Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/11/2022

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Seit mehr als zweieinhalb Monaten findet in der Ukraine ein blutiger Krieg statt, der alle Politikbereiche erfasst. Natürlich sind die schlimmsten Folgen die, die die Menschen in der Ukraine selber zu tragen haben. Aber dieser Konflikt hat auch schlimme Ausstrahlungswirkung in andere Politikbereiche. Meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Kabinett haben dazu berichtet: zur Sicherheitslage, zu unserer eigenen Verteidigungspolitik, zur Energiepolitik und zu den Problemen des Hungers in der Welt. Aber dieser Konflikt hat natürlich auch Auswirkungen auf den Bereich der Rechtspolitik. Drei Dinge möchte ich in diesem Zusammenhang vortragen. Wir sind nicht nur mit einem völkerrechtswidrigen Angriff, einem Überfall konfrontiert, sondern auch mit einer Art der Kriegsführung, die verbrecherisch ist. Quasi jedes Zusatzprotokoll der Genfer Konvention wird in der Ukraine systematisch verletzt. Nach allem, was wir wissen – und unterstellt: die Berichte sind wahr –, werden dort eine ganze Reihe von Straftatbeständen erfüllt. Wir als Deutschland haben nach meiner festen Ansicht und auch nach Ansicht der gesamten Bundesregierung eine besondere historische Verantwortung; denn das Völkerstrafrecht beruht in wesentlichen Teilen auf der grundlegenden Arbeit der Nürnberger Prozesse, bei denen es darum ging, das Unrecht von Nazitätern aufzubereiten. Wir nehmen diese Verantwortung wahr. Wir unterstützen die internationalen Organisationen, insbesondere den Internationalen Strafgerichtshof mit Geld und Personal. Wir selber haben mit dem Generalbundesanwalt eine sehr engagierte Anklagebehörde. Er hat auch schon in der Vergangenheit erfolgreich Kriegsverbrecher in Deutschland vor Gericht gestellt, und er wird das auch in Zukunft mit denjenigen tun, derer wir habhaft werden und denen wir Verbrechen, die sie in der Ukraine verübt haben, nachweisen können. Wir stimmen uns mit unseren europäischen Partnern eng ab. Wir haben dazu einen JI-Rat durchgeführt. Wir sprechen mit der Europäischen Kommission, um die Rechtsgrundlagen von Eurojust so zu verbessern, dass dort besser koordiniert werden kann. Ich persönlich engagiere mich auch in Formaten außerhalb der Europäischen Union. Beispielsweise beim Arbeitstreffen der deutschsprachigen Justizministerinnen und Justizminister haben wir uns auch mit unseren Freunden in der Schweiz ausgetauscht und Anregungen mitgenommen. Zum Beispiel wollen wir dafür sorgen, dass diejenigen, die aus der Ukraine zu uns kommen und möglicherweise Opfer oder Zeugen schrecklicher Verbrechen waren, sozusagen angeregt werden, ihr Wissen möglichst schnell mit uns zu teilen, damit es nicht verloren geht, sondern für entsprechende Verfahren zur Verfügung steht. Da gibt es eine enge und sehr, sehr gute Kooperation beispielsweise mit dem Innenministerium; ohne sie würde dies auch nicht so gut funktionieren. Es gibt einen zweiten Punkt, mit dem wir befasst sind und der auch in der öffentlichen Debatte eine Rolle spielt. Viele Menschen stellen sich die Frage: Welche rechtlichen Folgen sind eigentlich an die Waffenlieferungen in die Ukraine geknüpft? Es gibt immer wieder die Sorge, dass sie uns völkerrechtlich zur Kriegspartei machen könnten. Diese Sorge möchte ich hier – das sage ich sehr klar – ausräumen; da sind wir uns auch in der Bundesregierung völlig einig. Diese Sorge kann ich nehmen. Denn seitdem die UN-Charta in Kraft ist, ist das alte Neutralitätsgebot, wie es noch heißt, ein Stück weit überlagert. Krieg ist grundsätzlich verboten. Die einzige legitime Form, Krieg zu führen, ist der Verteidigungskrieg. Das ist in der UN-Charta ausdrücklich so geregelt. Wer ein Land darin unterstützt, sich zu verteidigen, mit Hilfslieferungen, mit zivilen Gütern, auch mit militärischen Gütern und auch mit schweren Waffen, wird dadurch nicht zur Kriegspartei. Das ist völkerrechtlich klar. Diese Haltung haben wir ja auch schon vor Wochen in völliger Übereinstimmung zwischen Auswärtigem Amt, Justizministerium und der ganzen Bundesregierung so kommuniziert. Dies wurde in den letzten Tagen von sehr prominenten Stimmen auch aus der Völkerrechtswissenschaft unterstützt. Also auch das ist eine klare Aussage, die ich machen kann. Ein letzter Gedanke dazu, wie wir durch diese Auseinandersetzung in der Rechtspolitik, aber auch weit darüber hinaus betroffen sind: Das ist nicht nur ein territorialer Konflikt. Dort geht es nicht nur um Boden, um Bodenschätze und um geopolitische Zugänge – das sicherlich auch –, sondern es ist auch eine Auseinandersetzung zwischen Autokratie und liberaler Demokratie. Deshalb möchte ich sagen: Bei aller Belastung, die dieser Konflikt bedeutet, müssen wir das Programm, das wir uns als Bundesregierung und auch als Fortschrittskoalition vorgenommen haben, nämlich unsere liberale Demokratie noch liberaler, noch offener, noch toleranter, noch freier und noch moderner zu machen, erst recht fortsetzen. Würden wir dieses Programm stoppen, hätte Wladimir Putin schon ein Stück weit gewonnen. ({0}) Damit möchte ich meinen Bericht schließen, Frau Präsidentin.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Vielen Dank. – Wir beginnen damit die Regierungsbefragung zu den einleitenden Ausführungen des Bundesministers und zum Geschäftsbereich sowie zu den vorangegangenen Kabinettssitzungen und kommen dann zu den allgemeinen Fragen. Das Wort als Fragesteller hat zuerst der Kollege Dr. Günter Krings.

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Herr Bundesminister, ich will zunächst einen Satz sagen: Wir und ich stimmen Ihren Ausführungen zur Rolle des Rechtsstaates und der Rechtspolitik in Unterstützung der Ukraine gegen diesen unprovozierten russischen Angriffskrieg zu. Dennoch lebt die Regierungsbefragung davon, nicht nur die Konsenspunkte zu betonen, sondern sich auch mit potenziellen Dissensen zu beschäftigen; deshalb will ich ein strafrechtliches und strafprozessuales Thema ansprechen. Eines der furchtbarsten Verbrechen in unserer Gesellschaft ist – da sind wir uns hoffentlich alle einig – der sexuelle Missbrauch von Kindern einschließlich der Kinderpornografie, hinter der immer reale Missbräuche von Kindern stehen. Aus diesem Grund bin ich etwas erschrocken, wenn ich höre, dass das Justizministerium die zur Bekämpfung des Kindesmissbrauchs aus unserer Sicht notwendige auch anlasslose Datenspeicherung nicht nur in Teilen, sondern generell ablehnt und offenbar auch nicht bereit ist, die verfassungs- und europarechtlich unproblematische Speicherung von IP-Adressen, also die Verfolgung im Netz, zu unterstützen. Daher die konkrete Frage an Sie: Sind Sie bereit, den Handlungsspielraum, den vor allem auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes noch für die Datenspeicherung zugunsten des Schutzes von Kindern vor Missbrauch lassen, auszuschöpfen?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Sehr geehrter Herr Kollege Krings, ich bin Ihnen für die Frage sehr dankbar, weil sie mir ermöglicht, ein Missverständnis auszuräumen. Es wird immer wieder – sicherlich nicht von Ihnen; Sie sind ein sachlicher Kollege, den ich sehr schätze – von manchen, vielleicht auch im Journalismus, so getan, als würden wir nicht engagiert gegen diese schlimmen Verbrechen vorgehen. Deshalb: Wir wollen den Ermittlungsbehörden Instrumente in die Hand geben, die sie wirklich nutzen können und die nicht von Gerichten aufgehalten werden. Deshalb arbeiten wir beispielsweise an dem Instrument Quick Freeze, das über jeden verfassungsrechtlichen Zweifel erhaben ist und deshalb auch zur Anwendung kommt; denn die Vorratsdatenspeicherung ist ja – erlauben Sie mir das Bild – ein juristischer Zombie. Sie steht im Gesetz; aber sie kann nicht durchgesetzt werden. Das wissen wir auch, weil wir die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Köln kennen. Wir wollen den Ermittlungsbehörden etwas geben, was sie wirklich nutzen können, nicht Steine statt Brot. Ich möchte noch etwas hinzufügen: Das ist ja nicht das Einzige. Wir arbeiten beispielsweise auch an einem Konzept für die Log-in-Falle. Wir arbeiten an Instrumenten, die wir den Ermittlungsbehörden zur Verfügung stellen werden, damit sie ihre gute Arbeit machen können. Wir wollen schlimme Straftaten im Rahmen des Rechts, im Rahmen der Verfassung und auch im Rahmen der europäischen Grundrechte effektiv verfolgen. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Dr. Krings, Sie können eine Nachfrage stellen.

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, das tue ich gerne. – Den Willen wollen ich und wir Ihnen nicht absprechen. Nur, das Mittel Quick Freeze mag verfassungsrechtlich – wie anderes auch – unbedenklich sein; es bleibt aber weitgehend wirkungslos. Ich kann, um im Bild zu bleiben, nur das „einfrieren“, was vorher auch dort liegt. Insofern gibt es Fälle, wo ich diese anlasslose Speichermöglichkeit brauche, wo andere Instrumente eben keinen Erfolg versprechen. Das Bundeskriminalamt hat für die Jahre 2017 bis 2021 fast 20 000 Hinweise festgehalten, die nicht verfolgt werden konnten – nicht weil es keine Vorratsdatenspeicherung im Allgemeinen gibt, sondern weil es speziell die mögliche IP-Datenspeicherung nicht gibt. Also noch einmal die konkrete Frage: Sind Sie bereit, zumindest der Speicherung von IP‑Daten – das ist etwas ganz anderes als die Vorratsdatenspeicherung insgesamt – näherzutreten, auch um den Eltern von Opfern oder den Opfern nicht mehr erklären zu müssen, dass diese Taten nicht verfolgt werden können, dass die Täter nicht zur Strecke gebracht werden können?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Herr Kollege Krings, wir beide schätzen ja sehr detaillierte, fachliche und sogar rechtstechnische Debatten. Aber der Obersatz, dass die anlasslose, grenzenlose Speicherung von IP-Daten durch den EuGH unproblematisch zugelassen worden wäre, ({0}) ist eine – vorsichtig formuliert – steile These, über die wir gerne noch diskutieren können. Ich würde Folgendes vorschlagen: Wir schätzen, dass der EuGH in einigen Wochen zum wiederholten Male über deutsche Regelungen der Vorratsdatenspeicherung entscheiden wird. Der EuGH hat eine sehr klare und sehr harte Linie. Diese muss man nicht schätzen. Nur gehört es im Rechtsstaat dazu, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes zu akzeptieren. Wenn der in Kürze auch über die deutschen Regelungen entschieden hat, dann beugen wir uns gerne gemeinsam darüber. Ich bin sehr sicher, dass von der Vorratsdatenspeicherung danach nicht viel übrig bleiben kann. Und unabhängig davon, wie man das Instrument bewertet, in einem sollten wir einer Meinung sein: Die Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und EuGH ist zu respektieren. ({1})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Ich habe zum gleichen Thema weitere Fragesteller, zuerst den Kollegen Höferlin von der FDP-Fraktion.

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, Sie haben ja genauso wie ich das Thema Vorratsdatenspeicherung schon einige Jahre begleitet. Können Sie uns jetzt aus der Sicht des Ministers sagen, in welchen Zeiträumen der letzten 10, 15 Jahre die immer wieder neu eingeführten Varianten von Vorratsdatenspeicherungen überhaupt als Werkzeug zur Verfügung standen? Sie haben ja ausgeführt, dass wir als Fortschrittskoalition ein Werkzeug in die Hand geben wollen, das rechtssicher anwendbar ist und nicht nur auf dem Papier vorhanden ist, ohne es anwenden zu können. Das Zweite, was mich interessieren würde, ist, inwieweit nach Ihrer Prüfung im Darknet, in dem die IP-Adressen verschleiert werden, das Herausfinden von IP-Adressen überhaupt zur Strafverfolgung beitragen kann. Benötigt es nicht vielmehr eine sachgerechte und aktive Ermittlungsarbeit, die im Netz geschieht, die zu Ermittlungsergebnissen führen kann, wie die Beispiele der letzten Wochen, Monate und Jahre immer wieder zeigen?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Sehr geehrter Herr Kollege Höferlin, ich bin Ihnen für Ihre Ausführungen sehr dankbar, weil wir in der Tat eine lange gemeinsame Geschichte teilen. Schon in meiner ersten Legislaturperiode hier im Parlament – das war in der 17. Legislaturperiode – war die Vorratsdatenspeicherung ein großes Thema, davor auch schon. Die Geschichte der Versuche, diese verfassungskonform zu regeln, ist quasi eine – um mit Michael Ende zu sprechen – „unendliche Geschichte“, weil eine Vielzahl von Versuchen immer wieder gescheitert ist. Die Zahl der Versuche war so hoch, dass selbst höchstrangige Kollegen aus der CSU – ich verrate jetzt keine Namen, weil ich nicht aus vertraulichen Gesprächen berichten will; ich habe ja auch an Jamaikaverhandlungen als Verhandler teilgenommen – irgendwann gesagt haben: Jetzt haben wir uns bei dem Thema wegen der Anlasslosigkeit so häufig eine blutige Nase geholt. Wir müssen zu einer Lösung kommen, die anlassbezogen ist. – Das ist auch keine verrückte Idee, sondern das ist das Prinzip, das in unserer Strafprozessordnung selbstverständlich ist: Ich habe einen Tatbestand, ich habe einen Anlass, ich habe ein Verdachtsmoment. Aus diesem konkreten Verdachtsmoment heraus ergibt sich eine Eingriffsbefugnis. Die Idee, von jedem alles auf Vorrat zu speichern, ist eben ein ganz schwerer Grundrechtseingriff, der unsere Gesellschaft verändert. Jetzt komme ich zum zweiten Teil Ihrer Frage.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Das müsste jetzt etwas schneller gehen.

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Ja. – Genau das ist die Abwägung: Was gewinne ich, wenn die wirklich schlimmen Verbrecher die Möglichkeit haben, auszuweichen, gleichzeitig aber die allgemeine Kommunikation aller rechtstreuen Bürger durch die Chilling Effects, also die Besorgnis, dass etwas über sie gespeichert wird, auskühlt? Das ist eben die Abwägung, die wir vornehmen müssen. Und wo ich und wahrscheinlich auch Sie in der Sache stehen, ist seit mehr als 15 Jahren bekannt. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Da wir noch sehr viele Fragestellerinnen und Fragesteller haben: Bitte auf die Zeit achten, sodass möglichst viele ihre Frage stellen können. Als nächste Fragestellerin folgt aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Künast.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, ich will dieser von Ihnen so bezeichneten „unendlichen Geschichte“ zwei Fragen hinzufügen und um Ihre Bewertung bitten, weil es ja immer um die Fragen geht: Komme ich an Daten? Habe ich sie? Und nutze ich sie auch? Deshalb würde ich gerne einmal zu diesem Punkt eine Bewertung bekommen: Haben Sie es für sinnvoll gehalten und ist es im Augenblick ein Problem, dass im Kontext der Meldepflichten bei der Reform des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes eben nicht die Quick-Freeze-Regelung genommen wurde, sondern gesagt wurde: „Es wird alles gleich von den Anbietern ans BKA geliefert. Dieses beklagt jetzt, dass dies gar nicht durchgeführt wird, auch nicht Quick Freeze.“? Man hat sich doch eigentlich damit geschadet, dass man in diesem Kontext noch einmal versucht hat, eine Art Vorratsdatenspeicherung einzuführen. Ich will sagen: noch ein Versuch, mit dem wir den Rechtsextremismus nicht erfolgreicher bekämpfen können. Zweite, kurze Frage: Was halten Sie denn von der Tatsache, dass auch vorhergehende Regierungen vorhandene Daten der Banken zum Thema Geldwäsche nie erfolgreich genutzt haben, obwohl sie vorlagen?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Künast, für diese Fragen. Ich versuche, in der Kürze der Zeit darauf einzugehen. – Auf die erste Frage antworte ich am besten mit einem Bild: Ich bin kurz nach der Einrichtung von Homeland Security, der Behörde in den USA, die die meisten Daten gesammelt und viel Erfahrung mit ihrer Auswertung hat, im Rahmen einer Delegationsreise da hingefahren, und dort hat man mir gesagt: Wir haben ein Problem. Wir suchen die Nadel im Heuhaufen; aber der Heuhaufen wird immer größer. Will sagen: Das immer weitere Anhäufen von immer mehr Daten macht es den Ermittlern nicht zwingend leichter, in diesem Datenhaufen die Nadel zu finden, die sie brauchen, um die Leute dingfest zu machen; denn dazu braucht man auch die richtigen Methoden. Damals sagte mir die Datenschutzbeauftragte: Wir verlieren zum Teil die Übersicht über das, was wir überhaupt haben. – Damit will ich genau das unterstreichen, was Sie sagen: Einfach immer nur mehr Daten anzuhäufen, führt nicht zu besseren Ergebnissen und auch nicht zu mehr Ermittlungserfolgen und mehr Verurteilungen, dafür braucht man bessere, gezieltere Daten. Deshalb ist die Anlassbezogenheit, glaube ich, auch ein wichtiges Instrument der Effektivität der Strafverfolgung. Ich glaube, ich habe jetzt schon überzogen. ({0}) – Geldwäsche: Wir wollen die Geldwäsche ganz intensiv verfolgen. Wir haben im Koalitionsvertrag schon eine ganze Reihe von Ideen aufgeschrieben, wie wir da effektiver werden. Ich habe kein Verständnis dafür und will auch klar dagegen vorgehen, dass Deutschland in internationalen Kontexten mittlerweile insbesondere im Immobilienbereich zwar nicht eine Art Geldwäscheparadies ist – das wäre übertrieben –, aber ein Problem hat. Wir sind da beispielsweise mit den Notaren im Gespräch, die im Bereich der Immobiliengeschäfte sehr gute Ideen haben, und wir sind in der Bundesregierung, auch in Zusammenarbeit mit dem Finanzminister, sehr hinterher, Geldwäsche effektiv zu bekämpfen.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Vielen Dank. – Nächster Fragesteller: aus der CDU/CSU-Fraktion Herr Ullrich.

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie die Frage gestatten. – Herr Bundesminister, Sie haben den Begriff der Vorratsdatenspeicherung ganz generell als Oberbegriff gewählt. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass es unterschiedliche Eingriffstiefen gibt. Die Speicherung von IP-Adressen hat eine wesentlich geringere Eingriffstiefe als beispielsweise die Speicherung von Verbindungsdaten oder von Standortdaten. Diese Differenzierung hat übrigens auch der EuGH vorgenommen, indem er die IP-Adressen als weniger belastend angesehen hat als beispielsweise die Standortdaten. Wäre vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass wir im Bereich des Kindesmissbrauchs und der Kinderpornografie gerade auf die IP-Adressen angewiesen sind, nicht zumindest eine Fokussierung auf die Speicherung der IP-Adressen zur Aufklärung und zur Verhinderung schwerster Straftaten notwendig?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Sehr geehrter Herr Kollege Ullrich, herzlichen Dank für die Frage. – Ich will es noch einmal betonen: Wir sind engagiert und sehr hinterher, dass wir unsere Ermittlungsbehörden in die Lage versetzen, schwere und schwerste, insbesondere solche widerliche Kriminalität effektiv verfolgen zu können. Zweite Auskunft: Es ist richtig, wenn Sie sagen, dass es unterschiedliche Eingriffstiefen gibt. Trotzdem ist es nicht so, dass die Voraussetzungen auch für einen relativ leichten Grundrechtseingriff immer null sind; das sagt übrigens auch der EuGH. Und dann gibt es auch noch das Phänomen des kumulativen Grundrechtseingriffs, dass ein im Einzelfall leichter Grundrechtseingriff, der aber millionenfach anlasslos gemacht wird, in der Kumulation des Effekts schon problematisch ist. Das ist ja kein Gedanke, den ich mir ausgedacht habe, sondern die Problematik des flächendeckenden, anlasslosen, kumulativen Grundrechtseingriffs hat ja beim Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit auch bei anderen Vorratsdatenspeicherungsmodellen immer wieder dazu geführt, dass im Ergebnis die Sache für verfassungswidrig gehalten wurde, und daran kommen wir doch alle als rechtstreue Bürger und Politiker nicht vorbei. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Möchten Sie noch eine Nachfrage stellen?

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. – Herr Bundesminister, die kumulative Schwere von Grundrechtseingriffen müssen Sie ja abwägen gegen das bedrohte Rechtsgut. Wir haben es hier mit höchst bedrohten Rechtsgütern zu tun, nämlich der körperlichen Integrität von missbrauchten Kindern. Vor diesem Hintergrund meine ich schon: Sie müssen differenzieren zwischen den IP-Adressen und den Verbindungsdaten. Ich finde vor dem Hintergrund, dass es gerade bei Kinderpornografie praktisch keine anderen Ermittlungsansätze gibt, dass wir letztlich zwingend auf die IP-Adressen zurückgreifen müssen.

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Herr Kollege Ullrich, ich beantworte auch die Nachfrage sehr gerne. Diese Unterscheidung nehmen wir ja überall vor. Wir sind in Verhandlungen mit unseren europäischen Freunden, mit der Kommission, beispielsweise im E‑Evidence-Dossier. Da nehmen wir natürlich solche Differenzierungen vor: je schwerer der Grundrechtseingriff, desto höher die Voraussetzungen. Trotzdem sind auch bei leichten Grundrechtseingriffen die Voraussetzungen nicht null, auch in diesen Dossiers; das möchte ich hier noch einmal sagen. Das widerspricht nämlich auch ein bisschen der Logik unserer Strafprozessordnung, die ja im Regelfall Verdachtsmomente oder ‑anlässe voraussetzt. Der Punkt ist eben – den kann ich nur noch einmal wiederholen –, dass im Rechtsstaat der Grundrechtseingriff an Voraussetzungen gebunden ist, die einen Eingriff rechtfertigen. Das Rechtsgut, das das Bundesverfassungsgericht umschrieben hat, ist ja, dass wir in einer freien Gesellschaft ein Problem damit haben oder, weil das Bundesverfassungsgericht normativ entscheidet, haben sollten, dass von jedem nicht alles, aber bei jedem Kommunikationsvorgang etwas gespeichert wird. Das kann dazu führen, dass sich Menschen überwacht fühlen. Da kommt es gar nicht so sehr darauf an, was konkret gespeichert wird, sondern dieses allgemeine Gefühl selber ist schon eine Bedrohung der Offenheit unserer Gesellschaft. Das ist, wie gesagt, nicht mein Argument, sondern das ist das Argument, das man auch in der Rechtsprechung nachlesen kann, und an die sind wir als zweite Gewalt gebunden.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Vielen Dank. – Damit verlassen wir dieses Thema, und ich gehe über zum nächsten Fragesteller: aus der SPD-Fraktion Dr. Johannes Fechner, bitte.

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, ich habe eine Frage zum Pakt für den Rechtsstaat. Die besten Gesetze bringen bekanntlich nichts, wenn wir in der Justiz zu wenig Personal für deren Anwendung haben. Deswegen war es aus meiner Sicht ein großer Erfolg, dass wir gemeinsam mit den Ländern und auch über die Fraktionsgrenzen hinweg einen Pakt für den Rechtsstaat geschaffen haben, der über 2 000 Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in ihren Dienst gebracht hat. Meine Frage wäre deshalb vor dem Hintergrund, dass wir im Bereich der Bekämpfung von Hass und Hetze im Netz, aber auch der Vermögensabschöpfung erheblichen Personalbedarf haben, wie die weiteren Planungen und konkreten Schritte für den Pakt für den Rechtsstaat, für mehr Personal in der Justiz aus Ihrer Sicht aussehen.

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Herr Kollege Fechner, herzlichen Dank. – Dazu möchte ich ausdrücklich etwas sagen, weil es ein Projekt ist, das ja von der Vorgängerregierung vorangetrieben worden ist; meine Fraktion und ich haben das auch aus der Opposition heraus begrüßt. Der Pakt für den Rechtsstaat ist ein Erfolg. Wir können heute sagen, dass etwa 2 700 zusätzliche Stellen für Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte geschaffen worden sind. Da ist etwas gelungen – das will ich ganz ausdrücklich sagen –; das ist ein parteiübergreifender Erfolg. Wir wollen an diese Erfolgsgeschichte natürlich anknüpfen, und deshalb haben wir ja für den Pakt für den Rechtsstaat die Formulierung im Koalitionsvertrag gewählt, dass wir ihn verstetigen; darüber hinaus wollen wir ihn mit einem Digitalpakt Justiz verbinden. Das muss so gelingen, dass es in der Praxis funktioniert. Deshalb habe ich mich bereits sowohl mit der Koordinatorin der A-Justizministerseite als auch mit der Koordinatorin der B-Justizministerseite getroffen. Wir haben auch schon eine Arbeitsebene einbezogen; meine Abteilung Z, die dafür ja auch zuständig ist, hat Kontakt zu ihren Pendants in den Ländern aufgenommen, damit wir dort zu einer pragmatischen Lösung kommen. Das wird vermutlich eine Mischung sein: Dabei geht es um Geld, wie auch in der Vergangenheit, aber es gibt durchaus aus den Landesjustizverwaltungen heraus den Wunsch, auch gemeinsam Projekte zu entwickeln, wie wir das zum Beispiel beim Onlineklagetool machen, um Personalressourcen nicht in einer Papierwelt vergeuden zu müssen. Das sind die Anstrengungen, die wir unternehmen. In Anbetracht der Kürze meiner Amtszeit sind wir da, glaube ich, konzeptionell schon einen guten Schritt vorangekommen.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Möchten Sie eine Nachfrage stellen? – Das ist nicht der Fall. Gibt es zum gleichen Themenkomplex noch eine Frage? – Das sieht nicht so aus. Dann stellt als Nächster eine Frage für die AfD-Fraktion Stephan Brandner.

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich komme noch mal zurück auf einen Komplex, den Sie zu Beginn Ihrer einleitenden Worte angesprochen haben, und zwar die Frage: Wann wird man Kriegspartei? Dazu hatten Sie sich am 16. April geäußert: Mit Waffenlieferungen alleine würde man im konkreten Geschehen in der Ukraine nicht zur Kriegspartei. – Das ist wohl auch die Auffassung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages. Allerdings haben sich jetzt die Konstellationen geändert. Wir sind ja jetzt seit heute, wenn ich die Medien richtig verfolgt habe, einen Schritt weiter, wenn man so will. Inzwischen werden ukrainische Soldaten tatsächlich in Deutschland an deutschen Waffensystemen ausgebildet, und die Waffensysteme samt den dann ausgebildeten Soldaten sollen zurück in die Ukraine. Dazu sagte der Wissenschaftliche Dienst bereits am 16. März 2022: Den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung würde man verlassen, wenn neben der bloßen Lieferung von Waffen auch die Einweisung einer Konfliktpartei in Rede stünde. – Das ist jetzt der Fall. Ist es Zeit, Herr Buschmann, Ihre Einschätzung zu überdenken, oder warum halten Sie die Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes für falsch?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Grundsätzlich ist es so: Als Regierung werden wir keine Gutachten, die im Organisationsbereich der ersten Gewalt liegen, benoten oder bewerten. Ich kann Ihnen allerdings sagen, dass die Formulierungen – ich habe mir das Gutachten natürlich angeschaut – extrem vorsichtig gewählt sind. Da ist jede Möglichkeit des Konjunktivs gewählt. Warum? Weil die einzige Quelle, wenn man in die Fußnoten schaut – ich gehöre noch zu dieser älteren Generation, die sowohl Fußnoten setzt wie sie auch liest –, ({0}) auf die Bezug genommen wird, ein Interview mit einem Völkerrechtler in der „Neuen Zürcher Zeitung“ ist. Das ist sozusagen die einzige Literaturangabe, die da gewählt wird. Auch dieser Völkerrechtler hat aber im Ergebnis nicht gesagt, dass man durch eine Ausbildungsleistung zur Kriegspartei wird, sondern er hat im Ergebnis eigentlich das Gegenteil gesagt. Deshalb bleibe ich bei meiner Haltung. Diese Haltung ist übrigens auch von extrem namhaften Völkerrechtlern – ich nenne beispielsweise Herrn Herdegen aus Bonn; wirklich eine Institution auf dem Gebiet – immer wieder bestätigt worden, sodass ich glaube, dass durch den Sachverhalt, den Sie beschreiben, sich die völkerrechtliche Lage nicht geändert hat.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Möchten Sie eine Nachfrage stellen?

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja. – Ich hoffe sehr, dass Ihre Einschätzung in Zukunft nicht zu einer falschen Fußnote wird oder vielleicht Ihre Amtszeit, weil Sie eine falsche Einschätzung getroffen haben; also da bin ich bei Ihnen. ({0}) Sie haben gesagt: Es gibt viele Konjunktive; das kann man so und so sehen. – Man kann freilich darüber streiten. Aber ich kenne Sie als strategisch denkenden Menschen. Sie haben ein Ministerium mit 300, 400 hoch qualifizierten Juristen. Da wird man sich ja darüber Gedanken gemacht haben: Was passiert denn, wenn sich diese aus Ihrer Sicht so geschilderte „Mindermeinung“ durchsetzt und wir tatsächlich Kriegspartei werden? Deshalb meine Frage vor diesem Hintergrund: Was würde sich für uns Deutsche, was würde sich für Deutschland konkret ändern, wenn wir tatsächlich plötzlich Kriegspartei in dem Krieg in der Ukraine werden würden?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Ich kann Ihnen als Justizminister eine rechtliche Einschätzung geben, die die rechtliche Einschätzung von – ich würde jetzt mal schätzen – 95 Prozent der Völkerrechtswissenschaft ist. Die habe ich Ihnen gegeben; die hat sich auch nicht geändert. Die kann ich im Übrigen auch beliebig ausführlich begründen, weil wir hier im Fachdiskurs von einer Überformung des alten Neutralitätsgebotes, wie wir es noch aus dem 19. Jahrhundert kannten, durch das Inkrafttreten der UN-Charta sprechen. Die UN-Charta hat nämlich eines festgelegt: Krieg ist verboten. – Früher war Krieg ein normales Instrument der Auseinandersetzung; da galt nur: Man hält sich raus, oder man macht mit. – Das war sehr schnell der Fall. Aber durch das Inkrafttreten der UN-Charta gilt: Krieg ist grundsätzlich verboten, mit einer geschriebenen Ausnahme, nämlich dem Verteidigungskrieg. Deshalb ist die Ukraine im Recht und Russland im Unrecht. ({0}) Und Russland soll nicht das Recht bekommen, Deutschland dafür zu beschießen, dass wir der Ukraine etwas liefern, womit sie ihren legitimen Verteidigungskrieg führen kann. Das ist der Gedanke, das ist die Idee hinter dieser Rechtseinschätzung. ({1}) Die ist, finde ich, treffend und plausibel und kann wirklich ganz engmaschig aus der UN-Charta heraus abgeleitet werden. ({2})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Ich habe zu diesem Themenkomplex weitere Fragesteller. Der erste ist Helge Limburg aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Helge Limburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister, ich würde gern vor dem Hintergrund des russischen Überfalls auf die Ukraine doch eher wieder den Fokus auf die Opfer dieses Krieges lenken wollen, wie auch Sie das in Ihren einleitenden Bemerkungen gemacht haben, nämlich auf die Menschen in der Ukraine. Sie haben ausgeführt, dass dort in der Tat schreckliche Kriegsverbrechen verübt werden. Man darf sagen, dass es allen Anschein hat, als würde nahezu jedes im deutschen Völkerstrafgesetzbuch aufgelistete Kriegsverbrechen dort an der einen oder anderen Stelle durch die russische Armee tatsächlich begangen werden. Vor dem Hintergrund noch mal die konkrete Nachfrage: Welche Maßnahmen der Kooperation mit Strafverfolgungsbehörden anderer Länder oder mit internationalen Strafverfolgungsbehörden unternehmen deutsche Behörden, um erst mal Beweise zu sammeln und um dann später mögliche Strafverfahren gegen Kriegsverbrecher in diesem schrecklichen Krieg durchführen zu können?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Herr Kollege Limburg, für die Frage bin ich Ihnen sehr dankbar. Es ist jetzt wichtig, dass wir schnell Beweise sichern und schnell Zeugenaussagen, Opferaussagen aufnehmen; denn Kriegsverbrechen sind besonders schlimme Verbrechen. Die Menschen sind traumatisiert, und die Kriminalpsychologen sagen uns, dass diese Traumatisierung dazu führen kann, dass das Erlebte verdrängt wird, dass dabei wichtige Informationen – auch für eine mögliche Anklage wichtige Informationen – verloren gehen können. Deshalb bemühen wir uns im Moment darum, möglichst viele Beweismittel zu sichern, zu erfassen, aufzunehmen, um sie dann den Anklagebehörden zur Verfügung zu stellen. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt. Ich hatte vorhin schon gesagt: Innerhalb der Europäischen Union gibt es schon einen engen Austausch, und er soll auch noch enger werden. Wir reden im Moment mit der Kommission über eine Anpassung der Rechtsgrundlagen von Eurojust, damit da noch besser koordiniert werden kann. Wir unterstützen den Internationalen Strafgerichtshof mit Geld. Wir versuchen auch, mit noch mehr Personal zu unterstützen. Nur, da ist es ja wichtig, dass wir erfahrene Staatsanwälte, die mit diesen Dingen etwas anfangen können, schicken, und nicht Leute, die unerfahren sind. Wir wollen ja helfen und nicht, dass da eine Ausbildungsleistung erbracht wird. Es ist wahnsinnig kompliziert. Wir brauchen auch technischen Sachverstand, weil wir es ja häufig auch mit Fotos, mit Bewegtbildaufnahmen zu tun haben, die erst mal auf ihre Wahrheitsgemäßheit, also ihre Werthaltigkeit, überprüft werden müssen. Deshalb sind wir da im engen Austausch. Ich selber plane sogar eine Reise in die USA, weil ich mich dort mit den Strafverfolgungsbehörden auch persönlich darüber austauschen möchte, wie wir noch besser kooperieren können. Also: All das, glaube ich, was wir als großes Land mit einem dunklen Teil unserer Geschichte, das eine besondere Verantwortung da auch hat, tun können, das tun wir. Und wenn wir noch mehr tun können, werden wir auch noch mehr tun. Aber wir richten wirklich alle unsere Anstrengungen darauf, im internationalen Ermittlungsverbund einen guten Beitrag zu leisten. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Buschmann, es gibt noch ganz viele Nachfragen. Würden Sie vielleicht bei der Beantwortung ein bisschen auf die Zeit achten?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

I’ll do my very best.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Vielen Dank. – Zum gleichen Themenkomplex habe ich eine weitere Frage aus der FDP-Fraktion: Peter Heidt.

Peter Heidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004948, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich will mich meinem Vorredner anschließen. – Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, bei der Bekämpfung der Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen eine wesentliche Rolle einzunehmen. Das sogenannte Weltrechtsprinzip, dem die Überzeugung zugrunde liegt, dass die Verfolgung von völkerrechtlichen Kernverbrechen im Interesse der Menschen als solchen liegt, und das eine weltweite Verfolgung solcher Taten unabhängig von der Staatsangehörigkeit und dem Tatort ermöglicht, gewinnt gerade vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine noch einmal an trauriger Aktualität und Bedeutung. Derartige Verfahren bringen jedoch einen hohen Kostenfaktor, einen hohen Aufwand sowie eine Reihe von praktischen Problemen mit sich. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, Kapazitäten für das Völkerstrafrecht auszubauen. Das ist, denke ich, vor dem Hintergrund des Krieges wichtiger denn je. Gibt es denn konkrete Vorhaben, konkrete Pläne oder auch Formulierungen dazu, und gibt es vielleicht auch schon eine Abstimmung mit den Bundesländern?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Ganz herzlichen Dank. – Erst mal: Das Weltrechtsprinzip steht in Deutschland nicht nur auf dem Papier, sondern wir haben gezeigt, insbesondere der Generalbundesanwalt hat gezeigt, dass er es zur Anwendung bringt, weil wir erfolgreich Folterknechte Assads in Deutschland nicht nur vor Gericht gestellt, sondern auch zur Verurteilung gebracht haben. Das hat uns weltweit Respekt mit Blick auf die Konsequenz, mit der wir es anwenden, eingebracht. Zweitens. Das müssen Leute machen. Deshalb bin ich in guten Gesprächen. Ich kann da nicht vorweggreifen; aber ich bin sehr zuversichtlich, dass wir am Ende der Haushaltsberatungen den Generalbundesanwalt noch mal stärken können, dass er seine Kapazitäten ausweiten kann, um seiner wichtigen Aufgabe da nachzukommen. Das ist, glaube ich, ein fraktionsübergreifendes Anliegen aller seriösen Kräfte dieses Hauses. Wir haben dazu auch schon Vorschläge gemacht, als wir darum gebeten wurden, und wir haben uns auch selber dafür engagiert, als wir gesehen haben, dass da jetzt eine große Aufgabe auf uns zukommt, die auch dauerhaft groß sein wird, weil die Vielzahl der Beweismittel uns noch viele, viele Jahre beschäftigen wird.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Ich gehe davon aus, dass Sie keine Nachfrage mehr stellen. – Dann habe ich jetzt aus der AfD-Fraktion Robert Farle.

Robert Farle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005053, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Buschmann, ich unterstütze es voll und ganz, dass Kriegsverbrecher von ordentlichen Gerichten zur Verantwortung gezogen werden. Jetzt frage ich Sie: Wie ist der Stand Ihrer Ermittlungen hinsichtlich der von ukrainischer Seite verübten Kriegsverbrechen, die augenscheinlich im Ukrainekonflikt bereits stattgefunden haben? Ich beziehe mich besonders auf die schlimmen Bilder, wo ukrainische Soldaten gefesselten russischen Soldaten, die noch sehr jung waren, in die Knie geschossen haben; die konnten sich nicht wehren. Das ist ja wahrscheinlich auch ein Kriegsverbrechen – auch aus Ihrer Sicht. Man müsste doch die Kriegsverbrechen auf beiden Seiten aufdecken. Denn wenn es gerecht zugehen soll, dann sind von Justitia immer beide Seiten der Waage zu berücksichtigen, und dann müssten Sie dieser Frage mal nachgehen. Mehr will ich dazu nicht sagen. Ihre Kriegsdefinition teile ich gar nicht. Was passiert denn, wenn die ukrainische Regierung jetzt auf russisches Territorium vordringt –

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Farle, Sie sollten nur Fragen stellen.

Robert Farle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005053, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– mit unseren Marder-Panzern und den Krieg nach Russland trägt? ({0}) Ist das dann auch ein Angriffskrieg oder nicht?

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Die Frage passte jetzt eigentlich gar nicht zum Themenkomplex; aber ich gehe davon aus, dass Herr Buschmann die Frage beantwortet.

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Ich mache es ganz kurz. ({0}) Ich beantworte einfach beide Fragen und versuche, das so schnell und so kompakt wie möglich zu machen. Ich möchte mit der zweiten Frage beginnen. Im Kriegsvölkerrecht ist man sich einig: Wenn man Opfer eines Aggressors ist, darf man sich verteidigen. Das schließt jetzt nicht einen Gegenschlag ein, mit dem man das ganze gegnerische Territorium erobert, aber natürlich darf man in Reaktion auf einen Angriff auch in Grenzbereichen auf gegnerischem Territorium operieren. Es wäre ja verrückt, wenn derjenige, der sich völkerrechtsgemäß verhält, gefesselter in den Konflikt gehen müsste als der illegitime Aggressor. ({1}) Das war die Antwort auf die zweite Frage. Zur ersten Frage. Da muss ich eines klarstellen: Nicht ich führe die Ermittlungen. Das ist anders als in den USA; da ist der Justizminister der Chef des FBI, der Anklagebehörde und führt auch selber Ermittlungen. Das bin ich nicht, sondern die Ermittlungsbehörde ist der GBA. Ich pflege ein Verhältnis zum GBA derart, dass ich ihn wie eine unabhängige Justizbehörde behandle, die er eben auch ist. Also: Ich greife nicht selber in Ermittlungen ein; das will ich sozusagen aus pädagogischen Gründen nur noch einmal klarstellen. Nicht der Bundesjustizminister in persona ist der oberste Staatsanwalt, sondern der oberste Staatsanwalt ist der Generalbundesanwalt, und ich bin dafür verantwortlich, dass er die Mittel bekommt und auch vernünftig arbeiten kann. Ich kann Ihnen Ihre Sorgen nehmen: Wir ermitteln wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine. Sollte es dazu kommen, dass es Beweise gäbe – ich sage das bewusst im Konjunktiv, weil man sehr vorsichtig sein muss; denn die russische Propaganda hat eine lange Tradition, was die Fälschung von Material und das in Umlaufbringen von gefälschtem Material angeht –, sollte es Beweise für Kriegsverbrechen geben, dann werden wir die genau so behandeln, egal wer sie ausgeübt hat. Das führt Herr Frank – das ist der Generalbundesanwalt – auch schon so durch. Das ist natürlich der Fall; da müssen Sie sich keine Sorgen machen. Justitia ist in Deutschland nicht blind, auf keinem beider Augen. ({2})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Wie gesagt, Herr Buschmann, bitte auf die Zeit gucken; denn ich habe wirklich noch eine lange Liste an Nachfragerinnen und Nachfragern. – Als Nächstes fragt jetzt aus der Fraktion Die Linke Clara Bünger.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister, ich finde die Errungenschaften des Weltrechtsprinzips und des Völkerstrafrechts ebenfalls sehr wichtig; denn Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen dürfen niemals straflos bleiben. Da stehe ich auch an der Seite der zahlreichen NGOs wie dem European Center for Constitutional and Human Rights, die schon seit Jahren im Bereich Völkerstrafrecht arbeiten. Ich denke, der Opferschutz sollte hier an erster Stelle stehen. Ich stelle mir allerdings die Frage, wie Sie die Arbeit stärken wollen, wie Sie es gesagt haben, wenn Sie die Mittel im Bereich des Völkerstrafrechts, also beim GBA, in diesem Bundeshaushaltsjahr sogar kürzen. Wenn Sie jetzt weitreichende Strukturermittlungen zum Ukrainekrieg führen wollen, wie wollen Sie dann mit dem gekürzten Etat die Erledigung der Arbeit gewährleisten, ohne – ich betone: ohne – dass Ermittlungen in anderen Bereichen, wie zum Beispiel Syrien, aber auch Belarus, darunter leiden müssen?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Herzlichen Dank für die Frage. – Die genannten Kürzungen betreffen ja keine Stellen, sondern die betreffen sogenannte Ausgabenreste, also Geld, das sich angesammelt hat und das nicht ausgegeben worden ist. Niemand muss sich also Sorgen machen, dass man jemandem sozusagen den Schreibtisch oder die Stelle wegnimmt. Das war, sagen wir mal, ein Hinweis des Bundesrechnungshofes, der mein Haus sehr streng ermahnt hat, Ausgabenreste abzubauen. Wir sind aber jetzt schon im Gespräch. Ich will das niemandem vorwerfen, weil nicht jeder Mitglied des Haushaltsausschusses oder Mitglied des Rechtsausschusses ist, deshalb sage ich es hier einfach noch mal: Wir sind im Gespräch. Wir haben mit dem GBA auch gemeinsam Vorschläge entwickelt, wie man seine Arbeit im laufenden Haushaltsverfahren stärken kann – auch mit zusätzlichen Stellen. Und wenn wir hier von der Linksfraktion bis hin zur CDU/CSU-Fraktion – dort habe ich es schon herausgehört; bei der AfD weiß ich es jetzt nicht – einen so breiten Konsens haben, dann dürfte es ein Leichtes sein, diese Vorschläge, die wir entwickelt haben, auch durchs Haushaltsverfahren zu bringen, und dann wird der GBA gestärkt aus diesen Haushaltsberatungen hervorgehen.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Ich will nur noch mal sagen: Wir waren eigentlich bei dem Themenkomplex „Ausbildung von Soldaten aus der Ukraine“. Das war ursprünglich das Thema. Jetzt werden gerade verschiedene andere Fragen gestellt. Das entspricht nicht dem Prinzip der Fragestunde, weil wir ja eine Liste mit den Fragen haben. Ich bin eigentlich immer noch – deswegen will ich den Hinweis geben – bei dem anderen Thema.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich würde jetzt trotzdem gerne an das anschließen, was der Bundesminister gesagt hat.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Ich lasse das jetzt noch zu. Aber ich will nur die, die danach kommen, noch mal darauf hinweisen, dass wir eigentlich bei einem anderen Thema waren.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie haben ja auch gesagt, der Opferschutzschutz ist Ihnen wichtig und steht an oberster Stelle. Ich hoffe, dass Sie in dem Bereich aufstocken, sodass andere Bereiche wie die Ermittlungen zu Syrien nicht darunter leiden. Wenn man von Opferschutz spricht, dann muss man doch zur Kenntnis nehmen, dass in der StPO Völkerstraftaten nicht im Katalog der nebenklagefähigen Taten aufgeführt werden, wie man § 395 StPO entnehmen kann. Wie sollen Ihrer Meinung nach Betroffene an Verfahren sinnvoll teilnehmen können und ihre Rechte wahrnehmen, wenn sie nicht ausdrücklich in der StPO verankert sind? Gibt es neben den hehren Versprechungen auch konkrete Ziele, dieses in der StPO aufzunehmen? – Vielen Dank.

