Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/24/2002

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir die heutigen Plenarberatungen mit einer Geschäftsordnungsdebatte beginnen müssen, ist ebenso überflüssig wie unverständlich. Wir haben uns unter den Geschäftsführern vergeblich bemüht, zu einer Einigung darüber zu kommen, dass der Antrag „Vorhaben zukünftiges Transportflugzeug A400M“ hier debattiert wird. Das ist deswegen unverständlich, weil auch in den Reihen der Opposition offensichtlich Einverständnis darüber besteht, dass ein solches Flugzeug beschafft werden soll und dass die Grundlagen dafür im parlamentarischen Verfahren hergestellt werden sollen. Nun bieten wir Ihnen dieses an und Sie lehnen das ab. Irgendwo kommt man da nicht mehr so ganz mit. Sie haben selbst erklärt - das erhöht das Unverständnis gegenüber dem Verhalten der Opposition und insbesondere der CDU/CSU -, dass Sie zu dem von uns eingebrachten Antrag Änderungsanträge einbringen werden. Warum wollen Sie dann hier keine Debatte zulassen und erzwingen eine Geschäftsordnungsauseinandersetzung? Ich denke schon, dass Sie da sehr unkoordiniert und widersprüchlich handeln. Wir werden unseren Antrag, den der Herr Präsident schon vorgestellt hat, aufrechterhalten. Wir wollen heute Nachmittag diese Debatte führen, um die Grundlagen für die Airbus-Beschaffung zu legen. Wir bitten Sie um Ihre Zustimmung; vielleicht kommen Sie ja im Laufe des Tages doch noch zu einer entsprechenden Haltung. Vielen Dank. ({0}) Präsident Wolfgang Thierse

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans-Peter Repnik, CDU/CSU-Fraktion.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was vom Herrn Kollegen Schmidt so harmlos vorgetragen wird und sich so harmlos anhört, ist ein weiteres dreistes Kapitel aus dem Tollhaus verfehlter rot-grüner Regierungspolitik. ({0}) Einmal mehr wird der Versuch unternommen zu tricksen, zu täuschen und Ressortstreitigkeiten innerhalb der Bundesregierung zu überdecken. Um es vorweg zu sagen: Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, widersprechen der Aufsetzung. Wir begrüßen als Fraktion ganz eindeutig die grundsätzliche Bereitschaft der Bundesregierung, in dieser Frage, die Lufttransportflotte zu modernisieren, endlich zu handeln. Die geplante Beschaffung des neuen Transporters kostet Geld, wie wir wissen. Es kostet das Geld des Steuerzahlers. Dafür gibt es ja seit Jahrzehnten ein eingefahrenes Regelwerk, das einzuhalten ist. Der von Verteidigungsminister Scharping am 18. Dezember letzten Jahres unter Parlamentsvorbehalt unterzeichnete Vertrag über die Beschaffung von 73 Maschinen des Typs A400M ist so lange schwebend unwirksam, bis wir, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die entsprechenden Finanzmittel im Bundeshaushalt 2002 bereitgestellt haben. Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis möchte ich gerne aus einem Brief zitieren, den Sie meinem Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz am 28. Dezember 2001 zukommen ließen, in dem Sie auf sein Schreiben antworteten. Der Präsident trägt in diesem Brief vor - ich darf ihn zitieren: Nach den mir vorliegenden Informationen gehe ich allerdings davon aus, dass Rechte des Parlaments, insbesondere seine Budgethoheit nicht berührt sind, da die Verträge gerade unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Parlaments unterzeichnet wurden und deshalb erst rechtswirksam werden können, wenn der Bundestag sie billigt und die entsprechenden haushaltsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen sind. ({1}) Nichts anderes, verehrte Kolleginnen und Kollegen, haben wir seitens der CDU/CSU-Fraktion vor. Mit dem Antrag, den die SPD heute auf die Tagesordnung zwingen und abstimmen lassen will, ist genau diese haushaltsrechtliche Situation nicht gegeben. Von daher sind wir der Überzeugung, dass wir anders prozedieren sollen. Man muss nicht unbedingt Jurist sein, um den Straftatbestand zu erahnen, der erfüllt wird, wenn man durch Vortäuschung falscher Tatsachen beim Vertragspartner mögliche finanzielle Verpflichtungen auslöst. Auch dies darf ich vielleicht am Rande erwähnen. ({2}) ({3}) - Herr Kollege Struck, Sie kokettieren immer damit, dass Sie sich in Haushalts- und Finanzfragen auskennen. Diejenigen, die sich mit dem Haushaltsrecht auskennen, wissen, dass nur im Wege eines Nachtragshaushaltes der Parlamentsvorbehalt gegenüber dem vom Verteidigungsminister unterzeichneten Beschaffungsvertrag beseitigt werden kann. ({4}) Ich füge hinzu, um unsere grundsätzliche Bereitschaft zu diesem Vorhaben noch einmal zu dokumentieren: Wir haben in den Haushaltsberatungen des vergangenen Herbstes gerade hierzu Anträge gestellt. Diese Anträge sind von der Koalitionsmehrheit abgelehnt worden. Wir haben auch in den Gesprächen in der letzen Woche - Herr Kollege Schmidt, auch in unseren bilateralen Gesprächen konkret angeboten, sehr schnell einen Nachtragshaushalt zu verabschieden, weil wir der Meinung sind: Die Bundeswehr hat es verdient, dass diese Beschaffungsmaßnahmen vorgenommen werden, und unsere ausländischen Vertragspartner müssen Rechtssicherheit in dieser Frage bekommen. Das geht aber nicht ohne einen Nachtragshaushalt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind der Überzeugung, dass wir dieses Verfahren heilen können, und zwar auf ordentlichem Weg mit einem Nachtragshaushalt. Der Antrag, den die Koalition einbringt und heute verabschieden lassen will, heilt diesen Mangel jedoch nicht. Er stellt weder für die Bundeswehr noch für unsere ausländischen Vertragspartner Rechtssicherheit her. Deshalb finden wir, dass dieser Antrag heute nicht auf die Tagesordnung gehört, ({5}) weil wir damit einen Nachtragshaushalt beschließen. Ich bitte daher das Hohe Haus, unserem Antrag, der Aufsetzung zu widersprechen, zuzustimmen. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Repnik, bisher habe ich die Position der Union so verstanden, dass sie das Airbus-Projekt will. Wenn Sie jetzt davon reden, wir würden mit diesem Antrag falsche Tatsachen vorspiegeln, dann frage ich Sie ganz klar, ob Sie Ihre Zustimmung wieder zurücknehmen oder infrage stellen. ({0}) Von Tricksen und Täuschen kann überhaupt nicht die Rede sein. Es ist richtig, dass wir einen Parlamentsvorbehalt wollen. Wir werden diesem Parlamentsvorbehalt mit dem Beschluss, den wir heute selbstverständlich fassen werden, auch gerecht. Es ist richtig, dass wir ein haushaltsrechtlich einwandfreies Verfahren brauchen. Diesem haushaltsrechtlich einwandfreien Verfahren werden wir mit dem Beschluss, den wir heute fassen werden, gerecht. Wir werden nämlich einen Teil des Geldes jetzt und den zweiten Teil des Geldes im Haushalt 2003 darstellen. Richtig ist übrigens auch, dass wir eine hohe Verbindlichkeit unseren Partnern gegenüber brauchen. Auch das werden wir mit dem Antrag heute deutlich machen, es sei denn, die Union will ihre Zustimmung zu dem Projekt, die sie signalisiert hat, zurücknehmen. Ich glaube, dass wir ganz klar und einwandfrei, ohne Tricksen und Täuschen heute über diesen Antrag beraten können. Ich kann Sie nur auffordern, ihn entsprechend zu unterstützen und nicht vor dem Hintergrund von Wahlkampftrara zu versuchen, das Projekt zu verhindern. Sie tun sich und dem Projekt damit keinen Gefallen ({1}) und Sie tun der europäischen Verteidigungspolitik keinen Gefallen. ({2}) Sie tun vor allen Dingen dem Parlament keinen Gefallen, wenn Sie hier falsche Tatsachen vorspiegeln, Herr Repnik. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Jürgen Koppelin, FDP-Fraktion.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor sieben Wochen stand der Bundesfinanzminister an diesem Pult und erklärte, das sei die letzte Haushaltsdebatte in dieser Legislaturperiode. Wie wir sehen, hat nicht einmal das gestimmt. Mit dem Antrag, den die Koalition heute auf die Tagesordnung setzen will, eröffnet sie die Debatte um den Bundeshaushalt 2002 neu. Es zeigt sich bereits nach sieben Wochen: Ihr Haushalt ist mehr Schein als Sein. ({0}) Gegen den Rat der Opposition, gegen unsere Anträge haben Sie sich dazu entschlossen, Mittel für die Beschaffung von 45 Flugzeugen im Bundeshaushalt einzustellen. Am Parlament vorbei hat der Bundesverteidigungsminister wenige Tage später einen Vertrag über 73 Flugzeuge unterzeichnet. Er hat das getan, obwohl er wusste, dass ihm dafür nicht die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen. Er hat es getan, obwohl ihm die Abgeordneten der rot-grünen Koalition im Haushaltsausschuss deutlich gemacht haben, dass er das Geld nur für 45 Flugzeuge bekommt und keine Mark mehr erhält. Die Konsequenz daraus war natürlich die Ablehnung aller Anträge der Opposition durch die Koalition. Man darf hier festhalten: Der Bundeshaushalt ist ein Gesetz. In namentlicher Abstimmung haben der Bundeskanzler und der Bundesverteidigungsminister diesem Haushalt zugestimmt, in dem steht: 45 Flugzeuge und kein Stück mehr. Das müssen wir festhalten. Das war vor sieben Wochen. Woher hat der Verteidigungsminister sich nun das Recht genommen, für 73 Flugzeuge zu unterschreiben? Von solider Regierungsarbeit kann da ja wohl nicht die Rede sein. Heute wollen Sie mit Ihrem Antrag Ihre falsche Entscheidung von vor sieben Wochen korrigieren, und das, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, ohne eine Beratung des Haushaltsausschusses, in einem Schnellverfahren quasi am Parlament vorbei. ({1}) - Entschuldigung, darauf komme ich gleich, Kollege Schlauch. Sie begehen einen eindeutigen Verstoß gegen Art. 110 des Grundgesetzes. ({2}) Ein von der FDP in Auftrag gegebenes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes und die Stellungnahme des Bundesrechnungshofs, die wir vor zwei Tagen bekommen haben, sagen deutlich: Sie können nur durch einen Nachtragshaushalt heilen; nur mit einem Nachtragshaushalt kann die Unterschrift des Verteidigungsministers Gültigkeit erlangen. ({3}) Da Sie in der Koalition anscheinend Probleme mit dem Art. 110 des Grundgesetzes haben, darf ich Ihnen mit Erlaubnis des Präsidenten den Kommentar dazu vorlesen: Soweit die Exekutive über die betreffende Planungsperiode hinaus Verpflichtungen eingehen will, zum Beispiel durch Verträge oder Bewilligungsbescheide für längerfristige Vorhaben, die zwangsläufig zu kassenmäßigen Ausgaben in späteren Haushaltsjahren führen, braucht sie dafür so genannte Verpflichtungsermächtigungen. Andernfalls könnte die Exekutive durch rechtlich bindende VorKatrin Göring-Eckardt verfügungen das Budgetrecht des Parlaments aushöhlen. ({4}) Würden wir heute Ihrem Antrag zustimmen und ihn auf die Tagesordnung setzen, so wie Sie das wollen, würden wir das Budgetrecht des nächsten Parlaments aushöhlen. Absichtserklärungen für eine künftige Bundesregierung, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, die Sie hier beschließen wollen, können Sie aber auch nicht abgeben; denn die nächste Bundesregierung wird ja nicht von Rot-Grün gestellt. ({5}) Warum Sie keinen Nachtragshaushalt vorlegen, das wissen wir. Der Bundesfinanzminister müsste dann nämlich auch zur Konjunktur, zum Arbeitsmarkt und zur mittelfristigen Finanzplanung Stellung nehmen. Diese Bilanz würde für Sie katastrophal und furchtbar aussehen. Der Antrag, den Sie heute auf die Tagesordnung setzen wollen, klärt nichts und lässt alle haushaltsrechtlichen Fragen unbeantwortet. Die Unterschrift des Bundesverteidigungsministers ist haushaltsrechtlich nicht abgesichert, ist ein Verstoß gegen das Haushaltsrecht. Man merkt, dass Sie ein schlechtes Gewissen haben. Sie wollen diesen Antrag heute auf die Tagesordnung setzen lassen und etwa um 22 Uhr, also zu später Stunde, wenn die Journalisten nach Hause gegangen und die Kameras abgeschaltet sind, beraten lassen. Warum scheut Ihr Antrag eigentlich das Tageslicht? ({6}) Wir werden Ihrem Ansinnen, diesen Antrag heute auf die Tagesordnung zu setzen, nicht zustimmen. Sie können von der Fraktion der Freien Demokraten nicht erwarten, dass sie sich an einem Rechtsbruch beteiligt. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Rolf Kutzmutz, PDS-Fraktion.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es scheint sinnvoll und überzeugend zu sein, dass ein Antrag auf die Tagesordnung gesetzt wird, um eine parlamentarische Befassung mit dem Militärairbus A400M zu erreichen. Schließlich ist in den letzten Tagen sehr viel darüber diskutiert worden. Immer wieder und quer durch alle Parteien wird darauf verwiesen, dass mit der Unterschrift gegen das Parlamentsrecht verstoßen worden ist und dass das Parlament außen vor gelassen wird. Es scheint aber nur sinnvoll zu sein; denn mit dem Antrag, der heute auf die Tagesordnung gesetzt werden soll - unabhängig von der Zeit; Herr Koppelin hat gesagt, er werde dann um 21 oder 22 Uhr - mit einer Debattenzeit von gerade einmal 30 Minuten beraten -, wird das nicht geheilt. Dagegen spricht auch nicht die Geschäftsordnung. Ich meine, es geht um eine Größenordnung, bei der es erforderlich ist, dass wir im Parlament sehr ausführlich diskutieren und keine Vorabzustimmung geben sollten. Ich halte eine Debatte zu dieser Zeit und in diesem Umfang für eine Farce. Schließlich soll mit diesem Antrag die Absicht der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen begründet werden, über die Finanzierung weiterer 33 Militärairbusse mit einem Volumen von mehr als 3,5 Milliarden Euro mit dem Bundeshaushalt 2003 zu entscheiden. Damit wäre der Parlamentsvorbehalt nach Ihrer Auffassung aufgehoben. Würden wir der Aufsetzung zustimmen und würde damit eine Mehrheit diesem Antrag die Zustimmung geben, wäre das Budgetrecht des Parlaments ausgehöhlt und - das wurde hier schon gesagt - das Grundgesetz, besonders Art. 110, verletzt. ({0}) Wenn Sie wollen, dass die Bundeswehr mit 73 Militärairbussen ausgestattet wird - wir wollen das nicht -, dann können Sie den Parlamentsvorbehalt nach geltendem Recht mit einem Nachtragshaushalt 2002, über den im Haushaltsausschuss des Bundestages und im Plenum gründlich diskutiert werden muss, auflösen. Mit der heutigen Aufsetzung des Antrags würde dieses verfassungsund budgetrechtlich vorgesehene Prozedere umgangen. Dem können wir nicht zustimmen; deshalb stimmen wir auch Ihrem Antrag nicht zu. Danke schön. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen zur Ab- stimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Aufsetzungs- antrag ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Damit wird der Antrag mit dem Ti- tel „Vorhaben zukünftiges Transportflugzeug A400M“ heute nach Tagesordnungspunkt 11 beraten. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur auswärtigen Kulturpolitik 2000 - Drucksache 14/6825 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({0}) Auswärtiger Ausschuss Sportausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ina Albowitz, Hildebrecht Braun ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP „Public Private Partnership“ in der auswärti- gen Kulturpolitik - Drucksachen 14/5963, 14/7253 - Berichterstattung: Abgeordnete Monika Griefahn Rita Grießhaber Wolfgang Gehrcke c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Griefahn, Eckhardt Barthel, Hans-Werner Bertl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Rita Grießhaber, Dr. Antje Vollmer, Kerstin Müller ({4}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Auswärtige Kulturpolitik für das 21. Jahrhundert - Drucksachen 14/5799, 14/7380 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Norbert Lammert Hans-Joachim Otto ({5}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Monika Griefahn, SPD-Fraktion.

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie man so schön sieht: Eine vollkommene Menschheit wird es natürlich nie geben. ({0}) - Tja, das ist so. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte diejenigen, die den Saal verlassen wollen, das möglichst umgehend zu tun, damit sich die Rednerin Gehör verschaffen kann. ({0})

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist schön, dass Sie alle da sind. Eine vollkommene Menschheit wird es natürlich nie geben. Was wir erreichen können, ist, dass immer mehr Menschen zum Gespräch bereit werden, dass sie sich toleranter und friedlicher verhalten. Dadurch werden die zerstörerischen Kräfte zurückgedrängt. Das allein wäre schon ein Fortschritt. Diese Worte des Dalai-Lama zeigen eindrücklich, worum es in der auswärtigen Kulturpolitik noch mehr denn je gehen muss. „Rohstoff des Friedens ist Verständigung“, hat uns Hilmar Hoffmann in seiner Abschiedsrede am 18. Januar 2002 ins Stammbuch geschrieben. Seit den Ereignissen vom 11. September 2001 bekommt unsere Diskussion um den Dialog der Kulturen eine neue Dimension. Wir haben uns im letzten Jahr intensiv damit beschäftigt; jetzt wird es noch aktueller. Heute wird ein Friedensgebet der Weltreligionen in einem Sonderzug von Rom nach Assisi stattfinden. Dort wird eine Verständigung der Religionen - dort sind die Sikhs, die Katholiken, die Juden und die Moslems alle zusammen - angestrebt. Das ist ein gutes Signal. ({0}) Gestern Abend hat im Goethe-Institut in Berlin ein anderes Projekt begonnen: die Kulturkarawane Qafilat as-Salam, mit der 800 Künstler aus diversen Ländern versuchen, gemeinsam Projekte zu erarbeiten, um in einen interkulturellen Dialog zu kommen. Auch das ist ein Projekt, mit dem man versucht, die Verständigung zwischen den Kulturen und Religionen voranzubringen. Das geschieht mit Unterstützung unserer Goethe-Institute. Wenn wir uns die Taten vom 11. September anschauen, fragen wir uns: Haben wir eine Chance, solche Anschläge in Zukunft auch durch Dialoge und eine entsprechende Ausrichtung der Politik zu verhindern? Ich formuliere dies bewusst als Frage. Der Dalai-Lama hat sicherlich Recht, wenn er sagt, dass Gespräche die Grundlage für ein friedliches Miteinander sind. Aber wen können wir, wen kann die auswärtige Kulturpolitik damit erreichen? Wie kann der Dialog der Kulturen - letztes Jahr wurde von der UN immerhin das Jahr des Dialogs der Kulturen ausgerufen - im Einzelfall ausgestaltet werden? Was kann er tatsächlich bewirken? Wir diskutieren über diese Fragen und die Neuausrichtung der auswärtigen Kulturpolitik. Seit den Geschehnissen im September führen wir wieder die Debatte über die Frage, ob es einen Kampf der Kulturen gibt. Huntington hat Konjunktur. Das geht meiner Meinung nach in die falsche Richtung. Der Bundeskanzler hat von einem „Kampf um die Kulturen“ gesprochen. Das ist der richtige Ansatz. ({1}) Präsident Wolfgang Thierse Auch wenn ich in diesem Zusammenhang weniger vom Kämpfen sprechen möchte, so ist doch klar, was damit gemeint ist: Wir sollten uns darum bemühen, in den internationalen Beziehungen Strukturen zu schaffen und zu fördern, die dazu geeignet sind, dass sich Menschen begegnen und in einen Austausch über Vorstellungen, Werte und Ideen treten können. „Das kommunikative Kapital ist ein verderblich Gut“, sagte Hoffmann am letzten Freitag. Wir sind jetzt mehr denn je gefordert, dieses „kommunikative Kapital“ zu stabilisieren und zu akkumulieren, damit es nicht verloren geht. Es ist ein integraler Bestandteil der Außenpolitik und hat ein enormes Potenzial, um einen wirklichen Dialog der Kulturen im Sinne der gegenseitigen Verständigung, um Toleranz und vor allem um Konfliktprävention zu ermöglichen. Die Herstellung und Gewährleistung der Sicherheit nach innen und außen ist nicht allein eine Angelegenheit der Polizei bzw. der Militärkräfte. Es ist eben nicht die Ultima Ratio, sondern die „Prima Ratio“, wie Hilmar Hoffmann meinte. Wir sind der Auffassung, dass die Sicherheit in Deutschland und in anderen Ländern nur dann nachhaltig zu gewährleisten ist, wenn wir zusätzliche Maßnahmen durchführen. Unser Außenminister ist hier sehr aktiv. Das haben wir bei der Konferenz auf dem Petersberg und bei den Maßnahmen, die jetzt in Afghanistan anlaufen, gesehen. Dabei spielen das zivile Element, also die Stützung der zivilen Gesellschaft, der Dialog zwischen den Kulturen und die Möglichkeit der Begegnung von Menschen eine zentrale Rolle. ({2}) Diese Bemühungen möchte ich an einigen Beispielen deutlich machen. Als Projekte, die wir in Afghanistan für die friedliche Entwicklung voranbringen, sind zum Beispiel der Wiederaufbau des Goethe-Institutes, der Wiederaufbau der deutschen Schule in Kabul sowie die Stärkung der Möglichkeit, dass Frauen überall aktiv werden, zu nennen. Gerade der letzte Punkt ist ein ganz zentrales Element für den Dialog; denn Frauen in der Gesellschaft haben eine wichtige Funktion: Sie bringen eine andere Kultur in die Debatte. Diese Projekte werden im Moment mit 8,5 Millionen Euro unterstützt. Ich denke, das ist ein guter Anfang. ({3}) Damit nicht genug. Wir haben im letzten Jahr den Dialog der Kulturen bei der ersten Debatte zu unserem Antrag diskutiert. Wir haben darüber gesprochen, dass zum Beispiel das Goethe-Institut Inter Nationes wichtige Projekte voranbringt und wichtige Schritte geht. Die Präsenz vor Ort in aller Welt ist ein ganz zentraler Punkt. Das Goethe-Institut Inter Nationes hat sofort nach den Ereignissen am 11. September reagiert, hat zusätzliche Projekte vorgelegt und hat auf die Bedeutung der Präsenz hingewiesen, um die Möglichkeit zum direkten Austausch zu gewährleisten. In den Projektbeschreibungen wird sehr deutlich, dass, auch wenn der aktuelle Auslöser der Entwicklung die Taten islamistischer Terroristen waren, nicht der Blick dafür verloren gehen darf, dass weder Methoden noch Ziele des Terrors einer Religion zuzuordnen sind. Ich glaube, das ist die zentrale Frage, mit der wir uns auseinander setzen müssen. ({4}) Ich möchte nur ein Beispiel nennen: In Sri Lanka gibt es Selbstmordattentäter, die gegen buddhistische Symbole angehen und aktiv werden, ohne dass man das mit dem Islam in Verbindung bringen könnte. Wir brauchen also insgesamt den kritischen Dialog und brauchen ein Zugehen der verschiedenen Kulturen und der verschiedenen Wurzeln aufeinander. Wir haben jetzt Projekte, die auf Länder zugeschnitten sind, die zum großen Teil durch den Islam geprägt sind. Wir dürfen uns aber nicht nur auf die arabische Welt konzentrieren. Alleine in Indien gibt es 150 Millionen Muslime. Das ist immer wieder ein Grund für Auseinandersetzungen. Wir haben stets unterschätzt, wie groß die Auseinandersetzungen in den Ländern sind, wo viele Religionen, viele Kulturen miteinander leben. Wir sehen es zurzeit an den Anschlägen in Kalkutta. Die Programme, die gerade das Goethe-Institut Inter Nationes vorschlägt, gehen von den Grundsätzen aus, dass der Dialog zwischen den Individuen notwendig ist und ermöglicht werden soll, dass als Zielgruppe die aufgeklärten Eliten in der Zivilgesellschaft erreicht werden müssen und dass man besonders auf die NGOs, das heißt die Nichtregierungsorganisationen, zugehen muss, damit sich Menschen dort treffen können. Wie wichtig das ist, haben wir im Iran gesehen: Im dortigen Goethe-Institut haben sich, solange es noch existierte, Schriftsteller und Intellektuelle getroffen und somit die Demokratieentwicklung sowie den Reformprozess untereinander weitergeführt. Das ist uns bei einer Anhörung zur auswärtigen Kulturpolitik sehr deutlich geworden. Das ist der Weg, um auch zu einer zivilgesellschaftlichen Entwicklung in diesen Ländern zu kommen. ({5}) Dialog der Kulturen heißt aber nicht nur, mit GoetheInstituten in den Ländern präsent zu sein, sondern auch, diverse andere Aktivitäten, wie sie in unserem Antrag beschrieben sind, zu unternehmen. Wir haben im Jahr 2002 für eine Verstetigung der Stipendienprogramme durch Bereitstellung von 10,5 Millionen Euro gesorgt. Wir haben die Zukunft der Schulen gesichert; es wurde ja darüber diskutiert, ob wir eigentlich noch so viele deutsche Schulen im Ausland brauchen. Wir haben zusätzliche Mittel - 40 Millionen DM bzw. etwas mehr als 20 Millionen Euro - der Deutschen Welle zur Verfügung gestellt, damit gemeinsam mit ARD und ZDF ein neuer Auslandskanal auf den Weg gebracht werden kann. Wir haben auch Schritte unternommen, damit hier vor Ort ein stärkerer Austausch stattfinden kann, zum Beispiel im Haus der Kulturen der Welt, das zusätzlich dafür 5 Millionen DM bekommen hat - das sind etwas mehr als 2,5 Millionen Euro, ich erspare uns jetzt die Umrechnung. Wir haben auch eine Lösung der Probleme, die sich bei den GoetheInstituten ergeben haben - ich erinnere an die Frage, ob die Fusionsrendite kommt -, angegangen. Wir brauchen jetzt alles Geld für die neuen Programme und für die Umsetzung der Eckpunkte, die ich eben dargestellt habe. ({6}) Die Schaffung von Orten der Begegnung und der Einsatz neuer Medien sind zentrale Anliegen. Wir wollen unsere Internetportale ausweiten. Es gibt jetzt zum Beispiel ein Deutschlandportal, bei dem Goethe-Institute, DAAD, die Deutsche Welle und unser Bundespresseamt zusammenarbeiten und Informationen über Deutschland sowie Sprachkurse anbieten, aber auch die Möglichkeit zur Begegnung bieten. Mehr und mehr werden auch junge Leute das Internet als Medium nutzen, um sich zu treffen. Wie wichtig dieses wiederum für Frauen ist, habe ich persönlich bei einem Besuch im Iran gesehen, wo hauptsächlich Frauen die Internetcafés besuchten. Das Internet ist das Tor zur Welt. Indem wir dieses ausbauen und Medienkompetenz fördern, können wir auch etwas für den Austausch und für das gegenseitige Verständnis tun. ({7}) Es geht aber nicht nur um die Schaffung umfassender Dialogstrukturen, sondern auch darum, dass die „Zweibahnstraße“, die durch das AKP-2000-Programm des Auswärtigen Amtes und des Parlaments beschritten wurde, weiter ausgebaut wird. Dazu müssen alle Mittler, die wir haben, nämlich der Deutsche Akademische Austauschdienst, das Institut für Auslandsfragen, unsere Schulen und die Humboldt-Stiftung einbezogen werden, aber auch viele Einzelne, zum Beispiel Vertreter der Wirtschaft. Ich appelliere hier noch einmal an diese. Die deutsche Wirtschaft erzählt uns ja immer wieder, dass es sehr wichtig ist, dass Deutschland nicht nur in Form von Botschaften und Konsulaten vor Ort vertreten ist, sondern auch in Form von Kultureinrichtungen. Diese Zusammenarbeit muss verstärkt werden. Ich hoffe, dass sich auch die Wirtschaft weiter engagiert - Hilmar Hoffmann hat die Wirtschaft ja schon sehr engagiert angesprochen -, vor Ort für beständige Kulturarbeit sorgt und sie noch verstärkt; denn für die Wirtschaft sind die Orte der Begegnung extrem wichtig, für sie ist es wichtig, dass ihre Mitarbeiter Deutsch lernen, damit eine Brücke nach Deutschland geschlagen wird. Mit unseren Stipendienprogrammen werden wir auch umgekehrt hier Mitarbeiter ausbilden, damit die Bindung an Deutschland noch enger wird. Das liegt im allseitigen Interesse, es fördert sowohl den Dialog der Kulturen als auch die wirtschaftliche Entwicklung. ({8}) Public Private Partnership, wie im Antrag der FDP dargestellt, wollen wir so nicht. Wir wollen nicht, dass die Wirtschaft die Aufgaben der Politik übernimmt und sozusagen nach Gutdünken entscheiden kann, welche der Projekte gemacht werden und welche nicht. Ich glaube, dass der Dialog der Kulturen eine staatliche Aufgabe bleiben muss. Wir sind in der Verantwortung und wir nehmen diese Verantwortung wahr und haben dementsprechend Mittel zur Verfügung gestellt. Ich hoffe, dass diese Aufgabe weiterhin vom ganzen Haus unterstützt wird. In unseren Debatten im Kulturausschuss zum Beispiel wurde immer sehr deutlich, dass das eine gemeinsame Aufgabe ist. ({9}) Ein wichtiger Punkt ist die Zusammenarbeit der europäischen Staaten. Seit 1. Januar 2002 gibt es bei uns den Euro. Wenn man in ein anderes Land der Europäischen Union fährt, muss man nicht mehr die mühsame Umtauscharbeit leisten. Die Menschen in den Ländern, die den Euro eingeführt haben, nehmen ihn positiv an. Aber das darf nicht der letzte Schritt sein. Wir brauchen auch ein Stück mehr gemeinsame europäische auswärtige Kulturpolitik. Dies haben wir in unserem Antrag formuliert. Wir haben das auch mit unseren Partnern in Frankreich, England, Italien, Österreich und anderen Ländern diskutiert und der Prozess kommt langsam in Gang. Es ist ein schwerfälliger Prozess, aber es gibt inzwischen deutschfranzösische Lesesäle und es gibt sogar deutsch-polnische Kooperationen. Gestern sagte mir der Leiter des Goethe-Institutes in Berlin, es wäre doch schön, wenn das polnische Kulturinstitut in den vierten Stock des Goethe-Institutes ziehen würde, denn das würde eine enge Kooperation bedeuten und wäre ein Signal für das erweiterte Europa. ({10}) Wenn wir als Europäer zusammenarbeiten, heißt das aber nicht gleichzeitig, dass die deutsche Identität verloren gehen soll. Auch die Vermittlung der deutschen Sprache als Wurzel, als Teil der Kultur ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir werden uns mit der deutschen Sprache aufgrund der entsprechenden Großen Anfrage heute Mittag noch stärker beschäftigen. Insofern brauche ich darauf jetzt nicht intensiver einzugehen. Die auswärtige Kulturpolitik ist, wenn sie europäisch agiert, nicht nur Kulturpolitik, sondern auch Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik. Deshalb glaube ich, dass es sehr wichtig und sinnvoll ist, dass die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik, die GASP, noch stärker um den Faktor Kultur erweitert wird, als das bisher der Fall ist, und dass dieses Thema bei den Debatten bei der WTO oder auch anderen Organisationen eine stärkere Rolle spielt. Ich trete ebenso entschieden dafür ein, dass der Bereich der Kultur zum Beispiel auch bei dem Gipfel in Johannesburg im September, „Rio plus zehn“, stärker einbezogen wird; denn die Kultur bietet einen Hintergrund für die Umweltzerstörung, die wir haben. Die Umweltzerstörung hängt zu einem großen Teil mit unserem linearen Kulturdenken zusammen. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns in dem Viereck Soziales, Ökologisches, WirtMonika Griefahn schaftliches und Kulturelles bewegen, um tatsächlich zu einer nachhaltigen Entwicklung zu kommen. ({11}) Gott sei Dank ist vieles, was wir in unserem Antrag formuliert haben, schon auf den Weg gebracht worden. Die Budgetierungen werden in den Instituten nach und nach eingeführt. Der Austausch von Mitarbeitern zwischen den verschiedenen Instituten, Botschaften und auch der Wirtschaft wird in Angriff genommen. Die Situation der Studierenden ist verbessert worden; sie können nach ihrem Studium hier bleiben. Ein ganz wichtiger Punkt unseres Antrages war auch eine andere Besteuerung ausländischer Künstler in Deutschland. Hier hat es entschiedene Verbesserungen gegeben; denn es war ein Rückgang von Künstlern, die zum Austausch mit deutschen Institutionen beigetragen haben, um 30 Prozent zu verzeichnen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Griefahn, Sie müssen zum Ende kommen, Sie haben Ihre Redezeit überschritten.

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe später angefangen, weil hier eine solche Unruhe war. Ich habe auf die Uhr geschaut.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nicht verhandeln!

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin sofort fertig. Ich freue mich, dass wir heute hier diese Debatte haben. Ich freue mich auch auf die Redebeiträge der anderen Kollegen; sie werden sicherlich das eine oder andere zu ergänzen haben. Ich bin froh, dass wir den Weg eingeschlagen haben, den Dialog der Kulturen auch finanziell zu unterstützen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich möchte an dieser Stelle auch dem Bundesaußenminister danken, dass er in den letzten Verhandlungen immer dieses Element des Dialogs der Kulturen und der Konfliktprävention in den Mittelpunkt gestellt hat. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Norbert Lammert, CDU/CSU-Fraktion.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Griefahn hat zum Schluss ihrer Rede zu Recht vermutet, dass die folgenden Redner das eine oder andere zu ergänzen haben werden. Das will ich für meine Fraktion gerne tun. Vor gut zwei Jahren hat der Außenminister die Neukonzeption der auswärtigen Kulturpolitik, „Konzeption 2000“, vorgelegt. Sie war nicht sonderlich aufregend, aber anspruchsvoll, und über die Grundsätze dieser auswärtigen Kulturpolitik gibt es im Deutschen Bundestag und nach meinem Eindruck auch darüber hinaus keinen Streit. ({0}) Seitdem hat es zwei auffällige, weil nicht unbedingt zu erwartende Entwicklungen gegeben. Zum einen ist die Verkündung dieser Neukonzeption zum Ausgangspunkt für regelmäßige Kürzungen in der Mittelausstattung der auswärtigen Kulturpolitik geworden ({1}) und zum anderen legt uns inzwischen die Koalition, die Fraktionen von SPD und Grünen, einen Antrag vor, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, entsprechend der eigenen Konzeption doch auch tätig zu werden. Offenbar besteht auch in den eigenen Reihen der Eindruck, dass den Ankündigungen des Außenministers nun Taten folgen müssen. Die erfreuliche Übereinstimmung in den Grundsätzen der auswärtigen Kulturpolitik droht folgenlos zu bleiben. Nichts macht die tränentreibende Diskrepanz zwischen den hohen Ansprüchen und den bescheidenen Möglichkeiten der auswärtigen Kulturpolitik einer rot-grünen Koalition deutlicher als die Entwicklung der Haushaltsansätze. Sie haben - ich beginne bewusst vor der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung - im Jahre 1997 sehr überschaubare 0,26 Prozent am Bundeshaushalt betragen, 1998 0,25 Prozent. Dann kam der Regierungswechsel und der vermeintlich große Aufbruch in eine große Zukunft mit dem ganz neuen Stellenwert für die auswärtige Kulturpolitik und prompt betrug der Anteil der Ausgaben für auswärtige Kulturpolitik im Haushaltsjahr 1999 0,24 Prozent, im Haushaltsjahr 2000 0,23 Prozent. Diesen Haushaltsansatz hat man im vergangenen Jahr tapfer verteidigt, um ihn nun für den gerade beschlossenen Haushalt des Jahres 2002 auf 0,22 Prozent abzusenken. ({2}) Das ist das Ergebnis der Ankündigungen und das sind die nachprüfbaren Konsequenzen, die sich daraus ergeben haben. Dabei muss man im Übrigen wissen, dass mit dem neuen Haushaltsjahr nicht nur der Tiefststand in der Mittelausstattung der auswärtigen Kulturpolitik seit zehn Jahren noch einmal unterboten worden ist, ({3}) sondern dass dies bei steigendem Gesamtetat des Einzelplans Auswärtiges Amt geschieht, folglich die viel gerühmte dritte Säule der auswärtigen Politik nicht immer stabiler, sondern immer brüchiger zu werden droht. ({4}) Ihr Anteil an den Gesamtausgaben des Auswärtigen Amtes sinkt kontinuierlich in Richtung 25 Prozent. Ein überproportionales Minus im Kulturhaushalt des Auswärtigen Amtes macht eben nicht glaubhaft, was der Außenminister postuliert hat, dass nämlich der auswärtigen KulturpoMonika Griefahn litik im Kontext unserer Außenpolitik ein besonderer Stellenwert zukomme. Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Herr Außenminister, Sie haben im Mai vergangenen Jahres gesagt - ich zitiere Sie -: Die Kürzungen der vergangenen zwei Jahre stehen durchaus im Widerspruch zum formulierten Ziel einer aktiveren auswärtigen Kulturpolitik. Das war ehrlich; ich habe das so auch verstanden und gewürdigt. Aber ich hatte damals noch den offenkundig allzu fröhlichen Optimismus, das sei auch als Ankündigung beabsichtigter Besserung zu verstehen. Davon kann nun leider überhaupt keine Rede sein. Im Bericht des Außenministers heißt es lapidar: Es ist mit weiteren Mittelkürzungen zu rechnen. Zum Beispiel geschieht dies bei den Auslandsschulen. Sie sind unbestritten ganz besonders wichtige Instrumente der auswärtigen Kulturpolitik, weil sie dauerhafte Bindungen an die Sprache und an die Kultur unserer Gesellschaft ermöglichen. ({5}) Massive Einsparungen in zweistelliger Millionenhöhe kann dieses Netz des kulturellen Dialogs nicht verkraften, schon gar nicht, wenn sie Jahr für Jahr in der gleichen Richtung erfolgen. Tatsächlich werden die Mittel für die Auslandsschulen nach der mittelfristigen Finanzplanung im Jahre 2003 unter Berücksichtigung nicht ausgeglichener Preissteigerungen und der Problematik der Wechselkurse effektiv mehr als ein Drittel unter den Ansätzen des Jahres 1998 liegen. ({6}) Eigentlich kann man damit die Debatte abschließen, weil es keinen Sinn ergibt, pausenlos Prinzipien zu verkünden, wenn es sich im konkreten politischen Handeln in einer so erbärmlichen Weise niederschlägt, wie das hier der Fall ist. Der Kollege Koschyk wird das im Einzelnen nachher in seinem Beitrag mit Blick auf die Auslandsschulen noch ergänzen. ({7}) Ich nehme die Deutsche Welle hinzu - sie gehört in diesen Zusammenhang -, für die allerdings der Außenminister - das sage ich der guten Ordnung halber - keine persönliche Verantwortung trägt. Die Verantwortung dafür liegt im Kanzleramt. Aber dass die Deutsche Welle auf ihre Weise ein genauso zentrales Instrument deutscher auswärtiger Kulturpolitik ist, daran besteht unter uns allen kein Zweifel. Da man der Bundesregierung fast alles, aber nicht ihre Konsequenz auch bei falschen Entscheidungen absprechen kann, machen wir hier präzise die gleiche Beobachtung: Kürzung über 40 Millionen Euro, das heißt knapp 80 Millionen DM, bei gleichzeitiger Ankündigung neuer Aktivitäten. Das Auslandsfernsehen wird zusätzlich gemacht bei gleichzeitiger Kürzung der Mittel. Auch hier findet genau die gleiche Operation statt: Man setzt Ankündigungen in die Welt, lässt diejenigen, die sie realisieren sollen, hilflos in der Landschaft stehen und beklagt sich am Ende darüber, dass man trotz bester, ausdrücklich angekündigter Ziele leider nicht annähernd so weit gekommen sei, wie man sich das vorgenommen hatte. ({8}) Nächstes Beispiel: Goethe-Institut Inter Nationes. Wir haben eine schwierige, aber einvernehmliche Operation hinter uns gebracht, um durch Zusammenschluss dieser beiden Institutionen unnötige Personal- und Verwaltungsausgaben einzusparen, damit die Projektförderung gestärkt werden kann. Schon im allerersten Jahr sollte nach den Absichten dieser Bundesregierung die feierlich versprochene Fusionsrendite zur Stärkung der Förderung der Projekte einkassiert werden. Verehrter Herr Außenminister, wir erinnern uns beide lebhaft an die peinliche Szene im Deutschen Bundestag, als wir buchstäblich in allerletzter Minute sichergestellt haben, dass das Schurkenstück noch vermieden werden konnte, das fast verhindert hätte, dass eine ausdrücklich zugesagte Stärkung der Mittel durch den Zusammenschluss dieser beiden Institutionen auch wirklich der Aufgabenerfüllung dieser Institutionen zugute kommt. ({9}) Hilmar Hoffmann, der Präsident des Goethe-Instituts, hat in diesen Tagen zum Abschluss seiner neunjährigen Amtszeit erklärt: Erst lobt uns die Politik über den grünen Klee, dann streicht sie uns die Mittel. - Dies ist eine ebenso bittere wie leider zutreffende Beschreibung der Situation. ({10}) Herr Außenminister, Sie haben ihm vor wenigen Tagen anläßlich seines Ausscheidens aus diesem Amt das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern verliehen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass er das verdient. Ich habe aber auch keinen Zweifel daran, es wäre ihm lieber gewesen, dass diese Auszeichnung nicht die Kompensation für eine nicht vorhandene Unterstützung gewesen wäre. ({11}) Ihm wäre es sicher lieber gewesen, wenn er während seiner Amtszeit die Unterstützung der Bundesregierung gehabt hätte, auf die er einen Anspruch hatte. ({12}) Ich nutze die Gelegenheit gerne, Hilmar Hoffmann für meine Fraktion unseren großen Respekt für seine Arbeit zu zollen. ({13}) Er war nicht nur ein glänzender Repräsentant dieses Instituts und der deutschen auswärtigen Kulturpolitik. Er war auch ein engagierter und durchsetzungsstarker Vertreter unserer - insoweit - gemeinsamen Interessen. Ich verbinde meine Gratulation an die neue Präsidentin Jutta Limbach mit der Hoffnung, dass es ihr gelingt, genau diese Rolle fortzusetzen. Nun ist ein neuer Geldsegen versprochen worden. Er soll sich aus dem Antiterrorpaket der Bundesregierung ergeben und den Dialog der Kulturen befördern. Mehr noch: Er soll zur Konfliktprävention beitragen. Die Hoffnung, dass auswärtige Kulturpolitik einen Beitrag zur friedlichen Konfliktlösung leisten könne, ist nicht vornherein abwegig. Es muss aber auch die Frage beantwortet werden, nicht nur ob, sondern auch wie sie es denn leisten will und welche Rolle in diesem Zusammenhang Kunst und Kultur tatsächlich wahrnehmen sollen. Von der politischen Instrumentalisierung von Kunst und Kultur haben wir uns in jahrelangen Diskussionen verabschiedet. Wir müssen sehr darauf achten, dass sie nicht durch die Hintertür wieder eingeführt wird. Neue Konzeptionen, die in diesem Zusammenhang wohlfeil zu diskutieren sind, Herr Außenminister, sind ganz gewiss gut gemeint, aber nicht immer gut durchdacht. Manches entspringt vielleicht auch einem naiven Verständnis sowohl von Außenpolitik als auch von Kunst oder einem Mangel an Nachdenken, vielleicht auch an beidem. ({14}) Eines jedenfalls werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen, nämlich den Versuch, von dem beschriebenen Dilemma der deutschen auswärtigen Politik dadurch abzulenken, dass eine neue Sinnsuche als der Ausweg aus dem Dilemma ausgegeben wird. So einfach kann es nicht gehen. Es muss schon das, was man als Ziel oder als Sinn der Politik formuliert, mit dafür geeigneten Mitteln unterlegt werden. Die Anstrengung kann sich - wenn Sie es so wollen - nicht im Theoretischen abspielen, sondern sie muss praktische Folgen haben, und zwar in einer ganz anderen Weise, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Die Vereinten Nationen haben bereits 1998 das gerade zu Ende gegangene Jahr 2001 zum „Jahr des Dialogs der Kulturen“ mit der Maßgabe an die Mitgliedstaaten erklärt, „geeignete kulturelle, pädagogische und soziale Programme zu planen und durchzuführen, um das Konzept des Dialogs zwischen den Kulturen zu befördern.“ Daran wollen wir uns alle nach Kräften beteiligen. Dies setzt voraus, dass wir uns dazu auch in die Lage versetzen. An Lautstärke mangelt es der deutschen auswärtigen Kulturpolitik nicht. Es mangelt ihr an Ernsthaftigkeit, an Gestaltungswillen. ({15}) Sie ist nicht sprachlos, aber sie ist zunehmend mittellos. Deswegen droht sie folgenlos zu werden. Frau Kollegin Griefahn, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede gesagt, eine vollkommene Menschheit werde es nie geben. Das ist wohl wahr. Seit dem Verlauf dieser Legislaturperiode wissen wir noch genauer als früher, dass es offenkundig auch keine vollkommene Regierung gibt. ({16})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Rita Grießhaber, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Rita Grießhaber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Thema auswärtige Kulturpolitik hat sich wieder einmal gezeigt - auch beim Kollegen Lammert -, dass hier über die Grundsätze ein sehr hoher Konsens besteht. Natürlich, Herr Kollege, sehen auch wir, dass die Sparvorgaben inzwischen die Schmerzgrenze erreicht haben. Nur ist hier nicht der Ort, darüber zu streiten, wieso wir diesen engen Haushalt haben und welche Schulden Sie zurückgelassen haben. ({0}) Weinen und Wehklagen hilft überhaupt nicht weiter. Bei aller Sorge um die Finanzierung lohnt es sich vielmehr, sich die positiven Veränderungen genauer anzuschauen. Ob Briten, Franzosen oder die USA: Alle haben Einschnitte und Strukturveränderungen in ihrer auswärtigen Kulturpolitik vorgenommen. Die Bundesregierung hat mit ihrem „Konzept 2000“ die Weichen gestellt, um mit weniger Mitteln - nicht nur bei den Mittlerorganisationen, sondern auch im eigenen Hause - durch höhere Effizienz mehr zu erreichen. Die Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern - die Kollegin Griefahn hat darauf hingewiesen wird verstärkt und ist kontinuierlich besser geworden. Zum Beispiel sind der Ausbau der Eurocampus-Schulen von Frankreich und Deutschland in Shanghai oder das gemeinsame Kulturzentrum vom Goethe-Institut und dem British Council in der Ukraine nicht nur Ausdruck sparsameren Wirtschaftens, sondern auch sehr gute Beispiele für die zurecht geforderte verstärkte europäische Kooperation. ({1}) Die Aufgaben der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik haben sich stark verändert. Spätestens der 11. September 2001 hat gezeigt, dass die Herausforderungen nicht weniger, sondern mehr geworden sind. Wenn heute das Goethe-Institut überlegt, die Schließungen von Instituten in Brennpunkten wie Sudan und Pakistan - da gehört auch zur Wahrheit, dass sie 1996 und 1997 geschlossen wurden, als nicht Herr Fischer Außenminister war ({2}) wieder rückgängig zu machen, wenn wir dann noch berücksichtigen, dass wir heute wieder an Orte, an denen Institute aufgrund der politischen Situation geschlossen werden mussten, wie in Iran und Afghanistan, zurückkehren können, wird deutlich, dass wir dafür in Zukunft auch mehr Mittel brauchen. ({3}) Dass dafür auch eine stärkere Kooperation mit der Wirtschaft notwendig ist, wissen wir. Da muss uns die FDP nicht zum Jagen tragen. Das wissen Sie sehr gut, Herr Irmer. Überall, wo öffentliche und private Hand zusammenarbeiten können, tun sie es schon längst. Schauen Sie doch einmal zum Goethe-Institut nach London. Für die Eröffnung dieses Instituts gab es hervorragende Sponsoren. Der 11. September hat jedem klar gemacht, dass man nicht nur global Coca-Cola trinken und im Internet surfen kann, sondern dass auch der Terrorismus global agiert. Der technische Fortschritt und die modernen Kommunikationsmittel werben nicht nur für das Gute und Schöne, sie werden eben auch von den Gewalttätern benutzt. Umso mehr müssen wir alles tun, damit Dialogfähigkeit und interkulturelle Kompetenz zunehmen. ({4}) Dabei haben wir überhaupt keine überzogenen Erwartungen an Kunst und Kultur. Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist nur ein Element zur Konfliktprävention, aber ein wichtiges. Es wäre mehr als töricht, diese Chancen nicht zu nutzen. Nicht umsonst wurde deshalb aus den Mitteln des Antiterrorpakets das Sonderprogramm „Dialog mit der islamisch geprägten Welt“ aufgelegt. Meine Damen und Herren, dieser Dialog ist das leitende Prinzip der auswärtigen Kulturpolitik. Im Dialog zwischen den Kulturen und Religionen wollen wir eine Verständigung auf gemeinsame ethische Grundlagen erzielen. Dialog heißt eben auch, unseren eigenen kulturellen Erfahrungshorizont für neues Denken zu öffnen. „Zweibahnstraße“ ist nicht nur ein gelungenes Bild aus dem Auswärtigen Amt für den Austausch zwischen den Ländern, „Zweibahnstraße“ soll ebenso verdeutlichen, dass wir uns auch im Innern um Integration aller hier lebenden Bevölkerungsgruppen kümmern müssen, um nach außen glaubwürdig zu sein. ({5}) „Zweibahnstraße“ heißt nicht nur, dass ein Künstler wie Heinz Mack seine Arbeiten unter dem Titel „Wahlverwandtschaften“ in Teheran ausstellt, sondern auch, dass in Deutschland durch das „Theater an der Ruhr“ in Mühlheim das erste iranische Theaterfestival außerhalb Irans auf die Beine gestellt wurde. Einen herzlichen Dank an Ciulli! ({6}) Meine Damen und Herren, nicht nur die Wortführer des politischen Feuilletons, der Politik und der Kirchen sollen das Monopol zum interreligiösen Dialog haben. Predigten sind wichtig, Fachgespräche und Expertenrunden ebenso. Diese Aufgabe darf aber nicht nur auf Fachebenen beschränkt bleiben. Manchem hilft der Rat von Professor Steinbach, dem Leiter des Orientinstituts. Er empfiehlt all denjenigen, die sich mit dem Islam auseinander setzen wollen, einfach selbst in eine Moschee zu gehen, um so ganz anschaulich den praktizierten Islam wahrzunehmen. Im Übrigen war die Literatur über den Islam nach dem 11. September in den deutschen Buchhandlungen so gut wie ausverkauft. Das ist ein gutes Zeichen. Es ist ein Zeichen dafür, dass es bei uns Nachholbedarf und Wissensdurst gibt, und es ist ein gutes Zeichen deshalb, weil nicht mit dem Rückzug auf Vertrautes und Traditionelles, auf Abgrenzung oder Aggression gegen das Fremde reagiert wurde, sondern mit Interesse am Anderen. ({7}) International ist der Dialog wichtig, um die Spaltung in westliche und muslimische Welten zu verhindern. Es wird darauf ankommen, dass die islamischen Gesellschaften selbst den Dialog darüber führen, die Religion im Namen des Terrorismus nicht zu missbrauchen. Der Islam hat im Gegensatz zum Westen weder Aufklärung noch Säkularisation hinter sich. Die christlich-westliche Welt hat sich über Jahrhunderte zum Teil sehr selbstquälerisch und schmerzhaft mit den Grundlagen der eigenen Religion auseinander gesetzt. Diese Tradition fehlt im Islam. Konzepte von Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus und politischer Partizipation existieren aber auch - allerdings auf der Grundlage und damit mit der Einschränkung der Scharia - innerhalb des islamischen Denkens. Das heißt dann leider auch, dass es keine Gleichheit von Mann und Frau, keine Gleichheit zwischen Muslimen und Nichtmuslimen und dass es Strafen gibt, die Europa glücklicherweise nicht mehr kennt. Gerade die Moderne lebt in hohem Maße von der Freiheit und Gleichheit der Individuen. Fortschritt braucht kritische Menschen, die ihre Kreativität in Freiheit entfalten können. Von dieser Erfahrung kann sich in der globalisierten Welt auf Dauer kein Land und keine Religion abschotten. Gerade dies schürt auch die Angst vor der Globalisierung und vor dem Verlust der eigenen Besonderheit. Das macht den Dialog nicht leichter. Deswegen sind Begegnung und Austausch so wichtig; denn über Kennen- und Verstehen-Lernen wird Vertrauensbildung möglich. Deshalb wurden in diesem Sonderprogramm die Mittel für Wissenschaftleraustausch und Stipendien um 10 Millionen Euro erhöht. ({8}) Wenn wir uns um kulturelle Verständigung bemühen, geht es auch um Glaubwürdigkeit. Zum Beispiel sind wir im Kampf gegen den Terrorismus nur dann glaubwürdig, wenn wir unseren eigenen freiheitlichen Werten und Grundsätzen treu bleiben. Wenn wir Gewalt aus den internationalen Beziehungen bannen wollen, muss sich der Westen selber an rechtsstaatliche Normen halten. Das muss auch für die Haftbedingungen von al-Qaida-Kämpfern auf Guantanamo gelten. ({9}) Wer selber nicht die Genfer Konvention einhält, wirkt in der Kritik an massiven Menschenrechtsverletzungen hohl. Auch al-Qaida-Kämpfer haben das Recht auf menschenwürdige Behandlung. Ich bin davon überzeugt, dass mehr als alle Worte das eigene Handeln beispielgebend ist. Durch Unrecht schädigen wir nicht nur unsere eigenen Werte, sondern wir verstärken darüber hinaus auch das Gefühl der permanenten Demütigung der islamischen Welt gegenüber dem Westen. Deshalb unterstützen wir die Bundesregierung und die internationale Gemeinschaft in den Bemühungen, von der amerikanischen Regierung zu verlangen, dass die Gefangenen wie Kriegsgefangene behandelt werden. Dann sind ihnen Achtung der Person und rechtsstaatliche Garantien sicher. ({10}) Bei der größten Mittlerorganisation der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, beim Goethe-Institut Inter Nationes, haben sich viele Veränderungen ergeben, zuletzt der Wechsel an der Spitze. Ich möchte an dieser Stelle Hilmar Hoffmann für sein großes und unermüdliches Engagement nochmals ganz herzlich danken. ({11}) Aufs Allerherzlichste möchte ich die neue Präsidentin, Frau Jutta Limbach, willkommen heißen. Sie stellt sich einer enormen Herausforderung. Wir wollen sie mit aller Nachhaltigkeit unterstützen. Ich danke Ihnen. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Ulrich Irmer, FDP-Fraktion, das Wort.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Frau Kollegin Grießhaber, Sie haben wie so oft eine wunderschöne Rede gehalten. Aber bei mir kommt immer ein zweifelhaftes Gefühl auf, wenn ich Ihnen zuhöre, weil die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit gerade an Ihren Reden so unerhört deutlich wird. Was haben Sie gesagt? Die gefangenen al-QaidaKämpfer auf Guantanamo müssen menschlicher behandelt werden. Das haben wir Anfang der Woche längst verlangt. Ihre Regierung war etwas zögerlich, die Zustände anzuprangern. Dann haben wir es angemahnt. Jetzt haben auch Sie etwas getan. Schön, ich bin mit Ihnen vollkommen einverstanden. Sie haben von der Notwendigkeit gesprochen, den Dialog der Kulturen zu führen. Ich bin mit Ihnen vollkommen einverstanden. Ich erinnere nur daran, dass Sie vor etwa vier Jahren den Vorschlag des damaligen Bundesaußenministers Klaus Kinkel im Deutschen Bundestag torpediert haben, eine Europa-Islam-Konferenz einzuberufen. Das waren damals Sie. Dann haben Sie mir eben gesagt, ich bräuchte Ihnen keine Lehren über die private Finanzierung und die Erschließung von privaten Mitteln für die auswärtige Kulturpolitik zu erteilen. Das sind doch alles nur Worte. Unseren Antrag lehnen Sie ab. Ich räume ein, dass der Titel unseres Antrags, Public Private Partnership, nicht sehr schön ist. Wir sind dem zum Opfer gefallen, was ich sonst als Anglizismusseuche immer bekämpfe. Aber was als Substanz in ihm steht, ist vollkommen richtig. Sie scheuen davor zurück, einen Schritt zu gehen, nämlich die auswärtige Kulturpolitik aus dem Staatsmonopol zu befreien und in dem Rahmen, den der Staat natürlich bereitstellen muss, grundlegend auf Privatinitiative und Individualität zu setzen. Wenn solche Vorschläge kommen, haben Sie noch immer schreckliche Bauchschmerzen. ({0}) Für Sie ist die Verbindung von Kultur und Kommerz noch immer so etwas wie Pfui. ({1}) - Spenden sammeln ist schön, aber machen Sie das einmal systematisch. ({2}) Folgen Sie den Vorschlägen, die wir in unserem Antrag dargelegt haben! Denn an einem kommen Sie nicht vorbei: So sehr Sie auch die Wichtigkeit der auswärtigen Kulturpolitik betonen - darin stimmen wir vollkommen überein -, wenn es an die Finanzierung geht - das hat der Kollege Lammert soeben in eindrucksvollen Zahlen nachgewiesen -, dann geht es bei Ihnen wirklich bergab. Diesen Widerspruch müssen Sie irgendwie lösen. Wie wollen Sie all das, was Sie vorhaben und was Sie auch in Ihren Antrag an neuen Initiativen hineingeschrieben haben, finanzieren? Die öffentlichen Mittel reichen nicht aus. Wir alle leiden unter einem fürchterlichen Sparzwang. Aber wir dürfen diese Ansätze nicht kaputtsparen. Deshalb müssen Sie Vorschläge machen und unsere Vorschläge, wie Sie zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten erschließen können, aufgreifen, statt sie abzulehnen. ({3}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die Gelegenheit wahrnehmen, noch etwas Grundsätzlicheres zu sagen. Nach dem 11. September ist immer wieder betont worden - und zwar auch mit Recht -, dass die Auseinandersetzungen über den Terrorismus schon gar nicht allein mit militärischen Mitteln, aber auch nicht nur mit politischen und wirtschaftlichen Mitteln geführt werden können, sondern dass wir durchaus auch die kulturelle Auseinandersetzung suchen müssen, und zwar nicht im Sinne eines Kampfes der Kulturen, sondern eines Dialoges der Kulturen. Ich komme mehr und mehr zu der Überzeugung, dass Bazon Brock Recht hat mit der Aussage, Kultur als solche sei aggressiv und bedürfe der Bändigung durch Zivilisation. Mit Kultur sind dabei natürlich nicht Mozart oder Shakespeare gemeint, sondern damit ist ein Ansatz zum Leben bzw. eine Weltanschauung gemeint, die die Tendenz hat, anderen die eigenen Vorstellungen aufzuzwingen - auch gegen ihren Willen. Wir haben das in den letzten Jahren in erschreckender Weise erlebt: Nationalismen und ethnische Überhebungen, die andere ausgrenzen. Auch wir Deutsche sind nicht frei davon; ich erinnere dabei an den Spruch „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“. Das ist ja noch nicht so lange her. Das heißt, Kulturen haben die Tendenz, sich aggressiv gegen mitbewerbende Kulturen zu wenden. Hier muss die Bändigung durch Zivilisation erfolgen. Bei uns geschieht das innerstaatlich durch das Grundgesetz und international durch die Charta der Vereinten Nationen. Wir sehen, wie schwierig das schon innerstaatlich ist. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der vergangenen Woche über die Durchführung ritueller Schlachtungen, die auf religiöse Motive anderer zurückgehen, hat hier große Irritationen hervorgerufen. Wir müssen uns darüber klar sein, dass sich alle an ein Grundregelwerk, das bei uns durch das Grundgesetz geschaffen wird, halten müssen. Wir müssen es bei allem Respekt vor kultureller Entfaltung und Vielfalt achten, dass wir ein zivilisatorisches Regelwerk haben, das für alle verbindlich sein muss - innerstaatlich die Verfassung, international die Charta der Vereinten Nationen. ({4}) Sonst wird es nämlich nicht zu einem friedlichen Miteinander kommen können. Dabei muss sich jede Kultur selbst bändigen und selbst zähmen. Das ist, wenn man so will, der alte Widerspruch zwischen Thomas und Heinrich Mann, der Kampf zwischen Kultur und Zivilisation. Aber in diesem Sinne verstanden muss die Zivilisation den Sieg über die Kultur davontragen. Was zeigen wir Deutschen über die Kultur im Ausland, wenn wir von deutscher auswärtiger Kulturpolitik reden? Wir sollten in erster Linie zeigen, dass unsere auswärtige Kulturpolitik in die europäische Kulturpolitik eingebettet ist, wenn auch nicht von den Zuständigkeiten her. Natürlich haben wir im Sinne der Subsidiarität als Deutsche eine eigene Verantwortlichkeit und Zuständigkeit hierfür. Wir sollten aber nach außen deutlich machen, dass wir diesen regionalen Zusammenschluss, auch dieses Miteinander von europäischen Kulturen suchen und anstreben und dabei schon sehr weit fortgeschritten sind. Das ist ein Exportartikel ersten Ranges, der in anderen Weltregionen mit großer Aufmerksamkeit betrachtet wird. Pluralismus, Gewaltenteilung und der Einsatz für Menschenrechte sind unsere Exportartikel. Wir sollten Wert darauf legen, diese im Ausland vorzuzeigen. Das sollten wir im europäischen Sinne nicht verstecken. Ich danke Ihnen. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Heinrich Fink von der PDS-Fraktion das Wort.

Prof. Dr. Heinrich Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003116, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit ihrem Antrag schlagen die Koalitionsfraktionen vor, dass sich der Bundestag die Position zu Eigen machen solle, die das Auswärtige Amt in seiner Konzeption 2000 zur auswärtigen Kulturpolitik niedergelegt hat. Als diese Konzeption im Sommer 2000 erstmals vorgelegt wurde, hat die PDS-Fraktion sie als grundlegende Orientierung unterstützt. Dass wir auch diesem Antrag zustimmen, bezieht sich vor allem auf die Anerkennung der Ziele, an denen die auswärtige Kulturpolitik ausgerichtet werden soll, wie Sicherung des Friedens, Konfliktverhütung, Verwirklichung der Menschenrechte, partnerschaftliche Zusammenarbeit und Dialog der Kulturen. Dabei ist uns klar, dass weder die Konzeption 2000 noch der heute vorliegende Antrag eine Gewähr dafür bieten, dass diese begrüßenswerten Prinzipien und Ziele auch zu verbindlichen Handlungsmaximen der Bundesregierung gemacht werden. Ich sage ausdrücklich: der Bundesregierung und nicht nur des Auswärtigen Amtes; denn die auswärtige Kulturpolitik muss Bestätigung und Unterstützung durch die Aktivitäten der Bundesregierung auch auf anderen Politikfeldern erfahren. ({0}) Andernfalls erfährt die auswärtige Kulturpolitik in der außenpolitischen und in der innenpolitischen Öffentlichkeit Regierungspolitik als Widerspruch zu ihren ausdrücklich vom Bundestag bestätigten Zielen. Als Außenminister Fischer die Konzeption 2000 vorgelegt hat, ist er ausdrücklich davon ausgegangen, dass die Umsetzung eine bessere finanzielle Ausstattung verlangt. Leider sind in der Zwischenzeit die Mittel deutlich gekürzt worden. Sparen - ja. Aber hier? Wer an Kultur und Bildung spart, spart an der falschen Stelle. ({1}) An dieser Stelle sei Hilmar Hoffmann, dem langjährigen Präsidenten des Goethe-Instituts Inter Nationes, auch von meiner Fraktion gedankt. ({2}) Wenn ich einen Titel zu vergeben hätte, dann würde ich Hilmar Hoffmann den Titel des Präzeptors des Dialogs verleihen. ({3}) - Das sollten wir tun. - Er hat sehr deutlich darauf hingewiesen, dass Terrorismusbekämpfung mit militärischen Mitteln als Ultima Ratio nur vorübergehend abschreckt. Die Wurzeln des Terrorismus stecken in der kränkenden Aussichtslosigkeit psychosozialer Bedingungen ohne gesicherte Gegenwart und ohne Hoffnung auf Zukunft. Wenn Beteiligung an Terror als Lebenssinn angeboten wird, wie es im Nationalsozialismus nach dem Ersten Weltkrieg tragisch funktionierte, muss eine lebenswerte, demokratische Alternative kulturell vermittelt werden. ({4}) Darum muss eine Antiterrorallianz zugleich auf die Prima Ratio der Kultur setzen. Längst vorhandene Analysen zum Beispiel des verdrängten religiösen Fundamentalismus und die Dimensionen, wie Hoffmann es nennt, der fürchterlichen Privatisierung des Terrorismus müssen nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch ausgewertet bzw. analysiert werden. Die Prima Ratio braucht eine Großinvestition in Verständigungsverhältnisse, vor allem zur Durchsetzung der Menschenrechte. Aber die prekäre Lage, die sich aus konzeptionellen Defiziten in Sachen Terrorismusbekämpfung ergibt, dauert leider an. Ich beziehe mich noch einmal auf Hoffmann: Obwohl er den Militäreinsatz in der Hauptstadt Afghanistans unterstützt, fragt er - das kann ich nur wiederholen -, ob 1 200 deutsche Soldaten, deren Einsatz in Afghanistans Hauptstadt 500 Millionen Euro kosten wird, in einem vernünftigen Verhältnis zu 128 Goethe-Instituten in 76 Ländern stehen, die jährlich 200 Millionen Euro kosten. Dieses Verhältnis muss immer wieder deutlich gemacht werden. ({5}) Weil meine Fraktion für die Unterstützung von Verständigungsverhältnissen eintritt, befürchten wir, dass das Einwanderungsgesetz, über das zurzeit ebenfalls diskutiert wird, den Zielen unserer auswärtigen Kulturpolitik direkt widerspricht; denn es fördert nicht die Begegnung gleichberechtigter Kulturen, sondern fordert nahezu Assimilationsbereitschaft als Preis für Einwanderung. Wir sind für Integration, nicht für Assimilation. ({6}) Hier sollten wir aus der deutschen Geschichte lernen. Die Juden kamen in die deutsche bürgerliche Gesellschaft durch die Taufe. Wir meinen, die Beherrschung der deutschen Sprache muss keine Bedingung für Integration sein. Leider sind hohe Arbeitslosenzahlen und wachsende Angst der deutschen Bevölkerung vor sozialem Abstieg keine guten Voraussetzungen, um Deutschland als Einwanderungsland zu öffnen. Wir halten es daher für sehr wichtig, dass die Konzeption der auswärtigen Kulturpolitik auch im Inland ausführlich bekannt gemacht wird, damit es nicht zu populistischen Überschriften, wie man sie immer wieder liest, nämlich „Es ist doch rausgeschmissenes Geld; verwendet es doch für die Schaffung von Arbeitsplätzen im Inland“, kommt. Wir müssen beides tun. Der Vorschlag der FDP, Kulturkostenträger in der deutschen Wirtschaft im Ausland zu gewinnen und dementsprechend Kultureinrichtungen und Projekte zu privatisieren, ist meines Erachtens eine Preisgabe des vorliegenden Konzepts. Das darf nicht mit den Interessen der jeweiligen Unternehmen vor Ort oder mit Exportinteressen in Deutschland verknüpft werden. Es geht nicht um Kulturexport, sondern um einen mühsamen kulturellen Dialog im Ausland. Dieser soll Erfahrungen und gegenseitiges Verständnis auch im Umgang mit Konflikten und Unvereinbarkeiten bringen. Es geht um neue Erkenntnisse und nicht um Export. Abhängigkeit von Firmen schafft offen oder verdeckt eine Geber-/Nehmer-Mentalität. Das darf in der Kultur nicht sein. Damit wäre die Erfahrung, dass Kulturen gleichberechtigt sind, auch wenn die wirtschaftlichen und sozialen sowie die politischen Verhältnisse der Völker einander diametral entgegengesetzt sind, schwer oder gar nicht mehr zu machen. Kolleginnen und Kollegen, auswärtige Kulturpolitik muss Prima Ratio sein und darf nicht Ultima Ratio sein. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion, das Wort.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hilmar Hoffmann hat dem Goethe-Institut neun Jahre lang als Präsident gedient. Er hat, glaube ich, das Lob des ganzen Hauses verdient, weil er wie kaum ein anderer als Repräsentant der deutschen Kultur nicht nur in Deutschland, sondern auch gegenüber der Außenwelt erkennbar geworden ist, ein Liberaler, einer, der zugleich aber auch weiß, dass soziale Gerechtigkeit und Liberalität zusammengehören und - das ist für ihn wohl das Wichtigste überhaupt - dass die Konflikte in dieser Welt nur bewältigt werden können, wenn die Menschen einander verstehen. Wir alle, glaube ich, sagen Hilmar Hoffmann für diese neun Jahre Arbeit als Präsident einen ganz herzlichen Dank. ({0}) Ich darf gleich hinzufügen: Das gilt genauso auch für den bisherigen Vizepräsidenten des Goethe-Instituts Inter Nationes - so muss man jetzt ja sagen -, Herrn Peter Wapnewski, der noch länger als Hilmar Hoffmann ({1}) als eine Schlüsselpersönlichkeit für das Goethe-Institut, für die deutsche Kultur und ganz besonders - auch im Sinne von Goethe - für die deutsche Literatur als Weltliteratur gearbeitet hat. Wer das am letzten Freitag in München erlebt hat, der kann sich nur darüber freuen, dass diese beiden großen Repräsentanten der deutschen Kultur so lange Zeit für die Literatur und für die Kultur gearbeitet haben. Sie werden - da sind wir ganz sicher - diese Fähigkeiten und die Kreativität, die sie in den kulturellen Dialog eingebracht haben, an einer anderen Stelle genauso einbringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, diese Debatte zeigt, dass der Konsens im Hause, jedenfalls unter denjenigen, die für die auswärtige Kulturpolitik streiten, groß ist. Es ist natürlich verständlich, dass Sie, lieber Kollege Lammert, als Oppositionssprecher die kritischen Punkte angeführt haben. Die Kollegin Grießhaber hat aber schon darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung gerade bei den letzten Bemühungen um das Antiterrorpaket deutlich gemacht hat, dass manche Defizite, die aufgetreten sind, wieder ausgeglichen werden. Man kann der Bundesregierung nicht vorwerfen, die auswärtige Kulturpolitik spiele bei ihr keine Rolle. Ich bin dankbar dafür, dass der Außenminister das auch mit seinem Konzeptpapier, das heute zur Debatte steht, noch einmal sehr deutlich gemacht hat. Unsere Leistungen, die wir auch gemeinsam, lieber Kollege Lammert, für die auswärtige Kulturpolitik erbringen, sollten wir nicht durch kleinliche Reden zerreden. ({2}) Ich möchte einen Punkt aufgreifen, den Sie angesprochen haben, lieber Kollege Lammert; denn ich glaube, dass wir diesem Grundgedanken etwas näher kommen müssen. Kollege Irmer hat dies auch angesprochen. Natürlich stehen wir alle in der Gefahr, dass, wenn auswärtige Kulturpolitik in bestimmten Kontexten zu sehen ist - das kann ja in der Politik auch gar nicht anders sein -, dies nahe an dem Gedanken einer Instrumentalisierung liegt. Ich bin Ihnen dankbar, lieber Kollege Lammert, dass Sie darauf hingewiesen haben. Herr Irmer hat den Gedanken insofern ergänzt, als natürlich auch Kulturverhältnisse selbst Gewaltverhältnisse sein können. Ich sage ausdrücklich: sein können. Ich möchte nicht unbedingt Bazon Brock folgen, der sich manchmal in Debatten vergaloppiert. Entschuldigung, wenn ich das so sage, lieber Kollege Irmer. ({3}) Natürlich ist diese Erkenntnis gar nichts Neues. Wenn Sie das bei Herder nachlesen oder bei dem englischen Kultursoziologen Ernest Gellner, dann werden Sie erkennen, dass natürlich auch in kulturellen Ansprüchen so etwas wie Expansion steckt. Aber gerade weil dies so ist, kommt es doch darauf an, dass man in eben jenen Prozess, den man ja gerade in solchen Kulturen erkennt, die in sich selber nicht reflexiv sind - das ist das Problem - die Reflexivität durch Aufklärung einbringt. Gerade solchen Kulturen, die diesen Sprung durch die Aufklärung noch nicht geschafft haben, das Durcharbeiten jener Gewaltverhältnisse, die getrennt werden müssen, zu ermöglichen ist die große Leistung der Aufklärung in der Moderne. Wir müssen mithelfen, dass genau diese Kulturen den Prozess der Aufklärung vollziehen und zum Beispiel damit beginnen, die Gewaltverhältnisse zu teilen. Ist es nicht das Problem des islamistischen Fundamentalismus, dass er jene Gewaltverhältnisse bislang nicht geteilt hat? Denn da, wo Religion und Staat, Kultur und Gesellschaft zusammenfallen, tritt dieses Problem der Gewaltverhältnisse auf. Unsere Leistungsfähigkeit in der auswärtigen Kulturpolitik sehe ich darin, diesen Dialog zu nutzen, damit andere Kulturen, die diesen schwierigen Prozess nicht durchgearbeitet haben, in den Stand versetzt werden, dies selbst zu leisten; dieses müssen sie allerdings dann auch selbst tun. ({4}) Diese Leistung kann nur von innen, aus den Kulturen selbst kommen. Das ist die Fähigkeit der auswärtigen Kulturpolitik: Wir können allen Kulturen, die zu Gewalt und Expansion neigen, die bestrebt sind, sich auszuweiten, bei diesem Prozess der Teilung der Gewaltverhältnisse helfen. Lieber Kollege Fink, dazu gehört auch die Sprache als Verständigungsmittel jener, die in einer Gesellschaft zusammen leben. Ich kann mir nicht vorstellen - als Theologe wissen Sie das - dass man die Bibel zur Grundlage der Theologie machen kann, wenn man sie nicht versteht. Das heißt: Die Verständigungsverhältnisse, von denen Sie sprechen und auf die Jürgen Habermas zu Recht hingewiesen hat, sind erst möglich, wenn man sich verstehen lernt. Sprache ist eben jenes Mittel der Verständigung, in das Gewaltverhältnisse nicht eindringen dürfen. In diesem Punkt gebe ich Ihnen also Recht: Integration kann nur bedeuten, dass diese Gewaltverhältnisse abgebaut werden. Assimilation ist das schwierigste und härteste Gewaltverhältnis. Deswegen sind wir ja auch nicht für kulturelle Assimilation, sondern für kulturelle Integration. Daran hat diese Bundesregierung einen großen Anteil. ({5}) Lieber Kollege Lammert, ich drehe Ihren Vorwurf einmal um: Wenn Sie das, was Sie gesagt haben, wirklich ernst meinen, dann müssen Sie zum Beispiel auch in dem Wahlkampf, der uns jetzt bis zum 22. September bevorsteht, darauf achten, dass es keine Töne gibt, die die Überlegungen der deutschen Rechten, Assimilation in den Vordergrund zu rücken und Integration zurückzustellen, als Gefahren noch drastischer darstellen, als sie in manchen gesellschaftlichen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland vorhanden sind. Bitte helfen Sie dabei mit! ({6}) Verständigungsverhältnisse sind Kultur, sagt Jürgen Habermas. In der Tat: Die überragende Aufgabe von Politik ist es, Gewaltpotenziale zu verarbeiten, sie einzudämmen und, wenn es geht, in einer Welt, in der Interessen einander feindlich gegenüberstehen und sich Kulturen ihres jeweiligen Rechts auf Existenz wechselseitig zu berauben trachten, stillzulegen. Das ist auch tatsächlich in Kulturverhältnissen begründet. Ich bin sicher, genau das tut die Bundesregierung. Sie tut das mit dem, was sie konzeptionell vorlegt und praktisch vor Ort leistet. Wir müssen gemeinsam versuchen, die kulturellen Konflikte auf das zurückzuführen, was sie in der Regel sind: In kulturellen Konflikten instrumentalisieren Demagogen, Fundamentalisten und Fanatiker die kulturellen Bedürfnisse und die religiösen Gefühle der Menschen, um Macht zu erwerben. Wenn auswärtige Kulturpolitik einen Beitrag dazu leistet, dass dieser Konflikt durchdrungen und erkannt wird und die richtigen Mittel, nämlich die Mittel des Dialogs, eingesetzt werden, um die Gewaltverhältnisse zu bändigen und zu beenden, dann ist die auswärtige Kulturpolitik Prima Ratio der Politik, wie Hilmar Hoffmann es gesagt hat. Ich bin sicher: Die Bundesregierung arbeitet genau an diesem Konzept weiter. Ich wünsche der auswärtigen Kulturpolitik, Herr Dr. Spiegel, alles Gute in den nächsten Jahren. ({7}) Gert Weisskirchen ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Ruprecht Polenz, CDU/CSU-Fraktion.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Norbert Lammert hat vorhin in seiner Rede auf die Ankündigung der Bundesregierung hingewiesen, als Beitrag zur Konfliktprävention zusätzliche Mittel aus dem Antiterrorpaket für den Dialog der Kulturen bereitzustellen. Bis heute ist leider unklar, wie diese Mittel verwendet werden sollen und welcher Betrag überhaupt aus dem Antiterrorpaket für Kulturpolitik zur Verfügung gestellt werden soll. Ich möchte den Fragen nachgehen, was auswärtige Kulturpolitik überhaupt leisten kann und sollte und welche Mittel und Wege besonders erfolgversprechend sind. Die Voraussetzung zur Beantwortung dieser Fragen ist natürlich eine Analyse der Lage, die hier aus Zeitgründen nur skizzenhaft möglich ist. Das Datum 11. September des vergangenen Jahres verbindet sich für uns alle mit der Sorge vor einem Clash of Civilizations, vor einem Zusammenprall der Kulturen. Trotz der offiziellen Verurteilung der Anschläge durch die Regierungen der Staaten im Nahen und Mittleren Osten müssen wir doch zur Kenntnis nehmen, dass es in der Bevölkerung dieser Länder durchaus zwiespältige Gefühle gab: Mitleid mit den Opfern und Mitgefühl mit den Angehörigen auf der einen Seite, aber gleichzeitig auf der anderen Seite eine Haltung nach dem Motto „Es geschieht den Amerikanern ganz recht“ bis hin zur unverhohlenen Freude über die Anschläge und Sympathie mit den Terroristen. Das zeigen unter anderem auch die Bin-LadenT-Shirts, die in vielen dieser Länder ein Renner waren. Außerdem gab es abstruse Verschwörungstheorien von angeblichen Warnungen an die jüdischen Mitarbeiter im World Trade Center, am 11. September nicht zur Arbeit zu gehen und damit verbunden das Gerücht, es sei ein Beleg dafür gefunden, dass in Wahrheit der israelische Geheimdienst Mossad hinter den Anschlägen stehe. Ein Grund für dieses problematische Meinungsklima ist sicherlich die Kritik an der amerikanischen Politik im Nahen Osten. Man wirft den Amerikanern eine einseitige Unterstützung Israels und doppelte Standards bei der Durchsetzung von UN-Resolutionen oder bei der Anmahnung von Menschenrechtstandards vor. Vor allem aber gibt es das tief sitzende Gefühl, die eigene Identität werde durch den Westen, insbesondere durch die USA, bedroht. Ein weiterer Grund ist die kulturelle Identität, ist die Tatsache, dass die eigenen Werte, die Familie dort viel stärker als bei uns religiös geprägt sind. Man fühlt sich bevormundet und nicht selten gedemütigt. Auch hier gibt es eine zwiespältige Haltung: Einerseits wird die westliche Kultur als dekadent empfunden, zersetzend für die eigenen Werte, wie zum Beispiel den familiären Zusammenhalt; andererseits gibt es eine Bewunderung für die technische, medizinische oder wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Westens, verbunden wiederum mit einem Gefühl der Unterlegenheit und mit der Frage, wie es wohl dazu kommen konnte, dass die noch im Mittelalter auf vielen Gebieten der Wissenschaft - Medizin, Astronomie und Mathematik - führende islamische Welt so weit zurückfallen konnte. Diese kulturellen Spannungen bestehen nicht nur gegenüber den USA, sondern auch zwischen den islamischen, insbesondere den arabisch-islamischen Ländern und dem Westen insgesamt, also auch gegenüber uns. Wir haben ein Interesse daran, diese Spannungen abzubauen. Aber durch die Globalisierung werden diese kulturellen Spannungen eher verschärft. Die Ungleichzeitigkeiten in der Entwicklung nehmen zu. Die Schere zwischen den islamischen Ländern und dem Westen geht weiter auf. Globalisierung heißt ja Beschleunigung wirtschaftlicher Entwicklungen durch den weltweiten Wettbewerb. Wir sehen schon an den Anpassungsprozessen bei uns und an den Problemen damit, wie schwierig das ist. Viel größer sind diese Schwierigkeiten für die Länder des Nahen und des Mittleren Ostens mit ihren autoritären Regimen, ihren Clanstrukturen und ihrer Mentalität: „Der Sieger bekommt alles“, was den demokratischen Wandel hindert. Wir müssen uns bei diesem Dialog der Kulturen auch die Frage stellen: Wie beeinflusst der Islam die Anpassungsfähigkeit dieser Länder an die Globalisierung? Man kennt keine Trennung von Religion und Politik, von Staat und Religion, wie wir das tun. Der Islam ist eine „Buchreligion“; es stellt sich dann auch die politisch wichtige Frage: Wie wird der Koran ausgelegt, aus heutiger Sicht oder unverändert buchstabengetreu wie vor über tausend Jahren? Wenn wir die kulturellen Spannungen abbauen wollen, die sich leicht zu schwerwiegenden Konflikten mit möglicherweise unabsehbaren Folgen ausweiten, wie uns die Ereignisse des 11. September vor Augen geführt haben, dann ist dieser Dialog der Kulturen richtig - auch ohne wirkliche Alternative - und er ist vor allem dringlich. Deshalb ist es um so enttäuschender, dass die Regierung bis heute kein schlüssiges Konzept dafür erkennen lässt. Statt neuer Prioritäten ist es nur ein eher betuliches „Weiter wie bisher!“ Die Politik der ruhigen Hand hat offensichtlich auch hier ihren Niederschlag gefunden. Es gibt keine neuen Ideen und Impulse, obwohl die Anschläge des 11. September inzwischen fünf Monate her sind. Wir dürfen dem Terrorismus nicht nur mit militärischen Mitteln begegnen, wir müssen dem Terrorismus auch mit intellektuellen Mitteln entgegentreten. ({0}) Ich hätte nicht gedacht, dass man eine rot-grüne Bundesregierung daran erinnern muss. ({1}) Wichtig für einen Dialog der Kulturen sind Informationen über „den Anderen“. Hier gibt es einen Mangel sicherlich auch bei uns. Aber in vielen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens besteht ein Zerrbild des Westens, wie man anhand von vielen Zeitungskommentaren nach dem 11. September sehen konnte. Wir müssen also vor allen Dingen eigene Informationen anbieten und Informationen aus den islamischen Ländern aufnehmen. Da ist das Gespräch zwischen Eliten und Experten wichtig, aber nicht ausreichend. Wir müssen Informationen für eine möglichst große Zahl von Menschen bereitstellen, wir müssen die Massenmedien nutzen, das Radio und insbesondere das Fernsehen, vor allem auch angesichts der großen Zahl von Analphabeten, die es im Nahen Osten noch immer gibt. Deshalb ist der am vergangenen Wochenende beschlossene Kooperationsvertrag zwischen ZDF und al-Dschasira so sehr zu begrüßen. Das ZDF verdient große Anerkennung dafür, dass es ihm als erstem westlichen Sender gelungen ist, mit al-Dschasira zusammenzuarbeiten, mit Nachrichtenaustausch, Hospitation von Journalisten und gemeinsamen Produktionen. Ich frage: Was hat die Bundesregierung bisher getan, um auch der Deutschen Welle ein stärkeres Engagement für diese Region zu ermöglichen? - Nichts. Im Gegenteil, die Mittelkürzungen wurden nicht rückgängig gemacht. Deshalb war es der Deutschen Welle nach dem 11. September auch nur in geringem Maße möglich, ihre Programme in der Region auszuweiten: in den afghanischen Landessprachen Paschtu und Dari um täglich 30 Minuten auf 110 Minuten, also nicht einmal zwei Stunden täglich, in Urdu nach Pakistan von 45 auf 75 Minuten. In Arabisch sendet die Deutsche Welle lediglich zweieinhalb Stunden und nur über Kurzwelle. Zum Vergleich: Die BBC erreicht mit ihrem 18 Stunden dauernden Rundfunkangebot in Arabisch täglich Millionen von Hörern, da es über die im Nahen Osten beliebtere Mittelwelle ausgestrahlt wird. ({2}) Hier ist die Forderung zu erheben, dass die Kürzungen bei der Deutschen Welle rückgängig gemacht werden, damit die Deutsche Welle ihre Programme für die islamischen Länder in den Landessprachen ausbauen kann, insbesondere in Arabisch, und zwar im Hörfunk und im Fernsehen. ({3}) Angesichts der Kosten für Deutsche Welle-TV und knappen Kassen muss natürlich auch über andere Wege nachgedacht werden. Der Bund sollte deshalb wieder die Produktion von Sendungen unterstützen, die den Anstalten dieser Länder zur Ausstrahlung gegen eine geringe Gebühr angeboten werden, also das so genannte Rebroadcasting. Unter der Trans-Tel GmbH gab es von Ende der 70er-Jahre bis 1998 eine Gemeinschaftsproduktion von Deutscher Welle, ARD, ZDF, Auswärtigem Amt und Presseamt der Bundesregierung. Der Vorteil war: Die Ausstrahlung erfolgte nicht durch den „fremden“ oder „ausländischen“ Sender, sondern durch den heimischen Sender, und zwar vergleichsweise kostengünstig. Die Bundesregierung sollte sich auch für ein gemeinsames europäisches Programm der Auslandsrundfunkanstalten einsetzen. Ich denke an ein gemeinsames Programm von Brüssel, gemacht insbesondere von BBC, den französischen Sendern TV 5 und Radio France Internationale, der Deutschen Welle und Radio Netherlands. Das wird sicherlich nicht einfach sein, weil der Marktführer BBC sagt: „Ich kann das alles auch alleine ganz gut“, und die Franzosen überwiegend ein Interesse an frankophonen Ländern auf der Welt haben. Trotzdem: Es gibt das Projekt Radio Europa mit einem immerhin halbstündigen Hörfunkprogramm. Es geht natürlich nicht darum, dass Europa mit einer Stimme spricht. Das wäre geradezu widersinnig, da Europa vor allem kulturell durch seine Vielfalt gekennzeichnet ist. Aber es wäre schon eine gemeinsame Anstrengung wert, sich neben CNN in der Welt Gehör zu verschaffen, als europäischer Beitrag zur weltweiten Informationsund Meinungsvielfalt, als Forum für einen Dialog der Kulturen, der sehr viele Menschen erreicht. Dazu ist es allerdings erforderlich, dass die Bundesregierung - vielleicht können Sie dazu gleich etwas sagen, Herr Minister - den Worten Taten folgen lässt. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Bundesminister Joseph Fischer.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man der Opposition, vor allen Dingen ihrem Hauptredner, dem geschätzten Kollegen Norbert Lammert, zuhört, dann könnte der Eindruck vermittelt werden, dass wir beim Regierungswechsel 1998 eine blühende, finanziell hervorragend ausgestattete, vorwärts strebende auswärtige Kulturpolitik vorgefunden hätten ({0}) und dass in den vergangenen drei Jahren, in denen Haushalte verabschiedet wurden, ein Abbau stattgefunden habe. Das ist natürlich mitnichten der Fall. Selbstverständlich, Kollege Lammert - das wissen auch Sie nur zu gut -, bringt uns eine sektorale Betrachtung der Finanzsituation, die sich nur auf die auswärtige Kulturpolitik bezieht, überhaupt nicht weiter; ({1}) vielmehr ist völlig klar: Wir stehen unter dem Druck, die öffentlichen Haushalte, die wir vorgefunden haben, zu konsolidieren. Sie darauf hinzuweisen kann ich Ihnen nicht ersparen, auch wenn Sie gleich wieder „ah!“ und „oh!“ schreien. ({2}) - Das ist keine „alte Arie“. Sie haben es doch gerade in der Steuerpolitik erlebt, als Sie plötzlich klar machen mussten, wie Sie finanzieren wollen. ({3}) Da hatten oppositionelle Sprüche ein Ende und Ihr Kandidat war innerhalb von zwei Tagen von einem strahlenden Bewerber zu einem in seinen eigenen Widersprüchen verfangenen Laokoon geworden. ({4}) Das wissen Sie nur zu gut. Ich habe es immer wieder gesagt: Wir stehen unter Konsolidierungsdruck. Insofern haben Sie hier eine haushälterische Debatte geführt - vom Standpunkt der Opposition her betrachtet, verstehe ich das -; aber entgegen dem, was Haushaltsdebatten mit sich bringen, nämlich Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit durchaus auch in der Kontroverse herauszuarbeiten, sind Sie natürlich jeden seriösen Finanzierungsvorschlag schuldig geblieben. ({5}) Daher haben Sie hier nicht zu Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit, sondern eher zur Vernebelung beigetragen. Das ist der entscheidende Punkt. ({6}) Ich gebe offen zu - diese Erkenntnis hatte man übrigens auch schon in der Schlussphase der Vorgängerregierung -, dass es einen Konsolidierungsbedarf gab. Die Personalkosten machen, bedingt durch die Struktur des Auswärtigen Amtes, einen sehr hohen Anteil der Kosten im auswärtigen Dienst aus; daran hat sich nichts geändert. Wir hatten schon erhebliche Kürzungen zu verkraften. So mussten wir 19 Auslandsvertretungen schließen, von denen ich so manche gerne offen gehalten hätte, und mussten bereits bei Mitteln für Programme, vor allem bei freiwilligen Leistungen für die Vereinten Nationen und Ähnlichem, kürzen, um unseren Konsolidierungsbeitrag zu leisten. Dabei hat mir, das muss ich Ihnen sagen, das Herz geblutet. ({7}) Natürlich sind wir auch in der auswärtigen Kulturpolitik, dies unter anderem, weil das der größte Programmmittelansatz ist, an einer entsprechenden Kürzung nicht vorbeigekommen. Das ist die Lage. ({8}) Ein großes Problem hatten wir zum Beispiel bei den Auslandsschulen. Am Anfang haben wir von Kürzungen bei den Auslandsschulen, so weit es ging, abgesehen. Aber aufgrund des anhaltenden Konsolidierungsbedarfs und -drucks konnten wir sie auf Dauer, wie Sie wissen, davon nicht ausnehmen. Ich möchte aber nicht nur eine quantitative Betrachtung anstellen. Sie wissen doch ganz genau, dass wir gleichzeitig einen erheblichen Bedarf an Strukturreformen haben. Ich möchte Ihnen gar nicht Ihre alten Reden hierzu vorlesen. Das Geld, das ausgegeben wird, wird doch nicht nur effizient für Programme ausgegeben; die Personalkostenstruktur ist durchaus so, dass man nicht einfach sagen kann: Das finanzieren wir alles munter weiter. ({9}) Kollege Polenz hat gerade einen Punkt, der in diesem Zusammenhang wichtig ist, angeführt. Kollege Polenz, ich möchte hier nicht in die Debatte um die Auslandssender einsteigen. Aber eines ist doch klar: BBC International ist aus verschiedenen Gründen, wie zum Beispiel historischen Gründen, eine Klasse für sich; auf diese Gründe möchte ich aber nicht im Einzelnen eingehen und sie bewerten. Ich kann Ihnen das nur aus Sicht von jemandem sagen, der das Ganze häufig aus dem Ausland betrachtet: Sie spielen natürlich eine Rolle. Wir haben hier strukturellen Anpassungsbedarf. Das ist von den Kulturmittlern nicht bestritten worden, auch vom Goethe-Institut Inter Nationes nicht. Wenn wir diese Debatte also zielgerichtet führen wollen, dann müssen wir sie auch inhaltlich führen und müssen sie vor allen Dingen daran orientieren, was wir leisten können, dürfen also nicht nur eine quantitative Bewertung vornehmen. Nichtsdestotrotz werde ich mich aber in Zukunft dafür einsetzen, dass wir hier, sobald der Konsolidierungsdruck nachlässt, Aufwüchse zu verzeichnen haben werden. ({10}) - Ausgerechnet Sie, Herr Merz - ein ganz großer Kulturpolitiker! - der Sie permanent verkünden, Sie wollten die Steuern senken und die Verschuldung abbauen, wollen in der auswärtigen Kulturpolitik neue Schwerpunkte setzen? Angesichts all Ihrer unseriösen Versprechungen muss man meiner Ansicht nach schon fest im Glauben in der CDU/CSU verwurzelt sein, um Ihnen das zu glauben. Jemand, der nicht in der CDU ist, wird Ihnen das nicht abnehmen. ({11}) - Das ist der Oppositionsführer: Er meint, ich könne das Wort „Kultur“ noch nicht einmal fehlerfrei schreiben. Das ist Ihr Niveau! ({12}) - Sie scheinen ein persönliches Problem mit mir zu haben. Ich habe kein persönliches Problem mit Ihnen. Ich kann Ihnen nur sagen: Das ist ein Niveau, das der auswärtigen Kulturpolitik nicht angemessen ist. ({13}) Ich könnte, wenn ich mich auf Ihr Niveau begäbe, fragen, ob eine gewisse Wahlkampfparole der CDU in NRW mit den Zielen vereinbar war, für die Kollege Lammert hier unter anderem gestanden hat. Ich behaupte: nein. ({14}) Ich komme zurück zur Sache. Der Begriff „Dialog der Kulturen“ wird in Zukunft von zentraler Bedeutung sein. Allerdings werden wir ihn sehr sorgfältig definieren müssen. Es freut mich zwar, dass die Opposition unser Konzept unterstützt. Aber ich gehöre nicht zu denjenigen, die meinen, dass wir die auswärtige Kulturpolitik instrumentell einsetzen dürfen. Kultur hat einen Wert an sich. ({15}) Wenn wir von „unserer Kultur“ sprechen, so sprechen wir von einer durch die Gedanken der Aufklärung geprägten Kultur, von einer Kultur, die immer auch den Stachel des Subversiven in sich trägt, die, wie gesagt, auf Grundwerten der Aufklärung wie der Menschenrechte und der Achtung der menschlichen Würde gründet. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Auch die Herrschaft des Rechts gehört ganz elementar zu unserer Kultur. Ich bitte Sie, noch einmal darüber nachzudenken, Kollege Irmer, was Sie zu der Trennung von Kultur und Zivilisation gesagt haben. Ich weiß nicht, ob man in den „Betrachtungen eines Unpolitischen“ von Thomas Mann, die damals die Grundlage für diese Frage waren, eine Tradition erkennen kann; jedenfalls hat das in Deutschland eine Entwicklung begleitet, die ich sehr zurückhaltend als äußerst unglücklich bezeichnen möchte. ({16}) Ich glaube vielmehr, dass im Zusammenhang mit der Westbindung und der Durchsetzung der Demokratie als kulturell-politischer Form in Deutschland nach 1945 auch diese geistige Tradition überwunden wurde und auch im Kulturbegriff eine Verwestlichung stattgefunden hat. So zumindest würde ich es interpretieren. ({17}) In diesem Zusammenhang kommt es ganz entscheidend darauf an, dass wir diesen Dialog der Kulturen nicht als Austausch von Freundlichkeiten begreifen, sondern als entscheidenden Punkt. Das haben wir ja auch von Anfang an so gemacht, Kollege Polenz. Schauen Sie sich nur einmal an, was die Bundesregierung nicht nur politisch, sondern ganz unmittelbar in Kabul getan hat: Wir haben den Schwerpunkt auf das Winterschulprogramm gelegt; wir waren mit die Ersten, die mit den bescheidenen vorhandenen Mitteln sehr viel bewirkt haben. ({18}) Wir haben von Anfang an den Schwerpunkt darauf gelegt, den Frauen und Mädchen eine Bildungsperspektive und kulturelle Möglichkeiten zu eröffnen. ({19}) Dasselbe gilt für die Einrichtung des Goethe-Instituts in Sarajevo. Damit haben wir eine ganz wichtige Entscheidung getroffen. So gehören zu unserer aktiveren Iranpolitik auch kulturelle Verbindungen: die sehr erfolgreiche Reise deutscher Schriftsteller in den Iran anlässlich der Gedenkveranstaltungen für den großartigen iranischen Lyriker Hafis sowie die Reisen verschiedener Theater in den Iran. All das sind, wie ich finde, ganz wichtige Initiativen. Sie können aber auch die sehr erfolgreiche Reise von Jürgen Habermas in die Volksrepublik China nehmen. All das gehört dazu. ({20}) Insofern haben Sie mit mir kein Problem, was die Zusammenarbeit zwischen privaten Unternehmen und der öffentlichen Hand - das ist die deutsche Übersetzung von Public Private Partnership - angeht. ({21}) Ich hoffe, ich kann es richtig schreiben, aber bitte. ({22}) - Nein, von Ihnen lasse ich mich nicht aus der Bahn bringen. Keine Sorge! Bei den entsprechenden Präsentationen der deutschen Kultur in Indien durch die Bundesrepublik Deutschland haben wir sehr gut zusammengearbeitet. Insofern gibt es auch hier keine Kontroverse. Ich möchte aber weder eine politische noch eine kommerzielle Instrumentalisierung. ({23}) Darin sind wir uns doch einig. Ansonsten sind alle Möglichkeiten der Zusammenarbeit gegeben. So hat ja auch diese Koalition entsprechende Initiativen beim Stiftungsrecht auf den Weg gebracht. Das darf man nicht vergessen. ({24}) Diese Auseinandersetzung können wir uns also ersparen. Meine Damen und Herren, der 11. September hat klar gemacht, dass der Kulturdialog nicht als ein Dialog der freundlichen Worte missinterpretiert werden darf, sondern ein kritisches Aufeinanderzugehen unterschiedlicher Kulturen - auf den eigenen Grundwerten gründend, wozu essenziell die Menschenrechte gehören - beinhaltet. Wir wurden am Anfang oft belächelt, als wir das Konzept einer präventiven Außenpolitik vertreten haben. Oft wurden diejenigen als Moralisten oder Idealisten bzw. als kurzsichtig handelnd bezeichnet, die Fragen der Menschenrechte und auch des kulturellen Dialogs, die so genannten weichen Fragen, in den Vordergrund der Außenpolitik gestellt haben. Der 11. September hat klar gemacht, dass das die eigentlichen harten Fragen in der Welt des 21. Jahrhunderts sind. Deswegen werden wir alle Anstrengungen auf eine verstärkte Zusammenarbeit und einen besseren Austausch, auch und gerade den Studentenaustausch, richBundesminister Joseph Fischer ten. Es wird wichtig sein, wie uns junge Menschen aus anderen Ländern dabei erfahren. Dieser innenpolitische Teil ist ein integraler Bestandteil der auswärtigen Kulturpolitik. ({25}) Dazu gehört natürlich auch eine verbesserte Ausstattung der Kulturmittler. Wir treten bei der Mittelverteilung in eine neue Entscheidungsphase ein. Wir werden mit den knappen Mitteln, die wir haben - das habe ich am Beispiel Kabul, aber auch an anderen Beispielen klar zu machen versucht -, die richtigen Schwerpunkte setzen und sie erfolgreich umsetzen. Ich möchte allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die für die Umsetzung verantwortlich sind, danken. Wir werden uns darüber hinaus weiter dafür engagieren, Aufwüchse in den entsprechenden Haushalten zu erreichen. ({26}) Gleichzeitig wird aber der Anpassungsbedarf bei den Strukturreformen realisiert werden müssen. Dafür werde ich ebenfalls ganz dickschädelig Sorge tragen. ({27})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister, Sie müssen zum Ende kommen.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Ich komme zum Schluss. - Lassen Sie mich abschließend für die Unterstützung aus dem zuständigen Ausschuss danken. Ganz besonders möchte ich Hilmar Hoffmann, dem ausscheidenden Präsidenten des Goethe-Instituts, und seinem Vizepräsidenten für die sehr gute Zusammenarbeit danken. Hilmar Hoffmann hat von der Bundesrepublik Deutschland einen Orden bekommen für die Leistung, die er gebracht hat, und zwar nicht nur als Präsident des Goethe-Instituts. Ich kenne ihn seit vielen Jahrzehnten und weiß, dass er auch in kommunaler Verantwortung Großartiges geleistet hat. Ich möchte von dieser Stelle aber auch der künftigen Präsidentin des Goethe-Instituts Inter Nationes, Jutta Limbach, alles Gute wünschen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Recht herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Hans-Joachim Otto, FDP-Fraktion.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich nicht die Aufgabe dieses Parlaments, sich bei der auswärtigen Kulturpolitik nur wechselseitig auf die Schulter zu klopfen und zu sagen, dass wir in den Zielen übereinstimmen. Es ist wohl wahr, dass wir in den Zielen übereinstimmen. Ich möchte ebenfalls darauf hinweisen, dass Mitglieder der Regierungs- und der Oppositionsfraktionen im Ausland immer sehr stark mit einer Stimme sprechen. Das darf auch nicht verloren gehen. Aber, lieber Herr Fischer, zur Tränen treibenden Realität der auswärtigen Kulturpolitik muss man schon noch ein paar kurze Worte verlieren: Erstens. Sie sagten, es habe seit Antritt der Regierung Schröder/Fischer keinen Abbau gegeben. ({0}) Ganz nüchtern muss man feststellen - daran lässt sich nicht vorbeireden; ich habe mir die Zahlen eben noch einmal angeschaut -: Der Kulturhaushalt des Auswärtigen Amtes ist von 1998 bis 2001 schlicht von 1,154 Milliarden DM auf 1,126 Milliarden DM heruntergegangen. Das bedeutet, wenn man auch noch die Wechselkurs- und Preisveränderungen berücksichtigt, durchaus einen Abbau. Das ist die harte Realität. Im Haushalt der Deutschen Welle, die, wie wir wissen, nicht bei Fischer ressortiert, hat es sogar einen Abbau um 130 Millionen DM gegeben. Das ist die Tränen treibende Realität der auswärtigen Kulturpolitik. Zweitens. Lieber Herr Fischer, es gibt unbestritten - da werden Sie mit der FDP wenig Probleme haben - einen Konsolidierungsbedarf. Wir sind die Allerletzten, die bestreiten würden, dass die Verschuldung nicht in die Höhe getrieben werden darf; das ginge zulasten der kommenden Generationen. Aber - darüber werden wir zu reden haben - die Prioritätensetzung ist entscheidend. Der Kulturhaushalt des Auswärtigen Amtes ist in der Ära Fischer von 0,25 Prozent - es waren sogar schon 0,28 Prozent auf 0,22 Prozent des Gesamthaushaltes heruntergefahren worden. ({1}) Auch das ist eine harte Realität. Die Mittel für die Deutsche Welle sind um 130 Millionen DM gekürzt worden und gleichzeitig - das ist Ihre Prioritätensetzung - ist der Etat des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung dramatisch angestiegen, damit in deutschen Zeitungen schöne Anzeigen für die deutschen Wähler geschaltet werden können. Dieses Geld fehlt, um eine vernünftige auswärtige Kulturpolitik betreiben zu können. ({2}) Ich möchte noch ein Wort über die Prioritätensetzung verlieren. Es ist schon komisch: Es gibt jetzt die Überlegung, Serien wie „Kommissar Rex“, „Forsthaus Falkenau“ und „Klinik unter Palmen“ über den deutschen Auslandssender zu verbreiten. Dafür sind spontan 50 Millionen DM zusätzlich vorhanden. Diese 50 Millionen fehlen natürlich letztlich im Kulturetat, die fehlen für anspruchsvolle Programme. Liebe Freunde von SPD und Grünen, bei diesen 50 Millionen DM, die jetzt für den deutschen Auslandskanal, für das Kooperationsprogramm von ARD und ZDF, eingesetzt werden, muss ich mich doch fragen: Welche Prioritäten werden hier gesetzt? „Kommissar Rex“ mag ja ganz hübsch sein, aber ist das die anzustrebende auswärtige Kulturpolitik, Herr Fischer? Ich glaube, das ist nicht unser Ziel. Jetzt möchte ich noch etwas zu den Inhalten sagen; das ist immer noch das Wichtigste. Herr Fischer, Sie haben gesagt, die auswärtige Kulturpolitik dürfe nicht instrumentell eingesetzt werden. Sie meinen damit wahrscheinlich: nicht unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ich möchte Ihnen sagen - wahrscheinlich sind wir gar nicht weit auseinander -: Sie muss durchaus instrumentell eingesetzt werden, und zwar zur Konfliktverhütung, zur Durchsetzung des Rechtes, zur Durchsetzung von demokratischen Prinzipien. Insofern möchte ich Herrn Fischer - das wird Sie jetzt überraschen - loben: Er erklärt jedenfalls immer wieder, dass das kein unverbindliches Kaffeekränzchen ist, dass der Dialog der Kulturen nicht zu einer Relativierung von Menschenrechten führen darf. Da bin ich voll bei Ihnen und da unterstütze ich Sie auch. Nur gibt es auch in diesem Bereich Realitäten, die einen etwas nachdenklich machen. - Ich wollte jetzt etwas zu Herrn Nida-Rümelin sagen; aber er ist leider nicht mehr da. ({3}) - Ah, richtig. - Herr Nida-Rümelin, Sie waren gerade in Moskau. Man wirft Ihnen vor, Sie seien als Kulturstaatsminister in Moskau gewesen und hätten kein Wort dazu gesagt, dass das einzige kremlfreie Fernsehprogramm TW-6 zu dieser Zeit schließen musste. Ich war nicht dabei. Vielleicht äußern Sie sich noch einmal dazu. Ich hätte eine Äußerung Ihrerseits jedenfalls für notwendig empfunden. Ich weiß nicht, was Herr Fischer dazu sagt; ich will ihn auch gar nicht um eine Antwort bitten. Wenn Sie als Kulturstaatsminister in Moskau sind und ein solcher Sender geschlossen werden muss, dann wäre auch ein Wort Ihrerseits dazu gegenüber Ihren Gesprächspartnern notwendig gewesen. ({4}) Herr Fischer, eines noch zur Durchsetzung der Menschenrechte, zu einem Thema, bei dem ich im Prinzip bei Ihnen bin: Wenn Sie sich die Situation der beiden chinesischen Staaten einmal anschauen, so stellen Sie fest, dass es zum einen Begeisterung für Rotchina gibt - das ist ganz klar, denn das Land hat wegen seiner großen Bevölkerung wirtschaftlich große Bedeutung - und zum anderen das verhältnismäßig kleine Taiwan, das immerhin auf dem Weg zur Demokratie schon sehr weit fortgeschritten ist und wo es einen Regierungswechsel gegeben hat, fast untergeht. Was tun wir Deutschen eigentlich, um den Demokratisierungsprozess in Rotchina zu fördern? Wir laufen den Rotchinesen nach und benachteiligen Taiwan. Das ist keine auswärtige Kulturpolitik, wie ich sie meine. ({5}) Als Letztes möchte ich noch etwas zum Dialog mit dem Islam sagen. Wir müssen den Dialog führen, um auch Demokratisierungsprozesse - Herr Weisskirchen hat vorhin sehr engagiert darauf hingewiesen - in Gang zu setzen. Lieber Herr Herr Weisskirchen, ich weiß gar nicht, ob wir uns da uneinig sind. Der Dialog mit dem Islam muss in gleicher Weise geführt werden, wie Herr Fischer es eben auch angesprochen hat. Wir müssen auf Demokratiedefizite hinweisen. Das ist kein unverbindliches Kaffeekränzchen. Der Islam insgesamt hat Demokratiedefizite aufzuweisen, die zu benennen wir uns in der auswärtigen Kulturpolitik nicht scheuen dürfen. Es geht hier nicht nur um die Diskriminierung der Frau, es geht auch um Gewaltenteilung, um Fragen der Gewissensfreiheit, der Glaubensfreiheit usw. Deswegen, lange Rede, kurzer Sinn - Herr Präsident, ich komme zum Ende, Sie müssen mich nicht ermahnen -: Es ist in der Tat so, dass es im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik Übereinstimmungen über alle Fraktionen dieses Hauses hinweg gibt. Jetzt ist es an den Regierungsfraktionen, diese Übereinstimmung, diesen Konsens auch in die Tat umzusetzen. Gerade in der auswärtigen Kulturpolitik gibt es das Angebot zur Zusammenarbeit. Wenn es aber um die Haushaltsberatungen und um einzelne Anträge geht, vermisse ich die Zusammenarbeit manchmal. Ich mache Ihnen das Angebot, verbunden mit dem ausdrücklichen Lob für die klaren Worte zum Dialog der Kulturen und zur Priorität und Nichtrelavitierbarkeit der Menschenrechte: Machen Sie im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik mehr Gebrauch von Zusammenarbeit. Einiges hat uns nicht gefallen, aber ich möchte hier noch einmal betonen: Im Grundsatz gibt es Übereinstimmung in diesem Bereich. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Kollegin Elke Leonhard, SPD-Fraktion.

