Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/24/2004

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Wir setzen die Haushaltsberatungen - Punkt I - fort: a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2005 ({0}) - Drucksachen 15/3660, 15/3844 ({1}) b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2004 bis 2008 - Drucksachen 15/3661, 15/3844, 15/4326 Berichterstattung: Abgeordnete Dietrich Austermann Walter Schöler Anja Hajduk Dr. Andreas Pinkwart Ich rufe dazu Punkt I.13 auf: Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt - Drucksachen 15/4304, 15/4323 Berichterstattung: Abgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig Steffen Kampeter Bartholomäus Kalb Alexander Bonde Es liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau vor. Über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/4340, der sich auch auf den Einzelplan 04 bezieht, ist bereits bei Einzelplan 08 abgestimmt worden. Ich weise darauf hin, dass wir im Anschluss an die Aussprache über den Einzelplan namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache vier Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({3})

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Haushaltsdebatte gibt traditionell Gelegenheit, eine Bestandsaufnahme zu machen. Die Bilanz von Rot-Grün ist verheerend. Deutschland hat die höchste Staatsverschuldung und die geringste Investitionsquote der letzten 50 Jahre. In Europa sind wir Deutschen Wachstumsschlusslicht mit weiter fallender Tendenz. Auf Deutschland lastet ein ganz gewaltiger Schuldenberg, der vor allen Dingen die Zukunft unserer Kinder belastet: 1,4 Billionen Euro Gesamtschulden, 100 Millionen Euro Zinsen jeden Tag. Die Hälfte des Bundeshaushalts wird durch die Bedienung der Schulden und die Unterstützung der Rentenkassen aufgefressen. Für Investitionen in die Zukunft steht immer weniger Geld zur Verfügung. Diese Entwicklung ist so dramatisch, dass in der vergangenen Woche sogar der Bundesrechnungshof zum ersten Mal in seiner Geschichte weit über die Kritik an Misswirtschaft oder Verschwendung in Einzelfällen hinausgegangen ist. Ich zitiere den Präsidenten des Bundesrechnungshofs: „Die Schieflage ist so extrem, dass es einem den Atem verschlägt.“ ({0}) Es gibt offensichtlich auch noch verantwortungsvolle Genossen, Herr Bundeskanzler, die sich nicht nur um ihre Karriere, sondern um Deutschland Sorgen machen. Redetext ({1}) Ich kann nur feststellen: Engels hat kein Vertrauen mehr zu den Marxisten, die heute regieren. ({2}) Der Haushalt ist Murks. Das Vertrauen ist verspielt. Das Kapital ist vernichtet. ({3}) Deutschland sitzt in einer Schuldenfalle. Immer höhere Schulden bringen immer höhere Zinsbelastungen, die wieder über zusätzliche Kreditaufnahmen finanziert werden müssen. Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung am 14. März 2003 gesagt: Die Bundesregierung hält an dem Ziel fest, bis 2006 einen ausgeglichenen Bundeshaushalt zu erreichen. Wer soll Ihnen nach dem Zahlenwerk, das inzwischen vorliegt, und den Abschlüssen, die immer wieder auf den Tisch gelegt worden sind, noch glauben? ({4}) Das gesamtstaatliche Defizit ist in nur vier Jahren um 200 Milliarden Euro gewachsen. Mit über 17 000 Euro belasten die Schulden von Bund, Ländern und Kommunen jeden Bürger, ob alt oder jung. Allein im kommenden Jahr plant der Bund eine Bruttokreditaufnahme von 218 Milliarden Euro, wovon allerdings 195 Milliarden Euro zur Tilgung fälliger Schulden verwendet werden. Die sich aus dieser Rechnung ergebende Neuverschuldung beträgt rund 22 Milliarden Euro. Das sind weniger als die 40 Milliarden Euro, die als Zinsbelastung im Haushalt enthalten sind. Es müssen gigantische Summen am Kapitalmarkt gewälzt werden, um diese Belastung zu finanzieren. Sollte es in absehbarer Zeit zu einer spürbaren Erhöhung des Zinsniveaus kommen, wird sich der Bund bei einer durchschnittlichen Laufzeit seiner Kredite von nur vier Jahren - das ist vollkommen neu - einer nicht übersehbaren zusätzlichen Zinsbelastung aussetzen. Bei dem erwähnten gesamtstaatlichen Schuldenstand von 1,4 Billionen Euro sind die Verbindlichkeiten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Pensionskassen nicht mitgerechnet. Sie betragen nach Berechnungen von Professor Sinn 270 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes. Dieter Rampel, der Chef der HypoVereinsbank, berechnete diese Renten- und Pensionsverpflichtungen unlängst. Er hat gesagt: Betriebswirtschaftlich sauber bilanziert, stünden aus diesen Schulden pro Kopf der Bevölkerung 65 000 Euro in den Büchern. Wenn ich zu diesen 65 000 Euro die vorhin erwähnten 17 000 Euro hinzurechne, Herr Bundeskanzler, sind es 82 000 Euro Schulden pro Bundesbürger, die wir jedem neugeborenen Kind in die Wiege legen. ({5}) - Herr Benneter, für meine Enkel bedeutet das eine Belastung von 246 000 Euro, für die sie überhaupt nichts können. ({6}) Die werden mich fragen: Du warst damals im Bundestag, warum habt ihr das getan? Herr Bundeskanzler, auch Ihre beiden Kinder werden Sie fragen, wenn es so weit ist. Das ist für mich eine unverantwortliche Politik. ({7}) Ich kann nur sagen: Rot und Grün verschlechtern jeden Tag die Zukunftschancen unserer Kinder und unserer Enkel. Ich zitiere weiter aus Ihrer Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler: Wir brauchen Zukunftsinvestitionen statt Zinszahlungen. Das ist richtig. Das kann ich nur unterstreichen. Bloß: Worte allein reichen nicht. Heute muss der Bund - ich erwähne es noch einmal - Tag um Tag 100 Millionen Euro Zinsen zahlen. Diese Gelder stehen für Bildung und für Forschung und Technologie nicht zur Verfügung. Darunter leiden wir schmerzlich. Die Investitionsquote im Haushalt 2005 ist mit 9 Prozent geringer als je zuvor. So weit ist es mit der viel gepriesenen Nachhaltigkeit gekommen. Deutschland ist auf einem Irrweg. Wir erleben eine Art Argentinisierung unseres Landes. Argentinien war früher ein reiches Land. ({8}) Heute trauen seine Eliten ihrem eigenen Land nicht mehr und haben mit dem eigenen Land wenig am Hut. Herr Bundeskanzler, in Ihrer Regierungszeit hat sich die Kluft zwischen sehr reich und ganz arm ungeheuer ausgeweitet. Der Mittelstand geht vor die Hunde. ({9}) Auch das ist Realität: Unter Rot-Grün ist Deutschland ein Stück zu einer Bananenrepublik geworden. ({10}) In neun Bundesministerien wird wegen Korruption ermittelt. Im Verkehrsministerium geben sich die Staatsanwälte die Klinke in die Hand. 100 Verdachtsfälle auf Korruption hat die Regierung in einer Aufstellung für den Haushaltsausschuss selbst zugegeben. Das ist Tatsache unter Schröder und Fischer in unserem Land. ({11}) Sie sind ja nicht einmal mehr bereit, unsere Verfassung zu beachten, obwohl Ihnen Ihr Amtseid das vorschreibt. Der Nachtragshaushalt 2004 und auch der Haushalt 2005 verstoßen klar gegen das Grundgesetz, weil die Summe der Investitionen geringer ist als die Neukreditaufnahme. Wir werden dies - der Kollege Merz hat es gestern hier angekündigt - vor dem Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen. Ich sage noch einmal: Die Bundesregierung verspielt unser aller Zukunft. Schulden anzuhäufen ist zutiefst unmoralisch gegenüber künftigen Generationen. ({12}) An die Adresse der Grünen, die Nachhaltigkeit zum Ziel erkoren haben, kann ich nur sagen: Nachhaltigkeit erzeugt man nicht dadurch, dass man ein paar Schafe im Vorgarten hält und vielleicht noch Wolle spinnt, um daraus Socken selbst zu stricken ({13}) - so ging es bei den Grünen doch los; auf ihren Parteitagen war doch ständig das Geklapper von Stricknadeln zu hören -, ({14}) sondern Nachhaltigkeit besteht darin, dass man künftige Generationen nicht so stark belastet. ({15}) Wir wissen, dass auf Deutschland ein gewaltiger Wettbewerbsdruck lastet. Die Ursachen sind die EU-Osterweiterung, der europäische Binnenmarkt und die Globalisierung. Deutschland fällt im globalen Wettbewerb immer weiter zurück, statt die Herausforderungen anzunehmen. Im industriellen Kern unserer Wirtschaft gehen jeden Tag Hunderte von Arbeitsplätzen verloren. Die durch den sich vollziehenden Wandel bedingten Arbeitsplatzverluste seit 1991 sind dramatisch. So sind im Textilgewerbe 180 000, im Baugewerbe mehr als 1,1 Millionen, in der Metall erzeugenden Industrie 230 000 und in der Maschinenbaubranche fast 700 000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Insolvenzen, Massenentlassungen und Abwanderung in Niedriglohnländer - egal wann man die Zeitungen aufschlägt, man liest ständig neue Hiobsbotschaften. Ich nenne Ihnen die Stichworte Opel, VW und Karstadt. Das sind aktuell nur die bekanntesten Fälle. Aber, Herr Bundeskanzler, Sie beantworten die damit verbundenen Fragen nicht, wenn Sie sich in Unternehmerbeschimpfungen flüchten und nur vom Versagen des Managements reden. Schon jetzt werden Arbeitsplätze auch nach Bulgarien und Rumänien verlagert, weil die Aufnahme ja quasi vor der Tür steht. Das gilt ebenfalls für die Türkei: Sobald klar ist, dass der Beitritt dieses Landes unumkehrbar ist, wird es eine gewaltige Verlagerung von Arbeitsplätzen aus Deutschland in die Türkei geben; denn es gibt einen Wettlauf der Industrie um die billigsten Arbeitsplätze. Wenn ich manche Wirtschaftsführer reden höre - auch das macht mir Angst -, dann habe ich den Eindruck, dass sie erst zufrieden sind, wenn die Lohnnebenkosten und die Löhne bei null sind. Das wollen wir ganz bestimmt nicht; das will niemand von uns. ({16}) Am Horizont sind aber sehr große Gefahren zu erkennen. Nach einer Studie der TU München werden in den nächsten zehn Jahren 150 000 Arbeitsplätze jährlich in allererster Linie nach Osteuropa verlagert. Wir brauchen deswegen Reformen und eine Rückbesinnung auf ökonomische Grundwahrheiten. Viele haben geglaubt, dass der Weg, mit immer weniger Arbeit immer reicher zu werden, für die Deutschen quasi geschichtlich vorprogrammiert ist und dass die westlichen Industrieländer - wie von Zauberhand geleitet - den Weg in die Spaßgesellschaft und in ein Freizeitparadies gehen. Vergessen wurde dabei: Niemand kann die Gesetze der Ökonomie außer Kraft setzen. Das heißt, Wohlstand und soziale Sicherung gibt es nur als Ergebnis von Arbeit und Leistung. Das Wohlstandsniveau hängt vom Können des Einzelnen und natürlich auch von der Leistungsfähigkeit der Gesamtwirtschaft sowie von der vorhandenen Infrastruktur ab. In diesen Bereichen ist in Deutschland noch fast alles in Ordnung. Aber PISA lässt grüßen und zeigt, dass wir auch hier abfallen. Wir alle bekennen uns zum Sozialstaat und möchten ihn erhalten. Aber wir müssen ihn natürlich mit den gesamtwirtschaftlichen Möglichkeiten in Einklang bringen. Ich kann nur sagen: Sozial ist alles, was Arbeitsplätze schafft bzw. erhält. Mit kurzen Arbeitszeiten sind wir nicht wettbewerbsfähig. Ich möchte nicht alle statistischen Daten auflisten, die verdeutlichen, wie lange in den einzelnen Ländern gearbeitet wird. Nur so viel: In den USA arbeitet man - bezogen auf die tarifliche Arbeitszeit - im Durchschnitt circa 400 Stunden mehr als in Deutschland. Deutschland kann nicht mit immer weniger Arbeit immer wohlhabender werden. Die 35-Stunden-Woche war ein gewaltiger Irrweg. Es waren DGB und SPD, die diese Entwicklung vollkommen kritiklos vorangetrieben haben. ({17}) Herr Trittin, Sie sowie Ihre Freundinnen und Freunde sind wesentlich daran schuld, dass sich unser Land in die falsche Richtung entwickelt hat. ({18}) Früher hieß es bei Ihnen in den kurzen Pausen während des Strickens, der Strom komme aus der Steckdose. Sie haben sich inzwischen ein ganzes Stück durchgesetzt. Sie sind dabei, die sichersten Kernkraftwerke der Welt abzuschalten. ({19}) Sie vertreiben die energieintensiven Industrien. Dafür erfindet man immer neue Öko- und Windradsteuern. Mit dem so genannten EEG und Ähnlichem sind im Grunde Steuern für Spinnereien verbunden, die Ihrer Ideologie entsprechen, die aber an der wirtschaftlichen Wirklichkeit der Welt ein ganzes Stück vorbeigehen. ({20}) - Frau Göring-Eckardt, inzwischen braucht man keine Wissenschaftler, keine Soziologen mehr, um zu sehen, dass der Weg der 68er ein Irrweg war. Selbst die Schlagersänger amüsieren sich heute darüber. Es gab einen, der hat das Lied „Barfuß im Regen“ gesungen. Dieses Lied trifft jetzt eigentlich auf Rot-Grün zu. Der Sänger dieses Liedes hieß Michael Holm. Er kommt jetzt wieder. Er sagt über die 68er: Ökonomisch war 1968 ein Desaster, weil vergessen wurde, was die Basis dieses Landes war: dass wir Deutsche schneller, fleißiger und kreativer waren, dass wir uns viel mehr plagten als die anderen. Heute gilt das alles nicht mehr, der Speck der guten Jahre ist aufgebraucht. ({21}) Das ist das wirtschaftliche Erbe. Wie sieht das geistige Erbe der 68er aus? Traditionelle Werte wurden verachtet. Oskar Lafontaine - es gibt ihn noch immer - diskriminierte Disziplin, Fleiß und Leistungsbereitschaft als Tugenden, mit denen man auch ein KZ führen kann. ({22}) - Herr Schmidt, das war die Diskriminierung von Arbeit und Leistung. Ich sage das, auch wenn Sie es heute nicht mehr hören können, weil Sie von diesen saudummen Sprüchen, die es gegeben hat, inzwischen eingeholt worden sind. ({23}) Sie haben dem nicht widersprochen. Ihr alle habt vor „Lafo“ gekuscht. Ich meine, das Gegenteil ist richtig: Traditionelle Werte, nationale Identität, Zusammenarbeit und Bindung machen ein Volk stabiler, selbstbewusster und damit leistungsfähiger. ({24}) - Man hört Zwischenrufe bei der Übertragung leider nicht. Herr Poß, deswegen will ich das wiederholen: Sie haben von „Verlogenheit“ gesprochen. ({25}) Das fällt auf Sie zurück. Wenn Sie sagen, dass die Werte, die die Deutschen groß gemacht haben, Verlogenheit und Ähnliches sind, ({26}) dann ist das eine Schande. ({27}) Trotz Ihres Geschreis, Herr Poß, kann ich nur sagen: Die Menschen spüren im rauen Wind der Globalisierung und der Bedrohung durch Terror sowie religiösen Fanatismus, dass wir in Deutschland wieder Orientierung, ein Wertefundament brauchen; sonst funktioniert es auch im Ökonomischen nicht. Unser Volk ist, wie ich meine, eine Schicksalsgemeinschaft. Es war sein Schicksal, dass es sich politisch einmal eine Zeit lang falsch entschieden hat. Aber diese Schicksalsgemeinschaft entsteht natürlich aus einer gemeinsamen Geschichte - selbstverständlich im Schlechten wie im Guten -, aus einer gemeinsamen Sprache, aus einer gemeinsamen Kultur, aus einer gemeinsamen Tradition und auch aus unserer gemeinsamen christlichen Religion, die zumindest die Basis unseres Landes gelegt hat. Wir, die CDU/CSU, bekennen uns zu dieser nationalen Identität und zu einem selbstverständlichen Patriotismus, das heißt zur Liebe zu unserem Land. Ohne Liebe zu unserem Land können wir auch seine Probleme nicht lösen. ({28}) Eine Regierung ohne Vaterlandsliebe - sie stolpern nicht zuletzt deswegen von Problem zu Problem, weil Ihnen diese Liebe fehlt - ist nicht in der Lage, die Probleme dieses Landes zu lösen. ({29}) Herr Müntefering, ich habe irgendwo gesagt, dass diejenigen, die Deutschland heute führen, mit Deutschland nichts am Hut haben. Sie haben sich daraufhin betroffen gefühlt. Ich habe überhaupt nicht nur an Sie gedacht; Sie führen Deutschland nicht allein. Das hat sich an viele so genannte Intellektuelle, Journalisten, Kommentatoren, aber natürlich auch ein Stück an Rot-Grün gerichtet. Sie haben dann Frau Merkel aufgefordert, sich für diese - ich zitiere Sie - Unverschämtheit, die auf die deutsche Sozialdemokratie gezielt sei, zu entschuldigen. ({30}) Ich habe es aber überhaupt nicht auf die deutsche Sozialdemokratie bezogen. ({31}) Jetzt muss ich mich auch einfach einmal bedanken; das gehört, finde ich, dazu. Zwei Wochen später haben Sie den Beweis dafür geliefert, dass sich die deutsche Sozialdemokratie zu Recht hat angesprochen fühlen müssen, als Sie nämlich den 3. Oktober, unseren Nationalfeiertag, abschaffen wollten. ({32}) Das zeigt, dass Ihr Protest - vielleicht haben Sie es damals schon gewusst - blanke Heuchelei gewesen ist, Herr Müntefering. ({33}) - Auf Ihr Geschrei, gnädige Frau, habe ich schon gewartet. Es war kalkulierbar, dass das kommt. Deswegen habe ich die Geschichte extra noch einmal mitgebracht. Es ging um Folgendes: Da gab es kluge und weniger kluge Ratgeber. Einer der weniger klugen war Geißler. Er hat gesagt, man solle in Bayern Feiertage abschaffen. Aber da sind wir in Bayern ganz allergisch, weil das unsere Sache ist. ({34}) Wir sind trotz unserer Feiertage und unserer Traditionen immer noch sehr viel leistungsfähiger als andere Bundesländer. ({35}) Dann hat Edmund Stoiber gesagt: Wenn Heiner Geißler so sehr daran gelegen ist, dann stelle ich ihm anheim, als Bundestagsabgeordneter den Antrag zu stellen, den Tag der Deutschen Einheit als Feiertag aufzugeben oder ihn auf einen Sonntag zu verlegen. ({36}) Stoiber hat das nicht gefordert; er hat nur gesagt, dass er es Herrn Geißler anheim stellt. ({37}) - Entschuldigung! Hören Sie doch zu! Er hat einen klugscheißerischen Ratschlag mit einer entsprechenden Antwort zurückgewiesen. ({38}) Das ist seinerzeit auf Herrn Geißler und auf diejenigen, die das in Bayern gefordert haben, zurückgefallen. Das ist ein rhetorischer Kniff gewesen. Den wird man doch noch machen dürfen. ({39}) Obwohl wir Bayern am meisten natürlich von uns selbst überzeugt sind - das gilt selbst für uns Franken, die von den Bayern erobert worden sind -, haben wir nie etwas gegen Deutschland und gegen die deutsche Nation getan. ({40}) Herr Müntefering, es war Bayern mit Franz Josef Strauß, das gegen den Grundlagenvertrag geklagt hat, als Ihre Partei die Präambel des Grundgesetzes mit dem Wiedervereinigungsgebot ändern wollte. Auch das ist eine geschichtliche Wahrheit. ({41}) Sie sollten sich schämen, vor allem für den Fraktionsvorsitzenden oder stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Grünen; ich weiß gar nicht, wie viele ihr habt und wie das alles so funktioniert. ({42}) Jeder spricht für sich und alle sprechen gegeneinander. Jedenfalls will dieser famose Herr Ströbele - Herr Trittin will es, glaube ich, auch - den Feiertag am 3. Oktober durch einen islamischen Feiertag ersetzen. Mit Patriotismus hat das überhaupt nichts zu tun. ({43}) Dieser gescheiterte Anschlag auf unseren nationalen Feiertag wirft ein grelles Licht auf Rot und Grün. Ich bedanke mich beim Bundespräsidenten herzlich dafür, dass er ein klares Wort gesagt hat. Herr Bundeskanzler, ich hoffe nicht, dass Sie noch einmal auf die Idee kommen, diesen Feiertag abschaffen zu wollen. ({44}) Unser Land braucht - auch das ist eine Lehre aus der Geschichte - Partner und Vertrauen in aller Welt. Wir dürfen dieses Vertrauen nicht gedankenlos aufs Spiel setzen. Ich stimme Volker Rühe zu, der heute in einem Interview im „Handelsblatt“ sagt: Die deutschen Offiziere dürfen nicht aus den NATO-Stäben zurückgezogen werden, wenn es Planungen im Irak gibt. Das wäre höchst verheerend, wenn wir hier einen Sonderweg gehen. Unser Verhältnis zu den USA ist ungeheuer sensibel, etwas, was Sie umtreiben muss, etwas, was die Kraft von Fischer überfordert. Er ist heute ein Super-Genscher geworden. Damals gab es die Story: Zwei Flugzeuge stoßen über dem Atlantik zusammen; in beiden saß Genscher. - Genscher flog wenigstens noch immer über den Atlantik, während Fischer heute in der Welt umherreist, von Entwicklungsland zu Entwicklungsland, und um eine Schimäre kämpft. ({45}) Er sammelt Stimmen für einen Sitz im UN-Sicherheitsrat, obwohl er da nichts zu gebenedeien hat. Dazu kann ich nur sagen: Er hat auch nicht das nötige Geld und nicht die nötigen Mittel, um dort entsprechend mitwirken zu können. Weil wir schon über Werte reden, denke ich auch an die überzeugende Wiederwahl von Präsident Bush. Wir können uns den Präsidenten der Amerikaner nicht selbst aussuchen; das macht immer das amerikanische Volk. Die Amerikaner können sich unsere Regierung auch nicht aussuchen; wahrscheinlich hätten wir sonst eine andere. Aber das ist nun einmal so. Neben dem Rekordergebnis für den Präsidenten sollte uns auch die deutliche Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses bei stark gestiegener Wahlbeteiligung zu denken geben. Wenn das die Kommentatoren der öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland hätten verhindern können, hätten sie es getan. ({46}) Ich habe das alles von China aus verfolgt. Die Chinesen und auch Putin, der Freund von Herrn Schröder, hatten schon längst gratuliert, ({47}) als in den öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland immer noch davon gesprochen wurde, dass die Anwälte aufmarschierten, Ohio kippen werde und was weiß ich noch alles. Die Bundesregierung wird wahrscheinlich nach Burkina Faso irgendwann als Allerletzter gratuliert haben, weil man sich auf die Öffentlich-rechtlichen verlassen hat. Die deutschen Diplomaten, die die Bundesregierung in die Welt geschickt hat, sind ja teilweise auch nicht viel besser in Bezug auf ihre Einschätzung in dieser Frage. ({48}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ob Sie es hören wollen oder nicht: ({49}) In Amerika wäre es unvorstellbar, dass die Kandidatur eines gläubigen Katholiken für ein öffentliches Amt in der Form abgelehnt wird, wie es bei Rocco Buttiglione durch das Europäische Parlament geschehen ist. ({50}) Auch das ist eine Tatsache, die zeigt, wie sich bei uns das Koordinatensystem immer mehr verschiebt. All das ist nicht zum Vorteil unseres Landes. Ich meine, Vertrauen kann nur aus festen Wertevorstellungen erwachsen. Die Außenpolitik dieser Bundesregierung ist deswegen so schlimm, weil sie mit zweierlei Maß misst. Während Sie, Herr Bundeskanzler, gegenüber unserem Verbündeten USA immer mehr auf Distanz gehen, biedern Sie sich kritiklos bei Putin an. Als lupenreinen Demokraten, wie Sie es bei „Beckmann“ formuliert haben, sieht sich nicht einmal Putin selber. Eine solche Aussage würde ihn beleidigen. ({51}) Da sind Sie zu weit gegangen. Deswegen war es auch ein ganz grober Fehler - jetzt wird es ernst -, dass sich Deutschland, das nun einmal sehr nah an der Ukraine liegt, und die Europäische Union überhaupt nicht um die Ukraine gekümmert haben. ({52}) Sie, Herr Fischer, hätten bei Ihren Flügen rund um die Welt dort wenigstens ab und zu einmal eine Zwischenlandung machen können. ({53}) Es geht ja darum, ob die Ukraine eine West- oder eine Ostausrichtung wählt. Eine Westausrichtung der Ukraine liegt in ganz hohem Maß im deutschen Interesse. Eine starke ukrainische Demokratie mit einem westlich orientierten Präsidenten wollte die Mehrheit der Wähler in der Ukraine und diese liegt auch - ich sage das noch einmal - im Interesse Deutschlands. Wiktor Juschtschenko wird offensichtlich um seinen Wahlsieg betrogen. Ich finde es gut, dass es seit gestern endlich eine Erklärung von Herrn Fischer dazu gibt. Gestern ist es ihm eingefallen. Ich weiß nicht, ob seine Diplomaten geschlafen haben oder ob sie immer noch mit der Erteilung ungerechtfertigter Visa beschäftigt sind. Man löst die Probleme eines Landes nicht dadurch, dass man in ganz großem Stil rechtswidrig Visa erteilt. Ich komme noch zu diesem Thema. Herr Bundeskanzler, ich erwarte von Ihnen, dass Sie heute etwas zur Ukraine und zu dem, was dort abläuft, sagen. ({54}) Wenn man den Blick einseitig nur auf die Vollmitgliedschaft der Türkei richtet, weil man auf die Wählerstimmen der türkischstämmigen Deutschen schielt, ({55}) also allein dies zum Maßstab für die Interessenvertretung eines Volkes macht, dann liegt man in der Außenpolitik immer falsch. ({56}) Ich meine, die Vollmitgliedschaft der Türkei liegt nicht im Interesse unseres Landes; eine gute Partnerschaft liegt im Interesse unseres Landes. Eine aktuelle Studie des Osteuropa-Instituts München besagt, die angeblichen Vorteile einer Mitgliedschaft werden übertrieben und Risiken heruntergespielt. Wenn Sie den Aussagen des Osteuropa-Instituts nicht glauben, dann vertrauen Sie wenigstens Helmut Schmidt. Er hat gestern gesagt: Die europäischen Diplomaten lassen sich täuschen - er hat damit auch die deutschen gemeint -, weil sie nur Istanbul, Izmir oder Ankara kennen. Sie kennen aber Anatolien nicht. ({57}) - Man wird doch bei der SPD, verdammt noch mal, noch Helmut Schmidt zitieren dürfen! ({58}) Ich zitiere weiter Helmut Schmidt: Die Menschen werden kommen und bei der deutschen Sozialfürsorge um eine Wohnung nachsuchen, um einen Fernseher und ein Telefon. Er sagt auch, die Vorbereitungen für die Beitrittsverhandlungen würden zu eifrig betrieben. Der Hunderte Jahre alte Obrigkeitsstaat werde nicht in zwei Jahren eine Demokratie werden. ({59}) Außerdem bringt er zum Ausdruck: ökonomische Unterstützung ja, aber Freizügigkeit - das heißt Vollmitgliedschaft - nein. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchen die Integration der hier lebenden ausländischen Mitbürger, insbesondere der türkischstämmigen, ({60}) die den größten Anteil ausmachen, Herr Tauss. Aber diese Integration wird doch nicht geschehen, wenn immer mehr nachwandern, wenn sich immer mehr eine Parallelgesellschaft bildet, wie es jetzt auch von Ihnen beim Namen genannt wird. Wir sollten hier äußerst vorsichtig sein. Herr Bundeskanzler, ich habe heute mit großer Befriedigung registriert, dass Ihr Freund Präsident Chirac dabei ist, einen Meinungswandel zu vollziehen. Er sagt, die privilegierte Partnerschaft der Türken müsse ein Verhandlungsziel sein. Er äußert das natürlich auf Druck von Sarkozy, der sich jetzt aufmacht, Vorsitzender der UMP zu werden. Die Franzosen wissen, dass man nichts gegen die Mehrheit eines Volkes machen kann. Aber Sie wollen die Vollmitgliedschaft der Türkei gegen den erklärten Mehrheitswillen des deutschen Volkes erreichen, Herr Bundeskanzler. Das ist abzulehnen. ({61}) Werben Sie rechtzeitig vor dem 17. Dezember für die privilegierte Partnerschaft! Schaffen Sie keine Enttäuschungen bei unseren türkischen Freunden, ({62}) indem Sie Dinge versprechen, die Sie nicht halten können, und handeln Sie im deutschen und europäischen Interesse! ({63}) - Die Redezeit ist zu Ihrer Freude ({64}) leider nicht um, sondern ich darf weiterreden, auch wenn es Ihnen nicht gefällt. Wer zu uns ins Land kommt, der soll, wie ich meine, mit uns leben und nicht neben uns. Wir brauchen mehr Integration, wir brauchen mehr Gemeinsamkeit. Es ist ganz klar: Die Basis für die Verständigung muss die deutsche Sprache sein. Das haben wir im Juli 1998 vor der Bundestagswahl auf unserer Klausurtagung in Banz gefordert. Damals war es sensationell, so etwas zu äußern. Alle Schmutzkübel der Linken, von Rot und Grün, sind über uns ausgeschüttet worden, weil wir gesagt haben, wer in Deutschland lebt, soll Deutsch sprechen. Der Einzige, dessen Einstellung ein bisschen anders war, war Herr Schily. Er hat nach der Regierungsübernahme einen anderen Weg eingeschlagen. Er hat es richtig gemacht. Als es darum ging, ein moderneres Zuwanderungsrecht zu schaffen, hat er gesagt: Raus mit den Grünen aus den Verhandlungen! Dadurch ist der Kompromiss letztendlich möglich geworden. ({65}) Das war der richtige Weg, Herr Bundesminister Schily. Herr Bundeskanzler, wenn Sie die Kraft hätten, zu sagen: „Raus mit den Grünen aus dieser Regierung“, dann würde möglicherweise wieder eine ökonomische Basis für das Vorwärtskommen dieses Landes geschaffen. ({66}) Ich komme noch einmal zu dem Zuwanderungskompromiss. Schleuser, Terrorunterstützer und Hassprediger können jetzt endlich ausgewiesen werden. Sie sollten die Instrumente auch nutzen. Für Ausländer, die nach Deutschland kommen, werden Integrationskurse Pflicht, obwohl die Grünen lange dagegen waren. Ihr Traum von der multikulturellen Gesellschaft ist geplatzt. ({67}) Ich meine, dass Verstöße gegen die Integrationspflicht Folgen haben müssen. Wie schwer sich die Grünen mit unserem Land und seinen Traditionen tun, hat Herr Ströbele mit seiner Forderung nach einem islamischen Feiertag bewiesen. Das kann man gar nicht oft genug wiederholen. Der Prozess gegen den Chef einer ukrainischen Schleuserbande in Köln hat allerdings einen Skandal im Auswärtigen Amt an die Öffentlichkeit gebracht. ({68}) Während verhandelt worden ist, die Einwanderung nach Deutschland legal zu reduzieren, haben Sie, Herr Bundesminister Fischer, illegal die Schleusen aufgemacht; unter Ihrer Verantwortung, Herr Fischer, ist das geschehen. Sie können nur der beliebteste Minister sein, weil die Leute das nicht wissen. ({69}) Aber wir werden mit dem Untersuchungsausschuss dafür sorgen, Herr Bundesminister Fischer, dass die Leute das erfahren. Ich freue mich schon, wenn Sie einmal so vorgeführt werden, wie Sie immer versuchen, andere vorzuführen. ({70}) 2000 wurden die Konsulate angewiesen, Ausländern Einreisevisa zu erteilen, ohne alle gesetzlichen Voraussetzungen zu überprüfen. Das Kölner Gericht spricht von einem „Putsch gegen unsere Rechtsordnung“. Rund 5 Millionen Menschen sind mithilfe dieses Rechtsbruches nach Deutschland und in die europäischen Partnerstaaten eingeschleust worden, halten sich illegal in den europäischen Ländern auf und fördern dort Schwarzarbeit, Prostitution, Menschenhandel und andere kriminelle Machenschaften. Sie sind dafür der Zuhälter - wenn man so will -, Herr Bundesminister Fischer. ({71}) - Ich habe gesagt: wenn man so will. ({72}) - Ich weiß gar nicht, warum es diese große Aufregung gibt. Dieser Skandal und seine Hintergründe werden von einem Untersuchungsausschuss aufgeklärt. Wir werden Sie zur Ehrlichkeit zwingen. ({73}) Ein allerletzter Punkt. Herr Bundeskanzler, Sie haben das letzte Mal zu Beginn Ihrer Rede versucht, mich zu diskriminieren. Die Presse hat darüber geschrieben; meine Heimatzeitung hat es nachgedruckt. Deswegen habe ich Sie gestern gefragt: Wie wollen Sie es denn? Sie haben mir gesagt: Sie waren sonst immer lustig, nie peinlich. Da wir gerade bei „lustig“ und „peinlich“ sind, ({74}) will ich ein Bild präsentieren, das der Wirklichkeit entspricht. Ob es lustig oder peinlich ist, das überlasse ich dem Urteil aller geneigten Zuschauer und Zuhörer. Zu Beginn Ihrer Amtszeit, Herr Bundeskanzler, haben Sie noch persönlich für Armani und Brioni Modell gestanden. ({75}) - Das ist doch richtig, oder? - Wenn ich die „Bild“-Zeitung richtig gelesen habe, dann ist es so, dass jetzt Ihr Hund für Rossmann wirbt. ({76}) Ich weiß nun nicht, ob es lustig oder peinlich ist. Ich kann es nicht beurteilen. ({77}) Ich kann nur sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wir haben es mit einer Bundesregierung zu tun, die nirgends durchgängig glaubhaft ist und die das Vertrauen, das man in schwieriger Zeit in der Bevölkerung braucht, verspielt hat. Deutschland ist besser als diese Bundesregierung. Das gibt mir Hoffnung für die Zukunft. Danke schön. ({78})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir eine Bemerkung. Herr Kollege Poß, Sie haben den Redner der Verlogenheit geziehen. Herr Glos, Sie haben es für richtig gehalten, einen Minister als Zuhälter zu bezeichnen. ({0}) - Der kleine Nachtrag „wenn man so will“ macht es nicht besser. ({1}) Ich erteile Ihnen beiden einen Ordnungsruf und bitte sehr darum, dass wir uns in der weiteren Debatte mäßigen. ({2}) Nun erteile ich das Wort dem Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Gerhard Schröder. ({3})

Gerhard Schröder (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002078

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Zwiegespräch war anders. Michael Glos, Sie hatten mir versprochen, heute friedlich und sachlich zu sein. ({0}) - Nach seiner Auffassung war er es. ({1}) Aber ich glaube, da wird es unterschiedliche Auffassungen in Ihrer eigenen Fraktion geben. ({2}) - Nein? Das ist ja noch bedauerlicher. ({3}) Das zeigt, dass das Differenzierungsvermögen in Ihrer gesamten Fraktion außerordentlich unterentwickelt ist. Das wird sich heute noch zeigen. Ich möchte gerne zwei Punkte vorab richtig stellen, Herr Glos. Ich finde es zum einen nicht richtig, wie Sie Herrn Stoiber zitiert haben und dass Sie dann auch noch meinen, er habe nicht gemeint, was er gesagt habe. ({4}) Es ist ein typischer „Stoiber“ gewesen, nach dem Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. Das kennen wir von ihm. ({5}) Zum 3. Oktober würde ich Ihnen gern ein paar Dinge sagen, die andere betreffen; ich hoffe, ich zerstöre nicht deren Karrieren. Ich habe mir das herausgesucht und will es Ihnen mitteilen. Da gab es einen Sozialexperten, der sich in der „BZ“ vom 10. März 1994 zum 3. Oktober geäußert hat. Peter Ramsauer, ({6}) CSU-Sozialexperte: ({7}) Selbstverständlich müssen wir auch bereit sein, Feiertage zu streichen, beispielsweise den 1. Mai. Der 3. Oktober könnte auf einen Sonntag gelegt werden. Es darf keine Tabus geben. ({8}) Übrigens, Herr Singhammer, Sie wollen ja einen Karrieresprung machen. Ich will Ihnen deswegen auf dem Weg dorthin mitgeben, was Sie zu diesem Thema gesagt haben: Singhammer würde für die Mehrarbeit Feiertage opfern, keine kirchlichen zwar, aber weltliche wie den Tag der Arbeit oder den Tag der Deutschen Einheit. Über den 1. Mai und den 3. Oktober gibt es tatsächlich eine Diskussion, sagte der CSU-Abgeordnete. An die könnte man rangehen. ({9}) Meine Damen und Herren, ich erwähne das nicht, um diese Debatte weiterzuführen, ({10}) sondern ich erwähne das, damit Sie mit dem Patriotismusvorwurf etwas vorsichtiger umgehen. ({11}) Diejenigen, die derart im Glashaus sitzen, sollten nun wahrlich nicht mit Steinen werfen. Das geht, wie gezeigt, immer nach hinten los. ({12}) Ich komme zum zweiten Thema. Dies betrifft den sachlichen Gehalt - sofern einer vorhanden war - dessen, was Herr Glos zur Ökonomie gesagt hat. Wie urteilsfähig er in diesen Fragen ist, will ich gern mit Rückgriff auf eine andere Begebenheit erläutern. In einer der letzten Debatten über ökonomische Fragen, Herr Glos, haben Sie sich in ganz bestimmter Weise mit dem Außenwert des Euro beschäftigt. Sie werden sich erinnern: Er stand damals im Verhältnis zum Dollar bei 84 Cent. Da hat Herr Glos gesagt - das beweist seine Urteilsfähigkeit in ökonomischen Dingen -: Ich will jetzt gar nicht im Einzelnen darlegen, wie sich der Euro entwickelt hat. Gegenüber dem vietnamesischen Dong beträgt die Abwertung 21 Prozent, gegenüber dem dominikanischen Peso - es fliegen ja ungeheuer viele Leute in die Karibik - beträgt die Abwertung 19 Prozent. ({13}) Ich könnte Ihnen eine lange Liste nennen. Weiter sagte er: Ausschlaggebend ist also der Marktwert des Euro. Der Marktwert des Euro könnte besser sein, wenn wir in Deutschland, im wirtschaftlichen Herzland Europas, eine bessere Regierung hätten. ({14}) So viel zu Ihrer ökonomischen Urteilsfähigkeit. ({15}) - Ich will das jetzt im Zusammenhang vortragen; ich bin gerade so gut dabei. Sie werden das verstehen, Herr Glos. Der Euro - das macht mich wegen unseres Exportes durchaus besorgt - liegt jetzt im Verhältnis zum Dollar bei etwa 1,30. Worauf ist das entlang Ihrer ökonomischen Einsichten zurückzuführen? ({16}) Offenkundig darauf, dass die Regierung so ungeheuer gut ist, dass der Außenwert des Euro ständig steigt. Ich sage Ihnen aber: Das hat doch mehr mit der Situation auf den internationalen Finanzmärkten - übrigens in der einen wie in der anderen Richtung - zu tun als mit dem, was Sie prognostiziert haben. ({17}) Ich erwähne das hier nur, um das Publikum davon zu unterrichten, wie weit her es mit Ihrer ökonomischen Urteilsfähigkeit ist. ({18}) Ich würde angesichts dessen doch raten, sich damit zu begnügen, was der Sachverständigenrat der Bundesregierung zu diesen Fragen gesagt hat. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung - auch das sollte Thema dieser Debatte sein - hat sein Jahresgutachten unter das Motto „Erfolge im Ausland - Herausforderungen im Inland“ gestellt. Ich finde, dass das - darüber haben wir in dieser Debatte heute zu diskutieren - eine sehr gute, sehr zutreffende und solide Kennzeichnung der Lage der Nation sowohl im Hinblick auf das Ökonomische als auch das Politische ist. Die Frage, die wir hier zu debattieren haben - wir dürfen keinen Klamauk machen, wie Sie ihn eben vorgeführt haben -, ist doch wohl: Welche Beiträge können die Politik und die Gesellschaft schlechthin - dazu gehören sowohl Wirtschaft als auch Gewerkschaften - erbringen, um die Herausforderungen zu meistern, um die Chancen zu nutzen, um Erfolge zu haben? Das sollte der Kern der Debatte sein. ({19}) Anstatt diese Diskussion zu führen, haben wir von Ihnen vorhin nur das gehört - von Herrn Merz brillant, von Ihnen, Herr Glos, eher holzschnittartig vorgetragen -, was wir von Ihnen schon kennen. ({20}) In jedem Fall zeichnen Sie das Bild eines Deutschlands im Jammertal. Sie zeichnen ein Zerrbild des Landes. ({21}) Für Sie ist das Teil einer Machtauseinandersetzung in unserem Land. Das ist nachvollziehbar, Sie müssen aber bedenken, dass Sie mit der Zeichnung von Zerrbildern Deutschlands nicht nur erlaubte Machtauseinandersetzung betreiben, sondern Deutschland diskreditieren. Indem Sie Deutschland nach innen diskreditieren, tun Sie es naturgemäß auch nach außen. Das freut niemanden in Deutschland, das freut nur unsere Wettbewerber überall in der Welt. ({22}) Das sage ich vor dem Hintergrund der so genannten Patriotismusdebatte; denn wenn eines unpatriotisch ist, dann das eigene Land so schlecht zu reden, wie Sie es gegenwärtig tun, nur um Machtauseinandersetzung zu betreiben. ({23}) Auch insoweit halte ich es mit dem Sachverständigenrat, der zur Situation unter Textziffer 484 gesagt hat - ich zitiere -: Gegenwärtig besteht in Deutschland eine gewisse Tendenz zur Schwarzmalerei. Selbst das Positive, wie beispielsweise die verbesserte preisliche Wettbewerbsfähigkeit und die Ausfuhrerfolge, werden unter dem Menetekel vermeintlich drastischer und negativer Folgen für die heimischen Arbeitsplätze in düsteren Farben gemalt. Hierzu besteht alles in allem kein Grund. Wer alles nur noch schwarz sieht, verliert auch den Blick dafür, welche Wege zu beschreiten notwendig und lohnenswert sind. ({24}) Natürlich gibt es Licht- und Schattenseiten. Wir sollten aber auch über das reden, was gut gewesen ist und weiterhin gut ist. Wiederum zitiere ich den Sachverständigenrat: Mit einem Anteil von rund 10 v. H. wurde im Jahr 2003 fast wieder das Niveau erreicht, das zu Beginn der neunziger Jahre vorgelegen hatte. Es geht um den Export. Dies zeigt aber auch, was wir im Laufe der 90er-Jahre verloren haben. Wir haben das wieder aufgeholt. Das drückt aus, dass wir es in der Phase der Stagnation geschafft haben, Marktanteile in der Welt zu gewinnen und nicht zu verlieren. Dieser Prozess geht weiter. Die Exporterfolge dieses Jahres und die für das nächste Jahr erwarteten Erfolge werden wieder dazu führen, dass wir im Export Rekordernten einfahren können. ({25}) Das erwähne ich nicht, um in Anspruch zu nehmen, dass das allein auf die Politik der Bundesregierung zurückzuführen ist. Niemand wird das sagen können. Es muss aber erwähnt werden, weil dahinter eine Kraft der Volkswirtschaft steht und nicht eine Schwäche, wie Sie sie an die Wand malen. Was denn anderes als Kraft? ({26}) Im ersten Halbjahr 2004 ist der Export, bezogen auf das Rekordjahr 2003, noch einmal um 10 Prozent gestiegen. Das zeigt doch, dass wir, jedenfalls was unsere außenwirtschaftlichen Möglichkeiten angeht, auf dem richtigen Weg sind. Das muss und soll doch denjenigen Mut machen, die diese Leistungen in Deutschland erbracht haben. Für diese Leistungen sind doch nicht wir, sondern die Menschen draußen verantwortlich. Denen kann und muss man auch einmal sagen, dass wir auf diese Leistungskraft stolz sind. ({27}) Niemand wird angesichts dessen die Tatsache leugnen wollen, dass wir bei der Binnenkonjunktur leider noch nicht so weit sind, wie wir sein wollten und sein müssten. Das hat aber doch nichts damit zu tun, dass man das andere kleinschreibt. Bei der Binnenkonjunktur können Sie das an den steigenden Ausrüstungsinvestitionen sehen. Darüber hinaus können Sie das an der Tatsache erkennen, dass der private Konsum nicht mehr sinkt. Ich weiß zwar, dass er noch stagniert; das reicht mir auch noch nicht. Aber es ist die Basis für eine Verbesserung. Wenn Sie sich die Oktoberzahlen der Automobilindustrie anschauen und sich über die Orders, die dort eingehen, informieren, werden Sie feststellen können, dass wir den Trend nach oben stützen sollten, statt ständig das Gegenteil zu tun. Das geht doch nicht. Ein solches Vorgehen ist auch nicht patriotisch. ({28}) Vor diesem Hintergrund müssen und sollen wir auch über die Schattenseiten reden. Wir müssen uns dabei aber bemühen, sie zu überwinden. Natürlich ist die Arbeitslosigkeit zu hoch und natürlich gibt es noch zu wenig Ausbildungsplätze. Natürlich gibt es Strukturprobleme in den Unternehmen, die Sie genannt haben. Natürlich beunruhigt uns das, was bei Opel an Arbeitsplatzsicherung von den Beschäftigten erkämpft werden muss, und natürlich beschäftigt uns alle in Deutschland die Karstadt-Frage. Aber natürlich weiß auch jeder - niemand wird diskreditiert, wenn man das ausspricht -, dass es hier massives Missmanagement gegeben hat. Politik kann eben nicht alles richten, sondern kann nur und muss vernünftige Rahmenbedingungen setzen. Wir haben auf die Herausforderungen, die ich genannt habe, sehr wohl reagiert. Wir sind doch die Ersten gewesen, die mit der Agenda 2010 ein umfassendes Strukturprogramm vorgelegt haben, das die notwendigen Reformen eingeleitet hat, um die Schattenseiten in unserem Land, die es natürlich auch gibt - ich sage aber noch einmal: Es gibt sie nicht ausschließlich -, Schritt für Schritt zu überwinden. ({29}) Es war richtig, dass der Finanzminister gestern darauf hingewiesen hat, dass es diese Regierung, diese Koalition gewesen ist, die mit ihrer Steuerpolitik dafür gesorgt hat, dass - jedenfalls potenziell - mehr Konsummöglichkeiten vorhanden sind. Es werden 56 Milliarden Euro mehr für die Unternehmer und die Konsumenten zur Verfügung stehen, wenn die letzte Stufe der Steuerreform zu Beginn des nächsten Jahres in Kraft tritt. Das ist doch kein Pappenstiel, meine Damen und Herren, das ist eine Chance, die Wirtschaft nach vorn zu bringen. Diese Tatsache muss man einfach zur Kenntnis nehmen. ({30}) Über die ökonomisch vernünftige, aber auch sozial gerechte Ausgewogenheit dieses Steuerprogramms muss sich doch niemand, aber auch wirklich niemand Gedanken machen. Diese Koalition ist es gewesen, die den Eingangssteuersatz von 25,9 Prozent zu Ihrer Zeit auf 15 Prozent - ab 1. Januar 2005 - gesenkt hat. ({31}) Wir sind es gewesen - ich weiß, dass wir dafür von den Gewerkschaften und gelegentlich auch aus den eigenen Reihen stark kritisiert wurden -, die den Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf 42 Prozent - ab 1. Januar 2005 gesenkt haben. Unsere Steuerquote gehört zu den niedrigsten in Europa. Ich halte das für richtig. Aber wenn es richtig ist, dann muss man auch darüber reden und darf nicht das Gegenteil davon fordern. Wir haben dafür gesorgt, dass die Rentenbeiträge, die in Gefahr waren, auf über 21 Prozent zu steigen, bei 19,5 Prozent festgeschrieben werden konnten. Natürlich hat das schmerzhafte Einschnitte erfordert; das ist doch gar keine Frage. Natürlich hat das auch dazu geführt, dass Belastungen unvermeidlich gewesen sind. Diese Belastungen haben es uns im abgelaufenen Jahr politisch nicht einfach gemacht. Wir haben das aber durchgesetzt, weil es für die Zukunft Deutschlands notwendig ist und weil es patriotisch ist, das Land voranzubringen und es auf die neuen Gegebenheiten einzustellen. ({32}) Wir sind es doch gewesen - Walter Riester, mit dessen Namen diese Reform verbunden ist, sitzt ja dort ({33}) - ja, meine Damen und Herren, auch nach jahrzehntelangem Gezerre war niemand dazu in der Lage -, die neben der Umlagefinanzierung - die zwar wichtig bleibt, die die Finanzierung aber angesichts unterschiedlicher und differenzierter Erwerbsbiografien in Schwierigkeiten bringt - das System der Kapitaldeckung aufgebaut haben. Mehr als 4 Millionen Privatpersonen haben bisher davon Gebrauch gemacht. Mehr als 50 Prozent der aktiv Beschäftigten bekommen Betriebsrenten. Das sind Erfolge, die man nicht kleinreden darf; man muss sie deutlich machen. ({34}) Wir sind es doch gewesen, die die beklagenswerte Tatsache, dass die Menschen in der Vergangenheit zu früh in Rente geschickt worden sind - woran wir alle beteiligt waren -, geändert haben. Wir haben deutlich gemacht, dass wir das wollen - weil wir die Älteren unter uns aus materiellen Gründen, um der Menschen selbst willen länger in Beschäftigung halten müssen, als es jemals zuvor der Fall gewesen ist. Es macht wenig Sinn, über die Altersgrenze bei der Rente unter nominalen Gesichtspunkten zu reden. Nominal liegt sie bei 65 Jahren; das wissen wir alle. Real liegt diese Grenze aber bei 60 Jahren. Wenn wir es schaffen, die reale der nominalen Grenze um ein paar Jahre anzunähern, dann haben wir, was die Nachhaltigkeit des Rentensystems angeht, Erhebliches geleistet. Damit sollten wir uns in unseren Debatten beschäftigen. ({35}) Nun zur Gesundheitspolitik. Ich finde, dass die Maßnahmen, die wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben, wirklich ein Erfolg sind. Wir werden, was die Aspekte Transparenz und Markt angeht, zum Beispiel bei den Apotheken aktiv werden. Dazu wird die FDP sicherlich noch etwas sagen. ({36}) Wir wären gerne etwas weiter gegangen, was die Marktorientierung der Leistungserbringer angeht, ({37}) die - das glauben jedenfalls Sie - im Wesentlichen Ihre Klientel ist ({38}) und die Sie deshalb immer vor dem Markt zu schützen bereit sind; das ist ja das Problem, das wir haben. ({39}) Dieses Thema haben wir angepackt und unsere Maßnahmen wirken. Im ersten Halbjahr 2003 hatten die Kassen ein Defizit von 2 Milliarden Euro. Im ersten Halbjahr 2004 war von einem Überschuss in Höhe von fast 2,5 Milliarden Euro die Rede. Dieser Turnaround hat also eine Größenordnung von 4,5 Milliarden Euro. Das würde sich manches Unternehmen wünschen. Ich finde, dass die Gesundheitspolitik von Frau Schmidt erfolgreich ist. Sie ist standhaft geblieben und hat sie gegenüber den Interessengruppen durchgesetzt. Ich jedenfalls bin ihr dafür sehr dankbar. Das will ich Ihnen ganz deutlich sagen. ({40}) Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir haben den Menschen sagen müssen, dass wir eine neue Balance zwischen der solidarischen Absicherung bei Krankengeld und Zahnersatz und der Eigenvorsorge brauchen. Wir werden auch das durchsetzen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das wieder zu Unmut führen wird - darauf werde ich auch bei einem anderen Thema noch zu sprechen kommen -, aber vor diesem Unmut darf man nicht weglaufen. Man muss geduldig erklären, warum diese Maßnahmen im Interesse der Zukunftsfähigkeit unseres Landes sind und warum wir das, was wir machen, machen müssen. Wir müssen das tun, auch wenn es für diejenigen, die betroffen sind, manchmal bitter ist. Auch in der Arbeitsmarktpolitik gab es jahrelang Diskussionen. Aber diese Koalition ist es doch gewesen, die mit Hartz IV und den anderen Arbeitsmarktreformen für mehr Flexibilität gesorgt hat, was sie auch weiterhin tun wird. Diese Regierung sagt: Diejenigen, die heute Sozialhilfe bekommen, aber arbeitsfähig sind, erhalten das Arbeitslosengeld II - nicht nur, weil sie dadurch versorgt sind, sondern auch, weil sie nur dann die Leistungen der Bundesagentur für Arbeit in Anspruch nehmen und in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden können. Das ist der Zusammenhang. Wir wollen niemanden in ein anderes Versorgungssystem verschieben, sondern wir wollen durch diese Reform dafür sorgen, dass diejenigen, die arbeitsfähig sind, Arbeit bekommen ({41}) und die Arbeit, die zumutbar ist, auch annehmen müssen. Darum geht es uns. Eines ist klar: Wir werden noch harte Diskussionen über diese Reform, die Millionen von Menschen betrifft, durchzustehen haben. Das sage ich insbesondere denjenigen, die sich nicht in die Büsche schlagen können: meiner eigenen Fraktion und der Koalition. Natürlich wird das nicht einfach werden, es steht noch bevor, aber ich bin ziemlich sicher, dass wir das leisten können weil wir es leisten müssen. Die Einsicht, dass Reformen notwendig sind, wächst. Die Kluft, die bei Reformmaßnahmen in doppelter Hinsicht besteht, beginnt sich zu schließen: die Kluft zwischen der abstrakten Bereitschaft, Veränderungen mit zu tragen, und der abnehmenden Bereitschaft, wenn es konkret wird, wenn man selber betroffen ist; die Kluft auch zwischen den manchmal schmerzhaften Entscheidungen, die jetzt sein müssen, und den Erfolgen, die erst später eintreten werden. Diese Kluft schließt sich. Das ist der Grund dafür, dass die Menschen in Deutschland beginnen, den Reformprozess auch dort, wo er konkret wird und wo sie selber betroffen sind, nachhaltig zu unterstützen. Das ist eine Perspektive, die Mut macht, auf diesem notwendigen Weg weiter voranzugehen. ({42}) Ich kann mir natürlich nicht verkneifen, insoweit auch einmal darauf einzugehen, was von der anderen Seite des Hauses zu erwarten ist, und zwar in punkto Steuern und in punkto Gesundheit. ({43}) Wir haben ja eine Idee geschildert bekommen, die die Menschen in weiten Bereichen durchaus fasziniert hat, eine Idee, die mit dem Namen von Herrn Merz verbunden ist: die Steuererklärung gleichsam auf einem Bierdeckel aufschreiben zu können. Ich finde, die Frage der Vereinfachung hat natürlich etwas Faszinierendes in einem komplexen System, das für viele schwer durchschaubar ist und häufig nur noch von Experten wirklich in vollem Umfang durchschaut wird. Diese Idee ist natürlich faszinierend. Aber was ist aus der Idee - ich unterstelle ihm durchaus, dass er das ernsthaft verfolgt hat - geworden? ({44}) - Ist ja gut, das zu hören. Ich will doch einmal feststellen, dass in dem Gezerre um das andere Thema das, was Sie sich vorgestellt haben, Herr Merz, zerredet und wegverhandelt worden ist. Anders ausgedrückt: Man hat Ihnen die Bierdeckel, die Sie gebraucht hätten, schlicht weggenommen. ({45}) Das ist das Problem, unabhängig von der Frage, ob das wirklich geht. An die Stelle des Konzeptes „Bierdeckel“ ist der Abgang von Herrn Merz getreten. Es geht bei der Union noch weiter: Da haben Sie eine gewaltige Gesundheitsreform groß angekündigt. Was ist daraus geworden? ({46}) Sie haben wirklich ein bürokratisches Monstrum zustande gebracht, wie man es schlechter kaum machen kann! ({47}) Ich will Ihnen gar keine darüber hinausgehende eigene Bewertung zumuten, sondern nur sagen, was der Sachverständigenrat zu Ihrem Modell gesagt hat; darin sitzt ja einer der Erfinder der von Ihnen vertretenen Grundidee - die ich im Übrigen für falsch halte -: Insgesamt werden die Nachteile des gegenwärtigen Systems kaum beseitigt und die Vorteile eines Pauschalbeitragssystems kommen kaum zur Geltung. Das System wird äußerst kompliziert und noch undurchsichtiger als das gegenwärtige. Kurzum: Dieses Modell ist ein Kompromiss, von dessen Umsetzung abzuraten ist. ({48}) Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Wenn man vor diesem Hintergrund die Regierungsfähigkeit der Opposition prüft, dann kann man nur sagen: Sie haben in beiden Bereichen bewiesen, dass Sie konzeptionell zu nichts in der Lage sind. Sie haben aber nachhaltig bewiesen, dass Sie in der Lage sind, Ihre besten Leute gehen zu lassen. Das ist das eigentliche Problem, das die Opposition hat. ({49}) Was die Innenpolitik angeht, noch ein paar Bemerkungen zur aktuellen Diskussion um die Integration. Ich warne vor einem: davor, die Debatte über die Frage - ich komme darauf noch zurück -, ob man Beitrittsverhandlungen mit der Türkei - denn nur um die geht es ja - aufnehmen soll, ({50}) mit der Integrationsdebatte im Inneren unseres Landes zu verquicken. ({51}) Ich warne davor, weil das in keinem Fall im deutschen Interesse sein kann: nicht was die Friedlichkeit im Inneren unserer Gesellschaft angeht und schon gar nicht, was die deutschen außerpolitischen Interessen angeht. Also lassen Sie uns das trennen. Vor diesem Hintergrund noch ein paar Bemerkungen, die das unterstützen, was der Parteivorsitzende der SPD neulich den Mitgliedern meiner Partei geschrieben hat: Worum geht es dabei? Es geht dabei zunächst einmal darum, deutlich zu machen, dass wir, von Ausnahmen abgesehen, die wir alle kennen, bei der Integration jener fast 3 Millionen Türken, die bei uns leben, im Grunde mehr Glück als Pech gehabt haben. ({52}) Es geht auch darum, einmal festzustellen, dass sich die große Masse unserer ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger - welcher Nationalität auch immer - zwar nicht in jeder Frage so verhält, wie wir uns das vielleicht im Einzelnen wünschen - das ist aber nicht das Problem -, dass sie sich aber gesetzestreu verhält und sich an die Leitlinien unserer Verfassung hält. Das ist das, was wir verlangen müssen und verlangen sollten, aber auch nur verlangen dürfen. ({53}) Jenseits dessen geht es um Respekt davor, wie wir hier leben - das ist gar keine Frage -, aber auch um Respekt vor dem, was andere Kulturen zu einem Leben in einer Gesellschaft wie der unseren beizutragen haben. Ich denke, wir sollten unsere Integrationsbemühungen immer auch mit dem Hinweis darauf verbinden, dass wir, von ärgerlichen Erscheinungen abgesehen - ich sage es noch einmal -, bezogen auf die bisherigen Integrationsleistungen im Großen und Ganzen zwar noch nicht zufrieden, aber doch froh darüber sein können, dass es in Deutschland nicht zu Eruptionen wie in bestimmten Vorstädten in manchen anderen großen Gesellschaften gekommen ist. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir das beibehalten müssen. ({54}) Jenseits dessen sollten wir klar machen - das kann man durchaus auch einmal selbstkritisch sagen -, dass es wahrscheinlich ein Fehler gewesen ist, nicht sehr viel früher darauf hinzuweisen ({55}) - Sie haben das ja auch nicht getan -, ({56}) dass die wichtigste Voraussetzung für die Integration in eine Gesellschaft, in die man hineingeht, die Sprache ist. ({57}) Deswegen ist es unerhört wichtig, einzusehen, dass die Sprache gelernt werden muss. Das sollten wir als Gesellschaft auch abverlangen. Interessant ist nun, dass wir das mit dem von der Union lange bekämpften Zuwanderungsrecht zum ersten Mal tun. ({58}) Ich glaube, wir müssen dieses modernste aller Zuwanderungsrechte, die es in Europa und weit darüber hinaus gibt, jetzt offensiv nutzen. Das gilt für die Regelungen zur Sprache in ganz besonderer Weise. ({59}) Es geht bei dieser Frage immer um eine vernünftige Balance zwischen dem, was wir von anderen Kulturen lernen können, und dem, was wir vor dem Hintergrund der Werte unserer Verfassung abverlangen können und müssen. Für jede Art innen- oder außenpolitischen Kreuzzug eignet sich dieses Thema zuallerletzt. ({60}) Sie haben nun angekündigt, Sie wollten eine Wertedebatte führen. Gerne! Ich habe mir einmal die Erörterungen auf dem CSU-Parteitag in Bayern angeschaut. Das war wahrlich keine reine Freude. Ich gebe aber zu, dass das auf allen Parteitagen so ist. ({61}) Dort ist ein ganz interessanter Versuch gemacht worden, über den wir, da bin ich mir ziemlich sicher, auch in Bezug auf die Entscheidungen für 2006 sehr intensiv miteinander diskutieren werden. Es wurde versucht, eine neue Dimension in der Wertediskussion zu erreichen. Wenn man sich die Reden angehört hat, in denen Konsequenzen formuliert wurden, die angeblich oder tatsächlich aus bestimmten Menschenbildern folgen, und diese mit den Beschlüssen des Parteitages, bei denen es um die harte Wirklichkeit ging, vergleicht, dann stellt man fest, dass - das sage ich Ihnen voraus -, diese Wertedebatte sehr interessant wird. Sie reden abstrakt über Solidarität und über die Würde des Menschen - damit meinen Sie ja wohl auch die arbeitenden Menschen -, wenn es dann aber konkret wird, reden Sie über die Abschaffung des Kündigungsschutzes und über die Abschaffung der Mitbestimmung. Diese Art einer verqueren und unehrlichen Wertedebatte werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. ({62}) Ich sage Ihnen: Zu dieser Diskussion werden wir die bei Ihnen auftauchenden Differenzen zwischen den Werten im Himmel einerseits und der brutalen Wirklichkeit auf der Erde andererseits genau abklopfen. Das wird eine sehr interessante Debatte werden, damit wir uns da völlig richtig verstehen. ({63}) Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zur anderen Seite dessen machen, was wir als Reformpolitik für dieses Land vorschlagen und zu großen Teilen durchgesetzt haben. Es geht nicht nur darum, die sozialen Sicherungssysteme, die wir Gott sei Dank in Deutschland und in Europa haben, hier und in Europa zu erhalten und zukunftsfest zu machen. Nein, es geht zugleich darum, Ressourcen für wichtigste Zukunftsaufgaben freizusetzen, die wir, so glaube ich, miteinander teilen. Es geht um Forschung und Entwicklung. Wir haben die Ausgaben in diesem Bereich seit 1998 um mehr als ein Drittel steigern können. Das ist nicht wenig, aber das ist auch nicht genug; das gebe ich zu. Zurzeit liegen die Ausgaben bei 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das ist mehr, als die anderen großen europäischen Länder bereitstellen, aber weniger als in den skandinavischen Ländern. Wir müssen in dieser Dekade auf 3 Prozent des Bruttoinlandproduktes kommen und das wollen wir auch. Es gibt einen Weg, wie wir das schaffen können. Deswegen mein Appell: Blockieren Sie diesen Weg nicht länger! Wir müssen die rückwärtsgewandte Eigenheimzulage abschaffen, damit wir diese Mittel in Forschung, Entwicklung und Bildung investieren können. Bis 2010 sind das 15 Milliarden Euro. Wie denn sonst, wenn nicht auf diese Weise, sollen wir das schaffen? ({64}) Wir müssen in Betreuung von Kindern investieren, und zwar nicht nur um Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern zu realisieren, auch wenn das allemal ein wichtiges Ziel ist. Vielmehr müssen wir auch dafür sorgen, dass die Kreativität und die Leistungsbereitschaft von Frauen ökonomisch genutzt werden können. Ich sage es noch einmal: Wer glaubt, Fehler in diesem Bereich allein durch Zuwanderung ausgleichen zu können und so für die in der Wirtschaft fehlenden Arbeitskräfte zu sorgen, irrt, weil das die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft bei weitem übersteigen würde. Das brauchen wir auch, aber nicht nur. Deswegen halte ich es für außerordentlich wichtig, dass das, was wir gegenwärtig vorbereiten, von den Kommunen umgesetzt wird, ({65}) nämlich dass die 1,5 Milliarden Euro von den 2,5 Milliarden Euro, die wir den Kommunen im Zuge der HartzIV-Reformen zur Verfügung stellen, wirklich für die Betreuung der unter Dreijährigen eingesetzt werden. Das ist wichtig. ({66}) Polemik gegen den Bund, der in dieser Legislaturperiode für die Betreuung in den Schulen 4 Milliarden Euro lockermacht, aber dafür angeblich nicht zuständig ist, nutzt doch überhaupt nichts. Stattdessen sollte das Geld sinnvoll investiert werden. Darum geht es, und das wäre besser, als hier Polemik zu betreiben. ({67}) Ich finde, die Debatten über die Frage, welchen Wert Ausbildung für die jungen Menschen hat, haben genutzt. Der Ausbildungspakt, den wir geschlossen haben, beginnt zu greifen, auch wenn er noch nicht idealtypisch ist; das ist gar keine Frage. Aber die Zahl der in den Betrieben angebotenen Ausbildungsplätze steigt. Das ist ein großer Erfolg, den wir miteinander erzielt haben, womit ich unsere Seite dieses Hauses zusammen mit der Wirtschaft meine. ({68}) Wenn wir klar machen, dass all das, was wir den Menschen in Deutschland an schmerzlichen Entscheidungen und Zumutungen auferlegen müssen, damit verbunden ist, dass wir Zukunftsfähigkeit durch Investitionen in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Bildung und Betreuung schaffen müssen und wollen, dann werden sich - da bin ich sicher - die Bewusstseinslagen für die Notwendigkeit von Reformprozessen in immer noch reichen Gesellschaften weiter positiv verändern. Davon bin ich überzeugt. ({69}) Zu dieser Generaldebatte möchte ich auch ein paar Bemerkungen zur internationalen Politik machen. Es ist wahrlich kein leichtes internationales Umfeld, in dem wir unsere Position zu finden und zu behaupten haben. Ich stimme all denjenigen zu, die sagen - deswegen hat es von uns darüber kein einziges Wort gegeben -, es sei Sache des amerikanischen Volkes, seinen Präsidenten zu wählen. Ich habe immer hinzugefügt: Wir werden mit jedem, der dort gewählt wird, gut zusammenarbeiten. Das gilt ausdrücklich auch für den wiedergewählten amerikanischen Präsidenten. Die Diskussionen auf allen Ebenen über diese Zusammenarbeit laufen besser, als Sie sich das vorstellen können. Das werden Sie auch erleben. ({70}) Es geht dabei um einige Entwicklungen in der internationalen Politik, die noch in diesem, erst recht aber im kommenden Jahr auf uns zukommen werden. Die werden nicht unerheblich sein. Wir sind im Irak noch nicht so weit, dass man auch nur in Ansätzen von einer friedlichen Entwicklung reden könnte. Trotzdem hoffen wir auf die Wahlen und wir unterstützen alles - der Außenminister hat das gerade auf der Konferenz in Scharm alScheich getan -, damit die Wahlen im Januar des nächsten Jahres stattfinden können. Das wäre doch wichtig. Wir sind daran interessiert - unabhängig von der Frage, wie wir zum Krieg standen, und unabhängig von der Frage, wie wir zum Einsatz deutscher Soldaten stehen -, dass es eine vernünftige, friedliche Entwicklung im Irak gibt. Wir tun auch etwas dafür, aber eben nicht mit Soldaten. Ich habe festzustellen - ich habe das in der letzten außenpolitischen Rede von Herrn Schäuble schon gemerkt; jetzt ist es auch wieder bei Herrn Glos deutlich geworden -, dass wir uns unterscheiden: Sie wollen, dass deutsche Soldaten in den Irak kommen, zwar nur in Stäben, aber in den Irak, und wir wollen das nicht. Darüber werden wir eine faire Auseinandersetzung führen. ({71}) Ich scheue sie nicht. Ich weiß, warum wir Nein gesagt haben und warum wir das in aller Fairness und Offenheit unseren Partnern vermittelt haben. Ich habe in diesen Fragen immer wieder darauf hingewiesen - dabei bleibe ich auch -, dass niemand Deutschlands Beitrag zur friedlichen Entwicklung in der Welt gering schätzen sollte. Wir sind diejenigen, ohne die die Wahlen in Afghanistan nicht so hätten ablaufen können, wie sie abgelaufen sind. ({72}) Ich sage das sehr selbstbewusst, ohne jeden Anflug von Überheblichkeit. Ohne uns, ohne unsere Bundeswehr wäre das nicht so gelaufen. Das weiß man in Amerika und anderswo. Ohne uns, ohne unsere 4 000 Soldaten auf dem Balkan, hätten wir dort Konflikte ganz anderer Art. Deshalb bin ich stolz auf diejenigen, die das dort leisten, auf die Soldaten der Bundeswehr. ({73}) Im Übrigen hoffe ich, dass anerkannt wird - von unseren Partnern wird das auch anerkannt -, was wir tun. Wir waren die Ersten, die in den Emiraten angefangen haben, und zwar erfolgreich, irakische Polizei und irakisches Militär auszubilden. Wenn Sie nicht nur die Berichte der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern auch die der anderen lesen, werden Sie merken, dass diese Zusammenarbeit mit den Vereinigten Arabischen Emiraten für einen friedlichen, einen sicheren Irak von höchster Qualität ist und in der internationalen Staatengemeinschaft in höchstem Maß anerkannt wird. Darauf können wir mit Fug und Recht stolz sein. Darauf können wir verweisen und wir sollten es tun. Wir sind es doch gewesen, die dem Drängen nachgegeben und gesagt haben: Müssen wir nicht einem potenziell wohlhabenden Land wie dem Irak, das seinen Ölreichtum aber auf absehbare Zeit nur schwer wird nutzen können, dadurch helfen, dass wir Schulden stunden bzw. erlassen, schlicht deshalb, damit das Geld, das erlassen ist, nicht für Zahlungen an Gläubiger verbraucht werden muss, sondern für den Wiederaufbau des Landes verwendet werden kann? ({74}) Im Grunde gibt es doch nur zwei Möglichkeiten: Entweder man macht es auf diese Weise oder die internationale Staatengemeinschaft zahlt auf Geberkonferenzen Beiträge, die sie zusagt. Wir haben das zusammen mit unseren Partnern in der Welt, mit den Amerikanern, mit den Franzosen, mit den Briten, mit den Russen im Pariser Club getan. Ich glaube, das ist ein Beitrag, den wir deutlich machen sollten, ein Beitrag, der dem Wiederaufbau eines friedlichen Irak dient und der von Deutschland im Rahmen seiner Möglichkeiten geleistet worden ist. Ich hoffe und erwarte auch, dass wir jetzt in eine Phase kommen, in der im Nahen Osten jener Konflikt, der sehr häufig nicht Ursache für internationalen Terrorismus ist, diesem aber viel Zulauf ermöglicht, gelöst werden kann. Ich meine den Konflikt zwischen Palästina und Israel. Ich denke, wir alle sind uns darin einig, dass es jetzt auf der palästinensischen Seite Hoffnung gibt. Ich hoffe, dass dies auch auf der israelischen Seite der Fall ist; auch dafür gibt es Signale. Vor allen Dingen gibt es Signale vom amerikanischen Präsidenten, dass man sich dieses Themas intensiv annehmen will. Ohne die Amerikaner wird es nicht gehen. Das Quartett ist wichtig. Das gilt auch für die anderen in diesem Quartett: die Europäer, die Russen und die Vereinten Nationen; aber ohne einen entschiedenen Beitrag der Vereinigten Staaten von Amerika wird der israelisch-palästinensische Konflikt nicht zu lösen sein. ({75}) Deswegen können wir alle nur hoffen, dass es gelingt, die neue amerikanische Administration, die die alte ist, dazu zu bewegen, diesen Konflikt als ein zentrales Aufgabenfeld anzunehmen. Denn nur sie kann es leisten; andere können es nicht alleine schaffen. In dem Maße, wie dies geschieht, werden wir es nach meiner Überzeugung schaffen, den Zulauf verarmter und auch fehlgeleiteter Massen zu Terroristen zu unterbinden. Der Konflikt, der bisher nicht gelöst werden konnte, bietet Terroristen immer wieder Möglichkeiten, ihn zu nutzen. Deswegen ist die Lösung dieses Konflikts so außerordentlich wichtig. ({76}) Ich bin außerordentlich dankbar und halte es für eine sehr große Leistung nicht zuletzt unseres eigenen Außenministers, dass es im Verein mit den Franzosen und den Briten gelungen ist - jedenfalls sieht es so aus -, den Konflikt über den Iran, der sich abzeichnete, zu deeskalieren und dafür zu sorgen, dass die Iraner aus freien Stücken den Brennstoffkreislauf nicht schließen. Die Europäer haben auch mit Angeboten einer entwickelten Zusammenarbeit dafür gesorgt, dass in dieser so gebeutelten Region kein neuer Krisenherd entsteht. ({77}) Lassen Sie mich - damit das nicht falsch aufgefasst wird - etwas dazu anmerken, was ich an unserem Verhältnis zu Russland für wichtig halte. Ich habe die Äußerungen von Herrn Schäuble in Moskau zu diesem Thema zur Kenntnis genommen. Ich habe auch zur Kenntnis genommen, dass in diesem Hause bis auf Einzelheiten, die Sie kritisiert haben - ich habe das verfolgen können -, möglicherweise Übereinstimmung darüber besteht, dass wir gut daran tun, geduldig eine strategische Partnerschaft zwischen der EU - das bedeutet allemal, wenn nicht sogar zuallererst Deutschland - und der Russischen Föderation aufzubauen. Ich glaube, es muss nicht nur aus ökonomischen Gründen und längst nicht nur aus energiepolitischen Gründen nicht zuletzt in dem Jahr, in dem der 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs begangen wird, deutlich gemacht werden, dass es notwendig ist und in unserem ureigensten Interesse liegt, eine solche Partnerschaft zwischen der Russischen Föderation und Europa bzw. zwischen Russland und Deutschland zuwege zu bringen. ({78}) Es ist viel von den tatsächlichen oder vermeintlichen freundschaftlichen Beziehungen die Rede. Es sind tatsächlich freundschaftliche Beziehungen. Ich bin erstens fest davon überzeugt, dass der russische Präsident Russland zu einer Demokratie entwickeln will und dass er das aus innerer Überzeugung tut. ({79}) - Das können Sie zwar anzweifeln, aber es ist meine Überzeugung. ({80}) - Mit dem Begriff „lupenrein“ ist das so eine Sache. Wer ist das schon außer Ihnen? Da wäre ich etwas zurückhaltend. ({81}) Er ist nach meiner Auffassung fest davon überzeugt, dass dies die Perspektive für sein Land ist, für ein gewiss nicht einfach zu regierendes Land, das im Übrigen - wenn Sie sich die Landkarte vor Augen führen - in den letzten Jahren bzw. im letzten Jahrzehnt nicht unerhebliche Anstrengungen unternommen hat, etwas für die Partnerschaft mit dem Westen zu tun. Ich denke dabei an die Partnerschaften, die wir in der NATO mit Russland eingegangen sind und die auch - weil sie richtig waren akzeptiert worden sind. Zweitens bin ich fest davon überzeugt, dass er und ich das gemeinsame Ziel haben, das, was im letzten Jahrhundert geschehen ist, den Blutzoll, der wegen einer verkehrten Politik und wegen der Aggression, die von Deutschland ausgegangen ist, von beiden Völkern gefordert wurde, ein für allemal zu beenden und es zu schaffen, durch eine so strategisch gemeinte Beziehung dauerhaft den Frieden zwischen Deutschland und Russland zu sichern. Das ist meine Vision, von der ich nicht abgehen und die ich weiter strikt verfolgen werde. ({82}) Das heißt doch nicht - das sei nicht nur deshalb gesagt, weil Michael Glos es erwartet -, dass man nicht in aller Deutlichkeit kritisieren könnte und müsste, was in der Ukraine passiert ist. Ich habe doch nichts abzustreichen von dem, was die OSZE-Beobachter mitgeteilt haben, wonach es zu massiven Wahlfälschungen gekommen ist. Dass die Europäische Union genauso wie der Bundesaußenminister für die Bundesregierung deswegen in aller Deutlichkeit reagiert hat, kann ich gern unterstreichen. Das hat er auch in meinem Namen getan. Damit habe ich nicht das geringste Problem. ({83}) Lassen Sie uns dabei mithelfen, dass die dort ohne unser Zutun entstandene Situation - wo die Demokraten stehen, kann ja nicht zweifelhaft sein - nicht außer Kontrolle gerät. Ich will im Rahmen meiner Möglichkeiten gern meinen Beitrag dazu leisten, dass die Situation friedlich gelöst wird und dass all diejenigen, die daran ein Interesse haben, unterstützt werden. Das ist für mich gar keine Frage. ({84}) Aber bei aller Klarheit in der Kritik an Wahltäuschungen und Wahlmanipulationen haben wir alle ein Interesse daran, dass die Situation nicht gewaltsam eskaliert. ({85}) Neben der Kritik an den dortigen Vorgängen muss das jetzt auch ein Teil unserer Aufgabe sein.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schäuble?