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Frau Kollegin, diese Formulierungen wie „hehre Versprechungen“ usw. deuten so ein bisschen an, als ob wir da nicht engagiert wären. Ich will es noch mal sagen: Bereits in der Vergangenheit – und das ist nicht mein Verdienst, sondern das meiner Vorgängerin – wurde dort engagiert gearbeitet. Das ist vor allen Dingen auch das Verdienst der wirklich großartig arbeitenden Kolleginnen und Kollegen, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim GBA. Da wird sehr viel getan, und wir treiben das jetzt weiter voran. Bislang ist das Entscheidende, dass wir Beweismittel sichern, dass wir die Leute zur Anklage bringen. Wir haben da einen weltweiten Standard gesetzt. Ich will das noch mal sagen: Das Urteil des OLG Koblenz, das der GBA gegen die Folterknechte Assads erwirkt hat, ist weltweit, ich will sagen, gefeiert worden. Der Anlass war traurig, aber wir haben bewiesen, dass wir als Deutschland auch unserer historischen Verantwortung für das Völkerstrafrecht gerecht werden, und wir werden alles tun, um daran anzuknüpfen. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt Carsten Müller, CDU/CSU-Fraktion.

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Bundesminister, vielen Dank auch für Ihre klaren Ausführungen zu dem Komplex, wer wann wodurch Kriegspartei wird oder nicht. Meine Frage an Sie ist: Teilte der Bundeskanzler Ihre klare Rechtsauffassung seit jeher? Wenn ja, wie erklären sich dann eigentlich Äußerungen, die er so um den 21. und 22. April dieses Jahres gemacht hat, und teilt er Ihre Rechtsauffassung derzeit immer noch?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Also, das kann ich nun wirklich ganz klar beantworten: Wir sind ja eine ordentlich arbeitende und – ich darf auch sagen – gut geführte Regierung. Deshalb sind das Auswärtige Amt, das Bundeskanzleramt und mein Haus in so einer entscheidenden Frage natürlich engstens abgestimmt, und deshalb vertritt die gesamte Bundesregierung das, was ich schon vor drei Wochen und auch vorher öffentlich gesagt habe. Wir haben diese Frage auch zum Gegenstand von Kabinettssitzungen gemacht, und wir sind uns da einig. Wie jetzt welche Formulierung dort interpretiert wird, das ist der offenen Gesellschaft überlassen. Aber die Bundesregierung als Organisation, als Institution, als Verfassungsorgan hat diese klare Ansicht, die ich hier nicht nur im Ergebnis vertreten habe, sondern auch versucht habe möglichst gut zu begründen. ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Eine weitere kurze Nachfrage.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Ja.

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es freut mich. Weite Teile der Öffentlichkeit hatten einen ganz anderen Eindruck vom Bundeskanzler. Ich freue mich auch, dass nach etwa 35 Minuten Regierungsbefragung das Bundeskanzleramt hier eingetrudelt ist. ({0}) Ich möchte Ihnen eine weitere Frage zum Komplex Völkerstrafrecht stellen. Der GBA ist angesprochen worden. Sie sind bei Ihrem „Wir müssen da was tun“ etwas blumig geblieben. Ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur besseren Ausstattung des Generalbundesanwaltes hat keine Mehrheit bekommen. Können Sie uns bitte erklären und Beispiele geben, wie konkret die personelle und sachliche Leistungsfähigkeit des Generalbundesanwaltes kurzfristig gesteigert werden kann und gesteigert werden soll, damit das Thema Kriegsverbrechen sachkundig und zielführend bearbeitet werden kann?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Herr Kollege, wir kennen uns lange und schätzen uns. Aber Sie verleiten mich jetzt dazu, den Haushaltausschuss zu brüskieren, ({0}) indem ich behaupte, ich könnte die Ergebnisse seiner Beratungen vorwegnehmen. Es wäre kein guter Stil, das von der Regierungsbank aus zu tun. Es würde unserem gemeinsamen Ziel wahrscheinlich auch nicht dienen. Weil ich mich nicht für große Reden, sondern für gute Ergebnisse engagieren möchte, würde ich mal so sagen: Ich bin sehr hoffnungsfroh, dass der Haushaltausschuss dem Plenum des Deutschen Bundestages einen sehr guten Vorschlag machen wird, wo der GBA am Ende gestärkt hervorgeht. Es ist am Ende eine Entscheidung nicht des Justizministers, nicht der zweiten Gewalt, sondern der ersten Gewalt. Wenn wir uns so einig sind, wie wir das hier aus der Debatte erfahren konnten, dann wird der GBA am Ende aus dem Haushaltsverfahren gestärkt hervorgehen. ({1})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Zu diesem Themenkomplex habe ich noch eine Nachfrage: aus der AfD-Fraktion Martin Reichardt.

Martin Reichardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004859, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Minister, vielen Dank. – Ich habe eine Frage vor dem Hintergrund, dass Ihr Ministerkollege Lindner hier verkündet hat, wir müssten der Ukraine bis zum Sieg helfen. Das sind ja auch die Dinge, von denen Sie gesprochen haben: Waffenlieferungen, Ausbildung usw. Hierzu folgende Frage: Welche Kriterien hat die Bundesregierung für den Sieg? Wann ist dieser Sieg erreicht, und wann können diese Maßnahmen entsprechend beendet werden? Ich sage das auch deswegen, weil deutsche Politiker gerade im vergangenen Jahrhundert schon häufiger vom Sieg schwadroniert haben. Am Ende hat das deutsche Volk immer im Dreck gelegen, ({0}) und wir haben uns hier gefragt: Wie konnte es dazu kommen?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Sehr geehrter Herr Kollege, der Maßstab für die Bundesregierung ist und bleibt – und wird auch immer sein – das Völkerrecht. ({0}) Das Völkerrecht schützt die territoriale Integrität jedes Staates auf der Erde. Deshalb ist es das legitime Ziel des Verteidigungskampfes, den das Volk der Ukraine führt, die territoriale Integrität ihres Landes zu verteidigen. Wenn sie das durchsetzen möchte, dann wird sie darin durch uns immer unterstützt werden. Die territoriale Integrität der Ukraine ist das Ziel, das durch das Völkerrecht legitimiert ist. Das ist es, was wir meinen, wenn wir sagen: Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen. – Er darf der Ukraine keinen Siegfrieden aufoktroyieren. Es müssen Friedensverhandlungen auf Augenhöhe stattfinden. Wenn die Ukraine ihr Territorium erhalten und es verteidigen will, dann hat sie jedes Recht des Völkerrechts dazu, und wir werden die Ukraine darin unterstützen. ({1})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Möchten Sie noch eine Nachfrage stellen?

Martin Reichardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004859, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich verstehe Sie also so, dass man die Ukraine im Zweifel so lange unterstützt, bis zum Beispiel auch die ostukrainischen Provinzen durch ukrainische Truppen zurückerobert sind, und dass wir dann eben auch in Kauf nehmen, dass sich dieser Krieg eventuell noch über sehr lange Zeit hinzieht und wir dort sehr lange Unterstützung leisten werden?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Liebe Herr Reichardt, ich will Ihnen nichts unterstellen; aber die Frage tut ein bisschen so, als ob wir hier Täter und Opfer verwechseln. ({0}) Russland hat die Ukraine überfallen – völkerrechtswidrig –, ist auf ihr Territorium vorgedrungen. Sie darf sich dagegen verteidigen in ihrem gesamten Territorium.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Vielen Dank. – Zu diesem Themenkomplex gibt es jetzt keine weitere Nachfrage. Ich komme dann zur nächsten Fragestellung: aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Helge Limburg.

Helge Limburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, ich würde gerne noch zu einem anderen Thema kommen. Sie haben ja in Ihrer einleitenden Bemerkung am Ende ausdrücklich den Anspruch formuliert, dass wir als Demokratie, als Rechtsstaat noch moderner, noch liberaler, noch fortschrittlicher werden müssen. Sie können sich denken, dass meine Fraktion und ich das ausdrücklich teilen. Wie Sie wissen, hat der Deutsche Bundestag im Jahr 2017 endlich die sogenannte Ehe für alle eingeführt, also die Möglichkeit geschaffen, dass auch gleichgeschlechtliche Paare heiraten. Was damals unterblieben ist, ist, auch das Abstammungsrecht anzupassen. Sie wissen, dass bei heterosexuellen Paaren der Ehegatte der Mutter auch rechtlich als Vater gilt für ein Kind, das in die Ehe geboren wird – unabhängig davon, wer tatsächlich leiblich der Vater ist. Das ist bei lesbischen Paaren, die ein Kind bekommen, anders. Es gibt gegenwärtig auch zwei Vorlagebeschlüsse beim Bundesverfassungsgericht – einer aus Celle, einer aus Berlin –, die diese Frage klären lassen wollen. Jetzt frage ich Sie ganz konkret: Welche gesetzgeberischen Maßnahmen planen Sie auf den Weg zu bringen, um diese Ungleichbehandlung von lesbischen Paaren bezogen auf die Rechtsstellung des Kindes und der Eltern zu korrigieren?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Herzlichen Dank, Herr Kollege Limburg. – Für die Frage bin ich sehr dankbar, weil wir dazu im Haus schon relativ weit sind. Ich teile völlig die Einschätzung: Wir leben in einer Gesellschaft, die tolerant ist. – Übrigens wissen wir auch, dass es für das Kindeswohl gut ist. Es gibt sehr viel empirische Evidenz dafür, dass Kinder auch in homosexuellen Partnerschaften sehr liebevoll, sehr gut behütet aufwachsen, auch gute Bildungskarrieren haben. Aus der Sicht des Kindeswohls sind das Familien, wie wir sie uns wünschen, die sich um das Kindeswohl bemühen und sehr gut zusammenarbeiten. Deshalb ist es meiner Meinung nach eine Ungerechtigkeit, dass ein Mann – unabhängig von der Frage, ob er biologischer Vater ist –, wenn er mit der Mutter verheiratet ist, automatisch der rechtliche Vater ist und dass wir hier die Ehe zwischen zwei Frauen anders behandeln. Um das zu ändern, gehen wir jetzt schrittweise vor. Der erste Schritt, um möglichst schnell möglichst viel Ungleichbehandlung zu vermeiden, ist, dass wir bei den etwas unproblematischeren Fällen jetzt sehr schnell das Abstammungsrecht anpassen, beispielsweise bei der anonymen Samenspende, wo der biologische Vater selber klargemacht hat, dass er sich nicht an der Kindererziehung beteiligen möchte. Etwas schwieriger ist es in den berühmten Dreiecksverhältnissen. Wir haben ja in diesen Fällen einen biologischen Vater, der sich an der Erziehung beteiligen möchte. Dessen Rechte müssen natürlich auch Berücksichtigung finden. Deshalb sind diese Fälle etwas komplizierter. Da werden wir das Abstammungsrecht in einem zweiten Schritt anpassen. Aber ein Gesetzentwurf für diesen ersten Schritt wird in Kürze – sehr schnell – das Parlament erreichen. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie dürfen noch eine Nachfrage stellen.

Helge Limburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Minister, für diese sehr erfreulichen Ausblicke. – In der öffentlichen Diskussion wird manchmal darauf verwiesen: So groß sei dieses rechtliche Problem gar nicht; es gebe ja die Möglichkeit der Stiefkindadoption: Das Kind wird in eine lesbische Partnerschaft geboren, und die Ehegattin kann später im Wege der Stiefkindadoption – rechtlich zumindest – ebenfalls Mutter werden. Können Sie – um deutlich zu machen, wo eines der konkreten Probleme der jetzigen Rechtslage liegt – noch mal ausführen, was es für eine Wirkung hat, wenn bei der Geburt die leibliche Mutter stirbt, was in wenigen Fällen leider immer noch vorkommt? Wie ist die rechtliche Beziehung ab dem Zeitpunkt der Geburt zwischen dem neugeborenen Kind, das seine leibliche Mutter verloren hat, und der Ehepartnerin der leiblichen Mutter nach der jetzigen Rechtlage, und wie wäre sie nach der von Ihnen geplanten neuen Rechtslage?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Man kann es in einem Wort zusammenfassen: Die stehen wie Fremde voreinander und werden vom Recht wie Fremde behandelt. Das steht in völligem Widerspruch zu dem, was sich die verstorbene Mutter für die Beziehung zwischen ihrem leiblichen Kind und ihrer Partnerin eigentlich gewünscht hat. Das halte ich für falsch. Das führt im Ergebnis dazu, dass diese Beziehung möglicherweise im Konflikt getrennt wird. Daran zeigt sich auch die Ungleichbehandlung: Wäre der Partner der angeheiratete Mann, ist er, wie selbstverständlich, der rechtliche Vater mit allen Rechten, die dazugehören. Das ist, wie gesagt, eine Ungleichbehandlung. Ich will noch ein Zweites sagen zum Argument: Regt euch doch nicht so auf. Es gibt doch noch einen komplizierteren, schwereren anderen Weg, aber es gibt einen. – Wenn wir den Menschen ihr Leben leichter machen wollen, warum machen wir es nicht? Das ist jedenfalls das Prinzip der Rechtspolitik, für die wir stehen. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Zu diesem Themenkomplex habe ich Nachfragen: einmal aus der AfD-Fraktion Frau von Storch.

Beatrix Storch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004905, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Herr Minister, gedenken Sie also auch, den § 1591 BGB zu ändern, der definiert: „Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat“? Oder etwas abstrakter gefragt: Was ist eine Mutter für ein Kind? – Was der Vater für ein Kind ist, wissen wir. Aber wenn zwei Frauen die Mütter sein können, dann frage ich Sie: Was ist die Mutter? Gedenken Sie, den § 1591 BGB zu ändern, und vor allen Dingen: Wie?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Frau von Storch, Sie haben es zwar so nicht ausgedrückt, aber möglicherweise wollen Sie jetzt den Widerspruch konstruieren: Kann die Ehefrau einer Frau, die das Kind geboren hat, Mutter sein, ohne das Kind selber geboren zu haben? Ich halte das offen gestanden für Sophismus; denn entscheidend ist, dass es zwei Elternteile gibt, die das Kind lieben und sich in der Erziehung engagieren. Wenn sie das gut machen, ist das gut für das Kind. ({0}) Wenn der Partner der leiblichen Mutter eine Frau ist, habe ich kein Problem damit, wenn man sie auch als Mutter bezeichnet. Mutter oder zweites Elternteil – ich will mich nicht um Worte streiten –, das ist Technik. Materiell ist entscheidend, dass es zwei Menschen gibt, die sich rührend und liebend um das Wohlergehen eines Kindes kümmern. ({1})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Möchten Sie eine Nachfrage stellen?

Beatrix Storch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004905, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich finde, das ist kein Sophismus. Wir denken in Worten und Vokabeln, und die haben Bedeutung. Deswegen frage ich Sie: Was ist die Bedeutung des Wortes „Mutter“, und was ist die Bedeutung des Wortes „Vater“? Ist es so, dass, wer ein Kind liebt, die Mutter ist? Kommen wir dahin? Können es dann auch mehr als zwei sein, vielleicht fünf? ({0})

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Liebe Frau von Storch, selbst wenn es so wäre: Wo ist denn der Schaden für das Kind? ({0}) Ich glaube, in Adelskreisen ist es üblich, dass Kinder mehr als zwei Paten haben; ({1}) manchmal haben sie zehn Paten, weil man offenbar gesagt hat: Je mehr Menschen sich beteiligen wollen, desto besser. Das gilt für Eltern natürlich nicht; das will ich ausdrücklich dazusagen. Aber es wird immer wieder der Versuch unternommen, das rhetorisch ins Absurde zu ziehen. ({2}) Wo ist denn das Problem, wenn sich zwei Menschen gleichen Geschlechts rührend und fürsorglich um ein Kind kümmern? Da sind wir in der Gesellschaft vielleicht weiter, als einige meinen mögen. Jedenfalls bekomme ich sehr viele Zuschriften von homosexuellen, aber auch von heterosexuellen Paaren, die das verstehen. Das ist alles, was ich Ihnen dazu sagen kann, liebe Frau von Storch. ({3})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Die nächste Fragestellerin zu diesem Komplex: aus der CDU/CSU-Fraktion Andrea Lindholz.

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Buschmann, ich habe dazu eine Nachfrage. Der Eingangsfall, auf den Sie Bezug genommen haben, hat sich auf die anonyme Samenspende bezogen. Sie haben gesagt, man wolle das Adoptionsverfahren aufheben und die Elternschaft von Anfang an gleichstellen – ein nachvollziehbarer Weg, da es um eine anonyme Samenspende geht – und dass es grundsätzlich auch gut und richtig sei, wenn sich zwei Elternteile um ein Kind kümmern; das habe für ein Kind nur Vorteile. Nicht ganz verstanden habe ich den zweiten Fall, den Sie eben nur angerissen haben: ein gleichgeschlechtliches Paar und ein biologischer Vater, der auch Vater sein will. Können Sie uns vielleicht einmal erläutern, wie weit Sie an dieser Stelle sind und ob Sie möglicherweise beabsichtigen, die biologische Vaterschaft aufzuheben zugunsten einer – ich nenne es jetzt mal so – sozialen Elternschaft oder wie man das formulieren mag? Wie stellen Sie sich das genau vor?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Also, es gibt ja Gründe, warum ich gesagt habe: Es gibt einen ersten Schritt, der relativ einfach ist, und einen zweiten Schritt, der komplexer ist. – Ich glaube, dass wir das auch nicht salopp formulieren können. Wir brauchen da einen ganz engen Austausch; denn – ich will es noch einmal sagen; das ist eine rechtliche Selbstverständlichkeit – natürlich haben auch Väter Rechte. Und in einem solchen Dreiecksverhältnis müssen wir auch für die Rechte der Väter sorgen. Für ein solches Dreiecksverhältnis – zwei Frauen sind miteinander verheiratet, und es gibt einen biologischen Vater, der nicht anonymer Samenspender ist – müssen wir eine angemessene Lösung finden, damit alle drei zu ihrem Recht gelangen. Dafür – das will ich Ihnen klar sagen – habe ich noch keine perfekte Blaupause; wir arbeiten daran. Das wird wahrscheinlich auch noch etwas dauern, weil es eben kompliziert ist und weil es natürlich sehr viele Menschen gibt, die sich Sorgen machen und nicht beispielsweise aus der Erziehung des Kindes herausgedrängt werden wollen. Diese Sorgen will ich den Betroffenen nehmen. Wir werden eine Lösung finden, die für einen vernünftigen Ausgleich in diesem Dreiecksverhältnis sorgen wird. ({0})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte noch eine Nachfrage stellen. – Die Ausführungen werden jetzt schon etwas konkreter. Wo sehen Sie an dieser Stelle eigentlich das Kind mit seinen Rechten? Wie berücksichtigen Sie die Kinderrechte? Können Sie sich, ausgehend von dem, was Sie erläutert haben, auch vorstellen, dass drei Personen Elternteil werden, oder sagen Sie: „Diese Lösung schließe ich kategorisch aus“?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Diese Lösung will ich gar nicht ausschließen; denn wenn drei erwachsene Menschen, die durch das Kind miteinander verbunden sind, sich einig sind, wie sie gemeinsam zum Besten des Kindes miteinander für die Erziehung sorgen wollen, dann ist das das Wunderbarste, was man sich vorstellen kann, ({0}) weil es dann keinen Streit gibt, weil es keinen Konflikt gibt, der auf dem Rücken des Kindes ausgetragen wird. Das Zweite, was ich sagen muss: Der oberste Maßstab für uns ist immer das Kindeswohl. Wir sind hier ja nicht im Bereich des Sachenrechts, wo man um ein Auto oder ein Haus streitet. Es geht um ein Kind mit eigener Persönlichkeit, das selber Grundrechtsträger ist – Rechtssubjekt, wie Juristen es technisch sagen –; es geht um ein Kind, um einen Menschen, und deshalb ist das Kindeswohl der oberste Maßstab bei allem, was wir hier vorbereiten. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin Lindholz, Sie waren jetzt Nutznießerin des Präsidiumswechsels. Eigentlich hatten Sie eine Nachfrage zu der Frage, die aufgerufen war, und jetzt haben Sie schon eine weitere gestellt. Die nächste Frage zu diesem Komplex stellt die Kollegin Helling-Plahr, und dann machen wir erst mal in der Reihenfolge weiter.

Katrin Helling-Plahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004742, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Herr Minister, ich glaube, es ist schon deutlich geworden, dass Sie eine sehr ehrgeizige Agenda vorgelegt haben, gerade auch auf dem Gebiet des Familienrechts. Da liegt wirklich vieles im Argen; die Vorgängerregierungen haben es völlig unterlassen, unser Familienrecht an unsere moderne Gesellschaft anzupassen. Wir haben uns als Koalition wirklich viel vorgenommen, um die Situation der Kinder in Trennungsfamilien, in Regenbogenfamilien zu verbessern. Ein Projekt, das Sie in diesem Zusammenhang schon angekündigt haben, ist die sogenannte Verantwortungsgemeinschaft. Mich würde interessieren, welchen Konstellationen Sie mit diesem Instrument konkret helfen wollen. ({0})

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Herzlichen Dank. – Die Verantwortungsgemeinschaft ist letztendlich eine Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Menschen glücklicherweise älter werden. Das heißt aber, dass es auch immer mehr ältere Menschen auch ohne Partner gibt, die vielleicht nicht ins Pflegeheim wollen und sich mit anderen zusammentun, um ihre Selbstständigkeit zu erhalten, die WGs bilden. Dann stellen sich möglicherweise mietrechtliche Fragen, Fragen der Auskunftsansprüche im Krankenhaus usw. usf. Darauf wollen wir eine Antwort geben. Es gibt auch mehr Alleinerziehende in unserer Gesellschaft. Wenn man berufstätig ist und ein Kind erziehen will, dann ist das eine große Belastung. Es gibt Menschen, die sich zusammentun, die sich unterstützen wollen; sie wollen nicht heiraten, aber sie wollen sich einfach gegenseitig helfen. Von solchen Beispielen lassen sich viele finden. Auch ist es heute normal, dass die erwachsenen Kinder manchmal Hunderte Kilometer weit weg leben; da kann man nicht mal eben zu Hause bei den alten Eltern vorbeischauen. Was ich nie verstanden habe, ist, dass wir in einem Land leben, das beim Geldverdienen den Menschen einen ganz breiten Strauß an Möglichkeiten passgenau zur Verfügung stellt: GmbH, OHG, Kommanditgesellschaft, Aktiengesellschaft usw. usf. Aber wenn sich Menschen im Alltag helfen wollen, dann haben wir im Moment nur Adoption und Ehe. Das wollen die Menschen, die ich beschrieben habe, einfach nicht. Ihnen bieten wir die Verantwortungsgemeinschaft an. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich muss noch einmal nachfragen – das sei entschuldigt, weil ich, wie gesagt, gerade reingewechselt bin –: War da noch eine Nachfrage zu diesem Komplex aus der Unionsfraktion? – Nein. Sie bekommen dann die 30‑Sekunden-Variante als letzte Frage zu diesem Komplex, und dann kommen wir zur fünften Ausgangsfrage.

Katrin Helling-Plahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004742, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ganz herzlichen Dank für Ihre Ausführungen. Ich glaube, Sie haben sehr deutlich gemacht, wie groß der Bedarf in der Gesellschaft für ein solches Instrument ist und wie vielfältig die Konstellationen sind, denen wir damit helfen könnten. Ich würde mich freuen, wenn Sie noch Ausführungen zur näheren Ausgestaltung, wie Sie sich dieses Rechtsinstrument konkret vorstellen, machen könnten. – Vielen Dank.

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Es gibt dazu Vorarbeiten aus der letzten Legislaturperiode, es gibt auch Ausführungen im Koalitionsvertrag. All das wollen wir jetzt in ein Eckpunktepapier zusammenführen, um mit allen, die guten Willens sind, über die Sache konstruktiv zu sprechen, auch gerne in einen kritischen Dialog eintreten. Denn egal wie gut ein Vorschlag ist, man kann ihn immer noch besser machen. Das wollen wir in Kürze vorlegen, und dann werden wir mit allen beteiligten Kreisen darüber sprechen. Ich will mich gar nicht zu sehr bei bestimmten Themen festbeißen. Es wird sehr intensiv über die Frage gestritten, welche steuerliche Bedeutung das hat. Ich glaube, im Alltag vieler Menschen ist die Frage gar nicht so bedeutsam, weil die älteren Menschen im Regelfall nicht so hohe Einkommen haben wie zu der Zeit, als sie noch berufstätig waren. Das ist da nicht so bedeutsam. Wir sollten uns nicht – das ist meine persönliche Auffassung – an Nebenkriegsschauplätzen festbeißen. Ich bin daran interessiert, dass wir keine Konflikte aufbauen bzw. keinen Kulturkampf um dieses Instrument führen, sondern mit allen einen pragmatischen und vernünftigen Dialog führen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie kommen mir im Moment sehr entgegen; denn die Nachfrage ist gestrichen. Damit haben wir, wenn ich von meinem Recht Gebrauch mache, die Regierungsbefragung um maximal 15 Minuten zu verlängern, die Chance, mit zwei Fraktionen, deren jeweilige Ausgangsfrage noch gar nicht aufgerufen wurde, weitermachen zu können. Der Kollege Ates Gürpinar hat eine Frage.

Ates Gürpinar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005073, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Minister Buschmann, Ihr Kollege, Herr Minister Lauterbach, hat vor einigen Tagen die Legalisierung von Cannabis noch in diesem Jahr angekündigt, was wir als Linke begrüßen. Ich sage es mal so: Der Begriff „links-gelbe Koalition“ aus den Anfängerschulungen für Parlamentarier/-innen der CDU/CSU trifft hier sozusagen zu. Dieser Schritt betrifft ja auch Ihren Verantwortungsbereich, den Bereich der Justiz. Insofern hoffe ich, dass Sie im Gegensatz zu den Mitgliedern des Gesundheitsausschusses nicht erst letzte Woche davon erfahren haben, dass dies noch in diesem Jahr passieren soll. Meine Frage an Sie ist: Werden Sie die umgehende Entkriminalisierung des Cannabiskonsums umsetzen, um bereits vor der Legalisierung Tausende unnötige Strafverfahren zu vermeiden?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Herzlichen Dank. – Dass Parteien an der Stelle etwas tun wollten, war schon der Fall, als die Partei Die Linke diesen Namen noch gar nicht trug. Insofern brauchten wir da sicherlich keine Nachhilfe, wenn ich das als Erstes so vorwegschicken darf. ({0}) Zweitens. Wir wollen ja hier ein Gesamtkonzept verfolgen. Wir wollen dafür sorgen, dass wir – ich darf es mal so flapsig sagen – den Dealer arbeitslos machen. Wir wollen dafür sorgen, dass sich die Konsumenten auf vernünftige Produktqualität verlassen können, und wir wollen dafür sorgen, dass Missbrauch dadurch vermieden wird, dass wir qualifizierte Verkaufsstellen haben. Das ist ein Gesamtkonzept. Und in diesem Gesamtkonzept wirkt der Gesundheitsminister natürlich federführend, aber da wirkt auch Cem Özdemir mit, und da wirke ich mit. Vielleicht hat dazu, dass wir da jetzt hoffentlich schnell vorankommen, auch beigetragen, dass wir darüber in Meseberg zu dritt noch einmal sehr intensiv gesprochen haben. Darüber, dass der Gesundheitsminister jetzt diesen Aufschlag gemacht hat, freue ich mich sehr. Es wird so sein: Wenn man einen solchen Gesetzentwurf vorlegt, braucht dieser ja schon ein paar Monate, um durch das Parlament zu kommen. Mein persönliches Ziel ist, dass wir im nächsten Jahr so weit sind, dass vielleicht der erste legale Joint verkauft werden kann. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Nachfrage.

Ates Gürpinar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005073, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich gehe davon aus, dass Sie in diesem Jahr dann nur zu dritt miteinander gesprochen haben. Sehr geehrter Herr Minister, meine daran anschließende Frage ist – vielleicht braucht es da noch die Unterstützung von der Linken –: Was passiert denn mit den Menschen, die bis dahin mit Cannabis – auch geringe Mengen Cannabis sind in manchen Bundesländern wie in Bayern strafbewehrt – angetroffen werden? Wie gedenken Sie mit den vielen laufenden Strafverfahren umzugehen, wenn das erst in naher Zukunft legal werden soll? ({0}) Werden Sie eine Amnestie für diese Verfahren anordnen? Was sind Ihre Ideen, schon im Vorhinein Möglichkeiten der Entkriminalisierung anzuwenden?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Erstens. Es wird immer wieder so getan, als ob im liberalen Verfassungsstaat der Justizminister sagen könnte, dass Gesetze nicht mehr gelten. Das ist aber nicht so. Die Rechtslage kann ich nicht par ordre du Bundesjustizminister verändern. ({0}) Ich möchte als überzeugter Demokrat sagen: Es ist auch gut so, dass die Regierung sich nicht aussuchen kann, an welche Gesetze sie sich hält. ({1}) Das gilt in Deutschland, also auch in Bayern. Zum Zweiten. Wir haben natürlich durchgeprüft, was man tun kann. Aber die Strafverfolgung und die Praxis der Staatsanwaltschaften werden in den Ländern festgelegt. Jetzt kann man Kritik am Föderalismus üben, aber es ist so, wie es ist. Zu der Möglichkeit, die immer wieder diskutiert wird, es gebe im Justizministerium einen Knopf, den ich nur drücken müsste, und dann würde keine Strafverfolgung mehr stattfinden, obwohl Straftatbestände vorliegen, die geltendes Recht sind, muss ich Ihnen sagen: Diesen Knopf gibt es nicht. Wenn es die Illusion geben sollte, dass es ihn irgendwo gebe, muss ich sagen: Ich habe ihn nicht gefunden. Ich habe alle meine 851 Beamten gefragt, aber keiner kennt diesen Knopf, und ich kenne ihn auch nicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Abgeordnete Peterka hat das Wort zu einer Nachfrage.

Tobias Matthias Peterka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004850, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank für die Möglichkeit. – Herr Minister, Sie haben in Ihren einleitenden Ausführungen durchaus löblich auch das Völkerrecht herausgekehrt. Dann kennen Sie im Zusammenhang mit der Cannabislegalisierung sicherlich das sogenannte Einheits-Übereinkommen über Suchtstoffe der UN, bei dem Deutschland zurzeit noch Mitzeichner ist, welches eine Legalisierung von Cannabis für unzulässig erklärt. Deswegen meine Frage: Wird das ignoriert, wie es zum Beispiel Kanada tut, und quasi der UN-Vertrag verletzt, oder steigt Deutschland fristgerecht aus diesem Vertrag aus, wenn Cannabis legalisiert wird?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Diese Dinge sind natürlich Ergebnis einer – ich darf es so offen sagen – jahrzehntelang verfehlten Drogenpolitik, die im Bereich der weichen Drogen auf Prohibition und Repression gesetzt hat. Diese Überzeugung gab es über viele Jahrzehnte auch in Mehrheiten, und es gab sie in vielen Staaten. Deshalb schlagen sich solche Ansichten natürlich auch in internationalen Übereinkünften nieder. Wir wollen das verändern. Wir sehen doch beispielsweise bei unserem Nachbarn, den Niederlanden – eine wirklich vorbildliche demokratische Nation; parlamentarisch, noch bevor es Großbritannien geworden ist –, dass sie es geschafft haben, einen guten Weg hinzubekommen. Wenn ich es ganz offen sagen darf: Die demokratische und rechtsstaatliche Tradition Kanadas ist älter als unsere. Und wenn diese Staaten es hinbekommen, dann bekommen wir das auch hin. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zur Erläuterung: Ich habe die Regierungsbefragung schon verlängert und auch das Ziel erklärt, nämlich dass wir mindestens einmal durchkommen wollen und alle Fraktionen mindestens einmal eine Frage oder einen Komplex hier einbringen können. Deshalb lasse ich jetzt keine Nachfrage zu, sondern rufe als sechste Fragestellerin Katrin Helling-Plahr auf.

Katrin Helling-Plahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004742, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Herr Minister, Sie nehmen in Ihrem Ressort auch die Digitalisierung sehr ernst und sind da ehrgeizig vorangegangen. Mich würde besonders der Aspekt der Digitalisierung im Gesellschaftsrecht interessieren. Sie haben ja einen Gesetzentwurf zu virtuellen Hauptversammlungen vorgelegt. Welche Chancen sehen Sie in diesem Zusammenhang in der dauerhaften Einführung der Onlinehauptversammlung von Aktiengesellschaften?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Ganz herzlichen Dank. – Wir werden in dieser Woche noch Gelegenheit haben, darüber zu debattieren; der Gesetzentwurf kommt ja in erster Lesung in dieses Haus. Wir haben Folgendes gesehen: Die virtuelle Hauptversammlung war eigentlich eine Art Notnagel in der Pandemie. Man hat vorher immer wieder darüber nachgedacht, hat sich aber nicht getraut. Dann musste man es machen, weil es nicht anders ging, und – siehe da – man hat festgestellt: So schlimm war das gar nicht; es hat sogar gut funktioniert. Die Zahl der Fragen der Aktionäre ist gestiegen, die Qualität der Antworten ist gestiegen, und es hat auch technisch funktioniert. Deshalb haben wir im Hause gesagt: Dann machen wir daraus jetzt eine Dauerlösung. Es ist natürlich so: Wir erleichtern Menschen das Leben. Wenn ich in Hamburg lebe und Aktionär eines Unternehmens mit Sitz in München bin, das dort seine Hauptversammlung abhält, dann muss ich mich eben nicht acht Stunden in den Zug setzen und zwei Tage freinehmen, um meine Rechte wahrzunehmen, sondern kann mich virtuell aufschalten. Das ist ein weiterer Schritt der Digitalisierung. Digitalisierung ist nie l’art pour l’art, sondern dient immer dazu, das Leben der Menschen ein Stück weit leichter zu machen, es leichter zu machen, die eigenen Rechte wahrzunehmen. Und das machen wir auch bei der digitalen Hauptversammlung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben keine Nachfrage. – Damit haben wir die Chance, die Frage der Kollegin Andrea Lindholz aufzurufen.

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dafür bedanke ich mich ganz herzlich. – Herr Buschmann, ich will auf den eingangs genannten Ukrainekrieg zurückgehen und zunächst noch einmal dem GBA und seinem Team für die wirklich hervorragende Arbeit danken. Was uns beschäftigt, ist: Eine Möglichkeit, Russland unter Druck zu setzen, ist ja, das Vermögen von Oligarchen einzufrieren. Es ist jetzt so: Wenn das Geld eingefroren ist, kann es nicht mehr genutzt werden. Anders ist es bei Jachten, bei Immobilien – im schönen Süden Bayerns und an anderer Stelle. Es kann zwar nicht mehr verwertet, aber immer noch genutzt werden. Meine Frage ist: Finden Sie es okay, dass Oligarchen ihr Vermögen quasi noch nutzen dürfen, noch bewohnen dürfen, einfach noch damit verfahren dürfen? ({0}) Wenn nein: Beabsichtigen Sie, das zu ändern? Denn das widerspricht ja dem Gedanken des Einfrierens.

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Die Frage so zu formulieren, heißt, sie implizit beantwortet zu haben. Wir sind als Bundesregierung schon aktiv geworden. Just heute ist im Kabinett ein Entwurf des Finanzministers durchgegangen, der die Durchsetzung der Sanktionen gegen Personen, die auf der Sanktionsliste stehen, verbessern soll, beispielsweise indem man eine Auskunftspflicht etabliert. Das ist ein bisschen wie bei der Steuererklärung. Da sagen wir als Staat: Du als Steuerbürger sagst uns, was du für Einkünfte hast. Wir ermitteln nicht gegen dich, sondern du sagst uns erst einmal, was du hast. – Dieses Prinzip überträgt der Finanzminister – das liegt nahe für einen Finanzminister – auf den Bereich der Durchsetzung von Sanktionen, damit wir überhaupt wissen, wem was gehört, wer etwas nutzen kann. So wollen wir die Ermittlung von Vermögensgegenständen, die Festsetzung von Vermögensgegenständen und auch das Einfrieren von Vermögensgegenständen verbessern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Nachfrage.

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kenne den Entwurf, vielen Dank. Deswegen meine explizite Frage: Es geht nicht nur darum, zu wissen, wem die Immobilie gehört, sondern auch darum, dass, wenn wir wissen, wem sie gehört, sie nicht mehr genutzt werden kann. Das steht meines Erachtens nicht in dem Entwurf. In Italien zum Beispiel ist das aber der Fall. Deswegen ist meine Frage: Setzen Sie sich dafür ein – wenn es noch nicht geregelt ist, wovon ich ausgehe, nachdem ich den Entwurf gelesen habe –, dass man auch bei uns die Nutzungsuntersagung für Sachgüter explizit festschreibt, wie es zum Beispiel in Italien der Fall ist? Ansonsten kann man nicht verstehen, warum wir das nicht mit erledigen.

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Wir tun das, was wir tun können, um die Sanktionsbeschlüsse, die wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern getroffen haben, auch durchzusetzen. Da will ich jetzt gar nicht Einzelnes herausgreifen. Es ist das Ziel und die Aufgabe der Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass wir beschlossene Sanktionen effektiv und zügig durchsetzen können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Es gibt eine Nachfrage aus der AfD-Fraktion.

Stefan Keuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004778, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Justizminister, Sie haben gerade angesprochen, dass Sie darauf hinwirken, dass Sanktionen nicht unterlaufen werden. Just in den letzten Tagen kam eine Pressemitteilung, wonach in der Entwicklungszusammenarbeit mehrere Milliarden Euro an Unterstützung für Indien vorgesehen sind. Indien ist Teil der BRICS-Staaten, und Indien kauft gerade in großem Stil Öl auf; die Medien berichten von etwa einem Viertel der russischen Ölproduktion. Ist das nicht ein Unterlaufen unserer Sanktionen? Und ist dem Steuerzahler glaubhaft zu vermitteln, dass wir Milliarden deutsches Steuergeld nach Indien zahlen und hier Öl und Gas gekauft wird? Schlimmstenfalls kaufen wir dann Öl von Indien, wenn der Gashahn zu Russland abgestellt ist, und zahlen es dann zwei- oder dreimal. Wie stehen Sie dazu?