Dr. Elke Leonhard-Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002723, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Otto, ich war 2001 und 2002 die Hauptberichterstatterin im Haushaltsausschuss für die auswärtige Kulturpolitik. Wir haben mit der FDP in Person von Herrn Hoyer, mit der CDU/CSU wie mit allen anderen Fraktionen einvernehmlich gehandelt. Sie hätten also frühzeitiger in aller Klarheit Ihre Forderungen aufstellen müssen, damit wir darüber rechtzeitig hätten diskutieren können. Man kann aber jetzt nicht scheinheilig „auspacken“ wollen. So geht es nicht. ({0}) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute den Bericht der Bundesregierung zur auswärtigen Kulturpolitik 2000, des Weiteren den Antrag der SPD-Fraktion und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „ Auswärtige Kulturpolitik für das 21. Jahrhundert“ sowie den Antrag Hans-Joachim Otto ({1}) der FDP - so schlecht ist das gar nicht - über Public Private Partnership. Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu den Schwerpunkten der auswärtigen Kulturpolitik machen. So wie wir in den vergangenen zwei Jahren - ich betone das durch eine Mittelaufstockung und durch Verstetigung die Schwerpunktsetzung bei der Vergabe von Stipendien und bei der Internationalisierung der Hochschulen als Weichenstellung verstanden haben, so wird die nächste Schwerpunktsetzung die Konzentration auf die qualitative Verbesserung des Auslandsschulwesens sein müssen. Trotz Haushaltskonsolidierung muss es gelingen, die Auslandsschulen so zu stärken, dass sie innovativ und konkurrenzfähig bleiben und die Herausforderungen einer globalisierten Welt nutzen, deutschen wie einheimischen Kindern eine zukunftssichere Ausbildung anzubieten. ({2}) Der Ausbau des Begegnungscharakters und der Ausbau von Euro-Campus-Schulen sollte forciert vorangebracht werden. Lassen Sie mich stellvertretend für die 119 Schulen mit insgesamt 70 000 Schülern, die 48 Begegnungsschulen und 44 deutschsprachigen Schulen sowie 27 landessprachlichen Schulen die Amani-Oberrealschule in Kabul erwähnen. Wir sind sicher, dass noch im Laufe des Frühjahrs die Amani-Oberrealschule wieder eröffnet wird. Mit großer Intensität wird an dieser Wiedereröffnung gearbeitet. Ich bin sicher, dass nach jahrelangem Terror, Unterdrückung, Knechtung und Verfolgung nichts so wichtig ist wie der Aufbau von Vertrauen. Vielleicht können wir dazu beitragen, Vertrauen zu bilden und damit Brücken zu bauen. ({3}) Es war eine schlichte Geste, als der Außenminister auf dem Petersberg die Wiedereröffnung der Amani-Oberrealschule und der Mädchenschule ankündigte. Die Bilder von der Wiedereröffnung der Mädchenschule in der vergangenen Woche werden bei uns allen noch lange haften bleiben. ({4}) Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass Sie, Herr Kollege Lammert, Prozentzahlen genannt haben. Ich muss aber dazu sagen, dass die absoluten Zahlen wichtig sind. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass wir die Mittel für die Stipendien um 21 Millionen DM aufgestockt haben - wir haben sogar eine Verstetigung erreicht - und dass wir bei den Mitteln für die Auslandsschulen 2,5 Millionen Euro dazugelegt haben. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Leonhard, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lammert?

Dr. Elke Leonhard-Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002723, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte mit meiner Rede fortfahren, obwohl er schön aufgestanden ist. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Lammert, ich bedauere, dass die Zwischenfrage nicht zugelassen wird. ({0})

Dr. Elke Leonhard-Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002723, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mit dem Kollegen Lammert habe ich mich oft über diesen Punkt auseinander gesetzt. Ich habe dabei stets betont: Wenn Sie Änderungen haben wollen, dann bringen Sie diese in die Haushaltsberatungen ein! ({0}) Ich könnte Ihnen die mir vorliegende Liste vorlesen. Während Ihrer Regierungszeit wurden beispielsweise 42 Goethe-Institute geschlossen. ({1}) Seit 1999 gab es aber keine Schließungen mehr. Ich kann Ihre Vorwürfe nicht mehr hören. Ich habe gar nicht die Zeit, um Ihnen die passende Antwort zu geben, die Sie verdienen. ({2}) Es ist mir aber auch ein großes Bedürfnis, aus diesem Hohen Hause eine Grußadresse an Hilmar Hoffmann, mit dem ich jahrelang zusammengearbeitet habe, zu richten. Er wurde am vergangenen Freitag zusammen mit Professor Wapnewski von unserem Bundespräsidenten Johannes Rau verabschiedet. Beide, Präsident und Vizepräsident, zählen zu den großen Botschaftern der Bundesrepublik. Die auswärtige Kulturpolitik wäre ohne sie nicht so erfolgreich gewesen. Hilmar Hoffmann und Peter Wapnewski werden auf jeden Fall der auswärtigen Kulturpolitik fehlen. Respekt und Dank von dieser Stelle. ({3}) Gleichzeitig wünschen wir Frau Professor Limbach, Volker Doppelfeld und Klaus-Dieter Lehmann die nötige Energie und Überzeugungskraft zur Fortsetzung der bedeutenden Arbeit. ({4}) Der scheidende Präsident des Goethe-Instituts, Professor Hoffmann, formulierte treffend: Die deutsche Außenpolitik zeigt mit Joschka Fischer ein neues Gesicht. Zum ersten Mal seit 100 Jahren leisten wir uns einen eigenständigen Beitrag zu einer Weltfriedenspolitik, die auf einer den Menschenrechten verpflichteten strategischen Planung basiert. Kritisch fügte er allerdings hinzu: Was ganz offensichtlich bisher nicht gelungen ist, ist der Eintritt in die neue, dritte Phase der Außenpolitik. Hoffmann ergänzte diese Ausführungen mit den erklärenden Worten: Früher in Bonn, heute in Berlin gilt der Begriff von den drei Säulen der Außenpolitik als Standard. Diesen Dreiklang bildet neben Politik als erster Säule und Wirtschaft als zweiter Säule schließlich die auswärtige Kulturpolitik als drittes Fundament unserer Außenpolitik. Nun spiegelt sich in diesem Säulenmodell exakt die oben skizzierte dreiphasige Entwicklung der außenpolitischen Paradigmen der Nachkriegszeit. Wenn es stimmt - so Hoffmann -, dass wir längst in eine neue, von Kultur und Information, Bildung und Medien geprägte Ära der internationalen Politik eingetreten sind, dann hat diese Erkenntnis nicht weniger zur Konsequenz als eine Umkehr der bisherigen Rangordnung. Er fordert die neue Ära deutscher Außenpolitik, deren Umrisse immer deutlicher erkennbar werden, als eine Ära, die im Kern auf den Ausbau der internationalen kulturellen Verständigungsverhältnisse der Zukunft zielt. Er verlangt nicht weniger, als der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik oberste Priorität zu gewähren und damit die dritte Säule zur ersten zu machen. Hoffmann bemühte Sigmund Freud, der schon wusste, dass alles, was die Kulturentwicklung fördert, gegen den Krieg arbeitet. Man kann zustimmen. Aber wie hauchdünn die Kultur- und Zivilisationsschicht sein kann, haben Freuds Schüler und die Frankfurter Schule treffend analysiert. Lassen Sie mich noch einmal anmerken: Eine Hierarchie innerhalb der Dreisäulenpolitik der Außenpolitik halte ich für unangemessen. Außerdem würde - den Worten Hoffmanns folgend - die auswärtige Kulturpolitik sofort wieder zum Auswärtigen Ausschuss und dort nicht in einen Unterausschuss, sondern in den Hauptausschuss verlagert. Ob wir dies wollen, ist eine andere Frage und wird an anderer Stelle diskutiert werden. Ich sehe nur die Konsequenz, dass es bei der klassischen Diplomatie ebenso wie bei der Außenwirtschaft und der auswärtigen Kulturpolitik als den drei Säulen der Außenpolitik bleiben wird und danke Ihnen. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Hartmut Koschyk von der CDU/CSU-Fraktion.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Außenminister hat vorhin in seinem Redebeitrag mit Blick auf die CDU/CSU-Fraktion angemahnt, dass wir Antworten darauf geben sollten, wo wir andere Schwerpunkte in der auswärtigen Kulturpolitik setzen und vor allem wie wir sie finanzieren wollten. Die Frau Kollegin Leonhard hat gerade in ihrem Redebeitrag den schönen Satz gesagt: Wenn Sie Änderungswünsche für den Haushalt haben, dann bringen Sie sie doch ein. - Liebe Frau Kollegin Leonhard, wir hatten im Kulturausschuss des Deutschen Bundestages eine sehr substanzielle Debatte über den Haushaltsansatz für die auswärtige Kulturpolitik für das Jahr 2002. Das Auswärtige Amt hat die gutachterliche Befassung des Kulturausschusses des Deutschen Bundestages mit dem Haushaltsansatz für die auswärtige Kulturpolitik so ernst genommen, dass weder der Herr Außenminister noch irgendeiner der Staatssekretäre noch der Abteilungsleiter - Frau Kollegin Griefahn, Sie erinnern sich - in der Ausschusssitzung zugegen waren, sondern eine Referatsleiterin. ({0}) Frau Kollegin Leonhard, wir haben sehr wohl zahlreiche Anträge - auch Verbesserungs- und Gegenfinanzierungsvorschläge haben wir dargelegt - im Hinblick auf den Haushalt für die auswärtige Kulturpolitik für das Jahr 2002 eingebracht. ({1}) Das Problem war: Die Mehrheitsfraktionen von SPD und Grünen haben sie abgelehnt. ({2}) Ich möchte noch einmal zu einem Kernbereich der auswärtigen Kulturpolitik zurückkommen. Herr Bundesminister, natürlich ist es in Zeiten knapper Haushaltskassen schwierig, in einem Bereich, der nicht immer eine Lobby in der Gesamtregierung hat, Kürzungen zu verhindern. Man muss sich dann aber auf Prioritäten konzentrieren. Wir werfen Ihnen vor, dass Sie ständig - auch in der auswärtigen Kulturpolitik - neue Aufgaben angehen und das mit großen Worten beschreiben, wichtige Kernaufgaben in der auswärtigen Kulturpolitik aber vernachlässigen. ({3}) Ich möchte dies an einem Bereich, nämlich dem der Auslandsschulen, deutlich machen; es ist auch ein wenig durch die heutige Debatte deutlich geworden. Wenn ich mir den Bericht des Auswärtigen Amtes zur auswärtigen Kulturpolitik für das Jahr 2000 ansehe, dann erkenne ich, dass dort sehr euphemistisch beschrieben wird, wie sich die Kürzungspolitik bei den Auslandsschulen auswirkt. Dort heißt es nämlich: Nach sorgfältiger Einzelprüfung wird die Förderung den Sparbeschlüssen angepasst, wobei die Schulen möglichst wenig beeinträchtigt werden sollen. Qualität und Substanz der Ausbildung sind gewahrt ... Herr Minister, das stimmt eben nicht. Ich werde dies an einigen Beispielen deutlich machen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, auch in Ihrem Antrag über eine auswärtige Kulturpolitik für das 21. Jahrhundert - man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen - findet das Auslandsschulwesen nur eine marginale, lapidare Erwähnung in vier Sätzen. ({4}) - Wenn man sich Ihren Antrag einmal anschaut, sieht man, dass es sich um eine lapidare, marginale Erwähnung handelt. Ich muss Ihnen sagen: Dass Ihnen nicht mehr dazu einfällt, als dass mit anderen europäischen Ländern und anderen Trägern mehr zusammengearbeitet werden muss, um Auslandsschulen zunehmend zu Euro-CampusSchulen zu entwickeln, zeigt, wie konzeptionslos Sie in diesem Bereich sind. Ich meine, wir müssen deutlich machen, dass das deutsche Auslandsschulwesen eines der wichtigsten Instrumente nicht nur der deutschen Bildungspolitik, sondern auch der auswärtigen Kulturpolitik ist. Es dient neben den Kulturbeziehungen auch der Förderung der deutschen Außenwirtschaft, dem Dialog der Kulturen und auch der Verbesserung unserer bilateralen Beziehungen. Über 100 000 ausländische Jugendliche erhalten an den deutschen Schulen im Ausland eine qualifizierte Schulausbildung. Dies lässt Hunderttausende Jugendliche weltweit zu einer einzigartigen Brücke zwischen Deutschland und den Kulturen der Welt werden. Es geht aber - auch das muss eine Kernaufgabe deutscher auswärtiger Kulturpolitik bleiben - um die Schulversorgung von zigtausend Kindern deutscher Staatsbürger, die zeitweilig für deutsche Unternehmen, sonstige deutsche Einrichtungen oder Auslandseinrichtungen im Ausland tätig sind. Wir haben eine Fürsorgepflicht für die schulische Wiedereingliederung der Kinder deutscher Staatsbürger, die sich zeitweise im Ausland aufhalten, wenn sie nach Deutschland zurückkehren. Lassen Sie mich gerade auch im Hinblick auf die Außenwirtschaft und die Globalisierung der Weltwirtschaft sagen: Wenn Sie sich heute mit Vertretern deutscher Unternehmen unterhalten, dann merken Sie, dass junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit operierender deutscher Unternehmen nur dann bereit sind, mit ihren Familien ins Ausland zu gehen, wenn dort auch entsprechend qualifizierte deutsche Auslandsschulen vorgehalten werden. ({5}) Ich komme jetzt zu den Kürzungen der rot-grünen Bundesregierung. Allein im Haushaltsbereich 2000/2001 betrugen die Kürzungen für die deutschen Auslandsschulen 10,84 Millionen Euro. In der gesamten bisherigen Legislaturperiode betrugen sie 20,5 Millionen Euro. Was diese Kürzungen bedeuten, Herr Außenminister, das können Sie erleben, wenn Sie eine deutsche Auslandsschule besuchen. Ich habe in den letzten Jahren mehrere deutsche Auslandsschulen besucht. Dort heißt es, dass es zunehmend Probleme gibt, eine ausreichende Anzahl qualifizierter Auslandslehrkräfte in den Schulen zu bekommen. In deutschen Schulen muss aufgrund der Kürzungen die Zahl qualifizierter Auslandslehrer zurückgeführt werden. Es droht eine Statusverschlechterung der Schulen; denn wenn es eine immer geringere Anzahl von Lehrern an den Schulen gibt, kann dadurch die Möglichkeit, an der Schule die Reifeprüfung abzuhalten, gefährdet werden. Wenn Sie sich mit den deutschen Außenhandelskammern und den Verantwortlichen deutscher Unternehmen vor Ort unterhalten, dann sagen diese schon sehr klar, dass die Gefahr besteht, es könne zu einem Renommeeverlust deutscher Auslandsschulen gegenüber anderen internationalen Schulen vor Ort kommen. Wir müssen sehen, dass die Kürzungen zunehmend zu einem Qualitätsverlust und einem Imageverlust führen. Deshalb, Herr Bundesaußenminister, schlagen die deutsche Wirtschaft und vor allem auch die deutschen Außenhandelskammern in einem nie gekannten Ausmaß Alarm. Ich bin dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag und den deutschen Außenhandelskammern sehr dankbar, dass sie sich dieses Themas annehmen. Herr Minister, die deutsche Wirtschaft nimmt sich dieses Themas nicht in der Art und Weise an, dass sie nur die Hand aufhält und sagt: Wir wollen mehr Geld. - Vielmehr war es für mich sehr interessant, zu erfahren, wie sehr sich die deutsche Wirtschaft vor Ort für deutsche Auslandsschulen engagiert: Grundstücke werden gekauft und Investitionen zur Verfügung gestellt, um die Schulausstattung zu verbessern, zum Beispiel für Turnhallen und Musikräume. Wenn man sich ansieht, wie der Schultitel des Auswärtigen Amtes seit 1998 bis heute insgesamt zurückgegangen ist - 1998 betrug er 193 Millionen Euro, in diesem Jahr 172 Millionen Euro; in der mittelfristigen Finanzplanung bis 2004 soll der Schultitel auf 169 Millionen Euro weiter zurückgeführt werden -, dann wird deutlich - der Kollege Dr. Lammert hat darauf hingewiesen -, dass dies, wenn man Wechselkursschwankungen und die Teuerungsrate in vielen Ländern dieser Welt berücksichtigt, eine Absenkung um 30 bis 40 Prozent bedeutet. Jetzt muss man nicht nur die warnenden Stimmen der deutschen Wirtschaft hören. Jetzt muss man auch die warnenden Stimmen von wichtigen Partnern im Auslandsschulwesen in den jeweiligen Gastländern vernehmen, die, wenn man in diesen Ländern ist, einem klar sagen, dass Deutschland mit seinem weltweiten kulturellen Ansehen Gefahr läuft und dass immer weniger Eliten in Ländern mit deutschen Auslandsschulen ein Interesse daran haben, auf diese Schulen zu gehen, weil andere Schulen qualitativ besser sind. Das hat auch Auswirkungen auf unser gemeinsames Ziel, Herr Bundesaußenminister, die Stärkung des Hochschulstandorts Deutschland. Wir beklagen den Rückgang von Studierenden aus dem Ausland an deutschen Hochschulen. Wenn Sie mit Vertretern der Hochschulrektorenkonferenz und Vertretern deutscher Hochschulen sprechen, dann sagen diese sehr deutlich: Wenn es aufgrund der Qualitätseinbußen für immer weniger Eliten im Ausland interessant ist, auf eine deutsche Auslandsschule zu gehen, sodass dort erste Prägungen im Hinblick auf die deutsche Sprache und die deutsche Kultur nicht erfolgen, dann wird es auch immer weniger interessant, auf eine deutsche Hochschule zu gehen. Deshalb müssen wir gerade auch bei diesem zentralen Bereich der auswärtigen Kulturpolitik sagen, dass weder der Bericht, den die Bundesregierung für das Jahr 2000 vorgelegt hat, noch der Koalitionsantrag irgendeine umfassende Konzeption für die Zukunft des Auslandsschulwesens erkennen lassen. Drei Jahre rot-grüne Regierungszeit haben zu einer groben Vernachlässigung der politischen Aufmerksamkeit und auch der finanziellen Förderung für das deutsche Auslandsschulwesen geführt. Die deutsche Wirtschaft vor Ort, die an den Auslandsschulen tätigen Lehrer, aber auch die in den Schulen engagierten Unternehmen und die Elternschaft sind alle über diese Vernachlässigung tief enttäuscht. Deshalb sage ich für diesen zentralen Bereich der deutschen auswärtigen Kulturpolitik: Auch hier wird im Herbst dieses Jahres ein Politikwechsel notwendig sein, damit auch das deutsche Auslandsschulwesen als ein Kernbereich auswärtiger Kulturpolitik in Deutschland wieder den Stellenwert bekommt - Herr Minister, das können wir sehr selbstbewusst sagen -, den es in 16 Jahren Regierungsverantwortung der Union gemeinsam mit der FDP immer gehabt hat. ({6}) Wenn Sie vor Ort mit Verantwortlichen der deutschen Wirtschaft und der deutschen Auslandsschulen sprechen, dann wird das anerkannt. Das haben Sie stark vernachlässigt. Auch hier braucht die deutsche auswärtige Kulturpolitik dringend den Wechsel. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/6825 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksa- che 14/7253 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „‚Public Private Partnership‘ in der auswärtigen Kulturpolitik“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5963 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthal- tungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der PDS gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP angenommen. Wir kommen zu der Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf Drucksache 14/7380 zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Auswärtige Kulturpolitik für das 21. Jahrhundert“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5799 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- onsfraktionen und der Fraktion der PDS gegen die Stim- men der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP ange- nommen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a bis c auf: 4. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Schnieber-Jastram, Karl-Josef Laumann, Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Für mehr Wettbewerb und Subsidiarität in den sozialen Sicherungssystemen - durch Neuorga- nisation der aktiven Arbeitsmarktpolitik die Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland senken - Drucksachen 14/5552, 14/7523 - Berichterstattung: Abgeordnete Andrea Nahles b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Hildebrecht Braun ({1}), Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit - Drucksache 14/6548 ({2}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({3}) - Drucksache 14/7362 - Berichterstattung: Abgeordneter Klaus Brandner c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Schnieber-Jastram, Karl-Josef Laumann, Brigitte Baumeister, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit bei wichtigen Fragen des Arbeitsmarktes endlich handeln - Drucksachen 14/5758, 14/7362 Berichterstattung: Abgeordneter Klaus Brandner Über den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Sicherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Klaus Brandner von der SPD-Fraktion das Wort.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In der erhitzten Debatte über den Arbeitsmarkt ist neben einem klaren Kopf auch ein gutes Gedächtnis hilfreich. Vor genau vier Jahren - im Januar 1998 - hatten wir in der Bundesrepublik Deutschland einen bis dahin noch nie erreichten Stand von exakt 4,82 Millionen arbeitslosen Frauen und Männern. Vier Jahre später ist die aktuelle Arbeitsmarktlage ohne Frage unbefriedigend: Knapp 4 Millionen Arbeitslose im Dezember und voraussichtlich mehr als 4 Millionen Arbeitslose im Januar - das kann nicht zufrieden stellen, um das klar zu sagen. ({0}) Klar ist aber auch, dass wir in der Zwischenbilanz in einer Größenordnung von einer halben Million weniger Arbeitslosen als 1998 besser dastehen, als es viele in der Öffentlichkeit wahrhaben wollen ({1}) und dies, obwohl sich mehr Menschen am Erwerbsleben beteiligen, also keine demographische Entlastung stattgefunden hat. Hinzu kommt noch, dass wir - die neue Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen - nicht mit statistischen Tricks und mit Wahlkampf-ABM gearbeitet haben. ({2}) Wir haben auch nicht die Datenlage geschönt. Insofern muss das Ergebnis positiver dargestellt werden, als es manche zurzeit gewürdigt wissen wollen. ({3}) Sie haben natürlich dadurch, dass Sie die WahlkampfABM erfunden haben, das Arbeitsmarktmittel ABM diskreditiert. Das ist doch völlig klar. Wenn Sie es jetzt zugunsten von Kombilöhnen abschaffen wollen, zeigt das nur, dass Sie ein sinnvolles Instrument für bestimmte Problemlagen in Misskredit gebracht und nicht dafür gesorgt haben, den Menschen, die diese Unterstützung brauchen, tatsächlich Hilfe zu geben. ({4}) Hinzu kommt schließlich, dass seit 1998 fast 1,2 Millionen neue Jobs entstanden sind. Das kann sich, so meine ich, sehen lassen. Darüber kann die Aufgeregtheit über die derzeitig schwierige Konjunkturphase auch nicht hinwegtäuschen. Wir hatten zwar - das hatte ich schon angesprochen - mehr erwartet. Aber wir stehen nicht mit leeren Händen da. 1,2 Millionen Jobs bedeuten Zukunft, Hoffnung und Perspektive für 1,2 Millionen Menschen in diesem Land. Es gibt keinen Grund, dieses Ergebnis unserer Politik kleinzureden. ({5}) Dass Sie, insbesondere die Kollegen von der CDU/ CSU-Fraktion, vor diesem Hintergrund, so steht es in Ihrem Antrag, eine grundlegende Reform der aktiven Arbeitsmarktpolitik zur Senkung der Arbeitslosigkeit fordern, ist schon ein bisschen grotesk; denn Sie selbst haben erst 1998, wie Sie gesagt haben, eine grundlegende Arbeitsmarktreform durchgeführt, deren Wirkungen wir im Laufe der Jahre organisatorisch anpassen mussten und für die wir Mittel zur Verfügung stellen mussten. Wir dagegen haben konkrete Erfolge bei der Bekämpfung der problematischen strukturellen Arbeitslosigkeit erzielt, die Sie in der Tat nicht erzielen konnten. Sie gehen in ihrem Antrag in diesem Zusammenhang von falschen Annahmen aus. Sie fordern den Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit. Das ist zwar richtig. Aber richtig ist auch, dass seit 1998 die Langzeitarbeitslosigkeit um 15 Prozent zurückgegangen ist. Wir haben die verkrusteten Strukturen aufgebrochen. Wir haben die Ärmel hochgekrempelt und haben die Arbeitslosigkeit in den Problembereichen trotz zurzeit allgemein steigender Arbeitslosigkeit zurückgeführt. ({6}) Damit nicht genug! Wir haben die Jugendarbeitslosigkeit, die Arbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmer und die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen bekämpft, und zwar erfolgreich. Nehmen Sie das doch einmal zur Kenntnis! Seien Sie doch nicht neidisch auf diese Erfolge! ({7}) Ein Erfolg ist auch, dass die Dauer der durchschnittlichen Arbeitslosigkeit zurückgeht. Im vergangenen Jahr konnte sie um eine Woche auf durchschnittlich 34 Wochen im Jahr reduziert werden. Das entlastet im Übrigen die Bundesanstalt für Arbeit um über 1 Milliarde Euro. Auch das ist ein besonderer Beitrag, damit mehr Mittel für eine aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung stehen. Entscheidend bei der arbeitsmarktpolitischen Debatte ist aber, dass die geforderte Reform der aktiven Arbeitsmarktpolitik seit dem 1. Januar dieses Jahres in Kraft ist. Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz haben wir die Instrumente der Arbeitsmarktförderung gründlich reformiert. Dabei geht es insbesondere darum, dass das Risiko von Langzeitarbeitslosigkeit bereits im Vorfeld erkannt und - auf den Einzelfall passgenau zugeschnitten - gegengesteuert wird. Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz wird die größte Vermittlungsoffensive in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gestartet. Insgesamt sind 3 000 neue Vermittler Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms tätig. Sie bemühen sich zusammen mit den Arbeitslosen, Wege zurück in die Erwerbsarbeit zu finden. Individuelle Eingliederungsvereinbarungen halten die verschiedenen Schritte verbindlich für beide Seiten fest. Eine aktive Fördermaßnahme kann, sofern sie erforderlich ist, neuerdings ohne entsprechende Wartezeit erfolgen. Die Arbeitsmarktmittel können also sofort greifen. Wir haben ein breites Instrumentarium an Maßnahmen geschaffen, das die Schwerpunkte insbesondere im Bereich der Qualifizierung setzt und es ermöglicht, Maßnahmen im Bereich der Teilzeitarbeit oder in Form der Jobrotation durchzuführen. Zum vorbeugenden Charakter unserer Arbeitsmarktpolitik gehört auch, dass Beschäftigte bereits in den Betrieben qualifiziert werden können, wenn sie in besonderem Maße von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Das betrifft geringer qualifizierte und ältere Arbeitnehmer. Anstatt den Katastrophenmeldungen über Personalabbau eine noch größere Verbreitung zu verschaffen, sollten wir uns lieber gemeinsam für die Beseitigung der Qualifizierungsmängel innerhalb des Arbeitsmarktes einsetzen und dafür sorgen, dass die Maßnahmen, die eingeleitet worden sind, nun auch greifen, damit den von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen und den Menschen, die schon arbeitslos sind, endlich Hilfe gegeben wird. ({8}) Altersarbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit sind oft zwei Seiten derselben Medaille. Rund die Hälfte der Arbeitslosen ist älter als 50 Jahre. Aus meiner Sicht ist es ein Skandal, dass 60 Prozent der Betriebe keine älteren Arbeitnehmer ab 50 Jahre mehr beschäftigen. Viele Arbeitgeber müssen endlich realisieren, dass sie nicht nur olympiareife Mannschaften brauchen, sondern auch die Erfahrung und das Know-how der Älteren. Job Aqtiv ermöglicht gerade mit Lohnkostenzuschüssen für Ältere insbesondere auch den kleinen und mittleren Betrieben, den Wiedereinstieg solcher Personen zu organisieren. ({9}) Ihre Sorgen um das Wohl der älteren Arbeitnehmer, meine Damen und Herren von der Opposition, klängen aus meiner Sicht wahrlich glaubwürdiger, wenn Sie mithelfen würden, deutlich zu machen, dass gegen den übertriebenen Jugendwahn dieser Gesellschaft gemeinsam gesellschaftlich Front gemacht werden muss, ({10}) und wenn Sie die Arbeitgeber auffordern würden, ihre sozialpolitische Verantwortung wahrzunehmen und älteren Menschen wieder eine größere Chance zu geben. ({11}) Die Arbeitsmarktinstrumente sollten auch für spezielle Problemlagen herangezogen werden können. Ein neuer Vorschlag ist die Beschäftigungsbrücke für junge Menschen. Wir brauchen eine solidarische Aktion. Im Gegensatz zu den früheren Entlastungsmaßnahmen wird ein aktiver Lösungsweg vorgeschlagen, der direkt zur Neueinstellung von Jugendlichen führt. Die SPD-Fraktion unterstützt daher grundsätzlich die Initiative der IG Metall, dass Betriebe im Vorgriff auf später ausscheidende Arbeitnehmer arbeitslose Jugendliche unbefristet einstellen und gegebenenfalls weiterqualifizieren sollten. Sie sollten dafür, dass sie dieses Engagement zeigen, möglichst einen pauschalierten Lohnkostenzuschuss erhalten. Diese Maßnahmen wären strikt bis zum Jahr 2006 zu befristen, weil sich dann der Geburtenrückgang infolge der deutschen Einheit schlagartig bemerkbar macht und im Land eher Fachkräftemangel droht. Im Prinzip bietet das Job-Aqtiv-Gesetz schon solche Möglichkeiten. Es kommt jetzt darauf an, sie passgenau zuzuschneiden. Das wäre ein konkretes Thema für das Gespräch zum Bündnis für Arbeit. Darüber könnte trefflich diskutiert werden und es könnte an Lösungen gearbeitet werden. Darüber hinaus wäre eine Einstiegsteilzeit für Berufsanfänger sinnvoll. Ähnlich wie bei der Altersteilzeit könnten das Einkommen und die Sozialversicherungsansprüche aufgestockt werden. So würde auch Teilzeit attraktiv. ({12}) Besonders wirksam wäre eine Verkopplung mit einer echten Altersteilzeit. Wenn nämlich ein junger Mensch schon vor dem eigentlichen Personalbedarf eingestellt würde, könnte der Ältere sein Erfahrungswissen direkt an den Jüngeren weitergeben. So entstünde im weiteren Sinne eine Jobrotation mit vorgeschalteter Überlappung der Beschäftigung. In diesem Zusammenhang sollte dann auch eine ebenfalls befristete Erweiterung der Altersteilzeit auf einen längeren Zeitraum kein Tabu sein. Dann könnten bereits 55-Jährige in Teilzeit gehen und mithelfen, die Beschäftigtenstruktur in den Betrieben frühzeitig zu verbessern. Das würde vor allem der recht großen Gruppe der Betriebe in den neuen Ländern helfen, die aus der Zeit der Planwirtschaft überlebt haben. Das Wichtigste aber bleibt die Beschäftigungsbrücke für junge Menschen. Sie muss in der Region eine Perspektive haben. Im Wesentlichen betrifft dieser Vorschlag den Osten Deutschlands, aber auch in einigen westdeutschen Regionen mit Strukturproblemen sollte davon profitiert werden. Auch dort sollte das genutzt werden. Ich komme zum Schluss. - Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz stehen jedenfalls die Hebel zur Beschäftigungssicherung und zur Schaffung neuer Jobs bereit. Es kommt jetzt darauf an, dass die Hebel offensiv genutzt werden. Je größer die Gemeinsamkeit dabei ist, umso erfolgreicher werden wir die Arbeitslosigkeit in diesem Land bekämpfen. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Karl-Josef Laumann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die zuletzt veröffentlichte Arbeitslosenzahl in Deutschland, nämlich 3,963 Millionen Arbeitslose - man kann also sagen: Sie haben die 4-Millionen-Grenze nach drei Jahren Rot-Grün erreicht -, hat natürlich zu einer heftigen Debatte über die Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik in Deutschland geführt und das ist auch richtig so. Für die Debatte heute ist es wichtig, dass wir uns zunächst einmal über ein paar Zahlen klar werden. Wir haben eine Zunahme der Kurzarbeit, Herr Kollege Brandner, um 150 Prozent. ({0}) Es arbeiten in Deutschland zurzeit 175 000 Menschen kurz. Das ist ein klares Zeichen, das wissen Sie aus Ihrer Praxis als Gewerkschaftssekretär auch. In vielen Betrieben ist, wenn die Auftragslage schlecht ist, als erste Nothilfe die Kurzarbeit dran; und wenn sich die Dinge in den nächsten Wochen nicht entwickeln, dann steht auch Personalabbau auf der Tagesordnung. Dann gibt es einen Punkt, der sollte uns alle nachdenklich machen: Die Jugendarbeitslosigkeit hat um 10,7 Prozent zugenommen! Nach drei Jahren Rot-Grün und trotz JUMP-Programm sind in diesem Land 450 000 Menschen unter 25 Jahren arbeitslos! ({1}) Das ist nun wirklich ein Skandal. ({2}) Sie müssen sich daher fragen, ob Sie mit Ihrem milliardenschweren JUMP-Programm, das Sie im 98er Wahlkampf nahezu wie eine Monstranz vor sich her getragen haben - Sie haben hier im Bundestag über drei Jahre lang nur dieses JUMP-Programm als Arbeitsmarktinstrument dargestellt, haben kein anderes erfunden und kein anderes umstrukturiert -, nicht auch noch in dem Bereich gescheitert sind, weil die Zahlen nun einmal so sind, wie ich sie Ihnen gerade eben vorgetragen habe. Die Arbeitslosigkeit der Ausländer, die hier in Deutschland leben, ist um 8,5 Prozent gestiegen. ({3}) Ich sage Ihnen allen Ernstes: Ob die politische Klasse in diesem Lande noch ernst genommen wird angesichts dieser Arbeitsmarktzahlen, wenn rüber kommt, dass wir auch noch arbeitsmarktbedingte Zuwanderung zum jetzigen Zeitpunkt brauchen, das sollten sich diejenigen, die dieses Geschäft betreiben, auch einmal in aller Ruhe überlegen. Dann schauen Sie sich einmal die Statistiken aus Nürnberg an - dies ist aber eine Entwicklung, die schon über viele Jahre geht -: Mittlerweile sind zwei Drittel unserer Arbeitslosen Arbeiter, mit einer steigenden Tendenz einer Männerarbeitslosigkeit unter den Arbeitern. Und das wird immer schlimmer und immer mehr. Dies liegt daran, dass uns im produktiven Bereich die Arbeitsplätze wegbrechen. Die Leute, die mit der Hand ihr Geld verdienen müssen, weil sich auch von der Mentalität her nicht jeder für einem Computer- oder Hightecharbeitsplatz eignet, haben es immer schwerer, in Deutschland Arbeit und Beschäftigung zu finden. Das wiederum liegt daran, dass wir Deutschen es in unserem Lande nicht geschafft haben, Arbeitsplätze, die im Fertigungsbereich durch höhere Produktivität weggefallen sind, aber auch durch Auslagerung ins Ausland, weil sie hier nicht mehr marktfähig waren, dadurch zu ersetzen, dass für die Menschen in neuen Arbeitsbereichen, zum Beispiel im personennahen Dienstleistungssektor, neue Arbeitsplätze erschlossen werden. Das ist nach meiner Meinung unser großes strukturelles Problem am Arbeitsmarkt. ({4}) Deswegen ist unsere Forderung schon seit Jahren - wir haben sie ja noch im letzten Jahr der Tätigkeit von Norbert Blüm im Arbeitsministerium konzeptionell entwickelt -, dass uns etwas einfallen muss, damit Arbeit, die zunächst einmal niedrige Stundenlöhne in den personennahen Dienstleistungsbereichen aufweist, auf der Abgabenseite so behandelt wird, dass es für die Menschen mit Blick auf die Nettolöhne gegenüber Arbeitslosen- und Sozialhilfe interessanter ist, solche Tätigkeiten zu übernehmen. ({5}) Wenn Sie jetzt nach drei Jahren, in denen Sie sich in dieser Frage gar nicht bewegen wollten, ({6}) auf einmal kommen und sagen, jetzt machen wir das Mainzer Modell - das in ganz Rheinland-Pfalz bis jetzt nur 800 Leuten geholfen hat -, und behaupten, dass das jetzt die Wunderwaffe gegen diese Arbeitsmarktentwicklung sein soll, kann ich Ihnen nur sagen, dass dies nicht die Reformen sind, die wir brauchen. ({7}) Auf dem Weg zu dieser Debatte im Deutschen Bundestag wurde mir heute ein Flugblatt von einer Initiative „Neue soziale Marktwirtschaft“ überreicht. Diese Leute mahnen an: Mehr als 4 Millionen Arbeitslose warten auf Reformen. - Herr Bundesminister Riester, am Ende meiner Rede möchte ich Ihnen gern die Wartenummer 4 130 963 überreichen, damit Sie daran denken, dass die Menschen darauf setzen, dass wir hier Reformen machen, die sie in Arbeit bringen. Wenn Sie da nichts tun, könnte das auch Ihre persönliche Wartenummer nach dem 22. September sein. ({8}) Ich komme jetzt auf die heute vorliegenden Anträge zu sprechen. Wir haben einen Antrag eingebracht, der besagt dass wir bei den Arbeitsmarktmaßnahmen grundsätzlich Ausschreibungen, Markt und Wettbewerb wollen. Herr Bundesminister Riester, nach den Erfahrungen, die Sie im letzten halben Jahr mit EQUAL gemacht haben, müssten Sie jetzt der glühendste Verfechter unseres Antrags sein. Deswegen hege ich nach der Debatte und den vielen Sitzungen, die dazu stattgefunden haben, die große Hoffnung, dass auch die Mehrheitsfraktionen wissen, dass an einem Wettbewerb der verschiedenen Träger in der Arbeitsmarktpolitik, wie wir ihn schon im Antrag vom März 2001 gefordert haben, kein Weg vorbeigeht, weil er die einzige Möglichkeit ist, zu verhindern, dass sich Kungelstrukturen zwischen denjenigen, die das Geld vergeben, und denjenigen, die die Maßnahmen umsetzen, entwickeln. Hier ist der Wettbewerb die beste Lösung; er ist besser als all Ihre Kontrollmöglichkeiten, die Sie in Ihrem Haus zusätzlich einbauen. ({9}) Zum Schluss möchte ich noch etwas zum Gesetzentwurf der FDP sagen. Er geht aus meiner und aus der Sicht meiner Fraktion in die richtige Richtung. ({10}) Denn betriebliche Bündnisse für Arbeit sind gerade in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs ein wichtiges Instrument zur Sicherung von Arbeitsplätzen. Wir als CDU/CSU-Fraktion haben zu diesem Thema im Zusammenhang mit der Debatte, die wir über das Betriebsverfassungsgesetz geführt haben, einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht. ({11}) Ich möchte aber auch auf ein paar Unterschiede bei den Ansatzpunkten hinweisen: Erstens. Wir halten es für erforderlich, dass betriebliche Bündnisse für Arbeit nicht nur zur Beschäftigungssicherung, wie Sie es in den Antrag geschrieben haben, sondern auch zum Beschäftigungsaufbau vom Günstigskeitsprinzip her möglich sein müssen. ({12}) Zweitens. Aus unserer Sicht muss zur Sicherung der Tarifautonomie - das ist sicherlich ein weitreichender Punkt ({13}) den Tarifvertragsparteien ein zeitlich befristetes Vetorecht eingeräumt werden. Hier unterscheiden sich unsere Vorstellungen voneinander. ({14}) Drittens. Sie haben in Ihren Antrag geschrieben, dass der Betriebsrat oder 75 Prozent der Belegschaft dem zustimmen müssen. Wir sind nicht für die Oder-Lösung, sondern sagen, dass Betriebsrat und 75 Prozent der Belegschaft zustimmen müssen - wir wollen ein breites Quorum in der Belegschaft -, weil das diejenigen, die das Günstigkeitsprinzip wollen, dahin bringt, den einzelnen Arbeitnehmern auch plausibel zu erklären, warum das für die Firma und die Sicherung der Arbeitsplätze notwendig ist. Da die Unterschiede nicht so groß sind, dass eine Ablehnung gerechtfertigt wäre, werden wir als CDU/CSUFraktion heute in der namentlichen Abstimmung dem Antrag zustimmen. ({15}) Liebe Kollegen von der FDP, über die Unterschiede müssen wir uns dann, wenn wir daraus ein Gesetz machen, in der Gesetzgebungsarbeit unterhalten. ({16}) Ich denke, dass solche Reformen notwendig sind, um den Arbeitsmarkt in Deutschland wieder anspringen zu lassen. Rot-Grün wäre gut beraten - die Grünen sind gar nicht das Problem, sondern eher die SPD -, wenn es sich solchen Veränderungen ohne ideologische Vorbehalte stellen und überlegen würde, ob sie nicht doch zu mehr Beschäftigung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland führen könnten. Aber eine Partei, in deren Programm immer noch steht, dass Zeitarbeit verboten werden muss, und die in der Arbeitsmarktpolitik nichts verändert, sondern viele Regeln in der Arbeitsmarktpolitik mittlerweile zur Brauchtumspflege erklärt, ({17}) ist wirklich nicht in der Lage, die notwendigen Reformen durchzuführen. Schönen Dank. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Dr. Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob viele das wissen, aber am Nordpol zum Beispiel gibt es keine Pinguine. Ich sage das hier, weil viele meinen, am Arbeitsmarkt gebe es Wunderwaffen. Die gibt es eben auch nicht. ({0}) Was es am Arbeitsmarkt gibt, ist genauso eine Geographie, auf die man sich einstellen muss. Die Schlussfolgerung, die man daraus ziehen muss, ist, dass es eine ganze Reihe von Maßnahmen gibt, die auf den Arbeitsmarkt zielen, ein Bündel von Maßnahmen und nicht nur eine. Wenn wir uns die Situation der letzten Jahre ansehen, ist gewiss richtig, dass wir eine ganze Reihe von Beschäftigung schaffenden Strukturreformen bereits eingeleitet haben, dass wir die Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt verbessert haben. Das kann man auch an der Entwicklung der Beschäftigungszahlen sehen. Die Steuerreform, die Rentenreform und vor allem auch der Haushaltskurs der Konsolidierung haben Rahmenbedingungen verändert und dazu geführt, dass wir beispielsweise mit dem Einstieg in die erneuerbaren Energien auch Beschäftigungseffekte erzielt haben und im Bereich der Umwelttechnologien heute gleich viel oder mehr Beschäftigte haben als in der Automobilindustrie. ({1}) Das alles, meine Damen und Herren, sind Entwicklungen, die begonnen haben und die wir weiterführen müssen. Richtig ist auch, dass wir in dem engen Bereich der Arbeitsmarktpolitik zum Beispiel mit dem neuen JobAqtiv-Gesetz einen Paradigmenwechsel begonnen haben und mit dem Prinzip „Fördern und Fordern“ viel ernsthafter umgehen können, indem wir Eingliederungspläne möglich machen. Maßgeschneiderte Vermittlung und sofortige Qualifizierung, neue Instrumente in der Arbeitsmarktpolitik, auch mehr Konkurrenz übrigens durch Vermittlung durch Dritte, das alles sind Elemente, die in diesem Jahr mit ziemlich großer Sicherheit zur Senkung der durchschnittlichen Dauer der Arbeitslosigkeit führen werden. ({2}) Aber - das sage ich auch - wir können und dürfen die Situation am Arbeitsmarkt nicht schönreden. ({3}) Die Arbeitsmarktsituation hat sich verbessert, weil wir zusätzliche Beschäftigung haben. Aber die Arbeitslosigkeit ist zu hoch, da beißt die Maus keinen Faden ab. ({4}) Besondere Probleme bestehen im Osten. In vielen Bereichen herrscht Facharbeitermangel, aber gleichzeitig ist eine hohe Arbeitslosigkeit beispielsweise bei gering Qualifizierten zu verzeichnen. Die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit ist hoch. Ältere und vor allem auch Frauen sind stark von Arbeitslosigkeit betroffen. Das hat viele Ursachen. Das hat konjunkturelle Ursachen, das hat weltwirtschaftliche Ursachen, ({5}) es hat auch Ursachen in den verhärteten Strukturen am Arbeitsmarkt. ({6}) Das ist der Grund, aus dem wir die Strukturreformen fortsetzen werden. Ich meine, wir sollten dabei vom Ausland lernen. Da Sie die ganze Zeit so schön dazwischenrufen: ({7}) Sie haben ein ganzes Jahrzehnt, die 90er-Jahre, in Deutschland die Strukturreformen am Arbeitsmarkt verschlafen. ({8}) Das Ausland, zum Beispiel die Niederlande oder Dänemark, hat uns auf diesem Gebiet einiges vorgemacht. Natürlich brauchen wir bei der veränderten Arbeitsmarktstruktur und bei den veränderten Anforderungen an die Beschäftigten eine Entwicklung, die mehr Flexibilität, mehr Beweglichkeit am Arbeitsmarkt zulässt. Aber wenn wir mehr Flexibilität herstellen wollen und müssen, dürfen wir auf dem sozialpolitischen Auge der Arbeitsmarktpolitik nicht blind sein. Wer Flexibilisierung will, muss auch für soziale Verantwortung und soziale Sicherheit sorgen. Das ist der Grund, aus dem wir uns zum Beispiel anders als Herr Koch heute an unseren europäischen Nachbarn orientieren wollen, an Dänemark, an den Niederlanden: weil dort Konzepte umgesetzt worden sind, die nicht zum Working poor führen wie bei der Orientierung an den USA. ({9}) Was wir heute von der Opposition vorgelegt bekommen haben, ist nun wirklich ({10}) Lichtjahre entfernt von irgendwelchen Konzeptionen geschlossener Art, ({11}) die mit diesen strukturellen Problemen der Arbeitslosigkeit umgehen können. ({12}) Was schlagen Sie vor? Die FDP schlägt vor, das Günstigkeitsprinzip abzuschaffen. ({13}) Im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion schlägt sie, weil ihr vielleicht schon aufgegangen ist, dass dies allein keine Wunderwaffe sein kann, weiterhin vor: alte Regelung des 630-Mark-Gesetzes, alte Regelung des Kündigungsschutzes, alte Regelung der Meldepflichten und das Vorziehen der Steuerreform. All dies schlagen Sie hier vor. ({14}) Das sind alte Rezepte, mit denen Sie schon in den 90erJahren gescheitert sind. Ich erkenne daran nichts Neues. Was daran neu sein soll, das müssen Sie einmal erläutern. Gleichzeitig schlagen Sie wieder den Marsch in die Schuldenfalle vor, die Sie uns hinterlassen haben. Das, was Sie uns vorschlagen, führt entweder zur Verschuldung oder ({15}) zur Erhöhung der Mehrwertsteuer oder - Herr Kolb, das schlagen Sie immer wieder gerne vor - zum Abbau von Sozialleistungen. In einer Gesellschaft, die mehr Flexibilität und Sicherheit herstellen muss, wird daraus kein Schuh. ({16}) Wenn ich mir die Vorschläge der CDU anschaue, stelle ich fest - Herr Laumann hat das gerade sehr schön verschleiert, weil er nur einen Punkt herausgenommen hat -, dass sie letzten Endes ein Fanbrief für das Job-Aqtiv-Gesetz sind. Sie schlagen doch nichts anderes vor als zum Beispiel eine direktere Vermittlung oder die Einschaltung von Dritten und damit das, was wir in der Bundesrepublik Deutschland seit dem 1. Januar dieses Jahres umgesetzt haben. ({17}) - Ja, sie haben abgekupfert. Das ist wahr. Sie schlagen die Abschaffung der ABM vor. Schauen Sie sich doch einmal die ostdeutschen Länder an! Sie wissen ganz genau, dass es dort Situationen gibt, in denen man keinen Kahlschlag vornehmen kann, weil es dort Leute gibt, die keine Alternative haben. In Ihrem zweiten Antrag schlagen Sie vor, den Kanzler zur Gouvernante des Bündnisses für Arbeit zu erklären, damit es dann allen im Bündnis fürArbeit gut geht. Dass heute hier ein solcher Antrag in der Auseinandersetzung um das Bündnis für Arbeit vorliegt, ist ein riesengroßes Armutszeugnis. Morgen tagt das Bündnis für Arbeit. ({18}) Von Ihnen hätte ich gern einmal gehört, wie wir aus dieser Situation mithilfe des Bündnisses für Arbeit herauskommen. ({19}) Ich sage Ihnen eines: Ich hoffe, dass morgen beide Tarifparteien in der Lage sind, aus ihren Schützengräben herauszukommen und tabufrei zu diskutieren. Wir brauchen für die Zukunft des Arbeitsmarktes eine tabufreie Diskussion. ({20}) Natürlich brauchen wir eine Diskussion über den Abbau von Überstunden; ({21}) aber wir brauchen auch Handlungen, in denen das Bündnis für Arbeit das bestätigt, was es einmal versprochen hat, ({22}) nämlich eine beschäftigungsorientierte Tarifpolitik, eine Politik, die sich auch an den Produktivitätsentwicklungen orientiert, die zu mehr Beschäftigung und übrigens auch zu mehr Qualifizierung führt. ({23}) Die FDP fordert mehr Bündnisse für Arbeit in den Betrieben. Ich wünsche mir, dass das Bündnis für Arbeit morgen den Mut aufbringt, positive Beispiele, Best-Practice-Beispiele wie das von VW, endlich als Orientierungsmaßstab zu nehmen, die dann auch in anderen Betrieben Anwendung finden. Das sind kluge Bündnisse für Arbeit, die mit den heutigen gesetzlichen Rahmenbedingungen machbar sind: ({24}) Verbindung von Qualifizierung von Arbeitslosen, an der Produktion orientierter Lohnfindung und Beschäftigungssicherheit. Anders als andere bin ich der Ansicht, dass das Bündnis für Arbeit morgen auch über die Vorschläge, die die Benchmarkinggruppe des Bündnisses für Arbeit selbst gemacht hat, debattieren sollte. ({25}) Ihren Vorschlägen kann ich nichts entnehmen. Deshalb muss man Zeitung lesen oder Radio hören, um zu erfahren, was die CDU will. Man hört Widersprüchliches. ({26}) - Ja, man hört einen gemischten Chor. Herr Koch, als Einzelsänger, ({27}) legt das wieder neu auf, was er schon im Sommer gefordert hat: das Wisconsin-Modell. Jede Medaille hat zwei Seiten. Ich finde, Sie sollten beide Seiten offen und ehrlich diskutieren. Zum einen ermöglicht dieses Modell sicherlich die Betreuung der Arbeitslosen aus einer Hand wie auch eine bessere und schnellere Eingliederung. Aber das sind Elemente, die wir auch im Job-Aqtiv-Gesetz angehen. Diese Vorschläge haben aber auch eine andere, eine unsoziale Seite; das wird überhaupt nicht diskutiert. Das Wisconsin-Modell hat nämlich auch zum Inhalt, dass denjenigen die soziale Sicherung gestrichen wird, die irgendwann aus dem Arbeitsmarkt wieder herauszufallen drohen. Die Struktur dieser Modelle weist also jeweils zwei Seiten, auch eine unsoziale, auf. Sie sind deshalb keine Lösung. ({28}) Sehen wir uns einmal an, wie sich Herr Koch die Finanzierung vorstellt. Er schlägt vor, zur Finanzierung 30 Prozent der Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu nehmen, um sie zum Beispiel für die Vermittlungszentren zu verwenden. Ich sage Ihnen, was das für Hessen bedeutet: Es würde ein Drittel der Mittel fehlen, die dort heute für aktive Arbeitsmarktpolitik aufgewendet werden. Heute befinden sich 150 000 Menschen in solchen Maßnahmen, die auf den ersten Arbeitsmarkt zielen. Ein Drittel dieser Menschen würde, wenn Kochs Vorschlag durchgesetzt wird, diese Maßnahmen nicht mehr bekommen. Ich denke, wir sollten uns Gedanken darüber machen, wie wir die Leute in den ersten Arbeitsmarkt bringen, und sollten diese Modelle, die er vorschlägt, nicht unterstützen. ({29}) Das sind Schnellschüsse. Was wir am Arbeitsmarkt aber benötigen, sind sorgfältige Strukturreformen. ({30}) So brauchen wir die Zusammenführung der Sozial- und der Arbeitslosenhilfe. Wir schlagen hier die bedarfsorientierte Grundsicherung vor. ({31}) - Ich sage Ihnen, Frau Schwaetzer, warum das nicht auf einmal zu machen ist. ({32}) Zu Kochs Modell ist Folgendes zu sagen: Es ist deshalb nicht über das Knie zu brechen - so, wie Sie das wollen, ist das verantwortungslos -, weil dazu auch eine Gemeindefinanzreform gehört. Wir wollen Strukturen eben nicht auf Kosten der Kommunen verändern. So etwas muss vorbereitet werden. So etwas muss seriös angegangen werden. ({33}) Meine Damen und Herren, das ist einer der Punkte, die zu einer vernünftigen, langfristig angelegten Strukturreform gehören. Darüber hinaus gehören dazu natürlich auch der Ausbau einer Kindergrundsicherung - wir wollen nicht, dass Leute in die Sozialhilfe fallen, nur weil sie Kinder bekommen - und die Verbesserung der Situation der Familien, vor allen Dingen mit Blick auf die Kinderbetreuung. Wir brauchen eine Ausweitung der Kinderbetreuung, damit nicht nur diejenigen, die in den Genuss des kochschen Modells kommen, in den Arbeitsmarkt gelangen, sondern auch andere hierzu die Chance haben. ({34}) Wir brauchen eine Bildungsreform, weil lebenslanges Lernen immer wichtiger wird. Wir brauchen eine Gesundheitsreform. ({35}) Das alles brauchen wir, wir brauchen Strukturreformen, um das Konzept der Haushaltskonsolidierung weiter abzustützen. ({36}) Wir brauchen, last but not least, die Fortführung der ökologischen Modernisierung. Dazu haben wir länger Zeit als die von Ihnen gerade angesprochenen sechs Monate. ({37}) Gerade in diesen Bereichen haben wir in den vergangenen drei Jahren, ({38}) was die ökologische Modernisierung angeht, sehr viel vorzuweisen. Das sind die langfristigen Orientierungen. Wir brauchen - das sagte ich eingangs - auch kurz- und mittelfristig Brücken in den ersten Arbeitsmarkt. Das heißt, dass wir Elemente, die Barrieren am Arbeitsmarkt darstellen, wie beispielsweise hohe Lohnnebenkosten, abbauen müssen. ({39}) Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass es Sinn macht, mit Subventionierungen im niedrigen Lohnbereich die Barrieren im Arbeitsmarkt abzubauen. Hierzu führen wir eine harte Debatte; das wissen wir alle. Die IG-Metall hat gestern wieder gesagt, dass es sich nicht lohnen würde, dass 18 Milliarden Euro für ein Investitionsprogramm bereitgestellt werden, um 500 000 Arbeitsplätze zu schaffen. Ich finde, diese Diskussion sollte anders geführt werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Dückert, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Erlauben Sie zwei Zwischenfragen, einmal vom Kollegen Schemken und einmal vom Kollegen Niebel?

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte schön, Herr Kollege.

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Dückert, ich habe nur eine kurze Frage. Sie haben einen bunten Strauß von Wünschen angemeldet, die man alle umsetzen müsste. Können Sie uns kurz erklären, wie viel Zeit Sie dazu brauchen? ({0})

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Reformen, Herr Kollege, die ich eben genannt habe, zum Beispiel die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe in einem Konzept der Grundsicherung, sind langfristig ausgelegt und können nicht übers Knie gebrochen werden. Dazu werden wir die nächste Legislaturperiode brauchen. Ökologische Strukturreformen sind längst angelaufen - ich habe vorhin die Zahlen genannt und werden die nächsten Jahre fortgesetzt; das ist völlig klar. Auch eine Bildungsreform braucht ihre Zeit. Das heißt, für diese Strukturreformen werden wir längere Zeit brauchen. Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten in den 16 Jahren, die Sie Zeit hatten, nur eines dieser Reformprojekte angegangen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Niebel. ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Dückert, kennen Sie den Artikel in der „FAZ“ vom 18. Januar 2002, in dem Ihr Fraktionskollege Metzger unter anderem bemängelt, dass es zu wenig Anreize für die Arbeitsaufnahme gebe, dass die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld zu lang sei, dass das Abweichen von Tarifverträgen zur Sicherung von Beschäftigung dringend umgesetzt werden müsse, dass die arbeitsmarktpolitische Situation ordnungspolitisch verfehlt sei, dass die Absenkung des Schwellenwertes beim Kündigungsschutz ein Fehler gewesen sei, dass das Teilzeitpflichtgesetz die Einstellung von Frauen verhindere und dass die Neuregelung bei den 630-Mark-Jobs im Endeffekt das letzte bisschen Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt beseitigt habe? Falls Sie diesen Artikel kennen sollten, möchte ich Sie fragen, wie Sie es bewerten, dass der Kollege Metzger, der ja haushaltspolitischer Sprecher Ihrer Bundestagsfraktion ist, der rot-grünen Arbeitsmarktpolitik eine schallende Ohrfeige gibt und feststellt, dass Sie komplett gescheitert sind. ({0})

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Niebel, ich kenne sowohl den Artikel wie auch das Konzept, das dahinter steht und ja letzte Woche vorgelegt worden ist. Das Konzept ist ein finanzpolitisches Konzept, in dem deutlich gemacht wird, ({0}) dass wir die Konsolidierung des Haushaltes ohne Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt nicht hinbekommen werden. ({1}) Ansonsten sind in diesem Konzept auch die Elemente enthalten, die ich vorhin genannt habe: Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, stärker fördern und fordern. In dem Artikel, den Sie zitiert haben, sind auch andere Elemente enthalten, die in dem Konzept so gar nicht ausgeführt sind. Wir verfolgen hier aber die Strategie, die ich vorgetragen habe. Insofern ziehen wir auch alle an einem Strang. Ich komme jetzt - Herr Niebel, Sie können sich wieder setzen - zum Schluss. ({2}) Unsere Antworten auf die Frage, die Herr Niebel eben vorgetragen hat, und auf die Einwendungen, die die IG Metall zu dem von uns vorgeschlagenen Konzept, mit dem wir kleine Einkommen fördern wollen, sind deutlich geworden. Ich meine, man sollte über diese Dinge nicht in Form von Gegensätzen diskutieren. Wir haben die Laufzeit des Zukunftsinvestitionsprogramms verlängert, weil wir natürlich im Bereich Schule und in anderen Bereichen Investitionen brauchen. Das ist doch völlig klar. Ich glaube aber, dass wir mit einer klaren Strategie, mit der die Lohnnebenkosten abgesenkt und durch Einstiegsgelder für Langzeitarbeitslose Brücken in den Arbeitsmarkt gebaut werden, und ähnlichen Elementen heute aktuell Politik machen können. Beides ergänzt sich: Wir brauchen Brücken in den Arbeitsmarkt und Strukturreformen. Erst dann wird daraus ein Konzept. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich erteile jetzt das Wort dem Kollegen Dr. Heinrich Kolb von der FDP-Fraktion.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts dessen, was der Kollege Brandner und die Kollegin Dückert hier vorgebracht haben, kann man sich nur wundern. Seit der letzten regulären Sitzung des Bundestages vor Weihnachten sind eine Reihe weiterer schlechter Nachrichten eingegangen: Die Zahl der Arbeitslosen wird sich nach Einschätzung der Bundesregierung in diesem Winter auf 4,3 Millionen erhöhen und die Prognose für das Wirtschaftswachstum ist wenige Wochen nach Verabschiedung des Haushaltes um die Hälfte auf jetzt nur noch 0,7 Prozent für das laufende Jahr zurückgenommen worden. Sie aber stellen sich hier hin und nehmen Konzepte der Opposition auseinander, anstatt selbst Vorschläge zu bringen, wie Sie mit dieser Situation umgehen wollen. ({0}) Ich kann Ihnen, Herr Kollege Brandner, nur mehr Aufmerksamkeit empfehlen: Sie müssen offensichtlich beim Umzug in Ihr neues Büro die Kurve mit der Entwicklung der Arbeitslosigkeit verkehrt herum aufgehängt haben. ({1}) Die Arbeitslosigkeit steigt seit einiger Zeit; auch Sie sollten das zur Kenntnis nehmen. ({2}) Dieser Anstieg der Arbeitslosigkeit kommt übrigens nicht überraschend. Ich habe schon in meinem Beitrag zur ersten Lesung des Gesetzentwurfes der FDP, der heute beraten wird, darauf hingewiesen, dass es zu dieser Entwicklung kommen kann, wenn nicht gehandelt wird. Aber Sie haben das damals nicht ernst genommen. Ich hoffe nur, dass Sie heute für unsere Argumente offener sind und unserem Vorschlag zustimmen. ({3}) - Nein, das ist kein Schnee von gestern, das ist topaktuell, Herr Dreßen. Ich weise noch einmal darauf hin: Sie haben im Moment noch - das geht nicht mehr lang ({4}) die Mehrheit in diesem Hause. Von Ihrer Regierung wird erwartet, dass sie handelt. Aber bei Ihnen ist das Motto angesagt: ohne Moos nichts los. Sie treten auf der Stelle. Sie beweihräuchern sich selbst. Die Grünen feiern eine Entbürokratisierung der 630-Mark-Verträge ({5}) und übersehen dabei ganz, dass Rot-Grün selbst die Bürokratisierung der Beschäftigungsverhältnisse herbeigeführt hat. ({6}) Da kann man sich doch nur an den Kopf greifen! Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, Sie haben erstens nicht den Überblick und zweitens nicht den Mut für die nötigen Entscheidungen. Wichtige Reformen - die zögerliche Kollegin Dückert hat es hier gerade noch einmal deutlich gemacht; besser kann man es gar nicht beschreiben - wie die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe werden auf die Zeit nach der Bundestagswahl vertragt. ({7}) In der rot-grünen Koalition geht es drunter und drüber. Sie haben aus den gesetzgeberischen Pleiten der letzten dreieinhalb Jahre offensichtlich überhaupt nichts gelernt. ({8}) Sie reden, streiten und einigen sich dann über ein so genanntes Tariftreuegesetz und erkennen überhaupt nicht, dass Sie mit diesem Gesetz, das morgen verabschiedet werden soll, dazu beitragen, die ostdeutsche Bauwirtschaft regelrecht platt zu machen. ({9}) Aber genau diese Politik haben die Menschen in unserem Lande satt, und zwar Arbeitnehmer wie Unternehmer gleichermaßen. Das Schlimme ist, dass der Mittelstand unter dieser aktuellen Situation besonders leidet. Schon im letzten Jahr ist die Zahl der Firmenpleiten auf rund 33 000 - und damit um 12,5 Prozent - angestiegen ({10}) - solche Zahlen hatten wir nicht, Herr Brandner - und es steht zu erwarten, dass wir in diesem Jahr einen neuen dramatischen Anstieg erleben werden. ({11}) Dabei ist sicher: Solange Rot-Grün regiert, kann der Mittelstand in unserem Lande keine Hilfe erwarten. ({12}) Die Sympathie und auch die Unterstützung des Kanzlers gehören offensichtlich den Großunternehmen. Nach Holzmann darf jetzt Waggonbau Ammendorf auf Unterstützung des Kanzlers hoffen. Der Mittelstand wird mit seinen Problemen regelrecht allein gelassen. Das ist auch kein Wunder; denn der zuständige Arbeitsminister, Herr Riester, ist, anstatt neue Konzepte zu erarbeiten, vollauf mit der Bewältigung der Vergabeaffäre bei dem EU-Programm EQUAL beschäftigt. Vier Stunden lang mussten gestern Herr Riester, drei seiner Staatssekretäre und mehrere Abteilungsleiter in der gemeinsamen Sitzung von Haushaltsausschuss und Arbeitsausschuss Rede und Antwort stehen, wie es damals bei der Vergabe zugegangen ist. ({13}) - Nein, die Antwort ist beileibe noch nicht befriedigend. Die Untersuchung werden wir - ich bedaure das, aber es ist so - noch fortsetzen müssen. Zurück zur aktuellen Lage. ({14}) - Ich will gleich etwas zum Inhalt sagen, Herr Brandner. Es kann doch wirklich keinen Zweifel mehr geben, dass wir uns in der Rezession befinden. Das kann man zwar noch nicht in allen Details aus den Statistiken ablesen. Aber wer wie ich als Unternehmer mit Kollegen oder als Vorsitzender der Bundesvereinigung Liberaler MittelDr. Heinrich L. Kolb stand tagtäglich mit mittelständischen Unternehmern im Gespräch ist, ({15}) bekommt ein klares Bild davon, wie die Situation im Moment vom Mittelstand wahrgenommen wird. Dieses Bild sieht so aus: Die Auftragsbücher vieler Unternehmen füllen sich nicht mehr, die finanziellen Eigenmittel der kleinen und mittleren Unternehmen schmelzen wie Schnee in der Sonne, die Bankvorstände - übrigens nicht nur der Großbanken, sondern zunehmend auch der genossenschaftlichen Institute und der Sparkassen - sind bei der Vergabe von Krediten zögerlich und zurückhaltend, die Beiträge zur Sozialversicherung steigen und belasten die Unternehmen, ebenso die Kostensteigerungen. Letztere sind nicht unwesentlich ein Ergebnis Ihrer Politik. Das heißt, vielen Mittelständlern geht in diesen Tagen und Wochen die Luft aus. In dieser Situation, Herr Thönnes, plant nach der jüngsten Umfrage jeder zweite Mittelständler in Deutschland Entlassungen. Ich frage Sie: Wissen Sie eigentlich, was das bedeutet? Wir haben über 3 Millionen mittelständische Unternehmen in unserem Lande. Selbst wenn jeder sechste Unternehmer im Mittelstand nur einen Arbeitnehmer entlassen würde, wären 500 000 Stellen in Deutschland akut bedroht, wenn sich die Politik nicht grundlegend ändert. ({16}) Ich will nicht schon wieder Kassandra spielen, aber wir müssen damit rechnen, Herr Brandner, dass die Arbeitslosigkeit in diesem Winter noch über die Grenze von 4,3 Millionen hinaus ansteigen wird, wenn wir hier nicht auch gemeinsam - das biete ich an - reagieren. Aber als ob es die Probleme, die ich hier beschrieben habe, nicht gäbe, präsentiert die IG Metall Lohnforderungen von 6,5 Prozent mit Signalwirkung auch für andere Branchen. Im vom Kanzler für diesen Freitag geladenen Bündnis für Arbeit - bei dem man sich zunehmend fragen muss, ob es diesen Namen eigentlich verdient; es ist nämlich ein Bündnis für Arbeitslosigkeit, weil es eher zur Stabilisierung der Lage am Arbeitsmarkt beigetragen hat ({17}) weigern sich die Gewerkschaften, das Thema Tarifpolitik überhaupt auf die Tagesordnung zu setzen. ({18}) Die Gefahr ist groß, dass es in der anstehenden Tarifrunde zu Abschlüssen kommt, die die Unternehmen überfordern werden. Deswegen und weil es einen Unterschied macht, ob man 15 oder 20 Prozent oder wie im Mittelstand 50 Prozent Lohnkostenquote hat, ist die Verabschiedung unseres Gesetzentwurfs umso dringlicher, weil ganz klar ist, dass sich die Frage, ob Flächentarifverträge noch zeitgemäß sind, in wenigen Wochen noch viel intensiver stellen wird, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. ({19}) Umgekehrt ausgedrückt: Betriebliche Bündnisse für Arbeit, wenn wir sie denn ermöglichen, werden eine zentrale Schlüsselrolle spielen, wenn es darum geht, Entlassungen zu vermeiden. ({20}) Ich will Ihnen unseren Gesetzentwurf noch einmal erläutern. Die Notwendigkeit dieses Entwurfs, Herr Brandner, liegt übrigens offen erkennbar auf dem Tisch. Der Sachverständigenrat - Ihr Sachverständigenrat - hat das in seinem jüngsten Gutachten - lesen Sie es nach, Randnummern 413 ff. - noch einmal sehr deutlich gesagt, und zwar nicht nur, um verkrustete Strukturen am Arbeitsmarkt aufzubrechen, sondern auch, um dem einzelnen Arbeitnehmer die Möglichkeit einzuräumen, selbst zu entscheiden, ob er oder sie für einen sicheren Arbeitsplatz auf verbriefte Rechte eines Tarifvertrages vorübergehend verzichten will. ({21}) Ich will hier noch einmal deutlich sagen: Wir als Liberale wollen keine Abschaffung der Tarifautonomie. Wir bekennen uns zur Tarifautonomie. Aber Beispiele wie VW, Holzmann oder Viessmann zeigen, dass wir dringend flexible Strukturen im Tarifrecht brauchen. ({22}) Bei den großen Unternehmen wie VW oder Holzmann, Frau Rennebach, machen die Gewerkschaften, auch wenn sie sich zieren und drehen und wenden, schlussendlich ja doch mit. ({23}) Uns Liberalen geht es auch um die 3 Millionen mittelständischen Betriebe, ({24}) in denen es eine gut funktionierende echte Partnerschaft zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer gibt. Die meisten dieser Unternehmen dürfen eben nicht auf die Zustimmung der Gewerkschaften zur Abweichung vom Tarifvertrag rechnen. Aber auch diese Unternehmen haben einen Anspruch auf ein Ventil in Form einer gesetzlichen Regelung der Günstigkeit, um eine Bedrohung der Existenz des Unternehmens und auch den Verlust der Arbeitsplätze abwenden zu können. Wir meinen, es ist unverantwortlich, dem mündigen Bürger, dem mündigen Arbeitnehmer in unserem Lande das Recht abzusprechen, zur Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes beizutragen. ({25}) Ich will zum Schluss noch eines sagen: Wir haben eine namentliche Abstimmung zur Beschlussempfehlung über unseren Gesetzentwurf verlangt; das ist richtig. ({26}) Ich freue mich, dass die Kollegen von der Union mittlerweile Zustimmung signalisiert haben. Das war bei den Ausschussberatungen nicht immer klar erkennbar. Im Ausschuss für Arbeit und Soziales haben sie sich enthalten, im Wirtschaftsausschuss dafür und in anderen Ausschüssen dagegen gestimmt. ({27}) Sie sind schlussendlich auf der Ziellinie auf unseren Kurs eingeschwenkt. Das begrüße ich. ({28}) Jetzt fordere ich auch noch die Kollegen von den Grünen auf, mit ins Boot zu kommen. Dann haben wir nämlich in diesem Haus eine Mehrheit. ({29}) Frau Wolf, ich schaue Sie an, auch Herrn Metzger und Frau Scheel. Ich erinnere mich noch daran, dass Ihr Fraktionsvorsitzender Herr Schlauch vor einem Jahr spektakulär ebenden Vorschlag gemacht hat, den wir heute zur Abstimmung stellen. Jetzt bin ich mal gespannt, wie Sie sich in der anschließenden Abstimmung verhalten werden. ({30}) Ich kann nur sagen: Es ist Zeit für mehr Flexibilität auch im Tarifrecht. Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. ({31})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner von der PDS-Fraktion.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die bisherige Debatte zeigt mir eines: Die Lage ist dramatisch schlecht und es gibt überhaupt nichts zu beschönigen. Aber Patentrezepte zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit haben wir alle noch nicht gefunden; sie gibt es wahrscheinlich nicht. Ich befürchte auch, dass noch nicht alle möglichen Alternativen - zum Beispiel die, die von der PDS vorgeschlagen worden sind - ernsthaft geprüft worden sind. Das finde ich schade. ({0}) Ich will mich heute vor allen Dingen zum Bündnis für Arbeit und dessen Chancen äußern, weil dieses Bündnis von der Bundesregierung selber in den Rang eines der wichtigsten Instrumente der Beschäftigungspolitik erhoben worden ist. Bei aller Kritik an den bisherigen Ergebnissen des Bündnisses für Arbeit bin ich nach wie vor von der Grundidee des Dialogs mit den Tarifvertragsparteien überzeugt. Die soziale und ökonomische Kompetenz von Gewerkschaften und Arbeitgebern ist in dieser Frage unverzichtbar. Nach unseren Vorstellungen hätten auch die betroffenen Arbeitslosen bzw. ihre Vertretungen mit an den Tisch gehört. ({1}) Solche Konsensrunden sind notwendig, zukunftsorientiert und tragen auch dazu bei, ein Stück mehr Demokratie zu wagen. Ich befürchte allerdings - das meine ich wirklich ernst -, dass die Chancen vertan sind. Wenn ich mir das unsägliche öffentliche Gezerre heute und in den letzten Tagen vor den für morgen angekündigten Bündnisgesprächen ansehe, dann fürchte ich, dass Bundeskanzler Schröder mit dem Bündnis für Arbeit scheitern wird. ({2}) Der angestrebte Dialog wurde von Beginn an von den Arbeitgebern dominiert, zunehmend für Erpressungsversuche missbraucht und dazu genutzt, sich in Tariffragen einzumischen, was ich immer schon für falsch hielt. Heute dient der Dialog dazu, sich schon einmal für den Wahlkampf warm zu laufen. Auch das ist dem Ernst der Lage kein bisschen angemessen. ({3}) Dass Tarifpolitik Gegenstand der Bündnisgespräche sein sollte, hat selbst die CDU/CSU in ihrem Antrag kritisiert, der ansonsten, wie ich finde, ziemlich dünn und im Übrigen längst überholt ist. Zu dieser Feststellung kommt man, wenn man sich die Äußerungen führender Unionspolitiker heute anhört. Auch was die CDU/CSU ansonsten zur Bekämpfung der Massen- und Langzeitarbeitslosigkeit anzubieten hat, ist weder originell noch zielführend. Mehr Arbeitsplätze entstehen dadurch nicht. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass 4 Millionen arbeitslose Frauen und Männer mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben werden, wenn die von Ihnen vorgeschlagenen administrativen Maßnahmen für eine effektive Arbeitsmarktpolitik umgesetzt werden. Die Massenarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik ist kein Vermittlungsproblem. Wenn in den Bundesländern durchschnittlich 22 Arbeitslose einer offenen Stelle gegenüberstehen, dann zeigt diese Tatsache vor allen Dingen eines: Wir haben kein Vermittlungsproblem, sondern ein Arbeitsplatzproblem. ({4}) Dieses Arbeitsplatzproblem werden wir auch nicht mit Maßnahmen im Bereich des Niedriglohnsektors lösen können, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition. Weil wir gerade bei den nicht ganz so hilfreichen Vorschlägen sind, will ich ein kurzes Wort zur FDP sagen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, über Ihre Phobie gegenüber dem bestehenden Tarifsystem und über Ihre Absicht, die Gewerkschaften zu schwächen, haben wir uns hier schon häufig gestritten. ({5}) Ich habe wirklich nichts gegen betriebliche Bündnisse für Arbeit. ({6}) Ich habe sie immer mit großem Interesse verfolgt. Aber eines sage ich Ihnen sehr deutlich: Wenn Sie dabei den Flächentarifvertrag beseitigen und das Günstigkeitsprinzip aushebeln wollen, ({7}) dann öffnen Sie die Büchse der Pandora. Sie holen dann nicht nur die Tarifpolitik, sondern auch die Arbeitskämpfe in die einzelnen Betriebe. Ob das Ihrer Klientel Recht ist, das wage ich nun wirklich zu bezweifeln. ({8}) Ich glaube nach wie vor, dass das Bündnis für Arbeit bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hätte erfolgreich sein können, wenn der Bundeskanzler nicht vorrangig als Moderator, sondern mit Konzept agiert hätte. Weil das gefehlt hat, konnten die Arbeitgeber die Gewerkschaften so häufig über den Tisch ziehen, so etwa bei der Tarifrunde 2000, auf der das erste Mal eine moderate Tarifpolitik verabredet wurde - angeblich für mehr Beschäftigung in diesem Land. Was ist dabei herausgekommen? Es baute sich vor allen Dingen das Gewinn- und Vermögenseinkommen auf. Das aber ist für die Arbeitslosen zu wenig. Im Ergebnis haben sich nicht nur die Arbeitseinkommen schwächer als in den anderen europäischen Ländern entwickelt. Deutschland trägt die rote Laterne auch bei den Masseneinkommen, bei den öffentlichen Investitionen und folglich natürlich auch beim Abbau der Arbeitslosigkeit. Das ist die Negativbilanz des Bündnisses für Arbeit bisher, und dies trotz aller Vorleistungen, die Sie vor allen Dingen gegenüber den großen Unternehmen erbracht haben. Ich sage nur: Steuerreform, Abbau der Lohnnebenkosten. Aber bei den Arbeitsplätzen ist diesbezüglich Fehlanzeige. ({9}) - Das habe ich gesagt. Jetzt, wo die Pipeline leer ist - wie Klaus Zwickel so schön sagte -, werden die Gewerkschaften mit provozierenden Forderungen nach Lohnleitlinien und Ähnlichem überzogen und der Konsens wird im Grunde schon im Vorfeld zur Disposition gestellt und verhöhnt. Die Bundesregierung hat leider nicht den Mut gehabt - das kritisiere ich auch -, im Bündnis für Arbeit das Gewicht der Gewerkschaften und ihrer Mitglieder in die Waagschale zu werfen. Sie haben leider versäumt, mit ihnen gemeinsam den Unternehmen zum Beispiel beschäftigungswirksame Arbeitszeitmodelle abzuringen und endlich verpflichtende Regelungen zum Überstundenabbau durchzusetzen, wie wir es Ihnen mehrfach vorgeschlagen und in vielen Konzepten hier in den Bundestag eingebracht haben. ({10}) Ich weiß, dass mir jetzt einige von Ihnen zurufen - manche laut, manche weniger laut -: Das spricht sich in der Opposition alles gut. ({11}) - Sie können ruhig zuhören, dann werden Sie schon merken, dass ich Ihren Gedanken verstanden habe. Ich bin mir sehr wohl dessen bewusst, dass sich viele meiner Ideen und Konzepte, die ich hier gerne eingebracht habe, nun ein Stück weit in der Praxis bewähren und dort Bestand haben müssen. Hier wird es manche Ernüchterung geben. Dessen bin ich mir bewusst. Da mache ich mir keine Illusionen. ({12}) - Ich höre das Stichwort Berlin; dazu rede ich gerade. Der Unterschied besteht nur darin - deshalb wage ich auch heute diese Kritik -, dass die Ausgangsbedingungen auf Bundesebene andere sind. Die Regierung hier kann über ihre Einnahmesituation selber entscheiden - hier werfe ich Ihnen große Versäumnisse vor - und für andere Umverteilungsprozesse die Weichen stellen. Wo ich zukünftig für Politik verantwortlich sein werde, herrscht Pleite und Mangel. Dies wurde aber nicht von uns verursacht. In Berlin haben wir nichts zu verteilen, nicht nach oben und leider auch nur ganz in Maßen nach unten. ({13}) - Über Gehälter würde ich dann, wenn ich auf Ihrem Platz säße, wirklich nicht reden. Das muss ich einmal deutlich sagen. ({14}) Dies soll mein letzter Gedanke sein: Es gibt in der Politik auch Kräfte und Reserven, die in keinen Haushalt einzustellen sind, sondern in den Herzen und Köpfen der Menschen schlummern. Sie zu gewinnen und über geDr. Heidi Knake-Werner meinsame Lösungen für die Zukunft zu knobeln ist eine unabdingbare Notwendigkeit und mir jedenfalls ein wichtiges Anliegen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Mit Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch zukünftig - möglicherweise auf unterschiedlichen Bänken - im streitbaren und kollegialen Dialog zu bleiben wird mir Freude machen. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Adolf Ostertag von der SPD-Fraktion.