Gerhard Schröder (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002078

Bitte schön, natürlich.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich frage Sie, ob, in Bezug auf die Ukraine die von uns gemeinsam für richtig gehaltene Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation sich jetzt nicht darin bewähren könnte, dass man gemeinsam mit der Russischen Föderation für eine Achtung der Prinzipien einer demokratischen Wahl eintritt. Ich glaube, darin besteht eine Chance, die Ukraine zu stabilisieren und es nicht zu einer neuen Konfrontation im Ringen um Einflusssphären zwischen West und Ost kommen zu lassen. Wenn Präsident Putin, wie Sie sagen, ein überzeugter Demokrat ist, sollte er von Ihnen gewonnen werden können, für die Einhaltung demokratischer Grundsätze in der Ukraine einzutreten. ({0})

Gerhard Schröder (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002078

Ich finde, dass die Bemerkungen und die Feststellungen, die in Ihrer Frage liegen, erstens richtig sind ({0}) und zweitens verfolgt werden müssen und auch verfolgt werden; dessen können Sie sicher sein. Die Antwort auf die Frage, ob das zu dem Ergebnis führen wird, das Sie wie ich gern hätten, bleibt offen. Sie haben interessanterweise etwas angesprochen, was vielleicht in der außenpolitischen Debatte noch einmal zum Ausdruck kommen wird: Es geht hier nicht nur um die Ukraine, sondern auch um Einflusssphären. Ich gehöre zu denjenigen, die immer sagen würden: Wenn Einfluss dauerhaft sein soll - dass aus realpolitischen Gegebenheiten darum gekämpft wird, kann man kaum vermeiden -, kann er nur gegründet werden auf diejenigen, die auf dem richtigen Weg sind, nicht auf diejenigen, die offenkundig auf dem falschen Weg sind. Da bin ich ganz bei Ihnen. ({1}) Meine Damen und Herren, ich möchte ein paar abschließende Bemerkungen zu den europäischen Fragen machen. Die zentrale Frage ist: Wie gehen wir mit der EU-Verfassung um? Ich bin froh darüber, dass es im Gegensatz zu anderen Ländern in diesem Haus, von geringen Ausnahmen abgesehen, über die Notwendigkeit, den Verfassungsprozess auch in Deutschland zu einem guten und schnellen Ende zu bringen, keine unterschiedlichen Meinungen gibt. Ich kenne die Debatten über plebiszitäre Instrumente. Wir werden über die europäische Verfassung vermutlich im parlamentarischen Verfahren hier wie im Bundesrat beraten und beschließen und sollten auch so verfahren. Es wäre gut, wenn Deutschland schon früh im nächsten Jahr sagen könnte: Wir gehören zu den Ersten, die im Einklang mit unserer Integrationspolitik, die von allen getragen wird, die Verfassung ratifiziert haben. ({2}) Sie haben sich wiederum kritisch zur Erweiterung der EU geäußert, Herr Glos. Ich nehme an - das wäre keine Überraschung -, dass Frau Merkel das auch tun wird. Ich will nur noch einmal klar meine Meinung sagen. Die Türkei braucht eine Perspektive, nicht nur weil wir 40 Jahre gesagt haben, dass wir ihr eine eröffnen werden, wenn die Kopenhagen-Kriterien erfüllt sind - das ist sicherlich wichtig -, sondern auch weil es um unsere ureigenen Interessen - ökonomische sowie politische - geht. Schauen Sie sich die Lage in der dortigen Region an! Ich habe über den Iran geredet. Ich hätte auch über den südlichen Kaukasus reden können. Ich musste über den Irak reden. Niemand von uns weiß, wann der israelisch-palästinensische Konflikt gelöst ist. Es gibt also Schwierigkeiten in dieser Region. Vor diesem Hintergrund ist es von ungeheuer großer Bedeutung für die nationalen Interessen Deutschlands, dafür zu sorgen, dass die Türkei ein prowestlich ausgerichteter Faktor der Stabilität wird und bleibt. ({3}) Das ist der eigentliche Grund - machen Sie sich keine anderen Hoffnungen -, warum wir im Dezember dieses Jahres zusammen mit allen unseren Freunden aus Europa für die Aufnahme von Verhandlungen mit einer zehn- bis fünfzehnjährigen Perspektive streiten und darüber entscheiden werden. Lieber Herr Glos, machen Sie nicht wieder den gleichen Fehler wie bei der letzten Erweiterungsrunde, als es um die Aufnahme der mittel- und osteuropäischen Staaten ging. Auch damals haben Sie - längs der bayerischen Grenzen - vor Wanderungsbewegungen gewarnt. Wir haben dagegen mit vernünftig ausgestalteten Übergangsregelungen reagiert. Das war damals so und ist problemlos verlaufen und das wird wieder so sein. Machen Sie nicht wieder den gleichen Fehler, die Menschen mit falschen Informationen und Prognosen auf die Bäume zu treiben. ({4}) Ich denke, dass inzwischen jeder weiß, wie wichtig unser Verhältnis zu Frankreich ist und wie bedeutsam es ist, dass wir uns eng abstimmen, was gegen niemanden gerichtet ist. Häufig kommen noch andere Staaten hinzu, zum Beispiel Spanien und Großbritannien. Das wird auch angesichts eines Europas der 25 ein richtiges und vernünftiges Konzept sein. Sie sehen doch, dass die Bundesregierung, der Außenminister ebenso wie ich, sensibel mit dem Verhältnis Deutschlands zu Polen umgeht und gelegentlich die Sensibilität - ich füge hinzu: gegen Einzelne aus Ihren Reihen - verteidigen muss, was wir auch tun. Wir würden uns freuen, wenn Sie, die Opposition als Ganzes und insbesondere ihre Führung, gelegentlich mitmacht. ({5}) Ich hatte meine Rede mit dem Hinweis auf das Jahresgutachten des Sachverständigenrates begonnen. Dort ist die Rede von Erfolgen, die wir nicht nur nach außen haben, und von Herausforderungen, die wir im Innern haben. Herausforderungen sind sicherlich vorhanden und werden auch bestehen bleiben. Aber die rotgrüne Koalition ist die Konstellation - seien Sie sich dessen sicher -, die für die Erfolge nach außen, in der internationalen und insbesondere in der europäischen Politik, verantwortlich ist und die die einzige Kraft ist, die mit den Herausforderungen, die der Sachverständigenrat genannt hat, fertig werden kann. Das ist unsere Gewissheit. Das sollte der Kern der Debatte über unseren Haushalt sein. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Michael Glos das Wort zu einer Zwischenbemerkung. Bitte sprechen Sie vom Platz aus. ({0})

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe leider noch nicht das amtliche Protokoll. Nach einer Agenturmeldung habe ich in der Debatte vorhin harte Vorwürfe gebraucht, als es um die Tatsache ging, dass der so genannte Fischer/Volmer-Erlass so viel illegale Zuwanderung in die Europäische Union nach sich gezogen hat. Dabei ist auch das Wort „Zuhälter“ gefallen. Es tut mir sehr Leid. Wenn sich dadurch jemand beleidigt gefühlt hat, ({0}) dann möchte ich mich dafür ausdrücklich entschuldigen. Es war sicherlich nicht sehr geschickt von mir, dieses Bild zu wählen. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. Ich erteile nun dem Kollegen Guido Westerwelle, FDP-Fraktion, das Wort.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundeskanzler, ich möchte gerne mit einigen Vorbemerkungen beginnen. Ganz am Anfang haben Sie etwas gemacht, was aus unserer Sicht, aus Sicht der Opposition, kaum akzeptabel ist: Sie fordern die Opposition auf, unser Land nicht schlechtzureden. Niemand in der Opposition redet unser Land schlecht. Wenn jemand die deutsche Bundesregierung für ihre schlechte Politik kritisiert, dann wird nicht das Land schlechtgeredet, sondern berechtigte Kritik an ihrer Politik geübt. ({0}) Sie offenbaren an dieser Stelle ein bemerkenswertes Selbstverständnis. Es erinnert ein wenig an den Absolutismus. Ludwig XIV. hat gerufen: „L’état c’est moi.“ Das bedeutet: Der Staat bin ich. Ich warte darauf, dass Sie sich jetzt eine gepuderte Perücke aufsetzen. Herr Bundeskanzler, Sie werden kritisiert. Wir lieben unser Land - das ist übrigens ein Satz, der keinem Mitglied dieser Regierung über die Lippen gehen würde - und wir wollen eine bessere Regierung für Deutschland, gerade weil es eine bessere Regierung verdient hat. ({1}) Sie haben etwas zur Außenpolitik gesagt, was sehr bemerkenswert ist. Auch darauf will ich eingehen. Sie haben über Russland und die USA gesprochen. Niemand aus den Reihen der Opposition kritisiert, dass der deutsche Bundeskanzler und die Bundesregierung an einer guten Beziehung zu Moskau arbeiten. Wir kritisieren, dass es aus unserer Sicht eine Achsenbildung Paris-Berlin-Moskau gibt, die wir außenpolitisch für falsch halten. Wir sagen: Es kann nicht richtig sein, dass diese Bundesregierung an den Vereinigten Staaten von Amerika alles kritisiert - davon vieles zu Recht -, aber beim Thema Menschenrechte gegenüber Moskau schweigt. Diese Einseitigkeit halten wir für falsch. ({2}) Auch die Auseinandersetzung in diesem Hause zeigt: Durch die Entwicklungen in den letzten zwei, drei Jahren, aber auch durch manches, was Sie früher vertreten haben, steht Ihnen in Wahrheit Moskau politischDr. Guido Westerwelle inhaltlich und auch menschlich mittlerweile näher als Washington. Wir sind der Überzeugung: Wer die europäische Integration befördern will, der darf das transatlantische Band nicht durchschneiden. Wir wollen Europa einigen, aber nicht in Gegnerschaft zu, sondern in Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Deswegen sind wir gegen Ihre Achsenbildung. ({3}) Der Bundeskanzler folgt jetzt dort hinten dem ersten Redner der Opposition, der auf ihn antwortet. Vielen Dank, Herr Kollege! ({4}) Ihr Verhalten ist bemerkenswert. An dieser Stelle können wir auch einmal über Stilfragen reden. ({5}) Sie machen hier Mätzchen: Der Bundeskanzler hält in einer Generalaussprache eine Rede. Der erste Redner der Opposition geht ans Pult. Die Reihe lichtet sich. Der Vizekanzler geht ein bisschen scharwenzeln. Der Bundeskanzler setzt sich erst mal gemütlich hinten ins Plenum. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir merken uns das. Das ist eine Stilfrage. Wir sagen Ihnen schon jetzt zu: Wir werden der scheidenden Regierung diese Stillosigkeiten gleichwohl nicht mit gleicher Münze zurückzahlen. ({6}) Weil Sie sich dahinten jetzt so freuen, Herr Abgeordneter Schröder, wollen wir einmal über die Dinge reden, die Sie uns hier vorgeworfen haben. Sie haben das Verhältnis der Freien Demokraten zu den Apotheken angesprochen. So ist das, Herr Abgeordneter Schröder: Die einen kümmern sich um die Apotheken und die anderen um die Drogerien. ({7}) Herr Bundeskanzler, was Sie jetzt hier machen, ist ein bemerkenswerter Vorgang. Es wird eine bleibende Leistung von Ihnen sein, dass Sie den First Dog in der deutschen Politik etabliert haben. Was Béla Anda nicht geschafft hat, schafft jetzt Holly. Sehr stark! ({8}) Wenn ein Bundeskanzler schon sein Haustier einsetzen muss, dann ist dessen Regierung wirklich auf den Hund gekommen. ({9}) Herr Abgeordneter Schröder, jetzt will ich einmal das wiedergeben, was der Sachverständigenrat gesagt hat, weil es mir besonders viel Freude gemacht hat, dass ausgerechnet Sie, Herr Kollege Schröder, den Sachverständigenrat als Kronzeugen für Ihre Politik angeführt haben. Ich zitiere einmal etwas vom Sachverständigenrat, wozu Sie nichts gesagt haben; interessanterweise haben Sie das verschwiegen. Der Sachverständigenrat rät uns: Erstens. Unabhängig davon ist mehr Flexibilität insbesondere auf Teilbereichen des Arbeitsmarktes gefordert. Angesprochen werden zweitens die dringliche Rückführung der Defizite in den öffentlichen Haushalten und Schaffung eines die Wachstums- und Investitionsanreize stärkenden Steuersystems, vor allem drittens eine Reform der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung und der Pflegeversicherung, viertens eine Beseitigung der erkennbaren Mängel auf allen Ebenen des deutschen Bildungssystems und fünftens eine teilweise Neuausrichtung des Aufbaus Ost. Wir hätten vom Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland erwartet, dass er hier nicht im Wesentlichen erklärt: Hartz IV, Agenda 2010 - ich habe meine Arbeit getan. - Herr Bundeskanzler, Sie wollen sich auf dem, was Sie gemacht haben, ausruhen. Wir hätten von Ihnen erwartet, dass Sie uns sagen, wie Sie die Probleme, die der Sachverständigenrat zu Recht analysiert hat, lösen wollen. Was sind Ihre Vorstellungen zur Liberalisierung des Arbeitsmarktes? ({10}) Können wir weiter zusehen, dass ein Kündigungsschutzgesetz in Wahrheit Neueinstellungen verhindert? Was ist mit dem komplizierten Steuersystem? Können wir zusehen, dass Investitionen deswegen in unsere Nachbarländer abwandern? Was ist mit dem Bildungssystem? Ist es akzeptabel, dass wir bei PISA immer schlechtere Noten bekommen? Was ist mit dem Thema „Aufbau Ost“? Nicht ein Satz vom deutschen Bundeskanzler zum Thema „Aufbau Ost“! ({11}) Schämen Sie sich für eine solche rein westorientierte Sicht der Dinge, meine sehr geehrten Damen und Herren! ({12}) Der Abgeordnete Schröder hat hier nichts anderes als eine Stillstandserklärung abgegeben. Herr Schröder, Sie haben gesagt: Ich habe meine Arbeit getan und jetzt reden wir in Wahrheit nur noch über den Wahlkampf. So war es ja. Sie haben sich mit dem auseinander gesetzt, was die Opposition an Ihnen kritisiert, nicht der Sache, sondern nur der Form nach; manchmal auch zu Recht. Aber das ist, wie wir als Opposition finden, zu wenig. Ihre Politik wird immer schlechter, aber die Ausgaben für die Werbung Ihrer Regierung werden immer höher. ({13}) Das ist ein interessantes Phänomen. Mittlerweile hat die Bundesregierung eine halbe Milliarde Euro nur für Werbung ausgegeben; das war mal 1 Milliarde DM. ({14}) Der Finanzminister, der angeblich ein Sparminister sein will, verdoppelt den Etat für Werbung und Öffentlichkeitsarbeit seines eigenen Hauses. Das ist die Lage. Wir halten das für einen völlig falschen Weg. Wir sind der Überzeugung, dass Sie sich, wenn Sie eine bessere Politik machen und damit die entsprechenden Wirkungen erzielen würden, diese Hunderte von Millionen Euro sparen könnten, die Sie für Werbung zum Fenster hinauswerfen. In Wahrheit greifen Sie mit Steuergeldern in Wahlkämpfe ein. Diese Art der Auseinandersetzung ist aus unserer Sicht falsch. Wer sparen will, darf nicht seinen eigenen Propagandaetat immer weiter aufblähen. Er muss dafür sorgen, dass er gute Ergebnisse erzielt, die für seine Politik sprechen. ({15}) Die Ergebnisse von sechs Jahren und zwei Monaten Rot-Grün sind beträchtlich. Das ist wahr; das müssen wir feststellen. Sie sagen, Deutschland sei auf einem guten Weg. Wir können angesichts der Tatsache, dass die Bundesagentur für Arbeit für diesen Winter 5 Millionen Arbeitslose voraussagt, nicht erkennen, dass sich Deutschland auf einem guten Weg befindet. ({16}) Im September hatte die Arbeitslosigkeit den höchsten Stand seit der deutschen Einheit erreicht. Wir erleben die größte Pleitewelle seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Mit Ihren gestrigen Beschlüssen ist die Staatsverschuldung auf den höchsten Stand seit Gründung der Republik gestiegen. Wer in Anbetracht von solchen Zahlen allen Ernstes glaubt, seine Politik sei richtig, der leidet unter Realitätsverlust. ({17}) Sie haben abgewirtschaftet. Sie verletzen in Wahrheit auch die wirtschaftliche und politische Autorität Deutschlands in Europa und in der Welt. Die internationale Stärke Deutschlands hängt ganz entscheidend davon ab, dass wir wirtschaftlich stark sind. Sie haben überall Rekordergebnisse vorzuweisen - bei Arbeitslosigkeit, bei Schulden, bei Pleiten; die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt. Das ist deswegen so bedenklich, weil man sich wirklich Sorgen machen muss, wenn eine Bundesregierung angesichts dessen meint, es sei schon genug getan, eigentlich könne man jetzt mit Reformieren aufhören. Sie haben hier eine Rede des Stillstandes gehalten.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Westerwelle, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eichel? ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber selbstverständlich. Ich freue mich, dass der Abgeordnete Eichel eine Zwischenfrage stellt. Das beweist zumindest, dass der Abgeordnete Eichel anders als andere ({0}) noch peripher dieser Diskussion folgt. Das ist ja schon einmal ein Ergebnis. ({1}) Bitte, Herr Abgeordneter Eichel. - Herr Abgeordneter Schröder, der Abgeordnete Eichel spricht. Jetzt können Sie wieder zuhören. ({2})

Hans Eichel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003522, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Abgeordneter Westerwelle, Sie haben eben behauptet, die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit seien gegenüber denen der CDU/CSU-FDP-Regierung um ein Vielfaches gestiegen. Der Iststand der Ausgaben der Regierung des Jahres 1998 - ich rechne nicht die Ausgaben des Bundespräsidenten, des Bundestages, des Bundesrates, des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundesrechnungshofes ein - betrug 85,726 Milliarden Euro, das Soll des Jahres 2004 beträgt 86,774 Milliarden Euro. ({0}) - Schön, es sind Millionen. Damit haben Sie Recht. Das ändert aber gar nichts. ({1}) Auch bei Ihnen hatte ich ja versehentlich Milliarden gesagt. Am Verhältnis ändert das ja nichts. Im Haushalt 2005 sind 90,194 Millionen Euro vorgesehen. In meinem Haushalt sinkt der Etat dieses Jahr im Vergleich zum vorigen Jahr. Das hat damit zu tun - das wird in diesem und im nächsten Jahr noch eine große Rolle spielen -, ({2}) dass wir unsere Maßnahmen zur Bekämpfung von Schwarzarbeit verdeutlichen müssen. ({3}) Ich frage Sie: Werden diese Zahlen von Ihnen bestritten, Herr Abgeordneter Westerwelle? Zweite Frage. Sie haben behauptet, wir seien für die größte Verschuldung verantwortlich. ({4}) Im Jahre 1996 hat der Bundeshaushalt knapp 40 Milliarden Euro neue Schulden gemacht; das waren 2,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Wenn der Bundeshaushalt, wie in diesem Jahr mit dem Nachtragshaushalt vorgesehen, 43,5 Milliarden Euro Schulden machen sollte, sind das 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Damit genügen wir dem Maastricht-Kriterium, das Sie immer so hochhalten, im Übrigen zu Recht. Frage also: Ist es richtig, dass im Jahre 1996 nach volkswirtschaftlicher Betrachtung die Verschuldung des Bundes höher war als im Jahre 2004?

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Abgeordneter Eichel, ich danke Ihnen außerordentlich für diese erhellenden Zahlen, die Sie wiedergegeben haben, weil sie all das bestätigen, was ich gesagt habe. ({0}) Ich fange einmal mit dem letzten Punkt an, den Sie genannt haben, den 43,5 Milliarden Euro Neuverschuldung. Entschuldigen Sie bitte, aber als Finanzminister haben Sie genau diese 43,5 Milliarden Euro erstens nicht vorhergesehen und zweitens niemals eingeplant. Deswegen hat dieses Haus gestern mit der Mehrheit von SPD und Grünen jeden Bürger, der uns jetzt zusieht, jedes Kind, jeden Greis, jeden, der in Deutschland lebt, um 530 Euro mehr verschuldet. Dafür sind Sie persönlich verantwortlich. Diese Zahlen können Sie erstens nicht bestreiten ({1}) und zweitens sprechen sie gegen Ihre Politik. ({2}) Was ist denn von Ihrer Nachhaltigkeit beim Thema Staatsfinanzen übrig geblieben? Sie vergewaltigen die Zukunftschancen der jungen Generation. Das ist unanständig und wir als Opposition kritisieren das. ({3}) Zu der ersten Frage, die Sie gestellt haben. Das ist eine ganz bemerkenswerte Sache. Erstens haben die Zahlen, die Sie genannt haben, bestätigt, was ich gesagt habe. Zweitens wollen wir einmal über das reden, was Sie in diese Zahlen in Wahrheit gar nicht mehr hineinrechnen. Das Spannende ist ja - das können unsere Bürgerinnen und Bürger nicht so genau nachvollziehen, weil das von Ihnen immer sehr schön verschleiert wird - ({4}) - Ich bin mit meiner Antwort noch nicht fertig. Ich darf Sie bitten, stehen zu bleiben. ({5}) Herr Präsident, es war eine lange Frage; es waren zwei Fragen. Ich möchte darauf anständig antworten. ({6}) - Jetzt geht es wieder. ({7}) Herr Kollege Eichel, ich will Ihnen auch auf Ihre erste Frage antworten. Sie haben eine Frage zum Thema Öffentlichkeitsarbeit gestellt und die entsprechenden Zahlen vorgetragen. ({8}) Deswegen wollen wir einmal über das reden, was Sie in Wahrheit überhaupt nicht mehr einbeziehen. ({9}) Sie verstecken in Wahrheit wesentliche Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit, die Sie in die Zahlen nicht hineinrechnen, die wir als Opposition aber selbstverständlich hineinrechnen. ({10}) Wir sehen das am Beispiel unserer Kollegin Künast, der Bundesministerin. Sie gibt 1,5 Millionen Euro für „nachhaltiges Waschen“ aus. 20 Millionen Euro werden in anderen Titeln in diesem Haushalt versteckt. Es hat überhaupt nichts mit ökologischem Landbau zu tun, wenn Broschüren gedruckt werden. Das ist Öffentlichkeitsarbeit und von uns selbstverständlich in diese Position hineingerechnet worden, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({11}) Vielen Dank, Herr Kollege Eichel, für Ihre Fragen an dieser Stelle. Es ist PR, aber nicht substanzielle Politik, was Sie hier machen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Westerwelle, der Kollege Eichel möchte noch einmal fragen und Ihnen die Chance geben, noch einmal zu antworten.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar dafür. Wenn Ihre dritte Frage so ist wie die beiden ersten, herzlich gerne! ({0})

Hans Eichel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003522, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Westerwelle, ich hatte eine ganz einfache Frage gestellt: Sind 2,2 Prozent Verschuldung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, mehr als 2,0 Prozent? Ich habe auf die Frage keine Antwort bekommen. Vielleicht bekomme ich jetzt eine. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich würde darauf philosophisch antworten: Drei ist mehr als zwei. ({0}) Das sind doch, mit Verlaub gesagt, Albernheiten. Es hat niemals einen Finanzminister gegeben, der in einem Jahr so viel neue Schulden machen musste wie Sie. Dass Sie hier vor lauter Verzweiflung auch noch versuchen, Ihre Bilanzen schönzurechnen, ist in meinen Augen und vermutlich auch in den Augen der Öffentlichkeit eine Groteske, eine Peinlichkeit. Sie sind kein Sparminister. Sie sind der größte Schuldenmacher, den Deutschland jemals gesehen hat. Das ist Ihre Rolle in diesem Hause. ({1}) Ich möchte an dieser Stelle ganz konkret sagen, was aus unserer Sicht noch zu tun ist ({2}) und was vor allen Dingen in den nächsten beiden Jahren getan werden sollte. Erstens. Die Bundesregierung sagt, sie habe keinen weiteren Spielraum für eine Steuerreform. Das halten wir für falsch. Wir sagen: Steuersenkungs- und Steuervereinfachungspolitik sind das beste Beschäftigungsprogramm. Es kann nur Steuern zahlen, wer Arbeit hat. Deswegen müssen wir mithilfe eines einfacheren, niedrigeren und gerechteren Steuersystems, das internationalen Vergleichen standhält, Investitionen nach Deutschland holen und Arbeitsplätze schaffen. Nur so können die Staatsfinanzen wieder gesunden. ({3}) Dazu liegt diesem Hause ein Gesetzentwurf der Fraktion der Freien Demokratischen Partei vor. Wir haben auch ganz konkret gesagt, wo gespart werden sollte. Sie können nicht behaupten, dass die Opposition in der Deckung bliebe und keine Vorschläge machen würde. In dem Buch, das ich mitgebracht habe, sind auf über 400 Seiten mehr als 400 Anträge der Fraktion der Freien Demokratischen Partei in diesem Hause abgedruckt. Sie sind der Beweis, dass wir konkrete Einsparvorschläge, die ein Volumen von 12,5 Milliarden Euro haben, gemacht haben. Wenn Sie von den Regierungsfraktionen allerdings jeden dieser Anträge, die großen wie die kleinen, aus reiner Parteipolitik ablehnen, dann dienen Sie nicht, sondern dann schaden Sie Deutschland. Wer Sparanträge der Opposition in so großer Anzahl ablehnt, der kann nicht verlangen, dass die Opposition mit weiteren Sparanträgen in diesem Hause aufwartet. Wir haben gesagt, wo gespart werden soll. Wir kommen aus der Deckung heraus. Das ist übrigens der Unterschied zu Ihrer Oppositionszeit. ({4}) Wir erinnern uns noch sehr genau daran, wie Schröder, Lafontaine und Eichel als Ministerpräsidenten alles verhindert haben, was Deutschland hätte nützen können. ({5}) Zweitens. Wir sind der Überzeugung, dass die Lohnzusatzkosten von über 40 Prozent im internationalen Wettbewerb wie eine gigantische Sondersteuer auf Arbeitsplätze wirken. Deswegen haben wir nicht unverbindliche, sondern konkrete Vorschläge gemacht, wie das Gesundheitssystem reformiert werden kann. Wir sind der Überzeugung, dass die Gesundheitskosten von den Arbeitskosten abgekoppelt werden müssen, damit dieser Wachstumsmarkt nicht Arbeitslosigkeit aufgrund höherer Lohnzusatzkosten produziert, sondern neue Arbeitsplätze schafft. Von uns wurde in diesem Hause ein präzises Konzept vorgelegt. Drittens. Die Probleme bei der Pflegeversicherung sind bekannt, aber sie werden verschwiegen. Wir wissen, dass im Jahre 2006, also ungefähr zehn Jahre nach Einführung der Pflegeversicherung, die vorgeschriebenen gesetzlichen Reserven unterschritten werden. Deshalb werben wir dafür, dass die Finanzierung der Pflegeversicherung - das geht bei ihr leichter als bei der Rentenund Krankenversicherung, weil sie erst zehn Jahre existiert - auf ein Kapitaldeckungsverfahren umgestellt wird. Von uns wurde in diesem Hause ein entsprechender Vorschlag eingebracht. Wir alle wissen, dass es so kommen wird. ({6}) Viertens. Die Sanierung der Staatsfinanzen ist notwendig. Dazu haben wir für diesen Haushalt konkrete Änderungsanträge eingebracht. Wir haben darüber hinaus in diesem Hause Anträge eingebracht, die aufzeigen, wie man Subventionen abbauen kann. Herr Bundeskanzler, wenn Sie beispielsweise über die Abschaffung der Eigenheimzulage sprechen, dann wollen Sie in Wahrheit nicht Subventionen kürzen, sondern Steuern erhöhen. Denn wer steuerliche Vergünstigungen streicht, ohne gleichzeitig auf eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger durch niedrigere Steuersätze hinzuwirken, der erhöht die Steuern, senkt sie aber nicht. Aber höhere Steuern sind Gift für die Volkswirtschaft. Wir machen das nicht mit. Auch wenn Sie das dann als Subventionskürzung verkleistern, bleibt es eine Steuererhöhungspolitik, der wir uns entgegenstellen. ({7}) Fünftens. Reformen auf dem Arbeitsmarkt anzugehen ist mehr als notwendig. Dazu zählt auch eine Auseinandersetzung mit dem Tarifrecht und der betrieblichen Mitbestimmung. Dazu kam von Ihnen kein Ton, obwohl die Sachverständigen, die Sie selber zitieren, Ihnen ausdrücklich Änderungen in diesem Bereich mit auf den Weg geben. ({8}) Wir sind der Überzeugung: Wir brauchen mehr Betriebsnähe bei den Vereinbarungen und weniger Funktionärsherrschaft. Auch dazu haben wir Anträge im Deutschen Bundestag eingebracht. Wenn sich 75 Prozent einer Belegschaft in geheimer Abstimmung mit der Unternehmensführung auf etwas verständigen wollen, dann soll das gelten dürfen, ohne dass ein Gewerkschaftsfunktionär ein Veto einlegen kann. ({9}) Sechstens, Bildung und Ausbildung. Wir haben nicht nur vorgemacht, wie man den Bereichen Bildung und Ausbildung mehr Geld zur Verfügung stellen kann. Wir haben auch neue Strukturen empfohlen: von der Abschaffung der Kultusministerkonferenz bis hin zu Angelegenheiten, welche die Bundesregierung selber etwas angehen. Dass Sie der Überzeugung sind, man müsse allen Ländern und allen Hochschulen die Einführung von Studiengebühren zur Finanzierung besserer Studienbedingungen verbieten, zeigt doch, dass Sie sich in Wahrheit noch nicht einmal ansatzweise den Strukturveränderungen genähert haben. Anfang dieses Jahres haben Sie gesagt, das Jahr 2004 müsse das Jahr der Eliteuniversitäten werden, gleichzeitig wehren Sie sich aber dagegen, dass Universitäten, die es wollen, Studiengebühren einführen können, um vor Ort für bessere Studienbedingungen zu sorgen. Das ist von gestern; das ist Ihre Politik, Herr Bundeskanzler. ({10}) Siebtens, Forschung und Wissenschaft. Darüber reden Sie gar nicht mehr. Sie reden nicht einmal mehr darüber, wo noch Arbeitsplätze entstehen könnten. Wir halten es für einen großen Fehler, dass die Mehrheit dieses Hauses und die Bundesregierung die Bio- und Gentechnologie außer Landes schicken. Wir sind der Überzeugung: Schlüsseltechnologien mit neuen und guten deutschen Patenten sollten auch bei uns im Inland eine Chance haben, und zwar aus ethischen und moralischen Gründen, um Krankheiten zu bekämpfen, aber auch aus ökonomischen Gründen, damit hier die Arbeitsplätze der Zukunft entstehen und nicht im Ausland. ({11}) Achtens. Das Thema Bürokratie wird von Ihnen nicht einmal mehr angesprochen. Wir haben vorgelegt, wie man, gerade damit neue Arbeitsplätze im Mittelstand entstehen können, Bürokratie abbaut. Nichts davon kommt mehr in Ihren Reden vor, weil Sie es aufgegeben haben. Das entscheidende Problem ist: Sie verwalten sich selber. Sie sind der Überzeugung, Sie könnten nur mit ein bisschen PR und Show den Wahlkampf einläuten. Substanzielle Politik haben Sie heute nicht geboten. Das war eine Rede des Stillstandes und das ist das Letzte, was dieses Land in Anbetracht einer Massenarbeitslosigkeit braucht. Wir wollen einen Politikwechsel; der ist für Deutschland fällig. Weil er mit Ihnen nicht hinzubekommen ist, muss Rot-Grün weg. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen erhält nun die Kollegin Krista Sager das Wort.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Westerwelle, ich finde es schon merkwürdig, dass Sie nach Ihrem Schuhsohlenwahlkampf und Ihren Guidomobilauftritten hier vor allem über Mätzchen reden müssen. ({0}) Ich glaube, dazu sind Sie hier der falsche Kandidat. ({1}) Warum Sie sich an unserer Regierung stören, ist mir klar. Im Gegensatz zur CDU/CSU weiß man bei Ihnen wenigstens, was Sie vorhaben: Sie wollen den Kündigungsschutz und die Tarifautonomie schleifen. ({2}) Sie wollen die Mitbestimmung abschaffen. Sie wollen flächendeckend Subotnik, kostenlose Mehrarbeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, einführen. Dann wollen Sie noch die solidarische Absicherung der Lebensrisiken abschaffen und stattdessen die Lebensrisiken privatisieren. Da sage ich Ihnen ganz klar: Das wollen wir nicht. Und weil das auch nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger ist, wird Rot-Grün weiter regieren. ({3}) Auch das, was Sie über Ihre Steuerpolitik gesagt haben, ({4}) liegt letztendlich auf der gleichen Linie. Wir haben in Deutschland mit 20,3 Prozent eine radikal niedrige Steuerquote; das ist europaweit wirklich am unteren Ende. Auch das ist ein Verdienst dieser Regierung, die dafür gesorgt hat, dass gerade für die Bezieher niedriger Einkommen die Steuersätze gesenkt worden sind und der Grundfreibetrag erhöht worden ist. Wenn Sie jetzt verlangen: „Noch weiter herunter mit den Steuern“, dann lässt sich das nicht damit vereinbaren, hier eine vernünftige, seriöse Haushaltspolitik einzufordern. Beides zusammen geht nicht. Was ferner nicht zusammen passt, ist, auf der einen Seite die Ruinierung der Staatsfinanzen durch eine unseriöse Steuerpolitik immer weiter voranzutreiben und auf der anderen Seite zu fordern, dass in diesem Land mehr für die Bildung getan werden soll. Auch das geht nicht zusammen. ({5}) Was ist denn unser Problem bei der Bildung? Die Ergebnisse der PISA-Studie haben das bestätigt und die neue PISA-Studie wird das erneut bestätigen: Wir haben ein Schulsystem, das Menschen aus sozial schwächeren Familien im Vergleich zu anderen Industrienationen die schlechtesten Bildungschancen gibt. Das ist ein ungeheurer Skandal und das kann so nicht bleiben. ({6}) Die Ursache liegt darin, dass wir an einem Schulsystem festhalten, mit dem wir inzwischen weltweit isoliert sind. Deswegen kann unser Schulsystem auch kaum noch mit einem anderen Schulsystem auf der Welt verglichen werden. Unser System einer dreigliedrigen Selektion, bei dem ein Lehrer darüber entscheidet, ob der Daumen für ein zehn Jahre altes Kind gesenkt oder gehoben wird, ist gescheitert. Dieses Schulsystem hat versagt, es taugt nicht für eine Gesellschaft, die vor großen Integrationsherausforderungen, aber auch vor einem großen demographischen Wandel steht. ({7}) Herr Westerwelle, die einzige Antwort, die Sie auf diese Frage gegeben haben, bestand in einem Vorschlag zur weiteren Privatisierung der Bildungskosten. Das kann im Ernst nicht die Antwort auf die Herausforderungen sein, vor denen wir im Bildungssystem stehen. ({8}) Herr Glos, jetzt ein Wort zu Ihnen. Ihre Rede war ja nun wirklich ein Beispiel dafür, dass der Werte- und Leistungsverfall inzwischen im konservativen Lager angekommen ist. ({9}) Das war wirklich ein Griff in die Mottenkiste der Ressentiments, der Zerrbilder, der Peinlichkeiten, der persönlichen Beleidigungen. ({10}) Ich frage mich manchmal, wenn Sie hier Ihre Kalauer über strickende Grüne und leistungsunwillige 68er bringen, ({11}) ob Sie gar nicht mehr hören, wie die Bartwickelmaschine vor Überforderung schon zu knirschen beginnt. ({12}) Aber an der Stelle, wo es eigentlich darum hätte gehen sollen, eigene Alternativen vorzustellen, haben Sie sich ins Wolkige verloren oder geflüchtet. Ich habe erwartet, dass Sie den Versuch machen, uns Ihr Gesundheitsmodell zu erklären. ({13}) Aber das können Sie wahrscheinlich gar nicht erklären. Davon habe ich in Ihrer Rede nichts gehört. ({14}) Stattdessen hören wir etwas über die Werte unserer Gesellschaft. Hoch interessant wurde es allerdings, als Sie, Herr Glos, sich auf Ihrer Kalauerstrecke zu dem Thema erneuerbare Energien vorgearbeitet hatten: Da wurde Ihr Kollege Ramsauer blass und blässer. ({15}) Er hat natürlich Angst gehabt, dass Sie ihm sozusagen die Wassermühle abstellen wollen. ({16}) Herr Glos, ich kann Ihnen eines verraten - das gilt besonders für den Fall, dass Sie demnächst einmal wieder Wahlkampf in Bayern machen müssen -: Zahlreiche Bauern, von Schleswig-Holstein bis Bayern, setzen inzwischen auf erneuerbare Energien, und zwar zu Recht, weil sie Entwicklungschancen für die ländlichen Räume, gerade auch in Ostdeutschland, bieten. Das haben Sie verschlafen, das muss man leider sagen. ({17}) Falls Sie ein bisschen Nachhilfeunterricht brauchen: ({18}) Ihr Ministerpräsident, Herr Stoiber, hatte neulich Besuch von einer chinesischen Delegation. Was hat Herr Stoiber dem chinesischen Ministerpräsidenten mit seiner Delegation vorgeführt? Bayerische Biogasanlagen, die von der Bundesregierung großzügig gefördert wurden. Herr Glos, peinlich für Sie, dass Herr Stoiber diese für Fortschritt hält, während es für Sie offenbar eine Wollsockennummer ist! ({19}) Es wäre interessant, einmal die Alternativen der Opposition zu hören. Davon haben wir nämlich bisher noch nichts gehört. Es wäre aber gerade deshalb interessant, weil bei Ihnen in dieser Woche vieles in Bewegung geraten ist. Die Lage bei den Fraktionsvorsitzenden ist bei Ihnen inzwischen unübersichtlicher als bei uns. Sie zeichnet sich bei uns durch hohe Kontinuität aus, während bei Ihnen ein Stafettenlauf stattfindet. Diese Woche ist die Woche der Abschiedsreden in der Union. Ich sehe schon, dass Herr Schäuble und Herr Merz auf der Dissidentenbank ein bisschen zusammenrücken müssen, damit auch Herr Seehofer dort noch Platz findet. Ich muss leider zugeben, dass ich im letzten Jahr einen Fehler gemacht habe, den ich jetzt korrigieren muss. Ich hatte Herrn Seehofer ein freundliches Angebot gemacht, weil wir Grüne viele Erfahrungen mit querköpfigen Herren haben, und zwar nicht nur mit den älteren, sondern auch mit denen im besten Alter. Mein Angebot war ein echter Fehler, weil Herr Seehofer seinen wirklich hohen Unterhaltungswert in der Union im letzten Jahr besser zur Geltung bringen konnte, als das bei uns möglich gewesen wäre. Ich denke, das wird auch so bleiben; denn er hat versprochen, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Wir sind voller Hoffnung, wir betrachten das nicht als Drohung, sondern als Versprechen. ({20}) Ihrer Fraktionsvorsitzenden möchte ich sagen: Die Lebenserfahrung zeigt, dass es nicht immer ein Unglück ist, wenn einem ein Mann davonläuft. ({21}) Wenn es allerdings in sehr kurzer Zeit zwei Männer sind, sollte einem das vielleicht ein bisschen zu denken geben. Da ich nicht nur eine lebenserfahrene Frau bin, sondern auch Mitglied eines berühmten Fußballvereins, kann ich noch einen weiteren Rat geben: Wenn die Leistungsträger einer Mannschaft anfangen, gegen den Trainer zu spielen, und nur noch Dienst nach Vorschrift machen, dann muss am Ende meist der Trainer gehen, Frau Merkel. Das sollten Sie sich vielleicht merken. ({22}) Herr Merz und Herr Seehofer wollten meist in völlig unterschiedliche Richtungen, das war erkennbar. Man hatte den Eindruck, sie würden sich am liebsten gegenseitig ins Steuerrad greifen. Eines konnte man ihnen aber nicht absprechen: Sie wussten jeder für sich wenigstens, wohin sie wollten. Nachdem sie sich nun zurückgezogen haben, fragt man sich natürlich, wohin geht es eigentlich mit der Unionsfregatte. Sie dümpelt erkennbar im trüben Fahrwasser der Orientierungslosigkeit und des konzeptionellen Niemandslandes. Ihre Gesundheitsreform steht geradezu für das, was Sie als Union im Moment programmatisch verkörpern. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat es auf den Begriff „weder Fisch noch Fleisch“ gebracht. Eine Zeit lang hatte ich die Befürchtung, Sie würden uns am Ende Ihrer Suche zwischen Fisch und Fleisch einen Hering mit Kaninchenohren servieren. ({23}) Das Resultat des Zusammenwirkens von Frau Merkel und Herrn Stoiber habe ich in der Tat noch unterschätzt. Es ist schon ein ausgewachsener bayerischer Wolpertinger, den Sie uns präsentiert haben, ({24}) in dem sich bekanntlich acht verschiedene Tierarten vereinen. ({25}) - Ich sprach von dem berühmten bayerischen Wolpi. Den kennen vielleicht auch Sie. In ihm stecken acht verschiedene Tierarten. So verhält es sich auch mit Ihrem Gesundheitsmodell. Auf der einen Seite sagen Sie Ja zu Steuererhöhungen, zur Pauschale und zu prozentualen Arbeitgeberbeiträgen. Auf der anderen Seite machen Sie die sozial Schwächeren zu Bittstellern. Dieses Modell ist unterfinanziert und nicht seriös gegengerechnet. Den Solidarausgleich für Kinder sollen auch die Privatversicherten bekommen. Es ist vollkommen richtig, wenn Herr Seehofer sagt, dass dieses Modell eine Totgeburt ist und dass daraus niemals etwas werden wird. Eines ist auch klar: Dass die Bürgerversicherung das Modell von Rot-Grün ist, ({26}) liegt nicht nur daran, dass sie einen besseren Namen hat, sondern auch daran, dass sie vom Prinzip her einfach und gerecht ist. ({27}) Wir können den Bürgerinnen und Bürgern versichern: Wir werden die sozialen Sicherungssysteme im Bereich der Krankenversicherung, die für 90 Prozent der Bevölkerung Sicherheit gewährleisten, ({28}) nicht zerschlagen, sondern sie auf eine breitere und gerechtere Grundlage stellen, ({29}) und zwar dadurch, dass wir alle Bürgerinnen und Bürger einbeziehen. ({30}) Sie wollen das auf keinen Fall tun, obwohl das sogar vom Sachverständigenrat empfohlen wurde. Wir werden allerdings keine Pauschale einführen; denn wir wollen nicht, dass Millionen Menschen in unserem Land zu Bittstellern werden. Wir werden die Einkunftsarten gerechter einbeziehen ({31}) und nicht nur die Arbeitnehmereinkommen belasten. Dieses System ist einfach, klar und gerecht. ({32}) Das ist das Gegenteil von dem, was Sie auf den Weg gebracht haben. Aus dem, was Sie wollen, wird nichts. Das ist ein hoffnungsloses Kuddelmuddel. ({33}) Meine Damen und Herren, es gibt keinen Grund, die derzeitige wirtschaftliche Situation schlecht zu reden. Im Moment stehen wir allerdings noch am Anfang der konjunkturellen Erholung. ({34}) Der Sachverständigenrat hat gesagt, dass wir mit unseren Arbeitsmarkt- und Sozialreformen auf dem richtigen Weg sind. Wir wissen, dass sich die Wirkungen dieser Reformen erst mittel- und langfristig zeigen werden. Ebenso wissen wir, dass die Reaktion vieler Menschen auf diese Reformen Verunsicherung war. Auch das ist ein Grund für die schwache Binnennachfrage. Daher darf man die Menschen jetzt nicht weiter verunsichern. Ich fand es schäbig, wie Sie von der Opposition die Diskussion über den 3. Oktober ausgenutzt haben: In dieser Debatte haben Sie so getan, als gehe es mit Deutschland so sehr bergab, dass nur noch flächendeckendes Subotnik helfen könne. Dabei übertreffen Sie sich ununterbrochen selbst: Herr Stoiber will flächendeckend die 40-Stunden-Woche, Herr Merz die 42-Stunden-Woche einführen. Letztes Jahr ist von Ihrem designierten stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden sogar die 48-Stunden-Woche ins Gespräch gebracht worden. Das kann nicht der Weg sein, den wir gehen müssen, damit Deutschland wettbewerbsfähig bleibt bzw. wird. Wir müssen auf Qualität, Produktivität, Innovation und Bildung setzen. Für die Bildung müssen wir den Weg freimachen. Nun komme ich zum Haushalt. ({35}) Natürlich ist die Haushaltslage schwierig. Aber der Sachverständigenrat hat der Bundesregierung bestätigt, dass wir eine restriktive Haushaltspolitik betreiben. Gestern ist Ihnen deutlich gemacht worden, dass es sich bei Ihren Einsparvorschlägen im Wesentlichen um Luftnummern und falsche Veranschlagungen handelt, die nicht seriös sind. An den Stellen, an denen Ihre Vorschläge überhaupt belastbar sind, führen sie zu weiteren Einschränkungen: im Verteidigungsbereich in einer Größenordnung von 700 Millionen Euro und bei der inneren Sicherheit in Höhe von 260 Millionen Euro. Sie trauen sich nicht einmal, öffentlich laut zu sagen, welche Konsequenzen die Umsetzung Ihrer Sparvorschläge hätte. Jetzt müssen wir unsere restriktive Haushaltspolitik mit der konjunkturellen Entwicklung abstimmen, um zu einer weiteren Belebung der Wirtschaft beizutragen. Ebenso müssen wir beim Subventionsabbau vorankommen. Hier haben wir durch Ihre Blockade im Bundesrat eine Lücke in der Größenordnung von über 17 Milliarden Euro; das wären über 9 Milliarden Euro für die Länder und über 4 Milliarden Euro für die Kommunen. Dass Sie hier im Bundesrat über Ihre Unionsländer blockieren, ist nicht verantwortlich gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Sie fahren in Ihren Bundesländern harte Sparprogramme, gerade auch in der Bildungspolitik und in der Hochschulpolitik. Etliche Ihrer Bundesländer sind nicht mehr in der Lage, einen verfassungskonformen Haushalt aufzustellen - allen voran Hessen, aber auch das Saarland und Niedersachsen haben ihre Probleme. Gleichzeitig blockieren Sie, dass wir endlich an die Eigenheimzulage herangehen. Ich weiß, Sie können dieses Wort nicht mehr hören, ({36}) aber wir werden es Ihnen immer wieder vorhalten, und zwar so lange, bis Sie mit uns allein schon deshalb an die Eigenheimzulage herangehen, weil Sie das Wort nicht mehr hören können. Wir müssen in diesem Land wirklich Prioritäten setzen: für die Kinderbetreuung, für die Bildung, für die Forschung, für die Entwicklung. Das können wir nicht schaffen, wenn wir uns weiter an Dinge klammern, die einfach nicht mehr in die Zeit passen. ({37}) - Ja, Herr Gerhardt, wir fahren die Steinkohleförderung herunter: von einem Fördervolumen von 28 Millionen Tonnen auf 16 Millionen Tonnen; wir Grünen wären da sicher noch ein bisschen ehrgeiziger. Aber eines sollten Sie den Leuten ganz offen sagen: Die Vorschläge, die Sie in den Haushaltsrunden gemacht haben, würden unmittelbar, jetzt und heute, zu Massenentlassungen im Ruhrgebiet führen. Das verschweigen Sie. ({38}) Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten Tagen eine aus meiner Sicht von falschen Tönen geprägte Debatte über Fragen der Integration und über Fragen der Haltung gegenüber unseren islamischen Mitbürgern gehabt. Meine Fraktion - ich sage das gerne noch einmal ganz deutlich, falls es irgendwelche Zweifel gibt - hat ganz klar gemacht, dass wir den Vorschlag, in Deutschland einen muslimischen Feiertag einzuführen, für falsch halten. ({39}) Damit ist der falsche Eindruck erweckt worden, hier solle eine Mehrheit dazu gebracht werden, sich einer Minderheit anzupassen. Darum kann es nicht gehen. Ich will aber auch etwas anderes ganz deutlich sagen: Ich glaube, dass es richtig ist und dem Zusammenleben in diesem Land dient, wenn sich Kinder in der Schule zum Beispiel damit auseinander setzen, wie in der einen Familie Weihnachten und in der anderen Familie das Bairamfest gefeiert wird. Denn die Hintergründe vieler Traditionen, die wir selber pflegen, sind vielen Kindern sicher nicht bekannt. Ich bin auch dafür, dass Unternehmer und Arbeitgeber großzügig sind, wenn es darum geht, zu solchen Festen Urlaubstage zu genehmigen. Ich will den Blick auf die Art und Weise, wie auf diese Debatte und die furchtbaren Ereignisse in den Niederlanden reagiert worden ist, lenken: Das waren entschieden zu schrille Töne, das war falsch und teilweise gefährlich. Da müssen wir, verdammt noch mal, aufpassen. ({40}) In den Niederlanden gab es einen furchtbaren, grausamen Mord an einem Journalisten. Es gab aber auch Übergriffe auf Moscheen und Gewalttaten an islamischen Bürgern. Beide Seiten gehören zum ganzen Bild. Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Wir tragen eine riesengroße gemeinsame Verantwortung. Wenn ich von „gemeinsamer Verantwortung“ spreche, dann meine ich damit die Muslime, dann meine ich die Christen, dann meine ich die Nichtchristen, dann meine ich die Deutschstämmigen, dann meine ich die Migranten. Deshalb sollten wir miteinander und übereinander so sprechen, dass nicht die gewaltbereiten Ränder - bei den Deutschen: Rassisten und Faschisten; auf der anderen Seite: religiöse Fundamentalisten - am Ende das Gefühl haben, sie würden von gewichtigen Teilen dieser Gesellschaft in irgendeiner Weise mit Sympathie betrachtet oder auch nur geduldet. Das heißt nicht, Probleme auszugrenzen; das heißt nicht, Auseinandersetzungen nicht zu führen. So etwas darf wirklich nicht passieren. In den letzten Tagen ist das zum Teil sträflich missachtet worden. ({41}) Wir dürfen uns nicht in eine Weltreligionskriegshysterie hineintreiben lassen. Seit dem 11. September gibt es zweifelsohne eine veränderte Sicherheitslage in der Welt. Freie und offene Gesellschaften müssen sich dem stellen und beweisen, dass sie in der Lage sind, sich dieser neuen asymmetrischen Gefahren zu erwehren - auch mit Mitteln der Polizei, des Verfassungsschutzes, der Gerichte, der Ermittlungsinstanzen und mit repressiven Maßnahmen. Die Gefährdung der freien und offenen Gesellschaften hat aber auch eine andere Seite. Der Angriff des internationalen Terrorismus auf die offenen und freien Gesellschaften ist eben auch ein Angriff auf unsere Freiheitsrechte und auf unsere pluralistischen Gesellschaften. Wenn wir damit anfangen, das Zusammenleben mit Menschen unterschiedlicher Religion, Herkunft und Kultur in unseren pluralistischen Gesellschaften infrage zu stellen oder infrage stellen zu lassen, dann hat der internationale Terrorismus schon seinen ersten Triumph. Darüber müssen wir uns im Klaren sein. Das darf nicht passieren. ({42}) Es gibt niemanden, der behauptet, dass das Zusammenleben von Menschen mit verschiedener Religion, Kultur und Herkunft ohne Konflikte und Probleme verläuft. Es ist anstrengend, Fremdheit und Anderssein zu ertragen und sich damit auseinander zu setzen. Frau Merkel, ich hätte Verständnis dafür gehabt, wenn Sie gesagt hätten: Lassen Sie uns offen über die Probleme reden. ({43}) Sie haben aber etwas anderes gesagt. Sie haben gesagt: Diese Form des Zusammenlebens, die multikulturelle Gesellschaft, ist gescheitert. ({44}) Wer behauptet, dass diese Art des Pluralismus in unserer Gesellschaft gescheitert ist, der liefert den Gewalttätern eine Steilvorlage. ({45}) - Herr Kauder, Sie können hier gerne kauderwelschen, sogar auf Kosten meines Namens, ({46}) aber auch Sie müssen erkennen: Die Auseinandersetzung mit dem internationalen Terrorismus und mit den Gewalttätern erfordert es, dass wir uns gerade machen und für unsere pluralistische Gesellschaft sowie die damit verbundenen Freiheitsrechte - dazu gehört auch die Religionsfreiheit - einsetzen. ({47}) Deshalb kann es nicht sein, dass man einen Generalverdacht gegen diese Menschen aufkommen lässt, nur weil sie den muslimischen Glauben haben. Das ist in diesen Tagen nicht beachtet worden. ({48}) - Wenn Sie sagen, die multikulturelle Gesellschaft ist gescheitert, ({49}) dann kapitulieren Sie vor der Gestaltungsaufgabe. ({50}) Integration muss gestaltet werden. Sie kapitulieren vor dieser Aufgabe und deswegen ist es gut, dass Sie in der Opposition sitzen. Lange genug haben Sie vor dieser Gestaltungsaufgabe den Kopf in den Sand gesteckt. Lange genug haben wir uns in diesem Land von den konservativen Kräften immer wieder die Lebenslüge vorhalten lassen müssen, dass wir kein Zuwanderungsland sind. An dieser Lebenslüge wollen Sie jetzt offensichtlich wieder anknüpfen. Ich sage Ihnen: Das ist hochgefährlich. Sie können diese Gesellschaft mit den Menschen, die eine unterschiedliche Herkunft sowie unterschiedliche Religionen und Kulturen haben, nicht ab- und anstellen, wie es Ihnen gerade passt. Wir müssen diese Gesellschaft gestalten. Sie können hier im Lande die Diskussion nicht so führen, als könnte man von dem Mitbürgerstatus wieder zu einem Gaststatus zurückkehren. Die Stichworte, die Sie hier gegeben haben, sind wirklich verheerend. ({51}) Dass viele Probleme gegenwärtig ein solches Ausmaß angenommen haben, lag doch nur daran, dass wir den Kopf in den Sand gesteckt haben und dass wir die Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft nicht aktiv angegangen sind. Eingewandert sind vor allem jene Türken, die der ländlichen Unterschicht angehörten. Das ist keine politische Entscheidung von Rot-Grün gewesen. Das ist die Entscheidung von deutschen Unternehmen gewesen, die billige Arbeitskräfte für billige Jobs haben wollten und diese Menschen nur als Arbeitskräfte gesehen haben, die dann natürlich in die billigen Stadtteile gezogen sind, wo die Deutschen zum Teil gar nicht mehr leben wollten. Vor diesen Problemen stehen wir jetzt. Das Problem ist nun, dass diese Jobs, die die erste Generation der Einwanderer noch gemacht hat, durch die Produktivitätssteigerung in diesem Land zum großen Teil verschwunden sind. Die Menschen der zweiten, dritten und vierten Generation brauchen wir angesichts des demographischen Wandels in unserem Land dringend. Aber dann müssen wir sie gerade durch Bildung integrieren. Das ist die Hauptaufgabe. Das muss bei der frühkindlichen Förderung anfangen, sonst wird es nichts mit dem „Bitte lernen Sie Deutsch“, wie Herr Beckstein zu Recht gefordert hat. Aber dann müssen dafür auch die Chancen gegeben werden. Das fängt eben bei der Kinderbetreuung und der frühkindlichen Förderung an. Es macht die Sache doch nicht einfacher, Frau Merkel, Migrantenkinder in unserem Land zu integrieren, wenn es insgesamt zu wenig Kinderbetreuungsmöglichkeiten gibt. Es gibt auch deswegen viel zu wenig Möglichkeiten der Kinderbetreuung, weil wir zu lange einer konservativen Familienpolitik angehangen haben, die diese Kinderbetreuung nicht wollte. ({52}) Ich will etwas zu dem Thema Leitkultur sagen. Wir, Migranten, Deutschstämmige, Christen und Muslime, brauchen eine gemeinsame Grundlage in dieser Gesellschaft. Diese gemeinsame Grundlage sind unsere Grundrechte, unsere Verfassung, unsere Rechtsstaatlichkeit und unsere Demokratie. ({53}) Diese Grundrechte sind nicht banal. Jeder, der behauptet, dass sie durch etwas anderes ersetzt werden müssten, der irrt sich ganz gewaltig. Die Würde des Menschen und der Gleichheitsgrundsatz von Männern und Frauen sind eine sehr tragfähige Grundlage. Ich vertraue dieser Grundlage. Viele Muslime in Deutschland, die an unserer Zivilgesellschaft in Vereinen, Gewerkschaften und Schulinitiativen aktiv teilnehmen, vertrauen dieser Grundlage viel mehr als irgendeiner Form von christlicher Leitkultur. ({54}) Ich will hier niemandem seinen christlichen Glauben streitig machen. ({55}) Ich begegne ihm mit großem Respekt. Ich habe vor der Religion eines jeden Menschen großen Respekt. Ich bin der Ansicht, dass ein überzeugter Glaube einer Gesellschaft etwas Wertvolles geben kann, wenn er auf der Basis unserer Grundrechte gelebt wird. Aber wir sollten nicht unkritisch sein. Das fängt schon bei unserer eigenen Geschichte an. Dafür brauchen wir gar nicht bis ins Mittelalter zurückzugehen. Schauen wir uns doch einmal die Toleranzkonflikte in unserer deutschen Nachkriegsgeschichte an: die Auseinandersetzungen über die Stellung unehelicher Kinder, lediger Mütter, unverheirateter Paare, Homosexueller und auch Mischehen in dieser Gesellschaft. Dabei waren Mischehen keine Ehen zwischen Schwarzen und Weißen, sondern zwischen Protestanten und Katholiken. ({56}) Die Vergewaltigung in der Ehe wurde doch erst Ende der 90er-Jahre unter Strafe gestellt. Wer hat denn dagegen so lange Widerstand geleistet? ({57}) Ein anderes Stichwort ist das Ansehen geschiedener Frauen. All das sind Toleranzkonflikte gewesen, die wir hinter uns gelassen haben. Ich bin froh, dass wir heute sagen können: Nein, unsere Grundrechte, insbesondere die Würde des Menschen, gelten für alle: für ledige Mütter, unverheiratete Paare, für Homosexuelle, für Christen und Muslime. Ich glaube, dass dies eine gute Grundlage für unsere Gesellschaft ist. Bei der Diskussion über Beliebigkeit in unserer Gesellschaft wünsche ich mir mehr Respekt und Anerkennung von denen, die uns diese Diskussion zum Teil aufdrängen. In der „Welt“ hat Herr Döpfner uns diese Woche einiges über das Ende der Appeasementpolitik mitgegeben. Herr Döpfner hat uns einiges über Kreuzzüge, die angeblich schon im Gange sind, mitgegeben. In derselben Woche musste eine mutige junge Schauspielerin, ({58}) die in dem Film „Gegen die Wand“ die Hauptrolle gespielt hat, unter Tränen darum bitten und betteln, dass die „Bild“-Zeitung endlich damit aufhört, sie mit einer dreckigen Hetzkampagne zu überziehen. Man kann nicht auf der einen Seite Krokodilstränen über die Situation von muslimischen Frauen in traditionellen, rückständigen muslimischen Familien vergießen, auf der anderen Seite aber eine Frau mit einer solchen Hetzkampagne überziehen. Das passt nicht zusammen. ({59}) Ich will Ihnen einmal sagen, was mich als deutsche Frau - zugegeben mit einem sehr gemischten Hintergrund, aber auch als deutsche Frau - wirklich empört hat. In derselben Woche, in der wir uns anhören mussten, die multikulturelle Gesellschaft sei am Ende, der Islam sei mit unseren Werten nicht kompatibel und es müsse die Auseinandersetzung über die Leitkultur geführt werden, konnte man in der „Bild“-Zeitung ein Foto von einer Frau sehen, die einem Hund die Brust gibt. Ich würde mir von den Menschen, die uns hier die Leitkultur predigen, wünschen, dass sie deutlich machen, dass auch für uns in diesem Lande Würde und Respekt noch etwas wert sind. ({60})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Vorsitzende der CDU/CSUFraktion, Dr. Angela Merkel. ({0})

Dr. Angela Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001478, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, die Worte zu Beginn Ihrer Rede mögen amüsant gemeint und nett gewesen sein, sie waren sicherlich auch nicht ohne jeden Unterhaltungswert; aber ich frage Sie in diesem Saal: Was glauben Sie eigentlich, was die Menschen, die uns draußen zuhören - der Arbeiter bei Opel, die Verkäuferin bei Karstadt, die Rentnerin, die nächstes Jahr real eine niedrigere Rente haben wird, diejenigen, die in einem mittelständischen Betrieb arbeiten und von Insolvenz bedroht sind -, von uns hören wollen? ({0}) Was glauben Sie, was diese Menschen ganz speziell von Ihnen, Herr Bundeskanzler, hören wollen? Ich bin mir ganz sicher: Sie wollen auf gar keinen Fall amüsante, nette Geschichtchen von vorgestern hören, sondern sie wollen eine Aussage über ihre eigene Lebensperspektive, über die Zukunft dieses Landes. ({1}) Sie haben beschwörend über das, was gemacht wurde, gesprochen. Sie haben plumpe Angriffe auf die Opposition gemacht. Sie haben den Blick zurückgeworfen - aber Zukunft, Herr Bundeskanzler, Fehlanzeige. Irgendeine Idee für die nächsten zwei Jahre? Völlige Fehlanzeige. ({2}) Deshalb sage ich - ich sage das ganz ruhig, weil dies der Ort ist, an dem wir uns auseinander setzen -: Diese Ihre Rede war der eines Bundeskanzlers nicht würdig. ({3}) Das Allerschlimmste ist: Sie war unter der Würde unseres Landes. ({4}) Das Problem ist nicht, dass dieses Land schlechtgeredet wird. Im Übrigen, Herr Bundeskanzler, passen Sie auf, dass Sie nicht dauernd Menschen, die an Ihnen und Ihrer Regierung Kritik üben, gleich noch mit beleidigen. Das Problem dieses Landes ist, dass es unter Wert regiert wird. Das muss man immer und immer wieder deutlich sagen. ({5}) Das Ganze beginnt mit einer grandiosen Realitätsverweigerung. Herr Eichel, Sie haben am 18. Juni 2002 in Ihrem Haushaltsaufstellungsschreiben für 2005 eine Verschuldung von 5,5 Milliarden Euro prognostiziert, aber stolz hinzugefügt, dass man in der Summe zu einem ausgeglichenen Haushalt käme, weil gleichzeitig die sozialen Sicherungssysteme Überschüsse aufweisen würden. Ich bitte Sie, sich vor Augen zu führen, was seitdem geschehen ist. ({6}) Was die sozialen Sicherungssysteme angeht, ist die Rentenversicherung am Anschlag. Sie werden sogar noch Kredite aufnehmen müssen. Die Pflegeversicherung ist völlig auf den Hund gekommen. Im Gesundheitssystem - ich trage das mit, Herr Bundeskanzler; wir haben den Maßnahmen zugestimmt - sind inzwischen in dem Maße Überschüsse erwirtschaftet worden, dass wenigstens frühere Schulden zum Teil getilgt werden können. Aber insgesamt sind wir von einem ausgeglichenen Haushalt so weit entfernt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Das hat niemand anders zu verantworten als Sie. Das ist Ihr Werk. ({7}) In diesem Hause gibt es eine lange gepflegte und auch zu Recht vereinbarte Aufgabenteilung zwischen der Regierung, die handeln kann, und den sie tragenden Fraktionen einerseits und der Opposition andererseits, der die Aufgabe eines Wächters über das, was Sie tun, zukommt. ({8}) Deswegen werden wir - ob es Ihnen passt oder nicht Ihren Nachtragshaushalt für dieses Jahr dem Bundesverfassungsgericht vorlegen, weil wir der Meinung sind, dass die jetzt eingetretene Erhöhung der Neuverschuldung von 29 Milliarden Euro auf über 44 Milliarden Euro voraussehbar war, und weil Sie wie schon in vielen anderen Jahren dieses Parlament und die Menschen in diesem Lande bewusst getäuscht und instrumentalisiert haben. Dem muss ein Ende gemacht werden. ({9}) Herr Bundeskanzler, Sie können davon ausgehen, dass kein vernünftiger Mensch irgendein Interesse daran hat, etwas schlechter zu reden, als es ist. ({10}) Wir kennen doch sicherlich alle die von der Bertelsmann-Stiftung und vom Weltwirtschaftsforum erstellten Rankings der Industrienationen. Sie können zwar feststellen, dass einiges passiert sei, das in die richtige Richtung weise, das Dumme ist aber, dass wir weiterhin ganz hinten liegen. ({11}) Der auch von Ihnen geschätzte Wim Kok, der beauftragt ist, den Lissabon-Prozess - also den Wachstumsprozess der Europäischen Union - zu bewerten, hat den Mitgliedstaaten der Europäischen Union deutlich ins Stammbuch geschrieben: Vorraussetzung für die Verwirklichung ist eine starke, entschlossene und überzeugende politische Führung. Er hat gleich hinzugefügt: Sicherlich waren die Ereignisse außerhalb Europas seit dem Jahr 2000 nicht förderlich. Doch es liegt eindeutig an der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten selbst, wenn sich Fortschritte nur langsam einstellen. Denn in vielen Bereichen wurde es versäumt, die Reformen mit dem erforderlichen Nachdruck voranzutreiben. Herr Bundeskanzler, ich frage Sie: Wen mag Wim Kok gemeint haben, wenn wir im Ranking der Industrienationen an hinterer Stelle liegen? ({12}) Ich glaube, dass sich Deutschland angesprochen fühlen muss. Es fehlt an einer entschlossenen Führung dieses Landes. Das ist das Problem, über das wir sprechen müssen. ({13}) Es ist interessant, neben dem Wim-Kok-Bericht für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch einen Blick in den Bericht der Bundesregierung zur Bewertung des Lissabon-Prozesses zu werfen. Darin heißt es, die Strategie von Lissabon, dass Europa der dynamischste Kontinent der Welt werden wolle, sei in der Euphorie der New Economy geboren. Dann sei es zu einer spekulativen Blase gekommen. ({14}) Hinzu seien externe Schocks gekommen: der 11. September, Bilanzskandale, der Krieg im Irak, der Anstieg der Ölpreise und eine dreijährige Stagnation. Damit ist aber immer noch nicht die Frage beantwortet, warum wir ganz hinten liegen, Herr Bundeskanzler, und zwar hinter anderen, die ebenfalls unter diesen Belastungen gelitten haben. Diese Frage müssen wir beantworten. ({15}) Ich glaube, dass wir an dieser Stelle wieder auf ein von Ihnen bereits bekanntes Strickmuster stoßen: Schuld sind immer die anderen - die Welt, die Bundesländer, die Kommunen, die Blockade im Bundesrat. Alles kommt recht, wenn es erklären kann, dass Ihnen irgendetwas nicht gelingt. Schon der frühere amerikanische

