Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/23/2011

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zu unserer 98. Plenarsitzung. Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Wahl eines Vizepräsidenten sowie um die Beratung des Antrags der Bundesregierung zur Beteiligung deutscher Streitkräfte am AWACS-Einsatz in Afghanistan zu erweitern. Nach der Regierungsbefragung und der Fragestunde ist später am Nachmittag eine von der Fraktion Die Linke beantragte Aktuelle Stunde zu den Anforderungen für Sicherheitsüberprüfungen bei deutschen Atomkraftwerken vorgesehen. Sind Sie mit den vorgesehenen Ergänzungen und Änderungen einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Wahl eines Stellvertreters des Präsidenten - Drucksache 17/5168 Die Kollegin Gerda Hasselfeldt hat ihr Amt als Vizepräsidentin niedergelegt. Sie weiß, dass ich das bedauere; aber das hat sie offenkundig nicht hinreichend beeindruckt. Ich nutze die Gelegenheit gerne, ihr nicht nur im Namen der übrigen Mitglieder des Präsidiums, sondern sicher auch in Ihrer aller Namen herzlichen Dank für ihre langjährige Amtsführung als Mitglied des Präsidiums auszusprechen. ({0}) Liebe Frau Hasselfeldt, ich bin nicht völlig sicher, ob es im neuen Amt so schön wird, wie es im alten war. ({1}) Umso herzlicher sind meine guten Wünsche für die übernommene neue Aufgabe. ({2}) Als Nachfolger schlägt die Fraktion der CDU/CSU den Abgeordneten Eduard Oswald als Stellvertreter des Präsidenten vor. Werden weitere Vorschläge gemacht? Das ist offenbar nicht der Fall. Dann darf ich jetzt einige Hinweise zum Ablauf der Wahl geben. Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erhält. Für die Wahl benötigen Sie Ihren blauen Wahlausweis, den Sie, soweit noch nicht geschehen, den Stimmkartenfächern in der Lobby entnehmen können. Die blaue Stimmkarte sowie der Wahlumschlag werden von den Schriftführerinnen und Schriftführern an den Ausgabetischen vor den Wahlkabinen ausgegeben. Sie dürfen Ihre Stimmkarte nur in der Wahlkabine ankreuzen und müssen die Stimmkarte ebenfalls noch in der Wahlkabine in den Umschlag legen. Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei „ja“ oder „nein“ oder „enthalte mich“. Stimmkarten, die kein Kreuz oder mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten, sind ungültig. Bevor Sie die Stimmkarte in die Wahlurne werfen, müssen Sie dem Schriftführer an der Wahlurne Ihren blauen Wahlausweis übergeben. Die Abgabe des Wahlausweises dient zugleich als Nachweis für die Beteiligung an der Wahl. Kontrollieren Sie daher bitte, ob der Wahlausweis Ihren Namen trägt. Die drei Wahlurnen sind neben den Sitzreihen der Bundesregierung und des Bundesrates sowie vor dem Rednerpult aufgestellt; das haben wir oft genug geübt. Um einen reibungslosen Ablauf der Wahl zu gewährleisten, bitte ich Sie, von Ihren Plätzen aus über die seitlichen Zugänge und möglichst nicht durch den Mittelgang zu den Ausgabetischen zu gehen. Ich darf nun darum bitten, dass die Schriftführerinnen und Schriftführer die vorgesehenen Plätze einnehmen. Sind die Schriftführerinnen und Schriftführer an den vorgesehenen Plätzen? - Das ist offensichtlich der Fall. Ich eröffne den Wahlgang. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe den Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert Wahlgang und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses werden wir die Sitzung für einige Minuten unterbrechen. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Neh- men Sie bitte Platz. Ich komme zurück zum Zusatzpunkt 1 und gebe Ih- nen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der Wahl eines Vizepräsidenten bekannt: abgegebene Stimmen 570. Alle abgegebenen Stimmen waren gültig. Mit Ja haben gestimmt 504 Mit- glieder des Deutschen Bundestages.1) ({0}) Mit Nein haben 39 Mitglieder gestimmt. 27 Kolleginnen und Kollegen haben sich der Stimme enthalten. Damit ist der Kollege Eduard Oswald mit der erforderlichen Mehrheit zum Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages gewählt. Ich darf Sie fragen, Herr Kollege Oswald: Nehmen Sie die Wahl an?

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme die Wahl an und bedanke mich sehr herzlich für das Vertrauen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Lieber Kollege Oswald, bevor Sie jetzt eine beachtlich große Zahl von einzelnen Glückwünschen entgegennehmen, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie die durch mich stellvertretend für alle Mitglieder des Hauses zum Ausdruck gebrachten guten Wünsche für das neue Amt entgegennähmen. Wir freuen uns auf gute Zusammenarbeit. Ich wünsche Ihnen für dieses ebenso schöne wie anspruchsvolle Amt Erfolg und Gottes Segen. Herzlichen Glückwunsch! ({0}) Meine Damen und Herren, im Interesse einer Beherrschung der Abwicklung der weiteren Tagesordnungspunkte bin ich allen Kolleginnen und Kollegen dankbar, die sich entschlossen haben, ihre persönlichen Glückwünsche irgendwann im weiteren Verlauf des Tages dem Kollegen Oswald zu überbringen. ({1}) 1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2 Man kann das notfalls auch schriftlich erledigen. Deswegen möchte ich hiermit diesen Teil der Gratulationscour gerne für beendet erklären und unseren nächsten Tagesordnungspunkt aufrufen. Wir kommen zum Zusatzpunkt 2: Beratung des Antrags der Bundesregierung Beteiligung deutscher Streitkräfte am Einsatz von NATO-AWACS im Rahmen der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan ({2}) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 ({3}) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1943 ({4}) vom 13. Oktober 2010 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen - Drucksache 17/5190 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({5}) Innenausschuss Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Wir können ganz offenkundig so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle. ({6})

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Am 17. März hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 1973 beschlossen. Sie ist nach der Entscheidung in New York geltendes, verbindliches Völkerrecht. Wir unterstützen die Ziele dieser Resolution, aber bei den Mitteln ist die Bundesregierung zu einer anderen Bewertung gekommen als die Mehrheit des Sicherheitsrats. In einer schwierigen Abwägung der Risiken, auch der Eskalationsrisiken, sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass wir uns nicht mit der Bundeswehr an diesem Einsatz beteiligen werden. Die Bundeswehr wird nicht nach Libyen geschickt. Das heißt nicht, dass wir neutral wären. Wir teilen das Ziel des Schutzes der Zivilbevölkerung und natürlich auch das Ziel, dass dem Diktator Einhalt geboten werden muss. ({0}) Wir respektieren die Entscheidung der internationalen Staatengemeinschaft, und ich wiederhole: Sie ist geltendes Recht. Wir wollen dementsprechend auch ihren Erfolg. Deswegen hat die Bundesregierung beschlossen, unsere Verbündeten zu entlasten, ohne dass wir uns selbst mit der Bundeswehr in Libyen militärisch engagieren. ({1}) Die internationale Gemeinschaft ist in Afghanistan seit dem Strategiewechsel des vergangenen Jahres auf dem richtigen Weg. Wir haben auf den AfghanistanKonferenzen in London und in Kabul und dann auf der Tagung in Lissabon einen Strategiewechsel beschlossen. Wir setzen auf eine politische Lösung. Bei all den schrecklichen Rückschlägen, die wir sehen, dürfen aber auch Fortschritte nicht übersehen werden. Gestern hat Staatspräsident Hamid Karzai drei Provinzen und vier Städte genannt, die für den Beginn des Übergabeprozesses reif sind. Darunter ist Masar-iScharif im deutschen Verantwortungsbereich im Norden. Das zeigt den Erfolg des Strategiewechsels in Afghanistan, für den die Bundesregierung von Anfang an geworben hat. Die Abzugsperspektive ist sichtbar geworden. Wir sind und bleiben der Überzeugung: Der Einsatz in Afghanistan ist richtig, aber es ist auch richtig, dass der Prozess der Übergabe der Verantwortung gestern begonnen hat. ({2}) Dass die Afghanen mehr und mehr in der Lage sind, für die eigene Sicherheit zu sorgen, ist auch ein Erfolg der neuen Schwerpunkte, die auf Aussöhnung, Eingliederung und Wiederaufbau gesetzt sind. Es ist ein Erfolg der Ausbilder unserer Polizei aus Bund und Ländern, es ist ein Erfolg der Bundeswehrausbilder. Man kann sagen: Die Ausbildung durch die internationale Gemeinschaft und uns Deutsche wirkt. Der zivile Aufbau kommt voran. Die Menschen sehen mehr und mehr eine echte Zukunftsperspektive für sich und ihre Familien. Ich unterstreiche erneut: Die Rückschläge werden nicht übersehen. Die Opfer, die wir oft genug zu beklagen haben, werden nicht vergessen werden. Darüber besteht überhaupt kein Zweifel. Deswegen werde ich auch diese Debatte nutzen, an dieser Stelle all den Frauen und Männern, die in Afghanistan für unsere Freiheit und unsere Sicherheit eintreten, ob in Uniform oder nicht, ein Dankeschön im Namen der Bundesregierung und, dessen bin ich sicher, auch im Namen des Deutschen Bundestages zu sagen. ({3}) Meine Damen und Herren, deshalb bleibt es auch bei unserem Ziel, dass wir bis zum Jahr 2014 die endgültige Übergabe der Verantwortung schaffen wollen. Aber wir halten hier fest: Wir müssen auch danach noch unsere Verantwortung für Frieden und Entwicklung in Afghanistan kennen und uns weiter engagieren. Zehn Jahre nachdem der Afghanistan-Einsatz begonnen wurde, ist durch die gestrige Übergabe der ersten Verantwortung ein wichtiger Fortschritt gemacht worden. Ich sage aber ausdrücklich: Wir wollen eine Übergabe der Verantwortung in Verantwortung. Ein kopfloser Abzug ist nicht das Richtige. Deswegen werden wir dies auch nicht dem Deutschen Bundestag vorschlagen. Der AWACS-Einsatz ist aus unserer Sicht militärisch notwendig. Er ist übrigens auch schon auf Antrag der vorherigen Bundesregierung seinerzeit vom Deutschen Bundestag beschlossen worden. Er lief dann aus, weil objektive Rechtskriterien - Überflugrechte und Weiteres mehr - nicht erfüllt waren. Deshalb hat die Bundesregierung entschieden, dass gewissermaßen ein leeres Mandat nicht erneut beantragt wird, sondern erst dann ein Mandat beantragt wird, wenn die Lage tatsächlich den Erfordernissen entspricht. Der AWACS-Einsatz ist militärisch notwendig, weil er die Operation der NATO unterstützt und die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten sowie der afghanischen Bevölkerung erhöht. AWACS liefern zuverlässige Lagebilder und unterstützen auch die medizinische Luftrettung. Der AWACS-Einsatz ist zivil notwendig, weil er die Sicherheit der zivilen Luftfahrt schützt. Afghanistan liegt auf der Flugroute von Südostasien nach Europa. AWACS verbessern die Flugsicherheit auch für Linienund Frachtflüge. Der AWACS-Einsatz ist außerdem Ausdruck unserer Bündnissolidarität und unserer Solidarität mit dem afghanischen Volk. Dass wir selbstverständlich unverändert daran arbeiten, dass die Afghanen mittelfristig selbst den eigenen Luftraum auch technisch kontrollieren können, das unterstreiche ich hier noch einmal nachdrücklich. Meine Damen und Herren, als die Verlängerung des Bundestagsmandats Anfang des Jahres anstand, hatte die Bundesregierung auf die Beantragung des Einsatzes von AWACS verzichtet, weil wir den Schwerpunkt unserer Kräfte in Abstimmung mit General David Petraeus auf die Ausbildung gelegt haben. Zugleich versicherten die militärischen Experten der NATO, der AWACS-Einsatz sei auch ohne deutsche Soldaten möglich. Im Dezember hat die Bundesregierung gesagt: Solange die NATO ohne uns die AWACS betreiben kann, brauchen wir kein Mandat. - Jetzt sage ich: Die Lage in Libyen hat auch die Lage insgesamt verändert. Ich weise darauf hin, dass wir die Obergrenze für die Zahl der Soldatinnen und Soldaten unverändert lassen. An der Obergrenze, die der Deutsche Bundestag beschlossen hat, wird nichts verändert. Es bleibt bei den bereits vom Deutschen Bundestag beschlossenen 5 350 Soldatinnen und Soldaten als Obergrenze. Die deutschen AWACS-Besatzungen werden auf die Obergrenze angerechnet. Die Bundesregierung wird auf die flexible Reserve nur im Rahmen dieser Obergrenze zurückgreifen. Die Bundesregierung bleibt zuversichtlich, im Zuge der Übergabe der Sicherheitsverantwortung die Präsenz der Bundeswehr ab 2011 reduzieren zu können. Dabei sind wir auf einem guten Weg. Wir bitten Sie, diesen Weg der Übergabe der Verantwortung in diesem Haus gemeinsam mit der Bundesregierung zu gehen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Gernot Erler für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies ist in erster Linie eine Afghanistan-Debatte. Leider hatten wir in den vergangenen Jahren viele solcher Debatten, dabei aber selten Gelegenheit, über gute Nachrichten zu sprechen. Heute ist das jedoch der Fall. Die SPD-Fraktion begrüßt ausdrücklich die gestrige Erklärung von Präsident Karzai mit der Benennung von sieben Provinzen und Städten, in denen ab Juli dieses Jahres die Transition starten soll, also die Verantwortungsübergabe an die afghanische Polizei und die afghanischen Streitkräfte. Genannt werden die Provinz Kabul mit Ausnahme des Bezirks Surobi, die Provinzen Pandschschir und Bamiyan sowie die Provinzhauptstädte Masar-i-Scharif, Mehtar Lam, Lashkar Gah und ein Großteil von Herat. In Masar-i-Scharif befinden sich das zentrale Feldlager der deutschen Einsatzkräfte und das Nordkommando. Damit wird der Start der Transition auch im deutschen Einsatzgebiet stattfinden. Das begrüßen wir ebenfalls ausdrücklich. Der gestern verkündeten Entscheidung ist eine sorgfältige Prüfung vorausgegangen. Die Ermutigung liegt bereits darin, dass ein verabredetes Verfahren tatsächlich im Zeitplan umgesetzt und nicht immer wieder aufgeschoben wird, wie wir das in der Vergangenheit schon häufiger erlebt haben. Es passt gut dazu, dass wir in letzter Zeit öfter auch Informationen über Fortschritte bei der Ausbildung sowohl von Polizei wie auch von Streitkräften bekommen haben. Beides, die Verantwortungsübergabe und der Fortschritt bei der Ausbildung, gehört engstens zusammen. Erst der Aufwuchs der afghanischen Sicherheitskräfte ermöglicht den Inteqal-Prozess, wie die Transition auf Paschtunisch genannt wird. Natürlich wissen wir, dass der Härtetest in den drei Provinzen und den vier Städten noch bevorsteht. Wir wissen auch, dass es noch ein langer Weg sein wird, bis alle Städte und alle Provinzen in die afghanische Sicherheitsverantwortung übergehen werden. Aber nach vielen Rückschlägen signalisiert die Ankündigung von gestern doch, dass es jetzt mit der Umsetzung der neuen Afghanistan-Strategie konkret wird und damit auch die Chancen wachsen, dass bis Ende des Jahres erste Kontingente der Bundeswehr zurückgezogen werden können, ohne dass dies zu einer Gefährdung im Lande führt. Das ist gut. Ich freue mich, dass Sie das auch so sehen, Herr Außenminister. Für die SPD ist das ein wirklich wichtiger Punkt. So steht es im Mandat vom Januar dieses Jahres. Das erwartet auch die Öffentlichkeit. Heute, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir hier über die Beteiligung deutscher Streitkräfte am Einsatz von NATO-AWACS im Rahmen von ISAF zu beraten. Dieses Thema wurde nachträglich in die Tagesordnung dieser Woche hineingequetscht. Wir sind gezwungen, über diesen Einsatz in Sondersitzungen der Ausschüsse quasi im Schweinsgalopp bis zum Freitag dieser Woche abschließend zu beraten. Ich finde, das ist eine Zumutung, ({0}) zumal dies überhaupt nichts mit der Entwicklung in Afghanistan zu tun hat. ({1}) Es geht stattdessen um ein Problem in einer ganz anderen Weltgegend, das sich die Bundesregierung selber geschaffen hat - durch ihre Enthaltung bei dem UN-Beschluss zur Einrichtung einer Flugverbotszone und zum Schutz der Zivilbevölkerung in Libyen ({2}) sowie durch die politische Isolierung innerhalb der Europäischen Union, die sie damit verursacht hat. ({3}) Jetzt sucht sie händeringend nach Maßnahmen, die diese politische Isolierung abschwächen oder wenigstens irgendwie hinter den Vorhang schieben. Ein einseitiger und schnöder Abzug der deutschen AWACS-Besatzungen im Rahmen der Operation Active Endeavour über dem Mittelmeer hätte allerdings tatsächlich das fatale Bild des deutschen Sonderweges noch verstärkt. Jetzt wird großzügig Tausch angeboten: Wir ziehen aus dem Mittelmeer ab, gehen sofort nach Afghanistan und ermöglichen damit US-Kräften, ihrerseits nun wieder nach Libyen zu gehen. - Aber jeder, der sich mit der Materie auskennt, weiß, dass das nicht nur ein Nullsummenspiel ist, sondern dass das obendrein eine politische Mogelpackung ist. ({4}) Herr Außenminister, Sie haben eben selber erwähnt, dass wir schon im Juli 2009 über einen AWACS-Einsatz im Rahmen von ISAF eine Entscheidung getroffen haben, nämlich zugestimmt haben. Wegen des Streits mit Paris und wegen der Überflugrechte ist es aber zu keiner Umsetzung dieses Beschlusses gekommen. Nach einem Jahr verfiel sozusagen das Haltbarkeitsdatum dieses Mandats. Als die Hindernisse endlich ausgeräumt waren und die NATO am 15. Januar dieses Jahres mit dem AWACS-Einsatz beginnen wollte, haben Sie sich nicht getraut - so muss man das ausdrücken -, das noch auf das ohnehin zu verlängernde Afghanistan-Mandat draufzusatteln, und haben den Verbündeten nahegelegt, doch nach drei Monaten noch einmal nachzufragen. Die sind notgedrungen darauf eingegangen und haben den Job für 90 Tage erst einmal selber gemacht. Am 15. April endet diese Frist. Dann hätten wir hier allerdings ohne jede Hast und ohne Sondersitzungen sowieso über die deutDr. h. c. Gernot Erler sche Beteiligung bei den AWACS-Besatzungen zu diskutieren und zu entscheiden gehabt. ({5}) Die Mogelpackung besteht darin, dass Sie den frustrierten Alliierten jetzt, im März, eine in Geschenkpapier verpackte Leistung als Ausgleich anbieten, für die Sie für April dieses Jahres sowieso schon eine Zusage in Aussicht gestellt haben. Das ist Ihre Art, Bündnissolidarität zu organisieren. ({6}) Ich weiß nicht, wie Sie zu der Hoffnung kommen, dass niemand diesen billigen Trick durchschaut. Es wäre jedenfalls ein weiterer Fehler, anzunehmen, dass der höfliche Dank der frustrierten Alliierten so zu deuten ist, dass sie nicht kapiert haben, wie das Spiel hier läuft. Wir haben hier im Deutschen Bundestag einen anderen Schaden. Sie belasten die deutsche AfghanistanPolitik, die doch schwierig genug ist und bei der es die vernünftige Tradition gibt, nach möglichst viel Gemeinsamkeit und Konsens zu suchen, fahrlässig mit dem schweren Gepäck aus Ihrer scheiternden UN- und Libyen-Politik. ({7}) Damit legen Sie einer notwendigen Sachdiskussion regelrechte Brocken in den Weg und stellen die Bereitschaft, gemeinsam zu einem möglichst breiten Konsens zu kommen - an dieser Bereitschaft hat es bei uns, den Sozialdemokraten, nie gefehlt -, auf eine harte Probe. Fängt man trotz dieser widrigen Umstände mit der Sachprüfung an, stellt man fest, dass der Mandatsantrag der Bundesregierung über weite Strecken mit dem nicht umgesetzten Mandatsbeschluss vom 2. Juli 2009 wortgleich ist. Wir werden diesen Antrag sorgfältig prüfen und unsere Fragen dazu ganz besonders auch in den Fachausschüssen stellen. Die Beantwortung dieser Fragen wird für die Entscheidung der SPD wichtig sein. Eine unserer Fragen bezieht sich auf die Definition des Auftrags der AWACS-Systeme. Sowohl in dem im Juli 2009 beschlossenen Text wie in dem Mandatsantrag von heute werden fünf Aufträge genannt, von denen vier völlig identisch sind. Bei dem fünften hat es aber eine Änderung gegeben. 2009 hieß es, zu den Koordinierungsaufgaben des AWACS-Systems gehöre - ich zitiere - „Unterstützung von ISAF-Luftoperationen“. In dem neuen Mandat, das wir jetzt behandeln müssen, fehlt diese Aufgabe. Dafür taucht eine andere auf. Ich zitiere noch einmal: Unterstützung bei der Durchführung von Operationen ISAF-geführter Bodenkräfte; … Das ist erklärungsbedürftig, zumal bekannt ist, dass, wie auch im Begründungsteil des Mandates noch einmal ausführlich erwähnt, die NATO-AWACS „weder über die Fähigkeit zur Bodenaufklärung“ verfügen noch „eine Feuerleitfähigkeit für Luft-Bodeneinsätze“ haben. Wenn hier kein Irrtum vorliegt, muss erklärt werden, auf welche Weise AWACS eigentlich Bodenoperationen unterstützen sollen. Vielleicht kann der Verteidigungsminister ja gleich dazu etwas sagen. Eine andere Frage, die uns schon 2009 beschäftigt hat, muss auch diskutiert und beantwortet werden: Wie ist es eigentlich mit dem Aufbau einer zivilen bodengestützten Luftkontrolle in Afghanistan? AWACS ist ja der fliegende Ersatz für ein solches normales auf dem Boden stationiertes Kontrollsystem. Insofern hängt auch die Dauer des AWACS-Einsatzes davon ab, wann denn endlich auf afghanischem Boden ein solches System errichtet ist. Schon in der Debatte am 17. Juni 2009 hat der Kollege Dr. Stinner - er ist unter uns - voller Ungeduld die damalige Bundesregierung gefragt, wie lange es denn noch dauern würde, bis diese notwendige Kontrollfunktion in Afghanistan aufgebaut sein werde. Seitdem sind fast zwei Jahre vergangen. Die Bundesregierung widmet im Begründungstext des Antrags einen ganzen Absatz ihren bisherigen und künftigen Bemühungen um den Aufbau eines zivilen Luftverkehrskontrollsystems. Wir erfahren von dem Projekt eines „satellitengestützten zivilen Überwachungssystems für den afghanischen Luftraum“, das von 2009 bis 2011 laufen sollte, von einem Expertenteam für die Umsetzung des Regelwerks der International Civil Aviation Organization, ICAO, sogar von der „Errichtung einer Akademie für Zivilluftfahrt“ noch in diesem Jahr und vom Ausbau der Flughäfen von Masar-i-Scharif und Uruzgan. Irgendeine Angabe darüber, wann denn einmal die Technik stehen wird, um den AWACS-Einsatz überflüssig zu machen, sucht man aber vergebens. Wir fordern Sie auf, das nachzuliefern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Verärgerung über das ganze Verfahren ist erheblich. Dieses Verfahren erschwert es, sich auf das zu konzentrieren, was eigentlich im Zentrum unserer Arbeit stehen sollte: die Beratung darüber, wie ein Erfolg der neuen Strategie in Afghanistan von uns am besten abgesichert werden kann. ({8}) Sie machen es denjenigen schwer, denen es vor allem um Afghanistan geht. Das steht allein in Ihrer Verantwortung. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière. ({0})