Adolf Ostertag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001660, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich mir die vorliegenden Anträge und den Gesetzentwurf, die uns CDU/ CSU und FDP auf den Tisch gelegt haben, anschaue ({0}) und die bisherigen Redebeiträge Revue passieren lasse, muss ich schon feststellen, dass es erschreckend ist, unter welchen Wahrnehmungsstörungen Union und FDP inzwischen leiden ({1}) und wie weit dieser kollektive Gedächtnisschwund in dreieinhalb Jahren Opposition fortgeschritten ist. ({2}) Ich möchte das auch gerne begründen. Erstens. Offensichtlich haben Sie vergessen, mit welcher erschreckenden Arbeitsmarktbilanz Sie von den Wählerinnen und Wählern in die Opposition geschickt wurden. Das sollten Sie sich aber immer wieder vor Augen führen. Ich nenne nur zwei Zahlen: Im Dezember 1997 hatten wir eine Arbeitslosenquote von 13,1 Prozent oder 4,5 Millionen Arbeitslose. ({3}) Im Dezember vergangenen Jahres, also 2001, hatten wir eine Arbeitslosenquote von 10,6 Prozent oder insgesamt 3,9 Millionen Arbeitslose. ({4}) Das sind 600 000 weniger. Wenn es in den nächsten Monaten mehr werden, müssen Sie auch das, was am 11. September passiert ist - das wollten wir alle nicht -, bedenken. ({5}) Auch vorher hatte sich die Weltkonjunktur natürlich schon abgekühlt. ({6}) - Ihr Protest zeigt, wie wenig Einsicht Sie in solche wirtschaftlichen Entwicklungen haben. Offensichtlich haben Sie das nicht begriffen. ({7}) Die Bilanz Ihrer 16-jährigen Regierungszeit zeigt doch an zwei Aspekten sehr deutlich, ({8}) dass Sie sich einen solchen Gedächtnisverlust vorwerfen lassen müssen. Wir haben an der Staatsverschuldung, die die Politik inzwischen fast handlungsunfähig werden lässt, und an einer Massenarbeitslosigkeit, die sich langfristig - über diese 16 Jahre - aufgebaut hat, zu knabbern. Zweitens. Sie legen uns heute Anträge vor, in denen die Neuorganisation der Arbeitsmarktpolitik verlangt ({9}) und erneut nach Deregulierung geschrien wird. Wozu Ihre Vorstellungen von aktiver Arbeitsmarktpolitik in der Vergangenheit geführt haben, konnten wir uns in der Vergangenheit ja überzeugen. Ihre Deregulierungsorgien der letzten Jahre betrafen ausschließlich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer: Aushöhlung des Kündigungsschutzes, Rückführung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Abschaffung des Schlechtwettergeldes für Bauarbeiter usw. usf. - die Liste können wir wirklich über mehrere Seiten fortsetzen. ({10}) Was hat das für die Arbeitsmarktsituation, für die Beschäftigung gebracht? Nichts außer Massenarbeitslosigkeit und einen Scherbenhaufen in den Bereichen, in denen Sie dereguliert haben. Jetzt kommen Sie wieder mit den alten, gescheiterten Konzepten und den gleichen Worthülsen der Vergangenheit. Die Beiträge von Herrn Laumann und Herrn Kolb haben gezeigt, dass Sie keine neuen Konzepte haben, sondern dass Sie an dem festhalten, was Sie in Ihrer Regierungszeit vermasselt haben. Ich kann Ihnen versichern, dass die Koalitionsfraktionen diese rückwärts gewandten Vorstellungen ablehnen werden. ({11}) Meine Damen und Herren, die Wirklichkeit hatte Sie schon während der 16-jährigen Regierungszeit überholt. Auch in den letzten dreieinhalb Jahren Opposition haben Sie die Kurve nicht bekommen. Trotzdem sind Sie immer noch bei diesen alten Deregulierungsvorschlägen und dieser alten Deregulierungsleier. Ich glaube, die rot-grüne Koalition hat richtig gehandelt. ({12}) In diesen dreieinhalb Jahren haben wir einen Teil dieser Erblast abgebaut. 430 000 Arbeitslose weniger - ein Rückgang von rund 10 Prozent - stehen auf der Positivseite. ({13}) Wir haben immer wieder betont, dass das natürlich zu wenig ist. Es ist aber ein ordentlicher Schritt. 1,2 Millionen neue Arbeitsplätze sind entstanden; das ist ein ordentlicher Sprung. Das muss man im Vergleich zu den Zahlen Ihrer Regierungszeit, die viel länger war, sehen. ({14}) Im Einzelnen: Wir sind bei unserer aktiven Arbeitsmarktpolitik eben nicht mit der Gießkanne über das Land gezogen, sondern wir haben spezielle Angebote und Modelle für besondere Personengruppen entwickelt. Das hat sich ausgezahlt. Von 1998 bis 2001 ist die Arbeitslosigkeit bei den älteren Arbeitnehmern - ab 55 Jahre - um ein Viertel, also um 25 Prozent zurückgegangen. Die Langzeitarbeitslosigkeit ist um 15 Prozent zurückgegangen, die Jugendarbeitslosigkeit um 6 Prozent. Herr Laumann, trotz des Anstiegs im letzten Jahr ist sie in diesen drei Jahren um insgesamt 6 Prozent zurückgegangen. Mit JUMP haben immerhin über 330 000 Jugendliche in diesem Land neue Perspektiven bekommen. Wer sich dort umschaut, wo die Projekte laufen, der weiß, dass es bei den jungen Leuten einen Motivationsschub gegeben hat. Genau das brauchen wir. Das sollten wir nicht klein reden, sondern das sollten wir offensiv nach außen vertreten. ({15}) Die Zahl der schwerbehinderten Arbeitslosen ist um 12 Prozent zurückgegangen. Das Programm „50 000 neue Jobs für Schwerbehinderte“ greift. Das ist erfreulich. Auch hier sollten wir gemeinsam eine offensive Vertretung nach außen zustande bringen. Das sind positive Zahlen. Ich glaube, die aktive Arbeitsmarktpolitik der rot-grünen Koalition, die in ein gesamtes und nachhaltiges Politikkonzept aus Sozial-, Wirtschafts-, Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik eingebettet ist, liegt richtig. Wir haben die Flexibilisierung der Arbeitszeit durch die Förderung von Teilzeitarbeit und befristeten Beschäftigungsverhältnissen unterstützt. Unternehmen und Arbeitnehmer haben ein wirklich wichtiges Instrument zur Ausgestaltung der Arbeitszeit in die Hand bekommen. Auch zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist damit etwas getan worden. Das sollte man nicht vergessen. ({16}) Die Arbeitsförderung wurde modernisiert. Zunächst haben wir - erinnern Sie sich daran - mit einem Vorschaltgesetz die bürokratischen Hemmnisse abgebaut, die Sie während Ihrer 16 Jahre Regierungszeit geschaffen haben. ({17}) Dann haben wir mit unserem Job-Aqtiv-Gesetz einen wichtigen Schritt gemacht, der die Effizienz und Zielgenauigkeit der Arbeitsmarktpolitik vor Ort steigern wird. Fragen Sie einmal in den Arbeitsämtern in Ihren Wahlkreisen nach. In meinem Arbeitsamtbezirk stehen neun Vermittler mehr zur Verfügung, die in den Betrieben mit den Beschäftigten und den Arbeitgebern, aber auch mit den Arbeitslosen reden können. Das sind ganz konkrete Auswirkungen dieses Job-Aqtiv-Gesetzes vor Ort. Vielleicht überprüfen Sie einmal die Situation bei sich selber. Wir werden so frühzeitig die betriebsnahe Qualifizierung voranbringen. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Wir werden die individuelle Vermittlung vorantreiben. Das Prinzip „Fördern und fordern“ wird in diesem ganzheitlichen Prozess der Arbeitsvermittlung letztendlich Einzug halten. Außerdem - auch das sei noch gesagt - unterstützen wir den Beschäftigungsmotor Mittelstand. Herr Kolb, Sie haben das Thema angesprochen. ({18}) Im Zuge der Steuerreform werden in den nächsten Jahren noch einmal 15 Milliarden Euro zur Unterstützung des Mittelstandes zur Verfügung gestellt, weil wir wissen, dass in erster Linie dort Beschäftigung geschaffen wird. ({19}) Wir haben einen Schwerpunkt auf Ostdeutschland gelegt. Mit der Fortsetzung des Solidarpaktes werden wir in den nächsten 15 Jahren insgesamt 156 Milliarden Euro in den neuen Ländern investieren. Ich glaube, das ist insbesondere für die Infrastruktur wichtig, die dort aufzubauen ist. ({20}) Lassen Sie mich auch etwas zur besonderen Bedeutung des Bündnisses für Arbeit sagen. Dieser Regierung ist letztlich gelungen, was Kohl, Blüm und Ihre Fraktion torpediert haben. ({21}) Diese Regierung sitzt morgen wieder mit Gewerkschaften und Arbeitgebern an einem Tisch, um gemeinsam Lösungswege zu finden. ({22}) Es ist erfreulich, dass die Union nach dem vorliegenden Antrag das Bündnis inzwischen als wichtiges Forum erkannt hat. Das sehen wir als einen wichtigen Schritt an. Allerdings sind die Anforderungen, die Sie in diesem Antrag aufgeschrieben haben - ich glaube, es sind insgesamt sieben -, in der Tat realitätsfern. Die Bundesregierung hat ihre Hausaufgaben im Bündnis gemacht. Immer wenn wir diese Erfolge in Gesetze gegossen haben, haben Sie übrigens dagegen gestimmt. Das kann man anhand einiger Punkte aufzählen. ({23}) Jetzt ist es vor allem an den übrigen Bündnispartnern, die Vereinbarungen umzusetzen und den Abbau der Arbeitslosigkeit weiter aktiv und offensiv voranzutreiben, ({24}) zum Beispiel den Abbau von 1,8 Milliarden Überstunden, die in dieser Republik jährlich anfallen. Es entstehen Hunderttausende von Arbeitsplätzen, wenn wir nur die Hälfte der Überstunden abbauen. Hier sind besonders die Arbeitgeber und natürlich auch die Betriebsräte und die Gewerkschaften gefordert, aktiv zu werden. Wir brauchen auf der Grundlage unseres Gesetzes mehr Teilzeitbeschäftigung. Wir müssen flexible Modelle zur Arbeitszeitverkürzung bei der Wochen-, Jahres- und Lebensarbeitszeit entwickeln. Der Gesetzgeber hat dazu die Rahmenbedingungen geschaffen. Das Fazit: Wir alle wissen, dass Arbeitsmarktpolitik allein keine Arbeitsplätze schafft. Sie schafft nur die Rahmenbedingungen. Diese Rahmenbedingungen sind in unserer Regierungszeit viel besser geworden. Jetzt kommt es darauf an, dass die Akteure auf dem Arbeitsmarkt die gebotenen Chancen ergreifen. Hierbei sind natürlich insbesondere die Betriebe gefordert. In den Betrieben müssen bestehende Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen werden. Hier gilt es, Kreativität zu fördern und voranzubringen. Es gibt viele einzelne Beispiele. Eben ist schon dazwischengerufen worden: Bei drohenden Verlusten von Arbeitsplätzen in großen Betrieben, in Verwaltungen, bei Banken und Versicherungen sollen sich die Herrschaften in den Vorständen, die jährlich ein Millioneneinkommen erzielen, etwas einfallen lassen, zum Beispiel das, was sich schon vor Jahren der Vorstand bei VW hat einfallen lassen oder auch was in vielen kleinen betrieblichen Bündnissen geschaffen worden ist, ({25}) nämlich kreative Lösungen, um nicht Hire-and-fire-Politik zu betreiben, sondern Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen. Das ist das Gebot der Stunde. Dann kommen wir aus dieser Beschäftigungssituation heraus und werden viel bessere Zahlen bekommen. Vielen Dank. ({26})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Claudia Nolte von der CDU/CSUFraktion.

Claudia Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir im Bundestag über die Arbeitsmarktsituation sprechen, kommen wir nicht umhin, auch die besondere Situation in den neuen Bundesländern zu betrachten. ({0}) Denn die schwierige wirtschaftliche Lage zeichnet sich dort in einem viel stärkeren Maße ab. Wir wissen alle, dass die Angleichung der Lebensverhältnisse nicht in dem Tempo vonstatten gegangen ist, wie wir alle gehofft haben. Ich mache der Bundesregierung nicht den Vorwurf, dass die Lohnangleichung zwischen Ost und West noch nicht stattgefunden hat. Aber man muss dieser Bundesregierung vorwerfen, dass die Schere zwischen Ost und West wieder größer wird. Das ist deutlich anders als früher bei uns, lieber Herr Ostertag. ({1}) Wir haben insgesamt steigende Arbeitslosenzahlen, geringere Beschäftigungszahlen und ein geringes Wirtschaftswachstum. Aber dadurch, dass sich diese Entwicklung in den neuen Ländern viel schärfer abzeichnet, kommt es nicht zu einer Angleichung, sondern zu einem weiteren Auseinanderdriften der Lebensverhältnisse. Wenn man die vielen Beschäftigten in ABM, SAM, Umschulungen, ({2}) und im Vorruhestand dazuzählen würde, dann würde das Bild noch viel gravierender ausfallen. Als der Bundestagspräsident, Herr Thierse, vor einem Jahr die These vertrat, Ostdeutschland stehe wirtschaftlich auf der Kippe, sind Sie von der SPD nervös geworden, haben versucht zu relativieren und hätten ihm am liebsten parteischädigendes Verhalten vorgeworfen. Aber es hat nicht dazu geführt, dass Sie etwas dagegen tun. ({3}) Selbst Herr Thierse muss konstatieren, seine vor einem Jahr angeregte Diskussion zur Lage in Ostdeutschland sei bei der Aufrechnung von Licht und Schatten stehengeblieben, während die Wiederbelebung des Aufbaus Ost nicht erfolgt sei. Dies erklärte er am Dienstag vor der Industrie- und Handelskammer Schwerin. So war jedenfalls gestern im „Tagesspiegel“ zu lesen. Der Aufholprozess im Osten stagniert; er findet nicht mehr statt. Diese Entwicklung hat neben anderen Effekten vor allem den Effekt, dass Menschen den neuen Bundesländern zunehmend den Rücken kehren. Das ist eine in meinen Augen sehr gefährliche Spirale, die nach unten führt und die man auch nicht ohne weiteres umkehren kann. Denn wir wissen alle, dass gerade die jungen Menschen, die mobil sind und dorthin gehen, wo sie für sich Zukunftschancen erwarten, uns den Rücken kehren, weil es für sie keine lohnende Arbeit gibt. Es ist generell gut, wenn junge Menschen flexibel sind, woanders hingehen, andere Länder kennenlernen und Erfahrungen machen. Es wäre dann kein Problem, wenn wiederum andere in die neuen Länder kämen, um dort ihre speziellen neuen Erfahrungen zu machen, und somit ein ausgeglichener Saldo der Wanderungsbewegung entstehen würde. Dies ist aber nicht der Fall, sondern uns fehlen diese junge Menschen und das macht sich schon jetzt in einer veränderten Sozialstruktur bemerkbar, indem sich der Anteil der Bevölkerung in den neuen Bundesländern, der sich aus Rentnern, Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosenhilfeempfängern zusammensetzt, gegenüber den Menschen, die produktiv tätig sind, prozentual deutlich erhöht. Das stellt natürlich auch die Kommunen, die schließlich eine gewisse Infrastruktur vorhalten müssen, vor erhebliche Schwierigkeiten. Das führt zudem zu der konträren Situation, dass es trotz einer hohen Arbeitslosigkeit teilweise einen Fachkräftemangel gibt. Am schlimmsten ist die Situation für die älteren Arbeitssuchenden, die schon viele Jahre arbeitslos sind und inzwischen Arbeitlosenhilfe beziehen. In dieser Situation kommt die Sozialdemokratie auf die Idee, die Zuschüsse zur Rentenversicherung bei Arbeitslosenhilfeempfängern so gravierend zu senken, dass sich das gerade bei den Menschen im Osten erheblich bemerkbar machen wird. Dadurch wird sich die Einkommenssituation in den neuen Bundesländern von der im Westen auf Dauer erheblich unterscheiden. Sie manifestieren dies. Dafür sind Sie verantwortlich. Es ist sicherlich richtig, dass die Politik nicht alles richten kann. Aber es wäre falsch zu sagen, sie könne nichts richten. Wir, die Abgeordneten aus Thüringen, haben in der Debatte über die Frage „Kippt der Osten?“ sehr deutlich darauf hingewiesen, dass die Situation in den neuen Bundesländern differenziert zu betrachten ist. Schaut man sich die Arbeitslosenquoten und die wirtschaftliche Entwicklung in den einzelnen neuen Bundesländern genau an, dann stellt man fest, dass Thüringen und Sachsen sehr viel besser dastehen als Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. ({4}) Das hat damit zu tun, dass in Thüringen und Sachsen jahrelang andere Prioritäten gesetzt worden sind, nämlich für mehr Investitionen und für weniger Konsum. ({5}) Es ist kein Zufall, dass Thüringen und Sachsen CDU-regierte Länder sind. Anderswo macht man rote Experimente. ({6}) Nun ist auch die Bundesregierung gefordert, entsprechende Prioritäten zu setzen. Wir erwarten, dass mehr in den neuen Bundesländern investiert wird und dass Investitionsvorhaben vorgezogen werden, und zwar gerade im Bereich der Verkehrsinfrastruktur, weil Straßen und Schienen die Lebensadern der Regionen sind. Natürlich kann auch die aktive Arbeitsmarktpolitik ihren Beitrag leisten. Ich habe nie verstanden, warum Sie das arbeitsmarktpolitische Instrument, das am erfolgreichsten war, nämlich die Lohnkostenzuschüsse für ostdeutsche Betriebe, so beschränkt haben. Mit keinem anderen arbeitsmarktpolitischen Instrument sind so viele Übergänge in den ersten Arbeitsmarkt erreicht worden. Deshalb finde ich es wichtig, dass wir dieses Instrumentarium wieder mehr in den Vordergrund stellen. ({7}) Für den Aufbau Ost reicht es nicht, im Kanzleramt einen Beauftragten zu haben, dessen Namen im Osten kaum jemand kennt. Es reicht erst recht nicht, den Aufbau Ost zur Chefsache zu erklären, wenn man einen Chef hat, dem der Aufbau Ost ziemlich egal ist und für den er keine Herzenssache ist. ({8}) Das merken die Menschen. Ein kurzer Sommertrip durch die neuen Bundesländer und der Besuch von Cousinen sind nicht das, was wir brauchen. Wenn das Bündnis für Arbeit einen Sinn haben soll - Sie suchen ja noch nach einer Tagesordnung -, dann müssen Sie das Thema „Aufbau Ost“ endlich mit auf die Tagesordnung der Bündnisgespräche setzen. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Bundesminister Walter Riester.

Walter Riester (Minister:in)

Politiker ID: 11003616

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich mit meiner Rede beginne, möchte ich von dieser Stelle aus jemandem herzliche Genesungswünsche übermitteln, der sich an der heutigen Debatte sicherlich engagiert beteiligt hätte, wenn er nicht im Krankenhaus liegen würde, nämlich Horst Seehofer. Wir freuen uns, wenn er wieder unter uns ist und sich wieder aktiv an den Debatten beteiligen kann. ({0}) Herr Laumann, Sie haben mir vorhin ein Kärtchen gegeben, auf dem steht: 4 Millionen Arbeitslose im Januar. Stellen Sie sich einmal vor, auch ich hätte Ihnen im letzten Januar Ihrer Regierungszeit ein Kärtchen gegeben. Auf dem hätte dann die Zahl 4 823 000 stehen müssen. Der große Unterschied zwischen diesen beiden Zahlen lässt sich nur durch unsere aktive Politik für mehr Arbeitsplätze erklären, mit der wir 1,1 Millionen neue Jobs geschaffen haben. ({1}) Wir haben die Arbeitslosigkeit massiv abgebaut. Wir haben bei den Gruppen angesetzt, die auf dem Arbeitsmarkt alleine nur wenige Chancen haben. Das sind junge Menschen, zum Beispiel Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss. 370 000 junge Menschen haben an dem Sonderprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit teilgenommen. Davon haben 275 000 einen Arbeits-, Ausbildungs- oder Weiterbildungsplatz gefunden. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Walter Riester (Minister:in)

Politiker ID: 11003616

Nein, ich möchte die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung im Zusammenhang darstellen. ({0}) Der nächste Punkt betrifft den Abbau der Arbeitslosigkeit von schwerbehinderten Menschen. Gemeinsam mit der Wirtschaft, den Gewerkschaften und den Behindertenverbänden haben wir uns das Ziel gesetzt, die Zahl der arbeitslosen Schwerbehinderten um 25 Prozent zu senken. Zwischenzeitlich haben wir eine Senkung um 15 Prozent erreicht. Das ist eine Sache, die mich sehr freut. ({1}) Die Langzeitarbeitslosigkeit ist die Verfestigung, die am schwersten abzubauen ist. 240 000 Langzeitarbeitslose weniger als im Jahr 1998 - das ist aktive Arbeitsmarktpolitik! ({2}) Die 4 Millionen, Herr Laumann, treiben uns natürlich an. Da müssen wir weiter aktiv bleiben. ({3}) Genau deswegen setzen wir mit der größten Vermittlungsoffensive ein, die jemals in deutschen Arbeitsämtern angegangen worden ist. ({4}) Das Job-Aqtiv-Gesetz regelt nicht nur die Vermittlung inhaltlich neu, indem jedem sofort eine Vereinbarung angeboten wird, in der die Förderung, aber auch die Forderungen an den Einzelnen festgelegt werden. Wir organisieren auch die personelle Unterstützung für die Vermittlungsoffensive: Es gibt zusätzlich insgesamt 3 000 Vermittler, 2 000 in den Arbeitsämtern und 1 000 außerhalb der Arbeitsämter. Das ist Job Aqtiv! Der Gesetzgeber ist massiv voranmarschiert. Die Arbeitsämter qualifizieren ihre Vermittler seit Oktober. Die stehen sozusagen Gewehr bei Fuß. ({5}) Es gibt noch einen weiteren Aspekt. Durchschnittlich werden monatlich 300 000 offene Stellen gemeldet. Das sind etwa 3,6 Millionen offene Stellen im Jahr. Im Moment - so sagen die Wirtschaft und das Handwerk - gibt es zwischen 1,5 Millionen und 1,7 Millionen offene Stellen. Wenn diese den Arbeitsämtern gemeldet würden - ich weiß, das funktioniert nicht mit 1 Million offener Stellen -, wenn mehrere Monate lang statt 300 000 Arbeitsplätze 600 000 gemeldet würden, dann wäre das eine Vermittlungsoffensive, die wirklich zum Abbau der Arbeitslosigkeit führen würde. Dort setzen wir an. ({6}) Das wäre eine Möglichkeit im Rahmen des Bündnisses für Arbeit, die keine Mark kosten, ({7}) aber Beiträge von allen Seiten erfordern würde: die Vermittlungsoffensive des Gesetzgebers, aber auch die Meldung der offenen Stellen. Dort müssen wir ansetzen und dort werden wir ansetzen. Wir werden die Arbeitslosigkeit damit Schritt für Schritt weiter abbauen. ({8}) - Wenn die Diskussion beendet würde, könnte ich fortfahren. Meine Damen und Herren, ich habe mir heute die Vorschläge des Ministerpräsidenten von Hessen, Herrn Koch, angehört. Er hat Vorschläge zur Sozial- und Arbeitslosenhilfe eingebracht, die er gern umsetzen möchte. Ich sage Ihnen: Die Richtung halte ich für richtig - eindeutig. ({9}) Ich bin froh darüber, dass Herr Koch ein Stück weit in der Wirklichkeit angelangt ist. Was er vorschlägt, bezieht sich nicht auf Wisconsin; was er vorschlägt, wird größtenteils bereits praktiziert: beispielsweise im Main-Kinzig-Kreis, in Marburg, aber vor allem auch im Job-Aqtiv-Gesetz. ({10}) Ich hätte mich gefreut, wenn Hessen dieser Initiative im Bundesrat zugestimmt hätte. ({11}) Es gibt aber auch einige Punkte, die ich nicht teile - das will ich Herrn Koch überhaupt nicht vorwerfen; darüber muss man diskutieren -, beispielsweise in Bezug auf die Finanzierung. Ich teile es nicht, wenn der Herr Koch sagt: Sanktionsmöglichkeiten können sich doch nicht auf die Sozialhilfe beschränken. Wenn er damit darauf abzielt, das Wohngeld oder das Kindergeld zu streichen, dann kann ich dazu nur sagen: Ich halte das für falsch. Das kann er auch gar nicht. Fernab jeder Wahlkampfrhetorik sage ich: Ich würde mich freuen, wenn mehr wirklich offensive Vorschläge unterbreitet würden, bei denen die Grundrichtung stimmt. Über die Einzelpunkte, die dann ebenfalls wichtig sind, müsste man sprechen. Wir wollen die Verzahnung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. ({12}) - Entschuldigen Sie! Wir machen dies nicht nur in 30 Arbeitsämtern. 100 Arbeitsämter haben zwischenzeitlich Kooperationsvereinbarungen mit Sozialämtern geschlossen. 60 Prozent der Arbeitsämter gehen aktiv an diese Arbeit heran. ({13}) Wenn Sie sagen, Sie wollen das, dann sprechen Sie bitte schön mal mit Ihrer Kollegin Nolte, die sich gerade darüber empört hat, dass wir bei den Arbeitslosenhilfeempfängern die Zuschüsse zur Rentenversicherung gesenkt haben. ({14}) Und gleichzeitig erklären Sie, Sie wollen die Arbeitslosenhilfe ganz streichen bis hin zur Ausgabe von Lebensmittelkarten! Wissen Sie, was das heißt? ({15}) Dies würde im Zweifelsfall bedeuten, dass die gesamten Beiträge zur Rentenversicherung wegfallen. Das muss man wissen. ({16}) Frau Nolte, in dieser Frage kann man sich nicht schlank machen, da werden Sie gefordert sein, da muss Butter bei die Fische! Das muss man als Oppositionspartei dann aushalten. Man kann sich nicht hierher stellen und sagen: Das wirft man uns vor. - Das betrifft nicht nur die Haushaltskonsolidierung. Wenn wir eine Verzahnung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wollen, dann müssen wir diese Bereiche auch gemeinsam angehen. Wenn Sie das wollen, sind Sie herzlich eingeladen. Aber wegtauchen, das geht in dieser Frage nicht. Dieses Problem wird von uns angegangen. Die Lösung wird von uns nicht nur vorbereitet, sondern sie wird in 30 Arbeitsämtern schon praktiziert, wo sich der Bürger bei einer einzigen Anlaufstelle mit dem Leistungsangebot sowohl des Sozialamtes als auch des Arbeitsamtes Hilfe verschaffen kann, um möglichst schnell in Arbeit zu kommen. Alle Konzepte, für die ich Verantwortung trage, werden sich danach ausrichten, ob sie geeignet sind, Leistungsempfänger in den Arbeitsmarkt zu bringen. Auch das ist ein Punkt, bei dem ich Zweifel habe, dass sich das, was Herr Koch heute gesagt hat, einlösen lässt. ({17}) Er sagt: Wir werden jedem Arbeitslosenhilfeempfänger und jedem Sozialhilfeempfänger ein Arbeitsangebot machen. - Dies würde im Zweifelsfall ein riesiges Aufblähen des öffentlich geförderten zweiten Arbeitsmarktes bedeuten. Darüber muss man sprechen. Er wird nicht automatisch die Angebote im ersten Arbeitsmarkt haben. Deswegen würde ich eine solche Parole nicht herausgeben. Unser Ziel muss es sein, Leistungsempfänger in Arbeit zu bringen. Daran haben wir mit der Schaffung von 1 Million Arbeitsplätzen und mit der Verringerung der Arbeitslosenzahl um über 400 000 erfolgreich gearbeitet. Diesen Prozess werden wir unbeirrt mit Tempo weiterführen. Alle werden dabei mithelfen müssen. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Dirk Niebel von der FDP-Fraktion.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister Riester, Sie haben leider keine Zwischenfrage zugelassen. Deswegen wähle ich das Instrument der Kurzintervention. Sie haben gegenüber dem Deutschen Bundestag den Eindruck vermittelt, dass die Oppositionsanträge - hier beziehe ich mich jetzt auf den vorliegenden Antrag der FDPBundestagsfraktion zur Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe - zu einer vermehrten Altersarmut führen würden. Das ist falsch, das ist definitiv unrichtig. Sie wissen, dass Sie hiermit dem Deutschen Bundestag nicht die Wahrheit gesagt haben. In unserem Konzept zur Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ist explizit vorgesehen, dass die rentenrechtlichen Regelungen der Arbeitslosenhilfe auf die Sozialhilfe übertragen werden. Das ist eine definitive Verbesserung der Altersabsicherung der zukünftigen Hilfeempfänger. ({0}) Sie sollten hier keinen Popanz aufbauen, der im Endeffekt verhindert, dass zwei steuerfinanzierte, bedürftigkeitsabhängige Sozialtransferleistungen, die alleine durch die Doppelverwaltung 4 Milliarden Euro im Jahr verschlingen, zusammengeführt werden. Hier müssen wir endlich die Schritte gehen, die Ihre Kollegen aus Rheinland-Pfalz, Herr Gerster, und aus Nordrhein-Westfalen, Herr Schartau, auch öffentlich fordern. Sie regieren seit drei Jahren und bewegen sich in dieser Sache nicht. Stattdessen machen Sie alle möglichen netten Vorschläge, wie Sie die Statistiken verändern können. Das ist nicht zielführend. Sie müssen Vorschläge machen, wie man Arbeitsplätze zur Verfügung stellt. Hier müssen Sie ideologiefrei herangehen. Ihre Regierung hat zu Beginn dieses Jahres die steuerliche Absetzbarkeit bei den sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen in privaten Haushalten gestrichen. Ich frage Sie jetzt offen und ehrlich: Worin besteht der Unterschied zwischen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in einem Haushalt, in einem Handwerksbetrieb oder in einem Industrieunternehmen? Hier gehen Sie ideologieverbrämt an die Sache heran, statt Arbeitslosigkeit abzubauen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Minister, bitte.

Walter Riester (Minister:in)

Politiker ID: 11003616

Herr Abgeordneter Niebel, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie, statt laufend dazwischenzurufen, eine Kurzintervention machen. Das finde ich sehr gut. Ihr kann man nämlich folgen. ({0}) Erstens. Wenn die rentenrechtlichen Regelungen der Arbeitslosenhilfe auf die Sozialhilfe übertragen werden, müssen die Kommunen etwa 5,3 Milliarden zusätzliche Mittel in die Rentenversicherung einzahlen. ({1}) - Wenn Sie das wissen, dann sagen Sie das auch den Kommunen. Wenn Sie aber der Meinung sind, das solle der Bund bezahlen - so habe ich es jetzt gehört -, dann sagen Sie gleichzeitig dazu, dass diese Mittel eine Verschuldung in Höhe von 5,3 Milliarden auslösen. Wenn Sie das der Öffentlichkeit nicht sagen, dann belügen Sie die Öffentlichkeit. Diesen Vorwurf muss ich Ihnen machen. ({2}) Zweitens. Sie haben die sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse angesprochen. Dazu kann ich Ihnen gern Auskunft geben. Deren Zahl ist in drei Jahren um 700 000 gestiegen. Das ist die Wahrheit. Wenn Sie noch einmal intervenieren wollen, können Sie das gern machen. Ich lade Sie herzlich dazu ein. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Johannes Singhammer, CDU/CSUFraktion.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister, nach dreieinhalb Jahren rot-grüner Regierung sieht die Bilanz nicht nur ernüchternd aus, sondern die Menschen in unserem Land haben das Vertrauen in die Regierung verloren. ({0}) Der Bundeskanzler, Ihr Chef, hat beispielsweise vor zwei Jahren, am Tag der Arbeit, versprochen, die Arbeitslosenzahlen auf deutlich unter 3,5 Millionen zu senken. Vor wenigen Tagen hat Ihr Staatssekretär Andres erklärt, man rechne mit 4,3 Millionen Arbeitslosen. Damit hat die rot-grüne Bundesregierung ihr wichtigstes Ziel nicht erreicht, ihr wichtigstes Versprechen nicht eingelöst. Eine Besserung ist nicht in Sicht: Rot-Grün muss weg! ({1}) In den dreieinhalb Jahren Ihrer Regierungszeit haben Sie im Akkordtempo, sozusagen am Fließband, Ankündigungen - so wie jetzt gerade wieder - feierlich zelebriert, um sie später schamhaft zurückzunehmen. Viele erinnern sich noch daran, dass den Rentnern von diesem Bundeskanzler am 17. Februar 1999 versprochen wurde: Ich stehe dafür, dass die Renten auch in Zukunft so steigen wie die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer. - Einige Wochen später hat er sich in der Sendung von Frau Christiansen entschuldigt und gesagt: Wenn ich könnte, würde ich mich bei jedem Einzelnen entschuldigen. Tatsache ist, dass das soziale Gleichgewicht verloren gegangen ist. Im Jahre 2002 werden den Menschen in Deutschland Beiträge für eine private Rente abgezogen, welche Gutverdienende mehr fördert als diejenigen mit einem kleinen Geldbeutel. ({2}) Wir werden nicht alles anders machen, aber vieles besser - das hat der Bundeskanzler versprochen. ({3}) Heute trägt Deutschland die rote Laterne in der Europäischen Union, während es in den Jahren davor immer die Lokomotive war und die anderen mitgezogen hat. ({4}) Deutschland ist Schlusslicht bei den Wachstumsraten und den Innovationen. Wir verlieren Weltmarktanteile und es droht der Abstieg von der Eliteliga in die zweite Liga der Wirtschaftsnationen. Mit einer Postkarte - wir erinnern uns noch gut daran haben Sie vor der Bundestagswahl mit zehn Versprechungen geworben. Eine davon hieß: Arbeitslosigkeit bekämpfen. ({5}) Stattdessen explodieren die Arbeitslosenzahlen. ({6}) Auch wenn Sie die 58-Jährigen aus der Statistik herausnehmen, werden Sie trotz dieser Kosmetik nicht erreichen, dass sich die Menschen mit ihrer Erfahrung - sie haben etwas einzubringen - nicht weiterhin ausgegrenzt fühlen. ({7}) Das wird Ihre ganze Statistikklitterei nicht erreichen können. Ich halte Ihnen einmal ein Spiegelbild dessen vor, was Sie alles versprochen haben. In der rot-grünen Koalitionsvereinbarung steht: Wir werden die Sozialversicherungsbeiträge durch die Einnahmen aus der ökologischen Steuerreform auf unter 40 Prozent senken. In diesem Jahr haben wir 41,3 Prozent! ({8}) ({9}) Die Krankenversicherungsbeiträge werden auf einen neuen Höchststand von über 14 Prozent ansteigen. ({10}) Damit wird den Arbeitnehmern mehr Geld aus der Tasche gezogen als jemals zuvor. ({11}) Die Liste wird noch länger. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung wollten Sie im Jahr 2002 um 0,5 Prozent auf 6 Prozent absenken. Das Gegenteil ist der Fall: Die Bundesanstalt für Arbeit benötigt mehr Geld als vorgesehen. Der Katalog der Firmen, die im großen Stil entlassen wollen - neben dem, was im Mittelstand an dramatischer Entwicklung droht -, liest sich wie ein Horrorszenario: Henkel-Gruppe minus 3 000, Infineon minus 5 000, Hypo-Vereinsbank minus 9 000, Siemens minus 17 000, Commerzbank minus 3 400, Deutsche Bank minus 7 100, Dresdner Bank minus 5 500. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Das Bündnis fürArbeit, das Sie hier immer wieder erwähnt haben, ist nicht deshalb, weil die Tarifparteien, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, nicht zueinander gefunden haben, kurz vor dem Aus. Es ist deshalb vor dem Aus, weil Sie eine Politik betrieben haben, die aus dem Bündnis ein Zerwürfnis gemacht hat. ({12}) Der Bundeskanzler hat noch vor wenigen Wochen sich selbst eine ruhige Hand verordnet und den Menschen die dramatische Entwicklung verschwiegen. ({13}) Tatsache ist, dass die Entwicklung dramatisch verlaufen ist und dass jetzt unkoordiniert und mit allem anderen als mit ruhiger Hand, eher mit heißer Nadel genäht, eine Vielfalt von Maßnahmen eingeleitet worden sind, die aber in ihrer geringen Beständigkeit und geringen Abgestimmtheit nicht den erwarteten Erfolg bringen werden. Deshalb sage ich Ihnen: Was Sie machen müssen, ist eine Generalrevision der Arbeitsmarktordnung. Im Einzelnen heißt das: Alle die Fehler, die Sie gemacht haben - die Fehler beim 630-Mark-Gesetz, beim Gesetz zur Scheinselbstständigkeit, beim Teilzeitgesetz - müssen Sie korrigieren. Nur dann kommen wir wieder auf das richtige Gleis. ({14}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie setzen Ihren verhängnisvollen Kurs sogar noch fort: Mit einem Zuwanderungsgesetz soll eine noch nicht überschaubare Zahl neuer Arbeitskräfte ins Land geholt werden, obwohl wir über 4 Millionen Arbeitslose haben. Mit dem Zuwanderungsgesetz wächst auch das Risiko einer noch größeren Strapazierung unserer Sozialsysteme, obwohl sie jetzt schon überdehnt sind. ({15}) Deshalb sage ich Ihnen hier: Uns sind die deutschen Arbeitslosen wichtiger als Utopien über Multikulti. ({16}) Mit der Erweiterung der Europäischen Union nach Osten wird ohnehin der Wirtschaft ein großes Potenzial an Arbeitskräften zur Verfügung stehen. Geschätzt wird, dass nach dem Beitritt über 3 Millionen Menschen aus den Beitrittsländern in die bisherigen EU-Staaten und bevorzugt nach Deutschland kommen werden, um Arbeit zu finden. Auch deshalb brauchen wir das von Ihnen geforderte Zuwanderungsgesetz nicht. ({17}) Der Bundeskanzler hat immer wieder darauf verwiesen, als die Daten noch besser waren - und sie waren vor zwei Jahren noch besser -: Der Aufschwung, den wir jetzt haben, ist mein Aufschwung. Deshalb sage ich an dieser Stelle: Der Abschwung, den wir jetzt leider haben, ist Ihr Abschwung und der Ihrer Regierung. ({18}) Sie sind nicht in der Lage - das hat diese Debatte heute gezeigt -, wirklich durchgreifende Reformen anzupacken. Dafür fehlen Ihnen die Ideen, der Mut und die Kraft. Es ist Zeit für eine neue Regierung. ({19})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort für die SPDFraktion hat die Kollegin Andrea Nahles. ({0})

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen von der Opposition, Ihre arbeitsmarktpolitischen Vorschläge, die Sie heute hier vorgetragen haben, sind doch olle Kamellen von Fastnacht von vor vier Jahren. ({0}) Ich sage Ihnen: So jeck sind nicht einmal wir Rheinländer, dass wir darauf hereinfallen. Was schlagen Sie denn hier vor? Sie schlagen vor, die 630-Mark-Regelung zurückzunehmen. Wollen Sie wirklich wieder Billigjobs en masse statt sozialversicherungspflichtige Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigungen? Wollen Sie das? ({1}) Sie schlagen vor, den Umfang der Mitbestimmung in diesem Land wieder abzubauen und die Tarifverträge zu unterhöhlen, Herr Kolb. ({2}) Das schafft keinen einzigen Arbeitsplatz. Das schafft nur erneut ein Klima, das sich durch Heuern und Feuern auszeichnet. Das haben die Menschen wirklich nicht verdient. ({3}) Herr Kolb, Ihre Deregulierungspolitik hat nichts als Spesen gebracht. Die Spesen haben immer nur die Arbeitnehmer bezahlt, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Herr Laumann hat von einer vollen Wundertüte gesprochen. Die Wundertüte ist aber leider leer. Er hat nichts anderes vorgeschlagen, als den Niedriglohnbereich auszubauen und zu subventionieren. Um das zu tun, will er den Umfang der aktiven Arbeitsmarktpolitik verringern. Das ist - das wissen Sie auch - völlig unverantwortlich; deswegen werden wir diesem Vorschlag nicht folgen. ({5}) Ich muss mich allerdings ernsthaft fragen, ob es sich überhaupt lohnt, sich mit Ihren arbeitsmarktpolitischen Vorschlägen zu beschäftigen. ({6}) Wenn sie nämlich so wie Ihre finanz- und steuerpolitischen Vorschläge gehandelt werden, dann muss man sich allerdings über die Halbwertszeit Gedanken machen: Die Ökosteuer sollte abgeschafft werden, dann doch wieder nicht und dann doch wieder; die Neuverschuldung wollten Sie ausweiten, dann doch wieder nicht; die Steuerreform sollte vorgezogen werden, dann doch wieder nicht vorwärts, rückwärts, seitwärts, stopp. Das mag vielleicht für einen Tanzkurs gut sein; zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit taugt das aber leider nicht. ({7}) Die Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung hat nicht erst mit der Nominierung Ihres Kanzlerkandidaten begonnen. Wir haben dafür gesorgt, dass seit dem 1. Januar das Job-Aqtiv-Gesetz in Kraft gesetzt ist; wir haben 3 000 zusätzliche Mitarbeiter in den Arbeitsämtern in die Lage versetzt, Vermittlungen vorzunehmen. ({8}) Entscheidend ist: Es wird nicht mehr gewartet, bis die Leute arbeitslos sind, und dann sechs Monate abgewartet. Wir haben alle Wartezeiten gestrichen: Jeder, der jetzt arbeitslos wird, hat sofort ein Angebot für Qualifizierung und für Arbeit. Das ist ein Riesenschritt nach vorne. ({9}) Die Vermittlung in Arbeit scheitert oft nicht daran, dass zu viel Lohn gezahlt werden muss; vielmehr scheitert sie an der falschen oder zu geringen Qualifizierung. Auf die damit verbundenen Fragen geben Sie keine Antwort. Wir hingegen haben mit dem Job-Aqtiv-Gesetz die Qualifizierungsmöglichkeiten für geringer Qualifizierte und für Ungelernte so verbessert, dass auch Kleinbetriebe - nicht die großen Betriebe, die das vielleicht selbst finanzieren können - in die Lage versetzt werden, ihre Mitarbeiter weiterzubilden, sie damit in Beschäftigung zu halten oder Arbeitslose in Beschäftigung zu bringen. ({10}) - So fördern wir auch den Mittelstand, ganz genau. Herr Singhammer, Sie haben von der roten Laterne beim Wachstum gesprochen. Tatsächlich hatten wir die rote Laterne: 1983 - vorletzter Platz, 1984 - vorletzter Platz, 1985 - letzter Platz, 1986 - letzter Platz. Es wird jetzt wirklich langweilig. Damit wir uns hier nicht weiter über das Wachstum und die rote Laterne streiten müssen, schauen Sie sich doch bitte Ihre eigene Regierungsbilanz an. Das kann Ihnen nur helfen, damit Sie hier nicht so auftreten, wie Sie es getan haben. Darüber hinaus hat die Jugendarbeitslosigkeit - Frau Nolte hat darauf hingewiesen - in Ostdeutschland im letzten Jahr um 6,3 Prozent abgenommen. Ich glaube, das können wir ganz direkt auf unsere Initiative, auf das JUMP-Programm, zurückführen. ({11}) Ich will ganz deutlich sagen: Wir geben uns damit nicht zufrieden. Wir haben bei der Jugendarbeitslosigkeit an der zweiten Schwelle Probleme. Deswegen werden wir auch an dieser Stelle etwas tun. Wir werden Beschäftigungsbrücken für junge Leute auflegen. Wir machen JUMP. Wir machen das gut. Wir machen noch mehr. Wir machen in den nächsten Monaten JUMP plus. ({12}) Als Letztes will ich auf das Bündnis für Arbeit eingehen. Herr Kolb: Schuster, bleib bei deinem Leisten! ({13}) Ich will Ihnen wirklich herzlich davon abraten, sich in die Tarifverhandlungen einzumischen. ({14}) Aber eines steht fest: Das Bündnis für Arbeit hat von der Arbeitsmarktpolitik die Rahmenbedingungen bekommen, die es braucht: bei der Teilzeitbeschäftigung und bei der Aktivierung und Vermittlung, bei der Qualifizierung mit Jobrotation. Es geht jetzt darum, dass unsere Initiativen in den Betrieben tatsächlich umgesetzt werden. Dazu fordere ich alle auf. ({15}) Es kann nämlich nicht sein, dass die Probleme allein vor der Tür der Arbeitsmarktpolitik abgestellt werden. Vielmehr brauchen wir die Tarifparteien. Deswegen brauchen wir auch den Dialog mit den Tarifparteien. ({16}) Deshalb wird es eine erfolgreiche Bündnis-für-ArbeitRunde werden. Vielen Dank. ({17})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Wolfgang Meckelburg für die CDU/CSU-Fraktion. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie alle, auch dem letzten Redner noch zuzuhören. Das ist auch ein Akt der Höflichkeit.

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als letzter Redner in dieser Debatte will ich mit dem anfangen, was Herr Brandner als erster Redner von der SPD gesagt hat. - Sie haben gesagt, Sie hätten die Ärmel hochgekrempelt. Normalerweise krempelt man die Ärmel hoch, um etwas zu tun. Bei Ihnen habe ich allenfalls die Vermutung, dass Sie die ruhige Hand noch in Gips legen wollen. Ansonsten ist bei Ihnen nicht viel Aktivität zu sehen. ({0}) Meine Damen und Herren, die K-Frage in der Union ist geklärt. Aber das K-Problem der SPD wird bleiben. Es ist dieser Bundeskanzler, der viel versprochen und wenig gehalten hat. Daran werden wir ihn in diesem Jahr messen. ({1}) Die Ergebnisse der Regierung Schröder sind negativ, nicht nur, was den Arbeitsmarkt angeht. Deutschland insgesamt hat sich verändert. Wie sieht nun das geschröderte Deutschland im Wahljahr 2002 aus? ({2}) Beim Wirtschaftswachstum letzter Platz in Europa. Sie selber haben vom Anfang bis zum Ende letzten Jahres ständig die Zahlen zurücknehmen müssen. Das hat mit dem 11. September, den Sie ständig anführen, nichts zu tun. Es war Anfang des Jahres, also in der Phase, als wir unsere Anträge stellten, erkennbar, dass die wirtschaftliche Lage schwieriger würde. Damals hätten Sie handeln müssen. Sie haben nicht einmal das Job-Aqtiv-Gesetz - es ist vom Namen her interessant, aber vom Inhalt her nicht so groß -, das Sie über zwei Jahre angekündigt hatten, rechtzeitig auf den Weg gebracht. Da reicht die ruhige Hand des Kanzlers nicht. „Abwarten und Tee trinken“ hilft nicht. Wir brauchen Wachstum in diesem Land. Wachstum ist die Nummer eins. Die Prognosen für dieses Jahr liegen mit 0,6 oder 0,7 Prozent weit unter dem, was wir brauchen, damit Wachstum auf dem Arbeitsmarkt wirksam wird. Das zu sagen ist wichtig, weil Arbeitsmarktpolitik eine Hilfe ist, aber die Arbeitsplätze entstehen in der Wirtschaft. Wir brauchen Wirtschaftswachstum in diesem Land. Das ist von der jetzigen Regierung nicht mehr zu erwarten. ({3}) Meine Damen und Herren, die Arbeitslosigkeit zu Beginn des Jahres 2002 ist mit 4,3 Millionen weit entfernt von dem, was dieser Bundeskanzler und diese Bundesregierung uns versprochen haben. Versprochen waren 3,5 Millionen. Sie haben auch diese Zahl im Dezember bei den Haushaltsberatungen selber korrigiert und erwarten jetzt 3,9 bis 4,0 Millionen Arbeitslose. Nicht dass Sie den Eindruck haben, dass wir uns darüber eventuell freuen könnten! Wir haben Vorschläge gemacht, die abgelehnt wurden. Als Opposition muss man es deutlich sagen: Sie haben mit Ihrer Arbeitsmarktpolitik versagt. ({4}) 4,3 Millionen Arbeitslose sind nach dem Versprechen des Kanzlers, sich jederzeit an der Zahl der Arbeitslosen messen zu lassen, viel zu viele. Er wird mit dieser Zahl scheitern. ({5}) Ich will ein Wort zu der Behauptung sagen, es seien 1,2 Millionen Arbeitsplätze geschaffen worden; diese Zahl wird hier ja dauernd präsentiert. Ich frage mich, wie Sie eigentlich auf diese Zahl kommen. Sie gehen einfach her und vergleichen Statistiken. Schauen Sie doch bitte einmal in den Abschnitt des Sachverständigengutachtens hinein, in dem beschrieben wird, was passiert ist: Der größte Teil dieser 1,2 Millionen Arbeitsplätze wurde nicht neu geschaffen, sondern umfasst die 630-Mark-Jobs, deren Zahl früher geschätzt wurde und jetzt aufgrund der neuen Politik ermittelt werden kann. Auf dem Arbeitsmarkt ist nichts passiert. ({6}) Wenn es noch eines letzten Beweises bedurft hätte, dann gibt es ihn jetzt: Schauen Sie doch nach, was im Gutachten des Sachverständigenrates festgestellt wird. ({7}) Den Maßstab, an dem man erkennen kann, ob mehr Arbeitsplätze entstanden sind, bildet die Zahl der Stunden, die in diesem Land insgesamt gearbeitet wird. Die Stundenzahl stagnierte im vorletzten Jahr und ist im letzten Jahr um 1 Prozent zurückgegangen. Das heißt, hier ist nicht wirklich neue Arbeit entstanden. Hören Sie deswegen auf, so zu tun, als seien wirklich Arbeitsplätze geschaffen worden. ({8}) Zu den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen: Sie sagen, dass mit den 45 Milliarden DM, die Sie jedes Jahr ausgeben, die Arbeitsmarktpolitik verstetigt werde. Allenfalls im Hinblick auf die Summe der Belastungen der Steuerzahler und der Ausgaben handelt es sich um eine Verstetigung, aber es kommt davon keine Bewegung in den Arbeitsmarkt; dort entsteht nichts Neues. Wir könnten Arbeitsplätze im ersten Arbeitsmarkt fördern, statt sie künstlich auf dem zweiten oder dritten Arbeitsmarkt zu schaffen. Für das JUMP-Programm für Jugendliche werden jährlich 2 Milliarden DM ausgegeben. Das Ergebnis ist, dass die Jugendarbeitslosigkeit im letzten Jahr um 11 Prozent gestiegen ist. Diesen Punkt muss man Ihnen vorhalten. Wenn man schon so viel Geld ausgibt, aber nichts erreicht, ist es höchste Zeit zum Umdenken. Sie haben noch acht Monate Zeit, dann ist nämlich Schluss mit dieser Politik. ({9}) Das Job-Aqtiv-Gesetz ist vom Namen her sehr kreativ, aber inhaltlich wird nur versucht, im Bereich der Vermittlung - eigentlich eine Kernaufgabe der Arbeitsämter zu Verbesserungen zu kommen. ({10}) Am meisten, Herr Brandner, hat mich gewundert, dass Sie das heiß bekämpfte SGB-III-Änderungsgesetz, das wir gegen Ihre Stimmen durchgebracht haben, jetzt als Ausgangspunkt nehmen. Hätten Sie 1997 und 1998 den Mut gehabt, mehr Reformschritte mit uns gemeinsam zu gehen, dann hätten wir gemeinsam eine Menge in Deutschland bewegen können. ({11}) Beispielhafte Stichwörter nur zu dem, was sich ändern muss: Im Niedriglohnbereich - der Kollege Karl-Josef Laumann hat darauf hingewiesen - gibt es eine Menge an Möglichkeiten. Wir brauchen eine Steuerpolitik, die endlich einmal den Mittelstand erreicht. Der Mittelstand ist der Motor beim Schaffen von Arbeitsplätzen. ({12}) Wir brauchen betriebliche Bündnisse. ({13}) Meine Damen und Herren, die Politik der ruhigen Hand und der zappelnden Füße - zurzeit sind Sie ja ein wenig unruhig geworden - reicht nicht aus. Handeln ist angesagt. Sie haben Chancen verpasst - ich sage das zu Beginn dieses Wahljahres, in dem uns in den Debatten die Arbeitsmarktpolitik das ganze Jahr über beschäftigen wird. Sie werden mit dem, was Sie vorhaben, keine großen Verbesserungen erreichen. Ich will eines zum Schluss sagen: Herr Schröder bzw. Bundeskanzler Schröder, das K-Problem der SPD, ({14}) wird keine noch so gering ausfallende positive Meldung vergehen lassen, um von Verbesserung zu reden. Er wird am Ende vor die Wähler treten und sagen: Bitte gebt mir noch vier Jahre. Er tritt nicht als der Stürmer und Dränger des Jahres 1998 auf, sondern als Bittsteller. Wir werden ihm sagen: Du hast deine Chancen verpasst. - Wir haben das richtige Signal gesetzt, die Menschen vertrauen uns. Wir haben den Mut, Reformen anzupacken, damit es in unserem Land endlich wieder besser wird. ({15})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aus- sprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 14/7523 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Für mehr Wettbewerb und Subsidiarität in den sozialen Si- cherungssystemen - durch Neuorganisation der aktiven Ar- beitsmarktpolitik die Langzeitarbeitslosigkeit in Deutsch- land senken“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5552 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion an- genommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz- entwurf der Fraktion der FDP zur Sicherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit auf Drucksache 14/6548. Der Aus- schuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7362, den Gesetzentwurf abzulehnen. Die Fraktion der FDP verlangt namentliche Abstimmung. Namentlich abgestimmt wird - das sage ich, weil es Unstimmigkeiten gab - über den Gesetzentwurf, nicht über die Beschlussempfehlung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen be- setzt? - Noch nicht, hier vorne fehlen noch Schriftführe- rinnen und Schriftführer. Könnte ich bitte ein Signal bekommen, wenn Schriftführerinnen und Schriftführer hier vorne sind? - Das ist jetzt der Fall. Dann ist die Ab- stimmung über den Gesetzentwurf der FDP eröffnet. Ich möchte darauf verweisen, dass im Anschluss an die namentliche Abstimmung noch einige weitere Abstim- mungen stattfinden werden. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Auf der einen Seite ist die Abstimmung noch im Gange. - Ich frage ein zwei- tes Mal, ob die Abstimmung beendet werden kann. Könnte ich bitte ein Signal von den Schriftführerinnen und Schriftführern bekommen? - Ich glaube, wir können die Abstimmung schließen. Ich bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Wir setzen jetzt die anderen Abstimmungen fort. Dazu bitte ich Sie herzlichst und inniglichst, die Plätze wieder einzunehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen fortfah- ren. Ich bitte Sie nochmals darum, die entsprechenden Sitzgelegenheiten wieder einzunehmen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 14/7362 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Im Bündnis für Arbeit, Ausbil- dung und Wettbewerbsfähigkeit bei wichtigen Fragen des Arbeitsmarktes endlich handeln“. Der Ausschuss emp- fiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 14/5758 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltun- gen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU- und FDP-Fraktion bei Enthaltung der PDS angenommen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 l auf: 25. Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung von Übergangsregelungen im Bundessozialhilfegesetz - Drucksache 14/8010 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({0}) Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland ({1}) - Drucksache 14/8017 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({2}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Zollfahndungsdienstes ({3}) - Drucksache 14/8007 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({4}) Innenausschuss Rechtsausschuss d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Europäischen Charta der Regional- oder Min- derheitensprachen des Europarates vom 5. No- vember 1992 - Drucksache 14/7545 - 1) Ergebnis Seite 20963 D Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({5}) Ausschuss für Kultur und Medien e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung - Drucksache 14/7562 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({6}) Innenausschuss f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern ({7}) - Drucksachen 14/7987, 14/8046 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({8}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes - Drucksache 14/8008 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({9}) Innenausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Agrarstatistikgesetzes und des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen - Drucksache 14/8012 ({10}) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({11}) Innenausschuss i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Stockholmer Übereinkommen vom 23. Mai 2001 über persistente organische Schadstoffe ({12}) und dem Protokoll vom 24. Juni 1998 zu dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung betreffend persistente organische Schadstoffe ({13}) - Drucksachen 14/7757, 14/8014 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({14}) Ausschuss für Gesundheit j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien andererseits - Drucksache 14/7766 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({15}) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Ostrowski, Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Vollzug des Programms „Stadtumbau Ost - für lebenswerte Städte und attraktives Wohnen“ - Drucksache 14/7794 ({16}) - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Ostrowski, Dr. Klaus Grehn, Uwe Hiksch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Änderung des Straßenverkehrsgesetzes - Drucksache 14/7992 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich unternehme jetzt einen dritten Versuch, alle Kollegen und Kolleginnen herzlichst einzuladen, die Stehplätze zu verlassen und die entsprechenden Sitzplätze in den Reihen der Fraktionen einzunehmen. Sonst haben wir keine Übersicht über das Abstimmungsverhalten. Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 a und 26 b auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Wir kommen zunächst zu Tagesordnungspunkt 26 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der am 3. Dezember 1999 in Peking beschlossenen Änderung des Montrealer Protokolls vom 16. September 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen, und zu weiteren Anpassungen des Protokolls - Drucksache 14/7045 ({17}) Vizepräsidentin Petra Bläss Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({18}) - Drucksache 14/7715 Berichterstattung: Abgeordnete Rainer Brinkmann ({19}) Dr. Reinhard Loske Eva Bulling-Schröter Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 14/7045 zu der in Peking beschlossenen Änderung des Montrealer Protokolls über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen, und zu weiteren Anpassungen des Protokolls. Bevor wir dazu kommen, bitte ich ausdrücklich auch die Vertreter der Regierungsbank, die Gespräche draußen fortzusetzen. Ich glaube, das hat auch etwas mit der Achtung oder Missachtung gegenüber dem Parlament zu tun. ({20}) Liebe Ministerinnen und Minister, Staatssekretärinnen und Staatssekretäre, ich bitte Sie wirklich, die notwendigen Gespräche draußen fortzuführen. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 14/7715, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 26 b: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. Juni 2000 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Singapur über die Seeschifffahrt - Drucksache 14/6523 ({21}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({22}) - Drucksache 14/7836 Berichterstattung: Abgeordneter Hans-Michael Goldmann Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt auf Drucksache 14/7836, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD Haltung der Bundesregierung zu verschiedenen Aussagen der Union in der Haushaltsund Steuerpolitik Ich eröffne die Aussprache. Bevor ich den ersten Redner in der Debatte aufrufe, bitte ich erneut die entsprechenden Kollegen von der CDU/CSU, den Saal zu verlassen und draußen weiterzudiskutieren. ({23}) Vielleicht könnte der amtierende Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion einmal seines Amtes walten, damit wir mit der Debatte beginnen können. ({24}) Jetzt hat der Kollege Joachim Poß für die SPD-Fraktion das Wort.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Alle Äußerungen von führenden CDU- und CSU-Mitgliedern zur Steuer- und Finanzpolitik in den letzten Tagen sind ein deutlicher Beleg dafür, dass die Union immer noch ohne steuer- und finanzpolitische Konzeption dasteht. ({0}) Was das bedeutet, konnte man auch gestern Abend in der Fernsehsendung „Was nun, Herr Stoiber?“ verfolgen: Der bayerische Ministerpräsident hat sich trotz konkreter Fragen auf nichts mehr festlegen lassen. ({1}) Stoiber zeigte sich absolut hilflos bei Nachfragen zu konkreten Maßnahmen und Schritten. Wo ist also, so frage ich, die hochgelobte Kompetenz des CSU- und CDUKanzlerkandidaten gerade in der Wirtschafts- und Finanzpolitik? Das hätte Frau Merkel auch noch gekonnt. ({2}) Es ist offensichtlich: Herr Stoiber rudert zurück. Es wird vermutlich nur noch wenige Tage dauern, bis Herr Stoiber auch die letzte Stufe der Ökosteuer in 2003 akzeptieren wird. ({3}) Die gesamte Union wird nun mit Festlegungen warten müssen, bis der Kandidat endlich die offensichtlich fehVizepräsidentin Petra Bläss lende Übersicht gewonnen hat. Bis dahin wird die Öffentlichkeit mit allgemeinen Zielbeschreibungen und unwahren Behauptungen abgespeist. So behauptete Stoiber zum Beispiel entgegen den Feststellungen des Sachverständigenrates und anderer Institute, dass die Steuerreform nicht zur Belebung der Konjunktur beigetragen habe. Dabei ist klar: Der wirtschaftliche Abschwung wäre ohne unsere Steuerreform wesentlich stärker gewesen. ({4}) Die Beschreibung der steuerpolitischen Forderungen der Union der vergangenen Tage als Chaos ist noch beschönigend. ({5}) Frei nach Rainer Barzel für die Älteren: Bei diesem Durcheinander von Meinungen und Forderungen, von Absichten und Plänen blickt in der Union keiner mehr durch, von der Öffentlichkeit ganz zu schweigen. Was war in den letzten Tagen und Wochen nicht alles zu hören? Noch kurz vor den letzten Haushaltsberatungen wollte die Union die zweite und dritte Stufe unseres Steuersenkungsgesetzes von 2003 bzw. von 2005 auf 2002 vorziehen. Viele Warnungen - zuletzt von der Deutschen Bundesbank -, ein Vorziehen könnten Bund, Länder und Kommunen - ich betone: Kommunen - finanziell nicht verkraften, wurden ignoriert. Damals war es der bayerische Ministerpräsident, der der Parteivorsitzenden der CDU vor laufenden Fernsehkameras klar machte, ein Vorziehen der Steuerreform sei nicht finanzierbar. Vor einer Woche, nachdem er die K-Frage für sich entschieden hatte, wollte Stoiber das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform auf 2003 nicht ausschließen. Weil er aber seine Äußerung gegenüber Frau Merkel noch nicht vergessen hatte, hieß es nun, dass die Steuern nur für mittelständische Unternehmen schneller gesenkt werden sollten. Herr Stoiber wie auch Herr Merz sollten sich auch hier gut überlegen, was sie sagen, und sich einmal den Inhalt der dritten Stufe des Steuersenkungsgesetzes ansehen. Dort sind nämlich ausschließlich weitere Tarifentlastungen bei der Einkommensteuer vorgesehen. Der Einkommensteuer unterliegen die kleinen und mittleren Personenunternehmen aber nicht als solche. Steuerpflichtig sind allein deren Inhaber als natürliche Personen. Diesen wird der jeweilige Unternehmensgewinn als so genannte Einkünfte aus Gewerbebetrieb anteilig zugerechnet. Eine Regelung, die die Einkünfte aus Gewerbebetrieb gegenüber den übrigen Einkunftsarten, zum Beispiel dem Arbeitnehmereinkommen, durch einen besonders ermäßigten Steuertarif begünstigt, ist aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eindeutig unzulässig. Es gab hier also Forderungen von Herrn Merz und anderen nach einer eindeutig verfassungswidrigen Regelung. So weit ist es mit der Kompetenz dieser Vertreter gekommen! ({6}) Damit wird noch einmal klar: Es gibt keine Benachteiligung des Mittelstandes. Alle tariflichen Vergünstigungen, die bisher von der Koalition beschlossen worden sind, wirken natürlich auch für mittelständische Unternehmer. Hinzu kommt etwas Entscheidendes - das wird von Ihnen immer verschwiegen -: Die Koalition hat die Gewerbesteuerbelastung für Personenunternehmen faktisch abgeschafft, denn sie kann auf die Einkommensteuerschuld pauschal angerechnet werden. ({7}) Das ist wirklich mittelstandsfreundliche Politik, eine Politik, die die Union in ihrer langen Regierungszeit nicht zustande gebracht hat. Ich will jetzt gar nicht von Ihrer Forderung nach mehr Neuverschuldung, nach mehr Staatsverschuldung reden. Das werden noch andere tun. Sie haben also überhaupt nichts aus den Fehlern gelernt. Sie haben überhaupt nichts aus der miserablen Bilanz gelernt, die Sie uns 1998 hinterlassen haben. ({8}) Einer solchen Truppe mit Herrn Stoiber an der Spitze kann man vieles überlassen, aber nicht das Gemeinwesen der Bundesrepublik Deutschland. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Sicherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit - es handelt sich um die Drucksachen 14/6548 und 14/7362 - bekannt: Abgegebene Stimmen 576. Mit Ja haben gestimmt 244, mit Nein haben gestimmt 332, Enthaltungen keine. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die dritte Beratung. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 575; davon ja: 245 nein: 330 Ja SPD Reinhold Strobl ({0}) CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Vizepräsidentin Petra Bläss Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Sylvia Bonitz Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Dr. Ralf Brauksiepe Paul Breuer Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Hartmut Büttner ({2}) Manfred Carstens ({3}) Leo Dautzenberg Hubert Deittert Albert Deß Renate Diemers Thomas Dörflinger Dr. Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer ({4}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Ulf Fink Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({5}) Axel E. Fischer ({6}) Klaus Francke Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({7}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Georg Girisch Michael Glos Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Manfred Grund Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({8}) Norbert Hauser ({9}) Hansgeorg Hauser ({10}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Ernst Hinsken Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Josef Hollerith Joachim Hörster Hubert Hüppe Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Irmgard Karwatzki Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Eva-Maria Kors Thomas Kossendey Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Werner Kuhn Karl Lamers Dr. Karl A. Lamers ({11}) Helmut Lamp Dr. Paul Laufs Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({12}) Dr. Klaus W. Lippold ({13}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({14}) Julius Louven Dr. Michael Luther Erich Maaß ({15}) Erwin Marschewski ({16}) Dr. Martin Mayer ({17}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Hans Michelbach Dr. Gerd Müller Elmar Müller ({18}) Bernd Neumann ({19}) Günter Nooke Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({20}) Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({21}) Katherina Reiche Erika Reinhardt Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch ({22}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({23}) Dr. Christian Ruck Volker Rühe Anita Schäfer Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Karl-Heinz Scherhag Dr. Gerhard Scheu Norbert Schindler Christian Schmidt ({24}) Andreas Schmidt ({25}) Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Gerhard Schulz Diethard Schütze ({26}) Clemens Schwalbe Wilhelm Josef Sebastian Dr. h. c. Rudolf Seiters Werner Siemann Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Thomas Strobl ({27}) Michael Stübgen Dr. Rita Süssmuth Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Angelika Volquartz Andrea Voßhoff Dr. Theodor Waigel Peter Weiß ({28}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({29}) Hans-Otto Wilhelm ({30}) Klaus-Peter Willsch Bernd Wilz Matthias Wissmann Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Aribert Wolf Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller FDP Ina Albowitz Rainer Brüderle Jörg van Essen Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({31}) Rainer Funke Joachim Günther ({32}) Klaus Haupt Walter Hirche Dr. Werner Hoyer Dr. Klaus Kinkel Gudrun Kopp Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Günther Friedrich Nolting ({33}) Detlef Parr Cornelia Pieper Dr. Günter Rexrodt Gerhard Schüßler Dr. Irmgard Schwaetzer Marita Sehn Dr. Max Stadler Dr. Dieter Thomae Dr. Guido Westerwelle Nein SPD Brigitte Adler Gerd Andres Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({34}) Klaus Barthel ({35}) Ingrid Becker-Inglau Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Lothar Binding ({36}) Kurt Bodewig Vizepräsidentin Petra Bläss Bernhard Brinkmann ({37}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Peter Danckert Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({38}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({39}) Harald Friese Anke Fuchs ({40}) Arne Fuhrmann Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Günter Graf ({41}) Angelika Graf ({42}) Monika Griefahn Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl-Hermann Haack ({43}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Alfred Hartenbach Anke Hartnagel Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({44}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({45}) Walter Hoffmann ({46}) Iris Hoffmann ({47}) Frank Hofmann ({48}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Gabriele Iwersen Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({49}) Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Werner Labsch Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({50}) Detlev von Larcher Christine Lehder Waltraud Lehn Klaus Lennartz Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({51}) Gabriele Lösekrug-Möller Erika Lotz Dieter Maaß ({52}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Christoph Matschie Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({53}) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Michael Müller ({54}) Jutta Müller ({55}) Christian Müller ({56}) Franz Müntefering Volker Neumann ({57}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Manfred Opel Holger Ortel Albrecht Papenroth Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Pflug Dr. Eckhart Pick Karin Rehbock-Zureich Dr. Carola Reimann Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Christel RiemannHanewinckel Reinhold Robbe René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({58}) Birgit Roth ({59}) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({60}) Ulla Schmidt ({61}) Silvia Schmidt ({62}) Dagmar Schmidt ({63}) Wilhelm Schmidt ({64}) Dr. Frank Schmidt ({65}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({66}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Walter Schöler Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Gerhard Schröder Gisela Schröter Volkmar Schultz ({67}) Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Joachim Stünker Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Simone Violka Ute Vogt ({68}) Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({69}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Jürgen Wieczorek ({70}) Helmut Wieczorek ({71}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Heino Wiese ({72}) Brigitte Wimmer ({73}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({74}) Waltraud Wolff ({75}) Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gila Altmann ({76}) Marieluise Beck ({77}) Volker Beck ({78}) Angelika Beer Grietje Bettin Annelie Buntenbach Ekin Deligöz Franziska Eichstädt-Bohlig Hans-Josef Fell Joseph Fischer ({79}) Rita Grießhaber Gerald Häfner Winfried Hermann Antje Hermenau Michaele Hustedt Monika Knoche Nun erteile ich der Kollegin Gerda Hasselfeldt, CDU/CSU, das Wort.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir hatten noch nie eine solch chaotische Steuerpolitik wie in dieser Legislaturperiode. ({0}) Sie war von ständigen Nachbesserungen und Korrekturen geprägt, von Versprechen, die nicht eingehalten wurden, wie beispielsweise bei den Arbeitnehmerabfindungen, von halbherzigen Korrekturen, die dann wieder zu zusätzlichen Unsicherheiten und Verkomplizierungen geführt haben. Dies gilt beispielsweise für den Mitunternehmererlass. Sie haben das Allerwichtigste in der Steuerpolitik, nämlich Planbarkeit, Verlässlichkeit und Solidität, sträflichst vernachlässigt, ja sogar mit Füßen getreten. ({1}) Sie haben eine Steuerpolitik nach Gutsherrenart gemacht. Sie haben die Kapitalgesellschaften sofort auf einen Schlag deutlich entlastet, für eine Entlastung bei den Personenunternehmen dann aber kein Geld mehr gehabt und diese im Regen stehen lassen. Dabei wäre eine Entlastung für alle geboten gewesen, für die Kapitalgesellschaften und die Personenunternehmen. ({2}) Statt Wachstumsimpulse anzuregen, statt auf Sparen und Konsolidieren zu setzen, haben Sie zum Mittel der Steuererhöhungen gegriffen, was wir jetzt alle Anfang des Jahres 2002 schmerzlich spüren. Die Auswirkungen sind sichtbar: monatlich sinkende Wachstumsraten, monatlich steigende Arbeitslosenzahlen und eine ständig steigende Zahl der Insolvenzen. Sie stehen heute vor dem Scherbenhaufen Ihrer eigenen Politik. Davon brauchen Sie nicht abzulenken. ({3}) Wir haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen zeitgleich und gleichmäßig entlastet werden müssen. Man kann nicht auf der einen Seite die Bemessungsgrundlage für alle verbreitern, aber auf der anderen Seite die Entlastung für die Personenunternehmen auf den Sankt Nimmerleinstag verschieben, wie Sie das gemacht haben. ({4}) Vizepräsidentin Petra Bläss Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Reinhard Loske Kerstin Müller ({5}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Cem Özdemir Simone Probst Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({6}) Werner Schulz ({7}) Christian Sterzing Jürgen Trittin Dr. Antje Vollmer Sylvia Voß Helmut Wilhelm ({8}) Margareta Wolf ({9}) PDS Dr. Dietmar Bartsch Maritta Böttcher Heidemarie Ehlert Dr. Ruth Fuchs Wolfgang Gehrcke Dr. Klaus Grehn Carsten Hübner Ulla Jelpke Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Rolf Kutzmutz Ursula Lötzer Heidemarie Lüth Pia Maier Angela Marquardt Rosel Neuhäuser Christine Ostrowski Petra Pau Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Dr. Ilja Seifert Dr. Winfried Wolf Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({10}) Behrendt, Wolfgang* Bindig, Rudolf* Bühler ({11}), Klaus* Hornung, Siegfried* Jäger, Renate* SPD SPD CDU/CSU CDU/CSU SPD Lintner, Eduard* Dr. Lippelt, Helmut* Lörcher, Christa* Dr. Lucyga, Christine* Michels, Meinolf* CDU/CSU BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fraktionslos SPD CDU/CSU Müller ({12}), Manfred* Neumann ({13}), Gerhard* Onur, Leyla* Palis, Kurt* Zierer, Benno* PDS SPD SPD SPD CDU/CSU * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Deshalb haben wir in diesem und im vergangenen Jahr gefordert, die Entlastungen, die Sie erst für das Jahr 2005 vorgesehen haben, vorzuziehen. Wenn Sie diesen Forderungen nachgegeben hätten, wenn Sie gemeinsam mit uns eine zeitgleiche Entlastung der Personenunternehmen vorgenommen hätten, gäbe es heute nicht diese Wachstumseinbrüche, sondern einen größeren steuerpolitischen Spielraum im Haushalt. ({14}) Durch Ihr eigenes Verhalten haben Sie selbst die Spielräume für Gestaltungen im Haushalt eingeschränkt. ({15}) Was kommt nach der Bundestagswahl? ({16}) - So ist es. Es ist notwendig, den Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen. ({17}) Für die Steuerpolitik bedeutet das: Erstens. Wir müssen endlich wieder für Planbarkeit und Verlässlichkeit sorgen. Zweitens. Das Steuersystem muss einfacher, transparenter und nachvollziehbar gemacht werden. Es darf nicht nur darüber geredet, sondern es muss durchgeführt werden. Das Gegenteil haben Sie in Ihrer Steuerpolitik gemacht. ({18}) Drittens. Die Misstrauensnormen, die Sie besonders in den letzten zwei Jahren zusätzlich eingeführt haben, müssen wieder aus dem Steuerrecht verschwinden. ({19}) Ich spreche beispielsweise von den Behaltefristen beim Mitunternehmererlass und bei der Realteilung, von der unangekündigten Nachschau beim Umsatzsteuerbetrug. Meine Damen und Herren, all das ist von tiefem Misstrauen Ihrerseits gegenüber den Unternehmen geprägt. Diese Misstrauensnormen müssen wieder weg. ({20}) Viertens. Die Personenunternehmen müssen deutlich früher, als Sie es vorgesehen haben, entlastet werden. Dies kann durch niedrigere Steuersätze und/oder Änderungen am Tarif geschehen. Dass eine deutlich frühere Entlastung notwendig ist, ist unter den Sachverständigen und auch in unseren Kreisen unbestritten. Das haben wir immer wieder deutlich zum Ausdruck gebracht. ({21}) Fünftens. Notwendig ist eine endlich grundlegende Reform der Gemeindefinanzen. Sie haben dies auf die lange Bank geschoben. Anfang der Legislaturperiode haben Sie es noch versprochen, danach haben Sie es verschlafen. ({22}) Sechstens. Es sind sowohl eine deutliche Absage an weitere Erhöhungen der Erbschaftsteuer als auch eine Absage an die Vermögensteuer notwendig. ({23}) Angesichts dessen, was aus Ihren Reihen dazu immer wieder verlautbart wird, ist diese Forderung zwingend notwendig. Siebtens. Eine Korrektur der Missgeburt Ökosteuer ist erforderlich. Das haben wir von Anfang an zum Ausdruck gebracht. Das Erste, was wir machen, wird sein, auf die letzte Stufe zu verzichten. ({24}) Nicht alles kostet Geld. Die Spielräume, die Sie selbst verengt haben, müssen wieder verbreitert werden.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Hasselfeldt, ich muss Sie an die Redezeit erinnern.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deshalb muss das Problem an der Wurzel angepackt werden. Das kann nur mit einer grundsätzlichen Kehrtwende in der Wirtschafts-, der Finanz-, der Arbeitsmarkt- und der Sozialpolitik geschehen. ({0}) Meine Damen und Herren, es wird nicht einfach sein, den Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen. Wir werden es aber schon schaffen. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Christine Scheel.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Hasselfeldt, es ist schon klasse, was Sie hier dargeboten haben. ({0}) Sie werfen uns vor, keine Planbarkeit und Verlässlichkeit zu bieten. Wenn ich mir dies anhöre und es aufgreife, kann ich nur sagen: Wenn man Wunderkerzen abbrennt - Sie haben es ab und zu einmal getan, indem Sie Forderungen erhoben haben, die schlichtweg nicht durchführbar sind -, bleibt ein verkohlter Stecken übrig. Der schaut nicht besonders gut aus. Das ist genau die Wirkung, die Sie mit Ihren Aussagen der letzten Tage, und zwar in ihrer gesamten Vielfältigkeit, erreicht haben. Wenn man sich eine kleine Auswahl der Überschriften aus den Zeitungen dieser Woche anschaut, sieht man das Chaos präsentiert. ({1}) Es gibt ein 40-40-40-Programm; das hat Herr Stoiber noch kundgetan. Demnach soll der Spitzensteuersatz bei 40 Prozent liegen - das will er sofort erreichen. Auch der Sozialversicherungsbeitrag soll 40 Prozent betragen und ebenso der insgesamt vom Staat zu leistende Anteil. Dass dies nicht finanzierbar ist, hat er mittlerweile eingesehen und in verschiedenen Talkrunden auch kundgetan. So kamen dann auch Überschriften wie „Die Entzauberung des Kandidaten“ und „Verwirrung um Steuerpläne der Union“ zustande. Das „Handelsblatt“ hat dies mit der Überschrift kommentiert: „Zahlenrausch“. Auch kam die Überschrift zustande: „Union tritt für höhere Neuverschuldung ein“. Die letzten Überschriften dazu sind: „Stoiber vermeidet Festlegung im Steuerstreit“ und „Wenn der Spielführer patzt“. Das sind Überschriften, die die gesamte Situation sehr treffend beschreiben. Zwar haben Sie jetzt die K-Frage personell entschieden. Aber es gibt keine programmatische Klarheit und Geschlossenheit in dieser Union. ({2}) Das dokumentiert sich Tag für Tag. Fast stündlich gibt es neue Vorschläge. Ich muss sagen: Sie sind mittlerweile eine schlecht organisierte Chaostruppe. Es bleibt das Geheimnis der CDU/CSU - das hat Frau Hasselfeldt wunderbar dargeboten -, wie man es möglich machen soll, eine einzelne Gruppe, wie es jetzt vorgeschlagen wurde, im Einkommensteuerrecht zu privilegieren. ({3}) Es ist inzwischen klar geworden, dass das verfassungswidrig ist. Mit einer solchen Privilegierung gelingt es nicht, einen verfassungsgerechten Gesetzentwurf vorzulegen. Das kann ich Ihnen schon heute sagen. ({4}) Zum Zweiten bleibt es Ihr Geheimnis, wie es gelingen soll, eine Stufe der Steuerreform von 2005 auf 2002 vorzuziehen, ohne gegen die Maastricht-Kriterien und die Obergrenze der Verschuldung - wir haben uns verpflichtet, diese einzuhalten - zu verstoßen. ({5}) Das ist genau die Politik, die wir nicht mehr machen wollen. Wir haben 1998 eine Kehrtwende gemacht: Wir wollen weg von dem Schuldenstaat. Sie wollen uns wieder auf den Weg in eine höhere Neuverschuldung zurückführen. Das ist die Wahrheit, die Sie hier zur Kenntnis nehmen müssen. ({6}) Was auch nicht geht, ist das Hü und Hott, das Sie in den steuerpolitischen und finanzpolitischen Fragen vorführen. Sie haben gleichzeitig ein Sammelsurium an Forderungen zusammengestellt, die Fragen der Haushaltskonsolidierung, der Haushaltsgestaltung und der Verschuldungskriterien völlig außer Acht lassen. Herr Austermann und andere fordern, für Bildung und Forschung über 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes auszugeben. Das klingt gut, ({7}) bedeutet aber in der Konsequenz, dass der Bildungs- und Forschungsetat ungefähr verfünffacht werden soll. Sie wollen, dass die Bundeswehr mit mehreren Milliarden Euro besser ausgestattet wird. Sie wollen trotz eines guten, gemeinsam verhandelten Solidarpaktes, der über Jahre trägt, für die neuen Bundesländer mehr tun. Das sagt Herr Stoiber. ({8}) Das sagt aber auch Herr Generalsekretär Thomas Goppel. Er schwärmt von einem 20-Milliarden-Euro-Programm. Dazu kann ich nur sagen: Die familienpolitischen Leistungen, die Sie den Kommunen versprechen, Ihre Forderungen, die die Ausgabenpolitik des Haushalts betreffen und die Steuersenkungen, die Sie hier formulieren, führen in eine Verschuldung, die nicht nur aufgrund der EU-Kriterien nicht haltbar ist, die wir einzuhalten haben, sondern dies alles zeigt, dass Sie finanzpolitisch völlig durchgedreht sind. ({9}) Das sind die Vorschläge, die Sie uns von Tag zu Tag und von Stunde zu Stunde klarer darbieten. Frau Hasselfeldt, Weihnachten ist vorbei.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Scheel, auch Ihre Redezeit ist vorbei.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. - Wir sollten gegenüber den Wählerinnen und Wählern ehrlich sein. Zur Ehrlichkeit gehört auch, dass man sagt, was man will. Aber dazu kann man von Ihnen derzeit leider nichts erfahren. Danke schön. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner für die FDP-Fraktion ist unser Kollege Carl-Ludwig Thiele.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Scheel, ich weiß nicht, wie jemand, der in vier Jahren rot-grüner Regierungsverantwortung nur für den Bund fast 200 Milliarden DM Neuverschuldung zu verantworten hat, die Frechheit haben kann, vor das Plenum zu treten und zu sagen, das sei Konsolidierungspolitik. Das ist alles andere, aber keine Konsolidierungspolitik. ({0}) Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, die finanzund steuerpolitischen Vorschläge, die in den letzten Tagen aus der Union zu hören waren, können nur als verwirrend und chaotisch bezeichnet werden. Man reibt sich die Augen: Die Union hat sich endlich auf einen Kanzlerkandidaten geeinigt. Mit welchem Programm in der Steuer- und Finanzpolitik die Union antreten will, bleibt allerdings völlig schleierhaft. Deshalb frage ich für die FDP-Fraktion die Union: Was wollen Sie eigentlich? ({1}) Wollen Sie die Steuerreform ganz vorziehen oder nur ein bisschen, die Neuverschuldung ausweiten oder gesetzlich verbieten - wie es Christian Wulff forderte -, die Maastricht-Kriterien einhalten oder überschreiten, ({2}) die Ökosteuer absetzen, aussetzen oder beibehalten? Herrn Stoiber scheint es wie Kolumbus zu gehen: Er weiß nicht, wo er ist. Er hat nur vage Vorstellungen davon, was er sucht, aber unendlich viel Gottvertrauen. ({3}) Das löst aber nicht die Probleme. Die Union hat mit Herrn Stoiber einen Steuermann, aber noch kein Steuerkonzept. Wer aber hier in Berlin die nächste Regierung stellen will, der muss wissen, was ist, und sagen, was er will. Was mich bei dieser Diskussion wirklich verrückt gemacht hat, ist, dass Rot-Grün zwar politisch gescheitert ist, dies aber heute nicht das Thema ist. Deshalb erkläre ich für die FDP: Das Scheitern rot-grüner Politik muss in dieser Diskussion wieder zum Thema werden. ({4}) Es muss wieder zum Thema werden, dass unter Rot-Grün die Lohnnebenkosten steigen, dass die Arbeitslosigkeit steigt, dass wir in Deutschland beim Wachstum Schlusslicht in Europa sind und dass die Staats- und Steuerquote auf neue Höchststände steigt. Denn allen Konsolidierungsbemühungen des Bundesfinanzministers zum Trotz ist die Neuverschuldung in den vier Jahren rot-grüner Regierung um fast 200 Milliarden DM gestiegen. Dies ist leider kein Zufall, sondern die Folge einer gescheiterten Politik. Die von Schröder im Wahlkampf umworbene Zielgruppe der Neuen Mitte wurde von Rot-Grün zur Zielscheibe ihrer Politik gemacht. ({5}) Der Mittelstand wurde durch steigende Steuerlasten und Bürokratie stranguliert. Ich nenne nur ein Beispiel: Durch die rein fiskalisch an Mehreinnahmen orientierte Politik der Gegenfinanzierung wurden die Abschreibungsbedingungen verschlechtert und wurde sich an Mehreinnahmen reich gerechnet. Daraufhin passierte genau das, was die FDP vorausgesagt hat: Die Investitionen blieben aus. Damit gibt es weniger Wachstum und Arbeitsplätze. Das ist genau die Politik, die wir nicht wollen. Wir wollen nicht mehr Staat, sondern weniger. ({6}) Das Problem hinsichtlich der Bundestagswahl besteht darin, dass die Union ohne Kurs und Konzept ist und RotGrün nur eine defensive Politik und Argumentation betreibt. Sie verteidigen nur das Beschlossene und haben keine Visionen mehr, wie es nach der Bundestagswahl in unserem Land weitergehen soll. ({7}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, schon jetzt brauchen wir keine ruhige Hand eines Kanzlers, sondern eine tatkräftige Hand. ({8}) Wir brauchen Visionen und klare Konzepte, mit denen die Zukunft unseres Landes errungen wird. Die Konzepte der FDP liegen auf dem Tisch. Wir wollen ein niedriges, einfaches und gerechtes Steuersystem mit Steuersätzen in Höhe von 15, 25 und 35 Prozent. ({9}) Die Ökosteuer als angebliches Kernstück grüner Steuerpolitik, ({10}) wie Frau Scheel und Herr Metzger es öffentlich immer glauben machen, ist gnadenlos gescheitert. Deshalb kann dieses Modell auch nicht so bleiben, wie es ist. Der naive politische Glaube der Grünen, die Rentenreform rückgängig zu machen - durch massive Steuererhöhungen als Ökosteuer getarnt soll mehr Geld in die Rentenversicherung fließen und dadurch sollen die Beiträge sinken -, geht nicht auf. Was geschieht wirklich? Der Rentenversicherungsbeitrag wird trotz der weiteren Ökosteuererhöhung zum 1. Januar dieses Jahres um etwa 6 Milliarden DM um 0,3 Prozent auf 19,4 Prozent steigen. Um das zu verhindern, tricksen Sie und greifen in die Schwankungsreserve. ({11}) Der Etat von Herrn Riester explodiert. Der Zuschuss an die Rentenversicherung steigt im Zeitraum 1999 bis 2003 um fast 30 Prozent. Der dickste Etatbrocken steigt und erdrückt die Zukunftsfähigkeit in der Gestaltung unseres Etats. Das alles ist Folge einer verfehlten Renten- und Ökosteuerpolitik von Rot-Grün. ({12}) Deshalb bleibt festzuhalten: Rot-Grün ist am Ende. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ob sich der deutsche Tanker rechts- oder linksherum im Kreise dreht - so kommt er nicht vom Fleck. Ob der nächste Kapitän Schröder oder Stoiber heißt, ändert nichts am falschen Kurs der Politik. Erst wenn die FDP das Steuer übernimmt, kann es zu einem Wechsel in der deutschen Politik kommen, ({13}) hin zu mehr Freiheit und Selbstverantwortung, weniger Staat und Bürokratie, weniger Steuern und damit zu mehr Wachstum und Arbeitsplätzen. Dafür treten wir im Plenum und in der Bundestagswahl ein.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Thiele, ich muss jetzt leider Ihre Rede abbrechen.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die PDS-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Dr. Christa Luft.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Thiele, das Problem, das die FDP offenbar hat, nämlich die Union auf FDP-Kurs zu bringen, damit es zu einer neuen Koalition kommen kann, haben wir nicht. ({0}) Das, was in den letzten Tagen aus Unionskreisen zur Haushalts- und Steuerpolitik zu hören war, ist wohl kein absichtsvolles Spiel mit verteilten Rollen. Das ist eher Ausdruck dafür, dass niemand in der Union die Zügel fest in der Hand hat. Das, was der eine sagt, relativiert der Nächste und der Dritte dementiert es. Von einem tragfähigen, konsistenten finanzpolitischen Konzept kann keine Rede sein, und das bei einem Thema, bei dem die Union zuallererst Kompetenz beansprucht. Vollmundige Ankündigungen eines programmatischen Vorlaufs für die nächste Legislaturperiode platzen wie eine Seifenblase. Wie, Frau Kollegin Hasselfeldt, würde wohl der Praxistest ausfallen? Erinnern wir uns an die Beratungen zum Haushalt 2002! Bis in die Schlussrunde hinein haben Unionsvertreter lautstark gefordert, die Neuverschuldung stärker zu senken, als es die rot-grüne Koalition vorgesehen hatte. Schon zwei Monate später ist davon keine Rede mehr. Offenbar hat man Angst vor der eigenen Courage. Jetzt sehen die einen einen Spielraum von 6 Milliarden bis 7 Milliarden Euro, bevor die von Brüssel vorgegebene Grenze der Verschuldung erreicht ist. Gleichzeitig wollen andere, wie Herr Wulff aus Niedersachsen, die Aufnahme neuer Schulden im Grundgesetz ausschließen. Herrn Merz schwebt ein nationaler Stabilitätspakt zur Schuldenverminderung vor. Das gleicht in der Tat einem Gemischtwarenladen. ({1}) Für meine Fraktion lehne ich abermals ein schuldenfinanziertes Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform ab. Wir können uns nur vorstellen, den Spielraum, den es bei der Neuverschuldung noch gibt, bevor die vorgegebene Grenze erreicht wird, zu nutzen, wenn Investitionsprogramme, die vor allem auf kommunaler Ebene schnell wirken, aufgelegt und die Mittel für das Programm „Stadtumbau Ost“ aufgestockt werden sollen. Nur Investitionen bringen nachweislich konjunkturelle Wirkungen und damit Beschäftigungseffekte. ({2}) Herr Thiele, niemand kann beschwören, dass ähnliche Effekte durch eine schnelle Senkung der Steuern erzielt werden können. Die Praxis der letzten Jahre beweist jedenfalls das Gegenteil. Auch Rot-Grün muss dies zur Kenntnis nehmen. Rot-Grün ist nämlich durch eine Reihe von Schritten, die mit der Steuerreform gemacht worden sind, zum Beispiel durch Steuergeschenke vor allen Dingen an Kapitalgesellschaften und durch den Verzicht auf Wiedererhebung der Vermögensteuer - das macht es den Ländern bei ihrer derzeitigen Haushaltslage unmöglich, sich an vom Bund aufgelegten Förderprogrammen zu beteiligen -, in die Schuldenfalle getappt. ({3}) Das sind nur zwei Beispiele dafür, wie man die Schulden hätte senken können, wenn man andere Schritte unternommen hätte. In der heutigen Ausgabe des „Handelsblattes“ kann man lesen - das setzt dem Ganzen die Krone auf -, dass der Finanzminister freiwillig und am Gesetzgeber vorbei jährlich auf 450 Millionen Euro Umsatzsteuer verzichtet, um die Börsenfähigkeit der Deutschen Post AG herzustellen. Er will offenbar die Einmaleinnahmen aus dem Verkauf der Postaktien in seinen Haushalt einstellen. Das hat mit konsistenter Haushaltspolitik nichts zu tun und wird gewiss noch ein Nachspiel haben. Wenn die Union über die Steuerreform neu verhandeln will, dann darf es nicht um das Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform gehen. Dann muss es vielmehr um die gewinnabhängige Gestaltung des Körperschaftsteuersatzes, die Rücknahme der Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaften und die Gewährung eines niedrigeren Mehrwertsteuersatzes für Unternehmen gehen, die arbeitsintensive Dienstleistungen, zum Beispiel Reparaturen, anbieten. Der französische Finanzminister Fabius hat gestern im Haushaltsausschuss noch einmal bestätigt, welche Arbeitsplatzwirkung das in Frankreich gehabt hat. Auch das sollte die Bundesrepublik Deutschland nachmachen. ({4}) Wir fordern auch die Gewährung von Steuerfreiheit für Existenzgründer in den ersten drei Jahren, ({5}) und zwar auch dann, wenn sie schon Gewinn erzielen. Das stärkte ihre Eigenkapitalbasis. Mit solchen Maßnahmen, die natürlich ergänzt werden können, würden wir es schaffen, Beschäftigung anzureizen und neue Steuereinnahmen in den Steuersack der öffentlichen Haushalte zu bekommen. Auf diese Weise würden wir die allgemeine Wohlfahrt insgesamt verbessern können. Danke schön. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist kaum zwei Wochen her, da trat Frau Kollegin Merkel ihren Gang nach Canossa an; nur liegt Canossa jetzt nicht mehr in Oberitalien, sondern in Oberbayern und heißt Wolfratshausen. Zurück in Magdeburg, war die K-Frage gelöst. Damit hatte die Union die interessanteste Frage, die sie der deutschen Bevölkerung in diesem Jahr überhaupt anzubieten hatte, geklärt. Sie hat einen Kandidaten. Zugleich aber tat sich eine neue K-Frage auf, nämlich die Frage nach der Kompetenz, und die scheint auf Dauer unlösbar zu sein. ({0}) Eine bekannte und nicht gerade linke deutsche Tageszeitung - es war die „Welt“ - hat noch ganz milde getitelt: „Finanzpolitisches Durcheinander in der Union“. Das ist wirklich milde ausgedrückt. ({1}) Die unterschiedlichsten Forderungen stehen im Raum; nur eines ist ganz sicher: Sie kosten Geld, Geld, Geld und lösen die wirtschaftlichen Probleme nicht. Herr Stoiber bastelt derzeit an seinem „Kompetenzteam“. Die Zerstrittenheit der Union und die Absurdität der Vorschläge zeigen aber vor allem eines: ({2}) Hier gibt es keine Kompetenz und kein Team, sondern nur einen zerstrittenen Haufen - es sei denn, bei der Union geht es um die Kompetenz beim Schuldenmachen. Da könnte sie allerdings auf die stolze Leistungsbilanz der Ära Kohl zurückgreifen und wieder da anknüpfen, wo sie vor drei Jahren aufgehört hat. ({3}) Nehmen wir die Aussetzung der nächsten Stufe der Ökosteuer! Das bedeutete einen Einnahmeausfall in Höhe von 3 Milliarden Euro, hinterließe eine offene Frage für die Senkung und Stabilisierung der Rentenversicherungsbeiträge und wäre natürlich auch ein Rückschlag für die Ökologie. Diejenigen, die sich für die Aussetzung der nächsten Stufe der Ökosteuer stark machen, sollten ehrlicherweise wenigstens sagen, ob sie die Rentenversicherungsbeiträge erhöhen wollen oder ob sie auch das wieder mit neuen Schulden regeln wollen. ({4}) Reden Sie sich also nicht heraus, sondern geben Sie eine klare Antwort auf diese Frage! Dabei ist schon interessant, dass die Union von der Forderung nach der Abschaffung der Ökosteuer inzwischen abgerückt ist. Vielen ist die Fundamentalopposition der CSU gegen diese Steuer noch in guter Erinnerung. Betrachten wir das angekündigte Sofortprogramm für die neuen Länder! Die Bundesregierung misst dem Aufbau Ost weiterhin hohe Priorität zu. Ein erheblicher Teil der Finanzhilfen und steuerlichen Vergünstigungen kommt daher einer zielgerichteten Förderung von Branchen und Regionen in den neuen Ländern zugute. Das ist schon heute der Fall und das wird natürlich auch nicht geändert. ({5}) Deshalb haben wir die Förderung für die neuen Länder mit dem Solidarpakt II auch auf eine solide und nachhaltige Basis bis zum Jahr 2020 gestellt. Eine solche Langfristpolitik wäre Ihnen niemals eingefallen. ({6}) Das schafft Sicherheit für die Investoren und darauf kommt es an. Ich bin bei den Verhandlungen die ganze Zeit über dabei gewesen. Die waren nicht vergnügungssteuerpflichtig. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Bayerische Staatsregierung besonders spendabel gewesen wäre, was die Unterstützung der finanzschwachen Länder angeht; im Gegenteil. Der Bund hat die Hauptlast zu tragen. ({7}) Kaum hat Herr Stoiber eine neue Funktion, die des Kandidaten - die wird er natürlich auch behalten -, ersinnt er immer neue Programme. ({8}) Einfach so wird vonseiten des Herrn Kandidaten eine Erhöhung der Mittel für die neuen Länder um rund 20 Milliarden Euro ins Gespräch gebracht und natürlich gibt es kein Konzept zur Finanzierung. Bleiben also wieder nur neue Schulden. Damit sind wir auch schon beim erstaunlichsten Punkt der derzeitigen Entwicklung angelangt: Dieselbe Union, deren ehemaliger Finanzminister Waigel sich in Brüssel für den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt nun wirklich stark gemacht hat, fordert nun eine Erhöhung der Verschuldung. Sie will den Konsolidierungskurs verlassen, der für Vertrauensbildung auf nationaler wie auf internationaler Ebene sorgt, der die öffentlichen Finanzen seit 1998 vom Kopf wieder auf die Füße stellt und der vor allem auch einen wichtigen Beitrag zur Stabilität unserer gemeinsamen europäischen Währung, des Euro, leistet. Dafür ist uns der Euro zu wichtig. Der Umgang der Opposition mit den Maastricht-Kriterien und dem Stabilitätsund Wachstumspakt ist derzeit geradezu zynisch. ({9}) Dies zeugt von Unkenntnis oder Ignoranz gegenüber den Vereinbarungen auf europäischer Ebene. Ziel ist ein ausgeglichener Staatshaushalt und letztlich die Erzielung von Überschüssen und damit die Rückgewinnung wirklichen Handlungsspielraumes. Ich weiß, dass wir davon noch weit entfernt sind, aber wir sind jedenfalls auf dem Weg dahin; Sie wollen ihn sofort wieder verlassen. ({10}) Wer Defizite zurückführen oder Abgaben senken will, der muss vor diesem Hintergrund sagen, wo er denn Ausgaben zurückführen, und nicht, wo er sie erhöhen möchte. Wer das nicht tut, der knüpft an das Weiterwursteln der Vergangenheit bis 1998 an, mit all seinen bekannten Folgen für Staatsverschuldung und Generationenungerechtigkeit, so muss man ja in Ihrem Falle sagen; es ist übrigens vor allem die alte Garde der CDU/CSU, die immer noch nicht einsehen will, dass dieses Konzept auf der ganzen Linie gescheitert ist. Was will die Union nun wirklich? Wir wissen es nicht. Die Meldungen über immer neue Richtungsentscheidungen zur Steuer- und Haushaltspolitik der Union wechseln derzeit ja geradezu minütlich. Ich habe mir ein paar Überschriften allein von dieser Woche aufgeschrieben. Ich beginne mit dem 20. Januar; da hatte der Kandidat immerhin schon neun Tage lang die Möglichkeit, sich auf die Kandidatenrolle einzustellen: „CDU will Staatsschulden verbieten“, so Herr Wulff aus Niedersachsen, der ja immer zu allem etwas zu sagen hat. - „Merkel will Steuerreform um zwei Jahre vorziehen“, im Gegensatz zu Kanzlerkandidat Stoiber. - „Union liebäugelt mit höherer Verschuldung, Forderungen zur Steuerreform bleiben aber widersprüchlich“. Wir sind beim 22. Januar angelangt: „Stoiber sieht nun doch keinen Spielraum für höhere Schulden“. Zugleich erklärt er aber, er sehe keinen Grund, die von dieser Regierung verabschiedete Steuerreform vorzuziehen. Das ist die Äußerung von gestern Abend aus der Sendung „Was nun, Herr Stoiber?“. Zur selben Zeit erklärt Herr Merz bei einem CDU-Empfang in Bremen: Zur Entlastung des Mittelstandes werde die Union alle Teile der Steuerreform vorziehen, die eigentlich für 2005 geplant seien. - Das Problem ist, so ein Kandidat kann nicht allgegenwärtig sein. Herr Genscher konnte ja bekanntlich in zwei Flugzeugen gleichzeitig sitzen, aber Herr Stoiber kann nicht zeitgleich in allen Landeshauptstädten sein und zugleich die Rolle eines jeden CDU-Politikers übernehmen. Dieses Problem werden Sie auch bis zum Wahltag nicht gelöst bekommen. ({11}) Was getan werden muss, hat die Bundesregierung getan: Wir setzen eine umfassende Steuerreform um und wir führen die Entlastung der Familien fort. Durch diese spürbaren Entlastungen werden der Konsum und die Sparfähigkeit der privaten Haushalte angeregt. Die fortwährende Entlastung von Unternehmen ist ein starker Impuls für die Investitionstätigkeit und trägt so zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei. Wir behalten das Ziel des Umweltschutzes im Auge und stärken Zukunftsbereiche wie Bildung und Forschung. Die Bundesregierung verbindet eine wachstums- und stabilitätsorientierte gesamtwirtschaftliche Politik mit nachhaltigen Reformen. Dies entspricht auch den Anforderungen der europäischen „Grundzüge der Wirtschaftspolitik“. Wir befinden uns damit im Einklang. Das, was Sie ankündigen, ist mit der europäischen Politik nicht vereinbar. ({12}) Die Finanzpolitik der Bundesregierung trägt den gegenwärtigen konjunkturellen Unwägbarkeiten Rechnung, ohne das Ziel der mittelfristigen Konsolidierung aus dem Auge zu verlieren. Deutschland ist, wie Sie wissen, stark exportabhängig. Wir sind mit den USA eng verzahnt. Weltwirtschaftliche Abkühlungen schlagen in Deutschland, auch im EU-weiten Vergleich stärker zu Buche als in anderen Staaten. Dies hat uns zuletzt noch auch der Sachverständigenrat so bestätigt. Gerade weil dies so ist, braucht Deutschland keine Ankurbelung der Schuldenspirale, sondern eine zuverlässige Finanzpolitik, die spürbare Entlastungen für private Haushalte und Wirtschaft mit fortgesetzten Konsolidierungsanstrengungen verbindet. Wir wollen kein konjunkParl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks turelles Strohfeuer, sondern eine Politik, die unsere Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig stärkt. ({13}) Was die Opposition derzeit anbietet, ist dagegen eine bunte Mischung falscher Rezepte von gestern. Abschließend darf ich vielleicht noch auf die entsprechende Bewertung durch das „Handelsblatt“ eingehen. Das „Handelsblatt“ sieht die gesamte Union und auch ihren Kandidaten „im Zahlenrausch“. Nicht nur, dass dies natürlich dem asketischen Image des Kandidaten widerspricht: Leute, die im Rausch sind, haben keinen klaren Kopf - und das merkt man Ihnen auch an! ({14})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Kollege Dietrich Austermann für die CDU/CSU-Fraktion.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als es Anfang der Woche hieß, die SPD möchte zu dem genannten Thema eine Aktuelle Stunde machen, habe ich gesagt: Sehr schön, danke! Denn wenn man sich vor Augen führt, was Sie uns vorwerfen und in welcher Situation Sie sich befinden, wird ziemlich deutlich, dass es an der Zeit ist, dass Sie vom Wähler dahin geschickt werden, wo Sie hingehören. ({0}) Sie haben als Beispiele Zitate von der Union aus den letzten Tagen herangezogen, ich wende mich Ihren Ministern zu: Die Säule Schily bröckelt. Herr Riester ist weniger eine Säule, er ist eher ein Poller; ihm wurde diese Woche im Ausschuss die Frage gestellt, ob durch sein tölpelhaftes Verhalten eine Milliarde EU-Arbeitsmarktmittel an Deutschland vorbeigehen. Fest steht schon, dass ein Schaden in Millionenhöhe entsteht. Die zweite Säule, Eichel, bröckelt. Dass Sie, Frau Hendricks, die Wörter Schuldenabbau, Stabilität und Solidität überhaupt noch in den Mund nehmen, ist geradezu lachhaft. ({1}) Ich rechne Ihnen das einmal vor: Trotz der 100 Milliarden aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen und trotz der insgesamt 160 Milliarden aus den Privatisierungen haben Sie 180 Milliarden neue Schulden gemacht. Stichwort Stabilität: Die EU-Kommission ist dabei, Ihnen einen blauen Brief zu schreiben. ({2}) Ein blauer Brief bedeutet doch grundsätzlich, wenn ich das von manchen Kollegen aus der Schule noch richtig weiß: Versetzung gefährdet. ({3}) Es ist in der Tat so - das werden Sie am 22. September feststellen -, dass die Versetzung nicht nur gefährdet ist, sondern dass Sie durchfallen. Mit leichter Hand kann man dieses Land nicht regieren. Drei von vier gesamtwirtschaftlichen Zielen - Wachstum, Arbeitslosigkeit, Preisstabilität - werden eklatant verfehlt und belegen das Versagen der Regierung Schröder. Ich will das nur an einzelnen Punkten deutlich machen: ({4}) Wir haben in diesem Jahr das niedrigste Wachstum seit acht Jahren. Die Inflationsrate ist mit 2,5 Prozent die höchste seit sieben Jahren und im Moment sieht es so aus, als würde sie noch weiter steigen. Es gab eine Steuerreform, die den normalen Bürger bestraft. ({5}) Die Familienentlastung, die Sie angesprochen haben, wird durch Inflationsrate, Ökosteuer, Versicherungsteuer, Stromsteuer und höhere Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung usw. konterkariert. Die Steuerreform kommt beim Mittelstand nicht an, da dieser von der Senkung der Körperschaftsteuer nichts hat. Fast das gesamte Volumen der steuerlichen Entlastungen trifft nur einen ganz bestimmten Kreis der Bevölkerung. ({6}) Meine Damen und Herren, Sie fragen, was wir als Erstes machen wollen. Wir werden sofort nach der Regierungsübernahme im Herbst dieses Jahres Maßnahmen einleiten, die die hausgemachte rot-grüne Rezession beenden. ({7}) Die wichtigste Maßnahme, die wir zu treffen haben, ist, dafür zu sorgen, dass die Wachstumsgrundlagen gestärkt und die Verkrustungen des Arbeitsmarktes aufgebrochen werden. Wir werden einen detaillierten Kassensturz machen, ({8}) denn Sie haben offensichtlich die Übersicht über das, was tatsächlich da ist, verloren. Ich greife ein Beispiel auf, das von der Kollegin Luft angesprochen wurde - Sie haben nicht darauf reagiert; ich will es daher noch einmal mit meinen Worten sagen -: Nach Medieninformationen sollen aus der Leitung Ihres Hauses Anweisungen gegeben worden sein, der Deutschen Post AG in einem Bereich, in dem sie dem Wettbewerb unterliegt, die Mehrwertsteuer zu erlassen. Dem Gesamtstaat sollen dadurch Umsatzsteuern in Höhe von 1,8 Milliarden entgangen sein. Für die Feststellung sei eine Weisung leitender Mitarbeiter aus Ihrem Hause an die zuständigen Finanzbehörden des Sitzlandes maßgebend gewesen. Gleichzeitig soll ein leitender Mitarbeiter dem Aufsichtsrat der Post angehören. Das Verhalten soll so gewählt worden sein, um in gewisser Weise auf den Börsengang der Post Einfluss zu nehmen. Fangen Sie bitte nicht an, uns vorzuwerfen, wir würden nicht solide arbeiten. Das, was Sie hinterlassen, ist ein finanz-, haushalts- und steuerpolitischer Scherbenhaufen. Kein normaler Mensch wird nachvollziehen können, weshalb die Großen keine Mehrwertsteuer zahlen, während den Kleinen noch der letzte Prozentpunkt gepfändet wird. ({9}) Ich hätte es gern gesehen, wenn Sie zu dieser Frage Stellung genommen hätten. Ich habe gesagt: Wir werden alles tun, was der Staat dazu beitragen kann, um die Rezession zu beenden. Wir werden einen Kassensturz vornehmen und Ihre verfehlten wirtschaftspolitischen Maßnahmen zurücknehmen. Wir werden eine Verbesserung der Haushaltsstruktur herbeiführen. Es kann doch nicht sein, dass die Investitionen immer weniger werden, der Konsum immer größer und das Geld, was für Investitionen im Haushalt vorgesehen ist, nicht einmal ausgegeben wird. ({10}) 1,6 Milliarden DM Investitionen der Bahn sind im letzten Jahr durch das Verhalten des Finanzministeriums unterblieben. Haben Sie eine Vorstellung davon, was das für die Arbeitsplätze bedeutet? Lassen Sie mich den letzten Punkt nennen, die Steuerreform. Die Steuerreform ist so gestrickt, dass im Jahr 2005 die Steuerbelastung eines normalen Bürgers nicht niedriger sein wird als im Jahr 1998. Wenn man sich das vor Augen hält, ist ziemlich klar, dass die Steuerreform so nicht fortgeführt werden kann. Der Schritt 2003 wird aus Zeitgründen noch so in Kraft treten. Aber danach werden wir eine Veränderung vornehmen, die einen einfachen, gerechteren, mittelstandsfreundlichen Steuertarif zum Kern hat, damit wirklich wieder Wachstum angeschoben wird, der Bürger wieder mehr Geld in der Tasche hat und die Betriebe wieder investieren. So einfach ist die Situation und daran lassen wir uns messen. ({11})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist Kollege Oswald Metzger für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren! Die Diskussionen sind reichlich grotesk. Wenn sich die Union hinstellt und zur Haushaltspolitik redet, kommt bei mir jedes Mal die Erinnerung hoch, dass wir als rot-grüne Koalition den Schwarzen ein Wesensmerkmal ihrer politischen Daseinsberechtigung weggenommen haben. Sie haben geglaubt, das Anrecht auf Solidität in der Finanzpolitik gepachtet zu haben. ({0}) - Das hatten sie nicht. Das werde ich mit zwei Zahlen belegen. Ich werde heute in der Aktuellen Stunde politisch argumentieren, weil man in fünf Minuten Redezeit nicht umfassend Haushaltszahlen referieren kann. In den vier letzten Jahren Ihrer Regierungszeit wurden 141 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen. Das entsprach einem Zuwachs der Verschuldung des Bundes in Höhe von 23 Prozent - gemessen am Stand der vorvorletzten Periode. Wir dagegen haben, inklusive der Neuverschuldung aufgrund des Haushaltsgesetzes für dieses Jahres, nur 39,1 Milliarden Euro an neuen Schulden aufgenommen; das entspricht 5 Prozent. In genau diesen Zahlen liegt der nackte Unterschied. Dieses Zahlenbeispiel zeigt die Konsolidierung, die Solidität unserer Finanzpolitik. ({1}) - Nein, Herr Thiele, auch wenn Sie ständig behaupten, das liege an den Erlösen aus der UMTS-Versteigerung, so wird dies durch Wiederholung nicht wahrer. Dass wir es geschafft haben, dieses Geld, das dem Bereich des Vermögens der ehemals bundeseigenen Telekomunikationsunternehmen zugerechnet werden muss, tatsächlich in die Schuldentilgung zu stecken und die sich daraus ergebenden Zinsersparnisse für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, für Bildung und in Forschung zu verwenden, zeigt, dass wir Sparen nicht als Selbstzweck verstehen, sondern dass wir den Kapitalstock unserer Volkswirtschaft aufstocken wollen. Das ist eine Leistung, auf die wir auch im Wahljahr immer wieder hinweisen werden. Diese Leistung können Sie auch in objektiven Parametern messen; das ist nicht nur Hofberichterstattung von Mitgliedern der Regierungsfraktionen. Zu Herrn Stoiber muss man nur Folgendes sagen - Kollegin Hendricks hat darauf hingewiesen -: Ein Kandidat, der immerhin Ministerpräsident ist, äußert sich in einer Fernsehsendung am vergangenen Sonntag - bei Frau Christiansen; grottenschlechter Auftritt, vor allem inhaltlich - und sagt nur ein paar Tage später, gestern, die Deutschen hätten, was Maastricht angeht, noch Spielraum und das, obwohl diesen Vertrag, diesen Pakt doch gerade der ehemalige CSU-Vorsitzende, mit dem er sich damals um das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten gebalgt hat, gegenüber Brüssel durchgesetzt hat. Das war doch gerade die europapolitische Sternstunde der Regierung Kohl. Gerade dieser Kandidat, der aus der konservativen Ecke kommt, sagt jetzt allen Ernstes, die Deutschen könnten noch mehr Verschuldung machen. Wochenlang machen Merz, Austermann und andere hier Wind mit der Drohung, wir würden einen blauen Brief aus Brüssel bekommen, und jetzt das! Die EU würde Stoiber angesichts dieses konzeptionellen Ansatzes vom Platz stellen; da würde nicht einmal ein blauer Brief reichen. ({2}) Ich als Finanzpolitiker bin, bei Gott, froh, dass wir in Deutschland endlich einmal Planungssicherheit für die Steuerpflichtigen dergestalt haben, dass die Steuersätze über Jahre hinweg sinken. Von der kalten Progression - dies sage ich den Mittelstandspolitikern in den Reihen der CDU/CSU und der FDP - haben Sie in der Vergangenheit doch genauso profitiert. Ihre Länder machen doch die Taschen zu, wenn es darum geht, Entlastungen zu finanzieren, die tatsächlich bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommen. Kollege Rauen, denken Sie einmal daran: Ihre Steuerkonzeption von 1996 hätte dazu geführt, dass man bereits ab einem zu versteuernden Einkommen von 90 000 DM einen Spitzensteuersatz von 39 Prozent gezahlt hätte. Das waren die Petersberger Beschlüsse. Ab 2005 wird nun der Spitzensteuersatz ab einem zu versteuernden Einkommen von 102 000 DM bei 42 Prozent liegen. Warum blasen Sie sich bei dieser Differenz so auf? Es gibt überhaupt keinen Grund. Das ist einfach inkonsistent. ({3}) Sie predigen hier eine ordnungspolitische Konzeption, die Sie selbst nicht haben. Kollege Rauen und Herr Thiele, denken Sie bitte daran - Sie haben eben in Bezug auf die Ökosteuer von der linken und rechten Tasche gesprochen -, dass die Lohnnebenkosten gesunken sind. Wahr bleibt, dass trotz des jetzigen Anstiegs im Krankenversicherungsbereich der Sozialversicherungsbeitrag im Wahljahr 2002 unter dem Strich um 1,3 Punkte niedriger ist als bei unserer Regierungsübernahme. ({4}) Das ist so, meine Damen und Herren! Allein dieser Trendwechsel ist ein positives Signal. ({5}) Außerdem haben wir Strukturreformen vorgenommen. Wenn man 16 Jahre lang regiert hat, dann ist es psychologisch nachvollziehbar, dass man sich nach drei Jahren Opposition nach der Regierung zurücksehnt. Wer aber 16 Jahre lang Reformen des Arbeitsmarkts, der Krankenversicherung, der Rente und in der Finanzpolitik unterlassen hat, wer in der Steuerpolitik erst in der Endphase dieser 16 Jahre überhaupt Reformschritte eingeleitet hat, der braucht sich in einem Wahljahr nicht aufzublasen. Das ist ein Wolkenkuckucksheim, eine Fata Morgana von Regierungsfähigkeit, die Sie und Ihr bayerischer Kandidat hier vorgaukeln wollen. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Hans Georg Wagner für die SPD-Fraktion.