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Die Suche nach Sündenböcken ist von allen Jagdarten die einfachste. Aber, lieber Herr Bundeskanzler, damit können wir uns nicht zufrieden geben. ({0}) Wir wollen danach jagen, beim Wachstum vorne mit dabei zu sein und uns nicht mit einem Platz ganz hinten abspeisen zu lassen. Das ist unser Anspruch. ({1}) Der Sachverständigenrat hat schon Recht mit seiner Aussage, die wir alle begrüßen, dass der Export sich prima entwickelt und wir auf dem Gebiet Erfolge haben. Das sichert Arbeitsplätze. Auch wenn diese nicht alle in Deutschland liegen, freuen wir uns immerhin darüber. Aber für die 80 Millionen Menschen im Lande zählt natürlich nicht nur - das werden doch auch Sie wohl nicht bestreiten -, ob sich der Export ordentlich entwickelt, ({2}) sondern für die Menschen zählt, was zum Schluss bei ihnen in der Tasche ankommt, welche Möglichkeiten und Chancen sie haben, Arbeit zu behalten oder zu bekommen. Deshalb hat der Sachverständigenrat das eine gelobt - darüber haben Sie ausführlich gesprochen - und gleichzeitig auf Herausforderungen im Inland hingewiesen. Über diese Herausforderungen haben Sie in Ihrer Rede geschwiegen. Herr Bundeskanzler, der Sachverständigenrat sieht darin sogar noch - diese Meinung teile ich im Übrigen etwas Positives. Er sagt nämlich, tatsächlich sei die Wachstumsschwäche auf inländische Bestimmungsgründe zurückzuführen und wir könnten ganz beruhigt sein. Sie hängt also nicht von außen, von der Welt oder von sonstwem ab, ({3}) sondern es sind inländische Bestimmungsgründe. Und was außer inländischen Bestimmungsgründen können wir hier ändern? Das ist doch unsere Aufgabe. Deshalb können wir happy sein mit einer solchen Situation, weil wir jetzt nur noch die Binnenkonjunktur ankurbeln müssen, und zwar mit Maßnahmen, über die wir hier miteinander diskutieren müssen. Das hat der Sachverständigenrat prima gesagt. ({4}) Jetzt muss man fragen: Was passiert? ({5}) Ich habe heute hier nichts gehört. Ich bin aber überzeugt - und das sage ich für unsere Fraktion insgesamt -: Wir haben die Kraft und die Möglichkeiten, aus diesem Land wieder das zu machen, was in diesem Land steckt. ({6}) Dazu brauchten wir jedoch Ihr Einverständnis und das haben wir nicht. Wir sind am Anfang von Reformen und nicht am Ende. ({7}) Die Umsetzung von beschlossenen Reformen allein ist nicht genug, sondern wir müssen darüber sprechen, wie wir nach den schon umgesetzten Maßnahmen weitermachen, damit wir aus dieser Inlandsmisere herauskommen, Herr Bundeskanzler. Das ist die Aufgabe. ({8}) - Herr Poß, hören Sie auf zu schreien. Es ist wirklich lästig. ({9}) Dazu sagt der Sachverständigenrat - nicht wir, nicht die FDP und nicht Ihre Gegner - ganz klar: Ein schlüssiges Konzept für eine wachstumsfördernde Politik ist von der Bundesregierung nicht vorgelegt worden. Vielmehr bleibt der Eindruck, es handele sich um Einzelmaßnahmen, die zum Teil auch nur ergriffen wurden, weil sich die Haushaltslage immer weiter zugespitzt hat. ({10}) Herr Bundeskanzler, deshalb müssen wir alle uns fragen: Was muss jetzt geschehen? Beginnen wir doch mit dem Haushalt selbst, der die Zukunftsfähigkeit dieses Landes definiert. Dazu hat sich der Präsident des Bundesrechnungshofes doch in wirklich atemberaubender Weise - um den Begriff noch einmal aufzunehmen deutlich geäußert: Die Schieflage ist so extrem, dass es einem den Atem verschlägt. Eine solche Aussage eines Parteifreundes über einen Bundeshaushalt hat es noch nie gegeben, Herr Bundeskanzler. Damit müssen Sie sich auseinander setzen. ({11}) Der Sachverständigenrat sagt in seinem Bericht weiter: Die ohnehin bescheidenen Schritte zur Konsolidierung des Staatshaushaltes gehen zulasten der öffentlichen Investitionen und damit genau jenes Teils der Staatsausgaben, von dem am ehesten noch positive Wirkungen für das Wachstum ausgehen könnten. ({12}) Herr Bundeskanzler, der nächste Haushalt enthält Privatisierungserlöse in einem Umfang von 15 Milliarden Euro. Vor ungefähr einem Jahr hatten wir das Vergnügen, miteinander im Vermittlungsausschuss zu diskutieren, und Sie haben aufs Ehrenwort versichert, mehr als 3 Milliarden Euro Privatisierungserlöse würden in diesen Haushalt nicht eingestellt. Ich glaube, Sie haben damals die Wahrheit gesprochen und Sie lügen sich jetzt in die Tasche. ({13}) Sie verscherbeln nicht nur alles, was heute vorhanden ist, sondern auch alles, was notwendigerweise für die Zukunft zurückgelegt wurde. Dabei waren die Rücklagen ohnehin schon knapp. Der Sachverständigenrat nennt das Desinvestition. Merken Sie sich dieses Wort! Das ist das Gegenteil von dem, was notwendig ist. Das tun Sie im festen Wissen darum, dass Sie damit den Kindern und Enkeln dieses Landes eine Bürde aufhalsen, die kaum zu schultern ist. Das ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit, für die Sie in diesem Lande - Frau Roth, da Sie gerade so interessiert schauen, sage ich Ihnen, dass Sie mit diesem Anspruch einmal angetreten sind - eigentlich sorgen wollten. Das muss man den Menschen sagen. ({14}) Herr Bundeskanzler, Sie haben Anfang 2004 das Jahr der Innovation ausgerufen. Dass man davon - rückblickend auf die letzten elf Monate - gar nichts mehr gehört hat, erstaunt und überrascht mich, obwohl es eigentlich klar ist. Schauen Sie sich nur den Zustand des Gentechnikgesetzes an! Das ist ein völlig klares Eingeständnis - weil Herr Clement und Frau Künast nicht zueinander kommen -, dass in Deutschland der Wachstumsbereich Grüne Gentechnologie nicht existieren wird. Herr Bundeskanzler, Sie haben zusammen mit Tony Blair und dem französischen Präsidenten Chirac eine bemerkenswerte Initiative gestartet. Sie haben gesagt: Lasst uns über die Chemiepolitik in Europa, insbesondere über die REACH-Richtlinie, reden! Als dann endlich im Wettbewerbsrat, in den alle anderen EU-Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftsminister entsandt hatten, über diese Richtlinie beraten wurde, ist zum Erstaunen des gesamten europäischen Publikums und insbesondere zu unserer Überraschung Herr Trittin dort wieder erschienen und hat die gleichen Anträge wie im Umweltministerrat gestellt. Herr Bundeskanzler, Sie führen eine Regierung, in der Sie noch nicht einmal durchsetzen können, dass die vernünftigen Kräfte auf europäischer Ebene das Schlimmste für die chemische Industrie in Deutschland verhindern. ({15}) Sie sind vom Europäischen Gerichtshof verklagt worden, weil Sie die Biopatentrichtlinie nicht umgesetzt haben. Außerdem liegen Sie mit der pharmazeutischen Industrie - diese hat Recht - im Clinch, weil Sie eine Art der Umsetzung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes bezüglich der Pharmabranche gewählt haben, die mit Sicherheit die forschende Arzneimittelindustrie in Deutschland schwächt. Sie liefern damit einen kontraproduktiven Beitrag zum Jahr der Innovation. Es nutzt jetzt auch nichts, auf bestimmte Medikamentenhersteller zu schimpfen, weil diese Anzeigenkampagnen machen. Nehmen Sie besser die falsche Eingruppierung zurück und schützen Sie die forschende Arzneimittelindustrie mit ihren lizenzierten Medikamenten! Schon wären alle Anzeigenkampagnen beendet. Aber Sie haben dazu nicht die Kraft. Deshalb haben Sie auch an dieser Stelle versagt. ({16}) Herr Bundeskanzler, ich möchte heute einmal nicht über die Kernenergie, sondern darüber reden, dass die Energiepreise in Deutschland bis zu 50 Prozent - beispielsweise die Gaspreise mit 25 Prozent - über dem EU-Durchschnitt liegen, wenn auch nicht über den Weltmarktpreisen. Das ist in einem Binnenmarkt eine ziemlich komplizierte Sache. Die Internationale Energieagentur hat das völlig zu Recht moniert und die deutsche Regierung aufgefordert, ihre Energiepolitik mehr auf Fakten zu gründen. Genau das ist das Thema. Sie sollten Ihre Energiepolitik nicht auf Ideologien, sondern auf Fakten gründen. Dann wären wir in Deutschland schon ein ganzes Stück weiter. ({17}) Ich habe schon gesagt, dass das Verbot der Studiengebühren aufgehoben werden muss. Nur noch so viel dazu: Der Regierende Bürgermeister von Berlin hat zum baden-württembergischen Ministerpräsidenten gesagt: Wäre das Verbot doch schon aufgehoben! Er kann sich aber auf keinem Parteitag durchsetzen. Man wird sich vor dem Bundesverfassungsgericht wieder treffen, das gerade Ihre Regelungen betreffend die Juniorprofessur gekippt hat. Das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz müsste eigentlich deutlich verlängert werden. Aber zu welchem Schluss ist die Bundesregierung - Herr Clement, Bürokratieabbau! - gekommen? Sie verlängert das Gesetz gerade einmal um ein Jahr. Nächstes Jahr um diese Zeit werden wir also wieder darüber entscheiden müssen. Man hätte es doch mindestens bis 2019, also bis zum Ende der Laufzeit des Solidarpaktes II, verlängern müssen. Das hätte doch die menschliche Vernunft geboten. Aber die gibt es in Ihrem Kabinett wohl nicht. ({18}) Wir brauchen neue Stärken. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir unseren Wohlstand nur mit der Produktion von Hochleistungsprodukten, die andere auf der Welt nicht herstellen können, halten können. Wir müssen wettbewerbsfähig sein. Das heißt, wir müssen Dinge können, die andere nicht können. Um das aber zu schaffen, bedarf es bestimmter Bedingungen. Darüber diskutiere ich mit Ihnen, Herr Bundeskanzler, gerne. Sie haben gesagt: Schauen wir doch einmal in Ihre Programme, Stichwort Kündigungsschutz. Sie selbst haben eingesehen, dass das Kündigungsschutzrecht in Deutschland dafür sorgt, dass Ältere nicht mehr eingestellt werden. Sie selbst haben es geändert. Wir haben gemeinsam für die Anhebung des Schwellenwerts für Kündigungsschutz von fünf auf zehn Arbeitnehmer gesorgt. Falls in Deutschland nun jemand auf die Idee kommt, den Schwellenwert für Kündigungsschutz von zehn auf 20 Arbeitnehmer anzuheben: Bitte, erkennen Sie darin kein Verhetzungspotenzial. So kommt unser Land mit Sicherheit nicht weiter. Das ist Ihrer und Ihres Anspruchs einfach nicht würdig. ({19}) Ich habe heute kein Wort zur Fortentwicklung der sozialen Sicherungssysteme gehört. ({20}) Ich kann verstehen, dass Sie zu dem Thema Pflege geschwiegen haben; denn der Malus für diejenigen, die keine Kinder haben, ist nun wirklich das Ungeschickteste gewesen, was Sie bei der Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils machen konnten. Sie haben darauf verwiesen, dass sich mittlerweile 4 Millionen Menschen für die Riesterrente entschieden haben. Wir freuen uns, dass es so viele Menschen sind. Wir sagen aber: Wenn das Verfahren etwas unbürokratischer wäre, dann könnten es 12 Millionen Menschen sein. Denken Sie noch einmal darüber nach! Wir wollen das gemeinsam. Jetzt reden wir einmal über die Gesundheitspolitik. ({21}) Da beobachte ich Sie mittlerweile seit vielen Wochen und Monaten. Herr Bundeskanzler, die leuchtende Freude, mit der Ihnen das Wort „Bürgerversicherung“ über die Lippen kommt, vermisse ich beständig. Ich verfolge alle Ihre Reden. Herr Müntefering redet gerne über die Bürgerversicherung; Frau Nahles redet noch lieber darüber. Wir nennen das Ganze „Bürgerzwangsversicherung“, weil es uns die Einheitskasse bringen wird. ({22}) Sie haben sich entschieden, zu diesem Thema gar nichts zu sagen. ({23}) Mangels eigener Konzepte - Sie können keine Alternative anbieten - haben Sie sich heute dazu entschlossen ich glaube, das ist in Deutschland einmalig -, sich lediglich mit den Konzepten der Opposition auseinander zu setzen. ({24}) Herr Bundeskanzler, entschuldigen Sie einmal: Da es Ihrerseits so viel Kritik an unserem Kompromiss gibt, wäre heute doch die Gelegenheit gewesen, die Bürgerversicherung einmal in ihrer vollen Breite und Blüte darzustellen. ({25}) Das wäre doch eine schöne Sache gewesen. ({26}) Sie haben geschwiegen. Sie ärgern sich - das verstehe ich ja -, dass wir uns geeinigt haben. Das würde ich auch machen. ({27}) Herr Bundeskanzler - das sage ich auch in Richtung der Arbeitgeber -, wir haben, übrigens schon in Leipzig, festgelegt, dass Arbeitgeberbeiträge in Deutschland auf 6,5 Prozent eingefroren werden sollen. Weder unter einer unionsgeführten noch unter einer SPD-geführten Regierung hat es in den letzten 20, 30 Jahren für die Arbeitgeber eine derartige Planungssicherheit in Bezug auf ihre Sozialversicherungsbeiträge gegeben. Nach unserer Vorstellung gehört es zur völligen Autonomie der Tarifpartner - so schreibt es das Grundgesetz vor -, wie die Abschlüsse gestaltet werden. Wir wollen auf der Arbeitgeberseite Berechenbarkeit der Gesundheitskosten erzeugen. Das ist ein richtiger und notwendiger Schritt, weil die Lohnzusatzkosten in Deutschland zu hoch sind. Davon werden wir uns auch durch Ihre komische Kritik, Herr Bundeskanzler, nicht abbringen lassen. ({28}) Wir plädieren für eine unumkehrbare Weichenstellung. Wir müssen heraus aus dem heutigen System. Sie sollten sich von der Bürgerversicherung abwenden und einem Prämienmodell zuwenden. Ich sage Ihnen: Darauf sind wir stolz. Der Weg in ein neues System soll unumkehrbar sein. Herr Bundeskanzler, wir beide wissen: Sachverständige gehen von idealen ordnungspolitischen Voraussetzungen aus. Ich kann die Kritik eines Sachverständigen, der für das Prämienmodell in Reinkultur kämpft - möglichst für genau das, das er sich ausgedacht hat -, gut verstehen. Aber der Unterschied zwischen uns beiden ist, dass Sie das Prämienmodell ablehnen, obwohl die Sachverständigen es Ihnen nahe legen, während wir dafür eintreten und damit auf dem richtigen Weg sind. Den damit verbundenen Konflikt müssen wir austragen. ({29}) Friedrich Merz und das Steuerkonzept. ({30}) Da sind Sie ganz unruhig geworden, weil Sie natürlich wissen, dass das Merz/Faltlhauser-Konzept um Größenordnungen einfacher ist als alles, was Herr Eichel Ihnen jemals als denkbaren Vorschlag auf den Tisch gelegt hat, ({31}) dass auch das ein Schritt in die richtige Richtung ist, nämlich hin zu mehr Transparenz, zu mehr Klarheit im Steuersystem. Herr Bundeskanzler, ich freue mich ja für die Menschen im Lande darüber, dass die Steuersätze gesunken sind. Nur, Sie hätten alles das schon 1996 haben können: ({32}) Petersberger Beschlüsse. ({33}) Ich habe es mir extra noch einmal sagen lassen: 15 Prozent Eingangssteuersatz und 39 Prozent Spitzensteuersatz. ({34}) Meine Damen und Herren, Sie haben das damals aus rein parteitaktischen Gründen verhindert, ({35}) Sie und der Ministerpräsident Lafontaine und der Ministerpräsident Eichel. Wir waren damals auf dem richtigen Weg. Gott sei Dank wurde ein Stück dieses richtigen Weges gegangen. Aber Sie haben es damals blockiert; das müssen wir festhalten. ({36}) Ein weiterer Punkt - es ist schön, dass wir uns darüber auseinander setzen können, Frau Sager -: PISA-Studien. Wie kommt man zu besseren Ergebnissen? Wir sind der ganz festen Überzeugung: mit der Einheitsschule nicht ({37}) - diese Überzeugung werden wir auch weiter vor uns hertragen - und - das füge ich noch hinzu - dadurch, dass der Bund auch dafür noch die Kompetenz bekommt, was Sie am liebsten hätten, ({38}) mit Sicherheit auch nicht. Deshalb wird in der Föderalismuskommission eines nicht gelingen: Sie werden die Kompetenz des Bundes für die Bildung in der Schule nicht bekommen, so sehr Sie das auch wollen. ({39}) Wir werden auch den ganzen Mischmasch beenden - das ist die Aufgabe -, bei dem Sie dauernd mit anderer Leute Geld versuchen, sich in Sachen einzumischen, die Sie nichts angehen. ({40}) Herr Bundeskanzler, bei all den einzelnen Maßnahmen fehlt - das moniert auch der Sachverständigenrat das schlüssige Konzept. Ich glaube, das schlüssige Konzept ({41}) braucht eine bestimmte innere Haltung. Diese innere Haltung - auch darüber müssen wir sprechen - speist sich aus der Antwort auf die Frage: Was sind die Einzelmaßnahmen und gibt es etwas, was mehr ist als die Summe aller Einzelmaßnahmen? Wenn wir uns um Generationengerechtigkeit kümmern, dann - ich glaube, damit sind wir alle miteinander einverstanden - geht es um mehr als nur um die Frage: Was kommt beim kleinen Kind an? Was kommt beim älteren Menschen an? Wenn wir einen Solidarpakt zwischen Ost und West haben, dann gibt es doch das gemeinsame Verantwortungsgefühl, das Gefühl dafür, dass wir zusammengehören. Wenn wir über Nachhaltigkeit reden, dann reden wir doch eigentlich darüber, dass wir uns für zukünftige Generationen genauso verantwortlich fühlen wie für die Bewahrung unserer Traditionen. Ein Bund/Länder-Finanzausgleich, eine Kultusministerkonferenz, eine Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das alles gibt es doch nur, weil wir etwas Gemeinsames haben. Ich glaube, dass das durch die deutsche Einheit eine wunderbare Vollendung insofern gefunden hat, als der 3. Oktober ein Tag der Freiheit ist, ein Tag, an dem in Deutschland die Freiheit gesiegt hat. ({42}) Meine Damen und Herren, die Tatsache, dass ich hier heute stehen kann, dass viele Kollegen aus den neuen Bundesländern hier sitzen, dass Frau Göring-Eckardt aus den neuen Bundesländern Vorsitzende der Fraktion der Grünen ist, haben wir denen zu verdanken, die den Gedanken an die deutsche Einheit nicht als Lebenslüge der Nation bezeichnet haben, wie Sie es getan haben, sondern die durchgehalten haben, die sich zu Einheit in Freiheit bekannt haben, obwohl nicht klar war, ob man es durchsetzt. ({43}) Deshalb ist es doch nichts anderes als Erbsenzählerei, wenn man mit irgendwelchen alten Zitaten ankommt. ({44}) Die eigentliche Frage ist doch - davon sprechen ja auch Sie immer wieder -: In welcher Lage sind wir heute? Heute wissen wir, vor welchen Herausforderungen wir stehen und was wir zu bewältigen haben. Genau in einer solchen Lage - deshalb hat dieser Vorschlag eine solche Empörung hervorgerufen - braucht man verbindende gemeinschaftsstiftende Gedenktage, an denen einem bewusst wird: Das Ganze ist mehr als die Summe der Einzelnen. Deshalb waren wir so empört, dass Sie den 3. Oktober für ein einmaliges Wachstum in Höhe von 0,1 Prozentpunkten abschaffen wollten. Das war absurd und verfehlt. Diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen, Herr Bundeskanzler. ({45}) Wir sind ja für jedes Eingeständnis eines historischen Irrtums dankbar. Die Sache mit der Rente hatten Sie zugegeben; heute haben wir uns mit der Sprache befasst. ({46}) Damit die Geschichte nicht völlig verdreht wird, indem behauptet wird, dass bisher keiner von uns der Überzeugung war, dass das Erlernen der deutschen Sprache die Grundvoraussetzung dafür ist, dass Integration stattfindet, möchte ich Sie an unseren Integrationsantrag aus dem Jahr 1999 erinnern: Die Beherrschung der deutschen Sprache ist Voraussetzung für Kommunikation und somit wichtigstes Mittel zur Integration. Wer dauerhaft in Deutschland leben will, muß die Bereitschaft haben, die deutsche Sprache zu erlernen. Dann wurden all die Maßnahmen aufgeführt, die wir jetzt im Zuwanderungsgesetz durchgesetzt haben. Bedauerlich ist nur, Herr Bundeskanzler, dass Sie, da Sie damals ausschließlich mit der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft beschäftigt waren, diesen Antrag abgelehnt haben. Das ist die historische Wahrheit. ({47}) Ich bin deshalb doch zufrieden, dass wir dies jetzt gemeinsam erreicht haben. Frau Sager, ich werde aber nicht davon abgehen, dass die Idee von Multikulti grandios gescheitert ist. ({48}) Bezüglich der Idee von Multikulti waren wir unterschiedlicher Meinung, auch wenn Sie sich die Sache im Nachhinein noch zurechtbiegen. ({49}) Ich kann nur sagen, dass wir alle miteinander, jetzt wieder auf die Zukunft bezogen, uns so verhalten sollten, wie Günther Beckstein es auf der Demonstration der Muslime, die sich zu Werten wie Freiheit und Toleranz bekannt haben, gemacht hat, indem wir sagen: Bitte, lernt Deutsch. ({50}) Natürlich dürfen wir niemals diejenigen, die die Werte unseres Landes ausdrücklich anerkennen, in irgendeiner Weise mit denen in einen Topf werfen, die dies nicht tun. Das sage ich ganz klar. Ebenso wie wir in Deutschland nicht Bürgerinnen und Bürger pauschal mit denen, die Gesetze unseres Landes übertreten, gleichsetzen, so dürfen wir so etwas auch nicht mit Personen ausländischer Herkunft machen. Es führt uns aber auch nicht weiter, wenn wir die Augen vor bestimmten Tendenzen verschließen. Deshalb ist es gut und richtig, dass unsere Fraktion einen Antrag zum Islam und Islamismus eingebracht hat, um genau über diese Frage eine Diskussion anzustoßen. In dieser müssen wir uns mit sehr konkreten Punkten auseinander setzen. So geht es zum Beispiel darum, ob wir es gutheißen, wenn für ein Jahr oder für zwei Jahre Imame aus der Türkei nach Deutschland kommen, oder ob wir wollen, dass sie hier in Deutschland ausgebildet werden. Da müssen Sie sich ganz klar entscheiden. Die in der CDU engagierten Mitglieder türkischer Herkunft sagen dies ganz klar. ({51}) - Wenn Sie das auch so sehen, freut mich das. Aber die Menschen draußen haben das noch nicht mitbekommen. Deshalb müssen wir doch darüber reden. Man darf sich deshalb nicht dauernd, wie Sie es heute hier wieder getan haben, in Kleinkram verzetteln, ({52}) sondern man muss die Gemeinsamkeiten herausstellen, indem man sagt: Ihr seid willkommen, wenn ihr unsere Gesetze akzeptiert. Wir wollen euch Chancen eröffnen. Das ist aber nur möglich, wenn ihr Deutsch lernt, euch integriert und keine Parallelgesellschaften errichtet. Dafür werden wir kämpfen. ({53}) Ich bin sehr dafür, mit alten Lebenslügen aufzuräumen, ({54}) zugleich sollten wir aber auch dafür Sorge tragen, dass wir uns nicht in neue Lebenslügen verstricken. ({55}) Vor diesem Hintergrund kann ich nur sagen: Es stehen noch eine ganze Reihe von Aufgaben vor uns, auch im Sicherheitsbereich und im außenpolitischen Bereich. Da steht zum Beispiel die Frage der Zukunft der Bundeswehr im Raum. Ich stimme zu, dass es zugunsten der Erhöhung der internationalen Handlungsfähigkeit nötig ist, bestimmte Standorte zu schließen. Wir alle machen aber nicht mehr mit, wenn Sie als ausschließliche Aufgabe der Bundeswehr die internationale Handlungsfähigkeit definieren, die Aufgabe des Heimatschutzes aber wegen finanzieller Schieflagen bis zur Unkenntlichkeit verwischen. Damit vernachlässigen Sie die zweite Säule der Bundeswehr, die wir auch in Zukunft brauchen, nämlich den Heimatschutz. ({56}) Darüber müssen wir miteinander streiten. ({57}) Die Lebenslüge Ihres Verteidigungsministers besteht darin, dass er so tut, als ob er mit den begrenzten Mitteln und seiner Strukturpolitik, die im internationalen Bereich in die richtige Richtung geht, die Wehrpflicht aufrechterhalten könnte. Das kann er nicht. Entweder wir schaffen es, ein ordentliches Heimatschutzkonzept, wie es von Wolfgang Schäuble und anderen entwickelt wurde, danebenzustellen; dann kann die Wehrpflicht erhalten bleiben, was ich und wir durchaus möchten. Wenn man das aber nicht schafft, darf man sich nicht in eine neue Lebenslüge verstricken, sondern muss den Leuten die Wahrheit sagen. Das ist das, was wir anmahnen, Herr Bundeskanzler. Wir haben hier klare Vorstellungen. ({58}) Wer würde denn infrage stellen, dass wir eine strategische Partnerschaft mit Russland brauchen? Schauen Sie, ohne Michail Gorbatschow wäre die deutsche Einheit doch gar nicht zustande gekommen. Dass es natürlich auch von russischer Seite in Bezug auf die eigene Bevölkerung eine Riesenleistung und Anstrengung war, dass die baltischen Staaten heute Mitglied der Europäischen Union und der NATO sind, stellt doch niemand infrage. Ebenso stellt niemand infrage, dass es nicht ganz einfach ist, ein Land wie Russland zu regieren. Aber es kann wirklich nicht sein, auch nicht mit Blick auf die Geschichte - ich würdige die Situation 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg; ich habe mich auch in meiner Jugend hinreichend mit diesen Themen auseinander gesetzt und habe hohen Respekt vor dem russischen Volk -, Herr Bundeskanzler, dass Amerika kritisiert wird und Russland nicht. Nichts weiter mahnen wir an, als dass wir fair und ehrlich miteinander umgehen. ({59}) Das Thema Türkei ist ein wichtiges und relevantes Thema. Da sind viele Versprechungen gemacht und viele Dinge gesagt worden. Der ehemalige Bundeskanzler Schmidt zum Beispiel sagt, wir hätten das alles nicht machen sollen. ({60}) Vieles ist in Gang gekommen. Deshalb muss natürlich alles daran gesetzt werden, dass bei der Türkei nicht der Eindruck entsteht, wir wollten ihr die Tür vor der Nase zumachen und Europa wolle sie verstoßen. ({61}) - Wir sagen nicht einfach Nein. - Aber, Herr Bundeskanzler, es muss doch möglich sein, festzustellen, dass es der falsche Weg wäre, jetzt Verhandlungen, angeblich ergebnisoffene Verhandlungen, aufzunehmen, die nur zwei Optionen kennen, nämlich Vollmitgliedschaft und Scheitern. Die Option Scheitern gibt es realpolitisch gar nicht. Denn Scheitern würde bedeuten, dass der Türkei die Tür vor der Nase zugeschlagen wird. Deshalb sagen wir: Lasst uns eine - die von uns präferierte - Option mit aufnehmen, nämlich die privilegierte Partnerschaft! Schritt für Schritt kommen viele in Europa genau zu dieser Einsicht. Ich verstehe nicht, warum Sie sich dieser Einsicht verweigern. Sie hätten die Möglichkeit, mit Herrn Erdogan als Ministerpräsidenten vernünftig darüber zu sprechen. Dann hätten wir ein Problem gelöst, das vielen Menschen Sorgen bereitet, das viele bedrückt und uns alle noch bedrücken wird. Sie wissen es doch, Herr Bundeskanzler: Die Europäische Union der 25, bald 27 oder 28, ist heute in sich institutionell noch gar nicht gefestigt und von daher noch nicht handlungsfähig. Deshalb ist es wichtig, dass wir nicht einfach - nach der Humboldt-Rede des Bundesaußenministers, in der er fast noch einen Bundesstaat sui generis gefordert hat - Europa in dieser Form erweitern, ohne uns Gedanken zu machen, ob das Integrationswerk von 50 Jahren dabei Schaden nehmen könnte. Auch das ist ein Beitrag der Kopenhagener Kriterien. Wir wollen nicht mehr und nicht weniger, als darüber reden. Unsere Option an dieser Stelle ist klar. Ich finde, sie ist vernünftig und bewahrt uns vor einer neuen Lebenslüge, Herr Bundeskanzler. ({62}) Angesichts der gesamten Aufgabenpalette - der Herausforderungen im Inneren und Deutschlands Rolle, die, wie ich finde, eine Rolle von Maß und Mitte sein sollte, wie es uns durch unsere kontinentale Lage vorgegeben ist, wobei wir uns im Übrigen nicht immer nur um Spanien, Großbritannien und Frankreich kümmern sollten, sondern auch einmal um die kleineren Mitgliedsländer der Europäischen Union; ({63}) das ist eine ganz wichtige Sache, die von Helmut Kohl immer beherzigt wurde - könnten wir zu etwas zurückkehren, was Sie im August 2002, zur Zeit der Flut, gesagt haben: Der Gemeinsinn, der hier deutlich geworden ist, ist ein Schatz, den wir zu hüten und zu mehren haben. Dieser Schatz an Gemeinsinn ist unbezahlbar. Denn er macht das Land gerade in Krisen stark und er macht damit uns und die Menschen im Land fähig, nicht nur Krisen und Katastrophen zu bewältigen, sondern auch die anderen Probleme zu lösen. ({64}) Nun, lieber Herr Bundeskanzler, frage ich Sie: Was wollen Sie hüten, wenn Sie sich mit dem Gedanken tragen, den Tag der Deutschen Einheit abzuschaffen? Herr Bundeskanzler, welchen Schatz wollen Sie mehren, wenn Sie so viel Schulden machen wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland? Herr Eichel, hören Sie auf zwischen 2,0 und 2,2 Prozent zu unterscheiden. Da lachen doch die Hühner! ({65}) Damals war es die Zeit kurz nach der deutschen Einheit. Auf diese Weise können Sie doch nicht in die Geschichte eingehen! Ich sage Ihnen: Der Schatz wird versilbert; er wird sozusagen verfressen und verkloppt. Das ist die Wahrheit. ({66}) Welchen Gemeinsinn wollen Sie fördern, wenn Sie heute den Arbeitslosen in diesem Land kein einziges neues, konkretes Angebot machen konnten und wenn viele Menschen, die heute Angst und Sorge haben, weil sie nicht wissen, wie es weitergeht, nicht mehr das Gefühl haben, dass es jeder in diesem Land schaffen kann? Wir wollen, dass sie wieder dieses Gefühl bekommen. Wir wollen keinen beiseite schieben. Wir wollen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir diejenigen, die leistungsstark sind, wieder in Freiheit leistungsstark sein lassen können, wie es der Impetus der sozialen Marktwirtschaft war, damit wir denen, die schwach sind, eine Chance geben und ihnen helfen können. Das ist unser Ziel. Herr Bundeskanzler, ich sage Ihnen voraus: Dafür werden wir uns die Mehrheiten erarbeiten. Dafür haben wir die Konzepte vorgelegt. ({67}) Zwei Jahre weiter sitzen Sie da, wo Sie bei der Westerwelle-Rede gesessen haben, nämlich hinten im Plenum, also genau da, wo diese Bundesregierung hingehört. Herzlichen Dank. ({68})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Franz Müntefering. ({0})

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was CDU und CSU nie gewagt haben, nämlich eine Agenda 2010, hat diese Koalition begonnen. Darauf sind wir stolz. Wir sind damit auf einem guten Weg. ({0}) Unser Kurs für Deutschland ist anstrengend; aber er ist richtig. Mehr und mehr wird deutlich, dass die Erfolge kommen. Bei der Krankenversicherung ist klar geworden, dass die Einnahmen in diesem Jahr deutlich höher liegen, als es im vergangenen Jahr der Fall war. Wir haben 4 Milliarden Euro für Ganztagsschulen und Ganztagseinrichtungen zur Verfügung stellen können. Bei den Ausbildungsplätzen haben wir Ergebnisse, die deutlich besser sind, als sie zu Beginn dieses Jahres noch schienen. Denn es haben mehr junge Menschen die Schule verlassen. Ich will an Herrn Braun vom DIHK und Herrn Philipp vom Zentralverband des Deutschen Handwerks ein ausdrückliches Dankeschön richten. Was in Teilen der Wirtschaft und auch im Handwerk in den letzten Wochen und Monaten in dieser Hinsicht geleistet worden ist, ist aller Ehre wert. Das ist ein gutes Ergebnis. ({1}) Aber das haben wir gemacht und nicht Sie. Das haben wir organisiert. Wir holen durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe 1 Million Menschen aus der Sackgasse der Sozialhilfe. Ich hätte mir gewünscht, dass das auf einigen der Plakate, die es bei den Demonstrationen dazu gab, gestanden hätte. Es werden nämlich 1 Million erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger - mit Kindern sind es 1,3 bzw. 1,4 Millionen -, die überwiegend in der Sackgasse der Sozialhilfe stecken, wieder an Beschäftigung herangeführt. Somit bekommen sie wieder eine Lebensperspektive. Das ist das Ergebnis unserer Politik. ({2}) Die Beschäftigtenzahl steigt. Die Nachfrage nach Arbeit ist größer geworden. Das heißt, beides ist gestiegen: die Zahl der Arbeitslosen, aber auch die Zahl der Beschäftigten. Auch das müssen wir messen und können wir als Ergebnis unserer Politik zur Kenntnis nehmen. Die Zahl der Überstunden wird wieder zunehmen. Am Rande des Arbeitsmarktes ist Bewegung. Das, was wir jetzt erleben, ist bei solchen Konjunkturentwicklungen, wie wir sie jetzt haben, üblich. Das Plus von 1,8 oder 1,7 Prozent in diesem Jahr wirkt sich noch nicht in diesem Jahr deutlich auf den Arbeitsmarkt und die Steuerkassen aus. Aber es hat seine Wirkung und wird im nächsten Jahr deutlicher als jetzt erkennbar sein. Diese 1,7 oder 1,8 Prozent sind nicht das, was wir uns wünschen. Aber sie sind auf der Basis des Wohlstandes, über den dieses Land verfügt, eine gute Sache. Ein Plus von 1,8 Prozent bei uns sind mehr als 5 Prozent in Portugal; das bleibt richtig. Deshalb sind wir stolz auf diese 1,8 Prozent. ({3}) Wir werden im nächsten Jahr vergleichbare Höhen haben. Zu dem richtigen Weg gehören die 34 Prozent, die wir im Haushalt des Ministeriums für Forschung und Entwicklung draufgelegt haben. Auch da gibt es den Wunsch, es möge mehr sein. Aber auch hier sei der Hinweis erwähnt, dass es Bedingungen gibt, die zeigen, dass es mehr werden kann. Dass wir dafür das Geld, das heute im Rahmen der Eigenheimzulage für andere Zwecke eingesetzt wird, brauchen, ist gesagt worden. Es wird immer deutlicher: Die Anstrengungen lohnen sich für alle - und dies heute und morgen. Es wächst neues Vertrauen. Die Situation, in der wir waren und in der wir noch sind, ist zu begreifen: Wenn man einen Wandel von erheblichem Umfang anstrebt und auslöst, dann verunsichert das die Menschen. Aber die Wahrheit ist - das müssen wir in unserem politischen Handeln erkennbar machen -: Sicherheit, soweit dies überhaupt möglich ist, wird man nur durch einen deutlichen Wandel erreichen können. ({4}) Das ist die Aufgabe, in der wir stecken, wobei wir versuchen, Dinge in Bewegung zu bringen. Frau Merkel hat eben nachgefragt, weshalb auf dem Binnenmarkt relativ wenig Entwicklung sei bzw. weniger Bewegung, als man sich das wünschen würde, und weshalb die Menschen weiter sparen. Eines kann man sagen: Diskussionen über die Sozialsysteme, so wie sie im Moment in der Union mit einem Durcheinander, was die Perspektive angeht, und einer Ziellosigkeit, die die Menschen sich fragen lässt, wohin es in diesem Land gehen soll, geführt werden und geführt worden sind, sind Gift für den Binnenmarkt. Denn sie sind Gift für die Selbstgewissheit der Menschen in diesem Land. ({5}) Das Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit des Landes wächst wieder, auch das Vertrauen in die politische Linie der Koalition. ({6}) Die Zeit, in der sich die CDU/CSU, weil wir mit der Sache zu tun hatten, sicher fühlen und Pöstchen verteilen konnte, ist vorbei. Gestern ein Merz ohne Pfiff und ohne Biss, ({7}) heute eine Parteivorsitzende ohne Merz und ohne Seehofer. ({8}) Das C in dem Namen Ihrer Partei, Frau Merkel, erinnert immer mehr an Chaos. Zu Herrn Glos, der heute Morgen auch schon gesprochen hat, doch noch ein Wort. Ich habe mir überlegt, ob man sich damit länger beschäftigen sollte. Ich will mich darauf beschränken, ihn einmal selbst zu zitieren. Er hat jetzt einen netten Artikel in der „Zeit“ veröffentlicht und darin gibt es ein schönes Zitat von ihm, das, glaube ich, alles sagt. Glos in der „Zeit“: Ich hoffe, dass es meinem Land nie so dreckig geht, dass es auf Leute wie mich zurückgreifen muss. Das finde auch ich, und dann stimmen wir wieder überein. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Müntefering, gestatten Sie eine Zwischenfrage des angesprochenen Kollegen Glos?

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte schön.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Müntefering, wären Sie zu so viel Selbstironie in der Lage? ({0})

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn das Selbstironie ist, dann ist das ja in Ordnung; das habe ich ja genau so aufgefasst. Denn Sie haben ironisch beschrieben, wie es sich tatsächlich verhält. Sie haben gesagt, Sie hoffen, dass es dem Land nie so dreckig geht, dass es auf Leute wie Sie angewiesen ist. Das ist eine schöne Ironie; dazu kann ich Sie nur beglückwünschen. Das ist wirklich gut. ({0}) In den vergangenen Monaten ist in der deutschen Politik einiges klarer geworden. Wir setzen uns mit unserer Politik durch und das ist gut. Das ist wie im Irakkonflikt, als die CDU/CSU überwiegend meinungslos laviert hat. Heute verhält sie sich in der Innenpolitik genauso wie damals beim Irakkonflikt. Zu den Fragen der Innenpolitik gehört auch die Bildung. Auch Frau Merkel hat eben wieder betont: Die Bildung ist sehr wichtig. Darüber können wir uns schnell einigen. Wenn wir uns die Meldungen über die neue PISA-Studie anschauen, dann ist eines klar - ohne dass wir die Ergebnisse, die erst Anfang Dezember veröffentlicht werden, genauer kennen -: Drei Dinge müssen in diesem Land in Angriff genommen werden. Die frühkindliche Bildung muss ein größeres Gewicht bekommen, als sie es bisher hat. Dafür treten wir ein. ({1}) - Bei Ihnen hat sie offensichtlich nicht funktioniert, Herr Glos; sonst würden Sie nicht immer dazwischenschreien. Hören Sie einmal genau zu! ({2}) „Frühkindlich“ heißt auch: bei den unter Dreijährigen. ({3}) Den Begriff „Krippe“ kennen Sie doch in Bayern gar nicht. Sie glauben, das hätte etwas mit Weihnachten zu tun; es hat aber auch noch etwas mit den unter Dreijährigen zu tun, Herr Glos. ({4}) Wir wissen alle, wie wichtig die ersten Jahre im Leben eines Menschen sind. ({5}) Also fangen wir dort an. Der Bund gibt den Städten und Gemeinden freiwillig Geld, damit sie sich in diesem Bereich besser engagieren können als bisher. Das ist richtig. ({6}) Das zweite, was ich zum Thema Bildung sagen will, betrifft die Selektion, die Feststellung, für welche weiterführende Schule jemand mit neun oder zehn Jahren geeignet ist. Wir machen auf der Bundesebene keine Vorschläge und treffen keine Festlegungen darüber, welche Strukturen eine Schule haben soll. Ob man das nach acht, zehn oder zwölf Jahren in der Schule entscheiden muss, das weiß ich nicht und will es auch nicht festlegen. Das muss in den Ländern entschieden werden. Eines allerdings ist klar - davor kann niemand mehr weglaufen, auch nicht mit waghalsigen Begriffen, die agitatorisch dagegengesetzt werden -: In einem Alter von neun oder zehn Jahren zu entscheiden, welche weiterführende Schule ein Mensch besuchen kann - das ist zu früh, das ist falsch; das muss korrigiert werden. ({7}) Wir haben in Deutschland festzustellen, dass 75 Prozent der Kinder aus Akademikerfamilien eine Universität besuchen, dass es aber bei Arbeiterfamilien oder solchen mit den untersten Einkommen nur 20 Prozent sind. Das ist nicht in Ordnung. Darauf gibt es keine schnelle Antwort. Anfangen müssen wir bei den Kindern selbst. Wir müssen die Eltern ansprechen; wir müssen die Schulen ansprechen, aber wir müssen auch die Kinder ansprechen. Deshalb sage ich im Hinblick auf den von mir angesprochenen Sachverhalt, aber auch im Hinblick auf den Sachverhalt der Migration: Wir müssen uns in Deutschland darauf verständigen, einen Sprachtest für die Vier- bis Fünfjährigen einzuführen. Kinder, deren Sprachkompetenz deutliche Mängel aufweist, müssen einen obligatorischen Sprachkurs besuchen, sodass sie die Möglichkeit erhalten, in der Schule zu bestehen. So praktisch und einfach ist das zu regeln, aber es kostet auch Geld. ({8}) Dass manches in diesem Bereich in Deutschland im Argen liegt, ist wahr, aber nicht Schuld des Bundes. ({9}) Es ist nicht Ihre und nicht unsere Schuld. Da Frau Merkel soeben betont hat, in der Föderalismuskommission müsse klar sein, dass sich der Bund nicht in das Schulwesen einmischen dürfe, möchte ich noch einmal klarstellen, dass das niemand von uns gefordert hat. Ich weiß nicht, wer Sie darüber informiert hat, ich möchte es hier nur noch einmal klarstellen. Wir kennen diese Einstellung und respektieren sie. Die Verantwortung für die Schulen liegt bei den Ländern. Hochmut ist an dieser Stelle jedoch nicht nötig; denn das, was in den letzten 20 Jahren von der KMK geleistet worden ist, ist so gut offensichtlich auch wieder nicht gewesen; denn sonst hätte es Weltspitze zutage gefördert. ({10}) Das muss man unter Freunden aus Bund und Ländern auch sagen dürfen. ({11}) Sie klagen über Löcher im Haushalt und verhindern gleichzeitig den Abbau von Steuervergünstigungen. Das ist eine Geschichte, die Sie offensichtlich völlig verdrängen. Im März oder April des letzten Jahres gab es die Möglichkeit, im Bundesrat zu stehen. Wenn diejenigen, die im Bundesrat in der Mehrheit sind - hier sind sie in der Opposition -, mitgestimmt hätten, hätten die Kommunen 4,4 Milliarden Euro, die Länder 8 bis 9 Milliarden Euro mehr gehabt und auch der Bund stünde in dieser Legislaturperiode besser da. ({12}) Die Spitze der Heuchelei ist, wenn CDU-Bürgermeister oder -Ministerpräsidenten durchs Land marschieren und sich darüber beschweren, dass sie kein Geld haben, aber dann, wenn es bei der Abstimmung darauf ankommt, kneifen. Das geht nicht und das lassen wir Ihnen auch nicht durchgehen. ({13}) Sie sprechen über den Schuldenstand. Herr Merz hat gestern damit begonnen und Frau Merkel hat es heute fortgesetzt. Damit Sie wissen, wie es zu diesem Stand kam, möchte ich ganz nüchtern die Zahlen nennen: Im Jahr 1982 lag die Verschuldung pro Kopf bei 2 750 Euro. In den 16 Jahren Helmut Kohl kamen 11 220 Euro pro Kopf dazu. Das macht 68 Prozent des heutigen Schuldenstands aus. Bei uns sind noch einmal 2 530 Euro hinzugekommen. Während Ihrer Regierungszeit - ich sage es noch einmal - wuchs die Verschuldung um 11 220 Euro. Das zu dem Thema, wie viel Schulden in jedem Kinderwagen oder jedem Kinderbettchen liegen. Sie haben uns weiß Gott nichts vorzurechnen. Erinnern Sie sich einmal daran, was Sie in der Regierungszeit von Helmut Kohl aufgehäuft haben. ({14}) Bei Hartz IV waren Sie halbherzig dabei: hinter verschlossenen Türen knallhart, beim leichtesten Gegenwind aber butterweich. Herr Milbradt hat seine Quittung dafür schon bekommen. Er hat die Mehrheit verloren und im Sächsischen Landtag Schwierigkeiten gehabt, gewählt zu werden. Auch der Generalrevisor Rüttgers in Nordrhein-Westfalen sackt mittlerweile durch. Sein Vorsprung ist hin. Dies ist überhaupt ein interessantes Thema. Im Februar wird in Schleswig-Holstein und im Mai in Nordrhein-Westfalen gewählt. Heide Simonis und Peer Steinbrück haben gut aufgeholt. Sicher geglaubte Wahlsiege der CDU geraten ins Wanken. ({15}) Es stellt sich heraus: Rot-Grün ist eben doch das Beste, was es zurzeit als Koalition in Deutschland gibt. ({16}) Die Entscheidungen sind offen. Wir können es schaffen. Es macht wieder Spaß. Für einen Wahlsieg von Heide Simonis nehme ich sogar in Kauf, dass auch in den kommenden Jahren hier in der ersten Reihe Herr Austermann sitzt. ({17}) Ich möchte zu Hartz IV zurückkommen. Es ist interessant zu sehen, wie unterschiedlich die Einführung anläuft. Wenn man sich beispielsweise in Lübeck in Schleswig-Holstein umsieht und mit den Verantwortlichen der Arbeitsgemeinschaft spricht, weiß man, dass sie funktionieren wird. Rund 80 Prozent der Anträge sind bereits eingegangen, die meisten auch schon bearbeitet. Mitte Dezember soll die Vorbereitungsphase abgeschlossen sein. Dass es so gut läuft, ist auch darauf zurückzuführen, dass sich die Ministerpräsidentin persönlich darum kümmert und dafür sorgt, dass es vorangeht. ({18}) Aus anderen Regionen, beispielsweise aus Hessen, hört man anderes. Ich kann nur davor warnen, durch schleppende Einführung zu versuchen, das ganze System infrage zu stellen. Das geht auf Kosten der Menschen. Wundern würde eine solche Taktik der Hessischen Landesregierung allerdings nicht; denn vergleichbar verhält sie sich auch beim Projekt der Ganztagsschulen. Die Behauptung von Herrn Koch, dass es nichts nütze, für die Ganztagsschulen für die Dauer von vier Jahren jeweils 1 Milliarde Euro pro Jahr zur Verfügung zu stellen, und dass diese Maßnahme zu nichts außer zu Cafeteriaprogrammen führe, steht in erheblichen Widerspruch zu den Erfahrungen, die in anderen Ländern gemacht wurden. ({19}) Wenn Ministerpräsidenten von CDU und CSU, die der Koalition bei diesem Thema keinen Erfolg wünschen, versuchen, dieses Projekt schlechtzureden, dann ist das gegenüber den Menschen in ihrem eigenen Land nicht in Ordnung. Diese seltsame Art und Weise, mit der Innenpolitik umzugehen, hat sich auch bei den Beratungen des Haushaltes, über den wir im Augenblick sprechen, gezeigt. Ich will nur ein paar Ihrer unglaublichsten Änderungsvorschläge vortragen: Für die Sozialhilfe wollen Sie im nächsten Jahr 1 Milliarde Euro weniger zur Verfügung stellen. ({20}) - Das ist Quatsch; das ist richtig. ({21}) Diese Kürzung hätte natürlich Konsequenzen für diejenigen, für die dieses Geld eingeplant war. Sie wollen, dass die Mittel für die Bundesagentur für Arbeit um 1 Milliarde Euro gekürzt werden. ({22}) Das passt zu dem, was ich eben angesprochen habe. Sie wollen ihr das Geld wegnehmen, das sie braucht, um die vernünftige Umsetzung von Hartz IV gewährleisten zu können. An dieser Stelle wollen Sie also 1 Milliarde Euro streichen; so ist das. ({23}) Besonders peinlich ist: Sie wollen die Mittel für die Programme gegen Rechtsextremismus um 5 Millionen Euro kürzen. ({24}) Sie haben sich geweigert zuzustimmen, diese Mittel bei ihrer bisherigen Höhe zu belassen. Vor diesem Hintergrund habe ich mir die Haushalte der letzten Jahre angesehen und festgestellt, dass die CDU/CSU-Fraktion im Jahre 2003 die Mittel für die Programme gegen Rechtsextremismus und die damit zusammenhängenden Probleme um 20 Millionen Euro kürzen wollte. Deshalb sage ich Ihnen: Wenn Sie über die Verwerfungen in diesem Lande sprechen und sagen, worum man sich kümmern muss, dann sollten Sie an dieser Stelle ganz vorsichtig sein. In diesem Bereich passiert nämlich Folgendes: Hier engagieren sich junge wie ältere Leute in kleinen und größeren Organisationen. Sie haben nur relativ wenig Geld zur Verfügung. Sie machen den Menschen Mut, die von Rechten bzw. - um es konkret zu sagen - von Neonazis verfolgt sind. Das ist eine sehr ehrenwerte Sache, die wir würdigen sollten, statt die Mittel für diesen Bereich zu kürzen. ({25}) Einer Ihrer Vorschläge ist, alle Steinkohlezechen in Deutschland sofort stillzulegen. ({26}) Hier sollen 1,6 Milliarden Euro gestrichen werden. Wer sich ein bisschen mit den Zusammenhängen in diesem Bereich auskennt, der weiß: Wenn man die Vereinbarung bricht und kein Geld mehr zahlt, dann ist das zu Ende. ({27}) Wenn Sie, Herr Austermann und Herr Westerwelle, an dieser Stelle 1,6 Milliarden Euro streichen, dann bedeutet das, dass alle Steinkohlezechen, die es in unserem Land gibt, im nächsten Jahr stillgelegt werden müssen. Das ist unverantwortlich und widerspricht allen Vereinbarungen, Herr Austermann. ({28}) Der interessanteste Kürzungsvorschlag der FDP ist, die Zuschüsse zur gesetzlichen Krankenversicherung um 1 Milliarde Euro zu kürzen. ({29}) Das sagt die Fraktion, die immer so viel über Lohnnebenkosten redet. 1 Milliarde Euro weniger für die gesetzliche Krankenversicherung bedeutet, dass die Lohnnebenkosten steigen bzw. weniger gesenkt werden können. Etwas anderes kann das nicht sein. ({30}) Logisch und konsequent finde ich das alles nicht. Sie wollen nur zeigen, dass Sie etwas anders als wir machen wollen. Weil all das mit der Frage zu tun hat, wer eigentlich für dieses Land kämpft und sorgt, sprechen Sie gerne von Patriotismus. Sie versuchen dabei, das Land schlechtzureden und klein zu machen. Frau Merkel, Ihnen fehlt die Souveränität, auch als Opposition unserem Land zu dienen. ({31}) Ihnen fehlen Augenmaß und Verantwortung. Deshalb sage ich: Wer Patriot ist, der sorgt dafür, dass Sie dieses Land nicht regieren. ({32}) Die Legende von der Kopfpauschale zeigt Ihre Unfähigkeit, ein vernünftiges Ziel zu beschreiben und den Weg dahin zu markieren. Das Problem, das Sie haben, ist: Sie glauben, je rigoroser eine Reform ist, desto besser ist sie. Dem ist aber nicht so. Reformen sind kein Selbstzweck. Sie dienen einem Ziel. Dieses Ziel muss man beschreiben. Wenn man dieses Ziel nicht klar vor Augen hat, kann man die Reformen, die man durchführt, nicht auf dieses Ziel ausrichten. ({33}) Das ist Ihr Problem. An dieser Stelle sind wir entschieden und sagen ganz klar: Wir werden unser Sozialwesen stärker als bisher mit einem vernünftigen Mix von Sozialversicherungssystemen bisheriger Art, Steuern und Zuzahlungen zu organisieren haben. ({34}) Aber der Kern bleibt auf jeden Fall solidarisch finanziert. Denn trotz allem, was man sich sonst vorstellen kann, ist eines ganz sicher: Die beste Sicherung der existenziellen Risiken des Lebens besteht darin, dass Menschen für Menschen, Generationen für Generationen, Gesunde für Kranke und Junge für Alte eintreten. Das ist der Grundgedanke unserer Sozialsysteme. Das wollen wir auch in Zukunft so halten. ({35}) Sie reden von Prinzipien, halten sich aber nicht an sie. Das gilt auch für den Bereich der Demokratie. Hier wenden Sie sich zum Beispiel gegen die Möglichkeiten, die die Einführung von Plebisziten und Referenden bieten würde. CDU und CSU tun dies übrigens unterschiedlich stark. Die FDP sieht das Gott sei Dank anders. Ich hoffe, dass wir darüber in einem vernünftigen Ton sprechen können. Aber Sie wenden sich auch gegen das, was Demokratie in unserer Wirtschaft ausmacht: Mitbestimmung und Betriebsverfassung, Kündigungsschutz. Sie sagen: Kleinigkeit, es macht doch nichts, wenn der Kündigungsschutz erst für Betriebe ab 20 Mitarbeitern gilt. Das hieße aber, in 90 Prozent aller Betriebe gäbe es überhaupt keinen Kündigungsschutz mehr. Das wäre das Ergebnis dessen, was Sie fordern - mit den Konsequenzen für den Arbeitsmarkt, die Sie kennen. Die Mitbestimmung ist ein Teil der Kultur unseres Landes, sie hat uns allen genutzt. Deshalb werden wir sie nicht aufgeben. Das gilt für die Betriebsverfassung in gleicher Weise und auch für die Tarifautonomie. Wir wissen, dass Betriebe erfolgreich sein müssen, dass sie schwarze Zahlen schreiben müssen, aber wir wissen auch, dass die Menschen in den Betrieben - die Gewerkschafter, die Betriebsräte, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - bereit und willens sind und tausendmal bewiesen haben, dass sie nicht die fünfte Kolonne im Betrieb sind, sondern dass sie mithelfen, dass der Betrieb einen guten und erfolgreichen Weg einschlagen kann. Dass wir Mitbestimmung haben, tut unserer Wirtschaft gut und nicht umgekehrt. ({36}) Ein paar Worte zu der Diskussion der letzten Tage über Fragen der Migration in diesem Lande; sie ist in erheblichem Maße von Herrn Stoiber und anderen ausgelöst worden. Frau Sager hat dazu einiges gesagt. Ich will das ausdrücklich unterstreichen und mich dafür bedanken; auch für das, was der Bundeskanzler dazu gesagt hat. Heute lese ich, dass 65 Prozent der Menschen bei uns im Lande sagen, dass Ausländer und Deutsche in ihrer Gegend ein normales, nachbarschaftliches Verhältnis pflegten. 22 Prozent sagen, es gibt ein sehr gutes Verhältnis zueinander. Deshalb sage ich: Wir müssen in Deutschland aufpassen, dass wir nicht leichtfertig eine Debatte beginnen und sich ausweiten lassen, die so nicht geführt werden sollte. Alles in allem ist das Zusammenleben zwischen Deutschen und Nichtdeutschen in Ordnung. ({37}) Das hat etwas damit zu tun, dass viele bereit sind, sich einzubringen und sich gemäß unserem Grundgesetz zu verhalten. Da das Wort so oft auf die Kultur des Landes kommt, soll noch einmal an das Grundgesetz erinnert werden. Darin steht das, was die gemeinsame Basis für uns alle in diesem Land sein kann: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. … Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. … Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. … Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Wenn wir uns fragen, was die Grundlage dafür ist, wie wir gemeinsam in diesem Land leben wollen - die, die einen deutschen Pass haben, und die, die einen anderen Pass haben -, dann ist es dieses. ({38}) Wir leben in diesem Land und auch in diesem Haus mit sehr unterschiedlichen eigenen Erfahrungen, was Religion angeht. Wie in der gesamten Republik gibt es auch hier Christen, Agnostiker und Atheisten. Viele von uns wissen gar nicht, wie der andere an dieser Stelle letztlich denkt. Das ist auch nicht schlimm, ({39}) weil die Politik, die Gesellschaft und der Staat nicht die Aufgabe haben, die letzten Sinnfragen des Lebens zu lösen. Das ist die Sache jedes Einzelnen. Die gemeinsame Basis, die durch dieses Grundgesetz gelegt wurde, kann uns alle miteinander tragen. Das muss auch für diejenigen gelten, die mit einem anderen Ausweis hier bei uns im Lande leben. Ich glaube, dass wir hier nicht mutlos sein dürfen. Wir selbst haben in unserem Land über viele Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg eine Erfahrung gemacht, die wir nicht beiseite schieben dürfen. Leute meiner Altersklasse sind noch in eine katholische oder - zwei Straßen weiter - evangelische Grundschule gegangen. ({40}) In der politischen Landschaft dieses Landes wurde darüber gestritten, ob Katholiken und Evangelen zusammen in eine Schule gehen können. Danach wurde darüber gestritten, ob Jungen und Mädchen gemeinsam in eine Schule gehen können. Das alles geschah während meines Lebens und wir feixen jetzt herum, wenn Menschen, die aus anderen Kulturen kommen, heute noch solche Vorstellungen haben und sich erst an das gewöhnen müssen, was wir längst gelernt haben. Warum haben wir nicht den Mut, die große Idee der Freiheit und des sozialen Fortschritts, die mit diesem Grundgesetz und mit dieser Republik verbunden ist, auch ihnen nahe zu bringen? Ich sage euch: Das werden wir miteinander doch schaffen. ({41}) Weshalb sind Sie an dieser Stelle so defensiv? Abschließend bitte ich darum, sich gegenseitig ernst zu nehmen und Menschen nicht zu demütigen. Das scheint mir beim Umgang mit den Menschen anderen Glaubens, anderer Religion und anderer Herkunft das Wichtigste zu sein. ({42}) Manchmal ist das bei uns nicht so. Wir begegnen ihnen und sagen ihnen etwas mit der Geste eines Besserwissers. Ich weiß, dass dies leicht geschieht. Selbst das, was ich eben gesagt habe, strahlte aus, dass wir Recht haben und dass sie sich unserem Grundgesetz unterordnen sollen; das ist so und das meine ich auch so. Deshalb ist es wichtig, dass man dies in einer Art und Weise tut, durch die die Menschen nicht gedemütigt werden. Das ist mir ganz wichtig. Manchmal klingt das aber durch. Wir müssen auch aufpassen, dass sich diese Debatte um die Integration nicht auf unselige Weise mit Terrorismus und Extremismus vermischt. ({43}) Das sind zwei verschiedene Dinge. Die Integration und die Entwicklung dieses Landes mit 3,3 Millionen muslimisch geprägten Menschen sind etwas anderes als die Unterstützung des Extremismus und des Terrorismus in dieser Welt. Das dürfen wir nicht miteinander vermischen. Ich glaube, dass wir die Debatte, die im Augenblick geführt wird, nutzen können, um daraus etwas Gutes zu machen. Ich bin mir sicher, dass wir das können, wenn wir uns darüber bewusst sind, dass wir nicht unfehlbar sind - weiß Gott nicht - und dass dieses Land mit diesem Grundgesetz und aufgrund der Praxis, in der wir miteinander leben, eine Grundlage dafür hat, das zu schaffen. Wir werden die, die hinzukommen, davon überzeugen, dass dieses Grundgesetz und die Grundwerte unserer Politik auch für sie den Weg in eine gemeinsame gute Zukunft zeigen. In diesem Sinne vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({44})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hermann Otto Solms für die FDP-Fraktion, dem ich im Namen des ganzen Hauses zu seinem heutigen Geburtstag herzlich gratulieren möchte. ({0}) Leider hat ihm seine Fraktion nur eine so schäbig kurze Redezeit eingeräumt, dass sie gerade zum Dank für die Glückwünsche reicht. ({1}) Ich setze Ihr Einverständnis damit voraus, dass der Präsident die angemeldete Redezeit noch liberaler interpretiert als seine eigene Fraktion.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich bei Ihnen für die Glückwünsche. - Die kurze Redezeit zwingt mich dazu, mich auf Wesentliches zu konzentrieren. Das will ich auch tun. Herr Müntefering hat durchaus Recht: Unsere Aufgabe als Politiker, aber auch die der Bundesregierung ist es, alles dafür zu tun, dass die Lebensverhältnisse der Menschen in Deutschland verbessert werden und sie neue Lebenschancen bekommen. Wo drückt sich das besser aus als in der Arbeitslosen- und Beschäftigungsstatistik? Da muss ich Ihnen nun Folgendes vorhalten: Im Oktober 1998 waren es 3,893 Millionen Arbeitslose. Im Oktober dieses Jahres waren es 4,2 Millionen Arbeitslose. Eine Verbesserung ist dort beim besten Willen nicht festzustellen. Es ist immer gut, sich an die Fakten zu halten. ({0}) Eine leichte Verbesserung gibt es ausschließlich bei den geringfügig Beschäftigten oder den in Ich-AGs Beschäftigten, ({1}) von denen wir wissen, dass sie aus dem Wettbewerb weitgehend wieder ausscheiden werden. Es gibt also keine nachhaltige Verbesserung. Ich habe den Reden des Herrn Bundeskanzler und des Bundesfinanzministers sehr aufmerksam zugehört und habe überhaupt keine neuen strategischen Vorschläge erkennen können. Die Schlacht um die Agenda 2010 hat die rot-grüne Truppe so erschöpft, dass sie jetzt für anderthalb Jahre in die Reha geschickt werden muss. Es soll nichts mehr geschehen - das habe ich aus den Reden herausgehört. ({2}) Dabei hat Rot-Grün einige vernünftige Ansätze gehabt - darauf will ich noch einmal hinweisen -, aber durch eine schlechte Ausführung den Ansatz von vornherein zunichte gemacht. Der erste Ansatz, Herr Bundesfinanzminister, war Ihre Steuerreform. Sie war halbherzig und ist auf halbem Wege stecken geblieben, von Vereinfachung konnte keine Rede sein. Aber sie hatte auch vernünftige Ansätze. Warum hat sie keine ökonomische Wirkung erzielt? Durch Steuererhöhungen an anderer Stelle und durch Erhöhung der Beiträge für die sozialen Sicherungssysteme haben Sie den Effekt wieder zunichte gemacht. Die Bürger und Unternehmen wurden nicht entlastet. Deswegen ist es kein Wunder, dass wir im vierten Jahr in Folge einen Rückgang der Investitionstätigkeit in Deutschland verspüren. Das hat zur Steigerung der Arbeitslosigkeit beigetragen. ({3}) Wir, die FDP, legen einen konkret ausformulierten Vorschlag für eine Steuerreform vor, der zu einer dramatischen Vereinfachung des Steuerrechtes führen würde und in der Lage wäre, das Vertrauen von Sparern und Investoren in Deutschland zurückzugewinnen. Darauf kommt es an. Das muss angegangen werden; denn wenn wir nicht zu Entlastungen kommen, dann wird es keinen Investitionsprozess, keine neuen Arbeitsplätze und auch nicht mehr Steuer- und Beitragszahler geben. Das heißt, dass dann die Haushalte und die sozialen Kassen in noch größere Not geraten werden. ({4}) Der zweite richtige Ansatz der Regierung war, der Rentenversicherung eine kapitalgedeckte private Altersvorsorge zur Seite zu stellen, Stichwort: Riester-Rente. Wir, die FDP, haben damals Walter Riester bei seinem Vorhaben klar unterstützt. Warum ist die Riester-Rente ein Flop geworden? ({5}) Sie haben überreguliert, bürokratisiert und bestimmte Kriterien eingezogen - ich nenne hier beispielsweise das Verbot der Vererbbarkeit -, sodass die Bürger die Riester-Rente nicht in der notwendigen Weise angenommen haben. ({6}) Das Schlimme dabei ist, dass Sie ein gutes Vorhaben dadurch, dass Sie es schlecht ausgeführt haben, in den Augen der Öffentlichkeit diskreditiert haben. Das Ergebnis ist, dass ein neuer Anlauf schwerlich auf Akzeptanz stoßen wird. Der dritte Ansatz ist Hartz IV. Es ist richtig, arbeitsfähige Menschen ohne Beschäftigung wieder in Lohn und Brot bringen zu wollen und dabei auch Druck auszuüben. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist, dass Sie den Arbeitsmarkt zwingend öffnen und liberalisieren müssen, damit die Menschen überhaupt eine Chance auf Beschäftigung bekommen. ({7}) Genau das haben Sie nicht getan, weil die Gewerkschaftsmitglieder in Ihren eigenen Reihen das verhindert haben. Es ist zwingend notwendig, den Arbeitsmarkt zu öffnen, das Kündigungsschutzrecht zu liberalisieren, die Tarifautonomie durch betriebliche Bündnisse für Arbeit zu ergänzen und ähnliche Maßnahmen zu ergreifen, damit diejenigen, die jetzt weniger Geld erhalten, die Chance haben, durch eigene Arbeit ihr Einkommen zu verbessern. All das ist nicht geschehen. Auch dazu hat die FDP ganz konkrete, vernünftige und sofort umsetzbare Vorschläge gemacht. Das wird alles in das Wahlprogramm einfließen, wenn Sie nicht bereit sind, freiwillig den Weg der Erkenntnis zu gehen. ({8}) Schließlich noch ein Wort zur Gesundheitspolitik: Mit Ihrer Bürgerversicherung haben Sie sich völlig verrannt. Das einzig Gute daran ist der Name. Sie reden schon gar nicht mehr über die Inhalte, ({9}) weil Sie wissen, dass das so nichts wird. Alle Berechnungen gehen daneben. Das Kanzleramt dämpft die Erwartungen und sagt, man solle nicht weiter darüber reden. Deswegen wird vor der Wahl auch nichts passieren. Die CDU hat sich leider Gottes auch verrannt. Wir sind bereit, beiden auf die Sprünge zu helfen, um zu einem richtigen, wettbewerbsorientierten und bürgerorientierten Gesundheitssystem, selbstverständlich mit sozialer Flankierung, zu kommen. ({10}) Das wird uns auch hier aus der Not heraushelfen und insbesondere die Gesundheitskosten von den Arbeitskosten trennen, damit die Arbeit in Deutschland wieder wettbewerbsfähig wird. ({11}) Wenn wir insgesamt im Ergebnis nicht zu mehr Wettbewerbsfähigkeit der Arbeit in Deutschland kommen, dann sind alle anderen Versuche vergebens. ({12}) Deswegen müssen wir uns darauf konzentrieren. Dazu machen wir konkrete Vorschläge, die auch angegriffen werden können; aber das ist wenigstens eine ehrliche Politik. Wir sind bereit, von heute ab sofort mit jedem zusammenzuarbeiten, der uns hilft, so schnell wie möglich Verbesserungen zu erzielen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Gerhard Rübenkönig, SPD-Fraktion.

Gerhard Rübenkönig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002767, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute Morgen den Haushalt des Bundeskanzlers. Seit jeher ist es parlamentarischer Brauch, diese Beratung zur Generalaussprache über die Politik der Bundesregierung zu nutzen. Das ist auch gut so, doch leider habe ich heute Morgen von den Rednern der Opposition keine inhaltliche Auseinandersetzung gehört. Das tut mir sehr Leid. ({0}) Ich hätte Ihnen jetzt in meinem Redebeitrag inhaltlich viel besser antworten können. Der Haushalt des Bundeskanzlers ist ein reiner Sachund Personalhaushalt. Die Ausgaben sind mit 1,5 Milliarden Euro veranschlagt. Ich möchte zwei Punkte nennen, die, wie ich denke, erwähnenswert sind. Der eine ist das Gästehaus in Meseberg, das der Bundesregierung im nächsten Jahr zur Verfügung steht. Ich möchte an dieser Stelle der Messerschmitt-Stiftung für die großzügige Bereitstellung des komplett sanierten Gebäudes danken. Ich sage das deshalb, weil ich von der Opposition teilweise andere Verlautbarungen gehört habe. Der zweite Punkt ist: Wir haben die Stiftung Wissenschaft und Politik wiederum mit demselben Betrag wie im vorigen Jahr versehen können. Wenn ich die vielen Briefe, die ich bekommen habe, betrachte, dann kann ich feststellen, dass das der Wunsch des gesamten Hauses war. Ich möchte an dieser Stelle den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich für die faire und sachliche Auseinandersetzung über diesen Haushalt danken. Ich glaube, das ist ein guter Brauch. Vor einem Jahr habe ich an dieser Stelle - ich habe die Rede extra noch einmal nachgelesen - zur Agenda 2010 einige Bemerkungen gemacht und gesagt: Meine Damen und Herren, durch die Umsetzung der Agenda 2010 kann das Jahr 2003 in die Geschichte eingehen, und zwar als das Jahr, in dem es Politik und Gesellschaft gelungen ist, sich ein Stück weit vom Besitzstands- und Anspruchsdenken zu lösen und sich auf wirklich Wichtiges zu konzentrieren. Heute stelle ich fest: Genau das ist geschehen. Zwar haben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, in den Verhandlungen des Vermittlungsausschusses im Dezember 2003 einige Vorhaben, darunter stärkere Steuersenkungen bereits zum 1. Januar 2004, verhindert und sich gegen einen weiter gehenden Subventionsabbau - das ist gestern und heute in den Debatten bereits angesprochen worden - gestemmt. Aber wir haben die Phase der konjunkturellen Stagnation der letzten Jahre überwunden und die Weichen für eine bessere Zukunft des Landes gestellt. Aus diesem Grunde können wir heute selbstbewusst feststellen: Wenn das Jahr 2003 das Jahr der Entscheidung und der Einleitung der Erneuerungsbewegung gewesen ist, so ist das Jahr 2004 das erste Reformjahr mit konkreten Ergebnissen. Es ist ein Jahr, in dem zum ersten Mal seit vier Jahren das Wirtschaftswachstum die Prognosen vom Jahresbeginn übertroffen hat und durch die Gesundheitsreform die Krankenkassenbeiträge sinken. Bislang haben in diesem Jahr 28 Millionen Versicherte von Beitragssenkungen profitiert. ({1}) Es ist ein Jahr, in dem wir die wichtigsten Zukunftsaufgaben angepackt haben: Familie, Bildung und Innovation. Es ist auch ein Jahr, in dem sich die ersten Anzeichen eines mentalen Wandels, eines neuen Optimismus andeuten. Zwar waren einige Reformen teilweise unpopulär; der Kanzler hat davon gesprochen. Insbesondere die Arbeitsmarktreformen haben zunächst Sorge und Verunsicherung ausgelöst. Aber die Wahlergebnisse des Sommers - vor allem auch in Ostdeutschland - haben eines deutlich gemacht: Wenn Politiker mit klarer Überzeugung für den Reformprozess einstehen, dann können sie die Wählerinnen und Wähler überzeugen. Ich denke, dies hat Matthias Platzeck in Brandenburg eindrucksvoll bewiesen. ({2}) ({3}) Das sollte Ihnen, Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, eigentlich eine Lehre sein. Denn wie es Herrn Milbradt in Sachsen ergangen ist, ist eindrucksvoll aufgezeigt worden. ({4}) Deutschland ist auf Erneuerungs- und Wachstumskurs. Wer allerdings den Leitantrag des CSU-Parteivorstands für den Parteitag am vergangenen Wochenende liest, gewinnt den Eindruck, Deutschland falle zurück, das Wirtschaftswachstum lasse weiter nach und Deutschland verliere im internationalen Wettbewerb. Diese Schwarzmalerei wird durch die heutigen Beiträge, aber auch durch öffentlichkeitswirksame Stimmen aus Wirtschaft und Wissenschaft unterstützt, die gerne in sonntäglichen Talkshows Deutschlands Abstieg in teilweise düsteren Farben an die Wand malen. Hier sind die Miesmacher vom Dienst am Werk, die unserem Land und den hier lebenden Menschen nichts mehr zutrauen. ({5}) In Wahrheit sieht es aber in Deutschland ganz anders aus. ({6}) Die letzten internationalen Untersuchungen zeigen uns doch deutlich die Stärken des Standorts Deutschland. ({7}) Lassen Sie mich einige Faktoren nennen. Erstens. Der Wettbewerbsbericht 2004/2005 des World Economic Forum vom Oktober 2004 zeigt, dass Deutschland unter den größeren europäischen Industrienationen mit Abstand den ersten Platz belegt. Der Finanzminister hat in seiner gestrigen Rede deutlich darauf hingewiesen. Er hat feststellen können, dass demselben Bericht zufolge die deutschen Unternehmen weltweit am leistungsfähigsten sind. Deutschland war 2003 Exportweltmeister und hat gute Chancen, auch 2004 diesen Titel zu verteidigen. ({8}) Die Zuwächse beim Export von über 15 Prozent im Jahresvergleich trotz des starken Euros, höherer Ölpreise und harter Konkurrenz auf dem Weltmarkt unterstreichen die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Schließlich deutet sich auf dem Arbeitsmarkt eine Wende für 2005 an. Die Zahl der Erwerbstätigen hat in diesem Jahr bereits stetig um insgesamt 110 000 zugenommen. Insbesondere die Zahl von Minijobs und IchAGs ist stark angestiegen. Im Verlauf des nächsten Jahres ist ein - wenn auch langsamer - Rückgang der Arbeitslosigkeit möglich. Auch der Sachverständigenrat hat in seinem Jahresgutachten unsere Arbeitsmarktreformen ausdrücklich gewürdigt. Angesichts dieser Lage sollten wir mit Stolz auf die Leistungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Unternehmen in Deutschland schauen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland hat - das bestätigt auch das Sachverständigengutachten - die Stagnationsphase überwunden. Dazu haben die Strukturreformen und die Steuersenkungen einen wichtigen Teil beigetragen. Mit der dritten Stufe der Steuerreform werden private Haushalte und Unternehmen ab dem 1. Januar 2005 um weitere rund 7 Milliarden Euro entlastet. Dabei kommt ein großer Teil der Entlastung den Beziehern niedriger Einkommen zugute. Der Eingangssteuersatz sinkt auf den historisch niedrigsten Wert von 15 Prozent; bei Ihnen waren es noch 25,9 Prozent. ({9}) Ich nenne als Beispiel eine Familie mit zwei Kindern mit einem Bruttoeinkommen von bis zu 37 000 Euro, die in Zukunft keine Steuern mehr zu zahlen hat. So viel Entlastung hat es vorher nie gegeben. ({10}) Durch Ihre unverantwortliche Blockadehaltung im Bundesrat ({11}) konnten wir in der Konsolidierungspolitik noch keine vergleichbaren Erfolge erzielen. ({12}) Als Beispiel nenne ich die Eigenheimzulage, über die wir gestern und heute mehrfach gesprochen haben. Diese 15 Milliarden Euro wollen wir für Forschung und Bildung und für eine bessere Betreuung von Kindern einsetzen. ({13}) Gerade vor dem Hintergrund der Zahlen aus der neuen PISA-Studie müsste sich auch bei Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, die Erkenntnis durchsetzen, dass wir höhere Bildungsausgaben brauchen und eine zukunftsgerechtere Politik machen müssen. ({14}) Wir werden unseren Erneuerungskurs für Deutschland fortsetzen. Die Kombination aus langfristig wirkenden Strukturreformen und Wachstumsimpulsen hat sich bewährt. Wir wollen und werden unser Land durch Investitionen in Bildung, Betreuung und Familienpolitik sowie in Forschung und Innovation neu aufstellen. Weil der Kollege Kalb einige Bemerkungen zum Transrapid gemacht hat, gestatten Sie auch mir zum Schluss ein paar Ausführungen dazu. Innovation ist genau das richtige Stichwort für dieses Projekt. Wie Sie alle wissen, liegt mir und natürlich auch vielen anderen dieser Transrapid, ein hoch innovatives Verkehrssystem made in Germany, sehr am Herzen. Deshalb freut es mich, dass die Koalition im Haushalt 75 Millionen Euro für die Jahre 2005 und 2006 für das Programm zur Weiterentwicklung des Transrapid zur Verfügung gestellt hat. Das ist ein Signal dafür, dass diese Bundesregierung und diese Koalition auch zum Transrapid in Bayern stehen. ({15})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das war doch ein schöner Schlusssatz, Herr Kollege. Sie sind schon sehr weit über die Zeit.

Gerhard Rübenkönig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002767, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. - Der Einzelplan 04 ist, wie der gesamte Bundeshaushalt 2005, solide und verfassungskonform aufgestellt. Daher bitte ich Sie, Kolleginnen und Kollegen, um Ihre Zustimmung. Danke schön. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich habe aus einem früheren Debattenverlauf noch einen Ordnungsruf für den Kollegen Tauss zu erteilen, der den Kollegen Glos einen Heuchler genannt hat. Das ist bei uns nicht üblich. Als nächsten Debattenredner rufe ich den Abgeordneten Peter Harry Carstensen auf. ({0})

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe nichts anderes erwartet: Die Regierung ergeht sich in Selbstlob und Allgemeinplätzen. Diese Regierung macht schöne Worte und geht an der Wirklichkeit im Lande vorbei. ({0}) Lieber Herr Müntefering, ({1}) ich frage mich: Wer von den Menschen draußen - ich denke an die 4,2 Millionen Arbeitslosen, an die Rentner und an die mittelständischen Unternehmer, die Angst um ihre Betriebe haben - war bei Ihrer Rede oder bei der Rede des Bundeskanzlers eigentlich angesprochen? ({2}) Sie sind an den Wirklichkeiten im Lande vorbeigegangen. Die Regierung ist nicht in der Lage, das Land zu erneuern. Das haben Sie heute wieder gezeigt. ({3}) Sie ruhen sich aus und machen Pause. Manche sagen, das sei gut so, weil Sie dann keine Fehler mehr machen könnten. Ich bin aber der Meinung, dass eine Regierung keine Pause machen darf, sondern dass sie die Lage draußen im Land zu analysieren und entsprechend zu handeln hat. Aber der Bundeskanzler redet stattdessen über die Weltwirtschaft, die Ölpreise und die Euro-Dollar-Relation. Der Bundesfinanzminister stellt hier als Abgeordneter wirre Zwischenfragen. Sie haben keinen Blick mehr für die konkreten Auswirkungen Ihrer Politik im Lande und insbesondere in den Regionen, in denen die Menschen leben und ganz persönliche Sorgen haben. ({4}) Ich glaube, die Menschen draußen sind viel klüger, als Sie denken. ({5}) - Herr Müntefering, einige, nicht alle. - Wenn die Entwicklung der Weltwirtschaft und insbesondere der Ölpreis ständig als Begründung dafür angeführt werden, dass es in unserer Wirtschaft nicht läuft und dass wir Schwierigkeiten mit den Finanzen haben, dann fragen sich die Menschen draußen doch, warum es in Großbritannien, in Irland, in Dänemark und Schweden besser läuft als bei uns, obwohl dort die gleichen außenwirtschaftlichen Bedingungen gelten. Als Antwort bleibt nur übrig, dass Sie schuld sind. Sie vergessen, dass Arbeitsplätze noch immer vor Ort geschaffen werden. Die Standortentscheidungen der Unternehmen sind konkret und spezifisch. Angesichts dessen hilft es auch nichts, darauf zu verweisen, dass sich bei den makroökonomischen Wirtschaftsdaten der Durchschnitt an dieser oder jener Kommastelle verbessert hat. Wir brauchen keine Kommastellenpolitik, sondern eine Politik mit Bodenhaftung. ({6}) Peter H. Carstensen ({7}) Es ist eine haushälterische Tugend, sich auch über Einsparvorschläge Gedanken zu machen. ({8}) - Tatsächlich? Warum haben Sie dann bei Ihrem Besuch in Lübeck die Genossen gewarnt und ihnen gesagt: „Bleibt ganz ruhig und macht euch keine Sorgen, wenn sich die Arbeitslosenzahlen Anfang nächstes Jahres in Schleswig-Holstein dramatisch verschlechtern werden!“? Herr Müntefering, ich hätte mir gewünscht, dass Sie bei Ihrem Besuch in Lübeck mit der Betriebsführung von Dräger Medical darüber gesprochen hätten, ob es nicht möglich ist, Einvernehmen mit den Betriebsräten und der IG Metall zu erzielen, damit dort die Arbeitsplätze erhalten werden können. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müntefering?