Not found (Minister:in)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist meine erste Rede als neuer Bundesminister der Verteidigung. Bevor ich zur Sache rede, möchte ich Ihnen gerne sagen, wie ich es auch schon im Ausschuss getan habe, dass ich dem ganzen Hohen Haus insbesondere in all den sensiblen Fragen der Sicherheitspolitik auch meinerseits eine offene, konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit anbiete. Ich hoffe, dass sie auch von allen erwidert wird. ({0}) In Afghanistan sind bereits seit weit vor 2011 nationale AWACS-Flugzeuge unserer Partner, vor allem der Vereinigten Staaten von Amerika, im Einsatz. Um diese wichtige operative Fähigkeit 24 Stunden am Tag im Einsatz nutzen zu können, unterstützen seit dem 15. Januar dieses Jahres darüber hinaus auch NATO-AWACS des multinationalen Verbandes aus Geilenkirchen diesen Einsatz - derzeit ohne deutsche Beteiligung. Dieser 24-Stunden-Einsatz hat sich bewährt. Wir wollen ihn fortsetzen. Ohne deutsche Beteiligung wäre dies jedoch nur beschränkt durchhaltefähig. Wie hier richtig vorgetragen worden ist, würde das ab irgendeinem Zeitpunkt im April, Mai oder Juni gelten. Vor dem Hintergrund der Libyen-Vorgänge gilt das aber jetzt erst recht. Sie finden in dem Mandatsantrag dazu kein Wort, weil die Entscheidung, um die wir den Deutschen Bundestag bitten, auch aus sich heraus sinnvoll ist. Auch ohne die Entwicklung in Libyen wäre es sinnvoll und nötig, den AWACS-Einsatz in Afghanistan zu beschließen. Ich höre aus den Wortmeldungen der Sozialdemokraten, dass das jedenfalls ein wichtiger Teil der Sozialdemokratie ebenfalls so sieht. Aufgrund der Entwicklung in Libyen ist es nun aber erst recht richtig, dies so zu beschließen; denn wenn AWACS am Mittelmeer - und niemand weiß, wie lange die Auseinandersetzung geht - noch lange bzw. dauerhaft gebraucht wird, brauchen wir eine tatsächliche fachliche Entlastung der NATO-AWACS. Ohne die Deutschen kann man auf Dauer nicht in Libyen und in Afghanistan gleichzeitig sein. Wenn sich der Einsatz am Mittelmeer länger hinziehen sollte, brauchen wir eine wirkliche Entlastung für NATO-AWACS. Deswegen ist es richtig, die Beteiligung deutscher Streitkräfte am Einsatz von NATO-AWACS in Afghanistan zu beschließen. Selbst wenn es nicht nötig wäre, so ist es doch - das will ich nicht in Abrede stellen - ein politisches Zeichen der Bündnissolidarität, dass wir dies gerade jetzt anbieten. ({1}) Herr Erler, ich habe Ihr Angebot zur konstruktiven Zusammenarbeit durchaus zur Kenntnis genommen. In einem Punkt möchte ich Ihnen aber widersprechen. Sie haben von einem schnöden einseitigen Abzug der AWACS aus dem Mittelmeerraum gesprochen. Der Abzug geschieht deswegen, weil dies die Verfassungsrechtslage so vorsieht. Speziell zu AWACS gibt es ein Verfassungsgerichtsurteil. Danach wird der Einsatz von AWACS ab dem Moment, in dem Aufklärungsmaterial von den AWACS für einen operativen Einsatz mit militärischem Hintergrund eingesetzt wird, mandatspflichtig. Deswegen ist das kein schnöder einseitiger Abzug, sondern es ist die Konsequenz aus unserer verfassungsrechtlichen Lage. Das mag man bedauern, aber so ist es nun einmal. ({2}) Der Außenminister und ich mussten am Freitag und Samstag - niemand wusste, wie der Beschluss des NATO-Rats ausfallen würde - darüber entscheiden, ob wir erstmalig im Laufe dieser Debatten von dem Instrument der Eilentscheidung Gebrauch machen. Diese Eilentscheidung hätte beinhaltet, dass die AWACS im Mittelmeerraum bleiben können, falls am Freitag oder Samstag ein Operationsplan und eine Executive Directive, also die Ausführung, beschlossen worden wären. Ich hätte sehen wollen, was Sie gesagt hätten, wenn wir Sie erst im Anschluss an eine solche Entscheidung um ein Mandat gebeten hätten. Das Theater im Bundestag hätte ich erleben mögen. Dann hätten Sie zu Recht Kritik geübt. ({3}) Nun ein Wort zu den Schiffen. Es ist richtig, dass wir die entsprechenden Schiffe im Mittelmeer seit heute Morgen nationalem Kommando unterstellt haben. Leicht ist mir das nicht gefallen. Aber auch das ist eine Konsequenz aus der Rechtslage. Wenn die NATO einen Operationsplan beschließt, was wir nicht verhindert haben, und es anschließend sofort durch die Executive Directive zur Ausführung kommt, die das Waffenembargo vorsieht, wenn also exekutive Maßnahmen mit Zwangscharakter greifen, dann unterliegt der Einsatz dieser Schiffe ab dieser Sekunde der Mandatspflicht. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Deswegen mussten wir in dieser Sekunde die Schiffe nationalem Kommando unterstellen. Man kann vor dem Hintergrund der Entwicklung darüber diskutieren, ob dafür ein Mandat geschaffen werden muss. Aber es ist nicht kritikwürdig, dass wir sie in dieser Nacht zurückgezogen haben. Das hat unsere verfassungsrechtliche Lage verlangt. ({4}) Richtig ist, dass die bisherige Umsetzung des im Juli 2009 gefassten Beschlusses des Bundestages zum Einsatz der NATO-AWACS in Afghanistan nicht ruhmreich ist. Es ist nicht schön, wenn trotz der Zustimmung des Deutschen Bundestages die Umsetzung nicht erfolgt, weil man keine Überflugrechte hat; das ist wahr. Das Problem ist inzwischen beseitigt. Es gibt in Konya in der Türkei eine Stationierungsbasis, und es besteht die Möglichkeit einer Zwischenlandung in Masar. Frau Abgeordnete Hoff, ich schließe nicht aus, dass die Maschinen irgendwann dauerhaft in Masar stationiert werden können; denn acht Stunden Flug, Zwischenlandung und all das sind doch recht mühsam. Das ließe das Mandat, um dessen Zustimmung wir bitten, auch zu. Aber zunächst ist es Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der VerteidigungBundesminister Dr. Thomas de Maizière wichtig und geboten, dem Mandat zuzustimmen und es umzusetzen. Der Auftrag lautet in der Tat: Erstellung eines Luftlagebildes und Unterstützung bei der Durchführung von Operationen der ISAF-Kräfte, auch der Bodenkräfte. Sie haben danach gefragt, was das konkret bedeutet. Wir haben darüber im Verteidigungsausschuss bei der Anberatung eben schon diskutiert. Eben wurde das Stichwort „close air support“ in dem Zusammenhang genannt. Auch beim Herausholen von verletzten Soldaten mit Sanitätsflugzeugen und Ähnlichem hilft die Koordinierungstätigkeit mithilfe von AWACS. Das heißt, dieser Auftrag dient auch dem Schutz deutscher Soldaten und ist deswegen nicht kritikwürdig, sondern dringend zustimmungsbedürftig. Zum Auftrag gehören darüber hinaus die Entflechtung von Luftverkehrsbewegungen einschließlich der Koordinierung des militärischen Luftverkehrs unter Berücksichtigung ziviler Luftraumnutzer, die Koordinierung der Luftbetankung und die Relaisfunktion für Kommunikationsund Datenaustausch. Im Übrigen entspricht das Mandat also unverändert dem vom Juli 2009, dem Sie damals zugestimmt hatten. Deswegen können Sie ihm hoffentlich, unabhängig von den Begleitumständen, auch jetzt zustimmen. Wir haben, auch in der Bundesregierung, über die Obergrenze diskutiert. Dafür ist ein gesondertes Mandat notwendig. Es endet zeitgleich mit dem normalen ISAFMandat, also im Januar 2012. Deswegen hätte man die dafür erforderlichen Zahlen ebenfalls gesondert beschließen können. Aber im Blick auf die gemeinsam verabschiedete NATO-Strategie, auf die Obergrenze und auf die gemeinsame Entwicklung einer Abzugsperspektive haben wir uns entschlossen, dass das Mandat sich im Rahmen der für den Einsatz beschlossenen Obergrenze einschließlich der Reserve bewegen muss. Das ist auch eine Geste an die, die sich schwertun, dem Mandat zuzustimmen. Es ist wahr, dass die Reserve zum Teil anders begründet worden ist. Angesichts der bestehenden Lage ist uns aber bei der Abwägung das Einhalten der Obergrenze, auch als Signal an die deutsche Öffentlichkeit, wichtiger, als an der bisherigen Begründung der Reserve festzuhalten. Wir sagen aber - das finden Sie im letzten Absatz der Begründung -, dass wir auf die Reserve nur im Fall der tatsächlichen Inanspruchnahme der AWACS-gebundenen Soldaten zurückgreifen wollen und darüber hinaus nur, wie in dem Verfahren besprochen, nach vorheriger Konsultation. Das ist der Grund, warum wir sagen: „Jawohl, es ist ein gesondertes Mandat; aber wir bleiben bei der Obergrenze.“ Dies muss, wird und soll in die insgesamt verabredete Afghanistan-Strategie einbezogen werden. Der Grund für die Dringlichkeit ist von mir vorgetragen worden; ich halte ihn für richtig. Wer dem Einsatz zustimmen möchte, weil er ihn im Hinblick auf Afghanistan für richtig hält, soll das tun. Wer ihm nur wegen der Entlastung im Zusammenhang mit Libyen zustimmen möchte, soll das tun. Wer es aus beiden Gründen tut, liegt doppelt richtig. Ich bitte herzlich um Zustimmung. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wolfgang Gehrcke ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um gleich beim Verteidigungsminister anzuknüpfen: Wer aus beiden Gründen - wegen Libyen und wegen Afghanistan - überhaupt nicht zustimmen will, kann das auch tun, indem er dieses Mandat einfach ablehnt. ({0}) Dann ist er immer auf der politisch klügeren und besseren Seite. Ich weiß nicht, warum man sich nicht einmal ein bisschen zurücknehmen und darüber nachdenken kann. Ein Spruch lautet: Ich denke an das Ende und an den Anfang auch. - Das Ende ist völlig klar: Die Bundeswehr wird irgendwann - ich hoffe, möglichst rasch - aus Afghanistan abgezogen. Der Anfang ist auch klar; auch er lag hier im Hause. Kollege Erler, es wird auch noch darüber zu sprechen sein, unter welcher Regierung, verbunden mit welchen Aufgaben hier der Anfang geknüpft worden ist. Mir ist nicht klar, wie viele Menschen zwischen dem Anfang und dem Ende ihr Leben oder ihre Gesundheit verlieren werden. Das ist für mich das wichtigste Argument: Ich will diese Mandate nicht, weil Menschenrechte unter dem Strich niemals mit Bomben und Raketen durchzusetzen sind, weder in Libyen noch in Afghanistan. Das ist die Motivation, die meine Fraktion hat. ({1}) Man weiß, dass AWACS kein ziviles System ist; es ist ein militärisches System. Man muss der Bevölkerung sagen: Wir entscheiden hier über den Einsatz eines militärischen Systems. In Ihrem Antrag steht ausdrücklich, dass der AWACS-Einsatz auch zur „Unterstützung bei der Durchführung von Operationen ISAF-geführter Bodenkräfte“ genutzt wird. Das ist neu; das stand bisher nicht im Mandat. Die SPD muss sich entscheiden, ob sie dem zustimmen will oder nicht. Natürlich haben Sie auch bei der Obergrenze geschummelt, die bisher einen Puffer enthielt und nichtständige Einsatzgrenze genannt wurde; jetzt wird die Obergrenze ständig ausgereizt. Das heißt also: Mit dem AWACS-Einsatz wird der Krieg verschärft; das ist eine nüchterne Feststellung. Darüber muss man reden. Ich denke, dass man auch über die Hintergründe reden muss. Die Linke lehnt den AWACS-Einsatz wie auch andere Einsätze generell ab. Wir werden nicht den kleinsten Finger für Kriegseinsätze hinhalten. ({2}) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der VerteidigungBundesminister Dr. Thomas de Maizière Das ist nicht die politische Linie, sind nicht die Vorschläge, die wir vertreten. Herr Außenminister, es ist doch eine eigenartige Logik, den Krieg in Afghanistan zu verschärfen, weil man sich in Libyen - das ist der Sinn der ganzen Sache nicht an einem Krieg beteiligen will. Sie helfen zwar nicht direkt mit Soldaten; aber Sie helfen mit anderen Dingen erheblich bei der Kriegsführung. Nun ist die Entscheidung, in Libyen keine Soldaten einzusetzen und auch die deutsche Marine zurückzuziehen, aus meiner Sicht durchaus vernünftig. Aber es ist schon - Entschuldigung, ich finde dafür keinen anderen Ausdruck - eine ziemlich perverse Logik, dies kompensieren zu wollen, indem man AWACS-Maschinen nach Afghanistan schickt, also den Krieg in Afghanistan zu verschärfen, weil man den anderen Krieg in dieser Art und Weise nicht will. Was ist das überhaupt für eine Denkweise! ({3}) Der Volksmund argumentiert: Der Hehler ist genauso schlimm wie der Stehler. Im Falle des AWACS-Einsatzes ist man der Hehler, weil man die Ziele ausmacht; andere sollen diese Ziele dann militärisch bekämpfen. Ich finde das schlimm. Jetzt noch einmal zu den Kollegen von der SPD. Welcher Logik folgt denn der Außenminister? Herr Steinmeier, Sie werden sich genau erinnern, dass Sie als Fraktionsvorsitzender die Entscheidung von Gerhard Schröder, keine Soldaten in den Irak zu schicken - diese Entscheidung war richtig -, hier, vor diesem Haus, damit begründet haben, dass wir uns im Gegenzug stärker in Afghanistan engagieren. In mehreren Debatten zu diesem Mandat haben Sie das ausgeführt: Weil wir im Irak nicht an der Seite unserer Bündnispartner militärisch agiert haben, sind wir nach Afghanistan gegangen. Entschuldigen Sie, aber genau das Gleiche macht die Bundesregierung heute. Die Merkel macht den Schröder. Dabei ist schon Schröder mit dieser Politik gescheitert. ({4}) Wenn man jetzt sagt, dass wir uns nicht in Libyen engagieren, sondern in Afghanistan, dann folgt man der gleichen Logik wie damals beim Irak; das wird dieses Mal nicht zu einem besseren Ergebnis führen. ({5}) Ich bitte Sie ganz einfach: Nutzen Sie Ihre Möglichkeit, ({6}) zweimal mit Nein zu stimmen und weder Soldaten für den Krieg in Libyen zur Verfügung zu stellen noch den AWACS-Einsatz in Afghanistan zu mandatieren. Wir brauchen endlich eine Friedenspolitik. Ich finde, darüber kann man in diesem Hause streiten. Solche Auseinandersetzungen sind aber höchst selten geworden. Herzlichen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Nouripour für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Gehrcke, ich glaube, Sie haben noch immer nicht verstanden, dass der Irakkrieg eine historische Zäsur in negativer Hinsicht dargestellt hat - ich meine das, was im Sicherheitsrat damals vorgefallen ist, dass es kein Mandat für die Einsätze gab -, und das ist sehr bedauerlich. Diese historischen Vergleiche hinken immer. ({0}) Ich komme jetzt zum AWACS-Einsatz. Viele Kollegen in diesem Hohen Haus verstehen in der Sache, warum es eine Notwendigkeit zum Einsatz der Fähigkeiten von AWACS-Aufklärungsflugzeugen in Afghanistan gibt. In den letzten Jahren hat sich die Bundesregierung im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen stets bemüht, eine breite Mehrheit in diesem Haus zu finden. Das ist auch richtig so; denn Auslandseinsätze bringen eine große Verantwortung für das gesamte Parlament mit sich. In diesem Fall war das leider nicht möglich, weil eine unglaubliche Eile geboten war. Diese Eile erschwerte die Entscheidungsfindung für alle. Wenn man sehr genau überlegt, wie es zu dieser Eile kam, kommt man auf eine einzige Antwort: Die Bundesregierung hat sich in den letzten Wochen und Monaten nicht darum gekümmert. Sie hat die Entscheidungen, die anstanden, nicht getroffen. Das ist ein großes Problem. Sie haben sich darum schlicht nicht gekümmert. ({1}) Ende 2010 gab es zum wiederholten Mal eine Anfrage an die Bundesregierung, ob Deutschland sich an dem AWACS-Einsatz beteiligt. Der Außenminister war strikt dagegen. Er hat übrigens auch nach der Abstimmung über das Gesamtmandat verkünden lassen - das war Ende Januar 2011 -: Für die nächsten zwölf Monate ist das kein Thema. Es war aber klar, dass das so nicht geht. Man wollte sich über einen bestimmten Zeitpunkt retten. Das war keine Landtagswahl, sondern die ISAFAbstimmung im Deutschen Bundestag. Also machte die Bundesregierung das, was sie in solchen Situationen immer macht: Sie verhängte ein Moratorium von drei Monaten. ({2}) In dieser Zeit sollte über den AWACS-Einsatz nicht geredet werden. Jetzt ist dieses Moratorium fast ausgelaufen. Es stand also sowieso die Entscheidung an, was nun passiert, ob Deutschland sich an dem AWACS-Einsatz beteiligt oder nicht. Voller Hektik sagen Sie nun: Nein, wir warten das nicht ab, sondern bieten unsere Beteiligung an dem AWACS-Einsatz an. Der Verdacht liegt nahe, dass Sie damit einen einfachen Zweck verfolgen. Sie wollen das Desaster der Passivität der Bundesregierung, diesen deutschen Sonderweg in der Libyen-Frage, gegenüber der Öffentlichkeit schnellstmöglich vergessen machen, und das ist indiskutabel. ({3}) Herr Minister Westerwelle, die FAZ meldet, Sie hätten die Resolution, die Sie danach öffentlich begrüßt haben, eigentlich ablehnen wollen. Wenn das nicht stimmt, wäre ich sehr dafür, dass Sie das dementieren. Sie haben sich in der Vergangenheit häufiger als Abgeordneter zu Wort gemeldet und sich erklärt. Jetzt haben Sie die Möglichkeit, uns zu sagen, ob es stimmt, dass die Bundesregierung diese Resolution, die sie begrüßt hat, tatsächlich ablehnen wollte. ({4}) Bei diesem Mandat gibt es ein noch größeres Problem. Aufgrund der Eile, die Sie sich selbst auferlegt haben, legen Sie nicht einmal einen gründlich ausformulierten Mandatstext vor. Ich gebe Ihnen ein einziges Beispiel: das bodengestützte System. Wir fragen uns, was hier seit 2009 überhaupt passiert; das ist eine sehr berechtigte Frage. Im Mandatstext steht zum Beispiel wortwörtlich: Die Rehabilitierung des Flughafens Uruzgan … steht kurz vor dem Beginn. Das ist eine wunderschöne Nachricht; das freut mich ungemein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Stinner?

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. Ich sehe ihn gar nicht. - Da ist er. ({0})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Sehr geehrter Kollege Nouripour, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass heute in den vergangenen zwei bis drei Stunden sowohl das Auswärtige Amt durch den entsprechenden Sprecher als auch die Bundeskanzlerin durch ihren Sprecher eindeutig erklärt haben, dass an dem Gerücht, das auch Sie hier verbreitet haben, gar nichts dran ist, sondern dass die Entscheidung zur Enthaltung von vornherein einstimmig so gefasst worden ist? Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen?

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin gerne dazu bereit; das freut mich ungemein. Ich habe das Gerücht nicht verbreitet; das ist eine Pressemeldung. ({0}) Nichtsdestotrotz habe ich die Verlautbarung der Bundesregierung immer so verstanden, dass man die ganze Zeit verhandelt und hart mit sich gerungen habe. Nun sagen Sie, die Enthaltung habe von vornherein festgestanden. Das ist ein wenig verwirrend und macht so keinen Sinn. ({1}) Zurück zum Antragstext. Sie haben geschrieben - ich wiederhole -: Die Rehabilitierung des Flughafens Uruzgan … steht kurz vor dem Beginn. Das ist eine schöne Sache. Das Problem ist, dass 2009 exakt derselbe Satz im Mandat stand. Auch 2009 hieß es, der Beginn der Rehabilitierung des Flughafens Uruzgan stehe kurz bevor. Der Satz danach lautete, dass die Fertigstellung für 2010 geplant sei. Das ist nicht konsistent, vor allem auch deswegen nicht, weil wir uns alle erinnern, wie es 2009 war: Wir Grüne haben hier dem Mandatstext mehrheitlich zugestimmt, um dann festzustellen, dass sich die Bundesregierung überhaupt nicht um die Details gekümmert hat. Das war eine extrem peinliche Aktion, die jetzt durch dieses hektische Copy and Paste, das Sie bei der Erstellung des Antrags gemacht haben, nicht wirklich besser wird. Jetzt geht es darum, dass wir Vertrauen, das in den letzten Tagen verloren gegangen ist, wieder zurückgewinnen. Aber Sie tun nichts dafür. Ein weiteres Beispiel: Es gibt das feste Versprechen der Bundesregierung, dass die Zahl der Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan Ende des Jahres - vorbehaltlich der Sicherheitslage - reduziert wird. Ich habe damals den Herrn Außenminister im Plenum gefragt: Wie ist es denn, wenn die AWACS dazukommen? Er sagte: AWACS und Mandatsobergrenze haben miteinander überhaupt nichts zu tun. - Wir erleben gerade, dass gesagt wird: Wir haben jetzt die flexible Reserve angebrochen. Wir müssen einmal schauen, wie es geht. Das Problem ist, dass Sie sich dadurch, dass wir jetzt mehr Soldatinnen und Soldaten nach Afghanistan schicken werden, faktisch von diesem Versprechen entfernen. Ein weiteres Problem ist, dass Sie damit nicht nur die Öffentlichkeit verprellen und Ihr Versprechen möglicherweise nicht halten können. Ich hoffe, dass Sie Ihr Versprechen halten können. Problematisch ist vielmehr auch, dass die Soldatinnen und Soldaten dadurch, dass Sie so herumtaktieren, politische Manövriermasse bei einem Kuhhandel werden. Der Kuhhandel lautet: Libyen nein, deshalb Afghanistan. - Dabei haben die beiden Konflikte in der Sache nichts miteinander zu tun. Es geht darum, dass jeweils für jede Intervention - in manchen Fällen auch für die jeweilige Nichtintervention - eine genaue Begründung in der Sache vorliegen muss. Das ist bei Ihnen nicht der Fall, sondern Sie vermengen alles auf eine unseriöse Weise miteinander. Das hat mit sachlicher und - das ist das Gravierende - vor allem mit einer wertegebundenen Außenpolitik überhaupt nichts mehr zu tun. Die Kontinuität, die die deutsche Außenpolitik ausgemacht hat - egal wer in den letzten Jahrzehnten regiert hat -, setzen Sie fahrlässig aufs Spiel. Das ist wirklich verheerend. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Nouripour, Sie haben es geschafft, Ihre volle Redezeit auszunutzen, ohne eine einzige Silbe dazu zu sagen, wie sich Ihre Fraktion nachher in dieser Frage verhalten wird. ({0}) Sie haben von Medienberichten gesprochen. Ich habe Medienberichte gelesen, in denen stand, dass Sie für das AWACS-Mandat sind. Ich habe von Herrn Trittin in der Presse gelesen, dass er dagegen ist. Mich hätte interessiert, wie die Mehrheit Ihrer Fraktion das sieht und ob Sie in Ihrer Fraktion überhaupt darüber geredet haben. Bevor ich zu AWACS komme, möchte ich zwei Dinge klarstellen: ({1}) - Sie schreien zwar, aber sagen Sie doch bitte einmal, wie die Grünen abstimmen. Das interessiert; das andere interessiert nicht. ({2}) Erstens. Die CDU/CSU-Fraktion teilt die Einschätzungen und Abwägungen - dies möchte ich vorab sagen - der Bundesregierung, die bei der Resolution 1973 zu der Enthaltung im Sicherheitsrat geführt haben. Zweitens. Deutschland ist in diesem Konflikt nicht neutral, sondern steht fest an der Seite des libyschen Volkes und der internationalen Gemeinschaft. Die Bundeskanzlerin hat am vergangenen Samstag beim Gipfel in Paris klar gesagt, dass die Resolution gilt und Deutschland die Ziele der Resolution vorbehaltlos unterstützt. Deshalb unterstützt die CDU/CSU-Fraktion geschlossen das Bestreben der Bundesregierung, unterhalb einer direkten militärischen Beteiligung alles dafür zu tun, dass die Resolution 1973 erfolgreich durchgesetzt wird. Dazu gehört auch - das hat der Verteidigungsminister dargestellt -, dass wir der NATO zusätzliche Kapazitäten für den Einsatz in Afghanistan anbieten, indem wir uns an den AWACS-Flügen beteiligen. Dies geschieht auch mit dem Ziel, unsere NATO-Partner für ihren Einsatz in Libyen zu entlasten. Das Bündnis hat sich gestern auf einen Plan zur Durchsetzung eines Flugverbots über Libyen geeinigt. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt diese Entscheidung und die erzielte Einigkeit ausdrücklich. Bislang gibt es weder eine Anfrage an die NATO noch eine Anfrage der Allianz selbst an ihre Mitglieder bezüglich einer konkreten Umsetzung der Resolution 1973. Aber auch hier sage ich in aller Klarheit: Es ist selbstverständlich, dass Deutschland eine solche Entscheidung unterstützen wird. Das heißt ganz praktisch, dass die deutschen Soldaten bei einer entsprechenden Mission der NATO in den integrierten Stäben des Bündnisses ihre Aufgaben erfüllen und Verantwortung übernehmen werden. Die Bundesregierung muss sich daher von niemandem Vorwürfe gefallen lassen, sie hätte ihre Bündnissolidarität infrage gestellt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme auf das vorliegende Mandat zu sprechen. Seit dem 15. Januar 2011 sind NATO-AWACS in Afghanistan eingesetzt, bisher allerdings ohne deutsche Besatzungen und Bodenpersonal. Der Einsatz der AWACS erfolgt aufgrund des steigenden Flugaufkommens über Afghanistan. Die Flugzeuge sollen die Koordinierung des militärischen Flugverkehrs unter Berücksichtigung ziviler Nutzer sowie Aufgaben zur Unterstützung von ISAF-geführten Bodenkräften übernehmen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Schockenhoff, darf der Kollege Bartels Ihnen eine Zwischenfrage stellen?

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schockenhoff, in der vergangenen Woche habe ich in einem Rundfunkinterview von Ihnen vernommen, dass die Nichtbeteiligung Deutschlands an der Umsetzung des Libyen-Beschlusses des Sicherheitsrats sowie die Enthaltung Deutschlands im Sicherheitsrat damit begründet wurde, die Bundeswehr könne das gar nicht mehr. Ist das eine tragende Begründung für die Regierungsfraktionen?