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Austermann, manches in Ihrer Rede habe ich nicht verstanden. Sie bekommen einiges offensichtlich nicht mit oder begreifen es nicht. Es tut mir manchmal Leid, dass wir uns immer mit Ihnen beschäftigen müssen; aber Sie werden nun einmal von Ihrer Fraktion vor allem dazu ins Rennen geschickt, hier falsche Behauptungen zu konkretisieren. Das, was Sie heute wieder vorgetragen haben, finde ich abenteuerlich. Auch Sie, Herr Thiele, haben wohl vergessen, dass der Schuldenstand bis 1998 - von Ihrer Regierung verursacht, von Ihnen mitgetragen - auf 1,5 Billionen DM mit jährlichen Zinszahlungen von über 80 Milliarden DM angewachsen ist. Herr Thiele, ich weiß, dass Sie Kinder haben. Sie haben die Zukunft Ihrer eigenen drei Kinder ({0}) - fünf sogar! - aufs Spiel gesetzt, weil Sie mit dem Geld, das die vorherige Regierung mit Ihrer Zustimmung ausgegeben hat, die Zukunftschancen und Entfaltungsmöglichkeiten Ihrer Kinder eingeschränkt haben. ({1}) Sie haben bei Ihren Kindern Geld gepumpt, um das zu bezahlen, was Sie politisch zu verantworten haben. ({2}) Herr Austermann, wider Wissen wird behauptet - das ist gestern ganz eindeutig gesagt worden -: Die rund 1 Milliarde, die das Haus Riester bekommt, wird Anfang Februar ausgezahlt. Das, was Sie erzählen, Herr Austermann, ist Unsinn, eine glatte Lüge! Das stimmt einfach nicht! ({3}) Herr Austermann, ich habe Sie gestern eingeladen, einer weiteren gemeinsamen Sitzung mit dem Sozialausschuss zuzustimmen, bei der die beiden Vertreter aus Brüssel berichten werden, warum sie die Anträge der Bundesregierung positiv bescheiden werden. In der Februarsitzung können sie das darstellen. ({4}) Sie sollten nicht alles verwechseln. Ich verweise auch auf das, was zu den neuen Ländern gesagt worden ist: Wir haben gerade den Solidarpakt II mit 300 Milliarden DM, das sind 150 Milliarden Euro, für die nächsten Jahre beschlossen. Außerdem haben wir den neuen Ländern die Chance eingeräumt, über das Investitionsförderungsgesetz selbstständig zu verfügen. ({5}) Das sind jährlich 6,6 Milliarden DM. Wir haben den Ländern die Möglichkeit gegeben, alle bürokratischen Hemmnisse abzubauen und dafür zu sorgen, dass die Investitionen entsprechend eingesetzt werden können. Ich möchte noch kurz auf das eingehen, was der Herr Kollege Metzger bezüglich Herrn Stoiber angedeutet hat. Als er am Sonntag von den 3 Prozent sprach, habe ich laut gelacht. ({6}) Er hätte doch vorher Theo Waigel - die beiden verstehen sich doch gut; das hört man allgemein - einmal anrufen sollen. Im Jahr 2003, dem Jahr, in dem Herr Stoiber theoretisch zum ersten Mal über einen Haushalt entscheiden könnte, wird - dies ist das Stabilitätsziel der rot-grünen Bundesregierung - der infrage stehende Prozentsatz bei 1 Prozent und nicht bei 3 Prozent liegen. Das bedeutet, dass der Spielraum bei 20 bis 30 Milliarden DM liegt und nicht bei 6 Milliarden DM, von denen Herr Stoiber am Sonntag gesprochen hat. Das heißt: Er würde die Neuverschuldung 2003 um 30 Milliarden DM erhöhen. Sie waren schon bis 1998 Meister im Schuldenmachen. Das ist die Position, die wir vertreten: Wir machen endlich weniger Schulden in Deutschland. Bis zum Jahre 2006 senken wir die Nettokreditaufnahme auf null. ({7}) Herr Kollege Austermann, Sie haben hier gesagt, die Investitionen seien gesunken. Ein Schaubild, das ich Ihnen mitgebracht habe, soll Ihnen zeigen, dass das, was Sie gesagt haben, schlicht und ergreifend falsch war. Denn im Jahr 2002 sind - ausweislich des Haushaltsplans, den Sie offenbar nicht kennen - 13,44 Milliarden DM für Investitionen vorgesehen. Sie hatten im Jahre 1998 in Ihrem Haushalt genau 9,49 Milliarden DM an Investitionen. Entweder können Sie nicht rechnen oder Sie wollen nicht rechnen. Von 9,5 auf 13,5 Milliarden DM ist es eine ganz klare Steigerung. Da kommen Sie und sagen, wir würden die Infrastrukturmaßnahmen zurückschrauben oder Investitionen absenken. Was Sie erzählen, ist absoluter Quatsch. Sie sollten endlich dorthin zurückkehren, wo vernünftige Politik anfängt. Aber dazu sind Sie offenbar gar nicht mehr in der Lage. ({8}) Im Übrigen sollten Sie auch Ihren Kanzlerkandidaten ({9}) darüber aufklären, damit er nicht immer in die Falle tappt. Jeder Journalist und jede Journalistin, der oder die ihn befragt, lässt ihn schlecht aussehen. Das war doch ein blamabler Auftritt am vergangenen Sonntag bei Frau Christiansen. Wir könnten uns alle zurücklehnen und sagen: Weiter so, Herr Stoiber! Das wollen wir nicht. Wir wollen den bayerischen Ministerpräsidenten nicht in seinem Kampfesmut beeinträchtigen. Sinnlos ist es ohnehin. Aber vielleicht informieren Sie ihn trotzdem. Schon als Herr Austermann in Berlin als finanzpolitischer Berater von Herrn Steffel aufgetreten ist, habe ich gesagt, dass das nur schief gehen kann. ({10}) Das Ergebnis haben wir ja bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus gesehen. Jetzt macht Austermann auf Stoiber. Auch das kann nur schief gehen, weil gar kein Wissen über die tatsächlichen Zusammenhänge vorhanden ist. ({11})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Heinz Seiffert.

Heinz Seiffert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002797, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wagner, da können Sie noch so brüllen: Tatsache ist, dass Deutschland heute, nach drei Jahren rot-grüner Steuerpolitik, vor einem Scherbenhaufen steht. ({0}) Mit dieser Aktion heute ({1}) wollen Sie nur davon ablenken, dass Rot-Grün in der Haushalts-, in der Finanz- und in der Steuerpolitik auf der ganzen Linie versagt hat. ({2}) Sie haben 1998 bei den Menschen falsche Hoffnungen geweckt. Sie wollten vieles besser machen. Was sind die Fakten? Sie haben Deutschland in die Rezession geführt. Wir sind beim Wachstum Schlusslicht in Europa. ({3}) Die Arbeitslosigkeit ist beängstigend. Die Inflation ist gut dreimal so hoch wie 1998. Die Firmenzusammenbrüche und Pleiten sind in Deutschland auf Rekordniveau. Die neuen Länder stehen auf der Kippe. Alle wirtschaftlichen Kennzahlen belegen, dass diese rot-grüne Regierung bei ihrem wichtigsten Vorhaben gescheitert ist. Davon wollen Sie heute ablenken. Sie haben in gut drei Jahren ein Steuerchaos angerichtet, das mitursächlich für diese schwierige Lage, in der wir heute sind, ist. Sie haben auch in der Steuerpolitik so ziemlich alles falsch gemacht. Das Steuersystem ist noch komplizierter geworden, als es schon war. Selbst Fachleute blicken langsam nicht mehr durch. Das Steuerrecht ist nicht gerechter, sondern nur noch bürokratischer und ungerechter geworden. Sie haben mit Ihrem 630-MarkWirrwarr Hunderttausende ehrlicher Steuerbürger in die Schwarzarbeit getrieben. Das ist die Tatsache. ({4}) Diese Regierung hat den Mittelstand und die Personengesellschaften steuerlich belastet und dafür gesorgt, dass die Kapitalgesellschaften in Deutschland 2001 fast keine Steuern mehr gezahlt haben. Sie haben mit zu verantworten, dass den Kommunen als den wichtigsten Investoren der öffentlichen Hand die Gewerbesteuer weggebrochen ist. Was Sie den Familien, erzwungen durch das Bundesverfassungsgericht, mit der einen Hand gegeben haben, kassieren Sie durch Ökosteuer, Tabak- und Versicherungsteuer wieder ab. ({5}) Jetzt wundern Sie sich, dass nach gut drei Jahren rot-grüner Steuerpolitik die Steuerlastquote 1 Prozent höher ist als 1998. Meine Damen und Herren, bei den gut 40 Steuergesetzen, die Sie teilweise im Schweinsgalopp durch die Ausschüsse gejagt haben, haben Sie hochmütig auf den Sachverstand der Opposition verzichtet. ({6}) Bei den Anhörungen haben Sie alle guten Ratschläge der Sachverständigen und der Opposition in den Wind geschlagen. Folge davon war, dass ein Nachbesserungs- und Reparaturgesetz das andere gejagt hat. ({7}) Nur bei der Erfindung von Gesetzesüberschriften waren Sie kreativ: Steuersenkungsgesetz - das 30 Milliarden Belastung für die Wirtschaft gebracht hat, Steuerbereinigungsgesetz, Steuersenkungsergänzungsgesetz, Steueränderungsgesetz, Unternehmensteuerreformfortführungsgesetz - ich könnte das fortführen. Das alles hätten Sie den Steuerzahlern und den beratenden Berufen ersparen können, wenn Sie mehr auf uns gehört hätten. ({8}) Jetzt, nachdem der Karren tief im Dreck steckt, fragen Sie nach den haushalts- und steuerpolitischen Vorstellungen der Union. Sie hätten früher auf uns hören sollen, ({9}) dann wäre dem Wirtschaftsstandort Deutschland und insbesondere den 4 Millionen Arbeitslosen viel erspart geblieben. Die Regierung hat es verpennt, das Richtige zu dem Zeitpunkt zu tun, als es noch möglich war. ({10}) Sie hätten die Kapitalgesellschaften und die Einkommensteuerzahler von Anfang an im Gleichschritt entlasten sollen. Dann bräuchten Sie jetzt nicht zu fragen, wann wir endlich Ihre Versäumnisse ausbügeln und die Einkommensteuersätze senken. Sie hätten diese unsinnige Ökosteuer, die von Anfang an nichts anderes als ein Abkassiermodell war, überhaupt nicht einführen sollen. Dann bräuchten Sie heute nicht zu fragen, ob wir nur Ihren letzten Erhöhungsraubzug zum 1. Januar 2003 verhindern oder gleich die ganze Ökosteuer abschaffen. ({11}) Hätten Sie das 630-Mark-Gesetz nicht so vermurkst und bürokratisch geregelt, dann müssten wir jetzt nicht wieder zur Pauschalbesteuerung zurückkehren. Hätte diese rot-grüne Regierung nicht nur von Haushaltssanierung geredet und die Investitionen gekürzt, sondern in guten Zeiten wirklich gespart und konsolidiert, dann gäbe es jetzt die finanziellen Spielräume, um das eigentlich Notwendige in unserem Land sofort zu machen. Rot-Grün hat in den gut drei Jahren Regierungszeit nichts besser, aber vieles schlechter und falsch gemacht. Sie sind für die jetzige Lage verantwortlich. Sie haben noch acht Monate Zeit, aber da wird voraussichtlich nicht mehr viel passieren. Wenn Sie sich dann an Ihren Leistungen messen lassen, werden Sie, meine Damen und Herren, die Quittung bekommen. ({12})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht die Kollegin Nicolette Kressl für die SPD-Fraktion.

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Seiffert, gerade in den letzten fünf Tagen hat sich sehr deutlich gezeigt, wie gut wir daran getan haben, die Vorschläge der Opposition nicht in unsere Gesetzgebungsvorhaben aufzunehmen. ({0}) Schauen wir einmal, was Herr Stoiber vorgeschlagen hat: Hätten wir davon irgendetwas in den letzten drei Jahren übernommen, wäre das totale Chaos entstanden. ({1}) Ich fange einmal mit der Aussage von Herrn Stoiber am Sonntag bei Frau Christiansen an, dass wir noch Spielraum in Höhe von mehreren Milliarden hätten. Gestern Abend habe ich selber gehört, wie er sagte, wir haben überhaupt keinen Spielraum mehr. ({2}) Heute Morgen habe ich im Radio gehört, die CSU widerspreche Stoiber. Da habe ich mir gedacht: Was ist jetzt los? Im Kommentar hieß es weiter: Er widerspricht sich nämlich täglich selber. - Wenn Sie es nicht einmal hinbekommen, dass Ihre steuerpolitischen Vorschläge über vier Tage lang konsistent bleiben, dann kann ich nur den Schluss ziehen: Wir haben gut daran getan, uns an unsere Konzepte zu halten. ({3}) Bleiben wir bei Ihren steuerpolitischen Vorschlägen der letzten Jahre - man hat es ja vorhin bei der Frau Hasselfeldt wieder gemerkt -: Ein Wunsch nach dem anderen wird aufgezählt. Dazu kann ich nur sagen: Ja mei, ist denn schon wieder Weihnachten? Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass nicht an die Finanzierung gedacht wird, Sie aber eine Wunschliste nach der anderen erstellen. ({4}) Sie verlangen ein Vorziehen der Steuerreform; sämtliche Schlupflöcher, die wir geschlossen haben, wollten Sie über Anträge im Finanzausschuss wieder öffnen. Wie soll damit, bitte schön, eine konsistente Politik betrieben werden? Wir brauchen jetzt klare Rahmenbedingungen; die Grundlinien müssen erkennbar sein. Das Problem ist doch, dass bei Ihnen nichts erkennbar und deutlich wird, weil jeden Tag etwas anderes kommt. ({5}) Wenn überhaupt etwas erkennbar wird, dann das, dass Sie offensichtlich die Neuverschuldung erhöhen wollen - so ein Zitat von Herrn Merz. Dann wird auch deutlich, dass offensichtlich bis zum letzten Regierungstag von Herrn Waigel überhaupt nicht daran gedacht war, ({6}) bei der Neuverschuldung eine Kehrtwende einzuleiten, und dass es ein sozialdemokratischer Finanzminister war, der die Kehrtwende in dieser Sache geschafft hat. ({7}) Wenn ich jetzt höre, was Herr Merz vorschlägt, wird mir deutlich, dass es auch ein sozialdemokratischer Finanzminister sein wird, der Garant für die Kehrtwende weg von der höheren Neuverschuldung bleiben wird. ({8}) Dann wollen wir uns einmal die verschiedenen Wünsche anschauen. Die Ökosteuer sei, so sagen Sie - Frau Hasselfeldt hat es noch gesagt -, eine Missgeburt. ({9}) Was habe ich noch gestern von Herrn Stoiber gehört? ({10}) Er will die Ökosteuer im europäischen Rahmen. Was soll dann daran eine Missgeburt sein? Ich würde sagen, Sie kehren jetzt um und versuchen mit uns, das für alle europäischen Staaten gemeinsam hinzubekommen. ({11}) Dann gibt es noch ein Wunschpaket, Frau Hasselfeldt, nämlich das Familiengeld. Die Forderung von 60 Milliarden DM jährlich ({12}) finde ich wirklich toll. Vor allem sind sie deshalb so gut angelegt, weil der Großteil dieses Finanzvolumens zu den schon bisher sehr gut verdienenden Familien geht, weil diese nämlich kein Erziehungsgeld bekommen. ({13}) Das heißt, einen dicken Teil aus Ihrem fetten Wunschpaket geben Sie auch noch an die völlig falsche Stelle. Das ist ökonomisch unvernünftig und außerdem sozial ungerecht. Aber Sie stellen sich hier hin und erzählen etwas von konsequenter Steuerpolitik! ({14}) - Gerade wir haben über das Bundesverfassungsgerichtsurteil gesprochen. Sie lagen damals in Ihren Aussagen ein bisschen daneben. An Ihrer Stelle wäre ich gerade bei diesem Punkt sehr ruhig. ({15}) Ich kann Ihnen sagen: Wenn es so weitergeht, werden wir unsere Vorschläge zur Steuerpolitik in aller Ruhe weiter konsequent umsetzen können. ({16}) - Aber natürlich! ({17}) Denn eines ist in der Steuerpolitik wirklich nicht angesagt: Man darf weder herumstolpern noch herumstoibern. ({18}) Das ist nicht die verantwortliche Steuerpolitik, die unser Land braucht. Danke. ({19})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht der Kollege Hans Jochen Henke für die CDU/CSU-Fraktion.

Hans Jochen Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003146, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen im Präsidium! Werte Kolleginnen und Kollegen! ({0}) Es wird Ihnen nicht gelingen abzulenken. Wahltage sind Zahltage. Es sind weniger als 250 Tage. Dann wird zusammengezählt, vor allem, Frau Kollegin Hendricks, was maßgeblich Ihr Haus zu verantworten hat; denn Sie stehen nicht nur für das Finanz-, sondern im eigentlichen Sinne auch für das Wirtschaftsministerium. Ihr Haus wird in wenigen Tagen den Jahreswirtschaftsbericht vorlegen, in dem die wenig schöne, in Wahrheit beklemmende Wirklichkeit offenbart wird. Fakt ist, Ihr Konsolidierungsbeitrag nach vier Jahren - ich kann es nur noch einmal wiederholen und auf der Zunge zergehen lassen - beträgt 100 Milliarden Euro Mehrverschuldung. ({1}) Ihr reales Finanzierungsdefizit, Frau Hendricks, in diesem Haushaltsjahr 2002 wird trotz UMTS- und Sonderprivatisierungserlösen nach wie vor 10 Prozent des Gesamthaushalts betragen. ({2}) Die Rückführung der jährlichen Nettoneuverschuldung, Frau Hendricks, ist in diesem Jahr außerordentlich bescheiden. Wir haben in diesem Jahr eine Nettoneuverschuldung von fast 42 Milliarden DM. Die Rückführung bekommen Sie überhaupt nur hin, Herr Kollege Diller, mit einer historisch niedrigsten Investitionsrate ({3}) und einer einmaligen, unverantwortlich hohen expansiven Steuerrate und entsprechenden Steuerpolitik. ({4}) Trotz Ihrer so genannten Jahrhundertsteuerreform werden Sie dem Steuerzahler insgesamt 60 Milliarden DM, 30 Milliarden Euro, mehr aus der Tasche genommen haben. Allein in diesem Jahr - Sie hören es nicht gern, aber die Leute auf der Zuschauertribüne sollen es hören - haben Sie um 14 Milliarden Euro höhere Abgaben als im zurückliegenden Jahr zu verantworten. Ich fand es herrlich: Minister Eichel hat auf seinem Geburtstagsempfang im Willy-Brandt-Haus in der letzten Woche einen Wunsch geäußert. Er möchte gern im Amt erleben, Herr Wagner, dass er in einem Haushaltsjahr mehr einnimmt, als er ausgibt. Ich habe in dieser Feier - ich durfte dabei sein; ich war eingeladen und bin hingegangen - namhafte Vertreter öffentlicher Banken und den zuständigen Staatssekretär seines Hauses angesprochen und Wetten darauf angeboten. Ich habe leider niemanden gefunden, der bereit war, auf diese Wette einzugehen. ({5}) Es rächt sich, Frau Kollegin Hendricks, dass Sie das konjunkturell einmalig günstige Zeitfenster in dieser Legislaturperiode nicht für mutige Reformschritte genutzt haben. So musste Ihnen der Sachverständigenrat vor wenigen Wochen bescheinigen, dass trotz historisch niedriger Lohnabschlüsse und trotz der demographischen Entlastung in dieser Zeit die offene und verdeckte Arbeitslosigkeit bereits im Herbst letzten Jahres 13 Prozent betragen hat. Sie in Ihrem Ministerium haben den Arbeitsmarkt entscheidend abgewürgt und Gründern, Investoren, den Arbeit suchenden Menschen und letztlich auch den Gewerkschaften einen Bärendienst erwiesen. Die Empfehlungen der Tarifkommissionen in diesen Wochen sprechen Bände. Heute steht in der Zeitung, dass trotz Massenarbeitslosigkeit in Deutschland so viel illegal gearbeitet wird wie nie zuvor. Das Volumen der Schwarzarbeit - heute in der „Berliner Zeitung“ auf Seite 1 nachzulesen - wird in diesem Jahr voraussichtlich 360 Milliarden Euro betragen. Das geht an der regulären Wirtschaft vorbei. Damit steigt der Anteil der Schattenwirtschaft, gemessen am offiziellen Bruttoinlandsprodukt, von 16 auf 16,5 Prozent. Die Schattenwirtschaft nimmt allein in diesem Jahr um 3,5 Prozent zu. In den meisten anderen europäischen Ländern geht sie zurück. ({6}) Gleichzeitig sind die Unternehmensgründungen um 20 Prozent zurückgegangen, während die Zahl der Pleiten um 18 Prozent höher ist. Wo wir 2002 landen werden, weiß niemand genau. Hermann Lübke, ein Mittelständler aus Westfalen, sagte vor wenigen Tagen: Wenn die ruhige Hand des Kanzlers nur so beweglich wäre wie seine politische Handlungs- und Wandlungsfähigkeit, dann ginge es dem Mittelstand besser. - Wie Recht der Mensch hat! Die Union hat mit ihrem Ziel, mit der Aussage des Kandidaten Edmund Stoiber, in drei zentralen Bereichen in der mittel- und langfristigen Orientierung unter 40 Prozent zu kommen - bei der Staatsquote, bei den Lohnnebenkosten und bei der Abgabenquote -, wichtige Meilensteine gesetzt. ({7}) Wir müssen diese Quoten nachvollziehbar, erkennbar und spürbar absenken. ({8}) Wir müssen in einen völlig verkrusteten, zubetonierten Arbeitsmarkt frische Luft hereinlassen. ({9}) - Joachim Poß [SPD]: Das sind doch Sprech- blasen!) Verlassen Sie sich darauf: Wir werden rechtzeitig vor der Wahl unser Konzept vorlegen und damit Ihre verheerenden Ergebnisse korrigieren. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Ewald Schurer für die SPD-Fraktion.

Ewald Schurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Henke, Sie leben in einem irrealen Raum. Als Haushälter habe ich mich in den letzten dreieinhalb Jahren massiv darüber gewundert, dass die CDU/CSU-Fraktion im Haushaltsausschuss in der Lage war, munter in jedem Jahr Vorschläge für Mehrausgaben zwischen 20 und 30 Milliarden - schon auf Euro umgerechnet - zu machen, ({0}) ohne einen einzigen dezidierten Vorschlag zu bringen, wie man das seriös und wirtschaftlich decken könnte. Das ist Ihre Politik. ({1}) Dieses Geholpere und Gestolpere werden Sie in den nächsten acht Monaten noch fortführen. ({2}) Dann werden Sie entlarvt werden. Ich sage Ihnen auch: Durch das, was Edmund Stoiber, mein bayerischer Landesvater, im Augenblick zum Besten gibt, wird er ein Stück weit entzaubert. Die Presse konstatiert ja bereits: Stoiber hat in den ersten zwei Wochen die wirtschaftliche Kompetenz verloren, für die er im Wesentlichen angetreten ist. ({3}) Das glaubt ihm niemand mehr. ({4}) An wirtschaftliche Kompetenz glaubt auch niemand mehr, wenn man sieht, mit welcher finanzpolitischen Geisterbahntruppe Sie seit drei Jahren im Finanz- und Haushaltsausschuss agieren. Ich sage „finanzpolitische Geisterbahntruppe“, weil Sie Vorschläge ohne wirtschaftliche Vernunft und ohne Sachverstand machen, die aus dem hohlen Bauch kommen. Das ist die Situation. Lassen Sie uns einmal den Fokus auf Bayern richten! In Bayern hat sich Herr Stoiber in den letzten sechs bis sieben Jahren durch eine Reihe von Finanzskandalen ausgezeichnet. Es muss den Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern in Fleisch und Blut übergehen, dass Edmund Stoiber zum Beispiel für den Verlust von 1,3 Milliarden DM bei der Bayerischen Landesbank im Jahre 2000 verantwortlich ist. ({5}) Auf diesen Skandal angesprochen, sagte er: Das ist nicht mein Thema. - Dass Edmund Stoiber zum Beispiel den Deutschen Orden, für den er die Voraussetzungen für die körperschaftsrechtliche Anerkennung geschaffen hat, als Sozialkonzern nach Bayern verpflanzt hat und dafür Verantwortung trägt, dass dieser heute de facto pleite ist, ist eine finanzpolitische Tatsache. ({6}) Es gibt weitere Skandale. Herr Stoiber konnte sich bei dem LWS-Skandal nur ganz schlecht aus der Affäre ziehen. Er musste nämlich eingestehen, dass er für das Inden-Sand-Setzen einer halben Milliarde DM eigentlich verantwortlich war. ({7}) Dafür musste der Buhmann Sauter entlassen werden. Überall in Bayern, wo Stoiber versucht, zu insistieren, und wo Stoiber die Finger drin hat, gehen die Projekte aus finanzpolitischen Gründen schief. Jetzt kommt das Wichtigste. Stoiber hat in den letzten sechs bis sieben Jahren in Bayern durch seine Politik erreicht - das festzustellen ist für die Bundespolitik wichtig -, dass Bayern nur im SPD-regierten München wirtschaftlich stark ist. Meinen Gruß an den Münchner OB Christian Ude. ({8}) Dort werden 40 Prozent der Wertschöpfung in Bayern geschaffen. Aber die Gebiete in Bayern, in denen es Strukturschwächen gibt, sind in den letzten Jahren unter Edmund Stoibers Führung schwächer geworden. Die nordbayerischen Regionen haben massive Probleme, mit der wirtschaftlichen Entwicklung Bayerns mitzuhalten. Wir haben in Bayern - vielleicht weiß es Frau Hasselfeldt - eine einzige Altlast im Bereich der Stahlwerke, nämlich die Maxhütte in der Oberpfalz. Die CSUStaatsregierung ist allein schon damit massiv überfordert, ein einziges Stahlwerk in Bayern nachhaltig zu sanieren. Das sind die Leistungen von Edmund Stoiber. Alles andere ist nur Getöse von Ihnen und ist sachlich nicht gerechtfertigt. ({9}) Ihr Problem ist, dass Sie sich in den nächsten sieben bis acht Monaten selbst Stück für Stück entlarven. Sie hatten kein Finanzkonzept und Sie haben kein Finanzkonzept. Sie verstehen die Grundlagen des volkswirtschaftlichen Gleichgewichtes nicht. ({10}) Sie würden das volkswirtschaftliche Gleichgewicht nicht nur gefährden; Sie würden es mit ihren chaotischen Vorschlägen sogar zerstören. Das sind die wesentlichen Punkte. Lassen Sie mich zusammenfassen. Die CSU kann mit Geld schlecht umgehen. Das ist die Lektion Nummer eins. Auch das ist wichtig für die Öffentlichkeit: Die Partei CSU selbst ist pleite. Wer hat denn von Ihnen erzählt, dass Sie ihre Immobilien in München verkaufen müssen? Es war Ihr Generalsekretär Goppel, der sagte, dass Sie die CSU-Parteizentrale in der Nymphenburger Straße in München aufgeben müssen, weil die Schuldenlasten Sie drücken. ({11}) Die CSU finanziert seit Jahrzehnten Wahlkämpfe, indem sie Schulden macht. ({12}) Das ist keine Grundlage für das Aufstellen einer intelligenten Konzeption für den Bundeshaushalt. Sie sind ja nicht einmal in der Lage, Ihren eigenen Laden in München seriös zu führen. ({13}) Ein weiterer Punkt ist, dass Sie konzeptionslos sind und dass Sie in Bayern noch eine ganze Reihe von Affären am Hals haben, die durch Untersuchungsausschüsse des Landtages in den nächsten Monaten aufgearbeitet werden. Es bleibt folgendes Fazit: Bei dem Turmbau von Babel gab es ein Stimmengewirr, als man eine bestimmte Höhe erreichte. Bei Ihnen gibt es ein Stimmengewirr, hervorgerufen durch die von Ihnen selbst aufgerissenen Finanzlöcher, die zu dieser Staatsverschuldung geführt haben. Das ist eine Tatsache. Ich rate Ihnen dringend: Machen Sie Ihre Hausaufgaben! Versuchen Sie erst einmal, in Ihrem eigenen Laden die Fakten zu sondieren, bevor Sie an die Öffentlichkeit gehen! Sie haben kein Konzept. Das ist die Botschaft. ({14}) Ich möchte zum Schluss noch konstatieren: Natürlich haben wir im Augenblick eine wirtschaftlich schwierige Situation. Sie gehen aber über folgende Tatsache hinweg: Wir haben heute de facto 1 Million mehr Arbeitsplätze in Deutschland.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Schurer, jetzt muss ich Sie doch bremsen, weil Sie zu einem Vortrag ausholen. ({0})

Ewald Schurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir haben 2001 450 000 weniger Arbeitslose im Vergleich zu 1998. Wir haben eine geringere Jugendarbeitslosigkeit. Wir haben eine ganz klare Begrenzung bei der Zunahme der Staatsverschuldung, einer Staatsverschuldung, für die Sie verantwortlich sind. Ihre Zwischenrufe zeigen, dass Sie zwar laut sein können, aber ohne Ideen sind. Danke schön. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzte Rednerin in der Aktuellen Stunde ist die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer.

Ingrid Arndt-Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt einen großen Unterschied zwischen uns im Jahre 1998 sowie der CDU und CSU in diesem Wahljahr. ({0}) Wir hatten einen Kanzlerkandidaten relativ leicht gefunden und wir hatten ein Konzept. Dieses Konzept haben wir auch umgesetzt. Dabei mussten wir leider auf den Sachverstand der Opposition verzichten, weil er meistens nicht vorhanden war. ({1}) Um Ihnen das wieder in Erinnerung zu rufen, möchte ich kurz erwähnen, was wir alles gemacht haben: ({2}) Wir haben zum Beispiel den Reformstau auf dem Arbeitsmarkt aufgelöst. Wir haben das Bündnis für Arbeit wieder ins Leben gerufen. Wir haben Ausbildungs- und Beschäftigungsplätze hauptsächlich für Jugendliche geschaffen. ({3}) Wir haben Mittelstand, Handwerk und Existenzgründer gestärkt und besser gestellt. Wir haben neue Ausbildungsberufe geschaffen, die es vorher gar nicht gab. Wir haben uns in diesem Bereich modern aufgestellt. ({4}) Wir haben Rabattgesetz und Zugabeverordnung aufgehoben. - Entschuldigen Sie, wenn ich das so aufzähle, aber sonst reicht die Redezeit nicht. - Wir haben faire Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt geschaffen. Wir haben Lohn- und Sozialdumping abgeschafft. Wir haben die Scheinselbstständigkeit abgeschafft. Wir haben die 630Mark-Arbeitsverhältnisse vernünftig geregelt. Wir haben wieder eine aktive Arbeitsmarktpolitik gemacht. ({5}) Sie haben es selber schon erwähnt: Job Aqtiv war ein voller Erfolg. Wir bekommen von überall her positive Rückmeldungen. ({6}) Wir haben die Tarifautonomie und die Rechte der Arbeitnehmer gestärkt. Wir haben vor allen Dingen im Bereich Aufbau Ost viel getan und werden hier auch weiterhin viel tun. ({7}) Hierbei hat Ihr Kandidat in der Vergangenheit ein paar Probleme gehabt, aber vielleicht wird sich das bei ihm bis zum Wahltag ändern. Wir haben klare Maßstäbe - im Maßstäbegesetz, wie das so schön heißt - gesetzt. Wir haben den Solidarpakt II und den Länderfinanzausgleich geregelt. Wir haben auch - das ist uns ganz wichtig - den Marsch in die Verschuldung gestoppt. ({8}) Ich rechne immer gern unsere Zinsbelastung um. Als wir die Regierung übernommen haben, haben wir 150 000 DM im Monat, nein, in der Sekunde, nein, in der Minute an Zinsen gezahlt. ({9}) - Ich habe so wenig Zeit und muss so viel erzählen. Ich rechne immer so: In drei Minuten zahlen wir so viel an Zinsen, wie ein Einfamilienhaus im Münsterland kostet. Dies macht es immer für alle sehr fassbar. ({10}) Jetzt sind wir auf dem Weg, diese abzubauen. Das haben Sie selbst gehört. Wir haben getilgt. Wir haben die UMTS-Lizenzen gut verkauft und haben bei der Verteilung der Erlöse den richtigen Weg eingeschlagen. Wir haben die Lohnnebenkosten gesenkt, indem wir die Ökosteuer eingeführt haben. Ökosteuer ist für Sie ein Reizthema. ({11}) Man hat immer den Eindruck, dass Ihre Stammwähler die gesamten Tankrechnungen gesammelt haben, weil sie gehofft haben, dass sie am Wahltag die gesamte Ökosteuer zurückbekommen. ({12}) Den Eindruck hatte man immer, wenn man Sie so in den letzten Monaten hier hat reden hören. Das wird leider nicht passieren. Das ist sehr schade für die Leute, aber ich denke, inzwischen hat auch jeder verstanden, dass es eine gute Maßnahme war und sie auch weiter durchgeführt wird. ({13}) Ich denke, dass es vielleicht irgendwann eine europäische Lösung geben wird. Dann sind wir alle am Ziel. ({14}) Wir haben den Einstieg hin zur steuerlichen Entlastung für Arbeitnehmer in mehreren Stufen erfolgreich geschafft. Das wird noch fortgeführt. Wir werden sowohl den Eingangs- wie auch den Spitzensteuersatz weiter senken. Wir haben die neue Entfernungspauschale eingeführt und wir schaffen mehr Steuergerechtigkeit: 70 Abschreibungsmöglichkeiten wurden gestrichen, Steuerschlupflöcher wurden gestopft. Das neue Stiftungsrecht wurde eingeführt und der Umsatzsteuerbetrug wird wirksam bekämpft. Des Weiteren haben wir ein modernes Unternehmensteuerrecht für mehr Investitionen geschaffen. Auch das wird in diesem Jahr richtig greifen. Außerdem haben wir - was uns auch sehr wichtig war - den Ausstieg aus der Atomenergie eingeleitet und werden ihn fortführen. ({15}) Ich denke, die Bevölkerung steht voll dahinter. Eine andere Politik wird es in dem Bereich gar nicht geben müssen. ({16}) Parallel dazu haben wir eine neue sichere und umweltfreundliche Energieversorgung aufgebaut. Wir haben im Bereich der alternativen Energien sehr viel Neues angeregt und werden auf diese Weise irgendwann auch die Atomenergie überflüssig machen. ({17}) - Nein, das ist einfach nur das, was wir versprochen und eingehalten haben. Dies wurde vorhin einmal gefordert und ich erfülle diese Forderung jetzt. ({18}) - Doch! Ich finde, das hat sehr viel mit dem Thema zu tun. Ich habe vorhin erzählt, dass wir ein Konzept hatten und dieses auch umgesetzt haben; ganz im Gegensatz zu Ihnen. Teil dieses Konzepts war auch, dass wir in den Bereich Bildung und Forschung sehr viel hineingesteckt haben. Ich denke, auch hier sind wir auf einem guten und sinnvollen Weg. Wir haben das BAföG reformiert. ({19}) Wir haben die Alterssicherung mit der kapitalgedeckten Riesterrente auf den richtigen Weg gebracht. Wir machen außerdem eine konsequente Sozialpolitik. Reformen sowohl des Behindertenrechts als auch des Heimgesetzes und der Künstlerversorgungsversicherung haben wir eingeleitet. ({20}) Mein Problem ist jetzt, dass wir 36 Punkte haben und ich erst bei Punkt 21 bin. ({21})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nein, nein, die Redezeit ist jetzt zu Ende, Frau Kollegin. ({0})

Ingrid Arndt-Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich werde es jetzt abkürzen. - Ich wollte damit nur deutlich machen, dass wir ein Konzept hatten und es umgesetzt haben. Wir haben etwas versprochen und es gehalten. ({0}) Es gibt überhaupt keinen Grund, diese Regierung in irgendeiner Form zu ersetzen. Es gibt nichts, was man in dieser Form besser machen könnte, als wir es getan haben. ({1}) Wir werden auf diesem Weg weitermachen. Ich bedanke mich. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die Aktuelle Stunde ist jetzt aber beendet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf: 5. a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Juristenausbildung - Drucksache 14/7176 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes und der Bundesrechtsanwaltsordnung - Drucksache 14/7463 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung c) Beratung des Berichts des Rechtsausschusses ({2}) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem von den Abgeordneten Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Rainer Funke, Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Juristenausbildung ({3}) - Drucksachen 14/2666, 14/8038 ({4}) Berichterstattung: Abgeordnete Joachim Stünker Hans-Christian Ströbele Rainer Funke Dr. Evelyn Kenzler Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Joachim Stünker für die SPD-Fraktion.

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 30. Juni 2000 haben wir in diesem Hohen Hause den Gesetzentwurf der FDP zur Reform der Juristenausbildung beraten. Ich habe in der damaligen Debatte den Reformanstoß begrüßt, den Entwurf inhaltlich jedoch zurückgewiesen. Dieser Ansatz hat sich auch bis heute nicht verändert. Im Entwurf der FDP fehlt die zukünftige inhaltliche Gestaltung des Universitätsstudiums für Juristinnen und Juristen völlig und er sieht eine Abkehr von der Ausbildung zum Einheitsjuristen vor. Beides ist nicht akzeptabel. Das hat sich auch in der fast zweijährigen Diskussion durch die Fachöffentlichkeit sehr deutlich gezeigt. Ich denke, dass dieser Entwurf in diesem Hohen Hause nicht weiter verfolgt werden wird. ({0}) Ich habe damals aber auch gesagt, dass die SPD-Fraktion die Bemühungen der Justizministerkonferenz, zu einer endgültigen Einigung der Länder zur Reform der Juristenausbildung zu kommen, unterstützen und auch abwarten wollte. Ich habe hinzugefügt, dass auf der Grundlage einer solchen Einigung ein zwischen Bund und Ländern abgestimmter Gesetzgebungsprozess erfolgen solle. Dies gilt auch heute noch. Ich denke, wir sind mit den heute in erster Lesung vorliegenden Entwürfen des Bundesrates und der Regierungskoalition zur Reform der Juristenausbildung endlich genau auf diesem von mir seinerzeit beschriebenen Weg angekommen. Die Entwürfe sind in den wesentlichen Teilen kompatibel. Ich denke, wir werden die noch bestehenden Differenzen im Verlauf des jetzt beginnenden Gesetzgebungsverfahrens mit beiderseitigem guten Willen - wir sind ja alle ins Gelingen verliebt - ausräumen können. Ich denke, wir haben jetzt, nachdem wir, die wir alle Juristen sind, jahrzehntelang über Reformen der Juristenausbildung diskutiert und das geltende Recht am eigenen Leibe durchlitten und erfahren haben, die historische Chance, etwas Neues auf den Weg zu bringen. Diese sollten wir in diesem Hohen Hause gemeinsam ergreifen. Wir alle sind uns einig: Die Juristenausbildung muss reformiert werden. Auch in der Zielbestimmung sind wir uns dahin gehend einig, dass die Ausbildung zum allseits einarbeitungsfähigen Juristen, der über juristische Urteilskraft und soziale Kompetenz verfügt, im Vordergrund stehen muss. In sechseinhalb Minuten Redezeit kann ich unmöglich das ganze Spektrum dieser beiden Entwürfe vorstellen. Ich möchte mich daher kurz auf neun wesentliche Eckpunkte beschränken. In diesem Rahmen wird die Diskussion in den nächsten Wochen und Monaten auch verlaufen. Punkt eins betrifft das Studium und den Vorbereitungsdienst. Wir halten an der Zweiteilung der juristischen Ausbildung in Studium und berufspraktischen Vorbereitungsdienst fest. Die universitäre Ausbildung qualifiziert noch nicht für die Ausübung der reglementierten juristischen Berufe. Die praktische Ausbildung muss noch hinzukommen. Der zweite Punkt - dies ist wichtig - betrifft die Stärkung der internationalen Orientierung. Wir müssen die internationale Orientierung bereits im Studium verstärken und die Kompatibilität der deutschen Juristenausbildung mit anderen europäischen Ausbildungsgängen verbessern. Deshalb sollten fremdsprachliche Pflichtveranstaltungen in den Katalog der zu lehrenden Fächer an den Universitäten aufgenommen werden. Möglich sind entweder fremdsprachliche rechtswissenschaftliche Veranstaltungen oder aber auch fachbezogene Sprachkurse. Auch Auslandssemester und die Anrechnung von im Ausland erbrachten Studienleistungen bei der Zulassung zur ersten Prüfung sind zukünftig zu ermöglichen. Das Dritte ist: Wir müssen die anwaltsorientierte Ausbildung der Juristen verstärken. Das zieht sich durch beide Entwürfe wie ein roter Faden. Dies muss bereits an der Universität erfolgen; es muss aber hinterher auch noch im Vorbereitungsdienst erfolgen. Der vierte wichtige Punkt ist die Frage der sozialen Kompetenz. Ich denke, auch hier sind wir uns alle darüber einig, dass für die erfolgreiche Arbeit in juristischen Berufen nicht nur die Ergebnisse der Staatsexamina, sondern in zunehmendem Maße auch nicht juristische Fähigkeiten von Bedeutung sind. Gefordert sind interdisziplinäre Schlüsselqualifikationen wie Verhandlungsmanagement, Gesprächsführung, Rhetorik, Streitschlichtung, Mediation, Vernehmungslehre, Kommunikationsfähigkeit und Teamfähigkeit. Auch dies sollte bereits an den Universitäten gelehrt werden. Für das Berufsbild der Richterinnen und Richter, denen nach Art. 92 des Grundgesetzes die rechtsprechende Gewalt als sehr verantwortungsvolle Aufgabe übertragen ist, brauchen wir eine soziale Kompetenz, die über das von mir eben Genannte noch hinausgeht. Wir streiten im Augenblick noch darüber, was der richtige Weg dorthin ist. Lassen Sie uns auch hier den gemeinsamen Weg zu dem als richtig erkannten Ziel finden. Das Fünfte ist die Übertragung der Wahlfachprüfungen zum ersten Staatsexamen zukünftig auf die Universitäten. Durch die Übertragung dieser Prüfungskompetenz können die Universitäten in erheblich weiterem Umfang als bisher inhaltliche Schwerpunkte setzen, in einen Qualitätswettbewerb unter den Fakultäten eintreten und den jungen Juristen die Möglichkeit eröffnen, ein ihren Neigungen entsprechendes Studium mit einem bestimmten Schwerpunkt zu wählen. Darüber, wie dieser Anteil ausgestaltet werden soll, werden wir uns sicherlich verständigen können. Das Sechste ist: Ich hatte von der Verstärkung der anwaltlichen Ausbildung gesprochen, insbesondere im Vorbereitungsdienst, dem Referendariat. Auch hier sind wir uns einig, dass die Ausbildungsdauer beim Rechtsanwalt zwingend verändert werden soll und auch verändert werden muss. Dazu, wie nun diese Ausbildungszeit tatsächlich bemessen sein soll, werden wir eine gemeinsame Lösung finden können. Daraus folgt natürlich siebtens, dass zukünftig die Anwaltschaft stärker an der Ausbildung sowohl inhaltlich als auch verfahrensmäßig und mit mehr Manpower beteiligt sein muss, als das heute oft der Fall ist. ({1}) Achtens: Durch diese Konzeption gewährleisten wir auch für die Zukunft die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Sparten. Durch die Beibehaltung der Ausbildung zum Einheitsjuristen ist diese wünschenswerte Durchlässigkeit gesichert. Ich möchte aber neuntens hinzufügen - das ist für die Koalitionsfraktionen ein ganz wesentliches Essential, das uns ein wenig von dem Bundesratsentwurf unterscheidet -: Es darf im Ergebnis keine zweigeteilte Ausbildung und vor allen Dingen keine unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen in einem der reglementierten juristischen Berufe geben. Das ist für uns ein ganz wichtiger Punkt, den wir, wie ich meine, sehr gründlich erörtern müssen. Daran werden wir im Ergebnis festhalten. Im Ergebnis dieses Schnelldurchlaufs - ich habe es in der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung stand, fast geschafft - mag vielleicht der eine oder andere sagen: Das sind doch alles kleine Schritte. Wo ist die große Reform? Aber alle, die vom Fach sind und sich mit der Materie auskennen, werden dem zustimmen, was einer der Professoren, die uns positiv begleiten, geschrieben hat - das Zitat ist also nicht von mir -: Diese kleinen Schritte können in der praktischen Umsetzung jedoch revolutionäre Wirkung haben, sofern die Länder, die Fakultäten und die Studierenden die dadurch neu gewonnenen Handlungsspielräume nutzen. Ich kann uns alle nur auffordern: Packen wir diese Chance beim Schopfe! Machen wir eine gemeinsame Regelung! Dann mögen die, die ausgebildet werden, diese Chance, die in eine gute Zukunft führt, auch nutzen. Schönen Dank. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe dem Kollegen Dr. Norbert Röttgen das Wort. Er spricht für die Fraktion der CDU/CSU.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Befund bei dem Thema Juristenausbildung ist Konsens: Das Studium der Juristen und die berufliche Wirklichkeit passen schon seit langem nicht mehr zusammen. Es sind nicht nur organisatorische Mängel, nicht nur die zu lange Dauer der Ausbildung, sondern die gravierendsten Mängel liegen in den Inhalten des Studiums. DaJoachim Stünker rum muss auch die Reformdebatte im Wesentlichen um Inhalte gehen. Wir behandeln heute in erster Lesung zwei Gesetzentwürfe, einen Gesetzentwurf des Bundesrats und einen der Bundesregierung. ({0}) - Ja, der Koalitionsfraktionen. Das ist in Ordnung. Beide Entwürfe sind kein großer Wurf, Herr Stünker. ({1}) Es wird heute weder eine historische Stunde in der Reform der Juristenausbildung eingeläutet - ({2}) - Das Thema mag Sie so empören, dass Sie nicht zuhören können, aber ich schlage trotzdem vor, dass wir uns darüber unterhalten. Das müsste eigentlich möglich sein. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Jetzt haben wir uns gerade auf eine ruhige Debatte eingestellt, aber es wird doch noch lebhaft. - Bitte sehr. ({0})

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dabei habe ich noch gar nicht mit den Provokationen begonnen, und schon sind Sie unruhig. Das stimmt mich nachdenklich. Es ist kein großer Wurf dabei, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion. Es ist keine historische Stunde und es werden durch diesen Gesetzentwurf, den Ihre Koalition vorgelegt hat, auch keine Revolutionen eingeleitet, meine Damen und Herren. ({0}) Allerdings gibt es einen gravierenden Unterschied zwischen dem Entwurf des Bundesrates und dem von der Koalition vorgelegten Entwurf. Ich habe mit Freude festgestellt, Herr Stünker, dass ein Bemühen Ihrer Rede offensichtlich war, Ihren Gesetzentwurf mehr oder weniger schon mit der Einbringung abzuräumen, ({1}) indem Sie gesagt haben, wir kämen schon auf eine Linie. Denn es gibt einen Unterschied zwischen den beiden Entwürfen. Das wissen Sie genau und das wissen auch die Vertreter des Bundesrates. Mit dem Entwurf der Koalition würde keines der festgestellten, unbestrittenen Probleme gelöst, aber es würden neue Probleme geschaffen. ({2}) Das wäre die Konsequenz des Entwurfs der Koalition, ({3}) während der Entwurf des Bundesrates in die richtige Richtung geht, aber auch entscheidende Mängel aufweist, weil darin nichts über die Inhalte enthalten ist. Ich möchte begründen, warum Sie neue Probleme schaffen. Ein wesentlicher Grund für neue Probleme, die Sie schaffen werden, ist, dass Sie vorsehen, dass die universitäre Wahlfachprüfung zu 50 Prozent ins Examen einfließen soll. Die Universitäten aller Länder bzw. die juristischen Fakultäten - auch der nordrhein-westfälische Justizminister wird Ihnen sicherlich diese Mitteilung machen können, wenn er an dieser Stelle dazu bereit ist - teilen Ihnen unisono mit ({4}) - das ist übrigens wieder ein Beispiel Ihrer bewährten Praxisferne in der Rechtspolitik -, ({5}) dass die Universitäten nicht die personellen und die finanziellen Ressourcen haben, um dies umzusetzen. Das teilen sie Ihnen mit. Nehmen Sie das doch zur Kenntnis! Wenn Sie dennoch 50 Prozent der Wahlfachprüfung in das Examen einfließen lassen wollen, ({6}) dann heißt das, dass Sie eine Lösung nur auf dem Papier vorschlagen. Denn diese Lösung kann nicht ausgestaltet werden, weil die dafür erforderlichen Ressourcen fehlen. ({7}) Es ist sozusagen ein Programm, von dem Sie wissen, dass es nicht umgesetzt werden kann. ({8}) Es fehlt auch übrigens jegliche inhaltliche Konzeption. ({9}) Sie haben ausgeführt, dass eine Wahlfachprüfung zu 50 Prozent einfließen soll. Die Wahlfachprüfung ist definiert; das Wahlfach ist ein ergänzender Teil des Studiums. Die Ergänzung kann doch nicht 50 Prozent des Examens ausmachen. Das passt nicht zusammen. Sie sehen als Mindestanforderung eine schriftliche Prüfung vor. ({10}) Das kann nicht die Hälfte des Examens sein. ({11}) Was Sie mit diesem Vorschlag bewirken, ist eine Kombination von Nachteilen, die im Grunde in die sozialdemokratische Bildungspolitik - ich nehme das gerne auf - hineinpasst. Sie nehmen einerseits dem Examen mit diesem 50-Prozent-Vorschlag die Vergleichbarkeit und damit einen Vorteil des Einheitsexamens, ({12}) ohne andererseits den Universitäten wirklichen Gestaltungsspielraum einzuräumen. Das, was Sie vorschlagen, ist eine Kombination von Nachteilen. Auch der zweite Vorschlag, den Sie machen, ist völlig abstrus und unverständlich. Alle stimmen in der Forderung überein, dass wir mehr Flexibilität und Eigengestaltung, auch des Studenten und des Referendars, brauchen. ({13}) Sie aber schlagen vor, 21 Monate eines 24 Monate dauernden Referendariats in Pflichtstationen zu leisten. Sie wollen 21 von 24 Monaten dem Referendar vorschreiben. Er soll nicht gestalten und im Hinblick auf seine spätere Berufswahl eigene Entscheidungen treffen und sich eigenverantworlich qualifizieren, sondern Sie wissen staatlicherseits immer, was für den Einzelnen am besten ist. ({14}) Das ist Ihre Grundphilosophie, die bis in solche Gesetze hinein zum Ausdruck kommt. Mit Flexibilität und Individualität haben Sie schlichtweg nichts am Hut. ({15}) Der Bundesrat hat viel pragmatischere Vorschläge gemacht. Sein Entwurf hat Mängel - ich komme noch darauf zu sprechen -, enthält aber vernünftige Schritte. Ein Anteil des Wahlfachs von 25 Prozent an der Prüfung ist ein vernünftiger Vorschlag. ({16}) Die Universitäten sagen, dass sie das gerade so schaffen können, und diesen Spielraum sollten wir Ihnen auch einräumen. Der Bundesrat schlägt in seinem Gesetzentwurf vor - das ist vernünftig -, das Referendariat in einen Pflichtteil und in einen Wahlfachteil einzuteilen. Dem Referendar wird also die Chance gegeben, im Hinblick auf die Berufswahl selber zu entscheiden. Es ist eine vernünftige Lösung, das Referendariat je zur Hälfte in eine vorgeschriebene juristische Grundausbildung und in die Fächer, die der Eigenentscheidung des Referendars obliegen, einzuteilen. Ich gebe hinsichtlich der Gestaltung des Referendariats zu bedenken, Herr Minister Dieckmann, ob es richtig ist, die Voraussetzungen für die Zulassung als Rechtsanwalt so festzulegen, wie es im Gesetzentwurf des Bundesrats vorgesehen ist. Danach soll derjenige, der sich um die Zulassung als Rechtsanwalt bewirbt, im Regelfall nachweisen, dass er während seines Referendariats zwölf Monate als Rechtsanwalt ausgebildet worden ist. Was bedeutet das? Das bedeutet, für die Zulassung als Rechtsanwalt gibt es strengere Hürden als für die Einstellung als Richter. Das bedeutet weiterhin, dass derjenige, der Rechtsanwalt wird, neben der neunmonatigen Grundausbildung zwölf Monate bei einem Anwalt arbeiten muss, dass er also 21 Monate von 24 Monaten im Grunde genommen nicht über den Tellerrand der Rechtspflegeberufe hinausschaut. Ich sage als Rechtsanwalt: Es würde auch den Rechtsanwälten nicht schaden, wenn sie das Referendariat nutzen würden, um einmal etwas anderes als Rechtspflege, als die Arbeit der Gerichte und der Rechtsanwälte, kennen zu lernen. ({17}) Warum muss man den angehenden Anwälten eigentlich ihren Blick auf ihre spätere berufliche Tätigkeit so verengen? Sollten sie nicht auch einmal ein bisschen ihren Horizont erweitern? Täte es nicht auch den Anwälten gut, nicht so festgelegt zu sein? ({18}) Mein Referendariat liegt vielleicht noch nicht so weit zurück wie das von anderen. ({19}) Deshalb sage ich Ihnen: Die Ausbildung in einem Anwaltsbüro gilt nicht als die intensivste und qualifizierteste. ({20}) Nirgendwo gibt es so erhebliche Qualitätsunterschiede wie bei dieser Ausbildungsstation. Ich wage zu bezweifeln, dass es richtig ist, den Ausbildungsschwerpunkt gerade hier zu setzen. Ich als Anwalt sage Ihnen, was eigentlich hinter dieser Schwerpunktsetzung steckt: Der junge Anwalt braucht drei bis fünf Jahre, um in seiner Kanzlei voll einsatzfähig zu sein. Ihr Vorschlag bedeutet im Grunde, dass den etablierten Anwälten ein Jahr Ausbildungskosten erspart werden. Die Entscheidung, die Sie getroffen haben, ist also sehr berufspolitisch. Es ist nach meiner Einschätzung keine Entscheidung für eine qualifiziertere Ausbildung der angehenden Anwälte. Vielmehr begünstigt ihre Entscheidung die schon etablierten Anwälte, die junge Anwälte ausbilden; denn denen wird, wie gesagt, staatlicherseits ein Ausbildungsjahr finanziert. Das trägt nicht zu mehr Qualität in der Anwaltsausbildung bei. Darum bitte ich, noch einmal über diesen Punkt zu diskutieren. ({21}) - Ich komme jetzt zu den Punkten, über die nach unserer Auffassung geredet werden muss. Wir waren uns ja in der letzten Sitzung des Rechtsausschusses einig, dass die Sachverständigenanhörung sehr konstruktiv und sachlich war. Wir bitten darum, dass die Rechtspolitiker den Dialog mit denjenigen, die in der Ausbildung und in der Praxis tätig sind, fortsetzen. ({22}) - Ich komme zu den Themen, über die offen geredet werden muss. Erstens. Wir müssen - das ist das Wichtigste - über Inhalte reden. ({23}) In den vorliegenden Gesetzentwürfen geht es nicht um Inhalte. Aber wir brauchen eine Modernisierung der Inhalte der juristischen Ausbildung. Das Ladenburger Manifest gibt hierfür wesentliche Orientierungshilfe. ({24}) - Ich werde es noch konkretisieren. Selbst bei einem solchen Thema muss man doch zuhören können! Es ist nicht sinnvoll, dass jeder seine Wünsche im Hinblick auf das, was noch zusätzlich gelernt und gelehrt werden soll, äußert. Das brauchen wir nicht. Wir brauchen in erster Linie - das wäre modern - eine Konzentration der Inhalte. Wir können nicht immer nur draufpacken. Wir müssen angesichts der Tatsache, dass es dauernd neue Anforderungen gibt, festlegen, was verzichtbar ist. Deshalb bin ich der Auffassung, dass Methodik wichtiger ist als Pauken. Die methodische Grundschulung der jungen Juristen kommt in der bisherigen Ausbildung zu kurz. ({25}) Wir müssen, wie gesagt, entscheiden, was verzichtbar ist. Denn es kommt ja Neues hinzu: Internationalität ist eine unverzichtbare Anforderung. ({26}) Wenn das hinzukommt, muss etwas anderes zurücktreten. Auch im Hinblick auf die spätere berufliche Tätigkeit plädieren wir dafür, dass das Wirtschaftsrecht einen höheren Stellenwert in der Ausbildung bekommt. Nationales, europäisches und internationales Wirtschaftsrecht, Steuerrecht, das sind Ausbildungsinhalte, die in der späteren beruflichen Tätigkeit insbesondere derjenigen, die Anwalt werden - das gilt aber auch für andere -, von einer hohen Bedeutung sind, die aber im Studium heute keinen entsprechenden Platz haben. Das ist etwas, was im Studium unbedingt einen höheren Stellenwert haben muss als etablierte Fächer wie etwa - ich sage es hier als Provokation - das Strafrecht, das in der anwaltlichen Praxis bei den meisten gar keine Rolle spielt. ({27}) Anderes, was erforderlich ist, muss gelernt werden. Ich komme zum Schluss. - Wir brauchen Maßnahmen gegen das Massenstudium. Es macht doch keinen Sinn, die Leute zehn Jahre lang auszubilden und mitzuschleppen, wenn am Ende doch nichts daraus wird. Wir brauchen also effektive Zwischenprüfungen. Es gilt, die Leute möglichst frühzeitig, nicht nach zehn Jahren, sondern vielleicht nach einem Jahr oder nach zwei Jahren, darauf hinzuweisen, dass das der falsche Weg ist; denn dann haben junge Leute noch die Chance, sich zu verändern. ({28}) Mit Ausnahme der Rechtspflegeberufe treten wir für ein berufsqualifizierendes erstes Examen ein; denn das ist ein Weg dahin. Wir müssen die Leute nicht in das Referendariat zwingen. Viele wollen keinen Rechtspflegeberuf ausüben; dann brauchen sie auch kein Referendariat. ({29}) Wir plädieren also für ein berufsqualifizierendes erstes Examen. Mein letzter Satz: Wir bitten darum, dass der Entwurf des Bundesrates Grundlage unserer Beratungen wird - das ist ein pragmatischer Entwurf -; über die Inhalte des Studiums muss aber noch dringend geredet werden und dann können wir zu einer guten Lösung kommen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({30})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht der Kollege Christian Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich dachte, das sei ein richtiges Konsensthema, bei dem wir uns ganz gemütlich über den Einheitsjuristen unterhalten, ({0}) und dann so etwas, Herr Kollege Röttgen! ({1}) Das haben Sie doch gar nicht nötig! Bei mir sind die juristische Ausbildung und das Referendariat schon ein bisschen länger her, aber ich weiß, dass seit Generationen, eigentlich von Anfang an, seit einigen hundert Jahren, Kritik an der Juristenausbildung nicht nur vorhanden, sondern auch berechtigt ist. Wenn ich mich an das erinnere, was ich in der Universität gelernt habe und wo ich das juristische Handwerk eigentlich gelernt habe, ({2}) dann muss ich sagen: Die Universität hätte ich mir weitgehend sparen können. ({3}) Da gibt es wesentliche Fehler und es gibt sie bis heute. Warum, Herr Kollege Röttgen, ist es noch heute so, dass 80 Prozent bis 90 Prozent derjenigen, die nachher Juristen sind, ihre Ausbildung nicht an der Universität, sondern bei einem selbst finanzierten Repetitorium erhalten? Das muss einem doch zu denken geben! Da muss doch irgendetwas faul sein im Staate Dänemark oder in der Juristenausbildung. Heute sagen viele Juristen - ich gehöre auch dazu -: Meine eigentliche Ausbildung habe ich nicht an der Universität, nicht einmal auf den Stationen des Referendariats, sondern dann erhalten, als ich nebenher gegen geringe oder ohne Bezahlung beim Anwalt gearbeitet habe, wo man direkt ins volle Leben hineingeworfen wurde, ({4}) sich beim Amtsgericht bewähren musste, Rechtsprobleme lösen musste, aber zügig, und zu Ergebnissen kommen musste. Ich habe das da gelernt ({5}) und so geht es vielen, mit denen ich rede. Unter Berücksichtigung all dieser Erfahrungen haben wir uns darangemacht, einen Entwurf zu erarbeiten und die Juristenausbildung neu zu regeln. Von daher sind viele Einzelheiten, die Sie kritisiert haben, zu erklären. Wenn man in den Wahlfächern, die man an der Universität macht, auch an der Universität geprüft wird, dann ist es in Zukunft vielleicht anders als heute. Im Staatsexamen werden in der Regel ja ganz andere Sachen geprüft, als in der Universität gelehrt werden oder als man jedenfalls an der Universität richtig lernen kann. In Zukunft sollen die Examina, die man an der Universität macht, nicht mehr ein privat finanziertes Repetitorium voraussetzen. Um dem den Boden zu entziehen, ist es richtig und wichtig, Wahlfächer zu haben; denn - damit komme ich zu dem, was Sie vorhin kritisiert haben - in den Wahlfächern kann man die Schwerpunkte für die spätere Berufsausübung zu setzen versuchen. Darüber, ob das zu einem so frühen Zeitpunkt immer schon richtig ist, kann man sicher diskutieren. Aber jedenfalls können die Studenten es dann machen. Dann werden sie an der Universität geprüft und damit haben sie die Hälfte ihres Examens hinter sich, was voll eingesetzt und bewertet wird. Eines haben Sie vergessen: Gerade bei den Inhalten sagen wir heute - da haben sie völlig Recht -, dass europäisches Recht, internationales Recht, Recht in Frankreich, in England und vor allen Dingen in den USA eine wichtige Rolle spielen müssen. Genauso wichtig muss aber sein, dass man sich überhaupt in diesen Sprachen unterhalten kann. Dazu sagen wir, in Zukunft soll sich ein Teil der Wahlfächer, die auch anerkannt werden, die auch in der Universität geprüft werden, auf diesen Bereich beziehen: also Sprachausbildung, eine Ausbildung in anderen Rechtssystemen. Das kann natürlich immer nur ein Teilbereich sein und es kann nur ein Einblick sein, aber diese Ausbildung soll so hoch gewertet werden, dass sie ein Teil der Prüfung ist. Sie soll anerkannt werden und damit auch einen Ansporn für die Studentinnen und Studenten bilden, sich in diesen Bereichen zu tummeln und zu lernen, weil sie wissen, es wird im Examen auch geprüft. Die andere Hälfte soll eben die gesamtdeutsche Gerechtigkeit herstellen und sicherstellen, dass die Examina gleichwertig sind, weil das Staatsexamen bleiben soll und damit vermieden werden kann, dass man nachher etwa für den Vorbereitungsdienst und für den Referendardienst, wie das die FDP ja will, Examen einrichtet, um da überhaupt aufgenommen zu werden. Das kann nicht richtig sein und das soll nicht richtig sein. Es fehlt auch völlig eine Erklärung dafür, wer denn nachher den Referendardienst in Ihrer Variante bezahlen soll. Sollen das die Referendare selber sein, sollen das die Anwälte sein, bei denen die Referendare Ihrem Vorschlag und Ihrer Überzeugung nach tätig sind? Das führt zu Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten. Es führt dazu, dass wir im juristischen Beruf eine Auswahl derjenigen bekommen, die sich mindestens den zweiten Teil leisten können, und derjenigen, die ihn sich nicht leisten können. Das darf nicht sein und das wollen wir nicht. ({6}) Wir sagen, die Anwaltstation ist wichtig. Wir wollen eine Anwaltstation von mindestens einem Jahr haben, weil wir wissen, dass in diesem Bereich die Ausbildung des Einheitsjuristen am besten möglich ist, der dann sowohl im Richterberuf als auch im Anwaltberuf, aber auch in der Wirtschaft als auch bei den Verbänden tätig werden kann. Wenn man nur beim Strafrichter sitzt, bekommt man sicher die strafrichterliche Ausbildung, aber wenn man beim Anwalt ist, bekommt man in der Regel die breiteste Ausbildung. Deswegen legen wir so großen Wert darauf. Letztendlich - das ist auch ein wesentlicher Fortschritt dieser Reform - sagen wir: Wer nachher Richter oder Richterin werden soll, soll vorher eine praktische Berufserfahrung haben. Wir wollen nicht, dass die Leute, aus dem Studium, aus der Referendarzeit kommend, direkt und ohne Lebenserfahrung in einem juristischem Beruf, ohne in der voll verantwortlichen Ausübung eines juristischen Berufes zu stehen, über Sachverhalte und über Menschen richten. Vielmehr sollen sie möglichst einige Jahre vorher einen anderen juristischen Beruf ausgeübt haben, um dann die nötige Lebenserfahrung zu haben, die für eine gerechte Ausübung des richterlichen Berufes erforderlich ist. Ich glaube, hier sind wichtige und richtige Ansätze. Wir haben gestern bei der Justizministerin noch eine ganze Reihe von zusätzlichen, sehr praktischen Hinweisen bekommen. Ich schließe mich dem an. Der Jurist, auch der Rechtsanwalt, soll nicht nur rechtsberaten, sonder auch Recht gestalten. So habe ich auch immer meine Berufsausübung aufgefasst. Lassen Sie uns auf dem Weg weitermachen. ({7}) Berücksichtigen wir dabei durchaus auch das, was im Entwurf des Bundesrates steht. Da haben wir uns ja sehr stark angenähert. Berücksichtigen wir aber auch, was in der Anhörung gesagt worden ist. Dann können wir endlich einen wesentlichen Schritt weiterkommen, damit die Juristenausbildung in Zukunft den Juristen und die Juristin wirklich für den Beruf ausbildet, den sie nachher ausüben sollen. ({8}) Vielen Dank. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort dem Kollegen Professor Dr. Edzard Schmidt-Jortzig für die FDP-Fraktion.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002781, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir heute verbindlich über eine Reform der Juristenausbildung beraten, ist eigentlich schon für sich genommen ein Ereignis. ({0}) Darauf ist bereits verschiedentlich hingewiesen worden. Ich will aber, bevor Sie zu heftig klatschen - das muss ja für einen Oppositionellen immer verdächtig sein - darauf hinweisen, dass die holde Regierung bzw. Koalition ja richtiggehend zur Jagd getragen werden musste. ({1}) Wenn die FDP nicht bereits vor zwei Jahren ihren Entwurf vorgelegt und „Feuer unterm Frack“ entfacht hätte, wären wir wahrscheinlich heute noch nicht so weit, darüber verbindlich zu diskutieren. ({2}) - Sie, Herr Kollege Stünker, haben das freundlicherweise auch gewürdigt. ({3}) Was nun die Koalition als Entwurf vorlegt und der Bundesrat auf den Weg bringt, ist leider immer noch nicht der große Wurf. Reform scheint wieder einmal nur als Faktum des Veränderns als solcher und nicht als inhaltliche, sachbezogene Optimierung verstanden zu werden. Um es auf einen kurzen Nenner zu bringen: Die bisher übermäßige Justizlastigkeit wird nun gegen eine zu einseitige Anwaltslastigkeit ausgetauscht, ({4}) und die Not leidende Grundausbildung in Methodik, Kernfächern und Systembeherrschung bleibt weiterhin Stiefkind, ja, erfährt sogar Ausdünnung und Abstriche. Das muss man deutlich sehen. Jetzt will ich mich aber - das ist auch die eigentliche Aufgabe des FDP-Redners - dem guten Entwurf, nämlich dem FDP-Entwurf, widmen. ({5}) Der FDP-Entwurf will entgegen Ihrem Konzept an die Wurzeln des Übels gehen. Sie haben manche Dinge beschrieben, aber Ihre Therapie ist völlig unzureichend. Auch der FDP-Entwurf rückt der überkommenen Justizlastigkeit der Ausbildung zu Leibe, will aber die anderen Hauptberufsfelder offen danebenstellen und zwischen ihnen qualifikatorische Ebenbürtigkeit sowie weitgehende Durchlässigkeit sicherstellen. Vor allem soll unter Beibehaltung der Zweistufigkeit die erste Ausbildungsstufe, das Studium, qualitativ durchpariert werden: Verringerung der ausufernden Überblickskenntnisse in den Sondergebieten gegen Vertiefung und Intensivierung der Einarbeit in den Grunddisziplinen, Systembeherrschung statt Detaildilettantismus, Substanzjurist statt PISA-Jurist. Das heißt: Das erste Examen gehört - insofern gehe ich, verehrte Kollegen aus der CDU, über das hinaus, was die Koalition vorlegt - in die Universität. ({6}) Es muss danach ein verlässliches Ranking zustande gebracht werden, damit auch Konkurrenz stattfindet. Denn das ist bei dem schwerfälligen Apparat der Universitäten und der Fakultäten das einzige, was dort Bewegung schafft. Das erste Examen soll bereits die volle Qualifikation als Jurist vermitteln. Danach, lieber Kollege Ströbele, kommt in die zweite Ausbildung, die dann nur noch eine Zusatzausbildung ist, weil man bereits Volljurist ist, nicht mehr automatisch jeder graduierte junge Jurist, sondern nur derjenige, welcher sich für einen der staatlich garantierten Rechtsberufe in einem qualitativen Auswahlverfahren qualifiziert hat. ({7}) - In der Tat, das steht auch so in unserem Entwurf. Natürlich ist diese Zusatzausbildung staatlich finanziert. Sie argumentieren da auf der alten Schiene, so nach dem Motto: Ihr wollt das alles auf die privaten Portemonnaies verschieben. - Das geht an der Sache völlig vorbei. Hier sollen gleichberechtigt ein Justizvorbereitungsdienst, ein Anwaltsvorbereitungsdienst und ein Verwaltungsvorbereitungsdienst eingerichtet werden, die jeweils mit einem zweiten Examen - jetzt Staatsexamen - abschließen. Es sei nach allem - man hat in der umfassenden Debatte nur ganz geringe Zeitbudgets, deswegen komme ich schon zum Schluss - der Koalition noch einmal sehr geraten, weniger auf Modeaspekte - Stichwort: soziale Kompetenz; keiner weiß, was das ist ({8}) - nein, Sie können es mit Sicherheit nicht definieren oder tragen Dinge vor, die jedenfalls nichts mit Juristerei zu tun haben - und auf Einsparungseffekte zu achten als auf wirkliche substanzielle Verbesserungen. Wir müssen unsere jungen Juristen in ihrer europäischen Konkurrenzfähigkeit stärken und eine hohe Qualität der deutschen Rechtsdienstleistung sichern. Das ist unsere Verantwortung, nichts anderes. Besten Dank. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der PDS spricht die Kollegin Sabine Jünger.

