ostberlin zu betreten. ({13}) Das sind die nackten Tatsachen, an denen es nichts zu beschönigen gibt, über die man nicht hinweggehen kann, wenn man sich nicht selbst betrügen will. Die Anerkennung der Tatsachen, die durch eine bewaffnete Macht geschaffen sind, ist eine denkbar starke Form der Anerkennung einer staatlichen Organisation. Wer in den letzten Tagen das Organ des Zentralkommitees der kommunistischen Einheitspartei, wer das „Neue Deutschland" gelesen hat, der weiß, welche Töne des Triumphes, der Genugtuung, ,des Stolzes und des Hohnes auf den Westen dort zu vernehmen sind. In den letzten Anordnungen der Zonenbehörden ist sogar die Sektorengrenze amtlich als - ich zitiere - die „Grenze der Deutschen Demokratischen Republik" bezeichnet worden. ({14}) Das, was man dort bisher als Staatsgrenze bezeichnet hat - die Schlagbäume am Ostrand des Ostsektors - ist an den Potsdamer Platz und an das Brandenburger Tor vorverlegt worden. Und dann kommt - wenn ich es richtig gelesen habe - der sowjetische Botschafter rund erklärt, daß Ministerpräsident Chruschtschow die Lage in Berlin nicht weiter verschärfen wolle. ({15}) Solche Töne hat man früher schon von anderen ,gehört. ({16}) Man nimmt und sagt, im Augenblick sei es genug. Selbstverständlich kann das Verhältnis zur Regierung der Sowjetunion - so haben es die Berliner dieser Tage vor dem Abgeordnetenhaus und an anderer Stelle gesagt, und so sage ich es auch hier - nicht unbeeinflußt bleiben durch den empörenden Rechtsbruch vom 13. August. ({17}) Selbstverständlich können wir nicht so tun und werden wir nicht so tun, als ließe sich das Vorgefallene isolieren und ausklammern. Selbstverständlich können wir angesichts der flagranten Verletzung der Menschenrechte nicht über ein Kulturabkommen verhandeln, als ob nichts geschehen wäre. ({18}) Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß die, die Verantwortung tragen in Deutschland - die Bundesregierung und auf unserer bescheideneren Ebene der Senat von Berlin -, nichts zu tun beabsichtigen, was die internationale Lage verschlechtert. Es kann keine Stadt geben und es kann kein Volk geben, die die Sicherung des Friedens mehr wünschten als Berlin und als das .deutsche Volk; und ich bin überzeugt, ,es wird dabei bleiben. Aber die Regierung der Sowjetunion darf nicht glauben, uns ins Gesicht schlagen zu können, und wir lächelten noch dazu. ({19}) Die über eine Viertelmillion Menschen, die vorgestern in Berlin freiwillig vor dem Rathaus zusammengekommen sind und empört und erbittert die Schande der letzten Tage in alle Welt gerufen haben, diese Menschen haben gemeinsam mit meinem Kollegen Amrehn und mir bekundet, daß sie kein Verständnis hätten für eine Haltung - irgendwo in der Bundesrepublik oder irgendwo in der westlichen Welt -, der die primitivste Selbstachtung fehlt. Ein Wurm krümmt sich noch, wenn er getreten wird. Für die westlichen Schutzmächte bedeutet der vergangene Sonntag, daß sie aus jenen Viermächtevereinbarungen herausgedrängt worden sind, die sich auf Berlin als Ganzes beziehen. Die Erklärung der Warschauer-Pakt-Staaten und das, was die Zonenregierung, darauf gestützt, verkündet hat, bedeutet in Wirklichkeit auch, daß den Westmächten die Mitverantwortung für Deutschland als Ganzes streitig gemacht wird, und zwar noch vor dem vielerörterten separaten Friedensvertrag. Unsere westlichen Schutzmächte haben in allem Ernst gestern auch in Moskau protestiert. Sie haben in voller Übereinstimmung mit uns die Verantwortung der Sowjetunion festgestellt. Sie haben diesen Einmarsch als illegal bezeichnet und die Rücknahme der damit verbundenen Maßnahmen verlangt. Das deckt sich auch mit der Meinung des Senats von Berlin und der Berliner Bevölkerung. Darüber hinaus haben die Westmächte in ihren Noten auf die Tatsache aufmerksam gemacht, „daß diese einseitige Abänderung des Vier-Mächte-Status von Berlin die Spannung und die bestehenden Gefahren nur vergrößern kann". Diese Vergrößerung der Spannung ist eingetreten. Sie liegt in der einseitigen Schuld der Regierung der Sowjetunion, ({20}) Regierender Bürgermeister Brandt die nicht davon ablassen will, das aus Brutalität und Unfähigkeit zusammengesetzte Ulbricht-Regime zu stützen. ({21}) Die Regierung der Sowjetunion muß nachdrücklich darauf hingewiesen werden, wie gefährlich es ist, wenn sie auf dem Bruch der Vier-Mächte-Vereinbarungen beharrt. Aber die von der Sowjetunion zerfetzten Vier-Mächte-Vereinbarungen dürfen, ehe sie nicht wiederhergestellt sind, nicht zu einem Selbsthindernis des Westens werden, wenn es sich darum handelt, das zu tun, was im Interesse des freiheitlichen Berlin als Teil des freien Deutschland erforderlich ist. Dis Verbindungen zwischen der Bundesrepublik und Westberlin dürfen nicht gelockert, sie müßten eher gestrafft werden. ({22}) Die Bundesrepublik, die die völkerrechtliche Vertretung des Landes Berlin übernommen hat, darf auch keine internationalen Verträge schließen, ohne daß die Interessen Berlins gesichert sind. Der Senat von Berlin würde es für gut halten, wenn sichtbare Zeichen der alliierten Präsenz und der alliierten Rechte erfolgten und wenn alle möglichen politischen Initiativen ergriffen würden. Der Senat erwartet außerdem, daß eine weltweite Aufklärung dieses neuen Unrechts unternommen wird, und er ist selbstverständlich bereit, dabei mitzuwirken. Der Senat von Berlin hat vor dem Abgeordnetenhaus, vor der Berliner Bevölkerung und gegenüber der Bundesregierung betont, daß überzeugende, nichtmilitärische Maßnahmen ergriffen werden sollten. Er verbindet damit keine Vorwürfe an die Adresse der westlichen Verbündeten. Er hält nur nichts von sogenannten Gegenmaßnahmen, die ein schallendes Gelächter vom Potsdamer Platz bis Wladiwostok auslösen würden. ({23}) Er hält nichts von Ankündigungen, denen nichts folgt. ({24}) Er hält mehr davon, daß unserem ganzen Volk ein möglichst klares Bild vermittelt wird von den tatsächlichen Gegebenheiten und von der veränderten Wirklichkeit, mit ,der wir es zu tun haben, wenn es nicht gelingt, den Rechtsbruch rückgängig zu machen. Alle Beteiligten müssen sich völlig darüber im klaren sein, daß die Maßnahmen des letzten Sonntags nur ein Auftakt gewesen sind. Sie waren der erste Akt eines Dramas, dessen zweiter Akt bereits angekündigt ist. Der sowjetische Ministerpräsident hat die Hälfte seiner Forderungen für das, was er eine „Freie Stadt Westberlin" nennt, verwirklicht. Er hat sich, was er gefordert hat, selbst genommen. Durch derartige Teilerfolge ist der Appetit noch jeder Diktatur größer geworden. ({25}) Das ist das eigentliche Gefährliche der Lage. Der Regierende Bürgermeister von Berlin kann nur vor einer Haltung warnen, die eine Prämie für Vertragsbruch, eine Belohnung für Gewalt sein würde. Sie wäre eine Einladung für Ulbricht, die Politik der vollendeten Tatsachen fortzusetzen. Die Spannung wird nicht verschärft, indem man die Wahrheit sagt, sondern die Spannung wird verschärft, indem einseitige Akte des Unrechts begangen werden. ({26}) Wir haben in der Zeit vor diesen Ereignissen oft und wiederholt gehört, daß Verhandlungen nicht unter Drohungen stattfinden dürfen. So hieß es seinerzeit, das Ultimatum müsse weg, bevor man verhandeln könne. Der Westen wird unserer Meinung nach zu sichern haben, daß er nun nicht bei kommenden Verhandlungen den Zustand der vollendeten Erpressung akzeptiert. ({27}) Wir haben gehört, daß bei der Pariser Konferenz auch über eine westliche Verhandlungsinitiative gesprochen worden ist. Es müßte absolut klar sein, daß Verhandlungen nur auf einer eindeutigen Rechtsbasis stattfinden können, es sei denn - was keiner von uns glauben darf -, man wäre bereit, in Anerkennung vollendeter Tatsachen über einen verschlechterten Status für Westberlin zu verhandeln. Was am Sonntag geschehen ist - ich sage es noch einmal -, das ist keine unmittelbare Bedrohung Westberlins. Aber es ist ein tiefer Einschnitt im Leben unseres Volkes, und es ist auch ein Anschlag auf die westliche Gemeinschaft. Ich meine, daß es um die Glaubwürdigkeit geht, um die Glaubwürdigkeit der westlichen Politik. Der zweite Akt der Erpressung, der separate Friedensvertrag, den ich nur Teilungsdiktat nennen kann, wird in aller Offenheit angedroht. Ein Teilungsdiktat bringt uns mehr als das Problem der Agententheorie. Es geht dabei nicht um Stempelfragen, sondern um das Ansinnen, daß die Bundesrepublik meineidig werden soll an den Landsleuten in der Zone. Die Berliner stehen ganz gewiß nicht allein, wenn sie sagen: Die Bundesrepublik wird sich mit einem Teilungsdiktat nicht abfinden können. ({28}) Sie wird es niemals anerkennen können, nicht nur, weil sie ihre eigene Verfassung nicht brechen darf, die uns verbindlich auffordert, stellvertretend für alle Deutschen zu handeln. Das Grundgesetz verpflichtet die Bundesrepublik - wie es auch hier erneut gesagt worden ist -, sich um die Menschen in der sowjetisch besetzten Zone zu kümmern. Die Bundesrepublik kann und darf ein Teilungsdiktat nicht anerkennen, ohne die Verfassung zu brechen. Wir sind uns mit den Verbündeten einig, die ebenfalls die Wiedervereinigung vertraglich zum Ziele ihrer Politik gemacht haben. Auch sie könnten sich nicht mit einem Vertrag abfinden, der das Gegenteil der gemeinsamen Politik bedeutet. Regierender Bürgermeister Brandt Die Preisgabe unserer Landsleute wird nicht stattfinden. Wir sind ein Volk - das haben die Berliner angesichts der Drohungen dieser Tage auf ihre Weise noch einmal zu zeigen gehabt -, ein Volk, das auch eine Selbstachtung hat. Recht und Moral verpflichten uns zu diesem Standpunkt. Diese Haltung ergibt sich aber auch aus unserer demokratischen Überzeugung; denn ohne diese integre und unerschütterliche Haltung würden wir selbst, aus Schwäche oder Opportunismus, Wegbereiter eines neuen Nationalismus werden. Und niemand, dem der Friede etwas wert ist, in Ost oder West, kann das wünschen. Der Regierende Bürgermeister von Berlin weiß mit seinen Mitbürgern, daß wir vor schweren Monaten stehen. Hoffentlich werden wir uns darin bewähren. ({29})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr, Krone.