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Herr Müntefering, Sie sollten zur Kenntnis nehmen - das gilt auch für andere Bundesländer -, dass Schleswig-Holstein jeden Tag einen Verlust an sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen zu beklagen hat. ({0}) Angesichts dessen sollten Sie nicht behaupten, dass es mehr Arbeitsplätze im Land gibt. Tatsächlich verlieren wir in der Bundesrepublik Deutschland jede Woche 10 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Sie sollten auch erwähnen, dass dadurch aus Beitragszahlern Leistungsempfänger werden. Aber Sie vergessen das ständig und gehen an den Problemen der Menschen vorbei. ({1}) - In Schleswig-Holstein soll es besser laufen als anderswo? Ich glaube, ich bin im falschen Film! ({2}) Schleswig-Holstein ist das Bundesland mit der höchsten Verschuldung, das Land, das jeden Tag 60 Arbeitsplätze verliert, das Land, aus dem Betriebe abwandern, ({3}) das Land, in dessen Landtag darüber debattiert wird, ob man 2 Millionen Euro mehr für Kindergärten ausgeben kann, dabei aber gar nicht mehr darüber geredet wird, dass jedes Jahr 950 Millionen Euro an Zinsen gezahlt werden müssen. Das ist also ein Spitzenland für Sie? Ich glaube, ich bin im Wald! ({4}) Die Sparkommissarin, die Sie dorthin gesetzt haben, hat alles andere gemacht, aber nicht gespart. ({5}) - Ich rede nicht schlecht über mein Land Schleswig-Holstein. Ich liebe mein Land. Jeder weiß, wie sehr ich mich mit diesem Land verbunden fühle. Aber ich rede darüber, dass die Schleswig-Holsteiner genauso wenig eine solche schlechte Politik verdient haben wie alle anderen Deutschen Ihre Politik, Herr Müntefering. ({6}) In Schleswig-Holstein gibt es kaum Globalplayer, bei denen man sagen kann, sie seien von der Weltwirtschaft abhängig und die Entwicklung der Weltkonjunktur bereite den Unternehmen dort Probleme. ({7}) Unternehmen wie Dräger Medical in Lübeck sind ein klassisches Beispiel für Vorgänge, die sich überall in der Republik abspielen. Dieses medizintechnische Unternehmen, ein Hightechunternehmen auf dem Wachstumsmarkt Medizintechnik mit weltweit über 5 000 Mitarbeitern und Produktionsstätten auf drei Kontinenten, sieht sich aus Kostengründen und um den Betrieb zu sichern ganz konkret vor die Frage der Produktionsverlagerung nach Tschechien gestellt; denn dort sind die Lohnkosten über 17 Prozent niedriger. Obwohl die Firmenleitung die Arbeitsplätze in Lübeck halten möchte, sorgt die IG-Metall-Zentrale bisher dafür, dass kein betriebliches Bündnis für Arbeit zustande kommt. ({8}) Allen schönen Sprüchen von den Exporterfolgen der deutschen Wirtschaft zum Trotz sind auf ähnliche Weise viele Arbeitsplätze in Deutschland akut gefährdet. Was ist aus der Ankündigung des Kanzlers von März 2003, betriebliche Bündnisse durchzusetzen, geworden? ({9}) Angesichts dessen kann ich es nicht akzeptieren, dass sich die Bundesregierung anhaltend weigert, im Arbeitsrecht die notwendigen tarifpolitischen Freiräume für die kleinen Einheiten vor Ort zu schaffen. ({10}) Sie machen sich zu politischen Mittätern beim Herausdrängen von Tausenden von Arbeitsplätzen aus unserem Land. Der Bundeskanzler hat zu Recht angemahnt - Sie haben das eben aufgegriffen -, das Land nicht schlechtzureden. ({11}) Peter H. Carstensen ({12}) Aber es gilt auch, sich nicht in Betriebs- und Betriebsleiterbeschimpfungen zu ergehen, lieber Herr Müntefering. ({13}) - Warum soll ich nicht „lieber“ zu Ihnen sagen? Sind Sie kein „lieber“? Dass das so ist, haben mir auch schon andere gesagt. ({14}) Ich nehme das „lieber“ mit großem Bedauern zurück. Es ist für mich ein unerhörter Vorgang, dass die Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein - vielleicht, weil sie falsch informiert war ({15}) auf dem Parteitag der SPD die Firmenleitung beschimpft hat - ich zitiere -: Das ist nicht mehr die ehrbare Kaufmannsfamilie Dräger. Das ist der dahinterstehende Großkonzern Siemens, der seine Arme wie eine Krake ausstreckt. Dagegen müssen wir uns wehren. Mit Blick auf die Forderungen an die Belegschaft hat sie sogar von einer „Schreckensliste aus der kältesten Folterkammer des Kapitalismus“ gesprochen. Das ist die verräterische Sprache der ehemaligen Stamokapvertreter. Herr Müntefering - ich sage nicht „lieber“ -, Sie wären gut beraten gewesen, sich dort einmal mit dem Betriebsrat zusammenzusetzen und bei der Familie Dräger ein Wort der Entschuldigung für Ihre Ministerpräsidentin zu finden. ({16}) In Lübeck haben Sie sicherlich gemerkt, dass Deutschland ein Transitland im Herzen Europas ist, so wie Schleswig-Holstein ein echtes Transitland zwischen Skandinavien, dem Ostseeraum und Mitteleuropa ist. Durch die meisten Bundesländer laufen übrigens mehr europäische Verkehrsachsen als durch jeden durchschnittlichen EU-Mitgliedstaat. Unser Wohlstand und unsere Zukunft hängen im Wesentlichen von Mobilität und wirtschaftlichem Austausch ab. ({17}) - Ich sage Ihnen: Sie sind nicht lange genug da gewesen; sonst wären Sie noch zwei Stunden in Mecklenburg-Vorpommern auf der Autobahn gefahren, um anschließend anderthalb Stunden in Lübeck im Stau zu stehen. ({18}) So ist unsere Situation dort. Rot-Grün verwirklicht dort nicht die notwendigen Verkehrsinfrastrukturprojekte. Hier in Berlin stellt sich einer der Grünen hin und zeigt nicht klammheimlich, sondern unheimlich Freude, dass die A 20 nicht gebaut wird. Gleichzeitig stellen Sie sich hierhin und sagen: Wir wollen uns auf die Osterweiterung und auf die wirtschaftliche Entwicklung vorbereiten. Die rot-grüne Verschuldungspolitik raubt den Menschen die Freiheit. Sie verkleinert Stück für Stück den Gestaltungsspielraum unserer Generation und zerstört den Handlungsspielraum der zukünftigen Generation. Es ist nicht gerecht und es hat nichts mit einer nachhaltigen Politik zu tun, dass unsere Nachkommen die Suppe auslöffeln müssen, die Rot-Grün ihnen einbrockt. Der Präsident des Bundesrechnungshofs, Dieter Engels - er ist heute schon ein paar Mal zitiert worden -, bringt es auf den Punkt, wenn er zur Haushaltssituation des Bundes sagt: Die Schieflage ist so extrem, dass es einem den Atem verschlägt. ({19}) Ich glaube nicht, dass Sie Dieter Engels vorwerfen können, dieses Land schlechtreden zu wollen; er redet vielmehr über die Situation, die Sie hier verschuldet haben. ({20}) Der Bundeskanzler hat 1998 zu dem damals eintretenden Aufschwung gesagt: Der Aufschwung, den wir jetzt haben, ist mein Aufschwung. Jetzt haben wir mehr als 4,2 Millionen Arbeitslose. ({21}) Wir haben Stagnation in der Wirtschaft. Wir haben eine Rekordverschuldung. Wenn das damals sein Aufschwung gewesen ist, dann ist auch die jetzige Krise auf dem Arbeitsmarkt, in der Wirtschaft und im Haushalt seine Krise. ({22}) Dieser Bundeskanzler trägt die Verantwortung. RotGrün kann es nicht, weder in Berlin noch in Kiel. Deswegen gehören sie abgewählt, meine Damen und Herren. ({23})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Pau. ({0}) - Meine Damen und Herren, hören Sie bitte der nächsten Rednerin zu. - Bitte.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS wird den Haushaltsplan 2005 ablehnen. ({0}) Der Grund ist plausibel: Wir halten die hinter diesem Haushaltsplan stehende Politik für falsch. ({1}) Die Bundesregierung gibt vor, mit ihrer Agenda 2010 werde der Sozialstaat gestärkt. Das Gegenteil ist aber der Fall. Der Staat und das Soziale werden geschwächt. Die Bundesregierung gibt vor, mit ihrer Außenpolitik werde der Friede gesichert. Tatsächlich werden aber Kriege geführt und wird aufgerüstet. ({2}) Die Bundesregierung gibt vor, mit ihrer Innenpolitik werde Sicherheit geschaffen. Tatsächlich werden aber Bürgerrechte und Demokratie blockiert. ({3}) Diese rot-grüne Generallinie haben wir stets kritisiert. Wir als linke Opposition werden das auch weiterhin tun. ({4}) Die Opposition zur Rechten bietet allerdings ebenfalls nichts Besseres. Der aktuelle Gesundheitskompromiss von CDU und CSU belegt es. Er ist ein Bazillus und kein Heilmittel. Er belastet die Beladenen. Er passt weder auf den Bierdeckel von Friedrich Merz noch auf den Rezeptblock von Horst Seehofer. Aber auch das sei nicht vergessen: Ihre Partei, Frau Merkel, hat die Debatte über weltweite Präventionskriege in den Bundesrat getragen. Hätten Sie das Sagen gehabt, wäre Deutschland unmittelbar an dem völkerrechtswidrigen Krieg der USA im Irak beteiligt. Inzwischen haben sich CDU und CSU auch noch dem Feldzug der FDP gegen die Gewerkschaften angeschlossen. ({5}) Ihr Angebot für das 21. Jahrhundert heißt: mehr arbeiten für weniger Lohn oder, wie es in einem alten Arbeiterlied heißt, „Unmündig nennt man uns und Knechte“. Deshalb wiederhole ich: Die Konzepte von CDU und CSU wären nur der schwarze Punkt auf dem rotgrünen i. Davor mögen uns das Herz und auch der Verstand bewahren. ({6}) Zurück zum Haushalt der Bundesregierung. Der Haushalt basiert auf einer Steuerreform, die den Sozialstaat verarmen lässt, die Wohlhabenden belohnt und die Armen immer mehr belastet. Sie verkaufen das Ganze als sozial gerecht und wundern sich, wenn immer weniger das glauben - zu Recht; denn die rot-grüne Steuerreform ist weder sozial noch gerecht. Sie setzt die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben fort. Wir wollen mit dem Steuerkonzept der PDS das Gegenteil. Auch deshalb haben wir beantragt, den Spitzensteuersatz nicht zu senken und die Vermögensteuer wieder zu erheben. ({7}) Ein zentraler Punkt Ihrer Agenda 2010 heißt Hartz IV. Sie verkaufen es als Reform gegen die Massenarbeitslosigkeit - zu Unrecht. Ich habe Ihnen hier schon mehrfach vorgerechnet, warum Hartz IV schlecht für den Westen und Gift für den Osten ist. Meine Argumente wurden auch in dieser Haushaltsdebatte nicht widerlegt. Die Zahlen zeigen: Die Arbeitslosigkeit steigt und steigt und steigt. Deshalb wiederhole ich hier meine Generalkritik: Die Agenda 2010 ist ein Gegenentwurf zu einem modernen demokratischen Sozialstaat. Deshalb lehnen wir als PDS im Bundestag sie auch so grundsätzlich ab. ({8}) Die PDS bleibt dabei, Solidarität und Gerechtigkeit sind unverzichtbare und übersichtliche Werte, da ja gilt: Die Reichen helfen den Armen, die Gesunden helfen den Kranken, Junge helfen den Alten usw. Genau diese Prinzipien aber werden mit der Agenda 2010 aufgegeben. Viele Grünen bejubeln die Abkehr vom solidarischen Sozialstaat sogar noch als Zukunftsmodell, manche sogar so laut, dass sie das Grummeln in den Arbeits- und Sozialämtern gar nicht mehr hören können. Ich gebe zu, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, als gelernte DDR-Bürgerin habe ich in den letzten Jahren versucht, von den Grünen zu lernen. Aber es bringt nichts mehr. ({9}) Zu viele Grüne haben sich inzwischen von Bürgerrechten, von der Solidarität und übrigens auch von der Friedenspflicht verabschiedet. Denn auch das gehört zum Thema: Verlierer des Hartz-IV-Gesetzes und der Arbeitslosengeld-II-Regelungen sind vor allem Frauen. Nach über 100 Jahren Frauenbewegung und Emanzipationsstreben hat ausgerechnet Rot-Grün ein Stoppzeichen für die Frauen gesetzt. So wird durch Sie Geschichte entsorgt. Solidarität als Zukunftsmodell ist auch vor einem anderen Hintergrund wichtig. Ich vernehme mit großer Sorge, wie CDU und CSU die unsägliche Debatte über eine vermeintliche deutsche Leitkultur wieder aufwärmen. Die Diskussion dreht sich um ein gefährliches Phantom: Sie spaltet, sie macht arm - intellektuell und kulturell - und sie macht blind. Auf der Kölner Kundgebung am Wochenende für ein friedliches Miteinander meinte Bayerns Innenminister, er wolle nirgendwo in der Bundesrepublik zweisprachige Ortsschilder sehen; das widerspreche seinem deutschen Leitbild. Liebe Bayern unter unseren Kollegen, es gibt zweisprachige Ortsschilder: in Sachsen und in Brandenburg, überall dort, wo von alters her Sorbinnen und Sorben mit ihrer slawischen Sprache und Kultur leben. ({10}) Weil das so bleiben soll, appelliere ich an Rot-Grün: Nehmen Sie die Kürzungen für die Stiftung für das sorbische Volk zurück! Sie gefährden sonst eine Kultur, die genauso zum multikulturellen Deutschland gehört wie das Boßeln in Bremen oder der Kirchgang im Allgäu. ({11}) - Nein, nur wenn Sie unserem Antrag zustimmen, wird das Förderniveau des vergangenen Jahres wieder erreicht. Ansonsten stimmt meine Aussage, dass es Kürzungen geben wird, Frau Kollegin Merkel. ({12}) Noch ganz wenige Bemerkungen zum Verteidigungshaushalt: Schon der Name ist falsch; denn es geht um vieles, aber nicht mehr um Landesverteidigung. Es geht um die Fähigkeit zu weltweiten Interventionen, die das Grundgesetz bekanntlich nicht vorsieht. Wir haben einmal hochgerechnet: Würde die Bundesregierung nur auf die Umrüstung der Bundeswehr zur Interventionsarmee verzichten, dann würden allein im nächsten Jahr circa 600 Millionen Euro für Besseres frei, zum Beispiel für Entwicklungshilfe. Auch dazu liegt ein Antrag von uns vor. Sie müssen nur noch zustimmen. ({13}) Abschließend: Die Koalitionsfraktionen und die Regierung haben erneut versucht, ihren Haushalt und ihre Politik als alternativlos schönzureden. Das ist falsch und langweilig. Es gibt immer Alternativen. Die PDS setzt dem Ganzen eine gerechte, eine soziale, eine moderne und vor allen Dingen eine demokratische „Agenda sozial“ entgegen. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Der Weg ist ja auch lang. Das Wort hat jetzt die Staatsministerin Christina Weiss für die Bundesregierung. ({0})

Not found (Gast)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Das Richtige“, sagt Bert Brecht, „braucht den kleinsten Fingerzeig noch!“ Das ist ein Satz, der den Kern unserer heutigen Debatte durchaus trifft; denn die Frage, ob Kultur als Staatsziel im Grundgesetz verankert werden sollte, hat in den letzten Monaten, Wochen und Tagen an Aktualität gewonnen. Die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ dieses Hauses hat dazu einen sehr würdigen Vorschlag unterbreitet. Auch ich bin sehr dafür, dass wir der Kultur in unserem Grundgesetz den ihr gebührenden Platz einräumen, und zwar in einem Art. 20 b mit dem Satz: Der Staat schützt und fördert die Kultur. So hat es die Enquete-Kommission vorgeschlagen. ({0}) Eine Kulturnation wie Deutschland kann und darf es sich nicht leisten, diesen essenziellen Bereich in ihrer Verfassung unerwähnt zu lassen. Vielleicht darf ich Sie daran erinnern: Sie teilen diese Meinung. Kultur ist eine der lebensnotwendigen Grundlagen unseres Zusammenlebens. Wir können nicht einerseits den Werteverlust in unserer Gesellschaft beklagen und andererseits die Kultur mit ihrer prägenden Kraft im Grundgesetz unerwähnt lassen. ({1}) Natürlich darf man sich von einer Staatszielbestimmung nicht zu viel versprechen. Niemand könnte daraus ableiten, dass der Gesetzgeber oder die Exekutive ganz bestimmte Maßnahmen der Förderung treffen muss. Dennoch würde die Aufnahme in das Grundgesetz das Selbstverständnis unseres Landes berühren. Es wäre ein Fingerzeig auf das Richtige, ohne das das Notwendige gar nicht bestehen kann. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, welche identitätsstiftende Kraft von der Kultur ausgeht, konnten wir nach dem schrecklichen Brand in der AnnaAmalia-Bibliothek beobachten. Eine gewaltige Welle der Hilfsbereitschaft erreichte Weimar und brachte fast 4 Millionen Euro an Spenden zusammen. ({3}) Hunderte von freiwilligen Helfern haben während und nach dem Brand Bücher gerettet, Trümmer beseitigt und mit ihrem Einsatz bewiesen, wie sehr sich die Menschen mit ihrem kulturellen Erbe identifizieren. Das klassische Weimar ist das Herz und der schicksalsschwere Knotenpunkt unserer Kulturnation, die Anna-Amalia-Bibliothek ist ihr Gedächtnis. Mit dem Brand wurde nicht nur der Rokokosaal beschädigt, sondern auch ein geistiger Schaden angerichtet. Es gilt, diese Wunden so schnell wie möglich zu heilen und finanzielle Anstrengungen zum Wiederaufbau und zur Wiederbeschaffung der Bücher zu unternehmen. Ich freue mich, dass auch hierüber ein umfassender Konsens besteht - in Thüringen, aber vor allem hier in diesem Hause. ({4}) Ich möchte das zum Anlass nehmen, allen Fraktionen dieses Parlaments für die konstruktive und kritische Zusammenarbeit bei den Haushaltsberatungen zu danken. Es ist uns gemeinsam gelungen, wirklich wichtige Akzente zu setzen. Die Anna-Amalia-Bibliothek ist dafür nur das beste Beispiel. ({5}) Der Schutz des Weltkulturerbes in Weimar verlangt jedoch noch mehr. Es muss sichergestellt werden, dass sich ein solcher Verlust von Kulturgütern nicht wiederholt. Die Schutzmaßnahmen in allen Objekten der Stiftung können mit den zusätzlichen Bundesmitteln überprüft und dort, wo es notwendig ist, verbessert werden. Auch hierfür Dank! ({6}) Der Schutz herausragender Kulturgüter, allen voran derjenigen des Weltkulturerbes, wozu auch die Bibliothek gehört, wird in den nächsten Jahren unser vordringlichstes politisches Ziel bleiben. ({7}) Die Berliner Akademie der Künste steht im nächsten Jahr vor einem strukturellen Neubeginn. Die Akademie ist eine Institution, die das geistige Leben Deutschlands mitgeprägt hat. Sie blickt auf eine große, eine 300-jährige Tradition zurück. Als unabhängige Künstlersozietät ist sie nach den vergleichbaren Institutionen in Rom und Paris die älteste Einrichtung ihrer Art in Europa. Sie spiegelt in ihrer Geschichte und in ihrer Gegenwart die Entwicklung und den Reichtum von Kunst und Kultur in Deutschland. Sie ist damit nicht nur ein Kernelement der Hauptstadtkultur, sondern entfaltet ihren Glanz, ihre Wirkung weit über die regionalen und nationalen Grenzen hinaus. ({8}) In der finanziellen und rechtlichen Verantwortung des Bundes - im völligen Einvernehmen übrigens mit dem Senat von Berlin und der Regierung des Landes Brandenburg - wird die Akademie als autonome Kultureinrichtung auch künftig die Sache der Künste fördern und in die Gesellschaft vermitteln. Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch ein Wort zur Medienpolitik. Deutschlands bester Botschafter im Ausland kann in seiner Arbeit ab 1. Januar 2005 auf ein neues Fundament bauen. Mit dem geänderten Deutsche-Welle-Gesetz hat der Auslandssender eines der modernsten Mediengesetze Europas. ({9}) Dieses Gesetz gibt Auskunft über das Selbstbewusstsein, mit dem wir in der Bundesrepublik Deutschland Rundfunk organisieren, und über die Leitideen, die wir damit verfolgen. Die Deutsche Welle hat den Auftrag, Deutschland als „europäisch gewachsene Kulturnation sowie als freiheitlich verfassten demokratischen Rechtsstaat“ darzustellen. Auch das ist ein kulturpolitisches Novum von Tragweite: Ein Bundesgesetz, das einstimmig verabschiedet wurde, definiert unser Land als Kulturnation. ({10}) Am 9. Mai 2005 jährt sich zum 200. Mal der Todestag Friedrich Schillers. An jenem Tag werden wir auf der Brücke zwischen Frankfurt/Oder und Slubice das deutsch-polnische Kulturjahr eröffnen. Ganz im Geiste des Dichters wollen wir uns dann - populär und modern - an die Ideale erinnern, die jede Kulturnation auf diesem Kontinent auszeichnen: Freiheit, Toleranz und Menschlichkeit. ({11}) Das sind vor allem auch kulturelle Errungenschaften. Es ist Kultur. Das ist die Basis unseres Zusammenlebens und die Grundlage unserer Demokratie. Deshalb gehört die Kultur ins Grundgesetz. Vielen Dank. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Bernhard Kaster. ({0})

Bernhard Kaster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003562, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Unser Bundeshaushalt weist die denkbar simpelste Form der Buchführung auf, nämlich eine einfache Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben. Ich möchte an dieser Stelle noch nicht darauf eingehen, ob dieses Haushaltsrecht noch zeitgemäß ist - das ist es nach meiner Auffassung nicht -, aber es ist bemerkenswert, dass diese Bundesregierung mit dieser simplen Buchführung offensichtlich schon überfordert ist. ({0}) Seit der letzten Wahl hat es Rot-Grün nicht ein einziges Mal geschafft, mit dem Haushalt wenigstens den Grundrahmen unserer Verfassung oder unserer gemeinsamen europäischen Währung einzuhalten. Im Wahljahr 2002 lief der Haushalt mit neuen Schulden in Höhe von 32 Milliarden Euro aus dem Ruder. Das waren 50 Prozent mehr als eingeplant. Prädikat: verfassungswidrig. 2003 machte Finanzminister Hans Eichel fast 39 Milliarden Euro neue Schulden, mehr als doppelt so viel wie ursprünglich geplant, also plus 100 Prozent. Prädikat: verfassungswidrig. ({1}) In diesem Jahr braucht unser Bundesschuldenminister 43,5 Milliarden Euro neue Schulden. Das sind wieder 50 Prozent mehr als geplant. Prädikat: verfassungswidrig. ({2}) In gerade einmal drei Jahren ergaben sich 114,2 Milliarden Euro neue Schulden, obwohl es einen massiven Verkauf von Tafelsilber gegeben hat. Für den Haushalt 2005 stellt sich daher die berechtigte Frage: Ist eine solche unverantwortliche Schuldenpolitik zulasten künftiger Generationen überhaupt noch steigerungsfähig? Ein Blick in den Haushalt offenbart die erschreckende Antwort: Ja. Die Hilflosigkeit dieser Regierung macht sogar vor den Einnahmen der Zukunft, dem endgültig letzten Tafelsilber, nicht mehr Halt. Mit dem Haushalt 2005 hat es diese Bundesregierung geschafft, die Gesamtverschuldung des Bundes über die Zeitspanne von 50 Jahren in nur vier Jahren um 20 Prozent zu erhöhen. Aus der Devise „Ist der Ruf erst ruiniert, handle frei und ungeniert“ wird unter dem jetzigen Bundeskanzler für 2005 das Motto: „Nach uns die Sintflut!“ ({3}) Was hier passiert, wie unser Land in den Ruin gewirtschaftet wird, wie die Zukunft der Kinder leichtfertig und egoistisch schon heute verfrühstückt wird, ({4}) all dies hat eine Dimension erreicht, angesichts derer die Frage gestellt werden muss: Wo bleibt in dieser Situation das Eingreifen, die Richtlinienkompetenz und die Verantwortung des Bundeskanzlers? Ein Bundeskanzler, der den Eid geleistet hat, das Grundgesetz zu wahren und Schaden vom deutschen Volke zu wenden, ({5}) ist zum Handeln verpflichtet, wenn Verfassungsbruch zur Routine wird - ich erinnere an Art. 115 des Grundgesetzes - und wenn Art. 110 des Grundgesetzes, also Wahrheit, Klarheit und Vollständigkeit des Haushalts, mit Tricksen, Tarnen und Täuschen umgangen wird. ({6}) Muss der Bundeskanzler nicht auch handeln und Schaden vom deutschen Volke abwenden, wenn beispielsweise alle Skrupel fallen und den Kindern nicht nur gigantische Schuldenberge hinterlassen werden, sondern zwischenzeitlich schon die Perversion um sich greift und nun schon heute die Einnahmen der Zukunft, das heißt die Einnahmen der jungen Generation verhökert werden? Mit dem unwirtschaftlichen Verkauf der Auslandsforderungen gegenüber Russland oder dem unseriösen Postpensionsdeal wird jetzt vor lauter Hilflosigkeit der schnelle Euro gemacht. Die Rechnung kommt später. Beim Postdeal warten ab 2007 Milliarden zusätzlicher Kosten auf uns. Der Bundesrechnungshof hat dies gestern in einem Brief sehr deutlich kritisiert. Statt aber im eigenen Etat ein Zeichen des Sparens zu setzen, geschieht beim Bundespresseamt im Kanzleretat genau das Gegenteil. Beim Thema Öffentlichkeitsarbeit sind seit langem alle Dämme gebrochen. Wir alle freuen uns auf die Fußballweltmeisterschaft 2006. Aber es ist eine Frechheit, dass die Weltmeisterschaft schon im Haushalt 2005 als Begründung für überhöhte PRMittel der Bundesregierung herhalten muss. ({7}) Ich bin daher sehr froh, dass der Bundesrechnungshof in der letzten Woche aus seiner objektiven Sichtweise eindeutige Feststellungen getroffen hat: ({8}) zum Beispiel, wie diese Bundesregierung trotz leerer Kassen 250 Millionen Euro für Werbung und Öffentlichkeitsarbeit verprasst. Eine viertel Milliarde nur für Anzeigen und Plakate! Das ist nichts anderes als eine steuerfinanzierte Parteiwerbung und Imagepflege. ({9}) Wir haben schon vor Monaten darauf aufmerksam gemacht, dass vor allem die von den Grünen geführten Ministerien rechtswidrig Millionenbeträge im Haushalt für ihre Imagewerbung geradezu veruntreuen. ({10}) Wie stellt jetzt der Bundesrechnungshof unter Punkt 15 seiner „Bemerkungen 2004“ fest - ich zitiere -: Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft … hat aus dem Bundesprogramm Ökologischer Landbau … in weitem Umfang Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit finanziert, um die politische Grundausrichtung der Bundesregierung darzustellen. Damit hat es gegen Haushaltsrecht verstoßen. So der Bundesrechnungshof. ({11}) Ich darf hinzufügen: bewusst verstoßen. Denn seit mehr als einem Jahr kritisieren wir an dieser Stelle immer wieder die PR-Ausgaben, ohne dass es Ihnen in den Sinn kommt, hier irgendwelche Veränderungen vorzunehmen. ({12}) Allein bei der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung mit den vielen im Haushalt versteckten Millionenbeträgen ließen sich jedes Jahr 200 Millionen Euro einsparen. Lassen Sie mich das noch sagen: Angesichts des Auftritts des Finanzministers eben und seiner Einlassung zum Thema Öffentlichkeitsarbeit muss man die Frage stellen: Kennt sich noch nicht einmal der Finanzminister mit den Etats der Kollegen von den Grünen aus, in denen die Millionen für die Öffentlichkeitsarbeit in verschiedenen Posten versteckt sind? ({13}) Vor dieser Bundesregierung müssen wir uns und müssen sich vor allen Dingen nachfolgende Generationen besser schützen. Dafür müssen wir uns ernsthaft Gedanken über engere Grenzen auch in unserer Verfassung machen. Der Investitionsbegriff im Grundgesetz muss als eingeengter Nettobegriff definiert werden. ({14}) Der Sinn des Art. 115 Grundgesetz wird doch geradezu auf den Kopf gestellt, wenn die Regierung die Begrenzung der Schuldenaufnahme in Höhe der Investitionen einfach durch Vermögensverkauf und beispielsweise durch den unseriösen Postpensionsdeal umgehen kann. ({15}) Wir brauchen beim Investitionsbegriff zwingend eine Anrechnung von Vermögensveräußerungen - das macht ja auch Sinn -, sprich: von Privatisierungserlösen. Kein betriebswirtschaftlich denkender Mensch versteht, dass beispielsweise Abschreibungen vollkommen außen vor bleiben. Wir brauchen betriebswirtschaftliche Elemente im Haushaltsrecht. Viele Kommunen und Bundesländer machen es vor. Ich verweise auf das Bundesland Hessen, ({16}) das auf dem Weg ist, die Doppik einzuführen. Theo Waigel und die damalige Koalition haben schon 1997 bzw. 1998 den Startschuss gegeben, die Kostenleistungsrechnung und Produkthaushalte einzuführen. Seit dem Regierungswechsel herrscht hier Stillstand. Über die Experimentierphase ist diese Bundesregierung bis heute nicht hinausgekommen. Weder Ziele noch Fortschritte sind hier auch nur im Ansatz erkennbar. Das ist aber dringend notwendig. Es wird höchste Zeit, dass künftige Etats mit erkennbaren Vermögensbilanzen und sichtbarem Werteverzehr - Stichwort nochmals: Abschreibungen - sowie transparent dargestellten Zukunftsbelastungen, etwa Zinsen oder Versorgungsleistungen, beraten werden können. Die simple Form der Buchführung im Haushalt mit der einfachen Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben reicht nicht mehr aus. Lassen Sie mich zum Schluss ein Zitat bringen, das wir sehr gern in der Umweltpolitik verwenden. Es lautet: „Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geliehen.“ - Im Interesse der jungen Generation muss der Geist dieses Zitates auch auf unsere Staatsfinanzen Anwendung finden. Vielen Dank. ({17})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Merkel. ({0})

Petra Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003591, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kaster, ein Erbe hat so seine Folgen. Denn man erbt nicht nur von seinen Vätern und Müttern, sondern auch von den Großvätern und Großmüttern. Es ist vorhin ja schon hervorragend ausgeführt worden, welches Erbe wir in Gestalt von Schulden pro Kopf den Kindern hinterlassen. Es sind das pro Kopf 11 200 Euro aus der Kohlzeit und die 2 531 Euro aus der rot-grünen Zeit. ({0}) Beides zusammen macht das Erbe aus. Diese Klarstellung trägt sicherlich ein wenig zur Sachlichkeit bei. ({1}) Ich komme jetzt zu einem Bereich, bei dem es erheblich friedlicher wird. Denn ich habe den Eindruck, für Kultur setzen sich erheblich mehr Personen im Parlament ein, als es den Anschein hat. ({2}) Vieles in Deutschland wäre farb- und freudloser, gäbe es nicht die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, Frau Dr. Christina Weiss, ({3}) mit ihrem Etat von 950 Millionen Euro. Übrigens ist dieser Etat, wie der Bildungsetat, im Rahmen der parlamentarischen Arbeit etwas aufgestockt worden. ({4}) - Richtig, wir haben es an der Stelle, weil Kultur und Bildung zusammengehören, Herr Austermann. Als Erstes komme ich zu einer wichtigen Grundlage für diesen Etat. Über die Austarierung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern wird ja gerade verhandelt und ich hoffe sehr - ich denke, das ist dringend notwendig -, dass die Föderalismuskommission die Kulturtätigkeit des Bundes stärkt. ({5}) Dieser Haushalt zeigt, dass das weiterhin unabdingbar ist, dass es eine Zuständigkeit des Bundes für die Kultur gibt. Wenn wir uns darüber im Grundsatz einig sind, dann werden wir auch einsehen, dass wir da unbürokratische Regelungen brauchen. Ich unterstütze natürlich, dass Kultur als Staatszielbestimmung im Grundgesetz verankert wird. ({6}) Vieles wird mit den 950 Millionen Euro aus dem Kulturetat bewegt: die Bundeskulturstiftung - 35,7 Millionen Euro - mit vielen lebendigen und anregenden Projekten, der neue Schwerpunkt „Filmförderung“, die großen Investitionen wie zum Beispiel auf der Museumsinsel, etwa für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz - auf sie komme ich gleich noch einmal zu sprechen -, für die Deutsche Welle - 280 Millionen Euro - mit dem neuen Standort Bonn und dem TV-Standort Berlin. Wichtig sind meiner Fraktion und mir folgende Projekte für 2005. Die Anna-Amalia-Bibliothek ist eben schon von Frau Dr. Christina Weiss angesprochen worden. Als Mitglied des Haushaltsausschusses bin ich sehr froh, dass wir in diesem Jahr die Gelegenheit hatten, uns die Anna-Amalia-Bibliothek anzusehen und die große Sammlung und den Rokokosaal auf uns wirken zu lassen. Es ist wirklich ein unvergleichbarer Schatz, der dort zu finden ist und der jetzt nach dem Brand saniert werden muss. ({7}) Deswegen bin ich auch sehr dankbar dafür, dass Christina Weiss sehr schnell mit 4 Millionen Euro die erste finanzielle Not gelindert hat. Ebenso haben das Land und die vielen Spender, die dazu bereit waren und weiterhin sind, dabei geholfen, dass die Sammlung weiter ergänzt werden kann. Ich bin aber ebenso froh darüber, dass es uns gelungen ist, im Haushalt für das Jahr 2005 die Sanierungsmittel bereitzustellen, sodass die Sanierung, die für 2006 geplant war, vorgezogen werden kann und die Arbeiten zügig weitergehen können. Das ist wichtig. Wir haben sogar noch 1 Million Euro für die Stiftung Weimarer Klassik eingestellt, damit trotz der extremen Haushaltsnotlage weiterhin Brandschutzmaßnahmen vorgenommen werden können. ({8}) Denn es kann niemand ein Interesse daran haben, dass uns ein solches Unglück noch einmal passiert. Es handelt sich um Schätze, die die europäische Kultur ausmachen. Sie müssen gehütet und bewahrt werden, egal - das sage ich für mich persönlich - wer dafür zuständig ist, ob Bund oder Land. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass so etwas nicht noch einmal passieren kann. ({9}) Unserer Fraktion, aber auch den Grünen ist es wichtig gewesen, dass die Volksgruppe der Sorben noch einmal finanziell Luft bekommt, um Strukturveränderungen in ihren Organisationen umsetzen zu können. Gemeinsam mit allen Fraktionen - das zeichnet diesen Etat aus haben wir den ursprünglichen Betrag von 7,225 Millionen Euro um 500 000 Euro aufgestockt; teilweise gegenfinanziert, teilweise werden die Mittel noch fließen. ({10}) Wir haben die Summe allerdings gesperrt, Herr Kampeter, weil wir wollen, dass uns darüber Bericht erstattet wird, wie die Strukturveränderungen angepackt werden. ({11}) Im kommenden Jahr wird es historische Gedenktage geben; sie sind teilweise bereits angesprochen worden. Das Ende des Zweiten Weltkrieges jährt sich zum 60. Mal und wird mit Veranstaltungen nicht nur, aber auch in Deutschland begleitet. Im kommenden Jahr wird auch der 60. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager mit einer zentralen Veranstaltung in der Gedenkstätte Buchenwald begangen werden. Wir haben neben einem Zuschuss zur Veranstaltung die finanziellen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Opfer eingeladen werden können. Das sind wir diesen schuldig und das ist uns wichtig. ({12}) - Sie haben Recht, Herr Kampeter, auch das haben wir einvernehmlich getan. Ich möchte an dieser Stelle allen danken, die als Zeitzeugen ihre schrecklichen persönlichen Erlebnisse im hohen Alter Kindern und Jugendlichen erzählen, mit ihnen reden und so zur Aufklärung beitragen. Allen muss klar sein, dass sich so schreckliches Leid nicht wiederholen darf. ({13}) Wenn auch Sie die Wahlergebnisse der rechtsradikalen Parteien nicht ruhen lassen, wenn Sie Möglichkeiten haben, mit Jugendlichen zu arbeiten, ob in Schulen, Jugendeinrichtungen oder Vereinen, bitte ich Sie: Laden Sie Zeitzeugen ein und eröffnen Sie durch die persönliche Begegnung, durch authentische Lebensberichte die Chance, dass Jugendliche wachsamer werden. Das ist ein Beitrag gegen die Rechtsradikalen und Neonazis. Zusammen mit den Programmen „CIVITAS“ und „entimon“, deren Mittel wir Ihren Anträgen entsprechend nicht gesenkt, ({14}) sondern aufgestockt haben, ist das eine gute Möglichkeit, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. ({15}) Es geht uns um das richtige Ausgeben von Geld, wenn wir über den Haushalt reden. Darüber wachen viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verwaltungen, meine Kolleginnen und Kollegen Politiker und der Rechnungshof. Ich habe in den Berichterstattergesprächen zur Vorbereitung des Haushalts 2005 beantragt, dass wir uns künftig stärker mit der Museumsinsel beschäftigen und jährlich ein besonderes Berichterstattergespräch vor Ort durchführen, und zwar bevor der Rechnungshof seinen Bericht abliefert. Ich meine allerdings, dass die fiskalische Kontrolle Aufgabe des Rechnungshofs ist. Er sollte jedoch nicht die politischen Zielsetzungen formulieren. ({16}) Dazu ist die Politik da, dazu sind meine Kolleginnen und Kollegen und ich da. Wir werden weiterhin über Entscheidungen wie die über eine archäologische PromePetra-Evelyne Merkel nade oder ein Eingangsgebäude auf der Museumsinsel in Berlin-Mitte verantwortlich diskutieren. Unser Stand bisher: Die archäologische Promenade wird zurzeit nicht gebaut, aber durch notwendige Vorsorgemaßnahmen innerhalb der Häuser wollen wir uns die spätere Entscheidung auch nicht verbauen. Ein Eingangsgebäude wird notwendig sein. Wie es gestaltet werden wird, steht noch nicht fest. Dieses gigantische Projekt - das Juwel vor unserer Tür - lebt von den Museen, die vordringlich saniert werden müssen. Museen sind aber auch Lebensraum und dieser muss gestaltet werden. Ich sage das in vollem Ernst, weil ich die Arbeit des Rechnungshofs sehr schätze, auch als Mitglied des Rechnungsprüfungsausschusses. Die politische Zuständigkeit liegt bei uns. ({17}) Ich möchte jetzt kurz auf einen Punkt eingehen, der mir sehr wichtig ist. Im vergangenen Jahr wurde immer wieder der Vorwurf erhoben, das Geld versickere in den neuen Ländern. Ich habe angeregt, dass wir vier Berichterstatter für den Kulturbereich uns vor Ort ansehen, was mit den Steuermitteln passiert. Wir haben im Frühjahr eine kurze Fahrt gemacht: nach Halberstadt, Quedlinburg, Wittenberg, Halle und zum Abschluss in den Wörlitzer Park. Wir vier Berichterstatterinnen und Berichterstatter - Frau Hajduk, Herr Kampeter, an den letzten beiden Tagen war auch Herr Dr. Rexrodt dabei, der leider kurz darauf unerwartet verstarb, und ich - haben die hervorragenden Kulturangebote gesehen, die aus Steuermitteln entstanden und mit der Kraft vieler Menschen aus dem Boden gestampft worden sind. Wir haben gespürt, wie wichtig diese Anker sind, um die sich viel Engagement, aber auch der Stolz und die Zuversicht der Menschen ranken. Ich bin sicher, wir werden uns auch im kommenden Jahr über verschiedene Projekte vor Ort informieren. Ich finde, die Bundesregierung hat für den Bereich Kultur trotz der Zwänge und extremen Nöte einen verantwortungsvollen Haushalt vorgelegt. ({18}) Wir haben ihn verantwortungsvoll beraten. Ich danke allen, auch der Opposition, dafür, dass wir die Anträge, mit denen wir Mittel erhöht haben, in breiter Übereinstimmung verabschiedet haben. Ich denke, dass die Kulturpolitik immer wieder dazu geeignet ist, Brücken zu bauen. Schönen Dank. ({19})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin gerade darüber informiert worden, dass die Klingelanlage, auch die optische, in einigen Teilen des Hauses nicht funktioniert. Deswegen sage ich Ihnen allen: Die namentliche Abstimmung findet in zehn Minuten statt. Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Günter Krings. ({0})

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Der Herr Bundesfinanzminister und der Herr Bundeskanzler, der noch abwesend ist und bisher wohl auch noch nicht das Klingelzeichen in Deutschland gehört hat, haben zu Beginn ihrer Amtszeit einen Amtseid abgelegt. In diesem Amtseid heißt es zum Schluss, dass sie sich verpflichten, „Gerechtigkeit gegen jedermann“ zu üben. ({0}) Hier ist nicht die Stunde, auf die vielen großen und kleinen Ungerechtigkeiten Ihrer Politik hinzuweisen, die die Wählerinnen und Wähler von heute aktuell betreffen. Ich bin überzeugt, dass nach der Verabschiedung dieses Bundeshaushalts für jedermann in diesem Lande endgültig klar ist, dass diese Regierung ihren finanzpolitischen Offenbarungseid abgelegt hat. Ich bin mir sicher, dass die Wählerinnen und Wähler ihre Chance wahrnehmen werden, Ihnen das bei der nächsten Bundestagswahl zu zeigen, und dass es Ihnen nicht gelingen wird, noch einmal, wie Sie es im Jahre 2002 getan haben, Sand in die Augen der Wählerinnen und Wähler zu streuen. ({1}) Während sich die heutigen Wählerinnen und Wähler in diesem Lande an der Wahlurne selbst gegen Ihre Politik zur Wehr setzen können, können dies die jungen Menschen in diesem Lande und die nachfolgenden Generationen nicht tun. Sie haben keine Chance, heute darauf hinzuweisen, dass ihre Zukunftschancen verfrühstückt werden. Sie sind die Opfer Ihrer ungerechten Politik, können sich dagegen aber nicht wehren. ({2}) Was der SPD die Jugend bzw. der Nachwuchs wert ist, haben wir in dieser Woche gesehen; ({3}) denn die SPD-Bundestagsfraktion hat in dieser Woche die Wahl ihres Fraktionsvorstandes durchgeführt. Das einzige Mitglied des engeren Fraktionsvorstandes, das jünger als 40 Jahre ist, ist aus Ihrem Fraktionsvorstand rausgefallen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie haben in Ihrer engeren Fraktionsführung niemanden, der jünger als 40 Jahre ist. Das ist bei Ihren jüngeren Kollegen nicht ohne Kommentar geblieben. Ich zitiere die Kollegin Kerstin Griese, die hierzu wörtlich im „Tagesspiegel“ von heute meint: „Das war ein Angriff gegen die junge Generation.“ ({4}) Leider war das nicht der einzige Angriff, der diese Woche von Ihrer Seite des Hauses gegen die junge Generation gefahren wurde. ({5}) Ein weiterer Angriff erfolgt mit dem Bundeshaushalt 2005. Daher sage ich insbesondere den jüngeren Kolleginnen und Kollegen in Ihrer Fraktion bzw. in den Regierungsfraktionen, beherzigen Sie das: Lasst euch nicht verarschen! ({6}) Demjenigen, der in den letzten Tagen gelegentlich Werbung gehört bzw. gesehen hat, ist dieser Spruch wahrscheinlich halbwegs bekannt. Wenn Sie die „Tagesschau“ schon abschalten, dann schalten Sie zumindest die Werbung ein; dann kennen Sie das auch. Meine sehr verehrten Damen und Herren, jungen Menschen erlegt dieser ungebremste Marsch in den Verschuldungsstaat unzumutbare Lasten auf. Jedes Kind, das in diesem Lande geboren wird, bekommt sozusagen als Begrüßung des Staates nicht nur eine Geburtsurkunde mit auf den Weg, es bekommt bei der Geburt gewissermaßen auch ein virtuelles Girokonto angelegt - nur leider mit Schulden von 16 500 Euro. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hagedorn?

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, da Sie gerade die Pro-Kopf-Verschuldung von 16 500 Euro, auch für jedes Baby, das heute in Deutschland geboren wird, ansprechen, würden Sie bestätigen, dass von diesen 16 500 Euro 11 220 Euro in der Zeit von 1982 bis 1998 entstanden sind ({0}) und 2 531 Euro seit 1998? ({1}) Wenn Sie das bestätigen - und das können Sie eigentlich nicht abstreiten, denn das ist eine Tatsache -, würden Sie mir dann bitte die Frage beantworten, ob ein Subventionsabbau nicht ein geeignetes Mittel wäre, dem entgegenzuwirken? ({2})

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Kollegin, es ist schön, dass Sie den Mut haben, auch bei dieser Geräuschkulisse vor der namentlichen Abstimmung noch eine Zwischenfrage zu stellen. Ich beantworte sie Ihnen sehr gerne. ({0}) Wenn Sie auch nur im Entferntesten mit den Effekten von Zins und Zinseszins vertraut sind, dann wissen Sie, dass der Damm in den 70er-Jahren gebrochen war - unter den Regierungen Brandt und Schmidt. Damals sind die Schulden auf das Sechsfache gestiegen. ({1}) - Sie können sich offenbar nur noch mit gezwungenem Lachen dagegen wehren. Wir haben dann in den 80er-Jahren eine Konsolidierungspolitik unter Finanzministern der Union erlebt und wir hatten 1990 die deutsche Einheit. Ich vermisse bis zum heutigen Tag Ihre Vorschläge zur Finanzierung dieser Einheit. Ich frage mich auch, welche deutsche Einheit Sie zwischen 1998 und 2004 finanzieren mussten. Womit erklären Sie Ihre Schulden? Ich glaube, dass Ihr Vergleich etwas albern ist, wenn man die deutsche Einheit bedenkt und sieht, dass die Regierungen Brandt und Schmidt in diesem Lande den Marsch in die Schuldenfalle begonnen haben, ({2}) und dieser ist immer schneller fortgesetzt worden. Aber es bleibt ja gar nicht bei den Staatsschulden von 1,4 Billionen Euro, die wir heute haben. Nehmen wir an, dass wir so weitermachen wie heute, dass wir mit einer Finanzpolitik wie der, die dieser Finanzminister zu verantworten hat, bis zum Jahre 2025 fortfahren. Dieses Jahr werden die meisten von Ihnen noch erleben. ({3}) - Nicht in dieser Funktion, aber sie werden es physisch erleben. - Dann werden wir Staatsschulden von über 7 Billionen Euro haben. Das Defizit der öffentlichen Haushalte wird bei etwa 480 Milliarden Euro liegen schier unvorstellbare Zahlen. Auch dieser Bundeshaushalt setzt seine Schwerpunkte wieder ausschließlich rückwärts gewandt. Wir geben für die Alterssicherung in diesem Lande - dabei kommt es gar nicht darauf an, ob es Zuschüsse an die Rentenkasse sind oder Pensionszahlungen - etwa 100 Milliarden Euro aus. Wenn wir die Zinsen und Zinseszinsen hinzunehmen, ist das deutlich über die Hälfte des Bundesetats für Aufgaben zur Bewältigung von vergangenen Ansprüchen und Lasten. Wir befriedigen Ansprüche von gestern mit Schulden von heute zulasten der Generationen von morgen. Das ist eine zutiefst unmoralische und ungerechte Politik, weil sie generationenungerecht ist. ({4}) Aus lauter Scham erlauben wir uns ja gar nicht, das wahre Ausmaß der Schuldenlast für die nachrückenden Generationen offen zu legen. Die 1,4 Billionen Euro sind ja nur der kleinere Teil der Wahrheit. Wenn wir alles dazuzählen, was an Ansprüchen an die sozialen Sicherungssysteme täglich neu entsteht, sind wir nach sehr konservativen Berechnungen bei weiteren Staatsschulden von mindestens 3,5 Billionen Euro, Schulden, die jeder Einzelne in Deutschland mit abzahlen muss. Das gibt nach zurückhaltenden Berechnungen summa summarum Staatsschulden von 5 Billionen Euro. Nur zur Verdeutlichung: Das ist eine Fünf mit zwölf Nullen, etwa so viele, wie dort gerade auf der Regierungsbank in den ersten beiden Reihen sitzen. ({5}) Umgerechnet auf das einzelne neugeborene Kind wären das dann mindestens 60 000 Euro. Diese Entwicklung wird noch dadurch dramatischer, dass wir ebenfalls seit den 70er-Jahren auch bei der Geburtenrate hinterherhinken. Pro Jahr werden 30 Prozent zu wenige Kinder geboren, um unsere Bevölkerung demographisch in der Balance halten zu können. Sie stellen sich also vor, dass die immer weniger Werdenden von morgen die immer größeren Schulden der vielen von heute abzahlen sollen. Wie das funktionieren kann, ist bis heute schleierhaft. ({6}) Der Raubbau an den künftigen Generationen geht dabei von Bundeshaushalt zu Bundeshaushalt immer schamloser vonstatten. Es wird von Jahr zu Jahr schlimmer. In den vergangenen sechs Jahren haben Sie 150 Milliarden Euro neue Schulden gemacht, gleichzeitig haben Sie etwa 100 Milliarden Euro an Bundesvermögen veräußert. Um Ihren Haushalt kurzfristig über Wasser zu halten, haben Sie keine Hemmungen, die Vermögenssubstanz dieses Landes zu zerschlagen. Eine Kuh kann man entweder melken oder schlachten. Sie haben sich offenbar für das Schlachten entschieden. Sie müssen den Steuerzahlern in diesem Land dann aber auch sagen, dass jeder Euro, der nicht mehr hereinkommt - zum Beispiel als Unternehmensgewinn -, in den nächsten Jahren durch Steuern oder neue Schulden finanziert werden muss. Ich nenne nur die Postpensionen. Ihnen reicht es nicht mehr, nur die Aktienanteile zu verkaufen - darüber könnte man ja reden -, sondern jetzt soll der Bund die Postpensionen indirekt übernehmen. Das bringt einmal Bares in den Etat und wird die Steuerzahler in diesem Land jahrzehntelang belasten. Das ist das Gegenteil einer nachhaltigen Politik. Der Finanzminister hatte eine weitere geniale Idee. Er will 2 Milliarden Euro aus dem ERP-Fonds, den ehemaligen Mitteln des Marshallplans, der Kreditanstalt für Wiederaufbau zuschieben. Abgesehen davon, dass Sie damit eine wirkliche Gefährdung der einzigen noch funktionierenden Mittelstandsförderung dieser Bundesregierung herbeiführen, missachten Sie zugleich vertragliche Bindungen mit den USA. Aber auch das hat ja Konsequenz und Methode: Wem schon die MaastrichtKriterien egal sind, der schert sich auch nicht um völkerrechtliche Verpflichtungen gegenüber den Vereinigten Staaten. ({7}) Das Ganze erinnert etwas an die letzten Jahre der DDR. Um sich kurzfristig eben über Wasser zu halten, hat man dort versucht, alles Mögliche auszunutzen und zu verscherbeln. Man hat versucht, die ökonomischen Reserven bis an die Belastungsgrenze auszunutzen - nur um über den Winter zu kommen. Man hat nicht darüber nachgedacht, ob in zwei, drei Jahren noch etwas übrig bleibt. So, wie in den 80er-Jahren in einem Teil Deutschlands Politik betrieben wurde, sieht auch Ihre Politik aus. Es gibt aber einen erheblichen Unterschied zur damaligen Situation in der DDR: Anders als vor 20 Jahren steht jetzt kein Partner im Westen mehr bereit, der uns wieder auf die Füße helfen kann. Wir müssen mit eigener Wirtschaftskraft aus diesem Sumpf herauskommen. Wir müssen uns anstrengen und die Verschuldungsstrukturen dieses Landes aufbrechen, wenn wir wieder in eine wirtschaftliche Erfolgsspur kommen wollen. Mit diesem Bundeshaushalt erreichen Sie das Gegenteil. Die Zeit drängt. Wir haben jetzt das Glück, dass wir uns in einer Niedrigzinsphase befinden. Wenn die Zinsen auf den Weltmärkten um einen einzigen Prozentpunkt steigen, dann haben wir pro Jahr 8 Milliarden Euro mehr Schulden. Ich glaube, es ist deutlich, dass wir hier immer tiefer in eine ganz katastrophale Situation hineinschlittern. Diese Bundesregierung redet sehr oft und sehr gerne von Nachhaltigkeit. „Nachhaltigkeit“ klingt wunderbar. Es wird von Nachhaltigkeit gesprochen, gehandelt wird aber nach dem Motto: Nach uns die Sintflut. Herr Bundeskanzler, Herr Finanzminister, hören Sie im Interesse der künftigen Generationen endlich damit auf, die Staatsverschuldung nur in wohlfeilen Reden zu bekämpfen. Bekämpfen Sie sie endlich auch in der Wirklichkeit und beherzigen Sie einen alten Satz von William Shakespeare: „Worte zahlen keine Schulden“! Danke schön. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Krings, ich bitte für einen Moment um Ihre Aufmerksamkeit. Ich rufe Sie wegen eines Ausdrucks, den Sie gebraucht haben, zur Ordnung. Zu den minimalen Voraussetzungen, insbesondere für Parlamentarier, aber ebenso für alle Demokraten gehört der Respekt vor Institutionen und ihren Repräsentanten. ({0}) Deswegen kann ich es nicht hinnehmen, dass Sie gewählte Vertreter dieses Hauses als „Nullen“ bezeichnen. ({1}) - Ich glaube, dass ich dies im Interesse aller gesagt habe. ({2}) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 15/4342? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP bei wesentlicher Enthaltung der CDU/CSU gegen die Stimmen der beiden Abgeordneten Lötzsch und Pau abgelehnt worden. Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung ab. Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Offensichtlich ist nicht nur die Klingel, sondern auch die Ordnung an den Urnen zusammengebrochen. Es fehlt ein oppositioneller Schriftführer an einer der Urnen. Daher kann ich leider noch nicht mit der Abstimmung beginnen. - Wie ich sehe, sind nun alle Plätze besetzt. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich schließe damit die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift- führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim- mung über den Einzelplan 04, Bundeskanzler und Bundeskanzleramt, in der Ausschussfassung, Drucksa- chen 15/4304 und 15/4323, bekannt. Abgegebene Stim- men 579. Mit Ja haben gestimmt 298, mit Nein haben gestimmt 281. Der Einzelplan 04 ist damit angenom- men.1) 1) Erklärung zur Abstimmung, Anlage 2 Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 579; davon ja: 298 nein: 281 Ja SPD Dr. Lale Akgün Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Hermann Bachmaier Ernst Bahr ({0}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({1}) Klaus Barthel ({2}) Sören Bartol Sabine Bätzing Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Hans-Werner Bertl Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({3}) Gerd Friedrich Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({4}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Martin Dörmann Peter Dreßen Elvira Drobinski-Weiß Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Martina Eickhoff Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({5}) Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Angelika Graf ({6}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl Hermann Haack ({7}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({8}) Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Monika Heubaum Gisela Hilbrecht Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({9}) Walter Hoffmann ({10}) Iris Hoffmann ({11}) Frank Hofmann ({12}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ulrich Kasparick Dr. h.c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Dr. Heinz Köhler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({13}) Christine Lehder Waltraud Lehn Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann Gabriele Lösekrug-Möller Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dirk Manzewski Tobias Marhold Caren Marks Hilde Mattheis Markus Meckel Ulrike Mehl Ulrike Merten Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Angelika Mertens Ursula Mogg Michael Müller ({14}) Christian Müller ({15}) Gesine Multhaupt Dr. Rolf Mützenich Volker Neumann ({16}) Dietmar Nietan Dr. Erika Ober Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Karin Rehbock-Zureich Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Reinhold Robbe René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({17}) Michael Roth ({18}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({19}) Thomas Sauer Anton Schaaf Axel Schäfer ({20}) Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Horst Schmidbauer ({21}) Ulla Schmidt ({22}) Silvia Schmidt ({23}) Dagmar Schmidt ({24}) Wilhelm Schmidt ({25}) Heinz Schmitt ({26}) Carsten Schneider Walter Schöler Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Wilfried Schreck Ottmar Schreiner Brigitte Schulte ({27}) Reinhard Schultz ({28}) Swen Schulz ({29}) Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Rita Streb-Hesse Dr. Peter Struck Joachim Stünker Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Ute Vogt ({30}) Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Reinhard Weis ({31}) Gunter Weißgerber ({32}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Jürgen Wieczorek ({33}) Dr. Dieter Wiefelspütz Brigitte Wimmer ({34}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Waltraud Wolff ({35}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Helmut Zöllmer Dr. Christoph Zöpel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({36}) Volker Beck ({37}) Cornelia Behm Birgitt Bender Matthias Berninger Grietje Bettin Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Jutta Dümpe-Krüger Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Joseph Fischer ({38}) Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Winfried Hermann Antje Hermenau Peter Hettlich Ulrike Höfken Michaele Hustedt Jutta Krüger-Jacob Fritz Kuhn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({39}) Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({40}) Christa Nickels Friedrich Ostendorff Simone Probst Claudia Roth ({41}) Christine Scheel Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({42}) Werner Schulz ({43}) Petra Selg Ursula Sowa Rainder Steenblock Silke von Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Marianne Tritz Dr. Antje Vogel-Sperl Dr. Ludger Volmer Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({44}) Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Altmaier Artur Auernhammer Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({45}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Dr. Rolf Bietmann Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({46}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Helge Braun Monika Brüning Georg Brunnhuber Verena Butalikakis Hartmut Büttner ({47}) Cajus Julius Caesar Manfred Carstens ({48}) ({49}) Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Vera Dominke Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer ({50}) Georg Fahrenschon Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Hartwig Fischer ({51}) Dirk Fischer ({52}) Axel E. Fischer ({53}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({54}) Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Roland Gewalt Eberhard Gienger Georg Girisch Ralf Göbel Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Kurt-Dieter Grill Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Helmut Heiderich Ursula Heinen Siegfried Helias Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Bernd Heynemann Ernst Hinsken Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Joachim Hörster Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Irmgard Karwatzki Siegfried Kauder ({55}) Volker Kauder Gerlinde Kaupa Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Kristina Köhler ({56}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Rudolf Kraus Michael Kretschmer Günther Krichbaum Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Werner Kuhn ({57}) Dr. Karl A. Lamers ({58}) Helmut Lamp Barbara Lanzinger Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Walter Link ({59}) Dr. Klaus W. Lippold ({60}) Patricia Lips Dr. Michael Luther Dorothee Mantel Erwin Marschewski ({61}) Stephan Mayer ({62}) Dr. Conny Mayer ({63}) Dr. Martin Mayer ({64}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Laurenz Meyer ({65}) Doris Meyer ({66}) Maria Michalk Hans Michelbach Klaus Minkel Marlene Mortler Stefan Müller ({67}) Bernward Müller ({68}) Bernd Neumann ({69}) Henry Nitzsche Michaela Noll Günter Nooke Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Melanie Oßwald Eduard Oswald Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({70}) Katherina Reiche Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Hannelore Roedel Franz Romer Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Volker Rühe Albert Rupprecht ({71}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({72}) Andreas Scheuer Norbert Schindler Angela Schmid Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({73}) Andreas Schmidt ({74}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Matthias Sehling Marion Seib Heinz Seiffert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({75}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marko Wanderwitz Peter Weiß ({76}) Gerald Weiß ({77}) Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Matthias Wissmann Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Elke Wülfing Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Dr. Karl Addicks Daniel Bahr ({78}) Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Helga Daub Jörg van Essen Otto Fricke Horst Friedrich ({79}) Rainer Funke Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({80}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Christel Happach-Kasan Ulrich Heinrich Birgit Homburger Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({81}) Eberhard Otto ({82}) Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Andreas Pinkwart Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Fraktionslose Abgeordnete Martin Hohmann Petra Pau ({83}) Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung des interfraktionellen Antrags zu den ukrainischen Präsidentschaftswahlen auf Drucksache 15/4265 zu erweitern und diesen jetzt als Zusatzpunkt 2 zusammen mit dem Einzelplan 05 aufzurufen. Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt I.14 auf: Einzelplan 05 Auswärtiges Amt - Drucksachen 15/4305, 15/4323 Berichterstattung: Abgeordnete Alexander Bonde Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Jürgen Koppelin Über den Änderungsantrag der Fraktion von CDU/ CSU auf Drucksache 15/4340, der sich auf den Einzelplan 05 bezieht, ist bereits bei Einzelplan 08 abgestimmt worden. Außerdem rufe ich den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 2 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP Fälschungen der ukrainischen Präsidentschaftswahlen - Drucksache 15/4265 Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Friedbert Pflüger.

Dr. Friedbert Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001710, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hunderttausende, ja 1 Million Menschen demonstrieren derzeit in Kiew bei klirrender Kälte gegen massiv gefälschte Wahlen. Ich finde es gut, dass wir im Deutschen Bundestag unter allen Fraktionen Verständigung über einen gemeinsamen Antrag erzielt haben, über den wir heute abstimmen, in dem wir unsere Solidarität mit den Demonstranten bekunden, Respekt vor dem Mut und dem Engagement der ukrainischen Zivilgesellschaft klar machen und die Überprüfung der Wählerlisten und die Neuauszählung fordern. ({0}) In dieser Resolution fordern wir den Deutschen Bundestag und auch die Bundesregierung auf, auf allen Ebenen jede Möglichkeit zu nutzen, dem tatsächlichen Wählerwillen zum Durchbruch zu verhelfen. Für uns ist heute die Kollegin Claudia Nolte nach Kiew gefahren. Sie ist inzwischen dort angekommen. Sie berichtet von einer sich zuspitzenden Lage unter den Demonstranten. Außerdem berichtet sie, dass ihre bisherigen Gesprächspartner übereinstimmend gesagt haben, man erwarte eine deutliche Präsenz der Europäischen Union vor Ort. ({1}) Ich glaube, Frau Nolte hat Recht mit dieser Bemerkung. Die EU muss sich nicht nur klar und deutlich äußern, sondern dort auch präsent sein. Es muss klar sein: Der tatsächliche Wählerwille muss zum Durchbruch kommen und ohne diesen tatsächlichen Wählerwillen kann es keine Anerkennung der Regierung in der Ukraine geben. ({2}) Morgen findet der EU-Russland-Gipfel statt. Ich glaube, es wäre in der Tat sehr klug, dort auch das Thema Ukraine, das bisher nicht auf der Tagesordnung steht, zu behandeln. Es wäre sehr klug, nicht einen konfrontativen, sondern einen konstruktiven Versuch zu unternehmen, Putin und die Russen einzubinden in eine Forderungsallianz gegenüber der Ukraine, um dem Wählerwillen zum Durchbruch zu verhelfen, und Putin zu bitten, seine vielleicht etwas vorschnelle Gratulation für den durch Manipulationen ausgerufenen Wahlsieger zurückzunehmen. ({3}) Wenn das gelingen würde, wäre das ein gutes, sichtbares und wichtiges Zeichen für die Entwicklung einer gemeinsamen Politik, so wie es Wolfgang Schäuble heute Morgen angesprochen hat. ({4}) Gestern war Richard Lugar, einer der führenden amerikanischen Senatoren und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, bei uns. Er war gerade in der Ukraine. In den Gesprächen zwischen ihm und mehreren meiner Kollegen haben wir festgestellt, dass wir in den hier zur Diskussion stehenden Punkten eigentlich sehr ähnlich denken. Es ist zu überlegen, ob wir jetzt nicht zusammen mit den Amerikanern und den anderen Europäern einen Versuch unternehmen sollten, eine gemeinsame Linie zu finden, eine gemeinsame Politik zu entwickeln, die deutlich macht, wie wir mit den Verwerfungen, die in den nächsten Tagen in der Ukraine zu erwarten sind, umgehen werden. Wir sollten dabei auf unsere polnischen Freunde hören - schließlich wissen sie am meisten über die Ukraine - und mit ihnen sowie den Vereinigten Staaten von Amerika versuchen, zusammen mit Putin, also nicht auf die Weise einer Konfrontation zwischen Ost und West, einen Weg zu finden, der die Ukraine, dieses wichtige Land im Herzen Europas, stabilisiert und ihre Unabhängigkeit garantiert. Darauf kommt es in diesen Stunden an. ({5}) Ich hoffe sehr, dass die Appelle an den Bundeskanzler, die nicht nur aus unserer Fraktion, sondern auch aus den Reihen der Regierungskoalition ständig zu vernehmen waren, endlich Früchte tragen. Er muss generell sehr viel klarer Stellung zu dem nehmen, was russische Politik heute leider in vielen Fällen ausmacht. Er sollte dabei deutlich machen, dass sich das nicht gegen eine von uns allen gewünschte russisch-europäische Partnerschaft - diese ist weiterhin ein zentrales Ziel unserer Außenpolitik - richtet. Wir wollen auch mit Putin gut zusammenarbeiten - eine Alternative dazu sieht ja keiner von uns - und Russland im Kampf gegen den islamistischen Terror in Tschetschenien zur Seite stehen. Aber es ist nicht in Putins Interesse, dass wir sozusagen jede Kritik außen vor lassen, wenn wir uns mit ihm treffen. Er hat schließlich genügend Jasager um sich herum. Es ist doch der Bundeskanzler, der ständig sagt, unter Freunden müsse ein offenes Wort möglich sein. Dann soll er nun auch in wesentlichen außen- und innenpolitischen Fragen ein offenes Wort mit Putin sprechen. Das erwarten wir jedenfalls von ihm. ({6}) Der Bundeskanzler hat aber das Gegenteil gemacht. Das beklagen wir, nicht sein gutes Verhältnis zu Putin. Es ist richtig und wichtig, das anzustreben. Schließlich hatte auch Bundeskanzler Kohl ein gutes Verhältnis zu Gorbatschow und Jelzin. Aber ich glaube, dass es ebenfalls wichtig ist, klar Stellung zu beziehen, wenn solche Wahlfarcen wie in Tschetschenien geschehen. Claudia Roth von den Grünen hat zu Recht gesagt: Das war keine demokratische Wahl. Frau Sager, Fraktionsvorsitzende der Grünen, hat gesagt: Wir haben eine andere Einschätzung als der Kanzler und finden die Wahlen nicht akzeptabel. Auch die Europäische Union hat die Wahlen in Tschetschenien kritisiert. Aber der Bundeskanzler hat öffentlich gesagt: Das sind akzeptable Wahlen gewesen. Was soll man glauben? Welches Bild vermittelt die Regierungskoalition nach außen, zum Beispiel der Zivilgesellschaft in Russland, wenn mit so völlig unterschiedlichen Zungen gesprochen wird? Das Gleiche gilt, wenn es um die inneren Probleme Russlands geht. Putin hat angeordnet, dass die Gouverneure künftig nicht mehr gewählt, sondern von ihm ernannt werden. Man stelle sich einmal vor, dass in Deutschland die Ministerpräsidenten nicht mehr von den Bürgern gewählt, sondern vom Bundeskanzler ernannt werden sollten. Das wäre ein Verfassungsbruch. Herr Fischer, Sie fänden das sicherlich gut. Aber die Mehrheit der Deutschen würde das nicht gut finden; denn sie möchte nicht so regiert werden wie in den rot-grün geführten Bundesländern. Sie möchte beispielsweise bessere Bildungssysteme haben. Glauben Sie es mir! ({7}) Aber unabhängig von diesem Einwurf: Die Absicht, die Gouverneure in Zukunft zu ernennen, ist eine Revolution. Das ist ein Verfassungsbruch, wie unser Kollege Ryschkow in der Duma gesagt hat. Bei „Beckmann“ sagte der Bundeskanzler, Putin sei ein Musterdemokrat, ein lupenreiner Demokrat. Frau Göring-Eckardt von den Grünen sagt, für die strategische Partnerschaft mit Russland fehle es im Moment am Wertekonsens, die gelenkte Demokratie erinnere an sowjetische Verhältnisse. Was denn nun? Sowjetische Verhältnisse oder ein lupenreiner Demokrat? Zwischen diesen beiden Einschätzungen klaffen Welten. Wir lassen Ihnen nicht durchgehen, dass Herr Schröder den Staatsmann gibt und mit Herrn Putin große Politik macht, während Sie zur Befriedigung einer bestimmten, anderen Klientel erklären, Sie hätten mit dieser Politik gar nichts zu tun. Sie müssen sich schon einigen, wie die Politik der Regierungskoalition gegenüber Russland aussehen soll. ({8}) Am letzten Wochenende war Herr Kotscharjan, der Präsident von Armenien, in Berlin, um an einer Tagung der Quandt-Stiftung teilzunehmen. Wir alle wissen, dass Armenien besonders gute Beziehungen zu Moskau pflegt. Trotzdem ist Kotscharjan - das wissen wir - über die russische Politik im Südkaukasus nicht begeistert. ({9}) Er sagt: Russland verhindert eine regionale Zusammenarbeit. Die georgische Außenministerin Surabischwili sagt: Moskau spielt im Südkaukasus mit dem Feuer. Alijew, der Präsident von Aserbaidschan, sagt: Russland inspiriert ethnische Konflikte in der Region, auch in Nagornij Karabach, und Russland hält diese Konflikte am Köcheln. Ich finde, das muss unter Freunden ein Thema sein. Darüber müssen wir mit den Russen sprechen. Dazu kann der Bundeskanzler nicht einfach schweigen. Er sollte sich nicht darauf beschränken, zu sagen: Ich glaube an Putin. Das reicht uns in diesem Parlament nicht; das reicht nicht nur der Opposition nicht, sondern, wie ich weiß, auch großen Teilen der Grünen nicht. Es ist gut, dass der Bundeskanzler diese klare Botschaft erhält. Er soll seine Freundschaft pflegen. Wir wollen ein gutes Verhältnis zu Russland. Aber wir wollen auch sagen dürfen, was wir denken. Wenn wir das nicht mehr tun, dann ist das ein Zeichen von Schwäche. Das wird uns im deutsch-russischen Dialog nicht helfen. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Pflüger, ich darf Sie einen Moment unterbrechen. - Ich sehe, dass vor den Kameras auf der Tribüne Interviews gegeben werden. Das ist in diesem Raum nicht üblich. Hier wird nur das gefilmt, was an diesem Pult gesagt wird. Ich bitte Sie, das zu lassen. ({0})

Dr. Friedbert Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001710, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Von Russland zu China: Bei China ist Bild das ziemlich ähnlich. Der Bundeskanzler ist nach China gefahren. Auch dazu muss man sagen: Es ist wichtig, mit China, einer aufstrebenden Weltmacht, ein gutes Verhältnis zu haben. Natürlich ist das ein großer Markt. Keine Frage, wir wollen dort Geschäfte machen. An dieses Thema kann man nicht mit einem „Westminsterrigorismus“ herangehen und sagen: In China muss übermorgen alles so sein, wie wir es uns vorstellen. Aber man wird doch wohl fragen dürfen, ob es richtig war, in China einseitig die Aufhebung des Waffenembargos anzukündigen. ({0}) Auch dazu kann ich sagen: Das kritisieren nicht nur die Kollegen aus der CDU/CSU, sondern auch - das haben wir in den zuständigen Ausschüssen gesehen Abgeordnete der Regierungskoalition. Eine Abstimmung im zuständigen Ausschuss hatte zum Ergebnis, dass eine Mehrheit gegen diese Position des Bundeskanzlers ist. ({1}) Anschließend stellte sich der Bundeskanzler mit seinem Regierungssprecher hin und sagte, er nehme diese Position des Parlamentes zur Kenntnis, aber er bleibe bei seiner Linie. Gilt denn das Wort des Parlamentes, das wir auch hier in einer Debatte vor kurzem zum Ausdruck gebracht haben, so wenig? Das Waffenembargo hat seinen guten Grund, gerade vor dem Hintergrund der Zuspitzung an der Straße von Taiwan. Für die Bundesrepublik Deutschland muss doch klar sein, dass sie das tut, was auch die übrigen EU-Partner tun und was auch in diesem Hause Konsens ist, und dass sie den Chinesen nicht einfach nach dem Mund redet. Dass der Bundeskanzler das getan hat, ist ein Fehler gewesen. Herr Außenminister, sagen Sie doch bitte, wie Sie dazu stehen. ({2}) Herr Bundesaußenminister, Sie haben 1996, als Sie noch Oppositionspolitiker waren, im Bundestag gesagt, und zwar völlig zu Recht: Wir werden eine friedliche Entwicklung Chinas nicht bekommen, wenn wir vor allen Dingen auf das Geschäft setzen … deswegen müssen wir mit den Chinesen unnachgiebig über Menschenrechte, über tibetische Kultur und über den Schutz von Minderheiten in China sprechen. Wenn das Aufträge kostet, dann kostet es eben Aufträge. Ich will überhaupt nicht, dass das Aufträge kostet. Ich glaube auch nicht, dass das im Interesse der Wirtschaft ist, die langfristig und in unser aller Interesse gute Geschäfte in China machen möchte. Nur, wenn man nicht auch auf Menschenrechte und Demokratie in China achtet - nicht in dem Sinne, dass übermorgen alles erreicht sein muss, aber im Sinne einer kontinuierlichen Entwicklung -, dann wird man in China keinen langfristig stabilen Partner haben. Deswegen schließt es sich überhaupt nicht aus, glaube ich, auf der einen Seite für Menschenrechte einzutreten und auf der anderen Seite mit diesem aufstrebenden und wichtigen Land Geschäfte zu machen. Ein Punkt zum Thema Türkei. Auch dabei sehen wir immer wieder Widersprüche. Der Kollege Nachtwei von den Grünen, verteidigungspolitischer Sprecher, hat in der „taz“ am 20. November erklärt, er sei gegen die von Bundesminister Struck gewünschte Lieferung von gebrauchten Leopard-2-Panzern an die Türkei. Die Türkei sei dafür nicht reif, die Lage der Menschenrechte müsse sich erst „unumkehrbar stabilisiert“ haben. Herr Kollege Nachtwei, erklären Sie mir doch einmal, wie das zusammenpassen soll! Sie sagen, die Türkei, unser NATO-Partner, sei nicht reif genug, gebrauchte Panzer zu bekommen. Aber offenbar ist sie reif genug, dass Verhandlungen über die Vollmitgliedschaft in der EU aufgenommen werden. Das passt doch hinten und vorn nicht zusammen. Wie wollen Sie das eigentlich den Menschen draußen erklären? ({3}) Machen Sie es doch so, wie es jetzt Präsident Chirac macht. Wenn man der heutigen Ausgabe des „Handelsblattes“ glauben darf - ich tue das -, dann bemühen sich die Franzosen darum, das zu tun, was Frau Merkel vorhin in Ihrer Rede gesagt hat, nämlich einen Weg zwischen Vollmitgliedschaft und Scheitern der Verhandlungen zu finden, eine besondere Form der Anbindung; wir nennen das „privilegierte Partnerschaft“. Machen Sie das doch! Schreiben Sie es doch mit hinein und lassen Sie die Ergebnisse offen! Lehnen Sie diese vernünftige Politik, die noch einmal eine wichtige Sicherung im Verhältnis zur Türkei sein kann, nicht aus dem einzigen Grund ab, dass der Vorschlag von der CDU/CSU kommt! Meine Damen und Herren, auch auf einem anderen Gebiet sollten Sie noch einmal überprüfen, ob wir nicht doch die richtige Linie vertreten. ({4}) Ich finde es richtig, Herr Bundesminister, dass Sie in Scharm al-Scheich waren. Ich finde gut, was in Scharm al-Scheich beschlossen worden ist. Das entspricht unserer Forderung, die unmittelbaren Nachbarn des Irak in den Prozess einzubinden. Ich finde auch völlig richtig, dass wir Polizei- und Soldatenausbildung im Irak betreiben und dass wir jetzt endlich beginnen, deutlich zu machen, auf welcher Seite wir wirklich stehen, nämlich nicht auf der Seite der feigen Terroristen, die dort morden, sondern auf der Seite der irakischen Regierung, die von der UNO unterstützt wird, der Regierung, die jetzt Wahlen vorbereitet. Es ist ganz wichtig, dass wir uns mit diesem Prozess ganz eindeutig identifizieren. Nur wenn dieses klare Signal des ganzen Westens im Irak ankommt, haben wir eine kleine Chance, den Irak wirklich zu befrieden. Dass wir jetzt auf diesem Weg Fortschritte machen, auch in der Entschuldungsfrage - darüber ist heute schon geredet worden -, finden wir gut und richtig, aber ich würde Sie bitten, in einem Punkt - da hat der Bundeskanzler gleich wieder versucht, hier eine Konfrontation aufzubauen, so als wollten die einen Kampftruppen hinschicken und die anderen nicht - noch einmal nachzudenken. Die NATO hat beschlossen, eine Ausbildungsmission für Offiziere im Irak durchzuführen. Sie kommt damit dem Wunsch der Iraker nach, die nämlich sagen: Wir wollen keine weiteren ausländischen Soldaten. Wir wollen auch keine deutschen Soldaten. Wir wollen unsere eigenen Leute ausbilden. - Dann hat die Bundesregierung in den Verhandlungen bei der NATO richtigerweise sehr sorgfältig darauf geachtet, dass man zwischen dieser Ausbildungsmission und den Koalitionstruppen klar trennt, dass man nur höhere Offiziere ausbildet und nicht sozusagen in die Breite geht. Sie hat das Mandat der NATO genau bestimmt. Sie stellt auch Geld zur Verfügung. Sie stimmt diesem Einsatz letztlich zu, sagt aber dann: Die wenigen deutschen Soldaten, die in dem NATO-Stab, der die Ausbildung durchführen soll, sitzen, müssen draußen bleiben. Die Frage ist, ob das eine kluge Politik ist, oder ob es angesichts der Tatsache, dass man multilateral tätig sein und seine Bündnisverpflichtungen wahrnehmen will und den Amerikanern immer wieder sagt, dass sie die NATO nicht wie eine Toolbox, also wie einen Werkzeugkasten, benutzen sollen, indem sie sich nur das herausgreifen, was sie wollen

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Pflüger, achten Sie bitte auf die Zeit.

Dr. Friedbert Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001710, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- ich komme zum Schluss -, nicht klüger wäre, NATO-Stäbe nicht auseinander zu reißen. Das ist, wie ich glaube, dringend erforderlich. Der NATO-Generalsekretär hat ja vor wenigen Tagen klipp und klar gesagt: ({0}) Die Deutschen können nicht ständig fordern, in allen Stäben vertreten zu sein, aber dann, wenn es ernst wird, sagen, sie ließen ihre Soldaten außen vor. Es besteht völliger Konsens darüber, dass keine Kampftruppen in den Irak geschickt werden sollen. Aber wenn ein NATO-Stab zu Ausbildungszwecken dort hingeschickt werden soll - ({1}) - Darüber bestand immer und besteht Konsens.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Pflüger, Sie können darüber nicht weiter debattieren. Ihre Redezeit ist überschritten.

Dr. Friedbert Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001710, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Redezeit ist zu Ende. Ich sage abschließend: Wir sollten den Versuch machen, einen wirklichen Neuanfang im transatlantischen Verhältnis zu unternehmen, im Iran nicht Fehler der Vergangenheit wiederholen und gegenüber dem Irak einen Kurs fahren, der dem jetzt in Scharm al-Scheich verkündeten Kompromiss entspricht. Dann gäbe es mehr Konsens in der Außenpolitik als in der Vergangenheit. Das täte unserem Land gut. Vielen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gert Weisskirchen.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Dr. Pflüger, ich finde, dass es nicht ganz angemessen war, wie Sie in Ihrer Rede die Würdigung dessen, was in der Ukraine an Richtigem geschieht, mit parteipolitischen Zielen vermengt haben. ({0}) Ich will Ihnen, lieber Kollege Pflüger, auch sagen, warum das nicht angemessen war. In der Ukraine kämpfen in diesen Stunden Demokraten darum, dass sich die Werte der Demokratie durchsetzen. Sie verbinden damit die Hoffnung auf einen tief greifenden Wandel. Das ist ein historischer Moment, in dem sich die Ukraine gegenwärtig befindet. Dieser historische Moment wird davon bestimmt, dass es in zwei oder drei Stunden passieren könnte, dass die nationale Zählkommission an die Öffentlichkeit tritt und das Wahlergebnis, das sie sich wünscht und durch Manipulationen herbeigeführt hat, verkündet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann von uns nicht hingenommen werden, dass jemand aufgrund von Wahlfälschung bzw. -manipulationen zum Präsidenten ausgerufen wird, der nicht vom Volk getragen ist. Das können wir nicht akzeptieren. ({1}) Gerade darum geht es. Es sind Hunderttausende von Menschen, die gegenwärtig in Eiseskälte auf den Straßen Farbe bekennen, übrigens nicht nur in Kiew, sondern - man höre und staune - auch in Charkiw. Dort gab es gestern Demonstrationen mit Zehntausenden von Menschen. Diese gab es in Lwiw, sie gibt es in Sumy und Tscherkassy. Das heißt, die ganze Ukraine ist in Aufruhr und die Bevölkerung will sich die Demokratie friedlich auf den Straßen erkämpfen. Das unterstützen wir ganz klar in einer gemeinsamen Erklärung des Deutschen Bundestages. ({2}) Vor diesen Hunderttausenden hat Wiktor Juschtschenko letzten Montag - Jelena Hoffmann war dabei - Folgendes gesagt: Der Wille des Volkes kann nicht gebrochen werden und seine Stimmen können nicht gestohlen werden. Das hat der vom Volk gewählte Präsident gesagt. Wenn ein anderer ausgerufen wird, der zugleich anderswo, nämlich in Moskau, zum Gewinner der Wahl erklärt wird - jetzt denken wir eine Sekunde darüber nach, er würde nicht nur ausgerufen, sondern wirklich die Bürde des Präsidentenamtes übernehmen -, stellt sich die Frage, was er für ein Präsident wäre. Er wäre ein Präsident von Moskaus Gnaden. Er wäre ein Präsident, der keine legitime Grundlage für sein Handeln hat. Er wäre ein Präsident, dessen Autorität auf Wahlfälschungen beruhen würde. Er wäre ein Präsident, der international keinen Kredit für die Ukraine gewinnen könnte. Was wäre das für ein Präsident, der dann die Ukraine anführen und repräsentieren würde? Das ist eine schreckliche Vorstellung. Gert Weisskirchen ({3}) Wir, der Deutsche Bundestag, wollen, dass der politische Wille des ukrainischen Volkes, der sich bei den Wahlen am letzten Sonntag so überzeugend und deutlich gezeigt hat und der gegenwärtig zum Ausdruck gebracht wird durch Zehntausende, Hunderttausende Menschen, die friedlich, zurückhaltend und ohne Gewalt anzuwenden auf den Straßen sind, ungehindert, ungeschmälert und unverfälscht anerkannt wird. Das ist unsere Forderung an die Behörden. ({4}) Unser Ziel - auch das muss klar sein - muss dabei unverändert sein: Wir wollen eine freie, unabhängige, souveräne, rechtsstaatliche, demokratische Ukraine. Auch die anderen Ziele, die wir bislang - dankenswerterweise durch den Bundeskanzler und den Bundesaußenminister vertreten - deutlich gemacht haben, bleiben unverändert. Deutschland und Europa haben ein ungebrochenes gemeinsames Interesse daran, dass die Ukraine und Russland gute Nachbarn sind. Wir können kein anderes Interesse haben. Wir befinden uns in der Tat in einem historisch entscheidenden Moment. Weil wir alle gemeinsam dieses Interesse haben und auch Moskau dieses Interesse haben muss, darf die Ukraine nicht zum Spielball irgendwelcher Interessengruppen, wo auch immer diese sind, werden. Dieses Schicksal hat die Ukraine schon sehr viele Jahre erleiden und erdulden müssen. Es ist erst 13 Jahre her, dass die junge, neue Ukraine überhaupt ins politische Leben getreten ist. Das ist eine kurze Phase in der Geschichte der Ukraine. Sie knüpft an eine frühere Epoche an. Anfang der 20er-Jahre gab es einmal eine ganz kurze Phase der Selbstständigkeit in ihrer Geschichte. Damals hat sie so etwas wie die erste Vorstufe der Demokratie erfahren können. Was gegenwärtig auf den Straßen von Kiew, Sumy, Tscherkassy und anderen Orten geschieht, stellt einen historischen Moment dar. Es hat noch nie ein solch unerhörtes Ereignis in der Geschichte der Ukraine gegeben, dass die Menschen selbst sagen: Wir wollen unser politisches Schicksal in die eigene Hand nehmen. Das strategische Ziel, eine bessere, kooperativere Beziehung der Ukraine zu Moskau als zu Europa herzustellen, weil die Beziehung zu Moskau wichtiger sei, ist grundfalsch. Wir müssen überall in Europa dafür sorgen, dass wir alle miteinander gute Nachbarn sind; denn wir brauchen unser gemeinsames Europa nicht wegen eines hegemonialen Gefälles, sondern damit alle Menschen in Europa die Chance haben, als gute Nachbarn und in gleicher Weise unabhängig, frei und demokratisch leben zu können. Deswegen unterstützen wir heute den gemeinsamen Antrag des Deutschen Bundestages. ({5}) Ich möchte gerne jemanden zitieren, der für die junge, neue Ukraine steht. Es gibt einen Schriftsteller, Juri Andruchowytsch, der gemeinsam mit Andrzej Stasiuk ein wunderbares Buch mit dem Titel „Mein Europa“ geschrieben hat. Damit bahnt sich etwas an, über die Grenzen hinweg, zwischen der polnischen Ostgrenze und der westlichen Grenze der Ukraine. Es erinnert an die Beskiden, Galizien und die Bukowina des Manès Sperber, des Paul Celan und der Rose Ausländer, literarische Regionen. Die Republik macht schon seit Jahrzehnten deutlich, dass sie zu Europa gehören will. Diese Tradition lebt noch immer. Es ist die Aufgabe des Deutschen Bundestages, die Ängste in dieser Region zu beachten. Was geschieht mit den Ukrainern - so fragt beispielsweise Andruchowytsch -, wenn die Ungarn, Slowaken und Polen im „eigentlichen Europa“ verschwinden? Die Angst in dieser Region ist, eingegrenzt und verbarrikadiert zu sein, weil es keinen neuen Zugang zu Europa gibt. Wir müssen deutlich machen, dass wir auf die orangene Revolution neugierig sind. Wir wollen mit den Menschen kooperieren. Wir wünschen, dass dieser friedliche und demokratische Prozess dazu führt - dafür hat sich das Volk am letzten Sonntag in freier Selbstbestimmung entschieden -, dass die Ukraine einen Platz in der europäischen Familie der Demokratien findet. Darum geht es und dafür streiten wir. Wir hoffen sehr, dass auch in diesen Stunden dieser Weg ein Weg ohne Gewalt ist, dass er zum Frieden führt und der Ukraine einen festen Platz innerhalb der Familie der europäischen Demokratien sichert. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der Liberalen, Wolfgang Gerhardt.