Sabine Jünger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003156, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Juristenausbildung in Deutschland steckt seit Jahren in einer Sackgasse. Ich meine, dass Ihnen allen die Probleme bekannt sind. Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben darüber bereits gesprochen. Da meine Redezeit nur halb so lang ist wie die des Kollegen Stünker, möchte ich auf weitere Aufzählungen verzichten und fasse kurz zusammen: Die Juristenausbildung ist an vielen Punkten eine Zumutung für die einzelnen Studentinnen und Studenten sowie Referendarinnen und Referendare. Sie geht an den Anforderungen unserer Zeit und an den Anforderungen des Justizwesens deutlich vorbei. Es ist seit vielen Jahren klar, dass eigentlich nur eine grundlegende Reform die Misere beseitigen kann. Deshalb finde ich es umso enttäuschender, dass Bundesrat und Regierungskoalition, wie ich gelesen habe, nun Gesetzentwürfe vorlegen, die aus meiner Sicht bestenfalls als lau bezeichnet werden können. Ich frage mich zum Beispiel: Warum halten Sie bis zum zweiten Staatsexamen am Bild des Einheitsjuristen fest? Die in den Gesetzentwürfen vorgesehene stärkere Ausrichtung der Ausbildung auf den Anwaltsberuf ist vielleicht sinnvoll, aber sie ist meines Erachtens in dieser Form allein nicht mehr ausreichend. Eine flexiblere Handhabung ist in den Zeiten ausdifferenzierter gesellschaftlicher Vorgänge nötig. Weshalb wollen wir gerade im Bereich der Justiz auf Spezialisierungen verzichten? Warum sollen sich Jurastudentinnen und -studenten nicht auf ihre künftigen Aufgaben vorbereiten? Kritisches Denken zu fördern und ein Bewusstsein für gesellschaftliche Verantwortung zu entwickeln war bisher nicht unbedingt Bestandteil der Lehre und wird es, wenn es nach Ihren Gesetzentwürfen geht, leider auch zukünftig nicht sein. Nun fordert die Koalition als Zugangsvoraussetzung zum Richteramt Sozialkompetenz. Dagegen kann man erst einmal gar nichts haben. ({0}) Da bin ich ganz anderer Meinung als der Kollege Schmidt-Jortzig. Aber erwerben soll der Richternachwuchs diese Kompetenz durch eine zweijährige Berufserfahrung auf anderen juristischen Gebieten. Meine Damen und Herren, Sozialkompetenz ist immer gut und wichtig; das sage ich gern noch einmal. Allerdings - ich weiß, dass der Kollege Stünker das manchmal auch sagt, hier natürlich nicht; deshalb sage ich es jetzt -: habe ich den Eindruck, dass es einen gegenteiligen Effekt haben könnte. Welche fähige Juristin, welcher fähige Jurist wird nach zwei Jahren Berufserfahrung, wenn er vielleicht gerade den Einstieg in eine Kanzlei geschafft hat, die Aussicht auf eine gut bezahlte Karriere aufgeben, um in den Staatsdienst in seinem heutigen Zustand zu wechseln? Ich weiß nicht, ob das die beste Variante ist. Immerhin - das muss man der SPD, dem Bündnis 90/ Die Grünen und auch dem Bundesrat zugute halten - haben Sie es vermieden, den Eindruck zu vermitteln - wie es die FDP getan hat -, dass das Ganze ausschließlich der Kostenreduzierung dienen soll. Warum allerdings wollen Bund und Länder keinen Abschluss nach dem Vorbild des Bachelor einführen? Ich meine, das wäre ein Vorschlag. Seit Jahren schon ringen Vertreterinnen und Vertreter der Hochschulen, der Berufsverbände sowie Justizministerinnen und Justizminister um eine Reform der Juristenausbildung. Mit den nun vorliegenden Gesetzentwürfen werden große Ansprüche erhoben: die Studienzeit verkürzen, das Studium praxisgerechter machen und gleichzeitig Absolventen haben, die alles können. Das ist alles gut und schön. Indem Regierung und Bundesrat allerdings unhinterfragt am Einheitsjuristen festhalten und sich vor einer wirklichen Überarbeitung und Straffung der Ausbildung drücken, vergeben sie die Chance, die Juristenausbildung in Deutschland zu modernisieren und an den komplexen Erfordernissen der heutigen Gesellschaft zu orientieren. Danke schön. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile das Wort dem Justizminister von Nordrhein-Westfalen, Jochen Dieckmann. Jochen Dieckmann, Minister ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates ist eine Gemeinschaftsarbeit aller Länder. In einer Einigkeit, die wahrscheinlich selten geworden ist, ist es uns gelungen, einen Gesetzentwurf zu präsentieren, der die Juristenausbildung spürbar verbessert und es dank seiner hohen Flexibilität möglich macht, diese Ausbildung rasch den sich weiter wandelnden Erfordernissen im Rechtsleben und im Wirtschaftsleben anzupassen. Er ist das Ergebnis einer langen und sehr intensiven Diskussion, die bereits Gelegenheit gegeben hat, einiges zu klären, Herr Röttgen. Da ist zum Beispiel das Bekenntnis zum Einheitsjuristen, da ist auch die klare Orientierung am anwaltlichen, am rechtsberatenden, am rechtsgestaltenden Tun. Ich glaube, in der Zielsetzung stimmen alle Entwürfe überein: Wir wollen die Juristenausbildung modernisieren. Der ganz große Wurf war nicht möglich; aber wir tun einen großen Schritt nach vorne. Nach dem Verständnis der Länder muss die Juristenausbildung beides können: Sie muss den jungen Juristinnen und Juristen eine solide Grundausbildung in allen großen Rechtsgebieten bieten; sie muss ihnen aber auch Einblicke in die vielfältigen beruflichen Tätigkeiten eröffnen, die für sie später offen stehen. Eine moderne Ausbildung verträgt deshalb kein starres Korsett; sie braucht Freiräume und Entwicklungsmöglichkeiten. Diese werden ihnen mit dem Länderentwurf eingeräumt. Wir verkennen dabei nicht, dass die weit überwiegende Mehrheit der Absolventinnen und Absolventen den Anwaltsberuf ergreift. Daraus haben wir zwei Konsequenzen gezogen. Erstens. Die Juristenausbildung hat sich auf allen Stufen der Ausbildung, das heißt vom ersten Tag des Studiums an, verstärkt am Anwaltsberuf zu orientieren. Das ist so gewollt. Es wäre zu kurz gegriffen, dies als anwaltliche Orientierung zu verstehen. Damit sind auch die Tätigkeit des Notars und alle rechtsgestaltenden bzw. rechtsberatenden Tätigkeiten umfasst. Zweitens. Gerade wegen der hohen Anwaltszahlen müssen wir von Anfang an jedes Interesse fördern, einen anderen juristischen Beruf als den des Anwalts zu ergreifen. Bei mehr als 110 000 zugelassenen Anwältinnen und Anwälten wäre es das falsche Signal, auch noch alle Referendarinnen und Referendare zwangsweise zu Anwältinnen und Anwälten auszubilden. Wir halten es auch nicht für zukunftsweisend, all diejenigen, die Richterinnen und Richter werden wollen, zu zwingen, für mindestens zwei Jahre im Anwaltsberuf tätig zu sein. Damit ich nicht missverstanden werde: Wir alle sind für die Stärkung der sozialen Kompetenz und haben davon auch eine klare Vorstellung. Hier ist nicht die Zeit, das im Einzelnen darzulegen. Wir sind in der glücklichen Lage, in großer Zahl Nachwuchskräfte einzustellen, die bereits Berufserfahrung haben. Dies aber zwingend vorzuschreiben wirft viele Fragen auf, über die noch diskutiert werden muss. Es wird noch Gelegenheit geben, die Gesetzentwürfe im Einzelnen zu diskutieren. Es wird sicherlich möglich sein, dabei Verständigungen zu finden. Die bislang geführte Diskussion ist dafür eine gute Grundlage. Ich möchte noch auf einen Punkt besonders eingehen. Es handelt sich um die Frage, ob eine zwölfmonatige Pflichtausbildung beim Anwalt für alle Referendarinnen und Referendare vorgesehen werden soll oder ob dies nur gelten soll, wenn jemand zur Anwaltschaft zugelassen werden will. Nach dem Länderentwurf muss jeder - aber auch nur derjenige -, der zur Anwaltschaft zugelassen werden will, mindestens zwölf Monate von einem Anwalt ausgebildet worden sein. Diese Regelung verdient nach unserer Auffassung den Vorzug. Zum einen garantiert sie, dass jeder, der den anwaltlichen Beruf ergreifen will, mindestens ein Jahr lang von einem Anwalt ausgebildet worden ist; zugleich sichert sie das uns wichtige Höchstmaß an Flexibilität und Individualität. Wer von Anfang an entschlossen ist, eine andere Berufstätigkeit zu ergreifen - sei es in der öffentlichen Verwaltung oder in der Europäischen Union -, der kann dies nach dem Länderentwurf - aber auch nur nach dem Länderentwurf - in gleichem Maße wie jemand tun, der sich für den Anwaltsberuf interessiert. Die intensive Vorbereitung auf andere juristische Berufe erfordert zwangsläufig einen hinreichenden Freiraum in der Gestaltung der Ausbildung. Das wird nicht möglich sein, wenn ein ganzes Jahr beim Anwalt absolviert werden muss. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nur kurz erwähnen, dass in dem Länderentwurf die Belastungen für die Anwaltschaft, die mit dieser Ausbildung verbunden sind, möglichst gering gehalten werden. Sie lässt - das ist für die weitere Debatte ein wichtiger Punkt - auch ausreichenden Spielraum für die in Zukunft noch zu treffenden Länderregelungen. Ich glaube, wir sollten im Bundesgesetz nicht zu viele Einzelheiten regeln, sondern es in bewährter Weise den Landesgesetzgebern überlassen, die Einzelheiten zu regeln. Wir als Verantwortliche in Bund und Ländern stehen ständig in der Pflicht, die Juristenausbildung an die veränderten Anforderungen unserer Lebenswirklichkeit anzupassen. Die Länder haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Juristenausbildung den modernen Anforderungen anpasst, der anwalts- bzw. beratungsorientiert und dynamisch, flexibel und europafreundlich ist. Er baut auf Eigeninitiative und Eigenverantwortung. Die Chance, die Juristenausbildung auf diese Weise spürbar zu verbessern, war nie größer als heute. Wir sollten sie unbedingt noch in dieser Legislaturperiode nutzen. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/7176 und 14/7463 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Das Haus ist damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Norbert Lammert, Bernd Neumann ({0}), Renate Blank, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Verbreitung, Förderung und Vermittlung der deutschen Sprache - Drucksachen 14/5835, 14/7250 Da dieses Thema hohe Anforderungen an die nachfolgenden Redner stellt, bitte ich um Ihre besondere Aufmerksamkeit. ({1}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Sie sind einverstanden. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort für die Antragstellerin der soeben eintreffenden Kollegin Erika Steinbach.

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Feuilleton der „FAZ“ ({0}) - vom heutigen Tage - gibt es eine hochinteressante Analyse zur Situation der deutschen Sprache im In- und Ausland. Der Autor durchleuchtet darin als Sprachwissenschaftler akribisch die Haltung der Bundesregierung aufgrund der Großen Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Ich will es Ihnen und mir ersparen, daraus zu zitieren. Aber die Überschrift spricht wirklich Bände: „Deutschland zerstört seine Muttersprache“. ({1}) Das Beunruhigende daran ist, dass diese Bundesregierung das nicht einmal bemerkt. Denn der Antwortenkatalog, der heute zur Debatte steht, will suggerieren, dass bei uns in Deutschland, was unsere Muttersprache angeht, alles in bester Ordnung ist. Die Antworten der Bundesregierung sind von tiefster Zufriedenheit durchdrungen. Der Bundesregierung macht es keine Sorgen, dass das Interesse an der deutschen Sprache weltweit abnimmt, auch in unseren europäischen Nachbarländern. Sie lässt keinen Hauch von Erkenntnis durchschimmern über die deprimierende Situation der deutschen Auslandsschulen und die schwierigen Balanceakte, die das Goethe-Institut Jahr für Jahr vollziehen muss, um die Qualität seiner Arbeit halbwegs zu sichern. Die heile Welt, die der Antwortenkatalog der Bundesregierung vorzeigt, ist ein potemkinsches Dorf. ({2}) - Das ist eine Kulisse, die als russischer Ort vorgezeigt wurde. ({3}) - Richtig. Sie haben Recht. Die überragende Bedeutung der englischen Sprache ist weltweit unübersehbar. Dennoch wird das Erlernen des Deutschen in vielen Ländern mit der Erwartung besserer beruflicher Chancen verbunden. Das muss von Deutschland aber ausreichend gefördert werden. Wir dürfen uns da nicht indolent hinsetzen und die Hände in den Schoß legen. Sprache spielt im Wirtschaftsleben und im Bereich der Wissenschaft international eine wichtige Rolle. Investitionen in die Sprachkompetenz sind auch für Unternehmen wichtig für die Zukunft. Die Vermittlung der deutschen Sprache spielt für unser Land im Globalisierungsprozess und für Deutschlands Stellung in der Welt insgesamt eine wichtige Rolle. Das scheint manchem gar nicht so recht bewusst geworden zu sein. Ein anderer Bereich ist existenziell wichtig, wenn man die Bedeutung der Sprache nach außen tragen will. Sprachvermittlung hängt untrennbar mit der Wertigkeit der eigenen Sprache im Inneren dieses Landes zusammen. Hier hat uns die PISA-Studie - ich nehme an, damit geht es uns allen, egal welcher Partei wir angehören, gleich die Augen geöffnet. Mancher hat ja geahnt, wie dramatisch es ist, aber hier haben wir einen Beleg dafür: Sprachpflege, Sprachfähigkeit und Sprachverständnis werden in deutschen Schulen, jetzt für alle offenbar und offensichtlich, nur unzulänglich vermittelt; sie werden so vermittelt, dass wir im internationalen Vergleich ein wirklich trauriges Bild abgeben. ({4}) Ich hoffe sehr, dass der allgemeine Schock darüber keine Eintagsfliege bleibt und sich in Lehrplänen und im Lehralltag am Ende fruchtbar niederschlägt. Damit zöge man immerhin einen Gewinn aus den Ergebnissen dieser Studie. Dabei ist auch die Frage der Sprachintegration nach Deutschland zugewanderter Menschen nicht zu vernachlässigen. Die babylonische Sprachverwirrung in nicht wenigen Schulklassen hemmt das Verständnis untereinander und verhindert eine gute deutsche Sprachausbildung aller Schüler, egal welcher Nationalität. Auch die Sprachfähigkeit und Sprachkompetenz der deutschen Schüler wird dadurch am Ende beeinträchtigt. Dass das keine einfache Aufgabe ist, wissen alle im Lande. Wir müssen aber diese Aufgabe bewältigen. Einen wesentlichen Anteil daran haben die Bundesländer, aber auch die Bundesregierung und wir im Bundestag sind gefordert und dürfen die Augen davor nicht verschließen, denn wir müssen dieses Problem bewältigen. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort aber eines fast völlig übersehen, nämlich dass sich Menschen in Deutschland immer öfter in ihrer eigenen, deutschen Muttersprache nicht mehr ausreichend informieren können. Das ist mit der Feststellung, dass man Anglizismen hinnehmen müsse, nicht abgetan. Fremdwörter haben wir immer in unsere eigene Sprache eingebaut. Wir haben ein massives lateinisches Fundament, wir haben Vokabeln, die ihren Ursprung im Griechischen haben, wir haben viele französische Elemente in unserer Sprache. ({5}) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Anglizismen sind hinnehmbar, aber die Entwicklung ist ja dramatischer: Ein offener Blick ins Alltagsleben kann Ihnen das auch plastisch deutlich machen. Wer sehen will, der kann es sehen, und wer hören will, der kann es auch hören. Jüngst drückte eine wirklich freundliche Verkäuferin in einem großen Warenhaus den vorbeieilenden Kunden - einer davon war ich - eine eindrucksvolle Werbebroschüre in die Hand. Darin wurden kosmetische Produkte angepriesen: Für die Herren … - nein, so stand das da nicht drin, sondern: „for men - shaving foam bath soap“ und „for women - soft cleansing emulsion, peach and honey mask“ oder „eye make-up remover pads“. Ist das ein Einzelfall? Nein, natürlich ist das beileibe kein Einzelfall, das ist Alltag hier im Lande. Tagtäglich begegnet uns das. Heute flatterte mir auf meinen Schreibtisch - es kommt ja viel Werbung in unseren Abgeordnetenbüros an - eine hochelegante Einladung zur Präsentation der „spring summer collection“ eines Modehauses auf den Tisch. ({6}) Ein Flugschein? Nein, das „passenger ticket and baggage check“ lässt sich für den, der des Englischen nicht mächtig ist, nur mithilfe eines Dolmetschers entschlüsseln und auch die Werbung auf der Flugscheinhülle preist eine Uhrenmarke als „instruments for professionals“. Deutschsprachige Erläuterung dazu - absolute Fehlanzeige. Meine lieben Kollegen, einander verstehen zu können, dient dem friedlichen Miteinander, es dient der freundschaftlichen Kontaktpflege, es dient auch der kritischen Auseinandersetzung. Aber dieses Verstehen beginnt schon im eigenen Haus, im eigenen Land, in der eigenen Muttersprache. Denn am Anfang war wirklich das Wort. Man darf nicht Augen und Ohren davor verschließen, dass heute durch Werbung und mangelhafte deutsche Produktbeschreibung Millionen von Menschen vom Dialog im eigenen Heimatland ausgegrenzt sind, da dieser nicht mehr muttersprachlich geführt wird. Sie werden zu sprachlichen Analphabeten im eigenen Lande gemacht. ({7}) Wer kein Englisch gelernt hat, versteht das Hinweisschild „fasten your seat belt“ in einem Taxi eben nicht und hat doppeltes Pech, wenn er auf einen Taxifahrer trifft, der wiederum kaum Deutsch versteht und spricht. Wenn technische Alltagsgeräte wie Radio, Fernseher oder Videorekorder mit „On“ bzw. „Off“ ein- oder ausgeschaltet werden müssen, ist mancher Verbraucher nur noch mithilfe der Gebrauchsanweisung in der Lage, diese oder andere wichtige Tasten wie „Timer“, „Reverse“ usw. zu drücken und dabei zu wissen, was er damit auslöst - wobei die deutschsprachige Anweisung nicht selten erst auf den hintersten Seiten unter ferner liefen zu finden ist. Es ist mehr als eine Zumutung, muss ich Ihnen sagen, wenn die ältere Dame beim Einkauf im Supermarkt die Duftnote von Teelichtern erschnüffeln muss, weil sie nicht weiß, dass Strawberry Erdbeere oder Blueberry Blaubeere heißt. Das ist eine Entwürdigung von Menschen und das ist zutiefst unsozial. ({8}) So arrogante Bemerkungen wie „Die Enkelkinder könnten ja der Oma erläutern, was Sache ist“, erinnern mich fatal an die Aussage: Kinder, klärt eure Eltern auf. So findet tagtäglich soziale Ausgrenzung von Menschen statt. Das Tragische ist: Viele von diesen Menschen wagen kaum zu sagen, dass sie einen Teil ihres Sprachenalltags überhaupt nicht mehr verstehen. Zugewanderte, die sich zunächst mühsam in der deutschen Sprache zurechtfinden müssen, werden so noch etwas mehr aus unserer Gesellschaft ausgegrenzt. Diese Entwicklung über Jahrzehnte drängt unzählige Menschen im Lande in die Ecke. Sie können in Bezug auf das Sprachverständnis nicht mehr mithalten. Zu Deutschlands Sprachenalltag muss man am Ende mit Shakespeare sagen: „Sie sind auf einem großen Schmaus von Sprachen gewesen und haben sich die Brocken gestohlen.“ Damit zerstört Deutschland tatsächlich seine Muttersprache. Der Autor in der „FAZ“ hatte Recht. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Dr. Peter Eckardt.

Dr. Peter Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000431, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde mich mit dem Problem der Anglizismen nicht auseinander setzen, weil es dann vielleicht Lacher wegen meiner Aussprache des Englischen gäbe. Aber ich denke, der geschätzte Bamberger Sprachwissenschaftler Glück, der sich heute in der „FAZ“ - zeitgerecht für Sie, Herr Lammert - geäußert hat - in einem etwas holprigen Deutsch, vielleicht auch etwas zu langatmig -, will nicht bestreiten - das hat er mit seinem Aufsatz in der „FAZ“ auch nicht beabsichtigt -, dass die deutsche Sprache nicht nur eine wichtige Kultur- und Verkehrssprache ist, die noch immer von weit mehr als 100 Millionen Menschen in Europa und in der Welt gesprochen wird, sondern anerkanntermaßen auch eine wichtige Wissenschaftssprache, die seit der Gründung deutscher Universitäten neben Latein über Jahrhunderte gelehrt und gelernt wurde und wird. Da ich mich nicht in der Lage sehe, etwas zu beschönigen, muss auch erwähnt werden: Ihre Bedeutung ist weltweit zurückgegangen. Ich kann aber nicht erkennen, dass die jetzige Regierung in Berlin in irgendeiner Form Schuld daran trägt, und ich kann auch nicht erkennen, dass die Regierung alles schönredet, wie das im „FAZ“Artikel behauptet wird. Die Überschrift „Deutschland zerstört seine Muttersprache“ ist unangemessen. An den Hochschulen - nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Ländern - wird in unserer Sprache nicht nur gesprochen, sondern auch in deutscher Sprache gelehrt und es werden Forschungsergebnisse in deutscher Sprache veröffentlicht. Die Tendenz ist trotz gegenteiliger Meinungsäußerungen teilweise steigend, erfreulicherweise besonders in Osteuropa und Südostasien. Deutsch ist neben Russisch die auch in den Lehrveranstaltungen der Hochschulen Europas von den Studierenden am meisten gesprochene und geschriebene Muttersprache. Es ist richtig, die Bedeutung der deutschen Sprache als Wissenschaftssprache ist zurückgegangen, von der Aufklärung bis weit in das 20. Jahrhundert hinein ganz allmählich. Mir hat noch niemand gesagt, welche Möglichkeiten es gibt, diesen Prozess aufzuhalten. Konnte Humboldt vor 180 Jahren noch unwidersprochen definieren: „Gebildet ist, wer Latein spricht“ - wobei er unterstellte, dass natürlich auch Deutsch gesprochen wurde -, gilt heute die Definition: „Weltoffen ist, wer gut Englisch spricht“ - natürlich unterstellt, dass man dann auch gut Deutsch sprechen kann. Der Rückgang des Deutschen beschleunigte sich erst - da hat Herr Glück Recht - mit dem Bedeutungsverlust der Wissenschaft in Deutschland während der 30er-Jahre in der Nazizeit und ist keine aktuelle Entwicklung, aber eine Entwicklung, unter der wir noch heute leiden. Während Thomas Mann auch im Exil in deutscher Sprache geschrieben hat, haben Wissenschaftler - im Wesentlichen im naturwissenschaftlichen Bereich - und andere Schriftsteller während ihres Exils des Überlebens wegen oft die Sprache wechseln müssen, um überhaupt gehört zu werden. Wenn ich aber aus der Großen Anfrage der CDU/CSU herauslese, dieser Prozess habe sich erst in den letzten Jahren beschleunigt, so liegt diese Einschätzung neben der Realität. Wenn in dieser Anfrage intendiert wird, dass es politisch möglich sein könne, durch Sprachschutzgesetze, Quoten, Gerichtsurteile oder andere Restriktionen die deutsche Sprache zu retten, sie gar wieder zu einer Weltumgangssprache zu machen, dann ist dies eine wissenschaftliche Fehleinschätzung. Am Bedeutungsverlust des Französischen in der Welt und in Europa kann man ablesen, wie trotz der Schutzgesetze und Förderprogramme dieser Prozess nicht aufzuhalten war. Eine schnelle und über Grenzen hinweg geführte Kommunikation, meist auf elektronischem Wege, zwingt heute gerade zu einer gemeinsamen Sprache der Kommunikation und lässt wenig Platz für andere als lateinische Buchstaben und wenig Raum für andere Sprachen als Englisch. Wir als Deutsche werden akzeptieren müssen, dass in technischen und ingenieurwissenschaftlich gestützten Kommunikationen auch in der Zukunft ausschließlich in Englisch gesprochen und geschrieben wird. Wir sollten uns bei unseren Bildungskonzepten darauf einstellen. Diese Entwicklung sollte auch nicht aufgehalten werden, garantiert sie doch eine länderübergreifende Zusammenarbeit, die allen Ländern Chancen und Erfolge bringt. Unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind nämlich auf Kommunikation, Kooperation und Austausch angewiesen, nicht die anderen auf uns. Mit mehreren Gesetzen zur Förderung des Wettbewerbs und der Leistungsfähigkeit und finanziell gestützten Programmen hat diese Regierung diesen wissenschaftlichen Austausch, der uns allen nützt, wieder in Schwung gebracht. Sie hat damit mehr getan, als möglicherweise durch Gesetze, die unsere Sprache schützen sollen, erreicht werden könnte. ({0}) Was sollten wir weiter tun, um die deutsche Sprache in der Wissenschaft zu fördern? Das Lehren und Lernen von Sprachen im Tandem und eine leistungsfähige Übersetzungskunst verbessern trotz der Allgegenwart von Englisch nicht nur die Internationalität von Wissenschaft, sondern nützen der deutschen Sprache und Wissenschaft gleichermaßen. Auf diese Aufgaben sollten wir uns bildungspolitisch konzentrieren. Dann können wir auch weiterhin sicher sein, dass in den Geisteswissenschaften und in den literaturbezogenen Bereichen die Kommunikation in deutscher Sprache weltweit zukünftig nicht nur erhalten wird, sondern noch ausbaufähig ist. Voraussetzung für die Entwicklung ist die Förderung der deutschen Sprache im Ausland, dort, wo sie gepflegt wird, damit die Kenntnisse nicht über zwei Generationen abreißen, was das große Problem ist. Diese Kontinuität ist in einigen Ländern Südamerikas und Asiens gefährdet. Es versteht sich wissenschaftspolitisch von selbst, dass die Finanzmittel hierfür nie genügen können. Vor 150 Jahren wurden - so habe ich gelesen - noch viele Lehrveranstaltungen an berühmten europäischen Universitäten vollständig in deutscher Sprache gehalten. Die Zeiten, als in Coimbra in Portugal, in Dorpat in Estland und in Prag ausschließlich in deutscher Sprache gelehrt wurde und die Medizinstudenten Anatomie aus deutschen Lehrbüchern lernten, sind natürlich längst vorbei. Man kann, ohne Prophet zu sein, sagen: Sie werden auch nicht wiederkommen. Aber zarte deutsche Sprachpflanzen auch außerhalb der Germanistik blühen an den ausländischen Universitäten, die Lehrveranstaltungen in deutscher Sprache anbieten und in deutscher Sprache publizieren. In dem von vielen für die Wissenschaft überschätzten Internet spielt die deutsche Sprache ebenfalls kein Schattendasein, was Sie gut beobachten können, wenn Sie sich dieses Mediums bedienen. Aber ich bin sicher, dass die deutsche Sprache auch zukünftig eine wichtige Rolle in der Wissenschaft spielen wird. Sie muss lediglich vor Politikern und Journalisten geschützt werden, die ihr oft arg mitspielen. Vielleicht ist die Reihenfolge eine andere als die, die ich gerade genannt habe. Danke schön. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Gerhard Schüßler.

Gerhard Schüßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003232, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Essen Sie gerne Äpfel? Wenn ja und wenn Sie heute Mittag zufällig im Restaurant gewesen sein sollten, haben Sie sich sicherlich über die dort kostenlos dargebotenen Äpfel aus Südtirol gefreut. Wenn Sie sich einen solchen Apfel genauer angesehen haben, dann haben Sie auf jedem einen Aufkleber bemerkt, der wohl Aufschluss über den Namen der ApDr. Peter Eckardt felsorte geben soll. Wohlgemerkt: Der Apfel kommt aus Südtirol. Er hat aber weder einen italienischen noch einen deutschen Namen, sondern er heißt „Pink Lady“. ({0}) Hier haben Sie exemplarisch das, worum es heute eigentlich geht. Im weltweiten Sprachenwettbewerb liegt die englische Sprache ganz klar vorn. Diese Erkenntnis verdanken wir allerdings nicht der Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion und deren Beantwortung durch die Bundesregierung. Mit dieser Erkenntnis schlagen sich Kulturpolitiker und ganze Heerscharen von Sprachwissenschaftlern seit geraumer Zeit herum. Doch die manchmal künstliche, manchmal wissenschaftlich fundierte Erregung über diesen Umstand ist zwar wohlfeil, geht aber nach meiner Überzeugung in die falsche Richtung. Wenn wir im Wettbewerb der Sprachen stehen, sollten wir uns nicht über Anglizismen in der deutschen Sprache, über die auch ich mich zugegebenermaßen oft ärgere, und auch nicht über das so genannte „Denglisch“, wie man sarkastischerweise sagt, ereifern. Wir müssen uns vielmehr fragen, welche Rolle die deutsche Sprache im Inund insbesondere im Ausland in Zukunft spielen soll und wie wir dieses Ziel erreichen wollen. ({1}) Zwei Dinge sollten uns bei dieser Diskussion von vornherein klar sein: Erstens. Die deutsche Sprache hatte nicht zuletzt wegen der politischen Situation nach dem Dreißigjährigen Krieg zu keinem Zeitpunkt seit dem 17. Jahrhundert Chancen, als Weltsprache mit dem Englischen oder dem Französischen zu konkurrieren. Deshalb sollten wir auch heutzutage nicht versuchen, dem Englischen den ersten Rang in der Riege der Sprachen der Welt streitig zu machen. Zweitens. Für jeden Kulturstaat ist die eigene Sprache die wesentliche Basis seines Selbstverständnisses. Hier sind erhebliche Versäumnisse von Schulen und in Sonderheit auch von Medien festzustellen. ({2}) Es kann schon grausam sein, die Sprache mancher Moderatoren im deutschen Fernsehen „genießen“ zu müssen. Die deutsche Sprache ist nämlich unmittelbar verbunden mit dem Ansehen Deutschlands in der Welt als Land der Dichter und Denker, mit den hervorragenden Zeugnissen des 19. und 20. Jahrhunderts und mit den wissenschaftlichen Höchstleistungen deutscher Universitäten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Erfreulich ist, dass seit der Wiedervereinigung Deutschlands die bis zu diesem Zeitpunkt vorhandene eher rückläufige Tendenz in Bezug auf die Verbreitung der deutschen Sprache in der Welt umgekehrt wurde. Die Position der deutschen Sprache wurde seitdem nicht nur gefestigt, sondern auch ausgebaut. Insbesondere in den Staaten Mittelosteuropas bis hin nach Russland erfreut sich die deutsche Sprache, die dort einmal Lingua franca war, wieder großer Beliebtheit. Dass dies so ist, ist zum Großteil das Verdienst des Goethe-Instituts - mittlerweile Goethe-Institut Inter Nationes -, das wirklich unermüdlich an der Verbreitung unserer Muttersprache in diesen Ländern arbeitet. Wenn Sie sehen, welche Aktivitäten trotz knapper werdender Mittel entfaltet worden sind, dann können Sie vor dieser Leistung nur den Hut ziehen. Aber nicht nur dort, wie es sich dem jüngsten Bericht des Goethe-Instituts Inter Nationes entnehmen lässt, wird die deutsche Sprache im Ausland gefördert. Die Menschen unterschiedlichster Nationalität und Herkunft lernen Deutsch bei „Goethe“. Damit - das sei an dieser Stelle einmal deutlich gesagt - erfüllen die Mitarbeiter des Goethe-Instituts Inter Nationes nicht nur ihre Pflicht, sondern sie leisten im wahrsten Sinne des Wortes Dienst am Vaterland. ({3}) Gerade für Deutschland ist es wichtig, dass andere Menschen unsere Sprache erlernen und dadurch Kenntnisse über unser Land und seine Menschen erlangen. Beides ist Voraussetzung dafür, aktuelle Informationen über Deutschland aufzunehmen und richtig zu verwerten. ({4}) Dem gerade aus dem Amt verabschiedeten Hilmar Hoffmann und all seinen Mitarbeitern möchte ich in diesem Zusammenhang auch im Namen der FDP-Bundestagsfraktion nochmals Dank und Anerkennung für diese Arbeit aussprechen. ({5}) Zum Schluss möchte ich auf die Debatte von heute Morgen zur auswärtigen Kulturpolitik hinweisen. Die Verbreitung der deutschen Sprache im Ausland leidet unter Sparmaßnahmen bei den Mittlerorganisationen, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen. Zu Zeiten der Regierung Kohl haben wir noch ein Sonderprogramm für die deutsche Sprache mit einem Volumen von 40 Millionen DM aufgelegt. Davon ist heute keine Rede mehr. Aber die diesbezüglichen Vorwürfe hat Herr Hoffmann an die Adresse der Bundesregierung im Rahmen seiner Abschiedsrede in der vergangenen Woche in München erneut vorgetragen. Die Vorwürfe waren eindeutig. Nur scheint dies bei der Bundesregierung und den Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen nicht gefruchtet zu haben. Für die deutsche Sprache im Ausland und das Ansehen Deutschlands in der Welt ist das außerordentlich bedauerlich. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle begegnen täglich vielen Menschen. Wir sprechen mit ihnen und halten Reden in mehr oder weniger vollen Sälen. Wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages sind in Sonderheit aufgerufen, einen sorgsamen Umgang mit unserer Sprache zu pflegen und ihre Markierungen und manipulierenden Verkleidungen zu enthüllen. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich gebe dem Staatsminister Dr. Ludger Volmer das Wort.

Not found (Gast)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sprachenpolitik bestimmt nicht die Schlagzeilen, sie ist aber gewichtiger Teil einer auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, die - so unterstrich Bundespräsident Rau in seiner Neujahrsansprache vor dem Diplomatischen Corps nicht weniger ist als „die beste zivile Krisenprävention“. Förderung von Mehrsprachigkeit ist Kernelement einer solchen Politik. Dies gilt besonders im europäischen Kontext. Mehrsprachigkeit hilft, die europäische Integration auf ein festes kulturelles Fundament zu stellen. Nur wenn alle Sprachen in der EU geachtet werden, wird diese zur Heimat für die Bürgerinnen und Bürger. ({0}) Mit dem „Europäischen Jahr der Sprachen“ in 2001 sollte bewusst gemacht werden, welch entscheidende Rolle Mehrsprachigkeit für Europas Zukunft spielt. Dieses Ziel, engagiert unterstützt durch die Bundesregierung, wurde dank zahlreicher öffentlichkeitswirksamer Projekte erreicht. Allein in Deutschland haben über 1 000 Veranstaltungen stattgefunden, von Sprachenfestivals bis zu Konferenzen, von Wettbewerben bis zu Theaterwochen. Förderung von Mehrsprachigkeit bedeutet zunächst, dass wir Deutschen mehr Sprachen lernen sollten. Wir können nur dann glaubwürdig für die deutsche Sprache im Ausland werben, wenn wir selbst Fremdsprachen lernen. In allen Bundesländern beginnt der Fremdsprachenunterricht mittlerweile bereits in der Grundschule. Dieser frühe Beginn ist nicht nur pädagogisch sinnvoll, er ermöglicht es auch, eine zweite Fremdsprache auf breiter Basis einzuführen. Heute haben wir erlebt, Frau Steinbach, wie Sie sich um die Förderung der russischen Sprache - „potemkinsche Dörfer“ - im Bundestag verdient gemacht haben. Auch das ist zu begrüßen. Mehrsprachigkeit bedeutet auch, Fremdsprachen, namentlich Englisch, stärker an unseren Bildungseinrichtungen zu etablieren. Englisch dominiert zusehends die Wissenschaft, auch wenn Deutsch insbesondere in den philosophischen Fächern noch bevorzugt wird. Das Internet verstärkt die Dominanz des Englischen weiter, ohne dass dort allerdings das Deutsche verschwindet. Den Wettbewerb um die besten Köpfe können wir also nur erfolgreich bestreiten, wenn wir jungen Menschen aus aller Welt die Chance geben, an unseren Schulen und Hochschulen auf Englisch zu studieren. ({1}) Im Rahmen des Programms „International ausgerichtete Studiengänge“ fördert die Bundesregierung deshalb mit 35 Millionen Euro 52 Studiengänge, in denen verstärkt Englisch verwendet wird. So lässt sich Deutschland als Wissenschaftsstandort attraktiv erhalten. ({2}) Dies kann umgekehrt aber auch erleichtert werden, wenn Schüler und Studenten die deutsche Sprache in ihren Heimatländern erlernen. Gerade dann werden sie den Wunsch haben, ihre Kenntnisse an einer deutschen Hochschule zu vertiefen. Eine wichtige Aufgabe ist also die Förderung der deutschen Sprache im Ausland. Wo Deutsch gelehrt und gelernt wird, genießen wir einen Sympathievorschuss, der sich in kulturellem Austausch, politischen Verhandlungen oder wissenschaftlichen Investitionen positiv auswirkt. Hier spielen übrigens auch all die Deutschstämmigen, die die Sprache konservieren und weitergeben, eine wertvolle Rolle, auch wenn ihr eigenes Deutschlandbild hier und da einer Modernisierung bedarf. Wir alle sind uns, wie ich meine, vollkommen darüber einig, welchen Stellenwert die Deutschförderung im Ausland gerade im Zeitalter der Globalisierung hat. Deutsch gehört nach wie vor zu den bedeutendsten und attraktivsten Sprachen. Etwa 91 Millionen Menschen sprechen Deutsch als Muttersprache. Schätzungen gehen von bis zu 55 Millionen weltweit aus, die Deutsch als Zweitsprache gelernt haben. Ein Zentrum liegt in Mittel- und Osteuropa und in den GUS-Staaten. Hier steht Deutsch nach Englisch an zweiter Stelle. Allein in Russland lernen knapp 4 Millionen Schüler Deutsch. Es gibt aber auch gegenläufige Tendenzen: In wichtigen Partnerstaaten, wie Frankreich und den Niederlanden, ist die Zahl der Deutschlernenden rückläufig oder nimmt die Intensität des Unterrichts ab. Um Verbreitung, Pflege und Vermittlung der deutschen Sprache auf dem immer wichtiger werdenden elektronischen Wege macht sich zum Beispiel auch die Deutsche Welle verdient. Sie präsentiert ein weltweites Fernseh-, Radio- und Internetangebot, das von der Bundesregierung in 2001 mit etwa 290 Millionen Euro finanziert wurde. ({3}) Deutsche Welle, ARD und ZDF haben gemeinsam und unterstützt durch die Bundesregierung einen weiteren wichtigen Schritt getan und präsentieren seit Beginn dieses Jahres einen eigenständigen deutschen Kanal zunächst auf dem amerikanischen Markt, also ein Programm ausschließlich in deutscher Sprache. ({4}) Dies geschieht übrigens auf der Basis des Pay-TV; deshalb können die staatlichen Zuschüsse auch reduziert werden. Die Bundesregierung hat im letzten Haushaltsjahr ihr elementares Interesse an der Förderung der deutschen Sprache unter Beweis gestellt und über 240 Millionen Euro für entsprechende Programme ausgegeben. Mehr als 40 Prozent des Kulturhaushalts des Auswärtigen Amtes stehen damit in Verbindung. Zu nennen sind die Ausbildung von Deutschlehrern, die Entsendung von Lehrern und DAAD-Lektoren, die Sprachkurse an Goethe-Instituten und - besonders wichtig - die Förderung der deutschen Sprache in den mittel- und osteuropäischen Ländern. Hauptzielgruppe sind die aktuellen und künftigen Führungsschichten in Politik und Gesellschaft. Parallel dazu versucht das Auswärtige Amt, die Effizienz der Programme zu steigern. So versuchen wir gemeinsam mit den Goethe-Instituten, die Anzahl defizitärer Sprachkurse dort abzubauen, wo ein vergleichbares kommerzielles Angebot besteht. Auch in diesem Zusammenhang danke ich Hilmar Hoffmann für seine kritische Kooperation. Die Stellung der deutschen Sprache in den EU-Institutionen wird zu Recht häufig thematisiert. Die Bundesregierung legt großen Wert darauf, dass Deutsch als die Sprache mit der größten Zahl an Muttersprachlern in der EU - sie ist im Internet übrigens die am zweithäufigsten benutzte europäische Sprache - in den Institutionen angemessen berücksichtigt wird. Die Bundesregierung wendet sich mit Nachdruck gegen eine Veränderung des Sprachenregimes in den verschiedenen EU-Gremien zu Ungunsten der deutschen Sprache. Aufgrund eines gemeinsamen Schreibens von Bundesminister Fischer und seinem französischen Kollegen Védrine an den Kommissionspräsidenten Prodi wurden Pläne verworfen, das im Kollegium der Kommission geltende bewährte Dreisprachenregime zu ändern. ({5}) Das Auswärtige Amt hat außerdem die Zahl der Deutschkurse für EU-Mitarbeiter und für mit EU-Fragen befasste Beamte aus den Beitrittsländern deutlich vergrößert. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang bei den Ländern für die hervorragende Kooperation auf all diesen Gebieten ausdrücklich bedanken. ({6}) Meine Damen und Herren, Sprache ist lebendig, Sprache wächst in der Bevölkerung, Sprache ist nicht reglementierbar. Von daher wäre es unsinnig, zu versuchen, sie in ein starres Gesetzeskorsett zu packen. Dennoch weiß die Bundesregierung um die Wichtigkeit der Mehrsprachigkeit und der Förderung des Kulturgutes deutsche Sprache für den weltweiten interkulturellen Dialog, für die Globalisierung und die europäische Integration. Ich versichere Ihnen: Sie wird sie auch weiterhin kraftvoll fördern. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile der Kollegin Maritta Böttcher für die Fraktion der PDS das Wort.

Maritta Böttcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002631, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte jegliche Pflege des Fremdsprachenunterrichts, auch wenn er seine Dividende nicht in Euro und Cent ausweisen kann, für eine der wichtigsten Zukunftsinvestitionen. ({0}) Das Erlernen der Sprache des Fremden führt dazu, dass er dies nicht mehr ist. Das bestätigt durchaus die Intention der Fragesteller - Verbesserung der Vermittlung der deutschen Sprache im Ausland -, macht aber erst richtig Sinn, wenn auch wir es uns in gleicher Weise als selbstverständlich auferlegen, in mindestens einer Fremdsprache zur Konversation fähig zu sein. ({1}) Ein Mehr an Verständigung in der Welt hängt also nicht ursächlich von einem Mehr an Verständnis des Deutschen in dieser ab. Es mag für Sprachforscher oder Soziologen von Wert sein, zu ergründen, warum in den großen Industriestaaten das Interesse am Deutschlernen nachgelassen hat. Politischen Handlungsbedarf sehe ich deshalb nicht. Nicht richtig nachvollziehen kann ich das unterschwellige Bedauern, Englisch als die Schlüsselsprache des jüngsten Mediums Internet akzeptieren zu müssen. Dass das so ist, hat doch leicht erklärbare Gründe, die absolut nichts mit einer Herabsetzung der eigenen Sprache oder gar des Selbstwertgefühls zu tun haben. Folglich bedarf es auch keiner nationalen Anstrengung, dies etwa zugunsten des Deutschen zu verändern. Auch die Befürchtung, das Deutsche leide an Überfremdung, etwa durch eine Inflation von Anglizismen, teile ich nicht, selbst wenn ich einer solch durch und durch subjektiven Einschätzung folgen würde. Der Gebrauch von Fremdwörtern im eigenen Vokabular steht doch jedem frei. Sprache ist nun einmal - hier möchte ich ausdrücklich Herrn Ludger Volmer Recht geben - ein lebendiger Organismus, der sich ständig verändert und keiner Art von Sprachpolizei bedarf. Wenn ich etwas mit Sorge und Bedauern sehe, dann in einer ganz anderen Richtung: Deutsche Sprache und Sprache in Deutschland sind nicht das Gleiche. Zu Frage 59 erklärt die Regierung: Bund und Länder gewährleisten durch die Übernahme von konkreten Verpflichtungen den Schutz der Minderheitensprachen Dänisch, Ober- und Niedersorbisch, Nord- und Saterfriesisch ... sowie des Romanes ... Sie trägt damit in besonderem Maße zum Erhalt der Sprachenvielfalt in Europa bei. Wer sich erinnert, welches Tauziehen in den parlamentarischen Gremien erforderlich war, um beispielsweise die ohnehin nicht üppigen Mittel der Einrichtungen zur Pflege des Sorbischen für ein weiteres Jahr zu sichern, wird dies gewiss differenzierter sehen. ({2}) Ich möchte noch einmal darauf zurückkommen, warum ich es für so wichtig halte, dass wir Deutschen im Ausland die deutsche Sprache lehren. Wir sollten dabei über die zu vermittelnde Vokabel hinaus nach dem Text fragen, den wir in der Weise ins Ausland transportieren sollten, dass er uns Freundschaft, Vertrauen und Zuwendung einbringt. Es ist nicht so, dass wir Deutschen das nicht nötig hätten. So möge unsere Sprachvermittlung den nahen und fernen Nachbarn durchaus zu mehr als zur sachgerechten Erstellung von Beipackzetteln und Gebrauchsanweisungen nützlich sein, obzwar wir wissen, dass das Ausland gerade dieser deutschen Sprachförderung oft am dringlichsten bedarf. Nein, es sollte mehr sein. Wir sollten den Anspruch haben, die Sprache von Goethe und Herder, von Mann und Brecht als die unsere zu deklarieren. Dies gilt gerade für Brecht; denn so lange ist es noch nicht her, dass die Völker erbleichten, wenn Deutsch gesprochen wurde. Die Bundesregierung erinnert in ihrer Antwort auf Frage 6 daran, indem sie feststellt: Unbestritten ist, dass der Zweite Weltkrieg und der Holocaust einen erheblich negativen Einfluss - mit Nachwirkungen bis in die heutige Zeit - auf die Wertschätzung der deutschen Sprache in der Welt hat. Das ist nur zu wahr. Das hat zum Beispiel auch dazu geführt, dass uns die, gemessen am sonstigen Anspruch, recht bescheidenen Beiträge des Deutschen zum Wortschatz anderer Sprachen in besonderer Weise ins Gedächtnis gebrannt sein sollten. So sprechen auch heute noch Franzosen von „le blitzkrieg“, Russen sagen „Lager“ und meinen ein ganz bestimmtes und das Wort „Endlösung“ bedarf in Israel keiner Übersetzung. Mögen die Worte, die andere Völker in diesem Jahrhundert unserer Sprache entlehnen, gänzlich anderen Charakters sein. Vielen Dank. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun spricht der Staatsminister im Kanzleramt, Professor Dr. Julian Nida-Rümelin.

Not found (Gast)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Großen Anfrage ist unter Punkt 33 gefragt worden: Teilt die Bundesregierung die Aussage des ... Staatsministers ... Nida-Rümelin ..., das Deutsche sei als Wissenschaftssprache „tot“, und den in diesem Zusammenhang vom Staatsminister geäußerten Rat an angehende Wissenschaftler, auf Englisch zu publizieren? Diese Frage enthält zwei Unterstellungen, die nachweislich - weil nämlich erfreulicherweise von dieser Veranstaltung ein Tonbandprotokoll existiert - falsch sind. Ich sage das deshalb, weil mir aufgefallen ist, dass die zurückhaltende Antwort, die die Bundesregierung auf diese Frage formuliert hatte, offenbar nicht ausgereicht hat, um diese beiden Unterstellungen aus der Welt zu schaffen. Wer heute in die Presse schaut, wird das bestätigt finden. Ich habe erstens nicht gesagt, dass Deutsch als Wissenschaftssprache tot sei, sondern ich habe ausweislich des Tonbandprotokolls auf dieser Veranstaltung gesagt - das ist leider ein Faktum -, dass Deutsch als internationales Verständigungsmittel in der Wissenschaft ebenso wie das Französische unterdessen bei rund 1 Prozent angelangt sei und dass es unrealistisch sei, zu glauben, man könne dies wieder grundlegend ändern. ({0}) Zweitens habe ich darauf hingewiesen, dass man sich an der jüngeren Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Deutschland versündigen würde, wenn man ihnen den Rat erteilen würde, nicht auch auf Englisch zu publizieren, weil sie nur so ein internationales Renommee aufbauen können. ({1}) Wir können über vieles streiten, sollten uns aber nicht wechselseitig Aussagen unterstellen, die so nicht geäußert worden sind. Ich darf noch einen Satz hinzufügen. Als ich - von 1994 bis 1997 - Präsident der Gesellschaft für Analytische Philosophie war, habe ich die Praxis geändert, dort internationale Kongresse lediglich in englischer Sprache abzuhalten, und dafür gesorgt, dass diese Kongresse zweisprachig, nämlich in deutscher und englischer Sprache, abgehalten werden. Danke schön. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun erteile ich dem Kollegen Norbert Lammert für die CDU/CSUFraktion das Wort.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Erst mit der Sprache geht die Welt auf“ - dieser wahrhaft erhellende Satz von Hans-Georg Gadamer findet sich weder im Text der Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion noch in der Antwort der Bundesregierung. ({0}) Er markiert aber die Grundorientierung, die unserer Anfrage zugrunde liegt. Denn das Europäische Jahr der Sprachen, das für 2001 ausgerufen wurde, ist zwar gewissermaßen der äußere Anlass, selbstverständlich aber kein hinreichender Grund für diese Große Anfrage gewesen. Tatsächlich gibt es gute Gründe, gemeinsam über die Bedeutung und den Stellenwert der deutschen Sprache nachzudenken und dort, wo Defizite deutlich geworden sind, zu wirksamen Maßnahmen zu kommen. Denn bei der Sprache reden wir über eine der wesentlichen, unaufgebbaren Grundlagen des Gemeinwesens Bundesrepublik Deutschland und ganz gewiss der Kultur unseres Landes. Es ist das erste wichtige Motiv gewesen, dies durch die Große Anfrage stärker in den Blickpunkt unserer Aufmerksamkeit zu rücken. Der zweite, eher handfeste Grund ist das immer größer werdende Missverhältnis zwischen der wachsenden Bedeutung Deutschlands sowohl politisch als auch wirtschaftlich und dem zurückgehenden Interesse an der deutschen Sprache. Damit an dieser Stelle keine Missverständnisse entstehen: Die Erklärung, die Staatsminister Nida-Rümelin gerade abgegeben hat, nehme ich nicht nur mit Respekt zur Kenntnis. Ich füge vielmehr hinzu: Ich habe an dem, was er gerade zur Erläuterung des Sachverhalts vorgetragen hat, nichts zu beanstanden. Das ist die nüchterne Beschreibung der Lage. ({1}) Ich wünsche mir allerdings, dass das, was er an einem kleinen Beispiel aus seinem eigenen, früheren Verantwortungsbereich dargestellt hat, zu einer selbstverständlicheren Übung deutscher Wissenschaftler und Politiker bei internationalen Konferenzen würde, auf denen man nicht immer die eigene Intelligenz durch den Nachweis nicht immer glanzvoller englischer Sprachkenntnisse spazieren führen muss. Es gibt einen dritten Punkt, der eine intensive Beschäftigung mit der Verbreitung und der Situation der deutschen Sprache mindestens rechtfertigt, wenn nicht sogar dringlich macht. Das ist die Rolle der Sprache als Instrument der Integration, ein, wie wir auch aus anderen thematischen Zusammenhängen wissen, sehr aktuelles und prinzipielles Problem, wenn es um das Zusammenleben von Deutschen und Nichtdeutschen in Deutschland geht. Schließlich gibt es auch Anlass, sich über die Entwicklung der Sprache als Umgangssprache Gedanken, vielleicht sogar Sorgen zu machen. Ich sage bewusst: der Umgangssprache und nicht etwa der deutschsprachigen Literatur; denn es besteht wahrlich kein Anlass, sich im Rahmen einer politischen Debatte über Letztere auseinander zu setzen. Aber es ist wahr - darauf hat insbesondere die Kollegin Steinbach hingewiesen -: Gerade in der jüngeren Vergangenheit nimmt die Neigung zu, vorhandene, hinreichend klare deutsche Begriffe insbesondere durch Anglizismen zu ersetzen. Das ist oft unnötig, ärgerlich und - gelegentlich - schlicht albern, aber ganz gewiss nicht das zentrale Problem der deutschen Sprache. Es wird vermutlich keine Meinungsverschiedenheiten darüber geben, dass man dem am allerwenigsten mit gesetzlichen Mitteln abhelfen kann. ({2}) Wir sind dankbar, dass durch die Antwort der Bundesregierung eine Reihe von Zahlen und Daten zur Situation der deutschen Sprache, ihrer Verbreitung und ihres Stellenwerts vorliegt, wenn auch nicht zu übersehen ist, dass neben den vorliegenden Zahlen manche andere nicht verfügbar sind, die im Hinblick auf eine vollständige Beschreibung des Bildes sicherlich wünschenswert und vielleicht sogar dringend geboten wären. In dem bereits mehrfach zitierten „FAZ“-Artikel wird angesprochen, dass die Bundesregierung zwar die prinzipielle Beurteilung des Stellenwertes der deutschen Sprache bestätigt, der in unserer Großen Anfrage deutlich wird, dass sie aber weit weniger erkennen lässt, ob sie überhaupt und, wenn ja, an welcher Stelle Handlungsbedarf erkennt. Es gibt eine gewisse Neigung - diese mag auch etwas mit der Rollenverteilung zu tun haben -, den einen oder anderen unerfreulichen Sachverhalt etwas schöner zu beschreiben, als er sich darstellt. Ich mache noch einmal darauf aufmerksam: Die Möglichkeiten der Politik, hier gestaltend einzugreifen, sind ganz gewiss begrenzt. Aber wer behauptet, dass es keine Möglichkeiten gebe, der unterschätzt die Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen. Wir müssen uns ganz gewiss gemeinsam bemühen, diese zu nutzen. ({3}) - Wir haben über einige Beispiele bereits heute Vormittag diskutiert. Wir könnten mehr für die Auslandsschulen, die Sprachausbildung im Ausland und die Vermittlung der deutschsprachigen Literatur tun. Insofern schließt sich die jetzige Debatte nahtlos an die von heute Vormittag an. Das Fazit, das der in der Debatte mehrfach zitierte Sprachwissenschaftler Helmut Glück in seinem Beitrag gezogen hat, ist sicherlich bitter, und zwar nicht nur für die Bundesregierung - insofern nehme ich die Empfehlung, hier keine simple Schuldzuweisung vorzunehmen, gerne auf - aber zutreffend: Die Anfrage der CDU/CSUFraktion sei die Aufforderung zu einer systematischen, alle Bereiche erfassenden Bestandsaufnahme gewesen. Die Regierung habe diese Chance nicht genutzt. Sie rede schön, wo es Probleme gebe; sie harmonisiere, wo Konflikte offenbar seien, und sie zeichne das Bild einer weitgehend heilen sprachpolitischen Welt. Wenn allerdings die Schlussfolgerung dieser Beurteilung mit einer für uns auf den ersten Blick sympathischen Verantwortlichkeit beim Außenminister endet, dann will ich der guten Ordnung halber doch hinzufügen: Die Verantwortung ist breiter. Wir alle miteinander haben sie. Wir müssen dieses Thema ernster nehmen, als wir es in der Vergangenheit getan haben. ({4}) Die Schludrigkeit im Umgang mit der Sprache ist auch ein Indiz für ein gewisses Maß an Gleichgültigkeit, das sich in den vergangenen Jahren vielleicht eingeschlichen hat. Wenn erst durch Sprache die Welt aufgeht, dann geht uns Sprache an - mehr als jede andere unsere eigene. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Herr Kollege Eckhardt Barthel für die SPD-Fraktion das Wort.

Eckhardt Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003032, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben es mit einer Großen Anfrage von 75 Fragen zu tun. Dies macht es schwer, auf alles einzugehen. Ich möchte dem Beispiel von Frau Steinbach folgen und mich auf die Frage „Gefahr/Nichtgefahr, Problem/Nichtproblem der Anglizismen“ beschränken - dies aus zwei Gründen, erstens, weil ich weiß, dass viele, die sich um die Pflege der deutschen Sprache bemühen, ein großes Interesse daran haben, dass dieses Thema auch einmal im politischen Rahmen diskutiert wird, auch einmal eine Plattform im Parlament findet, und zweitens - das gestehe ich -, weil es mich auch persönlich sehr interessiert. Es wäre noch schöner gewesen, wenn auch die Große Anfrage der SPD-Fraktion zum Thema der deutschen Sprache ({0}) - Verzeihung, Frau Vollmer: und der Grünen -, die sich mehr auf diesen Bereich konzentriert und nicht so in die Breite geht, schon heute hätte behandelt werden können. Sei es drum! Am Anfang möchte ich gern auf Ihren Beitrag eingehen, Frau Steinbach. Sie haben viele Punkte angesprochen, die gerade für dieses Thema wichtig sind. Sie werden erstaunt sein, dass wir da Parallelen haben. Uns trennt aber ein Grundunterschied, Frau Steinbach: Bei der Pflege der Sprache sollte man nicht dramatisieren, wie Sie es getan haben, sondern man sollte versuchen, für die Sprache zu sensibilisieren. Darin unterscheiden wir uns wirklich sehr, sehr stark. ({1}) Deshalb scheint es mir sinnvoll zu sein, bei diesem Thema am Anfang auch einmal darzustellen, worum es nicht geht. Ich habe das Gefühl, dass bei dieser Diskussion Einmalereignisse und Unschönheiten die eigentliche Problematik, die politische Problematik, die dahinter steht, vernebeln. Ich will Ihnen einmal ein Beispiel nennen. Als wir den Euro eingeführt haben - erstaunlich konfliktarm, wie ich finde -, wurde über die Medien - das war selbst Thema in den „Tagesthemen“ - parallel eine Diskussion darüber geführt, ob wir den Cent nun „Cent“ oder „Zent“ nennen. Das ist zwar kein Anglizismus, aber doch ein Fremdwort, das in unsere Sprache hineinkommt. Dazu haben viele Leute gesagt: Mich interessiert nicht, wie man das ausspricht, sondern wie viel ich davon in der Tasche habe. Mit solchen Diskussionen wird die Problematik, die ich - wie Sie - bei dieser Frage sehe, vernebelt und das halte ich gerade im Sinne der Sensibilisierung für die Sprache nicht für günstig. Deshalb in drei Punkten kurz, worum es nicht geht, um dann darauf zu sprechen zu kommen, weshalb ich dieses Thema für politisch wichtig halte. Erstens. Es geht nicht darum, dass die deutsche Sprache an sich in Gefahr ist. Ich teile die Aussage der Bundesregierung: Der Schluss wäre falsch, „dass sich die deutsche Sprache durch die häufige Verwendung von Anglizismen zu einer anderen, nicht deutschen Sprache verändern würde“. Das ist sicherlich richtig. Damit will ich allerdings nichts relativieren oder beschönigen. Man muss nur wissen: Es geht nicht etwa um den Untergang der deutschen Sprache. Zweitens. Es geht auch nicht darum, dass wir keine Fremdwörter mehr in unsere Sprache aufnehmen sollten. Zu Recht ist in der Antwort der Bundesregierung gesagt worden: Deutsch war nie eine „reine“ Sprache. Das wird auch so bleiben. Ich erinnere mich noch daran, dass mir in meiner Schulzeit der Begriff des Lehnwortes begegnet ist. Das habe ich behalten. Lehnwörter sind etwas ganz Natürliches und Selbstverständliches. Wie arm wären wir, wenn es diesen Einfluss nicht gäbe? Übrigens: Dass es nie eine „reine“ Sprache gab, kann man auch übertragen: Es gab auch nie ein „reines“ deutsches Volk. Der dritte Punkt liegt mir besonders am Herzen, weil das in der Diskussion häufig durcheinander gebracht wird. Es geht auch nicht um eine Verdrängung des Englischen als Sprache - ich werde gleich noch weiter darauf zu sprechen kommen -; das Gegenteil ist der Fall. Es geht nicht um eine Position „anti Englisch“, sondern um solche Begriffe wie Denglisch oder Globisch, die sich herausgebildet haben. Meine Damen und Herren, was mir vor allem Sorge bereitet, sind nicht einzelne Begriffe, sondern das Übermaß an unsinnigen Anglizismen und - das ist das für mich Wichtige - die möglichen politischen Folgen aus diesem Prozess. Es geht mir nicht darum, ob etwas gefällt oder nicht gefällt. Ich weiß - inzwischen hat man es ja behoben -, dass die schlichte Auskunft auf dem Bahnhof „Service Point“ oder so ähnlich hieß. Dazu sagen viele: Das ist ja idiotisch, das ist dumm. - Richtig. Aber dabei belassen sie es. Die Frage ist, ob es, wenn daraus eine Tendenz wird, auf der Ebene des Dumm und Unschön bleibt. Das ist das Thema, das mich interessiert: Liegt darin ein Gefahrenpotenzial? Ich glaube, wenn wir keine Sensibilität entwickeln, könnte diese Entwicklung zu einer Gefahr werden. Insofern bin ich hier sehr zurückhaltend. Zusammengefasst: Es geht mir in dieser Debatte über die deutsche Sprache nicht um Sprachästhetik; es geht mir vielmehr um die Identität und die Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft. ({2}) Das ist für mich das Hauptthema. Die Bundesregierung schreibt zu Recht - ich zitiere -: Die Vielfalt der Sprachen in Europa macht einen wesentlichen Teil der europäischen Identität aus. Dies ist richtig. Die Sprache ist in dem jeweiligen Land ein Teil der Identität der Menschen, die in diesem Land leben. Wovon ich jetzt spreche, ist übrigens keine auf das Deutsche begrenzte Diskussion. Überall da, wo ich den Ausdruck „deutsche Sprache“ setze, könnte ich genauso gut „französisch“, „italienisch“, „türkisch“ oder etwas anderes setzen. Es ist die Identitätsfrage, die sich national nicht begrenzen lässt. Wir wissen, welche Bedeutung die Identitätsfrage auch und gerade im Rahmen der Globalisierung gewonnen hat. Ich möchte gerne, dass die Antwort auf die Identitätsfrage eine kulturelle Antwort ist, weil wir über die Kultur - dazu gehört ganz wesentlich die Sprache - diese Frage in einem positiven Sinne beantworten. Ich erzähle gerne das Beispiel, dass ein kluger Mensch einmal zum Thema Identität gesagt hat, er fühle sich eigentlich in allen Großstädten der Welt zu Hause: überall in den Hotels die gleiche Architektur, überall die gleiche Mode, die gleiche Musik, dieselben Filme. Nur, nach längerem Reisen frage er sich: Wo bin ich eigentlich? ({3}) Das heißt, Orientierungslosigkeit ist ein riesiges Problem. Man muss sich, so glaube ich, irgendwo zu Hause fühlen und muss sagen können: Hierauf gründet sich meine Identität. Die Frage, ob unser Thema politisch ist, zeigt sich unter anderem an diesem Punkt. Wir erleben nämlich, dass die Gefahr der Orientierungslosigkeit oder dass der Verlust an Orientierung durchaus politisch instrumentalisiert werden kann. Es ist wohl kein Zufall, dass viele aus den völkischen Gruppierungen das Thema Orientierungslosigkeit, Orientierungslosigkeit auch durch Sprache, benutzen, um ihr Süppchen zu kochen. Ich kann nur davor warnen, dieses Thema diesen Leuten zu überlassen. ({4}) Deshalb sollten wir uns einschalten. Ich möchte hier allerdings eine Fußnote machen. Ich habe es leider schon erlebt, dass Leute, die sich in diesem Bereich engagieren - manchmal vielleicht sogar mit zu starkem missionarischem Eifer - auch in diese Ecke geschoben werden. Ich kann nur davor warnen, so vorzugehen. ({5}) So viel zur Frage der Identität. Noch etwas zur Frage der Integration: Sprache kann integrieren und Sprache kann ausgrenzen. Bei vielen Begriffen, die wir heute benutzen, sehe ich die Gefahr, dass sie zu Ausgrenzung führen könnten. Ich bin ganz vorsichtig in der Formulierung. Ich weiß - vielleicht darf ich das auch einmal sagen -, dass einige Menschen in den neuen Bundesländern, in denen das Englische nicht so verbreitet ist, Schwierigkeiten haben, dieses oder jenes zu verstehen, besonders ältere Menschen oder auch solche, die nicht die Bildungschancen hatten, die vielleicht wir, die wir hier sitzen, gehabt haben. Dies kann man nicht ausschließen. Nichts wäre schlimmer, als wenn wir über eine Vernachlässigung der Sprache den Integrationskräften dieser Gesellschaft schaden würden. ({6}) Lassen Sie mich ein Beispiel nennen - ich bekomme gleich Ärger, aber ich sage es trotzdem -: Eine ganz engagierte Frauenpolitikerin hat mir neulich gesagt, sie könne es inzwischen nicht mehr hören, dass man sie ständig frage, was Gender Mainstreaming heiße. Ich kann das verstehen, aber ich meine auch: Vor ein so wichtiges Thema eine Sprachbarriere zu setzen kann wohl nicht im Interesse des Gender Mainstreamings sein. ({7}) Schafft diese Barrieren weg, um den Zugang zu öffnen. ({8}) Kurz: Wer die Integrationskräfte in einer Gesellschaft stärken will - das ist unser aller Bestreben -, der sollte die Bedeutung der Sprache nicht vernachlässigen. Ein letzter Punkt - Frau Steinbach, Sie haben ihn weggelassen; ich weiß, dass er der schwierigste ist -: Was machen wir jetzt? Es liegen bereits einige Vorschläge auf dem Tisch, so zum Beispiel zu einem Sprachgesetz. Der Staatsminister hat es bereits angesprochen, das kann keine Alternative für uns sein. ({9}) Ich möchte nicht, dass wir „Sprachzollgrenzen“ - ich möchte das im übertragenen Sinn sagen - in unseren Ländern haben. Es kann nicht sein, dass Institutionen prüfen, wie der Einzelne spricht - ich weiß, dass ich viele Anglizismen benutze - und anschließend möglicherweise Sanktionen - diese wären nötig, sonst machte das Gesetz keinen Sinn - verhängen. Ich halte das für bedenklich und schließe es deshalb aus. Bezüglich der Bedeutung des Englischen in unserem Sprachgebrauch meine ich: Je weiter sich die englische Sprache in unserem Land verbreitet und je mehr Menschen über englische Sprachkenntnisse verfügen, desto geringer wird das Bedürfnis, sich durch die Benutzung englischer Begriffe hervorzutun, desto geringer wird möglicherweise auch der Einfluss der Anglizismen auf unsere Sprache. Finnland soll uns Beispiel sein. Dort spricht man sehr gutes Englisch und man stellt fest, dass die Anglizismen kein solches Problem darstellen wie in anderen Ländern. Das Erlernen und die Verbreitung der englischen Sprache könnten Instrumente im Kampf gegen die Flut der unsinnigen Anglizismen - ich betone das - sein. Mit meiner letzten Bemerkung möchte ich mich auf unseren Bundespräsidenten berufen. Wir sollten - Herr Lammert hat das angesprochen - auch das eigene Sprachverhalten überprüfen. Es könnte Vorbildcharakter haben. Was machen die Medien? Was machen die Wirtschaft und die Politik? Vielleicht könnte ihnen Vorbildcharakter zukommen, wenn sie auf ihr Sprachverhalten achten würden. Es könnte sich eine Schneeballwirkung entfalten, sodass ohne Reglementierung etwas positiv verändert werden könnte. Johannes Rau, der sich in dieser Frage sehr engagiert, hat einmal gesagt: Ich bin nicht der Oberlehrer der Nation, Eckhardt Barthel ({10}) aber ich will durch die Art meiner Reden Vorbild sein. Auch in diesem Punkt hat unser Bundespräsident Recht. Ich bedanke mich. ({11})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu einer Kurzintervention gebe ich der Kollegin Erika Steinbach das Wort.

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Barthel, ich freue mich, dass wir die Problematik sehr ähnlich sehen. Ich glaube, wir brauchen kein neues Gesetz, und ein Sprachenschutzgesetz ist mit Sicherheit nicht der richtige Ansatz. Außerdem haben wir bereits ein Gesetz, das die Problematik, die Sie und ich besonders hervorgehoben haben, aufgreifen könnte. Das ist das Verbraucherschutzgesetz. Im Verbraucherschutzgesetz ist im Grunde genommen geregelt, dass Produkte in deutscher Sprache bezeichnet werden müssen. Daneben regelt das Gesetz, dass die Sprachbarrieren im alltäglichen Schriftverkehr weitgehend ausgeräumt werden. Darüber hinaus - davon bin ich überzeugt - müssen wir gemeinsam ein Bewusstsein dafür entwickeln, mit unserer Sprache anders umzugehen. Das geht weit über die Anglizismen hinaus - 60 Prozent der Bevölkerung unseres Landes sind der englischen Sprache nicht mächtig -, denn es werden oft ganze Bandwurmsätze in fremder Sprache verfasst. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Damit schließe ich die Aussprache. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 d auf: 7. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({0}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Brunhilde Irber, Dr. Eberhard Brecht, Annette Faße, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Sylvia Voß, Dr. Thea Dückert, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Programm zur Stärkung des Tourismus in Deutschland ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Brähmig, Ernst Hinsken, Anita Schäfer, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Tou- rismuswirtschaft stärken - Drucksachen 14/5315, 14/5313, 14/8021 - Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Brähmig b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Cornelia Pieper, Hildebrecht Braun ({3}), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP Neue Kampagne „Deutschland besucht Deutschland“ starten - Drucksachen 14/4153, 14/6846 - Berichterstattung: Abgeordneter Ernst Burgbacher c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({4}) - zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({5}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung hier: „Entwicklung und Folgen des Tourismus“ - zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({6}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung hier: „Entwicklung und Folgen des Tourismus“ Bericht zum Abschluss der Phase II - Drucksachen 13/9446, 14/272 Nr. 188, 14/1100, 14/7751 Berichterstattung: Abgeordnete Birgit Roth ({7}) d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Dehnel, Klaus Brähmig, Maria Eichhorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Fortführung des Bundeswettbewerbs für familienfreundliche Ferienangebote in Deutschland - Drucksache 14/7066 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus ({8}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Das Haus ist einverstanden. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst der Kollegin Brunhilde Irber das Wort. Sie spricht für die Fraktion der SPD. Eckhardt Barthel ({9})

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade in diesem Moment kursiert eine Meldung des Statistischen Bundesamtes zu den Übernachtungszahlen in Deutschland aus dem letzten Jahr. Die konkrete Erfassung der Übernachtungen schließt bislang nur die Monate Januar bis November ein und weist aus, dass die Zahl der Übernachtungen in Deutschland um 0,3 Prozent gestiegen ist. Gleichzeitig bewertet das Statistische Bundesamt das abgeschlossene Jahr als insgesamt erfolgreich und prognostiziert eine Steigerung der innerdeutschen Übernachtungszahlen von 1 Prozent. Das heißt, in der Bundesrepublik sind im vergangenem Jahr ohne das Highlight EXPO etwa dieselben Übernachtungszahlen verbucht worden wie im Jahr 2000 - ich sage es noch einmal -, ohne EXPO und die damit verbundene besondere Aufmerksamkeit, die unserem Lande und seinem Tourismus durch eine Vielzahl von Werbemaßnahmen zuteil wurde. ({0}) Ich erwarte jetzt rauschenden Beifall in diesem Saal und könnte mich danach zufrieden wieder hinsetzen. ({1}) Eine bessere Tourismuspolitik, Herr Vorsitzender, kann objektiv niemand machen. Faktum ist: Wir haben im Jahr 2000 die höchste Steigerungsrate in den Übernachtungszahlen seit Beginn der Statistik verzeichnen können und konnten diese Übernachtungszahlen ohne das besondere Event der EXPO auch im Jahr 2001 wieder erreichen. ({2}) Dann frage ich mich: Was hätte es eigentlich bringen sollen, wenn wir der Forderung der Opposition gefolgt wären und - ich zitiere Herrn Kollegen Brähmig - „einen kräftigen Schluck aus der Pulle“ genommen und die Marketingmittel der Deutschen Zentrale für Tourismus verdoppelt hätten? Wir hätten diesen Staat weiter verschuldet, aber unmöglich einen weiteren Rekord in den Übernachtungszahlen erreichen können. Ich fordere daher die Opposition auf, endlich die Fakten anzuerkennen. Die Bundesregierung hat mit der Finanz- und Wirtschaftspolitik Rahmenbedingungen geschaffen, die dem Gastgewerbe einen Rekordbesuch und somit volle Häuser bescheren. ({3}) Nach den Zahlen geht es der Branche hervorragend. Die hohen Wachstumsraten zeigen, dass die Bevölkerung ihre gestärkte Kaufkraft in hohem Maße - nach den gestrigen Zahlen wurden 53,5 Milliarden Euro ausgegeben, die Prognose für das kommende Jahr lautet auf 55 Milliarden Euro - zu den Reisemittlern und in das Gastgewerbe getragen hat. Es hätte ja auch sein können, dass die Nachfrage nach neuen Autos, Büchern oder Schokoriegeln überdurchschnittlich gestiegen wäre. Mit dieser Feststellung will ich ein Lob an die Branche verbinden. Sie hat eine hohe Attraktivität und konnte daher mehr Kaufkraft ziehen als andere Branchen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ereignisse des 11. September können an dieser positiven Bilanz auch nichts grundsätzlich ändern. Die Lufthansa und andere Fluggesellschaften sind ins Trudeln gekommen; das ist völlig richtig. Das heißt aber doch konkret, dass diese Unternehmen trotz hervorragender Nachfragesteigerung mit ihren Angeboten am Markt zu scharf kalkuliert haben. Eine kleine Böe kann sie umwerfen. Dies sind aber hausgemachte Probleme. Es ist unlauter, diese Entwicklung und damit die Probleme einzelner Unternehmen im Reise- und Gastgewerbe der Bundesregierung anzulasten. Ich will auch deutlich festhalten, dass die Forderung nach einer Absenkung der Mehrwertsteuer für das Beherbergungsgewerbe luftleer im Raum hängt. ({4}) Wer solche Steigerungsraten in der Übernachtung verbuchen kann, sollte jetzt nicht behaupten, die Gäste liefen an seinen Häusern vorbei und würden in die mit geringeren Mehrwertsteuersätzen belasteten Häuser des Auslands gehen. Ich will hier gern auch den Hauptgeschäftsführer des DEHOGA zitieren: Die Talsohle der letzten Jahre scheint durchschritten. Hotellerie und Gastronomie schauen zu großen Teilen wieder mit Optimismus in die Zukunft. Das Zitat stammt aus der „Welt“ vom 31. Oktober 2001, einer Zeitung, die nicht gerade dafür bekannt ist, dass sie sozialdemokratenfreundlich wäre. Für den DEHOGA ist der Tourismus eine Jobmaschine. Auch dies sagt der Hauptgeschäftsführer Herr Ehlers. Wir haben an dem Erfolg der Branche kräftig mitgewirkt. ({5}) Keine Branche hat vergleichbare Hilfestellungen des Staates wie das Gastgewerbe erhalten.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte zunächst eine Aufzählung vornehmen. Dann hat der Kollege Brähmig das Wort. ({0}) - Herr Hinsken, Sie wissen genau, dass ich das auch anders kann. Was haben wir getan, um die Stärkung der Branche herbeizuführen? Wir hatten im letzten Jahr das Jahr des Tourismus. Das internationale Jahr des Ökotourismus 2002 mit dem Slogan „Lust auf Natur“ hat gerade begonnen. Wir haben die Finanzmittel der DZT während unserer Regierungszeit trotz allgemeiner Sparmaßnahmen in allen anderen Ressorts von 37 Millionen DM auf 44 Millionen DM angehoben. ({1}) Wir haben Modellprojekte zur Vermarktung der Nationalparke und zur Steigerung des Qualitätsmanagements im Tourismus finanziert. Am 5. Februar wird Herr Wirtschaftsminister Müller die Absolventen dieses Modellprojekts mit den Zeugnissen auszeichnen. Ein so genannter Weiterbildungspass ist in der Entwicklung. ({2}) Wir haben die Finanzierung der Einführung einer Dachmarke für den nachhaltigen Tourismus mit dem Namen VIABONO durchgeführt. Wir haben die Tourismusbranche in die Fachgespräche des Bündnisses für Arbeit aufgenommen. Wir haben die 50-Tage-Regelung innerhalb der 630-Mark-Jobs durchgesetzt. Wir haben die Schausteller - zuletzt durch die Befreiung von der LKW-Maut wiederum gefördert. ({3}) Wir haben die Abschaffung der Doppellizenzen bei Busreisen für Jugendliche durchgesetzt. Außerdem haben wir 100 Millionen Euro für den Ausbau von Radwegen entlang den Bundesstraßen bereitgestellt, was eine Steigerung um 100 Prozent bedeutet. ({4}) Sie haben das alles nicht gemacht. Wir haben eine Finanz- und Wirtschaftspolitik gemacht, die der Branche wirklich hilft. ({5}) Ich nenne nur die Stichworte Mittelstandsförderung, Entlastungseffekt in Höhe von 45 Milliarden, Steuerreform und Kaufkraftanhebung. ({6}) Sie und Ihr Ministerpräsident, der jetzt auch Kanzlerkandidat ist, ({7}) haben jeden Tag andere Vorschläge, ohne eine Finanzierung zu nennen. Ich bin neugierig, wie man das alles bezahlen will. Heute beschließen wir das umfassende Tourismusförderprogramm. Damit runden wir die erfolgreiche Bilanz ab. Der Kern unseres Tourismusförderprogramms ist auf die Verbesserung des angebotenen Produkts im Tourismus gerichtet. Wir wollen die Menschen erreichen, die in der Tourismusbranche arbeiten, und ihre Situation und ihre Qualifikation verbessern. Auf das Modellprojekt habe ich bereits hingewiesen. Es stimmt schon: Die reinen Zahlen über die Steigerung der Anzahl der Übernachtungen sagen noch nichts über die Qualität und die Zufriedenheit aus. Wir müssen in die Zukunft investieren. Das bedeutet, wir müssen die Qualität der angebotenen Produkte nachhaltig steigern. ({8}) Sie können feststellen, dass das Kirchturmdenken in der Vermarktung kleingliedriger Regionen etwas nachgelassen hat. Insgesamt ist das Marketing auf einem guten Weg; aber es gibt noch immer Verbesserungsmöglichkeiten. Die Union hat einen 55-Punkte-Katalog zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Tourismuswirtschaft vorgelegt. ({9}) Herr Brähmig, Sie müssen erklären, ({10}) wie man bei einem überdurchschnittlichen Wachstum der Branche nach weiterer staatlicher Hilfe rufen kann. Es ist richtig, dass die Beschäftigungssituation und die Ertragslage im Gastgewerbe nicht befriedigend sind. Was kann ein Staat aber Besseres tun, als eine Wachstumspolitik zu betreiben? Genau das tun wir. Der Erfolg stellt sich ein. Die Prognose des DEHOGA habe ich bereits zitiert, in der festgestellt wird, dass die Talsohle durchschritten ist. Dem Wachstum bei den Übernachtungszahlen wird eine Gesundung der Branche folgen. In wenigen Jahren werden wir das ausbügeln, was Ihre Regierung in 16 Jahren angerichtet hat. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, jetzt kommt es: Wenn Ihre Regierung Erfolge zu verzeichnen gehabt hätte, müssten Sie keinen Katalog mit 55 Punkten der Versäumnisse Ihrer Regierungszeit vorlegen. ({12}) Ähnliches gilt auch für den Antrag der FDP zu einer Kampagne „Deutschland besucht Deutschland“. Lieber Kollege Ernst Burgbacher, das tun die Deutschen immer öfter. ({13}) Die Statistik besagt, dass im letzten Jahr bis November 91 Millionen mehrtägige Reisen unternommen wurden. Das ist 1 Prozent mehr als im Vorjahr, also dem Rekordjahr, in dem wir die EXPO hatten. Was soll da noch eine zusätzliche Kampagne, die unseren anderen Themen - dem Wassertourismus, dem Jugendtourismus - das Geld raubt? Zu unseren Freizeitparks. Wir alle haben die Klagen über die Subventionen in Frankreich gehört. Sie beklagen sie jeden Tag. Wir haben heute auch über den TAB-Bericht abzustimmen. Mit diesem außerordentlich aussagekräftigen Bericht - an dieser Stelle einmal ein dickes Lob an die Mitarbeiter; sie haben gute Arbeit geleistet ({14}) haben wir die Debatte um den nachhaltigen Tourismus vorangebracht. Unser Antrag zur Umsetzung der wichtigsten Erkenntnisse aus dem Bericht wird die Nachhaltigkeit ins Zentrum unserer Politik führen. Des Antrags der Union zum familienfreundlichen Reisen werden wir uns in nächster Zeit annehmen. Jetzt kommt auch noch der neue Kanzlerkandidat. Was hat der Tourismus zu erwarten, wenn die Union regiert? ({15}) Das gepriesene Erfolgsmodell Bayern wird auf Deutschland ausgedehnt. Das heißt: runter mit der Tourismusförderung! Der Freistaat hat die Marketingmittel in den letzten Jahren regelmäßig verringert. ({16}) Herr Adam hat den Auftrag, die öffentlichen Mittel stetig herunterzufahren. Herr Brähmig, die mittelfristige Finanzplanung von Herrn Waigel wird für die DZT fröhliche Urständ feiern. ({17}) Frau Schörcher wird ihren Laden dichtmachen können. Der ganze Erfolg mit dem besten Wachstum in der Geschichte wird dann zunichte gemacht.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit weit überschritten.

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Deshalb setzen wir unsere Tourismuspolitik fort. Die Statistik gibt uns Recht: Unsere Tourismuspolitik hat Erfolg. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen Brähmig.