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich habe in der letzten Woche darauf hingewiesen, dass es - und das war bis gestern der Fall - weder im Sicherheitsrat noch in der EU noch in der NATO noch in der Arabischen Liga Einigung über die Ziele und die Einsatzregeln für diese Operation gab. Das habe ich kritisiert und deshalb gesagt: Es war richtig, dass sich die Bundesregierung enthalten hat. - Dass wir hinter den Zielen „Schutz der Bevölkerung“ und „dem Diktator Einhalt gebieten“ stehen, ist eindeutig. Das hat auch der Außenminister für die Bundesregierung und für die Koalitionsfraktionen wiederholt. Dabei bleibt es. Die Begründung, sich zu enthalten, hat mit den politischen Zielen, die wir jetzt voll mittragen, nichts zu tun. ({0}) Ich komme zurück zum AWACS-Einsatz. Dieser war ursprünglich für 90 Tage angedacht. Deshalb bestand bei der Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes im Januar auch keine Veranlassung, eine mögliche deutsche Beteiligung in dem Mandatstext zu berücksichtigen. Weil sich das System bewährt und als sehr effektiv erwiesen hat, soll der Einsatz nun auf Wunsch des ISAF-Oberkommandos weitergeführt werden. Die AWACS-Flugzeuge der NATO sind hochintegrierte Verbände, die ohne deutsches Personal auf Dauer nur beschränkt einsetzbar sind. Deshalb wollen wir uns künftig an dem AWACS-Einsatz der NATO in Afghanistan mit dem Ziel der Luftraumsicherheit und Luftraumkoordinierung beteiligen. Dies gilt unabhängig von einer möglichen Beteiligung des Bündnisses an den Operationen zur Durchsetzung der beiden UNO-Resolutionen zu Libyen. Neben dem Schutz unserer eigenen Soldatinnen und Soldaten sowie der afghanischen Zivilbevölkerung ist der wichtigste Aspekt meines Erachtens, dass der Einsatz der NATO-AWACS den Prozess der Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen unterstützen kann. Die Flugzeuge verdichten das Lagebild für die Operationsführung nicht nur der ISAF-Truppen, sondern auch der afghanischen Sicherheitskräfte, die an Operationen gegen Aufständische im Rahmen unserer Konzepte des Partnerings und des Mentorings beteiligt sind. Mit diesem Einsatz befördern wir unser Ziel, möglichst schnell eine Übergabe der Sicherheitsverantwortung in afghanische Hände zu erreichen, was die Verringerung unserer militärischen Präsenz zur Folge haben kann. Schon aus diesem Grunde hoffen wir, dass das Mandat eine breite Zustimmung im Bundestag findet. Im Übrigen zeigt die gestrige Ankündigung des afghanischen Präsidenten Karzai, ab Juli 2011 sieben Regionen in die afghanische Sicherheitsverantwortung zu übernehmen, dass der von uns im letzten Jahr vorgenommene Strategiewechsel wirkt. Der Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte - Armee und Polizei - kommt zügig voran. Auch Deutschland hat seine Trainingskapazitäten in unserem Verantwortungsbereich im Norden Afghanistans erhöht und kann nun in der Stadt Masar-i-Scharif die Sicherheitsverantwortung an die Afghanen übertragen. Dieser maßgebliche Schritt verdeutlicht, dass wir auf dem richtigen Weg sind, um die von uns angestrebte völlige Übergabe in afghanische Verantwortung bis 2014 zu erreichen. Zum Abschluss möchte ich noch einmal unterstreichen: Gerade weil dieses Mandat unseren Abzug aus Afghanistan befördern kann, kann auf eine Erhöhung der Mandatsobergrenze verzichtet werden. Dies ist ein weiterer Grund, aus dem die Vorlage der Bundesregierung eine breite Unterstützung finden sollte. Dazu lade ich uns alle herzlich ein. Danke. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/5190 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Es ist vereinbart, dass wir die Sitzung jetzt für Fraktionssitzungen unterbrechen. Das wird bis voraussichtlich 16 Uhr der Fall sein. Wir werden den Wiederbeginn der Plenarsitzung wie immer durch Klingelsignal bekanntgeben. Ich möchte Ihnen mit Blick auf den weiteren Ablauf unserer Tagesordnung einen Verfahrensvorschlag machen. Als Nächstes werden dann ja die Regierungsbefragung und die Fragestunde aufgerufen, auf die die vereinbarte Aktuelle Stunde folgt. Nach Rücksprache mit den Fraktionen möchte ich Ihnen vorschlagen, dass wir nach einer vielleicht etwas knapper gehaltenen Regierungsbefragung die Fragestunde auf eine Stunde statt zwei Stunden begrenzen. Auch nach Durchsicht der jetzt schon zur schriftlichen Beantwortung eingereichten oder korrigierten Fragen scheint mir das auskömmlich zu sein. Dann könnten wir zu einer halbwegs kalkulierbaren Zeit mit der Aktuellen Stunde beginnen und vermeiden, dass diese mit Abendverpflichtungen kollidiert. Können wir so verfahren? ({0}) - Natürlich beginnen wir nach der Regierungsbefragung, die über das angemeldete Thema hinaus von sonstigen Nachfragen entlastet bleiben könnte, mit den dringlichen Fragen und rufen die verbliebenen anderen Fragen danach auf. - Ich bedanke mich für die Zustimmung. Die Sitzung ist unterbrochen. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Als Thema der heutigen Kabinettssitzung hat die Bundesregierung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Ich erteile das Wort zum fünfminütigen Einführungsbeitrag der Frau Bundesministerin Dr. Annette Schavan.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf, den die Präsidentin angekündigt hat und der heute vom Kabinett verabschiedet wurde, ist ein wichtiger Schritt in Bezug auf Integration und eine zentrale Maßnahme in Bezug auf das Thema Fachkräftebedarf, über das wir immer wieder diskutieren. Worum geht es? Was ist neu? Viele von uns kennen einzelne Fälle, in denen die Anerkennung eines im Ausland erworbenen Berufsabschlusses viele Behörden beschäftigt, lange dauert, ergebnislos bleibt oder in denen über die Anerkennung in dem einen Bundesland anders entschieden wird als in dem anderen. Deshalb - das ist neu - enthält das Gesetz einen Rechtsanspruch auf Prüfung von beruflichen Auslandsqualifikationen. Neu ist, dass das Verfahren der Prüfung, soweit alle Unterlagen vorliegen, in einem Zeitraum von drei Monaten abgeschlossen sein muss. Abgeschlossen werden kann es nicht einfach mit einem Ja oder Nein, sondern erforderlich ist ein Hinweis darauf, welche Qualifikationen vorhanden sind und welche zusätzlichen erbracht werden müssen, um eine Anerkennung zu bekommen. Neu ist auch, dass die Kriterien, anhand derer sich die Frage „Anerkennung, ja oder nein?“ entscheidet, für Deutschland insgesamt gelten. Das Gesetz besteht aus Art. 1 - das ist das eigentliche Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz - und 60 weiteren Artikeln, die Änderungen von 60 Berufsgesetzen und entsprechenden Verordnungen beinhalten. Ich sage das, weil manche mit Recht gefragt haben, warum es eigentlich so lange gedauert hat, von Dezember 2009, als die Eckpunkte vorlagen, bis März 2011. In diesem Prozess ging es darum, 60 Berufsgesetze zu verändern, und einen Konsens herzustellen, wie hier künftig verfahren wird. Zudem mussten auch die Schritte der Umsetzung, die jetzt anstehen, mit bedacht werden. Wir werden eine bundesweite Hotline einrichten, sodass jeder, der ein Anerkennungsverfahren anstrebt, unter einer Nummer die Information bekommt, wo und wie das möglich ist. Auf der Ebene der Kammern gibt es Vorbereitungen für die Bündelung von Zuständigkeiten und Kompetenzen, sodass nicht jede Kammer die Entsprechenden Entscheidungsgrundlagen vorhalten muss. Die Industrie- und Handelskammer plant zum Beispiel eine zentrale Stelle, wenn ich es richtig sehe, in Nürnberg. Betroffen von dem Gesetz sind in Deutschland nach jetziger Prognose 285 000 Bürgerinnen und Bürger. Die Aufschlüsselung dieser Gruppe ergibt, dass es sich zum größten Teil - bei rund 250 000 - um Personen handelt, die über eine Lehre oder einen sonstigen berufsqualifizierenden Abschluss verfügen. Ungefähr 23 000 Personen verfügen über einen Meister-, Techniker- oder Fachschulabschluss und rund 16 000 Personen über einen Fachhochschul- oder Hochschulabschluss. Das zeigt zugleich, dass die Personen mit einem Fachhochschuloder Hochschulabschluss eher eine Minderheit sind. Geregelt sind im Gesetz rund 500 Berufe, darunter - das ist die größte Gruppe - die 350 Ausbildungsberufe. Es gibt jedoch auch Berufe, die auf der Ebene der Länder geregelt werden. Deshalb sind auch die 16 Länder in diesen Prozess mit einbezogen. Dazu gehören zum Beispiel die Lehrer. Ich habe es heute Morgen schon gesagt: Es besteht jetzt die Hoffnung, dass vielleicht nicht nur diejenigen, die im Ausland einen Abschluss erworben haben, in Deutschland diesen anerkannt bekommen, sondern dass auch die 16 Bundesländer untereinander ihre Lehrerabschlussprüfungen anerkennen, sodass die Lehrerinnen und Lehrer überall in Deutschland lehren können. Das sind Nebeneffekte, die ich jetzt einmal nennen wollte. Angesprochen sind nicht nur die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, die woanders ihren Abschluss gemacht haben, sondern selbstverständlich auch Deutsche, die woanders ihren Abschluss gemacht haben, und in Zukunft wollen wir natürlich auch diejenigen ansprechen, die interessiert daran sind, nach Deutschland zu kommen und in ihrem Beruf zu arbeiten. Vom Ausland aus kann ein Antrag ebenso gestellt werden wie in Deutschland selbst. Die Neuigkeiten sind also: Rechtsanspruch auf Prüfung der Anerkennung, klare Angaben über die Dauer der Bearbeitung, gleiche bzw. vergleichbare Kriterien in ganz Deutschland und schließlich eine sehr viel klarere Form, in der eine Beantragung erfolgen kann. Das beginnt schon mit der Hotline, die unmittelbar nach Inkrafttreten des Gesetzes eingerichtet wird. So weit zu den wichtigsten Informationen zum heute verabschiedeten Gesetzentwurf.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es gibt schon jetzt eine ganze Reihe von Fragestellerinnen und Fragestellern. Ich erinnere noch an die Ankündigung des Präsidenten von vorhin, dass wir die Regierungsbefragung heute vielleicht nicht allzu weit ausdehnen sollten, und gebe zunächst der Kollegin Dağdelen das Wort zur Frage.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin Schavan, ich würde gerne wissen, ob aufgrund des im Gesetzentwurf und in der Begründung angedachten Anspruchs, für mehr Transparenz und Vereinfachung zu sorgen, auch vorgesehen ist, eine einheitliche Datenbank zu errichten - zum Beispiel auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung -, um ungleiche Bewertungsergebnisse bei gleichen Qualifikationen in den Bundesländern zu vermeiden. In diesem Zusammenhang ist es mir auch wichtig, zu fragen, ob man mehr Transparenz und Vereinfachung dadurch erreichen kann, dass man es den Kammern überlässt, die Anerkennungsverfahren durchzuführen, da es dann 16 unterschiedliche Anlaufstellen in 16 unterschiedlichen Bundesländern gibt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Ministerin.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Es sind diverse Maßnahmen geplant, um Daten und Informationen speziell zu Drittstaaten, deren Abschlüsse bei uns bislang noch nicht so bekannt sind, zu sammeln. Ich nenne zum Beispiel die zentrale Plattform beim Bundeswirtschaftsministerium, die zurzeit aufgebaut wird. Damit wird es eine gemeinsame Daten- und Informationsbasis geben. Damit wir sichergestellt, dass die im Gesetz festgelegten Kriterien nicht unterschiedlich angewandt werden. Deshalb sagen uns sowohl die Handwerks- als auch die Industrie- und Handelskammern: Es wird nicht, wie bislang, jede Kammer für sich entscheiden, sondern wir wollen Kompetenzzentren einrichten. Beim Industrie- und Handelskammertag wird überlegt, eine große Stelle in einer Stadt in Deutschland einzurichten, sodass nicht unterschiedliche Stellen die gleichen Kriterien anwenden, sondern das nur an einer Stelle erfolgen muss. Das Einzige, was wir nicht wollen, ist, eine neue zentrale Stelle jenseits der Kammern und der bisherigen Behörden aufzubauen. Das heißt aber nicht, dass die Kräfte nicht gebündelt werden. Es werden nicht mehr 400 Stellen in Deutschland sein, die die Anerkennungsverfahren durchführen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Frage stellt Kollege Kamp.

Heiner Kamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004064, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, angesichts des Mangels an qualifiziertem Personal im Gesundheitsbereich frage ich Sie, welche Auswirkungen das Gesetz auf die Anerkennung von Abschlüssen ausländischer Ärzte, Krankenpfleger, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Hebammen, MTAs und PTAs haben wird und ob Sie eine Gefahr sehen, dass der Standard der anerkannten Abschlüsse, ob Hochschulabschlüsse oder Berufsausbildung, eventuell gefährdet sein könnte. Anders gefragt: Könnten diese Abschlüsse dadurch entwertet werden?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Ministerin, bitte.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Die Gefahr der Entwertung sehe ich nicht. Ich bin davon überzeugt, dass die Stellen, die für die Anerkennung zuständig sind, die deutschen Referenzqualifikationen sehr genau kennen und bei der Qualität unserer Ausbildungen ansetzen werden. Was die Mediziner und die sonstigen Heilberufe angeht, steht in dem Bereich der Patientenschutz besonders im Vordergrund. Deshalb würde ich nach heutigem Stand sagen: Das, was im Gesetzentwurf vorgesehen ist, ist ein guter erster Schritt, aber es ist durchaus eine Weiterentwicklung denkbar. Der wichtigste Schritt in dem Bereich ist, dass nicht mehr die Staatsangehörigkeit darüber entscheidet, ob jemand eine Approbation oder den Berufszugang bekommt. Bisher ist dafür in vielen Bereichen die deutsche Staatsangehörigkeit die Voraussetzung. Das gilt selbst für den türkischen Arzt oder die Ärztin, die in Deutschland geboren und ausgebildet sind, aber ihre türkische Staatsangehörigkeit behalten. Hier ist eine entscheidende Änderung erfolgt. Jetzt ist nur noch die Qualifikation Voraussetzung für die Anerkennung. Ich glaube, dass das ein erster wichtiger Schritt ist. Eine Weiterentwicklung ist denkbar und vermutlich auch notwendig, wenn wir uns gezielt - Kollege Rösler hat in dieser Woche davon gesprochen - außerhalb der EU um Mediziner bemühen wollen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Sager.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, das Eckpunktepapier der Bundesregierung hat noch die Einrichtung dezentraler Erstanlaufstellen in Aussicht gestellt. Eine Internetplattform ist kein Ersatz für Beratung und Begleitung. Warum regelt der Gesetzentwurf nicht den Anspruch auf Beratung und Begleitung durch dezentrale Stellen vor Ort?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Ministerin.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Das, was mit der Erstanlaufstelle beabsichtigt ist, wird in unter anderem durch die zentrale Hotline gewährleistet. Der entscheidende Punkt ist: Jemand, der seine Qualifikation prüfen lassen will, muss sich nicht an zehn Adressen wenden, sondern an eine zentrale Nummer. Da nennt man ihm nicht einfach eine weitere Telefonnummer, sondern er erhält eine gezielte Beratung, an wen er sich mit seinem Antrag wenden kann. Beratung bzw. Begleitung ist uns sehr wichtig. Das gilt vor allem in den Fällen, in denen eine Anerkennung nicht ausgesprochen werden kann, und sich die Frage stellt, welche zusätzliche Qualifikation notwendig ist, um eine Anerkennung zu erreichen. Hierfür sind regionale Stellen vorgesehen. Eine untergesetzliche Regelung ist in Arbeit.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Rupprecht.

Albert Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003620, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, der Entwurf des Anerkennungsgesetzes ist aus unserer Sicht ein Meilenstein auf dem Weg zu Sevim DaðdelenSevim Dağdelen Albert Rupprecht ({0}) mehr Integration. Respekt hierfür! Viele haben lange darüber geredet; diese Regierung bringt es auf den Weg. Nichtsdestotrotz geht es um die Qualität, die wir gewährleistet haben wollen. Ich frage Sie meinerseits zum einen: Wie schaffen wir es, dass die dezentral getroffenen Entscheidungen auf vergleichbare Weise zustande kommen? Zum anderen frage ich Sie, die Frage des Kollegen von der FDP vertiefend: Wie gewährleisten wir über den medizinischen Bereich hinaus, dass die hohe Qualität des deutschen Ausbildungssystems aufrechterhalten wird?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Wir gewährleisten das auf zweifache Weise: erstens indem die Prüfungen durch die Industrie- und Handelskammern oder Handwerkskammern oder sonstige berufsnahe Stellen erfolgen - sie erfolgen nicht bei einer neuen staatlichen Behörde, sondern da, wo Ausbildungsverordnungen mit uns entwickelt werden, da, wo Kompetenz hinsichtlich der Erstausbildung und der Weiterbildung sitzt. Und zweitens macht das Gesetz sehr deutlich, dass deutsche Qualitätsstandards der Referenzpunkt und Maßstab sind, mit dem die ausländischen Qualifikationen und Zertifikate geprüft werden. Es geht immer um Gleichwertigkeit und Vergleichbarkeit: Ist das, was vorgelegt wird, vergleichbar mit dem Berufsbild, um das es geht? Ich bin fest davon überzeugt: Es liegt im Interesse von allen Berufsbranchen, ihren Qualitätslevel zu halten. Ich füge allerdings hinzu: Ich glaube nicht, dass es in der Welt nicht auch andere Orte gibt, an denen eine qualitätsbewusste Ausbildung erfolgt und Berufserfahrung gewonnen wird. Indem wir keine neue Behörde schaffen, sondern die Kompetenzen, die da sind, nutzen, wird das Ganze - davon bin ich überzeugt - nicht zu einem Absinken der Qualität führen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Schulz.

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Schönen Dank, Frau Präsidentin. - Verehrte Frau Bundesministerin, ich habe leider den Beginn Ihrer Ausführungen nicht verfolgen können, weil die SPD-Fraktion noch getagt hat. Deswegen verzeihen Sie, wenn ich jetzt möglicherweise nach etwas frage, das Sie schon ausgeführt haben. Der Gesetzentwurf beinhaltet Regelungen für nur einen Teil der Ausbildungen, nämlich diejenigen, die sozusagen durch Bundesrecht zu regeln sind. Aber es gibt noch eine ganze Menge mehr. Deswegen die Frage: Wie gestaltet sich der Prozess? Engagiert sich die Bundesregierung gemeinsam mit den Bundesländern, eine Regelung hinzubekommen, die tatsächlich eine Verbesserung für alle Ausbildungen, alle Berufe darstellt?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Ministerin, bitte.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Selbstverständlich. Ich will kurz die Zahlen, die ich vorhin genannt habe, wiederholen, weil man sich dann ein Bild davon machen kann, wer wie stark betroffen sein wird. Wir gehen von etwa 285 000 interessierten Personen in Deutschland aus. Davon haben rund 250 000 eine Lehre oder eine Art berufsqualifizierende Ausbildung abgeschlossen. Die große Gruppe der 350 Ausbildungsberufe ist also sozusagen das Herzstück der neuen Regelungen. Der Anteil derer, die einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss mitbringen und die zum Teil - wie beispielsweise Lehrer - in die Regelungszuständigkeit der Länder fallen, ist vergleichsweise gering. Wir haben in den letzten Monaten konstruktive Gespräche mit den Ländern geführt, damit entsprechende Veränderungen auch in den Ländern vorgenommen werden. Mit keinem der 16 Länder gibt es Dissens darüber, dass nicht nur gesetzliche Änderungen vorzunehmen sind, sondern dass auch die Praxis der Anerkennung zu verbessern ist; denn so wichtig das Gesetz ist, so wichtig ist auch die Praxis, bis hin zu dem Punkt, den ich eingangs genannt hatte, nämlich dass mit der Anerkennung in einem Land zugleich die Anerkennung in Deutschland insgesamt gewährleistet sein muss.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich möchte gerne darauf hinweisen, dass wir ausdrücklich die Nachricht aus der Geschäftsführung der SPD-Fraktion hatten, dass wir mit der Regierungsbefragung beginnen sollen. ({0}) - Ich kann das nur so sagen. ({1}) Jetzt gebe ich das Wort zu einer Frage dem Kollegen Feist.

Dr. Thomas Feist (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004032, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, ich bin mir sicher, dass die Menschen, über die Sie vorhin gesprochen haben - 285 000 waren das -, dieses Gesetz mit großer Spannung erwartet haben. Ich weiß das auch von Organisationen aus meiner Heimatstadt Leipzig. Für mich wäre interessant, zu erfahren, wie es gewährleistet worden ist, dass die Verbände der Betroffenen in das Erstellen des Gesetzes eingebunden worden sind. Gibt es schon erste Reaktionen von diesen darauf?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Ministerin.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Es hat in den vergangenen Monaten enorm viele Reaktionen der Gruppen, der Verbände - aus unterschiedlichsten Branchen -, der Kammern und der Länder gegeben. Mein Eindruck ist: Es gibt einen überwältigenden Konsens, dass dieses Vorhaben wichtig und ist und dass die Staatsangehörigkeit kein Kriterium für die Zulassung zu bestimmten Berufen sein kann. Der Teufel steckt im Detail. Natürlich hat jeder Berufsverband deutlich gemacht, dass ihm Qualität wichtig ist. Das ist aber auch unbestritten. Deshalb sagen wir: Wenn die Anerkennung nicht gleich möglich ist, dann muss die Stelle, die geprüft hat, deutlich sagen - das ist eine Frage der Transparenz -, warum die Anerkennung nicht möglich ist. Sie darf nicht rein gefühlsmäßig entscheiden, dass eine Qualifikation nicht reicht. Neu ist also, dass es eine transparente Information darüber geben muss, welche Qualifikationsbestandteile noch erbracht werden müssen. Ich glaube, dass eines der wichtigsten Signale an die betroffenen Gruppen ist, dass es um faire Kriterien und Transparenz geht und nicht um eine gefühlte Akzeptanz oder Nichtakzeptanz. Mit Blick auf den Aufbau der Strukturen, die erforderlich sind, um die Anerkennungsverfahren zügig durchzuführen - drei Monate ist ein anspruchsvolles Ziel -, gab es eine sehr gute Zusammenarbeit mit diesen vielen Partnern, die im Zusammenhang mit der Änderung von 60 Berufsgesetzen gefordert waren.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin Hein, bitte.

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, ich bin, ehrlich gesagt, aus dem, was Sie vorhin gesagt haben, und der Antwort, die Sie eben Herrn Schulz gegeben haben, nicht so richtig schlau geworden. Ich möchte deshalb gerne nachfragen. Sind nun mit diesem Gesetz auch Berufe erfasst, für die die Ausbildungszuständigkeit bei den Ländern liegt, oder nicht? Zum Zweiten: Sie haben gesagt, es gebe einheitliche Verfahrensregeln. Nun werden Sie sicherlich zugeben, dass man einheitliche Verfahrensregeln unterschiedlich auslegen kann. Können Sie ausschließen, dass die Kammern eine unterschiedliche Bewertung von vorgelegten Nachweisen vornehmen und eine Anerkennung vielleicht davon abhängig machen, ob es in dem betreffenden Beruf gerade einen Bedarf gibt oder nicht? Können Sie eine solche Einheitlichkeit im Verfahren mit diesem Gesetz tatsächlich garantieren?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Ministerin, bitte.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Zu Ihrer ersten Frage möchte ich klarmachen, was vom Gesetz erfasst ist. Erfasst sind sämtliche 350 Ausbildungsberufe, alle Heilberufe, Juristen, Fahrlehrer und weitere bundesrechtlich geregelte Berufe. Auf der Ebene der Länder zu regeln ist zum Beispiel die Anerkennung der Ausbildungsnachweise von Lehrern, Ingenieuren und Erziehern. Die Länder haben zugesagt, die entsprechenden Gesetze zu liefern. Deshalb habe ich eben gesagt: Das hat den Vorzug, dass es etwa bei den Lehrern nicht mehr nur um die Frage geht, ob jemand aus dem Ausland in Deutschland Lehrer werden darf; vielmehr wird die Debatte zwischen den Ländern sein: Was sind die Kriterien für die wechselseitige Anerkennung von Abschlüssen? Das Bundesgesetz deckt die allermeisten Anerkennungsfälle ab, zumal das Gros der hier lebenden Menschen mit Auslandsqualifikation - 250 000 von den von mir genannten 285 000 Personen - eine Art Lehre und sonstigen berufsqualifizierenden Abschluss hat, und damit in jedem Fall unter das Gesetz fällt. Das Allermeiste ist also geregelt. Dort, wo die Länder zuständig sind, sind Gesetze angekündigt. Ich bin davon überzeugt, dass das Gesetz ein gutes Instrument ist, um bundesweite Vergleichbarkeit herzustellen. Wenn die Anerkennung ausgesprochen ist, kann nicht an anderer Stelle gesagt werden: Bei uns gilt das nicht. Auch der Umgang mit vorgelegten Zertifikaten wird eingeübt werden müssen; das ist gar keine Frage. Da wird es manche interne Diskussion geben. Der Rechtsanspruch bedeutet aber, dass es einen Anspruch darauf gibt, dass geprüft wird und dass am Ende transparent erklärt wird, wie die Anerkennung oder die Nichtanerkennung zustande kommt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Weinberg.

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, Kollege Rupprecht hat schon gesagt, dass dies für die Zielgruppe des Gesetzentwurfs, für die hier lebenden rund 300 000 Migranten, unter arbeitsmarkt- und integrationspolitischen Gesichtspunkten ein Meilenstein ist. In zwei Nebensätzen haben Sie schon angesprochen, dass damit natürlich die Frage einhergeht, was in Zukunft mit den Menschen passiert, die nach Deutschland kommen. Meine Frage ist, inwieweit man überlegt hat, ob es in Zukunft eine Beratungsmöglichkeit bereits im Ursprungsland geben soll, und inwieweit man mit den Außenhandelskammern, mit den Botschaften und mit den Konsulaten im Gespräch ist, damit diese Beratungsfunktion für die Menschen, die nach Deutschland kommen und das Anerkennungsverfahren bereits frühzeitig durchführen wollen, auch in Zukunft gewährleistet ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Ministerin.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Ein Antrag auf Prüfung der Anerkennung kann in der Tat auch vom Ausland aus gestellt werden. Man muss also nicht schon in Deutschland sein. Das wird in den weiteren Debatten über Fachkräfte ein interessanter Punkt werden: Welche Rolle spielt, dass jemand bereits im Ausland einen Antrag gestellt hat, dieser bearbeitet wurde und die Anerkennung ausgesprochen wurde? Das erleichtert hier natürlich vieles. Ich gehe davon aus, dass die Botschaften bzw. Konsulate eine zentrale Anlaufstelle sein werden und die Vermittlung zur Hotline oder zu den Anerkennungsstellen organisieren werden. Und auch innerhalb Deutschlands wird es regionale Stellen geben, die Beratung anbieten und Verbindungen herstellen werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kollege Kilic.

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr verehrte Bildungsministerin, Sie haben in der Öffentlichkeit verkündet, dass Sie nicht wollen, dass Ärzte als Taxifahrer beschäftigt werden. Diesen Ansatz haben wir begrüßt. Ihr erster Arbeitsentwurf machte auch große Hoffnungen. Darin haben Sie festgelegt, dass Sie den Immigranten zu ihren Berufen adäquate Beschäftigungen ermöglichen wollen. Aus meiner Sicht wird dieses Ziel im Gesetzentwurf allerdings ein bisschen verwässert. Dort ist von berufsnahen Beschäftigungen die Rede. Ist das so zu verstehen, dass man sich damit zufriedengeben wird, wenn ein Arzt als Krankenpfleger oder eine Krankenschwester als Altenpflegerin arbeitet? Das wäre schade. Außerdem wäre es besser gewesen, wenn Sie die Regelungen, die sich auf Verfahren beziehen, für die Länder als verbindlich erklärt hätten. Das haben Sie bewusst nicht getan. Die Länder können jetzt eigene Verfahrensregelungen schaffen. Es wäre aber schade, wenn wir bundesweit 16 unterschiedliche Regelungen hätten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Ministerin, bitte.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Es liegt nicht in der Kompetenz der Länder, Regelungen zu den Heilberufen zu schaffen. Die Regelungszuständigkeit für sämtliche Heilberufe liegt beim Bund. Neben dem Ingenieurberuf wird vor allem der Arztberuf schon jetzt als Mangelberuf angesehen. Das wird zunehmen. Dann wird es schlicht ein großes Interesse daran geben, dass diejenigen, die Ärzte sind, auch als Ärzte arbeiten können. Zweitens machen wir kein Gesetz zur Vermittlung in berufsadäquate Beschäftigung, sondern ein Gesetz, das endlich die erforderlichen Voraussetzungen dafür schafft. Bezogen auf den Arztberuf heißt das, dass nicht mehr die Staatsangehörigkeit über die Approbation entscheidet, sondern die Qualifikation. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, wenn man an die Ärzteversorgung in der Fläche denkt. Ich kann niemandem vorschreiben, Menschen mit anerkanntem Abschluss zu beschäftigen. Aber klar ist: Wenn die Anerkennung des Abschlusses erfolgt ist, bringt derjenige, der sich um eine adäquate Beschäftigung bewirbt, die dafür notwendigen Voraussetzungen mit. Er kann nicht abgewiesen werden mit der Begründung, die Voraussetzungen lägen nicht vor. Das ist ein entscheidender Schritt, gleichsam die rechtliche Voraussetzung, um sich bewerben zu können.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin Kolbe.