Dr. Wolfgang Gerhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002659, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Weisskirchen, was Sie zu den Wünschen in Bezug auf die Ukraine vorgetragen haben, ist hier völlig unstreitig. ({0}) Ich führe doch diese Debatte nicht, um Sie zu Ihrem überzeugenden Beitrag über die Demokratie in der Ukraine zu beglückwünschen. Unter uns müssen wir darüber nicht reden. Wir müssen aber mit der Bundesregierung darüber reden, was sie zu tun gedenkt, um dem russischen Präsidenten klar zu machen, dass er aufhören soll, sich dort einzumischen. Darum geht es. ({1}) Wir wollen gute Beziehungen zu dem russischen Präsidenten unterhalten. Wir müssen ihm aber auch sagen, wie wir die Lage sehen, damit er unsere Einschätzung von den Ereignissen um uns herum kennt. Er hat keine Kultur des Rechtsstaates in Russland entwickelt. Er hat vielmehr staatlich interveniert, um einen Mann mithilfe der Staatsanwaltschaft, der Justiz und der Polizei verhaften zu lassen. ({2}) Nun wird gegen diesen Mann ein Prozess geführt, der rechtsstaatlichen Grundsätzen Hohn spricht. ({3}) Der russische Präsident hat Fernsehanstalten aufkaufen lassen, um die Meinungsvielfalt zu unterdrücken. Er hat die Opposition im Wahlkampf praktisch beiseite gedrängt. Er hat zwar die Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien zur Kenntnis genommen, aber nur zögerlich diejenigen Angehörigen seines Militärs zur Rechenschaft gezogen, die dazu beigetragen haben, dass diese Menschenrechte verletzt worden sind. ({4}) Das alles ergibt kein Bild eines lupenreinen Demokraten. Das ist vielmehr das Bild eines Mannes, der zwar um die Schwierigkeiten weiß, die ihm ein Land mit acht Zeitzonen bereitet, der aber gegenwärtig einen Weg einschlägt, von dem wir gewünscht hätten, dass er ihn nicht gehen würde. Wir hatten uns einen anderen, nämlich einen offeneren und internationaleren, Weg Russlands vorgestellt. ({5}) Unsere Vorstellungen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, müssen ihm mitgeteilt werden. Als Joschka Fischer noch nicht Außenminister war, hat er in einer Debatte einmal zu Helmut Kohl gesagt, dass man zu dem Tschetschenienkonflikt und zu der Lage der Demokratie in Russland keine geduckte Haltung einnehmen könne. Damals waren Kohl und Jelzin die Akteure. Tauschen Sie Jelzin durch Putin und Kohl durch Schröder aus. Wer in der Sendung „Beckmann“ für die Weltöffentlichkeit das Testat abgibt, es handele sich bei dem russischen Präsidenten um einen lupenreinen Demokraten - es handelt sich im Falle des Bundeskanzlers um eine hochkarätige Meinung -, der verhält sich nicht so, wie das die Stellungnahmen der EU, der OSZE, des amerikanischen Präsidenten, vieler Wahlbeobachter und Nichtregierungsorganisationen sowie der oppositionellen Kräfte in Kiew erforderlich machen. Warum hat der Bundeskanzler das getan? Das dient doch nicht dazu - auch wir wünschen gute Beziehungen -, die Beziehungen zu Russland zu verbessern. Das dient doch eher dazu, jemanden im Unklaren darüber zu lassen, was unsere Vorstellung über seine Herrschaftsausübung ist. ({6}) Ich finde, wer mit uns umgeht, sollte unsere Vorstellung kennen. ({7}) Ich könnte jetzt mühelos ein Zitat zu China von Ihnen, Herr Außenminister Fischer, aus Ihrer Nichtaußenministerzeit hinzufügen. Das könnten Sie dem Bundeskanzler auf die Reise nach China mitgeben. Wenn Sie Courage haben, machen Sie es. Sie haben schon reichlich zum Waffenembargo geschwiegen, als es damals ausgesprochen wurde. ({8}) Damit will ich auf Folgendes hinaus: Wir haben in der Außenpolitik viele große Linien der Gemeinsamkeiten. Aber allmählich ist es für die Bundestagsfraktion der Freien Demokraten nicht mehr hinnehmbar, dass im Gegensatz zu allen früheren Äußerungen gegenüber der Vorgängerregierung jetzt bei denen, die man sich als nähere Partner ausgesucht hat und mit denen man rechnen muss, stillschweigend über die großen Fragen wie die der Menschenrechte und der Menschenwürde hinweggegangen wird und auf die Milde der Opposition gebaut wird, dass wir das nicht zur Aussprache bringen. Die Kollegen aus Koalitionskreisen behaupten dazu, wir hätten nicht den nötigen internationalen Respekt und das nötige Feingefühl. Für eine erwachsene Demokratie, für ein Land, das in die EU eingebettet ist und nach dem Willen der Regierung einen Sicherheitsratssitz in den Vereinten Nationen anstrebt, ist eine gepflegte offene Aussprache mit denjenigen, die wir als Partner betrachten, wichtig. Das muss im deutschen Parlament einmal ausgesprochen werden. Das ist heute notwendiger denn je. ({9}) Die Ukraine ist unser Nachbar. Mitglieder der EU grenzen an dieses riesengroße Land. Der russische Präsident kann doch nicht annehmen, dass wir zu all den Einflussnahmeversuchen, die er schon früher unternommen hat, schweigen. Die Ukraine ist ein Land, in das wir im Interesse Russlands und der Europäischen Union nachbarschaftlich mit Hilfen an das Land bei seinen Demokratisierungsanstrengungen hineinblicken sollten. Wenn die Europäische Union jetzt ein Treffen mit Russland abhält, sollte Russland klar vermittelt werden, dass die Werte, zu denen sich im Übrigen auch der russische Präsident in internationalen Abkommen verpflichtet hat, für beide Seiten gelten sollten. Wenn ein Land anders wählt, als sich das eines der anderen Länder vorgestellt hat, gilt es, das Ergebnis zu respektieren. Offenheit in der Aussprache sollte doch unter lupenreinen Demokraten üblich sein. Anders kann ich mir das nicht vorstellen. Das gilt auch für die Aussprache mit dem chinesischen Regierungschef. Es ist immer gut, wenn die anderen wissen, wie wir denken. Sie können ja andere Vorstellungen haben; aber sie können nicht verlangen, dass wir ruhig sind, wenn es um Demokratie, Menschenwürde, Transparenz, Rechtsstaat und die Kultur des Rechtsstaats geht. Das muss man wissen. ({10}) Das wollte ich zu diesem Punkt sagen. Die „Frankfurter Rundschau“ schreibt heute: Die ukrainische Krise ist eine Bewährungsprobe für das neue Europa und es ist ein Lackmustest für die viel gepriesenen guten deutsch-russischen Beziehungen. Das ist es. Vor dieser Aufgabe steht jetzt die Bundesregierung. Die muss sie wahrnehmen. Wir haben in der Außenpolitik - das will ich im Telegrammstil sagen - immer Problemlagen. Das ist jetzt so eine. Wir haben Chancen im Iran, in Israel und in Palästina und Wiederanknüpfungspunkte zu besseren Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. Diese Chancen können wir jetzt wahrnehmen, wenn auch Skepsis dahin gehend besteht, ob im Iran die Erwartung, die dort schon einmal geäußert worden war, eingehalten wird. Es fragt sich, ob wir wirklich dieses Window of Opportunity öffnen können, das sich zwischen Israel und den Palästinensern jetzt auftun könnte. Es muss von unserer Seite aus darauf gedrängt werden. Das tut der Außenminister; ich bestätige das hier gerne. Aber auch die zweite BushAdministration muss von der Europäischen Union gedrängt werden. Wenn jetzt nicht mit allem Engagement darauf hingearbeitet wird, dass es dort zu einer Lösung kommt, verlieren wir unendlich viel Zeit. Ich komme gleich zum Schluss, möchte aber noch fragen: Hat sich eigentlich in Afghanistan ein neues Provincial Reconstruktion Team eingefunden? ({11}) Eines? ({12}) - Das ist aber viel. ({13}) Ich frage immer wieder in Abständen nach, weil das Land groß ist, immer noch vor Problemen steht und es nur millimeterweise vorangeht. ({14}) Wie ist die Lage im Kosovo nach den Wahlen? Wie schätzt die Bundesregierung das weitere Vorgehen im Rahmen des Balkanstabilitätspaktes ein? Was wird dort politisch weiterbewegt? Eine weitere Frage im Telegrammstil: Glaubt die Bundesregierung, dass sie die Haltung, im Irak selbst keine Ausbildung der Sicherheitskräfte vornehmen zu können, durchhalten kann, wenn es dereinst eine legitimierte, gewählte irakische Regierung geben sollte? Zu diesen Fragen könnte im Rahmen der Debatte noch einmal Stellung genommen werden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({15})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Ludger Volmer, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die außenpolitische Diskussion der letzten Wochen wird geprägt durch drei personelle Entscheidungen bzw. Bestätigungen: die in Washington, die in Kiew und die in Ramallah. Die Entscheidung in Washington ist für uns völlig eindeutig: Präsident Bush ist mit einer klaren Mehrheit wieder gewählt worden; daran gibt es nichts zu deuteln. Noch ist offen, was er mit diesem politischen Kapital anzufangen gedenkt. Wir sind mehr als bereit, die transatlantischen Spannungen der letzten Jahre zu überwinden. Dazu bedarf es aber jetzt in erster Linie klarer Signale aus Washington selbst. ({0}) Die ersten Entscheidungen sind widersprüchlich. Zu begrüßen ist das Bekenntnis zur Implementierung der Konfliktregelung für den Nahen Osten auf der Basis der Roadmap. Skeptisch stimmt uns hingegen eine andere Entscheidung. Wir hoffen, dass der zum Justizminister berufene ehemalige Rechtsberater des Weißen Hauses, Gonzales, seine in Gutachten für den Präsidenten geäußerte Auffassung, dass die Funktion des Oberbefehlshabers diesen von allen völkerrechtlichen Restriktionen entbinde, nicht zur Maxime seiner Amtsführung machen wird. Ebenso hoffen wir, dass die designierte Außenministerin die angekündigte Politik der Entspannung gegenüber Europa durchsetzen kann. Die Welt braucht die Vereinigten Staaten, die in kooperativem Geist mit der internationalen Staatengemeinschaft zusammenarbeiten und nicht unilateralen und isolationistischen Tendenzen folgen. In diesem Sinne sind wir bereit für einen „fresh start“. ({1}) - Ich glaube, unter diesem Begriff wird das Programm in den USA diskutiert; das war ein Zitat. ({2}) Die Beziehungen zu Russland verkomplizieren sich in der Tat. Wir führen die Diskussion über die russische Innenpolitik und die russische Regionalpolitik seit den grauenhaften Terroranschlägen in Beslan wieder in verschärfter Form. Wir sind uns hier einig, dass die Terroranschläge in Beslan durch nichts, aber auch überhaupt nichts zu rechtfertigen sind. Sie sind auch nicht durch eine falsche Politik Moskaus in Tschetschenien zu rechtfertigen. Dennoch hat diese Katastrophe den Blick auf die russische Tschetschenienpolitik gelenkt und auch darauf, welche innenpolitischen Konsequenzen aus dem - notwendigen - Programm, sich an der Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu beteiligen, gezogen wurden. Wir sehen schon mit einer gewissen Sorge, dass zahlreiche Errungenschaften der Ära Gorbatschow, Glasnost und Perestroika, wieder zurückgenommen werden. Wir hoffen, dass sie nicht gegen null zurückgeführt werden. ({3}) Ebenfalls mit einigem Stirnrunzeln sehen wir, dass Präsident Putin im Vorfeld der Wahlen in der Ukraine nicht nur aufgetreten ist, sondern auch stark Einfluss genommen hat, und zwar zugunsten des Kandidaten, dem nun massive Wahlfälschungen vorgehalten werden müssen. Das sehen wir mit Stirnrunzeln und Argwohn. Der Deutsche Bundestag, der Auswärtige Ausschuss in seiner gestrigen Sitzung wie auch die Bundesregierung haben eindeutige Erklärungen zu den Wahlen in der Ukraine abgegeben. Ich kann mich dem flammenden Appell zur Durchsetzung der Demokratie und zur Solidarisierung mit den Demokraten in der Ukraine, den Kollege Weisskirchen gerade an uns gerichtet hat, nur anschließen. Wir werden selbstverständlich dem gemeinsamen Antrag der vier Fraktionen im Bundestag zustimmen. ({4}) Man muss sich aber auch einmal den Standpunkt der russischen Politik selber zu Eigen machen. Schauen Sie sich die Welt aus Moskauer Sicht an! Sie sehen eine wachsende, sich erweiternde, sich vertiefende Europäische Union. Als prominenter Politiker in Moskau wissen Sie, dass sowohl Russland wie auch Weißrussland wie auch die Ukraine oder andere GUS-Staaten in absehbarer Zeit nicht einmal in Diskussionen über eine Erweiterung der Europäischen Union einbezogen werden können. Keiner kann sich im Moment vorstellen, dass auch diese Länder dazugehören könnten. Deshalb ist es aus deren Perspektive nahe liegend, Anstrengungen zu unternehmen, sich zusammenzuschließen und zu formieren. Wir haben ein Interesse daran, dass die Nachbarschaft zwischen diesen Ländern gut bleibt. Wir haben darüber hinaus ein Interesse daran, dass sie dort einen starken Bund oder ein Bündnis, wie locker auch immer, bilden. Wir haben aber auch ein Interesse daran, dass dies auf der Basis des formulierten Volkswillens in den beteiligten Ländern geschieht, also auf der Basis von Demokratie. ({5}) Deshalb muss auch mit Präsident Putin darüber gesprochen werden, welche Kräfte er in den Nachbarstaaten unterstützt und welchen Einfluss dies auf das im Prinzip von uns gewünschte nachbarschaftliche Verhältnis hat. ({6}) Das hat im Übrigen der Bundeskanzler heute Morgen nicht anders gesagt; vielleicht haben Sie nur nicht richtig hingehört. Der Bundeskanzler hat auf die Frage, wie er es sich vorstellt, geantwortet: Selbstverständlich muss sich Präsident Putin auf die richtigen Kräfte stützen. Damit können doch nur die demokratischen gemeint gewesen sein. ({7}) Wenn Sie meinen, Sie müssten den Bundeskanzler zu einer öffentlichen Stellungnahme gegen Putin provozieren, dann müssen Sie sich auch genau überlegen, ob Sie die Konsequenz daraus wirklich wollen. Der Bundeskanzler ist im Moment die Person mit dem besten Zugang zu Putin. Ich weiß aus eigenem Erleben, dass in den Gesprächen, die der Bundeskanzler mit Putin führt, alle diese schwierigen Fragen - Tschetschenien, die Ukraine und viele andere strittige Dinge - in größter Offenheit angesprochen werden. ({8}) Der offene Dialog, den Sie einfordern, findet längst statt. Der Bundeskanzler würde wahrscheinlich einen großen Fehler machen, wenn er auf Ihre Provokation einginge und sich durch eine falsche öffentliche Tonlage den guten Gesprächsfaden nach Moskau abschneiden ließe. ({9}) - Das ist deren Absicht. Frau Merkel fragte heute Morgen, warum der Bundeskanzler, wenn er doch in Moskau so offen redet, nicht genauso offen mit Bush in der Irakfrage geredet habe. Damit wären wir bei dem Punkt - Herr Pflüger, auch Sie haben ihn gerade aufgegriffen -, über den wir im letzten Jahr diskutiert haben. Der Unterschied ist folgender: In Moskau sind die Dinge im Fluss und eine gute und gezielte Gesprächsführung kann beeinflussend wirken. In Washington war damals nichts im Fluss. Es gab auf der einen Seite die gute Kooperation, die keiner weiteren Gespräche bedurfte. Sie lief während des gesamten Irakkonflikts und läuft heute noch weiter. Auf der anderen Seite hatte es bezüglich des Iraks längst den finsteren Entschluss gegeben, den Krieg auf jeden Fall zu führen, auch wenn es für ihn keine Grundlage gab. Was hätte in dem Moment das Gespräch der Europäer genutzt? ({10}) Wären die Amerikaner von ihrem Plan zur Kriegsführung abgerückt? Hätten sie nur einen halben Krieg geführt? Vielleicht, auf jeden Fall aber hätten sie die Europäer in den Krieg hineingezogen. Das Ergebnis wäre gewesen - dazu haben Sie sich als CDU/CSU immer bekannt -, dass nicht nur die Europäer, sondern dass auch die Bundesrepublik Deutschland, die Bundeswehr an diesem Kampfeinsatz teilgenommen hätte. Dagegen waren wir und einen solchen Gesprächsinhalt haben wir immer abgelehnt. ({11}) Um es ganz deutlich zu Ende zu deklinieren: Das Ergebnis Ihrer Politik wäre, dass heute auch unsere Söhne und Töchter im Irak von Granaten in einem Krieg zerfetzt würden, ({12}) für den es nicht die geringste Rechtfertigung gibt. Das wäre die Konsequenz Ihrer Politik, wenn die CDU/CSU damals die Außenpolitik hätte bestimmen können. ({13}) Zum Glück haben der Bundeskanzler, der Außenminister und die rot-grüne Koalition eine solch fatale Entwicklung verhindert. Wir sind bereit, zusammen mit den USA an einer neuen Sicherheitsstrategie, an einer Strategie, die insbesondere auf die Einbeziehung der Türkei in die Europäische Union setzt, zu arbeiten. Es gibt viele gute Gründe für die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union, die historisch gewachsen sind, und es gibt das sicherheitspolitische Argument, über das wir schon mehrfach diskutiert haben. Wenn ich die Haltung der Union betrachte, habe ich den Eindruck: Es ist nicht Europa, welches überdehnt wird, es ist nicht die Europäische Union, die durch den Beitritt der Türkei überdehnt wird, es ist die Christlich Demokratische Union Deutschlands, die durch einen Beitritt der Türkei überdehnt wird. Während sich auf der einen Seite die CSU noch am letzten Wochenende einstimmig, wie ich vernommen habe, dafür ausgesprochen hat, dass die Türkei der Europäischen Union nicht beitreten darf - wenn dieses Ergebnis ohnehin feststeht, frage ich mich allerdings, warum Sie so tun, als würden Sie noch verhandeln -, gibt es auf der anderen Seite namhafte Außenpolitiker in der CDU/CSU-Fraktion, die durchaus für einen Beitritt der Türkei bzw. zumindest für die Aufnahme von Verhandlungen sind und in diesem Sinne Regierungspositionen vertreten. Diese Überdehnung des christlich-sozialen Spektrums drückt sich im Moment auch darin aus, dass die Flügelkräfte Merz und Seehofer abbröckeln. Diese Überdehnung können Sie nicht auf Dauer durchhalten. Wenn Sie einen internen Formelkompromiss finden, der nur Ihrem eigenen Kohärenzproblem geschuldet ist, dann sollten Sie Europa damit nicht belästigen. ({14}) Meine Damen und Herren, nach unserer letzten außenpolitischen Diskussion kam es zum Ableben von Jassir Arafat. Die Palästinenser empfinden dies als großen Verlust, sind aber dabei, die entstandene Lücke auf dem Wege demokratischer Wahlen - so hoffe ich doch zu füllen. Wenn es in der internationalen Gemeinschaft Kräfte gab, die Arafat immer als Hindernis angesehen haben - mag dies ein tatsächlicher Grund oder nur ein Vorwand gewesen sein -, so sind diese Kräfte, wie auch die palästinensische Seite selbst, nun aufgefordert, einen Neubeginn zu wagen und alles in ihrer Kraft Stehende zu unternehmen, um auf der Basis der Roadmap die Lösung des Konflikts mit der Perspektive der Zweistaatlichkeit herbeizuführen. Damit bin ich am Beginn meiner Ausführungen zur Kooperation mit den USA. Wir wissen, dass die USA in diesem Kontext die wichtigste Kraft sind. Wir hoffen, dass die USA ihre Interessen erkennen und einsehen, dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismus nur dann erfolgreich geführt werden kann, wenn dieser zentrale Konflikt in der arabisch-islamischen Welt gelöst wird. Wir hoffen, dass es in Washington zu einer Umorientierung kommt. Es gibt Anzeichen dafür, dass dies der Fall sein könnte.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir Europäer wären auf jeden Fall dabei, und die Bundesregierung, die viele Initiativen in dieser Richtung ergriffen hat, sowieso. Die Bundesregierung hat die Grundlinien der deutschen Außenpolitik in den letzten Jahren exzellent umgesetzt. Das wird sie auch weiterhin exzellent tun. Deshalb werden wir diesen Haushalt selbstverständlich bewilligen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Peter Hintze, CDU/CSUFraktion. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Beitrag des Kollegen Volmer wurde das ganze Drama der Grünen ({0}) im Hinblick auf die deutsche Außenpolitik dokumentiert. Herr Volmer hat uns, was die Beziehungen zu den USA betrifft, einen „fresh start“ versprochen. ({1}) Was er geliefert hat, war eine ziemlich gequälte Reaktion. ({2}) Ich finde, wir sollten hier vor dem Parlament eines klarstellen: Für Deutschland und Europa ist ein gutes Verhältnis zu Russland wichtig. Aber es wäre in hohem Maße geschichtsvergessen, wenn wir nicht sagen würden, dass das Bündnis zwischen Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika aufgrund unserer Werte, unserer geschichtlichen Erfahrung, unserer politischen Verantwortung und der Befreiung von der nationalsozialistischen Diktatur Priorität hat und dass das transatlantische Band für uns ein wichtiges und festes Band ist, zu dem wir stehen. ({3}) - Verehrter Herr Kollege Erler, das Drama besteht darin, ({4}) dass Sie sich damit schwer tun, dass sich Herr Volmer damit sehr schwer tut und dass das immer wieder sehr stark zum Ausdruck kommt. Es ist auch wirklich ein Drama, dass wir im Moment einen Bundeskanzler haben, der, was Äußerungen zur Frage der Menschenrechte in der Ukraine betrifft - hierzu haben wir einen sehr bewegenden Beitrag des Kollegen Weisskirchen gehört -, im Fernsehen klägliche Auftritte hatte; Kollege Gerhardt hat das wunderbar dokumentiert. Solche Grundwahrheiten müssen hier gesagt werden. Im Grunde müsste der Antrag zur Ukraine, der hier heute von den Fraktionen vereinbart wurde, dem Kanzler einmal zur Lektüre empfohlen werden, damit sich solche Auftritte im Fernsehen, wie er sie uns geliefert hat, nicht wiederholen. ({5}) Nun haben wir heute in gewissem Sinne eine Premiere: Der Haushalt ist ausdrücklich überschrieben mit „Auswärtige Angelegenheiten und Europa“. Wenn wir über Europa sprechen, dann müssen wir uns auch über das Bild verständigen, das wir von Europa haben. Wollen wir nur eine Freihandelszone oder wollen wir eine Politische Union? Wollen wir nur eine künstliche Zweckgemeinschaft oder wollen wir eine Wertegemeinschaft? Wollen wir ein Europa gegen die Bürger oder wollen wir ein Europa, das vom Wir-Gefühl der Bürger getragen ist? Die Bundesregierung und insbesondere der Bundesaußenminister überraschen uns ja immer mit sich widersprechenden Konzeptionen: In der Humboldt-Universität zeichnete Herr Fischer mit spitzer Feder Kerneuropa, um später mit breitem Pinsel das Gemälde eines grenzenlos ausufernden Europas dagegenzusetzen. Die deutsche Europapolitik leidet unter der Geschichtslosigkeit und Kulturferne dieser Bundesregierung, die ein völlig unklares Europabild hat. Daran scheitert vieles: Was Deutschland früher für Europa leisten konnte, wird heute nicht mehr geleistet. Unser Bild von Europa ist das einer festen Politischen Union, die auf gemeinsamen Werten aufbaut und auf dem Wir-Gefühl unserer Bürger. ({6}) Wir stehen vor schicksalhaften Fragen: Es geht um die Ratifizierung der Verfassung, es geht um Europas Rolle bei globalen Konflikten, es geht um den Stabilitätspakt und es geht um die Türkeifrage. ({7}) - Jetzt geht auch noch der Außenminister; das zeigt die ganze Dramatik. Nun kommt er wieder zurück - ich begrüße Sie herzlich. ({8}) Ich will ein gemeinsames Projekt ansprechen. Das wichtigste Projekt der Europäischen Union ist die Europäische Verfassung. Wir haben ein gemeinsames Interesse an ihrem Erfolg. Das setzt allerdings voraus, dass die Bundesregierung bereit ist, sich mit uns an einen Tisch zu setzen, um über die Mitwirkung des Bundestages an der europäischen Gesetzgebung und an zentralen europäischen Weichenstellungen zu sprechen. ({9}) Der Bundeskanzler und sein Außenminister verrennen sich; sie wollen mit dem Kopf durch die Wand. Wir schlagen Ihnen vor, wählen Sie die Tür eines vernünftigen Kompromisses! Wir wollen, dass der Bundestag an zentralen europapolitischen Entscheidungen beteiligt wird. Wir wollen, dass der Bundestag vor der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen darüber entscheidet. Wir wollen, dass der Bundestag unterrichtet wird, wenn die Regierung ein europäisches Gesetzgebungsverfahren bei der Kommission anregt. Es kann ja nicht angehen, dass wir innenpolitisch diskutieren und hier Vorlagen ablehnen, uns dann aber ein Minister oder eine Ministerin der Regierung über Brüssel ein Gesetzgebungsverfahren präsentiert und wir darüber noch nicht einmal unterrichtet sind. ({10}) Wir wollen als Parlament besser in das Gesetzgebungshandeln der deutschen Regierung in Brüssel eingebunden sein. Wenn die Regierung glaubt, sie könne die berechtigten Wünsche des Parlamentes nach Beteiligung ignorieren, dann wird sie in arge Schwierigkeiten geraten. Wir haben ihr das gesagt und ich hoffe, dass die auf der Regierungsbank verbliebenen Staatssekretäre den Herrn Bundesaußenminister davon in Kenntnis setzen. Denn diese EU-Verfassung ist uns wichtig. Aber uns ist auch wichtig, dass der Deutsche Bundestag an zentralen europäischen Weichenstellungen mitwirken kann. ({11}) Am Freitag entscheidet der Bundestag über die deutsche Beteiligung an der EU-geführten Operation Althea zur Stabilisierung des Friedensprozesses in Bosnien und Herzegowina. Die CDU/CSU-Fraktion wird dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. ({12}) Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist ein Feld, auf dem die Regierung unsere Unterstützung hat - und sehr häufig auch dringend braucht, weil sie in ihren eigenen Reihen Schwierigkeiten hat. ({13}) Stellen wir uns bitte einmal vor, eine Bundesregierung aus Union und FDP wäre im Amt ({14}) - das ist für Sie vielleicht keine so schöne Vorstellung, aber Sie müssen sich schon einmal langsam daran gewöhnen - und Herr Fischer wäre hier Oppositionsredner. Ich könnte mir vorstellen, dass er das Geschrei von einer Militarisierung der EU anstimmen würde. Bei all dem Kummer, den wir mit dieser Regierung haben, ist es vielleicht ein Gutes, dass wenigstens diese Entscheidung auf diese Weise zustande kommt und wir es schaffen, einen europäischen Beitrag auf dem Balkan zu leisten. ({15}) Die Operation Althea trägt den Namen der griechischen Göttin der Heilung. Ich hoffe, dass der Einsatz der EU dazu beiträgt, die immer noch offene Wunde Balkan tatsächlich zu schließen. ({16}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, Deutschland hat in Europa ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. ({17}) Das Problem heißt Stabilitätspakt. ({18}) Ich bin von einer Kollegin aufgefordert worden, auch einmal zum Haushalt zu sprechen, weil die Außen- und Europapolitiker das nie tun würden. Ich will das an dieser Stelle machen. Jedes Jahr aufs Neue gaukelt uns diese Bundesregierung vor, sie werde die Vorschriften des Stabilitätspaktes nicht brechen. Sie nennt uns die entsprechenden Zahlen und jedes Jahr stellt sich wieder heraus, dass er gebrochen wird. Im Jahre 2005 droht der vierte Bruch des Stabilitätspaktes in Folge. Das ist nicht nur unter haushaltspolitischen und unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten problematisch, ({19}) es ist auch unter europapolitischen Gesichtspunkten ein Drama, dass Deutschland, der Hüter und Wahrer des Stabilitätspaktes, diesen in unverschämter Weise bricht. Das muss sich dringend ändern. ({20}) Man sagt jetzt: Wenn wir den Pakt nicht einhalten können, dann ändern wir einfach den Pakt, erhöhen die Verschuldung, definieren unsere Schulden um und verfrühstücken das, was zukünftige Generationen brauchen. Ich empfehle der Bundesregierung eindringlich, den Monatsbericht November der Deutschen Bundesbank zur Kenntnis zu nehmen und zu studieren; denn in ihm heißt es in der nüchternen Sprache der Bundesbank klar: Abzulehnen ist eine Aufweichung des Referenzwertes für die Defizitquote durch ausgeweitete Ausnahmeklauseln oder längere Korrekturfristen. ({21}) - Ich will den Zwischenruf des Kollegen Gerhardt aufgreifen: Alle Institutionen, die sich für die Stabilität unseres Geldes noch einen Rest verantwortlich fühlen, warnen vor diesem Kurs der Bundesregierung. Ich hoffe sehr, dass hier im letzten Moment noch Einsicht einkehrt. Im Notfall muss das Bundesverfassungsgericht das herstellen, wozu die parlamentarische Mehrheit in diesem Hause offensichtlich nicht in der Lage ist. ({22}) Nun komme ich zur Türkeifrage, die der Kollege Volmer hier angesprochen hat. ({23}) Ich glaube, dass Sie hier einen verhängnisvollen Fehler begehen. Sie sollten mehr auf die kritischen Stimmen hören, die sagen, dass das, was im Dezember durchgepeitscht werden soll, verhängnisvoll für Europa und für Deutschland ist. Angela Merkel hat bereits auf ihrer Reise in die Türkei sowohl der türkischen Regierung als auch der europäischen Öffentlichkeit den Vorschlag der privilegierten Partnerschaft erläutert. (Gernot Erler [SPD]: Sie weiß aber selbst nicht, was das ist! Mehr und mehr Stimmen unterstützen diesen Vorschlag. Der Kollege Pflüger hat vorhin auf die Diskussion in Frankreich hingewiesen. ({24}) - Herr Mark, ich darf Sie darauf hinweisen, dass Bischof Huber - er war früher in der SPD aktiv und ist heute Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland - auf der Synode zu diesem Thema gesprochen hat. In seinem Bericht hat er aufgeführt, welche massiven Probleme es gibt: das Frauenbild in der Türkei, die Unterdrückung der nicht muslimischen Religionen, die Folter usw. Er schließt seinen Bericht auf der EKD-Synode mit den Worten: Die Frage, ob eine privilegierte Beziehung der Türkei zur Europäischen Union nicht der bessere Weg ist, wird sich auch beim weiteren Umgang mit diesem Thema immer wieder stellen. Wenn Sie nicht auf uns hören, wenn Sie nicht auf unsere Freunde in Frankreich hören, wenn Sie auch nicht auf die Wissenschaft hören, dann hören Sie vielleicht auf eine solche Stimme aus unserer Evangelischen Kirche, die sagt: Nehmt die Realitäten zur Kenntnis und legt euch jetzt nicht in einer Frage fest, die sich schicksalhaft negativ für Deutschland und Europa auswirken kann. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({25})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Lothar Mark, SPD-Fraktion.

Lothar Mark (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003190, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben uns nun offiziell seit 59 Minuten über den Haushalt des Auswärtigen Amtes unterhalten; denn das ist das Thema dieses Tagesordnungspunktes. Das Wort Haushalt ist einmal vom Kollegen Dr. Volmer ({0}) und einmal von Herrn Hintze im Zusammenhang mit dem Stabilitätspakt erwähnt worden, der aber eher bei einem anderen Einzelplan angesiedelt ist. ({1}) - Bei den Begriffen „Drama“ und „Tragödie“ möchte ich darauf hinweisen, dass die Differenzierung nicht ganz klar erkannt worden ist. ({2}) Deutschland hat in den letzten Jahren international erheblich an Gewicht gewonnen. Vor dem Hintergrund der neuen Herausforderungen unserer Zeit durch terroristische Anschläge, notwendige humanitäre Hilfe an alten und neuen Krisenherden sowie die gemeinsame Bewältigung der Folgen des Irakkriegs sind die Erwartungen an die Bundesregierung und den auswärtigen Dienst stetig gewachsen. Deutschland bewirbt sich zu Recht um einen Sitz im UN-Sicherheitsrat, was unsere internationale Verantwortung nicht mindert, sondern erhöht. Gefordert ist eine schnelle Krisenreaktionsfähigkeit durch weltweite Präsenz und Entsendung von Personal zu internationalen Organisationen für friedenserhaltende bzw. Frieden stiftende Missionen. Ich weise aber auch auf die besondere Bedeutung der Außenrepräsentanz als rentierliche Zukunftsinvestition hin. Die Aufgabe, Deutschland für das ausländische Publikum verständlich darzustellen und auf Deutschland neugierig zu machen, obliegt den Mitarbeitern der jeweiligen Auslandsvertretung. Gerade die Kulturarbeit und die Arbeit der Wirtschaftsabteilung prägen das Deutschlandbild im Ausland und müssen als kohärente Strategie einer Auslandsvertretung im Rahmen der so genannten Public Diplomacy vermittelt werden. Diese will langfristig Sympathie und Verständnis für und Neugier auf Deutschland wecken. Die grundsätzlich positive Wahrnehmung Deutschlands im Ausland als traditionelles Kultur- und Exportland soll um die Elemente des modernen Deutschlands ergänzt werden. Deswegen sind solche destruktiven Reden wie die des CSU-Kollegen Glos am heutigen Vormittag kontraproduktiv und für Deutschland schädlich. ({3}) Bundeskanzler Schröder sprach in diesem Zusammenhang vom „Zerrbild Deutschland“, das von der CDU/ CSU immer wieder in düsteren Farben gemalt wird. Für mich, lieber Kollege Glos, ist nicht nachvollziehbar, wie Sie sich als Christ so unchristlich äußern können. ({4}) „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“ heißt das achte Gebot, Herr Müller. Seit der Reforminitiative von Bundesaußenminister Fischer im Jahr 2002 bemüht sich das Auswärtige Amt, alle Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen, um mit weniger Ressourcen wesentlich mehr Effizienz zu erzielen. Dabei stößt es an Grenzen. So hatte ich mich bereits in den Haushaltsberatungen 2004 dafür ausgesprochen, den Einzelplan 05 künftig so weit wie möglich von weiteren Kürzungen auszunehmen. Tatsächlich wird das Auswärtige Amt wie auch alle anderen Ressorts im Jahr 2005 mit 22,3 Millionen Euro zur globalen Minderausgabe beitragen und hat darüber hinaus wie die anderen Ministerien eine Absenkung in der Finanzplanung zu verkraften. In den Beratungen ist es aber gelungen, wichtige Prioritäten deutscher Außenpolitik auch finanziell abzusichern. So wird es Erhöhungen der Ansätze im Regierungsentwurf für die Unterstützung von internationalen Maßnahmen auf dem Gebiet der Krisenprävention sowie für humanitäre Demokratisierungs- und Ausstattungshilfe geben. Vor dem Hintergrund der zugesagten kontinuierlichen Erhöhung der ODA-Quote, der Official Development Aid, auf 0,33 Prozent des Bruttosozialprodukts bis 2006 wurden bei den wichtigsten Titeln für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit bescheidene Aufwüchse vorgenommen. ({5}) Die ODA-Quote war in der Zeit der Regierung Kohl von 0,48 Prozent 1982 auf 0,26 Prozent 1998 deutlich zurückgefahren worden. Der Haushaltsausschuss sah sich auch in einer besonderen Obhutspflicht für die Sicherheit der Bediensteten an den Auslandsvertretungen. Umschichtungen und eine Verstärkung der Titel zur Erhöhung der materiellen Sicherheit an gefährdeten Dienstorten waren die Folge. Da die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik eine weitere wichtige tragende Säule der deutschen Außenpolitik darstellt, habe ich mich gemeinsam mit meinem Koalitionskollegen Alexander Bonde dafür eingesetzt, auch hier bei einigen Titeln Umschichtungen zu ihren Gunsten vorzunehmen. Im Regierungsentwurf war ein Ansatz in Höhe von 2,1 Milliarden Euro für den Haushalt des Auswärtigen Amtes vorgesehen, was ungefähr 0,84 Prozent des Gesamthaushaltes entspricht. Als Ergebnis der schwierigen Beratungen im Haushaltsausschuss wurde der Ansatz jedoch durch Aufwüchse bei ODA-relevanten Titeln und zur Kompensation der GMA um rund 56 Millionen Euro auf 2,2 Milliarden Euro erhöht. ({6}) Gerundet bedeutet dies für die einzelnen Kapitel: 10 Prozent für das Auswärtige Amt, 37 Prozent für Allgemeine Bewilligungen, 28 Prozent für die Vertretungen des Bundes im Ausland und 25 Prozent für die Pflege kultureller Beziehungen mit dem Ausland. Ich will hier nur einige wichtige Veränderungen nennen. Deutschlands Pflichtbeiträge zum Haushalt der Vereinten Nationen, insbesondere für Friedensmissionen in verschiedenen Brennpunkten der Welt, sind in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Sie werden künftig weiter wachsen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Krise im Sudan, die eine kostspielige Mission mit rund 200 Soldaten aus Deutschland erforderlich macht, aber auch für friedenserhaltende und Frieden stiftende Maßnahmen im Kongo, in Sierra Leone, Haiti, Burundi usw. wurde der Ansatz „Beitrag an die Vereinten Nationen“ in den Haushaltsberatungen um über 20 Millionen Euro erhöht. Damit kann Deutschland den internationalen Erwartungen gerecht werden. Der Anteil für internationale Beiträge im Haushalt des Auswärtigen Amtes beträgt circa 28 Prozent. Beim Titel „Unterstützung von internationalen Maßnahmen auf den Gebieten Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung durch das Auswärtige Amt“ wurde der bisherige Ansatz zur Stärkung des deutschen Engagements in der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit für Darfur, für die UN-Schutztruppe im Irak - natürlich nur Beteiligung am Wiederaufbau -, für den Internationalen Strafgerichtshof sowie für verschiedene Maßnahmen an internationalen Krisenherden um 14 Millionen Euro erhöht. Erlauben Sie mir an dieser Stelle einige kurze Worte zum deutschen Beitrag für den Wiederaufbau des Irak. Ich richte sie insbesondere an den Kollegen Schäuble und beziehe mich auf seine am 8. September in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs geäußerte Kritik. Die Position der Bundesregierung, Truppen zum VN-Schutz nur zu finanzieren, aber keine eigenen Truppen zu entsenden, ist nicht inkonsequent, wie er behauptete. Die USA und die Vereinten Nationen haben für die VNSchutztruppe insbesondere muslimische Staaten wegen der kulturellen und sprachlichen Affinität zum Irak angesprochen. Es bleibt dabei: Wir werden keine Soldaten in den Irak entsenden. ({7}) Die Bundesregierung unterstützt die VN, soweit personelle Kapazitäten und finanzielle Möglichkeiten dies zulassen. Im Übrigen ist Deutschland inzwischen einer der größten Truppensteller weltweit, so zum Beispiel in Afghanistan und im Kosovo. Der Titel „Für humanitäre Hilfsmaßnahmen im Ausland außerhalb der Entwicklungshilfe“ ({8}) wurde für Soforthilfe, Flüchtlingshilfe und vorbeugenden Katastrophenschutz insbesondere in Afrika, Afghanistan, Bangladesch und der Karibik um circa 13 Millionen Euro erhöht. ({9}) Beim Titel „Demokratisierungs- und Ausstattungshilfe“ - und hier geht es insbesondere um Minenbeseitigungsprogramme - sprachen sich die Berichterstatter der Regierungskoalition für eine Erhöhung des Ansatzes im Regierungsentwurf um 2,5 Millionen Euro aus. Für die Haushaltsjahre 2007 und 2008 sind zusätzlich zu den bereits eingebrachten Verpflichtungsermächtigungen jeweils 3 Millionen Euro hinzugekommen. Jedes Jahr werden zwischen 15 000 und 20 000 Menschen durch Antipersonenminen und Blindgänger verletzt und getötet, vor allem in Afghanistan, Angola, Kambodscha und Vietnam, aber auch in anderen Ländern. Am 28. November beginnt in Nairobi die Überprüfungskonferenz zur Ottawa-Konvention über die Beseitigung von Antipersonenminen. Die Bundesregierung wird dort ihre fortbestehende Bereitschaft zur wirksamen Hilfe bei der Vernichtung dieser heimtückischen Waffen unterstreichen, was wir sehr begrüßen. Auch deshalb wurde in den Haushaltsberatungen entschieden, zusätzliche Mittel für Minenbeseitigungsprogramme bereitzustellen. Mein Appell, hier aktiv zu werden, richtet sich aber insbesondere an die Länder, die diese mörderischen Waffen herstellen, verkaufen und bis heute das OttawaÜbereinkommen nicht unterzeichnet haben, so die Vereinigten Staaten, Russland, Indien, China und viele andere. Sie sollten meiner Meinung nach die Hauptkosten für die Beseitigung dieser Mordinstrumente tragen. Wir unterstützen ohne Vorbehalt die wichtigsten Bestimmungen des Ottawa-Übereinkommens. Ich denke, dass wir gut beraten sind, wenn wir unsere Freunde in den anderen Ländern mit davon überzeugen können, dass wir dieses Abkommen vorbehaltlos unterzeichnen. ({10}) Um den Haushalt des Auswärtigen Amtes nicht zusätzlich zu belasten, haben sich die Haushaltsberichterstatter darauf verständigt, die für die Fortführung des Deutsche-Welle-Programms in Dari und Pashtu und damit zum Aufbau der Zivilgesellschaft in Afghanistan benötigten 1,2 Millionen Euro nicht mehr aus Fördermitteln, sondern aus dem Stabilitätspakt Afghanistan aufzubringen. Die entsprechenden Gespräche zur Vorbereitung von Projektanträgen haben bereits stattgefunden, sodass sich die Sache auf einem guten Weg befindet. ({11}) Zum Thema Deutsche Welle will ich nur noch hinzufügen, dass wir mit der geplanten Einstellung bzw. Reduktion des Spanischprogramms nicht einverstanden sind. ({12}) Hier muss sich - das sage ich mit allem Nachdruck - die Deutsche Welle konstruktiv bewegen. ({13}) Die Fortführung der bisherigen Streitschlichtungsaktivitäten von Bundesminister a. D. Dr. SchwarzSchilling in Bosnien-Herzegowina, für die ich im Namen meiner Fraktion hier ausdrücklich meine Anerkennung aussprechen will, ({14}) und ihre Ausweitung auf Mazedonien und den Kosovo konnte über die Mittel des Stabilitätspakts Südosteuropa ebenfalls gesichert werden, ohne den Ansatz des Regierungsentwurfs zu erhöhen. Auch hierzu haben bereits konstruktive Gespräche zwischen den Beteiligten stattgefunden. Ein Projektantrag über rund 350 000 Euro für das Haushaltsjahr 2005 ist in Arbeit. Seiner Bewilligung steht im Grunde genommen nichts mehr im Wege. Vor dem Hintergrund des Terroranschlags vom 11. September 2001, der Anschläge in Istanbul und Madrid sowie des Überfalls auf den BGS-Konvoi in Falludscha, aber auch vor dem Hintergrund des nötigen Schutzes vor Erdbeben in besonders gefährdeten Dienstorten wie zum Beispiel Almaty, Izmir, Tiflis, Lima, San Francisco und Teheran waren bereits im Regierungsentwurf zusätzliche Mittel für die Verbesserung der materiellen Sicherheit bei Bau- und sonstigen Maßnahmen in den Auslandsvertretungen vorgesehen. In den Haushaltsberatungen sprachen sich die Berichterstatter dafür aus, den beim Titel „Kleine Neu-, Um- und Erweiterungsbauten“ vorgesehenen Ansatz nochmals um mehr als 5 Millionen Euro zu erhöhen. Beim Titel „Erwerb von Fahrzeugen“ wurde der bisherige Ansatz ebenfalls aufgrund der Sicherheitsanforderungen um weitere 500 000 Euro erhöht. ({15}) Wie die Bundesregierung sehen auch wir uns in besonderer Weise der Sicherheit des Personals verpflichtet. Eine weitere wichtige Säule der deutschen Außenpolitik stellt die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik dar. Aufwendungen für Bildung und Forschung sind auch und gerade im Bereich des Auswärtigen Amtes lohnende Investitionen in die Zukunft. Die Haushaltsberichterstatter der Regierungskoalition haben sich deshalb darauf verständigt, im Titel „Stipendien, Austauschmaßnahmen und Beihilfen für Nachwuchswissenschaftler“ den Ansatz für den DAAD und die Alexander-vonHumboldt-Stiftung zu erhöhen. ({16}) Weitere Erhöhungen wurden bei den Auslandsschulen vorgenommen. Dieses Thema muss jedoch einmal separat behandelt werden; hier besteht Diskussionsbedarf. Zum anderen haben wir positive Veränderungen bei den Mitteln für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, bei dem Topf für den deutsch-britischen Jugendaustausch und bei den Kirchen vorgenommen sowie zusätzliche Mittel für die Tempelanlage Angkor Wat in Kambodscha bewilligt. Bei den Berichterstattern der Regierungskoalition bestand Einvernehmen darüber, den Ansatz für das Deutsche Archäologische Institut um 400 000 Euro zu erhöhen. ({17}) Der Einsatz des DAI für die Rettung und Bewahrung des Weltkulturerbes wird international hoch geschätzt und trägt deshalb zu Deutschlands Ansehen in der Welt bei. ({18}) Die Mittel sind ausschließlich für den Projektmitteletat vorgesehen. Aus diesem Titel werden unter anderem Grabungen in Syrien, in Saudi-Arabien, im Sudan, in Jordanien, in Afghanistan und in Marokko finanziert und sie dienen damit auch der Stärkung des Dialogs mit islamischen Ländern und sind kulturhistorisch von großer Bedeutung. ({19}) Wenn man sich, liebe Kolleginnen und Kollegen, die ernsthaften und erfolgreichen Bemühungen der Koalitionshaushälter vergegenwärtigt, jeweils zu den bestmöglichen Lösungen zu kommen, dann ist es umso unverständlicher, dass die CDU/CSU Personalkürzungen bei den flexibilisierten Mitteln um 10 Prozent vorgeschlagen hat. Das würde zum Beispiel für den Haushalt des Auswärtigen Amtes bedeuten, dass 600 bis 650 Stellen nicht finanziert ({20}) sowie im Sachmittelbereich Kürzungen von fast 14 Millionen Euro zu verkraften wären. ({21}) Dass dies aus personalrechtlichen und faktischen Gründen nicht möglich ist, dürfte allen bekannt sein. Trotzdem wird von der Opposition versucht, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, man würde sinnvolle Sparvorschläge unterbreiten. ({22}) Wer so querbeet kürzen will, macht letztlich alles kaputt und hat jedes Maß an Seriosität verwirkt. ({23}) Angesichts der schwierigen Haushaltslage, die alle Ressorts aufgrund der globalen Minderausgabe zu Reduzierungen und Abstrichen zwingt, haben wir Deckungsvorschläge erarbeitet, die schmerzlich sind, den Koalitionsberichterstattern für den Einzelplan 05 aber als für das Auswärtige Amt verkraftbar erschienen. Hilfreich war der Nichtabfluss von Mitteln beim Titel „Deutscher Beitrag im Rahmen der G-8-Initiative zur Abrüstungsund Nichtverbreitungszusammenarbeit“ und beim Ansatz „Beitrag an Organisationen und Einrichtungen im internationalen Bereich“, Erweiterung des NATOHauptquartiers in Brüssel. Im Sinne der 2002 begonnenen Reforminitiative konnten auch bei der Budgetierung und gegenseitigen Deckungsfähigkeit einzelner Titel Fortschritte erzielt werden. ({24}) Ich begrüße deshalb das seit 2003 in Vorbereitung befindliche und jetzt im Haushaltsentwurf festgeschriebene Pilotprojekt Italien des Goethe-Instituts, der größten nicht staatlichen Mittlerorganisation, die im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland mit der Wahrnehmung kulturpolitischer Aufgaben im Ausland betraut ist. Beschränkte Deckungsfähigkeit von einzelnen Titeln - dies sage ich ausdrücklich an die Adresse des Bundesfinanzministeriums - kann allerdings nur ein erster Schritt zur Aufgabe der althergebrachten Titelstruktur hin zur Schaffung von Budgetierung sein. ({25}) Deshalb habe ich in den Haushaltsberatungen angeregt, nicht erst im Jahr 2006, sondern bereits ab Mitte 2005 mit der externen Evaluierung des Goethe-Instituts in Italien zu beginnen, damit schnellstmöglich die Budgetierung weiterer Mittlerorganisationen der auswärtigen Kulturpolitik ins Auge gefasst werden kann. ({26}) Ich bin der festen Überzeugung, dass die neuen Steuerungsinstrumente Budgetierung und die damit verbundene strategische Zielvereinbarung dazu beitragen werden, eine effizientere Steuerung der Auslandskulturarbeit durch das Auswärtige Amt zu ermöglichen. Vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage sollten schon jetzt im Rahmen der Kameralistik alle Möglichkeiten einer betriebswirtschaftlichen Haushaltsführung genutzt werden, sofern dies haushaltsrechtlich möglich ist. Die Einrichtung eines ausgelagerten Eigenbetriebs zur Verwaltung der Auslandsliegenschaften des Auswärtigen Amtes als Facility Management ist ein Schritt in die richtige Richtung. Zum Abschluss der Beratungen möchte ich auch diesmal allen Berichterstatterkollegen für den Einzelplan 05, insbesondere dem Kollegen Alexander Bonde, sowie allen Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition im Haushaltsausschuss, aber auch der Opposition, dem Ausschussvorsitzenden der SPD-Arbeitsgruppe „Haushalt“ mit unserem Obmann Walter Schöler an der Spitze sowie Gerhard Küntzle, Jürgen Morhard und Dr. Joachim Rücker vom Haushaltsreferat des Auswärtigen Amtes für die ausgezeichnete Zusammenarbeit in den vergangenen Wochen und Monaten danken. ({27}) - Der Herr Kollege Frankenhauser gehört zur Opposition, die ich in meiner Aufzählung ausdrücklich erwähnt habe. Wenn es aber gewünscht ist, hebe ich hervor, dass die Zusammenarbeit mit ihm besonders gut war. ({28})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Lothar Mark (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003190, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bitte um Zustimmung zum Haushalt des Auswärtigen Amtes. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Werner Hoyer, FDP-Fraktion.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da ich nicht 20 Minuten, sondern nur knapp vier Minuten Zeit habe, kann ich leider nicht alle Haushaltstitel einzeln kommentieren. Ich möchte aber den Haushältern ausdrücklich dafür danken, dass es ihnen gelungen ist, den Regierungsentwurf im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik erheblich zu verbessern. Das betrifft nicht zuletzt den Bereich Alexander-von-Humboldt-Stiftung, den DAAD und die Auslandsschulen. Das ist ganz besonders wichtig und dies erkenne ich ausdrücklich an. Das ist die erste kurze Vorbemerkung. ({0}) Zweite Vorbemerkung: Ich finde es wichtig, dass das Thema „Sicherheit unserer Auslandsvertretungen“ insbesondere in Erdbebengebieten ernsthaft weiterverfolgt wird. Ich mache mir nämlich ausgesprochen große Sorgen über die Mitarbeiter in einigen Regionen. Wolfgang Gerhardt hat bereits das Thema Nahost angesprochen. Soeben ist die Meldung über den Ticker gekommen, dass der UN-Beauftragte für den Nahen Osten, Terje Roed-Larsen, nach seinen Gesprächen in Damaskus ausdrücklich bestätigt, dass Syrien bereit ist, die Friedensverhandlungen mit Israel ohne Vorbedingungen wieder aufzunehmen. Ich denke, das ist eine sehr gute Nachricht. In der Tat gibt es jetzt ein Fenster der Gelegenheiten. Wir müssen alles tun, um es zu nutzen. ({1}) Lassen Sie mich vier Bemerkungen zur Europapolitik machen. Erstens. Wir Liberale gratulieren unseren Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament zu ihrem Erfolg bei der Entscheidung über die Zusammensetzung der Kommission. Sie sind in den letzten Wochen nicht als Tiger gestartet, um dann als Bettvorleger zu landen. Sie haben vielmehr eine hervorragende Leistung erbracht und damit das Parlament, aber auch die Kommission gestärkt. Nur wenn man diese beiden Organe im Zusammenhang sieht, kann man von einer Stärkung Europas sprechen. ({2}) Ich finde, dass es völlig verfehlt ist, dieses Thema auf die Frage zu reduzieren, welcher Konfession bzw. religiösen Überzeugung ein EU-Kommissar anhängt. Das muss selbstverständlich jedem Kommissar überlassen bleiben. Das müssen wir respektieren. ({3}) Aber muss ausgerechnet jemand, der von bestimmten Überzeugungen geprägt ist und sich getrieben fühlt, das Initiativmonopol der Kommission in Fragen der Innenund Rechtspolitik bzw. der Gleichberechtigung haben? Der ursprüngliche Besetzungsvorschlag der Kommission lässt auf ein schlechtes Urteilsvermögen schließen. Ihre Ablehnung hatte nach meiner Auffassung mit den religiösen Überzeugungen der einzelnen Kommissare nichts zu tun. ({4}) Zweitens. Der Europäische Rat wird wichtige Weichenstellungen bezüglich der Erweiterung der Europäischen Union, insbesondere in Sachen Türkei, vornehmen. Ich will die Türkeidebatte nicht fortführen, sondern lediglich darauf hinweisen, dass es zwei Extrempositionen gibt. Es gibt Politikerinnen und Politiker, die die Türkei niemals, selbst bei Erfüllung aller Voraussetzungen, in die EU aufnehmen würden. Es gibt andere, die die Türkei jederzeit ohne alle Vorbehalte und mit großem Rabatt in die EU aufnehmen wollen. ({5}) Zwischen diesen Extrempositionen müssen wir unseren Weg finden. Wir müssen präzise Kriterien aufstellen, wie wir das in der letzten Debatte über dieses Thema getan haben. Daran sollte man sich orientieren. Auch wenn heute schon sehr viel Richtiges über die Ukraine gesagt worden ist, ist es wichtig, nicht zu vergessen: Die Europäische Union ist kein Endzustand, sondern ein Prozess. Jeder, der der EU beitreten will, muss bereit sein, sich an diesem Prozess nach dem Beitritt zu beteiligen und - bei Wahrung des Subsidiaritätsprinzips - Souveränitätsrechte auf den Gebieten abzugeben, auf denen die Union nur gemeinschaftlich erfolgreich sein kann, und muss sich gefallen lassen, dass wir uns von außen einmischen, wenn zum Beispiel Menschenrechtsfragen berührt sind. Das gehört zur Logik der Europäischen Union und das muss sich jeder überlegen, der der Europäischen Union beitreten will. ({6}) Drittens. Es muss klar sein, dass die Mitgliedschaft in der Europäischen Union kein Vehikel zur Lösung interner Probleme von Beitrittsaspiranten sein darf. Sowohl der Beitrittsaspirant als auch die Europäische Union müssen ein Interesse an dieser Mitgliedschaft haben. ({7}) Sonst würden wir uns übernehmen. Das mögen manche - vielleicht jenseits des Atlantiks - bisweilen durchaus ganz gern sehen; aber dadurch würde die Grundidee der europäischen Integration sicherlich ruiniert. An einer solchen Überlegung dürfen wir uns nicht beteiligen. Letzte Bemerkung. Vor 15 Jahren ist die Mauer gefallen. Europa ist geeint, frei und trotzdem gespalten. Die Hauptaufgabe dieser Bundesregierung besteht darin, dafür zu sorgen, dass diese Spaltung Europas überwunden wird und dass wir an die besten Traditionen deutscher Europapolitik anknüpfen: Man sollte bei allen, die sich an diesem Prozess beteiligen - auch bei den Kleinen -, um Vertrauen werben und dabei darauf achten, dass auch durch bilaterale Außenpolitik innerhalb der Europäischen Union die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Deutschland seine Rolle als Mittler im europäischen Integrationsprozess erfolgreich spielen kann. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Bundesaußenminister Joschka Fischer.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man die internationale Lage betrachtet, dann - ich glaube, diesen Eindruck haben die meisten Menschen im In-, aber auch im Ausland - wird man sich des Eindrucks schwer erwehren können, dass die Welt nicht nur komplexer geworden ist, sondern dass auch die Anzahl der Krisen und der Konflikte zugenommen hat. Insofern sehen wir hier mit Sorge die Entwicklung in der Ukraine. Alles spricht dafür, dass die Wahlen dort nicht den Standards entsprochen haben, die freie und geheime Wahlen kennzeichnen, und dass es zu erheblichen Verfälschungen gekommen ist. Die Bundesregierung hält es für unbedingt notwendig, dass sich der Wille der Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung nach freien und geheimen Wahlen im Wahlergebnis ausdrückt. ({0}) Das ist das Wesen der Demokratie. Es sollte alles getan werden, um dort zu einer Überprüfung zu kommen. Zugleich sollte alles getan werden, um zu vermeiden, dass es eine Konfrontation gibt, die zu Entgleisungen führen könnte. Das heißt, der friedliche Charakter dieses Prozesses ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Ich habe intensiv zugehört, auch heute Morgen. Ich glaube, manche machen es sich zu einfach. In dieser außenpolitischen Situation gibt es unterschiedliche Interessen: Einerseits gibt es die prinzipien- und grundsatzorientierte Haltung - wir teilen sie -, die Menschenrechte, Demokratie, wirtschaftliche Entwicklung, marktwirtschaftliche Reformen, soziale Gerechtigkeit und Armutsbekämpfung im Auge hat; andererseits gibt es Machtverhältnisse, die von uns nur bedingt beeinflussbar sind. Angesichts dessen steht man vor der schwierigen Frage, wie weit man an Grundsätzen und Prinzipien festhält und wie man die Chance nicht aus der Hand gibt, am Ende doch noch etwas zu erreichen. ({1}) - Das ist der entscheidende Punkt, mit dem es die Bundesregierung zu tun hat, Herr Gerhardt. ({2}) - Bitte! Auch ich halte mich daran. Bei meiner letzten Reise nach China wurde Klartext geredet. Das ist doch überhaupt keine Frage. Dasselbe war beim Gespräch mit Präsident Putin im Kreml der Fall. Ich weiß das vom Bundeskanzler. Er hat am heutigen Tag mit dem russischen Präsidenten telefoniert und nochmals über die Lage in der Ukraine gesprochen. ({3}) - Er hat das gesagt, was er auch hier im Bundestag gesagt hat. ({4}) Das ist doch überhaupt keine Frage. Dasselbe galt für mein Gespräch mit dem russischen Außenminister am Rande der Scharm-al-Scheich-Konferenz. Die russische Seite hatte eine andere Auffassung. Der Deutsche Bundestag wird eine Resolution beschließen, die völlig anders ist als die, die die Duma zu demselben Thema beschlossen hat. Die Frage, mit der wir uns auseinander setzen müssen, lautet, wie wir hierbei dann in der Tat auch parallel vorgehen. Da ist keine Frage, ob wir uns etwa bei den Menschenrechten wegducken. Nein, das tun wir nicht. ({5}) - Bitte wo? ({6}) - Weltweit tun wir es? Überall da, wohin wir gehen, schweigen wir dazu? - Ich will Ihnen dazu Folgendes sagen: Ihr Ministerpräsident war damals Kanzlerkandidat. Er ist nach Moskau gefahren und - ich bekomme das doch mit - hat mit keinem Wort - das wissen Sie auch die Situation im Kaukasus oder die Situation bei der inneren demokratischen Entwicklung erwähnt. ({7}) Wir haben das erlebt, als Präsident Putin hier war. Ich habe immer zugehört und gewartet, bis es soweit ist. Meine Damen und Herren, an diesem Punkt kann ich Ihnen nur sagen: Da verfolgen wir eine Politik, die prinzipienorientiert ist, die an den Menschenrechten und der Demokratieentwicklung festhält, die sich an unserer eigenen Verfassung orientiert. ({8}) Auf der anderen Seite gibt es natürlich Interessen, die wir hier zu vertreten haben. ({9}) - Ich setze mich damit jetzt nicht auseinander. ({10}) Da könnte man sagen: Da war immerhin noch eine Seele. Bei Ihnen - - Na ja. Herr Dr. Müller, voll daneben gegriffen hat heute schon Ihr Kollege Glos. Er hat sich entschuldigt. Damit haken wir das ab. Der Rest ist besser Schweigen. ({11}) Für mich ist der entscheidende Punkt, dass wir die europäisch-russischen Beziehungen fortentwickeln müssen. Herr Kollege Gerhardt, das werden ganz schwierige Gespräche werden. ({12}) Selbstverständlich ist das auf der Tagesordnung - ein Kollege hatte danach gefragt -; Barroso hat es heute angekündigt. Die Präsidentschaft wird das genauso ansprechen wie Solana auch. Selbstverständlich ist das auf der Tagesordnung, so wie es am Rande von Scharm el-Scheich auch schon angesprochen wurde. Die Frage lautet: Ist die strategische Westöffnung Russlands aufrechtzuerhalten? ({13}) Wenn dies entgleiten würde, wären wir in einer unter vielen Gesichtspunkten sehr veränderten Welt. ({14}) Auf der anderen Seite ist aber auch klar anzusprechen, wo wir anderer Meinung sind und was nach unserer Meinung geht und nicht geht. Das gehört für die Bundesregierung, für den Bundeskanzler, für mich, für die Koalition selbstverständlich zusammen. In diesem Zusammenhang kommt auch immer der Hinweis: Und mit Amerika ist Schweigen. - Dazu kann ich nur sagen: Offensichtlich sind Sie da im völlig falschen Film. Wir haben die Debatte über den Kampf gegen den Terrorismus seit dem 11. September 2001 - ich persönlich seit dem 18./19. September 2001 - mit der amerikanischen Seite geführt. Ich war bei Gesprächen dabei, die der Bundeskanzler und der Präsident geführt haben. Wir haben von Anfang an klar gemacht, dass wir in der Frage des Irak eher der Analyse des Vaters des Präsidenten und dessen Mitarbeitern, von Scowcroft und Powell, zuneigen als dem, was sich in Washington entwickelt. Wenn es hier eine Tragödie gibt, dann ist es doch die, dass die Union am traditionellen Transatlantismus festgehalten hat, aus guten Gründen - das war nun einmal ein prägendes Element ihrer Parteigeschichte und dessen, was sie für unser Land geleistet hat, was ich nicht für gering halte -, im Fall des Irak aber völlig unterschätzt hat, dass hierbei offensichtlich andere Elemente eine Rolle gespielt haben, die mittlerweile offen zutage liegen. ({15}) - Das Problem bei Ihnen ist, dass Sie sich immer davonmachen. Zuerst riskieren Sie aber eine dicke Lippe. Erst hätten wir dabei sein sollen, um die VN zu schützen. Dann hätten wir bei der NATO dabei sein sollen. Wir haben der NATO von Anfang an gesagt: Wir arbeiten an einem Kompromiss, aber ihr wisst genau: Wir werden uns im Irak nicht mit Soldaten beteiligen. - Wir waren die Ersten, die Ausbildung betrieben haben. Zu dem Zeitpunkt, zu dem die NATO noch gar nicht daran gedacht hat, waren wir bereits an der Polizeiausbildung beteiligt. ({16}) Ich habe meinem Freund, dem NATO-Generalsekretär, aber auch dem Oberkommandierenden der NATO von Anfang an gesagt: Wir sind nicht bereit, da durch ein Türchen zu gehen - sei es auch noch so klein - und uns damit auf eine abschüssige Strecke zu begeben, und zwar deswegen, weil wir es nicht richtig finden; würden wir es richtig finden, würden wir anders entscheiden. ({17}) Wir haben jetzt die große Chance im Nahen Osten, wobei klar sein muss, dass schwierige und grundsätzliche Entscheidungen anstehen, wenn sie denn genutzt werden soll. An erster Stelle ist zu sagen: Es geht nicht ohne Amerika - ohne jeden Zweifel. Aqaba hat gezeigt: So mutig und so wichtig es damals vom amerikanischen Präsidenten war, ist doch die Frage: Was wäre gewesen, wenn Abu Masen damals den Rückzug von Gaza und dazu noch die Freilassung einiger Gefangener erreicht hätte? Dann wären wir heute in einer völlig anderen Lage. Aber bitte: Tempi passati. Um zu einem Erfolg zu kommen, müssen jetzt - ich glaube, beide Seiten begreifen das - richtungsweisende Entscheidungen getroffen werden. Es wird nicht Frieden und Land geben. Das wird nicht funktionieren, sage ich der israelischen Seite. ({18}) Es wird aber auch keinen Staat geben, solange es Terror gibt. Das sage ich der palästinensischen Seite. Wenn der Mut zu entsprechenden Grundsatzentscheidungen auf beiden Seite nicht da ist, wird die sich jetzt bietende Chance, die so schnell nicht wiederkommen wird, vertan. ({19}) Deswegen appelliere ich noch einmal dafür, jetzt nicht in kleinen Schritten zu denken, sondern den Mut zu großen Grundsatzentscheidungen aufzubringen. Damit könnte wieder Vertrauen aufgebaut werden. Die Palästinenser müssen eine Entscheidung für Nation Building und gegen den Terror treffen. Israel muss sich im Gegenzug dafür entscheiden, einen wirklich lebensfähigen palästinensischen Staat zuzulassen. Dabei müssen manche Träume, die man bezüglich der besetzten Territorien noch hegt, hintangestellt werden. Wenn man sich dessen bewusst ist, kann es funktionieren. ({20}) Ich glaube, dass das auch sehr positive Wirkungen auf die Gesamtregion hätte. Der wichtigste Ansatzpunkt ist doch, dass wir den Dschihad-Terrorismus, diesen neuen Totalitarismus, isolieren und dass wir ihm - nicht willentlich - durch falsche politische Entscheidungen nicht etwa Unterstützung zukommen lassen. Wir müssen die richtigen politischen Entscheidungen treffen. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach Möglichkeiten der Stabilisierung des Iraks. Ich bin der festen Überzeugung, dass es sich dabei nicht um eine militärische, sondern letztendlich um eine politische Frage handelt. Die Verbreiterung der politischen Basis jenseits der Saddamisten und Dschihadisten ist die Aufgabe, damit der Prozess dort von einer breiten Mehrheit getragen wird. Dazu gehört regionaler und internationaler Konsens. Damit der Irak nicht zu einem Ersatzschlachtfeld in einer möglichen iranisch-amerikanischen Konfrontation wird, ist der Verständigungsprozess zwischen dem Iran und Europa bei allen Schwierigkeiten fortzusetzen. Bisher haben sich nur die Fingerspitzen berührt, aber die Hände hat man gegenseitig noch nicht ergriffen. Doch wir sind dabei, das zu erreichen. Wenn Sie bedenken, welche Alternativen es gibt, dann werden Sie verstehen, dass eine auf Realismus gründende Politik, die die Gesamtlage im Auge hat, alles versuchen muss, um eine solche, an der Nuklearisierung sich festmachende Konfrontation zu verhindern ({21}) und eine Tür zu öffnen, durch die man gemeinsam in eine friedlichere Zukunft gehen kann. Vor diesem Hintergrund glaube ich - ich kann das nur im Telegrammstil machen, weil meine Redezeit zu Ende ist -, dass Sie im Rahmen der Türkeidebatte einen Fehler machen. Ich möchte Sie nicht überzeugen. Sie können in der Türkeifrage eine andere Meinung vertreten; es gibt ja Gründe dafür. Diese Haltung teile ich nicht, aber ich akzeptiere sie. Nach meinem Gefühl wird nicht Europa durch einen Beitritt der Türkei überfordert, sondern eher die Köpfe der Menschen. Angesichts der Realitäten unterfordern wir uns sogar. Denken wir an die Diskussionen um die Ukraine, an unsere Bemühungen im südlichen Kaukasus und auf dem Balkan sowie an die Aufgaben, die wir im Nahen Osten bis hin nach Afghanistan zu bewältigen haben - trotz aller Schwierigkeiten zeichnet sich hier eine Erfolgsgeschichte ab. Vergleichen Sie das Erreichte einmal mit dem, was im Irak abläuft. Betrachten Sie auch die Rolle der Europäer in der Iranfrage und nehmen Sie Afrika hinzu. Aus zwei Gründen können wir uns nicht unter Berufung auf die alte Frage „Was haben wir mit Afrika zu tun“? zurückziehen. Der erste ist: Dieser riesige Kontinent ist über das Mittelmeer ein direkter Nachbar von uns. Der zweite ist: Wir müssen die geschichtliche Lektion annehmen, dass eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik nur dann funktionieren wird, wenn die Großen mitmachen. Wir sind einer von den drei Großen. Insofern geht es hier nicht mehr um traditionelle Fragen deutscher Politik, sondern um die europäische Einbindung. Auch hier müssen wir neu denken. Die Lagebeschreibung, die ich Ihnen skizziert habe, stammt nicht von jemandem, der gerne Weltpolitik wider sein eigenes Land machen will. Es handelt sich um reale Krisen und Herausforderungen, ({22}) auf die Europa - nicht Deutschland allein, aber als ein wesentlicher Teil Europas eben auch - Antworten geben muss. Deswegen leiden wir in der Türkeifrage aus meiner Sicht eher an Unterforderung als Überforderung. Natürlich sehe auch ich, dass in den Köpfen noch ein ganz anderes Denken vorherrscht. Das also ist ein Teil der Agenda, die von uns zu bewältigen ist. Hinzu kommt die Erneuerung der Vereinten Nationen. Ich könnte mir eine Welt mit erneuerten transatlantischen Beziehungen vorstellen, in der die USA viel schneller als die Europäer eine europäische Einigung wollen, weil sie nur so einen Partner für die Gestaltung der Welt hätten. Ich könnte mir vorstellen, dass die Supermacht sagt: Wir wollen erneuerte, stärkere VN, die die Realität des 21. Jahrhunderts repräsentieren; denn diese VN werden uns entlasten, genauso wie ein einiges Europa uns entlasten wird. Wer sonst? Ich könnte mir vorstellen, dass wir Ernst machen mit einem neuen Konsens in der Welthandelsorganisation, die den Realitäten Rechnung trägt. Ich könnte mir vorstellen, dass neue internationale Institutionen geschaffen werden. Wenn dort die Entscheidungen getroffen würden, inklusive der Entscheidungen in Bezug auf die friedliche Transformation, die Modernisierung des Nahen und Mittleren Ostens sowie die Lösung der regionalen Konflikte, dann wäre die Welt eine bessere. Wenn wir allerdings hauptsächlich auf die militärische Stärke schauen, wenn wir die Softpower vergessen, wenn wir falsche Entscheidungen treffen, dann, glaube ich, werden die Krisen und Konflikte eskalieren. Dann werden wir vor Herausforderungen stehen, von denen sich die meisten Menschen heute noch keine Vorstellung machen. Wer hätte die Ereignisse am 11. September 2001 für möglich gehalten? Wer hätte die dann folgenden Entwicklungen für möglich gehalten? Aber es ist so eingetreten. Die Welt verändert sich radikal. Früher fanden Revolutionen auf den Barrikaden statt, heute finden sie im konservativen Gewande statt. Wir haben erlebt, welche dramatischen Veränderungen das Ende des Sowjetblocks und der Fall der Mauer für uns bedeutet haben. Das gilt für die gesamte Weltordnung. Hier muss sich Deutschland, eingebettet in das sich integrierende Europa, bewähren. Deswegen brauchen wir die Verfassung und deswegen brauchen wir auch den Mut zu einer gemeinsamen Sicherheits-, Verteidigungs- und Außenpolitik. Wir müssen alles tun, dass wir - ich sage es noch einmal - die Verfassung bekommen. ({23}) Lieber Lothar Mark, ich hätte gerne viel länger das Weihrauchfass vor den Haushältern geschwungen. Als Ministrant habe ich damit einige Erfahrung; was man einmal gelernt hat, vergisst man nie. ({24}) - Damals ging es mit der Kirche noch nicht bergab. Erst als solche Helden wie Müller kamen, war es vorbei; das ist klar. Zu unserer Zeit war das noch schwer in Ordnung. ({25}) Ich meine es ernst. Ich möchte mich in aller Kürze im Namen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im In- und Ausland für das bedanken, was die beiden Berichterstatter, Abgeordneter Bonde und Abgeordneter Mark, aber auch die Haushälterinnen und Haushälter der Koalitionsfraktionen und der Opposition, so sie zugestimmt haben, geleistet haben, ({26}) ganz besonders Herr Frankenhauser. Ich verwende mich im Ausland von offizieller Seite ja auch für das deutsche Bier. Es ist schließlich nicht so, dass wir nur Kontroversen hätten. Nein, ich möchte mich auch bei Ihnen - das ist ernst gemeint; ich war lange genug in der Opposition - trotz aller Kritik recht herzlich bedanken. Wir stehen im Auswärtigen Dienst vor zusätzlichen Herausforderungen. Die Last, die uns aufgebürdet wird, sollten wir nicht nur als Last, sondern auch als Verantwortung begreifen. Die Aufgaben hängen mit der Größe und Leistungsfähigkeit unseres Landes zusammen, ebenso mit der Fähigkeit, dass wir aus der Geschichte gelernt haben, und mit unserer Rolle in Europa und zunehmend in der Welt. Dafür, dass wir zwar nicht all das, was wir wollen, aber diesmal doch schon viel erreicht haben, möchte ich mich recht herzlich bedanken. ({27})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Herbert Frankenhauser, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Herbert Frankenhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Für einen Haushälter ist es bei so einer Debatte immer schwierig, weil man zunächst den Eindruck hat, man hätte sich, was den Sitzungssaal angeht, verlaufen. Es war wie im letzten Jahr: Der Herr Außenminister konnte die letzten drei Sätze doch noch in Richtung Haushalt verwenden. ({0}) - Das war aber sehr eingeschränkt; das waren vielleicht Stängel, aber sonst nichts. ({1}) Aber das gehört dazu. Möglicherweise sind Sie jetzt so zurückhaltend, um den Äußerungen Ihres Finanzministers zu folgen, der einmal gesagt hat, es gebe dauernd Missverständnisse, wenn sich ein Außenpolitiker zu Wirtschafts- und Finanzfragen äußere. Damit waren Sie gemeint. Aber ich weiß natürlich Ihre vielfältigen Bemühungen zu schätzen, mit dem deutschen Bier und dem Reinheitsgebot im Ausland zu punkten. Deshalb habe ich es als außerordentlich unangemessen empfunden, dass die „SZ“ geschrieben hat, Sie seien lediglich der amtierende Minister für auswärtige Beileidsbekundungen. ({2}) Das stimmt natürlich nicht. Sie werden mir nachsehen, dass ich ein paar Zahlen in die Debatte einbringe. Sie haben von der notwendigen Mittelausstattung des Auswärtigen Amtes gesprochen. Wenn der Vizekanzler bereit ist, über einen gewissen Zeitraum 1 100 Millionen Euro für den Umzug des BND nach Berlin auszugeben, dann muss ich sagen: Dies ist ein Betrag, mit dem Sie fast 20 Jahre lang die humanitäre Hilfe in der jetzigen Größenordnung oder über zehn Jahre Auslandsschulen und Stipendien finanzieren könnten. Die Bundesregierung sollte noch einmal über diesen Posten nachdenken. ({3}) Herr Minister, nachdem der Kollege Mark in nicht zu übertreffender Präzision schon über die Details des Einzelplans 05 gesprochen hat, erlaube ich mir, Sie in dem folgenden Punkt um Unterstützung zu bitten. Wenn Sie zuweilen in Deutschland sind, können auch Sie beobachten, dass die Menschen schon ein gewisses Verständnis dafür haben, dass aufgrund der bekannten Umstände Sparen angesagt ist und der Gürtel enger geschnallt werden muss. Gerade in solchen Zeiten legen die Mitbürger aber größten Wert darauf, dass die knapper werdenden Mittel ordnungsgemäß eingesetzt werden. Die Menschen sehen - so auch der Herr Bundesfinanzminister -, dass wir im Zuge der nächsten EUHaushaltsplanung in eine schwierige Lage kommen könnten. Denn: Selbst wenn es gelänge, den Beitrag der Bundesrepublik Deutschland auf 1 Prozent festzuschreiben, würden unsere Nettolasten in den nächsten Jahren von jetzt 7,7 Milliarden Euro auf etwa 15 Milliarden bis 16 Milliarden Euro mehr als verdoppelt werden. Das muss erst einmal verkraftet werden. ({4}) Dabei sind die finanziellen Auswirkungen - dass es sie gibt, ist völlig unbestritten - eines möglichen Beitritts der Türkei völlig unberücksichtigt. ({5}) Außerdem ist noch nicht sicher, ob es gelingt, den Beitrag auf 1 Prozent zu begrenzen. Es ist den Mitbürgerinnen und Mitbürgern, durch Vorkommnisse in jüngster Zeit besonders sensibilisiert, auch nur schwer vermittelbar, dass die Griechen pro Jahr 950 Millionen Euro für den Tabakanbau, finanziert aus unseren Steuergeldern, erhalten, aber parallel dazu 29 Millionen Euro für Anti-Rauch-Kampagnen ausgegeben werden. ({6}) Es ist Ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass den sich explosionsartig vermehrenden Betrugsfällen in der Europäischen Union Einhalt geboten wird. ({7}) Die Schadenssumme im Jahre 2001 in Höhe von 1,2 Milliarden Euro hat sich bis jetzt fast verdoppelt. Es muss auch einmal nachgefragt werden - dieses ist ein problematisches Thema -, was aus den mehr als 6,5 Milliarden US-Dollar geworden ist - der größte Teil kommt aus der EU -, die seit 2003 an die Palästinensische Autonomiebehörde geflossen sind. Es kann natürlich nicht sein, dass der Internationale Währungsfonds feststellen muss, dass 898 Millionen US-Dollar aus dem palästinensischen Haushalt verschwunden sind und bis heute nicht wieder aufgefunden werden konnten. Es kann auch nicht angehen, dass das europäische Amt für Betrugsbekämpfung, OLAF, nach eintägiger Prüfung zu dem Ergebnis kommt, dass man nicht feststellen könne, wohin das Geld geflossen sei. Hier bitte ich, einmal nachzuhaken. ({8}) Der mit EU-Geldern finanzierte Fernsehsender PATV, also der Fernsehsender der Palästinensischen Autonomiebehörde, hat aus einer Predigt in der Sheikh-IjlinMoschee unter anderem übertragen - ich darf zitieren, Frau Präsidentin -: Oh Allah, bring einen rabenschwarzen Tag über die Juden! Oh Allah, lösche die Juden aus und auch ihre Förderer! Ich denke, dass ein Sender, der fast schließlich aus EUGeldern finanziert wird, dies nicht tun darf. ({9}) Wenn dann auch noch die Sendeanlagen - wenn auch durch Fremdeinwirkung, das heißt durch die Israelis zerstört werden, die palästinensische Behörde in Brüssel anruft und quasi wie bei einer Hausratversicherung meldet, die Sendeanlagen seien defekt, und zulasten des EUHaushaltes neue angeliefert werden, dann halte ich das für nicht vertretbar. ({10}) Ein Letztes, das möglicherweise nicht sehr einfach zu bewältigen ist - aber Sie lieben ja schwierige Aufgaben -: ({11}) Der im Hinblick auf das Programm „Öl für Lebensmittel“ bestehende Korruptionsausschuss, geleitet von Paul Volcker, hat im amerikanischen Kongress einen Schlussbericht abgeliefert, der noch immer nicht veröffentlicht worden ist, offensichtlich aus gutem Grund. Wenn diese Kommission darin ausdrücklich feststellt, dass bei dem Programm „Öl für Lebensmittel“ - wir haben dies zu einem großen Teil mitfinanziert - unter überwiegender Beteiligung französischer und russischer Firmen und unter ausschließlicher Finanzierung durch eine französische Bank Gewinne gemacht worden, aber auch etwa 12 Milliarden US-Dollar an Saddam Hussein zurückgeflossen sind, dann muss das hier im Parlament deutlich angesprochen und bewertet werden, auch wenn derjenige, der dieses Hilfsprogramm federführend geleitet hat, der amtierende Generalsekretär Kofi Annan ist. Auch hier ist es dringend notwendig, dass die Fakten auf den Tisch kommen und dieser Bericht dem Deutschen Bundestag zur Kenntnis gebracht wird. Vielen Dank. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Außenminister erklärte zum deutsch-amerikanischen Verhältnis: Die Zusammenarbeit ist so eng, dass sich die Frage des Aufeinanderzugehens gar nicht stellt. Wenn das so ist, dann verstehe ich nicht, dass die deutsche Außenpolitik nicht mehr Wirkung entfaltet. Der Krieg gegen die irakische Zivilbevölkerung nimmt kein Ende. 1 000 Zivilisten wurden und werden immer noch im Irak von US-amerikanischen Soldaten getötet. Die viel beschworenen guten Beziehungen des deutschen Außenministers zu seinem amerikanischen Amtskollegen haben bisher nichts zur Lösung dieses Konflikts beigetragen. In dieser Frage wünschte ich mir von Ihnen, Herr Fischer, mehr Zivilcourage. ({0}) „Zivil“ ist gleich mein nächstes Stichwort. Zivil ist die Außenpolitik der rot-grünen Bundesregierung wirklich nicht mehr zu nennen. Noch nie nach dem Zweiten Weltkrieg war die deutsche Außenpolitik so militärisch wie unter dem grünen Außenminister Fischer. Abstimmungen über Auslandseinsätze der Bundeswehr sind im Bundestag zu einer fast alltäglichen Routine geworden. An diesem Freitag werden wir das 41. und 42. Mal über Auslandseinsätze der Bundeswehr abstimmen. Nach dem SPD-Prinzip „Kanonen statt Butter“, wie es Herr Dauderstädt von der Friedrich-Ebert-Stiftung proklamiert hat, macht die Bundesregierung mit der Rüstung ein paar gute Geschäfte. Herr Bundesminister Struck will 250 Leopard-Panzer an die Türkei verkaufen. Was die Türkei damit machen will, scheint der Bundesregierung relativ gleichgültig zu sein. Vielleicht erfahren wir von Herrn Struck in der anschließenden Debatte Genaueres dazu. Wieso fragen Sie nicht, ob die Türkei damit vielleicht einen Blitzvorstoß in die nordirakische Ölstadt Kirkut unternehmen will? Vor ein paar Jahren hätten solche schmutzigen Geschäfte die Grünen noch aus dem Gleichgewicht gebracht. ({1}) Sie müssen sich fragen lassen, was diese kostspieligen militärischen Einsätze der Bundeswehr und die Waffenexporte außenpolitisch bewirkt haben. Ist die Welt durch die deutsche Außenpolitik sicherer geworden? Nehmen wir den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan! Ziel war, mit der Bush-Regierung in uneingeschränkter Solidarität einen Schlag gegen den internationalen Terrorismus zu führen. Wir wissen: Es gab noch nie so viel Terrorismus in dieser Welt wie heute und jeden Tag kommen neue Opfer hinzu. Die Bush-Regierung ist mit ihrem Krieg gegen den Terrorismus gescheitert. Die deutsche Regierung hat den Krieg gegen den Terrorismus glücklicherweise nicht bis zum bitteren Ende begleitet, aber - das darf nicht verschwiegen werden - immer logistisch unterstützt, auch den Irakkrieg. ({2}) Wir müssen uns jetzt gegen eine neue Logik des Wettrüstens wehren. Es ist aus der Sicht der PDS der falsche Weg, die Europäische Union militärisch aufzurüsten, wie es auch der Entwurf der europäischen Verfassung vorsieht. Wir wollen kein Wettrüsten gegen die USA und wir wollen auch kein Wettrüsten gegen Terroristen. Das ist der falsche Weg! ({3}) Wie verhängnisvoll der Krieg gegen den Terrorismus ist, spüren wir auch hier in Europa in unserem persönlichen Leben. Wenn jetzt überall über die islamistische Radikalisierung diskutiert wird, dann müssen wir uns über eines im Klaren sein: Es ist der Krieg gegen den Terrorismus mit seinen vielen unschuldigen Opfern, der viele Menschen radikalisiert. Es hat wohl niemand damit gerechnet, dass der Krieg gegen den Terrorismus - wie wir das jetzt in den Niederlanden erleben mussten - so schnell auf das Leben in Europa zurückschlagen würde. ({4}) Uns von der PDS ist die Außenpolitik der Bundesregierung zu militaristisch. Darum haben wir für den Einzelplan 14, der gleich besprochen wird, eine Reihe von Änderungsvorschlägen eingebracht. Das Geld für Auslandseinsätze der Bundeswehr und für die Beschaffung neuer Waffen wäre für humanitäre Arbeit wesentlich besser angelegt. Vor einigen Jahren haben auch die Grünen diese Auffassung noch dezidiert vertreten. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Kurt Bodewig, SPD-Fraktion.