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Zunächst einmal: Ich bin der Bundesjustizminister und nicht der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Trotzdem will ich der Frage nicht ausweichen. Ich finde es nicht gut, dass, wenn wir versuchen, gute Beziehungen mit Indien zu haben, einem der größten Länder der Welt, einem der bevölkerungsreichsten Länder der Welt, einem der immer wichtiger werdenden Länder der Welt, das auch in der Gestaltung der Zukunft unseres Planeten eine große Rolle spielen wird, das ins Lächerliche gezogen wird. ({0}) Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, gute Beziehungen zu Indien zu haben. Das kann ich als Vertreter der Bundesregierung dazu sagen. Alles Weitere, was die Verwendung von Mitteln angeht und wie sich diese guten Beziehungen im Detail am besten aufbauen lassen, ist eine hervorragende Frage für die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. ({1})

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeslandwirtschaftsminister trifft Ende dieser Woche im Rahmen der G‑7-Präsidentschaft seine Kollegen aus den sieben führenden Industrienationen, und davon kann nur ein Signal ausgehen: Wenn durch den russischen Angriff auf die Ukraine dort weniger produziert wird und dadurch Hunger und Elend drohen, dann springen andere, allen voran die G 7, in die Bresche und produzieren mehr Nahrungsmittel. ({0}) Das klingt einfach, das klingt nach gesundem Menschenverstand und schlüssig, ist aber nicht selbstverständlich. Dies belegt Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir ein ums andere Mal. Während die EU‑Kommission als akute Krisenmaßnahme ausnahmsweise den Anbau sämtlicher Feldfrüchte auf ökologischen Vorrangflächen ermöglicht, die meisten EU‑Mitgliedstaaten dieses Instrument nutzen und alle Landwirtschaftsminister der Länder, außer denen der Grünen, das einfordern, lehnt Minister Özdemir das trotzdem ab. ({1}) Während bekannt ist, dass der ökologische Anbau im Vergleich zum konventionellen Anbau einen deutlich geringeren Ertrag pro Fläche liefert – bei Getreide ist es über ein Drittel weniger an Ernte –, ({2}) hält es Minister Özdemir für nicht nötig, das Ziel von 30 Prozent Ökolandbau, das diese Regierung für das Jahr 2030 verfolgt, zumindest mal kritisch zu hinterfragen. Während wir als Opposition seit Wochen darauf hinweisen, dass sich in dieser außerordentlichen, nie dagewesenen Krisensituation eine pauschale Stilllegung von 4 Prozent der Ackerfläche, wie sie ab nächstem Jahr verlangt wird, mit den Erfordernissen der Realität beißt, mag Minister Özdemir darüber nicht einmal diskutieren, geschweige denn in Brüssel für eine Neubewertung eintreten. So, Herr Minister, werden Sie Ihrer Verantwortung nicht gerecht. ({3}) Diese Zeit erfordert ein Innehalten, ein Hinterfragen der bisherigen Politik. ({4}) Und wir sind ja eigentlich auch alle dazu in der Lage: der EU‑Kommissar, die meisten EU‑Mitgliedstaaten, die Landwirtschaftsminister der Länder, viele hier im Deutschen Bundestag in unterschiedlichen Fraktionen – nicht aber der Bundeslandwirtschaftsminister. ({5}) Ich sage Ihnen voraus: Diese Position wird sich nicht halten lassen, eben weil wir eine Verantwortung haben – nicht nur für Deutschland, sondern mit den guten Böden, mit den besten Anbaubedingungen in Deutschland und Europa auch für die ganze Welt. ({6}) Und nein, wir spielen nicht die eine Krise gegen die andere aus. ({7}) Wir stehen zum Klimaschutz, zum Umweltschutz, zum Schutz der Biodiversität ({8}) durch die und vor allem mit der Landwirtschaft. ({9}) Keiner will sich davon verabschieden – nicht wir, nicht unsere Bauern und, ich nehme an, auch nicht Ihr Koalitionspartner FDP, der eine weitere Extensivierung des Landbaus ja auch nicht will. So habe ich Sie bei den letzten Reden hier im Plenum zumindest verstanden. Wir alle haben uns die aktuelle Situation nicht vorstellen können, aber die Realität ist, wie sie ist. Die Preise für Grundnahrungsmittel steigen, sie steigen mitunter stark, und das bedeutet, dass Nahrungsmittel in anderen Regionen dieser Welt knapp werden. Hunger und Elend drohen gerade im Nahen Osten und in Afrika; die Bundesentwicklungsministerin hat kürzlich darauf hingewiesen. Schon 2021 litten weltweit rund 200 Millionen Menschen unter Hunger, und der Krieg in der Ukraine wirkt wie ein Brandbeschleuniger. Ein Weiter-so, als ob nichts wäre, ist zynisch, ist unethisch, ist in meinen Augen ausgeschlossen. ({10}) Ich glaube, dass das anstehende G‑7-Treffen spannende, für manche Beteiligte auch schmerzhafte Erkenntnisse ans Licht bringen wird. Die bisherige G-7-Agenda von Cem Özdemir passt nicht mehr in die Zeit des Ukrainekriegs und sich weltweit verschärfender Versorgungsengpässe. Die Parteiagenda der Grünen in der Landwirtschaftspolitik ist nicht mehrheitsfähig – nicht in Europa und auch nicht im Kreise der G 7. Jetzt, meine Damen und Herren, ist nicht die Zeit für halbphilosophische Betrachtungen von Klimaschutz, Ernährungssicherung und Frieden als neuem Dreiklang, wie sie der Bundeslandwirtschaftsminister gerne anstellt. ({11}) Mir drängt sich der Verdacht auf: Da will einer ein ohnehin schon gewaltiges Problem mit möglichst vielen anderen verketten, um vielleicht vom eigenen Nichtstun abzulenken und der Einsicht aus dem Weg zu gehen, dass der eigene Kurs eben korrigiert werden muss. ({12}) Genau hierfür wünsche ich dem Bundeslandwirtschaftsminister den nötigen Mut. Nur wenn er den hat und jetzt endlich die Ernährungssicherung in den Mittelpunkt seines Handelns rückt, dann kann er die Dinge auch auf G‑7-Ebene glaubwürdig vorantreiben. Deshalb, Herr Minister: Lassen Sie die grüne Parteilyrik! Kommen Sie endlich in den Krisenmodus! Tun Sie das, was jetzt in dieser Zeit geboten ist, damit die von der Bundesregierung ausgerufene Zeitenwende in Ihrem Zuständigkeitsbereich nicht nur eine leere Worthülse ist. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dr. Franziska Kersten für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Franziska Kersten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005103, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Uns allen ist der Ernst der Lage bewusst. Der furchtbare Krieg in der Ukraine führt zu Not und Leid bei der Bevölkerung. Dies höre ich übrigens momentan auch von einer Stipendiatin, die bei mir arbeitet und deren Familie im Kriegsgebiet lebt. Der Konflikt hat aber auch Auswirkungen auf die globale Versorgung mit Nahrungsmitteln. Das kann auch zu neuen Fluchtbewegungen führen. Wie können wir mit unserer Agrarpolitik darauf reagieren? Soll die Stilllegung von 4 Prozent Ackerflächen 2023 ausgesetzt werden? Sollen wir die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik um ein Jahr verschieben, wie von der Union gewünscht, oder sollen wir es ganz sein lassen und einfach so viel produzieren, wie irgendwie möglich ist? ({0}) Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wer so argumentiert, denkt zu kurz. ({1}) – Der ist ja nicht hier. Alles gut. ({2}) Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik haben wir doch nicht aus ideologischer Verblendung angeschoben. Fakt ist doch, dass Hitzeperioden und Wetterkapriolen zunehmen. Die Niederschlagsmengen in meinem Wahlkreis, also in der Börde und im Jerichower Land, liegen aktuell wieder deutlich unter dem langjährigen Mittel. Wir haben in Sachsen-Anhalt ein echtes Problem mit Wasserknappheit in der Landwirtschaft; der heute hier anwesende Landwirtschaftsminister Sven Schulze wird das sicherlich bestätigen können. Unsere Landwirtschaft muss sich an den Klimawandel anpassen. Wir brauchen keine einfachen Lösungen, sondern Handlungen mit Augenmaß. Wir brauchen nicht eine kurzfristige Intensivierung, sondern wir brauchen resiliente Ökosysteme. ({3}) Und das geht nur mit Biodiversität. Hier kommen die Stilllegungsflächen ins Spiel. Sie erfüllen wichtige Funktionen für den Wasserhaushalt sowie als Rückzugsraum für Flora und Fauna. Die 4 Prozent, die ab 2023 stillgelegt werden sollen, sind schon ein extrem heruntergeschraubter Kompromiss. Darauf können wir nicht auch noch verzichten. Wir können Biodiversität nicht einfach an- und abschalten. ({4}) Das ist eigentlich nicht möglich; das müsste Ihnen bewusst sein. ({5}) Was einmal verschwunden ist, bleibt auf Dauer verschwunden. Übrigens hat sich auch der gerade wiedergewählte Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, auf dem Naturschutztag im November 2021 der Biodiversität verschrieben. Vielleicht haben Sie das nicht mitbekommen, dass es so war, aber er hat davon geredet, dass das wichtig sei. Es wäre gut, wenn das die Unionsfraktion wahrnimmt. ({6}) Die Vorteile der Nutzung von Brachflächen verhalten sich disproportional zu den ökologischen Kosten. Im Übrigen sind die meisten Brachen eben nicht ertragsreich, sondern sind Grenzstandorte. Für die Futternutzung sind sie freigegeben. Das ist auch sinnvoll. ({7}) Aber für den Getreideanbau wäre ein großer Mehraufwand inklusive Düngung und Pflanzenschutz notwendig. Wir wissen, angesichts der momentanen Düngerpreise ist das illusorisch. Und Brotgetreide wird auf den meisten Flächen nicht produziert werden können. Auch die absolute Größe der Flächen in Höhe von 170 000 Hektar lässt eine wirksame Bekämpfung des Welthungers unrealistisch erscheinen. ({8}) Der Fruchtwechsel ist eine entscheidende Maßnahme zur Förderung der Bodenfruchtbarkeit und der Pflanzengesundheit. Auch hier müssen wir mit Augenmaß vorgehen. Auf guten Standorten leidet die Bodenqualität nicht, wenn der Weizen zweimal hintereinander angebaut wird. Deshalb unterstützen wir als Fraktion sehr den Vorschlag von Cem Özdemir, diese Pflicht zum Fruchtwechsel erst mal aufzuheben. ({9}) Auf diesem Wege kann man einen schnelleren Beitrag zur weltweiten Weizenproduktion leisten. Das bringt auch deutlich mehr, als Brachen zu nutzen. Auch beim Thema Gewässerrandstreifen kann nachgesteuert werden. Hier müssen wir uns die betroffenen Wasserläufe genauer ansehen und nach deren Bedeutung auch unterscheiden. Wir müssen auch die Ökoregelung ab 2023 noch mal überdenken. Nur wenn zusätzliche Maßnahmen der Landwirte für unsere Ökosysteme auch angemessen honoriert werden, kann die neue GAP funktionieren. Es ist übrigens bezeichnend, dass damals genau das unter Julia Klöckner im Bundeslandwirtschaftsministerium verhindert wurde. ({10}) Das war eben für die Landwirte nicht attraktiv. Längerfristig würde eine Umstellung zu mehr pflanzenbasierter Ernährung zu einem verminderten Druck auf die globalen Getreidemärkte führen. ({11}) Für mich sind auch eine Reduktion des Fleischkonsums, der Tierbestände, der Lebensmittelabfälle und der Nutzung von Bioethanol in Europa entscheidende Faktoren. So lassen sich der Nachfragedruck auf die globalen Getreide- und Futtermittelmärkte reduzieren und die Preissteigerungen eindämmen. Was uns jetzt nicht hilft, ist ganz klar: kurzfristiges Produzieren um jeden Preis, ohne die ökologischen Folgen zu sehen. Wir müssen jetzt mit Augenmaß handeln. ({12}) Ich bitte alle, das mitzuverfolgen. Das werden uns zukünftige Generationen danken. Danke. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Stephan Protschka für die AfD-Fraktion. ({0})

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gott zum Gruße! Endlich wieder Gäste hier im Hohen Haus! Wegen des völkerrechtswidrigen Angriffs Russlands auf die Ukraine fällt mehr als ein Viertel der weltweiten Weizenexporte ersatzlos weg. Ja, das ist katastrophal. Und wen trifft es? Es trifft die Ärmsten der Armen, die armen Länder in Afrika und im Nahen Osten, die ja teilweise bis zu 90 Prozent von Weizenimporten aus den genannten Ländern abhängig sind. Internationale Organisationen warnen uns davor, dass die Zahl der hungernden Menschen um mindestens 8 Millionen und um maximal 45 Millionen steigen wird. Für uns als Alternative für Deutschland steht ganz klar fest, dass wir angesichts dieser schrecklichen Zahlen eine humanitäre Verpflichtung und Verantwortung haben und dass wir helfen müssen. ({0}) Theoretisch wäre allein in Deutschland eine zusätzliche Getreideproduktion von bis zu 2 Millionen Tonnen möglich. Aber Deutschland, vor allem der Herr Minister Özdemir, hat sich ja leider als einziges Land in der EU gegen die Freigabe von stillgelegten landwirtschaftlichen Flächen für den Nahrungsmittelanbau entschieden. Anders ausgedrückt: Deutschland verzichtet auf 45 Milliarden Brötchen, von denen etwa 20 Millionen Menschen täglich hätten ernährt werden können. ({1}) Sie, Herr Özdemir, sind schuld an den Bildern der hungernden Kinder aus Afrika. ({2}) Aber ich will mich daran gar nicht länger abarbeiten; denn viel wichtiger ist ja der Blick auf den Elefanten im Raum, den bis dato leider noch keiner angesprochen hat oder sich vielleicht gar nicht anzusprechen getraut hat: Das ist die Inflation. Ja, seit über einem halben Jahr, also schon lange vor dem Ukrainekrieg, steigt die Inflationsrate in Deutschland dramatisch an. Die extreme Kostenexplosion bei Energie und Düngemittel ist seit Monaten für die heimische Landwirtschaft massiv existenzbedrohend und gefährdet dadurch mittelfristig auch die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln bei uns im Land. Der neue Streich vom Bundeslandwirtschaftsminister sieht so aus, dass die landwirtschaftlichen Betriebe jetzt einfach neue Kredite aufnehmen und sich weiter verschulden sollen, damit sie sich den Dünger und den Agrardiesel leisten können. Ja, das ist absurd. ({3}) Also, welcher noch halbwegs normaldenkende Mensch würde einen Kredit aufnehmen, damit er eine Tankfüllung kaufen kann, mit der er zur Arbeit fahren kann, damit er sich wieder eine Tankfüllung kaufen kann? Das ist doch an Blödsinn kaum zu überbieten! Das schadet nur unseren Bauern und allen Mittelständischen hier in diesem Land. Aber was interessiert das unseren Herrn Özdemir? ({4}) Der hat einen großen Audi oder Mercedes draußen stehen und wird natürlich mit einem Chauffeur durch die Gegend kutschiert, meine Damen und Herren. ({5}) Fassen wir kurz zusammen: Wir haben eine dramatische Lebensmittelverknappung und steuern auf eine enorme weltweite Hungersnot zu. Die heimische Landwirtschaft kann sich kaum noch die Produktion leisten, und Zehntausende Betriebe stehen vor dem unwiederbringlichen Aus. Vorhin in der Anhörung hieß es in der Fragerunde: Was weg ist, ist weg. Damit sind aber der Anbau und die Ernte nicht nur in diesem Jahr, sondern auch im nächsten Jahr und in den kommenden Jahren sehr gefährdet. Die Lebensmittelpreise in Deutschland sind für breite Teile des Volkes bereits jetzt unbezahlbar, Tendenz steigend. Die Tafeln – die Linken haben sie eingeladen für heute – schlagen wegen steigender Armut Alarm und sind extrem überlastet. Und was macht der grüne Landwirtschaftsminister in dieser katastrophalen Situation? Er kümmert sich um Hühnerwarnwesten und will natürlich den Hanf freigeben. ({6}) Ich weiß nicht, ob das bekifft besser auszuhalten ist, meine sehr geehrten Damen und Herren. Aber es ist ein Skandal, der vielleicht eher ins Taka-Tuka-Land passt, aber nicht zu uns in Deutschland. ({7}) Liebe Union, Sie müssen jetzt übrigens nicht lachen; denn Ihre Agrarministerin Klöckner hat Werbevideos mit Nestlé gedreht. ({8}) Herr Özdemir kümmert sich um Warnwesten für Hühner. Beides übertrieben! ({9}) Sorgen Sie endlich für eine spürbare Entlastung unserer bäuerlichen Familienbetriebe und für bezahlbare Energie- und Lebensmittelpreise, die wir schon seit Monaten fordern und übrigens, liebe CDU/CSU, schon vor euch gefordert haben. Ihr habt ja den Antrag nur von uns abgeschrieben. ({10}) Ich weiß schon: Der AfD kann man ja nicht zustimmen. Aber es ist ja schön, wenn Sie gute Anträge von uns übernehmen. Dann können wir denen zustimmen; denn das Wichtigste ist, dass geholfen wird. Wenn Sie damit glücklich sind, dann kommt der Antrag eben von Ihnen. Danke schön, meine Damen und Herren. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir. ({0})

Cem Özdemir (Minister:in)

Politiker ID: 11002746

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen! Meine Herren! Zurzeit hungern weltweit über 800 Millionen Menschen. In dieser ohnehin schon dramatischen Situation setzt Putin Hunger als Waffe ein. Er klaut Getreide, er stiehlt, er zerstört Trecker und Mähdrescher. Besonders durch die steigenden Lebensmittel- und Energiepreise sind Millionen von Menschen weltweit zusätzlich von Hunger bedroht. Wir sehen dramatische Bilder aus Indien, wo der Weizen buchstäblich auf dem Feld verbrennt. Ostafrika leidet unter einer langanhaltenden Dürreperiode. Der Hunger ist – schon vor dem Krieg – dort groß, wo die Klimakrise bereits voll zuschlägt. Genau über diese sich gegenseitig verstärkenden Krisen werde ich in den kommenden Tagen mit den Agrarministerinnen und Agrarministern der G 7 in Stuttgart sprechen. Vor Ort anwesend wird auch mein ukrainischer Kollege Solskyy sein. Auch im Namen dieses Parlaments werde ich ihm meine und unsere Solidarität und Anteilnahme ausdrücken. ({0}) Nach der letzten Rede würde ich vielleicht einschränkend hinzufügen: im Namen der demokratischen Mehrheit des Hauses, nicht des rechten Randes. Da könnte ich ihn ja gleich von Herrn Putin grüßen. Ich glaube, das kann man ihm nicht zumuten. ({1}) Wir werden mit ihm darüber beraten, wie wir sein Land und den Agrarsektor unterstützen können. Wir werden natürlich auch beraten, wie wir die globalen Folgen dieses völkerrechtswidrigen Angriffskriegs für die Welternährung begrenzen. Es geht jetzt um kurzfristige Maßnahmen, damit wir den akuten Hunger bekämpfen können. Da wäre diese Aktuelle Stunde eigentlich eine großartige Gelegenheit, um eine ersthafte Debatte zu führen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union. ({2}) Stattdessen wollen Sie tatsächlich über Grenzertragsflächen, über Hecken, über Feldgehölze diskutieren, die, wie Sie wissen, sehr wertvoll sind für Artenschutz, Nutzinsekten und Bestäuber. Diese Artenvielfaltsflächen dienen dazu, unsere Ernährung auch morgen noch zu sichern. ({3}) Auf diese Artenvielfaltsflächen wollen Sie teuren Dünger schütten, der dann übrigens woanders in der Welt fehlt, um das Recht auf Nahrung der Menschen vor Ort zu stärken. ({4}) Spannend ist ja das, worüber Sie nicht reden. Darauf sollte man eigentlich aufmerksam achten. Dass 60 Prozent des Getreides von Kühen, Schweinen und Hühnern gefressen werden, darüber wollen Sie nicht reden. ({5}) Bei CDU/CSU sind Logik einerseits und Ideologie andererseits zwei Seiten derselben Medaille. Nur so kann man Ihre zukunftsvergessene Agrarpolitik verstehen. ({6}) Wir unterstützen unsere Landwirtschaft mit zielgerichteten Hilfsmaßnahmen. Wir erhöhen die 60 Millionen Euro aus der EU-Krisenreserve um die maximal möglichen 120 Millionen Euro auf 180 Millionen Euro – dafür bin ich dem Finanzminister sehr dankbar –, und diese wollen wir schnell und effizient an die Bäuerinnen und Bauern bringen. Wir werden die aktuell besonders von steigenden Energiepreisen betroffenen Gartenbaubetriebe, den Obst- und Weinbau und die Tierhaltungsbetriebe entlasten. Bei der Frage nach Tank, Trog und Teller sage ich: Teller zuerst! ({7}) Wir müssen die Flächenkonkurrenz zulasten der Lebensmittelerzeugung endlich auflösen. Deshalb unterstütze ich den Vorschlag des federführenden Bundesumweltministeriums und von meiner Kollegin Steffi Lemke ausdrücklich, die Beimischquoten für Agrosprit abzusenken. Meine Damen, meine Herren, wir schauen uns jeden einzelnen Punkt an. Wir drehen jedes Korn um und wägen die Kosten gegen den Nutzen. Ich habe deshalb die Nutzung des Aufwuchses von Brachflächen und der Zwischenfrüchte auf ökologischen Vorrangflächen für zusätzliche Futterkapazitäten ermöglicht. Das war ein pragmatischer Kompromiss; denn diese Artenvielfaltsflächen müssen auch weiter vor einem intensiven Einsatz von Düngern und Pestiziden geschützt werden. Gleichzeitig setze ich mich in Brüssel dafür ein, dass die neue Regelung zum Fruchtwechsel verschoben wird, damit unsere Bauern mehr Weizen produzieren können. ({8}) Damit kann bei dieser Herbstaussaat Weizen auf Weizen angebaut werden. Ich sage allerdings auch – das muss man ehrlicherweise sagen –: Dafür zahlen Umwelt und Böden einen Preis. Aber ich finde, dieser Kompromiss steht in einem vertretbaren Verhältnis zur Notwendigkeit. Meine Damen, meine Herren, die Bundesregierung unterstützt das World Food Programme und die FAO mit 370 Millionen Euro. Sie setzt 430 Millionen Euro für die globale Ernährungssicherung ein. In der Taskforce „Ernährungskrise“ arbeiten wir mit dem Auswärtigen Amt und dem BMZ gemeinsam an Maßnahmen, um kurzfristig humanitäre Hilfe in die von Hunger bedrohten Länder dieser Welt zu bringen, um ihnen zu helfen, die Erzeugung vor Ort zu stärken; denn die weltweite Ernährung wird vor allem von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern vor Ort geleistet. Dort müssen wir unterstützen. Dort liegt ein gewaltiges Potenzial, um die Ernährung weltweit zu sichern. Wir handeln konkret. Sie hingegen haben schon ab dem ersten Tag des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine Ihre alten Sprechzettel wieder ausgepackt. ({9}) Dabei ist Ihre Bilanz – ich wollte nicht darüber reden, weil der Blick nach vorne eigentlich weiterführen würde, aber nach der Rede vorhin muss man es geradezu – nach 16 Jahren schwarzgeführtem Agrarministerium, wie Sie sicherlich selber einräumen würden, doch sehr verheerend. ({10}) Vertragsverletzungsverfahren: nicht gelöst. Der Umbau der Tierhaltung: vertrödelt. Höfesterben: nicht gestoppt. Ich frage mich eigentlich, wenn ich Ihnen zuhöre: Woher nehmen Sie das Selbstbewusstsein angesichts dieser desaströsen Bilanz? ({11}) Ich ringe um jede Maßnahme, und dann höre ich Ihnen zu und denke: wenig leisten, viel reden. Wir machen es jetzt umgekehrt. Die Landwirtinnen und Landwirte in diesem Land verdienen Besseres, vor allem verdienen sie Ernsthaftigkeit. ({12}) Wir müssen mehrere Krisen gleichzeitig lösen, ohne die eine gegen die andere auszuspielen, sie dadurch zu verschärfen. Deshalb wünsche ich mir hier eine ernsthafte Debatte, die den Problemen der Menschen gerecht wird – hier wie auch weltweit, heute wie auch morgen. Herzlichen Dank. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Ina Latendorf für die Fraktion Die Linke. ({0})

Ina Latendorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005123, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihre Forderung im Titel der Aktuellen Stunde haben wir in den letzten Wochen nicht selten vernommen: vom Bauernverband, von den Freien Bauern und anderen. Sie möchten eine Erhöhung der Lebensmittelproduktion, verbinden diesen Wunsch mit der extensiven Nutzung landwirtschaftlicher Nutzflächen und emotionalisieren dies damit, Hunger vermeiden zu wollen. Ziel ist Beharrung im Status quo. Weder vermeidet man mit diesem Dreh irgendwelche Versorgungsengpässe, noch entspricht dieses Ansinnen den Grundsätzen einer nachhaltigen Landwirtschaft. Im Gegenteil: Ganz schamlos nutzt die Agrarlobby den Krieg in Osteuropa für ihre Interessen. Diese möchte die Produktion intensivieren, den Ökolandbau schwächen, Nutzflächen weiter ausdehnen und eine naturverträgliche Landwirtschaft eigentlich nicht mehr stattfinden lassen. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Der Krieg in der Ukraine hat die europäischen und weltweiten Probleme der Lebensmittelversorgung nicht unvermittelt erzeugt. Versorgungsschwierigkeiten in der Ernährung haben wir seit Langem vor Augen, Stichwort „Welthungerhilfe“; sonst würde es die nicht geben. Erst jetzt, wo Europa betroffen ist, fangen viele an, sich Sorgen zu machen. Aber was ist mit dem Dauerkrieg im Jemen und in Syrien? Was ist mit der existenziellen Dürrekrise in Afrika? Was ist mit der Hitzewelle in Indien? Was ist mit dem Abtragen landwirtschaftlicher Anbaugebiete in Küstenregionen, in denen der Anstieg des Meeresspiegels die Lebensgrundlage bedroht? Ja, meine Damen und Herren, Sorgen machen müssen wir uns durchaus, und zwar große, und das schon seit längerer Zeit, aber nicht wegen der Stilllegung der Ackerflächen in europäischen Regionen. Die Ursachen liegen in der Art des Wirtschaftens, in Spekulation, ungleicher Ressourcenverteilung und falscher Subventionspolitik. ({0}) Die Linke hat immer gefordert, dass die weitgehende Sicherung der Ernährung aus eigener Produktion ein wesentliches Ziel sozialer und ökologisch gerechter Landwirtschaftspolitik sein muss, ({1}) aber nicht auf Kosten der ärmeren Länder der Welt und nicht zulasten der Ökologie und ebenso wenig auf dem Rücken der Bevölkerungsgruppen mit geringen Einkommen. ({2}) Verwerflich ist die profitorientierte Produktion landwirtschaftlicher Güter; ihre Zwillingsschwester heißt „Spekulation mit Nahrungsmitteln“ – eine börsennotierte elende Plusmacherei mit der Ernährung zulasten der Verbraucher. Das Internationale Expertengremium für nachhaltige Lebensmittelsysteme berichtete im Mai 2022, dass sich die Lebensmittelpreise nun schon zum dritten Mal in den letzten 15 Jahren im Schatten von ökonomischen und politischen Krisen deutlich verteuert haben. Menschen in Deutschland und in der Welt leiden unter hohen Lebensmittelpreisen, und gleichzeitig haben deutsche Düngemittelhersteller ihren Gewinn in den ersten drei Monaten des Jahres 2022 vervierfacht. ({3}) Die Gründe dafür liegen in der wirtschaftlichen Abhängigkeit von großen Unternehmen und nicht zuletzt in der Spekulation mit Nahrungsmitteln. Teuerungsraten bei Getreide von 54 Prozent sind derzeit zu verzeichnen. Und selbst wenn man den Anteil des Krieges in Osteuropa herausrechnen würde: Es bleibt eine erhebliche Spekulationsgröße übrig, die seit der Finanzkrise 2008 in mehreren Wellen ursächlich ist für die Preisanstiege. Dem begegnet man nicht mit Produktionssteigerung und zusätzlichen Flächenausbeutungen, sondern mit der Beseitigung der Motive für die Spekulation. ({4}) Und ein weiterer Aspekt kommt hinzu. Der „Spiegel“ zitierte im März 2022 aus einer Studie der Umweltorganisation „Transport & Environment“: In Europa werden „täglich 10 000 Tonnen Weizen“ zu Ethanol verarbeitet – umgerechnet 15 Millionen Brote, um bei dem Beispiel mit den Nahrungsmitteln zu bleiben. Meine Damen und Herren, hier muss angesetzt werden. Alles andere wäre verantwortungslos. ({5}) Derzeit hungern 800 Millionen Menschen weltweit; aber nur 50 Prozent der weltweiten Getreideernte dienen der menschlichen Ernährung. Die Grundfrage „Teller statt Tank?“ ist hier zu stellen, und sie muss dann auch landwirtschaftlich und ökonomisch vernünftig beantwortet werden. ({6}) Es geht also keineswegs darum, die ökonomisch gesättigten und monopolartig aufgeteilten Lebensmittelmärkte weiter mit zusätzlichen und oft auch unnötigen Waren zu überschwemmen. Heute früh haben wir im Agrarausschuss noch einmal ganz deutlich gesagt: Es gibt kein Mengen-, sondern ein Verteilungsproblem und ein Bezahlungsproblem. Es muss dafür gesorgt werden, dass alle Menschen sich ausreichend gesunde Lebensmittel auch leisten können. Es darf kein Weiter-so geben! Das Versorgungs-, Verteilungs- und Überlebensdilemma darf nicht noch manifestiert werden. ({7}) Meine Damen und Herren, Die Linke streitet dafür, eine zeitgemäße, ressourcenschonende Agrar- und Ernährungspolitik zu entwickeln. Das geht nur im Zusammenspiel mit sozialer Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit, und zwar mit dem von uns Linken vorgeschlagenen sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Carina Konrad das Wort. ({0})

Carina Konrad (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004789, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier heute Nachmittag über ein ernstes Thema. Seit 77 Tagen kämpfen die Menschen in der Ukraine für die Freiheit; seit 77 Tagen ist die Welt eine andere. Es wird nicht nur ein Land angegriffen, das demokratisch, das freiheitlich leben wollte. Mit der Ukraine hat Russland die Kornkammer Europas angegriffen, ({0}) und die Folgen sind weltweit dramatisch. Die Preise für Agrarrohstoffe haben ein Rekordniveau erreicht. Das merken wir bei uns an der Kasse im Supermarkt. Die Ärmsten und die Armen spüren das direkt in ihren Mägen in Form von Hunger. Russland schottet seine Märkte zudem ab und verschärft die Situation dadurch. Was wir alle schon vor dem Krieg gemerkt haben, ist doch, dass die Klimaveränderungen die Agrarproduktion verändern. Das spüren wir auch aktuell; denn die Prognosen der Erntemengen weltweit werden im Moment wöchentlich nach unten korrigiert, weil in vielen Regionen der Welt Dürre herrscht. Auch bei uns hier in Deutschland ist es sehr trocken; das wird in der allgemeinen Debatte immer gerne übergangen. Deshalb ist es ja richtig, wenn Sie sagen, liebe Union, Sie beantragen diese Aktuelle Stunde aus einem guten Grund; Sie wollen nicht Klimaschutz und Ernährungssicherheit, Klimaschutz und Produktivität gegeneinander ausspielen. Aber genau das tun Sie doch. Genau das tun Sie doch an der Stelle! ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie beklagen hier in dieser Aktuellen Stunde heute die Folgen einer Politik, die Sie in den letzten 16 Jahren selbst zu verantworten hatten. ({2}) Ja, haben Sie vergessen, wer die Landwirtschaftsminister gestellt hat in den letzten Jahren? ({3}) Ich kann Ihnen sagen – und davon bin ich fest überzeugt; davon ist meine Fraktion fest überzeugt –: Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Agrarpolitik. ({4}) Aber die letzte Bundesregierung hat uns mit der GAP ein schweres Erbe hinterlassen. ({5}) Da wird belohnt, wer stilllegt; da wird belohnt, wer nichts tut. Da wird belohnt, wer extensiviert. Da wird auf Kosten des Steuerzahlers Subventionsoptimierung für die Betriebe geradezu angereizt. Das ist doch nicht die richtige Politik. Glauben Sie wirklich, dass diese Politik den aktuellen Herausforderungen angemessen ist? Ich glaube das nicht. ({6}) Ich habe Landwirtschaft gelernt; ich habe Landwirtschaft studiert. Ich bewirtschafte bis heute einen Betrieb mit meiner Familie. ({7}) Ich kann Ihnen sagen, vor welchen Herausforderungen wir stehen. Wir dürfen Nachhaltigkeitsziele nicht gegeneinander ausspielen. Deshalb kann ich Ihnen sagen: Wir Freien Demokraten unterstützen den Landwirtschaftsminister, gerade in der aktuellen schwierigen Situation, ({8}) bei allem, was Produktivität erhöht. Ich muss Ihnen an der Stelle aber auch sagen: Wer nur Debatten führt wie „Tank gegen Teller“, der gefährdet Nachhaltigkeitsziele, ({9}) der gefährdet die Kreislaufwirtschaft, der erschwert Fruchtfolgen und der erweist damit der Bewältigung der Herausforderungen der Zukunft einen Bärendienst. ({10}) Um die Stabilität Europas zu sichern, müssen wir uns hier im Deutschen Bundestag mit der Frage der Produktivität von Landwirtschaft ganz neu beschäftigen; davon bin ich fest überzeugt. Wir sind Technologiestandort Deutschland, wir sind Industriestandort Deutschland. Ich persönlich und auch meine Fraktion sind davon überzeugt, dass genau das die Stärke ist, die uns helfen kann, aus diesen Krisen herauszukommen. Moderne Bio- und Züchtungstechnologien sind auch Freiheitstechnologien, um mal im Bild dieser Koalition zu bleiben. ({11}) Denn sie machen uns unabhängiger. Sie machen uns unabhängiger von Pflanzenschutz; sie machen uns unabhängiger von Düngemitteln. Das ist die Herausforderung, die wir jetzt bewältigen müssen. Das ist der Paradigmenwechsel, den wir brauchen. Wir müssen unabhängiger werden von Düngerimporten aus Russland. Wie macht man das denn? Düngerproduktion ist energieintensiv. Die Energie, die uns allen zur Verfügung steht, ist die der Sonne. Die Sonne viel mehr für Photosynthese nutzen, um Pflanzen zu züchten, um mit neuen Züchtungsmethoden auch schneller neue Sorten in der Fläche zu haben, die meinetwegen auch Luftstickstoff synthetisieren können – Versuche dazu gibt es –, ({12}) die Knöllchenbakterien auch an die Pflanzen züchten, um Luftstickstoff in Energie, in Wachstum, in Nahrungsmittel und auch in Energie für Treibstoffe umzuwandeln: Das ist Teil der Lösung, und davon bin ich fest überzeugt. Deshalb nutze ich diese Aktuelle Stunde auch, dafür zu werben, dass Paradigmenwechsel aus Krisen heraus eingeleitet werden müssen. ({13}) Und damit bin ich nicht alleine. Der IPCC hat das gesagt. Studien, die auch gerade die Zielerreichung der Farm-to-Fork-Ziele, die uns die Europäische Union im Rahmen des Green Deal vorgibt, untersuchen, besagen das. Biotechnologie in der Landwirtschaft ist ein Punkt, den wir bei der Neubetrachtung unserer Ziele nicht vergessen dürfen. ({14}) Ich sage Ihnen aber auch eins ganz ehrlich: Wir müssen mit diesem Entweder-oder und auch mit dem Sowohl-als-auch aufhören. ({15}) Wir brauchen alles. Wir brauchen Nachhaltigkeit und Produktivität. ({16}) Wir brauchen weniger Ideologie und mehr Technologie. ({17}) Die Zukunft der Landwirtschaft ist ökologisch und produktiv; davon bin ich fest überzeugt. ({18}) Und ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie trotz der Verfehlungen und trotz der falschen Ausrichtungen der Agrarpolitik in den letzten Jahren – ({19})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin.

Carina Konrad (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004789, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– heute hier diese Debatte anstoßen, damit wir darüber reden können, wie wir die Herausforderungen in der Zukunft besser bewältigen, als wir das in der Vergangenheit getan haben. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten des Landes Sachsen-Anhalt, Sven Schulze. ({0})

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich bin sehr dankbar, dass ich hier heute reden darf. Ich bin aktuell auch der Vorsitzende der Agrarministerkonferenz. Wir haben vor einigen Tagen – Herr Özdemir, Sie erinnern sich; Sie waren die ganze Zeit mit dabei – die Agrarministerkonferenz durchgeführt. Wir haben genau über dieses Thema, das wir heute diskutieren, viele Stunden sehr intensiv miteinander diskutiert. Ich möchte die Gelegenheit hier nutzen, zu erklären, wie wir, die Agrarminister der Länder, das diskutiert haben und warum wir das diskutiert haben. Wir haben das Thema „Nutzung von Vorrangflächen“ nicht deshalb diskutiert, weil die Idee hier aus dem Bundestag oder aus irgendeinem Landesparlament kam. Nein, die Idee kam aus Brüssel, von der Europäischen Kommission. Ich habe die letzten sieben Jahre als Abgeordneter des Europäischen Parlaments die Kommission, auch die aktuelle, geführt von Ursula von der Leyen, sehr gut kennengelernt. Ich glaube, diese Kommission ist die Kommission, die am meisten im Bereich „Umweltschutz, Artenschutz, Nachhaltigkeit“ vorhat, Stichwort „Green Deal“, das Megaprojekt dieser Kommission. Wenn diese Kommission jetzt sagt: „Liebe Mitgliedstaaten, wir haben hier ein massives Problem, nicht bei euch in den Mitgliedstaaten, nicht in Deutschland“ – ich glaube, bei uns in Deutschland wird es keine Nahrungsmittelknappheit geben –, „aber in Afrika; dort, wo die Ärmsten der Armen leben, wird es möglicherweise, sehr wahrscheinlich sogar, eine Knappheit geben, und wir müssen einen Beitrag leisten als Deutschland und als Europäische Union“, wenn die Kommission das sagt, dann muss man das, glaube ich, sehr ernst nehmen. ({0}) Wir haben dieses Thema sehr intensiv diskutiert, weil die Agrarminister sehr unterschiedlichen Parteienfamilien entstammen, und ich kann Ihnen sagen: Am Ende des Tages gab es einen Beschluss. Wir haben der Bundesregierung empfohlen – es war ja damals noch nicht so weit, dass Sie das beschließen konnten bzw. entscheiden konnten – ({1}) – ja, hören Sie mal ruhig zu! –, ({2}) dass man das, was aus Brüssel kommt, eins zu eins umsetzen soll. ({3}) Und wir haben gesagt: Das ist nicht eine Infragestellung der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik. – Das hat niemand gesagt; kein Verband hat das gefordert, kein Minister. Wir haben gesagt: In dieser schlimmen Situation müssen wir einen Beitrag leisten. – Niemand hat behauptet, dass damit die Lösung für alle Probleme da ist, aber es ist ein kleiner Bestandteil vieler Bausteine, die wir brauchen, um hier Lösungen zu finden. Vielleicht mal zum Abstimmungsergebnis: Wir haben darüber abgestimmt. Wir haben keine Einheitlichkeit gefunden. Die Agrarminister von CDU, CSU, SPD, FDP und der Linkspartei haben sich dafür ausgesprochen, Brüssel eins zu eins umzusetzen. ({4}) Dagegen haben sich die Agrarminister aus Hamburg, Bremen, Berlin, Schleswig-Holstein, Brandenburg und Sachsen ausgesprochen. Sie wissen: Das ist alles in Verantwortung der Grünenpartei. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Das hat uns schon sehr geschockt, aber das ist ein Ergebnis, das wir akzeptieren mussten, genauso im Übrigen wie das Ergebnis im Bundesrat. Dort wurde ja auch entsprechend darüber diskutiert und abgestimmt, ({5}) im Agrarausschuss etwas anders als im Umweltausschuss. Fakt ist: Wir müssen hier handeln. Ich fand das eben ganz spannend. Ich habe ja schon in der Fragestunde zugehört, als die Parlamentarische Staatssekretärin gesagt hat: Agrarflächen sind begrenzt und sollten zur Nahrungsmittelversorgung dienen. – Das ist doch genau das Thema; genau das wollen wir. ({6}) Ich habe mir natürlich, weil ich ein absolut überzeugter Europäer bin, angeschaut, was die anderen Staaten gemacht haben, die betroffen sind, beispielsweise Österreich, wo die Grünen mitregieren. Die betroffenen Staaten haben das alle entsprechend umgesetzt. Wer hat am Ende versagt? Deutschland hat versagt. Ich glaube, man muss es vielleicht konkretisieren: Herr Özdemir, an dieser Stelle haben Sie versagt. Da hätten Sie anders handeln müssen. ({7}) Ich vernehme ja zuweilen auch die Zahlen, die genannt werden – da wird gesagt: das hilft doch alles nichts –: 0,8 Millionen Tonnen. Mal ins Verhältnis gesetzt: Das sind 800 000 Tonnen. Wenn man sich mal so einen 40‑Tonner Getreide vorstellt – der hat ja nicht 40 Tonnen drauf, der hat 25 oder 26 Tonnen drauf –, dann sind das rund 30 000 Lkws allein in diesem Jahr, die wir gehabt hätten – 30 000 Lkws! Da kann man doch nicht sagen: Das ist nichts. ({8}) Ich weiß nicht, ob es mir erlaubt ist, aber ich habe es zumindest auch zur Kenntnis genommen: Es gab ja eine Anfrage der Abgeordneten Heike Brehmer an die Bundesregierung, wie man denn nun mit dieser EU‑Thematik umgeht. Die Antwort kennen viele von Ihnen. Man hat geantwortet: Wir haben eine Frist gehabt, die ist abgelaufen; deshalb wird man in diesem Jahr nichts machen. – Also, wenn man so miteinander umgeht: schwierig. Das ist die Vergangenheit. Jetzt reden wir über die Zukunft. Jetzt reden wir über 2023. Jetzt sage ich Ihnen mal, was mir viele Bauern sagen. Die Bauern sagen: Lieber Herr Schulze, Sie sind Vorsitzender der Agrarministerkonferenz, bitte helfen Sie mit, dazu beizutragen, zum einen, dass wir als Bauern auch einen Beitrag leisten können, zum Zweiten, dass wir nicht in die Ecke gestellt werden, als ob wir hier alles aufheben wollen. Wir wollen für ein Jahr, 2022, und für 2023, für das zweite Jahr, helfen; wir wollen hier was machen. – Wir brauchen aber jetzt auch eine klare Ansage, zum einen aus der Europäischen Union – da ist die Bundesregierung gefordert, mit der EU entsprechend zu reden und zu verhandeln, was wir 2023 machen –, weil die Bauern wissen müssen, ob sie nach dieser Ernte den Boden bearbeiten können oder nicht; zum anderen erwarten wir, Herr Özdemir, bitte auch eine klare Aussage, wie Sie sich für das Jahr 2023 verhalten werden, für den Fall, dass die EU auch im Jahr 2023 die 4 Prozent Ackerfläche zur Verfügung stellt. Da brauchen wir jetzt schnell eine klare Aussage. Ich sage Ihnen: Die Agrarministerkonferenz ist jederzeit bereit, mit Ihnen auch kurzfristig in diesem Format ins Gespräch zu kommen. Ich biete Ihnen das an. ({9}) Es ist für uns alle, die in der Politik tätig sind, überhaupt kein Problem, stundenlang, nächtelang zu verhandeln. Wir können uns streiten, wir können diskutieren; aber wir haben zwei Ebenen, die jetzt schnelle Lösungen brauchen. Das eine sind unsere Bauern in Deutschland. Sie brauchen jetzt eine Aussage. Und das Zweite sind die Menschen auf dieser Welt, speziell in Afrika. Was wird denn passieren? Wir Europäer können es uns leisten, wenn Ende des Jahres das Getreide knapp wird, es aufzukaufen. ({10}) Das ist so; damit müssen Sie sich auch auseinandersetzen. Das können wir uns leisten. Die Afrikaner werden sich das nicht leisten können. Und dann ist die Frage, wer das zu verantworten hat. ({11}) Ich möchte es nicht verantworten. ({12}) Ich möchte es nicht verantworten; deshalb haben wir entsprechende Vorschläge gemacht. ({13}) Herr Özdemir, wir treffen uns im Herbst in Sachsen-Anhalt. Sachsen-Anhalt hat die besten Böden Deutschlands, 100er Böden. Dort kommt die Bodenwertzahl her – für diejenigen, die es interessiert. Wir treffen uns in Quedlinburg. Es wäre doch eine tolle Sache, Herr Özdemir, wenn Sie mit der Bundesregierung gemeinsam mit den entsprechenden Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag und mit der Agrarministerkonferenz eine vernünftige Lösung suchen. ({14}) In dieser Konfliktlage der letzten Monate hat dieses Haus doch gezeigt, dass man bei anderen Themen auch parteiübergreifend vernünftige Lösungen gesucht und gefunden hat. Wir bieten Ihnen das als Agrarminister an. ({15}) Ich bitte Sie darum, dieses Thema wirklich entsprechend ernst zu nehmen. Das, was Sie gestern Abend vorgeschlagen haben, ist ein erster kleiner Baustein. Das ist aber noch lange nicht alles, was wir brauchen. Vielen Dank. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Peggy Schierenbeck für die SPD-Fraktion. ({0})