Dr. Heinrich Krone (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001225, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was sich in Berlin seit dem letzten Sonntag zugetragen hat und was in seinen Auswirkungen noch nicht zu überblicken ist, darüber hat das Hohe Haus soeben einen erschütternden Bericht bekommen. Zahllose deutsche Familien auf beiden Seiten des Drahtverhaues sind in ihren persönlichen Beziehungen hart und schwer betroffen. Es gibt bestimmt kein Haus in unserem Vaterlande, wo dieses Geschehen die Menschen nicht leidenschaftlich bewegt. Das ganze deutsche Volk ist tief ,erschüttert. Es mehren sich die Meldungen, daß sich die Lage verschärft. Der Druck auf die Kirchen steigert sich. Führende Männer beider Kirchen werden an der kirchlichen Tätigkeit im Bereich ihrer Zuständigkeit gehindert. Selbst innerhalb der Zone sind gegen die Kirchen Maßnahmen getroffen worden. Als die Fraktionen dieses Hohen Hauses diese Sitzung vereinbarten, wollten sie nicht, daß sich an die Regierungserklärung eine außenpolitische Debatte anschlässe. Uns ging es nicht darum, uns auseinander zu setzen. Wir wollten uns vielmehr zueinander setzen - und das trotz des Wahlkampfes. ({0}) Was uns bewegte, war: Hier soll in einer Schicksalsstunde des deutschen Volkes der Deutsche Bundestag mit jener Autorität Stellung nehmen, die er als frei ,gewählter Sprecher des ganzen deutschen Volkes eben für dieses ganze deutsche Volk hat. Wir wollten für die Deutschen der Bundesrepublik sprechen. Wir wollten aber auch und besonders für jene Deutsche sprechen, die jetzt nur schweigen können, die aber hinter dem Stacheldraht darauf warten, daß wir hier in der Freiheit für sie sprechen. ({1}) Und dieses Wort muß genauso wie in der ,großen Freiheitskundgebung in Berlin lauten: Weg mit dem Stacheldraht! Gebt unseren deutschen Brüdern nach zwölf Jahren der Knechtschaft endlich ,die Freiheit! ({2}) In jedem Volke gibt es Grundelemente des Gemeinsamen, auch in unserem deutschen Volke. Wir wollen alle, daß uns der Friede erhalten bleibt. Wir wollen alle die Freiheit für unser ganzes deutsches Volk. Wir stehen alle für Berlin und gegen das System in der Zone. Wenn ich das sage, was uns eint, so darf dieses Bekenntnis zum Gemeinsamen doch kein Anlaß zur Mißdeutung der Politik sein. ({3}) Wenn angesichts des Geschehens am 13. August gesagt werden konnte, dieser Tag sei das Ergebnis einer verfehlten Politik, ({4}) er ,sei Grund und Anlaß zu einer Neuorientierung der deutschen Sicherheitspolitik, so halten wir uns, gerade in dieser ernsten Stunde, verpflichtet, auch dieses ganz unmißverständlich zusagen: Wir halten die Politik, die wir in den vergangenen zwölf Jahren getrieben haben, die Politik des engsten Bündnisses mit dem Westen, den Eintritt in die Atlantische Verteidigungsgemeinschaft und die deutsche Beteiligung an der Verteidigungspolitik des Westens, auch weiterhin für die einzig richtige Politik. ({5}) Wir danken der Bundesregierung und besonders dem Bundeskanzler dafür, daß er diese Politik konsequent gegen alle Widerstände durchgeführt hat. ({6}) Diese Politik dient nicht zuletzt auch Berlin, dem unser aller Sorge gilt. ({7}) In diesem Zusammenhang muß ich einen Vorschlag erwähnen, der Berlin betrifft und der heute in den Zeitungen veröffentlicht worden ist. Ich glaube nicht, daß es klug ist, den Viermächtestatus von Berlin auch nur in Frage zu stellen. ({8}) Auch wenn durch das Vorgehen der Sowjets dieser Status erneut auf das schwerste verletzt ist, so hieße ein Verzicht auf ihn für spätere Verhandlungen eine wichtige Rechtsposition aufgeben. ({9}) Die CDU/CSU-Fraktion hat die heutige Bundestagssitzung vor allem deshalb begrüßt, damit von der Tribüne des Parlaments das Wort der Wahrheit über Mitteldeutschland und Ost-Berlin gesagt wird, damit falsche Vorstellungen korrigiert werden und damit die Bankrotterklärung des kommunistischen Zonenregimeis erneut ins Bewußtsein der Weltöffentlichkeit gerufen wird. Die Massenflucht, derent9778 wegen Ost-Berlin und die Zone nunmehr als riesiges Konzentrationslager mit Stacheldraht abgesperrt worden ist, war von seiten der Bundesrepublik in keiner Weise ermutigt worden. Die Kommunisten selbst hatten sie mit der Ankündigung eines separaten Friedensvertrages für die sowjetische Besatzungszone ausgelöst. Die Bevölkerung der Zone befürchtete, mußte befürchten, daß dieser Separatfriede das Tor zum Westen, das in Berlin noch offen geblieben war, auf lange Zeit verschließen würde. Sie m u ßt e zu dieser Schlußfolgerung gelangen, nachdem ihr von ihren Unterdrückern immer wieder versichert worden war, daß sie die Kontrolle über sämtliche Wege nach West-Berlin übernehmen würden. So haben sich Tausende und aber Tausende, indem sie sich zur Flucht entschlossen, gegen den Kommunismus und für die Freiheit entschieden. Diese Massenflucht, diese „Volksabstimmung mit den Füßen", ist in der Tat zum großen Plebiszit geworden, das den Kommunismus noch nach 16 Jahren Gewaltherrschaft moralisch erledigt hat. ({10}). Die Kommunisten haben die Volksabstimmung nur mit den brutalsten Mitteln zu stoppen vermocht, mit der Annexion Ost-Berlins, mit der Unterdrükkung der Freizügigkeit, mit schwersten Verstößen also gegen internationales, auch von den Sowjets anerkanntes Recht. Das ist Ulbrichts traurige Bilanz, daß er 16 Millionen Deutsche nur noch mit Stacheldraht zusammenhalten kann. Im sowjetischen Auftrag hat er ein riesiges Konzentrationslager zu verwalten. Was hier geschehen ist, ist ein schwere Verletzung des internationalen Rechts und der Rechtsmoral. Klare Rechte, die in internationalen Verträgen und Abmachungen von 1944, 1945 und 1949 begründet sind und die Ost-Berlin ausdrücklich der Mächte gemeinschaft unterstellen, nicht der Sowjetunion und ihren Verwaltern, sind gewaltsam beiseite geschoben, de facto zerstört worden. Wenn Vertrauen in künftige Verträge wieder einkehren soll, so nur dann, wenn das Recht in Berlin wieder hergestellt wird. Deshalb müssen die Stacheldrahtverhaue weg. ({11}) Am 13. August ist in Ost-Berlin klar und unmißverständlich eine Annexion vollzogen worden. Ost-Berlin ist als Viermächtegebiet auch Zuständigkeitsbereich der drei Westmächte. Diese aber sind durch sowjetzonale Hilfstruppen der Sowjetunion und durch die Zonenbehörden herausgedrängt worden. Damit ist auch dieser Vorgang eine Sache der Geltung der drei westlichen Mächte, aber damit der westlichen Gemeinschaft überhaupt, in der die drei Mächte die entscheidende Rolle spielen. Schließlich - erwähne ich noch - die hohnvolle Verletzung der Menschenrechte, der Freizügigkeit und der freien Wahl des Arbeitsplatzes, die hier Menschen trifft, die seit Jahrhunderten eine menschliche und nationale Einheit in diesem Teil unseres Vaterlandes bilden. Wenn etwas zum Himmel schreit, dann ist es dieses menschliche Leid, das dadurch herbeigeführt worden ist, daß Millionen menschlicher Bande zerrissen worden sind. Damit ist aber auch eine neue Gefahr für den Frieden geschaffen worden. Ich will nicht provozieren und nichts auslösen. Aber es glaube doch niemand, daß dieses Leid sich nicht in Haß verwandelt und eines Tages auch entladen kann. Dieses alles deute ich auch an, damit niemand glaube, am 13. August sei nichts Entscheidendes geschehen, weil die Rechtsbrecher unmittelbar vor der konkreten Verletzung West-Berlins Halt gemacht haben. Es ist richtig, die freiheitliche Demokratie ist nicht immer eine leichte und bequeme Sache. In mancher Hinsicht haben es totalitäre Staaten leichter. Da wird befohlen und gehorcht, und deshalb kann schnell und überraschend gehandelt werden. Die Freiheit ist es aber - so meine ich - schon wert, daß wir gewisse Nachteile und Belastungen mit ihr in Kauf nehmen, ({12}) auch in der Zusammenarbeit mit den Mächten, die unsere Bundesgenossen sind. Doch - so sage ich auch - sollte diese Zusammenarbeit schneller vonstatten gehen, als wir das in den letzten Tagen erlebt haben. ({13}) Protestschritte, über die tagelang hin- und herberaten wird, haben ihren psychologischen Effekt oft schon zu einem großen Teil verloren. Wir richten daher an alle Regierungen die dringende Bitte, die Nerven der Bevölkerung nicht zu sehr zu strapazieren und alles zu tun, um die jeweils erforderlichen gemeinsamen Schritte zu beschleunigen. ({14}) Wir sagen aber auch, daß die politische Zusammenarbeit freier Staaten nicht kommandiert werden kann, und wir möchten es der deutschen Öffentlichkeit nahelegen, die Geduld und die Besonnenheit aufzubringen, ohne die man in einer Allianz freier Staaten nicht auskommt. ({15}) Lassen Sie mich auch das offen sagen: Eine nicht gute Kritik ist nahe daran gewesen, aus einer Krise, die in Wahrheit eine Krise des Kommunismus auf deutschem Boden ist, eine Krise des deutschen Vertrauens zu den Westmächten zu machen. ({16}) Manche Leute sind soweit gegangen, sich mehr mit den Westmächten auseinanderzusetzen als mit der Sowjetunion und ihren deutschen Handlangern. ({17}) Vor