Kurt Bodewig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003051, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Lötzsch, ich würde Ihren Beitrag ernst nehmen, wenn nicht Ihr damaliger Vormann in einer Situation, die mit dem, was wir zurzeit in der Ukraine erleben, vergleichbar ist, zu Milosevic gepilgert wäre. ({0}) Milosevic sitzt jetzt in Den Haag. Er wird wegen seiner verbrecherischen Politik angeklagt. Ich glaube, unter der verbrecherischen Politik des damaligen Gesprächspartners leidet die Balkanregion noch heute. - Das war die erste Vorbemerkung. Die zweite Vorbemerkung richtet sich an Herrn Pflüger. Ich finde, Herr Pflüger, Sie haben heute eine riesige Chance verpasst. Anstatt Johannes Raus Prinzip „Versöhnen statt Spalten“ in solch einer kritischen Situation zu praktizieren, haben Sie mit Ihren Ausführungen zur Ukraine versucht, eine Spaltung der Politik hier in Deutschland zu betreiben, indem Sie dem Bundeskanzler Dinge unterstellen, die er in seiner Rede heute Morgen anders formuliert hat. ({1}) Ich finde, das ist kein guter Stil, und ich glaube, dass es falsch ist. Ich will ausdrücklich auf die Rede von Gert Weisskirchen eingehen. Gert Weisskirchen hat in einer besonders guten Weise auf die derzeitige historische Situation in der Ukraine hingewiesen, eine Situation, die klare Signale erfordert. Meine Kollegen von der Opposition, ich habe es bedauert, dass es Ihnen nicht gegeben war, diesen Ausführungen Applaus zu spenden, denn ich finde, es wäre notwendig gewesen. Wir müssen ein Signal setzen. Ich glaube, die gemeinsame Erklärung ist dafür der richtige Weg. Für mich ist Punkt 5 - er betrifft die Anerkennung einer Zivilgesellschaft, die um Demokratie ringt und eine Wahlverfälschung nicht zulässt - besonders wichtig. ({2}) Wenn die Ukraine ein Grenzland ist - das scheint die wörtliche Übersetzung zu sein -, dann geht es dabei wohl um die Grenze zur EU. Die Ukraine darf aber nicht an der Grenze zur Demokratie liegen. Ich glaube, deshalb ist dieses Signal, diese Entschließung, zu diesem Zeitpunkt genau das Richtige. ({3}) Ich will auch auf die Europapolitik eingehen. Ich glaube, wir sollten die Europapolitik vor dem Hintergrund betrachten, dass wir uns in einer Zeit befinden, in der es gelungen ist, eine große Erweiterung zu erreichen, und in der durch die neue Verfassung eine Vertiefung bevorsteht. Es ist klar: Mit den Regeln von Nizza kann man ein Europa der 25 nicht gestalten. Wir brauchen diesen Verfassungsvertrag. Es ist wichtig, dass wir alle uns dafür einsetzen, dass er realisiert wird. Ich habe noch die Ausführungen der CSU im Ohr - es stand Ende Oktober in der „FAZ“ -, denen zufolge es der CSU wohl nicht möglich war, der Verfassung zuzustimmen. Das sollten Sie noch einmal überdenken. Sie sollten das, was Sie proklamieren, Europa ernst zu nehmen, auch praktizieren. Hier haben Sie noch einen Lernprozess vor sich. Aber der ist ja nicht ausgeschlossen. Mir ist noch ein anderes Thema wichtig, nämlich die Lissabonstrategie. Der Wim-Kok-Bericht ist ehrlich, treffend und zeigt, dass die Vereinbarung der Staatschefs von vor vier Jahren in der Euphorie der damaligen Situation der Entwicklung des Internets und einer Aktienentwicklung, die damals zu großen Hoffnungen führten, aber nicht eingetroffen sind, korrigiert werden muss. Ich glaube, dass das Ziel von Lissabon nach wie vor richtig ist. Wir müssen uns global als wissensbasierten Wirtschaftsraum verstehen und diesen fortsetzen. Der KokBericht schlägt vor: Verbesserung der Wissensgesellschaft, Vollendung des Binnenmarktes, Schaffung eines besseren Unternehmensklimas, schnellere Unternehmensgründungen, Anpassungsfähigkeit der Arbeitsmärkte und schließlich auch Investitionen und Ökoinvestitionen. Dies ist ein richtiger und erfolgreicher Weg. Thomas Mirow, der deutsche Vertreter in der Kommission von Wim Kok, meinte, dass die grundlegende Ratio von Lissabon gültiger ist denn je: Keine europäische Nation kann auf sich allein gestellt im weltweiten Wettbewerb erfolgreich agieren. Jeder Schritt eines EUKurt Bodewig Mitgliedstaates zu mehr Wachstum und Wettbewerbsstärke gewinnt an Durchschlagskraft, wenn er mit anderen Mitgliedstaaten abgestimmt ist. - Das ist richtig und gilt nach wie vor. Wir müssen auch unsere eigenen Hausaufgaben machen. In diesem Bereich ist fast anderthalb Dekaden nichts geschehen. Wir realisieren jetzt die Agenda 2010. Diese Agenda 2010 versteht sich in der Logik des Berichts von Wim Kok. Wir müssen dies den Bürgern vermitteln. Aber wir sollten den Bürgern auch vermitteln, dass wir auf europäischer Ebene Probleme überwiegend nicht durch Mehrausgaben lösen können, während wir hier nach den Kriterien des Wachstums- und Stabilitätspaktes eine klare Sparpolitik betreiben. Ich glaube, das geht nicht überein. Wir sollten sehr deutlich machen, dass wir eine Entwicklung brauchen, die Europa in Gesamtheit versteht, und dass wir diesen Stabilitäts- und Wachstumspakt in beiden Teilen ernst nehmen. Nachdem ich gerade die Kritik von Herrn Hintze gehört habe, frage ich mich, warum damals in den Wachstumspakt nicht die große Leistung der deutschen Einheit eingearbeitet worden ist. Wir würden heute anders dastehen, wenn man dies zur Grundlage hätte. Einige Ihrer Vorwürfe sind mehr als unzutreffend. Deswegen glaube ich, dass wir die Lissabonstrategie als europäisches Modell weiterentwickeln sollten. Es ist notwendig, dass wir in diesem Bereich vorankommen. ({4}) Ich möchte auf einen Punkt der Lissabonstrategie eingehen: die Herstellung eines einheitlichen Binnenmarktes. Wir werden uns bei der Dienstleistungsrichtlinie entscheiden müssen, ob wir Entbürokratisierung - die ist dort auch angelegt - oder einen ausschließlichen Abbruch von Regeln und damit Deregulierung wollen. Das Herkunftslandprinzip und seine Dominanz in dieser Richtlinie sagt nichts anderes, als dass wir faktisch eine Inländerdiskriminierung erhalten werden und dass wir faktisch einen - unzulässigen - Druck auf soziale, ökologische und ökonomische Standards erhalten werden. Dies ist ein desintegrierender Weg, weg von einer Harmonisierung in Europa, hin zu einem Europa der Herkunftsländer, ({5}) deren Bedingungen dann in dem jeweils anzuwendenden Land nicht kontrolliert werden können. Hier sollten wir uns entscheiden. Das ist eine Diskussion, die wir in diesem Parlament gemeinsam führen müssen. Aber in einem bin ich mir sicher: Dieses Europa ist stark, genauso stark wie die Bundesrepublik Deutschland. ({6}) Ich bitte die Damen und Herren von der Opposition: Machen Sie bei Europa nicht den gleichen Fehler, den Sie mit diesem Land machen. Reden Sie Europa nicht kaputt, sondern lassen Sie uns Europa gemeinsam entwickeln. ({7}) In diesem Sinne ist eine solche Debatte unter europäischer Sichtweise eine sinnvolle. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dr. Gerd Müller, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Gerd Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Sorge um die Entwicklungen in der Ukraine berührt uns alle. Wir haben das Bemühen des Außenministers zur Kenntnis genommen. Aber wir sind der Meinung, dass der Bundeskanzler hier Farbe bekennen muss. ({0}) Morgen ist dazu Gelegenheit. Beim EU-Russland-Gipfel muss dieses Thema auf die Tagesordnung. Das Ziel muss eine gemeinsame Erklärung zur Überprüfung der Wahl und zum Weg zur Demokratie in der Ukraine sein. ({1}) Ich kann mir vorstellen, warum der Bundesaußenminister so emotional reagiert, wenn ich beim Thema Menschenrechte von den Seelenverkäufern bei den Grünen rede. ({2}) Der Punkt ist: Dieser Bundeskanzler fällt Gaddafi im Wüstenzelt um den Hals. Er fordert die Aufhebung des Waffenembargos gegenüber China. Bei „Beckmann“ sagte Schröder vor zwei Tagen, Putin sei ein „lupenreiner Demokrat“ - und das angesichts der Entwicklungen in Russland! ({3}) Meine Damen und Herren, hier würde auch ich, wenn ich Ihr grüner Koalitionspartner wäre und an das in Ihrer Partei früher so hoch gehaltene Thema Menschenrechte denke würde, Bauchschmerzen bekommen. ({4}) Lassen Sie mich zur Außenpolitik zurückkommen; denn am Ende dieser außenpolitischen Debatte sollte auch Bilanz über Erfolge und Misserfolge gezogen werden. Herr Außenminister Fischer, wir sind der Meinung, dass Ihre Amtszeit in der Vergangenheit von drei entscheidenden politischen Fehlern geprägt wurde: Erstens. Sie tragen die Verantwortung für eine nachhaltige Beschädigung der transatlantischen Beziehungen. Zweitens. Sie haben durch Ihre Politik NATO und EU gespalten. ({5}) Drittens. Herr Bundesverteidigungsminister, Deutschland ist nicht mehr abwehrbereit; darauf werden wir in der nachfolgenden Debatte noch eingehen. ({6}) Nun komme ich zur Störung der transatlantischen Partnerschaft. Diese Bundesregierung hat es geschafft, unsere Freundschaft mit Amerika zu gefährden. Es genügt nicht ein Telefonanruf, um dies wieder in Ordnung zu bringen. Neben der nachhaltigen Störung des transatlantischen Verhältnisses ist der zweite gravierende Fehler Ihrer politischen Amtszeit die von Ihnen aktiv betriebene Spaltung der Europäischen Union und der NATO. ({7}) In der Irakfrage sind Sie einen deutschen Sonderweg gegangen. Sie haben einen Pralinengipfel einberufen. Wenn ich an die Bildung der Achse Paris-Berlin-Moskau denke, dann sage ich Ihnen: Das ist nicht der gemeinsame Weg in die Zukunft zur Lösung der großen Herausforderungen. ({8}) Es gibt eine Grundübereinkunft zur Lösung dieser großen Probleme im internationalen Bereich. Die europäische Einheit und die transatlantische Partnerschaft sind keine sich ausschließenden Alternativen. ({9}) Es ist unsere Aufgabe, die Aufgabe des deutschen Außenministers und des deutschen Bundeskanzlers, außenpolitisch die Balance zwischen europäischer Einheit, transatlantischer Partnerschaft und internationaler Zusammenarbeit zu finden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die neuen und großen sicherheitspolitischen Herausforderungen sind ohne die USA nicht zu bewältigen; in der verteidigungspolitischen Debatte wird darauf eingegangen werden. Nachdem die Bundeswehrreform durchgeführt wurde, ist Deutschland, was beispielsweise die Abwehr terroristischer Angriffe im eigenen Land betrifft, nur noch bedingt abwehrbereit und abwehrfähig. Ich gebe den Stimmen von Rot und Grün Recht, die sagen: Sie haben die Bundeswehr in immer neue Auslandseinsätze geschickt sowie die Truppenstärke und die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel gekürzt. Jetzt machen Sie sich an die Abschaffung der Wehrpflicht und vernachlässigen die Landesverteidigung. Das ist ein unverantwortlicher Weg. ({10}) Lassen Sie mich zum Thema Verfassungsvertrag an den Kollegen Hintze anknüpfen. Wir werden Anfang kommenden Jahres den Prozess der Ratifikation des Verfassungsvertrages einleiten. ({11}) Diesen Prozess haben wir vor uns. Dieser Verfassungsvertrag ist eine große Herausforderung für die Zukunft der Europäischen Union. ({12}) Im Zusammenhang mit seiner Ratifizierung stellen sich neue Fragen, was die Zusammenarbeit von Parlament und Regierung betrifft. ({13}) Die Unionsfraktion bringt in den Ratifikationsprozess die Forderung ein, dem Deutschen Bundestag bei der europäischen Rechtsetzung in Zukunft ein maßgebliches Mitwirkungsrecht einzuräumen, wie es die Bundesländer bereits heute in ihren eigenen Angelegenheiten haben. Wir wollen in der europäischen Gesetzgebung die Gleichstellung des Bundestages mit dem Bundesrat. Dazu bedarf es einer Grundgesetzänderung, zumindest einer Änderung einfacher Gesetze. Dies müssen wir im Zusammenhang mit dem Ratifikationsprozess miteinander besprechen. Wir wollen mehr Rechte für die Parlamente, nicht für die Bürokratie. Wir wollen mehr Rechte für das Volk und nicht für die Bürokraten in Europa, nicht von oben nach unten. ({14}) Der Bundesaußenminister hat unser Gesprächsangebot dazu bisher abgelehnt, er hat es nicht angenommen. Das kann nicht der Weg nach vorne sein. ({15}) Ich möchte zum Thema Türkei nur ein paar wenige Sätze anfügen; unsere Position ist klar. Aber in wenigen Tagen steht der europäische Gipfel an. Dabei steht eine Entscheidung an, die uns über zehn oder 20 Jahre, vielleicht darüber hinaus, binden wird; eine unumkehrbare Entscheidung. Herr Außenminister Fischer, Sie haben einmal in einer Diskussion gesagt: Das ist eine 51 : 49Entscheidung. Sie waren argumentativ einmal auf der anderen Seite. Aber eines ist klar: Die Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union ist der Abschied von der Vision der Politischen Union in Europa. ({16}) Wir müssen dies wissen. Deshalb sagt die Union Nein zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Wir sagen Ja zur Freundschaft, zur Partnerschaft, zum Ausbau unserer wirtschaftlichen, kulturellen und Sicherheitspartnerschaft. Die Türkei ist ein Freund und sie wird ein Freund bleiben. Aber wir müssen mit unseren Freunden aufrichtig umgehen: Die Türkei gehört weder geographisch noch kulturell zur Europäischen Union. Die Türkei ist doppelt so groß wie Deutschland. Eine Vollmitgliedschaft bedeutet Freizügigkeit. Freizügigkeit heißt nach Aussagen der EU-Kommission: 2 bis 3 Millionen Menschen, die der Armut Anatoliens entfliehen und in die Europäische Union einwandern werden. Migration - Kosten - Integration. Wir leisten die große Aufgabe der Integration in Deutschland schon heute nicht befriedigend. 80 Prozent der in Berlin eingeschulten sechsjährigen türkischen Kinder sprechen kein Wort Deutsch. Daran wird deutlich, dass wir schon heute bei der Integration der türkischen Mitbürger scheitern. Wir müssen zunächst einmal diese dringenden Probleme angehen, bevor wir die Türen aufmachen und den EUBeitritt propagieren. ({17}) Sehr gut und sehr treffend hat Klaus-Dieter Frankenberger den Kurs deutscher Außen- und Verteidigungspolitik in der „FAZ“ umschrieben, Herr Fischer - ich möchte ihn hier zitieren; die Überschrift lautet „Hakenschlagen ohne Ziel“ -: Die Bundesregierung ist dabei, die wichtigste Plattform, auf der sie steht und auf der sie weltpolitisch spielen kann, die Europäische Union, zu beschädigen. Sie träumt von Multipolarität und gelegentlich von Gegenmachtbildung. Aber das ist ein Albtraum gefährlicher Selbstüberschätzung. Daß auf Schröders Prioritätenliste China, Indien und Russland ganz oben stehen, ist ein außenpolitischer Schwenk, ein Traditionsbruch. Der ist riskant, wenn nicht geschichtsblind, weil er die Bedeutung, die Amerika nach wie vor für Deutschland hat, unterschätzt und die Zentralität einer festgefügten Union für die deutschen Interessen ignoriert. Ich kann Klaus-Dieter Frankenberger hier nur zustimmen. Herzlichen Dank. ({18})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05, Auswärtiges Amt, in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU, der FDP und der PDS angenommen. Zusatzpunkt 2. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP auf Drucksache 15/4265 mit dem Titel „Fälschungen der ukrainischen Präsidentschaftswahlen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Antrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. ({0}) Ich rufe Tagesordnungspunkt I.15 auf: Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung - Drucksachen 15/4312, 15/4323 - Berichterstattung: Abgeordnete Dietrich Austermann Bartholomäus Kalb Dr. Elke Leonhard Jürgen Koppelin Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU sowie ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau vor. Über den Ände- rungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/4340, der sich auch auf den Einzelplan 14 bezieht, ist bereits bei Einzelplan 08 abgestimmt wor- den. Weiterhin liegt je ein Entschließungsantrag der Frak- tion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP vor, über die wir am Freitag im Anschluss an die Schlussabstim- mung abstimmen werden. Außerdem rufe ich Tagesordnungspunkte I.16 a und b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchsetzung der Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr ({1}) - Drucksache 15/3918 ({2}) Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({3}) - Drucksache 15/4255 - Berichterstattung: Abgeordnete Ursula Mogg b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({4}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Lietz, Christian Schmidt ({5}), Annette WidmannMauz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsdurchsetzungsgesetz zügig umsetzen - zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Lietz, Anita Schäfer ({6}), Christa Reichard ({7}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Frauen und Familien in der Bundeswehr stärken und fördern - zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Klaus Haupt, Helga Daub, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Bundeswehr stärken - Beschäftigungsbedingungen für Soldatinnen und Soldaten verbessern - Drucksachen 15/3717, 15/3049, 15/3960,15/4255 13092 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Berichterstattung: Abgeordnete Ursula Mogg Karin Evers-Meyer Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dietrich Austermann, CDU/CSU-Fraktion. ({8})

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei Haushaltsberatungen geht es in erster Linie um Geld und bei der Diskussion über die Frage, wer es am besten mit der Bundeswehr meint, muss ganz klar gesagt werden, in welcher Situation wir uns konkret befinden. Der Haushalt hatte im Juni dieses Jahres auf dem Papier ein Volumen von etwas über 24 Milliarden Euro. Er wurde dann zwischen Staatssekretär Wagner und dem Finanzminister noch einmal besprochen und um eine Viertel Milliarde Euro gekürzt. Auf dem Papier hat er jetzt ein Volumen von 23,9 Milliarden Euro. Eine weitere Kürzung ist durch die globale Minderausgabe vorgenommen worden. Das bedeutet, dass der Etat jetzt um etwa 750 Millionen Euro unter dem Ansatz des Jahres 2003 liegt. Es gab dann eine Ressortvereinbarung zwischen dem Verteidigungsminister und dem Finanzminister, mit der festgelegt werden sollte, in welchem Volumen dem Verteidigungsministerium für die Bundeswehr und all das, was mit der Bundeswehr zusammenhängt, mittelfristig Geld zur Verfügung steht. Von diesem gemeinsam beschlossenen Plafond ist man dann in einer solchen Größenordnung abgewichen, dass im Verteidigungsetat 2004 und im nächsten Jahr exakt 1,35 Milliarden Euro weniger zur Verfügung stehen als versprochen. ({0}) Ich erwähne den Betrag deshalb, weil hier eine Debatte darüber entstanden ist, was Kürzungsanträge der Opposition für den Verteidigungsetat möglicherweise bedeuten würden. Um es deutlich zu sagen: Aufgrund der Verantwortung von CDU/CSU für den Gesamtetat haben wir für alle Etats Kürzungsvorschläge gemacht. Die Kürzungsvorschläge für das Verteidigungsministerium wurden uns so ausgelegt, als würden wir all das, was zur Bundeswehr gehört, um 580 Millionen Euro reduzieren wollen. Das ist deshalb falsch, weil nur der nichtmilitärische, flexibilisierte Teil der Verwaltungsausgaben betroffen sein sollte. Dieser Betrag umfasst ein Drittel der Kürzungen, die das Finanzministerium und das Verteidigungsministerium für den Verteidigungsetat jetzt noch gemeinsam vorsehen. Was das bedeutet, kann sich jeder ausrechnen. Ein weiteres Mal ist der Verteidigungsetat unverhältnismäßig stark zur Erwirtschaftung einer globalen Minderausgabe herangezogen worden. Ich sage es allen Anwesenden, weil die nächste Sparaktion bevorsteht: Die globale Minderausgabe in allen Einzelplänen hat immer noch ein Volumen von alles in allem 1,5 Milliarden Euro. Das bedeutet, der Verteidigungsetat wird weiter heruntergefahren. Er liegt dann um etwa 1 Milliarde Euro unter dem des Vorjahres. Das ist die konkrete Situation. Dass diese Mittel nicht ausreichen, um Verteidigungspolitik in und außerhalb Deutschlands zu betreiben, ist, so glaube ich, jedermann klar. Es ist bedauerlich, dass der Verteidigungsetat, der nur etwa 9 Prozent des Gesamtetats ausmacht, mit fast 30 Prozent bei den Kürzungen berücksichtigt wird. Hier hat sich der Verteidigungsminister offensichtlich nicht durchgesetzt. Vielleicht ist das ja auch der Grund, weshalb er heute wieder einmal nicht selber reden wird. Vielleicht ist das aber auch nur der übliche Firlefanz. Einmal darf der eine, dann darf mal der andere reden. Der eine wird angekündigt und der andere redet schließlich. Wir werden uns das anschauen. Neben dieser maßlosen Zusammenstreichung des Verteidigungsetats möchte ich einen zweiten Punkt ansprechen, nämlich die so genannte Transformation der Bundeswehr. Mit der Transformation bzw. Weiterentwicklung der Bundeswehr sollte durch die Verkleinerung, durch das Schließen von Standorten und durch eine andere Aufgabengestaltung Geld gewonnen werden, um so künftige Aufgaben besser erledigen zu können. Schauen Sie sich einmal die Zahl der Soldaten an. Sie werden feststellen, dass die Bundeswehr schon heute fast die Zahl erreicht, die sie erst im Jahr 2010 haben sollte. Der Grund ist, dass in diesem Jahr etwa 25 000 Wehrpflichtige - im nächsten Jahr werden es noch mehr sein - einfach nicht eingezogen werden. Die Herabsetzung des Tauglichkeitsgrades T3 auf T2 - das heißt, alles, was „schlechter“ als T2 ist, wird nicht mehr eingezogen - bedeutet, dass in Deutschland von Wehrgerechtigkeit praktisch überhaupt keine Rede mehr sein kann. Die Situation ist eben nicht mehr so, dass für junge Damen und junge Herren die faire Chance besteht, zum Wehrdienst herangezogen zu werden. Die Bundeswehr hat inzwischen die Größenordnung von etwa 250 000 Soldaten fast erreicht. Das heißt, all das, was durch die „Transformation“ erwirtschaftet werden soll, ist schon jetzt verbraucht. Die nächste Sparaktion, die bevorsteht, wird sich zwangsläufig auf die Beschaffung auswirken. Wir werden in diesem Jahr nur einen Teil der ursprünglich geplanten Beschaffung realisieren können. Zu einem Teil der ursprünglichen Beschaffung gehören zu meiner Freude der Schützenpanzer Puma, die Kampfausstattung für die Infanteristen und ein Heeresinformationssystem. Aber wir werden vieles, was in diesem Jahr geplant ist, nicht realisieren können, weil einfach das Geld nicht reicht. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass im Verteidigungsministerium nicht wirklich gespart wird. Der Bundesrechnungshof hat dies immer wieder dargestellt. Erst vor kurzem wurde in einem umfangreichen Bericht am häufigsten das Verteidigungsministerium in Verbindung mit Schlamperei verzeichnet. Dazu wurden noch nicht einmal die Beraterverträge und andere Ereignisse gezählt. Elf neue Vorfälle werden dem Verteidigungsministerium zugerechnet. Wenn man mit dem Geld anders umgegangen wäre und umgehen würde, stünde mit Sicherheit mehr Geld für Ausrüstung, Ausstattung, Übungen und unsere Soldaten zur Verfügung. Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen, das so genannte Stationierungskonzept. Dies ist Ausdruck der Umsteuerung der Bundeswehr - der so genannten Transformation - von einer Verteidigungsarmee mit Wehrpflicht, die für Heimatschutz, Katastrophenschutz und Landesverteidigung zuständig ist, wie sie im Grundgesetz steht, hin zu einer Armee, die sich in erster Linie darauf konzentriert, internationale Einsätze zu begleiten. Diese Aufgabe steht nicht im Grundgesetz. Da steht zwar auch etwas von internationalen Verpflichtungen, aber an vielen Stellen ist von Verteidigungsarmee, Verteidigungsauftrag und auch der Wehrpflicht die Rede. All dies wird durch das ignoriert, was mit den Standortentscheidungen gemacht wird. Die Bundeswehr wird fast ausschließlich auf internationale Einsätze getrimmt. Sie zieht sich zum Teil in unverantwortlicher Weise aus der Fläche zurück und wird damit Aufgaben wie beispielsweise Heimatschutz, Katastrophenschutz und Terrorismusbekämpfung vor Ort, an der Küste in dem vorgesehenen Umfang nicht mehr leisten können. ({1}) Es muss deutlich gemacht werden, welche Wirkung dies in Zukunft haben wird, was Sie natürlich bestreiten werden. Klar ist aber: Wenn ABC-Abwehr zur Terrorismusbekämpfung nicht mehr vorhanden ist, der Minenschutz in bestimmten Bereichen nicht mehr möglich ist oder an anderer Stelle kein schweres Gerät mehr zur Verfügung steht, dann hat das eindeutig Auswirkungen auf die Situation im Inland. Ich darf noch etwas zu der konkreten Ausgestaltung bei der Reduzierung der Truppen sagen. Ich habe der Lokalpresse bei mir gesagt, ich habe den Eindruck, das, was der Verteidigungsminister macht, ist ein Rachefeldzug gegenüber denjenigen, die sich kritisch zu seiner Arbeit äußern, bei der Kritik durchaus angebracht ist. Ich darf einmal auf meinen Wahlkreis bezogen sagen ({2}) - ich weiß, es ist unser Wahlkreis, Jürgen -: 1998 gab es dort zusammen mit einem Kreiswehrersatzamt und einer Standortverwaltung noch sieben Standorte. Von diesen sieben Standorten wird in absehbarer Zeit keiner mehr übrig sein, obwohl einer der Standorte die ABC-Abwehr enthält, die auch noch in Zukunft gebraucht wird. An einem anderen Standort sind die Sanitäter. An diesem Standort waren früher auch einmal Hubschrauber. Aber der frühere Verteidigungsminister Scharping - die Älteren werden sich noch an ihn erinnern - hat gesagt, ({3}) diese müssen in den Wahlkreis meines Fraktionsvorsitzenden Struck. Also musste man 180 Millionen DM investieren, damit im Wahlkreis von Herrn Struck die Hubschrauber konzentriert werden. Dadurch wurde bei mir eine Kaserne frei. Ich habe damals erklärt, in diese sehr ordentliche Kaserne können die Sanitäter einziehen, die bisher in einer unzureichenden Kaserne untergebracht sind. Dann aber hat man ausgerechnet, dass auf einmal die Sanitäter wesentlich teurer wären als vorher die Heeresflieger, die vorher wesentlich teurer als die Sanitäter waren. Man legt sich das zurecht. Herr Struck, Sie wischen sich ständig über die Stirn. Ich deute diese Geste als Schwächezustand. Einen anderen Grund dafür kann ich mir nicht denken, es sei denn, Sie wollten damit etwas Unparlamentarisches ausdrücken. ({4}) Bei einzelnen Standortentscheidungen sind sachliche Kriterien nicht zu erkennen. Das kann ich für den Wahlkreis der Kollegin Jaffke an der polnischen Grenze sagen, aber auch für viele andere Standorte in Deutschland. Die Entscheidungen sind nicht nachzuvollziehen, sie sind nicht logisch und nicht vernünftig. ({5}) Der Bundesfinanzminister hat angekündigt, dass er weiter sparen muss. Es gibt in der Tat weitere Anlässe zum Sparen. Ich gehe davon aus, dass der Bundesrechnungshof in absehbarer Zeit zwei Berichte vorlegen wird, in denen er sich mit der GEBB auseinander setzt. Die GEBB ist eine Einrichtung, die den Verteidigungsminister beraten und bei dem, was er zu tun hat, unterstützen soll. Die GEBB hat ein Flottenmanagement, ein Fuhrparkmanagement und ein Bekleidungsmanagement eingerichtet. Das Ganze sollte gemacht werden, um Personal und Geld zu sparen. Inzwischen hat die GEBB 5 000 Mitarbeiter. Von den 5 000 Mitarbeitern sind einige Tausend vom Verteidigungsministerium ausgeliehen. Sie erscheinen nicht dort als Dienstposten, sondern sie erscheinen bei der GEBB. Die GEBB sagt: Wir haben jetzt einen gewaltigen Apparat aufgebaut. Ist das nicht toll? - Diese vielen Mitarbeiter sollen also jetzt Fahrzeuge, Verpflegung, Liegenschaften und vieles andere mehr managen. Ich kann Ihnen jetzt schon vorhersagen, dass der Bundesrechnungshof in den nächsten Tagen zwei Berichte vorlegen wird, in denen er deutlich machen wird, dass die GEBB überhaupt nicht wirtschaftlich arbeitet und das, was dort gemacht wird, keinen einzigen zusätzlichen Cent einspart, sondern es sich dabei um Geldverschleuderung handelt, insbesondere wenn man sich die Gehälter der führenden Leute in der GEBB anschaut, die zum Teil mehr als doppelt so viel wie der Bundeskanzler verdienen. Es gibt also an vielen Stellen die Möglichkeit, zu sparen und das Geld für die Einsätze, die Ausstattung und die Ausrüstung der Bundeswehr zu verwenden. Darüber sollte einmal informiert werden. ({6}) Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen, den ich in der Tat bemerkenswert finde. Wir haben miteinander immer die Auffassung vertreten, dass die Bundeswehr eine Armee des ganzen Parlaments ist, die von allen unterstützt wird, die hier im Hause sitzen. Dazu gehört auch, dass man über das informiert wird, was in der Bundeswehr passiert, und dass das Parlament an Entscheidungen beteiligt wird. Bisher hat es das noch nicht gegeben, dass ein Minister Entscheidungen wie die jetzigen Standortentscheidungen ohne eine vorherige Debatte mit Vertretern der Länder oder mit dem Parlament trifft. ({7}) - Bei Stoltenberg, bei Rühe und auch bei Scharping haben wir vorher einen Entwurf gesehen und darüber diskutiert. Dann gab es die Entscheidung. Hier ist das genau umgekehrt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie wissen, dass Sie auf Kosten Ihrer Kollegen sprechen.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich bin fertig. Ein letzter Satz. Wir müssen feststellen, dass wir unter diesem Minister nicht nur an Entscheidungen nicht beteiligt werden, sondern noch nicht einmal darüber informiert werden. Ich habe sogar manchmal den Eindruck, dass er selber über das, was in der Bundeswehr und außerhalb der Bundeswehr geschieht, gar nicht Bescheid weiß. Ich brauche bloß das Stichwort Coesfeld zu erwähnen. Wenn das stimmt, was ich im „Spiegel“ über das gelesen habe, was sich vor drei Monaten zugetragen hat, dann kann ich nur sagen: Es ist einiges in dieser Armee nicht in Ordnung. Auch deswegen unterstützen wir den Verteidigungsetat nicht. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Johannes Kahrs, SPD-Fraktion. ({0})

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als erstes wünsche ich von dieser Stelle - ich hoffe, auch im Namen des ganzen Hauses - meiner erkrankten lieben Kollegin Dr. Elke Leonhard, für die ich hier reden soll, gute Besserung und ich hoffe, dass sie bald zurückkommt. ({0}) Normalerweise wäre ich jetzt sachlich eingestiegen, wie Haushälter das so machen, und wäre die Zahlen für diesen Etat durchgegangen. Nachdem ich aber den Kollegen Austermann gehört habe, ({1}) glaube ich, dass man einen Vergleich wagen kann. Er wirkt ein bisschen so wie die Tante, von der Alexander Moszkowski vor fast 100 Jahren schrieb: „Die sitzt auf dem Sofa und nimmt übel.“ ({2}) Wenn man sich die Rede anschaut, wird man dies auch feststellen. Jenseits der Sachebene, mit viel Polemik und ohne Kenntnis im Detail stellt er sich hier hin und betreibt Wahlkampf für Schleswig-Holstein. Das ist gut, das hat die CDU dort auch nötig, denn sie wird die Wahl verlieren. Trotzdem ist es nicht sachgerecht. ({3}) Führen wir uns kurz vor Augen, was der Kollege von sich gegeben hat. ({4}) Er hat gesagt, dass der Etat, also das Geld, das verfügbar ist, im kommenden Jahr um 1 Milliarde Euro niedriger als in diesem Jahr sein werde. Wir alle wissen, dass das so nicht richtig ist. Dass sich insbesondere diejenigen hervortun, die keine Verteidigungspolitiker sind, bedeutet, dass bar jeder Kenntnis Stimmung gemacht wird. Ihre wissenden Kollegen sitzen dort und schweigen. ({5}) Trotz der Einsparungen aufgrund anderer Maßnahmen werden in diesem Jahr 23,8 Milliarden Euro verfügbar sein. ({6}) Das entspricht nicht 1 Milliarde Euro weniger, sondern 100 Millionen Euro. Dies bedeutet kein maßloses Zusammenstreichen bei der Bundeswehr. Sie wissen es besser, Herr Austermann. Man sollte auf einer sachlichen Ebene bleiben. ({7}) Dass die Transformation dazu führt, dass wir nicht mehr in der Lage sind, die Landesverteidigung aufrechtzuerhalten oder Bundeswehreinsätze durchzuführen, wenn es die Not gebietet wie bei der Oderflut oder Ähnlichem, ist schlichtweg falsch. Vielleicht sollte man sich beispielsweise an Charles de Gaulle orientieren, Herr Austermann, der gesagt hat, man dürfe nicht die Armee erhalten, die man gewohnt sei, sondern man müsse die Armee aufstellen, die benötigt werde. Das heißt Transformation. Es bedeutet, sich nicht nur an Liebgewonnenes zu klammern, sondern das zu machen, was notwendig ist. Denn mit dem Geld der Steuerzahler sollte man verantwortungsbewusst umgehen. Zu der GEBB haben Sie eine Menge Märchen erzählt. Der Bundesrechnungshof hat eine Prüfung der ersten Jahre durchgeführt, als die Lage durch die bestehenden Anfangsschwierigkeiten geprägt war. Wir alle wissen aber, dass sich in den Jahren 2003 und 2004 die Lage anders darstellt. Zeigen Sie mir ein Unternehmen, das heute anfängt und gleich auf 100 Prozent hochschnellt! Ein solches Unternehmen gibt es nicht. Es handelt sich, wie gesagt, um billige Polemik und Panikmache. Die Anmerkung zu dem Rachefeldzug gegen Kritiker ist ärmlich. Als Hanseat bzw. Hamburger könnte ich auch davon reden, was alles in den 80er- und 90er-Jahren in der Freien und Hansestadt Hamburg geschlossen wurde. Es gilt der Grundsatz, die Armee aufzustellen, die wir benötigen, und nicht die, die wir gewohnt sind. Das heißt auch, dass man sich nicht an jeden Standort klammern kann, sondern sich bemühen muss, das vorhandene Geld vernünftig und sinnstiftend so auszugeben, wie es die Soldaten benötigen. Deswegen ist es schade, dass Sie Ihre schöne Redezeit so vertan und so wenige Inhalte geliefert haben, Herr Austermann. Nach Abschluss der Beratungen im Haushaltsausschuss liegt jetzt der Haushaltsentwurf des Verteidigungsressorts vor. Die konzeptionellen und operativen Vorgaben des Transformationsprozesses werden in diesem Haushalt in aller Klarheit und Deutlichkeit abgebildet. Der Plafond des Einzelplans 14 beträgt 23,9 Milliarden Euro und entspricht damit dem Regierungsentwurf, wie er vom Kabinett beschlossen wurde. Das Verteidigungsressort trägt zur Konsolidierung des Bundeshaushalts bei, und zwar mit einem Betrag in Höhe von 328 Millionen Euro. Wir haben also unseren Beitrag geleistet. Trotz der Einsparungen werden, wie gesagt, in diesem Jahr 23,9 Milliarden Euro verfügbar sein. Nach Bekanntgabe der Ergebnisse der letzten Steuerschätzung ist klar, dass auch der Einzelplan 14 einen Beitrag zur weiteren Konsolidierung leisten muss. Deshalb werden wir in diesem Jahr weitere 248 Millionen Euro einsparen. Herr Austermann, Sie haben davon gesprochen, dass 1 Milliarde Euro fehlt. Ich verweise Sie daher hocherfreut auf Ihre Forderung, die flexibilisierten Ausgaben des Einzelplans 14 um 10 Prozent zu kürzen. Diese Forderung ist von der Union erhoben worden. Für den Verteidigungshaushalt macht das 582 Millionen Euro aus. Das ist völlig unrealistisch und unsinnig. Gleichzeitig hat der Ministerpräsident von Bayern gefordert, dass der Bund die Bundesausgaben in allen Etats um 5 Prozent kürzen solle. Das wären für den Verteidigungshaushalt 1,2 Milliarden Euro. Diese Forderung ist vonseiten der Union erhoben worden. Jetzt werfen Sie uns vor, dass 1 Milliarde Euro fehlt, obwohl das gar nicht stimmt. Es geht um 100 Millionen Euro. Gleichzeitig fordert Ihre eigene Partei viel weiter gehende Kürzungen. Was ist das für ein finanzpolitisches Chaos in der Union? Sie sind dafür verantwortlich und das ist peinlich. ({8}) Im Etat stehen gesicherte Einnahmemöglichkeiten aus dem Verkauf von Wehrmaterial in einer Größenordnung von 100 Millionen Euro zur Verfügung. Außerdem gibt es eine Vorleistung auf die Veräußerung von Bundeswehrliegenschaften in Höhe von 40 Millionen Euro, die entsprechend eingestellt werden können. Das heißt, dem Verteidigungshaushalt stehen für das Jahr 2005 Haushaltsmittel in Höhe von 23,8 Milliarden Euro zur Verfügung. Das entspricht ungefähr der gleichen Größenordnung wie in diesem Jahr. Von der von Ihnen kritisierten fehlenden Milliarde kann nicht die Rede sein, abgesehen davon, dass Sie Kürzungen in Höhe von 1,2 Milliarden Euro gefordert haben. Der Einzelplan 14 ist zwar knapp bemessen, dennoch ermöglicht er der Bundeswehr, die Ausstattung in dem benötigten Umfang anzuschaffen. Er bietet eine solide Basis, um die Transformation der Bundeswehr wie geplant fortzusetzen. Dieser Haushalt ist reell und solide und nicht so schwammig wie die Forderungen der Union. Im Hinblick auf den reibungslosen Ablauf des Transformationsprozesses, den Verteidigungsminister Struck eingeleitet hat - dafür ist ihm zu danken; denn er muss all das wiedergutmachen, was in den Jahren vorher die Union verbockt hat -, ist dieses Einsparvolumen gerade noch vertretbar. ({9}) - Bei Herrn Scharping wissen Sie es doch besser. Er hat die ersten notwendigen Maßnahmen eingeleitet, das wissen wir doch alle. ({10}) Durch restriktive Steuerungsmaßnahmen im Betrieb wird die Erwirtschaftung der zusätzlichen Einsparauflagen im Haushalt der Beschaffungsplanung nicht entgegenstehen. Die Betriebsausgaben werden zugunsten der investiven Ausgaben gesenkt. Insbesondere die Reduzierung der militärischen und zivilen Personalumfänge, Maßnahmen zur Optimierung des Betriebes und Betreiberlösungen schlagen hier zu Buche. Die Betriebsausgaben sinken insgesamt von mehr als 18 Milliarden Euro um rund 500 Millionen Euro auf 17,5 Milliarden Euro. Die Auswirkungen der von Bundesminister Struck kürzlich bekannt gegebenen Stationierungsentscheidung tragen ihren Teil dazu bei. Herr Austermann, da müssen Sie nicht beleidigt sein, sondern Sie können mir einfach zuhören. Dann lernen Sie dazu und erzählen künftig nicht so einen Unsinn. ({11}) Besonders hervorheben möchte ich dabei die Absenkung der Personalausgaben. Diese sinken von 12,3 Milliarden Euro im Jahre 2004 auf rund 12 Milliarden Euro. Wir berücksichtigen in diesem Fall die Absenkung der Veranschlagungsstärke der Soldaten um 25 000 bis zum Jahr 2010 und einen um rund 3 700 Mitarbeiter verringerten zivilen Personalumfang im nächsten Jahr. Dazu muss allerdings gesagt werden, dass der Personalabbau im zivilen Bereich langsamer verläuft, als wir uns das gewünscht haben. Hier besteht deutlicher Handlungsbedarf. Der Transformationsprozess hat aber auch Auswirkungen auf die Optimierung im Betrieb. Dadurch können die Ausgaben für Materialerhaltung und die Ausgaben für den sonstigen Betrieb deutlich reduziert werden. Die Ausgaben für Materialerhaltung konnten gegenüber dem Vorjahr um rund 140 Millionen Euro im Wesentlichen aufgrund der Erwartungen weiterer Außerdienststellung von Material gesenkt werden. Die Bundeswehr muss in diesem Bereich jedoch keine unerwünschten operativen Einschnitte hinnehmen. Um eine sichere Durchführung und eine gesicherte Fortsetzung internationaler Einsätze der Bundeswehr gewährleisten zu können, haben die zuständigen Berichterstatter für den Einzelplan 14 im Haushaltsausschuss Vorsorge getroffen. Für einsatzbedingten Sofortbedarf sind die Mittel gegenüber dem Regierungsentwurf um rund 64 Millionen Euro auf nunmehr 700 Millionen Euro angehoben worden. Die anstehenden Ausgaben für einen Einsatz im Sudan werden daraus erwirtschaftet. Die Veranschlagung der Betreiberlösungen - hier handelt es sich um funktionierende Kooperationen mit der Wirtschaft - ist von rund 245 Millionen Euro im Vorjahr auf nunmehr rund 300 Millionen Euro gestiegen. Solche Betreiberlösungen, übrigens zu Unionszeiten undenkbar, ermöglichen eine Verbesserung der Ausstattung der Bundeswehr ohne eine Bindung von Investitionsmitteln. So kann das Parlament heute wegen des vorgesehenen Betreibermodells für den Simulator beim NH 90 im Haushalt 2005 eine Erhöhung des Ansatzes für wehrtechnische Forschung und Technologie um 30 Millionen Euro beschließen. Mit der Bw Fuhrpark Service GmbH wurde durch die Bereitstellung von mehr als 14 000 Neufahrzeugen mit einem hypothetischen Beschaffungswert von circa 260 Millionen Euro begonnen, den Investitionsstau bei den Fahrzeugen der Bundeswehr abzubauen. Durch die genannten Einsparungen bei den Betriebsausgaben konnten die verteidigungsintensiven Ausgaben deutlich erhöht werden. So sparen wir 580 Millionen Euro ein und können die Investitionen von 5,92 Milliarden Euro auf nunmehr rund 6,15 Milliarden Euro anheben. Wir gehen den Weg, die tatsächlich verfügbaren Haushaltsmittel für die Verteidigung zukunftsorientiert und aufgabenbezogen zu nutzen, und zwar für unsere Streitkräfte und die davon abhängige wehrtechnische Industrie in Deutschland. Die jetzt vorgesehene Finanzausstattung erlaubt die Realisierung wichtiger Vorhaben für den Transformationsprozess der Bundeswehr. Das gilt insbesondere für die aus bündnispolitischer Sicht bedeutsamen Projekte wie die erste Ausbaustufe des streifkräftegemeinsamen Führunginformationssystems, das Satellitenkommunikationssystem der Bundeswehr, Stufe 2, und die Kampfausstattung „Infanterist der Zukunft“ im Rahmen der vernetzten Operationsführung. Dies gilt für die einsatzwichtigen Heeresneuvorhaben DINGO 2, DURO, ESK MUNGO sowie insbesondere den Schützenpanzer Puma. ({12}) Die Beschaffung des Puma ist nicht nur für die Panzergrenadiertruppe von großer Bedeutung. Das sollten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus eigener Kenntnis wissen, dann müsste ich als Major der Panzergrenadiertruppe Ihnen das nicht erzählen. Sie soll zusätzlich die Konsolidierung der Landsystemindustrie befördern. Der heute bekannt gewordene Verkauf von 42,1 Prozent der Aktien an der Firma Rheinmetall an institutionelle Anleger ist aus derzeitiger Sicht von allen Alternativen noch die beste. Ich hoffe, dass dies zu einer Konsolidierung der deutschen Landsystemindustrie beiträgt bzw. diese zumindest nicht beeinträchtigt. Auf jeden Fall zeigt sich hier, dass sich das geänderte Außenwirtschaftsgesetz, das der Regierung ein Mitspracherecht bei der Übernahme deutscher Rüstungsunternehmen einräumt, bewährt hat. ({13}) - Kollegen, hören Sie doch einfach zu und sabbeln Sie nicht laufend dazwischen! Sie können hier ernsthaft etwas dazulernen. ({14}) Ein Verkauf des Gesamtpaketes an ausländische Konkurrenten, wie zum Beispiel General Dynamics, kann nun ebenso verhindert werden wie ein Verkauf gestückelter Aktienpakete an ausländische Investoren. Dies gilt für die geplante Beschaffung von vier Fregatten der 125er-Klasse und zwei U-Booten der 212er-Klasse, die der Marine eine langfristige Perspektive gibt und gleichzeitig die Konsolidierung des Marineschiffbaus im Werftenverbund von Blohm + Voss, HDW und Emden Nordseewerke unterstützt. Dies gilt ebenso für das zweite Los Eurofighter, das sowohl für die Luftwaffe als auch für die Unterstützung der erfolgten Konsolidierung in der Luft- und Raumfahrtindustrie unverzichtbar ist und insbesondere den deutschen Anteil an EADS unterstützt. Mit dem vorliegenden Haushalt wird also die Transformation der Bundeswehr unterstützt und gleichzeitig der Einstieg in eine langfristige Politik für die wehrtechnische Industrie - sowohl für die großen Systemhäuser als auch für den wichtigen, besonders zu fördernden innovativen Mittelstand - mit dem Ziel betrieben, deutsche Kernkompetenzen zu halten und zu sichern; denn zur Bundeswehr gehört auch die wehrtechnische Industrie. Allerdings dürfen wir nicht darüber hinwegsehen, dass wegen des zu erbringenden Beitrags zur Konsolidierung nur ein kleiner Teil der bei den Betriebsausgaben eingesparten Mittel tatsächlich zur Aufstockung der Verteidigungsinvestitionen genutzt werden kann. Das Verhältnis der Betriebsausgaben zu den Investitionsausgaben liegt in einem gerade noch vertretbaren Rahmen. Das Ende der Belastbarkeit ist aber erreicht. Weitere Einschnitte im kommenden Haushaltsjahr sind nicht mehr verkraftbar, ohne in die Investitionen einzugreifen, die für die Schließung der erkannten Fähigkeitslücken notwendig sind. Eine dauerhaft gesicherte Finanzplanung auf Basis des 37. Finanzplans ist unabdingbare Voraussetzung, um die Transformation der Bundeswehr erfolgreich zu beenden und die Einhaltung der von der Bundesregierung den Bündnispartnern zugesagten internationalen Verpflichtungen sicherzustellen. Ich glaube, wir Sozialdemokraten haben es zusammen mit den Grünen geschafft, einen Haushalt aufzustellen, der in sachlicher und fachlicher Hinsicht solide ist, ({15}) der der Bundeswehr sowie insbesondere den Soldaten im Einsatz eine Zukunft bietet und der die Bundeswehr mit dem notwendigen Material ausstattet. Herr Austermann, das haben Sie sehr häufig nicht geschafft. Das kann ich, der ich jahrelang mit dem Marder gefahren bin, bezeugen. Während Ihrer Regierungszeit war dieses Fahrzeug nie so funktionstüchtig, dass es die Soldaten richtig nutzen konnten. Ihnen ist doch bekannt, dass alle vorhandenen großen Waffensysteme damals unter Apel, Helmut Schmidt und Leber angeschafft worden sind. Sie haben es 16 Jahre lang verschlafen, etwas zu tun, und haben uns nichts hinterlassen. Wir sind nun dabei, die Bundeswehr wieder so aufzubauen, wie es notwendig ist. ({16}) - Jawohl, das ist richtig. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sollten meinem Kollegen ruhig erlauben, dazwischenzurufen. Dann lernen Sie noch mehr dazu. Wir Sozialdemokraten haben es gemeinsam mit Minister Struck und seiner fähigen Riege von Staatssekretären geschafft, ({17}) die Bundeswehr einen großen Schritt voranzubringen. Ich möchte mich ganz herzlich bei den Kollegen sowohl von der Regierungskoalition als auch von der Opposition für das große Engagement und die gute Zusammenarbeit im Verteidigungsausschuss bedanken. - Der Kollege Austermann scheint das alles nicht mehr mitzubekommen. Auch im Haushaltsausschuss haben wir vernünftig zusammengearbeitet. ({18}) Ich bedanke mich insbesondere bei all den Kollegen, die daran mitgewirkt haben. Rainer Arnold mit seinen Verteidigungspolitikern ist uns auch im Haushaltsausschuss ständig eine große Stütze. Ich danke insbesondere meiner Kollegin Elke Leonhard, die das alles möglich gemacht hat. Ich wünsche Ihnen allen weiterhin eine schöne Debatte. Vielen Dank. ({19})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Günther Nolting von der FDP-Fraktion.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kahrs, als Sie gerade dieses Lob ausgesprochen und auch die Mitglieder des Verteidigungsausschusses erwähnt haben, habe ich mich gleich gefragt, was wir eigentlich falsch gemacht haben. Dazu, dass Sie hier die Opposition angegriffen haben, kann ich nur sagen: Sie haben genau die Probleme, die Sie 16 Jahre lang haben wollten. Also beschweren Sie sich hier nicht! Herr Kollege Kahrs, Sie wissen ganz genau, dass die Entscheidungen und die Maßnahmen von Minister Scharping grundlegend falsch waren. Sie haben uns Milliarden gekostet. Deswegen ist der Verteidigungsminister heute in dieser schwierigen Situation und deswegen muss jetzt, sechs Jahre nach der Regierungsübernahme durch Rot-Grün, umstrukturiert werden. Auch wir stehen zu dieser Umstrukturierung. Aber tun Sie doch nicht so, als wären Sie dafür nicht verantwortlich. Sie sind jetzt sechs Jahre an der Regierung. Stehen Sie zu Ihrer Verantwortung! ({0}) Sie wissen ganz genau, dass die Finanzmittel für eine gut ausgestattete Bundeswehr hinten und vorne nicht ausreichen. Herr Minister, Sie müssen die Bundeswehr schlagkräftiger und bündnisfähiger machen. Sie müssen die Attraktivität des Dienstes steigern, um guten Nachwuchs rekrutieren zu können. Dies ist mit Ihrem Spagat zwischen Beibehaltung der Wehrpflicht auf der einen Seite und Unterfinanzierung der gewählten Struktur auf der anderen Seite aber nicht möglich. Auch das wissen Sie. Herr Minister, ich frage Sie - vielleicht wird Staatssekretär Wagner auf diese Fragen gleich eingehen -: Handeln Sie, was Ihre Untergebenen angeht, fürsorglich, wenn Sie den Angehörigen der Bundeswehr immer mehr Lasten aufbürden? Handeln Sie fürsorglich, wenn Sie der Bundeswehr die zwingend notwendigen Mittel versagen, weil Sie sich gegenüber Ihren Kollegen in den Haushaltsplanberatungen nicht durchsetzen können? Was sagen Sie zu der anstehenden zusätzlichen globalen Minderausgabe von 250 Millionen Euro? Ich würde mich freuen, wenn diese Fragen heute hier beantwortet werden. ({1}) Herr Minister Struck, wenn Außenminister Fischer von der Grünenfraktion immer mehr Einsätze der Bundeswehr im Ausland fordert, dann müssen Sie ihn, Außenminister Fischer, und seine Fraktion im Zuge der Haushaltsberatungen auch bei der Mittelvergabe beim Wort nehmen, nach dem Motto: Wer bestellt, muss schließlich auch bezahlen. Sie wissen, was ich zu dieser Rollenteilung schon einmal gesagt habe. ({2}) Der Haushalt von 24 Milliarden Euro könnte für eine gut ausgerüstete und professionelle Bundeswehr vielleicht knapp ausreichen, aber eben nur für eine Bundeswehr, in der den Betroffenen, zum Beispiel im Rahmen der flexiblen Budgetierung vor Ort, mehr Eigenverantwortlichkeit in Bezug auf Investitionen und Ausgaben gelassen wird. Meiner festen Überzeugung nach sind die Kommandeure und Dienststellenleiter sehr kreativ und innovativ. Man muss sie nur lassen. Mit anderen Worten: Es muss ihnen auch möglich sein. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Nolting, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bonde von den Grünen?

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, selbstverständlich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Kollege Nolting, Sie haben auf die dringende Notwendigkeit zusätzlicher Ausgaben hingewiesen. Sie haben betont, der Minister habe sich gegenüber dem Kabinett nicht durchgesetzt. Daher möchte ich Sie gerne fragen, wie Ihre eigene Durchsetzungsfähigkeit in Ihrer Haushaltsgruppe in den Haushaltsverhandlungen war. Im Haushaltsausschuss sind mir keine besonderen „Aufwuchsanträge“ der FDP-Fraktion aufgefallen. Vielleicht können Sie mir da auf die Sprünge helfen.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Bonde, vielleicht schauen Sie einmal in unser Programm von vor vier Jahren. ({0}) - Wir waren etwas schneller als Sie. Im Gegensatz zu Ihnen waren wir unserer Zeit voraus. - In diesem Programm haben wir aufgezeigt, wie wir uns die Bundeswehr der Zukunft und die effektive Verwendung von Geldern vorstellen. Heute sage ich Ihnen: Mir - vielleicht auch Ihnen als Haushälter - fallen viele Möglichkeiten ein, wie Gelder effektiver eingesetzt werden können. Ich denke allein daran, dass wir heute noch immer eine Aufwuchsfähigkeit von 500 000 Soldaten haben. Für diese Soldaten müssen die entsprechenden Geräte, die entsprechende Ausrüstung und die entsprechenden Depots vorgehalten werden. Als Haushälter wissen Sie ebenso gut wie ich, wie viel Geld das kostet. Wir erwarten hier mehr Flexibilität. Dazu haben wir Vorschläge gemacht. Das wissen Sie zwar; allerdings verschweigen Sie es heute. ({1}) Ich komme auf die 24 Milliarden Euro zurück. Sie reichen eben nicht für eine Bundeswehr aus, die in überholter Wehrstruktur und in von oben verordneter alter Denkweise verharren muss. ({2}) Attraktivität, Flexibilität, Einsparungen und weniger Bürokratie werden abgelehnt. Man bleibt bei der Wahrung vieler überholter Strukturen und Denkweisen und gaukelt den Steuerzahlern soziale Kompetenz vor. Herr Minister, noch ein Wort zur Wehrpflicht. Selbst wenn ich Ihnen persönlich, Herr Minister Struck, noch eine gute Absicht bezüglich der Wehrpflicht unterstelle - auch wenn ich mit Ihnen in dieser Frage nicht einer Meinung bin -, bin ich der festen Überzeugung, dass die Strategien zur Vermarktung des Endes der Wehrpflicht bereits in den Schreibtischschubladen Ihres Parteivorsitzenden Müntefering und des Bundeskanzlers liegen. Was der SPD und dem Kanzler im Wahljahr 2002 der Irak und das Hochwasser war, wird ihnen im Wahljahr 2006 die Wehrpflicht sein. Skrupellos - davon bin ich felsenfest überzeugt - wird die Bundeswehr von RotGrün im Wahlkampf missbraucht werden. Die Union wird von ihnen im Wahlkampf in dieser Frage vorgeführt werden. ({3}) Warum sollten genau die Personen, die zwecks Machterhalt 2002 nicht davor zurückschreckten, das transatlantische Verhältnis massiv zu beschädigen, ({4}) Skrupel haben, jetzt die Wehrpflichtfrage zum Wahlkampfthema zu machen? Hauptsache, die Wahl wird gewonnen! ({5}) Ich kann hier heute ankündigen, dass wir erneut einen Antrag zur Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht einbringen werden. ({6}) Die Wehrpflicht ist sicherheitspolitisch nicht mehr zu legitimieren. Wir wollen die Entscheidung jetzt haben. ({7}) Rot-Grün, vor allem Grün, wird in dieser Frage Farbe bekennen müssen. ({8}) Ich will den Verteidigungsminister an dieser Stelle loben; ich hoffe, das schadet nicht. In enger Zusammenarbeit zwischen Ihnen, Herr Minister Struck, Ihrem Haus und dem Parlament ist es gelungen, endlich die Beschaffung des Schützenpanzers Puma in die Wege zu leiten. ({9}) Das ist gut - ich bekräftige dies ausdrücklich -; ich stehe auch dazu. Unsere Soldatinnen und Soldaten - ich denke, darin stimmen wir überein - brauchen diesen Schutz. Ich hoffe, Herr Kollege Kahrs, dass der Zeitplan eingehalten wird und die Beschaffungsvorlage rechtzeitig zugeleitet wird, sodass wir noch in diesem Jahr darüber entscheiden können. Herr Minister Struck, weniger gut ist allerdings, dass Sie bei den Kasernenschließungen die betroffenen Kommunen im Regen stehen lassen. Sie sind nicht der Infrastrukturminister der Bundesregierung - das ist richtig -, aber es ist falsch, dass die Bundesregierung die Gemeinden im Stich lässt, ({10}) weil man sich in der Bundesregierung offensichtlich nicht einig ist und sich andere Ressorts diesen Problemen verschließen. ({11}) Die Entwicklung der Bundeswehr zu einer unterfinanzierten und schlecht ausgestatteten Armee ist besorgniserregend. Falsche Beschlüsse, zum Beispiel - ich habe darauf hingewiesen - die Aufblähung von Stäben und des Ministeriums, sowie die verfassungswidrigen Methoden, zum Beispiel die Einberufung von nur rund 10 Prozent aller geeigneten jungen Männer, sorgen dafür, dass alle Erfolge, die durch die Soldaten selbst erzielt wurden, zunichte gemacht werden. ({12}) Herr Kollege Austermann, Sie haben hier die Vorfälle von Coesfeld angesprochen. Ich will die wahrlich nicht verniedlichen. Wir werden im Ausschuss über die Vorfälle beraten und sie gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium klären. Aber ich bin nicht bereit, die Bundeswehr in Gänze unter Generalverdacht zu stellen. Es waren Einzelfälle; wir sollten das nicht verallgemeinern. ({13}) Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten hervorragende Arbeit, teilweise unter schwierigen Bedingungen. Wir danken ihnen dafür. Der Bundeskanzler hat hier heute Morgen die Bundeswehr gelobt. Da hat er Recht. ({14}) Aber den Worten müssen auch Taten folgen. Wir werden ihn an seinen Taten messen. ({15}) Bei den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland kann das rot-grüne Verhalten nur auf Unverständnis stoßen. Nicht die Aussetzung der Wehrpflicht und die Verkleinerung der Bundeswehr bergen die Gefahr der Entfernung der Bundeswehr von der Gesellschaft in sich; Ihre Regierungsarbeit stellt diese Gefahr dar. Wir haben versucht - ich habe schon darauf hingewiesen -, im Rahmen der Haushaltsdebatte die Situation zu verbessern. Die rot-grüne Regierungsmehrheit hat dies abgelehnt. Rot-Grün ist beratungsresistent. Lassen Sie mich auf die Vorlagen zur Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten eingehen, die die Frau Präsidentin - Ihre Vorgängerin bei der Leitung der Sitzung, Herr Präsident - vorhin aufgerufen hat. Liberale Linie ist die Ablehnung von Quotenregelungen. Der Gesetzentwurf der rot-grünen Bundesregierung aber sieht vor, dass Frauen beim beruflichen Aufstieg bevorzugt berücksichtigt werden müssen. ({16}) Die Soldatinnen selbst wollen aber keine Quotenfrauen sein. ({17}) Die FDP-Bundestagsfraktion hat deshalb einen eigenen Antrag eingebracht, mit dem wir von der FDP die Beschäftigungsbedingungen für Soldatinnen und Soldaten deutlich verbessern wollen. Wir wollen unter anderem erreichen, dass die Anstrengungen im Bereich der Personalwerbung vergrößert werden und bei Auswahlentscheidungen und sonstigen personalen Maßnahmen Frauen im objektiven Qualitätswettbewerb mit den männlichen Kameraden angemessen berücksichtigt werden. Wir sagen nämlich dazu: Eine höhere Anzahl von weiblichem Führungspersonal wäre aufgrund der Vorbildfunktion ein Vorteil bei der Gewinnung qualifizierter und interessierter Frauen für den Dienst in der Bundeswehr. Die FDP fordert auch, dass Soldatinnen gemäß der Laufbahnverordnung bei entsprechender Leistung, Eignung und Befähigung - das sind die zentralen Entscheidungskriterien - in gleicher Weise wie Soldaten bis in die Spitzendienstgrade befördert werden. Ich hoffe, dass Sie unserem Antrag zustimmen werden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Nachtwei vom Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute diskutieren und entscheiden wir über die finanzielle Ausstattung der Bundeswehr. In den letzten Wochen haben wir über die Schließung etlicher Standorte diskutiert sowie über die Wehrform in der Öffentlichkeit gestritten. Heute steht aufgrund aktueller Ereignisse ein Themenkomplex ganz oben auf der Tagesordnung, das für die Bundeswehr sehr zentral ist, aber in der Regel nicht im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht, nämlich die Fragen nach Ausbildung und Klima innerhalb der Bundeswehr sowie nach der Inneren Führung. Sie gestatten, dass ich darauf zuerst eingehe. Was aus der Ausbildungskompanie eines Instandsetzungsbataillons in Coesfeld bekannt wurde, ist in mehrfacher Hinsicht bestürzend: einmal im Hinblick auf die Art der Verstöße, bei denen eindeutig die Grenze von realitätsnaher Ausbildung überschritten und Menschenwürde beeinträchtigt und verletzt wurde, dann im Hinblick auf die Zahl der aktiv Verwickelten und der passiv Verwickelten und schließlich - das ist beunruhigend und auch rätselhaft - im Hinblick auf die Tatsache, dass so viele in der Kompanie und in der Kaserne davon wussten, aber keiner es meldete. Wir wissen noch nicht genau, woran das liegt, aber es drängen sich bestimmte Erklärungen doch zumindest auf. Offenkundig fehlte es an einem entsprechenden Pflicht- bzw. Unrechtsbewusstsein, an Unterscheidungsvermögen zwischen harter Ausbildung und einer Ausbildung, bei der Menschenrechte verletzt werden. Offenkundig steckte der Wurm in der ganzen Kompanie. Es handelt sich also doch um mehr als um das Fehlverhalten einzelner Personen. Die bruchstückhaften Darstellungen haben Assoziationen an Abu Ghureib geweckt. Das schlug sich ja auch in manchen Überschriften nieder. Dazu müssen wir aber eindeutig klarstellen, dass Parallelisierungen zu den schlimmen Folterexzessen in Abu Ghureib völlig unangebracht und falsch sind. ({0}) In diesen Tagen sind aber auch Stimmen zu hören, die behaupten, diese Misshandlungen in der Ausbildungskompanie seien die Spitze eines Eisbergs in der Bundeswehr und ergäben sich konsequent aus dem Wandel der Bundeswehr von einer Abschreckungsarmee hin zu einer Einsatzarmee. In einer Berliner Tageszeitung wurde sogar die Behauptung aufgestellt, die Bundeswehr sei inzwischen für Rambos attraktiver, weil „unter Landesverteidigung auch Angriffskriege verstanden werden“. Auch wenn diese Behauptungen für alle hier anwesenden Außen- und Sicherheitspolitiker abwegig sind, ({1}) möchte ich hier dieses doch noch einmal klarstellen, denn draußen finden solche Positionen manchmal etwas mehr Echo. Der Auftrag der Bundeswehr ist ganz eindeutig durch das Grundgesetz und das Völkerrecht eingegrenzt. Demnach kann und darf die Bundeswehr neben der Landesverteidigung nur im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit zur Wahrung des Friedens eingesetzt werden. So lauten die Formulierungen im Grundgesetz. Negativ ausgedrückt: Friedensstörungen, insbesondere Vorbereitung von Angriffskriegen, sind verfassungswidrig. Das ist unsere Verfassungsrealität. Sie gilt selbstverständlich für die Bundeswehr. Für die Teilnahme an multilateraler Krisenbewältigung sind neue Fähigkeiten unabdingbar, die auch über große Distanzen wirksam sind. Damit entsteht unzweifelhaft eine Interventionsfähigkeit. Aber ich sage ausdrücklich: Damit wollen wir die Bundeswehr keineswegs zu einer Interventionsarmee machen. Das ist ein riesiger Unterschied. Für die Bundeswehr gilt kategorisch: Sie wird nur für die Ziele der Vereinten Nationen und nach den Regeln des Völkerrechts eingesetzt. Ich konnte bisher immer davon ausgehen, dass über diesen Rahmen im Deutschen Bundestag eindeutig Konsens besteht. Auch deshalb haben wir uns nicht am Irakkrieg beteiligt; ein anderer Grund waren die absehbaren Folgen. Dies war ein deutlicher Beleg für unsere Haltung. Die Vorfälle von Coesfeld sind weder die Spitze eines Eisbergs - hierauf haben ich und auch die anderen Kollegen bisher keinerlei Hinweise - noch die kausale Konsequenz aus Auslandseinsätzen. Stattdessen gilt: Die neuen Aufgaben, die Friedenseinsätze erfordern ein viel breiteres Spektrum an Fähigkeiten und eine besondere Verhaltenssicherheit der Soldaten sowie militärische, technische und soziale Kompetenz und ein ganz anderes Rechtsbewusstsein in einer Gesellschaft, in der Wertvorstellungen immer mehr ins Rutschen geraten. Die Notwendigkeit solch umfassender Kompetenzen zeigen negativ der Irakkrieg und positiv die bisher erfolgreichen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Aus diesen Gründen, Herr Minister, sind Ihre Bewertungen und Schlussfolgerungen bezüglich der Vorfälle in Coesfeld voll zu unterstützen. Sie haben den Kommandeur des Zentrums Innere Führung beauftragt, diese Dinge genauer zu untersuchen. Damit werden die Vorfälle in den Kontext bisheriger Ausbildung und Innerer Führung gestellt. Dadurch wird ermöglicht, dass über die Kompanie hinaus schnell angemessene Konsequenzen gezogen werden können. Nun aber endlich doch noch zum Verteidigungshaushalt. Durch die allgemeine Haushaltslage ist der Rahmen eng, aber noch ausreichend. Hervorzuheben sind einige Eckwerte, die für die Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr von entscheidender Bedeutung sind: Die Investitionsquote kann zumindest wiederum 1 Prozent angehoben werden. Es ist darauf hingewiesen worden, dass verschiedene vorrangig wichtige Anschaffungen möglich sind und dass im Bereich Entwicklung und Erprobung eine vorgesehene erhebliche Reduzierung weitgehend wieder rückgängig gemacht werden konnte. Außerdem können die Betriebsausgaben weiter gesenkt werden, vor allem die Personalausgaben. Eine besondere Ironie dabei ist allerdings, dass die Senkung der Personalausgaben vor allem darüber erfolgt, dass die VeranschlagungsWinfried Nachtwei stärke für Grundwehrdienstleistende enorm gesenkt wird, nämlich von 62 000 in diesem Jahr auf 38 000 im kommenden Jahr. Eine Grunderfahrung aus vielen Jahren internationalen Engagements der Bundesrepublik und Friedenseinsätzen der Bundeswehr ist: Sie sind nur mit ausgewogenen Fähigkeiten erfolgversprechend. Deshalb, war es im ureigenen Interesse der Bundeswehr und ihrer Soldaten, ursprünglich beabsichtigte UN-einsatzrelevante Einschnitte in Nachbarressorts, also beim Auswärtigen Amt und bei der Entwicklungszusammenarbeit, nicht nur rückgängig zu machen, sondern auch gewisse, wenn auch begrenzte Aufstockungen zu ermöglichen. Insgesamt bleibt aber die Einsicht, dass in einer Bundesrepublik, die vermehrt internationale Verantwortung trägt, gegenüber der die Erwartungen der Staatengemeinschaft deutlich zunehmen und die insgesamt vor größeren Anforderungen an internationaler Krisenbewältigung steht, verbesserte Fähigkeiten unabdingbar sind. Deshalb muss ich am Ende deutlich feststellen: Dieses Mehr an verbesserten Fähigkeiten wird mittelfristig nicht ohne ein Mehr an entsprechenden Ressourcen für die Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik insgesamt erreicht. Daran arbeiten wir. Danke schön. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Christian Schmidt von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Bundeswehr hat in den letzten Tagen für keine guten Schlagzeilen gesorgt: Proteste gegen Standortschließungen, Kritik vom Bundesrechnungshof, Ungereimtheiten im Zusammenhang mit dem Kosovoeinsatz - genauer: die ungeklärte Rolle des BND - sowie die nicht enden wollende und jetzt wieder in der SPD hochkochende Wehrpflichtdebatte. Außerdem gibt es überproportionale Haushaltskürzungen, die weit weg von dem veranschlagten Plafond führen. Wir waren von einem Plafond in Höhe von 24,4 Milliarden Euro im Jahre 2003 ausgegangen. Wenn man richtig rechnet, dann stellt man fest, dass jetzt die Grenze bei 23,6 Milliarden Euro liegt. Außerdem besteht die Gefahr, dass es aufgrund einer globalen Minderausgabe noch eine weitere Absenkung gibt. Generalinspekteur Schneiderhan hat in diesem Zusammenhang von einer Makulaturmasse gesprochen. Denn sein Projekt „Bundeswehrreform“ würde zur Makulatur werden, wenn der Etat noch weiter heruntergefahren werden würde. Wenn man doppelt kürzt, dann kommt sehr schnell ein Betrag in Höhe von 1 Milliarde Euro zustande, von dem der Kollege Austermann gesprochen hat. ({0}) Negative Schlagzeilen machen auch die stockenden Rüstungsprojekte und nicht zuletzt die von der Staatsanwaltschaft aufgegriffenen Vorwürfe hinsichtlich der Ereignisse in Coesfeld, über die bereits gesprochen worden ist. Die einhelligen Reaktionen zeigen, dass es für uns nicht vorstellbar ist, dass diese Misshandlungen in der Bundeswehr keine schlimmen Einzelfälle sind. Diese Einzelfälle gehören in die Hände der Staatsanwaltschaft. Aber man muss sagen, dass die Bundeswehr insgesamt nicht betroffen ist. ({1}) Anders als Sie sich im Untersuchungsausschuss der sich mit Rechtsradikalismus in der Bundeswehr befasst hat, verhalten haben, konstruieren wir aus einem Einzelfall nicht einen flächendeckenden Missstand, ({2}) um daraus politisches Kapital zum Schaden der Bundeswehr zu schlagen. ({3}) Dass die Vorfälle so schnell wie möglich aufgeklärt werden müssen - auch um weiteren Schaden in der Öffentlichkeit von der Bundeswehr abzuwenden - versteht sich von selbst. Insofern unterstützen wir ausdrücklich das Vorgehen, die Vorkommnisse vollständig aufzuklären und politische Konsequenzen zu ziehen, die unabhängig von den Ergebnissen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen sind. Der Verteidigungsminister hat sich heute ins Wort begeben. Ich bin sehr interessiert daran, zu erfahren, wie in den nächsten Wochen die notwendigen Änderungen beispielsweise in der Kette der Dienstaufsicht aussehen werden. Auf jeden Fall sollten wir dieses Thema intensiv diskutieren und die notwendigen Schlüsse ziehen, damit die Bundeswehr als eine Armee im Einsatz auch mental gut gerüstet ist. Auch mit Blick auf andere Bereiche kann ich mir nicht so recht vorstellen, dass der Job des Ministers - ich nenne ihn immer noch Minister, obwohl ich heute gelernt habe, dass er nach den Vorstellungen des Bundesministeriums der Justiz eigentlich Ministerium heißen müsste; ich halte aber trotzdem an der Anrede Minister fest - im Moment vergnügungssteuerpflichtig ist. Vor lauter Krisenmanagement dürfte er kaum noch Zeit haben, die konzeptionelle Transformation der Bundeswehr voranzutreiben. ({4}) Überhaupt wäre es interessant, zu erfahren, wie es angesichts der Haushaltslage mit der Transformation weitergehen soll. Man kann in der nächsten Zeit nicht einfach sagen, dass man aufgrund der schlechten Haushaltssituation Christian Schmidt ({5}) nichts machen könne. Wenn einer zum Insolvenzrichter gehen und den Zylinder aufsetzen muss, dann wird nachgefragt, wer dafür verantwortlich ist, dass der Betrieb in die roten Zahlen kommen konnte. In einem solchen Fall muss zunächst der Geschäftsführer ausgewechselt werden; hier ist es der Bundeskanzler. ({6}) Danach muss man sanieren und die Ziele festlegen, die man erreichen will. ({7}) Deswegen wird man in der nächsten Zeit nicht darum herumkommen, bei den Aufgaben des Staates über Prioritäten zu diskutieren. Eine der Kernaufgaben des Staates ist, Sicherheit für seine Bürger im Sozialen, aber auch unmittelbare Unversehrtheit unseres Landes und des Einzelnen im Hinblick auf die innere und äußere Sicherheit zu gewähren. Das ist die Priorität Nummer eins, die sich auch im Haushalt widerspiegeln muss. ({8}) Deswegen vermisse ich, dass sich die in diesem Zusammenhang gemachten zaghaften Ansätze, die sich nach den Verteidigungspolitischen Richtlinien in der Konzeption der Bundeswehr hätten wiederfinden müssen, dort nicht wiederfinden. Es fehlen ein nationales Sicherheitskonzept und eine Verschränkung der Aufgaben mit einer entsprechenden rechtlichen Absicherung dort, wo es sinnvoll ist, was ja bereits angekündigt bzw. angedacht war. Das war ein Thema, das wir bereits gestern beim Haushalt des Bundesinnenministers angesprochen haben. Hier ist wenig zu sehen. Wir hatten vor kurzem die Ehre, im Verteidigungsministerium von Feuerwehrleuten informiert zu werden. Ihnen wurde auf die Frage, mit was sie im Zusammenhang mit dem, was man zivil-militärische Zusammenarbeit nennt, rechnen können, geantwortet: Das wird wohl weniger werden. Gerade das müsste mehr werden! Das ist ein konzeptioneller Punkt, den wir nicht ruhen lassen und an dem wir weiterarbeiten werden. ({9}) Zur Wehrpflichtdebatte. Es gibt hier Pro und Kontra. Mit dem Kollegen Nolting bin ich vom Ergebnis her im Widerspruch, aber nur in diesem Punkt. Über die Frage, dass wir eine anständige Bundeswehr brauchen, sind wir uns eigentlich einig. ({10}) Dass man sich darüber im Klaren sein muss, dass erst entschieden werden muss, wie die Bundeswehr aussieht, ob sie also eine Wehrpflicht- oder Mischarmee oder ob sie eine Berufsarmee sein soll, und man dann den Haushalt in den Griff bekommen und die Umsetzung der Standortschließungen durchsetzen sollte, müsste doch eigentlich logisch sein. Eine Berufsarmee im Umfang der jetzigen Bundeswehr wird mindestens 3 Milliarden Euro mehr kosten. ({11}) Wo, bitte schön, jonglieren Sie solche Beträge her? Es ist doch klüger, einen Transformationsschritt erst dann zu machen, wenn ich weiß, mit welcher Bundeswehr ich einen solchen Schritt tun kann. Ich vermisse hier Logik in der Abfolge der Schritte. ({12}) - Wenn Sie das durchsetzen können. Die Zweifel, die im Hinblick auf eine Berufsarmee geäußert worden sind, teile ich. ({13}) Da sind wir einer Meinung. Das Kunststück möchte ich sehen. Der Bundesverteidigungsminister hat sich bereits verbal von dem Ziel einer alleinigen Berufsarmee distanziert. Er hat zwar sinngemäß gesagt, dass er auch eine Berufsarmee steuern könne. ({14}) Aber dazu braucht er das nötige Geld. Das hat er doch schon jetzt nicht für die Wehrpflichtarmee. Was das Thema, wohin sich die Bundeswehr im Äußeren entwickelt und welche Aufgaben sie wahrnehmen soll, betrifft, müssen wir feststellen - wir haben einen Antrag dazu entsprechend korrigiert -, dass das Papier für das Weißbuch - so habe ich mich belehren lassen -, das seit Jahren gedruckt werden soll, bereits angeschafft ist. Papier ist bekanntermaßen geduldig. Insofern wird die Geduld dieser Papierstapel im Verteidigungsministerium wohl noch einige Zeit anhalten müssen. Man ist nicht in der Lage, dem deutschen Volk zu sagen, wie die sicherheitspolitische Konzeption aussieht. Gehört der Sudan dazu? Wird nach dem Zufallsgenerator entschieden oder danach, dass es dem Herrn Außenminister gerade passt, weil er noch jemanden gefunden hat, der eine Stimme für einen Sitz Deutschlands im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen abgibt? Das ist Sprunghaftigkeit, aber keine Politik. In diesem Zusammenhang ein Wort zur NATO. Heute hat der Bundeskanzler beredt den Unterschied zwischen Wolfgang Schäubles Position und seiner klaren und deutlichen dargestellt, nämlich dass niemals jemand in den Irak geschickt werde. Hat der Herr Bundeskanzler denn jemals darüber nachgedacht, was die NATO bedeutet, dass die NATO ein Bündnis ist und dass dies heißt, dass gemeinsame Entscheidungen gemeinsam umgesetzt werden? Niemand in der NATO will sich militärisch im Irak - auch der Herr Bundeskanzler wird nicht Christian Schmidt ({15}) so vermessen sein, etwas anderes sagen zu wollen - im Sinne von irgendwelchen Kampfeinsätzen engagieren. Es geht dort um Ausbildung und um einen Ausbildungsstab. Es geht um die Frage, ob man bereit ist, zu einem Bündnis Ja zu sagen. Das würde dann allerdings auch heißen, dass man Politik mitgestalten muss und dass man nicht einmal hü und einmal hott sagen kann. ({16}) Man kann allerdings sehen, wie die Bedeutung der Bundeswehr im Hinblick auf die Posten bei der NATO zurückgeht: Wir haben mit Herrn Kujat bisher den Vorsitzenden des Militärausschusses gestellt. Den werden wir bald nicht mehr stellen. Wir haben mit Admiral Feist den stellvertretenden Oberbefehlshaber der NATOStreitkräfte in Europa gestellt. Den werden wir nicht mehr stellen. Die Frage ist: Was ist dieser Regierung die Bundeswehr in der NATO wert? Diese Frage wird die Debatten in den nächsten Monaten ganz entscheidend bestimmen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Schmidt, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage - sozusagen eine Abschlussfrage - des Kollegen Arnold?