Peggy Schierenbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005206, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Apfel zu reif, die Gurke zu krumm und die Tomate zu klein: Es muss nicht immer perfekt sein, und es muss auch nicht in die Tonne. Unser Ziel ist ganz klar: Wir müssen Hunger weltweit und aktuell auch in der Ukraine vermeiden. Dazu gehört, darüber nachzudenken, welchen Beitrag wir leisten können. Wir dürfen uns nicht unserer Verantwortung entziehen. Deshalb sollten wir jetzt noch viel intensiver als bisher die Lebensmittverschwendung in den Blick nehmen. Denn dass das gesamte Lebensmittelangebot stets zu günstigsten Preisen zur Verfügung steht, ist keine Selbstverständlichkeit; das dürfte jetzt allen klar sein. Wir brauchen mehr Wertschätzung für Lebensmittel und einen achtsamen Umgang mit ihnen. Zugleich müssen wir dafür sorgen, dass Ernährung kein Luxusgut wird. ({0}) So können wir effektiv zur Ernährungssicherheit beitragen. Wussten Sie, dass in Deutschland rund 12 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle im Jahr entstehen? Davon wäre die Hälfte grundsätzlich vermeidbar. Dieser Zustand ist nicht vertretbar. Wir wollen Lebensmittelverschwendung auf allen Ebenen bekämpfen, das heißt vom Acker bis zum Teller; denn viele der produzierten Lebensmittel schaffen es erst gar nicht in den Handel. Die Gründe sind vielfältig: falsche Erntezeit – wir haben gerade gehört: die Ernten verbrennen auf den Feldern –, schlechte Lagerung, schlechter Transport oder auch, weil sie nicht der Norm entsprechen, zu krumm, zu reif oder zu klein. Lebensmittel, die nie in unseren Mägen landen, verursachen einen unnötigen Verbrauch von Ressourcen wie Landflächen, Wasser, Energie und Dünger. Dabei stoßen wir viele vermeidbare Emissionen aus. Der Kampf gegen Lebensmittelverschwendung hilft also auch gegen den Klimawandel. Auch ethisch gesehen ist Lebensmittelverschwendung angesichts von weltweit mehr als 800 Millionen hungernden Menschen nicht akzeptabel. Genau hier wollen wir ansetzen und dieser enormen Verschwendung einen Riegel vorschieben. ({1}) Es geht vor allem darum, Lebensmittelabfälle entlang der gesamten Versorgungskette zu vermeiden. ({2}) Denn es besteht ein enormes Einsparungspotenzial an Lebensmitteln, die woanders dringend gebraucht werden. Es gibt bereits viele Ansätze, wie Lebensmittel genutzt und verteilt werden können. Die Tafeln leisten hier eine wertvolle Arbeit, stoßen aber auch an ihre Grenzen. Durch die steigenden Lebensmittelpreise gibt es auf der einen Seite immer mehr Bedürftige, und auf der anderen Seite bekommen die Tafeln immer weniger Lebensmittelspenden. Außerdem wollen wir die Wertschätzung für Lebensmittel insgesamt stärken. Auch das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der jeder und jede gefragt ist, der Groß- und Einzelhandel genauso wie die Gastronomie und private Haushalte. Beginnen wir doch bei unserem Kühlschrank! Wir alle sehen, dass die aktuelle Entwicklung auch zu steigenden Lebensmittelpreisen führt. Bei all dem sollten wir im Blick haben: Lebensmittel dürfen nicht so teuer werden, dass sie sich niemand mehr leisten kann. Essen darf kein Luxusgut werden, vor allem im Hinblick auf gesunde und nachhaltige Ernährung. ({3}) Unser Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, hat sich dafür ausgesprochen, gesunde Grundnahrungsmittel wie Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte von der Mehrwertsteuer zu befreien. Damit unterstützt er Forderungen von Medizinerinnen und Medizinern, Sozial- und Verbraucherverbänden. ({4}) Wichtig ist mir vor allem: Eine gesunde Ernährung darf keine Frage des Geldbeutels sein. Mit unserer umfassenden Ernährungsstrategie wollen wir sicherstellen, dass eine gesunde Ernährung für alle möglich ist. Wir müssen trotz der jetzigen Herausforderungen die Weichen für die Ernährung der Zukunft stellen. Dazu müssen wir unter anderem eine pflanzenbasierte Ernährung stärker fördern. Derzeit wird in Deutschland über die Hälfte der Agrarflächen für den Anbau von Tierfutter verwendet. Langfristig müssen wir Ressourcen einsparen, Tierbestände reduzieren und pflanzliche Alternativen stärken. ({5}) Die aktuellen Krisen zeigen: Gerade jetzt müssen wir unser Nahrungsmittelsystem und unsere Ernährung in den Fokus rücken. Für uns ist klar: Wir müssen gesunde Ernährung fördern, Lebensmittelverschwendung vermeiden und Hunger bekämpfen. Dafür brauchen wir eine Ernährungswende – jetzt. Danke. ({6})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Einen schönen guten Tag von meiner Seite, liebe Kolleginnen und Kollegen! – Wir fahren in der Aktuellen Stunde fort. Der nächste Redner ist Dr. Jan-Niclas Gesenhues, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Jan Niclas Gesenhues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Unionsfraktion, ehrlich gesagt, habe ich auf den Antrag auf diese Aktuelle Stunde schon gewartet, ({0}) weil ich mir schon gedacht habe, dass Sie der Versuchung nicht widerstehen können, diese populistische Forderung hier ins Plenum zu tragen. ({1}) Der andere Grund, weswegen ich eigentlich schon darauf gewartet habe, dass Sie diesen Tagesordnungspunkt aufsetzen, ist, dass mir das mal die Gelegenheit gibt, Ihnen aufzuzeigen: Ihre Rechnung geht schlicht und einfach nicht auf, weil Sie letztendlich eine Maßnahme ohne wirklich signifikante Wirkung für globale Ernährungssicherheit vorschlagen; das sagt Ihnen übrigens auch das Welternährungsprogramm. Es ist angesprochen worden: Wir haben in erster Linie ein Verteilungsproblem. ({2}) Sie schlagen diese Maßnahme ohne echte Wirkung unter Inkaufnahme starker Naturzerstörung vor, meine Damen und Herren. Deswegen ist das schlicht und einfach untauglich, was Sie hier vorschlagen. ({3}) Ich will auch mal in aller Deutlichkeit sagen: Wenn Sie in dieser Lage diese Ernährungskrise instrumentalisieren, um den Schutz von Natur und Umwelt zurückzudrehen, ({4}) dann werden Sie auf Dauer beides verlieren. Es ist gefährlich, wie Sie hier handeln, weil Sie damit auf Dauer Ernährungssicherheit und die intakte Natur verlieren werden. Das ist keine seriöse Politik. ({5}) Denn das hängt ganz eng zusammen. Es sind doch die intakten Ökosysteme, die unsere Böden fruchtbar halten, die das Wasser sauber und verfügbar halten und die die Bestäubung sicherstellen. Diese Ökosystemleistungen können Sie auch technisch nicht ersetzen. Ich will das wiederholen: Diese wertvollen Ökosystemleistungen sind technisch nicht ersetzbar. Und deswegen ist es so wichtig, dass wir Klima- und Biodiversität schützen. ({6}) Deswegen stärken wir den Klima- und Artenschutz: weil das eben ernährungsrelevant und auch sicherheitsrelevant ist. ({7}) Schon heute sehen wir die Folgen der kurzsichtigen Landwirtschaftspolitik der letzten Jahre: Millionen Menschen sind durch die ökologische Krise und Hunger ganz konkret bedroht. Wir haben Hunderttausende Klimaflüchtlinge, kollabierende Ökosysteme. Und in dieser Situation geben wir 60 Prozent der Ernte in die Fleischerzeugung. Das ist doch absurd, meine Damen und Herren! Das kann doch nicht angehen! ({8}) Dazu kommt das, was in den Tank geht. Ihre Reden heute stehen in der Tradition dieser fatalen und global ungerechten Landwirtschaftspolitik, meine Damen und Herren von der CDU/CSU. Was wir stattdessen, statt solcher ideologischen Symbolanträge, jetzt wirklich brauchen, ist akute Nothilfe – das hat der Minister vorhin angedeutet –, indem wir beispielsweise mehr Flächen freigeben, die für die Futtermittelerzeugung genutzt werden, indem wir aber vor allem mehr Mittel für die Welternährung bereitstellen, jetzt ganz konkret zum Beispiel über den Ergänzungshaushalt, ({9}) und indem wir dieses Problem nicht nur kurzfristig angehen, sondern indem wir vor allem Ernährungssouveränität auch auf Dauer absichern. Da spielt zum Beispiel die Entwicklungszusammenarbeit eine ganz wichtige Rolle. Wir brauchen eine starke, eine wirkungsvolle Entwicklungszusammenarbeit, um die Wertschöpfung vor Ort zu stärken. Es war ganz viel von Afrika insgesamt die Rede. Das kann man doch nicht verallgemeinern; das ist sehr differenziert zu betrachten. Aber was wichtig ist, ist, dass wir die Ernährungssouveränität weltweit stärken, und da spielt Entwicklungszusammenarbeit eine ganz, ganz starke Rolle. ({10}) Nothilfe könnten wir auch leisten, indem wir den globalen Schutz der Lebensgrundlagen sicherstellen. Auch das ist ernährungs- und sicherheitsrelevant; ich habe es angesprochen. Aber damit müssen wir dann auch konkret hier bei uns anfangen, und genau das ist das, was der Landwirtschaftsminister hier vorgeschlagen hat. ({11}) Lassen Sie mich abschließend noch eine ganz grundsätzliche Anmerkung machen. Wir sind nach wie vor in der Situation: Die Ukraine wird angegriffen, übrigens auch gerade die Bäuerinnen und Bauern in der Ukraine; auch die sind gezielt Angriffen ausgesetzt. Dass sie in dieser Situation trotzdem alles tun, um Nahrungsmittel anzubauen, und auch versuchen, diese zu exportieren, dafür gebührt ihnen unser größter Respekt und Dank, meine Damen und Herren. ({12}) In so einer Situation ist solch ein Antrag schlicht und einfach unangemessen. Ich will an Sie appellieren: Überlegen Sie wirklich noch mal, ob „Zeitenwende“ nicht auch bedeutet, alte Glaubenssätze mal infrage zu stellen. ({13}) Es wäre ein Anfang, wenn Sie Ihre nachgewiesenermaßen schädlichen Glaubenssätze in der Landwirtschaftspolitik infrage stellen würden.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Jan Niclas Gesenhues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Tun Sie es nicht für mich. Tun Sie es im Interesse von mehr globaler Gerechtigkeit! Vielen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Dr. Gero Hocker, FDP-Fraktion, ist der nächste Redner. ({0})

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich nehme wahr, dass die landwirtschaftlichen und landwirtschaftspolitischen Debatten in dieser Legislaturperiode mit einem anderen Zungenschlag geführt werden, als das in der letzten Legislaturperiode der Fall gewesen ist. ({0}) Als ehemaliger Oppositionsabgeordneter erinnere ich mich sehr gut daran, dass wir die damalige Bundesregierung immer wieder ermahnen mussten, keine nationalen Alleingänge zu beschreiten, und dass wir immer wieder darum gekämpft haben – nicht immer erfolgreich –, Sie zurückzuholen auf die Grundlage von Wissenschaftlichkeit und Fachlichkeit, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Da fällt es schon auf, dass die Diskussionen in dieser Legislaturperiode sehr viel mehr geprägt sind von Wertschätzung für Landwirtschaft, für Lebensmittelproduktion, davon, welchen Preis ein Landwirt am Markt eigentlich bekommen muss, um seine Kosten decken zu können, und viele andere Dinge mehr. Natürlich ist dieser neue Zungenschlag auch begründet durch den fürchterlichen Krieg in der Ukraine. Aber ich sage Ihnen ganz ausdrücklich: Ein Grund dafür ist auch der Umstand, dass diese Bundesregierung von drei Partnern getragen wird, wovon mindestens einer immer dann den Finger mahnend erhebt, wenn die Gefahr besteht, dass man sich auf nationale Alleingänge macht und die Fehler der letzten 16 Jahre wiederholt und fortschreibt, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Ich wiederhole hier im Deutschen Bundestag sehr gerne, was ich an anderer Stelle in den letzten Tagen und Wochen immer wieder gesagt habe: Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Zeiten, wo in Europa ein Krieg herrscht, wo relevante Volumina an den Weltmärkten wegbrechen, erscheint es mir ehrlicherweise völlig aus der Zeit gefallen, wenn man an dem, was die letzte Bundesregierung seinerzeit mal verhandelt hat, einfach festhalten will und diese Vereinbarungen von früher nicht noch mal auf den Prüfstand stellt und hinterfragt. Deswegen sage ich Ihnen ganz ausdrücklich: Natürlich müssen wir neu denken, und natürlich dürfen wir nicht 4 Prozent landwirtschaftliche Flächen stilllegen. ({3}) Aber das konnten Sie seinerzeit noch nicht wissen, als Sie das mitverhandelt haben. Ehrlicherweise muss ich sagen: Es ist auch mir schleierhaft, wie man in Friedenszeiten eine solche Absicht überhaupt formulieren kann. Denn, meine Damen und Herren, wir kämpfen gegen den Klimawandel. Wir sehen, wie viel Flächen uns für landwirtschaftliche Nutzung verloren gingen durch Verwüstungen und durch Versteppung. ({4}) Wir wissen, dass die Bevölkerungszahlen immer größer werden. Wir versiegeln Flächen. Und da, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es auch in Friedens- und nicht nur in Kriegszeiten falsch, krampfhaft Flächen aus der Produktion zu nehmen. Es würde mich interessieren – lieber Kollege Stegemann, wenn du das vielleicht erklären könntest, wenn du gleich deine Rede hältst –, ({5}) wie man schon damals überhaupt auf diese Idee hat kommen können. Was im Krieg absurd anmutet, ist in Friedenszeiten nicht richtig gewesen, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Deswegen will ich mich an dieser Stelle ganz ausdrücklich an die Kolleginnen und Kollegen der Union richten, die diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Sie bemühen mit Ihrem Erbe der 4 Prozent ein Narrativ, ({7}) das Sie eigentlich bei anderen – zu Recht – regelmäßig kritisieren, nämlich das Narrativ, dass die landwirtschaftliche Nutzung von Flächen im Konflikt stünde zu Nachhaltigkeit und zu Biodiversität. Ich sage Ihnen ganz ausdrücklich: Diese Erzählung gehört irgendwo ins letzte Jahrtausend, aber nicht mehr ins Jahr 2022. ({8}) Mit modernster Technologie sind wir in der Lage, eine Symbiose von Ökonomie und Ökologie gerade in der Landwirtschaft hinzubekommen. Ich lade Sie gerne mal nach Niedersachsen ein. Machen Sie sich mal ein Bild davon, wie intensiv und biodivers ein Rapsfeld ist, das jetzt gerade blüht. Es ist für Insekten eine wunderbare Lebensgrundlage und stellt für Vögel eine Nahrungsgrundlage dar. ({9}) Aber weiterhin das Narrativ zu bemühen – zu glauben, dass es zwei verschiedene Pole wären und man sich für einen entscheiden müsste –, das ist komplett falsch. Es ist allerhöchste Zeit, dass Sie von der Union anerkennen, dass Ökologie und Ökonomie in der Landwirtschaft zwei Seiten derselben Medaille und keine Gegensätze sind. ({10}) Herzlichen Dank. ({11})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort Albert Stegemann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Albert Stegemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004415, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Vor wenigen Tagen titelte ein Blatt: „Agrarminister Özdemir einer der drei beliebtesten Politiker“. Dazu erst mal herzlichen Glückwunsch! Doch wie kommt man zu dieser Ehre? Immer schön im Allgemeinen bleiben, nichts konkretisieren, immer schön Verständnis für die Landwirte äußern, aber auch hier ja nicht konkret werden. Und: Bei einer Ernährungs- und Versorgungskrise in Europa und Deutschland – ebenfalls Fehlanzeige. Sorry, Herr Minister, Ihre Beliebtheit stellt leider kein Zeugnis für Ihre Handlungsfähigkeit dar. ({0}) Sie sind und bleiben Ankündigungsminister! ({1}) Nun aber ganz konkret zum Thema. Wir reden heute über die 4 Prozent Flächenstilllegung, die ab dem nächsten Jahr geplant sind. Wir als Union fordern ganz klar, diese Stilllegung auszusetzen. ({2}) Sie als Ampel wollen jedoch auf die nachhaltige Wirkung dieser Maßnahme nicht verzichten. Das ist der politische Spannungsbogen. Die Idee, 4 Prozent der Fläche aus der landwirtschaftlichen Produktion zu nehmen, stammt aus der Zeit einer guten Versorgungslage. Durch den schrecklichen Angriff Putins auf die Ukraine hat sich die Lage jedoch völlig verändert. Wir brauchen diese Flächen dringend, um die Lebensmittelversorgung in Europa und Deutschland zu sichern. ({3}) Nun argumentieren Sie, dass Sie eine Krise nicht gegen eine andere Krise ausspielen wollen. Okay! Aber wie tragfähig ist diese Argumentation denn überhaupt? Sie sprechen hier immer wieder vom Klimaschutz, und Sie sprechen auch immer wieder die Artenvielfalt an. Daran ist uns als Union im Übrigen genauso gelegen; das will ich hier einmal vorwegnehmen. ({4}) Schauen wir uns die Sache mal konkret an. Was für eine klimarelevante Bedeutung hat denn die Schwarzbrache? Es geht um die Schwarzbrache; Sie wollen Flächen brach liegen lassen. Worauf kommt es beim Klimaschutz aber an? Kaum Aufwuchs – das ist bei der Schwarzbrache der Fall – bedeutet auch kaum CO2-Bindung; denn wo keine Pflanzen sind, da kann auch kein CO2 gebunden werden. Also schießen Sie komplett am Ziel vorbei. ({5}) Im Übrigen gilt dasselbe auch für die Insekten und beim Thema Artenvielfalt. Wo Sie keine Pflanzen haben, haben Sie eben auch keine Insekten. ({6}) Also: Bei Licht betrachtet ist auch das hier ein Trugschluss. Für Insekten ist eine unbewirtschaftete Fläche in etwa genauso langweilig ({7}) wie ein Kaleidoskop für einen Blinden. ({8}) Liebe Ampel, Sie erreichen durch diese fragwürdige Maßnahme der Stilllegung überhaupt nicht Ihr Ziel; stattdessen zünden Sie wieder Nebelkerzen. Dabei, Herr Minister, fing der Tag doch so gut an. Heute Morgen lautete die erste Meldung, die ich wahrgenommen habe: „Özdemir will mehr Weizenanbau ermöglichen – EU-Regeln aufschieben“. Ich habe gedacht: Jawohl, endlich! Er hat es verstanden. – Aber wahr ist mal wieder eins: Überschrift erzeugt, aber nichts erreicht. Ist es wirklich Ihr Ernst, dass das Aufheben der Regelungen zur Fruchtfolge im GLÖZ‑7-Standard tatsächlich etwas bringt? Selbst wenn Sie jetzt etwas mehr Weizen produzieren, steht diese Fläche doch anderen Pflanzen und anderen Produktionsrichtungen überhaupt nicht mehr zur Verfügung. ({9}) Das ist eine Nebelkerze. Das ist wirklich Schaufensterpolitik. Das ist typisch Özdemir. Das können wir Ihnen an dieser Stelle einfach nicht durchgehen lassen. ({10}) Dann komm ich noch zu Ihnen, Frau Künast. Sie können es ja auch nicht lassen, immer wieder zu betonen, dass die 4 Prozent im Grunde genommen gar keinen Beitrag leisten würden und könnten, um dieser Krise etwas zu entgegenzusetzen. ({11}) Ich sage Ihnen: Wir haben in Deutschland 11 Millionen Hektar Ackerland. Wenn Sie davon 4 Prozent nehmen, dann reden wir hier immerhin über 440 000 Hektar. ({12}) Wenn Sie auf diesen 440 000 Hektar 50 Tonnen Kartoffeln ernten, was nicht ungewöhnlich ist, dann reden wir hier über 22 Millionen Tonnen Nahrungsmittel. ({13}) Bitte nähern Sie sich diesen Realitäten an, und erkennen Sie an, dass das ein relevanter Beitrag ist, um dieser Krise etwas entgegenzusetzen. ({14}) Übrigens kriege ich auch nicht zusammen, Herr Özdemir, was Sie in haushaltspolitischen Debatten immer wieder vorbringen. Aus regionalen Gründen ist es verständlich, dass Sie sich hier auf die schwäbische Hausfrau konzentrieren. Aber die käme nicht auf die Idee, wenn das Portemonnaie leer ist, trotzdem noch mal 4 Euro auszugeben, weil es dann ja nicht mehr darauf ankomme. Daher, glaube ich, ist es sinnvoll, dass Sie sich untereinander noch mal austauschen. In der jetzigen Situation zählt jeder Hektar. Deswegen appelliere ich noch einmal: Werden Sie aktiv! – Sie haben bisher leider nichts auf den Weg gebracht. Sie sind fast ein halbes Jahr im Amt: kein Gesetz, keine Verordnung. Sie haben zwar immer viel Verständnis und halten schöne Reden, aber am Ende kommt nie etwas Konkretes dabei rum. Wir sind in einer ernsten Situation. Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr, und dann unterstützen wir Sie auch dabei. Vielen Dank. ({15})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Susanne Mittag, SPD-Fraktion, ist die nächste Rednerin. ({0})

Susanne Mittag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004355, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Titel dieser Aktuellen Stunde hört sich ja richtig gut an, so logisch und so empathisch. Welchen Hunger meinen Sie eigentlich? Wohl nicht den Hunger in Deutschland und Europa; denn die Versorgung hierzulande ist absehbar gesichert. Das wurde sogar heute im Ausschuss deutlich. Vielmehr geht es um den Hunger dort, wo er am härtesten ist: Das ist in Somalia, im Jemen, im Tschad, im Kongo, in Liberia – um nur einige der am stärksten betroffenen Länder aufzuzählen. Da geht es nicht darum, Hunger zu vermeiden; vielmehr leiden diese Länder schon einige Jahre darunter. Und: Die Welthungerhilfe musste schon im letzten Jahr die Rationen halbieren, weil einige Mitgliedsländer nicht gezahlt hatten. ({0}) – Jetzt mal schön die Nerven bewahren; es geht gleich weiter. In den letzten Jahren waren die Bemühungen im CDU-geführten Landwirtschaftsministerium übersichtlich, den Hunger in den auch durch Klimaveränderungen massiv betroffenen Ländern, besonders in den Subsahara-Staaten, durch Entwicklungen im Bereich der eigenen Landwirtschaft vor Ort zu bekämpfen. Ich kann mich nicht an einen derartigen Antrag erinnern. ({1}) Es wird umgehend unsere Aufgabe sein – hören Sie doch einfach mal zu; Sie wissen doch gar nicht, was ich jetzt sage –, die Möglichkeiten der Eigenversorgung mittel- und langfristig zu sichern. Daher ist in dieser von der Union beantragten Aktuellen Stunde wohl eher der zu erwartende Hunger gemeint. Nach Angaben des ukrainischen Agrarministers liegen in der Ukraine 20 Millionen Tonnen Weizen für den Export auf Lager – 20 Millionen. Nur zum Vergleich: Die von Ihnen geforderte zusätzliche Flächenbewirtschaftung ergäbe – das wurde schon erwähnt – allenfalls 0,8 Tonnen, ({2}) wenn es gut läuft, wenn wir einen ordentlichen Sommer haben. Trotz des Krieges werden 75 Prozent der Ackerfläche bestellt. Natürlich bleibt die Frage, was am Ende herauskommt; aber die gleiche Frage können wir uns auch in Deutschland stellen. Hier liegt also ganz klar ein Transportproblem vor: durch verminte Häfen, defekte Gleise und fehlende Lademöglichkeiten. Um das zu regeln, besteht ein enger Austausch zwischen deutschen und ukrainischen Ministern, zwischen Landwirtschaftsministern, auch Verkehrsministern, damit die Lager geleert werden können für die nächste Ernte, die ja schon ansteht. ({3}) Ein europäischer Aktionsplan wird gerade erstellt, er wird nächste Woche dem Ausschuss vorgelegt, und die G‑7-Agrarministerkonferenz tagt, wie erwähnt worden ist, am Wochenende. Also, es ist nicht so, dass nichts passiert. Das nur mal zum Vorredner. Bei Weizen wird genauso auf Krise, Not und einen eventuellen Mangel spekuliert wie bei Dünger, Sonnenblumenöl, Benzin und Diesel – um nur einige Produkte zu nennen. Angesichts niedriger Zinsen haben Spekulanten seit einigen Jahren Agrarrohstofffonds für sich entdeckt und die Preisspiralen nach oben gedreht. Es ist halt attraktiver, überschüssige Getreidemengen zurückzuhalten, anstatt sie auf den Markt zu bringen und Missernten und Krieg auszunutzen. ({4}) Seit 2018 steigen kontinuierlich die Anbaumengen für Weizen weltweit, und das wird auch für 2022 erwartet: über 220 Millionen Tonnen. Die Düngerindustrie und der Getreidehandel melden weltweit Rekordgewinne – jetzt. ({5}) Das Problem sind die hohen Preise und nicht der Mangel. Darum ist kurzfristig die Unterstützung globaler Ernährungsprogramme wichtig. Es ist schon gesagt worden: Deutschland steuert 430 Millionen Euro dazu bei. Bei den Brachflächen, die schon im Ausschuss, in der Öffentlichkeit und hier von der CDU/CSU als unbedingt zu bewirtschaften deklariert wurden, frage ich mich manchmal, ob Sie hier Folgendes bedacht haben: dass diese Flächen nicht gerade hochwertig sind – das haben wir ja schon gehört –, dass die Flächen natürlich auch gedüngt werden müssen – Dünger und Diesel sind ja ebenfalls preislich gestiegen –, dass es seit Wochen nicht geregnet hat, dass in der Landwirtschaft jetzt schon eine grundsätzliche Wasserproblematik besteht und dass wir nicht wissen, was uns unser Sommer diesmal klimatisch beschert. Ein weiterer Aspekt, den man vielleicht bedenken sollte: Das Vertragsverletzungsverfahren hinsichtlich der Ausweisung roter Gebiete hat auch etwas mit Dünger zu tun. Wir brauchen bis zum Sommer eine einvernehmliche Regelung mit der EU, und es ist noch nicht klar, ob und welche Auswirkungen die Ausweitung der gedüngten Anbauflächen unter Umständen haben könnte; das ist zufälligerweise noch gar nicht erwähnt worden. Und schließlich – ein nicht ganz unwesentlicher Punkt –: Wir haben die von Ihnen kritisierten Maßnahmen hier überhaupt nicht beschlossen. Der von Ihnen kritisierten Regelung zu Brachflächen, ökologischen Vorrangflächen, haben die Agrarminister der Länder zugestimmt – auch wenn das offensichtlich schwierig war; zugestimmt ist zugestimmt –, und die GAP wurde von Ihrer früheren Landwirtschaftsministerin entworfen und ebenfalls im Bundesrat beschlossen. ({6}) Da ist die CDU wohl mehrfach vertreten, und das wissen Sie. Und trotzdem stellen Sie immer wieder diese Anträge, und die wiederholen sich immer. Oder Sie wissen es eben nicht.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Susanne Mittag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004355, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Insofern ist es nicht so, dass seitens der Bundesregierung keine Maßnahmen ergriffen werden; die 180 Millionen Euro sind erwähnt worden. Fehlendes wird mit Sicherheit auch noch geregelt.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Mittag, bitte, jetzt letzter Satz.

Susanne Mittag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004355, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Also, insofern sind wir gar nicht so schlecht unterwegs. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort Artur Auernhammer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Artur Auernhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003706, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Geschätzte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei Teilen dieser Reden habe ich fast den Eindruck: Viele haben noch nicht kapiert, was am 24. Februar passiert ist. ({0}) Es war Ihr Parteifreund und Bundeskanzler, der von einer „Zeitenwende“ gesprochen hat – einer Zeitwende, die seit dem 24. Februar stattfindet. Es sind doch die Grünen und diese Ampelkoalition, die hier die alten Sprechzettel herausholen. Wir haben doch die Verantwortung, jetzt zu liefern, die Bevölkerung jetzt mit Nahrungsmitteln zu versorgen. ({1}) Seit dem 24. Februar erleben wir in der Ukraine nicht nur barbarische Menschenrechtsverletzungen und Angriffe auf Menschen, sondern auch Angriffe auf die Infrastruktur der Lebensmittelversorgung. Häfen werden bombardiert, Getreidelager werden von den Russen geplündert; der Minister hat es schon erwähnt. Wir reden jetzt auch nicht von der aktuellen Ernte; wir reden von der zukünftigen Ernte. Nur zur Information: Auch auf europäischem Boden kann man nur einmal säen und einmal ernten. Wenn wir es nicht schaffen, mit der zukünftigen Ernte ausreichend Nahrungsmittel zur Verfügung zu stellen, dann befinden wir uns am Vorabend einer humanitären Katastrophe. Afrika ist auf Getreide aus der Ukraine angewiesen; Kenia zum Beispiel bezieht 80 Prozent seines Weizenimportes aus der Ukraine. Wenn diese Lieferungen nicht mehr stattfinden, dann befinden wir uns heute am Vorabend einer humanitären Katstrophe. Deshalb gilt es, zu handeln, und deshalb gilt es, auch die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. ({2}) Ich bin dankbar, dass diese Bundesregierung und auch wir hier in diesem Parlament Verantwortung übernehmen. Ich denke an so manche Äußerungen, manche Entscheidungen, die eine Annalena Baerbock oder ein Robert Habeck treffen. Sie haben die Zeitenwende registriert. Wir können nicht warten, bis wir Panzer mit Elektroantrieb durch Ökostrom haben; wir müssen jetzt liefern. Aber auch in der Agrarpolitik müssen wir jetzt liefern. Über die ökologischen Vorrangflächen können wir jetzt noch lange streiten. Aber der Niedergang der Vegetation schreitet voran. Die Ernte kommt auf uns zu; doch durch Ernteausfälle wird nicht genug vorhanden sein. Wir wissen nicht, was die Russen noch vorhaben. Ich nenne nur das Stichwort „Inbrandsetzung von Weizenfeldern in der Ukraine kurz vor der Ernte“. Auch das steht uns bevor; auch das müssen wir bedenken. Wenn wir über die zukünftige Stilllegung von 4 Prozent der Ackerflächen diskutieren, dann müssen wir das kurzzeitig betrachten. Es ist ja nicht gottgegeben, dass wir die nächsten 15 Jahre auf diese Stilllegung verzichten. Wir müssen situationsabhängig handeln; wir müssen in erster Linie den Hunger auf der Welt bekämpfen. Dazu ist die deutsche Landwirtschaft bereit; dazu sind unsere Bauernfamilien bereit. Es ist den Bauern eine Ehre, Lebensmittel zu produzieren. Dabei müssen wir sie auch unterstützen. ({3}) Ich bin auch dankbar, dass es erste Ansätze gibt; ich denke an die Regeln zur Fruchtfolge, wobei auch da wieder politische Ideologie und landwirtschaftlicher Sachverstand aufeinandertreffen. ({4}) Wenn ich bei mir in der Region zweimal hintereinander Weizen anbaue – und jetzt hören Sie mal gut zu, liebe Grüne –, dann brauche ich mindestens eine Fungizidbehandlung, also mehr Pflanzenschutzmittel, als wenn ich eine gesunde Fruchtfolge einhalte. ({5}) Wenn ich dagegen jahrelang auf der gleichen Fläche Mais anbaue, dann funktioniert es. Das ist landwirtschaftliche Praxis, und da haben Sie anscheinend noch nicht die notwendige Reife. ({6}) Ich wundere mich immer wieder ({7}) in diesem Deutschen Bundestag darüber, wie sich die FDP so verdrehen kann. Was haben wir hier in der letzten Legislaturperiode für schöne Reden von der FDP gehört: von Hocker, Konrad und wie sie alle heißen. ({8}) Was haben Sie für flammende Reden gehalten als Verfechter, als Kämpfer für die deutsche Landwirtschaft. Die Bauern in Schleswig-Holstein haben es letzten Sonntag schon kapiert. Und nächsten Sonntag werden Sie es auch in Nordrhein-Westfalen erleben. ({9}) Ich finde es ja gut, wenn Sie Pressemitteilungen herausgeben, wenn Sie Internetvideos produzieren, wenn Sie entsprechende Reden – auch hier im Deutschen Bundestag – halten; aber Sie sind in Regierungsverantwortung! ({10}) Und deshalb möchte ich Sie auffordern: Liefern Sie auch mit dieser Ampelregierung! Danke schön. ({11})

Annalena Baerbock (Minister:in)

Politiker ID: 11004245

„Wir schlafen nicht, wir haben Angst“, das waren die Worte, die uns, den Kolleginnen und Kollegen, die mich auf der Reise nach Mali begleitet haben, als Allererstes gesagt wurden, als wir bei 45 Grad im Schatten zusammensaßen in Gao, wo wir unsere dort stationierten Soldatinnen und Soldaten im Rahmen von MINUSMA besucht haben. „Wir schlafen nicht, wir haben Angst, weil wir kaum sicher sind, dass wir morgen noch auf den Markt gehen können.“ „Wir schlafen nicht, wir haben Angst, weil unsere Kinder nicht mehr wirklich sicher zur Schule gehen können.“ – Diese Frauen, diese Männer, diese Väter, diese Mütter fürchten sich vor terroristischen Schergen, die in den Dörfern in der dortigen Region Angst und Schrecken verbreiten. Wir haben gemeinsam die Menschen dort vor Ort gefragt: Was braucht ihr als Allerwichtigstes? – Die Antwort kam sofort: Sicherheit! Sicherheit! Sicherheit! – Und genau darum geht es bei diesem MINUSMA-Mandat. Es geht auch um unsere eigene Sicherheit, weil wir nicht wollen, dass im Sahel Rückzugsräume für international vernetzte Terrororganisationen entstehen, für Organisierte Kriminalität. Denn wir wissen: Wenn sich MINUSMA aus Mali zurückziehen würde, dann würde das Vakuum noch mehr von anderen Kräften gefüllt. Das gilt für islamistische Kämpfer, aber das gilt eben auch für russische Kräfte. Die Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch malische und russische Truppen, die wir in den Zeitungen hier lesen und natürlich auch vor Ort gehört haben, sind furchtbar. Sie zeigen auf ganz deutliche Weise, worum es hier für uns auch geht, nämlich uns gemeinsam mit den Menschen vor Ort diesen Kräften entgegenzustellen, die nichts auf Menschenrechte geben, nichts auf Demokratie und nichts auf eine regelbasierte Ordnung. Auch deswegen – davon bin ich zutiefst überzeugt – müssen wir hier engagiert bleiben, gerade jetzt in diesem Moment, wo Russland seinen grausamen Krieg in der Ukraine führt. ({0}) Wir sagen eben nicht – ja, das ist eine politische Entscheidung –: Wir konzentrieren uns nur noch auf das, was vor unserer eigenen Haustür passiert, was unglaublich wichtig ist, sondern ganz im Gegenteil: Genau in diesem Moment nehmen wir weiter unsere Verantwortung in der Welt wahr. Gerade jetzt! Auch das ist die Botschaft, die wir mit der Unterstützung dieses MINUSMA-Mandats senden. Deutschland ist der größte westliche Truppensteller in Mali. Wir bringen dort Fähigkeiten ein, die andere Beteiligte praktisch nicht ersetzen können: Heron-Drohnen, Transporthubschrauber. Wir sind in Gao Anlehnnation für Belgien, Estland, Irland, Litauen, Luxemburg, die Niederlande, die Schweiz. Das heißt: Die Soldatinnen und Soldaten aus diesen Ländern sind auch auf unseren Schutz und die Unterstützung der Bundeswehr angewiesen. Würden wir uns heute entscheiden, diesem Mandat nicht zuzustimmen, hieße das, dass wir uns eben auch aus dieser Verantwortung gegenüber den anderen zurückziehen. Ich glaube, dann droht ein Dominoeffekt, der die Mission im Ganzen schwer treffen würde, und zwar nicht nur die westlichen Truppensteller, sondern dann auch – das ist ja ein breite UN-Mission – die Truppensteller aus Bangladesch, Sri Lanka, Niger oder dem Senegal. ({1}) Als wir dann gemeinsam weitergereist sind in den Niger, haben wir gesehen, dass das auch Effekte auf dieses Land und seine demokratische Regierung hätte. Es stimmt – das möchte ich hier ganz offen und deutlich sagen; denn von Schönrednerei halte ich nichts, erst recht nicht bei Mandaten –: Die Situation in Mali ist alles andere als einfach. Auch das haben wir gemeinsam, liebe Kolleginnen und Kollegen, die mit dabei waren, dort vor Ort in Bamako erlebt. Ich habe deswegen dem Übergangspräsidenten Goïta und dem Außenminister Diop dieser Putsch-Regierung sehr, sehr deutlich gemacht: Der Übergang zu einer gewählten Regierung darf nicht weiter verschleppt werden. ({2}) Das fordern wir nicht nur von europäischer Seite, sondern gemeinsam mit ECOWAS und dem VN-Sicherheitsrat. Ich möchte hier allerdings ganz deutlich sagen: Diese MINUSMA-Mission sichert nicht die malische Regierung ab. Der Einsatz unterstützt die malische Bevölkerung: Menschen, die auf den Markt gehen wollen, Kinder, die endlich wieder in die Schule wollen. Natürlich wissen wir, dass es für Stabilität mehr braucht als Militär. Diese Mission allein wird nicht für Stabilität sorgen. Aber andersherum gilt eben auch: Ohne ein Mindestmaß an Sicherheit, ohne dieses Mindestmaß an militärischem Schutz wird es eine politische Arbeit gerade auch von der internationalen Gemeinschaft dort kaum weiter geben können. ({3}) Das hieße dann auch, dass unser Engagement im Dialogprozess in den Regionalkommunen vor Ort, gerade auch im medizinischen Bereich, im Klimaschutzbereich, im Menschenrechtsbereich so nicht weitergehen könnte. Daher betrachten wir die Lage so, wie sie ist: kompliziert, komplex. Aber wir stellen uns dieser Herausforderung. ({4}) Die Verteidigungsministerin und ich haben deswegen auch gegenüber dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und unseren Bündnispartnerinnen und Bündnispartnern deutlich gemacht, dass wir, nachdem die französischen Kolleginnen und Kollegen jetzt angekündigt haben, ihre Unterstützungsleistung im Herbst wahrscheinlich zurückzufahren, bis dahin Ersatz für die Kampfhubschrauber brauchen. Wir als deutsche Bundesregierung schlagen in dem Mandat vor, dass wir personell von 1 100 Soldaten auf 1 400 aufstocken und technisch vor allen Dingen den Flughafenbetrieb weiter unterstützen; denn natürlich gilt die Verantwortung für Sicherheit nicht nur den Menschen vor Ort, sondern auch unseren Soldatinnen und Soldaten. Deswegen sagen wir in diesem Mandatstext auch sehr deutlich: Wenn der Schutz für deutsche Soldatinnen und Soldaten nicht mehr ausreichend gewährleistet werden könnte, dann werden wir natürlich unseren Beitrag anpassen und, wenn nötig, auch beenden. ({5}) Ja, diese Mandatsentscheidung ist schwieriger als vor einem Jahr. Ich glaube aber, sie ist auch wichtiger als vor einem Jahr. Wir möchten die deutliche Botschaft setzen: Deutschland zieht sich in der Welt nicht zurück. Trotz und gerade wegen des Krieges in der Ukraine bleiben wir international im Rahmen der Vereinten Nationen engagiert. Wir überlassen die internationale Ordnung nicht denjenigen, die keine menschenrechtlichen und völkerrechtlichen Skrupel haben. Wir zeigen Flagge für die Sicherheit der Menschen in Mali und für unsere gemeinsame internationale Sicherheit. Herzlichen Dank. Ich bitte um Unterstützung dieses Mandates. ({6})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort Jürgen Hardt, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Bundesministerin, ich möchte an dieser Stelle sagen: Wir freuen uns alle, dass Sie heil aus Kiew zurück sind. Sie haben einen guten Besuch gemacht. Es war Zeit, dass die Bundesregierung sich in Kiew hat blicken lassen, und auch wir als Opposition waren stolz auf Ihren Auftritt in Kiew in den letzten Tagen. ({0}) Ich kann Ihnen trotzdem nicht ersparen, festzustellen, dass wir natürlich erhebliche Probleme haben mit dem, was die Bundesregierung uns heute hier zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an MINUSMA in Mali vorlegt. ({1}) Also zunächst einmal hat es das bisher noch nicht gegeben, dass die Bundesregierung den Mitgliedern des Deutschen Bundestages um 13.35 Uhr einen Mandatstext zuleitet, der um 16.30 Uhr, also knapp drei Stunden später, hier beraten werden soll. Wenn Sie Parlamentsbeteiligung wirklich ernst nehmen, dann müssen Sie uns auch die Gelegenheit lassen und die Gelegenheit geben, uns mit den Mandatstexten auseinanderzusetzen, bevor wir hier in eine erste Lesung eintreten. ({2}) Ich weiß, dass der eine oder andere Kollege aus der Regierungsposition jetzt heimlich unterm Tisch Beifall geklatscht hat. Ich finde, wir sollten unbedingt dafür sorgen, dass so etwas nicht wieder passiert, sondern dass wir uns, was die Fristen angeht, doch parlamentarischer verhalten. ({3}) Das Kritische, was vielleicht darauf hindeutet, dass es so verzögert worden ist, ist, dass natürlich auch das Mandat mit heißer Nadel gestrickt ist. Wir wissen seit zwölf Monaten, dass am 31. Mai die beiden Mali-Mandate auslaufen. Wir wissen seit dem 17. Februar, dass die Franzosen im Wesentlichen ihre wichtigen Komponenten, die auch für unseren Einsatz entscheidend sind, abziehen werden. Und dennoch haben wir zu bestimmten Anforderungen an dieses Mandat, obwohl wir uns bisher auf die Franzosen verlassen konnten, keine Antworten gefunden. Auch Sie haben bisher in diesem Mandatstext und in der Begründung keine Antwort gegeben. Es bleibt die Frage offen, wie Luftnahunterstützung für deutsche Soldatinnen und Soldaten im Einsatz und für unsere Partner in Gao bereitgestellt werden kann. Die Flugzeuge unserer Partner in der Hauptstadt Bamako sind zu weit weg. Wir haben keine Helikopter mehr vor Ort. Ich frage die Bundesregierung, was sie unternommen hat, um sicherzustellen, dass diese Komponente ausgefüllt wird. Haben Sie vielleicht auch unkonventionelle Überlegungen angestellt, dass so etwas vielleicht bewaffnete Drohnen, die man zum Beispiel aus Israel leasen könnte, übernehmen könnten? Denn ohne die Luftnahunterstützung ist, wie ich glaube, der Einsatz deutlich gefährlicher, als er es heute ist, und das bereitet uns große Bauchschmerzen. ({4}) Ähnliche Bauchschmerzen haben wir auch im Blick auf die sogenannte Role 2 in der medizinischen Versorgung. Wir haben letztes Jahr einen Angriff auf deutsche Kräfte gehabt mit zahlreichen Verwundeten. Wir mussten uns auf andere abstützen. Das hat dann eine Zusammenarbeit bis hinein in die chinesische Mission gegeben. Auch das ist, wenn die Franzosen sich zurückziehen, nicht mehr in der Form gewährleistet. Auch da hätte man in den letzten Monaten genügend Zeit gehabt, klare Regelungen zu treffen, damit die medizinische Versorgung im Notfall auch in dieser Role 2 bereitgestellt ist. Das ist das Zweite. Das Dritte ist: Der Flughafen muss in jeder Hinsicht operabel bleiben; denn unsere Soldatinnen und Soldaten in Gao sind darauf angewiesen, dass diese Luftbrücke für Versorgungsgüter, vielleicht auch im Notfall für den Abtransport von Verwundeten steht. Wenn das nicht geleistet werden kann, dann ist dieser Einsatz in seiner Substanz gefährdet, und dann haben wir große Bauchschmerzen, dem zuzustimmen. Ich sage, dass die Bundesregierung es in den letzten Monaten versäumt hat, die nötigen Vorbereitungen zu treffen, diese Lücken auszufüllen. Den Hinweis allein auf die UN, die verantwortlich seien, lasse ich nicht gelten. Denn was sind die Vereinten Nationen? Die Vereinten Nationen sind ja nur so stark wie die Partner, die sie gemeinsam bilden. Deutschland will ein starker Partner sein und ist ein starker Partner der UN. Also müssen wir uns im Zweifel diesen Schuh anziehen. Hubschrauber haben wir ja bei der Bundeswehr, vielleicht nicht genügend Kampfhubschrauber, aber solche für andere Zwecke. Also irgendwie eine Lösung zusammenzubringen wird ja wohl, bitte schön, möglich sein. Auch wir glauben ja, dass dieser Einsatz richtig und wichtig ist. Sie haben die richtige Begründung geliefert. Der Begründung schließe ich mich an. Ich möchte nicht, dass Mali zum Hort für Terrorismus wird. Ich möchte auch nicht, dass die Gewährleistung von Sicherheit in Mali allein durch von Russland bezahlte Söldner unter Missachtung von Menschenrechten und Kriegsvölkerrecht wahrgenommen wird. Das müssen die Vereinten Nationen machen. Und wenn die Vereinten Nationen sich nicht auf Deutschland verlassen können, auf wen sollen sie sich denn sonst verlassen? In diesem Sinne werden wir harte Beratungen über dieses Mandat haben, bevor wir als Oppositionsfraktion nächste Woche dann die Entscheidung treffen, ob wir der Verlängerung zustimmen oder nicht. Herzlichen Dank. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die Bundesregierung hat das Wort die Bundesministerin der Verteidigung, Christine Lambrecht. ({0})