Klaus Brähmig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000240, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Irber, zuallererst freut mich natürlich, dass Sie die Unionsfraktionen und auch mich persönlich für die vielfältigen Initiativen loben, die wir in den letzten Monaten und Jahren in dieser Legislaturperiode gestartet haben. ({0}) Ich denke, sie waren ein Segen für die Tourismusbranche. ({1}) Zum Zweiten muss ich feststellen, dass aus Ihrem Vortrag der Anschein entstehen kann, dass in der Tourismusbranche „Friede, Freude, Eierkuchen“ herrsche. Ich glaube, das kann man so nicht im Raum stehen lassen. Wir dürfen uns in der politischen Diskussion nicht von den absoluten Zahlen beeindrucken lassen, die sicherlich so sind, wie Sie sie dargestellt haben. Das entscheidende Kriterium der politischen Bewertung muss vielmehr in zunehmendem Maße sein, was beim Unternehmer nach Steuern im Portemonnaie übrig bleibt. Ich denke, die Leute, die sich damit beschäftigen, sind sich einig, dass die wirtschaftliche Situation, vor allem die Nettorendite, noch nie so schlecht gewesen ist wie jetzt. Das hängt natürlich in erster Linie damit zusammen - Frau Irber, das wissen Sie genauso gut wie ich -, dass der Staat den Unternehmern eine Vielzahl von Belastungen auferlegt hat, die letztendlich zu steigender Arbeitslosigkeit führen, wie wir sie vorfinden. Einen letzten Gedanken möchte ich im Zusammenhang mit Ihrer Rede ansprechen. Wenn wir politisch einen Beitrag dazu leisteten, dass jeder Unternehmer in der Tourismusbranche Rahmenbedingungen vom Staat geschaffen bekommt, die ihm ermöglichen, morgen eine weitere Arbeitskraft einzustellen - ob das in den Reisebüros ist, ob das in den Hotels ist, ob das bei den Reiseveranstaltern ist -, dann hätten wir einen Beitrag dazu geleistet, die Arbeitslosigkeit, die uns bedrückt und über die wir schon heute Vormittag debattiert haben, abzubauen. In anderen europäischen Ländern funktioniert dies relativ gut. Vielen Dank. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Sie haben das Recht zu einer Erwiderung. Sie haben das Wort.

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Brähmig, die Forderungen, die Sie der Regierung und der Politik stellen, sind wohlfeil. Aber wenn man zusammenrechnet, was Sie in den letzten dreieinhalb Jahren in jeder Sitzung an Forderungen finanzieller Art gestellt haben, dann ergibt sich, dass wir den Bundeshaushalt zu 30 Prozent nur für Tourismusförderung verwenden müssten. Das ist nicht möglich. Sie wollen uns weiter in die Verschuldung hineintreiben, nachdem Sie uns 1,5 Billionen DM Schulden hinterlassen haben. Jetzt haben Sie keine anderen Vorschläge, als nur neue Schulden aufzuhäufen. Das geht nicht. ({0}) Es kann nicht sein, dass die Wirtschaft nur mit staatlichen Subventionen läuft. Das wissen Sie genauso gut wie wir. Dann könnte ja der Staat die Wirtschaft komplett übernehmen. Das wollen Sie nicht und das will auch ich nicht. ({1}) Ich bitte Sie, einmal darüber nachzudenken, dass die statistischen Ergebnisse, die sich in den Jahren 2000 und 2001 aufgrund unserer Politik ergeben haben, die besten seit dem Erheben dieser Statistik sind. Sie wurden bisher noch nicht übertroffen. Daraus ist auch abzuleiten, dass die Unternehmen entsprechend Gewinne gemacht haben. Je mehr Masse es gibt, desto mehr bleibt ja am Ende auch übrig. Das ist eine ganz einfache Rechnung. ({2}) Ich würde mich freuen, wenn von Ihrer Seite endlich einmal konstruktive Vorschläge und kluge Konzepte kämen, die in Richtung Qualifikation und Qualitätssteigerung gingen und mit denen wir der Branche nutzen können. Das gelingt nicht durch die stereotype Forderung nach mehr Geld. Wo führt das hin, wenn immer mehr Geld in die Wirtschaft hineingepumpt wird und ihr immer höhere Subventionen gegeben werden, und wer soll das bezahlen? Ich bin neugierig, wie Sie das machen würden, wenn Sie, wie Sie ja hoffen, an die Regierung kämen. In diese Verlegenheit werden wir Sie aber nicht bringen. ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Ernst Hinsken.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Werte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Irber hat eben konstruktive Vorschläge angemahnt. Ich empfehle ihr deshalb, gut aufzupassen, weil ich auch in dieser Rede, wie schon in so vielen die ganze Zeit über, beabsichtige, einige konstruktive Vorschläge einzubringen, damit Sie zu guter Letzt wissen, wie es weitergehen soll. ({0}) Jeder reist gerne und freut sich auf die schönsten Wochen des Jahres, den Urlaub. Nur wenige wissen, was sich überhaupt ökonomisch dahinter verbirgt. Der Tourismus ist der zweitgrößte Wirtschaftszweig in der Bundesrepublik Deutschland. Das kann nicht oft genug gesagt werden; selbst Frau Kastner scheint dies noch nicht gehört zu haben, sonst würde sie nicht versuchen, es ins Lächerliche zu ziehen. ({1}) Er umfasst 2,8 Millionen Arbeitsplätze, 8 Prozent Bruttowertschöpfung, 280 Milliarden DM Umsatz und Verschiedenes andere mehr. Es ist natürlich schon interessant, dass gerade die Dresdner Bank in ihrer jüngsten Studie sagt, dass die Deutschen „Reiseweltmeister“ bleiben. 53,5 Milliarden Euro wurden letztes Jahr ins Ausland getragen, nur 19,2 Milliarden Euro flossen nach Deutschland. Auch wenn wir letztes Jahr einen kleinen Zuwachs von 0,3 Prozent auf 327 Millionen Übernachtungen hatten, Kollegin Irber, so darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass vieles im Argen liegt und wir alles tun müssen, um der Tourismuswirtschaft, der Leitökonomie der Zukunft - ein Begriff, den Kollege Brähmig einmal geprägt hat -, den notwendigen Schwung für die Zukunft zu geben. ({2}) Deshalb ist gerade die heutige Debatte über die Tourismusförderung besonders wichtig. Ich bedauere nur, dass sowohl die SPD als auch die Grünen in ihrem Antrag nicht auf die großen Probleme der Tourismuswirtschaft eingegangen sind. Sie, verehrte Frau Kollegin Irber, haben auch heute wieder versäumt, diese Probleme anzusprechen und eine Antwort darauf zu geben. Der Himmel über Berlin war zwar heute offen, aber für die Tourismuswirtschaft ist er verschlossen und grau. ({3}) Die Branche steckt in einer ihrer schwersten Krisen. Von Lob allein kann die Branche nicht leben. Es müssen Taten folgen, für die wir hier im Deutschen Bundestag verantwortlich zeichnen müssen. ({4}) Meine Damen und Herren, der Deutsche Reisebüro und Reiseveranstalter Verband sagte in den letzten Tagen: Die Lage der Reisewirtschaft ist ernst. ({5}) Der „Focus“ vom letzten Montag titelte: „Viel Platz im Flieger“. Nur ganz wenige wie die Preussag blicken hoffnungsfroh in die Zukunft. ({6}) Diese Bundesregierung wollte nicht alles anders, aber vieles besser machen. Was ist dabei herausgekommen? Selbst der erfolgsverwöhnten Sonnenscheinbranche hat Rot-Grün Regenwolken beschert. ({7}) Nicht wegen des 11. Septembers, sondern wegen des radikalen Wirtschaftsrückgangs haben wir in der Bundesrepublik Deutschland auch auf dem Tourismussektor sehr große Probleme, die wir bewältigen müssen. ({8}) Viele Reiseveranstalter befürchten einen Umsatzrückgang, Herr Kollege Kubatschka, von bis zu 20 Prozent. Das berührt mich. Bei Flugreisen wird sogar mit einem Rückgang von 25 Prozent gerechnet. Aber Sie wollen das nicht wahrhaben. Sehen Sie denn diese Probleme nicht? ({9}) Nur ausgesprochene Optimisten können hoffen, dass der Grund lediglich ist, dass 2002 ein Spätbucherjahr wird. Mehrere große Carrier, wie Sabena und Swissair, sind weder am Himmel noch auf Erden bzw. auf den Flughäfen noch zu sehen. ({10}) Selbst die erfolgsverwöhnte Lufthansa musste im vergangenen Jahr einen Rückgang ihrer Passagierzahlen um 2,9 Prozent verzeichnen. ({11}) Im Dezember 2001 waren es sogar knapp 15 Prozent weniger Reisende als im Dezember 2000. Hauptgründe für diese Krise sind eine kränkelnde Wirtschaft und eine verfehlte Tourismuspolitik dieser Bundesregierung. ({12}) Die jüngste Saisonumfrage des DIHK brachte auf den Punkt, wie die Stimmung wirklich ist, Frau Kollegin Irber; sie ist anders, als Sie hier behauptet haben. ({13}) Die Geschäftserwartungen sind im Beherbergungssektor erstmals seit drei Jahren wieder in die Negativzone gerutscht. ({14}) Weiter heißt es, die Gastronomie korrigiere die Erwartungen in Bezug auf die Saison ebenfalls nach unten. So wollen 14 Prozent der befragten Hotelbetriebe und 19 Prozent der Gaststätten die Zahl der Beschäftigten reduzieren. Die großen Reiseveranstalter kündigen einen umfangreichen Abbau um Tausende von Arbeitsplätzen an. ({15}) Aber es kommt noch schlimmer: Hotellerie und Gastronomie müssen ihre Preise erhöhen. Als Grund werden Kostensteigerungen durch steigende Sozialabgaben, Erhöhung der Ökosteuer und Mehrausgaben im Wareneinkauf genannt. Auch die Erhöhung der Versicherungsteuer dürfte nicht gerade zur Kostenentlastung beitragen. Von den kleinen und mittleren Betrieben wollen, so der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, 41 Prozent der Hoteliers und 36 Prozent der Gastronomen ihre Übernachtungs- bzw. Verzehrpreise erhöhen. ({16}) Eines ist klar: Seit über drei Jahren macht die Bundesregierung mit ihrer mittelstandsfeindlichen Arbeitsmarktund Steuerpolitik der Tourismusbranche in Deutschland das Leben schwer und jetzt bekommen wir die Rechnung dafür präsentiert. ({17}) Die Neuregelung des Gesetzes über die 630-DMJobs - jetzt 325-Euro-Jobs - ist beschäftigungs-, wirtschafts- und sozialpolitisch verfehlt. ({18}) Ich meine auch darauf verweisen zu müssen, dass die bürokratische Belastung genauso negativ ist, für die bei den unmittelbar Betroffenen vor Ort kein Verständnis besteht. Aber ich bin ehrlich genug, zu sagen, dass hierfür nicht nur Sie verantwortlich sind, sondern wir alle hier im Parlament. ({19}) Die Reduzierung dieser Bürokratie wäre eine Entlastung für die Wirtschaft insgesamt. In seinem Konjunkturbericht vom November letzten Jahres beziffert der DEHOGA die Zahl der Kündigungen infolge der Neuregelung auf 100 000. Das ist unglaublich. ({20}) Die rot-grüne Bundesregierung wollte eigentlich die Schwarzarbeit eindämmen. Genau das Gegenteil ist ihr gelungen. Um am Markt bestehen zu können, driften viele in die Schattenwirtschaft. Mit der Schattenwirtschaft sind wir inzwischen weltweit mit an der Spitze. Es ist auch Ihr Verschulden, dass wir so weit gekommen sind. ({21})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, selbstverständlich. Gerne.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr, Frau Kollegin.

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Hinsken, können Sie mir folgenden Gegensatz erklären: Der DEHOGA hat bei der Einführung des 630-Mark-Gesetzes gesagt, dass in der Gastronomie 40 000 Beschäftigte in solchen Arbeitsverhältnissen seien. Sie sagen jetzt, man habe 100 000 gekündigt. Wie passt das zusammen?

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Irber, das passt insofern zusammen, als gerade im Hotel- und Gaststättenbereich weit über 80 000 Arbeitsplätze - nach neuesten Zahlen 100 000 Arbeitsplätze - vernichtet wurden und man sich außerstande sieht, diese Arbeitsplätze wieder zu besetzen, weil gerade das 630-DM-Gesetz - jetzt 325-Euro-Gesetz - so bürokratisch belastet und ein solcher Hemmschuh für die Hotellerie und Gastronomie ist. Das aber sind Arbeitsplätze, die wir so dringend brauchen. ({0}) Meine Damen und Herren, im Gegensatz zu Deutschland gewähren die meisten EU-Länder dem Hotel- und Gaststättengewerbe sowie den Freizeitparks einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz. Daher haben insbesondere die Gastwirte in grenznahen Regionen sowie die dort ansässigen Tankstellen mit der Billigkonkurrenz jenseits der Grenze zu kämpfen. ({1}) - Das haben wir nicht gehabt. ({2}) Wenn ich in meiner ostbayerischen Heimat feststelle, dass ich beim Tanken in Deutschland teilweise 40 bis 44 Pfennig, jetzt 22 Cent, mehr bezahlen muss als in Österreich, und wenn ich - mein Wahlkreis liegt an der tschechischen Grenze - in der Bundesrepublik Deutschland 15 Cent mehr bezahlen muss als in Tschechien, ({3}) dann ist das eine Wettbewerbsverzerrung. Dies kann nicht ohne weiteres hingenommen werden und deshalb weg mit der Ökosteuer, die wir Ihnen zu verdanken haben. ({4}) Meine Damen und Herren, Leistung muss sich lohnen; daher setzen wir uns seit längerem für Erleichterungen bei der Trinkgeldbesteuerung ein. Ich pflichte dem Kollegen Burgbacher bei, der schon mehrmals die Forderung erhoben hat, dass wir daran denken sollten, dies auf den Prüfstand zu stellen. Vor allen Dingen berührt mich - das möchte ich besonders herausstellen -, dass bei den Reisebüros die Nettogewinne in der Zwischenzeit bei nicht einmal 1,5 Prozent liegen. Sie liegen zwischen 0,6 und 1,1 Prozent. Gerade der Tourismus als besonders personalintensive Branche bietet große Chancen bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Allein für den Zeitraum bis 2010 wird in der Europäischen Union ein Potenzial von 3,3 Millionen zusätzlichen Arbeitsplätzen erwartet. Nur wenn wir in der Bundesrepublik Deutschland richtig ansetzen, sind wir mit circa 400 000 bis 450 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen dabei. Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir brauchen in der Bundesrepublik Deutschland dringend ein höheres Wirtschaftswachstum. Ein höheres Wirtschaftswachstum bedeutet nämlich auch mehr Geld in der Tasche des Bürgers, bedeutet mehr Urlaub. Wenn die Deutschen dann auch noch bereit sind, ihren Zweit- und Dritturlaub nicht im Ausland zu verbringen, sondern das Geld hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland zu belassen, Herr Kollege Feibel, dann haben wir die richtigen Akzente gesetzt, um der Tourismuswirtschaft einen neuen Schub zu geben, um den Deutschen unser schönes Land schmackhafter zu machen und um die Arbeitsplätze zu schaffen, die wir uns wünschen und die wir auch dringend brauchen. In diesem Sinne herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und vielen Dank an meine Kolleginnen und Kollegen, ({5}) die einen so hervorragenden Antrag, wie es auch der FDPAntrag ist, eingebracht haben. Bei Ihnen von Rot-Grün ist noch ein bisschen Nachhilfeunterricht erforderlich; den hoffe ich hiermit erteilt zu haben. Danke schön. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Roth.

Birgit Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003214, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Kollege Hinsken, es ist schon frappierend, was Sie unserer rot-grünen Bundesregierung alles zutrauen. Darf ich Sie ganz kurz auf Folgendes hinweisen: Deutschland ist sicherlich eine der Exportnationen innerhalb der Europäischen Union. Aufgrund dieser Exporttätigkeit sind wir in erster Linie vom Weltmarktgeschehen abhängig, von den Märkten in den USA, von den Märkten in Japan. ({0}) Die ganze Entwicklung als Schuld einer rot-grünen deutschen Bundesregierung darzustellen, Herr Hinsken, ist doch Populismus. Dem können wir nicht zustimmen. Danke schön.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Hinsken, wollen Sie darauf antworten? - Bitte sehr.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Kollegin Roth, ich möchte mich für Ihre Kurzintervention bedanken, weil ich so die Möglichkeit habe, einige Dinge zurechtzurücken. Es ist nicht so, dass ich der Bundesregierung nicht einiges zutrauen würde. Aber trotzdem musste ich in meiner Rede feststellen, welche negativen Entwicklungen es in Deutschland auf dem Tourismussektor gibt. Wir hören als Opposition auf die Stimmen in der Bevölkerung ({0}) und wir wollen die notwendigen Maßnahmen ergreifen, damit sich die Tourismuswirtschaft wieder entfalten kann und weiter nach oben kommt. ({1}) Deshalb habe ich die Probleme angesprochen. Ich hoffe, dass bei Ihnen einiges hängen bleibt, damit wir der Sache und nicht einer einzelnen Fraktion wegen eine Politik für die deutsche Tourismuswirtschaft machen, die sie dringend braucht und die sie von uns auch zu Recht erwartet. ({2}) - Ich bin bereit, auch darauf einzugehen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Wir sollten aber darauf achten, dass wir langsam zum nächsten Redner kommen können. Aber noch haben Sie das Wort. Bitte sehr, Herr Kollege.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Was die weltwirtschaftliche Entwicklung anbelangt, ist leider festzustellen, dass sie momentan nicht mehr so gut verläuft. Aber die wirtschaftliche Entwicklung, die wir in der Bundesrepublik Deutschland zu verzeichnen haben, ist nicht allein auf die schlechte Lage der Weltwirtschaft, sondern auf eine verfehlte Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland zurückzuführen. ({0}) Sie haben die Jahre 1999 und 2000 verschlafen, ({1}) in denen die Möglichkeit bestanden hätte, zu korrigieren und eine Grundlage für eine positive wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland zu legen. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat die Kollegin Sylvia Voß für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.

Sylvia Voß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003252, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Hinsken, Ihre Rede und Ihre Erwiderung auf die Kurzintervention haben mich an die drei Affen erinnert. Wenn man schon nichts sehen und hören will, dann sollte man auch nichts sagen. ({0}) Die zurückliegenden Monate waren - wir wissen, warum - wirklich nicht leicht für die Tourismusbranche. Man urlaubt im Moment lieber erdgebunden und im eigenen Land. Eine insgesamt positive Entwicklung der Gästeübernachtungen in Deutschland war, wie Sie wissen, im Jahre 2001 davon unabhängig zu verzeichnen. ({1}) Die deutsche Tourismusbranche erwartet diesen positiven Trend, der Sie eigentlich freuen sollte, auch für 2002. Der Campingtourismus wird in Deutschland immer beliebter wie auch Flusskreuzfahrten. Der Wellnesstrend ist ungebrochen. Für mich ist das ein deutlicher Beweis nicht nur für den guten Ruf der Tourismusbranche, sondern auch dafür, dass sie hier etwas leistet. ({2}) Seit mehr als drei Jahren wird die Tourismuswirtschaft - man kann sagen: endlich - von einer zielstrebigen Koalition und von einer tatkräftigen Bundesregierung unterstützt. ({3}) Heute beschließen wir nämlich ein Tourismusförderprogramm und damit weitere - wir haben auch vorher schon Verbesserungen auf den Weg gebracht - Verbesserungen für einen erfolgreichen Tourismus in unserem Land. Ein Beispiel von vielen: Wir regen Betreiber von touristischen Einrichtungen dazu an, ihre Anlage mit moderner Technologie auszustatten. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag für den Umweltschutz und fördert gleichzeitig das Investitionsklima und den Arbeitsmarkt. Die Bundesregierung wird dafür Gelder in speziellen Förderprogrammen bereitstellen. Auf eine für ihn sehr angenehme und für die Umwelt nachhaltige Art und Weise leistet der Gast seinen Beitrag, wenn er eine Urlaubseinrichtung bucht, die umweltschonend geführt wird, die Produkte aus der Region vermarktet und die auch ohne Auto erreichbar ist. Mit der Einführung der Umweltdachmarke Viabono haben wir die Orientierung für den Kunden diesbezüglich vereinfacht. ({4}) Deutschland kann auch in diesem Jahr beliebtestes Reiseziel der Deutschen bleiben. Wenn Sie einmal einen genauen Blick in unseren Antrag werfen, werden Sie erkennen, dass von uns die besten Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, dass sich daran so schnell nichts ändert. Im Gegenteil: Wir befördern auch den IncomingTourismus, an dem es bisher immer noch fehlt. ({5}) Es gibt in Deutschland auf engem Raum viel zu erleben, sodass man sich als Tourist hier faktisch nie langweilen kann. Zum Beispiel entdecken immer mehr Touristen die faszinierende Natur in deutschen Großschutzgebieten. Die maßgeblich von uns auf den Weg gebrachte Image- und Marketingkampagne für Deutschlands Nationalparke kam deshalb genau zum richtigen Zeitpunkt, ebenso wie der TAB-Bericht. ({6}) Die Qualitätsmarken - Nationalpark, Biosphärenreservat und Naturpark - sind nun einmal für ganze Regionen Deutschlands maßgebend, zum Beispiel für das Wattenmeer oder auch für die mecklenburgische und brandenburgische Seenplatte. ({7}) Daraus ergeben sich große Chancen für Tourismus und Naturschutz. Im Internationalen Jahr des Ökotourismus - auch Sie, Herr Hinsken, sollen Lust auf Natur haben - haben einige Prominente unsere Richtung zum nachhaltigen Tourismus untermauert. Herr Frangialli von der WTO und Herr Trittin haben anlässlich der Eröffnung des Reisepavillons in Hannover entsprechende Reden gehalten. ({8}) Natürlich setzen diese touristischen Aktivitäten voraus, dass der Schutzstatus der Großschutzgebiete erhalten bleibt. Durch eine geschickte Besucherlenkung muss der Tourist von der Natur fasziniert und müssen zugleich gefährdende ökologische Belastungen ausgeschlossen werden. Die Kampagnen, die wir für die Großschutzgebiete gestartet haben, sind aber nur ein Beispiel dafür, wie wir die Tourismusentwicklung in Deutschland fördern. Wir nehmen uns weiterhin der Qualifizierung der Beschäftigten an. Dies ist etwas, was Sie nie zustande gebracht haben. Das bedeutet fachkundigeres und freundlicheres Personal in Gaststätten und Hotels. Wir engagieren uns ebenfalls deutlich auf der Ebene der Europäischen Union und führen endlich Veränderungen im Bereich der Mobilität durch, indem wir umweltschonende Verkehrsträger fördern. Wir verbinden Mobilität mit einem umweltverträglichen Konzept, wozu Sie nie in der Lage waren. ({9}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun beruhigt euch wieder! Wir wissen natürlich, dass bei der Opposition ein gewisses Engagement für den Tourismus vorhanden ist. Ihr Antrag spiegelt das allerdings ungenügend wider. Es hilft überhaupt nicht weiter, planlos irgendetwas aufzuschreiben und aneinander zu reihen, was einem allgemein zum Tourismus einfällt. Die wenigen wirklich nennenswerten, sinnvollen und auch bezahlbaren Vorschläge der Opposition sind längst in unserem Programm berücksichtigt. Sie müssten es nur einmal richtig lesen. Aus einem ganz anderen Grund wird die CDU/CSU in unseren Debatten über die Tourismuspolitik künftig etwas besonnener debattieren müssen. ({10}) Früher konnte man fast die Uhr danach stellen - heute hat es ein wenig länger gedauert, Herr Hinsken -: Spätestens nach zweieinhalb Minuten Redezeit - egal, bei welchem möglichen oder unmöglichen Thema - würde die Forderung nach Rücknahme der Ökosteuer erhoben. Diese Forderung wird die FDP von nun an allein unerhört erschallen lassen. ({11}) Die „SOS-Tourismuspolitiker“ Brähmig und Hinsken müssen nun zurückrudern, nachdem ihr Edmund „der Kandidat“ Stoiber zu der Einsicht gelangt ist und erklärt hat, dass eine Abschaffung der Ökosteuer, wie bisher vollmundig von Ihnen gefordert und versprochen, nicht realisierbar ist. ({12}) So schnell kann man sich blamieren, wenn man unseriös Politik macht. Sie wissen, dass die Ökosteuer den Faktor Arbeit entlastet, dass sie Arbeitsplätze sichert und zu umweltschonendem Verhalten motiviert, was schließlich auch der Tourismusbranche, insbesondere dem Mittelstand, zugute kommt. ({13})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brähmig?

Sylvia Voß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003252, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin gleich fertig und er hat schon so viel geredet. ({0}) Wenn Sie es tatsächlich immer noch nicht glauben wollen, fragen Sie doch Ihren Kollegen Stoiber selbst. ({1}) Weitsichtige umweltschützende Maßnahmen ziehen sich wie ein roter Faden durch alle Schwerpunkte unseres Tourismusförderprogramms, weil unser Programm auf Nachhaltigkeit setzt. Wir berücksichtigen auch die finanzielle Förderung von touristisch bedeutenden Projekten. Ich könnte noch mehr Punkte aufzählen, will aber nur noch hervorheben, dass wir es waren, die die finanzielle Ausstattung der Deutschen Zentrale für Tourismus endlich verbessert haben. ({2}) In diesem Zusammenhang möchte ich den Mitarbeitern der Deutschen Zentrale für Tourismus Dank sagen, denn sie leisten wirklich hervorragende Arbeit und gehen mit dem Geld, das wir ihnen gegeben haben, gut um. ({3}) In guten Händen ist auch die Tourismuspolitik. Unser Tourismusförderprogramm macht dies deutlich. Nehmen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, dieses Programm doch einfach immer wieder zur Hand und freuen Sie sich mit uns an all diesen Vorhaben, ({4}) die nach vielen Legislaturperioden des Stillstandes endlich umgesetzt werden - zum Nutzen der Tourismuswirtschaft, zum Vorteil der Touristen und zum Guten für die Natur. Danke schön. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Ernst Burgbacher.

Ernst Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003063, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Stoppt die Abzocker“ schrieb gestern eine große Tageszeitung. Dann wurde natürlich gleich auch noch pauschal gesagt, die Gastronomie habe die Einführung des Euro zur Preiserhöhung genutzt. ({0}) An dieser Stelle will ich eines deutlich sagen: Es stimmt nicht. Die Gastronomie war daran beteiligt, dass die EuroEinführung so glatt verlief. Wenn es ein paar Abzocker gibt, dann sind es schwarze Schafe; die gibt es überall. ({1}) Frau Kollegin Irber, wenn Sie sagen, dass es stimmt, dann stimmt mich das sehr traurig. Ich danke der Gastronomie für die Leistung, die sie erbracht hat. Ich wehre mich gegen solche pauschalen Urteile. ({2}) - Frau Kastner, ich weiß, dass Sie damit nicht gut leben können und dass Sie Ihre Vorurteile gerne pflegen. Das kennen wir alles. ({3}) Meine Damen und Herren, ich will gerne bei dem einsteigen, was Kollegin Irber gesagt hat. Wir sollten uns vielleicht einmal ein wenig ehrlicher über Zahlen unterhalten. ({4}) Jawohl, es ist richtig: Wir haben geringfügige Steigerungen bei den Übernachtungsraten. Wenn wir differenzieren, dann sehen wir, dass es im Städtetourismus sehr hohe Steigerungsraten gibt, in anderen Bereichen allerdings nicht; dort gibt es einen Rückgang. Wir sehen auch, dass es zwar Steigerungsraten gibt, aber gleichzeitig einen Besorgnis erregenden Rückgang in der Ertragslage. ({5}) Das ist die eigentlich wesentliche Zahl. Sie verstehen das aber nicht, weil Sie es nicht verstehen wollen. Das ist das Problem. ({6}) Natürlich haben wir infolge des 11. September Probleme; das ist doch überhaupt keine Frage. ({7}) Wir haben - auch das ist keine Frage - ebenso konjunkturelle Probleme. Meine Damen und Herren, da Sie sich immer mit der Steuerreform brüsten, nehmen Sie das, was Ihr Ministerium sagt, einmal zur Kenntnis: Wir haben zwar nur eine geringfügige, aber doch eine Erhöhung der Steuerlastquote in Deutschland. Das wirkt sich natürlich sehr stark auf die Nachfrage aus. Ich komme zu Ihren Äußerungen über die Weltwirtschaft. Es ist richtig, dass wir von der Weltwirtschaft abhängen. Dafür, dass wir bei der Wachstumsrate an letzter Stelle in der Europäischen Union liegen, trägt aber nicht die Weltwirtschaft die Verantwortung. Das ist durch eine völlig verfehlte Wirtschafts-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik hausgemacht. Auch das muss hier gesagt werden. ({8}) Aus den Anträgen wird durchaus deutlich, dass wir eine Menge Gemeinsamkeiten haben, auch wenn Sie, Frau Kastner, nur ununterbrochen dazwischenbellen können. ({9}) Ein paar Aussagen zur Sache wären viel schöner. Wir haben - auch im Ausschuss - eine Menge Gemeinsamkeiten in der Tourismuspolitik. Das sollten wir hier klarstellen. Ich bedanke mich bei der Deutschen Zentrale für Tourismus und bei vielen anderen für die hervorragende Arbeit, die in Deutschland für den Tourismus geleistet wird. Es könnte aber einiges noch wesentlich besser laufen. Liebe Kollegin Irber, wenn einiges politisch anders gelaufen wäre, könnten wir nicht nur diese Steigerungsraten, sondern wesentlich höhere haben. Ich will einmal einige Beispiele nennen: Ich habe schon auf die Ertragslage und die Steuerlastquote hingewiesen. Sie können doch die Augen nicht davor verschließen, dass wir auf dem Arbeitsmarkt schwierigste Zustände haben und dass diese Branche händeringend nach Arbeitskräften sucht, sie aber nicht findet, weil Sie die Möglichkeiten dazu vernichtet haben. Wenn Sie sich das neueste Gutachten des Industrie- und Handelskammertages ansehen, dann lesen Sie - ich zitiere -: Die Kostensteigerungen durch steigende Sozialabgaben, Erhöhung der Ökosteuer und Mehrausgaben im Wareneinkauf zwingen immer mehr Unternehmen der Tourismuswirtschaft, Preiserhöhungen am Markt durchzusetzen. Dann wird davon gesprochen, dass fehlende Investitionen Sorge bereiten. „Augen zu und durch“ kann wahrlich nicht die Devise sein. Wir müssen handeln, und zwar jetzt. Wir als FDP-Fraktion haben dazu eine ganze Menge Vorschläge gemacht. Wir haben vorgeschlagen, den reduzierten Mehrwertsteuersatz für die Hotellerie einzuführen. Wir haben vorgeschlagen, die Trinkgeldbesteuerung abzuschaffen. - Liebe Kollegen von der CDU/CSU, ich glaube, Sie springen jetzt. Das begrüße ich. Endlich springen Sie. Ich erwarte, dass die Sprünge auch von anderen kommen. - Wir haben eine ganze Menge Vorschläge zur Deregulierung gemacht und wir haben heute einen Antrag vorgelegt. Jetzt muss ich sagen: Da hört bei mir jegliches Verständnis dafür auf, dass Sie ihn aus parteitaktischen Gründen ablehnen werden. Wir haben zum zehnjährigen Jubiläum der deutschen Einheit gefordert, eine große Kampagne zu starten: Deutschland besucht Deutschland. Damit würden wir Mauern in den Köpfen ein Stück einreißen und hätten einen wirtschaftlichen Vorteil. Was macht die Regierung? - Der Antrag kommt von der Opposition, also lehnt man ihn ab. Das finde ich völlig unverständlich. ({10}) Liebe Kollegin Irber, nehmen Sie bitte zur Kenntnis - Sie haben vorhin Zahlen dazu genannt -, dass der kleinste Teil der deutschen Bevölkerung jemals in den neuen Ländern war. Das müssen wir auch aus politischen Gründen ändern. Deshalb sollten Sie hier zustimmen. Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Lieber Herr Mosdorf, wir werden Sie als unseren zuständigen Staatssekretär leider bald verlieren. Das tut mir wirklich Leid; ({11}) denn Sie haben hier gute Arbeit geleistet. ({12}) Ich will aber auch sagen: Ich bemängele an dieser Stelle, dass wir einen Wirtschaftsminister haben, der sich um Tourismus überhaupt nicht kümmert. ({13}) Er hat an dieser Stelle versprochen, einen reduzierten Mehrwertsteuersatz einzuführen, und hat es nicht eingehalten. Er hat weder im Ausschuss noch im Plenum an Tourismusdebatten teilgenommen. Er ist über Versprechen und Ankündigungen nicht hinausgekommen. ({14}) Deshalb hoffe ich, dass wir wenigstens wieder einen Staatssekretär bekommen, der sich auch auf diesem Feld betätigt. Ich habe die noch größere Hoffnung, dass nach dem 22. September dieses Jahres wieder die FDP beim Tourismus sagt, wohin die Reise geht. Dann wird auch hier einiges anders werden. Herzlichen Dank. ({15})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Es ist eine Debatte mit vielen Zwischenrufen. Trotzdem gefällt mir das Wort „bellen“ nicht so ganz. Ich glaube nicht, dass dies ein parlamentarischer Ausdruck ist, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Das sehen Sie sicherlich ein, Herr Kollege. Nun hat die Kollegin Rosel Neuhäuser für die PDSFraktion das Wort.

Rosel Neuhäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002744, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine sehr hitzige Debatte. ({0}) Ich denke, dass das „Jahr des Tourismus“, das wir in 2001 hatten, dazu beigetragen hat, dass sich in der Tourismusbranche einiges entwickelt hat. Sicherlich stimmt die Einschätzung, dass es territorial sehr unterschiedliche Ergebnisse gibt, was auch in den Regionen sehr unterschiedliche Wirkungen hatte. Es helfen nicht allein Vorwürfe, sondern man muss überlegen, wie man eine inhaltliche Debatte organisieren kann, statt auf eigenen Standpunkten zu beharren, um diesen Entwicklungsprozess nach inhaltlichen Lösungen zu forcieren und damit der Branche insgesamt zu helfen. In vielen Gesprächen mit Vertretern aus der Tourismusbranche und Kommunalpolitikern wurde immer wieder auf die Rolle und die Verantwortung des Tourismus für die Wirtschaft und für die Beschäftigung hingewiesen. Es wurde darauf aufmerksam gemacht, dass das Potenzial, welches der Tourismus bietet, nur dann voll genutzt werden kann, wenn die Bereitschaft zur Entwicklung von Kooperationen auf allen Ebenen - ich meine hier die europäische Ebene, die nationale Ebene, die regionale und die lokale Ebene sowie auch die Kooperation zwischen öffentlichen und privatwirtschaftlichen Partnern - möglich wird. Wir alle wissen: Tourismus ist kein Selbstläufer. Erfolge in der Branche erzielen wir überall dort, wo durch Zusammenarbeit eine Bündelung von Kräften erfolgt. Das bedeutet aber noch ein ganzes Stück gemeinsamer Arbeit, da das gesamte touristische Potenzial auf den unErnst Burgbacher terschiedlichsten Ebenen diesbezüglich noch lange nicht erschlossen ist. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Beispielen. So kurios es auch klingen mag: Das heute zu beschließende Tourismusförderungsprogramm bedarf aus dieser Situation heraus - ich meine den von der Bundesregierung vorgelegten Antrag - Ergänzungen. ({1}) Begrüßenswert sind aus meiner Sicht die Abschnitte „Entbürokratisierung“ - das ist schon kritisiert worden -, „Finanzielle Förderung“, „Umwelt“ sowie „Europäische Union International“, aber auch das Kapitel zur Zusammenarbeit von Bund und Ländern. Das heißt, wenn wir in der Debatte um das Tourismusförderungsprogramm über Rahmen- und Wettbewerbsbedingungen reden, können wir eben nicht nur an betriebswirtschaftliche Probleme - wie: höchste Qualität der Produkte, gleiche Marktzugangsbedingungen aller Unternehmen oder umweltfreundliche Produkte - denken. Aus unserer Sicht geht es um mehr. Es muss auch um den Wettbewerb, die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen, um hohe soziale Standards und um Nachhaltigkeit gehen. Das Problem der Ausbildung und die Übernahme in Feststellen beispielsweise - hier ist meines Erachtens noch ein großer Nachholbedarf vorhanden - oder die Frage des barrierefreien Reisens sprechen Sie in Ihrem Antrag an. Nur in dieser Koppelung sehe ich zukünftig eine Chance, in den unterschiedlichsten Regionen regionale Wirtschaftskreisläufe aufzubauen, die dazu führen, dass die Menschen sozial abgesichert werden können und die Kaufkraft damit gestärkt wird. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Beitrag des Tourismus zu Wachstum und Beschäftigung gerade jetzt eine weit größere Anerkennung auf allen politischen Ebenen benötigt. Es müssen Aktivitäten auf der Tagesordnung stehen, die dazu beitragen, die Tourismuswirtschaft zu stärken, um Potenziale für weiteres Wachstum zu schaffen. Der Antrag der Koalitionsfraktionen bietet die Voraussetzungen, aber die Konkretisierung und vor allen Dingen die Unterfütterung dieser Ansätze bleiben noch aus. Ich meine, es kann nicht allein darum gehen, die Hardware - um es einmal in der Computersprache auszudrücken - bereitzustellen. Seinerzeit - damit spreche ich ein Problem an, das damals die CDU/CSU-Fraktion und die FDP-Fraktion in ihrer Regierungszeit entschieden haben -, als es darum ging, GA-Fördermittel für die so genannten Spaßbäder in den neuen Bundesländern auszuweisen, existierte zwar die Hardware, aber für die Software, also das Betreiben dieser Einrichtungen, waren keine finanziellen Mittel mehr da. Ich meine, dieser Ansatz ist nicht unbedingt ein Beispiel für die Entwicklung einer nachhaltigen Tourismuspolitik. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch einen Satz zu dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion sagen. Es geht nicht allein darum, immer wieder neue Wettbewerbe auszuschreiben. Aus meiner Sicht ist es besser, in Richtung Förderprogramme - wie Aktionsprogramm für Kinder- und Jugendreisen oder Programm für familienfreundlichere Angebote - aktiv zu werden. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einen Wunsch zum Abschluss äußern. Ich möchte es so formulieren: Schalten wir die Ampel für den Aktionsplan für Kinder- und Jugendreisen auf Grün, damit wir ihn so schnell wie möglich auf den Weg bringen. Vielen Dank. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf.

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss mich zunächst recht herzlich bei dem Kollegen Burgbacher für die freundlichen Anmerkungen und Bewertungen bedanken. Ich habe ohnehin das Gefühl, dass man diese auch zurückgeben kann; denn der Tourismusausschuss hat eigentlich immer versucht, interfraktionell, über die Parteigrenzen hinweg, zusammenzuarbeiten und auch etwas voranzubringen. ({0}) - Ich meine, da kannst du auch mal klatschen, Ernst. Das ist nämlich richtig. Wir haben eine ganze Menge gemeinsam vorangebracht. Deshalb meine ich, dass die Differenz wesentlich kleiner ist, als es teilweise in den Debatten zum Vorschein kommt. Wir haben eine ganze Menge bewegt. Wir müssen, sozusagen bilanzierend, festhalten: Die Tourismusbranche ist eine wichtige Wachstumsbranche, die viele noch nicht als solche erkannt haben. Wir müssen auch viele Kollegen in unserem Kreis, die nicht in unserem Ausschuss mitarbeiten, darauf hinweisen, dass die Branche wirklich aktiv ist und dass darin eine Menge passiert. ({1}) Darin liegt eine Informationschance. Der Vorsitzende des Ausschusses hat schon darauf hingewiesen, dass in dieser Branche sehr viele Menschen beschäftigt sind - nämlich 3 Millionen -, dass ihr Anteil am Bruttosozialprodukt 8 Prozent beträgt, dass dort 280 Milliarden Umsatz erwirtschaftet werden und - was noch hinzukommt; das halte ich für besonders wichtig - dass die Branche 110 000 Auszubildende beschäftigt. Ich meine, das ist ein Lob wert und ein Dankeschön an die Branche dafür, dass sie sich in der Ausbildung so engagiert. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin sehr dafür, auch kritische Punkte anzusprechen. Denn nur wenn man kritische Punkte anspricht, kann man daraus lernen und etwas Neues entwickeln. Trotzdem können wir auch mit ein bisschen Stolz auf die Zahlen schauen, die das Statistische Bundesamt heute veröffentlicht. Frau Irber hat bereits darauf hingewiesen: In dem für uns schwierigen Jahr 2001 - zum einen wegen des Vergleichs mit dem EXPOJahr, in dem wir wirklich außergewöhnliche Gästezahlen hatten, zum anderen wegen des 11. September; es ist von mehreren Rednern darauf hingewiesen worden, was der 11. September ausgelöst hat - werden wir mit 327 Millionen Übernachtungen die Zahl von 2000, einem Rekordjahr, wahrscheinlich einstellen oder möglicherweise sogar leicht darüber liegen. Darüber können wir uns mit der Branche freuen. ({3}) Ich finde, wir sollten deutlich machen, dass das ein wichtiger Schritt nach vorne ist. Wir sollten nicht dort schwarz malen - Schwarz ist natürlich eine schöne Farbe -, ({4}) wo es eigentlich angebracht ist, die Dinge positiv darzustellen. Ich möchte jetzt eigentlich mehr auf die Entwicklungen nach 1998 und weniger auf das eingehen, was vor 1998 alles geschehen ist, zum Beispiel bei den Kurstädten. ({5}) - Nein, Ernst, die Kurstädte waren in einer sehr schwierigen Situation. Das wissen wir alle. Ich bin froh darüber, dass die Kurstädte wieder aufleben und dass sie sich im internationalen Wettbewerb behaupten. Gerade in den Grenzgebieten ist die Konkurrenz sehr hart. Es ist daher wichtig, dass unsere Kurstädte wieder Tritt gefasst haben und positive Wachstumsraten aufweisen. Das ist ein ganz wichtiger Schritt nach vorne. ({6}) Ich möchte noch einen Punkt besonders hervorheben, der oft vergessen wird. Die Tatsache, dass es im Jahre 2001 fast 62 Millionen Übernachtungen in den neuen Bundesländern gab - sie haben im Vergleich zu 1999 Wachstumsraten von bis zu 14 Prozent aufzuweisen -, ist ein Zeichen dafür, dass die deutsche Einheit auch im Tourismusbereich stattgefunden hat und dass die Juwelen in den neuen Bundesländern inzwischen auch von vielen aus den alten Bundesländern erkannt werden. ({7}) Deshalb habe ich überhaupt kein Problem mit dem Antrag der FDP. Sie, Frau Irber, wahrscheinlich auch nicht. Wir haben schon lange die Devise ausgegeben - die FDP hat sie in ihren Anträgen übernommen -: Deutsche, besucht Deutschland! Fahrt nicht dreimal im Jahr nach Mallorca, macht lieber Urlaub zu Hause! Daraus können wir gerne, wie die FDP es will, eine Kampagne machen. ({8}) Gerade in der jetzigen Zeit sollten wir alles, was die verschiedenen Regionen Deutschlands zu bieten haben, auch erleben. Man muss nicht pausenlos irgendwohin fahren. Man kann auch zu Hause Urlaub machen. Das sollte man gerade mit Blick darauf tun, dass in diesem Jahr - das letzte Jahr hatten wir mit vereinten Kräften zum Jahr des Tourismus ausgerufen - die Nachhaltigkeit und der ökologisch verträgliche Tourismus eine große Rolle spielen. Dazu gehört vieles, über das wir im Ausschuss beraten haben, zum Beispiel die Frage, wie eine Renaissance der Ferien auf dem Bauernhof auf hohem qualitativen Niveau eingeleitet werden kann. Andere Stichworte sind Naturparks und Fahrradtourismus. Ich glaube, wir haben gemeinsam eine Menge zustande gebracht. Wir können stolz darauf sein, dass wir 2002 die Themen der Nachhaltigkeit und des ökologisch verträglichen Tourismus in den Vordergrund gestellt haben, lange bevor man international auf die Idee gekommen ist, diese Themen aufzugreifen. Die Situation in den Monaten nach dem 11. September - darüber haben wir hier schon gesprochen - war schwierig. Ich bin froh darüber, dass sich die Zahlen inzwischen deutlich verbessert haben, auch die der Fluggesellschaften. Das haben mir Vertreter der Fluggesellschaften bestätigt, mit denen ich in den letzten Monaten gesprochen habe. Das ist auch ein positives Zeichen dafür, dass die Menschen bereit sind, mit schwierigeren Umständen fertig zu werden. Die Bundesregierung hat dazu einen Beitrag geleistet, indem sie für die Fluggesellschaften die Haftungsübernahme temporär garantiert hat. Diese Garantie ist in diesen Tagen bis Ende Februar verlängert worden, weil die Verhandlungen zwischen den Fluggesellschaften und den Versicherungen noch andauern. Ich finde, der Staat kann wirklich nicht alles machen. Es macht auch keinen Sinn, dass der Staat alles macht. Aber es ist als ein gemeinsamer Erfolg zu bewerten, wenn die Bundesregierung in einer Krisensituation die Haftungsübernahme garantiert, und zwar so lange, bis sich die Versicherungen und die Fluggesellschaften geeinigt haben. ({9}) - Lieber Ernst Hinsken, ich glaube nicht, dass es ernsthaft Ihre Meinung ist, der Staat müsse die Haftung sozusagen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag übernehmen. Das wäre eine Staatswirtschaft, die wir nicht wollen. ({10}) Wir haben uns wie folgt entschieden: Wir versuchen, die Haftung vonseiten des Staates sicherzustellen, solange sich der Versicherungspool nicht geeinigt hat, damit die Airlines überhaupt fliegen können. Zu Recht sagt Jürgen Weber: Wenn wir keine Sicherung haben, bleiben die Flugzeuge am Boden. Was das für eine Volkswirtschaft wie die Bundesrepublik Deutschland hieße, wissen wir alle. Deshalb noch einmal der Appell auch an die Versicherungswirtschaft, eine Einigung herbeizuführen. Ich bin übrigens der Auffassung, dass wir dringend eine internationale Einigung brauchen. ({11}) - Genau! Das muss man auch den amerikanischen Freunden sagen. Es geht nicht an, dass wir in einer solchen Krisensituation mit Dumpingpreisen agieren oder mit besonderen Subventionen helfen und damit im Grunde einen fairen Wettbewerb behindern. ({12}) Bei aller Solidarität: Wir brauchen ein „level playing field“, ein gemeinsames Feld, auf dem unter Wettbewerbsgesichtspunkten Fairness herrscht. Da wir das noch nicht haben, sind wir als Bundesregierung eingesprungen und haben alles dafür getan, damit die Haftpflichtversicherung auch bei Drittschäden aufrechterhalten ist und die Wirtschaft weiter agieren kann. Die Wirtschaft anerkennt das. Das ist ein positives Zeichen. Zum Schluss möchte ich noch Folgendes sagen: Für uns alle ist mehr denn je wichtig, dass wir Gäste ins Land holen. Die Deutschen geben sehr viel im Ausland aus. Wenn wir nur diese Bilanz, nur diesen Teil der Dienstleistungsbilanz sehen, dann erkennen wir: Wir müssen hier wirklich alle Anstrengungen unternehmen. Denn wir müssen schon ganz schön viele Autos verkaufen, damit wir die Devisen, die wir bei all unseren Auslandsreisen im Ausland ausgeben, wieder hereinbekommen. Also ist es wichtig, dass wir einen Schwerpunkt darauf setzen, Gäste einzuladen, Gäste zu uns ins Land zu holen, ein offenes, ein liberales, ein tolerantes Land ({13}) - ja, auch ein sicheres Land; das ist ein wichtiger Punkt und ein attraktives Land zu sein, und zwar nicht nur im klassischen Tourismus, sondern auch im kulturellen Bereich.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Der Herr Kollege Feibel möchte eine Zwischenfrage stellen. Wollen Sie die zulassen?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Ich möchte das erst zu Ende führen. Herr Kollege, Sie erhalten dann Gelegenheit zu fragen. Ich bitte da um Verständnis. Wir müssen, glaube ich, einen ganz wichtigen Punkt im Auge behalten. Wir sollten im Hochsegment, in der qualitativen Tourismusförderung - dazu gehört Kultur; da hat Deutschland sehr viel zu bieten: in der Musik, in der Literatur - einen besonderen Schwerpunkt setzen. Da haben viele Regionen ihre eigenen Stärken. Das haben andere Länder so nicht. Andere Länder haben Sonne, haben Wasser, haben viele andere Dinge. Wir haben auf dem Gebiet der Kultur sehr viel zu bieten. Deshalb, so meine ich, müssen wir in den nächsten Monaten gemeinsame Anstrengungen unternehmen, um den Tourismus weiter voranzubringen, indem wir auch eine kulturpolitische Dimension in die Tourismusdebatte hineintragen. Daran möchte ich mich gerne beteiligen. Vielen Dank. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt noch einmal die Frage, ob Sie eine Frage des Kollegen Feibel beantworten wollen.

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Natürlich. Ich wollte nur meine Zeit nicht überziehen; denn die Frau Präsidentin ist sehr streng.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr, Herr Feibel.

Albrecht Feibel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003433, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, wenn ich es richtig sehe, wird die Zeit für die Beantwortung von Zwischenfragen nicht auf die Redezeit angerechnet. Sie haben im Zusammenhang mit dem 11. September die Fluggesellschaften angesprochen. In der Tourismusbranche gibt es noch andere Notleidende in sehr großer Zahl, denen der Rückgang nach dem 11. September sehr stark zu schaffen macht. Angesichts dessen frage ich Sie: Meinen Sie, dass 0,6 Prozent bis 0,8 Prozent Nettoumsatzrendite in der Reisebranche - das heißt zu Deutsch: Man muss 1 Million DM Umsatz machen, um am Ende 6 000 DM bis 8 000 DM übrig zu haben - reicht, um in solch schwierigen Zeiten zu überleben? Wie soll denn durch Ihre Wirtschaftspolitik eine Verbesserung erreicht werden, sodass die Unternehmen mehr Kapital bilden können, um eben auch in solch schwierigen Zeiten noch überleben zu können? ({0})

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Lieber Herr Kollege, ich darf Sie auf einen Rechenfehler aufmerksam machen. Bei einer Umsatzrendite von 0,6 Prozent macht man bei 1 Million DM Umsatz nicht 6 000 DM, sondern 60 000 DM Gewinn. ({0}) - Das ist eine ganz einfache Rechnung. Das ist nun mal leider so. ({1}) - Es ist so! ({2}) Es ändert nichts daran, dass eine Umsatzrendite von 0,6 Prozent zu wenig ist. Gerade wenn man investieren will, braucht man eine ordentliche Umsatzrendite, überhaupt keine Frage. Sie werden mir aber zugestehen, dass die Rendite natürlich eine Sache des Unternehmens, nicht des Staates ist. Wir tun etwas für bessere Rahmenbedingungen, zum Beispiel durch Steuersenkungen. Darüber haben wir ja gemeinsam oft gesprochen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir so erfolgreich sein können. Vielen Dank. ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zum Abschluss dieser Runde hat nun das Wort der Kollege Wolfgang Dehnel von der CDU/CSU-Fraktion.

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, im Namen des Hauses zu sprechen, wenn wir dem Parlamentarischen Staatssekretär Mosdorf für seine möglicherweise letzte tourismuspolitische Rede hier im Hause danken. Wir wünschen ihm persönlich alles Gute. Allerdings musste ich feststellen, dass keine der Rednerinnen beziehungsweise der Redner überhaupt auf den familienpolitischen Aspekt des Tourismus eingegangen ist. Deshalb fällt es mir als Familienpolitiker zu, dieses Feld zu bestreiten. Denn Familien in Deutschland - ich glaube, darin stimmen wir überein - sind eine attraktive Zielgruppe des Fremdenverkehrs. Die Familien verreisen im Urlaub häufiger als der Bundesdurchschnitt und umfassen 43 Prozent der gesamten Bevölkerung. Wenn Familien sich in ihrem Urlaub wohl gefühlt haben, kommen sie wieder und können zu treuen Stammkunden werden, deren Kindern mit ihren eigenen Kindern wiederkommen. Es lohnt sich daher, im Fremdenverkehr die speziellen Bedürfnisse von Familien zu beachten. ({0}) Familien brauchen Ferienangebote, die Kindern und Eltern einen angenehmen und erholsamen Aufenthalt ermöglichen. Dies dient auch dem Ziel einer familienfreundlicheren Gesellschaft. Deshalb hat die CDU/CSUgeführte Bundesregierung 1986, 1990 und 1994 den Bundeswettbewerb für familienfreundliche Ferienangebote in Deutschland gestartet, durchgeführt und ausgewertet. Die Resonanz in den Ferienorten war überwältigend. Es gab bundesweit eine Fülle von guten Ideen für familienfreundlichen Urlaub. An diesem Wettbewerb haben sich Gemeinden gemeinsam mit ihren Hotels, Pensionen und Anbietern von Ferienwohnungen, von „Ferien auf dem Bauernhof“ oder auch von Campingplätzen beteiligt. Aber die Wettbewerbsbedingungen werden härter. In Zukunft wird es nicht mehr ausreichen, diese Zielgruppe nur halbherzig zu bedienen. Für die deutschen Anbieter von Familienferien wächst der Konkurrenzdruck. Bei immer schärfer kalkulierten Preisen der Pauschalreiseveranstalter nimmt die Attraktivität ausländischer Reiseziele auch für Familien mit mehreren Kindern zu. Das belegt eine Untersuchung „Urlaub und Reisen �95“. Dort heißt es - ich zitiere -: Von 1990 bis 1994 wuchs die Zahl deutscher Reisender mit Kindern unter 14 Jahren von 11,56 Millionen auf 13,58 Millionen. Im Vergleich zum Anteil der Inlandsreisen, der von 5,20 im Jahre 1990 auf 4,93 Millionen sank, stieg der Anteil der Auslandsreisen mit Kindern unter 14 Jahren in diesem Zeitraum von 6,36 auf 8,65 Millionen. Sie sehen an dieser Tendenz: Hier müssen wir gegensteuern. ({1}) Ein weiterer Aspekt: Die europäischen Nachbarländer wie Dänemark und Österreich haben sich längst durch Schaffung von entsprechenden Angeboten als kompetente Ziele für den Familienurlaub profiliert. So überrascht es nicht, dass nach einer Untersuchung in der Zeitschrit „Eltern“ zum Thema Familienurlaub, durchgeführt schon im Oktober 1993, Österreich als Ferienland von jungen Familien die besten Noten erhielt. Daher sollten wir als Deutsche endlich wieder Anstrengungen in dieser Richtung unternehmen, wie wir dies zu unserer Regierungszeit getan haben. ({2}) - Darauf komme ich gleich noch zu sprechen. Die Wiederaufnahme dieses Bundeswettbewerbs ist also auch aus Gründen des verstärkten Wettbewerbs zwischen den europäischen Nachbarländern angebracht, ja geradezu notwendig. Wenn wir unsere Gesellschaft künftig nicht framilienfreundlicher gestalten - dazu gehören unzweifelhaft auch familienfreundliche Angebote im deutschen Tourismus -, werden wir im internationalen Wettbewerb zu den Verlierern gehören. Man kann nicht alles der ruhigen Hand überlassen; wir müssen uns mit fleißigen Händen dem Wettbewerb stellen. Ich gebe zu, dass unsere Fraktion den Wettbewerb auch für 1998 geplant hatte; aber leider ist die Wahl nicht positiv für uns ausgegangen. Rot-Grün wollte nicht alles anders, aber vieles besser machen. ({3}) Schon deshalb wäre dieser Wettbewerb in den vergangenen drei Jahren angebracht gewesen. Es gibt aber noch einen anderen Grund dafür, warum wir den Antrag zu einem Wettbewerb gestellt haben: Es gab Forderungen und Rufe danach vor Ort. Wir waren vor Ort bei den kommunalen Tourismusvertretern. Dazu hat man unsere Kollegin Schäfer, unseren Kollegen Brähmig, unseren Kollegen Hinsken eingeladen. Wir waren in den Wahlkreisen und haben uns vor Ort umgeschaut und gefragt: Was wollen die kommunalen Vertreter? Diese haben uns darin bestärkt, diesen Wettbewerb wieder einzuführen; das wäre eine gute Sache. ({4}) Überall, ob im Saarland oder in Rheinland-Pfalz, ob in Sachsen oder Sachsen-Anhalt, ist der Wettbewerb auf eine positive Resonanz gestoßen. Die CDU/CSU-Fraktion und die Bundesregierung unter Helmut Kohl haben Ihnen die Vorlagen geliefert. Fassen Sie sich ein Herz und springen Sie über Ihren Schatten. Treten Sie damit ins offene Tor eines neuen familienfreundlichen Ideenwettbewerbs zur Ausgestaltung des Urlaubsumfelds und Ferienangebots. Seit dem letzten Wettbewerb sind sechs Jahre vergangen. Da ist es Zeit für eine Neuauflage. Meine Damen und Herren von der Koalition, glauben Sie wirklich, dass die Haushaltslage als Verhinderungsgrund für diesen Wettbewerb vorgeschoben werden muss, wo Sie doch selbst in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zum Familientourismus in Deutschland von einer gelungenen Aktion zur Widerspiegelung der ganzen Vielfalt zahlreicher Ideen für den familienfreundlichen Urlaub sprechen?

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Neuhäuser?

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Neuhäuser, ja bitte.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr, Frau Kollegin.

Rosel Neuhäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002744, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Dehnel, Sie haben in Ihrem Antrag gefordert, den Bundeswettbewerb „Familienferien in Deutschland“, der 1997/98 in vierter Auflage letztmalig ausgetragen wurde, wieder einzuführen. Können Sie mir sagen, wo dieser Wettbewerb aus Ihrer Sicht mehr qualitative Angebote für Familien gebracht hat? Außerdem möchte ich feststellen, dass ich seit Beginn dieser Legislaturperiode vehement dafür streite, kinder-, jugend- und familienfreundliche Angebote im Tourismusbereich zu schaffen.

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Neuhäuser, wir kennen uns aus zwei Ausschüssen, aus dem Petitionsausschuss und aus dem Familienausschuss. Wenn Sie meiner Rede richtig zugehört hätten, hätten Sie auch gehört, dass wir 1998 den Antrag gestellt haben, den Wettbewerb wieder durchzuführen. Auf meinem Platz liegt ein dicker Katalog; darin enthalten sind die durchaus positiven Meinungen der Bürgermeister, der Sprecher der Tourismuswirtschaft, aber auch der Regionalpolitiker, die sich alle eindeutig positiv zu diesem Wettbewerb geäußert haben. Ich habe Ihnen gesagt, dass gerade aus den Kommunen der Ruf nach diesem Wettbewerb kam, weil er dort zu positiven Ergebnissen geführt hat. Es gab eine Fülle von Ideen; wir selber konnten uns vor Ort von diesen Ideen überzeugen. Wenn wir von diesen Ideen nicht so überzeugt gewesen wären, hätten wir den Antrag nicht eingebracht. Lassen Sie mich jetzt aber weiter ausführen, denn ich glaube, Sie haben es verstanden. ({0}) Meine Damen und Herren, ich weiß, dass mit der Wiedereinführung des Wettbewerbs für familienfreundliche Ferienangebote in Deutschland die Bundestagswahl in diesem Jahr nicht entscheidend beeinflusst werden kann. Aber Arroganz und Hochmut auch gegenüber unseren guten und konstruktiven Vorschlägen, Ideen und Konzepten kommen vor dem Fall am 22. September 2002. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aus- sprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Tourismus auf Drucksache 14/8021. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh- lung die Annahme des Antrags der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf der Drucksache 14/5315 mit dem Titel „Programm zur Stärkung des Tou- rismus in Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ist die Beschluss- empfehlung angenommen. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5313 mit dem Titel „Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Tourismus- wirtschaft stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- fehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Ge- gen die Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung der FDP ist die Beschlussempfehlung angenommen. Tagesordnungspunkt 7 b, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Tourismus auf Drucksache 14/6846 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Neue Kampagne ‚Deutschland besucht Deutschland‘ starten“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4153 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp- fehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der FDP ist diese Beschlussempfehlung ange- nommen. Tagesordnungspunkt 7 c, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Tourismus auf Drucksache 14/7751 zu zwei gemäß § 56 a der Geschäftsordnung vorgelegten Be- richten zu Entwicklung und Folgen des Tourismus. Der Ausschuss für Tourismus empfiehlt in Kenntnis der Be- richte auf Drucksachen 13/9446 und 14/1100, eine Ent- schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Gegen die Stimmen von FDP und CDU/CSU ist die Beschlussempfehlung angenommen worden. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/7066 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c sowie die Zusatzpunkte 4 und 5: 8. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Kioto-Mechanismen für die internationale Klimapolitik Deutschlands nutzen - Drucksache 14/7073 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Kioto-Mechanismen für die nationale Klimapolitik Deutschlands nutzen - Drucksache 14/7156 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Gesetz zur Ratifizierung des Kioto-Protokolls unverzüglich vorlegen - Drucksache 14/7450 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ZP 4 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Das Kioto-Protokoll ratifizieren und zum Weltgipfel 2002 in Johannesburg in Kraft setzen - Drucksache 14/8026 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Dr. Christian Ruck, Cajus Caesar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Kioto - Bonn - Marrakesch, ein wichtiger Schritt für die internationale Klimapolitik - Drucksache 14/8028 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Das ist dann so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Monika Ganseforth für die SPD-Fraktion.

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute fünf Anträge zur nationalen und internationalen Klimapolitik. Insbesondere geht es darum, dass unser Parlament seinen Beitrag dazu leistet, dass das Kioto-Protokoll zum Weltgipfel in Johannesburg im September dieses Jahres in Kraft treten wird. Dazu muss es rechtzeitig ratifiziert werden. Die Bundesregierung hat den Prozess eingeleitet und wir werden - ich glaube, da kann ich für alle sprechen diesen Gesetzentwurf der Regierung zügig behandeln, um das Protokoll noch in Kraft setzen zu können. ({0}) - Es wäre schön gewesen, Beifall vom ganzen Haus zu erhalten; denn ich glaube, hierin sind wir uns einig. Es tritt erst in Kraft, wenn es 55 Staaten ratifiziert haben und wenn mindestens 55 Prozent der Emissionen der Industrieländer durch das Protokoll abgedeckt werden. Ob das gelingt, ist noch nicht sicher. Da muss noch einiges getan werden. Ich fordere uns alle auf, bei unseren Kontakten mit Abgeordneten der entsprechenden Länder - das sind zum Beispiel Russland, Japan und Kanada unseren Einfluss in diese Richtung geltend zu machen. Ich erwarte aber auch, dass unsere Regierung bei den entsprechenden Kontakten versucht, diesen Prozess voranzubringen. Zehn Jahre sind vergangen, seitdem 1992 in Rio die Staatschefs der meisten Länder der Welt zusammenkamen und unter anderem die Klimarahmenkonvention verhandelt und verabschiedet haben. Das Herzstück dieser Konvention ist Art. 2, in dem es heißt, dass die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre stabilisiert werden soll. Es ist vereinbart worden, dass die Konzentration von treibhauswirksamen Spurengasen nicht weiter ansteigt und ein Niveau nicht überschreitet, ({1}) das in jeder Hinsicht keine gravierenden Auswirkungen nach sich zieht. Das ist eine sehr anspruchsvolle Forderung, weil wir seit der Industrialisierung starke Steigerungen der Emissionen von Treibhausgasen zu verzeichnen haben. Je stärker die Emissionen sind, desto mehr langlebige treibhauswirksame Gase sammeln sich an. Wenn die Konzentration konstant bleiben soll, wenn es also zu keiner weiteren Anreicherung der Treibhausgase kommen soll, dann müssen die Emissionen drastisch reduziert werden, und zwar, wie uns die Wissenschaft sagt, auf etwa 50 Prozent der heutigen Emissionen. Die Industrieländer erzeugen ungefähr 80 Prozent der Emissionen, obwohl sie nur 20 Prozent der Bevölkerung Vizepräsidentin Anke Fuchs stellen. Daher muss der Umfang der von uns erzeugten Treibhausgase deutlich mehr reduziert werden, und zwar möglichst schnell. ({2}) Das sind die Aussagen der Wissenschaft. Ich will nicht verhehlen, dass es Wissenschaftler gibt, die das anders sehen. ({3}) Es ist ganz normal, dass einige wenige abweichende Positionen vertreten. Unser Planet befindet sich im Grunde in einem Experiment. Wenn wir abwarten, bis wir sehen, wie es in 50 oder in 100 Jahren wird, dann müssten wir womöglich erkennen, dass es zu spät ist. Das ist unverantwortlich. ({4}) Es hat ungefähr zwei Jahre gedauert, bis die Klimarahmenkonvention in Kraft getreten ist. Es ging darum, sie in Protokolle umzusetzen. Jetzt, zehn Jahre später, liegt uns das erste Protokoll vor. Dem ging ein mühsamer Prozess voraus. Die Stationen auf dem Weg waren Kioto, Den Haag, Bonn und schließlich Marrakesch. Nun liegt das Protokoll vor, mit dem die Ausfüllung dieses Prozesses begonnen wird. Der Inhalt des Protokolls besagt bis jetzt nur, dass die Emissionen konstant gehalten werden sollen. Wir sind also zu den drastischen Reduktionen, die nötig sind, noch gar nicht gekommen. Es ist nur ein erster Schritt. Wenn wir wirklich das erreichen wollen, was nötig ist, dann müssen wir uns darüber klar sein, dass es grundlegender Änderungen bedarf, die noch ausstehen. Das betrifft die Grundlagen unseres Wirtschaftens und unserer Lebensweise. Um diese Ziele zu erreichen, müssen wir - geringe Mehrheiten reichen nicht aus - gemeinsam vorgehen. Ich appelliere an das ganze Haus, sich diesem Prozess nicht zu verweigern. ({5}) In diesem Zusammenhang begrüße ich es, dass der Antrag der CDU/CSU wieder die Gemeinsamkeit in den Vordergrund stellt, die wir lange Zeit im Hinblick auf die Klimafrage gehabt haben. Als wir noch in der Opposition waren, war diese Gemeinsamkeit eigentlich eine Tradition. Der Antrag ist erfreulich sachlich. Er hebt sich wohltuend von vielem ab, was wir in der Vergangenheit von der CDU/CSU und von der FDP zur Energiepolitik und zur Klimapolitik gehört haben. Er ist nicht, wie üblich, mit spitzfindigen Beweisführungen und dem müßigen Versuch, uns Widersprüche in unserer Politik nachzuweisen, gespickt. Dieser Antrag enthält keine aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate und keine Zitate aus privaten Gesprächen oder nicht öffentlichen Sitzungen, keine Halbwahrheiten, keine Behauptungen, keine Unterstellungen und kein Zitieren von abwesenden Kronzeugen, die sich nicht wehren können. Dergleichen waren wir nämlich in der Vergangenheit gewohnt. ({6}) - Nicht nur Herr Grill ist Hardliner. Bei der FDP ist das ähnlich: Neulich enthielt ein Antrag sogar Zitate aus einem Obleutegespräch. - Dieser Antrag ist wirklich von einem anderen Geist getragen als das, was wir in der letzten Zeit gehört haben. Ich will einige Sätze aus dem Antrag zitieren, die ich wirklich wichtig finde und auf die wir uns einigen sollten: Die Welt hat keine Zeit mehr abzuwarten, bis die letzte Gewissheit über das Ausmaß des Klimawandels besteht. Sie muss aus Gründen der Vorsorge unverzüglich handeln. Je früher wir handeln, umso wirkungsvoller beugen wir den Gefahren sozialer und wirtschaftlicher Verwerfungen vor. So ist es. Wenn diese Aussage Grundlage unserer gemeinsamen Bemühungen zur Klimapolitik oder zur nachhaltigen Energiepolitik wäre, zum Beispiel in der EnergieEnquete-Kommission, dann wäre viel gewonnen. Wir bräuchten uns dann nur noch über die Instrumente, über den richtigen Weg zu streiten. Wir müssten in einen Wettbewerb eintreten, wer das konsistente Energiekonzept hat, und nicht mehr immer nur hören, was wir alles falsch machen. Vielmehr würden wir auch einmal von Ihnen hören, was Sie machen wollen, um diesem Ziel gerecht zu werden. ({7}) Richtig ist: Klimaschutz wird nur erfolgreich sein, wenn die wichtigsten Industrieländer, auch die USA, mitmachen. Er wird nur Erfolg haben, wenn auch die Entwicklungs- und Schwellenländer dabei sind. Dabei darf es nicht zu einer nachholenden Entwicklung kommen. Die Industrieländer dürfen nicht ihre Fehlentwicklungen und ihre nicht nachhaltige Lebensweise auf die Entwicklungsländer übertragen. Vielmehr bedarf es neuer Strukturen. Kernstück dieser Strukturen ist ein effizienter Umgang mit Energie. Wir nutzen Energie heute weltweit so, dass 90 Prozent der eingesetzten Primärenergie verloren gehen und nur 10 Prozent für die Nutzung zur Verfügung stehen. Diese drastische Energieverschwendung muss beendet werden und darf nicht noch auf die Entwicklungsländer übertragen werden. ({8}) Der zweite Punkt neben der Effizienz - wir behandeln morgen das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, das in diese Richtung weist - sind die erneuerbaren Energien. Auch da muss weltweit der Durchbruch zu Solarenergie und anderen erneuerbaren Energien geschafft werden. Wenn wir mit Vertretern von Entwicklungsländern sprechen, ist wichtig, dass wir dies selber vormachen, dass wir zeigen, dass das geht, dass wir zeigen, dass sich das rechnet, und dass wir mit gutem Beispiel vorangehen. Es wäre schön, wenn man auch da gemeinsam an einem Strang ziehen würde. ({9}) Erfreulich ist, dass im Kioto-Protokoll der Bau von Atomkraftwerken als Klimaschutzmechanismus ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Auch das entspricht der deutschen Atomausstiegspolitik unserer rot-grünen Regierung. Die Entwicklungsländer benötigen für ihren Weg zur Nachhaltigkeit unsere Unterstützung im Know-how und sie benötigen Geld. Wir begrüßen daher, dass das KiotoProtokoll eine 20-köpfige Expertengruppe zum Technologietransfer vorsieht. Wir begrüßen, dass es Gelder von der EU, Norwegen, Neuseeland, der Schweiz, Israel und Kanada gibt, die in einen Fonds fließen, der im Rahmen der Umweltfazilität neu eingerichtet und verwaltet wird. Auch Deutschland hat Finanzbeiträge für Aktionsprogramme zugesagt. In unserem Antrag, der heute vorliegt, fordern wir die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass auch die USA, die das Kioto-Protokoll ja nicht mittragen, aber auch Japan und Australien ausreichende Beiträge zur Unterstützung der Entwicklungsländer in Richtung Klimapolitik leisten. Das Kioto-Protokoll ist also ein erster Schritt auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung. Wir müssen weiter eine treibende Kraft in der Klimapolitik sein und unsere Aussagen und Zusagen national und international glaubwürdig umsetzen. Deutschland hat sich vor zehn Jahren in Rio und in Berlin auf der ersten Konferenz nach Rio öffentlich verpflichtet - das war noch der Kanzler aus Ihren Reihen, Helmut Kohl -, die CO2-Emissionen als ersten Schritt bis zum Jahr 2005 um 25 Prozent, bezogen auf 1990, zu reduzieren. Nach dem Kioto-Protokoll und den EU-Lastenverteilungen müssen wir bis zum Jahr 2008 bzw. 2012 die Emission der fünf Treibhausgase um 21 Prozent, bezogen auf 1990, reduzieren. Tun wir alles, um diese Verpflichtungen glaubwürdig umzusetzen! Schönen Dank. ({10})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Peter Paziorek.