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Bundesministerin, Sie haben recht: Es gibt schon seit langem einen Konsens darüber, dass wir ein Anerkennungsgesetz brauchen. Ich freue mich darüber, dass jetzt ein Entwurf dazu vorliegt. Allerdings: Dass es weiterhin ein Wirrwarr von Anlaufstellen gibt und dass Sie sich nicht Gedanken darüber gemacht haben, wie man den Menschen weiterhilft, die keine Anerkennung oder nur eine Teilanerkennung bekommen, denen der große Schritt zu einer wirklichen Anerkennung also fehlt, betrübt mich sehr. Sie als Bildungsministerin wissen ja, dass viele der Menschen, die schon jetzt ein Recht auf Feststellung der Anerkennung haben, mit dem, was sie erhalten, zum Beispiel eine Ablehnung, nicht weiterkommen. Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesregierung für diese Menschen Wege aufzeigt, sodass ein solches Ergebnis nicht zustande kommt. Das ist nicht geschehen. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass die Bundesregierung versucht hat, hier möglichst unter der Prämisse „Es darf nichts kosten“ zu agieren. Genau dazu die Frage. Sie schreiben in dem Gesetz zum Thema Kosten, dass Anpassungsmaßnahmen für Menschen, die zum Beispiel über die Argen, die Jobcenter betreut werden, aus dem Topf der aktiven Arbeitsmarktförderung finanziert werden sollen. Diesen Topf hat die Bundesregierung aber schon massiv gekürzt. Können Sie mir dazu eine Zahl sagen? Mit welcher Größenordnung rechnen Sie in diesem Feld? Ich halte diese Maßnahmen für sinnvoll. Allerdings ist die Frage, ob die Größe des Topfes angemessen ist. Eine zweite Frage. Vergleichbarkeit setzt Wissen voraus. Man muss wissen, welches Wissen für bestimmte Berufe in Uganda oder in anderen Staaten notwendig ist. Auch über das Sammeln und Verwalten von Wissen dazu steht in Ihrem Gesetz nichts. Das hat mich sehr enttäuscht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Ministerin.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Wenn ich Sie wäre, dann wäre ich jetzt eher ein bisschen betrübt darüber, dass niemand in den früheren Bundesregierungen auf die Idee gekommen ist, ein solches Gesetz vorzulegen. ({0}) Es gab 60 Jahre Zeit dafür. ({1}) Auch wir sind erst jetzt darauf gekommen. Aber ich wäre darüber jetzt nicht so betrübt. Man hätte das alles vor 10 Jahren oder vor 20 Jahren machen können. Deutlich ist, dass es höchste Zeit für dieses Gesetz ist. Natürlich haben wir uns Gedanken gemacht; mit Verlaub. Ich habe einige Stichworte genannt. Es geht um die Wege derer, die Anerkennung beantragen. Es geht um die Frage: Wie ist es, wenn eine Anerkennung noch nicht ausgesprochen werden kann, weil noch keine ausreichenden Qualifikationen vorliegen? Das wird im Zweifelsfall sogar die größte Gruppe von Fällen sein. Es wird vermutlich nicht allzu viele geben, die einfach eine Anerkennung erhalten. Man wird feststellen: Diese und jene Kompetenz ist noch wichtig. In diesem Zusammenhang denke ich auch an den Europäischen Qualifikationsrahmen und die Umsetzung hier. Wir wissen doch, dass in Zukunft eine solche Feststellung nicht mehr nur auf der Grundlage von Abschlüssen, sondern auch auf der Grundlage von Kompetenzen getroffen wird. Genau dem tragen wir mit diesem Gesetz im Blick auf im Ausland erworbene Abschlüsse schon einmal Rechnung. Das passiert übrigens genau da, wo es auch die Möglichkeiten gibt, Angebote zu unterbreiten, damit diese zusätzlichen Qualifikationen erworben werden können: bei den Kammern, im Zusammenhang mit überbetrieblichen Ausbildungsstätten, in den großen beruflichen Schulzentren, bei den Trägern der berufsbegleitenden Weiterqualifizierung. Das alles wird selbstverständlich stattfinden. Das gehört zur Umsetzung des Gesetzes. Das ist keine Frage der gesetzlichen Regelung, sondern eine Frage von untergesetzlichen Maßnahmen im Prozess der Umsetzung. Sowohl in den Handwerks- als auch in den Industrie- und Handelskammern wird man sich große Mühe geben, eine attraktive Infrastruktur aufzubauen, weil Anerkennung nicht nur für die interessant ist, die sie beantragen, sondern - weil es einen Fachkräftebedarf gibt - auch für die, die die Anerkennungsverfahren durchführen. Ich kann Ihnen keine Zahlen nennen; aber es ist völlig klar, dass für alle Beteiligten Möglichkeiten zur Weiterqualifizierung gegeben sein müssen. Die hierbei entstehenden Kosten - das wurde von Ihnen angesprochen werden denjenigen, für die diese Maßnahmen wichtig sind, um überhaupt wieder in den Arbeitsmarkt zu kommen, und die auf Unterstützung angewiesen sind, erstattet. Also: Der Gesetzestext liegt vor. Viele Vorbereitungen sind längst im Gange. Das Wissen über Abschlüsse zum Beispiel in Uganda - das habe ich eben angesprochen - wird in einer Wissens- bzw. Datenbank zusammengetragen, die das Wirtschaftsministerium derzeit aufbaut und die immer weiterentwickelt wird. Dieses Wissen wird dann auch den Kammern zur Verfügung gestellt werden. Es wird also einen zentralen Datenpool auch über jene Länder geben, über die wir derzeit vielleicht noch nicht so viel Wissen in Deutschland haben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Alpers.

Agnes Alpers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004002, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich möchte eine Vorbemerkung machen: Frau Ministerin, wir freuen uns natürlich, dass das Gesetz nun endlich auf den Weg gebracht wird. Wir waren ja diejenigen, die 2007 dieses Thema zum ersten Mal in den Bundestag gebracht haben. ({0}) - Es war so. Ich möchte noch einmal auf die Entscheidungskompetenz zu sprechen kommen. Im Ausschuss und auch bei den Anhörungen war immer wieder das zentrale Thema, wer letztlich entscheidet. Es war lange in der Diskussion - das hatten wir auch mit vorgeschlagen -, dass ein unabhängiges Entscheidungsgremium eingerichtet wird. Nun sagen Sie, dass die Kriterien für die Entscheidungen, die dann für alle gelten, vom Wirtschaftsministerium zusammengetragen werden und die Kammern entscheiden sollen. Wir fragen uns: Warum wurde nicht eine unabhängige Stelle eingerichtet? Nach welchen Kriterien entscheiden die Kammern? Ist es tatsächlich so, dass die Unabhängigkeit gewährleistet ist? In § 1 „Zweck des Gesetzes“ heißt es: Dieses Gesetz dient der besseren Nutzung … für den deutschen Arbeitsmarkt, … Hierzu möchte ich Ihnen sagen: Ein wichtiger Zweck ist auch die Integration von Menschen und die Anerkennung ihrer Leistungen. Es kann doch nicht sein, dass Qualifikationen, die aktuell auf dem Arbeitsmarkt nicht gebraucht werden, unter Umständen nicht so schnell anerkannt werden. Auf diese Weise wird es uns nicht gelingen, die Kompetenzen eines jeden Menschen anzuerkennen. Wie wollen Sie den Prozess also so ausgestalten, dass die Anerkennung nicht von wirtschaftlichen Anforderungen in einzelnen Berufen und Branchen abhängig gemacht wird?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Ministerin.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Das Gesetz ist doch gerade das Instrument, das deutlich macht, dass Bedarf, Staatsangehörigkeit oder Ähnliches keine Kriterien sind, die bei der Prüfung eines entsprechenden Antrags eine Rolle spielen. Es geht nicht um die Frage, ob in einer Branche jemand gebraucht wird. Es geht nicht um die Frage, ob jemand diese oder jene Staatsangehörigkeit hat. Es geht vielmehr um eine systemimmanente Geschichte: Jemand bringt Qualifikationen mit, die bei uns zu einem bestimmten Berufsbild passen. Referenz sind damit dieses Berufsbild und die Qualifikationen, die damit verbunden sind. Diese muss man nicht neu erfinden; sie lassen sich aus Ausbildungsordnungen und den darin enthaltenen Zielsetzungen und damit verbundenen Kompetenzfeldern erschließen. Nun ist die Aufgabe - wie übrigens immer schon, wenn ausländische akademische Abschlüsse bei der entsprechenden Prüfstelle der KMK geprüft wurden -, festzustellen, ob es, wenn schon nicht Gleiches, so doch wenigstens Gleichwertiges gibt. Das, was Sie schildern, ist eine Problematik von früher. Damals hat man gesagt: Wir brauchen das nicht. Daher müssen wir es auch nicht prüfen. Niemand hat einen Anspruch darauf, dass geprüft wird. - Jetzt besteht ein Anspruch auf Prüfung. Außerdem stellt sich die Frage, welche Stelle unabhängig ist. Es kann nur ein Netzwerk unterschiedlichster Stellen sein, das über alle Informationen und Daten verfügt, die für eine Bewertung notwendig sind. Eine vom Staat unabhängige Instanz sind die Kammern. Sie sind zugleich diejenigen, die im Bereich der Ausbildungsberufe das meiste Wissen haben. Um für die Kammern die erforderliche Dienstleistung zu erbringen, habe ich mit dem Wirtschaftsminister schon vor einigen Monaten besprochen, dass jetzt eine solche zentrale Datenbank aufgebaut und immer wieder aktualisiert wird. Sie steht übrigens nicht nur den Anerkennungsstellen zur Verfügung, sondern ist auch für alle Bewerber von Interesse. Ich halte die Entwicklung eines Netzwerks aus vielen unterschiedlichen Stellen, die Verantwortung tragen, für sehr praktikabel. Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gehört dazu. Da hier ganz unterschiedliche Ressorts beteiligt sind, gibt es viel mehr Dynamik und viel mehr Spielraum als bei einer zentralen Stelle, die neu aufgebaut würde. Dort müsste man auch neue Kompetenz schaffen. In diesem Fall müssten Sie ab Verkündung des Gesetzes erst einmal zwei, drei Jahre ins Land gehen lassen, bis Sie eine Behörde aufgebaut haben, die über die notwendigen Kompetenzen verfügt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nachdem wir die für diesen Tagesordnungspunkt vorgesehene Zeit von einer halben Stunde deutlich überschritten haben, rufe ich jetzt als letzten Fragesteller den Kollegen Röspel auf. Alle anderen Kolleginnen und Kollegen haben im Übrigen schon die Gelegenheit gehabt. - Bitte schön.

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank für die Großzügigkeit. - Frau Ministerin, meine Frage lautet: Wie wird denn gewährleistet, dass Antragsteller tatsächlich Anpassungs- und Qualifizierungsmaßnahmen absolvieren können? Werden sie einen Anspruch auf solche Maßnahmen - möglicherweise im Sinne eines Rechtsanspruchs - bekommen, und wie wird sichergestellt, dass sie finanziell auch in der Lage sind, solche Maßnahmen durchzuführen?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Ministerin, bitte.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Es gibt einen Rechtsanspruch auf Prüfung der Anerkennung, keinen Rechtsanspruch auf Anpassungsweiterbildung. Es ist im Interesse derer, die einen Antrag stellen, dass, wenn es um den Erwerb zusätzlicher Qualifikationen geht, diese zusätzlichen Qualifikationen auch erworben werden können. Dafür wird es - davon bin ich überzeugt - nicht nur bei den Kammern gute Angebote geben. Ich habe bereits einige Institutionen genannt, die in dem Bereich von Weiterbildung bzw. Weiterqualifizierung tätig sind. In diesem Zusammenhang gibt es die zwei Wege, die schon genannt wurden. Wenn Ansprüche auf Leistungen bestehen, werden die Kosten von der BA erstattet. Ansonsten werden die Kosten von den Bewerbern getragen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksachen 17/5120, 17/5171 ({0}) Wir verkürzen die Fragestunde um die überzogenen Minuten, wie es üblich ist. Zu Beginn der Fragestunde rufe ich nach Nr. 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf Drucksache 17/5171 ({1}) auf. Wir kommen zunächst zu den dringlichen Fragen im Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht Staatsminister Dr. Werner Hoyer zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Enkelmann auf: Welche Garantien und Zusagen machte der Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle bei seinem jetzt bekannt gewordenen Telefonat mit der Außenministerin der USA, vergleiche Süddeutsche Zeitung vom 21. März 2011, bezüglich der Nutzung der Stützpunkte der USA in Deutschland zum Einsatz gegen Libyen? Herr Minister.

Not found (Gast)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr verehrte Frau Kollegin Enkelmann, am 18. März 2011 informierte die amerikanische Außenministerin, Hillary Clinton, den Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, telefonisch über die vorgesehene Nutzung von US-Militärstützpunkten in Deutschland im Rahmen des internationalen Militäreinsatzes in Libyen. Eine solche Nutzung richtet sich nach dem Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Oktober 1954, dem NATO-Truppenstatut vom 19. Juni 1951 und dem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut vom 3. August 1959 in der Fassung vom 18. März 1993. Der Bundesregierung liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die gegenwärtige Nutzung der amerikanischen Militärstützpunkte in Deutschland nicht in diesem rechtlichen Rahmen erfolgt. Zusagen, die darüber hiStaatsminister Dr. Werner Hoyer nausgehen würden, hat der Bundesminister nicht gegeben, geschweige denn irgendwelche geheimen Nebenabreden getroffen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Haben Sie eine Nachfrage, Frau Enkelmann? - Bitte schön.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank. - Die erste Nachfrage. Es geht hier um die indirekte oder mittelbare Beteiligung Deutschlands am Kriegseinsatz in Libyen. Die Koordinierung dieses Einsatzes erfolgt ja unter anderem über das Afrika-Kommando der USA, dessen Stützpunkt in Stuttgart-Möhringen liegt. Inwieweit sind deutsche Behörden bzw. Vertreter deutscher Behörden an der Planung des Einsatzes im Afrika-Kommando oder anderweitig beteiligt?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Staatsminister.

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Gar nicht.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Deutsche Behörden oder Vertreter von deutschen Behörden sind also nicht beteiligt?

Not found (Gast)

Nein.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das war noch nicht die zweite Frage?

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das war nur eine Nachfrage.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das war ein Zwiegespräch, das hier nicht gestattet ist, Frau Enkelmann. Die zweite Frage können Sie jetzt stellen.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das war nur eine Nachfrage, um das sicher verstanden zu haben, vor allen Dingen, damit es sicher im Protokoll steht. Die zweite Frage betrifft den deutschen Luftraum. Dort gibt es Überflugrechte nicht nur für amerikanische, sondern zum Beispiel auch für dänische Militärmaschinen. Wie werden die erforderlichen Genehmigungen erteilt? Gibt es pauschale Genehmigungen für Überflüge, oder werden die Genehmigungen im Einzelfall, für jeden einzelnen Flug, erteilt?

Not found (Gast)

Die Frage kann ich Ihnen hier nicht beantworten; denn darauf habe ich mich nicht vorbereitet. Ich gehe davon aus, dass solche Genehmigungen in einer pauschalen Vereinbarung enthalten sind. Aber ich glaube, dass jeder einzelne Flug, im zivilen wie im militärischen Bereich, angemeldet werden muss und entsprechend einem Genehmigungsvorbehalt unterliegt. Deshalb kann ich mir vorstellen, dass die Genehmigung im Einzelfall erteilt wird. Es wäre aber unseriös, wenn ich die Frage jetzt abschließend beantworten würde. Sie bekommen die präzise Antwort sofort im Anschluss schriftlich.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich weise darauf hin, dass natürlich nichts so sicher ist wie das Protokoll der Protokollantinnen und Protokollanten des Deutschen Bundestages. Frau Dağdelen, Sie haben eine Nachfrage.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Herr Hoyer, ich würde gerne wissen, wann und in welchem Umfang die Strukturen der NATO in Deutschland für die Vorbereitung und Durchführung des Krieges in Libyen genutzt wurden oder werden, zum Beispiel die NATO-Airbase in Geilenkirchen in meinem Bundesland Nordrhein-Westfalen oder andere Einrichtungen und Kommandostrukturen.

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Die Einrichtungen der Verbündeten einschließlich des Nordatlantischen Bündnisses in Deutschland können selbstverständlich genutzt werden; das ist so vereinbart. Eine Beteiligung deutscher Staatsbürger daran gibt es nicht. Deswegen sieht die Bundesregierung hier kein Problem. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Dağdelen, Sie haben nicht die Möglichkeit, zwei Nachfragen zu stellen; das darf nur die ursprüngliche Fragestellerin. ({0}) Die dringliche Frage 2 des Kollegen Omid Nouripour wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zur dringlichen Frage 3 der Kollegin Keul: Treffen die Berichte - vergleiche „Wir wünschen viel Erfolg“, Süddeutsche Zeitung vom 19. März 2011 - zu, dass die derzeit im Mittelmeerraum stattfindenden AWACS-Aufklärungsflüge, die auch den libyschen Luftraum erfassen, unter dem Mandat der Operation Active Endeavour laufen, und, falls nein, auf welcher rechtlichen Grundlage findet ihr Einsatz statt?

Not found (Gast)

Wenn ich darf, Frau Präsidentin, möchte ich die Antworten auf die beiden dringlichen Fragen von Frau Keul zusammenfassen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann rufe ich auch die dringliche Frage 4 auf: Wurde im Rahmen der am letzten Wochenende gegen Libyen durchgeführten Luftschläge auf Informationen von AWACS-Flugzeugen zurückgegriffen, an deren Flügen auch deutsche Besatzungsmitglieder beteiligt waren, und wie schließt die Bundesregierung aus, dass dies vorkommen wird?

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Vielen Dank. - Auftrag der Operation Active Endeavour ist der Schutz gegen eine mögliche terroristische Bedrohung im Mittelmeerraum. In diesem Zusammenhang erstellt die Operation Active Endeavour ein Lagebild und gleicht dieses mit denen von Partnern ab. Vor dem Hintergrund der verstärkten Schiffsbewegungen im zentralen Mittelmeer setzte Operationskommandeur COM JFC Neapel seine Kräfte im Schwerpunkt im mittleren Mittelmeer ein. Hierzu gehörten seit Mitte 2010 regelmäßig auch NATO-AWACS-Flugzeuge. Zwischen dem 12. und dem 19. März 2011 hat SACEUR den im Rahmen von OAE eingesetzten NATO-AWACS-Flugzeugen den Auftrag erteilt, auch ein Luftlagebild zu Libyen zu erstellen. Dieser Auftrag wurde ergänzend und außerhalb von OAE erteilt und diente der Wahrnehmung der Verantwortung des SACEUR für die Krisenfrüherkennung und den Schutz des Bündnisgebietes. Das ist die Rechtsgrundlage für das, was SACEUR hier angeordnet hatte. Seit dem 19. März 2011 wird das Luftlagebild zu Libyen durch nationale AWACS-Maschinen einzelner Partner aufgebaut. Der NATO-AWACS-Einsatz unter OAE erfolgt seitdem mit Aufklärungsschwerpunkt im zentralen Mittelmeer ohne räumlichen oder inhaltlichen Bezug zu Libyen. Durch die zeitgerechte Verlegung des Aufklärungsschwerpunktes seit dem 19. März wurde ein Beitrag der NATO-AWACS-Maschinen zu exekutiven Handlungen der Koalition im Zusammenhang mit Libyen ausgeschlossen. Zur zweiten Frage. Bei der Vorbereitung der Luftschläge der Koalition der Willigen auf Ziele in Libyen wurden weder NATO-Kräfte noch NATO-Informationsstränge genutzt. Die unter deutscher Beteiligung im Mittelmeerraum bis zum 22. März 2011 operierenden AWACS-Flugzeuge lieferten mithin keinen Beitrag zur militärischen Durchsetzung der UN-Sicherheitsratsresolution 1973 aus 2011. Durch die bereits erwähnte zeitgerechte Verlegung des Aufklärungsschwerpunktes seit dem 19. März wird ein Beitrag der NATO-AWACSMaschinen zu exekutiven Handlungen der Koalition ausgeschlossen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Keul, Ihre erste Nachfrage.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Herr Staatsminister, das war eine weitere widersprüchliche Aussage. Wir haben einmal gehört, dass die AWACS-Maschinen im Rahmen der Operation Active Endeavour unterwegs sind. Der Staatssekretär im Verteidigungsministerium Wolf hat uns das Gegenteil gesagt. Er hat gesagt, dass sie keinesfalls im Rahmen der Operation Active Endeavour unterwegs gewesen sind. Deswegen ist an dieser Stelle meine Frage: Wie kommt es zu diesen Widersprüchen? Ist denn der Bundesregierung nicht eindeutig klar, ob die AWACS-Maschinen nun auf der Rechtsgrundlage der Operation Active Endeavour dort sind? Die Maschinen sind, wenn ich Sie richtig verstanden habe, außerhalb der Operation Active Endeavour vom SACEUR dorthin geschickt worden. Wäre das nicht im Zusammenhang mit Libyen ein Einsatz, der nachträglich genehmigt werden müsste?

Not found (Gast)

Nein, Frau Kollegin. Ich habe versucht - ich bin der Meinung, es ist mir gelungen -, die Sequenz, die Abfolge der Einzelentscheidungen präzise darzustellen. Der Einsatz vor dem 12. März war eindeutig im Rahmen der Operation Active Endeavour. Dann gab es die Anordnung des SACEUR, vom 12. bis zum 19. März die Verantwortung des SACEUR für die Krisenfrüherkennung und den Schutz des Bündnisgebietes außerhalb der Operation Active Endeavour wahrzunehmen. Es ist die legitime Aufgabe des SACEUR, die entsprechenden Mittel des Bündnisses für diese seine Aufgabe einzusetzen. Seit wenigen Tagen haben wir eine neue Rechtsgrundlage. Daraufhin wurde sofort entschieden, ab dem 19. März mithilfe nationaler AWACS-Maschinen einzelner Partner ein Luftlagebild zu Libyen aufzubauen. Der verbliebene Teil des NATO-AWACS-Einsatzes im Rahmen der Operation Active Endeavour erfolgt im mittleren Mittelmeer und hat keinen direkten Bezug zu Libyen. Das ist eine klare Abfolge. Damit ist sichergestellt, dass die Rechtsgrundlagen für das Tätigwerden deutschen Personals in NATO-AWACS-Flugzeugen glasklar sind.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine zweite Nachfrage? - Bitte schön.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Oder habe ich jetzt vier Nachfragen?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Natürlich. Es waren zwei Fragen; es gibt insgesamt vier Nachfragen.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Ich möchte an der Stelle nachhaken. Wie konnte denn die Bundesregierung zwischen dem 19. und dem 22. März, also gestern, sichergehen, dass diese Informationen nicht bei dem Lufteinsatz in Libyen zum Einsatz gekommen sind, also weitergeleitet wurKatja Keul den? Der Verteidigungsminister hat uns heute hier im Plenum deutlich erklärt, wie wichtig es aus verfassungsrechtlicher Sicht war, gleich gestern, am 22. März, die Besatzungen der dortigen AWACS-Maschinen abzuziehen bzw. die Schiffe unter nationales Kommando zu stellen. Wenn das am 22. März verfassungsrechtlich notwendig war, warum dann nicht auch vom 19. bis zum 22. März?

Not found (Gast)

Weil vom 19. bis zum 22. März die Aufgabe des SACEUR, die ich eben beschrieben habe, von nationalen AWACS-Flugzeugen wahrgenommen wurde, nicht von den NATO-AWACS-Flugzeugen aus Geilenkirchen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine weitere Nachfrage? - Bitte sehr.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Mir ist eines nicht ganz klar: Wenn die AWACS-Besatzungen im Mittelmeer jetzt abgezogen werden müssen, weil Deutschland den Flugeinsatz über Libyen nicht mitträgt, wie können dann die gleichen Besatzungen in Afghanistan in AWACS-Maschinen eingesetzt werden, um zum Beispiel verbliebene OEF-Kräfte Großbritanniens und Amerikas weiter zu unterstützen? So steht es nämlich in der Begründung des uns heute vorgelegten Mandates. Deutschland hat die OEF-Mission im letzten Jahr beendet. Wie kann es also sein, dass das, was in Afghanistan möglich sein soll, in Libyen nicht möglich ist?

Not found (Gast)

Das ist jetzt, glaube ich, eine falsche Interpretation dessen, was in dem Mandatstext steht. Hier geht es um die Unterstützung von ISAF und nicht um die von OEF in Afghanistan.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Keul, Sie haben noch eine Nachfrage.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

In der Begründung des Antrags steht ausdrücklich - das können Sie gerne nachlesen -: zur Unterstützung der Kräfte von OEF am Boden. Wie erklären Sie sich das?

Not found (Gast)

Der entscheidende Punkt ist, dass aufgrund des Begründungstextes eine operative Unterstützung von OEFEinsätzen nicht möglich ist. Dazu haben die AWACSFlugzeuge, die über Afghanistan fliegen, im Übrigen auch gar nicht die Möglichkeit, weil sie weder im Hinblick auf den Bodenkampf eingesetzt werden können noch eine unmittelbare Feuerleitfunktion wahrnehmen können.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Dağdelen.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Meine Nachfrage zur dringlichen Frage 4 meiner Kollegin Keul richtet sich an Herrn Hoyer. Die AWACS-Überwachung wurde seitens der Deutschen aufgrund des Krieges gegen das Gaddafi-Regime eingestellt. Die Bundeswehr hat sich aus den Einsätzen des NATO-Verbandes im Mittelmeer ganz zurückgezogen. Zwei Schiffe und zwei Boote mit mehr als 500 Soldaten wurden bereits am Dienstag wieder unter deutsches Kommando gestellt. Der Abzug von 60 bis 70 deutschen Besatzungsmitgliedern der NATOAWACS-Maschinen im Mittelmeerraum läuft bereits. Deshalb möchte ich gerne fragen: Kann die Bundesregierung ausschließen, dass darüber hinaus Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in NATO-Stäben mit der Planung und Durchführung von Aktionen im Zusammenhang mit dem Krieg gegen Libyen befasst sind?

Not found (Gast)

Die Frage der Präsenz in NATO-Stäben ist gesondert geregelt. Sie unterliegt keiner Mandatierung. Von daher war es erforderlich, dass die Bundesregierung zum Beispiel im Hinblick auf bestimmte schwimmende Einheiten, die im Mittelmeer unterwegs waren, durch ihre notwendigen Entscheidungen von vornherein klarstellt, dass eine Involvierung in die Linienaktivitäten nicht möglich ist. Alles andere, auch nur ein Verbleib dieser Schiffe in der Region oder die Beteiligung an entsprechenden Operationen, hätte eine unmittelbare Beschlussfassung des Deutschen Bundestages erforderlich gemacht oder, im Falle einer Dringlichkeitsentscheidung der Bundesregierung, die nachträgliche Befassung des Bundestages. Das ist nicht geschehen und war auch nicht erforderlich.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Höger hat eine Nachfrage. - Bitte schön.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Seit dem 7. März 2011 waren deutsche Soldaten an den AWACS-Überwachungsflügen im Luftraum über Libyen beteiligt. Ich möchte nachfragen, unter welchem Mandat das in dem Zeitraum bis zum 19. oder 23. März 2011 stattgefunden hat. Oder hat es überhaupt kein Mandat gegeben? Oder wissen Sie das selber nicht so genau?