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Hardt, Sie haben trotz Zeitnot den Finger genau in die Wunde gelegt. Genau das sind die Fragen, mit denen wir uns beschäftigen müssen, wenn die Franzosen abziehen bzw. jetzt schon vorher. Also das sind die Fragen, die beantwortet werden müssen. Jetzt kann man sagen: Das kann Deutschland alleine machen. ({0}) Das kann Deutschland nicht alleine machen. Aber wir werden unserer Verantwortung gerecht, beispielsweise dadurch, dass wir sagen: Eine Fähigkeit, die fehlen wird, wenn Frankreich abzieht, ist die medizinische Versorgung. Hier sehen wir uns sehr wohl in der Lage, das zu gewährleisten, diesen Role‑2-Standard aufrechtzuerhalten. Es ist ganz wichtig, dass sich die Soldatinnen und Soldaten darauf verlassen können, dass dann, wenn es zu einer entsprechenden Situation kommt, die bestmögliche medizinische Versorgung gewährleistet ist. Das sehen wir. Deswegen haben wir auch die Obergrenze in Bezug auf die Personalmöglichkeiten für Soldatinnen und Soldaten angehoben, weil wir das mitgedacht haben. Sie haben den Finger genau in die Wunde gelegt, wo es sehr problematisch werden wird; denn es ist ein Mandat, bei dem wirklich große Erwartungen an unsere Soldatinnen und Soldaten gestellt werden, die dort eine hervorragende Arbeit machen in Bezug auf die Aufklärung mit Drohnen, aber auch in Bezug auf Aufklärung vor Ort durch Gespräche. Sie sind dadurch in der Lage, all denjenigen ein entsprechendes Lagebild zu geben, die diesen wichtigen Kampf gegen Extremisten, gegen Terroristen führen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir alles versuchen, damit genau diese Arbeit, diese hervorragende Arbeit weitergeführt werden kann. ({1}) Da kann ich aber nicht sagen: „Das machen wir auf jeden Fall, das muss einfach so weitergehen“, sondern ich als Verteidigungsministerin sehe mich da sehr wohl in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass der bestmögliche Schutz für unsere Soldatinnen und Soldaten dann auch gewährleistet ist. Und wenn die Franzosen abziehen – im Sommer, im Herbst –, dann wird es diese Lücke geben; denn Kampfhubschrauber sind erforderlich, damit diejenigen, die rausfahren, die aufklären, sich auch darauf verlassen können, dass sie bestmöglich geschützt werden. Diese Anforderung haben sowohl die Außenminister als auch ich mehrfach bei den Vereinten Nationen vorgetragen. Wir haben mehrfach deutlich gemacht, dass wir sehr wohl bereit sind, diese Aufgabe fortzuführen, dass aber diese Lücke geschlossen werden muss. Da sind die Vereinten Nationen jetzt auch in der Verantwortung, und da bestehen wir auch darauf. Deswegen ist es auch so im Mandat angelegt. Erst wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, dann können wir auch weiter bleiben. Genau so klar ist es angelegt; denn dieser Schutz ist uns wichtig, und ohne diesen Schutz können wir dort nicht weiterarbeiten. ({2}) Genauso verhält es sich bei der dritten Frage: Wie geht es weiter mit dem Flughafen in Gao, mit dem Brandschutz, der damit verbunden ist? Auch das ist eine Aufgabe, die zu lösen ist. Da kann man nicht einfach immer nur sagen: Ihr Deutsche seid willkommen, ihr Deutsche leistet hervorragende Arbeit. – Ja, das ist so. Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass diejenigen, die diese hervorragende Arbeit leisten, dann auch die entsprechenden Rahmenbedingungen vorfinden. Deswegen ist es in der Verantwortung der Vereinten Nationen, ihr Mandat entsprechend so auszustatten, dass genau diese Voraussetzungen erfüllt sind. ({3}) Ich ziehe mich da keineswegs aus der Verantwortung. Ich habe schon deutlich gemacht: Wir sind bereit, bei der medizinischen Versorgung aufzustocken und diese Verantwortung zu übernehmen. Ich habe auch versucht, mit anderen Ländern zu klären: Welche Möglichkeiten gibt es denn? Hättet ihr Kapazitäten, um diese Lücke zu schließen? Da habe ich aber ganz viel Abwinken erlebt – von verschiedenen Staaten. Ich habe auch großes Verständnis dafür, weil wir momentan natürlich alle militärisch unter großen Herausforderungen arbeiten müssen, weil wir Anforderungen haben aus der NATO, aus anderen Militärbündnissen. Deswegen ist es so wichtig, dass die Vereinten Nationen das koordinieren und abstimmen, um dieses Mandat weiterzuführen. Ich sage ganz klar: Ich finde, dieses Mandat ist wichtig und unser Engagement ist auch wichtig; denn die Menschen leiden. Die Menschen im gesamten Sahel leiden unter den Problemen, die sie da vorfinden. Das ist Gewalt. Das ist Terrorismus. Das ist Extremismus. Es gab zwei Militärputsche in Mali. Es ist eines der ärmsten Länder der Welt. Und die Versorgung, insbesondere mit Lebensmitteln, wird sich jetzt noch einmal verschärfen, auch durch den Ukrainekrieg. Deswegen ist es wichtig, dass wir präsent sind. Das ist auch die klare Aussage dieses Mandates: Wir wollen das weiterführen. Wir wollen weiter dafür sorgen, dass das bisschen Sicherheit, das durch MINUSMA gewährleistet wird, auch in Zukunft da sein kann. Diese ganz klare Botschaft senden wir von hier mit diesem Mandat, genauso aber auch die Botschaft: Macht die Hausaufgaben, sorgt dafür, dass unsere Soldatinnen und Soldaten für diesen hervorragenden Einsatz bestmöglich geschützt sind. Dann werden wir dieses Mandat auch fortführen. – Genau so ist es angelegt, und genau so ist es auch richtig, weil wir den Sahel, weil wir diese Region nicht sich selbst überlassen dürfen, weil wir das bisschen Sicherheit, das über MINUSMA gewährleistet ist, weiterführen müssen. Lassen Sie uns daher alle gemeinsam in der Zeit, die wir noch haben, da, wo die Möglichkeit besteht, auch gegenüber den Vereinten Nationen, deutlich machen: Wir bleiben da. Wir leisten unseren Beitrag. Wir helfen, zur Stabilisierung beizutragen. Aber dann müsst ihr auch dafür sorgen, dass die Voraussetzungen erfüllt sind. Deswegen bitte ich um Unterstützung für dieses Mandat. ({4})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort Joachim Wundrak, AfD-Fraktion. ({0})

Joachim Wundrak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005264, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Werte Ministerin! Bereits bei den Mandatsverlängerungen von MINUSMA 2020 und 2021 haben wir das Scheitern der Bundeswehreinsätze in Mali festgestellt. ({0}) Erst im Februar dieses Jahres haben wir im Rahmen einer Aktuellen Stunde die sofortige Beendigung von MINUSMA und EUTM gefordert. Die zentrale Frage ist doch: Wessen Interessen dient unsere militärische Präsenz im Sahel letztendlich noch? ({1}) Es ist mehr als legitim, zu fragen, ob die Lage in Mali überhaupt noch eine Friedenssicherungsmission zulässt und inwiefern die Anwesenheit internationaler Truppen die Situation für die Menschen dort eher verschlechtert hat. Die Bundesregierung sollte die Erkenntnis Samuel Huntingtons akzeptieren, dass ein militärisches Engagement in einem kulturell fremden Land langfristig wohl zum Scheitern verurteilt ist. ({2}) Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich intervenierte auf Bitten der malischen Regierung und mit Billigung des UN-Sicherheitsrates im Jahr 2013 und stoppte mit der Operation Serval den Angriff der Dschihadisten auf den Süden Malis. Die französisch geführte Nachfolgeoperation Barkhane hat dann ab 2014 den Kampf gegen den Terrorismus im gesamten Sahel geführt. MINUSMA als UN-Friedensmission in Mali soll dagegen stabilisierend auf Staat und Armee wirken und die Bevölkerung vor Übergriffen schützen. Terrorbekämpfung ist nicht Mandatsinhalt von MINUSMA. Die deutsche Beteiligung an MINUSMA beschränkte sich anfangs auf Lufttransport und Luftbetankung mit maximal 150 Soldaten und war in erster Linie wohl der deutsch-französischen Freundschaft geschuldet. Ab 2016 wurden auch bodengebundene Kräfte eingesetzt und der Mandatsrahmen auf 650 Soldaten erhöht. Der bekannte Effekt des „mission creep“, also der schleichenden Auftragsausweitung, führte nun Jahr für Jahr zur Erweiterung der eingesetzten Fähigkeiten und zur Erhöhung des deutschen Beitrags auf derzeit, wie gehört, bereits 1 100 Soldaten. Diese Friedensmission MINUSMA, eine sogenannte robuste Mission unter Kapitel VII der UN-Charta, ist inzwischen eine der verlustreichsten UN-Missionen seit dem Koreakrieg. Mehr als 260 Soldaten der internationalen Truppe sind bisher gefallen, ein Mehrfaches zum Teil schwer verletzt. Die Zahl der seit Beginn der Operation in Mali getöteten Zivilisten soll bereits die 8 000er-Marke überschritten haben; allein im Jahr 2020 waren es mehr als 1 000. Die Stiftung Wissenschaft und Politik beschreibt den Einsatz der Bundeswehr deshalb als wirkungslos – auch weil sich die deutschen Soldaten militärisch zurückhielten. ({3}) Ich dagegen denke, es war und ist richtig und uneingeschränkt zu begrüßen, wenn die deutschen Kommandeure die Risiken für ihre Soldaten minimieren. ({4}) Frankreich und insbesondere der malischen Armee werden dagegen oft ein hartes, zu hartes Vorgehen und auch Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Es wird berichtet, dass malische Sicherheitskräfte für mehr Vergehen an der Zivilbevölkerung verantwortlich sein sollen als die aufständischen Dschihadisten. Das Verhältnis Malis zur ehemaligen Kolonialmacht Frankreich hat sich in den letzten Monaten drastisch verschlechtert und schließlich zur Beendigung der Zusammenarbeit geführt. Frankreich und seine Partner haben daraufhin die Operation Barkhane abgebrochen und werden circa 5 000 Soldaten aus Mali abziehen. Der Prozess läuft. Die Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Bundeswehreinsätze in Mali sind also alles in allem gewachsen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Joachim Wundrak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005264, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Auch die Wehrbeauftragte des Bundestages hat öffentlich die kritische Überprüfung der Einsätze in Mali angemahnt. Hintergrund sind die jüngsten Putsche –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Wundrak, kommen Sie bitte zum Schluss. Ihre Redezeit ist vorbei.

Joachim Wundrak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005264, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– und insbesondere die Zusammenarbeit mit der „Gruppe Wagner“ und anderen russischen Kräften. Die Erfahrungen aus Afghanistan sollten also noch frisch sein. Daher, werte Kollegen, werte Ministerin: Holen wir –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Wundrak, letzter Satz!

Joachim Wundrak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005264, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– unsere Soldaten aus Mali zurück! Beenden wir die deutsche MINUSMA-Beteiligung! Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Dr. Marcus Faber, FDP-Fraktion, hat nun das Wort. ({0})

Dr. Marcus Faber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004712, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Warum sind wir in Mali? Warum entsenden wir demnächst sogar bis zu 1 400 Soldatinnen und Soldaten in die UN-Mission MINUSMA? Und wie gewährleisten wir deren Sicherheit? In Mali und in der gesamten Sahelzone sind islamistische Terrorgruppen wie die IS-Miliz aktiv, die die Stabilität der Region gefährden. Ohne die UN-Mission MINUSMA würde sich die Lage noch deutlich verschlechtern. Sie würde auch auf andere Länder übergreifen. Sie würde Fluchtursachen schaffen. Das betrifft uns am Ende auch in Europa, und das betrifft uns am Ende auch in Deutschland. Barkhane und Takuba, die beiden Antiterrormissionen der Franzosen, werden beendet. Dadurch steigt die Unsicherheit massiv. Es wird ein Vakuum hinterlassen, das es zu füllen gilt. Und dieses Vakuum müssen auch ein Stück weit wir füllen, meine Damen und Herren. ({0}) Denn wenn wir es nicht füllen, dann werden es andere füllen, dann werden es Terrormilizen füllen, dann werden es Schlepperbanden füllen, und dann wird es auch Organisierte Kriminalität füllen. Das sollten wir vermeiden. ({1}) Die französischen Streitkräfte unterhalten ja essenzielle Fähigkeiten auch für unseren Einsatz, auch für die Sicherheit der Bundeswehr. Luftnahunterstützung zum Beispiel muss auch nach dem Abzug der französischen Kampfhubschrauber weiter gewährleistet werden, um unsere Patrouillen zu schützen. Leider können wir unsere Tiger-Kampfhubschrauber nicht entsenden, da wir von dem CDU/CSU-geführten Verteidigungsministerium eine katastrophale Einsatzbereitschaft übernommen haben – nicht nur in diesem Bereich –; und die müssen wir jetzt verbessern. ({2}) Deswegen sind wir hier auf Bündnispartner angewiesen. Ich bin dieser Bundesregierung sehr dankbar, dass sie sich darum bemüht, dass die Vereinten Nationen jemand anderen finden, der Luftnahunterstützung bereitstellt. Es ist auch wichtig, dass der Mandatstext so formuliert ist, dass wir, wenn das Ende Sommer/Anfang Herbst nicht gelingt, dann mit dem Teilabzug beginnen. Denn wir sollten nur vor Ort sein, wenn wir auch etwas Sinnvolles beitragen können. Es wäre eine Katastrophe, wenn wir gehen würden. Deshalb müssen wir zusehen, dass wir nicht gehen müssen; denn dann würden auch andere folgen. ({3}) Meine Damen und Herren, während des Einsatzes nehmen unsere Soldatinnen und Soldaten große Entbehrungen in Kauf. Wir haben es eben schon gehört: Bei bis zu 45 Grad im Schatten in einem Land, das von Wassermangel geprägt ist, ist es nicht vermeidbar, dass wir den Soldatinnen und Soldaten im Einsatz zumuten müssen, dass sie mit zwei Minuten Duschen am Tag klarkommen. Was wir aber vermeiden können, ist, dass wir sie mit zu wenigen Kampfhosen auf eine mehrtägige Patrouille losschicken. Was wir vermeiden können, ist, dass nicht für jeden Soldaten auch ein Rucksack dabei ist, sondern für manche nur eine Kampftragetasche; das war das, was ich zuletzt gehört habe, als ich in Mali, in Gao war. Deswegen ist es absolut richtig, dass diese Bundesregierung in die persönliche Ausrüstung investiert, ({4}) dass wir letzten Monat 2,4 Milliarden Euro in die Hand genommen haben, damit unsere Soldatinnen und Soldaten nicht nur in Mali bestmöglich ausgestattet sind, sondern auch hier bei uns zu Hause. Das ist bei jedem Mandat wichtig, aber erst recht bei einem so gefährlichen und einem so widrigen wie diesem hier. Wir Freie Demokraten stehen zu diesem Mandat, gerade mit dieser Konditionierung. Wir unterstützen das Mandat, weil es Zivilisten vor Terror schützt. Wir unterstützen es, weil es Organisierte Kriminalität bekämpft, und wir unterstützen es, weil dieses Mandat Schlepperbanden die Arbeitsgrundlage entzieht. Deutschland leistet hier viel. Deutschland leistet Luftaufklärung. Deutschland stellt Patrouillen, die Schutz für die Zivilbevölkerung in die Fläche bringen. Deutschland leistet demnächst auch noch mehr, nämlich Sanität, auch für andere Nationen, die an dieser gefährlichen UN‑Mission teilnehmen. Deswegen sagen wir als Freie Demokraten: Wir unterstützen diese Mission; nicht uneingeschränkt, aber in dieser Konditionierung ist sie absolut richtig. Wir geben anderen Ländern eine Chance, hier die Fehlstelle, die Frankreich produziert, zu besetzen. Deswegen sagen wir Ja zu MINUSMA. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort Sevim Dağdelen, Fraktion Die Linke. ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung will den Bundeswehreinsatz im Rahmen der UN‑Mission MINUSMA in Mali nicht nur verlängern. Jetzt, nachdem die Franzosen abziehen wollen, will sie den Einsatz sogar noch ausweiten durch die Anhebung der Mandatsobergrenze auf 1 400 Soldaten, also auf mehr noch als zuletzt in Afghanistan. ({0}) Sie sprechen dabei von einem sicherheitspolitischen Engagement Deutschlands. Das ist die Formel, die wir aus 20 Jahren Krieg in Afghanistan kennen. Wie in Afghanistan soll es alles sein in Mali, nur kein Krieg, in dem schon mehr als 4 000 Zivilisten gestorben sind. Sie sagen, die Bundeswehr sei „zur Umsetzung des Friedensabkommens“ in Mali. ({1}) Doch den Frieden gibt es nicht. Die Sicherheitslage hat sich mit der Zeit stets verschlechtert; das haben uns alle Gesprächspartner auf der Reise gesagt. Das Land ist sogar zunehmend militarisiert, die bewaffneten Konflikte haben sich vom Norden nach Zentralmali und auch in die Regionen ausgedehnt. Sie wollen den Terrorismus in Mali bekämpfen. Aus Afghanistan wissen wir: Terror bekämpft man nicht mit Krieg, meine Damen und Herren. ({2}) Und man bekämpft ihn auch nicht, indem man die Förderer von islamistischen Terrorbanden, wie Katar und Saudi-Arabien, als Partner betrachtet und sie aufrüstet, wie die Staatsministerin Katja Keul das früher gesagt hat. Die große Kriegskoalition in diesem Haus von der Union bis zu den Grünen kann es noch so oft leugnen: Tatsache ist, Deutschland ist beteiligt an einem Krieg in Mali. Erkennen Sie es endlich an: Dieser Krieg der Bundeswehr in Mali ist verloren. Vieles daran erinnert an Afghanistan. Sie machen Mali zu einem zweiten Afghanistan. Der einzige Grund, warum Sie dort Krieg führen, ist ja noch nicht einmal, weil Sie selbst daran glauben, einen Sieg über den islamistischen Terror erringen zu können. Nein, die Bundeswehr selbst sagt – ich zitiere aus den Unterlagen, die wir bekommen haben –: Dieser Einsatz kann eine Verschlechterung der Sicherheitslage nicht verhindern. ({3}) Die Bundeswehrkommandeure vor Ort haben es bestätigt. Sie sagen, es geht ihnen schlicht darum, dass sie einen geopolitischen Fußabdruck – ja, man sagt „footprint“ dazu – in Mali und in der Region hinterlassen; deshalb sind sie dort. ({4}) Sie führen dort mit Krieg, damit die malische Putschregierung nicht noch mehr russische Militärberater ins Land holt. ({5}) Das ist meines Erachtens ein purer Wahnsinn und zeigt: Es geht hier um Geopolitik und nicht um die Bevölkerung in Mali. ({6}) Ich warne auch davor, dass sich hier das Bild verstetigt, die Bundeswehr würde die Wirtschaftsinteressen der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich im Sahel unterstützen, weil im Mandatstext die „Unterstützung französischer Streit- und Sicherheitskräfte“ betont wird, die in Mali zu Recht verhasst sind. Diese Entwicklung kann nur in einer Katastrophe enden. Deshalb sagen wir: Wir kommen nur aus diesem Schlamassel heraus, wenn wir die Bundeswehr dort abziehen. Die Bundeswehrsoldaten haben selbst gesagt – –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. – Ein Satz der Bundeswehrsoldaten war: Ist dieser Einsatz Leib und Leben der Soldaten wert? Wir Linke sagen: Nein, ist er nicht. Deshalb sollte die Bundeswehr abgezogen werden. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Das Wort hat der Kollege Dr. Karamba Diaby, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Karamba Diaby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004259, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin, ich wundere mich sehr über Ihre Behauptung, die Bundeswehr führe Krieg in Mali. Sie waren doch mit mir in Gao. Sie haben doch diesen Einsatz dort gesehen. Ich wundere mich sehr, dass Sie diese Behauptung hier treffen. Es geht vielmehr um was anderes. ({0}) Am 1. April habe ich unsere Bundesaußenministerin auf ihrer Reise nach Mali und in den Niger begleitet. Mir ist besonders das Gespräch in Mali mit Mariama Maiga, Lehrerin aus Gao, in Erinnerung geblieben; da waren Sie auch dabei. Sie berichtete uns: Das Land leidet unter Terrorismus, Instabilität und den Folgen der Klimakrise. Mali ist wirtschaftlich schwer von der Coronapandemie gebeutelt und hat auch mit den Folgen der Ukrainekrise zu kämpfen. Das Angebot für Grundnahrungsmittel verknappt sich stetig, und die Preise steigen ebenfalls. – Mariamas Forderungen waren eindringlich: Wir dürfen unser Engagement in Mali nicht beenden. Wir dürfen den Schutz der Zivilbevölkerung nicht vernachlässigen. Deutschland ist in Mali willkommen. ({1}) Wenn wir also heute über unser Engagement in Mali diskutieren, dann müssen wir die Menschen vor Ort im Blick haben; diese benötigen unsere Unterstützung. Genau deshalb beteiligen wir uns an MINUSMA in Mali seit 2013 multilateral. Die Mission hat den entscheidenden Auftrag, das Friedensabkommen von Algier umzusetzen und die Zivilbevölkerung vor Ort zu schützen. Zu den Aufgaben gehören: die Stabilisierung wichtiger Bevölkerungszentren, der Schutz der Zivilbevölkerung, die Unterstützung humanitärer Hilfe und die Förderung der Verständigung zwischen den politischen Gruppierungen, aber auch die Vermittlung zwischen ECOWAS und der Regierung. ({2}) MINUSMA ist aktuell das einzige Instrument zur Stabilisierung in Mali. Unser Engagement trägt aber nicht nur zur Stabilität Malis bei, sondern stärkt die gesamte Sahelregion; und diese Stabilität ist dringend notwendig, meine Damen und Herren. Wir haben Unruhen in Mali, im Tschad, in Guinea und in Burkina Faso erlebt. Kippt die Situation in Mali, wäre das eine Katastrophe für die gesamte Region. Fest steht aber auch: Der Abzug von Frankreich erschwert die Weiterführung des Bundeswehreinsatzes. Deshalb ist unsere Beteiligung in aktueller Form nur möglich, wenn, erstens, gewährleistet werden kann, dass unsere Soldatinnen und Soldaten ausreichend geschützt sind, zweitens, die bestehende Infrastruktur vorhanden bleibt und, drittens, die UN sicherstellt, dass andere Truppensteller Fähigkeiten zur Luftnahunterstützung zur Verfügung stellen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten ist jetzt wichtiger als jemals zuvor; denn wir beobachten schon länger, dass russische Gruppen in Mali aktiv sind. Darum begrüße ich die Personalaufstockung auf 1 400. Es ist richtig, dass wir unter den erschwerten Bedingungen den Bundeswehreinsatz in Mali neu bewerten und hinterfragen. Es ist auch richtig, dass das Mandat vorzeitig beendet wird, wenn eben der ausreichende Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten nicht gewährleistet werden kann. Klar ist aber auch: Ohne den Bundeswehreinsatz können wir unter diesen Bedingungen unsere Entwicklungszusammenarbeit nur schwer fortsetzen. Nur mithilfe von MINUSMA können NGOs und internationale Organisationen engagierte Entwicklungszusammenarbeit betreiben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutschland ist in Mali willkommen. Dieses Engagement müssen wir nutzen, um gemeinsam mit unseren europäischen Partnern und den Regionalorganisationen abgestimmt zusammenzuarbeiten. Eine kurzfristige Beendigung unseres Engagements in Mali wäre ein fatales Signal und würde besonders in Gao ein großes Vakuum hinterlassen. Wenn wir über den Einsatz der Bundeswehr in Mali entscheiden, muss der Schutz der Zivilbevölkerung unsere Richtlinie sein. Wir dürfen die Menschen in Mali nicht im Stich lassen. Danke schön. ({3})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Und der letzte Redner in der Debatte: Henning Otte, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland hat ein vitales Interesse an der Stabilität in der Sahelzone und an der Sicherheit im Land Mali; denn die Sicherheit Deutschlands endet eben nicht am Mittelmeer. Es muss verhindert werden, dass von Mali aus der IS-Terror einen Brückenkopf bilden kann, um Europa zu gefährden. Und es muss verhindert werden, dass der Al-Qaida-Ableger JNIM das Land Mali nach innen gefährdet und hier zu einer Instabilität führt. Wir danken den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die diesen gefährlichen Einsatz unter schwierigen klimatischen Bedingungen erfolgreich leisten. Ihnen gehört unser Dank, meine Damen und Herren. ({0}) Eben weil dieses Mandat wichtig, aber vor allem auch gefährlich ist, irritiert es, dass dieser Antrag zur Fortsetzung des Mandats so spät vom Kabinett eingereicht wird. Dieser Eindruck „zu spät und zu zögerlich“ macht sich ja insgesamt in der Ampelregierung breit. Diese Zögerlichkeit zeigt sich bei der Antwort auf den Krieg in der Ukraine. Diese Zögerlichkeit zeigt sich bei der Antwort auf die Krise in Mali. Offensichtlich ist der Konflikt innerhalb dieser Ampelkoalition das bestimmende Element. Das darf nicht sein, meine Damen und Herren. Man wundert sich aber auch über Die Linke und über die AfD, vertreten durch die beiden Redner, die ganz nach dem Motto „Augen zu und Kopf in den Sand“ agieren wollen. Es ist sachlich falsch, wenn Sie einen Bezug zu Afghanistan herstellen. Entweder sind Sie nicht gut informiert, oder Sie informieren die Öffentlichkeit wissentlich falsch. ({1}) Zwei Dinge sind nämlich komplett anders: In Mali geht man von – ungefähr – unter 5 000 Insurgenten aus; in Afghanistan waren es weit über 100 000. In Mali haben wir ein konstruktives Umfeld, mit der Afrikanischen Union und mit ECOWAS beispielsweise; das ist eine ganz andere Situation. Sie sollten den Menschen von diesem Platz aus keine Unwahrheiten suggerieren. ({2}) Wir werden als Union diesen Text ganz genau beraten. Ich stelle beispielsweise fest, dass die NH90-Heideflieger aus meinem Wahlkreis nicht zu dem Zeitpunkt zurückkommen, zu dem ihnen die Rückkehr zugesichert war; die Ablösung kommt zu spät. Aber was uns ganz besonders wichtig ist, das ist der Schutz unserer Soldaten. Und da müssen wir feststellen, dass durch den geplanten Abzug der Franzosen dieser Schutz durch die Luftnahunterstützung fehlt und die Bundesministerin der Verteidigung bisher keinen Nachfolger gefunden hat. Außerdem ist für uns die Versorgung wichtig. Das heißt auch, dass der Flughafen militärisch geführt wird. Hier hat die Bundesaußenministerin offensichtlich nicht erfolgreich interveniert bei den Vereinten Nationen. Bundeskanzler Scholz hätte die Gelegenheit gehabt, mit Präsident Macron am Montag bei seinem Besuch darauf hinzuweisen, dass es eine gemeinsame europäische Aufgabe ist, die Interessen deutlich zum Ausdruck zu bringen. Dass beide Ministerinnen hier sprechen und offen die Defizite ansprechen, macht es nicht besser. ({3}) Sie müssen Lösungen bieten für dieses Mandat. Meine Damen und Herren, für uns ist wichtig, dass wir ebendieses Schutz- und Versorgungsniveau gewährleisten können. Klar, eine absolute Sicherheit kann es nicht geben; aber wenn Sie nur sagen: „Wir erhöhen die Mandatsobergrenze von 1 100 auf 1 400“, dann machen Sie es sich ein bisschen zu einfach. Die Bundeswehr soll es mal wieder richten! Nein, Sie haben die politische Führung und die Aufgabe, den Schutz zu gewährleisten, meine Damen und Herren. ({4}) Es ist auch versäumt worden, der malischen Regierung deutlich ins Stammbuch zu schreiben, dass sie die Kooperation mit den russischen Söldnern sein lassen soll, dass das nicht der richtige Weg ist, um Mali in eine stabile Situation zu bringen. Besser wäre es, die malischen Soldaten so auszubilden, dass sie selbst in der Lage sind, die Sicherheit zu gewährleisten. Aber die Bundesregierung plant offensichtlich die Reduzierung des Engagements im Rahmen des EUTM-Mandats, das ja nachher noch beraten wird. ({5}) Dass es besser geht, zeigt Niger. Da werden die nigrischen Spezialkräfte durch die Bundeswehr sehr erfolgreich im Rahmen der Mission Gazelle ausgebildet. Aber Sie planen, dieses Mandat zum Jahresende zu beenden. ({6}) Ich kann nur sagen: Deutschland trägt Verantwortung. Deutschland kommt dieser Verantwortung auch im Rahmen des MINUSMA-Mandats nach; denn 1 400 Soldatinnen und Soldaten in einem 13 000 Köpfe umfassenden Mandat, das macht deutlich, wie wichtig der Beitrag Deutschlands als Anlehnungsnation ist. Wir sagen aber auch: Dieses Mandat muss verantwortbar sein. Wir stimmen der Beratung zu. Aber wir sagen auch sehr deutlich: Wir machen unsere Zustimmung zum Mandat von den Beratungen abhängig. Da sind Sie als Ampel und als Regierung gefordert. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Schon bei der Vorstellung des Themas, beim Vorlesen dieses TOPs, hat man gemerkt: Das, was ich Ihnen jetzt vortragen werde, ist schwere Kost, die sich nicht für politische Richtungsstreitigkeiten eignet, sondern allenfalls zum juristischen Diskurs. Aber das Thema ist wichtig, weil es zum einen um das Schicksal der Menschen geht und zum anderen um die Sicherheit der Bevölkerung. Einer aktuellen Pressemitteilung der „Heilbronner Stimme“ war zu entnehmen, dass rechtskräftig verurteilte Straftäter aus der sogenannten Organisationshaft entlassen werden mussten, weil sie nicht in den Maßregelvollzug überführt werden konnten; denn dort waren keine Therapieplätze mehr frei. 2021 ist das in Baden-Württemberg in 35 Fällen vorgekommen, 2022 bereits 17‑mal. Aber das Problem ist – um da keinen falschen Eindruck zu erwecken – kein spezifisch baden-württembergisches, sondern ein bundesweites. Die vermeintlich einfachste Lösung – der Aufbau von mehr Plätzen im Maßregelvollzug – hat bisher nicht gegriffen. Der Maßregelvollzug, geregelt in den §§ 64 ff. des Strafgesetzbuchs, sieht vor, dass neben einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe – man nennt das Begleitstrafe – auch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet werden kann. Voraussetzung dafür ist, dass die verurteilte Person einen Hang hat, alkoholische Getränke oder berauschende Mittel zu sich zu nehmen, und in diesem Zusammenhang dann auch Straftaten begeht. Des Weiteren muss von dieser Person die Gefahr ausgehen, dass es aufgrund dieses Hanges auch zu weiteren gefährlichen Straftaten kommt. Die Unterbringung soll allerdings nur erfolgen, wenn bei der Behandlung eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht besteht. Grundsätzlich soll dabei die Begleitstrafe vor der therapeutisch orientierten Maßregel vollzogen werden. Allerdings hat das Gericht bei der Vollstreckungsreihenfolge, die es wählt, zu beachten, dass der Zweck der Maßregel, wie es so schön heißt, leichter erreicht wird. Das soll dadurch geschehen, dass die Gerichte es vermeiden, dass sich an eine möglicherweise erfolgreiche Therapie eine weitere Strafvollstreckung anschließt. Dazu haben sie bei der Festlegung der Reihenfolge und bei der Berechnung ganz konkret den Halbstrafenzeitpunkt in den Blick zu nehmen. Das ist der Zeitpunkt, zu dem frühestmöglich eine bedingte Haftentlassung vorgenommen werden kann. Der Halbstrafenzeitpunkt kommt beim normalen Strafvollzug in der Praxis so gut wie nie vor. Man ahnt, was sich jetzt daraus ergibt, nämlich besondere Verteidigungsstrategien, die darauf abzielen, insbesondere bei zu erwartenden langjährigen Begleitstrafen eine Überführung in den Maßregelvollzug zu bekommen. Ein wesentliches Indiz dafür, dass diese Fehlanreize bestehen, ist die Tatsache, dass mittlerweile zwei Drittel der im Maßregelvollzug befindlichen Personen bei der Begehung ihrer Tat voll schuldfähig waren. Das ist eine Verdreifachung der bisherigen Zahlen. Ein eindrucksvoller Beleg, dass beim Maßregelvollzug etwas schiefläuft, sind auch die von zwölf Bundesländern erhobenen und gemeldeten Zahlen. Danach stieg die Zahl der Untergebrachten im Zeitraum von 2002 bis 2019 von 2 088 auf mehr als das Doppelte, nämlich 4 300 Personen. In der kurzen Zeit von 2017 bis 2020 gab es einen enormen Anstieg von 18 Prozent; wir sind jetzt bei fast 5 300 Unterbringungen. In der gleichen Zeit stieg die Dauer der stationären Behandlungen aber auf 18 Monate, was räumlich und personell zusätzliche Kräfte in Anspruch nimmt. Ein erster gesetzgeberischer Eingriff im Jahre 2007 brachte, weil er nicht weit genug ging, keine wirkliche Besserung. Jetzt platzt der Maßregelvollzug wahrlich aus allen Nähten, und gefährliche Straftäter, vor denen die Allgemeinheit eigentlich geschützt werden müsste, können ihm nicht zugeführt werden und müssen, wie eingangs erwähnt, auf freien Fuß gesetzt werden. Bund und Länder haben sich deshalb bereits 2020 zu einer Arbeitsgruppe zusammengeschlossen und haben im November 2021 einen konzertierten Gesetzesvorschlag vorgelegt. Aber auch nach fast einem halben Jahr hat es die Bundesregierung nicht geschafft, diesen Vorschlag hier einzubringen. Im Wesentlichen gibt es drei Lösungsansätze, um die erwähnten Probleme zu lösen: Erstens. Man muss den unbestimmten Rechtsbegriff des Hangs in § 64 präzisieren – das geschieht in unserem Entwurf –, weil dieser Hang nämlich oftmals auf der bloßen Annahme der Angaben des Angeklagten festgestellt wird und nicht weiter überprüfbar ist. Wir wollen mit unserem Gesetzentwurf den Begriff der Substanzkonsumstörung einführen, die bestimmte Begleiterscheinungen haben muss, die auch konkret festzustellen sind, um den weiten Begriff des Hangs einzuengen. Weiterhin muss die Straftat überwiegend und nicht nur als Begleittat des Hanges geschehen, und auch das muss festgestellt werden. Zweitens. Wir verlangen, § 64 Satz 2 so umzuschreiben, dass statt der lediglich „hinreichend konkreten“ Aussicht eines Behandlungserfolgs zukünftig ein ganz konkreter, „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte“ festzustellender und zu erwartender Behandlungserfolg bestehen muss. ({0}) Der von mir beschriebene in Wirklichkeit therapieunwillige Mehrfachtäter, der von der Rechtsprechung häufig immer noch mit dem weiteren Maßregelvollzug bedient wird, fällt damit aus dem Kreis der Personen, die in den Maßregelvollzug kommen, heraus. ({1}) Drittens. Die eingangs beschriebene Begleitstrafe, die beim Vorwegvollzug zu berücksichtigen ist, muss so ausgestaltet werden, dass eine frühestmögliche Haftentlassung nicht mehr zum Halbstrafenzeitpunkt, sondern erst zum Zweidrittelzeitpunkt der Strafverbüßung stattfinden kann; dann sind die beschriebenen Fehlanreize beseitigt. Das geschieht durch eine Änderung des § 67 Absatz 5 StGB. – Die übrigen vorgeschlagenen Gesetzesänderungen sind rein technischer Natur und dienen einer Verbesserung des Verfahrensablaufs. Ich denke, ich habe nicht zu viel versprochen, wenn ich eingangs gesagt habe: Das ist schwere Kost und kein Tummelfeld für parteipolitischen Zwist.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es bedarf nunmehr einer konstruktiven, schnellen, gemeinsamen gesetzgeberischen Kraftanstrengung von Opposition und Regierung. Die bieten wir mit unserem Entwurf heute ernsthaft an. Ich freue mich auf die folgenden Beratungen. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Dr. Johannes Fechner, SPD-Fraktion, hat nun das Wort. ({0})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu den wesentlichen Elementen unseres Strafvollzuges gehört es, dass ein Straftäter, der zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, nicht einfach weggesperrt wird, sondern dass er eine Chance bekommt, sich zu bessern und sich zu resozialisieren. Und für suchtkranke Straftäter, die die Straftat, für die sie einsitzen, im Rausch begangen haben, sollen Gerichte die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht – so die heutige Formulierung –, dass infolge des Hanges zu berauschenden Mitteln oder alkoholischen Getränken die Person weiter rechtswidrige Taten begehen könnte. Das zeigt: Wir geben Straftätern durch den Maßregelvollzug eine Chance, sich zu bessern. Das ist ein ganz wichtiges Element unseres rechtsstaatlichen Strafvollzuges, liebe Kolleginnen und Kollegen; das möchte ich gleich eingangs betonen. ({0}) Bevor ich aber strafrechtliche Ausführungen mache, möchte ich einen, ich nenne es mal: urheberrechtlichen Hinweis geben. Denn man könnte ja, wenn man den Gesetzentwurf liest, die Rede des Kollegen Müller hört und auch die Pressemitteilungen liest, meinen, die Union hätte sich mit diesem wichtigen Thema beschäftigt und hätte Vorschläge erarbeitet. ({1}) Das ist ja gerade nicht der Fall. ({2}) Was Sie hier präsentieren, das haben Sie abgeschrieben, das ist eins zu eins das Ergebnis der Kommission, die Ministerin Lambrecht eingesetzt hat. ({3}) Sie zeigt Interesse an diesem Thema, auch jetzt noch; sie ist anwesend. Das, finde ich, ist schon eine schräge Nummer. Sie hätten doch wenigstens mit einem Satz mal sagen können, dass das die Vorschläge sind, die die Bund-Länder-Kommission erarbeitet hat. Ich lasse das mal so stehen, will aber die Gelegenheit nutzen, von dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön an alle zu richten, die in dieser Kommission mitgearbeitet haben, die hier gute Vorschläge präsentiert haben, die wir diskutieren werden. Ganz herzlichen Dank! ({4}) Wir haben in der Tat das Problem, dass zu viele Straftäter durch Gerichtsbeschlüsse in Entziehungsanstalten untergebracht werden, die dort eigentlich gar nicht hingehören. Diese Straftäter nehmen denjenigen Straftätern dann die Plätze weg, denen dort eigentlich geholfen werden sollte. Deshalb müssen wir in der Tat dazu kommen, dass nur noch die behandlungsbedürftigen und auch behandlungsfähigen Straftäter in einer Entziehungsanstalt untergebracht werden. Denn die Zahl der Unterbringungen hat sich in der Tat in den letzten Jahren deutlich erhöht, seit den 90er-Jahren vervierfacht, und auch die Aufenthaltsdauer hat sich deutlich erhöht. Das merke ich auch bei mir im Wahlkreis, Kollegin Engelhardt und Kollege Müller. Wir haben Einrichtungen, die aus allen Nähten platzen, und insbesondere diejenigen, die dringend Hilfe benötigen, für die es dieses Konstrukt des Maßregelvollzuges gibt, können sie nicht in Anspruch nehmen. Das wollen wir ändern. Deswegen haben wir schon im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir den Maßregelvollzug modernisieren und reformieren wollen. Die Ergebnisse der Bund-Länder-Kommission, finde ich, bieten dafür wirklich eine sehr, sehr gute Diskussionsgrundlage: In der Tat muss die Vorschrift im § 64 des Strafgesetzbuches präziser werden. Das Tatbestandsmerkmal des Hanges zu alkoholischen Getränken oder Suchtmitteln ist zu weit gefasst. Das müssen wir präzisieren. Zu diskutieren ist auch der Vorschlag der Kommission, die Anforderungen an den erwarteten Behandlungserfolg zu erhöhen, das heißt, dass eine Anordnung zur Unterbringung nur dann ergehen darf, wenn tatsächliche Anhaltspunkte erwarten lassen, dass der Straftäter durch die Behandlung in der Entziehungsanstalt wirklich von seiner Sucht wegkommt. Wir werden auch den Vorschlag der Kommission diskutieren, das Privileg der Halbstrafenaussetzung zu ändern. Heute kann die Strafe nach der Hälfte der Haftstrafe ausgesetzt werden, und die Klagen und jetzt auch die Hinweise der Kommission, dass das Anreize schafft insbesondere für Straftäter, die eine lange Haftstrafe bekommen haben, sich in den Maßregelvollzug zu bewegen, wollen wir auf jeden Fall auch diskutieren. Darüber werden wir in der Ampelkoalition beraten, denn eines ist klar: Wir dürfen hier keine Fehlanreize dafür setzen, dass die falschen Straftäter den Straftätern, die wir behandeln wollen, die knappen Ressourcen in den Entziehungsanstalten wegnehmen. ({5}) Ich finde, das lohnt sich. Wir freuen uns auf die Diskussion hier – auch dieses Gesetzentwurfs, der die Arbeit der Bund-Länder-Kommission zu Recht in die Öffentlichkeit rückt. Vielen Dank. ({6})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Das Wort hat Thomas Seitz, AfD-Fraktion. ({0})