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne. ({0})

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schmidt, Sie haben wiederholt über die Option gesprochen, deutsche Soldaten in den Stäben im Irak arbeiten zu lassen. Ich frage Sie: Sind Sie wirklich der Meinung, dass es im Irak ein sicheres Umfeld gibt, in dem Soldaten ausbilden können, ohne von der dramatischen Entwicklung im Irak betroffen zu sein? Ergänzend dazu frage ich Sie: Haben auch Sie festgestellt, dass bei dieser Mission für den Schutz von 100 Ausbildern 1 600 Soldaten notwendig sind? ({0})

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Arnold, es stellt sich in der Tat die Frage der Sicherheit. Wir haben bereits die sehr tragische Ermordung von zwei BGS-Beamten erlebt, die auf dem Weg zum Schutze der Deutschen Botschaft nach Bagdad unterwegs waren. Sie kennen den Fall. Es geht um die Frage, ob die NATO nach langer Diskussion eine Ausbildungsfazilität schaffen will, wie das übrigens auch viele Zivilorganisationen in ihren Bereichen gemacht haben. Der Kollege Bindig und ich gehören dem Vorstand einer Organisation an, die mit einer Reihe von Helfern in Bagdad vertreten war. Sie hat die Helfer jetzt abgezogen, ist aber bereit, wieder Helfer dorthin zu schicken. Man wird die politische Frage beantworten müssen: Ist die NATO als Bündnis aktiv, engagiert, bereit, etwas zu tun, oder ist sie das nicht? Der Bundeskanzler tut so - ich halte das für absolut daneben -, als ob die Deutschen die Wahren, die Schönen, die Guten sind, die nicht mal in den Stäben - es geht nicht um größere Zahlen von Soldaten, sondern um zehn bis 15 Soldaten - Soldaten einsetzen wollen. Er tut so, als ob diejenigen, die dort Soldaten einsetzen wollen, eigentlich schief gewickelt sind. ({0}) So kann man im Bündnis nicht miteinander agieren. Die Frage des Einsatzes in den Stäben muss - wie auch immer es sich im Einzelfall darstellt - beantwortet werden. Der Bundeskanzler ist dabei auf dem Wege, dafür zu sorgen, dass sich Deutschland aus der Solidarität der NATO verabschiedet. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Irmingard ScheweGerigk, Bündnis 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir verabschieden heute nicht nur den Verteidigungshaushalt, sondern auch - ein wunderbarer Titel - das Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsdurchsetzungsgesetz. Die Bundeswehr stellt sich damit den Herausforderungen der Integration von Frauen in den noch bestehenden Männerbund. Die Soldatinnen bekommen jetzt durch das Gesetz die volle Unterstützung. Aber auch die Soldaten profitieren, nicht zuletzt von der Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst und der Einführung von Teilzeitarbeit. Das wir die Regelungen für die Bundeswehr nicht schon 2001 in das Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst aufgenommen haben, war der Tatsache geschuldet, dass es bei den Streitkräften besondere Bedingungen gibt. Dieser Gesetzentwurf sieht nun eine Verpflichtung zur Förderung von Frauen mit einer Quote von 15 Prozent bei der Truppe und einer Quote von 50 Prozent beim Sanitätsdienst mithilfe von Gleichstellungsplänen und Gleichstellungsbeauftragten vor. ({0}) - Herr Nolting, zu Ihnen komme ich gleich. - Meine Damen und Herren von der Opposition, wir haben schon im Oktober über die Quote debattiert. Aufgrund meiner Erfahrung ist sie leider oft das einzige Mittel, um fähige Frauen nach vorn zu bringen, aber eben nur - das haben Sie falsch verstanden - bei gleicher Eignung, Leistung und Befähigung. Wer glaubt, dass nun gar keine Männer mehr befördert werden, muss eigentlich davon ausgehen, dass es keine qualifizierteren Männer als Frauen gibt. Ich kann diese negative Sichtweise über Männer überhaupt nicht teilen. ({1}) Herr Kollege Nolting, Ihre Kollegin Lenke muss offensichtlich in Ihrer Fraktion noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Während die Bundesvereinigung der Liberalen Frauen einstimmig gefordert hat, dass jetzt auch die FDP der Quote zustimmen soll, weil sich ohne Quote nichts bewegt, lehnt die FDP den Gesetzentwurf aus diesem Grunde ab. Ich finde, da machen Sie etwas falsch, ({2}) - Das glaube ich nicht. Warten Sie auf die Abstimmung. Aus meiner Sicht sind die 15 Prozent zu niedrig, aber ich bin gern bereit, der besonderen Situation in den Streitkräften Rechnung zu tragen. Die von der CDU/ CSU vorgeschlagene Jahrgangsquote ist nicht nur verfassungsrechtlich problematisch, da sie von den Zufälligkeiten des Frauenanteils an den Geburtsjahrgängen abhängig wäre, sondern so würde man auch gerade bei den älteren Jahrgängen nur den Status quo festschreiben. Das kann nicht gewollt sein. Trotzdem freue ich mich, Frau Kollegin Lietz, dass Sie diesem Gesetzentwurf, wie wir ihn vorschlagen, gleich zustimmen werden. Bei zwei anderen Punkten, die ich in der ersten Lesung kritisiert habe, hat es Änderungen gegeben. Zum einen handelt es sich um die Geltung des Gesetzes bei Auslandseinsätzen. Der Gesetzentwurf sah eine generelle Nichtgeltung vor. Es mag sicherlich Situationen geben, in denen das Gleichstellungsgesetz zurückstehen muss. Aber eine Generalklausel ist meiner Meinung nach hier nicht angebracht. Nach den Änderungen wird das Gesetz nun auch bei Auslandsverwendungen Gültigkeit haben, es sei denn, der Verteidigungsminister erklärt es im Einzelfall für nicht anwendbar. Das ist eine gute Lösung. ({3}) - Ja natürlich, ich kann Ihnen einige Namen nennen. Zum anderen haben wir die im Gesetzentwurf vorgesehenen Berichtszeiträume verkürzt. Über die Überprüfung der Quotenregelung, aber auch die Umsetzung des Gesetzes überhaupt muss nicht erst nach fünf, sondern schon nach zwei Jahren berichtet werden. Ich finde, auch das ist richtig. Denn die Bundeswehr ist nun einmal aufgrund ihrer Geschichte und Struktur ein anderer Arbeitgeber als der öffentliche Dienst. Wir im Parlament haben die Pflicht, die Entwicklung genau zu prüfen. Mein Vorschlag, dass auch die Dienstgradbezeichnungen die Gleichstellung zum Ausdruck bringen müssen, wurde leider nicht umgesetzt, da diese Bezeichnungen vom Bundespräsidenten festgelegt werden. Auch wenn man dem Bundespräsidenten keine Vorschriften machen sollte, bin ich ziemlich sicher, dass Bundespräsident Köhler hierfür ein offenes Ohr hat. Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass wir mit diesem Gesetz dem Gebot des Art. 3 des Grundgesetzes und seiner Ergänzung nachkommen, die gerade letzte Woche ihren zehnten Jahrestag hatte. Wir haben umgesetzt, dass der Staat auf die Gleichberechtigung von Männern und Frauen hinwirkt und Nachteile beseitigt. Der Umsetzung des hier formulierten Staatsziels sind wir mit diesem Gleichstellungsgesetz für die Bundeswehr ein Stück näher gekommen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Ursula Lietz von der CDU/ CSU-Fraktion, ({0})

Ursula Lietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herrn! Der Gesetzentwurf zur Gleichstellung von Soldaten und Soldatinnen ist zwar nicht von besonders hoher Relevanz für den Haushalt, aber für die Praxis der Bundeswehr durchaus von Bedeutung. Deswegen behandeln wir ihn heute mit. Wir waren am 21. Oktober dieses Jahres zur ersten Lesung des Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsdurchsetzungsgesetzes - das ist ein echter Zungenbrecher - noch alle der Meinung, dass dieses Gesetz mit einer möglichst breiten Mehrheit in diesem Hause verabschiedet werden sollte, um den mittlerweile fast 10 000 Soldatinnen in der Bundeswehr gleiche Chancen wie ihren männlichen Kollegen zu geben. Das sind vier Jahre, nachdem Frauen generell in die Bundeswehr aufgenommen wurden, und 30 Jahre, nachdem sie bereits im Sanitätswesen tätig sind. Die Grünen und gerade Frau Schewe-Gerigk haben sich besonders dafür ausgesprochen, dass wir das gemeinsam machen sollten. Sie haben sogar bei einigen Passagen meiner Rede damals geklatscht. Da hatte ich das Gefühl, ich hätte etwas falsch gemacht. Aber wie dem auch sei: Vor den Beratungen und der Beschlussfassung im Verteidigungsausschuss sah die Sache etwas anders aus. Interfraktionelle Vorberatungen sollten lediglich auf der Basis des Gesetzentwurfs der Bundesregierung stattfinden. Die Anträge der CDU/CSU und der FDP wurden gar nicht erst zu den Beratungen zugelassen. Das ist ein etwas fragwürdiges Demokratieverständnis, das ich nicht zum ersten Mal bei Ihnen feststelle. ({0}) Geblieben ist zum einen eine ziemlich starre Quotenregelung, die weder von den Soldatinnen noch vom Bundeswehrverband gewünscht ist. Auch die Oppositionsfraktionen wünschen diese Regelung nicht. Frau Schewe-Gerigk, die Änderung der Bezeichnung der Dienstgrade wird von den Soldatinnen ausdrücklich nicht gewünscht. Unterhalten Sie sich einmal mit ihnen! Dann werden Sie feststellen, dass dem so ist. Ich habe das getan. In diesem Gesetzentwurf fehlen sinnvolle Ergänzungen und Beurteilungen zur besseren und klareren Differenzierung nach Eignung, Leistung und Befähigung. Wir könnten angesichts der zurzeit großen Anzahl anstehender Stellenbesetzungen und Beförderungen bei den Unteroffiziersdienstposten Probleme bekommen, nämlich dann, wenn - wovon ich ausgehe - eine Vielzahl von Bewerberinnen und Bewerbern mit vergleichbarer Qualifikation und Beurteilung zur Auswahl steht. Ich kann nur hoffen, dass es bei Beförderungen in Zukunft nicht zu zahlreichen Konflikten und zu Missgunst zwischen Männern und Frauen in der Bundeswehr kommen wird. Denn das wäre in Anbetracht der Belastungen durch Auslandseinsätze und durch die jetzt einsetzende Reform der Bundeswehr in einer Zeit von ohnehin ziemlich angespannter Stimmung ein sehr kritischer Faktor. Zur Inneren Führung und zu den heutigen Ausschussdiskussionen ist schon einiges gesagt worden. Erstens. Durch diese Quotenregelung wird die Akzeptanz dieses Gesetzes in der Bundeswehr nicht erhöht. Davor habe ich gewarnt. Ich habe gesagt, dass eine starre Quotierung dort zähneknirschend zur Kenntnis genommen werden wird; denn die Bundeswehr ist ganz einfach kein kommunales Rathaus. Es gibt Unterschiede, die in einem solchen Gesetzentwurf berücksichtigt werden müssen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Berichtszeiträume für eine eventuelle Änderung der Quotenregelung von vier auf zwei Jahre bzw. von zehn auf fünf Jahre reduziert wurden. Das war in der Tat unser Vorschlag. Sie haben ihn übernommen; aber sonst hätten wir diesem Gesetzentwurf auch nicht zustimmen können. Denn wir sind sicher, dass eine Überprüfung der Wirksamkeit dieses Gesetzes in kürzeren Abständen dringend nötig ist. Zweitens. Ich finde es besonders bedauerlich, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in diesem Gesetzentwurf so gut wie keine Rolle spielt. Wie sieht es denn mit der Fürsorgepflicht aus, wenn Soldaten als Eltern kleiner Kinder gemeinsam in den Einsatz geschickt werden? Zu diesem Thema findet sich kein einziger Satz, obwohl dieses Thema die Familien bewegt. Wir alle müssen ein Interesse daran haben, dass die Bundeswehr auch für Männer und Frauen mit Familien ein attraktiver Arbeitgeber wird. ({1}) Bei Einsätzen der Bundeswehr im Ausland wäre der Grundsatz der Freiwilligkeit eines der beiden Familienpartner möglich. Wenn Sie der Meinung sind, dass das nicht Thema dieses Gesetzes sein kann, werden wir dazu einen gesonderten Antrag einbringen. Drittens. Da wir wollen, dass dieses Gesetz auch bei Einsätzen im Ausland Anwendung findet, müssen einsatzbedingte Gründe für seine Aussetzung, wenn sie notwendig ist, sehr viel präziser formuliert sein. Der Herr Wehrbeauftragte hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass über die Aussetzung eines Gesetzes nicht von irgendjemandem im Verteidigungsministerium entschieden werden kann, sondern dass darüber vom Verteidigungsminister persönlich oder aber - hören Sie jetzt gut zu - von seinem Stellvertreter im Kabinett - also nicht von seinem Stellvertreter im Verteidigungsministerium; denn dort sitzt nur sein administrativer Vertreter entschieden werden muss. Dass Verteidigungsministerium und Verteidigungsminister nicht immer dasselbe sind, das wissen wir spätestens seit den Vorfällen im Kosovo. ({2}) Dieser Gesetzentwurf ist nicht der ganz große Wurf. Er ist Neuland für die Bundeswehr. Ich betone noch einmal: Der Beruf des Soldaten bzw. der Soldatin ist kein Beruf wie jeder andere. Bei denjenigen, die ihr Leben riskieren, um unser Leben zu schützen, müssen andere Maßstäbe angelegt werden. Daher sind Regelungen des öffentlichen Dienstes nicht eins zu eins übertragbar. Wir werden im Laufe der Zeit feststellen, dass das so ist und dass dieser Gesetzentwurf Geburtsfehler hat, die wir hoffentlich alle gemeinsam und aufgrund neuer Einsichten aller hier vertretenen Fraktionen ausmerzen werden. Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu - das habe ich schon einmal gesagt - allerdings mit Bauchschmerzen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Hans Georg Wagner.

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da ich schon über ein Jahrzehnt die Haushaltsberatungen sehr intensiv verfolge, wäre ich heute überrascht gewesen, wenn Herr Austermann einen Beitrag geleistet hätte, der sachlich gewesen wäre und von Kenntnis des Haushalts gezeugt hätte. ({0}) - Jetzt zur Sache, Herr Kollege Nolting, natürlich. Da wird beklagt - Frau Merkel hat das heute Morgen getan -, der Heimatschutz und der Katastrophenschutz seien aufgrund der Transformation der Bundeswehr nicht gewährleistet. ({1}) Wenn man sich alles und auch die Broschüre, die wir Ihnen allen ins Fach gelegt haben, anschaut, dann wird man unschwer feststellen, dass gerade diese Dinge in besonderer Weise beachtet worden sind. Schweres Gerät wird in Lagern vorgehalten und wenn es eine Katastrophe gibt, kann durch Reservisten oder Soldaten sofort eingegriffen werden. Das ist ein Festhalten an dem, was gewesen ist. Deshalb bin ich der Meinung, man sollte das nicht immer wieder erwähnen. Da heißt es - auch von Herrn Austermann wieder -, die Bekämpfung des Terrorismus findet nicht mehr statt. Ja glauben Sie denn, wenn irgendein Terrorist oder eine Terroristengruppe etwa die EZB in Frankfurt angreifen würde, dass die Bundeswehr dann erst fragen würde, ob sie eingreifen dürfte? Nein, die Bundeswehr wird handeln! Die Bundeswehr würde Katastrophenschutz leisten, wie wir das gewohnt sind. Übrigens, Herr Kollege Schmidt: Natürlich sind wieder gemeinsame Übungen mit dem THW und der Feuerwehr geplant, damit eine gute Zusammenarbeit im Katastrophenfall gewährleistet werden kann. Das ist ja die Lehre aus dem Oderbruch, wo wirklich Defizite vorhanden waren. Gott sei Dank war die Bundeswehr vor Ort und konnte mit dem THW, dem Roten Kreuz und der Feuerwehr zusammenarbeiten. Eines begreife ich allerdings nicht in der ganzen Diskussion: Die Opposition weint darüber, dass die Bundeswehr wegen der globalen Minderausgabe 248,2 Millionen Euro weniger bekommen soll. Natürlich ist der Minister mit dem Kabinett und der Koalition solidarisch und leistet seinen Beitrag. Wir tun das auch. 248,2 Millionen Euro sind sehr viel Geld, das schmerzt sehr. Aber wenn ich mir Ihre Anträge anschaue, die heute zur Abstimmung stehen, Herr Kollege Austermann, dann bin ich völlig überrascht, und das aus mehreren Gründen. Der erste Grund ist, dass Sie etwa beim neuen Hubschrauber NH 90 50 Millionen Euro sparen wollen. ({2}) Beim Eurofighter wollen Sie 250 Millionen Euro sparen. Wenn ich das zusammenrechne, komme ich auf eine Absenkung des Einzelplanes 14 um 300 Millionen Euro; auch die FDP ist dieser Meinung. ({3}) Jetzt komme ich zum nächsten Punkt, Herr Kollege Austermann. Ich glaube, der Kollege Raidel hat gewusst, warum er jetzt nicht mehr da ist; denn er belagert mich permanent wegen des Hubschraubers. ({4}) - Er ist doch da. Dass er schon auf der Regierungsbank Platz nimmt, ({5}) konnte ich nicht ahnen - ich habe doch hinten keine Augen, Hans, entschuldige bitte. Der Kollege Raidel erinnert mich permanent, man sollte für neue Hubschrauberentwicklungen Forschungsgelder einstellen. Wenn Sie sich den Haushaltsplan ansehen, wie er heute vorliegt, werden Sie feststellen, dass das enthalten ist: 32 Millionen allein zugunsten der Entwicklung neuer Hubschrauber! ({6}) Nur, Herr Kollege Raidel, was ich nicht begreife, ist, dass Sie einem Antrag der CDU/CSU-Arbeitsgruppe „Haushalt“ zustimmen können, der vorzieht, die Mittel für den neuen Hubschrauber NH 90 um 50 Millionen Euro zu senken. ({7}) Das heißt, Sie greifen direkt in die Produktion dieses neuen Hubschraubers ein. Noch schlimmer ist es beim Eurofighter. ({8}) Die Kollegin Aigner ist nicht da. Auch sie belagert mich permanent, wir sollten beim Eurofighter voranmachen. Jetzt schlägt sie vor, 250 Millionen Euro beim Eurofighter zu kürzen. Da frage ich mich: Welche Auswirkungen hat das? Und was steckt eigentlich dahinter? Die Auswirkungen, Herr Kollege Austermann, will ich Ihnen nennen; denn Sie sind ja derjenige, der permanent herumerzählt, dass der Eurofighter nicht fliegt, am Boden steht, nicht funktioniert. ({9}) - Das sagen Sie immer, Herr Kollege Austermann. Das Ergebnis ist: Ihr konservativer Kollege, der griechische Verteidigungsminister, hat gestern entschieden, die 60 Eurofighter, die Griechenland bestellt hat, abzubestellen. ({10}) Was Sie sagen, hat also Auswirkungen beispielsweise auf die Produktionsstätten des Eurofighters. Das nehmen Sie billigend in Kauf. Es wundert mich vor allem, dass die CSU-Leute, dass Sie, Herr Kollege Kalb, dabei überhaupt mitmachen: bei einem solchen Antrag, der Arbeitsplätze in Bayern gefährdet. ({11}) Ich weiß nicht, was der Herr Ministerpräsident über Ihre Tätigkeit hier in Berlin denkt, wenn Sie solche Dinge vernachlässigen. ({12}) Kollege Austermann hat noch ein Thema für sich entdeckt, das er immer wieder variiert: Er kommt mit einem uralten Rechnungshofbericht bezüglich der GEBB. ({13}) Gerade in seinem Heimatland - das hat er nicht gemerkt, weil er permanent über die GEBB in Berlin schimpfen muss - haben die GEBB, die Stadt Schleswig und das Land Schleswig-Holstein einen Vertrag zur Finanzierung einer Entwicklungsmaßnahme aus den vorhandenen Mitteln abgeschlossen. ({14}) Die Länder müssen dabei mitmachen. Es wird eine wunderbare Sache, die mustergültig für ganz Deutschland ist. Seien Sie doch froh, dass das in Ihrem Heimatland geschieht! Sie sehen, dass wir keinen Rachefeldzug gegen Schleswig-Holstein oder gar gegen Sie führen. Es tut mir Leid: Sie sind leider Gottes zu unwichtig, als dass man einen Rachefeldzug nur gegen Sie als Person führen würde. ({15}) Sofern die Länder und Gemeinden das wollen, arbeiten wir konstruktiv und kreativ mit ihnen zusammen. Dabei wird es auch bleiben. Daran wird sich in Zukunft nichts ändern. Sie haben freundlicherweise die Flexibilisierung angesprochen. ({16}) - Einen Satz noch, Herr Kollege Koppelin. - Das hätte uns im Einzelplan 14 die Kleinigkeit von 528 Millionen Euro gekostet. ({17}) Das heißt, Sie fordern uns wie beim Eurofighter dazu auf, Vertragsbruch zu begehen. ({18}) Wenn man die Dinge nicht abnimmt, die man vertraglich mit den Partnerländern vereinbart hat, dann gibt es Schadensersatzklagen; das haben wir alles diskutiert. Sie wollen wohl eine Schadensersatzklage provozieren, indem Sie solche Forderungen wie beim Eurofighter aufstellen. ({19}) Die von Ihnen vorgeschlagene Absenkung könnten Sie nur erreichen, wenn Sie Personal entlassen, und nicht dadurch, dass Sie es über einen längeren Zeitraum abbauen. Erklären Sie mir einmal, wie Sie bei Beamten und bei Angestellten im öffentlichen Dienst, die nach 15 Jahren unkündbar sind, zu Entlassungen kommen wollen! Auch hier wollen Sie uns also einen verfassungswidrigen Auftrag geben. Damit das vollkommen klar ist: Den lehnen wir ab. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Wagner, ich entnehme Ihren Worten, dass Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin zulassen wollen.

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Ja, natürlich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, ich höre ihrer Rede gerne zu.

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Das habe ich gewusst. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, natürlich, in alter Freundschaft zwischen uns beiden. Ich möchte aber einen anderen Punkt ansprechen, der mich ebenfalls erfreut und zu dem ich Ihre Meinung hören möchte. Können Sie verstehen, dass meine Freude sehr groß ist, dass sich der Verteidigungsminister auf seinen alten Platz als SPD-Fraktionsvorsitzender gesetzt hat, und dass er mir dort lieber ist als der jetzige Fraktionsvorsitzende der SPD? ({0})

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Das mag Ihre Ansicht sein. Ich bin froh, dass sich der Minister auf diesen Platz gesetzt hat, weil er mir von dort aus Beifall klatschen kann. Von der Regierungsbank aus könnte er das nicht; das ist der Unterschied. Dies freut mich daran. ({0}) Es gab natürlich auch noch die Empfehlung Ihres verhinderten Kanzlerkandidaten. ({1}) - Ja, der aus Bayern. ({2}) Andere Verhinderte gibt es ja erst in der Zukunft. Er hat gefordert, man müsse eine weitere Kürzung von pauschal 5 Prozent vornehmen. Er will also um weitere 1,2 Milliarden Euro kürzen. Jetzt frage ich Sie: Weshalb jammern Sie eigentlich über die Absenkung im Rahmen der Plafondierung? Da Herr Stoiber noch viel mehr will, als diese Regierung tut, müssten Sie eigentlich zuerst mit ihm darüber reden. Sie haben den Antrag nicht wiederholt, weil Sie ihn wahrscheinlich nicht für wichtig genug angesehen haben. Das hat aber mit Ihrer Einschätzung des Herrn Stoiber und nichts mit dem Haushalt zu tun. ({3}) - Einen solchen haben wir vorgelegt und ich bin auch froh darüber, dass dies geschehen ist. ({4}) Ein weiterer Punkt, den man ansprechen muss, ist das Anheben des Anteils der Investitionen. Meine Herren auf der rechten Seite des Hauses, wir haben von Ihnen eine katastrophale Investitionsrate im Einzelplan 14 übernommen. ({5}) Im Jahre 2005 werden wir wieder bei 25,4 Prozent liegen. Im Jahre 2008, in der 38. Finanzplanung, werden wir bei 29 Prozent liegen. Ich bin mir sicher, dass wir im Jahre 2010, wenn Peter Struck diese Reform abgeschlossen haben wird, bei einem Anteil der Investitionskosten in Höhe von 30 Prozent liegen werden. Das ist unser erklärtes Ziel und das werden wir auch gegen den von Ihnen eben erklärten Widerstand erreichen. ({6}) Wir haben diese Steigerung gegen Ihren Widerstand vorgenommen; denn schließlich haben Sie den Verteidigungshaushalt in jedem Jahr abgelehnt. Sie musste also gegen Ihren Widerstand durchgesetzt werden. Ich bin froh, dass das endlich gelungen ist. Ein abschließendes Wort noch zur Stationierung, da mir die Zeit wegläuft. ({7}) Herr Kollege Austermann, das Merkwürdige ist, dass bei der Bundeswehr auch eine ganze Menge Ein-Mann- bis Drei-Mann-Stützpunkte als Standorte vorgesehen ist. ({8}) Darüber jetzt eine Standortschließungsdiskussion zu führen, halte ich wirklich für abenteuerlich. Das muss man nicht tun. In der Klausurtagung des Kollegiums sind wir jeden einzelnen Standort durchgegangen. Ich kann Ihnen sagen, dass das eine mühselige Arbeit war, zumal wir alle regionalen Besonderheiten vorher von Ihnen freundlicherweise schriftlich erhalten hatten. Das mussten wir durch unsere Argumentation ja abwehren können. Wir sind in der Lage, zu jedem Standort eine ausreichende Begründung dafür zu liefern, warum wir die Schließung dieses Standortes vorgeschlagen haben. ({9}) Der letzte Punkt betrifft die Sicherheit der Gemeinden. Der Minister wird im März eine Konferenz der betroffenen Bürgermeister einberufen, um mit ihnen über diese Dinge zu reden. ({10}) - Im März wird die Feinausplanung der Schließungsabschnitte vermutlich vorliegen. Die Konferenz wird daher im Frühjahr stattfinden. Bei dieser Konferenz geht es darum, wie wir die Konversion bezahlen. Wir werden das Argument anführen, das vorhin schon genannt worden ist: 1993 haben die Länder zu Zwecken der Konversion 2 Prozent Umsatzsteuerpunkte mehr bekommen. Zwei der wenigen Länder, die sich an die Absprache gehalten haben, waren Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Das waren aber auch schon alle. Man hat in den anderen Ländern munter und fidel versucht, mit den Einnahmen die Landeshaushalte zu konsolidieren. Das ist die Wahrheit.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Wagner, bevor Ihre Redezeit völlig abgelaufen ist - eigentlich ist sie schon zu Ende -: Erlauben Sie dem Herrn Kollegen Schirmbeck eine Frage?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Herr Präsident, ich will Sie nicht kritisieren, aber ich habe noch 20 Sekunden Redezeit.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nein, Sie sind 20 Sekunden über Ihrer Redezeit. ({0}) Aber ich lasse die Frage noch zu.

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Ich auch.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Schirmbeck.

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, es ist Aufgabe der Bundesregierung, mit den Mitteln des Staates sparsam umzugehen. Jetzt haben Sie ein Standortkonzept vorgelegt, das uns nicht überzeugt. ({0}) Einer der betroffenen Standorte ist Fürstenau. Der Standort soll stillgelegt werden; einige Einheiten werden verlegt und andere ersatzlos aufgelöst. Auf dem 300 Hektar großen Bundeswehrgelände gibt es diverse Gebäude in hervorragendem Zustand, Stichwort: Kaserne 2000. Dort können zum Beispiel Panzer mit Regenwasser gewaschen werden. Außerdem wurden noch andere ökologische Konzepte umgesetzt. ({1}) Die Bundesregierung erklärte vor drei Wochen, dass der Standort geschlossen werden soll. Dienstag vor einer Woche kamen Dachdecker, um auf dem Fahrschulgebäude einer Einheit, die ebenfalls aufgelöst werden soll, ein neues Aluminiumdach anzubringen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Schirmbeck, bitte kommen Sie zu Ihrer Frage.

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Weiß die eine Hand nicht, was die andere tut? Ist das ein sparsamer Umgang mit Steuermitteln? Wie läuft das in Ihrem Haus?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Die Frage, ob die rechte Hand weiß, was die linke tut, kann ich mit Ja beantworten. Zudem muss ich sagen, dass Aufträge, die vergeben worden sind, ausgeführt werden müssen. Wir können es ja nicht durch das Dach hineinregnen lassen, weil wir den Standort irgendwann schließen. Dadurch würde das Gebäude an Wert verlieren; das kann keiner wollen. Wir wollen versuchen, einen möglichst hohen Preis zu erzielen. Sie dagegen haben einen Entschließungsantrag gestellt, dass wir möglichst alles kostenlos abgeben sollen. Wir aber wollen auch über die Konditionen reden können. Das ist unsere Überlegung. Natürlich sind in den letzten Jahren auch für die Unterbringung unserer Soldatinnen und Soldaten Investitionen notwendig gewesen. Wenn man eine Fürsorgepflicht hat, dann macht man das eben so. Deshalb bitte ich um Verständnis dafür, dass auch Standorte geschlossen werden, an denen vor kurzem noch Investitionen getätigt worden sind. Wir haben auf der Grundlage von Vorschlägen unter militär-funktionalen Gesichtspunkten zu entscheiden. Zudem haben wir betriebswirtschaftliche Überlegungen angestellt. Dadurch kamen die vorliegenden Standortentscheidungen zustande. Das ist auch in jedem Einzelfall zu begründen. ({0}) Herr Präsident das war es. Vielen Dank fürs Zuhören. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Bernd Siebert von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bernd Siebert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Wagner, Herr Fraktionsvorsitzender Struck, ({0}) Sie waren bei der Einbringung des Haushaltes 2005 noch stolz, darauf hinweisen zu können, dass sich der Verteidigungshaushalt auf 24,04 Milliarden Euro beläuft. Unser Kollege Arnold sprach sogar davon, dass in diesem Jahr im Verteidigungshaushalt 200 Millionen Euro mehr eingestellt worden seien. Noch viele solcher oder ähnlicher Äußerungen aus den Koalitionsfraktionen könnte ich zitieren; die politische Halbwertszeit all Ihrer Aussagen wird dabei leider immer kürzer. Zwischen dem, was der Verteidigungsminister zunächst vom Bundesfinanzminister an Mitteln für seinen Haushalt haben wollte und er eigentlich auch dringend braucht, und dem, was er letztendlich erhalten hat, liegen 328 Millionen Euro. Beim Finanzplan des Bundes wird bis zum Jahr 2008 etwa 1 Milliarde Euro gekürzt werden. Wir wissen alle, dass eigentlich das genaue Gegenteil notwendig wäre. Diese Form der Finanzpolitik hat für die Bundeswehr schwere Folgen. ({1}) Neuvorhaben im Bereich der militärischen Beschaffungen können nur noch durch haushaltspolitische Tricks begonnen werden. Dies beklagen Sie sogar selbst in Ihren eigenen Unterlagen, die Sie den Koalitionsfraktionen zur Beratung des Einzelplans 14 zur Verfügung gestellt haben. Leider müssen wir wieder feststellen, dass nicht fachliche und sachliche Notwendigkeiten für die Finanzausstattung des Bundesministers der Verteidigung maßgeblich sind, dass vielmehr der Etat nur die Handschrift des Bundesfinanzministers trägt, der eine reine buchhalterische Sparnotwendigkeit sieht. Herr Staatssekretär Wagner, Sie haben eben die falsche Gruppe angegriffen. Sie müssten wegen der Sparmaßnahmen, die ich hier vorgetragen habe und die der Finanzminister verordnet hat, den Finanzminister kritisieren und nicht uns. Diese Kritik war vollkommen unkorrekt. ({2}) Die Kollegin Leonhard - wir haben vorhin gehört, dass sie heute krank ist - hat am 8. September darauf hingewiesen, dass der Verteidigungsetat auch in diesem Jahr einen substanziellen Beitrag zur Konsolidierung des Bundeshaushalts leistet. Allerdings, so Leonhard, ist der Einsparungsbeitrag an der Grenze des Tolerierbaren. Das war eigentlich schon am 8. September der Offenbarungseid. Aber dann kam die globale Minderausgabe für das Jahr 2005. Wir wurden mit weiteren 250 Millionen Euro belastet und unterschreiten damit deutlich die 24-Milliarden-Euro-Grenze. Das ist eine Entwicklung, die Sie vor einem Jahr noch intensiv bestritten hätten. Aber es kommt noch dicker: Eine weitere globale Minderausgabe von zusätzlichen 250 Millionen Euro schwebt als Damoklesschwert über dem Verteidigungshaushalt 2005. ({3}) - Warten wir es ab. Die finanzielle Basis, auf der Ihre Reformen zur Weiterentwicklung der Bundeswehr erstellt wurden, war der vorgelegte Haushaltsentwurf. Wie Sie, Herr Minister Struck, diese Etatkürzung verkraften und gleichzeitig den laufenden und neuen Verpflichtungen nachkommen wollen, wissen nur die Götter. Von Ihnen habe ich hierzu bislang noch nichts Konkretes gehört. Die bisher vorhandenen Mittel reichen gerade einmal für das Allernötigste. Wir waren uns immer einig - das glaubten wir jedenfalls -, dass es das Ziel ist, eine Investitionsquote von 30 Prozent zu erreichen ({4}) und so die auftrags- und bedarfsgerechte Ausstattung unserer Soldaten zu gewährleisten. Dieses Ziel wird sicherlich nicht erreicht werden. Sie werden im Investitionsbereich wieder mit Kürzungen arbeiten müssen, Sie werden wieder strecken und zeitlich verschieben müssen. Da hilft das Wehklagen der Kollegin Leonhard in der „Welt“ vom 10. November gar nichts mehr. Ich zitiere, was dort über die Kollegin Leonhard gesagt wird: Die Einsparungen dürften auch nicht zu Lasten der Investitionen und des Personals gehen. „Sonst ist das Ende der Fahnenstange erreicht“, sagte Frau Leonhard der WELT. Herr Minister, Sie haben das Ende der Fahnenstange schon längst verlassen. Sie sind schon längst im Schwebezustand. Nun haben Sie als eine Maßnahme gegen die Finanznot zumindest für die nächsten Jahre der Bundeswehr eine neue Reform verordnet. Standorte werden geschlossen, es werden neue, deutlich verringerte Personalzielvorgaben gemacht. Nur noch 75 000 Zivilbeschäftigte und nur noch 252 500 Soldaten sollen als deutscher Beitrag für die Sicherheit Deutschlands und Europas ausreichen. Das, was in diesem Zusammenhang zum Heimatschutz zu sagen ist, haben meine Vorredner schon deutlich gemacht. So schnell wie möglich, wie Sie formulieren, sollen 105 Standorte der Bundeswehr geschlossen werden. Betriebsausgaben sollen gesenkt werden. Aber ohne Rücksicht auf die strukturschwachen Regionen zu nehmen, ist ein außerordentlich großer volkswirtschaftlicher Schaden angerichtet worden. Nun wird das Ziel angestrebt, durch die Senkung der Betriebsausgaben nach der Schließung der 105 Standorte Finanzmittel freizubekommen. Diese stehen aber durch die globale Minderausgabe schon längst nicht mehr zur Verfügung. Herr Minister, Sie haben mehrfach darauf hingewiesen, dass die Standortschließungen ohne Rücksicht auf die regionalen Gegebenheiten umgesetzt werden sollen. Mag sein, dass Sie sich nicht als Infrastrukturminister verstehen. Aber heißt das auch, dass sich die gesamte Bundesregierung nicht um diese Fragen zu kümmern braucht? ({5}) Wenn Sie nicht dafür zuständig sind, Herr Minister Struck, dann muss es der Bundeskanzler sein. Deshalb habe ich ihm einen entsprechenden Brief geschrieben und ihn an seine Zuständigkeit und seine Pflicht, zu helfen, erinnert. Herr Minister, die globale Minderausgabe bringt Ihren Haushalt ins Wanken. Das Reduzieren des Personals wird nicht die gewünschten Ergebnisse erzielen. Die von Ihnen geplanten Privatisierungserlöse werden sich wie in den vergangenen Jahren als Luftnummern erweisen. Das heißt, Sie müssen sich sicherlich schon jetzt Gedanken über die nächste Reform der Reform der Reform machen. In diesem Zustand befinden wir uns schon seit einigen Jahren. Ein großer Teil Ihrer Parteifreunde arbeitet bereits heute innerparteilich daran, eine Mehrheit für die Abschaffung der Wehrpflicht zu organisieren, lieber Johannes Kahrs. ({6}) Diese Entwicklung werden wir - vielleicht mit deiner Hilfe - nicht zulassen. ({7}) Wir halten die Wehrpflicht aus sicherheits- und gesellschaftspolitischen Gründen für notwendig, wie wir es kürzlich in der Debatte zu diesem Thema vorgetragen haben. Angesichts all dieser Entwicklungen in den vergangenen sechs Jahren muss ich den Eindruck gewinnen, dass Sie dabei sind, Ihre und die ideologische Zielsetzung der Grünen durch das Kaputtsparen der Bundeswehr umzusetzen. Diese Entwicklung erfolgt parallel zu einer Entwicklung in umgekehrter Richtung bei den Einsätzen der Bundeswehr im Ausland, die deutlich zunehmen. Wir werden in dieser Woche noch über einen weiteren Einsatz der Bundeswehr im Ausland zu entscheiden haben. Immer mehr Einsätze deutscher Soldaten weltweit und immer mehr sicherheitspolitische Zusagen an die EuroBernd Siebert päische Union, die NATO und die Vereinten Nationen das steht im krassen Widerspruch zu den von Ihnen zur Verfügung gestellten finanziellen Ressourcen. ({8}) Herr Minister, uns allen ist klar, dass in den letzten Jahren eine schwierige, eher krisenhafte Finanzlage entstanden ist. Dafür tragen Sie die Verantwortung. Uns ist auch klar, dass der Verteidigungsetat seinen Beitrag zur Konsolidierung der Staatsfinanzen beisteuern muss. Aber die Kürzungen müssen verantwortbar sein und es muss wieder eine Perspektive für den Verteidigungsetat gefunden werden, die unsere Sicherheitsinteressen widerspiegelt. Ich fürchte, dass die Bundeswehr mit Ihrem Zahlenwerk nicht zukunftsfähig ist, Herr Minister. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Einzelplan hat die Kollegin Ulrike Merten von der SPD das Wort. ({0})

Ulrike Merten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003192, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Naturgemäß sind Haushaltsdebatten, wenn sie gut laufen, die Stunde der Opposition. Das ist keine Frage. Wenn man aber aufmerksam zugehört und die Themen verfolgt hat, die von Herrn Austermann bis zu Herrn Siebert angesprochen worden sind, dann muss man sich wundern. Die Beiträge erinnern weniger an eine realistische Haushaltsdiskussion als an eine Märchenstunde und den Versuch, das, was im Transformationsprozess durch die Bundeswehr erfolgreich fortgesetzt werden soll, kleinzureden und in Misskredit zu bringen. ({0}) Ich bin dem Kollegen Nolting außerordentlich dankbar dafür, dass er in seinen Ausführungen den Kollegen Austermann darauf hingewiesen hat, dass sich das, was wir heute Morgen im Verteidigungsausschuss nach einer ausführlichen Information durch den Minister sehr ernsthaft diskutiert haben, in keiner Weise dazu eignet, in dieser Debatte instrumentalisiert zu werden. ({1}) Ich glaube, ich muss an dieser Stelle nicht noch einmal darauf hinweisen - das haben meine Vorredner bereits getan -, dass wir selbstverständlich mit großer Besorgnis auf das schauen, was vorgefallen ist. Wir haben allen Anlass, genau auf die Motive zu schauen, die jene bewogen haben könnten, so zu handeln. Wir müssen aber auch die Motive derer genau untersuchen, die ganz offensichtlich kein Gefühl dafür hatten, dass ihnen grobes Unrecht angetan worden ist. Das sind die Fragen, die uns bewegen. Eines sollten wir nicht tun: Wir sollten nicht die Bundeswehr generell unter einen Verdacht stellen. ({2}) Ich glaube, wir Verteidigungspolitiker tun gut daran, solche Vorwürfe zurückzuweisen. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Merten, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Ulrike Merten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003192, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Ich möchte jetzt keine Zwischenfrage zulassen, sondern meine Ausführungen fortsetzen. ({0}) Ich will auf einen weiteren Punkt eingehen, der hier immer wieder eine Rolle gespielt hat: die Wehrpflicht. Ich kann gut verstehen, dass man, wenn man die derzeitige Diskussion in meiner Partei verfolgt - auf die wir im Übrigen zu Recht stolz sein können, weil wir diese Frage nämlich wirklich offensiv aufnehmen und diskutieren -, den Versuch unternehmen könnte, der SPD respektive den Verteidigungspolitikern zu unterstellen, sie seien dabei, die Wehrpflicht infrage zu stellen. Das ist nicht so. ({1}) Wir halten die Wehrpflicht nach wie vor für die bessere und die modernere Wehrform, auch unter Berücksichtigung all der Fragen, die in dem Zusammenhang beantwortet werden müssen. Natürlich stellt sich die Frage nach der Wehrgerechtigkeit und nach der Ausbildung. Natürlich gehört die Frage, welchen Stellenwert Wehrpflichtige bei Auslandseinsätzen haben, ebenso dazu wie die Frage nach der Sinnhaftigkeit ihres Einsatzes nach ihrer Ausbildung. Diese Fragen werden wir in aller Ruhe in den nächsten Monaten miteinander diskutieren und beantworten. Ich will aber an dieser Stelle all jenen, die hier jetzt immer beklagen, das Konzept der so genannten Transformation - davon spricht Herr Austermann immer -, lasse die Erfordernisse der Verteidigung unseres eigenen Landes völlig außer Acht, sagen: Wahr ist doch, dass die Einsätze heute und in der Zukunft sehr wahrscheinlich Einsätze zur Krisenbewältigung und zum Konfliktmanagement sind und sein werden. Sich daran vorbei zu mogeln hieße, den Realitäten nicht ins Auge zu sehen. Auch Beiträge der Bundeswehr zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus gehören dazu. Auf diese Anforderungen richten wir Struktur, Organisation und Ausrüstung der Bundeswehr aus. Im Haushaltsentwurf 2005 werden die konzeptionellen und operativen Vorgaben im Transformationsprozess der Bundeswehr klar und deutlich abgebildet. Die Zeit, in der der Einzelplan 14 ein Brückenhaushalt war, ist endgültig vorbei und das ist gut so. ({2}) Wir setzen Prioritäten auf der Basis des finanziell Machbaren. Natürlich könnten wir auch ähnliche Luftnummern machen, wie wir sie noch aus Ihrer Regierungszeit kennen, ({3}) aber damit würden wir weder der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik unseres Landes noch den Soldatinnen und Soldaten dienen. Zu den aktuellen Schwerpunkten gehören eine solide Ausbildung und Einsatzbefähigung unserer Streitkräfte auf hohem Niveau sowie eine gute allgemeine Ausrüstung. Wer in diesem Zusammenhang immer darauf hinweist, das Material, das wir zur Verfügung stellen, sei alt und verbraucht, der muss sich wirklich noch einmal ein paar Jahre zurückerinnern und an das Geraffel denken, mit dem die Bundeswehr ausgerüstet war, als Sie die Verantwortung für diese Streitkräfte hatten. ({4}) Zu den Schwerpunkten gehören weiter zivilberuflich nutzbare Qualifikationen für unsere Frauen und Männer in den Streitkräften und eine einsatzfähige Technik. Alle im Gesamtspektrum denkbaren Waffen und Geräte zu beschaffen, ermöglicht dieser Haushalt nicht. Das wissen wir und das will auch ich überhaupt nicht leugnen; das hat im Übrigen niemand getan. Der vorliegende Haushalt schließt auch nicht alle Lücken zu den Fähigkeiten, zu denen wir uns in der NATO und in der EU verpflichtet haben. Aber er markiert einen wichtigen Meilenstein zur notwendigen Modernisierung der Streitkräfte. Wir haben heute Morgen im Verteidigungsausschuss darüber gesprochen und werden in dieser Woche auch hier im Bundestag noch darüber sprechen. Der Haushalt ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Modernisierung der Streitkräfte. Mit ihm können wir außerdem unsere laufenden multinationalen Einsätze finanzieren. Wir werden in Zukunft noch genauer darauf achten, ob das, was wir beschließen, verantwortbar ist. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, heute Morgen im Verteidigungsausschuss die Finanzierbarkeit eines denkbaren Einsatzes im Sudan nicht infrage gestellt haben. Ich möchte noch einen anderen Punkt aufgreifen. Angesichts der Tatsache, dass Sie zwar bei jeder Gelegenheit über den - angeblich - drastisch unterfinanzierten Verteidigungshaushalt lamentieren, dass Sie sich aber nicht scheuen, an der einen oder anderen Stelle Kürzungen zu fordern, frage ich mich, was Sie eigentlich wollen. Ich möchte nicht noch einmal die Vorschläge des bayerischen Ministerpräsidenten oder von Herrn Austermann, der glaubt, dass eine Kürzung sämtlicher Bundesausgaben um 3 statt um 5 Prozent ausreichend ist, als Beispiele bemühen. Herr Kollege Austermann, da Sie in Ihrer Rede unser Stationierungskonzept infrage gestellt haben, frage ich Sie, wie das alles, was Sie fordern, zusammenpassen soll. Auf der einen Seite wollen Sie, dass die Bundeswehr den Weg zu mehr Wirtschaftlichkeit einschlägt, um größere Spielräume für Investitionen zu bekommen, und dass sie als Arbeitgeber ihren Beschäftigten eine attraktive Besoldungsstruktur bietet. Auf der anderen Seite fordern Sie, an allen Standorten festzuhalten, und tun so, als ob die Entscheidungen im Zusammenhang mit unserem Stationierungskonzept nach dem Gusto von Duodezfürsten und nicht nach sachlichen Erwägungen getroffen worden wären. Dies ist einfach unseriös. ({5}) Bei aller Ernsthaftigkeit, die die Kolleginnen und Kollegen der Opposition durchaus an der einen oder anderen Stelle gezeigt haben, ist wieder deutlich geworden, dass Sie die Sicherheit unseres Landes allein über die Verteidigungsausgaben definieren. Angesichts unserer heutigen gesellschaftlichen Probleme - das zeigt doch die Diskussion über Hartz IV in den letzten Monaten ist Ihr Ansatz aus meiner Sicht völlig unrealistisch. Unser Verständnis von Sicherheit bindet auch die Aspekte von sozialer Zufriedenheit und Wirtschaftskraft ein. Das Gesamtwohl unseres Landes ist ein tragender Pfeiler unserer Interessen und somit der Sicherheit unseres Landes. Deshalb ist es unrealistisch, mehr Geld für die Verteidigung zu fordern, wenn man weiß, dass dies zu gravierenden Einschnitten in anderen gesellschafts- und sozialpolitischen Bereichen führen wird. Wir gehen einen anderen Weg. Wir nutzen die tatsächlich verfügbaren Haushaltsmittel für die Verteidigung zukunftsorientiert und aufgabenbezogen, und zwar für unsere Streitkräfte und die davon abhängige wehrtechnische Industrie. Es wird nur noch das beschafft, was die Bundeswehr tatsächlich braucht. In der Ausrüstungsplanung sind nur noch die Beschaffungsvorhaben, die auch realisiert werden. Dadurch bekommen wir mittelfristig Gestaltungsspielraum für neue Rüstungsvorhaben und Waffensysteme, die im Streitkräfteverbund notwendig sind. Mit dem Haushaltsentwurf 2005 für den Einzelplan 14 werden die konzeptionellen und operativen Vorgaben im Transformationsprozess klar und deutlich abgebildet. Der Einzelplan 14 ist zwar knapp bemessen, keine Frage. Er ermöglicht aber, die Bundeswehr mit dem auszustatten, was sie tatsächlich benötigt. Er bietet eine solide Basis, um die Transformation fortzusetzen, und Deutschland die Möglichkeit, weiterhin als verlässlicher Partner in der internationalen Gemeinschaft anerkannt zu werden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Dietrich Austermann.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verstehe, dass man angesichts der Verteidigungspolitik, die Rot-Grün macht, einen Baum sucht, an dem man sich reiben kann, und immer wieder deutlich machen will, dass Positionen vertreten werden - der Verteidigungsminister läuft schon wieder in der Gegend herum -, die mit der Realität angeblich nichts zu tun haben. Erstens. Ich habe den Vorgang in Coesfeld nicht als symptomatisch für die Situation in der Bundeswehr dargestellt. Ich habe mich zu diesem Thema inhaltlich überhaupt nicht geäußert. Ich habe beklagt, dass der Verteidigungsminister hier - wie bei vielen anderen Punkten nicht bereit und in der Lage ist, das Parlament an Entscheidungen zu beteiligen und es zu informieren. Dieser Vorfall hat sich im Sommer zugetragen und wurde vor wenigen Tagen über die Illustrierten bekannt. Diese Methode ist nicht geeignet, um das Parlament zu informieren. So geht man mit dem Parlament nicht um. Das war der einzige Vorwurf, den ich gemacht habe. ({0}) Zweitens. Es ist über die Frage gesprochen worden, wer es mit der Bundeswehr mehr und wer es mit ihr weniger gut meint. Unsere Kürzungsvorschläge haben sich zum Teil auf einen Bereich bezogen, in dem die Leistung von der Industrie einfach nicht erbracht wird. Es macht keinen Sinn, Geld für den Eurofighter bereitzustellen, wenn die Flugzeuge nicht rechtzeitig geliefert werden. Das gilt für den NH 90 und für vieles andere. ({1}) - Man kann an dieser Stelle die Ausgaben kürzen. Wir haben vorgeschlagen, dafür an anderer Stelle, bei Forschung und Entwicklung, mehr Geld bereitzustellen. Drittens. Frau Kollegin Merten, Sie haben das Stationierungskonzept angesprochen. Wenn das von Herrn Struck vorgestellte Konzept ({2}) umgesetzt wird, müssen 30 000 Soldaten umziehen. Das ist ohne Geld nicht zu machen. Das bedeutet, dass an vielen Standorten zusätzlich Geld investiert werden muss, um sie erst einmal herzurichten, damit die künftige Aufgabe wahrgenommen werden kann. Den Eindruck zu vermitteln, das Ganze trage sich von selbst und stehe mit der Finanzplanung im Einklang, ist völliger Unfug. Mein letzter Punkt. Wer meint es denn nun wirklich gut? ({3}) Unsere Vorschläge sehen Kürzungen in einer Größenordnung von netto weniger als einer viertel Milliarde Euro vor. Die jetzt vorliegende Finanzplanung unterscheidet sich von den Versprechungen des bisherigen, also des 37. Finanzplans um 1 Milliarde Euro jährlich. Das heißt, Sie nehmen der Bundeswehr jährlich 1 Milliarde Euro weg. ({4}) Dennoch zeigen Sie mit dem Finger auf andere und werfen ihnen vor, dass sie es mit der Bundeswehr nicht gut meinen. Dieser Versuch ist völlig in die Hose gegangen. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer weiteren Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Jürgen Koppelin. Frau Merten kann im Anschluss im Zusammenhang antworten. Herr Koppelin, bitte schön.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Die Darstellung der Kollegin Merten über den Verteidigungsetat in der Zeit der CDU/CSUFDP-Koalition muss ich zurückweisen. Frau Kollegin, ich habe den Eindruck, Ihnen fehlen die Kenntnisse. Was Sie gesagt haben, kann ich so nicht stehen lassen. Ich darf Sie daran erinnern - das können Sie in den Protokollen nachlesen -, dass Ihre Fraktion, als sie in der Opposition war, bei den Haushaltsberatungen so viele Anträge auf Kürzung des Verteidigungsetats gestellt hat, dass sich die Verteidigungspolitiker der SPD geweigert haben, an der Abstimmung über den Verteidigungsetat teilzunehmen. ({0}) Das ist die Wahrheit. Schauen Sie sich die Anträge an, die Sie damals gestellt haben! Von den Grünen will ich überhaupt nicht reden. Sie wollten die ganze Bundeswehr abschaffen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung hat Frau Merten das Wort.

Ulrike Merten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003192, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will dem Kollegen Koppelin zuerst antworten. Herr Kollege Koppelin, ich kann gut verstehen, dass Sie nicht an eine Situation erinnert werden möchten, die Sie gerne vergessen machen wollen. Ich habe mich im Zusammenhang mit Ihrer ständigen Anklage, wir seien nicht in der Lage, die Bundeswehr angemessen und mit dem notwendigen Gerät auszustatten, geäußert. Ich habe Sie in diesem Kontext an das erinnert, was wir in diesem Zeitraum angeschafft haben, wie wir die Bundeswehr ausgestattet haben und wie es zu Ihrer Zeit gewesen ist. Herr Kollege Austermann, ich wiederhole, was ich gesagt habe: Sie versuchen jetzt, es so darzustellen, als habe uns der Minister im Zusammenhang mit Coesfeld nicht zeitnah und hinreichend informiert. ({0}) Dazu will ich Ihnen Folgendes sagen: Wenn das so war, dann muss ich heute Morgen in einer ganz falschen Vorstellung gewesen sein. ({1}) Ich hatte heute Morgen den Eindruck, dass die Kollegen und Kolleginnen des Verteidigungsausschusses das Gefühl hatten, vom Verteidigungsminister angemessen und rechtzeitig - so gehört es sich und so können wir es erwarten - informiert worden zu sein. ({2}) Was den letzten Punkt, den sie angesprochen haben, angeht: Der Kollege Kahrs hat mit der ihm eigenen Ausführlichkeit und Sachlichkeit die Zahlen genannt, um die es hier de facto geht. Er hat genau dieses Gespinst von Fantasie und Wunschdenken, was es letztlich ist, auseinander genommen. Da gibt es nichts hinzuzufügen. Insofern handelt es sich jetzt eher um eine Verlängerung der Debatte. Wir tun vielleicht gut daran, sie an dieser Stelle zu beenden. Dann machen wir uns auch bei den Kollegen und Kolleginnen beliebt, die noch nach uns reden. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14 - Bundesministerium der Verteidigung - in der Ausschussfassung. Hierzu liegen drei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/4344? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/4345? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion sowie der beiden fraktionslosen Abgeordneten abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau auf Drucksache l5/4346? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen gegen die Stimmen der Antragstellerinnen abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 14 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 14 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP sowie der beiden fraktionslosen Abgeordneten angenommen. Tagesordnungspunkt I.16 a: Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Durchsetzung der Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr auf Drucksache 15/3918. Der Verteidigungsausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4255, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSUFraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen. Tagesordnungspunkt I.16 b: Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses auf Drucksache 15/4255. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/3717 mit dem Titel „Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsdurchsetzungsgesetz zügig umsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSUund FDP-Fraktion angenommen. Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/3049 mit dem Titel „Frauen und Familien in der Bundeswehr stärken und fördern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU- und FDP-Fraktion angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/3960 mit dem Titel „Bundeswehr stärken - Beschäftigungsbedingungen für Soldatinnen und Soldaten verbessern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU-Fraktion gegen die Stimmen der FDPFraktion angenommen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.17 auf: Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - Drucksachen 15/4318, 15/4323 Berichterstattung: Abgeordnete Brigitte Schulte ({0}) Alexander Bonde Über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Drucksache 15/4340, der sich auch auf den Einzelplan 23 bezieht, ist bereits bei Einzelplan 08 abgestimmt worden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Jochen Borchert von der CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten in dieser Woche in zweiter und dritter Lesung einen Haushalt, von dem jeder weiß, dass er unsolide ist, ({0}) auf der Einnahmen- wie auf der Ausgabenseite auf unrealistischen Annahmen aufbaut und Risiken in Höhe von mehreren Milliarden Euro enthält. Meine Damen und Herren, so habe ich vor einem Jahr meine Haushaltsrede zum Einzelplan 23 begonnen. Ich muss heute leider feststellen, dass sich an der katastrophalen Haushaltspolitik der Bundesregierung nichts, aber auch gar nichts geändert hat. ({1}) - Dies kann ich nur unterstützen. - Die Aufnahme weiterer Schulden und der Verkauf des letzten Tafelsilbers stellen keine strukturellen Änderungen in der Haushaltspolitik dar, sondern sind ein Armutszeugnis und ein Beleg für die Einfallslosigkeit dieser Bundesregierung. ({2}) Es kann und darf nicht sein, dass auf dem Rücken der nächsten Generationen leichtfertig Politik gemacht wird, so nach dem Motto: Heute wird die Bilanz schöngeredet und morgen müssen die Nächsten sehen, wie sie damit zurechtkommen. Meine Damen und Herren, ein entwicklungspolitisches Mittel ist der Erlass von Schulden, weil wir wissen, dass diese eine der größten Bremsen für die wirtschaftliche Entwicklung von Ländern darstellen. Die Überlegung, Schulden abzubauen, um wieder Freiräume für Gestaltungsmöglichkeiten zu schaffen, ist nicht nur in Bezug auf Entwicklungsländer richtig, sondern gilt auch für entwickelte Industrieländer. Unter der rot-grünen Bundesregierung explodieren die Schulden in Deutschland jedoch weiter. ({3}) Es ist einfach unverantwortlich, wie hier mit der Zukunft nachfolgender Generationen umgegangen wird. Ich will hier nicht alle Versäumnisse und Missstände des Gesamthaushaltes aufzeigen, aber sie haben einen erheblichen Einfluss auf den Einzelplan des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, den wir jetzt beraten. Auf den ersten Blick könnte man den Eindruck gewinnen, dass beim Einzelplan 23 eine Verbesserung gegenüber dem letzten Jahr eingetreten ist. Bei genauerem Hinsehen werden aber die Mängel offensichtlich: Sowohl die globale Minderausgabe als auch die Mittelverwendung durch das Auswärtige Amt verringern das verfügbare Mittelvolumen für das BMZ. ({4}) Dabei handelt es sich möglicherweise, Frau Kollegin, um immerhin knapp 160 Millionen Euro; diese Tatsache wird auch durch Zwischenrufe nicht besser. ({5}) Dies ist ja nicht gerade wenig Geld für einen so kleinen Etat. Wenn man diese Abzüge berücksichtigt, erscheint die Erhöhung des Etats für das Jahr 2005 um 76 Millionen Euro in einem anderen Licht. Ich gebe gerne zu: Ohne den engagierten Einsatz der Frau Kollegin Schulte bei den Beratungen der Koalition wäre die Situation im Einzelplan 23 noch dramatischer. ({6}) Frau Ministerin, Sie haben sich bei den Haushaltsberatungen im Kabinett nicht durchsetzen können und in der ersten Lesung einen Haushaltsentwurf eingebracht, der exakt dem Haushalt von 2004 entsprach. Das heißt, Sie haben für 2005 keinerlei Verbesserungen erreicht. Ohne den Einsatz der Haushälter läge der Etat 2005 unter Berücksichtigung der globalen Minderausgaben um rund 50 Millionen Euro unter dem Soll von 2004. ({7}) - Das war aber auch die einzige Tat, die die Koalition im Haushaltsausschuss vollbracht hat. - Bei den Beratungen im Haushaltsausschuss hat die Koalition dann aber leider nicht die Kraft gehabt, die globale Minderausgabe auf einzelne Titel aufzuteilen. Dies soll nun durch das Ministerium erfolgen. Durch die Umsetzung dieser globalen Minderausgabe gerät das Verhältnis von bilateraler und multilateraler Entwicklungszusammenarbeit immer mehr in eine Schieflage zugunsten der multilateralen EZ. Daran werden auch die punktuellen Erhöhungen dieses Haushalts nichts ändern. Die rein optische Erhöhung des Etats ist keine strukturelle Verbesserung, geschweige denn ein Hoffnungsschimmer für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit. Strukturell werden in diesem Etat keine Verbesserungen vorgenommen. Erst eine Erhöhung der Verpflichtungsermächtigungen würde eine strukturelle Veränderung bedeuten und in der Entwicklungspolitik, vor allem im bilateralen Bereich, zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen. Sehr geehrte Frau Ministerin, in der Öffentlichkeit lassen Sie sich dafür loben, dass das Volumen des entwicklungspolitischen Haushalts um 2 Prozent gestiegen ist. In Wahrheit aber lassen Sie sich diese Steigerung über die Erwirtschaftung der globalen Minderausgabe ganz oder teilweise wieder abnehmen. ({8}) Mit der Verabschiedung des Haushalts bleibt ungewiss, über wie viel Mittel Sie tatsächlich verfügen können. Diese Politik der ungeklärten Haushaltsansätze - niemand weiß, in welcher Größe hier noch globale Minderausgaben umgesetzt werden müssen - ist eine Zumutung für die Öffentlichkeit, das Parlament, die Durchführungsorganisationen und vor allem die Entwicklungsländer. Nicht nur, dass der Etat den gestiegenen Anforderungen nicht angepasst wird, nein, wir verlagern unsere Mittel auch immer mehr in den multilateralen Bereich. Sie kürzen in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit mit dem Hinweis, dass in der multilateralen EZ die Zahlungsverpflichtungen vertraglich festgelegt seien. Aber Sie wollen dies auch gar nicht ändern; denn gleichzeitig beschließen Sie mit dem Haushalt 2005 neue Zahlungsverpflichtungen für die multilaterale EZ und schaffen so die Begründung für erneute Kürzungen bei der bilateralen Zusammenarbeit in den nächsten Jahren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Borchert, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hoppe?

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gern.

Thilo Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003558, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Borchert, ich frage Sie, warum Sie nicht anerkennen können, dass es einen tatsächlichen Aufwuchs der Mittel für den Einzelplan 23 gibt. Natürlich schlägt die globale Minderausgabe zu Buche; aber selbst wenn man sie abzieht, bleibt unter dem Strich ein Saldo von 38 Millionen Euro, die zusätzlich in die Entwicklungszusammenarbeit fließen. Auch ich habe von der Koalitionsseite aus in der letzten Debatte Kritik an den zu geringen Ansätzen im Haushalt geübt, aber jetzt gibt es einen tatsächlichen Aufwuchs um 38 Millionen Euro. Es stünde der Opposition gut an, dies anzuerkennen.

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich würde das gern anerkennen, wenn es zuträfe. Die globale Minderausgabe von 1,1 Milliarden Euro im Gesamthaushalt ist noch nicht auf die einzelnen Etats verteilt. Wenn diese 1,1 Milliarden Euro globale Minderausgabe nach dem gleichen Schlüssel verteilt werden, nach dem die 900 Millionen Euro auf die Einzeletats verteilt worden sind ({0}) - natürlich! -, dann ist am Ende das verfügbare Soll des Einzelplans niedriger als im Jahre 2004. Ich weiß, dass die Koalition die Hoffnung hat, dass der Einzelplan 23 von der Verteilung der 1,1 Milliarden Euro ausmachenden globalen Minderausgabe nicht betroffen wird. Ob diese Hoffnung zutrifft, steht in den Sternen. Es muss zumindest kritisiert werden, dass hier ein Etat vorgelegt wird, bei dessen Verabschiedung wir nicht wissen, wie hoch die Mittel sein werden, die dem Ministerium am Ende wirklich zur Verfügung stehen. Da lösen sich Ihre 38 Millionen Euro wahrscheinlich in Luft auf.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Borchert, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar des Kollegen Koppelin?

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Es droht noch eine dritte Zwischenfrage. Ich mache nur darauf aufmerksam.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Borchert, Sie sind, da wir hier über eine Erhöhung von 38 Millionen Euro gesprochen haben, sicher in der Lage, das Haus darüber zu informieren, wie das mit diesem Etat war. Können Sie berichten, vor allem in Richtung der Grünen, wie das Auswärtige Amt beim Einzelplan 23 abkassiert hat, ohne dass die für Entwicklungshilfe zuständige Ministerin darauf Einfluss nehmen konnte, sodass am Ende weniger herauskam, als wir vorgesehen hatten?

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nach der Verabschiedung des Haushaltes für das Jahr 2004 ist auf den Einzelplan 23 noch die globale Minderausgabe umgelegt worden. Diese Kürzung betrug 38 Millionen Euro. Außerdem flossen aus diesem Einzelplan noch 80 Millionen Euro für das Auswärtige Amt ab. ({0}) In diesem Jahr droht eine weitere Kürzung aufgrund der noch offenen globalen Minderausgabe in Höhe von 1,1 Milliarden Euro. Außerdem fließen 70 Millionen Euro an das Auswärtige Amt ab. Am Ende fällt also die Bilanz, was die verfügbaren Mittel anbelangt, für das Ministerium insgesamt sehr negativ aus. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Borchert, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Diller?

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gern.

Karl Diller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000391, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Borchert, als altgedienter Haushälter müssten Sie eigentlich wissen, wie eine unspezifizierte globale Minderausgabe im Einzelplan 60 erwirtschaftet wird, nämlich in ganz wesentlichen Bereichen durch eine vorsichtige Veranschlagung von Mitteln, die dann nicht in Anspruch genommen werden müssen, durch Einsparungen bei Zinsen und Gewährleistungen etc. pp. Sie wird also nicht auf die Häuser umgelegt. Wären wir Ihren Anträgen gefolgt, in den einzelnen Titeln Kürzungen bei Zinsen und Gewährleistungen in Höhe von Hunderten von Millionen Euro durchzuführen, hätten wir diese Reserve überhaupt nicht mehr gehabt. Dann wäre der Fall eingetreten, den Sie jetzt befürchten, nämlich dass die Ressorts die globale Minderausgabe allein hätten erwirtschaften müssen. Es zeigt sich also: Ihr Vorschlag wäre der falsche gewesen. Unser Vorschlag ist der richtige. ({0})

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Diller, ich freue mich, dass Sie zur globalen Minderausgabe fragen. Ich kann mich noch an den damaligen haushaltspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion erinnern, ({0}) der im Parlament immer davon gesprochen hat, es sei eine unglaubliche Schwäche der Regierung und Koalitionsfraktionen, dass sie nicht in der Lage seien, die globale Minderausgabe auf Einzeltitel umzulegen. Wenn wir damals mit einer globalen Minderausgabe in Höhe von 1,1 Milliarden Euro - das entspricht 2,2 Milliarden DM - im Einzelplan 60 im Parlament angetreten wären, hätten Sie aufgeschrien, Herr Diller. ({1}) Daran möchte ich Sie heute gerne messen. Zu einer weiteren Aussage von Ihnen: Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie auch im Vorjahr gesagt, dass die globale Minderausgabe im Einzelplan 60 erwirtschaftet wird. ({2}) Sie ist aber nach der Verabschiedung des Haushalts auf die Einzelpläne umgelegt worden und hat, wie schon gesagt, den Einzelplan 23 in einer Größenordnung von 38 Millionen getroffen. ({3}) An Ihre Aussage, dass der Betrag von 1,1 Milliarden Euro im Einzelplan 60 erwirtschaftet wird, ohne dass die Einzelpläne betroffen sind, werde ich Sie im Laufe des Vollzugs dieses Haushaltes erinnern. Ich glaube nicht daran, dass es so sein wird, wie Sie gesagt haben. ({4}) Herr Diller, wenn Sie die globale Minderausgabe im Einzelplan 60 so locker erwirtschaften, dann wundere ich mich, warum Sie nicht von vornherein die einzelnen Titel um diesen Betrag gekürzt und auf die globale Minderausgabe verzichtet haben. ({5}) Wer in der Politik gestalten will, der muss dies zukunftsgerichtet tun. Im Haushalt ermöglichen die Verpflichtungsermächtigungen einen Blick auf die zukünftige Gestaltung des Haushaltes. Es ist festzustellen, dass es hier keine strukturellen Veränderungen gibt: weder richtungweisende Erhöhungen noch richtungweisende Kürzungen. ({6}) Ich denke, dieser Haushalt ist ein Haushalt der Einfallslosigkeit. Hier gibt es weder Visionen noch den Mut, die bewährte deutsche Entwicklungszusammenarbeit zu stärken. Diese Einfallslosigkeit spiegelt sich in allen Positionen dieses Haushalts wider. Vorausschauend, effizient, nachhaltig - so sollte die entwicklungspolitische Zusammenarbeit aussehen. Die deutsche entwicklungspolitische Zusammenarbeit wird aber immer mehr zu einem unbeweglichen Konstrukt ohne Visionen. Ein erschreckendes Beispiel für die mangelnde Flexibilität und Koordination ist das Reagieren auf die Heuschreckenplage in Afrika. Fachleute haben frühzeitig vor der Gefahr großer Heuschreckenschwärme gewarnt und ein sofortiges Eingreifen gefordert. Mit nur einem Bruchteil der jetzt notwendigen Mittel hätte durch frühzeitige Schädlingsbekämpfung das Desaster verhindert werden können. Die Folgen dieser Naturkatastrophe sind schon jetzt schlimmer als alle Kriege in Afrika zusammen. Ein Ende ist noch nicht in Sicht. Was noch im Herbst letzten Jahres mit wenigen Millionen hätte verhindert werden können, wird jetzt zu einer Katastrophe. Die Bekämpfung der Schädlinge zum jetzigen Zeitpunkt ist schwierig und kostenintensiv. Die Folgen der Ernteausfälle sind noch nicht abschätzbar. Auf den Hilferuf der Welternährungsorganisation haben die Geberländer viel zu spät reagiert. Die Notwendigkeit, sich an internationalen Gebergemeinschaften zu beteiligen, will ich hier nicht in Zweifel ziehen. Allerdings müssen die wenigen Mittel, die uns zur Verfügung stehen, sinnvoll eingesetzt werden - mit dem Ziel einer nachhaltigen Hilfe für die Entwicklungsländer. Hier hätte man sehr viel früher in Afrika helfen können, als es jetzt mit vielen Mitteln erforderlich ist. Entscheidend sind beim Einsatz die Wirksamkeit und die Effizienz des Mitteleinsatzes. Dies muss bedeuten: keine weitere Kürzung der bilateralen Hilfe - weder verdeckt noch offen. Ich will noch auf die Entwicklung der ODA-Quote eingehen. Für das Jahr 2003 liegen wir bei geschätzt 0,28 Prozent. Das ist nun wahrlich kein großer Sprung nach vorn. Auch die Zahlen für 2000 und 2001 waren auf 0,28 Prozent geschätzt worden. Die offizielle OECD-Statistik weist jetzt nur noch 0,27 Prozent aus. Ihr Ziel, Frau Ministerin, bis zum Jahr 2006 eine ODA-Quote von 0,33 Prozent zu erreichen, ist angesichts der Haushaltssituation nur noch ein Wunschtraum. Die für dieses Ziel notwendige Mittelerhöhung im Einzelplan 23 werden Sie im Haushalt 2006 nicht erreichen. Die dafür erforderliche Aufstockung im Haushalt 2006 ist nur dann möglich, wenn noch mehr Einmaleinnahmen als 2005 eingeplant werden. Aber so viel Tafelsilber steht der Bundesregierung für 2006 nicht mehr zur Verfügung. Der Verkauf von weiteren Forderungen zulasten der nächsten Generation wäre in der dafür erforderlichen Größenordnung nicht zu realisieren. Natürlich werden Sie versuchen, die ODA-Quote durch einen steigenden Schuldenerlass auf dem derzeit immer noch viel zu niedrigen Niveau zu stabilisieren. Mehr als eine Stabilisierung der ODA-Quote werden Sie auch über einen steigenden Schuldenerlass nicht erreichen. Wir unterstützen die Politik des Schuldenerlasses auf der Grundlage verbindlicher Verpflichtungen der Entwicklungsländer, die damit gewonnenen Finanzierungsspielräume für eine aktive Armutsbekämpfung zu nutzen. Dies ersetzt aber nicht die derzeit rückläufigen Barmittel in der Entwicklungshilfe. So richtig und so notwendig der jetzt vereinbarte Schuldenerlass für den Irak auch ist, Sie helfen damit nicht den Entwicklungsländern, da Sie die für deren Unterstützung vorgesehenen Mittelansätze im Haushalt kürzen oder ganz streichen müssen. Der Schuldenerlass kann die finanzielle Förderung der Entwicklungsländer sinnvoll unterstützen. Er darf aber nicht an die Stelle einer dringend notwendigen Finanzierung von gemeinsamen Projekten treten. Frau Ministerin, 1999 haben Sie vollmundig erklärt - ich zitiere -: Mit dem jetzt vorgelegten Bundeshaushalt haben wir den Abwärtstrend des Entwicklungshaushaltes gestoppt und die Grundlage für eine Aufwärtsentwicklung geschaffen. Was ist aus der angekündigten Trendwende in der Entwicklungspolitik geworden? Bis heute ist keine Trendwende erkennbar. Das machen die folgenden Zahlen deutlich: 1998, im letzten Jahr der Bundesregierung unter Helmut Kohl, wurden für die Entwicklungspolitik noch 4,05 Milliarden Euro ausgegeben. Im Jahr 2005 sollen es nur noch 3,86 Milliarden Euro sein. Davon können Sie die globale Minderausgabe und die 70 Millionen Euro abziehen, die an das Auswärtige Amt gehen. Sie liegen dann voraussichtlich nur noch bei knapp 3,7 Milliarden Euro und werden somit 350 Millionen Euro weniger zur Verfügung haben als 1998. ({7}) Dies ist die Trendwende. Auch für Sie, Frau Ministerin, gilt: Nicht an Ihren Reden, sondern an Ihren Taten, an der Entwicklung des Haushalts werden Sie gemessen. Das Ergebnis ist für Sie niederschmetternd. ({8}) Aber nicht nur in absoluten Zahlen schrumpft der Haushalt seit sieben Jahren; auch der Anteil am Gesamthaushalt ist weiter rückläufig. Diese rot-grüne Koalition stellt Jahr für Jahr einen immer geringeren Anteil am Bundeshaushalt für die Entwicklungsländer bereit. Die Entwicklungspolitiker, die Durchführungsorganisationen und die Entwicklungsländer träumen doch heute von der Bedeutung und der Mittelausstattung, die der Einzelplan 23 noch 1998 hatte. ({9}) - Aber natürlich, Brigitte! Damals betrug der Anteil am Gesamthaushalt 1,7 Prozent; heute sind es noch 1,46 Prozent. Bei einem Anteil von 1,7 Prozent des Einzelplans 23 am Gesamthaushalt stünden heute 623 Millionen Euro mehr zur Verfügung, als heute tatsächlich in den Haushalt eingestellt sind. ({10}) Trotz schöner Reden, vor allem auf internationalen Konferenzen: Die Entwicklungshilfe verliert in dieser Koalition, in dieser Bundesregierung immer mehr an Bedeutung. Die Entwicklungshilfe wird zur Manövriermasse einer gescheiterten Haushaltspolitik. Dieser Haushalt ist ein Dokument der gescheiterten rot-grünen Finanzpolitik und Entwicklungspolitik. Deshalb lehnen wir diesen Haushalt ab. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Brigitte Schulte, SPDFraktion.