Dr. Peter Paziorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001685, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ganseforth, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, dass es eine Aufgabe der deutschen Umweltpolitik und der deutschen Politik an sich ist, eine gemeinsame Haltung dieses Hauses zum internationalen Klimaschutz zu erarbeiten und gemeinsam bei den internationalen Verhandlungen dafür zu sorgen, dass wir dieses Ziel auch tatsächlich erreichen. ({0}) Auch wir sehen die Verhandlungsergebnisse der 7. Weltklimakonferenz in Marrakesch als einen wichtigen Schritt in der internationalen Klimapolitik an. Dass nun auch die völkerrechtlichen Voraussetzungen für eine weltweite Reduktion der Treibhausgase geschaffen, verbindliche Zielvorgaben entwickelt und nun endlich Vereinbarungen zu flexibleren Umsetzungsinstrumenten getroffen worden sind, ist begrüßenswert und ein Erfolg. Wir stimmen Ihnen auch zu, dass man letztlich nur von einem entscheidenden Durchbruch sprechen kann, wenn wichtige Industriestaaten wie zum Beispiel die USA nicht abseits stehen, sondern bei der internationalen Klimapolitik mitmachen. Alle diese Verhandlungsfortschritte auf internationaler Ebene, die wir ausdrücklich konzedieren, dürfen aber nicht von der Frage ablenken, wie es hier in Deutschland um den nationalen Klimaschutz steht. Das ist eine ganz entscheidende Frage. ({1}) Es ist kein Geheimnis: Die CO2-Emissionen in Deutschland sind in den letzten Monaten wieder angestiegen, die Klimaschutzpolitik in Deutschland stagniert, nach drei Jahren steht die rot-grüne Regierung beim Klimaschutz vor dem Offenbarungseid. Was ist dabei der zentrale politische Vorwurf? Der Bundesregierung ist der Vorwurf zu machen, dass es ihr an einer umfassenden und in sich abgestimmten Strategie fehlt, um das eine Ziel, im Jahre 2005 25 Prozent CO2-Emissionen weniger als 1990 zu haben, zu erreichen. Erst recht ist bezogen auf das Jahr 2012 der Vorwurf zu machen, dass es an einer zum Beispiel mit wichtigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Akteuren abgestimmten Langfriststrategie fehlt. ({2}) Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass aus politischen Gründen mal an der einen Stelle das eine Instrument herausgestellt wird, mal an der anderen Stelle ein anderes. Im Ergebnis kann man sagen: Wir haben keine in sich abgestimmte Klimaschutzpolitik, sondern leider nur einen Klimaschutz-Flickenteppich. Das ist eine traurige Bilanz. ({3}) Sie wollen - im Grundsatz stimme ich Ihnen da zu die Erderwärmung bekämpfen, doch in den letzten Jahren haben Sie in der Umweltpolitik nur heiße Luft produziert. ({4}) Nach der Flut guter Initiativen unter Töpfer und Merkel nun in den letzten Monaten die klimapolitische Ebbe unter Trittin - das ist leider keine positive Gezeitenwende in der Umweltpolitik. ({5}) Die von der rot-grünen Bundesregierung eingeführte Ökosteuer hat den Anstieg der CO2-Emissionen in Deutschland nicht verhindern können. Von einer ökologischen Steuerungswirkung kann man bei der CO2-Steuer somit nicht sprechen, weil man davon nicht viel merkt. ({6}) Angesichts der Arbeitslosenzahlen ist auch zu sagen, dass Sie das Versprechen der so genannten doppelten Dividende, dass sich also auch auf dem Arbeitsmarkt etwas tut, nicht haben einhalten können. ({7}) Sie haben ja selbst in der Antwort auf eine Kleine Anfrage, Drucksache 14/5002, Mitte Dezember zugegeben, dass es zurzeit noch keine belastbare Quantifizierung der Auswirkungen der Ökosteuer auf die Beschäftigung gibt. ({8}) Das haben Sie also selbst zugestanden. Sie haben in der Antwort zwar gesagt, es gebe Modellrechnungen von einigen Wirtschaftsinstituten, nach denen es zu einer Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt gekommen sei, aber Sie haben ausdrücklich in dieser Drucksache - das können Sie, Kollege Müller, nachlesen; ({9}) ich habe sie nämlich dabei - gesagt, dass es keine belastbare positive Bilanz der Auswirkungen der Ökosteuer auf den Arbeitsmarkt gibt. Dafür sprechen ja auch die Zahlen, die nun in einigen Tagen veröffentlicht werden. ({10}) Natürlich ist der Energieverbrauch in einigen Teilbereichen gesunken, ({11}) aber das geht sicherlich auf den immer stärkeren Einsatz von effizienteren Technologien in Deutschland zurück. ({12}) Da, wo der technische Standard schon hoch ist, wirkt Ihre CO2-Steuer wie eine reine Abschöpfungssteuer. Damit kann man sagen: Bis heute ist der Nachweis nicht erbracht, dass Reduktionserfolge aufgrund gerade dieser Ökosteuer erzielt worden seien. Der von der rot-grünen Koalition beschlossene Ausstieg aus der Kernenergie stellt die Klimapolitik weiterhin vor beträchtliche Herausforderungen. Sie müssen jetzt nicht nur, wie zugesagt, den allgemeinen CO2-Ausstoß reduzieren, sondern auch noch den Anteil des Stroms aus der Kernenergie ersetzen. Wir sind einmal gespannt, wie Ihr Konzept wirklich aussieht. Wir wissen ja, wie umstritten das in Ihrer Regierung ist; der Wirtschaftsminister sieht das vielleicht anders als der Umweltminister. Zusammengefasst: Überzeugende, belastbare, in sich abgestimmte Konzepte für eine Energiepolitik, mit der CO2 eingespart werden kann, haben Sie nicht vorgelegt. ({13}) Da gibt es auch einen Konflikt zwischen den verschiedenen Ministerien. Herr Müller, Sie selbst haben ja den Wirtschaftsminister - er ist zwar nicht Ihr Parteifreund abgewatscht und haben gesagt, er habe davon keine Ahnung. Das sind doch hervorragende Belege dafür, Herr Müller, dass Sie keine in sich abgestimmte Energiepolitik im Sinne des Klimaschutzes haben. ({14}) Was Ihnen hervorragend gelungen ist: Sie haben sich über Monate hinweg hinter dem Verhandlungsmarathon der Rio-Folgekonferenzen versteckt. Das war in der Tat sehr medienwirksam. In der Zeit haben Sie für einen konkreten Klimaschutz in Deutschland aber nichts geleistet. Das ist eine traurige Bilanz. ({15}) Wo müssen wir jetzt also ansetzen? Das haben Sie, Frau Ganseforth, mich zweimal in Zwischenrufen gefragt. Das Entscheidende ist jetzt - da stimme ich Ihnen zu -, dass wir zügig darangehen müssen, die Vereinbarungen von Kioto zu ratifizieren. Dazu sind wir bereit. Wir werden alles dafür tun - mit Ihnen gemeinsam, da stimme ich Ihnen zu -, dass dieser Ratifizierungsprozess hier im Hause schnell über die Bühne geht. Diese Zusage können Sie haben. Jetzt kommt es aber darauf an, dass wir die Mechanismen, die in dem Papier von Kioto festgelegt wurden, auch tatsächlich umsetzen und ein Konzept entwickeln, um mit diesen Kioto-Mechanismen eine sinnvolle nationale Klimaschutzstrategie in Deutschland zu betreiben. Mit anderen Worten: Es wird nicht, Frau Ganseforth, darauf ankommen, dass wir hier nur ratifizieren. Jetzt muss die Bundesregierung ein wirklich belastbares Konzept vorlegen, wie die Ergebnisse aus Marrakesch und Kioto tatsächlich umgesetzt werden können. ({16}) Ich bin einmal gespannt, was Sie da vorlegen. Wenn man bedenkt, was wir im Augenblick sehen, dann muss man große Zweifel haben, ob die Bundesregierung etwas Brauchbares vorlegen wird. Sie haben nämlich über Jahre hinweg die flexiblen Mechanismen bekämpft; das muss man einmal klar und deutlich sagen. Als Frau Merkel hier im Hause über diese flexiblen Mechanismen vorgetragen hat, hat man ihr klar und deutlich gesagt: Das ist eine Verlagerung der Klimaschutzpolitik in die Schwellenländer und in die so genannte Dritte Welt. Wir müssen das ganz anders machen. Der CO2-Ausstoß muss hier in Deutschland um 50 Prozent reduziert werden. ({17}) Jetzt sind in Marrakesch genau die flexiblen Instrumente umgesetzt worden, die von Frau Merkel früher vorgeschlagen worden sind. ({18}) Früher haben Sie das bekämpft, heute sind das die großen Erfolge. Jetzt muss man sagen: Wir brauchen eine Klimaschutzstrategie, die genau darauf aufbaut. Jetzt brauchen wir einen Weg, der das tatsächlich bringt. Wir haben große Zweifel, ob Sie das überhaupt wollen. Bis jetzt haben wir überzeugende Ansätze einer solchen Strategie von Ihnen noch nicht gehört. Die Bundesregierung muss in dieser Frage springen, wenn sie nicht die deutsche Wirtschaft bei einer solchen CO2-Minderungsstrategie übermäßig finanziell belasten will. Das bedeutet also: Wir brauchen jetzt ein Instrument, das Klimaschutzprojekte in den Schwellenländern Asiens und Lateinamerikas ermöglicht. Die Niederländer haben uns das in den letzten Jahren gezeigt. ({19}) Sie sind schon lange dabei. Sie lassen sich das sogar zertifizieren, lieber Kollege Loske. Sie wissen auch, weshalb sie sich das zertifizieren lassen: weil sie das nämlich bestimmt auf EU-Ebene angerechnet haben wollen. Die sind einfach schon ein Stückchen weiter bei der Umsetzung von Kioto-Mechanismen. Während wir in Deutschland noch darüber diskutieren, haben andere Staaten schon ganz entscheidende Schritte gemacht. Deshalb brauchen wir ein Konzept, das Technologietransfer, Entwicklungspolitik und Entwicklungshilfemaßnahmen in die so genannten Schwellenländer und Entwicklungsländer, in die Regionen Indiens und Chinas sowie in andere Regionen Asiens trägt; denn die Klimaschutzpolitik ist ein globales Problem. Wir werden es nicht nur in Deutschland lösen können. Jede Strategie muss so ausgestaltet sein, dass eine nationale Klimaschutzpolitik durch Technologietransfer mit der internationalen Klimaschutzpolitik verbunden wird. Das kann jetzt ermöglicht werden. Jetzt müssen die Konzepte auf den Tisch. Sie haben in den letzten Monaten an einer solchen Politik nicht gearbeitet. Diesen Vorwurf muss man Ihnen deutlich machen. ({20}) Ich glaube schon, dass in einer solchen Klimapolitik wesentliche Effizienzpotenziale liegen. Es muss deshalb zu einer geschickten Verknüpfung von Kapital aus Industrieländern und den flexiblen Instrumenten kommen. Das muss ausgenutzt werden. Eine solche Kombination von Klimaschutzpolitik, Entwicklungszusammenarbeit und Privatinvestitionen birgt die Chance, die globalen Herausforderungen des Klimawandels auch durch einen verstärkten Technologietransfer zu bewältigen. Das ist aus unserer Sicht der beste Klimaschutz. Das hilft Deutschland. Das hilft sicherlich auch unserer Wirtschaft. Das hilft insgesamt aber auch dem internationalen Klimaschutz. Wenn Sie sehen, welcher Energiehunger gerade auch in den Entwicklungsstaaten befriedigt werden muss, dann ist es wichtig, dass wir eine solche Politik betreiben und die nationale Klimaschutzpolitik mit einer internationalen Politik verbinden. Wir stellen deshalb positiv fest, dass die deutsche Wirtschaft bereits beachtliche Reduktionsleistungen erbracht und damit nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, dass Deutschland sich als Spitzenreiter im Klimaschutz etablieren konnte. Das wollten wir, das haben wir immer begrüßt. Aber die deutschen Leistungen auf dem weiteren Weg, den wir auch wollen, dürfen nicht zu einer Selbstüberschätzung führen. Es muss sinnvoll auf eine gute Abstimmung mit der Entwicklungspolitik und mit der Technologietransferpolitik geachtet werden. Welche Konsequenzen sind aus einer solchen Sichtweise für die internationale Klimaschutzpolitik zu ziehen? Wir müssen jetzt in eine intensive Instrumentendiskussion einsteigen, aber dabei auch kritisch mit den Vorgaben aus Brüssel umgehen. Das gilt zu Recht auch für den Richtlinienentwurf zum Emissionshandel, der jetzt aus Brüssel vorgelegt worden ist. Wir sagen ganz deutlich: Der Handel mit Emissionsrechten ist ein theoretisch überzeugendes Konzept, aber wie immer in der Politik steckt der Teufel im Detail. Die deutsche Industrie steht aufgrund vieler Bedenken dem Zertifikatehandel ja auch skeptisch gegenüber. ({21}) - Gut, ein Teil. - Deshalb stellen sich bei allen grundsätzlichen Sympathien für den Handel mit Emissionsrechten aus unserer Sicht drei Fragen: Erstens. Wie will die Europäische Union ein Zuteilungssystem für Emissionsrechte schaffen, das unzumutbare Wettbewerbsverzerrungen zwischen den betroffenen Unternehmen und den Mitgliedstaaten vermeidet? Hier denke ich zum Beispiel an die Anrechnung deutscher Vorleistungen. Zweitens. Wie stellt die EU sicher, dass in den Emissionshandel einbezogene Bereiche im Vergleich zu anderen Bereichen - deshalb haben wir beim BDI auch die unterschiedlichen Positionen - nicht übermäßig belastet werden? Drittens. Wie will die EU das Verhältnis zu anderen umweltpolitischen Instrumenten wie zum Beispiel zum Ordnungsrecht und - für Deutschland eine ganz wichtige Frage - zu den freiwilligen Selbstverpflichtungen regeln? Diese Fragen können letztlich nur durch eine Pilotphase beantwortet werden. Wir wollen, dass diese Pilotphase möglichst schnell kommt und breit angelegt ist. Es soll nicht nur in irgendwelchen Arbeitskreisen bei der Bundesregierung darüber diskutiert werden, sondern sie soll unter öffentlicher Kontrolle stattfinden. Wir begrüßen diese Pilotphase und sagen: In dem Bereich des Emissionshandels muss schnell gearbeitet werden; denn wir dürfen nicht noch mehr Zeit verlieren. Lassen Sie uns bei unseren Partnern in der Welt für eine schnelle Ratifizierung des Kioto-Protokolls eintreten und sorgen wir dafür, dass die umweltpolitisch sinnvollen und ökonomisch verträglichen Voraussetzungen für den Einsatz flexibler Instrumente auch hier in Deutschland schnellstmöglich vorliegen. ({22})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herrn Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Tat, wir haben es hier mit einem, was internationale Klimapolitik angeht, sehr weit gehenden Konsens zu tun. Gerade dieser Konsens unterscheidet uns, Gott sei Dank, von anderen Ländern. Ich hoffe, dass wir auf diese Weise auch im Wettbewerb der Ratifizierung nicht ganz schlecht dastehen und das schaffen, was wir gemeinsam wollen, nämlich das Kioto-Protokoll, das Abkommen, das zum ersten Mal den Ausstoß von CO2 absolut verbindlich begrenzt, so zu ratifizieren, dass es möglichst zum Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg in Kraft treten kann. Wie Herr Paziorek zu Recht bemerkt hat, ist natürlich der Weg bis zur Umsetzung im Lande an manchen Stellen durchaus umstritten. Sie werden mir nachsehen, dass ich eine etwas andere Sicht der Dinge auf die nationale Klimapolitik habe als Sie. Ich behaupte: Nur Rot-Grün war in der Lage, die im Konsens gefundenen Zielvorstellungen endlich mit konkreten Maßnahmen zu unterlegen. Erst unter Rot-Grün hat es ein konkretes, spezifiziertes und auf die einzelnen Sektoren bezogenes Klimaschutzprogramm gegeben. ({0}) Gucken wir uns einmal an, was in diesem Klimaschutzprogramm steht und wie sich beispielsweise der Freistaat Bayern zu diesen konkreten klimaschutzpolitischen Maßnahmen verhalten hat. Ökosteuer - Bayern dagegen. Erneuerbare-Energien-Gesetz - Bayern dagegen. Biomasseverordnung - Bayern dagegen. Bayern ist außerdem unter allen Binnenländern Schlusslicht bei der Windenergie. ({1}) Es gibt kein Land, das in diesem Bereich so schlecht dasteht wie Bayern. ({2}) - Entschuldigen Sie, ich habe Bayern nicht mit Schleswig-Holstein verglichen, sondern mit Binnenländern wie Baden-Württemberg, Hessen oder auch Nordrhein-Westfalen. Sie können mir nicht erzählen, dass die Windverhältnisse in der Oberpfalz schlechter sind als im Sauerland. ({3}) Es scheint so zu sein, dass die Herausforderungen des Klimaschutzes zwar von der Münchener Rück, einer großen Versicherungsgesellschaft, verstanden worden sind, aber offensichtlich noch nicht von dem Münchener Kandidaten für ein höheres Amt. ({4}) Das Versagen in der nationalen Klimaschutzpolitik hat Rückwirkungen auf das internationale Ansehen. Glauben Sie denn im Ernst, mit einer Regierung, die darauf verzichtet hätte, die LKW-Maut einzuführen und das große Programm zur Förderung erneuerbarer Energien auf den Weg zu bringen, mit einer Regierung, die zu Hause kein umwelt- und klimapolitisches Profil erworben hätte, hätten Sie die Kraft gehabt, in Verhandlungen mit der Europäischen Union und dann mit den Entwicklungsländern diesen Erfolg zu erreichen? Das glaube ich nicht. Ich glaube vielmehr: Nur wer zu Hause seine Aufgaben erledigt, der kann auch international etwas bewegen. Deswegen ist es gut, dass wir das machen. ({5}) Innerhalb des Kioto-Abkommens hat sich die Bundesregierung verpflichtet, den Ausstoß der sechs Treibhausgase bis zum Jahre 2010 um 21 Prozent zu reduzieren. Von diesem Ziel - Sie wollen an dieser Stelle noch um Instrumente streiten, werter Kollege Paziorek - trennen uns noch 2,3 Prozentpunkte. Zwei Drittel der Emissionsreduktionen innerhalb der EU, ja der industrialisierten Welt sind in der Bundesrepublik Deutschland erbracht worden. Wenn Sie unsere netten Nachbarn aus den Niederlanden als Vorbild anpreisen, ({6}) dann muss ich trotz aller nachbarschaftlichen Freundschaft sagen: Die Niederlande haben sich zu Reduktionen nicht von 21 Prozent, sondern von 6 Prozent verpflichtet. ({7}) Sie müssen aber in Wirklichkeit 16 Prozent Reduktion erbringen, weil sie nicht wie wir Reduktionen, sondern einen massiven Anstieg der CO2-Emissionen zu verzeichnen haben. ({8}) Da lasse ich mir ungern predigen, dass die Verhältnisse beim Nachbarn besser seien, werter Herr Kollege Paziorek. Obwohl wir der Auffassung sind, dass wir das Klimaschutzziel ohne Nutzung der flexiblen Mechanismen sehr gut erreichen können - das ist möglich -, wollen wir auch diese Instrumente nutzen. Wir wollen beispielsweise einen frühen Beginn von CDM. Das war eine unserer Verhandlungslinien. Im Clean Development Mechanism stecken nämlich Potenziale gerade für die Entwicklungsländer in Bezug auf den Technologietransfer. Auch wenn wir der Auffassung sind, dass wir unsere Selbstverpflichtung erfolgreich erfüllen können, wollen wir dennoch einen frühen Start des Emissionshandels. Wir wollen dies nicht nur aus umweltpolitischen Gründen. In einem Punkt stimme ich Ihnen übrigens zu. Es kann nur eine Emissionshandelsrichtlinie geben, in der die Leistungen, die die Bundesrepublik Deutschland erbracht hat, auch berücksichtigt werden. In diesem Punkt besteht zwischen uns Konsens. In dieser Frage müssen Sie mich nicht katholisch machen. Warum wollen wir das? Wir wollen das nicht nur, weil es für die Umwelt gut ist. Jede Tonne CO2, die wir über die 21 Prozent Reduktion hinaus sparen werden, ist bei einem EU-weiten Emissionshandelssystem für uns auch ökonomisch ein Vorteil. ({9}) Deswegen stimmt die Gleichung, die gelegentlich aufgemacht wird, auch nicht, die da lautet: Klimaschutz wird nur unter Kostenaspekten betrachtet. Wo kommen denn die Gasturbinen her, mit denen zurzeit die neuen Kraftwerke in Kalifornien bestückt werden? Sie kommen aus der Bundesrepublik, weil man in Kalifornien weiß, dass „Made in Germany“ ein Synonym für Effizienz gerade in diesem Bereich ist. Deswegen hatte Frau Merkel auch Recht, als sie das Gutachten in Auftrag gegeben hat, mit dem einmal untersucht werden sollte, was eigentlich passiert, wenn wir bis 2020 40 Prozent CO2 einsparen. Was bedeutet das für die Arbeitsplätze hier? Eine Bedingung, die hinzukam und für die ich verantwortlich bin, machte das noch schwerer, nämlich der Atomausstieg. Das Ergebnis ist, dass hier netto 200 000 neue Arbeitsplätze entstehen würden. Deswegen glaube ich, dass wir alle gut daran täten, den bei der internationalen Klimaschutzpolitik bestehenden Konsens auch bei der nationalen Klimaschutzpolitik zu pflegen. Ich glaube, in manchen Punkten sind wir auch gar nicht so weit auseinander, wie das in solchen Debatten notwendigerweise von der Opposition unterstrichen werden muss. In einem Punkt sollten wir auch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes keinen Zweifel lassen: Immer mehr Menschen leiden unter den inzwischen eingetretenen Folgen des mangelnden Klimaschutzes. Wir haben heute mehr Umweltflüchtlinge als Kriegsflüchtlinge auf diesem Globus. Deswegen ist Klimaschutz nicht nur eine Frage der Ökologie. Klimaschutz ist eine Frage globaler Gerechtigkeit. Wenn wir den international bestehenden Konsens auch national hinbekommen würden, würden wir dieser globalen Herausforderung gemeinsam gerecht werden. Ich danke Ihnen. ({10})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile der Kollegin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion das Wort.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anlass für diese Debatte waren zunächst zwei Anträge der FDP-Bundestagsfraktion. Es sind weitere Anträge dazugekommen, weil man wahrscheinlich in diesem Hause, insbesondere vonseiten der Koalitionsfraktionen, nicht zulassen wollte, dass man hier über die Initiativen der FDP allein diskutiert. ({0}) Das hat Ihnen wahrscheinlich nicht gepasst. Aber das zeigt ganz deutlich, wer hier beizeiten in der Klimaschutzpolitik die Initiative ergriffen hat: Das waren nämlich wir. ({1}) Damit Sie mir nicht gleich wieder etwas unterstellen, möchte ich vorneweg ganz deutlich sagen, worüber zwischen allen Parteien dieses Hauses - auch mit uns - Konsens besteht, nämlich dass wir an dem nationalen Klimaschutzziel der Reduktion des CO2-Ausstoßes um 25 Prozent bis zum Jahre 2005 gegenüber 1990 festhalten. Dies möchte ich vor meiner eigentlichen Rede klarstellen. Im Vordergrund steht für uns das Ziel, die weltweiten Treibhausgasemissionen zu verringern. ({2}) Aus diesem und keinem anderen Grund engagieren wir uns seit Jahren für den internationalen Zertifikatehandel, wie er im Kioto-Protokoll vorgesehen und jetzt in den Vereinbarungen von Marrakesch bestätigt worden ist. Diese wollen wir in der Bundesrepublik Deutschland umsetzen. Wir hätten dazu längst Initiativen von dieser Bundesregierung erwartet. Wir als FDP-Bundestagsfraktion - das sehen Sie auch an dem Antrag, den Sie vorliegen haben - haben als erste direkt nach Marrakesch noch einmal die Ratifizierung des Kioto-Protokolls beantragt. ({3}) Es ist erfreulich, dass jetzt auch ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vorliegt, über den wir aber nicht heute Abend debattieren. Allerdings sollte die Bundesregierung schon die Positionen klären, denn an dem selben Tag, an dem die Bundesregierung diesen Entwurf im Kabinett beschlossen hat, hat Wirtschaftsminister Müller erklärt, er sei gegen einen Zertifikatehandel. ({4}) Entweder hat der Mann nicht verstanden, dass die Ratifizierung des Kioto-Protokolls einen Zertifikatehandel bedeutet, oder die Bundesregierung ist sich in diesem Punkt schlicht nach wie vor nicht einig. Ich finde, das sollte man klären. ({5}) Im Interesse des internationalen Klimaschutzes begrüßt die FDP allerdings den vorgelegten Gesetzentwurf der Bundesregierung, den wir demnächst sicherlich debattieren können, und sieht ihn als Chance, den trittinschen Stillstand in der Klimaschutzpolitik zu überwinden. ({6}) Herr Trittin, Sie haben zuvor in Ihrer Rede ausgeführt - ich finde das beachtlich -, Sie hätten solche Erfolge gehabt und vermitteln können, weil Sie zu Hause Ihre Hausaufgaben gemacht hätten. Zudem sei die geplante Emissionsreduktion zu zwei Dritteln in Deutschland erfolgt. Sagen Sie doch bitte dazu, dass ein Großteil der in Deutschland realisierten Emissionsreduktionen, die Sie für sich in Anspruch nehmen, dadurch erfolgt ist, dass die Wirtschaft schon zu Zeiten einer anderen Regierung große Anstrengungen hinsichtlich der Emissionsreduktionen unternommen hat, als Sie noch gar nicht daran denken konnten, Umweltminister zu werden. ({7}) Nun sagen Sie, wir könnten die Ziele auch ohne einen Emissionshandel erreichen. Das ist ja prima. Wir wollen aber weiterkommen und das Ziel nicht nur erreichen, sondern darüber hinaus auch die Chancen, die in diesen internationalen modernen Instrumenten liegen, auch zur Kostenreduktion nutzen. Wieso wollen Sie der deutschen Wirtschaft denn die Chance nicht geben? Führen Sie das doch einmal aus! ({8}) - Ja natürlich, er sagt, er wolle Kioto ratifizieren. Er macht aber keinen Vorschlag, wie er den Emissionshandel in Deutschland einführen will. Hier muss ich deutlich sagen: Es hätte zwei Effekte. Der erste Effekt wäre, dass zukünftig an den Stellen investiert wird, an denen es in jeder Hinsicht am günstigsten und sinnvollsten - also ökologisch wirksam und ökonomisch effizient - ist. Zweitens sollten wir in Deutschland - das haben Sie selber gesagt - das zulassen, was gemäß den Art. 6 und 12 des Kioto-Protokolls möglich ist, nämlich an anderen Stellen der Erde Investitionen zu tätigen und die daraus resultierenden CO2-Reduktionen auf unsere Verpflichtungen in Deutschland anzurechnen. ({9}) Wir sagen Ihnen noch einmal sehr deutlich: Es ist dem Weltklima völlig egal, an welcher Stelle der Erde eine Tonne CO2 reduziert wird. Deswegen sollten wir dafür sorgen, dass pro eingesetztem Euro so viel CO2 reduziert wird wie nur irgend möglich. ({10}) Sie sagen jetzt, Sie hätten sich auf der Klimakonferenz dafür eingesetzt, dass der CDM hier in Deutschland überhaupt genutzt werden kann. ({11}) Seit Ende des Jahres 2000 gibt es bereits die Möglichkeit, diesen Mechanismus zu nutzen. ({12}) Herr Trittin, ich frage Sie: Warum lassen Sie es in Deutschland nicht zu? Warum schaffen Sie nicht die Rahmenbedingungen in Form eines so genannten Memorandum of Understanding oder in Form von bilateralen Vereinbarungen, die für die Unternehmen, die es tun wollen, notwendig sind? Warum machen Sie das nicht? Warum verzögern Sie das? ({13}) - Frau Ganseforth, nein, dazu muss man das Protokoll nicht in Kraft setzen. Lesen Sie das Kioto-Protokoll einmal durch. Es ist eben schon Realität; andere Länder nutzen das schon, ({14}) weil das Protokoll diese Möglichkeiten bereits zulässt. Ich habe zusammen mit dem Land Georgien auf der Klimakonferenz in Bonn dazu eine Initiative gestartet, die im Übrigen in der entsprechenden Arbeitsgruppe dort eine Mehrheit gefunden hat. ({15}) Deswegen ist es dringend notwendig, dass wir in Deutschland vorankommen. Dieser Zertifikatehandel bietet gerade auch im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit eine Chance, weil er den Entwicklungs- und Transformationsländern die Möglichkeit gibt, aktiv und in eigener Verantwortung am Welthandel teilzunehmen, gleichzeitig substanzielle Beiträge zum Klimaschutz zu leisten und ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern. Deshalb fordern wir Sie auf: Bringen Sie endlich nicht nur den Ratifizierungsgesetzentwurf, sondern auch einen Vorschlag ein, wie Sie die Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft mit diesen modernen internationalen Instrumenten verknüpfen wollen. Das wäre auch eine Chance für die Selbstverpflichtung der Wirtschaft bezüglich der Emissionsreduzierung. Hier versagen Sie bereits während Ihrer gesamten Regierungszeit. ({16}) Seit über einem Jahr gibt es eine Arbeitsgruppe. Sie hat bis heute keinen einzigen Vorschlag vorgelegt, obwohl Sie schon für Ende letzten Jahres einen solchen angekündigt hatten. Auch vor Weihnachten hatten Sie dies in der Beantwortung einer Kleinen Anfrage der FDP-Fraktion für die nächsten Wochen angekündigt. ({17}) Ich habe mir heute Nachmittag noch einmal die Homepage des BMU angeschaut, um sicherzustellen, dass ich wirklich auf dem aktuellen Stand bin. Es gibt immer noch keinen Vorschlag. ({18}) International werden längst die Bedingungen für den Emissionshandel festgelegt, und zwar ohne Deutschland. Das bestätigt auch Herr Loske in einem Interview in der „Frankfurter Rundschau“. Insofern kann ich Sie, Herr Trittin, nur so, wie es die FDP schon seit langer Zeit tut, auffordern: Reden Sie nicht nur darüber, ({19}) was Sie tun wollen, sondern tun Sie auch endlich einmal das, was wir von Ihnen erwarten. Vielen Dank. ({20})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat das Wort die Kollegin Eva Bulling-Schröter für die PDS-Fraktion.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP möchte den Handel mit Emissionszertifikaten schnellstmöglich in Deutschland, Europa und darüber hinaus einführen. Das wurde hier sehr imposant vorgetragen. ({0}) Die Idee eines Handels mit Emissionsrechten klingt verlockend, wird aber von Umweltverbänden, vielen Wissenschaftlern und auch von uns, der PDS, sehr kritisch betrachtet. Die Frage ist: Woran liegt das? Es liegt wohl in erster Linie daran, dass sich die Befürworter eines solchen Handels in einer Reihe mit den Verweigerern des Klimaschutzes befinden. International sind das die USA und andere Staaten der Umbrella-Group. Aber auch national sind es meist diejenigen, die sich jeder wirksamen - ich betone: wirksamen - Form der Ökosteuer und zielführenden ordnungspolitischen Regelungen zum Klimaschutz widersetzen. Der Verdacht liegt nahe, dass es weniger um Klimaschutz als um Gewinn bringenden Handel geht. Es wäre interessant, zu wissen, ob das Engagement genauso enthusiastisch wäre, wenn nicht der Emissionshandel mit osteuropäischen Staaten locken würde, welcher bekanntermaßen nichts als heiße Luft produzieren wird, oder wenn die umfangreichen Schlupflöcher der anderen flexiblen Kioto-Instrumente gestopft würden; das ist dringend notwendig. Sich billig freikaufen vom Klimaschutz - das sollte die ehrliche Überschrift dieser Bestrebung sein. So muss man das auch benennen. Die Welt ist eben nicht ganz so einfach organisiert, wie sie im zweiten Semester Betriebswirtschaftslehre oder aus durchsichtigen Gründen in weiten Teilen der Politik verkauft wird. ({1}) Deshalb wird dieses Zertifikatssystem bei geringsten volkswirtschaftlichen Kosten international kaum zu weniger CO2 führen. Der Handel mit Emissionsverpflichtungen wird nämlich nicht auf jungfräulichem Boden blühen, bei dem alle Marktteilnehmer gleiche Ausgangsbedingungen haben. Osteuropa wird auch ohne zusätzliche Klimagaseinsparungen Zertifikate verkaufen können, mit welchen dann potente Industriestaaten noch mehr CO2 in die Luft blasen werden. Auch bei den anderen flexiblen Instrumenten tun sich Abgründe auf, wenn man daran denkt, wie dort getrickst und betrogen werden kann. Das ist leider die Wahrheit. ({2}) Wenn schon nicht international, so könnte vielleicht innerhalb der EU ein Zertifikatshandel sinnvoll installiert werden. Doch der Druck, den die FDP ausübt, ist aus praktischen Erwägungen von uns abzulehnen. Die Entscheidungen der EU zum Zertifikatshandel werden jahrzehntelang die Klimapolitik begleiten. Es ist kein Geheimnis, dass viele EU-Beamte und auch die Mehrheit der EU-Politiker nur wenig über die verschiedenen Instrumente dieses Handels und deren Wirkungen wissen. Dies beweist beispielsweise der im Richtlinienvorschlag gewählte schwerfällige und wenig transparente DownstreamAnsatz. Anstatt bei den Erstverkäufern von Energierohstoffen anzusetzen, wird hier die vielfach kompliziertere Zertifizierung von Emissionsrechten auf Unternehmensebene gewählt. Somit können eigentlich nur Großquellen stationärer Anlagen sinnvoll einbezogen werden. Der ganze Bereich Verkehr und private Haushalte - hier sind beim CO2-Ausstoß die größten Wachstumsraten zu verzeichnen - bleibt außen vor. ({3}) Dabei hätte die Versteigerung bzw. der Verkauf eines politisch begrenzten Volumens von Zertifikaten an die wenigen Raffinerien und Bergwerke klare Vorteile: Die zu ersteigernden Handelsrechte würden klare klimapolitische Ziele vorgeben. Beim Weiterverkauf der Energieträger auf dem Markt würden die Knappheitspreise marktwirtschaftlich auf alle Produzenten und Verbraucher umgelegt werden, also auch auf den Verkehr und andere mobile Emittenten. Nebenbei wäre auch das Problem für diejenigen Unternehmen und Staaten gelöst, welche schon klimapolitische Vorleistungen erbracht haben. Ihre höhere Energieeffizienz wird belohnt und eben nicht bestraft, wie es mit dem Richtlinienvorschlag zu befürchten ist. Das wurde vorher schon thematisiert. Wer sich bis jetzt vor CO2-Reduzierungen gedrückt hat, kann nun plötzlich mit Klimaschutzinvestitionen viel Geld verdienen. Die bisherigen Vorreiter im Klimaschutz gucken dann in die Röhre. Gerade für Deutschland ist dies ein Problem. Das BMU hat in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen. Die deutsche Wirtschaft an sich hat zurzeit gespaltene Interessen. Den Banken sichert der Emissionshandel gute Geschäfte. Sie sind selbstverständlich dafür. Der Markt, an dessen Handel die Häuser beteiligt sein dürften, wird auf 60 Milliarden Dollar geschätzt. Die Industrie wiederum sträubt sich gegen den Emissionshandel, kein Wunder, denn sie verdient mit der seltsamen rot-grünen Variante der Ökosteuer ohne zusätzliche ökologische Gegenleistungen netto anderthalb Milliarden im Jahr. Wer würde eine solche Geldmaschine schon gerne gegen Zertifikate eintauschen, mit denen sich - jedenfalls in Europa - kaum Geld verdienen lässt? Lassen Sie mich abschließend feststellen, Herr Kollege Schmidt: Die PDS ist nicht gegen die Ökosteuer, sondern wir wollen eine andere Ökosteuer. Wir wollen das gesamte Ökosteueraufkommen in den ökologischen Umbau stecken. ({4}) - So ist es nicht. Natürlich muss sie bezahlt werden. Ich verstehe aber, dass Sie das ärgert; denn diese Konzepte gab es in Ihren Parteien auch. Was ernsthafte Politik ist, sollten wir wohl am 22. September den Wählern überlassen. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Müller für die SPD-Fraktion.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Philosoph Hermann Lübbe hat festgestellt, dass das eigentliche und vielleicht problematischste Kriterium unserer Zeit darin besteht, dass wir eine Schrumpfung auf die Gegenwart erleben. Das heißt, dass wir uns in einer Welt befinden, die nicht fähig ist, über längerfristige Prozesse nachzudenken. Die Kurzfristigkeit der Ökonomie findet ihre Ergänzung in der Kurzfristigkeit des Denkens. Ich meine, das ist genau der Punkt, um den es geht. Sind wir in der Lage - wir sind sicherlich alle einer Meinung darüber, welch große Herausforderung die Klimaänderung darstellt -, gegen eine Welt, in der nur die Kurzfristigkeit zählt, auch längerfristige Strukturveränderungen durchzusetzen? Die Frage ist, ob wir ernsthaft dazu kommen, dass wir nicht den bisherigen Widerspruch fortsetzen, auf der einen Seite sehr viel über die Zukunftsgefahren zu wissen, diese aber auf der anderen Seite - wie Frau Bulling-Schröter - in der Konsequenz doch zu verdrängen, weil der Alltagspopulismus viel wichtiger ist, und in der Lage sind, auch Unbequemes durchzuziehen. Bei allen Unterschieden im Hause meine ich, dass der Deutsche Bundestag auf das, was er mit der Klima-Enquete geleistet hat, stolz sein kann. Damit haben wir auf nationaler wie auf internationaler Ebene etwas geleistet. ({0}) Das muss man bei allen sonstigen Unterschieden schon sehen. Ich meine, wir sind in einer Situation, in der wir das, was wir zu leisten haben - nämlich langfristig die ökologische Modernisierung der Industriestaaten als Voraussetzung für eine stabile und friedliche Welt -, nur dann erreichen, wenn wir jene Kurzfristigkeit des Denkens und des Handelns nicht mitmachen. Das ist der Punkt, um den es geht, meine Damen und Herren. ({1}) Ich möchte noch einen zweiten Punkt ansprechen, und zwar in Richtung FDP-Fraktion. Wenn es darauf ankommt, erlebt, erfährt man irgendwie doch das ungeschriebene Gesetz: Je konkreter es wird, desto weniger habe ich mit dem, was ich gestern gesagt habe, zu tun. Ich nehme Ihnen die Äußerungen zum Emissionshandel, ehrlich gesagt, nicht ab. Was haben Sie in der Vergangenheit nicht alles zum Thema Ökosteuer gesagt! ({2}) Aber als es darauf ankam, war von Ihnen nichts zu sehen. So wird es auch beim Emissionshandel sein, und zwar aus einem einfachen Grund: Die Klientel, die Sie vertreten, fängt an, sich massiv gegen den Emissionshandel auszusprechen. Ich bin mir ganz sicher: Sie werden die erste Partei sein, die umfällt, wenn es konkret wird. ({3}) Was Sie, Herr Paziorek, zu dem Thema „Zertifikate und Emissionshandel“ angemerkt haben, finde ich richtig. Wir müssen - und zwar gemeinsam - darauf Wert legen, dass erstens der Emissionshandel mit anderen Instrumenten stimmig ist. Es kann nicht sein, dass wir ein neues Instrument einsetzen, das im Grunde genommen andere erfolgreiche Instrumente konterkariert. Das darf nicht sein. Wir haben zweitens aus meiner Sicht auch die Verpflichtung, dass der Emissionshandel so organisiert wird, dass sich nicht andere dadurch sozusagen einen weißen Fuß verschaffen können. Es muss eine vernünftige Anrechnung erfolgen. Drittens muss es auch eine Stimmigkeit des Gesamtkonzepts geben. Insofern meine ich, dass der Emissionshandel ein sehr sinnvolles ökonomisches Instrument darstellt, aber er muss natürlich konkret geprüft werden. Wir müssen in einer globalisierten Welt vor allem die Stimmigkeit der Gesamtentwicklung garantieren. Das werden wir auch tun. Ich hoffe, dass wir hier unbeschadet aller anderen Fragen zu gemeinsamen Positionen kommen werden; denn es wird nicht einfach sein, die Auseinandersetzung in der Europäischen Union zu bestehen. Wir werden sicherlich noch eine ganze Menge Probleme haben. ({4}) Lassen Sie mich zum Ausgangspunkt zurückkommen. Ich sehe die Klimagipfel von Bonn und Marrakesch vor allem deshalb als Erfolge an, weil auf ihnen die lähmende Situation, die jahrelange Stagnation überwunden worden ist. Ich glaube, das ist der größte Erfolg. Man muss natürlich zugeben, dass das, was dabei herausgekommen ist, nicht mehr sein kann als ein Einstieg. ({5}) Auch wenn man sich die Ergebnisse des Gipfels von Marrakesch und die Ratifizierung des Protokolls von Kioto anschaut, dann muss man fairerweise zugeben, dass wir noch weit von dem entfernt sind, was notwendig ist. Aber es ist richtig, dass der Hauptbremser USA isoliert worden ist, wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass sich viele Staaten hinter den Vereinigten Staaten versteckt haben. Die USA sind nicht alleine verantwortlich. Deshalb sollte man mit dem Finger nicht nur auf die USA, sondern auch auf Australien, Japan und Russland zeigen. Auch die letztgenannten Länder werden ihrer Verantwortung bisher nicht gerecht. Das muss man bei aller Kritik an den USA, die aus meiner Sicht in dieser Frage sicherlich die schlimmste Rolle spielen, sehen. Die anderen Länder betreiben zum Teil ein Doppelspiel. Das ist nicht zu akzeptieren. Ökologisch sind diese Länder keine Großmächte; denn sie sind im Grunde genommen Vertreter einer höchst rückständigen Politik. Die Ausgangsposition ist klar. Die Weltgemeinschaft hat 1992 den Beschluss gefasst, den Umfang der Treibhausgase auf einem solchen Niveau zu stabilisieren, dass das Klima auf Dauer geschützt ist. Wenn man sich aber die heute vorliegenden Daten anschaut, dann stellt man fest, dass es im Vergleich zum natürlichen Kohlendioxidwert einen Anstieg von etwa 200 Teilen auf 1 Million Teile gegeben hat. Wenn man das als Ausgangsposition nimmt, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass eine Verdoppelung des CO2-Umfangs eine Erwärmung um 2 Grad bedeutet. Wir haben also trotz allem, was wir bisher erreicht haben, kaum noch Zeit, eine solche Verdoppelung zu verhindern. Das ist die dramatische Situation, vor der wir stehen. ({6}) - Das sagt beispielsweise das IPCC. Das ist die allgemeine Auffassung in der Weltgemeinschaft. ({7}) - Doch! ({8}) - Nein, die Verdoppelung ist doch klimahistorisch belegt. Es gibt eine klare Korrelation zwischen der Verdoppelung der Kohlenstoffwerte in der Atmosphäre und den Erwärmungswerten. Das ist unbestritten. Das IPCC ist sich nur nicht schlüssig darüber - wenn Sie das gemeint haben sollten, dann haben Sie Recht -, in welcher Geschwindigkeit das geschehen wird. Aber die Verdoppelung ist unbestritten. Sie können mir glauben, dass Ihre Fraktion zusammen mit meiner schon eindeutig Position in dieser Frage bezogen hat. Aber vielleicht hat Ihr Zwischenruf auch etwas mit der Kurzfristigkeit des Denkens zu tun, von der ich vorhin gesprochen habe. Wenn dem so wäre, würde ich das bedauern. ({9}) Eine Verdoppelung - sie lässt sich nicht mehr ausschließen - hätte natürlich katastrophale Folgen: Für die Wüstenbildung, die voranschreiten würde, für die Ernährungsgrundlagen und, vereinfacht ausgedrückt, für eine friedliche Welt. Deshalb ist auf dem Gipfel von Toronto 1988 - das war der Ausgangspunkt - festgelegt worden, bis zum Jahre 2005 die CO2-Emissionen um 20 Prozent und bis zum Jahre 2030 um 50 Prozent zu reduzieren. Davon sind wir noch weit entfernt. Lassen Sie mich noch eine Anmerkung machen. In unserem Antrag fordern wir eine Reduktion der CO2-Emissionen um 40 Prozent bis 2020. Ich weiß, dass das eine schwierige Aufgabe ist. Ich weiß nicht, ob wir das erreichen können. Aber ich weiß, dass eine solche Reduktion notwendig ist. Ich finde, man muss auch Notwendigkeiten aussprechen. ({10}) Es ist wichtig, dass wir Europäer vor allem in dieser Frage ehrgeizig sind. Es ist zwar wahr, dass solche Positionen nur schwer durchzusetzen sind, wenn es darauf ankommt. Aber was wäre die Politik noch wert, wenn sie nicht wenigstens die notwendigen Ziele formulierte und alles versuchte, sie zu erreichen? Wenn wir es noch nicht einmal versuchen, dann haben wir aus meiner Sicht politisch schon versagt. Insofern ist es richtig, dass wir eine Reduktion von 40 Prozent als Ziel formuliert haben. ({11}) Eine solche Forderung steht aus meiner Sicht auch in der Tradition der Forderungen, die in den Berichten der Enquete-Kommissionen erhoben werden. Wir sollten versuchen, auszuloten, unter welchen Bedingungen wir dieses Ziel erreichen können. Darum geht es aus meiner Sicht. Im September 2000 gab es die Millenniumerklärung der Vereinten Nationen. Sie hat in aller Klarheit eine Ethik des Bewahrens herausgestellt und sich zu dem Kioto-Protokoll bekannt. Wir müssen einfach feststellen, dass wir in der Zwischenzeit weltweit eine dramatische Verschlechterung erleben. Wenn man sich die Zahlen anschaut, erkennt man: Gegenüber dem Kioto-Basisjahr 1990 haben wir im Jahr 2000 einen Anstieg der Kohlendioxidemissionen um 11 Prozent zu verzeichnen. Wenn die USA ihren bisheriMichael Müller ({12}) gen Emissionstrend beibehalten, werden sie im Jahr 2010 um fast 50 Prozent über dem Ziel liegen, das sie nach Kioto eigentlich erreichen müssten. 50 Prozent über dem Ziel! Vor allem in den Schwellen- und Entwicklungsländern gibt es die dramatische Situation, dass dort in den nächsten 18 Jahren ein Zuwachs um 2 000 Millionen Tonnen CO2 zu erwarten ist, während es in den Industriestaaten eher in Richtung Stagnation geht. Das beispielsweise ist auch der Ausfluss einer Trickserei. In dem Kioto-Protokoll haben die Vereinigten Staaten ein Prinzip festgelegt, nach dem im Kern versucht wird, von den hohen Emissionen herunterzukommen, aber nicht so sehr versucht wird, ein Gerechtigkeitsprinzip zur Geltung zu bringen. Es ist ein Problem, dass die Amerikaner das Kioto-Protokoll in der Weise auslegen, dass es im Wesentlichen nur für die Industriestaaten gilt. Und dann hat sich die wichtigste Industrienation der Erde diesem Protokoll sogar noch entzogen! Es ist im Grunde genommen eine unverantwortliche Strategie der USA gewesen, die jetzt die ganze Welt auszubaden hat. ({13}) Umso wichtiger ist es, dass wir in Europa in der Globalisierung der Vorreiter der ökologischen Modernisierung sind. Die Welt wächst zusammen und Europa muss sich fragen, welchen Beitrag es in der Globalisierung leisten will. Ich kann uns alle nur ermutigen, für ein europäisches Profil einzutreten, das neben der sozialen Gerechtigkeit vor allem die ökologische Modernisierung beinhaltet. ({14}) Das ist die große Chance für die Zukunft und wir sollten sie auch nutzen. ({15})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile für die CDU/CSU-Fraktion dem Herrn Kollegen Christian Ruck das Wort.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich freue mich natürlich darüber, dass knapp zehn Jahre nach dem Weltgipfel in Rio die Völkergemeinschaft mit dem Übereinkommen von Marrakesch doch noch die Kraft gefunden hat, der Klimarahmenkonvention zum Leben zu verhelfen und den Startschuss zur Umsetzung des Kioto-Protokolls zu geben. Es war in der Tat ein zäher Prozess, der mehr als nur einmal vor dem Scheitern stand. Man muss sagen, dass sich jede Delegation aus Deutschland mit jedem Delegationsleiter mit besonderem Eifer hervorgetan hat und mit besonderem Eifer gekämpft hat. Das ging von Frau Merkel damals in Kioto oder auch in Berlin - dort stand schon einmal ein Klimagipfel vor dem Scheitern - bis hin zum Abschluss unter Umweltminister Trittin. Natürlich müssen wir alles daransetzen, dass das Kioto-Protokoll rasch ratifiziert wird - selbstverständlich von uns, aber auch von genügend anderen -, damit der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung im Spätherbst in Johannesburg zumindest mit diesem positiven Beitrag beginnen kann. Das Übereinkommen von Marrakesch hat auch gezeigt, dass die Weltgemeinschaft sehr wohl zu freiwilligen wichtigen und notwendigen Beschlüssen, auch zu einschneidenden Entschlüssen kommen kann, und zwar auch und gerade im Umweltbereich. Trotz der Erleichterung über die Ergebnisse gerade nach dem Zwischentief von Den Haag muss man allerdings sagen: Zu Begeisterung und Euphorie haben wir keinen Anlass. ({0}) Das ursprüngliche Minderungsziel von 5,2 Prozent bis zum Zeitintervall 2008/2012 ist durch Zugeständnisse in der Senkenfrage zum Beispiel gegenüber Russland, Japan und Kanada massiv verwässert worden. Nach Schätzungen des WWF führen diese Verhandlungsergebnisse vermutlich nicht zu einer Reduktion, sondern lediglich zu einer Stabilisierung auf dem Niveau von 1990. Das ist auch schon etwas, aber es ist langfristig zu wenig, um nach Meinung der meisten Wissenschaftler den Schutz des Erdklimas langfristig zu gewährleisten. Natürlich wirft das bisherige Fernbleiben der USA im Kioto-Prozess einen großen Schatten auf die bisherigen Verhandlungsergebnisse. Worüber wir heute diskutieren, ist, was wir als deutsche Politiker, als Parlamentarier oder als Mitglieder der Bundesregierung unternehmen können, damit das Kioto-Protokoll nun wirklich mit Leben erfüllt wird. Ich sehe hier vier wichtige Punkte, die teilweise auch schon angesprochen wurden. Erstens! Wir brauchen eine neue diplomatische Offensive für den Klimaschutz und auch für die Fragen der nachhaltigen Entwicklung, und zwar nicht nur durch die Umweltpolitiker, sondern auch durch das Außenministerium und den Bundeskanzler; denn die rasche Ratifizierung kommt nicht von selbst. Wenn ich mir zum Beispiel die Situation in Russland anschaue und die Aussagen, die Putin trifft oder nicht trifft, dann muss ich sagen: Wir brauchen auch hier vonseiten Joschka Fischers und vonseiten des Bundeskanzlers eine ganz andere Strampeltaktik, wir brauchen einen ganz anderen Einsatz. Toter Käfer zu spielen hilft hier nicht weiter. Das gilt auch, Kollege Müller, in Bezug auf die Vereinigten Staaten. Es muss uns in der Tat gelingen, die Vereinigten Staaten davon zu überzeugen, dass sie nicht nur eine Führungsmacht in außenpolitischen und Wirtschaftsfragen sind, sondern dass sie auch eine führende Rolle spielen müssen in der internationalen Entwicklungspolitik, bei der Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen und des Klimaschutzes. Dazu brauchen wir aber auch mehr Engagement aufseiten des Kanzlers. ({1}) Zweitens - auch das wurde schon angesprochen -: Es gibt noch viele offene Fragen zu klären, zum Beispiel in der Senkenfrage: Abrechnungs-, Anrechnungs- und Überwachungsprobleme. Es gibt aber auch noch offene Fragen zu den CO2-Zertifikaten. Im Grundsatz gebe ich hier natürlich der FDP Recht. Aber ich halte den Richtlinienvorschlag der Kommission zu diesem Thema immer noch Michael Müller ({2}) für deutlich verbesserungsbedürftig. Es ist wirklich so: Es drohen uns ein hohes Maß an behördlichen Eingriffen und eine erhebliche Ausweitung des Ordnungsrechtes. Die Verpflichtung zur Teilnahme der energieintensiven Sektoren am Zertifikatehandel läuft natürlich eigentlich dem Grundgedanken der flexiblen Instrumente zuwider. Besonders schwierig ist die Frage der Zuteilung der Emissionsrechte. Diese Frage ist natürlich vollkommen offen, aber sie ist gerade auch für die deutsche Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Und die wollen wir ja auch zum Mitmachen gewinnen. ({3}) - Ja. Dass hier aber schwerwiegende Konsequenzen für die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Industriezweige zu befürchten sind oder eine ungleiche und damit auch unfaire Verteilung von Rechten und Pflichten in Europa, das zeigt sich ja auch am Diskussionsstand in der Arge Emissionshandel. ({4}) Hier darf sich die Bundesregierung nicht erneut über den Tisch ziehen lassen; denn wenn die Regelungen sowohl überbürokratisch als auch ungerecht sind, dann, glaube ich, wird die Umsetzung des Kioto-Protokolls schon in Europa scheitern. Drittens! Wir müssen die wirtschaftliche und technologische Zusammenarbeit mit den Entwicklungs- und Schwellenländern deutlich ausweiten. Auch das wurde ja schon gesagt! Die Entwicklungsländer haben eine sehr konstruktive Rolle in Marrakesch gespielt. Sie sind ja auch ganz besonders vom Klimawandel betroffen und haben auch den größten Nachholbedarf. Ich glaube, wir sind uns alle einig: Wenn die Entwicklungsländer unseren Entwicklungspfad, unseren Wachstumspfad kopieren, dann haben sie uns mit ihren Treibhausemissionen schnell eingeholt. Dann tun wir uns sehr schwer, das Klima der Erde zu bewahren. Deswegen ist es ganz entscheidend, dass wir in Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern intelligentere Wachstumspfade erarbeiten und aufstellen, aber nicht nur als Kopie unserer bisherigen Technologie, sondern mit Rücksicht auf die kulturellen, sozialen und politischen Verhältnisse der Entwicklungs- und Schwellenländer. ({5}) Das Beispiel China zeigt ja, dass wir damit auch Erfolg haben können; denn die Zusammenarbeit mit China, vor allem auch das Engagement deutscher Unternehmen in China hat gezeigt, dass man gerade auch im Kohlebereich ganz erhebliche Einsparpotenziale in relativ kurzer Zeit erreichen kann. ({6}) - Was heißt „heimatlos geworden“, Herr Kubatschka? Sie bringen mich natürlich schon auf eine wichtige Sache. Die Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern geht natürlich nur, wenn man die Kioto-Mechanismen auch in diesem Punkt mit Leben erfüllt. Das geht natürlich nicht, wenn der Entwicklungshaushalt wie unter Rot-Grün wieder abgemeiert wird. Wir brauchen mehr statt weniger Geld. ({7}) - Ja, weil das wichtig ist, Frau Ganseforth. Wir brauchen im Entwicklungshaushalt erheblich mehr Geld als bisher. ({8}) Über Hausaufgaben haben wir heute auch schon gesprochen, Herr Müller. Wenn ich Ihnen zuhöre, kann ich mich mit vielem einverstanden erklären, vor allem mit Ihren philosophischen Passagen. Wenn es aber konkret wird, gehen unsere Meinungen auseinander. Das darf ja auch sein, deshalb muss niemand verbittert sein. Aber der öffentliche rot-grüne Hauskrach um den Energiebericht von Wirtschaftsminister Müller hat natürlich deutlich gemacht, dass Sie kein schlüssiges und tragfähiges langfristiges Energiekonzept haben. ({9}) Meine Damen und Herren, wenn Herr Trittin den bayerischen Ministerpräsidenten der Versäumnisse in der regenerativen Energiepolitik bezichtigt, liegt er leider falsch. ({10}) Darf ich noch einmal daran erinnern, dass das Stromeinspeisungsgesetz auf Initiative der CDU/CSU-Fraktion, vor allem der CSU-Landesgruppe zustande kam? Darauf bauen Sie jetzt auf. ({11}) - Das hatte andere Gründe. Darf ich daran erinnern, dass Bayern ein Drittel weniger CO2-Ausstoß pro Kopf hat als der Durchschnitt der Bundesländer? ({12}) Darf ich Sie daran erinnern, dass Bayern den höchsten Anteil an regenerativen Energien hat? ({13}) Darf ich auch Sie daran erinnern, Herr Trittin? Sie sollten wirklich einmal nach Bayern fahren. Dass wir in der Windkraft nicht so gut aussehen ({14}) wie die küstennahen Länder, liegt einfach daran, Herr Trittin, dass wir küstenfern sind. Ist Ihnen das schon einmal aufgefallen? Die küstennahen Länder haben sozusagen 1 800 Stunden Wind, wir 500. Wir haben dafür einen erheblich größeren Anteil an der Biomasse. Das liegt auch daran, dass Biomasse unauffälliger ist und wir an Bayern hängen. ({15}) Ihre Kombination von verfehlter Wirtschafts- und Klimapolitik ist ein Negativbeispiel für die Entwicklungsländer, für die USA und auch für den Weltgipfel in Johannesburg.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Ruck, Sie haben Ihre Redezeit weit überschritten. Ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin schon im Landeanflug. Wir kämpfen auch dafür, dass im Spätsommer ein anderes Signal aus Deutschland für Johannesburg kommt, nämlich ein Signal für eine andere Energie- und Klimapolitik und eine andere Bundesregierung. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Als letzter Redner in dieser Debatte hat das Wort der Kollege Dr. Reinhard Loske. Er spricht für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Der Kollege Christian Ruck hat gerade etwas überzogen. ({0}) Wenn es nach Frau Homburger ginge, würde hier das Institut der handelbaren Rederechte eingeführt und Herr Ruck müsste mir etwas abkaufen, vermute ich. ({1}) Ganz so toll wollen wir es aber doch nicht treiben. Ich will ein paar Punkte ansprechen, die mir in der Diskussion aufgefallen sind. Ich habe keine Rede vorbereitet und will nur auf das eingehen, was andere gesagt haben. Vielen von uns, die bei der Klimakonferenz in Bonn oder Marrakesch, vor allem aber in Bonn, dabei waren, hat in dem Moment, als der Hammer des Präsidenten in Kioto niederfuhr, um die Sache abzuschließen, der Mantel der Geschichte angeweht. Ich glaube, das darf man durchaus einmal sagen. Dabei waren wir nicht der Meinung, dass das, was im Kioto-Protokoll verabschiedet wurde, der Weisheit letzter Schluss war. Wir wissen alle, dass es bestenfalls ein erster Schritt war. Ich glaube, wir haben aus zwei Gründen gespürt, dass das ein ganz wichtiger Moment war: erstens, weil es Europa gelungen war, mit einer Stimme zu sprechen und mit den Entwicklungsländern zusammen an einem Strang zu ziehen. ({2}) In diesem Fall war das auf die starke Verhandlungsführung der deutschen Delegation, namentlich des Ministers, zurückzuführen. Zweitens haben auch viele wegen der zeitlichen Koinzidenz mit dem Gipfel in Genua gespürt, dass das, was in Bonn noch schwach und sehr jungfräulich begonnen hat, der Versuch war, der ökonomischen Globalisierung politische Regeln an die Seite zu stellen. Genau das tut Not. Wir müssen der Ökonomie auch im globalen Maßstab Regeln an die Seite stellen. Dafür war in der Tat der Bonner Gipfel ein ganz wichtiger Schritt. ({3}) Wir sollten alles tun - und das werden wir auch als Parlament; mit einer Stimme, nehme ich an -, damit das Kioto-Protokoll schnell ratifiziert wird. Es wäre wunderbar, wenn wir in Johannesburg auf dem Rio-plus-10-Gipfel das Kioto-Protokoll in Kraft hätten. Dann könnten wir sagen: Eines der großen Kinder des Rio-Gipfels, die Klimarahmenkonvention, hat sich fortgepflanzt und ein Protokoll zur Welt gebracht, das jetzt auch in Kraft ist. Dann würden wir nicht mit leeren Händen dastehen. Danach sollten wir streben. Der zweite Punkt knüpft an das an, was der Kollege Müller gesagt hat und wo der Kollege Obermeier dazwischengerufen hat. Er betrifft die naturwissenschaftlichen Grundlagen. Es gibt ganz klar den Pfad: Die Verdoppelung des vorindustriellen Niveaus der CO2-Konzentration von 280 ppm auf 560 ppm wird einen Anstieg der durchschnittlichen Weltmitteltemperatur um 2 bis 3 °C zur Folge haben. Das ist keine Pfadbetrachtung, sondern eine Aussage, soweit man sie gesichert treffen kann. Das ist in der Tat ein großes Problem. Der Minister hat zu Recht darauf hingewiesen. Die ganze Thematik Nord-Süd ist keineswegs ein irgendwie blauäugiges, idealistisches entwicklungspolitisches Thema, sondern es geht dabei um ganz harte Dinge. Wenn es heute mehr Umweltflüchtlinge als Bürgerkriegsflüchtlinge gibt, ist das in der Tat eine Sache, die weit über die Umweltpolitik hinausragt. ({4}) Der dritte Punkt - Frau Homburger, an Sie gerichtet betrifft den Zusammenhang von nationalem Handeln und globalen flexiblen Instrumenten. Die Sorge, die es früher gab - auch bei mir -, war doch die: Wenn wir es quasi ermöglichen, die Klimaschutzverpflichtungen komplett außerhalb der Landesgrenzen zu erfüllen, heißt das, dass man im Inland Innovationsdruck aus dem Kessel nimmt. Deshalb war unser Argument immer: Wer den ökologischen Strukturwandel auch im eigenen Land will, der darf dieses Auslassventil nicht vollständig, sondern nur kontrolliert öffnen. Das ist nach wie vor sehr vernünftig. ({5}) Deswegen sind wir nach wie vor der Meinung: Der Löwenanteil sollte zu Hause erbracht werden. Das unterscheidet uns auch, weil wir das nicht vor allem als eine Bürde, eine Last, sondern als eine Chance sehen. Wenn wir auf den Heimatmärkten Kompetenz demonstrieren, können wir auch auf den Weltmärkten der Zukunft eine erste Adresse sein. Denn das wollen wir; das genau ist der tragende Gedanke. ({6}) Viertens. Es gibt auch - das ist ein sehr wichtiger Punkt - den Zusammenhang zwischen der Glaubwürdigkeit auf dem internationalen Parkett und dem, was man zu Hause macht. Man kann international nur glaubwürdig agieren, wenn man zu Hause seine Kompetenz demonstriert, wenn man das tut, was man international vorschlägt. So gesehen stehen wir in der Tat besser da als 1998. Das führt mich zu meinem fünften Punkt, zu dem, was wir alles schon gemacht haben. Es ist langweilig, das alles hier aufzulisten. Aber wenn Sie sich die Energiepolitik anschauen, die Bereiche erneuerbare Energien, KraftWärme-Kopplung, Ökosteuer, Altbausanierung und anderes mehr, erkennen Sie: Das ist ein Faktor von 20 mehr als das, was die alte Regierung gemacht hat. Darauf möchte ich schon noch einmal hinweisen. ({7}) Zu den Instrumenten: Sie wissen, Frau Homburger, dass ich selbst so wie Sie auch ein großer Anhänger des Instruments des Emissionshandels bin. Aber was mich bei der Industrie unheimlich stört, ist diese Unglaubwürdigkeit, dieses Instrumentenhopping. Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre hieß es: Das Ordnungsrecht drangsaliert uns; wir brauchen marktwirtschaftliche Instrumente, wir brauchen die Ökosteuer. Darauf haben wir gesagt: Okay, Ökosteuer. Die Reaktion darauf war: Um Gottes willen, die meinen das ja ernst! Danach haben wir mit der Ökosteuer begonnen und es wurde gefordert, Emissionshandel zu machen. Jetzt sagen wir: Lasst uns in eine vernünftige Debatte über den Emissionshandel einsteigen. Aber jetzt wird vonseiten der Industrie, also der Leute, mit denen Sie eng zusammenhängen, gesagt, dass sei ein ganz gefährliches Instrument. Ich glaube, so kann man nicht agieren. Wir brauchen alle Instrumente, jedes Instrument an seinem Ort. Der Emissionshandel hat Vorzüge vor allem da, wo wir es mit großen Akteuren zu tun haben. ({8}) Das führt mich zu meinem letzten Punkt. Zum Emissionshandel gibt es die EU-Richtlinie; sie ist umstritten. Die EU will, dass im Jahr 2005 mit dem Emissionshandel auf Unternehmensebene begonnen wird. Ich würde das für vernünftig halten; es gibt aber Einwände von Skeptikern, die sagen: Wir brauchen zunächst ein Training von drei Jahren. Ich habe nichts gegen eine Pilotphase von 2005 bis 2008. Nur will ich, wenn ab 2008 im Rahmen des Kioto-Protokolls wirklich Emissionshandel betrieben wird, dass wir dabei sind, dass wir gut vorbereitet sind und dass wir nicht nach Regeln Emissionshandel betreiben, die andere für uns definiert haben, im Zweifelsfall die Angelsachsen. Nein, wir sollten das zu Hause machen. Das werden wir auch tun. ({9}) - Frau Homburger, abschließend möchte ich noch auf eines hinweisen, da Sie hier so sehr schimpfen: Wie sieht es denn in der nationalen Emissionshandelsgruppe aus? ({10}) Es ist doch nicht so, dass diejenigen, die den Klimaschutz befürworten, also die Technologieunternehmen, die Finanzdienstleister und andere, dieses Instrument blockieren. Es sind vielmehr die gleichen Leute, die vor zehn Jahren die Ökosteuer blockiert haben. ({11}) Wie der Kollege Müller sage auch ich Ihnen voraus: Wenn diese Leute wirklich Ernst machen, dann sind Sie die Ersten, die abspringen. Das halte ich für so sicher wie das Amen in der Kirche. ({12})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/7073, 14/7156, 14/7450, 14/8026, 14/8028 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Das Haus ist damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Klaus Riegert, Peter Letzgus, Ilse Aigner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Sicherung der Zukunft der Vereine durch wirtschaftliche und bürokratische Entlastung - Erhöhung der Gestaltungsmöglichkeiten und Freiräume - Drucksachen 14/3680, 14/5445 Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst das Wort dem Kollegen Klaus Riegert für die CDU/CSU-Fraktion.

Klaus Riegert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001847, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Deutschland leisten 478 000 eingetragene und eine Vielzahl nicht eingetragener Vereine ihren unverzichtbaren Beitrag zu einer lebendigen, leistungsfähigen und solidarischen Bürgergesellschaft. Deshalb müssen wir alle größtes Interesse daran haben, die wirtschaftliche Kraft der Vereine zu stärDr. Reinhard Loske ken, die Vereine von bürokratischem Ballast zu befreien sowie die Gestaltungsmöglichkeiten und Freiräume der Vereine zu erweitern. ({0}) Die Politik der Bundesregierung - dies belegt ihre Antwort auf unsere Große Anfrage - versagt vor dieser Aufgabe. ({1}) Darüber können auch marginale Veränderungen und Verbesserungen nicht hinwegtäuschen. Die Erhöhung der so genannten Übungsleiterpauschale auf 1 840 Euro, also 3 600 DM, jährlich ist eine Verbesserung. ({2}) Nur, sie reicht ebenso wenig aus wie die Erweiterung auf Betreuer. Diese Erweiterung ist eine Farce. Nach den Ausführungsbestimmungen des Finanzministeriums gibt es kaum Betreuer im Sinne des § 3 Nr. 26 des Einkommensteuergesetzes. ({3}) Noch wichtiger als die Erhöhung der steuerfreien Einnahmen auf 2 454 Euro, also 4 800 DM, ist die Erweiterung des Kreises der Begünstigten um ehrenamtlich tätige Vorsitzende, Schatzmeister und Organisationsleiter. ({4}) Genau dies hat Bundesfinanzminister Eichel als hessischer Ministerpräsident im Landtagswahlkampf 1998 den Vereinen zugesagt. Heute sagt er: nein. Auf einmal sind dies utopische Forderungen. Versprochen - gebrochen, das zieht sich wie ein rot-grüner Faden durch die Politik dieser Bundesregierung. ({5}) Die Freistellung der Aufwandsentschädigungen aus öffentlichen Kassen bis zu 153 Euro, also 300 DM, monatlich für gemeinnützige Tätigkeiten von der Sozialversicherungspflicht betrifft einen verschwindend kleinen Teil ehrenamtlich Tätiger. Sie schaffen begünstigte und nicht begünstigte ehrenamtlich Tätige. Die Änderungen beim Stiftungsrecht bringen für den überwältigenden Teil der Vereine keine Verbesserungen. Eine einfache Nachfrage bei den Vereinen genügt, um dies festzustellen. Das neue Spendenrecht erhöht die Haftungsrisiken für ehrenamtlich tätige Mitarbeiter beträchtlich. Der Verzicht auf das Durchlaufspendeverfahren war eine Forderung der großen Vereine; aber dieser Verzicht hat sich gerade für kleinere Vereine als nicht praktikabel erwiesen. Sie wollen wieder die Möglichkeit der Durchlaufspende. Warum nehmen Sie Vereinen diese Haftungserschwernis nicht ab? ({6}) Auch die Behauptung der Bundesregierung, Mitgliedsbeiträge für viele Zwecke seien erstmals steuerlich absetzbar, schönt die Wirklichkeit. Mitgliedsbeiträge sind nach wie vor kaum absetzbar. Die Bundesregierung sieht in gemeinnützigen Vereinen Unternehmen. Ehrenamtlich tätige Vereinsvorsitzende behandelt sie wie die Hauptgeschäftsführer von GmbHs. All das ist in der Antwort der Bundesregierung nachzulesen. Was diese Bundesregierung mit der einen Hand gibt, nimmt sie mit der anderen wieder zurück oder gar mehr. ({7}) Die Neuregelungen der 325-Euro-Jobs und der Scheinselbstständigkeit bringen für die Vereine und die dort Tätigen neben der wirtschaftlichen Belastung zusätzlichen bürokratischen Aufwand. Die Einführung der so genannten Ökosteuer und die Erhöhung der Energiesteuer belasten die Vereine zusätzlich ohne jeglichen Ausgleich. ({8}) Diese Belastungen treffen vor allem Vereine mit großen Jugendabteilungen. Sie können die Mehrkosten nicht durch Erhöhung der Mitgliedsbeiträge ausgleichen. Die Kostenverlagerungen vom Bund auf die Länder und Kommunen schränken die Finanzkraft vor allem der Kommunen ein. Immer mehr Gemeinden sehen sich gezwungen, Fördermittel für Vereine zu reduzieren und Nutzungsentgelte einzuführen oder anzuheben. Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung ignoriert schlicht die gesellschaftliche Bedeutung unserer Vereine. ({9}) Sie will keine wirklichen Verbesserungen herbeiführen. Sie schiebt Bedenken und Forderungen der Verbände schlicht beiseite. Die ehrenamtlich Tätigen sollen ihre Arbeit machen; ansonsten sollen sie sich ruhig verhalten das ist die Botschaft ihrer Politik. Ich bin gespannt, welche Handlungsempfehlungen die Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ vorlegen wird. Alle - ich wiederhole: alle - praktischen Verbesserungen im Hinblick auf die ehrenamtliche Tätigkeit in Vereinen hat Rot-Grün hier im Plenum abgelehnt. Wenn diese abgelehnten Forderungen in den Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission auftauchen, dann ist klar, was zu hören sein wird: Wahlkampfgetöse wie bei Eichel 1998. ({10}) Nein, meine Damen und Herren, wir müssen die Vereine stärken. ({11}) Das Anspruchsverhalten und die Anforderungen der Mitglieder sind gestiegen. Kommerzielle Anbieter stoßen in klassische Bereiche der Vereine vor. Fast die Hälfte der Jugendlichen im Alter von 15 bis 18 Jahren kehrt den Vereinen den Rücken. Unsere Vereine können ihren Aufgaben nur gerecht werden, wenn wir ihre Wirtschaftskraft stärken und wenn wir sie von den Fesseln der Bürokratie befreien. ({12}) Die Bundesregierung muss deutliche Zeichen für ein vereinsfreundliches Klima setzen. Wir fordern die Bundesregierung auf: Ziehen Sie die Neuregelung zu den 325Euro-Jobs und der Scheinselbstständigkeit für gemeinnützige Vereine zurück! Der grüne Haushaltsexperte Metzger hat Recht: Diese Neuregelungen sind eine Missgeburt. Nur der Arbeitsminister hat es immer noch nicht gemerkt. ({13}) Entlasten Sie die Vereine von der Ökosteuer und den Erhöhungen der Stromsteuer! Sie verweigern einen Ausgleich, den Sie Großverbrauchern und Großverschmutzern gewähren. Erleichtern Sie die Haftung ehrenamtlich tätiger Vorstände! Sie können ehrenamtlich Tätige nicht mit Geschäftsführern von GmbHs gleichsetzen. Haftungserleichterungen sind keine Privilegien. Sie sind kein Freibrief. Sie sind Anerkennung für freiwillig übernommene Verantwortung. Heben Sie die Grenze für Einnahmen aus sonstigen Tätigkeiten von bisher 500 DM jährlich auf 600 Euro jährlich an! Billigen Sie ehrenamtlich tätigen Vorsitzenden, Schatzmeistern und Organisationsleitern eine pauschale Aufwandsentschädigung zu! Erhöhen Sie die steuerfreien Einnahmen auf 2 454 Euro, also 4 800 DM pro Jahr! ({14}) Heben Sie die Besteuerungs- und Zweckbetriebsgrenzen bei gemeinnützigen Vereinen an. Wenn unsere Vereine durch Eigeninitiative Geld erwirtschaften, dann sollte die Bundesregierung den Vereinen mehr Geld belassen. Wir fordern damit etwas, was Herr Eichel als Ministerpräsident gefordert hat. ({15}) Schaffen Sie die gesetzlichen Grundlagen, damit gemeinnützige Vereine zusätzlich Rücklagen in Höhe bis zu 25 000 Euro bilden können. Gestalten Sie das Spendenverfahren vereinsfreundlicher. ({16}) Ermöglichen Sie den Vereinen, Spendenbescheinigungen auszustellen oder das Durchlaufspendeverfahren zu wählen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Riegert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Barbara Hendricks?

Klaus Riegert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001847, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich möchte mich nicht mit all Ihren Forderungen auseinander setzen, aber angesichts der Debatte, die heute Nachmittag in diesem Hohen Hause zum Tourismus- und Gastronomiegewerbe stattgefunden hat, möchte ich Sie auf den Widerspruch hinweisen, der zwischen den verschiedenen Interessenvertretern Ihrer Fraktion bezüglich einer Anhebung der Zweckbetriebsgrenze bei den Vereinen herrscht. Sie haben ja gerade gesagt, das Geld, das die Vereine erwirtschaften, solle bei ihnen bleiben. Dieses Geld wird normalerweise - wir kennen ja das Leben - durch Verkauf von Kuchen, Bier und alkoholfreien Getränken auf Festen erwirtschaftet. Dabei handelt es sich um die so genannte Schwarzgastronomie. Darunter leidet die Gastronomie, die Steuern zahlen muss. Wie wollen Sie diesen Widerspruch, der auch in den beiden heutigen Debatten zum Ausdruck kam, auflösen?

Klaus Riegert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001847, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mir sind diese Bedenken der Gastronomie sehr wohl bekannt. ({0}) Da gibt es aber vor Ort gute Möglichkeiten, gemeinsame Strategien zu fahren. ({1}) Zugeben müssen Sie aber, dass diese Grenze von 60 000 DM über viele Jahre geblieben ist und damit deren Wert immer mehr abnahm. Ihr eigener Chef, der Finanzminister, hat noch als Ministerpräsident 1998 selber gefordert, diese Zweckbetriebsgrenze auf 80 000 DM anzuheben. ({2}) Damit gibt er zumindest zu, dass hier Handlungsbedarf besteht. Genau in diese Richtung gehen die Anträge des Landes Baden-Württemberg und unserer Fraktion. Früher hatte auch der Finanzminister Eichel eine entsprechende Einsicht. Deshalb fordern wir, hier einen maßgeblichen Schritt nach vorn zu gehen. ({3}) In der Enquete-Kommission wird das im Übrigen von Ihrer Seite genauso gesehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition: Geben Sie mit uns den Vereinen, was ihnen zusteht, und stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu! ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun spricht für die SPD-Fraktion der Kollege Dieter Grasedieck.

Dieter Grasedieck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Riegert, Sie sprachen vorhin von Wahlkampfgetöse. Das überrascht mich wirklich. Über Ihrer Großen Anfrage steht: „Sicherung der Zukunft der Vereine“. Sie sprachen aber eigentlich nur über Ökosteuern und das 630-Mark-Gesetz. Das macht die von Ihnen in den letzten drei Jahren eingeschlagene Richtung deutlich: Sie suchten Angriffspunkte; aber es war natürlich schwer, Angriffspunkte in unserer Koalition zu finden. ({0}) Jetzt erfinden Sie etwas ganz Neues: 630-Mark-Gesetz und Ökosteuer sind wirklich ganz aktuelle Themen; von alleine wären wir darauf gar nicht gekommen. ({1}) Erst als wir die Anfrage sahen, konnte man die Punkte nachvollziehen. Herr Riegert, Sie müssen aber auch die Kehrtwende berücksichtigen, die sich seit Sonntag vollzogen hat. Stoiber und Merkel haben sich darauf festgelegt, dass diese Ökosteuer nicht gekippt wird. ({2}) Nein, meine Damen und Herren, Sie haben eigentlich drei Jahre verloren, weil Sie nur Schwachstellen suchten und diese Schwachstellen nicht gefunden haben. Wir haben während dieser Zeit gearbeitet und viel für die Vereine und für das Ehrenamt erreicht. ({3}) Es war ja nicht einfach, da angesichts der Schuldenlast, die Sie uns hinterlassen haben, etwas zu erreichen. Das waren 1,5 Billionen DM Schulden sowie die Zinsbelastung. Trotzdem haben wir gute Ansätze gefunden. Erstens. Sie sprachen davon, Herr Riegert: Die Übungsleiterpauschale ist erhöht worden. Wir haben sie erhöht, und zwar in diesen drei Jahren - das müssen Sie sich einmal überlegen. ({4}) Sie haben das in 16 Jahren nicht geschafft. Wir haben die Übungsleiterpauschale von 2 400 DM auf 3 600 DM erhöht und sogar noch den Personenkreis erweitert. Ich meine, das ist ein Erfolg. Sie fordern jetzt einfach 4 800 DM. ({5}) Diese Erhöhung hätten Sie ja selber vornehmen können. Sie haben nicht einmal eine Mark dazugetan. Zweitens. Sie sprachen das Stiftungsrecht an. Da haben wir wirklich einen guten Ansatz gefunden und auch eingebracht. Wir fördern darüber die kleinen Organisationen: Wir fördern die Hospizgruppen, wir fördern die einzelnen kirchlichen Organisationen, wir fördern die Sozialverbände. Durch Sammelstiftungen ist in unseren Wahlkreisen viel geschehen. Sie müssen sich einmal in den Kirchen und in den karitativen Organisationen umhören. Sammelstiftungen sind dort ein wichtiges Thema. Das haben wir eingebracht. Wir haben auch eingebracht, dass Stiftungen mit 600 000 DM starten können. Kleine Stiftungen können 40 000 DM als Zuwendung geltend machen. All das waren Vorschläge, die unsere Koalition aus SPD und Grünen eingebracht hat. ({6}) Dann sprechen Sie von Rücklagen. Schauen Sie sich unsere Gesetze einmal an, dann werden Sie feststellen: Wir haben die Rücklagen längst gebildet. Wir haben zum Beispiel bei den Stiftungen die Rücklage von 25 Prozent auf 33 Prozent erhöht. Auch das war ein Erfolg. Auch das ist für die jeweilige Stiftung günstig. Drittens. Rot-Grün hat die Lage der Freiwilligendienste verbessert. Auch das haben Sie in Ihrer Großen Anfrage angesprochen. 13 000 junge Menschen arbeiten durch unsere Politik in den unterschiedlichen Organisationen, zum Beispiel in den Hospizgruppen und den Selbsthilfegruppen. Das war nur dadurch möglich, dass wir die Bundesmittel im Vergleich zum Vorjahr um 50 Prozent erhöht haben, und zwar von insgesamt 11,5 Millionen Euro auf 16,5 Millionen Euro. Viertens. Die Selbsthilfegruppen sind ein weiteres wichtiges Thema. Diese Gruppierungen sind für uns so wichtig, dass wir gerade sie weiter dabei unterstützen, kranken Menschen zu helfen und sie zu beraten. In den kommenden Jahren wird noch mehr Unterstützung nötig sein. Das werden wir in der nächsten Legislaturperiode auch umsetzen; das ist für uns keine Frage. ({7}) Wir haben bereits einen guten Ansatz gefunden: 1 DM pro Bürger wird den Selbsthilfegruppen zur Verfügung gestellt. Fünftens. Die Bürokratie wird abgebaut. Auch das ist in Ihrer Großen Anfrage angesprochen worden. Da kann ich Ihnen nur sagen: Durch die jüngste SPD-Initiative ist ein Übungsleiter, der bis zu 930 DM verdient, nicht mehr sozialversicherungspflichtig. Damit sollten Sie sich einmal beschäftigen. ({8}) Die Vereine profitieren davon. Sie sparen nicht nur Kosten, sondern auch der Verwaltungsaufwand ist dadurch reduziert worden. Spendenquittungen sind ein weiteres Thema. Sie werden jetzt von den kleinen Vereinen ausgestellt; das läuft nicht mehr über die Stadt. Das ist wirklich kein Problem. Auch das werden wir in den kommenden Jahren weiter forcieren. Sechstens. Auf unseren Antrag hin haben wir die Enquete-Kommission eingerichtet. Das ist wirklich ein großer Wurf gewesen. Wir werden die neuen Vorschläge gemeinsam erarbeiten und in aller Ruhe abarbeiten. All die Punkte, die in der Enquete-Kommission erwähnt worden sind, versuchen wir umzusetzen. Soweit dies möglich ist, geschieht das in dieser Legislaturperiode, keine Frage, aber viele Punkte werden wir in der nächsten Legislaturperiode gemeinsam mit unserer Fraktion umsetzen. Rot-Grün hat das Ehrenamt attraktiver gemacht. Das muss man festhalten. Immer mehr Menschen kommen auch zu den kleinen Organisationen. Lesen Sie einmal die Shell-Studie, dann werden Sie das feststellen. Die Menschen arbeiten in kleinen Hospizgruppen. Ich habe das bei meinem Vater erlebt. Er ist vor zwei Jahren gestorben. Er ist von einer Hospizgruppe über ein Jahr begleitet worden. Das war nicht nur die Pflegearbeit, das war gleichzeitig auch die Begleitung bis in den Tod und die Trauerarbeit mit meiner Mutter. Davor kann man eigentlich nur den Hut ziehen. Das alles werden wir weiter unterstützen. ({9}) Rot-Grün hat das Ehrenamt trotz der schlechten Startbedingungen attraktiver gemacht; ich habe darauf hingewiesen. 41 Milliarden Euro Zinsen zahlen wir pro Jahr; das ist Ihre Hinterlassenschaft. Wir tilgen noch nicht einmal. Das ist, als wenn eine Berlinerin 4 000 Euro verdient und pro Monat erst einmal 1 000 Euro in die Spree wirft. Davon hat sie gar nichts mehr. Sie kann noch nicht einmal die Schulden für ihr Haus tilgen. So sind die Verhältnisse. Wir haben zum ersten Mal die Zinslast reduziert. Wir machen endlich weniger Schulden. 1998 betrug der Anstieg noch 28 Milliarden Euro, im Jahr 2001 waren es 22 Milliarden Euro. Wir versuchen, 2006 die Nullmarke zu erreichen. Sie aber, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, fordern heute einfach mehr Geld für das Ehrenamt. Gestern sollte mehr Geld für die Bundeswehr investiert werden. Vorgestern wollten Sie Geld für die Forschung. Jeden Tag gibt es neue CDU/CSU-Wünsche. Träume und Wünsche haben wir alle. Nur lässt es sich nicht realisieren, auf der einen Seite Steuern zu sparen und auf der anderen Seite diese Träume zu erfüllen. Gestern noch wollte die CDU/CSU die Ökosteuer komplett abschaffen - es geht um 17 Milliarden Euro -, heute spricht sie schon nicht mehr davon. Die alte 630-DM-Regelung sollte wieder eingeführt werden - das wären 2,7 Milliarden Euro -, heute sprechen Sie nur noch gedämpft davon. Die CDU/CSU nimmt die Neuverschuldung einfach in Kauf, ob Stoiber oder Merkel. Sie lebten immer über Ihre Verhältnisse, meine Damen und Herren, frei nach dem Motto: Nach uns die Sintflut. An dieser Stelle machen wir einfach nicht mit und sagen Nein. In Ihrer Anfrage singen Sie in Ihrem gemischten Chor: Ökosteuer - nein, 630-DM-Gesetz - nein. Heute überrascht der Bayer mit dem Solo: Die Ökosteuer bleibt. Sie müssen sich auf die neue Politik einstellen. Insofern war Ihre Anfrage auch nicht ganz stimmig. Vor allem müssen Sie das bei der Rede berücksichtigen, Herr Riegert. Der Wind hat sich gedreht, hier ist mehr Südwind gegeben. ({10}) Rot-Grün hingegen weiß genau: Das Ehrenamt ist das Herz der Gesellschaft. Deshalb fördert und unterstützt die Koalition auch weiterhin unsere Vereine, unsere Selbsthilfegruppen und unsere ehrenamtlich Tätigen. ({11})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Gerhard Schüßler.

Gerhard Schüßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003232, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Gesellschaft lebt nicht vom Staat, sondern von der Bereitschaft der Bürger, Verantwortung zu übernehmen - so der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog. Genau das passiert in unseren Vereinen, in unserer vielfältigen Vereinslandschaft. Die Vereine leisten einen unverzichtbaren Dienst, insbesondere auch für die jungen Menschen. In unserer Informations- und Kommunikationsgesellschaft wirken heute mehr Einflüsse von außen auf die jungen Menschen ein als in früheren Zeiten, vor allem aus der Welt der Medien und des Konsums. Allein aus diesem Grund kommt den Vereinen in Deutschland eine herausragende Bedeutung zu. Sie geben jungen Menschen Orientierung, sie führen sie auch an die Lebenswirklichkeit heran, damit sie sowohl eigenständig als auch gemeinschaftsfähig werden. ({0}) Die Vereine sind der Grundstein einer Zivilgesellschaft. Sie sind ein herausragendes Instrument der Selbstorganisation von gesellschaftlichen Zusammenschlüssen und Gruppen. Ein Großteil des bürgerschaftlichen Engagements findet in ihnen statt. Zwar gibt es unter jüngeren Menschen eine Skepsis gegenüber formalen Zusammenschlüssen wie den Vereinen, sie zögern aber nicht, wie man sieht, selbst Vereine zu gründen, wenn sie die Rechtsfähigkeit für die Organisation ihres Engagements brauchen. Der Verein als Instrument muss daher immer noch ganz unterschiedlichen Anforderungen und Interessen gerecht werden, vom Großverein mit Profiabteilung bis zur organisierten Kleininitiative. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit noch etwas Kritisches - auch das gehört zu unserem Vereinswesen zu den großen Bundesligavereinen sagen. Wenn Woche für Woche Hundertschaften von Polizisten notwendig sind, um die Sicherheit in den Stadien zu garantieren - die Sicherheit ist nicht durch die vielen Tausende Menschen gefährdet, die aus Freude am Sport ins Stadion gehen, sondern durch die Rowdies und Radikalinskis -, wenn es auf der anderen Seite diesen Vereinen möglich ist, für den Transfer eines Spielers - das ist moderner Menschenhandel - 100 Millionen DM zu bezahlen, wenn der betroffene Spieler noch 20 Millionen DM Handgeld bekommt und wenn einem Fußballtorwart 9 Millionen DM Jahresgehalt gezahlt werden, dann kann ich von den Vereinen, die solche Leistungen erbringen können, erwarten, dass sie für die Sicherheit in ihren Stadien selber verantwortlich sind und nicht der Steuerzahler. ({1}) Die Vereine werden im Augenblick hauptsächlich durch eine verfehlte Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik dieser Bundesregierung belastet. Gerade Vereine klasDieter Grasedieck sischer Ausprägung wie zum Beispiel Sport- und Gesangvereine stehen unter einem enormen Kostendruck. Die kommunalen Gebühren für Hallen und Säle steigen. Schuld daran ist selbstverständlich auch eine verfehlte Gemeindefinanzierung ({2}) - ja, da haben Sie völlig Recht -, die die Kommunen in den Bankrott treibt, und die steigenden Unterhaltskosten im Zuge der Ökosteuer. Da können Sie reden, wie Sie wollen: Das ist so. Fragen Sie einmal in den Vereinen nach! ({3}) - Ich gehöre nicht der Fraktion der CDU/CSU, sondern der FDP an, falls Ihnen das entgangen sein sollte. ({4}) Es wäre auch falsch, wenn neben dieser verfehlten Politik der Bundesregierung noch ein weiterer Fehler begangen würde, nämlich die Erhöhung der Besteuerungsgrenze nach § 64 Abs. 3 der Abgabenordnung und der Zweckbetriebsgrenze. In diesem Punkt sind wir anderer Meinung als die CDU/CSU. ({5}) - Nein, das ist völlig klar. - Diese Erhöhungen würden die Wirtschaftsbetriebe der Vereine auf Kosten der gewerblichen Konkurrenz stärken. Eine solche Wettbewerbsverzerrung können wir nicht akzeptieren. Die Bundesregierung muss vielmehr dafür sorgen, dass die Kommunen ihrer Verantwortung für die Infrastruktur auch nachkommen können. Das ist aber nicht der Fall. Die Bundesregierung hat den Vereinen - das muss ich Ihnen sagen, auch wenn Sie es nicht gerne hören - durch das 325-DM-Gesetz - ich meine: das 325-Euro-Gesetz massiv geschadet. ({6}) - Das ist nicht der Stoiber-Euro. - Auf die Vereine ist ein riesiger Verwaltungsaufwand zugekommen, da statt der pauschalen Besteuerung nun verschiedene Renten- und Krankenversicherungsbeiträge auszurechnen und an unterschiedliche Kassen abzuführen sind. Die ehrenamtlich tätigen Menschen haben dadurch einen unglaublichen Wust an Arbeit bekommen. Von Ihnen gibt es aber nur den lapidaren Hinweis auf die Arbeitgeberfunktion der Vereine. Dies spricht der Wirklichkeit Hohn. Mit Aufwandsentschädigungen unter 325 Euro wurde in der Vergangenheit häufig das äußerst zeit- und kostenintensive ehrenamtliche Engagement einiger Mitglieder abgemildert, auf das ein Verein nicht verzichten kann. ({7}) Falls diese Mitglieder jetzt noch eine Entschädigung bekommen, freuen sie sich im Alter sicherlich über ein paar Euro zusätzliche Rente. Die Bundesregierung kann in ihrer Antwort nicht von einer sorgfältigen Prüfung der Auswirkungen sprechen. Sie hat das überhaupt nicht geprüft. ({8}) Das Festhalten der Regierung am 325-Euro-Gesetz ist inzwischen schon keine Frage der Ideologie mehr, sondern es ist fast schon Altersstarrsinn, weil sie von keiner Seite einen Rat annimmt. ({9}) In der Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ wird heftig über den so genannten Übungsleiterfreibetrag diskutiert. Die FDP sieht in der momentanen Fassung eine gleichheitswidrige Bevorzugung von Übungsleitern und von den durch die Finanzrechtsprechung ebenso anerkannten Betreuern mit pädagogischer Ausrichtung. Viele wichtige Formen des Engagements werden nicht berücksichtigt. Kurzfristig kann man nur durch eine vorsichtige Ausdehnung erreichen, dass diese Ungleichbehandlung beseitigt wird, wobei dann allerdings eine Erhöhung des Freibetrages kaum möglich sein dürfte. Langfristig sollten solche Steuerprivilegien im Zuge einer grundlegenden Steuertarifsenkung jedoch aufgegeben werden, da sie meist die herkömmlichen Strukturen festigen und neue innovative Formen des Engagements ausklammern. Außerdem sollte der Gesichtspunkt der Unentgeltlichkeit des ehrenamtlichen Engagements nicht ganz untergehen. ({10}) Die Vereine könnten also schon durch eine Korrektur einiger gravierender Fehler der Regierungspolitik deutlich entlastet werden. Notwendig sind die Rücknahme des 325-Euro-Gesetzes und der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage als kurzfristige Maßnahme im Hinblick auf die Gemeindefinanzen. Dringend geboten ist auch die Erarbeitung eines transparenten und gerade für ehrenamtlich Engagierte leicht anwendbaren Gemeinnützigkeitsrechts. Der administrative Aufwand der Vereine muss so gering wie möglich gehalten werden, wobei nicht verkannt werden darf, dass die Vorteile von Rechtsfähigkeit und Gemeinnützigkeit auch Pflichten mit sich bringen, die den Vereinen nicht einfach erlassen werden können. Die Bundesregierung und die rot-grüne Koalition sollten die Aktivitäten in Vereinen oder ehrenamtliche Aktivitäten anregen, statt sie durch strenge Überwachung, Überregulierung und falsche Steuergesetzgebung zu verhindern. ({11})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht die Kollegin Ulrike Höfken.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben das heutige Thema in den unterschiedlichsten Gremien breit diskutiert. Das Ehrenamt hat gerade in den ländlichen Regionen eine sehr große Bedeutung. Die auf Antrag der Koalitionsfraktionen eingesetzte Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ wird dazu in diesem Jahr ihren Bericht vorlegen und uns Handlungsempfehlungen geben. Die Menschen in den Vereinen sehen, dass es uns um eine zukunftsfähige und langfristige Entwicklung der Vereine und des bürgerschaftlichen Engagements von vielen Bürgerinnen und Bürgern geht. Die Opposition hat diese Arbeit auf die altbekannte Weise begleitet: Statt Vorschläge mit seriösen Finanzierungsmöglichkeiten zu machen, stellen Sie auch auf diesem Gebiet nicht durchgerechnete und damit unbezahlbare Forderungen. ({0}) Je näher der Wahltermin rückt, umso weiter entfernen Sie sich von einer glaubwürdigen und ernst zu nehmenden Behandlung dieses Themas. Tatsache ist: Die Ausweitung des steuerbegünstigten Personenkreises, wie Sie das fordern, auch auf ehrenamtlich tätige Vorstandsmitglieder und Funktionsträger sowie die Anhebung der steuerfreien Übungsleiterpauschale auf etwa 2 400 Euro würden nach Angaben des Bundesfinanzministeriums Steuerausfälle von insgesamt bis zu 13,5 Milliarden Euro ergeben. Das ist unglaublich. ({1}) Sie kennen diese Zahl, aber wie üblich verschweigen Sie diese der Öffentlichkeit. Es wundert mich deswegen auch nicht, dass Sie keine Vorschläge für eine Gegenfinanzierung machen. Sie wissen genauso gut wie ich, dass in dieser finanziellen Größenordnung keine vernünftige Gegenfinanzierung mehr möglich ist. Jetzt legen Sie in Ihrem Antrag noch eins drauf, denn Sie wollen eine steuerfreie Ehrenamtspauschale von 600 Euro einführen. Dies hätte auch die Folge, dass das Ehrenamt unter monetären Aspekten gesehen wird. Das ist nicht unser Weg. Wir werden Ihnen darauf auch heute antworten: Das ist nicht finanzierbar und würde ein falsches gesellschaftspolitisches Signal bedeuten. Rot-Grün - das hat der Kollege Grasedieck sehr deutlich gemacht - macht das Ehrenamt attraktiver bzw. überhaupt erst attraktiv. Das Ehrenamt verdient und benötigt Rechte in einem schlüssigen Gesamtkonzept und mit einer verbesserten Rechtsgrundlage. Dafür bildet die Arbeit der Enquete-Kommission die Basis. Unterhalb der Gesetzesschwelle ist durchaus ein weiterer Abbau überflüssiger Bürokratie möglich. Dieses Ziel ist in den letzten Jahren von der rot-grünen Regierung verfolgt worden. Unsere Fraktion setzt sich zum Beispiel für eine Entbürokratisierung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, also der 325-Euro-Jobs, ein. Die hauptamtliche Arbeit in den Vereinen wird oftmals mit geringer Stundenanzahl und geringer Entlohnung geleistet. Es soll überprüft werden, ob bürokratische Belastungen gerade für kleine und mittlere Vereine weiter abgebaut werden können. Das wäre beispielsweise dann der Fall, wenn die Sozialversicherungsbeiträge pauschal erhoben und von einer zentralen Stelle eingezogen werden könnten. Zusätzlich könnten die bisher monatlichen Meldungen durch jährliche Meldungen ersetzt werden. Im Endeffekt würde dieses Verfahren keine Kosten nach sich ziehen, sondern zu Ersparnissen führen, weil der Verwaltungsaufwand für die Vereine deutlich verringert würde. ({2}) Wir danken Ihnen gleichzeitig - das hat auch der Kollege Grasedieck schon getan - für die Möglichkeit, heute nochmals auf einige wichtige Neuerungen bei der Förderung des bürgerschaftlichen Engagements hinzuweisen. Im letzten Herbst - das ist schon gesagt worden - wurde zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der Sozialversicherung vereinbart, dass die Tätigkeit von Übungsleiterinnen und Übungsleitern im Sport nicht mehr grundsätzlich als abhängige Beschäftigung anzusehen ist. Das bedeutet, dass die Tätigkeit, wenn der Verdienst bis zu 479 Euro beträgt und sie weniger als 15 Stunden beansprucht, nicht mehr beitrags- und meldepflichtig ist. Gerade für selbstständig tätige Übungsleiter heißt das, dass sie nicht mehr die Pflicht haben, Sozialabgaben zu leisten. Für die Sportvereine entfällt damit ein beträchtlicher bürokratischer Aufwand, der durch das Meldeverfahren unter Ihrer Verantwortung entstanden war. ({3}) Im Steuerrecht - das haben Sie erwähnt - werden die gemeinnützigen Vereine erheblich begünstigt, da sie grundsätzlich von der Körperschaft-, Gewerbe-, Grundund Erbschaftsteuer befreit sind. Aber es ist - auch von einem FDP-Kollegen - auf die mögliche Konkurrenz zu den gewerblichen Unternehmen hingewiesen worden. Natürlich können die Vereine die Zweckbetriebsgrenze wahrnehmen. Seit Januar 2000 gibt es vereinfachte Verfahren gegenüber den Regelungen, für die die jetzige Opposition noch als Regierung verantwortlich war. Noch ein Letztes zum Thema Bürokratie. Erst gestern haben die Ausschüsse des Bundestages ihre Beratungen über das Personenbeförderungsgesetz abgeschlossen. Es wurde eine wichtige Neuerung - auch für die Vereine beschlossen: Wenn Busfahrten mit Sport- oder Jugendgruppen durchgeführt werden, benötigen die Vereine und Jugendorganisationen in Zukunft keine eigene Genehmigung nach dem Personenbeförderungsgesetz mehr. Es reicht aus, wenn der beauftragte Busunternehmer im Besitz einer derartigen Genehmigung ist. Auch hier haben wir wieder ein leidiges Verfahren der Doppelgenehmigung abgebaut. Diese Gesetzesänderung ist von den Sport- und Jugendorganisationen einhellig begrüßt worden. ({4}) Die Vereine und die ehrenamtliche Arbeit haben eine von uns allen anerkannte gesellschaftliche Funktion. Wir werden diese spezielle Bedeutung auch in Zukunft noch stärker berücksichtigen, um die Rahmenbedingungen für das bürgerschaftliche Engagement weiter zu verbessern. Vielen Dank. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Barbara Höll für die PDS-Fraktion.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rund 22 Millionen Menschen sind in der Bundesrepublik ehrenamtlich tätig. Man kann davon ausgehen, dass die Mehrzahl von ihnen in gemeinnützigen Vereinen organisiert ist. Ich glaube, wenn sie die heutige Debatte hören würden, wären sie zutiefst enttäuscht. Die CDU/CSU hat Forderungen aufgestellt, die berechtigt sind. Sie hat aber natürlich wieder einmal vergessen, selbstkritisch einzuschätzen, was in 16 Jahren alles versäumt wurde. Aber auch das, was bisher vonseiten der Regierungskoalition geboten wurde, geht nicht auf das ein, was Vereine nötig brauchen. In ihren Beiträgen war bisher überwiegend Selbstlob zu hören. So ist es auch in der Antwort auf die Große Anfrage nachzulesen. Ich glaube, so kann man die Probleme von gemeinnützigen Vereinen nicht lösen. Wir haben sowieso ein grundlegendes Problem: Das ehrenamtliche Engagement, welches wir alle wünschen, darf nicht missbraucht werden, um vielleicht gesellschaftliche Brüche zu kitten oder um dort, wo der Staat soziales Engagement zurückfährt, auf die nur noch ehrenamtliche Tätigkeit von Menschen zu bauen. Gerade weil das nicht sein darf, gilt es in besonderem Maße, sich den Vereinen zuzuwenden; denn die öffentliche Hand hat immer weniger Geld. Ich verweise nur auf die hohe Verschuldung der Kommunen, die oftmals die Tätigkeit der Vereine nicht mehr mitfinanzieren können. In meiner Heimatstadt Leipzig gibt es jetzt die Aktion „weißer Januar“, weil die Kulturszene gesagt hat, dass das, was im Haushalt 2002 gestrichen wurde, so stark an die Substanz gehe, dass sie nicht mehr in der Lage sei, gerade das, was an Kinder- und Jugendarbeit geboten werde, weiter zu realisieren. Es ist also bei weitem nicht so, dass alles glänzt und sich die Regierungskoalition zurücklehnen kann. Wir haben eben das Problem, dass Gelder verstärkt für die Realisierung von Projekten erwirtschaft werden müssen, zum Beispiel die Kofinanzierung für LKZ-Stellen. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass die Vereine sehr enge Gewinngrenzen sowie beschränkte Möglichkeiten für Rücklagen haben, um sich dauerhaft Liquidität zu schaffen. Vereine sind immer stärker auf Spenden angewiesen. Aber auch aufgrund des Steuersenkungsgesetzes - das ist nun einmal die Realität - sinkt der steuerlicher Anreiz für Spenden. Darüber hinaus haben die Vereine sehr hohe Anforderungen, die sich aus der Satzung, aus der laufenden Buchführung und der Bilanzierung ergeben. Sie haben sehr geringe liquide Mittel. In der Antwort auf die Große Anfrage wird dies meiner Meinung nach vonseiten der Koalition unberechtigterweise abgewiegelt. Das sage ich, obwohl es unbestreitbar ist, dass Sie in den drei Jahren Ihrer Regierungszeit durchaus einige Dinge verabschiedet haben: die Abschaffung des Durchlaufspendenverfahrens, die Erhöhung und Erweiterung der Übungsleiterpauschale und die Regelung, dass Vereine unter bestimmten Bedingungen nur noch 15 Prozent und nicht mehr 75 Prozent der Werbungseinnahmen als Gewinne versteuern müssen. Aber es gilt auch zu konstatieren, dass Sie mit Ihrer Zielstellung, die Stiftungen zu fördern, welche ich teile, obwohl ich an der konkreten Ausgestaltung Kritik übe, einen Zustand herbeigeführt haben, dass die Stiftungen gegenüber den gemeinnützigen Vereinen tendenziell bevorteilt sind. Es kann doch nicht gewollt sein, dass man nur noch eine bestimmte Form bevorteilt und eine andere dadurch deutlich schlechter stellt. Dies machen Sie vor dem Hintergrund, dass Sie, wie gesagt, auch bei der Neuregelung des Stiftungsrechtes gerade die zivilrechtlichen Regelungen ausgelassen haben und bestimmte Dinge wie die angemessene Alimentierung des Stifters und seiner Angehörigen nicht aufgehoben oder wenigstens beschränkt haben. Aus diesem Grunde gilt es, wirklich ernsthaft über Dinge nachzudenken, die in der Großen Anfrage angesprochen sind: eine Erweiterung der Inanspruchnahme der Übungsleiterpauschale für alle im ideellen Bereich der Vereine tätigen und aktiven Bürgerinnen und Bürger, Erweiterung der Möglichkeit der Bildung von Liquiditätsreserven, die Anhebung der Besteuerung und Zweckbetriebsgrenze, die Einführung gesetzlicher Freistellungsregelungen vom Beruf für ehrenamtlich Tätige - das gibt es, siehe Technisches Hilfswerk - und letztlich die Bereitstellung finanzieller Hilfe, damit gerade Vereine ihren gesetzlichen Pflichten in Bezug auf Buchhaltung und Verwaltung von Arbeitskräften professionell nachkommen können. Ich wünsche mir dazu eine sachliche Beratung und Selbstkritik von allen Seiten, sodass man dann die Zielstellung tatsächlich verwirklichen kann. Ich danke Ihnen. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat der Kollege Dr. Klaus Rose für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Im Sportausschuss reden wir immer sehr gerne von Fairness und fraktionsübergreifender Harmonie. Wenn ich mir die heutige Debatte anhöre, stelle ich fest, dass davon wenig zu spüren ist. ({0}) Wenn vor allen Dingen vonseiten der rot-grünen Koalition Abgeordnete aus dem Sportausschuss sprechen, dann habe ich den Eindruck, dass sie offensichtlich wenig zu sagen haben. ({1}) Das stimmt mich traurig. ({2}) Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat ihre Große Anfrage zum Vereinswesen schon im Sommer 2000 eingebracht, ({3}) weil sie sich berechtigte Sorgen um die Zukunft der Sportvereine machte. Ich betone also nochmals: Eingebracht wurde die Große Anfrage im Sommer 2000. Jetzt endlich kommt eine Antwort und eine Debatte darüber. Sie können doch nicht so tun - einige Redner von Ihnen behaupten das -, als ob wir jetzt während des Wahlkampfes dieses Thema entdecken. Hätten Sie früher eine Antwort gegeben, hätten wir früher darüber reden können. ({4}) Sie können doch nicht aus Ihrem Gedächtnis streichen, dass Sie bei den Versammlungen und im Gespräch mit den Sportvereinen eigentlich das Gleiche sagen, was wir fordern. Ich habe es in den Zeitungen gelesen. ({5}) Sie haben ihnen vor zwei Jahren in Gesprächen vor Ort alles Mögliche versprochen, aber eingehalten haben Sie nichts. Zwischen den rosaroten Ankündigungen und den grün-roten Ergebnissen klafft eine riesige Lücke. ({6}) Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage ist dafür der Beweis. Ich sage es noch einmal: 1990 haben wir uns Gedanken über die Fortentwicklung der Förderung der Vereine gemacht. Wenn heute davon die Rede ist, dass die Enquete-Kommission auf Wunsch der SPD eingesetzt wurde, ({7}) dann sage ich: Die Fortentwicklung der Vereinsförderung ist unsere Arbeit, weil wir 1990 ein Vereinsförderungsgesetz eingeführt haben. ({8}) Wir haben uns Gedanken gemacht, wie wir das noch verbessern können. Ich kann Sie nur bitten, dass Sie bei der Förderung der Vereine mitmachen und dass sich vor allem die Mitglieder des Sportausschusses durchsetzen können. ({9}) Es stimmt mich traurig, dass vonseiten des Bundesinnenministeriums in der gesamten Debatte über dieses Thema, für das dieses Ministerium zuständig ist, niemand anwesend ist. ({10}) Daran sehen wir doch, welchen Stellenwert die Vereine - vor allem die Sportvereine - haben. Meine Damen und Herren, wir erwarten, dass die Bundesregierung unsere Vereine entlastet und nicht belastet. Wir erwarten, dass sie die wirtschaftliche Kraft der Vereine stärkt und nicht schwächt, schon gar nicht ({11}) durch eine aufgeblähte Bürokratie. - Ich hatte heute befürchtet, dass wieder der Versuch unternommen wird, von großen Leistungen zu sprechen und die großen Lasten auf den Schultern der Ehrenamtlichen zu verschweigen. Ich sage das, weil Ihr Zwischenruf kam, Herr Kollege Weisheit. Sie haben einen schönen Namen, aber der Zwischenruf ist unverfroren. ({12}) Wenn ich - um nur ein Beispiel zu nennen - über die schwierige Lage von Witwen bezogen auf ihre Renten reden und behaupten würde, die könne doch nicht so schwierig sein, schließlich gebe es auch Millionärswitwen, ({13}) dann wäre das genauso unverfroren wie Ihr Zwischenruf. Als ich von der Lage der Vereine gesprochen habe - der vielen kleinen Vereine, die von den Ehrenamtlichen leben und anders gar nicht bestehen würden, von denen Sie in Ihren Sonntagsreden sagen, Sie seien dafür -, sind Sie mir mit dem Zwischenruf „FC Bayern München“ gekommen. ({14}) - Darum geht es doch gar nicht. Es sei denn, man ist so verblendet, dass das Wort „Bayern“ bei Ihnen von Hause aus diese Reaktion auslöst. ({15}) Ich will ja nicht sagen, dass in Ihrer Fraktion bereits der Rassismus eingekehrt ist, da bei Ihnen das Wort „Bayern“ immer wieder eine solche Reaktion auslöst. ({16}) Meine Damen und Herren, als damals die Große Anfrage eingebracht wurde - ich betone das nochmals -, gab es im ganzen Land eine Riesenaufregung wegen der Belastung der Sportvereine und auch anderer Vereine durch das 630-Mark-Gesetz, ({17}) die Ökosteuer und verschiedene andere Fehlentwicklungen. Ich sage es noch einmal: Es gab eine Riesenaufregung. Das haben Sie alle gespürt. Diese Aufregung ist auch in die Enquete-Kommission hineingetragen worden. Ich kann zwar zugeben, dass die Enquete-Kommission inzwischen viele wertvolle Ideen entwickelt hat, aber umgesetzt hat sie noch nichts. Wahrscheinlich ist die Taktik sowieso, zu verzögern und bis zur nächsten Wahl zu warten, bis das Ganze wieder einschläft. Meine Damen und Herren, es ist in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage knallhart zum Ausdruck gekommen, dass die Neuregelung des 630-MarkGesetzes - ich verwende nach wie vor diesen alten Begriff, weil er in der Anfrage, die wir eingebracht haben, genannt wird - nur dem Finanzminister und vielleicht auch dem Arbeitsminister zugute kommt. Man hat billigend in Kauf genommen, dass der Deutsche Sportbund in seiner Stellungnahme davon gesprochen hat, dass es zu einer schweren Belastung der Sportvereine kommen wird. Das war der Regierung aber egal. Sie haben darauf hingewiesen, dass sie mehr Geld brauchen. Das Geld muss hereinkommen, damit sich der Finanzminister und auch andere freuen. ({18}) Bei manchen war heute in der Debatte ohnehin nur die Rede davon, wie wichtig es sei, die Finanzen zu sanieren. Sie sind mit keinem Wort darauf eingegangen, welche Sorgen die Vereine und die Ehrenamtlichen draußen haben. Frau Kollegin Freitag, ich sehe, dass Sie den Kopf schütteln. Das verstehe ich nicht. Sie reden im Sportausschuss völlig anders, als es heute der Fall ist. ({19}) Deshalb verstehe ich nicht, warum im Sportausschuss überhaupt noch große Sprüche geklopft werden. ({20}) Ich möchte noch kurz darauf eingehen, dass wir in unserem Entschließungsantrag sechs Forderungen vorgelegt haben. Wir möchten noch einmal auf die eigentliche Zielsetzung aufmerksam machen. Wir wollen eine Verstärkung der Gestaltungsmöglichkeiten der Vereine und mehr Freiräume. Wir wollen keine Einengung und Gängelung. Wir wollen eigentlich nichts anderes, als dass die Enquete-Kommission hoffentlich doch noch irgendwann einmal einiges umsetzt. Wir wissen doch alle, dass Vereine nicht nur Selbstzweck sind, sondern eine Entlastung für den Staat darstellen. Wir wissen auch, dass Vereine den Bürgerinnen und Bürgern nur dann etwas bieten können, wenn man ihnen hilft und sie nicht gängelt. Darum appelliere ich zum Schluss an Sie: Schauen Sie sich bitte unsere Forderungen noch einmal an. Sie haben heute bereits erwähnt, dass Sie manches davon inzwischen umgesetzt haben. Das haben Sie vorhin stolz als Leistungen verkündet. ({21}) - Das erkenne ich auch an. ({22}) Da sind wir nicht auseinander. Aber, als wir unsere Große Anfrage vor zwei Jahren eingebracht haben, hatten Sie noch nichts gemacht. Wenn Sie inzwischen ein bisschen etwas getan haben, ist das okay. Lassen Sie uns doch gemeinsam um das große Ziel ringen. Diesem großen Ziel hat unsere Große Anfrage gedient. Wenn wir auf diesem Weg in Zukunft besser miteinander auskommen, soll es mir Recht sein. Die Freude am freiwilligen Engagement für andere sollte uns allen ein Ansporn sein. ({23})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Der Kollege Lothar Binding hat seine Rede zu Protokoll gegeben.1) Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell ist vereinbart, den Entschließungsan- trag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/8035 zur federführenden Beratung an den Sportausschuss so- wie zur Mitberatung an den Finanzausschuss und den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 c auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({0}) - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Waldzustandsbericht der Bundesregierung 2000 - Ergebnis des forstlichen Umweltmonitoring - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Heidemarie Wright, Brigitte Adler, Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Steffi Lemke, Ulrike Höfken, Kerstin Müller ({1}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Waldzustandsbericht der Bundesregierung 2000 - Ergebnis des forstlichen Umwelt- monitoring - - Drucksachen 14/4967, 14/5560, 14/6273 - 1) Anlage 5 Berichterstattung: Abgeordneter Siegfried Hornung b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Gesamtwaldbericht - Drucksache 14/6750 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({2}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Forstvermehrungsgutgesetzes ({3}) - Drucksache 14/7384 ({4}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({5}) - Drucksache 14/7998 Berichterstattung: Abgeordneter Albert Deß Zum Gesamtwaldbericht liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie der Fraktion der CDU/CSU vor. Intrfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Waldzustandsberichts 2001 der Bundesregierung zu erweitern und als Zusatzpunkt 12 zu beraten. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 12 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Waldzustandsbericht der Bundesregierung 2001 - Ergebnis des fortlichen Umweltmonitoring - Drucksache 14/7946 Nach einer interfraktionellen Vereinbarungen ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als Erstem dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim das Wort. Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mit etwas Erfreulichem beginnen, nämlich dem großen öffentlichen Interesse an der Situation der Wälder nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. ({6}) Ebenfalls erfreulich, Herr Schorlemer, ist die Bilanz der Bundesregierung auf diesem Gebiet. Nicht ganz so erfreulich ist die Situation der Wälder, auch wenn in den letzten Jahren deutliche Verbesserungen erreicht worden sind. Es ist zwar eine Stabilisierung des Zustandes der Wälder zu konstatieren. Aber es gibt in der Zukunft noch viel zu tun. Es gibt also weder Anlass zur Dramatisierung noch Anlass zur Entwarnung. Wir müssen uns einfach vor Augen führen, dass die Ursache für die Verschlechterungen, die Schadstoffeinträge, viele Jahrzehnte bestanden hat. Wir konnten zwar insbesondere den Umfang des Schwefeldioxids wesentlich reduzieren. Aber man muss bedenken: Genauso lange, wie die Ursachen, die zur Verschlechterung vor allem des Zustandes der Waldböden geführt haben, bestanden haben, wird man benötigen, um nachhaltige Verbesserungen zu erreichen. Es ist wesentlich schwieriger, die gleichen schnellen Fortschritte, die man am Anfang bei der Reduktion des Umfangs der Emission von Schwefeldioxid erreicht hat, bei der Reduktion des Umfangs der Emission der Stickoxide zu erzielen. Besonders hervorzuheben sind die Erfolge in Ostdeutschland. Die Waldschäden im oberen Erzgebirge - ich komme aus Sachsen und weiß, wovon ich spreche - hatten ja ein apokalyptisches Ausmaß angenommen. Wer diese vor allem durch Schadstoffe verursachten Schäden gesehen hat, der weiß, welche Erfolge erreicht werden konnten und was noch alles in der Zukunft getan werden muss. Hier ist ein Mix aus Maßnahmen angebracht. Die Schwerpunkte, die die Bundesregierung gesetzt hat, beginnen bei der Energiepolitik. Umweltfreundliche Verbrennungstechniken und der stärkere Einsatz von regenerativen Energiequellen wie zum Beispiel der von Holz werden gefördert. Dadurch werden Arbeitsplätze geschaffen und nehmen wir letztlich Einfluss auf die Holzpreise und die Wirtschaftlichkeit der Waldwirtschaft. Nicht zu vergessen sind die Bereiche Bau, Verkehr, Straßenbau und Siedlungsmaßnahmen. Hier ist in jedem Fall exakt zwischen den Nachteilen, das heißt der Vernichtung von Wäldern, und den Vorteilen, das heißt dem Ausbau der öffentlichen Infrastruktur, abzuwägen. Ich möchte auch die Ökosteuer nennen. Ich habe in der bisherigen Debatte gelernt, dass die Ökosteuer - angeblich - den deutschen Vereinen geschadet hat. Ich kann dazu nur sagen: Dem deutschen Wald hat sie auf alle Fälle genutzt. ({7}) Die Landwirtschaft darf auf keinen Fall ausgenommen werden. Gerade wenn es um Nox-Verbindungen geht, ist die Landwirtschaft neben dem Verkehr die wichtigste Schadstoffemissionsquelle. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang die Tierhaltung zu nennen. Auch hier bemühen wir uns, durch die Neuausrichtung der Agrarpolitik zu Verbesserungen zu kommen: Die Reduzierung der Viehdichte und der Einsatz von emissionsmindernden Verfahren insbesondere beim organischen Dünger werden gefördert. So viel zur Situation auf der nationalen Ebene. Vizepräsidentin Anke Fuchs Genauso wichtig sind die Anstrengungen, weltweit zur Verbesserung der Situation der Wälder beizutragen. Nach wie vor werden jährlich 15 Millionen Hektar Wald durch Brandrodung, durch Umwandlung für andere Nutzungsarten, durch Umweltkatastrophen, durch industrielle Holznutzung - die Liste ließe sich fortsetzen - vernichtet. Die Folgen sind bekannt: Vernichtung und Ausrottung unzähliger Tier- und Pflanzenarten, Erosion und Umweltschäden, Freisetzung von Kohlendioxid, das allein 20 Prozent zum Treibhauseffekt beiträgt. Was tut die Bundesregierung auf diesem Gebiet? Wir haben uns maßgeblich an der Gründung des Waldforums der Vereinten Nationen beteiligt, haben vor allem auch nach dem Gipfel von Rio Maßnahmen zur Walderhaltung mit ausgehandelt. Deutschland ist in der forstlichen Entwicklungszusammenarbeit weltweit führend. Derzeit fördern wir mit rund 130 Millionen Euro pro Jahr 310 Waldprojekte in 66 Ländern. ({8}) Ich habe mir solche Maßnahmen erst im vergangenen Jahr in Brasilien anschauen können. Es ist sehr wichtig, in den Entwicklungsländern erfahrbar zu machen, dass eine nachhaltige Bewirtschaftung im wirtschaftlichen Interesse dieser Länder liegt. Es nützt nichts, darauf hinzuweisen, sie sollten etwa weniger Soja für den Export anbauen, wenn in den Ländern nicht die Erfahrung gesammelt wird, dass eine nachhaltige Bewirtschaftung letztlich in ihrem ureigenen wirtschaftlichen Interesse liegt. Dazu dienen gerade die Projekte Deutschlands in diesen Ländern. ({9}) In einem letzten Punkt möchte ich noch auf den Entwurf eines Forstvermehrungsgutgesetzes eingehen, das hier auch zur Debatte steht. Damit setzen wir eine europäische Richtlinie um. Wenn wir naturnahe Wälder wollen, dann brauchen wir auch entsprechendes Saat- und Pflanzgut für die genetische Vielfalt der Wälder. Das Forstvermehrungsgutgesetz ist eine wichtige gesetzliche Grundlage, um diese Ziele in der Zukunft zu erreichen. Die Aufzählung all unserer Anstrengungen ließe sich abendfüllend fortsetzen. Ich will darauf verzichten, weil ich davon ausgehe, dass vor allem die Damen meiner Fraktion und auch der Fraktion der Grünen die Liste noch vortragen werden. Vielen Dank. ({10})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Cajus Julius Caesar.