Thomas Seitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004891, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Eine Unterbringung nach § 64 StGB bedeutet, dass Straftäter mit Suchtproblemen zwangsweise in eine forensische Entziehungseinrichtung eingewiesen werden können. Vor allem bei hohen Haftstrafen bewirkt dies häufig eine frühere Entlassung. Wie sieht also die Realität des Maßregelvollzugs aus? Allein im Zeitraum von 2002 bis 2019 hat sich die Zahl der Patienten mehr als verdoppelt, und der Anteil voll Schuldfähiger hat sich von 1995 bis 2019 fast verdreifacht. Bereits Ende 2020 konnten die Zustände im Berliner Maßregelvollzug nur noch als katastrophal bezeichnet werden, was zu mehreren Brandbriefen an den Berliner Senat führte. Das Hauptproblem war Überbelegung. 2019 waren es im Durchschnitt 682 Patienten bei nur 523 genehmigten Betten, also gut 30 Prozent Überbelegung. Die Folge waren eine massiv zunehmende Gewalt gegen Mitarbeiter, ein sich verschärfender Personalmangel, Kündigungen und keine Bewerbungen mehr. Allein aus Berlin wurden für das Jahr 2019 rund 180 Angriffe auf Mitarbeiter in den Entziehungseinrichtungen gemeldet – von Körperverletzung bis zur versuchten Tötung. Aktuell liegt dem Rechtsausschuss ein Brandbrief aus dem Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg vor. Die beschriebenen Probleme erinnern an Berlin. Die Zimmer sind mit bis zu vier Patienten in Stockbetten belegt. Man nimmt also Personen mit häufig psychischen Begleiterkrankungen neben der Sucht, mit einem regelmäßig gestörten Sozialverhalten und mit ausgesprochen niedriger Frustrationstoleranz jegliche Rückzugsmöglichkeit, was deren latente Aggressivität noch steigert. Weiter wird beklagt, dass offene Stellen nicht mehr besetzt werden; stattdessen steigen die Krankheitsausfälle beim Personal. Es war deshalb dringend überfällig, dass im Herbst 2020 eine Gemeinsame Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt wurde. Den von der Arbeitsgruppe erarbeiteten Gesetzentwurf greift nunmehr der Gesetzentwurf der Union auf. Kern der vorgeschlagenen Änderungen ist im Wesentlichen, die Anordnungsvoraussetzung des „Hangs“ zu Alkohol bzw. Drogen enger zu fassen, indem künftig das Vorliegen einer Substanzkonsumstörung festgestellt werden muss. Weiterhin wird ein zwingender Zusammenhang zwischen Hang und Anlasstat hergestellt. Es soll nicht mehr ausreichen, dass eine Tat im Rausch begangen wurde, sondern sie muss künftig jedenfalls überwiegend auf den Hang zurückzuführen sein. Zudem werden die Anforderungen an die Prognose eines Therapieerfolgs verschärft. Das Ziel muss sein, die kontinuierlich angestiegene Zahl der in Entziehungsanstalten Untergebrachten deutlich zu senken – nicht, um das Geld für zusätzliche Therapieplätze zu sparen, sondern weil sich in den Einrichtungen derzeit zu einem erheblichen Teil Personen befinden, denen es an Therapiebedürftigkeit, Therapiebereitschaft oder mangels deutscher Sprachkenntnisse oder kultureller Unterschiede auch schlicht an der Therapiefähigkeit fehlt. ({0}) Der Istzustand bedeutet nicht nur eine ungerechtfertigte Privilegierung von Straftätern, die hohe Kosten verursacht, sondern vor allem auch eine Beeinträchtigung der Therapiechancen für diejenigen, die wirklich einer Therapie bedürfen, motiviert sind und eine positive Prognose haben. Soweit die Union abweichend vom Entwurf der Arbeitsgruppe auch eine Änderung von § 246a StPO anstrebt, lehnen wir dies ab. Um die Gerichte zu entlasten, will die Union die Verpflichtung zur Bestellung eines Sachverständigen einschränken. Bisher ist dies erforderlich, wenn das Gericht eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erwägt, künftig nur noch, wenn es dies konkret erwägt. Das ist eine Regelung, die nach meiner Prognose weitgehend leerlaufen würde. Soweit der Gesetzentwurf der Arbeitsgruppe folgt, begrüßen wir ihn, und wir sind gespannt, wann das Justizministerium einen eigenen Gesetzentwurf – und welchen – vorlegen wird. Vielen Dank. ({1})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort Canan Bayram, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Canan Bayram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004665, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Therapie statt Strafe: Das ist der Grundsatz, der mit § 64 ff. im Strafgesetzbuch geregelt ist. Das heißt, suchtkranke Menschen gehören nicht ins Gefängnis, sondern in eine Entziehungsanstalt; denn Sucht ist häufig ein Auslöser für die Begehung von Straftaten. Das sollten wir vielleicht mal voranstellen. ({0}) Wenn eine Person mit Suchterkrankung einfach ins Gefängnis gesteckt wird, dann wird dadurch nur das Symptom bekämpft, aber nicht die Ursache. Das heißt, der- oder diejenige kann dadurch leicht in einem Teufelskreis von Sucht, Kriminalität, Verurteilung, Gefängnis und wieder Sucht stecken bleiben. Und weil im Gefängnis das Problem nicht gelöst wird, geht es nach der Freilassung wieder von vorne los. Deswegen werden richtigerweise nach § 64 Strafgesetzbuch Personen, die einen Hang zu berauschenden Mitteln haben, vom Gericht zur Behandlung in einer Entzugsklinik oder in einer Entziehungsanstalt untergebracht In den letzten Jahren hat es sich tatsächlich so entwickelt, dass die Zahl der Personen in Entziehungsanstalten immer weiter gestiegen ist. Und weil die Entziehungsanstalten dadurch an ihre Grenzen – insbesondere der Kapazitäten – gekommen sind, wurde vor etwa drei Jahren eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe gegründet, um Lösungen für diese Probleme zu finden. Im Januar dieses Jahres hat diese Arbeitsgruppe ihre Ergebnisse vorgestellt. Aus ihrem Bericht geht hervor, dass sich die Zahl der untergebrachten Personen in dem Zeitraum 2002 bis 2019 tatsächlich mehr als verdoppelt hat. Deswegen macht sie Vorschläge, mit welchen Gesetzesänderungen die Zahl der Untergebrachten verringert werden soll. Im Wesentlichen sollen mit einer engeren Fassung des § 64 Strafgesetzbuch die Kliniken entlastet werden. Der Gesetzentwurf der Unionsfraktion greift diesen Vorschlag auf. Also, vielen Dank erst mal an die CDU/CSU-Fraktion, dass sie den Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe – wollen wir fair bleiben – in großen Teilen kopiert hat. ({1}) Wir haben diesen Bericht natürlich auch gelesen und prüfen ihn intensiv; denn im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf geeinigt, dass wir das Sanktionssystem insgesamt – der Maßregelvollzug ist ein Teil dessen – in den Blick nehmen wollen, und wir wollen das Ganze überarbeiten. Für eine umfassende Reform reicht es eben nicht, nur aus der Perspektive der Länder die Missstände zu benennen, sondern wir müssen die einzelnen Stellschrauben in den Blick nehmen und tatsächlich schauen: Was können wir von der Bundesebene aus verändern? – Wir brauchen ein Gesamtkonzept, bei dem Prävention und Resozialisierung im Fokus stehen. Das ist für uns Grüne außerordentlich wichtig. ({2}) Denkbar wäre, die Kapazitäten der Einrichtungen zu erhöhen. Aber reicht das? Ein anderer Vorschlag sieht vor, die Unterbringung davon abhängig zu machen, ob der oder die Betroffene ihr tatsächlich zustimmt. Die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie hat einen Vorschlag vorgelegt, der eine komplette Transformation der Maßregeln vorsieht. Auch diesen Vorschlag müssen und wollen wir uns gemeinsam genauer anschauen; denn im Mittelpunkt unserer Überlegungen muss immer stehen, wie wir dadurch zu Prävention und Resozialisierung beitragen können, weil es nichts bringt, wenn die Entziehungsanstalten wieder viele freie Plätze haben, es dadurch aber immer mehr Straftaten durch rückfällige Menschen gibt. Das kann nicht der Sinn dessen sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen wollen wir es genauer prüfen. ({3}) Wir können es nicht riskieren, dass tatsächlich behandlungsbedürftige straffällige Menschen nicht behandelt werden – entweder weil die Kliniken überfüllt sind oder weil sie ins Gefängnis gesteckt werden. Beides müssen wir als Risiko im Blick behalten. Klar ist: Der Justizvollzug allein kann nicht die Lösung sein. Der Grundsatz „Therapie vor Strafe“ darf nicht aufgeweicht werden. Wir brauchen eine Strategie, um den Betroffenen angemessen zu helfen. Dazu gehört auch, dass es die Möglichkeit geben muss, suchtkranken Menschen im Justizvollzug Zugang zu Substitutionsbehandlungen zu ermöglichen. Auf der anderen Seite dürfen wir diejenigen, die wegen einer Suchterkrankung von einer Maßregel betroffen sind, in den Einrichtungen nicht vergessen. Wenn das Gericht nach sechs Monaten prüft, ob die weitere Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt wird, sollte den Betroffenen ein Rechtsbeistand zur Seite gestellt werden. Dies ist leider immer noch nicht geregelt, obwohl gerade bei der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder einer psychiatrischen Einrichtung in der Regel klar ist, dass die Betroffenen Schwierigkeiten haben, sich selbst zu verteidigen. Das ist auch ein Aspekt, den wir gemeinsam betrachten sollten. ({4}) Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen – darin scheinen wir uns fraktionsübergreifend alle einig zu sein –, so wie es ist, kann es nicht bleiben. Deswegen werden wir als Ampelkoalition gemeinsam das Sanktionensystem evidenzbasiert auf den Prüfstand stellen und dann als Fortschrittskoalition ein schlüssiges Gesamtkonzept vorstellen. Da freuen wir uns auf jeden wertvollen Beitrag, auch aus der Opposition. Vielen Dank. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort dem Kollegen Ates Gürpinar, Fraktion Die Linke. ({0})

Ates Gürpinar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005073, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Müller, Sie haben am Anfang gesagt, das Thema sei nicht zur Politisierung geeignet. Ich glaube, die Tatsache, dass Sie Ihren Gesetzentwurf jetzt vorstellen, obwohl die Koalition und der Justizminister gesagt haben, sie würden daran arbeiten, und Ihr Gesetzentwurf nur aus ein paar Veränderungen des Entwurfs der Bund-Länder-Runde besteht, zeigt, dass da schon ein bisschen Politisierung dabei ist. Da können Sie ruhig ehrlich sein. Ich darf Herrn Fechner verbessern: Es gibt noch eine Veränderung. Sie behaupten, dass Kosten eingespart würden. Im Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe steht aber, dass keine Kosten eingespart werden, ({0}) weil Sie die Aufenthalte im Gefängnis verlängern wollen. Deswegen stimmt es nicht ganz, was Sie behauptet haben, auch wenn Sie es quasi in Ihrem Vorschlag suggerieren. Es wäre daher wirklich gut, da noch mal genauer drüberzuschauen. Ich möchte aber – na ja, vielleicht typisch für Linke – noch ein bisschen mehr politisieren; Frau Bayram hat es ja schon ansatzweise angesprochen. Das grundlegende Problem findet sich andeutungsweise schon im Gesetz selbst. Da ist auch schon ein veraltetes Weltbild im Umgang mit Suchtkranken zu sehen. Ich meine, der Begriff „Entziehungsanstalten“ deutet ja so ein bisschen darauf hin, dass das Gesetz nicht im Jahr 2022 erfunden wurde. Vielleicht könnte man da auch mehr machen, als einfach einen Entwurf von der Bund-Länder-Runde zu kopieren, Herr Kollege Müller. ({1}) Es ist nämlich eine irrige Annahme, Menschen könnte durch eine erzwungene Suchtbehandlung zu einem selbstbestimmten Leben verholfen werden. Frau Bayram hat es angesprochen: Ein ganz anderer Vorschlag dazu kommt zum Beispiel von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie. Schauen Sie sich den vielleicht mal an und lesen Sie da mal rein. Es ist auch eine abwegige Annahme, dass den Menschen ein Entzug ohne jede Hilfe beim Verlassen des Umfeldes, der Szene, beim Umgang mit der meist lebenslangen Suchterkrankung langfristig wirklich helfen würde. Genauso sind aber die Entziehungsanstalten bislang angelegt. Der Maßregelvollzug in einer Entziehungsanstalt vermischt gegenwärtig Heilbehandlungen, die eben ohne Zustimmung und Mitwirkung der Betroffenen meist nicht sinnvoll sind, mit dem Polizeirecht zur Sicherung der öffentlichen Ordnung. Und das, Herr Müller – ich spreche Sie auch direkt an –, sollten wir dringend überdenken. Da gibt es nämlich bereits Vorschläge, aus denen Sie vielleicht etwas lernen könnten. ({2}) Aber lassen Sie uns – damit komme ich zu einem weiteren Punkt – doch einfach weiterdenken, auch weil durch die Debatte zur Legalisierung von Cannabis so ein bisschen Schwung in die Sache kommt. Eine nicht geringe Verantwortung für den gegenwärtigen Zustand trägt der Teufelskreis, der aus der Illegalisierung von Konsumierenden von Rauschmitteln entsteht. Zunächst droht Strafe aufgrund einer Handlung, die niemandem Schaden zugefügt hat außer einem selbst. Und das ist nirgends, außer in dieser Strafanordnung, mit Strafe bedroht. Dann kommen aber viele Suchtkranke aus dem Teufelskreis der Illegalisierung nicht mehr raus. Genau da müssen wir helfen. Das Ziel der Drogen- und Suchtpolitik darf eben nicht mehr sein, die Konsumierenden zu verfolgen, und zwar nicht nur bei Cannabis, sondern bei allen illegalisierten Drogen. Suchtkranke brauchen Hilfe. Zur Hilfe gehört weniger der reine Entzug, der oft ohnehin kaum möglich ist, und schon gar kein Gefängnis, sehr verehrte Damen und Herren. ({3}) Übersetzt und abschließend für die CDU/CSU: Wenn Sie wirklich Kosten sparen wollen, stoppen Sie die Verschwendung von Millionen Arbeitsstunden bei Polizei und Staatsanwaltschaften, und lassen Sie die Polizei aus dem Spiel, wenn es um den Eigenbedarf geht, entkriminalisieren Sie.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Ates Gürpinar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005073, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. – Stärken Sie stattdessen die Behandlungskapazitäten für die vielen, vielen Menschen, die Hilfe etwa in der spezialisierten Psychotherapie, in der Substitutionsbehandlung, in der akzeptierenden Drogenhilfe oder auch in der stationären Behandlung dringend suchen. Vielen, vielen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner: Stephan Thomae, FDP-Fraktion. ({0})

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn Straftäter nicht im Gefängnis landen, sondern in einer psychiatrischen Einrichtung, dann sorgt das bei den Opfern einer Straftat, bei Betroffenen, auch in der Öffentlichkeit oft für Unverständnis. Aber man muss sich einfach vor Augen halten, dass es im Strafverfahren erst sekundär um Genugtuung für das Opfer und für die Öffentlichkeit geht und um Opferentschädigung. Es geht im Strafverfahren primär um Wahrheitsfindung, darum, herauszufinden: Wie war der wahre Tathergang, also der objektive Tatbestand? Und was für eine innere Motivlage hat den Täter zur Tat gebracht? Der subjektive Tatbestand, auch Fragen der Schuldfähigkeit, des Urteilsvermögens und der geistigen Verfassung des Täters spielen da eine Rolle. Beim Strafvollzug ist Resozialisierung primär das Ziel. Es geht sicher auch um Satisfaktion, um Genugtuung für das Opfer, aber eben nicht durch drakonische Strafen. Der Täter wird immer noch als Mensch gesehen. Er soll eine Chance bekommen. Er soll die Gelegenheit erhalten, sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern und ein Leben in sozialer Verantwortung ohne Straftaten zu führen. Es unterscheidet uns von zahlreichen anderen Rechtsordnungen, dass der Rachegedanke bei uns zurückgedrängt ist und der Straftäter als Mensch gesehen wird, der seine Würde behält. Das verlangt uns manchmal viel ab, vor allem bei sehr schweren Straftaten. Es ist aber ein zivilisatorischer Fortschritt, meine Damen und Herren, eine der vornehmsten Errungenschaften unserer Rechtskultur. ({0}) Neben der Gefängnisstrafe sieht unsere Rechtsordnung für bestimmte Fälle auch noch vor, dass ein Verurteilter in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht werden kann. Das ist § 63 Strafgesetzbuch. Die Voraussetzung ist dann, dass trotz Schuldunfähigkeit oder verminderter Schuldfähigkeit ein Freispruch nicht in Betracht kommt, weil der Täter für die Allgemeinheit immer noch eine Gefahr darstellt, weil erwartet wird, dass er erneut weitere Straftaten begehen kann. Einen Paragrafen weiter, in § 64 Strafgesetzbuch, haben wir jetzt den Fall eines Maßregelvollzuges, der eine straffällig gewordene Person davor bewahren kann, eine Haftstrafe antreten zu müssen. Dann können die Gerichte anordnen, dass eine straffällig gewordene Person, die einen Hang dazu hat, alkoholische Getränke oder auch andere berauschende Mittel zu missbrauchen, im Übermaß zu sich zu nehmen, unter bestimmten Voraussetzungen in einer Entziehungsanstalt unterbracht wird. Da gab es in den letzten Jahren eben eine deutliche Entwicklung dahin, dass immer mehr Menschen genau in diesen Entziehungsanstalten landen und dass ihre durchschnittliche Unterbringungsdauer dort immer länger wird. Jetzt kommt das Problem: Wir haben nur eine begrenzte Anzahl solcher Therapieplätze in Deutschland und haben in vielen Bundesländern die Kapazitätsgrenzen bereits erreicht. Die Folge davon ist nun: Wenn ein solcher Straftäter keinen Therapieplatz bekommt, dann kann er aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung nicht einfach eine Freiheitsstrafe antreten, sondern muss zunächst mal in Organisationshaft genommen werden, aber auch das nicht auf ewige Zeiten. Irgendwann muss er, wenn diese zu lange dauert, auf freien Fuß gesetzt werden. Dann haben wir die Situation, dass jemand, von dem das Gericht sagte, er stelle eine Gefahr für die Öffentlichkeit dar, wieder auf freien Fuß kommt. Das sind eben die 17 Fälle, von denen Kollege Müller sprach. In diesem Jahr mussten in Baden-Württemberg schon 17 Personen wegen Therapieplatzmangels aus Organisationshaft entlassen werden. Im letzten Jahr waren es 35 Fälle. Das ist ein eklatantes Problem, das wir ernst nehmen, angehen und lösen müssen. Hintergrund ist der ungenau formulierte § 64 Strafgesetzbuch, der weite Auslegungsspielräume eröffnet und auch dem Missbrauch Tür und Tor öffnet. Es gibt sogar im Internet Tutorials, wie man einer Haftstrafe entgehen kann, indem man eine Suchtabhängigkeit als Grund dafür nimmt, in eine Entziehungsanstalt zu kommen und nicht in den Justizvollzug. Deswegen ist diese Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet worden, die einen Gesetzesvorschlag vorgelegt hat. Jetzt hat die Union den Gesetzentwurf eins zu eins übernommen. Immerhin zwei Lernerfolge stelle ich fest: Erstens. Die Union zitiert ihre Quelle; das ist nicht immer so gewesen. ({1}) Zweitens. Sie folgen jetzt nicht einfach nur einem Strafverschärfungsreflex, sondern Sie nehmen sich Expertenrat zu Herzen. Auch das war in der letzten Wahlperiode nicht immer so. Ich denke zum Beispiel an die Abschaffung minderschwerer Fälle bei Sexualdelikten, oder ich denke an die Wiederaufnahme von Strafverfahren bei neuen Beweismitteln oder an das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche, wo oft nicht die Meinung des Expertenrates zählte. Sie haben oft genau das Gegenteil gemacht. Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. Wir wollen evidenzbasierte Politik betreiben. Wir werden uns die Vorschläge der Arbeitsgruppe natürlich zu Herzen nehmen. Es bräuchte den Gesetzentwurf der Union eigentlich nicht, weil er keine neuen Erkenntnisse bringt, –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Thomae.

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– aber er enthält auch nichts Falsches. Deswegen freue ich mich auf die Beratungen im Ausschuss. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Dr. Volker Ullrich von der CDU/CSU-Fraktion ist der nächste Redner in der Debatte. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die bereits vielzitierte Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reform des § 64 Strafgesetzbuch hat ihren Bericht bereits zu Beginn dieses Jahres vorgestellt. Es ist jetzt vier Monate später, und es gibt noch keine Anzeichen für eine gesetzgeberische Aktivität. Warum haben wir also diesen Gesetzentwurf vorgelegt? Weil es die dringende rechtspolitische Notwendigkeit gibt, dass dieses Thema schnell bearbeitet wird, ({0}) weil die Notwendigkeit besteht, dass wir es nicht auf die lange Bank schieben. Weswegen? Die Zahl der Straftäter in Entziehungsanstalten ist erheblich gestiegen. Es waren in den 90er-Jahren noch etwa 1 500, jetzt sind es über 5 000 Menschen. Die Dauer der Unterbringungen steigt auf im Schnitt mindestens 18 Monate. Die Anzahl der voll schuldfähigen Personen beträgt über 60 Prozent. Deswegen sind folgende Fragen angebracht, und wir müssen sie beantworten: Behandeln wir in den Entziehungsanstalten noch die Richtigen? Werden die Mittel adäquat aufgewandt? Und schließlich: Ist die jetzige Praxis gerecht? Alle diese drei Fragen müssen wir mit Nein beantworten. Es gibt akuten Änderungsbedarf. Diesen umzusetzen, ist wichtig, und zwar zum einen für die Menschen, die tatsächlich einer Unterbringung bedürfen, um sich zu bessern, und um einen Schutz vor der Allgemeinheit zu leisten, und zum anderen für die Landesjustizverwaltungen und die forensischen Kliniken, die diese Aufgabe schultern müssen. Der Bedarf ist dringlich. Wir können nicht mehr zuwarten. ({1}) – Frau Bayram, ({2}) die Arbeitsgruppe hat ihren Entwurf am 13. Januar vorgestellt, und da hieß der Bundesjustizminister bereits Dr. Buschmann, ({3}) und es gab nicht mehr eine von der Union getragene Koalition. ({4}) Was wollen wir ändern? Zentral rechtspolitisch wird sein, dass wir den Begriff des Hanges präzisieren. Durch den Begriff des Hanges hat bereits jede Mitursächlichkeit, die irgendwie vorstellbar war, dazu geführt, dass § 64 StGB von den Gerichten gezogen worden ist. Wir wollen diesen Begriff – und das hat auch die Bund-Länder-Arbeitsgruppe so gesehen – durch den Begriff der Substanzkonsumstörung ergänzen. Das ist entscheidend. Warum „Substanzkonsumstörung“? Das ist ein Begriff aus der forensischen Medizin. Er dient dazu, dass die Erkenntnisse der Forensik in die entsprechende Anordnung eingebettet werden, damit wir die Maßnahme künftig zielgenauer im Hinblick auf den konkreten Therapieerfolg verhängen können. Es geht darum, dass das Behandlungsziel ernsthaft erreicht werden kann und dass damit die Menschen die Maßnahme erhalten, die sie wirklich brauchen. Das Gesetz darf nicht dazu dienen, dass über den Umweg des § 64 StGB letztlich auch für schwere Gewalttäter die Halbstrafe erzielt wird, obwohl eigentlich mindestens eine Zweidrittelstrafe angemessen wäre. Das ist auch eine Frage von materieller Gerechtigkeit. Auch das wollen wir damit ändern. Und – letzter Punkt – die Frage: Hat die Union noch zusätzliche eigene Vorschläge gemacht oder nicht? Ja, hat sie, in zwei Punkten. Zum Ersten: Wir wollen, dass die Sachverständigen nur bei konkreten Anlässen hinzugezogen werden, um Ressourcen zu sparen. Und zum Zweiten – der entscheidendere Punkt –: Bei einer Beschwerde wegen des Wechsels von Entziehungsanstalt zu Maßregelvollzug wollen wir auf die aufschiebende Wirkung verzichten. Es geht auch hier um die Ressourcen der entsprechenden Anstalten. Deswegen bitten wir, dass wir vor dem Hintergrund unseres Vorschlages schnell zu einer entsprechenden rechtspolitischen Umsetzung kommen. Die Sache ist dringlich. Herzlichen Dank. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort Heike Engelhardt, SPD-Fraktion. ({0})

Heike Engelhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005051, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren an den Bildschirmen und hier auf den Tribünen! Liebe Beschäftigte und Patientinnen und Patienten im Maßregelvollzug! Seit Jahren erleben wir übervolle Entzugskliniken. Der Ausbau weiterer Betten kann in den meisten Bundesländern nicht Schritt halten mit dem Anstieg der Zuweisungen. Es kommt zu Freilassungsentscheidungen aus der Organisationshaft – wir haben es heute mehrfach gehört – wegen überlanger Wartezeiten auf einen festen freien Therapieplatz. Woher rührt dieser Anstieg? Zum einen verwendet das bisherige Gesetz den unbestimmten Begriff des Hanges, Suchtmittel zu konsumieren. Dieser ist sehr weich ausgelegt. Vor allem stellt er nicht dar, welcher Zusammenhang zwischen diesem Hang und einer Straftat besteht. Mir scheint hier der Begriff „Abhängigkeit“ als ärztliche Diagnose besser zu passen. Vor Gericht werden Therapieaussichten manchmal zu optimistisch eingeschätzt. Für Personen, denen eine lange Haftstrafe droht, entstehen Fehlanreize. Ihre Anwältinnen und Anwälte streben eine Unterbringung in der Entziehungsfachklinik an: Gefängnis light im „Aldi-Vollzug“. In der Szene bekannt sind die Youtube-Clips mit Anleitungen, wie man billiger wegkommt. Häufig – hier reden wir im Bundesdurchschnitt von 50 Prozent – kommt es zum Abbruch der Therapie und in diesem Zusammenhang immer wieder zu spektakulären Ausbrüchen, wenn die Rückverlegung in eine Haftanstalt ansteht. Ich habe solche Fälle 15 Jahre begleitet. Ich weiß um die Gefahren, die in solchen Situationen für die Mitpatientinnen und Mitpatienten, für die Beschäftigten und auch für die Bevölkerung entstehen. Kurz: Es kommen teilweise die Falschen. Und wenn sie da sind, dann stören sie das therapeutische Milieu und gefährden den Therapieerfolg der wirklich Suchtkranken. ({0}) Die Kliniken schlagen Alarm, die zuständigen Ministerien in den Ländern fordern, das Gesetz zu überarbeiten. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat dazu einen Vorschlag erarbeitet. Der ist in Teilen druckreif und steht seit Januar auf der Homepage des Ministeriums. Das Haus Buschmann – vielen Dank, Staatssekretär Strasser – hat einen Referentenentwurf angekündigt. Und jetzt kommt die Opposition und legt einen eigenen Gesetzentwurf vor. ({1}) Die Union hat einfach mal den Bund-Länder-Text abgeschrieben. Damit das nicht allzu sehr auffällt, hat sie flugs eine eigene Einleitung gebastelt. Ansonsten ist im Wesentlichen der Text der Bund-Länder-AG zu lesen. Die Anmerkung anderer Verbände, etwa der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde oder der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie, hat sie nicht berücksichtigt. Liebe Union, Sie haben einfach abgeschrieben und es sich sehr einfach gemacht. Zum Glück ist Ihr Gesetzentwurf keine Doktorarbeit. Da gebe es womöglich Plagiatsvorwürfe. ({2}) Aber immerhin: Sie schreiben unter „B. Lösung“ zutreffend selbst, es werde dem Ergebnis und den Handlungsempfehlungen der Bund-Länder-AG entsprochen. ({3})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Axel Müller?

Heike Engelhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005051, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollegin Engelhardt, haben Sie den Gesetzentwurf durchgelesen? Wenn Sie das getan haben, dann werden Sie darin gelesen haben, dass wir mehrfach darauf hingewiesen haben, dass dieser Gesetzentwurf im Wesentlichen auf den Ergebnissen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe fußt. Und wenn Sie ihn gelesen haben – falls Sie das getan haben; das frage ich Sie jetzt mal offen –, dann werden Sie festgestellt haben, dass wir auch Verfahrensänderungen vornehmen wollen – der Kollege Ullrich hat das gerade gesagt –, beispielsweise im § 246a StPO. Davon hat die Bund-Länder-Arbeitsgruppe nichts, aber auch gar nichts gesagt.

Heike Engelhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005051, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Müller, selbstverständlich habe ich den Gesetzentwurf gelesen. Ich stelle mich nicht hierhin und rede über Dinge, die ich mir vorher nicht angeschaut habe. Ich sage ja auch: Sie haben zumindest geschrieben, Sie haben den Handlungsempfehlungen der Bund-Länder-AG entsprochen. Eins erstaunt mich jetzt aber doch – das war meine Antwort; Sie können sich gern wieder hinsetzen; ({0}) aber Sie dürfen auch gern stehen bleiben; ich finde das auch toll –: ({1}) Die Bund-Länder-AG empfiehlt nämlich, die Gerichte sollen Sachverständige nur hinzuziehen, wenn sie erwägen, die Unterbringung in der Entziehungsanstalt anzuordnen. Die Union macht daraus jetzt: Die Sachverständigen sollen nur gehört werden, wenn das Gericht die Unterbringung im Maßregelvollzug konkret erwägt. ({2}) Und genau an diesem Begriff hat sich die Bund-Länder-Gruppe abgearbeitet und schließlich auf den Begriff „konkret“ verzichtet. Sie bringen den jetzt wieder ins Spiel; mit der Empörung aus dem Verband der niedergelassenen Gutachter müssen Sie umgehen. Damit, dass Sie die rechtliche Stellung Suchtkranker vor Gericht schwächen würden, können wir als SPD nicht einverstanden sein; wir lehnen deshalb diesen Entwurf ab. Wir freuen uns aber auf die konstruktive Debatte, wenn demnächst hier das Papier aus dem Justizministerium auf der Tagesordnung steht. Vielen Dank. ({3})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der letzte Redner in der Debatte: Sebastian Fiedler, SPD-Fraktion. ({0})

Sebastian Fiedler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005056, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, die Debatte kann nicht zu Ende gehen, ohne dass wir uns noch mal, für einen Moment jedenfalls, mit den Ursachen beschäftigen. Wir sprechen über riesengroße Belegungszahlen, sprechen über das Verfahren an sich, wie man das ändern kann, um damit umzugehen. Ich möchte jedenfalls in einigen Minuten, den wenigen, die ich habe, noch mal auf diese Ursachenbeschreibung und die Zusammenhänge verweisen. Jedes zweite Körperverletzungsdelikt geschieht unter Alkoholeinfluss, und jedes vierte Sexualdelikt geschieht unter Alkohol- oder Drogeneinfluss. Wir haben, wenn wir auf alle Tatverdächtigen gucken, etwa 11 Prozent der Tatverdächtigen unter Alkoholeinfluss, etwa 6 Prozent unter Drogeneinfluss. Ich finde, wir sollten einen Moment lang durchaus mal überlegen, wie unsere Drogenpolitik insgesamt zusammenhängt und wie die Ursachenforschung an der Stelle denn so aufgebaut ist. Ich bin jedenfalls froh, dass wir jetzt einen Drogenbeauftragten der Bundesregierung haben, der diese Fragen sachkundiger angeht. Das halte ich schon für wichtig. ({0}) Ich will aber in der Kürze der Zeit noch ein weiteres Fass aufmachen, auch wenn es sich etwas paradox anhört; denn die Debatte, die wir jetzt gerade geführt haben, dreht sich nur um stoffgebundene Süchte. Es gibt aber veritable Aufsätze, die schon viele Jahre alt sind, die sich mit der Frage des Glücksspiels auseinandersetzen und sagen: Eigentlich gehört genau diese Sucht auch noch in den § 64 StGB hinein. – Das heißt, das echte Problem, wenn wir auf Zusammenhänge von Süchten und Straftaten gucken, ist in Wahrheit noch viel größer, als wir es gerade besprochen haben. An der Stelle – es tut mir schrecklich leid –, auch wenn Sie sich das wünschen, kann ich Ihnen Parteipolitik doch nicht so ganz ersparen; denn wenn wir uns angucken, wie unterschiedlich die Parteien mit genau dieser Frage des Glücksspiels umgehen, dann sehen wir tagesaktuelle Diskussionen, die echt damit zu tun haben. Die Union in Nordrhein-Westfalen hat sich überlegt, Abstandsflächen zwischen Spielhallen von 250 auf 100 Meter zu reduzieren. ({1}) Das heißt: Alle Leute in Nordrhein-Westfalen dürfen sich jetzt dank der Union über mehr Spielhallen freuen. Die Presse sagt aktuell – und das ist eben der große Unterschied –: Bremen geht einen ganz anderen Weg; von 250 wird dort auf 500 Meter erhöht. Und aus problematischen Stadtquartieren, sagt der Bremer Innensenator, werden die möglicherweise ganz verbannt. ({2}) Ich finde, das sind herzhafte Diskussionen, die wir führen könnten und die direkt mit diesen Fragen zu tun haben, mit der Entstehung und dem Zusammenhang von Süchten, eben nicht nur stoffgebundenen, und Begleit- und Beschaffungskriminalität; denn die Glücksspielsüchte sind die teuersten Süchte. Es gibt keine teurere Sucht als Glücksspielsucht; kaum jemand, der spielabhängig ist, kann sich aus legalen Einkünften diese Sucht tatsächlich erlauben. Deswegen hängt das unmittelbar mit Begleit- und Beschaffungskriminalität zusammen. Tun wir uns den Gefallen: Wenn wir darüber diskutieren, dann bitte auch über die Ursachen! Da hat es dann schon auch ein bisschen damit zu tun, welche Partei das Sagen hat. Danke schön. ({3})