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Borchert, ich bezweifle nicht, dass wir uns in einer Zeit mit schwierigen Haushaltsfragen befinden. Ich stelle mir manchmal vor, Sie wären an unserer Stelle. ({0}) Ich bin ziemlich überzeugt, dass die Bilanz kaum besser ausfallen würde als die, die wir nun mit einer großen Brigitte Schulte ({1}) Kraftanstrengung erreicht haben. Eines können Sie leider nicht leugnen: Der Entwicklungsetat stellt trotz schwieriger Haushaltslage einen Lichtblick dar. ({2}) Darauf sind wir stolz. Es ist den Koalitionspartnern gelungen - das haben Sie freundlicherweise gesagt -, die personellen und finanziellen Ressourcen für 2005 zu verbessern. Ich freue mich sehr, dass ich mit dem Kollegen Bonde und mit den Kollegen im Fachausschuss - ich schaue dabei Frau Kortmann und Herrn Hoppe an - ganz leidenschaftliche Mitkämpfer hatte. ({3}) Ich gebe zu, dass wir für die Erreichung dieses Ziels gebissen und gekratzt haben. Denn, Herr Borchert, ich stimme Ihnen zu: Wir sind verpflichtet, die wachsenden internationalen Aufgaben zu bewältigen. Sie waren es - es ist interessant, dass Sie das heute vergessen haben -, die am 29. Januar 2003 im Haushaltsausschuss den Vorschlag gemacht haben, den Bundesrechnungshof zu beauftragen, zu prüfen, wie die Ressortabstimmung in den Arbeitsbereichen mit entwicklungspolitischen Bezügen erfolgt. Wir haben ihn dann zweimal mahnen müssen; aber am 28. August 2004 - man höre und staune -, nach anderthalb Jahren, bestätigte er tatsächlich in einem umfangreichen Gutachten, dass die Abstimmung unter dieser Regierung weitgehend reibungslos verläuft. Nach seinen Recherchen - die Untersuchung bezog sich auf das Jahr 2002 - entfielen von den im Bundeshaushalt veranschlagten 4,7 Milliarden Euro, die auf die ODAQuote angerechnet werden - Sie wissen genau, dass sie nicht nur den jeweiligen Etatansatz umfasst -, 78 Prozent auf das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, 18 Prozent auf das Auswärtige Amt und 3 Prozent auf Beitragsleistungen anderer Ressorts, unter anderem des Finanzministeriums. Lediglich 1 Prozent betraf Vorhaben anderer Ressorts für die bilaterale Zusammenarbeit. Das ist ein gutes Ergebnis. Wir unterstützen deshalb die Empfehlung des Bundesrechnungshofes, die Länderprogrammplanungen der verschiedenen Ressorts unter der Federführung des BMZ zu bündeln, ohne - das sage ich ausdrücklich - die Kompetenzen des Auswärtigen Amtes zu missachten. Wir waren mit dem Rechnungshof der Meinung, dass das BMZ - übrigens auch der Fachausschuss - in allen für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit bedeutsamen Bereichen Zugang zur Berichterstattung der Auslandsvertretungen erhalten soll. Um dies zu fördern, haben wir - auch das haben Sie freundschaftlich verschwiegen - dem BMZ mit diesem Haushalt Mittel für zusätzliches Personal beschafft, damit mehr Mitarbeiter des BMZ in den Auslandsvertretungen eingesetzt werden können. Ich bezweifle überhaupt nicht, dass wir im Parlament über Jahrzehnte hinweg und egal, wer gerade regiert hat - ob nun die SPD mit der FDP, ob die SPD mit der CDU, ob Sie ohne uns oder wir jetzt mit den Grünen -, einen guten Stil der wirtschaftlichen Entwicklung entwickelt haben, und zwar auch dank der Haushälter; das muss ich hier ausdrücklich sagen. Dies ist möglich, weil wir Markenzeichen haben, die andere nicht besitzen: Das ist die vom Haushaltsausschuss initiierte und durchgesetzte Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit. Die haben nicht viele. ({4}) Das ist die Arbeit, auch darauf sollten wir gemeinsam stolz sein, der politischen Stiftungen - auch diese haben nicht viele -, die helfen, Pluralität in den Entwicklungsländern zu schaffen. Und das ist die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die man hierbei nicht vergessen darf. Das sind Markenzeichen deutscher Entwicklungspolitik. Zur Bewältigung internationaler Krisen und bei der Bekämpfung globaler Seuchen - Sie haben völlig zu Recht auf die katastrophale Situation in Afrika hingewiesen; die Heuschreckenplage ist ja inzwischen in Ägypten angekommen - müssen die Länder besser multilateral zusammenarbeiten. Deswegen, Frau Ministerin, sind wir als Haushälter so skeptisch, was die globale und multilaterale Arbeit betrifft. Ich habe das Gefühl - das hatte ich auch schon früher in meiner anderen Funktion -, dass alle im Grunde alles machen wollen. Die Gefahr besteht, dass es nicht genügend koordiniert wird. Sie haben sich auf unseren Wunsch hin intensiv dafür eingesetzt. Dennoch bleibe ich dabei: Wenn man auf den Balkan, Afghanistan oder Palästina blickt, dann sieht man, dass zu viele internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen dort arbeiten. Es kommt zu einem Nebeneinander und Gegeneinander mit unterschiedlichen Kompetenzen. Daher möchte ich, dass wir unsere sehr guten Instrumente stärker und engagierter einbringen: GTZ, KfW, politische Stiftungen, unsere Kirchen und all die anderen deutschen Entwicklungsorganisationen, die ein großes Expertenwissen haben, engagiert sind und die wir kurzund längerfristig einsetzen können. Herr Borchert, Sie hätten ruhig auch das sagen können: Bei der internationalen Evaluierung durch die Weltbank in diesem Jahr haben die GTZ und die KfW bewiesen, dass sie in den Bereichen strategische Ausrichtungen, Mitarbeiterqualifikation, Ergebnisverantwortung, Wissensmanagement und Einsatz angemessener Instrumente an der Spitze liegen. Herzlichen Glückwunsch. Auch das ist ein Erfolg von uns und der Regierung. ({5}) Ich finde, Frau Ministerin, auch das sollte man sagen. Organisationen von dieser Qualität haben nicht viele. Die beiden Koalitionsparteien haben - das haben Sie auch verschwiegen, weil es Ihnen nicht passt - die Ansätze für die technische und die finanzielle Zusammenarbeit ganz erheblich angehoben. Wir werden kratzen, beißen und alles tun, was wir können, wenn es um die Auflösung der globalen Minderausgabe geht, damit dieses Ressort zum Schluss angegangen wird. Dabei Brigitte Schulte ({6}) rechne ich mit Ihrer tatkräftigen und kompetenten Hilfe, auch beim Kratzen und Beißen. Wir erwarten natürlich als Gegenleistung, Frau Ministerin, dass Ihre Mitarbeiter, die ich sehr schätze, sich in den internationalen Institutionen, wie der Weltbank, der UNO und dem Europäischen Entwicklungsfonds, dafür einsetzen, dass diese Organisationen, die ich gerade gelobt habe, stärker zum Einsatz kommen. Wo unser Geld drin ist, Herr Koppelin, wollen wir es auch durch deutsche Experten ganz wesentlich verwendet sehen. Wir als Haushaltsausschuss werden keine Aufstockung internationaler Finanzraten mehr mitmachen, wenn wir nicht stärker an der Umsetzung beteiligt sind und wir nicht früher gefragt werden. Herr Diller - Sie sitzen jetzt in einer anderen Funktion hier -, wir schätzen es nicht, dass wir erst in der Beratung feststellen, dass wieder etwas erhöht wird. Wir möchten früher informiert werden. Das ist Ihre Aufgabe als Bundesfinanzministerium. ({7}) Ich könnte Ihnen noch viel erzählen, aber das tue ich nicht. Ich will nur noch auf ein Land hinweisen, in dem die Hilfe ganz besonders erfolgreich war, dem wir aber dennoch weiter helfen sollten. China ist das Land, welches in den letzten zwei Jahrzehnten die Armutsbekämpfung erfolgreicher als alle anderen Staaten betrieben hat, und zwar aus eigener Kraft und mit unserer Hilfe. Ich möchte Sie auf Folgendes hinweisen: Dieses Land hat 1 292 Millionen Einwohner. Davon sind 1 000 Millionen Einwohner älter als 16 Jahre. Man geht davon aus, dass die arbeitsfähige Bevölkerung 700 Millionen Menschen umfasst. Zum Vergleich: Europa hat insgesamt nur 772 Millionen Einwohner. Der starke Strukturwandel wird bewirken, dass noch mehr Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren. Wenn also jemand sagt, dass China unsere Hilfe nicht braucht, dann möge er im Hinterkopf haben, was amerikanische Experten errechnet haben: Schon heute sind dort 175 Millionen Menschen im arbeitsfähigen Alter von verdeckter Arbeitslosigkeit betroffen. ({8}) Das ist plump! ({9}) Wir ergreifen also jede Chance - auch deswegen haben wir diese Mittel aufgestockt -, um junge chinesische Wissenschaftler auszubilden. ({10}) Liebe Frau Ministerin, abschließend sage ich Ihnen: Wir sind mit Ihrer Arbeit einverstanden. ({11}) Wir kämpfen mit Ihnen und danken Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern; denn Ihr Haus ist kompetent. Ich bitte auch die Opposition um Zustimmung zu diesem Haushalt. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat der Kollege Markus Löning, FDP-Fraktion.

Markus Löning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003583, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da die ODA-Quote vom Kollegen Bordiert angesprochen wurde, bitte ich die Ministerin, die ja nachher redet, uns einmal kurz darzustellen, wie sie ihre internationalen Zusagen im nächsten Jahr einhalten will. Wir müssten den Etat in einer Größenordnung von mehreren Hundert Millionen Euro aufstocken, ({0}) um das einzuhalten, was Sie international zugesagt haben. Ich hätte von Ihnen gerne Antworten auf zwei Fragen: Wie wollen Sie das im nächsten Jahr schaffen? Und wenn Sie es schaffen, wie lässt sich die Tatsache, dass in diesem Bereich Geld ausgegeben wird, das letztendlich unsere Kinder zurückzahlen müssen - schließlich hat diese Bundesregierung bereits jetzt eine Rekordverschuldung zu vertreten -, mit Ihren Zielen von Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit vereinbaren? Meines Erachtens sollten Sie versuchen, einen neuen Weg zu gehen: Wir müssen bei der Entwicklungshilfe stärker auf Effizienz achten und uns von dem fixen Ziel einer bestimmten Ausgabenhöhe lösen. Wir brauchen Effizienz und den gezielten Einsatz der Mittel. ({1}) Das ist das Wesentliche; Sie hängen Schimären an. ({2}) - Das sehe ich nicht. Auch Sie, Frau Schulte, haben diese Position gerade wieder vertreten. Es ist - das ist nicht polemisch gemeint -, wirklich wichtig, dass wir uns ernsthaft mit dieser Frage auseinander setzen; denn die Finanzsituation des Bundes das betrifft die Länder genauso - ist mehr als ernst. Ich finde, die Ernsthaftigkeit der Situation spiegelt sich in den Debatten, die ich heute und gestern hier verfolgt habe, nicht wider. ({3}) Ich würde mir das allerdings wünschen, auch in dieser Debatte, einer Fachdebatte, in der wir als Entwicklungspolitiker natürlich immer dafür eintreten, dass für unser Ressort Geld bereitgestellt wird. Dennoch müssen wir die Gesamtsituation im Auge behalten. ({4}) Lassen Sie mich noch auf ein paar andere Punkte zu sprechen kommen. Frau Ministerin, ich habe Ihnen von dieser Stelle aus schon oft vorgeworfen, Ihre PR sei besser als Ihre Politik. Im Moment zweifle ich daran jedoch ein bisschen. Im Rahmen der Diskussion über Ankerund Schwellenländer, die Sie in den letzten Wochen losgetreten haben, haben Sie vieles gesagt, was richtig ist, und mir aus dem Herzen gesprochen. Sie haben manche Ziele, die Sie früher vertreten haben - zum Beispiel die Armutsbekämpfung in bestimmten Schwellenländern -, zu Recht infrage gestellt. Sie, Frau Schulte, haben gerade wieder die Situation in China angesprochen. Ich glaube allerdings, dass ich Sie falsch verstanden habe. Denn ich habe Sie so verstanden, dass chinesische Wissenschaftler wegen der Problematik der Arbeitslosigkeit in China nach Deutschland kommen sollten. ({5}) Ich bin sehr dafür, die Mittel, die wir in China für Programme zur Armutsbekämpfung zur Verfügung stellen - was aus meiner Sicht falsch ist -, in Programme zum Wissenschaftsaustausch umzuwidmen. ({6}) Das ist ein richtiger und unterstützenswerter Weg, den wir gehen sollten. Aber wir müssen uns auch darüber klar sein, dass die Chinesen, Inder und viele andere inzwischen in der Lage sind, diese Leistungen aus eigener Kraft zu erbringen. Wir müssen an ihre Verantwortung appellieren und ihnen sagen: Das ist eure Verantwortung. Denn es kann nicht in unserer Verantwortung liegen, in Ländern, die Wachstumsraten von 7, 8 oder 10 Prozent aufweisen und die Armut durch Wirtschaftswachstum erfolgreich bekämpft haben, Sozialprogramme zur Armutsbekämpfung aufzulegen. ({7}) - Bitte.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zwischenfrage wird offensichtlich zugestanden. Bitte.

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben mich wahrscheinlich missverstanden. Sie werden doch sicherlich nicht dafür sein, unsere Entwicklungszusammenarbeit in einem Land einzustellen, welches jetzt Gott sei Dank unsere technische und finanzielle Hilfe erhalten hat, das aber mehr als 700 Millionen Arbeitskräfte hat, von denen durch den Strukturwandel möglicherweise - nach Berechnungen amerikanischer Experten - 175 Millionen verdeckt arbeitslos sind. Ich bin der Meinung, dass wir es weiter unterstützen und für die Ausbildung der jungen Akademiker mehr tun müssen. Deswegen haben wir die Mittel für den Deutschen Akademischen Austauschdienst und die Alexänder-vonHumboldt-Stiftung erhöht. Darin können Sie uns doch sicherlich folgen, oder?

Markus Löning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003583, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, ich unterstütze ausdrücklich die beiden Institutionen, die Sie genannt haben. Auch wir halten sie für außerordentlich wertvolle Institutionen und sind der Meinung, dass sie mit mehr Geld ausgestattet werden sollten; das ist gar keine Frage. Aber ich sage Ihnen auch ganz klar: Ein Land wie China - mit dieser Wachstumsrate und dem vorhandenen Know-how - braucht von uns keinen Rat, wie es seine Arbeitslosigkeit und seine Armut bekämpfen soll. ({0}) Ich hielte uns für überheblich, wenn wir einem Land, das erfolgreich einen extrem schwierigen Strukturwandel durchgeführt hat, sagten: Wir können euch lehren, wie es richtig geht. Da müssen wir uns an unsere eigene Nase fassen und sagen: Wir müssen die Zusammenarbeit mit China, mit Indien und auch mit anderen Ländern auf andere Füße stellen: wir müssen mit diesen Ländern auf gleiche Augenhöhe kommen. Wir brauchen Zusammenarbeit in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, in der Kultur, an vielen Stellen. Aber sich hinzustellen und zu sagen: „Wir erklären euch, wie die Welt funktioniert und wie ihr die Arbeitslosigkeit bekämpfen könnt!“, das steht uns bei diesen Ländern einfach nicht zu. ({1}) Lassen Sie mich noch ein paar Worte zu dem von der Frau Ministerin angesprochenen Konzept von Ankerund Schwellenländern sagen. ({2}) - Gleich lasse ich Ihre Frage gerne zu. Zuvor möchte ich aber noch ein Beispiel bringen, welches vielleicht meine Position erläutert, Frau Schulte: Unsere Entwicklungszusammenarbeit erstreckt sich nach wie vor auch auf Mexiko. Es geht dabei im Wesentlichen um regenerative Energie und Ähnliches. Mexiko bekommt von uns Mittel in der Größenordnung von 2 Millionen Euro pro Jahr - das ist nicht viel -, hat durch den gestiegenen Ölpreis in diesem Jahr aber Mehreinnahmen in der Höhe von 1 Milliarde Euro zu verzeichnen. Ich frage mich, ob es richtig ist, einen solchen Know-how-Transfer zu finanzieren. Ich bin nicht dagegen, diesen Bereich zu unterstützen, aber ich frage mich, ob wir das in einem solchen Fall finanzieren müssen. Ist das richtig und können wir das wirklich vertreten? Ich bin sehr dafür, Know-how weiterzugeben, aber ich bin auch dafür, gegebenenfalls eine Rechnung mitzuschicken. Im Übrigen zeigen alle Evaluierungen, dass die Programme umso besser funktionieren, je mehr sich die Länder an der Finanzierung beteiligen. Wir sollten deshalb vor dieser Diskussion nicht zurückscheuen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage?

Markus Löning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003583, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass in Indien, das Sie gerne als ein starkes Land anführen, mehr Kinder hungern und in Armut leben als in ganz Afrika? Und ist Ihnen - vielleicht aus dem Mathematikunterricht, wenn ich das so sagen darf - bekannt, dass Wachstumsraten, kein geeigneter Indikator für Wohlstand sind? Denn wenn man von einem ganz niedrigen Niveau ausgeht, bedeuten selbst Wachstumsraten von mehr als 10 Prozent nicht, dass alle in Reichtum und Jubel ergehen. Bei der Armut, die in Indien herrscht, kann man nun wirklich nicht davon reden, die Entwicklungszusammenarbeit einzustellen. ({0})

Markus Löning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003583, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass sowohl die Kreditanstalt für Wiederaufbau als auch das BMZ-eigene Deutsche Institut für Entwicklungsforschung sagen, dass die Armutsbekämpfungsprogramme, die dort in den letzten Jahren durchgeführt worden sind, mitnichten zur Armutsminderung beigetragen haben, dass unser Geld dort verschwendet worden ist und dass einzig und allein das Wirtschaftswachstum, das der jetzige Premierminister, 1991 als Finanzminister, durch seine Wirtschaftsreformen angestoßen hatte, zu einer wirklichen Armutsminderung, und zwar in erheblichem Umfang, geführt hat? Natürlich ist Indien ein riesiges Land mit einer großen Bevölkerung. Die Inder haben es geschafft, die Zahl der absolut Armen innerhalb von 25 Jahren von über 60 Prozent auf jetzt 25 Prozent der Bevölkerung zu senken. Das ist eine riesige Leistung. Wenn unsere Forschungsinstitute sagen, dass unsere Armutsbekämpfungsprogramme nichts dazu beigetragen haben, dann müssen wir diese Armutsbekämpfungsprogramme aus meiner Sicht infrage stellen. Darum geht es, ({0}) - Doch, aus meiner Sicht schließt das eine das andere aus, weil es darum geht, ob wir es der indischen Elite zutrauen, dass sie das selber kann. Aus meiner Sicht kann sie das; die Erfahrung hat es gezeigt. ({1}) Sie verfügt über das nötige Know-how, über die nötigen Ressourcen und auch über die nötigen Instrumente. Es gibt viele indische NGOs, die in diesem Bereich sehr erfolgreich tätig sind. Ich bin dafür, dass wir bei den Schwellenländern die klassische Entwicklungshilfe auslaufen lassen. Wir sollten uns nicht so schwer damit tun und wir sollten das auf neue Füße stellen, nämlich auf eine vernünftige Zusammenarbeit im Bereich Wirtschaft, im Bereich Wissenschaft und in der Kultur. Frau Ministerin, in den verbleibenden 15 Sekunden möchte ich noch einen Punkt ansprechen, zu dem ich gerne etwas von Ihnen hören würde, zumal Frau Schulte unsere Entwicklungshilfeorganisationen - im Wesentlichen waren die staatlichen gemeint ({2}) über die Maßen gelobt hat. Ich schließe mich ihrem Lob an. All diese Organisationen machen eine sehr gute Arbeit. Ich habe in diesem Zusammenhang zwei Fragen. Wenn ich im Ausland bin, höre ich erstens immer die Frage: Wer spricht hier für die Deutschen? Es gibt keine BMZ-Außenvertretung, weil man mit dem AA nicht richtig klarkommt. Verschiedene Organisationen versprechen etwas und tun so, als seien sie die Deutschen. Ist es nicht an der Zeit, eine richtige Reform der staatlichen Durchführungsorganisationen anzupacken und deutlich zu machen, dass sie alle zusammengehören, sodass sie auch alle zusammengefasst werden? Was können wir hier reformieren? Die zweite Frage lautet: Was ist eigentlich mit der GTZ?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Beide Fragen müssen nun aber von den folgenden Rednern beantwortet werden. ({0})

Markus Löning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003583, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme sofort zum Schluss, Herr Präsident. - Die GTZ agiert als Vertreterin der Bundesregierung, als private Auftragnehmerin und als staatliche Durchführungsorganisation. Das ist ein Mischmasch, der aus meiner Sicht nicht länger hingenommen werden kann. Mich würde interessieren, wie Sie diesen Mischmasch auflösen wollen. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Alexander Bonde,

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Beitrag des Kollegen Löning verstehe ich jetzt zumindest, aus welcher Geisteshaltung heraus Ihre Fraktion im Haushaltsausschuss eine Absenkung von 129,8 Millionen Euro in diesem Einzelplan beantragt hat. Insofern hatte diese Debatte zumindest einen erhellenden Punkt. Insgesamt will ich sagen, dass ich den Einzelplan 23 in diesem Jahr für außerordentlich gut gelungen halte. Ich glaube, den roten und den grünen Haushälterinnen und Haushältern ist es hier gemeinsam gelungen, einen wichtigen Schwerpunkt zu setzen. ({0}) In einer Zeit, in der es schwierig ist, den Haushalt an bestimmten Stellen mit zusätzlichen Mitteln auszustatten - das wissen Sie alle -, erhöhen wir die Mittel in diesem Einzelplan um die genannten 2 Prozent. Das ist ein Aufwuchs von 75,66 Millionen Euro. Insofern finde ich es schade, dass Sie in der Opposition es nicht einmal an dieser Stelle schaffen, diese Leistung anzuerkennen, und im Gegenteil sogar versuchen, diesen Erfolg mit Taschenspielertricks wieder wegzurechnen. Wir haben im Haushaltsverfahren eine deutliche Aufstockung der Mittel für die Hilfe für die ärmsten Länder der Welt erreicht, und zwar nicht nur beim Ministerium, über das wir jetzt diskutieren, sondern auch beim Auswärtigen Amt und beim Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, wo ebenfalls Mittel angesiedelt wurden, die ODA-relevant sind. Insofern verstehe ich diese schräge Diskussion hier nicht, die nach dem Motto geführt wird: Mittel beim Auswärtigen Amt tragen nichts zu dem bei, über das wir hier diskutieren. Ich finde es richtig, dass sowohl das Auswärtige Amt als auch das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hier in unterschiedlichen Feldern gemeinsam tätig sind. Jeder Euro, der in diesem gesamten Bereich investiert wird, ist ein gut investierter Euro. ({1}) Wir Haushaltspolitiker haben diese Schwerpunktsetzung bewusst getroffen, weil wir gerade in Zeiten der Globalisierung immer weniger in nationalen Kategorien denken dürfen und uns gerade auch um die Probleme kümmern müssen, die es in anderen Gegenden dieser Welt gibt. Wenn wir uns nämlich nicht darum kümmern, dann kommen diese Probleme zu uns. Mit unserer Schwerpunktsetzung senden wir zwei deutliche Signale: Erstens. Wir haben in diesem Haushalt die ODA-Quote erhöht Damit machen wir klar, dass wir es mit den Zielen, die wir uns gesetzt haben, ernst meinen. Ich gestehe Ihnen zu, dass das noch nicht die Summen sind, die wir in diesem Bereich gerne sehen wollen. Aber es sind entscheidende erste Schritte. Ich finde, auch das muss man an dieser Stelle deutlich festhalten, ({2}) Zweitens. Wir senden auch ein sicherheitspolitisches Signal, weil wir wissen, dass jeder Cent, den wir in Entwicklungspolitik investieren, zur Bekämpfung von Armut verwendet wird und terroristische Bedrohungen minimiert. Auch hier stellt sich wieder die Frage der ressortübergreifenden Zusammenarbeit. Der Ansatz dieser Regierung, dass Auswärtiges Amt, Verteidigungsministerium und BMZ Hand in Hand arbeiten, ist genau richtig. Weil der Kollege Borchert viel zur globalen Minderausgabe gesagt hat, möchte auch ich noch einige Worte dazu verlieren. Es ist richtig: Im Gesamthaushalt muss eine globale Minderausgabe von 2 Milliarden Euro erwirtschaftet werden. Auf die Ressorts entfallen, anteilig verteilt, l Milliarde Euro. Das entspricht bei dem gängigen Schlüssel des BMZ einer GMA von 38,897 Millionen Euro. So weit ist das richtig. Nun haben der eine oder andere Kollege der CDU/ CSU in dieser Debatte wie auch in Pressemitteilungen bezüglich der GMA bewusst Ängste geschürt und Falschmeldungen in die Welt gesetzt. Staatssekretär Diller hat es dankenswerterweise noch einmal klargestellt: Die zweite Milliarde wird nicht auf die Einzelpläne verteilt, sondern anderweitig erwirtschaftet, Stichwort Bodensatz, Herr Borchert, Sie grinsen. Sie wissen natürlich, dass Sie mit Ihren Anträgen versucht haben, genau diesen Bodensatz für Ihre Einsparliste vorwegzunehmen. Insofern ist das ein Taschenspielertrick. Aber beunruhigen Sie an dieser Stelle nicht die Verwendungsempfänger. Wer behauptet, die rot-grünen Aufstockungen seien ein Nullsummenspiel, täuscht über das Haushaltsverfahren oder streut bewusst Falschinformationen. ({3}) Rot-Grün hat gemeinsam die Ansätze des BMZ so angehoben, dass es die globale Minderausgabe erwirtschaften kann und zusätzlich Mittel zur Erhöhung der ODA-Quote zur Verfügung stehen, somit die Zuwendungsempfänger keine Angst vor der globalen Minderausgabe haben müssen. Um es Ihnen in Zahlen vorzurechnen: Rot-Grün hat den Ansatz um 76 Millionen Euro erhöht. Davon sind für die GMA 38 Millionen Euro abzuziehen. Es bleibt ein Plus von 38 Millionen Euro. Sie können noch so viel rechnen: Wenn Sie bei Adam Riese bleiben, verbleibt für den Einzelplan mindestens ein Plus von 38 Millionen Euro. Ich bedauere sehr, dass der Kollege Weiß von der CDU in dieser Debatte nicht reden darf. Er hat im September sehr wortreich große Anforderungen an den Einzelplan gestellt. Es hätte mich schon interessiert, wie er erklärt hätte, dass seine Fraktion in den Haushaltsberatungen beantragt hat, im Einzelplan 188 Millionen Euro zu streichen, und wie die großen Ankündigungen, was alles geschehen müsse, zu diesen Kürzungen passen. Die CDU/CSU ist hier in der angenehmen Situation, dass sie als Opposition nicht in der Verantwortung steht, in der wir stehen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Weiß will Ihnen offenkundig das erklären, was Sie gerade nachgefragt haben.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Solange er das mit einer Frage tut, bin ich damit einverstanden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Bonde, nachdem Sie als neuer Berichterstatter der Grünen-Fraktion für den Einzelplan 23 einige Ausführungen über die Beratungen im Haushaltsausschuss gemacht haben, möchte ich Sie fragen, wie Sie die offenkundigen Dissense zu Ihrer ebenfalls berichterstattenden Kollegin, Frau Brigitte Schulte von der SPD-Fraktion, aufklären können. Erstens, Frau Kollegin Schulte hat in ihrer Rede beredt dargestellt, wie kritisch sie es sieht, dass immer mehr Mittel für die multilateralen Organisationen zur Verfügung gestellt werden. Das hat sie kritisch hinterfragt. Deswegen ist es auch offensichtlich aus der Sicht der Berichterstatterin der SPD-Fraktion, Frau Schulte, nur konsequent, dass die CDU/CSU zur Veränderung dieses Ungleichgewichtes Kürzungen nur bei den Mitteln für die multilateralen Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit beantragt hat. Zweitens. Frau Kollegin Schulte hat sich zum Schluss ihrer Rede äußerst vorsichtig zum Thema der globalen Minderausgabe geäußert. ({0}) Denn es bleibt doch trotz der Tatsache, dass Sie jetzt eine kleine Erhöhung des Mittelansatzes gegenüber dem Entwurf durchgesetzt haben - das erkennen wir an und das ist von Herrn Borchert als Sprecher der CDU/CSU nicht infrage gestellt worden -, das Damoklesschwert über uns schweben: Was geschieht mit der globalen Minderausgabe von 1,136 Milliarden Euro im Haushalt, die nicht spezifiziert worden sind? Frau Kollegin Schulte hat ganz vorsichtig gesagt, dass sie hofft, dass das BMZ, wenn diese Mittel aufgeteilt werden, als allerletztes drankommt. Jetzt habe ich an Sie die Frage:

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das, Herr Kollege, ist die dritte, wenn ich richtig mitgezählt habe.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Woher nehmen Sie als grüner Berichterstatter die absolute Gewissheit, dass diese globale Minderausgabe irgendwie erwirtschaftet und auf gar keinen Fall im Laufe des Haushaltsjahres auf den Einzelplan 23 umgelegt wird?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Bonde, nun haben Sie die Rede des Kollegen Weiß bekommen, die Sie so dringlich eingefordert haben. ({0})

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kenne den Kollegen Weiß. Wenn man ihn zu einer Rede auffordert, dann bekommt man sie auch immer. Insofern beantworte ich die Fragen gerne. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Kollegin Schulte und ich in den Verhandlungen ausgesprochen einig waren und auch die Reden nicht voneinander abweichen. Ich bin mit der Kollegin Schulte insbesondere darüber einig, was sie zur globalen Minderausgabe gesagt hat; denn sie hat ausdrücklich von dem Anteil der globalen Minderausgabe gesprochen, der auf den Einzelplan 23 entfällt. Ich bin ebenso wie die Kollegin Schulte der Meinung, dass wir dann, wenn es die Möglichkeit gibt, den Einzelplan 23 vor dieser Einbuße in Höhe von 38 Millionen Euro zu schützen, alles tun müssen, um das zu erreichen. Wir reden also nur über die globale Minderausgabe von 38 Millionen Euro, über die auch ich gesprochen habe. Sie haben offenbar dem Kollegen Diller vorhin nicht zugehört, ({0}) als er davon sprach, was mit dem Rest der GMA passiert. Ich hätte zumindest erwartet, dass Sie verfolgt haben, welche Anträge Ihre Haushaltsgruppe zum Einzelplan 60 insgesamt gestellt hat. Dort hat sie Einsparsummen in Milliardenhöhe gesehen. Wenn nur ein Bruchteil der Kürzungsvorschläge, die Ihr Obmann im Haushaltsausschuss, Herr Austermann, vorgelegt hat, realisiert würde und wenn sich die Zinsen tatsächlich so entwickeln würden, wie es der Kollege Austermann prognostiziert hat, dann - das kann ich Ihnen mit Gewissheit sagen; das kann jeder, der rechnen kann - besteht keinerlei Gefahr, dass eine zusätzliche globale Minderausgabe von Einzelplan 60 auf den Einzelplan 23 umgelegt werden muss. Die 188 Millionen Euro waren nicht die einzige Belastung, die die CDU/CSU-Fraktion für den Einzelplan 23 parat hatte. Sie wollten den Einzelplan 23 durch eine 10-prozentige Kürzung bei allen flexiblen Titeln belasten. Ruckzuck wären wieder 4,4 Millionen Euro weg gewesen. Sie haben uns aufgefordert, die zweite Milliarde der GMA, über die wir gerade gesprochen haben, auf die Einzelpläne umzulegen. Nach der Logik Ihrer Anträge in den Haushaltsberatungen mussten Sie das auch tun, weil Sie das, was es an Bodensatz gibt, bereits vervespert hatten. Das heißt, dass bei Verwirklichung der Anträge der CDU/CSU eine weitere Belastung von 38 Millionen Euro erfolgen würde. Alles in allem hätte die CDU/CSU, wenn ihre Anträge eine Mehrheit im Haushaltsausschuss gefunden hätten, den Etat des Einzelplans 23 um 230 Millionen Euro abgesenkt. Wenn wir jetzt den Vergleich ziehen, dann, können wir feststellen: Wir haben bei Rot-Grün ein Plus von mindestens 38 Millionen Euro, während nach den Vorschlägen der CDU/CSU ein Minus von 230 Millionen Euro vorhanden wäre. Ich frage mich schon, woher Sie den Mut nehmen, sich hier hinzustellen und mit solchem Herzblut versuchen, uns entwicklungspolitisch anzugreifen. ({1}) Das ist schon mehr als Opposition, was Sie hier machen. ({2}) Ich weiß auch nicht, wie Sie behaupten können, mit dieser Reduzierung der Mittel könne man zu einer Verringerung der Armut beitragen. Rot-Grün hat einen deutlichen Schwerpunkt gesetzt. Sie können aus Ihrer Oppositionshaut nicht heraus. Akzeptieren Sie, dass wir etwas durchgesetzt haben, wozu Sie in der Opposition gegenüber Ihren eigenen Haushältern nicht in der Lage waren. Das muss man an dieser Stelle deutlich sagen. ({3}) Da die Kollegin Schulte auf viele Ansatzerhöhungen in den Einzeltiteln eingegangen ist, möchte ich nur zwei Titel zum Schluss erwähnen. Uns Grünen war es besonders wichtig, die Förderung afrikanischer Staaten nicht aus dem Auge zu verlieren. Insofern freuen wir uns besonders darüber, dass es gelungen ist, die Aidsbekämpfung sowohl bilateral als auch multilateral finanziell zu stärken. Es freut uns, dass es uns gelungen ist, Mittel für den Weltwirtschaftsgipfel 2005 in Großbritannien zu binden, der sich mit dem Thema Afrika befassen wird. Wir unterstützen in diesem Rahmen die New Partnership for Development und den G-8-Afrika-Aktionsplan. Der Einsatz dieser Mittel dient dazu, die Reformkräfte in Afrika in ihrem Bemühen zu unterstützen, Afrikas Probleme durch eigene afrikanische Anstrengungen zu lösen. Gemeinsam mit unserer Staatssekretärin Uschi Eid haben wir dafür gesorgt, dass der Bundeskanzler beim G-8Gipfel in London nicht mit leeren Händen erscheint und dass unsere herausragende Position in diesem Prozess erhalten bleibt. Auch damit hat Rot-Grün ein wichtiges Signal gesetzt. Ich glaube, wenn Sie nicht in der Opposition wären, sondern regieren würden, dann wären Sie - zumindest all diejenigen, denen die Entwicklungspolitik am Herzen liegt - sehr froh über den Einzelplan 23. Ich glaube, für die Koalition können wir feststellen, dass wir in schwierigen Zeiten ein gutes Ergebnis erzielt haben. Das hätten Sie uns erst einmal vormachen müssen. Vielen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Christian Ruck, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ich möchte auf die einzelnen Miilionenrechnereien meines Vorredners Folgendes erwidern: Kernpunkt unserer Kritik ist nach sechs Jahren rot-grüner Entwicklungspolitik, dass die Ministerin und ihre parlamentarische Basis mit großartigen Versprechungen als Tiger gestartet und als Papiertiger gelandet sind. Inzwischen ist jeder - die Öffentlichkeit, die Wissenschaft, die Kirchen und die NGOs - zu der traurigen Erkenntnis gekommen, dass von den Versprechungen nichts übrig geblieben ist. Wir als Entwicklungspolitiker sind um genau 300 Millionen Euro ärmer als 1998, Darum geht es uns. ({0}) Jeder von Ihnen hat sich bei den rot-grünen Haushaltspolitikern bedankt. Ich möchte mich bei unseren Haushaltspolitikern und vor allem bei Jochen Borchert bedanken, der genauso gekämpft hat, wie wir alle - das haben Sie mir auch zugestanden, Frau Kortmann - im AwZ auch bei den Einzelerhöhungen gekämpft und, wie ich glaube, auch ein gutes Ergebnis erzielt haben. Auch das muss einmal gesagt werden. Vielen Dank, Herr Borchert! ({1}) Ich will nicht spekulieren, ob wir um die zweite globale Minderausgabe herumkommen. Ich wünsche mir und uns allen, dass Ihr Kratzen und Beißen - das würde ich übrigens gerne einmal hautnah miterleben, Frau Schulte ({2}) - natürlich nicht bei mir ({3}) einen Sinn hat, Ich hoffe es. Aber ehrlich gesagt: Bei dem Resultat, das wir für 2005 nach sechs Jahren RotGrün bestenfalls erzielen, bleibt es dabei, dass wir auf die Handlungsunfähigkeit der deutschen Entwicklungspolitik zusteuern, ({4}) Reden Sie auch einmal mit denen, die in unseren Durchführungsorganisationen die Projekte verwalten und umsetzen! Sie würden Ihnen berichten, dass inzwischen alle unsere Projekte wie Kaugummi ad infinitum gestreckt werden, dass der relative Anteil der Verwaltungskosten immer größer wird, dass für neue Projektaktivitäten kaum noch Spielraum vorhanden ist und dass wir uns selbst ad absurdum führen. Ich erinnere daran, was bei unserem neuerlichen Einsatz in Faizabad passiert ist. Wir schicken Soldaten in eine gefährliche Gegend, um Wiederaufbauteams zu schützen, während die Ministerin feststellt, dass die notwendigen Mittel für den Wiederaufbau nicht vorhanden sind. Das ist keine Kohärenz und auch keine vernünftige Art der Zusammenarbeit. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Ruck.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte, Frau Schulte.

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Ruck, gerade das ist ein Musterbeispiel, das deutlich macht wovor wir uns in Zukunft in Acht Brigitte Schulte ({0}) nehmen müssen. In Faizabad waren bereits 20 internationale Nichtregierungsorganisationen vertreten. Das habe ich vorhin gemeint, als ich die Ministerin freundschaftlich darauf hingewiesen habe, dass es nicht angeht, dass alle alles machen. Die deutsche Entwicklungspolitik war nicht in einem besonderen Maße gefordert, solange keine bessere Koordinierung der UN-Programme und der Nichtregierungsorganisationen stattfindet. Ich bin fest überzeugt und darf Sie darauf hinweisen, dass es hier nicht um Geldfragen geht, sondern dass wir uns Gedanken darüber machen müssen, ob die Projekte richtig abgestimmt sind. Haben Sie da eine bessere Idee? ({1})

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zur Projektabstimmung komme ich noch. Wir haben auf jeden Fall auch dazu Ideen. Ich gebe Ihnen auch völlig Recht, dass wir gerade in Afghanistan ein unglaubliches Durcheinander von internationalen Hilfsorganisationen haben. Das gilt aber auch anderswo, wo deutsche Soldaten involviert und deswegen gefährdet sind, wenn die entwicklungspolitische Aufbauarbeit daneben geht. ({0}) Trotzdem kann es nicht sein, dass ein Ressortkollege Soldaten in eine gefährliche Mission schickt, um den Wiederaufbau in Afghanistan vorzubereiten - natürlich geht er dann davon aus, dass auch die deutsche Entwicklungshilfe den entsprechenden Beitrag leistet -, und dann die deutsche Entwicklungsministerin sagt: Ich habe für diesen Einsatz der deutschen Soldaten kein Geld. Sie kann dieses Zitat hernach bestätigen oder auch nicht. Das ist jedenfalls keine kohärente Politik. ({1}) Es geht aber nicht nur in Afghanistan, sondern auch anderswo um eine Verknüpfung von Sicherheits-, Außen- und Entwicklungspolitik. Wenn es darum geht, einmal ganz schnell zu reagieren und auch einmal die Prüfszenarien von GTZ und KfW, die sich immer über zwei bis drei Jahre erstrecken, beiseite zu lassen, haben wir keinen Topf mehr. Wir haben kein Geld mehr, um schnell auf Krisen reagieren zu können. Das genau ist der strukturelle Fehler, den ich dieser Regierung ankreide. ({2}) - Da stimmen wir doch überein. ({3}) - Schade. Ich finde es übrigens auch schade - ich glaube, da sind wir uns einig, wenn ich Sie richtig verstanden habe -, dass es zu einem Bedeutungsverlust der deutschen Entwicklungspolitik gegenüber anderen Ressorts gekommen ist. ({4}) - Doch, Ich beweise es Ihnen. Während der Anteil des BMZ-Haushalts am Gesamthaushalt abgenommen hat, sind die Anteile des Haushalts für das Auswärtige Amt und der Verteidigungshaushalt etwa gleich geblieben. Genau damit sind Sie nicht angetreten. Sie haben gesagt, auch die relative Bedeutung der Entwicklungspolitik müsse gesteigert werden. Vor diesem Hintergrund gebe ich Ihnen Recht, Frau Schulte, dass wir alle den Rechnungsprüfungsbericht ernst nehmen sollten. Das BMZ soll, auch mit unserer Unterstützung, Aufgaben und Kompetenzen wieder zurückholen, wie es der Rechnungsprüfungsbericht vorgeschlagen hat. Es ist doch ein Unding, dass zum Beispiel das Bundesforschungsministerium mit den Ländern des Mercosur mehr bilaterale Projekte unterhält als das BMZ, und zwar ohne Abstimmung mit dem Entwicklungshilfeministerium. Voraussetzung für eine solche Rückholung von Kompetenzen sind natürlich Kollegialität und Überzeugungskraft im Kabinett. Die Wahrheit sieht aber laut „Spiegel“Bericht und laut Aussage des Bundesverteidigungsministers im Ausschuss anders aus. Danach wird gestritten wie Hund und Katz, und zwar sowohl oben als auch unten. Genau diese Animositäten zwischen dem Verteidigungsministerium, dem Außenministerium und dem Entwicklungshilfeministerium nehmen uns und dem ganzen Politikfeld das politische Potenzial und das Gewicht, das notwendig ist, um politische Veränderungen sowohl in den Entwicklungsländern als auch in den Industrieländern vornehmen zu können. Ohne diese Veränderungen wird die Entwicklungshilfe verpuffen. ({5}) - Ihr mit eurer Zusammenlegung. Unsere Meinung ist bekannt. Wir wollen, anders als die FDP, das BMZ nicht auflösen. Wir wollen das BMZ stärken. ({6}) Wir wollen das Politikfeld stärken und modern aufstellen und sind anderer Meinung als die FDP und auch als Rot-Grün. Natürlich ist das nicht nur eine Quantitätsfrage, sondern auch eine Qualitätsfrage. Die Qualität hat durch diverse Missgriffe und Fehlgriffe gelitten. Ich nenne als Beispiel das Aktionsprogramm 2015, mit dem große Erwartungen geweckt, aber auch enttäuscht wurden und das auch von der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung zu Recht als Etikettenschwindel bezeichnet wird. Ein weiteres Beispiel ist die Entschuldungsinitiative, die auf der einen Seite zu bürokratisch ist und auf der anderen Seite zu wenig politisch kontrolliert wird. Es stellt sich beispielsweise die Frage, was geschehen soll, wenn die Regierung des Sudans im Rahmen der HIPClnitiative entschuldet werden will. Wir müssen doch rechtzeitig signalisieren: Liebe Freunde in Khartum, ohne ein anderes Verhalten in Darfur und in anderen Landesteilen kommt ihr niemals für eine HIPC-Entschuldung infrage! Ausgeblieben ist ebenfalls eine grundlegende Reform des unüberschaubaren Fleckerlteppichs aus unterschiedlichen Vorfeld- und Entwicklungsorganisationen. Frau Ministerin, die Umorganisation Ihres Hauses ist missglückt. ({7}) Es ist nicht gelungen, die internationale und nationale Führungskompetenz des BMZ zu stärken. ({8}) - Ich bitte, auch das im Bericht des Bundesrechnungshofes genau nachzulesen. Das steht dort drin. ({9}) - Doch, das steht dort drin. Ich bin der Meinung, dass der Bundesrechnungshof in seinem Bericht auch hier Recht hat Die Schwerpunktsetzung ist ebenfalls misslungen. Damit komme ich auf die Schwellenländer zu sprechen. Hier ist man nach dem Motto verfahren: Raus aus den Kartoffeln, rein in die Kartoffeln! Zuerst gab es den erklärten Willen, aus der Zusammenarbeit mit den Schwellenländern auszusteigen, wie unter anderem die Beispiele Argentinien, Chile und Uruguay zeigen. Nun heißt es aber plötzlich, Schwellen- und Ankerländer seien wichtig für die Entwicklungszusammenarbeit. Wir haben auf unserer gemeinsamen Reise durch Indien aber auch Erhellendes gesehen. Es ist durchaus strittig - Herr Löning, hier bin ich nicht Ihrer Meinung -, ob es in unserem Interesse liegt, aus der Armutsbekämpfung in Ländern mit Hunderten von Millionen Armen einfach auszusteigen. Nach meiner Meinung muss es in unserem Interesse liegen, in Ländern wie Indien eine nachhaltige und einigermaßen gleitende Entwicklung in Gang zu setzen. Ein Beispiel dafür ist das Umweltprogramm, das wir in Brasilien mit Entwicklungsgeldern aufgelegt haben. Alles andere würde auf uns zurückfallen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Dr, Ruck, nun möchte der Kollege Löning eine Zwischenfrage stellen und Ihre Redezeit verlängern.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dafür bin ich ihm bei diesem Thema sehr dankbar.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte, Herr Löning.

Markus Löning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003583, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Ruck, Sie haben von Hunderten von Millionen Armen in Indien geredet. Das ist ohne Zweifel richtig. Erkennen Sie aber auch die Tatsache an, dass es in Indien Hunderte von Millionen reiche und sehr reiche Menschen sowie Hunderte von Millionen Menschen gibt, die in den letzten Jahrzehnten aus eigener Kraft aus der absoluten Armut in die untere Mittelschicht aufgestiegen sind, was durch die richtige Aufstellung des Landes in der Wirtschaftspolitik und durch Investitionen aus dem Ausland, insbesondere von Auslandsindern, ermöglicht wurde? Sind Sie mit mir der Meinung, dass der Elite eines Landes wie Indien, das in der Biotechnologie weltweit führend ist, in unser Land investiert und Firmen aufkauft, durchaus die Verantwortung zugemutet werden kann, sich selbst um die Bekämpfung der Armut im eigenen Land zu kümmern?

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Löning, wie Sie wissen - wir haben uns darüber schon ausgetauscht -, ist meine Position in sehr vielen Punkten von Ihrer nicht weit entfernt. Auch ich bin der Meinung, dass unsere Entwicklungszusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe mit den Schwellenländern erfolgen sollte, vor allem wenn es um gemeinsame Interessen in der Energie- oder der Raumfahrtpolitik geht. Es gibt viele Bereiche, in denen man beispielsweise mit Indien, China oder Brasilien zusammenarbeiten kann. Aber Ihre Forderung an Indien, selber soziale Verantwortung wahrzunehmen, gilt für jedes Land. Die Armutsbekämpfung kann beispielsweise in Guatemala von der dortigen Oberschicht alleine geleistet werden. Die Frage ist nur, was man machen soll, wenn das nicht geschieht. ({0}) - Wir müssen die Frage der sozialen Verantwortung der Eliten natürlich auch bezogen auf Guatemala diskutieren. In einem gebe ich Ihnen Recht: Die Art und Weise, wie wir Armut in den Schwellenländern, auch in Indien, bekämpfen, hat überhaupt keine Signifikanz. ({1}) Auch ich bin der Meinung, dass Armutsbekämpfung gegen den Willen der herrschenden Eliten sinnlos ist. Deswegen müssen einige Punkte viel schärfer als bisher ins Blickfeld gerückt werden: die Entschlossenheit der Gegenseite und die Frage, wo wir wirklich etwas signifikant bewegen können. An diesen Kriterien müssen wir uns in Bezug auf Brasilien, China und anderswo entlanghangeln. Bisher geschieht das eben nicht. Trotz allen Bemühens um eine Schwerpunktsetzung wird in Indien nach wie vor alles, was man sich vorstellen kann, gefördert, auch wenn die Mittel noch so gering sind. So etwas ist keine Schwerpunktsetzung, sondern ein Gemischtwarenladen. Die heutige Konstellation sieht so aus, dass Sie, Frau Ministerin, und Frau Kortmann mit unserem ausdrücklichen Einverständnis nach uns sprechen. Genauso wie Herr Löning möchte ich Sie - ganz naiv - darum bitten, uns einige Fragen zu beantworten. In den bisherigen Haushaltsdebatten haben Sie die entscheidenden Fragen oft gar nicht angesprochen oder nur nebulös beantwortet. Meine erste Frage lautet - ich halte sie für entscheidend -: Sind Sie bereit, dafür einzutreten, dem Chaos bei der Arbeitsteilung zwischen UN-Organisationen und EU entgegenzuwirken? Wenn ja, mit welchen Instrumenten wollen Sie für etwas mehr Konsistenz sorgen? Deutschland bewirbt sich jetzt um einen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Für mich ist viel entscheidender, wie wir dazu beitragen können, dass es in der Entwicklungspolitik wirklich mehr internationale Arbeitsteilung gibt. Sie haben zu einem solchen Beitrag sechs Jahre Zeit gehabt und bisher ist nichts geschehen. ({2}) Etwas anderes ist - es wurde schon angesprochen die Organisationsform der nationalen entwicklungspolitischen Systeme. Welches Organigramm haben Sie im Kopf? Auch ich bin der Meinung, dass wir im Inland noch viel zu umständlich agieren. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, bedenken Sie bitte, dass alle von Ihnen angekündigten Fragen außerhalb Ihrer Redezeit gestellt werden.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist gut, dass Sie mich daran erinnern. Wir alle haben gesagt, dass wir den Einsatz in Darfur wollen. Aber ein solcher Einsatz allein ist nur der Bruchteil eines Konzepts, dessen außen-, sicherheits- und entwicklungspolitische Bestandteile verzahnt werden müssen. Bei einer Leistungsbilanz zählt nicht die Zahl der Interviews, sondern die Zahl der bestandenen Herausforderungen. Für uns sind das folgende: Erstens. Wie wurden wir den ethischen Ansprüchen in der deutschen Entwicklungspolitik gerecht? Zweitens. Welche Erfolge hatten wir bei der Eindämmung von Gefahren, also bei der Gefahrenabwehr? Drittens. Wie konnten wir die deutsche Position in der Welt auch mit Entwicklungspolitik stärken? Rot-Grün ist im Hinblick auf alle drei Ziele unserer modernen Entwicklungspolitik weit davon entfernt, seine Versprechungen einzuhalten. Ich würde mich freuen, wenn Sie diese Behauptung in den verbleibenden zwei Reden entkräfteten. Ich glaube aber nicht, dass Ihnen das gelingen wird. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Bundesregierung hat nun die Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort. ({0})

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was mich in dieser Debatte bedrückt - das muss ich ehrlich sagen -, ist, dass bei dem vielen Hin und Her eigentlich nicht mehr deutlich wird, worum es in der Entwicklungszusammenarbeit geht. Es geht darum, dass wir Menschenleben retten, dass wir dafür sorgen, dass in dieser Welt weniger Kinder sterben müssen und dass weniger Menschen von Aids dahingerafft werden. ({0}) Diesen Menschen gilt unsere Arbeit. Man kann darum ringen, ob das genug Geld ist, ja oder nein; aber ich bitte Sie: Lassen Sie doch dieses Klein-Klein und - das ist für mich der allerwichtigste Punkt - konzentrieren wir uns wirklich auf die zentralen Fragen der Entwicklungszusammenarbeit! ({1}) Jeder muss doch zugeben: Wir haben jetzt mehr Spielraum in diesem Haushalt - das ist gut so - und den nutzen wir zugunsten der Menschen. Ich will auf die gestellten Fragen zurückkommen, weil darin falsche Behauptungen waren. Wir haben im Jahr 1982 - so weit muss man zurückgehen; denn Entwicklungszusammenarbeit ist langfristig; bei der Kreditvergabe gibt es langfristige Festlegungen, teilweise über Jahrzehnte -, also am Ende der Regierung Schmidt und zu Beginn der Regierung Kohl, 0,48 Prozent des Bruttosozialprodukts für Entwicklungszusammenarbeit gehabt. Wenn Sie das auf dem Niveau fortgesetzt hätten, hätten wir den Anteil von 0,7 Prozent längst erreicht. ({2}) Stattdessen betrug der Anteil im Jahr 1998, als ich angefangen habe, 0,26 Prozent des Bruttosozialprodukts; Sie haben die Entwicklungszusammenarbeit - das muss hier einfach noch einmal gesagt werden, damit nicht falsche Positionen aufgebaut werden - nämlich als Steinbruch benutzt. ({3}) Ich habe in mühsamer Arbeit, unterstützt durch die Haushälter - ich will mich bei all den Kolleginnen und Kollegen auch sehr herzlich dafür bedanken -, erreicht, dass der Anteil im Jahr 2003 - das ist ja immer im Rückblick - 0,28 Prozent des Bruttosozialprodukts beträgt. Ich schwöre Ihnen, dass wir bezogen auf das Jahr 2006 das 0,33-Prozent-Ziel erreichen werden, ({4}) und zwar in einer Mischung aus Haushaltsmitteln, Schuldenerlassen im Rahmen der HIPC und der EU-Entwicklungszusammenarbeit. Dazu verpflichten wir uns allgemein. Wer Mitglied des UN-Sicherheitsrats werden will, muss auch seine internationalen Verpflichtungen einhalten. Dafür stehen wir alle gemeinsam. ({5}) Was mich bedrückt, sind die neuen Zahlen zur Aidspandemie, die wir seit gestern haben; ich habe gedacht, das würde heute angesprochen. Wir stellen fest: Obwohl die internationale Gemeinschaft die Mittel von 2001 bis jetzt verdreifacht hat, ist die Zahl der Infektionen gestiegen. Heute, im Jahr 2004, gibt es 39,4 Millionen Menschen, die HIV-infiziert sind. Die internationale Gemeinschaft hat, wie gesagt, mehr Finanzmittel mobilisiert. Woran liegt es also, dass sich trotzdem so viele Menschen infizieren, dass so viele Menschen sterben und so viele Aidswaisen allein ihrer Zukunft entgegensehen? Das liegt an Unkenntnis, das liegt an der Unterdrückung von Frauen und das liegt an der Armut. Ich werde noch engagierter, als das bisher der Fall war, ({6}) gemeinsam mit Ihnen dafür sorgen, dass gegen die Unterdrückung von Frauen gearbeitet wird ({7}) und dass die Position der Frauen gestärkt wird. Es ist doch schrecklich, dass sich Frauen infizieren, weil ihre Partner - das sagt der Bericht der UNAiDS - einen nicht verantwortlichen Geschlechtsverkehr praktizieren. Deshalb müssen wir die Frauen stärken. Wir müssen die Armut bekämpfen. Das sind die Aufgaben, die vor uns liegen. Etwas lastet mir besonders auf der Seele; dazu hätte ich gern auch von anderen etwas gehört. Am 1. Januar 2005 wird eine Übergangsregelung zum Produktpatentschutz auslaufen und das bedeutet, dass dann zum Beispiel Indien Generika nicht mehr kostengünstig verkaufen kann. Wir müssen alle Möglichkeiten mobilisieren, um in den ärmsten Entwicklungsländern, für die der Produktpatentschutz noch nicht gilt - bis zum Jahr 2016 die Produktion von Generika zu unterstützen. ({8}) Das ist wichtig. Es geht darum - das sage ich ganz offen; das ist meine feste Überzeugung -, Patienten und Menschen und weniger Patente zu schützen. ({9}) Jetzt zu den Fragen. Ich hoffe, Sie sehen es mir nach, Herr Präsident, wenn das etwas länger dauert; es waren so viele Fragen. Herr Löning hat mehr Effizienz gefordert. Mein Gott! Ich nenne Ihnen nur vier Punkte, in denen wir in dem Gestrüpp dessen, was Sie uns in der Entwicklungszusammenarbeit hinterlassen haben, ({10}) wirklich Effizienz erreicht haben. Erster Punkt: Von Ihnen haben wir Projekte in 119 Entwicklungsländern übernommen. Ihr Prinzip war das der Gießkanne. Wir haben die Zahl der Länder, mit denen wir kooperien, reduziert und damit dazu beigetragen, dass unsere Finanzmittel sinnvoller eingesetzt werden können. ({11}) Zweiter Punkt: Die Projekte in Indien, über die sich Herr Löning beklagt hat, sind Projekte der Entwicklungszusammenarbeit aus den Jahren Ihrer Regierungszeit. Diese war von der Projektitis geprägt: viele kleine Projekte, sodass man viele Fähnchen auf die Weltkarte setzen konnte. Wir haben die Ausrichtung geändert und wollen durch strukturelles Denken dazu beitragen, dass ganze Bereiche in verschiedenen Ländern gestärkt werden, also nicht mehr ein einzelnes Projekt im Vordergrund steht, sondern zum Beispiel ein Land wie Indien dabei beraten wird, wie soziale und ökologische Normen erreicht werden können. Dass wir so etwas unterstützen, ist doch sinnvoll und liegt in unserem eigenen Interesse. Wir denken also strukturell und global. Sie dagegen haben ein Klein-Klein beklagt, das von Ihrer eigenen Partei, als sie Regierungsverantwortung trug, angerichtet wurde. ({12}) Dritter Punkt: Wir haben die Entwicklungszusammenarbeit reformiert, ohne dass es irgendwo geknirscht hätte. Wir haben zum Beispiel die DEG in die KfW eingegliedert. Das hat hervorragende Auswirkungen gezeitigt. Die DEG hat heute ein weit höheres Portfolio, das sie zugunsten der Entwicklungsländer einsetzen kann. Vierter Punkt: Zu Ihrer Zeit sind aus dem Europäischen Entwicklungsfonds kaum Mittel abgeflossen. Wir haben dafür gesorgt, dass er reformiert wurde. Heute fließen die Mittel so schnell ab, dass manche Haushälter besorgt sind, weil es ihnen zu schnell geht. Auch das sei zum Stichwort „Effizienz“ gesagt. ({13}) Nun zum letzten Punkt: Ich habe mir die Haare gerauft, als ich gehört habe, was Sie zu den Ankerländern gesagt haben. ({14}) - Ich mache es anschließend. - Nach dem Konzept, das wir entwickelt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen - Sie haben das ja eben am Beispiel Indien gesehen -, sind Ankerländer solche Länder, die in ihrem regionalen Umfeld ökonomisch und/oder politisch dazu beitragen können, dass auch andere Länder aus der Armut mit herausgezogen werden. Natürlich sind die Länder für die Bekämpfung der Armut in ihrem Land selber verantwortlich. Niemand wird ihnen dabei etwas abnehmen. Außerdem sind diese Länder dadurch gekennzeichnet - das hat Herr Ruck ja dankenswerterweise dargestellt -, dass sie durch ihr globales Wirken positiv oder negativ Einfluss nehmen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Ministerin, der Kollege Löning würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Wenn ich darf, würde ich gerne erst den Gedanken zu Ende führen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Und ob Sie dürfen.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Wenn Sie dann noch das Gefühl haben, einige Punkte wären unbeantwortet geblieben, beantworte ich Ihnen gerne noch eine Frage. Ankerländer wie zum Beispiel China und Brasilien, Indien und Südafrika tragen also selbst die Verantwortung. Deshalb geht es nicht um Einzelprojekte. Lassen Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen: China ist nach den USA der zweitgrößte Emittent von CO2. Indien ist weltweit der fünftgrößte CO2-Emittent. Dazu beizutragen, dass diese Länder auf Energieeffizienz setzen und erneuerbare Energien einsetzen, liegt erstens im Interesse des globalen Klimas und zweitens auch im Interesse der deutschen Industrie. Deshalb bin ich so frappiert, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass hier darüber von dem einen oder anderen so borniert diskutiert worden ist. ({0}) Deutsche Unternehmen sind ja in diesen Bereichen der Marktführer. Auch das sollten Sie einmal berücksichtigen. ({1}) - Nein, wir orientieren die Mittel anders: weg vom Klein-Klein der Einzelprojekte. Indien zum Beispiel beraten wir bei der Privatisierung von Staatsfirmen und bei der Frage, wie soziale Sicherungssysteme entwickelt werden können. Ein solches Vorgehen charakterisiert das neue moderne Denken in der Entwicklungszusammenarbeit: Statt eines KleinKleins von vielen Einzelprojekten wollen wir Strukturen verändern. Ich fordere Sie auf, dieses Konzept der Ankerländer mit uns zu vertreten. Ich komme auch gerne zu Ihnen in den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit, um das im Einzelnen noch einmal darzustellen. Das heißt übrigens nicht, dass es mehr Finanzmittel für diese Länder gibt. Das bedeutet vielmehr, dass die Mittel gleich bleiben, aber strukturell sinnvoll und richtig eingesetzt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin der Meinung, wir sollten in Bezug auf diesen Haushalt und bei diesen Perspektiven über die Inhalte und auch über die Zusammenarbeit mit den eben genannten Ankerländern sprechen, die unser Engagement für Afrika in keiner Weise einschränkt, weder finanziell noch politisch, und gemeinsam Positionen entwickeln, statt uns über KleinKlein zu zerstreiten. Ich bedanke mich sehr herzlich. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich denke, dass der generöse Vorschlag, möglicherweise offen gebliebene Fragen im Ausschuss zu vertiefen, ein zielführender Beitrag ist, die Debatte nicht gänzlich über die vereinbarten Zeitlimits hinaus ausufern zu lassen. Nun hat der Kollege Hedrich um eine Kurzintervention gebeten. ({0})

Klaus Jürgen Hedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000840, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich hatte an ungefähr eine halbe Stunde gedacht. Herr Präsident! Man könnte natürlich zu einer ganzen Reihe von Punkten etwas sagen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dem wollte ich aber ausdrücklich keinen Vorschub leisten. ({0})

Klaus Jürgen Hedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000840, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber Herr Präsident, Sie sind doch sonst so großzügig!

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eben drum! ({0})

Klaus Jürgen Hedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000840, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich wollte nur auf einen Punkt verweisen, weil Sie, Frau Ministerin, einfach nicht aufhören, bestimmte Dinge immer zu wiederholen. Das will ich an einem Fall deutlich machen. Sie verweisen immer wieder auf die große Zahl der Länder, mit denen zusammengearbeitet wird. Darf ich Sie daran erinnern, dass sich in den Zeiten unserer Regierung über 80 Prozent der Mittel auf 40 Länder konzentriert haben? Daran hat sich übrigens im Grundsatz bis heute nicht viel geändert. Mir geht es nur darum, dass Sie nicht den Eindruck erwecken, das hätte sich geändert . Ich möchte Sie mit einem netten Beispiel auch daran erinnern, welche Möglichkeit Sie genutzt haben, die Zahl der Länder, mit denen Sie zusammenarbeiten, zu reduzieren: Sie haben, um dieses Ziel zu erreichen, auf der Liste der Länder, mit denen wir zusammenarbeiten und deren Zahl auf keinen Fall 70 überschreiten darf, ein Land ausgewiesen, das mit dem Namen „Zentralasien“ umschrieben war. ({0}) Jeder weiß, dass es dieses Land nicht gibt. Die Bezeichnung umfasste insgesamt fünf Länder. Eines muss man Ihnen bescheinigen, Frau Ministerin: Der Erfindungsreichtum Ihres Ministeriums ist unter Ihrer Führung beachtlich, ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Als letzter Rednerin erteile ich der Kollegin Kortmann für die SPD-Fraktion das Wort.

Karin Kortmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich möchte auf einige Dinge eingehen, soweit die Zeit das zulässt. Herr Ruck, ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft Sie in Ihren Reden schon von einer modernen Entwicklungspolitik gesprochen haben. Bis heute weiß ich nicht, was die Union mit dem Wort „modern“ verbindet; denn außer einem kleinen, immer wieder vorgebrachten „Man sollte“, „Man müsste“, „Man könnte“ habe ich bis heute keinen großen Wurf von Ihnen wahrgenommen, durch den man diese „moderne“ Entwicklungspolitik tatsächlich mit dem Prädikat „zukunftsfähig“ verbinden könnte. ({0}) Herr Borchert, zur Frage der Mittelverwendung. Wir reden so viel über Kohärenz, über das Zusammenspiel von Ministerien, über die Notwendigkeit von Verzahnungen. Ich empfinde es daher eher als kleinkrämerisch, wenn über 70 Millionen Euro in der Mittelverwendung des Auswärtigen Amtes gesprochen wird, obwohl man davon überzeugt ist, dass diese für das richtige Anliegen verwendet werden. Ich bin wirklich mit Herz und Verstand Entwicklungspolitikerin; aber mir ist, ehrlich gesagt, das engstirnige Ressortdenken an dieser Stelle doch ein bisschen fremd. Mir ist es wichtiger, dass wir gute Programme auflegen, die wirklich effektiv und nachhaltig sind. ({1}) Zu der Reduzierung der Zahl der Länder; der Kollege Hedrich ist jetzt leider weg. Es ist wunderbar, wenn man an diesem Projekt festhält, weil wir in der Tat nicht Lösungen für alle Probleme der Welt bieten können. Es ist sinnvoller, die Aufgabe auf Schwerpunkte zu begrenzen. Wenn ich in fast jedem Antrag der Union eine neue Länderschwerpunktsetzung erkenne, dann muss ich mich natürlich fragen, wie ernst Sie es mit der Reduzierung der Anzahl der Länder meinen. Außerdem stellen Sie immer wieder neue Anforderungen. Herr Löning, wenn Sie über diese Fragen mit den Schwellen- und Ankerländern reden, dann ist es in der Tat richtig, dass an diese andere Anforderungen als an die ärmsten Länder unter den Entwicklungsländern gestellt werden. Wir müssen ihnen dabei behilflich sein, wirtschaftlich gut Fuß zu fassen, damit sie die Probleme alleine bewältigen können. Ihren Hinweis auf die beiden Länder China und Indien verstehe ich allerdings nicht. Wir haben uns im Ausschuss auf eine gemeinsame Beschlussempfehlung bezüglich des Themas „Weltbevölkerung: zehn Jahre nach den Kairoer Beschlüssen“ verständigt. Die einzige Fraktion, die dabei nicht mitgemacht hat, war die FDP. Denn sie war der Meinung, dass Bevölkerungsfragen nicht oben auf der Liste stehen. ({2}) Aber das ist eine der entscheidenden Fragen, gerade was China und auch Indien angeht. Wir müssen in der Haushaltsdebatte Acht geben, dass wir nicht das Gefühl vermitteln, wir würden auf der Insel der Glückseligen leben. Wir haben in zwei Richtungen Verantwortung zu tragen. Angesichts der Gesamthaushaltslage des Bundes haben wir auch im Einzelplan 23 zu einer Haushaltskonsolidierung beizutragen, ohne uns von der Zielsetzung zu verabschieden, durch bi- und multilaterale Hilfen weiterhin sehr vehement und sehr erfolgreich an der Erreichung der Millennium Development Goals mitzuwirken. Daher bin ich mit den Haushaltsberatungen, die wir im Ausschuss geführt haben, sehr zufrieden. Ich glaube, dass wir eine gute Basis für Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Frage „Wohin wollen wir eigentlich?“ erreicht haben. Es ist darauf hingewiesen worden, dass wir starke entwicklungspolitische Organisationen haben. In der Tat ist das so. Deswegen war es notwendig, die beiden großen Bereiche zu stärken. Das sind zum einen der Bereich der finanziellen Zusammenarbeit, für den die KfW verantwortlich ist, und zum anderen der Bereich der technischen Zusammenarbeit, für den die GTZ die Verantwortung trägt. Das ist uns mit einem Plus von 33 Millionen bzw. mit 32 Millionen Euro gelungen. ({3}) Wir dürfen uns aber vor der Erkenntnis nicht drücken, dass zu einer effektiven Mittelverwendung und zu einem erfolgreichen Einsatz von Personal auch gehört, dass wir weiterhin an einer Harmonisierung von finanzieller und technischer Zusammenarbeit arbeiten. Die ursprünglich bei der Gründung der Institutionen festgelegte saubere Trennung von FZ und TZ ist längst überholt und entspricht nicht mehr den Erfordernissen, die wir heute haben. Deswegen muss die engere Verzahnung weiter vorangetrieben werden. Unter dieser Prämisse sage ich: Wenn unsere staatlichen Organisationen - da schließe ich neben der GTZ und der KfW auch den Deutschen Entwicklungsdienst mit ein - im multilateral ausgerichteten EZ-Spektrum wettbewerbsfähig bleiben wollen, sind eine Überprüfung ihrer originären Tätigkeiten und eine abgestimmte Programmplanung mit den privaten Trägern, mit den Kirchen, aber vor allen Dingen auch mit den Stiftungen notwendiger denn je. Die Ministerin hat auf die gestern veröffentlichten Zahlen von UNAIDS hingewiesen. Sie sind in der Tat erschreckend. Allein in diesem Jahr starben bereits mehr Menschen am Aidsvirus als je zuvor. Außerdem hat sich der Virus trotz des großen öffentlichen Engagements und der Akquirierung von Mitteln schneller verbreitet. Am Ende dieses Jahres wird die Zahl der Toten auf 1,3 Millionen gestiegen sein. Fast 40 Millionen Menschen sind infiziert. Das entspricht jedem Zweiten, der in Deutschland lebt. Das sind ganz Besorgnis erregende Zahlen. Sie sollten eine Aufforderung an uns sein, mehr zu helfen. Kofi Annan hat im letzten Jahr davon gesprochen, dass Aids die größte Massenvernichtungswaffe sei und dass im Kampf dagegen die meisten Regierungen nicht so engagiert seien wie etwa bei der Verfolgung von Terroristen. Diese Zustandsbeschreibung trifft aber auf die Bundesregierung nicht zu. Wir haben uns im AWZ auf der Grundlage von gemeinsamen Beschlusslagen auf ein verstärktes HIV-/Aidsengagement verständigt. Das halte ich für einen richtigen Weg. Ich glaube, wir müssen den Kreislauf „je höher die wirtschaftliche Abhängigkeit, je niedriger der soziale Status und je geringer das Bildungsniveau, desto ungehinderter erfolgt die Verbreitung der Krankheit“ wirkungsvoll durchbrechen. Ich bin deswegen sehr froh, dass wir neben den Mitteln für die bilaterale HIV-und Aidsbekämpfung weitere Mittel zur Verfügung stellen konnten, um dieses wichtige Sektorvorhaben im BMZ zu stärken, und dass wir mit weiteren 10 Millionen Euro für den globalen Fonds gegen HIV und Aids, Tuberkulose und Malaria wirkungsvolle Hilfe geben können. Nichtsdestotrotz sagen viele Hilfeorganisationen, die in diesem Bereich tätig sind: Man kann die Qualität der Hilfe nicht allein an der Höhe der bereitgestellten Mittel messen. Nehmen wir das Beispiel Mosambik. Dort sagt man: Bringt uns nicht mehr Geld, sondern helft uns, Leute auszubilden. Mosambik, ein Land, das doppelt so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland, verfügt über 450 Ärztinnen und Ärzte. Da weiß man, wo der Notstand ist. Hier können Sie eine wirkungsvolle HIVund Aidsbekämpfung betreiben. Wir müssen mehr in die Ausbildung von Fachpersonal investieren. Dann können sich diese Länder selber helfen. ({4}) Zur Stärkung der ODA-Quote der Bundesrepublik Deutschland von zurzeit 0,28 Prozent. Es liegt mir auf der Zunge, noch einmal zu sagen, zu welcher Absenkung der ODA-Quote es in den 16 Jahren Ihrer Regierung kam. Sie haben es von einem Haushaltsjahr zum anderen, von 1996 auf 1997, geschafft, die ODA-Quote um 0,04 Prozentpunkte zu senken. Das war ein rasantes Tempo. Ich glaube, dass wir nicht nur im Rahmen der Erhöhung von Haushaltsmitteln darüber reden dürfen, ob wir die ODA-Quote erreichen. Ich wünsche mir von der Opposition, dass sie die Schranken öffnet und mit uns darüber spricht, welche anderen kreativen Ideen es gibt. Ich erinnere an die Devisenumsatzbesteuerung, an Nutzungsentgelte und an Beiträge durch die Privatwirtschaft. Dem haben Sie sich bisher verschlossen, ({5}) Allein über Haushaltsansätze die Probleme zu regeln reicht nicht aus. Wir als SPD haben deshalb Vorschläge für die weitere Beratung im Ausschuss gemacht. Es ist dringend notwendig, dass wir im Ausschuss über alternative Finanzierungselemente reden und uns auf ein neues Maß verständigen. Denn ansonsten bleibt es bei dem derzeit gestückelten Verfahren. Ich glaube, dass unsere Haushaltsanträge auch dadurch, dass wir gesagt haben, es müsse neue verbilligte FZ-Kredite geben, um neue Haushaltsmittel zu akquirieren, die ODA-anrechnungsfähig sind, in die richtige Richtung gehen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass unsere Haushälterin und unser Haushälter von Rot-Grün das aufgreifen und wir im nächsten Jahr eine noch positivere Bilanz ziehen können. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache, für die eine Stunde vorgesehen und vereinbart war und die nun tatsächlich deutlich mehr als anderthalb Stunden gedauert hat, was die Vermutung der Großzügigkeit des amtierenden Präsidenten eindrucksvoll bestätigt, ({0}) auch wenn der entsprechende Kollege mit dem Hinweis auf die Großzügigkeit des Präsidenten seine Anwesenheit danach für entbehrlich gehalten hat. ({1}) Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 23 - Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - in der Ausschussfassung. Wer für den Einzelplan in dieser Fassung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich der Stimme? - Der Einzelplan 23 ist damit angenommen. Damit sind wir zugleich am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für morgen, Donnerstag, den 25. November 2004, 9 Uhr, ein. Ich wünsche allen noch einen schönen, angenehmen Abend und schließe damit die Sitzung.