Not found (Gast)

Ich habe das eben sehr präzise dargestellt. Ich erinnere an die Antwort auf die Frage der Kollegin Keul, in der ich die Sequenz deutlich gemacht habe: vor dem 12. März, zwischen dem 12. März und dem 19. März, nach dem 19. März bzw. jetzt im Zusammenhang mit der Operation, die die Koalition der Willigen in Libyen durchführt. Dementsprechend wurde der Beitrag deutscher Soldaten rechtlich abgesichert. Von daher gibt es keine neue Lage, die uns zu einer neuen Bewertung der Aktion vor dem 12. März veranlassen würde.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt zur Verfügung. Ich rufe die dringliche Frage 5 der Kollegin Höger auf: Welche Bedeutung haben Daten, die von den nach Angaben der NATO seit dem 7. März 2011 den libyschen Luftraum auch unter Einsatz deutschen Personals überwachenden AWACS-Flugzeugen gesammelt wurden, für die Einsatzplanung und Zielfindung bei den Angriffen auf libysche Ziele nach dem Inkrafttreten der UN-Resolution 1973? Bitte, Herr Staatssekretär.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Präsidentin, mit Verlaub, ohne dem Präsidium oder sonst jemandem im Hohen Hause zu nahe treten zu wollen, möchte ich sagen: Eigentlich sind die dringlichen Fragen 5 und 6 gerade schon beantwortet worden. Ich habe aber nicht übel Lust, die Antworten von meiner Seite mit einem Hinweis zu ergänzen. Hinsichtlich der Frage, welche Bedeutung die Daten haben, die nach Angaben der NATO seit dem 7. März 2011 im libyschen Luftraum gesammelt worden sind, möchte ich Bezug nehmen auf die Äußerungen von Staatsminister Hoyer, denen ich inhaltlich voll zustimme. Ich weise darauf hin, dass die unter deutscher Beteiligung im Mittelmeerraum bis zum 22. März 2011 operierenden AWACS-Flugzeuge mithin keinen Beitrag zur militärischen Durchsetzung der Sicherheitsresolution 1973 geliefert haben. Das „übel Lust“ bezieht sich auf Folgendes: Wir hatten in diesem Haus zu Zeiten der rot-grünen Regierung eine intensive Diskussion darüber, ob es für den Einsatz von AWACS-Flugzeugen eines Mandats bedarf oder nicht. Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei im Deutschen Bundestag hat - interessanterweise ohne ein Mandat - in einer Situation geklagt, in der bereits ein Konflikt, nämlich der Irak-Konflikt, unterwegs war. Diese Flugzeuge wurden mit der Begründung geschickt, sie würden nur Routineaufgaben erfüllen. Daraus schließen wir: In der Tat gibt es Routineaufgaben. AWACSFlugzeuge steigen nicht erst dann in die Luft, wenn eine Sicherheitsratsresolution vorhanden ist. Sie sollen auch dazu dienen, dass für unser Bündnis, für die NATO Sicherheit im eigenen Territorium möglich ist. Das ist eine rund um die Uhr bestehende Aufgabe. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Urteil aus dem Jahre 2008, das Sie sicherlich gelesen haben, ich glaube, in den Ziffern 76 und 78 ausgeführt, dass konkrete Bedrohungslagen vorhanden sind. Es hat dann, im Gegensatz zur Einschätzung der damaligen Bundesregierung, für diesen Fall eine konkrete Bedrohung in Anspruch genommen. Gerade weil wir dieses Urteil kennen und, wie der Bundesverteidigungsminister heute ausgeführt hat, sehr korrekt beachten wollen und werden, hatten wir alle Dinge ausgeschlossen, die außerhalb einer rein routinemäßigen, unser aller Sicherheit dienenden Operation von AWACS hätten entstanden sein können. Das heißt, weder sind Daten an die Coalition of the Willing zu geben gewesen, noch ist - sobald die Gefahr bestanden hätte, dass im Rahmen einer Umsetzung der Sicherheitsratsresolution 1973 eine Operation notwendig gewesen wäre - aus der Sicht einiger dies den Vereinten Nationen anzeigenden Mitgliedstaaten der NATO, insbesondere Großbritanniens, Frankreichs und der Vereinigten Staaten von Amerika sowie einiger anderer, klargestellt und sichergestellt worden, dass Daten hier nicht ausgetauscht werden. Dies wurde dann durch andere Aufklärungsmittel der jeweiligen Nationalstaaten sichergestellt. Sie haben, wenn ich das unterstreichen darf, weiterhin die Frage gestellt, wie das Verhältnis zwischen der Operation Active Endeavour und dieser Operation ist. Auch hier ist es im Rahmen der von uns dem SACEUR, dem Supreme Allied Commander Europe, dem Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte in Europa, übertragenen Routinekompetenz möglich, dass er Flüge anordnet. Er kann jedoch nicht beispielsweise ein Mandat wie die Operation Active Endeavour ausdehnen; denn dieses Mandat beruht auf Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen und ist ein Antiterrormandat. Gerade aus diesem Grunde hat er zwar für die Ausübung dieses Antiterrormandats, das vom Deutschen Bundestag mandatiert worden ist, die Kompetenz, dass er AWACS-Flugzeuge einsetzt. Allerdings dürfen diese dann sozusagen nicht das Mandat ausweiten. Deswegen ist hier eine strikte Trennung erfolgt. Ich darf Ihnen versichern, dass die Bundesregierung in voller Kenntnis der Rechts- und Sachlage sehr exakt und präzise die Regeln beachtet, die wir uns in diesem Hause auferlegt haben und die uns das Völkerrecht sowie das Bundesverfassungsgericht explizit auferlegt haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Recht zu einer Nachfrage.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Es ist richtig: Das Mandat Operation Active Endeavour umfasst den Kampf gegen den Terror und nicht die Überwachung des Luftraums über Libyen. In dem Urteil, das die FDP erstritten hat - das haben Sie nicht zitiert -, ist auch ausgeführt worden: Eine Mandatierung ist nötig, wenn greifbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine drohende Verstrickung in bewaffneter Auseinandersetzung vorliegen. Das war auch schon vor dem 19. März gegeben, weil sich die Auseinandersetzungen in Libyen zuspitzten. Wenn im Luftraum von Libyen Daten unter Beteiligung deutscher Soldatinnen und Soldaten gesammelt worden sind, dann sehe ich schon eine Mandatierungsnotwendigkeit.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Kollegin Höger, ich darf Ihnen in aller Freundlichkeit, aber auch mit aller Entschiedenheit widersprechen. Ich bitte Sie, noch einmal den zeitlichen Ablauf zu überdenken und sich die Frage zu stellen: Ist am 19. März bereits ein NATO-Aktivierungsmandat für AWACS ergangen? Nein. Wir wissen, dass zu diesem Zeitpunkt in Brüssel noch intensiv über diese Frage gerungen worden ist und dass das Mandat zwischenzeitlich, am 22. März, erteilt worden ist. In dem Augenblick, in dem ein entsprechendes Mandat - Mandat nicht im Sinne einer Mandatserteilung für Deutschland durch den Deutschen Bundestag, sondern ein Mandat der NATO für eine Operation der der NATO unterstellten Kräfte ergangen ist, haben wir unsere Kräfte aus diesen möglicherweise zur Mandatserfüllung benötigten Mitteln und Fähigkeiten zurückgezogen. Das, was Sie für die Zeit zwischen dem 19. und 22. März implizieren, würde erfordern, dass eine aktive Informationshandlung an andere Stellen außerhalb der NATO - nationale Stellen sind Stellen außerhalb der NATO - ergangen ist. Wir hatten sehr deutlich gemacht, dass eine solche Vorgehensweise mit uns nicht durchzuführen sein wird, auch unter Hinweis auf die Notwendigkeit eines Mandats. Ich nehme die Möglichkeit wahr - ohne Ihnen direkt aus den NATO-Treffen zu berichten -, Ihnen die notwendigen Informationen zu liefern und bin derjenige, der die entsprechenden Erklärungen im Kopf gehabt und mündlich gegeben hat. Insofern können Sie sicher sein, dass die Informationen so präzise gemacht worden sind, wie es notwendig ist. Ich gehe auch davon aus, dass sie ebenso präzise beachtet worden sind.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie eine zweite Nachfrage zu dieser Antwort?

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich würde gerne wissen, welche Daten genau aufgeklärt worden sind und an welche Stellen diese in der NATO weitergegeben wurden.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Zunächst möchte ich noch etwas zu Libyen sagen. Wir haben ein den Mittelmeerraum betreffendes Mandat zur Antiterrorbekämpfung im Rahmen von Active Endeavour. An diesem Mandat nimmt auch die Bundesrepublik Deutschland teil. Das ist ein parlamentarisch akzeptiertes und genehmigtes Mandat. Wir haben auch nicht die Absicht, dieses Mandat nicht weiter fortzuführen. Bis zu der Situation der Operation, die sich jetzt in Verfolgung der Resolution 1973 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen ergeben hat, ist uns auf dem Lagebild, das zu erstellen ist, nicht der Eindruck entstanden, Libyen sei ein Land, in dem per se der Terrorismus keine Rolle spielen könnte. Menschen, die Herrn Gaddafi bereits länger kennen, könnten mich diesbezüglich sicherlich mit einigen Hinweisen versorgen. Das heißt nicht, dass in diesem Zusammenhang konkret auf ein bestimmtes Land geachtet worden ist; es stand vielmehr die gesamte Region einschließlich des Mittelmeerraumes im Fokus. Wir haben nicht zugestimmt, dass weitere Informationen zur Durchsetzung der Flugverbotszone - ich muss das von unserer Seite noch einmal unterstreichen - weitergegeben werden. Uns liegen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass sie etwa weitergegeben worden wären. Die militärische Notwendigkeit ist - das ist jetzt nur nachrichtlich, Frau Präsidentin - außerhalb des Rahmens der Kenntnisse und der Zuständigkeiten der Bundesregierung. Es gibt aber für diejenigen, die konkrete Operationen beabsichtigen, planen und diese auch durchgeführt haben, andere Möglichkeiten, sich Informationen zu verschaffen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für eine weitere Nachfrage hat die Kollegin Dağdelen das Wort.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär Schmidt, ich würde gerne wissen, wer auf die Daten, die man im Rahmen dieses AWACS-Einsatzes ermittelt hat, Zugriff hat. Sind darunter auch die NATO-Mitglieder, zum Beispiel die USA, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Dänemark, die sich an der Bombardierung Libyens beteiligen?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Vielen Dank. - Ich will noch einmal etwas sagen, das hoffentlich zu mehr Klarheit über die ermittelten Daten beiträgt. Kollege Hoyer hat bereits darauf hingewiesen, dass der Aufklärungsschwerpunkt der Operation Active Endeavour seit dem 19. März 2011 - es gab da noch kein AWACS-Mandat innerhalb der NATO - im zentralen Mittelmeer gewesen ist. Hierbei - ich hatte das angedeutet - spielte der durchaus vorhandene räumliche Bezug zu Libyen und anderen Ländern eine Rolle. Das heißt, ab diesem Zeitpunkt wurden auch die Schwerpunkte der Aufklärung von OAE ganz bewusst von Libyen wegverlegt. Das gilt im Übrigen auch für die im Rahmen von OAE tätigen Schiffe der Marine. Über die Situation seit diesem Zeitpunkt kann ich aber nur Interpretationen anstellen; ich kann das nicht im Detail sagen. Ich gehe auch nicht davon aus, dass in dieser Zeit Daten angefallen sind, die für eine Luftbildaufklärung hinsichtlich Libyens verwendbar gewesen wären; Sie gestatten mir die Unschärfe des Wortes „verwendbar“. Ich meine, dass solche Daten nicht in Zusammenhang mit einer Operation gebracht werden können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Ströbele stellt eine weitere Nachfrage.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich habe eine ganz präzise Frage: Können Sie ausschließen, dass der Bundesregierung oder einer der ihr unterstellten Behörden, insbesondere der Bundeswehr und anderen Sicherheitsbehörden, aus der Aufklärung durch AWACS-Flugzeuge seit Beginn der Aufstandsbewegung und des Bürgerkrieges Informationen bzw. Daten über Flugbewegungen in und über Libyen, über Zerstörungen, etwa von Stadtteilen, oder Ähnliches - ganz egal, in welchem Auftrag diese aufgenommen worden sind - gegeben worden sind?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatssekretär.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Ich bedanke mich für die Frage. Ich liebe insbesondere die Fragen, die mit „Können Sie ausschließen“ beginnen. Diese Zwischenbemerkung gegenüber dem Kollegen Ströbele sei mir erlaubt. Ich habe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dem so ist. Ich bitte allerdings darum, dass ich das, soweit sich anderes ergibt, schriftlich nachweisen kann, wobei mir der Zusammenhang zur Ausgangsfrage allerdings nicht ganz klar ist. Sie wollen ja wissen, ob wir etwas erfahren haben. Da stellt sich auch die Frage, durch wen wir etwas hätten erfahren können. ({0}) Frau Präsidentin, soweit der Inhalt von Fragen dem Geheimschutz unterliegt, würde ich das entsprechende Verfahren bitte zur Anwendung kommen lassen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gut, das halten wir fest. - Die letzte Nachfrage zu dieser Frage stellt der Kollege Hunko. Danach fahren wir mit Frage 6 fort.

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe eine Nachfrage hinsichtlich der Frage meiner Kollegin Dağdelen. Sie hat ja gefragt, wer, zum Beispiel welche NATO-Staaten, auf die Daten Zugriff haben, und nicht, wofür die Daten verwendbar sind. Könnten Sie freundlicherweise noch einmal präzisieren, wer auf die Daten zugreifen kann?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Die von NATO-Stellen erhobenen Daten sind grundsätzlich zur Verwendung der NATO. Sie wertet sie auch aus. Am Beispiel der Operation Active Endeavour ist erkennbar, dass die NATO die Daten im Rahmen eines NATO-Mandats erhebt, natürlich durch nationale Stellen oder Schiffe. Ich darf darauf hinweisen, dass es sich im Gegensatz zu AWACS, wo es einen integrierten Verband gibt, also Flugzeuge, die im unmittelbaren Auftrag und unter Kommando der NATO fliegen, bei dem maritimen Teil überwiegend bzw. fast ausschließlich - mir ist nicht bekannt, dass die NATO eigene Schiffe hätte - um Schiffe der Mitgliedstaaten handelt, so auch um Schiffe der deutschen Marine. Beispielsweise nutzen Fregatten, die im Rahmen der Operation Atalanta eingesetzt wurden und vom Horn von Afrika zurückverlegt werden, diese Zeit, um diese Aufklärungsaufgabe mit zu erfüllen. Wir haben also Schiffe, die diese Aufgabe erfüllen, zwar nicht nebenbei, aber auch nicht als Hauptaufgabe. Es gibt aber auch Schiffe - wir nennen sie Flottendienstboote -, die ein großes Spektrum von Fähigkeiten in dieser Richtung haben. Auch im Rahmen der Operation Active Endeavour war im Frühjahr zeitweise ein Flottendienstboot mit einbezogen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann kommen wir zur dringlichen Frage 6 der Kollegin Höger: In welchem Umfang und zu welcher Zeit ist die Bundeswehr seit Beginn der Beobachtung des libyschen Luftraums mit Boden- und Besatzungspersonal in den Einsatz der AWACS-Flugzeuge und damit möglicherweise in die Vorbereitung der Intervention gegen Libyen involviert gewesen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Kollegin, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Die im Rahmen der Beteiligung an AWACS im Mittelmeerraum eingesetzten deutschen Soldaten haben keinen Beitrag zur Vorbereitung der Intervention in Libyen geleistet. Das deutsche Kontingent unter dem Mandat der Operation Active Endeavour, nach dessen Stärke Sie fragen, umfasste im Zeitraum vom 28. Februar 2011 bis zum 22. März 2011 bis zu 75 Soldatinnen und Soldaten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wie viele dieser 60 bis 70 Soldaten waren an der Operation Active Endeavour beteiligt, und wie viele waren an der Überwachung des Luftraums über Libyen beteiligt?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Hier muss man unterscheiden: Am 22. März 2011, in dem Augenblick, in dem die NATO ihren Operationsplan gebilligt und die Aufgabe übernommen hat, war niemand mehr beteiligt. Was die Zeit vorher betrifft - Kollege Hoyer hat gerade auf die Unterscheidung zwischen der Operation Active Endeavour einerseits und der allgemeinen, routinemäßigen, parallel dazu stattfindenden Luftraumüberwachung andererseits hingewiesen -, kann ich Ihnen jetzt keine tieferen Details zur Beteiligung deutscher Kräfte nennen. Ich bin aber gerne bereit, dies nachzuliefern und zahlenmäßig aufzuschlüsseln. Es wird sich vermutlich in der gleichen Größenordnung bewegen, das heißt bei bis zu 75 Personen. Aber ich bitte darum, Frau Präsidentin, diese Information schriftlich nachliefern zu dürfen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank. - Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich danke Ihnen erst einmal dafür, dass Sie das nachliefern. Falls Sie meine zweite Frage auch nicht beantworten können, können Sie dies dabei gleich mit einbeziehen. War auch deutsches Bodenpersonal an den AWACS-Überwachungen beteiligt?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Lassen Sie mich Folgendes sagen, Frau Kollegin: Ich gehe davon aus, dass Bodenpersonal beteiligt war. Schon allein deswegen: Sie wissen, dass die Hauptbasis der NATO-AWACS-Flugzeuge, wo immer die Flugzeuge konkret gestartet sind, in Geilenkirchen bei Aachen ist. Ich gehe davon aus, dass zur Vorbereitung dieser Flüge zwangsläufig auch in Aachen Bodenpersonal beteiligt wurde, zum Beispiel Tankwarte. Inwieweit aufgenommene Daten weitergegeben worden sind, müsste ich Ihnen nachliefern. Ich gehe davon aus, dass die Erfüllung der Aufgaben im gesamten Umfeld der fliegerischen Betreuung, die Auswertung sowie die Vor- und Nachbereitung, weiteres Personal erfordert haben. Klammer auf: Sie haben die Frage zwar nicht gestellt, aber Sie haben insinuiert, dass dann, wenn man 300 in einem Mandat fordert, dabei alle diejenigen hinzugezählt werden müssen, die nicht im Flugzeug sitzen, sondern drumherum sind und helfen, dass das Flugzeug fliegt - Klammer zu.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer letzten Nachfrage hat die Kollegin Keul das Wort.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Herr Staatssekretär Schmidt, es ist ja etwas verwirrend. Deswegen nochmals die Nachfrage, um zu sehen, ob ich das auch richtig verstanden habe. Sie sagen, bis zum 19. März sind die AWACS und die entsprechenden Schiffe in einem Bereich eingesetzt gewesen, in dem sie unter anderem libyschen Luftraum mit überwacht haben, weil das zum allgemeinen Mandat dazugehörte. Am 19. März, also mit Beginn des Einsatzes der Koalition der Willigen, haben sich die AWACS und die Schiffe mit deutschen Besatzungen, wie Sie sagen, irgendwo in einen Bereich im Mittelmeer zurückgezogen, in dem sie außerhalb des Bereichs waren, von dem aus sie libyschen Luftraum überwachen konnten. Habe ich das richtig verstanden und, wenn ja, wohin sind sie denn gefahren? Wo waren sie dann außerhalb der Reichweite?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Ich darf das für die AWACS-Flugzeuge sagen. Wir haben ja einen Teil dieser Flugzeuge mit den Pilzen drauf, die sehr augenfällig sind und die unter NATOKommando stehen - das ist eine Zahl von, ich glaube, 16 oder 17 Flugzeugen -, und dann nationale Flugzeuge amerikanischer, britischer und französischer Herkunft. Es gibt dann noch einige weitere andere Typen. Aber ich nehme einmal diese drei Nationen, weil sie ja die Hauptträger der Umsetzung der Resolution 1973 sind. In der Tat wurde das Luftlagebild Libyens ab dem 19. März von nationalen AWACS-Flugzeugen und nicht mehr von NATO-Flugzeugen erstellt. Ich kann Ihnen die Flugrouten der AWACS-Flugzeuge der NATO nun nicht genau nennen. Aber wenn man davon ausgeht - ich mag mich korrigieren, wenn ich jetzt etwas Falsches sage -, dass die Eindringtiefe eines AWACS-Flugzeuges sichtmäßig 400 Kilometer beträgt - ich glaube, das ist sogar etwas zu weit -, dann zeigt sich, dass das Mittelmeer durchaus auch Räume hat, von denen aus man, wenn man dort fliegt, keinen Einblick in diese Region mehr hat. Es wurde hier aufgeschrieben: das zentrale Mittelmeer. Ich würde einmal sagen, dass es das Gebiet nördlich des Einzugsgebiets Große Syrte usw. vor Libyen ist. Wie groß die Entfernung genau ist, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich weiß auch nicht, ob das genau rekonstruierbar ist; aber sie sind mit erheblichem Sicherheitsabstand geflogen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die dringliche Frage 7 der Abgeordneten Vogler wird schriftlich beantwortet. Nachdem die dringlichen Fragen aufgerufen und beantwortet worden sind, rufe ich jetzt die Fragen auf Drucksache 17/5120 in der üblichen Reihenfolge auf. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die Frage 1 des Abgeordneten Tom Koenigs, die Frage 2 des Abgeordneten Andrej Hunko, die Frage 3 des Abgeordneten Garrelt Duin, die Fragen 4 und 5 der Abgeordneten Ingrid Nestle und die Frage 6 der Abgeordneten Bärbel Höhn werden schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel zur Verfügung. Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Barchmann auf: In welcher Form werden die Instrumente und Programme des Bundes, die zur Überwindung von migrationsspezifischen Hindernissen bei der Integration in Ausbildung, Arbeit oder Selbstständigkeit dienen, von Einsparungen im Bundeshaus11202 Vizepräsidentin Petra Pau halt und bei der Bundesagentur für Arbeit aktuell und mittelfristig betroffen sein? Bitte, Herr Staatssekretär.

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Herr Kollege, wenn Sie einverstanden sind, würde ich die Fragen 7 und 8 gern gemeinsam beantworten. ({0}) - Vielen Dank.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann rufe ich die Frage 8 des Abgeordneten Barchmann auf: Welche inhaltlichen Veränderungen bei den Instrumenten und Programmen des Zweiten und Dritten Buches Sozialgesetzbuch mit migrationsspezifischen Anteilen bzw. den Instrumenten und Programmen, an denen Personen mit Migrationshintergrund besonders partizipieren, sind angesichts der von der Bundesregierung geplanten Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente derzeit geplant?

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Zunächst einmal zu dem Zweiten und Dritten Sozialgesetzbuch und den darin geregelten Instrumentarien. Nach dem Aufbau des Sozialgesetzbuchs wird keine spezifische Zielgruppe herausgegriffen, sondern es geht um das Instrument insgesamt. Bei dem Instrument geht es darum, zu erreichen, generell Langzeitarbeitslosigkeit zu vermeiden oder auch zu beseitigen und individuelle Beschäftigungsfähigkeiten wiederherzustellen. In diesem Zusammenhang bemüht man sich natürlich auch sehr stark darum, individuelle migrationsspezifische Hemmnisse zu beseitigen. Anfängliche Defizite in der Ausbildung der Mitarbeiter wurden in der Zwischenzeit durch viele Bemühungen der Bundesagentur und der Jobcenter behoben. Insoweit werden die Kürzungen auch davon abhängen, wie die Arbeitsmarktinstrumente in der Zukunft aussehen. Die Abstimmung hierüber haben wir in der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen, sodass ich am heutigen Tage auch noch keine spezielle Aussage dazu machen kann. Ich erwarte, dass wir in der nächsten Zeit recht viel mehr dazu sagen können. Ein besonderes Programm ist das Netzwerk „Integration durch Qualifizierung“, IQ. Hierbei geht es um die berufliche Integration und die Beratung von Zuwanderern. Dieses Netzwerk soll nach dem derzeitigen Stand fortgesetzt werden. Im Jahre 2011 ist es mit 10 Millionen Euro dotiert, wobei 7 Millionen Euro aus dem Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und 3 Millionen Euro aus dem Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung kommen. Die Bundesregierung plant, dieses Netzwerk wenigstens bis Ende 2014 fortzusetzen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu insgesamt vier Nachfragen. Bitte.