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Rund 16 000 Soldaten aus Mali hat die Bundeswehr bisher ausgebildet. Es sollten 16 000 Hoffnungsträger sein, 16 000 Soldaten, die in Zukunft selbst für die Sicherheit und Stabilität in ihrem Land sorgen können. Unsere Soldatinnen und Soldaten nahmen genau für diese Aufgabe viel, viel auf sich. Sie schulten Pioniere und Infanteristen, vermittelten das nötige Handwerkszeug und Grundkenntnisse des humanitären Völkerrechts – das alles in einem gefährlichen Umfeld und weit weg von Freunden und Familien. Unsere Truppe erfüllt ihren Auftrag hier professionell und hoch motiviert. Ich sage Ihnen: Sie verdient dafür Respekt und Anerkennung. Vielen Dank für diesen Einsatz! ({0}) Das ist die positive Seite. Zur Wahrheit gehören aber auch die Schattenseiten der Zusammenarbeit mit den malischen Machthabern. Das malische Regime sagt zwar, dass unsere Hilfe willkommen sei; aber seine Taten sprechen eine ganz andere Sprache. Seit Monaten fordert die internationale Gemeinschaft baldige demokratische Wahlen – ohne Erfolg. Wir sind schockiert vom schrecklichen Massaker in Moura. Die malischen Streitkräfte stehen im Verdacht, an diesen Menschenrechtsverletzungen beteiligt gewesen zu sein. Und noch nicht einmal eine Beweissicherung durch die Vereinten Nationen wird von den malischen Machthabern möglich gemacht! Das ist ein absolutes Unding, hierauf so zu reagieren, meine Damen und Herren. ({1}) Die malischen Machthaber erklären ganz offen, dass sie mit russischen Kräften zusammenarbeiten. Ich sage ganz klar an dieser Stelle: Deshalb darf es kein Weiter-so bei diesem Mandat geben. Wir können nicht vertreten, dass von uns ausgebildete Militärs später an der Seite von russischen Kräften, russischen Söldnern eingesetzt werden und möglicherweise Menschenrechtsverletzungen begehen. Das darf es nicht geben. ({2}) Das können wir weder gegenüber der Zivilbevölkerung in Mali noch gegenüber unserer eigenen Truppe und auch nicht gegenüber der deutschen Bevölkerung verantworten. Deshalb wird es keine weitere Ausbildung mehr in Mali geben, und daher legen wir Ihnen dieses veränderte Mandat vor. Die Obergrenze wird deutlich von 600 auf jetzt 300 Soldatinnen und Soldaten reduziert. Bei diesen Umständen darf es kein Weiter-so geben. ({3}) Man wird sich jetzt vielleicht fragen: Wieso sind denn weiterhin noch 300 Soldaten vorgesehen? Das ist ganz einfach zu beantworten: Denn der Schwerpunkt unseres Engagements liegt künftig im Niger – aus zwei Gründen. Darüber haben wir schon debattiert, aber für diejenigen, die es nicht verfolgt haben, nenne ich zwei Argumente. Erstens. Der Sahel hat weiterhin für uns eine große Bedeutung, und wir müssen unsere Ziele weiterverfolgen: Stabilität und Sicherheit in der Region. Zweitens – und genau hier liegt der Unterschied zu Mali –: Die Regierung in Niger ist ein verlässlicher Partner; denn sie hat in den Gesprächen ganz klar deutlich gemacht, eine Zusammenarbeit mit Söldnern, eine Zusammenarbeit mit russischen Kräften kommt für sie nicht infrage; das will sie ihrer Bevölkerung nicht zumuten, weil sie die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen genau sieht. Das ist der Unterschied. Deswegen werden wir uns weiter im Niger engagieren. Meine Damen und Herren, dort bilden unsere Soldatinnen und Soldaten Spezialkräfte aus, und zwar mit der Operation Gazelle. Diese Operation ist ein echtes Vorzeigeprojekt. Davon konnte ich mir und konnte sich meine Begleitung bei der Sahelreise im April ein eigenes Bild machen. Ich war sehr, sehr beeindruckt. Und genau hier wollen wir an unseren Planungen festhalten und die Ausbildung bis Dezember zu Ende führen. Ich habe vorhin in der Debatte von Ihnen, Herr Otte, völlige Überraschung darüber gehört, dass wir das jetzt bis Ende Dezember beenden wollen. Das war schon immer so angelegt in diesem Mandat; das war schon immer vorgesehen. ({4}) Und es ist gut – genau, weil es erfolgreich ist –, weil die malischen Soldaten jetzt selbst in der Lage sind, ihre Spezialkräfte auszubilden. Und das haben wir ja genau in den Gesprächen gehört; Sie waren dabei. Das ist nachhaltig, das war der richtige Ansatz, und das gibt auch dem Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten einen Sinn. Meine Damen und Herren, wenn wir uns im Sahel engagieren, dann verfolgen wir ganz klar andere Ziele als Russland oder auch China, die ihre wirtschaftlichen und militärischen Aktivitäten in Afrika ausweiten. Uns geht es nicht darum, Machtansprüche durchzusetzen und unseren Einfluss auszuweiten. ({5}) Uns geht es darum, den Kampf gegen den Terrorismus mit zu unterstützen. Wir wollen die Staaten in der Region dabei unterstützen, selbstständiger zu werden, und wir knüpfen unser Engagement an unsere Werte. Und genau deshalb ist es wichtig, im Sahel, in dieser wichtigen Region, zu bleiben: für die Stabilität in Zentralafrika und für die Sicherheit auch hier in Deutschland und Europa. Mit dem Niger haben wir einen Partner in der Region, auf den wir uns verlassen können und der sich auf uns verlässt. Und deswegen darf es auf der einen Seite kein Weiter-so geben: keine weitere Ausbildung mehr in Mali. Aber unser Engagement im Niger wollen wir weiterführen, so wie vorgesehen. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu diesem Mandat. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Katja Leikert für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Katja Leikert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004337, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute zum zweiten Mal über Mali. Die Debatte, die wir vor einer Stunde hier im Hohen Haus über das MINUSMA-Mandat geführt haben, hat bereits eins deutlich gemacht: Die Bundesregierung muss sich wirklich fragen lassen, wie sie sich das hier mit wichtigen Mandaten vorstellt. Es kann einfach nicht sein, dass wir die Anträge zu MINUSMA und EUTM erst heute Mittag erhalten haben. Beide Anträge kamen um halb zwei, gerade mal ein paar Stunden vor der Debatte hier. Bei so einem ernsten und komplexen Thema sollte man mindestens ein paar Tage Vorlauf haben. Stattdessen bekommen wir den Antrag auf den letzten Drücker. Das ist einfach unseriös. ({0}) Keiner wird bestreiten wollen, dass wir in Mali wirklich vor einem schwierigen Dilemma stehen. Es gibt natürlich keine einfachen und schnellen Antworten. Unsere französischen Partner wurden aus Mali rausgedrängt, und das wirft natürlich allerlei Fragen dazu auf, wie es mit unserem Beitrag in der Region weitergeht. Aber das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nicht erst vor drei Tagen passiert, sondern vor drei Monaten, und trotzdem wird das Mandat hier kurz vor knapp durchgepeitscht. Nächste Woche soll bereits die Abstimmung sein. Wir als CDU/CSU können hier wirklich nur dringlich dazu auffordern, dass die Bundesregierung dem Bundestag in Zukunft bei solch wichtigen Fragen den vom Anstand gebotenen Vorlauf einräumt. Warum ist dieses Mandat so wichtig? Natürlich geht es um Stabilität und Sicherheit in Mali. Aber es geht eben nicht nur um Mali. Es geht um die Ausbildung und die Herstellung von Sicherheit in der gesamten Sahelregion. Es geht vor allem natürlich um Niger – das haben Sie eben deutlich gemacht –, um Burkina Faso, Mauretanien und andere Länder. Wir als Deutsche und Europäer haben selbstverständlich ein immenses Interesse daran, dass sich die Lage dort zum Besseren entwickelt, und darum – das muss man natürlich ehrlich sagen – steht es gerade nicht gut. Wir beobachten ja schon länger, was in Mali passiert. Mindestens seit Herbst arbeitet Mali eng mit der russischen Söldnerfirma „Wagner“ zusammen. Das ist eine Firma, die nichts anderes ist als der verlängerte Arm des Kremls. Und genau das müssen wir doch neu bewerten, und da müssen doch zu Recht alle Alarmglocken angehen. Und um das noch mal deutlich zu machen: Wir alle waren geschockt von den Bildern aus Irpin und Butscha, wo russische Truppen schlimmste Verbrechen begehen, morden, vergewaltigen, entführen. Und genau dort sagen wir, dass das Konsequenzen haben muss. Diese Haltung ist ja richtig. Aber sie darf natürlich nicht nur für die Ukraine gelten, sondern muss auch für Mali gelten; denn vor wenigen Wochen konnten wir alle lesen, was in Moura, einer kleinen Stadt in Zentralmali, vorgefallen ist: Hunderte Zivilisten wurden hier grausamst massakriert. Und die Täter waren malische Regierungstruppen und russische Söldner. Das waren malische Truppen – man muss es hier so aussprechen –, die von deutschen Offizieren in guter Absicht ausgebildet wurden und die nun mit russischen Truppen morden. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist abscheulich, und das können wir natürlich niemals akzeptieren. ({1}) Trotzdem, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir einen Weg finden, wie wir in der Region präsent bleiben, wie wir auf eine sinnvolle Art und Weise, die auch moralisch vertretbar ist, dort bleiben. Wir dürfen uns ja gar keine Illusionen machen: Wenn wir ein Vakuum hinterlassen, werden Russland und die Dschihadisten sich sputen, es zu füllen. Und genau das ist der Punkt, warum wir hier so sorgsam abwägen und beraten müssen. Wir von der CDU/CSU-Fraktion leisten sehr gerne unseren Beitrag für eine sachorientierte Debatte. Aber die Regierung muss uns das auch wirklich, Frau Lambrecht, in einem angemessenen Rahmen ermöglichen. Genau das ist unser eindringlicher Appell an Sie heute hier. Herzlichen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Staatsministerin Katja Keul. ({0})

Katja Keul (Gast)

Politiker ID: 11004067

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es um die Militärmandate in Mali und in der Sahelregion geht, lohnt es sich immer wieder, mal einen Blick zurückzuwerfen, um zu verstehen, warum die Bundeswehr seit nunmehr über zehn Jahren dort ist. Im Jahr 2012 kollabierte erst die malische Armee und dann die malische Regierung. Die aus Libyen mit den Waffen Gaddafis zurückkehrenden Tuareg verbündeten sich vorübergehend mit den Islamisten und besetzten den ganzen Norden des Landes. Die schwache malische Armee, ohne jede Ausrüstung oder ernstzunehmenden Sold, konnte dem nichts entgegensetzen. Ein knappes Jahr litten die Menschen unter einem grauenvollen Scharia-Regime. 2013 drohte die Einnahme der Hauptstadt Bamako und die Implosion des gesamten Staates. Die damalige Situation war für die Menschen in Mali die reinste Hölle. Ein Failed State als Freiraum für islamistischen Terror wäre auch für die ganze Region und letztlich auch für Europa ein nicht hinnehmbares Sicherheitsrisiko gewesen. ({0}) Es war daher richtig, den Vormarsch der Islamisten militärisch zu stoppen. Die UN brachten daraufhin MINUSMA auf den Weg, und die EU beschloss, malische Streitkräfte so auszubilden, dass sie künftig ihr Land selber verteidigen könnten. EUTM, aber auch die zivilen Missionen EUCAP Sahel Mali und EUCAP Sahel Niger haben mühsame militärische und zivile Aufbauarbeit bei der Ausbildung von Sicherheitskräften geleistet, mit etlichen Rückschlägen und, ja, auch mit Problemen, aber auch mit substanziellen Erfolgen wie beispielsweise in Niger. Was aber nicht gelang, war eine politische Stabilisierung und die Umsetzung einer guten Regierungsführung in Mali. Die Menschen hatten letztlich die korrupten Eliten wieder mal endgültig satt und unterstützten 2020 und 2021 den erneuten Putsch durch das Militär. Wir können aber keine Sicherheitskräfte für eine Armee ausbilden, die ständig die Macht selber an sich reißt. ({1}) Es gibt noch immer keinen klaren Fahrplan für die Rückkehr zur Demokratie. Selbst die harten Sanktionen von ECOWAS haben daran nichts geändert, und die verstärkte Zusammenarbeit der malischen Regierung mit russischen Truppen ist ebenso wenig hinnehmbar wie die ständigen Menschenrechtsverletzungen. Ein Weiter-so kann und wird es in Mali deshalb nicht geben. ({2}) Das habe ich auch in meinen Gesprächen Anfang Februar in Bamako deutlich gemacht, und auch die Außenministerin hat gerade erst gegenüber Präsident Goϊta und Außenminister Diop eine Rückkehr zu Demokratie und Verfassung eingefordert. Da hier keinerlei Fortschritte zu erkennen sind, haben wir auf EU-Ebene Anfang April gemeinsam beschlossen, die Ausbildung der malischen Streitkräfte einzustellen. Auch die Bundeswehr wird deshalb bis auf Weiteres keine malischen Soldatinnen und Soldaten mehr ausbilden. Das Mandat, das wir Ihnen hier heute vorlegen, ist somit grundlegend geändert: Erstens. In Bamako selbst werden nur noch bis zu 15 Soldatinnen und Soldaten im Stab des Missionshauptquartiers verbleiben. Sie werden nur noch auf strategischer Ebene beraten und unsere Vernetzung vor Ort sicherstellen. Das ist wichtig, damit wir einen direkten Zugang zu den malischen Ansprechpartnern behalten, und es ist eine Frage der Transparenz, das auch im Mandat klar zu verankern. Klar ist außerdem: Eine Wiederaufnahme durch die Hintertür wird es nicht geben. Sollten sich die Verhältnisse wieder verändern, wäre eine Wiederaufnahme der Ausbildung nur mit erneuter Zustimmung des Bundestages möglich. Zweitens haben wir den Tschad aus dem Einsatzgebiet der Bundeswehr gestrichen. Die EU plant ohnehin keine Ausbildungsmaßnahmen im Tschad, wo es in den letzten Jahren nicht mal den Ansatz einer demokratischen Entwicklung gegeben hat. Deshalb ist es auch nur folgerichtig, den Tschad auch formal aus dem Mandat herauszunehmen. Das gilt übrigens auch für das EU-Mandat; für eine entsprechende Änderung werden wir uns in Brüssel einsetzen. ({3}) Die Ausbildung der Spezialkräfte in Niger hingegen werden wir mit bis zu 230 Soldatinnen und Soldaten unverändert fortsetzen und voraussichtlich bis Jahresende erfolgreich abschließen. Die bisherige Zwischenbilanz ist positiv. Auch im Anschluss an diese Ausbildung will Niger weiter mit uns zusammenarbeiten, und wir sind dazu grundsätzlich auch bereit. Dieser ursprünglich bilaterale deutsche Spezialkräfteeinsatz Gazelle ist Teil von EUTM. Perspektivisch wird EUTM Mali also eher zu einer EUTM Sahel werden müssen. Insgesamt halbiert sich die Mandatsobergrenze durch die Einstellung der militärischen Ausbildung in Mali von 600 auf 300 Soldatinnen und Soldaten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ministerin sagte eben noch über MINUSMA: Die Mandatsentscheidung ist noch schwieriger als vor einem Jahr. – Das gilt umso mehr für die Ausbildungsmission. Mit den notwendigen existenziellen Veränderungen an diesem Mandat senden wir aber wichtige Botschaften: Wir haben klare rote Linien beim Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten. Wir geben ihnen keinen Auftrag, den sie mit ihren Mitteln nicht erfüllen können, weil die Voraussetzungen nicht gegeben sind. Gleichzeitig zeigen wir in Niger, dass wir trotz des Krieges in Europa die Sahelregion nicht aus dem Blick verlieren werden. Wir ziehen uns nicht einfach zurück und überlassen anderen das Feld. Das ist eine Frage der Verantwortung für die Sicherheit und Zukunftschancen der Menschen im Sahel und für unsere Sicherheit in Europa. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete René Springer für die AfD-Fraktion. ({0})

René Springer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004900, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Gäste! Wir debattieren hier den Antrag der Bundesregierung, das Engagement der Bundeswehr in der Sahelzone, insbesondere in Mali und Niger, zu verlängern. Wir sind seit 2013 in der Region militärisch aktiv. 5 000 Soldaten haben seither in diesem Einsatz dort gedient. Insgesamt hat das deutsche Engagement den Steuerzahler 4 Milliarden Euro gekostet. Die katastrophale Bilanz wurde im Grunde auch eindrucksvoll vorgetragen: ein Rohrkrepierer. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung sagt in ihrer Zielsetzung für den Einsatz, es gehe um Frieden, Stabilität und Sicherheit. Nun muss die Bundesregierung zugeben, dass es heute mehr islamistische Widerstandsgruppen in der Region gibt als vor zwölf Jahren, und sie muss zugeben, dass es einen deutlichen Anstieg der Zahl der Anschläge und auch der Menschenrechtsverletzungen gibt, die gerade erwähnt wurden. Die Bundesregierung hat als Ziel angegeben, Wohlstand zu vergrößern und Perspektiven für Afrikas Jugend zu schaffen. Fakt ist nach Angaben der Vereinten Nationen, dass die Anzahl der Menschen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, seit 2018 von 4,1 Millionen auf 6,3 Millionen angestiegen ist. Das ist ein Anstieg von 50 Prozent in vier Jahren. Die Bundesregierung hat immer Wert darauf gelegt, dass es dort rechtsstaatlich und demokratisch zugeht. Erwähnt wurde schon der berühmte Putsch im August des Jahres 2020. Die Bundesregierung war davon aber nicht sonderlich beeindruckt, hat den Einsatz dort nicht verändert, nicht abgebrochen, sondern einfach weitergemacht. Und jetzt stellt sie sich hierhin und beklagt die Festigung einer Militärregierung und ausgefallene demokratische Wahlen. Was für eine Heuchelei, wenn man jahrelang die Soldaten ausgebildet hat, die jetzt ihren Beitrag zur Stabilisierung dieser Militärregierung leisten! ({0}) Und es kommt noch viel schlimmer: Der Chef der Militärregierung ist in den Jahren 2008 und 2016 in Deutschland bei der Bundeswehr ausgebildet worden. Sie selbst tragen die Verantwortung für die katastrophale Entwicklung in Mali, und das muss hier auch so deutlich ausgesprochen werden. ({1}) Der Einsatz der Bundeswehr in Mali ist nach allen Kriterien, die die Bundesregierung selber definiert hat, gescheitert. Aber die Frage ist, ob es dort überhaupt um Frieden, Menschenrechte, Wohlstand und Demokratie ging. Ich möchte Egon Bahr, den SPD-Politiker, zitieren, der einmal gesagt hat: In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Das scheint auch hier der Fall zu sein. Die Bundesregierung lässt in ihrem Antrag im Grunde auch die Hose runter, jedenfalls zur Hälfte. Sie verlegt den Schwerpunkt der deutschen Beteiligung von Mali in den Nachbarstaat Niger – nach Zahlen der Vereinten Nationen das am wenigsten entwickelte Land der Welt und zugleich doch reich. Es ist nämlich reich an Uran. Es ist die sechstgrößte Uranfördernation der Welt. Seit 1971 wird das Uranvorkommen in Niger von französischen Staatskonzernen ausgebeutet. Aktuell importiert Frankreich ein Viertel seines Urans aus Niger, um den Durst und den Hunger der heimischen Atomkraftwerke zu stillen. Aber dieser Uranabbau hat eben auch seine Folgen; denn die Abbaugebiete überziehen das Land der Tuareg fast vollständig und erzeugen dort Widerstand. Es kommt zu massiver Umweltverschmutzung, zu Krankheiten, zu verstrahltem Brunnenwasser und vor allem auch zu Austrocknung und Ausdörrung. Und wenn Frau Baerbock sich aus Niger zuschalten lässt und sagt, das liege an der Klimakrise, dann sagt sie nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte der Wahrheit ist nämlich, dass das fossile Grundwasser für den Uranabbau benötigt wird. Das alles sind die Fakten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss.

René Springer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004900, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich beeile mich. – Die Bundesregierung hat Deutschland zum Handlanger französischer Interessen in der Sahelzone gemacht. Das ist keine wertegeleitete Außenpolitik, das ist dumme Außenpolitik. Wir wollen Außenpolitik im deutschen Interesse.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Setzen Sie jetzt bitte den Punkt!

René Springer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004900, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Und deswegen lehnen wir diesen Einsatz ab. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Ulrich Lechte für die FDP-Fraktion. ({0})

Ulrich Lechte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004799, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dieser eindrucksvollen Rede für AfD-TV wollen wir jetzt bitte wieder zu den Fakten dieses Mandates zurückkehren ({0}) und uns hier mit den Dingen auseinandersetzen, die uns eigentlich alle bewegen sollten. Denn seit 2013 hat der Deutsche Bundestag jährlich die Beteiligung der Bundeswehr an der Mission der Vereinten Nationen MINUSMA und der Mission der Europäischen Union EUTM beschlossen. Seit 2013 konnten wir uns auch schon über viele positive Auswirkungen unseres Engagements freuen. So konnten wir den islamistischen Terror im Norden Malis zumindest eine Zeit lang bekämpfen und begrenzen, und das war auch das Ursprungsmotiv, warum wir dort vor Ort eingegriffen haben. In letzter Zeit mehren sich die negativen Meldungen aus der Region, aber die Menschen vor Ort vertrauen nach wie vor auf unsere Hilfe und auf unseren Beistand. Dabei rede ich explizit von der Zivilbevölkerung, die schweren, schweren Sorgen entgegensieht. Nehmen Sie das Beispiel Gao, über das wir in der Debatte zu MINUSMA gesprochen haben. Dort ist in den letzten Monaten die Bevölkerungszahl von 90 000 auf 120 000 Menschen angewachsen. Diese 30 000 Menschen sind nach Gao gekommen, weil sie die Sicherheit unserer Truppen der Herrschaft der Islamisten vorziehen, die ihnen Probleme bereiten. Nach den Militärputschen in Mali im August 2020 und im Mai 2021 verschlechtert sich die Sicherheitslage in Mali zunehmend. Im April 2021 gab es auch noch einen Putsch im Tschad, und zuletzt wurde im Januar 2022 in Burkina Faso geputscht. Zwischen diesen Ländern liegt der Niger, der sich zuletzt als der Stabilitätsanker in der Region erwiesen hat und den wir deswegen unbedingt weiter unterstützen müssen. Es ist daher folgerichtig, dass wir den Schwerpunkt unseres Engagements im Rahmen der EUTM-Ausbildungsmission nun von Mali nach Niger verlegen. ({1}) Viele hier im Haus hatten ja bereits gefordert, dass wir unser Engagement in Mali nach den zwei Putschen überdenken. Sie haben völlig zu Recht gefragt, ob wir weiterhin eine Armee ausbilden können, die zweimal geputscht hat. Ich selbst habe zu den Leuten gehört, die hier nicht vorschnell in Aktionismus verfallen wollten, sondern dem Land stattdessen eine Chance zur Rückkehr zur demokratischen Ordnung geben wollten. Deswegen hatten wir gemeinsam mit unseren internationalen Partnern den zweimaligen Staatsstreich in Mali verurteilt und eine Rückkehr zur Demokratie mit Nachdruck gefordert. ({2}) Dieser Forderung wurde mit ganz erheblichen Sanktionen durch die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft, ECOWAS, also den Nachbarstaaten Malis, Nachdruck verliehen. Aber leider gab es immer wieder Verzögerungen bei diesem Transitionsprozess. Als Konsequenz aus diesen Verzögerungen hat sich unsere Bundesregierung auf EU‑Ebene dafür eingesetzt, dass wir gemeinsam als Europäer die Ausbildung der malischen Armee im Rahmen dieser Mission aussetzen. Es war uns als Freie Demokraten besonders wichtig, dass wir hier keinen deutschen Alleingang machen, sondern gemeinsam als Europäische Union agieren. Und vor ungefähr einem Monat kam es auf EU‑Ebene schließlich auch zu dem Beschluss, dass die Ausbildung der Sicherheitskräfte in Mali im Rahmen von EUTM Mali ausgesetzt wird. Dieser Beschluss auf EU‑Ebene spiegelt sich bereits im Mandatstext wider, den wir jetzt im Bundestag besprechen. Verzeihen Sie bitte, liebe Union, aber es bedarf bisweilen auch mal längerer Absprachen zwischen den Ministerien. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie oft wir zu euren Regierungszeiten als Opposition auf die Texte aus den Ministerien haben warten müssen. ({3}) Ihr braucht jetzt nicht so zu tun, als wärt ihr als Regierung gegenüber der Opposition Vorbilder gewesen; das kenne ich aus den letzten vier Jahren. ({4}) Heute kommen wir mit der Ausbildung in Niger den Anforderungen des Hauses nach. Wir als FDP-Fraktion hatten damals darauf gedrängt, dass die Mission Gazelle in das Mandat integriert wird, und das ist 2020 erfolgt. Es war uns daher besonders wichtig, dass wir jetzt nicht versehentlich das Kind mit dem Bade ausschütten und auch gleich noch Niger für die Verfehlungen der Militärjunta in Mali bestrafen. Denn Niger hat sich mit weitgehend demokratischen Wahlen 2016 und 2021 als Stabilitätsanker in der Region erwiesen. Daher müssen wir Niger weiter unterstützen, und das wollen wir als Freie Demokraten auch. Die Mission Gazelle läuft planmäßig zum Ende des Jahres aus; das haben viele Kollegen hier schon gesagt. Aber wir sind bereits in Gesprächen, unser Engagement möglicherweise fortzusetzen. Denn Niger möchte in den nächsten Jahren die Zahl seiner Sicherheitskräfte verdoppeln, um selber für die Sicherheit im eigenen Land sorgen zu können. Aus diesen Gründen möchte ich für Ihre Zustimmung zu diesem Mandat werben. Abschließend möchte ich unseren Soldatinnen und Soldaten danken, die unter diesen wirklich schwierigen Bedingungen der nigrischen und der malischen Bevölkerung helfend zur Seite stehen. Vielen Dank dafür! ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Ali Al-Dailami das Wort. ({0})

Ali Al-Dailami (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Einsatz in Mali ist krachend gescheitert. Keines der seit fast zehn Jahren verkündeten Ziele wurde erreicht. Die Lage in der gesamten Sahelzone bleibt explosiv, und der Einsatz ausländischer Soldatinnen und Soldaten hat die Lage nicht besser gemacht; ganz im Gegenteil. Doch anstatt sich genau das einzugestehen und die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen, nämlich die Soldatinnen und Soldaten endlich nach Hause zu holen, wollen Sie das deutsche MINUSMA-Kontingent um 300 Soldaten aufstocken, und die deutschen Ausbilder sollen jetzt einfach in Niger weitermachen. Das ist nichts anderes als die Fortsetzung des bisherigen Scheiterns mit Ansage, und das ist fatal, meine Damen und Herren von der Bundesregierung. ({0}) Das Herunterfahren der Ausbildungsmission in Mali begründen Sie mit der Zusammenarbeit malischer, von der Bundeswehr ausgebildeter Soldaten mit russischen Kräften, die womöglich Menschenrechtsverletzungen begehen könnten; das hat die Verteidigungsministerin soeben erläutert. Doch schon 2020 waren die malischen Sicherheitskräfte zeitweise sogar für mehr Vergehen an der Zivilbevölkerung verantwortlich als islamistische Terroristen; Konsequenzen gezogen haben Sie damals keine. Es gab zwei Militärputsche in Mali in Folge; Konsequenzen gezogen haben Sie damals keine. Und zum Einsatz russischer Kräfte in Mali hatte die Verteidigungsministerin noch vor einigen Monaten gesagt – ich darf zitieren –: „Wir werden nicht weichen, so einfach machen wir es den Russen nicht“. Und jetzt ist die Präsenz Russlands auf einmal eines Ihrer Hauptargumente für das Herunterfahren der Ausbildungsmission. Da fragt man sich: Was gilt denn nun? Was ist denn das für eine Orientierungs- und Planlosigkeit in dieser Regierung? Das ist unfassbar. Damit muss endlich Schluss sein. ({1}) Fakt ist: Die Sahelzone ist ein Pulverfass. Nicht nur in Mali, sondern auch im Tschad und in Burkina Faso gab es einen Putsch. Auch Letztere haben sich Russland zu Hilfe geholt. Fakt ist auch, dass in der Sahelzone die ehemalige Kolonialmacht Frankreich, in deren Schlepptau nicht nur die Bundesregierung, sondern auch andere Staaten vor Ort aktiv sind und die sich im Übrigen in Mali zuerst aus dem Staub gemacht hat, immer mehr unerwünscht, wenn nicht mittlerweile in einigen Ländern gar verhasst ist – unerwünscht, weil sie sich dort ständig in die inneren Angelegenheiten einmischt und dort auch enormen wirtschaftlichen Einfluss ausübt. Das ist nebst der Abwehr von Geflüchteten der Kern des Interesses an dieser Region. ({2}) Denn Frankreich kontrolliert bis heute die Währungspolitik von 14 Ländern in West- und Zentralafrika und hat Vorkaufsrechte für viele der natürlichen Ressourcen. Französische Unternehmen dominieren viele Wirtschaftszweige wie Transport, Häfen und Telekommunikation. Und es geht Frankreich auch um den freien Zugriff auf die Uranminen im Sahel für seine 56 Atomkraftwerke. ({3}) Angesichts dieses Getümmels inklusive des grenzüberschreitenden Terrorismus und der Putsche wollen Sie die Soldatinnen und Soldaten ernsthaft in der Sahelzone belassen? Ich sage Ihnen: Das ist verantwortungslos, und das machen wir nicht mit. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion spricht nun Christoph Schmid. ({0})

Christoph Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005208, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir geht es wie dem Kollegen Lechte von der FDP: Jetzt zurück zur Sachpolitik! Wir haben vor circa einer Stunde über die Verlängerung der Beteiligung unserer Bundeswehr an der UN-Mission MINUSMA diskutiert, und ich gehe davon aus, dass die Mehrheit dieses Hauses der Verlängerung des Mandats unter den genannten Bedingungen zustimmen wird. Das ist ein gutes und wichtiges Signal für die Stabilität in der Sahelzone. Unsere Verantwortung als Parlament ist aber natürlich, dass unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz den bestmöglichen Schutz haben. Das hat die Verteidigungsministerin sehr eindrücklich betont. Lassen Sie mich all denen danken, die aktuell in einem Auslandseinsatz sind oder waren, an der Stelle natürlich vor allem in der Sahelzone, egal ob nun im Rahmen von MINUSMA oder EUTM. ({0}) An die AfD richte ich den dringenden Appell, niemals Egon Bahr oder andere SPD-Größen zu zitieren. Dafür müsste man verstehen, was diese zu sagen hatten. ({1}) Ich habe in den letzten Monaten viele Gespräche mit unterschiedlichsten Akteuren geführt, von eingesetzten Soldatinnen und Soldaten vor Ort über Wissenschaftler/-innen bis hin zu in Deutschland lebenden Maliern. Ich konnte unglaublich viele Eindrücke gewinnen und weiß daher, welche Wertschätzung unser deutsches Engagement in Mali genießt. Das gilt sowohl für die Entwicklungszusammenarbeit als auch für das sicherheitspolitische Engagement. Auch wenn niemand in der Linkspartei diesen Zusammenhang sehen möchte: Es ist nicht Russlands Engagement, das uns dazu bringt, jetzt aus EUTM auszusteigen, sondern es sind die Menschenrechtsverletzungen, die gemeinsam mit Russland dort begangen werden, die uns zu dieser Einsicht bringen. ({2}) Da bitte ich schon, zu berücksichtigen, was die Verteidigungsministerin gesagt hat. Ein nicht unerheblicher Teil der malischen Zivilgesellschaft hätte sich gewünscht, dass Deutschland und auch die EU künftig bei der Ausbildung von Sicherheitskräften Unterstützung leisten würden. Aber wie bereits mehrfach erwähnt, muss man festhalten, dass die derzeitige malische Regierung wenig bis gar kein Interesse an einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit gezeigt hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Schmid, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Lutze?

Christoph Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005208, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meinetwegen.

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Wir sind uns ja weitgehend einig, was die Einschätzung der Lage in der Region und in Mali angeht. Wir kommen nur zu unterschiedlichen Folgerungen, wie die Politik damit umgehen soll. Sie haben gerade als Stichworte Russland und diese Söldnertruppe erwähnt. Ihnen muss doch bekannt sein, dass es seit drei, vier Jahren Kenntnis darüber gibt. Warum haben Sie als SPD in diesen Monaten und Jahren nichts gemacht? Warum kommen Sie erst jetzt zu der Erkenntnis, Ihr Engagement dort zurückzufahren, aufgrund dessen, was Russland bzw. die russischen Söldner dort machen? Warum haben Sie nicht schon vor drei, vier Jahren reagiert, seitdem das bekannt geworden ist?

Christoph Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005208, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass die malische Regierung schon seit Langem mit Russland militärisch zusammengearbeitet hat. Die russische Regierung hat schon lange Hubschrauber nach Mali geliefert und war schon lange Partner der militärischen Strategie Malis. Aber erst in den letzten Jahren kamen die sogenannten Private Military Companies ins Spiel und haben dazu beigetragen, dass gemeinsam mit malischen Kräften Menschenrechtsverletzungen begangen wurden. Deswegen ist die Situation natürlich neu zu bewerten. Ich glaube, das ist Ihnen auch bekannt. ({0}) Die anfänglich gute Zusammenarbeit mit der malischen Regierung hat sich stetig verschlechtert. Es wurde nicht nur der Transitionsprozess verzögert und viel diplomatisches Porzellan zerschlagen. Nein, durch die Ausdehnung der Zusammenarbeit mit Private Military Companies wurden auch schwerwiegende Verletzungen fundamentaler Menschenrechte begangen. Die malische Regierung hat sich deshalb als Partner für Deutschland und die EU völlig disqualifiziert. Daher ist es doch mehr als nachvollziehbar, dass die EU im April entschieden hat, die Zusammenarbeit auszusetzen. Von deutscher Seite – wir haben es gehört – soll künftig nur noch eine minimale fachliche Beratung auf strategischer Ebene stattfinden, also eine minimale Präsenz in Mali verbleiben. Wir als Ampelkoalition sind mit dem Versprechen angetreten, dass wir Auslandseinsätze künftig nicht um ihrer selbst willen verlängern wollen, sondern alle Einsätze unserer Bundeswehr einer kritischen Überprüfung unterziehen werden. In der öffentlichen Diskussion sind die laufenden Einsätze wegen der völlig veränderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen ein wenig aus dem Fokus verschwunden. Umso wichtiger ist, dass wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier diesen Fokus behalten und unserer Verantwortung gerecht werden. Lassen Sie es mich noch einmal deutlich betonen: Eine deutsche Beteiligung an der Ausbildung von Sicherheitskräften für die aktuelle malische Regierung kann, darf und wird es nicht mehr geben. ({1}) Das ist für die Sahelregion ein weiterer herber Rückschlag, der allerdings allein den politisch Verantwortlichen in Mali zuzuschreiben ist. Erfreulich dagegen ist – auch das haben wir gehört – die Zusammenarbeit mit der Regierung in Niger. Daher ist es wichtig, dass wir an dieser Stelle der gesamten Sahelregion signalisieren, dass auch wir ein verlässlicher Partner sind, wenn unsere örtlichen Partner ebenfalls zuverlässig sind und Grundwerte wie Menschenrechte und Demokratie achten. ({2}) Aus diesem Grund sollte der Spezialkräfteeinsatz Gazelle unter dem Dach EUTM Mali wie vereinbart bis zur geplanten Beendigung im Dezember 2022 weitergeführt werden. Als SPD-Fraktion sind wir aber auch offen für Gespräche über eine noch auszuarbeitende mögliche Anschlusslösung, um mit Niger einen möglichen Stabilitätsanker und auch einen Hoffnungsschimmer in der Sahelregion weiter zu unterstützen. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Thomas Silberhorn das Wort. ({0})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundeswehr hat in Mali und in der gesamten Sahelzone über viele Jahre einen wertvollen Beitrag zur Stabilität geleistet und tut das noch heute. Der Einsatz in Mali ist jetzt der größte der Bundeswehr. Allen Soldatinnen und Soldaten, die dort im Einsatz sind oder waren, gebührt unser aller Dank und unsere ausdrückliche Anerkennung. ({0}) Der Ansatz für Mali war durchaus richtig, nämlich Ausbilder und Spezialkräfte auszubilden. Allerdings sind die Fortschritte in Mali deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Nachbarländern wie beispielsweise Mauretanien gelingt es sichtbar besser, die eigenen Grenzen zu sichern, Terroristen zu isolieren und Organisierte Kriminalität einzugrenzen. Deswegen kann und muss Mali mehr für die eigene innere Sicherheit tun. Sie müssen neue Sicherheitskräfte rekrutieren und ausbilden, sie müssen staatliche Institutionen im ganzen Land platzieren, und sie müssen in Daseinsvorsorge investieren, von Ernährung über Bildung bis Gesundheit. Das ist nicht meine persönliche Auffassung; das sehen die Nachbarstaaten so, das sieht die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft so, und das weiß die malische Regierung auch selbst. Präsident Goïta bestimmt jetzt den Kurs. Seine Bevölkerung bringt ihm großes Vertrauen entgegen. Die internationale Gemeinschaft ist durchaus bereit, die Anstrengungen Malis zu unterstützen; aber wir können sie nicht ersetzen. Die malische Regierung wollte seit vielen Monaten die Ausbildung ihrer Streitkräfte teilweise in die Landesmitte verlegen. Zu diesem Zweck hat die Bundesregierung in enger Abstimmung mit der Europäischen Union ein Ausbildungszentrum in Sévaré detailliert ausgeplant. Die Europäische Union hätte es mitfinanziert; wir waren da auf einem guten Weg. Aber es ist doch ein Vertrauensbruch, dass die malische Regierung zur gleichen Zeit neue Vereinbarungen mit Russland über Ausbildung getroffen hat. Und es ist neu – anders, als es gerade dargestellt worden ist –, dass Söldner der privaten Wagner-Gruppe im Land sind. Es ist auch neu, dass sich Frankreich aus Mali zurückgezogen hat und diese Söldner jetzt in dieses Vakuum stoßen. Und es ist auch neu, dass unter Beteiligung malischer Streitkräfte unter Anweisung russischer Söldner schwere Menschenrechtsverletzungen begangen werden. Deswegen können wir nicht so weitermachen wie bisher. Es hat sich auch die politische Grundlage unserer Kooperation verändert. Es ist schon angesprochen worden, dass Goïta die Zusagen, bis Februar diesen Jahres Wahlen durchzuführen, nicht eingehalten hat. Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft, ECOWAS, muss ihre Sanktionen aufrechterhalten; ein Konsens ist nicht in Sicht. Deswegen ist die Ankündigung der Europäischen Union vom April konsequent gewesen, die europäische Trainingsmission in Mali auszusetzen. Dass die Bundesregierung nun die taktische Beratung und die Ausbildung bis auf Weiteres aussetzt, ist insoweit das notwendige Minimum. Wir können nicht – da stimme ich den Vorrednern zu – malische Soldaten ausbilden, die dann mit russischen Söldnern Menschenrechte missachten. ({1}) Allerdings bleibt die Lage im Sahel fragil. Insbesondere besteht weiterhin die Gefahr, dass sich Terrorismus und Organisierte Kriminalität von dem Dreiländereck Mali, Niger, Burkina Faso bis an die Südküste von Ghana bis Nigeria ausbreiten. Russische Kämpfer werden dem Sahel ganz sicher keinen Frieden bringen. Sie zeigen dort die gleiche Brutalität, die wir schon in Syrien gesehen haben und aktuell in der Ukraine feststellen müssen. ({2}) Meine Damen und Herren, es liegt in unserem Interesse an Sicherheit in unserer europäischen Nachbarschaft, dass die Europäische Union auch mit unserer Beteiligung in der Region weiter präsent ist. Deswegen ist es richtig, dass diese europäische Trainingsmission im Kern fortgeführt wird, ausgesetzt in Mali, jetzt mit Schwerpunkt im Niger. Die Trainingsmission Gazelle ist erfolgreich, die Ausbildung der Spezialkräfte ist vielfach erprobt – das machen auch andere Staaten –, und sie zeigt erhebliche Fortschritte. Hinzu kommt, dass Niger trotz erheblich schwierigerer wirtschaftlicher Rahmenbedingungen im Vergleich zu Mali auch politisch auf dem richtigen Weg ist. Das verdient unsere Unterstützung. ({3}) Ich begrüße ausdrücklich, dass die weitere Unterstützung der Gemeinsamen Einsatzgruppe der G-5-Sahelstaaten, der Force Conjointe, in diesem Mandatstext aufgeführt ist. Wir sind auch aufgeschlossen für eine neue Mission im Sahel im Anschluss an die Operation Gazelle, die zum Jahresende beendet wird, gegebenenfalls ergänzt um die Begleitung bei Operationen – also wenn, dann das volle Programm. Das gebe ich zu bedenken. Ein letzter Hinweis darf doch gestattet sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, dass wir Parlamentsdebatten über Auslandseinsätze führen, hat nicht den Zweck, dass Sie länger nachdenken und beraten dürfen als Ihre eigene Regierung. Sie sollen vielmehr die Konzepte, die Sie erarbeiten, vor den Augen der Öffentlichkeit mit uns präsentieren und sich mit uns über den richtigen Kurs streiten. Dazu sind wir gerne bereit, und dann, denke ich, sind wir auch im Sahel auf einem guten Weg. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Dr. Bernd Baumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004662, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es passierte vor wenigen Tagen mitten in Deutschland: 100 Männer bekriegen sich auf offener Straße mit Schusswaffen, im Zentrum des Feuergefechts türkisch-arabische Clans – diesmal in Duisburg. Und das ist kein Einzelfall. Clankriminalität explodiert. Die Polizei, von der Politik alleingelassen, ist machtlos. Und Sie alle hier schwiegen das Problem jahrzehntelang tot. Wir von der AfD waren es, die das Thema hier im Bundestag erstmals zur Sprache brachten. Ich selbst hielt die Rede dazu und brauchte danach monatelang Polizeischutz. Das nennen wir Mut zur Wahrheit, meine Damen und Herren, den Sie nicht haben. ({0}) Wie notwendig das immer noch ist, zeigen die aktuellen Zahlen. Nehmen wir nur das größte Bundesland, NRW: 2019 hatte das dortige Landeskriminalamt rund 100 Clanfamilien identifiziert mit bis dahin 14 000 dokumentierten, zum Teil schwersten Straftaten. Heute, nur drei Jahre später, sind es bereits mehr als doppelt so viele: 32 000, allein in NRW. Typische Verbrechen dabei: schwere Gewaltdelikte, Morde auf offener Straße, Raubüberfälle, Schutzgelderpressung, Diebstahl und Betrug. Die Clans handeln mit Waffen, mit Drogen, mit Frauen, die sie in ihre Bordelle zwingen. 20 Milliarden Euro, so hoch schätzen Polizeiexperten die Beute aus Organisierter Kriminalität jährlich allein in NRW. Clans haben daran großen Anteil. Meine Damen und Herren, so etwas muss konsequent bekämpft werden, und das haben Sie über Jahre nicht gemacht – auch in diesem Haus nicht. ({1}) Bloße Polizeirazzien nutzen nämlich gar nichts, sind hohle Inszenierungen. Sie sollen die Bürger vor den Fernsehbildschirmen nur beruhigen, es werde irgendwas getan. Die Clans lachen darüber. Die Zahlen beweisen das doch. Hier haben die Innenminister aller Parteien auf ganzer Linie versagt, und das über Jahre und Jahrzehnte, meine Damen und Herren. ({2}) Wir müssen stattdessen grundlegend die rechtlichen, personellen und technischen Ausstattungen von Polizei und Justiz verbessern ebenso die Vernetzung zwischen Bund und Ländern. Die BLICK-Initiative, die Sie gemacht haben, ist viel zu wenig. Hochkriminelle Clanmitglieder ohne deutschen Pass müssen abgeschoben werden, und zwar schnell, meine Damen und Herren. ({3}) Wir brauchen eine Gesamtstrategie. Mittlerweile haben die Clans über 200 000 Mitglieder hierzulande. Das sind bald so viele wie alle Polizisten in Deutschland zusammen. Das ist mehr, als die Bundeswehr Soldaten hat. Wir müssen den Angriff orientalischer Großfamilien abwehren. Stimmen Sie unserem 18‑Punkte-Plan zu! ({4}) Wie dramatisch die Lage ist, sieht man daran, dass einzelne Polizeiführer bereits resigniert haben. Der Dienststellenleiter Organisierte Kriminalität im Bundesland Bremen sagt – ich zitiere –: Mit polizeilichen Mitteln ist das Problem nicht zu lösen. Die Strukturen sind hier schon zu verfestigt. Woran liegt das? Wir haben es in Europa mit einem ganz neuen Phänomen zu tun. Experten wie der Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft, Michael Lüders – früher bei der SPD-Stiftung, der Friedrich-Ebert-Stiftung –, sagt – ich zitiere –: Die Gesellschaften im Nahen Osten sind ganz anders als in Westeuropa. Sie sind – so wörtlich – „von Clan- und Stammesstrukturen bestimmt“. Das bestätigen auch die Polizeipraktiker, etwa vom Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen. Sie sagen wörtlich: Hier werden … Verhaltensmuster aus den Herkunftsgebieten in Deutschland weitergelebt. Die Polizei spricht von ethnisch-kultureller Kriminalität, von Ethno-Clans, von importierter Kriminalität. Es liegt also nicht, wie viele hier im Parlament behaupten, an verfehlter Integrationspolitik, an angeblicher Ausgrenzung, an fehlender Teilhabe. Nein, die wesentlichen Probleme liegen in der Herkunftskultur. Wenn Sie das nicht begreifen, werden Sie das Problem niemals lösen in diesem Land. ({5}) Meine Damen und Herren, ich habe hier soeben von Ethnien gesprochen, von ethnischer Fremdheit und von ethnischer Kriminalität. Der Verfassungsschutz definiert solche Aussagen als verfassungsfeindlich. Wir aber sagen: Das Benennen der Wahrheit kann niemals verfassungsfeindlich sein. Es ist geradezu der Kern unserer freiheitlichen Ordnung. Das zeigt auch das Clanproblem. Es wird Zeit, dass wir die Verfassung vor dem Verfassungsschutz schützen, meine Damen und Herren. ({6}) Und wenn der Haldenwang mich jetzt sucht: Ich bin nachher drüben in meinem Büro. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Sebastian Fiedler für die SPD-Fraktion. ({0})