Cajus Julius Caesar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesamtwaldbericht und der Waldzustandsbericht der Regierung werden den Anforderungen der Koalition, die sie selbst einmal aufgestellt hat, aber insbesondere auch unseren Anforderungen in keinster Weise gerecht. ({0}) Die Verwaltung hat sich zwar bemüht, durch Formulierungen und attraktive Bilder einen Bericht zusammenzustellen, der zumindest von der Ummantelung her einen guten Eindruck macht. Für eine Verwaltung ist es aber natürlich extrem schwierig, etwas zu Papier zu bringen, wenn der Regierung das Handeln fehlt. In den Aussagen der Regierung ist wenig Konkretes, es fehlen Akzente, und sie ist in Ihren Aussagen auch nicht zukunftsträchtig. Die Leistungen von CDU/CSU können sich sehen lassen. Sie ruhen sich ein Stück weit darauf aus. Ich nenne als Stichworte „Rettet den Wald“, 1983, und viele rechtliche Regelungen aus den 90er-Jahren: Bundes-Immissionsschutzgesetz, Großfeuerungsanlagen-Verordnung, Kleinfeuerungsanlagen-Verordnung, Katalysator, Einführung des schadstoffarmen Diesel, schadstoffbezogene KfzSteuer und vieles mehr. Insbesondere viele internationale Vereinbarungen haben dazu beigetragen, dass Deutschland vorn stand, Vorbildfunktion hatte. Wir als CDU/CSU sind stolz auf diese Leistungen. Damit können wir uns sehen lassen. ({1}) Wir jedenfalls können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie von SPD und Grünen, von der jetzigen Regierung, sich beim Spaziergang durch den Wald verirrt haben und im Kreis laufen. ({2}) Sie kommen mit Ihren Argumenten und mit all den Dingen, die Sie sich einmal vorgenommen haben, nicht voran. Sie haben sich im Dickicht verirrt und können nur wenig Taten vorweisen. Vielmehr geht Ihre Politik der Zukunft zulasten der Waldbesitzer und zum Teil auch unseres Ökosystems. Wald ist mehr als die Summe von Bäumen. Es ist die Vielfalt unseres Ökosystems. Wir müssen dafür eintreten, unser Wald hat vielfältige Funktionen für die Erholung suchende Bevölkerung, aber auch für das Ökosystem insgesamt. ({3}) Die Forstwirtschaft hat eine große Bedeutung in unserer Gesellschaft. Diese Bedeutung sollten auch Sie als Regierungskoalition entsprechend honorieren. Das bedeutet, den Rohstoff Holz als einen Rohstoff, der umweltfreundlich erzeugt wird, entsprechend zu fördern Auch das nationale Klimaschutzziel bis zum Jahre 2005, also die CO2-Reduktion um 25 Prozent zu erreichen, bedeutet, den Einsatz des Holzes als erneuerbaren Energieträger voranzubringen. 1 Kubikmeter Holz speichert immerhin 1 Tonne CO2. Daran erkennt man ebenfalls die enorme Bedeutung unseres Waldes und unseres Holzes als Rohstoff. ({4}) Wir als CDU/CSU haben in diesem Zusammenhang eingebracht, in unterdurchschnittlich bewaldeten Gebieten Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim eine Waldvermehrung vorzunehmen. Leider sind Sie diesem Gedanken auch beim Bundesnaturschutzgesetz nicht gefolgt. Schade! ({5}) Wie machen denn Sie es? Sie kürzen beispielsweise die Mittel im Bereich der Agrarstruktur und des Küstenschutzes; Sie kassieren lieber die Bürger bei der Ökosteuer ab, die zwar Ökosteuer heißt, aber nicht ökologisch ist, und das Geld wird schon gar nicht für diesen Bereich eingesetzt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, man sollte auch die eigenen Aussagen der Vergangenheit beachten. Deshalb ist es wichtig, dass man hier nicht zulasten des Waldes und des Bürgers Politik betreibt, sondern die Dinge offensiv angeht. ({6}) Ich darf Ihnen im Übrigen auch noch einmal ans Herz legen, die Aussagen der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände vom 10. Januar zu verfolgen. Ich kann dem nur Recht geben, wenn gesagt wird: Eine konstruktive Einbeziehung unseres Waldes in die politischen Entscheidungen ist wichtig. Diese ist längst überfällig, hat der Präsident gesagt. Er hat auch gesagt: „Die bisherige Gewichtung dieser Aspekte durch die Regierung ist falsch. Hier werden Chancen vertan!“ Recht hat er. ({7}) Auch bei den Waldschäden handelt die Regierung mit zweierlei Maß. Wenn man Seite 57 des Gesamtwaldberichtes aufschlägt, dann kann man dort lesen: Die Situation kann bei diesen Baumarten mit einem Flächenanteil deutlicher Schäden im Jahr 2000 von 25 % bei Fichte, 13 % bei Kiefer, 25 % bei den „anderen Nadelbaumarten“ als zufrieden stellend beurteilt werden Bei Ihnen ist es so: Wenn Sie die Berichte verfassen und es steht „SPD und Grüne“ darüber, dann ist alles zufrieden stellend. Wenn darüber „CDU/CSU und FDP“ steht, dann herrscht Weltuntergangsstimmung. So haben Sie es bisher immer gehalten. ({8}) Das ist Ihre angeblich solide Politik im Sinne der Natur und des Waldes. Sie schieben den Schwarzen Peter so lange hin und her, bis er bei den Betroffenen vor Ort ankommt. Das kann man bei vielen Gesetzen, gerade auch aus den letzten Wochen und Monaten, feststellen. Gleichzeitig werden die Mittel zurückgeführt, sodass viele aktive Maßnahmen neben den Bereichen der Vorbereitung nicht mehr oder nur bedingt durchgeführt werden können. Ich nenne stichwortartig die Bodenschutzkalkung, die Wiederaufforstung, Vor- und Unterbau sowie waldbauliche Maßnahmen, Luftreinhaltung, Steuererleichterungen für den Waldbesitzer, Forschung und internationale Abkommen: Hier gibt es erhebliche Defizite dieser jetzigen Regierung. ({9}) Wenn wir ehrlich miteinander umgehen, dann muss man sicherlich zur Kenntnis nehmen, dass 80 Prozent der Standorte in Deutschland einen Versauerungsgrad von unter 4,2 aufweisen. Sie wissen alle, dass ein um 1 geringerer pH-Wert immerhin ein Mehr von einer zehnfachen Versauerung bedeutet. Handeln ist hier angesagt, ein Handeln für uns alle. Deshalb verstehe ich es nicht, dass Sie beispielsweise auch bei Ihren Formulierungen im Bundesnaturschutzgesetz Ideologie und Bürokratie voranstellen. Sie gehen mit der Gesetzeskeule an die Waldbesitzer heran, um ihnen Ihre Ideologie aufzuzwingen. Es gibt immerhin 1,3 Millionen Waldbesitzer in Deutschland, die den Wald über Generationen hinweg im Schweiße ihres Angesichts gepflegt - das sollte man nicht vergessen und dazu beigetragen haben, dass wir unsere Natur mit ihrer Artenvielfalt in unserem Lande vorweisen können. ({10}) Sie sprechen immer wieder von den Großgrundbesitzern und vergessen dabei, dass 50 Prozent des Waldes in Deutschland Privatwald sind und die Durchschnittsgröße bei rund 3,6 Hektar liegt. Sie benachteiligen die Kleinen, die etwas für unseren Wald tun. ({11}) Ich will die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände noch einmal zitieren: Zeigen Sie Trittin die rote Karte für seine ideologische Umweltpolitik. Bewahren Sie uns vor der bürokratischen Reglementierungswut. Wenn Sie das Recht der Kleinen so mit Füßen treten, werden Sie dieses irgendwann zu spüren bekommen, auch wenn Sie meinen, es ist nur eine kleine Gruppe. Recht hat die Arbeitsgemeinschaft. Wir als CDU/CSU setzen uns für die Waldbesitzer und den Wald ein. Wir meinen, auch die Menschen im ländlichen Raum haben es verdient, Beachtung zu finden. ({12}) Auch dort werden Arbeitsplätze benötigt, auch dort wollen die Menschen am Wohlstand teilhaben. Wir als CDU/ CSU wollen Kooperation statt Konfrontation im Sinne von wirtschaftlicher Entwicklung und im Sinne der Entwicklung der Natur für unsere zukünftigen Generationen. Gegenstand des heutigen Berichts ist auch der Tropenwald. Wenn wir heute die Beratungen zum Tropenwald im Plenum durchführen, sollten wir sehr wohl auch die große Bedeutung dieses Bereichs in Augenschein nehmen: über 100 Millionen Jahre alte Regenwälder, empfindliche Ökosysteme, 5 Millionen Tier- und Pflanzenarten und etwa 400 verschiedene Baumarten auf 1 Hektar Regenwald, während in Deutschland insgesamt nur 60 Baumarten beheimatet sind. Die Tropenwälder versorgen insgesamt rund 1 Milliarde Menschen mit Trinkwasser. Deshalb ist es besonders wichtig, dass wir der Zerstörung von rund 15 MilliCajus Caesar onen Hektar, die jedes Jahr unwiederbringlich verloren gehen, Einhalt gebieten. Das ist die Waldfläche der Bundesrepublik und gleichzeitig die Gesamtfläche der Länder Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen. Wegen seiner weltweiten Bedeutung ist es ganz wichtig, dass wir uns für den Erhalt und für eine nachhaltige Bewirtschaftung des Tropenwaldes einsetzen. Waren es unter CDU/CSU und FDP 1997 noch über 150 Millionen Euro, die für Projekte im Haushalt zur Verfügung standen, so sind diese Mittel mittlerweile gekürzt worden. Sie, Herr Staatssekretär, haben gerade nur von der heute zur Verfügung stehenden Summe von rund 130 Millionen Euro gesprochen. Tatsache ist, dass Sie diese Summe in Ihrer Regierungszeit zurückgeführt haben, sodass weniger Gelder für den Erhalt des Tropenwaldes und der Ökosysteme zur Verfügung stehen. Das ist nicht die Politik der Union, das können wir nicht hinnehmen. Wir wollen, dass diese Mittel wieder aufgestockt werden. ({13}) Die Lebensbedingungen für die dort wohnenden Menschen müssen besonders beachtet werden. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Relation nicht aus den Augen verlieren. Rot-Grün knebelt die Land- und Forstwirtschaft. Wir wollen nicht einen Verwaltungsbeamten pro Hektar, wir wollen im Sinne unserer Natur vorankommen, damit aus dem kleinen Pflänzchen wieder ein starker Baum wird. Wir wollen eine Politik nach dem 22. September dieses Jahres für die Menschen, für die wirtschaftliche Entwicklung in den ländlichen Räumen, aber auch für den Wald und unsere Natur. Herzlichen Dank. ({14})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich der Kollegin Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nach 20 Jahren des Ringens um die Verbesserung des Zustands unserer Wälder auf nationaler und internationaler Ebene fällt die Bilanz nüchtern aus: Der Waldverlust in den Tropen schreitet ungebremst voran und der Zustand der Wälder hat sich in vielen Regionen der Welt, auch in Deutschland, verschlechtert. Am stärksten von dieser Entwicklung betroffen sind die Urwälder in den Tropen. Alle zwei Sekunden verschwindet dort eine fußballfeldgroße Fläche Urwald. Damit ist auch ein immenser Verlust von Tier- und Pflanzenarten verbunden. So warnen Umweltschützer inzwischen vor dem Aussterben des Orang-Utans innerhalb der nächsten zehn Jahre. Obwohl das Problem der Waldzerstörung seit vielen Jahren - fast schon Jahrzehnten - bekannt ist und auch in die Politik Eingang gefunden hat, haben die Gegenmaßnahmen nur teilweise Wirkung gezeigt. Die Ursachen für das ungebremste Abholzen liegen in vielen Entwicklungsländern in den schlechten Kontrollmöglichkeiten bei illegalem Holzeinschlag, der Armut und Finanzschwäche der Bevölkerung, der immer größeren Ausweitung von Agrarflächen, insbesondere für den Sojaanbau, und auch in dem an kurzen Zeiträumen ausgerichteten Gewinnstreben vieler Holzhändler. Von diesen Tropenhölzern gelangt zwar nur ein geringer Teil nach Deutschland. Nichtsdestotrotz trägt Deutschland in der Zukunft eine große Verantwortung für die Sicherung unserer Lebensgrundlagen auch in den Tropenländern. ({0}) Um die Blockade der letzten Jahre aufzuheben, ist eine Vielzahl verschiedener Maßnahmen auf einer Vielzahl von Ebenen notwendig. Erwähnen möchte ich dabei den UN-Waldgipfel, der tatsächlich auf internationaler Ebene mit den Vereinten Nationen den Dialog über die Sicherung der Wälder verstärkt bzw. in Gang gesetzt hat, womit, wie ich glaube, für die Zukunft ein wichtiges Instrumentarium vorhanden ist, um Einfluss auf die Länder zu nehmen, in denen jährlich nach wie vor sehr viel Tropenwald vernichtet wird. Ein zweites Instrumentarium, das in den letzten Jahren bereits an Bedeutung gewonnen hat und in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen wird, ist die Zertifizierung nachhaltiger Holzbewirtschaftung, weil nur so sichergestellt werden kann, dass Holz aus Tropenwäldern, das hier und in Amerika, in Kanada oder auch in Staaten wie Japan verbraucht wird, einer sozial und vor allem umweltverträglich nachhaltigen Bewirtschaftung entstammt. ({1}) Dieses Instrumentarium haben Bündnis 90/Die Grünen und auch die SPD seit mehreren Jahren forciert. Wir haben die Organisationen, die die Zertifizierung des Forrest Stewardship Council unterstützen, mit aufgebaut, weil klar ist, dass wir dieses Instrumentarium unbedingt brauchen, während Sie von der Opposition es blockiert, abgelehnt und den Versuch der Verhinderung unternommen haben. ({2}) Ein weiterer wichtiger Schritt war die Reform der Hermes-Bürgschaften, die erst unter Rot-Grün gelungen ist. Auch hier hat die CDU/CSU keinerlei positiven Beitrag geleistet. Ich glaube, dass wir auf diese Art und Weise viele Projekte, die mit verantwortlich für die Waldzerstörung in Tropenländern sind, jetzt einer vernünftigen Bewertung unterziehen und in Zukunft sicherstellen können, dass so etwas nicht mehr vorkommt. Die Entwicklungszusammenarbeit ist unter Rot-Grün gestärkt, verbessert und insbesondere stärker an den Kriterien der Umweltverträglichkeit ausgerichtet worden. Ganz anders gelagert sind die Probleme des Waldes hier in Deutschland. Ich möchte allerdings vorausschickend sagen, dass wir hier in der Tat einen sehr hohen Waldbewirtschaftungsstandard haben; das möchte ich für Bündnis 90/Die Grünen unterstreichen. Das hat natürlich auch etwas mit der guten Arbeit der Forstwirte in Deutschland zu tun. ({3}) Trotz der Anstrengungen in den letzten Jahres zur Verbesserung des Waldzustandes müssen wir feststellen, dass wir zwar inzwischen eine Stagnation erreicht haben - der Waldzustand verschlechtert sich nicht weiter -, aber eine Tendenz zur Besserung bisher kaum, nur in Nuancen, erkennbar ist und von daher die Anstrengungen für die Luftreinhaltung, für die Reduzierung des Schadstoffausstoßes nicht nachlassen dürfen, sondern verstärkt werden müssen. Dies scheint auch die CDU nach jahrelangem Kampf erkannt zu haben; denn zum Wahlkampfauftakt hat sie erklärt, dass sie die Ökosteuer nun doch nicht mehr abschaffen möchte, sondern fortführen wird. Vielleicht wird sich diese Erkenntnis bei Ihnen auch auf anderen Politikfeldern noch durchsetzen. ({4}) Unter Rot-Grün ist die Förderung der erneuerbaren Energien massiv ausgebaut worden. Auch das wird dem Wald in zweierlei Hinsicht zugute kommen: zum einen, weil der Schadstoffausstoß durch die verstärkte Nutzung der regenerativen Energien reduziert wird, und zum anderen, weil wir den Landwirten auch über die Holznutzung bei der energetischen Verwertung neue Einkommensmöglichkeiten eröffnen. ({5}) Ich kann hier nur den Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Waldbesitzerverbände, Prinz zu Salm-Salm, unterstützen, wenn er sagt: Holzhaus statt Treibhaus. ({6}) Er hat Recht: Wir sollten die Nutzung von Holz am Bau intensivieren, noch stärker, als das unter Rot-Grün bereits passiert ist. ({7}) Ich warne trotzdem davor, dass wir in ein parteipolitisches Gezänk darüber verfallen, wie kurzfristige Erfolge bei der Luftreinhaltung und bei der Verbesserung des Waldzustandes erreicht werden können. Wir müssen uns hier auf eine mittelfristige oder sogar langfristige Entwicklung einstellen. Umso wichtiger ist es, jetzt intensiv daran zu arbeiten, dass der Schadstoffausstoß reduziert wird, dass wir neue Antriebstechnologien für den Individualverkehr entwickeln und dass wir die Nutzung erneuerbarer Energien ausweiten. Dafür steht Rot-Grün und dies wird nach der nächsten Bundestagswahl - auch unter Rot-Grün - fortzusetzen sein. Danke. ({8})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat der Kollege Ulrich Heinrich für die FDP-Fraktion das Wort.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute den Waldzustandsbericht. Ich möchte mich vornehmlich mit der Erfassung der Daten und mit den Erkenntnissen des Waldzustandsberichts auseinander setzen. Mir scheint, dass so einiges überholt ist und dass wir die Methoden weiterentwickeln müssen. Was wir heute wissen, ist nicht genug, um entscheidende, notwendige Maßnahmen zu ergreifen, mit denen das Waldsterben reduziert werden kann. Teilweise gibt es sogar aufgrund der Art und Weise der Erhebung - zum Beispiel, wenn man sich nur mit der Belaubung und mit der Belichtung der Bäume auseinander setzt und den Baumbestand rastermäßig erfasst - Ergebnisse, die von der Realität abweichen, was falsche Schlüsse zulässt. Die Methoden sind nicht mehr zeitgemäß. Ich möchte die Bundesregierung hier auffordern, von Level eins zu Level zwei zu kommen. Ich denke dabei an eine Verbreiterung der Parameter, mit denen die Dauerbeobachtungsflächen - sie existieren heute schwerpunktmäßig bereits analysiert werden. Es geht vor allen Dingen darum, einen neuen Bodenzustandsbericht - der erste ist vor 15 Jahren erstellt worden - zu erarbeiten. Ich möchte die Bundesregierung auffordern, dieses Projekt in Angriff zu nehmen. Die erste und letzte Bodenzustandsberichterhebung hat 1987 begonnen. Das ist jetzt 15 Jahre her. Wir müssen wieder wissen, was wir tun. Derzeit wissen wir das nicht, weil wir keine genaue Auskunft darüber haben, wie sich der Boden, die Bewurzelung und die gesamte Situation des Umfeldes der Bäume entwickelt haben. ({0}) Insofern brauchen wir mehr und aussagekräftigere Daten. Wir brauchen andere Parameter, um zu besseren Erkenntnissen zu kommen. Die wahrscheinlich sogar gut gemeinten Vorschläge der Bundesregierung, dem Wald zu helfen, zum Beispiel die Naturschutznovelle, verkehren sich allerdings ins Gegenteil. ({1}) Wer für ein generelles Kahlschlagverbot und für einen 10-prozentigen Biotopschutz sorgt, wer den Vertragsnaturschutz aushebelt und stattdessen mehr staatliche Gängelung einführt, hat den Forstwirt nicht mehr auf seiner Seite. Wer den Forstwirt nicht auf seiner Seite hat, wird mit seinen Bemühungen, dem Wald und dem Ökologiegefüge insgesamt zu helfen, keinen Erfolg haben. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stellen fest, dass mit der Novelle zum Naturschutzgesetz auch die Eigentumsfragen falsch beantwortet werden. Hier ist eine schleichende Enteignung festzustellen. Dagegen wehren wir uns ganz besonders. ({3}) Die Funktionen des Waldes - im Klimaschutz, im Bodenschutz, für die Artenvielfalt, aber auch als Rohstofflieferant - können nur erbracht werden, wenn der Wald wirtschaftlich betrieben werden kann. Wer glaubt, ausschließlich mit Steuergeldern den Wald erhalten zu können, der wird bald sehen, dass diese gesellschaftlich positiven Funktionen nicht mehr verwirklicht werden können. ({4}) Genau deshalb müssen wir die Wirtschaftlichkeit des Waldes in die Betrachtungsweise aufnehmen. Wir dürfen nicht so tun, als wäre das völlig gleichgültig. In den Ansätzen der Bundesregierung in den vergangenen drei Jahren haben wir leider Gottes genau das Gegenteil erfahren: nicht Unterstützung, sondern im Gegenteil Belastung auf allen Ebenen. Insofern möchte ich dringend davor warnen, diese Politik fortzusetzen. Die Politik muss geändert werden. Herzlichen Dank. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Heidi Wright.

Heidemarie Wright (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002832, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Jahr beginnt gut: Wir führen die Walddebatte. Wald ist, so meine ich, ein gutes, weil trotz aller Probleme perspektivisches Thema. Die Probleme zuerst. Es darf uns keinesfalls unberührt lassen, dass der Anteil der Bäume mit deutlichen Schäden nach wie vor bei 22 Prozent liegt, bei den Laubbäumen - der geliebten Eiche, der Buche gar - deutlich höher, bei 33 Prozent. Aber das Schadensniveau hat sich seit Anfang der 90er-Jahre wesentlich verbessert; Veränderungen sind jetzt nur noch in geringen Prozentbereichen festzustellen. Der Gesamtwaldbericht zeigt uns neben den nationalen Schäden gerade auch die erschreckende Zerstörung der Urwälder auf. Für alle Bereiche - im Nationalen wie im Internationalen - gilt es, durch politisches Handeln Verantwortung zu übernehmen. Das heißt, die Luft- und Bodenbelastung ist weiter zurückzuführen. Unsere Verantwortung liegt auch hier im Nationalen wie im Internationalen. Beide Bereiche haben Wechselwirkungen: Wenn wir national durch konsequente Luftreinhaltepolitik unsere ebenso ehrgeizigen wie notwendigen Ziele verfolgen, haben wir die besten Argumente, um diese Ziele auch international zu forcieren. ({0}) Wenn wir national eine Nachhaltigkeitspolitik als Querschnittsaufgabe mit Nachhaltigkeitsrat und Staatssekretärsausschuss verfolgen, haben wir die besten Chancen, diese Nachhaltigkeitsstrategien auch nach außen zu tragen. Wenn wir Naturschutz und Waldbewirtschaftung in Deutschland nach höchsten Kriterien betreiben und uns dazu ein Bundesnaturschutzgesetz und eine umfassende Zertifizierung auferlegen, werden wir auf Dauer einen Wettbewerbsvorteil erlangen. ({1}) Denn es ist doch ein Trugschluss, zu glauben, mit bequemen Standards oder einer wohlwollenden Freiwilligkeit Qualitätsziele erreichen zu können. Seien wir doch selbstbewusst! Sagen wir doch: Wir wollen im Naturschutz und in nachhaltiger Waldbewirtschaftung führend sein! ({2}) Es geht doch um mehr als um Bäume. Bei aller Wertschätzung für die Forstwirtschaft und die Waldbesitzer: Es geht um ein Ökosystem, das unsere Lebensgrundlage sichert. Damit sind wir längst bei den positiven Entwicklungen. Ich werde nicht müde, die neue Energiepolitik zu loben, die in mehrfacher Weise - die Kollegin Lemke hat es erwähnt - positive Auswirkungen auf Wald- und Forstwirtschaft hat. Tja, liebe Kollegen von der Opposition, da ist Musik drin! Da geht der Punk ab: beim EEG und beim KWK-Gesetz, beim Marktanreizprogramm und auch bei der Ökosteuer. Die rückt nämlich das Holz als Energieträger in das rechte Licht und auf die Erfolgsspur. ({3}) Wem zum Stichwort Energiepolitik nur die Atomkraft einfällt, der ist einfältig. Wer ist das? Der Kandidat. ({4}) Ich werde nicht müde, auch weiter die Zertifizierung nach FSC zu fordern, denn unsere deutsche Forstwirtschaft hat sich nicht hinter einem Wald- und Wiesenzertifikat zu verstecken. Müde hingegen kommt mir dagegen der Antrag der Opposition vor. Nein, wir werden die Schaffung eines Biotopverbundes auf 10 Prozent der Landesfläche nicht zurücknehmen. ({5}) Mich hat in diesem Zusammenhang der Deutsche Waldgipfel in Bad Honnef im Oktober letzten Jahres gefreut. Da gab es gute Ansätze zur Entkrampfung und die Einsicht in Notwendigkeiten, zum Beispiel auch bezüglich der Ausweisung weiterer Naturschutzflächen. Liebe Kollegen von der Opposition, ich komme zu einem weiteren Punkt Ihres Antrages: Wir forcieren die Entwicklung der Technik zur Minderung der Schadstoffe im PKW- und LKW-Bereich, nicht zuletzt auch durch die Ökosteuer, die kontinuierlich zu einem Minderverbrauch und zur Belebung der Nachfrage nach gering verbrauchenden Fahrzeugen führt. Sie, liebe Kollegen von der Opposition, vergessen dabei natürlich glatt die Emissionen der Landwirtschaft. Auch hier ist eine Verbesserung nötig, im Interesse des Waldes, aber auch im Interesse des Tierschutzes und der Verbraucher. Wenn Sie außerdem fordern, auch innerhalb der Gemeinschaftsaufgabe weitere finanzielle Verbesserungen für die Forstwirtschaft herbeizuführen, so müssen Sie sagen, was wir stattdessen innerhalb der GA wegnehmen sollen, denn die GA ist fest. Ich meine, die Zeit war noch nie so gut, die Wald- und Forstwirtschaft positiv im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern. Das ist auch notwendig. Ein Aufsatz in der aktuellen Ausgabe der „Allgemeinen Forstzeitung“ zeigt, dass nach wie vor nur 40 Prozent der Bevölkerung glauben, dass die Nutzung der heimischen Holzvorräte angemessen ist. Mehr als die Hälfte glaubt nach wie vor an was weiß ich alles: also an Raubbau, Übernutzung, oder vertritt die Forderung: Baum ab - Nein, danke! Das ist aber wirklich falsch. ({6}) Wir haben ein großes ungenutztes Potenzial heimischer Holzreserven und Holznutzung ist sinnvoll. Zum Schluss, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen: Wenn es uns, das heißt der Politik, den Waldbesitzern und den Interessenverbänden, künftig gelingt, über die Umsetzung des Bundesnaturschutzgesetzes oder die Novellierung des Jagdgesetzes zum Beispiel nicht ständig wegen Nichtigkeiten in Streit zu geraten und falschen Lobbyismus zu betreiben, dann schonen wir nicht nur uns selbst, sondern dienen auch dem Wald. Vielen Dank. ({7})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Als Letzter in dieser Debatte erteile ich das Wort der Kollegin Kersten Naumann für die PDS-Fraktion.

Kersten Naumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003197, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wenn meine Kollegin Heidi Wright sagt, das Jahr beginne mit Wald gut, bleibt dennoch wie jedes Jahr das gleiche Dilemma: Der Schadensdruck auf unsere Wälder übersteigt in Deutschland, aber auch EU-weit wesentlich das Maß dessen, was sie langfristig verkraften können. Die Zunahme der Waldschäden in Deutschland und auch in ganz Europa zeigt, dass sich die Umweltsituation trotz einiger beachtlicher Teilerfolge weiter verschlechtert. In Thüringen erwiesen sich zum Beispiel nur 16 Prozent der Laubgehölze und 34 Prozent der Nadelbäume als gesund. Darüber kann auch das Beschönigen im Waldzustandsbericht nicht hinwegtäuschen. Der Wald ist ein Bioindikator und ein Spiegel dafür, wie verschwenderisch unsere Gesellschaft mit den Ressourcen Luft, Wasser und Boden umgeht. Umweltschutz ist teuer, demzufolge wird er nur unzureichend gesellschaftlich und finanziell honoriert. Aber versäumter Umweltschutz wird noch teurer und ist für viele Wälder bereits tödlich. Es hört sich gut an, wenn es im Bericht heißt, dass der Stickstoffeintrag abnimmt und Waldböden heute langsamer versauern. Fakt ist aber: Das Waldsterben geht nur etwas langsamer voran, doch die Versauerung findet weiterhin statt, und das auf über 80 Prozent der Waldflächen. Die Belastung durch bodennahes Ozon, das aus den Auspuffgasen der Kraftfahrzeuge, aber auch in der Industrie entsteht, steigt weiter. Das Umweltbundesamt hat schon 1995 dokumentiert, dass die Konzentration dieses Gases auf 95 Prozent der Landesfläche die Grenze der Belastbarkeit von Wald und Menschen übersteigt. Der deutsche Wald leidet ungebremst unter den direkten und indirekten Folgen der Luftverschmutzung. Der Treibhauseffekt auf Waldökosysteme ist bekannt. Was nutzt denn ein Klimaschutzprogramm, wenn Handel mit Emissionen möglich ist? ({0}) Im Wissen darum, die Probleme immer auf die nachfolgenden Generationen abzuwälzen, ist der Weg in die falsche Richtung. Unsere Enkel werden uns dafür verdammen. Der Bioindikator Wald ist abhängig von wirtschaftlichen und Klimaeinflüssen, die nicht an der Grenze oder einem Gebirge Halt machen. Die von der OECD veröffentlichten Ergebnisse der Waldschadenserhebung in 30 europäischen Ländern belegen, dass der Anteil geschädigter Waldbäume weiter zunimmt. Europaweit am schwersten betroffen ist die Tanne, die zu 86 Prozent geschädigt ist, davon 43 Prozent schwer. In Deutschland ist die Buche am schwersten betroffen. 78 Prozent des Bestandes sind geschädigt, davon 24 Prozent schwer. Projekte des BUND wie der „Zukunftswald 2000“ sind sehr unterstützenswert, lösen allerdings allein das Problem nicht. Hier brauchen die Verbände eine weitaus größere Unterstützung. Das weitere Fortschreiten der sichtbaren Schäden an den Bäumen und das zunächst verborgene Fortschreiten der Bodenschäden sind nach wie vor alarmierend. Das jährliche gebetsmühlenhafte Verkünden der neuesten Schadensbilanz wird dem Problem ebenso wenig gerecht wie der Umgang dieser Gesellschaft mit Klimaschutz, BSE und Atomenergie. Deshalb ist es künftig politisch umso dringlicher, dass sich die EU-Staaten auf ein Gesamtkonzept einlassen, das die Wälder und damit das Klima, das Wasser und den Boden vor diesen Einflüssen - gemacht von Menschenhand, oder besser: begleitet von Politikerhand - schützt. Danke schön. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu Tagesordnungspunkt 10 a: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf Drucksache 14/6273 zu dem Waldzustandsbericht der Bundesregierung 2000 sowie zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zu diesem Bericht. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis des Waldzustandsberichts der Bundesregierung auf Drucksache 14/4967 den Entschließungsantrag auf Drucksache 14/5560 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 10 b: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/6750 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen zum Gesamtwaldbericht. Interfraktionell ist vereinbart, den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/8630 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und zur Mitberatung an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie zu überweisen sowie den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/8037 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und zur Mitberatung an den Finanzausschuss und an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 10 c: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Forstvermehrungsgutgesetzes, Drucksachen 14/7384 und 14/7998. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Enthaltung der PDS ist der Gesetzentwurf damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit haben Sie dem Forstvermehrungsgutgesetz in dritter Beratung zugestimmt. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zusatzpunkt 12: Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Waldzustandsbericht 2001 auf Drucksache 14/7946 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und zur Mitberatung an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, den Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder, den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und den Ausschuss für Tourismus zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung des Antrags der Abgeodneten KurtDieter Grill, Jochen-Konrad Fromme, Reinhard Freiherr von Schorlemer, weiterer Abgeodneter und der Fraktion der CDU/CSU Ausgleich für die nuklearen Entsorgungsstandorte Gorleben und Salzgitter ({0}) in Niedersachsen und Morsleben in SachsenAnhalt - Drucksache 14/7786 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss Die Reden sind zu Protokoll gegeben.1) Ich eröffne die Aussprache und schließe sie wieder. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/7786 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Zusatzpunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Vorhaben zukünftiges Transportflugzeug A400M - Drucksache 14/8024 Hierzu ist interfraktionell vereinbart worden, die Tagesordnung um Zusatzpunkt 14 zu erweitern: Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Für eine haushaltsrechtlich saubere Finanzierung und langfristig gesicherte Beschaffung des zukünftigen Lufttransportflugzeuges der Bundeswehr A400M - Drucksache 14/8077 Dieser Zusatzpunkt soll gemeinsam mit Zusatzpunkt 13 beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Für die Aussprache haben wir eine halbe Stunde vorgesehen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für die SPD-Fraktion dem Kollegen Volker Kröning.

Volker Kröning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002707, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Koalition und die Debatte haben eine fachliche und eine rechtliche Seite. Beides ist natürlich hoch politisch, wie die Begleit- musik zeigt. Zur Sache: Die Regierung hat entschieden, dass Deutschland sich an dem Projekt A400M beteiligt. Die Entscheidung ist nach langem Vorlauf - mehr im Außen- als im Innenverhältnis - am 12. Dezember 2001 gefallen, also nach Verabschiedung des Haushalts 2002. Vizepräsidentin Anke Fuchs 1) Anlage 6 Wenn diese Entscheidung zügig umgesetzt werden soll - und das ist der Wille der Koalitionsmehrheit und offenbar auch einer Mehrheit aller Parteien im Deutschen Bundestag mit Ausnahme der PDS -, gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder einen Nachtragshaushalt, wie ihn CDU/CSU und FDP fordern, oder das zweistufige Verfahren, das der Koalitionsantrag vorsieht. Den Nachtragshaushalt braucht man nicht. ({0}) Was Ihre Alternative angeht, meine Damen und Herren von der FDP und von der CDU/CSU, so merkt man die Absicht und ist verstimmt. Oder anders ausgedrückt: The same procedure as every year. Nebenbei: Es ist interessant, dass die FDP dem Antrag auf Erhöhung der Verpflichtungsermächtigung, den die CDU/CSU im letzten Herbst im Haushaltsausschuss und im Plenum gestellt hat, nicht zugestimmt hat. ({1}) Unabhängig davon, was das in der Sache heißt, wollen wir offenbar alle gleich gründlich vorgehen. Das tut die Koalition ohnehin. Der Side Letter der anderen Auftraggeber des Projektes war deshalb überflüssig. Zum Rechtlichen: Entscheidend ist der Parlamentsvorbehalt. Er ist aufgrund der Verfassung und des Haushaltsrechts zwingend. Dies hat das Bundesverfassungsgericht erst jüngst anlässlich des Organstreitverfahrens zum neuen strategischen Konzept der NATO klargestellt. Dieser rechtliche Rahmen wird durch das Vorgehen der Bundesrepublik im Außenverhältnis und durch die Entscheidung, die heute im Deutschen Bundestag fallen soll, nicht verletzt. Im Gegenteil, der Bundestag schließt den Präzedenzfall einer Einschränkung des Kernbereiches seiner Verantwortung aus. Der Parlamentsvorbehalt wird mit der Entschließung nicht aufgehoben, sondern mit den anstehenden Beschlüssen, auf die sich das Parlament heute verpflichtet, ausgeübt werden. Zur großen Politik: Mit dem, was wir heute entscheiden, ist die parlamentarische Zustimmung, die nach der deutschen Erklärung vom 18. Dezember 2001 - Zitat „so schnell wie möglich“ herbeigeführt werden soll, erreichbar. Oder anders gesagt: Damit ist Rechtssicherheit gewährleistet. Der Vertrag, den die OCCAR und die Airbus Military schließen sollen, wird dies umzusetzen haben. Das ganze rechtliche und politische Thema lässt sich in den Satz zusammenfassen: Man kann nur so viel bestellen, wie man bezahlen kann. ({2}) Ich bin sicher, dass die OCCAR rechtliche Risiken für sich und andere ausschließen wird. Für die Koalitionsfraktionen bleibt bei der Umsetzung des Beschlusses maßgebend, was zur Begründung des Antrages gesagt wird. Nach Meinung der Regierung sind für die Beschaffung 8,6 Milliarden Euro erforderlich. Sie versichert, dass dies alle Programmkosten einschließt. Man muss die Summe daher als Obergrenze ansehen. Alle weiteren Fragen werden beim Vollzug des Haushaltes 2002, also im ersten Quartal, wie der Antrag vorsieht, und nach Verabschiedung des Haushalts 2003 in einem anschließenden Verfahren zur Beschaffung der zweiten Tranche und Entsperrung der neuen Verpflichtungsermächtigung zu beantworten sein. In diesem Verfahren wird sich der Haushaltsausschuss auch mit den Berichten des Bundesrechnungshofes auseinander zu setzen haben. Wir haben uns jedenfalls vorgenommen, nicht die bei der Entscheidung zum Eurofighter begangenen Fehler zu wiederholen. Dem Auditorium kann ich nur sagen, dass sich in diesem Punkt die Berichterstatter aller Fraktionen einig sind. ({3}) Ich bitte das Haus, dem Antrag zuzustimmen, und hoffe, dass wir uns bei der Arbeit wieder zusammenfinden werden. Danke schön. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Kollege Dietrich Austermann für die CDU/CSU-Fraktion.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! CDU und CSU lassen sich von keiner Partei in diesem Hause übertreffen: wenn es um die Frage der Verteidigungsbereitschaft, ({0}) wenn es um die Frage der Bündnisfähigkeit, wenn es um die Frage der Verfassungstreue und wenn es um die Einhaltung der Vorschriften des Haushaltsrechts geht. ({1}) - Ja, wie die Vergangenheit, wie die 80er-Jahre - siehe NATO-Doppelbeschluss - gezeigt haben, geschieht dies gemeinsam mit der FDP. Dies gilt auch für die Entscheidung zum Eurofighter. Dies aber ist, Herr Kollege Kröning, in einem ganz anderen Verfahren abgelaufen, nämlich in einem sorgfältigen Verfahren, bei dem Haushalts- wie Fachausschuss schon ein halbes Jahr zuvor involviert waren und erst dann die Entscheidung getroffen worden ist. Wir lassen uns von niemandem übertreffen: bei der Frage der Europafähigkeit; hinsichtlich der Abstimmung mit unseren europäischen Partnern; auch in Fragen, wie im Bündnis gemeinsam reagiert werden muss, wie neue Transportkapazitäten geschaffen werden sollen, wie die Fähigkeit zur Krisenreaktion international sichergestellt werden kann. Deswegen sind wir für das Großflugzeug - auch in der erforderliche Zahl -, aber deswegen sind wir auch dafür, dass die Verfassung eingehalten wird, dass Recht und Ordnung Platz greifen. ({2}) Wenn man die in den letzten Tagen gemachten Äußerungen der Kollegen aus den Reihen der Koalitionsabgeordneten zitiert - ich will keinen von Ihnen desavouieren, indem ich ihn wörtlich zitiere und beim Namen nenne -, dann ist die Beschreibung, das, was die Regierung hier betreibe, sei eine „Sauerei gegenüber dem Parlament“, noch relativ harmlos. ({3}) Die Regierung hat versucht, das Parlament zu demütigen, es an den Rand zu drängen. Die Präsenz auf der Regierungsbank zeigt ja auch, dass man davon ausgeht, das werde schon laufen, egal, was das Parlament in dieser Frage beschließt. Worum geht es? Der Bundesverteidigungsminister hat am 18. Dezember einen Vertrag über die Beschaffung von 73 Flugzeugen unterzeichnet - ein umfangreiches Vertragswerk ohne Bedingungen. In dem Vertragswerk war eine Klausel enthalten, die besagt hat: Gezahlt wird nach Kostenentwicklung. Daneben wurde ein Side Letter vereinbart, in dem steht: Wenn die Zustimmung zu diesem Vertrag nicht bis zum 31. Januar dieses Jahres erteilt worden ist, das heißt, der Parlamentsvorbehalt Deutschlands beseitigt wird, kommt das Geschäft nicht zustande. Sie meinen, durch die von Ihnen vorgelegte Regelung in Form eines zweistufigen Verfahrens, das Sie auf einmal, seit gestern Abend, für denkbar halten, sei der Parlamentsvorbehalt ausgeräumt. Aber was haben Sie gemacht? Sie haben eine Regelung im Innenverhältnis getroffen, um die Koalitionsgemüter zu beruhigen, sie schläfrig zu machen und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie etwas erreicht hätten. Durchgesetzt haben sie aber erst dann etwas, wenn Herr Scharping zu den Partnern geht und sagt: Ich habe vom Parlament 5,1 Milliarden Euro bekommen; ich bitte um Verständnis dafür, dass wir das umfangreiche Vertragswerk ändern müssen. Dann haben sie sich durchgesetzt. ({4}) Wenn das nicht der Fall ist - für die 5,1 Milliarden Euro können Sie auch nicht die entsprechende Anzahl von Flugzeugen, nämlich 40 Stück, kaufen, wie sich das Herr Kröning seit Jahren vorstellt -, verstoßen Sie gegen die Verfassung. Dann wird noch heute von uns Verfassungsbeschwerde eingereicht. Ich will Ihnen sagen, weshalb die Regelung nicht in Ordnung ist. Ich habe gestern noch mit Industrievertretern gesprochen. Diese haben mir gesagt: Wenn es nicht zu der unbedingten Auftragserteilung über 73 Flugzeuge kommt, müssen die Entwicklungskosten auf die niedrigere Stückzahl umgerechnet werden. Für die 5,1 Milliarden Euro bekäme man dann nicht mehr 40, sondern vielleicht 30 Flugzeuge. Dann könnten Sie die zweite Tranche erst später, in einem zweiten Schritt machen. Dass Sie überhaupt versucht haben, durch eine Erklärung des Gesetzgebers, also dieses 14. Bundestages, eine Regelung zu schaffen, die in die Zukunft des Jahres 2003 reicht, beruht vielleicht auf Ihrem Wunschdenken, ist zugleich aber wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz der Diskontinuität verfassungsrechtlich nicht in Ordnung. ({5}) - Herr Opel, wer seit drei Jahren den entscheidenden Fehler macht, die Bundeswehr unterzufinanzieren, der Bundeswehr nicht genügend Geld zu geben, muss sich heute nicht über die Wirkung dessen entrüsten, ({6}) nämlich dass mittelfristig nicht genügend Geld da ist, um dieses Vorhaben in der von uns gewünschten Stückzahl zu verwirklichen. Genau das ist die Wahrheit, vor der wir heute stehen. ({7}) Was wir zu dieser Frage gesagt haben, ist vom Bundesrechnungshof, vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, vom Bundestagspräsidenten und natürlich auch von Ihnen bestätigt worden. Sie selbst haben gesagt, man könne es so nicht machen und das sei schon ein gewisser Erfolg gegenüber der Bundesregierung. Damit ist deutlich geworden, dass hier versucht wurde, sich so zu verhalten, als sei der Bundestag die Volkskammer, ein Akklamationsorgan, das gerade noch bestätigen darf, was die Regierung vorher beschlossen hat. Inzwischen haben Sie erreicht, dass es zu einer internationalen Blamage gekommen ist. ({8}) Die Bundesregierung hat sich sicherheits-, außen- und verteidigungspolitisch blamiert. ({9}) Dabei spielt nicht so sehr eine Rolle, dass sich die Bundesregierung blamiert hat und von vielen Seiten gerufen wird: Jeden Tag ein neuer Skandal. Das Schlimme ist vielmehr, dass Sie auch unser Land und die deutsche Industrie blamiert haben. Ich sagte schon, dass ich gestern mit leitenden Vertretern des Unternehmens gesprochen habe, das auf den Auftrag wartet. Diese haben mir beschrieben, welche Vorbereitungen sie getroffen haben - auch in den neuen Bundesländern -, um sicherzustellen, dass dort in nächster Zeit Hightecharbeitsplätze geschaffen werden können. ({10}) Auch diese haben gesagt: Bei unseren europäischen Partnern brauchen wir uns angesichts dieser Blamage, die hier angerichtet worden ist, heute schon bald nicht mehr sehen zu lassen. Wenn es eines zusätzlichen Grundes für den Bundeskanzler bedurft hätte, den Verteidigungsminister zu entlassen, wäre dies der letzte und ein ganz wesentlicher Grund gewesen. ({11}) Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler selbst trägt dafür die Verantwortung. Er hat Mitte November gegenüber dem französischen Präsidenten Chirac gesagt: Wir kaufen die 73 Flugzeuge. Er musste wissen, dass weder über die Stückzahl noch über die Typenzahl, über die Bewaffnung oder die technische Ausgestaltung der Flugzeuge je im Verteidigungs- oder Haushaltsausschuss gesprochen worden ist. ({12}) Wenn eine Prüfung erst erfolgt, Herr Kollege Zumkley, nachdem der Auftrag erteilt worden ist, macht sich das Parlament erneut lächerlich. Genau das wollen wir verhindern. Nein, der Bundeskanzler trägt in dieser Frage selbst die Verantwortung. Er hat dafür gesorgt, dass wir desavouiert wurden, weil er dem Verteidigungsetat nicht die erforderlichen Mittel eingeräumt hat. Das ist das eigentliche Problem, vor dem wir heute stehen: ist die Unterfinanzierung der Bundeswehr. Meine Damen und Herren, wir haben Ihnen mehrfach, und zwar bei den Beratungen zu den Haushalten 2001 und 2002, die Hand gereicht, um eine verfassungsmäßige Entscheidung zu treffen. In den zweiten Lesungen zu den Haushalten 2001 und 2002 haben wir jeweils Erhöhungsanträge im erforderlichen Maße gestellt. Sie haben dies alles pomadig und schnodderig abgelehnt, weil Sie geglaubt haben, Sie brauchten die Opposition nicht. Offensichtlich brauchte man uns hier und heute, nämlich um deutlich zu machen, dass es ohne eine ordentliche Arbeit des Parlaments nicht geht. Wir sind dafür eingetreten, weil wir das Projekt wollen, aber unter Beachtung der Verfassung. Meine Damen und Herren, Ihrem Antrag können wir in dieser Form - über ihn wird komplett abgestimmt - nicht zustimmen. Wir wollen das Flugzeug, wir wollen aber auch die Verteidigungsbereitschaft, die Bündnistreue und die Verfassungstreue. ({13})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Kollege Oswald Metzger für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu vorgerückter Stunde erlebt man schon ein merkwürdiges Spiel. Kollege Austermann muss sich anstrengen, hier zu vertreten, warum die Union ein Projekt will, sie aber formalrechtlich jetzt einen Eiertanz um die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen anstellt. ({0}) Genau das ist der Punkt. ({1}) - Herr Fraktionsvorsitzender Merz, Sie hätten heute Abend die Verteidigungspolitiker Ihrer Fraktion bei einer namentlichen Abstimmung nicht auf die Linie gebracht, um hier die Position zu halten. Das ist der Punkt. ({2}) Kollege Austermann, an Großprojekten wie dem Eurofighter können wir feststellen, welches Scherbengericht Sie in Sachen Bundeswehrfinanzierung hinterlassen haben. ({3}) 3 Milliarden DM hat diese Republik in den letzten drei Jahren allein für die Preisgleitklauseln, die Verteidigungsminister Rühe im Juni 1998 unmittelbar vor der Bundestagswahl durchgepuscht hat, zusätzlich bezahlen müssen. ({4}) Aufgrund dieser Preisgleitklauseln haben Sie die Haushalte bis zum Jahr 2015 mit Ausgaben für Flugzeuge belastet, die die Kosten explodieren lassen. Kollege Austermann, das war ein wirklicher „Jäger light“: Sobald die Flugzeuge der Bundeswehr zulaufen, müssen wir Kampfwertsteigerungen finanzieren; denn außer fliegen können diese nichts. Sie haben keine Defensivavionik und keine Bewaffnung. Das war eine solide Verteidigungspolitik der Union! Sie brauchen sich inhaltlich wirklich nicht aufzublasen. ({5}) Natürlich braucht die Bundeswehr ein modernes Transportflugzeug. Natürlich ist es gut, dass wir das als gemeinsames europäisches Projekt durchführen. Ich sage das nur, um deutlich zu machen, dass es für dieses Transportflugzeug sehr, sehr gute inhaltliche Gründe gibt. Jetzt komme ich aber zu dem Punkt, der auch angesichts der von Ihnen angekündigten Organklage zu dieser Stunde interessiert: Natürlich gab es an diesem Punkt einen Konflikt zwischen Parlament und Regierung. ({6}) Das räume ich als Haushaltssprecher ein. Ich spreche an dieser Stelle nicht umsonst auch für unsere Fraktion. Kollege Kröning hat ganz zu Recht darauf hingewiesen, dass wir im Rechtssinne mit diesem Entschließungsantrag unserer Regierung keine Ermächtigung geben, 8,6 Milliarden Euro unter Vertrag zu nehmen, so wie es im Industrievertrag vom 18. Dezember geschrieben steht. ({7}) Diese Untervertragnahme des Gesamtprojektes kann erst im nächsten Jahr, wenn das Haushaltsgesetz 2003 verabschiedet wurde, stattfinden. ({8}) Bis dahin ist der Vertrag rechtlich schwebend unwirksam. Der Bundesverteidigungsminister könnte aber eine Zusatzvereinbarung mit den Partnern abschließen, sodass es zu einem faktisch zweistufigen Verfahren kommt: Wenn der Haushaltsausschuss bis Ende März die Entsperrung der 5,1 Milliarden Euro beschlossen hat, kann die Bundesrepublik über diese Summe auch in einem Vertrag mit Außenwirkung gegenüber den europäischen Partnern verfügen. Für die Zahlung des Restes der Summe müssten dann die notwendigen parlamentarischen Voraussetzungen im nächsten Jahr abgewartet werden. Das ist ein ganz klares und sauberes Verfahren. ({9}) - Das ist kein Eiertanz, das ist die Wahrung der Interessen des gesamten Parlaments. ({10}) Sie werden noch daran denken, wenn wir im März im Haushaltsausschuss darüber reden. Sie werden dann der Erste sein, der sich bei der Finanzierung und bei der Vertragsgestaltung einmischen und Fragen zu einer möglichen Verdrängung von anderen militärischen Beschaffungsmaßnahmen aufgrund der Größe des Projektes stellen wird. Sie werden dann wieder die große Arie singen, wie schlecht das Ganze vorbereitet sei. Dabei haben wir dafür gesorgt, dass aus dem Datum des 31. Januar 2002, das die Vertragspartner wollten, tatsächlich eine Frist von einem Quartal geworden ist, sodass der Bundesverteidigungsminister die Chance hat, dem Haushaltsausschuss eine korrekte Beschaffungsvorlage zuzuleiten, die wir als Parlament seriös beraten können. Es geht um Summen - das ist wichtig auch für die Öffentlichkeit - von mindestens 8,6 Milliarden Euro. ({11}) Allein durch eine Preisgleitklausel von vielleicht 3 Prozent stiege diese Summe über den Zeitraum des Vertrags um 41 Prozent. Es ist das größte Rüstungsbeschaffungsvorhaben, das in dieser Republik bisher parlamentarisch beschlossen wurde. Dafür müssen sämtliche fiskalische Voraussetzungen stimmen. Darauf werden wir als Koalition und hoffentlich auch Sie als Opposition pochen. Vielen Dank. ({12})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht der Kollege Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Metzger tat mir eben Leid. Er war im Visier seines Fraktionsvorsitzenden, der aus dem gleichen Landesverband kommt. Bekanntlich gibt es dort ja ein paar Probleme. Vielleicht hat der Kollege Metzger in den Augen seines Fraktionsvorsitzenden bestanden und darf einen Platz aufrücken. Ich würde sagen: Hier im Parlament sollte er eher ein paar Plätze nach hinten rücken. Wie kann man sich nur so verbiegen? ({0}) Der Kollege Metzger hat gesagt: Das ist das größte Projekt, das wir im Verteidigungsbereich je beschlossen haben. Er hat Recht. Ich frage dann allerdings die rotgrüne Koalition, ob sie sich nicht schämt, auf diese Art und Weise so ein großes Projekt im Parlament diskutieren zu lassen. ({1}) Was ist das für ein Armutszeugnis, dass Sie das größte Beschaffungsprojekt der Bundeswehr am Haushaltsausschuss und an den Fachausschüssen vorbei - man möchte fast sagen: bei Nacht und Nebel - hier beschließen wollen? Das ist inzwischen Ihr Stil! Wenn man Ihren Antrag sieht, dann fragt man sich: Was wollen Sie mit diesem Antrag? An wen richtet sich dieser Antrag? Der erste Teil ist Lyrik. Dort schreiben Sie etwas über die 73 Maschinen. Uns brauchen Sie nicht zu bekehren. Der Kollege Austermann hat darauf hingewiesen, dass sowohl die CDU/CSU wie die FDP in den Haushaltsberatungen für die 73 Maschinen waren. Wer war dagegen - Rot-Grün war dagegen. ({2}) Wofür machen Sie diesen Antrag? Das ist ganz klar: Sie legen ihn zu nichts anderem vor als zur Disziplinierung der eigenen Truppe. ({3}) Deswegen tat mir der Kollege Metzger so Leid, als er hier eben gesprochen hat. ({4}) Ich darf in diesem Zusammenhang eine Agenturmeldung der ap vom Wochenende zitieren: Trotz scharfer Warnungen des SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck bekräftigte Grünen-Haushaltsexperte Oswald Metzger am Sonntag die Absicht, seiner Partei zu empfehlen, im Bundestag gegen den Ankauf von 73 Stück des militärischen Transportflugzeuges Airbus A400M zu stimmen. Weiter heißt es: Metzger bekam dafür erstmals Unterstützung aus der SPD. Die Begeisterung springt Rot-Grün förmlich aus den Augen, bei diesem großen Projekt zustimmen zu müssen. Das ist nicht zu übersehen. ({5}) Kollege Metzger hat noch eines vergessen - das gehört zur Geschichte dieser Beschaffung dazu -: Das Ganze lief so ab, dass morgens eine Koalitionsrunde tagte. Dabei waren, wie man den Agenturmeldungen entnahm, der Kollege Schlauch, der Kanzler und diverse andere Größen dieser Republik: Dort beschloss man, 73 Flugzeuge zu beschaffen. ({6}) Nachmittags um 14 Uhr tagte dann der Haushaltsausschuss. Ich habe den Kollegen Metzger - das ist dem Protokoll zu entnehmen - darauf aufmerksam gemacht, was diese Runde morgens beschlossen hat. Was hat die rot-grüne Koalition daraufhin im Haushaltsausschuss beschlossen? 40 Flugzeuge, und zwar trotz des Beschlusses am Vormittag! Kommen Sie mir doch nicht damit, dass es neue Zahlen und Fakten gegeben habe. Nein, Sie wollten nicht, sonst hätten Sie unseren Anträgen zustimmen können. ({7}) Wofür haben Sie gesorgt? Sie haben mit Ihrer Entscheidung im Haushaltsausschuss und mit dem Haushaltsplan 2002 dafür gesorgt, dass wir einen außenpolitischen Schaden erlitten haben. Sie haben dafür gesorgt, dass wir industriepolitisch und militärpolitisch Schaden genommen haben. Insgesamt haben wir Schaden genommen, weil der Verteidigungsminister einen Vertrag unterschrieben hat, den er gar nicht unterschreiben konnte. Das Misstrauen der Partner ist entsprechend groß gewesen. Sie haben nämlich in den Vertrag hineingeschrieben: Rudolf Scharping muss uns sein Okay bis Ende Januar geben, sonst platzt die ganze Geschichte. - Aus diesem Grunde sitzen wir heute hier. Jetzt müssen Sie plötzlich ohne Vorlage, Diskussion und Begründung etwas nachliefern. Ich sage Ihnen dazu: Ihr Antrag, auch wenn Sie Ihn mit einer Mehrheit beschließen, ist null und nichtig und bringt überhaupt nichts. ({8}) Ich habe Ihnen bereits heute Morgen in der Geschäftsordnungsdebatte vorgelesen, was Art. 110 des Grundgesetzes dazu enthält. Sie verstoßen eindeutig gegen diesen Artikel. Wenn es so wäre, dass man es so machen könnte, wie es der Verteidigungsminister macht und wie Sie es in Ihrem Antrag machen, dann fiele mir noch sehr viel ein, was die Bundeswehr braucht. Wie wäre es dann noch mit ein paar U-Booten? Die könnten wir auch gleich so beschließen. Wie wäre es mit einem Lazarettschiff samt entsprechender Ausrüstung? - Das können wir doch alles in dieser Form machen. So unsolide ist Ihr Antrag. Sie werden nicht erwarten, dass wir Ihrem Antrag zustimmen. Natürlich sind wir - darin müssen Sie uns nicht bekehren - für die 73 Flugzeuge. ({9}) - Da müssen Sie nicht „Ah!“ rufen. Das haben wir doch schon im Haushaltsausschuss so bekundet. Sie haben aber dagegen gestimmt. Dort hätten Sie einmal „Ah!“ rufen sollen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Sie aber haben nicht mehr so viel Zeit, etwas zu sagen, Herr Kollege Koppelin. Ihre Redezeit ist nämlich abgelaufen.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, ich weise dann abschließend nur noch einmal darauf hin, dass dieser Beschluss haushaltsrechtlich ohne jede Bedeutung ist. Deswegen werden wir zwar für die Flugzeuge stimmen, aber die haushaltspolitischen Ansätze in Ihrem Antrag ablehnen. Vielen Dank. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt der Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von mehreren Rednern der Koalition wie auch der Opposition ist zutreffend festgestellt worden, dass das Transportflugzeug aus mehreren Gründen eine enorme Bedeutung hat: erstens für die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik und für das Schließen einer Lücke, die im Bereich dieser Fähigkeiten besteht; zweitens für die Erfüllung der Anforderungen, auf die sich die beteiligten Nationen innerhalb der NATO und auf der Grundlage ihres neuen strategischen Konzepts verpflichtet haben. Zudem - drittens - beweist auch die aktuelle Entwicklung, wie dringend notwendig es ist, dass die Europäer gemeinsam, mit einem angemessenen deutschen Beitrag, ihre Fähigkeitslücken im Bereich des strategischen Lufttransports, aber auch in anderen Bereichen schließen. Das ist auf dem Weg. Die Entscheidung, die heute getroffen wird, ist dafür von besonders großer Bedeutung. Hinsichtlich der Zahl 73 will ich jetzt auf Kapazitätsberechnungen, Erfordernisse und dergleichen - schon mit Rücksicht auf die fortgeschrittene Zeit - nicht eingehen. Ich möchte aber doch feststellen, dass wir uns angesichts der Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland, in der NATO wie in der europäischen Sicherheitsund Verteidigungspolitik, eher an der unteren Grenze des Erforderlichen bewegen. Vor diesem Hintergrund wird vielleicht verständlich, warum die Bundesregierung und auch der Bundesverteidigungsminister besonders intensiv und mit einigem Erfolg darum gerungen haben, dass wir eine Koordinierung des europäischen Lufttransports erreichen, dass wir ein gemeinsames Unterstützungsabkommen der europäischen Nationen abschließen und dass wir eine - bisher jedenfalls - für Europa einmalige deutsch-niederländische Vereinbarung zur gegenseitigen Unterstützung und übrigens auch zur Finanzierung gemeinsamer Lufttransportkapazitäten verwirklichen. Ich weise darauf hin, dass das Schließen dieser und auch anderer Fähigkeitslücken entscheidend dafür ist, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre außen- und sicherheitspolitische Verantwortung wahrnehmen kann. Im Übrigen ist es auch wegen der Soldaten, die wir in interJürgen Koppelin nationale Einsätze schicken, entscheidend, diese Fähigkeitslücken zu schließen. ({0}) Es hat keinen Sinn, es bei einer gewissermaßen rhetorischen Bekundung des Respekts, der Anerkennung und des Dankes für die außerordentliche Leistungsfähigkeit der Bundeswehr zu belassen. Man sieht derzeit in Afghanistan, wie ungewöhnlich hoch die Leistungsfähigkeit und das Verantwortungsbewusstsein der Soldaten sind. Dann aber ist es die Verpflichtung des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung, diesen berechtigten Worten der Anerkennung und des Dankes auch die Taten folgen zu lassen - auf der Seite der Ausrüstung, vor allem der logistischen Systeme -, die den Einsatz der Soldaten auf Dauer erst vertretbar machen. ({1}) Das geschieht heute. Vor diesem Hintergrund will ich - damit das Tableau vollständig ist - noch darauf hinweisen, dass sich die Europäer auch im Bereich der Wettbewerbsfähigkeit, der Technologie und ihrer Arbeitsplätze entsprechende Möglichkeiten erschließen. Das, was die Opposition einwendet, ist für mich vor dem Hintergrund eines Wahljahres in begrenztem Umfang nachvollziehbar.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Merz?

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Wenn Sie meine Redezeit anhalten.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die ist längst angehalten.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Das ist freundlich von Ihnen, Frau Präsidentin.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das ist bei uns so Sitte. - Bitte, Herr Merz.

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesverteidigungsminister, könnten Sie nach der Rede des Kollegen Metzger nicht nur der interessierten deutschen Öffentlichkeit, sondern auch dem Deutschen Bundestag sagen ({0}) - ich finde das, was Sie beim Haushalt veranstalten, nicht so spaßig; wenn Sie die Probleme, die Sie mit dem Haushalt haben, nicht zur Sprache bringen, dann werden wir es tun -, ({1}) wie der vorbehaltlose Vertrag aussehen wird, den Sie mit Wirkung vom 31. Januar 2002 abzuschließen gedenken? Können Sie mir dazu die entsprechenden Zahlen nennen?

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Herr Kollege Metzger, Sie verkennen die Sachlage. ({0}) Herr Merz, Sie verkennen die Sachlage. Ich finde es erstaunlich, dass Sie als Fraktionsvorsitzender - Sie waren doch auch einmal Mitglied des Europäischen Parlaments und hatten dort ab und zu mit solchen Fragen zu tun nicht wissen, dass die Bundesregierung nach einem Gespräch mit den Spitzen der Koalitionsfraktionen sowie nach einer Erörterung mit dem Finanzminister und mit anderen Mitgliedern der Bundesregierung, insbesondere mit dem Bundeskanzler, den Verteidigungsminister beauftragt hat, den Industrievertrag, den Vertrag zwischen OCCAR und Firma, sowie das Regierungsabkommen mit Parlamentsvorbehalt zu unterschreiben. Es war also korrekt, dass ich die Verträge wie alle vorangegangenen Vereinbarungen mit Parlamentsvorbehalt unterschrieben habe. Das war korrekt. - Ihr Kollege Schmidt, der Justiziar Ihrer Fraktion ist, nickt zustimmend. Wenn der Deutsche Bundestag - das ist das Interesse der Partnernationen; ich werde darauf gleich noch eingehen; Sie haben mich davon mit Ihrer nicht sonderlich erregenden Zwischenfrage abgehalten ({1}) einen entsprechenden Beschluss fasst, werden wir unseren Partnernationen mitteilen, dass der Deutsche Bundestag das Vorhaben uneingeschränkt unterstützt, wie es sich aus dem ersten Satz der Ziffer 1 der Entschließung ergibt. ({2}) Vor diesem Hintergrund - das ist das, was ich Ihnen schon sagen wollte, bevor Sie mich unterbrochen haben habe ich im Vertrauen auf die Koalition und ihre Entschlossenheit, die Politik der Bundesregierung zu unterstützen, heute, am späten Nachmittag, alle erreichbaren Kollegen Verteidigungsminister der Partnernationen angerufen. Ich denke, das gehört sich so. ({3}) Ich bin nun in der angenehmen Lage, Ihnen mitteilen zu können, dass alle meine Kollegen aus den Partnerländern - ich habe mit allen gesprochen, außer mit dem belgischen Verteidigungsminister, der sich in Vietnam befindet - die Entscheidung des Deutschen Bundestages ausdrücklich begrüßen, dass sie dieses klare politische Signal des Deutschen Bundestages für richtig halten und sie die haushaltsrechtlichen Auseinandersetzungen, die in Deutschland geführt werden, sehr wohl einzuschätzen wissen. Das ist für mich der wichtigste Punkt. Im Übrigen kann ich verstehen, dass man solche Diskussionen wie die jetzige führt. Aber für Folgendes habe ich weniger Verständnis: Sie beklagen zwar immer die Finanzausstattung der Bundeswehr, bringen mich aber beispielsweise in die Lage, für das Beschaffungsvorhaben Eurofighter fast 3 Milliarden DM durch den Haushaltsausschuss und den Verteidigungsausschuss schleusen zu müssen, um das, was Sie beim Eurofighter versäumt haben, Bundesminister Rudolf Scharping, nachzufinanzieren. Was glauben Sie, wie froh ich wäre, wenn Sie dieses Projekt seriös finanziert hätten und wenn mir diese 3 Milliarden DM noch für andere Zwecke zur Verfügung stünden! ({4}) Vor diesem Hintergrund bedanke ich mich bei der Koalition einschließlich ihrer Haushälter für ihre Unterstützung der Politik der Bundesregierung. Sie dürfen sicher sein, wir werden dieses große europäische Projekt so voranbringen, dass es im Interesse der Streitkräfte, der europäischen Sicherheitspolitik und unserer gemeinsamen Position in der NATO verwirklicht werden kann. Vielen Dank. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Heidi Lippmann für die PDSFraktion. ({0})

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde jetzt gern die Bestellung von 73 A400M ganz streichen. ({0}) Laut Bundesrechnungshof würden wir mindestens 9,4 Milliarden sparen. Wenn wir dann noch die Verträge für den Eurofighter aussetzten, kämen noch einmal 22 Milliarden hinzu. Was glauben Sie, welch große Sympathien Sie sich in der Bevölkerung mit solchen Beschlüssen erwerben würden? Sie würden glatt mit einer Mehrheit wiedergewählt werden - denke ich -, von der Sie eigentlich nur träumen können. Wenn es bei dieser Debatte nicht um das größte Beschaffungsprogramm im Rüstungsbereich ginge, dann würde ich sagen: Dieses Projekt ist die größte Lachnummer in der Ära Scharping, die wir in den vergangenen drei Jahren erlebt haben. Die PDS wird natürlich keinem Ihrer Anträge zustimmen, weil Sie alle unisono erklärt haben - das hat Herr Scharping eben zu Recht ausgeführt -, dass Sie die 73 A400M beschaffen wollen, und weil damit dann auch der Parlamentsvorbehalt entfällt. Man muss sich im internationalen Kontext darüber austauschen, inwieweit das deutsche Haushaltsrecht für solche internationalen Verträge, die mit der Wirtschaft und den Partnern geschlossen werden, überhaupt eine Relevanz hat. Das andere werden Sie ja dann gegebenenfalls in Karlsruhe klären. Wenn man die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee umbauen will, dann - das wissen wir alle - muss man sie natürlich auch entsprechend ausstatten. Sie alle haben gesagt, dass das ihr erklärter politischer Wille ist. Von daher sollten Sie zusehen, wie Sie jetzt mit Ihren haushaltstechnischen Problemen zurechtkommen. Die Kritik, die aus der Opposition gekommen ist, ist in nahezu allen Punkten berechtigt, was das Verfahren angeht. Sie werden in der Zukunft sehen, ob Sie für dieses Beschaffungsprojekt eine ähnliche Kritik wie die frühere Bundesregierung für das Eurofighter-Projekt werden einstecken müssen. Herr Kollege Metzger, ich möchte Sie noch an Folgendes erinnern: Als Sie 1998 in den Wahlkampf gegangen sind, haben Sie gefordert, das Eurofighter-Projekt zu streichen. Kollegin Beer hat das seinerzeit in ihrer Haushaltsrede 1998 noch als Wahnsinnsprojekt bezeichnet. Heute treten Sie mit der gleichen Vehemenz, mit der damals Schwarz-Gelb für den Eurofighter eingetreten ist, für den A400M ein. ({1}) Wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinen werfen, Herr Kollege. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Der Bedarf zur Beschaffung wird ausschließlich über die neuen Einsatzoptionen der Bundeswehr definiert. Dass die neuen Lufttransporter auch zum Zwecke der Katastrophenhilfe eingesetzt werden können, ist lediglich ein Nebeneffekt, der unter dem Stichwort „dual use“ verbucht werden kann. Ganz interessant ist die ddp-Meldung, die heute Nachmittag gekommen ist, nach der der Bundesrechnungshof noch einmal bestätigt, dass man davon ausgeht, dass die vorläufigen Kosten des Gesamtprojekts von 8,6 Milliarden Euro auf insgesamt 9,4 Milliarden Euro steigen werden. Ich zitiere die ddp-Meldung jetzt wörtlich: Der Bundesrechnungshof stellt in seinem geheimen Bericht unter dem Kapitel „Bedarfsbegründung“ die Fehlplanung nüchtern fest: Selbst nach Beschaffung des von den Militärs gepriesenen neuen Airbus müsste die Bundeswehr - wie gerade beim Einsatz in Afghanistan - weiter auf ausländische Großraumtransporter zurückgreifen, um ihr schweres Gerät zu weltweiten Missionen befördern zu können.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Lippmann, jetzt muss ich Sie an Ihre Redezeit erinnern.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich komme zum Schluss. Es heißt darin weiter: Der A400M ist nicht in der Lage, die Leo 2, die Marder, die Transporthubschrauber zu transportieren, weshalb auch weiterhin Antonows und Belugas angemietet werden müssen. - Das sagt - wohlgemerkt - der Bundesrechnungshof.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Lippmann, Sie wissen: Ich bin nicht gerne Wiederholungstäterin.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Mein letzter Satz, Frau Präsidentin. Bundesminister Rudolf Scharping, Dem Bundesrechnungshof fehlen die Unterlagen genauso wie diesem Haus. Wir werden alle Anträge ablehnen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Machen Sie eine vernünftige Politik; dann kann man darüber reden. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Friedrich Merz. Die SPD-Fraktion hat noch die Möglichkeit, die ihr verbliebenen zwei Minuten Redezeit zu nutzen.

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundesverteidigungsminister ist der Beantwortung meiner Frage, die sich ausdrücklich auf den Wortbeitrag des Kollegen Metzger bezogen hat, sehr kunstvoll ausgewichen. ({0}) Er hätte nicht mehr tun müssen, als das zu bestätigen, was der Kollege Metzger hier gesagt hat. Ich frage Sie daher jetzt noch einmal, Herr Scharping, und ich bitte um eine präzise Antwort. Sie haben durch den Haushaltsgesetzgeber, den Deutschen Bundestag, eine Ermächtigung zum Eingehen eines Vertrages über ein Gesamtvolumen in Höhe von 5,1 Milliarden Euro. Sie beabsichtigen, einen Parlamentsvorbehalt auf der Grundlage des Antrages, der heute Abend von SPD und Grünen vorgelegt worden ist, in Höhe eines Gesamtvolumens von 6 Milliarden Euro aufzuheben. Ich stelle hier noch einmal konkret die Frage: Beabsichtigen Sie, diesen Parlamentsvorbehalt gegenüber den Firmen, bei denen bestellt werden soll, und gegenüber den europäischen Partnern in der Größenordnung von 5,1 Milliarden Euro oder in der Größenordnung von 8,6 Milliarden Euro aufzuheben? Ich fordere Sie auf, diese Frage hier klipp und klar zu beantworten, Herr Verteidigungsminister. ({1}) Ich sage Ihnen, damit Sie genau wissen, was hier bevorsteht: Wenn Sie diese Frage nicht mit einer nochmaligen Wortmeldung von diesem Pult aus klar beantworten - ({2}) - Ja, Entschuldigung, meine Damen und Herren, hier geht es nicht um irgendwelche Kleinigkeiten; hier geht es um das verfassungsmäßig verbriefte Haushaltsrecht des Deutschen Bundestages! ({3}) In diesem Lande gelten Regeln. Sie gelten auch noch lange, nachdem Sie aus dem Amt geschieden sind. Aber solange Sie noch im Amt sind, haben Sie sich an diese Regeln zu halten und wir erwarten von Ihnen, dass hier Klarheit geschaffen wird. ({4}) Ich sage Ihnen das jetzt, damit Sie das ganz klar wissen, Herr Scharping: Ich habe hier den Text eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rahmen eines Organstreitverfahrens des Deutschen Bundestages gegen die Bundesregierung in der Hand. Wenn Sie diese Frage hier nicht beantworten, geht dieser Antrag dreißig Minuten nach Schluss der Debatte an das Bundesverfassungsgericht. ({5}) Ich sage das, damit Sie wissen, dass wir diesen Sachverhalt ernst nehmen ({6}) und dass wir uns als Gesetzgeber von Ihnen nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Ich sage Ihnen zum Abschluss noch eines: Wenn wegen dieses Sachverhaltes das gesamte europäische Projekt scheitert, dann sind Sie allein dafür verantwortlich und niemand anders! ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache und wir kommen zu den Abstimmungen. ({0}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Fraktion hat angekündigt, dass sie nicht von ihrem Rederecht Gebrauch macht, und deshalb kommen wir zu den Abstimmungen. Es gibt einen Antrag des Kollegen Koppelin zur Geschäftsordnung.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Dieser Vorgang ist einmalig. Wenn der Führer einer Oppositionsfraktion eine so gravierende Frage stellt und der Bundesverteidigungsminister sie nicht beantwortet, so ist das einmalig. Ich beantrage eine Unterbrechung der Sitzung um 15 Minuten. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Gibt es eine formelle Gegenrede gegen den Antrag? - Dann ist die Sitzung auf diesen Antrag hin für 15 Minuten unterbrochen. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich erteile zur Geschäftsordnung zunächst dem Kollegen Friedrich Merz das Wort.

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da ich höre, dass der Kollege Struck eine Erklärung zur Abstimmung abgeben möchte, möchte ich namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion noch einmal mit Nachdruck darum bitten, dass die Bundesregierung hier eine Erklärung zu meiner Wortmeldung von vorhin abgibt. ({0}) Es ist gleich, von welchem Mitglied dies geschieht. Wir bitten aber darum, dass eine Erklärung von der Bundesregierung abgegeben wird. Ich bedanke mich herzlich. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ebenfalls zur Geschäftsordnung spricht der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Wilhelm Schmidt.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Merz, das ist sehr verwunderlich; denn hierbei handelt es sich eigentlich nicht um einen Geschäftsordnungsantrag. Wir befanden uns vielmehr in einem Stadium, in dem die Debatte bereits beendet und die Abstimmung aufgerufen worden war. Diese Bitte zu äußern ist möglicherweise legitim; aber die Antwort werden Sie natürlich auch durch die Erklärung von Herrn Struck erhalten. Wir sehen daher überhaupt keine Notwendigkeit, in dieser Phase einen solchen Debattenbeitrag zu bringen. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner zur Geschäftsordnung ist der Kollege Jürgen Koppelin. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Wenn es das größte Rüstungsprojekt ist, über das wir heute entscheiden, dann muss es auch möglich sein, gegebenenfalls die Debatte neu zu eröffnen, damit die Erklärungen abgegeben werden können. Sollte der Verteidigungsminister heute hier keine Erklärung abgeben, wird sich die Fraktion der Freien Demokraten der Klage der CDU/CSU anschließen. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ebenfalls zur Geschäftsordnung spricht Frau Katrin Göring-Eckardt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich würde gern daran erinnern, dass wir heute Morgen schon einmal eine Geschäftsordnungsdebatte in diesem Hause hatten, dass Sie diese Debatte überhaupt nicht führen wollten, dass wir sie nun geführt haben, dass die Argumente ausgetauscht sind und dass Sie die Antwort, die Sie haben wollen, hier vom Vorsitzenden der SPD-Fraktion erhalten werden. Er wird auf das, was Sie, Herr Merz, hier angefragt haben, antworten. Ich gehe davon aus, dass das ausreicht. Vielen Dank. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben vernommen, dass der Kollege Merz eine Bitte vorgetragen hat. Ich frage jetzt die CDU/CSU-Fraktion, ob sie diese Bitte in Form eines Antrags wiederholt. ({0}) - Das ist der Fall. Dann stelle ich jetzt den Antrag der Fraktion der CDU/CSU und - davon gehe ich aus - auch der Fraktion der FDP, dass die Bundesregierung, namentlich der Herr Verteidigungsminister, in dieser Debatte das Wort er- greift, zur Abstimmung. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Der An- trag ist gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS abgelehnt. Deshalb erteile ich jetzt dem Vorsitzenden der SPD- Fraktion zu einer Erklärung zur Abstimmung das Wort und verweise darauf, dass es auch noch eine schriftliche Erklärung der Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig und des Kollegen Hans-Josef Fell gemäß § 31 der Geschäfts- ordnung gibt.1)

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Namen der Koalitionsfraktionen - SPD und Bündnis 90/Die Grünen - weise ich die Unterstellungen, die der Redner der CDU geäußert hat, auf das Entschiedenste zurück. ({0}) Die Bundesregierung wird sich wie in der Vergangenheit an die Beschlüsse des Deutschen Bundestages halten. Herr Kollege, Politik wird nicht in Karlsruhe gemacht, sondern hier im Deutschen Bundestag. Wir sehen Ihrer Klage gelassen entgegen. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt zu den Abstimmungen. Vizepräsidentin Petra Bläss 1) Anlage 4 Ich rufe den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/8024 mit dem Titel „Vorhaben zukünftiges Transportflugzeug A400M“ auf. ({0}) Es ist vereinbart, über die Nrn. 1 und 2 des Antrags einerseits sowie über die Nrn. 3 und 4 des Antrags andererseits getrennt abzustimmen. Wir stimmen über die Nrn. 1 und 2 des Antrags auf Drucksache 14/8024 ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Nrn. 1 und 2 des Antrags sind gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Abwesenheit der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP ({1}) sowie bei einer Enthaltung aus den Reihen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Wir stimmen nun über die Nrn. 3 und 4 ab. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 14/8056? ({2}) Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist ohne Jastimme bei einer Enthaltung aus den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wir stimmen nun über die Nrn. 3 und 4 des Antrags auf Drucksache 14/8024 ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Nrn. 3 und 4 sind gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei einer Enthaltung aus den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen sowie bei Abwesenheit von CDU/CSU und FDP angenommen. Der Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/8024 ist damit insgesamt angenommen. Wir kommen jetzt zum Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/8077 mit dem Titel: „Für eine haushaltsrechtlich saubere Finanzierung und langfristig gesicherte Beschaffung des zukünftigen Lufttransportflugzeugs der Bundeswehr A400M“. ({3}) Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist bei Abwesenheit der Fraktionen von CDU/CSU und FDP einstimmig abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Umwelt- und Gesundheitsgefahren bei Gold- gewinnung minimieren - Drucksache 14/7076 - Die Kolleginnen Monika Griefahn, Gila Altmann, Birgit Homburger, Vera Lengsfeld sowie Eva Bulling- Schröter haben ihre Reden zu Protokoll gegeben, sodass wir - Ihr Einverständnis vorausgesetzt - sofort zur Ab- stimmung kommen.1) Ich rufe den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 14/7076 mit dem Titel: „Umwelt- und Gesundheitsgefahren bei Goldgewinnung minimieren“ auf. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist einstimmig angenommen bei Abwesenheit von CDU/CSU-Fraktion und einer Ja-Stimme aus den Reihen der FDP-Fraktion. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 sowie Zusatzpunkt 6 auf: 13. Beratung des Antrags der Abgeordneten Max Straubinger, Wolfgang Börnsen ({4}), Ilse Aigner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Luftfahrtforschung voranbringen - Drucksache 14/7439 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({5}) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Dr. Ditmar Staffelt, Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Werner Schulz ({6}), HansJosef Fell, Andrea Fischer ({7}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Nationales Luftfahrtforschungsprogramm fortsetzen - Drucksache 14/8027 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({8}) Finanzausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Die Kolleginnen und Kollegen Margrit Wetzel, Dr. Heinz Riesenhuber, Ulrike Flach, Hans-Josef Fell, Rolf Kutzmutz sowie der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf haben ihre Reden zu Protokoll gege- ben.2) - Auch darüber herrscht Einverständnis im Hause. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 14/7439 und 14/8027 an die in der Tages- ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe diesbezüglich Einverständnis im Hause. Damit sind die Überweisungen so beschlossen. Vizepräsidentin Petra Bläss 1) Anlage 7 2) Anlage 8 Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Bahnpreissystem für Fahrgäste attraktiv gestalten - Drucksache 14/7768 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({9}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Wider- spruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Redner für die PDS-Frak- tion ist der Kollege Winfried Wolf. - Ich höre gerade, auch er hat sich entschlossen, die Rede genauso wie die Kolle- ginnen und Kollegen Karin Rehbock-Zureich, Norbert Otto, Albert Schmidt und Horst Friedrich zu Protokoll zu geben.1) Das entspannt - Ihr Einverständnis vorausgesetzt - die Lage natürlich. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/7768 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch darüber herrscht Einverständnis im gesamten Hause. Damit ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen SPD, CDU/ CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP Nutzung satellitengestützter Erdbeobachtungsinformationen - Drucksache 14/8034 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({10}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Die Kolleginnen und Kollegen Lothar Fischer, Wolf- Michael Catenhusen, Ilse Aigner, Ulrike Flach, Angela Marquardt und Hans-Josef Fell haben ihre Reden eben- falls zu Protokoll gegeben.2) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/8034 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch darüber besteht Einverständnis. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 25. Januar 2002, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.