einer solchen Kritik kann nur eindringlich gewarnt werden. Sie dient nicht dem deutschen Interesse, auch dann nicht, wenn der Ruf nach Gegenmaßnahmen nur allzu verständlich ist. Gerade weil die Gefahren, die die Kommunisten heraufzubeschwören drohen, unabsehbar sind, ist jeder Anschein deutscher oder westlicher Unbesonnenheit zu vermeiden. Wir sind der Meinung, am 13. August ein warnendes Zeichen dafür erhalten zu haben, in welchem Maße die Sowjets ihre eigene Stärke überschätzen, und sehen deshalb keine andere Gegenmaßnahme als s o entscheidend an wie eine auch für die Sowjets eindrucksvolle Verstärkung der atlantischen und europäischen Verteidigung. ({18}) Nur ein solches Handeln, bei dem auch wir nach Kräften mitzuwirken haben, kann die Sowjets zum Einlenken veranlassen und ihre Bereitschaft zum Risiko in die Bereitschaft zum Verhandeln umwandeln. Sagen wir es doch offen: Nur weil die NATO existiert, sind Ulbrichts Panzer nicht durch das Brandenburger Tor nach West-Berlin gerollt. ({19}) Die CDU/CSU möchte auch in dieser Stunde keinen Zweifel daran lassen: Das Ziel aller Bemühungen müssen aussichtsreiche Verhandlungen sein. Nur auf diesem Wege kann der Friede gewahrt werden. Der Wahrung des Friedens muß alle unsere Kraft dienen; der Wahrung des Friedens hat auch die Politik dieser Tage gedient. Mit den Westmächten und insbesondere mit den Vereinigten Staaten müssen wir in .der großen Auseinandersetzung mit dem Weltkommunismus den Weg der Festigkeit, aber auch der klugen Besonnenheit gehen. Nur so kann der Frieden in ,der Welt gewahrt werden und für unser Volk die Gesichertheit und spätere Einheit gewährleistet werden. Die Fraktion der CDU/CSU betrachtet es als eine Selbstverständlichkeit, daß das Gebot deutscher Selbstachtung von allen Verbänden und Organisationen, die es irgendwie mit dem Zonen-Regime zu tun haben, auch beachtet wird. ({20}) Sie verweist auf das Beispiel, das der Deutsche Sportbund und die deutsche Industrie gegeben haben. ({21}) Die Fraktion gibt der Erwartung Ausdruck, daß das deutsche Volk bei solchen unerläßlichen Konsequenzen, zu denen es gegenüber dem kommunistischen Terror gezwungen ist, von keinem der mit ihm befreundeten Völker im Stich gelassen wird. ({22}) Daß die Sowjet-Armee in Deutschland einrückte, ist die unerbittliche Folge eines Krieges, den einer begann, der in seinem Wahn ein großgermanisches Reich errichten wollte. Daß dieselbe Sowjet-Armee auch heute noch auf deutschem Boden steht, ist mit dem Recht, auch einer Besatzungsmacht, nicht vereinbar. Wir Deutsche haben mehr als einmal betont, daß uns an einem geordneten, ich möchte sagen, an einem guten Verhältnis auch mit der Sowjet-Union gelegen ist; wir erklären das auch heute wieder, wo der sowjetische Botschafter den Bundeskanzler aufgesucht hat. Doch alle Bereitschaft und aller gute Wille hat dort ein Ende, wo es um die Freiheit unseres deutschen Volkes geht. ({23}) Nie und nimmer können wir Deutsche auf das verzichten, was jedem anderen Volk in der Welt zugebilligt wird: Das Recht auf Einheit, auf Freiheit, auf Selbstbestimmung steht ,auch dem deutschen Volke zu. Es steht, das sei in dieser Stunde noch einmal besonders betont, auch den 17 Millionen Deutschen in der Zone und Ost-Berlins zu. ({24}) Wir wollen denen helfen, 'die fliehen mußten und die noch fliehen konnten. Wir müssen sie schnell wieder zu Arbeit, Brot und zu einer Bleibe bringen. Hier liegen neue Aufgaben für den Wohnungsbau. Wir wissen es, die Stunde ist furchtbar hart. Die kommunistischen Machthaber wollen uns auseinanderreißen. Wir rufen unseren Brüdern und Schwestern in Ost-Berlin und in der Zone zu: Glaubt an uns! Haltet zu uns, wie wir zu euch halten! Wir rufen ihnen zu Bleibt, was ihr wart: gute Deutsche! Die Freiheit ist dem Menschen eingeboren. Nie kann euch ein Terrorsystem den Willen zur Freiheit aus der Seele reißen. Wir rufen ihnen auch zu: Seht darauf, daß eure Kinder gute Christen bleiben! Vertraut auf ,den, der auch Herr ,der Völkerschicksale ist! Auf ,die Dauer kann kein Volk vergewaltigt werden. Auf ,dieser Wahrheit beruht eure und unsere Zukunft, eure und unsere Zuversicht. ({25})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollenhauer.

Erich Ollenhauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001646, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte im Namen meiner Fraktion folgende Erklärung abgeben. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion verurteilt auf das schärfste den Gewaltakt der sowjetzonalen Machthaber vom 13. August. Er ist ein Bruch internationaler Vereinbarungen und eine brutale Verletzung der Menschenrechte. Die hermetische Isolierung des Ostsektors von Berlin ist eine gewaltsame Annexion und die Einleitung der endgültigen Spaltung Deutschlands. Das Vorgehen der sowjetzonalen kommunistischen Machthaber bedroht die Existenz und die Freiheit von West-Berlin, es bedroht die Freiheit und den Frieden in der ganzen Welt. Die Verantwortung für diese gefährliche Zuspitzung trägt die Sowjetunion, ohne deren Zustimmung der Gewaltakt des 13. August nicht möglich gewesen wäre. ({0}) Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bekennt sich in dieser Stunde zu den Menschen im Ostsektor von Berlin und in der sowjetisch besetzten Zone. ({1}) Wir wissen, daß sie die Sorgen und Leiden, die sie jetzt in dem großen Konzentrationslager der Stacheldrähte und Panzer auf sich nehmen müssen, für uns alle tragen. Sie sollen die Gewißheit haben, daß keine Gewalt uns trennen kann, daß wir ein Volk bleiben ({2}) und daß wir hier nicht ruhen werden, bis wir wieder in einem Deutschland in Freiheit zusammen leben können. ({3}) Wir wissen uns eins mit der Bevölkerung des freien Berlin. Wir danken ihr für ihre tapfere und verantwortungsbewußte Haltung während dieser neuen schweren Belastungsprobe. ({4}) Die Erhaltung der Lebensmöglichkeiten und der Freiheit von Berlin ist die Sache des ganzen deutschen Volkes. Wir stehen für sie ein. ({5}) Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion appelliert an das deutsche Volk in der Bundesrepublik, sich in der Verurteilung und in der Abwehr des Gewaltstreichs vom 13. August zu vereinigen. Die Not unserer Landsleute in Ostberlin und in der Sowjetzone ist eine nationale Not; sie wird zur Not aller Deutschen. In dem Existenz- und Freiheitskampf der Ostberliner und unserer Landsleute in der Zone entscheiden sich auch unser Schicksal und unsere Hoffnungen auf eine friedliche und lebenswerte Zukunft. Unsere Solidarität muß zuerst ihren praktischen Ausdruck finden in der materiellen und menschlichen Hilfe für die Landsleute, die als Flüchtlinge über Westberlin zu uns gekommen sind und in der Zukunft - trotz der Absperrungen - noch zu uns kommen werden. In der Art und Weise, wie wir uns hier als einzelne und als Volk bewähren, wird sich vor der ganzen Welt die Ernsthaftigkeit unseres gesamtdeutschen Bewußtseins beweisen müssen. ({6}) Die Machthaber in der Sowjetzone und ihre Einrichtungen und Organisationen haben es sich selbst zuzuschreiben, wenn die Ansätze zum kulturellen Austausch auf den verschiedensten Gebieten nach den Ereignissen um den 13. August bei der Bevölkerung der Bundesrepublik auf kalte Ablehnung stoßen. Die Antwort der Bundesregierung und unserer Verbündeten auf den Gewaltakt vom 13. August darf sich nicht in Protesten in Berlin-Karlshorst und in Moskau erschöpfen. Das Ziel muß sein, den Gewaltakt vom 13. August rückgängig zu machen und die Stacheldrähte und Betonpfeiler in Ostberlin zum Verschwinden zu bringen. ({7}) Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion erwartet von der Bundesregierung, daß sie unverzüglich und nachdrücklich über die Stärkung der Verteidigungsnotwendigkeiten hinaus gemeinsam mit unseren Verbündeten alle Maßnahmen prüft und durchführt, die geeignet sind, dieses Ziel der Aufhebung des Gewaltaktes vom 13. August zu erreichen. ({8}) Der Ernst der Stunde und die Schwierigkeiten der Probleme verbieten eine detaillierte Aufzählung der möglichen und wirksamen Maßahmen. Die Bevölkerung von Berlin erwartet mit Recht und mit Ungeduld derartige Schritte, und auch wir erwarten in Kürze weitere Informationen der Bundesregierung über das Resultat ihrer Bemühungen. ({9}) Wir appellieren an alle, sich der tiefgreifenden Bedeutung der Ereignisse des 13. August voll bewußt zu werden. Der Gewaltakt vom 13. August ist ein entscheidender Schritt in der Richtung der sowjetischen Vorstellungen für die Zementierung der Spaltung Deutschlands und der Einverleibung ganz Berlins in den kommunistischen Machtbereich. Die Tolerierung dieses Schrittes schafft keine Befriedung, sondern wird neue Spannungen und Konflikte hervorrufen. Sie wird die Position der freien Welt nicht erleichtern, sondern erschweren und die Kriegsgefahr vergrößern. ({10}) Der Gewaltakt vom 13, August ist aber auch vor allem ein brutaler Angriff auf die elementarsten Menschenrechte. Die Grundrechte der Charta der Vereinten Nationen, die auch die Sowjetunion unterzeichnet hat, werden vergewaltigt. Das Leid, das in ,diesen Tagen erneut über die Menschen in Ostberlin und in der Sowjetzone ,gekommen ist, ist unermeßlich. Sie leben in Furcht, und ihre einzige Hoffnung ist ,die freie Welt. Sie werden zerbrechen, wenn wir sie enttäuschen. Die Anklage wegen dieser brutalen Verletzung der Menschenrechte gehört vor die Vereinten Nationen. ({11}) Die Menschen in West und Ost leben in Furcht vor dem Krieg. Seit dem 13. August ist diese Furcht gestiegen. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß ,sie unsere Verbündeten drängt, ohne Verzögerung ,den Versuch zu unternehmen, in Verhandlungen mit der Sowjetunion den Gewaltakt vom 13. August rückgängig zu machen und eine mit unseren freiheitlichen Grundsätzen und Lebensvorstellungen und mit den Grundsätzen des Selbstbestimmungsrechts zu vereinbarende friedliche Lösung der internationalen Spannungen, vor allem auch des Deutschlandproblems, zu erreichen. Die Unterlassung eines solchen Versuchs, durch den die Aufrichtigkeit des Willens aller Beteiligten zu einer solchen friedlichen Lösung unter Beweisgestellt werden muß, ist angesichts der drohenden Kriegsgefahr nicht zu verantworten. Meine Damen und Herren! Wir mstehen vor der Gefahr einer Vertrauenskrise in der westlichen Welt. Würde sie Wirklichkeit, dann wäre das ein großer Erfolg der sowjetischen Politik. Die Art und Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode Weise, wie die Bundesregierung und unsere Verbündeten in den nächsten Tagen auf die Ereignisse vom 13. August reagieren, wird entscheidend sein für die Frage, ob die westliche Gemeinschaft ihre Bewährungsprobe besteht. ({12}) Das deutsche Volk ist durch die dramatische Zuspitzung der Entwicklung aufgerufen, sich als Volk zu bewähren, Wir Sozialdemokraten sind bereit, mit allen, die guten Willens sind, für die Freiheit und die Einheit unseres Volkes in allen seinen Teilen und für die Erhaltung des Friedens gemeinsam zu wirken. ({13})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mende.

Dr. Erich Mende (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001467, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, im Namen der Fraktion der Freien Demokratischen Partei die folgende Erklärung abzugeben: Der 13. August dieses Jahres wird als schwarzer Tag in die Geschichte unseres Vaterlandes eingehen. Die Gemeinsamkeit, die in diesem Hause innerhalb der drei Fraktionen in der Berlin- und Deutschlandfrage erkennbar geworden ist, sollte auch außerhalb dieses Hauses in den nächsten Wochen und Monaten erkennbar sein. ({0}) Denn Form und Inhalt des gegenwärtig laufenden Bundestagswahlkampfes können und dürfen nicht unbeeinflußt von den Ereignissen des 13. August und der folgenden Tage bleiben. ({1}) Parteien sind nicht Selbstzweck, sie sind Mittel zum Zweck! Über den Parteien steht das gemeinsame Vaterland, ({2}) und es kommt am 17. September dieses Jahres nicht mehr so entscheidend darauf an, ob die Christlich-Demokratische Union, die Sozialdemokratische Partei oder die Freie Demokratische Partei den größten Wahlerfolg davonträgt, sondern ob es uns drei für das Schicksal Deutschlands verantwortlichen demokratischen Parteien durch ein Höchstmaß an Gemeinsamkeit in der Berlin- und Deutschlandfrage und in engster Zusammenarbeit mit unseren Partnern gelingt, die Bedrohung von Berlin und Deutschland zu nehmen und Europa und Deutschland vor einem neuen „Korea" zu bewahren. ({3}). Die Absperrung der deutschen Menschen in der Sowjetzone und im sowjetischen Sektor in Berlin vom freien Teil unseres -Vaterlandes ist ein neuer unmenschlicher Willkürakt. Die Maßnahmen der Sowjetzone verletzen das noch immer bestehende Vier-Mächte-Abkommen über Berlin. Die Besetzung des Ostsektors durch Truppen der sogenannten Volksarmee und die Erklärung der Sektorengrenze zur Staatsgrenze ist ein Akt der Aggression und der Annexion. Die Sowjetzonenmachthaber verhöhnen aufs neue das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen. Sie nehmen den Deutschen aus der Sowjetzone und aus dem sowjetischen Sektor von Berlin die Freizügigkeit, ein Grundrecht, das in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und ebenso in der Verfassung der sogenannten DDR garantiert ist und das zu 'den unveräußerlichen Rechten eines jeden Volkes gehört. Die Sowjetunion, die mit der Billigung dieses Rechtsbruchs erneut das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes mißachtet, sollte erkennen, daß nach den schmerzlichen Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit alle Völker dieser Erde den absoluten Wert der Freiheit erkannt haben. Wer sich zur Freiheit des einzelnen und zur Freiheit der Völker bekennt, fühlt sich immer dann betroffen, wenn die Freiheit irgendwo in der Welt bedroht ist. In einer Zeit, in der die jungen Staaten Asiens und Afrikas um das Recht auf Selbstbestimmung und nationale Freiheit ringen, muß die Verletzung dieser Rechte in Deutschland als Rückfall in den Kolonialismus wirken und die Freiheitssehnsucht dieser Völker hitter enttäuschen. ({4}) Das Verhalten der Sowjetunion in der Berlin- und Deutschlandfrage muß für die Weltöffentlichkeit auch der Gradmesser für die Ehrlichkeit ihrer Beteuerungen gegenüber den jungen Völkern Asiens und Afrikas sein. ({5}) Die Machthaber der Sowjetzone trifft nach den Willkürmaßnahmen vom 13. August 1961 erneut die Verachtung des ganzen deutschen Volkes in beiden Teilen. Unsere Gedanken sind in dieser Stunde bei den Deutschen jenseits des Brandenburger Tores und jenseits des Eisernen Vorhanges. Die Gemeinschaft des deutschen Volkes kann durch keinen Stacheldraht und keinen Todesstreifen aufgehoben werden. ({6}) Die Gemeinschaft des deutschen Volkes gründet sich auf das tiefe Zusammengehörigkeitsgefühl von Menschen, die nach schmerzlichsten Erfahrungen Freiheit und Menschenwürde als die höchsten irdischen Güter der Nation ansehen. ({7}) Den Deutschen jenseits des Eisernen Vorhanges werden Freiheit und Menschenwürde auch heute noch vorenthalten. Sie tragen die Last der deutschen Teilung. Ihr Schicksal muß daher der Maßstab unseres Handelns sein. Das Grundgesetz verpflichtet dieses freigewählte Parlament der Deutschen, für unsere Landsleute mit zu handeln, denen die Mitgestaltung unseres staatlichen Lebens versagt ist. Die Politik, die seit 1945 gemacht worden ist, wird eines Tages danach beurteilt werden, was wir für das ganze deutsche Volk erreicht haben. ({8}) Ziel und Aufgabe ist daher unverrückbar die Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit. Sie ist der politische Auftrag für unsere Generation, an dessen Erfüllung Erfolg oder Mißerfolg unserer Politik dereinst gemessen werden. ({9}) Heute ist nicht die Stunde, Kritik an der Bundesregierung zu üben. Wir begrüßen es daher, daß die Bundesregierung zu stärkerer Initiative in der Deutschland-Frage übergehen will und für alsbaldige Verhandlungen in der Deutschlandfrage eintritt. ({10}) Es ist jetzt jeder mögliche Fall einer neuen Provokation ins Auge zu fassen, konkrete Gegenmaßnahmen mit den Verbündeten sind vorzubereiten. Es darf sich nicht wiederholen, daß die Bundesregierung wie am 5. Mai 1961 dem Deutschen Bundestag versichert, daß sie und ihre Verbündeten auf jegliche Maßnahme der anderen Seite eingestellt seien und daß wir schon wenige Wochen später durch eine nicht vorausgesehene Aktion des Unrechts überrascht werden. Wir würden unsere Pflichten als freigewählte Vertreter unseres Volkes verletzen, wenn wir in dieser Stunde der Weltöffentlichkeit die Unruhe in unserem Volke verbergen würden. Die (bewundernswürdige Disziplin der Berliner in beiden Teilen der Stadt und die Haltung der Deutschen in der Sowjetzone sollten niemanden darüber hinwegtäuschen, daß die Grenzen der Selbstachtung des deutschen Volkes erreicht sind. Die Forderung: „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht" darf den Ruf nach Freiheit für das ganze deutsche Opfers würdig ist. ({11}) Der Wiederaufbau des freien Teils Deutschlands war nur möglich, weil die Menschen in der Sowjetzone dem Kommunismus widerstanden und ungeheure Opfer für uns alle gebracht haben. Wenn wir durch eine Überschätzung des materiellen Wohlstandes jegliche Opferbereitschaft in der Bundesrepublik abtöten, den Deutschen jenseits des Eisernen Vorhanges dagegen täglich das Opfer, der kommunistischen Herrschaft zu widerstehen, zumuten würden, würden wir Verrat an der gesamtdeutschen nationalen Solidarität üben. ({12}) Niemand bei uns und in der Welt sollte glauben, daß das ,deutsche Volk sich in der Erwartung, daß ein Teil auch morgen im Wohlstand leben kann, mit der jetzt geschaffenen Lage auf die Dauer abfindet. Die Deutschen in der Sowjetzone und die Berliner haben ihre Vorleistung auf die Freiheit unter schwersten Bedingungen und Belastungen erbracht. Die Haltung der freien Welt in den nächsten Wochen und Monaten wird beweisen, ob sie dieses Opfer würdig ist. Die Vier Mächte