Heinz Joachim Barchmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004005, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich verzichte auf Nachfragen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie verzichten. - Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Die Fragen 9 und 10 des Abgeordneten Stefan Schwartze, die Fragen 11 und 12 des Abgeordneten Markus Kurth, die Frage 13 des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert und die Frage 14 der Abgeordneten Sabine Zimmermann sollen schriftlich beantwortet werden. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die Fragen 15 und 16 der Abgeordneten Kerstin Tack sollen ebenfalls schriftlich beantwortet werden. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung der Fragen steht wiederum der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt zur Verfügung. Ich rufe die Frage 17 des Kollegen Hans-Christian Ströbele auf: Nach welchen Kriterien, Bezug nehmend auf meine mündlichen Fragen auf Bundestagsdrucksache 17/4812 und 17/5015 - vergleiche Plenarprotokoll 17/92 und 17/95 -, wählen Bundeswehr-Scharfschützen in Afghanistan Zielpersonen aus, die sie aus dem Hinterhalt nach oft langem getarnten Warten aus mehreren 100 Metern Entfernung militärisch bekämpfen, also töten, auch wenn diese nicht „unmittelbar an Feindseligkeiten beteiligt“ sind, sondern sich auf Wegen oder Feldern bewegen und nichtsahnend ungedeckt ins freie Schussfeld treten, und wenn somit eine vom Scharfschützen nur durchs Fernglas aktuell beobachtete unmittelbare Beteiligung der einzelnen Personen an Feindseligkeiten als Auswahlkriterium faktisch entfällt, nach welchen sonstigen Kriterien, Fotos, Beschreibungen oder Ähnlichem erkennen die Scharfschützen „ihre Zielperson“ sonst und schließen versehentlichen tödlichen militärischen Einsatz gegen nicht unmittelbar an Feindseligkeiten beteiligte, also unbeteiligte, harmlose Zivilpersonen wirkungsvoll aus? Bitte, Herr Staatssekretär.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Ströbele, die Entscheidung zur Bekämpfung eines legitimen militärischen Ziels ist nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu bewerten. Ausgangspunkt ist dabei regelmäßig die Beurteilung, ob es sich um eine Person handelt, die sich unmittelbar an Feindseligkeiten beteiligt. Zur Vermeidung der Gefährdung von unbeteiligten Zivilpersonen muss dies vor der Anwendung militärischer Gewalt durch entsprechende Beobachtungen sichergestellt sein. Scharfschützen der Bundeswehr in Afghanistan stehen keine Befugnisse zur Anwendung militärischer Gewalt zu, die über die Befugnisse der anderen Kräfte des deutschen Einsatzkontingents ISAF hinausgehen. Auf der Grundlage der völkerrechtlichen Ermächtigung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und des Mandates des Deutschen Bundestages gelten das interParl. Staatssekretär Christian Schmidt nationale operative ISAF-Regelwerk und auch die Taschenkarte für den deutschen Anteil an ISAF.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, das ist die graue Theorie. Ich bedanke mich zunächst einmal bei Ihnen - das ist ja die dritte Frage, die ich zu diesem Thema gestellt habe -, dass Sie mir jetzt noch einmal schriftlich beantwortet haben, wie viele Scharfschützen die Bundeswehr in den letzten Jahren bis heute in Afghanistan eingesetzt hat. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass sich die Anzahl von 2008 bis 2010 verdreifacht hat. Dadurch wird diese Anfrage, die ich hier jetzt noch einmal gestellt habe, besonders dringlich. Sie wissen - darauf habe ich mich ja bezogen -, dass der Stern von einem Scharfschützen berichtet hat, der in Afghanistan eingesetzt ist, und er hat auch darüber berichtet, dass noch mehrere solcher Scharfschützen mit einem solchen Auftrag dort sind. Der Auftrag soll darin bestehen, dass sich der Scharfschütze an einer Durchgangsstraße postiert und möglicherweise ein bis zwei Tage im Gras liegt und wartet, bis ein vermutlicher, feindlicher Kämpfer auftaucht, um ihn dann aus großer Entfernung - 800 Meter oder ähnlich weit entfernt - zu bekämpfen, das heißt, zu erschießen. Alle meine Fragen zielen darauf hin: Nach welchen Kriterien entscheiden Scharfschützen - nicht allgemein; das könnte ich auch nachlesen -, wenn sie alleine dort warten, sich also nicht in einer Kampfhandlung befinden - sie warten dort, bis jemand kommt -, ob es sich bei der Person, die sie an bzw. auf der Straße sehen - meinetwegen einen jungen Mann, der sich vielleicht an der Straße zu schaffen macht -, um eine Person handelt, gegen die sie militärisch, das heißt, durch Töten, vorgehen? Ich habe besonderen Anlass zu dieser Frage: Ich habe den Spiegel von dieser Woche gelesen, dessen Lektüre ich Ihnen dringend empfehlen kann. Er enthält einen längeren Artikel über US-amerikanische NATO-Soldaten, die sich geradezu einen Spaß daraus gemacht haben, dort Unschuldige, also Nichtkämpfer, zu töten und sich anschließend, indem sie die Köpfe der Getöteten hochhalten, als Trophäenjäger zu präsentieren. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Wie kann man ausschließen, dass durch diese Scharfschützen auch Unschuldige getroffen werden, die nicht an Kampfhandlungen beteiligt sind?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Sehr geehrter Kollege Ströbele, diesen Spiegel-Artikel haben sicherlich viele Kollegen im Haus gelesen. Wir alle teilen die Abscheu gegenüber dem, was an völlig inakzeptablen und auch rechtlich in keiner Weise zu rechtfertigenden menschenverachtenden Handlungen dort stattgefunden hat. Wenn ich richtig informiert bin, bezieht sich der Artikel auf ein Gerichtsverfahren gegen die betroffenen amerikanischen Soldaten. Soweit ich weiß, hat sich die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika bereits entschuldigt und davon distanziert. Ob schon eine Verurteilung erfolgt ist, ist mir nicht bekannt. Im Zusammenhang mit der Frage der Völkerrechtsmäßigkeit von militärischen Handlungen, die Sie angesprochen haben, gehe ich davon aus, dass wir sehr scharf zwischen Angelegenheiten trennen müssen, die die amerikanische Armee innerhalb ihrer Verantwortlichkeiten zu behandeln hat, und dem nach Recht und Gesetz abgesicherten Verhalten von Soldaten der Bundeswehr. Falls hier ein Zusammenhang hergestellt werden sollte, würde ich ihn in aller Schärfe zurückweisen. Die von Ihnen gestellte Frage hat auch damit zu tun, inwieweit man das Völkerrecht in extenso nutzt. Das Völkerrecht sieht vor, dass bei einer direkten Beteiligung an Feindseligkeiten eine Person, die aufgrund ihrer Rolle und Funktion bei den gegnerischen Kräften dauerhaft an den Feindseligkeiten beteiligt ist - das ist mit „continuous combat function“ gemeint -, auch außerhalb der Teilnahme an konkreten Feindseligkeiten ein legitimes militärisches Ziel ist. Landläufig heißt das, dass die Anführer, die Rädelsführer auch dann bekämpft werden können, wenn es keine unmittelbaren Kampfhandlungen und Gefechte gibt. Das ist eine der Grundlagen im Zusammenhang mit dem sogenannten Targeted Killing. Wir haben bei anderer Gelegenheit in diesem Hause darüber gesprochen, dass sich die Bundeswehr an dem Targeted Killing nicht beteiligt. Ziel und Auftrag der Bundeswehr ist es nicht, die auf der Liste genannten Personen - sie ist als „JPEL list“ bekannt - zu töten, sondern sie zu verhaften und festzusetzen. Scharfschützen haben - das habe ich bereits angedeutet - über Aufgaben und Funktion der Bundeswehr insgesamt im ISAF-Einsatz und innerhalb des nationalen und völkerrechtlichen Regelwerkes hinaus keine Befugnisse. Sie haben deshalb nur die Befugnis, bei einer unmittelbaren Verknüpfung mit Kampfhandlungen tätig zu werden. Ich weiß nicht, wo die Bilder, die Sie im Zusammenhang mit dem Artikel im Stern ansprechen, entstanden sind und wer dafür verantwortlich ist. Ich kann Ihnen aber versichern, dass es nach Ausbildung, Ausrüstung und Befehlslage Scharfschützen, die in schwierigen Gefechtssituationen durchaus zum Einsatz kommen und die auch benötigt werden, nicht erlaubt ist, nur dazuliegen und so lange zu warten, bis einer vorbeikommt, der ein Gegner sein könnte. Dies ist nach dem nationalen Regelwerk für die deutschen Soldaten ausgeschlossen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Ströbele, bevor Sie Ihre zweite Nachfrage stellen, erlaube ich mir den Hinweis, dass wir noch zwei Minuten in der Fragestunde haben. Es wäre also schön, wenn wir es schafften, Frage und Antwort in ein angemessenes zeitliches Verhältnis zu stellen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine zweite Nachfrage ist noch kürzer. - Herr Staatssekretär Schmidt, die Scharfschützen, von denen ich rede - die Tätigkeit eines Scharfschützen ist im Stern beschrieben -, befinden sich nicht in aktuellen Kampfhandlungen, sondern liegen friedlich oder nicht friedlich im Gras - genau so, wie ich es beschrieben habe -, ohne dass um sie herum Kampfhandlungen stattfinden, und warten so lange, bis Personen auftauchen. Über diese Personen wissen sie nichts. Sie kennen weder ihre Herkunft noch ihre Tätigkeit. Allein von der visuellen Feststellung her gehen sie gegen diese vor. So wird das von einem der Scharfschützen beschrieben. Wollen Sie ausschließen, dass solche Scharfschützen auch gegen Unschuldige, an Kampfhandlungen nicht Beteiligte mit militärischen Mitteln vorgehen bzw. diese töten?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Präsidentin, im Rahmen der nationalen Regularien ist es den Scharfschützen der Bundeswehr in Afghanistan untersagt, Personen, die sich dauerhaft an bewaffneten Auseinandersetzungen beteiligen, also die genannte „continuous combat function“ innehaben, außerhalb einer Situation, an der sie an konkreten Feindseligkeiten teilnehmen, durch gezielte Waffenwirkung zu bekämpfen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Die übrigen Fragen werden schriftlich beantwortet. Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Konkrete Anforderungen insbesondere des Bundesumweltministeriums für die Sicherheitsüberprüfung deutscher Atomkraftwerke Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dorothee Menzner für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir erleben seit Monaten - und im Moment mit wachsender Geschwindigkeit - eine Achterbahnfahrt in Sachen Atomenergie und energetischer Nutzung von Atomtechnik. Ich möchte Sie an den 28. Oktober letzten Jahres erinnern. Da haben wir in diesem Haus trotz massiver Bedenken vieler Kolleginnen und Kollegen mehrheitlich die Laufzeiten verlängert. Wir haben die Laufzeiten nach einem Verfahren verlängert, das mit den Produzenten, den Atomkonzernen ausgekungelt war. Man hätte meinen können, dass eine Sicherheitsüberprüfung der Kraftwerke vorgenommen worden wäre, bevor man zu einem solchen Schritt kommt. Am 11. März haben wir dann die unfassbare dreifache Katastrophe von Japan erlebt, nicht nur Erdbeben und Tsunami, sondern auch die atomare Katastrophe in Fukushima. Ich möchte betonen, auch wenn sie heute nicht mehr die Headline in allen Nachrichten bestimmt: Diese Katastrophe ist beileibe nicht beendet. Wir kennen bis heute nicht ihren Ausgang. Gregor Gysi sagte letzte Woche: Die Vorkommnisse in Fukushima sind „eine Zäsur, ein Zivilisationsbruch in der Geschichte des industriell-kapitalistischen Zeitalters“. - Er hat recht. Zu diesem Schluss komme ich, wenn ich tagtäglich die Nachrichten, die noch immer reich an Hiobsbotschaften sind, verfolge. Das Ganze hat einen ungewissen Ausgang und auf jeden Fall fatale Folgen für viele Japanerinnen und Japaner. Jetzt liegt ein Papier vor, erstellt im Zusammenhang mit dem dreimonatigen sogenannten Moratorium. Die Arbeitsgruppe Reaktorsicherheit hat erste Überlegungen angestellt. So weit, so gut. In dem Papier steht viel Vernünftiges. Bei manchem frage ich mich allerdings, wieso man das nicht schon längst im Vorfeld des Oktobers auf die Tagesordnung gesetzt hat. ({0}) Es steht dort zum Beispiel, dass eine Erdbebenauslegung oder eine Hochwasserauslegung nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erfolgen soll. Was ist denn, bitte schön, daran so Besonderes? Weiter hinten liest man, dass eine Notsteuerstelle selbst im Falle einer atomaren Kontamination betretbar und bedienbar sein muss. Ich behaupte: Das ist eigentlich etwas Normales. Das erwarten die Menschen mit Fug und Recht. ({1}) Wie gesagt, in diesem Papier steht viel Vernünftiges. Es wird auch angemerkt, dass man die Ereignisse von Fukushima abwarten, vielleicht nachsteuern und noch das eine oder andere aufnehmen muss. Aber eines wird auch deutlich: Selbst wenn man alles, was in diesem Papier aufgeführt ist, wirklich eins zu eins umsetzen würde, und nicht alles wieder weichspült und das eine oder andere herausstreicht, weil die Maßnahme ach so teuer wird, weil sie nicht leistbar ist oder weil sie die Gewinne der Konzerne schmälert, bleibt die energetische Nutzung von Atomenergie ein unsicheres Verfahren; ({2}) denn Menschen sind nun einmal fehlbar, und zwar sowohl bei der Planung als auch bei der Umsetzung von Dingen, sie sind fehlbar in ihrem Handeln. Daher kann uns das beste Sicherheitskonzept - die Japaner hatten Sicherheitskonzepte, die uns immer als beispielgebend hingestellt wurden - nicht davor bewahren, dass es zu solch unfassbaren Katastrophen kommt. Wenn man sich die Geschichte atomarer Unfälle anschaut, dann stellt man fest, dass es meistens Lappalien oder Dinge, auf die kein Mensch vorher gekommen ist, waren, die zu den Unfällen geführt haben. Auch wenn Sie jetzt solche engagierten Papiere in Ihrem Haus erarbeiten, was ich, wie gesagt, zuerst einmal gut finde, frage ich mich schon: Wieso müssen wir wochenlang bohren und fragen, was es mit der Auffälligkeit im Kühlkreislauf des Kraftwerks Grafenrheinfeld auf sich hat, wo Ultraschallaufnahmen gezeigt haben, dass es einen Riss in den Rohren geben könnte? Es behauptet niemand, dass es tatsächlich einen Riss gibt, aber es könnte einen geben. Es dauerte Monate, bis Sie das AKW heruntergefahren haben, um genauer nachzuschauen. Ich möchte weiterhin an die Probleme in Philippsburg in den letzten anderthalb Jahren erinnern, die heute deutlich wurden. Die Frage wird sein, wie wir nach dem dreimonatigen Moratorium damit umgehen und wie es weitergeht. Die Menschen erwarten klare Positionen. Sie wollen aus der Atomenergie aussteigen, und zwar unverzüglich und unumkehrbar. ({3}) Dass Sie es mit viel Gegenwind zu tun haben, erleben Sie im Moment Montag für Montag bei den Mahnwachen, und das werden Sie am kommenden Samstag bei den Großdemos erleben. Sie erleben es auch dadurch, dass heute die Bravo nach 55 Jahren zum ersten Mal in ihrer Geschichte ein Poster mit einem politischen Inhalt bringt. ({4}) Wir werden die Proteste auf jeden Fall begleiten und weiter Druck machen. Ich danke. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser. ({0})

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist wirklich unzweifelhaft: Die nuklearen Folgen der Erdbebenkatastrophe in Japan bedeuten einen Einschnitt, zuallererst selbstverständlich für Japan, aber auch für die ganze Welt. Die Katastrophe hat ganz deutlich gezeigt, dass Ereignisse auch jenseits der bislang berücksichtigten Szenarien eintreten können. Vielleicht noch ein paar Punkte zum Sachverhalt, weil es im Weiteren darum gehen wird - so verstehe ich das Thema der Aktuellen Stunde -, welche Sicherheitsüberprüfungen es in unseren deutschen Kernkraftwerken geben wird. Bei allen betroffenen Reaktoren gab es ein Zusammentreffen eines extremen Erdbebens mit einem Tsunami. Das Zusammenwirken hat zum Ausfall der externen Stromversorgung geführt. In der Folge wurden die notwendigen Sicherheitseinrichtungen zerstört. Die Kernkühlung bei den Blöcken 1 bis 3 am Standort Fukushima fiel aus. Die Blöcke 4 bis 6 waren zu diesem Zeitpunkt abgeschaltet, weil sie in Revision waren. Gleichwohl machen sie uns heute auch große Probleme, wie Sie den Medien entnehmen können. In den Blöcken 1 bis 3 waren die Reaktorkerne zeitweise nicht mehr mit Wasser bedeckt mit der Folge von schweren Kernschäden bis hin zu einer beginnenden Kernschmelze. Infolgedessen wurde Wasserstoff freigesetzt. Es kam zu Explosionen. Die Reaktorgebäude wurden schwer beschädigt. Sie alle kennen die Bilder. Obwohl bereits das Erdbeben mit einer Stärke von 9 eine deutliche Überschreitung der Auslegung darstellte, kam es aber erst durch den anschließenden Tsunami zu dieser dramatischen Entwicklung. Aus diesem Zusammenwirken von zwei Ereignissen, die deutlich über die Auslegung der Reaktoren hinausging, resultiert die Notwendigkeit, die Lage bei uns in Deutschland vorbehaltlos zu analysieren. Die Ereignisse in Japan haben uns gezeigt, dass das sogenannte Restrisiko durchaus existent ist und dass es sich hierbei nicht nur um eine rechnerische Größe handelt. Es gibt eine Vielzahl von Fragestellungen, die im Lichte von Japan gegebenenfalls neu bewertet werden müssen. Dies gilt vor allem für die Frage der Bewertung der Sicherheit und der Bewertung der Sicherheitsstandards. Deshalb hat die Bundesregierung, hat die Bundeskanzlerin und haben die Ministerpräsidenten der Bundesländer mit Kernkraftwerken beschlossen, die Sicherheit aller Kernkraftwerke in Deutschland im Lichte der Ereignisse von Japan zu überprüfen. Sie haben ferner beschlossen, die sieben ältesten Kernkraftwerke für einen Zeitraum von drei Monaten vom Netz zu nehmen. Wir haben das schon intensiv diskutiert. Für die dreimonatige Betriebseinstellung als vorläufige Maßnahme sieht das Atomgesetz § 19 Abs. 3 als Rechtsgrundlage vor. Aufgrund dieser Rechtsgrundlage kann bei Vorliegen eines Gefahrenverdachts die einstweilige Betriebseinstellung angeordnet werden. In der Zeit des Moratoriums werden sich zwei Kommissionen intensiv mit der Frage der Sicherheit befassen. Dies ist zum einen die Reaktor-Sicherheitskommission, die beim Bundesumweltminister angesiedelt ist. Das ist ein Gremium unabhängiger Experten. Diese wird gemeinsam mit den Ländern, die jeweils aufsichtsführende Stelle sind, eine Überprüfung aller Kernkraftwerke durchführen. Sie wird sich insbesondere mit der Frage beschäftigen, ob die bisherigen Auslegungsgrenzen richtig definiert sind. Dabei geht es nicht nur um die Frage der Stärke eines Erdbebens oder um die Frage der Höhe des Hochwassers, sondern darum, ob die bisherigen Auslegungsgrenzen richtig definiert sind und wie robust unsere deutschen Kernkraftwerke gegenüber auslegungsüberschreitenden Ereignissen sind. Gerade eben wurde noch einmal erwähnt: Das Papier, das eine Vielzahl von Themen enthält und das immer wieder öffentlich diskutiert wird, dieses Papier, das bei uns im Haus erstellt worden ist, war eine Ideensammlung für die Reaktor-Sicherheitskommission, um zu sagen: Das könnten Themen sein, die zusätzlich berücksichtigt werden sollten. Hierbei geht es insbesondere - auch wenn es ein bisschen technisch ist, es ist aber besonders zu erwähnen um die Schutzziele Abschaltbarkeit, Kühlung der Brennelemente im Reaktordruckbehälter sowie im Brennelementebecken und Begrenzung der Freisetzung radioaktiver Stoffe. Das sind drei Themen, die wir Tag für Tag als große Probleme mit verheerenden Wirkungen in Fukushima beobachten können. In diese Betrachtung sind natürlich auch naturbedingte Ereignisse wie Erdbeben oder Hochwasser, aber auch Explosionsdruckwellen, gezielte Angriffe, Abstürze etc. einzubeziehen. Neben der Reaktor-Sicherheitskommission, die sich mit den technischen Fragen, mit den Auslegungsgrenzen und mit dem Restrisiko befasst, wird sich eine neue Ethikkommission mit den gesellschaftlichen Fragen der Atomtechnologie auseinandersetzen. Den Vorsitz wird der ehemalige Umweltminister Professor Klaus Töpfer zusammen mit dem Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor Kleiner, übernehmen. Diese Ethikkommission wird die Aufgabe haben, Risiken zu bewerten und entsprechend einzuordnen. Das heißt, sie wird sich natürlich mit der Frage der Sicherheit der Kernkraftwerke befassen, aber auf der anderen Seite auch mit der Schlüssigkeit in der Frage: Wie kann man den Ausstieg mit Augenmaß so vollziehen, dass der Übergang in das Zeitalter der erneuerbaren Energien praktikabel und vernünftig ist, ({0}) und wie lässt sich vermeiden, dass zum Beispiel durch den Import von Strom aus Kernenergie nach Deutschland Risiken eingegangen werden, ({1}) die vielleicht höher zu bewerten sind als die Risiken bei der Produktion von Strom aus Kernenergie in Deutschland? ({2}) - Herr Kelber, Sie müssen sich auch einmal mit ein paar Wahrheiten befassen. ({3}) Sie können nicht von heute auf morgen Deutschland komplett von der Stromversorgung abhängen. Das funktioniert einfach nicht. ({4}) Über diese Folgen wissen Sie auch Bescheid. Wenn Sie heute im Ausschuss gewesen wären, hätten Sie auch das eine oder andere dazugelernt. Es geht um die entscheidende Frage, dass Sicherheit eben nicht in umfassender Weise ausrechenbar ist - ich habe es vorhin schon gesagt -, sondern dass das am Ende eine gesellschaftlich-politische Wertung ist. Mit dieser Frage wird sich die Ethikkommission befassen. ({5}) Beide Gremien werden in den nächsten drei Monaten überlegen, welche Lehren aus der Katastrophe in Fukushima tatsächlich zu ziehen sind. Gestatten Sie mir noch einen Hinweis auf die internationale Situation. Die Internationale Atomenergie-Organisation hat angekündigt, neue Richtlinien der nuklearen Sicherheit zu entwickeln. China hat seine Neubaupläne vorerst gestoppt - das ist, finde ich, ein klares Zeichen und eine Sicherheitsprüfung angekündigt. Auf Einladung von EU-Energiekommissar Oettinger haben die Regierungsvertreter aus dem Energiebereich über Sicherheitsfragen debattiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel macht die Frage der Sicherheit von Kernkraftwerken zu einem wichtigen Thema auch auf dem Europäischen Rat am Ende dieser Woche. Es gibt international, sicherlich aber auch national einen breiten Konsens darüber, dass die Risiken von Kernenergie neu bewertet werden müssen. Ich habe die Bitte an die Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag, auch hier im Bundestag einen solchen Konsens mit zu suchen ({6}) und zu sagen: Hier geht es um entscheidende wissenschaftlich-gesellschaftliche Fragen. Dazu lade ich Sie herzlich ein. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Miersch für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, ich habe mich eben gefragt: Wo waren Sie eigentlich vor wenigen Monaten, als die Entscheidung darüber anstand, ob der Konsens, der im Jahr 2000/01 bereits gefunden worden war - einen solchen Konsens mahnen Sie hier an -, wieder aufgeschnürt werden soll? Wo haben Sie sich da eingebracht? Wir brauchen an dieser Stelle nicht zwei weitere Kommissionen; wir brauchen ein selbstbewusstes Parlament, das seine Aufgabe wahrnimmt. ({0}) Eine schlechte Regierung kann nur durch ein gutes Gesetz ausgeglichen werden, und dazu sind Sie jetzt aufgefordert. ({1}) Sie werden morgen das erste Mal die Möglichkeit bekommen, zwei entsprechenden Gesetzentwürfen zuzustimmen. Das Angebot steht weiter: Wenn wir uns denn einig sind, dass es ein Fehler gewesen ist, was Sie hier mit Ihrer Mehrheit vor wenigen Monaten beschlossen haben, dann lassen Sie es uns rückgängig machen, und zwar so schnell wie möglich! ({2}) Was sollen diese Kommissionen eigentlich bringen? Eine Ethikkommission! Was wurde die letzten Jahrzehnte in Deutschland eigentlich diskutiert? Wenn man wissen will, was Herr Töpfer zum Thema Kernenergie und Atomtechnologie sagt, kann man das nachlesen. Wenn man hätte wissen wollen, was die Kirchen in Deutschland über dieses Thema denken, dann hätte man es im Oktober nachlesen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte lassen Sie sich nicht auf diese Verzögerungs-, auf diese Verschleierungstaktik ein, sondern nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr und nehmen Sie zur Kenntnis, was in der Bundesrepublik Deutschland bereits an ethischen Grundsätzen entwickelt worden ist! ({3}) Hinsichtlich der geplanten Sicherheitskommission frage ich Sie: Ist es nicht doch angebracht gewesen, dass wir im Umweltausschuss, als es um die Auswertung der sehr ausführlichen Sachverständigenanhörung zur Laufzeitverlängerung ging, sehr emotional diskutiert haben? Lesen Sie noch einmal die Anhörungsprotokolle nach, die vor einigen Monaten erstellt wurden. Sie werden feststellen, dass dort sämtliche Sicherheitsrisiken angesprochen wurden. Sie haben sich schlichtweg darüber hinweggesetzt und sich geweigert, sich mit diesen Argumenten auseinanderzusetzen. ({4}) Ich habe bei der Schlussberatung einen Brief des schleswig-holsteinischen Justizministers vorgelesen, weil der Bundesumweltminister womöglich den Argumenten von Rot-Grün nicht glaubte. Wenige Tage vor der Schlussabstimmung hier im Parlament hat er darin dem Bundesumweltminister dringend dazu geraten, vor einer Laufzeitverlängerung Verbesserungen bei den Altmeilern vorzuschreiben und die Laufzeitverlängerung erst zu genehmigen, wenn diese erfüllt sind. Der Bundesumweltminister hat da gelacht. Jetzt sagt er, es gebe eine neue Sicherheitslage. Das ist keine glaubwürdige Politik. ({5}) Der schleswig-holsteinische Justizminister hat da beispielsweise Dinge geschrieben, die Sie mittlerweile in Ihre Ideensammlung aufgenommen haben. Er hat Ihnen nämlich attestiert, dass die Themen „Flugzeugabstürze“ und „externe Ereignisse“ in Ihrem Gesetz nicht berücksichtigt wurden und der Sicherheitsstandard gegenüber den vorherigen Regelungen sogar noch deutlich abgeschwächt worden ist. Der Bundesumweltminister hat da gelacht, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das kann man ihm, wie ich finde, nicht durchgehen lassen. Er muss erklären, wie der plötzliche Sinneswandel zustande gekommen ist. ({6}) Eigentlich war es ja noch schlimmer: Sie von der Koalition haben nicht nur diese Argumente nicht berücksichtigt, sondern Sie haben noch eins draufgesetzt: Sie sind einen Deal eingegangen und haben einen Vertrag geschlossen, in dem Sie die Haftung der vier großen Konzerne für Sicherheitsnachforderungen auf 500 Millionen Euro begrenzt haben. Sie sind ihnen bei den Sicherheitsanforderungen entgegengekommen, obwohl Sie wussten, dass Nachbesserungen notwendig sind. Sie wollten verhindern, dass sie in die Enge gedrängt werden und diese Altmeiler abschalten müssen. Dies ist ein Versagen der Politik auf ganzer Linie. ({7}) Sie haben darüber hinaus das kerntechnische Regelwerk negiert und einen der Cheflobbyisten der deutschen Atomwirtschaft - das ist, wie ich finde, das eigentlich Denkwürdige - zum Abteilungsleiter gemacht, der über die einzurichtende Sicherheitskommission wachen soll. Das kann doch nicht wahr sein! Das ist nichts anderes, als den Bock zum Gärtner zu machen. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage es noch einmal: Das Parlament ist der Ort, in den Diskussionen um Ethik und elementare Sicherheitsfragen der deutschen Bevölkerung gehören. Insofern fordere ich Sie auf: Nehmen Sie Ihre Aufgabe wahr! Lassen Sie uns hier diskutieren! Lassen Sie uns hier möglichst schnell abstimmen! Auf diese Weise können wir gerne zu einem Konsens kommen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Kauch hat für die FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Opposition zeigt, dass sie ein heißes Herz hat. Aber die Frage ist, ob sie auch einen kühlen Kopf hat. Nachdem ich Herrn Miersch und Frau Menzner gehört habe, muss ich sagen: Das alles passt nicht so ganz zusammen. Frau Menzner redet so, als wenn wir sofort, noch heute, aus der Kernkraft aussteigen könnten. ({0}) Herr Miersch erinnert sich offensichtlich schon ein bisschen mehr an das, was Rot-Grün gemacht hat: Rot-Grün ist nämlich nicht von heute auf morgen aus der Kernkraft ausgestiegen. Das stimmt, ({1}) auch wenn andere Redner hier plötzlich so tun, als wäre das möglich. ({2}) Ich erinnere daran, dass Rot-Grün einen Deal gemacht hat. Rot-Grün hat einen Vertrag mit den Kernkraftwerksbetreibern abgeschlossen. Darin stand: Wir steigen über einen Zeitraum von 20 Jahren aus. Dafür garantieren wir, dass die Sicherheitsphilosophie und, von wenigen Einzelmaßnahmen abgesehen, die sonstigen Sicherheitsniveaus der Kernkraftwerke so bleiben, wie sie heute sind. ({3}) Das war Ihr schmutziger Deal gegen die Sicherheit von Kernkraftwerken. ({4}) Dagegen hat die Koalition im letzten Oktober mit der Einführung des § 7 d in das Atomgesetz zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen von den Kernkraftwerksbetreibern verlangt. Wir haben mehr Sicherheit ins Gesetz geschrieben. Sie haben hingegen weniger Sicherheit in einen Vertrag geschrieben. Das ist die Wahrheit, die hier auch einmal gesagt werden muss. ({5}) Die Opposition stellt sich aufs hohe Ross. Sie hat schon immer alles gewusst. ({6}) Auch Sie sollten verstehen, dass sich mit Japan etwas verändert hat. ({7}) Eine Veränderung ist, dass wir über die Sicherheitspuffer reden müssen, die bei unseren Szenarien, was passieren kann, gesetzt wurden. Das kerntechnische Regelwerk, das Herr Gabriel in Kraft setzen wollte, muss vor dem Hintergrund von Japan ebenfalls überprüft werden. Es geht nicht nur darum, die Kernkraftwerke daraufhin zu überprüfen, ob sie im genehmigten Betrieb sicher sind - das stellt dieses kerntechnische Regelwerk sicher -, sondern auch um die Frage, ob das Regelwerk selbst noch den Anforderungen genügt. Das muss überprüft werden. Diese Aufgabe wird im Rahmen dessen wahrgenommen, was die Bundesregierung macht. Dafür müssen wir alle umdenken - auch Sie, meine Damen und Herren. ({8}) Die Sicherheitsüberprüfung ist notwendig, weil wir die gleichen Risiken nach Japan anders bewerten müssen, als das vorher gemacht worden ist. ({9}) - Das ist hier auch von Ihnen anders bewertet worden, liebe Damen und Herren von der Koalition. ({10}) - Von der Opposition. - Hätten Sie schon in Ihrer damaligen Koalition diese Einschätzung gehabt und gewusst, wie man diese Risiken nach Japan zu bewerten hat, wäre es nämlich Ihre Pflicht und Schuldigkeit gewesen, die Kernkraftwerke abzuschalten, anstatt 20 Jahre dauernde Ausstiegsszenarien zu machen. ({11}) Das ist die Unredlichkeit der Opposition in diesem Haus. ({12}) Diese Koalition hat verstanden, dass wir den Bereich Kernkraftwerke überdenken müssen, dass es zu neuen Regelwerken kommen muss. Es ist richtig, dass diese Koalition eine Kommission mit unabhängigen Experten eingesetzt hat - auch mit solchen, die mit der Beaufsichtigung des jeweiligen Kraftwerks bisher nicht betraut waren. Wenn ein Kraftwerk nicht den neuen Sicherheitsanforderungen entspricht, gibt es die Möglichkeit, es nachzurüsten. Falls eine solche Nachrüstung nicht möglich oder wirtschaftlich nicht sinnvoll ist, wird dieses Kernkraftwerk aus Sicherheitsgründen abgeschaltet. Das wird das Ergebnis des Moratoriums sein. Meine Damen und Herren, Sie sollten hier weniger mit Schaum vor dem Mund reden ({13}) und mehr darüber, welche Sicherheitsanforderungen tatsächlich erfüllt werden müssen. Auch unter den Gesichtspunkten, die die SPD hier in den Raum gestellt hat, würden diese Kernkraftwerke noch zehn Jahre laufen, und Sie hätten die gleiche Verpflichtung, zur Sicherheitsdiskussion beizutragen. Sie haben sich jahrelang nur mit dem Thema Abschalten beschäftigt, aber nicht mit der Frage, welches Sicherheitsniveau in diesen zehn Jahren notwendig ist. ({14}) Das ist genauso unsere Verantwortung. In diesem Zusammenhang geht es nicht nur um Laufzeiten, sondern auch um die Sicherheit der Kraftwerke, die in der Übergangszeit noch laufen müssen, ({15}) weil wir eben nicht von heute auf morgen aus der Kernkraft herauskommen. ({16}) Wer das der Bevölkerung weismachen will, der lügt die Bevölkerung an. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Krischer das Wort.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kauch, Sie haben durch die Japan-Katastrophe überhaupt nichts verstanden. ({0}) Sie halten hier die gleiche Rede wie vor vier Monaten, statt die Größe zu haben, zu sagen: Wir haben uns geirrt; wir haben vielleicht eine falsche Einschätzung gehabt. Sie haben schlicht und ergreifend nichts verstanden. ({1}) Gestatten Sie mir eine weitere Vorbemerkung. Für die heutige Fragestunde waren 30 Fragen zur Sicherheit der Atomkraftwerke und zu konkreten Sicherheitsproblemen eingereicht worden. Diese Fragen wurden nicht zugelassen. Das mag nach der Geschäftsordnung korrekt sein; aber es zeigt, dass sich die Bundesregierung, genauso wie heute Morgen im Umweltausschuss, weigert, in eine Debatte über die konkreten Probleme in den Atomkraftwerken einzutreten. Daran wird deutlich: Das Vertuschen und Wegdrücken geht schon wieder los. ({2}) Meine Damen und Herren, wir haben vorhin gehört, dass für das Auftreten eines GAUs in Form einer Kernschmelze eine Wahrscheinlichkeit von ein paar Hunderttausend Jahren gilt. Jetzt haben wir schon zwei innerhalb von 25 Jahren erlebt. Wer angesichts dessen nicht anfängt, nachzudenken, und nicht die Größe hat, zu sagen: „Wir haben uns geirrt; wir müssen etwas ändern“, der hat wirklich nichts verstanden. ({3}) Der Vorfall hat sich jetzt nicht in einem untergehenden System wie der damaligen Sowjetunion, sondern im Hightechland Japan ereignet. Wir alle sitzen erschrocken und schockiert vor den Fernsehbildschirmen und sehen zu, wie man hilflos versucht, die Reaktoren mit Wasser aus Wasserschläuchen und von Hubschraubern aus zu kühlen. Die Hilflosigkeit zeigt doch eigentlich nur eines: Diese Technologie ist unbeherrschbar, und sie verzeiht keine Fehler. Deshalb müssen wir sie schnellstmöglich hinter uns lassen. ({4}) Was im Moment in Japan passiert, ist auch in Deutschland vorstellbar. Denn die eigentliche Ursache der Vorfälle in den Reaktoren waren nicht der Tsunami oder das Erdbeben, sondern der Ausfall der Stromversorgung und damit der Kühlung. Dafür sind sehr viele Auslöser vorstellbar, auch in Deutschland, zum Beispiel ein Flugzeugabsturz, eine Überschwemmung oder auch anderes, worüber wir heute noch gar nicht reden können. Aber all das war auch schon im Oktober letzten Jahres bekannt, als Sie die Laufzeitverlängerung beschlossen haben und nicht über dieses Thema reden wollten. ({5}) Ein weiteres Versäumnis hat der Kollege Miersch bereits angesprochen. Es gibt ein kerntechnisches Regelwerk; aber Sie weigern sich beharrlich, es in Kraft zu setzen. Ich kann das nicht nachvollziehen. Obwohl es dieses Regelwerk gibt, ziehen Sie es vor, das Regelwerk der 60er- und 70er-Jahre anzuwenden. Dafür gibt es eine Erklärung: Wenn Sie das neue kerntechnische Regelwerk in Kraft setzen würden, würde das erhebliche Sicherheitsauflagen bedeuten, und damit würden etliche Anlagen zusätzlich zu den alten vom Netz gehen. Genau das wollen Sie nicht, weil Sie immer noch an den Atomkonzernen kleben. ({6}) Ich könnte hier über viele Schwachstellen und Sicherheitsmängel in Atomkraftwerken berichten: über fehlenden Feuerschutz, fehlenden Erdbebenschutz, fehlende Notstandswarte. All das ist Realität in deutschen Atomkraftwerken. ({7}) Die Kollegen im Umweltausschuss haben heute zur Kenntnis nehmen müssen, dass es noch nicht einmal ein meldepflichtiges Ereignis ist, wenn unbemerkt 10 Prozent des Kühlmittels verloren gehen. Das ist offensichtlich ein völlig normaler Vorgang. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was sonst noch alles in Atomkraftwerken passiert, ohne dass Behörden und Öffentlichkeit davon erfahren. ({8}) Sie wissen, dass Sie mit dieser fragwürdigen Atomnummer nicht mehr durchkommen. Deshalb gibt es jetzt das fragwürdige dreimonatige Moratorium. Ich frage mich: Was wollen Sie in drei Monaten herausfinden? Die Überprüfung dauert viel länger. Wenn Ihr Vorhaben seriös sein sollte, müssten Sie einen viel längeren Zeitraum vorsehen. Außerdem soll die Überprüfung - das ist wirklich der Gipfel - unter der Federführung von Herrn Hennenhöfer - er sitzt hinter der Regierungsbank -, Exlobbyist der Atomkraft, heute der oberste Atomaufseher, stattfinden. ({9}) Wenn Sie es mit der Sicherheitsüberprüfung ernst meinen würden, dann müssten wir Ihnen sagen: Sie haben den Frosch beauftragt, den Sumpf trockenzulegen. ({10}) Jetzt wurde eine sogenannte Ethikkommission eingesetzt. Ich muss ehrlich sagen: Als ich gestern die entsprechende Meldung gelesen habe, habe ich das nicht geglaubt. Ist die gesellschaftliche Debatte der letzten 30 Jahre eigentlich an Ihnen vorbeigegangen? Haben Sie nicht gelesen, was Kirchen, Verbände und Institutionen zum Thema „Atomkraft und Ethik“ gesagt haben? Nein, haben Sie offensichtlich nicht. Das Einzige, was Sie mit der Einsetzung der Ethikkommission bezwecken wollen, ist: Sie wollen herausfinden, wie viel Atomkraft man dem deutschen Volk zumuten kann, damit die Union und die FDP noch so gerade an der Macht bleiben können. Das ist der wahre Zweck dieser Ethikkommission. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Krischer, achten Sie bitte auf die Zeit.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. - Letzter Satz: Entscheiden Sie sich zusammen mit uns, die sieben ältesten AKW sofort vom Netz zu nehmen, das kerntechnische Regelwerk in Kraft zu setzen, eine hinreichende Sicherheitsüberprüfung zu starten, die Laufzeitverlängerung zurückzunehmen sowie den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Erhöhung der Energieeffizienz wirklich und ehrlich voranzubringen. Ich danke Ihnen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat der Kollege Dr. Nüßlein das Wort. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Krischer, man müsste an Ihrer Rede korrigieren, dass der „oberste Atomaufseher“ - anders als Sie es gesagt haben - nicht Herr Hennenhöfer ist, sondern Herr Röttgen. ({0}) Man könnte das zu einer Abhandlung ausbauen, um zu zeigen, welche Unwahrheiten Sie an dieser Stelle verbreiten. Ich will mit einem Begriff anfangen, der in den Vorreden mehrfach aufgetaucht ist, nämlich mit dem Wort „Konsens“. Ich möchte herausstellen, was man, wenn man redlich ist, als Konsens in diesem Parlament beschreiben muss: Erstens. Es gibt einen Konsens, dass wir aus der Kernenergie aussteigen wollen. In unserem Koalitionsvertrag steht klipp und klar: Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie, bis sie durch erneuerbare Energien verlässlich ersetzt werden kann. Es geht also um einen Ausstieg. Dort steht auch: Das Neubauverbot … bleibt bestehen. ({1}) Ich gehe davon aus, dass Sie das genauso sehen. Das ist nur eine Frage der - ({2}) Die Frage ist: Wie lange dauert der Übergang? Wie lang muss diese Brücke sein? Zweitens. Wenn ich von den Grünen wäre, würde ich nicht ganz so laut schreien. Denn Sie haben es im Jahr 2000 offenbar genauso gesehen, dass es nämlich eine Übergangsfrist geben muss. ({3}) Sie sind im Wahlkampf 1998 mit der Forderung nach einem sofortigen Ausstieg angetreten; die Nutzung der Kernkraft sei unverantwortlich. ({4}) Diese Forderung kramen Sie heute wieder heraus. Dann haben Sie unter dem Eindruck der Annehmlichkeiten von Dienstwagen gesagt: ({5}) Wenn es dem Erhalt von Ministerämtern dient, dann kann man eine längere Laufzeit verantworten. ({6}) Liebe Freunde von der SPD, noch schlimmer war, dass sich der frühere Umweltminister, Herr Gabriel, in der letzten Debatte dazu hinreißen ließ, zu sagen, er habe schon immer gewusst, dass von den alten Anlagen, die wir jetzt vom Netz genommen haben, eine Gefahr für Leib und Leben ausgehe. Da frage ich mich: Was war das für ein Minister, der das wusste, der die Verantwortung dafür tragen musste, aber nicht zurückgetreten ist? Meine Damen und Herren, an der Stelle müssen wir doch überhaupt nicht über Redlichkeit diskutieren. ({7}) Es muss eine Übergangsfrist geben. Wir haben über die Frage diskutiert, wie lang diese sein muss; darüber werden wir im Rahmen des Moratoriums sicherlich neu diskutieren. ({8}) Auch muss man Ihnen deutlich sagen - Kollege Kauch hatte damit schon angefangen -: Konsens bestand hinsichtlich des Sicherheitsniveaus. Man muss klarstellen, dass es offenbar ein gemeinsames Verständnis hinsichtlich Sicherheit und Vertretbarkeit gibt. Im Übrigen steht nichts anderes in Ihrem sogenannten Ausstiegsvertrag. Dort heißt es explizit, dass die Anlagen auf einem im internationalen Vergleich hohen Sicherheitsniveau betrieben werden. Die Einschätzung des Sicherheitsniveaus, die dem bisherigen Betrieb zugrunde lag, ist gemeinsam erfolgt. Ich würde das an Ihrer Stelle nicht bestreiten. Wenn Sie es anders sehen, dann stellt sich nämlich die Frage: Warum sind Sie damals nicht ausgestiegen? ({9}) Lassen Sie mich zu dem seltsamen Deal kommen, der schon angesprochen wurde. Das Ganze ärgert Sie immer wieder; das weiß ich. Sie haben in dem Ausstiegsvertrag mit den Versorgern niederlegt: Die Bundesregierung wird keine Initiative ergreifen, um diesen - den gerade beschriebenen Sicherheitsstandard und die diesem zugrunde liegende Sicherheitsphilosophie zu ändern. ({10}) Wenn man das so niederlegt, ist man meiner Ansicht nach in der Defensive. ({11}) - Warten Sie es ab. - Man muss sich Folgendes vor Augen führen: ({12}) Wenn das, was Sie mit den Versorgern vereinbart haben, was wir geändert haben, weiterhin gelten würde, dann brauchten wir jetzt nicht über ein Moratorium, eine Änderung der Politik und all das zu diskutieren. Wir diskutieren darüber, weil Sie damals etwas anderes vereinbart haben. Das muss man einmal in aller Deutlichkeit sagen. ({13}) Wenn Sie jetzt wieder mit der Ausrede kommen, Sie hätten das kerntechnische Regelwerk auf den Weg gebracht, entgegne ich: Das war ein langer Weg; sieben Jahre regierte Rot-Grün. ({14}) Anschließend war Herr Gabriel Umweltminister. Jetzt, in der Erprobungsphase, kann man doch nicht sagen, dass Herr Röttgen daran schuld ist, dass das Ganze noch nicht in Gang gesetzt wurde. Das kann doch nicht wahr sein. ({15}) Ich sage Ihnen ganz offen: Das, was wir an dieser Stelle tun, ist richtig, und es ist auch richtig - ich sage das, weil die Ethikkommission hier kritisiert worden ist -, noch einmal über das Thema Restrisiko zu diskutieren. Welches Restrisiko ist gesellschaftlich akzeptiert? Darüber muss auch unter ethischen Gesichtspunkten diskutiert werden. Eines ist uns allen klar: Egal was wir an dieser Stelle tun, es wird ökonomische und ökologische Konsequenzen - Stichwort „Klimaschutz“ - haben. Noch etwas möchte ich unterstreichen: Unabhängig von der Frage, was bei dem Moratorium am Ende herauskommt, ist das entscheidend, was international passiert. Wenn sich an der Haltung zur Kernenergie auf internationaler Ebene nichts ändert, insbesondere nicht in Europa, werden wir keinen Gewinn an Sicherheit, aber einen Verlust an ökonomischer Unabhängigkeit haben. Vielen herzlichen Dank. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Ute Vogt für die SPD-Fraktion. ({0})