Sebastian Fiedler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005056, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wusste, dass ich vor Beginn meiner Rede erst mal etwas trinken muss. Herr Baumann, es ist eben nicht egal, wer einen Antrag zu einem solchen Thema einbringt. Sie haben die Überleitung geradezu idealtypisch geliefert. Es ist richtig, dass Sie ein Verdachtsfall sind. Da Sie immer auf das Bundesamt für Verfassungsschutz abheben: Sie haben wohl vergessen, zu erwähnen, dass das auch gerichtlich bestätigt ist. ({0}) – Das mache ich schon ganz gern. Das ist nämlich der Inhalt. ({1}) Sie stellen diesen Antrag ganz bewusst, weil es eine dieser rechtsextremen Strategien ist, sich mit Ihrem Programm unmittelbar an die Sicherheitsbehörden zu wenden und ihnen zu erzählen, Sie hätten sozusagen den Stein der Weisen gefunden und alle anderen hätten keine Ahnung. ({2}) – Hören Sie mal zu! 55 Fußnoten zeichnen Ihren Antrag aus. Wen Sie vor allem zitiert haben, will ich Ihnen vorlesen. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin aus dem Antrag: Experten wie Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, ({3}) sehen darin reine Showeffekte ... Wenn Sie mir eine solche Expertise zutrauen, dann habe ich wahrscheinlich auch damit recht, wenn ich sage: Sie sind eine rechtsextreme Partei. Das kommt nämlich auch aus dieser Expertise heraus. ({4}) Ich will Ihnen auch erklären, was hinter diesem Zitat steckte. Ich erkenne Ihnen ab, dieses Thema zu okkupieren, weil es ein ernsthaftes Thema ist, ({5}) das Sie für Ihre Zwecke instrumentalisieren wollen, indem Sie jetzt wieder ein schönes Video produziert haben, das Sie mit einer Schlagzeile ins Netz stellen. Hinter meinem Zitat steckte in der Tat eine Kritik an dem nordrhein-westfälischen Innenminister, der im Unterschied zu den anderen, auch von dieser Kriminalität betroffenen Innenministern sehr stark prominent bei Razzien auf Titelseiten auftaucht, ({6}) sich auf der Tanzfläche filmen lässt, 17 Stunden an Einsätzen teilnimmt. ({7}) Die Kritik ist – ich zitiere einmal einen hochrangigen Beamten aus dem nordrhein-westfälischen Innenministerium –: Erst wenn das letzte Gramm Shishatabak beschlagnahmt ist, wird der Innenminister Nordrhein-Westfalens merken, dass dafür keiner in Haft bleibt. ({8}) Was dahintersteckt, ist der Punkt, dass das Personal nicht hinterlegt wird, und das ist zu kritisieren. Das unterscheidet die Strategien voneinander. ({9}) Man braucht nämlich extreme Ermittlungen und nicht nur Razzien. Die 20 Stellen, die in Nordrhein-Westfalen vorgesehen sind, stehen im Gegensatz dazu. Mein Berufsverband hatte mal gefordert, 100 Ermittler bräuchte man nur für das Ruhrgebiet. ({10}) Der Polizeipräsident von Essen hat mal die Zahl 200 formuliert. – Das ist der entscheidende Punkt. Wir sprechen hier über die Strategien. Und ein wichtiger Teil bei Strategien ({11}) – das erkläre ich Ihnen noch – ist: Man muss ermitteln. Das ist ein wesentlicher Strategiekern, und das ist der Unterschied zu einer Strategie, die sich im Wesentlichen auf tausend Nadelstiche fokussiert, die Ballons zum Platzen bringen, aber keine verkrusteten Strukturen aufhellen können. Das ist der Unterschied. ({12}) Ich nutze die Gelegenheit gern, um den Gesamtzusammenhang herzustellen und deutlich zu machen, dass Sie sich sozusagen ein Themenfeld herausgepickt haben. Europol geht davon aus, dass innerhalb der Europäischen Union etwa 5 000 Gruppierungen der Organisierten Kriminalität existieren. Im gesamten Konzert – man könnte das einmal mit Wirtschaftsbeteiligten vergleichen, weil es sich um illegale Märkte handelt, auf denen aktiv geworden wird – kann man im Prinzip sagen, dass die Clankriminalität gute Mittelständler sind, während beispielsweise die italienische Mafia ein global agierender Konzern mit Umsätzen von weltweit etwa 50 Milliarden Euro ist. Das entspricht in etwa der Größenordnung von Facebook, um das einmal einzuordnen. Wir haben in Deutschland gesehen und wissen aus den Encrochat-Ermittlungen, was das im Bereich Organisierte Kriminalität – das Feld ist eben sehr viel größer – insgesamt bedeutet. Wir haben im letzten Jahr 19 Tonnen Kokain sichergestellt, haben es da mit explodierenden Märkten zu tun. Wir haben es mit handfesten Straftaten zu tun: Mordaufträge, Folter – hierzu gibt es Erkenntnisse –, Betrug, Produktfälschungen. Aber wir haben es auch mit Umweltkriminalität zu tun. Häufig vergessen: Menschenhandel, Waffenhandel. Wenn man das insgesamt in den Blick nimmt und sich fragt: „Was sind wirksame Strategien?“, dann kommt man zu ganz grundlegenden Debatten, bei denen sich zeigt, wo welche politische Strömung unterwegs ist. Ich will daran erinnern – das haben wir schon bei einer vergangenen Diskussion gemacht –: Diese Koalition nimmt das Thema Bargeld in Bezug auf Immobilien in den Griff, weil es ein riesengroßes Themenfeld ist. Es ist immer noch möglich, mit einem Rindslederkoffer mit sehr viel Bargeld eine Immobilie zu erwerben. Schauen Sie in den Koalitionsvertrag. Darin steht das. Überprüfen Sie Ihre Position, die Sie an dieser Stelle zum Bargeld haben. ({13}) Zweites Themenfeld: Transparenzregister. Das haben wir an einer anderen Stelle schon diskutiert. Schauen Sie sich an, wie Sie diese Diskussion bei der Diskussion um das Immobilienregister verhetzt haben. Wir werden – Sie haben gelesen: es gibt ein Sanktionendurchsetzungsgesetz I und II – in diesem zweiten Paket intensiv in den Blick nehmen, wie gut und schlecht unsere Register sind, und werden zu Verbesserungen kommen. Das wirkt auch gegen Organisierte Kriminalität. ({14}) Der wirklich spannendste Teil – der ist wirklich grotesk – in Ihrem Antrag: Sie wagen es wirklich, Europol reinzuschreiben. Das ist echt ein Witz. Eine Partei, die im Parteiprogramm stehen hat, die Mittel von Europol und Eurojust zu kürzen, die die Europäische Staatsanwaltschaft nicht haben will, die am liebsten aus der Europäischen Union aussteigen will, ist wirklich eine Gefahr für die innere Sicherheit hier in diesem Land; absurd, absurd, absurd. ({15}) Was man also braucht – um es auf den Punkt zu bringen –: Wir müssen die vielen sehr engagierten Polizistinnen und Polizisten, Steuerfahnderinnen und Steuerfahnder, Zöllner und alle, die im Moment an diesen Themen arbeiten, zusammenbringen. ({16}) Der Bund tut hier sehr viel Gutes. Das Stichwort „BLICK“ wurde schon als ein Punkt genannt. Das BKA unterstützt hier in diesen Fragen. Das ist gut und richtig so. Diese Koalition nimmt sich das Thema eben breiter vor und schaut sich an: Was wirkt gegen Organisierte Kriminalität? Und das, was gegen Organisierte Kriminalität strukturell hilft, findet die Unterstützung dieser Regierung, und da brauchen wir keine rechtsextremen Anträge von dieser Seite. Ganz herzlichen Dank. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Moritz Oppelt das Wort. ({0})

Moritz Oppelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005171, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vorweg will ich an die Adresse der AfD eines ganz deutlich sagen: In unserem Land gilt das Recht der Bundesrepublik Deutschland und gelten nicht die Gesetze von Clans und Clanfamilien. ({0}) Ich sage das in dieser Deutlichkeit, weil Ihr Antrag, der Antrag der AfD-Fraktion, in der Öffentlichkeit wieder einmal etwas anderes suggerieren will. Mit Ihrem Antrag versuchen Sie, ein Zerrbild der Realität in unserem Land zu zeichnen. ({1}) Die Realität ist, dass Deutschland eines der sichersten Länder auf dieser Erde ist. ({2}) Wir haben eine niedrige Kriminalitätsbelastung und eine hohe Aufklärungsquote. Das liegt nicht an irgendwelchen Anträgen oder an irgendwelchen Reden, die Sie hier im Parlament gehalten haben, das liegt an der hervorragenden Arbeit, die Hunderttausende Polizistinnen und Polizisten Tag für Tag leisten, Hand in Hand mit unserer Justiz und den Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern. Und diesen Menschen gebührt unser Dank. ({3}) Dass Deutschland eines der sichersten Länder ist, liegt auch an politischen Weichenstellungen; denn es macht eben einen Unterschied, ob die Politik den Behörden den Rücken stärkt oder aber Misstrauen entgegenbringt, ob die Politik die Dinge schönredet oder die Missstände konsequent anpackt. Am besten sieht man das heute in Nordrhein-Westfalen. Über Jahre hinweg war Nordrhein-Westfalen nämlich das Schlusslicht im Bereich der inneren Sicherheit. ({4}) Kriminelle Clans tanzten dem Rechtsstaat auf der Nase herum, und in manches Stadtviertel konnte die Polizei nur noch mit Mannschaftsstärke. Dann kam Herbert Reul. ({5}) Die Bekämpfung der Clankriminalität ist nun Chefsache in Nordrhein-Westfalen. ({6}) Mit der „Politik der tausend Nadelstiche“ konnte dem Unwesen der Clans ein Riegel vorgeschoben werden. ({7}) Bei fast 2 000 Razzien allein in NRW wurden mehr als 5 000 Objekte kontrolliert. Es wurden etwa 22 000 Verstöße geahndet, über 3 000 Gegenstände beschlagnahmt und über 400 Objekte direkt geschlossen. ({8}) Die Clanfamilien in Nordrhein-Westfalen spüren mittlerweile ganz konkret die Konsequenzen des Rechtsstaats, ({9}) indem die Strafverfolgungsbehörden ihre Luxusautos und ihre Immobilien beschlagnahmen. Allein im Jahr 2021 waren es in Nordrhein-Westfalen über 10 Millionen Euro an Vermögenswerten, davon alleine 8,4 Millionen Euro Bargeld – ein Rekordwert. ({10}) Natürlich haben inzwischen auch andere Bundesländer sich am Beispiel Nordrhein-Westfalens orientiert und bekämpfen auch die Clankriminalität, wie hier in Berlin, inzwischen effektiver als zuvor. Um die Bundesländer in ihrem Vorgehen zu unterstützen haben wir als unionsgeführte Bundesregierung im Jahr 2017 mit dem Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung die notwendigen Rechtsgrundlagen hierfür geschaffen. Ich erwarte auch von der Ampelregierung, dass sie diesen Weg konsequent weitergeht und den Bundesländern das nötige Rüstzeug in die Hand gibt. ({11}) Auch aus meiner eigenen beruflichen Erfahrung als Sachgebietsleiter in der Steuerfahndung weiß ich, dass wir trotz dieser Erfolge unsere Bemühungen bei der Bekämpfung von Clankriminalität weiter intensivieren müssen. Die Zeit des Wegschauens ist vorbei. Der Machtdemonstration der Clans müssen wir eine Machtdemonstration des Rechtsstaats entgegensetzen. ({12}) Wir müssen der Clankriminalität vor allen Dingen ihre wirtschaftliche Grundlage entziehen, und dafür muss auch der Bund weitere gesetzliche Regelungen treffen. Bei Vermögen unklarer Herkunft muss ein vollständiger Legalitätsnachweis verlangt werden können. Es kann nicht sein, dass irgendein dubioser Darlehensvertrag von irgendeinem angeblichen Verwandten im nichteuropäischen Ausland präsentiert wird und dann hier ausreichend sein soll. ({13}) In diesem Zusammenhang müssen wir uns auch mit den Scheinhalterschaften bei Kfz beschäftigen und hierzu eine bundeseinheitliche Regelung treffen, um dagegen in den Ländern vorgehen zu können. Es muss möglich sein, dass Clanmitgliedern der Führerschein entzogen wird und die Autos direkt beschlagnahmt werden, wenn sie rücksichtslos auf Behindertenparkplätzen parken und vorsätzlich Verkehrsregeln missachten. Die Devise muss sein: null Toleranz gegenüber Clans von Anfang an. ({14}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es handelt sich bei dem Thema der Bekämpfung der Clankriminalität um ein ernstes Thema, und dabei zählen Taten und nicht irgendwelche Anträge. An die Adresse der Grünen: Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit und nicht irgendeiner Traumwelt. Denn Clankriminalität ist eben kein aufgebauschtes Thema, wie es unlängst eine exponierte Vertreterin der Grünen in NRW gesagt hat, sondern ein ganz reales Problem. Die Union ist offenbar die einzige Kraft in Deutschland, die die Situation schonungslos analysiert und konsequent handelt. ({15}) Es braucht hier keine populistischen Anträge der AfD, keine Reden, sondern es braucht entschlossenes Handeln von Politikern wie Hendrik Wüst und Herbert Reul. ({16}) Den Antrag der AfD-Fraktion lehnen wir deswegen konsequenterweise ab. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Marcel Emmerich das Wort. ({0})

Marcel Emmerich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004969, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zunächst zwei Sätze in Ihre Richtung: Es ist schon sehr bemerkenswert, dass von Ihrer Fraktion ein Antrag mit einem 18‑Punkte-Plan hier im Deutschen Bundestag kommt, den Sie auch genüsslich vortragen. Also ich kann nicht glauben, dass das von Ihrer Seite irgendein Zufall ist, einen 18‑Punkte-Plan hier vorzulegen. ({0}) Außerdem haben Sie mit Ihrem Antrag – –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Emmerich, ich habe kurz die Zeit angehalten. Die Aufregung ist manchmal groß, aber es gibt eine Regel, was die Anrede zu Beginn der Rede betrifft.

Marcel Emmerich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004969, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Entschuldigung! – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! ({0}) Die Aufregung über den 18‑Punkte-Plan war bei mir noch so groß, dass ich das leider unterschlagen habe. Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Mit Ihrem Antrag haben Sie auch mal wieder in die Garderobe gegriffen und einen Deckmantel mitgebracht; denn unter dem Deckmantel der Bekämpfung von sogenannter Clankriminalität werden gezielt Vorurteile gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen geschürt. Das alles dient mal wieder nur Ihrem einzigen bösartigen Zweck: der Verbreitung eines rassistischen Zerrbildes von kriminellen Ausländern und damit Ihrer perfiden politischen Agenda von Hass und Hetze. ({1}) Zum Kollegen Oppelt. Um es deutlich zu sagen: Für uns ist klar: Clankriminalität dürfen wir nicht unterschätzen. Deswegen gehen wir als Ampelkoalition entschlossen und evidenzbasiert vor. Zu einer ehrlichen Debatte gehört dabei aber auch: Clankriminalität ist nicht importiert, sie ist global und im Grunde hausgemacht. Das ist es doch auch, was wir den Opfern von Organisierter Kriminalität, den Menschen, die darunter leiden, und den Einsatzkräften, die beharrlich ermitteln, schuldig sind: eine ehrliche und lösungsorientierte Debatte, die Probleme klar benennt. ({2}) Konzentrieren wir uns bitte auf das, worum es wirklich geht, und das ist die Organisierte und bandenmäßige Kriminalität in all ihren Facetten. Hier werden meist unbemerkt im Stillen Millionen und Milliarden bewegt und neben der brutalen Gewalt Gesellschaft und Wirtschaft massiver Schaden zugefügt. Blicken wir dazu einmal in das Lagebild zur Organisierten Kriminalität: 837 Millionen Euro wirtschaftlicher Schaden, 1 Milliarde Euro erbeutetes Vermögen in Deutschland. Neben der Tatsache, dass die meisten Tatverdächtigen in Deutschland sind, sind es gerade international eng verflochtene Organisationen, Rockerbanden, italienisch und russisch dominierte Gruppen ({3}) und auch rechtsextreme Gruppierungen, die dabei ein massives Problem darstellen, gegen das wir vorgehen. Als Ampelkoalition haben wir im Koalitionsvertrag wichtige Projekte vereinbart, die wir nach und nach abarbeiten. Wir setzen zentrale Forderungen der Sicherheitsbehörden, aus der Wissenschaft und aus der Zivilgesellschaft um. Wir legen einen echten regelmäßigen, periodischen Sicherheitsbericht auf. Die Bekämpfung der Geldwäsche gehen wir mit der Vermögensabschöpfung intensiv an. Wir sorgen für bessere Strukturermittlungen, und wir entwickeln die „Koordinierungsstelle OK“ beim BKA zu einem Teil der gemeinsamen Zentren auf gesetzlicher Grundlage weiter. ({4}) Am wirkungsvollsten bekämpft man den Sumpf des organisierten Verbrechens, indem man hart an die Gelder und Vermögenswerte herangeht und mit erprobten und koordinierten Maßnahmen aktiv ist. Das ist das, was wir machen, und dabei haben wir auch das Thema Prävention im Blick. Das ist auch etwas, was man sich anschauen muss; denn neben der besseren Strafverfolgung bleibt die beste Kriminalitätsbekämpfung eben die Prävention. Wer Menschen über Jahrzehnte kaum Chancen auf Teilhabe gibt, kaum Zugang zu Arbeit, begünstigt Verbrechen. Aus diesen Fehlern müssen wir lernen. Hass, Hetze und Rassismus helfen dabei sicherlich nicht. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Martina Renner für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN)

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! ({0}) Hier liegt nun der Antrag mit dem Titel „Clankriminalität effektiv bekämpfen – Bürger und Rechtsstaat schützen“ vor. Ich stolpere über zwei Dinge. Erstens: „Clankriminalität“. Dieser Begriff, so meine ich, ist irreführend und diskriminierend. Zweitens: „Bürger und Rechtsstaat schützen“. Der Antrag kommt von einer Partei, die absolut nichts mit Rechtsstaatlichkeit am Hut hat ({1}) und der am Ende die Bürger und Bürgerinnen in diesem Land vollkommen schnurz sind. Einziges Ziel des Antrages ist, mal wieder das Kerngeschäft der AfD zu betreiben, und das Kerngeschäft der AfD, das ist Rassismus. ({2}) Ernsthafte Sicherheitspolitik heißt – und das ist hier zu Recht schon gesagt worden –: Sprechen wir über Organisierte Kriminalität! Natürlich müssen diese Strukturen bekämpft werden, und sie müssen besser bekämpft werden, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Insbesondere gilt dies für den Handel mit Waffen und Munition, aber auch für die Terrorfinanzierung. Da bin ich – vielleicht mag es überraschen – an der Seite der Innenministerin, die angekündigt hat, diese Kriminalität intensiver zu verfolgen. Oppositionsarbeit heißt, hier auf die Umsetzung zu schauen und genau zu schauen, ob am Ende nicht mehr bleibt als Ankündigungen. Doch der AfD geht es bei diesem Thema ausschließlich darum, die erstbeste rassistische Abzweigung zu nehmen. Sie wollen alle Menschen mit Migrationsgeschichte in rassistische Sippenhaft nehmen. Da erinnere ich an Hanau. Der rechtsterroristische Anschlag von Hanau ist die Folge genau dieser jahrelangen Hetze gegen migrantisierte Menschen. Dieser Hetze wird immer noch viel zu wenig widersprochen. Wir dürfen als Demokraten und Demokratinnen das nicht dulden. Deswegen brauchen wir nicht mehr diskriminierende Schaufensteraktionen wie Razzien in Shishabars, sondern ein konsequentes Vorgehen gegen diese rassistische Rhetorik. ({3}) Zum Schluss habe ich extra für Sie noch ein Beispiel kriminell organisierter Strukturen – nennen Sie es meinetwegen „Clankriminalität“ –: Vor dem OLG München wird seit Februar ein Verfahren gegen rechtsextreme Waffenhändler geführt. Den Angeklagten wird Schmuggel und Handel mit Kriegswaffen aus dem ehemaligen jugoslawischen Bürgerkriegsgebiet vorgeworfen, darunter Dutzende Pistolen, mehrere Pumpguns und Maschinengewehre. Unter den Angeklagten befindet sich ein früheres AfD-Mitglied. Eine Käuferin war die Mitarbeiterin des damaligen Landesvorsitzenden und des heutigen Abgeordneten Bystron. Das ist genau die Kriminalität, von der eine Gefahr für den Rechtsstaat ausgeht, und davor müssen wir die Bürger und Bürgerinnen schützen. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Manuel Höferlin für die FDP-Fraktion. ({0})

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema, über das wir heute debattieren, ist ein sehr wichtiges. Clankriminalität, überhaupt Organisierte Kriminalität, ist ein großes Problem, das wir bekämpfen. Auch in der Fortschrittskoalition nehmen wir das Thema sehr ernst. ({0}) Nicht umsonst haben wir deshalb im Koalitionsvertrag viele Maßnahmen vereinbart, um diesen Bereich zu verstärken. ({1}) Beim vorliegenden Antrag der AfD fällt es mir allerdings schwer, ihn nicht als Showprojekt, so wie Sie ihn auch vorgetragen haben, Herr Kollege, für die NRW-Wahl am kommenden Wochenende zu verstehen; so ist er wahrscheinlich auch gedacht. Aber ich will ernsthafte Forderungen, die sich im vorliegenden Antrag verstecken, ruhig erwähnen. Sie sind aber teilweise auch umgesetzt, oder sie befinden sich in der Umsetzung, und ich will fairerweise an dieser Stelle sagen: nicht erst, seitdem die Fortschrittskoalition hier ist. Viele Dinge sind auch vom ehemaligen Innenminister Seehofer, mit dem ich in der Sache oft auseinanderlag und gut streiten konnte, schon auf den Weg gebracht worden. ({2}) Denn unverdächtig ist er zumindest in der Frage, dass er diese Themen nicht ernst genommen hat und dass da nicht genug vorgegangen wurde. Aber die Fortschrittskoalition hat in Sachen Clankriminalität einiges und einige wesentliche Dinge darüber hinaus unternommen: Wir machen die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, einschließlich der Clankriminalität, zu einem Schwerpunkt der Sicherheitsbehörden. Wir schaffen Möglichkeiten für mehr Strukturermittlungen und für bessere Strukturermittlungen. ({3}) Wir verstärken die rechtlichen Möglichkeiten zur Abschöpfung von Vermögen; das ist schon erwähnt worden. Das ist nicht eine Kleinigkeit, sondern ein wesentlicher Punkt. Gerade die Strukturen, die wir zur Geldwäschebekämpfung schaffen, und ihre Ressourcen sind ein wesentlicher Punkt, den wir voranbringen: gegen Organisierte Kriminalität und gegen Clankriminalität. ({4}) Aber wir setzen noch an anderen Stellen an. Zum Beispiel verankern wir das Phänomen der Clankriminalität auch noch stärker in der Ausbildung in unseren Sicherheitsbehörden. Wir verstärken auch gezielt die Prävention. Wir verbessern die Analysefähigkeit von Sicherheitsbehörden in diesem Bereich, und wir geben der Koordinierungsstelle beim BKA eine gesetzliche Grundlage und entwickeln sie so zu einem Teil der gemeinsamen Zentren weiter und verstärken so noch einmal die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden, meine Damen und Herren. ({5}) Wir werden Clankriminalität im Lagebild zur Organisierten Kriminalität aussagekräftiger als bisher analysieren, und für diesen Zweck werden wir die überfällige definitorische Klärung von „Clankriminalität“ für die Analysen herbeiführen. Oftmals ist gar nicht klar, worüber wir eigentlich sprechen; denn es ist ein größerer Bereich. ({6}) Das ist nicht nur viel, viel mehr, als Sie in Ihrem Antrag schreiben. Es ist vor allen Dingen viel, viel besser als das, was Sie in Ihrem Antrag fordern. Und es ist gut, dass die Fortschrittskoalition sich jetzt darum kümmert, meine Damen und Herren. ({7}) Das ist nämlich ein ernsthafter Beitrag für dieses Land. Ihr Showantrag in dieser Woche ist es nicht – und wenn, dann hätten Sie als Verfasser schon etwas mehr Fachwissen in die einzelnen Punkte investieren müssen. So liest es sich streckenweise wie ein „4 Blocks“-Serienmarathon. Ich komme zu folgendem Schluss – wenn noch etwas Redezeit übrig ist, lasse ich die gerne hier liegen bei diesem Antrag –: Meine Damen und Herren, die Maßnahmen der Fortschrittskoalition zur Neuorganisation gegen die Organisierte Kriminalität und gegen die Clankriminalität, das sind die richtigen Antworten, ({8}) und wir werden der Clankriminalität am Ende besser begegnen, als es bisher der Fall war. ({9}) Das ist seriös. Das bringt unser Land weiter, und nicht die Showreden der AfD heute. Herzlichen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Matthias Helferich.

Matthias Helferich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005079

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 4. Mai: Clanschießerei in Duisburg am helllichten Tage, 19 Schüsse, 4 Verletzte, bis zu 100 Beteiligte, 15 Festgenommene, alle auf freiem Fuß. 10. Mai: Essen-Karnap, mehrere Schüsse auf offener Straße zur Mittagszeit, ein 34‑Jähriger wird getroffen und bricht blutend zusammen, Täter flüchtig. Ich selbst komme aus Dortmund. Meine Heimatstadt ist auf dem sechsten Platz der traurigen Rangliste der Clankriminalität. Seit mehreren Jahren erstarken bei uns in Nordrhein-Westfalen neue Syrerclans, die mit den inzwischen alteingesessenen Libanesenclans um die kriminellen Märkte konkurrieren; ({0}) und für die Syrerclans gilt natürlich auch Ihr Familiennachzug. Schon 2018 warnte das LKA NRW vor dem Entstehen solcher Migrantenclans, die selbst im gewaltaffinen Clanmilieu als besonders brutal gelten. Die Bundesregierung gab sich auf meine Nachfrage völlig ahnungslos: Die Innenministerin weiß nicht, ob Clans bundesweit erstarken oder ob Abschiebung gelingt. Hier wird also klar, was man von der angekündigten „Rückführungsoffensive“ der „Fortschrittskoalition“ halten kann. Laut LKA-Lagebild spielt die „ethnische Geschlossenheit ... bei der Begehung von Straftaten eine herausragende Rolle“. Während die Migrantenclans von ihrer ethnischen Geschlossenheit profitieren, treffen sie auf eine deutsche Alman-Gesellschaft: wehrlos, devot gegenüber allem Fremden und übertolerant – eine Art kollektiver Helge Lindh. ({1}) Für die innenpolitische Sprecherin der NRW-Grünen, Verena Schäffer, sind die Clanschießereien ein „aufgebauschtes Problem“ und der Begriff „Clans“ furchtbar „diskriminierend“. Clans würden die Grünen wählen! CDU-Innenminister Reul feiert seine Politik der „tausend Nadelstiche“, die letztlich nur Symptome in unserem Land bekämpft. Doch was es braucht, wusste bereits der damalige französische Innenminister Sarkozy: Man muss die Kriminellen aus unseren Städten wegkärchern. ({2}) Doch was bedeutet das? Wann immer rechtsstaatlich möglich, müssen Clans abgeschoben, Einbürgerungen verhindert und der öffentliche Raum endlich zurückerobert werden. – Das ist die Sprache des ehemaligen Innenministers von Frankreich. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Carlos Kasper für die SPD. ({0})

Carlos Kasper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005097, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Man kann froh sein, dass uns das in drei Jahren dann wieder erspart bleibt; gut. ({0}) Wenn die AfD-Fraktion einen Antrag mit solch einem Titel vorlegt, erwartet man schon das Schlimmste. Dennoch schaffen Sie es immer wieder, meine Erwartungen zu unterbieten. Nicht dass es noch einen Beweis gebraucht hätte, aber dieser Antrag zeigt wieder einmal: Diese Partei und Fraktion ist mindestens in Teilen menschenverachtend und rassistisch. ({1}) Ihr Maßnahmenkatalog mit seinen 18 Punkten ist durchtränkt von offener gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Sie sprechen davon, dass Kriminalität importiert wurde. ({2}) Sie wollen Statistiken veröffentlichen, die Menschen mit einem bestimmten Familiennamen anprangern und stigmatisieren. Damit werden Sie zum Wegbereiter für die Sippenhaft. Wenn man Ihren Antrag liest, bekommt man den Eindruck, wir leben in zwei unterschiedlichen Realitäten. ({3}) Sie beschreiben ein Deutschland, in dem man kaum mehr auf die Straße gehen kann. Besser wäre es, Sie schauen noch einmal in die offiziellen Statistiken. Die Kriminalitätsrate ist schon in den vergangenen Jahren zurückgegangen; von 2020 auf 2021 sank sie nochmals um 5 Prozent. ({4}) Im Bereich gefährlicher und schwerer Körperverletzungen zeigt sich ein Rückgang von über 6 Prozent, bei Raubdelikten von 11 Prozent und bei Mord und Totschlag sogar von 12 Prozent. Um das für Sie noch einmal ganz klarzumachen: Die Gewaltkriminalität in Deutschland sinkt seit Jahren. Wir leben in einem sicheren Land. ({5}) – Dass Sie Statistiken angreifen, ist ja bekannt. ({6}) Bei einem solchen vorgelegten Antrag muss man auch das noch einmal deutlich machen: Nicht die Herkunft entscheidet, wer kriminell wird. Es sind vielmehr die sozialen Faktoren; und da müssen wir ansetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Es sind die strukturellen Umstände, die Menschen eher in die Kriminalität drängen: Armut, niedrige Bildung, schlechte Aussichten auf Jobs, Perspektivlosigkeit. Es sind die strukturellen Bedingungen, die eine Kriminalisierung wahrscheinlicher machen, ({8}) aber nicht, wie Sie behaupten, die Herkunft oder die Abstammung. ({9}) Ich bin ein positiver Mensch und kann sogar diesem schlechten Antrag etwas abgewinnen. Er gibt mir die Gelegenheit, darüber zu sprechen, wo wir stärker werden müssen. Darauf geht Ihr Antrag nur minimal ein. Wir müssen allgemein stärker werden im Kampf gegen Organisierte Kriminalität. Als Zollbeamter weiß ich, dass wir gerade da Nachholbedarf haben, vor allem bei solchen Straftaten, die erst einmal niemand sieht oder mitbekommt, weil sie niemandem wehtun. Konkret sind das die Finanzdelikte wie Geldwäsche, Sozialversicherungs- und Umsatzsteuerbetrug. Genau hier müssen wir besser werden. ({10}) Gerade in diesem Bereich entgehen uns Hunderte Millionen Euro. Allein Umsatzsteuerbetrug bringt den Staat jährlich um 50 Milliarden Euro. Das sind doch die Probleme, mit denen wir uns auf der Bundesebene beschäftigen sollten, und eben nicht länderspezifische Themen, wie Sie sie in diesem Antrag aufführen. Wir als Ampelkoalition sind uns dieser Aufgabe bewusst. ({11}) Deswegen werden wir ein echtes und gutes Transparenzregister noch vor der Sommerpause auf den Weg bringen. ({12}) Außerdem werden wir es nicht mehr länger zulassen, dass Immobilien in bar gekauft werden können, und wir führen zusätzlich eine Bargeldobergrenze ein. ({13}) Was mir ganz besonders am Herzen liegt: Wir werden den Zoll stärken. Und so, verehrte Damen und Herren, trocknet man den Sumpf der Organisierten Kriminalität aus, ({14}) und nicht mit diesen 18 Punkten, die Sie beschreiben. Vielen Dank. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Silke Launert für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Silke Launert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004336, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! „Follow the money“ bzw. auf Deutsch: „Folge der Spur des Geldes“ – ein Ansatz, den die Ermittlungsbehörden anwenden, um Straftaten, insbesondere im Bereich der Organisierten Kriminalität, aufzudecken. Wo fließt das Geld hin? Wer profitiert davon? Das sind Fragen, deren Beantwortung die Ermittlungsbehörden oftmals auf die Spur der Täter führt. Wer die Organisierte Kriminalität bekämpfen will, ja, der muss diesen Grundsatz beachten. Geld spielt in diesem Zusammenhang noch eine weitere wichtige Rolle. Wer die Organisierte Kriminalität, die kriminellen Clans, effektiv bekämpfen will, muss sie dort treffen, wo es besonders schmerzt: beim Geld. Verbrechen darf sich nicht lohnen; das ist kein neuer Leitspruch, aber an dieser Stelle wirklich ein sehr zentraler. Diesen Ansatz haben die unionsgeführten Vorgängerregierungen – mal leichter, mal schwerer; je nach Koalitionspartner – in den letzten Jahren konsequent verfolgt und in den vergangenen Jahren wichtige Vorhaben auf den Weg gebracht. So haben wir in der vergangenen Legislatur den Tatbestand der Geldwäsche mehrfach verschärft und zugleich das Einziehen kriminell erlangter Vermögenswerte erleichtert. Beispielsweise haben wir im vergangenen Jahr dafür gesorgt, dass der Vorstrafenkatalog im Geldwäschetatbestand gestrichen wurde, sodass es also jetzt nicht mehr darauf ankommt, dass der Vermögenswert aus einer bestimmten Tat kommt, sondern es reicht, dass der Vermögenswert durch irgendeine Straftat erlangt wurde, also egal ob Drogendelikt, Betrug oder sonst ein Delikt. Zudem haben wir die strafrechtliche Vermögensabschöpfung reformiert. Die bereits vor einigen Jahren beschlossene Gesetzesänderung ermöglicht es, Gegenstände des Täters, Teilnehmers oder Drittbegünstigter auch dann einzuziehen, wenn die Vermögenswerte trotz Ausschöpfung aller erfolgversprechender Ermittlungsmöglichkeiten keiner konkreten Erwerbstat zugeordnet werden können. Denn genau das ist in der Praxis oft das Problem: Man weiß, der hat Geld aus irgendwelchen Straftaten, aber welche Tat das genau ist, ist in der Praxis sehr schwer nachzuweisen. Ich kann also sagen: zwei wichtige Gesetzesänderungen, welche die effektive Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, Clankriminalität – ich will mich jetzt nicht herumstreiten, ob das diskriminierend ist oder nicht – in den vergangenen Jahren vorangetrieben haben, ein Ansatz, der erfolgversprechend ist und Wirkung zeigt. Der Spur des Geldes zu folgen, ist eine zentrale Säule, aber es ist nicht die einzige. Wichtig ist es außerdem, dass der Rechtsstaat überall Stärke und Härte zeigt. Die Botschaft muss sein: Das Gewaltmonopol des Staates ist für uns nicht verhandelbar. Nicht eine Gruppe entscheidet, was Recht und Gesetz ist; nein, für die Verfolgung von Straftaten ist der Staat zuständig. Die Botschaft muss sein: null Toleranz gegenüber rechtsfreien Räumen. Das habe ich schon angesprochen, auch im Zusammenhang mit dem Internet. Damals wollte es keiner hören. Spätestens jetzt, wo wir dieses schreckliche Ausufern der Hetze im Netz haben, erkennt es nach und nach jeder. Null Toleranz gegenüber kriminellen Parallelgesellschaften, null Toleranz gegenüber einer Politik des Wegschauens und der falsch verstandenen Toleranz! Ja, das erfordert Kraft, Ausdauer und Geduld. Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität ist kein Kurzstreckenlauf. Das weiß jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt, der mit Polizisten, Staatsanwälten oder auch Richtern, die in diesem Bereich tätig sind, spricht. Aber auch wenn es Kraft, Ausdauer und Geduld kostet, müssen wir immer und immer wieder dagegenhalten, wir müssen immer und immer wieder die kriminellen Netzwerke systematisch stören. Nicht nur die großen, sondern auch die kleinen Rechtsbrüche müssen konsequent verfolgt werden, auch wenn das nicht so einfach ist und viel Zeit kostet. Das Schlimmste, was der Rechtsstaat tun kann, ist, wegzuschauen, sei es aus falsch verstandener Toleranz, sei es aus Resignation, sei es aus Erschöpfung. Dass die Politik der tausend Nadelstiche zum Erfolg führt, zeigt NRW. Natürlich sind die Zahlen jetzt gestiegen; das ist richtig. Wenn man durchsucht, wenn man forscht, dann findet man etwas. Das ist eben anders als die vielen Jahre vorher, als man nicht hinschaute. Wenn man anfängt, hinzuschauen, dann steigen zunächst einmal die Zahlen. Das ist genauso im Netz: Wenn ich keine Beleidigungen verfolge, finde ich keine. Wenn ich Beleidigungen im Netz anzeige, dann merke ich: Ups, die Zahlen explodieren. Dann muss ich dranbleiben. Damit sind wir beim nächsten Thema. Um der Wahrheit willen müssen wir auch fragen: Was nützt es, wenn wir uns die Verfolgung vornehmen, wir aber nicht das Personal dafür haben? Damit sind wir beim letzten Punkt: Ich brauche auch Geld für das Personal; denn sonst kann ich diese Aufgaben nicht erfüllen. Das erfordert neben einer besseren Vernetzung, die angesprochen wurde, Wertschätzung für die Polizei. ({0}) Dieser Koalitionsvertrag zeigt leider genau das Gegenteil, eben keine Wertschätzung für die Polizei. ({1}) Da müssen Sie aufpassen, Herr Höferlin, –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Launert.

Dr. Silke Launert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004336, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– letzter Satz –, dass diese Fortschrittskoalition da keinen Rückschritt macht. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Lamya Kaddor das Wort. ({0})

Lamya Kaddor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005095, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielleicht ein Vorwort zu Ihnen: Sie sprachen gerade von – ich muss noch mal nachgucken – ethnischer Kriminalität. ({0}) – Das haben Sie hier gerade wiederholt. – Was ist denn türkische Kriminalität? Was ist denn eine spanische, eine arabische, eine deutsche Kriminalität? ({1}) – Sie können so lange schreien, wie Sie wollen; das bringt nichts. – Das müssen Sie mir vielleicht mal definieren. ({2}) Wenn Sie über Herkunft sprechen, dann sprechen Sie oft von Ethnie. Ja, schauen Sie auf die Herkunft, aber schauen Sie auf die sozioökonomische Herkunft. Die gibt Ihnen eine Antwort, warum es dazu kommt. ({3}) – Ja, schreien Sie ruhig weiter, macht gar nichts. Es heißt ja: Eltern vererben Armut an ihre Kinder. – Aber oft, zu oft wird auch Kriminalität vererbt. Und das müssen wir durchbrechen. ({4}) In meiner Heimat Duisburg, meinem Wahlkreis, wurde Videoüberwachung als Maßnahme eingeführt. Videoüberwachung oder ‑beobachtung kann dazu beitragen, Kriminalitätsschwerpunkte zu entschärfen. Voraussetzung dafür ist, dass die Polizei die Videoaufzeichnung live verfolgt und bei Gefahrenlagen schnell vor Ort ist. Wichtig also ist die Einbindung in ein Gesamtkonzept mit erhöhter Polizeipräsenz, so wie es jetzt in Duisburg geplant ist. Da Organisierte Kriminalität aber oftmals im Verborgenen stattfindet, muss dafür gesorgt werden, dass die Kriminalpolizei personell besser aufgestellt ist. ({5}) Leider hat die schwarz-gelbe Landesregierung hier zu wenig unternommen. Wir Grüne im Bund, aber auch in NRW treten an, das zu ändern. ({6}) Dazu gehören eben auch eine stärkere Beschäftigung mit dem System der Organisierten Kriminalität in der Ausbildung sowie mehr und bessere Strukturermittlungen. Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität muss ein Schwerpunkt unserer Sicherheitsbehörden werden. Strafrechtliche Vermögensabschöpfung, Optimierung der Strukturen bei Geldwäschebekämpfung, alles, was wir dafür im Bund tun können, werden wir als Koalition tun.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Kaddor, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Fiedler?

Lamya Kaddor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005095, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, klar.

Sebastian Fiedler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005056, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage erlauben. – Ich wollte nur noch mal einen Hinweis geben, weil das jetzt schon ein paarmal genannt worden ist. Können Sie bestätigen, dass die Situation in Nordrhein-Westfalen, die gerade von Ihnen angesprochen worden ist, unter anderem dadurch geprägt ist, dass für die Bekämpfung der Clankriminalität im ganzen Land nur 20 Sockelstellen vorgesehen sind? ({0}) Können Sie bestätigen, dass Nordrhein-Westfalen unter allen Flächenländern Schlusslicht bei der Aufklärungsquote ist? Das hat ja direkt mit dem zu tun, was in der jetzigen Debatte von vielen Vorrednerinnen und Vorrednern als unangenehm bezeichnet wurde. Können Sie bestätigen, dass es in Nordrhein-Westfalen hinter den Kulissen personell gar nicht so gut aussieht, wie das von den Kolleginnen und Kollegen hier dargestellt worden ist? ({1})

Lamya Kaddor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005095, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Fiedler, für die Frage und für Ihren Kommentar. – Ich würde tatsächlich bestätigen, dass es sich häufig um Symbolpolitik, um Bekämpfung der Symptome handelt und leider zu selten auf die Ursachen geschaut wird. ({0}) Wir brauchen endlich auch eine bessere und wirksamere Zusammenarbeit der LKAs und des BKA. Dazu werden wir Ressourcen in die Strukturermittlung geben. Mit symbolträchtigen Razzien in Shishabars alleine – das wäre dann auch die Antwort – ist es nämlich nicht getan. ({1}) Wir müssen das Problem größer denken. Fast 80 Prozent der Gruppierungen im Bereich der Organisierten Kriminalität sind in staatenübergreifende Netzwerke eingebunden. Die meisten Bezüge übrigens existieren zum europäischen Ausland. Also denken wir doch bitte auch einmal europäisch in diesem Kontext. ({2}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, diese Koalition hat sich auch im Bereich innere Sicherheit einiges vorgenommen. Aber Polizei und Justiz können diesen Kampf nicht alleine gewinnen. Erfolgreich gegen Organisierte Kriminalität sein, heißt auch, Prävention zu betreiben und frühzeitig zu erkennen, ob sich ein Mensch kriminellen Strukturen hingibt, vor allem im Jugendalter. Dazu fehlt uns nach wie vor Fachwissen. Wir werden deshalb eine Strukturanalyse vornehmen, um hier wissenschaftlich fundiert vorzugehen. Die Aufgabe der Zukunft heißt: Nicht nur Symptome, auch Ursachen Organisierter Kriminalität bewältigen. ({3}) Die Journalisten Thomas Heise und Claas Meyer-Heuer schreiben: Der Staat muss einiges tun. Vor allem wenn er diejenigen schützen will, die sich gegen die Interessen der Clans positionieren. So ist es. – Lassen Sie mich noch hinzufügen: Dafür braucht er Ausdauer, und er muss dorthin, wo die Fäden zusammenlaufen. Vielen Dank. ({4})