haben als Unterzeichner des Potsdamer Abkommens die Verantwortung für die staatliche Einheit Deutschlands übernommen. Sie haben den Viermächtestatus von Berlin nicht nur als Vertragspartner der Sowjetunion, sondern auch aus der gegenüber dem deutschen Volk übernommenen Verantwortung zu wahren. Der Artikel 7 des Deutschland-Vertrages bekräftigt .die Verpflichtung unserer westlichen Verbündeten, das gemeinsame Ziel eines wiedervereinigten Deutschland mit friedlichen Mitteln zu verwirklichen. Unsere Vertragspartner würden Inhalt und Geist der Verträge nicht gerecht werden, wenn sie die Berlinfrage allein unter dem Blickpunkt ihrer Rechte in Berlin betrachten würden. Die Absperrung in Berlin ist keine innere Angelegenheit der Sowjetzone. Die von den Verbündeten übernommene Verpflichtung, die Sache der deutschen Einheit mit zu ihrer eigenen zu machen, verpflichtet sie auch, die letzten Klammern zwischen den getrennten Teilen Deutschlands aufrechtzuerhalten. Das Recht auf Freizügigkeit zwischen den beiden Teilen Deutschlands, das in diesen Tagen völlig unterdrückt worden ist, war die wichtigste und menschlich wirksamste Klammer. Eine Anerkennung der sowjetzonalen Maßnahmen zur Beseitigung dieses Rechts in der einen oder anderen Form würde einen Bruch der Verträge bedeuten. Das im Grundgesetz für alle Deutschen verbürgte Recht auf Freizügigkeit hindert jede deutsche Regierung, die Maßnahmen der Sowjetzonenbehörden hinzunehmen. Moskau und die Welt sollen wissen, daß jede vertragliche Vereinbarung, die die Spaltung unseres Vaterlandes zur Voraussetzung hat, gegen die Menschenrechte und gegen den Verfassungsauftrag des Grundgesetzes verstößt, die Einheit in Freiheit zu vollenden. Die Macht des Unrechts kann uns zwar zwingen, eine Zeitlang getrennt voneinander leben zu müssen. Keine Macht der Welt kann uns aber bewegen, durch unsere Unterschrift ,aus diesem Unrecht Recht werden zu lassen. ({13}) Wir halten an den Vier-Mächte-Vereinbarungen über Berlin fest. Es sei aber gesagt: An dem Tage, an dem diese Vereinbarungen nicht mehr gelten, erlöschen die Vorbehalte der drei westlichen Mächte gegen die im Grundgesetz und in der Verfassung von Berlin vorgesehene Zugehörigkeit Berlins zur Bundesrepublik Deutschland als Bundesland, d. h., die Antwort auf eine fortgesetzte Verletzung und Verhöhnung des Vier-Mächte-Status durch die Einbeziehung des Sowjetsektors von Berlin in die Sowjetzone kann nur die Eingliederung Berlins in die Bundesrepublik Deutschland sein mit allen daraus sich ergebenden Rechten und Pflichten in bezug auf die mit der Bundesrepublik geschlossenen Verträge. ({14}) Das deutsche Volk wünscht gute Beziehungen zu den Völkern der Sowjetunion. Auch die Regierung der UdSSR muß erkennen, daß die von ihr gebilligten Unrechtsmaßnahmen die Gefühle des deutschen Volkes aufs tiefste verletzen. Solange dem deutschen Volk in seiner Gesamtheit das Recht auf Selbstbestimmung vorenthalten wird, solange unser Land widerrechtlich geteilt ist, wird der auch von der Sowjetunion gewünschte Frieden in Europa geDr. Mende fährdet bleiben. Die Berlin-Frage kann daher nur im Rahmen der deutschen Frage im Sinne einer Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands gelöst werden. Die Regierung der Sowjetunion möge sich an den Satz erinnern, der in ihrem eigenen Aide-mémoire vom 19. März 1958 enthalten ist - ich zitiere ihn wörtlich -: „Um weitere falsche Gerüchte zu vermeiden, hält es die sowjetische Regierung für notwendig, erneut festzustellen, daß sie für den Abschluß eines einzigen Friedensvertrages mit ganz Deutschland eintritt. Im Bewußtsein der Verantwortung gegenüber unserem Volk und für den Frieden der Welt fordern wir Freien Demokraten, daß wir Deutschen nun die Sache der deutschen Einheit stärker in unsere Hand nehmen. ({15}) Unsere Aufgabe ist es, den verbündeten Völkern und ihren Regierungen den Weg zu dem gemeinsamen Ziel der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands zu zeigen, für das wir ihre Hilfe erwarten. Ich wiederhole die Worte, die der Bundestagspräsident am 30. Juni dieses Jahres unter dem Beifall aller Fraktionen des Deutschen Bundestages vor diesem Hause gesprochen hat: Ich glaube aber, - so führte der Präsident dieses Hauses aus daß es das Gebot der Stunde ist, daß über das Verfahren zu einem Friedensvertrag mit Deutschland eine Einigung zwischen den Westmächten und Sowjetrußland herbeigeführt wird. Die Friedensverhandlungen selbst müssen Klarheit schaffen erstens über den militärischen und politischen Status des zukünftigen Gesamtdeutschlands. Zweitens ist es selbstversändlich, daß ein Friedensvertrag die definitive Bereinigung der materiellen und rechtlichen Fragen bringen muß, die sich aus dem zweiten Weltkrieg ergeben. Dazu gehört auch die Frage der Reichsgrenzen. Drittens - so führte der Bundestagspräsident aus -ist es unerläßlich, daß dem ganzen deutschen Volke die Möglichkeit verbürgt wird - ich sage: verbürgt wird -, Gebrauch zu machen von „dem Grundsatz der gleichen Rechte und der Selbstbestimmung der Völker", wie er verankert ist in dem Artikel 1 der Charta der Vereinten Nationen. Meine Damen und Herren, diese Erklärung des Präsidenten des Deutschen Bundestages hat für die Freie Femokratische Partei weiterhin uneingeschränkte Geltung. ({16})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Abgeordnete Schneider ({0}).

Herbert Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002045, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Erklärung der Bundesregierung, der Rede des Regierenden Bürgermeisters von Berlin und in den Ausführungen meiner Vorredner ist der brutale Rechtsbruch vom 13. August, der neue Anschlag des Bolschewismus gegen die einfachsten Menschenrechte in Worten dargestellt worden, denen ich kaum weitere hinzuzufügen brauche. Trauer und Empörung erfüllen heute alle Deutschen, von verschwindend wenigen Ausnahmen abgesehen, gleichermaßen. Ebenso stark aber sind die Gefühle hilfloser Ohnmacht und schmerzlicher Enttäuschung, die heute gleichfalls breiteste Schichten unserer Bevölkerung weit über Berlin hinaus bewegen. Es scheint meinen Freunden von der Gesamtdeutschen Partei und mir die Hauptaufgabe dieser Stunde zu sein, vor allem von ihnen zu sprechen. Dazu gehört auch, daß ich unserem Bedauern darüber Ausdruck geben möchte, daß diese außerordentliche Sitzung des Bundestages in Bonn und nicht in Berlin stattfindet. In vielen Kommentaren ist der 13. August ein Markstein in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands und Europas genannt worden. Er wurde verglichen mit dem Prager Fenstersturz von 1948, der seinerzeit gleichfalls einen neuen Abschnitt in dem Ringen um Europa einleitete. Meine Freunde und ich fürchten dagegen, daß die Historiker eines Tages nicht den 13. August, sondern die ihm folgenden Tage mit dem Prager Fenstersturz vergleichen werden, diese letzten Tage endloser Debatten, unerfüllter Ankündigungen und offenbarer Ratlosigkeit der freien Welt. Seit dem November 1958, dem Berlin-Ultimatum Chruschtschows, kennen wir, kennt die Welt die Berlin-Pläne und Deutschland-Pläne Moskaus. Seit dem Wiener Treffen zwischen Präsident Kennedy und dem sowjetischen Regierungschef hat sich der Himmel von Woche zu Woche verdüstert. Dementsprechend wurden die Vorbereitungen der freien Welt auf eine mögliche Krise verstärkt und beschleunigt. Nach der Pariser Außenministerkonferenz zu Anfang dieses Monats wurde verkündet, der Westen sei auf jeden möglichen Fall vorbereitet. Nun liegt der 13. August hinter uns, und die Reaktion des Westens ist ganz anders ausgefallen, als die große Mehrheit der Deutschen es erwartet hatte. Es ist notwendig, in diesem Augenblick offen und ohne Umschweife von der gefährlichen Ernüchterung und Enttäuschung zu sprechen, die große Teile unserer Bevölkerung erfaßt haben. Die Bundesregierung nannte in ihrer Erklärung vom Dienstag das Vorgehen vom 13. August mit vollem Recht und ohne Einschränkung ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes kündigte an, daß nunmehr in die Mappe mit den vorbereiteten Plänen gegriffen werde und der Aktion des Ostblocks gleichwertige Gegenmaßnahmen entgegengesetzt würden, 9784 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode Schneider ({0}) Wir kennen inzwischen das Ergebnis. Die Protestnoten der Vereinigten Staaten, Englands und Frankreichs sind scharf und in ihrer Beweisführung für die freie Welt völlig überzeugend. Der Eindruck, den sie in Moskau erzielen werden, wird ebenso gering sein, da gleichzeitig offenkundig ist, daß sie die einzigen sofortigen Gegenmaßnahmen bleiben werden, abgesehen von der neuerlichen Verstärkung der Verteidigungsbereitschaft der drei Mächte, auf die ich in anderem Zusammenhang noch eingehen werde. Von den umfassenden wirtschaftlichen Gegenmaßnahmen, von denen der Herr Bundeskanzler noch am Dienstag sprach, ist leider nicht mehr die Rede. Statt dessen versuchen nunmehr einflußreiche Zeitungen und Kommentatoren