Ute Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002823, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Nüßlein, Sie haben Ihre Rede mit der Bemerkung begonnen, dass es Ihnen um Redlichkeit geht. Wenn es Ihnen um Redlichkeit gegangen wäre, hätten Sie mit einer Entschuldigung begonnen. Dann hätten Sie deutlich gemacht, dass Sie falsch gelegen haben ({0}) mit der ungeprüften Verlängerung der Laufzeiten, die Sie in Gang gesetzt haben. ({1}) Ich kann verstehen, dass Sie sich für solche oberflächlichen Entscheidungen in Grund und Boden schämen. Zur Politik gehört aber, dass man auch in solchen Augenblicken Haltung bewahrt und Demut zeigt, wo sie angebracht ist, und hier keine Märchenstunde abhält, was wir gerade bei Ihnen und Herrn Kauch erlebt haben. ({2}) Wissen Sie, Herr Kollege Nüßlein, das Atomkraftwerk Isar liegt auf einmal, seit dem 11. März 2011, in einer Einflugschneise. ({3}) Nun hat es auch Herr Seehofer gemerkt. Dabei wurde schon in der Anhörung am 21. Oktober 2010 deutlich, dass keines der älteren Kraftwerke gegen einen Absturz von Kleinflugzeugen gesichert ist. Gegen den Absturz großer Passagierflugzeuge haben wir erst recht keinerlei Absicherung. ({4}) Es war fahrlässig, falsch und nur Wirtschaftsinteressen geschuldet, dass Sie die Laufzeit verlängert haben. Das war ein unsinniger Beschluss. ({5}) Im Moment erleben wir, dass das Unwahrscheinliche, das Seltene alltäglich geworden ist. Gerade die Ereignisse, die nicht vorhersehbar sind, bewirken in unserer Welt oft die entscheidenden Veränderungen. Wir haben das am 11. September 2001 erlebt. Kein Mensch hat je mit einer solchen Gefährdung gerechnet. Jetzt haben wir das in Japan erlebt. Selbst wir, die wir immer schon gegen Atomkraftwerke gekämpft und uns gegen die Nutzung der Atomkraft eingesetzt haben, ({6}) haben nicht damit gerechnet - wir haben nicht damit rechnen wollen -, dass es so schnell zu einem Störfall dieses Ausmaßes kommen kann. ({7}) Wir müssen uns bewusst werden, dass wir eine Technologie in Gang gesetzt haben, hinsichtlich der ein Teil des Parlaments schon lange vorbereitet hat, aus ihr auszusteigen, weil erkannt worden ist, welche Gefährdungen sie birgt. Diese Technologie entzieht sich in einem Störfall jeglicher Kontrolle. Sie haben in der Art und Weise, wie Sie Ihre Regierungsverantwortung und die politische Verantwortung in die Hände der Atomlobby gegeben haben, im Grunde genommen einen Fall von beispielloser Verantwortungslosigkeit in politischen Entscheidungen gezeigt. ({8}) Den Geheimvertrag haben nicht die Ministerien mit den Betreibern von Atomkraftwerken ausgehandelt, sondern es haben Anwaltskanzleien der Betreiber von Atomkraftwerken mit einer Anwaltskanzlei, die den Auftrag der Bundesregierung hatte, verhandelt, um einen Geheimvertrag festzulegen. Ich sage Ihnen: Das kann doch wohl nicht wahr sein! ({9}) Wo, wenn nicht in der Bundesregierung, haben wir viele ausgezeichnete Juristen? Herr Staatssekretär Stadler wird das bestätigen können. Dennoch nutzen Sie eine Anwaltskanzlei für Geheimverhandlungen, und am Ende stellt sich heraus, dass diese auch schon für die Atomkonzerne tätig gewesen ist. ({10}) Das sind Folgen einer unglaublichen Wirtschaftshörigkeit, die Ihre Augen vor allen anderen Risiken verschließt. ({11}) Schauen wir uns jetzt einmal an, wie die Überprüfung der Sicherheit von Atomkraftwerken ablaufen soll. Wir haben uns schon ein bisschen die Augen gerieben, als es heute Morgen im Umweltausschuss hieß, dass auch der TÜV Süd wieder maßgeblich beteiligt ist, wenn es um die Überprüfung und die weitere Kontrolle der Sicherheit geht. Das Mitgliederverzeichnis des TÜV Süd, also das Mitgliederverzeichnis eines e. V., weist die EnBW, Vattenfall, Eon und andere aus. ({12}) Ich glaube, dass wir gut daran tun, jetzt nicht nur oberflächlich darüber zu diskutieren, was notwendig ist, sondern auch zu schauen, wem wir die Verantwortung überhaupt noch in die Hände legen können. Wir haben heute ein beispielloses Versagen von desinteressierten Landesministerien erlebt, und zwar am Beispiel von Baden-Württemberg, wo es im Umweltministerium kein vernünftiges Meldesystem gibt. Die Ministerin lässt sich bei diesem schwierigen Thema nicht etwa in regelmäßigen Abständen informieren; vielmehr sind es ausschließlich Beamte, die sich wöchentlich treffen, um über mögliche Vorfälle zu diskutieren. Wir haben außerdem erfahren, dass die Ministerin nur dann eingeschaltet wird, wenn tatsächlich etwas Gravierendes passiert. Ich sage Ihnen: Nach den Maßstäben, die in Baden-Württemberg angelegt werden, hat man den Eindruck, dass etwas Gravierendes am Ende allenfalls noch die Kernschmelze sein könnte. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Vogt, kommen Sie bitte zum Schluss!

Ute Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002823, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte Ihnen abschließend ein Zitat aus einer baden-württembergischen Zeitung vorlesen, die nicht unbedingt immer sozialdemokratische Politik befürwortet, nämlich aus den Stuttgarter Nachrichten. Diese Zeitung schreibt heute, wie ich finde, sehr treffend: Diskutiert, beraten und philosophiert wurde über die Atomkraft in den letzten 30 Jahren genug. Alle Argumente liegen auf dem Tisch. Angela Merkel muss etwas machen, was ihr gar nicht liegt: Sie muss sich festlegen. Jetzt sind politische Entscheidungen gefragt. Schwarz-Gelb muss Farbe bekennen, wohin die Reise in der Energiepolitik gehen soll.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Vogt, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen.

Ute Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002823, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich sage Ihnen: Wenn Ihre Kanzlerin für diese Entscheidungen zu feige ist, dann nehmen Sie als Parlamentier es in die Hand. Haben Sie Mumm! Zeigen Sie einmal Verantwortungsgefühl, und verabschieden Sie ein Abschaltgesetz! ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Brunkhorst das Wort. ({0})

Angelika Brunkhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003675, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach so viel Aufgeregtheit werde ich einmal versuchen, hier ein bisschen Ruhe hineinzubringen. ({0}) - Temperament hat damit gar nichts zu tun. Es hat damit zu tun, dass die Notwendigkeit besteht und dass man die Chance nutzen kann, den Bürgern draußen im Lande klar darzulegen, was alles im Moment im Hintergrund läuft und was getan wird; das wird hier ja völlig unter den Tisch gekehrt. ({1}) Wir alle haben uns dazu verpflichtet - Sie selbst auch -, aus dem Reaktorunglück in Fukushima Lehren zu ziehen. ({2}) Leider wissen wir heute noch nicht im Detail, wie groß die Schäden sein werden, welche Kontaminationen es gibt usw. Wir müssen die Ursachen und die Wirkungsketten kennen, wenn wir daraus Schlussfolgerungen für die Sicherheit der kerntechnischen Anlagen in Deutschland ziehen wollen. ({3}) Die Bundesregierung hat in Anbetracht der Umstände schnell gehandelt. Zwei Drittel der Bundesbürger befür11214 worten, dass die Bundesregierung das dreimonatige Moratorium verfügt hat. ({4}) Wir werden dieses Moratorium nutzen, um über die Sicherheitsannahmen und die Sicherheitsreserven intensiv und seriös nachzudenken. ({5}) An dieser Stelle ist festzuhalten - das kann man gar nicht oft genug tun -, dass deutsche Kernkraftwerke über ein hohes Sicherheitsniveau verfügen. ({6}) Das haben selbst die Kernenergiekritiker Gerhard Schröder und Jürgen Trittin im Ausstiegsbeschluss bestätigt. Wörtlich heißt es darin - ich zitiere aus dem Ausstiegskonsens -, dass die kerntechnischen Anlagen auf einem international gesehen hohen Sicherheitsniveau betrieben werden. Das ist die Formulierung der beiden Herren. An dieser Stelle möchte ich den Bürgern klar sagen - das haben wir nicht nur in der Vergangenheit gemacht, sondern das machen wir ständig -, dass im Rahmen von Änderungsgenehmigungen und periodischen Sicherheitsüberprüfungen sowie bei der laufenden Überwachung durch die zuständigen Aufsichtsbehörden in den Ländern das Sicherheitsniveau ständig überprüft wird. Dadurch wird die Sicherheit garantiert. Die Frage, die wir uns heute stellen wollen - an dieser Stelle hören Sie nie genau zu -, lautet: Gibt es Szenarien oder Ereignisse über unsere im Atomgesetz abgebildeten Sicherheitskriterien hinaus, die wir in Betracht ziehen müssen? Darüber müssen wir seit den Ereignissen in Japan nachdenken. ({7}) - Ich rede nicht nur von Terrorgefahren. Das ist für mich nicht unbedingt entscheidend. Das mag ja für Sie entscheidend sein. ({8}) - Das ist kein Problem. Es hat vielmehr mit der Frage zu tun, wie man die Risikofaktoren einschätzt. Das Bundesumweltministerium hat uns heute den Fahrplan im Umweltausschuss erörtert. Eine erste Ideenliste ist bereits vorgelegt worden. Die Staatssekretärin hat gesagt, dass bis zum Ende dieses Monats eine endgültige Prüffassung vorgelegt werden wird. Diese wird den Bundesländern zugeleitet. Die zuständigen Genehmigungsbehörden werden ihrerseits die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit beauftragen, konkrete technisch-wissenschaftliche Gutachten zu erstellen. ({9}) Diese Gutachten werden eine konkrete Grundlage zur Beurteilung jedes einzelnen Kraftwerks sein. Sollte diese Risikoanalyse ergeben, dass ein Kraftwerk den möglicherweise veränderten und erhöhten Sicherheitsanforderungen nicht entspricht, dann muss entsprechend nachgebessert werden. ({10}) Wenn sich das wirtschaftlich nicht darstellen lässt, dann wird man unter Umständen überlegen müssen, ob diese Kraftwerke weiter betrieben werden können. ({11}) - Ich denke, hier sind keine Fragen zugelassen. ({12}) An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf die Zwölfte Atomgesetznovelle mit dem neuen § 7 d zu sprechen kommen, weil Sie immer sagen, wir täten nichts für zusätzliche Sicherheit. In diesem neuen § 7 d wird erstmals eine aktive, dynamische Beteiligung der Betreiber eingefordert. Danach müssen die Betreiber, hinausgehend über das, was irgendwann einmal Stand von Wissenschaft und Technik war, die neuesten technischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse aufgreifen und aus eigener Initiative nachrüsten. Sie haben vorhin den Rat der Weisen ein wenig herablassend dargestellt. ({13}) Die Diskussionen in der Bevölkerung zu diesem Thema und die große mediale Aufmerksamkeit machen es geradezu notwendig, dass man alle gesellschaftlichen Gruppen abbildet. Beim Rat der Weisen handelt sich immerhin um hochrangige und anerkannte Experten. Ich finde, man sollte hier jetzt nicht so tun, als ob sie nichts zu sagen hätten. Es sind durchaus Personen dabei, denen Sie sonst den Rücken stärken. Tun Sie also bitte nicht so, als ob das alles nicht gewollt ist. Ich denke, die Bevölkerung wird es dankbar aufnehmen und froh darüber sein, nicht nur von Politikern, sondern auch von Persönlichkeiten aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen die Meinung zu hören. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Johanna Voß für die Fraktion Die Linke. Vizepräsidentin Petra Pau ({0})

Johanna Voß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004212, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man hört jetzt oft: Nur ein abgeschaltetes Atomkraftwerk ist ein sicheres Atomkraftwerk. ({0}) Wer aber wie ich aus Lüchow-Dannenberg, aus dem Wendland, kommt, der weiß es besser: Nur ein zurückgebautes Atomkraftwerk ist ein sicheres Atomkraftwerk. ({1}) Damit sind wir genau bei dem Punkt, der hier bislang ausgelassen wurde. Wenn die Regierungsparteien jetzt feststellen, dass die Sicherheitsanforderungen an Atomkraftwerke nicht ausreichen, stellen sich folgende Fragen: Wie sieht es denn bei den Zwischenlagern aus? Wie sieht es bei Atommülltransporten aus? Wie sieht es bei der langfristigen Lagerung radioaktiver Abfälle aus? Wer Atomkraft nutzt, produziert Atommüll, und zwar in riesigen Mengen. Jedes Jahr fallen in deutschen Atomkraftwerken rund 400 Tonnen abgebrannte Brennelemente an. Sie sind hochradioaktiv. Trotzdem gibt es beim Transport und bei der Lagerung nicht annähernd so hohe Sicherheitsanforderungen wie bei Atomkraftwerken, und das, obwohl auch die Sicherheitsanforderungen an AKW, wie es das BMU in dem erwähnten internen Papier festgestellt hat, viel zu niedrig sind. Japan zeigt uns, dass selbst zwischengelagerte Brennelemente das Potenzial für einen GAU haben. Auch dieses akute Problem gehört auf den Tisch. Dazu ein paar Fakten: Ein Castor-Behälter enthält über 1 000 Trillionen Becquerel. Anders ausgedrückt: Die Radioaktivitätsmengen von Gorleben betragen ein Zigfaches der bei der Tschernobyl-Katastrophe frei gewordenen Radioaktivität. Greenpeace sagt: Castoren sind nur unzureichend gesichert. Sie sind in der Nähe des Deckels und des Bodens ohne Abschirmung. Neutronenstrahlung kann an diesen Stellen ungehindert durchkommen. Prüfvorschriften sind so gestaltet, dass diese Mängel bei Castor-Behältern für Brennelemente nur teilweise, bei Castor-Behältern für Glaskokillen gar nicht erfasst werden. Diese Prüfvorschriften für den Transport und die Lagerung wurden von der dafür verantwortlichen Firma GNS entwickelt. Der TÜV und die zuständigen Behörden BfS und BAM haben sie unverändert genehmigt. Wir brauchen eine unabhängige Revision der Prüfvorschriften und in dieser Zeit einen Transportstopp für weitere Castoren. ({2}) Wenn Lobbygruppen Prüfvorschriften ausarbeiten, ist allein das ein Grund, nach diesen Vorschriften keine neue Genehmigung zu erteilen. ({3}) Aber es geht noch weiter. Bei Atomkraftwerken gilt: Die Radioaktivität im Reaktorinnern wird durch mehrere voneinander unabhängige Barrieren von der Umwelt abgeschirmt. Wird eine Hülle zerstört, kann die zweite eventuell noch schützen. Bei Atommüllzwischenlagern ist der Lagerbehälter die einzige Barriere. Sie allein soll ausreichen, den hochradioaktiven Müll von der Umwelt abzuschirmen. Ein fundamental wichtiges und international anerkanntes Sicherheitsprinzip wird hier ignoriert. Das dürfen wir nicht länger hinnehmen. ({4}) Auch die Hallen der Zwischenlager dienen nur dem Schutz vor Regen - das sind Kartoffelscheunen -, aber sie schützen die Bevölkerung keineswegs vor der ständigen Neutronenstrahlung. ({5}) Diese Strahlung geht die ganze Zeit von den Castoren aus - da braucht man sich nichts vorzumachen - und schädigt die Umwelt. Hinzu kommt: Ob ein Castor-Behälter überhaupt 40 Jahre hält - so ist es vorgesehen oder ob er nicht vielmehr porös wird und das Material durch die starke Strahlung zerfällt, wissen wir nicht. ({6}) - Es ist noch kein Castor 40 Jahre alt. Es ist noch keiner mit Glaskokillen oder abgebrannten Brennstäben 40 Jahre lang irgendwo gelagert worden. Wir fordern, dass die Sicherheitsanforderungen bei der Lagerung massiv verschärft werden. Auch hier muss das Prinzip der Mehrfachbarrieren gelten. Auch hier muss jedes Unfallszenario einkalkuliert werden. Ebenso müssen die Gefahren, die insbesondere durch die Niedrigstrahlung von Castor-Behältern ausgehen, neu bewertet werden. Dafür brauchen wir eine systematische Erfassung der durch Neutronenstrahlen verursachten Gesundheitsschäden, der Krebserkrankungen und der signifikant niedrigeren Geburtenrate bei Mädchen, die rund um Gorleben und rund um die Asse festgestellt wurde; dies wurde übrigens auch nach den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki festgestellt. Schließlich: Die Asse ist abgesoffen. Ebenso sind Gorleben und der Schacht Konrad als Standorte für ein sogenanntes Endlager bewiesenermaßen ungeeignet. Wir brauchen einen Schnitt. Wir brauchen ein Verfahren zur Auswahl eines Standortes für die sichere Lagerung von Atommüll. Hier brauchen wir ganz dringend Bürgerbeteiligung, Frau Heinen-Esser, und keinen Dialog. Die nationale Lagersuche muss beginnen: transparent, ergebnisoffen und mit Beteiligung der Bürger, aber nicht so, wie sie bisher gelaufen ist. ({7}) Mir wird immer wieder versichert, dass ein Atommeiler extrem sicher ist und 10 000 Jahre hält. Man muss aber weiterrechnen. Es gibt über 400 Atomkraftwerke auf der Welt. Das bedeutet: Im Schnitt gibt es alle 25 Jahre einen Unfall, einen GAU. Wir haben das erlebt; wir brauchten es aber nicht mehr. Denn wir hätten die Atomkraftwerke längst abschalten können, wir hätten längst umdenken können, und wir hätten uns längst auf die Suche nach einem sicheren Lager für abgebrannte Brennelemente machen können. Wir brauchen Schutz vor Flugzeugabstürzen, wir brauchen Schutz vor Naturkatastrophen, wir brauchen Schutz vor Terrorangriffen, wenn wir in unserem Land Atomkraft nutzen. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Es darf kein weiterer Atommüll produziert werden. Deswegen gilt: AKW abschalten, und zwar alle, unumkehrbar und ohne weiteres Hinauszögern! Mehr Atommüll können und dürfen wir uns nicht leisten. Danke schön. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Voß, das war Ihre erste Rede im Hohen Hause. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg für Ihre weitere Arbeit. ({0}) Für die Unionsfraktion hat die Kollegin Dr. Flachsbarth das Wort. ({1})

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wirklich gut, dass es in diesem Parlament ein paar Abgeordnete gibt, die schon immer alles wussten schade nur, dass der Erkenntnisprozess und konkretes politisches Handeln oftmals auseinanderfallen. ({0}) Liebe Frau Kollegin Voß, vielen Dank für Ihre bedenkenswerten Worte, die Sie zur Zwischenlagerung und zu Castor-Transporten vorgetragen haben. Das waren allerdings keine Erkenntnisse, die wir erst in den letzten Jahren gewonnen haben, sondern diese Fragen stellen sich schon seit Jahrzehnten. Wir sollten gemeinsam daran arbeiten - hier bin ich ganz bei Ihnen -, so schnell wie möglich ein sicheres Endlager für hochradioaktive Abfälle zu finden. Wenn zumindest dies bei dieser Debatte herauskommen würde, wäre das schon ein großer Erfolg. ({1}) Die objektive Sicherheitslage für Kernkraftwerke in Deutschland hat sich auch nach den Ereignissen in Japan ohne Zweifel nicht geändert. ({2}) Was sich geändert hat, ist die Bewertung des Restrisikos. ({3}) Sie hat sich deshalb geändert, weil wir aus den Ereignissen in Japan lernen mussten, dass sich Zwischenfälle ereignen können, deren Stärke, deren Dramatik und deren mögliche Häufung die Auslegung von Kernkraftwerken bezüglich ihrer Sicherheit infrage stellen können. Ich begrüße das Moratorium, nach dem die sieben ältesten deutschen Kraftwerke, die vor 1980 in Betrieb gegangen sind, vorübergehend vom Netz genommen wurden. In diesen drei Monaten soll die Sicherheit aller 17 Kraftwerke, nicht nur die der sieben ältesten, noch einmal grundlegend überprüft werden, und zwar nach Maßgaben, die die Reaktor-Sicherheitskommission neu erarbeitet. Die Reaktor-Sicherheitskommission ist eine Kommission, die den Bundesumweltminister berät. Trotz bester Kompetenz, Herr Kollege Miersch, können wir hier im Bundestag gar nichts ausrichten. Das müssen Techniker machen; das müssen Fachleute machen. Das können keine Politiker machen. Deshalb ist es selbstverständlich richtig, dass die Reaktor-Sicherheitskommission jetzt schaut, ({4}) wie denn die Sicherheitsmaßgaben in Bezug auf kumulative Ereignisse, auf die Größe von Schadensereignissen, auf Naturkatastrophen, Klimawandel, Cyberangriffe, terroristische Gefahren usw. ausgelegt sind. Heute Morgen ist uns im Umweltausschuss mitgeteilt worden, dass das neue Prüfkonzept bis Ende kommender Woche konkretisiert wird und dass danach die Untersuchungen im Hinblick auf diese Punkte beginnen. Das begrüße ich ausdrücklich. Darüber hinaus ist eine Ethikkommission unter der Leitung des ehemaligen Umweltministers Klaus Töpfer und des Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor Matthias Kleiner, eingesetzt worden, in der auch Vertreter der energieintensiven Industrie, von Gewerkschaften, Kirchen und weiteren gesellschaftlich relevanten Gruppen mitwirken. Auch dafür gab es schon viel Häme. Ich will sagen, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen: Ende der 60er- bis Mitte der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts gab es einen gesamtgesellschaftlichen Konsens darüber, dass Kernenergie ein wichtiger Baustein für die Energieversorgung in Deutschland sei. Man plante sogar bis zu 50 neue Kernkraftwerke. ({5}) - Nun hören Sie doch zu und brüllen Sie nicht herum! Damit kommen wir bei der Lösung dieser Problematik keinen Schritt weiter. ({6}) Ich bin davon überzeugt, liebe Kolleginnen und Kollegen auf allen Seiten des Hauses: Wir brauchen auch heute wieder einen gesamtgesellschaftlichen Konsens über Energiepolitik in diesem Lande; ({7}) denn Energiepolitik ist die Grundlage für den Industriestandort Deutschland. Das wiederum ist die Grundlage für den Wohlstand in Deutschland. Wir stehen jetzt vor ganz neuen Herausforderungen, aber natürlich auch vor neuen Chancen. Wichtig ist mir auch der Gesamtzusammenhang im Hinblick auf die Novelle zum EEG im nächsten Sommer. Wichtig ist für mich, dass wir jetzt an die Bundesregierung die dringende Bitte richten, ({8}) auf der Grundlage des Energiekonzeptes den Ausbau von erneuerbaren Energien, den Ausbau von Netzen, von Speichern, auch im Hinblick auf Elektrolyse und auf erneuerbares Methan, zu konkretisieren und zu beschleunigen. Aber wir müssen alle wissen - deshalb bitte ich um diesen Grundkonsens -: Auch dies wird keine Harmonieveranstaltung: nicht bezüglich des Ausbaus von Netzen, nicht bezüglich des Ausbaus von Speichern und auch nicht bezüglich des Zubaus von Anlagen zur Gewinnung von erneuerbaren Energien. Wir kennen doch die Stichworte: in Bezug auf Wind die Verspargelung der Landschaft, in Bezug auf Biomasse die Vermaisung der Landschaft, in Bezug auf Geothermie die Angst vor seismischen Ereignissen und auch die Angst vor radioaktiver Bedrohung, in Bezug auf Wasserkraft die Durchlässigkeit der Flüsse. Wir kennen das doch alles. Meine Damen und Herren, ich würde uns sehr dringend zu einer Versachlichung der Debatte raten. Ich hoffe, dass es dazu kommt, wenn sich der Pulverdampf der Wahlkämpfer am nächsten Wochenende verzogen hat. ({9}) Energiepolitik bleibt ein hochemotionales Thema. Wir können dieses Thema missbrauchen, um uns gegenseitig politisch vorzuführen. Aber ich glaube nicht, dass das der Zukunft dieses Landes tatsächlich dient. Vielen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Lambrecht für die SPDFraktion. ({0})

Christine Lambrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Flachsbarth, ich kann Ihnen versichern, dass ich in dieser Diskussion sachlich bleibe. Aber ich kündige an: Ohne Emotionen geht es ganz bestimmt nicht. Das hat damit zu tun, dass ich aus dem Wahlkreis komme, in dem Biblis liegt. Sie können sich vorstellen, wie hoch angesichts der Situation die Emotionen da im Moment schlagen. Aber das hat auch etwas damit zu tun, welche Argumente in dieser Debatte vorgetragen werden. Es ist nicht zu fassen, welche dreisten, unverschämten Angriffsversuche von der CDU/CSU uns gegenüber gestartet werden. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Ich habe Herrn Nüßlein so verstanden, dass Sie quasi gezwungen waren, eine Laufzeitverlängerung vorzunehmen, weil wir nicht sofort aus der Atomenergie ausgestiegen sind. Ist das verkehrte Welt, oder wie habe ich das zu verstehen? ({0}) Das ist doch nichts anderes als ein kläglicher Versuch, Ihre Rolle rückwärts jetzt noch mit irgendwelchen Argumenten zu begründen. ({1}) Sie wissen, dass Sie mit dem Rücken zur Wand stehen; denn die Bürgerinnen und Bürger haben nicht vergessen, dass Sie es waren, die angesichts ganz vieler Vorfälle und angesichts ganz vieler bekannter Umstände im letzten Jahr die Laufzeitverlängerung beschlossen haben. Deswegen versuchen Sie jetzt, uns nach dem Motto: „Angriff ist die beste Verteidigung“ an die Wand zu stellen. Das wird Ihnen nicht gelingen. Das sehen Sie auch an den aktuellen Umfrageergebnissen. ({2}) Es ist zutreffend, dass 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger es begrüßen, dass Sie jetzt aussteigen bzw. die acht ältesten Atomkraftwerke abschalten und die anderen überprüfen wollen. Aber auch diese Wahrheit gehört dazu: 80 Prozent kaufen Ihnen das nicht als ehrliche Position ab, sondern sehen das als nichts anderes als ein Wahlkampfmanöver an, was es auch ist. ({3}) Lassen Sie mich jetzt noch auf ein paar Argumente eingehen, die in der Debatte schon genannt worden sind. Herr Nüßlein, Sie haben gesagt: Wir alle sind uns darüber einig, dass es ein Ende der Atomkraft gibt und es nur noch darum geht, wann dieses Ende eintritt. - Ich habe nicht den Eindruck, dass wir diesen Konsens hier in diesem Haus haben. Mein Wahlkreiskollege von der CDU hat noch im Jahre 1998 gefordert, dass es in Biblis nicht nur die Blöcke A und B, sondern auch noch einen neuen Block C geben soll. Von wegen Konsens! Das müssen Sie sich einmal vorstellen. Es gibt in Ihren Reihen überhaupt keinen Konsens darüber, dass es tatsächlich ein Ende der Atomkraft gibt. Frau Flachsbarth, Sie sagen, wir müssen jetzt darüber nachdenken, welche zusätzlichen Ereignisse, Umstände hinzukommen können, aufgrund derer man bei dem einen oder anderen Kraftwerk jetzt vielleicht neue Sicherheitsmaßnahmen auf die Beine stellt. Ich will Ihnen einmal Folgendes sagen: Das Kraftwerk Biblis liegt in der Einflugschneise des Frankfurter Flughafens. Das ist bekanntermaßen kein Regionalflughafen, sondern ein internationales Drehkreuz. Spätestens seit dem Jahr 2001, ({4}) spätestens seit den terroristischen Angriffen, wird darüber auch ganz intensiv diskutiert, da gerade dieses Kraftwerk nicht gegen Flugzeugabstürze - noch nicht einmal gegen Abstürze von kleinen Flugzeugen - gesichert ist. ({5}) - Sie können sich die Protokolle von 2001 einmal anschauen. Sehen Sie sich doch einmal an, wer 2001 in Hessen regiert hat. ({6}) Ich weiß ganz genau: Seit 1999 haben wir in Hessen nicht mehr regiert. ({7}) Wir versuchen gebetsmühlenartig, darauf hinzuweisen, dass dieses Kraftwerk allein schon wegen dieser Gefährdung abgeschaltet werden muss. ({8}) Herr Kauch, Sie sagen: Wir müssen jetzt einmal über Sicherheitspuffer nachdenken. Es gibt ganz interessante Vorschläge dazu. Ein Vorschlag ist zum Beispiel: Lasst uns doch um das Atomkraftwerk Biblis Windräder bauen. - Das soll nicht etwa geschehen, um erneuerbare Energien zu gewinnen, nein, der Vorschlag bezweckt: Wir bauen Windräder um das Atomkraftwerk, damit sich abstürzende Flugzeuge darin verheddern. ({9}) - Darüber wird gelacht. Der Vorschlag ist aber gemacht worden, und er kam zu dieser Zeit nicht von irgendwem, auch nicht von einem Kabarettisten, sondern vom damaligen FDP-Fraktionsvorsitzenden im Hessischen Landtag, Herrn Hahn, der heute Justizminister ist. ({10}) Dies zeigt, mit welchem Zynismus Sie diese Themen angehen. Ich habe nur noch darauf gewartet, dass er sagt, man solle auch noch Sonnenkollektoren aufstellen, damit man die Piloten blenden kann. ({11}) Wenn die Situation nicht so schlimm und schwierig wäre, könnte man wirklich darüber lachen. Das ist der Zynismus, den Sie hier an den Tag legen. Sie sagen, wir hätten die Standards in Bezug auf die Sicherheitsanforderungen abgesenkt, während Sie im letzten Jahr bei der Verlängerung der Laufzeiten alles ganz groß aufgebaut hätten, sodass es jetzt sicher sei. Lassen Sie mich mit Erlaubnis der Präsidentin noch ganz kurz etwas aus einem Brief von Herrn Schmalfuß, Justizminister in Schleswig-Holstein, zitieren, der zu dieser Bewertung des § 7 d schreibt: Für gänzlich inakzeptabel halte ich die von Ihnen geplante und regelungstechnisch auch in § 7 d AtG verankerte Einschränkung des Rechtsschutzes Dritter. Das Bundesverwaltungsgericht hat gerade im Urteil vom 10. April 2008 zum atomaren Standortzwischenlanger Brunsbüttel in wünschenswerter Klarheit ausgeführt, dass das Risiko terroristischer Anschläge - und damit eben auch Abstürze von Flugzeugen grundsätzlich der Schadensvorsorge zuzurechnen ist und Dritte auch insoweit subjektive Rechte geltend machen können. Ich halte es für einen umweltrechtlichen, umweltpolitisch sowie verfassungsrechtlich und rechtspolitisch verfehlten Rückschritt, - merken Sie sich das gut! wenn Sie nunmehr qua Gesetz trotz entgegenstehender Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes in existente Rechtspositionen Dritter eingreifen wollen. Das ist die exakte Bewertung des von Ihnen zitierten § 7 d Atomgesetz. Es geht nicht um ein Mehr an Rechten, sondern um einen Rückschritt. ({12}) Hören Sie auf mit diesen Nebelkerzen, und fangen Sie an, sich der ganzen Situation endlich einmal sachgerecht zu widmen - durchaus mit Emotionen -; denn das ist ein Thema, das die Menschen bewegt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin Lambrecht, ich wollte gerne das vollständige Zitat zulassen. Das heißt aber nicht, dass wir die Redezeit verlängern. Schauen Sie bitte auf die Uhr und kommen Sie bitte zum Schluss! ({0})

Christine Lambrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich komme zum Schluss. Lassen Sie uns diese acht derzeit abgeschalteten alten Kraftwerke dauerhaft abschalten. Der Kraftwerksbetreiber von Biblis verkündet heute schon, dass er die drei Monate abwarten wird, dass er aber selbstverständlich davon ausgeht, dass es danach wieder hochgefahren wird. Wir werden Sie beim Wort nehmen und nachhalten, ob Sie in dieser Frage endlich Konsequenzen ziehen. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Obermeier für die Unionsfraktion. ({0})

Franz Obermeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003201, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Japan ist von einer der schlimmsten Naturkatastrophen seit Menschengedenken betroffen. Ein schweres Erdbeben und ein gewaltiger Tsunami auf einer Strecke von über 1 000 Kilometern haben die Küste auf einer Breite von 10 Kilometern und mehr verwüstet. Frankreich macht Hilfsangebote an Japan. Die USA helfen vor Ort. Russland bietet Hilfe für verstrahlte Menschen und Obdachlose an. Was machen wir? ({0}) Die Opposition nutzt die Aktuelle Stunde für ihr Geschrei und führt einen Veitstanz auf. ({1}) - Herr Solar-Kelber, Sie nutzen diese Gelegenheit hier als Theater, statt gemeinsam und in aller Ruhe darüber zu diskutieren, welche Bedeutung das Ganze für unsere Energiepolitik in Deutschland hat. ({2}) Als ob die zwei verheerenden Ereignisse nicht reichen würden, kommt es bei den Kernkraftwerken noch zu Ausfällen der Notfalleinrichtungen. Die Notstromversorgung funktioniert nicht. Kolleginnen und Kollegen, es wäre angebracht, dass wir mit einer gewissen Demut über dieses Thema reden, ({3}) weil wir noch nicht wissen, woran es gelegen hat, dass die Sicherungseinrichtungen ausgefallen sind. Das wissen wir bis zum heutigen Tag nicht. Trotzdem tun viele von uns so, als könnten sie Rückschlüsse auf die Sicherheitstechnik in Deutschland ziehen. ({4}) Wenn wir in der Frage einen Konsens anstreben wollen, dann müssen wir die Ursachen, die zu dem Desaster in Japan geführt haben, gründlich analysieren und einen Vergleich zwischen der Sicherheitstechnik in Japan und in Deutschland ziehen. ({5}) Ich verspreche Ihnen: Wir werden zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Ich will nicht sagen, dass wir so weitermachen sollen wie bisher. ({6}) Ich bin davon überzeugt, dass wir auf Grundlage der Bewertung der Ereignisse in Japan zu neuen Kriterien kommen werden, die ohne jeden Zweifel zur Folge haben können, dass die infrage stehenden Kernkraftwerke abgeschaltet bleiben und möglicherweise weitere vom Netz gehen werden. Wir dürfen aber keinen Vergleich zwischen den Verhältnissen in einem akuten Erdbebengebiet mit einem drohenden Tsunami und den Verhältnissen in Mitteleuropa ziehen. Hier gelten andere Kriterien. Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Bemerkung an die Kollegin Ute Vogt richten. Frau Vogt, ich empfehle Ihnen dringend ein Gespräch mit Altbundeskanzler Helmut Schmidt. ({7}) Ihnen ist völlig entgangen, dass die allermeisten Kernkraftwerke in der Regierungszeit der SPD genehmigt und gebaut wurden. ({8}) Sie stellen sich hierhin und informieren die Öffentlichkeit völlig falsch. Nach Ihrem Slogan müsste man sagen: Sie lügen. ({9}) Ich sage das nicht. Aber Sie haben hier Dinge erzählt, die nichts mit der Wahrheit zu tun haben und völlig falsch sind. ({10}) Das Einzige, was bei Ihnen gestimmt hat, ist die Lautstärke, aber sonst nichts. Herzlichen Dank. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Paul für die Unionsfraktion. ({0})

Dr. Michael Paul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Vorgänge in Japan sind ernst. Sie sind sicherlich viel zu ernst, um daraus ein innenpolitisches Süppchen zu kochen. Ich sage in aller Ernsthaftigkeit: ({0}) Gerade Sie, meine Damen und Herren von der Linken, haben in diesem Haus die geringste Berechtigung, über die Sicherheit der Kernenergie in Deutschland zu sprechen. ({1}) Schließlich war es die SED - die Partei, aus der Sie hervorgegangen sind -, die für den Bau von Schrottreaktoren in Deutschland verantwortlich war. ({2}) Sieben Blöcke sowjetischer Bauart haben Sie in Deutschland in Betrieb genommen. Alle wurden 1990 wegen Sicherheitsdefiziten vom Netz genommen. ({3}) Erzählen Sie also den Menschen in diesem Land nichts von nuklearer Sicherheit! Meine Damen und Herren von SPD und Grünen, auch Sie kann ich heute nicht verschonen. Sie haben schon vor zehn Jahren jede Legitimation verloren, um in Fragen der Sicherheit ernst genommen zu werden. ({4}) Sie wollten mit dem von Herrn Trittin und Herrn Schröder im Jahr 2001 unterzeichneten Deal, ({5}) den Sie mit der Industrie geschlossen haben, die deutschen Kernkraftwerke um bis zu 20 Jahre weiter laufen lassen. Dabei haben Sie die Sicherheitsanforderungen eingefroren, nur damit Ihre industriellen Partner von den Kosten der Nachrüstung verschont bleiben. Das ist doch die Wahrheit. ({6}) Es ist vollkommen richtig, dass wir nach einem solchen schweren Unfall wie in Japan innehalten, die Erkenntnisse auswerten und alle Reaktoren in Deutschland auf den Prüfstand stellen. Dazu werden wir das dreimonatige Moratorium nutzen. Bei dieser Prüfung kann es aber aus meiner Sicht nicht nur darum gehen, einzelne Szenarien, die bisher betrachtet wurden, zahlenmäßig zu verändern, also beispielsweise statt das stärkste Erdbeben der letzten 10 000 Jahre nun das stärkste der letzten 100 000 Jahre in Betracht zu ziehen; denn jede Zahl, die man bei solchen Szenarien einsetzt, ist letztlich willkürlich. Vielmehr muss es darum gehen, die Sicherheitsreserven der Anlagen darauf zu untersuchen, ob Situationen, wie sie nach Naturkatastrophen und anderen Ereignissen entstehen können, zum Beispiel der Fall eines totalen Stromausfalls im Kernkraftwerk, den sogenannten Station Blackout, den wir auch in Japan erleben mussten, überstanden werden können, ohne dass Menschen in diesem Land von radioaktiver Strahlung verletzt oder getötet werden. Diese Sicherheitsreserven müssen wir systematisch untersuchen und gegebenenfalls verbessern. ({7}) Wir werden aber auch grundsätzlich einen neuen, ergebnisoffenen gesellschaftlichen Diskurs über die Frage führen, welches Risiko wir hier in Deutschland bereit sind zu tragen. Hier wird die Ethikkommission sicherlich einen wichtigen Beitrag leisten. Dabei darf sich die Diskussion meiner Meinung nach aber nicht nur auf eine einzige Technologie beschränken; denn es geht um die Gesundheit und das Leben der Menschen in diesem Land. Beides kann nicht nur durch die Kernenergienutzung gefährdet werden. Vielmehr gehen wir in einem Industrieland wie Deutschland mit vielfältigen Risiken um. Wir haben allein über 2 000 Industrieanlagen, in denen mit gefährlichen oder sogar sehr gefährlichen Stoffen umgegangen wird. Über die Frage, welche Risiken wir in unserem Land hinnehmen, können wir ehrlich - nicht isoliert, nur hinsichtlich der Kernenergie - diskutieren. Außerdem müssen die Fragen, die wir zuletzt bei der Erarbeitung des Energiekonzepts in den Mittelpunkt gestellt und beantwortet haben, einbezogen werden. ({8}) Denn die Fragen sind richtig: Wie können wir sicherstellen, dass wir auch in Zukunft keine Stromausfälle haben? Wie können wir die Preise für Energie für die Bürgerinnen und Bürger und auch für unsere Industrie auch in Zukunft bezahlbar halten? ({9}) Wie erreichen wir unsere anspruchsvollen Umweltund Klimaschutzziele? Wie finanzieren wir den Umbau des Energiesystems hin zu mehr erneuerbaren Energien? ({10}) Wie kommen wir in der Forschung weiter? Wie können wir den Netzausbau und die Entwicklung von Speichern voranbringen? Beides brauchen wir, wenn wir aus Sonne und Wind Strom erzeugen wollen. ({11}) Auch auf diese Fragen müssen wir in der anstehenden Diskussion Antworten geben; denn wir wollen auch in Zukunft in diesem Land in Sicherheit leben - und das mit einer hohen Lebensqualität. ({12}) Vielen Dank. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 24. März 2011, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.