insbesondere in den USA und in England, den Deutschen klarzumachen, weshalb die angekündigten gleichwertigen Gegenmaßnahmen nur so und nicht anders aussehen können. Ihre Argumente wirken auf meine Freunde und mich zu einem Teil manchmal fast zynisch und so, als ob ihre Verfasser noch immer mit Blindheit geschlagen wären, wenn es darum geht, Wesen und Ziele der Aktionen des Bolschewismus in aller Welt zu erkennen. Es sollte uns alle tief beunruhigen, daß die Erinnerung an das München vom September 1938 in vielen Köpfen und nicht nur bei uns in Deutschland umgeht. Im Gegensatz zu der Auffassung des Herrn Bundeskanzlers sind meine Freunde von der Gesamtdeutschen Partei und ich der Meinung, daß nach den vielfältigen Beschwörungen unseres westlichen Bündnisses und nach den vielfältigen Beweisen unserer Bündnistreue es nun an den Westmächten ist, ihrerseits einen Beweis für eben diese Bündnistreue zu liefern. Die Deutschen haben eine fürchterliche Lektion des Totalitarismus lernen müssen. Weil sie glauben, daß auch die freie Welt sie endlich kennen sollte, deshalb fordern heute so viele Menschen bei uns effektive Handlungen an Stelle noch so gut formulierter Protestnoten, die für den Bolschewismus nur ein Zeichen von Schwäche und geradezu eine Einladung zu weiteren Rechtsbrüchen sind. Sie fordern diese Gegenmaßnahmen nicht aus Leichtfertigkeit und nicht, weil ihnen die Erinnerung an die Schrekken des Krieges etwa schon vergangen wäre, sondern ganz im Gegenteil, weil sie davon überzeugt sind, daß nur auf diese Weise schließlich eine furchtbare Katastrophe vermieden werden kann. Die größte Gefahr für den Weltfrieden liegt in der Überzeugung eines totalitären Regimes, es mit einem schwachen, handlungsunfähigen Gegner zu tun zu haben, der zu keiner wirklichen Abwehr bereit und fähig ist. Genau darum geht es. Es geht darum, den Eindruck in Moskau zu zerstören, daß man über einen neuen Status von West-Berlin gar nicht mehr zu verhandeln brauche, nachdem es so leicht war, den Viermächtestatus für Gesamt-Berlin ohne jede effektive Gegenwirkung endgültig zu beseitigen. Es geht darum, die den Frieden bedrohenden Fehleinschätzungen und Illusionen der bolschewistischen Führer zu zerstören und ihnen endlich klarzumachen, daß die zielbewußt betriebene Unterhöhlung der westlichen Position in Berlin ihr Ende gefunden haben muß. Aus diesem Grunde unterstützen meine Freunde von der Gesamtdeutschen Partei uneingeschränkt die Forderung, den Rechtsbruch vom 13. August vor die Vereinten Nationen zu bringen. In Berlin und in der Sowjetzone besteht heute tatsächlich eine akute Gefahr für den Frieden dieser Welt. Sollte der Kessel explodieren, dessen Überdruckventil am 13. August verstopft worden ist, dann sind die Folgen wahrhaftig unübersehbar. Weiter kann die freie Welt es nicht länger hinnehmen, in welcher Weise die elementarsten Grundsätze der Vereinten Nationen im Herrschaftsbereich Ulbrichts mit Füßen getreten werden. Der Hinweis darauf, daß von einer solchen Aktion schließlich doch keine greifbaren Ergebnisse zu erwarten seien, geht an dem Wesen der weltweiten Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus vorbei und übersieht insbesondere, daß auch die Sowjetunion alles andere als etwa unempfindlich gegenüber dem Auf und Ab in der Weltmeinung wäre. Die Gefühle des größten Teiles der Welt für die Sache der Unterdrückten zu gewinnen und gegen ihre Unterdrücker zu mobilisieren, ist eine politische Aufgabe von höchster Bedeutung. Wenn der Westen daran zweifelt, diese Aufgabe auf dem Boden der Vereinten Nationen lösen zu können, woher überhaupt will er dann die Zuversicht nehmen, in der ideologischen Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus zu bestehen? Die Anrufung der Vereinten Nationen muß ergänzt werden durch wirtschaftliche Abwehrmaßnahmen der ganzen atlantischen Gemeinschaft. Es ist bekannt, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß der Westen große Beiträge zur industriellen Aufrüstung der Sowjetunion leistet. Die Bundesregierung ist der wichtigste Lieferant beim Aufbau der sowjetischen Schwerchemie. Ganz unzweifelhaft ist der Sowjetblock nur deshalb zu nicht unbeträchtlicher Lieferung in ,die Entwicklungsländer in der Lage, weil die freie Welt auf der anderen Seite seine großen Lücken beim industriellen Aufbau ausfüllt. Ist es zuviel gesagt, meine Damen und Herren, wenn unterrichtete Fachleute seit langem der Ansicht sind, daß die freie Welt durch ihre Lieferungen in den Ostblock das ihre dazu beiträgt, um die gegen sie gerichtete wirtschaftliche und militärische Aufrüstung der Sowjetunion zu beschleunigen? Wenn überhaupt irgendwo, so liegen hier die besten Ansatzpunkte für wirksame Gegenmaßnahmen. Unerläßliche Voraussetzung allerdings ist eine wirkliche Geschlossenheit der freien Welt, die endlich darauf verzichtet, ihrem Henker vorher noch den Strick zu liefern, der für sie selbst bestimmt ist. Und ein Weiteres, meine Damen und Herren. Wir meinen darüber hinaus und schlagen vor, West-Berlin sowie seine Verbindungswege zum freien Westen unter den Schutz der NATO zu stellen. Hierzu ist der Westen um so mehr berechtigt, als die Terrormaßnahmen gegen Ost-Berlin und die Zone mit ausdrücklicher Billigung, ja sogar auf Empfehlung der Warschauer-Pakt-Staaten erfolgt sind. Die energische weitere Verstärkung der Verteidigungskraft der USA, Englands und Frankreichs Schneider ({1}) sollte durch eine solche Maßnahme demonstrativ unterstrichen werden, um auch auf diese Weise die Garantien der Westmächte so glaubwürdig wie möglich zu machen. Das Ziel auch dieser Maßnahme muß es stein, Chruschtschow vor Fehleinschätzungen der wirklichen Lage zu bewahren und damit entscheidend zur Sicherung des Friedens beizutragen. Meine Freunde von der Gesamtdeutschen Partei unterstreichen, daß in dieser Situation ruhig und überlegt gehandelt werden müsse. Die Betonung in diesem Satz kann aber nur auf dem „Handeln" liegen. Welche einseitigen Aktionen und Provokationen Moskaus - so fragen wir - müssen eigentlich noch geschehen, bis sich der Westen zu Antworten aufrafft, die dem Bolschewismus effektiv verständlich sind? Auf diese Frage muß auch die Bundesrepublik selbst eine Antwort zu geben in der Lage sein. Es ist gewiß keine Übertreibung, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn auch ich an dieser Stelle unterstreiche, daß in keinem anderen Volk auf dieser Erde die Sehnsucht nach einem wirklichen Frieden größer ist als in dem unseren. Die Erlebnisse der letzten zwanzig Jahre unserer Geschichte waren zu furchtbar, als daß sie etwa spurlos an uns vorübergegangen wären. Den Willen zu einem friedlichen Ausgleich mit allen Völkern, die dazu bereit sind, den Willen auch zu einer aufrichtigen Wiedergutmachung haben die Deutschen in der Bundesrepublik mehr als einmal überzeugend bewiesen. Sie sind aufgeschlossener als alle anderen europäischen Nachbarn bereit gewesen, auf Souveränitätsrechte zu verzichten, um die Absage an jede Machtpolitik zu unterstreichen. Sie sind aber nicht bereit, auf ihre Selbstachtung zu verzichten, wenn ihre Forderung nach Gewährung der Menschenrechte auch für die Deutschen immer wieder brutal zurückgewiesen wird. Deshalb hat die Bundesrepublik nach unserer Auffassung auch die Verpflichtung, als Antwort auf den 13. August jene Maßnahmen zu ergreifen, die sie in eigener Zuständigkeit durchführen kann. Dazu gehört nicht die Kündigung des Interzonenhandelsabkommens, jedenfalls nicht als einzige wirtschaftliche Abwehrmaßnahme der freien Welt, da die Zusammenhänge zwischen dem Interzonenhandel und den Berlin-Verbindungen nicht übersehen werden können. Wo aber steht geschrieben, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß die freie Wirtschaft der Bundesrepublik etwa gezwungen ist, den im Interzonenhandelsabkommen vorgezeichneten Rahmen auch tatsächlich auszufüllen? Wo steht geschrieben, daß die freie Wirtschaft der Bundesrepublik auf der Leipziger Messe vertreten sein muß? Wer vor den Scharfmachern warnt, wie es in diesen Tagen geschehen ist, sollte nicht vergessen, gleichzeitig auch vor den Geschäftemachern zu warnen. Welchen Nutzen soll es haben, sich weiterhin um ein neues Kulturabkommen mit der Sowjetunion zu bemühen, jener Macht, ohne deren Entscheidung der 13. August nicht möglich gewesen wäre? Auf diese Fragen muß die Bundesrepublik eine Antwort geben, im Interesse ihrer Selbstachtung und der Glaubwürdigkeit ihres Bekenntnisses zu den Menschen in Berlin und Mitteldeutschland. Auf diese Fragen kann die Bundesrepublik eine Antwort geben, ohne im geringsten gegen die absolut notwendige Solidarität der freien Welt zu verstoßen. Auch auf diese Antworten ,der Bundesrepublik haben die Deutschen hier und jenseits der Elbe und Werra bis heute vergeblich gewartet. Statt dessen wurden sie am Donnerstagmorgen mit einer Verlautbarung der Bundesregierung über das Gespräch des Herrn Bundeskanzlers mit dem sowjetischen Botschafter überrascht, die selbst bei zahlreichen absolut loyalen Befürwortern der Politik der Bundesregierung auf wenig Verständnis gestoßen ist. Ich will es mir versagen, meine Damen und Herren, in diesem Augenblick ,die Gefühle der Menschen hier in unserem eigenen Lande und auch jenseits der Zonengrenze zu schildern, als sie diesen Tatbestand zur Kenntnis nehmen mußten. Ich frage aber: Womit will die Bundesregierung der Bevölkerung der Bundesrepublik den Sinn ihrer Worte erläutern, daß sie keine Schritte unternehmen wird, die die Beziehungen zwischen ihr und der Sowjetunion erschweren und die internationale Lage verschlechtern könnten? Die Macht, die eben noch als Rechtsbrecher bezeichnet worden ist, sollte nicht die Zusicherung erhalten, etwa für ihre brutalen Willkürmaßnahmen noch mit Wohlverhalten belohnt zu werden. Die Folge kann nur eine weitere Entmutigung des Willens ,der Deutschen zur Wiedervereinigung sein. Niemand in diesem Hause wird bestreiten, daß die Deutschen die Hoffnung auf eine Überwindung der Spaltung ihres Vaterlandes so lange nicht aufzugeben brauchen, solange in ihnen das Bewußtsein, trotz allem eine Nation zu sein, noch lebendig ist. Erst wenn dieses Bewußtsein sich wundgestoßen hat und lahm geworden ist, beginnt die Teilung Deutschlands endgültig zu werden. Und deshalb bedauern meine Freunde und ich so tief diese Verlautbarung und die Auswirkungen, die sie hier und da haben mag. Wir fragen uns vergeblich, welche positiven Wirkungen sich die Bundesregierung von ihr versprochen hat. Hoffnungen auf Verhandlungen? Gewiß, meine Damen und Herren, Verhandlungen müssen sein. Aber es ist die Frage gestattet: Welchen Wert können sie überhaupt haben, wenn der Partner bereits vorher so handgreiflich herausgefordert wird, an ,die Schwäche der Gegenseite zu glauben? Welchen Wert haben solche Verhandlungen überhaupt mit einer Macht, die gerade eben noch den zynischsten Rechtsbruch der Neuzeit begangen hat? Die Zukunft ist wahrhaftig trübe. Meinen politischen Freunden und mir scheint es kein geeigneter Augenblick zu sein, jetzt irgendwelche tröstlichen Hoffnungen zu erwecken. Eines allerdings glauben wir mit Bestimmtheit zu wissen: das deutsche Volk im freien Teil Deutschlands und jene 16 Millionen in Moskaus Kolonie ,zwischen Elbe und Werra und Oder und Neiße haben nur eine Möglichkeit, trotz aller Gefahren und Widerstände dieser Zeit die ihnen auferlegten Prüfungen zu bestehen, wenn ihr Drang zur Freiheit und ihr Wille zur Wiederver9786 Schneider ({2}) einigung die Welt schließlich zu überzeugen vermag, daß auch den Deutschen endlich das Recht auf Selbstbestimmung nicht vorenthalten werden kann. Dieses Bekenntnis zur Freiheit und diesen Willen zur Wiedervereinigung zu stärken, ihn glaubwürdig zu erhalten und ihn aller Welt anläßlich ,der Bundestagswahlen auch durch eine damit verbundene Volksabstimmung in Westberlin und Westdeutschland vor Augen zu führen, muß die vornehmste Aufgabe dieses Hauses sein. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Drohung des Separatfriedens steht als nächste Provokation der Kommunisten bevor. Wir stehen sicherlich vor schweren Bewährungsproben. Das macht ein Zusammenstehen all e r Deutschen über alle parteipolitischen Gegensätze hinweg notwendig. ({3})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Behrisch. ({0})

Arno Behrisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000137, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle sind durch das, was in Berlin geschehen ist, erschüttert. Wie könnte es anders sein? ({0}) Aber erschütternder, meine Damen und Herren, ist noch die vollkommene, auch hier wieder sichtbar gewordene Blindheit gegenüber den Ursachen der Ereignisse. Wir sind dabei, die Schuld zu suchen, und fragen: wer trägt die Schuld? Man kann auch sagen: Wer trägt nicht mit an ihr? Aber wenn wir jetzt die Schuldigen suchen und schon dabei sind, auch bei 'den Verbündeten nach der Schuld zu suchen, dann wäre es doch eigentlich an der Zeit, zu fragen: Wie weit sind wir an diesen Dingen schuld? Der Herr Präsident hat in ,einem anderen Zusammenhang einmal das Wort vom Ursachenzusammenhang in ,der Politik geprägt. Ich glaube, daß das ein wahres Wort ist und daß es uns weiterhilft. Ein Freund unseres Landes, ein Freund der Einheit Deutschlands, ein Demokrat, ein Weltbürger, Ministerpräsident Nehru, hat hier in Bonn einmal zu diesem Stichwort gesagt: Aber .das Heute steht nicht 'isoliert in der Luft. Heute ist Idas Kind von Gestern und der Vater von Morgen, und nicht nur das Kind von Gestern, sondern von alledem, was vorausgegangen ist. Die ganze vergangene Geschichte hat das Heute hervorgebracht. Schauen wir ein wenig zurück, so müssen wir sagen: Wir hätten das, was über uns gekommen ist, ja nicht erlebt, wenn wir nicht 1933 den falschen Leuten die Macht gegeben hätten. In Jerusalem ist davon im Augenblick viel die Rede. Wir müssen uns fragen, wie die Situation wohl wäre, wenn der § 9 Abschnitt 4 des Potsdamer Abkommens, der uns die österreichische Lösung und den österreichischen Weg offenhielt, nicht verhindert worden wäre. Wir müssen unis auch fragen, wo wir stünden, wenn das Wirklichkeit geworden wäre, was auf der Moskauer Außenministerkonferenz 'im März 1947 gefordert wurde, nämlich freie und geheime Wahlen unter internationaler Kontrolle in ganz Deutschland. Leider sind auch Freunde von uns damals auf diese Forderung nicht eingegangen. Ich möchte meinen, meine Damen und Herren, wir sind in dieser Krise und in dieser Misere, weil wir uns von einigen Grundwahrheiten aller Politik und Diplomatie entfernt haben. Wenn nämlich Politik die Kunst des Möglichen ist, dann kann man sich nicht idem Wunschdenken hingeben. In dieser Berlinkrise zeigt sich doch wohl, daß es wahr list, was Bismarck sagte: daß alle Völker sich an ihr e n Interessen orientieren. Es wäre also Aufgabe der deutschen Politik gewesen, nachdem wir alle darin übereinstimmen, daß Frieden und Wiedervereinigung die obersten deutschen Interessen sind - ({1}) - Einheit in Freiheit, selbstverständlich! Sie dürfen mir glauben, meine Damen und Herren, daß ich es anders nie verstanden habe und nie verstehen werde. Wenn wir für Frieden und Einheit in Freiheit sind, wenn das das oberste Interesse ist, dann hätten wir die Mittel der Politik und der Diplomatie einsetzen müssen, um festzustellen: Wie ist das Verhältnis der Nachbarn, wie ist ihr Interesse mit diesem deutschen Hauptinteresse vereinbar? Und dann beginnt die Politik, dann muß man, wenn es sich stößt, versuchen, einen Kompromiß zu finden. So immer war Politik. ({2}) - Herr Kollege, wir müssen uns darüber nicht unterhalten, weil wir darüber völlig einig sind. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sagte mit Bismarck: Alle Völker orientieren sich an ihren Interessen. Sie sehen jetzt ganz deutlich in der Berlinkrise, daß wir die Interessen der Verbündeten zumindest in der Rangordnung falsch eingeschätzt haben. Nun, wir haben bisher nie ernsthaft nach ,einem Kompromiß in dieser entscheidenden Frage mit denen gesucht, die das Faustpfand in der Hand haben. ({4}) - Herr Professor Carlo Schmid, Leute, die auch etwas von Politik verstehen wie etwa Präsident Paasikivi, der sein Land zweimal davor bewahrt hat, verschluckt zu werden, nachdem Abenteurer es an den Abgrund gesteuert hatten, sind der Meinung, daß Großmächte sich nicht an der Moral zu orientieren pflegen, sondern an ihren Interessen. Wir sollten das wissen. ({5}) - Das zeigt sich. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme noch einmal auf Bismarck zu sprechen, der uns sagte: Es war stets ein Fehler der Deutschen, alles erreichten zu wollen oder nichts und sich eigensinnig auf eine bestimmte Methode zu versteifen. Wir haben es, um mit ihm weiter zu sprechen, an politischem Augenmaß fehlen lassen. ({6}) Wir haben die Tatsachen der Geographie und der Geschichte mißachtet, und wir haben uns, was uns auch Nehru in Bonn sagte, nicht dazu durchringen können, für das richtige Ziel auch die richtigen Mittel zu finden. ({7}) - Ich habe das nicht gesagt, Herr Barzel. ({8}) - Nein! Ich bin nur der Meinung, daß man aufhören muß, schwarz-weiß zu malen, weil Sie damit nicht weiterkommen und weil hier in vielen Stükken eben doch die Lebensinteressen mächtiger Völker, nicht nur die unseren, auf dem Spiel stehen. Das Kriterium für jede Rüstungspolitik sind die Ereignisse, die auf die Rüstung folgen. Wir haben ein solches Ereignis vor uns. Ich erinnere mich, daß es Wilhelm Mellies war, der sagte, als wir uns auf dieses Wettrüsten einließen: Ohne Bündnislosigkeit keine Einheit! Eine große Frankfurter Zeitung hat dieser Tage richtig geschrieben - ich muß das meinen ehemaligen Freunden von der Sozialdemokratie sagen -: Die SPD sagt nicht die unbequeme Wahrheit, daß nämlich die Berlinkrise das Resultat jener monumentalen Fehleinschätzung ist, auf der die westliche Politik der Stärke seit 1952 beruht. Nun ruft man nach allerlei Maßnahmen aus diesem Lande. Ich habe in dieser Debatte feststellen können, daß diese Seite des Hauses ({9}) weiter geht als diese Seite, weil diese Seite, die Regierung, wohl schon das Gefühl hat, daß es ohne Verhandlungen nicht gehen wird. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Panzer und Stacheldraht in Berlin sind eine ungeheuerliche Sache. Aber wer Panzer und Stacheldraht aus Berlin heraus haben will, muß wissen, daß er sie ohne Verhandlungen nicht beseitigen kann. Vielleicht würde unser Herr Bundesverteidigungsminister einen ersten Beitrag zur Verhandlungsatmosphäre dadurch liefern, daß er zum Beispiel die Einberufung von Reservisten stoppt; denn ich glaube, daß solche Gesten das Verhandlungsklima günstiger stimmen. Ich habe mir erlaubt, am 13. Juni, als es in diesem Hause keine Debatte gab, obwohl es besser gewesen wäre, wir hätten damals eine geführt, weil man ja die Dinge schon kommen sah, eine deutsche Friedensregelung vorzuschlagen. Ich habe sie der Presse und den Botschaftern zugänglich gemacht. Es freut mich, daß der Herr Regierende Bürgermeister später zu demselben Vorschlag kam, den ich am 30. Juni gemacht habe, nämlich Einberufung einer Friedenskonferenz aller Staaten, die gegen Deutschland im Kriege gestanden haben. Wir sind tes uns selbst schuldig, für eine Atmosphäre der Entspannung zu sorgen, etwas dafür zu tun, daß unser deutscher Raum atomwaffenfrei bleibt oder atomwaffenfrei wird. Ich habe das in meinen Vorschlägen drin. Ich habe darin auch die Vorstellung, daß das wiedervereinigte Deutschland seine Garantien durch die Vereinten Nationen bekommt, und ich habe mich vor allem bemüht, dem Thema Berlin gerecht zu werden. Ich möchte Ihnen das zum Schluß zum Gehör bringen. Meine Vorstellungen über Berlin waren die: Der Friedensvertrag bestimmt Berlin als Hauptstadt eines wiedervereinigten Deutschlands. Bis dahin verpflichten sich alle Teilnehmerstaaten der Friedenskonferenz, den von der gleichen Konferenz ausdrücklich vereinbarten Status Westberlins als Interimslösung zu respektieren. Für Deutschland ist dabei jede Interimslösung annehmbar, die die völlige Freiheit der Westberliner Bevölkerung garantiert, innerhalb Westberlins über ihre Angelegenheiten auf der Grundlage einer unangetasteten Demokratie selbst zu bestimmen, und die die Verbindung Westberlins mit der Bundesrepublik und dem übrigen westlichen Ausland eindeutig sicherstellt. Die Bundesrepublik wird in den Kreis der Garantiemächte für die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten Westberlins durch ausländische Mächte einbezogen, und alle Teilnehmerstaaten verpflichten sich, auf die aus dieser Interimslösung ihnen eventuell zukommenden Rechte in Westberlin zu verzichten, wenn die Einheit Deutschlands wiederhergestellt ist. Meine Wiege stand in Mitteldeutschland, und ich habe alle meine Angehörigen in Mitteldeutschland. Sie dürfen mir glauben, daß mir die Frage der deutschen Einheit eine Herzensfrage ist, und Sie dürfen mir im Hinblick auf meinen politischen Weg glauben, daß mir die Einheit in Freiheit eine Herzenssache ist. Aber -

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Es wird mir soeben gesagt, daß hier ohne meine Genehmigung lauf der Pressetribüne Aufnahmen gemacht werden. Ist das richtig? - Sie verlassen sofort das Haus! ({0}) Sie haben hier ein eigenes Aufnahmegerät. ({1}) Präsident D. Dr. Gerstenmaier Sie verlassen sofort das Haus! Der Ordnungsdienst -({2}) Beruhigen Sie sich, meine Damen und Herren! Fahren Sie bitte fort, Herr Abgeordneter!

Arno Behrisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000137, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ichglaube, daß wir aus der Misere, in der wir uns befinden, nur durch Verhandlungen herauskommen können, und meine Freunde von der Deutschen Friedensunion sind der Meinung: Wer Frieden und Einheit will, muß Verhandlungen wollen; aber er muß sie nicht nur wollen, er muß sie endlich führen. Ich glaube, es ist hoch an der Zeit.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Noch eine Wortmeldung? - Bitte, Herr Abgeordneter Neubauer.

Kurt Neubauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001588, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Abgeordneter dieses Hauses, der bis zum Beginn der zurückliegenden Ereignisse unmittelbarer Vertreter der Ostberliner Bevölkerung in diesem Hause war, möchte ich mit ein paar Sätzen auf die Ausführungen, die mein Vorredner gemacht hat, antworten. Er hat vorgegeben, erschüttert zu sein. Aber er hat vergessen, während seiner Ansprache auch nur einen einzigen Satz 'darüber auszusagen, ob er bereit ist, vor diesem Haus und vor der Welt diejenigen anzuklagen, die vor einigen Tagen brutal auf die Ostberliner Bevölkerung eingeschlagen haben. ({0}) Wer sich in dieser Zeit bemüht, auch noch Entschuldigungen für diese Handlungsweise zu finden, identifiziert sich mit dieser Handlungsweise. ({1}) Wer sich aber mit dieser Handlungsweise identifiziert, muß sich auch gefallen lassen, so behandelt zu werden, wie diejenigen behandelt werden müssen, die für diese Ereignisse verantwortlich sind. Er hat hier eine Rede gehalten, der man nicht entnehmen konnte, was er eigentlich will. ({2}) Wenn man das wissen will, muß man seine Reden im Lande kennen. Er hat ganz offenbar die Funktion übernommen, die die Kommunisten oftmals anderen zugedacht haben: demokratische Parteien zu diffamieren, in demokratische Parteien einzudringen, damit die Demokratie zu zerstören. ({3}) Meine Damen und Herren! Es wäre notwendig gewesen, daß Herr Behrisch für unsere demokratischen Freunde in Ostberlin wenigstens jenes Maß an Freiheit gefordert hätte, das er für sich als Abgeordneter dieses Hauses in Anspruch nimmt. ({4}) Ich darf daher mit aller Entschiedenheit im Namen der Frauen und Männer, die jetzt seit Tagen im Gefängnis sitzen, 'dagegen protestieren, daß ein Abgeordneter dieses Hauses die Schuld bei allen, nur nicht bei den Tätern der letzten Tage sucht. ({5})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine weiteren Wortmeldungen? - Dann, meine Damen und Herren, lassen Sie mich in dieser ernsten Stunde in wenigen Sätzen das zusammenfassen, in dem, wie ich glaube, dieses Haus, mit einer Ausnahme, ,einig ist. Ich glaube, daß der Deutsche Bundestag als oberste gesetzgebende Körperschaft und als Sprecher des ganzen deutschen Volkes in diesem Augenblick einig ist in dem Willen zum Widerstand, zum besonnenen, aber ganz entschlossenen Widerstand gegen den Terror und die Unmenschlichkeit, die in der sowjetisch beisetzten Zone Deutschlands, gewiß nicht nur und nicht erst seit dem 12. August 1961, sondern schon seit Jahr und Tag, brutal geübt werden. Gegen diesen Terror befinden wir uns im Widerstand. Wir sind aber auch im Widerstand gegen .den von den Warschauer-Pakt-Staaten vertretenen oder mindestens gebilligten Bruch von Verträgen, von internationalen, von völkerrechtlichen Abmachungen. Wir sind zweitens auch in dieser Stunde einig, wie wir es in diesen Jahren immer gewesen sind, in der Solidarität mit den Unterdrückten und mit den Terrorisierten, mit denen, die seit Jahr und Tag hinter den Zonen- und Sektorengrenzen erniedrigt und beleidigt werden. In ,dieser Solidarität erweist sich die Kraft der Deutschen, auch im geteilten Deutschland eine Nation zu sein und hoffentlich auch eine Nation zu bleiben. Und wir sind bei aller Vielfalt der Töne, die wir hier ,gehört haben, einig in der Solidarität mit der freien Welt und ihren Schutzorganisationen, deren Wertes und deren Bedeutung wir uns, wiederum nicht erst in dieser Stunde, aber in dieser Stunde in ganz besonderem Maße, wohl bewußt sind. ({0}) Und drittens: Dieser Bundestag ist hoffentlich ebenso wie der kommende völlig einig in der Treue zur Freiheit, und das heißt heute: einig mit dem ganzen deutschen Volke in dem Willen, das Selbstbestimmungsrecht für ganz Deutschland und alle, die darin wohnen, zu verwirklichen. Ich nehme den Ton noch einmal auf, der kein billiges Wort sein soll, den Ton des Trostes und des Mutes an die, die hinter den Sektoren- und hinter den Zonengrenzen leiden. Ich glaube, es gibt reale Tatsachen, auf Grund deren wir ihnen zurufen

Willy Könen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001156

In der Tat, laßt den Mut und laßt die Hoffnung nicht sinken! Der Bundestag bekennt sich erneut und feierlich zur Charta der Vereinten Nationen und den in ihr proklamierten Menschenrechten ({0}) - sie sind für uns kein leeres Wort -, einschließlich ihres Artikels 1 mit dem Bekenntnis zum Selbstbestimmungsrecht der Völker. Der Bundestag hat damit auch in dieser Stunde entsprechend dem Sinn und Geist des Grundgesetzes gehandelt, das ihm auferlegt, für alle Deutschen das Wort zu führen. Wir stehen treu und gehorsam heute und morgen zu der Forderung des Grundgesetzes im Schluß-Satz seiner Präambel: „Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden." Dafür dienen wir, daran glauben wir! Ich danke Ihnen. Die Sitzung ist geschlossen. ({1})